Seewölfe 220 1
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Von der Java-See bis zur Straße von Malakka hatte es sich wie ein Lauffeuer herumgespro...
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Seewölfe 220 1
Fred McMason 1.
Von der Java-See bis zur Straße von Malakka hatte es sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen, was anfangs wie ein Gerücht geklungen hatte: El Lobo del Mar, der Seewolf mit seiner „Isabella VIII.“, und seiner überaus gefürchteten Crew war unterwegs! Die „Isabella“ war, von Java kommend, durch die Sunda-Straße gesegelt und lief an der Südwestküste Sumatras entlang mit Kurs Nordwest in Richtung Andamanensee. Wer die Meldung verbreitet hatte, war nicht mehr festzustellen. Aber vorauseilende spanische Galeonen hatten die Meldung bestätigt, und jetzt gab es keinen Zweifel mehr daran. Ein Pulk von achtundzwanzig schwerarmierten spanischen Galeonen lag auf der Lauer und wartete auf El Lobo del Mar. Der Generalkapitän des spanischen Pulks, der sich auf der Fahrt nach Südamerika befand, ließ den Großteil der Kapitäne zu sich auf das Flaggschiff „San Raphaelo“ bitten. Da die große Kapitänskammer zu klein war, fand die Lagebesprechung auf dem sonnendurchglühten Achterdeck statt. Ein Sonnensegel war gespannt worden, das Schutz vor der sengenden Hitze bot. Der Generalkapitän war ein großer hagerer Mann mit dunklen Augen, einer kühn gebogenen Nase und einem Knebelbart. Sein Haar war an den Schläfen leicht ergraut. „Seine Allerkatholischste Majestät, der König von Spanien“, begann er mit leidenschaftsloser Stimme, „hat auf den Kopf dieses Engländers eine hohe Summe ausgesetzt. Das allein ist aber nicht der Grund, warum wir diese günstige Gelegenheit nutzen werden. Denken Sie an die vielen Niederlagen, meine Herren, die wir einstecken mußten, und denken Sie vor allem an die unbesiegliche Armada, an deren Untergang El Lobo del Mar einen nicht unbeträchtlichen Anteil hatte. Einige unter Ihnen wissen das aus eigener Erfahrung. Dieser Sir Killigrew hat uns
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erbarmungslos gejagt und zusammengeschossen. Er hat der spanischen Krone unermeßlichen Schaden zugefügt.“ Der Generalkapitän drehte den Kopf nach links und musterte Kapitän Manuel de Diaz, der mit ernstem Gesicht an der Schmuckbalustrade stand. Dessen abwesender Blick verriet eindeutig, daß er nicht ganz bei der Sache war. Sein Blick war in weite Fernen gekehrt, und es schien ihm, als tauche das Gesicht des Seewolfs am Horizont aus dem Meer und lächelte spöttisch. Er sah die eisblauen Augen überdeutlich vor sich, die lächelnden schmalen Lippen des Mannes, und er glaubte auch seine Stimme zu hören. Kühl rann es ihm über den Rücken, wenn er an diesen gefürchteten Lobo del Mar dachte. Die Stimme des Generalkapitäns riß ihn aus seiner Versunkenheit. „Sie sollten jetzt nicht schlafen, Kapitän Diaz“, rügte ihn die harte Stimme. „Oder haben Sie nicht vernommen, um was es geht?“ „Entschuldigung, Senor Generalkapitän“, sagte Diaz. „Ich wollte keinesfalls die Regeln des Anstandes verletzen. Aber hat dieser Lobo del Mar den havarierten und zerschossenen Galeonen nicht auch geholfen und sich sogar gegen den Admiral Francis Drake erhoben?“ Sekundenlang hing diese Frage wie Blei in der Luft, bis der Generalkapitän rot anlief. „Heißt das?“ fragte er süffisant, „daß Sie irgendwelche Sympathien gegen einen Feind der spanischen Krone hegen?“ „Ich betrachte lediglich das Verhältnis. Achtundzwanzig schwer armierte Galeonen gegen ein einziges Schiff. Wir sind mehr als dreitausend Mann, einschließlich aller Seesoldaten. Auf der ,Isabella` dieses Killigrew befinden sich höchstens zwei Dutzend Leute, allerdings sehr gute und harte Männer, das muß ich fairerweise hinzufügen. Sie haben keine Chance, nicht die geringste.“ De Diaz schwieg und blickte auf die Planken. „Auf den Galeonen seiner Majestät pflegt man Kollaborateure und Sympathisanten
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an den Rahen hochzuziehen, Senor de Diaz. Leute, die sich besonders schimpflich benehmen, werden durch die Garotte vom Leben zum Tod befördert. Einige setzt man auch auf kahlen, unwirtlichen Inseln aus. Das nur zur Erinnerung, Senor Diaz.“ Die meisten der Männer blickten de Diaz jetzt offen und abschätzend an, aber der Kapitän stand ganz ruhig und gelassen da und hielt den Blicken stand. Die harte Drohung schien ihn nicht im geringsten eingeschüchtert zu haben. „Es sind übrigens, das nur nebenbei, hunderttausend Reales für seine Ergreifung ausgesetzt,* tot oder lebendig:“ Ein Raunen ging durch die Gruppe, denn diese Summe war einfach unvorstellbar für die meisten. „Bisher ist es uns nicht gelungen, ihn zu fassen“, fuhr der Generalkapitän fort. „Diesmal gibt es für ihn kein Entkommen. Wir sind es dem König von Spanien schuldig, daß wir diesen Mann zur Strecke bringen. Ich wünsche, ihn lebend bei Hofe vorführen zu können.“ „Das werden wir nicht schaffen“, prophezeite de Diaz unverfroren. „Einen Seewolf fängt man nicht mit der Hand, den kriegt man entweder tot oder gar nicht.“ Der Generalkapitän lächelte spöttisch. „Ich habe Ihre Worte soeben überhört, Kapitän de Diaz“, sagte er. „Aber Ihnen wird die Hauptaufgabe zufallen. Ihre „San Angel' verfügt über sechzig Kanonen, und ich werde Sie so postieren, daß El Lobo del Mar genau vor Ihre Rohre läuft. Dann werden Sie seine Galeone Stück für Stück zusammenschießen. Wir verfahren diesmal nach seinem eigenen Muster. Bisher hat er uns immer überlistet, diesmal wird es umgekehrt sein. Zuerst werden Fühlungshalter ausgeschickt, die als Fischer getarnt werden. Die Boote besorgen wir uns von den Eingeborenen. Eine weitere Galeone wird als Köder präpariert.“ De Diaz lachte lautlos, wobei sich seine Lippen nur unmerklich verzogen. Komisch, daß der Generalkapitän das Fell des Bären schon verkaufte, dachte er.
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Dabei war der Bär noch nicht einmal zu sehen, man wußte nur, daß er sich in dieser Ecke herumtrieb. Lobo del Mar öffentlich am Galgen enden und zur Abschreckung dort hängen bleiben wird, bis ihm auch das letzte Fleisch von den Knochen gefallen ist.“ Das alles plätscherte an Diaz Ohren vorbei, ohne daß er es wirklich wahrnahm. Er fühlte sich in seiner Rolle nicht mehr wohl. Am liebsten hätte er das Kommando über die „San Angel“ abgegeben, obwohl das natürlich ausgeschlossen war. Der Generalkapitän erläuterte seinen Plan noch einmal in allen Einzelheiten und schätzte, daß die Vorbereitungen dafür etwa zwei Tage in Anspruch nehmen würden. Anschließend kehrten die Kapitäne an Bord ihrer Galeonen zurück, um die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Manuel de Diaz saß auf der Ducht des Bootes, das ihn zurückbrachte, und blickte aus klaren Augen über das fast stille Wasser. Vor seinem geistigen Auge tauchte ein Bild auf, ein Bild das schon lange zurücklag... Die Armada war versenkt, zerschossen, verbrannt und in alle Winde verstreut worden, und der restliche angeschlagene Verband befand sich auf dem schmählichen Rückzug. Der Generalkapitän der Ozeanischen Meere, Don Alonso de Guzman el Bueno, Herzog von Medina Sidonia, hatte die gewaltige Schlacht verloren, seit die Nacht des achten August 1588 angebrochen war. Die Engländer, unter Admiral Sir Francis Drake, verfolgten den traurigen Haufen, und der Admiral ließ auch die hilflosen Schiffe noch zusammenschießen, wenn nicht dieser Seewolf gewesen wäre. Wieder sah de Diaz ihn vor sich, hart, braungebrannt, ein verwegener Mann, der die einzigartige Frechheit aufbrachte, sich gegen den Admiral zu stellen und den hilflosen Spanier zu helfen, wo er nur konnte. Auch die Galeone „El Cid“ war dabei zusammengeschossen worden, die er vor
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knapp zwei Jahren befehligte. Sie trieb hilflos in der See, mit Verwundeten und Toten an Bord, ein halbes Wrack, dem der sichere Untergang und die totale Vernichtung durch Drake bevorstand. Da erschienen Philip Hasard Killigrew und ein Franzose, an dessen Namen er sich ebenfalls noch erinnerte. Ribault hieß der Mann. Kurzentschlossen setzten sie die zerschossene ,El Cid' wieder instand, verarzteten die Verwundeten, ließen Proviant, Wasser und Medikamente zurück und spannten ihre gesamte Crew zu den Arbeiten ein. Für den Seewolf zählte von da ab nicht mehr der Feind, sondern nur noch der hilflose Mensch als Kamerad zur See. Und dieser Seewolf gab ihm noch einen guten Rat, eine Empfehlung, die er dankbar annahm. De Diaz sollte in Richtung Norwegen weitersegeln, um den Engländern nicht erneut in die Hände zu fallen. Ein letzter Händedruck. Engländer und Spanier trennten sich, und de Diaz war es mit einem weiteren kleinen Verband gelungen, unbeschadet die spanische Küste zu erreichen. Immer noch sah er im Geist die harten Kerle vor sich, hörte ihre Stimmen und wunderte sich über die Lässigkeit, mit der das alles geschah. Ein derartiges Risiko wäre kein anderer eingegangen, überlegte de Diaz, es sei denn, er hätte Sehnsucht danach gehabt, an einer Rah zu baumeln. Aber danach sahen diese Seewölfe ganz und gar nicht aus. Das Fazit dieser zwei Jahre zurückliegenden Geschichte war klar und eindeutig: Der Seewolf und seine Crew hatten einigen hundert Spaniern das Leben gerettet und dadurch ihre menschliche Größe bewiesen. Jetzt hatte er ausdrücklichen Befehl, seinen Lebensretter gnadenlos zusammenzuschießen, sobald er ihn vor den Rohren seiner Kanonen hatte. Capitan Manuel de Diaz fand die ganze Welt zum Kotzen. Weshalb, per Diablo, war er nicht auf der Finca seines Vaters ein kleiner Landarbeiter geblieben! Da hätte er
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nur zu entscheiden gehabt, ob heute Oliven oder Apfelsinen gepflückt werden mußten. Sein Gesicht wirkte wie aus Stein gehauen, als er an Bord ging. 2. Auf der „Isabella VIII.“ war man völlig arglos. Niemand dachte auch nur im Traum daran, daß ihnen Spanier auflauerten und ihr Kurs längst bekannt war. Der ranke Dreimaster schickte sich an, in sein Verderben zu laufen. Selbst der alte O'Flynn, der mitunter übersinnliche und vom Verstand her unfaßbare Vorahnungen hatte, spürte nichts. Er sah keine Bedrohung, keinen Schatten, für ihn war die Welt heil und in Ordnung. Wäre das nicht der Fall gewesen, dann hätte er die Seewölfe längst mit seinen dunklen Vorahnungen genervt. Der größte Teil der Crew war damit beschäftigt, das Logis und die Messe mit Essigwasser auszuwaschen. Das hatte den Vorteil, daß es besser duftete und außerdem Krankheitserreger abgetötet wurden. So ganz nebenbei flitzten auch die Kakerlaken in heller Panik davon und suchten sich ein neues Domizil, wo sie sich in aller Ruhe weiter vermehren konnten. Ganz ausrotten ließen sie sich nicht, auf jedem Schiff gab es Winkel und Ritzen, in die sie sich verkriechen konnten, und die Mannschaft hatte sich längst an sie gewöhnt. Sie gehörten zum lebenden Inventar eines jeden Schiffes, und solange sie nicht als unerwünschte Einlage in der Suppe schwammen, hatte niemand etwas gegen sie. Der Kutscher brachte gerade einen Holzzuber Essig an Deck und verteilte die Brühe. „Geht sparsam damit um“, warnte er. „Viel haben wir nicht, und ich muß das Zeug mühsam wieder aus kostbarem Obst herstellen.“ Der Moses Bill schüttete den Essig in eine Pütz und verschwand wieder in der Messe, wo die Männer eifrig damit beschäftigt waren, Wände und Böden abzureiben.
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Der Geruch drang bis aufs Achterdeck, wo der Seewolf, Ben Brighton, Dan O'Flynn und Pete Ballie standen. Über der See spannte sich azurblauer Himmel, eine leichte Bagstagbrise schob die „Isabella“ durch das blaugrüne Meer. Steuerbord achteraus verschwand die Insel Simeulue. Backbord voraus lagen noch zwei winzige Inseln, die niemand kannte. Die Küste Sumatras war ebenfalls an Steuerbord als kaum sichtbarer Strich zu erkennen. „Die Inseln lassen wir an Backbord, Pete“, sagte Philip Hasard Killigrew. „Wir segeln in Sichtweite der Küste weiter.“ „Aye, Sir“, sagte Pete und warf einen Blick nach den Flögeln. Alles sah ruhig, freundlich und friedlich aus. Bis auf ein paar kleine Fischerboote in Küstennähe war kein anderes Schiff zu sehen. Die Fischerboote trugen winzige, dreieckige Segel und hatten sich weit in die See hinausgewagt. Auf der Dünung schwankten die kleinen Boote bedrohlich. Dan O'Flynn lehnte am Schanzkleid und blickte auf ein kleines zerbrechlich wirkendes Boot, das wie ein Kork in der See hüpfte, und an dem sie jetzt in einem Abstand von knapp zwei Kabellängen vorbeisegelten. Ben Brighton war seinem Blick gefolgt und sah ebenfalls auf die Nußschale mit dem Fischer darin. „Ein schweres Brot“, sagte er und dachte dabei an seine eigene Kindheit. Er war als vierter von sechs Söhnen in Gravesand geboren worden. Auch sein Vater war Fischer gewesen, ehe er für immer auf See blieb, und Ben Brighton, der eigentlich Benjamin hieß, hatte damals alle Höhen und Tiefen eines Fischerlebens kennen gelernt. Die Fischerei war wirklich ein schweres und hartes Brot. „Ja“, sagte Dan nachdenklich und blickte immer noch auf das kleine Boot. Gedankenverloren nahm er Ben das Spektiv aus der Hand, zog es auseinander und warf einen Blick hindurch. Nach einer Weile setzte er es ab und schob es wieder zusammen. Dann, einer
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plötzlichen Eingebung folgend, blickte er noch einmal hindurch, und auf sein Gesicht trat ein Zug, als grübele er über irgendetwas nach. „Was ist los?“ erkundigte sich Hasards Stellvertreter. „Du siehst aus, als hättest du gerade einen Geist gesehen.“ Dan schüttelte den Kopf. „Nein, keinen Geist, Ben. Der Mann in dem Boot erschien mir nur so merkwürdig.“ „Wieso merkwürdig?“ „Weiß ich nicht. Jedenfalls wirkte er nicht wie ein Insulaner. Die sehen anders aus. Er—er wirkte fast wie ein Europäer.“ Diesmal lächelte Ben und schüttelte den Kopf. Auch er warf nun einen Blick durch das Spektiv und holte mit Hilfe der Optik das kleine Boot näher h n. Doch von dem Mann sah er nur noch den Rücken, und auch den verbarg gleich darauf das dreieckige Segel. Dann begann die Entfernung größer zu werden, und das kleine Boot änderte seinen Kurs. Zweimal holte es sein Segel ein, als sei der Fischer unschlüssig, ob er noch auf See bleiben oder an Land segeln sollte. „Eigenartig“, nahm Dan den Faden wieder auf, „daß der Kerl nicht gewinkt hat. Sonst hüpfen sie doch immer im Boot herum, schreien und winken, wenn eine Galeone vorbeisegelt. Aber dieser Bursche tat so, als hätte er uns überhaupt nicht gesehen.“ Dieses angeborene und gesunde Mißtrauen, dieses Achten auf winzige Kleinigkeiten war einer der Faktoren, die entscheidend dazu beitrugen, daß die Seewölfe noch am Leben waren, wenn sie auch harte Blessuren abgekriegt hatten. Doch sie waren immer auf der Hut, nahmen jede geringfügige Veränderung wahr und vermochten sich immer auf die Situation einzustellen. Ein anderer hätte dem Boot nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt. Das, was Dan da sagte, stimmte nun auch Ben nachdenklich, und er warf erneut einen Blick achteraus. Der Fischer segelte jetzt zur Küste, als hätte er jede Lust zum Fischen verloren. Er segelte schnell, und bald darauf war er nur
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noch ein winziger kleiner Punkt, der in der See verschwand. Als die Glocke vom Achterdeck glaste und die Sanduhr abgelaufen war, wurde das zweite Fischerboot gesichtet. Eine halbe Stunde war vergangen, da tauchte es in der See als heller Punkt auf. Ben Brighton wandte sich an den Seewolf. Aus den Augenwinkeln sah er, daß die Männer mit dem Reinschiff fertig waren und der Profos Edwin Carberry sich breitbeinig an Deck stellte, tief die Luft in seine Lungen sog und die mächtigen Arme in die Seiten stemmte. „Können wir den Kurs um zwei Strich nach Backbord ändern?“ fragte Ben Brighton. „Kein Problem. Weshalb?“ Ben sagte dem Seewolf, daß er sich den Fischer gern mal aus der Nähe ansehen würde, und erzählte dann das, was Dan soeben erklärt hatte. „Ich glaube, ihr seht Gespenster“, sagte Hasard lachend. „Kann doch ohne weiteres sein, daß sich ein englischer, spanischer oder holländischer Deserteur auf einer der vielen Inseln niedergelassen hat und sich jetzt als Fischer versucht. Das ist doch nicht ausgeschlossen. Und daß der uns nicht zuwinkt, kann ich durchaus verstehen. Ich würde es auch nicht tun und möglichst rasch davonsegeln, wenn ich ein schlechtes Gewissen hätte.“ „Na klar, du hast recht, Sir“, sagte Ben. „Aber das Mißtrauen hast du uns immer wieder eingeschärft.“ „Ist ja auch richtig so. Zwei Strich Backbord, Pete“, sagte er im selben Atemzug zu Pete Ballie, der die Kursänderung umgehend bestätigte. Die „Isabella“ hielt jetzt auf den noch weit entfernten Fischer zu, der offenbar ziellos in der See herumkrebste. Hasard selbst empfand nicht das geringste Mißtrauen, denn den Fischern begegneten sie immer wieder. Manche trieben sich in Küstennähe herum, andere waren ziemlich weit draußen. Jeder fischte dort, wo er glaubte, am meisten zu fangen. Dieser Fischer jedoch benahm sich merkwürdig. Als ihn noch eine halbe
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Seemeile von der „Isabella“ trennte, änderte er den Kurs und segelte ebenfalls zur Küste zurück. Sein Gesicht konnten sie nicht erkennen, es war unter einem dichten weißen Turban verborgen und wirkte nur wie ein Schatten, so weit hing der ausgefranste Turban hinunter. Da das Boot klein und wendig war, konnte die „Isabella“ auch nicht folgen. Noch bevor der Seewolf erneut den Kurs ändern ließ, tanzte es schon weit entfernt in der Dünung und entschwand langsam den Blicken. „Auch das muß nicht unbedingt etwas heißen“, sagte der Seewolf. „Er hat wohl Angst vor uns, und als wir den Kurs änderten, nahm er an, wir wollten etwas von ihm.“ Dan O'Flynn wollte zuerst widersprechen, doch dann unterließ er es. Vielleicht hatte Hasard recht, und das allgemeine Mißtrauen war ihnen allen leicht zu Kopf gestiegen. Dennoch verschwand sein besorgter Blick nicht, und er fragte sich, was das erneute Segelsetzen des Fischers, ebenfalls zweimal hintereinander, wohl bedeuten mochte. Das sah verdammt nach einem Signal aus, fand er. Inzwischen waren auch der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker und Blacky an Deck erschienen. Trotz ihrer Verletzungen, die sie beim letzten Kampf davongetragen hatten, arbeiteten sie längst wieder. Ferris hatte immerhin eine Musketenkugel in der Brust gehabt, und bei Blacky hatte eine in der rechten Schulter gesessen. Der spanische Brustpanzer, den Ferris bei dem Kampf getragen hatte, hatte allerdings die Kraft der Kugel stark abgeschwächt. Der Rest war Sache des Kutschers und Feldsehers der „Isabella“ gewesen. Seiner Kunst war die Genesung der beiden Männer wieder einmal zu verdanken. Jetzt schien für die beiden alles vergessen, und die immer noch leicht besorgten Vorhaltungen des Kutschers wurden höflich, aber bestimmt ignoriert. „Du hast so gut gearbeitet, daß wirklich keine Sorge mehr besteht“, - sagte Ferris
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Tucker gerade zum Kutscher und öffnete das Hemd über seiner stark behaarten Brust. Eine kahle Stelle und eine längliche rote Narbe waren noch zu sehen. „Trotzdem muß man sich schonen“, sagte der Kutscher beschwörend. „Das gilt auch für deinen Arm, Blacky“ „Welcher war es eigentlich?“ fragte Blacky grübelnd. „Der rechte, Mann, die rechte Schulter.“ „War's nicht die linke?“ „Ihr wollt mich wieder einmal hochnehmen, ihr Stinte“, sagte der Kutscher. „Aber so seid ihr eben: Immer mit dem Schädel durch die Wand, nie unterzukriegen. Und wenn was passiert, muß ich alles wieder kurieren. Aber auf mich hört ja keiner von euch Burschen.“ „Jedenfalls bist du der beste Wunderheiler, den ich kenne“, sagte Ferris. „Außer Sir Freemont vielleicht, und das meine ich verdammt ehrlich, Kutscher. Sir Freemont hätte seine helle Freude an dir.“ Der Kutscher wurde rot und verlegen, und schließlich grinste er. „Na ja“, sagte er. „Aber gebt nur gut acht auf eure Knochen und klotzt nicht gleich wieder so hart ran!“ Danach verzog er sich erfreut in seine Kombüse. So ein kleines Lob tut doch immer ungemein wohl, dachte er. Auf dem Achterdeck studierte Hasard wieder die Seekarten, und griff dabei auf jene zurück, die er und Dan auf ihrer letzten Reise einmal selbst unter großer Mühe angefertigt hatte. Da begann Dan plötzlich zu lachen. „Mann, Ed!“ rief er zum Profos hinunter auf die Kuhl. ,,Weißt du eigentlich, wo wir hier sind?“ „So ungefähr“, erwiderte Carberry. „Wir sind ganz in der Nähe von Profos Island“, sagte Dan grinsend und sah, wie Carberry zusammenzuckte. Dann aber brandete doch Gelächter auf, und die Seewölfe blickten alle nach Backbord, obwohl es da nichts als die blaue See zu sehen gab. Aber jeder wußte plötzlich Bescheid. Richtig, hier hatten sie auf ihrer ersten Fahrt die kleinen, namenlosen. Inseln
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entdeckt, und Dan O'Flynn hatte den Vorschlag unterbreitet, die Inseln zu benennen. Diese Namen waren immer noch in den Karten eingetragen, und jeder erinnerte sich nur allzu deutlich an sie. Die erste Insel hatte man zu Ehren des Seewolfs Seewolf-Island genannt. Dann folgte Ben-Brighton-Island, Big-ShaneLand und Ferris-Tucker-Island. Nur dem Profos hatte seine kleine Insel nicht behagt, und er hatte von einem lausigen Misthaufen gesprochen, der unter seiner Würde sei. Ihm stand rangmäßig eine größere zu, und so wurde die Insel kurzerhand Bill-Moses-Island genannt, und Bill war nun der Große Chan von BillMoses-Island. Dann gab es das Kutscher-Atoll, die JeffBowie-Lagune, die Insel des Segelmachers, die Sam-Roskill-Bucht, den Batuti-Felsen und das Gary-Andrews-Riff. Schließlich hatte auch der Profos seine Insel gefunden, die etwas später auch angelaufen würde. Und wie es sich für den Profos Edwin Carberry gehörte, war jene Insel die schönste von allen mit einem malerischen Wasserfall und einem verborgenen Schatz. „Wie lange liegt das schon zurück?“ fragte der Profos, der nun ebenfalls das Achterdeck enterte und Ausschau hielt. „Die Inseln entdeckten wir im Jahre fünfzehnhundertfünfundachtzig“, sagte der Seewolf. „Jetzt haben wir fünfzehnhundertneunzig.“ „Himmel, fünf Jahre“, ließ sich Ben Brighton vernehmen. „Wie schnell doch die Zeit vergeht.“ „Und was alles inzwischen passiert ist“, setzte Dan hinzu. Auch sein Vater, Donegal Daniel O'Flynn, sah gerührt aus, wenn er an diese so lange zurückliegende Reise dachte. „Fünfundachtzig habe ich die ,Empreß of Sea` gefunden, mein schönes altes Schiff“, sagte er wehmütig. „Und das war gar nicht mal so weit von hier weg.“ „Du meinst wohl den alten vergammelten Kasten, der irgendwo auf den Atollen gestrandet war“, sagte der Profos.
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„Was - vergammelter Kasten?“ rief der rauhbeinige O'Flynn. „Das war eins der besten Schiffe überhaupt; das je die Meere ...“ „Schon gut“, sagte Hasard lächelnd. „Immerhin hat Donegal noch das Stück Holz aus dem Kielschwein mit dem eingebrannten Namen.“ Dann blickte er durch das Spektiv nach Backbord. „Die Inseln, denen wir damals die Namen gegeben haben, liegen noch weiter nordwestlich, und ich bin mir nicht einmal sicher, ob wir sie überhaupt wiederfinden. Aber sie sind ja auch nicht unser Ziel. Wir werden vorerst auf nördlichem Kurs bleiben. Alles weitere wird sich finden.“ Der Profos hätte „seiner“ Insel gar zu gern mal einen Besuch abgestattet, aber er konnte von Hasard schlecht verlangen, hier womöglich tage- oder wochenlang herumzukreuzen und die Inseln zu suchen. Sie waren nur winzige Punkte in einem großen Meer, und bei allem Respekt vor der Navigation würden sie sich nicht auf Anhieb finden lassen. Vielleicht führte sie der Zufall einmal hin, überlegte Ed. „Verdammt, das ist doch schon der dritte oder vierte Fischer jetzt, den wir sichten“, sagte Dan und deutete weit voraus auf einen kleinen hellen Fleck in der See. Das winzige Boot hatte kein Segel gesetzt. Das tat der Fischer erst jetzt und änderte auch sofort den Kurs. „Weshalb verschwinden die Burschen denn ständig, sobald wir aufkreuzen“, wunderte er sich. „Die können doch nicht alle Angst vor einer fremden Galeone haben. Wir klauen denen doch bestimmt keine Fische.“ Niemand wußte darauf eine Antwort, aber jetzt blickte auch der Seewolf denn davonsegelnden kleinen Fischerboot lange und nachdenklich hinterher. Wie er feststellte, fischten die Eingeborenen in einer mehr als zwanzig Meilen langen Kette. Einige waren so weit draußen, daß sie kein Land mehr sahen. Etwas später passierte einem weiteren Fischer ein Mißgeschick. Als Hasard auf ihn zusegelte, zog er seinen dreieckigen
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Fetzen hoch, wendete und strebte der Küste zu. Doch eine kaum merkliche Bö fuhr in das Segel und ließ das kleine Boot schlagartig kentern. „Wir helfen ihm“, sagte der Seewolf spontan. „Dann können wir uns den Burschen auch gleich einmal genauer ansehen.“ Die „Isabella“ änderte leicht den Kurs zur Küste hin. Hasard befahl dem Profos die Segel zu zwei Dritteln aufzugeien. „Merkwürdiger Fischer, dem schon bei einer kleinen Bö das Boot baden geht“, meinte Dan. „Die Kerle lernen das Segeln doch von klein auf, und ihr erstes Segel ist die Windel.“ Deutlich war zu sehen, wie der Fischer sich bemühte, sein Boot wieder aufzurichten. Er paddelte im Wasser, schob und zerrte, hängte sich mal an die eine, dann wieder an die andere Seite, und dann hatte er es endlich geschafft. Das Boot schwamm wieder in Normallage, gerade als sich die „Isabella“ noch knapp fünfzig Yards entfernt befand. „He, du Sonntagssegler!“ brüllte Carberry zu dem Fischer hinüber, „wir wollen dir doch nur helfen!“ Der Fischer drehte sich um. In seinem Gesicht stand das nackte Entsetzen, und panische Furcht war in seinen dunklen Augen. „Wenn das ein Eingeborener ist“, sagte der bärtige Big Old Shane kopfschüttelnd, „dann bin ich die Königin von England! Seht euch doch mal das Gesicht an!“ Der Fischer wandte sich schnell ab und brachte sein Boot auf Kurs. Sein Oberkörper war nackt, auf dem rechten Oberarm trug er eine Tätowierung, wie Hasard deutlich durch das Spektiv sah. Seine Haare waren schwarz und das Gesicht von dunklen Bartschatten umrahmt. Er trug eine Leinenhose, die an den Knien zerschlissen endete. Aber sein Gesicht konnte einem Engländer, Spanier oder Franzosen gehören. Jedenfalls stammte er nicht von dieser Küste, das sahen die Seewölfe sofort.
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Wieder konnte die „Isabella“ nicht mithalten, denn der Kerl segelte jetzt wie ein Wilder, und der Wind blies seine Nußschale atemberaubend schnell über die See. Hasard wollte sich diesen merkwürdigen Mann zu gern einmal aus der Nähe ansehen, diesen seltsamen Vogel, der sich so gänzlich anders benahm, und der ganz sicher kein Fischer war. „Al!“ rief er laut nach dem Waffen- und Stückmeister. „Wenn du eine Culverine klar hast, setze dem Burschen einen Schuß in die Nähe seines Bootes. Vielleicht stoppt er!“ „Aye, aye, Sir!“ rief Al Conroy und lief nach vorn, um beim Kutscher in der Kombüse eine Lunte zu entzünden. Inzwischen hatten Carberry und Smoky eine der Culverinen überprüft, die Stückpforte hochgezogen und den Siebzehn-Pfünder ausgerannt. Doch das kleine Boot entfernte sich zu schnell, und als die „Isabella“ herumschwang, da hatte es schon einen Vorsprung von mehr als einer Kabellänge. Bis Al Conroy dann feuern konnte, war das Boot zwei Kabellängen weiter, und das waren, über den Daumen gepeilt, vierhundert Yards. Da war mit einem Siebzehn-Pfünder kaum noch hinzulangen. Al Conroy versuchte es trotzdem. Immerhin bestand die Möglichkeit, daß der donnernde Abschuß den Kerl stoppte oder er vor lauter Angst beidrehte. Die kopfgroße Eisenkugel jagte zugleich mit einer grellen Feuersäule aus dem Rohr und ging auf die Reise. Der Knall war gewaltig und rollte weit über die See. Ein ganzes Stück hinter dem Boot landete die Kugel aufgischtend im Wasser und warf eine Säule hoch, die wie ein Platzregen anschließend niederging. Der Mann im Boot hatte sich umgedreht und fuhr erschreckt zusammen. Doch als er sah, daß die Kugel weit hinter ihm ins Wasser klatschte, drehte er den Seewölfen eine lange Nase, riß die Arme hoch und zeigte ihnen demonstrativ seine Kehrseite.
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„Sei froh, daß ich dich nicht an Bord habe“, knurrte der Profos. „Dann würdest du an deinem Achtersteven keine Freude mehr haben, du matschige Seegurke.“ „Das bedeutet also“, sagte Ferris Tucker zu seinem Freund Carberry, „daß dieser Kerl genau weiß, daß wir ihn mit den Culverinen nicht mehr kriegen können. Er weiß, wie weit die Kanonen feuern. Ein eingeborener Fischer dürfte das ganz sicher nicht wissen.“ „Da hast du recht, Ferris“, sagte Ed und blickte dem davonsegelnden Boot grimmig nach. „Aber, na schön, wenn es jetzt wirklich ein Europäer ist, was soll das alles bezwecken?“ Der riesige Schiffszimmermann hob seine breiten Schultern. „Keine Ahnung, ich weiß es nicht.“ „Irgendeine ausgekochte Teufelei steckt dahinter“, ereiferte sich der Profos. „Schon möglich, dann müssen wir eben ganz besonders scharf aufpassen.“ Auch Hasard und die anderen Männer, die sich auf dem Achterdeck der „Isabella“ aufhielten, rätselten daran herum, aber es kam kein brauchbares Ergebnis zustande, und als nach einer Weile kein Fischer mehr gesichtet wurde, beruhigten sich die Gemüter wieder. 3. Einen Tag später hatte der Generalkapitän alle Informationen, die er brauchte. Der verhaßte Feind der spanischen Krone, Philip Hasard Killigrew, lief die siamesische Küste an, ganz so, wie es der Generalkapitän vorausgesehen hatte. Vermutlich wollte El Lobo del Mar dort sein Trinkwasser ergänzen oder den Proviant aufstocken. Sein Verband war weit auseinander gezogen, und gleichzeitig waren noch einmal zwei spanische Galeonen dazu gestoßen, die jetzt ebenfalls auf ihren Positionen lauerten. Das Gewirr der kleinen Inseln half den Spaniern. Es gab Buchten, umsäumt von Urwäldern oder Dickicht, in die man von
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einer anderen Bucht aus schon nicht mehr hineinsehen konnte. Selbst die Masten anderer Schiffe ließen sich nicht dahinter erkennen. Ein vorzügliches Versteck also, fand der Generalkapitän, und eine gut getarnte Falle. Der überfall auf den Seewolf konnte nach menschlichem Ermessen nicht mißlingen. In etliche der kleinen Buchten waren Culverinen an Land gebracht worden. Sechs weitere waren auf einem Felsen postiert und so gut getarnt, daß man sie nicht sah, selbst wenn man dicht daran vorbeisegelte. Auch der präparierte Köder lag bereit in einer Bucht. Der Generalkapitän hatte sich höchstpersönlich der Mühe unterzogen, in die Felsen aufzusteigen, um die See mit dem Spektiv abzusuchen. Nein, seine gut getarnten Galeonen sah man nicht, man bemerkte sie erst, wenn man sie passiert. hatte. Und die anderen lauerten draußen auf See in einer Formation, die zum Land hin immer enger gestaffelt war. Da gab es kein Entkommen! Selbst wenn El Lobo del Mar auf See abdrehte und die Falle bemerkte, kam er nicht durch. Die Galeonen würden ihn wieder zum Land zurücktreiben. Don Matheo y Brazos de Aragón, wie der Generalkapitän hieß, war sehr zufrieden. Sogar wenn etliches schiefging, mußte der Seewolf der „San Angel“ direkt vor die Rohre laufen, und an deren schwerer Armierung gelangte er nicht mehr lebend vorbei. „Haben Sie alles noch einmal überprüfen lassen?“ fragte der Generalkapitän den Kapitän der Köder-Galeone. „Er darf uns diesmal nicht entwischen, um keinen Preis.“ „Er wird nicht entwischen, Don Matheo“, sagte der Kapitän lächelnd. Die beiden Männer kannten sich seit ihrer Jugend und waren jahrelang auf derselben Galeone gefahren. Erst als zwei Seesoldaten aus ihrer Nähe verschwanden, duzten sie sich wieder, wie früher.
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„Wir haben einen unbeugsamen Gegner, Matheo“, sagte der Kapitän. „Denke von mir, was du willst, wir kennen uns schließlich lange genug. Ich persönlich finde es unfair, ihn so einfach abzuschießen.“ „Wenn ich ganz ehrlich vor mir selbst hin“, sagte der Generalkapitän, „dann finde ich es auch unfair. Ich würde lieber mit nur einer oder zwei Galeonen gegen ihn kämpfen, aber dann kriegen wir ihn nie. Und ich habe mir nun einmal vorgenommen, diesen Ruhm an unsere Fahne zu heften. Aber schicke diesem Kerl und seinen Seewölfen hundert bis an die Zähne bewaffnete Gegner, er wird sie dir hohnlachend halbtot zurückschicken.“ „Und auf die nächsten warten“, setzte der Kapitän hinzu. „Nun, du hast es zu entscheiden und mußt es wissen. Ich möchte jedenfalls nicht an deiner Stelle sein.“ „Heißt das, du denkst so ähnlich wie de Diaz? Du kannst ganz offen mit mir reden, wir sind Freunde. De Diaz habe ich seine Worte verübelt, dir werde ich nichts nachtragen.“ „Ich weiß, Matheo. Nein, ich denke nicht so, ich habe diesen Lobo del Mar nie gesehen, nur gehört von ihm. Auch ich werde alles tun, um ihn zu jagen. Ich sehe nur das Verhältnis der Übermacht.“ „Das muß sein“, entgegnete de Aragón. „Wie denken die Leute eigentlich darüber? Hast du etwas über die Stimmung erfahren?“ „Die meisten denken an das viele Geld und erst in zweiter Linie an den Ruhm. Es gibt auch einige, die nicht so sehr begeistert sind, und das sind immer wieder dieselben.“ „Wie verstehe ich das?“ „Es sind fast ausschließlich diejenigen, die mit El Lobo del Mar schon mal Kontakt hatten. Der Mann ist für sie zur Legende geworden, zu einer Art unbesiegbarem Nimbus. „Denken viele so?“ „Nur eine Handvoll, wie ich erfahren habe. Einige andere haben die Hosen voll, jetzt
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schon, wo das Teufelsschiff noch nicht einmal an der Kimm zu sehen ist.“ De Aragón lachte spöttisch. Alfredo war der einzige mit dem er über solche Dinge reden konnte. Er hörte sich seine Ansichten an und gab auch seine eigenen offen preis. Es würde ohnehin niemand erfahren, das Gespräch blieb unter ihnen. Aber so hatte de Aragon einen besseren Überblick über die Männer, wußte, was sie dachten und ahnte, wie sie handeln würden. Für einen Mann in seiner Position, der zum gewöhnlichen Schiffsvolk keinerlei Kontakte hatte, war das viel wert, fand er. „Stell dir vor, wir bringen ihn lebend nach Spanien“, sagte de Aragón. „Das Schauspiel wäre nicht auszudenken! Empfang bei Hofe, Auszeichnungen, Ehrungen. Wir wären die Helden des Jahres, und uns zu Ehren würde man rauschende Feste feiern, denn wir haben eine Legende zerstört.“ „Nicht ganz richtig“, korrigierte der Kapitän lächelnd. „Noch ist sie nicht zerstört. Schmunzelnd setzte er hinzu: „Vielleicht bin ich verrückt, aber ich glaube immer noch nicht daran, daß wir ihn kriegen. Irgendwo in meinem Schädel sagt mir etwas, daß er auch diesmal davonkommt.“ De Aragón verzog die Lippen zu einem freudlosen Lachen. „Du mußt tatsächlich verrückt sein, mein Freund. Seine Schläue und Raffinesse werden ihm nichts nutzen. Selbst wenn er, weiß der Teufel warum, nicht in die Falle läuft, jagen ihn dreißig Schiffe! Der Mann ist tot, Alfredo, er ist schon jetzt tot, man wird von ihm schon bald nur noch in der Vergangenheitsform reden.“ „Ich hoffe, du behältst recht, Matheo“, sagte der Kapitän. „Ich würde es dir jedenfalls wünschen.“ De Aragón suchte wieder die See ab, aber von der englischen Galeone war noch nichts zu sehen. Hoffentlich segelt sie nicht ausgerechnet nachts hier vorbei“, meinte de Aragón. „Aber wenn schon, dann kriegen wir sie eben auf die andere Art. Oder zweifelst du immer noch, Alfredo?“ „Ein wenig schon.“
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„Ich werde dir bald das Gegenteil beweisen.“ Eine Stunde später wurden Mastspitzen an der Kimm gesichtet, die sich langsam näherten. Es war die „Isabella VIII.“, wie die Späher berichteten. Aber in einer knappen halben Stunde würde die Sonne untergehen. Das hieß also, daß die „Isabella“ noch etwa vier Stunden brauchen würde, um diese Stelle zu erreichen, vielleicht auch fünf Stunden. Man einigte sich schließlich auf Mitternacht. So lange würde der Seewolf seine Freiheit noch genießen. * In dieser Nacht, in der kaum der Mond schien, benahm sich Kapitän Manuel de Diaz recht merkwürdig. Er hatte am späten Abend noch einmal die „San Angel“ inspiziert und alles in Ordnung gefunden. Die beiden Posten auf dem Achterdeck, die ihre Runden gingen, schickte er auf die Kuhl, mit der Begründung, daß sechs Posten viel zuviel Krach verursachten. Auf dem Schiff sollte Ruhe herrschen, damit auch nicht das geringste Geräusch die Anwesenheit der Spanier verriet. Die Posten salutierten und verzogen sich auf die Kuhl. Sie fanden den Befehl ganz natürlich. Selbst wenn er ungewöhnlich erschienen wäre, hätte niemand gewagt aufzumucken. Damit hatte de Diaz freie Hand. Seinen Offizieren hatte er ausrichten lassen, er wünsche vor Ablauf einer Stunde nicht gestört zu werden. Danach erst sollten sie ihn wecken. Bis der Seewolf diese Stelle hier passierte, würden noch einmal knapp zwei Stunden vergehen. Kleine Wellen liefen gluckernd gegen den Schiffsrumpf. Ab und zuklatschte eine größere dagegen und ließ die Verbände knacken. Das Holz arbeitete unaufhörlich mit vielerlei Geräuschen. Die Nacht war dunkel, schnell dahinziehende Wolkenformationen jagten über den
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Himmel, und nur ab und zu gab es eine Lücke, durch die mal neugierig der Mond blinzelte. Für das, was de Diaz vorhatte, war die Nacht wie geschaffen. In seiner großen und luxuriös eingerichteten Kapitänskammer zog er sich aus. Die einzige trübe Öllampe, die von einem Deckenbalken am Plafond baumelte, hatte er gelöscht. Dann zog er eine grobe Leinenhose an, wie sie das Schiffsvolk auch trug und steckte sich ein Messer in den Gürtel. Durch das Bleiglasfenster sah er noch einmal nach draußen. Bis zum fast pechschwarzen Strand waren es etwa sechzig Yards. Eine Distanz, die schwimmend leicht zu schaffen war, trotz der vielen Haie, die sich nahe bei den Buchten herumtrieben, wie er am Tag schon gesehen hatte. Er trat in den Gang hinaus, öffnete das zweite Schott und spähte vorsichtig an Deck. Pechschwarz und Unheil verkündend lagen die Aufbauten da. Himmelhoch ragten die Masten auf, die Posten sah er nur als vage Schemen, als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Außer dem Wind, dem leisen Plätschern der Wellen und dem Raunen und Flüstern im nahen Wald war kein anderes Geräusch zu hören. Ab und zu schrie ein Affe, dann war es wieder still. De Diaz befestigte lautlos ein dünnes Tau am Polier, doch in diesem Augenblick näherte sich ein Schatten, und kaum hörbare Schritte erklangen auf den Treppen des achteren Niederganges. Trotz Verbot kam einer der Posten nach achtern. Aber er ging nicht weiter, blieb stehen, sah sich um und lehnte sich ans Schanzkleid. De Diaz verharrte ebenfalls reglos. Erst nach einer ganzen Weile verließ der Posten wieder seinen Platz und ging auf die Kuhl. Nein, das war zu riskant, entschied der Kapitän. Wenn wieder einer der Kerle achtern erschien und ihn bemerkte — nicht auszudenken! Er nahm das Tau mit und ging wieder nach unten in seine Kammer. Hinter sich schloß
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er ab, dann öffnete er das Bleiglasfenster und befestigte die Leine am festgeschraubten Pult. Von hier aus ging es fast noch besser als von oben am Deck, fand er, und das Risiko, entdeckt zu werden, war geringer. Allerdings mußte er sich ganz ins Wasser hinunterlassen und konnte nicht durch die Hennegatöffnung am Ruderschaft. Geschickt ließ er sich nach unten und glitt wie eine Schlange ins Wasser, das fast brühwarm war. Dann tauchte er und schwamm in ruhigen Zügen auf den Strand und die Büsche zu. Wenn er auftauchte, um Luft zu holen, wandte er regelmäßig den Köpf und suchte auch die Wasseroberfläche ab. Kein Hai zeigte sich, so dicht trauten sie sich offensichtlich doch nicht an den Strand ins flache Wasser. Dann blickte er zu den Felsen hinauf, wo die Kanonen standen. Sie waren nicht zu entdecken, es zeigte sich kein Gewehrlauf, man vernahm kein Geräusch, obwohl dort oben einige hundert Seesoldaten auf der Lauer lagen. Auf das Köderschiff hatte der Generalkapitän jetzt bei Nacht verzichtet, er würde den Killigrew auch so kriegen. De Diaz preßte die Lippen zu einem harten Lächeln zusammen. Noch hast du ihn nicht, Don Matheo, dachte er. Und wenn er immer noch so schlau ist, wie ich ihn kenne, dann wirst du ihn auch so schnell nicht kriegen, das werde ich zu verhindern wissen. Im Schutz des Dickichts, der Palmen und verfilzten Büsche stieg der Kapitän der Kriegsgaleone „San Angel“, Manuel de Diaz, an Land. Dumpfe Hitze lastete über dem Strand. Der leichte Wind brachte keinerlei Abkühlung. Es war stickig heiß, und Schwärme kleiner, unbekannter Insekten umflogen ihn. Er kannte den Weg in die Felsen, schließlich hatte er ihn bei Tage deutlich genug gesehen und auch einige seiner Männer dort hinaufgeschickt, die die Culverinen transportierten. Einmal traf ihn das Mondlicht, und sein Oberkörper schimmerte wie nasses Silber.
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Gedankenschnell trat er hinter den dicken Stamm einer Kokospalme. Dann stieg er den steinigen, von Büschen durchwachsenen Pfad hoch. Je höher er gelangte, desto lauter hörte er das Brausen des Meeres. Was vorher nur ein leises Raunen war, wurde hier zum Donnern und Rauschen, und auch der warme Wind blies heftiger. De Diaz brauchte knapp zehn Minuten, dann hatte er den höchsten Punkt erreicht und sah sich um. Das erste, was er sah, war das Schiff des Seewolfs, das genau in diese Richtung segelte. Es war nur eine Silhouette, die noch weit entfernt auf dem Meer schwamm. Aber wenn das Mondlicht durch die Wolken schien, dann erkannte er schwach die gelohnten und geblähten Segel der „Isabella“, die sich in der Dünung hob und senkte. Er schätzte die Entfernung auf etwa vier Meilen, dann mußte sie die Falle passieren. Rauch drang ihm in die Nase. Er stammte von den Messingbecken, in denen verhaltene Glut loderte. Sie waren abgedeckt, nur ab und zu blies mal einer der Seesoldaten vorsichtig hinein. Ein paar Sekunden stand de Diaz reglos da und fragte sich, ob er sich seines Tuns überhaupt bewußt war. Doch, er war es, natürlich! Er, der Kapitän einer Kriegsgaleone seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, war drauf und dran, diese Krone zu verraten. Und das alles wegen eines Mannes, auf dessen Kopf hunderttausend Reales gesetzt waren, tot oder lebendig. Nein, er konnte nicht über seinen eigenen Schatten springen. Er war sich auch über die Konsequenzen im klaren, die ihn erwarteten, wenn das Unternehmen schiefging oder jemand ihn erkannte. Für das, was er zu tun beabsichtigte, gab es drei Strafen. Tod durch Erhängen an der Rah, Tod durch die Garotte oder das Aussetzen auf einer öden Insel. Die gnädigste Art war noch das Hängen, überlegte er, das ging schnell und schmerzlos und war in kurzer Zeit vorbei.
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Das übelste war die Garotte, die Würgeschraube, die der Henker einem um den Hals legte. Er schüttelte diese Gedanken ab und blickte aus dem schützenden Dickicht über die Felsen. Er sah sie alle, einen nach dem anderen. Die Kerle mit den Musketen, die Männer an den Culverinen, ihre vorgesetzten Offiziere oder Bootsleute. Die Culverinen waren geladen, die Lunten lagen neben den Kohlebecken. Man brauchte sie nur noch ins Feuer zu tunken und auf das Zündkraut zu halten, dann gingen sie los. Zwei Männer standen neben der ersten Culverine, keine zehn Schritte von de Diaz entfernt. Sie unterhielten sich nicht, jede Art von Unterhaltung war streng verboten. Der Wind trug selbst geflüsterte Worte mitunter weit über die See, und dann wäre unter Umständen alles verraten. Es würde schwer werden, dachte de Diaz, verdammt schwer, und es war fraglich, ob es ihm überhaupt gelang. Aber er mußte es versuchen, deshalb hatte er das Risiko auf sich genommen. Er wollte den Weg nicht umsonst gegangen sein. Vorsichtig schlich er näher und teilte die Zweige vor seinem Gesicht mit den Händen auseinander. Da berührte ihn etwas Schleimiges an der rechten Schulter, und er spürte, wie einer jener riesigen Tausendfüßler, die so lang wie eine Hand waren, über seine Schulter kroch. Seine hastige Abwehrbewegung war ein reiner Reflex, als er versuchte, das ekelhafte und giftige Biest abzustreifen. Die Zweige schnellten zurück, es gab ein elend lautes Geräusch, und sofort sprangen die beiden Soldaten auf und blickten in seine Richtung. De Diaz blieb wie erstarrt stehen. Es war ihm nicht gelungen, den riesigen Tausendfüßler von seiner Schulter zu wischen, aber das erschreckte Tier biß mit seinen winzigen Kiefern zu und spritzte sein Gift in die Schulter. Es brannte höllisch und begann auch gleich darauf ekelhaft zu jucken.
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Zwei Musketen richteten sich auf ihn. „Wer ist da?“ fragte der eine Soldat scharf. „Still!“ zischte der andere. „Nur flüstern.“ Auch er rückte näher und spähte in das Dickicht, in dem der Kapitän kauerte. Ein weiterer Mann huschte lautlos heran. Vor den beiden blieb er stehen, und seine Stimme klang verhalten. „Wenn ihr nicht die Schnauzen haltet, drehe ich euch die Hälse um, ihr Bastarde. Keinen Ton mehr.“ „Jemand steckt im Gebüsch, Senor“, flüsterte der eine. „Wahrscheinlich ein Tier, ein Affe vielleicht. Wer soll sich wohl sonst hier verstecken! Zurück auf eure Plätze!“ „Si, Senor“, hauchten die beiden, warfen noch einen Blick in das Dickicht und kehrten wieder zurück. Auch der dritte Mann, ein Bootsmann offenbar, wie de Diaz annahm, ging an seinen Platz. Der Kapitän atmete auf. Das ist gerade noch einmal gut gegangen, dachte er. Den Tausendfüßler war er jetzt los, aber in seiner Schulter brannte und juckte es, als hätte ihm jemand dort einen Nagel hineingeschlagen. Mit dem Finger rieb er etwas Spucke darüber, dann wartete er auf seine Gelegenheit. Die kam sehr rasch. Die beiden Männer blickten zwar anfangs noch in seine Richtung, doch dann erlahmte ihre Aufmerksamkeit, und sie hielten wieder nach der „Isabella“ Ausschau, die immer noch auf demselben Kurs segelte. Jetzt mußte er handeln, sonst war die günstige Gelegenheit vorbei, und .eine zweite Chance gab es nicht.. Mit zwei schnellen Sätzen sprang er vor, schlug dem in Richtung „Isabella“ blickenden Soldaten die Faust ins Genick und registrierte, wie der Mann aufstöhnend zusammensackte. Der zweite drehte sich um und riß den Mund auf. De Diaz, dessen Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah es ganz deutlich. Seine Faust schoß vor, traf und schleuderte den überraschten Mann blitzartig zu Boden.
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Dann bückte er sich, ergriff das glühheiße Messingbecken mit der glimmenden Holzkohle und leerte die Glut über das Zündkraut und den kleinen Pulverkanal. Eine Sekunde später tauchte er wie ein Schatten in das Dickicht und begann zu laufen. Eine brüllende Explosion zerriß die Stille. Ein gewaltiger Mündungsblitz zuckte hinaus, grellrot, dann weißlich und gelb, und über die Buchten rollte ein gewaltiger Donner. Die Kanone rumpelte auf ihrer Lafette zurück, krachte ins Gebüsch, überschlug sich in einer Mulde und stürzte den Hang hinunter. Sie nahm ausgerechnet die Richtung, in der de Diaz davonlief. Immer noch hing der rollende Donner über der See. Jetzt hörte er auch die Soldaten und den Bootsmann schreien. Andere Stimmen brüllten dazwischen, die Kerle mögen endlich ihr Maul halten, aber auf dem Felsen herrschte nach dem unerwarteten Abfeuern der Culverine Wuhling, und es ging drunter und drüber. De Diaz rannte weiter, begleitet von dem infernalischen Krachen und Toben, mit dem sich die schwere Culverine den Hang hinunterwälzte, das Gebüsch zermalmte und alles plattwalzte, was ihr im Weg stand. Dann hörte das Geräusch der tödlichen Walze plötzlich auf. Die Culverine fiel über die Felsen senkrecht auf den Strand. Verdammt, dachte er, damit hatte er nicht gerechnet. Er hörte den dumpfen Ton, als sie aufschlug, und jetzt wurde es auch auf einigen Schiffen lebendig. Niemand wußte, was geschehen war, es hatte keinen Befehl zum Feuern gegeben. Die Mannschaften waren ratlos, aber sie waren so schlau, keine Lichter oder Lampen zu entzünden. Einmal fiel de Diaz der Länge nach hin, fluchte lautlos in sich hinein, rappelte sich wieder auf und hetzte weiter, bis er den Strand erreichte.
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Dort lief er noch fast hundert Yards, ehe er ins Wasser stieg und an Bord zurückschwamm. Es dauerte eine Weile, bis er den Tampen fand und sich daran hochzog. Auf dem Achterdeck hörte er Schritte, schwere Seestiefel, die ungeniert über die Planken hämmerten. Sein Herz klopfte, seine Lungen brannten, und von seinem Körper troff das Wasser. Er holte den Tampen ein, verschloß das Fenster und rubbelte seinen Körper und die Haare trocken, so gut es ging. Im selben Augenblick blieben die Schritte vor dem Schott zu seiner Kammer stehen, und eine Faust klopfte gegen das Holz. „Senor Capitan, Senor de Diaz! Sind Sie wach?“ „Diablo!“ fluchte de Diaz und riß das Schott auf. „Welcher Idiot hat denn da gefeuert?“ Der Mann, der vor ihm stand, sah nur seine Umrisse, mehr nicht. „Es war bei den Felsen, Capitan“, sagte er atemlos. „Aber wir haben noch kein Zeichen erhalten. Was sollen wir tun?“ De Diaz griff im Dunkeln nach seiner Uniform, stieg knurrend in die Hose und zog die Jacke darüber. „Ihr wartet meinen Befehl ab, verstanden! Ich bin gleich an Deck.“ Er strich sich durch die feuchten Haare und knurrte. „Eine elende Hitze ist das. Lassen Sie mir eine Pütz Wasser bringen, und warten Sie gefälligst ab. Noch kann dieser Lobo del Mar ja wohl nicht hier sein, oder?“ „Si, Senor, no, Senor, er ist noch nicht hier.“ Der Mann verschwand und brachte eine Pütz mit Wasser, in die de Diaz seinen Kopf steckte. Dann wischte er sich ein paarmal mit den Händen über das Gesicht. Jetzt wirkte er absolut glaubwürdig. Als er endlich an Deck erschien, war alles auf den Beinen. Licht war immer noch nicht entzündet, und die Soldaten warteten ab. De Diaz gab mit kaum hörbarer Stimme Befehle an seine Offiziere. Immer noch
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wurde gerätselt, was denn nun das Abfeuern der Culverine zu bedeuten habe. Aber der Capitan zuckte nur mit den Schultern. Woher sollte er das denn wissen? 4. Der Seewolf hatte zwei Stunden geschlafen, dann erschien er wieder an Deck. Er schickte Ben Brighton nach unten und ließ den Rudergänger Pete Ballie durch den Schweden Stenmark ablösen. Auf dem Achterdeck befanden sich jetzt außer Hasard und Stenmark noch der Profos Edwin Carberry, der ebenfalls ein paar Stunden geschlafen hatte, und derjunge Dan O'Flynn. Im Ausguck hinter der Segeltuchverkleidung stand Matt Davies seit einer halben Stunde. Die anderen Männer schliefen teilweise an Deck, im Aufenthaltsraum oder im Vorschiff. Der Wind hatte leicht gedreht. Nach dem letzten Segelmanöver lief die „Isabella“ Nordkurs auf Backbordbug. Der Wind blies warm aus Ostnordost. Ab und zu hielt er sekundenlang den Atem an und schickte eine kleine Bö von Land her. Dann sang er wieder in gewohnter Weise durch die Pardunen und Wanten. Die Buchten, die auftauchten, luden zum Verweilen ein. Es gab herrlich lange Strände, winzige Inseln, aber auch undurchdringlichen Dschungel und Mangrovenwälder, in deren dumpfer Hitze das tödliche Fieber lauerte. Auf der „Isabella“ hatte der Seewolf es seit einiger Zeit zur Gewohnheit werden lassen, ständig frisches Wasser zu mannen, sobald man in Landnähe war. Er konnte und wollte es keinem aus seiner Crew zumuten, die lauwarme Brühe aus den Fässern zu trinken, die schon ein oder zwei Wochen alt war und grüne Fäden zog. Wenn es im Bereich des Möglichen lag, wurde also frisches Trinkwasser gesucht. Später, auf einer längeren Reise, war das nicht mehr möglich, deshalb nutzte man die Gelegenheit, solange sie noch günstig
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war. Was bedeuteten da schon ein paar Tage Zeitverlust? Das Wohl der Mannschaft ging vor, und Hasards Devise war: Lieber eine Woche Zeit opfern, als kranke Männer an Bord zu haben. Das ging ihm gerade jetzt durch den Sinn, weil er wußte, daß das Wasser nicht mehr besonders gut schmeckte. „Da könnten wir irgendwo anlegen“, sagte er zu Carberry, der neben ihm stand und in die Nacht hinausblickte. Der Profos starrte in das Spiel der Wolken, wenn sie vorüberjagten, einmal kurz den Mond zeigten und ihn dann wieder versteckten, als spielten sie dem alten Gesellen einen Streich. Carberry nickte und sah den Seewolf an. „Das ist Siam, ja?“ fragte er neugierig. „Ja, auf der indonesischen Muschelkarte ist es eingezeichnet. Es wird auch noch Ayuthaya genannt, ein rätselhaftes Land, von dem wir nicht viel wissen. Dort könnten wir nach Trinkwasser suchen und uns gleichzeitig einmal umsehen.“ „Ein guter Gedanke“, meinte Ed. „Sich in eine frische Süßwasserquelle zu stürzen, ist fast noch besser als eine zünftige Sauferei.“ Er lachte leise bei dem Gedanken. Aber in gewisser Hinsicht stimmte das schon. Frisches Quellwasser war ein Labsal, es war mit keinem anderen Getränk zu vergleichen, auch nicht mit Rum oder Brandy, fand Ed, obwohl er alles andere als ein Abstinenzler war. „Soll ich die Burschen hochpurren?“ fragte er hoffnungsvoll, doch der Seewolf schüttelte den Kopf. „Wenn es Tag wird, Ed, nicht jetzt. Ich fürchte, wir werden den Wind bald von Norden kriegen, und ehe wir kreuzen, suchen wir lieber eine Bucht auf, warten ab, bis er wieder dreht und kümmern uns um das Wasser.“ „Ja, der Wind wird bald drehen“, sagte Ed. „Vielleicht bleibt er auch ganz aus.“ Sie unterhielten sich leise miteinander, und Dan O'Flynn versuchte im Schein des kleinen Lichtes, das den Kompaß erhellte, auf den Karten etwas einzuzeichnen.
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„Das hat doch keinen Zweck, Dan“, sagte der Seewolf. „Hol dir eine Laterne oder warte bis morgen mit den Karten. Die paar Meilen laufen uns nicht davon.“ Dan O'Flynn wollte gerade zu einer Entgegnung ansetzen, als es weiter vorn plötzlich in der Nacht aufblitzte. Im ersten Moment hielt er es für einen Blitz, doch sehr schnell änderte er seine Meinung. „Da ist etwas explodiert“, sagte er. „Ja, das kam von Land her, Steuerbord voraus“, sagte Hasard erstaunt. Gleich darauf ertönte auch Matt Davies Stimme von oben. „Deck! Ein Blitz oder Explosion Steuerbord voraus!“ Seine Worte waren verklungen, als das dumpfe Grollen einsetzte und sich über das Wasser fortpflanzte. Es grummelte und polterte, rollte lang gezogen und verklang dann ganz langsam, bis es sich wie ein abgrundtiefes Murmeln verlief. Es klang zwar wie Donnern, aber es war keins, darüber waren sich die Männer auf dem Achterdeck sofort klar. „Das war eine Kanone, dem Klang nach eine Culverine“, behauptete der Profos. „Seit wann schießen die denn aus den Wolken?“ fragte Stenmark vom Ruder her ironisch. „Das kam nicht aus den Wolken, sondern aus den Bergen oder Felsen, du schwedischer Höllenfürst“, brummte Ed. „Oder hinter einer Bucht wurde gefeuert. So genau ließ sich das nicht erkennen.“ Auf der „Isabella“ war im Nu alles auf den Beinen. Die Seewölfe hatten ganz plötzlich ausgeschlafen, von Müdigkeit war keine Rede mehr bei ihnen. Alle blickten zum Land hin, aber da herrschte längst wieder tiefe Dunkelheit. Es blitzte auch nicht mehr auf, dafür war etwas später noch einmal ein leises Poltern zu hören. Hasard blickte mißtrauisch durch das Spektiv, aber das schwache Licht genügte nicht. Er erkannte nur einen lang gezogenen Küstenstreifen, Urwald, Felsen, Berge und Buchten, und auch das nur sehr undeutlich.
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Die genaue Stelle war nicht mehr zu erkennen. Dennoch wurde sein angeborenes Mißtrauen schlagartig hellwach, und er versuchte ganz nüchtern, zwei und zwei zusammenzuzählen. Merkwürdige Fischer, schoß es ihm durch den Kopf, die in endlos lang gezogener Kette weit draußen auf See fischten, die die Segel zweimal hintereinander setzten, als wären dadurch für die anderen Signale vereinbart. Flüchtende Fischer. Jetzt der grollende Abschuß aus einer Culverine. Da stimmte etwas nicht, und er hatte keine Lust, blindlings weiterzusegeln, an einer Küste vorbei, die er nicht kannte und wo tausend unbekannte Gefahren lauern konnten. „Backbord abfallen, Stenmark!“ rief er laut. „Profos, wir drehen ab. Bring die Männer auf Trab!“ „Aye, aye, Sir!“ schrie Carberry. Der Bug der „Isabella“ schwang nach Backbord herum, immer mehr, bis der Wind fast achterlich einfiel. Falsches Heldentum war hier fehl am Platze, überlegte der Seewolf. Vielleicht lauerten weiter vorn Piraten, die die Küste wie ihre Hosentasche kannten. Nein, da war es schon besser, sie kehrten um, vorerst wenigstens. Später würde man dann weitersehen. Auch Ben Brighton war wieder auf dem Achterdeck und sah sich um. „Welche Bedeutung schreibst du dem Schuß zu?“ fragte er. „Ich weiß es nicht genau, es kann ein vereinbartes Signal sein, uns zu überfallen, oder alles mögliche.“ „Vielleicht auch eine Bitte um Hilfe“, überlegte Ben. „Das ist auch nicht ausgeschlossen. Sie haben uns gesehen, und damit wir nicht daran vorbeisegeln, einen Schuß abgefeuert.“ „Schiffbrüchige wird es bei dieser See kaum geben“, sagte der Seewolf. „Ein Feuer ist auch nicht ausgebrochen, es gibt keinerlei Anzeichen dafür, und überfallen worden ist auch niemand, sonst hätten wir etwas gehört.“ „Das sind gute Argumente“, meinte Ben. „Außerdem ist Vorsicht keine Feigheit.“
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Der Wind fiel jetzt achterlich ein, und Hasard segelte die Strecke zurück, die sie gerade eben bewältigt hatten. Dabei hielt er immer wieder mit dem Spektiv Ausschau, ob irgendwo Boote auftauchten. Die Eingeborenen verfügten über kleine, wendige und schnelle Prahos, und sie waren grausame und harte Kämpfer, die ihre Opfer blitzartig überfielen. Meist tauchten sie zu mehreren Hundert auf, und dann hatten auch die Männer der „Isabella“ keine Chance mehr gegen sie. Es war also absolut logisch, daß sie jetzt nicht weiter in Küstengewässer vordrangen, die sie nicht kannten. Auch die Karten sagten kaum etwas über die Beschaffenheit des Grundes aus. Es konnte feinen Sand oder auch scharfkantige Korallen geben. Zwei Stunden lang ließ Hasard den Kurs zurücksegeln, dann wurde wieder angeluvt, und die „Isabella“ ging höher an den Wind. „Wenn wir jetzt wieder dieselbe Stelle erreichen, dürfte es gerade hell sein“, sagte der Seewolf. An Deck wurden inzwischen vorsichtshalber die Culverinen überprüft und nachgeladen. Innerhalb kurzer Zeit war das Schiff feuerbereit. Im Falle eines Falles brauchten nur noch die Stückpforten hochgezogen zu werden. Die Seewölfe waren wach und warteten, warteten darauf, daß sie angegriffen wurden oder sich das Geheimnis um den Schuß endlich löste. Dann endlich zog der Morgen herauf. An Backbord waberte eine langgestreckte Nebelbank über dem Wasser, die sich immer noch ausdehnte und mit tanzenden Schleiern um sich griff. Die Sonne hinter dem Horizont ließ sich nur ahnen, aber die dumpfe brütende Hitze war da und lastete auf jedem Mann wie eine Glocke aus Dunst und warmer Feuchtigkeit. An Steuerbord war die Küste als morgendunstiger Strich zu erkennen. Urwälder wechselten mit weißen Stränden, das Gewirr der Buchten und ansteigenden Felsen wurde unübersichtlich.
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„Dort vorn, der kleine Bergrücken“, sagte Dan zu Hasard. „Ich habe mir die Konturen genau gemerkt, sie sehen aus wie der Buckel einer Katze. Da ist die Bucht.“ „Stimmt, auch ich habe es gesehen, Dan. Aber mir schien, als hätte es weiter oben aufgeblitzt.“ Auch der Schwede Stenmark war der gleichen Meinung, und behauptete, der Blitz wäre aus den Bergen und Hügeln erfolgt. „Das ist doch kein Nebel“, sagte Dan plötzlich, der aus zusammengekniffenen Augen den Wald der dahinterliegenden Bucht fixierte. „Das sieht haargenau wie Rauch aus. Seht mal da hin!“ Selbst der Ausguck hatte das noch nicht unterscheiden können, aber wenn man lange genug hinsah, unterschied man zwischen den sich schnell verflüchtenden Nebelschwaden am Land deutlich eine dünne Rauchsäule, die senkrecht in den Himmel stieg. „Ja, das ist tatsächlich Rauch“, mußte nun auch der Seewolf zugeben. „Etwas mehr Steuerbord, Pete“, sagte er zu dem Rudergänger Ballie, der nun wieder das Schiff steuerte. Pete Ballie wiederholte die Anweisung, und so segelte die „Isabella“ dichter an den Küstenstreifen heran. Ben Brighton zeigte mit der Hand auf den dünnen Rauch. Mal zogen ein paar stärkere Schwaden hoch, mal wieder waren sie schwächer und von heller Farbe. „Das sieht von hier aus, als brenne ein Schiff oder qualme stark. Vermutlich hat es heute nacht doch Hilfe gebraucht und daher den Schuß abgefeuert, damit wir aufmerksam werden. Und von Piraten oder anderen Schiffen ist weit und breit nichts zu sehen.“ „Ja, ich höre den leisen Vorwurf, Ben“, sagte Hasard. „Und es ist mir auch verdammt peinlich. Andererseits muß ich an die Mannschaft denken. Ich hoffe, du verstehst mich!“ „So war das nicht gemeint, Sir“, sagte Ben hastig. „Genauso gut hätte es hier tatsächlich von Piraten wimmeln können.
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Ich bin sicher, daß wir genau richtig gehandelt haben.“ Eine weit ins Meer ragende Landzunge, dicht und hoch bewachsen, versperrte die Sicht in die Bucht. Dahinter lag wieder die nächste Landzunge, ein buckliger großer Hügel, der sich ins Meer schob. Was dahinter lag, konnte erst recht niemand sehen. Mangroven auf ihren langen Stelzwurzeln schienen wie verunstaltete Krüppel ins Wasser zu waten. Es sah aus, als wären sie plötzlich stehen geblieben, als die „Isabella” dichter heransegelte. Der Rauch war noch dichter geworden, mitunter stieg eine fette dunkle Wolke hoch und wölbte sich wie ein Pilz über der Bucht. „Zweidrittel aufgeien!“ sagte Hasard zum Profos. Der Wind hatte etwas nachgelassen, seit der tropische Dschungel ihm einen Teil seiner Kraft nahm. Vom nahen Wald zog immer noch gespenstischer Nebel zum Meer hin. Die Nebelbank hatte sich weiter ausgebreitet, war aber nicht mehr so dicht. Millionen feiner Spinnenarme krochen geisterhaft über das Wasser. Die Segel wurden so weit aufgegeit, daß die „Isabella“ nur noch ganz schwache Fahrt lief. Auf der Kuhl und auf dem Vordeck reckten sich die Männer, um einen Blick in die Bucht erhaschen zu können. Aber immer noch war der Bewuchs der Landzunge so dicht, daß man kaum etwas sah. „Auf was tippst du?“ fragte Blacky den Decksältesten Smoky. ,.Ein brennendes Schiff oder einfach ein Feuer am Land?“ „Eher ein Schiff“, sagte Smoky bedächtig. „Denn sonst hätte man ja wohl kaum eine Kanone abgefeuert. Oder glaubst du Hering etwa, daß die Eingeborenen hier jeder mit 'ner Culverine unterm Arm durch die Gegend rennen?“ „Nee, glaube ich nicht. Schon aus dem Grund nicht, weil sie sich die Brooktaue ja nicht um den Hals hängen können.“ „Genau das ist der Grund“, sagte Smoky grinsend.
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„Brennendes Schiff in der Bucht!“ rief der Moses Bill aus dem Ausguck an Deck. „Scheint eine spanische Galeone zu sein!“ Erst jetzt konnte er als erster einen Blick in die Bucht werfen, als die „Isabella“ eine mächtige Palmengruppe umsegelte, und dadurch die Sicht freier wurde. Hasard und Ben blickten sich kurz an. „Der brennt aber ziemlich lange“, meinte Ben trocken. „Wer weiß, wie viele Leute sie zum Löschen haben. Vermutlich ist der Don hier gestrandet, und die Brände flackern immer wieder mal neu auf. Das passiert oft genug.“ „Helfen wir ihm?“ fragte Ben. „Ja“, entschied der Seewolf schnell. „Wir werden es versuchen. Ein einziger Don, der dazu noch brennt, wird uns ja wohl kaum gefährlich werden können.“ „Wir könnten wieder mal eine spanische Silberladung brauchen“, sagte Ben lachend. „Wenn der Don welches hat, knöpfen wir es ihm ab, ganz einfach.“ „Die werden hier noch nicht auf viel Silber gestoßen sein, denke ich. Außerdem kann man ja schlecht einen wehrlosen Don berauben, oder?“ „Na ja“, druckste Ben herum. „Das Silber hätte eben nur den Besitzer gewechselt. So genau darf man das nicht nehmen.“ Auf der „Isabella“ herrschte bis zu diesem Zeitpunkt immer noch absolute Sorglosigkeit. Sie waren für alle Fälle sofort feuerbereit. Was war da schon ein kleiner brennender und total hilfloser Don? Damit begann der folgenschwere Irrtum des Seewolfs. Als die Landzunge gerundet war, bot sich ihnen allen schlagartig ein bedauernswertes Bild. In einer herrlichen Bucht mit langem, fast schneeweißem Sand, lag eine Galeone älterer Bauweise direkt am Strand. Sie war halb auf die Seite gekippt, als hätte man sie absichtlich so weit auf Grund gesetzt, aber das - konnte möglicherweise auch ein früherer Sturm besorgt haben. Aus dem Achterkastell drang Qualm, und auch von der Kuhl stieg hin und wieder
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hellgrauer Rauch auf, dem eine züngelnde Flamme folgte. Männer rannten verstört herum. Pützen voller Seewasser ergossen sich über die Brandherde, und sobald die Flammen erstickt waren, wallte schwarzgrauer Rauch nach oben. „Das scheint im Laderaum zu brennen“, vermutete Carberry, und sein rothaariger Freund Ferris Tucker nickte dazu. „Ja, und dann hat es sich durchgefressen bis nach achtern“, sagte er. „Aber das Schiff scheint nicht beladen zu sein, viel mehr als ein paar Tonnen hat es nicht im Raum.“ „Sonst würde es nicht so weit auf dem Strand liegen“, fügte der Profos nachdenklich hinzu. Er sah die Männer, die immer wie- . der wie aufgescheuchte Ameisen durcheinander rannten. Sie hatten eine lange Kette gebildet, die die Pützen weiterreichte, aber immer wieder brachen Männer aus dieser Kette und putzten selbst Wasser. Von Disziplin war keine Spur zu erkennen, aber das lag wohl an der Aufregung. Einige standen am Strand und schrien etwas. Dann deuteten sie zum Meer hinaus, und schlagartig erstarb alles Leben auf der spanischen Galeone. Wie Puppen standen die Dons da und sahen zu dem schnittigen ranken Rahsegler, der langsam in die Bucht einlief. „Vielleicht erstarren sie vor Ehrfurcht vor unserer Flagge“, sagte Smoky. „Oder sie haben Angst, daß sie jetzt noch Senge kriegen, obwohl das gar nicht in unserer Absicht liegt.“ „Ja, die sind total überrascht“, meinte auch Gary Andrews. „Jetzt stellen die Kerle sich einfach tot aus lauter Angst vor uns.“ Hasard hatte sich zwar zum Helfen entschieden, aber die Galeone qualmte nicht mehr so stark, und Flammen züngelten auch keine mehr aus ihrem Bauch. Eine kurze Zeitspanne war er unentschlossen. Die Dons waren nun ja nicht gerade ihre Freunde, und seine Hilfe wollte er auch nicht andienen, wenn kein
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ernsthafter Fall vorlag. Die Dons hatten ein kleines Problemchen, mehr war es nicht, und sie würden mit dem Löschen schon selbst fertig werden. Aber sie hatten heute nacht mit Sicherheit die Culverine abgefeuert, um Aufmerksamkeit zu erregen, denn vermutlich hatten sie die „Isabella” vielleicht von den Bergen her gesehen und sie für einen der ihren gehalten. Der Schrecken mußte ihnen jetzt ganz gehörig in die Knochen gefahren sein! „Drehen wir wieder ab?“ fragte Ben. Sekundenlang fühlte sich Hasard sehr unbehaglich. Er kniff die Augen zusammen und sah sich um. Trotz der Aufregung auf der Galeone war es ein friedliches Bild, fand er. Er wußte auch nicht, was ihn störte, es war lediglich das Gefühl, das ihn befallen hatte. Aber nach einem weiteren Rundblick, bei dem er auch die Berge und dichtbewachsenen Hügel nicht ausließ, verschwand dieses Gefühl so schnell, wie es aufgetaucht war. „Ach was“, sagte der Seewolf, denn in diesem Augenblick flackerte drüben wieder eine Flamme auf, und in die erstarrten Figuren kam umgehend Leben. „Wir gehen dort vorn vor Anker, Ben. Ich betrachte diese Burschen jetzt nicht als Dons, sondern als Leute, die hier kläglich gescheitert sind. Jedenfalls sind es keine Seesoldaten, sondern einfache Handelsfahrer, oder siehst du irgendwo eine Uniform?“ „Nein, niemand ist uniformiert, auch Helme trägt keiner.“ Brighton gab den Befehl an den Profos weiter, und der brüllte wieder so laut, daß es die Dons in einer Kabellänge Abstand mühelos verstehen konnten. Leider verstand Carberry nicht, was gerade zur selben Zeit der spanische Kapitän zu seinem Ersten sagte, denn dann wäre der Profos sehr verwundert gewesen. Sie beobachteten ihn unauffällig durch ein Spektiv, und der Kapitän sagte: „Auf den Kerl mit dem Narbengesicht ist ebenfalls eine sehr hohe Belohnung ausgesetzt.“
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„Die uns allen schon sicher ist“, sagte der Erste. Bei fünf Faden Wassertiefe sauste der Anker auf Grund, und etwas später lag die „Isabella“ ruhig da. Die Dons waren immer noch mit Löschen beschäftigt. Nur hin und wieder schaute einer mal unbehaglich zu dem Engländer hinüber. Jedenfalls freuten sich alle Spanier, daß das Manöver so gut geklappt hatte. Der Seewolf, der gefürchtete El Lobo del Mar, war diesmal wie ein blutiger Anfänger in die Falle gelaufen. Und er schien auch jetzt noch nicht den geringsten Verdacht zu haben, daß sich ihm gleich persönlich alle Pforten der Hölle öffnen würden, um ihn und seine Crew zu verschlingen. 5. Das Beiboot wurde zu Wasser gelassen und mit Ben Brighton und dem Profos besetzt. „Fragt sie, ob sie Hilfe brauchen, ob wir sie in Schlepp nehmen oder beim Löschen helfen sollen. Ihr wißt schon, was ich meine“, sägte Hasard. Dem Profos behagte es nicht so richtig, der Seewolf sah es an seinem Gesicht. Er war nicht der Kerl, der sich bei den Dons andiente, denn seiner Ansicht nach hatten sie keine Hilfe nötig und würden mit dem Brand auf ihrer lausigen Galeone allein zurechtkommen. „Aye, aye, Sir“, brummte er und schob sein Rammkinn noch weiter vor, bis es wie ein Amboß aussah. Seine Narben traten noch deutlicher zutage, wenn er keine gute Laune hatte. Das Boot legte ab, und als sie außer Hörweite waren, sah der Profos mißmutig den Bootsmann Brighton an. „Das gefällt mir nicht“, knurrte er. „Die wissen, daß wir Engländer sind, diese Kastanienfresser, und wenn wir auch noch unsere Hilfe anbieten, lachen die uns „vielleicht aus. Dann stehen wir da wie blamiert. Ich weiß nicht, was der Seewolf sich dabei gedacht hat. Mir paßt es
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jedenfalls nicht. Die haben keine Verletzten und auch sonst nichts außer ein bißchen Qualm und Rauch. Und der Rauch ist gesund, der hält die Rübenschweine länger am Leben.“ „Motz nicht 'rum, Ed“, sagte Ben. „Ob es uns paßt oder nicht, der Seewolf hat es nun mal beschlossen. Also pull weiter und sage es ihm selbst!“ „Werde ich auch“, knurrte Ed. Er drehte das kleine Boot ein wenig und hielt genau auf den Strand zu, an dem die Galeone lag. Zwei, drei Spanier standen immer noch am Strand und sahen dem Boot mit weit aufgerissenen Augen entgegen. Die anderen standen auf dem stark geneigten Deck ihres Schiffes und gossen immer noch Wasser in den Raum hinunter. Aber der Großteil der Spanier stellte die Arbeit ein. Ben sah Gesichter, die vor Entsetzen weiß waren. Er hatte nicht die geringste Ahnung, daß jeder Don genau wußte, wer jetzt da mit dem kleinen Boot heranpullte, sorglos und unbewaffnet. Die beiden Männer, die die Dons sahen, waren für sie schon längst zur Legende geworden, und manch ein Don fragte sich verzweifelt, auf was sie sich da eingelassen hatten, und ob der Schuß nicht doch noch voll in die Hosen ging, trotz der großen Streitmacht. Diese Engländer galten als unbesieglich, waren mit allen Wassern der Meere gewaschen und aus fast allen Kämpfen als Sieger hervorgegangen. Das drückte mächtig auf die Stimmung, wenn man seinen unbesiegbaren Feind plötzlich so vor sich sah. „Buenos dias!“ sagte Ben. „Können wir euch helfen?“ Er sprach Spanisch und sah, wie die Kerle vor Aufregung schluckten. Einer sah den anderen an, bis ein etwas größerer, sehr hagerer Mann zwischen sie trat und den Gruß erwiderte. Obwohl er sich gelassen gab, spürte Ben doch, daß der Mann unter einer entsetzlichen Spannung stand, und wieder fragte er sich, was denn mit den Spaniern eigentlich los sei, daß sie sich so eigenartig
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und verängstigt benahmen. „Haben die in die Hosen geschissen, oder was?” fragte der Profos grob auf englisch. „Die sehen genauso aus.“ Brighton verzichtete auf eine Antwort. „Ihr seid Engländer“, sagte der Hagere lahm und unsicher. „Wir dachten, ihr würdet uns zusammenschießen.“ „Wir haben noch nie auf hilflose Leute geschossen“, erwiderte Ben Brighton kühl. „Egal ob Spanier oder Holländer. Wir sahen nur den Rauch in der Bucht. Was ist passiert?“ Der Hagere, offenbar der Kapitän, wie Ben annahm, gab sich einen Ruck und brachte ein verbindliches Lächeln zustande. „Wir hatten einen Unfall. Eine Öllampe ist unbemerkt ausgelaufen und hat den Laderaum in Brand gesetzt.“ Der Hagere lächelte wieder. Er mußte Zeit schinden, denn wenn er redete, hatte die Flotte Zeit, vor der Bucht aufzukreuzen und sie hermetisch abzuriegeln. Aber er zwang sich gewaltsam zu diesem Lächeln, denn immer wieder fiel sein Blick auf Carberry, von dem er genau wußte, daß er der Profos und Zuchtmeister der „Isabella“ war. Er sah diesen gewaltigen Klotz von einem -Kerl, seine mächtigen Schultern, den muskulösen Hals und immer wieder das Gesicht. Ein Gesicht, in - das man schon eine ganze Breitseite Siebzehn-Pfünder hineinballern mußte, um es aus der Fassung zu bringen. Und die vielen Narben in dem harten Gesicht sahen so aus, als hätte das jemand auch schon versucht - mit wenig Erfolg allerdings, denn der Kerl lebte immer noch. „Wir haben seltenes, ungewöhnlich hartes Holz geladen“, sagte der Hagere wieder. „Und das hat unglückseligerweise Feuer gefangen. Wenn wir glauben, es endlich gelöscht zu haben, bricht es nach einer Weile wieder aus. Äh - darf ich Sie an Bord bitten, Senores? Ich möchte Ihr großzügiges Angebot, Hilfe zu bringen, nicht abschlagen. Wir sind zu wenig Leute.“
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„Später, Senor“, wehrte Ben Brighton ab. „Wir fahren zurück und bringen weitere Männer mit.“ „Muchos gracias“, sagte der Hagere artig. Über seinen Rücken lief ein eiskaltes Kribbeln, und sein Genick war naß von kaltem Schweiß, als er den beiden hinterherblickte. Der Narbenmann pullte wieder, und er bewegte das Boot so spielerisch leicht, als sei es nur eine Nußschale, die der Wind vor sich herblies. Er sah ihnen so lange nach, bis sie wieder die „Isabella“ erreichten und dort an Bord kletterten. Er sah aber auch, daß man auf dem Engländer ebenfalls seine Galeone durch das Spektiv beobachtete. Wieder kroch ihm eine Gänsehaut über den Körper. Inzwischen waren Ben und Ed an der Bordwand angelangt. „Er nimmt unsere Hilfe an, Hasard!“ rief Ben hinauf. „Wie viele Männer können wir entbehren?“ „Alle, bis auf fünf Mann“, erwiderte Hasard. „Es braucht nur eine Wache an Bord zu bleiben, das müßte genügen.“ Die meisten hatten sich ohnehin schon freiwillig gemeldet und nahmen an der Bordwand Aufstellung. Gerade als Matt Davies als einer der ersten in das Boot steigen wollte, geschah etwas sehr Merkwürdiges. Auf der spanischen Galeone entstand Bewegung. Die Dons unterbrachen ihre Löscharbeit, und ein paar von ihnen sprangen über das schräg geneigte Schanzkleid auf den Strand hinunter. Einer nach dem anderen folgte, und als letzter verließ der Hagere sein Schiff. Hasard blickte ungläubig hinüber. Der Profos öffnete den Mund, um etwas zu sagen, brachte aber vor Erstaunen keinen Ton hervor. „Weshalb verschwinden die denn?“ fragte Ben entgeistert. „Die stürmen ja fast kopflos davon!“ „Die werden jetzt erst erkannt haben, mit wem sie es zu tun haben“, meinte der alte O'Flynn. „Und jetzt sind ihnen einfach die Nerven durchgegangen.“
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Hasard blickte immer noch kopfschüttelnd zum Strand hinüber. Inzwischen war das kleine Beiboot restlos besetzt, und der Profos stieß es mürrisch mit dem Riemen von der Schiffswand ab. „Verdammt noch mal!“ schrie er verärgert. „Die Kerle hauen ab, und wir sollen den Kahn löschen, was, wie? Das schmeckt mir. Sind wir Hornochsen oder Seewölfe?“ Er drehte den Kopf zum Land und sah gerade noch, wie sich die ersten Spanier in die Büsche schlugen und davonrannten, als sei der Teufel einschließlich seiner üblen Großmutter hinter ihnen her. „Deshalb hatten sie vorhin so frisch gekalkte Gesichter“, sagte Ben. „Fiel dir die Angst bei den Spaniern denn nicht auf, Ed?“ „Klar, sie waren sich ihrer Sache vermutlich noch nicht ganz sicher. Möglich, daß da ein paar Kerle von der Armada dabei waren, und die haben uns ja noch in bester Erinnerung.“ „Das waren aber keine Soldaten“, sagte Ben. „Unter diesen Umständen ist es idiotisch, dort an Bord zu gehen“, motzte der Profos weiter. „Vielleicht nehmen uns die Burschen jetzt von Land her unter Feuer, oder sie haben auf ihrer lausigen Galeone ein paar Fässer mit Schießpulver vorbereitet. Sobald wir in der Nähe sind, geht der ganze Krempel hoch, und wir versengen uns die Bärte.“ Immer noch hielt er die Riemen unschlüssig in den mächtigen Pranken und blickte den Seewolf an, der von der Kuhl aus zum Strand hinüber sah. Hasard fand keine vernünftige Erklärung für das Verhalten der Spanier, das ihn sonderbar berührte. Angst war das einzige Motiv, überlegte er. Irgendjemand an Bord der Galeone hatte sie vermutlich erkannt, und da die wildesten Gerüchte über die Seewölfe in Umlauf waren, hielten sie vorsorgliche Flucht für das allerbeste. Sollten sie jetzt hinüberpullen, das Schiff löschen und die Dons anschließend höflich bitten, wieder aufzukreuzen?
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Nein, entschied der Seewolf. Sollte mit der alten Galeone geschehen, was wollte, dazu gab er sich nicht her. „Kehrt um!“ rief er den Männern zu. „Sollen die Dons ...“ Ein markerschütternder Schrei aus dem Großmars ließ ihn unwillkürlich zusammenzucken. „Schiffe vor der Bucht!“ schrie der Moses Bill. Hasard glaubte zu träumen. Schiffe, die aus dem Nichts erschienen, sollten plötzlich vor der Bucht aufgekreuzt sein? Er sprang mit einem mächtigen Satz in die Wanten und jagte blitz- schnell nach oben. Er stieß einen leisen Pfiff aus vor Überraschung. Von Norden her tauchte ein ganzer Wald von Rahen und Masten auf. Im Schutz der Palmen und des Dschungels mit seinen Hügeln hatte man sie vorher nicht sehen können. Sie schienen nur auf diese Gelegenheit gewartet zu haben. „Runter an Deck mit dir!” befahl Hasard dem Moses Bill. „Beeil dich, wir sitzen in der Falle.“ Carberry jagte das Boot an die Schiffswand, hielt sich mit den Händen daran fest und scheuchte die Männer nach oben. „An Bord, an Bord!“ fluchte er wild. „Da sind schon die ersten. Verdammt noch mal!“ Die Überraschung war gelungen, das ließ sich an den Gesichtern jedes einzelnen deutlich ablesen. In diesem Augenblick schob sich der erste Spanier an der Bucht vorbei, dicht gefolgt von einem weiteren. Er lief unter vollem Preß nach Süden. Dann wurden schlagartig die Segel aufgegeit und der Anker noch bei Fahrt gesetzt. Der zweite folgte seinem Beispiel, die dritte und vierte Galeone erschienen. Alle rauschten gestaffelt heran und riegelten blitzschnell die Bucht ab. „O Lord“, stöhnte der alte O'Flynn. „Jetzt gibts für uns ein Tänzchen, und ich weiß nicht. ob mein Holzbein das aushält.“
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„Ein Flamenco-Tänzchen“, pflichtete Carberry grimmig bei. „Und wir sind die Schüler und nehmen Unterricht.“ In Hasards Gesicht zuckte kein Muskel. Auch in seinen eisblauen Augen war keine Regung zu erkennen. Er blieb kühl wie Gletschereis. „Das passiert sonst nur einem Anfänger“, sagte er gelassen. „Diesmal passiert es uns.“ Mittlerweile lagen weit gestaffelt acht Galeonen vor der Bucht. Ihre Stückpforten waren geöffnet, die Rohre ausgerannt. An einen Ausbruch war nicht mehr zu denken. Sie saßen in einer perfekten Falle. Es war bezeichnend für die Seewölfe, daß keiner die Nerven verlor. Die Situation war nicht zu ändern, die Spanier hatten sie genau so clever ausgetrickst, wie sie es oft getan hatten. „Alle Achtung`, sagte Ed. „Respekt, Respekt! Die haben hier eine ganze Armada zusammengezogen, und von unserer ‚Isabella' wird wohl nicht einmal Kleinholz übrig bleiben. Was tun wir, Sir?“ fragte er den Seewolf. Hasard blickte immer noch auf diese massierte Ansammlung, zu der sich alle Augenblicke neue Schiffe hinzugesellten. Immer noch die Ruhe selbst lehnte er am Schanzkleid. „Wir könnten versuchen, durchzubrechen“, sagte er ruhig. „Dabei wird von uns allerdings nichts mehr übrig bleiben, denn sobald wir lossegeln, eröffnen die Dons das Feuer. Die zweite Möglichkeit ist die, daß wir uns zum Land hin absetzen. Dann sind wir unser Schiff los. Aber besser das Schiff als das Leben.“ „Und die dritte Möglichkeit“, sagte der Profos und grinste dabei niederträchtig, „ist die, daß wir uns den Spaniern ergeben und sagen: So, hier sind wir. Wir wollten schon immer mal eurem König persönlich bei Hofe vorgestellt werden.“ Über die „Isabella“ schien ein eisiger Hauch zu wehen. Der Tod lag spürbar in der Luft, und dennoch grinsten sich die harten Kerle an und gaben sich gelassen. „Ein verdammt mulmiges Gefühl ist das schon“, sagte Ferris Tucker. „Das läßt sich
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schlecht abstreiten. Für welche Möglichkeit entscheiden wir uns?“ Hasard blickte auf die vierzehnte Galeone, die die Bucht anlief und gestaffelt hinter den anderen vor Anker ging. „Das will ich nicht allein entscheiden“, sagte er. „Jeder soll dazu seine Meinung äußern. Noch haben wir Zeit, denn solange wir uns nicht bewegen, werden sie nicht feuern, weil ihre Kanonen nicht bis hierher schießen können.“ Der Profos grinste wieder. Aber es war ein hartes und gefährliches Grinsen, und wer ihn kannte, der wußte längst, für welche Möglichkeit er sich entschieden hatte. „Angenommen“, sagte er bedächtig, „wir setzen uns von der „Isabella“ ab und entwischen in den Dschungel. Dann käme ich mir wie ein Idiot vor, der vor lauter Angst vor den Spaniern auskneift. Außerdem werden sie uns mit mehr als tausend Mann wie die Hasen jagen, das ist sicher. Wenn du mich fragst, Sir, ich bin für einen Durchbruch, auch wenn es mein letzter ist!“ „Wer denkt anders?“ fragte Hasard kühl. Niemand rührte sich. Auf den Gesichtern, in die er blickte, lag das eigentümliche harte und gefährliche Grinsen. Jeder einzelne wußte, daß es die letzte Schlacht werden und hinterher keine „Isabella“ und keinen Seewolf mehr geben würde. Vielleicht würde man seine Söhne am Leben lassen, überlegte Hasard, aber nur vielleicht. Sollte er sie mit einem Mann, Big Old Shane etwa, an Land rudern lassen, damit sie entkamen? Aber selbst sie würde man jagen, und man würde sie auch kriegen. Die Entscheidung wurde ihm jedoch gleich darauf abgenommen. Aus den Hügeln hinter der Bucht blitzte es auf, ein rollender Donner folgte, und eine Eisenkugel knallte ins Wasser. Die gewaltige Fontäne brach etwa hundert Yards vor der „Isabella“ aus dem Wasser und stürzte rauschend in sich zusammen. Als der Donner verhallt war, schwebte dunkler Rauch zwischen den Dschungelbäumen davon.
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„Es bleibt also nur noch eine Möglichkeit“, sagte der Seewolf hart. „Sie haben alles gut vorbereitet und an alles gedacht. Dann werden wir durchbrechen, aber erst bei Nacht. Vielleicht ergibt sich dadurch für uns ein kleiner Vorteil.“ Hasard dachte daran, bei Dunkelheit die Spanier anzuschwimmen, um vielleicht eine ihrer Galeonen zu entern, aber er verwarf diesen Gedanken wieder, denn für so dumm hielt er die Dons wirklich nicht. Die würden nachts ganz besonders aufpassen. Big Old Shane setzte sich auf die Kuhlgräting. Sein Gesicht war ernst und verschlossen. „Augenblicklich“, sagte er mit seiner tiefen Stimme, „liegen wir so, daß uns die Culverinen weder aus den Felsen noch von See her treffen können. Sie können uns also nicht so einfach zusammenschießen, denn wir haben die längeren Rohre und erzielen die ersten Treffer.“ „Das wird uns aber nicht viel nutzen“, warf Ben ein. „Das stimmt, wir können nicht viel ausrichten. Ich bin aber sicher, daß die Spanier uns lieber lebend als tot wollen. Stellt euch doch mal vor, sie bringen uns alle in Ketten und Eisen nach Spanien. Das wäre doch ein unvorstellbarer Triumph für die Dons! Ein hohes Kopfgeld ist auch ausgesetzt, und das wird ihren Ehrgeiz anstacheln.“ „Was willst du damit sagen?“ fragte Hasard. „Sie werden eine Abordnung schicken“, prophezeite Shane, „und uns auffordern, daß wir uns ergeben.“ „Das glaubst du wirklich?“ „Ich nehme es nur an. Sollte das der Fall sein, können wir spanische Geiseln nehmen, und dann sieht die Sache schon anders aus.“ Hasard schüttelte den Kopf. „So unvorsichtig werden sie nicht sein, aber wir lassen die Möglichkeit offen und warten ab. Inzwischen werden wir unsere ,Isabella` ein wenig verwandeln.“ „In einen Brander?“ fragte Ferris Tucker.
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„In einen hochexplosiven Brander“, versicherte Hasard. „Und damit die Dons das Fürchten lernen, werden wir sie mit sämtlichen chinesischen Brandsätzen eindecken, die wir noch an Bord haben. Fangt an, bereitet alles vor! Ladet die Drehbassen mit Grobschrot und Eisenstücken, nehmt für die Rohre der Culverinen die dreifache Pulvermenge, verteilt die Fässer mit dem Schießpulver und bringt die Abschußgestelle an Deck. Wir werden der Klein-Armada da drüben einen Ausbruch bescheren, wie sie ihn noch nie erlebt haben. Die Dons werden noch sehr lange an uns denken!“ „Arwenack!“ brüllte der Profos und stieß eine Faust in die Luft. Und der ganze Bordchor fiel in den alten Schlachtruf; der Seewölfe mit donnernder Stimme ein. „Ar-we-nack!“ klang es infernalisch laut durch die Bucht, daß sich den Dons die Haare sträubten. „Klarschiff zum letzten Gefecht“, sagte der Profos ironisch. „Und wenn es das letzte Mal in meinem Leben ist - aber den Dons ziehe ich vorher noch einmal die Haut in Streifen von ihren Affenärschen.“ Bei den vor der Bucht aufgekreuzten Spaniern rührte sich noch nichts. Ihre Segel hingen ausnahmslos im Gei. Sie alle hatten Anker geworfen und warteten. Hasard sah aber eine Unmenge bewaffneter Seesoldaten, die ihre Musketen schußbereit in den Gabelstützen hätten. Andere standen an den feuerbereiten Kanonen. Sehr ruhig besprach der Seewolf mit Ben Brighton die Lage. „Wenn wir ausbrechen“, sagte er, „dann nur nach Backbord. Dort ist unsere Chance am größten. Wir werden jeden Fetzen Tuch setzen, die Breitseiten Back- und Steuerbord abfeuern, mit den Drehbassen die Decks beharken und vorher, bevor wir lossegeln, die Brandsätze zwischen die Dons jagen.“ „An Backbord haben wir aber eine der größten und bestarmiertesten Galeonen“, gab Ben zu bedenken. „Die haben die Dons absichtlich so verankert, daß kein Weg daran vorbeiführt. Wenn die
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losdonnert, fliegen uns die Brocken um die Ohren.“ „Das wird wohl nicht ausbleiben. Brechen wir weiter oben durch, haben wir nicht die geringste Aussicht, sondern gelangen in den gestaffelten Pulk.“ Er drehte sich um und sah, wie die Seewölfe fieberhaft bemüht waren, die „Isabella“ in eine feuerspeiende Festung zu verwandeln. Die Zwillinge hatte er unter Deck geschickt, ebenso waren der Schimpanse Arwenack und. der Papagei Sir John unter Deck verschwunden. Der Kutscher schürte Holzkohle für die Lunten. Big Old Shane und Batuti legten sich Brandpfeile für ihre Langbogen zurecht und der Waffen- und Stückmeister Al Conroy verteilte seine berüchtigten Flaschenbomben an die Männer. „Wenn wir schon zur Hölle fahren“, brummte er, „dann aber mit einem Knall, der bis nach Spanien zu hören ist. Ihr Burschen werdet vielleicht zum letzten Male in eurem Leben zielen, aber ich bitte mir aus, daß das darin sehr sorgfältig geschieht und wir auf dem Weg zur Hölle viele Begleiter haben.“ Blacky reckte die Brust raus und kniff die Augen zusammen. „Am Höllentor werden so viele erscheinen, daß der Satan auf uns gern verzichten wird, nachdem ihm die Dons ihr Lied gesungen haben, mein lieber Al. Da ist für uns gar kein Platz mehr, denn die Hölle wird mit Dons überfüllt sein.“ Al grinste nur, dann wandte er sich wieder seinen Kanonen zu, aber er nickte Blacky aufmunternd zu. Mehr als eine Stunde verging, ohne daß sich etwas tat. Die Dons rührten sich nicht, sie warteten, und es sah ganz so aus, als hätten sie vor die Seewölfe auszuhungern. Die „Isabella“ war jetzt eine geballte Ladung, und sie würde von allen Seiten ihr todbringendes Feuer speien, wenn es losging. Der Seewolf nahm sich noch einmal Al Conroy vor. „Die weiter hinten gestaffelten Galeonen nehmen wir zuerst mit den Brandsätzen unter Feuer, Al“, sagte er. „Sobald wir
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Segel setzen jagst du die Dinger hinüber. Zwei weitere Brandsätze gehen nach Steuerbord. Unsere Geschütze konzentrieren wir auf den dicken Eimer. Bei den gestaffelten Galeonen voraus wird augenblicklich Zustand herrschen. Jene, die an Steuerbord am Rand der Bucht liegen, können uns nicht unter Feuer nehmen, weil sie sich selbst im Weg sind. Sie dienen lediglich dazu, unseren Durchbruch weiter nördlich zu verhindern. Hast du alles verstanden, Al?“ „Aye, Sir. Wenn wir gut treffen, haben wir vielleicht den Hauch einer Chance. Die Dons werden mit den Brandsätzen nicht rechnen oder sie gar nicht einkalkulieren.“ „Das ist unsere einzige Überraschung, mehr haben wir nicht.“ „Außer, daß wir die ,Isabella` in die Luft jagen, wenn sie uns in die Zange nehmen.“ „Richtig. Dann steuern wir sie als Brander heran und versuchen zu entern.“ Nochmals verging eine Stunde. Obwohl sich an Bord der „Isabella“ alle gelassen gaben, zerrte die Situation doch an den Nerven. Dann geschah endlich etwas. 6. Aus dem Pulk der ankernden Galeonen löste sich ein Beiboot, das in die Bucht gerudert wurde, ähnlich wie Big Old Shane es vor zwei Stunden prophezeit hatte. Das Boot war mit vier Männern besetzt. Einer von ihnen trug die Uniform eines spanischen Kapitäns. Er stand aufrecht im Boot und blickte zur „Isabella“. Außer seinem Degen trug er noch eine reichverzierte Pistole im Bund seiner Kürbishose. Das Boot näherte sich der „Isabella“ bis auf zwanzig Yards, dann wurde es gestoppt, und der Kapitän räusperte sich laut. „El Lobo del Mar!“ rief er laut, und bemühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. „Es ist aus, endgültig. Wir liegen hier mit fast dreißig Galeonen. Schlagen Sie sich jeden Versuch eines Ausbruchs aus dem Kopf. In den Bergen
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der Bucht stehen Kanonen. Vierhundert Seesoldaten warten nur darauf, daß sie sich zum Strand hin absetzen. Keiner aus Ihrer Mannschaft wird entkommen.“ Hasard stand hochaufgerichtet auf dem Niedergang zum Achterdeck und sah den Kapitän aus seinen eisblauen Augen an. „Meine Bewunderung!“ rief er hinüber. „Es sieht so aus, als hätten Sie uns gestellt, Senor!“ „Es sieht so aus?“ rief der Spanier nach Luft schnappend. „Ja, sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen! Niemand von Ihnen wird lebend diese Bucht verlassen, es gibt keinen Ausweg. Aber ich möchte Ihnen eine Bedingung stellen.“ „Und die wäre?“ fragte der Seewolf höflich. „Ergeben Sie sich, Lobo del Mar! Wir wollen nur Sie, Ihren ersten Offizier und den Zuchtmeister. Alle anderen erhalten freies Geleit, darauf gebe ich mein Wort. Wir bringen Sie an Bord einer unserer Galeonen, und ich werde nicht verhehlen, was Ihnen bevorsteht. Sie und Ihre beiden Besatzungsmitglieder werden nach Spanien gebracht und der Gerichtsbarkeit der Krone unterstellt. Überlegen Sie sich das Angebot: freies Geleit für alle Ihre Männer!“ In der Bucht wurde es totenstill. Sogar der Wind schien den Atem anzuhalten, als die Worte verklangen. Hasard blickte sehr sinnend den spanischen Kapitän an. Dann fiel sein Blick auf Ben Brighton und den Profos Edwin Carberry. Seine Männer würden freien Abzug erhalten, überlegte er. Der spanische Kapitän sah so aus, als würde er sein Wort halten. Das bedeutete, daß die Crew der „Isabella“ überleben würde, falls sie sich ergaben. Ben Brighton nickte unmerklich, auch der Profos drückte seine Zustimmung mit einem leichten Kopfnicken aus. Noch waren sie nicht in Spanien, überlegten sie. Bis dahin war es ein langer Weg, und unterwegs konnte sich alles noch einmal wenden.
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Aber sie würden dadurch das Leben ihrer Kameraden retten. Das allein zählte für sie im Augenblick. „Haben Sie sich entschieden, Lobo del Mar?“ fragte der Spanier. „Ich versichere noch einmal ehrenwörtlich, daß Ihr Schiff sofort Weitersegeln kann, wenn Sie sich ausliefern. Nur drei Mann, mehr wollen wir nicht. Muß ich erst an Ihr Gewissen appelieren? Ihre Männer sind sofort frei. Im Falle der Weigerung wird niemand lebend davonkommen.“ Der Profos trat mit kantigem Gesicht vor. „Ich bin dabei, Sir“, sagte er hart. „Ich auch, wenn dadurch die anderen frei sind“, sagte Ben schlicht. Hasards Blick wanderte weiter. Er sah die harten Gesichter seiner Männer, wie sich deren Züge verhärteten und die Augen glitzerten. „Wenn du von Bord gehst, Sir“, sagte der Decksälteste Smoky mit klirrender Stimme, „dann schieße ich dir eine Kugel in den Rücken.“ Hasards Adamsapfel wanderte langsam nach oben. Er schluckte hart. „Willst du, daß wir dich verachten, Sir?“ fragte Big Old Shane sanft. Der Seewolf gab immer noch keine Antwort. Er blickte Smoky an, der entschlossen genug aussah, und er fand, daß die Gesichter seiner Männer immer feindseliger wurden. „Ohne dich segeln wir nicht, Sir“, sagte der Kutscher mit seiner hellen Stimme. „Und wir alle werden ein Spottlied singen, falls ihr auf die Forderungen eingeht.“ Hasard stand immer noch unbeweglich da. „Die ,Isabella` ohne Seewolf, Ben und Carberry“, höhnte Ferris Tucker, „das ist wie ein Meer ohne Wasser.“ Der Profos drehte sich um. Diesmal klang seine Stimme heiser. „Wir wollen nur, daß ihr frei seid, ihr Arschlöcher“, sagte er grob. „Wie haben Sie sich entschieden, Lobo del Mar?“ rief der spanische Kapitän ungeduldig. „Wollen Sie den Tod Ihrer Leute verantworten? Wollen Sie Ihr Gewissen mit mehr als einem Dutzend Toter belasten? Dazu haben Sie kein
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Recht: Außerdem sind Sie nicht der Mann, der seine Crew schmählich dem Untergang preisgibt.“ Der Spanier verstand es ausgezeichnet, die Unsicherheit des Seewolfs auszunutzen, und er schoß mit scharfem Geschütz. Aber da waren noch die Seewölfe, und in deren Gesichtern las Hasard alles das, was er wissen wollte. „Geh zur Hölle, Spanier!“ brüllte Smoky. Matt Davies schwang drohend seine Hakenprothese. „Zum Teufel mit euch!“ brüllte er. „Lieber krepieren wir gemeinsam, als drei unserer Männer auszuliefern. Schert euch an Bord und versucht uns zu holen. Ein Seewolf ergibt sich nicht, solange er lebt. Keiner verläßt die ,Isabella`, oder, bei Gott, ich werde ihn eigenhändig in Stücke schießen.“ „Nix, Seewolf, nix Ben, nix Profos“, schrie der Gambia-Herkules Batuti. „Verschwinden, Dons, oder Batuti machen kaltes Arsch!“ Fäuste wurden drohend geschwungen, ein ganzer Chor brüllte los, bis der spanische Kapitän die Farbe wechselte. „Wir werden kämpfen, Senor“, sagte Hasard laut. „So wie wir es gewöhnt sind und so, wie wir es immer gehalten haben. Das ist meine Antwort.“ Der Spanier rang um Fassung. „Das kostet euch alle das Leben!“ drohte er. „Bevor ihr auch nur einen Schuß abgefeuert habt, seid ihr erledigt.“ „Dann fangt an und laßt euch nicht stören!“ rief Hasard. „Und vergeßt nicht, seiner Allerkatholischsten Majestät meinen Dank auszudrücken. Ich ziehe es vor, an Bord zu sterben. Unter der Garotte kriege ich so schlecht Luft.“ Ein Freudengeheul brach los, und der verhöhnte Kapitän gab mit der Hand unwirsch ein Zeichen, loszupullen. Ziemlich rasch entfernte sich das Boot, und Hasard musterte wieder jeden einzelnen seiner Männer. „Sag lieber nichts, Sir“, meinte der Profos. „Die Kerle sind ganz plötzlich auf beiden Ohren taub geworden, ganz besonders Smoky.“
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„Oh, ich hatte nicht die Absicht, etwas zu sagen“, erklärte Hasard. „Wozu . auch? Wenn es doch niemand hört!“ „Wir hätten ihnen ein paar original englische Kakerlaken ausliefern können“, sagte Stenmark. „Vielleicht hätten sie sich damit zufrieden gegeben.“ „Was?“ polterte Carberry los. „Unsere schönen triefäugigen Kombüsenwanzen? Die haben wir schon mit dem Essig beleidigt, die bleiben an Bord. Nicht eine einzige Ratte kriegen die Spanier.“ Hasard stieg den Niedergang zur Kuhl hinunter und blieb neben der Gräting zum Laderaum stehen. „Bevor wir loslegen“, erklärte er, „wollte ich noch eine Runde ausgeben. Die geht selbstverständlich auf meine Kosten.“ „Mann, Sir“, sagte der Profos mit glänzenden Augen. „Es geht doch nichts über eine zünftige Sauferei. Man kann ja nie wissen, ob es nicht die letzte ist. Mitunter gerät man in die verrücktesten Situationen.“ „Du sagst es, Ed.“ Aus dem Laderaum wurde ein kleines Fäßchen Rum geholt und geöffnet. Der Kutscher brachte Trinkgefäße, und die Crew nahm um das geöffnete Fäßchen Aufstellung. „Einen Toast auf die Gemütlichkeit“, sagte der Profos trocken und tat, als sei dieser Tag ganz besonders heiter und freundlich. „Auf daß die Dons einen heißen Achtersteven kriegen“, murmelte Ben und trank seine Muck auf einen Zug leer. Auf den spanischen Galeonen herrschten Ratlosigkeit und totale Verblüffung, als der Generalkapitän durch das Spektiv blickte. Er kniff die Augen zusammen und ließ das Spektiv ratlos wieder sinken. „Sie saufen“, sagte er ächzend. „Die Kerle saufen, als feierten sie ihren Namenstag. Die sind wohl verrückt geworden. Verstehen Sie das, Senor Cunja?“ fragte er seinen Ersten. „Äh — sie -saufen? Nein, das verstehe ich nicht. Vielleicht wollen sie sich Mut ansaufen und trinken vor lauter Angst.“ „Die — sich Mut ansaufen? Pah, die brauchen keinen Mut, diese Himmelhunde.
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Ich hege die leise Befürchtung, daß sie uns noch eine Menge Scherereien bereiten werden, ehe sie untergehen.“ Das befürchtete der Erste nach allem, was er erlebt hatte, allerdings auch. Diesen Satansbraten war einfach nicht zu trauen. Die warfen noch in der Hölle mit Steinen und scherten sich selbst dann nicht darum, wenn sie den Teufel persönlich trafen. Der Generalkapitän beschloß, vorerst einmal mit dem Nervenkrieg zu beginnen. Daher gab er den Befehl, daß die Culverinen alle halbe Minute einmal feuerten. Auch wenn sie noch nicht auf diese Distanz trafen, aber das würde die Kerle mit der Zeit doch zermürben. Der erste Schuß verließ das Rohr. * „Damit können sie uns nicht einschüchtern“, sagte Hasard, als das Donnern in der Bucht begann und weit vor der „Isabella“ immer wieder Fontänen aus der See stiegen. „Die verpulvern nur ihre Kugeln, und die werden sie noch bitter nötig brauchen.“ Er trank seine Muck leer und stellte sie auf die Gräting zurück. Das kleine Faß war leer, jeder hatte zwei herzhafte Züge zur Brust genommen. .“Seid ihr bereit?” fragte der Seewolf. Und als alle nickten, hob er die Hand. „Gut, dann brechen wir durch, ich habe keine Lust, mich hier tagelang aushungern zu lassen. Die Dons haben den längeren Atem.“ „Hört zu, ihr Affenärsche“, sagte der Profos. „Wir hieven den Anker, setzen die Segel und feuern. Und das alles zur selben Zeit. „Das geht“, versetzte er freundlich. „Denn diesmal scheucht euch nicht der alte Carberry, sondern der Kerl mit der Sense und dem ewig grinsenden Gesicht. Und der wird euch noch schneller auf Trab bringen, als ich es kann. Wenn alles vorbei ist, gebe ich ein Faß Rum aus. Alles klar? Dann los, auf Stationen! Hat jemand noch eine Frage?“
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Smoky hatte noch eine. „Was tun wir heute nachmittag?“ fragte er trocken. „Rübenschweine zählen“, sagte Ed. „Falls dann noch welche herumlaufen sollten.“ „Eine angenehme Beschäftigung“, meinte Smoky grinsend und ging auf seinen Posten. Selbst ein ausgekochter Hexenmeister hätte es nicht geschafft, das Schiff so schnell zu besegeln und den Anker zu hieven, wie die Seewölfe es taten. Es ging um ihr Leben, um das Leben jedes einzelnen, und dabei wuchs die Crew zu einer Einheit zusammen, die unschlagbar war. Da saß jeder Handgriff blitzschnell, da bewegten. sie sich wie Blitze, und der Profos vertrödelte seine Zeit nicht mit Flüchen. Er blieb stumm und setzte seine ganze Kraft ein, weil er wußte, daß jeder sich auf jeden absolut verlassen konnte. Die spanische Phalanx wartete feuerbereit, und bei dem Durchbruch würde kein Auge trocken bleiben. Pete Baillie, als Gefechtsrudergänger ein Meister seines Fachs, segelte die „Isabella“ jener Stelle entgegen, die Hasard als Durchbruch erkoren hatte, dort wo der schwerarmierte spanische Brocken lag und wartete. Jeder Fetzen Tuch, den die überlangen Masten tragen konnten, war gesetzt, als die „Isabella“ auf jene Stelle zuhielt. „Brandsätze, Feuer!“ erklang Hasards Stimme klar und deutlich. Al Conroy und Ferris Tucker hatten ihre Ziele im Visier. Die Brandsätze trafen sicherer und gründlicher als die Culverinen, und sie richteten auch weitaus größeren Schaden an, denn bei einigen Brandsätzen war das Feuer unlöschbar. Die ersten beiden chinesischen Stäbe zischten los. Ihr Flug wurde von einem nervtötenden Heulen begleitet, das schaurig in den Ohren klang. Wie tausend kleine kreischende Teufel jagten sie in hohem Bogen in die Luft, Rauchfahnen hinter sich herziehend und von dem wilden Kreischen und Jaulen eskortiert.
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Zwei weitere jagten aus den bronzenen Abschußgestellen, und gleich danach folgten noch einmal zwei Höllenstäbe. Als ihre Flugbahn sich senkte, zerplatzten sie mit einem donnernden, bestialischen Knall und schleuderten grüne, rote, blaue und gelbe Kugeln nach allen Seiten, die noch einmal in der Luft zerplatzten und grelles Feuer nach allen Seiten schleuderten. Von den Galeonen drangen Schreie der Angst herüber, als die Dons mit diesem Höllenzeug konfrontiert wurden. Sechs abgefeuerte Brandsätze setzten schlagartig sieben spanische Galeonen in Brand. Am Heck, am Bug, mittschiffs auf der Kuhl, an etlichen Stellen zugleich fing das trockene Holz Feuer, fraßen sich die glühenden kleinen Kugeln in die Planken, explodierten und verspritzten weitere heiße Glut. Pete Ballie zog das Genick ein und blickte starr geradeaus, wo die kleine Lücke war. Noch zwei Brandsätze jagten aus den Gestellen und schleuderten ihren heißen Segen über die Decks, so daß die Männer geblendet und entnervt die Augen schlossen. Pete Ballie segelte dem Teufel ein Ohr ab, und plötzlich war um ihn die Hölle los. Fetter schwarzer und zäher Qualm erschien an den spanischen Stückpforten. Die Culverinen sangen ihr tödliches Lied, spien Zwölf- und Siebzehn-Pfünder aus und brüllten immer wieder auf. Auf den spanischen Galeonen rannten schreiende Männer von einem Deck zum anderen, um die bestialisch anwachsenden Brände unter Kontrolle zu bringen. Sie rannten von ihren Geschützen weg, streuten Sand, gossen Seewasser über das Höllenfeuer und stellten bald fest, daß ihre Mühe zum größten Teil vergeblich war, denn sobald das Seewasser das Feuer scheinbar gelöscht hatte, begann es erneut aufzuflackern. In ihrer Angst trampelten sie darauf herum, versuchten es zu ersticken und erzielten doch keinen Erfolg.
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Vor Hasard stieg etwas splitternd in die Luft. Ein lautes Rumpeln erklang, und er riß schützend die Arme vor das Gesicht. Holzsplitter fetzten an ihm vorbei, ein Handlauf stieg senkrecht in die Luft, und vom Niedergang des Achterdecks flogen. Brocken weg. Die weiter hinten gestaffelten spanischen Schiffe auf der Backbordseite standen bis auf eins in Flammen. Ein weiteres brannte lodernd nur an der Backbordseite, bei einem anderen hatten die aufgegeiten Segel Feuer gefangen. Die „Isabella“ segelte weiter, mitten hinein in ihr Verderben, wie es schien, und jetzt nahte der kritische Augenblick, daß sie an dem dicken Brocken vorbei mußte. Inzwischen begannen die Galeonen, die weiter nördlich die Bucht absperrten, ihre Anker zu hieven, um nach Süden abzulaufen und der „Isabella“ den Weg zu verlegen, falls sie den Durchbruch doch noch schaffte. Das Sechzig-Kanonen-Schiff war jetzt noch knapp achtzig Yards entfernt, und die „Isabella“ segelte immer näher heran. Die Seewölfe feuerten auf das davor liegende Schiff Und luden in aller Eile wieder nach. Überall blitzte es auf, Holz flog protestierend auseinander, und vor Ferris Tucker klaffte plötzlich ein großes gezacktes Loch in den Planken. Wieder ein Einschlag. Die „Isabella“ erbebte in allen Verbänden. Sie bäumte sich im Wasser auf, als würde sie von einer harten Faust gestoppt, dann segelte sie weiter, wobei sie einen Teil der Steuerbordbeplankung einbüßte. Musketen hämmerten, eine Drehbasse streute heißes grobes Blei über das Deck und zerfetzte ein Segel. Vom Großmast flogen Splitter nach allen Richtungen. Und über allem hing zäher Pulverqualm. Man verstand sein eigenes Wort nicht mehr, alles wurde von dem infernalischen Donnern der brüllenden Abschüsse überlagert. Die „Isabella“ lief an dem dicken Brocken vorbei. Die Distanz betrug nach Hasards Schätzung nur noch vierzig Yards.
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Der Seewolf verzog die Lippen. Waren sie bis jetzt relativ harmlos davongekommen, so drohte ihnen hier mit Sicherheit der Untergang, denn dieses schwimmende Ungeheuer hatte genau dreißig Rohre und zehn Drehbassen auf sie gerichtet. Gleich geht die Welt mit Donner und Blitz unter, dachte Hasard. Die Culverinen der „Isabella“ brüllten auf. Qualm wehte über das Deck, er hörte Männer unterdrückt husten und fluchen und sah wie durch einen großen dunklen Schleier die Löcher in der Bordwand der schwerarmierten Galeone. Wie gezackte Sterne sahen sie aus, dicht über der Wasserlinie eingeschlagen. Doch er sah in diesem Augenblick noch etwas anderes, und das ließ ihn an seinem eigenen Verstand zweifeln. Die Galeone feuerte nicht. Die Kanonen spien keine Blitze, es gab keinen rollenden Donner, und die Seesoldaten standen wie erstarrt da, als wären sie zu keiner Bewegung mehr fähig. Sie schienen auf einen Befehl zu warten, der nicht gegeben wurde. Irritiert blickte Hasard zum Achterkastell der Galeone, das schräg geneigt war und sah einen Mann in der typisch spanischen Uniform an der Schmuckbalustrade stehen. Das Gesicht des Mannes wirkte wie versteinert. Er blickte zur „Isabella“ hinüber. Die Blicke der beiden Kapitäne begegneten sich. Hasard durchfuhr die Erkenntnis wie ein Schlag. Er vergaß keine Gesichter, die er schon einmal gesehen hatte, und dieses harte kühle Gesicht erkannte er sofort. Der Mann auf dem Achterkastell der Galeone war Manuel de Diaz, ehemaliger Capitan der „El Cid“, geschlagener Gegner der spanischen Armada, dem der Seewolf damals in selbstloser Weise geholfen hatte. Vor seinem geistigen Auge entstand noch einmal das Bild, und sekundenlang hatte er das Gefühl, als stehe die Zeit still. Er und Ribault hatten diesem Mann geholfen, als sein schwer angeschlagenes Schiff die Beute von Strandräubern, Piraten, Schnapphähnen und Engländern wurde.
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Francis Drake hatte Manuel de Diaz gehetzt, ohne Rücksicht darauf, daß er einen längst geschlagenen Gegner vor sich hatte. Und jetzt stand er diesem Mann gegenüber, und von de Diaz hing es letztlich ab, ob die „Isabella“ auch dieses letzte Hindernis noch passieren konnte, ohne in Grund und Boden geschossen zu werden. De Diaz blickte ihm genau in die Augen. Dann verzog sich sein maskenhaft starres Gesicht zu der Andeutung eines leichten erkennenden Lächelns. Hasard sah den Mann leicht nicken, eine kaum merkbare Bewegung seines Kopfes war es nur, aber er verstand. Er sah auch die Seesoldaten, sah die Männer an den Geschützen, die immer noch auf den Befehl warteten. Doch der erfolgte nicht, und solange de Diaz ihn nicht gab, konnte der Stückmeister nicht feuern. In diesen schicksalsschweren Sekunden vergingen Ewigkeiten, da wurden ganze Welten neu geboren und versanken wieder in Schutt und Asche. Noch immer hielt die Welt den Atem an, noch immer musterten sich die beiden ungleichen Männer und senkten die Blicke ineinander. Ein großer Mann, dachte Hasard, und der dachte nicht aus Angst so, denn er hatte mit seinem Leben bereits abgeschlossen, als die Begegnung erfolgte. „Feuer einstellen!“ hörte er sich wie aus weiter Ferne selbst schreien, als er sah, wie die Culverinen wieder nachgeladen wurden und Al Conroy sie zum erneuten Feuern ausrichtete. Conroy zuckte vor der Kanone zurück, als hätte er glühendes Eisen angefaßt. Eine solche Stimme hatte er vom Seewolf noch nie gehört, und er verstand auch nicht das seltsame Benehmen der Spanier, die so aussahen, als wären sie nur ausgestopfte Soldaten, zu keiner Handlung fähig. Ein kleines verstehendes Lächeln legte sich immer deutlicher und klarer um de Diaz Lippen. Hasard hörte im Unterbewußtsein den fast irren Schrei des spanischen Stückmeisters. „Feuer, Senor Capitan?“
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De Diaz gab keine Antwort, er lächelte immer noch, und der unentschlossene spanische Stückmeister stand da, als könne er nicht fassen, was da soeben geschah. Aus den Augenwinkeln warf Hasard einen Blick auf die Seewölfe. Der Profos, das mußte er ganz offen zugeben, stand mit ausgesprochen vernageltem Gesicht da, wischte seine großen Hände an der Leinenhose ab und verstand die Welt nicht mehr. Conroy wirkte immer noch so, als sei die Culverine eine giftige Schlange, die man keinesfalls berühren dürfte. Nur auf Dans Gesicht lag ein verstehendes Leuchten, als die „Isabella“ das große Schiff passierte. Kein einziger Schuß wurde abgefeuert, keine Muskete krachte. Ein letztes Mal nagelte der Blick De Diaz' den Seewolf fest. Hasard standen feine Schweißperlen auf der Stirn, aber er war nicht fähig, seinen Arm zu heben und sie abzuwischen. Himmel, er schwitzte und fror zugleich. Eine Mündung nach der anderen wurde passiert. Die Kanonen des Spaniers glotzten wie die Augen eines Ungeheuers herüber, doch sie blieben ohne Rauch und Feuer. Dabei hätte de Diaz jetzt mit einem einzigen Befehl den ranken Rahsegler in tausend Fetzen schießen lassen können. De Diaz letzter abschiednehmender Blick galt noch einmal dem Seewolf, nachdem er über das Deck seines Schiffes geblickt hatte. „Wir sind quitt, Lobo del Mar“, sollte das heißen. „Du hast dich einmal für mich eingesetzt, und heute tue ich es für dich!“ Die „Isabella“ war vorbei. Sie ließ zu Salzsäulen erstarrte Seesoldaten hinter sich zurück, die immer noch vergeblich auf den Feuerbefehl warteten und nicht die geringste Ahnung hatten, was hier vor sich ging. Der Seewolf stöhnte unterdrückt. Er brauchte Pete Ballie nicht den Befehl zu geben, hart nach Backbord abzulaufen. Ballie wußte, auf was es ankam, und seit
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ein paar Minuten glaubte er auch wieder an Wunder, die einfach unerklärbar waren. Die „Isabella“ drehte hart ab und schor an den brennenden Schiffen vorbei nach Süden. Hinter ihr wummerten Geschütze, jagten andere Galeonen heran, aber der Großteil war sich selbst im Wege, und das Löschen der Brände war überall vorrangig. De Diaz würde das büßen müssen, dachte Hasard entsetzt. Das ließen die Spanier nicht durchgehen. Er war ein Kollaborateur, ein Verräter, ein Sympathisant der englischen Krone, und er hatte sie alle um den greifbaren Erfolg gebracht. „War das alles eben wahr oder nur ein Traum?“ hörte er Ben Brighton neben sich ächzen. Hasard fand wieder in die Wirklichkeit zurück. Bevor er antwortete, warf er einen Blick nach achtern. Dort begann sich das Knäuel der ankernden Galeonen langsam zu entwirren. In hilfloser Wut feuerten die Verfolger ihre Drehbassen ab, ohne den geringsten Erfolg. Die Entfernung vergrößterte sich allmählich, denn mit ihren überlangen Masten war die „Isabella“ den spanischen Galeonen weit überlegen. „Das waren Tatsachen“, sagte Hasard erschöpft. „Unfaßbare Tatsachen. Das war Manuel de Diaz, wenn du dich erinnerst.“ Ben schüttelte den Kopf und konnte es nicht fassen. „Ich - ich wollte es nicht glauben“, sagte er schweratmend. „Aber ich habe das Gesicht gesehen, es war damals, bei der Armada?“ „Ja, bei der Armada. Wir haben ihm geholfen, und diesmal hat er sich revanchiert, so unglaublich das klingen mag.“ „Er hätte uns in Grund und Boden schießen können“, sagte Ben, „und wir haben ihm noch eine Breitseite verpaßt, ohne daß er sich wehrte. Zum Glück hat ihn der Brandsatz nicht erwischt, sondern die andere Galeone daneben.“
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Hasard stand immer noch unter dem Eindruck der so kurzen und doch so langen Begegnung. „Sie werden ihn hängen“, sagte er dumpf. „Der Tod ist ihm absolut sicher. Aber er weiß, was er auf sich genommen hat. Wir müssen ihm helfen, Ben, ich muß wissen, was aus ihm wird, denn jeder einzelne von uns hat ihm sein Leben zu verdanken. Er hat mehr getan, als wir bei der Armada für ihn tun konnten.“ „Wie können wir ihm helfen?“ „Zuerst einmal müssen wir die Verfolger loswerden. Jage der ersten Galeone einen Brandsatz hinüber! Vielleicht geben sie dann die Verfolgung auf, wenn sie merken, daß sie nicht mehr erreichen, als in Flammen aufzugehen.“ So war es auch. Kaum war der erste Brandsatz aus der Bronzehalterung hinausgezischt und über dem Schiff explodiert, da drehte die Galeone hart ab. Eine zweite folgte noch ein Stück beharrlich, und sie blieb auch mit einer dritten noch eine Weile als Fühlungshalter an der „Isabella“ kleben. Sonst aber herrschte bei den Spaniern wieder einmal „Zustand“. 7. Der Generalkapitän war es, der etwas später die sinnlose Verfolgung des Seewolfs abbrechen ließ. Er hatte sich einen leichten Sieg errechnet, aber das Fazit, das er jetzt zog, war geradezu kläglich. Durch die unheimlichen Waffen hatte sich die „Isabella“ als in zehnfacher Hinsicht überlegen erwiesen. Diese Teufelsdinger hatten fast ein Dutzend Schiffe in Brand geschossen, große und kleine, und einige mußten als Totalverlust abgeschrieben werden. Drei waren bereits untergegangen, eine weitere trieb mit schwerer Schlagseite in die Bucht, und es war nur eine Frage der Zeit, wann sie auf Grund ging. Bei den meisten anderen war das Feuer ebenfalls nicht zu löschen.
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Der. Generalkapitän war kein furchtsamer Mann, aber vor diesen unheimlichen fremden Waffen empfand er Angst, und da der Seewolf anscheinend über ein riesiges Arsenal dieser todbringenden Brandsätze verfügte, wollte er nicht noch mehr Schiffe riskieren. Die ganze Schuld an dem Desaster wurde natürlich dem Kapitän Manuel de Diaz zugeschrieben, der den Feuerbefehl nicht gegeben hatte, als die „Isabella“ hautnah an ihm vorbeigesegelt war. Das begriff der Generalkapitän immer noch nicht. Doch zunächst einmal wurden die Brände gelöscht, so gut es eben ging, und von den gesunkenen Schiffen steigen die Soldaten um auf die noch intakten. Bei diesem gewaltigen Kampf war es ein Wunder, daß es nur zwei Tote und ein halbes Dutzend Verletzter gegeben hatte. Dafür war der Verlust an Material allerdings beträchtlich. Einige der angeschlagenen Schiffe wurden in die Bucht geschleppt, und die Spanier begannen unverzüglich mit den Ausbesserungsarbeiten. Am späten Nachmittag ließ der Generalkapitän Don Matheo y Brazos de Aragón den Kapitän der Galeone „San Angel“ verhaften und zu sich an Bord bringen. „Morgen früh können Sie versuchen, sich zu rechtfertigen, Senor“, sagte der Generalkapitän eisig. „Bis dahin werden Sie in Eisen gelegt. Das Bordgericht tritt vormittags zusammen.“ De Diaz nickte ergeben, sagte kein Wort und ließ sich widerstandslos abführen. Danach beriet sich de Aragón mit Kapitän Alfredo, seinem Freund. „Das war nicht nur peinlich, das war blamabel“, sagte er. „Wir haben sieben Totalverluste, darunter zwei kleine Galeonen von neunzig Tonnen. Gegen diese unheimliche Waffe haben wir kein Argument. Es wäre also fatal, Lobo del Mar nachzusegeln, und ihn nochmals zu stellen. Du hast mir etwas Ähnliches schon vor Beginn der Schlacht gesagt, Alfredo.“
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„Ja, ich habe viel über ihn gehört. Er setzt diese Waffe nur ein, wenn es nicht mehr anders geht. Trotzdem hätten wir ihn kriegen müssen. An der ,San Angel' wäre er auch mit seiner Teufelswaffe nicht vorbeigekommen, hätte de Diaz rechtzeitig reagiert. Warum hat er das nur getan? Die Gefangennahme des Seewolfs hing einzig und allein von ihm ab, und er läßt den Kerl passieren!“ Sie sprachen ohne große Emotionen über ihre eigene Niederlage, und der Generalkapitän empfand merkwürdigerweise nicht einmal Haß. Er war nur tief enttäuscht und gedemütigt über die Schlappe, und er kam nicht darüber hinweg, daß alles nur von de Diaz verursacht worden war. „Jedenfalls sind wir bis auf die Knochen blamiert“, sagte de Aragón. „Lobo del Mar lacht sich eins ins Fäustchen und ist längst weg. Bis wir ihn wieder einmal vor die Rohre kriegen, trägt er einen langen grauen Bart, der ihm bis an die Knie reicht.“ Sie unterhielten sich auch noch einmal über die nächtlich abgefeuerte Culverine. De Aragón hatte schon gestern eine kurze Untersuchung durchführen lassen. Aber es war nichts dabei herausgekommen. Die Soldaten behaupteten nur, jemand hätte sie in der Dunkelheit angegriffen, zu Boden geschlagen und dann die glühende Holzkohle über das Zündloch geschüttet. Mit näheren Angaben konnten sie nicht aufwarten, und so blieb das Rätsel bisher ungelöst. Der Rest blieb nur Vermutung, aber de Aragón ahnte, daß auch dort de Diaz seine Hände im Spiel gehabt hatte, was er allerdings nicht beweisen konnte. „Du hast morgen den Vorsitz, Matheo“, sagte Alfredo. „Weißt du schon, wie du entscheiden wirst?“ De Aragón verzog ärgerlich das Gesicht. „Ich wollte dem Bordgericht eigentlich empfehlen, ihn zu hängen oder an Ort und Stelle mit der Garotte zu erdrosseln.“ „Du hast deine Meinung geändert?“ „Ja, es wäre ein zu schneller und zu leichter Tod. Deshalb werde ich eine
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andere Empfehlung geben. Hole mir bitte einmal die Roteiros, sie liegen da drüben unter dem Schreibpult.“ Alfredo erhob sich, ging durch die Kapitänskammer und brachte die in Leder gebundenen und von den Spaniern streng geheim gehaltenen Roteiros. Es waren exakt angefertigte Seekarten, in denen auch die kleinen Inseln eingezeichnet waren. „Es gibt hier eine öde Insel namens Yao Yai“, sagte er. „Auf ihr stehen nur drei oder vier Palmen. Vor mehr als zwei Jahren hat ein spanischer Kapitän dort einmal elf Meuterer ausgesetzt. Sie haben noch gut eine Woche lang qualvoll gelebt, ehe sie starben und sich gegenseitig begruben, weil sie den Anblick ihrer toten Kameraden nicht mehr ertragen konnten. Der letzte Überlebende soll sich in seiner Verzweiflung ins Meer gestürzt haben, wo ihn die Haifische fraßen. Da ist die Insel.“ Er deutete mit dem Zeigefinger auf einen winzigen Punkt, hinter dem ein Kreuz eingezeichnet war. „Und da wird er ausgesetzt?“ „Ja, das werde ich nachdrücklich empfehlen. Dann bleibt de Diaz mindestens noch eine Woche, um über seinen Verrat nachzudenken. Das ist besser, als wenn er gehängt wird. Er wird das Bild El Lobo del Mars solange vor Augen haben, bis er vor Haß auf den Mann vergeht. Dann mag er meinetwegen krepieren“, setzte de Aragón hart hinzu. „Ich stelle mir das Aussetzen auch schlimmer vor“, sagte Alfredo. „Hunger und Durst müssen einen wahnsinnig werden lassen, und man weiß genau, daß es keine Rettung gibt.“ „Niemand läuft diese kleine Insel an, denn auf ihr wächst so gut wie nichts, und es gibt dort keinen Tropfen Wasser. Aber er kriegt eine Schaufel mit, damit er nach Wasser graben kann. Wenn er dann welches findet, wird er erst recht verrückt.“ „Ich denke, er findet keines?“ „Stell dir vor, du wärst auf dieser Insel und hättest nichts weiter als eine Schaufel. Und auf diesem Eiland gibt es nichts, womit du
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deinen Durst löschen kannst. Was tust du also?“ „Nach Wasser graben“, sagte Alfredo prompt. „Am zweiten Tag fängst du ganz sicher damit an, wenn dir die Sonne von morgens bis abends auf das Gehirn scheint. Wenn du vor Durst halb verrückt bist, findest du tatsächlich Wasser. Aber es ist Seewasser, das vom Grund hochsteigt. Damit sind alle deine Hoffnungen vorbei, denn du kannst es nicht trinken.“ „Das ist wirklich schlimmer als hängen“, murmelte Alfredo. „Eben, das meine ich damit. Dann wird er sich mit Selbstvorwürfen überhäufen und den Seewolf bis zur letzten Stunde lauthals verfluchen, weil er ihm geholfen hat.“ * „Wir gehen im Windschatten der kleinen Insel vor Anker“, sagte Hasard, als auch von dem letzten Verfolger nichts mehr zu sehen war. „Dort bessern wir das Schiff aus, und in der Nacht werde ich mit Dan O'Flynn zurücksegeln, um zu sehen, was aus de Diaz geworden ist.“ Der Name des Mannes, der ihnen eindeutig das Leben gerettet hatte, war in aller Munde. „Wie wollt ihr beiden verhindern, daß man ihn hängt?“ fragte Ben Brighton. „Die Dons werden nicht lange fackeln.“ „Wir nehmen Brandsätze mit, wenn es nicht anders geht. Vor denen haben sie einen Heidenrespekt. Und damit werden wir sie erpressen. Entweder de Diaz lebend, oder wir jagen die Dinger los. Und mit zehn Brandsätzen zehn Galeonen zu versenken, ist nun wirklich kein großes Problem.“ „Ja, das haben wir gerade bewiesen“, sagte der Profos grinsend. „Da fällt mir ein, daß ich auch noch ein Faß Rum ausgeben muß.“ „Später“, wehrte Hasard ab. „Die Dons werden hier nicht mehr aufkreuzen, und wenn sie uns tatsächlich sehen, werden sie so schnell segeln, wie sie nur können. Ben
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hat während meiner Abwesenheit das Kommando. Wir nehmen das kleine Boot, das ist schnell und wendig und fällt nicht auf.“ Die Schäden waren schon von Tucker, Big Old Shane und Edwin Carberry inspiziert worden. Es hatte eine Menge Kleinholz auf der „Isabella“ gegeben. Luke Morgan war durch einen Holzsplitter leicht verletzt worden, und der alte Segelmacher Will Thorne hatte sich beim Sturz den rechten Knöchel verstaucht, als sich urplötzlich ein Loch im Deck vor ihm auftat. Handläufe waren zerfetzt, Beplankung zersplittert, in den Segeln klafften Löcher, an Deck hatte es dreimal eingeschlagen, und die Schmuckbalustrade am Achterkastell war zertrümmert. Ein gezacktes Loch befand sich an Steuerbord in Höhe des Vordecks. Es war so groß, daß man bequem den Kopf durchstecken konnte. Dieses Loch sollte zuerst repariert werden, und das nahm der Schiffszimmermann auch sofort in Angriff. Die anderen begannen damit, neue Segel anzuschlagen. Später, wenn Will Thorne wieder auf den Beinen war, sollten die anderen geflickt werden. Die Insel hatte keinen Namen, niemand wußte, wie sie hieß. Ihre Südseite bestand aus schattigen Palmenwäldern und dichtem Buschwerk. Am Rand der Bucht befand sich ein hoher, steil aufragender Felsen, von dem aus man meilenweit das Meer überblicken konnte. Die „Isabella“ ging vor Anker, dicht in der Nähe des Felsen. Während die Reparaturarbeiten sofort begannen, rüsteten Hasard und Dan O'Flynn das kleine Beiboot aus, packten Proviant und Trinkwasser hinein und verstauten die Brandsätze, mit deren Hilfe sie sich notfalls gegen ein ganzes Geschwader zur Wehr setzen konnten. Der Seewolf drängte zur Eile, denn er wurde das Gefühl nicht los, daß man de Diaz rigoros und schnell an der nächsten Rah hängen würde.
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Er mußte diesen Mann retten, und wenn es sein eigenes Leben kosten solle. Bevor die kurze Dämmerung sich herabsenkte, segelten die beiden Männer los, fuhren zur Küste hinüber und segelten dicht unter Land wieder nach Norden. „Verdammt“, sagte Dan, „der Wind dreht schon wieder. Müssen wir denn dauernd Pech haben?“ „Bisher hatten wir nur Glück gehabt, sonst nichts“, entgegnete Hasard. „Wir müssen noch dichter an die Küste, da weht es nicht so hart.“ Der Wind sprang wieder um, und nach einer Weile blies er genau von Nord, bis auch Hasard verhalten fluchte. „Die Riemen, Dan“, sagte er, „es hilft alles nichts, wir pullen noch ein Stück.“ „Wir brauchen die ganze Nacht und den nächsten Tag, Sir. Vorher schaffen wir das nicht.“ „Wir müssen aber.“ Sie pullten dicht an Mangrovendickichten vorbei, und wenn der Wind leicht drehte, kreuzten sie, aber es gab keine Meilen. Jedes Stück mußten sie sich mühsam abringen. Längst war die „Isabella“ ihren Blicken entschwunden, und auch die Insel war nur noch ein Umriß in der Nacht. Die beiden Männer pullten weiter, setzten ihre ganzen Kräfte und Körperreserven ein und wurden doch ständig von dem Gefühl geplagt, dem spanischen Kapitän nicht mehr helfen zu können. So verrann Stunde um Stunde, und als nach langer Nacht endlich der Morgen graute, da wußte auch Hasard, daß sie es an diesem Tag nicht mehr schaffen würde. Der Wind war gegen sie. Selbst wenn sie in langen Schlägen vor der Küste kreuzten, brachte sie das nicht viel weiter. Erst spät in der Nacht des folgenden Tages sahen sie die Bucht. Die Spanier lagen immer noch da. Offensichtlich besserten sie ihre Schäden aus und wrackten die halbgesunkenen Schiffe zum Ausbessern ab. „Wir sind zu spät erschienen“, sagte Hasard. „Ich glaube, wir werden de Diaz nicht mehr helfen können. Die Dons haben
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ihn längst gehängt oder mit ihrem fürchterlichen Instrument erdrosselt.“ Sie versteckten das Boot, pirschten sich durch den Dschungel, in die Felsen hoch und sahen dort Soldaten, die immer noch damit beschäftigt waren, Kanonen abzutransportieren. Aber an den Rahen der Schiffe hing niemand, so sehr sie auch beim Mondlicht alles absuchten. „Gehängt haben sie ihn nicht“, flüsterte Dan. „Was haben sie dann mit ihm getan?“ „Erdrosselt“, sagte Hasard dumpf. „Hätten sie ihn gehängt, dann würde er mindestens drei Tage lang an einer Rah zur Abschreckung hängen bleiben.“ „Und wie erfahren wir das genau?“ Hasard zeigte auf die Soldaten, die bei Fackelschein arbeiteten und schufteten und erbittert feststellen mußten, daß der ganze Aufwand umsonst gewesen war. „Ich habe da schon eine Idee“, sagte der Seewolf. „Wir kriegen es raus, verlaß dich darauf, Dan.“ 8. Das Bordgericht handelte genau nach der Empfehlung, die der Generalkapitän vorgab. Manuel de Diaz verweigerte die Aussage. Er stand mit gefesselten Händen auf der Kuhlgräting und starrte mit abwesendem Blick auf das blaue Wasser. „Sie sind ein Sympathisant dieses Engländers!“ schrie ihn der Generalkapitän an. „Geben Sie es doch zu! Ein Verräter sind Sie. Nur durch Ihre unverantwortliche Handlungsweise konnte der Kerl noch einmal entwischen. Warum ließen sie das Feuer nicht eröffnen?“ „Ich möchte dazu nichts sagen, Senores“, sagte de Diaz ruhig. Mehr war aus ihm nicht herauszubringen. De Aragón ließ das Urteil nach seiner Empfehlung fällen. Es ging schnell und ohne große Formalitäten. „Verbannt nach Yao Yai!“ lautete es. Der Generalkapitän trat vor, zückte seinen Degen und zerschnitt mit kurzen präzisen
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Hieben die Uniform des Kapitäns, bis nur noch Fetzen herabhingen. De Diaz rührte sich nicht. Die gefesselten Hände auf dem Rücken, ertrug er auch diese letzte Demütigung und Erniedrigung mit der Grandezza eines spanischen Granden. Kein Muskel zuckte in seinem Gesicht, er wich auch keinen Schritt vor der pfeifenden Klinge zurück. „Ausziehen !“ befahl der Generalkapitän. „Bringt ihm eine grobe Leinenhose!“ Die zerfetzte Uniform wurde ihm vom Körper gerissen. Jemand zerschnitt seine Fesseln, und er mußte die grobe Leinenhose anziehen. Damit war er aller Ämter enthoben, ehrlos, verbannt und ausgesetzt. „Ihre spanische Nationalität wird Ihnen hiermit aberkannt“, sagte de Aragón. „Das Urteil wird sofort vollstreckt. Sie können noch etwas sagen, wenn Sie das wünschen!“ „Ich habe nichts mehr zu sagen“, erwiderte de Diaz stolz. „Ich halte meine Handlungsweise immer noch für richtig.“ Empörtes Gemurmel wurde laut, das de Aragón mit einer schnellen Handbewegung unterbrach. „Sie werden Zeit haben, darüber nachzudenken“, sagte er höhnisch. „Und Sie werden Ihre Meinung ganz sicher bald ändern. Bringt ihn weg, auf der Stelle!“ „Erhält er das Übliche wie ein Ausgesetzter?“ fragte ein Kapitän. „Nur eine Schaufel, sonst nichts!“ De Diaz wurde in ein Boot gesetzt. Dort fesselte man ihn wieder an die Ducht und fünf Bewacher begleiteten ihn. Sie nahmen Kurs auf die offene See, bis sie das trostlose Eiland hinter dem Horizont sechs Stunden später erreichten. Das Boot lief knirschend auf den Sand, und die Männer stiegen aus. Einer warf ihm ein paar Lumpen zu und bedrohte ihn mit einer Pistole. „Zieh deine Hose wieder aus und zieh das an!“ befahl er. „Das sind Piratenklamotten, die stehen dir besser, außerdem kann ich die Hose besser gebrauchen, du bist ohnehin bald tot!“
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Eine zerfetzte Hose, ein schmuddeliges Hemd und ein rotes Kopftuch, wie die Piraten es trugen, flogen auf den Boden. Dann warf einer die Schaufel in den Sand. De Diaz gehorchte angesichts der auf ihn gerichteten Waffe und zog die alten Klamotten an. „ „So siehst du schon viel besser aus“, höhnten sie. „Und wenn du Durst hast — da vorn ist eine Bodega, da gibt es kühlen Wein und Salmagundi. Wir sehen mal in vierzehn Tagen nach dir, wo du deine Gebeine abgelegt hast!“ De Diaz wandte ihnen den Rücken zu und drehte sich erst dann wieder um, als sie hohnlachend in das Boot stiegen, ablegten und das Segel setzten. Ziemlich schnell verschwand das Boot. Der ehemalige Kapitän Manuel de Diaz war nun allein, so allein wie nur ein Mensch auf der Welt allein sein kann. Verächtlich betrachtete er die Schaufel, die sie ihm gelassen hatten. Was sollte er damit? Sich einen Unterstand graben? Zuerst wollte er sie wütend ins Meer schleudern, aber sie war das einzige, was er hatte, und so ließ er sie im Sand liegen. Dann sah er sich um und erschrak. Auf der kleinen Insel wuchs nichts, außer Gras, und das war von trockener, vergilbter Farbe. Nach Norden hin säumten drei hohe Palmen eine Felsenbarriere, eine vierte bestand nur noch aus einem armseligen Stumpf. Drei Kokospalmen, überlegte de Diaz. Wenn sie voller Früchte hingen, bedeutete es für eine Weile das Leben. Er sah jetzt wie ein Pirat aus, und er behielt die alten Lumpen auch an, schützten sie ihn doch ein wenig vor der sengenden Sonne. Die Sonne, dachte er. Wie ein glühender Ofen hing sie an einem dunstig blauen Himmel und starrte ihn bösartig an. Schon jetzt lief ihm der Schweiß in Bächen über den Körper. Er setzte sich an den körnigen Strand dicht ans Wasser, drehte den Kopf und blickte sich nach allen Richtungen um.
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Das also war seine Endstation, ein Weg von dem es kein Zurück mehr gab. Verlassenheit, Hunger, Durst und Tod, aber selbst der würde sich lange hinausziehen. Die Hitze nahm zu. Er warf einen Blick zum Horizont und sah das Boot als winzigen Fleck an der Kimm, das vom Sonnenglast umwabert wurde und wieder größer, dann wieder kleiner wurde. Mitunter sah es so aus, als kehre es um. Dann war es verschwunden, und de Diaz begann damit, seine Insel abzusuchen. Sein erster Weg führte ihn zu den drei Palmen und dem Stumpf. Hoffnungsvoll blickte er zu den Wipfeln hinauf. Doch in den Wedeln hing keine einzige Frucht, die ihm zum Überleben verholfen hätte. Mit einem bitteren Auflachen wandte er sich ab und blickte auf den Boden. Auch dort lag nichts, außer den Schalen eines toten Krebses. Er wanderte weiter und unterdrückte den Durst, der sich langsam bei ihm meldete. Die Hitze begann unerträglich zu werden. Sie zog die Feuchtigkeit aus seinem Körper, die er nicht mehr ersetzen konnte. In knapp zwei Stunden hatte er das trostlose und kahle Eiland umrundet, den Strand abgesucht und nichts außer Steinen und angeschwemmten Muscheln gefunden. Jetzt wußte er endgültig, was ihm hier bevorstand: der Tod durch jämmerliches Verdursten, mit Wahnanfällen, Halluzinationen und wilden Phantastereien. Er setzte sich wieder in den Sand und blickte aufs Meer hinaus. Dann dachte er an El Lobo del Mar, und ein zaghaftes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Der Seewolf und seine Crew waren in Sicherheit, und das erfüllte ihn noch jetzt mit tiefer Befriedigung. Im Geiste sah er wieder den hochgewachsenen schwarzhaarigen Mann vor sich, wie der ihm in die Augen geblickt hatte und nicht fassen konnte, daß er, de Diaz, nicht das Feuer auf ihn eröffnete. Ein herrliches Gefühl war das, als die „Isabella“ davonsegelte und seine Seesoldaten wie Figuren aus Lehm erstarrt dastanden.
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Gut, er war ein Verräter. Vermutlich hätte kein anderer an seiner Stelle so gehandelt, aber er hatte es nicht über sich gebracht, die Mannschaft einfach abzuknallen, die sich einmal so selbstlos für ihn eingesetzt hatte. Quälend langsam verstrich die Zeit. Die Sonne wanderte in einem endlos langen Bogen über das Meer und schickte erbarmungslos glühende Hitze auf die Insel, deren Sand sich immer stärker aufheizte. Schwerfällig stand de Diaz auf, sah die Schaufel im Sand, ergriff sie und ging mit müden Schritten zu den Palmen hinüber. Seine Füße brannten in dem heißen Sand, selbst das dürre Gras war so heiß wie glühende Holzkohle. Er konnte sich im Schatten der Palmen ein tiefes Loch buddeln, überlegte er. Der kühlere Sand würde seinen Körper schützen, und die Wedel der Palmen halfen ihm dabei. Dort konnte er hineinkriechen, das Loch mit den Wedeln bedecken und die heiße Tageszeit verdösen. „Diablo!“ fluchte er laut und spie in den Sand. Wenn er sich vorstellte, daß so sein Leben für einige Zeit aussah, dann konnte er glatt verrückt werden. Den ganzen Tag über in einem engen Loch auf einer öden heißen Insel zu hocken und auf die kühlere Nacht zu warten, ohne zu essen, ohne einen Schluck Wasser – das war die Hölle. Wie lange würde er das durchhalten! Drei Tage, vier, fünf oder eine ganze Woche? Fische fangen war auch ein Unding, denn welcher Fisch ließ sich schon ohne Köder mit der bloßen Hand fangen? Er mußte versuchen, sich die ersten Tage von Krebsen oder Muscheln zu ernähren, wenn er welche fand. Aber diese Insel würde nie ein Boot anlaufen, nicht einmal die siamesischen oder malaiischen Fischer verirrten sich hierher. Er konnte auch kein Feuer entzünden, um auf sich aufmerksam zu machen, falls ein Schiff am Horizont vorbeisegelte. Er versuchte, sich mit seinem Schicksal abzufinden, denn noch wollte es ihm nicht
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so recht in den Kopf, daß er auf dieser Insel schon sehr bald sein Leben aushauchen würde. Er fing an zu graben. Jetzt hatte er noch die Kraft und die Geduld dazu. Morgen oder übermorgen würde er die Schaufel kaum noch in den Händen halten können, dann war es zu spät. Er hatte noch nicht tief gegraben, als seine Schaufel dicht neben den Palmen auf Widerstand stieß. Anfangs hielt er es für eine Wurzel; doch der Widerstand war zu hart, es mußte etwas anderes sein. Aufgeregt grub er weiter, schaufelte den immer wieder nachrieselnden Sand aus der Grube und zuckte zurück. Ein eingeschlagener Schädel grinste ihn an, darunter erschien der Rest eines Brustkorbes. Mit einem Satz sprang er aus der Grube, stieß die Schaufel fort und starrte auf das grausige Bild, das sich ihm schonungslos bot. Sand rieselte auf das Skelett, und es schien plötzlich zu leben und mit den Knochen zu klappern. De Diaz bekreuzigte sich, blieb wie betäubt so stehen und starrte auf die traurigen Überreste eines Menschen. Ob es auch ein Ausgesetzter war, überlegte er. Oder mehrere? Sonst hätte er sich ja kaum selbst begraben können. Oder hatten vorbeifahrende Schiffe hier nur einen Toten beerdigt? Nein, Seeleute erhielten ein Seemannsgrab, folglich mußten es Ausgesetzte sein und zwar mehrere, die hier ums Leben kamen. Nach einer kleinen Ewigkeit und großer Überwindung schaufelte er die Grube wieder zu. Dann setzte er sich in den Sand und starrte vor sich hin, wobei er bitter auflachte. Er hatte soviel Zeit, wie es auf der Insel Sand gab, es war völlig egal, ob er irgendetwas Sinnloses gleich oder später tat. Zeit zählte für ihn nicht mehr. Unmerklich stieg das Wasser. Die Flut überschwemmte den grobkörnigen Sand, und das Wasser reichte bis an die Palmen,
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wo der Tote lag, der der Ewigkeit entgegendämmerte. „Du hast es hinter dir“, sagte de Diaz laut. „Mir steht das alles noch bevor. Also bist du besser dran als ich!“ Er warf einen Stein ins Wasser, watete ein Stück hinein und sah nach, ob irgendwelche Krebse an den Strand krochen. Aber kein einziger ließ sich blicken. Nur eine Qualle schaukelte träge heran. Die Sonne senkte sich dem Meer zu, und es war noch immer so heiß wie am Mittag. Es wehte nur noch ein schwacher Wind, und der war heiß und brachte keine Abkühlung. Sein Durst wurde größer. Immer wieder sah er sich um, als würde plötzlich eine Quelle auf der kahlen Insel zu sprudeln beginnen. Mit etwas Seewasser befeuchtete er seine Lippen, die schon jetzt nach den paar Stunden, spröde und rissig wurden. Zur weiteren Abkühlung schwamm er ein Stück ins Meer hinaus. Dann setzte die Dämmerung ein, der gleich darauf die Nacht folgte. Der Mond löste die Sonne ab, aber es gab keine Wolke, nicht das kleinste Anzeichen für Regen, den er so sehnlichst erhoffte. Irgendwann schlief er ein und träumte wirres Zeug. In seinem Traum erschien der König von Spanien, der ihm mit der flachen Hand ins Gesicht schlug und laut schrie: „Du Verräter, du bist kein Spanier mehr!“ De Diaz erwachte schweißgebadet und sah sich um. Auf der Insel herrschte Totenstille. Er hörte nicht einmal mehr die winzigen Wellen über den Sand murmeln. Alles wirkte seltsam künstlich und unnatürlich, als befände er sich in einer völlig anderen Welt. Er blickte zum Nachthimmel, der über ihm in gleißender Pracht funkelte und strahlte. Der Mond hing riesig und gelbrot zwischen den Sternen. Er sah in dem narbigen Gesicht deutlich große Bergmassive und dunkle Stellen die wohl Schluchten waren.
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Auf dem Mond konnte es auch nicht einsamer sein als auf dieser Insel, dachte er. Nach einer Weile lehnte er sich zurück, ließ sich in den Sand fallen, starrte ausdruckslos zum Firmament und schlief wieder ein. Diesmal träumte er gar nichts. Alles blieb unendlich dunkel und sehr still. * Hasards Idee, herauszufinden, was mit de Diaz geschehen war, war ganz einfach, und er erläuterte sie Dan. „Ich werde einen von diesen Seesoldaten kapern“, sagte er. „Und dann?“ „Dann ziehe ich seine Uniform an und frage einen anderen, was aus de Diaz geworden ist.“ Dan O'Flynn grinste vor sich hin. Sie hockten zwischen den Felsen und konnten aus ihrer Position die Spanier genau beobachten, ohne daß man sie sah. Hasard schätzte, daß sie fast zwanzig Kanonen in die Berge geschleppt hatten. Und das alles wegen ihnen! Auch er mußte unwillkürlich lachen, wenn er an den riesigen Aufwand dachte, den die Spanier getrieben hatten, um die Crew der „Isabella“ zu erwischen. Jetzt schleppten sie das ganze Zeug wieder unter Fluchen und Schwitzen zurück. Einige der Galeonen waren hell erleuchtet, und lautes Hämmern und Klopfen drangen zu ihnen herauf. Eine andere wurde im Schein von Öllampen und Fackeln abgewrackt, während drei oder vier andere draußen auf See lagen und die Bucht vor unerwünschtem Besuch absicherten. Nicht weit von ihnen stand ein Seesoldat, der sich vor der Arbeit drückte, faul herum. „Der Kerl versteht es, sich immer rechtzeitig zu verholen“, sagte Dan. „Sobald gearbeitet wird, haut er ab. Er hat übrigens fast deine Größe.“ Sechs Seesoldaten keuchten in knapp zwanzig Yards Entfernung vorbei. Sie schleppten die Culverine mit Tauen und
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starken Seilen und ließen sie dann vorsichtig den Pfad hinunter. „Die schwitzen alle wegen uns“, lästerte Dan. „Aber dann werden sie auch nicht so fett.“ Immer wieder drangen spanische Wörter an ihren Ohren, manche gut verständlich, manche aus dem Zusammenhang gerissen. Auch hallten ungeniert laute Flüche durch die Nacht. Hasard stand lautlos auf. Er konnte nicht einfach auf den erstbesten Don zugehen und ihn fragen, was denn aus de Diaz geworden sei. Aber wenn er spanische Uniform trug und sich so ganz beiläufig erkundigte, dann fiel das nicht auf. Mit zwei schnellen Sätzen war er bei dem Drückeberger, der sich gerade umdrehte. Hasards Faustschlag hob den Mann ein Stückchen hoch, und aus seinem Mund drang ein leises Ächzen, als der Seewolf ihn auffing und sanft auf den Boden legte. Mit Dans Hilfe wurde der Spanier blitzschnell entkleidet, und der Seewolf zog seine Sachen an. Sie waren sehr eng, und die verdammte Kürbishose platzte fast, aber in der Dunkelheit und dem schwachen Mondlicht fiel das keinesfalls auf. „Paß gut auf ihn auf“, sagte Hasard leise. „Wenn er wach wird, dann gib ihm noch eins auf die Nase. Ich bin gleich wieder zurück.“ „Der Kerl wird später Krach schlagen“, wandte Dan ein. „Wird er nicht. Erstens weiß dann jeder, daß er sich vor der Arbeit drückte, und zweitens wird er wohl kaum zugeben, daß ihm jemand seine Klamotten ausgezogen hat.“ Schon war der Seewolf im Dunkel des Waldes verschwunden. Er näherte sich einer Gruppe von sieben Spaniern, die fluchend eine weitere Culverine nach unten schleppten. Er tat so, als wäre er gerade mal im Gebüsch verschwunden und griff wortlos mit zu und begann an dem Strick zu ziehen. „Diablo“, sagte sein. Nebenmann. „Wo sind denn die Kerle, die sie uns noch schicken wollten?“
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„Ich bin schon der erste“, sagte Hasard mürrisch. „Die anderen helfen noch da vorn mit. Da muß man seine Freiwache opfern, und das alles wegen diesem Lobo del Mar.“ Sein Spanisch unterschied sich in nichts von dem der anderen. Sein Nebenmann begann verhalten zu fluchen. „Wegen Lobo del Mar?“ fragte er höhnisch. „Hauptsächlich wegen diesem Idioten de Diaz, der hat schließlich alles versaut, sonst hätte Lobo del Mar die Kanonen eigenhändig wieder an Bord gebracht.“ „Haltet die Schnauzen und zieht!“ rief eine grobe Stimme. „Wenn ihr dauernd quatscht, werden wir nie fertig.“ „O verdammt, der Profos, der Drecksack“, sagte Hasards Nebenmann im Flüsterton. „Los zieh, beeil dich!“ Eine Weile schwiegen sie. Dann, als sie schwitzend eine kleine Pause einlegten, fragte der Seewolf ganz beiläufig. „Was ist jetzt aus ihm geworden? Ich hab überhaupt nichts mitgekriegt, weil wir wie die Wilden geschuftet haben.“ „Aus wem?“ fragte der Kerl begriffsstutzig. „Na, aus de Diaz!“ „Statt ihn zu hängen, haben sie ihn ausgesetzt. Das Bordgericht hat es so beschlossen. Weißt du das denn nicht?“ „Ne, mir hat's keiner gesagt.“ „Uns sagt ja nie einer was“, meckerte der Soldat. „Wir sitzen ja immer am Arsch der Welt. Wir wissen nicht mal, wann es was zu fressen gibt.“ Hasard ließ sich seine freudige Erregung nicht anmerken. „Ich hätte ihn hängen lassen“, sagte er im Brustton der Überzeugung. „Wo haben sie ihn denn ausgesetzt?“ „Yao Yai heißt die Insel, glaube ich.“ „Nie gehört. Wo liegt die denn?“ „Keine Ahnung, ist mir auch scheißegal. Dieser Hund hat uns um unseren Anteil beschissen. Hunderttausend Reales sind auf den Kopf des Seewolfs ausgesetzt.“ Eine mehr als stolze Summe, dachte Hasard. Da mußte der König von Spanien
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aber tief in den Staatssäckel greifen. Soviel war er also wert. „Hoffentlich holt er sich auf der Insel die Pest“, sagte er und verbarg sein Grinsen geschickt. „Die kann ja nicht weit weg sein.“ „O doch, denn die Männer, die ihn zur Insel gebracht haben, waren erst nach knapp zwölf Stunden wieder zurück.“ Der Soldat zeigte mit dem Finger in die Richtung schräg hinter der Bucht. „Genau dort sind sie hingefahren.“ Hasard merkte sich die Stelle, obwohl er von der Insel noch nie etwas gehört hatte. Dort gab es mit Sicherheit noch viele andere Inseln. Unter Umständen konnten sie tagelang suchen, ehe sie de Diaz fanden. Wenn sie ihn überhaupt fanden. Mehr wollte er nicht wissen, und er hatte auch keine Lust den Dons die Kanonen an Bord zu schleppen. Das sollten sie gefälligst selbst besorgen, dann hatten sie wenigstens Arbeit. „Ich muß schon wieder“, sagte er entschuldigend. „Ich glaube, ich habe mir was geholt durch das stinkige Wasser.“ „Beeil dich aber, sonst knurrt der Profos, und du kennst ihn ja.“ „Sicher kenne ich den Profos“, sagte Hasard. Aber er konnte ja schlecht hinzufügen, daß der Profos, den er kannte, Carberry hieß. Auf Umwegen kehrte er in das Versteck zurück, wo Dan ihn schon erwartete. „Ich mußte ihm noch eins auf die Rübe geben“, sagte Dan O'Flynn entschuldigend. „Er fing nämlich an zu schnarchen, und ich kann das Geräusch nicht vertragen. Hast du was erreicht?“ „Sie haben ihn ausgesetzt, verbannt nach einer Insel. Zwölf Stunden haben sie gebraucht, bis sie wieder zurück waren.“ „Also sechs Stunden für eine Fahrt. Die Insel sollten wir eigentlich finden.“ Hasard zog sich wieder an. Den bewußtlosen Spanier lehnten sie an einen Strauch. Seine Klamotten legten sie daneben. Wenn der Kerl erwachte, würde er nicht gleich Krach schlagen, sondern sich vermutlich sehr verblüfft fragen, was denn nun los gewesen sei. Daran würde er
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eine ganze Weile rätseln, ehe er sich verschämt anzog. Unhörbar glitten sie wie Schlangen davon, mieden den Pfad und kehrten durch den dichten Urwald wieder zur Küste zurück. Die Luft war zum Schneiden dick, sie hing wie ein Pesthauch zwischen den Büschen, wie der stinkende Atem eines Raubtiers. Unterwegs, bevor sie die Mangrovenküste erreichten, fielen wieder unzählige Insekten über sie her, und große Tausendfüßler krochen ihnen schleimig und tastend über den Körper. Dann waren sie unten und suchten das Boot, das sie im Gestrüpp der tausend Stelzwurzeln versteckt hatten. Dan blieb in dem sumpfigen Wasser noch einmal stehen. „Dort also“, sagte er und deutete aufs Meer hinaus. „Bist du sicher, daß die Richtung stimmt?“ „Die Richtung, die der Kerl mir angegeben hat, stimmt. Ich weiß nur nicht, ob er sie genau kannte.“ „Eine Daumenbreite Abweichung gepeilt“, sagte Dan, „und wir segeln mitten hinein in den Golf von Bengalen. Bis wir dann zurück sind, ist mein Alter hundert Jahre alt.“ „Wir haben ja zum Glück den kleinen Kompaß. Zurück finden wir also bestimmt ein paar Jahre früher“, sagte Hasard. „Und jetzt los, Dan. Wir müssen einen weiten Bogen schlagen, damit uns die Dons nicht auf der Wasserspiegelung sehen.“ Der Wind blies zwar nur schwach, aber sie hatten ihn jetzt von Backbord und konnten schneller segeln als vorher. „Schlafen werden wir abwechselnd“, sagte Hasard noch und blickte auf den kleinen Kompaß. „Nordnordwest müßte die Richtung sein. Halte dich also dran!“ Hasard lehnte sich zurück, während Dan die Ruderpinne übernahm. Ab und zu lächelte er, wenn er daran dachte, wie sie die Spanier eben noch einmal überlistet hatten und mitten unter ihnen gewesen waren. Die würden sich jedes Haar einzeln raufen, dachte er belustigt, wenn sie wußten, wer da eben mitten zwischen ihnen an den Culverinen mitgezogen hatte.
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Dann lehnte er sich zurück und schloß für eine halbe Stunde die Augen. Anschließend löste er Dan ab. 9. Am zweiten Tag nachmittags plagte de Diaz der Durst immer entsetzlicher. Er saß im Halbschatten zwischen den Kokospalmen über dem Grab des Mannes, von dem er nichts wußte, der aber wahrscheinlich auch auf dieser Insel ausgesetzt worden war. Die sengende Hitze ließ ihn apathisch vor sich hindösen. Vor seinen geschlossenen Augen tauchten immer wieder sprudelnde Wasserquellen auf, und er glaubte das Murmeln und Plätschern deutlich zu hören. Wenn er dann die Augen öffnete, sah er das trostlose Bild erschreckend deutlich vor sich, und das Entsetzen fiel ihn an wie ein wildes Tier. Nein, hier überlebte er keine vier Tage, das stand schon jetzt fest. Der Hunger ließ sich ertragen, da war nur ein leichtes Wühlen in seinen Eingeweiden, aber der Durst war verheerend, und dieser Durst ließ ihn immer wieder an kühles klares Wasser denken. Seine Lippen waren aufgesprungen. Er dachte an den Knochenmann, der unter ihm in der Grube lag, und über dessen Gebeinen er jetzt saß und an nichts anderes als an Wasser denken konnte. Schon jetzt beneidete er den Toten. Mühselig stand er auf und holte wieder seine Schaufel. Vielleicht gab es doch Wasser auf der Insel, überlegte er. Nicht überall sprudelte das kostbare Naß einfach so aus dem Boden. Man mußte danach graben. Auf der Finca seines Vaters hatten sie auch nach Wasser gegraben und auch welches gefunden. Er stöhnte, als er die Schaufel ergriff und langsam zur Mitte der Insel wanderte, an einen kleinen Fleck wo das Gras noch etwas grünlicher schimmerte als an den anderen Stellen. Möglich, daß es hier, wenn man nur tief genug grub, doch etwas Wasser gab. Das
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grünliche und noch nicht ganz verdorrte Gras gab ihm zu denken. Er senkte die Schaufel in die Erde und sah sich um. Er stand auf dem höchsten Punkt der Insel und hatte nach allen Seiten ungehindert einen freien Blick. . Er sah nur Wasser, von Horizont zu Horizont, nichts als die kaum bewegte endlose Wasserfläche. Verdammt, es gab soviel davon, aber man konnte es nicht trinken! Dann begann er zu graben. Die Sonne dörrte ihn aus, und die Arbeit ließ ihn immer durstiger werden. Unter dem Gras befand sich eine dünne Schicht Humus, aber es war nur ein Hauch, der sich im Laufe vieler Jahre gebildet hatte. Eifrig grub de Diaz weiter, stieß die Schaufel hinein, trug die dünne Humusschicht ab, stieß auf nachrieselnden Sand und grub sich mit wilder Besessenheit weiter. Der Schweiß floß bachweise über seinen Körper. Als er ein halbes Yard tief gegraben hatte, hing ihm die Zunge aus dem Hals, und er röchelte leise. Einmal unterbrach er seine Arbeit, taumelte zum Wasser und ließ sich der Länge nach hineinfallen. Es kühlte kaum, denn das Wasser war am Strand mehr als lauwarm, und so schwamm er ein paar Yards hinaus, wo es etwas kühler und erfrischender war. Noch einmal hielt er nach Muscheln oder Krebsen Ausschau, aber es schien, als hätte sich alles gegen ihn verschworen. Kein Wasserbewohner ließ sich blicken. Sein Körper brannte, als er weitergrub, und auf der Haut bildete sich eine salzige Kruste, die ekelhaft juckte. Aber er buddelte weiter und schaufelte wie ein Besessener. Dann stieß er einen Schrei aus, warf die Schaufel weg und riß die Arme hoch. Der Sand unter ihm begann feucht zu werden. Unmerklich erst, dann aber doch sehr deutlich. Eine Zeitlang stand er davor, grinste mit aufgeplatzten Lippen und konnte sein Glück nicht fassen.
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Jetzt grub er vorsichtiger, starrte immer wieder auf den feuchten Sand und freute sich wie ein Kind, als sich in der Grube ein winziges Rinnsal bildete. Er versickerte jedoch rasch wieder, doch de Diaz wußte, daß er nur noch ein paar Minuten brauchte, bis sich auf dem Boden eine Lache bilden würde. Er sandte ein Stoßgebet zum Himmel, holte mit der Schaufel weit aus und grub den feuchten Sand weg, den er in hohem Bogen über die Schulter warf. Noch eine volle Schaufel jetzt schon klatschnasser Sand, und in der Grube bildete sich eine tiefe Pfütze. De Diaz fiel hinein, schöpfte mit beiden Händen das Wasser und trank in gierigen Schlucken. Die Ernüchterung folgte wie eine Explosion, und er hatte das Gefühl, als fliege sein Magen stückweise auseinander. Ein Schrei des Ekels brach über seine Lippen. Gleichzeitig mit der gewaltigen Enttäuschung gab sein Magen explosionsartig alles in einem wilden Schwall von sich. Es war Meerwasser, das sich in der Grube gesammelt hatte, und es war genauso ungenießbar wie das Wasser am Strand, nur knapp hundert Yards weiter. Gebrochen wankte er aus der Grube, legte sich auf das verdorrte Gras und umkrampfte mit beiden Händen seinen geschundenen Leib. Sein Magen gelangte nicht zur Ruhe, seine ausgedörrte Kehle zuckte, als hätte er Feuer geschluckt, und die Übelkeit ergriff von seinem Körper immer mehr Besitz. So lag er da, bis zum Abend, bis wieder die Sonne unterging und der Mond sein bleiches Licht über der Insel ergoß. Dann stand de Diaz auf, halb verrückt vor Durst und Schmerz und kratzte mit den Fingernägeln an den Stämmen der Palmen herum. Aber er fand keinen Saft, die paar Tropfen, die sich unter der Rinde bildeten, rannen den Stamm hinunter und verdunsteten. Die Nacht verbrachte er wieder halb im Delirium, diesmal von wilden Träumen
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geplagt, die ihm riesige Seen frischen Wassers vorgaukelten. Als er erwachte, schien ihm die Sonne grell ins Gesicht, und sein Traum zerplatzte wie eine Seifenblase. Schon jetzt war er ein halbes Wrack und konnte kaum noch denken. Er hatte Visionen, wenn er unter den Palmen saß und vor sich hindöste. Einmal sprang er schreiend auf, als sich ein großes Schiff unter vollen Segeln der Insel näherte. Es lief genau auf die Palmengruppe zu, doch dann erhob es sich in die Lüfte, segelte hoch über seinem Kopf weg und löste sich wie ein Schemen auf. Ein anderes Mal erschien ihm der Tote aus der Grube unter den Palmen. Er klapperte mit seinen Gebeinen, grinste ihn an und eilte voraus, um ihm zu zeigen, wo es hier Wasser gab. Als de Diaz die Schaufel ergriff, glaubte er nur noch ein höhnisches Kichern zu hören, und der Spuk löste sich auf. Dazwischen gab es auch klare Augenblicke, in denen er sich durchaus bewußt war, wo er sich befand und was ihn erwartete. Aber die klaren Gedanken verschwanden meist sehr schnell. Dann fühlte er wieder seine Zunge wie einen pelzigen Riesenklumpen im Hals, an dem er zu ersticken drohte. So verging auch dieser Tag, und der ehemalige Kapitän der „San Angel“ bewegte sich wie ein Wahnsinniger über die Insel, grapschte nach imaginären Gestalten oder rupfte das dürre Gras aus, um es sich in den Mund zu stopfen. Ab und zu saß er lachend im Sand, schlug sich auf die Schenkel und konnte sich kaum beruhigen. Dann ging er mit ernstem Gesicht weit ins Wasser hinaus, weil er annahm, weiter drüben befände sich festes Land, und es sei keine hundert Yards von ihm entfernt. Dann sah er den Fisch im Wasser, der ihn spielerisch umschwamm, und er schwamm hinterher, um ihn zu greifen. Doch der Fisch war ein ausgewachsener Hai, der ihn umkreiste und sich nur noch nicht zum Angriff entschließen konnte. Er
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drehte auch erst ab, als de Diaz in flaches Wasser zurückkehrte. Aber der einsame, halbirre Mann kannte keinen Unterschied mehr. Er unterschied nicht mehr Tag und Nacht und wähnte sich irgendwo auf der Finca seines alten Vaters. Hin und wieder brach er zusammen und rührte sich stundenlang nicht. Aber sein Lebenswille riß ihn immer wieder hoch, und dann sah er sich mit irren Augen um. An diesem Tag entdeckte er wieder ein Boot, das auf die Insel zuhielt, und das sich etwas später wieder mit Sicherheit in Luft auflösen würde. Dann war das Boot heran, und als er noch einmal hinblickte, sah er es ganz weit draußen an der Kimm. De Diaz fiel mit dem Kopf voran in den Sand und blieb liegen. * Hasard und Dan hatten schon kapituliert, denn es gab hier so viele Inseln, daß man sie kaum noch zählen konnte. Kaum sichteten sie eine, so tauchte schon wieder die nächste auf. „Nach Inseln mit üppigem Grün und Quellen brauchen wir gar nicht erst zu suchen“, erklärte der Seewolf. „De Diaz hat nach Ansicht der Spanier eine harte Strafe verdient, die sein Leben kosten soll. Also . wird man ihn dort absetzen wo es kein Wasser und kaum etwas zu essen gibt. Die größeren Inseln können wir alle ausklammern.“ „Du meinst, sie haben ihm überhaupt nichts mitgegeben?“ fragte Dan O'Flynn. „Ganz sicher nicht. Er wird nichts weiter als die Sachen haben, die er auf dem Leib trägt.“ Beide Männer hatten tagealte Bartstoppeln im Gesicht. Seit mehr als drei Tagen waren sie jetzt unterwegs, und von der Insel Yao Yai hatten sie immer noch nichts gesehen. „Verdammt“, sagte Hasard, „das hält der Mann keine drei Tage durch, wenn er nichts zu trinken hat. Hier reicht schon ein Tag aus, um vor Durst wahnsinnig zu werden. Hoffentlich behalten jetzt die
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Burschen auf der ,Isabella` die Nerven und nehmen nicht an, daß wir den Spaniern in die Hände gefallen sind.“ „Ben behält die Nerven ganz sicher und die anderen auch. Sie wissen, daß wir alles tun werden, um de Diaz zu finden, und das geht eben nicht von heute auf morgen.“ Wieder entdeckten sie eine Insel. Ein feiner Sandstrand mit Palmen tauchte auf, kleine grüne Hügel, ein Korallenatoll. Sie suchten auch diese Insel ab, obwohl Hasard es nicht für wahrscheinlich hielt, daß sie den Mann hier ausgesetzt hatten. Trotzdem riefen sie ein paarmal seinen Namen und untersuchten auch den Strand auf Spuren. Doch es war jungfräuliches Land. Vielleicht hatte noch nie ein Mensch seinen Fuß darauf gesetzt. Hasard füllte das Wasserfaß auf und nahm ein paar Kokosnüsse mit. „Wir bleiben auf Nordnordwest, Dan. Noch einen Tag. Wenn wir dann nichts finden, suchen wir in einem großen Bogen weiter und treten dabei die Rückreise an.“ „Ja“, sagte Dan heiser. „Es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben. Aber ich hätte de Diaz zu gern meine Dankbarkeit bewiesen.“ „Das hätte ich auch gern.“ Am späten Nachmittag stieß Dan den Seewolf an. „Da stehen Palmen im Wasser“, sagte er. „Scheint ein kleines Atoll zu sein, das von der Flut überspült wird.“ Hasard hatte das Spektiv mitgenommen und zog es auseinander. „Es ist eine Insel“, sagte er nach einer Weile, „und zwar die ödeste, die wir bisher fanden. Flach wie ein Teller. Aber ich kann niemanden sehen. Wir segeln trotzdem hin!“ Die Insel rückte rasch näher, ein unwirtlicher Flecken im Meer, flach wie ein Pfannkuchen. Außer den drei Palmen stand nichts weiter auf ihr als ein abgebrochener Stumpf. Diesmal blickte Dan durch das Spektiv. Als er es absetzte, begann es in seinem Gesicht zu zucken. „Unter den Palmen liegt etwas. Könnte ein Mensch sein“, sagte er schwer atmend.
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Ein lebloses Bündel lag dort, wie Hasard feststellte. Es konnte wirklich ein Mensch sein, und wenn es tatsächlich einer war, dann konnte es sich nur um den ausgesetzten Kapitän handeln. Eine halbe Meile vom Strand entfernt, hatten sie dann die endgültige Gewißheit. Es war ein Mensch, und er schlief oder war schon tot und brauchte keine Hilfe mehr. Dan jagte das Boot auf den Strand, bis es knirschend auflief, dann stürmten die beiden Seewölfe auch schon los. Hasard kniete sich auf den Boden und drehte den Mann vorsichtig herum. „Tot?“ fragte Dan flüsternd. „Nein, er lebt. Gott sei Dank. Schnell, tragen wir ihn zum Boot.“ De Diaz Gesicht war eingefallen, seine Lippen dick aufgeworfen, rissig und blutig, seine pelzige Zunge bewegte sich, als der Seewolf ihn vorsichtig aufhob. Unendlich vorsichtig, als könne er ihn zerbrechen, legte Hasard ihn in das Boot, und Dan spannte ein Stück Segeltuch so, daß de Diaz im Schatten lag. Hasard benetzte sein Gesicht mit Trinkwasser, feuchtete seine Lippen an und ließ das Wasser immer nur tropfenweise über das eingefallene Gesicht rinnen. Der Mann stöhnte verlangend, sein rissiger Mund öffnete sich, und einmal schlug er die Augen auf. Aber er sah die beiden Männer nicht, er lebte noch in seiner Welt, die ihm Trugbilder vorgaukelte. „Sie sind in Sicherheit, de Diaz“, sagte Hasard leise. „Es kann nichts mehr passieren, wir bringen Sie an Bord unseres Schiffes.“ Der Kapitän konnte nicht antworten, aber er spürte diese kühle Köstlichkeit, die das Leben langsam in seinen Körper zurückbrachte und die Lebensgeister mobilisierte. „Los, Dan, wir segeln zurück“, sagte Hasard und warf einen letzten Blick auf die armselige Insel. Ihn wunderte, daß de Diaz es trotzdem so lange ausgehalten hatte. Aber er schien einen unbeugsamen Lebenswillen zu haben.
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Hasard war froh, daß er ihn gefunden hatte, denn die Vorstellung, de Diaz nicht mehr helfen zu können, war bedrückend für ihn gewesen. Er schlug mit dem Entermesser eine Kokosnuß auf und ließ ein paar Tropfen Milch über die Lippen des halbtoten Mannes rinnen. Inzwischen segelte Dan wieder zurück, aber er nahm einen anderen Kurs, von dem er wußte, daß er auch so wieder zur „Isabella“ zurückfinden würde. Es dauerte lange, bis der Mann erneut die Augen aufschlug. Sein Blick war trübe und verschleiert, und er erkannte immer noch nicht, was um ihn herum vorging. „Glaubst du, wir bringen ihn durch?“ fragte Dan. „Ganz bestimmt. Wenn der Kutscher ihn erst in Händen hat, ist alles in Ordnung. Aber selbst wir schaffen das noch, bis wir wieder an Bord sind.“ „Ja, ich glaube es jetzt auch“, sagte Dan zuversichtlich. „Wäre mir direkt peinlich, wenn wir ihm den Dank schuldig bleiben müßten.“ „Da sprichst du mir aus der Seele.“ „Was wird jetzt mit ihm geschehen? Für die Spanier ist er erledigt, denen darf er nicht mehr in die Hände fallen.“ „Zuerst nehmen wir ihn an Bord und päppeln ihn wieder hoch, bis er gesund ist. Dann muß er selbst entscheiden, was geschehen soll. Wenn er mag, kann er an Bord bleiben, für immer. Aber hören wir erst mal seine Antwort. Er wird sie uns schon sehr bald geben.“ * Das Hallo war unbeschreiblich, als Hasard und Dan mit de Diaz wieder zurückkehrten. Sie hatten es geschafft, und auf dem ranken Rahsegler brach der Jubel los. Der Kutscher legte eine Emsigkeit an den Tag, bis der Profos ihn stoppte. „He, du sollst den Mann nicht mästen“, sagte er, „du sollt ihn nur pflegen.“ „Das mußt du schon mir überlassen“, erwiderte der Kutscher, und diesmal klang
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seine Stimme sehr arrogant, denn er ließ sich nicht gern hineinreden und gab das auch immer klar und deutlich allen zu verstehen, die lange meckerten. De Diaz war wieder auf den Beinen und wehrte verlegen den Dank ab, der von allen Seiten auf ihn niederregnete. „Ich habe mich zu bedanken“, sagte er schlicht. „Auf der Insel hätte ich keinen einzigen Tag mehr überlebt. Ich war dem Tode näher als dem Leben.“ Hasard legte ihm die Hand auf die Schulter. „Sie haben für uns Ihr Leben aufs Spiel gesetzt und außerdem Ihre Karriere geopfert, de Diaz“, sagte er. „Und daß nur, weil wir Ihnen damals bei der Armada etwas Proviant zurückgelassen hatten.“ Der ehemalige Kapitän lächelte. „Das war wohl etwas mehr, was Sie getan haben“, sagte er amüsiert. „Ohne Ihre Hilfe wäre ich nie nach Spanien zurückgekehrt und meine Männer auch nicht. Nein, nein, wehren Sie nicht ab, Killigrew, ich habe das nie vergessen. Ich wollte Sie warnen, aber das mißlang leider, oder Sie haben den Schuß in der Bucht mißverstanden. Ich selbst schlich mich in jener Nacht in die Berge und habe die Culverine heimlich abgefeuert.“ Hasard empfand immer mehr Achtung vor dem Mann, und er schüttelte fassungslos den Kopf, als de Diaz das erzählte. Aber den ehemaligen Kapitän interessierte nicht der Dank, ihm brannte noch eine ganz andere Frage auf der Zunge. Vorher jedoch gab er dem Seewolf die Hand und blickte ihm in die eisblauen Augen. „Ich heiße Manuel“, sagte er einfach. Hasard gab den Händedruck zurück. Er wußte, daß er einen neuen Freund gefunden hatte. „Meinen Namen kennst du“, sagte er lächelnd. „Ich werde ihn nie vergessen, Hasard. Aber ich verstehe nicht, wie ihr mich dort draußen gefunden habt. Ihr konntet doch nicht wissen, was aus mir geworden war.“ „Oh, das war eigentlich ganz einfach. Dan O'Flynn und ich schlichen uns in die
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Berge, zogen einem Seesoldaten die Klamotten aus, und in der Kleidung mischte ich mich unter die Männer und horchte sie aus. Der Rest bestand leider aus tagelangem Suchen, sonst hätten wir dich viel eher gefunden, und dir wäre einiges erspart geblieben.“ De Diaz stutzte, sah den Seewolf an, sah die grinsenden Gesichter der Männer und begann schließlich zu lachen. „Und niemand hat etwas gemerkt?“ fragte er. „Nein, niemand, ich erhielt die Auskunft bereitwillig, denn schließlich war es dunkel, ich trug die Uniform, und die Seesoldaten kennen sich untereinander ja nicht alle.“ De Diaz schlug sich auf die Schenkel und lachte noch lauter. „Diese Unverfrorenheit bringt nur El Lobo del Mar fertig“, sagte er und konnte sich kaum beruhigen. „Wenn das bekannt wird, rauft sich der Generalkapitän die Haare.“ „Ich glaube nicht, daß sie es merken werden.“ „Vielleicht laufen sie die Insel an und stellen fest, daß ich nicht mehr da bin. Aber das kann mir egal sein. Wir alle haben noch unser Leben, und bei dem Gefecht in der Bucht sind nicht viele Leute zu Schaden gekommen.“ „Da ist noch ein Punkt, Manuel“, sagte der Seewolf. „Was wird aus dir? In Spanien hast du keine Zukunft mehr. Wenn du möchtest, kannst du bei uns an Bord bleiben. Wir würden uns freuen, dich hier als Dauergast begrüßen zu können.“ De Diaz nickte verstehend. „Ich danke dir aus ganzem Herzen für das Angebot“, sagte er. „Aber hier ist an der siamesischen Küste ein Ort, den ich gut kenne. Dort würde ich gern bleiben. Da gibt es eine Familie und auch eine junge Frau, die ich seit einem halben Jahr verehre, seit wir hier in dieser Ecke sind. Niemand weiß davon. Wenn ich mir eine Bitte gestatten darf, dann die, mich an jener Stelle an Land zu setzen.“ „Ich würde dir keine Bitte abschlagen, Manuel“, sagte Hasard herzlich. „Du bist frei in deinen Entscheidungen, und ich
Fred McMason
Seewölfe 220 46
werde dich dort hinbringen, wo immer du möchtest. Du bist jung genug, um noch einmal von vorn zu beginnen. Ich hoffe nur, daß dich deine Landsleute dort nicht suchen, falls einmal herauskommt, daß wir dich von der Insel geholt haben.“ „Das erfährt niemand“, versicherte de Diaz. „Diese siamesische Familie hat gute Beziehungen. Sie waren einmal Gäste bei mir an Bord, und niemand wird mich bei ihnen finden.“ Eine Stunde später segelte die „Isabella“ mit Kurs Norden weiter. Die verhängnisvolle Bucht wurde in einem großen Bogen umsegelt. Von den Spaniern war keine Galeone mehr zu sehen. Zwei Tage lang segelte die „Isabella“ nach Norden, dann tauchte der kleine Ort auf, und die „Isabella“ ging vor Anker. „Knapp zwei Meilen landeinwärts liegt der Ort“, sagte de Diaz. „Man kann ihn von hier aus nicht sehen, und selbst dieses kleine Nest laufen die Spanier nie an. Also werden sie mich auch niemals mehr finden.“ Jeder einzelne drückte De Diaz zum Abschied die Hand, und der Seewolf ruderte ihn persönlich an Land. Dort übergab er ihm einen Leinenbeutel. „Notproviant“, sagte er lächelnd. „Darauf hat der Kutscher bestanden. Du weißt ja, wie besorgt der Mann immer ist.“ „Vielen Dank, aber die zwei Meilen halte ich schon durch.“ Hasard drückte ihm den Leinenbeutel wieder in die Hand. „Ich wünsche dir alles Gute, Manuel“, sagte er. „Einen Mann wie dich findet man nur höchst selten.“
Verbannt nach Yao Yai
„Das Kompliment kann ich zurückgeben. Auch ich wünsche dir und deiner Mannschaft alles Glück dieser Welt.“ Dann gingen die beiden Männer auseinander, und de Diaz marschierte quer durch das im Mittagsschlaf liegende Dorf. Unterwegs öffnete er aus Neugier einmal den Beutel, der ihm für ein bißchen „Notproviant“ viel zu schwer erschien. Er fand ein paar Früchte, eine Flasche mit Rum, und dann quollen ihm die Augen über. Ein faustgroßes Säckchen voller Perlen befand sich in dem Beutel, und ein weiteres war mit Goldstücken gefüllt. „Por dios, nein“, sagte er laut. Dann lief er wieder zurück, aber als er den Strand erreichte, sah er die „Isabella“ schon unter vollen Segeln ihren Kurs nach Norden segeln. Er schrie, rief und winkte und sah, wie die Kerle grinsend zurückwinkten. „Ar-we-nack!“ hörte er sie schreien. „Arwe-nack!“ „Ar-we-nack!“ brüllte er zurück, bis die Leute zusammenliefen und seine Stimme heiser wurde. Da segeln sie, die Arwenacks, dachte er, und sah dem Schiff mit leichter Wehmut nach, Dann, als es immer kleiner wurde, drehte er sich um, wischte sich mit der Hand über die Augen und ging landeinwärts. Vor ihm lag eine neue Zukunft, in einem freundlichen Land mit freundlichen Leuten, die ihn mit offenen Armen empfangen würden. Von da an ließ er die Vergangenheit hinter sich, denn nun begann sein neues Leben.
ENDE