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Karin Zimmermann · Sigrid Metz-Göckel „Vision und Mission“ – Die Integration von Gender in den Mainstream europäischer Forschung
Karin Zimmermann Sigrid Metz-Göckel
„Vision und Mission“ – Die Integration von Gender in den Mainstream europäischer Forschung unter Mitarbeit von Britta Gehrmann, Jutta Massner, Christina Möller, Sabine Schäfer
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage September 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Monika Mülhausen Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: Frank Böhm, Siegen Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-14954-7
Inhalt
Vorwort und Danksagung............................................................... 7 1
Einleitung......................................................................................... 9
2
Gender Mainstreaming im Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung................................................................... 13
3
Das Forschungsdesign..................................................................... 25
3.1 3.2
Das Konzept des sozialen bzw. des Machtfeldes.............................. 25 Das Datenmaterial: Interviews und Dokumentenanalysen................ 32
4
Gender Mainstreaming im Mehrebenensystem europäischer Politik........................................................................ 35
5
Der institutionelle Rahmen für europäische Politik..................... 41
5.1 5.2 5.3 5.4
Rolle und Funktion der Europäischen Kommission.......................... „Mobilisierung der Frauen für die europäische Forschung“............. Politisches Forum und Gender Watch System als Instrumente......... Zusammenfassung.............................................................................
6
Die Umsetzung von Gender Mainstreaming in Politik und Verwaltung............................................................................... 61
6.1 6.2 6.3 6.4
Die Spielregeln des politischen Feldes.............................................. Gender Mainstreaming im Verständnis der Brüsseler Verwaltung.... Geschlecht als Kriterium der „Exzellenzauswertung“...................... Zusammenfassung.............................................................................
7
Gender Mainstreaming zwischen Wissenschaft, Politik und Markt........................................................................................ 87
7.1 7.2
Wissenschaftlerinnen in der Politikberatung..................................... 88 Die Vision einer „geschlechtsneutralen Wissenschaft“..................... 93
41 45 54 58
62 72 79 84
6
Inhalt
7.3 7.4
Lobbying für Gender und Diversity im „main drive of innovation“.. 99 Zusammenfassung............................................................................. 106
8
Fazit und Schlussfolgerungen........................................................ 111
8.1
Gender Mainstreaming als Querschnittspolitik oder forschungspolitischer Alleingang?.................................................... Gender Mainstreaming als neues Aktionsfeld................................... Geschlechterwissen und Genderexpertise im Prozess....................... Lissabon und Bologna als politische Legitimation........................... Legitimationskrise der Wissenschaft und wissenschaftlichen Wissens.............................................................................................
8.2 8.3 8.4 8.5
111 115 118 122 123
Literatur und Dokumente.............................................................. 129
Vorwort und Danksagung
Gender Mainstreaming wurde von internationalen Frauenbewegungen entwickelt und als kritische und zukunftsweisende Strategie zur Veränderung von Geschlechterverhältnissen und -politik gedacht. In diesem Buch wird für die supranationale Ebene der Europäischen Union gezeigt, wie Gender (Geschlecht) interpretiert und in einen ganz spezifischen Mainstream (Hauptstrom) implementiert wurde. Deutlich wird, dass Gender Mainstreaming als gleichstellungspolitisches Konzept grundlegend auf die Flexibilität von Personen und Strukturen derjenigen Felder angewiesen ist, in denen Gender Mainstreaming praktisch umgesetzt wird. Diese Praxis der Umsetzung und ihre Tücken werden in dem Buch ,Vision und Mission‘. Die Integration von Gender in den Mainstream europäischer Forschung“ für das forschungspolitische und wissenschaftliche Feld beispielhaft untersucht. Die Europäische Union, die als Institution der europäischen Forschungsförderung in den Mitgliedstaaten zunehmend an Bedeutung gewinnt, hat Gender Mainstreaming in der Zeit der Vorbereitung und während der Umsetzung des Sechsten Forschungsrahmenprogramms (2002 bis 2006) erstmals angewandt. Diese entscheidende erste Phase steht im Mittelpunkt des Buches. Es geht der Frage nach, wie es in dem vernetzten europäischen Machtfeld aus politischen und wissenschaftlichen Institutionen gelingen konnte, Gender Mainstreaming überhaupt auf die europäische Tagesordnung zu setzen und mit der Umsetzung zu beginnen. Dies bleibt im Ergebnis ein zukunftsweisender Schritt. Jedoch erwiesen sich zum Beispiel die Gender Action Plans als Auflage jeglicher Forschungsförderung als ziemlich wirkungslos, so dass Teilerfolge inzwischen auch wieder zurückgenommen wurden. Entgegen der ,Vision und Mission‘ auf der europäischen politischen Bühne lassen die hergestellten Verbindungen zwischen Forschungs- und Geschlechterpolitik ein verzweigtes Netz von Vor- und Rückschritten erkennen und keine einfach vorwärts weisende Fortschrittlinie. Bei der Untersuchung, wie es in dem europäischen Machtfeld aus Wissenschaft und Politik gelingen konnte, ein Verfahren für Gender Mainstreaming zu entwikkeln, waren wir auf das Wissen von Insider/inne/n und auf die Expertise derjenigen angewiesen, die als Personen in den Strukturen dieses Feldes an dem Prozess be-
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Vorwort und Danksagung
teiligt waren. Sie haben in Interviews, auf die sich das Buch wesentlich stützt, bereitwillig Auskunft gegeben. Dafür danken wir ihnen herzlich. Der Veröffentlichung als Buch geht die Arbeit in einem Forschungsprojekt voraus. Das Projekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen ihres inzwischen abgeschlossenen Schwerpunktprogramms „Organisation, Profession und Geschlecht“ zwischen 2003 und 2005 finanziell gefördert und am Hochschuldidaktischen Zentrum der Universität Dortmund durchgeführt. Wir danken dem Institut für die institutionelle Kooperation und besonders allen, die unmittelbar an der Projektarbeit beteiligt waren: Jutta Massner und Sabine Schäfer als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen, Britta Gehrmann als wissenschaftliche und Christina Möller als studentische Hilfskräfte. Bei Dr. Chris Lange bedanken wir uns für die redaktionelle Bearbeitung des Buchmanuskripts und für die zahlreichen Hinweise auf Verbesserungen aus ihrer Kenntnis als Europaforscherin. Dortmund, im Mai 2007 Karin Zimmermann und Sigrid Metz-Göckel
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Einleitung
Die Mission der Europäischen Union, die Stellung von Frauen in der europäischen Wissenschaft und Forschung aktiver als bisher zu stärken, bildet den Ausgangspunkt dafür, die europäische Forschungsförderung und -politik zum Gegenstand dieser empirischen Untersuchung (2003 bis 2005) zu machen. Zu diesem Zeitpunkt war die Europäische Union (im folgenden EU) der politischen Selbstverpflichtung gefolgt, und hatte Gender Mainstreaming als neue gleichstellungspolitische Strategie aus der internationalen Politik der Vereinten Nationen (UN) bereits übernommen. Einer prominent gewordenen Definition des Europarates folgend, zielt Gender Mainstreaming auf die (Re-)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung politischer Prozesse, indem eine geschlechterbezogene Sichtweise in alle politischen Konzepte auf allen Ebenen und in allen Phasen durch alle an politischen Entscheidungen beteiligten Akteure und Akteurinnen durchgängig einbezogen wird (vgl. Europarat 1998).1 Für die forschungspolitische Umsetzung von Gender Mainstreaming haben die politischen Entscheidungsträger/innen die Beteiligung internationaler Experten und Expertinnen aus der Wissenschaft vorgesehen. Damit sind Wissenschaftler/innen und Forscher/innen aus den EU-Mitgliedstaaten angesprochen, die Rolle bzw. Funktion der Politikberatung durch Wissenschaft wahrzunehmen (zur wissenschaftlichen Politikberatung vgl. Weingart 2004; 2001). Die wissenschaftliche Politikberatung, speziell in Gender-Fragen, steht im Fokus dieser empirischen Untersuchung der Integration von Gender in den Mainstream europäischer Forschungspolitik. Programmatisch sehen die auf EU-Ebene für Forschungspolitik und für Forschungsförderung zuständigen Akteure und Akteurinnen vor, dass – Wissenschaftlerinnen an der forschungspolitischen Programmentwicklung, der Beratung bei der Programmgestaltung und -evaluation sowie an der Auswahl von zu fördernden Forschungsprojekten beteiligt sind; 1 Der Europarat zählt nicht zum politischen Institutionensystem der Europäischen Union (vgl. hierzu Kapitel 5). Zum Entstehungshintergrund von Gender Mainstreaming als politisches und als geschlechtertheoretisches Konzept im Kontext der internationalen und entwicklungspolitischen Diskussion vgl. Frey 2003.
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1 Einleitung
– Themen aus dem Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung gezielt gefördert werden sollen, und – der Frauenanteil in den Wissenschafts- und Forschungsinstitutionen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) wie in den forschungspolitischen Gremien auf der EU-Ebene merklich (auf die Zielmarke von 40%) erhöht wird. In dem Forschungsprojekt „,Vision und Mission‘. Die Integration von Gender in den Mainstream europäischer Forschungspolitik“ stand nicht die Frage im Vordergrund, wie schnell und wodurch dieses quantitative Ziel erreicht würde. Vielmehr geht es darum, den Prozess zu beleuchten, wie Gender Mainstreaming in dem institutionellen europäischen Kontext umgesetzt wird. Das heißt, den Prozess der „Transformation“ der politischen Selbstverpflichtung zum Gender Mainstreaming in politisches, administratives und wissenschaftliches Handeln zu rekonstruieren. Mit Gender Mainstreaming, so die Annahme, rücken Genderexpert/inn/en und Genderexpertisen auf der Basis wissenschaftlichen Wissens aus der Frauen- und Geschlechterforschung weiter in die Nähe politischer Strategieentwicklung und umsetzung. Dabei interessieren insbesondere die folgenden Fragen: – Welche Erfahrungen machen Wissenschaftlerinnen in der Politikberatung, wenn sie als Genderexpertinnen für die europäische Politik und Forschungsverwaltung tätig werden und sichtbar für Fraueninteressen eintreten? – Wie (weit) wirken wissenschaftliche Expertisen zu den Geschlechterverhältnissen in Wissenschaft und Forschung in den forschungspolitischen Entscheidungsprozess hinein? – Was ist in dem Prozess Genderwissen, und welche Veränderungen können Genderexpertisen im forschungspolitischen Gender Mainstreaming Prozess bewirken? Gender Mainstreaming als Konzept und gleichstellungspolitische Strategie auf die Forschungsförderung und Forschungspolitik der EU zu beziehen bedeutet, ein Politikfeld zu untersuchen, in dem die Akteure und Institutionen bislang weitgehend „geschlechtsblind“ agierten – anders als etwa in der Sozial- oder Arbeitsmarktpolitik. Entgegen dem Strom in der derzeitigen Frauen- und Geschlechterforschung, die nach dem Degendering (Entgeschlechtlichung) in der Hinsicht fragt, ob Geschlecht (Gender) als erkenntnistheoretische Differenz- und als soziale Ungleichheitskategorie mehr und mehr obsolet wird (vgl. z.B. Gildemeister/Wetterer 2007; Allmendinger/Hinz 2002; Heintz 2001), geht es hier um Engendering, um die Beobachtung der Vergeschlechtlichung eines bis dato für Geschlechterdifferenzen kaum sensibilisierten Politikfeldes europäischer Forschung und Wissenschaft und ihrer Politik.
1 Einleitung
11
Die Forschungsperspektive auf das Feld setzt (Geschlechter-)Forschung, Wissenschaft und Politik ins Verhältnis zueinander. Dieses In-Beziehung-Setzen von Politik, Wissenschaft und Forschung wird auf der theoretischen Basis eines europäischen forschungspolitischen Machtfeldes rekonstruiert. Was unter dem Machtfeld zu verstehen ist, wird anhand eines soziologischen Feldkonzeptes mit Anleihen bei Bourdieu entwickelt (vgl. Kapitel 3) und auf der Grundlage von Interviews mit Akteuren und Akteurinnen im europäischen Machtfeld sowie anhand von Dokumenten der Europäischen Kommission und Parlament etc. (vgl. Kapitel 4) empirisch untersucht (vgl. Kapitel 5 bis 7). Die Schlussfolgerungen, die aus der Analyse der forschungspolitischen Implementation von Gender Mainstreaming auf EUEbene (in Kapitel 8) gezogen werden, sind mit Blick auf andere Implementationsfelder formuliert und können als Hypothesen für nachfolgende Untersuchungen Relevanz beanspruchen. Im Zentrum steht das Verhältnis von Wissenschaft und Politik im Prozess der Umsetzung von Gender Mainstreaming auf europäischer Ebene. Das Thema berührt die Frage der Legitimation politischer Entscheidungen. Politische Entscheidungen sind öffentliche Entscheidungen, die unter Hinzuziehung wissenschaftlichen Sachverstandes zustande kommen. Folgt man einer demokratietheoretisch begründeten Rationalität, dann operiert wissenschaftliche Politikberatung in zwei Legitimationskreisen: „Entscheidungen müssen rational im Licht vorhandenen wissenschaftlichen Wissens und von durch öffentliche Wahl delegierten Repräsentanten legitimiert sein.“ (Weingart 2004: 89, Hervorh. i. O.)2 Mit der politischen Entscheidung, Gender Mainstreaming zu implementieren, werten die politischen Entscheidungsträger/innen auf EU-Ebene die Bedeutung von Genderexpertisen in der wissenschaftlichen Politikberatung tendenziell auf, indem sie diese in die politische Strategieentwicklung (überhaupt) einbeziehen. Auf die Akteursebene bezogen schließt sich die Frage an, wie weit Wissenschaftler/innen, die als (von der Politik berufene) Genderexpert/inn/en im politischen Machtfeld handeln, dadurch von der wissenschaftlichen Peripherie ins Zentrum politischer Macht rücken.3
2 Zur neueren Diskussion um den Glaubwürdigkeitsverlust wissenschaftlichen Wissens im öffentlichen Diskurs vgl. z.B. Weingart 2001. In feministisch-kritischer Absicht dazu vgl. z.B. HollandCunz 2005; zum Diskurs von Gender in der Wissensgesellschaft vgl. z.B. Riegraf/Zimmermann 2005. 3 Mit diesen Fragen und Erkenntnisinteressen wird an die „Grenzgänge zwischen Wissenschaft und Politik“ (Zimmermann et al. 2004) in einer früheren Untersuchung zu Geschlechterkonstellationen in wissenschaftlichen Eliten angeknüpft, in der die Positionen von Wissenschaftler/inne/n in der Politikberatung im Machtfeld der Bundesrepublik Gegenstand sind.
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1 Einleitung
Diesen Fragen nach den Gelegenheitsstrukturen für Genderexpert/inn/en und -expertisen wird in diesem Buch am Beispiel der Einführung von Gender Mainstreaming in die Forschungs(förder)politik der Europäischen Union detailliert nachgegangen. Im folgenden (2. Kapitel) wird zuvor der wissenschaftliche Diskurs zu Gender Mainstreaming und Genderwissen etc. aufgegriffen, wie er derzeit in der Frauen- und Geschlechterforschung geführt wird. Die Skizze dieses Diskurses zeigt die kontroversen Sichtweisen auf Theorie und Praxis im Zusammenhang mit Gender Mainstreaming auf (vgl. dazu insbes. Stiegler 2005a), und liefert erste Begriffsdefinitionen. Der Hintergrund dafür, die Kontroverse hier aufzugreifen ist eine Beobachtung, die sich im Verlauf der empirischen Untersuchung in den geführten Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Praktikerinnen von Gender Mainstreaming in Politik und Verwaltung wiederholt machen ließ: Es gibt kein einheitliches Verständnis von Gender Mainstreaming und folglich nicht nur „die eine“ Strategie, Gender Mainstreaming „richtig“ umzusetzen. Die andere Beobachtung ist: Die in der Literatur geführte Kontroverse entzündet sich genau an diesem Punkt der Offenheit von Gender Mainstreaming als geschlechter- bzw. gleichstellungspolitisches Konzept. Konsens herrscht (nur) insoweit als Gender Mainstreaming in der Definition als geschlechterbezogene Sichtweise in allen politischen Konzepten und Entscheidungen in eine Beziehung zur Frauen- und Geschlechterforschung gebracht und in dem Zusammenhang der Kategorie Geschlecht Bedeutung zugeschrieben wird.
2
Gender Mainstreaming im Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung
Zuerst ist festzustellen, dass der wissenschaftliche Diskurs zu Gender Mainstreaming nicht im Mainstream der Wissenschaftsdisziplinen wie Soziologie, Politikwissenschaft (Policyforschung) oder Betriebswirtschaft (Human Resources) etc. geführt wird, sondern fast ausschließlich unter Wissenschaftlerinnen (mehrheitlich) und Wissenschaftlern, die in der Frauen- und Geschlechterforschung ausgewiesen sind. Insoweit ist zu konstatieren: Gender Mainstreaming spielt inzwischen zwar im Mainstream der Politik eine gewisse Rolle, nicht aber im Mainstream der Wissenschaftsdisziplinen, die sich für die mit Gender Mainstreaming zusammenhängenden Themen (z.B. der Politikberatung) eigentlich interessieren könnten, wie Soziologie, Wirtschafts- und Politikwissenschaft oder die Wissenschaftsforschung. Angesprochen sind zwar alle, sich mit der Geschlechterdimension (von Sichtweisen) auseinander zu setzen und entsprechendes wissenschaftliches Wissen zu liefern. Angesprochen fühlen sich aber vor allem die Frauen- und Geschlechterforscherinnen und dies deutet auf die Positionierung von Frauen- und Geschlechterforschung im wissenschaftlichen Feld hin. Sie wird zum Gender Mainsteaming in Beziehung gesetzt, weil geschlechterbezogene Sichtweisen ihr wissenschaftliches Untersuchungsfeld sind, das vermeintlich als Spezialwissen gilt. Dass mehr Frauen in Spitzenpositionen von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft mitwirken sollten, stößt inzwischen nicht nur im Diskurs innerhalb der Frauen- und Geschlechterforschung, sondern nahezu allseits auf Zustimmung. Ob Gender Mainstreaming in den gegebenen Strukturen und Machtverhältnissen aber überhaupt effektiv sein kann, wird innerhalb der Frauen- und Geschlechterforschung zur zentralen Frage. In der kontrovers geführten Debatte zum Gender Mainstreaming geht es darum, die Veränderungs- bzw. Transformationspotenziale von Gender Mainstreaming für den Wandel der Geschlechterverhältnisse in politischen und gesellschaftlichen Organisationen und in wissenschaftlichen Institutionen auszuloten. Zwei Interpretationen unterschiedlicher Reichweite spielen dabei eine Rolle: die Frage der „gleichen“ personellen Beteiligung und die Veränderung von Strukturen, die Ungleichheit hervorbringen.
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2 Gender Mainstreaming im Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung
In dieser Debatte werden vorwiegend theoretische Überlegungen und Einwände formuliert, während empirische Untersuchungen zur Implementation von Gender Mainstreaming noch immer selten sind (Lenz 2005: 13f.; zur Hochschule vgl. Metz-Göckel/Kamphans 2002; Metz-Göckel et al. 2002; Kahlert 2003). Strittig ist insbesondere, ob und inwieweit durch Gender Mainstreaming die Errungenschaften der bisherigen Frauen- und Gleichstellungspolitik in der Gefahr stehen, abgeschafft oder unterlaufen zu werden. Diese Frage wird in dem Diskurs auch auf die Frauen- und Geschlechterforschung bezogen, die sich bisher vor allem durch eine kritische Haltung gegenüber hergebrachten Organisationen und Institutionen ausgezeichnet hat. Kontrovers sind die Begründungen und Einschätzungen von Gender Mainstreaming als gleichstellungspolitische Strategie und das Verhältnis von Theorie und Praxis in diesem Zusammenhang. An dem Diskurs zu Konzept, Strategien und Instrumenten von Gender Mainstreaming sind nicht nur Theoretikerinnen beteiligt, deren Sichtweisen besonders kritisch ausfallen, sondern auch Praktikerinnen, die sich in den Institutionen und Organisationen, eben auch der EU, vergleichsweise pragmatisch um die Umsetzung des Konzepts bemühen. In der Kontroverse zwischen den (im Folgenden grob eingeteilten) „Praktikerinnen bzw. Pragmatikerinnen“ auf der einen und den „Theoretikerinnen bzw. Kritikerinnen“ auf der anderen Seite überrascht, dass die Doppelperspektive von Theorie- und Praxis-Bezügen beider Seiten nicht geteilt wird. Obwohl diese Doppelperspektive von Theorie- und Praxis-Bezügen einem produktiven Umgang mit Gender Mainstreaming doch eigentlich entgegen kommen sollte. Denn Gender Mainstreaming als gleichstellungspolitische Konzeption setzt die enge Bindung an die Geschlechterforschung voraus, auf deren Erkenntnisse die strategische Umsetzung und Entwicklung geeigneter Instrumente angewiesen ist (Metz-Göckel 2003; Schultz 2003). Wie sollen z.B. die Lebenslagen von Frauen und Männern in ihrer jeweiligen Differenziertheit berücksichtigt werden, wenn es dazu keine wissenschaftlich (mehr oder weniger) abgesicherten Erkenntnisse gibt, die herangezogen werden können? Geht Gender Mainstreaming nicht vielmehr über eine pragmatische Politik der Anteilssteigerung von Frauen in Spitzenpositionen von Wissenschaft und Forschung hinaus in Richtung weitergehender Visionen einer emanzipatorischen Transformation des Geschlechterverhältnisses (von Braunmühl 2000)? Dies sind zumindest die Vorstellungen, die als Ausgangspunkt mit Gender und Gender Mainstreaming verbunden wurden, und die im Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung zu Gender Mainstreaming eine Rolle spielen. Auch Fragen nach der Funktion und dem Stellenwert der Frauen- und Geschlechterforschung sind in dem Diskurs bisher auf kontroverse Resonanz gestoßen. Klärungsbedürftig
2 Gender Mainstreaming im Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung
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ist insbesondere, wie die beiden unversöhnlich scheinenden Positionen von „Theoretikerinnen bzw. Kritikerinnen“ von Gender Mainstreaming und „Praktikerinnen bzw. Pragmatikerinnen“ doch miteinander verbunden werden könnten. Im Folgenden werden zunächst die kontroversen Sichtweisen zwischen Stellungnahmen von Theoretikerinnen bzw. Kritikerinnen und Praktikerinnen bzw. Pragmatikerinnen abgewogen. Dies geschieht anhand – von Definitionen der zentralen Kategorien Gender und Mainstream und – von Einschätzungen des gesellschaftskritischen Potenzials von Gender Mainstreaming (Prozessen) – in Verbindung mit Konzepten und Spezifizierungen von Geschlechterwissen. Der Argwohn der Kritikerinnen richtet sich grundlegend gegen Gender Mainstreaming als Konzept. Kritisch beleuchtet werden insbesondere die zentralen Kategorien Gender und Mainstream. Gender ist ein anspruchsvoller wissenschaftlicher Begriff, der sich vom Alltagsverständnis über Frauen und Männer, die substanziell gedacht und als biologisch andere vorgestellt werden, weit entfernt hat. Der Begriff Gender bezieht sich auf Frauen und Männer in ihrer sozialen wie kulturellen Differenziertheit (auch) im Verhältnis zueinander (vgl. z.B. Degele 2005, Meuser/ Neusüß 2004). Der hier anschließende Gender-Ansatz wurde zunächst im entwicklungspolitischen Diskurs als Fortschritt gesehen: „mit Gender raus aus der FrauenNische“ (von Braunmühl 2000: 16), und als eine Perspektivverschiebung, die „einen Umgang mit Macht eröffnete, in dem feministische Selbstentwürfe ihren Platz finden konnten“ (ebd.). Die Orientierung an einer auf Biologie reduzierten Geschlechterdualität, die an das Alltagsverständnis anknüpft, sei jedoch, so die Stellungnahmen vor allem der Kritikerinnen, bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming kaum zu vermeiden. Denn qua Definition von Gender Mainstreaming sollte die Geschlechterdifferenz nicht nur ex post, sondern bereits ex ante vor jedem (politischen) Eingriff berücksichtigt werden. Im Zusammenhang mit einer primär ökonomisch motivierten Verwaltungsmodernisierung (New Public Management), mit der Gender Mainstreaming einhergehe, sei es zudem erstaunlich, dass „von vielen Gender-Expertinnen mit- und nachvollzogen worden ist, dass die neuen Strategien (...) so schnell als politische Strategien akzeptiert worden sind“ (Wetterer 2002: 135 Hervorh. i. O.). Dass „die Worte ‚Managing‘ und ‚Mainstreaming‘ und ihre Verwandlung in Synonyme für politisches Handeln“ zur sukzessiven „Auflösung der Grenze zwischen Politik, Verwaltung und Ökonomie und (...) zum Aufstieg der Betriebswirtschaft zur neuen Leitdisziplin der Gleichstellungspolitik“ beitragen, werde nahezu kritiklos hingenommen (ebd.).
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2 Gender Mainstreaming im Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung
Diese Kritik formulieren Theoretikerinnen bereits am Konzept und ziehen daraus für die Umsetzung von Gender Mainstreaming den Schluss, dass es strukturkonservierend wirke. Die Pragmatikerinnen sind dagegen in Prozesse der Umsetzung involviert und formulieren ihre Einschätzungen primär vor dem Hintergrund ihrer praktischen Erfahrungen, abstrakter formuliert: mit Rücksicht auf die Logik des Feldes, und sie verbinden diese mit der Suche nach Anschlussmöglichkeiten an wissenschaftliche Erkenntnisse der Frauen- und Geschlechterforschung und an das Alltagswissen der Akteure und Akteurinnen im Feld (Stiegler 2004). Aus der pragmatischen Sicht ist es gerade für die Anwendung und Umsetzung von Gender Mainstreaming hilfreich, die Sensibilität für Geschlechterdifferenzierungen (bei Männern und Frauen) zu schärfen und so die sozialen Konstruktionsweisen von Geschlecht aufzuklären und auf diesem Wege der Praxis auf die De-Naturalisierung zweigeschlechtlicher Sichtweisen und Strukturen hinzuarbeiten (vgl. Baer/ Kletzing 2004; Stiegler 2005).4 Der Begriff Mainstream wird in der Regel mit dem Kern, zum Beispiel mit den Hauptströmungen einer wissenschaftlichen Disziplin oder mit den (disziplinären) Zentren in der Wissenschaft assoziiert. Der Mainstream vollziehe Ausschließungsprozesse gegenüber Neuem, gegenüber Außenseiter/inne/n und Randständigen und könne auch ausgrenzend gegen die Frauen- und Geschlechterforschung gerichtet sein und ihre Erkenntnisse enteignen, weshalb es für Frauen- und Geschlechterforscherinnen auch nicht per se erstrebenswert sei, im Hauptstrom, um im Bild zu bleiben, mit zu schwimmen (vgl. z. B. Müller 1997, Metz-Göckel/Kamphans 2002). Dieser kritischen bzw. ambivalenten Haltung zum wissenschaftlichen Mainstream als Form der Herrschaftssicherung steht in der Debatte die pragmatische Position gegenüber: Unter Mainstream fasst sie: „die üblichen Arenen und Akteure in ihren jeweiligen Aufgabenbereichen und Zuständigkeiten. Mainstreaming bedeutet also, ein Thema präsent, alltäglich und selbstverständlich zu machen“ (Baer/ Kletzing 2004: 4). Um auf diesem Wege alltäglicher Verstetigung Definitionsmacht über (politische) Zuständigkeiten und Aufgabenbereiche zu erreichen, bedarf es der für Gender aufmerksamen Akteure und Akteurinnen, die die Routinen des Ver4 Als Denkanstöße für die Praxis in Gender Mainstreaming Prozessen wären hier eine ganze Reihe von politischen Initiativen auch in Deutschland anzuführen. So z.B. GMEI (Gender Mainstreaming Experts International), ein Zusammenschluss von Gender Mainstreaming Expert/inn/en, die das Konzept als eine Strategie verstehen, die Gleichstellung von Frauen und Männern im Rahmen von an Strukturen und Prozessen ansetzenden Interventionen zu verwirklichen (gmei.de/ netzwerk.htm). GMEI dient dem fachlichen Austausch sowie der Erarbeitung, Kommunikation und Veröffentlichung gemeinsamer Positionen, beobachtet die gleichstellungspolitischen Entwicklungen, veröffentlicht Stellungnahmen und Grundsatzpapiere und mischt sich in vielfältiger Weise praktisch in diese Prozesse ein (vgl. z.B. GMEI 2007; Gender Manifest 2006).
2 Gender Mainstreaming im Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung
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waltungs- und politischen Handelns etc. kennen, und ihr kontextuelles Geschlechterwissen mit Erkenntnissen aus der Geschlechterforschung kontrastieren (können). Kontextuelles Geschlechterwissen zielt somit auf die Verbindung von Geschlechterforschung und Geschlechterpolitik und auf deren Vermittlung an relevante Akteure und Akteurinnen in der Praxis. Die Leistung „pragmatisch“ handelnder Genderexpertinnen besteht folglich darin, erstens Gender Mainstreaming als Konzept handlungs- und kontextbezogen zu übersetzen und zweitens den Entscheidungsträgern und -trägerinnen im Hauptstrom Genderkompetenzen zu vermitteln, die sie in die Lage versetzen, die unterschiedlichen Lebensumstände von Frauen und Männern (genderkompetent) zu berücksichtigen als Voraussetzung für die Herstellung gleicher Teilhabe und echter Wahlfreiheiten für Frauen und Männer (Baer/ Kletzing 2004). Promotorinnen von Gender Mainstreaming spielen hier, sowohl auf der nationalen wie auf der EU-Ebene eine wichtige Rolle.5 Die von Mieke Verloo geleitete Gruppe von „Specialists on Gender Mainstreaming“ hat beim „Council of Europe“ auf höchster politischer EU-Ebene und frühzeitig (bereits 1998) eine Definition erarbeitet, die anschließend Europa weit rezipiert wurde: „Gender Mainstreaming is the (re)organisation, improvement, development and evaluation of policy processes, so that a gender equality perspective is incorporated in all policies at all levels and all stages, by the actors normally involved in policy making“ (Verloo 2005: 117).
Diese Definition konzentriert sich ebenfalls auf die Akteure und Akteurinnen, die im Hauptstrom „normalerweise“ die Politik bestimmen, also die Leitungspersonen, aber auch diejenigen, die diese beraten und beeinflussen, kurz Lobbying betreiben. Gender Mainstreaming bleibt aus dieser Sicht Definitionssache, die den Akteurinnen und Akteuren vor Ort Spielräume der Interpretation einräumt, ohne zwingend Geschlechterpolarisierungen zu verfestigen, selbst wenn Gender Mainstreaming dazu auffordert, nach Geschlechterdifferenzen gezielt zu fahnden (Woodward 2004: 89). 5 Zu den Promotorinnen von Gender Mainstreaming in Deutschland gehören z.B. Barbara Stiegler, die das Konzept in der Bundesrepublik als erste publik gemacht hat (vgl. Stiegler 1998, 2000, 2004, 2005, 2005a) oder Susanne Baer, die von 2003 bis 2006 das „GenderkompetenzZentrum“ an der Humboldt Universität zu Berlin leitete (vgl. hierzu die Darstellung von Gabriele Jähnert in: von Braun/Stephan 2006: 341f.). Das „GenderkompetenzZentrum“ wird bisher vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert und ist qua Institution in Ausführung der (europäischen) Beschlüsse der Bundesregierung für die Beratung und Begleitung der Gender Mainstreaming Implementation in der Bundesverwaltung zuständig, soll professionelle Kompetenzen für die Umsetzung von Gender Mainstreaming in Deutschland entwickeln und den Verwaltungen zur Verfügung stellen. Auf EU-Ebene ist die Einrichtung eines Europäischen Instituts Gender Mainstreaming seit längerem beschlossen und in Vilnius/Litauen vorgesehen.
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2 Gender Mainstreaming im Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung
Alison Woodward rekurriert hier auf Gender Mainstreaming als einen „revolutionären und transformativen Ansatz“ (ebd.; vgl. auch Rees 1998: 34-48; Mazey 2001), und geht davon aus, dass Gender Mainstreaming „letztendlich zu institutionellen Veränderungen der Organisationen selbst führen muss“ (Woodward 2004: 86). Wichtigste Voraussetzung dafür ist die Selbstverpflichtung der Organisationsspitze, die eine „ausdrückliche Einbeziehung der Männer“ erfordere (ebd.: 99), während Gender Mainstreaming zugleich Widerstände hervorrufe, weil es „die Selbstverständlichkeit männlicher Macht“ anzweifelt (ebd.). Mit diesen Hinweisen bezieht sich Woodward u.a. auf das theoretische Konzept der „gendered organizations“ (Acker 1990), das Organisationen und Arbeitsmarkt als zentrale Orte betrachtet, an denen soziale Ungleichheit zwischen Männern und Frauen hergestellt werden. Dennoch könnten die tradierten Geschlechterverhältnisse auf der Basis von Gender Mainstreaming kritisch hinterfragt werden wie etwa die geschlechtsspezifische Arbeitsmarktsegregation oder die geringe Entlohnung z.B. in Pflegeberufen, die traditionell Frauendomänen darstellen. Trotz der Widersprüche und Ambivalenzen kann von Gender Mainstreaming mit Woodward (2004) oder auch Rees (1998) und Verloo (1999; 2002; 2005), die als Expertinnen für Gender Mainstreaming auf der EU-Ebene gelten können, ein transformatives Veränderungspotenzial ausgehen. Gender Mainstreaming wurde zuerst im Rahmen der internationalen Entwicklungs- und Frauenpolitik konzipiert, und hat im Verlauf seiner Rezeption und Implementation vielfältige Umdeutungen erfahren. Inzwischen ist es zu einem Organisationsentwicklungskonzept avanciert oder auch degradiert (von Braunmühl 2000). Im organisationstheoretischen Diskurs hat sich der Fokus von der Analyse von Organisationsstrukturen und Konstruktionsprozessen auf organisationale Interaktionen verschoben (vgl. z.B. Gottschall 1998, Kuhlmann et al. 2002; Wilz 2002 und 2004). Mit Blick auf Gender Mainstreaming als Organisationsentwicklungskonzept gewinnt die Frage an Bedeutung, ob und inwieweit „eine Organisation, die in sich nicht geschlechtergerecht ist, tatsächlich eine geschlechterbewusste Politik“ entwickeln kann (Woodward 2004: 86). Die Autorinnen Woodward, Rees und Verloo sind im Rahmen der hier vorgenommenen Unterscheidung eher zu den „Praktikerinnen bzw. Pragmatikerinnen“ zu zählen. Für sie ist wichtig, dass die Zielsetzungen und Zielgruppen sehr genau definiert, und die unterschiedlichen nationalen „gender equality frames“ berücksichtigt werden: „Gender Mainstreaming can only realise its full potential if this strategy ,knows‘ in each and every initiative, what its objective is: the abolition of gender inequality“ (Verloo 2005: 128). Mit der Kategorie der strategischen Rahmung für die Abschaffung der (sozialen) Ungleichheit zwischen Frauen und Män-
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nern will Verloo, u.a. in Rekurs auf die Analyse von Pollack/Hafner-Burton (2000), eine Brücke für die Anschlussfähigkeit von Gender Mainstreaming bauen: „Strategical framing is defined as attempting to construct a fit between existing frames and the frames of change agent“ (Verloo 2005: 124). So könne eine kontextuelle Gender-Analyse geliefert werden, die vielfältige Geschlechter berücksichtigt und unterschiedliche Zielgruppen von Frauen und Männern, Homosexuellen, Lesben und Bisexuellen etc. avisiert. Damit kann eine isoliert zweigeschlechtlich verfasste Geschlechterthematik (Single Issue) zugunsten der Überlagerung mehrerer Ungleichheitsfaktoren (Intersektionalität) verlassen, und sexuelle Präferenzen, ethnische Zugehörigkeiten, Lebensalter und andere, die (soziale) Ungleichheit konstituierende Faktoren kontextbezogen berücksichtigt, und damit der Analyserahmen weiter gesteckt werden. Aus dieser Skizze der Kontroverse um Gender Mainstreaming in der Frauenund Geschlechterforschung wird deutlich, dass sowohl um die Bedeutung der Begriffe als auch um die Definitionshoheit der Deutungen rund um Gender Mainstreaming gerungen wird. Wie die vorliegende Analyse des empirischen Beispiels der europäischen Forschungs(förder)politik im Ergebnis zeigt, ist es eine sehr entscheidende Frage, wie und welche Erkenntnisse aus der Frauen- und Geschlechterforschung in die letztlich politisch zu verantwortenden Prozesse der Implementation von Gender Mainstreaming eingespeist werden können. Ob es lediglich um mehr Frauen oder auch um die Veränderung der Kontexte und Machtverhältnisse geht, in denen die Geschlechterungleichheit hergestellt wird, und welche Genderexpertisen und -expert/inn/en durchsetzungsfähig sind. Und das bedeutet, die Anerkennung und Akzeptanz der Interaktionspartner/innen in den Institutionen des Mainstreams, hier der EU-Institutionen, zu finden. Beide Positionen, die theoretisch-kritische und die praktisch-pragmatische, folgen dann einem reduktionistischen Verständnis, so ein Fazit aus der Kontroverse zum Gender Mainstreaming als Konzept und gleichstellungspolitische Strategie, wenn sie Gender Mainstreaming nicht als Prozess begreifen, den es gilt, in seiner Kontextabhängigkeit zu analysieren und zu reflektieren. Während die Praktikerinnen sich an den Widerständen abarbeiten und nach Anschlussmöglichkeiten zum alltagsweltlichen Geschlechterwissen der relevanten Akteur/innen mit Macht und Entscheidungskompetenz suchen und damit Kompromisse eingehen (müssen), um die langfristigen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren, bzw. diese nicht allein dem Feld zu überlassen, beobachten die Theoretikerinnen eher abstakt von außen, scheinen daraus aber weit reichende Schlüsse zu ziehen, die sie weitgehend ohne konkrete Erfahrungen mit der Anwendung aus der Kritik des Konzepts gewinnen. Entsprechend gehen auch die Auffassungen zwischen beiden Positionen im Dis-
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kurs der Frauen- und Geschlechterforschung auseinander, wenn es um Einschätzungen des gesellschaftskritischen Potenzials geht. Ist Gender Mainstreaming ein Werkzeug ohne Bauplan (Hagemann-White 2001) und bloß Rhetorik (Wetterer 2002) oder ein radikales (politisch-praktisches) Instrument, dessen Effektivität und Nutzen sich im Kontext politischer Bedingungen und Praxen zu erweisen hat (Lang 2005)? Gender Mainstreaming, so lässt sich die Position der Kritikerinnen auf den Punkt bringen, reduziert Frauen auf eine Ressource der Personalbewirtschaftung (Schunter-Kleemann 2002), auf eine Humanressource und gebe dem gesellschaftskritischen Gehalt der Frauen- und Geschlechterforschung eine affirmative Wendung, ohne im Sinne einer egalitären gesellschaftlichen Entwicklung noch Einfluss nehmen zu wollen oder zu können (Bereswill 2004; von Braunmühl 2000). Frauen als Humanressource zu konzipieren, liege im Trend einer Ökonomisierung des Sozialen nach betriebswirtschaftlichen Rationalitätskriterien (Wetterer 2002: 146), Gender Mainstreaming sei eine „Melange zwischen herrschaftskritischem und bürokratischem Diskurs“ (Callenius 2002). Als eher pragmatisch stellt sich hier das Gegenargument mit dem Hinweis dar, Gender Mainstreaming setze konzeptuell an den Strukturen an und sei eindeutig an die Entscheidungsträger/innen adressiert. Geschlechterdifferenzierende Maßnahmen in die Entscheidungsroutinen einzubetten und damit einhergehend die Verantwortung an die Leitungsebene zu delegieren (Gender Mainstreaming als top down Strategie und Politik), könne den gesellschaftskritischen Horizont erweitern (Burkhardt/König 2005, Baer 2003). Selbst wenn es sich (nur) um eine Politik des „mehr Frauen in höheren Positionen“ handeln sollte, geht es strukturell um andere Lebensverhältnisse und Arbeitskulturen, die ein „Mehr an Frauen“ erst ermöglichen (z.B. eine veränderte Work Life Balance). Männer im Sinne „männlicher“ Verhaltensweisen und Lebenskonzepte sind hier zwingend einzubeziehen, und z. B. das Male Breadwinner-Modell zu hinterfragen. Wenn dies keine positive Resonanz finde, dann ist von Widerständen auszugehen. An die mehr implizit als explizit geäußerten Widerstände anzuknüpfen und mit ihnen zu arbeiten, sollte Priorität haben, meinen die Pragmatikerinnen. Dem wissenschaftlichen Geschlechterwissen als Resultat kritischer Frauen- und Geschlechterforschung schreiben sie dabei große Relevanz zu, um für die praktische Aufklärung über Widerstände, Abwehr und Ignoranz in Prozessen der Umsetzung von Gender Mainstreaming zu sorgen. Um sich als Promotor/inn/en von Gender Mainstreaming engagieren zu können, müssten sich die Verantwortlichen in den Institutionen Geschlechterwissen aneignen, indem sie sich entsprechend weiterbilden (lassen). Damit setzt die praktischpragmatisch orientierte Position auf die kognitive Aneignung und Erlernbarkeit von Genderkompetenzen, die im Gender Mainstreaming konzeptionell und strate-
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gisch z.B. in den Berichtssystemen und Trainingsangeboten vorgesehen sind (vgl. Stiegler 2000, 2004, Netzwerk Gender Training 2004). An die Frage der kognitiven Erlernbarkeit versus dispositionelle Aneignung von Genderkompetenzen schließen sich im Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung Veröffentlichungen zu Gender Mainstreaming und Wissenskommunikation (vgl. z.B. Bock et al. 2004; 2005; Riegraf/Zimmermann 2005) und konzeptionelle Spezifizierungen des Begriffs Genderwissen an. Mit Thiessen (2005: 266) z.B., die ein Schalenmodell beruflicher Handlungsfähigkeit entwirft, zeichnet sich Genderwissen neben Fach-, Methoden-, Sozial- und Individualkompetenzen vor allem durch Genderkompetenzen aus: Die Fähigkeit zur Selbstreflexion in Bezug auf die eigene Geschlechtlichkeit, das Einfühlungsvermögen in Diskriminierungserfahrungen anderer, die Kenntnis von Methoden zur Analyse und Veränderung geschlechtsdiskriminierender Strukturen und das Wissen um gesellschaftliche Segregationen und Macht- und Herrschaftsverhältnisse (ebd.). Geschlechterwissen kann, wie Andresen et al. (2003; Andresen/Dölling 2005) in einer empirischen Untersuchung der Modernisierung einer kommunalen Verwaltung beispielhaft ermittelt haben, in der Praxis von sehr unterschiedlicher Qualität sein. Sie unterscheiden drei Kategorien von Geschlechterwissen: Ein bloß statistisches Differenzwissen zu Unterschieden zwischen Männern und Frauen, ohne weitere Handlungsaufforderung, was einem reduktionistischen Verständnis von Gender Mainstreaming zuzuordnen wäre; ein mehr oder weniger selbstsicheres Alltagswissen, das zu geschlechtsneutralen (Selbst-)Wahrnehmungen neigt, aber Herrschaftswissen ist sowie wissenschaftliches Geschlechterwissen. Das wissenschaftliche Geschlechterwissen begreift Geschlecht als gesellschaftliches Klassifizierungsraster und sozialen Platzanweiser. Es kommt der Anforderung nach, die untersuchten (Selbst-)Wahrnehmungen der Akteure und Akteurinnen zu reflektieren, um in der Konsequenz die in der sozialen Praxis generierten (geschlechtsneutralen) Vorstellungen erklären zu können.6 Dass in die Reflexion auch die (eigene) wissenschaftliche Praxis des Klassifizierens einzubeziehen ist, stellt nach wie vor ein Forschungsdesiderat dar (vgl. 6 Während Andresen/Dölling/Kimmerle (2003) ihre Erkenntnisse aus der Analyse von Selbsteinschätzungen der Leistungsbeurteilungen von Frauen und Männern am Beispiel der Besetzung von Positionen in einer Kommunalverwaltung gewinnen, haben z.B. Krimmer et. al. (2004) Professorinnen und Professoren zur Gleichstellung befragt und kommen zu dem Ergebnis: Die Professoren sehen die Gleichstellung ihrer Kolleginnen als erreicht an, während diese dem sehr differenziert widersprechen und viele Unterschiede wahrnehmen. Es ist nicht schwer, diese Differenz in der Deutung zu erklären und welche Deutung in den sozialen Prozessen mehr Gewicht hat. Schwieriger ist es anzugeben, wie diese Differenz überwunden werden kann, wenn sich Überlegenheitspositionen mit einem reduktionistischen Geschlechterwissen paart.
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Engler/Zimmermann 2002; Hark 2006). Wissenschaftliches Geschlechterwissen als „Reflexionswissen“ (Zimmermann 2007), im Unterschied zu pragmatischem Wissen über die Steuerung („Steuerungswissen“) von institutionellen und Organisationsprozessen hebt auf die inkorporierten Handlungs- und Wahrnehmungsraster „männlicher Herrschaft“ und „symbolischer Gewalt“ ab (Bourdieu 2005; Krais 1993; 2000). Symbolische Gewalt wirkt subtil und subkutan, worauf einige Autorinnen hingewiesen haben, so auch Thürmer-Rohr (2001), die in ihrer Einschätzung von Gender Mainstreaming in dem Zusammenhang auf ihre früheren Beiträge zur Mittäterschaft rekurriert. Symbolische Gewalt kommt, je nach Sensibilität für Gender (in Sprache, Gesten, Interaktionen etc.) in den Personenkonstellationen vor Ort zum Tragen, und kann sich durchaus in strategisches Handeln transformieren, das sich im Hinhalten, Verzögern oder Verschieben im Kontext organisationaler Gender Mainstreaming Prozesse ausdrücken kann. Solchen Interaktionen und Prozessen wird im empirischen Teil dieser Untersuchung am besonderen Fall der Gender Mainstreaming Implementation in der EU-Forschungspolitik nachgegangen. Als Fazit aus dem Gender Mainstreaming Diskurs in der Frauen- und Geschlechterforschung lässt sich festhalten, dass die kontroversen Stellungnahmen von Praktikerinnen und Kritikerinnen vor allem aus der konzeptionellen Offenheit von Gender Mainstreaming resultieren und aus der unterschiedlichen Einbindung der Pragmatikerinnen und Theoretikerinnen in Prozesse der Umsetzung. Die konzeptionelle Offenheit des von der offiziellen Politik aufgelegten Gender Mainstreaming führt zu einer Plastizität und Formbarkeit („Stretchfaktor“), die sich in der praktischen Umsetzung – hier im Feld der Forschungspolitik – bewähren, aber auch hinderlich sein kann. Für diese Offenheit sind die Pragmatikerinnen aufgeschlossener als die Kritikerinnen, da sie etwas in Bewegung bringen wollen und in die Prozesse involviert sind. Die Formbarkeit, so die Annahme für die eigene empirische Untersuchung, erscheint jedoch nur insoweit als willkürliche Transformation interessegeleiteter Frauen- und Gleichstellungspolitik in pragmatisches Verwaltungshandeln, wie die konkreten Machtverhältnisse, die spezifischen Akteurskonstellationen und Gelegenheitsstrukturen etc. als „Kontexte“ der „Praxis“ der Umsetzung nicht (ausreichend) berücksichtigt werden. In der EU-Forschungspolitik spielte die Geschlechterperspektive bislang keine Rolle. Es ist daher zu fragen, welche Bedingungen gegeben sind, damit ein kritisches Geschlechterwissen vor Ort eingebracht werden kann, und wer in den Aushandlungsprozessen darüber verfügt. Das heißt, es kommt auf das Feld an, in dem Gender Mainstreaming in der Praxis realisiert wird. Geschlechterwissen entsteht, wie auch die Kontroverse um Gender Mainstreaming im Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung aufzeigt, in der sozialen Pra-
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xis.7 Folglich sind auch die Transformations- und Veränderungspotenziale, die sich durch Gender Mainstreaming Strategien erzielen lassen ebenso wie die Einschätzung des gesellschaftskritischen Gehalts nur in Abhängigkeit von einem spezifischen Machtfeld nachvollziehen. Im Folgenden geht es darum, die eigene Erkenntnisperspektive zu entwickeln, die mit dem theoretischen Feldverständnis gefasst wird, um die praktische Umsetzung von Gender Mainstreaming im Feld der Forschungs(förder)politik der Europäischen Union zu analysieren. Die folgende theoretische Konzeptualisierung schließt an das Feld- und Habituskonzept bei Bourdieu zwar an, setzt aber voraus, die Konzepte für das zu untersuchende soziale bzw. Machtfeld europäischer Forschungspolitik erst anwendungsfähig zu machen.
7 Im neueren wissenschaftssoziologischen Diskurs, der hier weitgehend unberücksichtigt bleibt, wird „Praxis“ im Kontext der Debatte um Transdisziplinarität auch als „Anwendungskontext“ gefasst (vgl. dazu z.B. Nowotny/Scott/Gibbons 2005). Zur notwendigen Neuverständigung über das feministisch kritische Potenzial von Frauen- und Geschlechterforschung in diesem Kontext der Wissensgesellschaft und rund um den europäischen Bologna Prozess vgl. z.B. Kahlert et al. 2005.
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Das Forschungsdesign
3.1
Das Konzept des sozialen bzw. des Machtfeldes
In Texten Bourdieus ist die Suche nach schematischen Festlegungen und abstrakt theoretischen Begriffsdefinitionen vergeblich, und gilt entsprechend für die soziologische Kategorie des Feldes. Generell hängt die vergebliche Suche nach eindeutigen Begriffsfestlegungen damit zusammen, „dass Bourdieu die soziale Praxis von Akteurinnen und Akteuren zum Gegenstand macht und die AkteurInnen als Konstrukteure ihrer Realität in unterschiedlichen sozialen Feldern ins Zentrum rückt. Diese AkteurInnen sind in ihrem jeweiligen sozialen Gefüge kreativ und erfinderisch, so dass man der Logik ihres Handelns mit vorgeformten Klassifikationsrastern nicht beikommen kann.“ (Engler 2004: 223)
Der ‚konstruktivistische‘ Blick auf die Akteure und Akteurinnen in ihrer (gemeinsamen) sozialen Praxis, die empirisch zu rekonstruieren und nicht vorab theoretisch zu klassifizieren ist, lässt sich an die sozialkonstruktivistische Perspektive des „Doing Gender“ (West/Zimmerman 1987) anschließen. Und zwar insoweit, als auch mit Bourdieu davon ausgegangen wird, „dass Geschlecht nicht etwas ist, was man hat, sondern was man tut“ (Engler 2004: 223). Auch hier wird die Alltagsvorstellung, dass es Frauen und Männer oder festgelegte Sexualitäten etc. „gibt“, enttäuscht, und als sozial produzierte Unterschiede rekonstruiert. Doch werden nicht Männer und Frauen als Einzelwesen als Ausgangspunkt der soziologischen Rekonstruktion fokussiert, sondern Relationen als Realisierungen des historischen Handelns. Und „dieses relationale Denken kommt ohne einen Rückbezug auf soziale Felder nicht aus“ (ebd.). Soziale Felder sind, allgemein ausgedrückt, abgrenzbare Bereiche in sozialen Räumen, die aus Positionen bestehen, die relational zueinander stehen. Mit dem Feld kommen der soziale Raum und die Positionen als weitere soziologische Kategorien ins Spiel. Auch sie sind auf der Basis der relationalen Methodologie Bourdieus im Zusammenhang zu denken. Wie in „Die feinen Unterschiede“ (Bourdieu 1992a) für den sozialen Raum der französischen Gesellschaft gezeigt, ist es zum Beispiel möglich, das Feld der so-
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3 Das Forschungsdesign
zialen und kulturellen (Geschmacks-) Unterschiede zu rekonstruieren.8 Dieses Feld wird durch die Positionen der Berufe im gesellschaftlichen Raum strukturiert, die oben (Universitätsprofessor, Unternehmer), unten (Verkäuferin) oder mehr in der Mitte (Facharbeiter) des sozialen Raumes liegen. Doch sind es nicht primär die Positionen – wenn auch diese eigens konzeptualisiert werden müssen und nicht als festgestellte soziale Aggregate gelten können –, sondern die Relationen zwischen den Positionen, die nicht sichtbaren Beziehungen, die den „Kontext“ bzw. die „Struktur“ bilden. Struktur bzw. Kontext sind mit Bourdieu als Felder zu rekonstruieren. Das soziale Feld, in dem Gender Mainstreaming als politisches Konzept und Strategie umgesetzt wird, ist der Gegenstand, auf den sich mit der Konzeption des sozialen Feldes die Erkenntnisperspektive richtet. Dieses Feld ist ein (im Ergebnis dieser Untersuchung) abgrenzbarer Bereich in dem (schließlich) so bezeichneten „europäischen Machtraum forschungspolitischer Steuerung“ (vgl. insbes. die Grafik und Beschreibung in Kapitel 4). Der mit dem Feldkonzept verbundene methodologische Grundgedanke ist, dass es „allgemeine Gesetze von Feldern“ (Bourdieu 1993: 107, Hervorh. i.O.) gibt, die auf (sehr) unterschiedliche Felder zutreffen. Neben allgemeinen Charakteristika von Feldern weist jedes Feld spezifische Merkmale und besondere Charakteristika auf, die auf andere Felder nicht zutreffen. Die Annahme, wonach Felder allgemeine und spezifische Funktionsmechanismen zugleich aufweisen, resultiert im relationalen Denken Bourdieus aus dem bereits angedeuteten Verhältnis zwischen empirischer Forschung und soziologischer Theoriebildung, die Hand in Hand gehen müssen, soll Theorie nicht abstrakt und formal „leer“ bleiben. Das beinhaltet: Um feldspezifische Mechanismen empirisch zu erforschen, kann das, was über das Funktionieren einzelner Felder soziologisch gewusst wird, unmittelbar angewandt werden, um zu Fragen oder Interpretationen (Hypothesen) für andere Felder zu kommen. Das bedeutet: Für das Studium eines besonderen Feldes, hier des forschungspolitischen Feldes im europäischen Raum, in dem Gender Mainstreaming implementiert wird, können Erkenntnisse, die z.B. bei Bourdieu zu bereits untersuchten Feldern gewonnen worden sind, unmittelbar herangezogen werden. Bourdieu nennt das auch die Methode des impliziten Vergleichs. An der Methode des impliziten Vergleichs sind für die eigene Untersuchung besonders die daraus resultierenden allgemeinen und besonderen Charakteristika 8 Immer bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt oder Zeitraum, wie Bourdieu (1992a) in „Die feinen Unterschiede für die französische Gesellschaft der 1960er und 1970er Jahre gezeigt hat. Für das wissenschaftliche Feld vgl. Bourdieu 1993 und 1998.
3.1 Das Konzept des sozialen bzw. des Machtfeldes
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relevant, die mit Bourdieu auf das politische Feld und auf das wissenschaftliche Feld angewandt werden. Zu den weiteren allgemeinen Merkmalen von Feldern gehört, dass in jedem der Felder (unter anderem Politik und Wissenschaft) Machtauseinandersetzungen stattfinden. Soziale Felder sind damit immer zugleich Machtfelder mit sozialen Auseinandersetzungen. Die sozialen Auseinandersetzungen in Machtfeldern werden auch mit der Metapher des Kampfes beschrieben. Sie finden insbesondere zwischen den neu in ein Feld Eintretenden statt, die „die Riegel des Zugangsrechts zu sprengen“ versuchen, und sich gegenüber den Alteingesessenen positionieren, die sich ihrerseits bemühen, „das Monopol zu halten und die Konkurrenz auszuschalten“ (Bourdieu 1993: 107). Um in ein Feld einzusteigen, verfügen die sozialen Akteure und Akteurinnen über Ressourcen, die Bourdieu Kapital nennt: ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital. Die Positionen in den Feldern können nur besetzt werden, so die konkretisierende Annahme, wenn die Akteurinnen und Akteure über ganz bestimmte Kapitalarten in sehr hohem Maße verfügen. Das heißt im Feld der Politik und im Feld der Wissenschaft ist ökonomisches, soziales, kulturelles und symbolisches Kapital gleichermaßen vorhanden, aber mit unterschiedlichem Gewicht. Für die weitere Ausdifferenzierung steht die Annahme, dass es in beiden Feldern, Wissenschaft und Politik, jeweils eine Kapitalart gibt, die erstens primär der Person zurechenbar ist, und zweitens eine Kapitalart, die sich aus den Institutionen des jeweiligen Feldes ableitet. Das der Person zugeschriebene Kapital leitet sich im politischen Feld aus dem „delegierte(n) politische(n) Kapital“ ab (Bourdieu 2001: 41ff.). Das delegierte politische Kapital ist die institutionalisierte Form des politischen Kapitals. Es befindet sich in kollektivem Besitz der Parteien, woraus der individuelle Politiker bzw. die einzelne Politikerin als Personen ihre politische Autorität und Autonomie (erst) gewinnen (können). Damit zusammenhängend verfügen Politiker/innen über ein „persönliches politisches Kapital“ (Ebd.). Das persönliche politische Kapital ist dem Charisma ähnlich und verleiht ein persönliches politisches Gewicht, ist also mehr oder eben weniger an die Persönlichkeit gebunden. Dem Charisma im politischen Feldes entsprecht im wissenschaftlichen Feld das personengebundene „wissenschaftliche Prestige“, das durch anerkannte Beiträge zur Fachwissenschaft erlangt und durch die Fachcommunities zugeschrieben wird, also die Reputation, die bei Bourdieu ein symbolisches Kapital bedeutet. Auf der anderen Seite steht die institutionalisierte Form des wissenschaftlichen (symbolischen) Kapitals, das „institutionalisierte wissenschaftliche Kapital“ (Bourdieu 1998: 31f) in Form der „wissenschaftliche(n) Macht“ bzw. der „universitäre(n)
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3 Das Forschungsdesign
Macht“ (Bourdieu 1992: 88f). In Analogie zum delegierten politischen Kapital des politischen Feldes handelt es sich bei der institutionalisierten wissenschaftlichen Macht um die institutionalisierten Kapitalien bzw. Machtformen des wissenschaftlichen Feldes. Universitäre und wissenschaftliche Macht machen sich an formalen Positionen dieses Feldes fest, wie etwa die Leitung einer Universität, Mitgliedschaften in Gutachterausschüssen und in Sachverständigengremien der Politik, also bis hin zur Politikberatung durch Wissenschaft. Die Fähigkeit und Bereitschaft des ‚Mitspielens‘ von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen im politischen Feld als Genderexpert/inn/en zum Beispiel stützt sich demnach nicht nur auf ihr persönliches wissenschaftliches Prestige, sondern immer auch auf die institutionalisierten Kapitalien bzw. Machtformen des wissenschaftlichen Feldes. Hieraus beziehen sie als Wissenschaftler/innen ihre Autorität in der Politik, die damit von der gesellschaftlichen Autonomie und Autorität der Wissenschaft in der Gesellschaft abhängt. Auf der Basis der verschiedenen Ressourcen (Kapital, Macht), der institutionellen Autorität und dem persönlichen Gewicht der verschiedenen Akteure bieten sich ihnen in beiden Feldern je unterschiedliche Möglichkeitsräume für die Verfolgung von ‚Interessen‘. Hier steht die weitere feldtheoretische Annahme, dass in einem Feld spezifische „Interessensobjekte“ existieren, die für andere Felder nicht charakteristisch und für Akteure und Akteurinnen dort weniger interessant sind oder gar keine Bedeutung haben.9 Die charakteristischen Interessen und Interessensobjekte eines Feldes können „von jemandem, der für den Eintritt in dieses Feld nicht konstruiert ist, nicht wahrgenommen werden“ (Bourdieu 1993: 107f). Das heißt, dass Personen aufgrund der unterschiedlich verteilten Dispositionen für das, worum es in der Wissenschaft oder in der Politik je speziell geht, mehr oder weniger offen sind. Zum Beispiel wird sich eine Physikerin von den Gegebenheiten und Notwendigkeiten des politischen Feldes eher unberührt zeigen und keinen Wert auf politische Wahlerfolge legen, da es ihr für die Mehrung ihres wissenschaftlichen Prestiges nicht nutzt. Ein politischer Wahlerfolg scheidet als Interessensobjekt aus dem Feld der Physik und dem wissenschaftlichen Feld insgesamt aus. Es sei denn, die Physikerin will in das politische Feld übertreten und Politikerin werden. Jetzt wird sie andere Interessen verfolgen als den Nobelpreis für Physik anzustreben. Das heißt: 9 Vereinfacht gesagt, in der Wissenschaft zählt wissenschaftliche Reputation, in der Politik die medienwirksame Präsentation und Wähler/innenstimmen. Bei weiterer Ausdifferenzierung von Feldern kommen weitere feldspezifische Charakteristika hinzu. So kann in der Mathematik zum Beispiel nur mit den Kriterien argumentiert werden, die in der Mathematik auf Akzeptanz stoßen wie der mathematisch geführte Beweis, und nicht der Hinweis auf die geringe Zahl von Mathematike-
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„Damit ein Feld funktioniert, muss es Interessenobjekte geben und Leute, die zum Mitspielen bereit sind und über den Habitus verfügen, mit dem die Kenntnis und Anerkenntnis der immanenten Gesetze des Spiels, der auf dem Spiel stehenden Interessenobjekte usw. impliziert ist“ (Bourdieu 1993: 108).
Mit dem Funktionieren eines Feldes ist verbunden, dass es ohne die Disposition, der auf dem Spiel stehenden Interessensobjekte und ohne die Anerkennung als Wissenschaftlerin durch die wissenschaftliche Community, also ohne einen feldspezifisch disponierten wissenschaftlichen Habitus bzw. politischen Habitus im politischen Feld keine Sozialität gibt, kein gemeinsames Handeln, kein Feld. Die habituell erworbene Kenntnis und Anerkenntnis der feldimmanenten Interessensobjekte verweist darauf, dass die Akteur/inn/e/n in den Feldern nicht unablässig reflektieren und nachzudenken brauchen um zu wissen, was zu tun ist, um erfolgreich zu sein, das heißt (auch) Interessen (rational) zu verfolgen. Habitus und Feld sind ebenfalls relational gefasste Realisierungen des historischen Handelns und stehen entsprechend in einem unmittelbaren Verhältnis zueinander. Ein Verhältnis, das bei Bourdieu auch als ‚Komplizität‘ bzw. ‚Komplizenschaft‘ zwischen Habitus und Feld bezeichnet wird. Strategien und Interessen werden vor dem Hintergrund soziologisch reformuliert: Strategien und Interessen sind nicht als strategisches oder rationales Streben nach Zielerreichung oder Maximierung eines spezifischen Profits zu beschreiben. Sie formen sich in der sozialen Praxis im Wechselspiel zwischen (subjektiven) Dispositionen und deren Anschmiegsamkeit an (objektive) Feldstrukturen – eine Anschmiegsamkeit, die ein kreatives, nicht determiniertes Handeln ermöglicht. Für die Kreativität in der sozialen Praxis steht bei Bourdieu insbesondere das Konzept des Habitus (in Verbindung mit dem spezifischen Feld etc.): „Der Habitus als ein System von – implizit oder explizit durch Lernen erworbenen – Dispositionen, funktionierend als ein System von Generierungsschemata, generiert Strategien, die den objektiven Interessen ihrer Urheber entsprechen können, ohne ausdrücklich auf diesen Zweck ausgerichtet zu sein“ (ebd.: 113).
Das Interesse als „spezifische Investition in die Interessensobjekte, die zugleich Bedingung und Produkt der Feldzugehörigkeit ist“ (ebd. Hervorh.i.O.), machen soziale bzw. Machtfelder zu sozialen Orten, „wo Menschen nur ihren Habitus agieren lassen müssen, um der immanenten Notwendigkeit des Feldes nachzukommen und den mit dem Feld gegebenen Anforderungen zu genügen (was in jedem Feld die Definition der herausragenden Leistung ausmacht)“ (ebd.: 113). rinnen beispielsweise, auch wenn sich die männliche Dominanz in der Mathematik als ein sozial relevantes Kriterium im mathematischen Feld erweisen sollte, was bisher im fachkulturellen Verständnis von Mathematiker/inne/n aber eine untergeordnete Rolle spielt.
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3 Das Forschungsdesign
Konstitutiv für die soziale Praxis in sozialen bzw. Machtfeldern ist demnach das, was Menschen aufgrund von habituellen Dispositionen leisten, um sich in einem Feld zu Hause zu fühlen. Je mehr sie dies tun, desto weniger wird „bewusst, dass sie nur ihre Schuldigkeit tun, und schon gar nicht, dass sie nach Maximierung eines (spezifischen) Profits streben. Und also haben sie den Zusatzprofit, vor sich und vor den anderen als vollkommen interessenfrei, uneigennützig dazustehen“ (ebd.: 113 f.).
Diese Reformulierung der soziologischen Kategorien Interesse und Strategie, Praxis und Struktur impliziert, dass Felder eine Vergangenheit haben, die sich mit gegenwärtigen, gegenseitig beeinflussenden Strömungen des Denkens und Handelns sozialer Akteure und Akteurinnen durchkreuzt und überlagert (Krais 2003: 48; Krais/ Gebauer 2002: 34). Soziale Realität ist immer doppelt präsent: In den Körpern, den Dispositionen des Habitus sowie in den Institutionen des Feldes (Engler/ Zimmermann 2002). Während in der sozial- und politikwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung hierzulande bisher vor allem das wissenschaftliche Feld auf feldtheoretischer Grundlage bei Bourdieu auch empirisch erforscht worden ist (vgl. Engler 2004; Krais 2000), sind empirische Untersuchungen zum Zusammenhang von Wissenschaft und Politik unter Einbeziehung der Kategorie Geschlecht auf feldtheoretischer Grundlage bisher nicht vorgelegt worden. Hier bilden die eigenen Untersuchungen nach wie vor Ausnahmen (Zimmermann 2000, Zimmermann/MetzGöckel/Huter 2004). Zwar wird allgemein angenommen, dass Geschlecht in verschiedenen ‚Feldern‘ mit unterschiedlichen Relevanzstrukturen versehen werden kann, wie dies aber geschieht, ist bisher auf der Basis des Bourdieu’schen Feldkonzeptes kaum beleuchtet.10 Geschlechterforschung, die mit den Konzepten sozialer Raum, Feld und Praxis etc. arbeiten will, ist auch mit Defiziten konfrontiert, die Bourdieus feldtheoretischer Ansatz hinterlässt. Zwar bilden die allgemeinen und besonderen Merkmale von Feldern gute Anknüpfungspunkte dafür, die feld- und geschlechtsspezifischen „Funktionsmechanismen“ herauszuarbeiten, weil die Annahmen der Feldtheorie den Vorteil bieten, auf einer relationalen soziologischen Denkweise zu beruhen. Einige Anwendungsprobleme geben hingegen die Konzepte „männliche Herrschaft“ und „symbolische Gewalt“ auf (Bourdieu 1997; Bourdieu 2005; vgl. Krais 1993). Unter der symbolischen Gewalt ist mit Bourdieu ein allgemeines Merkmal moderner westlicher Gesellschaften zu verstehen, die aufgrund der Komplizität 10
Zudem beziehen sich thematisch einschlägige empirische Untersuchungen, welche Einflüsse des politischen Feldes mit thematisieren in der Regel auf Organisationstheorien und i.d.R. Wirtschafts- und Verwaltungsorganisationen oder auf theoretische Ansätze zu (akademischen) Professionen (vgl. Gildemeister/Wetterer 2007).
3.1 Das Konzept des sozialen bzw. des Machtfeldes
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(‚Komplizenschaft‘) von Habitus und Feld wirkt, und in den Geschlechterverhältnissen besondere Formen annimmt. Die hauptsächliche Angriffsfläche für die symbolische Gewalt in den Geschlechterverhältnissen bietet der Habitus. Insbesondere seine mentalen und körperlichen Bezugspunkte, die auch als körperliche Hexis bezeichnet werden. Sie bedingen, dass die gesellschaftliche Arbeitsteilung der Geschlechter in den Körpern und in den Schemata der Wahrnehmung und Bewertung dieser Arbeitsteilung verankert ist und auf diesem Wege auch reproduziert wird. Die körperlichen und mentalen Dispositionen machen vergessen, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung eine gesellschaftliche, von Menschen re-produzierte Struktur ist, und die männliche Herrschaft sich wie keine andere Struktur als quasi natürliche Ordnung der Welt gibt: „(...) ihre Setzung des Männlichen als des Universellen, des Weiblichen als des Besonderen, Partikularen, Abweichenden, und die von dieser Sichtweise her entwickelten Dichotomien und Klassifikationsschemata bestimmen auch das Denken und die Wahrnehmung der Frauen“ (Krais/ Gebauer 2002: 53).
Die männliche Sicht der Welt als die „über weite Strecken ‚herrschende Meinung‘“ (ebd.) ist auch in der körperlichen Hexis ‚der Frauen‘ verankert. Vor allem diese These stößt bei Geschlechterforscherinnen und feministischen Wissenschaftlerinnen z.T. auf heftige Ablehnung, da dadurch letztlich das emanzipatorische Potenzial und die Interessen von Frauen oder die politischen Strategien feministischer oder postmoderner Emanzipationsbestrebungen und Frauenbewegungen in Misskredit geraten. Denn Frauen, die sich selbst mit dem Blick der herrschenden Männer sehen, sind der „libido dominandi“ (Bourdieu 1997: 215f) unterworfen, wodurch Frauen Eigenaktivität und Einsatz für Veränderungen der Geschlechterverhältnisse abgesprochen werde. Diese Interpretation, die im Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung zu Bourdieu häufig zu finden ist, lässt sich als eine finalistische und zugleich mechanistische Erklärungsvariante bezeichnen. Diese lehnt Bourdieu (2005) insbesondere mit dem Argument seiner relationalen Methodologie ab (zu dieser theoretischen Kontroverse vgl. z. B. Feminism After Bourdieu 2004). In der vorliegenden Untersuchung geht es nicht um den theoretischen Diskurs zur Frage, ob die Konzepte männliche Herrschaft und symbolische Gewalt mechanistische oder finalistische Erklärungen liefern, sondern darum, mit ihnen empirisch zu arbeiten. Auf ihrer Basis und mit einer relationalen Methodologie empirisch zu arbeiten impliziert, die Analyse als eine historisch kontextualisierte Bestandsaufnahme über den Stand der sozialen Auseinandersetzungen in einem Feld zu einem bestimmten Zeitpunkt zu fassen. Hier konkret in einem besonderen Ausschnitt aus dem europäischen Machtraum forschungspolitischer Steuerung, in dem Gender Mainstreaming implementiert wird.
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3 Das Forschungsdesign
Die gewählte Orientierung am Konzept des sozialen bzw. des Machtfeldes kann für Geschlechterforschung gewinnbringend sein, weil sie es ermöglicht, die Frage nach dem Verhältnis von soziologischer und gewöhnlicher Begriffsbildung in die Analyse von „Politik“ zu integrieren, damit der „politischen Realität“ nicht Konzepte angehängt werden, die Vorstellungen nahe kommen, auf die bei dem Versuch die politische Welt verstehen zu wollen, „spontan“ zurückgegriffen wird (Bourdieu 2001: 41). So ist z.B. in politikwissenschaftlichen Theorien häufig von politischer Arena, politischem Spiel, politischen Kämpfen etc. die Rede, die das alltägliche Sprechen über Politik kennzeichnen, die aber, so Bourdieu, nicht in einer Art Spontansoziologie in die wissenschaftliche Begriffsbildung überführt werden dürfen (vgl. auch Fritsch 2001). Daher ist es wichtig, nicht „die Politik“ (oder die Wissenschaft etc.), sondern das politische Feld zum Untersuchungsgegenstand zu machen. Wo Grenzen des politischen und des wissenschaftlichen Feldes im Implementationsprozess von Gender Mainstreaming liegen, ist die empirisch zu beantwortende Frage. Wie die Analyse zeigt, fließen in die soziale Praxis Zuordnungen ein, die nicht nur aus dem (parlamentarischen) politischen Feld stammen, sondern auch aus dem wissenschaftlichen und administrativen Feld der Verwaltung europäischer Forschungspolitik oder dem ökonomischen Feld. Das feldtheoretische Instrumentarium und die relationale Betrachtungsweise der sozialen Praxis von Feldern führen dazu, dass bei der ‚Politikfeldanalyse‘ „nicht Frauen oder Männer zum Ausgangspunkt der Untersuchung gemacht werden, sondern das soziale Gefüge, in dem Frauen und Männer agieren.“ (Engler 2004: 230)
3.2
Das Datenmaterial: Interviews und Dokumentenanalysen
Um Aufschluss über die soziale Praxis der Implementation von Gender Mainstreaming zu erhalten wird für die Fallrekonstruktion ein qualitatives Untersuchungsdesign gewählt, und die daran beteiligten Akteure und Akteurinnen befragt. Qualitative Forschungsdesigns eignen sich besonders für empirische Untersuchungen in neuen Feldern. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie auf die Ausleuchtung kleinerer Stichproben anhand von Fallbeispielen ausgerichtet sind. Dabei kommt es nicht auf die Verteilung nach Prozentwerten bestimmter Meinungen und Einstellungen in der jeweiligen Zielgruppe oder auf Typisierungen an, sondern auf das Erkennen und Beschreiben, kurz: das Verstehen komplexer Bedingungsgefüge (vgl. z.B. Flick 1995).
3.2 Das Datenmaterial: Interviews und Dokumentenanalysen
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Die Grundlagen für das soziologische Verstehen, das auf die relationale Methodologie sozialer Felder bei Bourdieu aufbaut, sind neben den Interviews (s. u.) Dokumentenanalysen (vgl. die Dokumentation in: Literatur und Dokumente). Die Dokumente wurden genutzt, um insbesondere die zeitlichen und institutionellen Abläufe zu der Frage zu rekonstruieren, wie Gender Mainstreaming als gleichstellungspolitische Strategie und das gegebene (forschungs-)politische Institutionensystem der Europäischen Gemeinschaft bzw. der Europäischen Union (EG/EU) zusammenspielen.11 Hinzu kommen weiterhin Interviews mit 16 Expert/inn/en aus dem Institutionensystem, die als Praktiker/innen an der forschungspolitischen Umsetzung von Gender Mainstreaming im Untersuchungszeitraum beteiligt waren. Die Interviews mit den Akteur/inn/en des Feldes wurden bis auf eines mit Frauen geführt, die als Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen und aus nationalen und insbesondere der europäischen Forschungsverwaltung kommen und in das Geschehen involviert waren. Neben fünfzehn Frauen wurde ein Mann als Interviewpartner ausgewählt, der die zuständige Abteilung leitete, in der das Thema „Frauen und Wissenschaft“ zum Zeitpunkt der Befragung angesiedelt war. Drei interviewte Politikerinnen (Interviews der Kategorie A)12 wurden primär nach ihren Funktionen ausgewählt, die sie im Europäischen Parlament und in den zuständigen Parlamentsausschüssen einnehmen. Dabei handelt es sich um den Ausschuss des Europäischen Parlaments für „die Rechte der Frauen und Chancengleichheit“ sowie den für Forschung zuständigen Ausschuss für „Industrie, Forschung, Außenhandel und Energie“. Aus der Forschungsadministration auf der europäischen Ebene wurden vier Interviewpartner/innen ausgewählt (Kategorie B): neben dem bereits erwähnten Abteilungsleiter (B1) drei weitere Mitarbeiterinnen in der Verwaltung, die primär wegen ihrer Zuständigkeit für die forschungspolitische Umsetzung der gleichstellungspolitischen Strategie des Gender Mainstreaming sowie aufgrund der forschungspolitischen Prioritäten interviewt wurden, die neben der öffentlich geförderten Forschung auch in der industriellen Forschung liegen. Die dritte Gruppe setzt sich aus insgesamt fünf Interviewpartnerinnen der Kategorie C zusammen, wobei drei der Interviewten in politikberatenden Gremien tätig 11
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Einige der Dokumente wurden in einer ersten Auswertung einer vertiefenden Inhaltsanalyse zu den in den Dokumenten auffindbaren Verständnissen von Geschlecht, Wissenschaft und Forschung unterzogen Im Forschungsprozess gab diese Dokumentenanalyse erste Hinweise auf implizite bzw. Präkonstruktionen des Feldes (Schäfer 2005). Ab Kapitel 5.3 finden sich im Text kursiv abgesetzte Interviewauszüge aus den 16 Gesprächen. Diese Interviewzitate sind den hier beschriebenen Kategorien A (EU-Parlament), B (EU-Forschungsadministration) und C (Wissenschaftlerinnen in der Politikberatung für die EU) zugeordnet.
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3 Das Forschungsdesign
waren, die die politischen Entscheidungsträger/innen auf der europäischen Ebene des Mehrebenenraums einsetzten, um ihre politische Strategie vorzubereiten.13 Im Zentrum der Darstellung der empirischen Forschungsergebnisse stehen die Interviews der Gruppe A (Politik), der Gruppe B (Forschungsadministration) und C (Wissenschaftlerinnen). Diese drei Gruppen werden ergänzt durch eine vierte Gruppe, die aus vier Interviewpartnerinnen aus der Bundesrepublik besteht, die auf der nationalen Politikebene und in der europäischen Forschungsadministration Aufgaben übernommen haben, zum Beispiel als (nationales) Mitglied der Helsinki-Gruppe oder (nationalen) Beratungsinstitutionen wie z.B. das „EU-Büro“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). An den Gepflogenheiten qualitativer Sozialforschung orientiert, werden die interviewten Personen nicht namentlich genannt. Allerdings stellt die Anonymisierung der Gesprächspartner/innen ein Problem dar, weil sie aufgrund ihrer herausgehobenen Positionen im Kontext der forschungspolitischen Implementation von Gender Mainstreaming im untersuchten Zeitraum zumindest für Kenner/innen des Feldes identifiziert werden könnten. Für den Forschungszusammenhang kommt es jedoch nicht darauf an, wer für etwas eingetreten ist bzw. wer was namentlich vertritt. Vielmehr dient die empirische Rekonstruktion der sozialen Praxis dem Gewinn von Aufschlüssen über die Realisierungschancen der neuen gleichstellungspolitischen Strategie des Gender Mainstreaming, um somit am konkreten Fall Verallgemeinerbares über Geschlechterpolitik unter dem offiziell politischen Vorzeichen von Gender Mainstreaming zu eruieren. Im Zentrum steht die Analyse der sozialen Praxis in dem europäischen Machtraum forschungspolitischer Steuerung, und wie darin die feldspezifische Umsetzung von Gender Mainstreaming zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgt, insbesondere während der Vorbereitung und Implementation des Sechsten Forschungsrahmenprogramms. Dieses war zwischen den Jahren 2002 und 2006 in Kraft. Der Mehrebenenraum europäischer Forschungspolitik wird in dem folgenden Kapitel zunächst als ein heuristisches, das heißt analytisches Modell entwickelt. Das Modell wird auf Basis des theoretischen Feldkonzeptes, der Dokumentenanalysen und der Interviews sowie unter Hinzuziehung von Forschungsliteratur an dem institutionellen Mehrebenensystem europäischer Politik festgemacht. 13
Unter den fünf Interviewten dieser Kategorie befinden sich eine Naturwissenschaftlerin, die als Gutachterin für Forschungsanträge tätig war, sowie eine Wissenschaftlerin, die über Erfahrungen mit der Beantragung von Exzellenznetzwerken verfügt – eine spezifische Förderform, die auf die Einrichtung großer Forschungsverbünde zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und auf Kooperationen von bis zu 40 und mehr Projektpartnern (Universitäten, Forschungseinrichtungen u.a.) zielt.
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Gender Mainstreaming im Mehrebenensystem europäischer Politik
Im diesem ersten Kapitel der Ergebnisdarstellung werden die zentralen Akteure aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft als soziale Positionen in dem europäischen Machtraum forschungspolitischer Steuerung markiert (vgl. die folgende Grafik).
Zeitlich reicht die Rekonstruktion des Prozesses der Einführung von Gender Mainstreaming bis in die Mitte der 1990er Jahre zurück (zur detaillierten zeitlichen Abfolge vgl. das folgende 5. Kapitel). Im Jahr 1996 veröffentlicht die Europäische
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Kommission die Mitteilung „Einbeziehung der Chancengleichheit in sämtliche politischen Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft“ (Europäische Kommission 1996). Zuvor hatte Gender Mainstreaming (1997) im Amsterdamer Vertrag eine rechtliche Verankerung gefunden und der Europäische Rat wird später (im Jahr 2000) beim Gipfeltreffen (auch Regierungskonferenz genannt) in Lissabon die Vision des Europäischen Forschungsraums auf die Agenda europäischer Politik setzen. Damit sind die wichtigsten offiziellen politischen Leitlinien vorab benannt, die für die forschungspolitische Realisierung von Gender Mainstreaming relevant werden. In dem europäischen institutionellen Mehrebenensystem werden die ‚großen Linien‘ der Politik der EG/EU vom Europäischen Rat aus den Staats- und Regierungschefs sowie dem Kommissionspräsidenten festgelegt. Die Europäische Gemeinschaft (EG) stellt die erste und als einzige die supranationale Säule der Europäischen Union (EU) dar, die zudem aus der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (zweite Säule) und der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (dritte Säule) besteht. Sie werden intergouvernemental ‚regiert‘, unter Einbeziehung des Europäischen Parlaments (EP), das informiert und gehört werden muss, und der Kommission, die dort die gleichen Rechte hat wie die Mitgliedstaaten. Nur in der ersten Säule hat die Kommission das ausschließliche Initiativrecht. Das Europäische Parlament ist je nach primärrechtlicher Grundlage durch das Mitentscheidungsverfahren eingebunden, bei dem es sich die Legislativgewalt mit dem (Minister)Rat teilt oder durch das Verfahren der Zusammenarbeit, bei dem das Europäische Parlament Änderungen vorschlagen kann und der Rat einstimmig entscheiden muss, wenn das Europäische Parlament einer Vorlage nicht zustimmt oder durch das Anhörungsverfahren, in dem das Parlament nur Stellungnahmen abgeben kann. Die Forschungspolitik und die Gleichstellungspolitik gehören zur ersten Säule der Europäischen Gemeinschaft. Auf der Grundlage der genannten Akteurspositionen und Zuständigkeitsaufteilungen lassen sich in dem institutionellen Mehrebenensystem der EU/EG im Untersuchungszeitraum zwei Verbindungslinien zwischen forschungs- und gleichstellungspolitischen Zielen skizzieren, und in den europäischen Machtraum forschungspolitischer Steuerung hineinprojizieren. Die erste Verbindungslinie zwischen Gleichstellungs- und Forschungspolitik ist in dem Ziel zu sehen, das Politische Forum zu initiieren, das heißt möglichst viele an forschungs- und gleichstellungspolitischen Themen interessierte Kreise in die Diskussion einzubinden. Perspektivisch soll dies insbesondere durch die zielgruppenspezifische Mobilisierung und Vernetzung von Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen erreicht werden. Sie sollen (künftig) die „Europäische Plattform für
4 Gender Mainstreaming im Mehrebenensystem europäischer Politik
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Wissenschaftlerinnen“ bilden (Europäische Kommission 2002d) und gemeinsame forschungspolitische Interessen formulieren und vertreten.14 Die zweite Verbindungslinie geht von den Forschungsrahmenprogrammen aus. Diese verfolgen das Ziel, (große) Forschungsverbünde in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie Kooperationen mit Unternehmen der Privatwirtschaft in und zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union aufzubauen. In diesem Zusammenhang soll ein Gender-Watch-System (Berichtssystem) entwickelt werden, das über die quantitative Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen an den europäischen Forschungsprogrammen informiert sowie darüber, ob die Geschlechterperspektive in den Forschungsinhalten Berücksichtigung findet. Im institutionellen Gefüge der EU/EG sind das Politische Forum einerseits und das Gender-Watch-System andererseits (ausf. vgl. 5.3) als komplementäre politische Vorgehensweisen bzw. Instrumente der zielgruppenspezifischen Mobilisierung sowie der horizontalen und vertikalen Vernetzung der Akteurspositionen in dem europäischen Machtraum forschungspolitischer Steuerung zu verstehen. Politisches Forum und Gender-Watch-System bilden in dem Machtraum ein ZweiSäulen-Modell, die ein eigenes inneres Aktionsfeld konstituieren, nämlich das Aktionsfeld Gender Mainstreaming in der europäischen Forschungs(förder)politik. In dieser Untersuchung wird empirisch rekonstruiert, wie dieses innere Aktionsfeld Gender Mainstreaming in dem Raum von Akteurspositionen aus Wissenschaft, Politik und Verwaltung konstituiert wird. Im Raummodell ist das innere Aktionsfeld von einem äußeren Aktionsfeld abgrenzbar. Das äußere Aktionsfeld besteht aus Positionen, die von genuin politischen Akteuren sowie Verwaltungsfachleuten besetzt sind. Sie sind von den genuin wissenschaftlichen Akteurspositionen in dem inneren Aktionsfeld zu unterscheiden. Im Mehrebenenraum oben, also auf der europäischen Ebene in horizontaler Richtung finden sich im äußeren politischen Feld das Europäische Parlament (EP), der zuständige Rat der Europäischen Union (Ministerrat) und die Europäische Kommission. Letztere ist im Verwaltungsaufbau in Generaldirektionen (GD) unterteilt, von denen eine die Generaldirektion Forschung ist. Im Mehrebenenraum in vertikaler Richtung unten schließt dieses äußere politische Feld die Mitgliedstaaten ein: Die Regierungen, die Forschungsadministrationen und andere an Forschungspolitik interessierte Kreise aus Wissenschaft, Forschungsorganisationen und Unternehmen der privaten Wirtschaft etc. in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. 14
Mit dem Aufbau der Wissenschaftlerinnenplattform wurde viel später (2005) begonnen, seit Ende 2006 ist sie online verfügbar. Zum EU-Projekt des CEWS Bonn „Study on Databases of Women Scientists“ (DATAWOMSCI) vgl. Beuter 2005.
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4 Gender Mainstreaming im Mehrebenensystem europäischer Politik
Das innere Aktionsfeld besteht aus Positionen, die von genuin wissenschaftlichen Akteuren besetzt sind. Dazu gehören: – die einzelnen Wissenschaftlerinnen als (in der europäischen Wissenschaftlerinnenplattform) vernetze Akteurinnen, – die Forschungsverbünde in und zwischen den Hochschulen und Forschungseinrichtungen in den Mitgliedstaaten, – die nationalen Wissenschaftsadministrationen (für die z.B. die Helsinki-Gruppe steht), – die für Forschung zuständige Generaldirektion (GD) Forschung der Europäischen Kommission, – die Wissenschaftler/innen in Gremien der forschungspolitischen Beratung, – in Programm- oder Evaluationsausschüssen zum Forschungsrahmenprogramm bzw. als – Gutachter/inne/n von Forschungsprojekten und -anträgen. Das innere Aktionsfeld besteht somit aus wissenschaftlichen Akteuren und Akteurinnen als primären Adressat/inn/en europäischer Forschungs- und Gleichstellungspolitik. Insbesondere sind Wissenschaftler/inne/n adressiert, die die Politik beraten (über Expertisen) oder als Gutachter/innen tätig sind etc. Dadurch treten sie als Akteurinnen des wissenschaftlichen Feldes mit politischen Akteur/inn/en und Verwaltungsfachleuten in der Generaldirektion Forschung zum Beispiel in Verbindung. Die Generaldirektion Forschung (im Folgenden GD Forschung) bildet den administrativen Unterbau der Europäischen Kommission. Sie markiert im Modell des europäischen Machtraums (ganz oben in der Mitte dargestellt) zugleich die wichtigste Schnittstelle zum äußeren politischen Feld. Wie das äußere Feld (im Hintergrund), so ist in dem Modell auch das innere Aktionsfeld (im Vordergrund) als eines zu denken, in dem horizontal und vertikal zueinander positionierte politische, administrative und wissenschaftliche Akteure miteinander in Beziehung treten. Wie deutlich wird, handelt es sich um Akteurspositionen, die in dem europäischen Machtraum forschungspolitischer Steuerung analytisch voneinander abgegrenzt werden können. Empirisch sind es soziale Felder: das wissenschaftliche Feld sowie das politische und administrative Feld, deren „Funktionsmechanismen“ (Bourdieu) zusammenwirken und das innere Aktionsfeld konstituieren: Gender Mainstreaming in der europäischen Wissenschafts- und Forschungspolitik. Das skizzierte Zwei-Säulen-Modell (Politisches Forum und Gender-Watch-System) und mit ihm das innere (engere) Aktionsfeld Gender Mainstreaming werden in den Konsultations-, Aushandlungs- und Meinungsbildungsprozessen in dem europäischen Machtraum forschungspolitischer Steuerung erst produziert (vgl. auch Zimmermann 2006).
4 Gender Mainstreaming im Mehrebenensystem europäischer Politik
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Der institutionelle und zeitliche Rahmen für die Konsultations-, Aushandlungsund Meinungsbildungsprozesse wird in dem folgenden Kapitel detailliert betrachtet, ausgehend von der Rolle, die die Europäische Kommission in den Konsultations-, Aushandlungsprozessen spielt. Für die Darstellung bildet die Dokumentenanalyse der wichtigsten Mitteilungen der Europäischen Kommission etc. die empirische Grundlage für die Rekonstruktion der Verfahrensabläufe (zu den dafür verwendeten Dokumenten vgl. Literatur und Dokumente).
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Der institutionelle Rahmen für europäische Politik
5.1
Rolle und Funktion der Europäischen Kommission
Die Europäische Kommission ist „die zentrale Institution“ (Abels 2000: 27) im europäischen Politikprozess für die Planung und Steuerung. Sie ist das Exekutivorgan der Europäischen Gemeinschaft und verfügt darüber hinaus über das „Initiativmonopol“ (Huber 1996: 240). Das heißt, nur wenn die Kommission einen Vorschlag für eine europäische Initiative zu einer bestimmten Thematik unterbreitet, kann dieses Thema in das formelle Rechtsetzungsverfahren zwischen dem (zuständigen) Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament eingehen. Der Rat der Europäischen Union (oder nur Rat) hieß früher offiziell Ministerrat15 und besteht aus den jeweiligen Fachministern der Mitgliedstaaten und des jeweils zuständigen Mitglieds der Kommission. Er ist das höchste europäische Entscheidungsgremium, das je nach Rechtsgrundlage und Verfahren, häufig unter Einbezug des Europäischen Parlaments, einstimmig oder mit qualifizierter Mehrheit entscheidet. Faktisch bestehen mehrere Räte (seit 2004 neun), je einer für die zweite und dritte Säule, die anderen für die Politikfelder der ersten Säule. Der Rat hat einerseits das Wohl der gesamten EU anzustreben und andererseits für einen Ausgleich der nationalen Interessen zu sorgen.16 Das Europäische Parlament (EP) hat mit jeder Vertragsrevisionen – der Einheitlichen Europäischen Akte 1987, dem Vertrag von Maastricht 1993, dem Vertrag von Amsterdam 1999 und von Nizza 2003 (jeweils das Jahr des Inkrafttretens) – mehr politischen Einfluss erhalten, indem zum einen das Mitentscheidungsrecht in immer mehr Politikfeldern eingeführt wurde, und indem zum anderen mehr Politikfelder in die erste Säule aufgenommen wurden. Zum Beispiel wurden Politik14 15
Er wird auch noch oft so genannt und heißt im Verfassungsvertragsentwurf wieder offiziell Ministerrat. Der Ausschuss der „Ständigen Vertreter“ der Mitgliedstaaten in Brüssel bereitet, unterstützt von ca. 250 Arbeits- und Untergruppen, die Ratstagungen vor. Das heißt, er stellt in möglichst vielen Angelegenheiten Konsense her, die dann als vom Rat zu beschließende Punkte auf die Tagesordnung kommen, während nur noch die kontroversen Punkte im Rat selbst ausgehandelt werden.
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5 Der institutionelle Rahmen für europäische Politik
felder wie Asyl und Migration aus der dritten Säule in die erste Säule übernommen, d.h. ,vergemeinschaftet‘. In der Forschungspolitik hat das Europäische Parlament je nach Thema ein Mitentscheidungs- oder nur ein Anhörungsrecht. In Fragen der Geschlechterpolitik kommt überwiegend das Mitentscheidungsrecht zur Anwendung. Damit hat das Europäische Parlament in beiden hier interessierenden Politikfeldern der Forschungs- und Gleichstellungspolitik eine relativ starke Stellung. Das Europäische Parlament, der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss und die Mitgliedstaaten können die Kommission auffordern, zu ihnen notwendig scheinenden Themen Initiativen für Gemeinschaftsaktionen zu ergreifen. Alle Kommissionsvorlagen, die zu europäischen Rechtsakten (Sekundärrecht) führen können, müssen jedoch auf einer rechtlichen Grundlage im EG-Vertrag (Primärrecht) basieren. Bereits im Vorfeld des Agendasetting und im Prozess des Ausarbeitens von Vorlagen stehen der Kommission eine Reihe von Möglichkeiten für den horizontalen politischen Konsultations- und Beratungsprozess zur Verfügung, d.h. mit Akteuren auf der europäischen Ebene und zum vertikalen politischen Konsultationsprozess, d.h. mit nationalen und subnationalen Akteuren der Mitgliedstaaten. Dazu gehörten: – die Ausrichtung themenbezogener Konferenzen, – formelle und informelle Beratungen in Ausschüssen und Gremien sowie – die Konsultation von Expert/inn/en aus Wissenschaft, Politik, Öffentlichkeit, Interessengruppen etc. Die Instrumente der Kommission für die politische Kommunikation mit den entsprechenden Akteuren sind ebenfalls vielfältig. Dies sind: – interne Arbeitsdokumente, in denen Dienststellen der Kommission Arbeitsprogramme für sich selbst formulieren; – Aktionsprogramme, z.B. aus dem Themenbereich Wissenschaft und Gesellschaft zur Umsetzung in den Mitgliedstaaten; – Mitteilungen als Positionspapiere der Kommission und Diskussionsgrundlage zu einem eingegrenzten Thema; – Grünbücher als Positionierung der Kommission zu komplexen, übergeordneten, längerfristigen Themen; – Weißbücher als Ergebnis des Konsultationsprozesses auf der Grundlage eines Grünbuchs sowie – Jahres- bzw. Fortschrittsberichte (z.B. zur Chancengleichheit von Frauen und Männern) etc.
5.1 Rolle und Funktion der Europäischen Kommission
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Die Aufgabe der Kommission besteht zudem in vielen Politikbereichen darin, die Mitgliedstaaten zu unterstützen und zu fördern sowie ihre Zusammenarbeit zu koordinieren. Für die Mitgliedstaaten rechtlich verbindliche Rechtsakte sind zum einen ,Richtlinien‘, bei denen das Ziel und der Zeitrahmen festgelegt ist, beispielsweise Gleichbehandlungsrichtlinien, und zum anderen ,Verordnungen‘, die in den Mitgliedstaaten Gesetzeskraft haben, jedoch dem Subsidiaritätsprinzip folgend nur noch selten angewandt werden. Subsidiarität bedeutet im europäischen Kontext gemäß Art. 5 EG-Vertrag, dass die EG zum einen nur im Rahmen der im Vertrag festgelegten Befugnisse tätig werden darf und zum anderen nur dann, wenn die gemeinsam gesetzten Ziele nicht durch die Mitgliedstaaten und deren subnationale Einheiten erreicht werden (können), (grundlegend zum Subsidiaritätsprinzip vgl. z.B. Waschkuhn 1995). Die Kommission verfügt über eine „Kooperationskompetenz“ (Wobbe 2001: 347) und kann einen politischen Meinungsbildungs- und Konsultationsprozess initiieren (Initiativrecht). Dieser kann letztlich auch zu europäischen Rechtsakten führen. „Die Kooperationskompetenz bündelt auf bestimmten Gebieten die Expertise, verdichtet die horizontale und vertikale Verflechtung professioneller Akteure (Recht, Politik, Wissenschaft, Verwaltung), bereitet dadurch Rechtshandlungen vor und trägt zu einer kommunikativen Vernetzung von Experten auf europäischer Ebene bei“ (ebd.).
Die Kooperationskompetenz der Kommission und die kommunikative Vernetzung von Politikfeldern sind für die weitere Entwicklung von Steuerungsinstrumenten für die Verbindungen zwischen Gleichstellungs- und Forschungspolitik von Ausschlag gebender Bedeutung. Mit der Mitteilung aus dem Jahr 1999 „Frauen und Wissenschaft. Mobilisierung der Frauen im Interesse der europäischen Forschung“ (Europäische Kommission 1999) greift die Kommission die Thematik ,Frauen und Wissenschaft‘ auf. Sie spielt im Folgenden eine wichtige Rolle, weil sie damit den Meinungsbildungs- und Konsultationsprozess zu diesem Thema anschob. Neben den europäischen Organen in horizontaler Richtung des Mehrebenenraums ist diese Mitteilung in vertikaler Richtung an die Mitgliedstaaten adressiert und fordert sie zu Auseinandersetzung und Austausch über die Thematik auf. Die Mitgliedstaaten werden beispielsweise aufgefordert, die besten Verfahren zur „Förderung von Frauen in Wissenschaft und Technologie“ zu unterstützen (ebd.: 3). Zugleich wendet sich die Kommission an die Wissenschaftler/innen und Forscher/ innen in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen der Mitgliedstaaten, um u.a. zu erreichen, dass „Frauen ausreichend über Programme und Aktionen informiert sind, mit denen ihre Beteiligung an der wissenschaftlichen Forschung erhöht werden soll“ (ebd.).
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5 Der institutionelle Rahmen für europäische Politik
Die Initiative zur Übernahme des Gender Mainstreaming in die europäische Forschungspolitik fällt in die Amtszeit der Französin Edith Cresson (1995-1999). Sie ist zu diesem Zeitpunkt in der Europäischen Kommission, die seinerzeit aus 20 Kommissar/inn/en bestand, für Forschung zuständig. Ihr Nachfolger (in dem hier untersuchten Zeitraum) ist der (damalige) Forschungskommissar Philippe Busquin (1999-2004). In der Mitteilung „Frauen und Wissenschaft“ (1999) stellt die Kommission die Einrichtung des organisatorischen Unterbaus in Aussicht, der für die Implementation des Gender Mainstreaming notwendig ist. In der Direktion ,Wissenschaft und Gesellschaft‘ der Generaldirektion Forschung wird im Jahr 1998 das Referat ,Frauen und Wissenschaft‘ eingerichtet. Diesem Referat kommt die Aufgabe zu, Gender Mainstreaming auf die forschungspolitische europäische Agenda zu bringen. Im weiteren Implementationsprozess des Gender Mainstreaming in der europäischen Forschungspolitik spielt dieses Referat eine koordinierende Rolle. Es wird deshalb in dem Modell des Mehrebenenraums als eine Schnittstelle zwischen dem inneren Aktionsfeld und dem äußeren politischen Feld markiert. Wer bereits im Vorfeld von Kommissionsinitiativen konsultiert und damit in die vielfältigen Politikverflechtungen des europäischen Mehrebenenraums eingebunden wird, darüber entscheidet maßgeblich die Kommission, bzw. ihre zuständige Generaldirektion. Die Kommission wird daher in der politikwissenschaftlichen Europaforschung auch als „Netzwerk-Architektin“ bezeichnet (Héritier 1993: 441). Ihr kommt auch in der Forschungspolitik eine wichtige Rolle zu beim Zugang zu europäischen Politiknetzwerken (vgl. z.B. Grande 1996), in denen Expert/ inn/en sowohl formell als auch informell in „Hunderten von Sachverständigenund Verwaltungsausschüssen der Kommission institutionalisiert sind“ (Abels 2000: 28). Dieses weite Netz an beratenden Ausschüssen wird auch als „Komitologie“ bezeichnet (Jachtenfuchs/ Kohler-Koch 1996: 27; Bluman 1992) und aufgrund der bestehenden Intransparenz dieser „Komitologie“ auch häufig kritisiert (z.B. Puntscher-Riekmann 2000: 133). Andererseits wird auf den sachgerechten Entscheidungsstil und die problemlösungsorientierte Philosophie der Kommission verwiesen. Im eigenen Interesse versuche sie immer, „direkte Beziehungen zu den Adressaten ihrer Politik und zu Gesprächspartnern in den Mitgliedstaaten zu knüpfen“ (Höreth 1999: 208) und dabei systematisch wissenschaftliche Expertisen zu berücksichtigen. Da Initiativen der EU-Kommission im Zusammenspiel vieler Akteure entstehen, werden sie in der politikwissenschaftlichen Forschungsliteratur auch als „culmination of an extensive process of consultation with leading representatives of Euro-level interest groups, national experts, senior civil servants and politicians (where appropriate)“ bewertet (Lodge 1989b: 38, zit. n. Abels 2000: 28).
5.2 „Mobilisierung der Frauen für die europäische Forschung“
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Wie wissenschaftliche Expertisen in die Konsultations- und politischen Entscheidungsprozesse hineinwirken, ist die Kernfrage, die sich durch die empirische Untersuchung zieht. In ihr wird der Prozess rekonstruiert, – wie sich Gender Mainstreaming im europäischen Kontext zeitlich von der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 bis zur Umsetzung in das europäische Primärrecht (den EG-Vertrag von Amsterdam) entwickelt hat und – wie es im europäischen Institutionensystem auf die Forschungspolitik angewandt wird.
5.2
„Mobilisierung der Frauen für die europäische Forschung“
Der politische Konsultations- und Meinungsbildungsprozess wird in diesem Unterkapitel anhand der in diesem Prozess produzierten offiziellen Dokumente in seiner zeitlichen Abfolge dargestellt. Auch hier steht die Frage nach den Verbindungslinien zwischen gleichstellungspolitischen und forschungspolitischen Zielen im Zentrum. Die vorweg genommene Antwort der Dokumentenanalyse lautet: Während die beiden Diskussionsstränge zur Forschungspolitik und zur Gleichstellungspolitik in der EU in den Jahren 1999/2000 zusammenkommen, beginnt auf europäischer Ebene die politische Meinungsbildung zum Gender Mainstreaming bereits 1995 mit der Vor- und Nachbereitung der vierten Weltfrauenkonferenz. Die vierte Weltfrauenkonferenz im September 1995 in Peking schließt an die internationalen Frauenbewegungen und die Erfahrungen der Entwicklungspolitik an, wo auch die Ursprünge von Gender Mainstreaming zu sehen sind (vgl. z.B. Frey 2003). In einer Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen wird in Folge der Pekinger Konferenz das Gender Mainstreaming als Konzept und Strategie festgeschrieben. Damit ist an supranationale Entscheidungsorgane wie der Europäischen Union und an nationale Regierungen die Forderung verbunden, „geschlechtsspezifische Belange in die Konzeption aller Politiken und Programme einzubeziehen, so dass vor dem Fällen von Entscheidungen die Folgen für Männer bzw. Frauen analysiert werden müssen“ (Vereinte Nationen 1995). Der Europarat folgt dieser Resolution der Vereinten Nationen, indem er eine Gruppe von Expertinnen (Group of Specialists on Mainstreaming) einsetzt, die sich speziell mit der Klärung der Definition von Gender Mainstreaming beschäftigt, da sehr unterschiedliche Definitionen in Umlauf sind (vgl. Council of Europe
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5 Der institutionelle Rahmen für europäische Politik
1998). Der Europarat gehört nicht zum institutionellen Gefüge der EU/EG, arbeitet aber häufig mit deren Institutionen zusammen.17 In der EU/EG existieren zwar seit 1982 Aktionsprogramme für die Chancengleichheit von Männern und Frauen. Das erste und zweite Aktionsprogramm war jedoch stark arbeitsmarktpolitisch ausgerichtet. Erst das dritte (1990-1995) und verstärkt das vierte Aktionsprogramm (1996-2000) gehen deutlich über Arbeitsmarktpolitik hinaus, indem als Ziel die Gleichstellung von Frauen und ihre Partizipation in allen wirtschaftlichen und sozialen Lebensbereichen formuliert wird (vgl. Geyer 2000: 212; Lange/Trukeschitz 2005). Eine forschungspolitische Ausrichtung gibt es in diesen Aktionsprogrammen jedoch nicht. Die Europäische Kommission hat in Mitteilungen u.a. Veröffentlichungen auf das Gender Mainstreaming vorbereitet: Erstens hat sie schon im Vorfeld der Pekinger Konferenz im Juni 1995 in der Mitteilung „Eine neue Partnerschaft zwischen Frauen und Männern: Ausgewogene Aufgabenteilung und Mitbestimmung“ Prioritäten der Europäischen Gemeinschaft für die vierte UN-Weltfrauenkonferenz“ vorgeschlagen (Europäische Kommission 1995). Obwohl darin von Chancengleichheit und nicht von Gender Mainstreaming die Rede ist, wird Gender Mainstreaming als neuer gleichstellungspolitischer Ansatz entsprechend der Resolution der Vereinten Nationen erkennbar: – Die Chancengleichheit für Frauen und Männer sei in sämtliche politischen Konzepte und Maßnahmen einzubeziehen, – die Mitwirkung von Frauen bei der Entscheidungsfindung in sämtlichen öffentlichen und politischen Institutionen sei durch geeignete Maßnahmen voranzutreiben und – Maßnahmen zu ergreifen, die insbesondere der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt entgegenwirken. Zweitens folgt nach der Pekinger Konferenz im Jahr 1996 die Mitteilung zur „Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politische Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft“ (Europäische Kommission 1996). In dieser Mitteilung stellt die Kommission ein Konzept für die Umsetzung von Gender Mainstreaming vor. In dem folgenden Konsultations- und Meinungsbildungsprozess der EU-Kommission reagiert das Europäische Parlament. Sein Ausschuss für die „Rechte der Frau 17
Seinen Sitz hat der Europarat in Straßburg. Er wurde im Mai 1949 gegründet, um zur Sicherung des Friedens in Europa beizutragen. Ihm gehören über 40 europäische Staaten an, die als Voraussetzung zur Mitgliedschaft die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 (sowie weitere Konventionen) unterzeichnen müssen. Bei Nichteinhaltung hat der Europarat jedoch außer politischem und öffentlichem Druck keine Sanktionsmöglichkeiten.
5.2 „Mobilisierung der Frauen für die europäische Forschung“
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und Chancengleichheit“ erstellt einen Bericht (Europäisches Parlament 1997), in dem vorgeschlagen wird, jedes politische Programm und jede Aktion vor und nach der Umsetzung auf Auswirkungen für die Lebensumstände von Frauen und Männern zu prüfen. Das Parlament regte darüber hinaus an, eine spezielle Abteilung im Generalsekretariat der Kommission zu schaffen, um Gender Mainstreaming auf den Finanzhaushalt der Europäischen Union zu beziehen (Genderbudgeting), ein Ziel, das im Untersuchungszeitraum zwar in der Diskussion ist, aber in dem Zeitraum nicht umgesetzt wird. Parallel dazu schlägt der Ausschuss vor, die spezifischen Maßnahmen zur Förderung von Frauen beizubehalten. Dies wird zu einem andauernden Konflikt (vgl. Stratigaki 2005). Mit der Unterzeichnung des Vertrags von Amsterdam im Jahr 1997, der 1999 in Kraft trat, stimmt der Europäische Rat der primärrechtlichen Verankerung der Gleichstellungsstrategie zu. Sie wird damit für alle Mitgliedstaaten verbindlich. In diesem Vertrag wird die Gleichstellung bzw. Chancengleichheit (equal opportunity) von Männern und Frauen als explizites Ziel formuliert (Artikel 2 und 3). Die Mitgliedsländer werden damit zu einer diskriminierungsfreien Politik verpflichtet (Artikel 13). In Artikel 2 des EG-Vertrags wird die Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen als eine Aufgabe der Europäischen Gemeinschaft festgeschrieben. In Artikel 3 Absatz 2 heißt es, dass die Gemeinschaft bei allen ihren Tätigkeiten darauf hinwirkt, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern. Erweiterte Möglichkeiten bietet insbesondere auch Artikel 13, der die Rechtsgrundlage dafür schafft, „geeignete Vorkehrungen“ zu treffen, um Diskriminierungen u.a. aus Gründen des Geschlechts oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. Artikel 137 ermöglicht es, auf dem Wege des Mitentscheidungsverfahrens von Rat und Europäischem Parlament Maßnahmen zu beschließen, die die Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz gewährleisten. In Artikel 141 wird die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Frage des gleichen Entgelts konsolidiert, indem der Begriff der gleichwertigen Arbeit eingeführt wird. Artikel 141 Absatz 3 bietet eine neue Rechtsgrundlage für die Erarbeitung von Rechtsvorschriften zur Chancengleichheit und zur Gleichbehandlung in Arbeits- und Beschäftigungsfragen. Die neuen Möglichkeiten aus dem Amsterdamer Vertrag nutzt die Europäische Kommission, indem sie seither gemeinsam mit dem Europäischen Parlament die Umsetzung der Aktionsplattform von Peking überwacht. Neben dem Initiativrecht und der Kooperationskompetenz erhält die Kommission demnach auch die Überprüfung der Implementation. Dazu fertigt sie entsprechende Fortschrittsberichte an.
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5 Der institutionelle Rahmen für europäische Politik
Der Fortschrittsbericht der Kommission von 1998 folgt den konzeptionellen Vorschlägen der Kommission zur „Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politische Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft“ (1996) und greift darin die „Förderung der Frauen in der europäischen Forschung“ (Europäische Kommission 1998) als Bestandteil der Zielsetzung auf, Frauen in die Entscheidungsfindung von sämtlichen öffentlichen Institutionen einzubeziehen. Die Forschungspolitik gehört damit zu einem der Politikbereiche, die innerhalb der Europäischen Kommission für die Implementation des Gender Mainstreaming-Konzepts eintreten (vgl. dazu auch Pollack/Hafner-Burton 2000). Der Fortschrittsbericht (1998) geht von der Feststellung aus, dass Frauen weiterhin auf den obersten akademischen Ebenen und in Forschung wie Innovation unterrepräsentiert sind und hebt die Bedeutung des seinerzeit laufenden „Fünften Forschungsrahmenprogramms für Forschung und technologische Entwicklung“ hervor. Zudem weist er darauf hin, dass von der „Nutzbarmachung des gesamten Potentials von Frauen und Männern in der Forschung und der wissenschaftlichen Entwicklung (…) große Vorteile zu erwarten (sind), im Hinblick auf eine Bereicherung und stärkere Synergie der kombinierten männlichen und weiblichen Sichtweisen von wissenschaftlicher Forschung“ (ebd.: 21f.).
Dieser Fortschrittsbericht enthält auch einen Bericht von der Konferenz „Frauen und Wissenschaft“, die von der Kommission und dem EU-Parlament gemeinsam in Brüssel im April 1998 ausgerichtet worden war und an der die damalige Forschungskommissarin Edith Cresson und zahlreiche geladene Wissenschaftler/innen teilgenommen haben. Ein Ergebnis des Meinungsaustausches auf dieser Konferenz ist der Entwurf für eine Mitteilung der Kommission. In diesem Entwurf verurteilen die Konferenzteilnehmer/innen den „Fortbestand der männlichen Vorherrschaft, der traditionellen Denkmuster und der stereotypen Rollen in der Wissenschafts- und Technologiepolitik der Gemeinschaft“ (Europäische Kommission 1999a: 10). Die angekündigte Mitteilung erscheint unter dem Titel „Frauen und Wissenschaft. Mobilisierung der Frauen im Interesse der europäischen Forschung“ (Europäische Kommission 1999) in einem sprachlich gemilderten Duktus. Im sich anschließenden formellen Meinungsbildungs- und Konsultationsprozess reagieren das Europäische Parlament sowie der Rat der Europäischen Union mit Entschließungen, die die Vorschläge der Kommission ausdrücklich unterstützen. Sie fordern die Kommission auf, dem Parlament und dem Rat spätestens nach zwei Jahren ein follow up über die Fortschritte bei der Durchführung der vorgeschlagenen Maßnahmen vorzulegen. Die für Gleichstellung und für Forschung zuständigen Parlamentsausschüsse (Ausschuss für die Rechte der Frau und Chancengleichheit
5.2 „Mobilisierung der Frauen für die europäische Forschung“
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sowie Ausschuss für Industrie, Außenhandel, Forschung und Energie) werden darin zu Stellungnahmen aufgefordert (vgl. Europäisches Parlament 1999). Dieser Bericht folgt im Jahr 2001 in Form eines Arbeitsdokuments der Kommission (Europäische Kommission 2001a) und mündet in eine Entschließung des Rates der Europäischen Union zu „Wissenschaft und Gesellschaft“ und zu „Frauen in der Wissenschaft“. Die Kommission wird darin ersucht, die Förderung von Frauen in Wissenschaft und Technologie fortzusetzen und bei der Umsetzung des damals vorbereiteten Sechsten Forschungsrahmenprogramms (2002-2006) darauf zu achten, dass eine durchgängige Berücksichtigung des Gleichstellungsgedankens gewährleistet wird (Rat der Europäischen Union 2001). Das Sechste Forschungsrahmenprogramm wird auf Vorschlag der Kommission und durch formalen Beschluss von Parlament und Rat im Juni 2002 verabschiedet.18 Unter Hinweis auf die Förderung der „Forschung von, für und über Frauen“ aus der Kommissionsmitteilung „Frauen und Wissenschaft. Mobilisierung der Frauen im Interesse der europäischen Forschung“ (1999) wird im Sechsten Rahmenprogramm programmatisch ein 40%-Anteil von Frauen auf sämtlichen Ebenen der Durchführung und Verwaltung angestrebt. Damit ist mit dem Sechsten Forschungsrahmenprogramm Gender Mainstreaming zu einem expliziten forschungspolitischen Ziel geworden. Das Sechste Forschungsrahmenprogramm gilt als ein bedeutender „Beitrag zur Verwirklichung des Europäischen Forschungsraums“ (EFR), (Europäische Kommission 2002c: 9). „Die Grundidee des EFR ist, dass die Probleme und Herausforderungen der Zukunft ohne eine weit umfassende Bündelung der europäischen Forschungsaktivitäten und -kapazitäten nicht zu bewältigen sind. Ziel ist, eine neue Etappe einzuleiten und auf der europäischen Ebene einen kohärenten, konzertierten Ansatz einzuführen, auf dessen Basis sich dann echte gemeinsame Strategien entwickeln können. Ohne einen solchen politischen Willen ist Europa dazu verurteilt, im Kontext der zunehmenden Globalisierung der Weltwirtschaft immer weiter abgedrängt zu werden. Mit dem EFR hingegen schafft es sich die Möglichkeit, sein außerordentliches Potenzial aufzuwerten und – nach den Worten des Europäischen Rats beim Gipfeltreffen von Lissabon im März 2000 – zur ‚wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbestimmten Wirtschaft der Welt‘ zu werden“ (Ebd., Hervorh. i.O.).
Mit der Präzisierung dieses Ziels und damit der „Verwirklichung des Europäischen Forschungsraums“ befassen sich verschiedene Dokumente, die im Rahmen des 18
Der Beschluss über das Sechste Rahmenprogramm stützt sich insbesondere auf Artikel 166 Absatz 1 EG-Vertrag und wird im Mitentscheidungsverfahren nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen beschlossen (Europäisches Parlament und Europäischer Rat 2002).
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5 Der institutionelle Rahmen für europäische Politik
Meinungsbildungsprozesses produziert wurden, sowie die Mitteilung „Leitlinien für die Maßnahmen der Union auf dem Gebiet der Forschung (2002-2006)“ (Europäische Kommission 2000a).19 In den Leitlinien wird das Verhältnis „von Frauen und Wissenschaft“ explizit thematisch zugeordnet und in den Dokumenten auch so bezeichnet. Es steht in Verbindung mit „Humanressourcen“ und mit „Wissenschaft, Gesellschaft und Bürger“, die als thematische Zuordnungen auch im Sechsten Forschungsrahmenprogramm zu finden sind. Das Sechste Forschungsrahmenprogramm enthält insgesamt sieben thematische Prioritäten, für die jeweils auch die Finanzausstattungen festgelegt sind. Wie aus der folgenden Tabelle zu den Forschungsprioritäten ersichtlich, weist die Forschungspriorität „Bürger und Staat in der Wissensgesellschaft“, der das Thema ,Frauen und Wissenschaft‘ zugeordnet ist, das kleinste Budget auf (vgl. die folgende Tabelle).
Forschungspriorität Technologien für die Informationsgesellschaft Biowissenschaften, Genomik und Biotechnologie im Dienste der Gesundheit Nachhaltige Entwicklung, globale Veränderungen und Ökosysteme Nanotechnologien, multifunktionale Werkstoffe, neue Produktionsverfahren und -anlagen Luft- und Raumfahrt Lebensmittelqualität und -sicherheit Bürger und Staat in der Wissensgesellschaft
Budget in Mio. € 3.625 2.255 2.120 1.300 1.075 685 225
(Quelle: BMBF 2002: 11)
An der budgetären Aufteilung und den thematischen Einteilungen und Zuordnungen ist zu erkennen, welchen Stellenwert die Thematik ,Frauen und Wissenschaft‘ im Verhältnis zum gesamten Sechsten Rahmenprogramm der Forschung einnimmt, 19
Der Rat der Europäischen Union verabschiedet am 16.11.2000 eine Entschließung „zur Verwirklichung eines Europäischen Raums der Forschung und Innovation: Leitlinien für die Maßnahmen der Union auf dem Gebiet der Forschung (2002-2006)“ (Europäischer Rat 2000b), die die Leitlinien der Kommission unterstützt. Das Europäische Parlament gibt am 15.02.2001 eine Entschließung heraus, in der diese Kommissionsmitteilung begrüßt wird (Europäisches Parlament 2001).
5.2 „Mobilisierung der Frauen für die europäische Forschung“
51
die in den forschungspolitischen Kontext des Europäischen Forschungsraums (EFR) gestellt ist. So gibt es im Sechsten Forschungsrahmenprogramm neben den genannten sieben Forschungsprioritäten weitere forschungspolitische Ziele speziell für die Entwicklung dieses Europäischen Forschungsraums. Dafür stehen im Sechsten Forschungsrahmenprogramm vier gesonderte Programmteile: Infrastrukturen, Innovation, Humanressourcen und Mobilität sowie Wissenschaft und Gesellschaft, die vier Ziele verfolgen: – die Forschung der Gesellschaft näher zu bringen, – eine verantwortungsbewusste Forschung und entsprechende Anwendung von Wissenschaft und Technologie herbeizuführen, – den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu stärken und – die Initiativen zur Förderung der Stellung von Frauen in Wissenschaft und Forschung auf allen Ebenen zu verstärken. Das forschungspolitische Ziel ,Wissenschaft und Gesellschaft‘ im Europäischen Forschungsraum wird als Programmteil und als Teil des politischen Prozesses in der Nachfolge von Lissabon von der Generaldirektion Forschung in der Direktion Wissenschaft und Gesellschaft aufgebaut. Dieser Programmteil wird nach Aufforderung des Rates vom 26. Juni 2001 vorbereitet (Europäische Kommission 2002d: 6; BMBF 2002: 89). Die Arbeitsunterlage „Wissenschaft, Gesellschaft und Bürger in Europa“ (Europäische Kommission 2000b vom 14.11.2000) geht der Frage nach, wie es gelingen kann, „eine den wirklichen Interessen der Gesellschaft dienende Forschungspolitik ins Werk zu setzen, und die Gesellschaft bei der Durchführung der Forschungsrahmenprogramme voll mit einzubeziehen“ (ebd.: 2). Kapitel 4 widmet sich u.a. der Frage nach dem Platz und der Rolle der Frauen in den Wissenschaften. Neben der zahlenmäßigen Erhöhung des Frauenanteils in der Wissenschaft wird auf „eine bessere Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse der Frauen in den Forschungsrahmenprogrammen und ein besseres Verständnis des Funktionierens der gesellschaftlichen Geschlechterbeziehungen“ (ebd.: 18) hingewiesen und schließlich u.a. mit dem „Aktionsplan Wissenschaft und Gesellschaft“ umgesetzt. Die Aktionspläne selbst werden mit forschungspolitischen Zielen durch die Veröffentlichung von Ausschreibungen im Rahmen des Forschungsprogramms (so genannte Arbeitsprogramme) realisiert. Zur Frage, wie Wissenschaft den europäischen Bürger/inne/n zugänglich(er) gemacht werden soll, sind in diesem Aktionsplan insgesamt 38 Aktionen vorgesehen. Sie verteilen sich auf drei thematische Schwerpunkte: – die Förderung der wissenschaftlichen Bildung und der Wissenschaftskultur in Europa,
52
5 Der institutionelle Rahmen für europäische Politik
– eine stärker bürgernahe ausgerichtete Wissenschaftspolitik und – eine verantwortungsbewusste Forschung im Zentrum politischer Entscheidungsfindung. Das „Verhältnis von Frauen und Wissenschaft“ hat in diesem Aktionsplan keine eigene Rubrik, sondern ist der bürgernahen Wissenschaftspolitik zugeordnet. Unter den 38 Aktionen finden sich jedoch in den Aktionen 24 bis 27 forschungspolitische Ziele, die explizit auf Frauen in der Wissenschaft bzw. die Gleichstellung von Männern und Frauen zugeschnitten sind: – Schaffung einer europäischen Plattform für Frauen in der Wissenschaft (Aktion 24), – Beobachtung der Fortschritte im Hinblick auf eine Gleichstellung von Männern und Frauen in der europäischen wissenschaftlichen Forschung (Aktion 25), – Untersuchung der Stellung von Wissenschaftlerinnen in der Privatwirtschaft (Aktion 26), – Förderung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Wissenschaft in einem erweiterten Europa (Aktion 27). Die Schaffung einer Plattform für Wissenschaftlerinnen ist in Aktion 24 vorgesehen sowie die Beobachtung der Fortschritte in der Gleichstellung von Männern und Frauen in der europäischen wissenschaftlichen Forschung (Gender-WatchSystem). In Aktion 25 sind Ziele, die sich bereits in der Mitteilung „Frauen und Wissenschaft. Mobilisierung der Frauen im Interesse der europäischen Forschung“ von 1999 finden. Bei den Aktionen 26 und 27 handelt es sich um spätere Schwerpunktsetzungen. So bezieht sich Aktion 26 auf die industrielle Forschung, mit der eine Erweiterung des Adressatenkreises über die öffentlich geförderte Forschung an Hochschulen und Forschungseinrichtungen hinaus auf private Wirtschaftsunternehmen verbunden ist. Aktion 27 steht im Zusammenhang mit der Erweiterung der Europäischen Union im Jahr 2004 durch die mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten und soll die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Wissenschaft im erweiterten Europa fördern. Beide Aktionen, sowohl Aktion 26, die die Privatwirtschaft, als auch Aktion 27, die die EU-Erweiterung betrifft, beginnen jeweils mit der Einsetzung einer zeitlich befristeten Gruppe politikberatender wissenschaftlicher Expert/inn/en. Dies sind die Gruppe „Women in Industrial Research“ (WIR) und die Gruppe „Enlarge Women in Science to East“ (ENWISE). So befasste sich die WIR-Gruppe mit der Situation von Frauen in Unternehmen sowie die ENWISE-Gruppe von Oktober
5.2 „Mobilisierung der Frauen für die europäische Forschung“
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bis Dezember 2002 nach dem Vorbild der Gruppe „European Technology Assessment Network“ (ETAN) mit einer Bestandsaufnahme der Situation von Frauen in der Forschung der neuen Mitgliedstaaten. Zum Zeitpunkt der Kommissionsmitteilung „Frauen und Wissenschaft. Mobilisierung der Frauen im Interesse der europäischen Forschung“ (1999) arbeitet die ETAN-Gruppe bereits an einer Situationsanalyse von Frauen in der Wissenschaft in den damaligen Mitgliedstaaten und formuliert als Ergebnis forschungspolitische Empfehlungen. Wie bei politikberatenden Gremien üblich, arbeitet die Expertinnengruppe ETAN zeitlich und thematisch begrenzt. Sie besteht in diesem Falle mehrheitlich aus Wissenschaftlerinnen und greift in ihren Empfehlungen die Ideen und Ziele ihrer politischen Auftraggeberin auf. Die Kommission als Auftraggeberin der Expertise zieht, ebenso wie die ETAN-Gruppe mit ihren wissenschaftspolitischen Empfehlungen, eine Verbindungslinie zwischen der politisch normativen „Förderung der Chancengleichheit“ und dem ökonomisch „sinnvollen Einsatz der Humanressourcen“: „In Anbetracht der Bedeutung eines sinnvollen Einsatzes der Humanressourcen und der Förderung der Chancengleichheit hat die Kommission die Politik des ‚Gender Mainstreaming‘ eingeführt, d.h. die Einbeziehung des Prinzips der Gleichstellung von Frauen und Männern in alle Institutionen, Maßnahmen, Programme und Verfahren. Es handelt sich dabei um ein langfristiges strategisches Gleichstellungskonzept, bei dem das gesetzlich verankerte Recht der Frauen auf Gleichbehandlung ergänzt wird durch besondere Fördermaßnahmen, mit denen einige der speziell für Frauen bestehenden Nachteile beseitigt werden“ (Europäische Kommission 2001c: 2).
Dem Bericht der ETAN-Gruppe und der Kommissionsmitteilung „Frauen und Wissenschaft. Mobilisierung der Frauen im Interesse der europäischen Forschung“ (1999) kommt für die Analyse des zeitlichen Ablaufs der politischen Meinungsbildung im untersuchten europäischen Machtraum forschungspolitischer Steuerung eine entscheidende Bedeutung zu. Beide sind ausschlaggebend dafür, dass der Prozess der politischen Meinungsbildung im forschungspolitischen Feld in Gang kommt. Sie liefern die Idee, dass Frauen im Interesse der europäischen Forschung mobilisiert werden können, wenn die Chancengleichheit zwischen den (zwei) Geschlechtern mit ökonomischen Rationalitätskriterien, der Gewinnung von Humanressourcen verbunden wird. Diese Verbindungslinie zu ziehen, wird durch den Grundgedanken des Gender Mainstreaming-Ansatzes möglich, d.h. durch „die Einbeziehung des Gleichstellungsprinzips von Frauen und Männern in alle Institutionen, Maßnahmen, Programme und Verfahren“ und ihrer potenziellen ökonomischen Vorteile. Die entsprechenden Instrumente für die forschungspolitische Umsetzung von Gender Mainstreaming sind bereits in der Kommissionsmitteilung von 1999 for-
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5 Der institutionelle Rahmen für europäische Politik
muliert. Diese Instrumente und das zu Grunde liegende Forschungskonzept sowie die Weiterentwicklungen seit dem Jahr 1999 werden im folgenden Unterkapitel gesondert aufgegriffen.
5.3
Politisches Forum und Gender Watch System als Instrumente
Das institutionelle Gefüge der EU/EG gibt die Handlungsoptionen weitgehend vor, wie im europäischen Meinungsbildungs- und Konsultationsprozess gleichstellungsund forschungspolitische Ziele aneinander angeschlossen werden. Die Kommission sieht zum Zeitpunkt der Vorbereitung der Mitteilung von 1999 nur „zwei Wege“, wie die folgende Ausführung aus der Generaldirektion Forschung zeigt: „Einerseits eine Plattform für Diskussionen für alle Leute in Europa anzubieten, (…) eine Stärkung aller Leute, mit derselben Zielsetzung in Europa wirklich ein Netzwerken und Werkzeuge für die Debatte zu produzieren, Projekte zu unterstützen. Und dann die andere Aktivität, (…) die darin besteht, Gender in die Implementation des formalen Programms zu integrieren, wo wir beschlossen haben, mit drei Perspektiven auf Forschung zu blicken (von Frauen, über Frauen und für Frauen) und zu (analysieren)“ (B2: 198-208).20
Die Diskussionsplattform stellt den ersten Weg dar und wird in der Mitteilung von 1999 als Politisches Forum bezeichnet. Die Plattform zielt auf den Informationsund Erfahrungsaustausch in und zwischen den Mitgliedstaaten, um die politische Meinungsbildung zu unterstützen. Die Steuerung der Prioritäten, Leitthemen und Aktionen der Forschungsrahmenprogramme ist der zweite Weg, um die „Forschung von, für und über Frauen“ zu fördern (Europäische Kommission 1999: 11-14): Forschung von Frauen: „Um zu gewährleisten, dass die Forschung den Bedürfnissen der Frauen gerecht wird, muss eine Beteiligung der Frauen in Höhe von 40% auf sämtlichen Ebenen der Durchführung und Verwaltung der Forschungsprogramme angestrebt werden. (...) Um Frauen als Wissenschaftlerinnen den Zugang zu den verschiedenen spezifischen Programmen zu erleichtern, werden (...) Maßnahmen ergriffen“, wie etwa die statistische Erfassung des „Geschlechts der Antragsteller“, oder die Koordinatoren bewilligter Projekte dazu anzuhalten, „Forschungsteams mit ausgeglichener Geschlechterbeteiligung zu bilden.“ 20
Mit B2 wird das Interview mit einer leitend tätigen Mitarbeiterin der Generaldirektion Forschung, Abteilung Wissenschaft und Gesellschaft gekennzeichnet, dem auch das Referat Frauen und Wissenschaft zugeordnet ist. Im Folgenden werden alle Zitate aus Gesprächen mit den 16 Interviewpartner/inne/n kursiv vom Text abgesetzt: B steht für Interviews mit Verwaltungsmitarbeiterinnen der Generaldirektion (GD) Forschung, A für Interviews mit Mitgliedern des Europäischen Parlaments (EP) und C für Interviews mit Mitgliedern politikberatender Gremien (wie ETAN, ENWISE und WIR).
5.3 Politisches Forum und Gender Watch System als Instrumente
55
Forschung für Frauen: „Bei der Ausarbeitung und Durchführung der Arbeitsprogramme (…) wird die Geschlechterfrage berücksichtigt werden. Immer dann, wenn ein Thema die Überprüfung der Geschlechterfrage rechtfertigt, wird dies in der Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen genannt (und) Studien über die Auswirkungen innerhalb jeden spezifischen Programms durchgeführt.“ Forschung über Frauen: „Die Unterstützung und Förderung von Forschungsarbeiten, die die Geschlechterdimension im Rahmen der Leitaktion, ‚Verbesserung der sozioökonomischen Wissensgrundlage thematisch‘ berücksichtigen.“ Als Steuerungsinstrument dieser Forschungskonzeption von, über und für Frauen ist ebenfalls bereits in der Mitteilung von 1999 die Entwicklung des Gender-WatchSystems (Evaluations- und Berichtssystem) mit drei Beobachtungsperspektiven vorgesehen: – Erstens die quantitative Erhöhung des Frauenanteils insbesondere in den Beratungs-, Begutachtungs- und Evaluationsgremien der Rahmenprogramme, wobei beim Frauenanteil die 40%-Marke erreicht werden soll (Forschung von Frauen); – Zweitens die qualitativ-inhaltliche Evaluation der geförderten Forschung unter Gender-Gesichtspunkten (Forschung für Frauen); – Drittens die Förderung von Themen aus der Frauen- und Geschlechterforschung (Forschung über Frauen). Inhaltlich wird Forschung von, über und für Frauen entlang der oben genannten Arbeitsprogramme, Leitaktionen und Leitthemen der jeweiligen Forschungsrahmenprogramme definiert. Im Fünften Forschungsrahmenprogramm ist es die „Verbesserung der sozioökonomischen Wissensgrundlage“ und im Sechsten Forschungsrahmenprogramm der Programmteil „Bürger und Staat in der Wissensgesellschaft“, für den es „Humanressourcen“ zu bündeln gelte. Forschungsförderung im europäischen Mehrebenenraum stellt sich vor diesem Hintergrund als ein „Prozess von Aufrufen, Anträgen und Selektionen“ (B2: 205) dar. Dabei ist u.a. zu entscheiden, ob ein Thema die Überprüfung der Geschlechterfrage rechtfertigt und dies in den Aufrufen zur Einreichung von Anträgen genannt wird. Mit den Aufrufen, sich an den ausgeschriebenen thematischen Prioritäten von Forschungsrahmenprogrammen oder an den Leitaktionen und Aktionen „Women and Science“ zu beteiligen, spricht die Kommission Forscher/innen in den Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Forschungsabteilungen von Unternehmen an, die Forschungsprojekte beantragen (können), aus denen dann ausgewählt wird (vgl. dazu 6.3).
56
5 Der institutionelle Rahmen für europäische Politik
Um einen darüber hinausgehenden Kreis für die europäische Forschung zu mobilisieren und in das „Netzwerken“ (B2: 200) der Kommission einzubinden, also das Politische Forum zu entwickeln, stützt sich die Kommission auf ihre „Kooperationskompetenz“ (Wobbe 2001: 341). Diese soll es ihr ermöglichen, auch auf dem Gebiet der Gender-Expertise die horizontale und vertikale Verflechtung professioneller Akteur/inn/e/n aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Wirtschaft etc. zu nutzen und die Expert/inn/en auf europäischer Ebene zu vernetzen. In Verfolgung der Doppelstrategie, das Gender-Watch-System und das Politische Forum als die beiden Säulen der Implementation aufzubauen, setzt die Kommission im Vorfeld regelmäßig befristete Expert/inn/engremien ein und besetzt diese überwiegend mit renommierten Wissenschaftler/inne/n, die zu dem Thema gearbeitet haben. Für diese Einbeziehung wissenschaftlicher Expert/inn/en, deren Empfehlungen zur Politikberatung dienen, und die nicht zuletzt auf Öffentlichkeitswirksamkeit zielen (z.B. durch Expertenberichte auf Konferenzen), stehen im institutionellen Rahmen des forschungspolitischen Mehrebenenraums die Gruppierungen ETAN, WIR und ENWISE als die genuin wissenschaftlichen Akteurinnen des inneren Aktionsfeldes ,Gender Mainstreaming in der europäischen Forschungspolitik‘. Zuerst setzte die Kommission die Gruppe „European Technology Assessment Network“ (ETAN) ein. Sie analysierte die Situation von Frauen in der Wissenschaft in den damaligen Mitgliedstaaten und arbeitete bereits zum Zeitpunkt der Kommissionsmitteilung von 1999 und der diese Mitteilung vorbereitenden Konferenz „Frauen und Wissenschaft“ in 1998. Es folgten die Gruppe „Women in Industrial Research“ (WIR) zur Untersuchung der Stellung von Wissenschaftlerinnen in Unternehmen und die Gruppe „Enlarge Women In Science to East“ (ENWISE), die eine Analyse der Situation in den neu hinzugekommenen mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten im Jahr 2004 erarbeitete. Insbesondere in der WIR-Gruppe sind auch Expert/inn/en aus dem Management von Unternehmen vertreten, die in Sachen Gender Mainstreaming als best practice-Unternehmen gelten. Neben dieser Mobilisierung von politikberatenden wissenschaftlichen Einrichtungen setzt die Kommission auf die Strategie, die einzelne Forscherin und die Wissenschaftlerinnen-Netzwerke in den Mitgliedstaaten zur „Europäischen Plattform für Wissenschaftlerinnen“ (Europäische Kommission 2002d: 19) zu vernetzen. Vorbereitet durch die Konferenz „Networking the Networks“ im Jahr 1999 und weitere eingeholte Expertisen (vgl. Study on Networks of Women Scientists Recommendations Report 2003) sowie anschließend durch ein in der Priorität ,Frauen und Wissenschaft‘ des Sechsten Rahmenprogramm gefördertes Projekt beginnt der geplante Aufbau der Plattform (erst) im Februar 2005.
5.3 Politisches Forum und Gender Watch System als Instrumente
57
Durchgeführt wird dieses Projekt vom Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (Center of Excellence Women in Science, CEWS) in Bonn, das zugleich den nationalen deutschen Knotenpunkt für die WissenschaftlerinnenVernetzung bildet und in die nationale Steuerungsgruppe der Helsinki-Gruppe eingebunden ist. Insofern fungiert das durch die deutsche Bundesregierung geförderte Kompetenzzentrum als Vorbild für die Entwicklung nationaler Knotenpunkte.21 Vom Standort Brüssel aus sollen die Zusammenarbeit nationaler Netzwerke für Wissenschaftlerinnen im Sinne eines „networking the networks“ organisiert und dabei die institutionellen Verbindungen der Europäischen Kommission mit politischen Institutionen wie dem Rat genutzt werden. Nach demselben Muster gestaltet sich die Zusammenarbeit der Forschungsadministrationen der Mitgliedstaaten mit der Forschungsadministration der Kommission. Für die Koordination dieser administrativen Akteur/inn/e/n steht im Europäischen Mehrebenenraum insbesondere die so genannte Helsinki-Gruppe „Frauen und Wissenschaft“,22 benannt nach dem Ort ihres ersten Treffens während der Finnischen Ratspräsidentschaft. Die Helsinki-Gruppe ist auf der europäischen Ebene dem Referat ‚Frauen und Wissenschaft‘ zugeordnet. Ihre Aufgabe besteht darin, die Diskussion und den Erfahrungsaustausch über die national unterschiedlichen Gender Mainstreaming-Strategien anzuregen, so dass lokale, regionale und nationale Erfahrungen als best practice-Beispiele auf europäischer Ebene zusammengetragen und ausgetauscht werden können. In vielen Ländern wurden gezielt Maßnahmen zur Förderung von Frauen in der Wissenschaft etabliert – wie die Unterstützung von Netzwerken von Frauen in der Wissenschaft und die Entwicklung von Mentoring-Programmen. Einige Länder haben spezielle Professuren für Frauen in der Wissenschaft geschaffen und Forschungsmittel bereitgestellt. In diesem Zusammenhang ist die zentrale Aufgabe der Helsinki-Gruppe, nach Geschlecht aufgeschlüsselte nationale Statistiken zu erheben und die Datenstrukturierungen anzupassen. Dafür wurde im Jahr 2001 eine eigene Untergruppe „Statistical Correspondents“ eingerichtet. Die ersten Schritte bestanden darin, die Sta21
22
In der Tschechischen Republik und in den Niederlanden war damals die Gründung vergleichbarer Kotenpunkte geplant, so die Auskunft in verschiedenen Interviews. Erst nach Abschluss dieser Untersuchung hat sich die Plattform Women and Science realisiert und ist inzwischen mit aktuelle(re)n Informationen mit einer eigenen Homepage im Netz präsent: www.epws.org. Zum Zeitpunkt der Gründung waren in der Helsinki-Gruppe 15 EU-Mitgliedstaaten sowie 15 mit dem Fünften Forschungsrahmenprogramm assoziierte Länder repräsentiert. Zu den assoziierten Ländern zählten: Bulgarien, Zypern, Tschechische Republik, Estland, Ungarn, Island, Israel, Lettland, Litauen, Malta, Norwegen, Polen, Rumänien, Slowenien und Slowakische Republik. Außer Island, Israel und Norwegen sind alle Länder inzwischen in die EU eingetreten, bzw. werden aller Voraussicht nach im Jahr 2007 folgen (Rumänien und Bulgarien) (vgl. Europäische Kommission 2002b: 13).
58
5 Der institutionelle Rahmen für europäische Politik
tistiken anzugleichen und Indikatoren zu entwickeln, um die Fortschritte bei der Gleichstellung in Einrichtungen der wissenschaftlichen und der industriellen Forschung in den Mitgliedstaaten zu messen und perspektivisch vergleichbar zu machen (Benchmarking). Demnach handelt es sich bei der fachspezifischen Expertise der Helsinki-Gruppe um eher technische Arbeitsmethoden der Verwaltungsmodernisierung als eine der Voraussetzungen zur Umsetzung des Gender Mainstreaming. Die Forschungsadministration bündelt über die Verwaltung hinausgehend politische Initiativen (z.B. das Politische Forum) auf der europäischen Ebene sowie die fachspezifische Expertise zum Gender Mainstreaming. Damit fungiert die Kommission über die Generaldirektion Forschung und deren Referat „Frauen und Wissenschaft“ als eine „Netzwerk-Architektin“ (Héritier 1993: 441). Sie fasst die wissenschaftliche, politische und administrative Expertise zusammen und vernetzt so die Akteur/inn/en aus dem wissenschaftlichen, politischen und administrativen Feld im europäischen Mehrebenenraum.
5.4
Zusammenfassung
Das supranationale Institutionensystem der EU und das damit verbundene Verhältnis zu den Mitgliedstaaten wird in der vorliegenden Analyse als Mehrebenenraum gefasst und auf das Konzept des sozialen bzw. Machtfeldes (Bourdieu) gegründet. In dem europäischen Machtraum entsteht ein inneres Aktionsfeld des forschungspolitischen Gender Mainstreaming. Für die Konstituierung dieses neuen inneren Aktionsfeldes stehen die durch die Aktivitäten der Europäischen Kommission geschaffenen Akteurinnen-Gruppen mit Eigennamen wie Helsinki-, ETAN- und WIRGruppe oder die Europäische Plattform für Wissenschaftlerinnen. Gruppen ins Leben zu rufen, ist konstitutiv für das „politische Feld“ (Bourdieu 2001) und die von ihm ausgehende Definitionsmacht. Mit neuen politischen Klassifikationen schafft politische Definitionsmacht neue Teilungsprinzipien. Politische Teilungsprinzipien sind alles andere als unmotiviert. Sie sind konstitutiv für Gruppen und damit für soziale Kräfte. „Politik ist ein Kampf um Ideen, aber einen ganz besonderen Typ von Ideen, fundamentale Ideen (idées-forces), die als Mobilisierungskraft fungieren.“ (Bourdieu 2001: 51, Hervorh. i.O.) Die Mobilisierungskraft der politischen Definitionsmacht der Kommission ist im europäischen Mehrebenenraum durch das äußere politische Feld vorstrukturiert. Das heißt, die Handlungsoptionen der Kommission werden dadurch ermöglicht und zugleich begrenzt. Im europäischen Machtraum ist die tragende Rolle als Netzwerkarchitektin vor allem auf Kommunikation angewiesen. Ihre Definitionsmacht ist damit
5.4 Zusammenfassung
59
unterhalb politischer Entscheidungsmacht (Regierung) angesiedelt und bleibt daher maßgeblich auf „Kooperationskompetenz“ (Wobbe 2001) angewiesen. Inwieweit Gender Mainstreaming als Mobilisierungskraft, von der Europäischen Kommission ins Spiel gebracht, die von ihr erwarteten mobilisierenden Wirkungen praktisch entfalten kann, wird im Wesentlichen von der Mobilisierungsbereitschaft der Wissenschaftlerinnen in den Hochschulen, den außeruniversitären Forschungseinrichtungen und in den Forschungsabteilungen von Unternehmen in den EU-Mitgliedstaaten abhängig sein. Inwieweit sich die Forscherinnen und Wissenschaftlerinnen in den Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen künftig als neue soziale Gruppierung im forschungspolitischen Mehrebenenraum etablieren werden, ist im Untersuchungszeitraum offen. Absehbar ist, dass die Europäische Kommission, die die Rolle der Netzwerkarchitektin spielt, maßgeblich auf die politische Mobilisierung der europäischen Wissenschaftlerinnen setzt, die sie als Frauen und damit primär über das biologische Geschlecht adressiert. Ob die Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen sich als Frauen ausreichend angesprochen fühlen und politisch mobilisieren lassen, ist ebenfalls offen. Deutlich wird, dass die Wissenschaftlerinnen, die individuell bzw. in der projektierten europäischen Wissenschaftlerinnenplattform kollektiv über die Partizipation an der europäisch finanzierten Forschung entscheiden müssen, dies in einem spannungsreichen Verhältnis tun. Die Partizipation von Frauen wird zwar normativ politisch aufgewertet, doch steht auf der anderen Seite die forschungsökonomische Instrumentalisierung in der Konkurrenz um die Human-Ressourcen, die die EU im Europäischen Forschungsraum für internationale Konkurrenzfähigkeit mobilisieren will. Dafür spricht die thematische Prioritätensetzung im Sechsten Forschungsrahmenprogramm und die politische Legitimation, die das Rahmenprogramm durch die Vision des Europäischen Forschungsraums erfährt, um Europa zur „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbestimmten Wirtschaft der Welt“ (Europäische Kommission 2002a: 9) zu entwickeln. Insoweit finden sich bereits im Ergebnis der Analyse des institutionellen Rahmens für europäische Politik Anhaltspunkte dafür, dass Gender Mainstreaming, wie im Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung gesehen (vgl. Kapitel 2), auf die technokratische Bearbeitung des Problems der Unterrepräsentanz von Frauen in Wissenschaft und Forschung reduziert werden könnte. Wenn die Modernisierung des Verwaltungshandelns nach rein ökonomischen Kriterien erfolgt und Wissenschaftlerinnen in dem Kontext primär instrumentell als Potenzial gesehen werden, das es besser als bisher zu nutzen gilt (Human-Ressourcenargument), dann ist eine Ökonomisierung des Sozialen entsprechend volks- und betriebswirtschaftlicher Kriterien nicht auszuschließen.
60
5 Der institutionelle Rahmen für europäische Politik
Für dieses Ressourcenargument spricht in dem hier untersuchten Fall, dass in den forschungspolitisch zuständigen Institutionen europäischer Politik und Verwaltung traditionell eine relativ hohe Durchlässigkeit zwischen politischen, administrativen wissenschaftlichen und ökonomischen Interessenlagen herrscht (vgl. Rose 1999, Grande 1996). Inwieweit die traditionell hohe Durchlässigkeit unter dem neuen frauen- bzw. gleichstellungspolitischen Vorzeichen des Gender Mainstreaming fortgeschrieben wird, ist eine Hypothese, die durch historische Analysen systematisch zu beleuchten wäre. Im Rahmen der vorliegenden Fallrekonstruktion ist diese Hypothese für die ersten Versuche, Gender Mainstreaming forschungspolitisch umzusetzen, empirisch weiter zu verfolgen. Unter anderem zu dem Verhältnis von Politik und Verwaltungshandeln kommen in den folgenden beiden Kapiteln die Akteurinnen aus dem inneren Aktionsfeld in dem europäischen Machtraum forschungspolitischer Steuerung zu Wort. Als Politikerinnen, Verwaltungsmitarbeiterinnen und Wissenschaftlerinnen sind sie im Implementationsprozess zum Teil erst zu Agentinnen für die Realisierung von Gender Mainstreaming geworden.
6
Die Umsetzung von Gender Mainstreaming in Politik und Verwaltung
Die Realisierung von Gender Mainstreaming wird im Folgenden als soziale Praxis betrachtet – anknüpfend an die „idées-forces“ (Bourdieu) –, die eine Art politisches Selbst-Versprechen enthalten, Kräfte zu mobilisieren, in diesem Fall für Frauen in der europäischen Forschungsförderung. Im politischen und administrativen Feld Kräfte zu mobilisieren heißt, Ziele zu setzen, Strategien zu entwickeln, Optionen zu wählen, kurz: Wirkung zu erzielen. Für die vorliegende Untersuchung bedeutet dies, weiter den Fragen nachzugehen, wodurch Handeln ermöglicht und wodurch Handeln begrenzt wird. In Anlehnung an Bourdieus theoretische Konzepte von Habitus und Feld wird von der Annahme ausgegangen, dass die soziale Praxis sowohl von Veränderung und Wandel als auch gleichzeitig von Trägheit und Stabilität geprägt ist. In dieser sozialen Praxis liegen Möglichkeiten der Realisierung und gleichzeitig ihre Grenzen. Die soziale Praxis wird so als ein transformatives Potenzial gefasst, das immer zwei Seiten hat. Von den Kräfteverhältnissen im Feld hängt ab, was gegebenenfalls realisiert wird und was nicht. Dabei bildet die Geschichte einer Organisation bzw. Institution die eine Seite und das gegenwärtige Alltags- bzw. alltägliche Handeln der Akteurinnen und Akteure die andere Seite derselben Medaille, kurz: der Habitus der Akteure und Akteurinnen und das Feld bilden eine doppelsinnige Relation und bedingen die Realisierungschancen. Eine Möglichkeit, Antworten auf Fragen nach den Realisierungsmöglichkeiten im Zuge der feldspezifischen Realisierung von Gender Mainstreaming zu erhalten, ist die soziale Praxis im inneren Aktionsfeld (des europäischen Mehrebenenraums) zu beobachten. Bei dieser Beobachtung wird auf die unterschiedlichen Sichtweisen von Akteurinnen zurückgegriffen, die in diesem Feld handeln. Die Personen, die im Folgenden zu Wort kommen, haben die im vorherigen Kapitel dargestellten politischen Ereignisse aus nächster Nähe erlebt, so dass auch ihre persönlichen Erfahrungen zum Tragen kommen. Die mit der wissenschaftlichen Konstruktion des Falles vorgenommenen Verallgemeinerungen machen aus den Erfahrungsberichten der Befragten und ihren Reflexionen eine Entwicklungsgeschichte des forschungspolitischen Aktionsfeldes zur Umsetzung des Gender Mainstreaming, dessen soziale Praxis hier interessiert.
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6 Die Umsetzung von Gender Mainstreaming in Politik und Verwaltung
In diesem Kapitel werden die Perspektiven von drei Politikerinnen des Europäischen Parlaments (Interviews der Kategorie A) herangezogen und von vier Verwaltungsfachleuten der Generaldirektion Forschung (Interviews der Kategorie B). Im ersten Unterkapitel geht es um Möglichkeiten politischen Handelns (vgl. 6.1), danach um die Realisierungschancen für Gender Mainstreaming als Querschnittsaufgabe für Verwaltungshandeln (vgl. 6.2) und um „Geschlecht“ als Evaluationsund Selektionskriterium bei der Bewertung von Forschungsanträgen (vgl. 6.3).
6.1
Die Spielregeln des politischen Feldes
Aus der Retrospektive kann die Entwicklung des Aktionsfelds Gender Mainstreaming in der europäischen Forschungspolitik wie ein harmonischer, logisch aufgebauter und strategisch geplanter Prozess erscheinen, in dem es darum ging, die „richtigen“ politischen Weichen zu stellen, um die Strategie des Politischen Forums und die Idee des Gender-Watch-Systems umzusetzen. Dieser Eindruck wird durch die im sechsten Kapitel überwiegend anhand der offiziellen Papiere rekonstruierten Abläufe noch verstärkt, da die Dokumente eine Art „geronnenes“ politisches Handeln repräsentieren. In den Gesprächen mit den Interviewpartner/inne/n erfahren wir jedoch etwas Anderes. Die Realisierung von Gender Mainstreaming wird weniger als ein Prozess dargestellt, der ausschließlich nach sachlogischen und politisch-strategischen Überlegungen funktioniert, sondern vielmehr als ein Zusammentreffen von Ereignissen, die von externen politischen Vorgaben, innerorganisatorischen Faktoren bis hin zu Veränderungen der Personen selbst reichen. Bestimmte Konstellationen eröffnen ein „Gelegenheitsfenster“, durch das diese Personen zu Agent/inn/en für die Implementation von Gender Mainstreaming werden. So berichtet im Folgenden eine langjährige Verwaltungskraft in der Brüsseler Administration, wie es war, als sie im Jahr 1998 eine neue Aufgabe übernimmt, von der sie schließlich „ergriffen“ wird: „Als ich 1998 aus externen Gründen gebeten wurde, etwas für Frauen in der Wissenschaft zu tun – gut, ich begann dann (damit), und es war wirklich dieses Treffen der Wissenschaftlerinnen/Frauenforscherinnen [women scientists], die Leute, die zu all dem gearbeitet haben. Das hat mich ergriffen – ich war (zuvor) nicht überzeugt. Wie Sie sehen, wurde ich wirklich darum gebeten, das zu tun. Meine Vergangenheit (…) war irgendwie gut, um mir ein Gefühl dafür zu vermitteln, Fragen zu stellen und diese Dinge. Das war das, was ich mitgebracht habe. Aber dann lernte ich wirklich, was ich in dem Feld, in den Papieren und in der Frauenmobilisierung vorfand, all die Energie, um den Impuls für Frauen in der Wissenschaft auszulösen“ (B2: 40-48).
6.1 Die Spielregeln des politischen Feldes
63
Als externe, außerhalb der persönlichen Erfahrung liegende politische Voraussetzung für Veränderungen in der Forschungspolitik führt diese Interviewpartnerin eine ganze Reihe von Faktoren auf. Neben der vom Europäischen Parlament und der Kommission veranstalteten Wissenschaftlerinnenkonferenz im Jahr 1998 gehören dazu: – Die rechtliche Verankerung der Geschlechtergleichheit mit den Artikeln 2 und 3 des Vertrags von Amsterdam 1997, – die Mitteilung der Kommission aus dem Jahre 1996 zu Gender Mainstreaming sowie – eine relativ offene Situation, in der das neue Forschungsrahmenprogramm gerade verhandelt wurde, was alle vier Jahre geschieht. Aus dieser internen Sicht der Kommissionsmitarbeiterin (B2) stellt sich die Situation einer „Vier-Jahres-Politik“, also für eine längere Zeitperspektive, als günstige Gelegenheit dar: „Der Punkt ist, (…) wenn du dieses Gelegenheitsfenster hast, eine Vier-Jahres-Politik zu verhandeln, dann ist es ein gutes Gelegenheitsfenster, um es [Gender Mainstreaming] einzuführen. Wenn du eine alljährliche Budgetierungsentscheidung zu treffen hast, wie viel Geld jede Institution bekommt, dann ist es nicht so leicht zu machen. So 1998 hatten wir dieses Gelegenheitsfenster“ (B2: 54-58).
Eine wichtige Rolle schreibt diese Interviewpartnerin wie auch ihre Kollegin (B3) dem Artikel „Vetternwirtschaft und Sexismus im Gutachterwesen“ zu, der 1997 in der international renommierten Zeitschrift „Nature“ erschienenen ist (Wenneràs/ Wold 1997).23 „Es war ein Schlüsselartikel. Und Frau Cresson [Forschungskommissarin 1995-1999] erhielt viele Briefe von Wissenschaftlerinnen, so dass es auch das ist, was ich sage, dass Mobilisierung wichtig ist: Wenn es keine Wissenschaftlerinnen gibt, die Geschlechterungleichheit anklagen, dann gibt es kein politisches Thema. Und wenn die Frauen sagen, da ist kein Problem, dann gibt es kein politisches Thema. So dass die Tatsache, dass es eine Stimme von Wissenschaftlerinnen in der politischen Debatte gibt, wirklich wichtig ist. Und es begann zu der Zeit, dass sie sich mobilisierten“ (B2: 64-68). 23
Wenneràs und Wold untersuchen darin das Peer Review-Verfahren für die Vergabe eines postgradualen Stipendiums des Medizinischen Forschungsrates (Medical Research Committee, MRC), eine der wichtigsten Fördereinrichtungen für biomedizinische Forschung in Schweden. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Erfolgsrate sich deutlich verbessert, wenn jüngere Bewerber/innen und ältere Gutachter/innen beruflich miteinander in Verbindung stehen (Vetternwirtschaft), und dass männliche Bewerber systematisch bessere Bewertungen erzielten als weibliche (gender bias). Die in „Nature“ veröffentlichte Studie rief ein starkes Echo in der Presse hervor und führte in der Peer Review-Forschung zu ähnlichen Untersuchungen anderer Postgraduierten-Stipendien-Programme (vgl. Bornmann/ Daniels 2003: 216). Die Ergebnisse wurden aber nicht mehr repliziert (mündliche Aussage von Allmendinger 2006, die die Befunde als Ausreißer qualifiziert hat).
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6 Die Umsetzung von Gender Mainstreaming in Politik und Verwaltung
Diese Mitarbeiterin der Europäischen Kommission weist hier zum einen politischen Akteurinnen eine große Bedeutung zu, z.B. Edith Cresson als Forschungskommissarin oder an anderer Stelle einer ebenfalls befragten Politikerin (A3). Vor allem aber betont sie, dass die Betroffenen selbst, d.h. die Wissenschaftlerinnen als Akteurinnen des Feldes ihre Interessen vertreten müssen. Darin wird ein Zusammenspiel der Prinzipien top down und bottom up erkennbar, die mit Gender Mainstreaming verbunden sind: Während einflussreiche, politische Akteur/inn/e/n, den Prozess top down in Gang setzen, müssen Betroffene, hier die Wissenschaftlerinnen (vgl. Kapitel 8), sich zusammenschließen und ihr Gewicht als Akteurinnen und Betroffene zugleich bottom up in die Waagschale werfen. Eine Abgeordnete des Europäischen Parlaments (A3) wurde von mehreren Interviewpartnerinnen als wichtige Akteurin für Gender Mainstreaming in der Anfangsphase genannt. Diese selbst beschreibt ihre persönlichen Erfahrungen und die Situation folgendermaßen: „Es wurde mir klar durch meine Einblicke in [Herkunftsland], dass ich keine Wissenschaftlerinnen sah. Und die, die ich sah, erklärten mir, warum ich so wenige sah. Sie erklärten mir, dass da eine gläserne Decke zu sein scheint, dass (…) weibliche Mitarbeiterinnen (…) in der Doktoranden- und Post-Doktoranden-Phase heraus zu fallen scheinen. Und wenn sie einmal die Welt der Forschung betreten, dann werden sie nicht in derselben Weise wie Männer unterstützt. Und ich legte dies ständig im Forschungsausschuss des Parlamentes dar. Und ich muss sagen, dass Frau Edith Cresson, die zu dieser Zeit Kommissarin war, sofort sympathisierte und sagte, ihre Erfahrungen seien dieselben gewesen. Und sie war sehr einflussreich“ (A3: 27-36).
Die Erfahrung, dass es nur wenige Frauen in der Wissenschaft in ihrem Land gibt und subtil wirkende, Karrieren blockierende Faktoren nach wie vor bestehen, motivierte die Parlamentarierin, das Problem auf die Agenda des für Forschung zuständigen Parlamentsausschusses zu bringen. Dass die amtierende Forschungskommissarin das Problem aufgrund eigener Erfahrungen nachvollziehen kann und zugleich einflussreich ist, macht die günstige Gelegenheit aus, Gender Mainstreaming überhaupt erst zu initiieren und als Top Level-Entscheidung vorzubereiten. Es kommen somit verschiedene Faktoren zusammen, vor allem aber eine Austauschmöglichkeit über ähnliche Erfahrungen der Akteurinnen und ihren bisherigen Einsatz für die Verbesserung der Situation von Wissenschaftlerinnen, die im Jahr 1998 eine günstige Gelegenheit entstehen ließen, Gender Mainstreaming in der europäischen Forschungspolitik umzusetzen. Diese Gelegenheit ermöglicht ein strategisches Handeln der Kommission, von ihrem Initiativrecht Gebrauch zu machen und die politische Initiative zu ergreifen. Unterschiedliche Voraussetzungen, die zwar nicht nach einem ausgeklügelten Plan genutzt werden können, aber zusammen ein Gelegenheitsfenster eröffnen, begünstigten dies:
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„All das schuf Bedingungen, mit denen die Kommission tatsächlich etwas beginnen konnte, (…) dass es in der Tat all dieser unterschiedlichen, zur selben Zeit sich ereignenden Voraussetzungen bedurfte, die den Beginn einer Strategie ermöglichten. So würde ich das sagen“ (B2: 73-75).
Zu dieser Strategie gehört die Mobilisierung von Wissenschaftlerinnen. Ihr kommt aus Sicht der Brüsseler Verwaltung ein hoher Stellenwert zu: Ohne Wissenschaftlerinnen, die „die Geschlechterungleichheit anklagen, (…) gibt es kein politisches Thema“ (B2) – und damit auch keine Unterstützung für die Initiativen der Kommission, aber auch nicht ohne die für Geschlechterfragen sensibilisierten Verwaltungspersonen, die die ‚Klagen‘ der Wissenschaftlerinnen aufgreifen, da diese die Fäden ziehen und Verbindungen herstellen, wie die folgenden Aussagen deutlich machen. Wie das weitere Engagement von Politikerinnen des Europäischen Parlaments aussieht, wird im Folgenden aus ihrer Perspektiven dargestellt. Die Interviews mit den Politikerinnen geben detailliert Auskunft über die besonderen Spielregeln sowie die soziale Praxis des politischen Feldes im europäischen Mehrebenenraum. Zur Arbeit der Parlamentarierinnen gehört das regelmäßige Pendeln zwischen ihrem Wahlkreis und anderen Orten in ihren Herkunftsländern (mit Auftritten in lokalen und nationalen Gremien und Veranstaltungen sowie in der Öffentlichkeit) und den Standorten des Europäischen Parlaments in Brüssel und Straßburg, wo die Parlamentsarbeit in den politischen Fraktionen und in Parlamentsausschüssen stattfindet. Für das Thema ,Frauen‘ ist primär der „Ausschuss für die Rechte der Frauen und Chancengleichheit“ zuständig (im Folgenden dem Sprachgebrauch der Befragten folgend als Frauenausschuss bezeichnet). Das formale Prozedere der Ausschussarbeit sieht vor, dass weitere, ebenfalls betroffene Parlamentsausschüsse beratend tätig sind. Im Falle der Forschungspolitik handelt es sich dabei um den „Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie“ (kurz: Forschungsausschuss). In den Interviews weisen die befragten Politikerinnen, aber auch die Mitarbeiter/innen aus der Administration darauf hin, dass eine bestimmte Akteurin, die Politikerin (A3), eine Schlüsselrolle spielte. Um das Parlament für das Thema ,Frauen und Wissenschaft‘ bzw. Forschung zu gewinnen, war zum Zeitpunkt der Vorbereitung der Kommissionsmitteilung (1999) nach Aussage der Interviewpartnerin aus der für Forschung zuständigen Kommissionsdienststelle von zentraler Bedeutung, dass „wir mit [A3], die den Job für uns gemacht hat, eine Art freie Fahrt hatten. Aber, wenn da keine [A3] mehr ist, (…) würde das eine Stagnation verursachen“ (B2: 263-267).
Freie Fahrt meint hier eine personelle Konstellation, bei der im Parlament und in der Forschungsadministration zwischen relevanten Personen ein ‚Gleichklang‘ der Interessen bestand. Die Unsicherheit, „wenn da keine A3 mehr ist“, steht im zeit-
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lichen Zusammenhang mit den zum Interviewzeitpunkt bevorstehenden Neuwahlen des Europäischen Parlaments (im Sommer 2004). Dies unterstreicht die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Forschungsadministration und Parlament, die über Personen läuft. Eine Parlamentarierin (Anfang des Jahres 2005 befragt) ist bereits seit den 1990er Jahren Mitglied im Frauenausschuss. Sie streicht rückblickend und unter veränderten politischen Konstellationen nach der Neuwahl zum Europäischen Parlament die damalige strategisch wichtige Bedeutung der Parlamentarierin (A3) heraus: „Und wir hatten früher den Vorteil, dass mit A3 eine ausgewiesene Expertin, die auch im Forschungs- und Industrieausschuss die Koordinatorin der Sozialdemokratischen Fraktion war, dass die Mitglied war im Frauenausschuss. Und von daher eine gute Vernetzung statt gefunden hat. Das ist jetzt nicht mehr der Fall“ (A2: 68-72).
Diese Politikerin (A2) gehört wie die anderen befragten Politikerinnen der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament an (kurz: SPE-Fraktion). Sie befürchtet durch den mehrheitlich konservativen Wahlausgang negative Auswirkungen und betont die Abhängigkeit von den Mehrheitsverhältnissen und ‚politischen Großwetterlagen‘: „Wir haben auch einen gewissen Rückschlag, sag’ ich mal, für die progressive Frauenpolitik erhalten durch konservative Wahlergebnisse. (…) Das hat sich auch bemerkbar gemacht: Der Vorsitz des Frauenausschusses lag in den letzten Jahren in der Hand von Grünen-Abgeordneten und Sozialdemokratinnen und ist jetzt gewechselt an eine Konservative.“ (A2: 76-81)
Laut A2 existieren im politischen Feld des europäischen Mehrebenenraums verschiedene Lager nicht nur auf parteipolitischer Ebene („konservativ“ und „progressiv“), sondern auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten. Demnach mache es einen Unterschied, „ob jemand aus einem skandinavischen Land (kommt) oder eher aus einem Land, das wenig umsetzen konnte in Gleichstellungsfragen. Da habe ich [eine skandinavische] Vorsitzende erlebt, die eine sehr dynamische und auf Konsensversuche aufgebaute Politik betrieben hat. Und jetzt sind wir eher in der Ausbremserphase für Gleichstellungspolitik“ (A2: 97-101).
Die Abgeordneten der skandinavischen Länder stehen bei den meisten Befragten aus der Administration und dem Parlament für eine fortschrittliche Gleichstellungspolitik. A2 ordnet diese einer „dynamischen und auf Konsensversuche aufgebauten Politik“ zu. Mit einer osteuropäischen Vorsitzenden des Frauenausschusses sieht sie eine „Ausbremserphase“ voraus. Vom Herkunftsland der neuen Vorsitzenden sagt sie, dass dort „wenig umgesetzt werden konnte in Gleichstellungsfra-
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gen“. Ihre Prognose der zukünftigen Gleichstellungspolitik ist daher voller Skepsis. Daran wird deutlich, dass die Politik in den Mitgliedstaaten die europäischen Spielregeln, neben den verschiedenen parteipolitischen Lagern, maßgeblich beeinflusst. Wie mehrfach bestätigt kommt der Parlamentarierin (A3) die Rolle einer Schlüsselperson zu, das Thema Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung 1999 auf die forschungspolitische Agenda gesetzt zu haben. Welche Merkmale zeichnen die Parlamentarierin aus, außer dem, den gleichstellungspolitischen fortschrittlichen Gruppierungen zugeordnet zu werden? Was braucht diese Person, um im forschungspolitischen Konsultationsprozess eine Schlüsselrolle spielen zu können? Die Parlamentarierin selbst ist sich sicher, dass die Zuschreibung ihrer Schlüsselrolle auf einen Bericht zurückgeht, den sie als Berichterstatterin für den Forschungsund für den Frauenausschuss des Europäischen Parlamentes verfasst hatte. Auf der Basis dieser Doppelmitgliedschaft im Frauen- und im Forschungsausschuss bündelt dieser Bericht die Stellungnahmen beider Parlamentsausschüsse. Dass ihr Engagement für die Gleichstellung von Frauen und Männern in der europäischen Forschung erfolgreich sein konnte, liegt ihrer Meinung nach genau darin begründet. Sie berichtet, dass „kein Fortschritt möglich gewesen wäre, wäre ich nur Mitglied des Frauenausschusses gewesen und nicht Mitglied des Forschungsausschusses. Niemand hätte zugehört. (…) Ich denke, wir, der ganze Bericht, wären beiseite geschoben und als etwas nicht Seriöses übersehen worden“ (A3: 85-90).
Diese Aussage erklärt, dass es im europäischen Konsultations- und Entscheidungsprozess Unterschiede in der Bewertung der Relevanz politischer Themen gibt. Die Forschungspolitik wird hoch, die Gleichstellungspolitik dagegen eher niedrig eingestuft, als etwas möglicherweise „nicht Seriöses“. Die personelle Doppelmitgliedschaft in beiden Ausschüssen ist nach Darstellung dieser Parlamentarierin jedoch nicht alleine Ausschlag gebend für den Erfolg. Vielmehr gelang es, das Relevanzdefizit des Themas ,Chancengleichheit‘ auszugleichen, weil „ich einen guten Ruf als ein seriöses Mitglied hatte“ (A3: 100). Eine andere befragte Parlamentarierin bestätigt, dass der persönliche Ruf, den eine Parlamentarierin im Laufe ihrer parlamentarischen Tätigkeit erlangt, (in diesem Fall vermutlich neben ihrer parteipolitischen Couleur und ihrer Nationalität) eine Rolle spielt, weil sonst die Gefahr besteht, dass das Commitment für das Thema ,Frauen‘ als unseriös bewertet wird und leicht beiseite geschoben werden kann. Diese Parlamentarierin sieht sich selbst primär als Frauenpolitikerin etikettiert, d.h. als jemand, bei der die anderen von vorne herein die Erwartung haben, dass „wieder (der) Frauenaspekt (kommt), wissen wir schon.“ (A2)
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6 Die Umsetzung von Gender Mainstreaming in Politik und Verwaltung
Entscheidend für Erfolg oder Misserfolg im politischen Feld ist demnach das Maß an Seriosität und Aufmerksamkeit für Themen, mit denen die Personen identifiziert werden. Für den politischen Erfolg und den Einfluss haftet die als Frauenpolitikerin etikettierte Politikerin immer mit ihrer ganzen Person, mit ihrem „persönlichen politischen Kapital“ (Bourdieu 2001: 15), das in diesem Fall nicht aus der Frauen- sondern aus der Forschungspolitik herrührt. Unmittelbar an die Person gebunden ermöglicht das persönliche politische Kapital ohnehin nur eine langsame Akkumulation – vergleichbar dem Charisma, das eine Person gewinnt. Mit dem Ruf als Frauenpolitikerin ist jedoch die Akkumulationsgrenze erreicht: „Ach, wissen wir schon, da kommt wieder (der) Frauenaspekt“ (A2). Anders die „Forschungspolitikerin“. Sie hat den Ruf des seriösen Parlamentsmitglieds vor allem durch ihre Mitgliedschaft im Forschungsausschuss erworben und verfügt daher nicht nur über ein höheres persönliches politisches Kapital, sondern – und damit verknüpft – kann auch mehr von dem „delegierten politischen Kapital“ nutzen. Das delegierte politische Kapital wird „von einer Organisation und der Gesamtheit der Handlungen ihres politischen Personals“ übertragen, und beruht „auf objektiven Strukturen, aber auch auf einer Geschichte, auf Traditionen und damit letztlich auf den Dispositionen (…), die den Akteuren politisches Handeln ermöglichen“ (Bourdieu 2001: 15). Diese zugeschriebene Autorität, innerhalb der Institution und für die Institution „machtvoll“ zu handeln, ermöglicht es der Parlamentarierin, die Schlüsselrolle zu spielen. Die institutionelle Autorität bzw. das delegierte politische Kapital öffnet auch Türen zu den höheren Etagen, zu den Top-Positionen im Parlament, zur Europäischen Kommission und zur Generaldirektion Forschung. Diese Politikerin (A3) nutzte die „Tatsache“, im Forschungsausschuss eine leitende Funktion inne zu haben: „was mich in die Lage versetzte, es [die Verbindung von Chancengleichheit und Forschung] durch den Ausschuss durchzudrücken. Und natürlich waren meine Verbindungen mit der Generaldirektion Forschung sehr viel enger. Weil ich im Forschungsausschuss war, kannte ich auch den Leiter der Generaldirektion Forschung. (…) Ich griff es übereinstimmend mit der damaligen Forschungskommissarin und mit anderen in der Kommission auf, (…) und mit dem Ministerrat, der der dritte große Partner ist“ (A3: 90-95, 48-49, 54).
Die Politikerin (A3) weist in diesen Aussagen verschiedenen Akteur/inn/en Bedeutung für die Einführung des Themas ,Frauen in der Wissenschaft‘ auf europäischer Ebene zu: dem Leiter der Generaldirektion Forschung, der damaligen Forschungskommissarin Edith Cresson und dem Rat der Europäischen Union (Ministerrat). Nimmt man A3 selbst als Abgeordnete des Europäischen Parlamentes und als Mitglied in verschiedenen Ausschüssen hinzu, treten in diesem Fall und Mo-
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ment alle im Konsultationsprozess zentralen Akteure des politischen Feldes im europäischen Mehrebenenraum in Erscheinung. Für die Vernetzung „absolut fundamental“ sei „die Beziehung, der Ruf und die Verhandlungs- und Diskussionsfähigkeit. (…) Und deshalb ist es der Parlamentarier, dessen Mitgliedstaat sympathisch und möglicherweise von derselben politischen Couleur ist, der beim Rat am meisten erreichen kann. (…) Dann ist die Kommission sehr offen für Beratung und Vorschläge von Leuten, die sie respektiert. Das sind die formalen Institutionen, aber gleichzeitig gibt es die Beratungsgruppen und die Nichtregierungsorganisationen, die von der Kommission konsultiert werden. Und wir hatten Glück mit Women and Science dadurch, dass es ein gut etabliertes Netzwerk von Frauen gab, die sich mit dem Thema befassten, die in der Lage waren, nicht nur die Parlamentarier, sondern auch die Kommission zu beraten“ (A3: 106-114).
Im Konsultationsprozess spielen demnach Faktoren eine Rolle, die sich entlang der Kategorien des persönlichen politischen Kapitals (persönliche Autorität) und des delegierten politischen Kapitals (institutionelle Autorität) einordnen lassen: „Die Beziehung, der Ruf und die Verhandlungs- und Diskussionsfähigkeit“ (A3) der Personen wie auch der Mitgliedstaaten, die „politische Couleur“, der „Respekt“ der Kommission, den sich nicht nur Politiker/innen erwerben können, aber auch „Beratungsgruppen und Nichtregierungsorganisationen“. In diese personelle und institutionelle Vernetzung ist auch das damalige Netzwerk von Frauen eingebunden, „die in der Lage waren, nicht nur die Parlamentarier, sondern auch die Kommission zu beraten.“ Die Einbindung von Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen und Verwaltungsfachfrauen in das personale und institutionelle Netz gibt auch den Ausschlag für die mobilisierende Kraft, die das Thema ,Frauen und Wissenschaft‘ in der damaligen Situation erreichen konnte. Zu der mit den formalen Gremien und Institutionen vernetzten Politik des europäischen Mehrebenenraums gehören neben der Kommission auch der Ausschuss der Ständigen Vertreter (Regierungsebene der Mitgliedsländer), der beim Rat der Europäischen Union angesiedelt und für die Entscheidungsvorbereitungen im Rat bedeutsam ist (vgl. dazu Kapitel 6). „Es sind dann die Experten aus den Mitgliedsländern, die in der Ständigen Vertretung hier in Brüssel pausenlos arbeiten (…), und diese Fachexperten sitzen dann im Rat, in der Ratsarbeitsgruppe und bereiten zum Beispiel das nächste Forschungsrahmenprogramm vor“ (A2: 181-183).
Was die Parlamentarierin (A2) hier beschreibt, ist ein Vorgehen, das man mit Lobbying verbindet. Wie dieses im politischen Alltagsgeschäft funktioniert und welche Möglichkeiten aus dem Blickwinkel der Politikerin bestehen, „um da jetzt einen Genderaspekt rein zu bringen“, führt sie weiter aus:
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6 Die Umsetzung von Gender Mainstreaming in Politik und Verwaltung „Wir sind schon in der Abstimmung mit ihnen [den Ständigen Vertretern des Mitgliedstaates, aus dem A2 kommt]. Das geht über die Fachbereiche, selbstverständlich, und das geht auch darüber hinaus. Das geht in der Feinabstimmung mit dieser Ständigen Vertretung, die ja noch mal die Regierungspolitik hier weiter tragen muss. Wir sind aber auch auf der politischen Ebene in Kontakt, unsere Forschungsleute hier jeweils mit den Forschungsleuten im Deutschen Bundestag. Da gibt es auch eine Abstimmung. Und ich erlebe im Moment als Berichterstatterin [für ein anderes Programm in einem anderen Politikfeld], dass ich mich mit den Berichterstattern und den Experten treffe, aber auch mit der Ständigen Vertretung, um das abzusprechen. Um da jetzt einen Genderaspekt rein zu bringen, wäre es natürlich möglich und nötig, sowohl [das Parlament des Mitgliedstaates, aus dem A3 kommt] zu kontaktieren, als auch die Regierungsebene, also die Ständige Vertretung hier. Und natürlich auch durch unsere Leute (…) im Europäischen Parlament. Die Mitglieder im Forschungsausschuss, wenn die von [Name A2] hören, dann sagen die: Ach wissen wir schon, da kommt wieder (der) Frauenaspekt. Wenn sie aber als unabhängige Vertreter von außen, von den Universitäten, aus der Wissenschaft kommen und einfordern, dass hier auch Gender Mainstreaming angewendet wird, dann hat das noch mal einen anderen Stellenwert. Es passiert tausenderlei an Einflussnahmen und Lobbyarbeit von der Industrie, ob das die PVC-Hersteller sind oder was auch immer, die alle ihre Interessen unterbringen wollen. Nur die Genderfragen haben nicht die starke Außenvertretung. Das ist Außenlobbyarbeit, sage ich mal“ (A2: 190-211).
Der „Frauenaspekt“, der sich unter dem Vorzeichen von Gender Mainstreaming in den „Genderaspekt“ verwandelt hat, lässt bei der Politikerin die Erwartung aufkommen, dass „Vertreter von außen (…) aus der Wissenschaft“ sich einsetzen müssen, und dass diese „Außenlobbyarbeit“ die Politikerin unterstützt, weil die wissenschaftliche Expertise im politischen Feld mehr Anerkennung genießt als eine politische Interessenvertretung von Frauen (für Frauen). Wie wahrscheinlich es ist, dass sich die wissenschaftlichen „Vertreter von außen“ für den „Genderaspekt“ einsetzen, ist eine andere Frage. Die Grenzen des politischen Einsatzes einer Frauenpolitikerin für die Interessen von Frauen in der sozialen Praxis des politischen Feldes werden hier besonders deutlich: „Ach wissen wir schon, da kommt wieder (der) Frauenaspekt“. Die Legitimität einer Politik im Interesse von Frauen muss demnach auch in Zeiten von Gender Mainstreaming nicht nur immer wieder nachgewiesen werden, sondern hat in der Relevanzhierarchie politischer Themen einen niedrigen Stellenwert. Wie legitimationspflichtig oder -bedürftig diese Geschlechterpolitik im forschungspolitischen Feld ist, geht auch aus den Aussagen einer anderen interviewten Politikerin hervor: „Man kann ja nicht eine Politik machen, wo man hineinschreiben (…) in Forschungsprogramme: wenn wir Geldmittel geben, dann müssen in den Forschungsbereichen life sciences oder im Forschungsbereich Informationstechnologie so und so viele Frauen an den Forschungsprojekten beteiligt sein. (…) So funktioniert es natürlich nicht. Sondern es ist wichtig, dass es [Gender Mainstreaming] als Leitidee, als Leitmotiv verankert ist. Und
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dass man von Seiten der Politik immer wieder darauf aufmerksam macht, vor allem durch Datenbestände, durch Analysen, durch Faktoren, wo man nachweisen kann, dass Frauen tatsächlich diskriminiert werden. Oder dass sie tatsächlich nicht die Chancen erhalten, die sie erhalten müssten. Und durch die Aufmerksamkeit, die man in der Öffentlichkeit immer wieder (mit) diesen Themen erregt, auch die Gespräche, die man führen muss in Forschungsbereichen mit Unternehmen, aber auch natürlich mit Universitäten. Dadurch, glaube ich, kann man sehr viel erreichen“ (A1: 25-38).
War bei der einen Politikerin (A2) die „Außenlobbyarbeit“ notwendig, „weil die Genderfragen nicht die starke Außenvertretung“ haben wie andere Themen, so werden aus dem hier formulierten Blickwinkel vor allem die öffentliche Aufmerksamkeit und Gespräche mit Unternehmen und Universitäten als Erfolg versprechend eingestuft, also die politische Überzeugungsarbeit auf der Grundlage harter Fakten. Im Ergebnis der Interviews mit den Parlamentarierinnen, die in der Legislaturperiode 1995-1999 (und z.T. bereits davor) Parlamentsabgeordnete waren, erscheint Gender Mainstreaming im politischen Feld vorwiegend als „Leitidee“ und „Leitmotiv“ (A1), d.h. als ein offenes gleichstellungspolitisches Konzept, das vor allen in der Umsetzung auf einem Diskriminierungsverständnis beruht. Es erweist sich als anpassungsfähig in dem Sinne, dass es relativ problemlos in das politische Alltagsgeschäft von Überzeugungs- und Lobbyarbeit integriert werden kann und die Strukturen und Verhältnisse im Politikfeld nicht antastet. Für die politische Zielsetzung, das Thema ,Frauen und Wissenschaft‘ auf die forschungspolitische Agenda zu setzen, war es wichtig, dass die Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen und Verwaltungsfachfrauen ähnliche Erfahrungen mitbrachten. Zu einem bestimmten Zeitpunkt eine politische Wirkung zu erzielen, wird dadurch ermöglicht, dass individuelle und situative Gelegenheitsfenster für Vernetzungen und damit für kollektives politisches Handeln für ‚neue‘ Personen geöffnet werden konnten. Durch die Analyse der Spielregeln des politischen Feldes lässt sich das Muster: „Wir hatten Glück“ (A 3) beim Thema ,Frauen und Wissenschaft‘ präzisieren: Nicht Glück und Zufall bringen das Thema auf die politische Tagesordnung, sondern Personen in Schlüsselpositionen, die mit forschungspolitischer Kompetenz und persönlichem frauenpolitischen Commitment ausgestattet sind. Auf der Basis der institutionellen Autorität, resultierend aus dem „delegierten politischen Kapital“, gelingt es, die Akteur/inn/e/n und Institutionen des frauen- und des forschungspolitischen Feldes zu verbinden. Dieses Netzwerk von Expertinnen fertigt Expertisen an, gibt Handlungsempfehlungen und berät sowohl das Parlament als auch die Kommission und deren Forschungsverwaltung.
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6 Die Umsetzung von Gender Mainstreaming in Politik und Verwaltung
Gender Mainstreaming im Verständnis der Brüsseler Verwaltung
Die Anpassungsfähigkeit des Gender Mainstreaming Konzepts stellt sich im politischen Feld durchaus auch als ein Vorteil dar. Sie kann sich bei der Umsetzung durch die Forschungsverwaltung jedoch auch nachteilig auswirken. So weist z.B. der Abteilungsleiter (B1) aus der Brüsseler Forschungsadministration, der für das Thema ,Frauen und Wissenschaft‘ zuständig ist, darauf hin, dass „jeder etwas Eigenes darunter verstehen“ kann, was „natürlich sehr bequem“ ist. „Aber es nützt der Sache vielleicht nicht unbedingt. Und ich gebe gerne zu, dass ich auch selbst, wie soll ich sagen, ich mir das so zu recht gelegt habe, wie ich glaube, dass es am meisten Sinn auch für unsere Umsetzung macht“ (B1: 240-243).
Die Bemühung, einen adäquaten Weg der Umsetzung im eigenen Arbeitsbereich zu finden, ist auch bei den anderen aus der Generaldirektion Forschung befragten Verwaltungsmitarbeiterinnen (B2, B3 und B4) zu finden. In ihrer Zuständigkeit für das Thema ,Frauen und Wissenschaft‘ nehmen die vier befragten Personen aus der Administration unterschiedlich hohe Positionen innerhalb der Verwaltung ein: B1 ist Abteilungsleiter, B2 ist Referatsleiterin, B3 und B4 sind zwei Mitarbeiterinnen in der Verwaltung. Die dienstjüngste Mitarbeiterin (B3) ist zum Zeitpunkt des Interviews seit einem dreiviertel Jahr in der Direktion tätig, hatte zuvor aber schon als Expertin für Geschlechterfragen für die Kommission gearbeitet. Die (Vor-)Erfahrungen der Befragten zur Frauenpolitik bzw. zum Gender (Mainstreaming) sind sehr unterschiedlich. Die Bandbreite erstreckt sich von der ausgewiesenen Geschlechterforscherin bis zur Mitarbeiterin, die erst im Verlauf ihrer Tätigkeit ein Commitment für das Thema ,Frauen und Wissenschaft‘ entwickelt. ,Commitment‘ als innere Bindung bzw. Verpflichtung gegenüber der Sache erweist sich im Ergebnis der Interviewauswertungen als eine zentrale Kategorie und liegt in einer großen Bandbreite von (genutzten) Möglichkeiten vor, sich für das Thema innerhalb des je eigenen Arbeitsbereichs einzusetzen. Das Maß des Commitment beruht auf der jeweils erfahrungsvermittelten Haltung gegenüber Geschlechterthemen und kann von völliger Ablehnung (über den instrumentellen Umgang aufgrund der verwaltungsmäßigen Zuständigkeit hinaus) bis hin zu persönlicher innerer Ergriffenheit reichen. Eine solche innere Ergriffenheit kann auch durch Einstellungs- und Wahrnehmungsveränderungen in den Personen selbst bedingt sein, indem sich bei ihnen ein individuelles „Gelegenheitsfenster“ öffnet, das sie zu Agent/inn/en für Gender Mainstreaming werden lässt. Um insbesondere die Grenzen der Realisierungschancen einer politischen Strategie der EU durch die Verwaltung aufzuzeigen, wird im Folgenden das Verwal-
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tungshandeln vorwiegend aus dem Blickwinkel von Agentinnen für Gender Mainstreaming analysiert, die im Prozess zu politischen Gender-Expertinnen werden. Aus der Perspektive dieser Gender-Expertinnen in der Verwaltung ist ein Mangel an Aufgeschlossenheit für das Thema ,Gender‘ bei den Verhandlungspartner/ inne/n gegeben. Diese sind in der Regel Personen in formalen Leitungspositionen, z.B. Vorsitzende von Programmausschüssen für das Forschungsrahmenprogramm, Kommissar/inn/e/n, Leiter/innen der Generaldirektionen und ihrer Abteilungen, Vertreter/innen von Mitgliedstaaten, die innerhalb der Brüsseler Verwaltung arbeiten bzw. dort Lobbyarbeit betreiben, aber auch Politiker/innen im Rat der Europäischen Union, im Europäischen Parlament und in den Mitgliedstaaten. Für eine andere Gender-Expertin (B3), die Gender Mainstreaming als Querschnittsthema sieht, besteht ein fehlendes Commitment bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming und damit „ein Problem auf allen Ebenen der Politikgestaltung“ (B3: 353): „Gender Mainstreaming, das ist ein Querschnittsthema. Es gründet auf einer Kooperationspraxis. Es gründet auch auf Verantwortung, einem Zuwachs an Verantwortung bei Politikern und Politikgestaltern. Der Sinn für Verantwortung ist eine grundlegende Voraussetzung, um beim Gender Mainstreaming Erfolg zu haben. (…) Ich denke, der erste Schritt ist, die Leute dazu zu bringen zu verstehen und Verantwortung in diesem Feld zu übernehmen. Weil ich denke, wenn sie diesen Sinn für Verantwortung haben, wenn sie verstehen, dann nämlich werden sie in der Lage sein, mit anderen zu diskutieren und sich mit den anderen zusammenschließen, um diese Verantwortung zu teilen“ (B3: 360-376).
Dieses Verständnis von Gender Mainstreaming als ressortübergreifendem Querschnittsthema setzt nicht nur eine funktionierende Kooperationspraxis voraus, sondern auch ein Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Bedeutung dieses Themas. Als grundlegende Voraussetzung dafür, die soziale Praxis als Kooperationspraxis zu entwickeln, müssen die Akteure und Akteurinnen zudem über ausreichend „Verfahrenswissen“ (B3) verfügen. Die Gender-Expertin B3 sieht fehlendes Verfahrenswissen, insbesondere auch bei ihren Interaktionspartner/inne/n, die sich selbst als „gender committed“ (B3) sehen. Diese verstehen es ihr zufolge nicht, ihr Commitment, ihr Verständnis und ihren Sinn für Verantwortung mit ihrer formalen Position und Zuständigkeit in der Organisation in Einklang zu bringen und für den Mainstream anschlussfähig zu machen.24 In dieser Kritik liefert die Verwaltungsfachfrau (B3) Optionen für Veränderungen der Gesamtorganisation. Diese müsste am Handeln aller Organisationsmitglieder ansetzen, also an den 24
Die Politikwissenschaftlerin Barbara Holland-Cunz (1996: 167) verweist darauf, dass fehlendes Wissen über Politikprozesse nicht nur ein generelles Informationsdefizit verursacht, sondern gerade bei Geschlechter- bzw. feministischer Politik dazu führen kann, dass mit bestem Willen, aber ohne ausreichendes Verfahrenswissen eingeleitete Initiativen ins Leere laufen.
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Dispositionen, „die den Akteuren politisches Handeln ermöglichen“ (Bourdieu 2001: 15). Der erste Schritt besteht darin, das vorhandene und notwendige Verfahrenswissen so einzusetzen, dass eine Kooperationspraxis hergestellt wird, wodurch Verwaltungshandeln mit politischem Handeln und Institutionen in einem „Politikspiel“ (B2) zusammenwirken. Um in dieses Spiel einsteigen zu können, „musst du sehr gut wissen (…), was du mainstreamen willst. (…) Wenn du denkst, dass du von draußen kommen und Mainstreaming machen wirst. Nein! Es bedarf einer wahren strategischen Allianz zwischen Insidern und Gender-Experten. Du brauchst Leute, die die Voraussetzungen der Gleichstellung der Geschlechter in die Politikmechanismen übersetzen“ (B2: 328-334).
Solchen strategischen Allianzen steht die Organisationsstruktur der europäischen Politik und ihrer Verwaltung entgegen, da sie in relativ fest umrissene Ressorts gegliedert ist. „So lange es die engstirnigen Vorstellungen von Politikfeldern und Kompetenzen (umgeben) mit den Zäunen (gibt): jeder bleibt neutral, sie mischen sich nicht in meine Zuständigkeit ein, kannst du niemals Gender Mainstreaming machen. Weil es horizontal und interdisziplinär ist und viele Zuständigkeitsbereiche ist. (…) Und es ist ein sehr taktisches Zeitalter. (…) Es ist die Unterteilung zwischen Arbeit und Zuständigkeitsbereichen und diese sehr alte Organisationsstruktur und Kultur, die politische Kultur, Organisationskultur, bürokratische Kultur. (…) Das in Frage zu stellen, ist extrem schwierig“ (B3: 352-360).
Die Organisationsstruktur und -kultur in Politik und Verwaltung stellen demnach ein Hindernis dar, um Gender Mainstreaming als Querschnittsansatz zu realisieren und eine Kooperationspraxis zwischen Politiker/inne/n, Verwaltungsfachleuten und Gender-Expert/inn/en zu etablieren. Als besonders hinderlich für Querverbindungen erwiesen sich die eingeschliffenen Verfahren bei Aushandlungsprozessen, weil die jeweiligen Zuständigkeiten der Verhandlungspartner/innen nach separierten politischen Feldern und Ressorts eingeteilt sind und ‚Einmischungen‘ abgewehrt werden. Aus der Perspektive der Verwaltungsmitarbeiterin (B3) ist das Verfahrenswissen zwischen den Verhandlungspartner/inne/n sehr ungleich verteilt, was sie zu Insidern und Outsidern macht. Als Insider sieht sie vor allem Personen in den Top Level-Positionen sowie Positionsinhaber/innen, die über eine lange Zeit hinweg auf europäischer Ebene aktiv sind, denn sie verfügen sowohl über das notwendige „Wissen über die Verfahrensweisen“ (B3) als auch über freundschaftliche Verbindungen. „Da ist eine ganz kleine Zahl an Leuten, die das haben, und das sind alles Männer. Und da sind sehr, sehr wenige Frauen. Da sind einige Newcomer in dem Feld (und) sie haben dieses Wissen nicht“ (B3: 142-145).
6.2 Gender Mainstreaming im Verständnis der Brüsseler Verwaltung
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Vor dem Hintergrund eines mangelhaften Verfahrenswissens erscheint ein Zugang zu den Wissensträger/inne/n und den bestehenden Netzwerken notwendig. Zudem gibt es informelle Wege der Entscheidungsvorbereitung, eine Art informelle Konsultationen: „Weil es bei der Forschungspolitik viele Komitees und Programmausschüsse und jede Art von Experten gibt, die konsultiert werden, um Ideen zu bekommen, die Politikplanung, das Politik-Design zu beobachten, aber auch die Implementation. Es ist tatsächlich extrem wichtig, darin erfolgreich zu sein, diese Leute, die Einfluss auf die Ausgestaltung der Forschungspolitik nehmen, davon zu überzeugen, dass sie die women in science-Priorität unterstützen“ (B3: 420-425).
In dieser Aussage wird ein vielschichtiges Verständnis von „netzwerken“ erkennbar: Erstens erscheint „netzwerken“ als ein informeller Konsultationsprozess, in dem sich die Akteure und Akteurinnen bewegen können müssen. Wenn sie das notwendige Verfahrenswissen nicht haben, bzw. es ihnen vorenthalten bleibt, sind ihre Möglichkeiten beschränkt. Zweitens hat netzwerken die Konnotation, Kontakte aufzubauen, andere für die eigenen Inhalte zu gewinnen und für ihre Verbreitung ein „Schneeballverfahren“ zu installieren. Drittens beinhaltet netzwerken ein Lobbying, wenn es darum geht, in Konkurrenz zu anderen die eigenen Inhalte, das eigene politische Feld oder auch die eigene Person zu positionieren: „Und tatsächlich sind diese Leute hier immer in den Korridoren, betreiben Lobbying, natürlich für Geld, aber auch für Ideen und dafür, welches Politikfeld oder Forschungsfeld ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt wird. Jedenfalls sind sie nicht so desinteressierte Leute, wie sie dich glauben machen wollen. In diesen Komitees sitzen ja die meiste Zeit Forscher wie ich (…). Es ist ein Mix von Leuten. In der Verwaltung ist es auch so. Und all die Forscher, sie sind immer noch Forscher an Universitäten, aber sie sind Berater ihrer alten Minister, sie sitzen in vielen politischen Komitees und so weiter“ (B3: 435-440).
Im Unterschied z.B. zur Parlamentarierin (A2), die den unabhängigen Vertretern aus den Universitäten und aus der Wissenschaft aufgrund ihrer Unabhängigkeit größeren Erfolg beim Einbringen der Gender-Dimension zuspricht, stellt die Mitarbeiterin der Kommission (B3) heraus, dass auch „Forscher nicht so desinteressierte Leute (sind), wie sie dich glauben machen wollen“. Auch sie verfolgen Interessen. Das wird aus Sicht von B3 darin dokumentiert, dass sie sich auf den Fluren der Generaldirektion Forschung wie „zu Hause“ fühlen, dort ein und aus gehen und für sich selbst oder für die Netzwerke, in die sie eingebunden sind, Lobbying betreiben. Lobbying, netzwerken, verhandeln und konkurrieren um die Positionierung von Personen und Themen sind immer wiederkehrende Bezeichnungen für Handlungsmuster im Feld, die sich aus dem Verfahrenswissen der Expertinnen für Gender (Mainstreaming) herausfiltern lassen. Im alltäglichen Verwaltungshandeln und in
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den Aushandlungsprozessen versuchen die professionellen Gender-Expertinnen auch die informellen Kanäle zu nutzen, um Gender Mainstreaming als ressortübergreifenden Ansatz in den politischen Meinungsbildungsprozess einzubringen. Diese ressortübergreifende Realisierung des Gender Mainstreaming-Politikansatzes scheint dabei jedoch vor allem an den institutionellen europäischen Strukturen und damit zusammenhängend an der traditionellen Verankerung der Gleichstellungsthematik in der Beschäftigungspolitik zu scheitern. Die (im folgenden zitierte) Gender-Expertin, die bereits vor einigen Jahren als Beraterin ihrer Ministerin daran gearbeitet hatte, die Ratspräsidentschaft zu nutzen, um Gender Mainstreaming als ressortübergreifenden Ansatz zu implementieren, berichtet, dass im Vorfeld eines solchen Versuchs die meisten Generaldirektionen auf die Aufforderung hin, ihre diesbezüglichen Aktivitäten mitzuteilen, gar nicht reagiert hätten. Dieses Nichtreagieren hängt mit der Delegation der Verantwortung an die traditionell für Gleichstellungspolitik zuständige Generaldirektion Direktion ‚Beschäftigung und soziale Angelegenheiten‘ zusammen. Dies führte dazu, dass die anderen Generaldirektionen meinten, nicht reagieren zu müssen (zur traditionellen Zuordnung von Gleichstellungs- und Beschäftigungspolitik vgl. Kapitel 6; Fuhrmann 2005). „Aber wir kämpften weiter, um den Rahmen des Berichtes auszuweiten. (…) Und wir wollten den Bericht in die Wintersitzung des Rates einreichen, weil die Wintersitzung ein Rat über allgemeine Angelegenheiten [general affairs] und ein „finals council“ ist. Sie entschieden (aber), in die Frühjahrssitzung zu gehen. Das ist besser als nichts, aber es ist nicht der richtige aufgrund der Tatsache, dass die Frühjahrssitzung hauptsächlich die Europäische Beschäftigungsstrategie, das Lissabonziel, diskutiert“ (B3: 217-223, 243).
Zum Stolperstein der Ressortübergreifenden Implementation des Gender Mainstreaming wird ein Strukturmerkmal des Politikprozesses selbst, nämlich die politische Verfahrensweise der halbjährlichen Ratssitzungen. Während die Frühjahrsitzung zu politischen (Einzel-)Themen stattfindet und inhaltliche Entscheidungen getroffen werden (wie die im Zitat angeführte Frühjahrssitzung zum Lissabonziel zu beschäftigungs- und wettbewerbspolitischen Themen), sind die Wintersitzungen für „allgemeine“ Angelegenheiten und umfassende politische Ziele reserviert. Gender Mainstreaming als Querschnittspolitik ist – zumindest aus dem Blickwinkel der Gender Mainstreaming-Expertin (B3) – ein Thema von allgemeinem politischem Interesse. Nur fehlt ihm (bisher) die dafür notwendige Anerkennung und Bedeutung. Daher tritt im geschilderten Fall auch der worst case ein, dass der Mitgliedstaat, der die Ratspräsidentschaft übernimmt, nicht bereit ist, der vorausgehenden Ratspräsidentschaft das follow up zu gewähren, d.h. in diesem Fall, Gender Mainstreaming als Querschnittspolitik den Vorrang zu lassen und Eigeninteressen zurück zu stellen:
6.2 Gender Mainstreaming im Verständnis der Brüsseler Verwaltung
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„Tatsächlich gab die [nachfolgende Ratspräsidentschaft] uns [vorausgehende Ratspräsidentschaft] sehr deutlich zu verstehen, dass sie unseren Gender Mainstreaming-exercises nicht folgen würden, weil diese nicht ihre Priorität waren, dass ihnen der final council egal sei. (…) Deswegen war es mit dem final council so schwierig. Und tatsächlich mussten wir bis zur [Präsidentschaft eines weiteren Mitgliedstaats] warten, die vier Präsidentschaften später war, zwei Jahre, um weiter zu machen“ (B3: 192-198).
Da der Weg über den Rat versperrt war, was hier eine Verschiebung über drei aufeinander folgende, jeweils halbjährliche Ratspräsidentschaften hinweg bedeutet, der so genannten „Troika“ (B3), „mussten wir es auf der Ebene der Kommission machen, darum kämpfen, diesen Paragraphen zu verankern, die Notwendigkeit, Gender Mainstreaming innerhalb des Europäischen Forschungsraumes und innerhalb der Forschungspolitik auf nationaler Ebene und so weiter zu vertiefen. In den Schlussfolgerungen haben wir eine klare Empfehlung, dass die Helsinki-Gruppe stärker unterstützt werden soll“ (B3: 272-276).
Entsprechend heißt es in den Schlussfolgerungen im „Bericht der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie den Ausschuss der Regionen. Bericht zur Gleichstellung von Frau und Mann“ (Europäische Kommission 2004): „Die Fortsetzung der Umsetzung des Gender-Mainstreaming im Europäischen Forschungsraum durch aktive Unterstützung des Netzwerks hochrangiger nationaler Beamter (Helsinki-Gruppe ‚Frauen und Wissenschaft‘)“ wird weiterhin unterstützt (ebd.: 16). „Weitere Fortschritte im Bereich der Geschlechtergleichstellung in der wissenschaftlichen Forschung“ werden im Bericht als „unabdingbar“ dargestellt, „um das Potenzial des Europäischen Forschungsraums voll auszuschöpfen“ (ebd: 14). Dafür sollen „auf EU-Ebene und auf Ebene der Mitgliedstaaten angemessene Ressourcen und entsprechende Unterstützung bereitgestellt werden, um wirksame Mechanismen einzuführen bzw. zu verstärken, die darauf abstellen, Wissenschaftlerinnen aktiver in die wissenschaftliche Forschung und in die Forschungspolitik einzubinden, sowie die Fortschritte bei Maßnahmen zu ermitteln, die durchgeführt werden, um Frauen für eine Tätigkeit in der Wissenschaft zu gewinnen, sie dort zu halten und sie als Wissenschaftlerinnen zu fördern“ (Europäische Kommission 2004: 14).
Den Hinweis, die Helsinki-Gruppe zu unterstützen, die als Empfehlung für die Realisierung eines forschungspolitischen Gender Mainstreaming ergeht, wertet die Expertin aus der Brüsseler Forschungsverwaltung als einen (persönlichen) Erfolg. Dieser beruht auf Geduld und einem langen Atem im Kampf für Gender Mainstreaming und gegen die tradierten institutionellen Grenzen von Politik und Verwaltung. Gemessen an dem Ziel, Gender Mainstreaming als Querschnittspolitik zu verankern und dieses top down als Ratsentscheidung zu implementieren, kommt sie allerdings zu dem ernüchternden Fazit: „Es ist nicht wahr, dass da kein Ergeb-
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6 Die Umsetzung von Gender Mainstreaming in Politik und Verwaltung
nis ist. Aber die Ergebnisse sind so minimal“ (B3: 325). Was bleibt, ist „diese Erfahrung, (die) sehr gut zeigt, dass so lange, wie da ein Mangel an Politikverständnis ist …“ (B3: 276ff). Dieser nicht vollendete Satz fasst das Problem der Umsetzung von Gender Mainstreaming als Querschnittspolitik aufgrund der institutionellen Ressortgrenzen der EU/EG und der beschäftigungspolitischen Fokussierung von Gender Mainstreaming zusammen. Diese minimalen Ergebnisse sind die eine Seite, umso wichtiger sind die praktischen Erfahrungen der Akteurinnen in den Aushandlungsprozessen, in denen sie das notwendige Verfahrenswissen, also eine eigene Professionalität erwerben. Die Unterstützung der Kommission scheint dabei besonders wichtig zu sein, denn sie kann als Wissensträgerin, speziell des Wissens über die Verfahrensweisen gelten, das sie als „Netzwerk-Architektin“ (Héritier 1993) bündelt: „Ohne diese Hilfestellung der Kommission kannst du nicht in sechs Monaten Erfolg darin haben, das sogar auf die Tagesordnung des Rates zu setzen. Weil: sie haben das Wissen, sie kennen die Verfahrensweisen, und natürlich haben sie das Netzwerk in den Institutionen. (…) Und es ist offensichtlich, dass du auf dieser Entscheidungsebene überall sehr gute Freunde brauchst, auf allen Ebenen und in allen Institutionen, in der Kommission, in den Ländern, in der Ständigen Vertretung eines jeden Mitgliedstaates. Überall brauchst du Leute, die dir wirklich helfen können, weil, wenn du auf dieser Entscheidungsebene in deiner Bewegung blockiert wirst, ist es niemals möglich, eine politische Debatte oder Diskussion zu führen“ (B3: 128-139).
Somit sind formale und informelle Verfahren bis hin zum Lobbying, das Wissen, wie Macht und Einfluss verteilt sind, und vor allem das Verfahrenswissen ein besonderes Kapital, auf das sich das Verwaltungshandeln stützt. Folgt man der Idee des Gender Mainstreaming als Querschnittspolitik, die eine „Kooperationspraxis“ (B3) braucht, um ressortübergreifend zu wirken, ist dieses Kapital perspektivisch von hoher Bedeutung. Dem Mangel an Verfahrenswissen im untersuchten forschungspolitischen Gender Mainstreaming-Prozess kann das Erfahrungswissen der involvierten Akteurinnen mit ihrem Gender Commitment entgegenwirken. Soziologische Analysen können dazu einen Beitrag leisten, indem sie das Verfahrenswissen der Gender-Expertinnen nutzen, um aus ihrem Blickwinkel zu sehen, wie Verwaltungshandeln mit politischem Handeln und Institutionen in diesem „Politikspiel“ (B2) zusammenwirken. Um die Realisierungschancen von Gender Mainstreaming in der Forschungspolitik besser einschätzen zu können, darf die Analyse der Forschungsrahmenprogramme und die Anwendung von Gender als Evaluations- und Selektionskriterium bei der verwaltungsmäßigen Bearbeitung nicht fehlen. Wie mit Gender als Kriterium der „Exzellenzauswertung“ (B1) verfahren wird, ist Gegenstand des nächsten Kapitels.
6.3 Geschlecht als Kriterium der „Exzellenzauswertung“
6.3
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Geschlecht als Kriterium der „Exzellenzauswertung“
Mit dem Konzept einer Forschung von, für und über Frauen gilt seit dem Fünften und definitiv mit dem Sechsten Forschungsrahmenprogramm (2002 bis 2006) die Neuerung für das Verwaltungshandeln, auch bei der Bewertung von Forschungsanträgen Geschlecht (Gender) als gleichstellungspolitische „Leitidee“ (A1) zu integrieren. Wie an den Spielregeln des politischen Feldes deutlich wurde, steht das politische Ziel der „Beteiligung der Frauen in Höhe von 40% auf sämtlichen Ebenen der Durchführung und Verwaltung der Forschungsprogramme“ (Europäische Kommission 1999: 11f) unter Legitimationsdruck, denn in Forschungsprogramme der EU kann nicht explizit hineingeschrieben werden: „wenn wir Geldmittel geben, dann müssen in den Forschungsbereichen life sciences oder Informationstechnologie eben so und so viel Frauen auch an den Forschungsprojekten beteiligt sein“ (A1: 28-30).
Das Legitimationsproblem zu lösen und Kriterien dafür zu entwickeln, ob die eingereichten Forschungsanträge „die Überprüfung der Geschlechterfrage rechtfertigen“ (Europäische Kommission 1999), ist Aufgabe der Forschungsverwaltung. Eine eindeutige Zuordnung entsprechender Themen gibt es im Sechsten Forschungsrahmenprogramm nicht. Wie Nina Sartori in ihrer Einschätzung dieses Forschungsrahmenprogramms feststellt, besteht eine eindeutige Zuordnung von Themen der Geschlechterforschung nur beim Förderbereich ‚Wissenschaft und Gesellschaft‘ in der eigenen Forschungsrubrik ,Frauen und Wissenschaft‘ (Sartori 2003: 118, vgl. Kapitel 6.2).25 Damit werden Themen der Geschlechterforschung primär dem Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft zugeordnet und die Geschlechterforschung als politikorientierte Forschung auf Erkenntnisgewinne für politische Entscheidungsprozesse und Öffentlichkeitswirksamkeit abgestellt und dies unter Vernachlässigung anderer wichtiger Gender-Themen wie Arbeit, Migration, Umwelt etc. (vgl. Sartori 2003). Jenseits des Förderbereichs ‚Frauen und Wissenschaft‘, der damit gegenüber diesen Themen aufgewertet wird, setzt das Sechste Rahmenprogramm die Forschungsschwerpunkte auf die Entwicklung neuer Technologien (Informations-, Bio- und Nanotechnologie). Diese sind traditionell von Männern dominiert (vgl. Döge 2001) und auch deren Förderchancen sind mit dieser Priori-
25
Das Thema ,Wissenschaft und Gesellschaft‘ ist der siebten Priorität „Bürger und Staat in der Wissensgesellschaft“ zugeordnet. Sie stellt im Forschungsrahmenprogramm die siebte und damit letzte Priorität dar, für die 225 Millionen des insgesamt 11,285 Mrd. Euro umfassenden Forschungsetats bereit stehen.
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6 Die Umsetzung von Gender Mainstreaming in Politik und Verwaltung
tätensetzung und ihrer finanziellen Ausstattung ungleich höher als in anderen Förderbereichen. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich ein primär ökonomisches Interesse europäischer Forschungsförderung ab. Der „europäische Mehrwert“, den alle geförderten Projekte der EU produzieren sollen, wird ökonomisch legitimiert und als ein entscheidendes Qualitätskriterium bei der Bewertung von Forschungsanträgen gehandhabt. „Das Grundprinzip des europäischen Mehrwerts entspricht gewissermaßen dem der Subsidiarität, nach dem die Aktionen der Europäischen Union (in allen Bereichen) die von den Mitgliedstaaten ergriffenen Maßnahmen ergänzen sollen“ (Europäische Kommission 2002c: 10).
In Ergänzung der Forschungsförderung in den Mitgliedstaaten sollen durch die Forschungsförderung der Europäischen Union Länderkooperationen in der Forschung entstehen, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken.26 Das Gender-Watch-System (Berichtssystem), das die Kommission als zweite Säule neben dem Politischen Forum in den Mittelpunkt ihres forschungspolitischen Gender Mainstreaming-Konzeptes gestellt hat (vgl. Kapitel 5. und 6.), ist aufgrund des Prinzips des europäischen Mehrwerts ebenfalls dem Primat der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Technologieentwicklung etc. unterworfen. Mit Hilfe des Gender-Watch-Systems will die Kommission sicherstellen, „dass der Geschlechterdimension im gesamten Rahmenprogramm Rechnung getragen wird“ (Europäische Kommission 2001a: 17). Für die Entwicklung des Gender-Watch-Systems sind im Fünften Forschungsrahmenprogramm Auftragsarbeiten und Expertisen vorgesehen, die die Entwicklung und Erarbeitung von Benchmarking-Strategien und -Methoden, Statistiken und Indikatoren über die Situation von Frauen in der wissenschaftlichen Forschung und im Privatsektor (industrielle Forschung) ebenso einschließen wie (qualitative) Analysen von Mechanismen, die zur sozialen Segregation von Frauen und Männern in der Wissenschaft führen. Die dafür bedeutsame Arbeit der Helsinki-Gruppe wurde an anderen Stellen bereits herausgestellt. 26
Dafür sind im Sechsten Forschungsrahmenprogramm die Instrumente, „Exzellenznetzwerke“ und „Integrierte Projekte“ neu geschaffen worden. Große länder- und disziplinenübergreifende Forschungsverbünde sollen entstehen, in denen sich z.T. mehr als 40 Forschungseinrichtungen bzw. Hochschulen vernetzen. Ein Forschungsprojekt hat einen „europäischen Mehrwert“, wenn durch die Umsetzung des Projektes über nationale oder lokale Interessen des Projektstandorts hinaus auch ein Nutzen für die Europäische Union entsteht. Für möglichst viele europäische Regionen sollen Forschungsprojekte einen sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen, etc. Vorteil erzielen (Europäische Kommission 2002c).
6.3 Geschlecht als Kriterium der „Exzellenzauswertung“
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Laut Aussagen der Befragten (B2) aus der Generaldirektion Forschung zeichnete sich für sie noch vor der Implementation des Sechsten Forschungsrahmenprogramms ab, dass diese Ziele nicht mit zufriedenstellender „Effizienz“ zu erreichen sind. Für das Berichtssystem sind daher zwei weitere Instrumente entwickelt worden: Die Gender Impact Assessment-Studien (GIA) und später der Gender Action Plan (GAP). Dieser enthält eine Anleitung für Antragsteller/innen von Forschungsprojekten, „dass sie die Gender-Dimensionen berücksichtigen müssen“ (B2: 223). Während sich der Gender Action Plan auf die Bewertung der Qualität im Rahmen der Begutachtung der eingereichten Forschungsanträge bezieht, sollen die Ergebnisse des Instruments ,Gender Impact Assessment‘ (eine Form der Programmevaluation) bei der Planung und Aushandlung der nachfolgenden Forschungsrahmenprogramme einfließen. Diese beiden Aufgaben der Überwachung der Qualitätsbewertung und die Qualitätssicherung fallen in den Zuständigkeitsbereich der europäischen Forschungsverwaltung. Der Abteilungsleiter aus dieser Verwaltung spricht in diesem Zusammenhang von „Exzellenzauswertung“ (B1: 388). Die Exzellenzauswertung beinhaltet die Entscheidung darüber, welche Kriterien als ausreichend anerkannt werden, mit denen die Antragsteller/innen begründen, dass in ihren Projektanträgen „dieses Gender Mainstreaming ein sehr wichtiger Faktor ist“ (B1: 390). Dabei scheint die Frage, welche Forschungsthemen für Gender Mainstreaming offen sind und welche nicht, einen besonders kritischen Punkt darzustellen, insbesondere bei den technologischen, natur- und ingenieurwissenschaftlichen Themenbereichen, die im Fokus europäischer Forschung stehen:27 „Wenn es natürlich Themen sind, bei denen (…) Aspekte des Mainstreaming erforderlich wären, dann (…) ist das auch ein Faktor für die Qualität. Es kann ein Faktor für die Qualität sein, es muss aber nicht ein Faktor für die Qualität sein“ (B1: 368-371).
Die vage Formulierung „kann (…) muss aber nicht“ weist auf die nachrangige Bedeutung von Gender als Qualitätskriterium hin. Bei der Entscheidung darüber, ob in einem Projekt bzw. bei einem Forschungsthema die „Gendersache“ (B1: 27
Für das Frankfurter Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE), das ein Gender Impact Assessment im Bereich ,Umwelt und nachhaltige Entwicklung‘ durchführte, berichten Hayn und Hummel (2002: 3), dass es sehr wohl „eine Fülle an gender-bezogenen Fragestellungen auch in den ‚harten‘ naturwissenschaftlich-technischen Gebieten der Umweltforschung gibt“, dass aber nur in einem von insgesamt 2125 evaluierten Anträgen der Begriff ,women‘ überhaupt aufgetaucht sei. Die insgesamt „ernüchternden“ Ergebnisse ihrer Programmevaluation führen sie maßgeblich auf das Vorherrschen einer „naturwissenschaftlich-technischen, ökonomischen und mono-disziplinären Betrachtung (zurück), die eine Wahrnehmung der Geschlechteraspekte verhindern, weil sie die soziale Seite von Umwelt und Nachhaltigkeit unzureichend berücksichtigen.“
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6 Die Umsetzung von Gender Mainstreaming in Politik und Verwaltung
395) als Qualitätsfaktor überhaupt in Betracht zu ziehen ist, soll der Gender Action Plan als Prüfkriterium greifen, „nehmen Sie mal den Bereich Medizin oder Nanotechnologien. Wenn da der Ansatz zu eingeschränkt ist, und für das spezielle Projekt dieses Gender Mainstreaming ein sehr wichtiger Faktor ist, dann spielt es natürlich eine Rolle. Aber nehmen Sie mal thermonukleare Fusion oder etwas sehr technisch Ausgerichtetes, irgendwelche neuen Flügel bei Flugzeugen oder so, da drängt sich das nicht im ersten Moment auf. Und da werden wir, wenn ein Gender Action Plan fehlt, das Projekt nicht deswegen durchfallen lassen. Dasselbe gilt (…) nicht nur für die Gendersache“ (B1: 388-395).
Hier kann dem Kriterium, ob die Antragsteller/innen die Erwirtschaftung eines europäischen Mehrwerts ausreichend begründen können, Priorität eingeräumt werden. Es können aber themenabhängig auch ethische Kriterien oder das Kriterium der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit oder die Darstellung von Wissenschaft in den Medien relevant sein, z.B. bei Anträgen in der Programmpriorität ‚Wissenschaft und Gesellschaft‘.28 Die damit angedeutete unterschiedliche Gewichtung der Kriterien, die bei der Priorität Wissenschaft und Gesellschaft zwischen Ethik, Politik und Ökonomie etc. liegen und zu denen nun auch Geschlecht gehören kann, erfordert bei der Qualitätsbewertung und Auswahl der Anträge ein Abwägen des Stellenwerts dieser Kriterien untereinander. Die damit zusammenhängende Frage, wie diese forschungspolitisch relevanten Exzellenzkriterien gegenüber wissenschaftlichen Qualitätskriterien zu werten sind, markiert die Grenzen der Kompetenz der Forschungsverwaltung. Denn die Beurteilung der wissenschaftlichen Relevanz und der Qualität von Forschung gehört in den Kompetenzbereich der Wissenschaft. Diese Aufgabe übernehmen in der Regel die Gutachter/innen und wissenschaftlichen Expert/inn/en, von denen die Kommission sich beraten bzw. ihre forschungspolitischen Aktionen und Programme evaluieren lässt. Im Zusammenhang mit dieser Unsicherheitszone des Kompetenzbereichs der Forschungsverwaltung auf der einen und dem Peer Review als wissenschaftlichem Evaluationsverfahren auf der anderen Seite, tritt eine andere Form des Commitment hervor. Hier handelt es sich speziell um die Verpflichtung, die das gegensei28
Zu den Prioritätensetzungen, die auch in den zugehörigen Aktionsplänen mit Aktionen zur „Förderung der wissenschaftlichen Bildung und der Wissenschaftskultur in Europa“, „verantwortungsbewusste Forschung im Zentrum politischer Entscheidungsfindung“ und eine „stärker bürgernah ausgerichtete Wissenschaftspolitik“ festgelegt sind, gehören auch die spezifischen Aktionen (2427) zu „Frauen und Wissenschaft“, die als Forschungspriorität direkt in den Kontext von Wissenschaft und Gesellschaft, Politik, Öffentlichkeit und medialer Vermittlung von Wissenschaft sowie indirekt in den Kontext von Wissenschaft und Ethik gestellt sind (vgl. Kapitel 6.2).
6.3 Geschlecht als Kriterium der „Exzellenzauswertung“
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tige Vertrauen zwischen Geldgeberin (Kommission) und „Vertragsnehmern“ (B1: 358) der geförderten Forschungsprojekte berührt. Diese Form des Commitment und die Grenzen zwischen verwaltungstechnischen und wissenschaftlichen Kompetenzen werden in den beiden folgenden Interviewauszügen deutlich. In ihnen geht es um Öffentlichkeit und den Gender Action Plan als Prüf- und Qualitätskriterien. Beim Kriterium ,Öffentlichkeit‘ müssen z.B. die „Vertragsnehmer“ (B1: 358) nachweisen können, dass sie mit der Öffentlichkeit „kommunizieren und zwar während des Projektes (…). Wenn das nicht zufriedenstellend erläutert ist in dem Antrag, (dann) ist das nicht ein Durchfallkriterium, sondern das wird dann in den Verhandlungen für die ausgewählten Projekte nachgeholt, und die Verpflichtung dann formuliert“ (B1: 356-362).
Eine Verpflichtung gilt auch für Geschlecht als Qualitätskriterium. Geprüft wird sie durch die Frage, ob die eingereichten Anträge einen Gender Action Plan enthalten. Aber: „Wir sind nicht so weit gegangen, bewusst nicht so weit gegangen, dass wir sagen: Ein Projekt, das einen guten Gender Action Plan [hat], kriegt in der Bewertung zusätzliche Noten. Und kommt dann eher durch als ein anderes Projekt, das das nicht hat. Weil wir Wert darauf legen, dass wir sagen: für die Auswahl der Projekte muss vor allen Dingen die wissenschaftliche Exzellenz sprechen. Wir werden aber, wenn es zur Verhandlung eines Projektes kommt, Wert darauf legen, dass die Projekte, die von uns finanziert werden, auch solche Gender Action Pläne haben. Auch wenn sie vorher nicht mit vorgelegt worden sind“ (B1: 344-351).
Was ein „guter“ Gender Action Plan beinhalten sollte, lässt sich einem Arbeitsdokument der Kommission entnehmen (Europäische Kommission 2005: 9f): – erstens die Bestandsaufnahme der aktuellen Situation vor dem Hintergrund der Beteiligung von Frauen sowie von „Gender Aspekten“ (ebd.) in dem jeweiligen Forschungsfeld, – zweitens darauf basierende Diagnosen sowie – drittens konkrete Informationen dazu, wie die „Genderdimension“ (ebd.) in die Forschungsinhalte integriert werden soll. Dokumentiert sind dort auch erste Erfahrungen der Europäischen Kommission mit dem Instrument des Gender Action Plan mit 148 Einreichungen für Projektvorhaben für die Jahre 2003 und 2004, darunter 102 für „Integrierte Projekte“ und 46 für „Exzellenznetzwerke“ aus fünf (nicht näher genannten) unterschiedlichen thematischen Prioritäten. Im Evaluationsverfahren seien 10% der vorgelegten Gender Action Plans als „sehr gut“ und 15% als „nicht zufrieden stellend“ eingestuft worden, während der Großteil (75%) als „angemessen“ bewertet wurde (ebd.).
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6 Die Umsetzung von Gender Mainstreaming in Politik und Verwaltung
Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit ist, ähnlich wie die Vorlage eines akzeptablen Gender Action Plan, offenbar kein zwingendes Qualitätskriterium. Denn beides, die Verpflichtung (Commitment) der Vertragsnehmer und die Kommunikation mit der Öffentlichkeit durch die Geldgeber kann nachträglich eingefordert werden. Wenn aber die vorgeschriebenen Qualitätskriterien (Öffentlichkeit und Geschlecht) zum verhandelbaren Faktor werden können, wie verhält es sich dann mit der „wissenschaftlichen Exzellenz“ (B1)? „Das ist für mich nicht so ganz leicht zu beantworten. Es sind ja nicht wir, die die Projekte aussuchen, sondern wir bitten Experten, (…) sozusagen die besten Projekte unter gewissen Randbedingungen auszuwählen. Und zu diesen Randbedingungen (…) gehört nicht, dass ein hervorragender Gender Action Plan dabei sein muss. Sie werden dazu angehalten. Wenn er nicht dabei ist, fallen die Projekte nicht durch, aber sie werden hinterher gezwungen, einen solchen vorzulegen“ (B1: 376-384).
Deutlich wird, dass die Forschungsverwaltung ihren Part bei der Exzellenzauswertung dadurch erfüllt, dass sie gewisse Rahmenbedingungen setzt, die aus ihren forschungspolitischen Prioritätensetzungen resultieren. In diesem Zusammenspiel zwischen Verwaltungshandeln und wissenschaftlichem Handeln, hier in seiner Form als Gutachten und wissenschaftliche Expertise, wird die Entscheidung darüber, inwieweit Geschlecht als Qualitätskriterium von Forschung heran zu ziehen ist, an die Wissenschaft delegiert. Ausschlag gebend bei der Exzellenzauswertung durch die Forschungsverwaltung wird dadurch das wissenschaftliche Prestige der (einzelnen) Gutachter/innen, das auf der institutionellen Autorität der Wissenschaft gründet, d.h. auf den für das wissenschaftliche Feld spezifischen Dispositionen, die den wissenschaftlichen Akteur/inn/en ihr wissenschaftliches Handeln ermöglichen.
6.4
Zusammenfassung
Wie in diesem Kapitel an verschiedenen Stellen deutlich wurde, wird in Politik und Verwaltung den wissenschaftlichen Expertisen weitgehende Geschlechtsneutralität unterstellt. Dies entgegen empirischen Untersuchungen wie zum Beispiel die Studie von Wenneràs und Wold (1997) zu Nepotismus und Sexismus im Peer Review, die wie dargelegt aufgrund ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit mit dazu beigetragen hat, die Gelegenheitsstruktur für die Implementation von Gender Mainstreaming in der EU-Forschungspolitik vorzubereiten. Für Genderexpertinnen mit dem Commitment für Gender steht jedoch noch aus, ob zum Beispiel mit dem Instrument des Gender Action Plan ein „Denkprozess passiert, der dann auch zum veränderten Handeln führt“ (A2).
6.4 Zusammenfassung
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Folgt man der Vision, dass Gender Mainstreaming nur als Querschnittsaufgabe zu realisieren ist, wie das prägnant in der Stellungnahme der Verwaltungsmitarbeiterin (B3) in der Generaldirektion Forschung zum Ausdruck gebracht wird, dann ist die „Kooperationspraxis“ (B3) dafür die wichtigste Vorraussetzung. Dann müsste sich jedoch nicht nur das politische und das Verwaltungshandeln, sondern auch das wissenschaftliche Handeln grundlegend verändern. Bis dahin dürfte die folgende skeptische Einschätzung des transformativen Potenzials von Gender Mainstreaming ziemlich realitätsnah formuliert sein: „Sagen wir mal, in der Praxis erweist sich manches Unternehmen oder manches Forschungsinstitut als super geschickt, das schön hinein zu schreiben, und dann passiert nichts. Also das ist der Punkt, wie kriegt man das noch (…) unter Kontrolle, dass das Assessment stattfindet, ergebnisorientiert. Und nicht nur, dass man sagt: Oh, jetzt haben wir alle unsere Professoren zum Gender weekend geschickt, und die haben Gendertraining gemacht, und damit hat es sich. Also das soll ja keine Selbsterfahrungsgruppe werden, sondern es soll wirklich dazu führen, dass ein Denkprozess passiert, der dann auch zu verändertem Handeln führt. Und das ist schwierig abzulesen. Aber sicher, wenn man es angeht, kann man es auch evaluieren. Und kann dann auch die Ergebnisse rausfiltrieren“ (A2: 240-250).
Wie die Berücksichtigung der inhaltlichen Geschlechterdimension von Forschung kontrolliert werden kann, zeigen die Instrumente Gender-Aktionsplan (GAP) und das Gender Impact Assessment (GIA), die zur Evaluation EU-geförderter Forschungsprojekte entwickelt wurden. Wie aber die Einblicke in die „Exzellenzauswertung“ (vgl. 6.3) nahelegen, sind hierfür vor allem die Prioritätensetzung in den Forschungsrahmenprogrammen wichtig. Im Sechsten Forschungsrahmenprogramm liegen die Prioritäten eindeutig in den Informations-, Bio- und Nanotechnologien. Die proklamierte Integration von Gender in diese forschungspolitischen Hauptströme weist in Richtung instrumenteller Nutzung von Wissenschaftspotenzialen an der „Schnittstelle (…) Innovation, Forschung und Entwicklung“ (B4). Inwieweit diese Entwicklungen sozial korrigierbar sind, zum Beispiel durch die Vernetzung von Natur-, Ingenieur-, Sozial- und Geisteswissenschaftlerinnen als Genderexpertinnen in Politikberatung, Programmausschüssen und Evaluationsgremien auf der EU-Ebene, ist hier die Frage und auch eine Frage der Bewertung von Erfahrung und Handeln sozialer Akteure und Akteurinnen mit und ohne Gender Commitment, die sich in der europäischen Forschungspolitik und Verwaltung an den verschiedenen, hier aufgezeigten Stellen einsetzen. Die subjektiven Sichtweisen lassen sich in dem Statement zusammenfassen, dass Gender Mainstreaming ohne Druck von unten (z.B. Wissenschaftlerinnenplattform) und von außen (insbesondere der nationalen Forschungseinrichtungen, -organisationen sowie Hochschulen und Unternehmen) als top down Prozess kaum realisierbar ist.
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6 Die Umsetzung von Gender Mainstreaming in Politik und Verwaltung
Die Analyse der Spielregeln des politischen Feldes hat gezeigt, dass verschiedene Initiativen und (individuelle) Gelegenheitsfenster zusammen kommen müssen, um Gelegenheitsstrukturen für ein vernetztes Handeln zu schaffen. Im weiteren Verlauf der Umsetzung von Gender Mainstreaming in der europäischen Forschungspolitik gewinnt der Erwerb und Einsatz von Verfahrenswissen als eine Form institutioneller Autorität des Verwaltungs- und des politischen Handelns an Gewicht. In dem analysierten Zusammenspiel von Verwaltungshandeln und politischem Handeln zeigt sich, wie hinderlich sich die historisch tradierten Strukturen auswirken können, zum Beispiel die Einteilung in Ressorts oder auch der Wettbewerbsprimat in der Forschungspolitik, denen sich die Instrumente und Verfahrensweisen bei der Implementation von Gender Mainstreaming anzupassen haben. Vor dem Hintergrund, dass die europäische Forschungspolitik teils formelle Konsultationsverfahren, teils eher informelle Verfahren der Einbeziehung von Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft praktiziert, stellt sich die Frage nach der Beteiligung von Wissenschaftlerinnen an der Umsetzung von Gender Mainstreaming. Die folgende Analyse gibt dazu Auskunft aus Sicht von Wissenschaftlerinnen, die in der europäischen Forschungspolitik als Genderexpertinnen, also als Wissenschaftlerinnen in der Politikberatung für die europäischen Institutionen tätig waren. Strukturierend sind die Fragen: – Wie setzen Genderexpertinnen ihr persönliches wissenschaftliches Prestige ein? – Welche politischen Wirkungen erzielt die institutionelle Autorität der Wissenschaft? – Wie wirkt wissenschaftliche Autorität im „main drive of innovation“ an der Schnittstelle zwischen akademischer Wissenschaft und industrieller Forschung? Diese Fragen knüpfen an die Strategie der Kommission an, Frauen aus Hochschulen, öffentlichen Forschungseinrichtungen und aus den Forschungsabteilungen privater Unternehmen zu mobilisieren und im Interesse europäischer Forschung zu vernetzen.
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Gender Mainstreaming zwischen Wissenschaft, Politik und Markt
Im Folgenden kommen vorwiegend Wissenschaftlerinnen zu Wort, die in Sachverständigengremien für die Europäische Kommission arbeiteten. Sie sind Professorinnen, verfügen damit über wissenschaftliches Prestige sowie über Erfahrungen als Gutachterinnen. Und sie sind mit der Arbeit in politischen Sachverständigengremien vertraut. Mit der Sachverständigentätigkeit für politische Auftraggeber treten Wissenschaftlerinnen vorübergehend in das politische Feld ein. Es ist eine in der Wissenschaft übliche Handlungsweise, neben der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit als Hochschullehrerin oder Gutachterin für wissenschaftliche Projekte im Peer Review auch als Sachverständige in politischen Expertengremien oder Kommissionen, also für politische Auftraggeber tätig zu werden. Diese Form des cross over zwischen Wissenschaft und Politik findet im nationalen Rahmen auf verschiedenen Ebenen (Bundes- und Landesebene) statt (vgl. Zimmermann et al. 2004: 83ff, 125ff). Im „Machtraum der wissenschaftspolitischen Steuerung“ (ebd.: 27ff; Zimmermann 2000: 18ff) und aus der Perspektive von Politik gehört die wissenschaftliche Politikberatung inzwischen zum ‚business as usual‘. Die Politiker/innen verfügen darin über das politische Mandat und die Entscheidungsbefugnis, während die Wissenschaftler/innen beratend und befristet beitreten, indem sie Problemanalysen anfertigen und den Politiker/inne/n Handlungsempfehlungen in Form wissenschaftlicher Expertisen an die Hand geben. Um die unterschiedlichen Zugänge von Wissenschaftlerinnen zur Politikberatung für die Europäische Kommission exemplarisch zu beleuchten, werden in diesem Kapitel „individuelle Gelegenheitsfenster“ von Wissenschaftlerinnen dargestellt, die das wissenschaftliche und politische Feld sozusagen als Brückenpersonen oder eben cross overs verbinden (vgl. Zimmermann et al. 2004). Dass sich solche Gelegenheitsfenster öffnen und zu einer „Gelegenheitsstruktur“ (opportunity structure) verdichten, ist im untersuchten Fall der forschungspolitischen Implementation von Gender Mainstreaming im europäischen Mehrebenenraum verknüpft mit den Aktivitäten von Politikerinnen und Verwaltungsmitarbeiterinnen.
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7 Gender Mainstreaming zwischen Wissenschaft, Politik und Markt
Zusammen mit Wissenschaftlerinnen bildeten sie ein frauenpolitisches Netzwerk (weitgehend ein Frauennetzwerk), auf dessen Sach- und Fachkenntnisse, Verfahrenswissen und wissenschaftliche Autorität die Europäische Kommission Ende der 1990er Jahre zurückgreifen konnte, um dieses Thema auf die politische Agenda zu setzen. Dabei werden im Folgenden auch Probleme der Wissensvermittlung offenbar, die zum einen aus dem unterschiedlichen Fachwissen der Wissenschaftlerinnen in den Expertengremien resultieren und zum anderen daraus, dass die Europäische Kommission als politische Auftraggeberin die wissenschaftlichen Expertisen öffentlichkeitswirksam darstellen will. Auf der Grundlage dieser Analyse werden dann die Realisierungschancen für Gender Mainstreaming in der Forschungspolitik abschließend bewertet.
7.1
Wissenschaftlerinnen in der Politikberatung
In der Politikberatung ist es üblich, bei der Zusammenstellung von Expertengremien zunächst eine Person zu benennen, die den Vorsitz übernimmt und weitere Mitglieder im Konsultationsprozess mit der Politik beruft. Diese allgemeine Rekrutierungspraxis stellt auch in der untersuchten europäischen Forschungspolitik die Regel dar. Wie in anderen empirischen Untersuchungen herausgearbeitet, ist es Wissenschaftler/inne/n, wenn sie ad hoc gefragt werden, warum gerade sie als Expert/inn/ en berufen wurden, häufig nicht möglich, dafür die ausschlaggebenden Gründe zu nennen. Der Ruf erscheint ihnen oft wie reiner Zufall. Das Phänomen Zufall findet sich auch bei Wissenschaftlerinnen, die in Sachverständigengremien der Europäischen Kommission politikberatend zum Thema ,Frauen in der Wissenschaft‘ bzw. ,Frauen in der industriellen Forschung‘ tätig wurden. Für die im Folgenden zu Wort kommende Wissenschaftlerin (C1) stellt es sich so dar, als sei sie „da total durch Zufall hinein gekommen“, und für C2 gar wie ein Unfall: „It was an accident“. Wie bereits für die „individuellen Gelegenheitsfenster“ von Akteurinnen aus Politik und Verwaltung gezeigt, steckt in solchen Zufällen eine Verkettung politischer Ereignisse und personeller Konstellationen, die sich zu einer Gelegenheitsstruktur für politisches Handeln entwickeln (können). Im europäischen Mehrebenenraum hat sich bis Ende der 1990er Jahre die politische Gelegenheitsstruktur für die Thematisierung von Gender und Gender Mainstreaming in der Forschungspolitik herausgebildet (vgl. insbes. Kapitel 5), in die auch Wissenschaftlerinnen als Politikberaterinnen einbezogen werden. Wie sich an den folgenden ‚Gelegenheits-
7.1 Wissenschaftlerinnen in der Politikberatung
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fenstern‘ einer Naturwissenschaftlerin (C1) und einer Sozialwissenschaftlerin (C2) verdeutlichen lässt, haben Gelegenheitsstruktur und Gelegenheitsfenster jeweils eine Vorgeschichte, bei der sich jedoch sowohl der Zugang zur Politikberatung für die Europäische Kommission als auch das Interesse am Thema ,Frauen in der Wissenschaft‘ unterschiedlich darstellt. Für das individuelle Gelegenheitsfenster der Naturwissenschaftlerin (C1) zum Beispiel, die „da total durch Zufall hinein gekommen“ ist, spielt ein Anliegen schon länger eine Rolle: „Grundsätzlich war mein Anliegen immer – wenn Sie sich ansehen, was ich in diesem Feld veröffentlicht habe – mehr Frauen in Toppositionen zu bekommen, und weniger Aspekte wie Gender und Forschung. Diese kamen mehr aus den Sozialwissenschaften. Also müssen Sie verstehen, ich bin eher eine Wissenschaftlerin, nein, eine [naturwissenschaftliche Fachdisziplin], sollte ich sagen“ (C1: 38-43).
Die Erhöhung der Anzahl von Frauen in den wissenschaftlichen „Toppositionen“ ist der Naturwissenschaftlerin auch heute noch wichtig, wobei sie sich nicht als Spezialistin für „Gender und Forschung“ sieht. Als Angehörige einer hoch bewerteten naturwissenschaftlichen Teildisziplin und als in dieser Fachcommunity sehr angesehene Wissenschaftlerin grenzt sie sich vielmehr gegenüber den Sozialwissenschaften ab, die sich in der Geschlechterforschung (auch) mit dem Thema ,Frauen in Wissenschaft und Forschung‘ befassen, die diese Naturwissenschaftlerin (C1) für sich jedoch als irrelevant erachtet. Eine Mitarbeiterin der Generaldirektion Forschung wird jedoch auf sie aufmerksam, weil diese Naturwissenschaftlerin sich mit ihrem wissenschaftlichen Prestige in einem Zeitschriftenartikel Anfang der 1990er Jahre fachöffentlich für Frauen und Frauenförderung einsetzte. Diese Mitarbeiterin ist zu diesem Zeitpunkt damit beauftragt, eine Konferenz vorzubereiten, die auf die Situation von Frauen in der wissenschaftlichen und technologischen Forschung der Europäischen Gemeinschaft aufmerksam machen soll. Die Mitarbeiterin „rief mich an und sagte: Also, ich habe den Auftrag dies zu tun und ich (…) habe Ihren Artikel gefunden (…) Würden Sie kommen und auf dem Treffen reden?“ (C1: 82-85)
Die Forschungspolitik der EU ist zum damaligen Zeitpunkt (etwa im Jahr 1992) auf die Verknüpfung mit anderen Gemeinschaftspolitiken, insbesondere mit der Strukturpolitik angelegt. Gender Mainstreaming ist als gleichstellungspolitische Strategie der Generaldirektion Forschung damals noch nicht in der Diskussion. Auf der ersten Konferenz im Jahr 1993, eine zweite Konferenz folgt 1998, kommen Wissenschaftlerinnen als Expertinnen aus verschiedenen Mitgliedstaaten sowie Mitglieder der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments
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7 Gender Mainstreaming zwischen Wissenschaft, Politik und Markt
zusammen, um die Aufmerksamkeit für das Thema „Women in Scientific and Technological Research in the European Community“ zu erhöhen (European Commission, Directorate General XII, Science, Research and Development 1993). Dieser ersten Konferenz ging 1988 eine Entschließung des Europäischen Parlaments voraus, in der darauf hingewiesen wird, dass „die unzureichende Vertretung von Frauen in der Wissenschaft zu den aktuellen Themen gehört und konkrete Fördermaßnahmen erforderlich macht“. Sie ist mit der Aufforderung an die Mitgliedstaaten verbunden, „positive Maßnahmen zur Förderung der Präsenz von Frauen auch auf höchster Ebene der Universitäten und Forschungsinstitute zu unterstützen“ (Europäische Kommission 2001c: 2; ETAN-Bericht). Diese Konferenz, sagt die Wissenschaftlerin im Interview: „war für mich, und ich glaube auch für die Kommission, der Anfang des Themas“ (C1: 126ff). Im Ergebnis ist es aus ihrer Sicht durch die Konferenz gelungen, „die Aufmerksamkeit der Leute zumindest auf einige der Dinge zu richten, die getan werden mussten. Denn, ich meine, wir bemerkten an dem Punkt das Fehlen von Statistiken, das Fehlen von Frauen in Ausschüssen und was getan werden sollte, das Fehlen, das Bedürfnis nach jemandem in der Kommission, der sich um diese Dinge kümmert“ (C1: 107-114).
Zum damaligen Zeitpunkt wird das Thema ,Frauen‘ im politischen Meinungsbildungsprozess auf der europäischen Ebene kaum als forschungspolitisches Problem wahrgenommen. Es mangelt nicht nur an Verfahrenswissen, „was getan werden sollte“, sondern auch an der Übernahme von politischer Verantwortlichkeit für die festgestellten Defizite. Aus Sicht dieser Expertin aus der Wissenschaft, die bereits in den Anfängen des Meinungsbildungsprozesses beteiligt war, sieht es so aus, als seien in der Zeit zwischen der ersten Konferenz (1993) und der zweiten Konferenz (1998) keine Fortschritte gemacht worden, wobei sie einräumt, es „kommt darauf an, wie man es sieht“. Für sie gerät ein Fortschritt erst zu dem Zeitpunkt in den Blick, als sie selbst um das Jahr 1998 wieder die politische Bühne betritt, indem sie die Kommission berät und Handlungsempfehlungen gibt. Politikberatung durch Expertinnen aus der Wissenschaft sieht sie insgesamt in einem sehr positiven Licht und bewertet sie als ein wirksames Instrument für Veränderungen, da die Kommission die Handlungsempfehlungen beider Konferenzen „wirklich ernst nahm (…). Nicht nur ernst in Hinsicht auf das, was wir über akademische Wissenschaft gesagt haben, sondern auch in Hinsicht auf die Kommission selbst. Denn (…) dort war es das Gleiche. Ich denke, eine von 50 Toppositionen [in der Kommission] war zu dem Zeitpunkt von einer Frau besetzt. Und sie wurden sensibilisiert dafür. Und dann haben sie auch begonnen, etwas dafür zu unternehmen. Und ich würde sagen, dass die EU sich in beispielhafter Weise um solche Dinge gekümmert hat“ (C1: 323-331).
7.1 Wissenschaftlerinnen in der Politikberatung
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Dass die Kommission für dieses Thema sensibilisiert wird und Verantwortung übernimmt, sieht sie als Fortschritt, der auf die Politikberatung zurückzuführen ist. Ein Erfolgsnachweis ist aus ihrer Sicht, dass der Frauenanteil in den Beratungs- und Gutachtergremien steigt und das politische Handeln der Kommission und der Generaldirektion Forschung sich verändert hat. Die Generaldirektion Forschung schätzt sie ein als „extrem gut darin, die Mitteilung zum Mainstreaming zu nehmen und darauf aufzubauen und sicherzustellen, dass sie sich in ihren Ausschüssen widerspiegelt, sicherzustellen, dass es sich in ihren Gutachtergremien widerspiegelt. Und ich glaube, dass im Moment in ihrem sechsten Rahmenprogramm jeder ein bisschen darüber schreiben muss, welche Implikationen das – ich meine die beantragte Forschung – in Bezug auf Gender hat“ (C1: 355361).
Angesprochen ist hier das Ziel des 40%-Anteils von Frauen in allen Beratungs-, Evaluations-, Programm- und Gutachterausschüssen der Forschungsrahmenprogramme. Dieses Ziel wurde erstmals in dieser Kommissionsmitteilung formuliert ebenso die von den Antragsteller/inne/n verlangten Begründungen, warum ihr Forschungsthema die Berücksichtigung der Geschlechterdimension rechtfertige (oder auch nicht rechtfertige). Es wurde dann mit dem Gender Action Plan (GAP) umgesetzt (vgl. insbesondere 6.3). Diese Wissenschaftlerin (C1) geht folglich nicht davon aus, dass Politikberatung automatisch Wirkungen entfaltet. Die Aufgabe der Umsetzung verortet sie bei der Politik bzw. der Generaldirektion Forschung als der Exekutive. Aus diesem Blickwinkel ist die wissenschaftliche Politikberatung aber nur am Rande in die politische Umsetzung einbezogen. Die Sozialwissenschaftlerin (C2), die die politische Bühne zu einem anderen Zeitpunkt betritt als die Naturwissenschaftlerin, hat auch einen ganz anderen Zugang zur wissenschaftlichen Politikberatung. Anders als die Naturwissenschaftlerin, die 1993 und auch später die Chance nutzt, ihr Wissen über die Situation von Frauen in den Naturwissenschaften einzubringen und dafür ihr Prestige als angesehene Naturwissenschaftlerin einsetzt, erscheint ihr der Ruf aus der Generaldirektion Forschung 1998 zunächst nicht als eine Chance: „It was an accident“: „Sie (…) nahmen mich sozusagen an als jemand, die einiges über Mainstreaming wusste. Und seitdem konnte ich nicht mehr entkommen“ (C2: 53f.).
Im Gegensatz zur Naturwissenschaftlerin, die von keiner Verbindung zur Frauenbewegung berichtet, war die Sozialwissenschaftlerin der Frauenbewegung verbunden. Ihre Arbeit als Wissenschaftlerin grenzt sie jedoch davon ab: „Aber das waren zwei getrennte Dinge, die in meinem Leben vor sich gingen“ (C2: 22).
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7 Gender Mainstreaming zwischen Wissenschaft, Politik und Markt
Auch diese Wissenschaftlerin kam bereits Anfang der 1990er Jahre zu „einigen Arbeiten für die Europäische Kommission“. Damals richtet die Abgeordnete Nicole Fontaine29 die Anfrage an das Europäische Parlament, welcher Anteil des Geldes, das die Europäische Kommission im Bereich von Ausbildung, Weiterbildung und Beschäftigungspolitik ausgibt, auf Frauen entfällt. Die interviewte Sozialwissenschaftlerin, deren Schwerpunkte in der Arbeitsmarkt- und Bildungsforschung liegen, erhält den Auftrag, dazu eine Expertise anzufertigen. Darin kommt sie zu dem Schluss, dass die bisherigen Maßnahmen „die Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern (verstärken). So dass Männer, die bereits über technische Qualifikationen verfügen, sehr teure Weiterbildungen bekommen, die ihr Leben verändern. Frauen, die über geringe berufliche Qualifikationen oder Ausbildung verfügen, bekommen etwas an Weiterbildung, was sie in ihrer Karriere nicht weiterbringt“ (C2: 34-39).
In der Rückschau wird dies für sie zum Ausgangspunkt dafür, sich mit verschiedenen Modellen der Gleichstellung bzw. Chancengleichheit auseinander zu setzen und „mit diesen Leuten“ über spezielle Frauenfördermaßnahmen zu sprechen. Als die Generaldirektion Forschung 1998/1999 anfängt, die Mitteilung zum Mainstreaming „Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politische Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft“ (Europäische Kommission 1996) forschungspolitisch umzusetzen, und „begann, sich dafür zu interessieren, (…) bewegte ich mich von Arbeitsmarktpolitiken allgemein spezieller dahin, insbesondere Frauen in der Wissenschaft anzusehen“ (C2: 42-46).
Die Diskussion über ihre arbeitsmarktpolitische Expertise mit den in der Kommission Zuständigen bringt sie dazu, über neue gleichstellungspolitische Instrumente und Modelle nachzudenken. Etwa zeitgleich kommt im wissenschaftlichen Diskurs, in den sie als Sozialwissenschaftlerin eingebunden ist, das Thema ,Gender Mainstreaming‘ auf. Beides, die Veränderungen im wissenschaftlichen Diskurs und die thematische Verschiebung „von Arbeitsmarktpolitiken“ zum Thema „Frauen in der Wissenschaft“ führen zu einer Spezialisierung, durch die sie in der Rolle der politikberatenden wissenschaftlichen Expertin auch mit der europäischen Forschungsadministration über Gender Mainstreaming ins Gespräch kommt. 29
Die Französin Nicole Fontaine, die über einen christlich-liberalen Parteienhintergrund verfügt, ist seit 1984 Mitglied des Europäischen Parlaments. Im Jahr 1989 wird sie eine der Vizepräsident/innen, 1994 dann Erste Vizepräsidentin. Von 1999 bis 2002 ist Fontaine Präsidentin des Europäischen Parlaments. In dieses Amt kam sie als Kandidatin einer der Parteien der Europäischen Volkspartei (EVP), die 1999 die Mehrheit der Mandate erringen konnten (http:// wikipedia.org/wiki/Nicole_Fontaine, Zugriff am 31.10.2004).
7.2 Die Vision einer „geschlechtsneutralen Wissenschaft“
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An diesem Beispiel eines sich öffnenden Gelegenheitsfensters wird deutlich, wie die unterschiedlichen individuellen Gelegenheitsfenster zur Voraussetzung für die Entwicklung der politischen Gelegenheitsstruktur bei der forschungspolitischen Umsetzung von Gender Mainstreaming Ende der 1990er Jahre werden. Es zeigt sich auch, wie sich „Interessensobjekte“ (Bourdieu; vgl. Kapitel 2) verändern, indem (subjektive) Forschungsinteressen mit (objektiven) Veränderungen des forschungspolitischen Feldes Verbindungen eingehen. So ist es kein Zufall bzw. Unfall („it was an accident“), dass sich die Generaldirektion Forschung an die Expertin für Gender Mainstreaming wendet, die zuvor schon für die Generaldirektion Beschäftigung tätig war, also in derjenigen Generaldirektion, in der die Gleichstellungspolitik traditionell verankert ist. Mit der Implementation von Gender Mainstreaming in die Forschungspolitik steigt der Beratungsbedarf bei den Akteur/inn/en in der europäischen Politik und Forschungsadministration. Sie suchen daher ihren Mangel an Verfahrenswissen bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming mit einer erhöhten Nachfrage nach Genderexpertisen auszugleichen.
7.2
Die Vision einer „geschlechtsneutralen Wissenschaft“
Der Name ETAN steht für „European Technology Assessment Network (ETAN), (Europäisches Technologiebewertungsnetz) zum Thema ‚Frauen und Wissenschaft‘“ (im Folgenden zitiert als Dokument der Europäische(n) Kommission 2001c) und für eine Gruppe, die im forschungspolitischen Aktionsfeld zum Gender Mainstreaming von der Europäischen Kommission als erstes Sachverständigengremium mobilisiert wurde. Die ETAN-Gruppe liefert die grundlegenden Ideen für die Kommission, das Gender Mainstreaming forschungspolitisch umzusetzen (vgl. Kapitel 6.3). Wie bei politikberatenden Gremien üblich, ist auch die ETAN-Expertinnengruppe zeitlich und thematisch begrenzt. Bei aller Sachorientierung ist sie mit dem Problem konfrontiert, die Ziele ihrer politischen Auftraggeberin berücksichtigen zu müssen, damit ihre Handlungsempfehlungen auf politische Akzeptanz stoßen. Das Ziel der europäischen Forschungspolitik ist dabei die Verknüpfung zweier durchaus widersprüchlicher Ziele, nämlich den ökonomisch „sinnvollen Einsatz der Humanressourcen“ und die politische Norm der Chancengleichheit von Frauen und Männern in Wissenschaft und Forschung. Damit sollen, wie es im ETANBericht weiter heißt, „einige der speziell für Frauen bestehenden Nachteile beseitigt werden“ (Europäische Kommission 2001c: 2).
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7 Gender Mainstreaming zwischen Wissenschaft, Politik und Markt
Mit Blick auf die Forschungseinrichtungen und die Hochschulen wird mit dem ETAN-Bericht eine Ursachenanalyse vorgelegt, in der die Expertinnen überholte Strukturen des Wissenschaftsbetriebs konstatieren, die Vorteile für Männer und Nachteile für Frauen beinhalten. Die üblicherweise nicht explizierten Vorteile für Männer und nicht nur die Benachteiligung von Frauen zu thematisieren, ist in den Augen der Expertinnen des ETAN-Berichts „zweifellos provokativ“ (Europäische Kommission 2001c: 5). Doch soll „kein spezielles Plädoyer zu Gunsten der Frauen gehalten werden. Vielmehr soll die ungerechtfertigte Bevorzugung der Männer verdeutlicht werden, die sich aus der derzeitigen Organisation der Wissenschaft ergibt. Es geht um eine wirkliche Gleichbehandlung von Mann und Frau, um eine wahrhaft geschlechtsneutrale Wissenschaft“ (Europäische Kommission 2001c: 5).
Der Bericht belegt mit Statistiken die Unterrepräsentanz von Frauen und führt dies auf tradierte Strukturen der Arbeitsteilung und Entlohnung zurück. Die ETANExpertinnen spüren zudem den subtilen Wirkungen des tradierten Verhaltens und den kulturellen Mustern nach. In den Ursachenerklärungen für das Phänomen der fehlenden Frauen in Spitzenpositionen der Wissenschaft und Forschung beziehen sie sich an vielen Stellen auf wissenschaftliche Thesen, wie die „leaky pipeline“ (ebd.: 19). Danach „versickern“ Frauen im Verlaufe einer wissenschaftlichen Laufbahn und gehen der Wissenschaft verloren. Einer geschlechtsneutralen Wissenschaft, wie sie die ETAN-Expertinnen vorschlagen, widersprechen solche subtilen Mechanismen, weil sie lediglich wissenschaftliche Karrieren befördern, die den tradierten männlichen Karrieremustern am nächsten kommen. Den politischen Auftraggebern zu erklären, warum Frauen in leitenden Positionen der Forschung so selten sind, und dies nach außen zu vermitteln, ist ein Problem, von dem alle interviewten Wissenschaftlerinnen berichten. Aber auch intern, also zwischen den Gruppenmitgliedern, muss erst eine gemeinsame Wissensbasis für die dargestellte Problemanalyse in der Expertise hergestellt werden. Über die Notwendigkeit von statistischen Belegen herrscht in den Sachverständigengremien Konsens. Allerdings kann es bei der Einschätzung der Qualität statistischer Nachweise und ihrer Reichweite notwendig werden, sich zunächst in der jeweiligen Gruppe selbst auf eine gemeinsame Argumentations- und Ausgangsbasis zu einigen und sich erst dann nach außen an die Politik zu wenden. „Wir müssen die Statistiken haben, wir müssen sehen, wie die Muster sind, um Leute überzeugen zu können. Und da sind die Mitglieder unserer eigenen Gruppe eingeschlossen, die nicht glauben, dass es dort ein Problem gibt. (…) Am Ende, denke ich, war es interessant, dass diese Wissenschaftlerinnen,(…) was auch immer ihre Position war, als wir das Projekt starteten, am Ende (…) in der Lage waren, die Barrieren zu identifizieren, die
7.2 Die Vision einer „geschlechtsneutralen Wissenschaft“
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Hindernisse, die Arten, in denen es indirekte Diskriminierungen in den Universitäten gab, in den Forschungsinstituten, in der Weise, wie Mittel zugeteilt wurden. Und natürlich waren sie alle sehr einflussreiche Frauen, daher war das, denke ich, ein sehr guter Weg, um ein Bewusstsein zu wecken“ (C2: 111-114, 119-128).
Verständigungsbedarf besteht auch im Umgang mit den eigenen Erfahrungen als Wissenschaftlerinnen. Die Erfahrungen der Gruppenmitglieder an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen in den verschiedenen Ländern und Fachdisziplinen sind sehr unterschiedlich. Hinzu kommt, dass das wissenschaftliche Feld, dem die Wissenschaftlerinnen selbst angehören, Gegenstand ihrer Analyse ist, was ihnen sowohl Abstraktion von ihren individuellen Erfahrungen als auch Reflexion darüber abverlangt. So kann sich in einer neu zusammengesetzten Expertinnengruppe herausstellen, dass „Wissenschaftlerinnen (…) auf ihre eigenen individuellen Erfahrungen zurückgreifen und denken werden, dass diese typisch sind, und denken, dass das für jeden so ist. Und ich habe versucht zu sagen (…), eure Erfahrungen sind möglicherweise nicht typisch. Geht wissenschaftlich mit dem Thema Frauen in der Wissenschaft um. Anekdoten und persönliche Meinungen können bestimmte Punkte sehr interessant veranschaulichen, aber sie sind nicht genug. Und so kam es, dass wir begannen, den Schwerpunkt darauf zu legen, Befunde („evidence“) zu sammeln, zu gucken, was anderswo gemacht worden war“ (C2: 182190).
Das Heranziehen anderer, in wissenschaftlichen Untersuchungen aufgearbeiteter Erfahrungen, um damit das eigene Alltagswissen zu objektivieren, kann an die fachkulturellen Grenzen innerhalb einer Sachverständigengruppe stoßen. So bestehen z.B. Differenzen in der wissenschaftlichen Problemanalyse zwischen Wissenschaftlerinnen, die qualitativ arbeiten, und Wissenschaftlerinnen, die quantitativ arbeiten. Während einige in der Gruppe „alles messen wollten“, haben eine Fachkollegin „und ich versucht zu erläutern, dass in der Tat auch qualitative Sozialforschung, wenn sie richtig durchgeführt wurde, veranschaulichen kann und Licht auf Prozesse werfen kann, deren Resultate die Statistiken sind. (…) Also mussten wir alle viel über die Disziplinen der jeweils anderen lernen“ (C2: 224-229).
Die Bedeutung von Statistiken wird damit nicht in Frage gestellt, aber der Blick auf Statistiken ändert sich. Aus dem Blickwinkel qualitativer Forschung erscheinen Statistiken als Resultat sozialer und kultureller Prozesse, die selbst auch der Erklärung bedürfen. Diese Denkweise war zumindest in dieser Expertinnengruppe für viele Mitglieder neu, führte aber dazu, das Phänomen der Seltenheit von Frauen in Wissenschaft und Forschung mit anderen als nur den Augen der Statistik zu betrachten. Damit ändert sich auch die Wahrnehmung dieser Frauen aus der Wis-
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7 Gender Mainstreaming zwischen Wissenschaft, Politik und Markt
senschaft von Frauen in der Wissenschaft hin zu der Sicht, dass Wissenschaftlerinnen deswegen gefördert werden müssen, weil andernfalls die bestehende Männerförderung im derzeitigen System faktisch unverändert bleibt: „Wenn wir uns anschauen, wie Wissenschaft zurzeit organisiert ist, stellen wir uns vor, wir gehen davon aus, dass sie geschlechtsneutral ist. Dass sie auf Verdiensten basiert. (…) Und was ich dort (…) zu sagen versucht habe, ist: Das ist nicht der Fall. (…) Im Moment haben wir spezielle Fördermaßnahmen für Männer. Zum Beispiel privilegieren wir Leute, die ununterbrochene, lange Karrieren haben. Wir lesen daraus: Verdienst. Und das ist nicht das Gleiche (…), wie Qualität zu messen. (…) Also haben wir versucht zu sagen: Was wir tun müssen ist, die Fördermaßnahmen, deren Männer sich zurzeit erfreuen, wegzunehmen, um eine geschlechtsneutrale Wissenschaft herzustellen, die exzellent sein wird, weil Geschlecht aufhört, ein organisierendes Prinzip zu sein. Wir argumentieren, dass das antiintellektuell ist, gegen Exzellenz, weil Leute eher ausgewählt werden, weil sie Männer, und nicht, weil sie exzellent sind“ (C2: 796-825).
So gesehen stehen die im wissenschaftlichen Feld tradierten „Fördermaßnahmen für Männer“ nicht nur der Vision einer „geschlechtsneutralen Wissenschaft“ entgegen, in der „Geschlecht aufhört, ein organisierendes Prinzip zu sein“. Vielmehr wird die Beseitigung solcher „Fördermaßnahmen für Männer“ zur Voraussetzung für eine „Wissenschaft, die exzellent sein wird“, und die sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass wissenschaftliche Qualität nach wissenschaftlichen Kriterien gemessen wird – unabhängig von Geschlecht als dem organisierenden Prinzip von Wissenschaft. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass auch diejenigen Kriterien, mit denen wissenschaftliche Verdienste und Leistungen heute (noch) gemessen werden, sozial konstruiert und unter Ausschluss von Frauen entstanden sind und dazu beitragen, dass Wissenschaft immer noch als geschlechtsneutral wahrgenommen wird, selbst wenn Frauen fehlen. Gegen diese verengte Wahrnehmung und Darstellung von Wissenschaft argumentieren die Expertinnen mit dem Hinweis, dass dies im Grunde genommen eine „antiintellektuell(e), gegen Exzellenz“ gerichtete Haltung ist, die dazu führt, dass „Leute eher ausgewählt werden, weil sie Männer und nicht, weil sie exzellent sind“ (C2). Mit der Aufdeckung dieser Mängel bei der Auswahl von Führungskräften, nämlich einer Auswahl, bei der das Kriterium der männlichen Geschlechtszugehörigkeit mit im Spiele ist, stoßen die wissenschaftlichen Expertinnen auf ein Problem, das allein statistisch-quantitativ nicht darstellbar ist. Eine zentrale Frage ist, die sich die Gruppe daher stellt, inwieweit die Problemanalyse der Situation und der daraus entwickelte Entwurf einer geschlechtsneutralen Wissenschaft die politischen Auftraggeber dieser Expertise erreicht. Dabei berücksichtigt die Gruppe die Spielregeln des politischen Feldes, in dem sich die Europäische Kommission als Auftraggeberin der Expertise bewegt. In der Gruppe
7.2 Die Vision einer „geschlechtsneutralen Wissenschaft“
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„wurde auch darauf hingewiesen, dass die Leute, die wir davon überzeugen wollten, Politiken einzuführen und Geld auszugeben, letztlich selbst eher mit Statistiken zu überzeugen wären als mit qualitativer Forschung. Und ich denke, das ist wahrscheinlich richtig“ (C2: 240-243).
Dies zeigt, dass der Glaube an die Aussagekraft von Statistiken im forschungspolitischen und im politischen Aktionsfeld Gender Mainstreaming des europäischen Mehrebenenraums (immer noch) stark ist, insbesondere vor dem Hintergrund der Erwägungen politischer Nützlichkeit und Durchsetzbarkeit. Diese Erwägungen tangieren weniger die inhaltlich-fachliche Autonomie politikberatender Gremien als vielmehr die Präsentation der Ergebnisse in der politischen Öffentlichkeit, vor allem in der Medienöffentlichkeit: „Wir bekamen etwas Anleitung von der Kommission darüber, wie wir unsere Empfehlungen in einer Weise präsentieren konnten. (…) Aber uns wurde nie gesagt, was wir schreiben sollten oder so etwas.(…) Also hätten wir alles schreiben können, was wir wollten“ (C2: 267-272).
Die Präsentation der Arbeitsergebnisse von Sachverständigengruppen ist für den politischen Meinungsbildungsprozess gedacht, in dem sie überzeugen müssen. Um dies sicher zu stellen, gibt es in der Forschungsverwaltung eine zuständige Mitarbeiterin, eine „Schlüsselperson“ (C2) mit dem entsprechenden Verfahrenswissen. Sie gewährleistet auch die Unabhängigkeit der inhaltlichen Arbeit. „[Sie] hätte sich niemals in die Gruppe eingeschaltet. Aber als es dazu kam, dass wir den Bericht veröffentlichten und eine Pressekonferenz gaben, die Konferenz zu organisieren, da war sie sehr einbezogen. Neben [Name der Schlüsselperson] bekamen wir die Botschaft, dass [Name des amtierenden Forschungskommissars] unsere Arbeit sehr unterstützte. Und natürlich kam er und sprach bei der Pressekonferenz und anderen Anlässen, um unsere Empfehlungen zu unterstützen. (…) Nein, mir fällt niemand sonst ein, der besonders einbezogen war. Aber ich bin ein bisschen politisch naiv“ (C2: 314-323).
Durch seine Unterstützung stellt der Forschungskommissar ein (persönliches) Gender Commitment unter Beweis und überträgt seine institutionelle Autorität, die ihm von der Gesamtheit der Institutionen im europäischen Mehrebenenraum verliehen ist, d.h. sein „delegiertes politisches Kapital“ auf die Expertinnengruppe. Mehr politische Anerkennung und öffentlicher Aufmerksamkeit kann eine Sachverständigengruppe an einer solchen Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik kaum erreichen. Das politische Interesse wird den Wissenschaftlerinnen bereits im Vorfeld der Veröffentlichung ihrer Expertise vermittelt: „Wir bekamen Botschaften, dass dies ein Thema war, das den Politikern sehr am Herzen lag. Da war [Name der Politikerin mit Doppelmitgliedschaft im Industrie- und Gleichstellungs-Ausschuss].(…) Da waren noch ein oder zwei andere, die vorbei kamen und uns
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7 Gender Mainstreaming zwischen Wissenschaft, Politik und Markt unterstützten (…). Aber ich denke, im Wesentlichen waren sie am Thema interessiert, und sie kamen vorbei und forderten uns auf, Empfehlungen zu produzieren. Wir produzierten Empfehlungen. Wir waren nicht wirklich politisch schlau in der Gruppe. Wir wussten nicht, dass wir Lobbyarbeit machen sollten. Wir hätten das in unseren eigenen Ländern tun können, (…) zu versuchen und sicherzustellen, dass der Bericht in unseren eigenen Ländern aufgenommen wurde. Aber nein, ich denke, wir waren wirklich politisch naiv. Wir dachten, die Daten werden für sich sprechen. Die Leute werden diese Statistiken sehen und sie werden einfach wissen, dass sie etwas tun müssen“ (C2: 330-344).
Lobbyarbeit für sich selbst zu betreiben, steht für die Sachverständigengruppe nicht im Vordergrund ebenso wenig mit ihrem wissenschaftlichen Ansehen bei den „betroffenen“ Wissenschaftler/inne/n in ihren Fachcommunities oder forschungspolitischen Institutionen ihrer Mitgliedstaaten für Aufmerksamkeit und Anerkennung ihrer Idee einer geschlechtsneutralen Wissenschaft zu sorgen. Vielmehr nimmt sie ihre Aufgabe ernst, als Sachverständigengruppe unterschiedliches Fachwissen einzubringen und Empfehlungen zu produzieren. Es kommt der Gruppe dabei gar nicht in den Sinn, dass Lobbying von Wissenschaftler/inn/e/n, die für die Kommission tätig sind, zum ‚business as usual‘ gehört. Auch die Annahme, dass die Adressat/inn/ en ihrer Empfehlungen diese adäquat umsetzen, wenn die Statistiken dafür sprechen, erscheint in der Rückschau als „nicht wirklich politisch schlau“ (C2). Den Wissenschaftlerinnen, die in der Funktion der Politikberatung zeitweilig das politische Feld betreten, war demnach nicht ausreichend klar, dass dort nicht die Spielregeln des wissenschaftlichen, sondern primär die des politischen Feldes gelten. Die Spielregeln des politischen Feldes sind auf die öffentlichkeitswirksame Darstellung von Politik ausgerichtet. Die Berufung auf wissenschaftliche Befunde dient dazu, den politischen Zielen Nachdruck zu verleihen. Die „Strategie des Sichauf-sich-Berufens“ (Zimmermann 2000: 75-98) zwischen wissenschaftlichem und politischem Feld stellt dabei eine übliche Handlungsweise an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik dar. Wissenschaftliches Wissen, d.h. die Expert/inn/en, die dieses Wissen repräsentieren, hat großen Einfluss auf politische Entscheidungen und sei es nur, dass es ihnen die zusätzliche Legitimität der Rationalität und „Objektivität“ verschafft (Weingart 2004: 92). Die Akteur/inn/e/n des politischen Feldes können wissenschaftliche Empfehlungen zur Legitimation politischer Entscheidungen und Zielsetzungen sowie zum Lobbying nutzen. Wie sieht ein politisch-strategisches Lobbying an den Schnittstellen von Politik, Forschung und Unternehmen aus?
7.3 Lobbying für Gender und Diversity im „main drive of innovation“
7.3
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Lobbying für Gender und Diversity im „main drive of innovation“
Die Expertin (B4) steht exemplarisch für das administrativ-politische Verfahrenswissen der Generaldirektion Forschung. Ihr Verfahrenswissen stützt sich auf langjährige Erfahrungen in der nationalen Forschungspolitik und -verwaltung sowie in der europäischen Forschungsadministration. Aus ihrem Blickwinkel hat Gender Mainstreaming neben der „Beseitigung von Ungleichheit“ vor allem eine politisch-strategische Bedeutung, „nicht nur zu sagen, es wird überall die Gender-Dimension reinkommen, sondern auch, dass es dazu beitragen muss, das zu verändern. (…) Gender Mainstreaming muss für mich als politische Strategie vorne, vor der Lokomotive beginnen oder bei der Auswahl der Transportmittel. Und nicht hinten, wenn der Zug schon fährt, gucken, wie kriegen wir jetzt noch einen Waggon mit rein (…) oder alle Sitze so gestellt, dass die Frauen auch drauf passen“ (B4: 130-140).
Um Gender Mainstreaming in der Perspektive einer (zukünftig) geschlechtsneutralen Wissenschaft in der Sachverständigengruppe zu definieren und eine kritische Analyse der bisher funktionierenden Wissenschaft zu formulieren, bedarf es aus ihrer Sicht vor allem zweier Dinge: Erstens die persönliche Überzeugung, dass „die Frauen wirklich in den Kern hineingehören“ und zweitens „eine Message: Mit welcher Nachricht mobilisiert man die Leute?“ (B4). Diese Expertin (B4) kennt die Spielregeln des politischen Feldes, die sie in unterschiedlichen politischen und Verwaltungsfunktionen erworben hat, und sie verfügt über institutionelles Verfahrenswissen in wissenschafts- und forschungspolitischen Steuerungsfragen. Die „Message“ besteht für sie darin, Gender Mainstreaming top down durchzusetzen. Top down beinhaltet hierbei das Wissen, dass im politischen Feld sowohl von der Öffentlichkeitswirkung her und als auch im Feld von Forschung und Wissenschaft „von dem Kern des Gebietes aus“ gedacht wird. „Wozu wird Forschung gemacht“? Was sind die definierten „Schlüsselbereiche“ (B4)? Das betrifft die forschungspolitischen Prioritätensetzungen, auf die z.B. auch die ETANGruppe mit ihrer Forderung „Exzellenz in der Forschung“ reagiert: „Also haben wir damals dann gesagt, zur Bereicherung, Verbesserung der Exzellenz: Gender Mainstreaming, um (…) überhaupt keine Zweifel aufkommen zu lassen. Dass die Leute sagen, ja gut – ich kannte das ja aus Deutschland ständig von den Forschungseinrichtungen – wir fördern Frauen, aber die Exzellenz darf nicht drunter leiden“ (B4: 158-162).
Um diese Botschaft zu transportieren, müssen unterschiedliche Schnittstellen genutzt werden. Die Adressat/inn/en an diesen Schnittstellen sind die genuin wissenschaftlichen Institutionen des wissenschaftlichen Feldes (Forschungseinrichtungen,
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7 Gender Mainstreaming zwischen Wissenschaft, Politik und Markt
Hochschulen etc.) und die Wissenschafts- und Forschungspolitiker/innen als Akteure und Akteurinnen des politischen Feldes in den Mitgliedstaaten und auf der europäischen Ebene. Der forschungspolitische europäische Mehrebenenraum ist dem föderalistischen Aufbau der Hochschul-, Wissenschafts- und Forschungspolitik in einigen EU-Mitgliedstaaten ähnlich, auch dem der Bundesrepublik. An den Schnittstellen des wissenschaftlichen und des politischen Feldes – mit ihren eigenen Spielregeln, die u.a. durch den forschungspolitischen Exzellenzdiskurs miteinander verkoppelt sind – wird zugleich ein geschlechterpolitischer Diskurs geführt. Für Akteurinnen wie die Expertin (B4) mit ihrem politisch-strategischen Verfahrenswissen in den Institutionen des nationalen und europäischen Mehrebenenraums gehört das Lobbying von Wissenschaftler/inne/n an den forschungspolitischen Schnittstellen dazu, um zu „verändern, wie die Politik geht“. „Und da ist für mich Gender Mainstreaming wichtig, dass man das auf solche Botschaften hin konzentrieren kann. Und da gehört natürlich ganz, ganz viel dazu. Aber dafür können Sie keinen begeistern“ (B4: 168-171).
Mit der „Keymessage, die man immer irgendwie in die Köpfe kriegen muss“ (B4), verbindet sich unter anderem die Botschaft an die Repräsentanten der nationalen Forschungseinrichtungen, den Nachweis zu erbringen, inwieweit das, was in ihrem Diskurs unter Frauenförderung verstanden wird, den Vorstellungen von wissenschaftlicher Exzellenz entgegensteht, „wo man mal gucken (muss), ob das wirklich so ist“. Dabei greift die Expertin nun auf ein Bild aus dem ökonomischen Feld zurück: „In den Unternehmen heißt es immer, it is not for charity it is for business“ (B4). Während die Unternehmen keinen Hehl aus ihren ökonomischen Interessen zu machen brauchen, sind solche rein ökonomischen Interessen wie auch die Interessen des politischen Feldes im wissenschaftlichen Feld (noch) weitgehend suspekt. Das wissenschaftliche Handeln erscheint als ein von ökonomischen Nützlichkeitserwägungen und forschungspolitischen Interessen freies Handeln und lässt die bisherige Frauenförderung als vorwiegend von außen herangetragene Anforderung an das wissenschaftliche Feld erscheinen – ohne über Strukturen oder die soziale Zuschreibung von Anerkennung, Exzellenz, Qualität etc. nachzudenken. Dieses Selbstbild von Wissenschaft wirkt aus Sicht einer europäisch denkenden Forschungspolitikerin wenig innovativ. Für sie liegen die Zukunftsperspektiven Europas im internationalen Wettbewerb an der „Schnittstelle zwischen Innovation, Forschung und Entwicklung“, wobei die industrielle Forschung in den Unternehmen einen der „Schlüsselbereiche“ darstellt: „Da wird über die Zukunft und die Standortqualität von Europa entschieden. Und da genau gehören die Frauen wirklich in den Kern hinein“ (B4: 156-161).
7.3 Lobbying für Gender und Diversity im „main drive of innovation“
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Das Ziel, exzellente Forscherinnen und Wissenschaftlerinnen von den disziplinären Rändern in die innovativen Kernbereiche europäischer Forschung zu holen, gilt zumindest in den Unternehmen, die sie dabei als Vorbild im Auge hat, „jetzt Gender-Diversity als drive of innovation, main drive of innovation“ (B4). Wie bei der Analyse zur Handhabung der so genannten „Exzellenzauswertung“ (B1), konkret bei der Bewertung von Forschungs- und Projektanträgen deutlich wurde (vgl. 6.3), geht der „main drive of innovation“ (B4) bei den forschungspolitischen Schlüsselbereichen eindeutig in Richtung Informations-, Bio- und Nanotechnologien. Auf diese forschungspolitischen Hauptströme ist auch das forschungspolitische Gender Mainstreaming der Kommission ausgerichtet und damit auf die instrumentelle Nutzung von Wissenschaftspotenzialen an der „Schnittstelle (…) Innovation, Forschung und Entwicklung“ (B4). Zwar kommt mit dem Gender Mainstreaming und dem Diversity-Ansatz Bewegung in das forschungspolitische Feld. Allerdings verbleiben sowohl der Gender Mainstreaming-Ansatz als auch das Diversity-Konzept, das in der Unternehmenswelt derzeit präferiert und von der Kommission adaptiert wird, auf der Ebene der Veränderung von Arbeitsstrukturen und -kulturen. Das heißt, diese Konzepte sind primär auf Veränderungen in und von Organisationen zugeschnitten. Die Veränderungsperspektiven aber an den für die Wissenschafts- und Forschungspolitik gerade so zentralen Schnittstellen wie der wissenschaftlichen Politikberatung bleiben weitestgehend unberührt. Zur Arbeit an den Schnittstellen von Politikberatung und Lobbying „gehört natürlich ganz, ganz viel. (…) Aber dafür können Sie keinen begeistern“ (B4). Die zentralen Schnittstellen verbinden die im Machtraum forschungspolitischer Steuerung positionierten nationalen Forschungsorganisationen als Repräsentanten des wissenschaftlichen Feldes mit den Regierungen bzw. Forschungsverwaltungen als Repräsentanten des politischen Feldes, und diese beiden mit den Unternehmen des ökonomischen Feldes. Der Name ETAN steht für die erste Sachverständigengruppe, die im europäischen Mehrebenenraum mobilisiert wurde, und der Europäischen Kommission die grundlegenden „idées-forces“ liefert, die sich vorwiegend auf die akademische Wissenschaft und Forschung beziehen. Im Jahr 2002 setzt die Europäische Kommission ein weiteres Sachverständigengremium mit dem Namen „Women in Industrial Research“ (WIR) ein. Eine der in dieses Gremium berufenen Wissenschaftlerinnen ist eine der seltenen weiblichen Führungskräfte in einem international agierenden Großunternehmen. Sie wertet ihre Berufung als eine unmittelbare Wirkung der „Message“ top down, verbunden mit dem „commitment from the top“:
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7 Gender Mainstreaming zwischen Wissenschaft, Politik und Markt „Da sieht man wieder, was es ausmacht, wenn da ein commitment from the top ist. Der [damalige] Forschungskommissar Busquin, das war einfach jemand, der gesagt hat, ich will 40% Frauen in allen Gremien sehen. Ende der Durchsage. Und jetzt sucht mal. Und so wurde ich berufen“ (C3: 470-473).
Diese Naturwissenschaftlerin (C3) sieht einen wesentlichen Grund für ihre Berufung gerade in der Tatsache, dass sie eine der seltenen weiblichen Führungskräfte in einem Großunternehmen ist, und die Kommission zwar auch an ihrem wissenschaftlichen Fachwissen, aber mehr noch an ihren Erfahrungen als Führungskraft dieses Großunternehmens interessiert ist: „Wir wissen eine ganze Menge über Beteiligung von Frauen in der akademischen Welt, wir wissen aber nichts in der Industrie. (…) Und dann haben wir a) eine international besetzte Gruppe zusammen gesucht aus den verschiedenen Firmen, und b) so viele Männer, wie wir kriegen konnten. (…) Weil ich eben ganz bewusst nicht so eine Klagemauergeschichte haben wollte. Und das haben wir eben dann auch versucht, sehr stark umzusetzen. Erstmal die Fakten zu finden“ (C3: 227-237).
Zu diesen Fakten gehört die geringe Zahl von Frauen in den Führungsetagen und Forschungsabteilungen der Unternehmen. Ein Grund dafür liegt in der Rekrutierungspraxis für das Führungspersonal, wie der Einblick in ein Assessmentcenter zeigt: „Wir haben ja immer solche Assessmentcenter, wo dann Leute zwei Tage irgendwelche Prüfungen machen müssen. Und dann muss am Ende ein Bericht geschrieben werden, wo eine Aussage immer rein muss: Er oder sie lässt Führungsanspruch erkennen. Und Führungsanspruch kriege ich kaum bei einer Frau durch, dass das in den Protokollen drin steht. Ich bin auch wieder die einzige Frau, die (das) beobachtet. Unter sechs Leuten oder sieben oft. Ich kriege das oft nicht durch. Und dann sage ich: Mensch Leute, habt Ihr eigentlich nicht kapiert, dass auch ein Gestaltungswille ein Führungsanspruch ist. Also diese Männer wollen immer diesen mit Dominanz geführten Führungsanspruch sehen. Aber ein Gestaltungswille ist ja auch ein Führungsanspruch. Und der kann viel kreativer und besser sein. Grade wenn man hier über Forschung redet. Ist nicht durchzukriegen“ (C3: 429-438).
Aus der Perspektive dieser WIR-Expertin existiert in vielen Unternehmen eine Rekrutierungspraxis, die der homosozial-männlichen Reproduktionsweise des wissenschaftlichen Feldes gleicht. An diesem Beispiel wird deutlich, wie schwer es ist, in die Rekrutierungspraxis der ‚old boys networks‘ korrigierend einzugreifen. Diese Schwierigkeit nötigt die angesehene Wissenschaftlerin in der Führungsposition eines Unternehmen dazu, besonderen Wert auf die Feststellung zu legen, dass sie als Wissenschaftlerin der scientific community angehört, „und nicht so als typische Emanze gelten“ will:
7.3 Lobbying für Gender und Diversity im „main drive of innovation“
103
„Weil ich mich auch nicht so sehe. Ich arbeite gerne mit Männern zusammen. Ich habe damit keine Probleme. Aber ich weiß eben auch, dass die natürlich in ihren Denkstrukturen genauso festgefahren sind und sich immer klonieren, sozusagen, wenn sie einen neuen Kollegen suchen“ (C3: 414-418).
Klonieren bezeichnet den biotechnologischen Vorgang, bei dem aus dem Erbgut eines Lebewesens künstlich ein identisches zweites hergestellt wird. Dies ist eine andere Metapher für die so genannten ‚old boys networks‘, beschreibt aber das gleiche Phänomen. Beide Metaphern lenken die Aufmerksamkeit auf die sozialmännliche Homogenität an der Spitze von Organisationen, wie sie sowohl im wissenschaftlichen als auch im ökonomischen Feld besteht. Um von dieser sozialen Dimension weg zu kommen, will die anerkannte Naturwissenschaftlerin und Führungskraft in dem Großunternehmen, „das ganze eher als Diversitythema, als ein Intelligenzthema und dergleichen diskutiert haben“ (C3: 412f). Darin ist sie der Forschungspolitikerin (B4) ähnlich, die allerdings primär die Führungskräfte in der Politik und in den Forschungsorganisationen an den Schnittstellen des (europäischen und nationalen) Mehrebenenraums wissenschaftspolitischer Steuerung fokussiert. Das Diversity-Konzept, von dem offenbar erwartet wird, dass es die homosozialen Reproduktionsmechanismen anzugreifen vermag, wird auch in dem Bericht der Sachverständigengruppe WIR aufgenommen. In ihm wird z.B. davon ausgegangen, dass es sich für ein Unternehmen ökonomisch auszahlt, wenn es nicht auf eine Homogenität der Beschäftigten zielt, sondern die „vielfältigen Potenziale“ (WIR-Bericht) zu nutzen versucht, die aus sozialen Unterschieden resultieren, wie „Geschlecht, Rasse und ethnische Herkunft, Behinderung, Alter, sexuelle Orientierung sowie religiöse und politische Überzeugung, wobei alle diese Aspekte in den Amsterdamer EU-Vertrag aufgenommen worden sind“ (Europäische Kommission 2003: 5f).
Der instrumentelle Charakter des Nutzens von „Humanpotenzialen“ kommt im WIRBericht u.a. darin zum Ausdruck, dass nicht die „Gleichstellung“ zwischen Männern und Frauen in der Forschung und Entwicklung anzustreben ist, sondern ein „zahlenmäßiges Gleichgewicht“, das die „kreative Arbeitskultur“ fördert (ebd.: 23). Dadurch soll ein breit gefächerter Pool an Spitzenkräften gewährleistet und im Gegenzug Potenziale freigesetzt werden, die durch Innovationen neue Märkte und einen größeren Kreis an Konsumenten und insbesondere Frauen als Kundinnen gewinnen: „Vielfalt ist gut fürs Geschäft!“ (ebd.: 5). Deshalb „müssen die Tore weiter geöffnet und Bewerbungen von Personen zugelassen werden, die von traditionellen Wegen abweichen. Darunter sind vermutlich viele Frauen. Die Wissenschaft hat den Beweis erbracht, dass Monokulturen auf Dauer nicht tragfähig sind“ (ebd.).
104
7 Gender Mainstreaming zwischen Wissenschaft, Politik und Markt
Ähnlich wie der ETAN-Bericht zur akademischen Wissenschaft und Forschung, so betont auch der WIR-Bericht, dass in der industriellen Forschung „keine Sondermaßnahmen befürwortet (werden), damit Frauen besser zur vorherrschenden Kultur passen“ (ebd.: 8). Vielmehr wird die Frage gestellt, was mit der Kultur, hier der in den Unternehmen, nicht stimmt, in der Frauen unterrepräsentiert sind. Trotz dieses Anspruchs, die Strukturen zu hinterfragen, wird im WIR-Bericht, anders als im ETAN-Bericht, weit gehend versäumt, Handlungsempfehlungen zu geben, die auf eine Veränderung der Strukturen und damit auf eine neue Arbeitskultur zielen. Im Vordergrund ihrer Empfehlungen an Unternehmensführungen, Regierungen, Risikokapitalgeber und Universitäten stehen dementsprechend doch wieder Fördermaßnahmen, die sich auf Frauen beziehen, während die männlich konnotierten Lebensweisen unangetastet bleiben. Zumindest werden keine konkreten Fördermaßnahmen vorgeschlagen, die es auch Männern ermöglichen würden, z.B. die vorgeschlagenen familienfreundlichen Angebote des Unternehmens (der Zukunft) in Anspruch zu nehmen, damit eine Verantwortungsverteilung (beider Elternteile) befördert wird. Diese Problematik bleibt im WIR-Bericht in Hinblick auf die Transformation von Unternehmensstrukturen und ihren Geschlechterkulturen ausgeblendet, so dass letztlich wieder nicht die Situation der Männer, sondern ausschließlich die Situation der Frauen das Thema ist. Auch im ETAN-Bericht zur akademischen Wissenschaft und Forschung finden sich immer wieder Zuspitzungen auf einen als notwendig erachteten Einsatz „zu Gunsten der Frauen“ (Europäische Kommission 2001c: 5, WIR-Bericht). Dieser Einsatz ist im ETAN-Bericht in fünf „Grundsätze(n) des Mainstreaming“ festgehalten. Diese setzen an der Organisationsveränderung an (ebd.: 66-70): – „Gleichstellung“ als Leitprinzip der Organisationskultur, die ein selbstverständlicher Aspekt des täglichen Handelns einer Organisation ist (ebd.: 66). – „Ganzheitliche Wahrnehmung von Beschäftigten“ in der Arbeitsorganisation, in der „auch die familiären und sonstigen Lebensumstände Berücksichtigung finden“ (ebd.). – „Achtung und Würde“ von Beschäftigten und Studierenden an Hochschulen als Menschen, was „konsequentes und hartes Vorgehen gegen Diskriminierung und Belästigung (sei es aus Gründen des Geschlechts oder wegen einer anderen Dimension der Gleichstellung) sowie gegen Mobbing“ beinhaltet (ebd.). – „Partizipation und Befragung“, die ein integriertes Gleichstellungskonzept im Sinne der „Herausbildung einer demokratischen Kultur der Befragung und Partizipation, die Verfolgung gemeinsamer Ziele und ein ausgeprägtes Bewusstsein der Beschäftigten und Studierenden dafür (erfordert), worin die Hindernisse für die Gleichstellung bestehen können“ (ebd.: 67).
7.3 Lobbying für Gender und Diversity im „main drive of innovation“
105
– „Durchleuchten (,Visioning‘) (…) als das schwierigste und zugleich interessanteste Element des Mainstreaming: Es geht darum zu erkennen, wie die derzeitigen Systeme, Strukturen, Konzepte und Programme diskriminierende Wirkung entfalten“ (ebd.). Beim Durchleuchten („Visioning“) geht es u.a. um Formen der Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts aufgrund des männlichen Sprachgebrauchs, des Dienstalters als dominantem Beförderungskriterium, um die homosoziale Reproduktion vor allem bei Neueinstellungen oder um die Überstundenkultur und die Ermittlung von Produktivität anhand von Quantität und nicht von Qualität. Dies sind alles Faktoren, die in der männlichen Arbeitskultur und Arbeitsorganisation verankert gesehen werden (vgl. ebd.: 68). Um dies zu verändern, stellt der ETANBericht Gender Mainstreaming-Instrumente vor, bei denen der Schwerpunkt auf „Bewusstseinsbildung“ durch „Schulung“ liegt, „da es nur auf dieser Grundlage möglich ist, eine Änderung der Kultur und der Verfahren herbeizuführen, (um) die Beteiligungsbereitschaft zu fördern und Konzepte zu erarbeiten“ (Europäische Kommission 2001c: 5, WIR-Bericht: 67).
Wie der ETAN-Bericht, so bezieht sich auch der WIR-Bericht mit dem DiversityAnsatz primär auf die Veränderung von Arbeitsteilungsstrukturen und Arbeitskulturen. Diese auf die unterschiedlichen Organisationen bezogenen Transformationsansätze unter dem Vorzeichen einer Gender Mainstreaming-Politik sind gegenüber dem Frauenförderansatz als fortschrittlich. Allerdings besteht sowohl beim Gender Mainstreaming als auch beim Diversity-Konzept die Gefahr, dass der Transformationsgedanke (wieder) auf Frauenförderung reduziert wird. Die Analysen der Interviews und die Auswertung der Dokumente des forschungspolitischen Meinungsbildungsprozesses zeigen, dass damit durchaus neue gleichstellungspolitische Ideen existieren, die sich als anschlussfähig an die forschungspolitischen Prioritäten erweisen könnten. Allerdings könnte sich diese Anschlussfähigkeit aber (wieder) in ihr Gegenteil verkehren, wenn (nur) auf die Initiativen der Netzwerkakteurin Europäische Kommission vertraut würde. Angesichts der „Transformation von Politik in Verwaltungshandeln und (…) Modernisierung dieses Verwaltungshandelns nach Kriterien (…) aus der Ökonomie und (…) Betriebswirtschaftslehre“ (Wetterer 2002: 146), ist in allen hier behandelten Feldern Geschlechterpolitik ‚in eigener Sache‘ um so notwendiger. Das bedeutet insbesodere, den Einsatz für wissenschaftliche Autonomie zu forcieren. Denn in dem untersuchten Fallbeispiel ist Geschlechterpolitik mit der europäischen Forschungs- und Technologieentwicklung verknüpft, die primär auf einen arbeitsmarktpolitischen Fachkräftemangel verweist, den es auszugleichen gilt:
106
7 Gender Mainstreaming zwischen Wissenschaft, Politik und Markt „Die Kommission setzte im Jahr 2002 die Expertengruppe ‚Frauen in der industriellen Forschung‘ (Women in Industrial Research, WIR) ein zu einem Zeitpunkt, als auch die Politik die Probleme bei der Rekrutierung einer ausreichenden Anzahl hoch qualifizierter Fachkräfte für Forschung und Entwicklung erkannte“ (Europäische Kommission 2003 „WIRBericht“: iv).
Der damalige Forschungskommissar Philippe Busquin verweist in seinem Vorwort zu diesem Bericht auf die beim Lissabonner Gipfel im Jahr 2000 beschlossene Vorgabe, bis zum Jahr 2010 die Ausgaben der Europäischen Union für Forschung und Entwicklung auf drei Prozent des Gesamtetats zu steigern, um eine „wettbewerbsfähige wissensbasierte Gesellschaft“ zu schaffen (ebd.). Im Vergleich zu den Hauptkonkurrenten auf dem internationalen Markt, USA und Japan, wird die europäische Forschung und Entwicklung im Rückstand gesehen. Deshalb können es sich die Hauptakteur/inn/e/n an den entscheidenden Schnittstellen im Europäischen Forschungsraum (EFR) nicht leisten, die Situation von Frauen in der industriellen Forschung außer Acht zu lassen (ebd.: iii). Das Grundproblem dabei ist jedoch, dass es nicht um die Umverteilung wissenschaftlicher und forschungspolitischer Autonomie- und Partizipationspotenziale zwischen den Geschlechtern geht, sondern um eine vorwiegend ökonomisch begründete Strategie, in der Gender Mainstreaming dazu dient, quantitative Defizite (Fachkräftemangel) auszugleichen. Wenn Frauen (Wissenschaftlerinnen) ausschließlich als eine Gruppe in der Gesellschaft gesehen werden, deren Innovations- und Exzellenzpotenzial „im Interesse der europäischen Forschung“ (Europäische Kommission 1999) ‚für’s Geschäft‘ zu erschließen ist, so sind damit zahlreiche Anlässe für Interessenskonflikte in den Feldern Wissenschaft, Politik, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft gegeben.
7.4
Zusammenfassung
Unter Einbeziehung der Forschungsevaluation (vgl. Kapitel 6.3 zur „Exzellenzauswertung“) lässt sich zur Einschätzung von Gender Mainstreaming als Strategie zwischen Wissenschaft, Politik und Markt zusammenfassend feststellen: Geschlechterverhältnisse als Forschungsgegenstand und die Kategorie Geschlecht (gender) als Faktor der Wissensproduktion werden gerade in den als innovativ eingestuften technologischen Schlüsselbereichen und proklamierten forschungspolitischen Hauptströmen der Kommunikations-, Bio- und Nanotechnologien auf der europäischen Ebene des Machtfeldes nicht praktisch in Angriff genommen. Aber angedacht. Graduell unterschiedlich gilt dies für die ‚Genderdimension‘ in den sozial-, geistesund kulturwissenschaftlichen Forschungsbereichen und Wissensfeldern, denen im
7.4 Zusammenfassung
107
Forschungsrahmenprogramm insgesamt eine sehr untergeordnete finanzielle Priorität eingeräumt wird. Geschlecht als beachtenswertes Kriterium der Forschungsevaluation wurde auch hier nicht systematisch durchgängig praktiziert. Aber zaghaft in Angriff genommen. Daher sind mit Blick auf Politikberatung durch Wissenschaft (vgl. 7.1) perspektivisch grundlegende Veränderungen bei der Themensetzung und Programmgestaltung nötig. Über sie wird im europäischen Machtraum forschungspolitischer Steuerung primär von den genuin politischen Akteuren im politischen Feld nach dessen Spielregeln entschieden (vgl. 6.1). Wissenschaftspolitisches Engagement von Wissenschaftler/inne/n und Forscher/inne/n ist vor allem an den Schnittstellen zu leisten. Die wichtigsten Orte sind solche, an denen die Repräsentanten der Organisationen des wissenschaftlichen Feldes (europäische wie nationale Wissenschafts- und Forschungsorganisationen) und des ökonomischen Feldes im politischen Feld agieren. An diesen Schnittstellen zwischen Staat, Wissenschaft und Markt muss auch ein pragmatisch verstandenes und politisch-strategisch konzipiertes Gender Mainstreaming ansetzen und ein kollektives Lobbying für die Interessen von Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen betreiben (vgl. 7.3). Gender Mainstreaming (und auch Diversity) sind Basiskonzepte, denen dabei ein transformatives Potenzial insofern zugeschrieben werden kann, als sie es ermöglichen konzeptionell über Frauen und Frauenförderung hinaus zu denken. So werden insbesondere mit dem ETAN-Bericht Organisation und Funktionsmechanismen des wissenschaftlichen Feldes (potenziell) in das öffentliche Bewusstsein der an Forschungspolitik interessierten Gruppen in Europa gerückt. Dabei wird nicht die Benachteiligung von Frauen, sondern die Begünstigung von Männern mit den Funktionsmechanismen der „männlichen Herrschaft“ (Bourdieu) als das eigentliche Problem von der Hinterbühne auf die Vorderbühne gebracht. Das ist die Botschaft des ETAN-Berichtes an die Forschungs- und Wissenschaftsorganisationen in den EU-Mitgliedstaaten. Sie wird mit dem WIR-Bericht in einer an die Logik des ökonomischen Feldes angepassten Darstellung und Sprache auch an die Unternehmen adressiert (vgl. 7.2). Wissenschaftliche Erkenntnisse zur praktischen Umsetzung von Gender Mainstreaming in den privaten und öffentlichen Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen der Mitgliedstaaten stehen weitgehend aus. Als Ergebnis der vorliegenden Analyse des europäischen Machtfeldes müssten die auf Veränderung zielenden Kräfte primär an der Minimierung von Effekten ansetzen, die aus der „symbolischen Gewalt“ (Bourdieu) des wissenschaftlichen Feldes resultieren. Auf symbolische Gewalt in den Geschlechterverhältnissen des wissenschaftlichen Feldes verweist im Politikprozess zuerst die Expertise der ETAN-Gruppe,
108
7 Gender Mainstreaming zwischen Wissenschaft, Politik und Markt
die diese sichtbar und damit erst kritisierbar macht. Doch wird, wie die weitere Untersuchung zeigt, die Einsicht in die Notwendigkeit kollektiven politischen Handelns im eigenen Interesse von Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen (z.B. Lobbying) durch die Kräfteverhältnisse im untersuchten Machtfeld vielfach ‚gebrochen‘. Die Sollbruchstelle liegt in der allgemein verbreiteten Vorstellung, dass Wissenschaft – im Unterschied und Gegensatz zu Politik – ein objektiv geschlechtsneutrales Unternehmen ist. Der Bruch äußert sich im wissenschaftlichen Feld auf ambivalente Weise. So führt die Vision einer „wirklich geschlechtsneutralen Wissenschaft“, die im ETAN-Bericht von Wissenschaftlerinnen entworfen wird, in der sozialen Praxis des wissenschaftlichen Feldes „zu diesem Problem zurück, (…), dass viele Wissenschaftlerinnen sich selbst als Wissenschaftler und nicht als Frauen“ (C2) sehen, sich „als Wissenschaftler sehr stark (…) und weniger eben als Frau“ (C4) identifizieren. Das erklärt sich daraus, dass die Vorstellung als Wissenschaftler und gerade nicht als Wissenschaftlerin wahrgenommen zu werden, sich im wissenschaftlichen Feld leichter in symbolisches Kapital (wissenschaftliche Reputation) transformieren lässt. Die tradierte Vorstellung ‚unbeschadet des Geschlechts Wissenschaftler zu sein‘, versucht Gender Mainstreaming aufzulösen, in dem es explizit an beiden Geschlechtern ansetzt. Mit der expliziten Bezugnahme auf die zweigeschlechtliche Denk-, Wahrnehmungs- und Bewertungsstruktur (Frau/Mann), die im Diskurs der Frauenund Geschlechterforschung zurecht besonders umstritten ist (vgl. Kapitel 2), müssen folglich auch die Strategien der Realisierung von Gender Mainstreaming im wissenschaftlichen Feld gesehen werden, d.h. in Abhängigkeit von den ambivalenten Wirkungen der symbolischen Gewalt in diesem Feld und je spezifisch in seinen natur-, technik-, sozial- und kulturwissenschaftlichen u.a. Teilfeldern. Wenn sich das allgemeine Selbstbild objektiver Geschlechtsneutralität von Wissenschaft besonders bei den befragten Naturwissenschaftlerinnen findet, dann ist dies nicht mehr aber auch nicht weniger als ein Indiz dafür, dass die Vorstellung objektiver Geschlechtsneutralität dort noch relativ ungebrochen fortwirkt. Kommen Wissenschaftlerinnen aus Feldern, in denen diese Disposition weit verbreitet ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Akteurinnen im politischen Feld in der Funktion der Politikberatung eher mit der Überzeugung handeln, dass Statistiken, die die Unterrepräsentanz von Frauen in den Spitzenpositionen der Wissenschaft belegen, für sich sprechen, und es keiner weiteren Argumente bedarf, um die Verhältnisse in Richtung der statistischen Monita zu verändern bzw. zu anderen Mitteln der politischen Durchsetzung zu greifen. Dass die Autorität wissenschaftlicher Expertise im politischen Feld quasi automatisch auf Akzeptanz stößt, weil sie sich rational wissenschaftlicher Argumente
7.4 Zusammenfassung
109
bedient, ist eine Sichtweise, die wir im Rahmen dieser Untersuchung jedoch auch bei Sozialwissenschaftlerinnen finden. Um die im wissenschaftlichen Feld vorhandenen Gegensätze wie zwischen Sozial- und Naturwissenschaften nicht zu perpetuieren, gilt es die unterschwelligen Beeinflussungen als Effekte von symbolischer Gewalt zu verdeutlichen und sie auf soziale Auseinandersetzungen zurückzuführen, die die Autonomiepotenziale von Frauen im wissenschaftlichen Feld erheblich einschränken können. Erfolg, Leistung, Qualität, wissenschaftliche Exzellenz etc. werden im wissenschaftlichen Feld allgemein, wie auch im Feld der Frauen- und Geschlechterforschung, primär von der jeweiligen Fachcommunity zugeschrieben. Die fachgebundenen Zuschreibungen wiederum sind abhängig von der Wahrnehmung in spezifischen personalen Netzwerken. Gegenüber geschlechtergemischten, jedoch in der Regel männlich dominierten wissenschaftlichen Netzwerken geben spezielle Frauennetzwerke eher Anlass für Abgrenzungen, wie dies bei einigen befragten Wissenschaftlerinnen auch festzustellen ist. Auf Akzeptanz stoßen Frauennetzwerke am ehesten, wenn sie instrumentell zur Beschaffung von Fachinformationen, die mangels Vernetzung in der relevanten Fachcommunity nicht zur Verfügung stehen, eingesetzt werden können. Grenzziehungen der beschriebenen Art, die soziale Auseinandersetzungen im wissenschaftlichen Feld signalisieren, wirken unterschwellig als Kräfte gegen Zuschreibungen, die der institutionellen Autorität der Wissenschaft in ihrer öffentlichen Darstellung abträglich sind. Dazu gehört die ‚Geschlechterdimension‘ als Kriterium der Forschungsevaluation ebenso wie die politische Mobilisierung von Frauennetzwerken. Auf Grundlage dieser Befunde ist zu erwarten, dass die Europäische Kommission bei ihrem Plan, Netzwerke von Wissenschaftlerinnen politisch zu initiieren („networking the networks“) an die beschriebenen Grenzziehungen stößt und ambivalente Reaktionen provoziert. Wissenschaftlerinnen als Akteurinnen des wissenschaftlichen Feldes, die sich von Frauennetzwerken distanzieren, tun dies aufgrund der im Feld verbreiteten Disposition, politisch steuernde Eingriffe generell abzulehnen. Dieser Befund spricht jedoch nicht generell dagegen, dass sie die Möglichkeiten für eigene Forschungsinteressen zu nutzen verstehen, die die europäische Forschungsförderung ihnen speziell als Wissenschaftlerinnen bietet. Die gebotenen Möglichkeiten vor allem in den natur- und technikwissenschaftlichen Zukunftsfeldern in genderorientierte Forschung umzumünzen, ist die Zukunftsaufgabe vor der die europäischen Wissenschaftlerinnen stehen. Ohne strategisches Lobbying und damit ohne die Gefahr potenzieller Instrumentalisierung ist diese Zukunftsaufgabe nicht zu lösen.
8
Fazit und Schlussfolgerungen
In dem Fazit zur Verfahrensanalyse, wie Gender Mainstreaming im europäischen Machtraum forschungspolitischer Steuerung interpretiert und implementiert wurde, werden abschließend einige Schlussfolgerungen gezogen. Sie können für Verfahrensanalysen anderer Machtfelder und für nachfolgende empirische Untersuchungen relevant sein; insbesondere auch für solche, die mikropolitische Prozesse und in dem Zusammenhang Geschlechterkonstruktionen in der sozialen Praxis beobachten. Sie betreffen die weiteren Realisierungschancen von Gender Mainstreaming Strategien insbesondere im wissenschaftlichen Feld sowie Hypothesen für nachfolgende Analysen: – Gender Mainstreaming als Querschnittspolitik oder forschungspolitischer Alleingang? – Gender Mainstreaming als neues Aktionsfeld im europäischen Machtraum; – Geschlechterwissen und Genderexpertise im Prozess; – Europäischer Forschungs- und Hochschulraum als Folie politischer Legitimation; – Legitimationskrise der Wissenschaft und des wissenschaftlichen Wissens.
8.1
Gender Mainstreaming als Querschnittspolitik oder forschungspolitischer Alleingang?
Im dem hier untersuchten Zeitraum, der im wesentlichen die Vorbereitung und Laufzeit des Sechsten EU-Forschungsrahmenprogramms erfasst, war es das erklärte politische Ziel auf der EU-Ebene, erstens die Position von Wissenschaftlerinnen und zweitens die Geschlechterforschung in der europäischen Wissenschaftsund Forschungslandschaft zu stärken. Diese beiden Ziele setzten die Europäische Kommission (Politik) und die Generaldirektion Forschung (Verwaltung) auf die Agenda der Europäischen Union – politisch legitimiert durch Gender Mainstreaming. Für das Agendasetting zu Beginn des forschungspolitischen Gender Mainstreaming Prozesses, lässt sich die Verbindungslinie zur Programmatik der Vierten
112
8 Fazit und Schlussfolgerungen
Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking nachweisen und damit die Orientierung der offiziellen EU-Politik an Zielen, die von den internationalen Frauenbewegungen (vgl. Frey 2003; Woodward 2004; Dackweiler 2005; Verloo 2005) formuliert worden waren. Hervorzuheben ist die Initiativfunktion der Europäischen Kommission und die Bindung ihrer „Kooperationskompetenz“ (Wobbe 2001) an Aushandlung, Konsultation und an Prozesse der politischen Meinungsbildung. Für die Konstituierung sogenannter „samtener Dreiecke“ (Woodward 2001) erweist sich diese Suche nach politischen Minimalkonsensen als offen. Samtene Dreiecke sind Netzwerke, die aus „erstens feministischen Bürokratinnen und Politikerinnen, zweitens einschlägig ausgewiesenen Wissenschaftlerinnen und drittens formal organisierten Sprecherinnen aus der Frauenbewegung“ bestehen (Woodward 2001: 35). In dem empirisch untersuchten Fall bedurfte es als Voraussetzung für die Vernetzung der individuellen Gelegenheitsfenster von Politikerinnen (Parlament), Bürokratinnen (Generaldirektion Forschung) und von Wissenschaftlerinnen, die sich durch das Commitment auszeichnen als Frauen für Fraueninteressen einzutreten. Hinzukommen mussten ein profundes Verfahrenswissen über die formellen und informellen politischen Prozesse, Institutionen und Vernetzungen sowie die Unterstützung durch bereits bestehende gleichstellungspolitische Normen (Artikel 2 und 3 des Amsterdamer Vertrages), um sich in den Strukturen des europäischen Machtraums forschungspolitischer Steuerung eigene politische Gelegenheitsstrukturen für Strategieentwicklung und politisches Handeln zu schaffen. Im Unterschied zu den bis dato vorwiegend sozial- und arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten im europäischen Integrationsprozess handelt es sich beim Gender Mainstreaming um eine gleichstellungspolitische Gesamtstrategie und Querschnittspolitik. Als eine solche Querschnittspolitik ist Gender Mainstreaming von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten offiziell anerkannt. Einige Untersuchungen zur europäischen Geschlechterpolitik sehen Gender Mainstreaming entsprechend als weit reichende Innovation an (Wobbe 2001; Schmidt 2005; Fuhrmann 2005). Fuhrmann zum Beispiel schätzt das transformative Potenzial von Gender Mainstreaming als sehr hoch ein und prognostiziert einen längerfristigen „politischen Wandel“ (Fuhrmann 2005: 259). Sie geht davon aus, dass in der EU trotz des sehr heterogenen geschlechterpolitischen Gesamtprofils ihrer Mitgliedstaaten eine „eigenständige, unabhängige und supranationale Geschlechterpolitik“ entstanden sei, die von einem „Politikfeldnetzwerk zu einem geeigneten Zeitpunkt mit viel Engagement und trickreich betrieben“ wurde (Fuhrmann 2005: 259), wobei die „Fachpolitikerinnen“ der supranationalen Organe ihren Spielraum nutzten, um mit Gender Mainstreaming „einen sehr konsequenten Ansatz feministischer Politik zu verfolgen“ (ebd.: 260). Das genannte „Politikfeldnetzwerk“, zu dem Fachpolitikerin-
8.1 Gender Mainstreaming als Querschnittspolitik oder forschungspolitischer Alleingang?
113
nen und die European Womens Lobby als organisierte Sprecherin der Frauenbewegung und andere Akteurinnen gehören,30 kann als samtenes Dreieck (Woodward) bezeichnet werden. Fuhrmann hat damit in ihrer politikwissenschaftlichen Analyse große soziale Aggregate im Blick: Wohlfahrtsstaatsregime mit Geschlechterpolitiken unterschiedlichen Typs in den EU-Mitgliedstaaten. Sie werden im Vergleich einiger Nationalstaaten untersucht und ein eigenes supranationales geschlechterpolitisches Gesamtprofil entworfen, das im Prozess der europäischen Integration entstehe und den politischen Wandel bewirken könne (Fuhrmann 2005: 189 ff). Wie in den genannten Untersuchungen auch deutlich wird, stößt die nationalstaatliche Implementation von Gender Mainstreaming auf sehr unterschiedliche Geschlechterregime in den Mitgliedstaaten (wovon z.B. Polen und Schweden zwei extreme Pole darstellen). Einschätzungen des mittel- oder längerfristigen transformativen Potenzials für einen geschlechterpolitischen Wandel wären daher für die Wissenschaft und Forschung und ihrer Politik auf der Basis künftiger, Länder vergleichender Fallstudien, zu treffen. Die eigene soziologisch und feldtheoretisch konzipierte Untersuchung setzt nicht bei den großen politikwissenschaftlichen Aggregaten (Wohlfahrtsstaats- und Geschlechterregime etc.), sondern ‚weiter unten‘ an: Bei den sozial positionierten Akteur/inn/en in dem europäischen Machtraum forschungspolitischer Steuerung. Ausgehend von den Untersuchungsergebnissen zur Forschungspolitik lässt sich festhalten, dass Gender Mainstreaming nicht als Querschnittspolitik implementiert wurde, da es zumindest von den forschungspolitischen Akteur/inn/en mit politischer Definitionsmacht und Entscheidungskompetenz nicht als Querschnittsaufgabe aufgefasst wurde. Sonst hätten sich alle Ressorts nicht nur beteiligen, sondern auch miteinander und aufeinander abstimmen müssen. Interviewpartnerinnen aus der Forschungsverwaltung zum Beispiel, die sich für die Realisierung von Gender Mainstreaming engagieren. „Feministische Bürokratinnen“ im Sinne der Definition bei Woodward, kritisieren die Organisationsspitzen in der europäischen Politik (Rat, Kommission) und Verwaltung (Generaldirektionen), dass sie Gender Mainstreaming nicht als eine Querschnittspolitik und ein ressortübergreifendes Organisationsentwicklungskonzept aufgegriffen haben. Mit Blick auf nachfolgende Untersuchungen zur Implementation von Gender Mainstreaming ist wohl eher von der Annahme auszugehen, dass es weithin ein ressortgebundener forschungspolitischer Alleingang war, bzw. eine ressortgebundene erste Implementationsphase, die hier untersucht wurde. Dafür sprechen auch 30
Die Europäische Frauenlobby wurde 1990 als Dachverband nationaler Frauenverbände gegründet, um deren Anliegen in der Europäischen Union vertreten und besser durchsetzen zu können (vgl. z.B. Fuhrmann 2005).
114
8 Fazit und Schlussfolgerungen
die Ergebnisse bei Pollack/Hafner-Burton (2000), die im Unterschied zur machtund feldtheoretischen Analyse hier, auf Theorien zu Neuen Sozialen Bewegungen gegründet sind. Realpolitische Prognosen zum kurzfristigen geschlechterpolitischen Wandel in der Forschungspolitik auf der supranationalen EU-Ebene dürften eher skeptisch ausfallen, denn selbst aus Kommissionssicht wurden die für die Laufzeit des Sechsten Forschungsrahmenprogramms verabschiedeten Ziele kaum erreicht (vgl. Europäische Kommission 2005). Zudem ist mit weiteren Rücknahmen zu rechnen, wenn der nach den Neuwahlen zum EU-Parlament amtierende Forschungskommissar das Begutachtungsverfahren zu vereinfachen und unter anderem die Erstellung von Gender Action Plans (GAP) als Vorgabe für Projektanträge zu streichen vorschlägt was bei frauenpolitisch interessierten „Stakeholdern“ zu Protesten, und im neuen Siebten Forschungsrahmenprogramm (2007-2013) dazugeführt hat, die GAP’s im Rahmen der Antragstellung wie im Sechsten Forschungsrahmenprogramm nicht mehr vorzuschreiben (vgl. cews 2007). Worauf die Ergebnisse der eigenen Untersuchung in dem Zusammenhang verweisen ist, dass eine Gender Mainstreaming Implementation als top-down-Strategie allein nicht ausreicht, sondern gleichzeitig europäische Wissenschaftlerinnen in einer bottom-up Linie mobilisiert werden müssen, um den Implementationsprozess weiterhin zu verfolgen. Eine wichtige Funktion wird der Europäischen Plattform zugeschrieben, die die Wissenschaftlerinnen Europas vernetzen soll (vgl. Beuter 2005). Hierin zeigt sich, dass Gender Mainstreaming als top-down-Strategie die aus der Frauenbewegung kommende Gleichstellungspolitik als bottom-upStrategie nicht ablöst. Vielmehr müssten, das betonen auch die Interviewpartnerinnen aus Politik, Bürokratie und Wissenschaft, beide Richtungen verfolgt werden. Top-down betrachtet wurde der Verfahrensablauf von der zuständigen Forschungsverwaltung organisiert: von der Generaldirektion Forschung (GD) als bürokratischen Unterbau der Europäischen Kommission und innerhalb der GD Forschung von der Direktion Wissenschaft und Gesellschaft. Um den verwaltungsmäßigen Ablauf des Verfahrens in Gang zu bringen, wurde im europäischen Institutionensystem eine neue Position geschaffen: das Referat Frauen und Wissenschaft (Women and Science). Bereits an der Ansiedlung als Unterabteilung im Behördenaufbau lässt sich der eher untergeordnete Stellenwert von Gender und Gender Mainstreaming erkennen. Für die Fragestellung, wie Gender und Gender Mainstreaming im Verfahrensablauf definiert werden, weist die Bezeichnung des Referats „Frauen und Wissenschaft“ zugleich auf thematische Engführungen hin, wenn lediglich Frauen und nicht auch Männer oder etwa das Geschlecht bzw. die Geschlechterverhältnisse (und Wissenschaft) adressiert werden. Offensichtlich wird diese the-
8.2 Gender Mainstreaming als neues Aktionsfeld
115
matische Engführung auch in der Programmatik (von Frauen, über Frauen, für Frauen) und in dem (ebenfalls bereits im Programm formulierten) Fokus auf quantitative Erfolge der Erhöhung von Frauenanteilen, was sich weithin mit dem HumanRessourcenansatz (s.u.) deckt. Vor allem die Mitarbeiterinnen des Referates Women and Science waren mit der Aufgabe betraut, die EU-Bürokratie und Politik in Bewegung zu setzen und gefordert, Ziele zu formulieren, Bündnispartner/innen und Expert/inn/en aus der Wissenschaft zu finden sowie Instrumente und Strategien zu entwickeln, damit Gender Mainstreaming in der Forschungspolitik als offizielles Issue ‚Frauen und Wissenschaft‘ auf die europapolitische Agenda gesetzt werden konnte.
8.2
Gender Mainstreaming als neues Aktionsfeld
Als feldangemessen erwiesen sich zu diesem Zeitpunkt Strategien, die an zwei unterschiedliche Instrumente anknüpfen, die das europäische Institutionensystem vorsieht: das Politische Forum und das Gender-Watch-System. Feldtheoretisch in dieser Untersuchung als vertikal und horizontal strukturiertes Machtfeld konzipiert, das aus politischen, administrativen und wissenschaftlichen Positionen besteht (vgl. die Grafik in Kapitel 4), ergeben beide (das Politische Forum einerseits und das Gender-Watch-System andererseits) die Doppelstrategie der forschungspolitischen Umsetzung von Gender Mainstreaming in dem Machtfeld. Wie dargestellt zielt das Politische Forum auf die diskursive Meinungsbildung der in Europa an Forschung bzw. Forschungsförderung interessierten Institutionen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Es handelt sich um eine Diskussionsplattform, die erstens der allgemeinen politischen Meinungsbildung dient und zweitens speziell an Wissenschaftlerinnen adressiert, die in den Mitgliedstaaten in Wissenschaftlerinnennetzwerken, also in Frauennetzwerken zusammengeschlossen und auf der europäischen Ebene vernetzt sind.31 Die Doppelstrategie umfasst weiterhin die Forschungsrahmenprogramme mit dem Ziel, große Forschungsverbünde (Exzellenznetzwerke, Integrierte Programme etc.) zwischen Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen aufzubauen und damit länderübergrei31
Siehe die europäische Wissenschaftlerinnenplattform als Element der zielgruppenspezifischen Vernetzung und Mobilisierung (z.B. in der Grafik in Kapitel 4). Vorbereitet durch die Konferenz „Networking the Networks“ (1999), entsprechenden Expertisen im Vorfeld und durch ein in der Priorität Frauen und Wissenschaft gefördertes Projekt, beginnt der von der Kommission geplante Aufbau der Plattform im Februar 2005 durch das „Center of Excellence Women in Science (CEWS)“ in Bonn (vgl. http://www.cews.org/cews/prokoo.php) sowie Beuter 2005.
116
8 Fazit und Schlussfolgerungen
fend Forschungsfelder zu besetzen. In diesem Zusammenhang ist das Gender-WatchSystem als zweites Element der Doppelstrategie eingefügt. Es informiert über die Aktivitäten der wissenschaftlichen und politischen Institutionen der Mitgliedstaaten, inwieweit sie den forschungs- und wissenschaftspolitischen Zielen nachkommen, die auf der EU-Ebene formuliert wurden, über die Anteile der beteiligten Wissenschaftlerinnen in Programmausschüssen, Evaluationsgremien, in den von der EU geförderten Projekten sowie über Geschlecht und Geschlechterverhältnisse als Forschungsthema. Der Europäischen Kommission und der Generaldirektion Forschung kommen bei der Forschungsevaluation in der hier untersuchten Implementationsphase und auch künftig die Position einer „Netzwerk-Architektin“ (Héritier 1993: 441) zu. Diese Position zeichnet sich durch institutionelle Schnittstellenfunktionen aus mit dem Bestreben, die Forschungspolitik und -administration horizontal auf der Europäischen Ebene (Parlament, Rat etc.) und vertikal in die Mitgliedstaaten hinein zu vernetzen sowie Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft zu vermehrten Kooperationen anzuregen. Dabei stützt sich die Netzwerkarchitektur des Machtfeldes maßgeblich auf die „Kooperationskompetenz“ der Europäischen Kommission (Wobbe 2001: 341). Mit der Kooperationskompetenz unterhalb politischer Regierungskompetenz ist die Forschungs(förder)politik der Europäischen Kommission darauf gerichtet, die bestehenden Verflechtungen zwischen Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Öffentlichkeit etc. zu nutzen, horizontal wie vertikal auf das Gebiet der Gender-Expertise auszuweiten und sie von Brüssel aus top-down zu steuern. Diesem Muster folgend werden im Vorfeld politischer Aktionen regelmäßig zeitlich befristete Expertengremien eingesetzt. Diese Hinzuziehung von wissenschaftlicher Expertise dient der Politikberatung durch Wissenschaft.32 Die wissenschaftliche Expertise zielt nicht zuletzt auf Öffentlichkeitswirksamkeit, z.B. im Rahmen des Politischen Forums. Hinzu kommt die Funktion, – die administrative Expertise top-down zu bündeln33, 32
33
Wie dargestellt stehen für die Nutzung wissenschaftlicher Gender Expertisen im Untersuchungszeitraum die Namen ETAN, WIR und ENWISE (vgl. Europäische Kommission 2001a; 2003; 2004). Zuerst setzt die Kommission die ETAN-Gruppe (European Technology Assessment Network) zur Vorbereitung und Durchführung einer Konferenz „Frauen und Wissenschaft“ (1998) ein, die Grundlagen für die Kommissionsmitteilung von 1999 zur Mobilisierung von Frauen für die europäische Forschung mit dem Programm „von Frauen, über Frauen, für Frauen“ (vgl. Europäische Kommission 1999) und in dieser Nachfolge die WIR (Women in Industrial Research) und ENWISE (Enlarge Women In Science to East). Im Untersuchungszeitraum steht dafür insbesondere der Name der Helsinki-Gruppe „Frauen und Wissenschaft“, benannt nach dem Ort ihres ersten Treffens im November 1999 während der Finnischen Ratspräsidentschaft.
8.2 Gender Mainstreaming als neues Aktionsfeld
117
– den Erfahrungsaustausch über die unterschiedlichen Gender Mainstreaming Strategien in den EU-Mitgliedstaaten mit besten Praxisbeispielen (Best Practices) anzuregen, – nach Geschlecht aufgeschlüsselte Statistiken bereitzustellen sowie – Indikatoren für das Benchmarking zu entwickeln. Und dies gemäß der Rationalität technischer Arbeitsmethoden, wie sie zur Verwaltungsmodernisierung entsprechend dem New Public Management eingesetzt werden. Um den Zusammenhang der Instrumente der Doppelstrategie noch einmal zu verdeutlichen: Das Konzept des Politischen Forums setzt auf die diskursive und kommunikative Einbindung speziell von Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen in die beschriebene Netzwerkarchitektur und zwar als Antragstellerinnen in den Forschungsprioritäten, als Gutachterinnen in Programm- und Evaluationsausschüssen und als Expertinnen in der wissenschaftlichen Politikberatung der EU, so dass wissenschaftliche, administrative und politische Gender-Expertisen sich letztlich amalgamieren, die je feldspezifischen Logiken überschreiten, um auf diese Weise das ökonomische Primat des Europäischen Forschungsraumes durchzusetzen. In dem durch Akteurspositionen und Zuständigkeiten abgesteckten Rahmen konstituiert sich über die Doppelstrategie das neue gleichstellungspolitische Handlungsfeld im Inneren des europäischen Machtraums forschungspolitischer Steuerung. Das neue Handlungsfeld (Gender Mainstreaming) wurde in dieser Untersuchung als inneres Aktionsfeld im europäischen Machtraum forschungspolitischer Steuerung empirisch und theoretisch konstruiert. Damit wird verdeutlicht: Akteurinnen und Akteure, die in einem Feld relational zueinander positioniert sind, können nur soweit erfolgreich sein, wie ihre Einsätze denen der anderen, und den (offiziellen) politischen Gegebenheiten „angepasst“ werden können, ohne dass sie ausschließlich das Resultat eines „rational“ geplanten und strategisch durchdachten politischen Handelns sein müssen. Diese Sichtweise auf die Akteure und Akteurinnen unterstellt ihnen als Personen kein bloßes Anpassungsverhalten, sondern versucht vielmehr die Feldangemessenheit des Handelns zu einem gegebenen Zeitpunkt und in bestimmten Akteurskonstellationen herauszufinden. Politisch verantwortliches Handeln ist so gesehen immer kollektives Handeln, das pragmatisch auf Machbarkeit aus ist, und diese ist durch Möglichkeitsbedingungen in einem Feld spezifisch situations- bzw. zeitabhängig begrenzt. Gerade dies, und weil Gender Mainstreaming in der Durchsetzung geschlechterpolitischer Strategien flexibel ist, erfordert es eine Offenheit für Politisierungs- und Professionalisierungsprozesse. Die Akteurinnen mit Gender Commitment in Bürokratie und Politik begriffen die Möglichkeit pragmatisch zu agieren als Chance und speisten das offizielle Thema Frauen und Wissenschaft in die charakteristischen Konsultations-, Beratungs- Aus-
118
8 Fazit und Schlussfolgerungen
handlungsprozesse, die Prozesse der politischen Meinungsbildung und gängigen Steuerungsinstrumente ein. Faktisch entstand daraus ein offiziell angeregtes Netzwerk mit genderaktiven und (teils) genderbewussten Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen und Administratorinnen. Diese initiierten ein „geschlechterpolitisches Netzwerk“ (Fuhrmann) bzw. „samtenes Dreieck“ (Woodward) mit bereichsspezifisch eng geknüpften netzwerkartigen Beziehungen. Feldtheoretisch formuliert nutzten die Akteurinnen des inneren Aktionsfeldes die Möglichkeiten, die sich ihnen in der horizontalen und vertikalen Struktur des Machtfeldes europäischer Forschungspolitik boten. Dieser Möglichkeitsraum war nicht frei bestimmbar, sondern durch die Feldpositionen und -bedingungen strukturiert. Angefangen von den (individuellen) Gelegenheitsfenstern bis hin zu einem kollektiv organisierten Lobbying ließ dieser Rahmen eine Gelegenheitsstruktur zu, um kollektiv für frauenpolitische Interessen einzutreten. Dabei bleibt die Doppelstrategie (Vernetzung und Berichtssystem) der Logik der EU üblichen Instrumente und politischen Strategien angepasst. Dieses Ergebnis kann so interpretiert werden, dass es hier zwar zu der im Diskurs der Geschlechterforschung prognostizierten Zunahme von Bürokratie und Verwaltung (vgl. Kapitel 2), jedoch nicht zu einem frauenpolitischen Fortschritt gekommen ist. Dafür spricht auch die Ausweitung der wissenschaftlichen, politischen und administrativen Genderexpertise, denn auch sie bleibt im vorgegebenen Raum der Möglichkeiten, die im forschungspolitischen Machtfeld gegeben sind. Für den untersuchten Zeitraum ist festzustellen, dass sich die Akteurinnen in dem Meinungsbildungs-, Konsultations-, und Aushandlungsprozess des inneren Gender Mainstreaming Aktionsfeldes ebenso erst professionalisieren mussten wie die hinzugezogenen Expertinnen aus der Wissenschaft auch. Davon ausgehend, dass die Implementation von Gender Mainstreaming „nicht nur erhebliche politikfeldspezifische Kenntnisse, sondern insbesondere Wissen über geschlechterstrukturierende Effekte von Politik“ (Behning 2004: 123) voraussetzt, zeigen diese Ergebnisse, dass es auch künftig entscheidend auf die Akteure und Akteurinnen in dem Prozess ankommt und wie weit sie in einem prästrukturierten Machtfeld, das pragmatisches Handeln und Strategien der Machbarkeit erfordert, (dennoch) für herrschaftskritisches Geschlechterwissen aufgeschlossen sind bzw. im Prozess aufgeschlossen werden können.
8.3
Geschlechterwissen und Genderexpertise im Prozess
Im untersuchten Feld waren Politik und Forschungsverwaltung auf wissenschaftliche Genderexpertisen von außen angewiesen. Sie konsultierten Wissenschaftler/ innen als Gender Expert/inn/en, blieben jedoch in der praktischen Umsetzung der
8.3 Geschlechterwissen und Genderexpertise im Prozess
119
Politik eigenverantwortlich und politisch autonom. Indem sie im Vorfeld der politischen Entscheidungen Gender Expertisen heranzogen, wurde diese Expertise anerkannt und damit auch eine Definition und Differenzierung von Genderwissen und Expertise vorgenommen. Festzuhalten ist, dass auf diesem Wege auch Wissenschaftlerinnen zu Gender Expertinnen wurden, die sich zuvor nicht als solche verstanden haben und nicht der Frauen- und Geschlechterforschung zuzuordnen sind. Im Verständnis der administrativen und politischen Expert/inn/en, die die wissenschaftlichen rekrutierten, wurden letztere als Expertinnen für Gender sehr pragmatisch kreiert, nämlich primär über das biologische Geschlecht. Über das Verständnis einer kritischen Genderexpertise herrscht, dem eingangs dargestellten Diskurs von Frauen- und Geschlechterforscherinnen zu Gender Mainstreaming vergleichbar (vgl. Kapitel 2), bei den befragten Genderexpertinnen aus der Implementationspraxis kein Konsens. Vielmehr scheinen gerade die kontroversen und zum Teil disparaten Verständnisse grenzüberschreitende Koalitionsbildungen zu ermöglichen. Ein Teil der Genderexpertinnen verficht die Vorstellung einer Geschlechtsneutralität von Wissenschaft und sieht das geschlechterpolitische Erfordernis darin, die Zahl der Frauen in der europäischen Forschung zu erhöhen. Sie stützen damit das Ressourcenargument einer lediglich quantitativ stärkeren Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Forscherinnen. Als Begründung dafür wird unter anderem die Behauptung herangezogen, dass das Potenzial an forschenden Frauen in Europa viel größer sei, als derzeit in der Forschungslandschaft einiger Länder sichtbar wird. Dieses gelte es im internationalen Wettbewerb noch auszuschöpfen (Human-Ressourcenagrument). Die befragten Expertinnen berufen sich dabei in der Regel auf wissenschaftliche Belege, indem sie ihre Stellungnahmen mit quantitativ-statistischen Argumenten untermauern. Damit bleiben sie für die politischen Argumente einer quantitativen Gleichbeteiligung der Geschlechter deutlich zugänglicher als für selbstreflexive wissenschaftskritische Argumente. Dieses Ressourcenargument, das in Verbindung mit statistischen Belegen die Unhaltbarkeit Frauen diskriminierender Wissenschaftsstrukturen begründet, ist eine Position, die sich in dieser Untersuchung eher bei den interviewten Genderexpertinnen mit naturwissenschaftlichem Hintergrund fand. Diese Expertinnen verweisen einen kritisch-selbstreflexiven Habitus explizit in die Zuständigkeit der sozialwissenschaftlichen Genderexpert/ inn/en. Solche im Rahmen dieser Untersuchung auch befragten Genderexpertinnen sehen Wissenschaft als im Kern vergeschlechtlicht an und kommen damit konstruktivistischen Wissenschaftsauffassungen näher, wie sie in Diskursen der Geschlechterforschung verhandelt werden. Aus dieser Sicht manifestiert sich die Geschlechterdimension von Wissenschaft und Forschung nicht allein in der personel-
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8 Fazit und Schlussfolgerungen
len Zusammensetzung der Gremien, sondern auch in den Prozessen und Strukturen, die eine nach biologischem Geschlecht unterschiedliche Beteiligung von Frauen und Männern an der wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion hervorbringen und die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Problemstellungen mitbestimmen. Für Gender sensible Akteure und Akteurinnen in den Institutionen der europäischen Politik und Verwaltung waren im Wesentlichen die Initiatorinnen des inneren Gender (Mainstreaming) Aktionsfeldes. Sie stehen zum Teil zwischen dem ‚naturalistischen‘ (Quantitäts- und Ressourcen-Argument) und konstruktivistischen Wissenschaftsverständnis. Diese Zwischenposition impliziert die Zumutung, die Organisationen für die sie tätig sind, und die eigenen Handlungsmöglichkeiten aus der Geschlechterperspektive selbstkritisch zu betrachten, somit die Positionen als handelnde Personen in den jeweiligen (administrativen, politischen, wissenschaftlichen etc.) Feldern selbst-kritisch zu befragen. Eine geschlechtersensible Selbstreflexivität von Genderexpert/inn/en zu erwarten, ist im untersuchten Machtfeld ungewohnt und provokativ, vor allem weil sie geeignet ist, die Autonomie und Geschlechtsneutralität als zentrale Kategorien des wissenschaftlichen Selbstverständnisses anzugreifen. Der künftige Erfolg des Gender Mainstreaming als geschlechterpolitische Strategie wird damit abhängig von der Lernfähigkeit der Akteurinnen und Akteure in Prozessen des Organisationslernens (Riegraf/ Zimmermann 2005; Bock et al. 2004 und 2006) sowie vom Zugang zu geschlechterrelevantem Wissen (Bothfeld 2005: 132). Beurteilungen des kritisch-reflexiven Gehalts von Genderwissen und seine Verwendung als Genderexpertise haben im Ergebnis dieser Untersuchung zwei Ebenen in Erwägung zu ziehen: Erstens die Genderexpertise als Beratung von Politik, deren Ziel hauptsächlich die zu erhöhende Frauenbeteiligung in der europäischen Forschung und Wissenschaft ist (Ressourcenargument). Zweitens Genderwissen als Ressource einer Aufklärung über vergeschlechtlichte Strukturen und Prozesse in Wissenschaft und Forschung, die unserer Einschätzung nach in die Zuständigkeit der Frauen- und Geschlechterforschung fällt. Ein kritisches Geschlechterwissen weist über das Ressourcenargument hinaus auf vergeschlechtlichte Substrukturen, implizites Wissen, stereotype Geschlechterbilder, Hierarchisierungen und Wirkungen symbolischer Gewalt, über die Aufklärungsbedarf weiterhin besteht. Für Aufklärung in diesem Sinne ist Genderwissen erforderlich, das sich dem forschungspolitischen Mainstream gegenüber kritisch verhält, aber nicht deshalb als kritisch einzuschätzen ist, weil es an das weibliche (biologische) Geschlecht gebunden ist. Wie sich gezeigt hat, verlaufen in der Praxis die Koalitionsbildungen über die biologischen Geschlechtergrenzen hinweg: Naturwissenschaftlerinnen
8.3 Geschlechterwissen und Genderexpertise im Prozess
121
grenzen sich von Sozialwissenschaftlerinnen ab und umgekehrt, Politikerinnen und Bürokratinnen gehen Koalitionen mit Männern und mit Frauen ein, die sie als gendersensibel wahrnehmen und denen sie ein entsprechendes Gender Commitment attestieren. So ermöglichen sie kollektives Handeln und Allianzen zwischen Insidern und Genderexpert/inn/en. Generelle Vorstellungen von Frauen und Männern als biologische Geschlechter und Träger/innen sozialer (männlicher und weiblicher) Rollen werden damit obsolet, wie das untersuchte Praxisbeispiel zeigt. Im Gegenteil, notwendig sind kritische Genderexpertisen, die es schaffen, sich gegen die (rein) biologische Klassifizierung und Ressourcenargumentation abzusetzen. Diese Notwendigkeit spiegeln kritische Positionen im Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung zum Gender Mainstreaming. Wenn als Manko des Gender Mainstreaming genannt wird, dass es als „selbstverständlich gegeben“ voraussetzt, „was in der Genderforschung und feministischen Theorie seit annähernd zehn Jahren als theoretisch und methodisch kontraproduktiv diskutiert wird, und sich zudem als empirisch höchst ungenau erwiesen hat“ (Wetterer 2002: 137), ist es genuine Aufgabe der Frauen- und Geschlechterforschung zu formulieren, wie ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse in politisches Handeln und somit in Implementationsprozessen praktisch umsetzbar sind. Das heißt Strategien zu finden, wie das kritische Potenzial wissenschaftlichen Genderwissens feldangemessen „anschlussfähig“ gemacht werden kann, um sich als Frauen- und Geschlechterforscherinnen an der wissenschaftlichen Politikberatung beteiligen zu können. Wird Gender Mainstreaming als ein offenes Konzept verstanden, dann können feministische Wissenschaftlerinnen an der Umsetzung mitwirken (Baer/Kletzing 2004, Stiegler 2004), sei es in der wissenschaftlichen Politikberatung, sei es als Lobbyarbeit in Wissenschaftlerinnennetzwerken. Letztere könnten allerdings als ‚Frauennetzwerke‘ bald wieder der Abwertung ausgesetzt sein, die ‚Frauengruppen‘ und ‚Frauenthemen‘ im wissenschaftlichen wie im politischen Feld (unterschiedlich strukturiert) leicht erfahren. Sie wären daher durch Gender-Netzwerke zu ergänzen, die auf Allianzen zwischen Insidern und Genderexpert/inn/en aus unterschiedlichen Implementationsfeldern zielen, um so den Druck zu erhöhen. Ein solcher Anspruch hat allerdings zu berücksichtigen, dass die Wissenschafts- und Forschungspolitik auf der einen und die Gleichstellungs- bzw. feministische Politik auf der anderen Seite in distanziert kritischen Verhältnissen zueinander stehen. Und auch die Frauen- und Geschlechterforschung als Teilbereich des wissenschaftlichen Feldes will sich von „der Politik“ (außer der finanziellen Förderung und Bereitstellung von Rahmenbedingungen) keine personellen und schon gar keine inhaltlichen Vorgaben machen lassen.
122 8.4
8 Fazit und Schlussfolgerungen
Lissabon und Bologna als politische Legitimation
Eine realitätsnahe Einschätzung der Spielräume durch Gender Mainstreaming ist vor dem Hintergrund des angestrebten wettbewerbsfähigen Europäischen Forschungsraumes (Lissabon Strategie) und Europäischen Hochschulraumes (Bologna Prozess) zu betrachten. Von diesem europäischen Forschungs- und Hochschulraum wird erwartet, dass sich Europa die Möglichkeit schafft, „sein außerordentliches Potenzial aufzuwerten und (...) zur ‚wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbestimmten Wirtschaft der Welt‘ zu werden“ (Europäische Kommission 2002a: 9, Hervorh. i.O.). Dies wird besonders deutlich in der Konzentration auf naturwissenschaftlich-technische Forschungsfelder im Sechsten Forschungsrahmenprogramm (mit Fortschreibung im Siebten), von denen die EU sich vor allem im Wettbewerb mit den USA und Asien ökonomische Vorteile und einen europäischen „Mehrwert“ verspricht.34 Die untersuchten Gender Mainstreaming Aktivitäten im Wissenschafts- und Forschungsbereich sind im Kontext dieser globalen Wettbewerbsstrategien zu sehen, denn die europäische Wissenschafts- und Forschungspolitik bezieht hieraus einen gewichtigen Teil ihrer politischen Legitimation (zur politischen Legitimation des Europäischen Forschungsraums in Verbindung mit der Leitidee der „Wissensgesellschaft“ vgl. z.B. Heidenreich 2002). Den Bildungs- und Forschungsinstitutionen ist forschungsstrategisch auf der EU- und der Ebene der Mitgliedstaaten die Funktion zugewiesen, ökonomisch verwertbare (Human-)Ressourcen für die Stärkung des Standorts Europa zu produzieren. Die „Stärkung der Stellung und Rolle der Frauen in Wissenschaft und Forschung in Europa“ (Europäische Kommission 2001: 5) soll dieses Ziel (möglichst) unmittelbar unterstützen. Daran schließen auch die drei geschlechterpolitischen Ziele an, die im Kontext des Sechsten Forschungsrahmenprogramms der EU entwickelt wurden: – Erstens Initiativen zur quantitativen Erhöhung von Frauenanteilen in Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Forschungsabteilungen der Unternehmen (Industrieforschung) in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union; – Zweitens die Forschungsförderung für Themen der Geschlechterforschung zu öffnen, die Vertragsnehmer/innen zur Vorlage von Gender Actionplänen zu verpflichten, und die geförderten Projekte unter dem Gesichtspunkt zu evaluieren, inwieweit sie Geschlechteraspekte in ihren Forschungsthemen berücksichtigen. 34
Der europäische Mehrwert ist, wie in Kapitel 7.3 zur Exzellenzauswertung von Forschungsanträgen dargestellt, ebenfalls ein gegenüber Gender dominantes Qualitätskriterium bei der Evaluation der EU-finanzierten Forschungsprojekte.
8.5 Legitimationskrise der Wissenschaft und wissenschaftlichen Wissens
123
– Drittens Genderexpertisen auch in den Mitgliedstaaten heranzuziehen, um „subtile Diskriminierungen von Frauen“ aufzuspüren und „geschlechtsneutrale Vorstellungen von Exzellenz und Leistung“ zu erarbeiten (Europäische Kommission 2001: 5). Genderexpertisen in die wissenschaftliche Politikberatung und Forschungsevaluation einzubeziehen, heißt für den hier betrachteten Untersuchungszeitraum, dass die Genderperspektive in der Wissenschaft tendenziell aufgewertet wurde. Politisch normative Aufwertung einerseits und ökonomische Instrumentalisierung andererseits konstituieren jedoch ein spannungsreiches Verhältnis, in dem Gender Mainstreaming im Machtfeld der forschungspolitischen Steuerung implementiert wurde und künftig angewandt wird. Dieses Machtfeld, als strukturierter Raum sozial positionierter Akteur/inn/en in Relation zueinander, bildet auch die Folie für die politische Legitimation von Gleichstellungs- bzw. Geschlechterpolitik (in der europäischen Forschung und Wissenschaft). Entsprechend werden Fragen der doppelten, (geschlechter-)demokratischen und wissenschaftlichen Legitimation politischer Entscheidungen feldtheoretisch als Machtfragen aufgegriffen (zur Doppellegitimation politischer Entscheidungen vgl. die Einleitung mit dem Hinweis auf Weingart 2004).
8.5
Legitimationskrise der Wissenschaft und wissenschaftlichen Wissens
Dass Gender Mainstreaming für Wissenschafts- und Forschungspolitik im Zuge der europäischen Integration überhaupt an Bedeutung gewinnen konnte, hängt mit der „Verbreitung von Gleichberechtigungsnormen im Kontext der Universalisierung westlicher Rationalitätsimperative zusammen“ (Wobbe 2001: 335). Die Universalisierung der (westlichen) Gleichstellungsnormen steht für die Legitimationskrise von Wissenschaft und Forschung seit die Ansprüche von Frauen an die Mitgestaltung von Wissenschaft und Forschung öffentlich und im Amsterdamer Vertrag seit 1997 zur offiziellen europäischen Politik erklärt worden sind. In diese Legitimationskrise sind die Institutionen der Wissenschaft und Forschung in den Mitgliedstaaten der EU schon zuvor geraten, da das ‚den Frauen selbst‘ zugeschriebene wissenschaftliche Qualifikations- bzw. Qualitätsdefizit als Begründung für ihre Abwesenheit im wissenschaftlichen Feld angesichts der hohen Bildungsbeteiligung von Frauen nicht mehr ausreicht. Angesichts der Bildungserfolge sind die Organisation von Wissenschaft und Forschung mit ihren sozialen Praktiken der Personalrekrutierung für die Spitzenpositionen längst in die Schusslinie geraten. Das Selbstverständnis einer „geschlechtsneutralen Wissenschaft“, wie es auch bei
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8 Fazit und Schlussfolgerungen
der ETAN-Gruppe anklingt, ist im ausgehenden 20. Jahrhundert auch deshalb in Frage zu stellen, weil nicht nur die organisationalen Regelsysteme und die Verfahren von Leistungsfeststellung und Anerkennung, sondern auch die inhaltlichen Aussagen und Schwerpunktsetzungen durch die Frauen- und Geschlechterforschung und feministischen Wissenschaftskritik in Frage gestellt wurden, und ihrerseits zur wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion beigetragen haben. Hieraus resultieren unter anderem die tiefgehenden Vorbehalte gegenüber ‚typisch männlichen‘ Wissenschaftskarrieren. Die Deutung einer vergeschlechtlichen Wissenschaft teilen nicht alle Expert/inn/en, die im Rahmen dieser Untersuchung befragt wurden. Dennoch lässt sich an dem analysierten Praxisbeispiel ein Stück weit aufzeigen, wie weit die Legitimationskrise einer Forschung bzw. Wissenschaft ‚ohne Frauen‘ reicht. So ist mit der Zielformulierung eines 40% Frauenanteils in allen Gremien auf EU-Ebene der Forderung Rechnung getragen, dass im Rahmen einer demokratieverträglichen Wissenschaftsentwicklung mehr Wissenschaftlerinnen als bisher in die Spitzenpositionen zu integrieren sind. In dieser Frage der unzureichenden personellen Beteiligung, die als ein Ausdruck der Legitimationskrise zu sehen ist, ist das wissenschaftliche Feld mit dem politischen Feld vergleichbar und doch sehr speziell. Gemeinsamkeit besteht in beiden Feldern insofern, als die Integration von Frauen (und mit dem Diversity Ansatz potenziell auch anderer bisher marginalisierter sozialer Gruppen) mit der Mobilisierung neuer Ressourcen im Europäischen Forschungsraum begründet wird. Die Legitimationskrise, die die wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung selbst betrifft, schließlich ist diese bisher unter weitgehendem Frauenausschluss erfolgt, ist in ihren Auswirkungen auf die Generierung von Erkenntnissen (Themenwahl und Zuschnitt) in der europäischen Forschungspolitik angegangen worden, ist aber mit dem vorrangigen Ressourcenargument qualitativ sehr reduziert geblieben. Da die Implementation auf der EU-Ebene organisatorisch auf das Referat Frauen und Wissenschaft beschränkt blieb und im Sechsten Forschungsrahmenprogramm lediglich in der Rubrik Wissenschaft und Gesellschaft inhaltlich avisiert ist,35 ist der Universalverdacht der Frauen- und Geschlechterforschung nicht gänzlich von der Hand zu weisen, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse in ihrer bisherigen inhaltlichen Ausrichtung den Ausschluss der Frauen- und Geschlechterforschung perpetuieren. Zumindest ist dieses Kernproblem der Legitimationskrise von Wissenschaft und Forschung (vgl. z.B. Nowotny/Scott/Gibbons 2005) nicht weitergehend problematisiert worden. Um dieses Problem in Angriff zu nehmen, fehlen bisher 35
Andere Autorinnen haben auf die damit verbundene Ausblendung anderer Themen sozialer Ungleichheit außerhalb des Wissenschafts- und Forschungsbereichs hingewiesen (vgl. z.B. Sartori 2003)
8.5 Legitimationskrise der Wissenschaft und wissenschaftlichen Wissens
125
die Konsensmöglichkeiten im wissenschaftlichen wie im politischen Feld. Hier stößt die Politik europäischer Integration wie sie mit der Netzwerkarchitektur der wissenschaftspolitischen Steuerung und Kooperationskompetenz der Europäischen Kommission verfolgt wird, auf strukturelle Grenzen, vor allem in vertikaler Richtung, also top down von der europäischen Ebene ohne Regierungsgewalt in die nationalstaatlich organisierten Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Entsprechende bottom ups sind bisher nicht erfolgt. Wie die Analyse von Gender Mainstreaming als neues inneres Aktionsfeld im europäischen Machtfeld ergibt, bot der konzeptionelle Flexibilitäts-Faktor (stretchfactor, vgl. Verloo 2005: 120 sowie Kapitel 2) von Gender Mainstreaming in der praktischen Umsetzung einige Anschlussmöglichkeiten. Diese Formbarkeit brauchen alle Politikkonzepte, die erfolgreich sein wollen, mit anderen Worten: um als mobilisierende Kräfte wirksam zu werden. Auf die Formbarkeit des Konzepts wird bislang im sozialwissenschaftlichen Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung zu Gender Mainstreaming vor allem in den Stellungnahmen der Pragmatikerinnen hingewiesen (vgl. Kapitel 2). Da sie als Personen oft zugleich Akteurinnen in Feldern der Umsetzung sind, sind sie als Praktikerinnen eher gezwungen, die eingespielten Machtspiele ins Visier zu nehmen und praktisch etwas entgegen zu setzen, während die Wissenschaftlerinnen kritisch und distanziert eher dazu neigen, sich ‚jenseits von Politik‘ zu positionieren und abzugrenzen. Damit politisches und administratives Verfahrenswissen und wissenschaftliches Geschlechterwissen in den Personkonstellationen vor Ort zusammenkommen können, bedarf es der besonderen Kompetenz, die individuellen Gelegenheitsfenster, d.h. die jeweiligen Erfahrungen in und mit den Feldern der Politik, Wissenschaft und Bürokratie etc. der einzelnen Akteurin zu Gelegenheitsstrukturen zu verdichten, die kollektives Handeln ermöglichen. Vor dem feld- und machtheoretischen Hintergrund ist bei den Gelegenheitsfenstern und -strukturen nicht von Glücksfällen oder dem glücklichen Zusammentreffen günstiger Umstände zu sprechen. Vielmehr davon, dass es bei der Politikberatung durch Wissenschaft wissenschaftliche Gender Expertinnen gab, die rekrutiert werden konnten, weil sie schon zuvor als Beraterinnen für andere EU-Institutionen (z.B. in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik) tätig waren oder sich durch Veröffentlichungen bekannt gemacht hatten. Sie wurden von den initiierenden EU-Bürokratinnen zur Kenntnis genommen, und legten daher eine Rekrutierung als Gender Expertin nahe. Die Rekrutierungsoptionen waren somit historisch vorbereitet, „a fit between existing frames and the frames of change agent“ (Verloo 2005: 124) und im Vorfeld gegeben. Ausgehend von den Untersuchungsergebnissen ist festzuhalten: Eine Transformation von der normativen Politikorientierung in ein Verwaltungshandeln scheint bei der Implementation von Gender Mainstreaming unausweichlich, allein des-
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8 Fazit und Schlussfolgerungen
halb weil dies politische Strategien und Interessen erfordert, die auf Veränderungen bei den Organisationsspitzen zielen, die auch die Verantwortung für die Zustände des je eigenen Feldes tragen. Da Gender Mainstreaming im Kontext des New Public Management bei den Herrschenden in den jeweiligen sozialen Feldern ansetzt, ist es auch ein elitäres Konzept. Es adressiert die wissenschaftlichen, politischen und administrativen Spitzen ebenso wie die „Stakeholder“ in den Unternehmen und Wissenschaftsorganisationen der Mitgliedstaaten, wie sie im Sprachgebrauch der offiziellen Politik heißen. Ein grundlegendes Problem wird virulent, wenn Theorie (wissenschaftliches Genderwissen) und Praxis (pragmatisches Genderwissen) zusammengebracht werden (sollen). Die Kluft, die sich bei der Einspeisung kritischen Genderwissens in die Prozesse auftut, durchschneidet den Kreis der Kritikerinnen wie der Praktikerinnen von Gender Mainstreaming. Welche Frauen- und Gleichstellungspolitik, welche Politik im Interesse von Frauen noch konsensfähig ist oder als feministisch zu bezeichnen wäre, wird zu einer entscheidenden Frage in dem eingangs thematisierten Diskurs. Daran knüpft der zweite strittige Punkt in dem Diskurs der Frauen- und Geschlechterforschung zum Gender Mainstreaming an: die Vermutung, dass Gleichstellungs- bzw. umfassend Geschlechterpolitik im politischen Prozess mehr oder weniger offensichtlich in betriebswirtschaftliches bzw. Verwaltungshandeln tranformiert wird. Es ist die soziologische Frage nach dem Punkt, an dem politische Reformrhetorik in soziales Handeln übergeht. Der Transformationsbegriff wurde in dieser Untersuchung so konzeptualisiert, dass ein neues von der offiziellen EU-Politik akzeptiertes Konzept, das ursprünglich aus dem entwicklungspolitischen Diskurs stammt, in die Logik der sozialen Praxis eines spezifischen sozialen bzw. Machtfeldes, hier der EU-Forschungsund Wissenschaftspolitik übersetzt wird. Letztlich geht es in der Tat um „Einpassung“, die Transformationen der kritisierten Art nach sich zieht. Das wurde an dem Praxisbeispiel des europäischen Machtraums forschungspolitischer Steuerung empirisch konkretisiert. Generalisierende Aussagen zum Transformationspotenzial ‚der Geschlechterpolitik‘ oder ‚der feministischen Politik‘ im Prozess der europäischen Integration lassen sich auf der Basis der Feldtheorie methodologisch nicht begründen, dazu wäre es mindestens notwendig weitere Praxis- und Machtfelder (Länder) vergleichend zu untersuchen und im Vergleich die Gemeinsamkeiten von feldspezifischen Stärken und Schwächen des Gender Mainstreaming etc. aufzuarbeiten. Da feldtheoretisch und -methodologisch zudem nicht davon auszugehen ist, dass Wissenschaft die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln ist, kann es hier nicht darum gehen, der feldspezifischen Praxis die ‚richtige‘ Transformationsstrategie anzuempfehlen. Das entscheidet sich in der sozialen Praxis in den jeweiligen Feldern und ihren Machtverhältnissen.
8.5 Legitimationskrise der Wissenschaft und wissenschaftlichen Wissens
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Die Aufgabe ‚soziologischer Aufklärung‘ durch Frauen- und Geschlechterforschung ist im Fazit darin zu sehen, die (kontroversen) Stellungnahmen von Theoretikerinnen und Praktikerinnen von Gender Mainstreaming wie auch andere politische Meinungen auf die zugehörigen Positionen im Machtfeld zurückzuführen, dabei die eigene Position in Relation zu anderen einzuschließen, um so das wissenschaftliche Reflexionswissen zu produzieren, von dem eingangs (in Kapitel 2) die Rede war.
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Literatur und Dokumente
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Europäischer Rat 1986: Zweites mittelfristiges Aktionsprogramm der Gemeinschaft für die Chancengleichheit von Männern und Frauen (1986-1990) Europäischer Rat 1991: Drittes mittelfristiges Aktionsprogramm der Gemeinschaft für die Chancengleichheit von Männern und Frauen (1991-1995) [Amtsblatt C 142] Europäischer Rat 1995: Viertes mittelfristiges Aktionsprogramm der Gemeinschaft für die Chancengleichheit von Männern und Frauen (1996-2000), (95/593/EG), [Amtsblatt L 335] Europäischer Rat 1999: http://europa.eu.int/comm/research/science-society/pdf/g_wo_res_de.pdf Europäischer Rat 2000: Fünftes mittelfristiges Aktionsprogramm der Gemeinschaft betreffend die Gemeinschaftsstrategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2001-2005) [Amtsblatt L 17] Europäischer Rat 2000a: Entscheidung 2001/51/EG des Rates vom 20. Dezember über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft betreffend die Gemeinschaftsstrategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2001-2005) [Amtsblatt L17 vom 19.1.2001] Europäischer Rat 2000b: Entschließung des Rates vom 16. November 2000 zur Verwirklichung eines Europäischen Raums der Forschung und Innovation: Leitlinien für die Maßnahmen der Union auf dem Gebiet der Forschung (2002-2006), (2000/C 374/01) Europäischer Rat 2001: Entschließung des Rates zu Wissenschaft und Gesellschaft und zu Frauen in der Wissenschaft, (10357/01). www.europa.eu.int/comm/research/science-society/pdf/10357d1.pdf Europäischer Rat 2003: Resolution on equal access and participation of women and men in the „knowledge based society for growth and innovation“ (2003/C 317/03) Europäisches Parlament 1997: Bericht über die Mitteilung der Kommission – Einbindung der Chancengleichheit in sämtliche politische Konzepte und Maßnahmen der Gemeinschaft. A4-0251/97 Europäisches Parlament 1999: Entschließung des Parlaments vom 02.02.2000 zur Mitteilung der Kommission „Frauen und Wissenschaft“ – Mobilisierung der Frauen im Interesse der europäischen Forschung, (KOM (1999) 76 – C5-0103/1999 – 1999/2106(COS)). A5-0082/1999/rev. http://europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/2000/c_309/c_30920001027de00570060.pdf Europäisches Parlament 1999a: Bericht über die Mitteilung der Kommission „Frauen und Wissenschaft“ – Mobilisierung der Frauen im Interesse der europäischen Forschung, (KOM (1999) 76 – C5-0103/1999 – 1999(2106(COS)) Europäisches Parlament 1999c: Beschluss des Parlaments und des Rates vom 22. Dezember 1998 über das 5. Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration 1998-2002, (182/1999/EG). Amtsblatt L26/1. http:// europa.eu.int/eur-lex/pri/de/oj/dat/1999/l_026/l_02619990201de00010031.pdf Europäisches Parlament 2000: Bericht über die Jahresberichte der Kommission „Chancengleichheit für Frauen und Männer in der Europäischen Union – 1997, 1998, 1999“, A5-0198/2000. http:// europa.eu.int/comm/employment_social/equ_opp/report_de.html Europäisches Parlament 2000a: Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Mitteilung der Kommission „Frauen und Wissenschaft“ (Mobilisierung der Frauen im Interesse der europäischen Forschungspolitik (KOM(1999) 76 - C5-0103/1999 ( 1999/2106(COS)). http://europa.eu.int/eurlex/pri/de/oj/dat/2000/c_309/c_30920001027de00570060.pdf Europäisches Parlament 2001: Entschließung des Parlaments vom 15.02.2001 zur Verwirklichung eines Europäischen Raums der Forschung und Innovation: Leitlinien für die Maßnahmen der Union auf dem Gebiet der Forschung (2002-2006), (C5-0738/2000 – 2000/2334(COS)) Europäisches Parlament und Europäischer Rat 2002: Beschluss Nr. 1513/2002/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2002 über das Sechste Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration als Beitrag zur Verwirklichung des Europäischen Forschungsraums und zur Innovation (2002-2006). Amtsblatt L232/1 http://www.eu.uni-hannover.de/downloads/6frp/6FRP_ueberblick_Rechtsgundlage RP6.pdf Vereinte Nationen 1995: Bericht Der vierten Weltfrauenkonferenz in Peking. http://www.un.org/Depts/ german/conf/fs_konferenzen.html