Verführung in Dallas Arlene James
Nach ihrer geplatzten Verlobung ist die junge Lehrerin Caroline Gentry heilfroh, ihre...
12 downloads
310 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Verführung in Dallas Arlene James
Nach ihrer geplatzten Verlobung ist die junge Lehrerin Caroline Gentry heilfroh, ihrer Heimatstadt den Rücken kehren zu können, um auf der Farm des Ölmagnaten Garrett Dean eine neue Stellung anzutreten. Die erhoffte Ruhe findet Caroline dort allerdings nicht – dazu ist der heftige Flirt, den ihr ebenso attraktiver wie selbstbewußter Chef mit ihr beginnt, viel zu aufregend…
© by Arlene James unter dem Originaltitel: „City Girl“ erschienen bei Silhouette Books, a Simon & Schuster Division of Gulf & Western Corporation, New York. Übersetzung: Susann Gartell © Deutsche Erstausgabe in der Reihe NATALIE Band 63 (14 1), 1983 by CORA VERLAG GMBH & Co, Berlin Alle Rechte vorbehalten. NATALIERomane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Satz: Axel Springer Verlag AG, Kettwig Druck: Ebner Ulm Printed in Western Germany
1. KAPITEL Caroline wirkte noch kleiner und zierlicher als gewöhnlich in dem großen Ledersessel in Mr. Gromans Kanzlei. Sie versank fast darin, und unwillkürlich erinnerte sie sich an ihren ersten Besuch bei Mr. Groman mit ihrer Tante Judith. Damals war sie fast noch ein Kind gewesen. In dem breiten Sessel war sie sich wie verloren vorgekommen, und mit ihren schwarzen Lackschuhen hatte sie noch nicht einmal den Boden berühren können. Mr. Groman war an jenem Morgen völlig außer Atem. Als erstes hatte er sich wortreich für seine Verspätung entschuldigt. Dann hatte er Caroline über den Rand seiner Brille hinweg ein wohlwollendes Lächeln zugeworfen und ihr die Hand geschüttelt. Er war ihr schon damals gleich sympathisch gewesen und obwohl sie später eigentlich immer nur über geschäftliche Angelegenheiten gesprochen hatten, verspürte Caroline auch gefühlsmäßig großes Vertrauen zu ihm. Ihr heutiges Anliegen lag ihr besonders schwer auf der Seele. Sie hatte nämlich vor, den Anwalt zu bitten, sie mit dem genauen Inhalt des Testaments ihrer Tante bekanntzumachen. Tante Judith war vor einem Monat nach einer schweren, mit großer Geduld ertragenen Krankheit gestorben. Jetzt mußte Caroline sich selbständig machen, und brauchte dafür ein Startkapital. Sie war die einzige Erbin. Außer ihr gab es keine anderen noch lebenden Verwandten mehr. Caroline hoffte sehr, daß es ihr gelingen würde, Mr. Groman von ihren Plänen zu überzeugen. Sie mußte einfach fort von Dallas, und zwar so schnell wie möglich! Plötzlich hielt sie das Warten nicht mehr länger aus. Sie sprang auf und begann unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen. Während der letzten Jahre hatte sich hier nichts verändert. Die holzgetäfelten Wände und die schweren, gediegenen Eichenmöbel zeigten Wohlstand und sicheren Geschmack. Die dunkelgrünen Samtvorhänge waren zurückgezogen und gaben den Blick frei auf die eindrucksvolle Silhouette von Dallas. Seit ihrer Kindheit war ihr diese Umgebung vertraut. Selbst Mr. Groman hatte sich kaum verändert. Nur sie, Caroline, war nicht mehr das schüchterne junge Mädchen, das dem Gesprächspartner ihrer Tante Judith mit großen Augen gelauscht hatte. Sie war jetzt zweiundzwanzig und für sich selbst verantwortlich. Zwar wäre sie gern ein paar Zentimeter größer gewesen, im übrigen war sie aber mit ihrem Aussehen recht zufrieden. Ihr schmales, ebenmäßig geformtes Gesicht wurde von kastanienbraunem Haar umrahmt, das sie nur selten offen trug. Für ihren jetzigen Besuch hatte Caroline ein sehr elegantes beigefarbenes Kostüm gewählt, zu dem sie eine passende Bluse und eine Goldkette trug. Ihre Schuhe mit hohen Absätzen ließen sie größer erscheinen. Beim Schminken hatte sie sich ebenfalls große Mühe gegeben. Stirnrunzelnd blickte sie jetzt auf ihre kleine Armbanduhr. Mr. Groman hatte sich schon wieder verspätet. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Ungeduld zu zügeln. Denn sie wußte, daß er ein vielbeschäftigter Mann war. Er konnte nur schwer jemanden seine Hilfe verweigern. Infolgedessen war es ihm nicht immer möglich, seine Termine pünktlich einzuhalten. Seitdem ihre Eltern vor einigen Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen waren, hatte sich Mr. Groman um Carolines finanzielle Angelegenheiten gekümmert. Nachdem Caroline zu ihrer Tante Judith gezogen war, war es ihm gelungen, das Anwesen ihrer Eltern zu einem sehr guten Preis zu veräußern. Auf diese Weise ermöglichte er Caroline im Hause ihrer Tante ein ziemlich sorgenfreies Leben. Es war eine schöne Villa aus den zwanziger Jahren
mit einem Garten. Caroline liebte dieses Haus, das von zwei mächtigen Eichen umrahmt war. Sie hatte dort eine sehr schöne Zeit verbracht. Es war ein sehr beruhigendes Gefühl gewesen, sich immer an Mr. Groman wenden zu können, falls Schwierigkeiten auftraten. Eines Tages wurde das junge Mädchen jedoch vom Schicksal getroffen. Ihre Tante wurde plötzlich krank, und die Arztrechnungen häuften sich. Wieder war es Mr. Groman, der sie beriet, was zu tun war. Er half ihr auch dabei, eine möglichst günstige Hypothek auf das Haus aufzunehmen, als es keine andere Lösung mehr gab. Davon durfte ihre Tante natürlich nichts wissen. Caroline hatte dabei immer gehofft, daß alle finanziellen Sorgen beim Antritt ihres Erbes vorbei sein würden. Deshalb war sie heute zu Mr. Groman gekommen. Sie brauchte dringend seinen Rat. Auch noch etwas anderes beunruhigte sie. Es machte ihr nämlich nichts aus, nach dem Geld ihrer Tante zu fragen. Aber sie wußte, daß es damit nicht sein Bewenden haben würde. Für ihren Entschluß, Dallas von heute auf morgen zu verlassen, war sie Mr. Groman ganz gewiß eine Erklärung schuldig. Sie fühlte sich dazu verpflichtet. Aber was konnte sie ihm denn sagen? Etwa die Wahrheit? Würde er ihre Entscheidung verstehen, das Sprachstudium abzubrechen? Entmutigt schüttelte Caroline den Kopf. Sie wußte schon jetzt, daß ihr gar nichts anderes übrig blieb, als ihm von Jerry zu erzählen. Beim Gedanken an Jerry wurde sie traurig. Seit Tagen hatte sie vergeblich versucht, nicht mehr an ihn zu denken. Aber es war ihr nicht gelungen. Schließlich waren sie verlobt gewesen. Mr. Groman hatte davon erfahren. Er würde sie sicher nach ihrem Freund fragen, und was sollte sie ihm dann antworten? Etwa, daß Jerry ihre Verlobung gelöst hatte, weil er eine andere Frau gefunden hatte, die mehr geneigt war, seinen Wünschen entgegenzukommen? Caroline schloß gequält die Augen. Ihr kamen die Tränen, als sie an das klägliche Ende ihrer Beziehung dachte. Sie waren einmal so voller Hoffnung gewesen und hatten sich auf der Universität kennengelernt. Auch Jerry studierte Sprachen. Als erstes war ihr aufgefallen, wie ungewöhnlich gut er aussah. Als sie sich näher kennengelernt hatten, konnte Caroline zu ihrer Freude feststellen, daß Jerry außerdem auch noch Charme und Witz besaß. Ausschlaggebend für ihr Ja zur Verlobung war jedoch die Tatsache gewesen, daß selbst Tante Judith ihn mochte. Caroline war mit Jerry sehr glücklich gewesen und hatte sich auf eine gemeinsame Zukunft gefreut. Natürlich gab es hin und wieder Meinungsverschiedenheiten, die aber die Harmonie ihrer Beziehung keineswegs gefährdeten. Es ging dabei sowieso immer um das gleiche. Jerry hatte sie immer bedrängt, mit ihm zu schlafen. Caroline hingegen hatte abgelehnt. Nicht zuletzt deshalb, weil sie ihn auf die Probe stellen wollte. Wenn sie ihm wirklich so lieb und teuer war, wie er immer behauptete, würde er seine Ungeduld wohl noch ein paar Wochen beherrschen können. So hatte sie gedacht, und erst jetzt war ihr klargeworden, daß sie ihn damit überschätzt hatte. Unwillkürlich mußte sie an ihr letztes Treffen denken. Jerry und sie standen im Wohnzimmer ihrer Tante und wagten nicht, einander anzusehen. Jerry starrte mit gesenktem Kopf zu Boden und sagte mit dumpfer Stimme: „Es… es tut mir wirklich sehr leid, Caroline. Ein solches Ende habe ich nicht gewollt.“ Nie würde Caroline das eisige Gefühl vergessen, das sie bei diesen Worten erfaßte. Schon in jenem Moment spürte sie, daß es endgültig zwischen ihr und
Jerry aus war. Aber trotz des Schlages, den er ihr versetzt hatte, war sie nicht gewillt, ihn so ohne weiteres ziehen zu lassen. Dafür hatte er ihren Stolz zu sehr verletzt. „Was soll das heißen?“ fragte sie enttäuscht. „Willst du etwa allen Ernstes behaupten, du hättest nicht gewußt, was du tatest, als du dich mit dem anderen Mädchen verabredetest? Schließlich sind wir ja noch immer verlobt, nicht wahr? Oder willst du dich dafür entschuldigen, daß du dich in sie verliebt hast? Nun sag schon endlich etwas! Du bist mir wenigstens eine Erklärung für deinen plötzlichen Sinneswandel schuldig!“ Zögernd hatte Jerry sie angesehen. In diesem Moment machte er einen so jämmerlichen Eindruck, daß er Caroline fast leid tat. Aber dann brach wieder ihre Enttäuschung durch. „Caroline, ich… ich habe dich immer bewundert, das weißt du“, sagte Jerry stockend. „Ich dachte, daß wir uns durch unsere Verlobung ein wenig näherkommen würden, aber du… du… nun, ich hatte eigentlich nie den Eindruck, daß du mich wirklich liebst. Sonst hättest du dich doch bestimmt nicht so angestellt, als ich…“ „Wie kannst du nur so etwas sagen?“ unterbrach Caroline ihn erregt. „Ich dachte, du würdest verstehen, daß es für mich etwas ganz Besonderes bedeutet, mit einem Mann ins Bett zu gehen. Ich wollte warten… für uns beide! Wie kannst du mir jetzt daraus einen Vorwurf machen?“ Jerry sah sie unglücklich an. „Du verstehst mich nicht“, wiederholte er verzweifelt. „Ich habe einfach das Gefühl, daß du mich nicht genügend liebst, um mich zu heiraten.“ „Aber sie liebt dich, nicht wahr?“ „Ich glaube schon“, hatte er ihr offen geantwortet. „Im Gegensatz zu dir hat sie es mir sogar bewiesen.“ Das war ein schwerer Schlag für Caroline gewesen. Sie merkte, daß sie blaß wurde und hielt sich schnell an der Tischkante fest. Ein Schwindelgefühl überkam sie, aber als es vorbei war, riß sie sich noch einmal zusammen. Enttäuscht sah sie Jerry an. „Ich hatte keine Ahnung, daß es sich um einen Konkurrenzkampf handelt“, sagte sie nachdenklich. „Wenn ich davon gewußt hätte, hätte ich von Anfang an nicht daran teilgenommen.“ Damit war für sie alles gesagt. Sie drehte ihm den Rücken zu und ging zum Kamin hinüber. Jerry zögerte sichtlich, dann machte er ein paar Schritte auf sie zu. Er legte ihr die Hand auf die Schulter, aber Caroline schüttelte sie sofort ab. „Es tut mir wirklich sehr leid“, sagte er noch einmal mit belegter Stimme. „Ich kann dir nur wünschen, daß auch du einmal den richtigen Mann findest, Caroline. Ich glaube, ich war es nicht.“ „Nein, du warst es nicht“, wiederholte sie leise. Es fehlte nicht mehr viel, und sie hätte die Beherrschung verloren. Jerry zögerte noch einen Augenblick. Dann drehte er sich um und ging ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer. Als sie sicher sein konnte, daß er das Haus verlassen hatte, ging sie hinüber zum Tisch. Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Jerry hätte sich keinen ungünstigeren Zeitpunkt aussuchen können, um die Verlobung zu lösen. Noch immer litt Caroline unter den plötzlichen Verlust ihrer Tante, die ihre einzige Stütze gewesen war. Nun, da es für sie und Jerry keine gemeinsame Zukunft mehr gab, überkam sie Hoffnungslosigkeit. Sie gab ihrem unterdrückten Schmerz in heißen Tränen Ausdruck. Aber als der Ausbruch vorbei war, wußte sie auf einmal genau, was zu tun war. In drei Tagen stand ihre Abschlußprüfung bevor. Anschließend hatte sie
ursprünglich vorgehabt, in einer Sprachschule zu unterrichten. Auch Jerry würde
dort arbeiten. Nach alledem, was jetzt zwischen ihnen vorgefallen war, erschien
Caroline dies nicht mehr möglich.
Kurz entschlossen hatte sie in der Schule angerufen und gesagt, daß sie an der
ausgeschriebenen Stelle nicht mehr interessiert sei. Nun war Mr. Groman ihre
letzte Hoffnung. Er würde ihr sicher helfen können.
Da ging plötzlich die Tür auf, und Mr. Groman trat ins Zimmer. Als er Caroline
erblickte, blieb er überrascht stehen.
„Caroline!“ sagte er herzlich, „wie schön, daß du mich wieder einmal besuchst.“
Erst jetzt bemerkte sie, daß er nicht allein war. „Darf ich dir Mr. Garrett Dean
vorstellen? Mr. Dean, dies ist eine meiner ältesten Klientinnen, Miss Caroline
Gentry.“
Sein Begleiter nickte kurz und streckte die Hand aus. Er war ungewöhnlich groß,
und neben ihm kam sich Caroline noch zierlicher vor. Sie drückte die
dargebotene Hand und sah dann in sein Gesicht.
Die scharfgeschnittene Nase, das energische Kinn und die schmalen Lippen
standen in einem seltsamen Kontrast zum hellen Blau seiner Augen. Seine
männliche Ausstrahlung faszinierte Caroline sofort.
Sein hellblondes, kurzgeschnittenes Haar hob sich sehr von seiner tiefgebräunten
Haut ab, die ihr verriet, daß sich Mr. Dean oft im Freien aufhalten mußte.
„Guten Tag, Mr. Dean“, sagte sie und war froh, als er ihre Hand wieder losließ.
Um ihre Verwirrung zu verbergen, wandte sie sich an Mr. Groman.
„Vielleicht ist es besser, wenn ich später wiederkomme“, schlug sie zögernd vor.
„Aber nein, auf gar keinen Fall!“ widersprach der Anwalt. „Mr. Dean und ich sind
mit unserer Arbeit so gut wie fertig.“
„Es kann sich nur noch um einige Minuten handeln“, sagte der Fremde mit tiefer,
vollendender Stimme.
Caroline ließ sich wieder im Sessel nieder. Ohne dem Gespräch der beiden
Männer genau zu folgen, gelang es ihr doch, Mr. Dean verstohlen zu beobachten.
Seine Größe und seine muskulöse, durchtrainierte Gestalt machten ihn zu einer
ungewöhnlichen Erscheinung. Neben ihm sah Mr. Groman mit seiner Glatze und
seinem Bauchansatz fast etwas komisch aus. Mr. Deans Kleidung unterstrich
noch den Eindruck von sportlicher Wendigkeit, die an ein Leben draußen in der
Wildnis denken ließ. Er trug Jeans und ein schwarzes Hemd, das am Hals
offenstand. Der breite Ledergürtel mit der silbernen Schnalle betonte seine
schmale Taille, und die hohen Westernstiefel ließen ihn noch größer erscheinen.
Auf seinem Rücken baumelte ein schwarzer Cowboyhut von bester Qualität.
Obwohl er keine Unsicherheit zeigte, schien es Caroline doch, als sei er in dieser
Anwaltskanzlei mit ihren gediegenen Möbeln und dem Hauch von ehrbarer
Langeweile nicht ganz am richtigen Platz.
Im Vergleich zu ihm sieht Jerry wie ein Schuljunge aus, dachte sie unwillkürlich.
Da bemerkte sie plötzlich, daß sein Blick auf sie gerichtet war. Hatte er etwa
bemerkt, daß sie ihn beobachtete? Sie errötete leicht und wandte den Kopf ab.
„So, wenn Sie bitte noch diese Dokumente unterzeichnen“, wandte sich Mr.
Groman an seinen Klienten und händigte ihm eine Mappe aus.
Schweigend setzte der hochgewachsene Mann seine Unterschrift unter die
Papiere. Dann nickte er dem Anwalt zu.
„Falls es noch irgendwelche Unklarheiten gibt, wissen Sie ja, wo Sie mich
erreichen können“, fügte er knapp hinzu.
„Ich werde Sie noch heute abend anrufen und Ihnen mitteilen, wie Ihr Angebot
aufgenommen wurde“, versprach Mr. Groman.
Der Fremde nickte und wandte sich ab. „Auf Wiedersehen, Miss Gentry“, sagte er
noch mit einem plötzlichen Lächeln, das eine Reihe blendendweißer Zähne enthüllte. Dann ging er mit langen Schritten aus dem Zimmer und machte die Tür geräuschlos hinter sich zu. „Ein wirklich außergewöhnlicher Mann“, meinte Caroline beeindruckt, nachdem sie sicher sein konnte, daß der Besucher das Zimmer verlassen hatte. „O ja!“ stimmte Mr. Groman ihr zu, indem er sich hinter seinem Schreibtisch niederließ. „Mr. Dean ist einer der reichsten Männer von Texas. Er besitzt eine eigene Ölgesellschaft, eine ausgedehnte Ranch und hat zudem weitreichenden politischen Einfluß.“ „Ich meinte eigentlich mehr seine Ausstrahlung“, bekannte Caroline. „Stimmt“, lachte Mr. Groman. „Er sieht wirklich gut aus, nicht wahr? Seine Größe hat ihm bestimmt dabei geholfen, all diese Rodeos zu gewinnen.“ „Rodeos?“ Der Anwalt sah sie kopfschüttelnd an. „Du willst aus Texas sein und weißt nicht, daß dies der Garrett Dean ist, von dem einmal alle Welt gesprochen hat? Er war vierfacher Rodeosieger, einer der letzten großen Champions.“ „Ich verstehe, eine lebende Legende also“, entgegnete Caroline etwas spöttisch. „Haben Sie noch mehr solcher Berühmtheiten auf Lager?“ „Ein paar“, gab Mr. Groman zu. „Aber dafür bist du meine hübscheste Klientin.“ Caroline lächelte ihn an. Sein Kompliment stärkte ihr Selbstbewußtsein. „Wie geht es dir eigentlich?“ fragte Mr. Groman aufmerksam. „Ich habe in letzter Zeit öfter an dich gedacht.“ „Es geht so“, erwiderte sie ausweichend. „Natürlich vermisse ich Tante Judith, aber das Leben muß schließlich weitergehen.“ Er nickte und wartete darauf, daß sie weitersprach. Es kostete sie einige Überwindung, aber schließlich gab sie sich einen Ruck. „Ich bin gekommen, um Sie wegen der Erbschaft zu fragen“, begann sie zögernd. „Etwas Unvorhergesehenes ist eingetreten, und ich muß wissen, mit wieviel Geld ich rechnen kann. Ich will Sie natürlich nicht drängen, aber die Sache eilt ein bißchen.“ Bei ihren Worten veränderte sich sein Gesichtsausdruck schlagartig. Caroline spürte sofort, daß etwas nicht in Ordnung war. Sie blickte ihn angstvoll an und wartete gespannt auf seine Antwort. Zu ihrer Bestürzung erblickte sie kleine Schweißperlen auf seiner Stirn. „Caroline, ich…“ er brach ab und wischte sich den Schweiß mit dem Taschentuch fort. Ganz offensichtlich war ihm alles andere als wohl in seiner Haut. „Was ist denn los, Mr. Groman?“ fragte sie erschreckt. Noch nie hatte sie ihn derart verunsichert gesehen. Der Anblick versetzte ihr einen Schock. Mr. Groman räusperte sich und versuchte zu lächeln: „Nun, die Dinge liegen nicht ganz so einfach, wie du es dir vielleicht vorstellst, mein Kind. Aber mach dir keine Sorgen! Du bist noch so jung und hübsch. Du hast das ganze Leben noch vor dir. Auf dich wartet eine harmonische Ehe und eine interessante Arbeit. Was willst du eigentlich mehr?“ Caroline sah ihn entsetzt an. Sie brachte kein Wort heraus. Es war, als hätte sie im Innersten schon gewußt, was der Anwalt nun mit sichtlichem Widerstreben vorzubringen hatte. „Du mußt verstehen… die Arztrechnungen waren so hoch, und wir mußten das Haus beleihen, damit du studieren konntest. Dazu kam die Inflation… die hohen Steuern…“ Er seufzte tief und sah sie mit traurigem Blick an. „Nun, ich fürchte, von der Erbschaft deiner Tante ist dir nichts mehr geblieben. Wir können von Glück reden, wenn wir alle ausstehenden Schulden bezahlen können.“ Damit verstummte er.
Mit wenigen Worten war es ihm gelungen, all ihre Hoffnungen zu zerschlagen.
Sprachlos vor Entsetzen sah Caroline ihn an.
„Es ist wirklich nichts mehr da?“ flüsterte sie schließlich wie betäubt. „Überhaupt
nichts?“
Mr. Groman schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein, leider fast nichts, mein Kind.
Glaub mir bitte, daß ich alles getan habe, was in meiner Macht stand. Eigentlich
ist es ein Wunder, daß ich dir diese traurige Mitteilung nicht schon früher machen
mußte. Jetzt kann ich dir ja auch sagen, daß ich bereits seit Jahren auf mein
Honorar verzichtet habe. Es tut mir wirklich sehr leid, Caroline.“
Bittere Tränen stiegen in ihr auf, und alles in ihr wehrte sich gegen diese
Ungerechtigkeit des Schicksals. Einen Augenblick lang war sie versucht, dem
Anwalt die Schuld an allem zu geben, aber dann kam sie gleich wieder zur
Vernunft.
Mr. Groman konnte schließlich nicht wissen, wie dringend sie das Geld brauchte.
Er sah sie bestürzt an, und nachdem Caroline sich vom ersten Schreck erholt
hatte, zwang sie sich zu einem kleinen tapferen Lächeln.
„Entschuldigen Sie bitte, Mr. Groman“, sagte sie stockend, „natürlich weiß ich,
daß Sie Ihr Bestes gegeben haben. Es tut mir sehr leid, daß ich Sie in solche
Schwierigkeiten gebracht habe. Aber ich verspreche Ihnen, daß ich einen Weg
finden werde, um für Ihr Honorar aufzukommen.“
Mr. Groman war nicht entgangen, wie sehr seine Worte Caroline erschüttert
hatten. Er stand auf und legte ihr den Arm um die Schulter.
„Aber, aber“, sagte er begütigend, „so sehr eilt es damit doch gar nicht. Du
darfst diese Sache nicht allzu schwer nehmen, Caroline. Schließlich wirst du bald
einen gutbezahlten Job antreten, und dann gibt es ja auch noch deinen
Verlobten. Die Zukunft sieht doch eigentlich gar nicht so schlecht für dich aus,
nicht wahr?“
Plötzlich verlor Caroline die Beherrschung. Seine freundlichen Worte hatten sie
wieder an ihre aussichtslose Lage erinnert. Gegen ihren Willen kamen ihr die
Tränen, und ihr Kinn zuckte verdächtig.
„Sie… Sie verstehen mich nicht, Mr. Groman“, stieß sie hervor, während sie in
ihrer Tasche nach einem Taschentuch suchte. „Inzwischen hat sich alles
verändert.“
In der nächsten Viertelstunde erzählte sie dem Anwalt, was zwischen ihr und
Jerry vorgefallen war. Es tat ihr gut, ihr Herz auszuschütten, und Mr. Groman
war ein verständnisvoller Zuhörer.
Als sie geendet hatte, blickte er sie verständnisvoll an. „Das konnte ich natürlich
nicht ahnen“, sagte er gerührt. „Selbstverständlich bin ich bereit, dich jederzeit
finanziell zu unterstützen.“
Aber Caroline schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Nein, auf gar keinen Fall! Ich
weiß Ihr Angebot zu schätzen, aber ehe ich keine neue Stelle gefunden habe,
kann ich darauf nicht eingehen. Schließlich wüßte ich ja sonst gar nicht, wie ich
es Ihnen zurückzahlen könnte.“ Wieder mußte sie nach ihrem Taschentuch
suchen.
„Vielleicht fällt mir ja noch etwas anderes ein“, sagte Mr. Groman nachdenklich.
„Es muß doch einen Weg geben, dir zu helfen.“
Caroline blickte ihn an. Mit einem Mal schöpfte sie Hoffnung.
„Warte… ja, ich erinnere mich genau, daß ich gestern etwas gehört habe. Ja,
jetzt fällt es mir wieder ein! Was hieltest du davon, auf einer großen Ranch zu
arbeiten? Als Lehrerin, meine ich. Du sprichst doch Spanisch, nicht wahr?“
Caroline nickte benommen. „Ja, Spanisch ist mein Hauptfach.“
„Wunderbar! Also, wie ist es, bist du an dem Job interessiert?“
„Natürlich, aber ich müßte vorher noch nähere Einzelheiten wissen. Wo ist diese Ranch, und für wen würde ich denn arbeiten?“ Mr. Groman schüttelte den Kopf. „Ich möchte es zunächst einmal dabei belassen. Schließlich will ich dir keine falschen Hoffnungen machen. Aber ich verspreche dir, mich für dich einzusetzen.“ Carline merkte, daß er über die Sache nachdenken wollte und erhob sich deshalb. Mr. Groman begleitete sie noch bis zur Tür. „Ich werde dich anrufen, sobald ich etwas Näheres weiß“, fügte er noch hinzu. „Du hörst von mir… vielleicht schon heute abend. Mach dir keine Sorgen, es wird schon alles gut werden.“ Caroline fuhr mit dem Bus in den Vorort, wo das Haus ihrer Tante stand. Als sie die Tür öffnete und all die vertrauten Gegenstände erblickte, die für sie mit so vielen schönen Erinnerungen verbunden waren, überfiel sie wieder tiefe Niedergeschlagenheit. Wenn Mr. Groman ihr wirklich die Wahrheit gesagt hatte, würde sie alles verkaufen müssen. Caroline hatte große Lust auf eine Tasse Kaffee, aber zunächst machte sie einen Rundgang durchs Haus. Schließlich stand sie im Zimmer ihrer Tante, in dem seit ihrem Tode nichts mehr verändert worden war. Wehmütig fuhr Caroline mit den Fingern über die weiße Spitzendecke. Auf einmal klangen ihr wieder einige Worte ihrer Tante im Ohr. „In dieser Männerwelt muß ein Mädchen für seine Rechte kämpfen“, hatte sie mehr als einmal gesagt. „Heutzutage bekommt man nichts mehr geschenkt.“ Bei dieser Erinnerung standen Caroline wieder die Tränen in den Augen. Sie wußte, daß die behütete Zeit ihrer Kindheit ein für allemal vorbei war. Schnell verließ sie das Zimmer und zog leise die Tür hinter sich zu. An diesem Abend kam kein Anruf mehr für Caroline, und so ging sie schließlich entmutigt kurz vor Mitternacht zu Bett. In der Nacht wurde sie von quälenden Alpträumen geplagt, und so war sie erleichtert, als sie am nächsten Morgen durch das beharrliche Klingeln ihres Telefons von ihren Träumen erlöst wurde. Wie der Blitz sprang Caroline aus dem Bett und stürzte hinaus auf den Flur. Aber es war nicht der Anruf, auf den sie gewartet hatte. Ein Vertreter für Staubsauger wollte wissen, ob sie an dem neuesten Modell seiner Firma interessiert sei. Mit einem kurzen Dank legte Caroline den Hörer wieder auf und ging entmutigt ins Bett zurück. Schlafen konnte sie nicht mehr, daher dachte sie darüber nach, wieviel Zeit ihr wohl noch bis zum Verkauf des Hauses verblieb. Am meisten bedrückte sie ihre katastrophale finanzielle Lage. Selbst, wenn es ihr gelingen würde, das Haus mitsamt den Möbeln so bald wie möglich zu verkaufen, würde sie bis dahin äußerst sparsam leben müssen. Sie machte sich Vorwürfe, nicht schon früher zu Mr. Groman gegangen zu sein. Dann hätte sie sich wenigstens einigermaßen auf diese veränderten Umstände einrichten können. So hatte sie der Schlag noch härter getroffen. Seufzend stieg Caroline aus dem Bett. Sie konnte nicht immerfort an ihre Lage denken. Außerdem knurrte ihr Magen verdächtig. Gestern abend hatte sie keinen Appetit verspürt, aber nun war ihr wirklich nach einem kräftigen Frühstück zumute. Als sie gerade einen Schluck Kaffee trinken wollte, klingelte das Telefon. Caroline erhob sich sofort. „Ja, bitte?“ sprach sie atemlos in die Muschel. „Caroline? Hier ist Mr. Groman.“ Sie fuhr zusammen; fast hätte sie den Hörer fallenlassen. „Ja, was gibt es?“ „Könntest du gegen Mittag in mein Büro kommen?“ „Ja, natürlich.“ „Gut, dann bis später!“ Damit legte er auf.
Erleichtert ging Caroline zurück in die Küche. Sie blickte auf die Uhr – es war halb zehn. Schnell ging sie ins Badezimmer und ließ Wasser in die Wanne ein. Während sie ein heißes Bad nahm, überlegte sie, was sie zu dieser wichtigen Gelegenheit anziehen sollte. Schließlich entschied sie sich für ein Tweedkostüm, das sie etwas älter und reifer aussehen ließ. Sie wollte unbedingt vermeiden, einen falschen Eindruck zu machen. Es stand viel für sie auf dem Spiel, und so bald würde sich ihr sicher keine neue Gelegenheit mehr bieten. Sie mußte diese Stelle einfach annehmen, koste es, was es wolle. Was hatte Mr. Groman noch gesagt? Man erwartete von ihr, Spanischunterricht zu geben? Nun, diese Sprache hatte sie studiert, sie brauchte sich also wirklich keine Sorgen zu machen. Wenn sie nur ein wenig mehr über die näheren Umstände gewußt hätte! Ihre Neugier war geweckt, und plötzlich hielt sie es in der Wanne nicht mehr aus. Sie verbrachte über eine halbe Stunde mit Anziehen und Schminken! Als sie sich im Spiegel betrachtete, war sie mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Gespannt verließ sie das Haus.
2. KAPITEL Mit klopfendem Herzen betrat Caroline den Fahrstuhl und drückte auf den Knopf,
der sie ins fünfzehnte Stockwerk bringen sollte.
Als sie dort eintraf, wurde sie von Nancy, Mr. Gromans langjähriger Sekretärin,
empfangen.
„Hallo, Caroline!“ rief sie freundlich und warf ihr einen anerkennenden Blick zu.
„Du siehst wirklich gut aus! Du wirst schon erwartet. Ausnahmsweise ist der Chef
heute pünktlich. Ich gehe jetzt zum Essen. Bis gleich, und alles Gute!“
Caroline nickte nervös. Sie war Nancy für ihren herzlichen Empfang dankbar.
Dennoch verspürte sie vor Aufregung leichte Magenschmerzen.
Im Empfangszimmer erblickte sie Mr. Groman, der sich angeregt mit einem sehr
vornehm aussehenden älteren Herrn unterhielt. Beim Eintreten räusperte sich
Caroline, und Mr. Groman und sein Klient wandten sich ihr sofort zu. Dabei
übersah Caroline zunächst, daß noch ein zweiter Besucher anwesend war.
„Ah, Caroline, pünktlich wie immer!“ sagte Mr. Groman erfreut und ging auf sie
zu. „Ich möchte dich mit einem Kollegen von mir bekanntmachen. Dies ist Mr.
Adam Brice. Mr. Brice, Miss Gentry, eine meiner lieben Klientinnen.“
„Das kann ich mir gut vorstellen“, erwiderte Mr. Brice. Zu Carolines Befremden
führte er ihre Hand an die Lippen. „Sie sind wirklich ein Glückspilz, Hai“, sagte er
zu Mr. Groman. Der Blick, mit dem er Caroline betrachtete, ließ an Eindeutigkeit
nichts zu wünschen übrig.
Hastig entzog sie ihm ihre Hand. Er war ihr höchst unsympathisch, und sie hoffte
sehr, daß dieser Mann nicht ihr zukünftiger Arbeitgeber sei. Man konnte sich Mr.
Brice mit seiner gepflegten Erscheinung nur sehr schwer auf einer Ranch
vorstellen. Aber vielleicht handelte er ja im Auftrag eines Farmers.
Mr. Groman war das Auftreten seines Kollegen sichtlich unangenehm. Er warf
Caroline ein entschuldigendes Lächeln zu und führte sie in die andere Ecke des
Zimmers. „Mr. Dean hast du ja gestern schon kennengelernt“, sagte er, und erst
jetzt nahm sie seine kräftige Gestalt im Sessel wahr.
Garrett Dean machte sich nicht die Mühe, aufzustehen. Er nickte ihr nur kurz zu,
und Caroline blickte ihn überrascht an. Heute war er noch ein wenig lässiger
gekleidet. Seine Stiefel waren alt und abgeschabt, die Jeans verwaschen. Einen
größeren Kontrast zu dem gepflegten Mr. Brice hätte man sich kaum vorstellen
können.
Sein Blick war auf Caroline gerichtet, aber noch immer machte er keine
Anstalten, sie zu begrüßen. Caroline mußte den ersten Schritt tun.
„Guten Tag, Mr. Dean“, sagte sie mit einem gezwungenen Lächeln und streckte
ihm die Hand entgegen. Er ergriff sie, sagte aber noch immer nichts. Irgendwie
ging eine Spannung von ihm aus, die Caroline nervös machte.
„Selbstverständlich stelle ich euch gern meine Kanzlei zur Verfügung“, sagte Mr.
Groman schließlich und fügte auf Carolines fragenden Blick hinzu: „Mr. Brice und
ich sind zum Essen verabredet. So könnt ihr euch ungestört unter vier Augen
unterhalten.“
„Ich verstehe“, sagte sie zögernd. Mr. Dean war also ihr künftiger Arbeitgeber.
Das hätte sie sich eigentlich denken können, wenn ihre Sorgen um die Zukunft
sie nicht so beschäftigt hätten.
Sie dankte Mr. Groman noch einmal und sah zu, wie sich die Tür hinter ihm und
seinem Kollegen schloß. Erst dann wandte sie sich wieder Garrett Dean zu.
Dieser musterte sie noch immer schweigend.
Caroline wurde verlegen. Was erwartete Mr. Dean eigentlich von ihr – sollte sie
die ganze Zeit vor ihm stehenbleiben? Er hätte ihr wenigstens einen Stuhl
anbieten können! Offensichtlich hielt er nicht viel von guten Manieren. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Initiative zu ergreifen. Ohne ihm noch einen Blick zu gönnen, ging sie an ihm vorbei in Mr. Gromans Kanzlei. Dort ließ sie sich in dem großen Ledersessel nieder und wartete darauf, daß Mr. Dean sich bequemte, ebenfalls herüberzukommen. Nach ein paar Minuten hörte sie, wie er sich erhob. Schweigend betrat er das Zimmer und ließ sich ohne ein weiteres Wort hinter dem Schreibtisch des Anwalts nieder. Dann rückte er den Sessel ein wenig nach hinten und legte die Füße auf den Tisch. Mit seinen klaren, hellblauen Augen blickte er Caroline fragend an. Unwillkürlich errötete sie ein wenig. Sein Verhalten ihr gegenüber mißfiel Caroline sehr. Ihr erster Eindruck von Mr. Dean bestärkte sie immer mehr in der Meinung, daß er keinerlei Manieren hatte. Außerdem schien er es darauf angelegt zu haben, sie zu verwirren. Aber das sollte ihm nicht gelingen, nahm Caroline sich vor. Es kostete sie all ihre Überwindung, sich wieder ins Gedächtnis zu rufen, daß dieser Mann vielleicht eine Anstellung für sie hatte, die sie bitter benötigte. Aber falls er sich tatsächlich für sie entscheiden sollte, würde sie ihr möglichstes tun, um ihm aus dem Weg zu gehen. Caroline spürte, daß Garrett Dean aus einer anderen Welt kam, in der ihre Maßstäbe nicht galten. Endlich ergriff Garrett Dean das Wort. „So“, sagte er mit seiner tiefen Stimme. „Sie halten sich also dafür befähigt, auf meiner Ranch zu arbeiten, ja?“ „Möglicherweise“, erwiderte Caroline zögernd. „Aber zuerst würde ich gern einmal wissen, was Sie genau von mir erwarten.“ „Ich erwarte gar nichts von Ihnen, Miss Gentry“, entgegnete er. Seine Augen hatten plötzlich einen kalten, abschätzenden Ausdruck. „Ich bin keineswegs davon überzeugt, daß Sie für die Stelle die Richtige sind.“ Nur mit Mühe gelang es Caroline, nicht die Beherrschung zu verlieren. Anscheinend hatte er sich vorgenommen, dieses Gespräch so schwierig wie möglich zu machen. Er wollte sie wohl prüfen. Caroline mißfiel jedoch das offene Mißtrauen, das sie in seinen Augen las. „Ich kann von mir zwar nicht behaupten, daß ich schon langjährige Erfahrung als Lehrerin besitze“, sagte sie ruhig, „aber was meine Spanischkenntnisse angeht, kann ich von mir ohne weiteres sagen, daß ich für die Arbeit vollkommen qualifiziert bin.“ „Ich weiß über Ihr Studium genau Bescheid, Miss Gentry“, erwiderte Garrett Dean im gleichen kühlen Ton. Er nahm die Füße vom Tisch und beugte sich vor. „Mr. Groman hat mich ausführlich über Sie informiert. Ich bezweifle nicht einen Moment, daß Sie eine gute Lehrerin sein können. Aber die Schwierigkeit liegt woanders. Sie kommen aus der Stadt, und das Leben auf einer Ranch ist Ihnen fremd. Wer sagt mir, daß Sie sich nicht nach ein paar Tagen langweilen und wieder in die Stadt zurückwollen? Schließlich gibt es bei uns keine Zerstreuungen… kein Kino, kein Theater, keine Geschäfte. Ich kann mir nur schwer vorstellen, daß Sie ein solches Leben führen wollen.“ „Ach, das ist es! Ein Mädchen aus der Stadt ist für Sie grundsätzlich vergnügungssüchtig, nicht wahr?“ fragte Caroline verärgert. Garrett Dean lehnte sich wieder zurück und nickte gleichmütig. „So könnte man es ausdrücken, Miss Gentry.“ Dieses ungerechte Vorurteil traf Caroline tief. Sie sprang auf und rief erregt: „Heißt das, Sie wollen mir noch nicht einmal eine Chance geben? Dann hat es ja wohl keinen Zweck, dieses Gespräch fortzuführen.“ Er zeigte sich von ihrem Ausbruch völlig unbeeindruckt und hielt es nicht einmal für nötig, ihr zu antworten.
Noch nie war Caroline auf einen Menschen so wütend gewesen. Sie vergaß, wieviel von dieser Begegnung für sie abhing und machte ihrer Empörung Luft. „Für wen halten Sie sich eigentlich, Mr. Dean?“ fragte sie aufgebracht. „Glauben Sie etwa, daß Ihr Reichtum Ihnen das Recht gibt, auf mich herabzuschauen? Wissen Sie überhaupt, wie schwierig es ist, wenn man mit jedem Pfennig rechnen muß und sich immer nur das Allernotwendigste kaufen kann? Wenn man Tag für Tag endlos im Regen an Autobushaltestellen warten muß? Wenn Sie denken, daß ich bisher ein Luxusleben geführt habe, so irren Sie sich gewaltig! Für alles, was ich je besaß, habe ich hart arbeiten müssen. So wird es auch in Zukunft sein, und ich will mich hier nicht beklagen. Aber wenn so ein protziger Cowboy wie Sie hier hereinkommt und sich erdreistet… ach, ich weiß überhaupt nicht, warum ich mich so über Sie aufrege! Ich glaube, ich gehe jetzt lieber. Guten Tag, Mr. Dean!“ Caroline ergriff ihre Handtasche und wandte sich zum Gehen. Aber noch bevor sie die Tür erreichen konnte, rief er ihr nach: „Setzen Sie sich, Miss Gentry!“ Caroline drehte sich um. Vor Ärger hätte sie beinahe geweint. „Wozu?“ „Ich erwarte, daß meine Leute tun, was ich ihnen sage. Also setzen Sie sich schon!“ Zögernd kam Caroline zurück und ließ sich auf der Kante des Sessels nieder. Hatte sie ihn richtig verstanden? War er tatsächlich gewillt, sie doch noch einzustellen? Nach allem, was sie ihm an den Kopf geworfen hatte? Plötzlich fühlte sie sich verlegen. Wie hatte sie sich nur so gehenlassen können? Das war doch eigentlich gar nicht ihre Art! „Noch arbeite ich nicht für Sie, Mr. Dean“, gab sie etwas ruhiger zurück. „Sie haben mir noch immer nicht gesagt, wofür Sie eine Lehrerin auf Ihrer Ranch brauchen.“ „Vor zwei Monaten ging mein Verwalter nach Mexiko, um dort einen Zuchtbullen für mich zu kaufen. Bei seiner Rückkehr brachte er seine neue Frau und deren fünf Kinder aus erster Ehe mit. Sie sind alle im schulpflichtigen Alter und sprechen kein Wort Englisch. Ich möchte, daß Sie Ihnen soviel beibringen, daß sie im Herbst die Aufnahmeprüfung für die Schule bestehen können. Sind Sie an dieser Arbeit interessiert? Ja oder nein?“ „Dazu müßte ich erst noch etwas mehr wissen“, entgegnete sie zögernd. Das Angebot hörte sich nicht schlecht an, aber sie mußte vor Garrett Dean auf der Hut sein. „Darf ich Sie fragen, warum Sie sich für diese Kinder verantwortlich fühlen?“ „Eigentlich geht Sie das gar nichts an, aber ich will Ihre Neugier befriedigen. Ich bin mit meinem Verwalter eng befreundet, und außerdem liegt mir viel an einem guten Arbeitsklima auf meiner Ranch. Zufrieden mit der Erklärung?“ Sie nickte und wartete gespannt auf weitere Einzelheiten. „Erzählen Sie mir mehr über Ihre Ranch“, bat sie ihn. „Sie werden gemeinsam mit mir und der Familie im Haupthaus meines Verwalters wohnen.“ Das hörte sich schon weniger verlockend an. Die Vorstellung, Tag und Nacht in seiner Nähe zu sein, behagte ihr nicht. Ihr leichtes Stirnrunzeln blieb Garrett Dean nicht verborgen. „Es sei denn, Sie ziehen es vor, in den Baracken meiner Cowboys zu übernachten“, fügte er mit einem weniger freundlichen Lächeln hinzu. „Und weiter?“ fragte Caroline knapp. „Das wäre im Grunde alles. Ich kann Ihnen versichern, daß Ihre Freizeit nicht zu kurz kommen wird. Aber wenn Sie sich nicht selbst beschäftigen können, rate ich
Ihnen dringend, hier in Dallas zu bleiben.“ „Keine Angst! Wie steht es mit der Höhe des Gehaltes?“ Er nannte ihr eine Summe, die sie überraschte. Sie überstieg ihre kühnsten Erwartungen. „Halten Sie diese Summe für angemessen?“ „Ja, durchaus, Mr. Dean.“ „Gut! Nun, wie ist es: Nehmen Sie diese Stelle an oder nicht?“ Am liebsten hätte Caroline gleich zugesagt. Bei der Höhe ihres Gehalts konnte sie bis zum Herbst einiges zurücklegen. Während des Sommers würde sie sich auch schon nach einer neuen Stelle umsehen. Es klang wirklich fast zu schön, um wahr zu sein. „Ihr Angebot interessiert mich schon, Mr. Dean. Ich werde es mir überlegen und Ihnen dann meine Entscheidung mitteilen.“ Garrett Dean schüttelte mißbilligend den Kopf. „O nein, Miss Gentry. Ich habe keine Zeit, mich lange mit dieser Sache aufzuhalten. Entweder, Sie nehmen an, oder wir sind geschiedene Leute.“ Caroline sah ihn mit großen Augen an. Konnte er im Ernst von ihr erwarten, daß sie eine solch schwerwiegende Entscheidung traf, ohne sorgfältig die Vor und Nachteile abgewogen zu haben? „So schnell geht es nun auch nicht, Mr. Dean“, sagte sie mit fester Stimme. „Schließlich muß ich hier erst noch meine Angelegenheiten regeln, bis ich von Dallas fort kann.“ „Unsinn, darum wird Mr. Groman sich kümmern. Ich habe vor, morgen früh abzureisen, und daran wird sich auch nichts ändern. Kommen Sie nun mit oder nicht?“ Es gefiel Caroline ganz und gar nicht, wie er über ihre Zeit verfügte. Aber sie hatte keine Wahl. „Also gut, ich komme mit“, erklärte sie schließlich. Jedoch war sie von der Richtigkeit ihrer Entscheidung noch nicht ganz überzeugt. Hoffentlich machte sie damit keinen schweren Fehler. Garrett Dean nickte kurz und erhob sich. „Ich hole Sie morgen früh ab. Ihre Adresse habe ich bereits. Pünktlich um sechs Uhr geht es los. Bis dann!“ Damit ließ er sie allein. Verdutzt sah Caroline ihm nach. Er verschwendet wirklich keine Zeit mit Formalitäten, dachte sie ein wenig verblüfft. Da wurde die Tür noch einmal aufgerissen. „Ihr feines Kostüm und die Schuhe mit den hohen Absätzen können Sie übrigens zu Hause lassen“, meinte ihr zukünftiger Arbeitgeber. „Tragen Sie lieber Hosen!“ Später machte sich Caroline große Vorwürfe, Garrett Deans Forderungen so schnell nachgegeben zu haben. Sie hätte darauf bestehen sollen, mit dem Zug nachzukommen. Aber dann fiel ihr wieder ein, daß sie ja noch nicht einmal ihr genaues Ziel kannte. Jetzt war es zu spät – sie hatte Garrett Deans Angebot angenommen und mußte ihre Wünsche den seinen unterordnen. Es ärgerte sie ein bißchen, daß sie nun die Abschlußfeier ihres Colleges verpassen würde. Nur der Gedanke, daß sie dort mit Sicherheit Jerry und seine neue Freundin getroffen hätte, tröstete sie ein wenig. Der Nachmittag verging wie im Fluge. Caroline telefonierte mehrere Male mit Mr. Groman, der ihr versprach, sich um alles zu kümmern. Nachdem dies geregelt war, besuchte sie noch eine alte Nachbarin, die sie schon als Kind gekannt hatte. Sie tauschten gefühlvolle Erinnerungen aus, aber ehe Caroline noch allzu traurig über den Abschied von ihrer vertrauten Umgebung sein konnte, mußte sie schon wieder gehen.
Die Zeit drängte, und während der nächsten Stunden packte sie ihre Sachen. Sie tat ihr Möglichstes, um die meisten ihrer Kleider in den drei Koffern unterzubringen. Hoffentlich würde dafür genug Platz im Wagen sein. Wenn ihr Mr. Dean wenigstens gesagt hätte, was für ein Auto er fuhr! Wieder ärgerte sie sich darüber, daß sie ihn nicht nach näheren Einzelheiten gefragt hatte. Das ganze Unternehmen erschien Caroline immer verdächtiger. Als sie endlich alles erledigt hatte, überkam sie eine große Müdigkeit. Mit den restlichen Vorräten in der Küche bereitete sie ein schmackhaftes Abendessen zu. Danach legte sie die Kleider zurecht, die sie morgen auf der Fahrt tragen würde, und ging zu Bett. Es gelang ihr jedoch nicht, gleich einzuschlafen. Sie ließ die kleine Nachttischlampe brennen und schaute sich noch einmal in dem Zimmer um, in dem sie so viele Jahre gewohnt hatte. Jedes Möbelstück, jedes Bild an der Wand, erinnerte sie an vergangene Ereignisse. Seit ihrer Kindheit hatte sich hier nichts verändert, nur sie selbst war in der Zwischenzeit erwachsen geworden. Caroline stand noch einmal auf und holte eine kleine silberbeschlagene Schatulle vom Tisch, in der sie ihren Schmuck und ihre Erinnerungsstücke aufbewahrte. Neben dem alten Granatschmuck, den sie von ihrer Mutter geerbt hatte, gab es noch eine Perlenkette von ihrer Tante. Carolines wertvollster Besitz aber war das alte vergilbte Hochzeitsbild ihrer Eltern. Während sie es betrachtete, kamen ihr wieder die Tränen. Sie wollte nicht fort von hier, wo sie nur Liebe und Fürsorge erfahren hatte. Am liebsten hätte sie Mr. Dean auf der Stelle angerufen und ihm mitgeteilt, daß sie es sich doch anders überlegt hatte. Aber sie kannte ja nicht einmal seine Telefonnummer. Schweren Herzens legte Caroline die Schatulle zurück auf den Tisch. Dann griff sie nach dem Wecker und stellte ihn auf fünf Uhr. Sie knipste das Licht aus und war kurz darauf fest eingeschlafen. Das durchdringende Klingeln des Weckers riß Caroline am nächsten Morgen unsanft aus dem Schlaf. Zuerst konnte sie sich nicht daran erinnern, warum sie so früh aufstehen mußte. Aber dann fiel ihr alles wieder ein. Sie setzte sich auf, rieb sich die müden Augen und schlug die Decke zurück. Nachdem sie sich gewaschen und angezogen hatte, mußte sie zu ihrem Ärger feststellen, daß sie den Kaffee restlos verbraucht hatte. Außerdem war es erst halb sechs. Es blieb ihr also noch eine halbe Stunde bis zur Abfahrt. Um zu vermeiden, daß sie traurigen Gedanken nachhing, machte sich Caroline entschossen an die Arbeit. Sie packte die Bettwäsche fort und ging noch einmal durch die Räume. Sollte sie je hierher zurückkehren, würden all diese Möbel verschwunden sein. Plötzlich war sie sehr froh, daß Mr. Groman sich um alles kümmern und ihr diese schwere Aufgabe abnehmen würde. Wehmütig nahm sie von der vertrauten Umgebung Abschied, und sie war fast erleichtert, als sie vor der Haustür einen großen silberblauen Kombiwagen mit einem Anhänger für Viehtransporte halten sah. Das Fahrzeug bot einen seltsamen Anblick in dieser friedlichen Villengegend. Gespannt beobachtete sie, wie Garrett Dean ausstieg und auf die Tür zuging. Caroline öffnete das Fenster. „Guten Morgen!“ rief sie und winkte ihm zu. „Guten Morgen“, erwiderte er bedächtig. Caroline war immer wieder überrascht, wie tief seine Stimme klang. „Freut mich, daß Sie so pünktlich sind“, fügte er noch hinzu. „Sie hatten doch sechs Uhr gesagt, nicht wahr?“ „Stimmt“, nickte er. Er lächelte plötzlich, und Caroline stellte erstaunt fest, wie gut er aussehen konnte. Im Licht der aufgehenden Sonne erschienen seine
Augen blauer als zuvor. Er sah ausgeruht und jünger aus, als sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Caroline öffnete ihm die Tür, und er half ihr beim Koffertragen. „Wie ich sehe, reisen wir nicht allein“, bemerkte sie, als das Schweigen zu bedrückend wurde. „Zwei neue Zuchtbullen für die Ranch“, informierte er sie. „Ist das alles?“ „Nein, ein Koffer steht noch im Flur. Aber passen Sie auf! Er ist voller Bücher und sehr schwer.“ Nach zwei Minuten kehrte Garrett Dean mit dem Koffer zurück, den er mühelos auf der Schulter trug. Caroline konnte nicht umhin, seine Kraft und Gewandtheit zu bewundern. Dennoch nahm sie sich erneut vor, möglichst zurückhaltend zu sein. Garrett Dean sah viel zu gut aus, und er war sich seiner Anziehungskraft auf Frauen auch viel zu sehr bewußt, als daß sie sich auf ein kurzes Abenteuer mit ihm hätte einlassen wollen. Sie mußte sich zwar eingestehen, daß ihr seine Stimme sowie seine Nähe nicht gleichgültig waren. Aber schließlich durfte sie nie vergessen, daß er ihr Arbeitgeber war und sie nur einige Monate auf seiner Ranch verbringen würde. „Na, Sie träumen ja noch immer, Miss Gentry“, sagte Garrett Dean in diesem Augenblick. Caroline blickte verwirrt auf. Er verstaute gerade ihre Koffer im Wagen. Dann schaute er noch einmal zu den Tieren, die unruhig mit den Hufen am Boden scharrten. Caroline stand noch immer auf der Türschwelle, während er sich schon ans Steuer setzte. Er blickte sie fragend an. Sie drehte sich zögernd um und warf einen letzten Blick in die dunkle Halle. Dies war also der Abschied – für immer! In ihrer Vorstellung hätte sie in diesem Moment eigentlich in Tränen ausbrechen müssen. Aber ihre Trauer hielt sich in Grenzen. Vielmehr verspürte sie fast so etwas wie Vorfreude auf das Abenteuer, das vor ihr lag. Energisch drehte sie den Schlüssel im Schloß um und machte ein paar Schritte auf den Wagen zu. Einen Augenblick lang hätte sie fast fast laut aufgelacht. Ihre Abfahrt hatte auch eine komische Seite. Mitten auf der Straße zwischen all diesen Häusern, die Zeugen einer längst vergangenen Pracht waren, stand der chromblitzende Kombiwagen mit zwei Bullen im Schleppzug und einem Cowboy am Steuer, der sie in eine ihr noch fremde Welt entführen würde. Wie kam es nur, daß sie keinerlei Angst verspürte, diesen mutigen Schritt zu wagen? Statt dessen fühlte Caroline nur eine freudige Erregung, die sie sich kaum erklären konnte. Doch dies war nicht der Augenblick, sich weiter Gedanken zu machen. Garrett Dean wartete auf sie. Sie warf dem Haus noch einen kurzen Blick zu, dann stieg sie entschlossen ins Auto.
3. KAPITEL In schneller Fahrt durchquerten sie die hügelige Landschaft. Caroline konnte sich an den immer neuen Ausblicken, die hinter jeder Kurve lagen, kaum sattsehen. Es, war das erste Mal seit Jahren, daß sie aus der näheren Umgebung von Dallas herauskam. Sie hatte bisher von Texas so gut wie nichts gesehen. Erst jetzt konnte sie sich ein Bild von der Größe und Weite ihres Heimatstaates machen. Die Landschaft änderte sich ständig. Nach ausgedehnten Feldern mit meterhohem Gras fuhren sie durch bewaldetes Gebiet, in dem die Bäume einander an Farbenpracht überboten. Hin und wieder kamen sie auch an einem See vorbei, dessen tiefgrünes Wasser verführerisch in der Sonne funkelte und zum Baden einlud. Vor allem aber fielen Caroline die hohen Zäune auf, die die Grenzen eines Landbesitzes markierten. Sie zogen sich als typisches Merkmal durch ganz Texas. Um Zeit zu sparen, nahmen sie die Autobahn. So hatte sie nur selten Gelegenheit, ein Dorf oder eine Stadt zu sehen. Aber schließlich kamen sie doch an vereinzelten Ansiedlungen vorbei, deren Häuser in der Sonne lagen und einen verlassenen Eindruck machten. Sie waren sehr weit voneinander entfernt, und Caroline versuchte sich vorzustellen, wie die Menschen dort lebten. Danach wurde das Land flacher. Sie kamen an Mais und Getreidefeldern vorbei, die sich bis zum Horizont auszudehnen schienen. Caroline war sehr überrascht. Sie hatte so lange in der Stadt gelebt, daß die endlose Weite der Landschaft ihr fast den Atem nahm. Jetzt erst erkannte sie, daß ihre Heimat zum größten Teil aus Weideland bestand. Dies war das eigentliche Texas, nicht das Leben in den Städten, die einander alle so ähnlich waren. Dann fuhren sie wieder nach Norden. Erneut durchquerte sie hügeliges Gebiet, das immer gebirgigere Züge annahm. Der Boden war von einem sanften Sandbraun, und an den mit Gras bewachsenen Abhängen weideten Viehherden. Caroline genoß die Fahrt sehr. Sie begann, ihre Heimat auf einmal mit ganz anderen Augen zu sehen. Nie hätte sie gedacht, daß die Landschaft so abwechslungsreich sein könnte. All die traurigen Gedanken an ihre Kindheit und das Ende eines wichtigen Abschnitts in ihrem Leben waren längst verschwunden. Begierig hielt sie nach immer neuen Eindrücken Ausschau, und sie konnte es kaum erwarten, am Ziel ihrer Reise anzukommen. Garett Dean war nicht gerade ein gesprächiger Mann. Aber er gab ihr auf ihre Fragen bereitwillig Auskunft und schien sich über ihr Interesse sogar zu freuen. Es war allerdings nicht nur die Landschaft, die Caroline interessierte. Wenn sie sicher sein konnte, daß er nur auf die Straße achtete, warf sie ihrem Begleiter zuweilen einen verstohlenen Blick zu. Mittlerweile war sie sehr froh, daß er ihr keine andere Wahl gelassen hatte, als auf seine Bedingungen einzugehen. Wenn sie vorher gewußt hätte, daß sie miteinander eine so weite Reise machen würden, wäre sie vor der Abfahrt sehr unruhig gewesen. Aber so schien es die natürlichste Sache der Welt zu sein, neben ihm in seinem Kombiwagen zu sitzen. Sogar ihre Verärgerung über ihn war langsam vergessen. Sie dachte kaum an den Anhänger mit den beiden Bullen hinter ihnen. Nur einmal, als sie die Autobahn verlassen hatten und durch eine kleine, belebte Stadt fuhren, bewunderte sie die Ruhe und Geschicklichkeit, mit der Garret Dean sein Fahrzeug lenkte. Nach ein paar Stunden schaltete er das Radio ein. Fröhliche Country und WesternMelodien klangen an ihr Ohr, und Caroline summte leise mit. Nie hätte sie gedacht, daß die Fahrt so angenehm verlaufen würde. Hin und wieder spürte
sie seinen Blick auf sich gerichtet, aber sie tat so, als würde sie nichts merken. Dennoch war sie erleichtert, wenn Garrett seine Aufmerksamkeit wieder der Straße zuwandte. Seine Nähe ließ sie keineswegs unberührt, jedoch wollte sie sich nicht verraten. Nach einer Weile wurde Caroline hungrig. Als ob er ihre Gedanken erraten hätte, fragte Garrett ganz unvermittelt: „Wie wäre es mit einem zweiten Frühstück? Hatten Sie heute morgen überhaupt Zeit zum Frühstücken?“ „Nein, eigentlich nicht“, gestand Caroline. Er schüttelte mißbilligend den Kopf. „Das ist wieder einmal ein Fehler von euch Stadtmenschen! Bei uns werden Sie sich an regelmäßige Mahlzeiten gewöhnen müssen.“ Caroline hatte auf seine letzten Worte nicht mehr geachtet. Ein altes Farmhaus hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Es sah so aus, als stände es seit den Tagen der ersten Pioniere hier. „Wie bitte?“ fragte sie verwirrt. „Ich fürchte, ich habe Ihnen einen Augenblick lang nicht zugehört, Mr. Dean.“ „Das scheint mir auch so“, erwiderte er, und zu ihrer Überraschung lächelte er plötzlich. „Wie ich sehe, gefällt Ihnen die Fahrt. Waren Sie denn noch nie hier draußen?“ Caroline schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich finde es wunderbar“, sagte sie mit leuchtenden Augen. „Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Texas so groß und so weit ist.“ Er nickte. „Nun, vielleicht besteht doch noch Hoffnung für Sie“, sagte er mit deutlicher Ironie. „Ich hätte eher erwartet, daß Sie sich über das Fehlen von Unterhaltung beklagen würden.“ „Aber nein, wie kommen Sie denn darauf?“ fragte Caroline aufgebracht. Seine Vorurteile verletzten sie. „Sie sind nicht das erste Mädchen aus der Stadt, das versucht, hier zurechtzukommen. Die meisten halten es ein paar Wochen aus, dann fahren sie wieder zurück. Die Ruhe und ein viel langsameres Leben sind oft zuviel für sie.“ „Ich möchte wissen, was das mit mir zu tun hat“, erwiderte Caroline. Es gefiel ihr nicht, daß er alle weiblichen Wesen ohne Unterschied verurteilte. „Das wird man ja noch sehen“, gab er vieldeutig zurück. „Ich habe da jedenfalls so meine Erfahrungen gemacht.“ „Vielleicht sind Sie bisher immer an die Falschen geraten.“ „Das mag sein! Aber ich bin für neue Erfahrungen stets offen.“ Das plötzliche Aufleuchten seiner Augen verwirrte Caroline. Schnell schaute sie wieder nach vorn. Seinen Worten folgte unbehagliches Schweigen, und Caroline meinte, das aufgeregte Pochen ihres Herzens spüren zu können. Sie rückte ein wenig von ihm ab, wie um sich seiner starken männlichen Ausstrahlung zu entziehen. Dabei wurde sie sich seiner Nähe jedoch immer bewußter. Als er sie einmal wie unabsichtlich streifte, durchlief ein erregendes Prickeln ihren Körper. Ob er etwas Ähnliches empfand? Sie warf ihm einen raschen Seitenblick zu, konnte aber in seinem Gesicht keine Reaktion erkennen. Caroline atmete erleichtert auf und konzentrierte sich wieder auf die vorüberziehende Landschaft. Ihr Hunger wurde immer stärker. Sie fuhren an mehreren Autobahnraststätten vorbei, und beim Anblick der großen Reklameschilder knurrte ihr Magen vernehmlich. Garrett schien davon nichts zu bemerken, und sie hätte sich eher die Zunge abgebissen, als ihn zu bitten, eine Pause einzulegen. Sie fuhren jetzt westwärts. Zu Carolines heimlichem Kummer hatten sie die
wenigen kleinen Städte hinter sich gelassen. Sie waren mitten im Herzen von Texas. Obwohl die Landschaft fast noch reizvoller war als zuvor, war Caroline jedoch zu abgelenkt. Nach einer weiteren halben Stunde erschien endlich ein Schild, das eine kleine Stadt ankündigte. Caroline setzte sich erwartungsvoll auf und spähte hinaus. Garrett warf ihr ein kurzes Lächeln zu, sagte aber nichts. Er bog in eine Tankstelle ein und hielt vor den Säulen an. Caroline wollte aussteigen, aber er schüttelte den Kopf. „Wir werden hier nicht lange halten. Mir wäre es lieber, wenn Sie im Wagen bleiben würden.“ Achselzuckend fügte sich Caroline seinem Wunsch, war jedoch ärgerlich. Glaubte dieser Mann eigentlich, daß er sie mit Leib und Seele gekauft hätte? Sie hätte sich gern einmal die Beine vertreten. Nur ihre Beherrschung verbot es ihr, sich zu beklagen. Sie wollte Garrett Dean zeigen, daß die Leute aus der Stadt nicht alle aus so weichem Holz geschnitzt waren, wie er offensichtlich glaubte. Daher blieb sie sitzen, während Garrett ausstieg und dem Tankwart seine Anweisungen gab. Caroline beobachtete derweil einen jungen Hund, der zwischen den Ölfässern umherschlich und offenbar nach etwas Eßbarem Ausschau hielt. Sie hätte ihm gern etwas gegeben, wenn sie sich nicht in der gleichen Lage befunden hätte. Wieder begann ihr Magen zu knurren, und es wurde ihr langsam übel vor Hunger. Ungeduldig hielt sie nach ihrem Begleiter Ausschau. Wo war Garrett geblieben. Was machte er nur so lange? Die Tanksäulen versperrten ihr die Aussicht, und fast zufällig blickte sie auf die andere Straßenseite. Da sah sie das Schild: „Blue Sky Cafe“. Einen Moment lang hatte Caroline den verrückten Gedanken, Garrett wäre dort hineingegangen, um zu essen – ohne sie! Aber zwei Minuten später sah sie ihn wieder herauskommen. Er trug zwei weiße Papiertüten, und sie begriff sofort, daß sie ihm Unrecht getan hatte. Ohne ein Wort reichte er ihr die Tüten durchs Fenster. Ein köstlicher Duft von heißen Hamburgern und knusprigen Pommes frites erfüllte den Wagen. „Wie wäre es mit einem kleinen Picknick?“ fragte Garrett, nachdem er sich wieder ans Steuer gesetzt hatte. „Mir ist alles recht“, entgegnete Caroline, die ihr Mittagsmahl am liebsten sofort verzehrt hätte. Er nickte und ließ den Motor an. Kurz hinter der Stadt kamen sie an einen Rastplatz, an dem Garrett hielt. Da Caroline keine Hand frei hatte, beugte er sich über sie und öffnete ihr die Tür. Es war nur ein Augenblick, in dem sie sich so nah waren wie nie zuvor. Aber er genügte, um Carolines Pulsschlag zu beschleunigen und eine verdächtige Röte in ihr Gesicht steigen zu lassen. Sie bemerkte den herben Duft von Garretts Rasierwasser und war froh, als sie endlich aussteigen konnte. Sie gingen zu einem kleinem Holztisch unter schattigen Bäumen hinüber, wo sie ihre Tüten und die Getränke abstellten. Die klare, frische Bergluft tat Caroline gut. Garrett hatte einen ruhigen Platz für das Picknick ausgewählt. Sonnenstrahlen fielen durch die Bäume, und Caroline genoß die leichte Brise, die durch ihr Haar fuhr. Sie breiteten die Sachen auf dem Tisch aus und setzten sich. Garett legte seinen Hut neben sich auf einen Stuhl. Caroline war schon vorher aufgefallen, daß er ihn immer bei sich trug. „Das sind die besten Hamburger, die man in ganz Texas bekommen kann“, verkündete er und biß hungrig zu. „Vielleicht scheint es mir aber auch nur so,
weil ich immer halb am Verhungern bin, wenn ich beim ,Blue Sky Cafe' ankomme“, fügte er kauend hinzu. Caroline nickte zustimmend und tat es ihm nach. Nach ein paar Bissen mußte sie ihm recht geben. Selten hatte ihr eine Mahlzeit so gut geschmeckt. Garrett war als erster fertig. Er erhob sich, setzte seinen Hut wieder auf und begann, den Abfall zusammenzuräumen. „Warten Sie, das kann ich doch auch machen“, sagte Caroline hastig. Während sie das Papier zusammenfaltete, berührten sich ihre Hände zufällig. Sie blickte erschrocken auf, und ihre Blicke trafen sich. Einen kurzen Augenblick lang schien es Caroline, als hielte die Welt den Atem an. Da donnerte auf einmal ein Lastwagen vorbei, und der Zauber war gebrochen. Garrett wandte sich von ihr ab und schlug den Weg in den Wald ein. Caroline sammelte die Pappbecher ein. Dabei bemerkte sie, daß ihre Hände zitterten. Was war nur mit ihr los? Sie war sich noch nicht einmal sicher, ob sie Garrett überhaupt sympathisch fand. Aber es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß er ihr als Mann nicht gleichgültig war. Sie sah ihn zurückkommen und hatte den Eindruck daß er aus einer anderen Welt zu kommen schien. Aus einer Welt, in der die Menschen noch frei über sich und ihre Zeit verfügen konnten. Sie konnte sich ihn gut vorstellen, wie er als Cowboy die Herden zusammentrieb oder als stolzer Grundbesitzer über sein Land ritt. Er gehörte hierher – in diese Berge, in diese weite, offene Landschaft. Garrett blieb vor ihr stehen, und ihre Augen trafen sich. Dann nahm er den Hut ab, faßte sie leicht unters Kinn und beugte sich zu ihr herab. Sein Kuß war so voller Zärtlichkeit, daß Caroline noch nicht einmal daran dachte, sich ihm zu widersetzen. Wie von selbst öffneten sich ihre Lippen, und eine nie gekannte Wärme begann durch ihren Körper zu strömen. Er zog sie an sich, und in seiner Umarmung vergaß Caroline die Welt um sich herum. Noch nie war sie von einem Mann auf diese Weise geküßt worden. Seine Lippen verlangten nach ihr, und doch war nichts Bedrohliches in seinem Kuß. Caroline war völlig unfähig, sich der Faszination, die von Garrett ausging, zu widersetzen. Es war ihr, als hätte sie schon lange darauf gewartet, in den Armen dieses Mannes zu liegen. Jerry war vergessen, sie fühlte nur Garretts Lippen auf den ihren und spürte seine Küsse, die sie mit wachsender Leidenschaft erwiderte. Da löste er sich für einen Augenblick von ihr. Verwirrt öffnete sie die Augen. Garett lächelte auf sie herab und setzte den Hut wieder auf. In diesem Augenblick hörte man ungeduldiges Hufescharren, das vom Anhänger zu kommen schien. Garrett küßte sie noch einmal sanft auf die Stirn, dann wandte er sich zum Gehen. „Ich glaube, wir sollten jetzt weiterfahren“, meinte er ruhig. Caroline konnte nur noch nicken. Sie hätte in diesem Moment kein Wort herausbringen können. Langsam folgte sie ihm, und es war ihr, als erwache sie aus einem Traum. Nur ihre zitternden Knie bewiesen ihr, daß sie nicht geträumt hatte. Auf der weiteren Fahrt fragte sie sich immer wieder, wie es soweit hatte kommen können. War dies vielleicht der Mann, den Jerry gemeint hatte, als er ihr sagte, daß auch für sie der Richtige kommen würde? Aber das war doch völlig unmöglich! Garrett Dean kam aus einer ganz anderen Welt. Sie und er hatten nichts gemeinsam. So hatte sie jedenfalls bis jetzt gedacht. Aber auf einmal war Caroline sich nicht mehr ganz sicher. „Erzählen Sie mir mehr über Ihre Ranch“, bat Caroline Garrett, nachdem beide längere Zeit geschwiegen hatten. Er runzelte sofort die Stirn, und es war klar, daß ihm nicht nach einer
Unterhaltung zumute war. Aber Caroline hielt die Spannung zwischen ihnen einfach nicht mehr aus. Garretts Stimmung schien umgeschlagen zu sein, und sie fragte sich schon, ob er es etwa bereute, sie auf dem Rastplatz geküßt zu haben. „Wie heißt die Ranch?“ fragte sie beharrlich. „Oder haben Sie ihr keinen Namen gegeben?“ „Doch, doch“, entgegnete er brummig. „Sie heißt ,Heritage’.“ „Ein schöner Name“, erwiderte sie und überlegte verzweifelt, was sie ihn als nächstes fragen konnte. „Wie groß ist sie?“ „Zwanzigtausend Morgen.“ „Zwanzigtausend Morgen?“ wiederholte Caroline beeindruckt, „aber das ist ja riesig!“ Daraufhin antwortete er nicht, und fast hätte sie es aufgegeben, ihn zum Sprechen bringen zu wollen. Aber dann machte sie noch einen letzten Versuch. „Wie groß ist Ihr Viehbestand?“ „Hören Sie, Miss Gentry, was soll das? Wollen Sie mich etwa ausfragen?“ rief er verärgert. Caroline zuckte mit den Achseln. „Nein, ich wollte mich nur informieren. Ich möchte etwas über den Ort wissen, an dem ich die nächsten Monate verbringen werde.“ „Das ist noch nicht so sicher.“ Sie warf ihm einen bestürzten Blick zu. Wieso war er nur auf einmal so unfreundlich? „Wenn Sie davon ausgehen, daß ich Sie nach ein paar Wochen wieder verlassen werde, warum haben Sie mich dann überhaupt genommen?“ fragte sie herausfordernd. Er gab ihr jedoch keine Antwort, und Caroline spürte seine gereizte Stimmung. „Ich hätte mir auch einen verlockenderen Posten vorstellen können“, sagte sie enttäuscht. „Aber da wir nun einmal aufeinander angewiesen sind, sollten wir auch versuchen, uns gut zu verstehen. Finden Sie nicht auch?“ „Wer ist hier auf wen angewiesen?“ gab Garrett spöttisch zurück. „Vergessen Sie bitte Ihre Lage nicht, Miss Gentry. Wenn ich es will, sitzen Sie morgen schon wieder im nächsten Flugzeug.“ Caroline biß sich auf die Lippen. Sie war es nicht gewohnt, derart zurückgewiesen zu werden. „Ich habe es nicht so gemeint“, erwiderte sie kleinlaut. „Ich möchte nur, daß wir gute Freunde werden.“ Garrett warf ihr einen abschätzenden Blick zu. Dann entgegnete er kopfschüttelnd: „Daran glauben Sie doch wohl selber nicht, oder? Ich suche mir andere Freunde aus. Mit Frauen wie Ihnen kann ich nichts anfangen.“ Caroline blickte ihn sprachlos an. Es war, als hätte er ihr mit seinen Worten einen Schlag versetzt. Sie rückte sofort von ihm ab. Als sie sich wieder gefangen hatte, erwiderte sie aufgebracht: „In diesem Fall kann ich mir nichts Besseres wünschen, als gar nicht von Ihnen beachtet zu werden.“ Sie machte sich die größten Vorwürfe, sich überhaupt auf ein Gespräch mit ihm eingelassen zu haben. Was konnte man von einem Cowboy ohne Manieren schon anderes erwarten? Seine Worte hatten sie tief verletzt. „Das hängt ganz von Ihnen ab“, erwiderte Garrett gleichmütig. „Sie machen es einem Mann nicht gerade leicht.“ „Was wollen Sie damit sagen?“ erwiderte Caroline verärgert. Aber er lachte nur und warf ihr einen spöttischen Blick zu. Caroline fühlte sich tief gedemütigt und blickte starr geradeaus. Nichts schien ihm mehr Freude zu bereiten, als sie in Aufregung zu versetzen. Daher nahm sie sich fest vor, ihn von nun an wie Luft zu behandeln.
Sie hatten jetzt die Autobahn verlassen und fuhren durch mehrere kleine Städte, die sich einander auf verblüffende Weise ähnelten. Es war eine ganz neue Welt für Caroline. Wenn nicht ihr Zorn auf Garrett gewesen wäre, hätte sie sich noch mehr für diese fremdartige Landschaft interessiert. So aber mußte Caroline sich ein wenig dazu zwingen, aus dem Fenster zu sehen. Schon bald bemerkte sie, daß man all diese Städte kannte, wenn man nur eine von ihnen gesehen hatte. Da gab es die schnurgerade Hauptstraße mit ihren leicht heruntergekommenen Häusern. Mitten im Ort befand sich auch meist eine Tankstelle aus den vierziger Jahren, ein kleines Cafe, das seine Hamburger anpries, und eine Kirche. Die meisten Bewohner waren Selbstversorger, oft weideten Kühe hinter den Häusern. Auch an Schweinen oder Hühnern herrschte kein Mangel. Fuhr man jedoch tiefer in die Stadt hinein, stieß man auf eine große Anzahl von Geschäften. Alles wurde zum Verkauf angeboten: Obst und Gemüse ebenso wie Antiquitäten oder Souvenirs. Caroline wäre gern einmal ausgestiegen, um sich das alles näher anzuschauen. Aber sie wollte Garrett um keinen Gefallen bitten. Ein anderes typisches Merkmal dieser Städte waren die alten Männer, die im Schaukelstuhl auf der Veranda saßen und die Fremden anstarrten. Neben ihnen stand immer ein Spucknapf, den sie gern und häufig benutzten. Caroline spürte sofort, daß sie nichts vom Leben, von den Hoffnungen und Wünschen dieser Leute wußte. Aber es reizte sie sehr, diese Leute kennenzulernen. Sie erschienen ihr stolzer und unabhängiger als die Menschen in der Stadt. Wieder mußte sie an ihr Leben in Dallas denken, und plötzlich fiel ihr zum erstenmal auf, daß sie dort niemanden zurückließ, der ihr am Herzen lag. Keiner wartete dort mehr auf sie. Sie ließen die Städte hinter sich und fuhren an Inks Lake vorbei, einem riesigen Natursee, der an der Grenze eines Nationalparks lag. Er bot einen atemberaubend schönen Anblick. Caroline nahm sich fest vor, sobald wie möglich hierher zurückzukehren, um sich den Park genauer anzusehen. Dann ging es wieder nach Süden. Kleine, weit voneinander entfernte Farmen bildeten die einzigen menschlichen Behausungen. Das Gelände wurde hügelig, und mehr als einmal konnte man Rehe und Rebhühner auf den Feldern erkennen. Zwanzig Kilometer hinter Llano stießen sie auf einen Gedenkstein, der weithin sichtbar auf einem Hügel stand. Garrett hielt einen Augenblick, damit Caroline die Inschrift lesen konnte. „Enchanted Rock – Der Zauberfelsen. Hier verteidigte sich Captain John C. Hays ruhmreich gegen feindliche Komanchen, die ihn von seinem Bataillon getrennt und umzingelt hatten. Er kämpfte so mutig und geschickt, daß die Indianer schließlich von ihm abließen und das Weite suchten.“ „Die ganze Gegend ist historisch sehr interessant“, sagte Garrett unvermittelt.
„Vielleicht mache ich einmal eine kleine Besichtigungstour mit Ihnen.“
Caroline warf ihm einen überraschten Blick zu. Es war wirklich erstaunlich, wie
rasch seine Stimmungen wechselten.
Während er kein Auge von der kurvenreichen Strecke ließ, fügte er noch hinzu:
„Die Indianer haben immer behauptet, dies sei ein verzaubertes Land.“
„Wirklich?“ fragte Caroline mit großen Augen. „Aber warum? Weil sie hier von
einem einzelnen Mann in die Flucht geschlagen wurden?“
„O nein! Die Legenden um den Zauberberg sind viel, viel älter. Seit
Jahrhunderten pilgerten Stämme aus allen Teilen des Landes hierher. Sie hielten diesen Berg für den Wohnsitz der Götter. Noch heute geschehen hier manchmal recht seltsame Naturereignisse – phosphoreszierende Lichter und unerklärliche Echos.“ „Ist das auch wirklich wahr?“ fragte Caroline beklommen. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, und ihr war auf einmal unheimlich zumute. Garrett warf ihr ein plötzliches Lächeln zu. „Es sind nur Legenden“, sagte er beruhigend. „Niemand weiß, wieviel davon reine Erfindung ist.“ Caroline nickte und schaute wieder aus dem Fenster. Die Landschaft schien immer karger und unwirtlicher zu werden. Nach einer Weile fiel ihr auf, daß ihnen schon seit langem kein anderer Wagen mehr entgegengekommen war. „Wie weit ist es noch bis zu Ihrer Ranch?“ erkundigte sie sich gespannt. „Wir befinden uns bereits seit über zwanzig Minuten auf meinem Besitz“, erwiderte Garrett ruhig. „Aber das Haus kommt erst noch.“ Caroline hätte ihm gern weitere Fragen gestellt, aber sie hütete sich wohlweislich davor. Inzwischen kannte sie Garrett gut genug, um zu wissen, wie sinnlos es war, ihn bedrängen zu wollen. Daher blieb sie stumm. Aber je mehr sie sich dem Ziel ihrer Reise näherten, desto größer wurde ihre Spannung. Es ging wieder bergauf. Plötzlich erschien auf der Spitze des Hügels ein großes Tor, das von hohen Mauern eingefaßt wurde. Es bot einen prächtigen Anblick inmitten der kargen Landschaft. Über dem schmiedeeisernen Tor hing ein Holzschild mit der Inschrift „Heritage Ranch“. Garrett drehte die Scheibe hinunter und öffnete mit einem Knopfdruck die schweren Flügeltüren. Danach folgte eine Fahrt durch ein Paradies, das Caroline hinter diesen Mauern nie vermutet hätte. Eine breite Allee führte mitten durch eine gepflegte Parklandschaft. Exotische Bäume erhoben sich über gepflegtem Rasen, die Luft war von dem schweren Duft riesiger Blüten erfüllt. Kleine Bäche, über die japanische Holzbrücken führten, plätscherten ins Tal hinab. Alles grünte und blühte, seltene Vogelarten zwitscherten um die Wette. Schließlich hielten sie auf einem runden Platz, der von Oleanderbüschen umsäumt wurde. Vor dort führte eine breite Steintreppe ins Haus. Auf beiden Seiten wuchsen hohe Weinreben, die sich in der Mitte trafen und einen kühlen, schattigen Tunnel bildeten. Über alldem erhob sich das Haus – ein blendendweißes zweistöckiges Gebäude im spanischen Stil. Nur die schmiedeeisernen Gitter an den Fenstern und das leuchtendrote Dach milderten den Kontrast zwischen der exotischen Farbenpracht des Gartens und den klaren, fast strengen Linien des Gebäudes. Es war ein großartiger Anblick, und Caroline mußte sich gestehen, daß sie sehr beeindruckt war. In diesem Augenblick drückte Garrett auf die Hupe. Das Geräusch unterbrach die Stille und ließ Caroline zusammenschrecken. „Wir sind endlich da“, sagte er zufrieden. „Dies ist mein Haus.“
4. KAPITEL „Hallo, Mr. Dean! Willkommen daheim!“ Die Stimme hatte einen unverkennbar spanischen Akzent. Beim Näherkommen erkannte Caroline, daß sie zu einem kleinen, älteren Mann in Jeans gehörte, der auf sie zugelaufen kam. „Hallo, Petie! Ich bin froh, wieder hier zu sein“, erwiderte Garrett und stieg aus. „Du kannst mir beim Tragen helfen.“ Er öffnete den Kofferraum und holte Carolines Gepäck heraus. Sie war ebenfalls ausgestiegen und blickte unsicher zu Petie hinüber, der sie mit offenem Mund anstarrte. Es wäre Garretts Aufgabe gewesen, sie einander vorzustellen. Aber er war wohl zu beschäftigt mit dem Ausladen. „Wer sind Sie?“ erkundigte sich Petie und warf ihr einen mißtrauischen Blick zu. Dann schien er plötzlich zu begreifen. Seine Augen wurden größer, und er fragte Garrett ohne Umschweife: „Du hast doch wohl nicht heimlich geheiratet, oder?“ Caroline hielt bestürzt den Atem an. Garrett richtete sich auf und funkelte den kleinen Mann zornig an. „Red doch keinen Unsinn, Petie“, sagte er rasch. „Dies ist Miss Gentry aus Dallas. Sie ist unsere Lehrerin.“ Der Mann nickte, aber die Antwort schien ihn nicht zu befriedigen. „Wo sind eigentlich deine Zähne?“ fragte Garrett plötzlich. Der alte Mann grinste verlegen, und erst jetzt sah Caroline, daß ihm sämtliche Zähne fehlten. Der seltsame Empfang verwirrte sie sehr. Garrett bemerkte dies sofort: „Ich muß mich wirklich für diese Begrüßung entschuldigen, Miss Gentry“, sagte er bedauernd. „Es ging alles so rasch, daß ich versäumt habe, meinen Leuten mitzuteilen, daß ich nicht allein zurückkäme.“ Caroline nickte stumm. Fasziniert beobachtete sie, wie Petie in seiner Tasche nach seinem Gebiß suchte. Er setzte es ein, und schon glänzten in seinem Mund zwei Reihen perlweißer Zähne. Sein verlegenes Grinsen fand Caroline so komisch, daß sie am liebsten laut gelacht hätte. „Ich glaube, ich werde jetzt erst einmal der Senora sagen, daß Sie angekommen sind“, meinte Petie und wandte sich zum Gehen. Erst jetzt merkte Caroline, daß er leicht hinkte. Sie mußte ein wenig lächeln, weil er einen so ungelenken Anblick bot. „Freut mich, daß er Ihnen gefällt“, sagte Garrett brummig. Er faßte sie beim Arm und führte sie die Steintreppe hinauf. „Petie wird Ihre Sachen später ins Haus bringen“, erklärte er. „Aber zuerst möchte ich Ihnen das Personal vorstellen.“ Caroline nickte. Fast tat es ihr leid, daß sie über den alten Mann gelacht hatte. Beim Näherkommen sah sie, daß das Haus aus zwei Flügeln bestand, die durch einen breiten Gang miteinander verbunden waren. Die schwere Eichenpforte stand weit offen und ermöglichte einen Blick ins Innere des riesigen Gebäudes. An den Gang schloß sich ein spanischer Innenhof an. Den Mittelpunkt des Hofes bildete ein Springbrunnen mit einer kleinen Fontäne. Rundum standen steinerne Sitzbänke. Garrett führte sie dorthin, erst dann ließ er ihren Arm los. Caroline blickte sich erstaunt um. Es war wie in einem Märchen aus „Tausendundeine Nacht“. Die Wände des Hofes waren über und über mit Arabesken verziert. Alles war traumhaft schön. Plötzlich hörte Caroline aufgeregte Stimmen, die einander in lautem Spanisch etwas zuriefen. Sie kamen immer näher, und eine Frau stand vor ihr, deren außergewöhnliche Körpermaße sie selbst noch zierlicher als sonst erschienen ließen. Sie strahlte über das ganze Gesicht und begrüßte Caroline so überschwenglich, als hätte sie sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Erst dann
wandte sie sich Garrett zu und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Willkommen! Herzlich willkommen!“ sagte sie auf englisch mit spanischem Akzent. „Ich bin Lynn, meine Kleine. Sei willkommen in unserem Haus! Wahrscheinlich bist du nach der langen Fahrt hungrig, nicht wahr? Ich werde dir etwas aus der Küche holen lassen. Du bist wirklich zu dünn!“ Sie warf Garrett, der in komischer Verzweiflung den Kopf schüttelte, einen strafenden Blick zu. „Hast du die Kleine etwa hungern lassen, du Unmensch?“ „Nein, natürlich nicht“, erwiderte er, als sie ihn endlich zu Wort kommen ließ. „Ich will nur wissen, was hier los ist. Habt ihr denn all eure guten Manieren vergessen?“ Lynn antwortete nicht. Sie verschränkte die Hände vor der Brust und zwinkerte Caroline verschwörerisch zu, die nicht wußte, was sie von diesem merkwürdigen Empfang halten sollte. Aber Lynn war ihr trotzdem gleich sympathisch. Sie warf ihr ein warmes Lächeln zu. „Was heißt hier Manieren?“ fragte die Haushälterin mit hochgezogenen Augenbrauen. „Wenn du es noch nicht einmal für nötig hältst, uns vorher zu benachrichtigen, daß du einen Gast mitbringst, ist das ja auch nicht gerade in Ordnung, oder?“ Caroline glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Es war ganz neu für sie, daß jemand es wagte, Garrett so unverblümt die Meinung zu sagen. „Verlangst du im Ernst von mir, daß ich alle Leute im voraus informiere, wenn ich jemand einstelle?“ gab Garrett gereizt zurück. Das verschlug Lynn für einen Augenblick die Sprache. Sie warf ihm einen raschen Blick zu, der klar besagte, welche Vermutungen sie in bezug auf Caroline gehegt hatte. Aber sie hatte sich schnell wieder gefangen. „Verzeihen Sie mir, Senorita“, sagte sie in wesentlich höflicherem Ton, „ich hatte Sie eigentlich für einen persönlichen Gast von Mr. Dean gehalten.“ „Das… das macht doch nichts, Lynn“, entgegnete Caroline unsicher. Sie wußte noch immer nicht, was sie von all dem halten sollte. Empfing man so die Gäste der Ranch? Es schien sich wirklich um einen höchst merkwürdigen Haushalt zu handeln. „Ich glaube, ich sollte mich entschuldigen“, setzte sie hinzu. „Schließlich konnten Sie ja nicht wissen, daß ich kommen würde.“ Sie zögerte und blickte schnell zu Garrett hinüber, der aber beharrlich schwieg. „Ich bin von Mr. Dean eingestellt worden, um den Kindern Englischunterricht zu erteilen.“ Lynns Augen leuchteten auf. Sie ergriff Carolines Hände und gab ihrer Freude erneut wortreich Ausdruck – diesmal allerdings in Spanisch. Caroline ließ den Wortschwall über sich ergehen. Sie war zwar sehr froh, daß sie hier eine so nette Aufnahme fand, aber Lynns überschäumendes Temperament strengte sie nach der ermüdenden Reise doch etwas an. Endlich hatte Garrett ein Einsehen und unterbrach Lynn. „So, das reicht zunächst“, sagte er bestimmt. „Jetzt solltest du Caroline erst einmal ihr Zimmer zeigen, damit sie sich ausruhen kann. Ich habe Petie schon gesagt, daß er ihre Koffer hinaufbringen soll. Danach kann er mir mit den Bullen helfen. Ich muß mich jetzt erst einmal waschen.“ Er krempelte sich die Ärmel auf und wollte gerade gehen, als plötzlich ein kräftiger Cowboy in den Hof gestürmt kam. „Gut, daß Sie wieder zurück sind, Boß“, sagte er aufatmend. „Wir haben Schwierigkeiten mit den Kälbern auf der großen Weide.“ Garrett blickte ihn stirnrunzelnd an. „Und wo ist Rod? Er hat sich um diese Weide zu kümmern.“ „Ich weiß, aber Ted hat ihn gebeten…“ Plötzlich erblickte er Caroline und hielt mitten im Satz inne. „Entschuldigung, Miss, ich hatte Sie nicht gesehen…“
Garrett winkte ungeduldig ab. „Für so etwas haben wir jetzt keine Zeit“, sagte er energisch. „Laß uns gleich gehen! Manchmal frage ich mich allerdings, warum ich euch überhaupt bezahle. Die Hauptarbeit bleibt doch immer an mir hängen.“ „Ja, Boß“, erwiderte der Cowboy, der noch immer kein Auge von Caroline lassen konnte. Gereizt folgte Garrett seinem Blick: „Gut, dies ist Miss Gentry aus Dallas. Sie ist Lehrerin und wird den Kindern Englischunterricht erteilen. Miss Gentry, dies ist Cleave Lawson, einer meiner besten Männer. Zufrieden, Cleave? Können wir uns jetzt vielleicht an die Arbeit machen?“ „Ja, Boß“, nickte der Cowboy. Dann nahm er plötzlich seinen Hut ab und machte eine Art Verbeugung vor Caroline. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Gentry.“ „Cleave!“ „Ich komme ja schon!“ Er warf Caroline noch ein entschuldigendes Lächeln zu, dann lief er hinter Garrett her. Kopfschüttelnd blickte Caroline den beiden Männern nach. Das prächtige Haus und die absonderlichen Verhaltensweisen seiner Bewohner machten ihr das Eingewöhnen schwer. Plötzlich fühlte sie sich müde und einsam. War es nicht verrückt gewesen, auf das Angebot eines völlig Fremden einzugehen? Dies hier war nicht ihre Welt, sie fühlte sich wie ausgeschlossen. Aber da ließ sich auf einmal Lynn ohne weiteres neben ihr nieder. Sie drängte Caroline fast an den Rand der Bank. „Hatten Sie wenigstens eine angenehme Reise?“ erkundigte sie sich lächelnd. Caroline nickte stumm. „Sehr schön! Sind Sie verheiratet oder verlobt?“ Als Caroline verblüfft den Kopf schüttelte, kicherte sie plötzlich. „Das habe ich mir doch fast gedacht“, rief sie vergnügt. „Keine Angst, Kindchen, es wird Ihnen hier schon gefallen. Möchten Sie jetzt, daß ich Ihnen etwas zu essen bringe?“ „Nein, nein, auf gar keinen Fall!“ protestierte Caroline. „Wir haben auf der Fahrt etwas zu uns genommen. Ich möchte viel lieber das Haus sehen. Außerdem wäre es schön, wenn ich mich erst einmal waschen könnte.“ „Aber selbstverständlich“, sagte die Haushälterin. Sie erhob sich ächzend von der Bank und ging zur Tür. Dort stieß sie einen durchdringenden Schrei aus. Caroline brauchte einen Augenblick, bis sie begriff, daß Lynn nach Petie gerufen hatte. Er schien eine Art Hausdiener zu sein. Als er endlich erschien, befahl Lynn ihm, Carolines Koffer sofort auf ihr Zimmer zu bringen. „Gloria hilft dir beim Auspacken“, fügte sie noch hinzu. Petie nickte. „In welches Zimmer soll ich die Koffer bringen?“ „Ins Rosenzimmer. Und zwar schnell!“ „Aber das ist doch…“ „Wirst du wohl tun, was ich dir gesagt habe?“ Jeder Widerspruch gegen die riesige Frau war sinnlos. Achselzuckend ergriff er die Koffer und machte sich auf den Weg nach oben. „So, und wir beide gehen jetzt durchs Haus“, schlug Lynn vor. Sie gingen den langen Gang hinunter, bis sie an eine große Glastür kamen. „Dies ist die Küche“, erklärte Lynn stolz. Staunend blickte sich Caroline in dem riesigen Raum um. Er war in eine Koch und in eine Eßecke unterteilt worden. Die eigentliche Küche war mit den modernsten Geräten ausgestattet, von der Geschirrspülmaschine bis zum Mikrowellenherd war alles vorhanden. Die Eßecke erinnerte Caroline ein wenig an eine Bar. Der Raum war in einem freundlichen Grün gehalten, an den Wänden hingen zahlreiche Töpfe und Tiegel
aus blankpoliertem Kupfer. Alles machte einen blitzsauberen Eindruck, und sie freute sich schon jetzt darauf, ihre Mahlzeiten hier einzunehmen. Dies war der kleinere der beiden Flügel. Neben der Küche befanden sich das eigentliche Eßzimmer und die Wohnräume von Lynn, Petie und ihrer Tochter Gloria. „Gloria ist etwa in Ihrem Alter“, sagte Lynn zu Caroline. „Sicherlich werden Sie beide gute Freundinnen werden.“ „Das wäre sehr schön“, meinte Caroline mit neu erwachter Hoffnung. Vielleicht würde sie hier ja doch nicht so einsam sein, wie sie anfangs befürchtet hatte. Danach zeigte Lynn ihr den anderen Flügel, der wesentlich größer war. Er bestand aus einem geräumigen Zimmer für Empfänge, einer Bibliothek und einem Billardzimmer. Garretts Wohnräume und das Rosenzimmer, das Lynn für Caroline vorgesehen hatte, schlossen sich daran an. Außerdem gab es noch einige Gästezimmer und die Garage. Immer wieder von neuem staunte Caroline über die sorgfältige Ausstattung der Zimmer. Sie bewunderte die schönen Marmorböden und die holzgetäfelten Decken. Zudem schien der Architekt eine besondere Vorliebe für Glastüren gehabt zu haben. Es war ihr nicht sehr angenehm, direkt neben Garretts Privaträumen zu wohnen. Aber es gab keine Verbindungstüren, und außerdem versicherte ihr Lynn, daß er sich nur selten dort aufhielt. „Darf ich mir die Räume einmal ansehen?“ fragte Caroline neugierig. „Nicht jetzt, vielleicht später einmal. Es sind fünf Zimmer: ein Büro, ein Wohnzimmer, ein kleiner Salon, Garretts Schlafzimmer und das Bad.“ Als sie gerade den Gang entlanggingen, wies Lynn auf eine der Türen. „Diese Tür führt in sein Büro“, sagte sie. Dann blieb sie stehen: „So, und hier ist das Zimmer, das ich für Sie gewählt habe.“ Sie lächelte und ließ Caroline als erste eintreten. Zaghaft machte Caroline einige Schritte und spähte hinein. „Oh… das… aber das ist ja wie im Märchen!“ stieß sie völlig überwältigt hervor. „Und hier soll ich wirklich wohnen?“ „Es gefällt Ihnen also?“ fragte die Haushälterin befriedigt. Caroline schüttelte den Kopf. „Gefallen ist nicht das richtige Wort. Das ist der schönste Raum, den ich je gesehen habe!“ Lynn nickte. „Das wußte ich“, sagte sie zufrieden. „Vom ersten Augenblick an, als ich Sie sah, war mir klar, daß dies das richtige Zimmer für Sie sein würde.“ Caroline warf ihr ein dankbares Lächeln zu. Dann fing sie an, den Raum näher zu betrachten. Es war nicht schwierig zu erkennen, warum er das Rosenzimmer genannt wurde. Die Stuckdecke war in einem warmen Rot gehalten, das sich in der Farbe des großen, flauschigen Teppichs wiederholte, der fast die ganze Fläche bedeckte. Die sorgfältig ausgewählten Möbel waren aus Rosenholz, auf einigen leuchteten Einlegearbeiten. Auf dem Himmelbett lag eine kostbare Seidendecke, die über und über mit Rosen bestickt war. Dasselbe Muster fand sich wieder auf den schweren Vorhängen aus hellrotem Samt. Das geräumige Badezimmer hatte dunkelrote Kacheln, und selbst die Handtücher zeigten noch das Rosenmotiv, das dem Raum eine so warme Note verlieh. Caroline nahm sich viel Zeit, alles genau zu besichtigen. Sie konnte es noch immer nicht fassen, daß dies nun für die Dauer ihres Aufenthalts auf der Ranch wirklich ihr Zimmer sein sollte. Nach einer Weile suchte sie nach Anzeichen, die ihr verraten sollten, wer dieses Zimmer vor ihr bewohnt hatte. Denn die Sicherheit in der Auswahl auch der kleinsten Einzelheiten ließ auf eine starke
Persönlichkeit mit gutem Geschmack schließen. Ohne Zweifel war dieser Raum für eine Frau gedacht. Außerdem unterschied er sich von den anderen Zimmern, die sie bisher gesehen hatte. Überall ließ sich die Hand des Architekten erkennen, nur das Rosenzimmer besaß einen völlig eigenen Stil. „So, Sie sollten sich jetzt vielleicht ein wenig ausruhen“, schlug Lynn vor, die bisher ihren Gedankenflug nicht unterbrochen hatte. „Kommen Sie nachher zu mir in die Küche. Ich mache Ihnen dann einen schönen, starken Kaffee. Außerdem habe ich heute einen Käsekuchen gebacken. Gloria wird Ihnen danach beim Auspacken helfen, und wenn Sie möchten, können Sie später ein heißes Bad nehmen.“ „Das ist sehr freundlich von Ihnen“, meinte Caroline zustimmend, „aber ich möchte wirklich nicht, daß Gloria mir beim Auspacken hilft. Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihren freundlichen Empfang, Lynn. Aber ich bin schließlich auch nur eine Angestellte.“ Noch einmal ließ sie ihre Augen im Zimmer umherschweifen. Sie spürte den starken Wunsch, sich hier heimisch zu fühlen. Daher wollte sie von Anfang an klarstellen, daß sie nicht bedient werden wollte. Für eine Weile sollte dies nur ihr Zuhause sein. Caroline konnte ihr Glück noch immer nicht recht fassen. Lynn schüttelte mißbilligend den Kopf. „Jeder hier hat seine Aufgabe“, erklärte sie. „Sie sind Lehrerin, und Gloria ist für den Haushalt verantwortlich.“ „Gut“, meinte Caroline, „aber nur dieses eine Mal. Danach muß ich mich allein zurechtfinden.“ Lynn nickte und machte Anstalten, das Zimmer zu verlassen. „Also bis später“, rief sie. „Finden Sie den Weg zurück in die Küche?“ „Bestimmt!“ Die Haushälterin verschwand, und Caroline ging ins Badezimmer hinüber. Sie wusch sich gründlich und löste die Klammern, mit denen sie ihr kastanienbraunes Haar hochgesteckt hatte. Es wäre schön gewesen, wenn sie sich hätte umziehen können. Hoffentlich waren ihre Koffer nicht zu schwer für den kleinen Petie. Wieder mußte sie daran denken, wie mühelos Garrett sie zum Wagen getragen hatte. Sie bewunderte körperliche Kraft. Plötzlich merkte Caroline, wie sehr sie die lange Fahrt angestrengt hatte. Sicherlich würde ihr eine Tasse Kaffee gut tun. Sie verließ ihr Zimmer und schlug nach kurzem Überlegen einen anderen Weg ein, der sie außen ums Haus herum führte. Dabei kam sie an einem großen Swimmingpool vorbei. Das klare Wasser lud zum Baden ein, aber das würde sie ein andermal tun. Dennoch blieb sie einen Moment lang stehen und bewunderte die herrlichen Oleanderbüsche, die rund um das Becken gepflanzt worden waren. Der Ort machte einen friedlichen, abgeschiedenen Eindruck. Am liebsten hätte Caroline sich gleich in einer der Liegen von der Sonne bräunen lassen. Doch dann schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Sie war schließlich hierhergekommen, um zu arbeiten und nicht, um zu faulenzen. Das durfte sie nicht vergessen. Ohne Schwierigkeiten fand sie den Weg zur Küche, wo Lynn bereits auf sie wartete. Es roch verführerisch nach frisch gemahlenem Kaffee, und auf dem Tisch stand eine große Käsesahnetorte. Caroline hatte zwar keinen Appetit, aber sie wollte Lynn auch nicht kränken. So aß sie ein Stück und ließ sich zu einem zweiten überreden. Der Kuchen schmeckte köstlich. Sie würde sich jedoch beim Essen etwas zurückhalten, um nicht Lynns üppige Formen anzunehmen.
Es war sehr gemütlich in der Küche. Lynn hatte sich mit einer Tasse Kaffee zu ihr gesetzt, und die beiden plauderten ausgiebig. Caroline erzählte ihr von ihrem bisherigen Leben in Dallas, und die Haushälterin erwies sich als aufmerksame Zuhörerin. Im Gegensatz zu Garrett beantwortete sie bereitwillig alle Fragen, die Caroline über die Ranch und ihren Besitzer stellte. Überrascht erfuhr Caroline von der vielen Arbeit, die Lynn im Haus hatte. Sie kochte für alle – die Cowboys, die Vorarbeiter, ihre eigene Familie und Garrett. Dabei halfen ihr nur Gloria und Petie, die aber noch andere Aufgaben zu erfüllen hatten. Bei der Größe der Ranch war das eine beachtliche Leistung. Bewundernd blickte Caroline sich in der blitzsauberen Küche um. Ihr Respekt für Lynn wuchs. „Es kommt natürlich auch ziemlich häufig vor, daß Garrett Gäste mitbringt“, berichtete Lynn. „Besonders im Herbst, wenn die Saison zu Ende ist, herrscht ein lebhafter Betrieb.“ Lynn war offensichtlich sehr stolz auf Garrett und seine Ranch. Sie sprach immer von „unserem Haus“, und zu Garrett schien sie ein geradezu mütterliches Verhältnis zu haben. Caroline hatte sich schon bei der Begrüßung darüber gewundert, daß er sich von ihr soviel sagen ließ. Aber Lynn erklärte ihr selbst: „Garrett ist für mich wie ein Sohn. Ich habe ihn auch großgezogen. Als seine Mutter starb, war Garrett erst ein Jahr alt. Sein Vater brachte mich aus Mexiko als seine Amme hierher. Später war er es, der diese Ranch aufbaute und durch seine vielfältigen Unternehmungen zu Reichtum kam. Er hatte uns nicht vergessen. Als erstes holte er Petie und mich hierher, um ihm den Haushalt zu führen. Seitdem wohnen wir alle gemeinsam hier. Ich kann mir kein schöneres Leben vorstellen.“ „Sie sind wirklich sehr stolz auf Garrett, nicht wahr?“ „O ja, natürlich! Als sein Vater starb, hinterließ er ihm nur eine kleine Farm mit ein paar Kühen. Sie sehen, was er daraus gemacht hat. Außerdem hat er sich auf vielen verschiedenen Gebieten hervorgetan. Er war mehrfacher Rodeosieger. Außer dieser Ranch besitzt er noch eine Ölgesellschaft. In den letzten Jahren hat er seinen Grundbesitz um ein Vielfaches vermehrt… ach, ich kann gar nicht alles aufzählen.“ Caroline nickte beeindruckt. Aber mehr noch als seine berufliche Karriere interessierte sie sein persönliches Leben. Ein so erfolgreicher Mann mußte doch auch viele Frauen kennengelernt haben. Wie stellte sie es nur an, Lynn danach zu fragen, ohne sie zu sehr zu drängen? Daß Garrett nicht verheiratet war, lag auf der Hand. Aber warum? Ihre Neugier überwog ihre Bedenken, und so fragte sie Lynn geradeheraus: „War er denn nie verheiratet?“ Die Haushälterin zögerte einen Moment. Ihr Gesicht nahm einen merkwürdigen Ausdruck an, als sie widerstrebend antwortete: „Doch, es gab eine Mrs. Dean. Aber sie lebt nicht mehr.“ Caroline sah sie betroffen an. Schließlich ging sie das Privatleben ihres Arbeitgebers nichts an. Außerdem wirkte Lynn auf einmal etwas bedrückt. Sie wünschte sich sehr, die Frage wieder zurücknehmen zu können. Statt dessen wechselte sie schnell das Thema. „Ich muß Ihnen wirklich ein Kompliment zu diesem köstlichen Kuchen machen“, sagte sie und wies auf die Käsesahnetorte. „Selbst meine Tante hätte ihn nicht so gut backen können, und Torten waren ihre Spezialität.“ Gleich strahlte die Köchin wieder. „Möchten Sie etwa noch ein Stück?“ fragte sie eifrig. „Nein, wirklich nicht. Vielen Dank!“ protestierte Caroline. In diesem Moment wurde die Glastür geöffnet, und Garrett trat ein. Ihm folgte
einer seiner Cowboys. Es war Rick Benson, Garretts Assistent. Die beiden Männer waren fast gleich groß, Rick hatte jedoch ein fast jungenhaftes Aussehen. Sein dunkelbraunes Haar glänzte feucht, als habe er sich gerade einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet. Das Hemd klebte ihm am Leib, und in der Hand trug er seinen breitkrempigen Cowboyhut. Garrett stellte die beiden einander vor, und Rick betrachtete Caroline mit anerkennendem Blick. „Das ist aber wirklich einmal eine angenehme Überraschung“, sagte er. „Auf eine so hübsche junge Dame haben wir hier alle schon lange gewartet.“ Er schien Garretts Stirnrunzeln nicht zu bemerken und fuhr fort: „Zu meiner Zeit waren die Lehrerinnen längst nicht so hübsch. Sonst wäre ich damals sicher lieber zur Schule gegangen.“ Caroline freute sich über sein Kompliment. Dieser junge Mann mit dem entwaffnenden Lächeln war ihr gleich sehr sympathisch. Aber auch ihr blieb nicht verborgen, daß Garrett sein Verhalten mit Zurückhaltung aufnahm. Was hatte er denn an dieser harmlosen Begrüßung auszusetzen? Wollte er sie etwa schon wieder prüfen? Sie hatte es langsam satt, von ihm auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden. Daher beschloß sie, ihn ein wenig zu ärgern. Sie warf dem jungen Cowboy ihr charmantestes Lächeln zu und sagte: „Vielen Dank, Mr. Benson. Ich hoffe jedoch, daß man mich hier wegen meiner Arbeit schätzen wird und nicht wegen meines Aussehens.“ Rick Benson lächelte zurück und nickte. Er hatte offensichtlich Gefallen an ihr gefunden und ließ sich durch ihre Worte nicht abschrecken. Garrett schien verärgert. „Ich dachte, wir wollten Kaffee trinken“, brummte er und ließ sich von Lynn eine Tasse einschenken. Dann fragte er die Köchin, ob sie Caroline schon das Haus gezeigt hätte. „Ja, wir haben eine richtige Besichtigungstour gemacht“, sagte Caroline mit leuchtenden Augen. „Es ist wirklich wunderschön!“ „Gloria packt gerade ihre Koffer aus“, setzte Lynn hinzu. „Miss Gentry scheint sich bei uns schon sehr wohl zu fühlen, nicht wahr?“ „Ja, ich danke Ihnen noch einmal herzlich für den freundlichen Empfang. Besonders erfreut war ich über mein wunderschönes Zimmer…“ In diesem Moment bekam die Köchin einen Hustenanfall. Aber Lynn war eine schlechte Schauspielerin. Niemandem im Raum war entgangen, daß sie Caroline am Weiterreden hatte hindern wollen. Garrett warf ihr einen mißtrauischen Blick zu. „Wie war das noch mit Ihrem Zimmer?“ fragte er Caroline unvermittelt. Sie zuckte hilflos mit den Schultern. Hatte sie vielleicht etwas Falsches gesagt? „Nichts, ich… ich finde es nur wunderschön und sehr gemütlich. Natürlich hat es auch genau den richtigen Namen, Rosenzimmer ist wirklich…“ Sie brach ab, als sie Garretts überraschtes Gesicht sah. Ihren Worten folgte unheilvolles Schweigen. Dann drehte sich Garrett langsam zu Lynn um. Er war höchst ungehalten, und seine Stimme zitterte, als er fragte: „Du hast ihr das Rosenzimmer gegeben?“ Seinem Tonfall allein konnte man entnehmen, daß es sich dabei um eine Ungeheuerlichkeit zu handeln schien. Caroline lehnte sich eingeschüchtert in ihrem Stuhl zurück. Sie hatte keine Ahnung, was seinen Zorn hervorgerufen hatte. Aber er war anscheinend nicht gegen sie gerichtet. Lynn erwiderte Garretts Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. „Ja, ich habe ihr das Rosenzimmer gegeben. Sie wird sich dort bestimmt sehr wohl fühlen.“
Garrett schien enttäuscht. „Ich nehme an, wir hätten uns vorher darüber unterhalten sollen. Aber was ich von deiner Eigenmächtigkeit halte, brauche ich dir wohl nicht zu sagen.“ Die Köchin drehte sich ohne ein weiteres Wort zum Herd um und begann mit ihren Töpfen zu klappern. Niemand sprach ein Wort. Der Raum war von einer solchen Spannung erfüllt, daß Caroline kaum zu atmen wagte. Aber schließlich gelang es Garrett, seine Beherrschung zurückzugewinnen. „Ich hoffe, daß Sie sich im Rosenzimmer wohl fühlen werden, Miss Gentry“, sagte er endlich. „Sollte Ihnen aber irgendein anderer Raum mehr zusagen, können Sie jederzeit umziehen.“ Damit wandte er sich um und verließ die Küche. „Komm schon, Rick!“ rief er noch. Der kräftige Cowboy warf Caroline einen bedauernden Blick zu. Dann ging auch er aus dem Zimmer. Caroline wollte Lynn gerade fragen, was es mit dieser seltsamen Szene auf sich hatte, als Garrett noch einmal zurückkam. „Ehe ich es vergesse“, sagte er zu Lynn, „wir haben heute abend Gäste. Ich erwarte einen Viehzüchter aus Fort Worth, der seine Frau und ein paar Freunde mitbringen wird. Insgesamt werden wir sechs Personen sein. Gegen neun Uhr wollen wir draußen im Innenhof essen. Hast du verstanden?“ „Ja, Garrett.“ „Gut, dann bis später.“ Er warf Caroline noch einen Blick zu, den sie nicht deuten konnte. Danach fiel die Tür mit lautem Knall hinter ihm ins Schloß, und Caroline atmete erleichtert auf. „Garrett ist wirklich manchmal ein schwieriger Mensch, nicht wahr?“ Zu ihrem größten Erstaunen sah Caroline, daß sich die Köchin vor Lachen kaum noch halten konnte. „Was ist denn los?“ fragte sie verblüfft. Waren jetzt alle verrückt geworden? Es dauerte noch ein paar Minuten, bis Lynn mit dem Lachen aufhörte. Schließlich wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und sagte zufrieden: „Diesmal hat er den Kürzeren gezogen. Niemals hätte er gedacht, daß ich Ihnen das Rosenzimmer zuweisen würde. Wenn er nicht so überrascht gewesen wäre, hätte er bestimmt darauf bestanden, daß Sie in ein anderes Zimmer überwechseln.“ „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir endlich sagen würden, worum es eigentlich geht“, sagte Caroline nachdenklich. Es gefiel ihr nicht, daß sie indirekt an einem Streit zwischen Garrett und der Köchin schuld sein sollte. „Ja, natürlich! Entschuldigen Sie, Miss Gentry. Ihnen muß das alles wahrscheinlich sehr seltsam vorkommen. Aber meiner Meinung nach wird es endlich Zeit, die Vergangenheit zu bewältigen. Nur darum habe ich Ihnen das Rosenzimmer zugewiesen. Ich tat es für Garrett. Er sollte endlich einen neuen Anfang machen.“ Caroline sah sie verständnislos an. Sie konnte mit diesen dunklen Andeutungen nur wenig anfangen. „Es war ihr Zimmer“, erklärte Lynn einfach. „Ihr Zimmer?“ Die Köchin schien ihre Frage gar nicht gehört zu haben. „Warum sollten Sie nicht im Rosenzimmer wohnen? Man kann die Toten nicht wieder lebendig machen.“ Endlich verstand Caroline. Das Rosenzimmer war von Garretts Frau gestaltet worden. Daher hatte es ihn auch so sehr getroffen, als er hörte, daß sie – eine Fremde – jetzt darin wohnte. Kopfschüttelnd blickte sie Lynn an. Was bezweckte die Köchin nur mit solchen Machenschaften? Sie hatte Caroline in eine unmögliche Lage gebracht. Was sollte sie jetzt nur tun?
„Solange das Zimmer unbewohnt bleibt, wird er seine Frau nicht vergessen können. Drei Wochen nach ihrem Tod ging ich einmal dort hinein, um Staub zu wischen. Zufällig sah mich Garrett, und es gab einen Riesenkrach. Er drohte sogar damit, mich zu entlassen, wenn ich ihre Sachen nicht in Ruhe ließe. Aber ich habe nicht nachgegeben. Schließlich möchte ich nicht, daß sein Leben unglücklich verläuft.“ Caroline gab darauf keine Antwort. Sie konnte Lynns Standpunkt zwar verstehen, aber das machte die Sache für sie nicht leichter. Sie wollte sich nicht in die persönlichen Angelegenheiten fremder Leute einmischen. Plötzlich sehnte sie sich wieder nach ihrem stillen Zuhause in Dallas zurück. „Ich bin davon überzeugt, daß es wirklich so am besten für ihn ist“, beharrte Lynn. „Außerdem wird sich sein Zorn schnell wieder legen, das kann ich Ihnen versprechen. So ist es immer mit Garrett. Er regt sich leicht auf, aber dafür ist er auch nicht nachtragend.“ Caroline sah sie zweifelnd an. Von Anfang an hatte es zwischen ihr und Garrett Schwierigkeiten gegeben. Diesmal trug sie zwar keine Schuld an seinem Zorn, aber sie war sich nicht sicher, ob er bereit war, das zu erkennen. Jedenfalls hatte sie im Moment keine andere Wahl, als in dem Zimmer zu bleiben, das Lynn ihr zugewiesen hatte. Aber ihre Freude daran war merklich gedämpft.
5. KAPITEL Mit einem Ruck fuhr Caroline aus dem Schlaf hoch. Hatte tatsächlich jemand an ihre Tür geklopft, oder hatte sie das nur geträumt? Nein, das Klopfen wiederholte sich laut und deutlich. „Einen Augenblick, bitte“, rief sie und griff nach ihrem Morgenrock. Verschlafen warf sie ihn über und stieg aus dem Bett. Sie öffnete die Tür einen Spalt breit und sah hinaus. Eine junge Mexikanerin stand vor ihr und wartete darauf, eingelassen zu werden. Sie war hübsch und ein paar Jahre jünger als Caroline. Ihr dickes, blauschwarzes Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten, der ihr locker über die Schulter fiel. „Hallo, Sie sind wahrscheinlich Gloria!“ rief Caroline erfreut und machte die Tür ganz auf. „Ich bin Caroline Gentry. Ihre Mutter hat mir schon von Ihnen erzählt. Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Sie streckte die Hand aus, aber das Mädchen machte keinerlei Anstalten, sie zu ergreifen. „Richtig, ich bin Gloria“, sagte sie nur. „Ich soll Ihnen bestellen, daß wir in einer Stunde zu Abend essen.“ Damit drehte sie sich um und ging den Gang wieder hinunter. Caroline sah ihr verblüfft nach. Nach Lynns so herzlichem Empfang war sie auf solche Schroffheit nicht gefaßt gewesen. Sie ging langsam zurück ins Zimmer, wo sie sich etwas betrübt in einen Sessel fallen ließ. Das Verhalten des Mädchens war ihr ein Rätsel. Schließlich kannten sie sich überhaupt nicht. Sie hatte gehofft, daß Gloria erfreut sein würde, eine etwa gleichaltrige Freundin zu finden, darin hatte sie sich wohl getäuscht. Ratlos blickte Caroline sich im Zimmer um. Neidete Gloria ihr vielleicht den Aufenthalt in dieser prächtigen Umgebung? Oder war es ihr nicht recht gewesen, daß sie ihr beim Auspacken hatte helfen müssen? Benommen schüttelte sie den Kopf. Die Bewohner des großen Hauses hörten nicht auf, sie in Erstaunen zu versetzen. Sicherlich würde es eine Weile dauern, bis sie alle Zusammenhänge durchschauen würde. Es war wirklich schade, daß Gloria sich so ablehnend verhalten hatte. Caroline hatte sie nämlich eigentlich fragen wollen, was sie heute abend anziehen sollte. Sie hatte keine Ahnung, welche Kleidung man hier bei gesellschaftlichen Anlässen für passend hielt. Es schien nur eine Lösung zu geben: Jeans! Jedermann, ob alt oder jung, dick oder dünn lief in den blauen Hosen herum. Dies war kein geringes Problem für Caroline, denn sie besaß keine Jeans. Ihre Tante hatte ihr nie erlaubt, Hosen zu tragen. Ihrer Meinung nach war dies die Kleidung der Cowboys und Landarbeiter. Ein bürgerliches junges Mädchen trug keine Jeans. Sie ging an ihren Schrank und unterwarf ihre Garderobe einer genauen Prüfung. Das Ergebnis war niederschmetternd. Anscheinend besaß sie nicht ein einziges Kleidungsstück, das für diesen Anlaß passend war. All die schönen Kostüme, die sie mitgenommen hatte, konnte sie hier nicht tragen. So entschied sie sich schließlich für einen dunkelblauen Hosenanzug und eine einfache weiße Seidenbluse. Nachdem sie sich sorgfältig geschminkt und ihr Haar im Nacken zusammengebunden hatte, besah sich Caroline im Spiegel. Leider sah sie für ihren Geschmack immer noch viel zu jung und unerfahren aus. Auch wünschte sie sich zum hundertsten Mal, etwas größer zu sein. Aber daran ließ sich nun einmal nichts ändern. Seufzend wandte sie sich vom Spiegel ab. Es war erst halb acht, daher war noch etwas Zeit bis zum Abendessen. Entweder blieb sie in ihrem Zimmer, oder sie ging hinüber in die Küche und bot Lynn ihre Hilfe an.
Nur der Gedanke an Gloria ließ sie zögern. Wahrscheinlich würde es dem Mädchen nicht recht sein, wenn sie sich in den Haushalt einmischte. Aber vielleicht gefiel dem Mädchen, daß sie sich hier nützlich machen wollte. Außerdem konnte Lynn bei den vielen Gästen bestimmt Hilfe gebrauchen. Kurz entschlossen machte sie sich auf den Weg in die Küche. Mitten im Innenhof stand ein langer, schmaler Tisch, der bereits festlich gedeckt war. Das gelbe Damasttuch und die Kristalleuchter ließen das feine Porzellangeschirr gut zur Geltung kommen. Mehrere Blumensträuße waren auf dem Tisch verteilt. Plötzlich freute Caroline sich auf den Abend. Sie trat näher an den Tisch heran und besah sich die Tafel. Neben dem Tisch war eine kleine Bar aufgebaut. Flaschen und Gläser funkelten im Schein der Kerzen, in großen Eiskübeln standen mehrere Flaschen Champagner. Caroline wunderte sich im stillen über diesen Aufwand. Wurde allen Gästen der Ranch ein so prunkvoller Empfang bereitet? Oder waren die Leute, die heute abend kommen sollten, in geschäftlicher Hinsicht wichtig für Garrett? Plötzlich fiel ihr etwas ein, an das sie vorher noch gar nicht gedacht hatte. Sicherlich würde Garrett heute abend in weiblicher Begleitung sein. Dieser Gedanke versetzte ihr einen kleinen Stich. Aber sie machte sich sogleich Vorwürfe. Schließlich sollten ihr die persönlichen Belange ihres Arbeitgebers völlig gleichgültig sein. Um nicht länger über diesen Gesichtspunkt nachdenken zu müssen, lief sie schnell in die Küche hinüber. Caroline hatte erwartet, Lynn dort in emsiger Geschäftigkeit vorzufinden, aber statt dessen las sie Zeitung und trank eine Tasse geeisten Tees. Sonst war niemand in der Küche. Caroline fiel als erstes auf, daß Lynn sich ebenfalls umgezogen hatte. Sie trug jetzt ein dunkelrotes Kleid mit vielen Rüschen im mexikanischen Stil. „Ah, da sind Sie ja endlich“, sagte sie erfreut und erhob sich, um Caroline auch ein Glas Tee einzuschenken. „Vielen Dank! Wie gefällt Ihnen mein Hosenanzug? Ich war mir nicht sicher, was ich anziehen sollte.“ „Sie sehen sehr hübsch aus, Miss Gentry.“ Caroline lächelte erleichtert. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Garrett trat ein. Bei seinem Anblick stockte Caroline der Atem. Bisher hatte sie ihn nur in Jeans gesehen, aber heute abend trug er einen dunkelbraunen Maßanzug mit einem beigefarbenen Seidenhemd. In der Hand hielt er eine hellbraune Krawatte, die er Lynn reichte. „Könntest du mir bitte helfen? Du machst das viel besser als ich.“ Er schien Carolines Anwesenheit nicht zu bemerken. Lächelnd half Lynn ihm beim Binden seiner Krawatte. Als sie fertig war, blickte Garrett kurz in den Spiegel und nickte dann zufrieden. Er beugte sich zu Lynn herab und gab ihr einen Kuß auf die Stirn. Caroline hatte die Szene erstaunt beobachtet. War dies noch derselbe Mann, der vorher seinen Zorn so offen gezeigt hatte? Lynn hatte wohl doch recht gehabt – Garretts Stimmungen wechselten rasch. Anscheinend machte es ihm nichts mehr aus, daß sie nun im Zimmer seiner verstorbenen Frau wohnte. Darüber war sie sehr erleichtert. Plötzlich drehte sich Garrett zu Caroline um. Er musterte sie eingehend, und das Lächeln auf seinen Lippen verschwand. „Ich fürchte, wir haben uns nicht verstanden, Miss Gentry“, sagte er unverblümt. „Sie haben doch wohl nicht im Ernst geglaubt, daß Sie mit mir und meinen Gästen zu Abend essen würden? Davon war meines Erachtens niemals die Rede.“ Alle Farbe wich aus Carolines Gesicht. Konnte er wirklich von ihr glauben, daß sie
sich aufdrängen wollte? „Nein, ich… daran habe ich nicht gedacht“, erwiderte sie stockend. „Ich wußte nur nicht, was ich heute abend anziehen sollte, und so…“ Sie brach ab, denn sein skeptischer Blick sagte ihr genau, daß er ihr nicht glaubte. Es kostete Caroline große Beherrschung, sich nicht von ihm einschüchtern zu lassen. „Wahrscheinlich wäre es angebrachter gewesen, Jeans zu tragen“, sagte sie schließlich. „Aber leider habe ich keine.“ „Sie haben keine Jeans?“ fragte er ungläubig. „Ich hatte Sie doch gebeten, passende Kleidung mitzunehmen!“ „Ja, ich weiß“, erwiderte Caroline verärgert. „Aber Sie haben mir ja keine Zeit gelassen, vor meiner Abreise noch Einkäufe zu machen…“ „Schon gut“, wischte er ihren Einwand beiseite, „im Augenblick läßt sich daran sowieso nichts ändern. Aber es geht natürlich nicht, daß Sie hier ohne passende Kleidung sind. Ich nehme an, ich werde mich auch darum kümmern müssen. Seien Sie bitte morgen um acht Uhr in meinem Büro.“ „Wie Sie wünschen, Mr. Dean“, erwiderte Caroline knapp. „Es wäre mir sehr recht, wenn ich möglichst bald mit der Arbeit beginnen könnte.“ „Langweilen Sie sich etwa jetzt schon?“ fragte er spöttisch. Caroline reckte ihr Kinn hoch. Diesmal sollte es ihm nicht gelingen, sie aus der Fassung zu bringen. Plötzlich klingelte es draußen, als sie gerade an ihm vorbeigehen wollte. Die Gäste waren eingetroffen. Garrett verließ sie ohne ein weiteres Wort und schlug die Tür hinter sich zu. Caroline mußte zu ihrer eigenen Überraschung feststellen, daß sie Tränen in den Augen hatte. Lynn sah sie mitleidig an. „Machen Sie sich nicht soviel daraus, Miss Gentry“, sagte sie tröstend. „Er meint es wirklich nicht so.“ Caroline biß sich auf die Lippen, die verdächtig zitterten. „Da bin ich nicht so sicher. Ich kann es nur nicht ertragen, daß er so viele Vorurteile gegen Leute aus der Stadt hat. Langsam frage ich mich, warum er mich überhaupt mitgenommen hat.“ „Ich glaube, ich weiß, woran es liegt“, entgegnete Lynn unbestimmt. Weiter ließ sie sich nicht darüber aus. „Haben Sie ein wenig Geduld mit ihm. Es dauert etwas, bis er sich an Fremde gewöhnt hat. Sie werden schon mit ihm zurechtkommen.“ Caroline bezweifelte dies. Aber sie wollte Lynn nicht unnötig damit belästigen. „Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie helfen?“ erkundigte sie sich. Lynn schüttelte den Kopf. „O nein, ich bin mit den Vorbereitungen längst fertig.“ Sie spähte aus dem Fenster, wo Garrett gerade mit den Gästen vorbeiging. Schlagartig veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. „Ich möchte wirklich wissen, was diese Frau schon wieder bei uns will“, sagte sie brummig. „Sie scheint nichts unversucht zu lassen, um sich an Garrett heranzumachen.“ Caroline folgte ihrem Blick. Was sie sah, versetzte ihr einen kleinen Stich. An Garretts Seite schritt eine hochgewachsene Blondine in einem wundervollen nachtblauen Abendkleid. Sie warf Garrett ein verführerisches Lächeln zu. Als sie jedoch versuchte, sich bei ihm unterzuhaken, entzog er sich ihr und kam mit schnellen Schritten auf die Küche zu. Schnell wandte sich Caroline vom Fenster ab. Sie wollte auf jeden Fall den Eindruck vermeiden, als sei sie neugierig. Im nächsten Augenblick stand er schon in der Tür. „Was will denn die hier?“ fragte Lynn ihn abschätzig. „Keine Ahnung!“ entgegnete Garrett finster. „Ich habe sie jedenfalls nicht
eingeladen. Die Meads hatten mir zwar gesagt, daß sie einen Gast mitbringen würden, aber an sie habe ich natürlich nicht gedacht.“ „Diese Frau schleicht sich wirklich überall ein“, sagte Lynn zornig. Ihre große Abneigung gegen die blonde Frau war deutlich zu spüren. Caroline sah die beiden verwirrt an. Wer konnte diese junge Dame sein, und warum erregte sie soviel Aufsehen? „Ich glaube, ich habe da eine Idee“, sagte Garrett langsam. Er blickte Lynn bedeutsam an, und sie nickte zustimmend. Beide wandten sich zu Caroline um, deren Ratlosigkeit immer mehr wuchs. Seitdem sie in dieses Haus gekommen war, hatte sie die merkwürdigsten Szenen miterleben müssen. Was hatten sie denn nun mit ihr vor? Plötzlich schaute Garrett sie vielsagend an: „Ich möchte Sie bitten, sich heute abend mit mir um die Gäste zu kümmern.“ Caroline war sprachlos. Sie glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu dürfen. Vor ein paar Minuten noch hatte Garrett ihr das Recht abgesprochen, an seinem Tisch zu sitzen. Und nun wollte er sie auf einmal in die Rolle der Gastgeberin drängen. Er war wirklich vollkommen unberechenbar! „Sie haben schon richtig gehört“, bestätigte er. „Außerdem sind Sie bereits umgezogen. Es gibt also gar keine Probleme.“ Staunend sah sie ihn an und schüttelte den Kopf. Er hielt es für eine Absage und runzelte die Stirn. „Verstehen Sie mich“, sagte er drängend. „Diese Frau versucht schon seit Monaten, mir nachzustellen. Ich habe ihr schon oft erklärt, daß ich nicht damit einverstanden bin, aber sie will nicht aufgeben. Vor ein paar Wochen hat sie sich auf einem Empfang als meine Freundin ausgegeben. Damals blieb mir nichts anderes übrig, als mitzuspielen. Aber jetzt reißt mir langsam die Geduld.“ Als Caroline noch immer zögerte, setzte er wütend hinzu: „Oder finden Sie etwa, daß ich sie ganz einfach hinauswerfen sollte?“ Caroline wußte darauf keine Antwort. Sie konnte seine Lage zwar verstehen, aber noch klangen ihr seine verletzenden Worte im Ohr. Sie war nicht bereit, sich so ohne weiteres umstimmen zu lassen. Garrett beobachtete sie eine Weile. Dann seufzte er und sagte ungeduldig zu Lynn: „Könntest du dich bitte ein paar Minuten lang um meine Gäste kümmern? Sag ihnen, daß ich gleich wieder zurück sein würde. Ach ja, und benimm dich anständig. Die Meads können schließlich nichts dafür, daß sie dieser Frau aufgesessen sind.“ Lynn nickte und verschwand. Garrett warf Caroline einen finsteren Blick zu. „Es ist mir zwar unangenehm, Sie daran zu erinnern, Miss Gentry“, sagte er mit Nachdruck. „Aber dies ist weniger eine Bitte als ein Befehl.“ Seine Worte forderten Carolines Widerspruchsgeist erst recht heraus. Sie reckte ihr Kinn und rief energisch: „Es tut mir leid, Mr. Dean, aber ich kann mich nicht als Ihre Freundin ausgeben. Können Sie nicht jemand anders nehmen?“ „Ach, wirklich?“ fragte er ungerührt. „Möchten Sie tatsächlich den ganzen weiten Weg nach Dallas zu Fuß zurücklegen?“ Diese Entgegnung verschlug ihr den Atem. Er schien wirklich vor nichts zurückzuschrecken. „Sie sind unmöglich, Mr. Dean!“ entgegnete sie mit zitternder Stimme. „Nur manchmal… wenn mir keine andere Wahl bleibt“, gab er mit einem überraschenden Lächeln zurück. Mehr denn je war sich Caroline ihrer aussichtslosen Lage bewußt. Sie war sehr weit von zu Hause entfernt, hatte kein Geld und keine Freunde. Sie war Garrett Dean damit tatsächlich ausgeliefert und mußte sich seinen Wünschen fügen. Garrett fühlte, daß er gewonnen hatte. Ohne ein weiteres Wort ging er zur Tür,
die er für Caroline aufhielt. Sie ging an ihm vorbei und sah ihn nicht an. Für diese erneute Demütigung war sie ihm immer noch böse. Die Gäste hatten sich auf den Sitzbänken im Innenhof niedergelassen. Lynn hatte jedem einen Drink gebracht, und doch war die Stimmung nicht besonders ausgelassen. Alle waren über das lange Ausbleiben des Gastgebers verwundert. „Los, lächeln Sie schon!“ flüsterte Garrett Caroline zu, bevor sie ins Licht traten. Sie blickte ihn zornig an, wagte aber nicht zu widersprechen. Schon jetzt wußte sie, daß der Abend schlecht enden würde. Garrett ergriff ihren Arm. Mit einem dünnen Lächeln betraten sie den Kreis der Gäste. Das ältere Ehepaar sah überrascht auf, und die blonde Frau machte große Augen. Dann erschien ein krampfhaftes Lächeln auf ihrem Gesicht. Alle waren in Abendkleidung. Caroline kam sich in ihrem einfachen Hosenanzug plötzlich fehl am Platz vor. Sie war sehr nervös und wußte nicht, wohin sie schauen sollte. Fast wäre sie weinend in ihr Zimmer gelaufen. Aber Garrett ließ ihr keine Wahl. Mit einem breiten Lächeln verkündete er: „Ich möchte Ihnen Miss Caroline Gentry aus Dallas vorstellen, eine gute Bekannte von mir.“ Die Gäste nickten überrascht. Caroline spürte, wie sie kritisch von ihnen gemustert wurde. Sie mußte sich sehr beherrschen, um ihre Nervosität nicht zu zeigen. „Caroline, dies sind Ernest und Jannette Mead aus Fort Worth.“ „Freut mich sehr“, stieß Caroline hervor und reichte den beiden die Hand. Aus dem Hintergrund trat ein schlanker, hochgewachsener Mann hervor, den sie bisher noch nicht bemerkt hatte. „Winston Murrow“, sagte er mit einer knappen Verbeugung und sah Caroline tief in die Augen. Nun blieb nur noch die blonde Frau übrig. „Darf ich dich mit Alice Murrow bekanntmachen?“ fragte Garrett mit einem etwas boshaften Lächeln. „Winston und Alice sind Geschwister.“ Caroline überwand sich dazu, die Hand auszustrecken, die die junge Dame jedoch unbeachtet ließ. Sie nickte nur kurz und sah kaum auf. Caroline fand dieses Verhalten wenig höflich. „Guten Abend!“ sagte sie schließlich laut. „Ich freue mich sehr, endlich einmal Garretts Freunde kennenzulernen.“ „Das Vergnügen ist ganz auf unserer Seite, Miss Gentry“, erwiderte Winston Murrow galant. Sie lächelte ihm zu, während Garrett an die Bar trat und zwei Cocktails für sie mixte. Caroline ließ sich auf einer der Sitzbänke nieder. „Sie kommen aus Dallas, Miss Gentry?“ eröffnete Alice das Gespräch. „Ich kenne die Stadt recht gut. Wo genau wohnen Sie dort?“ „Ich wohnte dort“, antwortete Caroline wahrheitsgemäß. Doch dann biß sie sich auf die Lippen. Ob es klug gewesen war, Alice reinen Wein einzuschenken? Unsicher blickte sie zu Garrett herüber, der unmerklich nickte. „Ach, nein?“ fragte Alice mit hochgezogenen Augenbrauen. „Nein, ich… ich wohne zur Zeit hier.“ „Das ist ja hochinteressant!“ Ihre Stimme klang spröde. „Caroline ist Lehrerin“, erläuterte Garrett. „Ich habe sie hierhergebracht, damit sie den Kindern Englisch beibringt.“ Er setzte sich neben sie und legte den Arm um ihre Schultern. Jedermann mußte den Eindruck bekommen, daß dies nur einer der Gründe für ihre Anwesenheit war. Caroline zuckte zwar etwas zusammen, ließ es aber geschehen. Alice beschäftigte sich umständlich mit ihrem Drink. Offensichtlich hatte sie sich von ihrer Enttäuschung noch nicht erholt.
„Wie kommt es eigentlich, daß wir die Ehre haben, dich heute abend bei uns zu sehen, Alice?“ erkundigte sich Garrett. „Ich war eingeladen.“ „Ja, als sie erfuhr, daß die Meads dich besuchen wollten, hat sie ganz einfach angerufen und gefragt, 6b wir nicht auch kommen könnten“, ergänzte ihr Bruder und warf seiner Schwester ein etwas boshaftes Lächeln zu. Alices Zorn schien ihn nicht besonders zu beeindrucken. Trotzdem fühlten sich alle sehr unbehaglich. Glücklicherweise rief Lynn sie in diesem Augenblick zum Essen. Erleichtert erhoben sich die Gäste und nahmen an dem langen, schmalen Tisch Platz. Garrett hielt Caroline jedoch noch einen Augenblick zurück. „Ich fürchte, die Unterhaltung wird schwierig werden“, warnte er sie. „Keine Angst! Wir werden es schon überstehen!“ Ihre Augen trafen sich, und sekundenlang schwiegen sie beide. Caroline spürte starkes Herzklopfen, aber sie begann an der Party Gefallen zu finden. Außerdem hatte sie der Cocktail in eine gute Stimmung versetzt. Lächelnd nahm sie an Garretts Seite Platz. Leider wurde es jedoch kein sehr erfreuliches Abendessen. Obwohl Lynn sich alle Mühe gegeben hatte, aßen die Gäste nur wenig von dem köstlichen Lammbraten. Die Unterhaltung verlief stockend, und von Minute zu Minute wuchs die Spannung. Anfangs versuchten die Meads, ein Gespräch in Gang zu bringen. Aber auch sie gaben nach einer Weile entmutigt auf. Es lag wirklich nicht an Lynns Kochkünsten, daß Caroline keinen rechten Appetit hatte. Lustlos stocherte sie in ihrer Vorspeise herum, und von dem köstlichen Burgunder, den Garrett ihr eingeschenkt hatte, trank sie nur wenig. Wie alle sehnte sie das Ende dieses unerfreulichen Abendessens herbei. Manchmal blickte sie verstohlen zu Alice Murrow hinüber, die an all dem schuld war. Mit verschlossener Miene saß sie auf ihrem Platz und rührte nichts an. Fast tat sie Caroline leid. Aber dann sagte sie sich, daß es ihr nur recht geschah. Nach allem, was ihr Bruder erzählt hatte, verdiente sie keine bessere Behandlung. Garrett hingegen schien die Situation geradezu zu genießen. Er beachtete Alice mit keinem Blick. Dafür bemühte er sich aber, besonders zuvorkommend zu Caroline zu sein. Vor den anderen Gästen behandelte er sie, als sei sie wirklich seine Freundin. Caroline war zwar froh über seine Nähe, aber sie wußte auch, daß er dieses Theater nur spielte, um Alice loszuwerden. Endlich ging das unerfreuliche Mahl seinem Ende zu. Caroline wollte sich schon erheben, um sich auf ihr Zimmer zurückzuziehen, als Garrett plötzlich erklärte, er habe noch mit Ernest Mead geschäftliche Angelegenheiten zu besprechen. „Es wird nicht lange dauern“, versprach er Caroline und machte Anstalten, sich mit seinem Gast zu entfernen. Sie warf ihm einen wütenden Blick zu, von dem sie hoffte, daß er unbemerkt blieb. Als Gastgeberin mußte sie jetzt die Unterhaltung übernehmen. Aber worüber sollte sie nur mit den übrigen Gästen sprechen? „Warum führst du unsere Gäste nicht durchs Haus, Caroline?“ „Ja, das ist eine wundervolle Idee“, stimmte Jannette Mead zu. „Drauf habe ich schon lange gewartet.“ Caroline nickte. Sie konnte immer noch nicht fassen, wie nett Garrett sein konnte, wenn er nur wollte. „Hier entlang, bitte“, sagte sie schluckend, und die anderen Gäste folgten ihr. Sie wiederholten die Besichtigungstour, die Caroline früher am Tag schon einmal mit Lynn gemacht hatte. Schließlich erreichten sie den Swimmingpool. Caroline
merkte plötzlich, wie müde sie war. Sie schlug vor, hier eine kleine Ruhepause einzulegen. Winston bat Lynn, für Getränke zu sorgen. Caroline ließ sich erschöpft in eine der Liegen sinken. Aber ihre Ruhe war nicht von langer Dauer. Niemand anders als Alice ließ sich direkt neben ihr nieder. Sie begann sofort damit, Caroline auszufragen. „Wie lange kennen Sie Garrett eigentlich schon?“ „Nicht sehr lange“, entgegnete Caroline knapp. Sie wollte sich auf keinen Fall mit der eifersüchtigen Blondine streiten. „Das habe ich mir gedacht“, erwiderte Alice mit unangenehmem Lachen. „Hat er mit Ihnen eigentlich schon über seine erste Frau gesprochen?“ Caroline schüttelte den Kopf. Warum sollte er das tun? Schließlich war sie nur eine seiner Angestellten. Sie hatte allerdings nicht vor, mit Alice darüber zu sprechen. „Ach so, dann können Sie ja auch gar nicht wissen, was er an Ihnen findet.“ „Was soll denn das schon wieder heißen?“ entgegnete Caroline scharf. „Das soll heißen, daß ich nicht zulassen werde, daß Garrett zu Schaden kommt“, erwiderte die blonde Frau erregt. Caroline schüttelte verwundert den Kopf. „Verhalten Sie sich nicht ein wenig zu gefühlsmäßig, Alice?“ entgegnete sie etwas spöttisch. „Keineswegs! Er hat lange genug gebraucht, um über die traurigen Erinnerungen hinwegzukommen. Und nun beginnt das Drama von neuem!“ „Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden!“ „Ich will damit sagen, daß es sicher kein Zufall ist, daß Sie Garretts erster Frau fast bis aufs Haar ähneln. Wollen Sie mir wirklich weismachen, daß er nie mit Ihnen darüber gesprochen hat?“ Wie betäubt sah Caroline sie an. „Aber das… das ist doch völliger Unsinn“, stammelte sie. „Ach, wirklich?“ erwiderte Alice lächelnd. „Alle Freunde, die seine erste Frau gekannt haben, werden Ihnen dies bestätigen. Sie sind fast ihr Ebenbild. Ich weiß nur nicht, ob Garrett das überhaupt bewußt ist. Jedenfalls bin ich fest davon überzeugt, daß Sie einen sehr schlechten Einfluß auf ihn ausüben werden.“ Caroline war viel zu überrascht, um überhaupt darauf zu antworten. Glücklicherweise kam Winston in diesem Augenblick mit einem vollbeladenen Tablett zurück, und sie mußte sich zusammennehmen, um nicht ihre Haltung zu verlieren. Es gelang ihr jedoch, sich von Alice abzuwenden und wieder die Rolle der Gastgeberin zu übernehmen, die ihr von Garrett auferlegt worden war. Später an diesem Abend, als Caroline endlich wieder allein war, konnte sie in Ruhe über alles nachdenken. Es war ihr gelungen, Haltung zu bewahren, und Garrett hatte sich sogar bei ihr bedankt. Dennoch hatte sie die ganze Zeit gelitten. Alices Enthüllungen waren wirklich unglaublich. Caroline war davon überzeugt, daß Garrett sich über die Gründe seines Handelns nicht bewußt war. Bestimmt war ihm ihre Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Frau nie aufgefallen. Er hätte sie sonst sicher nicht eingestellt. Plötzlich fiel ihr wieder ein, wie Lynn auf ihr Erscheinen reagiert hatte. Sie mußte sofort gemerkt haben, weshalb er gerade sie ausgesucht hatte. Bestimmt hatte sie ihr deshalb das Rosenzimmer zugewiesen. Hoffte sie im Ernst, daß Garrett auf diese Weise über den Tod seiner Frau hinwegkommen würde? Caroline fielen nach und nach immer mehr Einzelheiten ein, die genau in dieses Bild zu passen schienen. Hatte Petie nicht gleich angenommen, daß sie und Garrett schon geheiratet hatten? Was war mit Gloria? War ihr ablehnendes Verhalten etwa Eifersucht?
Schlaflos wälzte sich Caroline im Bett hin und her. Der Gedanke an Garrett ließ sie nicht mehr los. Er war so außerordentlich charmant an diesem Abend gewesen… Hatte er sich etwa nur an Alice rächen wollen? Oder empfand er tatsächlich Zuneigung zu ihr? Fragen über Fragen, auf die sie keine Antwort wußte. Schließlich schlief sie mit schwerem Kopf ein. In der Nacht wurde sie von Alpträumen heimgesucht, und als sie sich am nächsten Morgen auf den Weg in Garretts Büro machte, fühlte sie sich mutlos und verzagt.
6. KAPITEL „Sie wollten mich sprechen, Mr. Dean?“ fragte Caroline und bemühte sich dabei, nichts von ihren Gefühlen zu zeigen. Garrett war gerade dabei, seinen Schreibtisch aufzuräumen. Er forderte sie auf, sich hinzusetzen und ließ sich Zeit mit der Antwort. „Gestern abend sind Sie so schnell verschwunden, daß ich keine Gelegenheit hatte, mich bei Ihnen zu bedanken“, sagte er schließlich. „Das war auch überhaupt nicht nötig“, entgegnete Caroline kurz. „Wie Sie sicher selbst bemerkt haben, hatte ich gar keine andere Wahl, als mich Ihren Wünschen zu fügen.“ Verärgert blickte er sie an. „Sie brauchen das nicht noch besonders zu betonen“, sagte er. „Ich möchte Ihnen jedoch mitteilen, daß ich gedenke, Sie hierfür angemessen zu entschädigen. Mir ist sehr wohl klar, daß Ihre gestrige Aufgabe nicht unbedingt zu Ihrer Arbeit gehört.“ Caroline blickte ihn nachdenklich an. „Ich verlange keinen Dank. Schon gar nicht auf diese Weise!“ „Am Ende des Monats werden Sie feststellen können, daß ich Ihrem Gehalt eine hübsche Summe hinzugesetzt habe“, erwiderte er ungerührt. „Am Ende des Monats?“ wiederholte sie erschreckt. Er nickte. „Ja, ich habe meiner Buchhalterin Anweisung gegeben, daß Ihnen genau wie allen anderen Ihr Gehalt am Monatsende ausbezahlt wird. Haben Sie etwas dagegen?“ „Nein, nur…“ „Nur was?“ „Es kommt mir so vor, als sei dies ein geschickter Gedanke von Ihnen, Mr. Dean. Sie wollen wohl sichergehen, daß ich Sie nicht vor dem Monatsende verlasse. Wie Sie genau wissen, sind meine gegenwärtigen finanziellen Mittel äußerst gering.“ Garrett schüttelte den Kopf. „Ich glaube, Sie überschätzen Ihre eigene Wichtigkeit, Miss Gentry“, entgegnete er ruhig. „Es ist bei uns nun einmal die Regel, daß die Gehälter am Monatsende ausbezahlt werden. Das gilt sowohl für Sie, als auch für alle anderen. Ich weise Sie überhaupt nur daraufhin, damit Sie nicht überrascht sind, wenn Sie einen höheren Betrag als ausgemacht erhalten.“ Caroline hätte ihm am liebsten gesagt, daß er sein Geld behalten könne. Sie war höchst empört über sein Verhalten. Gerade wollte sie den Mund öffnen, als sich plötzlich sein Gesichtsausdruck veränderte. Es kostete ihn offensichtlich Mühe, weiterzusprechen. „Ich wollte mich noch für letzten Abend entschuldigen. Sie haben mir einen großen Gefallen getan, aber ich ziehe es im allgemeinen vor, meine persönlichen Angelegenheiten ohne fremde Hilfe zu regeln. Ich verspreche Ihnen, daß so etwas nicht wieder vorkommen wird.“ Caroline nickte und hielt ihre Vorwürfe zurück. Sie rechnete ihm seine Entschuldigung hoch an. Sicherlich kam es nicht oft vor, daß Garrett einen Fehler eingestehen mußte. „Vielleicht sollten wir jetzt das Thema wechseln“, schlug sie vor. „Ich weiß, daß Sie ein vielbeschäftigter Mann sind, Mr. Dean.“ „Richtig“, stimmte er zu und begann über ihre Arbeit zu sprechen. Er hatte bereits einen großen Raum vorgesehen, der als Klassenzimmer dienen sollte. Eine Tafel und die Bänke waren schon geliefert worden. Schließlich bat er sie, eine Liste über die noch fehlenden Gegenstände aufzustellen. Der Unterricht sollte in den Morgenstunden stattfinden. Den Rest der Zeit hatte sie zur eigenen Verfügung. Sie konnte sich frei im Haus und auf der Ranch bewegen, was auch
die Benutzung des Swimmingpools einschloß. „Außerdem habe ich vor, Ihnen ein Auto zur Verfügung zu stellen“, erklärte Garrett. „Damit werden Sie viel beweglicher sein.“ Caroline sah ihn bestürzt an. Bisher war sie mit allen Abmachungen einverstanden gewesen. Aber nun begannen die Schwierigkeiten. „Ich fürchte, das wird nicht gehen“, sagte sie kleinlaut. „Ich habe nämlich leider keinen Führerschein.“ Garrett blickte sie sprachlos an. „Das kann doch nicht sein!“ sagte er fassungslos. „Hat Ihnen Ihre Tante denn gar nichts Vernünftiges beigebracht? Ich hatte ja keine Ahnung, daß sie… nun, an was hatten Sie denn gedacht? Natürlich stehen auch unsere Pferde zur Verfügung.“ „Ich kann auch nicht reiten“, entgegnete Caroline traurig. „Außerdem lassen Sie bitte meine Tante aus dem Spiel. Ich möchte nicht, daß Sie sie kritisieren.“ Einen Moment lang herrschte verblüfftes Schweigen. Dann brach Garrett auf einmal in schallendes Gelächter aus. Caroline sah ihn wütend an. Sie konnte sich seinen Heiterkeitsausbruch nicht erklären. Genügte es ihm nicht, sie zu demütigen? Mußte er sie überdies auch noch auslachen? Am liebsten wäre sie aufgestanden und fortgegangen. Da er nicht aufhörte zu lachen, erhob sich Caroline und ging langsam zur Tür. Aber Garrett war schneller. In wenigen Sätzen war er ihr nachgeeilt und versperrte ihr den Ausgang. Caroline war darauf nicht gefaßt, und sie wich zurück. Wenn Garrett sie nicht aufgefangen hätte, wäre sie sicherlich gestolpert. Doch er hielt sie fest, und Caroline lag plötzlich in seinen Armen. Ihr Herz begann heftig zu klopfen. Sie machte zwar einen schwachen Versuch, sich zu befreien, aber Garrett zog sie nur noch näher an sich. Sie konnte seinen Atem auf ihrer Haut spüren, und sofort stieg ihr der herbe Duft seines Rasierwassers in die Nase. Es war ein erregender Augenblick, und ihre Sinne waren aufs höchste gespannt. Wie gebannt erwiderte sie seinen Blick und wartete mit angehaltenem Atem auf seine nächsten Worte. „Ich weiß wirklich nicht, was ich von Ihnen halten soll“, sagte Garrett mit rauher Stimme. „Damals in Gromans Büro dachte ich, Sie seien ein mutiges Mädchen. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob es sich überhaupt lohnt, aus Ihnen eine richtige Frau zu machen. Manchmal habe ich Lust, Sie einfach übers Knie zu legen, um Ihnen endlich Ihre Launen auszutreiben. Doch dann gibt es wieder Augenblicke wie zum Beispiel jetzt, wo ich am liebsten…“ Er lächelte plötzlich. Dann faßte er sie sanft unters Kinn und küßte sie. Caroline hatte nicht mehr die Kraft, sich gegen ihn zu wehren. Aber sein Kuß überraschte sie. Er war nicht weich und zärtlich, wie sie erwartet hatte, sondern hart und fordernd. Sie spürte sein Verlangen nach ihr. Wellen der Erregung durchströmten ihren Körper. Jetzt fing Garrett an, sie zärtlich zu streicheln. Unter dem Druck seiner Hände schmolz ihr Widerstand dahin. Als er sie endlich losließ, hatte Caroline nur noch den Wunsch, ihm schnellstens zu entfliehen. „Wir beide sind noch nicht fertig miteinander“, sagte Garrett mit gedämpfter Stimme. Seine Augen funkelten, und er atmete schwer. „O doch!“ entgegnete Caroline und machte sich mit einem Ruck von ihm los. Sie war froh, als sie sich in einen Sessel fallen lassen konnte. Garrett ließ sie nicht aus den Augen. „Ich hoffe, Sie können sich noch daran erinnern, daß wir ein paar Einkäufe machen wollten. Sie brauchen unbedingt passende Kleidung.“ „Unsinn, das ist wirklich nicht nötig!“ protestierte Caroline. „Ich habe wirklich genügend Sachen mitgebracht.“
„Ja, aber es ist alles eine Spur zu fein. Warum können Sie nicht endlich begreifen, daß ich hier das Leben kenne? Das würde uns beiden eine Menge Zeit und Ärger ersparen.“ Caroline wußte darauf nichts zu entgegnen. Natürlich hatte er recht, aber sie wollte einfach nicht noch mehr Zeit mit ihm verbringen. Garrett ließ ihr jedoch keine Wahl. „In zwanzig Minuten geht es los“, sagte er knapp. „Wenn Sie noch nicht gefrühstückt haben, sollten Sie sich beeilen.“ Er öffnete die Tür und ging hinaus. Nachdem er gegangen war, machte sich Caroline traurig auf den Weg zur Küche. Verzweifelt suchte sie nach einem Ausweg, aber es wollte ihr keiner einfallen, Lynn hatte heiße Pfannkuchen mit Ahornsirup bereitgestellt. Dazu gab es dampfenden Kaffee und frisch gepreßten Orangensaft. Caroline verlangte jedoch nur ein Stück Toast. Ihr war nämlich der Appetit vergangen. „Kein Wunder, daß Sie so dünn sind, Miss Gentry“, sagte die Köchin mißbilligend. „Sie essen einfach nicht genug.“ „Sie ist überhaupt nicht zu dünn, Lynn“, hörte Caroline auf einmal. „Meiner Meinung nach ist sie genau richtig.“ Überrascht blickte sie auf. Rick Benson stand in der Tür und lächelte ihr zu. Er hatte eine Thermosflasche in der Hand. Seine Jeans waren alt und verschlissen, das knappe TShirt spannte sich über seinem muskulösen Oberkörper. „Wir hätten gern etwas Kaffee“, sagte er zu Lynn, während er fortfuhr, Caroline unverwandt zu betrachten. Lynn nickte und nahm ihm die Flasche ab. Dann rümpfte sie die Nase. „Du warst wohl den ganzen Morgen in den Ställen? So riechst du wenigstens.“ „Wenn ich gewußt hätte, daß diese reizende junge Dame bei dir ist“, sagte er galant, „hätte ich mich vorher extra mit Parfüm Übergossen.“ Keiner hatte Garrett näherkommen hören. Aber plötzlich stand er im Türrahmen und warf den dreien einen mißtrauischen Blick zu. „Die junge Dame wartet hier auf mich, Benson“, sagte er mit besonderer Betonung. „An deiner Stelle würde ich hier nicht soviel Zeit vertrödeln und mich lieber wieder an die Arbeit machen.“ „Sehr wohl Sir!“ erwiderte Rick mit offener Ironie. Er nahm die Thermosflasche in Empfang und zwinkerte Caroline noch einmal zu, bevor er die Küche verließ. Kopfschüttelnd sah Garrett ihm nach. „Ich muß wirklich verrückt gewesen sein, Sie in dieses Haus gebracht zu haben“, knurrte er. „Benson wird nicht der einzige sein, der durch Ihre Anwesenheit auf dumme Gedanken kommt.“ „Dafür kann ich doch nichts“, verteidigte sich Caroline mit hochrotem Kopf. „Außerdem habe ich bei Mr. Benson den Eindruck, daß er es bei jeder Frau versuchen würde.“ „Stimmt!“ kam Lynn ihr zu Hilfe. „Wenn er gar kein anderes Opfer mehr findet, flirtet er sogar mit mir.“ Darüber mußten alle drei schallend lachen. „Ich finde es wirklich nicht fair von dir, die Kleine anzugreifen“, setzte Lynn nach einer Weile hinzu und blickte Garrett strafend an. „Du solltest ihr für gestern abend dankbar sein.“ „Sie will meinen Dank aber nicht“, erwiderte er kurz. Lynn sah fragend zu den beiden, aber keiner wollte sich näher über das Thema auslassen. „So, haben Sie jetzt endlich zu Ende gefrühstückt?“ fragte Garrett ungeduldig. „Können wir nun fahren?“ In der Garage standen drei große Wagen. Der Kombi, mit dem sie hierhergekommen waren, ein Cadillac und ein schnittiger chromblitzender Lamborghini. Caroline war höchst erstaunt, einen Sportwagen hier vorzufinden.
Diese Art von Auto schien ihr so gar nicht zu Garrett zu passen. Der bemerkte ihre Verwunderung und lachte, während er ihr den Wagenschlag aufhielt. „Das hätten Sie wohl nicht erwartet, nicht wahr?“ „Nein, wirklich nicht“, gab Caroline zu und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. „Zu elegant für einen so ungehobelten Cowboy wie mich, was?“ fragte er und ließ den Motor an. „Sie haben zuviel Vorurteile, Miss Gentry.“ Fast hätte Caroline ebenfalls laut aufgelacht. Er mußte ausgerechnet von Vorurteilen sprechen, obwohl er sonst keine Gelegenheit ausließ, sich über die sogenannten Städter lustig zu machen! Sie warf ihm einen beredten Blick zu, sagte aber nichts. Garrett schaltete das Radio an, und schon fuhren sie mit hoher Geschwindigkeit die Landstraße hinunter. Rechts und links von ihnen wirbelte der Staub auf, so daß Caroline diesmal nicht viel von der Landschaft sah. Nur die Wegkreuzung mit dem Schild „Enchanted Rock“ konnte sie erkennen, dann ging es auch schon weiter. Nach einer Weile machte er das Radio wieder aus. Keiner von beiden sprach ein Wort, und Caroline blickte starr geradeaus. Der Tachometer zeigte ihr an, daß Garrett noch schneller fuhr. Eigentlich mochte sie es nicht, derart zu rasen, aber in seiner Nähe fühlte sie sich vollkommen sicher. Garrett vermittelte den beruhigenden Eindruck, den Wagen völlig unter Kontrolle zu haben. Schließlich genoß Caroline sogar die Fahrt. Sie empfand das Schweigen schon lange nicht mehr als störend, als er unvermittelt sagte: „Wir beide sollten lernen, uns ein wenig besser zu verstehen. Meinen Sie nicht auch?“ Caroline warf ihm einen überraschten Blick zu. Auf diese Worte aus seinem Munde war sie nicht gefaßt gewesen. „Schließlich haben wir einen Vertrag miteinander abgeschlossen“, fuhr er fort. „Es liegt nur an uns, ob wir Ihren Aufenthalt hier erfreulich gestalten oder nicht. Es lag mir wirklich fern, Ihre Tante vorhin zu kritisieren. Manchmal kommt es mir nur so vor, als wären Sie in einem Elfenbeinturm aufgewachsen.“ „So, meinen Sie?“ fragte sie beleidigt. „Mein persönlicher Eindruck ist dagegen, daß Sie dafür in einer Scheune aufgewachsen sein müssen.“ Garrett lachte vergnügt. „Wissen Sie was, das stimmt sogar zum größten Teil“, rief er gutgelaunt. „Ich habe wirklich viel Zeit meines Lebens in Scheunen verbracht. Übrigens, keine schlechte Vorbereitung für meinen jetzigen Beruf!“ Er zwinkerte ihr zu, und Caroline brach auch in Lachen aus. Sie sah, daß aus seinen Augen nach einem Augenblick jeder Spott und jede Feindseligkeit verschwunden waren. Plötzlich erschien es ihr, als säße sie neben einem guten Freund, den sie schon viele Jahre kannte. Warum konnte es nicht immer so friedfertig zwischen ihnen zugehen? Die weitere Fahrt verlief in guter Stimmung. Es ging jetzt nach Westen, und sie flogen geradezu über die Landstraße. Caroline wurde ein bißchen schwindelig, aber wie bei einer Karussellfahrt war es zugleich ein erregendes Gefühl. Nach einer Weile warf sie den Kopf in den Nacken und lächelte glücklich. Sie war jung, das Leben lag noch vor ihr. Was konnte sie sich mehr wünschen? Garrett schien sich über ihre Begeisterung zu freuen. Er drückte den Gashebel bis zum Anschlag nieder, und noch immer spürte Caroline keine Angst. Sie schloß die Augen, lehnte sich in ihrem Sitz zurück und ließ den Fahrtwind durch ihr Haar streichen. Wenn es nur nach ihr gegangen wäre, hätten sie ewig so weiterfahren können. Schließlich erreichten Caroline und Garrett das Ziel ihrer Fahrt, die kleine Stadt Heritage Springs. Sie sah genau wie die anderen kleinen Städte aus, die Caroline
bei der Hinfahrt gesehen hatte. Garrett parkte den Wagen in der Hauptstraße und half Caroline beim Aussteigen. Dann setzte er sich als erstes seinen breitkrempigen Cowboyhut auf, den er nur beim Autofahren abzunehmen schien. Caroline blickte sich neugierig um. Die kleine Stadt hatte viel zu bieten. Auf der rechten Seite der schnurgeraden Straße gab es eine Apotheke, ein Lebensmittelgeschäft und eine Bank. Zu ihrer Linken sah Caroline zwei kleine Kaufhäuser mit einem reichhaltigen Warenangebot, ein Cafe und ein altmodisches Kino, das einen Film zeigte, den sie schon vor zwei Jahren in Dallas gesehen hatte. Ganz am Ende der Straße befanden sich eine Tankstelle, die Kirche und das Rathaus. „Nicht schlecht!“ sagte sie beeindruckt. „Ja, Sie finden hier alle Annehmlichkeiten einer Großstadt. Dabei ist das Leben viel überschaubarer und es gibt längst nicht soviel Gewalt.“ „Ein hübsches Städtchen“, nickte Caroline. „Besonders die alten Holzhäuser gefallen mir gut.“ Garrett warf ihr einen Blick zu, den sie nicht deuten konnte. „Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung für sie“, meinte er bedeutsam. Ihre Augen trafen sich, und Caroline spürte erneut das Pochen ihres Herzens. Sie hatte den Eindruck, als seien sie sich während der Fahrt nähergekommen – näher als je zuvor. Ein unerklärliches Glücksgefühl ergriff von ihr Besitz, und sie hätte vor Freude singen können. Aber natürlich tat sie nichts dergleichen. Statt dessen folgte sie Garrett, der jetzt die Straße überquerte und auf eines der beiden Kaufhäuser zuging. Direkt davor stand ein großes, hölzernes Schaukelpferd, und in den Schaufenstern waren prächtige Sättel ausgestellt. Über der Eingangstür hing ein Schild mit der Aufschrift „Porter's Western Wear“. Garrett begrüßte den Eigentümer des Ladens, Mr. Arnos Porter, mit Handschlag. Er war ein freundlicher, untersetzter Mann mit einem Schnurrbart, auf den er offensichtlich sehr stolz war. Genau wie sein Laden vermittelte auch Mr. Porter den Eindruck, als sei die Zeit hier stehengeblieben. Über die Ränder seiner runden Brille warf er Caroline einen neugierigen Blick zu. „Was kann ich für dich tun, Garrett?“ „Die junge Dame hier braucht unbedingt ein paar passende Sachen zum Anziehen. Darf ich dir Miss Caroline Gentry vorstellen? Sie arbeitet diesen Sommer bei mir.“ „Das freut mich aber!“ entgegnete Mr. Porter und schüttelte ihr die Hand. „Willkommen in unserer Stadt!“ „Guten Tag, Mr. Porter.“ „Kommen Sie doch bitte mit. Wir wollen sehen, was wir in Ihrer Größe vorrätig haben.“ Nach etwa einer halben Stunde hatte Caroline eine komplette Garderobe beisammen. Es war Mr. Porter gelungen, ihr drei Paar Jeans, fünf Hemden, zwei Gürtel, sechs Paar Socken, ein Paar feinster Lederstiefel und einen Hut aufzuschwatzen. Anfangs hatte sie noch protestiert, daß sie soviel nicht brauche, aber weder Garrett noch Mr. Porter hatten auf sie gehört. Nur bei dem Preis für die Stiefel blieb sie fest. Er erschien ihr viel zu hoch, und sie gab erst nach, als Mr. Porter ihr ein anderes Paar brachte, das fast ebenso schön und praktisch, aber dafür wesentlich billiger war. Mr. Porters Mundwerk stand nicht still. Als sie schließlich alles beisammen
hatten, kannte Caroline aus seinen Erzählungen die halbe Einwohnerschaft der Stadt. Sie war froh, als die Anprobe vorbei war, endlich wieder in den Vorraum des Ladens zu gehen. Auch gegen den Hut hatte sie sich zuerst gesträubt, aber in diesem Punkt hatte Garrett nicht mit sich reden lassen. „Das ist doch nun wirklich eine völlig unnötige Ausgabe!“ sagte Caroline verärgert. „Keineswegs!“ entgegnete er. „Oder sind Sie etwa so versessen darauf, sich im Sommer einen Sonnenstich zu holen? Nun glauben Sie mir doch endlich, daß ich am besten weiß, was man für diese Gegend braucht!“ Seufzend hatte sie sich in ihr Schicksal ergeben. Die nächsten zehn Minuten verbrachten sie mit dem Ausprobieren von Hüten. Garrett gefiel schließlich ein wunderschöner beigefarbener Strohhut, der Caroline ausgezeichnet stand. Caroline mochte gar nicht an die hohe Rechnung denken. Sie war nun gut ausgestattet, hätte aber auch nur die Hälfte der Sachen benötigt. Garrett beachtete jedoch ihre zaghaften Einwände überhaupt nicht. Bevor er bezahlte, forderte er sie auf, schon hinauszugehen und beim Auto auf ihn zu warten. Wenige Minuten später kam er schließlich aus dem Laden. Die Menge der Pakete und Tüten erdrückte ihn fast. Caroline schüttelte mißbilligend den Kopf, aber auf seinen warnenden Blick hin verstummte sie sofort. Er verstaute die Sachen im Kofferraum und setzte sich neben sie ans Steuer. „Das ist das letzte Mal, daß ich mit Ihnen einkaufen gehe. In Zukunft werde ich Sie nicht mehr mitnehmen, sondern alles allein auswählen“, erklärte er. „Es macht ja überhaupt keinen Spaß, wenn man dauernd nach den Preisen guckt.“ Kopfschüttelnd sah er sie an. „Sie haben wirklich noch viel zu lernen, Miss Gentry.“ Caroline konnte nicht verhindern, daß sie rot wurde. Sie empfand seinen Vorwurf als ungerecht. Er konnte schließlich nicht wissen, wie es war, wenn man jeden Pfennig zweimal umdrehen mußte. „Sie waren wirklich sehr großzügig Mr. Dean“, sagte sie schließlich, doch er legte ihr sofort den Finger auf den Mund. „Kein Wort mehr!“ erwiderte er streng und gab Gas. Während sie die Stadt hinter sich ließen, kämpfte Caroline mit sich selbst. Garretts Spott und seine schlechten Launen konnte sie gerade noch ertragen, aber sein plötzlicher Gefühlsumschwung verwirrte sie über alle Maßen. Jetzt war er wieder in bester Stimmung und warf ihr öfter ein strahlendes Lächeln zu. Anscheinend hatte es ihm viel Spaß gemacht, sie neu einzukleiden. Vergnügt sang er die Melodien im Radio mit, und er schien unbeschwerter denn je. Caroline hingegen fühlte sich verkrampft. Garretts Nähe beunruhigte sie. Auf gar keinen Fall würde sie sich auf ein Verhältnis mit ihm einlassen. Dazu war die Erinnerung an Jerry noch zu schmerzlich. Außerdem gingen ihr Alices Worte nicht aus dem Sinn. Ob Garrett es nun spürte oder nicht – sie wollte nicht als Ersatz für seine verstorbene Frau herhalten. Andererseits konnte kein Zweifel daran bestehen, daß Garrett ihr als Mann nicht gleichgültig war. Sollte sie nicht besser gleich abreisen, bevor die Situation zu gefährlich wurde? Während Caroline noch darüber nachdachte, lag die Stadt schon wieder weit hinter ihnen. Sie fuhren jetzt durch eine Ebene. Plötzlich drosselte Garrett das Tempo und brachte den Wagen mitten auf der Landstraße zum Stehen. Er stieg aus und ging um das Auto herum.
„Los, steigen Sie um!“
Erschreckt blickte sie ihn an. „Warum? Was soll das?“
„Sie werden jetzt selbst fahren.“
Caroline glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Das konnte doch nicht sein Ernst
sein!
„Los, steigen Sie schon aus!“ wiederholte er ungeduldig.
„Aber Sie… Sie verstehen nicht, ich…“
„Sie sind es, die nichts versteht“, unterbrach er sie. „Ich werde Ihnen jetzt
beibringen, wie man Auto fährt. Also los!“ Er streckte ihr die Hand entgegen,
aber Caroline schüttelte entschieden den Kopf.
„Warum lassen Sie mich nicht in Ruhe?“ fragte sie aufgebracht. „Ich habe Ihnen
doch schon gesagt, daß ich noch nie hinter dem Steuer gesessen habe. Genügt
das nicht?“
„Nein. Entweder steigen Sie jetzt freiwillig um, oder ich muß ärgerlich werden.
Auf jeden Fall werde ich Ihnen jetzt Fahrstunden erteilen, und zwar hier und
sofort!“
„Dann gehe ich lieber zu Fuß!“ fuhr sie ihn an. Sie war sehr aufgebracht.
Aber Garrett ließ sich davon nicht beeindrucken. Er hatte sich vorgenommen, ihr
das Autofahren beizubringen, und nichts würde ihn von dieser Absicht abbringen.
Langsam erschien es Caroline so, als mache es ihm Spaß, ihren Widerstand zu
überwinden.
„Sie können mich nicht dazu zwingen“, erwiderte sie schließlich.
„Sind Sie da ganz sicher? Ich werde Ihnen sagen, was passiert, wenn Sie sich
weiterhin so kindisch anstellen: Ich werde Sie übers Knie legen! Das hat man
bisher in Ihrem Leben anscheinend versäumt.“
„Wagen Sie es nur, Hand an mich zu legen. Ich…“
„Was? Sie wollen es doch nicht im Ernst auf eine Kraftprobe ankommen lassen?
Also los, worauf warten Sie noch? Ich zähle jetzt bis drei. Eins… zwei…“
Verzweifelt blickte Caroline sich um. Außer ihnen beiden war keine
Menschenseele zu sehen. Langsam stieg sie aus und ging um den Wagen herum.
Garrett ließ sie nicht aus den Augen. Noch immer war sie fest entschlossen, nicht
nachzugeben. Als sie sich in sicherer Entfernung von ihm wußte, drehte sie sich
blitzschnell um und rannte davon, so schnell sie ihre Beine trugen.
Aber der Fluchtversuch scheiterte. Schon nach wenigen Metern hatte er sie
eingeholt und riß sie unsanft zurück.
„Was soll das?“ fragte er böse. „Dies hier ist kein Kinderspielplatz, verstanden?“
„Lassen Sie mich endlich los!“ stieß Caroline keuchend hervor. „Sie tun mir weh!“
Wütend rieb sie sich das schmerzende Handgelenk. Natürlich war es albern
gewesen, was sie getan hatte. Aber es paßte ihr einfach nicht, daß er sie wie ein
ungezogenes Kind behandelte.
Garrett sah sie kopfschüttelnd an. „Es ist wirklich nicht zu glauben“, sagte er
schließlich. „Meinen Sie etwa, mir macht es Spaß, Sie herumzukommandieren?
Ich versuche Ihnen nur begreiflich zu machen, daß Sie nicht mehr in der Stadt
sind. Hier gibt es weder Autobusse noch Taxen. Meine Männer und ich haben
keine Zeit, Sie ständig durch die Gegend zu fahren. Also los, stellen Sie sich nicht
so an und setzen Sie sich endlich hinters Steuer. Es ist nur zu Ihrem Besten!“
Kleinlaut ging Caroline wieder zum Wagen. Seine Argumente leuchteten ihr ein,
aber ihr Stolz verlangte, daß sie sich nicht so ohne weiteres geschlagen gab.
„Machen Sie mir nur keine Vorwürfe, wenn ein Unglück passiert“, murmelte sie
beim Einsteigen.
Wütend nahm Garrett neben ihr auf dem Beifahrersitz Platz. „Langsam glaube
ich, daß ich eine übereilte Entscheidung getroffen habe“, sagte er nachdenklich.
„Wenn ich gewußt hätte, daß Sie ein dermaßen empfindliches… nanu, was ist denn jetzt schon wieder los?“ Obwohl sie es nicht wollte, war Caroline in Tränen ausgebrochen. Allmählich glaubte sie selbst, daß sie zu nichts taugte. „Es… es tut mir schrecklich leid“, stieß sie schließlich hervor, „daß ich mich so aufgeführt habe. Man könnte meinen, Sie seien mein Vater. Aber ich bin bereits erwachsen und brauche keinen…“ „Wie ein Vater?“ wiederholte er ungläubig. „Meinen Sie das im Ernst?“ Im nächsten Augenblick lag Caroline erneut in seinen Armen. Es kam so überraschend, daß ihr der Atem wegblieb. Noch deutlicher als beim ersten Mal verrieten ihr seine Küsse viel von dem, was unausgesprochen zwischen ihnen stand. Sein Kuß war wie ein Funke, der ihre Sinnlichkeit entflammte. Die Kraft, die sie vorher hatte aufbringen müssen, um ihm zu widerstehen, entlud sich jetzt in einer wilden, ungestümen Leidenschaft. Sie schlang die Arme um seinen Hals und zog Garrett zu sich herab. Insgeheim bat sie ihn um Verzeihung, weil sie sich vorhin unmöglich benommen hatte. All diese Mißverständnisse konnten nicht über das hinwegtäuschen, was sie vom ersten Augenblick an gespürt hatte. Garrett brauchte sie, er begehrte sie zutiefst. Caroline spürte, daß Garrett sie zur Frau machen »konnte. Noch keinem Mann war es vorher gelungen, solche Gefühle in ihr zu erwecken. Doch plötzlich ließ er sie überraschend los. „Was… was ist denn?“ stammelte Caroline. „Mir scheint, Sie brauchen einen Beschützer, Miss Gentry. Vor allem vor so verrückten Kerlen wie mir, die nichts anderes im Sinn haben, als sich an Sie heranzumachen. So, und jetzt tauschen wir die Plätze. Die Fahrstunde wird auf einen anderen Termin verschoben.“
7. KAPITEL Auf der Rückfahrt sprach keiner mehr ein Wort. Caroline konnte einfach nicht vergessen, was sich zwischen ihr und Garrett in den letzten zehn Minuten zugetragen hatte. Sie war noch immer erregt. Seine Küsse bedeuteten ihr mehr als alles, was sie mit Jerry erlebt hatte. Bei diesen Gedanken, mußte sie über sich selbst den Kopf schütteln. Damals war sie fest davon überzeugt gewesen, in Jerry verliebt zu sein, ja, ihn sogar heiraten zu wollen. Dabei war er ihr nie auch nur annähernd so nahe gekommen, wie es Garrett vermochte. Es war eine Jugendliebe gewesen, nichts weiter. Schon war die Erinnerung an ihn aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, wie es gewesen war, als er sie in seinen Armen gehalten hatte. Nur mit großer Mühe gelang es ihr noch, sich sein Gesicht vorzustellen. Diese Episode gehörte endgültig der Vergangenheit an. Wie ungeschickt hatte sie sich doch verhalten! Seinetwegen war sie aus Dallas fortgegangen und hatte auf eine gute Stelle verzichtet. Auch hatte sie ihre Freunde und alles, was ihr lieb und teuer war, zurückgelassen. Warum nur? Aus verletztem Stolz, nichts weiter. Wäre sie doch nur geblieben! Warum begriff sie dies erst jetzt? Ihre Lage hier war viel schwieriger. Ohne genau zu wissen, worauf sie sich einließ, hatte sie einen Vertrag abgeschlossen, der sie verpflichtete, mehrere Monate lang für einen Mann zu arbeiten, den sie gar nicht richtig kannte. Von Anfang an hatte sie seine Ausstrahlung gespürt. Doch statt dies als Warnung zu nehmen, war sie blindlings in ihr Unglück gerannt. Denn daß Garrett und sie keine Zukunft hatten, stand für sie unumstößlich fest. Hatte er ihr nicht selbst gesagt, was er von Frauen hielt? Wenn sie einigermaßen glimpflich davonkommen wollte, mußte sie Garrett in Zukunft aus dem Wege gehen. Dieser Gedanke schmerzte sie zwar, aber es war die einzige Lösung. Sie nahm sich fest vor, von nun an vorsichtiger zu sein. Nie durfte sich eine Situation wie die heutige wiederholen. Garrett hatte einen zu großen Einfluß auf sie, als daß sie vor ihm und sich selbst sicher gewesen wäre. Glücklicherweise blieb Caroline an diesem Tag nicht mehr viel Zeit, um über ihre Erlebnisse nachzudenken. Nachdem sie zu Hause angekommen waren, unterrichtete Garrett sie davon, daß er zu arbeiten habe. Er bat sie, sich später einmal das Klassenzimmer anzusehen und machte sich dann ziemlich rasch davon. All die Päckchen und Pakete im Kofferraum hatte er anscheinend schon wieder vergessen. Caroline war zu stolz, um ihn zu bitten, ihr beim Hinauftragen zu helfen. Daher machte sie alles allein, hängte die Sachen in den Schrank und nahm dann ihre künftige Arbeitsstätte in Augenschein. Der Raum entsprach genau ihrer Vorstellung. Inzwischen waren auch die bestellten Lehrbücher eingetroffen. Mit Peties Hilfe rückte sie die Tafel und die Stühle zurecht. Dann ordnete sie ihren Schreibtisch, bis sie schließlich mit dem Zustand des Klassenzimmers zufrieden war. Wäre es nach ihr gegangen, so hätte sie gleich mit dem Unterricht beginnen können. Jetzt freute sie sich auf eine Tasse Kaffee. Sie machte sich auf den Weg in die Küche und wählte dafür die Abkürzung durch den Innenhof. Zu ihrer Überraschung fand sie dort Rick Benson vor. Er hatte es sich auf einer der Sitzbänke bequem gemacht und schaute lächelnd zu ihr auf. Caroline bemerkte gleich, daß er seine verschwitzte Arbeitskleidung gegen frischgewaschene Jeans und ein weißes Hemd ausgewechselt hatte.
„Guten Tag, Miss Gentry“, grüßte er höflich und erhob sich. „Hallo, Mr. Benson“, erwiderte Caroline. Jetzt, da er mit gekämmtem Haar, frischrasiert und in untadeliger Kleidung vor ihr stand, machte er einen noch besseren Eindruck. Ohne Zweifel war er ein sehr gutaussehender Mann, und er schien es auch zu wissen. Dennoch mochte ihn Caroline. Sicherlich hatte er nichts von Garretts Launenhaftigkeit an sich. „Was haben Sie gemacht? Hat Mr. Dean Ihnen eigentlich schon einmal die Ranch gezeigt?“ fragte er. Caroline schüttelte den Kopf. „Nein, dazu sind wir noch nicht gekommen. Ich habe heute erst einmal das Klassenzimmer eingerichtet. Am liebsten würde ich gleich anfangen.“ „Heißt das, daß Sie für heute fertig sind?“ „Ja, der Unterricht beginnt erst am Montag. Warum?“ „Ich wollte Sie eigentlich fragen, ob Sie nicht Lust haben, ein wenig mit mir auszureiten.“ Er warf ihr ein harmloses Lächeln zu. „Nein, ich glaube, das ist nichts für mich, Mr. Benson. Aber vielen Dank für Ihr Angebot.“ „Können Sie überhaupt reiten?“ „Leider nicht.“ „Warum lassen Sie es mich Ihnen dann nicht beibringen.“ Caroline schüttelte den Kopf. „Nein, vielen Dank, Mr. Benson. Im Augenblick bin ich erst einmal daran interessiert, meinen Unterricht zu geben.“ Sie hatte die Küche erreicht und wollte sich von ihm verabschieden. „Einen Moment noch, Miss Gentry“, bat er sie. „Verstehen Sie es bitte nicht falsch. Wahrscheinlich haben Sie schon gehört, daß man mich hier allgemein für einen Schürzenjäger hält. Aber mein Angebot war ohne jegliche Hintergedanken. Es würde Ihnen sicher gefallen, hier reiten zu lernen. Wollen Sie es sich nicht noch einmal überlegen?“ „Ich weiß nicht, ich…“ Eigentlich hätte sie gern ja gesagt, doch der Gedanke an Garrett ließ sie zögern. Sie wollte auf jeden Fall weitere Mißverständnisse vermeiden. „Es würde mir wirklich Freude machen, Ihnen die Ranch zu zeigen“, sagte er eifrig. „Ich könnte Sie auch mit den Hardestys bekanntmachen. Das sind die Eltern der Kinder, die Sie unterrichten werden. Na, wie wäre es?“ Caroline dachte an das, was sich vorher zwischen ihr und Garrett abgespielt hatte. Wenn sie nicht lernte, sich hier die Zeit zu vertreiben, würde sie dauernd an ihn denken müssen, das wußte sie genau. Sie gab sich einen Ruck. „Also gut, Mr. Benson. Ich habe nichts dagegen.“ Der junge Cowboy strahlte sie an. „Ich warte hier auf Sie, bis Sie sich umgezogen haben“, sagte er. „Sie haben doch ein Paar Jeans, nicht wahr? Außerdem sollten Sie Stiefel tragen, hier wird nämlich mit Sporen geritten. Einen Hut haben Sie doch auch? Wenn nicht, stecken Sie sich das Haar auf, da es sich sonst leicht in irgendwelchen Zweigen verfängt.“ „Selbstverständlich setze ich auch meinen neuen Hut auf. Warten Sie am besten in der Küche auf mich. Es wird nicht lange dauern.“ Zehn Minuten später verließ Caroline an Rick Bensons Seite das Haus. Sie trug ihre neuen Sachen, in denen sie sich sehr wohl fühlte. Rick hatte inzwischen schon ein Pferd für sie besorgt. Es handelte sich um eine recht zahme, honigfarbene Stute, die auf den Namen „Sweet Momma“ hörte. Bei ihrem Anblick mußte Caroline erst einmal schlucken. Neben dem hochgewachsenen Tier kam sie sich noch kleiner und zierlicher vor. Plötzlich versagten ihr beinah die Kräfte.
Aber Rick, der wohl merkte, wie ihr zumute war, legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. „Keine Angst, das ist halb so schlimm. Ich werde Ihnen beim Aufsitzen helfen.“ Er verschränkte die Hände ineinander und half mit etwas Schwung nach, bis Caroline fest im Sattel saß. Beklommen blickte sie zu Rick hinunter. Doch dann überwand sie sich, schlüpfte in die Steigbügel und nahm die Zügel in die Hand. Rick geleitete die Stute an den Ställen vorbei zu einem freien Gehege. Dort ließ er Caroline ein paarmal im Kreis traben und schärfte ihr dabei die wichtigsten Grundsätze des Reitens ein. „Sie dürfen die Zügel niemals zu locker halten, Miss Gentry. Zeigen Sie der Stute durch einen kurzen, bestimmten Ruck, wohin Sie wollen. Einmaliges, scharfes Ziehen bedeutet Stand.“ Nach einer Weile gewöhnte sich Caroline an den gleichmäßigen Gang des Pferdes. Die Stute gehorchte jeder ihrer Bewegungen, und Rick lobte Caroline, weil sie alles so schnell begriff. Schließlich holte er sein eigenes Pferd, und sie entfernten sich in leichtem Trab vom Haus. Rick blieb dabei stets an Carolines Seite, obwohl sie sich von Minute zu Minute sicherer fühlte. „Sie haben einen guten Sitz“, sagte er beifällig. „Aber neben der Technik sollte man den Respekt vor dem Tier niemals vergessen. Das unterscheidet einen guten Reiter von einem schlechten.“ Caroline nickte und konzentrierte sich weiter auf den steinigen Pfad, der vor ihnen lag. Hinter dem Wäldchen, durch das sie gerade ritten, lag die Farm der Hardestys. „Ich habe heute die ganze Zeit über Sie nachdenken müssen“, sagte Rick unvermittelt. „Ich fände es schön, wenn wir uns ein wenig besser kennenlernen würden. Meinen Sie nicht auch?“ Caroline lächelte zurückhaltend. Sie war ihm zwar sehr dankbar, daß er ihr Reitstunden gab. Jedoch wollte sie um jeden Preis weitere Mißverständnisse vermeiden. Sie zögerte mit der Antwort, denn sie wollte seine Gefühle nicht verletzen. „Rick, ich möchte ganz offen zu Ihnen sein“, sagte sie schließlich. „Ich mag Sie, und Sie sind ein sehr gutaussehender Mann. Aber ich…“ „Reden Sie nicht weiter“, unterbrach er sie. Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. „Sie sind zu fein für einen so ungehobelten Cowboy wie mich. Das wollen Sie doch nur sagen, nicht wahr?“ Entsetzt blickte Caroline ihn an. „Aber natürlich nicht, wie können Sie so etwas von mir denken! Ich bin im Augenblick nicht sehr an Männern interessiert. Wenn wir uns einmal besser kennen, worauf ich sehr hoffe, werde ich Ihnen die Gründe erklären. Aber bis dahin kann ich Ihnen nur meine Freundschaft anbieten.“ Rick nickte betrübt. Doch er war kein Mensch, der lange traurigen Gedanken nachhing. Schon bald lächelte er wieder und sagte: „Seien Sie mir nicht böse, ich wollte es nur einmal versuchen. Doch ich würde mich auch sehr freuen, wenn wir Freunde würden.“ „Prima!“ erwiderte Caroline erleichtert. „Ich brauche einen guten Freund mehr denn je.“ Plötzlich griff er ihr in die Zügel und hielt die beiden Pferde an. Sie hatten gerade die Spitze eines Hügels erreicht, und der Wald lag hinter ihnen. Von hier aus hatte man einen weiten Blick ins Land. Rick streckte Caroline die Hand entgegen und sagte feierlich: „Gut, von jetzt an sind wir Freunde. Aber ich muß sagen, Sie wissen überhaupt nicht, was Sie sich da entgehen lassen.“
„Das Risiko nehme ich auf mich“, entgegnete Caroline lachend und schüttelte ihm
die Hand. Es war ihr plötzlich sehr wohl ums Herz. Daher protestierte sie auch
nicht, als er ihr zur Besiegelung des Paktes einen leichten Kuß auf die Stirn gab.
Sie konnte ja nicht wissen, daß nicht weit von ihnen eine Reiterin verborgen war,
die die ganze Szene beobachtete.
„Nun sollten wir aber weiterreiten“, meinte Rick. In bestem Einvernehmen
trabten sie auf die Farm der Hardestys zu, die unten im Tal vor ihnen lag.
„Meinen Sie, es ist ihnen recht, wenn wir sie einfach so besuchen?“ wandte sich
Caroline an Rick, während sie sich dem kleinen Holzhaus näherten.
„Oh, das macht ihnen bestimmt nichts aus. Ich bin sogar fest davon überzeugt,
daß sie sich alle sehr freuen werden. Schließlich bekommt man in dieser Gegend
nur selten Besuch.“
Ricks Voraussage traf zu. Tatsächlich wurden sie mit offenen Armen
aufgenommen. Zuerst lernte Caroline Rod Hardesty, den Stiefvater der Kinder,
kennen. Er hatte ein offenes, von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht und war
Caroline gleich sehr sympathisch. Seine Frau, Consuelo, war eine typische
Mexikanerin mit blauschwarzem Haar. Sie schienen sich gut zu verstehen und
waren über den Besuch offensichtlich hocherfreut.
Mit Interesse schaute sich Caroline in dem kleinen Wohn und Eßzimmer um. Die
Hütte erinnerte sie ein wenig an die Häuser der Kolonialzeit. Alle Möbel waren
selbstgemacht und aus schwerem Holz. Im Kamin knisterten die Flammen, die
für Wärme und eine gemütliche Atmosphäre sorgten. Die Hardestys ließen nicht
eher locker, als bis Caroline in dem großen Schaukelstuhl Platz genommen hatte,
der für die Besucher gedacht war.
Caroline und Consuelo unterhielten sich auf spanisch. Dabei erfuhr Caroline, daß
die Mexikanerin ebenfalls daran interessiert war, die Sprache ihres Mannes zu
erlernen.
„Sie müssen recht oft zu mir kommen und sich mit mir unterhalten“, sagte sie
eifrig. Caroline versprach dies gern, denn sie fühlte sich hier bereits sehr wohl.
Bald schon lachten die beiden miteinander, während Rod und Rick sich über die
Belange der Ranch unterhielten.
„Wo sind denn die Kinder?“ fragte Caroline schließlich.
„Einen Augenblick. Ich hole sie.“
Wenige Minuten später war der Raum von hellen Stimmen erfüllt. Es waren
allesamt gesunde, bildhübsche Kinder mit glänzenden, schwarzen Augen.
Consuelo stellte Caroline ihren ältesten Sohn vor, der sie mit einer höflichen
Verbeugung begrüßte.
„Guten Tag, Senorita“, sagte er auf spanisch. „Ich freue mich, Sie
kennenzulernen. Dies sind meine drei Schwestern Dolores, Consuelo und Maria.
Unser Kleinster heißt Cruz, und mein Name ist Efren.“
„Guten Tag, Efren“, erwiderte Caroline lächelnd und schüttelte ihm die Hand.
„Na, freut ihr euch schon darauf, Englisch zu lernen?“
„O ja!“ nickte er begeistert. „Wann können wir denn mit dem Unterricht
beginnen? Gleich Montag?“
„Ja, gleich Montag“, versprach sie lachend. Consuelos Augen leuchteten vor Stolz
auf.
„Sie werden Ihnen keine Mühe machen, Senorita“, versprach sie. „Ich habe sie
gut erzogen.“
„Davon bin ich überzeugt.“
Die Kinder baten, noch ein wenig draußen spielen zu dürfen, was ihre Mutter
ihnen gern erlaubte. Dann fragte sie Caroline und Rick, ob sie nicht zum
Abendessen bleiben wollten.
„Ich weiß nicht“, entgegnete Caroline zögernd. „Haben Sie eine Nachricht hinterlassen, daß wir ausgeritten sind, Rick?“ „Nein, aber wer sollte uns schon vermissen? Wir sind doch beide für heute mit der Arbeit fertig. Außerdem können wir uns ja gleich nach dem Essen verabschieden.“ Caroline stimmte ihm zu, und die beiden Frauen machten sich gleich an die Vorbereitungen für das Abendessen. Consuelo weihte ihre neue Freundin in die Geheimnisse der mexikanischen Küche ein. Sie scherzten viel miteinander, und Caroline mußte sich eingestehen, daß sie seit ihrer Ankunft auf der Ranch noch keine so unbeschwerten Stunden verbracht hatte. Gemeinsam zauberten sie ein fünfgängiges Menü, das von den beiden Männern auch gebührend bewundert wurde. Danach drängte Rick zum Aufbruch. Es wurde höchste Zeit, denn die Abenddämmerung senkte sich bereits auf das Tal herab. Caroline sah dem Ritt mit Bangen entgegen, denn sie fühlte sich bereits ganz steif. Am liebsten hätte sie bei den Hardestys übernachtet, jedoch wußte sie, daß dies ganz unmöglich war. So nahmen sie herzlich voneinander Abschied, und Caroline versprach, recht bald wiederzukommen. Rick half ihr aufs Pferd, und dann ging es in schnellem Trab los. Als sie die Farm erreichten, war es bereits völlig dunkel. Caroline war heilfroh, als sie endlich absteigen konnte. Ihr ganzer Körper schmerzte. Sicherlich würde sie morgen einen fürchterlichen Muskelkater haben. Aber der Ausflug hatte sich gelohnt. In guter Stimmung betrat sie an Ricks Seite das Haus. Doch aus dem Innenhof klangen ihnen aufgeregte Stimmen entgegen. Verwundert traten sie näher und sahen sich plötzlich den versammelten Bewohnern der Ranch gegenüber. Bei ihrem Anblick sprang Garrett sofort auf. Er rief zornig: „Wo, zum Teufel wart ihr? Gerade wollte ich euch suchen lassen.“ Rick und Caroline warfen sich einen überraschten Blick zu. Auf einen solchen Empfang waren sie nicht vorbereitet gewesen. „Hat wirklich keiner von euch beiden gewußt, daß Lynn für diesen Abend ein Essen vorbereitet hatte? Wieso habt ihr niemandem mitgeteilt, daß ihr ausreiten wolltet? Wenn Gloria euch nicht zufällig hinter dem Wäldchen gesehen hätte, hätte ich inzwischen wahrscheinlich auch schon die Polizei benachrichtigt. Was habt ihr zu eurer Verteidigung vorzubringen?“ „Ich weiß wirklich nicht, warum Sie sich so aufregen, Boß“, entgegnete Rick befremdet. „Ich habe Miss Gentry Reitunterricht erteilt, und dann sind wir hinüber zu den Hardestys geritten. Consuelo hat uns zum Abendessen eingeladen, und wir haben angenommen. Das ist auch schon alles.“ „So, und das soll ich dir glauben?“ entgegnete Garrett erregt. Dann warf er Caroline einen zornigen Blick zu. „Lynn hatte etwas ganz Besonderes für heute abend gekocht. Es sollte eine Willkommensparty für Sie werden, Miss Gentry, um Sie auch den anderen Cowboys und Vorarbeitern vorzustellen. Daraus ist ja nun leider nichts geworden.“ „Das… das tut mir wirklich sehr leid“, entgegnete Caroline stockend. „Wenn ich davon gewußt hätte, wäre ich selbstverständlich geblieben. Aber wir hatten so einen schönen Abend, daß ich…“ „Einen schönen Abend! Ich weiß genau, was Sie damit sagen wollen!“ unterbrach Gloria sie giftig. „Ich habe nämlich gesehen, wie Sie Rick geküßt haben. Versuchen Sie doch nicht, uns etwas vorzumachen, Miss Gentry.“ Caroline war über diesen Angriff so verblüfft, daß sie nicht gleich darauf antworten konnte. Aber es war ihr nicht entgangen, daß Garrett neben ihr den
Atem anhielt. Sie wollte sich rechtfertigen, brachte aber keinen Ton heraus. „Das ist nicht wahr!“ sagte Rick aufgebracht. „Ich habe ihr einen Kuß gegeben, aber nur, um unsere Freundschaft zu besiegeln.“ Gloria brach in höhnisches Gelächter aus. An der eisigen Stille, die seinen Worten folgte, mußte Rick erkennen, daß ihm niemand glaubte. Dann drehte Garrett sich wortlos um und ging wutentbrannt davon. Die kleine Versammlung löste sich rasch auf. Caroline dankte Rick noch einmal, daß er ihr zu Hilfe gekommen war. Aber auch ihn hatte die Auseinandersetzung sehr mitgenommen. Wer hätte gedacht, daß ihr harmloser Ausritt so enden würde? Caroline war froh, als sie endlich wieder in ihr Zimmer trat. Glorias heftige Anschuldigungen hatten sie sehr verletzt. Natürlich entbehrten sie jeder Glaubwürdigkeit, aber das wußten leider nur sie und Rick. Am allermeisten hatte sie Garretts Reaktion erstaunt. Noch nie zuvor hatte sie ihn in einem solchen Zustand gesehen. Ein Blick auf sein Gesicht hatte genügt, um ihr Angst einzuflößen. Wie kam es nur, daß ihn die Vorstellung, Rick und sie hätten sich geküßt, dermaßen treffen konnte? Niedergeschlagen ließ sie sich in einen Sessel fallen. Wie könnte sie Garrett begreiflich machen, daß sie sich nach keinem anderen Mann sehnte, sondern nur nach seinen Küssen, die ihr eine ganz neue Welt der Leidenschaft erschlossen hatten? Jedoch war sie nicht in der Lage, mit ihm darüber zu sprechen. Mehr denn je war sie davon überzeugt, daß er in ihr nur einen Ersatz für seine verstorbene Frau sah. Daher war ihm wahrscheinlich auch der Gedanke, ein anderer Mann könne Caroline begehren, so unerträglich. Aber auf dieser Ebene konnten sie nicht zueinanderfinden. Caroline war jung, sie wollte ihr eigenes Leben leben. Wenn dies bedeutete, daß sie auf Garrett verzichten mußte, so gab es eben keine andere Lösung. Bei dieser Einsicht war ihr ein wenig wohler. Von morgen an würde alles anders werden. Und sie würde sich gleich am Montag in ihre Arbeit stürzen und Garrett so gut wie möglich aus dem Weg gehen. Alles, was bisher zwischen ihnen passiert war, schien wie ein schöner Traum, den es schleunigst zu vergessen galt. Natürlich gab es auch noch andere Probleme, die sich nicht so schnell aus der Welt schaffen ließen. Was war zum Beispiel mit Gloria los? Das Mädchen war zweifellos sehr eifersüchtig auf sie. Aber warum? Was hatte sie getan, um einen solchen Haß hervorzurufen? Gloria war ihr gegenüber von Anfang an feindselig eingestellt gewesen. Womit konnte dies zusammenhängen? So sehr sich Caroline auch den Kopf darüber zerbrach, sie fand keine Lösung. Plötzlich fiel ihr auf, wie erschöpft sie war. Der Tag, der mit einer so häßlichen Szene geendet hatte, war sehr anstrengend gewesen. Sie nahm ein heißes Bad und ging früh zu Bett. Aber auch im Schlaf konnte sie keine Ruhe finden. Immer wieder sah sie Garretts enttäuschtes Gesicht vor sich. Mehr als einmal schreckte sie im Schlaf hoch, bis sie schließlich in einen unruhigen Schlummer fiel. Am nächsten Morgen kam Caroline kaum aus dem Bett. Sie fühlte sich müde und unausgeschlafen. Außerdem wurde sie von einem schrecklichen Muskelkater geplagt. Selbst das Anziehen fiel ihr schwer. Als sie schließlich fertig war, fiel ihr Blick auf den Kalender. Heute war Samstag – ein langes Wochenende lag vor ihr. Wie mochte wohl ein Samstag auf einer Ranch aussehen? Wahrscheinlich unterschied er sich nicht von den übrigen Tagen. Wie Rick ihr gestern erzählt hatte, gab es besonders auf einer so großen Ranch immer etwas zu tun. Wenn nicht gerade Erntezeit war, mußte man sich um die Rinderzucht kümmern
und das Anwesen instand halten. Immer wieder mußten die Zäune repariert werden, eines oder mehrere der Gebäude brauchten einen neuen Anstrich. Kälber wurden geboren, und man wählte die Tiere für die wöchentlichen Viehmärkte aus, auf denen die „Heritage Ranch“ einen guten Ruf genoß. Jedermann war also sehr beschäftigt, doch wie stand es mit ihr? Wie sollte sie die zwei Tage bis zum Unterrichtsbeginn möglichst sinnvoll verbringen? Ob sie Lynn ihre Hilfe in der Küche anbieten sollte? Während sie noch überlegte, klopfte plötzlich jemand an die Tür. Überrascht machte sie auf. Garrett stand lässig gegen den Türrahmen gelehnt. Er musterte sie von oben bis unten, und Caroline versuchte vergeblich zu erraten, ob er noch immer böse auf sie war. Zu ihrer Erleichterung lächelte er auf einmal und sagte: „Wie geht es Ihnen heute? Haben Sie keinen Muskelkater nach Ihrem ersten Ritt?“ „O doch!“ nickte Caroline. „Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie jederzeit das Schwimmbad benutzen können. Das wird Ihre Muskeln wieder lockern. Sie können doch schwimmen, oder?“ * „Natürlich“, erwiderte Caroline gekränkt. „Bei euch Stadtmenschen kann man das ja nie wissen…“ Caroline mußte sich sehr beherrschen, ihm keine entsprechende Antwort zu geben. Sie wollte sich nicht schon wieder mit ihm streiten. Daher schloß sie die Augen und zählte ganz langsam bis zehn. „Sie können versichert sein, daß ich eine gute Schwimmerin bin“, sagte sie dann mit süßsaurem Lächeln. „Na, prima!“ grinste er. „Ich hatte schon befürchtet, ich müßte Ihnen auch noch Schwimmunterricht erteilen.“ „Das wird nicht nötig sein“, erwiderte Caroline mit ablehnender Stimme. „Ich weiß, daß Sie ein vielbeschäftigter Mann sind, Mr. Dean. Ich möchte nicht zuviel von Ihnen verlangen.“ Ihr Ton verfehlte seine Wirkung nicht. Garretts Lächeln verschwand. Er blickte sie stirnrunzelnd an. „Jedenfalls war es sehr nett von Ihnen, an mich zu denken“, fügte sie versöhnlich hinzu. „Ach ja, ich hatte vor, später noch einen Spaziergang zu den Hardestys zu machen. Ich würde Consuelo und die Kinder gern wiedersehen. Oder haben Sie etwas dagegen?“ „Allerdings! Heute nachmittag steht die erste Fahrstunde auf Ihrem Programm. Ich habe Cleave gebeten, Ihnen Unterricht zu geben.“ Darauf war Caroline nicht gefaßt. Doch sie nickte nur und tat so, als mache es ihr nichts aus, ihre Pläne zu ändern. Zudem freute sie sich darauf, Fahrstunden zu nehmen – vorausgesetzt, es war nicht Garrett, der ihr den Unterricht erteilte. Cleave war ihr zwar nur kurz vorgestellt worden, aber das machte ja nichts und sie entgegnete nur: „Gut, ich werde da sein.“ Garrett hatte anscheinend mit größerem Widerstand gerechnet. Er sah sie einen Augenblick verblüfft an, dann wandte er sich von ihr ab und ging den Korridor wieder hinunter. Mit einem zufriedenen Lächeln schloß Caroline die Tür. Sie freute sich, daß sie sich diesmal nicht hatte herausfordern lassen. Dies schien ihr ein gutes Zeichen für ihre Zukunft auf der „Heritage Ranch“ zu sein. Es war ein schöner, warmer Tag, daher entschied sich Caroline für eines ihrer leichten Sommerkleider. Fröhlich singend machte sie sich auf den Weg zur Küche, wo ihr Frühstück bereits auf sie wartete. Lynn entschuldigte sich bei ihr für die unbedachten Worte ihrer Tochter. Die
ganze Angelegenheit war ihr sichtlich peinlich. Caroline versicherte ihr, daß es keiner Entschuldigung bedürfe. Sie sagte noch einmal, wie leid es ihr tat, daß die Party ihretwegen abgesagt werden mußte. Aber Lynn lachte nur und meinte, das sei kein Problem. Man werde sie einfach auf heute abend verschieben. In bestem Einvernehmen tranken sie zusammen ihren Kaffee, als Gloria eintrat. Das Mädchen nickte nur kurz und beachtete Caroline dann nicht weiter. Da sie nicht die Absicht zu haben schien, die Küche wieder zu verlassen, erhob sich Caroline und ging auf ihr Zimmer. Dort zog sie ihren Bikini an, warf sich ihre gelbe Frotteejacke über und nahm ein großes Badetuch. Sie hatte das Schwimmbad ganz für sich allein. Vor dem Schwimmen ließ sie sich in einer der Liegen von der Sonne bräunen. Als es ihr allmählich zu heiß wurde, schlenderte sie hinüber zum Sprungbrett und tauchte mit einem kühnen Kopfsprung in das erfrischend kühle Wasser. Bald hatte sich ihr Körper an den Wechsel der Temperatur gewöhnt, und sie tobte sich nach Herzenslust aus. Caroline war eine sehr gute Schwimmerin. Nach einigen Runden spürte sie, wie sich ihre verkrampften Muskeln wieder lockerten. Schließlich kraulte sie erschöpft hinüber zu den Treppen und lehnte sich gegen den Beckenrand. Seit langem hatte sie sich nicht mehr so gut gefühlt. Zufrieden blickte sie hinauf in den wolkenlosen Himmel. Alles war friedlich und still – jedenfalls im Augenblick.
8. KAPITEL Caroline merkte überhaupt nicht, wie schnell die Zeit verging. Immer, wenn es ihr zu heiß wurde, sprang sie wieder ins Wasser und ließ sich treiben. Da drangen auf einmal zwei männliche Stimmen an ihr Ohr. Überrascht blickte sie auf. Die Männer waren hinter den Oleanderbüschen verborgen. Eine der Stimmen hätte sie auf jede Entfernung wiedererkannt – Garretts Baß hatte sich ihr unauslöschlich ins Gedächtnis eingegraben. Plötzlich merkte sie, daß sie schon zu lange im Wasser war. Sie kletterte die Sprossen hoch und ging hinüber zu der Liege, neben der ihre Badejacke lag. Als Caroline sie gerade überziehen wollte, kamen die Männer an das Becken heran. Bei Carolines Anblick stieß Rick, denn dies war Garretts Begleiter, einen anerkennenden Pfiff aus. „Hallo, Baby!“ rief er übermütig. „Willst du schon gehen? Warte doch auf mich!“ Caroline wollte ihm gerade mit einem Scherz antworten, als ihr Blick auf Garretts Gesicht fiel. Vor Schreck erstarrte sie. Ihre Überraschung war noch größer, als er plötzlich mit drei schnellen Schritten auf sie zusprang und sie unsanft am Handgelenk packte. „Halt, was soll das?“ erhob sie Einspruch. „Sie tun mir weh!“ Garrett ließ sich durch ihre Proteste nicht beeindrucken. Er zog sie mit sich bis zur Glastür. „Gehen Sie auf Ihr Zimmer und ziehen Sie sich an!“ rief er. „Lassen Sie mich endlich los!“ entgegnete Caroline überrascht. „Sind Sie eigentlich verrückt geworden? Ich wollte mich sowieso gerade umziehen. Was soll das Theater?“ Garrett schien höchst verärgert. „Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe!“ erklärte er energisch, „sonst…“ „Moment mal, Boß!“ warf Rick besänftigend ein. Er war ihnen bis zur Tür gefolgt. „Finden Sie nicht auch, daß…“ „Und du machst dich gefälligst wieder an die Arbeit!“ schrie Garrett völlig außer sich. „Ja, ist schon gut“, entgegnete der Cowboy erschrocken und trat langsam den Rückzug an. Caroline hatte den Zwischenfall benutzt, um sich von Garrett loszureißen und den Gang hinabzulaufen. Doch er war noch nicht fertig mit ihr. Kurz vor der Treppe hatte er sie eingeholt und versperrte ihr den Weg. „Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?“ fragte er zornig. „Wobei?“ „In diesem Aufzug herumzulaufen! Sie hätten ja ebensogut nackt baden können.“ Verständnislos sah Caroline ihn an. „Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen, Mr. Dean. Ich trage zum Schwimmen immer einen Bikini.“ „Das werden Sie in Zukunft unterlassen. Solange Sie sich auf meinem Grund und Boden befinden, verlange ich von Ihnen, daß Sie sich anständig kleiden.“ Garrett stellte sich breitbeinig vor sie hin und verschränkte die Arme vor der Brust. Es kostete ihn offensichtlich große Mühe, seinen Zorn einigermaßen unter Kontrolle zu halten. „Dies“, sagte er und betonte dabei jedes Wort, „ist eine Ranch und kein öffentliches Freibad. Auf dieser Ranch leben außer mir noch vierzehn Männer, die nicht oft Gelegenheit haben, mit Frauen in Kontakt zu kommen. Nicht jeder meiner Männer würde sich die Mühe machen, langatmige Erklärungen abzugeben. Eine Frau, die ihren Körper in der Weise zur Schau stellt, wie Sie es eben getan haben, kann sich selbst in große Schwierigkeiten bringen. Haben Sie
mich jetzt endlich verstanden, oder muß ich noch deutlicher werden?“ Caroline starrte ihn mit offenem Mund an. Plötzlich verstand sie, daß er recht hatte. Ihr Ärger verflog, und sie schämte sich über ihr unbedachtes Verhalten. Sie blickte schnell zu Boden, damit Garrett nicht ihre Tränen sah, die ihr die Wangen hinabliefen. Am liebsten wäre sie in den Erdboden versunken. Garrett legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte mit rauher Stimme: „Sie sind viel zu hübsch, um ohne männlichen Schutz zu sein, Miss Gentry.“ Noch immer waren ihre Augen feucht, als die schluchzend erwiderte: „Ich… es tut mir sehr leid. Ich habe einfach nicht darüber nachgedacht. Verzeihen Sie mir!“ Garrett nickte und sah sie durchdringend an. „Ich kann Sie vor jedem meiner Männer beschützen“, sagte er bedeutsam, „aber ich kann Ihnen nicht garantieren, daß Sie vor mir sicher sein können.“ Das verschlug Caroline den Atem. In seiner Stimme klang jetzt wieder jene unerwartete Zärtlichkeit mit, die sie auch in seinen Küssen gespürt hatte. Mehr denn je wünschte sie sich, von ihm in die Arme genommen zu werden. Doch weder Garrett noch sie rührten sich. Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. „Halten Sie sich in Zukunft besser von mir fern, Miss Gentry. Sonst stehe ich nicht für die Folgen ein.“ Seine Worte trafen Caroline mitten ins Herz. Plötzlich ertrug sie die Spannung nicht länger. Ohne ihn noch einmal anzusehen, lief sie an ihm vorbei und flüchtete in ihr Zimmer. Garrett folgte ihr nicht. Doch es dauerte noch eine Weile, bis sie hörte, daß er sich entfernte. Nach diesem unerfreulichen Zwischenfall war Caroline die Lust auf Fahrstunden vergangen. Sie beschloß, für den Rest des Tages auf ihrem Zimmer zu bleiben. Erst am späten Nachmittag zog sie sich um und ging in die Küche hinunter, um Lynn ihre Hilfe anzubieten. Wie immer lehnte die Köchin ab. Sie teilte Caroline jedoch mit, daß sie die Hardestys zum Abendessen eingeladen hatte, worüber Caroline sehr erfreut war. Entgegen ihren Befürchtungen wurde es ein sehr schöner Abend. Consuelo hatte die Kinder mitgebracht, die für eine entspannte Stimmung sorgten. Garrett stellte ihr jeden seiner Arbeiter vor, und Caroline mußte viele Hände schütteln. Und es entging ihr nicht, daß die meisten Cowboys von ihrem Äußeren sehr angetan waren, was ihrem verletzten Selbstbewußtsein gut tat. Nur Gloria brachte einen Mißklang hinein. Wie gewöhnlich hatte sie schlechte Laune und warf Caroline von Zeit zu Zeit unfreundliche Blicke zu. Rick und Garrett waren ein wenig schweigsamer als sonst, aber das Abendessen war ein voller Erfolg. Dies war nicht zuletzt Lynns vorzüglichen Kochkünsten zu verdanken. Dennoch war Caroline froh, als sie endlich zu Bett gehen konnte. Garrett hatte sich schon sehr früh zurückgezogen und ihr nur knapp gute Nacht gewünscht. Caroline hoffte von Herzen, daß sich die Spannung zwischen ihnen bald legen würde. Am Sonntag erwachte Caroline mit heftigen Kopfschmerzen. Dies verschaffte ihr einen guten Vorwand, um auf ihrem Zimmer zu bleiben. Sie langweilte sich zwar etwas, aber sie war froh, keinen Menschen sehen zu müssen. Am Spätnachmittag klopfte dann jemand an ihre Tür. Es war Gloria. Garrett hatte sie geschickt, um Caroline auszurichten, daß sie in sein Büro kommen möchte. Caroline nickte nur. Sie spürte die Feindseligkeit, die von Gloria ausging und hoffte, daß sie nun bald gehen würde. Aber das Mädchen hatte ihr noch etwas zu sagen. „Sehen Sie sich vor, Miss Gentry“, meinte sie warnend. „Wenn Sie glauben, daß die Männer hier nur auf Sie gewartet haben, so irren Sie sich.“ Damit verschwand
sie endlich. Caroline blickte ihr kopfschüttelnd nach. Auf dem Weg ins Büro dachte sie noch einmal über ihre Worte nach. Konnte es sein, daß Gloria in Garrett verliebt war? Daß das Mädchen in ihr eine Rivalin sah? Dieser Verdacht bestärkte sie in ihrem Entschluß, Garrett nie mehr etwas von ihren Gefühlen merken zu lassen. Sicherlich würde dies nicht einfach sein… „Herein!“ rief Garrett, als Caroline zaghaft an seine Tür klopfte. Sie holte noch einmal tief Luft und trat schließlich ein. „Sie wollten mich sprechen, Mr. Dean?“ „Bitte, setzen Sie sich doch!“ erwiderte er und wies auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. Seine Miene war verschlossen, seine Stimme klang kühl. „Ich wollte Sie fragen, ob Sie morgen mit dem Unterricht beginnen können.“ „Natürlich! So war es doch ausgemacht, nicht wahr?“ Er nickte. „Rod wird die Kinder um acht bringen. Nachmittags wird Petie sie dann wieder nach Hause fahren. Aber dies ist nur eine Übergangslösung für die Zeit, bis Sie Ihren Führerschein gemacht haben. Ich hoffe, daß dies bald geschehen wird. Cleave wird Ihnen jeden Tag Fahrstunden erteilen. Hier, ich möchte, daß Sie sich diese Bögen gut durchlesen.“ Er reichte ihr ein Heft, in dem alles stand, was sie für die theoretische Fahrprüfung wissen mußte. Caroline nahm es schweigend in Empfang. Es war ihr sehr peinlich, daß sie den Männern all diese Unannehmlichkeiten bereitete. „Wie kommt es eigentlich, daß Sie die Prüfung nie gemacht haben?“ „Ich hatte leider nie die Zeit dafür. In den Semesterferien mußte ich arbeiten, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen.“ Darauf entgegnete Garrett nichts. Nach einer längeren Pause meinte er dann: „Ich habe Sie bereits zur Fahrprüfung angemeldet. Außerdem möchte ich Sie davon in Kenntnis setzen, daß Ihr Verbleiben auf der Ranch davon abhängt, ob Sie die Prüfung bestehen.“ Caroline wollte schon gegen diese ungerechte Maßnahme protestieren. Aber dann besann sie sich eines Besseren. In ihrem Vertrag war zwar nie von einer Fahrprüfung die Rede gewesen, andererseits könnte dies natürlich die ideale Lösung für ihre persönlichen Probleme sein. Falls sie die Prüfung nicht bestehen würde, könnte sie die Ranch wieder verlassen. Sie wußte zwar noch nicht, an wen sie sich in diesem Fall wenden sollte. Aber sie würde sicher einen Ausweg finden. „Haben Sie noch irgendwelche Einwände?“ „Nein, Mr. Dean.“ Garrett warf ihr einen finsteren Blick zu. Aber Caroline ließ sich diesmal nicht einschüchtern. Sie wußte, daß dies die letzte Probe war, auf die er sie stellen würde. „Ich möchte jetzt eine ehrliche Antwort“, sagte er auf einmal mit einer viel weicheren Stimme. „Wollen Sie, daß ich Sie wieder nach Hause schicke? Ja oder nein?“ „Nach Hause? Ich habe kein Zuhause mehr“, entgegnete sie tonlos. „Nein?“ Auf einmal schien ihn ihr Schicksal zu berühren. Es drängte sie danach, ihm zu gestehen, daß sie sich kein größeres Glück vorstellen könne, als in seiner Nähe zu sein. Aber das kam nicht in Frage. Daher erwiderte Caroline: „Nein, ich… ich will nicht mehr nach Dallas zurück. Wo immer ich Arbeit finde, wird meine neue Heimat sein. Sie haben mir einen Job angeboten, und ich werde mein Möglichstes tun, um Sie zufriedenzustellen. Aber falls Ihnen das nicht genügen sollte, müssen wir uns eben wieder trennen. Dann werde ich mich nach einer neuen Arbeit umsehen. Jetzt wissen Sie Bescheid über meine Lage. Es steht
Ihnen jederzeit frei, mich zu entlassen!“ „Wer spricht denn davon?“ entgegnete Garrett ablehnend. „Ich werde Sie nicht hinauswerfen. Schließlich beginne ich gerade, mich an Sie zu gewöhnen.“ Caroline blickte ihn mißtrauisch an. „Was wollen Sie eigentlich von mir, Mr. Dean?“ „Ich möchte, daß Sie Ihre Arbeit verrichten. Dafür habe ich Sie schließlich engagiert.“ Caroline nickte kurz. Seine Worte hatten ihr zwar einen kleinen Stich versetzt, aber davon ließ sie sich nichts anmerken. „Kann ich jetzt gehen? Oder gibt es noch etwas anderes, was Sie mit mir besprechen wollen?“ „Ja, eine Kleinigkeit. Ich habe Lynn gebeten, Ihnen einen von Glorias Badeanzügen zu besorgen. Sie sind etwas… etwas züchtiger als Ihr Bikini. Schließlich sollen Sie nicht auf Ihr Badevergnügen verzichten. Ich hoffe, Sie verstehen, daß dies nur zu Ihrem eigenen Besten geschieht.“ „Selbstverständlich, Mr. Dean.“ Es war Caroline zwar gar nicht recht, daß es ausgerechnet Gloria war, die ihr aushelfen sollte. Aber für einige Zeit mußte sie sich wohl damit abfinden. „Ach ja, noch etwas. Trotz Ihres, nun sagen wir, eigenmächtigen Verhaltens, habe ich beschlossen, daß Sie ,Sweet Momma' reiten dürfen, wann immer sie wollen. Rick hat mir versichert, daß Sie das Zeug zu einer guten Reiterin hätten. Tun Sie mir jedoch den Gefallen und entfernen Sie sich ohne Begleitung nicht allzuweit vom Haus. Ich möchte nicht noch einmal nach Ihnen suchen müssen. Haben wir uns verstanden?“ „Ja, Mr. Dean“, nickte Caroline zustimmend. „Gut, dann wäre das im Augenblick alles.“ Er vertiefte sich wieder in die Papiere, die vor ihm lagen, und schenkte ihr keine weitere Beachtung. Mit einem leisen Gruß ging Caroline aus dem Zimmer. Draußen stieß sie einen erleichterten Seufzer aus. Das Gespräch war angenehmer verlaufen, als sie es sich vorgestellt hatte. Vielleicht würde es ihr ja doch noch gelingen, sich auf der „Heritage Ranch“ einzuleben. Pünktlich am nächsten Morgen um acht brachte Rod die Kinder vorbei. Caroline wartete bereits im Klassenzimmer auf sie. Sie hatte sich gut auf den Unterricht vorbereitet und stellte zu ihrer Freude fest, daß ihre Schüler eine rasche Auffassungsgabe zu besitzen schienen. Dennoch überforderte Caroline sie an diesem Morgen nicht. Sie führte einige Grundbegriffe in der neuen Sprache ein und machte sie mit der englischen Schreibweise bekannt. Nach dem Unterricht war eine Stunde Schwimmen vorgesehen. Die Kinder tobten ausgelassen im Becken, während Caroline versuchte, sich mit ihrem geliehenen Badeanzug anzufreunden. Er war ihr jedoch viel zu groß, und sie beschloß, sich bei erster Gelegenheit etwas Hübscheres zu besorgen. Gegen zwölf erschien Petie, um die Kinder zum Mittagessen abzuholen. Zwei Stunden später hatte sie bei Cleave Fahrunterricht. Der Kombiwagen war dafür vorgesehen. Seine Automatik erleichterte ihr die ersten Fahrversuche, und nachdem sich die anfängliche Steifheit zwischen ihr und Cleave Lawson gelegt hatte, machte Caroline die Sache sogar großen Spaß. Am Abend studierte sie die Bögen für die theoretische Prüfung, und nach dem Abendessen ging sie früh zu Bett. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, einen ausgefüllten Tag hinter sich zu haben. Der Rest der Woche verlief ähnlich. Caroline bemühte sich, Garrett aus dem Weg zu gehen, was nicht schwierig war, da er ebenfalls sehr beschäftigt war. Die Kinder machten rasche Fortschritte, und zu ihrer Freude wurde Caroline mit dem
Kombiwagen immer vertrauter.
Sie war zwar etwas überrascht, als Garrett ihr mitteilte, daß ihre Prüfung bereits
am Freitag stattfinden würde. Aber sie fühlte sich in Theorie und Praxis schon so
sicher, daß sie davor keine Bedenken mehr hatte.
Tatsächlich bestand sie die Prüfung mit Auszeichnung, was ihrem Selbstvertrauen
überaus gut tat. Cleave war so stolz auf sie, daß er sogar seine Zurückhaltung
vergaß und sie herzlich umarmte.
Es war ein regelrechter Freudentag für Caroline. Als sie Garrett vor dem Haus
stehen sah, hupte sie dreimal übermütig, bevor sie den Wagen in die Garage
fuhr. Dann zeigte sie ihm stolz den neuen Führerschein.
„Na, was sagen Sie jetzt?“
„Herzlichen Glückwunsch!“ erwiderte er zufrieden. „Ich wußte, daß Sie es
schaffen würden.“
Caroline blickte ihn strahlend an. In diesem Augenblick hätte sie ihm all seine
Kränkungen verzeihen können. Er lächelte zurück, dann drehte er sich um und
ging ins Haus.
„So, wie wäre es jetzt mit einem kleinen Glas Sekt?“ fragte sie Cleave, der die
Garage abgeschlossen hatte. „Ich muß mich doch noch dafür bedanken, daß Sie
nie die Geduld mit mir verloren haben.“
„An sich gern, Miss“, entgegnete der Cowboy zögernd, „aber ich denke, ich sollte
mich lieber wieder an meine Arbeit machen.“
„Unsinn, Ihr Boß hat bestimmt nichts dagegen, wenn Sie eine kleine Pause
machen“, widersprach Caroline. Ihr war jetzt nach Feiern zumute.
„Das ist es nicht. Es geht nur um…“
„Ja, worum denn? Nun reden Sie schon!“
„Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll“, stotterte Cleave, der ganz rot
geworden war. „Der Boß hat uns befohlen, die Finger von Ihnen zu lassen…“
„Wie bitte?“ fragte Caroline entgeistert. „Das kann doch wohl nicht wahr sein!“
„Tut mir leid, Miss“, entgegnete Cleave verlegen. „Nehmen Sie es bitte nicht
persönlich.“
„Das lasse ich mir nicht gefallen!“ rief Caroline empört. „Ich werde sofort zu Mr.
Dean gehen und mich beschweren!“
„Nein, tun Sie das bitte nicht!“ entgegnete Cleave erschrocken. „Sie bringen mich
sonst in große Schwierigkeiten.“
Caroline zögerte ein paar Minuten lang, aber dann sagte sie sich, daß ihr schon
etwas einfallen würde, um es Garrett heimzuzahlen.
„Gut, ich werde es mir noch einmal überlegen. Vielleicht ist es wirklich das Beste,
wenn Sie jetzt wieder an die Arbeit gehen.“
Cleave nickte erleichtert und wandte sich zum Gehen. Doch Caroline rief ihn noch
einmal zurück.
„Ach, Cleave… herzlichen Dank noch einmal!“
„Nichts zu danken, Miss. Ich habe es wirklich gern getan.“ Er winkte Caroline zu
und bog dann um die Ecke.
Seine Worte hatten Caroline nachdenklich gemacht. Sie war sehr wütend auf
Garrett, entschloß sich jedoch, eine Auseinandersetzung auf später zu
verschieben. Doch wie so oft kam alles ganz anders.
Beim Abendessen erfuhr Caroline von Lynn, daß Garrett mit seinem
Privatflugzeug auf Geschäftsreise geflogen war. Sie nahm diese Nachricht mit
Erleichterung auf. Jetzt erst wurde ihr bewußt, wie sehr seine Anwesenheit sie in
den letzten Tagen bedrückt hatte.
Bisher war sie ihm möglichst aus dem Weg gegangen und hatte die Abende allein
auf ihrem Zimmer verbracht. Nun bestand dafür kein Anlaß mehr.
Dennoch zögerte sie, sich den anderen anzuschließen, die sich jeden Abend im Innenhof zu Kartenspiel und angeregten Gesprächen zusammenfanden. Denn sie hatte keine Lust, sich Glorias Feindschaft auszusetzen. Außerdem wollte sie sich nichts in bezug auf die Männer nachsagen lassen. Nach einem Spaziergang zu den Hardestys stand ihr nicht der Sinn, und so blieb sie wieder allein auf ihrem Zimmer. So verlief der Rest der Woche. Das Wetter wurde schlechter, die Hitze war bald unerträglich. Die Männer waren auf den Weiden beschäftigt, und Lynn machte den großen Frühjahrsputz. Daher konnte sie sich nur wenig um Caroline kümmern. Zu ihrem eigenen Erstaunen mußte sich Caroline gestehen, daß Garrett ihr fehlte. Sie brachte zwar manchmal die Kinder nach dem Unterricht nach Hause, und Consuelo freute sich jedesmal, sie zu sehen. Doch sie hatte einen Haushalt und eine große Familie zu versorgen, was ihr nur wenig Zeit für Zerstreuung ließ. Erneut fragte sich Caroline, ob es nicht ein großer Fehler gewesen war, auf Garretts Angebot eingegangen zu sein. Schließlich kam der Freitag, und jedermann hatte Pläne fürs Wochenende. Nur Caroline wußte nicht, was sie mit der vielen Freizeit anfangen sollte. Es hatte sich zwar inzwischen wieder ein wenig abgekühlt, doch, sie war unruhiger denn je. An diesem Abend konnte sie einfach nicht einschlafen. Mit einem tiefen Seufzer trat sie ans Fenster und blickte hinunter in den mondbeschienenen Garten, in dem die exotischen Vögel ein nächtliches Konzert gaben. Plötzlich verspürte sie große Lust auf einen Spaziergang. Sie schlüpfte in ein T Shirt und ein paar Shorts und schlich sich lautlos die Treppe hinab. Die ganze Welt schien in einen tiefen Schlaf gesunken zu sein. Caroline genoß es, barfuß durch das hohe Gras zu schreiten. Da ertönte auf einmal aus der Ferne ein schwaches Wimmern. Sie beschloß, den Ställen einen Besuch abzustatten. Vorsichtig öffnete sie die knarrende Tür. Sofort stieg ihr der scharfe Geruch von Pferdemist in die Nase. Schließlich gelang es ihr, „Sweet Momma“ ausfindig zu machen. Das Pferd wieherte leise als Caroline ihm freundschaftlich auf die Nase klopfte. Dann ging sie wieder hinaus. Draußen schwang sie sich auf ein Gatter und blickte zum klaren Sternenhimmel hinauf. Zum erstenmal seit vielen Tagen empfand sie wieder so etwas wie inneren Frieden. Verträumt betrachtete sie die silberne Sichel des Mondes, während ganz in der Nähe das schrille Zirpen der Grillen erklang. Schließlich wurde ihr etwas kühl, und sie beschloß, zum Haus zurückzukehren. Aber auf dem Weg dorthin stolperte sie versehentlich über eine Harke, die jemand unachtsamerweise liegengelassen haben mußte. Sie fiel zu Boden, und als sie wieder aufstehen wollte, mußte sie zu ihrer Bestürzung feststellen, daß ihr Knöchel anzuschwellen begann. Anfangs hielt sich der Schmerz in Grenzen, doch dann bereitete ihr jeder Schritt eine solche Qual, daß sie sich stöhnend auf einem Baumstumpf niederlassen mußte. Selbst im fahlen Mondlicht war deutlich zu erkennen, daß die Schwellung immer stärker wurde. „Was ist denn los? Haben Sie sich verletzt?“ ertönte auf einmal eine Stimme ganz dicht neben ihr. Wie vom Donner gerührt blickte Caroline auf. Sie erkannte Garrett, der sich gegen eine Scheunentür lehnte. „Meine Güte, haben Sie mich erschreckt!“ „Das tut mir leid“, entgegnete er und kam näher. „Nun lassen Sie schon sehen! Oh, das sieht aber böse aus! Wie ist denn das passiert?“ „Eine Harke“, erklärte sie, „ich bin über eine Harke gestolpert.“
Er kniete neben ihr und besah sich den Knöchel. „Hätte schlimmer kommen können“, meinte er schließlich, „aber Sie sollten möglichst vermeiden, damit herumzulaufen.“ Das Mondlicht ließ sein silberblondes Haar noch heller erscheinen. Am liebsten hätte Caroline es gestreichelt, doch sie bezwang diesen Wunsch und richtete sich statt dessen mühsam auf. „Warum tragen Sie eigentlich nicht Ihre Stiefel?“ fragte Garrett stirnrunzelnd. „Weil ich Sie in meinem Zimmer vergessen habe.“ „Wenn Sie sie getragen hätten, wäre Ihnen dies nicht passiert.“ „Stimmt“, gab sie kläglich zu. Der Schmerz wurde langsam unerträglich. Mit einem kleinen Seufzer setzte sie sich wieder auf den Baumstumpf. Garrett blickte nachdenklich auf sie herab. „Ich habe Sie gesucht“, sagte er schließlich. „Ach, wirklich?“ Ihr Herz begann schneller zu pochen. Sie war froh, daß er zurückgekommen war, obwohl sie ahnte, daß damit die Schwierigkeiten von neuem anfangen würden. „Ja, ich… ich finde, daß es Zeit für eine Aussprache ist“, sagte er stockend. „Sobald ich zurückkam, bin ich gleich zu Ihnen gegangen. Sie waren nicht in Ihrem Zimmer, und so machte ich mich auf die Suche nach Ihnen.“ „Warum, Garrett?“ Es war nicht mehr als ein Flüstern. „Ich halte es einfach für keine gute Lösung, daß wir uns dauernd aus dem Weg gehen. So war es doch bisher immer, nicht wahr?“ Caroline nickte schweigend. Dies war der Moment der Wahrheit. Sie mußte ihm entweder ihre Gefühle gestehen, oder ihm sagen, daß sie nicht länger bleiben konnte. Schnell blickte sie zu ihm auf. Doch sein Gesicht lag im Halbdunkel, und seine Züge verrieten nichts. „Hören Sie zu, Garrett“, begann sie, „ich glaube, dies ist nichts für mich. Ich sollte mich wirklich nach einer Stelle umsehen, die mich mehr ausfüllt. Ich…“ „Sehen Sie mich an, Caroline“, bat er und kniete sich zu ihr nieder. „Sehen Sie mir in die Augen.“ Langsam erhob Caroline den Blick zu ihm. Sie sah in seinen Augen das gleiche Verlangen, die gleiche Sehnsucht, die ihr die Tage und Nächte auf der Ranch so zur Qual gemacht hatten. Daher protestierte sie auch nicht, als er sie an sich zog und sie zu küssen begann. Es war ein Signal, auf das sie schon lange gewartet hatte. All ihre guten Vorsätze waren vergessen. Sie konnte an nichts anderes mehr denken als an seine Nähe, die ihr den Atem raubte, an seine Arme, die sie so fest umschlossen, an seine Lippen, die ihr alles verrieten. Dabei war er zuerst von einer überraschenden Zärtlichkeit, die sie völlig wehrlos machte. Doch langsam veränderten sich seine Umarmungen. Sie wurden drängender, stürmischer, bis Caroline sie am ganzen Körper zu spüren begann. Ungeahnte Empfindungen durchfluteten sie. Sie fühlte, wie sehr er sie begehrte. Doch trotz aller Leidenschaft, die ihr die Sinne zu rauben drohte, meldete sich plötzlich eine innere Stimme, die Caroline daran erinnerte, daß sie von Garrett wirklich geliebt und nicht nur als Objekt betrachtet werden wollte. Dies war die einzige Voraussetzung, unter der sie sich hingeben konnte. Doch es war schwer, auf diese Stimme zu hören, denn Garrett hatte jetzt begonnen, ihren Halsausschnitt mit kleinen brennenden Küssen zu bedecken. Langsam öffnete er die Knöpfe ihrer Bluse und seine tastenden Finger sandten Wellen der Erregung durch Carolines Körper. Da stieß sie ihn mit letzter Kraft von sich. „Nein, Garrett, ich… ich will das nicht!“ Er ließ sofort von ihr ab. Stirnrunzelnd blickte er auf sie herab. „Was ist nur mit
dir los, Caroline? Warum stößt du mich auf einmal zurück? Willst du etwa bestreiten, daß wir uns nacheinander sehnen?“ „Seit ich dich getroffen habe, kann ich an nichts anderes mehr denken. Ich kann weder arbeiten noch ruhig schlafen…. es gibt nur ein einziges Mittel, durch das ich wieder Ruhe finden kann! Ich brauche dich nur anzuschauen, um zu wissen, daß es dir genauso geht. Warum sträubst du dich nur so gegen mich?“ „Weil ich für dich eben nur ein Mittel zum Zweck bin“, sagte sie aufgebracht und verlor dabei die Fassung. Tränen liefen ihr die Wangen hinab. „Nein, das bist du nicht“, gab Garrett ruhig zurück. „Aber du bist auch nicht die aufgeklärte junge Dame aus der Stadt, für die du dich ausgibst. Wollen wir wetten, daß du noch nie mit einem Mann geschlafen hast?“ Wie konnte er nur so grausam sein? Nie zuvor war sie so aufgewühlt gewesen, und gerade jetzt versetzte er ihr einen Schlag, der sie bis ins Innerste traf. Plötzlich ärgerte sie sich über ihn. Ohne auf ihren schmerzenden Knöchel zu achten, erhob sie sich und sagte voller Empörung: „Die Wette hast du gewonnen. Aber trotzdem wirst du nicht der erste sein!“ „Das wird sich ja noch zeigen“, gab Garrett zurück. Er packte sie am Handgelenk und setzte hinzu: „Du willst es doch genauso sehr wie ich. Warum gestehst du dir nicht endlich deine Gefühle ein?“ „Weil ein Mann wie du es nicht wert ist!“ Mit einer trotzigen Handbewegung wischte sie sich die Tränen vom Gesicht und sah ihn herausfordernd an. Keiner von ihnen wollte nachgeben. Plötzlich hob Garrett sie ganz überraschend hoch. Da gab Caroline ihren Widerstand endlich auf. Sie lehnte den Kopf an seine Brust und weinte Tränen, die ihre Enttäuschung und Demütigung verrieten. Er trug sie die Treppe hinauf und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. Als er mit ihr auf das große Bett zuging, erblaßte sie. Doch ihre Furcht war völlig unbegründet. Ohne weitere Umschweife ließ er sie einfach auf das Bett fallen. Dann stemmte er die Hände in die Hüften und sagte nachdrücklich: „Ich weiß nicht, was Ihr Problem ist, Miss Gentry. Aber es ist besser, wenn Sie sich erst mal beruhigen.“ Damit wandte er sich um und ging aus dem Zimmer. Caroline wartete noch, bis seine Schritte verklungen waren. Dann endlich konnte sie ihren Tränen, ihren widerstrebenden Gefühlen und auch ihrer Trauer Ausdruck verleihen. Schließlich fiel sie völlig erschöpft in den Schlaf, doch die Bilder jener Szene verfolgten sie bis in die Träume.
9. KAPITEL In den nächsten Tagen war Caroline so niedergeschlagen wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Obwohl Sie Garrett liebte, konnte sie nicht ertragen, daß er in ihr nur einen Ersatz für seine verstorbene Frau sah. Nur wenn er diese Haltung änderte, war sie zur Liebe fähig. Natürlich vergaß sie nie, daß Garrett sich nun wahrscheinlich einer anderen Frau zuwenden würde. Aber obwohl diese Vorstellung sie sehr schmerzte, änderte das nichts an ihrem Entschluß. Trotzdem machte sie sich Vorwürfe und wurde von Zweifeln geplagt. Es war eine schwierige Zeit für Caroline. Zu allem Überfluß hatte es zu regnen begonnen, so daß sie nicht einmal mehr zum Schwimmen gehen konnte. Das war ihre einzige Zerstreuung gewesen, denn wie schon früher verbrachte sie die meisten Nachmittage und Abende allein auf ihrem Zimmer. Der Unterricht ließ Sie jedoch ihre Probleme vergessen, und zu ihrer großen Freunde lernten die Kinder schnell. Doch alles in allem war es ein unerfülltes Leben für Caroline. Ihre Hauptbeschäftigung bestand darin, Garrett möglichst aus dem Weg zu gehen. Dies gelang ihr jedoch nicht immer, und mehr als einmal kam es zu peinlichen Begegnungen. Während der Regenzeit gab es auch für die Cowboys nichts zu tun. Sie versammelten sich daher häufig im Billardzimmer, von wo aus ihr Lachen zu Caroline herüberdrang. Manchmal vernahm sie darunter auch Glorias Stimme, was nicht gerade dazu beitrug, sie aufzumuntern. Das Mädchen durfte sich den Cowboys anschließen, aber sie selbst war dort nicht erwünscht. Das hatte sie bemerkt, als sie einmal aus lauter Verzweiflung einen Abstecher dorthin gemacht hatte. Auf das plötzliche Schweigen, das ihr Erscheinen hervorrief, folgte künstliche Herzlichkeit. Dies bewies deutlich, daß sie unter den Männern nicht erwünscht war. So blieb Caroline gar nichts anderes übrig, als sich in Büchern zu vergraben. Sie verbrachte Stunden in der kleinen Bibliothek, und hier kam es auch zum nächsten Zusammenstoß mit Garrett. Rick war der unschuldige Anlaß dieser Szene. Als Caroline eines frühen Nachmittags wieder einmal in den Regalen nach etwas Brauchbarem zum Lesen Ausschau hielt, öffnete sich plötzlich die Tür, und Rick trat ein. „O hallo!“ sagte sie überrascht. „Suchen Sie auch etwas zum Lesen?“ „Nein, ich wollte mich mit Ihnen verabreden.“ „Ach, ja? Wozu denn?“ „Zum Tanz am Samstagabend. Wie sieht es aus, haben Sie Lust? Freunde können doch gemeinsam etwas unternehmen, oder etwa nicht?“ „Das muß ich mir erst noch einmal überlegen“, gab Caroline vorsichtig zurück. Es schmeichelte ihr zwar, daß er an sie gedacht hatte, aber sie wollte keine weiteren Mißverständnisse hervorrufen. „Halten Sie das denn für eine gute Idee? Ich glaube kaum, daß der Boß damit einverstanden sein wird.“ „Garrett hat damit überhaupt nichts zu tun. Dies ist mein Privatleben, in das er sich nicht einzumischen hat. Ich habe am Samstag frei und kann tun und lassen, was ich will.“ Caroline blickte ihn zögernd an. Sie glaubte ihm seine Unbekümmertheit nicht ganz. „Ich muß sagen, Sie enttäuschen mich, Caroline“, fuhr Rick fort. „Lassen Sie sich von Garrett wirklich so schnell einschüchtern? Das hier ist doch kein Leben für
ein Mädchen wie Sie! Wenn Sie schon einmal hier sind, sollten Sie sich auch ein wenig Spaß gönnen.“ Caroline dachte an die langen, langweiligen Abende auf ihrem Zimmer und stimmte schon fast zu. „Es würde Ihnen sicher gut tun“, fügte Rick hinzu. „Und wem außer mir können Sie sich hier schon anvertrauen?“ fragte er mit einem charmanten Lächeln. „Mal sehen, ich…“ „Ich selbst habe Miss Gentry bereits für Samstag eingeladen“, ertönte auf einmal eine tiefe Stimme hinter ihnen. Caroline und Rick drehten sich erstaunt um. Garrett stand verärgert im Türrahmen. Einen kurzen Augenblick lang trafen sich ihre Blicke. Caroline spürte genau, daß er sie davor warnte, ihm zu widersprechen. Dies hätte sie zwar am liebsten getan, aber ihr fiel noch etwas viel Besseres ein. „Richtig, Mr. Dean“, sagte sie lächelnd, „und wie Ihnen nicht entgangen sein dürfte, habe ich Ihre Einladung ausgeschlagen.“ Er blickte sie nur durchdringend an und beherrschte sich. „Ich fürchte, damit sind wir beide aus dem Rennen, Benson“, sagte er mit gespielter Gleichgültigkeit. „Nicht unbedingt“, erwiderte Caroline. Endlich hatte sie eine Möglichkeit gefunden, ihm seine ständigen Demütigungen heimzuzahlen. Sie sah Rick an und sagte klar und deutlich: „Ich habe es mir überlegt, Rick. Tatsächlich würde es mir große Freude machen, Sie am Samstag zum Tanz begleiten zu dürfen.“ Rick wurde sichtlich blaß. Verlegen blickte er zu Garrett hinüber. Caroline fürchtete schon, daß es im nächsten Augenblick zu handgreiflichen Auseinandersetzungen kommen würde. Vielleicht war sie zu weit gegangen. Doch dann legte sich die Spannung wieder. Mit hochrotem Kopf nickte Rick und stieß ein mühsames „Prima“ hervor. Caroline lächelte ihm zu und fragte eine Spur zu munter: „Um wieviel Uhr wollen Sie mich denn abholen? Das war wirklich eine sehr gute Idee von Ihnen, Rick. Können Sie sich vorstellen, daß ich noch nie auf so einem Tanzabend gewesen bin?“ „Ich werde Sie um sieben Uhr abholen“, erwiderte Rick, dem die Freude an der Einladung sichtlich vergangen war. Mit einem schüchternen Seitenblick zu Garrett, der noch immer in drohender Haltung im Türrahmen stand, fügte er hinzu: „Die Musik wird nämlich erst um zehn Uhr anfangen.“ „Ich verstehe“, nickte Caroline. Dann entstand eine peinliche Gesprächspause. Rick sah so aus, als würde er sich am liebsten aus dem Staub machen. Auch Caroline war alles andere als wohl zumute. Sie meinte Garretts Enttäuschung körperlich zu verspüren. Schließlich verließ Rick als erster den Raum. Caroline wandte sich wieder den Bücherregalen zu und hoffte, daß Garrett sie nun ebenfalls allein lassen würde. Aber er hatte es offenbar nicht mehr eilig. Langsam drehte sie sich zu ihm um. An seinem vernichtenden Blick begriff Caroline, daß sie ihn diesmal wirklich getroffen hatte. „Ich hoffe, Ihnen ist wenigstens klar, was für eine Riesendummheit Sie gerade begangen haben“, war seine einzige Bemerkung, bevor er sich umwandte und mit lautem Knall die Tür hinter sich zuschlug. Am nächsten Tag hörte es endlich auf zu regnen. Die Sonne schien wieder, und es wurde noch heißer als vorher. Caroline verbrachte dennoch die meiste Zeit in ihrem Zimmer. Sie bereute ihr Verhalten inzwischen sehr und überlegte verzweifelt, unter welchem Vorwand sie Ricks Einladung zum Tanz rückgängig machen könnte. Zu den Mahlzeiten erschien sie nur noch selten, da sie Garrett auf keinen Fall begegnen wollte. Dafür brachte ihr Lynn jedoch mehrmals das Essen aufs Zimmer. Carolines
Proteste gegen diese übertriebene Fürsorge verhallten ungehört. Die rundliche Köchin bestand darauf, daß dreimal am Tag gegessen wurde. Auch am Samstag blieb Caroline wie üblich in ihrem Zimmer. Gegen mittag hatte sie leichte Kopfschmerzen, was ihr zupaß kam. Vielleicht würde sie ja doch noch die Grippe bekommen, die sie sich so sehr gewünscht hatte. Doch die Schmerzen vergingen wieder, und ihr wurde bewußt, daß sie sich in das Unvermeidliche fügen mußte. Daher begann sie schließlich mit den Vorbereitungen für den Abend. Als sie sich gerade die Fingernägel lackieren wollte, klopfte jemand an ihre Tür. Da Caroline annahm, es sei Lynn mit einer weiteren Mahlzeit, drehte sie sich erst gar nicht um. „Herein!“ rief sie. Doch es war nicht Lynn, sondern ihre Tochter. Gloria hielt sich nicht lange mit der Vorrede auf. „Ich will mit Ihnen reden. Miss Gentry“, sagte sie mit verschlossener Miene. Caroline sah sie überrascht an. „Ich wüßte nicht, was wir beide miteinander zu besprechen hätten“, entgegnete sie kühl. Anklagend wies Gloria auf den bereitgestellten Nagellack. „Sie gehen doch heute abend zum Tanz, nicht wahr?“ „Ja, aber geht Sie das etwas an?“ Der herausfordernde Ton des Mädchens ärgerte Caroline. „Garrett hatte Sie doch eingeladen, nicht wahr? Warum haben Sie nicht angenommen?“ „Weil ich meine Gründe dafür habe. Und ich denke gar nicht daran, mich vor Ihnen zu rechtfertigen. Jetzt wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mein Zimmer verlassen würden.“ „Ich denke gar nicht daran!“ erwiderte Gloria aufgebracht. Sie warf den Kopf zurück, und ihre Augen funkelten zornig. „Sie werden ihn nicht bekommen, haben Sie mich verstanden? Das werde ich zu verhindern wissen. Ich rate Ihnen, mich nicht zu unterschätzen!“ „Bitte, gehen Sie jetzt!“ Carolines Kopfschmerzen wurden nun wirklich böse. Sie erhob sich und machte ein paar Schritte auf Gloria zu. Das Mädchen spürte ihre Verärgerung. Mit einem höhnischen Lachen ging es hinaus und ließ die Tür weit offenstehen. Glorias kurzer Auftritt bestärkte Caroline in ihrer Absicht, mit Rick tanzen zu gehen. Sie wollte beweisen, daß sie auch einen eigenen Willen hatte. Nur die Kleiderfrage bereitete ihr noch einiges Kopfzerbrechen. Doch schließlich sagte sie sich, daß sie diesen Cowboys einmal zeigen sollte, wie elegant sie sein konnte. Sie entschied sich für ihr gewagtestes Kleid aus nachtblauem Satin mit einem sehr knappen Oberteil und Spaghettiträgern. Caroline gab sich besondere Mühe mit ihrem Haar und dem Makeup. Als sie sich schließlich im Spiegel betrachtete, war sie sehr mit sich zufrieden. Trotz aller Bedenken freute sie sich jetzt auf den Ball. Sie schlüpfte in ihre Silbersandaletten und griff nach der kleinen, perlenbesetzten Handtasche, die ihr für diesen Abend passend erschien. Noch einmal besah sie sich im Spiegel. Beinahe hätte sie über sich selbst den Kopf geschüttelt. Was war nur in all diesen Wochen auf der Ranch mit ihr geschehen? Dies war das Mädchen, das sie kannte – die Caroline Gentry, die die Nächte in den Diskotheken von Dallas verbracht hatte, die von jungen Männern umschwärmt worden war und das Leben in vollen Zügen genossen hatte. Alles in ihrem Leben war darauf angelegt gewesen, einmal Karriere in ihrem Beruf zu machen. Wie war es nur gekommen, daß das Schicksal sie in diese Wildnis verschlagen hatte? Sie war fest entschlossen, ihr früheres Leben sobald wie möglich wieder
aufzunehmen. Heute jedoch wollte sie diesen Viehtreibern zeigen, wie man sich in der Stadt zu kleiden und zu benehmen verstand. Als Caroline den Innenhof betrat, standen dort schon einige der Cowboys. Gloria erblickte sie als erste. Es entging Caroline nicht, daß sie sich in ihren roten Jeans und der weißen, einfachen Bluse gleich unwohl zu fühlen schien. Dann sahen sie auch die anderen, und alle machten große Augen. Rick faßte sich als erster. Er trat auf sie zu und sagte mit einem etwas gekünstelten Lächeln: „Sie sehen sehr hübsch aus. Aber wie wollen Sie in diesen Schuhen nur tanzen?“ „Keine Angst!“ entgegnete Caroline lachend, „darin habe ich schon manche Nacht durchgetanzt.“ Sie ärgerte sich ein wenig über sein sparsames Kompliment. Aber was konnte man von einem Cowboy schon anderes erwarten? Rick trug ebenfalls Jeans und ein cremefarbenes Hemd. Seine jetzige Kleidung unterschied sich nicht sehr von dem, was er sonst zur Arbeit trug. Die beiden würden sicherlich ein seltsames Paar abgeben. „Nun, sind Sie bereit?“ fragte er und bot ihr seinen Arm. Er sah nicht besonders erfreut aus, und einen kurzen Augenblick lang dachte Caroline daran, doch noch Kopfschmerzen vorzuschützen. Doch ein Blick auf Glorias Gesicht genügte, um ihren Widerspruchsgeist herauszufordern. So leicht wollte sie es ihr nicht machen! „Ja, wir können gehen“, sagte sie fest. „Einen Moment.“ Cleave erhob Einspruch. „Sollten wir nicht lieber auf Garrett warten?“ Caroline schrak zusammen. Sie wollte keinesfalls Garrett in diesem Aufzug unter die Augen treten. Zu ihrer Erleichterung schüttelte Lynn den Kopf. „Nein, er hat gesagt, wir sollten schon einmal vorfahren. Er wartet noch auf jemanden.“ „Gut, dann kann es ja losgehen.“ Es war eine Fahrt, die ihr noch lange im Gedächtnis bleiben würde. Rick war auch als Autofahrer ein wilder Draufgänger. Er bog mit solchem Tempo um die Kurven, daß Caroline sich schreckensbleich an ihrem Sitz festhalten mußte. Er schien jedoch davon nichts zu bemerken, bis sie ihn schließlich bitten mußte, langsamer zu fahren. Als sie endlich die Stadthalle erreichten, in der der Ball stattfinden sollte, war die Stimmung zwischen ihnen äußerst gespannt. Caroline war über Ricks leichtsinnigen Fahrstil sehr verärgert. Seine gute Laune schien ebenfalls getrübt zu sein, und sie bedauerte erneut, die Einladung angenommen zu haben. Außerdem fühlte sie sich in ihrem eleganten Kleid völlig fehl am Platz. Um sie herum trugen die Leute nur Jeans, und sie erntete manchen verwunderten Blick, als sie an Ricks Seite das Gebäude betrat. Innerlich machte sich Caroline schon auf einen verpatzten Abend gefaßt. Die Stadthalle war festlich hergerichtet, und es herrschte ein aufgeregtes Stimmengewirr. Nachbarn begrüßten sich, jedermann schien sich zu kennen. An den Seiten des Saals standen lange Tische, die Mitte war für die Tänzer freigehalten worden. Es war ein dörfliches Fest, und Caroline wünschte sich mehr denn je, einfachere Kleidung gewählt zu haben. Rick und sie ließen sich an einem der Tische nieder. Doch er stand sofort wieder auf, um Getränke zu holen. Vorher bat er sie noch, die restlichen Plätze für die übrigen Mitglieder der „Heritage Ranch“ freizuhalten. Aber es dauerte noch eine ganze Weile, bis diese endlich erschienen. Es war Caroline äußerst peinlich, immer wieder Gäste abweisen zu müssen. Schließlich füllte sich der Saal jedoch. Jeder Platz war besetzt, und das
Stimmengewirr wurde immer lauter. Caroline, die sich kaum noch verständigen konnte, war sehr erleichtert, als plötzlich das Licht ausging. Unter dem allgemeinen Applaus erschien ein Cowboy in silbernem Glitzeranzug in der Mitte der Tanzfläche, die von einem einzigen Scheinwerfer ausgeleuchtet wurde. „Ladies und Gentlemen“, verkündete er, „es ist mir ein großes Vergnügen, Ihnen für diesen Abend unsere Hauskapelle anzukündigen. Recht viel Applaus für die ,Debonair Cowboys'!“ Es erhob sich ein unbeschreiblicher Lärm. Als die Band zu spielen begann, verließ alles seinen Platz. Die Gruppe spielte einen bekannten CountryandWestern Schlager, den die meisten Gäste beim Tanzen mitsangen. Caroline saß ganz verloren an ihrem Tisch, denn Rick war noch immer nicht mit den Getränken wiedergekommen. Schließlich erschien er und gab ihr ein Glas. „Na, wie ist es, wollen wir tanzen?“ fragte er mit glänzenden Augen. Caroline nickte beklommen. Sie verspürte nicht eben viel Lust, sich unter diese ausgelassene Menge zu begeben. Doch Rick zögerte nicht lange. Er packte sie am Arm und zog sie regelrecht hinter sich her durch die drängenden, schiebenden Menschen. Die Luft war bereits mit Rauch erfüllt, und Caroline stolperte mehrmals auf dem Weg zur Tanzfläche. Doch Rick nahm überhaupt keine Rücksicht auf sie. Er schien es kaum erwarten zu können, endlich auf die Tanzfläche zu gelangen. Wie Caroline befürchtet hatte, wurde es ein einziger Mißerfolg. Sie war mit diesen Tänzen nicht vertraut, und Rick gab sich nicht viel Mühe, ihr die Schritte beizubringen. Nach einigen halbherzigen Versuchen war sie sehr erleichtert, als er ihr endlich vorschlug, wieder an ihren Tisch zurückzukehren. Doch kaum hatten sie sich hingesetzt, verließ er sie auch schon wieder. Wenige Minuten später sah Caroline ihn in den Armen einer rundlichen Blondine. Die beiden schienen sich sehr gut zu verstehen und es sah nicht so aus, als könne sie weiterhin auf ihn als Tänzer zählen. Dies war ihr einerseits zwar ganz recht, andererseits kränkte sie jedoch seine Unhöflichkeit. Außerdem kam sie sich nach einer Weile wie ein Mauerblümchen vor. Sie saß ganz allein an dem großen Tisch, während alle anderen sich vergnügten. An ihrem Glas nippte sie nur, und als einer der Kellner nach ihren Wünschen fragte, schüttelte sie ablehnend den Kopf. Der Spaß an diesem Abend war ihr gründlich vergangen. Ein Tanz folgte dem anderen, und noch immer war Rick nicht zu ihr zurückgekommen. Hin und wieder erblickte sie ihn in der Menge, immer wieder mit einem anderen Mädchen. Natürlich kam es vor, daß ein Fremder sie aufforderte. Sie lehnte jedoch mit der Begründung ab, daß ihr diese Tänze nicht vertraut seien. Als Caroline schon glaubte, ihre Lage nicht länger ertragen zu können, machte die Band endlich eine Pause. Lachend kehrten die Gäste zu den Tischen zurück, um sich eine kleine Erfrischung zu gönnen. Doch Caroline hielt vergeblich nach Rick oder Gloria Ausschau. Sie hatte den Verdacht, daß Rick mit ihr nicht gesehen werden wollte. Von Minute zu Minute verschlechterte sich ihre Stimmung. Wäre sie nur zu Hause geblieben! Kurz danach erklang die Musik erneut, und für Caroline begann die zweite Phase eines höchst unerfreulichen Abends. Obwohl sie wußte, daß es ungerecht war, machte sie Rick innerlich schwere Vorwürfe. Wie konnte er sie nur so vernachlässigen? Das war nicht das Verhalten eines Gentlemans, an das Caroline gewöhnt war. Hoffentlich vergißt er wenigstens nicht, mich nach dem Fest wieder nach Hause zu bringen, dachte sie beunruhigt.
Jetzt spielte die Band einen langsamen Walzer. Caroline blickte sich suchend nach ihrem Begleiter um. Rick mußte doch wissen, daß sie diesen Tanz beherrschte! Sie verspürte zwar keine besondere Lust, mit ihm zu tanzen. Aber alles war besser, als weiterhin allein in der Ecke zu sitzen. Wenn wenigstens Cleave gekommen wäre, um sie aufzufordern! Aber niemand kam auf sie zu, und zu ihrem eigenen Kummer hatte Caroline auf einmal Tränen in den Augen. Plötzlich legte jemand direkt neben ihr seinen cremefarbenen Cowboyhut auf den Tisch. Als Caroline überrascht aufblickte, stand Garrett vor ihr. Seinen Gesichtsausdruck konnte sie nicht recht deuten. Dafür fiel ihr aber gleich seine elegante Kleidung auf. Er trug einen dreiteiligen, maßgeschneiderten Anzug aus dunkelbraunem Stoff, dazu ein beiges Seidenhemd. Noch nie zuvor hatte er so gut ausgesehen. Als er sich jetzt zu ihr herabbeugte, mußte Caroline unwillkürlich schlucken. „Tanzen Sie mit mir, Miss Gentry?“ fragte er mit überraschend weicher Stimme. Caroline nickte stumm und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche ziehen. Dann lag sie in seinen Armen, und gemeinsam glitten sie über das Parkett. Caroline hielt die Augen geschlossen. Sie hatte die Menschen ringsherum vergessen. Nur Garretts Nähe zählte noch, und sie war sehr glücklich, daß er gekommen war. Es schien ihr als seien nur sie beide auf der Welt. Die Musik spielte nur für sie, und sie tanzten miteinander, als hätten sie seit Jahren nichts anderes getan. Ihre Körper verschmolzen zu einem harmonischen Ganzen, und wo immer sie sich auch hinbewegten, folgte ihnen ein bewunderndes Raunen. Es war wie ein Traum, von dem Caroline hoffte, daß er niemals enden würde. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und lächelte. Mit einem sanften Druck seiner Arme, die er um ihre Taille gelegt hatte, verriet Garrett ihr, daß er sie verstanden hatte, und daß er diesen Tanz ebensosehr genoß wie sie. Doch schließlich war der Tanz zu Ende, und sie lösten sich widerstrebend voneinander. Garrett ergriff sogleich Carolines Hand. Gemeinsam gingen sie zum Tisch zurück und wagten kaum, einander in die Augen zu schauen. Nach dem enttäuschenden Anfang, der jetzt hinter ihr lag, konnte Caroline an diesen plötzlichen Umschwung noch gar nicht recht glauben. Als sie sich gerade hinsetzen wollte, hielt er sie zurück. „Warum gehen wir nicht nach draußen?“ schlug er vor. Sein strahlendes Gesicht ließ Carolines Herz höher schlagen. Dennoch zögerte sie mit der Antwort. Sie wollte mit ihm gehen, ihm nahe sein, aber sie wußte ebensogut, wozu dies führen würde. Jedoch blieb ihr eine Antwort erspart. Aus der Menge löste sich eine Gestalt – es war Gloria. Sie kam schnell auf Garrett zu, flüsterte ihm etwas ins Ohr, das Caroline nicht verstehen konnte. Seine Miene wurde sofort ernst. Er richtete sich auf und blickte Caroline an. „Tut mir leid“, sagte er entschuldigend, „aber ich fürchte, für euch beide ist das Tanzvergnügen vorbei. Ich werde euch auf der Stelle nach Hause bringen.“ „Nein!“ rief Gloria wild, „du kannst mich nicht dazu zwingen. Ich werde auf jeden Fall hierbleiben!“ „Was soll denn das?“ fragte Garrett gereizt. „Was willst du denn damit ausrichten?“ „Könnte mir vielleicht einmal jemand sagen, was hier vor sich geht?“ erkundigte sich Caroline, die sich keinen Reim auf das Verhalten der beiden machen konnte. In diesem Moment ertönte ein lauter Krach, dem ein halberstickter Schrei folgte. Danach herrschte plötzliche Stille. Wie auf Befehl teilte sich die Menge und gab dabei den Blick auf die Mitte der Tanzfläche frei. Dort lag Rick. Er schien bewußtlos zu sein, und aus seinem Mund rann Blut.
Mit einem verzweifelten Schrei stürzte Gloria auf ihn zu. „Rick, mein Liebling!“ rief sie und warf sich neben ihn zu Boden. „Warum tust du nicht etwas?“ flehte sie Garrett an, der ihr mit schnellen Schritten gefolgt war. Caroline war wie erstarrt. Da spürte sie auf einmal eine Hand auf ihrer Schulter. Es war Cleave. „Der gute Rick hat sich in Schwierigkeiten gebracht“, sagte der Cowboy. „Sie und ich sollten lieber von hier verschwinden, bevor es zu einer Schlägerei kommt. Garrett wird die Sache schon in Ordnung bringen. Kommen Sie!“ Bevor Caroline noch fragen konnte, was geschehen war, erschien auf einmal die rundliche Blondine, mit der Rick die meiste Zeit getanzt hatte. Aber sie war nicht allein. Ihr folgte ein stämmiger Mann, dessen Gesicht vor Wut verzerrt war. Er war ungefähr doppelt so breit wie Rick und sicher ebenso stark. Ein erschrecktes Flüstern ging durch die Menge, als die beiden sich den Weg zu der kleinen Gruppe mitten auf dem Tanzboden bahnten. Garrett, der eben noch neben Rick gekniet hatte, erhob sich und trat dem Cowboy ruhig entgegen. „Einen Moment, Dermont“, sagte er und hob abwehrend die Hand. „Wir hatten hier bereits genug Ärger. Willst du dich etwa auch mit mir anlegen?“ „Halt du dich da heraus, Garrett“, grollte der andere. „Er hat es nicht besser verdient. Oder würdest du dir etwa gefallen lassen, daß ein anderer Mann mit deiner Frau…“ Er vollendete den Satz nicht, aber Caroline wußte jetzt endlich, was geschehen sein mußte. Mit angehaltenem Atem verfolgte sie die Ereignisse. Kopfschüttelnd meinte Cleave neben ihr: „Der Junge ist wirklich ein Narr. Da könnte er ein so hübsches Mädchen wie Gloria haben, und statt dessen macht er sich an verheiratete Frauen heran.“ Jetzt erst erkannte Caroline ihren folgenschweren Irrtum. Gloria war in Rick verliebt und nicht in Garrett. Daher war sie ihr auch von Anfang an so feindselig gegenübergetreten. Am liebsten hätte sie jetzt darüber gelacht. Doch sie war viel zu besorgt, was nun mit Rick und vor allem mit Garrett weiter geschehen würde. Dermont sah nicht so aus, als ob er mit sich reden ließe. Garrett stand in seiner üblichen Haltung vor ihm. Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und schien die Ruhe selbst zu sein. „Also gut, die beiden sind zusammen hinausgegangen“, sagte er. „Aber ich wette, daß dort nichts passiert ist. Du hast einen meiner Männer niedergeschlagen. Was willst du eigentlich noch mehr?“ „Er hat recht“, rief die Blondine, die völlig hysterisch zu werden schien. „Ich schwöre dir, Dermont, es ist wirklich nichts geschehen. Er hat mich nur an die frische Luft gebracht, und dann…“ „Mit dir rechne ich später ab“, fuhr ihr Dermont über den Mund. „Zuerst kommt dieser Schurke dran. Niemand beleidigt die Ehre von Dermont Crow ungestraft. So, und jetzt tritt zur Seite, Garrett. Ich werde ihn lehren, sich an verheiratete Frauen heranzumachen…“ Aber Garrett wich nicht von der Stelle. Er nahm die Hände langsam aus den Hosentaschen und stemmte sie in die Seiten. „Bevor du dich an einem Wehrlosen vergreifst, mußt du erst einmal mit mir fertig werden“, sagte er ruhig. Caroline trat unwillkürlich ein paar Schritte nach vorn. Doch Cleave ergriff sie am Arm. „Keine Angst, Garrett wird die Sache schon hinkriegen“, meinte er beruhigend. Ohne Zweifel zeigte der andere Cowboy vor Garrett Respekt. Er zögerte eine
Minute, und diese Zeit benutzte Garrett für einen letzten Vermittlungsversuch. „Keiner kann dir einen Vorwurf machen, daß du den Mann niedergeschlagen hast. An deiner Stelle hätte ich nicht anders gehandelt. Doch nun wissen alle Bescheid, und ich finde, wir sollten den Streit beilegen. Na, was sagst du zu meinem Vorschlag?“ Trotz seiner freundlichen Worte hatte Garrett eine drohende Haltung angenommen. Sein Gegner blickte ihn unsicher an. Offensichtlich flößte ihm Garrett Respekt ein. Er stieß zwar noch einmal mit dem Fuß nach Rick, der bewegungslos am Boden lag. Doch dann wandte er sich um, ergriff seine Frau unsanft am Handgelenk und verließ mit ihr den Saal. Als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, atmeten alle auf. Rick erhob sich mit Glorias Hilfe langsam vom Boden, und sie führte ihn zu einem der Tische. Vorher warf sie allerdings Garrett noch ein dankbares Lächeln zu. Ohne sein Eingreifen wäre der Streit nicht so glimpflich abgegangen. Auch Caroline stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Am liebsten hätte sie sich gleich in Garretts Arme geworfen. Alles war so schnell gegangen, daß sie nur instinktiv gespürt hatte, in welcher Gefahr er geschwebt hatte. Jetzt erschien wieder der Cowboy im Silberanzug, der sein Bestes tat, die aufgeregte Menge zu beruhigen. Kurz danach setzte die Musik von neuem ein. „Danke, daß du dich um sie gekümmert hast“, sagte Garrett zu Cleave. „Ich werde Miss Gentry jetzt nach Hause bringen'. Sie haben doch nichts dagegen, oder?“ „O nein!“ Caroline las in seinen Augen, wie erschöpft er war. In diesem Augenblick liebte sie ihn mehr denn je. Wie selbstverständlich legte er den Arm um sie und geleitete sie durch die Menge. Es war eine ruhige, sternenklare Nacht, und die frische Luft tat Caroline gut. Garrett hatte seinen Sportwagen in der Nähe geparkt. Nachdem er ihr die Tür geöffnet hatte, ließ er sich in den Fahrersitz fallen und schloß für ein paar Minuten die Augen. Caroline blickte ihn unverwandt an. Sie wußte, daß die Stunde nahte, auf die sie so lange gewartet hatte. Doch sie wagte nicht, den ersten Schritt zu tun. Endlich rührte sich Garrett und sah sie an. „Weißt du eigentlich auch, daß ich zunächst gar nicht kommen wollte?“ fragte er mit sanfter Stimme. „Doch dann sah ich dich im Hof stehen… in diesem Kleid! Du bist wunderschön, Caroline.“ Er streckte die Hand aus und fuhr ihr zärtlich über die Wange. Caroline war wie benommen. Sie hatte große Mühe, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. „Ich… ich hatte immer gedacht, daß Gloria in dich verliebt sei“, entgegnete sie stockend. „Gloria? Welch ein Unsinn! Ich bin für sie nur eine Art älterer Bruder… selbst früher, als ich mit ihrer Schwester verheiratet war.“ „Du warst was?“ fragte Caroline schockiert. Überrascht blickte Garrett sie an. „Hat Lynn dir etwa nicht erzählt, daß ihre Tochter meine Frau war?“ Caroline schüttelte stumm den Kopf. Diese Enthüllung kam überraschend. Aber noch hatte sie viele Fragen. „Sag mir, Garrett, kannte Alice Murrow deine erste Frau?“ „Nein, ich glaube nicht. Du mußt wissen, daß ich Gene Murrow, Alices Vater, erst nach Marias Tod kennengelernt habe. Wir sind geschäftlich miteinander verbunden, und eines Tages wurde Alice mir vorgestellt. Ich kann dir gar nicht
sagen, wie sehr mir dieses Mädchen zuwider ist. Sie hatte es von Anfang an darauf abgesehen, meine Frau zu werden. Obwohl ich ihr immer wieder zu verstehen gab, daß ich ihre Gefühle nicht erwidern könne.“ Kopfschüttelnd hörte Caroline ihm zu. Jetzt erst konnte sie den Haß ihrer Rivalin verstehen. „Aber warum willst du das wissen, Caroline?“ „Ach, es hat nichts mehr zu bedeuten“, erwiderte sie und lächelte still in sich hinein. Garrett warf ihr einen fragenden Blick zu, doch dann ließ er das Thema fallen. Sie hatten eine geruhsame Heimfahrt zur Ranch. Caroline hing ihren Gedanken nach. Obwohl alles zwischen ihnen weiterhin offen war, schöpfte sie doch wieder Hoffnung. Vielleicht würde es ihr, allen Widrigkeiten zum Trotz, doch noch gelingen, den Mann ihres Herzens für sich zu gewinnen. Sie hoffte, daß sich Garretts Gefühle für sie inzwischen gewandelt hatten. Garrett brachte Caroline noch bis vor die Tür. Dort standen sie dann ein wenig verlegen und keiner wußte, was er sagen sollte. „Ich… ich bin sehr froh, daß du heute abend doch noch gekommen bist“, meinte sie schließlich zögernd. „Ja, ich auch.“ Er behandelte sie jetzt ganz anders, aber noch immer herrschte eine gewisse Distanz zwischen ihnen. Endlich hielt Caroline die Spannung nicht mehr aus. „Ich glaube, ich sollte jetzt zu Bett gehen. Der ganze Abend hat mich ziemlich angestrengt.“ Garrett nickte, machte aber keinerlei Anstalten, sie in die Arme zu nehmen. Sein Verhalten verunsicherte Caroline. Enttäuscht öffnete sie die Tür und trat in ihr Zimmer. Als sie sich gerade von Garrett verabschieden wollte, fragte er sie überraschend: „Was hieltest du davon, wenn wir morgen gemeinsam ausreiten würden? Es gibt ein paar Dinge, die ich klarstellen möchte. Außerdem reitest du doch auch gern, nicht wahr?“ „Ja, das ist eine gute Idee. Um wieviel Uhr wollen wir uns treffen?“ „Ich dachte, vielleicht so gegen Mittag. Lynn kann uns einen Picknickkorb packen. Erinnerst du dich noch daran, daß ich dir einmal versprochen habe, dir den Zauberberg zu zeigen? Das könnten wir ja morgen machen, wenn du magst.“ „Wundervoll!“ Carolines Augen leuchteten auf. „Na, prima! Dann ist ja wohl alles klar. Bis morgen!“ Damit wandte er sich um und ging mit schnellen Schritten den Korridor hinab. Caroline sah ihm verwundert nach. Sie hatte Garrett noch nie so verlegen ihr gegenüber gesehen. Aber warum nur? Weshalb hatte er so plötzlich sein Verhalten geändert? Langsam ging sie ins Badezimmer hinüber und nahm ein heißes Bad. Als sie später im Bett lag, konnte sie lange keinen Schlaf finden. Doch dann dachte sie an das Picknick und schlief beruhigt ein.
10. KAPITEL Am nächsten Morgen wachte Caroline sehr früh auf. Sie hielt es nicht lange im Bett aus, sondern verbrachte die Stunden bis zum Mittag mit Aufräumen und Haarewaschen. Endlich war es dann Zeit zum Anziehen. Dem Anlaß gemäß wählte sie ein Paar Jeans, eine rote Baumwollbluse und eine leichte Wolljacke. Dazu trug sie ihre Stiefel und einen der neuen Gürtel. Sie bürstete ihr Haar sorgfältig und legte auch etwas Rouge auf. Schließlich war sie mit ihrem Spiegelbild zufrieden. Ja, so konnte sie Garrett gegenübertreten. Es blieb Caroline noch eine halbe Stunde, die sie mit Lesen verbrachte. Aber sie konnte sich kaum auf den Text konzentrieren. Als sie plötzlich vernahm, wie unten die Haustür ins Schloß fiel, ließ sie vor lauter Aufregung ihr Buch fallen. Wenige Augenblicke später klopfte Garrett bereits an ihre Tür. „Hallo!“ rief er lächelnd. „Freut mich, daß du schon fertig bist.“ „Noch nicht ganz“, erwiderte Caroline mit einem etwas nervösen Lachen. „Ich muß nur noch schnell meinen Hut holen, dann können wir aufbrechen.“ „Gut, ich warte solange unten auf dich.“ Drei Minuten später befanden sie sich auf dem Weg zu den Ställen. Die Spannung des gestrigen Abends hatte sich nicht ganz gelegt. Im Gegenteil – Caroline fühlte, daß sie noch stärker geworden war. Sie bemühte sich krampfhaft, mit ihm ein Gespräch zu führen. Aber Garrett ging auf ihre Versuche kaum ein. Er schien nervös und abgelenkt zu sein, als sei er mit seinen Gedanken ganz woanders. Seine Stimmung übertrug sich auch auf Caroline, bis sie schließlich entmutigt schwieg. Fast wäre es ihr lieber gewesen, er hätte wieder einen Streit mit ihr angefangen. Darauf hätte sie besser zu reagieren gewußt als auf diese ungewohnte Zurückhaltung. „Sweet Momma“ stand bereits neben Garretts dunklem Rappen, an dessen Sattel ein kleiner Picknickkorb befestigt war. „Dies ist ,Harlequin“', sagte Garrett. „Soll ich dir beim Aufsitzen helfen?“ „Nein danke, es geht schon.“ Tatsächlich schaffte es Caroline auch allein. Dann ging es los. Garrett ritt voran, und Caroline folgte ihm, so gut es ihre Reitkünste erlaubten. Es war ein heißer Tag, und sie brauchten mehrere Stunden, bevor sie das flache Weideland durchquert hatten. Doch dann näherten sie sich langsam dem Zauberberg, einem kahlen Felsen ohne jegliche Vegetation. Sie hielten einen Moment an, um den Pferden eine Pause zu gönnen. Garrett wischte sich den Schweiß von der Stirn, aber Caroline konnte keine Auge von dem Berg wenden, der eine geradezu magische Anziehungskraft auf sie ausübte. Auf einmal fiel ihr wieder ein, was Garrett ihr einst über den Berg erzählt hatte. „Stimmt es wirklich, daß hier nachts manchmal Gesänge gehört werden?“ fragte sie beeindruckt. „Ja, so sagt man hier“, nickte Garrett. „Und nicht nur das… in gewissen Nächten könne man auch flatternde Lichter sehen, so behaupteten jedenfalls die Indianer. Die sollen die Geister ihrer Verstorbenen sein. Ich weiß natürlich nicht, wieviel man davon glauben kann. Aber von einem weißen Mann, der sich zufällig in dieser Gegend verirrt hatte, habe ich Schauergeschichten gehört, bei denen es dir kalt den Rücken herunterlaufen würde. Davon wollen wir jetzt aber lieber nicht sprechen. Sonst kannst du heute nacht nicht schlafen.“ Caroline sah ihn zweifelnd an. Sie hätte Garrett nie für abergläubisch gehalten. Wollte er ihr jetzt etwa Angst einjagen? „Ich nehme an, es gibt für dies alles eine ganz natürliche Erklärung“, sagte sie herausfordernd.
Anstelle einer Antwort galoppierte Garrett einfach weiter. Caroline blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Aber sie wunderte sich doch über die seltsame Stimmung, in der er sich heute befand. Endlich erreichten sie den Fuß des Berges. Garrett machte in einem kleinen Wäldchen Halt, in dem auch eine Quelle plätscherte. Während er die Pferde festband, wusch sich Caroline das Gesicht und die Hände in dem kühlen, klaren Wasser. Sie war von dem langen Ritt erschöpft und außerdem hungrig. Daher holte sie den Picknickkorb und breitete die mitgebrachten Speisen auf einer Decke aus. Beim Anblick der Leckerbissen, die Lynn ihnen mitgegeben hatte, lief ihr das Wasser im Munde zusammen. Es gab Brötchen mit Schinken und Käse, Geflügelsalt, Obst, Bier, Saft und noch vieles mehr. Selbst das Besteck hatte Lynn nicht vergessen. Caroline bewunderte wieder einmal ihr Organisationstalent. Garrett kam zu ihr herüber und streckte sich in dem hohen, weichen Gras aus. Er war schweigsam und nachdenklich, aber dem Mahl sprach er mit dem gleichen Appetit zu wie Caroline. In seltener Eintracht saßen sie beieinander und verzehrten die Sandwiches und den Kuchen. Es störte Caroline zwar ein wenig, daß Garrett so wenig redete. Aber ehe ihr Hunger nicht gestillt war, wollte sie ihn nicht darauf ansprechen. Als sie ihr Mahl beendet hatten, stieß Garrett einen zufriedenen Seufzer aus. Dann schloß er die Augen und machte ein kleines Nickerchen. Leise räumte Caroline derweilen die Sachen zusammen. Als sie sicher sein konnte, daß Garrett fest eingeschlafen war, kniete sie sich neben ihn und betrachtete lange sein Gesicht, das ihr nun so vertraut und so lieb geworden war. Garrett war eindeutig ein sehr gutaussehender Mann. Dem blonden Haar, der hohen Stirn, der wohlgeformten Nase und seinen sinnlichen Lippen hätten viele Frauen bestimmt nicht widerstehen können. Plötzlich öffnete er die Augen. Caroline hielt überrascht den Atem an, während er ihren Nacken umfaßte und sie langsam zu sich herabzog. Dabei löste sich das Band, mit dem sie ihr Haar zusammengebunden hatte, und die dunklen Locken fielen ihr auf die Schultern. Ihr Blick fiel auf Garretts Lippen, die sich langsam öffneten. Im nächsten Moment lag sie schon in seinen Armen. Seine Küsse verrieten, wie sehr er sie begehrte. Er umarmte sie leidenschaftlich, und es war wundervoll, neben ihm auf dem weichen Waldböden zu liegen. Sie spürte wie zärtlich und sanft er sein konnte. Caroline hatte sich zu lange nach seinen Küssen gesehnt, als daß sie ihm jetzt hätte widerstehen können. Daher protestierte sie auch nicht, als seine Hände langsam an ihrem Körper hinabglitten. Aufstöhnend barg Garrett den Kopf an ihrer Schulter und zog sie noch näher zu sich heran. Carolines Atem ging stoßweise, sie konnte ihre Erregung nicht länger verbergen. Sie schmiegte sich an ihn, und ihre Finger gruben sich in sein Haar. Diesmal war sie bereit, sich ihm ganz hinzugeben. Nur eines fehlte ihr noch, um vollkommen glücklich zu sein: Garrett mußte ihr ein einziges Mal sagen, daß er sie liebte. Und wenn es auch eine Lüge war – sie mußte die Worte einmal hören. Dann konnte er mit ihr machen, wonach es ihn verlangte. Gerade wollte Caroline ihre Bitte aussprechen, als Garrett sich plötzlich von ihr löste. Caroline blickte ihn verwundert an. Sie verstand nicht, was mit einem Mal in ihn gefahren war. Eben noch hatte er sie in seinen Armen gehalten, als wolle er sie nie wieder loslassen. Doch jetzt sah er sie plötzlich wie eine Fremde an. „Wir… wir sollten es niemals soweit kommen lassen“, stieß Garrett hervor. „Dies
hier wollen wir doch beide nicht.“ Der Sinn seiner Worte war Caroline sofort klar. Anscheinend hatte er gespürt, daß es für sie nicht genug war, von ihm nur begehrt zu werden. Auf seine Art teilte er ihr daher mit, daß er an einer tieferen Beziehung kein Interesse hatte. Zu jeder anderen Zeit hätte sie diese Erkenntnis besser verarbeiten können als ausgerechnet jetzt. Zum erstenmal war sie entschlossen gewesen, sich einem Mann ganz hinzugeben. Es brauchte all ihrer Selbstbeherrschung, um Garrett nicht merken zu lassen, wie endgültig er ihre Hoffnungen zerstört hatte. Ohne ein Wort stand sie auf und lief davon. Die Tränen liefen ihr übers Gesicht, und sie stolperte mehrmals. Doch wenigstens sollte Garrett sie nicht weinen sehen. Ohne sich noch einmal nach ihm umzuschauen, begann sie, den Berg hinaufzuklettern. Nach etwa hundert Metern hielt sie inne und blickte nach unten. Garrett stand mit den gesattelten Pferden am Fluß. Er winkte ihr zu, wieder herunterzukommen, doch sie schüttelte nur den Kopf. Sie mußte sich erst wieder beruhigen, ehe sie ihm entgegentreten konnte. Caroline ließ sich auf einem Felsblock nieder und versuchte, ihre Gefühle zu ordnen. Es war aus zwischen ihr und Garrett, daran konnte kein Zweifel mehr bestehen. Nachdem er ihr klargemacht hatte, daß sie für ihn nur als Objekt in Betracht kam, war für Caroline kein Platz mehr in seinem Leben. Dies schmerzte sie sehr, aber Caroline war gleichzeitig auch erleichtert. Die Ungewißheit war jetzt vorbei. Sie würde die Ranch verlassen, und obwohl es ihr im Augenblick auch noch undenkbar schien, würden ihr die Jahre vielleicht helfen, Garrett zu vergessen. Bei diesen Gedanken wurde sie ein wenig ruhiger. Langsam begann sie mit dem Abstieg. Sie fühlte sich leer, sie konnte nicht einmal mehr weinen. Als sie schließlich auf Garrett zuging, verriet ihr Gesicht nichts von ihren Empfindungen. Er hielt ihr wortlos den Hut hin und schaute dabei verlegen zur Seite. Schweigend bestieg Caroline ihr Pferd und ergriff die Zügel. „Möchtest du… sollen wir noch ein wenig weiterreiten?“ Seine Stimme klang müde und gebrochen. „Nein, ich möchte wieder nach Hause“, entgegnete Caroline tonlos. „Wie du willst.“ Er machte kehrt und fiel in einen leichten Trab. Caroline hielt sich dicht hinter ihm. Doch als sie das Wäldchen durchquert hatten, ertrug sie die starke Spannung zwischen ihnen nicht mehr und gab ihrem Pferd die Sporen. „Hüh!“ rief sie. „Sweet Momma“ galoppierte erschrocken los. „Warte, Caroline!“ rief Garrett ihr nach. „Ich muß mit dir reden.“ Doch sie hielt keineswegs an, sondern trieb das Pferd noch schneller voran. Aber Garrett war schon bald ganz dicht hinter ihr. Plötzlich stellte sie entsetzt fest, daß sie in einem halsbrecherischen Tempo über die Felder jagte. Plötzlich bekam sie es mit der Angst zu tun und zog die Zügel in einem Ruck straff an. Aber das Pferd gehorchte ihr nicht mehr. Die wilde Verfolgungsjagd hatte es in Panik versetzt. Caroline vergaß alles, was Garrett ihr beigebracht hatte und ließ die Zügel fallen. Dann klammerte sie sich an den Hals des Pferdes und stieß einen gellenden Schrei aus. Sicher würde sie im nächsten Augenblick zu Boden stürzen. Da erschien auf einmal Garrett neben ihr, der versuchte, die Zügel ihres Pferdes zu ergreifen. Aber plötzlich bäumte sich ihr Pferd auf. Caroline sah gerade noch, wie seine Vorderhufe Garretts Kopf nur um Zentimeter verfehlten. Dann spürte sie, wie sie abglitt, und im nächsten Augenblick kam auch schon der Aufprall.
Caroline versuchte mühsam, die Augen zu öffnen. Sie konnte gerade noch den schemenhaften Umriß eines Stuhls erkennen, dann fiel sie wieder in ihren Dämmerzustand zurück. Sie hörte zwar, daß jemand ihren Namen rief. Aber das kam aus weiter Ferne, und der bohrende Schmerz in ihrem Kopf hinderte sie daran, klar zu denken. Sie wollte nur schlafen und in Ruhe gelassen werden. Später erwachte sie wieder und fühlte sich etwas besser. Es war jetzt ganz dunkel im Zimmer. Direkt neben ihr vernahm sie tiefes, gleichmäßiges Atmen. Caroline überlegte angestrengt, wie sie hierher gekommen war. Plötzlich fielen ihr die Ereignisse wieder ein, die zu ihrem Sturz geführt hatten. Nie würde sie den Augenblick vergessen können, als sie langsam den Halt verlor und dann zu Boden stürzte. Sie verspürte überall Schmerzen. Doch war sie erleichtert, daß sie jetzt wenigstens nachdenken konnte. Vorsichtig versuchte sie, Arme und Beine zu bewegen. Das tat zwar sehr weh, aber anscheinend hatte sie sich nichts gebrochen. Erleichtert lehnte sie sich in ihre Kissen zurück. Wie hatte es nur zu dem Unfall kommen können? Ob dem Pferd ebenfalls etwas passiert war? Sie machte sich große Vorwürfe, in Panik geraten zu sein. Aber von dem Augenblick an, als ihr Pferd in jenen rasenden Galopp verfallen war, hatte sie alle Verhaltensregeln vergessen und nur noch um ihr Leben gekämpft. Wenn „Sweet Momma“ sich ein Bein gebrochen hatte, würde man sie erschießen. Caroline stieß einen traurigen Seufzer aus. Da rührte sich auf einmal die Gestalt neben ihrem Bett und machte das Licht an. Sofort bedeckte Caroline ihr Gesicht mit den Händen. Die plötzliche Helligkeit schmerzte in den Augen. Erst langsam konnte sie sich an das Licht gewöhnen. Erstaunt stellte sie fest, daß es Garrett gewesen war, der neben ihr Wache gehalten hatte. Er sah müde aus und war unrasiert. Doch aus seinem Gesicht strahlte Dankbarkeit. „Gott sei Dank!“ hörte sie ihn sagen. „Wo… wo bin ich?“ fragte Caroline verwirrt. Ihre Stimme war rauh, und sie verspürte einen entsetzlichen Durst. Garrett legte ihr seine kühlende Hand auf die Stirn. „Du bist in deinem Zimmer“, versicherte er ihr. „Alles ist wieder in Ordnung.“ „In meinem Zimmer? Aber warum… ich meine, was tust du hier?“ entgegnete Caroline. Sie wollte sich aufstützen, doch er drückte sie sanft in die Kissen zurück. „Leg dich wieder hin! Du hast dir ein paar Prellungen geholt, aber glücklicherweise ist nichts gebrochen. Für einige Tage wirst du jedoch das Bett hüten müssen. So, und jetzt versuch zu schlafen. Der Arzt hat gesagt, daß du sehr viel Ruhe brauchst.“ „Ja, Garrett.“ Gehorsam schloß Caroline die Augen. Es dauerte nur einen Augenblick, und sie war wieder fest eingeschlafen. Aber diesmal war es ein gesunder Schlaf. Als Caroline am nächsten Morgen erwachte, ging es ihr schon viel besser. Zwar bereitete ihr jede Bewegung noch große Schmerzen, aber dafür verspürte sie wenigstens keine Kopfschmerzen mehr. Sie wollte etwas trinken, um ihren großen Durst zu stillen. In diesem Augenblick kam Garrett aus dem Badezimmer. Sein Oberkörper war entblößt, und um die Schultern hatte er ein Handtuch geschlungen. Sein Haar war feucht, und Caroline fielen sofort die tiefen Ringe unter den Augen auf. Anscheinend hatte er überhaupt nicht geschlafen. „Hallo!“ sagte er lächelnd, „schön, daß es dir wieder besser geht.“ Als Caroline sich aufsetzen wollte, bemerkte sie, daß sie nur ein Nachthemd
anhatte. Eine leichte Röte stieg ihr ins Gesicht. Garrett lachte amüsiert. „Keine Angst, ich habe dich nicht ausgezogen. Das haben Lynn und der Arzt besorgt.“ Augenzwinkernd setzte er hinzu: „Nach unserem denkwürdigen Ausflug war dies ja wohl in deinem Sinne, nicht wahr?“ Caroline wollte am liebsten an das, was sich zwischen ihr und Garrett abgespielt hatte, gar nicht mehr denken. Deshalb ging sie auf seine Anspielung nicht ein und fragte nur: „Ihr habt einen Arzt für mich kommen lassen? Davon habe ich ja gar nichts bemerkt.“ „Ja, ich habe ihn gleich geholt, nachdem ich dich nach Hause gebracht hatte. Aber mach dir keine Sorgen. Er hat dich gründlich untersucht und mir dann versichert, daß du dir nichts gebrochen hast. In ein paar Tagen wirst du wieder auf den Beinen sein.“ Caroline nickte, aber noch war sie nicht beruhigt. „Was ist mit der Stute? Ist sie schwer verletzt? Mußtet ihr sie töten?“ „Nein, Caroline, sie hat noch einmal Glück gehabt. Mach dir ihretwegen keine Sorgen!“ Caroline lächelte ängstlich. Sie war sehr froh, daß es kein schlimmeres Ende genommen hatte. „So, und jetzt mußt du unbedingt etwas essen. Ich werde Lynn bitten, dir ein Tablett hochzuschicken. Bis gleich!“ Er streichelte ihr kurz über die Wange, dann verließ er das Zimmer. Bei seiner Berührung wären Caroline fast die Tränen gekommen. Sie konnte nicht verstehen, warum Garrett nach allem, was passiert war, noch immer so nett zu ihr war. Wenige Minuten später kam Lynn mit einem Frühstückstablett in ihr Zimmer. Sie begrüßte Caroline überschwenglich und schien ihre Erschöpfung gar nicht zu bemerken. „Sie haben wirklich Glück gehabt, Miss Gentry. Das hat selbst der Arzt gesagt. Wie leicht hätten Sie sich etwas brechen können! Wir hatten auch so schon Aufregung genug!“ „Es tut mir sehr leid, daß ich Ihnen diese Unannehmlichkeiten bereitet habe“, entgegnete Caroline etwas kleinlaut. „Mir? Davon rede ich doch gar nicht! Schließlich bestand ja Garrett darauf, die ganze Nacht bei Ihnen am Bett zu wachen.“ „Wirklich?“ fragte sie ungläubig. Vielleicht fühlte er sich insgeheim für den Unfall mitverantwortlich. Aber nein, es war ihre Schuld gewesen. Das würde sie noch klarstellen müssen, bevor sie in ein paar Tagen die Ranch für immer verließ. Lynn bemühte sich weiter rührend um sie. Sie wechselte das Bettzeug und zog ihr sogar ein frisches Nachthemd über. Caroline mußte dabei die ganze Zeit die Zähne zusammenbeißen, weil der Schmerz fast unerträglich war. Aber schließlich war es geschafft, und sie lehnte sich erleichtert in die Kissen zurück. Sie knabberte ein wenig an dem Toast, denn sie hatte noch keinen richtigen Appetit. Dafür trank sie aber drei Tassen starken Tee, und erst danach fühlte sie sich besser. „Soll ich Garrett sagen, daß er wieder zu Ihnen kommen kann?“ fragte Lynn schließlich. „Nein, ich… am liebsten würde ich ihn nie mehr wiedersehen“, entgegnete Caroline verlegen. „Wie bitte?“ fragte die Köchin erstaunt. „Doch, das ist mein Ernst! Bitte, sagen Sie ihm, daß ich die Ranch sobald wie möglich verlassen werde. Würden Sie das für mich tun?“ „Aber ich verstehe nicht, Sie…“ „Sie brauchen es auch nicht zu verstehen, Lynn. Bitte, tun Sie mir noch diesen
Gefallen.“
Die Köchin sah sie mit großen Augen an. Dann drehte sie sich wortlos um und
verließ das Zimmer. Caroline blickte ihr entsetzt nach. Jetzt erst wurde ihr klar,
was sie getan hatte. Garrett nie im Leben wiederzusehen – konnte es etwas
Schlimmeres geben? Und doch war es der einzige Ausweg!
Müde schloß sie die Augen. Aber plötzlich vernahm sie erregtes Stimmengewirr.
Im nächsten Augenblick stürzte Garrett ins Zimmer. Noch nie hatte Caroline ihn
derart wütend gesehen.
„Was zum Teufel soll dieser Unsinn?“ fuhr er sie an. „Bist du denn verrückt
geworden? Diese neurotischen Weiber aus der Stadt machen mich noch…“
„Hör bitte auf, mich anzuschreien!“ unterbrach Caroline ihn. Sein Zorn und seine
laute Stimme machten ihre Kopfschmerzen nur noch schlimmer. Wie konnte er
nur so rücksichtslos sein!
„Du weißt doch genau, warum ich von hier fort muß, Garrett! Hast du denn
immer noch nicht verstanden, daß es mir nicht genügt, von dir nur begehrt zu
werden? Ich dachte, das hättest du jetzt endlich verstanden. Oder willst du mich
etwa absichtlich quälen?“
Vor Überraschung über diesen Gefühlsausbruch erstarrte Garrett.
Dann fing er plötzlich an laut zu lachen. Caroline hielt sich dabei die Ohren zu.
„Hör auf!“ rief sie verzweifelt. „Hör endlich damit auf!“ Im nächsten Augenblick
kniete er schon neben ihrem Bett und schloß sie in seine Arme. „Mein dummer
Liebling“, sagte er zärtlich. „Du bist diejenige, die nichts verstanden hat. Eben
weil ich dich respektiere, habe ich gestern der Versuchung widerstanden. Ich
weiß doch, was du dir von mir wünschst. Oder glaubst du, ich verstehe dich
überhaupt nicht?“
Caroline blickte ihn verwirrt an. Sie konnte noch nicht recht fassen, was er ihr da
erzählte. Hatte sie sein Verhalten wirklich so falsch gedeutet?
„Aber was… was soll denn das heißen?“ stammelte sie.
„Das soll heißen, ich bitte dich hiermit ganz offiziell, meine Frau zu werden.
Natürlich nur, wenn du mich noch immer haben willst.“
Carolines Verwirrung wich einem unbeschreiblichen Glücksgefühl. Sie schlang die
Arme um seinen Hals und strahlte ihn an.
„Sag das noch einmal“, bat sie gerührt.
„Ich liebe dich, Caroline. Wußtest du das wirklich nicht?“
„Nein, ich… ach, Garrett, ich hatte immer diese schrecklichen Zweifel! Anfangs
dachte ich, daß ich dir nur gefallen würde, weil ich dich an deine erste Frau
erinnerte. Danach war ich davon überzeugt, daß du nur mit mir ins Bett gehen
wolltest. Dabei habe ich mich die ganze Zeit nach dir gesehnt. Ist es denn auch
wirklich wahr? Du liebst mich? Ach, bitte, laß es mich noch einmal hören!“
Ganz vorsichtig zog er sie noch näher an sich und gab ihr einen langen, innigen
Kuß.
„Ich liebe dich, Caroline“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Hast du jetzt verstanden?“
Caroline holte tief Atem. „Ja, jetzt fühle ich es. Ach Garrett, ich bin ja so
glücklich!“
„Anfangs war ich mir nicht ganz sicher, ob du auch hierher passen würdest“, gab
er zögernd zu. „Mit Maria war es genauso. Sie wollte lieber in der Stadt wohnen.
Die Zerstreuungen, nach denen ihr der Sinn stand, konnte ich ihr hier nicht
bieten. Aber jetzt glaube ich, daß du sie nicht vermissen wirst. Meinst du, du
wirst dich hier wohl fühlen?“
„Ganz bestimmt! Ich möchte nie wieder zurück in die Stadt.“
„Ich muß dir noch erzählen, wie es zu Marias Tod kam“, sagte er stockend.
„Unsere Ehe zerfiel immer mehr, und dauernd kam es zu schrecklichen Szenen.
Eines Nachts lief sie einfach fort. Es dauerte zwei Tage, bis wir sie fanden. Sie
war gestürzt und hatte sich den Hals gebrochen.“
Caroline strich ihm sanft übers Haar. „Du gabst dir die Schuld daran, nicht
wahr?“
„Natürlich! Hättest du das nicht auch getan?“
„Vielleicht. Aber das ist schwer zu beantworten.“
„Meine Frage steht jedenfalls noch offen. Willst du denn nun meine Frau
werden?“
Anstelle einer Antwort gab Caroline ihm einen langen Kuß, der immer
leidenschaftlicher wurde. Als Garrett sich schließlich widerstrebend von ihr löste,
waren alle Zweifel beseitigt.
„Ich fürchte, wir müssen mit der Hochzeit noch warten, bis du wieder gesund
bist“, rief er lachend. „Aber dann…“
Er vollendete seinen Satz nicht. Doch für Caroline lag eine goldene Zukunft in
diesen Worten.
ENDE