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Ein warmer, sonniger Tag im Mai, und für mich eine neue Aufgabe. Ich fand den Raum im Kellergeschoss des Polizeipräsidiums - einen ziemlich großen Raum, an der Tür die frisch angebrachten Buchstaben ‚A.V.Z.’, in einer Ecke ein riesiges, gefährlich aussehendes Gebilde aus Transistoren, Spulen und Messskalen. In der Mitte des Raumes saß ein aufgeweckter, junger Polizeikadett an einem Schreibtisch. Diese Anfänger meinen immer, das Tragen einer Uniform berechtige sie zum Detektivspielen. »Sie sind Jim Forsdon«, verkündete er, bevor ich mich vorstellen konnte. »Der Alte will Sie sprechen.« Ich nickte und verstaute meine Sachen in einem leeren Spind. Der Alte hatte sein Büro in einem winzigen Zimmer nebenan. Ein bemerkenswerter Rückschritt gegenüber den Räumen, die er oben als Chef der Kriminalpolizei zur Verfügung gehabt hatte. An den Posten hatte er sich geklammert, nachdem er die Pensionierungsgrenze überschritten hatte. Man war schon entschlossen gewesen, ihn offiziell zu feuern, als die A.V.Z. gebildet wurde. Diese Chance ließ er sich nicht entgehen. Der Alte gehörte nicht zu den Leuten, die sich jemals zur Ruhe setzen. »Nehmen Sie Platz, Forsdon«, sagte er. »Willkommen in der Abteilung für Verbrechen in der Zukunft.« Ein Blick von ihm genügte, und man kam sich selbst mit dreißig Dienstjahren auf dem Buckel noch wie ein Anfänger vor. Er hatte ein hageres, scharfgeschnittenes Gesicht, kurzgeschorenes weißes Haar und stahlgraue Augen, die durch einen hindurchzustarren schienen. Verhältnismäßig klein – einssiebzig, dreiundsechzig Kilo -, so dass man sich fragte, wieso man ihn bei der Polizei überhaupt genommen hatte - bis man seine Augen sah. Ich fühlte mich in seiner Gegenwart nie sehr wohl. Ich setzte mich. »Wissen Sie, was wir hier haben, Forsdon?« fragte er. »Nicht genau.« »Ich eigentlich auch nicht. Die hohen Herren oben halten es für ein teures Spielzeug. Es hängt von uns ab, ihm Bedeutung zu verleihen.« Er stopfte seine Pfeife, zündete sie an, lehnte sich zurück und ließ sie ausgehen. Im Haus hieß es, er beiße täglich zwei Mundstücke durch und brauche pro Jahr höchstens fünf hundert Gramm Tabak. »Wir haben mit diesem Gerät eine Erfindung vor uns, die zu verstehen ich gar nicht vorgeben will«, fuhr er fort. »Sie haben das Ding gesehen?« »Gewöhnlich übersehe ich nichts, was größer als ein Flugtaxi ist.« Er grinste. »Walker nennt es ‚Chronos’ - nach dem griechischen Gott der Zeit. Chronos erlaubt uns auf einem großen Fernsehschirm zufällige, willkürlich herausgegriffene Blicke in die Zukunft!« Er machte eine Pause, um die Dramatik zu unterstreichen. Meine Reaktion enttäuschte ihn wohl. Soviel wusste ich nämlich selbst schon. »Das Bild ist verschwommen«, fuhr er fort, »und manchmal fällt es sehr schwer, überhaupt die Örtlichkeit auszumachen. Es ist auch noch ein Problem, den genauen Zeitpunkt eines Ereignisses zu bestimmen. Walker wird mit diesen Schwierigkeiten früher oder später fertig werden - das hoffen wir wenigstens. Das Gerät besitzt aber schon in der jetzigen Form atemberaubende Fähigkeiten. Wir sind erst seit drei Wochen an der Arbeit und haben auf dem Bildschirm schon ein halbes Dutzend Raubüberfälle entdeckt - und zwar, bevor sie geschahen!« »Das müsste uns ja dem Ideal näher bringen, das uns von Anfang an vorschwebt«, meinte ich. »Verbrechen zu verhüten, statt nur den Täter zu fassen.« »Ah!« sagte er und beschäftigte sich wieder mit seiner Pfeife. »Vielleicht habe ich mich nicht klar ausgedrückt. Chronos hat uns zwar eine Vorausschau auf ein halbes Dutzend Raubüberfälle geboten, aber verhindern konnten wir nicht einen einzigen. Es gelang uns nur, den Täter wenige Minuten nach Begehen des Verbrechens zu fassen. Daraus ergibt sich eine interessante Frage. Ist es möglich, die Zukunft zu verändern?« Seite 1
»Warum nicht?« fragte ich. Seine Pfeife war längst ausgegangen, aber er sog immer noch daran. »Interessante Frage. Das Problem ist ja nicht kritisch, solange es um Raubüberfälle geht. Der Täter wird sofort dingfest gemacht, die Beute sichergestellt, und das Opfer geht seines Weges, entzückt von der Tüchtigkeit der Polizei. Aber wie steht es bei einem Mord? Wenn wir den Mörder zehn Minuten nach der Tat festnehmen, ist dem Opfer damit nicht geholfen.« Er nahm die Pfeife aus dem Mund und betrachtete sie grimmig. »Interessante Frage. Vielleicht finden wir jetzt eine Antwort, in Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Kriminalbeamten, der uns voll zur Verfügung steht. Ich möchte Sie Walker vorstellen. Und Chronos.« Walker - Dr. Howard Walker - beugte sich gerade über seine Schöpfung. Es gab keinen Zweifel daran, dass das sein Werk war - man sah es schon an der Behutsamkeit, mit der er es behandelte. Er war ein schlaksig aussehender Mann, einsfünfundachtzig groß, an die achtzig Kilo schwer, vierzig Jahre alt. Er hatte einen langen Hals mit stark hervortretendem Adamsapfel und schon schütteres Haar. Sein Gesicht wirkte sanft und intelligent. Er hörte uns nicht herankommen. Der Alte wartete geduldig, bis er uns bemerkte. »Das ist Forsdon, unser neuer Mann von der Kriminalabteilung«, sagte der Alte. Walker gönnte mir kaum einen Blick. »Chronos hat etwas«, sagte er. »Wenn ich es nur wieder finde.« Er wandte sich wieder den Reglern zu. »Das ist eins von unseren Problemen«, erklärte der Alte. »Manchmal ist es schwer, ein Verbrechen, das wir kurz entdeckt haben, wiederzufinden. Der Zeitraum zwischen der Gegenwart und dem Augenblick, in dem die Tat begangen werden wird, verringert sich natürlich immer mehr. Für jeden Blick in die Zukunft ist aber eine neue Einstellung erforderlich.« Er verstummte, und ich beobachtete den großen Bildschirm über Walkers Kopf. Schatten glitten vorbei. Ein weiblicher Schatten auf einer Straße, den Schatten eines Kindes an der Hand führend. Schattenhafte Lufttaxis zuckten vorbei. Eine Reihe männlicher Schatten, in grotesker Reihe an einer Bartheke, die Gläser grelle Flecken. Ein Zimmer, in dem ein weiblicher Schatten um einen Tisch herumging. Walker beugte sich angespannt vor und drehte vorsichtig an den Reglern. Sein Gesicht war schweißnass. Immer wieder veränderte sich die Szene. Ein Park mit Bäumen, ruhenden Erwachsenen und laufenden Kindern. Ein Zimmer, in dem Personen an einem langen Tisch saßen - ein Lesezimmer, vielleicht in einer Stadtbücherei. Ein gemütlich aussehendes Wohnzimmer mit altmodischem, offenem Kamin und dem grellen Licht des Feuers. Ein Schlafzimmer und ein weiblicher Schatten, der sich anoder auch auskleidete. Chronos war übrigens nicht das geeignete Spielzeug für einen Voyeur. Die Schatten waren so undeutlich, dass man nur an ihrer Kleidung erkennen konnte, welchem Geschlecht sie angehörten. »Da ist es!« rief Walker. Er schaltete eine Filmkamera ein. Sie surrte leise, während wir zusahen. Ein unauffälliges Wohnzimmer. Ein weiblicher Schatten öffnete die Tür und betrat mit schnellen Schritten das Zimmer. Die Frau warf die Arme hoch und erstarrte für ein, zwei schreckliche Augenblicke. Ein männlicher Schatten sprang ins Bild - ein riesiger Schatten. Als sie sich umdrehen und fliehen wollte, packte er sie von hinten. Seine Hand zuckte hoch, und das Messer funkelte, als er es ihr in den Rücken stieß. Er zog es heraus. Das Funkeln war verschwunden. Er stieß ein zweites Mal zu und ließ sie dann fallen. Während sie zusammensank, fuhr er herum, lief auf uns zu und verschwand vom Bildschirm. Die Kamera lief weiter und nahm das Bild des regungslosen Schattens am Boden auf. Schlagartig veränderte sich das Bild. Ein Restaurant mit vollbesetzten Tischen und Bedienungsrobotern. Walker schimpfte leise vor sich hin und stellte die Kamera ab. »Mehr habe ich vorher auch nicht sehen können«, sagte er. »Wenn ich aus anderem Winkel heran könnte, ließe sich die Örtlichkeit vielleicht ausmachen.« »Wann?« fragte der Alte. »In sieben bis zwölf Tagen.«
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Plötzlich traf es mich wie ein wuchtiger Schlag ans Kinn. Ich hatte ein Verbrechen beobachtet, das noch nicht geschehen war. »Zeit genug«, meinte der Alte. »Aber wenig Material.« Er sah mich an. »Was meinen Sie?« »Den Mann müssten wir identifizieren können«, erwiderte ich. »Er muss weit über einsneunzig sein, fast zwei Meter und hat offenbar die Figur eines Gorillas. Außerdem hinkt er mit dem rechten Fuß ein bisschen.« »Nicht schlecht. Noch etwas?« »Das ist ein Apartment oder ein Hotelzimmer. Die Nummer an der Tür blitzte auf, als die Frau sie öffnete. Lesen konnte ich sie allerdings nicht. Der Bildschirm an der Tür beweist, dass das Gebäude entweder neu ist oder in letzter Zeit renoviert wurde. Das Wohnzimmer liegt an der Ecke und hat auf zwei Seiten Fenster. Es ist schwer, sich festzulegen, aber ich glaube, dass ein altmodisches Sofa im Zimmer steht - eines mit Rückenlehne.« Walker sank in einen Sessel. »Da wird mir ein bisschen wohler«, sagte er. »Ich dachte schon, es gäbe überhaupt keine Anhaltspunkte. Ich habe aber die Szene zweimal gesehen. Wie konnten Sie ... « »Jetzt wissen Sie, warum ich Forsdon angefordert habe«, erklärte der Alte, und ich gab Laute von mir, die Bescheidenheit andeuten sollten. »Sie haben nur eines übersehen«, meinte der Alte dann. »Was denn?« »Der Täter ist Linkshänder. Sie müssen auch in Betracht ziehen, dass das Hinken nur vorübergehend sein könnte. Gut, Forsdon, Sie können sich an die Arbeit machen. Sieben bis zwölf Tage, aber stellen Sie sich lieber auf sieben ein.« Er kehrte in sein Büro zurück. »Können Sie mir irgendeinen Hinweis auf die Örtlichkeit geben?« erkundigte ich mich bei Walker. »Ich kann auf der Karte einen Kreis ziehen, aber die Chancen, dass Sie den Ort darin finden, stehen nur fünfzig zu fünfzig.« »Besser als gar nichts.« »Noch etwas«, sagte Walker. »ich möchte, dass Sie das tragen. Überall.« Er gab mir ein dehnbares Band, auf dem in regelmäßigen Abständen dunkle Glasperlen angebracht waren. »Das ist ein Armband«, sagte er. »Chronos gibt die Perlen als grelle Punkte wieder. Ich kann Sie dadurch identifizieren, wenn Sie auf dem Bildschirm auftauchen. Wir wissen, dass das funktioniert, weil der Alte auch eines trägt. Chronos hat ihn schon zweimal gezeigt.« Ich legte es an und machte mich mit Stadtplan und Adressbuch an die Arbeit. Walker beugte sich wieder über Chronos. Es gelang ihm offenbar nicht, das Gerät ein drittes Mal auf die Tat einzustellen. Die Tür zum Büro des Alten war geschlossen, aber man konnte ihn mit seiner nasalen Stimme ins Telefon brüllen hören. Als ein Techniker den entwickelten Film brachte, zog ich die Vorhänge zu, um eine Ecke des Raumes abzudunkeln, und legte den Streifen in den Projektor ein. Ich spielte ihn zehnmal ab, ohne etwas Neues zu entdecken. Ich konnte nicht einmal entscheiden, ob der Täter ein zufällig überraschter Einbrecher oder ein Bekannter des Opfers war. Gesichtsausdrücke konnte man nicht ausmachen. Ich schaltete den Projektor schließlich ab und fertigte eine Skizze des Zimmers an, soweit ich das Mobiliar hatte erkennen können. Der Alte stürmte aus seinem Büro, warf einen kurzen Blick auf meine Zeichnung und nickte anerkennend.
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»Das Apartment finden wir«, sagte er. »Je früher, desto besser, muss man wohl sagen, weil das Problem dann erst anfängt.« Das sah ich nicht ein und sagte es ihm auch. Ich stellte mir vor, dass das Problem praktisch gelöst sein musste, sobald wir die Wohnung gefunden hatten. »Sie halten es für möglich, dieses Verbrechen zu verhindern«, sagte er. »Ich nicht. Selbst wenn wir die Wohnung finden und die Beteiligten identifizieren, wird das Verbrechen geschehen.« »Wieso?« »Betrachten Sie es einmal so: Wenn wir das Verbrechen verhindern, wird es nicht stattfinden. Stimmt's?« »Stimmt.« »Und wenn es nicht stattfindet, könnte Chronos es uns nicht gezeigt haben.« »Wieder das interessante Problem«, meinte ich. Er nickte. »Was immer man auf diesem Bildschirm sieht, wird geschehen, sonst könnte man es nicht sehen. Von Chronos' Standpunkt aus ist es schon geschehen. Es zu verhindern, gliche dem Versuch, die Vergangenheit zu ändern.« »Wir können es versuchen«, sagte ich. »Wir haben die feierliche Pflicht, es zu versuchen. Draußen warten drei Ermittlerteams. Erklären Sie den Leuten, worauf es Ihnen ankommt.« Ich suchte ein Apartment mit Ecklage und Tür-Bildschirm. Es war nicht ganz so schlimm, wie es sich anhörte. Das Fernsehauge in Wohnungen war eine ziemlich neue Einrichtung, über die noch nicht viele Apartmenthäuser verfügten. Natürlich bestand auch die Möglichkeit, dass eine Privatperson das Gerät auf eigene Faust installiert hatte, aber das konnte ich als letzte Möglichkeit veranschlagen. Ich absolvierte einen hektischen Tag, durchwanderte Apartmenthäuser und stritt mit Hausverwaltern. Schon am nächsten Morgen fand ich die Wohnung - in einem kleinen, sechsstöckigen Gebäude an der Südseite des Central Parks. Es war eines von den Apartmenthäusern, die errichtet worden waren, als die Stadtverwaltung entschieden hatte, dass sie sich den Luxus unbebauter Flächen nicht leisten konnte, so dass ein Tell des alten Central Parks zur Bebauung zugelassen worden war. Das Gebäude wirkte zwischen den anderen Bauten zwergenhaft, war aber vor kurzem renoviert worden. Es verfügte über Fernsehaugen und Tür-Bildschirme. Nach den üblichen Protesten führte mich der Hausverwalter herum. Er öffnete die Tür zu einer Eckwohnung im fünften Stockwerk. Ich warf einen Blick hinein. Mir stockte der Atem. Ich zog meine Skizze heraus, obwohl ich sie eigentlich schon auswendig kannte, und ging durch das Zimmer, um den richtigen Blickwinkel zu finden. Das Sofa war da - altmodisch, mit Rückenlehne. Ein heller Fleck auf dem Bild erwies sich als Spiegel. Ein undeutlicher Schatten vor dem Sofa war ein niedriger Tisch. Ein Stuhl stand am falschen Platz, aber er konnte ja verändert worden sein. Nein, falsch! Er würde verändert werden. Alle Einzelheiten stimmten überein. »Stella Emerson«, sagte der Hausverwalter. »Miss Stella Emerson, glaube ich. Ich hatte nie Schwierigkeiten mit ihr. Ist etwas nicht in Ordnung?« »Keine Spur«, sagte ich. »Ich brauche nur eine Auskunft von ihr.« »Wann sie heimkommt, weiß ich nicht.« Ihre Nachbarin wusste es. Ich kehrte ins Präsidium zurück und erkundigte mich nach dem Erfolg unserer Bemühungen, den Täter zu identifizieren. Keine Fortschritte. An diesem Abend um sechs Uhr trank ich zusammen mit Miss Stella Emerson eine Tasse Kaffee. Sie gehörte zu den Personen, mit denen sich zu unterhalten Vergnügen macht.
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Aufmerksam, verständnisvoll, bereitwillig keine Spur von Empörung wegen angeblicher Einmischung in die Intimsphäre. Sie war auch kein junges Gänschen mehr, sechs- oder siebenundzwanzig, etwa einssechzig groß, gute fünfzig Kilo. Die Pfunde waren wohlvertellt, und sie sah wirklich sehr hübsch aus. Sie servierte den Kaffee auf dem niedrigen Tisch vor dem Sofa und lehnte sich zurück, die Tasse in der Hand. »Sie wollten eine Auskunft?« Ich spielte mit dem Henkel meiner Tasse. »Ich möchte, dass Sie gründlich überlegen und sich zu erinnern versuchen, ob Sie einen Mann kennen, auf den diese Beschreibung passt: Groß, wirklich sehr groß. Breit gebaut. Linkshänder. Möglicherweise hinkt er etwas auf dem rechten Fuß.« Sie stellte abrupt ihre Tasse ab. »Das klingt ja nach Mike - Mike Gregory. Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Nicht, seit -« Ich atmete tief ein und schrieb ‚Mike Gregory’ in mein Notizbuch. »Wo haben Sie ihn zuletzt gesehen?« »Auf dem Mars. Ich habe dort zwei Jahre Dienst gemacht. Mike war im Verwaltungsgebäude eine Art Mädchen für alles.« »Wissen Sie, wo er jetzt ist?« »Soviel ich weiß, immer noch auf dem Mars.« »Ich möchte alles wissen, was Sie mir über Mike Gregory sagen können«, erklärte ich. »Darf ich Sie zum Essen einladen?« Es gibt nichts Klügeres, als das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, wie mein Vater zu sagen pflegte. Sie schlug das Lokal vor - ein merkwürdiges, kleines Restaurant im zweiten Untergeschoss eines Apartmenthauses in der Nähe. Auf den Tischen standen brennende Kerzen - ich hatte seit Jahren keine mehr gesehen. Die Kellnerinnen trugen seltsame Trachten und Kopftücher. In einer Ecke saß ein alter Mann und kratzte auf einer Violine herum. Es war beinahe unheimlich. Dafür schmeckte das Essen vorzüglich, und ich fühlte mich in der Gesellschaft von Stella Emerson sehr wohl. Leider beschäftigte sie sich dauernd mit Mike Gregory. »Hat Mike etwas angestellt?« fragte sie. »Er machte immer einen so sanften, braven Eindruck.« »Manchmal verändern sich die Menschen«, erwiderte ich, an die schattenhafte Tat denkend, die noch nicht geschehen war. »Wie gut kannten Sie ihn?« »Nicht sehr gut. Ich sah ihn nur bei der Arbeit. Ab und zu unterhielt er sich ein bisschen mit mir - das war alles.« »Interessierte er sich - für Sie?« Sie wurde rot. »Vermutlich«, sagte sie. »Er bat mich oft, mit ihm auszugehen. Er tat mir leid, denn er wirkte ja mehr als grotesk, aber ich habe ihn auch nicht ermutigt.« »Sind Sie sicher, dass er hinkte?« »0 ja. Es war sehr auffällig.« »Und dass er Linkshänder war?« Sie überlegte einen Augenblick. »Nein. Das weiß ich nicht genau. Es wäre natürlich möglich, aber ich habe nie darauf geachtet.« »Fällt Ihnen sonst noch etwas über ihn ein?«
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Sie schüttelte langsam den Kopf. »Nicht viel, leider. Er war eben ein Mensch, der gelegentlich durchs Büro kam. Er hatte eine merkwürdige Sprechweise, ganz langsam und abgehackt. Die meisten Mädchen lachten ihn aus. Dann drehte er sich um und ging wortlos hinaus. Und - ach ja, manchmal erzählte er von Kalifornien. Ich nehme an, dass er von dort stammt, habe aber über sein Privatleben nie etwas erfahren.« »Sie lachten aber nicht über ihn?« »Nein, das brachte ich nicht fertig. Er war einfach - rührend.« »Haben Sie seit Ihrer Rückkehr etwas von ihm gehört?« »Einmal schickte er zu Weihnachten eine Karte. Er kannte meine Anschrift auf der Erde nicht und schickte sie deshalb an das Büro auf dem Mars. Ich bekam sie dann im Juli!« »Im vergangenen Juli?« »Nein. Das muss jetzt vier Jahre her sein.« Ich wechselte das Thema und versuchte etwas über Stella Emerson in Erfahrung zu bringen. Sie war achtundzwanzig Jahre alt, hatte drei Jahre auf dem Mars gearbeitet und nach ihrer Rückkehr zur Erde bei einer kleinen Firma, die Plastiktextilien herstellte, eine Anstellung als Privatsekretärin gefunden. Sie verdiente genug, um sich versorgen und noch etwas auf die Seite legen zu können. Es machte ihr Spaß, allein zu wohnen. Sie hatte eine Schwester in Boston und eine Tante in Newark, die sie ab und zu besuchten. Sie führte ein ruhiges Leben, las viel und ging häufig ins Museum. ihr einziges Hobby war das Fotografieren. Für mich klang das großartig. Das ruhige Leben. Ein Kriminalbeamter hat im Beruf Aufregung genug. Wenn er sich zu Hause nicht entspannen kann, ist ihm keine lange Lebensdauer beschieden. Wir waren inzwischen bei der zweiten Tasse Kaffee angelangt, und ich winkte den alten Geiger an unseren Tisch. »Miss Emerson ist ein ausgesprochen hübsches Mädchen, finden Sie nicht?« fragte ich ihn. Er guckte sie mit seinen kleinen Augen an. »Ja. Stimmt.« Ich gab ihm einen Dollar. »Wie wär's, wenn Sie uns eine Melodie spielten, die genauso hübsch ist wie Miss Emerson?« Er spielte ihr ungeschickt eine Serenade. Sie reagierte so, wie ich es mir erhofft hatte. Sie wurde furchtbar rot, und ich lehnte mich zurück und genoss das. Ich brachte sie zu ihrer Wohnung zurück und verabschiedete mich freundschaftlich an ihrer Tür. Wir gaben uns die Hand - tatsächlich die Hand. In unserer Zeit! Und sie lud mich auch nicht ein, die Nacht mit ihr zu verbringen, was ich als ebenso erfrischend empfand. Ich fuhr mit dem Lift hinunter, trat ins Freie, ging verträumt ein paar Schritte und rief mit dein Taschen-Signalgeber ein Lufttaxi. Gerade als ich einsteigen wollte, traf es mich wie das funkelnde Messer bei der Szene auf dem Bildschirm. In sieben bis zwölf Tagen - nein, jetzt nur noch in fünf bis zehn Tagen würde sie ermordet werden. Was haben Sie denn?« fragte der Pilot. Ich zeigte meine Dienstmarke. »Polizeipräsidium«, sagte ich. »Dringend.« Walker kauerte vor Chronos, wie üblich schweißüberströmt. Er wirkte noch erschöpfter als beim letzten Mal. »Ich habe es nicht wiedergefunden«, sagte er. »Macht nichts. Wir schaffen es mit dem, was wir haben.«
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Er zog gereizt die Brauen zusammen. »Es ist wichtig, verflixt noch mal. Das Gerät ist nur ein Testmodell und in der Leistung noch völlig unzureichend. Mit genügend Geld und Forschungseinrichtungen könnten wir ein Gerät herstellen, das wirklich funktioniert, aber mit der Vorhersage von ein paar lächerlichen Raubüberfällen bekommen wir diese Unterstützung nicht. Bei einem Mord, ja - da würde man uns ernst nehmen.« »Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über Ihren verfluchten Chronos«, knurrte ich. »Was bedeutet das Ding schon, wenn es darum geht, das Leben eines jungen Mädchens zu retten?« Er sah mich blinzelnd an, nicht beleidigt, nur ein übermüdeter Wissenschaftler, der sich ein bisschen ausruhte, um dann wieder an die Arbeit gehen zu können. »Ja, natürlich«, sagte er ruhig. »Bei einem leistungsfähigeren Modell wären wir wahrscheinlich in der Lage, viele Menschenleben zu retten. Was das Mädchen betrifft - wenn ich nicht mehr herausbringen kann ... « »Ich habe das Apartment gefunden«, sagte ich, »und das Mädchen auch. Von dem Mann hat man zuletzt vor vier Jahren auf dem Mars gehört. Offensichtlich befindet er sich dort nicht mehr, oder Chronos leidet an Halluzinationen. Bis morgen Mittag wissen wir Bescheid.« Ich leitete die Fahndung nach Mike Gregory ein und veranlasste, dass am nächsten Morgen Ermittlungsbeamte bei den Behörden für Personalfragen und Kolonialverwaltung erscheinen würden, sobald diese ihre Pforten öffneten. Anschließend erstattete ich dem Alten Bericht. In allen Abteilungen, die er leitet, ist das Vorschrift. Bis ein Fall abgeschlossen ist, bekommt man kein Lob zu hören. In der Zwischenzeit kann man ihm erzählen, was man will, und man bekommt stets die Frage zu hören: »Was haben Sie dagegen unternommen?« Wer nicht schleunigst eine Antwort darauf weiß, sieht sich bald versetzt. Da an diesem Abend nichts weiter getan werden konnte, fuhr ich nach Hause. Von Schlaf war natürlich keine Rede. Am nächsten Vormittag bekamen wir von der Behörde für Kolonialverwaltung einen vollständigen Bericht über Michael Gregory. Fingerabdrücke, Fotos, genaue Beschreibung einschließlich des Hinkens und der Linkshändigkeit, und die zusätzliche Information, dass er seine Stellung vor acht Monaten auf dem Mars aufgegeben hatte und sofort mit einem Raumschiff, das in San Francisco landen sollte, zur Erde zurückgeflogen war. Ich schickte ein dringendes Ersuchen nach San Francisco und wartete nervös auf Antwort, bis es Zeit wurde, mich erneut mit Stella Emerson zum Essen zu treffen. San Francisco leistete gründliche Arbeit, aber das nahm Zeit in Anspruch - zwei weitere Tage. Michael Gregory hatte sich einige Zeit in der Stadt aufgehalten, in drittklassigen Unterkünften gehaust und Gelegenheitsarbeiten geleistet. Seit zwei Monaten fehlte jede Spur von ihm. »Er kann weiß Gott wo sein«, sagte ich zum Alten. »Aber ebenso gut auch hier in New York«, meinte er trocken. An diesem Abend stellte ich fest, dass Stella den Stuhl an einen anderen Platz gestellt hatte, ohne zu ahnen, dass sie dem Zimmer damit den letzten Tupfer gab, den es brauchte, um für ihre Ermordung bereit zu sein. Nach dem Abendessen brachte ich sie heim und achtete vor ihrer Tür nicht auf ihre ausgestreckte Hand. »Stella«, sagte ich, »ich möchte, dass du weißt, wie gern ich dich habe.« Sie wurde auf herrliche Weise rot. »Ich mag dich auch, Jim.« »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten - um einen ganz großen sogar.« Die Röte vertiefte sich, als sie mich mit einer Spur von Panik ansah.
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»Ich möchte gerne, Jim. Weil ich - dich mag. Aber ich kann nicht. Es ist schwer zu erklären, aber ich habe mir immer vorgenommen, dass ich erst nach der Hochzeit -« Ihre Augen weiteten sich vor Verwunderung, als ich mich an die Wand lehnte und aus vollem Hals lachte. Dann verzichtete ich auf die Händeschüttelei. Sie klammerte sich an mich, und ich hatte fast den Eindruck, als sei das ihr erster Kuss gewesen. »Ich mag dich nicht nur, Liebling«, sagte ich. »Ich liebe dich. Und das war nicht die Gefälligkeit, um die ich dich bitten wollte. Du hast mir doch gesagt, dass eine Tante von dir in Newark lebt. Ich möchte, dass du ein paar Tage bei ihr wohnst.« »Warum denn?« »Willst du mir vertrauen? Ich kann dir nichts sagen, außer, dass du hier in Gefahr bist.« »Du meinst - durch Mike?« »Leider, ja.« »Es ist schwer zu glauben, dass Mike mir etwas antun will. Aber wenn du meinst, dass es wichtig ist.« »Allerdings. Rufst du deine Tante an und regelst gleich alles? Ich bringe dich heute noch hin.« Sie packte eine Reisetasche, und ich brachte sie mit einem Lufttaxi nach Newark. Ihre Tante war gastfreundlich und liebenswürdig, wenn auch ein bisschen verwirrt, als ich ihre Wohnung genau überprüfte. Ich wollte nicht das Risiko eingehen, dass das Wohnzimmer von Stellas Tante in Wirklichkeit dem Tatort entsprach. Das war aber nicht der Fall - es bestand keinerlei Ähnlichkeit. »Versprich mir, dass du unter keinen Umständen in deine Wohnung zurückkehrst, bis ich es dir erlaube«, sagte ich. »Das verspreche ich. Es kann aber sein, dass ich etwas brauche.« »Schreib alles auf eine Liste. Eine Polizeibeamtin kann dir bringen, was du brauchst.« »Gut.« Ich hatte mir ihren Schlüssel geben lassen, weil ich unbedingt vermeiden wollte, dass sie eine Stippvisite in ihrer Wohnung machte und dadurch die Verabredung einhielt, die sie angeblich mit der Zukunft hatte. Mit dem Verwalter des Apartmenthauses vereinbarte ich, dass jeden Abend zur passenden Zeit das Licht in ihrer Wohnung ein- und wieder ausgeschaltet wurde. Kollegen beobachteten das Apartmenthaus ebenso wie das Gebäude, in dem die Tante wohnte. Ein Beamter beschattete Stella, aber sie wusste nichts davon. Dann waren es noch null bis fünf Tage, und ich wurde langsam verrückt. Null bis vier Tage. Ich betrat den A.V.Z.-Raum. Walker eilte mir entgegen. »Ich habe es wiedergefunden!« »Irgend was Neues?« »Nein. Bis in die kleinste Einzelheit Übereinstimmung.« »Wann?« »Zwei bis drei Tage.« Ich ließ mich müde auf einen Stuhl fallen und starrte Chronos an. Der Bildschirm war dunkel. »Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, das Ding da zu erfinden?« »Ich habe es eigentlich nicht erfunden, sondern entdeckt. Ich beschäftigte mich mit einem Fernsehempfänger, veränderte Schaltungen, schloss neue an, experimentierte eben. Die Qualität der Bilder war schlecht, aber sie schienen von keiner der bekannten Sendestationen zu stammen - oder auch von Kombinationen, weil sie ständig wechselten. Das war natürlich interessant, und ich arbeitete weiter. Eines Tages zeigte mir der Bildschirm einen Flugzeugabsturz von katastrophalen Ausmaßen. Beteiligt waren mindestens zwölf Flugmaschinen, so dass ich mir sagte, dass die Filmemacher doch gewaltig übertreiben. Ungefähr eine Woche später schlug ich meine Morgenzeitung auf und entdeckte die Katastrophe auf Seite eins. Es dauerte lange, bis sich jemand dafür zu interessieren begann, aber schließlich -« Er verstummte. Seite 8
Der Alte kam aus seinem Büro und wedelte aufgeregt mit den Händen. »Brooklyn! Gregory hat in einer Pension in Brooklyn gewohnt. Vor drei Tagen ist er ausgezogen.« Die einzige brauchbare Spur, die sich ergeben hatte, aber auch sie brachte uns nicht weiter. Niemand wusste, wo er untergetaucht war. Damit stand zwar fest, dass Gregory sich im Umkreis von New York City befand, aber daran hatten wir von Anfang an nicht gezweifelt. »Eines ist interessant«, sagte der Alte. »Er tritt unter seinem richtigen Namen auf. Es gibt natürlich keinen Grund, warum er das nicht tun sollte - er ist kein Verbrecher. Aber er ist ein potentieller Verbrecher und weiß nichts davon.« Mir wurde plötzlich klar, dass wir vor einem zweifachen Problem standen. Wir mussten Stella vor Gregory, aber auch Gregory vor sich selbst schützen. Wenn wir ihn finden konnten! »Irgendwelche Vorschläge?« fragte ich. »Weitersuchen«, erwiderte der Alte. »Wenn wir Gregory festnehmen und ein paar Tage einsperren könnten, hätten wir vielleicht Erfolg. Wir haben Stella Emerson geschützt, ihre Wohnung abgesperrt, und mit der Festnahme Gregorys müsste der Fall abgeschlossen sein.« Er lachte sarkastisch. »Sie glauben immer noch, dass wir diesen Mord verhindern können. Passen Sie auf: Bei einem dieser Raubüberfälle, die wir beobachtet haben, erkannte ich den Täter. Butch Mackey - erinnern Sie sich? Ein Bein kürzer als das andere, an seinem Gang erkennt man ihn sofort. Ich ließ ihn festnehmen. Er hatte eine Pistole bei sich. Das genügte. Er wurde in Untersuchungshaft genommen. Er brach aus, verschaffte sich eine andere Waffe und beging den Raubüberfall pünktlich auf die Sekunde. Ich sage Ihnen, die Zukunft, wie sie Chronos sieht, kann nicht verändert werden. Ich bemühe mich genauso wie jeder andere, dieses Verbrechen zu verhüten, aber ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass irgendwann heute oder morgen das Mädchen und Gregory in diesem Apartment zusammentreffen - oder in einem, das genauso aussieht.« »Diesmal werden wir aber die Zukunft ändern«, sagte ich. Bevor ich ging, schaute ich mir Chronos gründlich an. Nur ein Ungeheuer liefert einen Mörder, ein Opfer, den Ort und annähernd die genaue Zeit, um einen dann hilflos zusehen zu lassen. Wenn Walker nicht dabei gewesen wäre, hätte ich Chronos einen kräftigen Tritt in einen funktionswichtigen Teil gegeben. Walker nannte diese beiden Tage die ‚Kritische Periode’. Ich gab ihm recht, obwohl er an Chronos' Genauigkeit dachte, und ich an das Menschenleben, das auf dem Spiel stand. Stellas Leben. Ich widerrief unsere Verabredung zum Essen und durchstreifte Manhattan auf der Suche nach einem großen Mann mit auffälliger Gehbehinderung. Ein etwas groteskes Stäubchen unter Millionen normaler Stäubchen. Es beruhigte mich ein wenig, zu wissen, dass ich bei meiner Suche nicht allein war. Flugwagen kreisten in niedriger Höhe, um Fußgänger zu beobachten. Fußstreifen beäugten jeden Passanten. Ermittlungsbeamte machten mit Fotos die Runde bei Pensionen und Hotels. Taxi- und Busfahrer waren informiert. Für jemanden, der keinen Grund hatte, sich zu verstecken, erwies sich Michael Gregory als außerordentlich tüchtig. Um 22.00 Uhr meldete ich mich über Funk beim Präsidium. Die Stimme des Alten explodierte förmlich. »Wo, zum Teufel, sind Sie gewesen? Die am Haus von Miss Emerson postierten Leute haben Gregory geschnappt. Sie bringen ihn her.« Ich raste sofort los, stürmte durch den Korridor zum A.V.Z.-Raum und platzte in eine Atmosphäre hinein, die einer Trauerwache glich. Walker hatte die Hände vors Gesicht geschlagen, während der Alte mit finsterem Gesicht hin- und herging.
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»Er ist entwischt«, knurrte er. »Hat die Handfessel wie einen Zahnstocher geknickt, seine Bewacher niedergeschlagen und die Flucht ergriffen. Der Mann muss die Kraft eines Nutzroboters haben.« »Wie kam es überhaupt zur Festnahme?« fragte ich. »Er kam die Straße entlang und wollte in das Haus. Er hatte von der ganzen Geschichte natürlich keine Ahnung. Er wusste nicht, dass wir nach ihm fahndeten.« »Aber jetzt weiß er Bescheid«, sagte ich. »Ihn jetzt zu suchen, wird allerhand Mühe kosten.« Der Alte hatte schon in der Gegend, wo Gregory entflohen war, eine kleine Armee auf die Beine gebracht, aber der Gesuchte schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Ich rief Stella an und bat sie, am nächsten Tag nicht zur Arbeit zu fahren. Ich verdoppelte die Bewacher am Haus ihrer Tante. Als es hell wurde, war ich schon unterwegs, durchstreifte die Straßen, flog bei den Luftstreifen mit und machte mich mit zahllosen Anrufen im Präsidium unbeliebt. Wir erlebten einen trostlosen Tag, und Gregory hätte sich ebenso gut auf dem Mars befinden können, so wenig Glück hatten wir. Als Frühstück und Mittagessen gab es Kaffee, und abends stopfte ich in einem kleinen Imbissstand ein paar Brote in mich hinein. Ich war zufällig daran vorbeigekommen, als ich die Straße vor Stellas Haus entlangpatrouillierte. Meine Kollegen waren auf dem Posten, und der Hausverwalter hatte das Licht in Stellas Apartment angeknipst. Ich blieb kurz am Eingang stehen und beobachtete die vereinzelten Passanten, dann rief ich ein Flugtaxi. »Ich möchte hier ein bisschen herumfliegen«, sagte ich. »Klar.« Wir kreisten über den Straßen, während ich die Fußgänger im Auge behielt und den Verkehr beobachtete. Fünfzehn Minuten später waren wir wieder über dem Apartmenthaus. »Fliegen Sie niedrig um das Haus«, sagte ich. »Kommt nicht in Frage! Das kostet mich meine Zulassung. Ich muss in den Flugkorridoren bleiben.« »Diesmal nicht. Polizei.« Er starrte meine Dienstmarke an. »Warum nehmt ihr nicht eure eigenen Flugzeuge?« murrte er. Wir schwebten hinunter. Hinter dem Gebäude erstreckte sich ein schmaler Rasenstreifen mit einigen Bäumen, dahinter verlief eine nur schwach beleuchtete Gasse. Der Pilot gab mir ein Fernglas, und ich starrte in die tiefen Schatten. Etwas Verdächtiges konnte ich nicht erkennen, hielt es aber für angebracht, die Gasse zu Fuß zu durchstreifen. Bei der dritten Umkreisung warf ich einen Blick auf Stellas erleuchtetes Fenster und hielt den Atem an. Ein dunkler Schatten klammerte sich an die Hauswand und schob sich auf dem Sims langsam zu ihrem Fenster vor. Gregory. Der Pilot sah ihn zur selben Zeit. »Der Kerl ist ja verrückt!« entfuhr es ihm. Wir sahen, wie Gregory das Fenster öffnete und in dem Apartment verschwand. Ich versuchte, die Beobachtungsposten über Funk zu erreichen, bekam aber keine Antwort. Ich rief das Präsidium. »Forsdon«, säuselte die Vermittlung. »Dringende Mitteilung für Sie.« »Keine Zeit!« knurrte ich. Ich schilderte kurz die Lage und schaltete ab. »Können Sie das Ding so nah heranmanövrieren, dass ich durchs Fenster steigen kann?« fragte ich den Piloten. »Versuchen kann ich es«, meinte er. »Passen Sie bloß auf. Es geht weit hinunter.« Er schwebte nah heran - ich klammerte mich an der Brüstung fest und zog mich durchs Fenster. Gregory starrte mich an, mit verwirrtem, fast kindlichem Gesichtsausdruck. Wie dumm waren wir gewesen! Aus der Art, wie er in Chronos' Bild gelangt war, hätten wir auf so etwas kommen müssen, aber wer hätte gedacht, dass ein Mann von Gregorys Größe Talent zur Fassadenkletterei besaß? Seite 10
»So, Gregory«, sagte ich. »Sie sind festgenommen.« Sein Gesicht war tränenüberströmt. Sein Unterkiefer bewegte sich, seine Lippen formten Worte, aber er brachte keinen Ton heraus. Plötzlich begriff ich, wo wir versagt hatten. Dieses groteske, riesige Kind wollte niemandem etwas zuleide tun. Stella war der einzige Mensch, der ihn je gut behandelt hatte, und er wollte sie wiedersehen. Aus irgendeinem Grund, den er nicht verstehen konnte, versuchte die Polizei das zu verhindern. Gerade dadurch wurde er gefährlich. Er stürzte sich auf mich, wie der Nutzroboter, von dem der Alte gesprochen hatte, und drängte mich zurück zum offenen Fenster. Ich zog meine Pistole, aber er schlug sie mir ohne Anstrengung aus der Hand. Er hatte mich auf die Brüstung gezwungen und schob mich hinaus, als die Wohnungstür aufging. Es war Stella. »Lauf!« brüllte ich. Dann pfiff die Nachtluft an mir vorbei, und aus dem Fenster drang Stellas langer, gellender Schrei. Ich stürzte in die Aste eines Baumes, versuchte mich verzweifelt festzuhalten, und fiel ins Leere.
Der Arzt hatte ein Eulengesicht. Er beugte sich über mich, produzierte seltsame, schnalzende Laute mit der Zunge und grinste, als er sah, dass ich die Augen geöffnet hatte. »Nicht übel. Gar nicht übel.« »Was ist denn so gut daran?« erkundigte ich mich. »Junger Mann, Sie sind fünf Stockwerke tief abgestürzt und haben nur einen Beinbruch und diverse Blutergüsse davongetragen. Da fragen Sie mich, was gut daran ist?« »Das verstehen Sie nicht«, sagte ich. Stellas Schrei gellte mir immer noch in den Ohren. Ich versuchte, mich auf die Seite zu drehen, spürte den schweren Gipsverband am linken Bein, und meine Stimmung verschmolz mit dem düsteren Grau des Krankenzimmers. Eine Krankenschwester kam auf Zehenspitzen herein und lächelte aufmunternd, als sie sah, dass ich wach war. »Sie haben Besuch«, sagte sie. »Wollen Sie ihn sehen?« Ich wusste, dass es der Alte war. Es widerstand mir, ihn zu sehen, aber ich sagte: »Bringen wir es hinter uns.« Er schaute ins Zimmer, nickte, trat zur Seite. Dann kam er herein, hinter Stella. Es war eine veränderte Stella - leichenblass, traurige Augen - aber sie lebte, sie lebte! Ich wollte mich aufsetzen. Die Schwester legte mir die Hände auf die Schultern und schüttelte missbilligend den Kopf. Der Alte zog für Stella einen Stuhl heran. »Jim -« sagte sie. Ihre Stimme versagte. »Ich sage es ihm«, meinte der Alte. »Offenbar hat Miss Emerson eine Schwester, die in Boston wohnt.« »Das weiß ich«, sagte ich. »Eine Zwillingsschwester. Sie wusste von unserem Problem nichts und wollte Miss Emerson an diesem Abend besuchen. Sie hatte einen Wohnungsschlüssel und kam gerade recht, um in Chronos' Drama eine Rolle zu spielen.«
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»Ist sie -« »Nein. Zum Glück nicht. Die Verletzungen sind schmerzhaft, aber nicht lebensgefährlich. Sie wird wieder gesund.« Ich atmete auf. »Und Gregory?« »Er versuchte, das Haus so zu verlassen, wie er es betreten hatte; sein Sturz wurde aber nicht durch einen Baum gebremst ... Noch etwas - ich habe eine dringende Nachricht von Walker für Sie.« Ich warf einen Blick auf den Zettel. ‚Jim, um Gottes willen kein Flugtaxi benützen!’ »Chronos zeigte uns Ihren Sturz eine halbe Stunde vorher«, sagte der Alte. »Von unserem Blickwinkel sah es so aus, als stürzten Sie aus dem Lufttaxi. Irgendwann im Lauf der folgenden vierundzwanzig Stunden, hatte Walker errechnet, aber wir konnten Sie nicht erreichen. Warum haben Sie das Funkgerät eigentlich abgeschaltet?« »Es hätte nichts geändert«, erwiderte ich. »Das wissen Sie.« »Ja, ich weiß es. Chronos kann uns die Zukunft zeigen, sie aber nicht verändern, und wir können es auch nicht.« »Meine hat er verändert«, sagte ich und sah Stella an. Der Alte begriff und verabschiedete sich. Fünf Minuten später läutete das Telefon. Es war Walker. Stella presste ihr Gesicht an das meine und hörte mit. »Ich rufe nur an, um zu gratulieren«, sagte Walker. »Wozu?« »Zu Ihrer Hochzeit. Chronos hat sie eben gebracht.« Ich fluchte, aber ganz leise. »Ich habe das Mädchen noch nicht einmal gefragt. Erzählen Sie mir bloß nicht, dass ich das blöde Armband trage. Bei meiner Hochzeit kommt das überhaupt nicht in Frage.« »Nein, aber Sie gehen mit Krücken. Der Alte ist auch dabei, und er trägt das seine.« »Na gut«, sagte ich. »Und wann soll das Ereignis stattfinden?« »In vier bis acht Tagen.« Ich knallte den Hörer auf die Gabel und küsste Stellas rotüberflutetes Gesicht. »Liebling, Chronos behauptet, dass wir in vier bis acht Tagen heiraten, aber diesmal wird sich das Monstrum täuschen. Wir heiraten morgen.« »Gut, Jim, wenn du meinst. Aber -« »Was aber?« »Heute ist der achtundzwanzigste Mai, und wenn wir morgen heiraten, bin ich keine Junibraut.« Wir heirateten fünf Tage später und fuhren in die Flitterwochen nach Arizona. Ich hatte mich erkundigt. Arizona lag weit außerhalb der Reichweite von Chronos.
ENDE
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