Alarm auf den von Humanoiden bewohnten Planeten der erforschten Galaxis! Unbekannten war es gelun gen, auf dunklen Kan...
31 downloads
1079 Views
589KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Alarm auf den von Humanoiden bewohnten Planeten der erforschten Galaxis! Unbekannten war es gelun gen, auf dunklen Kanälen die gefürchteten HypnoJuwelen einzuschmuggeln, deren schädliche Strah lung in der Lage war, das Gehirn zu beeinflussen. Auch auf der Erde, die erst vor kurzem in die Völker gemeinschaft der galaktischen Welten aufgenommen worden war, wächst die Besorgnis. Lloyd Catton, von seiner Regierung mit den Ermittlungen beauftragt und mit allen Vollmachten ausgestattet, reist nach Morilar, dem Sitz der Interplanetaren Polizeiorgani sation, um sich über den Stand der Ermittlungen zu informieren. Viel hat man inzwischen nicht heraus bekommen, aber als Catton auf Morilar eintrifft, be ginnen sich die Vorfälle zu häufen. Denn Catton hat schon bald durchschaut, daß der illegale Schmuggel mit den Hypno-Juwelen nur Teil eines umfassenden Planes war, die Erde von der übrigen Welt zu isolie ren und ihre Zivilisation in die Barbarei zurückzu werfen.
Ullstein Buch Nr. 3131 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Titel der amerikanischen Originalausgabe: THE PLOT AGAINST EARTH Übersetzung von Günter Riedmaier
Umschlagillustration: Dell Umschlaggraphik: Ingrid Roehling Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1959 by Ace Books, Inc. Übersetzung © 1975 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Printed in Germany 1975 Gesamtherstellung: Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH ISBN 3 548 03131 5
Calvin M. Knox
Verschwörung
gegen die Erde
SCIENCE-FICTION-Roman
Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch
1
Es war ein klarer Morgen. Die Sonne, ein grell strah lender gelbweißer Ball, stieg allmählich zu ihrer Mit tagsstellung auf und warf in den Straßen von Dyelle ran noch lange Schatten. Auf dem Hauptkontinent von Morilar war gerade Sommer, und so beeilten sich die Leute auf den Straßen, schnell wieder in den schützenden Schatten der Häuser zu kommen. Nur ein paar Unentwegte blieben trotz der Treibhaushitze stehen, um dem Terraner neugierig nachzustarren. Lloyd Catton war sein Name. Er war groß, genauso groß wie die hochgewachsenen Bewohner von Mori lar, aber im Gegensatz zu ihnen kräftig gebaut, nicht so spindeldürr wie sie. Er konnte schon einiges ver tragen – selbst einen Fußmarsch in der Mittagshitze von Morilar, und die betrug im Mittel gut und gern ihre fünfundvierzig Grad. Man mußte schon einige Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen, wenn man eine fremde Welt besuchte. Catton trug die übliche Kleidung der terranischen Diplomaten: eine leichte, ärmellose Kombination in Rot, grüne Samthandschuhe, die an den Nähten orange verbrämt waren, und eine breite goldene Schärpe. Sein dunkles Haar war kurz geschnitten. Der blitzende Strahler, der an seiner Schärpe hing,
diente rein zeremoniellen Zwecken, er konnte über haupt nicht abgefeuert werden und war auch gar nicht dazu bestimmt. Es gab ein Gesetz auf Morilar, das es allen Fremden verbot, irgendeine Art von funktionierenden Waffen zu tragen, aber andererseits verlangte die offizielle Stellung Cattons, daß er we nigstens eine Zierwaffe hatte. In der Linken hielt er eine Diplomatentasche, in der er seine Erkennungsmarke sowie seine Bestallung als Sonderbeauftragter der terranischen Weltregierung verwahrt hatte. Der Schweiß lief ihm in Strömen über Rücken und Schultern und ließ seine Kombination am Körper ankleben. Ein ekelhaftes Gefühl, noch da zu, wenn man bedachte, daß ihn seine Mission einige Zeit auf Morilar festhalten würde. Es würde ihm also wohl auf die Dauer nichts anderes übrigbleiben, als sich an dieses widerliche Klima zu gewöhnen. Er überquerte eine breite, vorbildlich gepflasterte Straße und blickte zu der Schrifttafel empor, die an der Wand befestigt war. »Straße der Regierung« stand dort in den keilförmigen Schriftzeichen der Morilaru zu lesen. Er nickte befriedigt. Das war die Straße, die er gesucht hatte. Und er hatte seinen Weg von der terranischen Gesandtschaft quer durch die ganze Stadt bis hierher gefunden, ohne einen einzi gen Morilaru fragen zu müssen. Aber er dachte den Gedanken gar nicht erst zu Ende, das war in seinem
Beruf schließlich eine Selbstverständlichkeit und nicht der Rede wert. Gestern abend war er mit einem Kurierschiff nach einem Nonstop-Flug von der Erde hier angekommen. Er wohnte in der terranischen Gesandtschaft. Gleich nach der Ankunft war er dem Gesandten und seiner at traktiven jungen Tochter vorgestellt worden. Estil hieß das Mädchen, erinnerte er sich. Und heute sollte er der interstellaren Polizeikommission, deren Mitglied er geworden war, seine Papiere vorlegen. Catton war auf seine Aufgabe gut vorbereitet worden. Man hatte ihn sorgfältig aus dem Spezialagentenkorps der Erde aus gewählt. So stand er nun am Anfang der breiten Straße und blickte gen Westen. Beiderseits erhoben sich im posante Gebäude in den weißen Himmel. Er überflog die Hausnummern, bis er gefunden hatte, was er such te. Dort – Nummer achtzehn, Straße der Regierung. Das hochragende Haus mit dem grau-gelben Mosaik. Catton schritt auf den Eingang zu. Eine Tür gab es nicht, nur ein golden schimmern des Kraftfeld. Er trat hindurch und verspürte dabei einen kaum wahrnehmbaren Ozongeruch. Er wußte, daß man ihn soeben nach verbotenen Waffen durch leuchtet hatte, und er wußte auch, daß er das Feld nie lebend passiert hätte, wenn er etwas anderes als die Strahlerattrappe bei sich gehabt hätte. Die Morilaru waren von Natur aus eine mißtrauische Rasse.
Ein Wachtposten schritt in der angenehm kühlen Vorhalle, die in ihrer Nüchternheit fast steril wirkte, auf und ab. Er starrte Catton neugierig an, schließlich kam nicht jeden Tag ein Terraner zu Besuch. Catton ging etwas langsamer und fragte sich, ob der Posten ihn aufhalten würde, aber der Mann machte keine Anstalten. So ging er weiter und trat in den offenen Liftschacht im Hintergrund des Empfangsraumes. Kaum war er drinnen, da schlossen sich die Wände des Lifts um ihn. Catton sah die Zählscheibe kurz an und stellte sie dann auf sechzehn, das heißt natürlich auf das entsprechende Äquivalent in Morilaru. Dann stieg die Kabine leise summend in die Höhe, bis das sechzehnte Stockwerk erreicht war. Catton trat hin aus. Er stand vor einer Bürotür mit einer nach Art der Morilaru von rechts nach links verlaufenden Auf schrift: INTERSTELLARE POLIZEIKOMMISSION
Bitte eintreten, ohne anzuklopfen
Catton legte die Hand auf die Türplatte, und die Tür schwang vor ihm auf. Er stand auf der Schwelle, und seine Hand krampfte sich um den Griff seiner Di plomatentasche. Eine Empfangsdame lächelte ihm kühl entgegen.
Es war unmöglich zu sagen, wie alt sie war, sie konn te ebensogut zwanzig wie siebzig sein. Ersteres war freilich wahrscheinlicher, denn sie trug den grünen Kamm im Haar, und das war auf Morilar das Zei chen, daß sie noch unverheiratet war. Ihre Haut hatte einen leicht purpurnen Schimmer, und ihre karmin roten Augen hoben sich strahlend von ihrem Antlitz ab. Die enganliegende Bluse, die sie trug, ließ ihre Schultern unbedeckt und die drei kleinen, etwa drei Zentimeter hohen Vorsprünge sehen, die die deut lichste anatomische Unterscheidung zwischen Terra nern und Morilaru waren. Sie sagte auf Morilaru: »Sind Sie bestellt, bitte?« Catton nickte. »Pouin Beryaal erwartet mich. Mein Name ist Lloyd Catton. Von der Erde.« Er beherrschte die Sprache fließend, aber das war nach einhundert Stunden intensivster Hypnoschulung in den drei wichtigsten Morilarudialekten auch kein Wunder. »Lloyd Catton«, wiederholte sie mechanisch, als wolle sie sich seinen Namen für alle Zeiten merken. »Von der Erde. Und Pouin Beryaal erwartet Sie. Ja. Einen Augenblick bitte, Lloyd Catton, ich will gleich nachfragen.« Catton wartete geduldig, während sie die Sprech anlage einschaltete. Sie sprach jetzt in einem anderen Dialekt und dachte offenbar nicht daran, daß Catton sie dennoch verstehen würde. Aber sie sagte nur:
»Dieser Erdmann ist da, auf den Sie warten, Pouin Beryaal.« Aber der Ton, in dem sie sprach, klang ver ächtlich, so viel hatte er schon von den Nuancen der Morilarusprache gelernt. Catton ärgerte sich nicht darüber, aber es interessierte ihn. Er mußte ja schließ lich wissen, was diese Leute, gleich ob Empfangsda men oder einflußreiche Politiker, von den Erdenmen schen hielten. Pouin Beryaals Antwort konnte er nicht hören, aber ein paar Augenblicke später ging eine Tür auf, und ein riesiger, purpurfarbener Morilaru mit unendlich langen, dünnen Spinnenarmen und -beinen trat her aus. »Ich bin der Sekretär von Pouin Beryaal«, sagte der Morilaru. »Folgen Sie mir.« Catton trat hinter ihm ein. Im inneren Büro war der Luftdruck merklich niedriger, offenbar gab es hier Klimaanlagen. Catton empfand zwar ein unange nehmes Knacken in den Ohren, er freute sich aber dennoch darüber, dem Dampfbad wenigstens für ei ne Weile entronnen zu sein. Dieses feuchte Klima von Morilar war wirklich die Hölle. Sein Führer legte die Hand auf eine Türplatte und ließ dann Catton in ein kreisrundes Büro eintreten, dessen Wände blaugrün schillerten. Ein Morilaru saß an der Stirnseite eines großen Ti sches, und seine Haltung und sein ganzes Benehmen ließen keinen Zweifel daran, daß das Pouin Beryaal,
der Vorsitzende der interstellaren Polizeikommission, war. Zu seiner Rechten saß ein ungeheuer fleischiges, orangefarbenes Wesen, das Catton als einen Bewoh ner von Arenadd erkannte, während zu Beryaals Lin ken ein schmales, graues Geschöpf aus dem System Skorg saß. Die drei Fremden blickten Catton mit un verhohlener Neugierde an. Schließlich brach der Morilaru das lastende Schweigen. »Ich bin Pouin Beryaal. Sprechen Sie Mo rilaru, Erdmann?« »Die Spielregeln der interstellaren Diplomatie ver langen von Regierungsbeamten, daß sie die Sprache des Planeten sprechen, auf dem sie tätig sind«, erwi derte Catton kühl. »Ich verstehe Ihre Sprache. Mein Name ist Lloyd Catton.« »Setzen Sie sich, Lloyd Catton«, sagte Beryaal, ohne auf Cattons etwas bissige Bemerkung einzugehen. Es war zwar schwer festzustellen, aber Catton hatte den Eindruck, als hätte Beryaals Stimme bewußt verlet zend geklungen. Er setzte sich. Er stellte seine Diplomatentasche vor sich auf den Tisch und legte den Daumen auf die Schließfläche. Der Mechanismus summte einen Au genblick, während sein Daumenabdruck geprüft wurde, dann sprang die Tasche ohne weiteres Zutun auf. Catton zog ein dünnes Bündel Papiere, die in ei nem grauen Aktendeckel lagen, hervor.
»Das sind meine Dokumente«, sagte er und reichte sie Beryaal. Der Morilaru nickte und blätterte eine Weile in den Dokumenten, ohne dabei die Miene zu verziehen. Als er bei der letzten Seite angekommen war, nickte er wieder und reichte die Papiere an den dicken Are naddin weiter. Die Augen des Arenaddin schienen förmlich aus ihren Fettwülsten hervorzutreten, als er die Dokumente betrachtete, die übrigens in den vier Hauptsprachen der Galaxis abgefaßt waren: Terra nisch, Morilaru, Arenaddinak und Skorg. Dann hatte auch er sein Studium beendet und reichte die Papiere dem Skorg über den Tisch hin über, der sich vorbeugte und sie mit beinahe furcht erregender Genauigkeit im Zeitraum von dreißig Se kunden überflog. »Ihre Papiere sind in Ordnung«, sagte Pouin Bery aal. »Die Erde hat nun einen Delegierten in der Kommission. Ich darf Ihnen noch Ihre Kollegen vor stellen: Ennid Uruod von Arenadd und Merikh eMe rikh von Skorg. Stört Sie die Atmosphäre hier im Raum, Lloyd Catton?« »Ich kann mich nicht beklagen.« »Ein Stoiker«, sagte der Skorg in einer hohlen Gra besstimme. »Er würde sich nicht einmal beklagen, wenn wir den Geruchsneutralisator abschalten wür den.«
»Ich bin nicht so empfindlich wie manche Erdmen schen«, sagte Catton, der an sich halten mußte. Der Skorg-Geruch war für einen Terraner nahezu uner träglich, aber er wußte auch, daß das verstärkt auch umgekehrt galt. Wenn jetzt der Geruchsneutralisator abgeschaltet würde, würde der Skorg sich nach fünf Minuten übergeben und am Boden wälzen, während Catton erst später eine Wirkung bemerken würde. »Ich hätte nichts dagegen«, sagte er deshalb bissig. »Das ist nicht nötig«, meinte Beryaal trocken. »Wir wollen Ihnen nicht absichtlich Ungelegenheiten ma chen, Erdmann. Sie sind ja schließlich Mitglied unse rer Kommission und somit ein Kollege.« Catton nickte höflich. Beryaals Worte, die wohl freundlich klingen sollten, konnten ihn nicht über das Gefühl der Spannung und Feindseligkeit hinwegtäu schen, das im Raum herrschte. Es war ja eigentlich nicht verwunderlich. Diese drei Fremden waren Re präsentanten von Rassen – Morilaru, Arenaddin und Skorg –, die sich schon seit Jahrhunderten kannten und die genauso lange miteinander im Wettbewerb gelegen hatten. Und diesen drei Rassen hatte sich plötzlich ein galaktischer Neuankömmling ange schlossen. Kein Wunder also, daß die alteingesesse nen Rassen der Galaxis den Neulingen von Sol III mit einigem Mißtrauen entgegensahen. Es waren seit dem ersten Kontakt zwischen den Menschen der Erde
und den anderen Rassen der Galaxis noch keine hun dert Jahre vergangen, nach galaktischen Maßstäben also nicht viel mehr als eine Sekunde. Pouin Beryaal riß ihn aus seinen Gedanken. »Als wir diese Kommission ins Leben riefen, hielten wir es für wünschenswert, auch einen Erdmenschen in un seren Reihen zu haben, und haben letzten Endes die Einladung ausgesprochen, die dazu geführt hat, daß Sie heute in unserer Mitte sitzen. Das Problem, mit dem wir uns befassen, ist ein Problem, das jede intel ligente Rasse in der ganzen Galaxis angeht.« »Aber kaum ein neues Problem«, polterte der dicke Arenaddin, »sondern vielmehr eines, das in den letz ten Jahren immer drängender geworden ist. Es ist jetzt die Zeit gekommen, gemeinsam etwas dagegen zu unternehmen.« »Haben Sie schon einmal einen Hypnostein gese hen, Erdmann?« fragte Beryaal. Catton schüttelte verneinend den Kopf. »Ich habe Filme darüber gesehen und weiß auch, was so ein Stein anrichten kann, aber ich habe bis jetzt noch kei nen gesehen.« Das Gesicht des Morilaru verzog sich zu einem schwachen Lächeln. »Sie sollten die Natur ihres Fein des kennen, Erdmann, ehe Sie den Kampf gegen ihn aufnehmen. Hier sehen Sie sich das genau an, und konzentrieren Sie sich ganz darauf.«
Pouin Beryaal zog einen kleinen glitzernden Ge genstand aus einem grünen Lederetui, das vor ihm auf dem Tisch lag, und schob ihn auf der polierten Tischplatte zu Catton hinüber. Es war ein kleiner Stein, groß genug, um in einem Ring gefaßt zu wer den. Seine Farbe war milchigweiß, und man hatte ihn in unregelmäßigen Facetten geschliffen. »Das?« fragte Catton. »Sehen Sie ihn sich nur genau an«, murmelte der Skorg. Catton fühlte sich zwar nicht ganz wohl dabei, konzentrierte sich aber dennoch auf die Oberfläche des Steines. Man hatte ihn schon bei Beginn der Mis sion darauf hingewiesen, daß er bei jedem Schritt, den er unternahm, auf Fallen achten sollte. Es war al so vielleicht besser, überlegte er, den Stein nicht an zusehen. Vielleicht hatten ihm diese drei Fremden ei ne unangenehme Überraschung zugedacht. Es war also wohl am klügsten, die Aufforderung mit einem höflichen Lächeln abzulehnen und den Stein zurück zugeben. Ja, dachte Catton, das war wohl das beste. Er würde ihn Pouin Beryaal zurückgeben. Er würde ... Er konnte seine Blicke nicht mehr von dem Stein lösen. Wie er jetzt bemerkte, glühte der Stein mit einem eigenen inneren Feuer. Es war ein warmer, strahlen
der Schein, der von der Mitte des Steines ausging und in tanzenden Reflexen den ganzen Stein wie die Wo gen eines Farbmeeres umgab. Catton lächelte. Dieser unirdische Farbenzauber war atemberaubend schön, eine Symphonie von roten, grünen und blauen Strah len, von der man sich nicht mehr losreißen konnte. Der Stein schien jetzt größer geworden zu sein. Es war unbeschreiblich angenehm, ihn anzusehen, dem Tanz der Farben zuzusehen und zu spüren, wie alle Spannung sich löste, wie alle Angst, die sich im Be wußtsein eines Menschen aufgespeichert hat, wie von einer mächtigen Hand weggewischt wurde. Und plötzlich schlug die Faust eines Fremden auf Cattons Handgelenk. Er schrie, und seine plötzlich kraftlos gewordenen Finger öffneten sich und ließen den Stein fallen. Er fiel zu Boden, wo er noch ein paar Sekunden in seinem Farbenmeer tanzte, bis Pouin Be ryaal ihn mit einer raschen Handbewegung aufhob und ihn wieder in das Etui steckte. Catton saß wie betäubt da. Sein Atem ging schwer. Er konnte fast eine halbe Minute lang kein Wort über die Lippen bringen. »Noch zehn Minuten«, sagte der Skorg, »und es hätte Sie den Verstand gekostet, wenn man Ihnen den Stein nicht weggenommen hätte. Wahrscheinlich ha ben Sie jetzt schon Kopfschmerzen.« »Ich komme mir vor, als hätte man mir das Gehirn
durch die Stirn gezogen und in diesem Stein einge schlossen«, murmelte Catton. »Die Wirkung setzt immer plötzlich ein«, sagte der Arenaddin. »Es gibt keine menschliche Rasse in der ganzen Galaxis, die ihr widerstehen könnte.« »Teuflisch«, sagte Catton leise. Er war tief erschüt tert. Bis zum Augenblick hatte es ihn nicht besonders interessiert, ob das Geschäft mit Hypno-Juwelen flo rierte oder nicht, seine wirkliche Aufgabe lag ja ganz woanders. Aber jetzt, da er die Wirkung des Steines am eigenen Leib verspürt hatte und ihm bewußt wurde, mit welcher Sehnsucht er noch an das dachte, was jetzt wieder in Beryaals Lederetui verstaut war, wurde ihm klar, daß dieses Problem viel ernster war, als er angenommen hatte. »Wo kommen diese Dinger her?« fragte Catton. »Das wissen wir nicht«, sagte Pouin Beryaal. »Manchmal hat es den Anschein, als kämen sie von außerhalb der Galaxis.« »Wir haben einen bestimmten Verdacht«, warf der Skorg ein. »Es gibt Rassen im Universum, nicht menschliche Rassen, die der hypnotischen Wirkung der Steine nicht verfallen. Vielleicht stellt eine dieser Rassen sie her und schleust sie in die menschlichen Welten. Aber wir wissen nichts Bestimmtes und ha ben keine Beweise. Jedenfalls muß der Handel mit diesen Steinen unterbunden werden.«
Catton nickte matt. Er war kein Schwächling, aber die paar Sekunden, die er dem Stein ausgesetzt war, hatten ihm alle Kräfte geraubt. »Ja, die Erde wird ihr Bestes tun, um im Kampf gegen diesen Schmuggel mitzuwirken.« »Die Steine sind absolut tödlich«, sagte der Are naddin erregt. »Man hat von Leuten gehört, die sie ihren Feinden per Post zuschicken – ein Blick genügt und sie kommen nicht mehr aus dem Bann des Ju wels heraus. Und dann gibt es andere, freiwillig Süchtige, die diesem Leben entfliehen, um sich ein paar Stunden der Traumwelt zu ergeben, die diese Steine bieten. Innerhalb einer Stunde kann kein Mittel in der ganzen Galaxis den Bann mehr brechen.« Catton nickte wieder. »Sie haben gut daran getan, einen Erdmenschen einzuladen, in dieser Kommissi on mitzuarbeiten. Das ist eine Sache, die alle Welten in gleichem Maße bedroht. Das geht über all die klei nen Meinungsverschiedenheiten hinaus, die im Au genblick vielleicht zwischen der Erde und den ande ren menschlichen Kulturen der Galaxis bestehen mö gen.« »Wohl gesprochen!« sagte Pouin Beryaal. Catton spürte mehr als eine Andeutung von Ironie in Bery aals Worten. Natürlich waren die hypnotischen Stei ne gefährlich. Aber die Feindschaft zwischen der Er de und der Achse Morilar-Skorg-Arenadd würde
nicht über Nacht verschwinden, nur weil alle vier Reiche gleichzeitig von diesen Hypnosteinen bedroht waren. Nur ein Narr würde das glauben, und weder Catton noch die Leute, die ihn für diese Mission aus gewählt hatten, waren Narren. »Haben Sie sonst noch – äh – Demonstrationen für mich?« fragte Catton. »Nur das noch«, sagte der Morilaru. Er holte ein dickes, ledergebundenes Buch aus einer Schublade. »Das ist ein Bericht über unsere bisherige Tätigkeit. Es wird Ihnen helfen, sich in unser Team einzufügen. Ich lasse es nur noch schnell auf Ihr Netzhautmuster einstellen.«
2
Catton wurde in ein Laboratorium geführt, das sich im gleichen Gebäude befand. Dort nahm ein Techni ker genaue Messungen seiner Augen vor. Das war bei den Morilaru eine durchaus übliche Sicherheitsvor kehrung. Nach diesen Messungen wurde seine Netz haut fotografiert und das so festgestellte Muster – das ebenso einmalig wie ein Fingerabdruck war – durch einen einfachen chemischen Vorgang jeder einzelnen Seite des Buches eingeprägt, das man ihm gerade ge geben hatte. Catton mußte dann später beim Lesen nach jeder Seite ein paar Sekunden lang den sensiti vierten Fleck ansehen, bis die Zeilen lesbar wurden. Wenn ein anderer den Versuch machen würde, in dem Buch zu lesen, würde es innerhalb weniger Se kunden zu Asche verbrennen. Als diese Arbeiten abgeschlossen waren, hatte Cat ton keine Ursache, länger in dem Gebäude zu bleiben. Solange er nicht die augenblickliche Situation kannte, konnte er seine Tätigkeit als Mitglied der Kommission nicht aufnehmen. Er packte das Buch sorgfältig in seine Diplomatentasche und verabschiedete sich höflich, wenn auch kühl, von den drei anderen Kommissaren und trat wieder in die brütende Hitze von Dyelleran, der Hauptstadt des Planeten Morilar, hinaus.
Es war inzwischen Nachmittag geworden. Die Pe riode der mittäglichen Siesta ging ihrem Ende zu. Die Temperatur betrug immer noch gute vierzig Grad, schätzte Catton. Man hatte ihm vor der Abreise von Terra versichert, daß es nur wenige Tage geben wer de, an denen das Quecksilber unter fünfunddreißig Grad sinken würde. Eigentlich war es unhöflich von Beryaal gewesen, überlegte Catton, die Besprechung auf Mittag festzu legen. Das war die Zeit, wo die Hitze sich auf ihrem Höhepunkt befand, und es war bewußt taktlos gewe sen, ihn dazu zu zwingen, zu dieser Stunde zu kom men. Aber Catton rechnete auf Morilar mit Unhöf lichkeit. Erdmenschen waren hier nicht besonders be liebt. Er rief ein Taxi. Wie er auf dem Schild an der Tür des Fahrzeuges lesen konnte, wurde es von einem Androiden bedient. Der Android war natürlich einem Morilaru nachgebildet, hatte purpurne Haut und verkümmerte Schultervorsprünge. Jede Rasse baute ihre Androiden nach ihrem eigenen Ebenbild. »Zur terranischen Gesandtschaft«, befahl Catton. Der Wagen setzte sich in Bewegung. Es war ange nehm kühl, dennoch öffnete Catton seinen Kragen. Es herrschte jetzt ziemlich dichter Verkehr, und die Fahrt quer durch die Stadt, die am Morgen weniger als fünfzehn Minuten gedauert hatte, nahm jetzt fast
die dreifache Zeit in Anspruch. Aber schließlich hielt das Taxi vor den Toren der Gesandtschaft. Catton holte ein paar Morilaru-Münzen aus der Tasche, warf sie in den Zahlschlitz, worauf die Tür sich automa tisch öffnete. Zehn Minuten später befand er sich in seinem Ap partement im fünften Stockwerk der terranischen Ge sandtschaft. Er legte seine schweißdurchnäßte Klei dung ab und nahm ein erfrischendes Bad. Dann streckte er sich auf einer Couch aus und ließ sich et was zu essen bringen. Er war müde. Die Schwerkraft auf Morilar war et wa ein Viertel höher als die der Erde, und die schwü le Hitze ließ überhaupt nie nach. Aber er hatte von Anfang an gewußt, daß er keine leichte Mission übernahm. In der Galaxis kursierten Gerüchte, daß die drei al ten menschlichen Rassen irgend etwas ausgeheckt hatten, was die terranische Wirtschaft in ernstliche Gefahr bringen würde. Keines der Gerüchte gab Ge naueres an, und niemand konnte konkrete Beweise bringen. Aber das Gerücht hielt sich hartnäckig, und die terranische Weltregierung begann sich Sorgen zu machen. Gleichzeitig mit dem Aufkommen dieser Gerüchte über eine Verschwörung gegen die Erde war von Mo rilar die Forderung gekommen, daß ein terranischer
Delegierter sich einer Kommission anschließen sollte, die hauptsächlich den interstellaren Schmuggel mit Hypno-Juwelen bekämpfen sollte. Catton, der dafür eine besondere Ausbildung bekommen hatte, war als dieser Delegierte ausgewählt worden – und hatte da zu noch den Auftrag erhalten, den Gerüchten über ein Komplott gegen die Erde auf den Grund zu ge hen. Gab es eine bessere Verkleidung für einen Spi on? Catton würde sich nur oberflächlich dafür inter essieren, den Hypno-Juwelen-Schmuggel zu unter binden, seine wirkliche Aufgabe war es, die Pläne von Morilar, Skorg und Arenadd herauszufinden, die die Erde betrafen. Denn diese Welten machten sich Sorgen, wenn sie das auch nicht offen zeigten. Erst vor neunzig Jahren – im Jahre 2214 nach irdischer Zeitrechnung – waren Erdmenschen im interstellaren Raum erschienen. Und jetzt gab es ein rundes Dutzend terranische Ko lonien in der Galaxis, und die Kaufleute von Terra trieben auf den Planeten der älteren Kulturen einen sehr schwunghaften Handel. Terra hatte sich einen Platz als führende galaktische Macht errungen. Und das in neunzig Jahren. Kein Wunder also, daß Morilar, das die interstella re Raumfahrt schon seit mehr als tausend Jahren kannte, Angst vor Terra hatte. Oder daß Skorg, das vor dem kometenhaften Aufstieg von Arenadd die
halbe Galaxis beherrscht hatte, die Neulinge mit Be sorgnis beobachtete. Und so betrachtet konnte man auch verstehen, daß die Arenaddin, die selbst erst vor ein paar hundert Jahren auf der Bühne des galakti schen Geschehens erschienen waren, sich über den Aufstieg einer neuen galaktischen Macht beunruhig ten. Vielleicht traf es wirklich zu, daß die drei Welten Ränke schmiedeten, um den Aufstieg Terras zu ver hindern und im Keim zu ersticken. Und deshalb war Catton nach Morilar entsandt worden – als Beobach ter, als Spion. Er sollte herausfinden, welche Schritte die anderen Welten zu unternehmen gedachten, um ihre in Frage gestellte Vormachtstellung in der Gala xis zu halten. Nachdem Catton gegessen hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit dem Buch zu, das Pouin Beryaal ihm gegeben hatte. Er schlug den Einband auf und las die Warnung auf der ersten Seite. Achtung! Dieses Buch darf unbefugten Personen unter keinen Umständen zugänglich gemacht werden. Es besitzt eine Vorrichtung, die das Lesen durch Unbefugte unmöglich macht und in diesem Falle zu seiner sofor tigen Zerstörung führt.
Catton blätterte um und sah den kleinen rosaroten Flecken in der oberen linken Hälfte der ersten Seite des Berichts an. Er starrte auf den etwa daumengro ßen Flecken etwa fünf Sekunden lang, wie man es ihm gesagt hatte, und begann dann zu lesen. Jetzt konnte er sich zehn Minuten mit der ersten Seite be schäftigen, ohne befürchten zu müssen, daß das Buch sich selbst zerstörte. Wenn er diese Seite länger lesen wollte, würde er den sensitivierten Fleck ein zweites Mal fünf Sekunden lang ansehen müssen. Er las sorgfältig und genau und hielt nach jeder Seite fünf Sekunden lang inne, um den rosaroten Flecken zu aktivieren. Aus den Berichten ging hervor, daß die Kommission schon eine ganze Menge Materi al gesammelt hatte. Er fand auch eine Statistik, der er entnahm, daß zur Zeit etwa tausend Hypno-Juwelen in der Galaxis im Umlauf waren, von denen schon ei ne ganze Menge sichergestellt worden waren. Aber jedes Jahr tauchten etwa ein Dutzend neue Steine auf. Das Problem bestand also nicht so sehr darin, die schon in Umlauf befindlichen Steine zu finden und zu beschlagnahmen, sondern vielmehr festzustellen, woher die Steine kamen, und dann einzugreifen. Es ging das Gerücht, daß die Juwelen vom Rand der Galaxis kamen, von einer der Welten, die von nicht-menschlichen Wesen bewohnt wurden. Man hatte festgestellt, daß es elf nicht-menschliche Rassen
gab, auf die die Steine keine meßbare Wirkung hat ten, während jeder Mensch, der den Stein auch nur ein paar Sekunden ansah, rettungslos in sein hypnoti sches Feld gezogen wurde. Und damit war der Bericht zu Ende. Die Gefahr be stand also tatsächlich und war sehr ernst zu nehmen. Und die Fremden machten sich Sorge um das Über handnehmen des Schmuggels und hatten deshalb be schlossen, sich der Hilfe der Erde zu versichern, in dem sie einen Erdmann einluden, Mitglied der Kommission zu werden. Es bestand natürlich zwi schen der Erde und den anderen galaktischen Mäch ten keine offene Feindschaft, nur herrschte ein etwas unfreundlicher, kühler Ton zwischen ihnen, der schließlich einen terranischen Historiker dazu ge bracht hatte, die augenblickliche galaktische Situation mit dem uralten Ausdruck des »Kalten Krieges« zu bezeichnen. Und die Bezeichnung hätte wirklich nicht besser gewählt sein können. Terra mit ihren Kolonien stand auf der einen Seite, auf der anderen die mächtige Achse von Morilar, Skorg und Arenadd, mit etwa siebzig abhängigen Welten. Noch wurden diplomati sche Beziehungen unterhalten, und noch trieben die Welten friedlichen Handel. Aber niemand wußte, ob nicht morgen schon durch irgendeine unbedachte Handlung offener Krieg ausbrechen würde. Und das
Auftauchen der Erde auf der galaktischen Szene hatte die drei anderen Reiche zu einer Allianz getrieben, die enger war denn je zuvor. Catton beschloß, die Wirksamkeit der Sicherheits vorkehrungen der Morilaru zu prüfen. Er blätterte noch einmal in dem Buch und wählte eine Seite aus – sie enthielt unwichtige Daten über das Budget der Kommission – und riß sie heraus. Dann schloß er den Band sorgfältig und legte die herausgetrennte Seite vor sich auf den Tisch, wobei er es ganz bewußt un terließ, die sensitivierte Fläche zu aktivieren. Nach weniger als dreißig Sekunden wußte er, was er von den Sicherheitsvorkehrungen zu halten hatte. Das Blatt begann an den Rändern braun zu werden; plötzlich war es mit blauen Flämmchen überzogen, die es in Sekundenbruchteilen zu winzigen Ascheteil chen verbrannten. Catton nickte und fegte die Reste vom Tisch. Er würde es bei seinen Nachforschungen gar nicht so leicht haben, wenn die Morilaru alle ihre Geheimnisse so gut hüteten. Er stand auf, schloß das Buch in den Schrank und begann sich für den Abend anzukleiden. Er trug eine gestärkte grüne Tunika mit goldener Borte, eine brei te, orangefarbene Schärpe und hohe, hochglanzpo lierte Stiefel. Heute abend würde in der Gesandt schaft zu seinen Ehren ein Empfang stattfinden. Als er fertig angekleidet war, sperrte er sein Appar
tement ab und schritt den breiten, mit dicken Teppi chen belegten Flur entlang. Die Gesandtschaft war in einem weitläufigen, luxuriösen Gebäude unterge bracht. Es lag Musik in der Luft – eine fremdartige Musik, die auf einem seltsamen Instrument entstand, dessen Klang an den einer Harfe erinnerte. Catton ging der Musik nach und stand plötzlich vor einem weiten Raum, in dem sich einige Personen befanden. Die Musik endete bei seinem Eintritt. Catton sah, daß die Personen im Raum nicht nur Menschen waren. Es waren insgesamt fünf: zwei Mo rilaru, die in ihrer enganliegenden Kleidung noch ha gerer und eckiger erschienen, als sie an sich schon waren, und drei Terraner. Zwei davon kannte er – Estil, die achtzehnjährige Tochter des Gesandten mit ihrer Gouvernante, einer ältlichen Dame namens Mrs. Larch. Der dritte Terraner war ein würdig aussehen der Herr in Gesellschaftskleidung. Anscheinend hatte Extil gespielt. Sie saß an einer Art Klaviatur, die mit einem bizarren Saiteninstru ment völlig fremdartiger Konstruktion verbunden war. »Ich bitte um Verzeihung«, sagte Catton. »Ich woll te nicht stören. Ich habe nur Musik gehört und ...« »Bitte, seien Sie hier willkommen«, sagte Estil. Sie hatte eine hübsche Stimme, aber sie sprach zu geziert,
mit dem Akzent eines Kindes, das mit aller Sorgfalt von einer allzu wohlmeinenden Gouvernante erzo gen worden ist. Diesen Eindruck hatte Catton schon an jenem ersten Abend gewonnen, als er ihr unmit telbar nach seiner Ankunft vom Raumhafen vorge stellt worden war. Sie stand auf und führte Catton herein. »Das ist Lloyd Catton von der Erde«, stellte sie vor. »Er ist ge stern abend auf Morilar angekommen. Er ist – äh – Mitglied der neuen interstellaren Polizeikommission. – Habe ich recht, Mr. Catton?« »Vollkommen«, sagte er. Sie stellte die anderen Leute im Raum vor. »Das ist Doveril Halligon«, sagte sie. »Mein Musiklehrer. Und sein Freund Gonnimor Cleeren.« »Sehr erfreut«, sagte Catton förmlich zu den beiden Morilaru, die sich steif vor ihm verbeugten. »Mrs. Larch kennen Sie, glaube ich, schon«, fuhr Estil fort. »Und das«, sie deutete dabei auf den wür digen Herrn in Gesellschaftskleidung, »ist Mr. Bart lett von der Erde, ein Freund meines Vaters.« Catton und Bartlett schüttelten sich die Hand. Cat ton fühlte sich bei der ganzen Episode nicht recht wohl. Es war für ihn zwar bequemer, in der Gesandt schaft zu wohnen, als irgendwo anders auf Morilar, aber in dem Milieu, in das er hier hereingeplatzt war, fühlte er sich nicht recht zu Hause.
So sagte er etwas schwerfällig: »Die Musik klang aus der Ferne bezaubernd, Miss Seemann. Ich würde mich freuen, wenn Sie weiterspielten.« Estil wurde rot, was ihr sehr gut zu Gesicht stand, und setzte sich wieder an die Tasten. Ihre Gouver nante erklärte: »Das Instrument ist als ›Gondran‹ be kannt. Estil lernt jetzt seit zwei Jahren unter Anlei tung von Mr. Halligon. Sie spielt schon sehr gut.« Catton sah Mr. Halligon einen Augenblick prüfend an. Der Musiklehrer erwiderte den Blick nicht. Er gab vielmehr Estil ein Zeichen, worauf diese – zunächst stockend, dann aber immer mehr an Sicherheit ge winnend – zu spielen begann. Das Musikstück schien Cattons ungetrübtem Ohr ziemlich schwierig zu sein, der Fingersatz war recht kompliziert, und die Akkor de klangen für ein menschliches Ohr seltsam. Er schloß sich höflich dem Applaus an, als der Schluß akkord verklungen war. Dann trat ein Android der Gesandtschaft ein und kredenzte kühle Getränke. Ein paar Minuten höfli cher Konversation schlossen sich Estils Vortrag an, und Catton improvisierte verzweifelt und unterhielt sich mit den beiden Fremden über musikalische Techniken, während Mrs. Larch und Estil mit Bartlett einige Sätze wechselten. Dann löste sich die Gruppe auf. Plötzlich strauchelte das Mädchen und drohte hinzufallen.
Catton sprang mit einem Satz vor und fing sie auf, ehe ein anderer sich von der Stelle rühren konnte. »Fehlt Ihnen etwas?« »Nein, ich bin nur gestolpert«, sagte sie. »Nur ge stolpert. Danke schön.« Und mit leiserer Stimme füg te sie hinzu, so daß nur er es hören konnte: »Ich muß Sie heute abend unbedingt sprechen. Es ist sehr wich tig.«
3
Bei dem Empfang zu Cattons Ehren waren mehr als hundert Gäste zugegen. Die Liste umfaßte praktisch jeden Terraner in Dyelleran, der Rang und Namen hat te. Ein Quartett von Morilaru-Musikern sorgte dafür, daß die Musik nie abriß. Auch die Punschbowle mit dem würzigen fremden Wein wurde nicht leer. Catton machte sich nicht viel aus Empfängen, aber er wußte, daß es für das Gelingen seines Planes von ausschlag gebender Wichtigkeit war, wenn er dieser Welt als ty pischer terranischer Diplomat präsentiert wurde. Als Ehrengast hatte er den ersten Tanz mit der Tochter des Gesandten zu beanspruchen. Die frem den Musiker spielten eine Art Walzer, bemühten sich jedoch redlich, durch Einfügung ihrer eigenen chro matischen Harmonien jede Ähnlichkeit zu zerstören, die ihre Musik sonst vielleicht mit den Walzerklän gen des alten Wien gehabt hätte. Estil schwebte wie eine Feder in Cattons Armen. Sie war schlank und graziös, ein Mädchen, das durch seine natürliche Anmut jeden Mann begeistern mußte. Ihre Augen waren violett und kontrastierten angenehm mit ihrem vollen tief schwarzen Haar. »Sie wollten mich heute abend allein sprechen«, sagte Catton leise, als sie über das Parkett glitten.
»Ja. Ich brauche Hilfe. Vielleicht können Sie mir helfen.« »Ich? Wie sollte ich Ihnen helfen können! Ich bin ein Fremder.« Sie nickte. »Vielleicht gerade deswegen. Ich habe irgendwie das Gefühl, daß ich Ihnen vertrauen kann. Hoffentlich macht es Ihnen nichts aus, wenn ich so rede.« »Ich bin immer bereit, einer Frau zu helfen, wenn Sie meiner Hilfe bedarf. Was kann ich für Sie tun, Miss Seemann?« »Ich – ich sage es Ihnen später. Wir gehen dann zu sammen auf den Balkon hinaus. Papa wird es für eine romantische Laune von zwei jungen Leuten halten.« Catton lächelte, fühlte sich aber innerlich nicht ganz wohl dabei. Hoffentlich kam das Mädchen nicht auf die Idee, ihm draußen auf dem Balkon zu eröff nen, daß sie sich auf den ersten Blick in ihn verliebt hatte. Zum einen war sie, so bezaubernd sie auch sein mochte, immer noch ein Kind, das kaum halb so alt war wie er, zum anderen verboten sein Beruf und seine Mission jede Art von romantischen Gedanken von vornherein. Aber das würde wahrscheinlich nicht der Grund sein. Estil würde sich schließlich nicht in einen Mann von beinahe vierzig Jahren verlieben, der so aussah wie er, wenn sie auch gerade von jungen Leuten ge
sprochen hatte. Aber was mochte es sonst sein, was sie auf dem Herzen hatte? Der Tanz war zu Ende, und Catton geleitete das Mädchen über das Parkett zu dem Tisch, an dem ihr Vater saß. Seemann war ein Hüne von einem Mann, ungeheuer groß und breit, mit einer tiefen Baßstim me. Als Gesandter der terranischen Weltregierung auf Morilar war es seine Aufgabe, die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Welten trotz der andauernden kleinen Plänkeleien erträglich zu gestal ten. »Ihre Tochter tanzt sehr gut«, erklärte Catton. Seemann lachte. »Sie hat auch gute Lehrer gehabt. Ich habe keine Kosten gescheut.« Ein junger Mann in der Uniform der terranischen Raummarine verbeugte sich vor Estil und tanzte dann mit ihr davon. Als das Mädchen außer Hörwei te war, bemerkte der Gesandte: »Sie hat sich wirklich hübsch herausgemacht, meine Kleine. Sie sieht ihrer verstorbenen Mutter täuschend ähnlich.« »Wann ist Ihre Gattin gestorben?« »Das ist jetzt zwölf Jahre her. Kurz nachdem wir auf Morilar angekommen sind. Estil war gerade sechs. Sie kann sich jetzt kaum mehr an die Erde er innern.« »Sind Sie seitdem nie mehr zu Hause gewesen?« »Nein«, sagte Seemann. »Sie war nicht daran inter
essiert, zur Erde zurückzukehren. Ich fürchte fast, daß Morilar ihre eigentliche Heimat geworden ist. Schließlich hat sie ja zwei Drittel ihres bisherigen Le bens hier verbracht.« Catton nickte. Eine Frau trat zu ihnen, Catton war ihr zu Beginn des Empfanges vorgestellt worden und erinnerte sich dunkel, daß sie die Frau eines unterge ordneten terranischen Diplomaten war, der hier in Dyelleran beschäftigt war. Sie machten eine Weile Konversation, und dann tat Catton der Form Genüge, indem er sie zum Tanz bat. Sie hörte keine Sekunde auf, von den Schwierigkeiten des Lebens auf einer fremden Welt zu plappern: Küchenpersonal, Hitze, die ungewohnten Lebensmittel und was da sonst noch alles war. Der Abend zog sich hin. Einige Zeit später tanzte Catton wieder mit Estil, und als der Tanz vorüber war, schlenderten sie auf den Balkon hinaus, der am anderen Ende des Ballsaales lag. Catton stellte etwas beunruhigt fest, daß man ihnen nachstarrte und zwei fellos auch Bemerkungen über sie machte, als sie das Parkett verließen. Die Nacht war sehr warm. Der fremde Himmel mit seinen unbekannten Konstellationen war zum Teil mit dunklen Wolken verhangen. Die beiden hellen Monde von Morilar standen senkrecht über ihnen und tauchten Estils Gesichtszüge in ein schmeicheln
des Licht. Unter ihnen dehnte sich die Stadt bis zum Horizont. Estil sagte: »Versprechen Sie mir, daß Sie niemand weitersagen werden, was ich Ihnen jetzt anvertraue?« »Das ist ziemlich viel verlangt. Wenn Sie mir sag ten, daß die Sonne eine Nova wird, sollte ich das dann für mich behalten?« Catton bereute die Bemerkung sofort, denn sie sag te: »Bitte, seien Sie etwas ernster. Es bedeutet mir sehr viel.« »Schon gut, es tut mir leid. Was wollen Sie sagen, Miss Estil?« »Ich bin verliebt«, sagte sie. Catton spähte über die Brüstung des Balkons. Ein Fluß wand sich wie eine glänzende Schlange mitten durch die Stadt. »Das sollte ein jedes junges Mädchen in Ihren Jahren sein«, sagte er. »Das ist etwas sehr Gutes und Schönes.« »Sie machen sich immer noch über mich lustig«, klagte sie. Catton lächelte. »Vielleicht haben Sie recht. Ent schuldigen Sie bitte nochmals. Wirklich, es tut mir leid. Es soll nicht wieder vorkommen.« »Wollen Sie mich jetzt anhören?« »Sprechen Sie nur«, sagte er. »Schön. Ich liebe meinen Musiklehrer, Doveril Hal ligon. Sie haben ihn heute nachmittag gesehen.«
Catton wurde blaß und fuhr herum. »Aber – das ist doch ein Morilaru! Ein Fremder!« »Er ist ein Mensch«, antwortete sie – »ein freundli cher, guter Mensch mit einem warmen Herzen. Er ist genauso gut wie jeder Erdmensch, den ich bisher kennengelernt habe. Weshalb sollte ich ihn nicht lie ben? Er versteht mich. Er liebt mich doch auch.« Catton feuchtete sich die Lippen an. Die Folgen, die daraus erwachsen konnten, waren unübersehbar. Die Tochter eines terranischen Gesandten liebt einen Fremden! Es würde einen riesigen Skandal geben. »Schön«, sagte er ruhig, ohne daß seine Miene etwas von seinen Gedanken verriet: »Sie lieben ihn also. Und warum sagen Sie das mir?« »Ich will mit Doveril von hier weggehen. Weit weg, wo niemand uns finden und uns trennen kann. Ich weiß, es ist etwas Furchtbares, wenn ein terranisches Mädchen sich in – in einen Fremden verliebt. Aber – es ist nun einmal so. Ich habe ein wenig Geld auf meinem Sparkonto. Und Doveril auch.« »Und was habe ich damit zu tun?« fragte Catton. »Sie sind doch hier, um etwas gegen den Hypno steinschmuggel zu tun, nicht wahr?« Catton zuckte zusammen. »Ja. Aber woher wissen Sie das?« Sie lächelte und war jetzt wieder ganz Kind. »Papa hat es mir gesagt. Papa erzählt mir fast alles, was ich
wissen will.« Ihre Züge wurden wieder ernst. »Sie sollen also den Handel mit Hypnosteinen unterbin den. Nun, ich habe schon ein paarmal gehört, wie Doveril mit seinen Freunden über Hypno-Juwelen gesprochen hat. Und heute nachmittag, als er in die Gesandtschaft kam, um mir meine Musikstunde zu geben, hat er seinen Freund, diesen Gonnimor Clee ren, mitgebracht. Sie haben wahrscheinlich geglaubt, ich würde nicht verstehen, was sie sagten, aber ich habe gehört, daß sie Hypno-Juwelen erwähnten.« »Täuschen Sie sich auch nicht? Aber ...« »Ich fürchte, ich habe recht«, sagte das Mädchen und bemühte sich, ein verräterisches Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Doveril redet nicht gern über seine Vergangenheit. Ich fürchte, daß er in den Hypno-Juwelenhandel verwickelt ist oder wenigstens früher einmal damit zu tun gehabt hat. Was ich Sie deshalb bitten möchte – wenn Sie das tun können – ist, festzustellen, ob er unschuldig ist oder nicht. Können Sie das für mich tun?« »Ich soll Ihnen sagen, ob Doveril je etwas mit Hyp nosteinen zu tun gehabt hat?« »Ja. Sie haben doch als Mitglied der interstellaren Polizeikommission sicherlich Zugang zu den Akten, und ...« »Und diese Akten sollen vertraulich und geheim bleiben.«
»Ich weiß«, sagte sie niedergeschlagen. »Aber ich liebe Doveril – und Sie werden doch bestimmt nicht wollen, daß ich mit ihm fortlaufe, wenn er ein Ver brecher ist?« Ich würde überhaupt nicht wollen, daß Sie mit ihm fortlaufen, dachte Catton. Es wäre wirklich hirnver brannt dumm, wenn sie mit einem fremden Musikan ten ohne einen Pfennig Geld durchbrennen würde. Aber er behielt seine Gedanken für sich. So sagte er nur: »Ich kann mir gut vorstellen, wie besorgt Sie sind.« »Ja, das bin ich.« »Ich hoffe um Ihretwillen, daß er ein anständiger Mensch ist.« »Das hoffe ich auch«, sagte sie. »Sie werden mir al so helfen?« »Ich kann Ihnen nichts versprechen. Aber ich wer de mein Bestes tun.« »Bald?« »Sobald ich etwas herausgefunden habe, sage ich es Ihnen.« Er lächelte. »Jetzt gehen wir besser wieder hinein. Wir waren fast eine Viertelstunde auf dem Balkon. Die Leute werden bald zu tuscheln anfan gen.« Sie gingen in den Ballsaal zurück. Es wurde immer noch eifrig getanzt. Catton lächelte dem Mädchen jungenhaft zu, und sie tanzte in den Armen eines der
jungen Marineoffiziere davon. Catton trat an ein Bü fett und schenkte sich ein Glas von dem wirklich her vorragend gewürzten Punsch ein. Seemann war in ein Gespräch mit zwei Geschäfts leuten von der Erde vertieft, und Catton fragte sich, ob der Gesandte auch nur die leiseste Ahnung von den Gewitterwolken hatte, die sich über seinem Haupt zusammenzogen. Wahrscheinlich nicht, dach te Catton und zuckte die Achseln. Gegen Mitternacht war der Empfang zu Ende. Die Gäste gingen nach Hause, während Catton nur zwei Stockwerke mit dem Gravitationslift zu fahren brauchte, um in sein Appartement zu kommen. Er schaltete das Licht ein und sah sofort die Lampe des Visifons blinken, was bedeutete, daß jemand angeru fen und eine Nachricht für ihn hinterlassen hatte. Er schaltete das Wiedergabegerät ein, und der Schirm begann zu leuchten. Kopf und Schultern einer Morilarufrau zeichneten sich auf dem Bildschirm ab. Über dem Kopf war die Zeit ihres Anrufes aufgezeichnet. Er lag etwas mehr als zwei Stunden zurück. Sie sagte: »Sie kennen mich nicht, aber ich habe Ih nen eine Mitteilung zu machen, die für Sie sehr nütz lich sein kann. Wenn Sie finden, daß Sie das interes siert, dann rufen Sie mich noch vor Mitternacht unter K 22-1055 B an.«
Catton runzelte die Stirn und sah auf seine Arm banduhr. Es war kurz nach Mitternacht. Er beschloß, die Nummer anzurufen. Er schaltete den Schirm ab und löschte ihren Anruf, dann tastete er die Nummer ein. Eine Weile blieb der Schirm trüb, bis der Kopf und die Schultern der Frau wieder erschienen. Soweit Catton das beurteilen konnte, schien sie noch recht jung zu sein, aber um ihre Augen und Lippen lag ein eiskaltes, hartes Lä cheln. »Ja, bitte?« sagte sie. »Hier spricht Lloyd Catton. Ich sollte Sie anrufen.« »Oh, Sie sind es? Ja, ich hätte mich gern einmal persönlich mit Ihnen unterhalten, Lloyd Catton.« »Warum?« »Ich möchte nicht gern am Visifon darüber spre chen.« »Wenn Sie mir nicht sagen wollen, worüber Sie mit mir sprechen möchten«, sagte Catton verärgert, »dann kann ich ja wieder abschalten. Für Rätselspiele ist es mir heute schon zu spät.« »Na schön. Das kann ich Ihnen ja sagen: Ich habe wichtige Informationen für Sie, die eine Sache betref fen, die Sie interessiert. Es hat mit Juwelen zu tun.« Catton nickte langsam, und es gelang ihm, seine Verwirrung und Überraschung zu verbergen. Neuig keiten machten auf diesem Planeten recht schnell die
Runde. Schließlich meinte er: »Okay, ich bin interes siert. Und wann wollen wir uns treffen?« »Morgen.« »Wo?« »In der Altstadt«, sagte sie. »Dort ist eine Taverne, in der ich auf Sie warten kann. Sie ist in der Straße der zwei Monde, gleich hinter der Brücke. Glauben Sie, daß Sie hinfinden werden?« »Ich denke schon. Wie heißt das Lokal?« »Zu den fünf Planeten«, sagte sie. »Mein Name ist übrigens Nuuri Gryain. Werden Sie morgen mittag dort sein?« »Ich werde dort sein«, sagte Catton. Die Morilaru frau lächelte ihm verschmitzt zu – wenigstens mußte man ihren Gesichtsausdruck nach irdischen Begriffen so bezeichnen – und schaltete den Schirm ab. Catton sah eine kleine Weile den Lichtmustern zu und schal tete dann seinen Schirm ebenfalls ab. Die fünf Plane ten also, morgen mittag. Na, er würde ja sehen.
4
Dyelleran, die Hauptstadt des Planeten Morilar, hatte mit anderen Hauptstädten in der Galaxis eines ge meinsam: der Kontrast zwischen dem Regierungs viertel und den Elendsquartieren am Stadtrand war enorm. Die Stadt wurde von dem Fluß Mhorn in zwei Teile geteilt, war jedoch durch mindestens zwanzig Brücken verbunden – und doch gab es zwischen den beiden Stadthälften nichts Gemeinsames. Der Kon trast zwischen dem Ostufer mit seinen Regierungspa lästen und den teuren Wohnhäusern einerseits und dem Westufer mit der Altstadt war unbeschreiblich. Früh am Morgen kam Catton mit dem Taxi über eine Brücke in die Altstadt und konnte sich mit eige nen Augen davon überzeugen, daß er sich jetzt in ei ner ganz anderen Welt befand als in der Welt der Pa läste und Denkmäler, die er bis jetzt von Dyelleran gesehen hatte. Die Straßen waren in Wirklichkeit schmale Gäßchen, nur mit holperigen Pflastersteinen belegt, ein Geruch von verfaulendem Gemüse lag in der Luft, und schlafende Morilaru kauerten in den Hauseingängen. Die Hitze, die auf der anderen Seite des Flusses lästig gewesen war, war hier unerträglich. Summende moskitoähnliche Insekten schwirrten in dichten Schwärmen herum.
Die Straße der zwei Monde war eine der breitesten Straßen im ganzen Stadtviertel, das heißt, daß Fahr zeuge bequem in beiden Richtungen fahren konnten. Die baufälligen Häuser, die die Straße zu beiden Sei ten säumten, neigten sich altersschwach nach allen Richtungen, so daß einem Angst wurde, wenn man unter einem etwas weiter hervortretenden Balkon hindurchgehen mußte, ob dieser nicht durch die Er schütterung der Schritte zusammenbrechen würde. Einige der Häuser schätzte Catton auf gut tausend Jahre, und dennoch dienten sie als Wohnstätten. Er hatte im Stadtplan nachgesehen und festgestellt, daß die Gaststätte Zu den fünf Planeten die Haus nummer 62 in der Straße der zwei Monde hatte, aber dieses Wissen half Catton nicht viel weiter, denn die Gebäude, die er hier sah, hatten samt und sonders keine Hausnummern. Aber es fiel ihm dennoch nicht schwer, die Gaststätte zu finden. Ein riesiges, schmutziges Banner hing von einem Dachfirst und schwankte leicht in der schwachen Brise. Auf dem schon stark zerschlissenen Tuch konnte Catton mit einiger Mühe fünf Welten erkennen, die kreisförmig angeordnet waren. Er beschleunigte seine Schritte. Die Tür der Kneipe wurde nicht elektronisch ge steuert, sondern bestand einfach aus ein paar starken Bohlen. Catton schob sie auf und trat ein. Wie alle Etablissements dieser Art in der ganzen
Galaxis war die Kneipe eine finstere Höhle mit ein paar niedrigen Tischen, die sich an den Wänden entlang verteilten. An der linken Wand war die Bar, hinter der ein schmierig aussehender alter Morilaru mit einer schimmernden Glatze stand und die vier Gäste beo bachtete, die sein Lokal zur Zeit beherbergte. Es waren vier Morilaru, drei Männer und ein Mädchen. Alle vier drehten sich um und starrten ihn neugierig an. Das Mädchen saß an dem der Türe am nächsten stehenden Tisch. Sie hielt einen Weinkrug in der Hand, und ein zweiter, den sie offenbar für ihn be stellt hatte, stand daneben auf dem Tisch. Er trat nä her, um genau zu sehen, ob sie die Frau war, mit der er gestern gesprochen hatte. Es war gar nicht leicht, einen Morilaru vom anderen zu unterscheiden. »Nuuri Gryain?« fragte er. Sie lächelte mit blitzenden weißen Zähnen. »Setzen Sie sich, Catton. Ich habe schon etwas für Sie zu trin ken bestellt. Hoffentlich schmeckt Ihnen unser Wein.« Er zog sich einen Hocker an den Tisch und setzte sich. Dann griff er nach dem Weinkrug. Der Krug war aus gelbem Ton und fühlte sich nach der hölli schen Hitze angenehm kühl an. »Wer sind Sie?« fragte er. »Jemand, der sich geärgert hat. Genügt das?« »Worüber geärgert?« »Über einen bestimmten Mann«, sagte sie. »Aber
das betrifft Sie nicht. Sagen wir doch einfach, daß ich der Gerechtigkeit helfen will. Meiner eigenen Art von Gerechtigkeit.« Catton führte ruhig den Krug zum Mund. Der Wein war kühl und schmeckte etwas bitter. Er verko stete einen Schluck auf den Lippen, ohne ihn jedoch hinunterzuschlucken. »Nur zu«, sagte sie. »Sie können ruhig trinken. Ich habe den Wein nicht vergiftet, Catton.« Er schluckte. »Warum sollte ich Ihnen trauen. Der Wein stand auf dem Tisch, als ich hereinkam. Sie hät ten leicht etwas hineintun können.« »Soll ich Ihren Krug nehmen?« fragte sie. »Oder würden Sie mir auch dann noch nicht glauben?« »Es gibt Gifte und Drogen, die auf einen Terraner wirken und auf einen Morilaru nicht«, sagte er lä chelnd. »Aber ich will es riskieren. Der erste Schluck hat mich nicht umgebracht.« Er tat einen tieferen Zug. Der Wein war wirklich gut. Als er den Krug ab setzte, war er halb leer. »Wie wäre es, wenn Sie mir jetzt sagten, weshalb Sie mich hierherbestellt haben?« Sie verschränkte ihre Finger ineinander. Wie die meisten Mitglieder ihrer Rasse war sie schlank, ja dürr – auf Catton wirkten alle Morilaru wie Spinnen. Aber sie hatte eine eigene Anmut an sich. Ihre roten Augen funkelten, und ihre hageren Wangen mit den scharf akzentuierten Backenknochen brachten die Farbe ihres
Gesichtes vorteilhaft zur Geltung. Im Haar trug sie den grünen Kamm der unverheirateten Frau. Sie sah ihn prüfend an. »Sie sind hier, um den Handel mit Hypnosteinen zu unterbinden, Erd mann.« Das war keine Frage, sondern eine Feststel lung, die keinen Widerspruch duldete. »Woher wollen Sie das wissen?« fragte Catton. Ihre Schultern mit den drei kleinen Vorsprüngen hoben sich leicht. »Sagen wir, daß mir diese Informa tion zugänglich war, und es dabei belassen, ja?« »Meinetwegen. Also schön, ich interessiere mich für Hypno-Juwelen. Was wollen Sie mir sagen?« »Ich kann Ihnen helfen, einen Ring von Hypno Juwelen-Schmugglern auszuheben, Catton. Ich biete Ihnen meine Dienste als Vermittlerin an. Sind Sie in teressiert?« Er klopfte mit den Fingern leise auf den Tisch. »Das kostet aber doch sicher auch etwas. Was wollen Sie dafür haben?« »Gar nichts. Ich möchte nur, daß diese Leute ins Gefängnis kommen, sonst nichts.« »So einfach, wie?« »Ja, so einfach.« »Na schön«, sagte Catton. »Vielleicht mache ich mit. Und wie wollen Sie es anstellen, diesen Ring auszuheben?« »Ich bringe Sie an eine Stelle, wo Sie mit den Leu
ten in Verbindung treten können«, sagte sie. »Wir werden Sie als Käufer von Hypnosteinen tarnen. Ich denke, das wird sich schon machen lassen. Sie kön nen den Kauf abschließen, und dann, wenn Sie den Beweis in der Hand haben, können Sie die Burschen festnehmen lassen. Was halten Sie davon?« Einen Augenblick gab Catton keine Antwort. Und dann meinte er leise: »Sie wollen Ihre Freunde ans Messer liefern, Nuuri Gryain, nicht wahr? Warum tun Sie das?« »Was interessiert das Sie? Ihr Erdmenschen seid doch nur an Ergebnissen interessiert. Sie wollen den illegalen Handel mit Hypnosteinen abschaffen. Stimmt das nicht?« »Doch.« »Na schön. Ich biete Ihnen die Gelegenheit, diesem Ziel einen Schritt näherzukommen – und Sie stellen Fragen.« »Ich möchte nur wissen, was Sie für einen persönli chen Nutzen aus der Sache ziehen werden«, sagte Catton. Das Mädchen tat einen tiefen Zug aus ihrem Krug. »Ich will es Ihnen erklären. Ich habe ein Mitglied die ser Gruppe einmal geliebt. Er liebt mich nicht mehr. Er behauptet, eine andere Frau zu lieben, und er sagt, daß er in dem Augenblick mit ihr hier weggehen will, sobald ihm der Erlös aus dem nächsten Geschäft zu
fließt. Ich habe mich so über ihn geärgert, daß ich jetzt die ganze Bande der Polizei ausliefern will.« »Also Eifersucht. Pure Eifersucht!« »Nennen Sie es, wie Sie wollen. Aber Doveril glaubt, er kann mich in den Dreck treten, und ich möchte ihm zeigen, daß das nicht so einfach ist.« Catton zuckte zusammen. »Doveril?« »Vielleicht hätte ich das nicht sagen sollen. Aber so heißt er. Er ist der Chef der Gruppe. Im Augenblick arbeitet er als Musiklehrer. Vielleicht haben Sie ihn in der Gesandtschaft gesehen. Er unterrichtet den Balg des Gesandten.« Catton nickte und schloß die Augen. Gewöhnlich konnte er sich in der Ausübung seines Berufes keine Gefühle leisten, aber jetzt spürte er doch eine tiefe Trauer. Die arme Estil würde den bisher schwersten Schlag in ihrem jungen Leben erfahren. »Sagen Sie«, fragte er, »diese Frau, die dieser Dove ril jetzt liebt – wissen Sie, wer sie ist?« »Nein. Und das ist auch gut so. Ich würde ihr die Augen auskratzen.« In Nuuris Stimme war eine ge fährliche Härte getreten. Catton konnte das Mädchen ganz gut verstehen: sie kannte nur das Gefühl der Rache, das sie bis zur Neige auskosten wollte. Er war beruhigt, daß sie nicht wußte, wer ihre Rivalin war. »Ich weiß nicht recht, ob mir Ihre Motive gefallen«, sagte Catton. »Aber mich interessiert das Ergebnis,
und ich möchte gern dem Hypno-Juwelenhandel ein Ende machen. Wann werden Sie mich zu diesen Leu ten bringen?« »Wann Sie wollen. Wie wäre es mit morgen?« »Gut«, sagte er. »Also morgen. Treffen wir uns wieder hier um die gleiche Zeit?« »Schön. Trinken wir noch einen Krug Wein, Erd mann?« Catton schüttelte den Kopf. »Nein, danke, einer genügt mir.« Er stand auf und legte eine Münze auf den Tisch. »Das sollte für meinen Wein genügen. Wir sehen uns also morgen hier. Überlegen Sie es sich aber über Nacht nicht anders.« »Nein«, sagte sie bestimmt. »Da brauchen Sie keine Angst zu haben.« Catton trat aus dem Dämmerlicht der Kneipe in die sengende Sonnenhitze des frühen Nachmittags hin aus. Es war weit und breit kein Taxi zu sehen, also mußte er die Straße der zwei Monde zu Fuß durch wandern. Er machte nur kurze Atemzüge, sonst wäre es ihm von dem Gestank sicherlich übel geworden. Er würde es natürlich Estil sagen müssen. Er war neugierig, wie sie es aufnehmen würde. Es würde sie sicher schwer treffen, und ein Schock stand ihr bevor. Aber sie hatte bisher schon einige Zweifel an Doveril gehabt, also würde es nicht ganz überraschend für sie kommen, daß er in kriminelle Geschichten verwickelt
war. Und wenn sie es jetzt erfuhr, würde es ihr er spart bleiben, einen großen Fehler zu machen. In ein paar Monaten würde sie wahrscheinlich ihre Roman ze mit dem Musiklehrer vergessen haben. Catton ging nach Osten. Er überquerte den Fluß auf einer der vielen Brücken zu Fuß und blieb unter wegs nur einmal stehen, um in das schmutzige Was ser hinunterzublicken, auf dem große Ölflecken schwammen. Unter der Brücke zogen langsam Last kähne dahin, auf denen Morilaru mit entblößten Oberkörpern arbeiteten. Die Hitze schien ihnen nichts auszumachen. Aber wahrscheinlich fragten sich die Morilaru, die die Erde besuchten, wie man in so schneidender Kälte überhaupt leben konnte. Es kam alles nur auf den jeweiligen Standpunkt an. Am anderen Ende der Brücke fand er eine öffentli che Visifonzelle. Er mußte jetzt Pouin Beryaal Bericht erstatten, überlegte er. Er betrat die Zelle und schloß die Tür hinter sich. Er schob eine achteckige Münze in den Schlitz und tastete die Nummer der Interstellaren Polizeikom mission ein. Der Apparat summte eine Weile, dann wurde der winzige Schirm hell, und das Gesicht einer Morilaru frau erschien verschwommen. »Interstellare Polizeikommission. Wen möchten Sie sprechen?«
»Hier ist Lloyd Catton. Ich möchte Pouin Beryaal sprechen, wenn er da ist.« »Augenblick bitte, ich verbinde.« Catton wartete und überlegte, wie sehr Sekretärin nen und Telefonistinnen in der ganzen Galaxis sich glichen. Ein paar Sekunden später erschien das ernste Gesicht des ersten Kommissars auf dem Bildschirm. »Catton?« »Guten Tag, Pouin Beryaal. Ich rufe von einer öf fentlichen Sprechzelle an der Brücke zur Altstadt an.« »Sie besichtigen wohl die Slums?« fragte Beryaal ironisch. »Ich habe einige Nachforschungen angestellt.« »So schnell schon? Und ohne vorher mit uns dar über zu sprechen?« »Eine Frau hat mich gestern nacht angerufen und mir gesagt, sie hätte Informationen, die mich interes sieren würden. Wir haben uns für heute in einer Kneipe in der Altstadt verabredet. Anscheinend hat sie sich mit ihrem Freund gestritten, und der ist ein Hypnoschmuggler. Um sich jetzt an ihm zu rächen, verpfeift sie den ganzen Ring. Ich treffe mich morgen wieder mit ihr.« Pouin Beryaal gluckste. »Ihr Terraner geht wirklich gleich aufs Ganze, das muß man euch lassen.« »Ich bin noch nicht davon überzeugt, ob sie nicht in letzter Minute umfallen wird. Sie sagt zwar, daß es
ihr voller Ernst sei, aber vielleicht versöhnt sie sich heute abend wieder mit ihm und bläst alles ab. Ich werde Sie informieren, sobald ich Näheres in Erfah rung gebracht habe.« »Das ist ja sehr freundlich von Ihnen«, meinte Be ryaal. »Ich werde Ihren Kollegen von Ihrem Erfolg berichten. Wir hoffen, Sie bald hier zu sehen – wir haben schon ein Büro für Sie bereitgestellt. Haben Sie sonst noch etwas zu berichten?« »Im Augenblick nicht«, sagte Catton. Er schaltete ab und verließ die Zelle. Dann erwischte er ein Taxi, das gerade leer über die Brücke kam, und fuhr zur Gesandtschaft zurück. Dort fand er zu seiner Überraschung eine ganze Rei he grüner Fahrzeuge der Morilaru-Polizei vor dem Gebäude geparkt. Überall waren uniformierte Mori laru, sie schwärmten wie Insekten emsig durch den Park, der die Gesandtschaft umgab. Catton schritt verwirrt durch das Eingangsportal. Ein Polizist hielt ihn auf und fragte barsch: »Wo ge hen Sie hin, Erdmensch?« »Ich wohne in der Gesandtschaft. Was ist hier los?« »Überlassen Sie das Fragenstellen uns. Gehen Sie hinein.« Catton trat gehorsam in das Gebäude ein. Ein hal bes Dutzend Mitglieder der Gesandtschaft stand im Vorraum.
»Würde mir bitte jemand sagen, was hier los ist?« fragte er. Der Koch der Gesandtschaft klärte ihn auf. »Miss Estil – die Tochter von Mr. Seemann.« Catton schnaufte. Kam er zu spät? War das dumme Mädchen schon mit ihrem Morilaru-Geliebten durch gebrannt, ohne abzuwarten, was er ihr über ihn be richten konnte? »Was ist mit Miss Estil?« wollte er wissen. »Sie ist verschwunden. Sie hat ihr Bett nicht be rührt. Ihrem Vater hat sie einen Brief hinterlassen, in dem sie schreibt, daß sie fortginge – mit dem Mann, den sie liebt.«
5
Die Aufregung in der Gesandtschaft dauerte bis in die späte Nacht. Catton hielt sich im Hintergrund. Er wurde von Barnevelt, dem Chef der Sicherheitsabtei lung der Gesandtschaft, verhört und dann noch ein mal von einem Polizeiinspektor von Morilar, den aber die ganze Affäre nicht sehr zu interessieren schien. Catton erzählte beiden Wort für Wort die gleiche Geschichte. Er war erst seit ein paar Tagen auf Mori lar, habe die Tochter des Gesandten zweimal gesehen und sich gestern abend beim Ball kurz mit ihr unter halten. Sie habe beiläufig erwähnt, daß sie verliebt sei, aber er, Catton, wisse keine Einzelheiten. Schließ lich habe er das Mädchen ja kaum gekannt. Als das Verhör vorüber war, ging Catton in sein Zimmer und setzte sich auf die Couch. Das Ver schwinden des Mädchens verwirrte ihn und machte ihm etwas Sorge. Doveril war ein Verbrecher, wie Estil befürchtet hatte – und doch war sie mit ihm ausgerissen, und das, kurz nachdem sie Catton gebe ten hatte, über ihn Nachforschungen anzustellen. Vielleicht hatte sie plötzlich ihre Ansicht geändert und beschlossen, wegzulaufen, ehe Catton ihren Ver dacht bestätigen konnte, oder vielleicht war ihr Ver
schwinden gar nicht so spontan erfolgt, sondern man hatte sie gezwungen. Catton hoffte, daß dies nicht zu traf; um aber seine eigenen Nachforschungen nicht zu stören, beschloß er, auch weiterhin sein besonderes Wissen nicht preiszugeben. Am nächsten Tag hielt er seine Verabredung mit Nuuri Gryain ein und traf sich mit ihr kurz nach Mit tag in den Fünf Planeten. Es herrschte eine sengende Hitze, aber Catton hatte schon begonnen, sich an die Treibhaustemperatur von Morilar zu gewöhnen. Die Morilarufrau wartete an dem gleichen Tisch di rekt neben der Tür auf ihn, an dem sie auch gestern gesessen hatte. Sie hielt eine Zeitung in der Hand und las. Als er eintrat, blickte sie auf und lächelte. »Morgen, Catton.« »Hallo, Nuuri. Was steht denn Interessantes in der Zeitung?« »Das möchte ich auch wissen. Da, sehen Sie das hier. Können Sie unsere Sprache lesen?« »Zum Zeitunglesen reicht es gerade«, sagte Catton. Sie schob ihm das Blatt hin und deutete auf eine Mel dung auf der ersten Seite. Catton runzelte die Stirn. Die Schlagzeile lautete: »Tochter des terranischen Ge sandten verschwunden.« Es war ein Artikel über Estil Seemann. Er las langsam und sorgfältig. Es stand nicht viel drin, nur daß das Mädchen seit gestern ver schwunden war und ihrem Vater einen Brief hinter
lassen hatte – über den Inhalt wurde nichts erwähnt – und daß in der ganzen Galaxis eine Suchaktion an laufen würde. »Anscheinend hat Doveril eine Schülerin verloren«, meinte Nuuri, als Catton schließlich aufblickte. Der Erdmensch runzelte die Stirn. »Scheint so. Meinen Sie, daß man sie finden wird?« »Wer weiß? Die Galaxis ist groß. Ein junges Mäd chen kann leicht untertauchen, wenn sie nicht will, daß man sie findet. Ich bezweifle, ob man sie je wie derfinden wird.« »Jetzt haben wir genug von diesem Mädchen gere det«, sagte Catton. »Sie wissen, weshalb ich heute hierhergekommen bin?« »Natürlich, ich bringe Sie schon hin, aber zuerst brauchen wir eine Verkleidung für Sie. Kommen Sie – « Catton folgte ihr auf die Straße, die wegen der Mit tagshitze fast menschenleer war. Sie schritten zügig aus und erreichten bald einen schäbigen Laden mit verhängten Fenstern. Nuuri drückte die Tür auf. »Kommen Sie herein«, murmelte sie Catton zu. Der Erdmann trat ein. Ein alter Morilaru, so alt, daß seine Haut, die früher einmal purpurfarben ge wesen war, zu einem schmutzigen Graublau verbli chen war, döste hinter der Theke. Nuuri schlug mit
der flachen Hand auf den Tisch. Der Morilaru fuhr erschreckt hoch. »Nuuri! Was –« »Ich habe etwas für dich zu tun, du alter Faulpelz.« Sie deutete auf Catton. »Mach einen Dragoniden aus ihm, und liefere gute Arbeit fürs Geld.« »Jetzt gleich?« »Sofort!« herrschte Nuuri ihn an. Der alte Morilaru stemmte sich mühsam hoch und winkte Catton, ihm zu folgen. Dann schlurfte er in ei ne Kammer, die durch eine verblichene Perlen schnurwand von dem eigentlichen Laden abgetrennt war. Nuuri folgte ihnen und stellte sich unter die Tür. Sie hatte die Arme über der Brust verschränkt, und ihre Hände hielten die Schultersporne fest. Es war ei ne für die Morilaru typische Geste. Catton fragte: »Wie lange wird diese Maske halten?« »Es dauert fünfzehn Minuten, um Sie zu verwan deln, und die Hälfte dieser Zeit, um wieder einen Erdmenschen aus Ihnen zu machen«, sagte der alte Mann. »Es ist ein ganz einfacher Vorgang. Legen Sie Ihre Sachen ab.« Catton sah Nuuri fragend an, aber sie machte keine Anstalten, wegzugehen. Er zuckte die Achseln, legte seine Kleidung ab und warf sie achtlos in eine Ecke. Der Morilaru nahm eine Sprühflasche von einem Re gal und trat auf Catton zu.
»Schließen Sie die Augen.« Catton gehorchte. Einen Augenblick später spürte er einen beißenden Chemikaliengeruch und einen kühlen Luftzug. Die Prozedur dauerte ein paar Minu ten. Dann durfte er die Augen wieder aufschlagen und stellte fest, daß er von oben bis unten eisengrau gefärbt war. Der Rest der Verkleidung folgte in kurzer Zeit. Cat ton erhielt Haftlinsen und hatte nun gelbe Pupillen auf schwarzem Grund, ein anderer Farbstoff aus ei ner Spritzpistole ließ sein ursprünglich braunes Haar blau werden. Fachgerecht angebrachte Kollodiumstreifen betonten seinen Backenknochen, ließen seine Ohrläppchen dreimal so lang erscheinen und gaben seinen Augenbrauen einen völlig anderen Schwung. Den letzten Pfiff gab die Kleidung. Der Morilaru schob die Erdkleidung Cattons in einen Schrank und gab ihm die kurze Tunika eines Dragoniden. Nuuri trat vor und fuhr mit der Fingerspitze prü fend über Cattons Schulter, um zu sehen, ob die Far be auch hielt. Sie nickte befriedigt. »Gut gemacht. Catton, jetzt sehen Sie wie ein echter Mann von Dragon aus.« »Werden Ihre Freunde es auch glauben?« »Davon bin ich überzeugt.« Sie nickte dem alten Mann zu. »Jetzt müssen Sie ihn bezahlen, Catton.« »Wieviel?«
»Fünf Thronen«, schlug der alte Mann vor. Nuuri knurrte nur. »Geben Sie ihm jetzt hundert Einheiten, und hundert Einheiten, wenn wir zurück kommen – für das Aufbewahren Ihrer Sachen. Zwei Thronen sind mehr als genug.« Der alte Mann war anscheinend etwas enttäuscht, aber Catton wollte Nuuri nicht widersprechen, und so nahm er zwei Fünfziger aus seiner Geldbörse und gab sie dem Morilaru. »Hier ist eine Throne für Sie«, sagte er. »Eine zwei te bekommen Sie später, wenn ich zurückkomme.« »Ich danke Ihnen, edler Herr.« »Kommen Sie jetzt«, sagte Nuuri ungeduldig. »Ma chen wir, daß wir hier 'rauskommen.« Sie verließen den Laden durch einen Hinteraus gang und schritten flott durch die winkeligen, stin kenden Gassen der Altstadt. Catton schwitzte unter seiner Farbschicht, wollte sich aber nichts anmerken lassen und bemühte sich, mit dem Mädchen Schritt zu halten. »Wie heiße ich denn?« fragte er. »Und was habe ich hier zu tun?« Nuuri dachte nach. »Sie heißen – äh – Zord Karls runig. Ich habe einmal jemand von Dragon gekannt, der so hieß. Sie sind Kaufmann und befinden sich auf einer Geschäftsreise. Am Wochenende wollen Sie nach Dragon zurückfliegen. Machen Sie sich wegen
der sonstigen Details kein Kopfzerbrechen. Sie wollen anonym bleiben, dafür wird man Verständnis haben. Schließlich hat auch der Käufer bestimmte Rechte.« »Zord Karlsrunig«, wiederholte Catton. »Schön. Und meine Geschichte ist, daß ich Hypnosteine suche und bereit bin, dafür bar zu zahlen.« »Ja. Wir werden den Handel abschließen, und dann sagen Sie, daß Sie zur Bank gehen und das Geld ho len wollen. Und statt dessen rufen Sie natürlich die Polizei.« Ein paar Minuten später standen sie vor einer an deren Kneipe. Diese hier hieß Der tiefe Zug und war, sofern das noch möglich war, noch kleiner und noch schmutziger als die Fünf Planeten, wo Catton Nuuri getroffen hatte. »Warten Sie hier«, flüsterte Nuuri. »Ich bin gleich wieder da.« Catton nickte. Die Morilarufrau ging hinein. Er war tete an der Tür und überdachte die Rolle noch einmal, die er gleich würde spielen müssen. Er würde kehlig sprechen müssen und sich bemühen, einen etwas schwerfälligen Satzbau anzuwenden. Er mußte daran denken, nie eine spezifisch terranische Haltung einzu nehmen – er durfte die Beine nicht übereinanderlegen und mußte darauf achten, seine Finger beim Reden nicht zu spreizen. Dragoniden saßen gewöhnlich mit einer Hand auf dem Knie, während die andere den El
lenbogen des einen Armes hielt. Es würde ungewohnt für ihn sein, aber er mußte sich so natürlich benehmen, als ob er sein ganzes Leben nicht anders gesessen wäre. Ein paar Augenblicke später kam Nuuri zurück. Sie sah verärgert aus. »Sie sind alle da – mit Ausnahme von Doveril. Und dabei wollte ich doch gerade ihn festnehmen lassen.« Das ist gar nicht so überraschend, dachte Catton, wenn man überlegt, daß der Musiklehrer inzwischen zusammen mit seiner Geliebten schon viele Lichtjahre von Morilar entfernt sein konnte, mit Kurs auf – ja, wohin? Aber das durfte Nuuri nicht wissen. »Bringen Sie mich trotzdem hinein«, sagte er. »Wir werden die Burschen schnappen, egal, ob Doveril da bei ist oder nicht!« »Aber ich bin doch gar nicht daran interessiert, daß die anderen verhaftet werden. Ich will nur Doveril in Ketten sehen.« Catton runzelte die Stirn. »Ich werde dafür sorgen, daß Doveril irgendwie mit hineingezogen wird.« Er packte sie am Handgelenk. »Sie haben mich jetzt bis hierher gebracht. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Wir werden die Leute schnappen, und beim Verhör wird einer gestehen, daß Doveril in die Sache verwickelt ist.« »Na meinetwegen. Kommen Sie mit.« Sie traten ein und durchquerten eine muffige
Gaststube, die im Augenblick nur von zwei herunter gekommenen Morilaru-Strolchen bevölkert war, die an der Theke flegelten. Dann folgte er ihr eine alters schwache Treppe hinauf, die bei jedem Schritt in allen Fugen ächzte. Im ersten Stock gab es ein paar kleine Zimmer, die offenbar zu vermieten waren. Nuuri blieb vor einer Tür stehen und klopfte erst dreimal, dann in schneller Folge zweimal. Die Tür öff nete sich. Der Kopf eines Morilaru schob sich heraus, sah sich um und starrte dann Catton neugierig an. »Sie können eintreten.« Catton folgte Nuuri ins Innere. Es waren fünf Mori laru verschiedener Altersstufen anwesend. Der Erd mensch merkte plötzlich erschreckt, daß einer von ihnen Gonnimor Cleeren war, der Freund Doverils, den er am Nachmittag vor dem Empfang in der Ge sandtschaft bei dem Musikvortrag kennengelernt hat te. Cleeren starrte Catton an, aber sein Blick ließ nicht erkennen, ob er die Verkleidung des Erdmenschen durchschaut hatte. Einer der anderen Morilaru sagte: »Sprechen Sie unsere Sprache, Dragonide?« »Es genügt«, antwortete Catton und akzentuierte jeweils die falsche Silbe in den beiden MorilaruWörtern. »Ich kann Sie verstehen, und mein Geld spricht noch besser für mich, Morilaru.« »Die Frau sagt, daß Sie kaufen wollen?«
Catton neigte den Kopf leicht zur Seite, auf Dragon ein Zeichen der Bejahung. Gott sei Dank, dachte er, daß ich einmal auf Dragon zu tun gehabt habe. Es war zwar schon viele Jahre her, aber er hatte sich doch einige typische Angewohnheiten dieser Welt der Kaufleute gemerkt. »Ja, ich will kaufen. Und Sie verkaufen. Aber kön nen Sie sofort liefern? Ich muß noch diese Woche nach Dragon zurückkehren.« »Wenn Sie zahlen können, können wir auch sofort liefern.« »Mein Bankguthaben reicht bestimmt aus«, sagte Catton. »Aber ich werde mich beim Preis nicht über vorteilen lassen.« »Der Preis«, sagte ein anderer Morilaru, »beträgt zehntausend Thronen.« Catton steckte den Finger in den Mund, um zu zei gen, daß das gar nicht in Frage kam. Dann sagte er nach kurzer Überlegung: »Das ist für ein Stückchen geschliffenen Stein viel zuviel. Ich biete Ihnen sechs tausend.« »Zehntausend«, wiederholte der Morilaru, »und keine Einheit weniger.« Catton schüttelte den Kopf. »Sechstausend ist schon zuviel. Aber ich will noch ein paar tausend Einheiten zulegen. Ich biete Ihnen sechstausendfünf hundert Thronen.«
»Zehntausend«, sagte der Morilaru unerbittlich. Der Erdmann überlegte. Als gerissener Dragonide erwartete man von ihm, daß er feilschte, andererseits war er daran interessiert, den Kauf unter allen Um ständen zu tätigen, der Preis spielte, so betrachtet, überhaupt keine Rolle. Aber wenn er zu schnell nachgab, würde man vielleicht Verdacht schöpfen. »Sie sind sehr hartnäckig«, sagte er schließlich. »Nun, ich kann auch hartnäckig sein. Entweder sen ken Sie Ihren Preis, oder ich gehe zu einem anderen Händler. Notfalls gehe ich gleich zum Produzenten.« Ein paar Morilaru lachten. Einer sagte: »Da brau chen Sie aber eine starke Nase, Dragonide!« Ein anderer warf dem Sprecher einen finsteren Blick zu. Catton zog nachdenklich die Lider zusam men. Das war wichtig. Der starke Geruch der Skorg war in der ganzen Galaxis sprichwörtlich. Sollte das heißen, daß die Hypnosteine von dort kamen? Das würde er sich noch einmal in Ruhe überlegen müs sen. Er erhob sich. »Ein Geschäft will ich gern machen, aber ich lasse mich nicht übervorteilen. Ich erhöhe mein Angebot auf siebentausendzweihundert Thro nen. Werden Sie mit sich reden lassen oder nicht?« »Der Preis beträgt zehntausend Thronen!« Catton nickte. Das war auf Dragon das Äquivalent zu einem Achselzucken. »Ich will mit Ihnen nicht
feilschen. Ihr Preis ist mir zu hoch. Ich danke Ihnen, daß Sie mich hierhergebracht haben«, sagte er zu Nuuri gewandt. »Und Sie, meine Herren, leben Sie wohl.« Er trat langsam auf die Tür zu und fragte sich, ob sein Bluff gelingen würde. Als er die Klinke berührte, sagte eine Stimme hin ter ihm. »Warten Sie.« Catton wandte sich um. »Warum?« »Neuntausendfünfhundert Thronen.« »Achttausend.« »Ihr Dragoniden würdet eure eigene Großmutter verschachern!« rief der Sprecher der Morilaru. »Neuntausend, und das ist mein letztes Wort. Sie ha ben tausend Thronen heruntergehandelt – begnügen Sie sich damit.« Catton schwieg eine lange Weile. Schließlich sagte er: »Wir liegen jetzt nur mehr zehn Prozent ausein ander. Ich biete Ihnen achttausendfünfhundert, damit Sie sehen, daß ich mit mir reden lasse.« Die Morilaru sahen einander an. Schließlich nickte einer, und das gab den Ausschlag. »Also gut«, sagte ihr Sprecher. »Wann haben Sie das Geld zur Verfü gung?« »Ich lasse Ihnen fünfhundert Thronen als Anzah lung da. Den Rest bringe ich innerhalb einer Stunde von meiner Bank. Wann bekomme ich den Stein?«
»Bei Bezahlung. Wollen Sie ihn jetzt ansehen?« »Ja, das möchte ich.« Einer der Morilaru kniete nieder und holte unter einer lockeren Diele eine kleine Samttasche hervor. Er warf sie Catton zu, der sie absichtlich fallen ließ, um sie dann vom Boden aufzuheben. Die Dragoniden waren für ihre Ungeschicklichkeit bekannt. Er warf den Morilaru einen verstohlenen Blick zu. Sie schienen in atemloser Stille erstarrt zu sein. »Seien Sie vorsichtig, Dragonide«, mahnte ihr Spre cher. »Sie wissen, wie gefährlich der Stein ist.« »Das weiß ich«, gab Catton zur Antwort. Er löste die Schlinge, die den Beutel verschloß, und ließ den Stein in seine Hand fallen. Dann warf er einen kurzen Blick darauf, um sich von seiner Echtheit zu überzeu gen, steckte ihn wieder in den Beutel und warf ihn dem Morilaru zu. »Ich bin zufrieden. Hier ist die Anzahlung, mit dem Rest komme ich in einer Stunde. Warten Sie so lange auf mich.« Catton zählte zehn goldene Fünfzig-ThronenStücke aus seiner Börse ab und gab sie dem Morilaru. Dann verbeugte er sich höflich und verließ den Raum. Nuuri ließ er bei den Schmugglern zurück. Er eilte schnell durch die winkeligen Gäßchen, bis er über die nächste Brücke in die östliche Stadthälfte gelangte. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß
ihm niemand gefolgt war, trat er in die erste Visifon zelle, die er fand, und stellte eine Verbindung mit Pouin Beryaal her. Nachdem er sich durch die übliche Phalanx von Sekretärinnen und Vorzimmerdamen hindurchge schlagen hatte, erschien Beryaals Gesicht auf dem kleinen Lichtschirm. »Schalten Sie Ihren Zerhacker ein«, sagte Catton. »Ich habe eine wichtige Mitteilung zu machen.« »Ist eingeschaltet. Sie können sprechen.« »Ich habe einen Ring von Hypnosteinhändlern ge funden. Sie wollen mir einen Stein für fünfundacht zighundert Thronen verkaufen. Ich habe fünfhundert als Anzahlung dort gelassen und befinde mich jetzt ihrer Meinung nach auf dem Weg zur Bank, um den Rest zu holen.« Beryaals Augen weiteten sich. »Haben Sie den Stein gesehen?« »Ja. Er ist echt.« »Deswegen also die Veränderungen in ihrem Ge sicht«, bemerkte Beryaal. Da der Schirm nur schwarz weiß wiedergab, hatte er die Veränderung von Cat tons Gesichtsfarbe nicht bemerkt, sondern nur die andere Form der Augenbrauen und Ohrläppchen. »Schön. Wo können wir sie abholen?« »In einer Kneipe namens Der tiefe Zug in der Straße der Beutelschneider. Erster Stock, letzte Tür.«
»Meine Männer werden in zwanzig Minuten dort sein«, versprach Beryaal.
6
Catton und Pouin Beryaal hatten am Visifon alle Ein zelheiten genau besprochen. Man würde es so arran gieren, daß Catton entkam, Nuuri Gryain würde mit festgenommen werden, um sie in den Augen ihrer vermeintlichen Freunde unverdächtig erscheinen zu lassen, würde aber später wieder freigelassen wer den. Der Erdmann ging zur Großbank von Morilar und hob achttausend Thronen von dem Konto ab, das man dort für ihn eingerichtet hatte. Der Kassierer war etwas überrascht, daß ein Dragonide von einem ter ranischen Konto Geld abhob, da die Erkennungs scheibe aber einwandfrei stimmte, hatte er keine an dere Wahl, als Catton, trotz seiner Maske, stirnrun zelnd acht funkelnagelneue steife Tausendthronenscheine auszuhändigen. Catton nahm ein Taxi und fuhr wieder über die Brücke zur Straße der Zwei Monde. Von dort aus ging er den Rest des Weges zum Tiefen Zug zu Fuß. Er hatte sich schnell eine ausreichende Ortskenntnis in den winkeligen Gäßchen der Altstadt von Dyelle ran angeeignet. Das mnemonische Training, das zur Grundausbildung jedes Spezialagenten Terras gehör te, leistete ihm hier gute Dienste.
Er hatte die Zeit seiner Abwesenheit genau voraus berechnet. Wenn Beryaals Leute nicht schliefen, wür de die Verhaftung in drei oder vier Minuten erfolgen. Er stieg die Treppe hinauf und klopfte in dem verein barten Rhythmus an die Tür. »Ich bin es. Karlsrunig von Dragon. Lassen Sie mich ein!« Die Tür ging auf. Catton nickte befriedigt. Sämtli che Morilaru waren noch im Raum versammelt und starrten ihm gespannt entgegen. Besonders Nuuri machte einen etwas nervösen Eindruck. »Jetzt habe ich das Geld«, sagte er. »Sie können den Stein aus seinem Versteck holen.« »Zeigen Sie uns erst das Geld.« Catton raschelte mit den acht Scheinen. Der Stein wurde hervorgeholt. Dann sagte Catton langsam: »Siebentausendfünfhundert Thronen?« »Wir haben aber doch achttausendfünfhundert vereinbart«, erinnerte ihn der Morilaru. »Wollen Sie jetzt noch einmal feilschen?« Catton lächelte. »Das ist eine Angewohnheit, mein Freund. Geben Sie mir den Stein.« »Gegen die vereinbarte Summe?« »Hier ist das Geld. Achttausend plus die fünfhun dert, die Sie schon haben. Den Stein!« Catton hielt die acht Scheine hin und griff gleich zeitig nach dem Beutel. Die Polizisten waren auf die
Sekunde pünktlich. Catton und die Morilaru standen einen Augenblick wie gebannt da, jeder mit einer Hand auf den Geldscheinen, mit der anderen auf dem Samtbeutel mit dem Stein, als die Tür aufflog. Ein greller Lichtblitz sagte Catton, daß die ganze Sze ne auf Film festgehalten worden war. Einen Augen blick später, nachdem ein paar Schüsse gefallen wa ren, erfolgte die Verhaftung. Ein Morilaru lag tot am Boden. Die anderen, auch Nuuri und Catton, hielten die Hände hoch. »Den Beutel nehme ich wohl am besten«, sagte der Anführer der Polizisten und öffnete ihn so weit, daß er sich von dem Inhalt überzeugen konnte. Dann schob er ihn in eine Tasche seines Umhanges. »So, jetzt kommt alle mit.« Als sie unten auf der Straße ankamen, spürte Cat ton, wie sich die Handschellen, die man ihm angelegt hatte, plötzlich lockerten und dann herunterfielen. Er drängte sich aus der Gruppe der Gefangenen heraus, bog scharf nach links ab und rannte auf eine Gasse zu. Die Polizisten riefen aufgeregt, einer stürzte Cat ton nach, schoß seinen Strahler auf ihn ab und ver sengte ihm fast die Schulter. Der Erdmensch duckte sich in eine Tür, die ihm einladend winkte und blieb ein paar Minuten dort. Dann spähte er hinaus und stellte fest, daß man die Gefangenen inzwischen weggebracht hatte. Einer von Beryaals Männern war
zurückgeblieben, offenbar um den Schein zu wahren, daß der entsprungene Dragonide noch gesucht wur de. Catton trat wieder ins Freie hinaus und grinste. »Ihr habt das Theater ja ziemlich ernst genommen, Freundchen. Sie hätten mich fast getroffen.« »Ich habe schlecht gezielt, entschuldigen Sie, bitte.« »Wo sind die anderen?« »Sie sind zum Verhör gebracht worden. Ich muß offiziell berichten, daß Sie beim Fluchtversuch getötet worden sind. Das Mädchen wird nach dem Verhör freigelassen werden.« »Und die anderen?« Der Posten zuckte vielsagend die Achseln. »Inten sives Verhör.« Catton nickte. »Schön. Betrachten Sie mich also als auf der Flucht erschossen. Ich werde mir jetzt die Farbe wieder abwaschen lassen.« Er schlängelte sich durch die Gäßchen, was ihm langsam Spaß zu machen begann, und kam nach kurzem Fußmarsch zum Laden des Alten. Der lag schon wieder über seiner Theke und schlief, so daß Catton ihn wecken mußte. »So, jetzt machen Sie wie der einen Erdmann aus mir. Die Verkleidung hat ih ren Zweck erfüllt.« Catton zog sich aus und ließ sich das Entfernungs mittel aufsprühen. In zehn Minuten sah er wieder
normal aus. Er gab dem alten Mann wie versprochen ein Ein-Thronen-Stück und fügte dann mit einem ver schwörerischen Grinsen eine weitere Throne hinzu. »Hier ist noch eine Throne für Sie, Alter. Aber sagen Sie Nuuri nicht, daß ich sie Ihnen gegeben habe.« »Ich bin Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet«, mur melte der Alte demütig. Catton war froh, daß er die Farbschicht, die Kon taktlinsen und all die übrige Maskerade los und jetzt auch äußerlich wieder ein Erdmann war. Er eilte be schwingten Schrittes in die Straße der zwei Monde, wo er ein Taxi nahm, das ihn zum Büro der interstel laren Polizeikommission brachte. Unterwegs hatte er Zeit, über Estil Seemann nach zudenken. Das Mädchen war fortgelaufen oder viel leicht auch von Doveril entführt worden – aber wo mochte sie sein? Catton glaubte es zu wissen. Die Andeutung, die einer der Schmuggler gemacht hatte, schien darauf hinzudeuten, daß die Steine irgendwo auf Skorg ihren Ursprung hatten. Möglicherweise war Doveril mit Estil dorthin geflohen. Vielleicht wä re es ganz gut, wenn er auch nach Skorg flöge – nach außen hin, um einer Vermutung bezüglich der Her kunft der Hypnosteine nachzugehen, und in zweiter Linie, um nach dem verschwundenen Mädchen zu suchen. Sein wirklicher Beweggrund aber würde sein, daß er dort auf der zweitwichtigsten Welt der Achse
Morilar-Skorg-Arenadd wichtige Informationen für die Erde sammeln konnte. Als er diesmal bei Nummer elf der Straße der Re gierung ankam, machte ihm niemand den Eintritt in die Büros der interstellaren Polizeikommission strei tig. Schließlich war er jetzt selbst Mitglied der Kom mission. Er ging unverzüglich in Pouin Beryaals Bü ro, traf aber diesen nicht an, sondern nur Ennid Uru od, das fette Kommissionsmitglied von Arenadd. »Wo ist Beryaal?« wollte Catton wissen. »Er verhört die Gefangenen. Ihm und eMerikh ma chen solche Szenen nichts aus, ich dagegen vertrage sie nicht, dazu habe ich einen zu schwachen Magen.« »Und was ist mit dem Mädchen?« Uruod hob den Arm und deutete auf eine Tür. »Dort drinnen. Sie wartet auf Sie. Beryaal hat sie schon vor einer Weile verhört.« Catton dankte dem Arenaddin und trat in das be zeichnete Büro. Nuuri sah erregt und abgespannt aus, zwang sich aber zu einem Lächeln, als sie Catton sah. »Man hat mich jetzt ganz offiziell freigelassen«, sag te sie. »Und die anderen?« Sie zuckte die Achseln. »Das übliche. Sie werden verhört, bis sie zusammenbrechen. Die tun mir leid.« »Sie haben sie ja selbst verraten«, erinnerte sie Cat ton.
Sie zeigte nicht das geringste Anzeichen von Reue. »Ich habe nur Doveril verraten. Daß die anderen ge fangen wurden, war Zufall. Aber Doveril ist auf frei em Fuß, und die anderen sind jetzt unten beim Ver hör.« »Letzten Endes werden sie Doveril auch noch erwi schen«, tröstete sie Catton. »Das bezweifle ich. Wahrscheinlich ist er schon ein paar hundert Lichtjahre von hier entfernt.« »Und wohin glauben Sie, daß er fliehen wird?« fragte der Erdmann gespannt. »Es gibt viele Welten im Universum. Er kann über all sein.« Catton runzelte die Stirn. »Ich werde bald nach Skorg reisen. Glauben Sie, daß er vielleicht dort sein könnte?« »Skorg? Was tun Sie auf Skorg?« »Das geht Sie nichts an, Nuuri. Ich habe dort beruf lich zu tun.« »Wegen der Hypnosteine?« fragte sie neugierig. »Natürlich. Und wenn ich Doveril dort finden könnte ...« »Skorg ist groß. Es dürfte schwierig sein, dort je mand zu finden.« »Das weiß ich«, nickte Catton. »Aber es gibt gewis se Tricks, um Leute von seinem Schlag aufzuspüren.« »Ich hoffe, daß Sie Doveril finden werden«, sagte
sie, und ihre Augen funkelten böse. »Ich will erleben, wie er auf Pouin Beryaals Folterbank liegt.« »Sie haben ihn so gehaßt, Nuuri, daß Sie fünf seiner Freunde ans Messer geliefert haben«, sagte Catton. »Nur weil er eine andere Frau Ihnen vorgezogen hat. Das ist eine harte Rache.« Ihr Blick heftete sich starr auf ihn. Eine Weile sagte keiner etwas, dann meinte Nuuri: »Sonst habe ich Ih nen nichts mehr zu sagen. Ich gehe jetzt.« »Werden Sie mit mir in Verbindung bleiben?« frag te er. »Warum sollte ich das tun?« »Ich bin daran interessiert, den Handel mit Hypno steinen aus der Welt zu schaffen«, erklärte Catton. »Sie haben mir einmal geholfen. Vielleicht können Sie mir eines Tages wieder behilflich sein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin ja kein Spitzel von Berufs wegen. Ich habe Ihnen diesmal geholfen, weil ich damit persönliche Gründe verfolgt habe. Aber ich verspüre nicht das Verlangen, andere Leute an Sie zu verraten.« »Sie sind sich doch darüber im klaren, daß ich ver anlassen könnte, daß man Sie noch einmal verhaftet und Sie der Psychoprobe unterzieht?« fragte er. »Sie haben praktisch zugegeben, daß Sie wichtige Infor mationen verheimlichen, die uns nützlich sein könn ten.«
Ihr Blick wich ihm nicht aus. »Das ist mir klar. Würden Sie mich also nach dem Dienst, den ich Ih nen erwiesen habe, Pouin Beryaal ausliefern? Ist das Ihr Dank?« »Sie haben doch selbst gesagt, daß Sie keinen Dank und keine Belohnung haben wollten.« »Ich möchte sicheres Geleit aus diesem Gebäude als Belohnung haben. Ich habe Ihnen einmal gehol fen, jetzt lassen Sie mich gehen.« »Sofort«, sagte er ruhig. Er sah sich in dem Büro nach versteckten Lauschgeräten um und sagte dann leise: »Ich bin ein Erdmann, Nuuri. Ich bin an der Si cherheit und dem Wohlergehen meines Planeten in teressiert.« »So?« »Es gehen Gerüchte in der Galaxis um, die behaup ten, daß ein paar Welten einen Angriff auf die Erde beabsichtigen. Ich versuche festzustellen, was hinter diesen Gerüchten steckt. Sind Sie bereit, mich dabei zu unterstützen?« »In welcher Beziehung?« »Indem Sie mir helfen, diesen Gerüchten nachzu gehen.« Sie lächelte bitter. »Ihnen genügt es also nicht, daß ich meine Freunde an Sie verrate; jetzt wollen Sie auch noch, daß ich an meiner Welt zum Verräter werde.«
»Das ist kein Verrat. Ich handle im Interesse des ga laktischen Friedens.« »Was macht es mir aus, ob in der Galaxis Frieden herrscht oder nicht?« »Was macht es Ihnen aus, in die Folterkammer hinuntergeschleppt zu werden?« fragte Catton kühl. Sie lachte. »Mit Drohungen werden Sie sich nie Verbündete schaffen, Catton. Ich arbeite nicht für Sie. Mich interessiert nur, daß Doveril Halligon bestraft wird, alles andere ist mir gleichgültig.« »Ich werde in Skorg nach ihm Ausschau halten. Und ich bitte um Entschuldigung, wenn es den An schein gehabt hat, als wollte ich Ihnen drohen. Das war ein Fehler.« »Ein Mann in Ihrer Stellung kann sich nicht viele Fehler leisten«, bemerkte Nuuri. »Aber ich will mit Ihnen einen Handel machen. Lassen Sie mich unan getastet aus diesem Gebäude gehen, und ich verspre che Ihnen, diese Unterhaltung zu vergessen.« »Einverstanden«, stimmte Catton zu. »Sie können gehen.« Sie erhob sich wortlos und ging aus dem Zimmer. Catton trat an das Fenster und blickte mit gerunzelter Stirn hinaus. Wahrscheinlich hatte er zuviel gesagt. Aber das Mädchen hatte sich als nützlich erwiesen, und er hatte gehofft, sie als Verbündete zu gewinnen. Er brauchte unbedingt Hilfe, anders würde er nie das
Komplott gegen die Erde aufdecken. Die Reise nach Skorg war im Augenblick wohl das Beste, was er un ternehmen konnte, dachte er. Ob man wohl beim Verhör der vier armen Teufel etwas Nützliches erfah ren hatte? Vielleicht einen Hinweis darauf, wo Dove ril Halligon sein konnte. Es würde nicht lange dauern und man würde beginnen, das Verschwinden von Seemanns Tochter mit dem Halligons zu verknüpfen. Dann würde der Teufel los sein. Catton ging in Beryaals Büro zurück. Inzwischen hatte sich Merikh eMerikh, der Delegierte von Skorg, zu Arenaddin gesellt. Catton und der Skorg nickten sich kurz zu. »Wie läuft das Verhör?« fragte Catton. »Es ist jetzt gleich vorbei. Leider sind inzwischen zwei der Gefangenen gestorben. Die restlichen zwei werden noch von Beryaal verhört.« »Und was hat man in Erfahrung gebracht?« »Beryaal wird Ihnen berichten, wenn er zurück kommt. Aber eines steht fest: Es wird nicht nötig sein, den Gefangenen nach dem Verhör noch den Prozeß zu machen. Es ist zwar sehr bedauerlich, aber wir glauben nicht, daß sie das Verhör überleben werden.«
7
Catton sagte gar nichts. Das waren fremde Welten mit einer fremden Justiz. Es stand ihm nicht an, Ein wände vorzubringen, wenn die Morilaru es vorzo gen, ihre Gefangenen zu Tode zu verhören, anstatt ihnen einen ordnungsgemäßen Prozeß zu machen. Aber es zeigte deutlich, mit was für Wesen die Erde hier zu tun hatte. Er zuckte die Achseln und setzte sich, um auf Pouin Beryaal zu warten. Der Morilaru betrat das Büro etwa zehn Minuten später. In seinen Augen lag ein befriedigter Glanz. »Das Verhör ist beendet«, bemerkte Beryaal kurz, als er seinen Platz an der Stirnseite des Tisches ein nahm. »Überlebende?« fragte der Erdmensch bissig. Beryaal nahm Cattons Sarkasmus gar nicht zur Kenntnis. »Leider sind die Gefangenen bei dem Ver hör gestorben. Aber wir haben vorher viele nützliche Informationen von ihnen bekommen.« »Ich glaube«, sagte der Arenaddin langsam und bedächtig, »daß unser neuer Kollege von der Erde beim Fang der Verbrecher gute Arbeit geleistet hat. Ich schlage vor, daß wir der Terranischen Weltregie rung eine entsprechende Mitteilung senden.« »Der Erdmann«, sagte Merikh eMerikh von Skorg
mit seiner hohlen Stimme, »hat weit mehr getan, als man von ihm verlangen kann. Man erwartet von den Mitgliedern dieser Kommission nicht, daß sie sich verkleiden und sich selbst auf die Suche nach HypnoJuwelenschmugglern machen.« »Da haben Sie recht, man erwartet das nicht von mir«, stimmte Catton ihm zu, »aber wenigstens ist einmal etwas geschehen. Wie lange existiert diese Kommission denn eigentlich schon – und wieviel hat sie in dieser Zeit erreicht?« Der Skorg funkelte ihn an. »Wir haben die Basis geschaffen für ...« »Bitte«, unterbrach ihn Beryaal. »Wir verschwen den mit dem sinnlosen Gerede doch nur unsere Zeit.« »Wie wäre es dann«, meinte Catton, »wenn Sie uns über das Ergebnis des Verhörs unterrichteten?« »Die Berichte werden gerade geschrieben und werden Ihnen in Kürze ausgehändigt werden.« Catton schüttelte den Kopf. »Können Sie uns denn nicht zusammenfassend sagen, was Sie herausge bracht haben, ohne daß wir auf die Berichte warten müssen? Konnten Sie irgend etwas über die Her kunft, die Versandmethoden, Rädelsführer, andere Schmuggler und so weiter feststellen?« »Sie können die Berichte lesen«, antwortete Beryaal ausweichend. Die Tür öffnete sich, und ein Bote trat mit einem
Stoß maschinengeschriebener Blätter ein. Er legte vor jedes Mitglied der Kommission ein dünnes Heft. Catton hob seines auf. Es waren vier zusammenge heftete Bogen. Auf der ersten Seite stand das Datum und die Überschrift: Bericht über ein durch die interstellare Polizei kommission abgehaltenes Verhör Pouin Beryaal, Vorsitzender Der Erdmensch blätterte den Bericht durch. Er besagt bemerkenswert wenig. Die Namen der vier Gefange nen waren angegeben und der Text einer Serie von Fragen, die Beryaal gestellt hatte, sowie die Antwor ten der Gefangenen. Die Fragen und Antworten sahen etwa folgender maßen aus: F: Geben Sie zu, versucht zu haben, einem Drago niden einen Hypnostein zu verkaufen? A: Dafür haben Sie ja Beweise. F: Warum verkaufen Sie Hypnosteine? A: Um Geld zu verdienen. F: Wer ist der Anführer Ihrer Gruppe? A: Wir waren alle gleichgestellt. F: Aber gab es denn niemand, der als Kontaktmann, als Verbindungsmann oder als Ihr Sprecher fungierte? A: Wir haben alles gemeinsam gemacht.
F: Und wie bekamen Sie die Juwelen, die Sie ver kauften? A: Wir haben sie gekauft. F: Von wem? A: Von Leuten, die sie verkauften. Und so sah der ganze Bericht aus. Die fünf Gefan genen hatten ihre Inquisitoren zum Narren gehalten, keine einzige greifbare Tatsache war durch das ganze Verhör ans Licht gebracht worden. Wenn es nicht so ernst gewesen wäre, hätte Catton gelacht. Die Ant worten der Gefangenen waren voll von Ausflüchten, halben Wahrheiten und Wahrheiten, die aber nichts besagten. Kein einziges Mal im ganzen Verhör war die Frage nach dem Ursprungsort der Juwelen zu friedenstellend beantwortet worden, noch enthielt der Bericht den geringsten Hinweis auf Doveril Hal ligon. Nuuri würde wütend sein, dachte Catton, wenn sie wüßte, daß Doveril Halligon nicht in die Sa che hineingezogen worden war. Da er mit der gedruckten Schrift von Morilar nicht besonders gut vertraut war, beendete Catton, als letz ter die Lektüre des Berichts. Als er fertig war, sah er Beryaal scharf an. »Und dafür haben Sie vier Leute umgebracht?« fragte er. »Sie waren selbst daran schuld. Sie haben uns keine Antwort gegeben.«
Catton lachte. »Das spricht nicht gerade für das Geschick des Verhörenden. Jeder Idiot kann einen Menschen unter der Folter töten, aber es gehört ein wenig Geschick dazu, etwas Greifbares von ihm zu erfahren.« »Der Erdmensch hat recht«, stimmte der Arenad din zu. »Dieser Bericht enthält bemerkenswert wenig Informationsmaterial. Die Gefangenen haben Sie an scheinend an der Nase herumgeführt.« Catton runzelte die Stirn. In dem Bericht standen zu wenig Tatsachen. Es war unvorstellbar, daß man in Morilar kein besseres Verhör abhalten konnte. Was er hier las, konnte er einfach nicht glauben. Man hätte doch mit Hilfe eines Lügendetektors oder unter Tie fenhypnose sicherlich wenigstens den Namen des Anführers herausbringen können oder den Weg, auf dem die Steine nach Morilar eingeschleust wurden und ihren Herkunftsort. Womit mochte man hier wohl beim Verhör arbeiten, fragte er sich – mit Dau menschrauben und dem Rad? Er konnte einfach nicht glauben, daß das Verhör so erfolglos gewesen war, wie es hier im Bericht zu lesen stand. Also bedeutete das, daß Beryaal wichtige Ein zelheiten verschwieg. Aber was hatte das für einen Sinn? Weshalb sollte der Leiter der Interstellaren Po lizeikommission seinen Mitarbeitern wichtige Infor mationen vorenthalten?
»Mir scheint«, sagte Catton schließlich, »daß Sie vier wertvolle Informationsquellen zugeschüttet ha ben, Pouin Beryaal.« Der Morilaru neigte liebenswürdig den Kopf. »Sie sind mit dem Ergebnis unseres Verhörs nicht zufrie den?« »Damit zufrieden?« fragte Catton wegwerfend und schlug mit der Hand auf den Bericht. »Natürlich bin ich damit nicht zufrieden. Wir stecken in einer Sack gasse. So kommen wir nicht weiter. Schließlich und endlich ist es doch nicht unsere Aufgabe, kleine Ju welendiebe wie diese hier zu fangen und zu Tode zu foltern, sondern wir sollen den Herkunftsplaneten der Steine finden. Wie sollen uns diese kindischen Fragen und Antworten dabei helfen?« »Der Erdmensch ist ungerecht«, kam der Skorg Pouin Beryaal zu Hilfe. »Ich war bei dem Verhör zu gegen, Sie und unser Kollege von Arenadd nicht. Ich kann mich dafür verbürgen, daß alles versucht wur de, um aus den Gefangenen etwas herauszubringen.« Oder du und Beryaal steckt unter einer Decke, dachte Catton. Er zuckte die Achseln und meinte: »Na schön, ich will ja nicht behaupten, daß Sie nicht richtig vorge gangen sind. Ich sage nur, daß ich Ihnen vier Leute ge bracht habe und daß Sie sie beim Verhör getötet haben, ohne auch nur das geringste aus ihnen herauszuholen.« »Wie die meisten Erdmenschen sind Sie übermäßig
ungeduldig«, meinte Beryaal sanft. »Das ist typisch für junge und unerfahrene Rassen.« »Mag sein. Wenn es ein Fehler meiner Rasse ist, daß wir Resultate sehen wollen, dann bekenne ich mich dieses Fehlers schuldig.« Er spreizte die Hände. »Jedenfalls ist es die Aufgabe dieser Kommission, den Handel mit Hypnosteinen so schnell wie möglich zu unterbinden. Ich möchte diese Sache schleunigst hin ter mich bringen.« »Haben Sie dazu irgendwelche Vorschläge zu ma chen, nachdem Sie mit unseren Methoden nicht ein verstanden zu sein scheinen?« fragte Beryaal ruhig. »Einige«, sagte Catton. »Ich habe die Aufzeichnun gen, die Sie mir gaben, sorgfältig durchgelesen und dabei festgestellt, daß bisher sehr wenig getan wurde, um den Ort festzustellen, über den die Juwelen her eingeschleust werden – wohlgemerkt, ich meine jetzt nicht ihren Herkunftsort. Ich glaube aber, ich kann mir ungefähr vorstellen, wo die Steine in unsere Ga laxis geschleust werden.« »So?« sagte Beryaal. »Als ich diesen Stein kaufte, ließ jemand eine Be merkung fallen, daß der Planet, auf dem man die Steine von den Herstellern erwerben könnte, ein – nun, sagen wir, ein bedeutender Planet in dieser Ga laxis sei.« Catton hatte im letzten Augenblick be schlossen, den Namen der Welt nicht preiszugeben.
»Das ist nur eine Annahme, nicht wahr?« fragte Be ryaal. »Und wenn es das ist?« fragte Catton zurück. »Immerhin kann man einmal nachforschen. Das schadet nie. Im Augenblick ist jeder Hinweis für uns wichtig. Und dieser einen Spur möchte ich persönlich nachgehen.« »Wir verfügen für solche Dinge über ein gutorgani siertes Netz von Agenten«, bemerkte der Skorg. »Das ist mir bekannt. Ich möchte aber trotzdem diesen Planeten selbst aufsuchen.« »Typisch terranische Energie«, stellte Beryaal fest. »Aber meinetwegen. Und welcher Planet ist es, den Sie verdächtigen?« »Ich werde nach meiner Rückkehr einen Bericht schreiben«, gab Catton zur Antwort. Beryaal beugte sich vor. »Es wäre sicherer, wenn Sie es uns jetzt sagten. Wir könnten dann für Ihren Schutz sorgen, wissen Sie.« »Und falls Ihnen etwas zustoßen sollte«, fügte der Skorg hinzu und gab sich nicht einmal die Mühe, ein Grinsen zu verbergen, »würden wir wissen, welchen Planeten Sie verdächtigt haben. Es wäre nicht klug, einen Verdacht von solchem Gewicht unausgespro chen zu lassen, Catton, das müssen Sie doch einse hen.« »Na schön«, erklärte der Erdmensch. »Dann soll es
in den Akten festgehalten werden. Ich bitte um Beur laubung von meiner Tätigkeit in der Kommission, um eine Reise nach Skorg anzutreten.« Merikh eMerikh zuckte zusammen, als sei er von einer Schlange gebissen worden. Er sprang auf und starrte Catton verwundert an. »Skorg! Sie wollen behaupten, daß der Hypno steinhandel seinen Ursprung in Skorg hat?« »Ich will gar nichts behaupten«, sagte Catton ruhig. »Ich möchte nur eine Vermutung überprüfen.« »Diese Anschuldigung, die Sie da aussprechen, ist vielleicht ein wenig voreilig, Lloyd Catton«, sagte Pouin Beryaal ruhig. »Man muß bedenken, daß die Polizei in Skorg hervorragend organisiert ist und daß ...« »Man muß gar nichts bedenken«, herrschte Catton ihn an. »Mit lauter Bedenken kommen wir nicht wei ter. Ich fliege sofort nach Skorg. Wenn ich etwas fest stellen sollte, werde ich Ihnen berichten.« Uruod von Arenadd sagte mit seiner sanften Stimme: »Es ist nicht richtig, daß der Delegierte von Skorg die Feststellung des Delegierten von Terra als persönliche Beleidigung auffaßt. Die Ehre von Skorg wird dadurch nicht im geringsten angetastet.« Catton nickte dem Arenaddin dankbar zu. »Ich ha be keinerlei Anschuldigungen erhoben. Was das be trifft, wäre es vielleicht klug, auch auf Arenadd Nach
forschungen anzustellen – und auf Morilar. Es besteht gar kein Grund zu der Annahme, daß die Hypnostei ne vom Rand der Galaxis kommen. Ich hatte gehofft, von den Männern, die ich heute gebracht habe, etwas zu erfahren, aber –« er machte eine vielsagende Handbewegung. Catton sah den Skorg fragend an, und dieser nickte kurz. Catton war davon überzeugt, daß die Morilaru unter der Folter angegeben hatten, daß die Steine von Skorg stammten, und daß Beryaal und eMerikh über eingekommen waren, das nicht in die Akten aufzu nehmen. Kein Wunder also, daß es ihnen nicht paßte, wenn Catton jetzt trotzdem etwas davon wußte, und, was noch viel schlimmer war, es offiziell zu den Akten gegeben hatte. Jetzt konnten Beryaal und eMerikh den Dingen nur mehr ihren Lauf lassen, für alles andere war es zu spät. Catton hatte sie in die Enge getrieben. Er stand auf. »Haben wir sonst noch etwas zu besprechen?« fragte er. »Nein«, sagte Beryaal. »Ich wollte nur die Ergeb nisse des Verhörs bekanntgeben.« »Das haben Sie ja zur allgemeinen Zufriedenheit getan«, konnte sich Catton nicht verkneifen zu sagen. »Ich gehe jetzt. Sie können mich in der Terranischen Gesandtschaft erreichen, eMerikh, wenn Sie für mich ein Besuchervisum bekommen haben.«
»Ja, ich rufe Sie dann an«, sagte der Skorg. Catton nickte den drei Fremden zu und verließ den Konferenzsaal. Es war schon spät am Tag, und die Hitze hatte etwas nachgelassen. Er mußte lächeln, als er sich noch einmal vor Augen hielt, wie sich seine Kollegen hin und her gewunden hatten, als er ihnen seine Absicht bekanntgegeben hatte. Aber warum hatten sie sich so verhalten? Warum versuchten sie, diese Informationen vor ihm geheimzuhalten? War um paßte es ihnen nicht, daß er nach Skorg reisen wollte? Er beschloß, mit dem ersten Schiff nach Skorg zu fliegen, das er erreichen konnte. Vielleicht war die Spur dort deutlicher, aber er glaubte es nicht. Er muß te zugeben, daß er hier mit Kräften zu tun hatte, de nen ein einzelner Mann, mochte er noch so tüchtig und energisch sein, nicht gewachsen war. Aber eines war sicher: die Erde stand vor einem Konflikt um die galaktische Vormachtstellung, in dem sie nicht unter liegen durfte.
8
Zwei Tage später setzte ein Wagen der terranischen Gesandtschaft Catton im Raumhafen von Cyelleran ab. Der Erdmann trug ein Ticket erster Klasse für den Flug von Morilar nach Skorg und zurück an Bord des Luxusraumschiffes »Silver Spear« der SkorgRaumfahrtsgesellschaft in der Tasche. Zwei Tage fie berhafter Vorbereitungen waren der Abreise voraus gegangen. Zuerst hatte er ein Einreisevisum für Skorg ge braucht, was sich jedoch nach einigen Subradioge sprächen und durch die mehr oder weniger bereitwil lige Mithilfe von Merikh eMerikh und dem Gesand ten Skorgs verhältnismäßig schnell erreichen ließ. Ferner hatte Catton zu seinem eigenen Schutz einen hypnotischen Block eingesetzt bekommen, der seinen Geruchssinn einengte, denn der planetarische Geruch auf Skorg war etwas, was sogar starke Männer um warf. Und aus dem gleichen Grund hatte er eine den Metabolismus anregende Spritze bekommen, um die Körperabsonderungen zu verringern, die den Geruch eines Erdmenschen für die Skorg so unerträglich machten. So gerüstet war Catton reisefertig. Drei MorilaruAssistenten begleiteten ihn, wie er verlangt hatte. Da
er keine finanziellen Sorgen hatte, hatte Catton leich ten Herzens für alle vier Flugscheine erster Klasse be sorgt – eine Affäre von – grob gerechnet – achttau send Thronen oder mehr als 10 000 terranischen Kre diten für die vier Flugscheine. Die »Silver Spear« war ein Luxusschiff, praktisch eine eigene kleine Stadt im Raum, mit achthundert Passagieren. Catton und seine drei Mitarbeiter wurden mit ihren Diplomatenpässen ohne weiteres von den Einwande rungsbehörden durchgelassen und bestiegen das Schiff zwei Stunden vor dem Start. Die drei Assisten ten hatten für ihre großartig ausgestatteten Kabinen kein Wort der Bewunderung übrig. Entweder waren sie nicht beeindruckt und ähnlichen Luxus gewöhnt, oder ihre Umgebung war für sie zu überwältigend, als daß sie zu einer Bemerkung fähig gewesen wären. Als er allein war, inspizierte Catton seine Kabine. Sie war zweimal so groß wie die, die er auf dem Flug von Terra nach Morilar bewohnt hatte, und dabei war sein Schiff eines der schönsten Passagierschiffe der Er de gewesen. Hier auf der »Silver Spear« hatte die Kabi ne einen dicken Teppich, in dem man bis zum Knöchel einsank, kostbaren schallschluckenden Wandbehang, ein Musikwiedergabegerät mit einer erlesenen Aus wahl von Musikbändern, ein Videogerät, mit dem er direkt mit der immensen Filmbibliothek des Schiffes verbunden war. Er warf sich auf das Bett und nahm
ein Lehrbuch der Skorgsprache aus seiner Reiseta sche, um die Stunden bis zum Abflug mit Lernen zu verbringen. Eine Stunde später summte das Türsignal leise. Catton drückte auf einen Knopf, und die Tür glitt in eine Wandvertiefung. Ein uniformierter Skorg stand im Korridor und wartete. Er verbeugte sich unterwürfig, eine Geste, die bei einem Angehörigen dieser Rasse sehr seltsam aussah, und sagte: »Ich bin Ihr Steward, Mr. Catton. Bitte ru fen Sie mich, wenn Sie etwas benötigen.« Er bediente sich dabei der Morilaru-Sprache. »Vielen Dank«, sagte Catton und wandte stolz sei ne neuerworbenen Kenntnisse der Skorgsprache an. »Der Start erfolgt in dreißig Minuten. Bitte begeben Sie sich in Ihr Bett, wenn Sie das Signal hören, und bleiben Sie dort, bis wir den Nullantrieb einschalten. Das Essen wird eine Stunde nach dem Eintritt in den Hyperraum serviert werden.« Er verbeugte sich wieder und ging zur nächsten Kabine. Catton schloß die Tür und setzte seine Studi en fort. Der Start erfolgte planmäßig und auf die Sekunde genau. Ein Lautsprecher, der in die Decke eingelassen war, erwachte plötzlich zum Leben und teilte ihm auf Skorg, Morilaru und Arenaddin mit, daß er sich bis auf weiteres im Bett aufhalten sollte. Catton fragte sich, was
wohl geschah, wenn man nicht eine der drei Sprachen beherrschte. Aber in diesem Fall reiste man eben nicht mit einem Schiff der Skorg-Raumfahrtsgesellschaft, entschied er. Dann wurden in Skorg Zahlen abgezählt. Als die Zahlenreihe ihrem Ende zuging, spannte Catton un willkürlich seine Muskeln an und wartete auf den Andruck, der ihn auf sein Bett niederpressen würde. »... drog ... ... halb-segan ... ... zhuur ... ... naal.« Naal. Feuer! Aber die mächtige Faust des Andrucks kam nicht. Catton fühlte nur ein kurzes Pressen, das ihn schwach auf sein Bett niederdrückte, aber es war so schwach, daß er mühelos aufrecht hätte sitzen bleiben können. Offenbar reiste man auf einem Lu xusschiff der Skorg-Raumfahrtsgesellschaft wirklich luxuriös. Der Startandruck war so meisterhaft kom pensiert – wahrscheinlich durch Antischwerkraft –, daß man fast den Eindruck hatte, mit einem trägheits losen Antrieb zu fliegen. Zehn Minuten nach dem Start kündigte der Laut sprecher in der Decke an, daß man nun die Betten verlassen könne und daß das Schiff sich jetzt in Hy perfahrt befinde, bis Skorg erreicht sei. Das Essen, fügte die Stimme hinzu, werde in einer Stunde ser
viert werden. Catton machte in der Stunde, die er bis zum Essen zur Verfügung hatte, einen Rundgang durch das Schiff. Wie er nicht anders erwartet hatte, erregte er ziemliches Aufsehen, denn es gab in die sem Teil der Galaxis noch nicht besonders viele Erd menschen, und wenn einer sogar an Bord eines Lu xusschiffes von Skorg reiste, dann war das eine Sen sation. Das Schiff war prunkvoll. Es gab einen großen Ballsaal, eine Vortragshalle, zwei große Speisesäle – einer davon ausschließlich für Skorgs, der andere für die übrigen Passagiere –, eine sehr weise Vorkehrung, wenn man den Körpergeruch der Skorgs bedachte. Catton sah auch eine Bibliothek mit Buchfilmen, hauptsächlich in Skorg, einige Bände jedoch auch in Morilaru und Arenaddin und schließlich eine Sport halle, die für die verschiedenen Sportarten von rund einem Dutzend Planeten bestimmt war. Er nahm sein Abendessen in dem zweiten Speise saal zu sich, da er einerseits gar kein besonderes Ver langen spürte, den Skorg Speisesaal zu benutzen, und andererseits dort auch wahrscheinlich gar nicht ein gelassen worden wäre. Er fand sich fast ausschließ lich von Morilaru umgeben, sah jedoch außerdem auch einige Arenaddin und sogar einen Erdmann. Catton beschloß, sich ihm nach dem Essen vorzustel len.
Das Essen war nach Art von Skorg zubereitet und bestand hauptsächlich aus Gemüse und zähem, le derartigem Fleisch – wahrscheinlich war das für den Gaumen eines Skorg eine Delikatesse, aber Catton konnte ihm keinen Geschmack abgewinnen. Vor der Hauptmahlzeit wurde ein Cocktail serviert, der ihn stark an einen Martini erinnerte, aber Catton wußte, daß es der terranischen Getränkeindustrie bisher nicht gelungen war, mit Skorg Handelsbeziehungen aufzunehmen. Außerdem wurde Skorgwein angebo ten – eine bittere und trotzdem wohlschmeckende grünliche Flüssigkeit. Catton traf den Erdmann nach dem Essen im Fo yer. Offenbar hatte auch der andere ein Zusammen treffen gesucht. »Mein Name ist Royce, Byron H. Royce. Sie werden sich wahrscheinlich nicht an mich erinnern, Mr. Cat ton.« Catton erinnerte sich nicht. Der Erdmann war etwa sechzig Jahre alt, hochgewachsen, mit braungegerbten Gesichtszügen und hellblauen Augen. Er trug einen konventionellen terranischen Anzug. Catton hatte kei ne Ahnung, wer Royce wohl sein mochte, aber er ris kierte eine Vermutung. »Sie waren doch auf dem Emp fang, der in Cyelleran gegeben wurde, nicht wahr?« Royce lächelte. »Richtig. Wir haben ein paar Worte gewechselt, wenn Sie sich vielleicht erinnern ...«
»Leider nein«, mußte Catton zugeben. »Sie werden verstehen, damals gab es für mich so viele neue Ge sichter!« »Natürlich, ich weiß schon, wie das ist. Da kom men hundert Leute auf einen zu und schütteln einem die Hand und fragen, wie es einem geht, und nachher kann man sich an kaum einen mehr von ihnen erin nern. Nun, ich bin Byron Royce von Royce Brothers, Terra. Kennen Sie mich jetzt?« Catton nickte. Royce Brothers war eine bedeutende Exportfirma. Sie beherrschte mit Hilfe mehrerer Hol ding-Gesellschaften einen großen Teil des terrani schen interstellaren Handels im Umkreis von etwa fünfzig Lichtjahren und war offenbar gerade dabei, ihre Fühler auch nach Morilar, Skorg und Arenadd auszustrecken, um diese Welten zu ihren Geschäfts partnern zu machen. Catton wurde plötzlich bewußt, daß er sich mit einem mehrfachen Millionär unter hielt. »Sie reisen sicherlich in diplomatischer Mission nach Skorg, Mr. Catton?« wollte sein neuer Bekannter wissen. »Ja«, sagte Catton. »Ich kann Ihnen aber leider kei ne Einzelheiten sagen.« »Ich möchte Sie auch gar nicht ausfragen«, sagte Royce mit einem entwaffnenden Lächeln. »Wenn Ihre Mission natürlich etwas betreffen sollte, was meine
Firma interessieren sollte, wäre ich Ihnen schon für einen kleinen Hinweis dankbar.« »Die Sache ist leider streng geheim«, sagte Catton, vielleicht eine Spur zu brüsk. »Aber ich kann Ihnen sagen, daß sie keine wirtschaftlichen Hintergründe hat.« Royce wechselte sofort das Thema. »Die Sache mit der Tochter des Gesandten ist unangenehm, nicht wahr? Daß ein so hübsches Mädchen einfach ausreißt? Meinen Sie, daß man sie finden wird, Mr. Catton?« Catton zuckte die Achseln. »Das ist ziemlich un wahrscheinlich, wenn sie nicht will, daß man sie fin det. Die Galaxis ist einfach zu groß, als daß eine sy stematische Suche möglich wäre.« »Der Brief, den sie hinterlassen hat, ist ja auch ko misch.« »Oh, haben Sie davon gehört?« »Der Gesandte selbst hat ihn mir mit Tränen in den Augen vorgelesen. Fortgelaufen mit dem Mann, den sie liebt! Und dabei hat er nicht die leiseste Ahnung, wer das sein könnte. Sie haben jeden Erdmenschen, der in den letzten sechs Monaten in Morilar war, überprüft, aber von denen hat kein einziger gefehlt, und jeder konnte sein Alibi nachweisen.« »Man hat also keine Ahnung, mit wem sie durch gegangen ist, was?« fragte Catton. »Nicht die geringste Spur. Mr. Seeman dachte
schon, daß sie die Sache mit dem Geliebten vielleicht frei erfunden hat. Aber er konnte sich trotzdem nicht vorstellen, warum sie überhaupt davongelaufen ist.« Ein Skorg-Steward ging mit einem Tablett mit Ge tränken vorbei. Er blieb vor Catton und Royce stehen und fragte auf Morilaru, ob er ihnen etwas anbieten dürfte. Catton nahm sich einen Cocktail, der diesmal etwas nach Pfeffer schmeckte, während Royce dan kend ablehnte und sagte, daß er überhaupt keinen Alkohol trinke. Catton nahm noch einen Schluck und sah sich im Foyer um. Es war ziemlich voll, und er konnte Vertre ter von gut einem Dutzend Rassen erkennen, darunter, wie er amüsiert feststellte, auch einen Dragoniden, der dem Käufer des Hypnosteines verblüffend ähnlich sah, dessen Maske er vor ein paar Tagen getragen hatte, als er das Geschäft mit den armen Freunden von Nuuri Gryain abgeschlossen hatte. Außerdem sah Catton auch zwei seiner Assistenten in der Nähe – sie waren zweifellos beauftragt, ihn im Auge zu behalten. Plötzlich hörte er ein fernes Dröhnen, das sich ei nen Augenblick später wiederholte, diesmal zwar etwas lauter, aber immer noch wie aus unendlicher Ferne kommend. Byron Royce legte den Kopf etwas auf die Seite und stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser zu hören. Er sah besorgt aus. »Was ist los?« fragte Catton.
Da kam ein drittes Dröhnen – wieder etwas lauter. Royces Muskeln spannten sich. »Kommen Sie«, sagte er. »Sehen Sie zu, daß wir hier 'rauskommen, Catton.« »Hier heraus? Warum denn?« »Schnell!« Catton folgte verblüfft dem alten Erdmann, der sich rücksichtslos einen Weg durch die Passagiere bahnte, bis er den Gang erreichte. Ein viertes Mal hör ten sie das Dröhnen – und hier draußen erschien es Catton noch lauter und deutlicher. Es klang wie eine Explosion. »Was ist hier los?« fragte Catton ein zweites Mal. »Ich weiß nicht«, gab Royce zur Antwort. »Aber jedesmal, wenn ich auf einem Raumschiff solche Ge räusche höre, dann gehe ich in den Gang hinaus und fange an, die Rettungsschiffe zu suchen. Ich war an Bord der ›Star of Night‹, als sie 2283 bei Capella ex plodierte.« Ein fünftes Dröhnen erscholl aus den Tiefen des Schiffes – und dieses Mal bildete sich Catton ein, das Bersten der Stahlträger, das Explodieren der Maschi nen und die Todesschreie der Männer zu hören. Eine Explosion im Maschinenraum eines interstellaren Schiffes, das mit Überlichtgeschwindigkeit flog, war etwas sehr Furchtbares. Selbst wenn das Schiff die Explosion überstand, würde es sich nachher nicht
mehr von der Stelle bewegen können und hilflos im All treiben, bis seine Vorräte erschöpft waren. Und dann würde die Hölle an Bord des Schiffes herrschen, und die Menschen würden langsam zu Tieren wer den, die nicht einmal davor zurückschreckten, sich gegenseitig aufzufressen. Royce fing an zu laufen, und Catton folgte ihm wil lig. Jetzt kamen auch andere Passagiere auf die Gänge herausgestürzt, Schritte hallten dumpf auf den Decks über ihnen. Eine Lautsprecherstimme sagte: »Es besteht kein Grund zur Besorgnis, meine Damen und Herren.« Die Stimme sprach Skorg, wiederholte aber ihre Bot schaft schnell auch in Morilaru. »Bitte bleiben Sie, wo Sie sind. Die Mannschaft wird Ihnen behilflich sein. Keine Panik! Keine Panik!« Ebensogut hätte man einer Springflut gebieten können stehenzubleiben. Eine aufgeregte Menschen menge strömte aus dem Foyer heraus und verstopfte die Gänge. Die blechern klingenden Ermahnungen der Lautsprecher gingen in den Schreien der Leute unter. Wieder dröhnte eine Explosion, diesmal noch lauter als alle vorhergegangenen. »Das war der Hauptgenerator. Jetzt ist das Schiff erledigt.« Er blieb vor einer Tür stehen, riß sie auf und rannte eine Rampe hinab, die zu den Rettungsbooten führte.
Ein Schiff von der Größe der »Silver Spear« besaß wahrscheinlich fünfzig oder sechzig Rettungsboote, von denen jedes ein Dutzend Passagiere aufnehmen konnte, notfalls sogar fünfzehn oder zwanzig. Die Rettungsboote hatten kleine Hyperantriebe und ge nügend Treibstoff, um sie zu einem nahen Planeten zu bringen. Royce kletterte mit dem Elan eines Mannes, dem sein Leben sehr viel wert ist, in das kleine Schiff. Cat ton folgte ihm. Einen Augenblick später stürzten fünf weitere Leute in das kleine Boot. Catton stellte überrascht fest, daß einer von ihnen der Morilaru war, den man ihm als Adjutanten mit gegeben hatte. Ferner ein riesiger Arenaddin, der wie ein verängstigtes Schaf blökte. Außerdem sah er zwei Morilarufrauen in teuren Roben – und die beiden zerrten zu Cattons großem Erstaunen einen Mann in Uniform hinter sich her. Der Skorg wand sich unter ihren Händen und suchte sich aus ihrem Griff zu lö sen. »Die Mannschaft des Schiffes darf erst dann in die Boote gehen, wenn alle Passagiere in Sicherheit sind«, protestierte er. »Ruhig, Sie Idiot«, fuhr ihn eine der Morilarufrau en an. »Wir wollen am Leben bleiben, und Sie auch. Wir brauchen einen Raumfahrer an Bord dieses Schif fes.« Sie krallten sich mit den Fingernägeln in seinem Anzug fest und verhinderten ihm die Flucht.
Die Luke öffnete sich noch einmal, und ein Morila ru mit schreckgeweiteten Augen sprang herein. »Das Schiff explodiert!« keuchte er. »Starten wir, ehe wir alle mit in die Luft fliegen!« Catton wollte protestieren. Sie waren nur zu acht in dem kleinen Schiff – neun, wenn man den Arenaddin wegen seiner Leibesfülle doppelt rechnete. Es war al so noch Platz für drei oder vier oder im äußersten Notfall auch zehn Passagiere. Es war nicht richtig, mit halbleerem Schiff davonzufliegen und die ande ren ihrem Schicksal zu überlassen. Aber als er vortrat, versperrte ihm eine der Frauen den Weg, während der zuletzt gekommene Morilaru die Luke verschraubte und den roten Hebel drückte, der das Boot aus seiner Verankerung lösen würde. Eine Luke in der Seite des havarierten Mutterschif fes öffnete sich, und das Rettungsboot glitt in den Weltraum hinaus. Ein paar Augenblicke später riß ei ne mächtige Explosion die »Silver Spear« vom Bug bis zum Heck auf. Das Rettungsboot mit seinen acht Insassen stürmte ins All hinaus.
9
Ein Rettungsboot besitzt nur eine einfache Steuerung. Es gab einen Bildschirm, einen vereinfachten Kurs rechner und ein Anleitungsbuch in drei Sprachen – terranisch war natürlich nicht dabei. Als Catton es sich eine halbe Stunde nach der letzten Explosion überlegte, war er ehrlich froh, daß ein erfahrener Raumfahrer mit von der Partie war. Aber der Raumfahrer war gar nicht so glücklich darüber. Er hieß Nyariuk Sahdig und klagte gerade laut über sein Leid. »Wenn ich das wirklich überleben sollte, wird man mich auf die schwarze Liste setzen«, murmelte er. »Man stelle sich vor, ein Raumfahrer geht in ein Rettungsboot und läßt Passagiere um kommen!« »Man hat Sie gezwungen«, machte ihn Catton aufmerksam. »Niemand kann Ihnen einen Vorwurf daraus machen.« »Ja«, sagte eine der Morilarufrauen, die ihn an Bord geschleppt hatten. Sie zog einen kleinen Strahler aus ihrer Handtasche. »Ich werde bezeugen, daß ich Sie mit der Waffe gezwungen habe, mitzukommen«, sag te sie. »Das wird man Ihnen doch zugute halten?« »Nein«, sagte Sahdig niedergeschlagen. »Nach dem Gesetz muß ich mich solchem Zwang widersetzen –
selbst wenn es mein Leben kosten sollte. Ich bin rui niert, verdammt! Warum mußten Sie mich auf Ihr verdammtes Rettungsboot schleppen?« »Weil wir leben wollen«, warf die andere Morilaru frau mit honigsüßer Stimme ein. »Und wir wußten nicht, ob wir dieses Schiff selbst steuern konnten.« »Wie weit sind wir von der Zivilisation entfernt?« fragte Royce. Sahdig zuckte die Achseln. »Das kann ich nicht sa gen, ehe ich mich mit dem Elektrorechner befaßt habe.« »Aber wir können nicht sehr weit weg sein«, warf eine der Frauen ein. »Wir waren doch erst ein paar Stunden unterwegs. Wir sollten noch ziemlich nahe bei Morilar sein.« Sahdig schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, Sie ver stehen nicht ganz, wie der Hyperantrieb funktioniert. Die Schiffsgeneratoren stoßen uns in ein fünfdimen sionales Kontinuum, und wir kehren erst dann in den normalen Raum zurück, wenn der Rechenautomat die richtige Einstellung vornimmt. Aber Ortspunkte im Pararaum stimmen mit Punkten im normalen Raum nicht unbedingt überein. Also können wir eine Million Lichtjahre von Morilar entfernt sein – oder di rekt davor hängen.« Die Erklärung war an die beiden verschwendet. Sie sahen ihn mit großen Augen an, offenbar ohne ein Wort zu verstehen.
»Sehr schön, junger Mann«, meinte Royce. »Nach dem Sie also der einzige Raumfahrer hier zu sein scheinen, schlage ich vor, daß Sie einmal feststellen, wo wir uns befinden.« Der Skorg stand auf und ging durch die Kabine in den Kontrollraum hinauf. Catton, der in der äußer sten Ecke der Kabine saß, blickte finster zu Boden. Rettungsboote waren zwar nützlich, aber immer klappte die Sache auch nicht. Er hatte schon von ge nug Leuten gehört, die sich zwar mit einem Ret tungsboot zu irgendeinem fernen Winkel des Univer sums hatten retten können, aber sie waren oft erst als alte Leute wieder in die Zivilisation zurückgekehrt. Catton erschienen plötzlich die Probleme von Skorg, Morilar und Arenadd sehr unwichtig. Wenn die Katastrophe sie weit genug aus dem Kontinuum hinausgeworfen hatte, dann würde nach ihrer an sich ziemlich unwahrscheinlichen Rückkehr die ganze augenblickliche Krise nur als Notiz in die galakti schen Geschichtsbücher eingehen. Kein Wort unterbrach die Stille in der Kabine, wäh rend der Skorg seine Berechnungen anstellte. Nur der pfeifende Atem des Arenaddin war zu hören. Er fühl te sich in der künstlichen Schwerkraft des Rettungs schiffes nicht wohl, die auf Skorgnorm oder etwa das 1,7fache der Schwerkraft von Arenadd eingestellt war. Auch Catton empfand die Schwere als unange
nehm – sie betrug für ihn etwa 1,4 mal Erdnorm, und das bedeutete, daß er rund siebzig Pfund mehr wog. Er konnte gut verstehen, daß diese Gravitation für den Arenaddin unbequem war, aber auf einem Ret tungsschiff konnte man die Schwere nicht verändern, wie dies bei einem Luxusschiff selbstverständlich war. Endlich kehrte der Skorg vom Rechenautomaten zurück. Sein Gesicht war undurchdringlich. »Nun?« fragte Royce. »Wie schlimm sieht es aus?« »Es ist gar nicht so schlimm, wie es hätte sein kön nen«, sagte Sahdig. »Aber es ist auch nicht besonders gut.« »Wo sind wir?« fragte Catton. »Wir sind fünfhundert Lichtjahre von Morilar ent fernt«, sagte der Raumfahrer. »Ist das innerhalb der Reichweite dieses Schiffes?« fragte Royce. »Unglücklicherweise nicht. Unser Aktionsradius ist beschränkt – etwa hundert Lichtjahre. Und leider be findet sich nur ein Planet in einer günstigen Entfer nung.« »Und wie heißt er?« fragte eine der Morilarufrau en. Der Skorg machte eine resignierende Handbewe gung. »Er hat gar keinen Namen. Auf den Karten ist er mit DX 19083 bezeichnet. Eine kleine Dschungel
welt, auf die Morilar Anspruch erhebt, die es aber noch nicht besiedelt hat. Nach der Karte befindet sich dort eine Sendeanlage, mit der wir Hilfe anfordern können.« »Hat das Schiff denn keinen Sender?« »Doch«, sagte der Skorg. »Einen Radiosender schon, nicht aber einen Pararaumsender, denn der dazu benötigte Generator wäre größer als das ganze Schiff. Also könnten wir wohl einen Funkspruch ab setzen, es würde aber fünfhundert Jahre dauern, bis er Morilar erreichte. Ich fürchte, wir haben nicht ganz so viel Zeit.« »Also müssen wir auf diesem Dschungelplaneten landen«, sagte Catton. »Und dann müssen wir den Rettungssender benützen, um ein Schiff herbeizuho len, das uns aufnimmt.« »Was aber, wenn der Sender nicht funktioniert?« wollte Royce wissen. »Das brauchen wir kaum zu befürchten«, gab der Skorg zur Antwort. »Diese Sender sind sehr solide gebaut und werden turnusmäßig alle zehn Jahre überprüft. Die größere Gefahr ist, daß wir den Sender nicht finden werden, wenn wir einmal gelandet sind, aber das müssen wir riskieren. Ich werde also jetzt, wenn niemand etwas dagegen einzuwenden hat, eine Flugbahn errechnen, die uns zu DX 19083 bringt.« Es wurden keine Einwände gemacht, und so kehrte
Sahdig in die Steuerkanzel zurück, wo er sich an die relativ leichte Arbeit machte, den Kurs des Schiffes auf die unbewohnte Welt auszurichten. Catton schritt unruhig in der Kabine auf und ab. Obgleich das Boot nur halb besetzt war, war es sehr eng hier. Er zog einen Wandschrank auf und fand darin einen ausreichenden Vorrat an Lebensmitteln und einen sehr gut bestückten Medizinkasten. Ein zweiter Schrank enthielt wichtige Utensilien: Strahler, Elektroäxte, Gummizelte, ein faltbares Kanu, das in seinem jetzigen Zustand nicht viel größer als ein Tennisball war, und vieles andere mehr. Es war gut für sie gesorgt. Aber die Verzögerung, die seine Pläne dadurch erlitten, daß sie hier im Raum gescheitert waren, war unangenehm. Und falls sie irgendwelche Schwierigkeiten haben sollten, würden die meisten Passagiere eine ziemliche Last darstellen. Besonders die beiden Morilarufrauen und wahrscheinlich auch der Arenaddin, dachte Catton. Sahdig und Royce waren wahrscheinlich verläßlich; blieben noch zwei Morilaru – Woudikal, sein Assi stent, und der andere, der das Rettungsboot vom Schiff weggesteuert und seitdem kein Wort mehr ge sprochen hatte. Catton ging in die Steuerkanzel. Sahdig war über den Rechenautomaten gebeugt und berechnete den Kurs.
»Irgendwelche Schwierigkeiten?« fragte Catton auf Skorg. Sahdig blickte auf. »Natürlich nicht. Ein Kind könnte dieses Rettungsboot steuern. Aber diese beiden ver dammten Frauen mußten mich mitschleppen.« »Machen Sie sich immer noch Gedanken deswe gen?« »Ich werde Ärger bekommen, wenn ich nach Skorg zurückkehre. Mein Vater wird mir niemals verzeihen, Erdmann. Wissen Sie, wer mein Vater ist, Erdmann?« Catton schüttelte den Kopf. Der Skorg sagte: »Mein Vater ist Thunimon Sahdig, Erdmann. Oberkommandierender der Raummarine von Skorg. Was wird er sich denken, wenn er erfährt, daß sein Sohn ein Schiff in Raumnot in einem Ret tungsboot verlassen hat, obgleich noch Passagiere an Bord waren?« Sahdigs Gesicht war kalt und unbewegt. Catton dachte sich, daß es nach den moralischen Grundsätzen der Skorg zweifellos für einen Raum fahrer entehrend sein mußte, zu überleben, wenn die Passagiere starben, ganz gleich, wie die äußeren Um stände waren. »Welche Stellung hatten Sie auf der ›Silver Spear‹?« fragte Catton. »Ich war Assistent des Astrogators – an achter Stel le in der Gesamtrangfolge.«
»Diese Frauen haben den richtigen Mann erwischt, als sie Sie mitschleppten!« »Sie haben blindlings zugegriffen«, sagte Sahdig, ohne von seiner Arbeit aufzublicken. »Ebensogut hät ten sie einen von den Köchen erwischen können. Aber ein Koch hätte dieses Schiff genauso steuern können wie ich. So!« Er schaltete den Antrieb ein und stand auf. »Das wäre alles. Wir werden in etwa zwei Tagen abso luter Zeit auf DX 19083 landen, Erdmann. Und dann müssen wir die Funkstation finden, oder wir sterben alle. Mir persönlich wäre das ziemlich egal.« »Wenn es eine Schande ist, ein Schiff zu verlassen ohne sich um die Passagiere zu kümmern«, sagte Cat ton, »müßte es doch genauso schändlich sein, sich mit Passagieren auf einem Rettungsboot zu befinden und nicht jede Anstrengung zu ihrer Rettung zu unter nehmen.« Der Skorg nickte. »Sie haben recht. Ich werde Ihnen auch nach besten Kräften behilflich sein. Ihr Leben ist für mich von Wichtigkeit, das meine bedeutet mir nichts mehr.« Catton spürte, daß das Gespräch wieder in unan genehme Bahnen zu geraten drohte und sagte, um auf ein anderes Thema zu kommen: »Was ist eigent lich auf der ›Silver Spear‹ passiert? Da waren doch mehrere Explosionen im Maschinenraum, nicht wahr?«
Die kalten Augen des Skorg blitzten auf. »Ja, da waren mehrere Explosionen, da haben Sie recht.« »Ich hatte bisher geglaubt, solche Unglücksfälle seien so selten, daß es sie – statistisch gesehen – über haupt nicht gibt?« »Statistisch gesehen«, erwiderte der Skorg, »haben Sie recht. Aber das war auch kein Unglücksfall. Und genau genommen waren es auch keine Explosionen.« »Kein Unglücksfall? Was wollen Sie damit sagen?« »Ich konnte mich nicht lange genug umsehen, ehe man mich in das Boot zerrte. Aber mein Vorgesetzter sagte mir noch, daß fünf Implosionsbomben, die im Antriebsschacht versteckt waren, die Ursache des Unglücks gewesen seien. Eine hätte genügt, um das Schiff manövrierunfähig zu machen. Fünf haben es vollkommen vernichtet. Hunderte von Menschen müssen ums Leben gekommen sein.« Catton war ehrlich überrascht. »Implosionsbomben – Sie meinen Sabotage?« »Was denn sonst? Das Schiff ist absichtlich vernich tet worden. Ich kann mir nicht vorstellen, aus wel chem Grunde man so etwas tun sollte.« Catton zuckte die Achseln und ging wieder zu den anderen. »Wir landen in zwei Tagen«, sagte er auf terranisch zu Royce. »Wie der Skorg sagt, ist alles in Ordnung.« »Ich habe einen Teil Ihrer Unterhaltung mit ange
hört. Was haben Sie da von Implosionsbomben ge sagt?« »Sahdig sagte mir, daß Sabotage vorliegt. Fünf Bomben sind im Maschinenraum losgegangen.« »Was – achthundert Passagiere an Bord, und ...« »Ruhig«, sagte Catton. »Nicht jedermann braucht das zu wissen. Wir werden noch genug Ärger haben, wenn wir die Funkstation nicht gleich auf Anhieb finden.« Sahdigs Worte hatten Catton sehr beunruhigt. Es gab viele Gründe, weshalb man ein Luxusschiff zer stören konnte – um die Versicherungssumme zu kas sieren, um bekannt zu werden, um eine wichtige Per sönlichkeit zu beseitigen oder um einen Krieg zu provozieren. Aber seine Gedanken kehrten immer wieder zu der Theorie eines Mordversuchs zurück. Angenommen, dachte er, man hätte beschlossen, ihn aus dem Wege zu räumen, ehe ihn seine Nachfor schungen dem Ziel näher brachten ... Aber es war doch ziemlich drastisch, zu diesem Zweck ein ganzes Schiff in die Luft zu sprengen. Dennoch mußte er be denken, daß er hier mit Fremden zu tun hatte, deren innerste Reaktionen nicht unbedingt mit denen eines Terraners zu vergleichen waren. Sie hatten ganz an dere Maßstäbe als Erdmenschen. Natürlich – so überlegte er weiter – konnte es durchaus sein, daß der Anschlag gar nicht ihm gegol
ten hatte. Es hatte eine ganze Menge bedeutender Leute an Bord der ›Silver Spear‹ gegeben, zum Bei spiel Royce, der im interstellaren Handel eine äußerst einflußreiche Persönlichkeit war. Und dann waren bestimmt Mitglieder der ersten Gesellschaft von Skorg an Bord gewesen. Er hatte kein Recht zu der Annahme, daß der Anschlag, der Hunderten von Menschen das Leben gekostet haben mußte, nur ihm gegolten hatte. Aber er würde jedenfalls auf der Hut sein müssen, wenn er Skorg erreichte – sofern das je mals der Fall sein sollte. Das Leben auf dem kleinen Schiff war in den bei den folgenden Tagen nicht gerade angenehm. Royce beklagte sich bitter über den Körpergeruch des Skorg, der ihm unerträglich schien, und Catton war für den hypnotischen Block dankbar, der ihn davon nichts merken ließ. Die Morilarufrauen schienen sich nur für das Essen zu interessieren, so daß Catton sie schließlich zwin gen mußte, sich einem Rationierungsplan zu unter werfen. Darüber hinaus führte er mit Sahdig und Royce insgeheim eine Wachablösung ein, um die Le bensmittelvorräte dauernd unter Bewachung zu ha ben. Der Arenaddin litt stark unter der hohen Schwer kraft und machte aus seinem Leid kein Hehl. Catton und Sahdig bemühten sich eine Weile, den Mecha
nismus umzuschalten, der die künstliche Schwerkraft im Schiff kontrollierte, aber der Schaltkasten war zu geschweißt, um auf alle Fälle zu verhindern, daß sich unbefugte Hände daran zu schaffen machten. Da er keinen anderen Ausweg wußte, suchte Cat ton in der Schiffsapotheke nach einem Beruhigungs mittel, das er schließlich auch fand. Da auf der Am pulle ein Etikett in Skorg, Morilaru und Arenaddin war, nahm er an, daß das Medikament für alle drei Rassen in gleicher Weise geeignet war, und injizierte daraufhin den Inhalt der Ampulle in die Vene des Arenaddin, nachdem er eine Weile vergeblich unter seiner Fettschicht danach gesucht hatte. Den Rest der Reise verbrachte der Arenaddin friedlich schlafend. Am Ende des zweiten Tages berichtete Sahdig, daß ihr Bestimmungsort bereits von den Massedetektoren angezeigt würde. Die Landung müsse manuell durchgeführt werden, da dieser Planet über keinen Raumhafen verfüge, der ihnen einen Richtstrahl ent gegenschicken könne. Da es sich als unmöglich er wies, den Arenaddin zu wecken, wurde er im Schlaf festgeschnallt, während die übrigen Passagiere sich auf die Andruckmatten legten und auf den Beginn der Bremsmanöver warteten. Einen Augenblick verspürten die Insassen des Boo tes ein leichtes Zerren, als sie den Hyperraum verlie ßen und wieder in das normale Universum eintraten.
Vor ihnen erschien ein dunkelgrüner Planet auf dem Bildschirm, der nur ein paar blaue Flecken – die Mee re – aufwies. Sahdig arbeitete vorn in der Steuerkanzel unabläs sig an der Schaltanlage. Die Landung selbst dauerte etwas mehr als eine Stunde. Das kleine Schiff raste in immer enger werdenden Kreisen um den Planeten, um so seine Fahrt von der dichten Atmosphäre ab bremsen zu lassen. Und dann begann es zu sinken. Es setzte sanft auf. Catton warf einen Blick durch das einzige Bullauge. Die Landschaft, die er sah, war voll von einer üppigen Vegetation, sie erinnerte ihn an die Urzeit seines eigenen Planeten.
10
Ehe sie das Schiff verließen, wurden die üblichen Tests angestellt. Die Instrumente des Rettungsbootes zeigten eine normale Atmosphäre an, die aus Sauer stoff, Stickstoff, Edelgasen und Kohlendioxyd be stand, wenn auch sowohl der Sauerstoff als auch das Kohlendioxyd für Cattons Geschmack etwas reichlich vertreten waren – nämlich Sauerstoff mit 34% und CO2 mit 1%. Das war für einen Erdmenschen eine ziemlich kräftige Mischung, während den drei ande ren Rassen, die unter den Schiffbrüchigen vertreten waren, der hohe Sauerstoffgehalt keine Schwierigkei ten bereitete. Die Schwerkraft betrug zu Cattons Freude 0,5 Skorg-Norm, was nach terranischen Ma ßen etwa 0,75 g ausmachte. Der Arenaddin würde sich darüber freuen, während Sahdig und die Morila ru, die die hohe Schwerkraft ihrer Welten gewohnt waren, sich hier etwas leichtfüßig fühlen würden. Jetzt mußten sie nur noch eines wissen, ehe sie das Schiff verlassen konnten: »Wie weit sind wir von der Funkstation entfernt?« fragte Catton. Der Skorg saß mit gefurchter Stirn an seinem Emp fänger. »Ich versuche immer noch, das Richtsignal he reinzubekommen«, meinte er. »Ich erwische zwar im
mer wieder die Trägerwelle, aber ich hab die Richtung noch nicht – ah – jetzt habe ich –« Er drehte aufgeregt an den Knöpfen und rechnete dann fieberhaft auf ei nem Blatt Papier. Er kaute an seinem Stift, addierte eine Reihe Zahlen auf und fütterte dann das Ergebnis seiner Berechnungen in den Rechenautomaten des Schiffes. Einen Augenblick später spie der Automat einen engbedruckten Streifen aus. »Nun?« fragte Catton. »Es ist besser, als ich gehofft hatte, wenn man be denkt, daß ich ja keine Ahnung hatte, wo der ver dammte Sender steht. Wir haben immerhin den rich tigen Kontinent erwischt. Wir haben also Glück. Die Station befindet sich etwa siebenhundertfünfzig Ki lometer nördlich von uns. Es hätte viel schlimmer sein können.« »Siebenhundertfünfzig Kilometer!« rief Catton. Sahdig nickte. »In Gewaltmärschen können wir das in etwa einem Monat schaffen. Wir haben natürlich nicht für einen Monat Lebensmittelvorräte, aber wahrscheinlich werden wir doch im Dschungel ir gend etwas Eßbares finden.« Catton spähte durch den Bildschirm hinaus. Er sah die dichte Vegetation, von der die Feuchtigkeit tropf te. Sie waren auf einem jungen Planeten gelandet, der nur hundert Millionen Kilometer von seiner gelben Sonne – also einer Sonne vom Typ Sol – entfernt war.
Die Temperatur draußen betrug nach den Angaben der Instrumente 310 Grad nach Skorgrechnung, was 47 Grad Celsius bedeutete, denn die Skorg rechneten die Temperatur vom absoluten Nullpunkt aus. Nun, überlegte Catton, er hatte ja auf Morilar schon ein wenig für dieses Höllenklima trainiert, aber es würde nicht gerade ein Sonntagsausflug sein. Als er wieder zu den übrigen Schiffbrüchigen kam, fand er eine unruhige Stimmung vor. Keiner von ih nen hatte eine wissenschaftliche Ausbildung erfah ren, und so betrachteten sie Sahdig und Catton mit einigem Mißtrauen. »Nun?« fragte Royce. »Was haben Sie jetzt wieder ausgeheckt?« »Der Planet ist bewohnbar, wir alle können seine Luft atmen, die Schwerkraft ist verhältnismäßig nied rig und die Temperatur nicht viel höher als auf Mori lar. Es wird nicht gerade besonders schön werden, aber wir werden immerhin überleben. Die Sendean lage befindet sich siebenhundertfünfzig Kilometer nördlich von hier. Wenn also keine größeren Seen oder Flüsse dazwischen liegen sollten, dürften wir in etwa einem Monat dort sein.« »In einem Monat?« stöhnte die ältere und ge schwätzigere der beiden Morilarufrauen. »Sie mei nen, wir sollen einen Monat lang in diesem Dschun gel herumlaufen?«
»Sie brauchen nicht mitzukommen, Sie können ru hig hier bleiben«, sagte Catton. »Wir lassen Ihnen ei nen Strahler und Ihren Anteil an den Lebensmitteln da, und Sie können im Schiff kampieren. Wenn schließlich das Rettungsschiff landet, veranlassen wir, daß es Sie mitnimmt, falls man Sie hier im Dschungel findet.« »Nein, das will ich lieber nicht. Aber warum fliegen wir denn nicht mit diesem Schiff zur Funkstation?« Sahdig erklärte: »Das geht aus zwei Gründen nicht. Zum ersten haben wir nur noch sehr wenig Treib stoff, und ich weiß nicht, ob er überhaupt für den Start ausreichen würde. Zum anderen ist das hier ein Rettungsschiff und hat als solches eine verhältnismä ßig primitive Steueranlage. Wenn wir einen Start und eine zweite Landung versuchten – ganz abgesehen jetzt von der Treibstoffrage –, könnte ich nicht die ge ringste Garantie übernehmen, daß wir nicht weiter von der Funkstelle entfernt landen würden, als wir es ohnehin schon sind.« »Oh«, sagte sie enttäuscht. »Nun, in diesem Fall – ja, da werden wir wohl zu Fuß gehen müssen.« Der Fußmarsch begann eine Stunde später. Alles, was einigermaßen brauchbar erschien, wurde aus dem Schiff ausgebaut. Catton, der ohne besondere Ernennung die Führung der Gruppe übernommen hatte, verteilte die Lebensmittel gleichmäßig auf alle,
damit nicht der ganze Vorrat verlorenging, falls ei nem der Schiffbrüchigen irgendein Unglück zustoßen sollte (diesen Grund nannte er allerdings den ande ren nicht, sondern erklärte seine Maßnahme nur da mit, daß eben jeder das gleiche Gewicht tragen sollte). Ebenso verteilte er die Strahler und Werkzeuge gleichmäßig auf alle Teilnehmer der kleinen Expedi tion. Dann machten sie sich auf den Weg – Catton und Royce an der Spitze, dahinter Woukidal und der an dere Morilarumann, dann die beiden Morilarufrauen, während Sahdig und der Arenaddin die Nachhut übernahmen. Catton legte gleich von Anfang an ein ziemlich flottes Tempo vor. Die Luft war würzig und fast berauschend, und Catton überlegte, daß sich bei dieser Geschwindigkeit viel schneller Ermüdungser scheinungen einstellen würden, und so verlangsamte er seinen Schritt. Bei einer Atmosphäre, die zu mehr als einem Drittel aus Sauerstoff bestand, konnte man leicht die lästige Hitze und Feuchtigkeit vergessen, und so fühlte Catton sich – teilweise auch durch die geringe Schwerkraft bedingt – wohler denn je zuvor. Die Vegetation bestand hauptsächlich aus riesigen Bäumen, die am Boden zehn bis fünfzehn Meter dick waren und hoch in den Himmel ragten. Die ersten dreißig Meter vom Boden waren astlos, und erst von dieser Höhe ab bildeten die Zweige und Lianen, de
rer es eine große Anzahl gab, ein dichtes dunkelgrü nes Dach. Diese Decke hielt offenbar den Regen ab, denn auf dem Boden gab es, abgesehen von ein paar spärlichen Farnen, fast keinen Pflanzenwuchs. Dafür war der Boden wie von einem Teppich mit einer dik ken Schicht rotbrauner Blätter überzogen. Die Schiffbrüchigen wanderten schweigend dahin, Catton, mit dem Kompaß in der Hand, immer an der Spitze. Alle zehn Minuten ließ er haltmachen, um si cherzugehen, daß niemand zurückblieb. Es war schwer festzustellen, wann der Tag wirklich zu Ende ging, denn das Sonnenlicht konnte das dichte Blätterdach über ihnen kaum durchdringen. Nach drei Stunden – Cattons Uhr war nach galaktischer Normal zeit eingestellt, deren Minute nach der Morilaruzeit ge rechnet wurde und deren Tag etwa sechsundzwanzig Stunden terranischer Zeitrechnung entsprach – ließ Catton zu einer längeren Ruhepause anhalten. »Jetzt ist es auch wirklich Zeit, daß wir einmal haltmachen«, stöhnte die jüngere der beiden Frauen. »Wir gehen ja jetzt schon eine Ewigkeit.« »Wir haben etwa zehn Kilometer zurückgelegt«, erklärte Catton. »Das ist ziemlich viel für Leute, die das Gehen nicht gewöhnt sind, wenn man zudem noch bedenkt, daß wir hier ja keine Straße, sondern ungerodeten Dschungel haben. Wir rasten jetzt etwas und gehen dann weiter, bis die Nacht hereinbricht.«
Er verteilte Antischlaftabletten – der Medizinkasten hatte davon etwa fünfhundert Stück enthalten. Bei kluger Einteilung würden sie für den ganzen Weg ausreichen, den die Schiffbrüchigen noch vor sich hatten. Nach einer halben Stunde Rast ging es weiter. Nach einer weiteren Stunde brach die Nacht herein. Sie schlugen an dem schmalen Flüßchen, das sie jetzt schon seit etwa mehr als einen Kilometer auf ih rem Weg nordwärts begleitet hatte, ihr Lager auf. Woudikal und Royce pumpten die vier Zelte auf – ei nes sollte die beiden Frauen aufnehmen, eines der Morilaru, der das Rettungsboot ausgeklinkt hatte, und der Arenaddin, das dritte Royce, Woudikal und Catton. Der Skorg bekam aus verständlichen Grün den ein Zelt für sich allein. Während Royce und Woudikal mit dem Aufbau der Zelte beschäftigt waren, wurden die Frauen aus gesandt, um Holz für ein Feuer zu sammeln. Catton und Sahdig bereiteten ein Abendessen vor. Der Are naddin war von dem Beruhigungsmittel, das Catton ihm verabreicht hatte, immer noch etwas benommen, so daß ihm keine Arbeit zugeteilt wurde. Die Nacht brach schnell herein. Der kleine Planet hatte keinen Mond, aber man konnte durch Lücken im dichten Dschungeldach die hellen Punkte fremd artiger Konstellationen sehen. Die Temperatur fiel während der Nacht merklich.
Eine Wachfolge wurde aufgestellt. Catton wachte die ersten drei Stunden, weckte dann Sahdig, der an schließend Woudikal wecken mußte. Die Nacht dau erte hier neun Stunden. Der ganze Tag war, wie Cat ton feststellte, etwas länger als ein Tag nach galakti scher Normalzeit – also etwa dreißig Stunden nach terranischer Rechnung. Cattons Körper stellte sich schnell auf die Veränderung um, nur der Arenaddin, der einen Tag von etwa der doppelten Länge des ter ranischen Tages gewohnt war, würde sich neu orien tieren müssen, aber auch das würde er in ein paar Tagen überstehen. Drei Tage vergingen ohne Zwischenfälle. Die Fau na trat sehr bald in Erscheinung, aber zum Glück er schienen keine Tiere von besorgniserregender Größe. Die Tiere, die sie sahen, waren nicht größer als terra nische Schafe, und sie zeigten auch keine feindlichen Absichten. Sie wichen im übrigen in keinem Fall von der allgemein üblichen vierbeinigen Norm ab, die auf den meisten Sauerstoffwelten vertreten war. Eine Be sonderheit dieses Planeten war, daß es offenbar be sonders viele Beuteltiere gab, und einige sahen so aus, als würden sie den Schiffbrüchigen von Nutzen sein, wenn einmal ihre Nahrungsvorräte zu Ende gingen, was wahrscheinlich in etwa sieben bis acht Tagen der Fall sein würde. Hin und wieder setzten heftige Regengüsse ein.
Die Schiffbrüchigen hörten, wie der Regen auf das Blätterdach über ihnen trommelte, und es tropfte ge nügend Wasser durch, um auch unten unliebsam in Erscheinung zu treten. Die Insekten entwickelten sich zu einer Plage, sie waren auf diesem Planeten beson ders kräftig entwickelt, und einige der größten er reichten eine Flügelspannweite bis zu dreißig Zenti meter. Zwar stachen die größeren nicht – Catton ver suchte sich die Folgen eines solchen Stiches auszuma len –, aber die kleineren standen in dieser Beziehung ihren Vettern auf Terra und den anderen Planeten in nichts nach. Woher es wohl kommen mochte, daß sich auf fünfundneunzig Prozent der bewohnbaren Welten im Universum auch Moskitos entwickeln mußten? Gegen Mittag des vierten Tages, als sie etwa ein hundertundzwanzig Kilometer zwischen sich und das Schiff gebracht hatten, erklärte der Arenaddin plötzlich, daß er nicht mehr weitergehen könne. Er saß auf einem Baumstumpf; das Fett hing ihm in Wülsten vom Leib, und sein Atem ging stoßweise und pfeifend. Seine orangefarbene Haut war vom Schweiß dunkel gefärbt. Er deutete auf seine ge schwollenen Füße. Sie waren dazu bestimmt, ihren dreihundert Pfund schweren Besitzer zu tragen, ohne zusammenzubrechen, aber für längere Dschungel märsche waren sie nicht konstruiert.
»Geht ohne mich weiter«, drängte er. »Ich halte nur alles auf. Und lange schaffe ich das sowieso nicht mehr – meine Rasse ist nicht für solche Strapazen ge schaffen.« »Wir werden eine Bahre bauen«, sagte Catton. »Wir werden Sie schon tragen können.« Der Arenaddin schüttelte müde seinen großen ku gelförmigen Kopf. »Das ist die Mühe nicht wert, Erdmann. Ich brauche zu viel Nahrung, und ich ar beite nicht. Laßt mich zurück.« Aber Catton wollte nichts davon wissen. Während die anderen aßen, überlegte er, wie eine Bahre be schaffen sein müßte, um den Arenaddin aufzuneh men. Zwei kräftige Äste, jeder etwa zwei Meter lang, und einer der Regenumhänge dazwischen aufge spannt, das müßte gehen. Zwei Männer sollten für kurze Strecken in der Lage sein, ihn zu tragen. Royce war dafür zwar etwas alt, aber es gab ja außer ihm noch vier Männer, die sich abwechseln konnten. Catton begann nach Ästen zu suchen, die für die Konstruktion geeignet waren, was sich als gar nicht einfach erwies, denn die meisten Bäume hatten erst ab einer Höhe von dreißig Metern Äste. Aber schließ lich war seiner Suche doch Erfolg beschieden, denn er fand einen etwa zehn Meter hohen, jungen Baum, dessen Äste das Gewicht des Arenaddin aushalten würden. Catton drehte sich um und wollte gerade
Woudikal und Sahdig rufen, damit ihm die beiden beim Fällen des Baumes helfen sollten, als er das Zi schen eines Strahlers hörte. Er ließ sich zu Boden fallen, aber seine Vorsicht war unbegründet, denn kein zweiter Schuß folgte. Er stand wieder auf und ging zur Gruppe zurück. Der Arenaddin war tot. Er lag verkrümmt in der Lichtung, den Strahler immer noch in der Hand. Er hatte sich von unten in den Mund geschossen. Der Tod mußte unverzüglich eingetreten sein. Royce starrte ihn entgeistert an, während weder der Skorg noch die Morilaru besonders über den Selbstmord erschüttert zu sein schienen, dessen Zeu gen sie soeben geworden waren. Catton funkelte sie an. Er, Royce und Sahdig waren die einzigen, die mit einem Strahler bewaffnet waren. Royce deutete auf Sahdig. »Es – es war seine Waf fe!« sagte er mit zitternder Stimme. Catton wirbelte herum. »Ist das wahr? Haben Sie sich von ihm Ihre Waffe wegnehmen lassen?« »Nein«, sagte der Skorg ruhig. »Ich habe sie ihm gegeben.« »Ihm gegeben? Wie können Sie so etwas Verrück tes tun?« »Er hat mich darum gebeten«, sagte der Skorg. »Er hatte bemerkt, daß Sie seine Bitte, ihn zurückzulas sen, nicht erfüllen wollten, während er entschlossen
war, sich eher selbst das Leben zu nehmen, als der ganzen Gruppe zur Last zu fallen.« Catton riß die Augen weit auf. »Sie wußten, daß er Selbstmord begehen würde, und doch haben Sie ihm den Strahler gegeben?« »Natürlich«, sagte der Skorg etwas überrascht. »Das war das mindeste, was ich für ihn tun konnte. Er fühlte physischen Schmerz und empfand die Not wendigkeit, seinem Leben ein Ende zu machen. Würden Sie denn einem Mitmenschen den Tod ver weigern, wenn er Sie darum bittet?« Catton wußte nicht, was er darauf antworten sollte. Das war wieder einmal ein Konflikt der Maßstäbe. Der Skorg hatte keine moralischen Bedenken, einem Menschen eine Waffe zu geben, damit dieser Selbst mord begehen konnte, und es hatte gar keinen Sinn, darüber zu debattieren, das würde zu nichts führen. Catton wandte sich ab. Der Arenaddin hatte schließ lich sein Leben im besten Interesse der Gruppe geop fert. Es hätte eine Verzögerung von vielen Tagen be deutet, wenn sie ihn den Rest der Strecke hätten tra gen müssen. Aber als Erdmann hatte Catton nun einmal bestimmte Begriffe über die Unantastbarkeit des Lebens, die ihm die Entscheidung des Arenaddin unbegreiflich erscheinen ließ. In Übereinstimmung mit dem Brauch von Arenadd verbrannten sie seine Leiche und verstreuten die
Asche in alle Winde. Und dann nahmen sie ihr Ge päck auf und setzten den Marsch nach Norden fort. Eine Stunde später wurde Catton klar, daß er nicht einmal den Namen des toten Arenaddin gekannt hat te.
11
Am vierzehnten Tag ihres Marsches – Catton schätz te, daß sie mehr als dreihundert Kilometer auf ihrem Weg nach Norden zurückgelegt hatten – zog sich Woudikal, der Mann, den die Interstellare Polizei kommission Catton für seine Nachforschungen auf Skorg zur Verfügung gestellt hatte, ein Dschungelfie ber zu und wurde krank. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ein Lager aufzuschlagen und sich um ihn zu kümmern. Ein Morilaru würde nicht so schnell Selbstmord begehen wie ein Arenaddin, nur um den anderen nicht zur Last zu fallen, und außerdem konnte Woudikal im Augenblick gar keine solche Entscheidung treffen, da er nicht bei Bewußtsein war. So wurde der kranke Morilaru in ein Zelt gesteckt, und die Gruppe beschloß, zu warten, bis sein Fieber nachließ, und erst dann weiterzumarschieren. Wou dikal warf sich unruhig auf seinem Lager hin und her. Sein Gesicht war so angeschwollen, daß er kaum mehr aus den Augen sehen konnte, und seine Haut hatte einen dunkelblauen Farbton angenommen. Er hatte abwechselnd Schüttelfrost und Fieberanfälle, die seinen vom Marsch schon geschwächten Körper noch mehr auszehrten.
Catton fand im Medizinkasten ein Mittel gegen ho hes Fieber. Es war in Skorg und Morilaru beschriftet, offenbar war also der Metabolismus der beiden Rassen so ähnlich, daß für beide die gleichen Medi kamente gebraucht werden konnten. Catton fragte sich besorgt, was geschehen würde, wenn er oder Royce sich ein Fieber zuzögen. Sie würden ohne Zweifel sterben. Er spritzte dem Morilaru eine Ampulle von dem Mittel ein und konnte nach einer Stunde befriedigt feststellen, daß die Temperatur um zwei Grad zu rückgegangen war. Aber weiter fiel sie nicht und lag immer noch um fünf Grad zu hoch. Am Abend gab Catton Woudikal eine zweite Sprit ze, ging dann in sein Zelt und legte sich hin. Die feuchtheiße Dschungelluft ließ ihn nicht zur Ruhe kommen, und seine Gedanken wanderten zu den zwei Wochen zurück, die sie jetzt schon im Dschun gel unterwegs waren. Zuerst war der Selbstmord des Arenaddin gewe sen. Dann am siebten Tag hatte die ältere der beiden Morilarufrauen gemeutert, weil er ihrem Wunsche nicht nachgekommen war, einen ganzen Ruhetag einzulegen – nicht aus Gründen der Religion, son dern einfach, weil sie müde war. Catton hatte ihr vier Stunden während der heißesten Tage zugestanden und sie dann gezwungen, weiterzugehen, indem er
ihr gedroht hatte, den Marsch sonst ohne sie fortzu setzen. Am neunten Tag waren sie an den See gekommen. Er war mehr als zwei Kilometer breit und erstreckte sich nach beiden Richtungen so weit, daß er ebensogut ein langsam fließender Strom hätte sein können. Sie hatten das Boot aufgepumpt und den Fluß mit allen ihren Ausrüstungsgegenständen in vier Etappen überquert. Catton schauderte nachträglich noch, wenn er an die scharfen Zähne des Wasserreptils dachte, das vom Grund des Sees aufgestiegen war und bei der letzten Fahrt ihr Boot mit seinem Stirnhorn aufgerissen hatte. Es hatte sich binnen Minuten mit Wasser gefüllt, und sie hatten es gerade noch bis zum Ufer geschafft. Wenn sie jetzt noch einen Fluß zwischen ihrem jetzigen Standort und der Funkstation finden würden, wußte er nicht, wie es weitergehen sollte. Am elften Tage, erinnerte er sich weiter, waren sie dem Monstrum begegnet. Es war ein ziemlich harm loses Riesentier gewesen – ein freundlicher Abkömm ling der Dinosaurierfamilie, dreißig oder vierzig Me ter lang, mit höchstens einem Viertelpfund Gehirn. Aber es hätte fast einen seiner riesigen Füße auf Sah dig gestellt, als es ihren Weg kreuzte. Der Vorfall war damals für alle, außer den Skorg, recht lustig gewe sen und hatte ihnen für mindestens einen Tag Ge sprächsstoff geliefert – aber es würde bestimmt nicht
so erheiternd sein, wenn sie einem fleischfressenden Tier von der gleichen Größe über den Weg liefen. Und das konnte leicht passieren, wenn man bedachte, daß die Funkstation noch über vierhundert Kilometer von ihnen entfernt war. Und jetzt, am vierzehnten Tag, war Woudikal an irgendeiner unbekannten Art von Fieber erkrankt. Der Morilaru war bestimmt ein Spion, der von Pouin Beryaal den Auftrag hatte, seinen Vorgesetzten stän dig unter Beobachtung zu halten und auch zu berich ten, wenn Catton in Skorg irgendeiner wichtigen Sa che auf die Spur kam. Woudikal war ein Spitzel – aber schließlich war der Morilaru ein denkendes We sen, und Catton würde alles tun, was in seiner Macht stand, um ihn dem Dschungeltod zu entreißen. Das flackernde Lagerfeuer warf den Schatten eines Mannes auf Cattons Zelt, der vor dem Eingang stand. Es war Royce. »Was ist los?« fragte Catton. »Geht es Woudikal besser?« »Er redet«, sagte Royce. »Was meinen Sie damit?« »Kommen Sie, hören Sie selbst«, antwortete Royce. Catton folgte dem anderen über die Lichtung zu dem Zelt, in dem der Kranke lag. Die Morilarufrauen hatten sich neben dem Feuer in ihre Decken einge rollt, Sahdig und der andere Morilaru schliefen in ih
rem Zelt. Catton und Royce hörten leises Stöhnen, das aus Woudikals Zelt kam. Der Zustand des kranken Morilaru schien sich et was gebessert zu haben, wenn auch nicht viel, denn sein Gesicht hatte immer noch das etwas aufgedun sene Aussehen des Fieberkranken. Er sprach im Deli rium. Catton beugte sich über ihn, aber er verstand nicht, was der andere sagte. »Er plappert doch nur«, sagte Catton. »Vorher nicht. Fragen Sie ihn – fragen Sie ihn nach Materieverdopplern«, sagte Royce. Catton blickte verblüfft auf. »Materieverdoppler?« »Vorher hat er davon geredet. Fragen Sie ihn!« Catton beugte sich erneut über den Kranken. »Woudikal, können Sie mich hören?« Das Murmeln ging weiter, als hätte der Kranke Cattons Frage überhaupt nicht gehört. Catton suchte in dem Medizinkasten, der neben Woudikals Lager stand, bis er eine Ampulle mit dem Fiebermittel fand. Er zog die Sicherheitsklappe ab und hielt die Ampulle an Woudikals Vene. Nur ein leises Zischen zeigte an, daß die Ampulle sich in ei nem Hochdruckstrahl in den Blutkreislauf des Kran ken entleert hatte. Catton wartete ein paar Augen blicke, bis die Medizin zu wirken begann. »Was ist mit den Materieverdopplern?« fragte Cat ton leise.
»Verdoppler ... gebaut ... Zur Erde schicken.« Cattons Augen weiteten sich. Materieverdoppler waren vor Hunderten von Jahren in der Galaxis ent deckt worden und seither auf jeder zivilisierten Welt der Galaxis strengstens verboten. Es stand die Todes strafe auf den Besitz oder die Herstellung eines dieser Geräte, denn ein Materieverdoppler konnte das gan ze Wirtschaftsgefüge eines Planeten über Nacht zer stören. »Wer baut Materieverdoppler?« fragte Catton. Offenbar hatte das Fieber und die Spritzen dem Morilaru die Zunge gelöst, denn er wälzte sich unru hig auf seiner Liegestatt herum und lallte: »Wir. Um die Erde zu vernichten. Wir schickten ein paar hun dert Stück.« »Wo kommen die Verdoppler her?« »Beryaal kann sie beschaffen«, murmelte Woudikal. »Beryaal!« »Er ist der Chef. Und eMerikh, der Skorg. Um die Erde zu vernichten. Wir schickten Hunderte von Du plikatoren zur Erde. Ich – ich –« Woudikals Worte wurden undeutlich. Catton frö stelte plötzlich, trotz der Wärme der Dschungelnacht. Er blickte zu Royce auf, der unbeweglich neben ihm stand. »Glauben Sie, daß das stimmt? Oder ist das nur ei ne Fieberphantasie?«
»Als Fieberphantasie klingt mir das zu unwahr scheinlich«, gab Royce zu bedenken. »Ich bin geneigt, ihm zu glauben. Es sind ja genug Gerüchte im Um lauf, daß Morilar und Skorg etwas gegen die Erde im Schilde führen.« Catton nickte. »Das habe ich auch gehört. Aber Ma terieduplikation – das widerspricht doch jedem Ge setz, das diese Fremden haben.« Er beugte sich wie der über den Morilaru. »Woudikal! Können Sie mich hören?« »Das hat gar keinen Sinn«, sagte Royce. »Er wird jetzt nicht mehr vernünftig reden. Die Spritze wirkt wie ein Schlafmittel.« Sie gingen aus dem Zelt. Catton schlug nach den Insekten, die ihm um den Kopf schwirrten. Woudi kals Eröffnung war ihm so unerwartet gekommen, daß er es immer noch nicht fassen konnte. Beryaal sollte also das Haupt der Verschwörung sein, Bery aal, der Leiter der Interstellaren Polizeikommission, verletzte das älteste Gesetz der Galaxis, eine Überein kunft, die Jahrhunderte vor den ersten interstellaren Flügen der Erdmenschen getroffen worden war! Das erklärte vieles. Wenn Beryaal das Haupt der Verschwörung gegen die Erde war und irgendwie den Grund für Cattons Anwesenheit auf Morilar er fahren hatte, dann war es gar nicht so unwahrschein lich, daß das Raumschiff »Silver Spear« auf seinen Be
fehl sabotiert worden war, nur um Catton loszuwer den. Männer, die Materieduplikatoren auf eine zivili sierte Welt bringen wollten, würden auch nicht davor zurückschrecken, ein Raumschiff mit achthundert un schuldigen Passagieren an Bord zu vernichten, nur um einen einzigen Menschen aus dem Wege zu räumen. Aber wie konnte Beryaal herausgefunden haben, daß Catton nach Morilar gekommen war, um die Verschwörung der alten Welten gegen die Erde auf zudecken? Catton hatte nur einem Menschen gegen über die wirklichen Gründe dafür gesagt, daß er nach Morilar gekommen war. Nuuri Gryain. Stand das Mädchen mit Beryaal in geheimer Ver bindung? Es war unwahrscheinlich, aber die Tatsache blieb, daß Beryaal irgendwie von Cattons Absichten Wind bekommen hatte, und die Möglichkeit, daß Nuuri ihm dieses Wissen irgendwie verschafft hatte, war auf keinen Fall von der Hand zu weisen. Catton fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Er war jetzt in einem Netz von Intrigen gefangen, und jeder Fremde erschien ihm als Feind. Er wirbelte plötzlich herum und sah Royce an. »Ich werde Sie bezüglich dieser Materieverdoppler zum Schweigen verpflichten müssen«, sagte er. »Wenn jetzt bekannt wird, daß jemand von diesem Komplott weiß, dann gibt es Krieg in der Galaxis.«
»Werden Sie untätig zusehen, wie die Erde ver nichtet wird?« fragte Royce. »Ich werde mein Bestes tun, um den Rest des Komplotts aufzudecken, sobald wir einmal aus die sem verdammten Dschungel heraus sind«, sagte Cat ton. »Aber ich möchte nicht, daß auf der Erde etwas Überstürztes geschieht, und ich möchte auch nicht, daß Morilar oder Skorg erfahren, daß uns ihr Ge heimnis bekannt ist. Lassen Sie mir etwas Zeit, Royce.« »Catton, ich darf die Interessen meiner Firma nicht vernachlässigen.« Catton holte tief Luft. »Das kann ich mir vorstellen. Aber hier steht mehr auf dem Spiel als nur Ihre Fir ma. Werden Sie mir versprechen, zu schweigen?« »Und wenn ich es nicht tue?« »Dann werde ich Sie wahrscheinlich töten müs sen«, sagte Catton gelassen. »Aber ich möchte nicht, daß Sie mich dazu zwingen. Ich töte nicht gern, schon gar nicht Erdmenschen. Aber wenn ich nicht die Ga rantie bekomme, daß Sie über das, was Sie heute nacht gehört haben, den Mund halten werden, wird mir keine andere Wahl bleiben, als Sie zu töten.« Royce schwieg lange. Dann zuckte er die Achseln. »Schön«, sagte er schließlich. »Ich werde so tun, als ob ich nichts gehört hätte.« »Danke«, sagte Catton.
Royce drehte sich um und ging in sein Zelt. Nach einer Weile kehrte Catton wieder in das Zelt des Kranken zurück. Woudikal hatte sich wie ein kleines Kind zusammengerollt und stöhnte im Schlaf. Catton setzte sich neben die Liegestatt und wartete, in der stillen Hoffnung, daß die Delirien des Kranken noch einmal verständlich würden. Aber er wartete vergeb lich. Trotz der Medikamente wurde Woudikals Fieber im Laufe der nächsten zwei Stunden immer höher, so daß seine Stirn sich wie glühend anfühlte. Er starb kurz nach Mitternacht, ohne noch einmal ein Wort zu sagen. Catton ging in sein Zelt zurück, nachdem er Sahdig für die nächste Wache geweckt hatte. Er er zählte dem Skorg, daß Woudikal gestorben war. Sah dig nickte nur. »Dann ist er von seinen Qualen er löst«, meinte er und ließ sich beim Lagerfeuer nieder. Am Morgen hielten sie eine kurze Totenfeier ab. Die drei überlebenden Morilaru murmelten das ritu elle Totengebet, und Royce und Catton ließen die in ein Zelt eingehüllte Leiche in das frische Grab hinab. Dann brachen sie ihr Lager ab und zogen weiter. Auf dem Marsch nach Norden gab es keine weiteren Fieberanfälle. Am siebzehnten Tag wurde Catton von einem winzigen Insekt gestochen, und sein Arm schwoll stark an. Der Schmerz ließ ihn zwei Tage nicht los, und er konnte keine Arbeit verrichten. Dann ging die Geschwulst ohne Nachwirkungen zurück.
Am zweiundzwanzigsten Tag waren die vom Ret tungsboot mitgebrachten Lebensmittel aufgebraucht. Aber etwa die Hälfte der Nahrung der Schiffbrüchi gen bestand zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon aus einheimischen Früchten. Der äußerst fruchtbare Dschungel lieferte eine Unzahl von Beeren, Kern früchten und eßbaren Blättern, die sie auf die einzige ihnen mögliche Art auf ihre Eßbarkeit prüften – näm lich durch den Versuch. Dies hatte nur einmal schlimme Folgen gehabt, als Sahdig honigfarbene Beeren von einer Schlingpflanze kostete und sich damit den Magen für zwei Tage verdarb. Am vierundzwanzigsten Tag erlegte Catton ein kleines gefiedertes Tier, und an jenem Abend aßen sie ohne unangenehme Nachwirkungen zum erstenmal Wildbret des Dschungelplaneten. Am dreißigsten Tag versperrte ein breiter Fluß ih ren Weg nach Norden. Ein Boot hatten sie nicht mehr, und ein Durchschwimmen des Flusses kam nicht in Frage. Sie mußten einen zwei Tage langen Umweg nach Westen machen, bis der Fluß seicht und schmal wurde, so daß sie ihn durchwaten konnten. Royce rutschte dabei aus und verlor einen der Strahler, nahm aber selbst keinen Schaden. Die Gruppe bot jetzt keinen sehr schönen Anblick mehr. Die Kleidung war inzwischen stark zerschlis sen. Catton hatte sich einen buschigen, grellroten Bart
wachsen lassen, und Royces Wangen zierten ein graues Gestrüpp. Sahdig und der Morilaru, die beide Rassen entstammten, die keinen Gesichtshaarwuchs besaßen, konnten keinen solchen Schmuck aufweisen. Auch die Frauen sahen verwahrlost und verkommen aus. In ihrer Kultur war zwar die Nacktheit verpönt, doch schämten sie sich viel mehr ihrer ungepflegten Haare. Sie wickelten deshalb die Reste ihrer Kleidung um den Kopf, um zu verbergen, daß ihr Haar nicht so gepflegt war wie sonst. Am neununddreißigsten Tage kündigte Catton an, daß sie die siebenhundertfünfzig Kilometer, die er mit Sahdig errechnet hatte, nun hinter sich gebracht hätten und es bis zum Sender nicht mehr weit sein könne. Sie bildeten Gruppen, um die Umgebung abzusuchen, und Sahdig baute aus Teilen, die er vom Schiff mitge bracht hatte, einen kleinen Detektor. Tatsächlich fan den sie den etwa fünfzig Meter hohen Antennenmast, an dessen Spitze eine Para-Raumantenne weitere drei ßig Meter in den Himmel ragte, am Tag darauf. In der kleinen Blockhütte am Fuße des Antennen turmes fanden sie die Bedienungsanleitung in mehre ren Dutzend Sprachen – ohne Terranisch natürlich, denn die Sendeanlage war viele hundert Jahre vor dem Eintritt Terras in die galaktische Geschichte er richtet worden. Wahrscheinlich hatte man auf der Er de damals gerade das Schießpulver erfunden.
Catton las die Anleitung in Morilaru. Es war unbe schreiblich einfach. Man brauchte nur an einem He bel zu ziehen, dann würde die Anlage selbst ohne weiteres Zutun mit dem nächsten Schiff des Morila ru-Rettungsdienstes Verbindung aufnehmen. Das Rettungsschiff würde dann innerhalb eines Tages ein treffen. Catton wollte gerade den Sender betätigen, als Royce und eine der Morilarufrauen gleichzeitig rie fen. Er drehte sich um, um zu sehen, was los war. Sahdig richtete etwa hundert Meter von ihnen ent fernt seinen Strahler gegen die Schläfe. Er lächelte. Catton machte zwei Schritte auf den Skorg zu, aber er konnte ihn nicht mehr aufhalten. Sahdig drückte ab. An diesem Abend fand das dritte Begräbnis statt, während sie auf das Rettungsschiff warteten. Sahdig hatte sein Wort gehalten. Er hatte auf dem langen Marsch zur Sendeanlage den Schiffbrüchigen nach besten Kräften geholfen. Aber in seinen eigenen Au gen hatte er kein Recht mehr zu leben, seit er das todgeweihte Schiff verlassen hatte, um in einem Ret tungsboot Zuflucht zu nehmen. Und jetzt, mit der si cheren Rettung vor Augen, hatte er seine Schuld ge büßt.
12
Früh am nächsten Morgen nahm ein Morilaru-Schiff die fünf Überlebenden auf. Royce und Catton hatten beschlossen, ihre Reise nach Skorg fortzusetzen. Die anderen wollten nach Morilar zurückkehren, um ge gen die Raumfahrtsgesellschaft einen Schadenersatz prozeß anzustrengen. Alle fünf wurden zu einer Re laisstation, einer von den Morilaru kolonisierten Welt namens Thyrinn, gebracht. Dort bestiegen Catton und Royce ein kleines Passagierschiff, das sie nach Skorg bringen sollte. Die Reise, die neun Tag dauerte, ver lief ohne Zwischenfälle. Es war herrlich, wieder in ei nem richtigen Bett in einer Kabine mit Klimaanlage zu schlafen, sich rasieren zu können und regelmäßige Mahlzeiten einzunehmen. Catton hatte seinen Paß und seine sonstigen Papie re während des ganzen Dschungelmarsches bei sich behalten. Jetzt legte er sie dem Einwanderungsbeam ten im Raumhafen von Skorgaar, der Hauptstadt der Skorg-Föderation, vor. Dieser, ein drahtiger Skorg mit einem Basiliskenblick, sah sie sorgfältig durch und gab sie dann mit einem sauren Lächeln zurück. »Diesen Papieren nach zu schließen, haben Sie Mo rilar vor mehr als einem Monat verlassen. Das muß eine ziemlich langsame Reise gewesen sein.«
»Ich war auf der ›Silver Spear‹«, sagte Catton. Die Augen des Skorg weiteten sich überrascht. »Ja, aber –« Catton nickte. »Ich habe vierzig Tage auf einem Dschungelplaneten, fünfhundert Lichtjahre von Mo rilar entfernt, verbracht. Jetzt bin ich endlich hier. Meine drei Morilaru-Mitarbeiter – sie sind hier im Vi sum erwähnt – haben es nicht geschafft. Zwei sind im Raumschiff umgekommen, sofern sie nicht auch ein Rettungsboot erwischt haben, der dritte ist im Dschungel am Fieber gestorben.« »Wie lange wollen Sie auf dieser Welt bleiben?« »Mein Visum gilt für ein Jahr. Pläne habe ich noch nicht gemacht«, antwortete Catton. Ein Taxi brachte ihn in die Innenstadt von Skor gaar, wo er in einem großen Hotel abstieg, das sich auf fremde Rassen spezialisiert hatte. Skorgaar hatte zwölf Millionen Einwohner und war eine der größten Metropolen der erforschten Galaxis. Hier gab es im mer Fremde, die auf Geschäftsreise durchkamen, so daß sich ein solches Hotel rentierte. Skorg war ein großer Planet mit geringer Dichte. Seine Schwerkraft betrug etwa das 1,4fache der Erd norm, was für Cattons Begriffe ziemlich viel war. Da für war er aber für das Klima dankbar, das wesentlich kühler war als das auf Morilar. Die beiden Welten waren sich in kultureller Hin
sicht ziemlich ähnlich, und viele Morilaru vertraten die Meinung, daß die Skorg von einem Pionierschiff der Morilaru abstammten, das vor Jahrtausenden auf Skorg gelandet war, eine Theorie, für die es genug biologische Beweise gab. Die Hautfarbe der Skorg war im Gegensatz zu der der Morilaru zwar grau, aber das ließ sich aus der veränderten klimatischen Umgebung erklären. Die Biologen der Erde nahmen an, daß beide Völker von ein und derselben Rasse ab stammten – vielleicht einer kolonisierenden Rasse, die vor undenklichen Zeiten diesen Arm der Galaxis erschlossen hatte. Catton stattete dem terranischen Gesandten auf Skorg sofort einen Besuch ab. Es war ein hagerer kleiner Berufsdiplomat namens Bryan, der fast einen Freudentanz aufführte, als Catton seine Dokumente vorlegte. »Man hatte berichtet, daß Sie auf der ›Silver Spear‹ ums Leben gekommen seien«, sagte er. »Ich habe schon vor ein paar Wochen von Seeman ein Tele gramm dieses Inhaltes bekommen.« Catton zuckte die Achseln. »Ich bin in einem Ret tungsboot davongekommen, aber ich war bis vor zehn Tagen verschollen. Wieviel Leute sind denn in dem Wrack ums Leben gekommen?« »Ich glaube, es gab etwa vierzig Überlebende, au ßer den Leuten, die sich zusammen mit Ihnen retten
konnten. Drei Rettungsboote kamen vor der Explosi on vom Schiff los. Also insgesamt vier. Das Unglück hat neunhundert Tote gefordert.« »Neunhundert!« sagte Catton leise. Pouin Beryaal hatte neunhundert Leute, und zwar hauptsächlich Angehörige seiner eigenen Rasse, ermordet, um einen einzigen Erdmenschen zu beseitigen. Wenn man so großen Wert darauf legte, ihn aus dem Weg zu schaf fen, mußte er sehr auf der Hut sein. »Ich bin mit dem offiziellen Auftrag der interstella ren Polizeikommission hierhergekommen, Nachfor schungen nach dem Ursprung der Hypnojuwelen an zustellen.« »Glauben Sie, daß Sie hier etwas finden werden?« »Ich weiß nicht«, sagte Catton. »Ich möchte einem Verdacht nachgehen, der mir auf Morilar gekommen ist. Aber ich habe neben dem offiziellen Grund noch ein weiteres Motiv für mein Kommen. Sie wissen doch sicherlich von der Tochter Ihres Kollegen in Mo rilar, Miss Seeman?« »Die Nachricht ist in der ganzen Galaxis verbreitet worden«, antwortete Bryan. »Die Skorg-Polizei hat sich zwar auch in die Suchaktion eingeschaltet, aber was will man damit schon in einer Galaxis mit Tril lionen von Einwohnern erreichen? Es wäre schon schwierig genug, sie auf einer einzigen Welt zu fin den.«
»Ich habe das Gefühl, daß sie sich hier auf Skorg befindet«, sagte Catton. »Auf Skorg? Ich sagte Ihnen schon, wir haben hier Nachforschungen nach ihr angestellt. Aber bei neun zehn Milliarden Menschen ist das nicht leicht. Sie könnten hier vor unserer Nase sitzen, und doch wür den wir sie nicht sehen.« »Vielleicht habe ich Glück.« Catton spreizte die Hände. »Warum sind Sie so daran interessiert? Sie haben doch keine persönlichen Gründe? Ich möchte nicht neugierig sein, aber –« Catton lachte. »Nein, ich bin nicht in das Mädchen verliebt, wenn Sie das meinen. Aber ich glaube, daß ihr Verschwinden etwas mit den Hypnosteinen zu tun hat. Deshalb suche ich sie.« Die nächsten paar Tage brachten Catton keinen Er folg. Er unterhielt sich zwar dank Bryans Vermittlung mit den Polizeichefs, aber sie konnten ihm nichts an deres über den Hypnosteinschmuggel sagen, als er ohnehin schon aus den Akten der Kommission wuß te. Und wie nicht anders zu erwarten, wußte keiner etwas von dem Mädchen. Sie hatten gesucht, aber Skorg war ein übervölkerter Planet. Catton gewann den Eindruck, daß sie gar nicht sonderlich interessiert waren, das Mädchen zu finden. Sie schienen die An sicht Cattons, daß Estil nach Skorg geflohen war, gar
nicht ernst zu nehmen und glaubten vielmehr, daß sie zur Erde geflohen war, wo sie unter Milliarden von Menschen ihrer eigenen Rasse viel leichter untertau chen konnte. Catton bemühte sich umsonst. Er kam nicht weiter und hatte dabei Sorge, daß die Zeit knapp wurde. Er war davon überzeugt, daß Doveril Halligon das Mädchen entführt hatte. Und Doveril war eine Schlüsselfigur im Hypnosteingeschäft. Wenn es ihm gelang, Doveril zu finden, würde er auch das Mäd chen finden. Aber wie sollte er das anstellen? Wo su chen? Und dann war da die Sache, von der der sterbende Morilaru im Fieber gesprochen hatte. Wenn das die Wahrheit und nicht nur die Phantasien eines Ster benden gewesen waren, dann schwebte die Erde in tödlicher Gefahr. Ein paar Materieduplikatoren, die an Fallschirmen abgeworfen wurden, konnten in we nigen Tagen eine ganze Zivilisation vernichten. Das Geld und alle materiellen Güter würden über Nacht ihren Wert verlieren, niemand würde mehr arbeiten, die Folge war unübersehbares Chaos. Vielleicht konn te man sich wieder hocharbeiten, aber wie viele Jahr hunderte würde es dauern! Und Pouin Beryaal war das Herz der Verschwö rung, wenn Woudikal die Wahrheit gesprochen hatte. Wirklich raffiniert, dachte Catton. Pouin Beryaal war
in Morilar eine einflußreiche Persönlichkeit und Me rikh eMerikh ein bedeutender Adeliger von Skorg. Ob Uruod von Arenadd auch in die Verschwörung verwickelt war, war ziemlich gleichgültig. Auch ohne Arenadds Mitwirkung war die Verschwörung, der sich die Erde gegenübersah, erdrückend. Wo kamen die Materieverdoppler her? Keine Welt innerhalb der zivilisierten Galaxis würde sie herstel len. Aber vielleicht gab es eine andere Quelle jenseits der humanoiden Welten. Aber wo? Er mußte es he rausbekommen, und dazu brauchte er Glück. Es war an seinem sechsten Abend in Skorgaar. Er hatte am Nachmittag eine Besprechung mit dem hie sigen Vertreter der Interstellaren Polizeikommission gehabt und wollte jetzt zu Abend essen. Er fand ein ziemlich feudales Restaurant, das hauptsächlich von Fremden besucht wurde, wie es den Anschein hatte. Die Kellner waren keine Skorgs, sondern Cheneri den, schlanke, grünhäutige Humanoiden von einer Va sallenwelt von Skorg. Das Lokal war gut besucht, Cat ton sah hauptsächlich Morilaru, sowie einige Arenad din und Dragoniden. Einheimische waren kaum zu se hen. Und als er die Speisekarte studierte, stellte er fest, daß sie hauptsächlich Speisen der Morilaruküche ent hielt, die für seinen Gaumen viel zu salzig waren. So be stellte er ein Gemüsegericht von Arenadd, was ihm ei ne respektvolle Verbeugung von dem Kellner eintrug.
Während er auf sein Essen wartete, sah er sich im Lokal um. Die ganze Einrichtung trug den Stempel Morilars, und diese Rasse stellte auch die Mehrzahl der Gäste. Und selbst Morilarumusik hörte er – klim pernde, einschmeichelnde Musik, wie die jenes In strumentes, das Estil Seeman an jenem Abend ge spielt hatte. Wie hieß es doch – ah, ja – Gondran. Er sah jetzt, daß das Instrument am anderen Ende des Restaurants aufgestellt war. Und dann fiel ihm zu seiner Überraschung auf, daß eine Erdfrau es spielte. Plötzlich fuhr er erstaunt zusammen und sprang auf, wobei er fast dem Kellner die Schüssel aus der Hand geschlagen hätte. Der Kellner entschuldigte sich für seine Unge schicklichkeit. Aber Catton hörte gar nicht hin. Was für ein Glück, dachte er immer wieder. Was für ein unbeschreibliches blindes Glück! Er nahm ein Blatt Papier aus der Tasche und schrieb ungelenk in den Schriftzügen von Morilar ei ne Einladung an die Gondranspielerin darauf und bat sie, nach ihrem Spiel an seinen Tisch zu kommen. Er rief den Kellner herbei, gab ihm das Blatt und sagte auf Skorg zu ihm: »Bringen Sie das dem Mädchen, das dort hinten spielt. Ich möchte sie an meinen Tisch einladen.« Er gab dem Mann ein Trinkgeld und sah zu, wie er zu dem Mädchen trat und ihr mit einer Verbeugung den Zettel überreichte.
Sie spielte noch zehn Minuten, nachdem sie seinen Zettel gelesen hatte, ohne dabei ihr Spiel zu unterbre chen. Dann stand sie auf, verbeugte sich, um für den Applaus zu danken, und kam an Cattons Tisch. Es war Estil. Er hatte sich nicht getäuscht. Aber sie war nicht mehr das etwas scheue Mäd chen von achtzehn Jahren, das sie noch vor ein paar Monaten gewesen war. Catton erkannte das in dem Augenblick, als er ihre Augen sah. Es waren die Au gen einer reifen Frau. Ihr Blick sagte ihm, daß sie er fahren hatte, wieviel Leid es auf der Welt gibt. Und jetzt war sie an der Reihe, zusammenzuzuk ken, als sie Catton erkannte. »Sie – der Mann von der Polizeikommission!« Er stand auf und zog ihr einen Stuhl heran. »Hallo, Estil. Ich hätte nicht gedacht, daß ich Sie so leicht fin den würde.« Sie setzte sich hin und sah ihn wortlos an. Sie schien nicht in der Lage zu sein, auch nur ein Wort zu reden. Schließlich fragte Catton: »Soll ich etwas für Sie bestellen?« »Nein – nein. Bitte nicht. Ich habe vorhin schon ge gessen.« »Sie haben sehr schön gespielt.« »Ich muß sehr schön spielen. Ich lebe davon.« Catton hob die Brauen. »Doveril schickt Sie zum Arbeiten?«
»Ich – ich bin nicht mehr bei Doveril«, sagte sie mit kaum vernehmbarer Stimme. Catton ging nicht näher darauf ein. »Sie haben durch Ihr Verschwinden ziemliches Aufsehen erregt. In der ganzen Galaxis wird nach Ih nen gesucht. Und Sie sitzen hier, wo jedermann Sie sehen kann.« »Man hat schon seit einigen Wochen nicht mehr nach mir gesucht. Die ersten Wochen, die wir hier waren, hat Doveril mich versteckt gehalten. Aber jetzt scheint die Skorg-Polizei mich vergessen zu haben.« Catton sagte: »Sie sind ziemlich plötzlich fortge rannt. Ich erinnere mich, daß Sie etwas von mir wis sen wollten – über Doveril. Und dann, bevor ich noch einmal mit Ihnen sprechen konnte, waren Sie ver schwunden.« Ihre Blicke wichen den seinen aus. »Doveril hat er fahren, worum ich Sie gebeten hatte. Er kam an jenem Abend zu mir und fragte, ob ich Vertrauen zu ihm hätte. Er sagte, er habe zwei Flugscheine nach Skorg, und das Schiff fliege zwei Stunden nach Mitternacht ab. Er – bestand darauf, daß ich mit ihm ging.« »Und Sie haben es getan.« »Ja«, sagte sie bitter. »Ich ging. Sie haben wahr scheinlich erfahren, daß Doveril –« Er nickte. »Wir haben ganz kurz nach seiner Flucht ein paar seiner Komplicen festgenommen. Aber Do
veril war ihr Chef, und er war verschwunden. Sie sagten vorhin, Sie hätten ihn verlassen?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Er hat mich verlas sen. Drei Wochen nachdem wir auf Skorg angekom men waren.« »Er hat Sie verlassen?« »Er hatte wahrscheinlich kein Interesse mehr an mir«, sagte sie mit einem matten Lächeln. »Schließlich waren wir uns trotz allem fremd. Ich fand eines Mor gens nach dem Aufwachen einen Brief von ihm. Seit dem habe ich ihn nicht mehr gesehen. Aber ich weiß, wo er ist.« »Ist er nicht mehr auf Skorg?« »Er ist – woanders. Ich möchte hier nicht darüber sprechen.« »Wo wohnen Sie?« »In einem Hotel, nicht weit von hier. Ich habe mich unter einem anderen Namen eingetragen.« »Und seit wann arbeiten Sie hier?« »Seit Doveril mich verlassen hat. Das Restaurant gehört einem Morilaru. Ich war vorher mit Doveril ein paarmal hier gewesen. Ich habe gefragt, ob ich hier arbeiten könne, und sie haben mich eingestellt. Das Gondranspielen ist so ziemlich das einzige Handwerk, das ich als Tochter eines Gesandten ler nen konnte. Ich fürchte, ich würde als Kellnerin nicht viel taugen.« Sie lächelte wieder – ein trauriges, ent
sagungsvolles Lächeln. »Ich bekomme nicht viel, aber es reicht aus, um meine Miete zu bezahlen. Essen kann ich hier umsonst.« »Aber warum melden Sie sich denn nicht bei der Gesandtschaft? Sie brauchen doch nicht in einem Re staurant zu arbeiten«, sagte Catton. »Sie könnten morgen abend schon auf dem Weg nach Morilar sein, wenn irgend jemand Bescheid sagen würde.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe Angst davor, heimzugehen. Ich wage es nicht, meinem Vater unter die Augen zu treten, nach allem, was ich ihm angetan habe. Von zu Hause weglaufen – mit einem Frem den.« Sie biß die Zähne zusammen, und Catton merk te, daß sie mit den Tränen kämpfte. »Und so bin ich hiergeblieben, aus Angst vor der Heimkehr, voll Angst, allein auf einer völlig fremden Welt leben zu müssen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe immer gehofft, jemand würde mich finden und mich der Polizei übergeben; es selbst zu tun, dazu fehlt mir der Mut. Und ich weiß um Dinge – Hypnojuwelen und Schlimmeres. Doveril hat mir so viel erzählt. Aber ich wage es nicht, das irgend jemandem weiter zusagen.« Sie sah wirklich kläglich aus. Von ihrem Geliebten verlassen, voll Angst vor der Heimkehr, und wahr scheinlich hatte sie auch jede Minute, die sie hier auf Skorg lebte, panische Furcht. Es war keine angeneh
me Lage für ein Mädchen, das im Glanz des Palais eines Gesandten erzogen worden war. Er sah sie an und starrte dann auf seinen Teller. Er hatte keinen Appetit mehr. »Wie lange müssen Sie heute noch spielen?« fragte er. »Einmal noch. Ich bin in einer Stunde fertig.« »Haben Sie Vertrauen zu mir, Estil?« »Ich – ich denke schon«, sagte sie kaum hörbar. »Es ist nicht leicht, wieder jemandem zu vertrauen, nach – nach –« »Glauben Sie mir, ich will Ihnen helfen. Ich warte jetzt, bis Sie hier fertig sind. Dann möchte ich, daß Sie zusammen mit mir hier weggehen und daß Sie mir all das sagen, wovor Sie Angst haben. Es wird Ihnen gar nichts geschehen. Das Schlimmste ist jetzt vorbei. Wollen Sie mir das glauben?« »Ich will es versuchen.« »Schön, dann gehen Sie jetzt und spielen Sie für die Gäste. Ich warte hier hinten auf Sie.« Sie ging wieder auf das Podium. Einige Gäste klatschten. Catton beobachtete sie genau. Sie stellte ihren Stuhl auf die richtige Höhe, setzte sich sorgfäl tig in Positur und spielte mit gespreizten Fingern, als sitze sie wieder im Musikzimmer der Gesandtschaft unter den gestrengen Blicken ihrer Gouvernante.
13
Das Hotel, in dem Estil Seeman wohnte, war unbe schreiblich schmutzig. Ein paar flackernde Argonröh ren bildeten die ganze Beleuchtung der Halle. Und ihr Zimmer war nicht viel mehr als eine Höhle mit Bett, einem Kleiderschrank und einem Spiegel. Der Waschraum befand sich am Ende des Ganges. Der ekelerregende Skorggeruch war allgegenwärtig. Catton unterdrückte seinen Abscheu. »Was bezah len Sie für das Zimmer?« »Fünf Normits die Woche.« Der Erdmann nickte. Sein eigenes Zimmer auf der anderen Seite der Stadt kostete jeden Tag doppelt so viel. »Und wieviel verdienen Sie im Restaurant?« »Zwölf Normits die Woche und das Essen«, sagte sie müde. »Ich habe nicht besonders viel auf die Seite legen können, seit ich hier bin.« »Das kann ich mir vorstellen«, sagte Catton und ließ sich in einen altersschwachen Lehnsessel fallen. »Schön, Estil. Und jetzt wollen wir reden. Sprechen wir von Doveril.« »Wenn Sie wollen.« »In jener Nacht auf dem Ball sagten Sie, Sie glaub ten, Doveril sei am Schmuggel mit Hypnojuwelen be
teiligt. Wann haben Sie mit Bestimmtheit erfahren, daß Ihre Vermutung richtig war?« »Bei unserer Landung auf Skorg«, sagte sie. »Er – er schien sich zu verändern. Er wurde plötzlich härter und kalt. Irgendwie hatte er plötzlich mehr Selbstver trauen. Vorher erschien er mir – ich möchte fast sagen – scheu. Aber all das fiel von ihm ab. Er fing an, vor mir zu prahlen.« »Worüber?« »Er prahlte, wie wichtig er beim Hypnosteinge schäft sei und wie reich er werden würde. Er sagte mir alles, als erwarte er, daß ich ihm dafür Beifall spenden würde.« »Und was tut er denn, um so wichtig zu sein?« »Er ist – ein Kurier. Er hilft bei der Verteilung der Steine.« Cattons Augen leuchteten. »Haben Sie je erfahren, wo die Steine herkommen?« Sie schüttelte den Kopf. »N-nein. Wenn ich ihn fragte, gab er mir immer ausweichende Antworten. Ich habe es nicht herausgekriegt.« Catton runzelte die Stirn. Er hatte gehofft, diese wichtige Auskunft von Estil zu bekommen. »Können Sie mir sagen, wo Doveril sich jetzt aufhält?« »Auf einem Planeten namens Vyorn.« Catton hatte von Vyorn noch nicht viel gehört. Es war eine ferne Welt. Hunderttausende von Lichtjah
ren von den zentralen Welten der Galaxis entfernt. Und es war keine Sauerstoffwelt; soweit er sich erin nerte, besaß Vyorn eine Chloratmosphäre. Die Be wohner waren nicht-humanoid und hatten zu der großen Mehrzahl der sauerstoffatmenden Völker nur sehr wenig Kontakt. Catton packte sie am Arm. »Kommen dort die Hypnojuwelen her?« »Nein.« Sie schlug die Augen nieder. »Auf Vyorn werden die Materieverdoppler hergestellt. Doveril ist hingereist, um welche zu kaufen.« »Was?« »Ich weiß, es klingt furchtbar. Aber eines Tages kam ein Anruf von Pouin Beryaal – ein Stellarge spräch von Morilar. Ich habe zugehört, ohne daß Do veril es bemerkt hat. Und Beryaal hat Doveril befoh len, unverzüglich nach Vyorn zu fliegen, um sich dort um den Versand der Materieduplikatoren zu küm mern. Ich weiß nicht, was Beryaal mit einer Schiffsla dung Materieverdopplern anfangen will, aber –« »Aber ich weiß es«, sagte Catton erregt. »Er will sie auf die Erde schaffen.« »Nein!« »Beryaal steht hinter einer Verschwörung, die Erde zu vernichten, ehe sie in der Galaxis zu mächtig wird. Und sie wollen es mit Materieduplikatoren errei chen.« Catton begann der Kopf zu schmerzen. Bery
aal erschien ihm jetzt wie ein riesiger Oktopus, des sen Tentakel überall hin reichten. Er war Chef der In terstellaren Polizeikommission, er schmiedete Pläne, um die terranische Zivilisation zu vernichten, er hatte Nuuri Gryain als Spionin gegen Catton in seinem Sold, er beauftragte Doveril Halligon damit, ihm Ma terieverdoppler zu besorgen, ohne sich darum zu kümmern, daß Doveril zugleich einen illegalen Han del betrieb, den er in seiner Eigenschaft als Vorsit zender der Kommission aufs schärfste zu bekämpfen hatte. Oder hatte Beryaal seine Finger auch im Hyp nosteingeschäft? Unter diesen Umständen wäre auch das keine Überraschung mehr. Und Nuuri hatte versucht, Doveril Halligon ans Messer zu liefern. Entweder wußte hier die rechte Hand nicht, was die linke tat, oder diese Episode war nur ein Teil eines größeren Komplotts gewesen, das er noch nicht durchschaute. »Sie sehen so besorgt aus«, sagte Estil. »Was be drückt Sie denn?« »Ich versuche die einzelnen Stücke eines Puzzles zusammenzubringen. Aber das Spiel wird von Tag zu Tag komplizierter.« Er schüttelte den Kopf. »Wann ist Doveril nach Vyorn abgeflogen?« »Vor vier Wochen.« Vier Wochen, dachte Catton. Er wußte nicht, wie lange der Flug durch den Hyperraum nach Vyorn
dauerte; ganz bestimmt einige Wochen. Also war Doveril vermutlich gerade erst dort angekommen. Catton beschloß, daß er ihm folgen mußte. Er stand auf. »Es wird spät, Estil. Eigentlich dürfte ich um diese Stunde gar nicht mehr auf dem Zimmer einer jungen Dame sein.« Sie wurde rot. »Ich habe nicht mehr viel von mei nem guten Ruf zu verlieren«, sagte sie leise. »Sofern das eine Aufforderung sein sollte, betrach ten Sie sie bitte als abgelehnt«, sagte er lachend. »Ich würde Ihrem Vater nie mehr in die Augen sehen können.« Er schritt auf die Tür zu. Sie folgte ihm – ein müdes kleines Mädchen, das zu schnell erwachsen gewor den war, Sie trug noch das enge, tief ausgeschnittene Kleid, das sie im Restaurant angehabt hatte. »Fliegen Sie jetzt nach Vyorn?« fragte sie. »Vielleicht. Ich besuche Sie jedenfalls noch einmal, bevor ich von Skorg abreise. Gute Nacht, Estil.« »Gute Nacht.« Am nächsten Morgen suchte Catton ein Reisebüro auf, das sich im Foyer seines Hotels etabliert hatte. Er wurde von einem weiblichen Skorg von immenser Körpergröße bedient. Sie lächelte, als sie ihn begrüßte – recht nett, dachte er, denn er wußte, daß die Skorgs ihre Freude normalerweise durch eine Handbewe gung ausdrückten. Sie kannte also die terranischen
Gebräuche und verstand es, damit auf das interstella re Publikum Eindruck zu machen. »Ich möchte auf dem nächsten Schiff, das nach Vy orn fliegt, eine Passage buchen«, sagte er. Sie sah ihn etwas überrascht an. »Das tut mir leid. Es gibt keine Direktverbindung nach Vyorn und auch nicht zu den benachbarten Planeten.« »Aber Sie wollen damit doch nicht sagen, daß man von hier überhaupt nicht dorthin gelangen kann?« Sie lächelte wieder, diesmal eine Spur herzlicher, und sagte ernsthaft: »Aber nein. Ich sagte nur, daß es keine Direktverbindung von Skorg nach Vyorn gibt; das soll nicht heißen, daß es überhaupt keine Verbin dung zwischen den beiden Welten gibt.« »Na schön«, sagte Catton und unterdrückte ein Lä cheln. »Würden Sie dann bitte für mich eine Reise route ausarbeiten?« Sie blätterte in dickleibigen Wälzern, schlug in Fahrplänen nach und zog ein paarmal auch eine ga laktische Karte zu Rate. Schließlich sah sie von ihrer Arbeit auf und sagte: »Jetzt habe ich eine Verbin dung, aber sie ist recht kompliziert. Sie müssen zuerst mit einem fahrplanmäßigen Schiff nach Tharrimar fliegen – eine Reise von zehn Tagen. Dann müssen Sie dort in ein Schiff nach Dirlak umsteigen, und in Dir lak nehmen Sie ein Passagierschiff nach Hennim, das ist die Welt, die Vyorn am nächsten liegt. Von dort
aus können Sie mit einer interplanetarischen Pendel rakete nach Vyorn gelangen.« »Und wie lange dauert die Reise?« Sie kritzelte ein paar Zahlen auf ihren Block. »Zehn Tage von Skorg nach Tharrimar, dann zwei Tage Aufenthalt bis zum Flug nach Dirlak ... fünf Tage Flug ... einen Tag Wartezeit, bis das Schiff nach Hen nim abfliegt ... drei Tage von Dirlak nach Hennim ... und noch ein Tag von Hennim nach Vyorn. Insge samt also zweiundzwanzig Tage von Ihrem Abflug bis zur Ankunft. Wird das schnell genug sein?« Catton nickte, und sie buchte einen Flug für ihn, der ihm fünf Tage Aufenthalt auf Vyorn erlauben und ihn dann wieder nach Skorg zurückbringen würde. Er würde in drei Tagen mit dem Schiff von Skorg nach Tharrimar abfliegen. Die AnschlußReservierungen gab sie über Subradio an die ver schiedenen Häfen durch. Der Preis der ganzen Reise betrug dreitausend Normits oder etwa zweitausend siebenhundert Thronen nach Morilaru-Währung. Er beglich die Rechnung sofort aus dem Fonds der Inter stellaren Polizeikommission. Als er alle Formalitäten erledigt hatte, ging er in den Speisesaal des Hotels, um sein Mittagessen ein zunehmen. Ein uniformierter Page trat an seinen Tisch und fragte mit einer höflichen Verbeugung: »Sind Sie der Erdmann Catton?«
»Ja, der bin ich.« »Eine Dame von Morilar möchte Sie sprechen. Sie wartet in der Halle.« Catton gab dem Jungen eine kleine Münze und runzelte die Stirn. Eine Dame von Morilar? Wer – Es war Nuuri Gryain. Sie saß in einem Sessel in der Nähe des Eingangs portals. Als sie ihn sah, erhob sie sich und trat auf ihn zu. »Hallo, Catton. Ich habe mir schon gedacht, daß ich Sie hier finden würde.« »Nuuri – was – wieso sind Sie in Skorg?« Sie zuckte die Achseln. »Ich bin hierhergeflogen. Ich habe für die Information, die ich den Behörden geben konnte, eine hübsche Belohnung bekommen, die ich in einem Flugschein nach Skorg und zurück angelegt habe. Aber jetzt habe ich Hunger und Durst. Haben Sie schon gegessen?« »Nein«, sagte Catton, »ich wollte gerade bestellen.« Er führte sie in den Speisesaal. Dort fanden sie ei nen freien Tisch für zwei Personen. »Woher wußten Sie, daß ich hier bin?« fragte Cat ton. »Ich wußte, daß Sie sich auf Skorg aufhielten, weil in allen Zeitungen groß zu lesen stand, daß Sie die Explosion der ›Silver Spear‹ überlebt und nach wo chenlangen Strapazen auf einer Dschungelwelt
schließlich Skorg erreicht hätten. Also rief ich nach meiner Ankunft in Skorg ein paar Hotels an, wobei ich bei den teuersten angefangen habe, und beim drit ten Anruf sagte man mir, daß Sie hier wohnten – und da bin ich jetzt.« Catton lächelte höflich, aber hinter seinem Lächeln lag ein lauernder Ausdruck. Er wußte nicht, wie weit er dem Mädchen trauen durfte. Er hatte sie immer noch im Verdacht, daß sie ihn an Pouin Beryaal ver raten hatte. Und ein Mädchen aus der Altstadt von Dyelleran verschwendete ihr Geld nicht für eine Lu xusreise nach Skorg. Der Grund für ihre Reise mußte woanders liegen. Ein Kellner stand hinter ihnen und wartete höflich auf die Bestellung. Nuuri sagte, zu Catton gewandt: »Bestellen Sie doch bitte zuerst etwas Wein, ich bin durstig.« »Gut. Bringen Sie uns eine Flasche guten Wein.« Der Kellner verbeugte sich und eilte davon. Ein paar Augenblicke später kam er mit einer grünen ge schliffenen Flasche zurück und zeigte Catton das Eti kett. Es war in einer Sprache gedruckt, die Catton nicht kannte. »Wo kommt der Wein her?« fragte er. »Jammir«, sagte der Kellner mit hochmütiger Mie ne. »Einer unserer besten leichten Weine.« »Sehr schön«, sagte Catton. »Wir wollen ihn einmal versuchen.«
Nach dem alten Zeremoniell seines Berufes öffnete der Kellner die Flasche, goß Catton ein paar Schlucke ins Glas und wartete auf sein Urteil. Catton verkoste te. Der Wein war trocken, mit einem eigentümlichen Geschmack nach frischem Holz. Er schmeckte ihm. Er nickte dem Kellner zu, worauf dieser jedem ein Glas eingoß und dann die Flasche wieder verkorkte. Catton langte nach seinem Glas. Im gleichen Au genblick griff auch Nuuri nach dem ihren und stieß dabei gegen ihre Handtasche, die zu Boden fiel. Cat ton beugte sich automatisch hinunter, um sie aufzu heben. Dabei blickte er vorsichtig auf sein Weinglas und stellte fest, daß die Flüssigkeit etwas milchig er schien. Nach einem Augenblick war der Wein aber wieder klar. Catton nickte unmerklich vor sich hin. Sehr hübsch ausgeheckt, dachte er. Sie hatte die Tasche also ab sichtlich umgestoßen und in dem Augenblick, als er sich danach bückte, etwas in seinen Wein geworfen. »Auf der Erde«, sagte er mit leiser Stimme, als gebe er sich einer angenehmen Erinnerung hin, »gibt es ei nen alten Brauch, wenn ein Mann und eine Frau zu sammen speisen: die beiden tauschen ihre Weingläser aus, bevor sie trinken. Die Sitte geht in die dunkle Vergangenheit der terranischen Zivilisation zurück – sie ist ein Symbol für das Vertrauen, das ein Mann und eine Frau zueinander haben sollten.«
Nuuris Augen flackerten unruhig. »Ich glaube nicht, daß dieser Brauch heute noch viel Sinn hat.« »Aber es ist ein sehr hübscher Brauch. Geben Sie mir Ihr Glas, Nuuri, und nehmen Sie das meine.« »Seien Sie doch nicht kindisch, Catton. Ihre Bräu che von der Erde interessieren mich nicht. Trinken Sie.« »Bitte. Mir ist gerade dieser Brauch besonders lieb geworden.« »Ich erinnere mich nicht, daß wir die Gläser ge tauscht haben, als wir damals in den Fünf Planeten zusammen Wein tranken«, sagte sie. »Wir haben damals auch nicht zusammen geges sen«, improvisierte Catton. »Trinken Sie jetzt Ihren Wein und lassen Sie mich mit Ihren kindischen Bräuchen von der Erde zufrie den.« Sie hob ihr Glas zum Mund. Catton griff über den Tisch hinüber und packte ihr schlankes Handge lenk mit Daumen und Mittelfinger. Er zwang ihre Hand auf den Tisch zurück, und sie stellte das Wein glas wieder ab. Er ließ ihr Handgelenk nicht los. »Was ist denn, Nuuri? Haben Sie Angst, meinen Wein zu trinken?« »Sie sind kindisch; das habe ich Ihnen schon ge sagt.« »Antworten Sie. Haben Sie Angst, meinen Wein zu trinken?«
»Natürlich nicht. Denken Sie, ich hätte ihn vergif tet? Lassen Sie meinen Arm los. Was fällt Ihnen ein, mich hier zu bedrohen –« »Sie werden doch nicht glauben, daß ich Sie davon laufen lasse? Trinken Sie den Wein. Und kommen Sie ja nicht auf die Idee, das Glas umzustoßen.« Er preßte seinen Mittelfinger noch tiefer in ihr Fleisch, und sie keuchte unwillkürlich vor Schmerz, als sein Druck sich verstärkte. »Lassen Sie mich los! Sie tun mir weh!« »Sagen Sie mir, weshalb Sie meinen Wein nicht trinken wollen, Nuuri!« »Machen Sie hier keine Szene, oder ich lasse Sie durch einen Kellner hinauswerfen.« Er drückte noch stärker zu. Ihre Finger zitterten vor Schmerz. »Und kein lautes Wort, Nuuri, sonst breche ich Ihnen den Arm«, warnte er mit leiser Stimme. »Sie haben etwas in meinen Wein getan, als ich mich bückte, um Ihre Handtasche aufzuheben.« »Nein! Das ist nicht wahr!« »Es muß wahr sein. Sonst hätten Sie sich nicht so gegen das Austauschen der Gläser gesträubt.« Er verstärkte seinen Griff. Seine eigenen Finger be gannen zu schmerzen. Ihr Arm war jetzt wahrschein lich schon bis zum Ellbogen taub, dachte er. Aber er ließ nicht von ihr ab. Sie biß sich auf die Lippen, um nicht laut zu schreien.
»Bitte, lassen Sie mich los.« »Ich möchte zuerst eine Antwort hören. Sie sind hierhergekommen, um mich zu vergiften, nicht wahr? Sagen Sie die Wahrheit! Sie sind deshalb hier? Wer hat Sie geschickt?« »Bitte.« Ihre Stimme war nur mehr ein unterdrück tes Flüstern. »Mein Handgelenk – Sie zerdrücken es – « Aus der Ferne sahen sie wie ein Liebespaar aus, ein Mann, der sich vorbeugte und liebevoll den Arm der Frau hielt. Aus der Nähe wirkte die Szene etwas an ders. Catton drückte noch fester zu. »Gut«, keuchte Nuuri endlich. »Pouin Beryaal hat mich geschickt. Er war wütend, als er hörte, daß Sie die Explosion der ›Silver Spear‹ überlebt haben. Er hat mich nach Skorg geschickt, damit ich Sie töte.«
14
Catton stieß das Glas mit dem vergifteten Wein mit einer lässigen Bewegung zu Boden. Einen Augenblick später kam ein Kellner, der den Boden säuberte und die Scherben wegkehrte und Catton versicherte, wie sehr er das Versehen bedauere. Catton und Nuuri aßen schweigend zu Ende, und Cattons Blick ließ die Frau keine Sekunde los. Nach dem er die Rechnung beglichen hatte, sagte er: »Okay. Gehen wir hinauf in mein Zimmer. Dort kön nen wir uns unterhalten.« Sie fuhren mit dem Gravitationslift hinauf. Catton ließ Nuuri den Vortritt und verschloß dann die Tür hinter sich. »Geben Sie mir Ihre Handtasche.« Er nahm sie und legte sie in einen Schrank, der sich nur auf seinen Daumendruck öffnen ließ. »Sie bekommen sie wieder, wenn Sie gehen«, sagte er. »Ich möchte nur nicht, daß Sie plötzlich irgendein Mordinstru ment hervorziehen und damit in der Gegend herum strahlen.« »Woher wissen Sie, daß ich nicht irgendwo am Leib einen Strahler versteckt habe?« »Weiß ich ja gar nicht. Ziehen Sie sich also aus und lassen Sie sich untersuchen.« Sie legte mürrisch ihre Kleider ab. Den Morilaru
machte es nichts aus, sich nackt zu zeigen. Ihr Körper war genauso wie die der Morilarufrauen, mit denen Catton auf dem Dschungelplaneten gewesen war: mager, fast dürr, ohne die geringste Spur von Fett. Er untersuchte ihre Kleider, fand keine verborgenen Waffen und befahl ihr, sich wieder anzuziehen. »Sind Sie jetzt zufrieden?« fragte sie. »Insofern ja, als Sie mich im Augenblick jedenfalls nicht umbringen können.« Er setzte sich und sah sie an. Auf Skorg gab es kein Gesetz, das Fremden ver bot, Waffen zu tragen, und so hielt er einen kleinen Strahler, den er sich vor ein paar Tagen gekauft hatte, auf sie gerichtet, falls sie ihn aus letzter Verzweiflung plötzlich angreifen sollte. »Sie arbeiten also für Pouin Beryaal«, sagte er nachdenklich. »Und er hat Sie hier hergeschickt, um mich umzubringen.« Sie gab keine Antwort. Catton fuhr fort: »Ich nehme an, daß Sie es waren, die ihm meine wirklichen Gründe für den Besuch auf Morilar sagten und ihn darauf hingewiesen haben, daß ich mich im Grunde genommen gar nicht für Hypnosteine interessiere. Sie haben ihm gesagt, daß ich versuche, das Komplott gegen die Erde aufzudek ken, und er hat daraufhin dafür gesorgt, daß das Raumschiff, auf dem ich mich befand, in die Luft flog. Das haben Sie doch gemacht, nicht wahr? Sie standen von Anfang an in Beryaals Sold.«
»Sie sind bemerkenswert klug«, entgegnete sie mit beißendem Spott. »Aber ich brauche Ihnen nicht zu zuhören. Bringen Sie mich doch um. Catton, machen Sie endlich ein Ende.« »Sie umbringen? Nicht bevor Sie mir gesagt haben, was ich wissen will, Nuuri. Vielleicht lasse ich Sie so gar laufen, wenn Sie mir genug erzählt haben.« »Ich werde Ihnen gar nichts erzählen.« Er sah nachdenklich seine Fingerspitzen an. »Eines macht mir an der ganzen Sache Kopfzerbrechen. Sie haben für Beryaal gearbeitet – aber Doveril doch auch! Und doch wollten Sie ihn an die Kommission verraten, und er ist nur deswegen nicht festgenom men worden, weil er bereits am Abend vorher durch gebrannt war. Wie kommt es, daß ein Komplice von Beryaal den anderen verrät?« Nuuri sah ihn überrascht an. Das schien ihr wirk lich neu zu sein. Schließlich sagte sie verblüfft: »Do veril hat für Beryaal gearbeitet?« »Ist Ihnen das neu?« »Ich habe es bis jetzt nicht gewußt. Beryaal muß auf mich wütend gewesen sein. Man stelle sich vor: ich verrate seinen Mann Doveril aus persönlichen Ra chegefühlen an Sie!« »Weil Doveril Sie sitzengelassen hat?« »Wir haben eine Weile zusammengelebt. Wir woll ten heiraten. Und dann sagte er mir plötzlich, daß al
les aus sei, daß es eine andere Frau gäbe und daß ich gehen sollte. Ich habe beschlossen, mich dafür an ihm zu rächen. Als ich ihn an Sie verriet, habe ich ganz auf eigene Faust gehandelt, nicht auf Befehl Bery aals.« Catton schüttelte langsam den Kopf. »Doveril war eine wichtige Figur im Hypnojuwelengeschäft, hatte aber außerdem auch noch einen sehr wichtigen – und natürlich illegalen – Spezialauftrag von Beryaal. Und Beryaal gab Ihnen die Anweisung, mir nachzuspio nieren.« Nuuris gespornte Schultern sanken ein. »Also machte es nichts aus, daß Doveril sich der Verhaftung entzog. Als Chef der Kommission hätte Beryaal ihn einfach auf freien Fuß gesetzt, wenn er mit den ande ren zusammen gefangen worden wäre.« »Das fürchte ich auch«, gab Catton zu. »Aber wie kommt es, daß Sie so viel über Doveril wissen? Haben Sie ihn gesehen? Wo ist er?« »Nein, ich habe ihn nicht gesehen, aber ich habe mit dem Mädchen gesprochen, um deretwillen er Sie sitzengelassen hat. Er hat sie nach ein paar Wochen ebenfalls verlassen. Jetzt ist sie hier in Skorgaar.« Wut glitzerte in Nuuris Augen. »Wer ist diese Frau?« »Estil Seeman. Die Tochter des terranischen Ge sandten auf Morilar. Doveril hat sie dazu überredet,
mit ihm zu fliehen, als er merkte, daß für ihn die Luft zu dick wurde. Sie wohnt jetzt in einem billigen Hotel am anderen Ende der Stadt und spielt in einem Re staurant Gondran, um ihre Miete bezahlen zu kön nen.« Nuuri lachte. »Natürlich, er war ihr Musiklehrer, und er ist am gleichen Abend verschwunden, an dem sie von zu Hause weggerannt ist. Aber ich war zu dumm, die beiden Tatsachen in Verbindung zu brin gen. Er hat sie verlassen, sagen Sie? Wo ist er? Auch hier in Skorgaar?« »Nein, er befindet sich außerhalb des Systems von Skorg. Er hat irgendeinen schmutzigen Auftrag von Beryaal zu erledigen.« »Wissen Sie, wo er hingeflogen ist? Sagen Sie es mir.« »Das geht Sie nichts an«, sagte Catton. »Alles, was Doveril betrifft, geht mich etwas an! Sagen Sie es mir! Ich fliege mit Ihnen und helfe Ihnen, ihn zu stellen.« »Langsam, langsam!« unterbrach sie Catton. »Ich werde Sie den Skorg-Behörden ausliefern, ehe ich hier abreise.« »Nein! Sie müssen mich mitnehmen!« »Nachdem Sie versucht haben, mich umzubringen? Glauben Sie, daß ich das noch einmal riskieren will?« »Ich habe kein Interesse daran, Sie umzubringen«,
sagte sie. »Beryaal hat mich beauftragt, nach Skorg zu fliegen und es zu versuchen, und ich habe ihm ge horcht. Aber Beryaal bedeutet mir nichts. Mich inter essiert einzig und allein meine Rache an Doveril. Nehmen Sie mich mit zu dieser Welt. Wir werden ihm eine Falle stellen. Vielleicht vertraut mir Doveril immer noch. Ich werde ihn ins Netz locken.« »Sie würden jeden verraten. Wie soll ich Ihnen ver trauen?« »Vertrauen Sie mir nur noch einmal. Ich will mich an Doveril rächen. Sonst ist mir alles egal.« Sie lächel te verschmitzt. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Catton. Bringen Sie mich zu Doveril – und wenn wir ihn finden, dann sage ich Ihnen auch, wo die Hypno juwelen herkommen.« »Das wissen Sie?« »Doveril hat es mir einmal gesagt. Ich habe bisher nie davon Gebrauch gemacht, aber jetzt tue ich es. Bringen Sie mich zu Doveril, lassen Sie mich mithel fen, ihn festzunehmen – und ich nenne Ihnen den Namen der Welt, wo die Hypnojuwelen gemacht werden. Einverstanden?« Catton schwieg eine Weile. Das Mädchen drehte sich mit dem Wind, daran bestand kein Zweifel. Aber wie ernst meinte sie es diesmal? Sie hatte ihre Freun de verraten, hatte versucht, Catton zu ermorden, hat te gelogen und betrogen. Aber es war nicht leicht,
Doveril auf Vyorn zu fangen. Vielleicht konnte ihm Nuuri als Köder wirklich wertvolle Dienste leisten. Und dann ihr Angebot, ihm den Herkunftsort der Hypnosteine zu nennen! Aber vielleicht war das nur ein Bluff. Er beschloß, es zu riskieren. Ihr Haß auf Doveril schien nicht gespielt zu sein. Sie war ein unsicherer Bundesgenosse, aber er wollte es darauf ankommen lassen. »Meinetwegen«, sagte er schließlich. »Ich reise in drei Tagen nach Vyorn. Können Sie mitkommen?« »Natürlich.« »Wir werden zusammen reisen. Ich werde Sie in meine Papiere als meine Sekretärin eintragen lassen. Das sollte keine Schwierigkeiten bereiten.« Catton hatte immer noch Zweifel daran, ob es richtig war, eine Frau zu seiner Bundesgenossin zu machen, die ihn verraten und versucht hatte, ihn zu vergiften, aber er mußte in diesem Stadium des Konflikts um je den Verbündeten froh sein, den er gewinnen konnte. Er hatte nicht mehr viel Zeit, da Pouin Beryaal nun wußte, daß er lebte und den ersten Anschlag überstanden hat te. Wann würde er das nächste Mal zuschlagen? Er rief das Reisebüro an und besorgte einen Satz Flugscheine auf den Namen Nuuris und reservierte außerdem auch gleich Hotelzimmer während der Aufenthalte auf den verschiedenen Planeten.
Am Abend suchte er das Restaurant auf, in dem Estil Seeman spielte, und sagte ihr, daß er nach Vyorn reise, um Doveril festzunehmen. Wenn seine Mission Erfolg habe, wolle er auf der Rückreise wieder hier durchkommen und sie mit nach Morilar nehmen. Daß er Nuuri getroffen hatte, erwähnte er Estil ge genüber nicht; das würde nur ihre Eifersucht wecken. Während der nächsten drei Tage blieb Catton im Hotel. Er hatte sich überlegt, daß Beryaal aller Vor aussicht nach mehr als einen Agenten ausgesandt hatte, um ihn aus dem Wege zu schaffen. Da er alles erledigt hatte, was er auf Skorg erledigen wollte, hat te es gar keinen Sinn, sich ohne Not in Lebensgefahr zu begeben. Am dritten Tag fuhren er und Nuuri zum Raumha fen, der außerhalb Skorgaar lag. Dort ließen sie ihre Pässe abstempeln und gingen an Bord eines kleinen Passagierschiffes der Skorg-Raumfahrtslinien, mit dem sie die erste Etappe ihrer Reise von Skorg nach Tharrimar, dem fünften Planeten des TharrimSystems, zurücklegten. Die Reise dauerte zehn Tage und war unbeschreib lich langweilig. Das kleine Schiff ließ den Luxus der ›Silver Spear‹ empfindlich vermissen, und Catton verbrachte den Großteil seiner Zeit mit Lesen und Schlafen. Nuuri war eine schlechte Gesellschafterin. Ihr ein
ziges Gesprächsthema war ihr unstillbarer Haß auf Doveril, und dieser Reden wurde Catton bald über drüssig. Tharrimar war eine mittelgroße Welt, die von rot häutigen Humanoiden bewohnt wurde, die unter dem Protektorat eines Skorg-Gouverneurs standen. Das kleine Städtchen neben dem Raumhafen hatte wenig Attraktionen zu bieten, und Catton litt zu al lem Überfluß noch unter der hohen Schwerkraft, die doppelt so stark wie die der Erde war. So war er heil froh, als der zweitägige Aufenthalt vorüber war und das Schiff nach Dirlak startete. Aber dieses Schiff war noch armseliger als das letz te, nicht einmal ein reines Passagierschiff; die Hälfte des Schiffsraumes war für Fracht vorgesehen. Aber zum Glück dauerte die Reise nach Dirlak nur fünf Tage. Ihr Bestimmungsort war zwei Milliarden Kilo meter von seiner Sonne entfernt, und so stieg die Temperatur auch selten über Null Grad. Während der zwanzig Stunden, die Catton und Nuuri dort warten mußten, bis ihr Schiff nach Hennim startete, heulten unablässig eisige Winde. Dirlak war eine Handelsstation der Skorg-Konföderation und nur sehr dünn besiedelt. Die Welt wurde nur höchst sel ten von durchreisenden Kaufleuten besucht. Dann kamen sie nach dreitägiger Reise in einem langsamen Raumtransporter nach Hennim, der
Schwesterstadt von Vyorn. Hennim war eine Sauer stoffwelt, nicht viel größer als die Erde, aber auf ihr lastete der Fluch eines dauernd wechselnden Klimas. Als Catton auf dem Raumhafen landete, fielen gerade sturzbachartige Regengüsse, aber innerhalb einer Stunde dörrte eine unerträgliche Sonnenhitze das Schlamm-Meer wieder aus, das die Regengüsse aus dem Landefeld gemacht hatten. Die Eingeborenen von Hennim waren humanoid und von gedrungenem, kräftigem Bau. Ihre ovalen Augen, die die Farbe von Silberknöpfen hatten, starr ten Catton mißtrauisch an. Wie sich herausstellte, hat ten die meisten von ihnen noch nie in ihrem Leben einen Terraner gesehen. Ein Dolmetscher von Skorg unterrichtete Catton davon, daß kaum hundert Erd menschen dieses System bisher besucht hatten, es lag viel zu weit vom System Sol entfernt, um für die In dustrie Terras von Interesse zu sein. Auch Fremden verkehr gab es praktisch keinen, denn es war doch zu schwierig, diese entlegene Welt am Rand der zivili sierten Galaxis zu erreichen. Natürlich unterhielt die Erde weder mit Hennim noch mit einer der anderen Welten dieses Systems diplomatische Beziehungen. Als Catton erwähnte, daß er nach Vyorn fliege, wur den auf allen Seiten verwunderte Ausrufe laut. Kaum eine Handvoll Männer von Terra hatten jene Welt bisher besucht.
Am nächsten Tag verließ die Pendelrakete Hennim. Catton und Nuuri befanden sich mit ein paar Dut zend Hennimesen in der Sauerstoffkabine, wo ihnen noch ein paar Skorgs Gesellschaft leisteten. Hinter ei ner Trennwand befanden sich, wie Catton von einem gesprächigen Mitreisenden erfuhr, acht Vyorni, die dort in ihrer eigenen giftigen Chloratmosphäre rei sten. Die Fahrt dauerte sechs Stunden. Gegen Ende zu erschien ein uniformierter Hennimese und kündigte in der Kabine – zuerst in seiner Sprache, dann auf Skorg an, daß die Landung unmittelbar bevorstünde. »Alle Sauerstoffatmer werden ihrer eigenen Sicher heit wegen aufgefordert, Schutzanzüge mit Atem masken anzulegen. Anzüge können beim Schiffs zahlmeister gemietet werden.« Catton und Nuuri beschafften sich Anzüge, Catton überkam ein Gefühl des Heimwehs, als er seinen An zug auf die terrestrische Atmosphäre einstellte. Es war dies das erste Mal seit der Abreise von Terra, daß er wieder dieses Luftgemisch atmete. Kurz darauf erschien der Planet in ihrem Gesichts feld. Er war undeutlich als Kreis hinter einer dicken Wand von Chlorwolken erkenntlich. Das kleine Raumboot brachte sie wieder zu Boden. Nach dem letzten Rumpeln des Schiffchens erschien der Zahl meister wieder, um die Sauerstoffarmer durch die
Luftschleuse zu einem draußen wartenden Wagen zu führen. Draußen sah Catton zum ersten Male die Land schaft von Vyorn. Flaches, vegetationsloses Land er streckte sich bis zum Horizont. Am Himmel hingen grüngelbe Wolken. Die Szene war völlig fremdartig. In seinem Schutzanzug war er zwar sicher – aber er wußte, daß die Temperatur draußen nicht viel mehr als 20 Grad unter Null betrug. Es war eine kalte, häß liche und unwirtliche Welt, die auf ihn in jeder Bezie hung feindlich wirkte. Und hier, dachte Catton, werden die Materiever doppler hergestellt, die den Untergang der terrani schen Zivilisation herbeiführen sollen ...
15
Drei der fünf Tage, die Catton in Vyorn verbringen wollte, verstrichen nutzlos, ohne daß er auch nur den geringsten Anhaltspunkt bekommen konnte, wo Do veril sich aufhielt. Die Vyorni halfen ihm nicht viel. Sie weigerten sich, irgendwelche Auskünfte zu geben. Es waren unangenehme Wesen, etwa von der gleichen Größe wie ein Terraner, aber in ihrer Gestalt den Menschen völlig unähnlich. Sie besaßen sechs mehrfach geglie derte Arme und drei Beine. Ihre Hautfarbe war ein kalkiges Weiß, und ihre Augen funkelten bösartig aus dreieckigen Vorsprüngen. Mehr als neunzig Prozent der bewohnten Planeten in der Galaxis hatten sauer stoffatmende Wesen hervorgebracht, aber Vyorn war anders. Seine Bewohner atmeten eine Chloratmo sphäre und gaben als Abfallprodukt Kohlenstoffte trachlorid von sich, das von der Flora von Vyorn wieder in Chlor und komplexe Kohlenwasserstoffe umgewandelt wurde. So waren die Vyorni also in jeder Beziehung der übrigen Galaxis fremd, und diese Fremdheit erstreck te sich auch auf andere Gebiete als auf das rein phy siologische. Den Vyorni schien es völlig egal zu sein, was die Sauerstoffarmer machten, die ihre Welt be
suchten. Vyorn besaß keine organisierte Regierung und keine Gesetze, alle Vyorni durften tun, was sie wollten, solange sie dadurch nicht das Leben anderer schädigten. Catton unterhielt sich mit Hilfe eines SkorgDolmetschers mit dem Vyorni, der die Leitung der Sauerstoffatmer-Reservation hatte. »Sagen Sie ihm, daß ich gekommen bin, um einen Morilaru namens Doveril Halligon zu finden. Daß es für die Sicherheit und den Frieden der ganzen Galaxis von ausschlag gebender Wichtigkeit ist, daß ich ihn finde.« Der Dolmetscher gab einen zusammenhängenden Strom zischender, konsonantenreicher Worte von sich. Einen Augenblick darauf gab der Vyorni Ant wort: drei kurze Silben, sonst nichts. Der Skorg übersetzte: »Er sagt, das sei ihm egal.« »Sagen Sie ihm, daß es wichtig ist. Daß ich ihn gut bezahlen werde.« Und wieder rasselte der Skorg seine Worte herun ter, und wieder gab der Vyorni Antwort, diesmal nur ein einziges kurzes Grunzen. »Nun?« fragte Catton. »Er will nicht bezahlt werden. Er interessiert sich einfach nicht dafür, Ihnen zu helfen.« »Sagen Sie ihm, daß ich ein Mitglied der Interstella ren Polizeikommission bin.« Der Skorg zuckte die Achseln und übersetzte. Die
Antwort war kurz. »Das hier ist Vyorn«, sagt er. »Das Gesetz der Sauerstoffatmer ist hier nichts wert.« Catton seufzte. »Schön, ich sehe schon, daß ich mit ihm nicht weiterkomme. Vielleicht können Sie mir helfen. Gibt es hier irgendein zentrales Register für Einreisende? Oder vielleicht ein Morilaru-Konsulat, wo ich meine Nachforschungen fortsetzen könnte?« »Hier gibt es überhaupt kein zentrales Register, gleich welcher Art. Vyorn hat mit den Sauerstoffwel ten keine diplomatischen Beziehungen.« Natürlich erreichte er auch mit weiteren Nachfor schungen nichts. Die Vyorni waren einfach nicht dar an interessiert, ihm zu helfen. Wenn Sauerstoffatmer nach Vyorn kamen, um dort Geschäfte zu tätigen, dann konnten sie das tun, aber das bedeutete noch lange nicht, daß man sie auch freundlich und entge genkommend behandelte. Catton begann jetzt zu ver stehen, wie diese Rasse etwas so Furchtbares wie ei nen Materieverdoppler herstellen konnte. Die Motive der übrigen Galaxis waren den Vyorni fremd, aber es bereitete ihnen Befriedigung, wenn sie sahen, daß ih re Produkte bei den Sauerstoffatmern, die neun Zehn tel der Galaxis beherrschten Verwirrung stifteten. Catton begann Fragen zu stellen. Er war dabei sehr auf der Hut und überließ das Stellen der Fragen meist Nuuri, um Doveril nicht vorzeitig zu warnen. In der Fremdenkolonie von Vyorn gab es etwa zwanzig Mo
rilaru, die mit den Vyorni Handel trieben, und von einem dieser Morilaru namens Gudwan Quinak be kamen sie am dritten Tag den ersten brauchbaren Hinweis. Quinak, ein ziemlich plumpes Individuum, befand sich auf Vyorn, um dort Pelzhandel zu trei ben. Catton vermutete, daß das nur ein Aushänge schild war und daß der fette Morilar in Wirklichkeit Rauschgifthandel trieb, und Nuuri konnte diese Vermutung bald bestätigen. »Er ist Rauschgiftschmuggler, Sie haben recht ge habt«, berichtete sie ihm später. »Und er kennt auch Doveril ziemlich gut. Doveril ist in einer anderen Vy ornistadt, etwa dreihundert Kilometer von hier. Qui nak sagte mir, Doveril sei vor etwa einem Monat hier gelandet. Er habe ein paar Andeutungen fallen las sen, daß er in eine ganz große Sache verwickelt sei. Doveril muß einfach prahlen, er war immer schon so.« »Und wie können wir zu ihm kommen?« »Wir müssen einen Düsenschlitten mieten. Öffent liche Verkehrsmittel gibt es hier nicht. Die Vyorni rei sen anscheinend nicht besonders gern.« Sie mieteten das Fahrzeug zu einem horrenden Preis von einem grinsenden Skorg, der sich hier nie dergelassen hatte. Seine Augen funkelten bösartig, als Catton die ziemlich teure Pfandgebühr hinterlegte, als wolle er irgendeine Bemerkung darüber machen,
daß ein Terraner und eine Morilarufrau zusammen einen Düsenschlitten mieteten, aber er behielt seine Weisheit für sich, wahrscheinlich aus Angst, sonst ei nen Kunden an die Konkurrenz zu verlieren. Der Schlitten war ein kompaktes, granatenförmiges Gefährt, ganz mit Duriplast verkleidet, mit schnitti gen Kufen und einer dreifachen Reihe von Düsenroh ren. Catton überprüfte die mechanischen Teile des Schlittens gründlich, ehe er sich ihm anvertraute. Er hatte die Denkweise der Vyorni inzwischen zur Ge nüge kennengelernt und wußte, daß sich niemand um sie kümmern würde, sofern sie irgendwo drau ßen in den eisigen Wüsten eine Panne haben sollten. Gegen Mittag verließen sie, mit der kleinen gelben Sonne Vyorns direkt über ihnen, die Siedlung. Catton hielt die Geschwindigkeit auf fünfundsiebzig Kilome ter die Stunde beschränkt. Mehr könnte gefährlich sein. Eine Straße gab es nicht, nur ein paar ausgefahrene Spuren, die sich schnurgerade durch die eisige Tun dra zogen. Hin und wieder huschten sie an verstreu ten Vyorni-Siedlungen vorbei: seltsame nadelförmige Häuser, etwa zehn Meter hoch und unten nicht brei ter als vier Meter. Dann kamen sie wieder an endlo sen Äckern vorbei, wo seltsame Tiere den hartgefro renen Boden umwühlten und sie mit Augen ansahen, in denen eine spukhafte Weisheit schlummerte, als
wären sie intelligente Wesen, die die Vyorni versklavt hatten. Die Sonne war fast hinter dem grüngelben Hori zont verschwunden – Vyorns Tag dauerte nur etwa sechzehn galaktische Stunden –, als der Schlitten in dem Ort ankam, in dem Doveril sich aufhalten sollte. Sie hielten vor einem kuppelförmigen Gebäude. »Gehen Sie hinein«, befahl Catton. »Stellen Sie fest, ob Doveril da ist. Wenn ja, versuchen Sie, ihn zu mir herauszulocken.« Nuuri kletterte durch die Schleuse des Schlittens, während Catton mit einem kleinen Strahler in der Hand auf sie wartete. Nach fünf Minuten kam sie al lein zurück. »Nun?« »Er ist beim Raumhafen. Er beaufsichtigt das Bela den eines Schiffes.« »Anscheinend sind wir gerade noch rechtzeitig ge kommen.« Catton schaltete den Schlittenmotor wie der ein, und sie rasten die Straße hinunter. Der Raumhafen war ziemlich klein. Er befand sich ein paar Kilometer außerhalb des Städtchens. Catton sah nur drei Schiffe – zwei kleine Landungsboote mit Vyorni-Kennzeichen und ein größeres Schiff ohne In signien, das allein am Rande des Landungsfeldes stand und in der Dunkelheit im Licht von zwei Scheinwerfern glänzte. Ein Dutzend Vyorni gingen
zwischen dem Schiff und einem Ladeschuppen in der Nähe hin und her und schleppten Kisten in das Schiff. Eine Gestalt in einem Raumanzug stand in der offenen Luftschleuse und zählte die ins Schiff getra genen Kisten. »Soll ich zu ihm hinübergehen?« fragte Nuuri er regt. »Nein, warten Sie einen Augenblick. Sie sind an scheinend gerade mit dem Verladen fertig geworden.« Die Vyorni waren ein letztes Mal vom Schuppen zum Schiff gegangen und warteten jetzt dort. Der Mann im Raumanzug entließ sie. Die Ladeluke des großen Schiffes schloß sich. Der Mann im Raumanzug ging auf das Verwaltungsge bäude am Rande des Feldes zu. »Jetzt«, sagte Catton. »Gehen Sie hinüber und spre chen Sie mit ihm. Ich habe mein Radiogerät auf Ihre Wellenlänge eingestellt.« Nuuri rannte quer über die Piste auf den Mann zu. Catton kauerte im Schlitten und blickte ihr nach. Er hörte sie rufen: »Doveril! Doveril!« Der Mann blieb stehen. Er erkannte sie sofort. »Was machst du denn hier, Nuuri?« »Ich – ich habe dich gesucht, Doveril.« »Du bist mir bis nach Vyorn gefolgt? Woher hast du gewußt, daß ich hier bin?« fragte Doveril mißtrau isch. »Wer hat dich hergeschickt?«
»Beryaal«, sagte sie gelassen. »Ich habe einen Brief von ihm für dich.« »Was hast denn du mit Beryaal zu tun?« »Ich arbeite für ihn«, sagte Nuuri. »Komm mit zum Schlitten, ich habe den Brief dort.« »Ich warte hier«, sagte Doveril vorsichtig. »Bring den Brief her.« »Nein, komm mit mir.« »Du sollst ihn holen, hab ich gesagt.« Catton kauerte hinter dem Sitz des Schlittens und wagte nicht zu atmen. Doveril witterte eine Falle. Der ehemalige Musiklehrer war wirklich ein gerissener und mißtrauischer Bursche! Nuuri drehte sich um und kam allein zum Schlitten zurück. Sie beugte sich über Catton und schaltete ihr Radio ab. Sie legte ihren Helm an den seinen und sag te: »Geben Sie mir eine Waffe; er will nicht kommen.« Catton gab ihr seinen zweiten Strahler. »Hier, aber schießen Sie nicht. Ich will ihn lebendig haben.« Sie nahm die Waffe, ohne eine Antwort zu geben, und ging zurück, auf Doveril zu. Catton konnte in seinem Radioempfänger hören, was sie sagte: »Hier ist der Brief, Doveril.« Sie hob die Faust, aus der die Mündung des kleinen Strahlers hervorragte. »Jetzt ist es aus mit dir. Ich weiß von dem Erdmäd chen Estil. Ich weiß, wie du mich betrogen hast, und
ich weiß, wie du mich verlassen hast. Und jetzt ist die Zeit der Rache gekommen, Doveril!« »Nuuri, du bist verrückt! Du ...« Ein purpurner Lichtballen zuckte aus Nuuris Hand. Aber Doveril hatte schon einen Satz gemacht, um ihrem Schuß zu entgehen. Der Energiestrahl zischte wirkungslos über seine Schulter. Ehe Nuuri ein zweites Mal schießen konnte, hatte Doveril sie zu Boden geworfen, und seine Hand griff nach dem Strahler, den sie immer noch fest umklammert hielt. Catton fluchte. Das Mädchen hatte ihm natürlich nicht gehorcht. Er warf die Luke des Schlittens zu und rannte auf die beiden zu, die sich in einem Knäuel am Boden herumbalgten. Und dann riß Doveril ihr die Waffe aus der Hand und hielt das Mädchen wie einen Schild vor sich. »Werfen Sie die Waffe weg, Erdmann, oder ich er schieße das Mädchen«, drohte er. Sie standen sich im Abstand von zwanzig Metern gegenüber. Wenn Doveril schießen wollte, konnte er den Erdmenschen leicht töten. Aber Doveril ging langsam rückwärts auf das Schiff zu. Catton sah, wie sich die Lippen des Morilaru be wegten, aber Doveril sprach auf einer anderen Wellen länge. Nuuri schrie: »Ich höre, was er sagt, Catton! Er befiehlt der Mannschaft, das Schiff startfertig zu ma chen. Erschießen Sie ihn, Catton! Erschießen Sie ihn!«
Catton blieb stehen, und Doveril sagte kühl: »Dann bringen Sie Nuuri auch um, Erdmann!« »Ich will überhaupt niemand erschießen. Ich will nur verhindern, daß dieses Schiff startet.« Doveril lachte spöttisch. »Natürlich wollen Sie das, aber es wird leider nicht möglich sein.« Catton wog die Möglichkeiten gegeneinander ab. Doveril war nur etwa fünfzehn Meter von der offe nen Schleuse entfernt. Die Vyorni, die die Ladung verstaut hatten, standen in einer Reihe am Rande des Raumhafens und zeigten nicht das geringste Interes se. Doveril war jetzt an der Schleuse angekommen. Plötzlich warf sich Nuuri herum und schlug mit bei den Händen nach seinem Helm, als ob sie ihn zer schmettern wollte. Doveril versuchte sie wegzusto ßen. Catton schoß, aber sein Schuß verfehlte das Ziel. Den Bruchteil einer Sekunde später spie auch Dove rils Strahler. Nuuri rannte direkt in den Energiestrahl, der sie zur Seite schleuderte. Catton schoß ein zweites Mal. Der Schuß traf Doverils Hüfte und riß den Schutzanzug auf. Der Morilaru brüllte vor Schmerz. Catton rannte vor und kniete neben Nuuri nieder. Der Strahl hatte ihren Anzug an der Schulter aufge rissen. Sie lebte noch. »Haben – Sie – ihn – getroffen?« fragte sie mit brechender Stimme.
»Ja.« »Gut. Danke Erdmann!« Sie wollte die Augen schließen. Er packte sie. »Nuuri. Das Geheimnis der Hypnosteine – sagen Sie es mir!« Sie lachte hysterisch. »Sie werden auf Skorg ge macht, Erdmann. Ich – habe Sie auf einen ziemlich langen Umweg geführt, nicht? Schade.« Sie war tot. Die Luftschleuse des wartenden Schif fes knallte zu. Eine Sirene heulte. Das Schiff bereitete sich zum Start vor. Die Vyorni standen unbeeindruckt beim Verwal tungsgebäude. Catton winkte mit dem Strahler einem Skorg zu. »Sprechen Sie Vyorni?« »Ja.« »Bringen Sie mich zum Platzkommandanten.« Der Skorg gehorchte wortlos, als er den Strahler sah. Er führte Catton einen Korridor entlang, dann einen Gravitationslift hinauf, bis zur Spitze des Ge bäudes. Sie traten ein. Drei Vyorni sahen Catton fra gend an. Er warf einen schnellen Blick auf den Bildschirm, mit dem das Feld überwacht wurde. Das Schiff drau ßen hatte seine Finnen eingezogen und hob gerade die Landestützen. In wenigen paar Sekunden würde es starten. Catton fuhr den Skorg an: »Sagen Sie ih nen, sie dürfen das graue Schiff nicht starten lassen.
Sie müssen die Starterlaubnis zurückziehen und die Steuerung des Schiffes blockieren.« Ein einfacher Radioblock würde genügen, um das Schiff bewegungsunfähig zu machen. Der Skorg übersetzte Cattons Aufforderung gehorsam und er hielt eine kurze, unfreundliche Antwort von einem der Vyorni. »Sie weigern sich«, sagte der Skorg. »Sie wollen mit den Streitigkeiten anderer Wesen nichts zu tun haben.« »Aber das ist nicht einfach eine Streitigkeit! Wissen Sie, welche Ladung dieses Schiff an Bord hat? Wenn ...« Catton drohte dem völlig unbeeindruckten Vyorni mit dem Strahler. »Sagen Sie ihnen, daß ich sie er schieße, wenn sie den Start des Schiffes nicht verhin dern«, sagte er zu dem Skorg. »Sie wollen nicht hören«, gab der zur Antwort. Der Skorg schien recht zu haben. Die Vyorni fürch teten seinen Strahler nicht. Und jetzt war es zu spät, etwas zu unternehmen. Draußen auf der Piste erhob sich das Schiff auf einem unerträglich hellen Flam menstrahl und verkohlte die Körper von Nuuri und Doveril. Einen Augenblick später war es am Himmel verschwunden – und mit ihm seine gefährliche Fracht von Materieverdopplern, die für die Erde bestimmt waren.
16
Als Catton etwa zwei Stunden später die Durchsu chung von Doverils Wohnung beendet hatte, war die Nacht hereingebrochen. Er wollte die dreihundert Ki lometer lange Nachtfahrt nicht mit dem fremden Fahrzeug machen, und so blieb er in der Wohnung des Toten und beschloß, erst am nächsten Morgen mit dem Düsenschlitten zurückzufahren. Die Vyorni kümmerten sich überhaupt nicht um ihn. Sauerstoffatmer durften sich auf Vyorn gegensei tig umbringen, wie sie gerade Lust hatten; den Vyor ni war das völlig gleichgültig. Catton war mit dem Ergebnis seiner Reise nicht ganz zufrieden. Nuuri, die ihm vielleicht noch gute Dienste hätte leisten können, war tot, und Doveril, den Catton sehr gern lebendig gefangen hätte, war auch tot. Kein Molekül ihrer Körper hatte den Flam menstrahl des Raketenauspuffs überstanden. Nuuri hatte ihn hereingelegt. Sie hatte ihm von Anfang an nicht helfen wollen, sondern hatte ihn nur dazu be nutzt, mit seiner Hilfe Doveril zu finden, um dann selbst ihre Rache an ihm auszuüben. Ob wohl ihre letzte Behauptung stimmte, daß Skorg der Her kunftsplanet der Hypnosteine war? War das wieder eine ihrer Lügen? Oder hatte sie die Wahrheit gesagt
und ihn nur von Skorg weggelockt, um sich an Dove ril zu rächen? Und das Schlimmste von allem: das Schiff war ent kommen. Schriftstücke, die er in Doverils Zimmer ge funden hatte, bewiesen, daß das Schiff eine Ladung von eintausend auf Vyorn gebauten Materieverdopp lern an Bord hatte. Es war sehr leicht, solche Geräte herzustellen, man brauchte dazu nur zwei Exempla re, der Rest wurde von diesen beiden Mustern selbst hergestellt. Jetzt befanden sie sich unterwegs nach Morilar, und von dort sollten sie zur Erde weiterver frachtet werden. Der Frachter würde etwa einen Mo nat nach Morilar unterwegs sein, also würde Catton etwa zur gleichen Zeit dort ankommen. Und dann – Und dann würde die Krise kommen. Catton wußte, daß er das Schiff aufhalten mußte, bevor es zur Erde abflog. Wenn es einmal in die unendlichen Weiten des Pararaums eingetaucht war, würde er es be stimmt nicht mehr finden. Die Materieverdoppler würden ihr Ziel erreichen, und eines Tages würden tausend Kisten an Fall schirmen langsam zu Boden sinken, und tausend Ma terieverdoppler würden auf der Erde landen. Vielleicht überstand die Hälfte die Landung nicht – würde vielleicht ins Meer fallen oder auf unzugängli chen Berggipfeln zerschellen. Aber wenn nur ein ge ringer Teil Männern in die Hände fiel, die gerissen
genug waren, um den Wert der Apparate zu erken nen, und gewissenlos genug, sich nicht darum zu kümmern, welche Gefahr sie für die Menschheit dar stellten, dann würde Beryaals Rechnung aufgehen. Catton wußte, daß er jetzt ganz auf sich allein ge stellt war. Die Interstellare Polizeikommission würde keinen Finger rühren, um ihm zu helfen, denn dort war Beryaal der unumschränkte Herr. Eine Warnung an die Erde war riskant; der Funkspruch konnte auf gefangen werden, denn Subradiostrahlen waren leicht feststellbar, und er wollte auf jeden Fall ver meiden, daß die Verschwörung in der ganzen Galaxis bekannt wurde. Er fuhr allein durch die windzerzauste Steppe zu rück. Der Skorg, dem der Schlitten gehörte, machte eine dunkle Andeutung wegen der jungen Dame, die Catton doch auf dem Hinweg begleitet hätte, aber Catton funkelte ihn nur wütend an und ließ sich die Pfandsumme zurückgeben. Die Pendelrakete VyornHennim flog am nächsten Morgen ab, und sechs Stunden später befand er sich in Hennim. Noch am gleichen Abend verließ er Hennim mit einem Trans portschiff in Richtung Dirlak. Die Rückreise nach Skorg schien eine Ewigkeit zu dauern. Von Dirlak nach Tharrimar, und von Tharri mar schließlich nach Skorg. Catton landete achtzehn Tage nach seinem Abflug von Vyorn in Skorgaar, die
Rückreise war kürzer gewesen als der Flug in umge kehrter Richtung. Das Schiff mit den Materiever dopplern mußte, wie aus den Schriftstücken hervor ging, die er in Doverils Zimmer gefunden hatte, noch etwa acht Flugtage von Morilar entfernt sein. Catton suchte sofort Estil Seemans Hotel auf. Das Erdmädchen schien überrascht zu sein, ihn zu sehen. Sie hielt die Tür halb geschlossen, als wolle sie je mand verbergen. »Oh –, Sie sind zurück?« »Ja. Darf ich hereinkommen?« »Ich – es wäre mir lieber, wenn Sie nicht eintreten würden. Ich – habe Besuch.« Catton reagierte nicht darauf und stieß die Tür auf. Ein Morilaru stand in einer Ecke und zog gerade sein Messer aus dem Gürtel. Catton machte einen Satz und schlug ihm den Dolch aus der Hand und schmetterte den Morilaru mit einem wohlgezielten Faustschlag zu Boden. Dann weiteten sich seine Augen erstaunt. »Sie – Sie sind Gonnimor Cleeren, der Freund von Doveril!« Der Morilaru nickte, und Catton sagte: »Aber Sie sind doch von Beryaal zu Tode gefoltert worden? Wenigstens hat er das gesagt.« Der Morilaru zuckte die Achseln. Catton riß ihn vom Boden hoch. Dann sagte er zu Estil: »Was will der Kerl hier?«
»Er h – hat mich im Restaurant gesehen«, sagte das Mädchen verwirrt. »Er war mit Doveril befreundet und sagte, er wollte mich sprechen.« Der Morilaru zitterte vor Angst. »Beryaal hat Sie also freigelassen, nicht wahr?« fragte Catton scharf. »Ja«, murmelte Cleeren. »Er hat mich nach der Verhaftung freigelassen.« »Und warum sind Sie jetzt hier in Skorgaar? Was wollen Sie hier?« Der Fremde gab keine Antwort. »Schließen Sie die Tür ab«, sagte Catton zu Estil gewandt. »Und drehen Sie sich um.« »Was wollen Sie mit ihm machen?« »Kümmern Sie sich nicht darum«, herrschte Catton sie an. Er packte den zu Tode erschrockenen Morilaru an der Kehle und sagte ruhig: »Ich gebe Ihnen sechzig Sekunden Zeit, um mir al les zu sagen, was Sie über Beryaal und über die Hyp nojuwelen wissen. Sicher werden Sie reden, denn für solche Fälle habe ich ein paar wirksame Mittelchen, die ...« »Barbar!« »Ganz richtig«, sagte Catton gelassen. »Jetzt steht zuviel auf dem Spiel, als daß ich es mir noch leisten könnte, mit Ihnen Zeit zu verschwenden. Also reden Sie!«
Er sah auf die Uhr. Der Fremde schwieg dreißig Sekunden – vierzig – fünfzig. Catton trat einen Schritt auf ihn zu und hob die Hände. »Nein, nein!« schrie Cleeren. »Schön. Dann reden Sie!« »Was wollen Sie wissen?« »Wo werden die Hypnosteine gemacht?« »Hier auf Skorg«, wimmerte Cleeren. »Außerhalb Skorgaar ist eine Fabrik. Sie ist als Spielzeugfabrik ge tarnt. Die Polizei kümmert sich nicht darum.« »Wie werden die Steine hergestellt?« »Sie werden maschinell gefertigt. Es ist ein sehr komplizierter Vorgang – ungeheure Hitze, großer Druck. Ich verstehe die Einzelheiten nicht.« »Und wer ist der Chef der Bande?« Cleeren schwieg, und erneut trat Catton einen Schritt näher. Er stand jetzt unmittelbar vor dem Fremden, und das Funkeln in seinen Augen ließ kei ne Gnade erwarten. Der Fremde schrie: »Nicht! Nicht! Beryaal und eMerikh. Sie haben den ganzen Hypno steinhandel unter sich. Und sie unterdrücken jedes Beweisstück, durch das der Verdacht auf sie fallen könnte, denn sie sind ja zugleich die Chefs der Inter stellaren Polizeikommission.« »Sehr klug«, bemerkte Catton. Es stimmte mit dem überein, was er schon von Nuuri gehört hatte. »Das hat Beryaal sich ja wirklich hübsch ausgedacht.
Wahrscheinlich finanziert er mit dem Erlös aus dem Hypnosteinverkauf die Materieverdoppler der Vyor ni.« »Nein«, widersprach Cleeren. »Er hat die Vyorni direkt mit Hypnosteinen bezahlt.« »Was?« »Hypnojuwelen können nicht in Materieverdopp lern vervielfältigt werden, es liegt irgendwie an der Molekularstruktur. Und die Vyorni brauchen die Steine für Schmuckzwecke; auf sie haben die Steine keine Wirkung.« Catton nickte. Er wußte jetzt alles, was er wissen mußte. Beryaal und eMerikh gleichzeitig Chefs des Hypnosteinhandels und der Polizeiorganisation, die ihn bekämpfte. Hypnosteine als Bezahlung für die Materieverdoppler von Vyorn. Und eine Schiffsla dung dieser teuflischen Apparate zur Erde unter wegs! Er wandte sich zu Estil. »So, Sie können sich jetzt umdrehen. Ich werde ihm nichts tun.« Das Mädchen war bleich. »H – haben Sie Doveril auf Vyorn gefunden?« Catton nickte. »Er ist tot.« »Tot?« fragte sie leise. »Er tut Ihnen doch nicht etwa leid?« »Ich – ich habe ihn einmal geliebt«, sagte sie. Sie sah sehr niedergeschlagen und bedrückt aus.
Catton schüttelte den Kopf. »Machen Sie sich jetzt wegen Doveril keine Gedan ken. Packen Sie lieber Ihre Sachen. Ich werde unseren Freund hier im Gefängnis abliefern, und dann fahren wir beide zum Raumhafen. Wir reisen noch heute nach Morilar ab.«
17
Die Reise dauerte sieben Tage. Nach Cattons Berech nungen mußte das Frachtschiff von Vyorn einen Tag nach ihnen ankommen. Es mußte jetzt alles zeitlich sehr genau abgestimmt werden. Das Mädchen hatte Angst vor dem Empfang zu Hause. Catton beruhigte sie. »Ihr Vater ist sehr leicht zu beeinflussen – das wissen Sie ja selbst. Wir werden ihm sagen, daß Doveril Sie entführt und Ihnen den Brief diktiert hat. Er wird es Ihnen schon glauben.« Am siebten Tag landete das Raumschiff planmäßig auf Morilar. Catton rief vom Raumhafen aus die Ge sandtschaft an und bestellte einen Wagen, ohne je doch zu sagen, daß das Mädchen bei ihm war. Als sie in der Gesandtschaft ankamen, führte er sie zum Bü ro Seemans und ließ sie vor der Tür warten. Der Gesandte sah wie ein Gespenst aus. Er hatte bestimmt dreißig Pfund abgenommen. Sein Gesicht war bleich. Er mußte furchtbar unter Estils Flucht ge litten haben. »Ich habe schon geglaubt, wir würden uns nicht mehr wiedersehen«, sagte Seeman. »Nach dieser ent setzlichen Raumschiffkatastrophe – wir haben wo chenlang geglaubt, Sie wären tot. Und dann erfuhren wir, daß Sie doch durchgekommen sind –«
»Weiß die Erde, daß ich am Leben bin?« »Natürlich. Wir haben sofort einen Subradiospruch durchgegeben, als Sie als vermißt gemeldet wurden, und einen zweiten, als sich herausstellte, daß Sie doch am Leben waren.« »Habe ich in den letzten drei Monaten irgend et was Wichtiges versäumt?« Der Gesandte zuckte die Achseln. »Nicht viel. Es ist so ziemlich alles beim Alten geblieben.« Catton lächelte. »Nicht ganz. Ich habe eine Überra schung für Sie, Mr. Seeman. Würden Sie mich bitte einen Augenblick entschuldigen?« Er ging hinaus, ehe der andere fragen konnte, was los sei. Estil wartete immer noch draußen auf dem Gang. »Gehen Sie hinein«, sagte Catton zu ihr. »Er erwartet Sie nicht; seien Sie also darauf vorbereitet, daß er ziemlich erschrickt.« »Sie haben nichts zu ihm gesagt?« »Nur daß ich eine Überraschung für ihn hätte. Sonst nichts. Denken Sie daran: Doveril hat Sie ent führt. Er hat Sie gezwungen, den bewußten Brief zu schreiben. Kapiert?« »Kommen Sie nicht mit?« Catton schüttelte den Kopf. »Ich habe dabei nichts verloren. Und ich will auch nicht dabeisein, wenn das Weinen und Jammern losgeht. Ich möchte nicht zu sehen, wenn ein Mann wie Ihr Vater weint.«
Das Mädchen lächelte ihm scheu zu. Sie stand zö gernd vor der Tür und konnte sich nicht recht ent schließen, den entscheidenden Schritt zu tun. Da gab Catton ihr einen kleinen Schubs und eilte die Treppe hinauf in sein eigenes Zimmer im fünften Stock. Es war schon spät am Nachmittag. Morgen, wahr scheinlich gegen Mittag, würde das Schiff im Raum hafen von Dyelleran landen. Es würde nicht lange im Hafen bleiben – nicht länger als nötig war, und nur damit Beryaal oder einer seiner Agenten sich davon überzeugen konnte, daß es die richtige Ladung an Bord hatte. Dann würde es seine Reise zur Erde fort setzen. Catton sah, daß er sich in einer schwierigen Lage befand. Als Mitglied der Interstellaren Polizeikom mission hatte er das Recht, jedes Schiff, das in Morilar startete oder landete, auf Konterbande zu durchsu chen. Aber Beryaal als Leiter der Kommission konnte es ihm verbieten. Und er würde in diesem Falle höchstwahrscheinlich dafür Sorge tragen, daß kein Beamter des Raumhafens im Laderaum des Schiffes herumschnüffelte. Catton griff nach dem Bildtelefon, drückte die Nummer des Raumhafens und verlangte den Leiter des dortigen Zollamtes zu sprechen. Ein paar Sekun den später erschien das Gesicht eines älteren Morila ru auf dem Schirm.
»Ja?« »Hier ist Lloyd Catton von der Interstellaren Poli zeikommission. Können Sie mir eine Liste der Fracht schiffe geben, die morgen im Hafen von Dyelleran ankommen?« »Alle?« »Ich interessiere mich besonders für eines, das wahrscheinlich keinen Ursprungsplaneten angeben wird, oder es hat Vyorn angegeben.« »Vyorn, das ist nicht sehr wahrscheinlich, daran würde ich mich sicher erinnern. Aber warten Sie bitte einen Augenblick, ich will trotzdem nachsehen.« Der Schirm wurde ein paar Minuten dunkel, wäh rend der Beamte wahrscheinlich in einer anderen Dienststelle nachfragte. Dann tauchte sein Gesicht wieder auf. »Nein, morgen kommen keine Schiffe von Vyorn, Sir. Zwischen Vyorn und Morilar ist nicht sehr viel Verkehr.« »Ich weiß«, sagte Catton ungeduldig. »Landen morgen irgendwelche Schiffe ohne Angabe ihres Heimatplaneten?« Der Beamte überflog eine Liste, die Catton nicht sehen konnte. »Ach ja, ein Schiff kommt um zwölf Uhr acht. Kein Heimatplanet. Hier heißt es nur, daß es aus der Kullimonwolke kommt. Das könnte Ihr Schiff von Vyorn sein. Vyorn liegt in dieser Wolke.« Catton nickte. Nach dem Gesetz mußte ein landen
des Schiff seinen Heimatplaneten nicht angeben, ehe es die Zollkontrolle durchlief. Es brauchte lediglich anzugeben, aus welcher Sternwolke es kam. Er mußte es riskieren, aber wahrscheinlich war dieses Schiff das richtige. »Ich komme morgen zum Hafen hinaus und werde persönlich die Ladung des Schiffes untersuchen«, sagte er. »Ich möchte nicht, daß einer Ihrer Männer das Schiff betritt, ehe ich es mir angesehen habe.« »Jawohl, Sir.« »Und falls ich mich verspäten sollte, halten Sie das Schiff fest. Ich vermute nämlich, daß es Konterbande geladen hat. Weitere Anweisungen folgen morgen.« Catton verließ die Gesandtschaft früh am nächsten Morgen und ließ sich in einem Dienstwagen zum Raumhafen fahren. Die Morgenzeitungen kündigten in fetten Überschriften Estils Rückkehr an. Ihr über glücklicher Vater hatte die Geschichte von der Ent führung für die Presse freigegeben, hatte aber nicht viele Einzelheiten angegeben. Details würden viel leicht zeigen, daß die Geschichte ein paar schwache Punkte hatte, dachte Catton. Kurz vor Mittag kam er im Raumhafen an. Das Schiff von Vyorn würde in ein paar Minuten eintref fen. Er ging sofort zum Büro von Erwal Kriuin, mit dem er gestern schon am Bildschirm gesprochen hat te. Kriuin schien etwas überrascht zu sein, ihn hier zu
sehen. »Oh –, Kommissar Catton. Ich dachte nicht, daß Sie noch herauskommen würden.« »Warum denn nicht? Ich hatte doch gestern gesagt, daß ich heute herauskomme, um die Ladung des Schiffes von Vyorn zu inspizieren?« »Ja, natürlich, aber ich dachte, daß die neuen An weisungen, die ich von Kommissar Beryaal erhalten habe, Ihre Instruktionen hinfällig machen würden, und –« »Was für weitere Anweisungen von Beryaal?« Der Morilar war verwirrt. »Kurz nachdem Sie an gerufen hatten, rief er mich wegen des gleichen Schif fes an. Ich erklärte ihm, daß Sie mir schon mitgeteilt hätten, daß Sie das Schiff zu besichtigen wünschten, und darauf meinte er, daß das erledigt sei; er würde sich der Sache selbst annehmen. Da er Leiter der Kommission ist, dachte ich, Sie hätten mit ihm ge sprochen und würden heute nicht herauskommen.« Catton nickte, um den Redestrom des Beamten zum Versiegen zu bringen. »Da hat es also, wie ich sehe, ein Mißverständnis gegeben. Ist Beryaal schon hier?« »Ja, Sir. Er ist draußen auf der Piste und wartet auf die Ankunft des Schiffes.« »Und wann wird das der Fall sein?« Kriuin sah auf die Wanduhr. »In sechs Minuten, Kommissar Catton.«
»Ist Beryaal allein?« »Er hat ein paar Männer bei sich. Aber er hat mir aufgetragen, meine Inspektoren nicht zum Schiff zu schicken, bevor er nicht seine eigenen Untersuchun gen beendet hätte.« Cattons Gesichtszüge verdunkelten sich. Zweifellos waren die Leute bei Beryaal die Mannschaft, die das Schiff mit seiner gefährlichen Ladung zur Erde steu ern sollte. Beryaals Plan war ganz einfach: er würde die Ladung überprüfen, dann den Austausch der Mannschaften vornehmen und das Schiff auf die Rei se schicken. Kein Zollinspektor würde etwas einzu wenden haben, wenn Pouin Beryaal einmal ein Schiff zur Weiterreise freigegeben hatte. Ein offener Konflikt war unvermeidbar. Der raffi nierte Morilaru hatte sich so geschickt in Vertrauens stellungen eingeschlichen, daß es nahezu unmöglich schien, noch etwas gegen ihn auszurichten. Aber Cat ton mußte um der Erde willen den Versuch wagen. »Geben Sie mir eine Handkamera«, befahl er plötz lich. Kriuin wühlte in einem Schrank und brachte eine der pistolenförmigen Vidokameras zum Vorschein, die zur Ausrüstung eines Zollbeamten gehörten. Wenn ein Zollbeamter ein Schiff inspizierte, trug er immer eine der kleinen Kameras bei sich, die er auf jeden Gegenstand von Interesse richtete. Die Kamera
übertrug dann nicht nur das Bild auf einen besonde ren Bildschirm im Büro, wo andere Zollbeamte zuse hen konnten, sie nahm außerdem auch noch einen Film auf, der als dauerhaftes Beweismaterial aufbe wahrt werden konnte. Catton schraubte ruhig die Kamera auf und nahm das winzige »Auge«, das Herz der Kamera, heraus und schob es in die Tasche. Kriuin fragte verlegen. »Sir, ist es Ihnen bekannt, daß das Instrument nicht funktioniert, wenn die Bild röhre ...?« »Natürlich ist mir das bekannt«, sagte Catton ge reizt. Er wollte gar nicht, daß die Kamera funktionier te. Er wollte keine Beweise für die Szene, die sich im Frachtschiff abspielen würde – aber er wollte, daß Be ryaal und seine Leute glaubten, daß eine solche Auf zeichnung gemacht wurde. Ein paar Minuten später begannen die Sirenen zu heulen. Das Schiff landete. Ein Platz wurde auf der Piste frei gemacht, und das graue Schiff, dessen Start Catton auf Vyorn miterlebt hatte, senkte sich auf sei nem Flammenstrahl zu Boden. Nach fünf Minuten öffnete sich eine Luke, und die acht Personen umfas sende Mannschaft kletterte herunter. Gleichzeitig tra ten neun andere Gestalten auf das Raumfeld hinaus. Catton erkannte den Anführer der zweiten Gruppe an seiner Größe. Es war Pouin Beryaal.
Er wartete noch ein paar Minuten, dann prüfte er unter den entsetzten Blicken von Zollinspektor Kriuin die Ladung seines Strahlers, lächelte dem Zollbeam ten zu und verließ das Büro. Er ging die Treppe hin unter und näherte sich dem Haupteingang des Raumhafens. Ein Morilaru starrte ihn fragend an. Catton zeigte seinen Ausweis, der ihn als Mitglied der Polizei kommission legitimierte. »Ich inspiziere dieses Schiff.« »Selbstverständlich, Sir.« Der Posten salutierte und trat zur Seite. Die fünfhundert Meter bis zum Schiff erschienen ihm endlos. Endlich war er am Einstieg angekom men. Er kletterte hinauf und schwang sich ins Innere des Frachters. Beryaals Leute sahen ihn erstaunt an. »Was gibt's denn, Erdmann?« fragte ein hochge wachsener Morilaru. »Ich will die Ladung inspizieren. Möchte jemand meine Papiere sehen?« »Es wird nicht nötig sein, hier zu inspizieren, Cat ton«, sagte eine vertraute Stimme. Pouin Beryaal tauchte hinter einer Kabinentür auf. Seine kohl schwarzen Augen stachen wie Dolche nach Catton. »Ich habe die Inspektion hier selbst übernommen. Ich dachte, ich hätte dem Zollbeamten gesagt, Sie brauch ten sich gar nicht hierherzubemühen?«
Catton lächelte, um seine Erregung zu verbergen. »Ich dachte, ich könnte Ihnen helfen, Beryaal.« »Ich brauche keine Hilfe.« Der Erdmensch ließ die Handkamera sehen, die er bisher hinter seinem Rücken gehalten hatte. Er be wegte sie im Kreise und richtete sie dann auf Beryaal. »Sie haben doch sicherlich nichts dagegen«, sagte er gelassen, »wenn ich die Ladung untersuche – nur für unsere Akten.« Beryaals Gesichtsmuskeln zuckten. Der große Mo rilaru schien innerlich zu beben. Die Kamera hatte ihn in eine schwierige Lage gebracht. Wenn alles im Zollbüro auf Band aufgenommen wurde, konnte er Catton nicht gut daran hindern, die Ladung anzuse hen, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, daß man später unangenehme Fragen an ihn richtete. Und wenn Catton einmal anfing, die Ladung zu filmen, war alles verloren. Nach kurzer Überlegung knurrte Beryaal: »Das ist eine besondere Ladung. Legen Sie die Kamera weg, wir sehen uns die Ladung gemeinsam an.« »Warum soll ich die Kamera nicht mitnehmen?« »Weil es sich hier um eine Ladung handelt, die im Interesse der Kommission geheimbleiben soll. Wenn Sie die Kamera benützen, sehen die Leute im Zollbü ro alles, und in zehn Minuten weiß es die ganze Stadt. Ich bestehe auf Geheimhaltung.«
Jetzt kam Catton ins Schwitzen. Beryaals Argument war nicht schlecht. Aber wenn er die Kamera abschal tete und Beryaal seiner Mannschaft befahl, ihn außer Gefecht zu setzen – Er mußte es darauf ankommen lassen. Er schaltete die Kamera ab und steckte sie in die Tasche. »Kommen Sie«, sagte Beryaal. »Gehen wir in den Laderaum hinunter.« Sie fuhren zusammen in dem klapperigen Aufzug. Als sie unten angekommen waren, murmelte Beryaal: »Sie neugieriger Idiot, Sie glauben wohl, daß Sie le bend aus diesem Schiff herauskommen?« »Sie drohen mir?« fragte Catton mit gespielter Un schuld. »Wozu denn das, Beryaal?« Beryaal ließ den Strahl seiner Taschenlampe über eine Reihe von Kisten wandern. Hunderte von Ki sten, und in jeder steckte ein Materieduplikator. Cat ton hörte, wie der Aufzug wieder hinauffuhr. Wahr scheinlich hatte Beryaal schon den Befehl zum An griff gegeben. Die Mannschaft würde ihn im Dunkel des Laderaums überfallen. Beryaal lachte glucksend: »Sie glauben wohl, daß Hypnosteine in diesen Kisten sind, Erdmann?« »Keine Spur«, gab Catton gelassen zur Antwort. »Ich würde doch nicht mein Leben für einen Hypno stein riskieren, das wissen Sie genau. Sie haben tau send Materieduplikatoren an Bord dieses Schiffes. Ihr
Freund Doveril Halligon ist nach Vyorn geflogen und hat mit Hypnosteinen für diese Apparate bezahlt – kurz bevor ich ihn erwischt habe.« Beryaal keuchte: »Das – das wissen Sie?« »Ja, das weiß ich.« Der Aufzug kam ratternd wie der herunter, und in ihm Beryaals Mannschaft. Hatte Beryaal ihnen das Geheimnis anvertraut? Catton hät te es gern gewußt, denn davon hing jetzt alles ab. Der Erdmensch bückte sich und riß die Verpackung einer der Kisten auf. Beryaal wollte ihn daran hindern, aber war zu langsam. Catton riß den Deckel der Kiste auf. Innen lag, in eine Schicht von Plastikschaum ein gehüllt, ein kleiner Apparat. Catton lief es kalt über den Rücken, als er so zum erstenmal in seinem Leben einen Materieverdoppler vor Augen hatte. »Auf ihn«, murmelte Beryaal. Der Erdmensch richtete sich sofort auf, riß die Handkamera aus der Tasche und richtete sie wie eine Pistole auf die Männer, die sich gerade, mit Ladeäx ten bewaffnet, auf ihn stürzen wollten. »Stehenbleiben!« brüllte Catton. »Das hier ist eine Kamera. Sie überträgt Bilder, die ich aufnehme, ins Zollbüro. Und wenn mich einer anrührt, dann haben die Zollbeamten damit den besten Beweis, wer mich umgebracht hat.« »Glaubt ihm nicht«, sagte Beryaal drohend. »Ich befehle euch, greift ihn an.«
Aber die Männer blieben unschlüssig stehen. Cat ton nützte ihre Unentschlossenheit aus. »Er will euch nur in Schwierigkeiten bringen«, sagte er. »Er will, daß ihr mich angreift, obwohl ich eine Kamera habe. Aber das ist ihm egal. Wißt ihr, was für eine Ladung ihr an Bord habt?« Er packte den Materieverdoppler und hielt ihn hoch. »Wißt ihr, was das ist? Ein Mate rieduplikator! Ihr sollt die Dinger über der Erde ab werfen. Aber die Todesstrafe steht auf dem Besitz ei nes Materieverdopplers – und zwar auf jeder Welt. Und euer Anführer will, daß ihr sie abwerft.« Beryaal stieß einen unartikulierten Wutschrei aus. Er schlug Catton die Kamera aus der Hand. Die Ma trosen waren noch zu verwirrt, um Partei zu ergrei fen. Offenbar hatte ihnen Beryaal irgendein Märchen über die Ladung erzählt, und sie hatten gar keine Ahnung, was für eine tödliche Fracht sie wirklich transportieren sollten. Catton griff nach seinem Strahler, aber Beryaal schlug ihm die Waffe aus der Hand, und sie glitt hin ter einen Kistenstapel. Der Morilaru keuchte vor Wut. Seine langen Spinnenarme griffen nach Catton, um ihn an sich zu pressen und zu ersticken. Der Morilaru war etwa zehn Zentimeter größer als Catton, aber er war dünn und schmal und bestimmt wesentlich leichter als der Erdmann. Cattons Fäuste trommelten auf Beryaals Brust, und der Morilaru lok
kerte stöhnend seinen Griff. Seine Finger wollten Cat ton in die Augen fahren, aber der Erdmensch konnte sich gerade noch rechtzeitig bücken und trieb jetzt seinerseits Beryaal mit schmetternden Faustschlägen gegen die Wand. Beryaal schrie um Hilfe. Aber die Männer starrten auf die beiden Kämpfenden, ohne sich von der Stelle zu rühren. Cattons Faustschläge prasselten auf den Morilaru herein, und dann packte der Erdmann Be ryaal an der Kehle. Mit der anderen Faust schmetterte er Schlag auf Schlag ins Gesicht des Morilaru. Plötzlich gelang es Beryaal, sich loszureißen, er riß einem der Matrosen ein Beil aus der Hand und schwang es in weitem Bogen. Catton machte einen Schritt zur Seite und schlug Beryaal die Faust auf den Hinterkopf, worauf dieser wie vom Blitz gefällt zu sammenbrach. Augenblicke später erhob er sich tor kelnd wieder und setzte zum neuen Angriff an, aber inzwischen hatte Catton die Axt aufgehoben und hielt sie so, daß Beryaal mit voller Wucht hineinrann te. Das Blut kam stoßweise aus seiner Brust. Er brach zusammen und blieb quer über einer Kiste liegen. Catton atmete tief und fragte: »Wer von euch ist der Navigator?« »Ich«, sagte ein schlanker, muskulöser Morilaru. »Gut. Sie warten hier.« Zu den anderen sagte der
Erdmann: »Ihr könnt gehen. Meldet euch bei der Ha fenpolizei.« Er hob die zu Boden gefallene Kamera auf und machte sie gebrauchsfertig, indem er das »Auge« einsetzte. Er richtete sie auf die Matrosen. »Ich schicke diese Männer hinaus. Lassen Sie sie fest nehmen«, sagte er zu den Zollbeamten, die draußen am Bildschirm warteten. Er schaltete die Kamera ab. Die Männer drängten sich in den Lift und fuhren hinauf. Dann wandte sich Catton wieder dem verängstigten Navigator zu. »Wissen Sie, wie man eine automatische Bahn be rechnet?« »Natürlich.« »Gut. Dann gehen Sie in die Steuerkanzel und er rechnen eine Bahn, die das Schiff direkt in die Sonne lenkt.« »Was?« »Sie haben mich schon richtig verstanden. Keine Sorge – keiner von uns beiden wird an Bord sein, wenn das Schiff startet.« Catton folgte dem Mann in die Kanzel und sah ihm zu, wie er die Bahn zur Sonne auf dem Robotpiloten einstellte. Er ließ ihn die Bahn auf dem Bildschirm des Bahnrechners sichtbar machen und überzeugte sich selbst davon, daß sie in Morilars Sonne endete. »Gut. Und jetzt rufen Sie den Kontrollraum an und lassen sich die Startfreigabe erteilen«, befahl Catton.
Das war die beste Lösung. Wenn es sich um Mate rieverdoppler handelte, war es durchaus gerechtfer tigt, das Beweismaterial zu vernichten. Und schließ lich war seine ganze Mission ja inoffiziell gewesen. So würden wenigstens die Materieverdoppler vernichtet werden. Die tödliche Ladung würde weder in terra nische noch in fremde Hände fallen, und das war gut so. Eine Gesellschaftsform, die auf dem freien Handel aufgebaut war, konnte einfach nicht dulden, daß Ma terie verdoppelt und somit gleichsam aus dem Nichts geschaffen wurde, wodurch Reichtümer ohne das Zu tun eines Menschen geschaffen wurden. Die Startfreigabe kam. »Kommen Sie«, befahl Cat ton. »Schalten Sie den Autopiloten ein, und dann se hen wir zu, daß wir hier herauskommen.« Sie gingen über das Landefeld, während die Se kunden verstrichen. Eine Kleinigkeit mußte er noch erledigen, überlegte Catton. Die Matrosen müßten ei nen hypnotischen Block bekommen, der ihnen jede Erinnerung an das Vorgefallene nahm. Dann konnte er zur Erde zurückkehren und seinen Bericht schreiben. Gefahr beseitigt – aber der Feind blieb. Die Erde würde keine formelle Klage erheben. Die Krise war inoffiziell beigelegt worden. Jetzt, da Beryaal nicht länger den Lauf der Gerechtigkeit hin dern konnte, würde man die illegale Hypnojuwelen fabrik auf Skorg ausheben. Die Regierung von Skorg
konnte es sich nicht leisten, sich offiziell hinter solche Umtriebe zu stellen. Und dann mußte ein Spionage netz auf Vyorn errichtet werden, um weitere Exporte von Materieduplikatoren und von ähnlich gefährli chen Apparaten zu verhindern. Die Erde mußte wei terhin vor den Beryaals und eMerikhs auf der Hut sein, die ihre Vernichtung planten. Und das bedeute te, daß es für Catton noch genug zu tun gab. Ein donnerndes Krachen ließ ihn herumfahren. Er schirmte die Augen gegen den grellen Flammenschein aus der Düse des Schiffes ab. Der Frachter hob von der Piste ab und stürmte, immer schneller wer dend, in den Himmel. Er führte seine verderbenbrin gende Fracht und den toten Passagier dem feurigen Grab im Herzen der Sonne Morilars entgegen. Catton lächelte. Seine Mission auf Morilar war beendet.