PRaeHISTORIE
UR und FRÜHGESCHICHTE Ständige Erneuerung der MODELLE und HYPOTHESEN über die HOMO-EVOLUTION
Dr. Manfred ...
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PRaeHISTORIE
UR und FRÜHGESCHICHTE Ständige Erneuerung der MODELLE und HYPOTHESEN über die HOMO-EVOLUTION
Dr. Manfred Aigner Gliederung 1. Einleitung 2. 2. Hypothesen zum Ursprung der Hominiden 2.22.1 Zur Evolution der Primaten 2.32.2 Afrika - Ursprung der Australopithecinen / Tier-Mensch-Übergangsfeld 2.42.3 Die ersten Ur-Menschen 2.52.4 Homo erectus in Afrika, Asien und Europa 2.62.5 Homo sapiens in Afrika, Europa und Asien 9. 3. Methoden der Urgeschichtsforschung 3.83.1 Moderne Prospektionsverfahren 3.93.2 Moderne Grabungsmethoden 3.103.3 Naturwissenschaftliche Urgeschichtsmethoden 14. 4. Die ersten Europäer 4.124.1 Die ersten Steinzeitmenschen in (Mittel-)Europa 4.134.2 Der Neanderthaler ( Homo sapiens neanderthalensis) 4.144.3 Die ersten Jetztmenschen ( Homo sapiens sapiens) 4.154.4 Der Mensch im Mesolithikum 20. 5. Der Jungsteinzeitmensch in Mitteleuropa ( Neolithikum ) 5.175.1 Die neolithische Revolution im Nahen Osten (Fruchtbarer Halbmond) 5.185.2 Jungsteinzeit in Mitteleuropa 5.195.3 Zum Indoeuropäer-/Arier-Problem
5.205.4 Pfahlbaudörfer an oberösterreichischen Seen 26. 6. Technikeinfluss, zunehmende Arbeitsteilung und gesellschaftliche Differenzierung in den Metallzeiten 6.16.1 Metalle verändern die Lebensweise 6.26.2 Bronzezeit 6.36.3 Eisenzeit ( Hallstattzeit, Keltenzeit) 7 Kunst und magisches Weltbild 7.1 Schamanismus 7.27.2 Pioniere der Wiederentdeckung der magischen Dimension der „Seele“ im 20. Jh. und ein naturphilosophischer Gegenentwurf 7.3 Kult und Religion in der Steinzeit 7.4 Kunst in der Urgeschichte 8 Soziale Abhängigkeit, menschliche Bedürfnisse, anthropologische Konstanten 8.1 Physiologische Frühgeburt - soziale Abhängigkeit 8.2 Sechs anthropologische Konstanten aus der Urgeschichte 8.3 Physische und psychische Bedürfnisse des Menschen 9 Voraussetzungen und Kennzeichen alter Hochkulturen 9.19.1 Voraussetzungen für das Entstehen alter Hochkulturen und ihre Kennzeichen 9.29.2 Urbanisierung mit anspruchsvollen wissenschaftlichen, technischen und künstlerischen Leistungen 9.39.3 Organisierte Arbeit mit vermehrter Arbeitsteilung 9.49.4 Gesellschaftliche Differenzierung/ Hierarchisierung 9.59.5 Kalender, Zeitbegriffe 9.69.6 Mythisches, begriffliches, kohärentes Denken 9.79.7 Religion und organisierter Kult 9.89.8 Schrift, geschriebenes Recht und Gesetz
Inhalte 1. Einleitung Der Mensch versucht seinem Leben Sinn zu geben. Dazu dient u.a. auch ein Blick in die Zukunft, aber auch ein Blick in die frühe menschliche Vergangenheit: Woher kommen wir, wohin gehen wir? Mit der Entstehung der modernen Naturwissenschaften versuchte man die alten, in sich kohärenten Mythen durch rationalere Erklärungszusammenhänge wie die Evolutionstheorie zu ersetzen. Die Wissenschaft, die sich mit dem Auftreten erster Spuren menschlicher Tätigkeit in einem geographischen Gebiet bis zum Einsetzen schriftlicher Überlieferung befasst, nennen wir URGESCHICHTE. Sie arbeitet heute interdisziplinär mit vielen Bezugswissenschaften zusammen: Die Paläoanthropologen stellen Hypothesen über den „fossilen“ Menschen auf. Aufgrund von spärlichen Überresten ( große Fundlücken von 99,9% - begrenzter paläoontologischer Erkenntnishorizont) rekonstruiert der Paläoanthropologe Faktoren und Prozesse der Menschwerdung. Neue Fossilienfunde können zu neuen Hypothesen über die Stammesgeschichte des Menschen führen. Die Funde werden katalogisiert. Aus der Katalognummer ist die Fossilart, die sammlungsverwaltende Institution, die Fundregion und die laufende Inventarnummer ersichtlich. Die ältesten Fossilienfunde der Vor- und Urmenschen fanden Forscher in Afrika: Folie 1/Karte, Hominidenfundstellen in Afrika. ( SCHRENK 1997, S.12) Ergänzende, aber auch kontroverse Ergebnisse zur Paläoanthropologie liefern die Molekulargenetiker, die ihre Hypothesen auf menschliches Genmaterial, z.B. Mitochondrien-DNA-Analyse: Folie 2, Der Vererbungsmodus von Mitochondrien-DNA (Spektrum der Wissenschaft 1992, S.74 ), stützen. Die Taphonomie ist die Wissenschaft von der Einbettung und Fossilwerdung von Organismen: Zerfall der Skelettreste, Einbettung, Fossilwerdung, Bergung, Präparation des Fossilmaterials. Die Paläoökologie versucht die Charakterisierung und Rekonstruktion ehemaliger Lebensräume ( Habitate). Wichtig sind heute multidisziplinäre Forschungsansätze zur Evolutionsökologie des Menschen und seiner Ausbreitungsgeschichte in Abhängigkeit von Klima- und
Lebensraumveränderungen. Wichtige Beiträge zur Modellbildung liefern auch die Biogeographie, die Klimaforschung und die biologische Systematik mit ihrem Spezialgebiet, der phylogenetischen Systematik. Zur Zeitbestimmung als absolute Größe im Evolutionsgeschehen tragen vor allem die Paläoontologie und die „molekulare Uhr“ bei. Was wir Lehrer und Studierende von der Urgeschichte wissen, ändert sich rasch. Wir sehen ein Spiegelbild des der Öffentlichkeit zugänglichen, etwas zurückliegenden Forschungsstandes. URGESCHICHTE in der Bedeutung als URGESCHICHTSFORSCHUNG ist eine relativ junge Wissenschaft. Sie reicht in die 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Die grundsätzliche Gliederung der Urgeschichte erfolgt nach einem 1836 von dem Dänen Christian THOMSEN aufgestellten DREIPERIODENSYSTEM nach dem vorwiegend verwendeten ( und erhaltengebliebenen) Werkstoff: STEIN, TON, METALL. STEINZEIT= jene Periode, als Waffen und Gerätschaften aus Stein, Holz, Knochen oder dgl. hergestellt wurden und in der man Metalle nicht oder sehr wenig gekannt hat. BRONZEZEIT= jene Periode, in der die Waffen und schneidenden Gerätschaften aus Kupfer (CU) oder Bronze (=Legierung aus ca. 9 Teilen CU und 1 Teil Zinn (SN) gefertigt wurden. EISENZEIT= jene Periode, in der man das Eisen zu den Gegenständen gebrauchte, zu denen es vorzugsweise geeignet ist. Um die Mitte des 19. Jh. setzte sich THOMSENS Gliederung durch. Heute sind Begriffe wie „Bronzezeit“ wissenschaftlich umstritten. Die erste zusammenfassende Darstellung der „ URGESCHICHTE MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG DER DONAUMONARCHIE “ veröffentlichte der Direktor des Münz- und Antikenkabinetts in Wien, Eduard Freiherr von SACKEN. Das 1876 gegründete NATURHISTORISCHE MUSEUM in Wien übernahm 1889 auch urgeschichtliche Fundgegenstände. 1892 wurde in Wien der 1. Lehrstuhl für „ PRÄHISTORISCHE ARCHÄOLOGIE “ errichtet, Lehrstuhlleiter wurde Moritz HOERNES. Dieser Lehrstuhl wurde zum Vorläufer des heutigen Instituts für UR- und FRÜHGESCHICHTE. Anteile an der österreichischen Urgeschichtsforschung haben auch die ANTHROPOLOGISCHE GESELLSCHAFT und die AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN. Österreich weist gute Fachgelehrte und einen großen Reichtum an prähistorischen „Bodenschätzen“ ( frühe Höhlenbärenjäger, prähistorischer Bergbau, Lebensraum und Durchzugsgebiet vieler vorschriftlicher Völkerschaften,...) auf. URGESCHICHTSFORSCHUNG ist zum einen Teil SPATENWISSENSCHAFT = ARCHÄOLOGIE. Sie gelangt durch Zufälle ( gesetzliche Meldepflicht: M1 Denkmalschutzgesetz vom 1.1.1991) oder durch systematische Forschungen mit anschließender Grabung, Auswertung und Dokumentation zu ihren Ergebnissen. Dazu werden von lokalen Überlieferungen, Sagen, Heiligenlegenden, Orts- und Flurnamen, Urkunden, nicht mehr gebräuchlichen topographische Namen, Begehungen, Pflanzenwuchs bis zu Luftaufnahmen alle relevant erscheinenden Ergebnisse herangezogen. Die namenlosen Kulturen werden nach n Formen der Fundgegenstände ( z.B. Glockenbecherkultur) n Verzierungsarten ( z.B. Linearkeramiker) oder n nach (Haupt-)Fundorten ( z.B. Hallstattkultur) benannt. In Linz befinden sich die bedeutendsten Sammlungen im Nordico (=Stadtmuseum) und in den beiden Landesmuseen in der Museumsstraße und im Linzer Schloß.
2. 2. Hypothesen zum Ursprung der Hominiden 2.1 Zur Evolution der Primaten Vor ca. 250 Millionen Jahren entstanden die Säugetiere. In den letzten 65 Millionen Jahren brachte die Evolution 35 Säugetierordnungen hervor. Die Ordnung der PRIMATEN, die etwa 80 Millionen Jahre zurückreicht, ist eine der 18 lebenden Säugetierarten. Sie wird untergliedert in die PROSIMII ( frühe fossile Primaten und heutige Halbaffen) und die ANTHROPOIDEA (Alt- und Neuweltaffen, Menschenaffen, Mensch), die mindestens bis ins Eozän ( 58-37 Mio. Jahre), wahrscheinlich aber 70
Millionen Jahre zurückreichen. Die modernen Menschenaffen ( heute: Gibbons, Siamangs, Orangutans; Schimpansen, Bonobos/ Zwergschimpansen/ pan paniscus - seit 1923 bekannt/Zaire, Gorillas) entstanden erst vor ca. 10 Mio. Jahren. Damals wurden durch klimatische Veränderungen im Zusammenhang mit der Entwicklung im afrikanischen Graben die ausgedehnten tropischen Regenwälder mehr und mehr durch Savannen und Buschland verdrängt. In Kenya fand man zahlreiche fossile Reste der Gattung „Proconsul“. In den „Ramapithecinen“ sieht die Forschung heute Vorfahren des Orangutan. Die DNS (= Desoxiribonuleinsäure) ist die Ursubstanz des Lebens, die alle Erbinformationen von einer Generation zur nächsten weitergibt. Das menschliche Protein ist in seiner Aminosäurensequenz zu 99% mit dem Bonoboprotein homolog. Der Unterschied in der Nukleinsäuresequenz zwischen menschlicher und Schimpansen-DNS macht ca. 1,1% aus. D.h. daß bei 10 Mio. Basen eines durchschnittlichen menschlichen Chromosoms ca. 110 000 anders sind als bei den Bonobos. Der gemeinsame Vorfahre vor ca. 5 Mio. Jahren wird noch gesucht. Die Artenbildung wird auf räumliche Trennung und unterschiedliche Lebensweisen zurückgeführt. Bei einschneidenden Veränderungen (Klimawechsel samt folgen) kann das Leben neue Formen annehmen. Exkurs: Jeder Mensch hat 23 Chromosomenpaare ( fädige Strukturen) mit 2,5 Mrd. Basenpaaren . Jedes Chromosom besteht aus 100 Mio. Zuckermolekülen, an denen jeweils vier Basen. haften. Diese 4-DNS-Molekülarten = 4 Basen heißen Adenin, Cytosin, Guanin, Thymin. Diese aneinandergereihten Basen bilden die genetische Information. Pro Chromosom gibt es 50 Mio. genetische Buchstaben. Wir können uns die DNS als Letternkette aus einem Alphabet mit 4 Buchstaben vorstellen: AGCCATGTATT....Mischt man menschliche mit Schimpansen-DNS-Strängen, ist ersichtlich, wieviele Basen anders sind, aber nicht welche (Hybridisierungstechnik). Die auseinandergewickelte DNS eines Menschen ist ca. 10-20 Milliarden km lang und wiegt ½ g. In unserer Schriftgröße geschrieben benötigt die DNS-Botschaft fast 1,4 Mio. Seiten. DNS-Untereinheiten bezeichnen wir als Gene. Mit eigenen Start- und Stopsequenzen. Der zwischen Start- und Stopsequenzen liegende Code gibt vor, welches Protein hergestellt wird. Proteine setzen sich aus ca. 20 biochemische Grundbausteinen ( Aminosäuren ) zusammen, die Peptidketten bilden.. Sie selbst sind Grundbaustein, aber auch Steuerungs- und Durchführungsorgan. Z.B. führt das Protein HÄMOGLOBIN den Transport des Sauerstoffs im Blut durch. 1 Aminosäure wird ca. alle 3,5 Mrd. Jahre gegen eine andere ausgetauscht ( molekulare Uhr). Hat man fossile Funde eines gemeinsamen Vorfahren, kann bestimmt werden, wann sich beide Formen trennten. Ursprünglich waren alle Nukleinsäuren gleich. Nach der Trennung beginnen die „molekularen Uhren“ unterschiedlich schnell zu ticken. Jede untersuchte Proteinart besitzt ihre individuelle Veränderungsrate. Z.B. verändert sich 1% der Peptidkette von Cytochrom-C alle 20 Mio. Jahre, beim Hämoglobin alle 6 Millionen Jahre, etc. Das gleiche Protein verändert sich aber mit nahezu gleicher Frequenz in der Generationenfolge. Die Anzahl der Unterschiede im Hämoglobin gibt grob den Zeitpunkt wieder, an dem sich beide Formen trennten. Die von den Molekulargenetikern vermutete Abspaltung der zum Menschen führenden Linien von den Menschenaffen vor ca. 6 Mio. Jahren ist fossil bisher nicht belegbar. Der gemeinsame Vorfahre von Pongiden und Hominiden ist ein „missing link“. .Fossil belegbar sind die ersten Hominiden seit ca. 4,5 Mio. Jahren: Seit 1994 gilt als ältester Hominide der ARDIPITHECUS RAMIDUS (Bodenaffe/Wurzel nach der Afar-Sprache/Äthiopien), der am Rande eines tropischen Regenwaldes lebte. Ardipithecus stellt funktionell ein erstes Bindeglied zwischen der kletternden Fortbewegung der Menschenaffen und dem aufrechten Gang des Menschen dar. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zu den frühen AUSTRALOPITHECINEN ( Australopithecus anamensis, Australopithecus afarensis ) sind noch ungeklärt. Zum Vergleich: Geologie: Präkambrium, vor 4,5 Mrd. Jahren ( Einfache Organismen) Paläozoikum, vor 600 Mio. Jahren ( Amphibien, Reptilien, Insekten) Mesozoikum, vor 200 Mio. Jahren ( Dinosaurier) Känozoikum, vor ca. 65 Mio. Jahren ( früheste Primaten ) 2.2 Afrika - Ursprung der Australopithecinen / Tier-Mensch-Übergangsfeld Die Vormenschen der Gattung Australopithecus (südlicher Affe) entstanden wahrscheinlich vor über 5 Millionen Jahren aus einem gemeinsamen Vorfahren mit den Bonobos- oder Schimpansenvorläufern. Das vielfältige Nahrungsangebot in einem saisonalen Lebensraum ( Regenzeit - Trockenzeit) waren Früchte, Beeren, Nüsse, Samen, Schößlinge, Knospen, Pilze; unterirdische Wurzeln und Knollen,
kleine Reptilien, Aas, Jungvögel, Eier, Weichtiere, Insekten und kleine Säugetiere. Informationstransfer zwischen Individuen war notwendig, Tradierung über Generationen hinweg nicht. 1925 stellte der Johannesburger Anatomieprofessor Raymond DART der Fachwelt unter der Bezeichnung AUSTROLPITHECUS AFRICANUS ( südlicher Affe aus Afrika) ein ca. 2 Mio. alten, 1924 gefundenen fossilen Kinderschädel vor. 1936 stützten Funde des Paläontologen Robert Broom bei Sterkfontein Darts Hypothese vom aufrechten Gang der Australopithecinen. Neben dem grazileren Allesfresser-Typus fand man auch einen robusteren ( PARANTHROPUS ROBUSTUS ) Vegetarier-Typ mit Feuernutzung und Knochenwerkzeugen. 1949 gelang der Nachweis, daß gleichzeitig mit dem robusten Vormenschen derHOMO ERECTUS lebte. Seit den 90er Jahren wird in Südafrika wieder verstärkt nach Vormenschenfundstellen gesucht ( z. B. 1996/ robuster Australopithecinenschädel/Drimulen ). In Ostafrika ist die Fundgeschichte mit dem Namen (Louis, Mary; Richard ) Leaky verbunden (Olduvai-Schlucht/Nordtansania: Australopithecus boisei = Zinj). Auch hier lebten gemeinsam mit dem robusten Vormenschen frühe Urmenschen ( homo habilis). Fußabdrücke belegen den aufrechten Gang der Vormenschen (z.B. des Australopithecus afarensis). Zur bestuntersuchten Huminidenfundregion zählt das Gebiet um den Turkana-See/Kenya (Koobi Fora Research Project). 1974 wurden in Hadar/Äthiopien 40% des Skeletts von Lucy ( Australopithecus afarensis, ca. 3 Mio. Jahre) entdeckt, ein Gruppenfund ( 13 Individuen ) und ein Schädelfund folgten. In Südäthiopien sind aufgrund der hervorragenden Fossilisationsbedingungen weitere Funde zu erhoffen. 1995 wurde die These, daß Austrolopithecinen nur in Ost- und Südafrika lebten, durch einen Australopithecinenfund im Tschad ( australopithecus bahrelgazali) erschüttert. Auch im ca. 3000 km langen „Hominiden-Korridor“ zwischen Ost- und Südafrika gelang 1997 ein Australopithecus boisei-Fund (Oberkieferfragment), in Malawi ein Homo Rudolfensis-Fund (ältester Urmensch). Aufgrund der bisherigen Funde werden drei Hauptgruppen von Australopithecinen unterschieden: 1. 1. die Australopithecinen-Stammgruppe im äquatorialen Afrika: n Australopithecus anamensis (4,2 Mio.Jahre)/ bahrelgazali (3,5) / afarensis (3,7) 3. 2. die grazilen Australopithecinen im südlichen Afrika: n Australopithecus africanus (3 Mio. J.) 5. 3. die robusten Australopithecinen (Äquator bis Südafrika): n Australopithecus aethiopicus (2,6) / boisei (2,4 - 1,1 Mio. Jahre) / robustus (1,8 - 1,3) Die Wahrscheinlichkeit, daß die Wiege der Vormenschen in Afrika stand, ist sehr groß. Zeitlich sich überschneidend lebten die zwei frühesten Homo-Arten: Homo rudolfensis ( 2,5-1,8 Mio J., Malawi, Kenya, Äthiopien) und Homo habilis ( 2,1 bis 1,5 Mio. Jahre, Kenya, Tansania, Südafrika). Dem Selektionsdruck bei Umweltveränderungen konnte man durch Wanderbewegungen, Verstärkung der Kaumuskulatur (Australopithecinen ) oder durch Entwicklung einer Werkzeugkultur ( Homo rudolfensis) begegnet werden. 2.3 Die ersten Ur-Menschen Vor ca. 2,5 Millionen Jahren erfolgte eine Spaltung des Hominidenstammes. Eine Linie führt zum Homo sapiens, die zweite in eine Sackgasse. Die robusten Australopithecinen (Paranthropus = äthiopicus, boisei und robustus) starben vor ca. 1 Million Jahren aus Ca. 200 Hominidenfragmente von ca. 40 Individuen werden heute zur Gattung Homo gerechnet. Etwa die Hälfte des Koobi Fora- Materials wird dem Homo rudolfensis (Rudolfsee, heute Lake Turkana) zugerechnet. Es zeigen sich menschen- und australopithecinenähnliche Merkmale: Gehirngewicht ca. 750 ccm, fehlender Überaugenwulst, Oberschenkel und Fuß homo-ähnlich, Gebiß australopithecinenähnlich (überwiegend Pflanzenfresser). Bindeglieder zu den Australopithecinen und zur Homo erectus-Gruppe fehlen. Einsatz von Steinen zur Zerkleinerung der harten Pflanzennahrung. Die späten robusten Australopithecinen benutzten Knochenwerkzeuge. Die zunehmende Unabhängigkeit des Homo vom Lebensraum führte zu immer mehr Abhängigkeit von geeigneten Werkzeugen. Schneidewerkzeuge revolutionierten die Kadaverbearbeitung und Fleischbearbeitung. Solange beide Ernährungsstrategien erfolgreich waren ( körperliche Überspezialisierung versus kulturelle Überspezialisierung ), existierten verschiedene Hominidenarten nebeneinander. Aus dem Homo rudolfensis entwickelte sich vor ca. 1,8 Mio. Jahren der Homo ergaster (Handwerker). Der Klimaänderung begegnete der Australopithecus africanus durch passive Migration von Südafrika nordwärts. Nachfahren des Australopithecus africanus paßten ihr Verhalten dem geänderten
Rahmenbedingungen an, es entstand der Homo habilis (Werkzeugherstellung). Geröllwerkzeuge ( Pebble tools) datieren wir bis 2,6 Mio. Jahre (Äthiopien) zurück. Sprache ist wahrscheinlich. Kleine Verbände lebten vom Sammeln und als Aasfresser. Auswanderungen aus Africa fanden vor mindestens 2,3 Mio. Jahren statt (Israel; in Java vor 1,8 Mio.J.) 2.4 Homo erectus in Afrika, Asien und der Homo heidelbergensis in Europa Frühe Homo erectus- Funde ( Homo ergaster) datiert die Forschung auf 2 - 1,5 Millionen Jahre ( Kenya, Georgien, Java, China ). An der Westseite des Turkana-Sees wurde 1984 das fast vollständige Skelett eines 1,70 cm großen ca. 12jährigen Jungen gefunden (Turkana-boy). Der späte afrikanische und asiatische Homo erectus wird zwischen 1,5 - 300 000 Jahre datiert ( Südund Ostafrika, Java, China, Indien, Vietnam, Israel). Der europäische Homo heidelbergensis wird zwischen 800 000 und 400 000 Jahren datiert. Sein Gehirngewicht war wesentlich größer als das der Homo erctus Arten Als Ursprung des Homo erectus gilt derzeit ein relativ robuster Prototyp, der vor ca. 2,5 Millionen Jahre in Ostafrika entstanden war. Vergrößerung des Gehirnvolumens ( von 800 ccm auf 1200 ccm; vgl. moderner Mensch durchschnittlich 1450 ccm), veränderte Schädelproportionen ( niedrige Stirn, kräftige Überaugenwülste), kräftiges Skelett, rundlichere Zahnbogenform, Rückbildung der Größe der Backenzähne usw, sind Merkmale des Homo erectus. Das Ausmaß der kulturellen Evolution steigt, Merkmalsveränderungen durch biologische Evolution nehmen ab. Die Manipulationsfähigkeit der Hand steigt langsam: Die Altsteinzeit dauerte von ca. 2,6 Mio. Jahren (Pebble tools) bis ca. 200 000 Jahren. Vor ca. 1,5 Millionen Jahren tauchen Faustkeile auf (Acheuleen-Kultur). Kulturtradierung von Generation zu Generation, noch nicht typisch menschliche, jedoch funktionierende Sprache. Gefühl für Vergangenheit und Zukunft. Ausbreitung in kühlere Regionen von den Savannengebieten aus. Kontrollierter Gebrauch von Feuer seit ca. 1,5 Millionen Jahren. Erste Hinweise auf gezielte Jagd und Zerlegungstechnik an festen Rastplätzen. Auch in China erscheinen vor ca. 280 000 Jahren Frühmenschen, die anatomisch eine Zwischenform zwischen Homo erectus und Homo sapiens darstellen. 2.5 Homo sapiens in Afrika, Europa und Asien 2.5.1 2.5.1
Homo neanderthalensis
Vor ca. 500 000 Jahren entsteht in Europa der Homo steinheimensis, aus dem der Homo sapiens neanderthalensis ( 200 000 - 30 000 Jahre, ca. 1600 ccm Hirnvolumen) hervorgeht. In Afrika entsteht etwa zeitgleich mit der Entstehung des Neanderthalers der Homo sapiens sapiens. Vor ca. 80 000 Jahren treffen in Nahen Osten Neanderthaler und der moderne Mensch aufeinander und koexistieren dort ca. 50 000 Jahre lang. Neanderthaler: Lebenserwartung höchstens 40 Jahre, vielfach unterernährt (Zahnschmelz), hohe Kindersterblichkeit, soziale Bindung; Jäger/Mammut und Sammler, Knochen- und Elfenbeinverarbeitung, verbesserte Steinwerkzeug-Kultur ( Mousterien-Technik: auch Schaber, Klingen, Spitzen, Messer). Erste Bestattungen (Ockerfarbe), Sprache. Seit ca. 30 000 Jahren ist der Neanderthaler anatomisch nicht mehr nachweisbar, der aus Afrika stammende Homo sapiens sapiens hatte sich durchgesetzt: Wir sind nach derzeitiger Fundlage alle Afrikaner. 2.5.2 2.5.2 Homo sapiens sapiens in Afrika und Europa Die ältesten Funde des Homo sapiens sapiens stammen aus Süd- und Ostafrika vor etwa 100 000 Jahren, vielleicht auch 130 000 Jahren. Voran gingen der frühe archaische Homo sapiens ( 500 000 200 000 J.) und der spätere archaische Homo sapiens ( ca. 200 000 - ca.100 000 J.). Der afrikanische Homo sapiens sapiens ist von den in Europa seit ca. 35 000 Jahren belegbaren Formen nicht zu unterscheiden. In Asien ist er seit ca. 40 000 Jahren belegbar. Vor mindestens 30 000 Jahren lebte er auch in Australien und in Amerika (Beringstraße). Im 19. Jh. fand man fossile Belege für den ca. 25 000 Jahre alten Cro Magnon-Menschen. Bessere Werkzeuge (Aurignacien-Werkzeugkultur), bessere soziale Organisation, geringere
Kindersterblichkeit, fruchtbarer, Skelett- und Muskelbau weniger energieaufwendiger. Abris, Zelte aus Tierfellen, wetterfeste Kleidung, Speere, Pfeil und bogen, Knochennadel mit Oese, Speerschleudern, Kunstobjekte, Höhlenmalereien, Schmuck, menschliche Kognition und Bewußtsein. Grafik: kulturelle Evolution - biologische Evolution und Stammbaum-Hypothese ( Schrenk 1997,S.121f)
3. Methoden der Urgeschichtsforschung 3.1 Moderne Prospektionsverfahren 3.1.1 3.1.1
Luftbildarchäologie
Historische Hinterlassenschaften hinterlassen auch Spuren im Gelände. Die ersten archäologischen Luftbilder entstanden 1906 ( Leutnant P.H. Sharpe/ Stonehenge/Salisbury; Capitano Tardivo/Ballonsuche). 1911 machte der Italiener Paglieri die ersten Luftbilder von Ostia antica/Rom. Andere Nationen folgten. Der Engländer O.G.S. Crawford erkannte, daß 3 Oberflächenmerkmale herangezogen werden können: n Bodenunebenheiten: schräg einfallende Beleuchtung (frühmorgens, gegen AbendSchattenmerkmale) n Bodenmerkmale: Färbungsmerkmale n Bewuchsmerkmale: Höhenwachstum, Bewuchsdichte, Weizen besonders geeignet Mit der Weltraumforschung ergaben sich moderne Fernerkundungssysteme und auswertungsmethoden (Infrarotaufnahmen bei schwachen Vegetationsunterschieden: z.B. Kärntner Zollfeld/Virunum 1976) 3.1.2 3.1.2
Geophysikalische Methoden
Der engl. Urgeschichtsforscher R.C. Atkinson übernahm 1946 geophysikalische Meßtechniken der Geologie auch für die Urgeschichtsforschung.Er maß den elektrischen Bodenwiderstand bei jungsteinzeitlichen Fundplätzen in der Nähe von Dorchester, da man an der Oberfläche die Fundstellen nicht ausmachen konnte. Jeder menschliche eingriff in natürliche Oberflächenverhältnisse verändert die physikalischen und chemischen Eigenschaften der oberen Bodenschichten. Dabei ändert sich die elektrische Bodenleitfähigkeit und das Magnetfeld der Erdoberfläche: n Über Gräben nimmt der elektrische Widerstand ab, über Mauern steigt er an n Über Gräben ist das magnetische Erdfeld stärker, über Mauern schwächer. Zu beachten sind zahlreiche Störfaktoren. Der PC erleichterte die Bearbeitung und Darstellung. Weder alte noch neue Prospektionsverfahren ersetzen planmäßige Flächengrabungen. 3.2 Moderne Grabungsmethoden 3.2.1 3.2.1
Stratigraphie
Unter Stratigraphie versteht man die genaue Beobachtung der Kulturschichtfolgen ( Bodenproben, Suchschnitte, großflächige Humusabhebungen,, Stege, Quadranten). Schon Thomas Jefferson erkannte 1794 die Bedeutung der Kulturschichten für die archäologische Interpretation ( Ersatz für schriftliche Zeugnisse). Die Kulturschichten werden von unten nach oben gelesen. Die Grabungsergebnisse ( Schichtenabfolge, Artefakte, Fundzusammenhänge,...) werden nach Freilegung der Objekte beschrieben, in einen Plan eingezeichnet und fotografiert. Das Grabungsgelände wird genau vermessen. Durch die Gewähr der Einheit von Fund und Fundumstand ist es auch Fachleuten, die nicht an der Grabung teilnahmen, möglich, Auswertungen, Analysen und Interpretationen vorzunehmen. Arbeiten nach der Bergung der Funde: Reinigung, Konservierung, Inventarisierung, Restaurierung, Laboranalysen, Dokumentation, Ausstellung etc. 3.2.2 3.2.2
Typologische Methode
„Leitformen“ sind charakteristische Fundobjekte, die eine erste Zuordnung ermöglichen, aber auch auf Wandlungen innerhalb einer Kultur hindeuten. Diese Methode der „ charakteristischen Fundobjekte“ geht auf den engl. Offizier Henry Lane Fox zurück, der die Idee von der Waffentechnik übernahm. Auch Gebrauchsgegenstände verändern sich im Laufe der Evolution: Altsteinzeit: Steingeräte, Jungsteinzeit: Keramikformen, Bronzezeit: Beilformen, usw. Diese Methode erlaubt eine RELATIVE CHRONOLOGIE, d.h. der Forscher sagt, ob ein Fund oder Kulturhorizont älter oder jünger ist als ein anderer. 3.2.3 3.2.3
Komparativ-stratigraphische Methode
Manche Forscher vergleichen die Schichtenabfolge verschiedener Fundstellen, auch solche in verschiedenen Ländern. Dadurch versucht man sich einer absoluten Chronologie anzunähern. Kulturchronologie wird möglich. Da die gewonnenen Daten nur Annäherungswerte bieten, übernahm die Urgeschichtsforschung naturwissenschaftliche Methoden, um eine gesichertere absolute Chronologie zu erreichen ( z.B. physikalisch - chemische oder botanische Verfahren ). 3.3 Naturwissenschaftliche Urgeschichtsmethoden 3.3.1 3.3.1
Radiokarbonmethode (C-14-Methode)
Dieses Verfahren benutzt den radioaktiven Zerfall als Zeitmesser. Die Gesetzmäßigkeiten des Zerfalls sind bekannt (z.B. Halbwertszeit = jene Zeit, in der die Hälfte des radioaktiven Zerfalls stattgefunden hat). Durch die US-Wissenschafter Willard Libby und James Arnold wissen wir, daß Lebewesen neben dem stabilen Kohlenstoff C-12 auch sehr geringe Mengen an radioaktiven Kohlenstoff C-14 enthalten. Kosmische Strahlung wirkt auf die oberen Schichten unserer Atmosphäre, Atomkerne von Gasmolekülen werden gespalten, Neutronen werden frei. Diese verbinden sich mit Stickstoff, der wiederum in radioaktiven Kohlenstoff und Wasserstoff zerfällt. Wie der stabile Kohlenstoff C-12 verbindet sich der radioaktive Kohlenstoff mit Sauerstoff zu Kohlendioxyd. Dieses nehmen nun Pflanzen auf, Tiere fressen diese Pflanzen, Menschen essen tierische und pflanzliche Nahrung: in allen Lebewesen ist ein relativ konstantes Mengenverhältnis von C-12 und C-14. Nach dem Tod eines Organismus ändert sich dieses Verhältnis, da kein Kohlenstoff mehr aufgenommen wird und C-14 zerfällt. Die Halbwertszeit liegt bei 5730 Jahren. Nach 5730 Jahren ist nur mehr die Hälfte des ursprünglichen C-14 über, nach zweimal 5730 Jahren noch ein Viertel, nach dreimal 5730 Jahren noch ein Achtel, nach viermal 5730 Jahren ein Sechzehntel usw. Der Anteil des radioaktiven Kohlenstoffs beträgt bei neuzeitlichem Holz oder bei Holzkohle nur zweimilliardstel Prozent des gesamten Kohlenstoffs. Trotz dieser geringen Menge kann der Gehalt an radioaktivem Kohlenstoff bis zu einem alter der organischen Stoffe von ca. 40 000 Jahren gemessen werden. Stellt man z.B. fest, daß eine Holzkohleprobe aus der Jungsteinzeit nur noch die Hälfte des ursprünglichen C-14 enthält, so ist der Baum, von dem sie stammt vor ca. 3758 Jahren gefällt worden. Zu beachten ist: Meßungenauigkeit: + Fehldatierungen durch Atombombenversuche und Abgase Schwankungen des kosmischen Strahlung, verschieden starke Sonnenaktivitäten Veränderung des Magnetfeldes 3.3.2 3.3.2
Thermoluminiszenzmethode (TL-Datierung)
Gewisse Minerale leuchten, wenn man sie erhitzt. Energie wird in Form von Licht frei. Die Intensität des Lichts, das eine alte Keramik ausstrahlt, ist ein Maß für ihr Alter ( 10% Genauigkeit, sehr geringe Probenmengen, bis ca. 500 000 Jahre). In Österreich befindet sich das Datierungslabor in Seibersdorf. 3.3.3 3.3.3
Magnetische Analyse
Magnetismusmessung von Eisenpartikelchen in Tonscherben: Bei Erhitzung über 770 Grad C verlieren Eisenpartikelchen ihren Magnetismus. Nach der Abkühlung sind die Partikel nach dem damaligen magnetischen Nordpol ausgerichtet.
3.3.4 3.3.4
Dendrochronologie (= Jahresringdatierung)
Sie ist die bekannteste biologische Datierungsmethode. Eine Bestimmung des Alters ist mit Hilfe regional begrenzter Jahresringketten bei gut konserviertem Holz möglich. 3.3.5 3.3.5
Pollenanalyse
Der schwedische Geologe Lennart von Post untersuchte Pollen im Torf vermoorter Seen. Mit Hilfe des Mikroskops bestimmte er die Pflanzengattungen und zählte die Prozentanteile von Bäumen, Büschen und Gräsern aus. Relative Chronologie ist möglich 3.3.6 3.3.6
Gentechnische Methoden
Veränderungen in der DNS finden in Form von Mutationen statt. Kommt es zu zahlreichen wirksamen Veränderungen, so ist das Ergebnis eine neue Spezies. Durch drei Grundtechniken versuchen Wissenschafter die Unterschiede in den DNS-Strängen herauszubekommen: n Die DNS-Methode: Durch Enzyme trennt man sowohl die Doppelhelix eines Menschen als auch z.B. von einem Gorilla. Fügt man eine DNS-Hälfte des Menschen mit einer DNS-Hälfte des Gorillas zusammen, so stellen sich die chemischen Bindungen wieder her mit Ausnahme den Stellen, an denen sich die Bindeglieder unterscheiden. Mensch - Gorilla = 10% Unterschiede, Mensch - Schimpanse = 2,5% Unterschied,.... Schimpansen sind verwandter. n Die Protein-Sequenzmethode: Alle Arten haben 20 verschiedene Aminosäuren. Die Art der Zusammensetzung dieser Aminosäuren bestimmt den artbildenden Unterschied. Z.B. sind zwischen Mensch und Gorilla nur 2 Unterschiede im Hämoglobin n Die immunologische Methode: Ein Tier kann Antikörper gegen fremde Stoffe, die in die Blutbahn gelangen, aufbauen. Antikörper, die auf die Proteine eines Lebewesens reagieren, lösen ähnliche Reaktionen bei Proteinen eng verwandter Tiere aus, jedoch kaum irgendwelche Reaktionen bei entfernt verwandten Tieren. Durch solche Experimente gewann man ein Standardmaß für die evolutive Artentrennung. 3.3.7 Fotografie 1. 2. 3. 4.
1. 2. 3. 4.
Zum täglichen Festhalten des Grabungsbefundes und der freigelegten Objekte in situ Komplette Dokumentation der Funde Drei Kameras ( Schwarzweiß, Farbfilm, Farbdiafilm) Aufnahmetechnik: Licht, Aufnahmestandpunkt, Aufnahmezahl, erhöhter Standpunkt,...
Zusammenarbeit mit Nachbarwissenschaften unumgänglich: Anthropologen, Pathologen, Geologen, Zoologen, Botaniker, Biologen, Soziologen, Montaningenieure, Psychologen, Atomwissenschafter, Genetiker, Verhaltensforscher, Ethnologen, Statistiker, Konservierungs- und Restaurierungsfachleute, Ärzte, Osteologen, Neurologen, Hygieniker, Höhlenforscher, Tauchklubs,...
4. Die ersten Europäer (Altsteinzeit) 4.1 Die ersten Steinzeitmenschen in (Mittel-)Europa In Europa wird die Steinzeit in drei Perioden gegliedert: Altsteinzeit (Paläolithikum), Mittelsteinzeit (Mesolithikum), Jungsteinzeit (Neolithikum). Auf andere Kontinente ist diese Einteilung nicht generell anwendbar. Die gesamte Altsteinzeit entspricht dem Eiszeitalter (Pleistozän), das in Mitteleuropa vor ca. 2,3 Millionen Jahren begann und ungefähr vor 10 000 Jahren endete. Im Eiszeitalter wechselten Warmzeiten und Kaltzeiten einander ab. Vor Beginn des Eiszeitalters kehrte sich das Magnetfeld der
Erde um, aus dem Nordpol wurde ein Südpol und umgekehrt. In Europa gab es immer wieder starken Vulkanismus. Mit Anfang der Nacheiszeit ( Holozän, Waldausbreitung durch günstigeres Klima) begann auch die Mittelsteinzeit. Der Beginn der Jungsteinzeit fiel in das feuchtwarme Klima des Atlantikums ( vor 5000 v. Chr.), auf das ab etwa 3800 v. Chr. eine etwas kühlere Übergangszeit (Subboreal) folgte. Als ältester „Europäer“ gilt der Mann von ORCE/Spanien. Sein Schädel wurde auf etwa 1,3 Millionen Jahre datiert. Jose Saramago, Literaturnobelpreisräger 1998, wies an mehreren Stellen seines Buches „Das steinerne Floß“ (Reinbek bei Hamburg 1990, S.94 ff, S. 105f) auf diesen Fund hin. Früheste archäologische Funde (Steinwerkzeuge), die die Existenz des Frühmenschen in Mitteleuropa belegen können, stammen aus dem Protoacheuleen ( vor ca. 1,2 - 600 000 Jahren). Als ältester „Mitteleuropäer“ gilt der Homo erectus heidelbergensis (Mauer am Neckar bei Heidelberg, vor ca. 630 000 Jahren, 1907: Unterkieferfund). Nachgewiesen ist Pflanzennahrung und rohe Fleischnahrung. Paläontologen, Anthropologen und ein Zahnarztspezialist werteten den Unterkieferfund aus. Die bisher älteste Frühmenschensiedlung Mitteleuropas wurde in Kärlich / Rheinland/Pfalz gefunden. Die „Wildpferdjäger von Kärlich“ datieren vor ca. 440 000 Jahren. In dieser Seeufersiedlung wurden 1980 Schaber, Quarzfaustkeile, Holzstücke, Tierknochen, Haselnuss-Schalen,... gefunden. Sammeltätigkeit und Wildpferd-, Wildrind- und Wildschweinjagd ist belegbar. Die letzten mitteleuropäischen Frühmenschen ( und frühen Neanderthaler) lebten vor ca. 300 000 bis ca. 130 000 Jahren. In einer vor ca. 300 000 Jahren beginnenden Warmzeit lebten in der Zeit des Jungacheuleen neben Waldelefanten, Säbelzahnkatzen, Uren, Wildpferden, Riesenhirschen, Rothirschen und Rehen auch Frühmenschen und frühe Neanderthaler. In der auf die Warmzeit folgenden Eiszeit ( vor ca. 280 000 Jahren) lebten Fellnashörner und Mammuts. In Bilzingsleben/ Thüringen fand man seit 1974 neun Schädelfragmente und sechs Backenzähne mehrerer Frühmenschen (ca. 300 000 Jahre alt). Sie weisen pithecanthropus-poide Formen auf ( ähnlich wie pithecanthropus erectus, sinanthropus pekinensis,...). Sie ähneln ebenfalls den Funden aus Nordwestungarn ( Vertesszöllös, Hinterhauptteil und einige Zähne). Das bei Prezletice/Prag gefundene Bruchstück eines Backenzahns wurde auch in das Ältere Paläolithikum datiert. Einer der am besten erhaltenen Schädel aus dem Jungacheuleen ist der einer jungen Frau aus Steinheim an der Murr/Baden Württemberg ( über 300 000 Jahre, 1937 gefunden ). Ca. 1100 ccm (200 ccm gegenüber heutigem Durchschnitt) Schädelinnenraum. Die Zuordnung des Homo steinheimensis erwies sich als schwierig: entweder Homo sapiens praesapiens oder Homo sapiens ante-neanderthalensis. Die NS- Geschichtsforschung sah im Homo steinheimensis fälschlich die Ahnherrin der nordischen Rasse. Die Gerätefunde im Älteren Paläolithicum werden sehr zahlreich, die Fachleute sprechen von „Industrien“, Faustkeilkulturen“ und verschiedenen Techniken (Clacton-Technik, Levallois-Technik,...). Allein das Fundgut von Bilzingsleben besteht bisher aus ca. 20 000 Werkzeugen und ca. 80 000 Abfallstücken. Die Geröllgeräte wurden vorwiegend aus Quarz, Quarzit, Feuerstein und Radiolarit gefertigt. Annahmen: Großwildjagden, Fallgruben, absichtliche Vegetationsbrände, Gruppen von ca. 10 - 30 Personen. Die „ersten Österreicher“ datieren ins Jungacheuleen (älteste Fundschicht der Repolusthöhle, Ante-Neanderthaler): Jagdbeutereste (Höhlenbärenknochen), Feuerstellen, Steinwerkzeuge. 4.24.2 Der Neanderthaler ( Homo sapiens neanderthalensis) Mittleres Paläolithikum, vor ca. 130 000 - ca. 40 000 Jahren Im Eem-Interglazial bis zum Maximum der letzten Vereisung ( Würm/Weichseleiszeit) trat der Homo neanderthalensis auf. Die frühesten Funde des Spätacheuleen sind umstritten. Der Neanderthaler hatte größere Gehirnraumkapazität, starke Überaugenwülste, kleinen Wuchs, robustes Knochengrüst,...). Neanderthaler sind von Frankreich bis Böhmen, von der Slowakei bis in den Nahen Osten belegbar. Jagdbeutereste und Steinwerkzeuge ( verbesserte Faustkeile, vor allem im Westen Europas; Blattspitzen, Schaber-Messer, Abschlagtechniken) in Kratern erloschener Vulkane belegen diese Siedlungsstandorte. Vorteile: Strahlungswärme, Regenwassersammlung, guter Ausblick, geschützte Stellen. Als anschauliche Geschichten für die Schüler eignen sich die Waldelefantenjagd mit Hilfe eines gehärteten Speers aus Eibenholz (Lehringen/BRD) oder einer Höhlenbärenjagd ( „Drachenhöhle bei Mixnitz“). Für die Herstellung einer Jagdlanze rechnen die Fachleute höchstens 5 Stunden, für das Zurechtschlagen eines Faustkeils ca. 15 Minuten.
Aus dem Micoquien-Technokomplex ( Westeuropa, Mitteldeutschland, ca. 125 000- 40 000 J. ) fanden die Fachleute noch keine Neanderthal-Skelette aber viele Steinwerkzeuge ( Keile ) in Höhlen, Halbhöhlen, unter Abris. Die fundreichste Kulturstufe des mittleren Paläolithikums ( ca. 125 000 - 40 000 J.) ist das Mousterien (Europa, Mittelmeergebiet, Mittelasien). Es ist die Kulturstufe des „klassischen Neanderthalers“. Der berühmteste Skelettfund ( ca. 70 000 J. ) wurde 1856 im Neandertal bei Düsseldorf gemacht, er wurde namensgebend für den Homo sapiens neanderthalensis. Frühere Funde stammen aus Lüttich/Belgien (1830) und aus Gibraltar (1848). Die Neanderthaler begruben bereits ihre Toten, rieben Mineralfarbe mit Hilfe von Reibsteinen, gaben Bärenschädel in Steinkisten. In Österreich schätzt man die Mousterien-Menschen auf einige 100 bis einige1000 (keine menschlichen Skelettfunde, jedoch Feuerstellen, Jagdbeutereste und Werkzeuge). Von den „Blattspitzenleuten“ ( Deutschland, Tschechien, Slowakei, Ungarn; ca. 50 000 bis 35 000 J. ) fand man bisher nur Artefakte (Höhlenbärenjäger). 4.3 Die ersten Jetztmenschen ( Homo sapiens sapiens) Im jüngeren Paläolithikum ( ca. 40 000 - ca. 12 000 J. ) trat zum erstenmal in Europa der Homo sapiens fossilis auf. In Israel ist das Nebeneinanderleben von Neanderthaler und Jetztmensch belegt. Die Aurignacien-Leute ( ca. 38 000 - ca. 29 000 j. ) gelten als die ersten Jetztmenschen ( Combe Capelle-Typus, Cro Magnon-Typus, beide in SW-Frankreich) in Mitteleuropa. Die Bevölkerungsdichte wird auf ca. 0,2 Personen/qkm geschätzt. Viele geschnitzte Elfenbeinfundstücke. Das älteste Kunstwerk Österreichs stammt aus dem Aurignacien: eine 1988 gefundene ca. 32 000 Jahre alte Amphibolitschieferfigur (Fanny vom Galgenberg versus Jäger mit geschulterter Keule ). Im Gravettien ( ca. 28 000 bis 21.000 J.) ersteckten sich im Vorfeld der Gletscher baumlose Steppen. Viele Vulkanausbrüche. In der kargen Landschaft weideten Mammute, Fellnashörner, Moschusochsen und Rentiere. An Raubtieren gab es Höhlenlöwen, Höhlenbären und Höhlenhyänen. Reiche Fundbestände des Brno-Predmosti-Typs/ Mähren ( vollständige Skelette, bis 1,85 m groß ). Bekannte Fundorte sind auch Langenlois/NÖ, Dolni Vestonice und Freilandstationen im Rheinland wie Mainz-Linsenberg. Belegt sind Versöhnungszeremonien von Jägern aus dem Gravettien ( vor ca. 25 000 J. ) und viele „Venusfiguren“ ( Venus von Willendorf: 1908 gefunden, 10,3cm hoch, Kalkstein; Vestonice,etc.) , aber auch Felsritzungen wie die „Frau mit dem Wisenthorn“ (Laussel/Dordogne), Tierfiguren aus Lehm (Osteuropa), Höhlenmalerein in Frankreich und Italien. Jagd- und Fruchtbarkeitsmagie. Im Magdalenien ( ca. 18 000 bis 10 000 J.) endete die Spätglazialzeit. Es ist die Blütezeit der Rentierjäger ( Ren oft 100% der Lagerplatzknochenüberreste, Pfeilspitzen oft 1/3 der Lagerplatz-Artefakte ). In den Zelten einer Gruppe lebten ca. 15 - 20 Personen; auch Pfostenbauten als Basislager. Kochen mit Hilfe erhitzter Steine. Steinlampen (ausgehöhlte Schieferplatte, Fett, Docht ). Die Magdalenien-Leute kannten die Speerschleuder und die Harpune. Weiteres Jagdwild: Wildpferde, Cervide, Moschusochsen, Schneehasen, Schneehühner, Kraniche, Enten, Gänse; Fische. Haushund seit ca. 13 000 Jahren. Schmuckstückhandel ( über 600 km weit; ortsfremde Schmuckschnecken nachgewiesen). Tote mit Ockerpulver bestreut, Höhlenmalereien, durchbohrte Tierzähne, Statuetten, Schmuck, Kleidung aus Tierhäuten; kleinformatige Gravierungen und Schnitzereien auf Steinplatten, Geröllen, Tierknochen, Geweih, fossilem Holz und Mammut-Elfenbein. Erotishe Motive. Umstritten ist der rituell motivierte Kannibalismus. Auch Kopfbestattungen. Darstellungen von Schamanen mit (Wisent-, Hirsch-...)Masken. Fußspuren in Höhlen ( Initiationsriten). Rentierpfeifen /NÖ (Signalinstrument?). Rohstoffklumpenhandel über weite Entfernungen durch nomadisierende Jäger, Im Spätpaläolithikum ( um 10 500) verdrängt der Wald Tiere und Menschen. Die Klimaverbesserung verschlechterte die Existenzbedingungen der Jäger ( Abwanderung der Rentiere, Wildpferde, etc.). Wenig Funde in Mitteleuropa: Folgten die meisten Menschen den Rentieren nach Norden? Die Menschen lebten in Kleingruppen bis 15 Personen. Vogeljagd., aber auch Füchse, Hasen, Wildschweine,... Wurfspeere, Harpunen, Hunde sind nachgewiesen. In der Schweiz fand man viele mit roten Punkten und Linien bemalte Kieselsteine. Tendenz zu kleineren Steinformen. 4.4 Der Mensch im Mesolithikum Nach einer Übereinkunft datieren Wissenschafter den Beginn des Mesolithikums vor etwa 10 000 Jahren (Beginn der Nacheiszeit, desHolozäns; Präboreal-Vorwärmezeit). Die Datierung ergibt sich aus
Warven-Sequenzen-Zählungen und paläobotanischen C-14-Analysen.: rascher Rückgang der eismassen, große ausweitung der Urwälder, Veränderungen in der Pflanzen- und Tierwelt. Mehr Fischfang, intensiveres Sammeln. Kulturell sind die meisten Entwicklungen aber schon um 11 000 ausgeformt. Die nomadisierenden Mittelsteinzeitmenschen errichteten Siedlungen aus Hütten bzw. Zelten bis zu 100 Personen. Standwild: Rehe, Rothirsche, Auerochsen, Kleintier- und Vogeljagd; Jagdwaffen: Wurfspeere, Pfeil und Bogen, Fallen, Geometrisierung der Feuersteingeräte ( massenhaft Mikrolithen: Dreiecke, Halbkreise, Rhomben, Trapeze ). Bedeutender Feuersteinbergbau und Mineralstoffbergbau (Hämatit - Ocker ) im Tagbau. Fischreusen, Netze mit Netzschwimmern, gezähnte Hornspitzen, Angeln, Einbäume, hölzerne Paddel; Stricke aus Bast. Wichtige Erfindung: geschäftetes Feuersteinbeil, Feuersteinpickel. Sandsteinschleifplatten zur Bearbeitung von Knochenspitzen. Einziges Haustier blieb der Hund. Schmuck aus Schneckengehäusen und durchbohrten Tierschneidezähnen. Felsbilder und Gravierungen ( besonders in Spanien, Skandinavien, Nordafrika). Musikgeräte: durchlochte Knochen, Schwirrgeräte. Tanzende auf Felsbildern. Hockergräber als Einzel- und Kollektivbestattung ( bis über 40 Personen), Farbstoffe, weiterhin Schädelkult. Gegen Ende des Mesolithikums drangen aus SO-Europa in mehreren Wellen neolithische Ackerbauern (Linearbandkeramische Kultur) gegen die mesolithische Jäger-Fischer-Sammler-Bevölkerung vor. In Mischgebieten auch bei mesolithischer Bevölkerung plumpe, einfache Keramik. In Österreich ist die Mittelsteinzeit nur wenig erforscht.
5. Der Jungsteinzeitmensch in Mitteleuropa ( Neolithikum ) 5.1 Die neolithische Revolution im Nahen Osten ( „Fruchtbarer Halbmond“) Vor ca. 10 000 Jahren ( um 800 v. Chr.) begannen Menschen in Vorderasien und Nordafrika, in Südostasien und später in Mesoamerika und den Anden mit der PRODUZIERENDEN WIRTSCHAFTSFORM (Ackerbau). Der altsteinzeitliche KONSUMENT wird immer mehr zum PRODUZENTEN. Diese tiefgreifende Veränderung bezieht sich auf den Menschen und seine Umwelt. Kennzeichen der neuen Kultur sind: WEBEREI, TÖPFEREI (KERAMIK), STEINSCHLIFF und STEINBOHRUNG, DOMESTIKATION von TIEREN, ZIMMERMANNSWERK, SESSHAFTIGKEIT, WEHRBAUTEN, zunehmend mehr PRIVATEIGENTUM, ERFINDUNG des RADES, Zunahme der UNGLEICHHEIT, KNECHTSCHAFT , KRIEG, RAUBBAU an den NATÜRLICHEN NAHRUNGS- und LEBENSGRUNDLAGEN, regelmäßigere Arbeit, eingeschränktere FREIZEIT. Als URSACHEN der neolithischen Revolution ( Begriffsprägung durch Vere Gordon Childe, 1936 ) werden genannt: n Klimaveränderungen n ökologische Belastungen wie Überjagung n Bewusstseinswandel n Bevölkerungsdruck: Eine Gruppe von ca. 25 altsteinzeitlichen Jägern und Sammlerinnen brauchten zum Leben ca. 650 qkm. Eine Gruppe von ca. 150 jungsteinzeitlichen Ackerbauern brauchten ca. 16 qkm. Alte und Kinder waren zum Teil Hilfe, keine so große Last wie bei den Jagdkulturen. Eine Familie konnte während der ca. 3wöchigen Reifezeit mehr Getreide ernten als ihr Jahresbedarf war. Gerste und zwei Weizensorten ( Wild-Einkorn, Wild-Emmer ) wachsen im Nahen Osten noch immer will. n gehäufte technische Erfindungen n Selbstdomestikation bei Getreide und bewusstes Ansäen in den Abfallgruben der Nomaden Warum wir darüber wissen: Neben Grabungsbefunden weisen auch alte Mythen, die in frühen Hochkulturen tradiert wurden, darauf hin, wie die ersten Bauern die Landwirtschaft erlernten. Aus ägyptischen Mythen erfuhren wir, wie Osiris den Menschen zeigte, wie man landwirtschaftliche Geräte anfertigte. Durch Ausprobieren der Arbeit mit einer Feuersteinsichel kamen Forscher zu dem Schluss, dass in einer Stunde ca. 3 kg
Einkorn (=Wildweizenart) gerntet werden konnte, was ca. 1 kg reine Getreidekörner mit 50% mehr Eiweissgehalt als Manitoba-Weizen ergab. Keine Einheitlichkeit des Verlaufs der neolithischen Revolution: n Sesshaftigkeit ohne landwirtschaftliche Produktion bei Fischern n landwirtschaftliche Produktion ohne Sesshaftigkeit bei Hirtennomaden mit Brandrodungsbau n Töpferei ohne Landwirtschaft in Japan n eine präkeramische Phase (= ohne Töpferei) der Landwirtschaft n Klassengesellschaften ohne Landwirtschaft an der amerikanischen NW-Küste n einfaches Pflanzertum ohne erkennbare Klassenunterschiede n Bodenbau ohne Viehzucht in Nordamerika n Viehzucht ohne Bodenbau in Lappland Die frühesten präkeramischen Siedlungen Anatoliens werden in die Übergangszeit Mesolithikum-Neolithikum datiert ( vor 8000 vor Chr.). HACILAR bei Burdur: Rechteckhäuser, luftgetrocknete Lehmziegel, Fußböden mit Lehm-Kalk-Verputz, Bemalung von Böden und wänden. Tell-es-Sultan/JERICHO: 10 000 Jahre alter Rundturm samt steinwall, Lehmöfen, Gipsfiguren, gipsüberzogene Menschenschädel mit Kaurimuscheln in den Augenhöhlen, Getreidereste, Stein- und Knochengeräte. Aus dem frühen keramikführenden Neolithikum wurden bei CATAL HÜYÜK ca. 6700 bis 5700 alte Tells von einer Höhe bis 20m ergraben. Lehmziegelwände, Terrassenhäuser, Tierschädel als Wandschmuck, Stein- und Tonstatuetten, Rohstoffkernhandel. In Japan und China ist Töpferei ab dem 8. Jahrtausend, in Südasien ab 7. Jahrtausend nachweisbar. Wasserfahrzeuge ab 7. Jahrtausend,die Mittelmeerinseln wurden besiedelt. Unterschiedliches Getreide als Nahrungsgrundlage: n Naher Osten: Emmer, Einkorn, Gerste, Leguminosen ( Erbsen, Linsen) n China: Hirse, Reis, Stauden-, Wurzel- und Knollenpflanzen seit 10 000 v. Chr. n Amerika: im Norden: Mais ( 6. Jt. Wildmais, spätestens 4. Jt. Maiskulturen ), Bohnen im Süden: Maniokkulturen, Lama erst später n Afrika: im Norden Weizen und Gerste im Süden Hirse, Sorghum ( = Zuckerhirse) Flaschenkürbisanbau in Südasien und Amerika. Nicht nur heute gibt es große Migrationsbewegungen sondern auch in der Jungsteinzeit gab es große Wanderbewegungen. Die sogenannten ISOLATIONISTEN behaupten, dass sich Sitte, Werkzeuge, Bauwerke, Erkenntnisse usw. überwiegend unabhängig von anderen Kulturen herausgebildet hätten und dass primär Klima, Höhenlage, Landschaft, Meer, usw die Kuturen prägen. Die DIFFUSIONISTEN hingegen behaupten, dass abgesehen von kleinen Randgruppen die Kulturen einander stark beeinflussen. Sie versuchen Kulturparallelen und Kulturtransfer durch Wanderungen herauszuarbeiten ( Heine-Geldern, Eckholm, Kirchhoff, J. de Mathieu). Forscher können belegen, dass sich das „seßhafte Bauerntum“ in mehreren Wellen aus dem Nahen Osten und Nordafrika zu uns ausbreitete. Als sich im Nahen Osten, in Ägypten, in China und in Indien Stadtkulturen entfalteten, entwickelten sich bei uns jungsteinzeitliche Dorfkulturen ( ca. 5000 - 1800 v. Chr.). Im Nahen Osten trockneten weite Gebiete aus, bei uns war das Klima wesentlich milder und feuchter als heute. Extensive Bodennutzung und die daraus resultierende Überbevölkerung gelten als weiter Ursachen der „neolithischen Wanderung“. Mit zunehmender Entfernung vom ausgangsraum ist eine kulturelle Verarmung festzustellen. Eine bedeutende Mittlerrolle zwischen dem Nahen Osten und Mitteleuropa spielten der ägäische Bereich und der Balkan. Die Körös-Kultur in Ungarn und die Starcevo-Kultur in „Jugoslawien“ sind ca. 500 Jahre älter als die übrigen mitteleuropäischen neolithischen Kulturen.
5.2 Jungsteinzeit in Mitteleuropa 5.2.1 Älteres Neolithikum ( ca. 5000 bis ca. 4300 v. Chr.)
Die älteste bäuerliche Kultur Mitteleuropas entstand im Südosten ( Südostungarn, angrenzende Gebiete Rumäniens, Kroatiens und Serbiens ): Die KÖRÖS-Leute wohnten überwiegend in langgezogenen Siedlungen ( Lehmhäuser, „Tells“). Hackbau, verbunden mit Agrarnomadismus herrschte vor. Die KÖRÖS-Menschen stellten große, dickwandige Vorratsgefäße für Weizen-, Hirse- und Linsenaufbewahrung her. Die Keramik ist mit Fingernägelabdrücken, Zwickmustern und Dellen verziert. Zum Teil fanden sich auch aufgeklebte plastische Tierfiguren. Die Domestikation von Rind, Schaf, Ziege und Halbesel ist belegbar, Haushunde waren selten. Zusätzlich gab es Jagd, Fischfang und Sammlertum. An Feuersteingeräten fanden sich Mikrolithen, Flinteinsätze für Sicheln und Querbeile. Weiter Funde sind steinerne Mahltröge, Löffel, Spinnwirtel, Webstuhlgewichte, Netzsenker und Angelhaken. Die KÖRÖS-Leute schmückten sich mit Halsketten und Armbändern aus Ägäis-Muscheln und trugen farbigen Körperschmuck (Tonstempel). Entlang europäischer Flüsse bildete sich der „DONAULÄNDISCHE KULTURKOMPLEX“ in ertragreichen Gebieten heraus. Zur donauländischen Kultur gehören als älteste keramikführende Stufe die LINEARBANDKERAMIK. An sie schließt sich die BEMALTKERAMISCHE STUFE an. Auf fruchtbaren, gut bearbeitbaren Böden wurde extensive Brandwirtschaft (Rodungsasche) betrieben. Nachweisbar sind Grabstöcke, Spaten, hölzerne Hakenpflüge; Emmer, Einkorn, Weizenarten, Gerste, Hirse, Roggen, Erbsen, Linsen, Buchweizen, Mohn, Flachs.; Holzäpfel, Haselnüsse und Beeren. Viele Unkräuer sind nahöstlicher Herkunft. Zwei Arten Hausrind liefern 2/3 des osteologischen Materials, daneben sind kleinwüchsige Ziegen, Schafe, etwas später Schweine und sehr wenige Hunde nachweisbar, aber keine Pferde. Wildtierknochen sind etwa 10% des osteologischen Materials: Ur, Hirsche, Wildschweine, Wildpferde, Rehe, Hasen, Biber, Schildkröten. Die Siedlungen, anfangs unbefestigt wurden durch schmale tiefe Gräber und Palisaden befestigt. Die ebenerdigen Pfostenbauten bedeckten Flächen bis 300 qm und hatten bis 5 m Firsthöhe. Die bandkeramischen „Wohngruben“ entpuppten sich als mit Kulturschutt gefüllte Lehmgruben. In Rutzing bei Hörsching wurden 25 mal 7m große Rechteckhäuser nachgewiesen. Bemaltkeramische Fundorte in Dornach-Saxen, Hartheim, um Gallneukirchen. Keramik: ¾ Hohlkugeln mit Linienverzierung ( Voluten, Spiralen, Mäander, Winkel, Gerade, kurze Striche). Amphibolithandel bis Schlesien und ins Rheinland nachweisbar. Hockergräber, selten Gräberfelder: „Wegzehrung“ in Gefäßen, Geräte, Schmuck, Ockerfarbe.( Lebensfarbe, Festlichkeit) Kult: kleine stilisierte Frauenidole, kleine Tierfiguren. 5.2.2 Mittleres Neolithikum ( ca. 4300 - 2600 v. Chr,) Durch das Abschmelzen des fennoskandischen eisschildes stieg das Meer und sank das Nordseeland. Durch Wanderungen indoeuropäischer Völker kam es zu Kulturverschmelzungen. Die TRICHTERBECHERKULTUR entstand in der Kontaktzone von mitteleuropäischen Kulturen mit nordisch-mesolithischem Substrat. Kennzeichen: eigene Keramik namensgebend, symmetrische Knaufhammeräxte, Mooropfer, Bestattung vorwiegend in gestreckter Rückenlage, große Grabbauten ( Megalithgräber, Dolmen, Erdhügel ). Ahnenkult, Steinhandel, CU-Verwendung. Am Oberrhein entwickelte sich die MICHELSBERGER KULTUR, von der wir Spuren in Salzburg und Vorarlberg fanden. 5.2.3 Jüngeres Neolithikum ( 2600 - 1800 v. Chr.) Durch erneuten Klimawandel kam es zu trockenen, kontinentalen, strengen Wintern. Das bodenständige Substrat wurde erneut von Norden und Westen her überlagert: KUGELAMPHORENKULTUR: Tieropfer, einige Pferde, CU-Geräte, Bernsteinhandel SCHNURKERAMIKER: Pferde, Hockergräber, Wagen, viele Waffen GLOCKENBECHERKULTUR: glockenförmige Gefäße, Bogenschützen; CU-, Gold- und Silberverarbeitung; Aeneolithikum. BADEBER KULTUR: Fischgrätenmuster Mondseegruppe siehe Pfahlbaukultur 5.3 Zum Indoeuropäer-/Arier - Problem
Untersuchungen des Sanskrit ( alte indische Sprache, im Pandschab ab ca. 1500 ) ergaben eine enge Verwandtschaft mit dem Altgriechischen und dem Latein: Sankrit deva raja pitar matar Altgriechisch Zeus Latein deus rex pater mater Englisch father mother Deutsch Vater Mutter Keltisch ri Französisch roi Italienisch re Der Ursprung der indoeuropäischen Sprache datiert zumindest ins jüngere Neolithikum ( 2700 - 1800 ).Nicht indoeuropäischen Sprachen sind heute das Baskische, Estnische, Finnische und Ungarische. Asiatische Sprachzweige sind das Romani, das Iranische (Persisch, Kurdisch, Belutschi ), pakistanische Sprachen wie das Urdu, Sindhi und Lahnda ; Hindi, Pahari (Nepal) und Pandschabi (Sikhs). Die indoeuropäische Nomenklatur umfasst vor allem den Ackerbau ( Acker, Pflug, Säen, Mahlen, Stroh, Sichel,...), die Tierdomestikation ( Zähmen, Hüten, Vieh, Milch, Wolle,...)weiters Joch, Wagen, Rad, Achse, Fahren und viele Gewässernamen. Zur NS-Zeit wurde der Begriff Arier unwissenschaftlich verwendet und mißbraucht. 5. 4 Pfahlbaudörfer an oberösterreichischen Seen Heute sind ca. 20 Siedlungsstellen der Mondseegruppe ( Spätneolithikum, Kupferzeit) in Seen und einige Höhensiedlungen ( zwischen 500 und 800 m ) bekannt. Seit 1970 gibt es eine systematische Zusammenarbeit zwischen Archäologen und Sporttauchern (UTC-Wels). Für die Datierung ist die (Furchenstich-) Keramik und die CU-Funde wichtig. Die Forscher unterscheiden 5 Formengruppen: n Mondseegruppe ( Formengruppe 1-3): ca. 3000 v. Chr - 2300 v. Chr., Spätneolithikum n ca. 500 Jahre Unterbrechung der Siedlungskontinuität n Atterseegruppe ( Formengruppe 4-5): ca. 1800 - ca. 1500 v. Chr., Bronzezeit Pfahlbaubeobachtungen gibt es in der Schweiz seit 1548 (Stumpf). Strittig war: Moor- oder Pfahlbauten, Landpfahl- oder Seepfahlbauten. 3 Siedlungstypen: Ufersiedlung, ins Wasser erweiterte Siedlung, im See. 1870 wurde im Attersee der erste Pfahlbau entdeckt. Durch die frühe „Pfahlbauforschung“ wurde viel zerstört (Baggerschaufel, Schlammstecher, Stangen, Raubbau und Laienpfuscherei, Plünderungen durch Privattaucher). Seit den 70er Jahren Vermessung mit Hilfe von Tauchern (z.B. Misling II, ca. 19 000 Pfähle). J. Cousteau und H. Hass verbesserten die Unterwasserarchäologie. Am Mondsee fand man 3 Pfahlbauten: Mooswinkel, See und Scharfling. Im Fuschl-, Hallstätter und Irrsee fand man keine prähistorischen Bauten. Im attersee fand man 10 neolithische, 1 latenezeitliche, 1 röm. Hafenanlage und mittelalterliche Pfähle. Die neolithischen siedlungen standen auf den Strandplatten der Seen (Seekreideböden). Die Siedlungen waren verschieden groß: Mooswinkel ( 1200 qm), Aufham I(13 000qm). Für eine Siedlung wie Misling II benötigte man 19 000 Pfähle, 2 - 20 cm dick. Die Haltbarkeit der Pfähle betrug ca. 10 Jahre. Grundrisse von 4mal6m Rechteckhäusern sind erkennbar. Holzarten: Fichte, Weide, Tanne, Buche, Esche, Pappel, Erle, Ahorn; Moos als Dichtungsmaterial. Warum die Siedlungen wieder verlassen wurden ist noch ungeklärt. Landwirtschaft: Baumring-, Schlag- und Brandrodung; Rodeleistung: 0,2 ha/Person und Woche, Asche als Düngemittel, ca. 2 Jahre Ernten, 4-8 Jahre Bodenerholung; Getreidekonservierung durch Darren (bis 60 Grad). Viele Mahlsteinfunde ( in 3 Std. 3 kg Mehl ), viele Dörräpfel auf Schnüren. Viehzucht und Jagd: Rind, Schaf, Schwein, Ziege, Hund Bogen bis 224m Schußleistungen (auf 75m ziemlich genau), viele Pfeilspitzenfunde (Obsidianspitzen, Birkenteer), Vogelpfeile aus Holz. Jagdwild: Rothirsch, Gemse, Wildschwein, Biber, Braunbär, Ur. Handwerk: Flachbeile, Keramik mit Furchenstichverzierung, Weberei ( 100 kg Flachsstroh = 8 kg Spinnertrag ), Stricke aus Lindenbast, CU-Verarbeitung: Flachbeile, Schmuckspiralen, Gusslöffelfragmente.
6. 6. Technikeinfluss, zunehmende Arbeitsteilung und gesellschaftliche Differenzierung in den Metallzeiten 6.16.1 Metalle verändern die Lebensweise Nach den letzten jungsteinzeitlichen und kupfersteinzeitlichen Kulturen ( Chalkolithikum, Äneolithikum ) folgen Bronzekulturen. Manche Prähistoriker sprechen vom Beginn der Metallzeiten (Metallikums). Der Beginn der Metallzeiten wurde nicht durch Klimaveränderungen verursacht, sondern ist auf technologisch-wirtschaftliche Umwälzungen zurückzuführen. Bronze und später Eisen ermöglichten die Produktion von besseren Geräten und Waffen. Dies bewirkte wiederum vermehrte Arbeitsteilung und weitere politische und soziale Schichtendifferenzierung.. Neue Berufe entstanden und/oder differenzierten sich weiter aus: Berg- und Hüttenleute, Holzfäller, Zimmerleute, Köhler, Träger, Schmelzer, Gießer, Grob- und Feinschmied, blech- und Waffenschmied; Binnen- und Fernhändler,... Ein Mehrprodukt wurde erwirtschaftet, Reichtum angesammelt. Dies erforderte einen besseren Schutz der Siedlungen, Adelsherrschaft samt Kriegern. Reich ausgestattete Fürstengräber und einfache Gräber belegen die Arbeitsteilung, Gesellschaftsdifferenzierung und zunehmende Hierarchiebildung. Hauptgebiete früher Metallverarbeitung waren zwischen 7000 und 3000 v. Chr. der anatolische, kaukasische und südostasiatische Raum. In Mitteleuropa datiert die Bronzezeit etwa von 1800 bis 750 v. Chr. 6.26.2 Bronzezeit 6.2.1 Zum Ursprung der Metallverarbeitung
Bronze ist eine Legierung aus ca. 90% Kupfer (CU) und ca. 10% Zinn (SN), Weißbronze aus ca. 20% SN, zinnarme Bronze beinhaltet oft nur 5 - 9% SN. Anstelle von SN wurde in ähnlichen Prozentsätzen Arsen oder Antimon verwendet. Als früheste Verwendung von Kupfer datiert die Forschung die ca. 9000 Jahre alten Funde in Cayönü Tepesi/ Südtürkei. Vor ca. 6000 Jahren sind im Nahen Osten und Ägypten viele Kupfergegenstände belegt ( Nadeln, Armreifen,...) Als älteste Kupfer-Arsenverbindung wird ein 5 000 Jahre alter Fund im Nahen Osten datiert, bei dessen Herstellung giftige Dämpfe entstanden sein müssen. Im 3. Jahrtausend vor Christus kamen auch Gold, Silber und Eisen in Gebrauch. Es dauerte aber noch bis ca. 1200 v. chr., bis der Mensch die Eisenverarbeitung beherrschte. Über die Ägäis und den Balkan erreichte die Kenntnis der CU-Gewinnung, der CU-Verarbeitung und der Legierungen Mittel- und Westeuropa. Die Entdeckung, dass Bronze wesentlich härter, besser schmelzbar, besser gussfähig und besser bearbeitbar bzw. für langgezogene, elastische Gegenstände besser geeignet war, machte dieses Metall zur Grundlage raschen technischen Fortschritts. Europäische Rohstoffvorkommen: CU (häufig): Siebenbürgen, Nordungarn, Südslowakisches Erzgebirge, böhmisches Erzgebirge, Thüringen, Salzburg, Tirol SN (selten): Fichtelgebirge, Cornwall Arsen: Frankenwald/Bayern Schaffung der transkontinentalen Verkehrswege, Bernsteinwege, Pferd als Reit-, Last- und später als Zugtier. Beziehungen Mitteleuropas mit der mykenischen Kultur sind zwischen dem 16. Und 13. Jh. v. Chr. nachgewiesen ( Importwaren, Nachbildungen), ebenso mit Ägypten, dem Nahen Osten und Kreta. Auf dem Seeweg bestanden Verbindungen mit Cornwall (tin-land). Anwendungsbereiche: Werkzeuge, Waffen, Schmuck. 6.2.2 Älteste bronzezeitliche Kulturen Mitteleuropas
Als ältestes Substrat gelten die Nagyrev-Kultur in Ostungarn ( 19. Jh. v. chr.) und die Kisapostag-Kultur in Westungarn. In den Tells findet sich spärliches Bronzeinventar (z.B. dreieckige Dolche mit Griffen aus organischem Material ). Die Keramik weist auf Beziehungen zum SO hin. Leichenbrandreste finden sich in Urnen und in Gruben. Neben Bronzeschmuck fanden sich auch goldene Halskettenperlen. Über beide Kulturen lagerte sich die Hatvan-Kultur. Diese sicherte ihre Rechteckhäuser gegen die aus Rumänien eindringende Otomani-Kultur mit Wall und Graben. Die Otomanikultur besaß eine von Mykene beeinflusste hochentwickelte Metallurgie: Kurzschwerter, Dolche, Speerspitzen, Streitäxte, Schmuck. Die ungarisch-siebenbürgisch-slowakischen CU-Lager wurden ausgebeutet, ebenso das Goldvorkommen an der oberen Theiß. Bronzegegenstände wurden nach Norden und Nordwest exportiert. Befestigte Siedlungen, Streitrösser ( Horntrensenknebel). Urnengräber, später Hockerlage ( Männer rechts, Frauen links). In der Periamkultur fand sich in Mitteleuropa zum erstenmal die Töpferscheibe. 6.2.3 Bronzezeit auf österreichischem Boden
In „Österreich“ wurde in der Grauwackenzone (= nördliche Schieferalpen) CU abgebaut: Kelchalpe/Kitzbühel, Mitterberg/Bischoshofen. In NÖ. fand man Hüttenanlagen und Aufbereitungsplätze. Durch die Bronzegeräte kam es zu einer Verbesserung der bäuerlichen Wirtschaftsformen. Viele Metallgegenstände wurden künstlerisch verziert ( reicher Formenschatz bei Fibeln). Geographische CU-zuordnung durch spektralanalyse möglich. In Österreich gliedern wir die Bronzezeit vorwiegend nach der Bestattungsart: n Frühe Bronzezeit = Flach- oder Hockergräberkultur ( Stufe A ): 1800 - 1500 Sie knüpft im Osten an die Badener Kultur, im Westen an die Glockenbecherkultur an. Die beiden wichtigsten donauländischen Lokalkulturen sind nach böhmischen bzw. westungarischen Hauptfundorten benannt: Aunjetitz- Kultur ( Unetice/Prag; Totenbretter, Schädeltrepanationen, Randleistenbeile, Depotfund u.a. im Dörnbacher Wald/Wilhering, St. Peter Keramik Linz/Froschberg, Wohnplatz Mauthausen, Barrendepots in St. Florian und Mondsee) und Wieselburgerkultur ( Westungarn, lokale Ausformungen, Beziehungen mit inneralpinen Kulturen nachweisbar ). n Mittlere Bronzezeit = Hügelgräberkultur ( Stufe B,C ): 1500 - 1250 Große Tumuli bis 15m Durchmesser, reiche Bronzebeigaben, zahlreiche Depotfunde Verbesserung der Gusstechniken ( didaktischer Hinweis: Hatto gießt eine Lure ): n Offener Herdguss: Das Negativ eines gewünschten Gegenstandes wurde aus einer Steinplatte ausgepickt und ausgeschliffen, die Vertiefung wurde mit Bronze ausgegossen. n Schalenguss: zweiteilige, genau aufeinanderpassende Formen; durch eine kleine Öffnung wurde flüssiges Metall in den Hohlraum gegossen, ein zweites Loch ermöglichte das Entweichen der Luft n Guss der verlorenen Form: Der Gegenstand wurde in Wachs geformt, in Ton eingebettet, erhitzt; das Wachs floss durch ein Loch heraus; der Hohlraum wurde mit Bronze ausgegossen, das Tonstück zerschlagen; Endbearbeitung durch Hämmern, Verzierungen ( Gravur, Ziselierung, Treiben, Prägen, Punzieren ). n Späte Bronzezeit = Urnenfelderzeit (Stufe D, Hallstatt A,B): ca. 1250 - 750/800 In Südosteuropa kam es zu ausgedehnten Bevölkerungsverschiebungen ( Dorische Einwanderung, „Sturm der Seevölker“ in Vorderasien). Archäologisch lässt sich das eindringen der Kimmerier durch Pferdegeschirrbronzen im Donauraum nachweisen. Das Erscheinen der „ thrako-kimmerischen Bronzen“ bedeutet den Beginn der stufe Hallstatt C. Brandbestattung, Bergheiligtümer, Bronzeopfer in Mooren, zahlreiche Wallburgen ( Stillfried/ March, Oberleiserberg, Gars/ Kamp), prachtvoller Bronzehelm (Pass Lueg),
Vollgriffschwert, geringe Menge Eisen als Handesimportware. 6.2.4 Erzabbau und Verhüttung
1. 1. n n n n
Erzabbau durch Feuersetzmethode: Feuer als Vortriebsmethode rasche Erhitzung des Erzes Abkühlung durch Wasser ( Fels wird brüchig) Lösung des Erzes durch Bronzepickel
2. 2. Vom Erz zum Kupfer (Verhüttung): n Grobaufbereitung: Von der Trennung des Erzes vom tauben Gestein bis zum Abtransport zum Schmelzen n 4 Etappen des Verhüttungsprozesses: Roharbeit, Konzentrierarbeit, Schwarzkupferschmelzen, Raffination 6.3 Eisenzeit Die Anfänge der Eisenverarbeitung ( Siderotechnik ) liegen im Nahen Osten ( 3. Jt. v. Chr.). Kleine Schmuckstücke sind sogar aus dem 4. Jt. aus Meteoriteisen erhaltengeblieben. Im 15. und 14. Jahrhundert v. Chr. gab es in den südöstlichen Küstenländern des Schwarzen Meeres ( Hethiterreich, Mitannireich ) eine beachtliche Produktion von Eisengeräten und Eisenwaffen. Noch im 2. Jahrtausend vor chr. gelangten Eisenwaren nach Syrien, Palästina, Ägypten, Mesopotamien, Persien und in den Kaukasus. Nach der Zerstörung des Hethiterreiches um 1180 v. Chr. verbreitete sich die Siderotechnik rasch über die Ägäis und Kreta nach Griechenland und Italien. Abgebaut wurde vor allem der Brauneisenstein, der Roteisenstein und das Rasenerz ( Tagbau). Das Schmelzverfahren bestand in der Reduktion ( Desoxydation ) des eisens bei 1100 bis 1400 Grad C ( Holzkohle, blasbalg, Rennöfen ). Die Eisenluppen wurden mehrmals erwärmt und mehrmals geschmiedet. In der Frühzeit gab es häufig Importe in Barrenform ( Hortfunde). In Afrika südlich der Sahara und in Teilen Asiens folgte auf die Steinzeit direkt die Eisenzeit. In Amerika spielte Eisen in der vorkolumbianischen Zeit als Werkstoff keine Rolle. 6.3.1 6.3.1
Hallstattzeit
Die erste Phase der Eisenzeit, die Altere Eisenzeit (= Jüngere Hallstattzeit oder Hallstatt C und D) wird ungefähr in den Zeitraum von 800 bis 400 datiert. Oberhalb des heutigen Ortes Hallstatt wurde ein großes Gräberfeld mit über 2000 Gräbern gefunden. Grundlage des Reichstums war Salz, das gegen Bernstein, Glas, Gold und Eisen getauscht wurde. Zur Blütezeit um 750 lebten dort ca. 250 Einwohner in Blockhäusern. Hallstatt wurde namengebend für den westhallstättischen und osthallstättischen Kulturkomplex, der über Mitteleuropa hinaus nach Frankreich und auf den Balkan reichte. 1. Der WESTHALLSTÄTTISCHE KULTURKREIS knüpfte an die donauländischen, niederrheinischen und ostfranzösischen URNENFELDERKULTUREN an. Er unterhielt enge Verbindungen zum ETRUSKISCHEN Italien ( über die Este- und Melaun-Kulturen) und zu den GRIECHISCHEN Kolonien an der Rhonemündung. Große Bedeutung für die wirtschafts- und Kulturbeziehungen hatte der Brennerpass. Die bedeutendsten Bodenschätze waren SALZ und das hochwertige NORISCHE Mangan-EISENERZ. Neben Hallstatt wurden auch am Dürrnberg bei Hallein und bei Bad Reichenhall Salz abgebaut ( HALL= kelt., Salz ). Die gesellschaftliche differenzierung zeigt der bekannte befestigte Herrensitz „Heuneburg“ / Baden Württemberg: 3-4m hohe Mauer, 9 turmartige Bastionen, Wehrgang, Lehmziegel, griechische Einflüsse, 10 Siedlungswohnschichten, außerhalb 10 große und viele kleine Grabhügel, Fürstengräber bis einfache
Gräber, unbefestigte Vorburgsiedlung. Welche Waren wurden importiert? n griechische, etruskische und süditalische Kratere; schwarzfigürige Schalen, griechische Amphoren (Wein), Schnabelkannen, Korallen, afrikanisches Elfenbein, erste Seidenfäden, Weintrauben, bunte Glasperlen, Bernsteinschmuck,... Welche Waren wurden exportiert? n Salz, Kupfer, Eisen, Handwerkswaren Die griechischen, etruskischen, venetischen, illyrischen und mitteleuropäischen Händler benützten vierrädrige Wagen und Lasttiere. Es kam zu Stil- und Modeänderungen unter Beibehaltung einer Kulturkontinuität. Der OSTHALLSTÄTTISCHE KULTURKREIS reicht von Kärnten, der Steiermark und NÖ bis Mähren, in die Slowakei, Ungarn und auf den Balkan ( illyrische bosnische Hallstattkultur). Er knüpft an die mitteldanubischen Urnenfelderkulturen an. Weniger Bergbau, Fürstenburgen ( Braunberg/Hainburg) und Fürstenhügelgräber (Großmugl, NÖ.), Torenverbrennung, keine Wagengräber, Flachgräber für das gemeine Volk. Was wurde importiert? Situlen ( große Bronzeblecheimer ) mit altgriechischem und etruskischem Kultureinfluss, Goldmasken, stierkopfverzierte Keramik; Strettweger Opferwagen: bronzener Kesselwagen mit figürlicher Darstellung einer Kesselträgerin und Hirschopfern; die Hauptfigur steht auf einem Sonnenrad; die Schale war für eine geweihte Flüssigkeit, das Lebenswasser bestimmt Die KIMMERISCHE Expansion wird erst jetzt besser erforscht, seit wir uns vom „Ostbollwerkgedanken“ etwas befreit haben. Die spezialisierten Steppennomaden, vertrieben von den nomadischen SKYTHEN, fanden in der ungarischen Tiefebene gute Lebensbedingungen. Viele Pferdegarnituren blieben erhalten. Um 550 v. Chr. erschienen im östlichen Teil des Osthallstattkreises die THRAKER und SKYTHEN (Goldarbeiten). Thrakien ( Siebenbürgen, Bulgarien) wurde hellenisiert. Die Thraker, ein Kulturvolk, für die Griechen wie wir ein „Barbarenvolk“, das nicht Griechisch sprach, prägten Namen wie Karpaten, Tatra, Beskiden, Donau= Istros, Dnestr, usw. In Ostungarn finden sich viele Hügelgräber mit skytischen Pferdegeschirren, Metallspiegeln, dreikantigen Pfeilspitzen mit Widerhaken, Reflexbögen, kreuzförmigen Köcherbeschlägen,....In den Kurganen ( riesige Grabhügel skythischer Fürsten) fanden sich hervorragende Goldarbeiten, goldene Totemtierbeschläge, Bronzen, Leder- und Holzarbeiten. Ein Teil dieser skythischen Schätze wurden 1988/89 in Wien gezeigt (Bestände der Leningrader Eremitage). Die Skythen, die sich selbst Skoloten nannten, waren von chinesischer und persischer Kunst beeinflusst; sie wiederum wirkten auf Griechen ( wechselseitig), auf Etrusker, Thraker, Kelten und Wikinger. Sie waren auch Meister im Teppichknüpfen und Weben. 2. 2.
Der urgeschichtliche Hallstätter Bergbau
1864 entdeckte der Salinenbergmeister Johann Georg Ramsauer (Ramsauerstraße/Bindermichl) im sogenannten Salzbergtal, ca. 450 m über dem Hallstättersee, ein urgeschichtliches Gräberfeld. Bis 1863 hatte er systematisch 980 Gräber freigelegt und unter Anleitung des Museums Francisco Carolinum und des Kunsthistorischen Museums Wien dokumentiert. Insgesamt wurden ca. 2000 Gräber gefunden, davon befinden sich ca. 1270 Gräber in musealer Verwahrung. Anhand des Gräberfelds kann der Übergang von der Bronzezeit zur Eisenzeit und die ältere Eisenzeit relativ gut rekonstruiert werden. Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Struktur und die soziale Gliederung eines Volkes, das weder keltisch noch illyrisch war, sind gut belegbar. Das heutige Bergwerk besteht seit 1311. Die Salzgewinnung lässt sich aber in Hallstatt bis in die auslaufende Bronzezeit zurückverfolgen. 2.1 Die Nordgruppe ( 1000 - 900 v. Chr. ) umfasst 12 Fundstellen: n bis 17m breite und bis 215m tiefe, niedrige, vom Kupferbergbau abgeschaute Schächte n Fördersäcke aus Rindsfell n Abbaugeräte wie Holzschaufeln etc. aus Buchenholz n Fell- und Lederbekleidung: Woll- und Leinengewebe, kegelförmige Fellmützen mit quastenartigen Lederriemen n Dieser Bergbau wurde mit dem Ende der Bronzezeit aufgegeben.
2.22.2 n n n n
Die Ostgruppe ( 800-400 v. Chr.) umfasst 25 Fundstellen: steile, schräge Schächte mit waagrechten Stollen bronzene Lappenpickel mit Knieholzschäftung breite, flache Kienspäne Kleidung: Fell, Leder, Wollstoffe, Zipfelmützen aus Fell, Bskenmützen, Schuhe aus einem Fellstück n Transportgerät: Fell eines großen Tieres ohne Bauchschnitt abgezogen, hinten zugenäht n Mitte des 4. Jh. Erdrutschkatastrophe
2.32.3 Die Westgruppe ( 300 - 100 v. Chr.) ist fundarm: n fremdes Importgut: Glas- und Bronzegefäße (Oberitalien), Bernstein ( Nordsee, Bernsteinstraße), Elfenbein ( Nordafrika, über Massalia importiert ) n Handelsbeziehungen mit Germanen, Skythen, Kimmern, Griechen, Italikern und Etruskern. 3. Hinweise: Freilichtmuseum in Mitterkirchen, PI-Materialien, Museum in Hallstatt
6.3.2 Keltenzeit 1. 1.
Gliederung / Gegenwartsbezug
n Seit dem 7. Jahrhundert im Kerngebiet an der Marne nachweisbar, dann Ausdehnung nach West-, Süd- und Mittelosteuropa und in die Türkei (Galater ) n Frühe Latenezeit ( ca. 500 - 300 v. Chr.): Eindringen ins Alpenvorland n Mittlere Latenezeit ( ca. 300 - 100 v. Chr.): Eindringen in den alpinen Bereich, regnum noricum, Zentrum: Magdalensberg. Die Römer besiegten die Kelten in der Poebene ( 222/225 v. Chr. ). Handel, oppida, hospicium publicum ( 170 v. Chr.) n Späte Latenezeit ( 100 bis ca. Chr. Geburt ): Gaufürsten, Bergbau/Handel, Druiden n Kelten heute: einige 100 000 Menschen mit keltischer Muttersprache an den Rändern Westeuropas; ca. 35 000 Iren sprechen noch Gälisch ( formell 1. Amtssprache), ca. 660 000 Waliser sprechen noch Kymrisch (Methodisten!), ca. 80 000 Schotten sprechen noch Gälisch, ca. 20 000 Bewohner der Insel Man (Manx) sprechen noch Gälisch; fast 1 Million Bretonen sprechen Bretonisch. Die Schüler kennen bei uns noch den Kilt und die gallischen Comics-Helden Asterix, Majestix, Obelix, Miraculix, Troubadix und Meierix des Franzosen Rene Goscinny. 2. 2.
Hierarchie und Arbeitsteilung in metallzeitlichen Höhensiedlungen und keltischen OPPIDAs
Durch verstärkte Kontakte mit dem griechisch-etruskischen Kulturraum kam es im 6. Jahrhundert vor Christus zur Ausbildung neuer Herrschaftsstrukturen. Die Macht konzentrierte sich bei einigen Großfamilien; es bildete sich eine ADELSSCHICHT aus. Die HERRENSITZE insbesondere des Westhallstattkreises ( westliches Österreich bis Ostfrankreich ) weisen mediterrane Anklänge auf: akropolisartige Burgen, Unterstädte mit Unterteilung nach Handwerkergruppen. Keltische Höhensiedlungen bei Linz sind auf dem Freinberg und auf dem Gründberg nachgewiesen. Vor kurzem wurde auf dem Gründberg ein grösserer Metallfund gesichert, der demnächst der Öffentlichkeit präsentiert wird. Die ersten großräumigeren befestigten „Städte“, von Caesar OPPIDA genannt, entstanden im 2. Jahrhundert v. Chr., sich von Massalia aus über das gesamte keltische Gebiet ausbreitend. Mit OPPIDUM wird eine schwer zugängliche, mit Mauer und Graben geschützte, ständig bewohnte Siedlung mit bedeutenden Produktionsstätten bezeichnet. In seinen „Commentarii de bello Gallico“ ( 58 - 49 v. Chr. ) unterschied Caesar das gallische OPPIDUM (urbs) von offenen Dörfern (vicus) und Einzelgehöften ( aedificium ). Ein OPPIDUM war meist Mittelpunkt eines Stammesgebietes und hatte mehrere Funktionen: Verwaltungszentrum, Rechtssprechung, Stammesheiligtum, Münzprägung, handwerkliches Zentrum ( Töpferscheibe, Eisenverhüttung, -herstellung ), befestigter Adelswohnsitz, „Fluchtburg“ für die Bevölkerung, Heeresversammlungsplatz. Große Stämme verfügten über mehrere oppida mit einem zentralen oppidum.
Die beiden einflussreichsten Stände waren die RITTER und die DRUIDEN ( Rituale, Jungmänner-Unterweisung, Schiedsrichter; Gerichtsfunktion, steuerfrei, vom Heeresdienst befreit ). Die Ritter hatten Gefolgsleute (KLIENTEN) und Arbeitsleute (Ambakten). Ihr Ansehen hing von ihrer Abkunft und ihrem Vermögen ab. Frauen hatten bestimmte Rechte: eigener Besitz, blieb auch nach Eheauflösung im Eigentum der Frau. Die hierarchisierte und militarisierte Gesellschaft fand ihre Widerspiegelung im äußeren Erscheinungsbild der OPPIDA: Adelszentrum, Hendwerkerviertel, Heiligtümer bzw. Hl. Straße. Die spärlich vorhandenen öffentlichen Gebäude deuten vielleicht daraufhin, dass es wenig Beteiligung der breiten Bevölkerung am politischen Leben gab. Die Übernahme des Münzgeldes aus der mediterranen Welt erleichterte den Handel. Die Numismatiker können Aussagen zur keltischen Kultur, Geschichte, ihrer Götterwelt und zur Verbreitung der Kelten machen. Die Prägung erfolgte durch Hammerschlag; ein im Metallgussverfahren hergestellter Schrötling wurde zwischen einen Ober- und Unterstempel gelegt. Es fanden sich Münzen aus Gold, Silber und Bronzelegierungen. Beispiele sind im Halleiner Keltenmuseum zu besichtigen. 3. 3.
Zur keltischen Götterwelt
Die führende intellektuelle Schicht der Druiden hielt ihre religiösen Vorstellungen geheim. Sie widersetzten sich lange der Romanisierung. Obwohl uns ca. 400 verschiedene Götter(bei)namen überliefert sind, wissen wir wenig über die keltischen Göttervorstellungen. Durch Ausgrabungen ( hl. Plätze und Strassen ), durch Situlen- und Kraterdarstellungen und durch die „interpretatio romana“ ( 75 Marsbeinamen, 46 Merkurbeinamen,...) können wir das Dunkel der geheimnisvollen keltischen Götterwelt etwas erhellen. Im regnum noricum war eine der wichtigsten Göttinnen die Landesgöttin NOREIA. Die Römer interpretierten sie im Sinne der ägyptischen Isis ( ISIS NOREIA). Beide waren Göttinen der Monde und des Himmels, Fruchtbarkeitsspenderinnen, Beschützerinnen der Mütter und Kinder. Sie war Personifikation des Sieges, der Toten und der Unterwelt, des Meeres, Wassers und des Schicksals sowie Heilgottheit. Da Noreia als Fruchtbarkeitsgöttin oft nackt dargestellt wurde, setzten sie die Römer auch mit Aphrodite/ Venus gleich. TARANIS ( taranit = einschlagen, hauen, zerstören) war der Himmels- und Donnergott. Gott CASUONTANUS interpretierten die Römer als Gott des Weines und der Vegetation ( Dionysos/ Bacchus ). Der Kriegsgott LATOBIUS wurde dem Mars gleichgesetzt, BELENUS/ BETINUS dem Licht- und Heilspender Apoll. CERNUNNOS ( cornu=Horn), dargestellt mit einem Hirschgeweih oder zusammen mit Hirschen, war für die männliche Zeugungskraft zuständig. In ihm lebten alte totemistische Vorstellungen fort. EPONA (epos=Pferd) ist Göttin des Lichts und der Toten. Sie spendet Nahrung für das Dies- und das Jenseits. Noch im 11. Jh. wurden irische Könige symbolisch mit einer weißen Stute vereint. CUCULLATUS, die winzige keltische Gottheit mit dem Kapuzenmantel, lebt in italienischen „Erscheinungen“ weiter ( Zeitungsberichte von 1911, 1939, 1959 ), aber auch in österreichischen Märchen und Sagen als Waldschrat oder Zwerg. Ihm wurden Heilkräfte zugeschrieben ( Brunnen, Heilwasser). Die Kelten kannten viele Baumgottheiten. Die MISTEL spielte eine Rolle als Heil- und Gegengiftmittel. Abgeschlagene Feindköpfe wurden in Kultnischen angenagelt oder in balsamiertem Zustand in Haustruhen aufbewahrt (= geistige und körperliche Kräfte übernehmen). Menschenopfer sind nachgewiesen: in Reisiggebilden verbrennen, auf Bäumen aufhängen, mit dem Kopf nach unten in Fässern ertränken. Aus keltischen Kultstätten (Viereckschanzen mit Wall und Graben) entwickelten sich vielfach gallo-römische Umgangstempel (Lorch). Hölzerne und steinerne, oft doppelgesichtige Kultpfähle und Skulpturen blieben erhalten. In Kärnten gibt es noch heute den „Vierbergelauf“ ( Magdalensberg, Ulrichsberg, Veitsberg, Lorenziberg ); das Christentum verdrängte keltische Kulte/ Kultorte ( Dreikopfbecken: keltisches allumfassendes Prinzip der Gottheit - unbärtiger Jüngling, bärtiger Mann, Frau ). Die Sonnwend- und Johannisfeuer gehen ebenfalls auf die Kelten zurück. Wilde Gesellen wie die Perchten und der Krampus finden ihre Ursprünge bei den Kelten.
4. 4.
Strabos (Polybius) Bericht über den Goldbergbau der TAURISKER
Polybios erzählt, zu seiner Zeit habe man bei Aquilea, besonders aber im Lande der norischen Taurisker so reichlich Gold gefunden, dass man nur zwei Schuh tief zu graben brauchte, um auf Gold zu stoßen. Das in der Größe einer Bohne gefundene Gold sei teils so rein gewesen, dass beim Einschmelzen nur 1/8 verlorenging... Als einst Italiker den Barbaren durch zwei Monde beim Goldgraben halfen, sei sogleich der Goldpreis in Italien um 1/3 gesunken. Als die Taurisker dies merkten, schlossen sie diese Mitarbeit aus und behielten den Handel für sich. Jetzt gehören alle Goldgruben den Römern... Die Römer brachten auch das keltische Grosshandelszentrum auf dem Magdalensberg in ihre Abhängigkeit. Hier wurde das hochwertige „norische Eisen“ und vielfältige Eisen- und Stahlwaren hergestellt. Handelsbeziehungen gab es vor allem mit Massilia ( den Griechen), mit den Etruskern und den Illyrern.
7. Kunst und magisches Weltbild 7.1 Schamanismus Der Seelenglaube ist bereits für den Neanderthaler ( homo sapiens neanderthalensis/ homo sapiens primigenius, ca. 200 000 - 40 000 v. Chr. ) nachweislich ab ca. 70 000 v. Chr. belegt. Der homo sapiens sapiens des Würm-Glacial ( ca. 40 000 10 000 v. Chr.) hinterließ uns neben den fruchtbarkeitsmagischen „Venusstatuetten“ auch Höhlenmalereien, die kultischen Zwecken dienten. Grundlegend für einen kosmologischen Dualismus ist der Glaube an die Möglichkeit der Kontaktnahme mit den Geistesmächten, die Fruchtbarkeit, Jagderfolg und Erhalt des Wildes „gewähren können“ und der „Seelenglaube“. In der Höhle von Lascaux ist ein Schamane dargestellt, dessen Körper in verkrampfter, trancehafter Haltung am Boden liegt, dessen Seele, symbolisiert durch einen Vogel auf einer Stange, sich auf eine Jenseitsreise begibt. Vogelmasken zählen neben Cervidenmasken noch im rezenten Schamanismus Nordasiens zu den Haupttypen der rituellen Kostümierung der Schamanen. 7.1.1 7.1.1 Dreielementenlehre des Seelenglaubens: vergängliche Physis, Vitalseele und leibunabhängige, unvergängliche Freiseele Gesundheit, Fortpflanzung und gute Jagdkenntnisse bzw. Jagdtechniken waren grundlegende Voraussetzungen der Jäger-/Sammlergesellschaften. Die Annahme einer Vitalseele ( Sitz im Blut) erklärte die Lebenskraft, das Leistungsvermögen und die Fruchtbarkeit. Leib und Vitalseele bildeten einen entscheidenden Funktionsverbund für den einzelnen und das soziale Zusammenleben der Horde. Die Freiseele (Sitz im Schädel) kann sich vom Körper trennen, z.B. im Schlaf. Was sie dabei erlebt, bilden die Inhalte der Traumgesichte. Bilden Leib, Vital- und Freiseele eine geschlossene Funktionseinheit, ist der Mensch gesund. Als Verstöße gegen die Schöpfungsordnung gelten: n Physische Leiden: Körperverletzungen n Lebenskraftleiden: böser Blick, Feindseligkeit anderer, Schadenszauber, Verunreinigung,... n Gefahr für die Freiseele: lähmender Schreck, ein böser Dämon ergreift die Seele, im Streit außer sich geraten,... n Die Fortpflanzung war wesentlich für den Erhalt der Horde. Der Körper „entstand“ durch Sperma und Blut, die Vitalkraft durch das Sperma, die Freiseele durch eine Geistmacht ( später: durch den Vater). Kinderseelen hielten sich an bevorzugten Übergangsstellen zum Jenseits auf ( Quellen, Wasserlöcher, Flüsse, bestimmte Bäume, Felsen, Berge ). Ging eine schwangere Frau vorbei, sprang eine Seele über. Möglichkeiten der Beseelung bestanden auch im Traum und durch bestimmte Tiere, z.B. nachtaktive Vögel. Nach Ansicht sibirischer Völkerstämme lebten die Seelen in Gestalt kleiner Vögel in der Krone des Weltbaums. Unter Obhut eines Geistes flogen sie in den Schoß der zukünftigen Mütter. In Ahnenkult-Gesellschaften „übernahmen“ oft die Ahnen den Seelentransfer. 7.1.2 7.1.2
Tötungsverbot von nahen Verwandten wie Mensch und Tier
Als Gründe für Störungen des Naturhaushalts, der den Unterhaltserwerb beeinträchtigte oder gefährdete, wurden menschliche Verfehlungen gesehen. Mensch und Tier galten als nahe Verwandte, ihre Seelen blieben austauschbar. Wechselseitige Verwandlungen galten als möglich. Verwandte dürfen einander nicht töten - ein Zentralproblem in altsteinzeitlichen Jägerkulturen. Angehörige von naturnahen Kulturvölkern „entschuldigten“ sich beim erlegten Wild: Fremde hätten das Wild erlegt, förmliche Bestattungen von Knochen des Jagdwildes (= Voraussetzung für erneute Verkörperung des Tieres). Geister waren für das Jagdwild oder einzelne Arten zuständig. Sie wachten über die „Wiederverkörperung“ ihrer „Herden“. Frevelten die Menschen, schlugen sie sie mit Jagdunfällen, Krankheiten oder mit teilweisem bzw. völligem Entzug von Jagdwild. Nur bei wenigen naturnahen Kulturvölkern ( Turkvölker Nordasiens wie die Altaier und Jakuten ) kennen wir analoge Mächte der Pflanzenwelt. 7.1.3 7.1.3
Der Schamane - Kontaktmann zu den mächtigen Geistern mit Hilfe seiner Freiseele
Der Schamane „konnte“ willentlich und kontrolliert seine Seele ins Jenseits senden, um Vermittlerfunktionen wahrzunehmen. Beide Welten bildeten ja aus der Sicht der Schamanen ein komplementäres Ganzes. Ihre Hauptaufgabe liegt im Heilen psychischer Leiden, die letztlich auf menschliches Verschulden zurückgingen. Indem der Schamane im Trancezustand seine Seele auf die Reise schickte, erfuhr er von den Geistern die Diagnose. 3 Hauptmöglichkeiten: n Fremdstoff: Substanz heraussaugen n psychische Schädigung: exorzistische Mittel oder Aufgebot seiner Hilfsgeister n bei Seelenverlust: Kampf mit den Entführermächten. Erkrankten Schamanen, suchten sie sich mit Hilfe ihrer Hilfsgeister selbst zu heilen. In schweren Fällen suchten sie Hilfe bei „stärkeren“ Schamanen. Große Schamanen waren Meister der Ekstase, die sie willentlich kontrollieren konnten. Im Alltag kam der Schamane meist für sich selbst auf ( Jagen, Fischen, Feld bestellen; Familienleben). Nur wenige wurden durch Geschenke wohlhabend. Auftrag der Schamanen war es, Seelenhirte, Heiler und Traditionshüter ( Mythen, Märchen, Sagen, Heilkräuter, Zeichen, Traumdeutung, moralische Normen) zu sein. 7.1.4 7.1.4
Psychologische und ethnologische Erklärungsversuche/Sichtweisen
Früher sahen die Europäer im Schamanismus eine absonderliche Ausprägung eines primitiven steinzeitlichen oder heutigen Wahnglaubens. Manche Forscher ( Schternberg, Bogoraz, Snessarev, Ohlmarks,...) führten das Phänomen „Schamanismus“ auf psychopathogene Ursachen zurück. Einige Forscher setzten den Schamanismus mit Epilepsie oder Schizophrenie gleich. Heute sind die Forscher der Meinung, dass psychopathogene Faktoren Schamanismus nicht erklären können. Sowjetethnologen wie Tokarev sahen im Schamanismus eine „Ausbeutungsform“ der Vorklassengesellschaft. Religionswissenschafter wie Mircea Eliade deuteten das mystische Erleben der Schamanen als Rückkehr in die mystische Zeit des verlorenen Paradieses. Adolf E. Jensen meint, dass der Schamanismus einem vitalen Interesse von Menschen dient, die glauben, dass alles bedeutsame Geschehen von transzendeten Geistmächten verursacht wird. Die „Seelen“ sind diesseitige korrespondierende Partnerinstanzen. In Jäger- und Nomadenkulturen sind Tiere, bei agrarischen Kulturen das Opferwesen, der Ahnenkult, gelegentlich auch der Drogengebrauch bedeutsam. Insgesamt ist der Schamanismus eine in sich schlüssige, kohärente Seins- und Naturtheorie, die durch die New -Age-Bewegung, bei Spiritisten und Okkultisten heute wieder Interesse findet. Insbesondere mit Einsetzen des Kolonialismus verfolgte die katholische Kirche die Schamanen ( Teufelsbündler, Ketzer, Heiden: Verbrennungen; Ketzer: Zwangsarbeit). In der Sowjetunion wurden Schamanen von den Kommunisten als „Hemmschuh sozialistischen Aufbaus“ verfolgt (Gefängnis, Zwangsarbeit, Enteignung). Die heutige „Scheinrenaissance“ der Schamanen als Geistheiler, Wunderheiler oder Stadtschamanen stehen nicht mehr im „Herzen ihrer Gemeinschaft“, sie leiden und sterben nicht mehr für sie, sondern stehen am Rand ihnen fremder Sozietäten, zum Teil vom „Geist des Geldes“ verführt.
7.27.2 Pioniere der Wiederentdeckung der magischen Dimension der „Seele“ im 20.
Jahrhundert und ein „naturphilosophischer“ Gegenentwurf Nach Sigmund Freud laufen primärprozesshafte Vorgänge vorwiegend symbolisch-magisch ab und nur in geringem Maß kausal-rational. C.G. Jung machte die Bedeutung der Tiefenschichten der „Seele“ und deren archetypischen Grundlagen samt ihrer vielen symbolisch-bildhaften Erscheinungsformen zu seinem Forschungsanliegen. Sein Therapieziel war weniger die „Stärkung des Ichs“, sondern vielmehr die Bewusstmachung des Unbewussten mit dem Ziel der Entfaltung des Selbst (= das innerste Wesen): „Wo Ich war, soll Selbst werden!“. Archetypen, Urbilder menschlichen Wollens, Fühlens und Erkennens sind Inhalte des kollektiven Unbewussten. Im Traum und in der Analyse sollen die Archetypen bewusst werden. Als moderne Forscher des Transpersonalen seien genannt: R. R. Assagioli (Visualisation, Willentraining) J.H. Schultz ( Autogenes Training) J.L. Moreno ( psychodramatische Inszenierung unbewusster Vorgänge) H. H. Leuner ( imaginatives Symboldrama) F. Perls ( gestalttherapeutisches Identifizieren mit Traum- und Phantasiegestalten) M.H. Erickson ( Hypnosetherapie) J. Grindler, R. Bandler (NLP = neuroliguistisches Programmieren) S. Grof (Phänomene des Unbewussten unter LSD-einfluss) K. Wilber ( transpersonale Psychologie) Einen anderen Weg schlägt der Naturphilosoph Klaus Meyer-Abich vor: Er stellte „ 7 Grundsätze“ der „Praktischen Naturphilosophie“ für eine „physiozentrierte Ethik“ auf, um die „unsittlichen Lebensformen“ der heutigen „Industriegesellschaft“ (Umweltraubbau, Ausbeutung der Dritten Welt, Beeinträchtigung der Chancen der Nachwelt,...) zu korrigieren: Lebensentwurf, Aktualität, Relevanz, Kein Leben zu Lasten Dritter als gesunder Erwachsener, Gelingender Umgang mit Pluralität, Identität in der Gemeinschaft, Selbstgefühl.
7.37.3 Kult und Religion in der Steinzeit 7.3.1 7.3.1
Genese und Begriff
Unter Magie (Zauberei) versteht man die Willensübertragung auf die Umwelt, ein Vertrauen auf eine inhärente Macht, die eine automatische Wirkfähigkeit besitzt. Durch Magie ( Herrschaft der Ideenassoziationen) kann die gewünschte Wirkung erzwungen werden. Wie unterscheiden die imitative Magie (sich ein Ebenbild machen) von der kontagiösen Magie ( Berührung, sich eines Teiles bemächtigen). Religion ist die Unterwerfung des Menschen unter überirdische Mächte. Gebet kann nichts erzwingen, nur erbitten. Magie und Religion kommen auch verbunden vor: Gebetsmühlen in tibet, hl. Kerze gegen Blitzschlag,... Magie und Religion haben sich im evolutionären Hominisierungsprozess entwickelt. Schimpansen und Bonobos, die 98% der Gene mit uns teilen, haben keine Religion, aber auch keine argumentierende Sprache und keine Kunst. Hinweise auf Religion (Bildkunst und Sprache) haben wir seit dem Jungpaläolithikum vor ca. 35 000 bis 40 000 Jahren (semiologische Revolution: der homo sapiens sapiens als homo loquens, homo artifex, homo religiosus). Rituale lassen sich auch ohne Wortsprache durch Nachahmung erlernen und weitergeben. Bestattungsrituale hatten schon die Neanderthaler. Man könnte sie einer vorsprachlichen Prä-Religion zuordnen. Kultstätten sind vor 9000 Jahren nachweisbar (Nevali Cori/Osttürkei). Die Ikonographie der Großen Göttin können wir in Anatolien mindestens bis zur neolithischen Kultur von Catal Hüyük/Türkei vor etwa 8000 Jahren zurückverfolgen. Brahmanen und Zarathustrier gibt es seit ca. 3000 Jahren, Juden seit ca. 2500 Jahren, Christen seit ca. 2000 Jahren. In Erweiterung einer Definition von Clifford Geertz (1973, S.90) kann man unter Religion n ein System von Symbolen, n die in Interaktion verwendet werden, n wirksame und dauerhafte Einstellungen und Motivationen bei den Gläubigen bewirken, n indem sie Begriffe einer allgemeinen Kategorie von Existenz formulieren, n diese Begriffe mit einer Aura von Tatsächlichkeit zu umhüllen versuchen und so
n den Einstellungen und Motivationen Realitätscharakter zu schaffen scheinen. Vereinfacht kann Religion durch drei Charakteristika umschrieben werden: n Religion hat es mit dem Nicht-Evidenten zu tun (Protagoras: ADELOTES/ Undeutlichkeit) n Religion zeigt sich in Interaktion und symbolischer Kommunikation der Gläubigen. n Religion ist eine „ernste“ Sache ( im Unterschied zu Spiel und Kunst ). Sozialdarwinisten wie Otto Gruppe sehen den evolutionären Sinn von Religion darin, dass sie Gruppen fit fürs Überleben im Kampf ums Dasein machen. Versuchen Kulturwissenschaften RELIGION zu erhellen, stehen sie im Horizont allgemeiner Anthropologie, die ihr biologisches Fundament nicht verleugnen kann.
Die alten Religionen suchten die Bindung an die reale politisch-militärische-wirtschaftliche Macht und betonten die Sorge um den Fortbestand der Gruppe/Familie. Nur wer sich anpasst, wird akzeptiert, der „Unangepasste“ wird ausgestoßen. Nicht nur das Christentum hat ihre Gegner ausgerottet bzw. auszurotten versucht, auch die alten Religionen gingen mit dem Machtgebrauch nicht zimperlich um. Walter Burkert (1998,S.30) lehrt, dass Religion auch als soziobiologischer Feldzug, der zur Auslese und Ausmerzung der „anderen“ führt, gesehen werden kann. Niklas Luhmann sieht die Hauptfunktion von Religion in der „Reduktion von Komplexität“, in der Orientierungsfunktion innerhalb eines kohärenten Kosmos. Religion treibt prägende Erziehung bewusst voran. Rituale nehmen den einzelnen in eine „Welle von Resonanz“ (Strukturalismus) hinein. Religion wird durch Autorität, Autorität durch Religion begründet (Wechselbeziehung). Der Vorrang des „Heiligen“ beruht auf „Gottesfurcht“. Der zentrale Begriff, der im Akkadischen mit Göttern und Religion einhergeht, ist „puluhtu“ (Furcht). Religiöse Toten- und Opferrituale negieren den Tod. Angst wird durch eine Art „höherer Furcht“ bewältigt. Unsterblichkeit und Ewiges Leben sind wirkungsvolle Surrogate der Religionen. Um die Horde zu sichern, gab es Pars-pro-toto-Opfer und den „Sündenbock“. Aus dem Imperativ dürfte sich die erwähnende Beschreibung (Jagdgeschichten, Kampferzählung) entwickelt haben. Schamanenerzählung ist Teil des Erzähltyps der „magischen Flucht“. Schamanendichtung ( Ekstase, Trance, Träume, Ritual, Lautnachahmung, Symbole, Jenseitsfahrten) dürfte in der Entwicklung vorliterarischer Erzählkunst eine entscheidende Rolle gespielt haben. Initiationsrituale sind ein sozialer Akt der Gemeinschaft, die das Biologische formt und zugleich verhüllt. Sexualität, Geburt, Tod sind in der natürlichen Welt einander zugeordnet. Durch Opferrituale und Mythos versuchte der Mensch den Tod zu manipulieren. In allen Primatengesellschaften ist ein entwickeltes Bewußtsein von Autorität und komplexer Rangabstufung festzustellen. Vom Baum kommen Bilder der Höhe und Tiefe, die ins Kosmische ausgeweitet wurden. Die Aufmerksamkeitsstruktur richtet sich nach oben zum Alpha-Tier. Abhängigkeit, Komplexitätsreduktion, Unterordnung und Unterwerfung treten in der Religion in Form von Ritualen zutage. Manche Unterwerfungsrituale sind älter als die Menschheit. Sich Niederbeugen ist noch im Akkadischen und im Hebräischen die Bezeichnung für religiöse Verehrung. 7.3.2 7.3.2
Konkrete Beispiele
- Tieropfer: Der Verbundenheit mit transzendenten Wesen durch dingliche Gaben Ausdruck verleihen; magische Praktiken zur „Erneuerung des Jagdwildes“ Versenkopfer in stehenden oder fließenden Gewässern (Stellmoor bei Hamburg: 15 junge weibliche Rentiere, Brustkorb geöffnet, mit Steinen beschwert, allerbestes Wildpret, das Hirn war entnommen, Kultmal: 2m langer Kiefernholzpfahl mit einem Renschädel) Opfer bei Lagerplätzen (Mauerner Weinberghöhlen: vollständiges Skelett eines 10jährigen Mammuts mit rot gefärbten Elfenbeinperlen und Silexgeräten; Achenheim/Elsass: Stapelung von Hirschschädeln, usw. n Totenbehandlung: manchmal wurde der Schädel besonders behandelt (China, Europa; Gehirnentnahme), Artefakt- und Fleischbeigaben, festliche Farben (Rot, Ocker), Steinsetzungen (Schutz vor Raubwild), Schmuckbeigaben ( durchlochte Tierzähne, Konchylien). n Bildwerke: Versuch der Befreiung von Lebensnot, das Tier selbst erschaffen (keine bloße Abbildung) Tierbilder (Höhlenbilder: Tiermaskentänzer, Zwitterwesen, anthropomorphe Tierbilder, Fruchtbarkeits- und Initiationsriten möglich, Tiereinritzungen auf Knochen etc., Deutung als
„Votivbilder“, als Fixierung einer konkreten Situation; ev. Bildmagie: das Abbild soll das gemeinte Urbild beeinflussen.), Menschenbilder: Statuetten, Fruchtbarkeitssymbole Handabdrücke: pars-pro-toto-Prinzip? Geste des sich Öffnens? n Kult: ursprünglich ohne spezielle Kultbauten, rituelle Handlungen, Analogiezauber (z.B. Bärenzahnkette verleiht Kraft), 3 Arten der Analogiebildung: durch Ähnlichkeit, durch räumliche Nähe, durch zeitliche Nähe, Kornmutterkult Nevali Cori /Osttürkei, gilt als älteste gefundene Kultstätte der Menschheit (vor 9000 Jahren, frühe Jungsteinzeit, 16 mal 7m, ca. 2 m hoch, Steinmauern, Lehm-Schilfdeckung, aufwendiger Terrazzoboden; Nische, Gottheit mit Schlangenzopf, Mischwesen; 3 Tempelschichten übereinander; Bauopfer: junge Frau Rettungsgrabung/ Euphratstaudamm) Catal Höyük/Türkei: In den Kulträumen sind vielfach eine gebärende Muttergottheit (weibliches Prinzip) und Stiere ( männliches Prinzip) dargestellt. Auch reine Stierkulträume (Jagdkult; Hirschtanzritual, Nebenfiguren: Widder, Eber) wurden ausgegraben. Nebenbedeutung haben Geier und Leoparden. Neben Malerei und Wandreliefs fanden die Ausgräber auch viele plastische, dralle Frauenfiguren und eine Frau auf einem Leopardenthron. Männliche Figuren wurden kaum gefunden. Die Gegensätzlichkeit und das Miteinander der Geschlechter wurde zum Hauptinhalt der Kultes. Dominanz der Muttergottheit? Vom Jungpaläolithikum der letzten Eiszeit wurden ca. 1000 Frauenidole (Urmutterfiguren) von den Pyrenäen bis zum Baikalsee gefunden, darunter die Statuette von Willendorf und Dolni Vestonice. Die Materialien sind Mammut-Elfenbein, Geweih, Knochen, Stein. Aus dem nacheiszeitlichen Mesolithikum gibt es kaum Funde (Handumrisse: Deutung unklar ). Aus dem Neolithikum sind tausende Frauenstatuetten aus Ton ausgegraben worden. Aus dem Aeneolithikum gibt es einige abstrahierte Frauenidole aus Gold, Silber und Kupfer. 7.3.3 Einordnung des magisch-animistischen Weltbildes in die menschlichen Denksysteme Instinktfragmente und ältere Weltbilder leben weiter und erscheinen heutzutage in neuen Formen ( Esoterik, New Age, Aberglaube, Zwangsneurosen, in der Kunst, Sekten,...): INSTINKTBEZUG/PRÄANIMISMUS - ANIMISMUS/MAGIE - RELIGION - WISSENSCHAFT Naturdominanz, Ausgeliefertsein an die Natur durch psycholog. Die Natur Bekenntnis zur Natur; Tier-Mensch-Übergangsfeld Weltbild überwinden: durch die menschlichen „paradiesischer Adam“ psycholog. Gesetze an= Allmacht Kleinheit ohne stelle von Naturgesetzen der Götter/ Überichdominanz (Totem,Tabu,Mana, Gottes über= Unterwerfung Magie) winden unter Tod und narzistisches Weltbild: Objektfindung Naturnotwendig= Zuschreibung von All= an ein Überich keiten macht an bestimmte gebunden Objektwahl in Personen Jungsteinzeit Außen- und Innen= Altsteinzeit bis Mittelalter welt, Suche nach Geister und begrenzter wissenschaftl. Dämonen menschlicher Möglichkeiten Seelenwanderung Einfluss ( Gebete, Naturdeterminati= Wallfahrten, ethische onen zu entgehen, Lebensführung,...) Approximation Irdische Welt als an vernetzte Reali= Durchgangsstadium täten, Teilerklärun= zur göttlichen gen der Welt möglich Welt Empiriebezug
7.4 Kunst in der Urgeschichte Aufgrund der bisherigen Forschung begann der Mensch vor ca. 35 000 Jahren Werkzeuge und Geräte zu gravieren, Gegenstände mit symbolischem Gehalt herzustellen und Felsbilder zu verfertigen. Dargestellt wurden vor allem Tiere und Menschen, ein- und mehrfarbig ( roter, gelber, brauner Ocker; Kohle; Manganerde) auf Höhlenwänden und losen Steinen, auf Felswänden, auf Stein, Geweih-,
Elfenbein-, Bernsteinstücken; gemalt. reliefartig oder vollplastisch herausgearbeitet; abstrakt und realistisch. Im Aurignacien ( ca. 35 000 bis 30 000 v. Chr.) finden sich Schmuckornamente in den gleichen Schichten wie die Artefakte hochentwickelter Werkzeugindustrien. Die ältesten Schmuckstücke fand man in Lagerplätzen ( wichtiges soziales Merkmal). Aus dem Fundort Sungier/bei Moskau ( Gravettien, ca. 28000 bis 24000 v. Chr.) wurden tausende sorgsam gearbeiteter Elfenbeinperlen und durchbohrte Tierzähne geborgen. Aus halbbearbeiteten Objekten und aus dem Herstellungsabfall lässt sich auf die Arbeitsschritte schließen. Durchbohrte Tierzähne stammen meist von Raubtieren: Wölfe, Bären, Hyänen, Füchse; selten Biber. Der Körper diente als symbolische Bühne für das Schauspiel „Sozialisation“. Es gibt nicht deutbare Muster, außerdem Abbilder und abstrakte Konfigurationen, deren Chiffren und Symbole wir nicht sicher deuten können. Mehrere Wissenschafter sehen in der Entwicklung des bildhaften Denkens, in der Auseinandersetzung mit Problemen der zwei- und dreidimensionalen Wiedergabe, auch das zunehmende Vermögen, bessere Waffen und Werkzeuge herzustellen. Der Mensch war nun fähig, Eigenschaften von Objekten zu isolieren und in neue Zusammenhänge zu stellen ( Metonymie, z.B. Segel für Schiff; Methaphorik ). Die technische Entwicklung hing wesentlich mit dem Wahrnehmen, Gestalten und Vermitteln von mentalen Bildern zusammen. Präformierungen des kollektiven Unbewußten erhalten vom Bewußtsein des „Künstlers“ eine „Erhellung“, um als BILD erscheinen zu können. Mußte der Mensch in symbolischen Grundbildern die menschlichen Leidenschaften offenbaren und bändigen? Braucht der Mensch „Pathosformeln“? Aby Warburg lehrt, dass jedes Ereignis, das auf lebende Materie einwirkt, ein ENGRAMM, eine Spur hinterlässt, dessen Energiepotential unter bestimmten Voraussetzungen reaktiviert werden kann. MNEMOSYNE (Erinnerung) ist ein Grundgesetz. Die Symbolproduktion hatte Ventilfunktion (= ein Regulator zwischen Entladung und Verdrängung vitaler Urerlebnisse). Nach C.G. Jung hört mit dem SYMBOL die Regression der Libido ins Unbewusste auf. Die Regression wandelt sich in fließende Progression = Kreativität. Kunst bricht die Macht des Urgrundes. Archetypen wie die „Idee von Tod und Wiedergeburt“ oder der „Auseinandersetzung zwischen Licht/ das Gute und Dunkel/ das Böse“ werden zum Schöpfungsgrund von Mythen, Märchen, Erzählungen. Bedeutende Fundstätten: Departement Dordogne, Lascaux und Laussel, Le Thot/ im Perigord mit Freizeit-Urgeschichtspark (Prehistoparks); Altamira und Parpallo; von Frankreich bis Sibirien. In Afrika von Zimbabwe ( über 20 000 Felszeichnungen, darunter fast 30 000 Jahre alte) über 10 000 Jahre alte Felszeichnungen in der Sahara ( Tassili-Gebirge) bis zu den hochentwickelten TerrakottaSkulpturen der NOK-Kultur (500 v. Chr.). Auch bei den Aborigines in Australien ( Tiere, mystische Symbole, geometrische Figuren ). Verbunden mit Kunst sind Fruchtbarkeitskult, Jagdmagie und Initiationsriten. In Capo di Ponte ( zwischen Brescia und der Schweizer Grenze) gibt es das Weltzentrum für die Erforschung prähistorischer Kunst ( Centro Camunno di Studi Preistorici). In der Umgebung fand man mehr als 200 00 Gravierungen. Seit 1956 wird dort ein Weltinventar angelegt. Zeitschrift: Who is who in Rock Art.
8. Soziale Abhängigkeit, menschliche Bedürfnisse, „anthropologische Konstanten“ 8.18.1 Physiologische Frühgeburt - soziale Abhängigkeit Der aufrechte Gang des Frühmenschen hatte zur Folge, dass sein Kopf größer und das Becken im Laufe der Entwicklung kleiner wurde. Der Fötus konnte nicht mehr solange im Mutterleib bleiben, da sonst der Kopf zu groß wurde. Gehirngröße bei Geburt: Mensch 25%, 12/14. Lebensjahr 100%, Schimpanse 65%, 8./9. Lebensjahr 100%. Schimpanse 65% seiner ausgewachsenen Größe; Australopithecinen ca. 45%, Homo erectus 30%, Homo sapiens 25%. Mit Adolf Portmann sprechen wir von einem extrauterinen Frühjahr bzw. von einer physiologischen Frühgeburt. Mindestens zwei Jahre muss das Kind mit allem versorgt werden, was es braucht (Neotenie). Es dauert ca. 6 Jahre, bis ein Menschenkind für sich so gut sorgen kann wie ein Pavianjunges mit 12 Monaten. Die Entwicklung spezifisch arteigener Merkmale vollzieht sich beim Menschen außerhalb des Mutterleibes in einem sozialen Raum: aufrechter Gang, Wortsprache,
emotionale Bindungsfähigkeit (die über die Brutpflege hinausgeht). Die Neotenie, die längere Abhängigkeit der Kleinkinder von der (urgeschichtlichen) Mutter, war nicht nur überlebensnotwendig, sondern auch Bedingung für die Zunahme der menschlichen Intelligenz und des kulturellen Verhaltens, war Ursprung und Bedingung für Kultur und Zivilisation. Feministinnen wollen, dass heute auch der Mann an diesem grundlegenden Beitrag zur Entwicklung der Humanität partizipieren soll. Die auf sich alleingestellte Pavianmutter wurde durch ihr Pavianjunges kaum behindert, die Menschenfrau durch ihr Kleinkind sehr wohl. Dies war ein Grund für die zunehmende menschliche Arbeitsteilung. Weiters: Je größer der Anteil der Fleischnahrung beim Menschen wurde, desto abhängiger wurden die Frauen und Kinder von den Männern. Frauen waren durch Schwangerschaften, Stillzeiten, Wasserholen usw. wie die Alten und Kranken stärker an Wohnplätze gebunden als der nomadisierende Altsteinzeitjägermann, der ca. 25 qkm durchstreifen musste, um sich ernähren zu können. Der nomadisierende Urmensch schuf sich eine „Heimatbasis“, die sowohl Nährboden für die weitere kulturelle Entwicklung und Humanisierung des Menschen als auch für Vorurteilsbildung und Abgrenzung gegen Fremdgruppen wurde. Beispiele: Terra Amata/Südfrankreich, Chou-kou-tien/China. Der einzelne erlebt in Kleingruppen ( face-to-face-groups) den sozialen Zusammenhang unmittelbar: Werte, Normen, Kulturinhalte werden vermittelt, Kranke gepflegt, wichtige Verhaltensweisen erlernt. Der einzelne erlebt sowohl sozialen Druck, aber auch Anerkennung, Ansehen, Schutz und soziale Aufgabenstellungen; körperliche und soziale Geborgenheit. Während noch die Australopithecinen in kleinen Horden ( 15-20 Individuen) als autarke Gruppe lebten, suchte der Homo erectus Partner außerhalb der Verwandtschaftsgruppe (Exogamie); der Homo sapiens lebte in Gruppen, die sich zu Stämmen zusammenschlossen. Ein Wechsel einzelner Personen von einer Familieneinheit in eine andere ist wahrscheinlich. Kinder galten als Schützlinge der Horde. Im Laufe der Hominidenevolution wurde der östrische Zyklus der Pongiden abgewandelt. Menschenfrauen wurden das ganze Jahr über empfänglich. Die periodische Erregung (Brunstzeit) und Promiskuität, die das Sexualverhalten der nichtmenschlichen Primaten bestimmt, trat weniger auf. Aus Paaren wurden Partner ( nicht dauerhaft und nicht monogam ). Der Inzest trat beim Homo erectus in den Hintergrund, der Wettbewerb innerhalb der Kleingruppe um die Paarung wurde beseitigt. 8.2 Sechs „anthropologische Konstanten“ aus der Urgeschichte Der österreichische Verhaltensforscher Eibel-Eibesfeldt nennt 6 „anthropologische Konstanten“ aus der Entwicklung des Menschen, die nicht als Determination aufgefasst werden sollen, aber die die demokratische Erziehung beachten soll (Eibl-Eibesfeldt 1988): Rangstreben Familialität Bereitschaft zu Gefolgsgehorsam Neigung zu Bildung geschlossener Gruppen Gruppenintoleranz Territorialität Beachtet der Mensch diese Konstanten nicht, erhöht sich das Konfliktpotential. 8.3 Physische und psychische Bedürfnisse des Menschen Um gesund zu bleiben muß, der Mensch seine physiologischen und psychologischen Bedürfnisse befriedigen. Physiologische Bedürfnisse: Kaum umstritten sind : Durst, Hunger, Schlaf, Körpertemperatur erhalten; umstritten ist die Triebbefriedigung des Sexual-, Neugier-, Aggressions- und Aktionstriebes. Psychologische Bedürfnisse: n BEZOGENHEIT auf andere durch LIEBE statt durch Narzismus Der einzelne wird durch Einsamkeit, Machtlosigkeit, Unwissenheit, Krankheit und Tod bedrängt. Als Instinktersatz stehen ihm Unterwerfung (Masochismus, Identitätsgewinnung durch Verbindung mit Mächtigen wie Gruppen, Institutionen, „Götter“, Dämonen, Clans, Naturgeistern,...),Machtausübung
( Sadismus; Identitätsgewinnung durch Beherrschung anderer) oder Liebe (Förderung des Selbst und anderer) zur Verfügung. Masochismus und Sadismus führen zum Verlust der Freiheit und Integrität. Die Folge ist ein Mangel an innerer Kraft und an Selbstvertrauen. Das Scheitern ist vorprogrammiert, die Abhängigkeiten bleiben in anderer Form. Liebe ist Solidarität mit den Menschen und zu sich selbst. Wer liebt hat ein aktives Interesse am Wachstum und Wohlergehen des anderen, er ist nicht nur Zuschauer sondern mitverantwortlich. Ich respektiere den anderen in seinem Sosein und seinen Entwicklungen und betrachte ihn nicht durch die Brille meiner Wünsche, Begierden und Befürchtungen. In der Urgeschichte dominierte der Narzismus. Zunehmend nahm der Mensch während seiner Evolution die äußere Realität wahr; sein zunehmendes Ichgefühl war Vorbedingung für die Sprachfähigkeit. Heute unterscheiden wir zwischen primärem und sekundärem Narzismus. Der primäre Narzismus beim Kind bis zum etwa 8. Lebensjahr entspricht der Ontogenese. Die Verfestigung als sekundärer Narzismus ist eine neurotische bzw. pathologische Fehlentwicklung. n TRANSZENDENZ durch KREATIVITÄT statt durch Destruktivität Der Mensch hat das Bedürfnis, den Zustand des bloß passiven kreatürlichen Seins zu überwinden. Er möchte selber Schöpfer sein: Kinder, Kunst, Staat, Technik, Ideen, einander lieben,... Haß und Destruktivität ist die zerstörerische Antwort auf das Bedürfnis nach Transzendenz. n VERWURZELUNG durch SOLIDARITÄT statt durch Inzest Als Ersatz für seine natürlichen Wurzeln im Tierreich sucht der Mensch human-kulturelle Wurzeln, als Fernziel Solidarität mit den Menschen. Das Inzesttabu ist die notwendige Voraussetzung für jede humane Entwicklung und zwar primär wegen seines affektiven Effektes und nur sekundär wegen seiner sexuellen Auswirkungen. In unserer Mythologie bewachen zwei Cherubim mit dem Fammenschwert den Eingang zur vorindividuellen Existenz des Einsseins mit der Natur. Die Angst sich zu lösen ist eine irrationale affektive Bindung an Blut und Boden, an Kindsein und Mutterschoß. Der Mensch, der im Laufe seiner kulturellen Evolution immer mehr aus der Natur heraustrat, ist immer gefährdet, sich durch REGRESSION und IDENTIFIZIERUNG mit der Natur „Sicherheit“ zu verschaffen. Im Tieropfer wurde das Tier im Menschen „Gott“ zum Opfer gebracht. n IDENTITÄTSERLEBEN durch INDIVIDUALITÄT statt durch Herdenkonformität Die Lösung von der Gruppe, vom Clan bedeute, sich vom Kollektivismus zu lösen. „Ich bin ich“ statt „Ich bin wir“. Das Streben nach Konformität ist ein Surrogat für eigenes Identitätserleben. Das Aufgehen in einer Nation, einer Partei, einer Kirche, einer Klasse, einem Beruf usw. sind Illusionen der Individualität. n SINNFINDUNG durch VERNUNFT statt durch Irrationalität Die Vernunft versucht, sich der Realität anzunähern und sich so immer besser orientieren zu können. Sie wehrt sich gegen Manipulation und Indoktrination von Irrationalem ( der Macht des Totems, der Rasse, des Clans, der „-Ismen“). Seelische Gesundheit bedeutet, n die Fähigkeit zu lieben und kreativ wirken zu können, n sich von inzestuösen Bindungen an Mutterschoß, Clan, Boden und Blut lösen zu können, n ein Identitätserleben zu erlangen, das immer mehr auf sich selbst gründet und n die Realität innerhalb und außerhalb von uns selbst immer mehr zu begreifen. Auf dem Weg von der Abkehr von der tierischen Existenz hin zum Erreichen einer menschlichen Existenz gelingt es uns nicht, immer die 1. Natur ( Liebe, Solidarität, Kreativität, Vernunft, Individualität) zu leben. Wir bildeten Ersatzformen, Anpassungs- und Abwehrmechanismen aus: n Sublimierung (umgewandelte/verdrängte Triebimpulse ermöglichen kulturelle Tätigkeit, schöpferische Leistungen) n Regression (Rückschritt auf eine niedrigere Libidoentwicklungsstufe, auf eine frühere psychische Entwicklungsphase) n Verdrängung ( durch Gruppendruck bestimmte Vorstellungen vom Bewußtsein fernhalten; funktionell vom ICH getrennt, existiert jedoch im ES weiter) n Konversion ( Somatisierung, Neurose, Hysterie) n Imitation (Nachahmung, um im gesellschaftlich tolerierten Maßstab zu bleiben bzw. der
n n n n n n n
Erwachsenen) Identifikation ( sich nach dem Vorbild eines anderen umwandeln, Rollenübernahme als ICH ausgeben) Projektion ( eigene Wünsche nach außen, zu Personen/Objekten verlagern) Reaktionsbildung ( eigene Bedürfnisse ins Gegenteil verwandeln, überstrenges Über-Ich-Gebot) Verschiebung ( die seelische Energie vom eigentlichen Ziel auf ein anderes hin verschieben) Introjektion ( den Partner, das Kind nicht weglassen) Introvertieren ( sich isolieren, innere Immigration) Flucht (Emigration, ein anderes Umfeld für Viabilität suchen)
9. Voraussetzungen und Kennzeichen alter Hochkulturen 9.1 Voraussetzungen für das Entstehen alter Hochkulturen und ihre Kennzeichen Zur Entstehung früher Hochkulturen gibt es verschiedene Theorien. In den Tälern des Euphrat und Tigris, des Nils, des Indus und Ganges, des Hwanghos und des Jangtse-kiangs kam es zur „städtischen Revolution. Was waren die Gründe? Eine ältere Theoriebildung von der „Revolution der Nahrungsmittelproduktion“ brachte drei Faktoren in eine Kausalkette: Ackerbau, seßhafte Lebensweise, Städtebau. Andere Theorien setzten bei der Bevölkerungsexplosion an, die weitere Gedankenkette: Zusammenschluß - Sicherheit - Bewässerung Handel - Religion - Hierarchie - Stadt. Andere Theorien setzen beim Handel an (Rohstoffe, Handelswegkreuzungen ). Ein anderer Gedankengang führt Menschen durch Klimaveränderungen in die Flußtäler, zu Damm- und Kanalbauten, etc. Im forschungsgeschichtlichen Überblick von Hamblin wird die Theorie von der strikten Abfolge von der neolithischen zur „urban revolution“ durch neuere archäologische Erkenntnisse korrigiert: Nicht jede Ackerbaukultur führte zur Urbanisierung; es gab Städtebildung ohne ausgeprägt Ackerbaukultur. Toynbee vertritt die These der Herausforderung und der Reaktion ( challenge and response), die Nissen sozialwissenschaftlich weiterentwickelte. Schematische Darstellungen: Childe: fruchtbare Flußtäler - Ackerbau/Nahrungsmittelüberschuß, Transport, Handel - Stadt Wittfogel: Wasserregulierung - Arbeitskoordination - Hierarchie/autoritäre Herrschaft Hamblin: Ackerbau - Sesshaftigkeit - Städtebau - Stadtkultur; Bevölkerungszunahme - Sicherheit Kultus/Religion - Stadt; Handel - Märkte - Städte (ohne Landwirtschaft) Toynbee: Klimaveränderung - Migration, Ackerbau/Viehzucht - Wasserregulierung, Landwirtschaft Nissen: einfache Bewässerung - höhere Erträge/ bessere Versorgung - Siedlungsverdichtung Konflikte - Regelungen - Arbeitsorganisation/Hierarchisierung - aufwendige Bewässerungssysteme, Kanäle Als Kennzeichen alter Hochkulturen seien genannt: n Urbanisierung mit anspruchsvollen wissenschaftlichen, technischen und künstlerischen Leistungen, Die Stadt als gelandete Arche (Konstruktive Selbstbergung, Seminarbearbeitung) n organisierte Arbeit mit vermehrter Arbeitsteilung (Seminarbearbeitung) n gesellschaftliche Differenzierung/ Hierarchisierung (Seminarbearbeitung) n Kalender, Zeitbegriffe (Seminarbearbeitung) n Begriffliches mythisches Denken (Vorlesung) n Religion und organisierter Kult (Seminarbearbeitung) n Schrift, geschriebenes Recht und Gesetz (Vorlesung und Seminarbearbeitung)
9.79.7 Mythisches, begriffliches, kohärentes Denken 9.7.1 9.7.1 Unbewußte, verdunkelte Wünsche in der an Effizienz orientierten GegenwartsGesellschaft:
9.7.1.1 Was ist ein Mythos? MYTHOS ist Ausdruck einer bestimmten Form des BEWUSSTSEINS einer bestimmten Zeit. MYTHOS ist Vergangenheit, Fundierung durch einen archaischen Ursprung, aber auch Gegenwart. Ganzheiten werden in sich kohärent, logisch, kausal erzählt, in symbolhaften Bildern dargestellt und doch in ihrem Geheimnis belassen. Mythos ist jedoch nicht Definition, nicht Beweis, Mythos ist evident. MYTHOS ist der zeitlose Kern von zeitgebundenen MYTHOLOGIEN. Mythologien können einen religiösen/kultischen oder einen mythischen Ursprung haben. Erstere sind Bestandteile von Religionen, letztere leben in Märchen, Erzählungen, Legenden, Sagen, Aitien weiter. Auch scheinbar rational agierende Menschen entgehen dem Mythos nicht: Farben, Lichter, Musik, Kniefall der Anbeter, Hohe Priester des Kults, Tempelpriesterinnen, Pomp und Luxus, Geldverschwendung, kompakte Menschenmenge, jahreszeitlicher Zyklus - Endlich die Heraufkunft einer neuen Form des Heils: die diesjährige Automobilausstellung ist eröffnet! (A.Greely, Kult des hl. Autos,1961) Beschäftigung mit dem Phänomen MYTHOS ist historiographische Vergewisserung des Vorzeitigen, Vergangenen, der vorrationalen Grundannahmen ( auch Karl Popper gründet seinen kritischen Rationalismus auf vorrationale Grundannahmen, in: Die Verteidigung des Rationalismus, 1945), aber auch Gegenwartsdiagnose. Das auf den ersten Blick HISTORISCHE ist auch immer das GEGENWÄRTIGE.
9.7.1.2 Wovon handelt der Mythos? Mythen vereinen drei Grundaussagen ( über die Götter, über den Kosmos, über den Menschen) mit der Frage, wie der Mensch zu dem geworden ist, was er ist. Der Mythos erzählt die Begebenheiten aus einem ANFANG. Dieses existenzielle Moment liegt VOR allem Wissenschaftlichen, allem Ethischen, Biografischen,etc. (Natur)Wissenschaft ist aufgrund ihrer Prämissen der Zugang dorthin versperrt. In den Kategorien der Heideggerschen Philosophie „zeitigt“ die Zeit (d.h. sie bringt etwas hervor, ermöglicht etwas ) und „nichtet“ ( d.h. alles Irdische vergeht, wir sind sterblich ). Der Mythos hingegen schafft eine übergeschichtliche Zeit, eine „ewige Urzeit“, wo das Ursprungsgeschehen rezitierend vergegenwärtigt wird. Mythen der ersten (neuzeitlichen) Moderne, in denen versucht wird, Schöpfungsglaube und Revolution zu verschmelzen, werden in der Literatur unter dem Begriff „magischer Realismus“ subsummiert (z.B. Isabelle Allende, Das Geisterhaus; Mythologie der Befreiung). An ihrem Verhältnis zur ZEIT unterscheidet sich der mythisch Verstehende und der historisch Denkende. Der „Mythos der Aufklärung“ versucht eine Beschreibung der „condition humain“ im Sinn eines historischen Apriori zu geben, der postmoderne Mythos eine Beschreibung in festen anthropologischen Konstanten. Der Philosoph O. Marquard traut neben der Geschichtswissenschaft nur noch der Literatur und den Künsten die kompensatorische Aufarbeitung jener Defizite zu, die sich aus dem Plausibilitätsschwund der jüdisch-christlichen Überlieferung ergeben. Die „aufgeklärten Polymythen“ sind in Geschichtswerken und Romanen zu finden. Historiker, Ethnologen, Religionsgeschichtler, Philosophen sehen einerseits im Mythos erzählende Erklärungen, die von Ereignissen außerhalb der „historischen Zeit“ berichten. Andererseits erzählt der Mythos nicht nur zeitlose Gegenwart, sondern der archaiische Mythos berichtet über ein Welt und Selbstverständnis des Menschen, das veraltet, das überwunden ist (scheint). Naturwissenschafter sehen den archaischen und antiken Mythos vom LOGOS abgelöst. Der deutsche Idealismus versuchte durch eine Synthese von Philosophie, Religion und Poesie eine „Mythologie der Vernunft“ zu begründen, die einer „Entmythologisierung“ gleichkommt. C.G. Jung faßte unter dem Begriffspaar „ Träume und Visionen“ Mythos und Märchen, Geheimlehre und Religion zur Verdeutlichung der kollektiven ARCHETYPEN heran. E. E. Cassirer stellt dem Formensystem WISSENSCHAFT das Formensystem MYTHOS gegenüber, aus ihrer Wechselwirkung entsteht Kultur. Aus strukturalistischer Sicht ist der Mythos nur mehr eine bestimmte Aussageform, die zwar formale, aber keine inhaltlichen Grenzen kennt. Gewohnheiten, Leitbilder, soziale Symbole, Sprachformen usw., all dies kann unter dem Aspekt „mythische Rede“ analysiert werden.
9.7.1.3 Erinnerung und Mythos Jan Assmann unterscheidet zwei Modi der kollektiven Erinnerung (ASSMANN 1997, S. 48-66): n den Modus der fundierenden Erinnerung, der sich auf Ursprünge bezieht ( KULTURELLES GEDÄCHTNIS) und n den Modus der biographischen Erinnerung, der sich auf eigene Erfahrungen und deren Rahmenbedingungen bezieht ( KOMMUNIKATIVES GEDÄCHTNIS). Im kulturellen Gedächtnis wird faktische Geschichte in erinnerte und damit in Mythos transformiert.
9.7.1.4 Mythenarten Wir unterscheiden verschiedene Mythenarten: Kosmogonische Mythen erzählen über die Entstehung der Welt, theogonische Mythen über den Ursprung von Gottheiten, anthropogonische Mythen befassen sich mit der Erschaffung des Menschen. In Königsmythen wird der Mythos auch politisch funktionalisiert. Urstandsmythen erzählen über die Lebensbedingungen des Menschen, transformatorische Mythen über den Abbruch einer paradiesischen Urzeit (z.B. durch Sintflut). Soteriologische Mythen erzählen über die Erlösung des Menschen, eschatologische über endzeitliche Ereignisse. Mehrere Mythen verbinden sich manchmsal zu einem Mythenkranz (z.B. Osirismythos).
9.7.2 Historische Entwicklung des Mythos Der Prozeß der Mythenbildung begann mit den URSPRUNGSMYTHEN: Neben den Schöpfungs- und Göttermythen etablierte sich der altorientalische Königsmythos, später u.a.der jüdische, griechische, gnostische, germanische, ... marxistische, nationalsozialistische etc. Mythos.
9.7.2.1 Schöpfungs- und Ursprungsmythen Als ein Stück ursprünglichen mythischen Weltverstehens reicht noch der bibliche Schöpfungsmythos (Gen.1ff) in unsere Gegenwart. Der Schöpfer, von dem die Ursprungsmythen sprechen, ist nicht ident mit einem monotheistischen Gott der Hochreligionen oder einem theologisch begrifflich-rationalen „Gotteskonstrukt“ der Gegenwart. Der „Jahwe der Bibel“ oder der „Gesetzgeber des Gilgamesch-Epos“ sind Repräsentanten einer mythischen Gedankenwelt Die mythische Vergegenwärtigung wird als Garantie für den Fortbestand der existierenden Welt aufgefaßt und als Abwehr eines Rückfalls ins Chaos. Schöpfungsmythen bieten n eine überschaubare, in sich kohärente, angstreduzierende Antwort auf die Kosmosfrage, n einen Lösungsansatz für das Problem der Zeit (z.B. Schöpfung, Apokalyptik, Eschatologie), n eine die Erfahrungen integrierende Kraft und n einen Erfahrungshorizont für das fremd Empfundene.
9.7.2.2 Altorientalische Königsmythen Sie dienen der n Bestandssicherung der Schöpfung und n der Legitimation der staatlich-politischen Ordnung. Der König wird als Sohn Gottes mythisch überhöht ( Pharao, David, Psalm 110); Jesus). Der Titel beschreibt keine leibliche Nachkommenschaft, sondern die Stellung des Königs zwischen den Menschen und der Götterwelt. Der König hat die Aufgabe der Bestandssicherung der Schöpfung ( das Wohlergehen der Götter) und des Reiches (das Wohlergehen des Volkes). Vernachlässigt der König den Opfer-Kult, wird die Schöpfung und das Reich infragegestellt (siehe Text GEYER 1996, S.30f). Jeder Regierungsantritt eines Pharao kam einer Neuschöpfung der Weltordnung (Ma`at) gleich (= Jahr 1). Mythen sprechen die Ordnung aus, RITEN stellen sie her. Riten haben als zeremonielle Kommunikation die Aufgabe, das identitätssichernde Wissen zirkulieren zu lassen und es zu reproduzieren. Riten sind der Festttagsaspekt des identitätsrelevanten Vorrats an gemeinsamen Wissens oder nüchterner ausgedrückt, sie sind die Infrastruktur des Identitätssystems. Die Kohärenz des Stammes in schriftlosen Kulturen basiert ebenso wie in den alten Hochkulturen auf dem Prinzip der rituellen Wiederholung. Der Mythos ist ALLTAG und ist GESCHICHTE, er hat zeitlich und räumlich seinen Ort im JETZT. Noch die Geschichte der Heiligen Drei Könige bezieht ihre Bildkraft aus der Licht-Metapher des 5000 Jahre alten altorientalischen Königsrituals. Mythisch sind auch die säkularen Epochenattribute vom „finsteren Mittelalter“ und der „hellen Aufklärung“. 9.7.2.2.1 Der altägyptische Mythos
Die uns überlieferten altägyptischen Mythen haben sich in der ersten Hälfte des 3. Jt. im Alten Reich gebildet. Am umfangreichsten ausgearbeitet ist der Mythenkranz um Osiris (von Plutarch als zusammenhängende Erzählung überliefert). Gegenwartsbezüge ergeben sich, wenn wir den altägyptischen Mythos des Gottessohnes mit dem christlichen Jesus vergleichen. Als das Evangelium aus der jüdischen in die hellenistische Welt kam, wurde Christus ein gottheitlicher Titel. Als Nachfolger der Pharaonen sind Alexander und die Ptoleäer volltitulierte „Gottessöhne“. Relikte finden sich noch bei römischen Kaisern. Der altägyptische Mythos vom Gottessohn haftet sich an die Person des Pharao. Der jeweilige Pharao ist der „Sohn des (Sonnen-)Gottes“ (Horus). Nach seinem Tod wird er zu Osiris, während sich in seinem Sohn Horus
aufs neue inkarniert. Die Horusnatur ist der mythische Ausdruck für die Rechtmäßigkeit des Throninhabers. Der Pharao ist Sohn einer irdischen Mutter und eines himmlischen Vaters. Amun naht sich (in Gestalt des regierenden Königs) der jungfräulichen Königin und zeugt mit ihr den neuen Gott-König. ERZÄHLUNG: Der altägyptische Mythos vom Gottessohn 1 Amun-Re, der oberste Gott (Windgott= Lebensodem), Ursache alles Seelisch-Geistigen, beschließt, dem Lande einen Thronfolger zu zeugen. Er teilt dies durch den Götterboten Thot der jungfräulichen Königin mit. 2 Der Botengott Thot führt Amun, der die Gestalt des Pharao angenommen hat, zu der jungfräulichen Königin. 3. 3. Amun zeugt mit der Königin ein „göttliches Kind“ und verheißt ihm die Königsherrschaft. 2. 4. Der Schöpfergott Chnum formt das Kind und seinen KA (Seele) aus Lehm. 3. 5. Göttliche Geburtshelfer unterstützen die Gottesmutter-Königin bei der Geburt. 4. 6. Die Liebes- und Muttergöttin Hathor reicht Amun das Kind zur Anerkennung. Amun heißt seinen „geliebten Sohn“ willkommen: „Du bist mein herrliches Ebenbild!“ 5. 7. Göttliche Ammen stillen und pflegen das Kind und wünschen ihm Heil und Segen. 6. 8. Das Kind wird beschnitten, vom irdischen Vater vor dem Volk anerkannt, getauft und inthronisiert. Der fast 5000 Jahre alte Mythos vom himmlischen Geist, der in einer Jungfrau den neuen König zeugt, kann auch in Bildern gezeigt werden ( BRUNNER-TRAUT 1988, S. 36-47 ) oder als Hymnus gelesen werden ( BRUNNER-TRAUT 1988, S. 48f ). Der Einfluß dieses altägyptisch-hellenistischen Gottessohn-Mythos auf den judaeo-christlichen Gottessohnmythos ist beträchtlich. Die Wesensgleichheit und Einzigartigkeit wird verdeutlicht. Jungfrauenschaft ist kein biologisches Faktum, sondern verdeutlicht, daß der Sohn nur von Gott gezeugt sein kann. Die altägyptische Götterschar, die kamen, um das Kind zu sehen ,werden in der monotheistisch gewendeten christlichen Religion zur Engelschar. Auch die Geschichte des 12jährigen Jesus im Tempel hat ihr Vorbild im 12jährigen Kaben Si-Osire im Tempel des Ptah. Die geistige Wende zu Beginn des 5.Jh. v.Chr. in Griechenland unterhöhlte dieses mythische Denken. Auf rein naturwissenschaftliche Fragen antwortet der Mythos nicht mehr. Das jüdische Geschichtsdenken änderte den mythischen zyklischen Zeitbegriff in einen linearen historischen Begriff und entwickelte so ebenfalls den Keim zur „Tötung“ des Sohnes Gottes.
9.7.2.3 Der jüdische Mythos Der jüdische Mythos des Auszugs aus Ägypten fundiert (Mythomotorik) nicht nur „gegenwärtiges Geschehen“ (z.B. Babylonische Gefangenschaft), sondern in diese Geschichte gehört die Gegenwart hinein. Nicht die mythische Urgeschichte, deren Grundmuster wie in allen Mythen die Weltordnung fundieren, gibt den alleinigen Sinn, sondern zurückgehend auf mesopotamische Quellen sind die Verfehlungen des Volkes vor dem strafenden Gott wesentliche Sinndeutung. Die Wegweisung ( mündliche Torah, später: katholische Tradition) ist genau so geheiligt wie der Text selbst. Das deuteronomistische Geschichtswerk ist die Idee schriftgestützter Bildung, neben Brauch und Sitte, Kult, Ritus und mündlicher Überlieferung.
9.7.2.4 Der griechische Mythos Im antiken Mythos wird eine Kosmosordnung anerkannt, in deren unbewegtes Geordnetsein der Mensch eingeschlossen ist (= geschlossener Immanenzzusammenhang). Der (altgriechische) Mensch ist Bühne, auf der die olympischen Götter des polytheistischen Mythos agieren. Im Gegensatz zum Exodus-Mythos, indem sich die Zeit nach vorne öffnet (Schöpfung und Parusie), bleibt in der Odyssee-Geschichte die Zeit statisch. Die säkularen Konstrukte der Geschichtsphilosophie bis zum Marxismus zehren noch von der Substanz des biblischen Mythos, nämlich der Vorstellung einer ausgespannten Linearität zwischen Schöpfung und Parusie.
9.7.2.5 Der gnostische Mythos Die spätantike Gnosis ( geoffenbarte, nicht rationale Erkenntnis) ist eine vielschichtige, heterogene Bewegung: der Markionsche Dualismus, die Angst des Verlorenseins in der Welt, die schlechte Schöpfung,... Wer das geoffenbarte Wissen hat und beteuert, gilt als erleuchtet, wer kritische Fragen stellt ist inkompetent: Aus der himmlichen Welt bin ich gekommen, durch die materielle Welt bin ich nicht entstanden. (Valentin) Der gnostische Mythos sprengt die geschlossene Einheit der archaischen Götter und Königsmythen durch dualistisches Denken: Die Einheit wandet vom Anfang an das Ende der Geschichte und muß vom Menschen hergestellt werden.
9.7.2.6 Der germanische Mythos
Die mythischen germanischen Götter sind keine transzendenten Wesen, sie gehören der Welt an. Menschen und Götter existieren neben und ineinander. Der einzelne wird in eine „allgemeine statische, ständische Wahrheit“ mit hineingenommen, negative Erfahrungen werden konkret benennbaren Ursachen zugeordnet. Die lebenserhaltende und identitätssichernde Gegenwart der göttlichen Mächte beinhaltet ein magisches Moment der Beschwörung.
9.7.3 Mythos, Entmythologisierung und Symbol Die heiligen Schriften der Hochreligionen enthalten Mythen und Überschneidungen zwischen Glaubenslehre und archaischem Mythos. Hinzu kommen jedoch Weiterentwicklungen des mythischen Welt- und Selbstverständnisses, Rationalisierungen des Mythos im Sinne von Dogma, Ritus und Symbol. Die Grenze zwischen Mythischem und Historischem ist in heiligen Schriften fließend. Das Kosmosverständnis des Neuen Testaments ist mythisch (Dreistufenschema), die Annahme einer Offenbarung ist mythisch, die Menschwerdung Gottes ist mythisch, usw. Der Fundamentalismus verwechselt die symbolische Aussagenwelt mythischer Aussagen mit objektiven Realitäten. Der lineare Wissenschaftsglaube sieht nicht, daß mythische Rede die der Religion angemessene und mögliche Ausdrucksmöglichkeit ist. Der Mythos spricht nicht primär über Götter oder vergleichbare Mächte, sondern letztlich von unserer Existenz. Sieht man wie Bultmann ( 1967, 16ff) vor allem das formale Kriterium des Mythos, könnte man sagen, der Mythos objektiviert das Jenseitige (Transzendente) zum Diesseitigen. Der Mythos dient jedoch nur als Chiffre für die Selbstvergewisserung des Menschen. Das Symbol ist dem Mythos (= sekundäre Symbolik) als auch dem wissenschaftlichen Begriff überlegen, weil es frei ist von Eigentümlichkeiten tradierter Mythologie und von objektivierenden Vorstellungen. Durch das Symbol wird dem Menschen seine Abhängigkeit von einer Wirklichkeit bewußt, die er nie erkennen kann, die aber Ursprung und Grenze seiner Welt umschließt. Symbole können als Wiederherstellung der ursprünglichen Intentionen des Mythos verstanden werden, als Schutz vor Verdinglichung. Insofern sind Symbole fundamentalismuskritisch. Die Transformation des Mythos zum Symbol hat auch einen religionskritischen Aspekt, weil die Verdinglichungsgefahr in institutionalisierten Religionen und Theologien groß ist (Geyer 1996, S. 72f). Symbole können auch mißbraucht werden. Jeder spätere Mythos ist immer auch Entmythologisierung. Der biblische Mythos von der die Stammeltern verführenden Schlange ist einerseits n Karikatur der babylonischen Urschlange Tiamat/Tehom, aus deren Leib der Weltschöpfer Himmel und Erde fügte (Tohuwabohu = Chaos), andererseits n eine Umwertung des mutterrechtlich positiven Symbols SCHLANGE im vaterrechtlichen Mythos. Die Schlange wird in der Erzählung vom Sündenfall dämonisiert/verflucht. Die Sündenfallerzählung ist der Mythos von der Fehlbarkeit des Menschen und des Kampfes der Geschlechter. Eva als primäre Urheberin und Adam als verführter Urheber des Verderbens, Christus als Initiator des Heils. In der Ausprägung der Teufelsgestalt wird der Mensch (=Sündenmasse) von der abgrundtiefen Schlechtigkeit entlastet und der „gute Gott“ , ohne den letzten Schritt zum Dualismus tun zu müssen, vom Bösen völlig entlastet. Mythen und Kultur erzeugen nach Innen Identität, nach außen Fremdheit. Durch Inkongruenz zwischen ethnischen, kulturellen und politischen Formationen entstehen Probleme der Integration/Akkulturation (z.B. Altägypten) und der Distinktion (z.B. Juden, Hellenismus). Schließen sich verschiedene ethnische Verbände zu einem größeren Gebilde zusammen und erhält eine dominierende Kultur transethnische Geltung, ensteht eine „Hochkultur“. Ethnopolitische Großidentität findet ihren sichtbaren Ausdruck in Großbauten (z.B.Pyramiden, Zikkurat; später Lenin- oder Mao-Mausoleum), die der Gefahr eines politischen Zerfalls entgegenwirken sollen. Eine schmale Elite symbolisiert die soziale Identität der Gesamtgesellschaft. Distinktiv (Eigenart) gesteigerte Identität ist „Gegen-Identität“, ist Widerstandsbewegung. Gegenidentitäten werden nicht gegen das kulturlose Chaos sondern gegen eine dominierende Kultur/Zivilisation ausgebildet Fehlt die „Geschichtserzählung“, fehlt das ver-bindlichste Integrationsmittel, auf die die jeweilige Gruppe das Bewußtsein ihrer Einheit und Eigenart stützt.
9.7.4 Rationalitätskritisch motivierte Wiederentdeckung des Mythos (Neue Mythen) Die Wiederentdeckung des von der Mythologie befreiten Mythos beruht auf der Komplementärfunktion zum rationalen Diskurs, nicht auf einem Logos-Ersatz, einer Logos-Gegnerschaft oder einer Regression in eine überwundene Archaik. Die ARCHE (das Ursprungsgeschehen) als Ergebnis mythischen Denkens läßt Allgemeines und Besonderes unterschiedslos ineinander aufgehen. In der Gesetzmäßigkeit als Ergebnis wissenschaftlichen Denkens ist das Besondere eine Variable, die anderen Variablen funktional zugeordnet wurde. Mythische und wissenschaftliche Denkformen können zusammen als Rahmen gesehen werden, aus dem heraus Tatsachen erklärbar werden. Die materielle Welt ist Objektbereich der exakten Naturwissenschaften, Mythos kann als Kurzformel für die Bedingungen der ideellen Welt gesehen werden. Mythos wie Naturwissenschaften beruhen auf apriorischen
Voraussetzungen, beide lassen sich durch Singulärsätze falsifizieren oder nichtfalsifizieren, beide ringen mit dem Problem der Zustimmung. Kunst, Musik, Religion, Politik usw. sind Beziehungsgefüge aus Mythos und Logos. Die zutiefst mythische Größe NATION spielt in den verschiedenen Neo-Nationalismen wieder einer entscheidende Rolle. Dieser gegenwärtig im Umfeld des Politischen angesiedelte Mythos begreift sich als Korrektur der 1968er-Utopie. UTOPIE ist kein Mythos sondern eine intellektuelle Zielvorstellung. Deutet ein Mythos auf Zukunft, ist er der VISION, nicht jedoch der Utopie verwandt. Auch der Mythos vom „edlen Wilden“ kommt in neugestylten Gewande wieder. H.P. Duerr kritisiert den herrschenden „Wissenschaftsaberglauben“ der westlichen Welt und ihr Überlegenheitgehabe gegenüber anderen Kulturen ( z.B. „primitive Kulturen“ bzw. „Naturvölker“ statt „naturnahe Kulturvölker“). Mythos stellt die Frage nach den „unbedingten Realitäten“ aus denen wir leben. Naturwissenschaft kann nur Teilfragen, keine „Wesens-Fragen“ beantworten. Das „Wißbare“ darf nicht mit dem „Wissenschaftlichen“ verwechselt werden. Das Schema „Vom Mythos zum Logos“ erweist sich als sehr fragwürdig. Unsere Traditionsbestände aus Religion, Philosophie, Kunst, Wissenschaft, Politik usw. sind ohne „Ursprungsmythen“ bloß „halbierte Größen“. Aufklärung hat ihren Ursprung im Mythos. Über den Mythos „Vom Mythos zum Logos“ könnte es dazu kommen, daß der Mythos das „Projekt Aufklärung“ vor dem Nihilismus bewahrt. Poststrukturalisten (Jean-Francoise Lyotard, Jean Baudrillard, Gilles Deleuze u.a.) weisen darauf hin, n daß die Rehabilitation der Mythen eine neue Aufmerksamkeit gegenüber dem Religiösen und den Künsten erlaubt und daß die problematische Trennung beider ein historisches Produkt ist, n daß die Negation des Mythos der linearen Vernunft Pluralismus ermöglicht, n daß Mythos im wissenschaftlichen Sinn nicht wahrheitsfähig ist, weil er „technologisch unfruchtbar“ ist (Kolakowski). Dieter Lenzen weist darauf hin, daß eine Mythologie der Kindheit keinem technischen Zweck fungibel gemacht werden kann, daß sie aber gegen die vorschnelle Vernichtung wichtiger Riten und Symbole zielführend sein kann (LENZEN 1985, S. 27). Wie Michel Foucault versucht er Diskontinuitäten in der Linearität des Diskurses aufzuzeigen, indem er Veränderungen zwischen älteren und jüngeren Mythen aufzeigt. Sowohl Anfang als auch Ende des „Fadens“ ist für uns unauffindbar. Jede Deutung einer Mythologie ist nur ein Gleichnis, das sich in den Strom der mythischen Überlieferung einfügt. Für uns Lehrer bleiben als Rechtfertigung/Deutung unserer Handlungen, entweder n unser Handeln mit Hilfe des „ Mythos der linearen Aufklärung“ zu rechtfertigen, n lineare Aufklärung in reflexive Aufklärung weiterzuentwickeln, n als „Gekaderter“ die Rechtfertigung einer Institution ( staatlicher Lehrplan, Partei, Kirche,...) zu überlassen, n oder eine Deutung aus „Spürsinn, Augenmaß und Intuition“ unserem Handeln zugrundezulegen ( Levi-Strauss: bricolage).
9.7.5 Der späte Osiris-Mythos - erzählt für die Schüler der 6. Schulstufe Heute erzähle ich euch eine Legende, die im Mittleren Reich Ägyptens Kinder und Erwachsene immer wieder sehr gerne hörten. Sie ist ein Sinnbild für den Ackerboden, der in der Nilüberschwemmung immer wieder versinkt, aber auch immer wieder zu neuer Fruchtbarkeit auftaucht. Die Ägypter stellten sich die ZEIT wie einen Kreislauf vor: ein ewiges Werden und Vergehen der Natur. Nach der Zerstörung Thebens durch die Assyrer glaubten viele Ägypter nicht mehr an ihren alten Reichsgott AMUN-RE. OSIRIS stieg zum Hauptgott auf. OSIRIS galt sowohl als Totengott als auch als fruchtbringender Korngott. Und nun die Geschichte über die „ heilige Familie “ OSIRIS, ISIS und HORUS: „ Im alten Ägypten herrschte einst OSIRIS weise und gerecht. Zusammen mit seiner Schwestergattin ISIS förderte er Ackerbau, Kultur und Sitte. Sein Bruder SETH neidete ihm den Thron. Er tötete ihn, zerstückelte seine Leiche und verstreute sie. Nun setzte er sich als Herrscher auf den Thron. ISIS war sehr traurig. Sie sammelte mit Hilfe des hundsköpfigen Gottes ANUBIS die verstreuten Leichenteile ihres getöteten Gatten OSIRIS zusammen. Durch Zaubersprüche gelang es ihr, Osiris wieder zum Leben zu erwecken. Osiris konnte aber den Thron nicht mehr erlangen. Er wurde Herr der Unterwelt und Richter über die Seelen der Verstorbenen. Isis gebar ihm einen Sohn namens HORUS. Sie versteckte ihn in einem Körbchen im Dickicht des Nildeltas. Als HORUS ein starker Mann geworden war, besiegte er seinen Onkel, den Thronräuber SETH und wurde selbst Herrscher. Als HORUS-FALKE beherrschte er auch den damals den Menschen nicht zugänglichen Luftraum.“ Die alten Ägypter glaubten, daß in der Stadt ABYDOS das Haupt des Osiris begraben sei. So wurde ABYDOS zu einem berühmten Wallfahrtsort. Tausende Ägypter strömten alljährlich in diese Stadt. Sie sahen sich dort die dramatische Aufführung dieses OSIRIS-Mythos an und nahmen an einer Prozession teil. ISIS wurde noch jahrhundertelang bis in die hellenistische und bis in die römische Zeit verehrt. In unserem Raum hieß sie zur keltisch-römischen Zeit ISIS-Noreia.
9.7.6 Literatur zu „Mythen“: GEYER, Carl-Friedrich: Mythos. Formen - Beispiele - Deutungen. München 1996 (Basisliteratur) ASSMANN, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. München 1997 BELTZ, W.: Die Mythen der Ägypter. Düsseldorf 1982 BETTELHEIM, B.: Kinder brauchen Märchen. München 1980 BLUMENBERG, H.: Arbeit am Mythos. Frankfurt/M. 1979 BOHRER, K.H. (Hg.): Mythos und Moderne. Begriff und Bild einer Rekonstruktion. Frankfurt 1983 BRUNNER-TRAUT, E.: - Gelebte Mythen. Beiträge zum altägyptischen Mythos. Darmstadt 1988 - Altägyptische Märchen. Köln 1986 BARTHES, R.: Mythen des Alltags. Frankfurt/M. 1964 BULTMANN, R.: Jesus Christus und die Mythologie. Hamburg 1967 COENEN, D. (Hg.): Germanische und keltische Mythologie. Freiburg 1990
Campbell, Joseph: Lebendiger Mythos. Wissenschaft, Musik, Poesie, München 1991 ELIADE, M.: - Die Sehnsucht nach dem Ursprung. Von den Quellen der Humanität. Wien 1973 - Mythos und Wirklichkeit. Frankfurt 1988 - (Vorwort) Die Schöpfungsmythen. Ägypter, Sumerer, Hurriter, Hethiter, Kanaaniter und Israeliten. Darmstadt 1980 ELIOT, A.(Hg.): Mythen der Welt. Luzern/Frankfurt 1976 FROMM, Erich: Märchen, Mythen, Träume. Reinbek 1982 FUHRMANN, M. (Hg.): Terror und Spiel. Probleme der Mythenrezeption. München 1971 GRANT,Michael/ HAZEL,John: Lexikon der antiken Mythen und Gestalten. München 1973 GRASSI, E.: Kunst und Mythos. Hamburg 1957 GRIMAL, P. (Hg.): Mythen der Völker. 3 Bde., Frankfurt/M.- Hamburg 1967 HOCHGESANG, M.: Mythos und Logik im 20. Jahrhundert. München 1965 HÜBNER, K.: Die Wahrheit des Mythos. München 1985 KOLAKOWSKI, L.: Die Gegenwärtigkeit des Mythos. München 1974 LENZEN, Dieter: Mythologie der Kindheit. Reinbek 1985 LEVI-STRAUSS, C./ VERNANT, J.-P.: Mythos ohne Illusion. Frankfurt 1984 PANIKKAR, Raimon: Rückkehr zum Mythos. Frankfurt/M-Berlin 1992 POSER, H.(Hg.): Philosophie und Mythos. BerlinNew York 1979 WACKER, Hildegard: Die Nachtfahrt der Sonne. Eine 6. Klasse entwickelt ein Stück über ägyptische Mythologie. In: Geschichte lernen, 1993/36, S. 40-42 WESEL, U.: Der Mythos vom Matriarchat. Frankfurt/M. 1981
9.8 Schrift, geschriebenes Recht und Gesetz Evolutionen verlaufen nicht kontinuierlich, es wechseln lange „Ruhephasen“ mit sprunghaften Umbrüchen. In den sogenannten „Ruhephasen“ werden Voraussetzungen für „plötzliche Neuformierungen“ geschaffen. Vor der Erfindung der Schrift wurde Recht durch das bloß temporale soziale Gedächtnis tradiert (Gewohnheitsrecht). Schriftliche Rechtsaufzeichnungen erschweren das Vergessen der Sinngehalte, erschweren Willkürakte, bieten aber Fälschungs und Interpretationsmöglichkeiten. Schrift wurde zuerst für die Erfüllung von Leistungsverpflichtungen ( Abgaben, Verträge, Testamente, usw.) verwendet ( Seminarbeispiel: Hieroglyphen, Keilschrift, Rollsiegel, Knotenschrift der Inkas,... ). Es sollte für später der Zweifel ausgeschlossen werden, dass eine Leistung nicht erbracht wurde. Erst später kam es zu schriftlichen Gesetzesaufzeichnungen ( Seminarbeispiel: Codex Hammurabi). Der Codex Hammurabi beinhaltet wie die zehn Gebote eine religiöse Zusatzsemantik, welche die Geltungsquelle unerreichbar macht (Sonnengott Schamasch; später: Jahwe usw.). Das menschliche Handeln wird am „Willen Gottes“ gemessen, gutgeheißen oder verworfen. Die Information über das, was in der jeweiligen Gesellschaft als rechtens gilt, kann bei Bedarf erneuert oder uminterpretiert werden. Auch bei schriftlicher Fixierung gibt es keine dauerhafte verlässliche „Rechtssicherheit“. Zu unterscheiden ist jeweils Text und Interpretation, Text und Kontext, wörtlicher und gemeinter Sinn. Zu fragen ist, wer zur Interpretation authorisiert wird und nach welchen Überlegungen die Interpretation erfolgt. Jeder aktuell geltende Rechtstext gilt nur im Kontext der Interpretationen. Die Differenz zwischen Interpretation und Text prägt die Form der Resultate entscheidend mit. Ein weiterer, viel späterer Evolutionschritt ist die schriftliche Fixierung von „politischen Gesetzen“ ( Seminarbeispiel: Solon) und im Anschluss daran die lange suche nach „höherrangigen, übergesetzlichen“ Regelungen ( Seminarbeispiel: Antigone; jus - lex ).
Die Ausdifferenzierung eines besonderen Rechtssystems gelang erst mit dem römischen Zivilrecht (Seminar: Römer, 2. Semester)und später mit der Systematisierung des Rechts im Mittelalter (Seminar: JÖ, Bajuwarisches Recht). Eine wesentliche Folge des „sprunghaften Umbruchs“ im Rechtssystem von der oralen zur Schrift-Gesellschaft ist eine hohe Konzentration von materiellen und symbolischen Ressourcen bei einer Oberschicht bzw. einer Herrschaftsbürokratie (Luhmann 1993). Rechtsarten heute: Das Gewohnheitsrecht wurde in Österreich weitgehend vom geschriebenen Recht abgelöst. Das private Recht (=Zivilrecht) regelt die Beziehungen der Menschen in einem Saat zueinander. Die Beteiligten sind heute meist gleichberechtigt. Rechtsquelle ist das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch (ABGB). Das öffentliche Recht regelt die Einhaltung der staatlichen Normen. Der einzelne ist hier dem Staat untergeordnet. Das Strafrecht ist im Strafgesetzbuch festgelegt. Für Jugendliche gilt das Jugendstrafrecht. Das OÖ. Jugendschutzgesetz gilt nur in unserem Bundesland. Im Arbeitsrecht ist auch der Kinder- und Jugendarbeitsschutz geregelt. Das Sozialrecht regelt u.a. die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung. Zur Kontrolle der Verfassungsgesetze ist der Verfassungsgerichtshof, für die Verwaltung der Verwaltungsgerichtshof zuständig. Zunehmend ab dem EWR-Beitritt und vollends ab dem EU-Beitritt (1.1.1995) gilt in Österreich das EU-Recht. Dies verschärfte noch die „steigende Gesetzesflut“. Das gesamte primäre und sekundäre Gemeinschaftsrecht der EU hat Vorrang vor dem staatlichen Recht einschließlich des Verfassungsrechts ( mit Ausnahme der leitenden Verfassungsprinzipien). Österreich entsendet einen Vertreter in den Europäischen Gerichtshof. Das Völkerrecht regelt die Beziehungen zwischen den Völkern.
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