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Klaus Störtebeker Band 1 Und ewig lockt das Meer... von Gloria von Felseneck Er war jung und unerschrocken. Er kannte die Liebe, die Sehnsucht und das Meer.
»Wo ist Klaus denn schon wieder?« Franz von Althum stieß diese Worte sehr ungehalten hervor, als er den Stall betrat, wo seine Frau gerade eine der sieben Kühe molk, die die Familie neben zwei Pferden, etlichen Schweinen und Schafen sowie einer stattlichen Anzahl Geflügel ihr eigen nannte. »Was weiß denn ich?«, erwiderte Gesche mürrisch, während sie dem Schwanz der Kuh auswich, die auf diese Weise die lästigen Fliegen verscheuchen wollte. »Der Teufelsbraten treibt sich doch immer irgendwo herum, statt hier seine Arbeit zu tun. Du nimmst ihn eben nicht hart genug heran.« »Wie kann ich das, wenn er sich ständig verdrückt?« Der Gutsherr, der eigentlich nur ein Pächter und besserer Bauer war, verließ mit gewichtigen Schritten den Stall, um seinen zweitgeborenen Sohn woanders zu suchen. Das war ein müßiges Unterfangen, das sah er bald ein, denn Klaus war weder in der Scheune, noch bei den Bienenstöcken oder in der Töpferei. Nachfragen bei seinen Geschwistern blieben ohne Erfolg, so dass der Vater einer siebenköpfigen Kinderschar die Suche schließlich laut fluchend aufgab. Er hatte anderes zu tun, als nach einem Faulpelz zu forschen. Klaus wusste genau, dass der Vater ihn suchen würde. Sollte er nur, ihn störte das nicht. Seit dem Morgengrauen hatte er auf dem Feld gearbeitet, hatte das Heu gewendet und anschließend Bohnen und Erbsen geerntet und sich wahrhaft geschunden, obwohl er zu Mittag nichts anderes zum Essen gehabt hatte als eine dicke Scheibe Brot und einen Krug mit Wasser. Er und seine Angehörigen kannten leider nichts anderes als Mühe und Plage. Aber er träumte doch dann und wann von einem anderen, leichteren und besseren Leben. Vor einer Stunde hatte er sich heimlich in die Nähe des Strandes geschlichen, dorthin, wo ihn niemand sah. Unter einer uralten Buche hatte er seit geraumer Zeit sein Versteck. Die untersten Äste des Baumes hingen so tief herab und verbargen die leichte Senke, die im Laufe der Zeit entstanden war. Hier lag Klaus auch jetzt, hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und die Augen geschlossen, aber er schlief nicht. Wie konnte 4
er schlafen, wenn das Meer rauschte, die Möwen schrieen und er jenen Geruch einatmete, der von weither zu kommen schien und ihm wie eine Fata Morgana ein Dasein vorgaukelte, in dem es immer genug zum Essen gab, wo man zahlreiche Abenteuer bestehen musste und so ganz nebenbei großen Reichtum erwarb. Und dieser Reichtum würde ihn dann unabhängig machen und würde ihm mindestens so viel Macht verleihen, wie sie der Graf von Brackmühlen besaß. Niemand, auch dessen Burgvogt nicht, würde dann etwas dagegen haben, wenn er die Anna heiratete, auch wenn sie dessen einzige Tochter war und er große Dinge mit ihr vorhatte. Klaus von Althum würde dann eine glänzende Partie sein. Man würde ihn nicht abweisen, sondern mit offenen Armen empfangen. Aber es war eben nur ein Trugbild, das nichts, aber auch gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte. Die sah nämlich ganz anders aus. Er dachte an seine Kindheit, in der er nur wenige Jahre mit seinen Brüdern, Schwestern und den Kindern aus dem Dorf hatte spielen können. Sein Vater hatte ihn bald bei der Arbeit gebraucht, denn die Pacht für das kleine Gut musste pünktlich gezahlt werden. Der Graf von Brackmühlen, dessen wehrhafte Burg auf der so genannten Klosterhöhe thronte, kannte da kein Erbarmen. Graf Ottokar arbeitete natürlich nicht, er verbrachte seine Zeit damit, seine Kraft und Geschicklichkeit bei Turnieren zu demonstrieren sowie Saufgelage und Fressorgien mit seinen Verwandten und Freunden zu veranstalten, während seine Pächter, die freien Bauern und Handwerker und die vielen Leibeigenen kaum das Nötigste zum Leben hatten. Klaus hätte ihm gar zu gern einen Tritt in den Allerwertesten verpasst. Aber er war klug genug, um zu wissen, dass er damit nur seiner Familie und sich selbst schweren Schaden zufügen würde. Der Burgvogt war auch nicht viel besser als der Graf, er war sogar noch schlimmer. Er war ein Mann, der nach oben auf allen vieren kroch, sein eigenes Gesinde aber außerordentlich schlecht behandelte. Außerdem war er ein Speichellecker und Lügner, der seinesgleichen suchte. Wie der zu so einer hübschen und aufrichtigen Tochter gekommen war, würde Klaus wohl immer ein Rätsel bleiben. Anna war 5
ein Schatz, ein selbstbewusstes und zärtliches Mädchen, in das er sich im letzten Mai rettungslos verliebt hatte. Noch heute erinnerte er sich genau an diesen Tag und glaubte, ihr Lachen und ihre Stimme zu hören, als sie nach ihrer Freundin gerufen hatte. * »Martha, schau doch mal! Auf der Wiese da hinten blühen so viele Gänseblümchen. Wollen wir uns daraus einen Kranz winden?« Martha Bleibtreu, die Tochter des Kämmerers, nickte eifrig und folgte dann der Freundin. Ihre Kleider flatterten im Frühlingswind und ihr Lachen klang weit über die Wiese, als sie die Gänseblümchen pflückten, sich danach ins Gras setzten und mit dem Flechten begannen. Dem dort grasenden und wiederkäuenden Rindvieh machte die niedliche Gesellschaft nichts aus. Die Buntgescheckten hatten mit sich zu tun und warfen den Mädchen kaum einen Blick zu. Klaus hingegen, der die Kühe zu hüten hatte, konnte seine Augen kaum noch von Anna abwenden. Sie fielen ihm bald aus dem Kopf angesichts von so viel Schönheit und Liebreiz. Ihr Haar leuchtete in der Sonne wie flüssiges Kupfer, ihr Mund war wie ein Rosenblatt und ihre Brüste wippten aufreizend in dem engen Mieder. Er wusste, dass sie die Tochter des Burgvogtes war und hatte sie schon vor einem Jahr einmal flüchtig gesehen. Damals war sie längst nicht so hübsch gewesen wie jetzt. Aus der kleinen grauen Motte war jetzt ein wunderschöner Schmetterling geworden, den er sich allzu gern einfangen wollte. Klaus schluckte aufgeregt und beschloss, die Kühe für eine Weile sich selbst zu überlassen und zu den Mädchen zu gehen. Die blonde, noch etwas kindliche Martha interessierte ihn zwar nicht, aber es war natürlich gut, dass sie da war. Als - Anstandsperson - konnte er sie durchaus gelten lassen. Genau wissend wie er auf das weibliche Geschlecht wirkte, schlenderte er auf die beiden zu und fragte mit sanfter Stimme: »Meint ihr wirklich, dass die Kränze auf eure Köpfe passen?« 6
Die Mädchen quietschten erschrocken, denn sie hatten den Burschen nicht kommen hören. Martha wurde knallrot und sagte kein Wort, Anna aber antwortete keck: »Du kannst uns ja beim Aufsetzen helfen, Klaus. Dann werden wir sehen, ob die Kränze richtig sitzen.« »Das mache ich gern - sehr gern.« Klaus sank neben Anna auf die Knie, nahm ihr den inzwischen fertig geflochtenen Kranz aus der Hand und setzte ihn behutsam auf ihre Locken. »Du siehst wunderschön aus«, flüsterte er ihr dabei so leise zu, dass Martha ihn nicht verstehen konnte. »Und du gefällst mir... so sehr.« Nun errötete Anna auch, denn sie war einem Mann noch nie so nahe gewesen wie jetzt und spürte instinktiv sein Verlangen nach ihr. »Ich... ich muss nach Hause«, stammelte sie und stand abrupt auf. »Die Mutter... wird schon warten. Sie braucht mich in der Küche...« »... und dein Vater wird schimpfen, wenn er erfährt, dass du dich von einem anschmachten lässt, der bei uns im Dorf und in der ganzen Umgebung hinter jeder Schürze her ist«, vollendete Martha, die ihre Sprache unterdessen wieder gefunden hatte, mahnend. »Er wird nichts erfahren, wenn du still bist. Außerdem ist gar nichts geschehen. Komm, lass uns gehen.« Anna griff nach Marthas Hand, zerrte die Freundin hoch und lief mit ihr davon, nicht ohne Klaus noch ein betörendes Lächeln geschenkt zu haben. Er sah den beiden Mädchen nach und atmete schwer. Trotz der noch ein wenig herben Frühlingsluft war ihm plötzlich sehr heiß geworden. Es dauerte drei Tage, ehe sich für ihn eine Gelegenheit ergab, zur Burg zu reiten. Sein Vater hatte ihn beauftragt, einen Beutel mit Saatgut vom Vogt zu kaufen. Er ahnte ja nicht, wie gern Klaus diese Weisung ausführte. Und wenn er viel Glück hatte, dann würde er die hübsche Anna wieder sehen. Er hatte viel Glück - jedenfalls für einige Augenblicke. Sie stand im Garten, der zum Haus ihrer Eltern gehörte und war damit beschäftigt, Wäsche zum Bleichen auf dem Rasen auszubreiten. 7
Bei seinem halblauten Ruf: »Anna-Mädchen!«, drehte sie sich um und wurde sehr verlegen, aber ihre Blicke sagten ihm, dass sie ihm gut war. Von diesem Tag an trafen sie sich regelmäßig und selbstverständlich heimlich - im Sommer unter der Buche am Strand und in der kälteren Jahreszeit in einer Hütte im Wald. Bis jetzt hatte noch niemand etwas von ihrer Liebschaft bemerkt. Man traute Klaus von Althum, dem Rebellen und Schürzenjäger, wohl keine ernsthafte Liebe zu. Und doch war es so. Neben Anna konnte keine andere bestehen. Und allmählich machte es ihm sehr zu schaffen, dass sie sich ihm noch nicht hingegeben hatte. Herrgott noch mal! Worauf wartete sie denn noch? Er liebte sie und hatte ihr die Ehe versprochen. Frustriert drehte er sich jetzt auf den Bauch und legte seinen Kopf auf die Arme. So hoffte er, endlich einschlafen zu können. * Er war tatsächlich ein wenig eingedöst, als er von streichelnden Händen geweckt wurde. Sie fuhren ihm durch das dichte blonde Haar, über seine Schultern und über den Rücken. Solche Hände hatte nur eine - Anna. »Anna... liebes Mädchen«, flüsterte er verlangend, drehte sich zu ihr herum und nahm sie stürmisch in die Arme. »Ich habe eben noch von dir geträumt... und nun bist du da... und ganz nah bei mir.« »Ich habe mir gedacht, dass du hier bist«, erwiderte sie lächelnd. »Das Wetter ist nämlich viel zu schön, als dass du dich auf dem Acker plagen würdest.« »Recht hast du«, pflichtete er ihr bei, während er sie sanft nach hinten drückte, bis sie das alte Buchenlaub unter ihrem Rücken spürte. »Ich eigne mich nicht zum Bauern. Außerdem wird Heinrich einmal den Hof übernehmen. Da ist für mich sowieso kein Platz mehr. Mögen meine jüngeren Brüder Knechte bei ihm werden, ich tu's nicht - niemals. Doch lassen wir das.« Er gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze. »Sag mir lieber, wie lange du heute bleiben kannst.« 8
»Oh, recht lange. Der Vater und die Mutter sind vorhin zum Grafen befohlen worden. Ein Bote ist gekommen und hat den Besuch von Herzog Johann und seinem Gefolge angekündigt. Da ist viel zu bereden. Es wird Stunden dauern, bis sie damit fertig sind.« »Ja, ja, den Landesherrn muss man gebührend empfangen«, versetzte Klaus spöttisch und zwinkerte ihr bedeutungsvoll zu. »Dann wird deine Mutter wohl ihre allseits geschätzte Aalpastete zubereiten müssen.« »Bestimmt und viele andere Köstlichkeiten auch. Ich werde zusehen, dass ich für dich etwas aufheben kann.« Diese Aussichten ließen Klaus zufrieden grinsen. Er tätschelte Anna die Wange und murmelte: »Wir sollten die Zeit nutzen... und uns lieber küssen, statt zu schwatzen.« »Ja«, gab sie leise zurück und legte die Arme um seinen Hals, worauf er sie so fest an sich presste, dass sie kaum atmen konnte. »Anna, verzeih mir«, murmelte er heiser und schaute sie begehrend an. »Ich kann nicht länger warten. Wenn wir schon nicht heiraten dürfen, dann lass mich wenigstens vor Gott dein Mann sein. Ich liebe dich und möchte dich überall berühren und küssen.« Er ließ eine Hand in ihr Mieder gleiten und strich über ihre Brüste. Das Mädchen erschauerte und fand die Gefühle, die seine Berührungen in ihr auslosten, so schön, dass es die Wirklichkeit für die nächste Stunde vergaß. »Ich glaube nicht, dass ich dir ein Kind gemacht habe«, sagte Klaus, als er später träge neben ihr lag und der Sommerwind seinen erhitzten Körper abkühlte. »Ich habe aufgepasst, denn ein Kind wäre unser beider Untergang. Dein Vater würde dich verstoßen und mich an den Pranger stellen.« »Das würde er«, gab Anna bedrückt zu. »Ich fürchte mich manchmal vor ihm, weil er so... laut ist und so rechthaberisch. Man kommt nur mit ihm aus, wenn man tut, was er verlangt.« »Dabei muss es vorläufig auch bleiben«, erwiderte Klaus nüchtern und nachdenklich. »Ich kann ja doch noch nicht um dich werben, weil ich dich nicht ernähren kann. Ich habe schon überlegt, ob ich von hier fortgehe und um einen Dienst beim Herzog bitte. Er kann sicher einen 9
kräftigen Kerl bei seinen Soldaten gebrauchen. Viel lieber würde ich allerdings zur See fahren und...« »Nein, Klaus«, jammerte sie und presste ihr Gesicht an seine Brust. »Das ertrage ich nicht. Dann werden wir uns viele Monate, vielleicht sogar Jahre nicht sehen. Und so lange werde ich den Vater nicht mehr hinhalten können. Er redet schon jetzt viel zu oft davon, dass er mich gut vermählen will.« »Man kann es ihm nicht verdenken. Ein reicher Schwiegersohn würde sein Ansehen und seine Macht stärken. Aber eines Tages, das verspreche ich dir, werde ich dieser reiche Schwiegersohn sein.« Klaus war von seinen Worten wenig überzeugt. Er hatte sie nur gesagt, um sein Mädchen zu trösten. Anna wusste das auch, aber sie war noch jung genug, um insgeheim auf ein Wunder zu hoffen. Sie küsste Klaus zärtlich auf den Mund und gestand: »Es ist so schön mit dir und ich wäre gern vor allen Leuten deine Ehefrau.« »Dieser Tag wird kommen«, entgegnete er. »Unser Herrgott wird schon ein Einsehen mit uns haben. Und sei unbesorgt, ich werde dich nicht verlassen.« * Herzog Johann von Mecklenburg war mit seiner Gemahlin, seinen zahlreichen Gefolgsleuten und seiner Dienerschaft auf der Burg eingetroffen. Graf Ottokar hatte dem Herrscherpaar die besten Schlafräume überlassen, Räume, die mit kostbaren Wandteppichen, breiten Betten und ausladenden Truhen ausgestattet waren. Nach der langen Reise hatten der Regent und seine Frau sich zuerst erholen müssen, was dem Grafen nur recht war, denn die Vorbereitung eines erlesenen Festmahles zu Ehren der hohen Herrschaften erforderte viel Zeit und Geduld. Der große Burgsaal war übrigens viel zu klein für die vielen Gäste, denn der Graf protzte gern mit seinem Reichtum und hatte aus diesem Grund befreundete Familien und die gesamte Obrigkeit der näheren Umgebung eingeladen, seine Pächter und das niedere Volk selbstver10
ständlich nicht. Der Pöbel hatte an der herrschaftlichen Tafel nichts zu suchen. Klaus war aber trotzdem da und fiel unter dem geschäftig hin und her eilenden Gesinde zwar auf, aber man beachtete ihn nicht weiter. Man hatte schon genug damit zu tun, im Burghof Tische und Bänke aufzustellen sowie bequeme Stühle für das Herzogspaar und den Grafen und seine Gattin. Entgegen den üblichen Gewohnheiten waren die Tische mit Leinentüchern bedeckt worden, auf die zu dieser Stunde nach und nach die erlesensten Speisen gestellt wurden, da standen, um nur einige zu nennen: Pasteten von Rind und Aal, eingelegte Ochsenzunge, gebratenes Ziegenfleisch, verschiedene Brotsorten, Wildbret, Fisch und Fleisch in Aspik, Quarkspeisen und Käse. Auch Getränke waren reichlich vorhanden; Bier und Wein würden sozusagen in Strömen fließen. Klaus, der schon hier und da heimlich etwas hatte mitgehen lassen, was seinem Magen gut tat und seinen Durst löschte, betrachtete die reich gedeckte Tafel mit wachsendem Unmut. Der Graf und seine Gäste würden sich den Bauch voll schlagen und nach dem Mahl zufrieden rülpsen, während die Ärmsten der Armen, die man verächtlich als ›Kraut-und-Rübenfresser‹ bezeichnete, ihr Dasein in ständiger Angst vor einer Hungersnot fristeten. Der Schmied mit seiner kranken Frau und den elf Kindern wäre schon froh, wenn er sich einmal in der Woche richtig satt essen könnte. Der konnte sich auch nicht vorstellen, welche Köstlichkeiten man auf der Burg in sich hineinstopfte. Nun, ein paar Kleinigkeiten von der gräflichen Tafel konnte er den Hungerleidern ja zukommen lassen. Es war ja nicht das erste Mal, dass er, Klaus von Althum, den Dorfbewohnern etwas zusteckte, was er vorher gestohlen hatte. Klaus sah sich nach allen Seiten um, entdeckte keine verdächtige Person und riss dann spontan eines der Leinentücher, die auf einem Stapel lagen, an sich und legte Brot, gebratenes Fleisch und einen großen Käse darauf. Danach knüpfte er das Tuch zusammen und rannte damit zu seinem Pferd, das vor der Burg graste. Er warf sich auf dessen Rücken, preschte von dannen und lachte triumphierend. Es war ihm erneut gelungen zu entwischen, noch bevor die Schergen des 11
Grafen seinen Raub bemerkten. Und selbst wenn sie einen Verdacht hatten, so war Ottokar von Brackmühlen viel zu faul und behäbig, um Gerichtstage abzuhalten. Er würde seine Männer nicht ins Dorf schicken, um nach einem Dieb zu suchen, besonders jetzt nicht, wo der Herzog bei ihm zu Gast war. Klaus grinste unbekümmert und beschäftigte sich jetzt gedanklich mit Anna. Er würde zur Nachtzeit noch einmal zur Burg reiten und dort den Schrei einer Eule nachahmen. Anna wusste dann, dass er in der Nähe auf sie wartete. Vielleicht gelang es ihr für ein paar Minuten, aus dem Haus zu kommen. Unterdessen war er vor der Schmiede angekommen, stieg vom Pferd und befestigte dessen Zügel an einem Zaunpfosten. Danach riss er die Haustür auf und überraschte den Schmied und seine Familie bei einem Mittagsmahl, das lediglich aus Hafersuppe bestand. »Hier habt Ihr etwas Besseres zum Beißen, Meister Haffner!« Klaus hatte das Leinentuch aufgeknüpft und holte heraus, was er entwendet hatte. Er legte es auf den Tisch und meinte aufmunternd: »Esst es am besten gleich auf. Dann kann niemand mehr sehen, dass es hier gelegen hat.« »Danke, Klaus, vergelte es dir unser Herrgott«, erwiderte der Schmied, nachdem er seine Fassungslosigkeit überwunden hatte. Seine Frau sagte nichts. Sie hatte Tränen in den Augen, war aber bereits dabei, für jedes Kind einen Kanten Brot abzuschneiden, obwohl ihre Hände stark zitterten. »Werft das Tuch ins Feuer«, riet Klaus noch, bevor er das Haus verließ. »Und sprecht nicht darüber, dass ich hier gewesen bin.« »Wir sagen schon nichts«, beteuerte der Schmied, der Klaus noch bis zur Tür begleitet hatte. »Es wäre unser eigener Schade.« Klaus nickte nur und ritt kurz darauf nach Hause. Den Anranzer seines Vaters ertrug er mit Gelassenheit. Er ließ, wie immer, den Alten reden, was er wollte. Der würde ihn doch nie aus dem Hause weisen, wie er es im Zorn schon oft angekündigt hatte. Der brauchte ihn und seine Arbeitskraft, denn er war der stärkste von seinen Söhnen. 12
So knurrte Franz von Althum zwar bösartig, wurde aber sofort zugänglicher, als Klaus ihm versprach, noch heute den Pferdestall auszumisten. * Der Strohsack war hart und durchgelegen, aber Klaus störte das nur wenig. Nach dem anstrengenden Tag hätte er wahrscheinlich auch auf dem Erdboden schlafen können. Nein, der Strohsack beeinträchtigte seine Träume nicht. In diesen stand er mit Anna vor dem Traualtar, während ihrer beider Väter sich freundschaftlich zulächelten. »Klaus, wach doch auf!« Sein Vater rüttelte ihn derb an der Schulter, was ihn jedoch nur verschlafen fragen ließ: »Was ist denn?« »Du musst fliehen, sofort. Der Falkner von der Burg ist hier und sagt, man hat dich im Verdacht, dass du den Grafen bestohlen hast.« »Die paar Brote kümmern den Grafen nicht.« Klaus drehte sich auf die andere Seite und wollte weiter schlafen, doch Franz von Althum versetzte ihm einen Schlag auf den Rücken und rief energisch: »O doch, sie kümmern ihn. Du bist nämlich gesehen worden - vom Burgvogt. Der will dich schon lange aus dem Dorf haben, weil du seiner Anna nachsteigst. Deshalb hat er dich verraten. Und der Graf kann nun gar nicht anders, er hat Diebe und Räuber zu bestrafen. Meinst du, er will sich vom Herzog sagen lassen, dass er zu milde mit Gesetzesbrechern umgeht?« »Zum Teufel!« Der junge Mann sprang aus dem Bett und schlüpfte in Hemd und Hosen. Dabei erkundigte er sich hastig: »Was hat der Falkner noch gesagt?« »Der Graf will ein Exempel statuieren, er will dem Herzog beweisen, dass er kein Vergehen ungesühnt lässt. Bereits im Morgengrauen werden seine Soldaten hier sein und dich mitnehmen. Da wird all dein Leugnen nichts nützen. Man wird dich bestrafen, wie es für Diebe allgemein üblich ist. Deshalb musst du fort. Die Mutter schnürt schon dein Bündel und Heinrich sattelt die Pferde. Er wird dich nach Wismar begleiten. Dort kannst du untertauchen. Nun mach schon!« 13
Klaus begriff nun in vollem Umfang, was sein Vater sagte. Der alte Lietzen, der falsche Hund, hatte ihn verraten und würde sich diebisch freuen, wenn man den Liebhaber seiner Tochter vor Gericht stellte, wenn man ihn folterte und bestrafte. Der Vater hatte recht, er musste schnellstens verschwinden, bevor man ihn ergriff und ihm die rechte Hand abhackte, vielleicht wurde er sogar geblendet oder schlimmer noch - gehängt. In aller Eile zog er sich vollständig an und nahm das Bündel, das seine Mutter inzwischen gebracht hatte. Es enthielt seine wenigen Habseligkeiten und eine kleine Wegzehrung. Ihm war elend zumute, aber er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Daher verabschiedete er sich in aller Kürze von Vater, Mutter und den jüngeren Geschwistern. Anschließend verließ er das Haus und rannte zum Stall, wo sein älterer Bruder bereits mit den Pferden auf ihn wartete. Er befestigte sein Bündel auf dem Rücken seines Hengstes, stieg auf und ritt dann mit Heinrich in die Nacht hinaus. Klaus hatte sich oft gewünscht, dass er die Enge des Dorfes irgendwann einmal hinter sich lassen konnte. Aber nie hatte er bei Nacht und Nebel verschwinden wollen und es sollte stets einen Weg zurück geben. Dieser war ihm jedoch vorläufig versperrt. Das wusste er genau. Vielleicht würde er seine Familie niemals wieder sehen - und Anna auch nicht. Und das alles war nur geschehen, weil er Mitleid mit hungernden Kindern gehabt hatte und weil es einen hinterhältigen Burgvogt gab. Wie ungerecht es doch in der Welt zuging. Die Reichen wurden immer reicher, sie nutzten und beuteten die Armen aus und maßten sich an, das Gesetz zu sein. Tapfer schluckte er die Tränen hinunter. Sie nützten ja doch nichts. Er musste jetzt nach vorn schauen und das Beste aus dieser Situation machen. Und leider - leider musste er auch Anna verlassen seine Anna, die ihm noch am Vormittag auf dem Burghof zugelächelt hatte. Wenn er in Wismar angekommen war, würde er ihr einen Brief schreiben. Die Mönche vom nahe gelegenen Kloster hatten es ihm schließlich recht ordentlich beigebracht. Und in diesem Brief, den Hein14
rich weiter befördern würde, würde er ihr alles erklären und sie bitten, auf ihn zu warten. * Eine gute Stunde später hatten er und sein Bruder Wismar erreicht, passierten das Stadttor und schlugen dann den Weg zum Hafen ein, wo ständig große Koggen und Frachtschiffe vor Anker lagen. Es war durchaus möglich, dass ein Kapitän bereit war, den kräftigen und stattlichen Klaus an Bord zu nehmen. Zumindest konnte man in der Menschenmenge, die den Hafen bevölkerte, gut untertauchen. Dort herrschte, wie erwartet, eine rege Betriebsamkeit. Außerdem war Markttag. Bauern, Handwerker und Händler priesen laut schreiend ihre Produkte an und versperrten mit ihren Karren Gassen und Straßen. Aber da war noch mehr - ein Raunen, das von Mund zu Mund ging. Einer flüsterte es dem anderen zu und wusste noch mehr als jener zu berichten. Man schwatzte aufgeregt und sprach nur noch über Königin Margarete und die Kaperfahrten, die in Kürze erfolgen sollten. Klaus und Heinrich, die ihre Pferde am Zügel führten, sahen sich verwundert an. Was mochte geschehen sein? Ein alter Mann erklärte es ihnen. »Es hat ja schon lange in der Luft gelegen«, sagte er eifrig und ein wenig stolz. »Und nun ist es endlich soweit. Unser Herzog hat zum Kaperkrieg gegen Dänemark aufgerufen, damit die alte Vettel, die Margarete, weiß, dass sie mit uns zu rechnen hat und dass wir uns nicht alles bieten lassen werden. Jeder Mann oder Bursche, der mutig genug ist, kann sich bewerben. Man erzählt sich bereits, dass Lüder Rantzau, Rambold Sarnewitz, Hinrich Lüchow und noch andere vom mecklenburgischen Adel am Krieg teilnehmen werden. Wollt ihr beide euch auch melden?« »Nur ich«, erwiderte Klaus schnell. Der Grund für den Kaperkrieg, nämlich der Streit zwischen dem Mecklenburger Herzogshaus und der dänischen Königin, interessierte ihn jedoch nicht. Er wollte sich nur seiner Verhaftung entziehen. Und jetzt gab es auch endlich eine Möglichkeit, um schnell zu Geld und damit zu Wohlstand zu kommen. 15
Der Alte musterte ihn von oben bis unten und antwortete schließlich: »Da wirst du dein Glück machen, Junge. So einen Burschen, wie du einer bist, kann der Herzog gebrauchen, wenn er unsere Leute in Stockholm unterstützen und der Margarete eins auswischen will. Da hinten stehen einige Matrosen, die bringen dich zu ihrem Kapitän.« »Danke, Alter.« Klaus lächelte zuversichtlich, drückte seinem Bruder die Zügel des Pferdes in die Hand und ging dann mit festen Schritten in die angegebene Richtung. Er zweifelte nicht daran, dass man ihn nehmen würde. Mit dem Kapitän wurde er schnell einig. Man stellte ihm gleich darauf eine umfangreiche Seekiste zur Verfügung, in der er seine Sachen, sowie eine Schlafmatte und allerhand Kleinkram unterbringen konnte und rüstete ihn mit Harnisch, Kettenhemd und Waffen aus. »Siehst du, Heinrich, so schnell wird man ein Seemann«, sagte Klaus gegen Mittag zu seinem Bruder, der in einer Schenke saß und Bier trank. »Nun mag mich der Graf suchen, solange er will. Irgendwann wird ihm schon die Lust dabei vergehen.« »Mag sein. Doch nun setz dich zu mir und erzähle.« Heinrich schob Klaus den halb gefüllten Krug hin. »Wann wird es losgehen?« »Wahrscheinlich noch heute.« Klaus hatte am Tisch Platz genommen und einen tüchtigen Schluck Bier getrunken. »Der Kapitän hat gesagt, dass wir spätestens vor Sonnenaufgang auslauten werden. Hast du Papier und etwas zum Schreiben auftreiben können?« »Habe ich, der Wirt hat mir was gegeben.« Heinrich kramte in seinen Jackentaschen herum und legte dann ein zusammengefaltetes Blatt Papier und eine Feder auf den Tisch. Ein Glas mit Tinte stellte er dazu. Die Miene von Klaus verdüsterte sich. Es fiel ihm sehr schwer, Anna zu verlassen. Aber es musste sein, auch wenn niemand wusste, wann sie sich wieder sehen würden. Und so schrieb er:
Meine liebste Anna! Widrige Umstände zwingen mich, Dich und meine Heimat zu verlassen. Ich werde aufs Meer hinausfahren und bald genug Geld für uns beide haben. Es tut mir so leid, dass ich nun nicht mehr bei Dir sein 16
kann, aber ich werde wiederkommen und Dich heiraten. Darauf gebe ich mein Wort. Bitte, bleib mir treu! Für immer und ewig Dein Klaus »Gib ihr den Brief in die Hand, ihr und niemand anderem sonst.« Klaus hatte das Papier wieder gefaltet und gab es seinem Bruder. »Darauf kannst du dich verlassen.« Heinrich von Althum steckte den Brief in seine Jackentasche. Danach zahlte er die Zeche und die Männer verließen das Wirtshaus. Sie sprachen nur noch wenig miteinander, als sie zum Hafen gingen. Es war alles gesagt und getan worden. Nun musste das Schicksal seinen Lauf nehmen. * Anna, die sonst nur die Mutter im Haushalt und im Garten unterstützte, musste seit dem Besuch des Herzogs helfen, die Gäste zu bedienen, denn es wurde in Unmengen gegessen und getrunken. Die Vertreter der Kirche prangerten diese Völlerei zwar an und bezeichneten auch Spiele und Tänze als gottlose Handlungen, doch das Gezeter kümmerte die meisten Leute nicht. »Zieh dir ein besseres Gewand an!«, blaffte der Burgvogt seine Tochter in diesem Augenblick an. »Und lass dein Haar offen. Es ist dein schönster Schmuck. Viele Männer werden sich nach dir umdrehen.« »Ich bin hübsch genug, Vater«, antwortete sie und wollte an ihm vorbeigehen, doch er hielt sie am Arm fest. »Für die Edelleute im Gefolge hast du dich anständig herauszuputzen«, zischte er ihr mit unterdrückter Wut zu. »Vielleicht findet sich unter ihnen ein passender Mann für dich. Also geh in deine Kammer und kleide dich um.« Anna blieb stocksteif stehen, was ihren Vater veranlasste, höhnisch zu sagen: »Ach, nun verstehe ich. Du willst immer noch auf diesen Habenichts, diesen armseligen Klaus warten. Hast du denn noch nicht gehört, dass er den Grafen bestohlen hat und nun im Kerker ein 17
Vaterunser nach dem anderen betet, damit man ihm nur die Hand abschlägt und ihn nicht aufknüpft? Willst du so einen heiraten?« »Vater...«, hauchte sie und taumelte. »Das kann doch nicht... wahr sein.« »Gewiss ist es wahr. Da kannst du fragen, wen du willst. Man hat ihn ertappt, den Bösewicht und Langfinger. Und nun wird er endlich seine verdiente Strafe bekommen. Du wirst dir bald anhören können, wie er den Herzog und unseren Herrn Grafen um Gnade anfleht.« Willibald Lietzen grinste süffisant und verließ anschließend die Küche. Er war sehr zufrieden mit sich. Anna sank wie betäubt auf den nächsten Stuhl und begann laut zu schluchzen. Sie war so in ihren Kummer vertieft, dass sie ihre Mutter nicht kommen hörte. »Heul nicht!«, wurde sie von dieser hart angefahren. »Mach, dass du fort kommst. Die Frau Gräfin hat schon nach dir gefragt.« »Ja, Mutter.« Anna lief hinaus und überlegte fieberhaft, wie sie Klaus helfen könnte. Sie musste irgend etwas unternehmen. Sie konnte doch nicht tatenlos zusehen, wie man ihn verstümmelte. Sie unterdrückte ihre Tränen so gut es ging und rannte zum Falkner, denn er war derjenige, der zu ihr und Klaus hielt. Vielleicht wusste er einen Rat. Und was Rupert Klose ihr erzählte, beruhigte sie ein wenig. Er flüsterte ihr nämlich zu: »Euer Vater hat Euch belogen, Fräulein. Klaus ist nicht im Kerker, die Soldaten, die ihn auf Befehl des Grafen ergreifen sollten, sind unverrichteterdinge wieder heimgekommen. Klaus konnte fliehen. Da bin ich mir ganz sicher.« »Dem Herrgott sei Dank«, murmelte Anna und hastete davon, denn sie hörte schon wieder die schrille Stimme ihrer Mutter. Um sie und den Vater nicht weiter zu verärgern, lief sie nun zu ihrer Kammer und zog dort eines ihrer besten Kleider an, ein hellblaues Gewand mit weißen Spitzen am Ausschnitt und an den Ärmeln. Danach lief sie zur Burg. Sie sorgte sich aber immer noch um Klaus, auch wenn sie sich ständig sagte, dass er den Häschern entkommen sein musste. Anderenfalls hätte man ihn längst in den Burghof geführt, damit jeder sehen konnte, wie man ihn bestrafte. Da nichts dergleichen geschah, 18
wurde sie allmählich etwas ruhiger. Sie bediente die Gäste und tat so, als würde sie sich über das Gegröle und die meist zweideutigen Scherze der Männer freuen. Die bedeutungsvollen Blicke, die ihre Eltern miteinander tauschten, übersah sie geflissentlich. Zurückziehen durfte sie sich allerdings erst nach Sonnenuntergang. Müde und mit wunden Füßen eilte sie zu diesem Zeitpunkt zum Haus ihres Vaters, das ganz in der Nähe der Burg stand. »Fräulein Anna!« Die leise Stimme eines Mannes ließ sie auf der Stelle verharren. Etwas ängstlich wandte sie sich suchend um und erblickte Heinrich von Althum. Er stand im Schutze einiger Holunderbüsche, trat jetzt aber auf sie zu und drückte ihr einen Brief in die Hand. »Der ist von Klaus«, flüsterte er ihr zu. »Macht Euch keine Sorgen. Mein Brüder ist in Sicherheit.« Sie wollte etwas sagen, wollte sich bedanken und Fragen stellen, doch der junge Mann verschwand schnell wieder hinter dem Strauchwerk. Gleich darauf hörte sie die Hufe eines Pferdes, worauf sie den Brief hastig in ihren Ausschnitt steckte. Sie würde ihn zu Hause lesen und dann vernichten. Er durfte nicht in die Hände ihres Vaters gelangen. Der würde damit doch nur zum Grafen laufen, um sich bei diesem einzukratzen. Sie kannte ihn doch. Ihm war jedes Mittel recht, um sich bei der Obrigkeit Liebkind zu machen. Als sie Klaus' Zeilen gelesen hatte, weinte sie und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Dann aber zerriss sie den Brief in ganz kleine Schnipsel, öffnete das Fenster und warf diese hinaus. Der Wind würde sie weit davontragen. Am anderen Morgen verkündete ihr Vater, dass sich Klaus von Althum in seiner Zelle erhängt hätte. Das wäre sehr gut so, setzte er boshaft hinzu und sie, seine einzige Tochter, solle nun endlich aufhören, an diesen Dieb und Raufbold auch nur einen einzigen Gedanken zu verschwenden. »Ja, Vater«, antwortete sie gehorsam. »Ich werde nicht mehr an ihn denken, denn er ist jetzt in einer anderen Welt.« Aber eines Tages, so dachte sie, wird er kommen und mich holen.
Ein Schiff wird am Horizont auftauchen, ein großes Schiff mit weißen Segeln, das nur meinetwegen in unserem Hafen anlegen wird. Klaus
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wird der Kapitän sein und mich mitnehmen. Und dann werden wir beide sehr glücklich sein. * Klaus erkannte in den folgenden Tagen, dass Kraft, Ausdauer und Geschicklichkeit nicht ausreichten, um ein guter Seemann zu werden. Dieser musste noch vieles lernen und vor allem hart und lange arbeiten. Das Deck war zu scheuern, Taue mussten erneuert und Segel geflickt werden und es gab immer irgend etwas zu reparieren. Kämpfe gab es allerdings nicht. Klaus wusste nicht, ob er das bedauern oder begrüßen sollte. Der Kapitän und seine Mannschaft hatten lediglich den Auftrag, das von den Dänen eingeschlossene Stockholm mit Lebensmitteln, so genannten ›Vitalien‹, zu versorgen. Von Überfällen auf andere Schiffe war nicht die Rede. Und da nun rein gar nichts passierte, vertrieben sich die Seeleute ihre Freizeit mit allen möglichen Kraftproben, wobei reichlich Bier getrunken wurde. Klaus fand anfangs wenig Geschmack an diesem Leben. Er hatte damit zu tun, wie ein Wolf seine Wunden zu lecken. Doch seine Zurückhaltung brachte ihm nur den Spott der anderen ein, vor allem den von einem gewalttätigen Burschen, den alle Goedecke Micheel nannten. Dieser war beinahe so groß und athletisch wie Klaus, allerdings schon ein paar Jahre älter. Fast alle Matrosen fürchteten sich vor ihm und gingen ihm lieber aus dem Wege. Klaus tat das auch, konnte aber einen Zusammenstoß mit ihm letzten Endes doch nicht verhindern. »Hey, du Milchgesicht!« Goedecke ließ eine Hand schwer auf Klaus' Schulter fallen. »Ich schau dich schon ein paar Tage an und was ich sehe, gefällt mir nicht. Du machst zwar deine Arbeit, bist aber kein ordentlicher Kerl, verträgst kein Bier und scheinst keine Kraft im Leib zu haben. Du wirst es nie zu was bringen. Das sage ich dir schon heute. Der nächste Sturm wird dich über Bord pusten und dann bist du bloß noch Fischfutter. Oder was meint ihr dazu?« 20
Diese Frage galt den übrigen Seeleuten, die auf Deck ihrer Arbeit nachgingen oder einfach nur müßig herumlungerten. Er bekam eine vielstimmige und zustimmende Antwort. Klaus hörte, wie man ihn lauthals als Memme, Weichei und Muttersöhnchen bezeichnete. Das würde er nicht einfach so hinnehmen. Er würde sich wehren. Bis jetzt hatte er recht teilnahmslos aufs Meer geschaut, drehte sich nun aber schwungvoll um und verpasste dem überraschten Bootsmann einen Fausthieb, bei dem dieser in die Knie ging - leider nur für wenige Sekunden. Dann griff er seinerseits an und ließ Klaus seine kräftigen Fäuste spüren. Unter dem Gejohle und den anfeuernden Rufen der Mannschaft droschen sie nun aufeinander ein, wichen den Schlägen aus, so gut es eben ging, stellten sich gegenseitig ein Bein und fielen schließlich zu Boden. »Hört auf!«, schrie irgendeiner und versuchte, Klaus und seinen Widersacher zu trennen. »Bei euch beiden wird es keinen Sieger geben. Trinkt lieber ein Bier miteinander und vertragt euch.« »Guter Vorschlag.« Goedecke rappelte sich stöhnend auf und zog Klaus mit sich hoch. »Soll der Milchbart jetzt zeigen, ob er auch tüchtig saufen kann. Los, Fietje, hol uns zwei große Humpen Bier!« Diese Humpen hatten beinahe die Größe eines Stiefels und waren bis zum Rand gefüllt. Klaus nahm seinen Becher, setzte ihn an den Mund und trank solange, bis der Humpen leer war. Dann drückte er ihn zu einem Klumpen zusammen und schleuderte diesen weit aufs Meer hinaus. Erst danach schaute er sich um und blickte in total verblüffte Gesichter. Die meisten Seemänner waren so erstaunt, dass sie vergessen hatten, ihren Mund zu schließen. Und der eine oder andere meinte bei sich, dass es bestimmt nicht gut war, die Hände des ›Milchbartes‹ am eigenen Hals zu spüren. »Ihr könnt eure Luken wieder zumachen.« Klaus bedachte seine Kameraden mit gutmütigem Spott. »Ich habe nicht vor, euch noch weitere Kraftproben zu zeigen. Trinken wir lieber noch einen.« 21
»Ja, trinken wir noch einen.« Goedecke Micheels lachte laut und schallend. »Du scheinst mir doch in Ordnung zu sein. Wie heißt du eigentlich?« »Klaus...« Er traute sich nicht, seinen Familiennamen zu sagen und schwieg betreten. »Hast wohl keinen anderen Namen?«, stichelte Henning Larsen, doch der Bootsmann erwiderte lässig, noch ehe Klaus antworten konnte: »Halt's Maul, Henning! Wenn er keinen hat, dann werden wir ihm einen geben. Einer, der so den Becher hinunterstürzen kann, der hat einen besonders guten Namen verdient. Nennen wir ihn doch ›Becherstürzer‹ oder besser noch: ›Störtebeker‹, Klaus Störtebeker. Was hältst du davon, Junge?« Klaus stand an der Reling. Seine Haut war von der Sonne gebräunt und sein langes blondes Haar flatterte im Wind. Er sah aus wie einer der Wikinger, die vor etwa vierhundert Jahren über die Meere gefahren waren. Er war wie diese stolz und kraftvoll, ein ganzer Mann, den man nicht so leicht besiegen konnte. Jetzt lächelte er, blickte die Männer fest an, hielt Goedecke Micheels die Hand hin und sagte laut: »Der Name gefällt mir gut. Von nun an bin ich Klaus Störtebeker und einer von euch.« * Willibald Lietzen war sich seines Einflusses, seiner Würde und vor allem seiner Wichtigkeit seit Jahren bewusst. Ohne ihn wäre Graf Ottokar bald ein armer Mann, davon war er felsenfest überzeugt, denn der Burgherr hatte es nicht gelernt, seinen Reichtum zu erhalten und zu vermehren. Gar zu gern hätte der Burgvogt seine Tochter mit einem der Söhne des Grafen verheiratet, doch Wigram und Kasimir von Brackmühlen würden nicht unter ihrem Stand heiraten. Das hatte deren Vater schon oft betont. Dieses hochnäsige Verhalten ärgerte Willibald zwar mächtig, hinderte ihn aber nicht daran, nach einem anderen geeigneten Heiratskandidaten für Anna Ausschau zu halten. Und heute, an diesem sonnigen Frühlingstag, hatte er ihn gefunden. Bis vor wenigen Minuten 22
hatten sie zusammen gesessen - er selbst, Günther von Mauritz und der Pfarrer des Ortes. Sie hatten die ersten Verhandlungen über die Ehe und eine eventuelle Witwenschaft erfolgreich abgeschlossen, so dass nicht mehr daran zu zweifeln war, dass der offizielle Heiratsvertrag bald folgen würde. Der Burgvogt grinste zufrieden vor sich hin, als er jetzt die Tür seines Hauses hinter sich schloss und zur Kemenate ging, wo sich seine Frau und seine Tochter meistens aufhielten. »Ich habe dir einen wohlhabenden Mann beschafft, Tochter und erwarte, dass du mir dankbar bist und Herrn von Mauritz so bald als möglich heiratest. Er ist Witwer und hat zwei kleine Töchter, die dringend eine Mutter brauchen.« Mit diesen Worten hatte der Vogt den Raum betreten und warf Anna einen Blick zu, der ihr klarmachen sollte, dass er keinen Widerspruch dulden würde. Sie wagte es dennoch und flüsterte entsetzt: »Aber Vater, ich kenne den Herrn von Mauritz doch gar nicht.« »Das ist auch nicht notwendig«, warf ihre Mutter ein. »Der Vater weiß am besten, welcher Mann gut für dich ist. Tu, was er sagt und gib dich zufrieden.« Anna schaute bestürzt auf ihre Eltern und wusste nicht, wie ihr geschah. Der beste und schier unersetzliche Mann des Grafen Ottokar hatte sich inzwischen zu seiner Frau an den großen runden Tisch gesetzt und nach dem Bierhumpen gegriffen, den sie ihm hingeschoben hatte. Er trank mit Behagen, wischte sich dann mit dem Handrücken den Schaum vom Mund und sagte eisig: »Deine Mutter hat recht, Anna. Du kannst sehr glücklich sein, dass so ein reicher und feiner Herr, wie Günther von Mauritz, dich heiraten will. Er hat ein Haus in der Stadt und jede Menge Gesinde, so dass du nichts anderes zu tun haben wirst, als seine Kinder auf die Welt zu bringen.« »Ich... ich bin doch Klaus versprochen«, stammelte Anna mit blassen Lippen. »Ihr wisst doch, dass ihm in letzter Minute die Flucht gelungen ist. Deshalb könnt ihr mir glauben, dass er in der Fremde sein Glück machen und bald als reicher Mann zurückkehren wird.« 23
»Ha... ha... ha!« Willibald Lietzen lachte spöttisch und dröhnend. »Er wird in der Fremde umgekommen sein, denn es ist seit seiner Flucht fast ein Jahr vergangen. Ein ganzes Jahr, Tochter...« Die Stimme des Burgvogtes wurde so laut, dass sogar seine Frau, die einiges von ihm gewohnt war, zusammenzuckte und nun begütigend einwarf: »Du hast nichts mehr von ihm gehört, Anna und weißt selbst, dass seine Familie kaum das Notwendigste zum Leben hat. So einer wird es nie zu Reichtum bringen, der bleibt immer ein Raufbold und Abenteurer. Wenn er dich wirklich lieben und achten würde, so wie du annimmst, dann wäre er schon lange hier.« »Ja, das wäre er«, rief der Hausherr triumphierend. »Er ist es aber nicht. Der lacht nämlich nur über dich, Tochter und wird, wenn er nicht längst gestorben und verdorben ist, eine andere haben, die ihm das Bett wärmt. Aber du bist so dumm und wartest Tag für Tag auf ein Lebenszeichen von diesem Herrn Habenichts. Sieh endlich ein, dass du vergeblich wartest.« »Was ist schon ein Jahr?«, antwortete Anna, aber ihre Stimme klang nicht so fest wie sonst. Sie fragte sich auch, warum Klaus ihr keine Botschaft schickte. »Ein Jahr ist mehr als genug«, fuhr der Burgvogt empört fort. »Ich hatte bis jetzt Geduld mit dir, doch die ist nun zu Ende. Nächste Woche wird der Heiratsvertrag unterschrieben, anschließend wird das Aufgebot an das Kirchentor geschlagen und dann wirst du dich mit Herrn von Mauritz vermählen und zu ihm nach Wismar ziehen.« Anna, die bisher auf einer Bank gesessen hatte, stand nun langsam auf. Sie hatte kein Argument mehr gegen diese Heirat und sie musste tatsächlich froh sein, dass ihr Vater sie mit einem wohlhabenden Mann vermählen wollte und sie nicht in irgendein Kloster steckte. »Wann werde ich meinen zukünftigen Gemahl kennen lernen?«, fragte sie tonlos. »Wenn ich mit ihm über die Höhe deiner Mitgift endgültig einig geworden bin«, gab Willibald gönnerhaft zurück. »Ich denke, es wird zum Ende der Woche soweit sein. Dein zukünftiger Herr ist reich und erwartet keine Wunder von einem relativ armen Vogt. Ihm liegt nur 24
daran, eine Mutter für seine Kinder und eine gebärfähige Frau in seinem Haus zu haben.« »Wie praktisch«, erwiderte sie ironisch. »Ich hoffe jedoch, dass mein Herr Vater mir wenigstens eine standesgemäße Hochzeit ausrichten wird und ich nicht wie eine Stallmagd vor den Altar treten muss.« »Das musst du nicht, Kind«, warf die Mutter hastig ein. »Es wird eine schöne Hochzeit werden. Darauf kannst du dich verlassen. Und nun geh und arbeite an deiner Aussteuer.« Anna nickte, deutete einen Knicks an und verließ das Zimmer. Bis jetzt hatte sie sich einigermaßen beherrschen können und hatte die Tränen tapfer unterdrückt, aber nun ging es nicht mehr. Sie liefen ihr unaufhaltsam über die Wangen, sie achtete jedoch kaum darauf, sondern eilte zum Falkner, der hinter dem Bergfried sein Quartier hatte. Vielleicht hatte er inzwischen eine Nachricht von Klaus erhalten. Es war nur eine winzige Hoffnung, die in alle vier Winde zerstob, als der Mann bedauernd den Kopf schüttelte und eindringlich sagte: »Wer weiß, was aus Klaus geworden ist? Er ist nun mal ein Hitzkopf und kämpft gerne. So ein gefährliches Leben ist nichts für Euch, Fräulein. Heiratet lieber den Herrn von Mauritz. Er ist nicht der schlechteste, glaubt mir.« »Kennt Ihr ihn denn so gut?« »So gut nun auch wieder nicht, aber er bezahlt seine Leute ausreichend und hat ein Herz für Tiere. Deshalb kann er kein schlechter Mensch sein. Und reich ist er auch. Ihr werdet Euch nicht mehr so einschränken müssen, wie hier... bei Eurem... äh... recht sparsamen Herrn Vater.« Anna erwiderte eine Weile nichts. Sie schaute nur in die Ferne, aber sie sah die Wiesen. Wälder und Felder nicht, auch nicht die arbeitenden Menschen. Alles verschwamm vor ihren Augen und als sie schließlich antwortete, klang ihre Stimme fremd und matt. »Ich werde Günther von Mauritz heiraten«, sagte sie leise schluchzend und sah den Falkner bittend an. »Wenn... wenn Klaus sich wirklich noch bei Euch melden sollte, dann sagt ihm... dass ich ihn liebe, ihn aber nicht wieder sehen möchte. Ich habe von nun an eine gehorsame und treue Ehefrau zu sein.« 25
Der Mann nickte verständnisvoll. Er strich dem Mädchen unbeholfen über das Haar und murmelte: »Gott sei mit Euch, meine Kleine. Werdet glücklicher, als Ihr jetzt seid.« »Danke«, stieß Anna hervor. Dann wandte sie sich ab und lief zum Haus ihrer Eltern zurück. * Die Männer auf der ›Santa Barbara‹ hatten vor wenigen Minuten den Leichnam ihres Kapitäns der See übergeben. Irgend jemand hatte ein Gebet gesprochen und dann war man wieder zur Tagesordnung übergegangen. Klaus konnte das jedoch noch nicht. Kapitän Karsten hatte vorgehabt, in absehbarer Zeit auf Heimatkurs zu gehen. Die plötzlich auftretende Krankheit hatte ihn jedoch daran gehindert. Was er seinem Nachfolger Goedecke Micheel aufgetragen hatte, wusste Klaus nicht noch nicht. Aber er würde es erfahren. »Werden wir nun Wismar ansteuern?«, fragte er geradezu, als er am Abend mit dem neuen Kapitän allein an der Reling stand und aufs Meer hinaus schaute. »Ja, aber erst später«, versetzte dieser brüsk. »Wir müssen zuerst nach Stralsund, denn das Schiff gehört Martin Hosang. Ich muss ihm mitteilen, dass Kapitän Karsten gestorben ist. Und dann gibt es genug anderes, worüber wir reden müssen.« »Was denn?«, erkundigte sich Klaus besorgt und neugierig zugleich. »Meinst du, es wird Schwierigkeiten geben?« Goedecke zuckte nur mit den Schultern. »Möglich ist alles und Schwierigkeiten gibt es oft genug. Aber ich bin doch zuversichtlich, dass Hosang mir die Führung des Schiffes überträgt.« »Wem denn sonst?«, fragte Klaus erstaunt. »Einen besseren Mann als dich gibt es hier nicht.« Der neue Kapitän sagte nichts dazu. Er hatte ein ungutes Gefühl in sich, zumal er wusste, dass der Ratsherr und Schiffseigentümer Martin Hosang viele Neider hatte. Möglicherweise wartete eine un26
angenehme Überraschung auf ihn und seine Mannschaft, wenn sie in Stralsund ankamen. Klaus blickte seinen Freund forschend an. »Was befürchtest du?« »Dass Bertram Wulflam in Stralsund die Macht an sich gerissen hat. Er hat das schon lange vor und versteht es, so manchen Ratsherrn auf seine Seite zu ziehen. Ich kenne ihn, er ist ein falscher Hund und gönnt dem gemeinen Volk nicht das Schwarze unter dem Nagel. Vielleicht ist er jetzt auch auf irgendeine Weise der Herr dieses Schiffes geworden. Dann haben wir schlechte Karten. Ich glaube nicht, dass er mich als Kapitän anerkennt. Er wird jemandem aus seiner Sippe das Kommando übertragen wollen.« »Was wirst du dann tun oder besser, was werden - wir - dann tun?« »Erst einmal abwarten und nachdenken. Wir stehen im Dienst des Herzogs und des schwedischen Königs und haben Aufträge zu erfüllen. Daran kann auch der verlogene Wulflam nichts ändern. Vielleicht überträgt man mir die Führung eines anderen Schiffes. Und irgendwann segeln wir auch nach Wismar. Das verspreche ich dir. Dann kannst du deine Anna besuchen. Bis dahin ist auch sicherlich Gras über deinen Diebstahl gewachsen.« Klaus atmete erleichtert auf und beschloss, Anna nun endlich eine Nachricht zu schicken. Es würde vermutlich viele Wochen dauern, bis sie diese bekam, doch das musste er eben in Kauf nehmen. In dieser Nacht lag er noch lange wach, dachte an sie und stellte sich das Wiedersehen vor. Aber er dachte auch an ihren Vater, der schon lange einen standesgemäßen Schwiegersohn suchte. Bei diesen Überlegungen wurde ihm mulmig in der Magengegend. An seine Eltern und Geschwister dachte er weniger. Sie würden sich wie eh und je auf dem Hof abplagen und es doch niemals zu einem gewissen Wohlstand bringen. Am nächsten Morgen rief Goedecke seine Leute zusammen und verkündete ihnen, dass sie umgehend Kurs auf Stralsund nehmen würden. Und er lächelte, obwohl er die Begeisterung der Mannschaft nicht teilen konnte. Aber er war bereit, um das Schiff sowie um Glück und Erfolg zu kämpfen. 27
Klaus hingegen hatte einen Gewürzhändler ausfindig gemacht, der auf dem Weg nach Wismar war. Diesem hatte er zwei Briefe übergeben, einen an Anna und einen an seine Eltern. * Die Mädchen, die mit einer Menge anderer Kinder laut kreischend die Aufführung des Marionettentheaters verfolgten, waren vier und sechs Jahre alt, hatten blondes Haar und waren hübsch anzusehen. »Aber sie sind so zarte Pflänzchen, man könnte sie glatt umpusten«, pflegte die alte Käthe zu sagen, die sich mehr schlecht als recht um Rieke und Meike von Mauritz kümmerte. Und dann fügte sie stets sorgenvoll hinzu, dass den Kindern eben die Mutter fehlte. Warum nur hatte die Herrin nur so früh sterben müssen, während sie, Katharina Bärwald, nun schon auf die Sechzig zuging und sich noch ganz munter fühlte. Ja, das Leben war eben ungerecht. An diesem Nachmittag war sie mit den Kindern zum Jahrmarkt gegangen, wo allerhand Narreteien die Leute erfreuten und zahlreiche Krämer ihre Waren anboten. Rieke und Meike interessierten sich noch nicht für Schmuck, Pelze, Glaswaren und feine Stoffe. Sie schauten viel lieber den Gauklern und Akrobaten zu, hatten aber den meisten Spaß am Marionettentheater. Ihre Freude darüber plapperten sie ihrem Vater vor, der geraume Zeit später sein Kontor verlassen und sich nun zu ihnen gesellt hatte. Gemeinsam mit seinen Töchtern und der alten Käthe verfolgte er das Theaterspiel bis zum Ende und sagte dann mahnend: »Gehen wir heim, es wird Zeit.« »Schon?«, begehrten die Mädchen auf, verstummten aber nach einer nicht misszuverstehenden Handbewegung des Vaters. Willig, aber unlustig ließen sie sich nach Hause führen, aßen ihren Haferbrei und krochen, nachdem sie gebetet und dem Vater Gute Nacht gesagt hatten, in ihre Betten. »Ich muss noch mit dir reden. Komm mit!« Mit diesen Worten wandte sich Günther von Mauritz an seine ehemalige Kinderfrau und wies sie an, ihm in seine Amtsstube zu folgen. Dort setzte er sich hin28
ter seinen mächtigen Schreibtisch, während die Alte davor stehen blieb. »Ich werde in Kürze wieder heiraten«, erklärte er ihr und sein Blick glitt für ein paar Sekunden zu dem großen Gemälde, das seine verstorbene Gemahlin darstellte. Er hatte sie sehr gemocht, diese kleine zarte Frau mit den blonden Locken. Mittlerweile hatte er sich über ihren Verlust hinweggetröstet, hatte aber wenig Interesse an einer neuen Ehe. Doch die musste sein, wenn er eine Mutter für die Mädchen und einen Sohn haben wollte. Das würde Hildegard sicher verstehen. »Ja, ich werde wieder heiraten«, wiederholte er jetzt nachdrücklich. »Meine Braut heißt Anna Lietzen und ist die Tochter des Burgvogtes von Brackmühlen. Sie kommt morgen mit ihren Eltern her, um sich die Kinder und das Haus anzuschauen. Deine Aufgabe ist es, Rieke und Meike ordentlich anzukleiden und dafür zu sorgen, dass sie sich manierlich benehmen.« »Ja, Herr«, entgegnete die Alte beflissen. »Ihr werdet Euch nicht zu beklagen haben.« »Gut, du kannst dann gehen.« Der Kaufmann wedelte mit der Hand, als wenn er eine Fliege aus dem Zimmer scheuchen wollte, worauf Käthe Bärwald sich schleunigst entfernte. Sie schlurfte zur Gesindeküche, wo sie nach einem langen Arbeitstag endlich ihr Abendessen einnehmen konnte. Günther von Mauritz sah ihr einen Augenblick nach, bevor er sich wieder seinen Geschäften zuwandte. Der Handel mit venezianischer Seide, englischer Wolle, mit Korn und Salz und kostbaren Gewürzen hatte ihm zu einem ansehnlichen Wohlstand verholten, den er gern seinem Sohn vererben würde. Leider hatte er keinen Sohn, jedenfalls bis jetzt noch nicht. Doch das würde sich ändern, wenn er Anna Lietzen zu seiner Ehefrau machte. Sie gefiel ihm nicht besonders, denn er mochte rothaarige Frauen nicht. Aber was machte das schon? Wichtig war nur, dass sie ihre Pflichten erfüllte. * 29
Anna betrachtete den Mann, der in wenigen Tagen ihr Gemahl sein würde, mit diskreten Blicken. Das war recht einfach, denn sie saßen sich am Mittagstisch gegenüber und er beachtete sie nur wenig, hatte bisher kaum ein paar Worte mit ihr gewechselt. Mit ihrem Vater unterhielt er sich jedoch lange und ausführlich. Der Gegenstand dieses Gespräches war zum überwiegenden Teil sie selbst sowie ihre Aussteuer und die Mitgift. Sie reden über mich, als wäre ich eine Kuh, dachte sie traurig.
Meine Leistungsbereitschaft und mein gebärfreudiges Becken werden gelobt, aber was ich denke und fühle, ist vollkommen nebensächlich. Eine Frau hat ja auch nicht zu denken, sie hat nur zu gehorchen.
Und doch konnte sie recht zufrieden sein. Günther von Mauritz war zwar an die zehn Jahre älter als sie, aber ein gut aussehender, stattlicher Mann mit vollem braunem Haar und gepflegten Händen und Zähnen, also ganz bestimmt kein Tattergreis und Säufer, wie ihn ihre Freundin Martha vor einem Monat hatte heiraten müssen. Und seine kleinen Mädchen gefielen ihr auch, obwohl sie stark bezweifelte, dass die beiden immer so artig waren wie heute. Doch deren vermutliche Widerspenstigkeit machte ihr wenig Sorgen. Sie konnte gut mit Kindern umgehen und würde ihnen mit der Zeit eine gute Mutter werden. Ihre Sorge galt nur jenem Augenblick, in dem ihr Ehemann feststellte, dass seine Gemahlin keine Jungfrau mehr war. »Wollen wir uns jetzt das Haus ansehen, meine liebe Anna?« Wie von fern hörte sie die tiefe Stimme ihres Zukünftigen, nickte aber zustimmend, erhob sich und folgte ihm schweigend. Nachdem sie das große Speisezimmer verlassen hatten, betraten sie einen schmalen Flur, der mehrere Türen und eine Treppe zum oberen Stockwerk auf wies. Der Handelsherr führte seine Braut beinahe in jedes Zimmer und ließ auch die Küche, die Waschküche und die Vorratsräume nicht aus. Es fehlte nur das Schlafzimmer, wie Anna belustigt feststellte. Es schickte sich eben nicht, ihr dieses schon vor der Vermählung zu zeigen. 30
»Ihr seid so still. Gefällt Euch das Haus nicht?«, fragte Günther von Mauritz etwas irritiert, als Anna immer noch wortlos neben ihm herging. »Doch, es gefällt mir gut«, erwiderte sie gedehnt und fügte nach einer kleinen Pause fragend hinzu: »Ich wüsste nur gern, ob ich eine Kammer für mich allein haben könnte.« »Wozu braucht Ihr denn so etwas?« »Ich sammle gelegentlich Kräuter zu Heilzwecken und würde die Pflanzen gern dort lagern und später zu Tee und Essenzen verarbeiten.« Er blickte sie immer noch verwundert an, sagte nun aber herablassend: »Meinetwegen, wenn Euch soviel daran liegt und Ihr Euren Aufgaben vorbildlich nachkommt und die Erziehung der Kinder nicht vernachlässigt.« »Ich danke Euch«, erwiderte Anna schlicht. »Ich werde mich mit der Heilkunde nur in meiner Freizeit beschäftigen. Das verspreche ich Euch.« Der Kaufmann war mit dieser Antwort zufrieden, mit Annas äußerer Erscheinung jedoch nicht. »Habt Ihr kein besseres Gewand als dieses hier?« Er wies verächtlich auf das rehbraune Kleid mit dem kleinen runden Ausschnitt und den schmalen Ärmeln, das in der Taille nur von einem schwarzen Band geschmückt wurde. »Doch, aber mein Herr Vater meinte, als zukünftige Ehefrau hätte ich stets dezente Farben zu tragen.« »Ich habe dazu eine etwas andere Meinung«, entgegnete er unwillig. »Ich werdet die Frau des Hauses sein und habt meinen Wohlstand zu präsentieren. Daher werde ich Euch morgen eine Schneiderin schicken, die Euch entsprechend berät und Maß für neue Gewänder nimmt.« »Ich glaube nicht, dass mein Herr Vater damit einverstanden ist.« Der Kaufmann lächelte spöttisch. »Macht Euch um Euren Vater keine Sorgen. Er ist mit allem einverstanden, was er nicht selbst bezahlen muss.« 31
Anna errötete beschämt. Warum erzählte sie ihrem zukünftigen Gemahl nur solchen Unsinn? Sie wusste doch genau, dass ihr Vater alles nahm, was er bekommen konnte. Und Günther von Mauritz wusste das unterdessen auch. Um ihre Verlegenheit ein wenig abzuschwächen, meinte der Hausherr nun ruhig: »Es freut mich, dass wir beide uns so schnell einig geworden sind. Ein weiteres Treffen vor der Hochzeit ist damit nicht nötig. Wir sehen uns dann am kommenden Sonntag vor der Kirche. Ich nehme an, es ist Euch so recht.« Die junge Frau neigte nur den Kopf. Ihr war selbstverständlich gar nichts recht, was der Kaufmann sagte. Sie hoffte auf ein Wunder und wünschte sich verzweifelt, dass Klaus kommen und sie zur Ehefrau begehren möge. * Goedecke Micheel und Klaus Störtebeker waren mit einer Schaluppe zum Hafen gerudert, während die ›Santa Barbara‹ in sicherer Entfernung vor Anker lag. Man konnte ja nie wissen, was passierte. Ein so großes und stolzes Schiff stach so manchem in die Augen. Im Hafen angekommen, liehen sie sich von einem Bauern zwei Pferde und ritten damit zum Rathaus, denn Martin Hosang war nicht nur der Eigentümer von mehreren Schiffen, sondern auch der Bürgermeister - jedenfalls bisher. Inzwischen war dieser Posten neu besetzt worden, oder besser gesagt, neu erobert worden. Bertram Wulflam hatte es endlich geschafft, durch Verbindungen, Schmiergelder und Intrigen Martin Hosang anzuklagen und in den Kerker werfen zu lassen. Die beiden Seeleute erfuhren das bereits in einer Schenke in der Nähe des Rathauses. »Du hast es ja befürchtet«, sagte Klaus besorgt. »Willst du trotzdem hingehen?« »Ich muss«, erwiderte Goedecke nüchtern. »Muss dem neuen Bürgermeister sagen, dass wir einen Kaperbrief haben, im Dienste des Herzogs stehen und Vitalien nach Stockholm bringen müssen. Wenn er mir jedoch feindlich gesonnen ist, dann erkennt er diesen nicht an. 32
Deshalb ist es besser, wenn ich allein zu ihm gehe. Sollte ich nicht wiederkommen, musst du das Schiff retten und führen. Ich weiß, dass du das kannst.« Klaus nickte nur, blieb aber nicht bei den Pferden, so wie es sein Freund angeordnet hatte, sondern mischte sich vor dem Rathaus unter das Volk und lungerte bald in der großen Halle herum wie ein einfacher Bauer, der neugierig die Pracht dieses Bauwerkes bestaunte. Goedecke stand unterdessen vor dem Stralsunder Bürgermeister. Dieser, ein mittelgroßer magerer Mann mit gelblicher Gesichtsfarbe und stechendem Blick, betrachtete ihn eingehend und sagte dann mürrisch: »Ihr behauptet also, der neue Kapitän der ›Santa Barbara‹ zu sein. Wer hat Euch dazu ermächtigt?« »Kapitän Karsten, kurz vor seinem Tode und im Auftrage des Herrn Hosang«, versetzte Goedecke festen Tones. »Nun, da hat sich der gute Mann aber sehr geirrt. Ich sehe es ihm nach, denn er weilt nicht mehr unter uns. Er hat schließlich nicht gewusst, dass mein Vorgänger sich in kriminelle Geschäfte verstrickt hat und nun im Gefängnis für seine Sünden büßen muss.« Goedecke erblasste, was dem Bürgermeister nicht entging und ihm das Gefühl vermittelte, bereits den Sieg über den ungebärdigen und unbequemen Seemann errungen zu haben. »Martin Hosang hat mir die ›Santa Barbara‹ verkauft. Gebt mir deshalb Euren Kaperbrief und heuert samt Eurer Mannschaft auf einem anderen Schiff an«, meinte Wulflam selbstgefällig. »Dann werde ich darüber hinwegsehen, dass Ihr eigenmächtig gehandelt habt und werde Euch nicht bestrafen lassen.« In Goedecke zischte die Wut wie kochendes Wasser, seine Gestalt straffte sich und seine Augen blitzten vor Zorn, als er kalt antwortete: »Das werde ich nicht tun, denn der Brief ist von Kapitän Karsten auf mich übertragen worden. Ich lasse mir mein Recht nicht nehmen, auch von Euch nicht.« »So?« Der Bürgermeister spie förmlich Gift und Galle (wahrscheinlich war er deshalb so gelb im Gesicht), aber er beherrschte sich einigermaßen, lächelte jedoch tückisch, griff dann nach einer silbernen Glocke und schwenkte diese mehrmals hin und her. 33
Der junge Kapitän wusste sofort, was das zu bedeuten hatte und wollte schnellstens den Raum verlassen, aber er kam nicht einmal bis zur Tür. Dort lief er zwei Soldaten in die Arme, die ihn sofort überwältigten, da mochte er sich gegen ihre Übermacht auflehnen, soviel wie er wollte. »In den Kerker mit ihm!«, kreischte Wulflam im höchsten Diskant. »Er ist ein Dieb! Er wollte eines meiner Schiffe stehlen.« * Klaus wurde allmählich unruhig. Sein Freund blieb allzu lange weg. Das war kein gutes Zeichen. Nun, vielleicht war er nicht sofort zum Bürgermeister vorgelassen worden. Oder es gab andere Gründe. O ja, die anderen Gründe gab es, denn in diesem Augenblick schleiften zwei Soldaten den sich heftig wehrenden Goedecke in die Halle und wollten ihn offensichtlich in den Keller bugsieren. Sie waren allerdings so sehr mit dem widerspenstigen Freibeuter beschäftigt, dass sie die erschrockenen und gaffenden Leute um sie herum nicht wahrnahmen. Sie bemerkten auch Klaus Störtebeker nicht, der mit langen Sätzen von hinten auf sie zuschoss, sie brutal nach vorn stieß und so zu Fall brachte. Goedecke fiel auch, aber er war nicht so schwerfällig wie die beiden Männer in ihren eisernen Rüstungen. Mir Störtebekers Hilfe kam er schnell wieder auf die Beine und rannte mit ihm hinaus zu den Pferden. Und so saßen sie schon in ihren Sätteln, als die Soldaten ihnen nachsetzten. Das war übrigens ein sinnloses Unterfangen. Ehe deren Pferde gesattelt waren, befanden sich Goedecke und Klaus bereits auf dem Weg zum Hafen, wo sie die Pferde in aller Eile dem dort wartenden Bauern zurückgaben, ihm ein paar Münzen zuwarfen und dann in die Schaluppe stiegen. Klaus ruderte mit aller Kraft und konnte so seinen Freund und Kapitän und sich vor den Pfeilen retten, die man ihnen nachsandte. »Jetzt sind wir in Sicherheit!«, stieß Goedecke tief aufatmend hervor, als sie die ›Santa Barbara‹ erreicht hatten und an Bord gegangen 34
waren. »Du hast mir heute das Leben gerettet, Klaus. Ich werde dafür immer in deiner Schuld stehen.« »Red keinen Schwachsinn!« Klaus Störtebeker schaute ihn unwillig an und sagte nur: »Wasche dich und lasse dir deine Wunden verbinden. Du siehst schrecklich aus.« »Ja, sie haben mich arg zugerichtet, diese feigen Säcke. Aber gegen dich hatten sie keine Chance.« »Sie waren zu überrascht. Das ist alles. Und sie haben nicht damit gerechnet, dass dich jemand aus ihren Klauen befreien würde.« »So ist es.« Goedecke gelang ein schiefes Lächeln. Offenbar hatte er den Schock, den ihm Wulflam versetzt hatte, bereits überwunden, denn er sagte nun trocken: »Ich werde mich waschen und umziehen und bin in einer Stunde wieder ansprechbar. Lass zu dieser Zeit die Mannschaft vollständig antreten. Wir müssen darüber beraten, wie es mit uns weitergehen soll.« Klaus nickte nur und ließ seinen Freund dann allein. Eine Stunde später stand die gesamte Besatzung vor ihrem Kapitän: Fietje, Henning, Sven und alle die anderen, die auf Befehl des Herzogs von Mecklenburg und des schwedischen Königs gegen Königin Margarete von Dänemark kämpften. »Martin Hosang sitzt im Kerker«, begann Goedecke Micheel. »Aller Wahrscheinlichkeit wird er diesen nicht mehr lebend verlassen. Man hat ihm seine Güter genommen. Ich nehme an, dass sich Bertram Wulflam alles irgendwie angeeignet hat. Zumindest behauptet er, dass er dieses Schiff dem Hosang abgekauft hat. Und er behauptet auch, ich hätte die Absicht, es ihm zu stehlen. Das bedeutet, dass wir alle, egal in welche Hansestadt wir auch einlaufen, eingefangen werden wie tolle Hunde und in Ketten nach Stralsund transportiert werden. Wollt ihr das?« Ein vielstimmiges ›Nein‹ erscholl aus rauen Kehlen. »Gut.« Der Kapitän hatte keine andere Antwort erwartet. Er blickte alle seine Leute fest an und fügte dann hinzu: »Uns bleibt jetzt nur noch ein Weg. Wir werden dieses Schiff behalten, werden ihm einen anderen Namen geben und uns in den Dienst der Königin Margarete stellen. Die fragt nicht danach, woher die Piraten kommen, die sie in 35
ihrem Kampf gegen die Hanse unterstützen. Nach Wismar, Stralsund, Rostock oder Lübeck können wir allerdings vorläufig nicht mehr zurück.« Die Leute schauten sich betroffen an, bis Klaus Störtebeker laut lachte und rief: »Was macht das schon? Lieber frei auf dem Meer als gefangen im Kerker. Wir haben unsere Haut gerettet, Freunde. Ist das nichts?« Nun lachten und grölten auch die anderen, während sich Goedecke Micheel und Klaus Störtebeker die Hand reichten. Damit war der Bund geschlossen. Von nun an gab es keine ›Santa Barbara‹ mehr, nur noch die ›Maria Anna‹, deren Mannschaft im Dienste der dänischen Königin stand. Klaus akzeptierte diese Lösung. Sie war die einzige, die ihnen nach dem Verrat von Bertram Wulflam übrig geblieben war. Aber er hoffte doch mit dem Optimismus der Jugend, dass er seine Anna eines Tages wieder sehen würde. Vielleicht änderten sich die Zeiten ja doch noch, vielleicht traf den verbrecherischen Wulflam der Schlag oder der Teufel holte ihn. Letzteres war sowieso das Beste. Sollte er nur in der Hölle schmoren. Da gehörte er ja auch hin. * Die Sonne war eben erst aufgegangen, als Heinrich von Althum zur Burg ritt. Er hatte diese frühe Stunde gewählt, um weder vom Grafen noch von seinem Vogt gesehen zu werden, er wollte lediglich zum Falkner, von dem er wusste, dass er um diese Zeit die Greifvögel fütterte. Der Hufschlag des Pferdes war kaum zu hören, denn Heinrich vermied es, den festen Weg zu benutzen und ritt lieber über die Wiesen. Bald hatte er sein Ziel erreicht, stieg ab und suchte für den Schimmel ein geeignetes Versteck. Dieses fand er in einem kleinen Gehölz nahe der Burg. Dort befestigte er die Leine so an einem Ast, dass das Pferd noch genügend Bewegungsfreiheit hatte. Danach schlich er zur Hütte des Falkners, in deren unmittelbarer Nähe sich die Vogelkäfige befanden. Er brauchte nicht zu klopfen, denn Rupert Klose 36
öffnete gerade die Haustür und wollte sich wie jeden Morgen auf den Weg zu den Falken, Adlern und Sperbern machen. »Hey, Rupert!« Heinrich stand im Schatten einer großen Eiche und winkte den Falkner zu sich. »Was gibt es?«, fragte dieser mürrisch, während er dem jungen Mann kaum einen Blick zuwarf. »Ich habe eine Botschaft... von meinem Bruder... für Fräulein Anna. Würdet Ihr bitte so freundlich sein und ihr diese heimlich zukommen lassen?« Rupert Klose zögerte und sagte abweisend: »Wozu soll die jetzt noch gut sein? Die Anna heiratet in der nächsten Woche den Herrn von Mauritz. Wisst Ihr das denn nicht?« »Doch, ich habe davon gehört. Aber vielleicht freut es sie doch, wenn sie weiß, dass es Klaus gut geht.« »Schon möglich«, brummelte der Falkner und steckte die Botschaft in sein Wams. »Ändern wird es an der Sache jedoch nichts mehr. Nächste Woche ist Hochzeit. Der Vogt und seine Alte posaunen es schon seit Tagen überall in der Gegend herum, damit alle Welt hören kann, dass die Tochter des Burgvogtes einen äußerst wohlhabenden und angesehenen Herrn heiratet.« »Ich weiß, man spricht im Dorf kaum noch von etwas anderem. Man erzählt sich, dass sogar der Graf und die Frau Gräfin am Gottesdienst und an der Feier teilnehmen werden.« »So ist es. Doch nun sieh, dass du fort kommst. Es ist besser, wenn man dich hier nicht sieht.« »Ihr habt recht.« Heinrich nickte hastig und lief dann zu seinem Pferd zurück. Rupert Klose sah ihm nach, bis er hinter den Bäumen verschwunden war. Dann nahm er die Botschaft, las sie und schüttelte den Kopf. Was dachte Klaus sich nur? Nahm er wirklich an, die Anna würde und vor allem durfte Jahr um Jahr auf ihn warten? Kannte er denn den Vogt nicht? Und im übrigen war es wirklich vorteilhafter, wenn sie den Handelsherrn nahm. Bei ihm hatte sie eine gesicherte Zukunft, bei dem Heißsporn Klaus jedoch nicht. Außerdem hatte das Fräulein selbst gesagt, es wollte von Klaus nichts mehr hören. 37
Der Falkner fuhr sich nachdenklich durch das struppige Haar, dann ging er ins Haus zurück und warf den Brief ins Herdfeuer. Damit war für ihn die Sache abgetan und er war überzeugt, der Anna einen großen Dienst erwiesen zu haben. * Zu einer Hochzeit gehörten grobe Spaße wie das Salz zur Suppe. Anna war diese Tatsache seit langem bekannt. Schließlich hatte sie schon oft derbe Anzüglichkeiten mit anhören müssen und es gehörte gewissermaßen schon zum guten Ton, wenn man der Braut auf die Schleppe trat. Und das Gelächter über diese Witze wurde immer lauter, je mehr die Gäste gegessen und getrunken hatten. An ihrer Hochzeit würde es genauso zugehen und sie konnte nichts dagegen unternehmen, ihr zukünftiger Gemahl allerdings auch nicht. In der Nacht vor der Vermählung konnte sie lange nicht einschlafen. Sie dachte an Klaus, den sie noch immer liebte, der sie aber wohl schon lange vergessen hatte. Und sie versuchte, ihre Angst vor der Ehe mit dem Handelsherren zu bekämpfen. Das gelang ihr nicht, aber sie schlief schließlich doch ein. »Steh endlich auf, Tochter! Liege hier nicht im Bett herum, als wärest du krank, sondern freue dich, dass ein wackerer Mann dich heiraten will.« Die barschen Worte ihrer Mutter weckten Anna auf und ließen sie ängstlich zusammenzucken. Hastig erhob sie sich und begann mit der Morgentoilette. Sie wusch und kämmte sich, flocht ihr Haar zu Zöpfen und steckte die am Hinterkopf fest. Danach halfen ihr die Mutter und eine Dienerin in das königsblaue Hochzeitsgewand, zu dem ein hellblauer Schleier mit einer prachtvollen Hörnerhaube gehörte. »Du siehst wunderschön aus«, rief Merle Lietzen begeistert aus. »Günther von Mauritz wird entzückt sein.« »Das glaube ich nicht. Seine erste Frau war viel schöner als ich.« Anna betrachtete sich nur flüchtig im Spiegel. Ihr war es egal, wie sie aussah und ob sie ihrem Mann gefiel. Sie tat nur, was die Eltern von ihr verlangten. 38
In diesem Moment brachte eines der Hausmädchen ein Tablett, auf dem belegte Brote und ein Becher mit Wein standen. Gehorsam aß sie ein paar Bissen und trank den gewürzten Wein aus. »Jetzt hast du wenigstens etwas Farbe«, grummelte ihre Mutter. »Nun komm und beeile dich. Dein Bräutigam wird schon vor dem Kirchenportal auf dich warten.« »Ja, Frau Mutter.« Anna verließ das Zimmer und ging dann mit ihren festlich gekleideten Eltern und den übrigen, recht zahlreichen Verwandten zur Kirche. Diese befand sich in der Nähe, so dass man auf einen Ritt auf den mitunter ziemlich störrischen Maultieren verzichten konnte. Günther von Mauritz, der mit dem Bischof und seinen Angehörigen schon eine Weile vor dem Kirchenportal gestanden hatte, ging ihr ein paar Schritte entgegen, reichte ihr die Hand und ging mit ihr zum Pfarrer, der sie mit einem väterlichen Lächeln empfing. Danach knieten sie beide, wie es Brauch war, auf der Steintreppe vor der Kirche nieder und sprachen ihr Gelübde. Ein längeres Palaver über den Stand des Ehemannes und die Höhe der Mitgift schloss sich an und es dauerte eine ganze Weile, bis sich das Hochzeitspaar (mit schmerzenden Knien) erheben durfte. »Ihr dürft die Braut jetzt küssen!« Diese Aufforderung des Geistlichen hätte Günther von Mauritz gern überhört. Doch da er seine Frau und ihre Familie nicht brüskieren wollte, nahm er Anna flüchtig in die Arme und küsste noch flüchtiger ihren Mund. Die junge Frau ließ es widerwillig geschehen. Nach der Zeremonie begab man sich zur Burg, wo im Innenhof die Hochzeitsfeier stattfinden sollte. Auf langen Tafeln standen die vielfältigsten Gerichte sowie Bier und Wein. Das alles gab es heute im Überfluss. Anna konnte jedoch kaum etwas genießen, ihr war der Hals wie zugeschnürt. Ihrem Mann schien es ähnlich zu ergehen. Er aß nur sehr mäßig und sah aus, als würde ihn die ganze Sache nichts angehen. Er reagierte auch nicht auf die mehr oder wenigen deutlichen Zurufe und Ratschläge betreffs der kurz bevorstehenden Hochzeitsnacht und übersah geflissentlich das wiederholte Erröten seiner Braut. Erst als das 39
Fest sich dem Ende zuneigte, legte er seine Hand auf die ihre und murmelte: »Wir werden jetzt nach Hause fahren. Unsere Gäste brauchen uns nicht mehr. Verabschiedet Euch von Euren Eltern.« »Ja, mein Herr Gemahl.« Anna stand auf und eilte zu ihren Eltern, die noch an der Tafel saßen und sich im vermeintlichen Glück ihrer Tochter sonnten. »Geh mit Gott, mein Kind und werde glücklich«, sagte ihre Mutter theatralisch, was noch einigermaßen zu ertragen war. Die langatmigen Ermahnungen des Burgvogtes in Bezug auf Dankbarkeit und Gehorsam waren es jedoch nicht, was sogar Günther von Mauritz empfand. Er war seiner Braut gefolgt und sagte nun frostig: »Wir danken Euch für Eure Ratschläge, Papa und verstehen Eure Bedenken. Doch Ihr könnt unbesorgt sein. Anna wird es bei mir an nichts fehlen.« »Das hoffe ich doch sehr«, erwiderte der Burgvogt salbungsvoll und setzte zu einem weiteren Monolog an. Doch ehe er ein weiteres Wort herausbrachte, hatte Günther einen Arm um Annas Schultern gelegt und zog sie mit sich fort. »Der hat es aber eilig«, flüsterte Willibald Lietzen seiner Frau zu. »Nun ja, unsere Anna ist noch ein junges knuspriges Hühnchen. Das will er gar zu gern rupfen.« Merle Lietzen lächelte unergründlich. Sie wusste genau, wie scharf ihr Mann auf junges Geflügel war. * Das Schlafzimmer war zweckmäßig eingerichtet, entbehrte jedoch nicht einer gewissen Eleganz. In ihm standen schöne Schränke und Truhen - und ein großes Himmelbett mit feiner Leinenwäsche und kostbaren rubinroten Vorhängen aus feinem Atlasgewebe. Da es zum Abend kühl geworden war, hatte man ein Feuer im Kamin angezündet, aber Anna fror dennoch. Und diese Kälte kam von innen, als Ursache ihrer Angst vor den kommenden Stunden. Mit Hilfe von Lene, ihrer persönlichen Dienstmagd, hatte sie vorhin das Hochzeitsgewand ausgezogen und in eine Truhe gelegt. Danach schlüpfte sie in ihr Nachthemd und wickelte sich noch in einen warmen Umhang. 40
»Du kannst gehen«, sagte sie anschließend zu der Magd. »Ich brauche dich heute nicht mehr.« Das Mädchen verkniff sich ein Kichern und entfernte sich. Nun war Anna allein. Um sich abzulenken, blätterte sie in ihrem Gebetbuch. Sie wartete auf einen Ehemann, den sie niemals lieben würde. Er war ja nicht Klaus. Eine gute Viertelstunde mochte verstrichen sein, als Günther von Mauritz den Raum betrat. Er blickte seine Frau befremdet an und fragte kühl: »Meint Ihr, dass Gebete in der Hochzeitsnacht nützlich sind? Geht lieber ins Bett. Dort wird es bald wärmer sein, als in diesem Gemach.« Anna brachte kein Wort heraus. Sie legte das Buch mit zitternden Händen zur Seite, warf den Umhang ab, legte sich ins Bett und machte die Augen fest zu. So sah sie nicht, wie ihr Mann die Kerzen löschte und sich auszog. Sie hörte nur das Rascheln seiner Kleidung und spürte dann, wie er sich dicht neben sie legte. »Habt Ihr Angst?«, erkundigte er sich nach scheinbar endlos langen Minuten des Schweigens. »Ja«, hauchte sie und überlegte, ob sie ihm lieber gleich die Wahrheit gestehen sollte. Aber sie ließ es dann doch. Vermutlich würde er vor Wut außer sich sein und die Ehe gar nicht mehr vollziehen. Er würde sie in Schimpf und Schande zu ihrem Vater zurückschicken. Und was dann mit ihr geschah, konnte sie sich an fünf Fingern abzählen. Frauen hatten im krassen Gegensatz zu den Männern keusch in die Ehe zu gehen und wurden mitunter empfindlich bestraft, wenn sie es nicht mehr waren. »Fürchtet Euch nicht«, erwiderte Günther jetzt und schob langsam ihr Nachthemd etwas höher. »Ich bin ein erfahrener Ehemann und werde Euch ganz bestimmt nicht unnötig weh tun. Entspannt Euch und lasst mich die Ehe vollziehen.« »Ja«, flüsterte sie wieder und gehorchte ihm widerspruchslos. Und ohne einen Schmerzenslaut auszustoßen, nahm sie die schallende Ohrfeige hin, die er ihr nach dem Akt verpasste. 41
»Ihr seid ja keine Jungfrau mehr!«, schrie er sie an und sprang aus dem Bett. »Euer Vater hat mich betrogen. Er hat mir... beschädigte Ware... geliefert, für die ich obendrein noch zahlen musste.« »Er hat nicht gewusst, dass ich mich einem anderen Mann hingegeben habe«, verteidigte sie den Burgvogt, obwohl sie diesem ihre Freundschaft mit Klaus von Althum nicht verschwiegen hatte. »Und warum hat dieser Kerl Euch nicht geheiratet?«, fragte Günther aufgebracht, während er eine Kerze anzündete und sich in aller Eile wieder anzog. »Weil er fort gegangen ist. Ich weiß nicht, wohin und will es auch nicht wissen, sondern Euch eine treue und fleißige Frau sein.« »Und wann hat er Euch verlassen, dieser ehrlose Wicht?« »Im nächsten Sommer werden es zwei Jahre. Ich bin nicht schwanger, wenn Ihr darum besorgt seid. Eine Hebamme wird das sehr leicht feststellen können.« »Es freut mich, dass Ihr selber daran denkt«, versetzte er mit beißendem Spott. »Ich werde zu geeigneter Zeit eine solche Frau zu Euch schicken, denn ich habe keine Lust, mir von Euch ein - Kuckucksei - ins Nest legen zu lassen. Und vorher, Madame, werde ich nicht mehr das Lager mit Euch teilen.« Er warf ihr noch einen grollenden Blick zu und stolzierte hinaus. Anna atmete jedoch auf. Er hatte sie nur geschlagen und beschimpft und würde sich irgendwann beruhigen. Und im Gründe genommen war es ihr sehr recht, dass sie dieses große schöne Bett nun für sich ganz allein hatte. Der Tag war anstrengend genug und zusammen mit ihrer Angst kaum zu ertragen gewesen. Doch nun wusste ihr Gemahl endlich Bescheid. Er konnte sich nun ärgern oder auch nicht. Er konnte mit ihr schelten oder sie künftig übersehen. Ihr war es egal. Mit einem leisen Seufzer kuschelte sie sich in die Kissen und war Sekunden später fest eingeschlafen. * Die Hebamme, die Günther von Mauritz sechs Wochen später kommen ließ, weil seine Gemahlin angeblich eine Fehlgeburt erlitten hatte, stell42
te fest, dass sie (natürlich) nicht schwanger war. Mit dieser Aussage war der misstrauische Handelsherr dann auch endlich zufrieden. Er schickte die Frau mit einem saftigen Schweigegeld fort und war nun bereit, seiner Frau irgendwann diesen ›vorehelichen Fehltritt‹ zu verzeihen. Anna hatte unterdessen ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter übernommen. Sie führte das Hausbuch und wachte über einen reibungslosen Tagesablauf, führte Neuerungen in der Küche ein und ließ schmackhaftere Gerichte auf den Tisch bringen. Ihr Mann dankte ihr das nicht, er füllte sich nur den Bauch mit all den Delikatessen und Leckereien, was ihr letzten Endes auch genügte. Rieke und Meike gefielen besonders die Süßspeisen, so dass Anna aufpassen musste, dass sie nicht zuviel davon aßen und sich den Magen verdarben. Ja, die Mädchen waren recht unkompliziert und sagten bereits ›Mama‹ zu ihr. Auch mit der Dienerschaft kam sie gut zurecht, besonders mit der alten Käthe, mit der sie oft im Garten saß und den Mädchen beim Spielen zuschaute. Das einzige Problem war und blieb ihr Ehemann. Er hatte bis jetzt noch nicht wieder das Schlafzimmer betreten. Er schlief in einer der Kammern, die für Gäste vorgesehen waren. Und dort schlief er meistens nicht allein, wie ihr Käthe Bärwald vor kurzem anvertraut hatte. »Und nun gebt Ihr mir die Schuld?«, hatte Anna spröde gefragt, doch die Alte hatte lächelnd protestiert: »Aber nein, ganz und gar nicht. Ich kenne den Herrn seitdem er auf diese Welt gekommen ist und weiß, dass er manchmal ein großer Sturkopf ist. Aber er mag auch die Frauen und hat seine erste Gemahlin wahrhaft geliebt. Macht Euch hübsch und macht Euch rar, Herrin. Und sagt ihm, dass Ihr ihn durchschaut habt. Dann wird er Euch bald nachlaufen wie ein junger Hund. Eine Frau hat viel Macht über ihren Mann, wenn er recht oft bei ihr schläft.« Doch so einfach, wie die Alte glaubte, war es leider nicht. Das stellte Anna wieder einmal fest, als sie an diesem Abend allein in ihrem Wohnzimmer saß und im Schein der Kerzen einen Riss in einem ihrer 43
Kleider stopfte. Sie war abends meist allein, denn Gäste empfing ihr Mann nicht oft und die Kinder schliefen um diese Zeit schon. Um so erstaunter war sie, als er jetzt doch den Raum betrat, sich auf eine Bank setzte und übergangslos sagte: »Die Hebamme hat mir bestätigt, dass Ihr nicht schwanger seid.« »Es ist das gleiche, was ich Euch am Tage unserer Hochzeit gesagt habe.« Anna sah kaum von ihrer Näharbeit auf. »Euer Misstrauen, das mich sehr gekränkt hat, war somit völlig überflüssig.« »Ich musste mir Sicherheit verschaffen«, rechtfertigte er sich. »Schließlich kenne ich Euch kaum und musste damit rechnen, dass Ihr mich von Anfang an belügt und betrügt.« »Es stimmt, Ihr wisst nichts von mir, aber ich weiß so einiges von Euch, zum Beispiel, dass ein anderes Weib Euch das Bett wärmt. Ich habe Euch nicht betrogen, denn damals haben wir uns noch gar nicht gekannt. Ihr aber betrügt mich jetzt, obwohl ich vor Gott und den Menschen Eure Ehefrau bin.« »Redet kein dummes Zeug! Lasst lieber diese elende Stichelei und kommt mit ins Bett. Ihr wisst, dass ich mir einen Sohn wünsche.« Er stand auf, nahm ihr das Kleid aus den Händen und warf es auf den Tisch. »Ich werde Euch erst zu Willen sein, wenn Ihr jede Nacht bei mir schlaft und Euch nicht im Gästezimmer mit der Küchenmagd verlustiert. Ich teile meinen Ehemann nicht mit einer anderen.« »Was erlaubt Ihr Euch?«, brauste er auf. »Ich kann in meinem Hause doch wohl noch machen, was ich will.« »Natürlich könnt Ihr das.« Annas Stimme klang sanft. »Aber ich bin nicht irgendein Stück Möbel, das Ihr hin und her schieben könnt, so wie es Euch passt. Ich bin Eure Frau und die Herrin des Hauses, die Ihr zu respektieren habt. Wenn Ihr unbedingt eine andere Frau braucht, dann geht doch in ein Freudenhaus.« Nach dieser verbalen Attacke war er sekundenlang nicht in der Lage zu antworten. Er machte den Mund auf und wieder zu, bevor er unbeherrscht schrie: »Eure Frechheit werde ich Euch ein für alle Mal austreiben. Ich werde Euch übers Knie legen.« 44
Er kam drohend auf sie zu, wich aber zurück, als sie höhnisch sagte: »Ist Gewalttätigkeit Eure Art, ein Weib zu erobern? Dann kann sich Eure erste Frau glücklich preisen, dass sie nun im Himmel ist.« »Ihr habt eine sehr scharfe Zunge. Da ist es kein Wunder, dass Euch Euer Liebhaber fortgelaufen ist. Wer will schon ein zänkisches Weib haben?« Anna erhob sich, ging zu ihm und blickte ihn ernst an. »Ich bin kein zänkisches Weib«, erwiderte sie ruhig. »Aber ich bin auch keine dumme Gans, die sich von Euch alles bieten lässt. Ich werde meine Pflichten erfüllen, wenn Ihr die Euren erfüllt und mich meinem Stand entsprechend behandelt und respektiert. Könnt Ihr das nicht, werde ich um Aufnahme in ein Kloster bitten und Ihr könnt Euch eine andere Frau suchen, die Euch einen Sohn schenkt.« »Zum Teufel noch mal! Ich werde...« Der innerlich tief beschämte, nach außen hin außerordentlich empörte Handelsherr rauschte hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. Und so erfuhr Anna nicht, was er nun zu tun gedachte. Sie erfuhr es übrigens nie, denn Günther von Mauritz trat am nächsten Tag eine längere Reise an. Und als er nach sechs Wochen wiederkam, hatte er seine geplanten Strafmaßnahmen anscheinend vergessen. * Monate vergingen, in denen Anna ihren Gemahl nur selten sah. Zu stolz und selbstherrlich, um sein Unrecht einzusehen, bedachte er seine junge Frau mit Nichtachtung und holte sich weiterhin die Spülmagd oder eine andere Dienerin ins Bett. Vermutlich sollten ihn diese Frauen von seinen durchaus berechtigten Sorgen ablenken, denn mehr denn je trieben die Piraten ihr Unwesen auf der Nord- und Ostsee und hatten schon auf so manchem Handelsschiff fette Beute gemacht. Die meisten dieser so genannten Kaperfahrer hatten längst den eigentlichen Zweck ihres Auftrages vergessen und wussten die Waren hanseatischer Kaufleute sehr zu schätzen. Im Grunde waren sie nur Strauchdiebe, die ihr elendes Handwerk auf dem Meer ausübten. 45
In dem politischen und militärischen Gerangel um die Macht im gesamten skandinavischen Bereich hatten sie es auch relativ leicht, ihren eigenen Geldbeutel zu füllen und waren so flüchtig wie der Wind, wenn man ihrer habhaft werden wollte. Da mochten der Stralsunder Bürgermeister und andere einflussreiche Vertreter der Hanse noch so hinter ihnen her sein, es gelang ihnen einfach nicht, sie zu fassen. Doch nun nahte der Winter, nun würde man etwas ruhiger leben, denn die Piraten zog es jetzt in ihre Schlupfwinkel, wo sie in der schlechten Jahreszeit zu hausen pflegten. Anna ahnte nicht, dass Klaus zu dieser Zeit zusammen mit Goedeke und der gesamten Mannschaft der ›Maria Anna‹ in einem solchen Ort angekommen war. Sie hatten in den vergangenen Wochen drei Handelsschiffe überfallen und deren Waren zum überwiegenden Teil illegal nach Stockholm geschafft, dessen Bewohner infolge der dänischen Belagerung am Hungertuch nagten. Doch da auch Seeräuber leben mussten und der Winter erfahrungsgemäß sehr lang war, hatte Goedecke grinsend angeordnet, genug Wein, Bier und Vitalien auf dem Schiff zu lassen und später an Land zu schaffen. Nur so würde es ihnen möglich sein, Frost und Schneesturm erfolgreich die Stirn zu bieten. Als so genanntes ›Winterquartier‹ hatten sie die Insel Rügen gewählt, wo sie in der Nähe des Fischerdorfes Saßnitz in den Schluchten der Kreidefelsen ihr Lager aufschlagen und ein Feuer anzünden konnten, ohne dass sie von jemandem gesehen wurden. Vielleicht würde man sich auch mit den Dörflern anfreunden und einige Waren tauschen können, zum Beispiel Schmuck und Pelze, die man dann und wann auch erbeutet hatte, gegen frisches Schweineoder Hammelfleisch, ein paar fette Gänse oder Wildbret. Sie ankerten in einer versteckten Bucht, fuhren mit Booten zum Ufer und versteckten diese dann im Unterholz. Mit Vorräten, Waffen und allerlei Gerätschaften beladen, nutzten sie den schmalen, aber festen Pfad, der vom Strand zu einem Hochuferweg führte. Von dort aus war es nicht weit zu den Höhlen, in denen einstmals schon die Wikinger gehaust haben sollten. Da Holz genug vorhanden war, ge46
nügte Störtebekers Befehl zum Hütten bauen, dass die Zimmerleute sofort mit der Arbeit begannen. Im Dorf bemerkte man von der Ankunft der Piraten vorerst nichts, bis eines Abends vier fremde Männer die Schenke betraten. Sie setzten sich an einen Tisch, der vom Licht der Kerzen kaum erreicht wurde und einer von ihnen rief laut nach dem Wirt. »Ich komme ja schon.« Hannes Wichmann eilte auf sie zu und erkundigte sich nach den Wünschen der Männer. »Setzt uns ein Spanferkel mit Kohl vor und bringt Bier und Wein«, antwortete ein blonder Hüne. »Wir haben großen Hunger und ebensolchen Durst.« »Wie es den Herren beliebt.« Der Wirt ahnte, dass es sich bei diesen rauen Gesellen um Piraten handelte, doch solange sie die Zeche bezahlten und er mit ihnen gute Geschäfte machte, hatte er nichts gehört und gesehen. In diesen schwierigen Zeiten musste jedermann zusehen, wo er blieb. Aus diesem Grund flüsterte er Frau und Tochter zu, diese Gäste schnellstens zu bedienen und keine Fragen zu stellen. Sich selbst beglückwünschte er zu der Idee, gerade heute ein Spanferkel über dem Feuer zu haben. So dauerte es nicht lange, bis die Wirtstochter reich gefüllte Näpfe und Teller sowie Krüge mit Wein und Bier auf den Tisch stellte. Goedecke Micheel stieß einen anerkennenden Pfiff aus, als das Mädchen gegangen war und meinte grinsend: »Hat ein ansehnliches Hinterteil, die Kleine.« »Und ordentlich was in der Bluse«, fügte Henning Larsen begehrlich hinzu. »Man könnte glatt das Spanferkel vergessen, wenn man nur...« »Keine Liebschaft hier im Ort!« Der Kapitän warf seinen Männern einen durchdringenden Blick zu und trank dann seinen Becher mit Wein in einem Zug aus. Der Aufenthalt im Wirtshaus dauerte kaum mehr als eine Stunde. In dieser relativ kurzen Zeitspanne hatten die vier Seeleute das Ferkel vernichtet, die Krüge leer getrunken und machten sich nun frisch gestärkt auf den Heimweg. 47
Klaus verließ als letzter die Schenke, blieb dann noch einen Augenblick stehen und schaute noch einmal zu der Wirtstochter. Sie hieß Clara und gefiel ihm, auch wenn sie nicht ganz so schön wie Anna war. Ihre Gestalt war größer und gröber, aber auch kraftvoller. Und sie hatte ein von der Sonne gebräuntes Gesicht, in dem die Augen so dunkel wie Schlehen funkelten. Ihre Haare, die unter dem Tuch hervorlugten, waren ebenfalls dunkel. Und sie war noch nicht verheiratet. Das hatte er inzwischen schon herausbekommen. Jetzt lächelte sie ihm verheißungsvoll zu. Dabei wurde ihm sehr warm - und daran waren weder das Ferkel noch der Wein schuld. »Nun komm schon, Klaus.« Goedecke stieß ihn feixend an. »Die da ist nichts für dich. Oder willst du Bekanntschaft mit einer Bratpfanne machen? Die haut dir der Wirt nämlich über den Schädel, wenn du es mit seiner Tochter treibst.« Störtebeker lachte nur und folgte dann den anderen. * Anna war dabei, sich an diesem Abend einen sehr seltenen Luxus zu erlauben. Sie hatte die Mägde angewiesen, in ihrer Kemenate - direkt vor dem Kamin - einen großen Zuber aufzustellen und diesen mit warmen Wasser zu füllen; Sie wollte ein Bad nehmen und hatte bereits eine Essenz aus Stockrosen, Johanniskraut, Kamille und Spitzwegerich in das dampfende Wasser geschüttet. Als die Mägde bis auf Lene gegangen waren, ließ sie sich von dem Mädchen beim Auskleiden helfen und stieg dann in das duftende Wasser. Herrlich war das -und so entspannend. Ihr war so, als würden ihre Sorgen plötzlich kleiner und sie fühlte sich leicht und unbeschwert. Ein Abglanz dieser inneren Zufriedenheit spiegelte sich auf ihrem Gesicht wider, zumal sie ins Träumen geriet. Sie wünschte sich, mit Klaus wieder am Strand zu liegen und von ihm geküsst und gestreichelt zu werden. Doch Klaus hatte sie verlassen. Sie würde ihn wahrscheinlich niemals mehr wieder sehen. Damit musste sie sich abfinden. Und im Grunde genommen war das auch besser so. Das riet ihr ihr Verstand, ihr Herz allerdings nicht. 48
Sie schloss die Augen, machte sie aber gleich wieder auf und starrte erschrocken auf ihren Ehemann. Ihre Brüste mit den Händen bedeckend, stammelte sie: »Wo... wo kommt Ihr denn auf einmal her? Und wo ist das Mädchen?« »Ich habe Lene fortgeschickt, Ihr braucht sie nicht, denn ich werde Euch beim Abtrocknen helfen.« Günthers Lächeln ließ keinen Zweifel aufkommen, wie er sich das ›Abtrocknen‹ im einzelnen vorstellte. Sie war zwar anderer Ansicht, schwieg jedoch und tat so, als würde sie seine Lust auf sie nicht bemerken. »Ich habe auch die Mathilde weggeschickt«, meinte er nun beiläufig und setzte sich auf einen Stuhl, wobei er sie keine Sekunde aus den Augen ließ. »Sie wird künftig der Frau vom Goldschmied Johannsen zur Hand gehen.« »Ach ja?«, erwiderte sie ironisch. »Ja!«, wetterte er. »Mir bleibt ja nichts weiter übrig, als auf Eure Bedingungen einzugehen, wenn ich zu einem Sohn kommen will.« Anna verkniff sich eine schadenfrohe Bemerkung. Es war nicht gut, ihren stolzen Herrn Gemahl zu verärgern. Daher meinte sie nur: »Das Wasser wird allmählich kalt. Würdet Ihr bitte so freundlich sein und mir das Badelaken herüberreichen?« »Selbstverständlich.« Er nahm das Tuch, das auf einer Bank in der Nähe des Feuers lag, behielt es jedoch in der Hand und befahl: »Steigt aus dem Zuber, damit ich Euch abtrocknen kann!« Es war ihr zwar peinlich, sich ihm so unverhüllt zu zeigen, aber sie gehorchte und fand nicht nur die Wärme des Lakens als sehr angenehm, sondern auch seine breite Brust und seine streichelnden Hände. Und sie hatte auch nichts dagegen, dass er sie kurz darauf auf die Arme nahm und zum Schlafzimmer trug. »Anna, du machst mich ganz verrückt«, raunte er ihr verlangend zu, als er sich ausgezogen hatte und neben ihr im Bett lag. »Du bist so schön, so weich und warm. Ich halte es kaum noch aus... ich muss dich haben.« »Das ist doch Euer Recht, Ihr könnt doch immer zu mir kommen, Ihr seid doch mein...« Weiter kam sie nicht, denn er hatte seinen Mund auf den ihren gepresst und küsste sie leidenschaftlich. 49
* Nach den anstrengenden Monaten auf dem Meer frönte die Mannschaft der ›Maria Anna‹ nun mehr oder weniger dem Müßiggang. Bis auf diejenigen, die für Brennholz zu sorgen hatten, auf die Jagd gingen und später das Essen zubereiteten, tat man kaum etwas, sondern vergnügte sich beim Würfeln und mit anderen Geldspielen. Der Kapitän fand das in Ordnung, er schlief viel und studierte oft stundenlang Seekarten. Klaus hingegen war unruhig. Die Langeweile und das Verlangen nach einer Frau setzten ihm mehr und mehr zu, so dass Goedecke an diesem Nachmittag leise zu ihm sagte: »Du solltest gegen Abend zum Dorf gehen. In der Dunkelheit wirst du kaum jemandem auffallen. Nimm den Karren und hole uns vom Wirt ein Fass Wein.« »Wir haben doch noch welchen.« »Sicher, aber solchen nicht. Nun mach schon und vergiss nicht, der Wirtstochter die Kehrseite zu tätscheln.« Goedecke Micheel lachte dröhnend und amüsierte sich über die verblüffte Miene seines Freundes. »Du hast doch gesagt, keine Liebschaft im Dorf«, erwiderte Klaus verständnislos. »Als wenn du dich nach meinen Befehlen richten würdest. Früher oder später würdest du heimlich verschwinden. Das passt mir nicht. Also verschwinde mit meinem Segen und halte den Mund gegenüber den anderen.« »Vielen Dank, Kapitän.« Klaus lachte nun auch und machte eine sehr übertriebene Verbeugung, schlüpfte bald darauf in seinen Pelz und eilte zum Dorf. An Anna dachte er dabei nicht. Er würde sie zwar niemals vergessen, aber sie war ja so weit fort und vorläufig unerreichbar. Und sie musste ja nicht erfahren, dass es ihn vorübergehend zu einer anderen zog. Im Wirtshaus empfing ihn die übliche Geschäftigkeit, einige Männer musterten ihn mit schiefen Blicken, aber niemand sagte ein Wort gegen ihn. Man wollte wohl seine Fäuste nicht spüren. Zu seiner gren50
zenlosen Enttäuschung war die hübsche Wirtstochter nirgends zu sehen, so dass er schon annahm, er würde unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen. Doch dann begegnete er ihr in dem Augenblick, als er das Weinfass auf den Karren geladen und festgezurrt hatte. Sie nickte ihm zu, blieb aber nicht stehen, sondern verschwand im Stall, der zur Schenke gehörte. Klaus sah das als unmissverständliche Aufforderung an. Er schob seinen Karren hinter einen Stapel Holz, ging dann mit raschen Schritten zum Stall und zog die Tür beinahe geräuschlos hinter sich zu. Clara Wichmann hatte ihn aber dennoch gehört. Sie fuhr erschrocken herum und ließ das Bündel Heu fallen, das sie den beiden Kühen vorwerfen wollte. Es landete direkt vor Störtebekers Füßen. »Aber Mädchen, ich bin doch keine Kuh«, meinte er lächelnd, hob das Bund auf und beförderte es in die Raufe. Die Kühe glotzten ihn daraufhin dankbar an und begannen mit ihrer Mahlzeit. »Nein, aber ein Stier, der hier völlig überflüssig ist«, erwiderte sie mit nachsichtigem Spott und wollte an ihm vorbeigehen. Das gelang ihr selbstverständlich nicht, denn Klaus versperrte ihr den Weg, indem er sie mit beiden Armen umfing, fest an sich drückte und stürmisch küsste. Dass Clara nicht die zarte Anna war, hatte er schon vor ein paar Tagen festgestellt, dass sie aber so kräftig war, ihm einen wohl gezielten Tritt zu verpassen, hatte er aber doch nicht angenommen. Laut stöhnend ließ er sie los und keuchte: »Willst du mich umbringen?« »Warum sollte ich das wollen? Ich will Euch mir nur vom Leibe halten.« Er hatte den ersten Schmerz schnell überwunden und stotterte nun entgeistert: »Aber... ich... ddachte, du... wwillst mich... auch.« »Ich bin ein ehrbares Mädchen und lasse mich nicht überrumpeln. Ihr wollt mir doch nur unter den Rock greifen und mich ins Heu zerren. Dafür bin ich mir zu schade. Macht, dass Ihr hinauskommt!« Sie gefiel ihm immer besser. Es würde eine wahre Freude sein, sie für sich zu gewinnen. Und er hatte ja Zeit, der Winter war noch lang 51
und irgendwann würde sie schon nachgiebiger sein. Dann würde sie ihre Arme um ihn schlingen und seine Sehnsucht gern stillen. »Ich gehe ja schon«, erwiderte er und seine Augen blitzten sie belustigt an. »Aber ich komme wieder. Und dann hoffe ich, von dir etwas freundlicher empfangen zu werden.« »Darauf könnt Ihr warten, bis Ihr schwarz werdet.« Clara lachte klingend und hatte, ehe er es sich versah, den Stall verlassen. Sie war an ihm vorbeigeschlüpft, ohne dass er noch einmal nach ihr greifen konnte. Klaus machte nun keine weiteren Versuche mehr, sie einzufangen. Er grinste nur anerkennend, ging hinaus und schnappte sich den Karren mit dem Wein. Durchaus nicht unzufrieden dachte er: Das Weib
will erobert werden. Das kann sie haben. So etwas mache ich doch sehr gern. *
Günther von Mauritz war in Anna verliebt wie ein Jüngling. Aber er war kein Jüngling mehr, sondern ein gereifter Mann von dreiunddreißig Jahren, dem die Ideale der Jugend schon längst vergangen waren. Das hatte er jedenfalls geglaubt. Doch jetzt, da er mit ihr das Lager teilte, hätte er am liebsten von seiner Liebe zu ihr gesungen und Verse geschmiedet. Selbstverständlich tat er nichts dergleichen, er würde sich doch nicht lächerlich machen. Für solche Narreteien war er doch schon viel zu alt. Seine Frau würde ihn auch ohne langatmige Liebeserklärungen verstehen. Würde sie das wirklich? Hatte sie überhaupt Interesse an seiner Zuneigung? Oder stand ihr der Sinn nach einem Burschen in ihrem Alter, der zu ihren Füßen lag und um ihre Liebe flehte? Der Handelsherr neigte zur Eifersucht. Er wusste das und wusste auch, dass er in dieser Hinsicht manchmal Dinge sah, die gar nicht existierten. Aber er war davon überzeugt, dass seine Vernunft ihn stets davon abhalten würde, seine Frau zu schelten, sollte ein anderer Mann sie jemals verlangend betrachten. 52
Seine theoretischen Grundsätze waren gut, sie verließen ihn jedoch in dem Augenblick, als ein junger Mann vor dem Haus Liebeslieder zur Laute sang und gar nicht mehr damit aufhören konnte. Auf den Gedanken, dass diese Minnedienste einer anderen Frau gelten konnten, kam Günther jedoch nicht. Er sah nur den Burschen - und Anna, die oft am Fenster stand und das Treiben auf der Straße beobachtete. Dabei stellte er sich vor, dass die beiden sich durch Zeichen verständigten, um ihm eines Tages Hörner aufzusetzen. Soweit durfte es gar nicht erst kommen. Daher würde er seinen Schatz hüten müssen, koste es, was es wolle. Dass seine Stimmung darunter beträchtlich litt, fiel ihm nicht auf. * Anna hatte geglaubt, das Verhältnis zu ihrem Mann würde sich nun allmählich bessern, jetzt, wo sie endlich schwanger war und sie ein gemeinsames Schlafzimmer benutzten. Doch sie hatte sich geirrt. Günther ging ihr meist aus dem Wege und erinnerte sich nur an sie, wenn ihn typisch männliche Bedürfnisse quälten. Sie tröstete sich mit der Erziehung von Rieke und Meike und widmete sich der Kräuterheilkunde. Etwas anderes blieb ihr kaum übrig, denn ihr Leben war einsamer als je zuvor. Bei ihren Eltern hatte sie wenigstens noch mit Freundinnen plaudern oder Spazierengehen können, hatte an Festen teilgenommen und Jahrmärkte besuchen dürfen. Alle diese harmlosen Vergnügungen hatte ihr Günther strikt verboten mit der Begründung, sie könne sich zu sehr anstrengen oder hinfallen und dabei das Kind verlieren. Es ging ihm demnach nur um das Kind. Sie war nur der Körper, in dem es heranwuchs. Deshalb war davon auszugehen, dass ihr Ehemann sie noch einige Male in gesegnete Umstände versetzen würde, bis die Nachfolge gesichert war. Danach brauchte er sie nicht mehr und würde sie vermutlich noch schlechter behandeln als jetzt. Inzwischen war es Januar geworden und bitterkalt. Obwohl sämtliche Kamine und Öfen geheizt wurden, war es im Haus kaum warm, auch im Zimmer der Mädchen nicht. Deshalb ließ Anna die Betten von 53
Rieke und Meike in ihr Wohnzimmer schaffen, das von allen Räumen noch am wärmsten war. Leider hatte sie ihren Mann nicht um Erlaubnis gefragt. Sie hatte das für überflüssig gehalten, weil die Erziehung und Betreuung der Kinder zu ihrem Aufgabengebiet gehörte und sie dabei lediglich von der alten Käthe unterstützt wurde. Doch sie hatte sich auch in diesem Fall getäuscht. Ihr Mann, dem natürlich nichts entging, ließ sie durch Lene in sein Kontor beordern, als wäre sie eine seiner Dienerinnen. »Setzt Euch!«, begann er kühl und deutete auf einen Lehnstuhl. »Ich habe mit Euch zu reden oder besser gesagt, Euch nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass ich hier der Hausherr bin und sämtliche Wünsche nach Veränderungen mir vorzutragen sind. Ich entscheide dann, ob Möglichkeiten bestehen, sie auszuführen. Versteht Ihr? Ich nicht Ihr.« Anna hatte sich gesetzt und fragte nun mit bebenden Lippen: »Was meint Ihr, mein Herr Gemahl? Ich habe nichts ändern lassen. Alle Möbel stehen noch so wie bei meinem Einzug. Ich habe auch niemanden von der Dienerschaft entlassen.« »Und was ist mit den Betten der Mädchen? Stehen die etwa nicht in Eurer Kammer?« »Doch, aber nur vorübergehend. Es ist so kalt und der Ofen im Kinderzimmer nur klein. Er schafft es nicht, den Raum ordentlich zu erwärmen. Ich war in Sorge um die Gesundheit Eurer Töchter.« »Das mag schon sein«, blaffte er sie an. »Ihr hättet aber trotzdem zu mir kommen müssen. Vielleicht hätte ich eine bessere Lösung gefunden. Aber so seid Ihr nun einmal. Ihr stellt Bedingungen, vergeudet mein Geld für teures Essen und handelt stets eigenmächtig. Nun ja, von einem lockeren Frauenzimmer kann man ja nichts anderes erwarten.« Anna zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. Sie wurde sehr blass, fand aber die Kraft, ruhig zu antworten: »Verzeiht, ich habe vergessen, dass ich hier nur eine bessere Magd bin. Ich werde künftig daran denken und daher bitte ich Euch, mir nun zu sagen, wo die Mädchen während dieser Kälte schlafen sollen.« 54
»Da Ihr die Sache nun eingerührt habt, kann ich sie nicht mehr rückgängig machen. Mögen die Mädchen in Eurer Kemenate schlafen. Sorgt aber dafür, dass sie Euch nicht belästigen oder Euch mit ihrem ungebärdigen Naturell zu Fall bringen. Denkt an das Kind, das Ihr erwartet.« »Ich werde daran denken.« Die junge Frau stand langsam auf und verharrte so, um weitere Befehle und Zurechtweisungen entgegenzunehmen. Doch es kamen keine, nur ein schroffes: »Ihr könnt gehen.« Anna tat es, war allerdings vollkommen verstört. Sie wusste später nicht zu sagen, wie sie in ihre Kemenate gekommen war. Ohne etwas bewusst von ihrer Umgebung wahrzunehmen, setzte sie sich auf eine Bank. Ihre Gedanken flatterten wirr durcheinander, aber eines wusste sie jetzt ganz genau: Der Falkner hatte unrecht gehabt, als er sagte, sie würde es bei ihrem Ehemann besser haben als bei ihrem Vater. Es stimmte ganz und gar nicht, sie hatte nur schönere Kleidung, war aber sonst nicht besser gestellt als eine Leibeigene. Sie musste sogar über ihre persönlichen Ausgaben einmal in der Woche Rechenschaft ablegen, als wäre sie ein Kind, das nicht rechnen konnte. Und das Schlimmste war, dass sie diesen Teufelskreis nicht durchbrechen konnte. * Als die Mädchen kamen, die so lange bei Käthe Bärwald in der Küche gewesen waren, saß sie immer noch auf der Bank und starrte trübe vor sich hin. »Seid Ihr krank, Mama?«, fragte Rieke und blickte sie ängstlich an, während Meike sich an sie kuschelte. »Nein, ich bin nicht krank. Ich habe mich nur ein wenig ausgeruht. Doch nun erzählt mir, was ihr heute gespielt habt.« Das ließen sich die beiden nicht zweimal sagen. Sie wussten so viel zu berichten, von Abzählreimen, Hüpfspielen und bunten Murmeln. »Das macht alles großen Spaß, Mama«, meinte Rieke zum Schluss. »Aber am schönsten wäre, wenn wir ein Haustier hätten. Ein 55
ganz kleines würde uns schon genügen. Könnt Ihr nicht den Vater fragen, ob wir eines bekommen können?« Anna lächelte wehmütig und dachte an ihre eigene Kinderzeit. Ihr Vater war auch streng und selbstherrlich (so wie viele Männer), aber er hatte sich nie um den Haushalt und die Erziehung der Kinder gekümmert. Das war das Ressort seiner Frau und so hatte er seinerzeit nur ein wenig gebrummt, als die Mutter ihr einen kleinen Hund geschenkt hatte. Wenn sie, Anna, den Mädchen ein Tier schenken würde, dann musste sie jedoch mit einer Strafpredigt rechnen. Um Meike und Rieke nicht zu sehr zu enttäuschen, erwiderte sie matt: »Ich werde es versuchen. Habt ein bisschen Geduld.« »Die haben wir, Mama«, zwitscherten die Kleinen zweistimmig und umarmten sie stürmisch, aber sie konnten ihre Stiefmutter damit nicht von ihren Zukunftsängsten befreien. Und diese drehten sich vor allem um die Befürchtung, dass Günther ihr das Kind, sollte es wirklich ein Sohn sein, bald nach der Geburt wegnehmen würde, um es von einer Amme nähren und betreuen zu lassen. * Clara Wichmann war eine harte Nuss und ließ sich von seinem Charme durchaus nicht beeindrucken. Klaus stellte das an diesem Abend zum wiederholten Male und sehr ärgerlich fest. Wie immer war er auf den Heuboden über dem Stall gekrochen und wartete darauf, dass die Wirtstochter kam. Das tat sie meist auch - aber immer nur für wenige Minuten, in denen er ihr lediglich ein paar Küsse geben konnte. Wenn er mehr wollte, dann lachte sie ihn aus, warf eine Handvoll Heu nach ihm und verschwand blitzartig. Missmutig fragte er sich, wie lange er sich das wohl noch bieten lassen würde. »Klaus, bist du da?« Ihre leise Stimme mäßigte seinen Groll und er flüsterte zurück: »Hier bin ich doch, Schätzchen. Komm nur her und wärme mich.« 56
Sie tastete sich zu ihm vor und landete direkt in seinen Armen. »Endlich kommst du«, raunte er ihr zu. »Du hast mich heute recht lange warten lassen.« »Es ging nicht anders. Der Vater brauchte mich in der Wirtsstube. Doch nun schafft er es allein und glaubt, dass ich in meiner Kammer bin.« »Hoffentlich glaubt deine Mutter das auch.« »Vielleicht tut sie es, vielleicht auch nicht«, versetzte Clara und lachte leise. »Sie hat sich den rechten Fuß verknackst und liegt im Bett. Sie wird nicht nachschauen können, ob ich schon schlafe. Und der Vater hat sich zu seinen Gästen gesetzt und trinkt mit ihnen.« »Das ist ja wunderbar. Dann kannst du also etwas länger als sonst bleiben?« Klaus drückte sie fest an sich. Und als sie seine Frage bejahte, drückte er sie ins Heu, küsste sie stürmisch und ließ eine Hand unter ihren Rock gleiten. Langsam nur, damit er ihre Waden und Oberschenkel ausreichend streicheln konnte, bis er schließlich jenen geheimen Ort fand, nach dem er sich so sehr sehnte. »Lass das!« Clara schubste ihn heftig von sich und kicherte schadenfroh, als er einen Fluch ausstieß. »Bezähme dein Verlangen, Seemann«, setzte sie mit nachsichtigem Spott hinzu. »Oder suche dir eine Hafendirne, die nicht wählerisch ist.« »Clara, was soll das?«, rief er frustriert. »Wie lange willst du mich noch hinhalten? Kannst du denn meine Sehnsucht nicht verstehen?« »Doch, aber was hilft das? Du wirst mich nicht heiraten und ich kann kein Kind gebrauchen.« Er antwortete erst nach einer Weile. Und als er es tat, klang seine Stimme gepresst. »Du hast recht. Es ist für dich auch nicht erstrebenswert, mit einem Seemann...« »... oder Piraten«, warf sie ein. »Der Kapitän hat einen Kaperbrief«, stellte Klaus richtig, räumte dann jedoch ein: »Aber es ist natürlich auch so, dass wir dabei auch für unseren eigenen Unterhalt sorgen. Wir nehmen jedoch nur von den Reichen, die von ihrem Überfluss sowieso nichts abgeben und nie genug kriegen können, die sich nicht scheuen, immer neue Steuern und Abgaben zu erfinden, um das ohnehin schon arme Volk zu plündern. 57
Niemals würden wir einem Bauern das letzte Schwein stehlen, ganz im Gegenteil. Wir würden ihm noch eines schenken, damit er seine Familie satt bekommt.« Clara lächelte. Klaus konnte das zwar im Dunkeln nicht sehen, aber er hörte ihren Tonfall und wusste, dass sie ihn verstand, sie sagte nämlich: »Du bist kein Strauchdieb, das weiß ich und die meisten Leute im Dorf einschließlich meiner Eltern denken so. Aber es gibt auch Schwätzer und vor allem Neider. Du solltest dich unbedingt vorsehen.« »Ich weiß das nur zu gut«, entgegnete Klaus nüchtern. »Obwohl unser Herrgott uns alle zur Bescheidenheit und Nächstenliebe aufgerufen hat, predigt die Obrigkeit diese nur den armen Leuten und straft jene empfindlich, die sich über diese nicht nachvollziehbaren Gebote hinwegsetzen. Mir wollte man die rechte Hand abschlagen, weil ich das Verbrechen begangen habe, für hungernde Kinder Brot und Fleisch zu stehlen. Aber ich konnte noch rechtzeitig fliehen.« »Man wird dich vermutlich noch suchen.« »Ja, schon möglich. Es ist ja immer so, die Kleinen stellt man vor Gericht und die Großen lässt man laufen. Aber mich zu kriegen, wird nicht einfach sein. Ich bin nicht mehr so dumm wie damals.« »Sieh dich trotzdem vor. Es wäre sehr schade um dich.« Clara begann, seine muskulöse Brust zu streicheln, was ihm außerordentlich gut gefiel. Er schob ihre Hand tiefer und tiefer, schnurrte dann wie ein Kater und fühlte sich bald viel besser als zuvor. * »Die Mädchen haben bald Geburtstag, Herr«, begann Käthe Bärwald schüchtern, nachdem es ihr an diesem Vormittag endlich gelungen war, Günther von Mauritz zu sprechen. Er war tagelang unterwegs gewesen und vor einer Stunde erst nach Hause gekommen. Statt seine Familie zu begrüßen, war er sofort zu seinem Kontor gegangen, saß nun am Schreibtisch und schaute kaum von seinen Listen auf. »Das weiß ich doch«, entgegnete er ungehalten. »Um mir das mitzuteilen, bist du sicher nicht hergekommen. Heraus mit der Sprache! Was willst du eigentlich?« 58
»Ich möchte ihnen etwas schenken, möchte mich aber erkundigen, ob so ein Geschenk Euch recht wäre.« »Was soll ich dagegen haben, wenn du deine paar Münzen unbedingt für meine Töchter ausgeben willst? Was willst du ihnen denn schenken?« »Ein Haustier«, antwortete Käthe spröde. »Einen Hund, eine Katze oder einen Vogel. Die Mädchen würden sich sehr...« Sie kam nicht weiter, denn er unterbrach sie unwirsch: »Hund oder Katze haben in einem Haus nichts verloren, wo bald ein Säugling versorgt werden muss. Schenke ihnen meinetwegen einen Vogel. Den kann man im Käfig halten.« »Danke, Herr.« Die Alte machte einen Knicks und wandte sich zur Tür. Erst, als sie diese hinter sich geschlossen hatte, fiel ihm auf, dass sie in den letzten Wochen nur wenig mit ihm sprach, dass sie ihn mied und nicht mehr freundlich, sondern nur noch höflich war. So war sie immer, wenn ihr irgend etwas nicht passte. Und er fragte sich, was er ihr angetan haben könnte, kam jedoch nicht darauf. Leise seufzend erhob er sich, ging zum Fenster und schaute auf den Garten, in dem die ersten Frühlingsblumen blühten. Ob er Anna einen Strauß brachte? Nein, er schüttelte über diese absurde Idee sofort den Kopf. Wenn er sie verwöhnte, dann wurde sie übermütig. Es genügte, wenn sie ihr monatliches Nadelgeld bekam. Und Blumen würde sie erst zur Geburt des Kindes bekommen. Aber es war natürlich seine Pflicht, sich um seine schwangere Frau zu kümmern. Es brachte nichts, sie wie die Pest zu meiden. Sie würde ja nicht gleich merken, dass die Sehnsucht nach ihr ihm arg zusetzte und ihm die Stimmung verdarb. Wenige Minuten später betrat er ihre Kemenate, wo sie am Tisch saß und etwas in ihr Kräuterbuch schrieb. »Guten Tag, Anna«, sagte er brüsk und drückte sie, als sie aufstehen wollte, auf die Bank zurück. »Wie geht es dir und dem Kind?« »Es geht uns gut.« »So? Du wirkst aber kränklich und bist recht blass.« »Das sieht nur so aus. Ich fühle mich gut.« 59
Er konnte ihr nicht so recht glauben, war in Sorge und ordnete daher barsch an: »Das Kind braucht frische Luft. Komm, machen wir einen Spaziergang durch den Garten.« Sie erhob sich, nahm ihren Umhang, der an einem Haken an der Wand hing und schlüpfte hinein, ehe er ihr noch behilflich sein konnte. Danach ging sie neben ihm aus dem Haus, schweigend und in sich gekehrt. »Hast du schon mit der Hebamme gesprochen?«, erkundigte er sich, während sie langsam den Weg zum Obstgarten entlang gingen. »Ich wollte es, aber Frau Magnussen ist fortgezogen. Da wollte ich Eure Entscheidung abwarten.« »Warum denn das? Du weißt doch genau, dass es nicht Sache eines Mannes ist, über die Geburt des Kindes zu wachen. Also ich erwarte, dass du dich schleunigst um eine versierte Hebamme bemüht. Ich will, dass mein Sohn gesund auf die Welt kommt.« »Ja, Herr.« Ihre Antwort gefiel ihm nicht, doch da in diesem Moment Rieke und Meike auf ihn zu liefen, konnte er nichts mehr dazu sagen. * Clara war sehr traurig und konnte die Tränen kaum zurückhalten. Heute Abend würde Klaus sie wahrscheinlich zum letzten Mal besuchen, denn der Winter war vorbei und die Mannschaft der ›Maria Anna‹ würde in Kürze ihre Kaperfahrten wieder aufnehmen. Ob ich Klaus jemals wieder sehe?, dachte die junge Frau beklommen. Das Herz tat ihr weh, aber ihr Verstand sagte ihr, dass es auf die Dauer nicht gut war, einen Freibeuter zu lieben. Was wusste sie denn schon von ihm? Gar nichts, nicht einmal seinen Familiennamen. Die missbilligenden Blicke ihrer Mutter übersehend, verließ sie nach der Arbeit die Schenke und eilte zum Waldrand, wo Klaus auf sie zu warten pflegte. Sie hatten sich hier schon oft getroffen und waren anschließend immer zu der kleinen Hütte geschlichen, die Klaus ausfindig gemacht hatte. 60
Heute war er natürlich auch da, aber er war nicht so ruhig wie sonst, sondern nervös und besorgt. Sie ahnte, was ihn bedrückte und fragte geradeheraus: »Du musst fort, nicht wahr?« Er nickte. »Ja, so ist es. Im Laufe der kommenden Nacht brechen wir auf. Nun müssen wir voneinander Abschied nehmen. Komm, gehen wir in unsere Hütte.« Sie folgte ihm widerspruchslos, setzte sich dann auf die Bank, die in der Nähe der primitiven Feuerstelle stand und rieb fröstelnd die Hände aneinander. »Im Sommer wäre es hier viel angenehmer, aber im Sommer werde ich niemals hier sein können«, sagte Klaus mit gepresster Stimme und setzte nach einigen Atemzügen ernst hinzu: »Es war so schön mit dir. Aber ich weiß nicht, ob ich wiederkommen werde.« »Warum nicht?« Er zuckte mit den Schultern, während er einige Scheite Holz ins Feuer warf. »Das Leben auf See ist gefährlich. Man weiß nie, was kommt. Aber ich würde mich freuen, wenn du mich nicht ganz vergessen würdest.« »Wie könnte ich? Wir sind doch wie Mann und Frau miteinander. Vielleicht bekomme ich doch ein Kind von dir?« Hoffentlich nicht, dachte er. Ein Kind macht alles nur noch komplizierter. Doch er sagte nichts, sondern ging zu ihr, zog sie zu sich hoch und nahm sie fest in seine Arme. »Behalte mich lieb, kleine Clara«, flüsterte er ihr zu. »Vielleicht gibt es doch einen Weg, der zu dir zurückführt.« Sie antwortete nicht, schmiegte sich aber an ihn und strich liebevoll über seinen Rücken. Den Kopf an seine Brust gedrückt, versteckte sie ihre Tränen, so gut es ging. Und tief in ihrem Innern wusste sie, dass sie immer auf ihn warten würde. Sie blieben in dieser Nacht beieinander, wärmten sich am Feuer und an ihrer Liebe, bis Clara auf dem Lager mit den Bärenfellen einschlief. Als sie im Morgengrauen erwachte, war Klaus nicht mehr da. Nur ein Beutel mit Geldstücken lag auf dem Tisch. Sie nahm ihn an sich und versteckte ihn später zu Hause unter ihrem Strohsack. Noch brauchte sie dieses Geld nicht. 61
* Das Kind hätte nach den Berechnungen der Hebamme schon vor Tagen geboren werden müssen. Doch es tat sich nichts. Günther von Mauritz war inzwischen sichtlich nervös und verbrachte viel Zeit bei seiner Frau, so wie an diesem Nachmittag auch. Ihre steinerne Ruhe machte ihn noch unruhiger und er schimpfte: »Tu doch irgend etwas! Bewege dich oder sprich mit der Hebamme. Sie muss doch wissen, warum das Kind noch nicht da ist.« »Ich habe erst gestern mit ihr gesprochen«, erwiderte Anna tonlos. »Sie sagt, dass das Kind sich noch nicht genug gesenkt hat.« »Bei meiner ersten Frau ging alles viel schneller«, antwortete er verdrießlich und rannte im Raum hin und her wie ein gefangenes Tier. Diese Bemerkung brachte das Fass zum Überlaufen. Anna, die bisher in einem bequemen Sessel gesessen hatte, sprang abrupt auf und schrie: »Ich bin aber nicht Eure erste Frau und ich kann nichts dafür, dass das Kind noch nicht da ist. Und mit Euren ständigen Ermahnungen macht Ihr es mir auch nicht leichter. Ihr tut ja so, als hättet Ihr selbst schon ein Kind zur Welt gebracht. Und redet nicht dauernd von Eurem Sohn. Es kann genauso gut ein Mädchen werden. Sollte es jedoch so sein, dann werde ich natürlich wieder die Schuldige sein. Das weiß ich jetzt schon.« Er schaute sie verdattert an, räusperte sich und versetzte schließlich: »Nein, so ist es nicht. Ich werde mich auch über eine Tochter freuen. Du weißt doch, dass ich Rieke und Meike ein guter Vater bin.« »Natürlich seid Ihr das. Die Kinder sind ja auch von Eurer Hildegard, die Ihr noch immer liebt. Sollte ich jedoch eine Tochter bekommen, werdet Ihr diese genauso verachten, wie Ihr mich verachtet. Sie wird genau wie ich nur ein störendes Element in Eurem Hause sein. Ihr werdet sie genauso gängeln und von der Außenwelt fernhalten wie mich. Es soll ja niemand von Euren Geschäftspartnern merken, wie wenig Ihr mit der zweiten Frau zufrieden seid und wie wenig sie Euch gefällt. Ihr befürchtet wohl, dass man über Euren - Missgriff - spotten würde.« 62
»Aber Anna...«, brachte er mühsam hervor. »Ich... verachte dich doch nicht, ich wollte dich nur...« Er unterbrach sich entsetzt und starrte auf seine Frau, die stöhnend in den Sessel zurücksank. Sie wurde kreidebleich und zitterte. »Was ist geschehen?«, fragte er angstvoll, »Sag es mir doch. Komm, ich bringe dich ins Bett.« Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Mir fehlt nichts, aber ich glaube, dass das Kind jetzt kommt. Bitte geht und schickt die Hebamme und die alte Käthe zu mir.« Günther betrachtete sie einige Sekunden prüfend, dann ging er mit schnellen Schritten hinaus. Endlich ist es soweit, dachte er aufgeregt und flehte Gott an, dass er ihm einen gesunden Sohn schenken möge. Er verständigte umgehend sämtliche Frauen im Haus, ließ die Hebamme holen und verschanzte sich anschließend in seiner Amtsstube. Arbeiten konnte er selbstverständlich nicht, denn die schonungslosen Worte seiner Frau und die kurz bevorstehende Geburt plagten ihn so sehr, dass er weiche Knie bekam. So vergingen viele Stunden, bis er zu Beginn des nächsten Tages erfuhr, dass er einen hübschen und kräftigen Sohn bekommen hatte. Ein Sohn! Günther lachte vor Freude und nahm die tief betrübte Miene von Käthe Bärwald gar nicht wahr. Er rannte hinaus, die Treppe hinauf und blieb schließlich schwer atmend vor der Tür zur Kemenate seiner Frau stehen. Vorsichtig öffnete er diese, betrat den Raum und sah dann nur noch die Wiege, in der ein rotgesichtiges Bürschlein seelenruhig schlief. »Das ist ja ein Prachtkerl!«, rief er bewundernd, während er sich über die Wiege beugte und dem Kleinen über die Wangen strich. »Ja, das ist er«, bestätigte die Hebamme trocken. »Er wiegt mehr als acht Pfund und ist länger als eine Elle. Herzlichen Glückwunsch, Herr.« »Ich danke Euch für Eure Dienste und werde Euch nachher gleich Euren Lohn auszahlen. Doch vorher sollt Ihr Euch stärken. Ich werde Euch Wein und das Beste, was die Küche zu bieten hat, schicken lassen.« 63
»Nein, danke, ich möchte vorläufig nichts«, wehrte die Frau ab. »Ich muss jetzt zu Eurer Gemahlin. Es geht ihr nicht gut.« Der frisch gebackene Vater eines strammen Sohnes schaute sie entgeistert an und wiederholte betroffen: »Es geht ihr nicht gut? Warum denn nicht?« »Weil die Geburt so anstrengend war.« Diese Antwort kam von Käthe, die inzwischen wieder das Zimmer betreten hatte, während die Hebamme bereits zu Anna geeilt war. »Eure Frau hat viel Blut verloren, vielleicht zuviel.« »Mein Gott«, murmelte er und stieß die Tür zum Schlafzimmer auf. Mit wenigen Schritten stand er am Bett seiner Frau, sah sie dort liegen - bewusstlos und blass wie eine Tote. Tränen stiegen ihm in die Augen, die er hastig fortwischte. Er wollte vor dem Bett niederknien, doch seine ehemalige Amme hinderte ihn daran. »Lasst das und geht«, sagte sie herb. »Ihr habt hier nichts zu suchen.« Er schüttelte den Kopf, besann sich dann jedoch, ging widerstrebend hinaus und setzte sich an die Wiege seines Sohnes. Die Freude über den Kleinen war gewichen, er hatte nur noch Angst und hoffte inbrünstig, dass es den Frauen gelingen möge, Annas Leben zu retten. * »Ihr habt einen gesunden Knaben geboren, Herrin.« Anna hörte wie von fern, was Käthe sagte und atmete hörbar auf. »Ein Junge?« »Ja, er ist niedlich und strampelt schon mit den Beinchen. Ich bringe ihn gleich.« »Nein, ich will ihn nicht sehen«, flüsterte Anna. »Er ist bei seiner Amme besser aufgehoben. Oder hat er noch keine Amme?« »Doch, da Ihr noch keine Milch habt, hat der Herr eine kommen lassen.« »Das ist... gut«, erwiderte die junge Mutter kaum hörbar. Sie öffnete die Augen, blickte Käthe ernst an und fügte dann ernst hinzu: »Sei du ihm eine Mutter... ich kann es nicht sein.« 64
»Doch, das könnt Ihr. Eure Blutung konnte zum Stillstand gebracht werden. Bald werdet Ihr wieder kräftig und gesund sein. Ihr müsst nur gut essen, trinken und Euch ausruhen.« Anna schüttelte den Kopf und schloss die Augen. So lag sie noch, als eines der Hausmädchen das Essen brachte. In halber Bewusstlosigkeit verharrend, verweigerte sie jegliche Nahrung und wollte auch nichts trinken. Sie drehte den Kopf zur Seite und wünschte sich sehnlichst, bald das Halleluja der Engel zu hören. Das Mädchen ging bekümmert hinaus, während Käthe versuchte, ihrem Schützling ein wenig Wasser einzuflößen. Es gelang ihr nicht, auch nach mehreren Versuchen nicht. »Sie will nicht mehr leben«, murmelte die Alte und schluchzte laut. »So jung noch und ohne jede Zuversicht. Aber vielleicht ist es besser so, wenn sie in den ewigen Schlaf versinkt. Glücklich wird das arme Ding hier ja doch nicht sein.« Seufzend ging sie nach nebenan, wo Günther sie tief besorgt anschaute und mit heiserer Stimme fragte: »Wie geht es meiner Gemahlin?« »Sehr schlecht. Ihr solltet umgehend einen Boten zu ihren Eltern schicken. Sie werden die Tochter sicher noch einmal sehen wollen.« »Käthe, das... kann... doch... nicht... sein. Anna ist doch noch so... jung.« »Wenn die Lebensuhr abgelaufen ist, dann spielt das Alter keine Rolle. Seht selbst!« Die Alte öffnete die Tür, damit der Handelsherr einen Blick auf seine Frau werfen konnte. Doch ihm genügte dieser Blick nicht, er schob seine ehemalige Betreuerin energisch zur Seite und eilte zu seiner Frau. Sich auf die Bettkante setzend, nahm er sie in seine Arme und drückte sie an sich. »Anna, Liebes, wach doch auf!«, bettelte er. »Wir haben einen niedlichen, kleinen Jungen. Aber ich kann mich nicht so recht über ihn freuen, wenn es dir schlecht geht. Bitte wach doch auf und iss ein wenig. Schau mal, was die Lene gebracht hat: Hühnersuppe, Pasteten, frisches Gemüse, Obst und Milch.« »Sie will nichts zu sich nehmen. Sie will auch ihr Kind nicht sehen.« 65
Günther sah die Alte, die eben wieder ins Zimmer gekommen war, bestürzt an. »Das verstehe ich nicht.« »Wirklich nicht? Jeder Mensch braucht doch ein bisschen Freude, ein bisschen Glück und Zuversicht und Verständnis. Die Herrin hat nichts von alledem. Sie ist von einem Mann verlassen worden und hat auf Eure Zuwendung gehofft. Doch die hat sie von Euch nicht bekommen können. Darum lasst sie jetzt in Frieden sterben. Sie will es so.« »Aber ich nicht. Gib mir den Becher mit der Milch und lass mich mit meiner Gemahlin allein.« »Wie Ihr es wollt.« Käthe Bärwald reichte ihm den Becher und ging dann schluchzend hinaus. * Anna war heiß und kalt zugleich. Ihre Zunge schien am Gaumen zu kleben und sie zitterte stark. Sie hatte die Augen fest geschlossen, fühlte aber die Arme, die sie hielten und spürte den Becher, den ihr irgend jemand an die Lippen hielt. »Trink, Anna! Es ist ganz frische Milch. Sie wird dir gut tun.« Die Stimme ließ sie erschrocken zusammenzucken. Angstvoll wandte sie ihren Kopf zur Seite, doch die Stimme hörte nicht auf, beschwörend zu sagen: »Bitte Anna, trink ein bisschen. Versuche es doch wenigstens.« Sie wollte etwas sagen, wollte den Becher fort stoßen und ihren Mann auch, aber sie krächzte nur heiser und ihre Hand sank wieder auf die Bettdecke. Gleichzeitig schmeckte sie die warme Flüssigkeit und schluckte unwillkürlich. »So ist es brav«, murmelte er und zitterte nun ebenfalls. Dennoch schaffte er es, ihr nach und nach die Milch einzuflößen. Erst danach ließ er sie sanft in die Kissen zurück gleiten und strich sanft über ihr Haar. »Anna, ich habe dich so lieb«, beteuerte er eindringlich. »Ohne dich werde ich niemals mehr froh und glücklich sein können. Bitte verlass mich nicht... und denke an die Kinder. Sie brauchen dich genauso wie ich. Unser Sohn hat noch keinen Namen. Wir müssen darüber 66
sprechen, wir müssen ihn taufen lassen und ein großes Fest geben, zu dem wir alle unsere Verwandten einladen werden, deine und meine. Du wirst dir ein schönes Kleid nähen lassen und den Schmuck tragen, den ich für dich gekauft habe. Du wirst alle anderen Frauen in den Schatten stellen und ich... ich werde sehr stolz auf dich sein und kein bisschen eifersüchtig. Ich werde auch nicht mehr so hässlich zu dir sein, sondern ein zärtlicher und verständnisvoller Ehemann und...« Der Kaufmann redete und redete, als könnten seine Worte seiner Frau neuen Lebensmut geben. Und er hatte tatsächlich Erfolg damit. Anna verstand zwar den Sinn seiner Versprechungen nicht, wurde aber müde und schlief ein. Und jetzt lag auf ihren Wangen ein schwacher rosiger Schein. Als Käthe und die Hebamme zwei Stunden später durch den Türspalt spähten, sahen sie, wie der selbstherrliche Günther von Mauritz den Schlaf seiner Frau bewachte. »Sie hat die Milch ausgetrunken«, flüsterte er glücklich. »Und ich werde auch dafür sorgen, dass sie etwas isst.« Er hielt sein Wort und es gelang ihm, Anna allmählich begreiflich zu machen, dass das Leben viel zu schön war, um es einfach wegzuwerfen. Nach einer knappen Woche ging es ihr zur Freude aller schon sehr viel besser. Sie konnte schon ab und zu das Bett verlassen, weigerte sich aber noch immer, ihren Sohn zu sehen. Da mochten sie alle reden, soviel sie wollten. Alle, das waren ihre Eltern und ihre beiden Brüder, Käthe Bärwald und die Hebamme, ihre Stieftöchter und die Dienerschaft. Nur Günther von Mauritz sagte nichts. Er bedrängte seine Frau nicht und machte ihr keine Vorwürfe, sondern umsorgte sie rührend und versuchte immer wieder, um sie zu werben und sich mit ihr auszusprechen. Seine Erfolge waren nur klein. Anna sprach nicht viel und lehnte es nach wie vor ab, den eigenen Sohn zu sehen. Und als Günther dem Kleinen den Namen Philipp gab, nickte sie nur zustimmend. * 67
»So, jetzt sind wir endlich wieder allein.« Günther legte einen Arm um Annas Schultern und drückte sie flüchtig an sich. »Verwandtschaft ist ja ganz schön und ich verstehe auch, dass man sich unseren Philipp ansehen möchte, aber zuviel ist zuviel. Mögen sie nur alle zur Taufe wiederkommen. Dann hast du dich sicher genügend erholt, um die damit verbundenen Strapazen durchzustehen.« »Ach ja, die Taufe«, erwiderte sie gequält und schob seinen Arm fort. »Wäre es nicht sinnvoller, wenn wir getrennt leben würden? Ihr habt ja nun Euren Sohn und braucht mich nicht mehr. Ich könnte in einem Kloster leben.« »Ich kann und will dich nicht zwingen, bei mir zu bleiben«, erwiderte er bedrückt, während er sie sanft nötigte, sich wieder ins Bett zu legen. Sie tat es und ließ es zu, dass er sie zudeckte und sich dann am Fußende hinsetzte. »Aber ich bitte dich von Herzen, dir diesen Entschluss noch einmal zu überlegen. Wir brauchen dich doch alle. Das habe ich dir doch schon so oft gesagt. Glaube es mir doch endlich.« »Niemand braucht mich und Ihr am allerwenigsten«, versetzte sie bitter. »Höchstens, um mich zu schelten und zu demütigen, weil ich alles falsch mache.« »Das stimmt ja gar nicht«, gestand er zerknirscht. »Du machst alles richtig. Aber du bist jung und schön und hast vor unserer Ehe einen anderen Mann gehabt. Der war sicher jünger als ich... und sah besser aus. Ich war so eifersüchtig und deshalb... so unleidlich und ungerecht. Ich habe mir sogar eingebildet, dass dieser junge Bursche, der in der Nähe unseres Hauses romantische Lieder gesungen hat, dass er dir besser gefällt als ich und dass er... nun ja, dein Liebhaber ist. Erst später habe ich erfahren, dass er die Tochter vom Bäcker anbetet. Bitte, Anna, verzeih mir und lass uns unsere Ehe noch einmal von vorn beginnen.« »Und wenn wieder einmal ein Bursche vor dem Haus singt, dann beschuldigt Ihr mich erneut der Untreue«, antwortete sie sarkastisch. »Oder wollt Ihr mich weiterhin einsperren, damit mich kein anderer Mann zu sehen bekommt?« 68
»Um Gottes willen, nein! Ich werde mich mit dir zeigen und werde glücklich sein, wenn du eines Tages freundschaftliche Gefühle für mich hegen kannst. Bitte, hab Vertrauen und glaube mir.« Sie sagte nichts dazu, blickte ihn jedoch an, als wollte sie seine Seele erforschen. Er hatte in den letzten Tagen abgenommen und seine umschatteten Augen zeugten von zu wenig Schlaf und zuviel Sorge. Offenbar war sie ihm doch nicht ganz gleichgültig. Oder plagte ihn nur sein schlechtes Gewissen? Er hielt ihrem Blick stand, nahm dann ihre Hand, hauchte einen Kuss darauf und sagte leise: »Ich habe noch etwas für dich. Darf ich es holen?« »Ja.« Er eilte hinaus und kam nach wenigen Minuten mit einer flachen Schachtel wieder, die er ihr in die Hand drückte. »Das soll ein Zeichen meiner Liebe und Dankbarkeit sein. Ich hoffe, es gefällt dir.« Anna staunte, denn ihr Mann hatte ihr noch nie etwas geschenkt. Und sie staunte noch mehr, als sie die runde Brosche sah. Sie war aus purem Gold und mit Edelsteinen geschmückt. Und doch, so richtig freuen konnte sie sich nicht. Günther war jetzt zahm wie ein Hündchen. Aber wie lange würde er das sein? »Bitte, nimm die Brosche an. Ich habe sie beim Goldschmied eigens für dich herstellen lassen. Es gibt keine zweite davon.« Er nahm den Schmuck vorsichtig aus der Schachtel, damit sie ihn von allen Seiten betrachten konnte. Sie schwieg noch immer, aber ihre Lippen bebten und sie zitterte wie Espenlaub. Und dann begann sie zu weinen. Sie wollte ihr Gesicht in das Kissen drücken, doch er ließ das nicht zu. »Weine dich an meiner Brust aus«, bat er rau und zog sie fest an sich. * Klein Philipp schrie so laut, dass Anna es nicht überhören konnte. Sofort machte sie sich Sorgen. War die Amme etwa nicht da? Oder war das Kind krank? Vielleicht hatte der Kleine aber auch nur Hunger. In ihren Brüsten war inzwischen Milch. Warum sollte ihr kleiner Sohn die 69
nicht bekommen? Die Amme hatte ja auch ein eigenes Kind und würde froh sein, wenn dieses ausreichend Nahrung erhielt. Während dieser Überlegungen hatte Anna die Tür zur Kinderkammer geöffnet, sah, dass niemand im Raum war und schlich sich langsam zu ihrem Söhnchen, das immer noch laut schrie und von Sekunde zu Sekunde zorniger wurde. »Hast du Hunger, mein Kleiner?«, flüsterte sie und nahm ihn vorsichtig aus der Wiege. Philipp war sofort still. Er spürte die mütterliche Nähe und lächelte unbewusst. Anna lächelte. Sie setzte sich mit ihm auf einen Lehnstuhl, öffnete ihr Kleid, legte den Kleinen an ihre Brust. Das Kind begann sofort zu saugen und zu schmatzen. Also hatte es doch Hunger. Nur wenige Minuten später betrat Günther das Kinderzimmer. Er stutzte, schaute zuerst regelrecht töricht drein, doch dann lachte er glücklich und sagte gerührt: »Ach, Anna, was bin ich doch froh, dass du unseren kleinen Schatz an dein Herz genommen hast.« Sie funkelte ihn zornig an. »Ja, das habe ich. Aber glaubt nun nicht, dass ich ihn mir noch einmal wegnehmen lasse. Auch später nicht, wenn er älter ist. Ich will bei seiner Erziehung und Betreuung mitreden und werde ihn Euch nicht allein überlassen.« »Hast du etwa angenommen, dass ich ihn dir wegnehmen würde? Hast du ihn deshalb nicht sehen wollen?« »Natürlich. Ich musste das ja annehmen. Es ging Euch ja immer nur um Euren Sohn. Seine Mutter ist ja nur...« ... eine Magd, wollte sie sagen, doch Günther legte ihr für einen Moment den Zeigefinger auf den Mund und erklärte leise: »Seine Mutter ist die liebste und klügste Frau, die ich kenne. Ich werde sie ihm ganz bestimmt nicht vorenthalten.« Anna blickte ihn fassungslos an. Dann schaute sie zur Seite, denn seine leuchtenden Augen verwirrten sie. Um sich ihre Gefühle nicht allzu sehr anmerken zu lassen, schimpfte sie leise: »Die Amme scheint nicht sehr zuverlässig zu sein. Philipp hat laut geschrieen. Da bin ich zu ihm gegangen und habe feststellen müssen, dass er Hunger hatte und ohne Aufsicht war.« 70
»Die Amme muss auch ihr eigenes Kind nähren. Ich habe mich darum angeboten, während dieser Zeit auf unseren Sohn zu achten und bin nur für wenige Minuten aus dem Zimmer gegangen.« Sie überlegte und entgegnete dann nachdenklich: »Und es war keine Absicht dabei, mich zu dem Kind zu locken?« Günther lächelte verschmitzt. »Doch, meine Liebe, genauso war es.« »Ihr habt es ja faustdick hinter den Ohren«, beschwerte sie sich, aber sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Was soll ich nur mit Euch machen?« »Sag Günther zu mir und hab mich lieb. Dann machst du mich zu einem glücklichen Mann.« »Günther«, murmelte sie ungläubig, schaute dann auf den Kleinen, der inzwischen seine Mahlzeit beendet hatte und fragte ernsthaft: »Soll nun wirklich – Frieden - zwischen uns herrschen?« »Für immer und ewig«, beteuerte er und nahm ihr das Kind ab, damit er es auf seinen Armen noch ein wenig hin und her wiegen konnte. Anna gefiel es, wie er den Kleinen hielt, wie er ihn behutsam in die Wiege legte und zudeckte. Ihr Sohn würde im Gegensatz zu vielen anderen Kindern in Wärme und Wohlstand aufwachsen. Das war gut so. Flüchtig dachte sie an Klaus, der nun doch nicht gekommen war, um sie auf sein Schiff zu holen und mit ihr zu einem Ort zu segeln, in dem es keine Not gab. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass es an der Zeit war, die naiven Jungmädchenträume hinter sich zu lassen und sich der Zukunft zuzuwenden. Eine Zukunft mit ihrem Mann, den sie lieben lernen würde. »Woran denkst du?«, fragte er und schloss sie in seine Arme. »An uns beide. Du hast recht, lass uns noch einmal von vom beginnen.« Günther atmete erleichtert auf und flüsterte ihr ins Ohr: »Liebe kleine Frau, du machst mich glücklich. Und du sollst es nie bereuen, mir verziehen zu haben.« * 71
Der Mann, der an diesem stürmischen und regnerischen Herbstabend zum Hof des Pächters Franz von Althum ritt, hatte einen blonden Vollbart und war außerordentlich gut gekleidet. Auch sein Pferd musste teuer gewesen sein, denn es war ein edler Rappe, wie ihn nur reiche Leute besaßen. Der Mann war nicht allein. Drei andere Männer folgten ihm. Gemeinsam ritten sie bis zu der großen Scheune, die bereits zum Anwesen des Pächters gehörte. Dort rasteten sie und fütterten die Pferde. Der Bärtige nahm sich nur wenig Zeit für sein Tier. Er überließ es bald der Fürsorge seiner Begleiter und marschierte kurz darauf zum Haus. Nachdem er es durch die immer offene Hintertür betreten hatte, sah er sich einige Augenblicke um. Es hatte sich hier während der letzten drei Jahre kaum etwas verändert. Mensch und Tier lebten immer noch nah beieinander. Er hörte das Muhen der Kühe, das Grunzen der Schweine und ging langsam weiter, bis er die Tür zu der großen Küche aufstieß. Die Familie saß an dem langen, grob gezimmerten Tisch und schaute erschrocken auf den großen Mann, den man noch nie gesehen hatte. Oder kannte man ihn doch? »Ich bin es, Vater«, sagte Klaus mit nicht ganz klarer Stimme und ging auf den Alten zu, umarmte ihn und spürte, wie mager dieser geworden war. Franz von Althum war fassungslos, ebenso wie seine Frau und Klaus' Geschwister. »Mein Junge, ich freue mich so, dass du wieder da bist«, versetzte er mit schwacher Stimme. »Ich habe schon nicht mehr geglaubt, dass du noch unter den Lebenden bist. Und nun sehe ich dich vor mir - gesund und anscheinend recht wohlhabend.« Klaus verzichtete darauf, seinem Vater zu berichten, woher dieser Wohlstand kam. Es war besser, wenn die Eltern und Geschwister so wenig wie möglich von seinem jetzigen Leben erfuhren. Leise lachend wandte er sich der Mutter zu und nahm auch sie in die Arme. Dann folgten seine Brüder und Schwestern. 72
»Wie geht es euch denn so?«, erkundigte er sich später, als er sich zu ihnen an den Tisch gesetzt hatte. »Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?« »Was soll es schon geben?«, erwiderte Gesche. »Der Graf ist vor einem halben Jahr gestorben, ist bei einem Turnier einfach vom Pferd gefallen, hat sich das Genick gebrochen. Sein ältester Sohn ist nun der Burgherr. Du könntest also wieder nach Hause kommen, denn der junge Graf läuft nur den Weibern nach und denkt nicht mehr daran, dass du mal ein paar Brote gestohlen hast.« »Glaubt so etwas bloß nicht, Mutter«, warf Heinrich von Althum warnend ein. »Wigram von Brackmühlen hat viel Spaß an Hinrichtungen und wird sich deshalb gern an ein altes Vergehen erinnern.« »Ich kann auch nicht bleiben, denn ich stehe in königlichen Diensten und bin meinem Kapitän verpflichtet«, entgegnete Klaus nüchtern und vermied es, den königlichen Auftrag näher zu erläutern. »Ich bin nur gekommen, um euch alle wieder zu sehen und um euch das zu geben.« Er zog einen großen Beutel aus der Tasche seines Mantels und gab diesen seinem Vater. »Teilt Euch das Geld sorgsam ein und schweigt alle darüber. Es ist nicht gut, wenn irgend jemand davon erfährt. Es erregt nur Neid und bringt Euch in Schwierigkeiten.« Franz von Althum schaute verunsichert auf den Beutel. Anscheinend überlegte er, ob der das Geld nehmen sollte oder nicht. »Mach nicht so ein Schafsgesicht!«, fuhr ihn Gesche heftig an. »Steck es weg. Es wird uns von Nutzen sein, wenn wir die Pacht bezahlen müssen. Dann brauchen wir nicht mehr stets und ständig die letzten Münzen zusammenzukratzen.« Dieses Argument leuchtete dem Alten ein. Er grinste zufrieden und nahm das Geld an sich, um es später zu verstecken. Eine beinahe andächtige Stille entstand, die Klaus trocken unterbrach. Er sagte: »Ich bin rechtschaffen müde, denn die Reise war lang und beschwerlich. Erlaubt Ihr, dass ich heute hier übernachte?« »Selbstverständlich«, antwortete Gesche freudig. »In Heinrichs Zimmer steht noch ein Bett. Wir werden auch zur Ruhe gehen. Morgen ist auch noch ein Tag.« 73
»Was ist mit Anna?«, fragte Klaus, als er kurz darauf mit seinem Bruder allein war. »Niemand spricht von ihr. Ist sie etwa... tot?« »Nein.« Heinrich schüttelte den Kopf. »Sie hat ein ganzes Jahr auf dich gewartet. Das hat ihrem Vater nicht gefallen, deshalb hat er sie verheiratet... mit einem reichen Handelsherrn aus Wismar. Und mit diesem Mann hat sie inzwischen ein Kind.« Klaus senkte betroffen den Kopf und murmelte: »Damit musste ich rechnen. Aber ich würde diesem Kerl am liebsten alle Knochen im Leib zerschlagen.« »Es geht nicht immer danach, was man will«, entgegnete Heinrich betrübt. »Ich hätte auch gern die Martha vom Kämmerer geheiratet. Aber was bin ich schon? Nur der Sohn eines armseligen Pächters. Der war dem Kämmerer natürlich nicht gut genug. Es ist nur so traurig, dass die Martha nun den steifbeinigen Metzger aus Nassenbach heiraten musste.« »Der könnte doch ihr Vater sein!«, rief Klaus entsetzt. »Ihr Großvater«, bestätigte Heinrich. »Aber er ist wohlhabend. Da hat es den Kämmerer nicht interessiert, dass der Metzger sein Gesinde schlägt, besonders dann, wenn er betrunken ist. Arme Martha. Da hat es die Anna besser. Ihr Gemahl ist wesentlich jünger. Man erzählt sich, dass die beiden sich gut leiden können.« »Anna muss man gern haben«, entgegnete Klaus nachdenklich. »Aber sie ist keine Frau für einen Seemann. Das weiß ich inzwischen. Ich werde aus ihrem Leben verschwinden, würde sie jedoch gern noch einmal sehen.« Heinrich lächelte traurig, während er die Becher, die auf dem Tisch standen, mit frischem Bier füllte. »Das kann ich verstehen. Aber sei auf der Hut. Wer zwischen den Fronten kämpft, kämpft gegen die Hanse. Günther von Mauritz besitzt auch Schiffe, von denen man eines schon mal überfallen und geplündert hat.« »Er kennt mich ja nicht. Und selbst wenn er darauf kommen sollte, dann werde ich schneller sein als er. Ich habe Freunde, die mir helfen.« Klaus trank einen großen Schluck Bier und meinte dann: »Der Mauritz ist ein einflussreicher und braver Bürger. Er wird sicher jeden Sonntag mit seiner Frau in die Kirche gehen.« 74
»Vermutlich«, versetzte Heinrich und trank dann sein Bier in einem Zug aus. * Hubertus Claudius war seit vier Jahren der Bischof und sehr stolz auf sein Amt und auf die Marienkirche. Hier predigte er an jedem Sonntag und rügte nicht nur die Sünden der ärmeren Volksschichten, sondern auch die Verfehlungen von so manchen Geistlichen. Unermüdlich und mit weit tragender Stimme prangerte er jene an, die einen ausschweifenden Lebenswandel führten, zur Trunksucht neigten und sich an Glücksspielen beteiligten. Heute ließ er diese ›verirrten Schäflein‹ jedoch ungeschoren und begnügte sich damit, einem jungen Theologen, der allzu begeistert ein Mädchen betrachtete, einen verweisenden Blick zuzuwerfen. Danach ging er gemessenen Schrittes dem Herrn von Mauritz und seiner Gemahlin entgegen. Klaus stand zu dieser Zeit hinter einer der hohen Säulen. Sie bot ihm genug Schutz, aber es achtete ohnehin niemand auf ihn. Viele Einwohner der Stadt strömten zu ihren Plätzen, so dass er Mühe hatte, Anna zu sehen. Und als es ihm endlich gelang, war ihr Anblick für ihn wie ein Stich ins Herz. Wie schön sie war als junge Frau und Mutter. Er musste sich zwingen, still an seinem Platz zu verharren und nicht zu ihr zu laufen und sie stürmisch an sich zu reißen. Doch das wäre sein Untergang gewesen und ihrer wahrscheinlich auch. So blieb er, wo er war und sah mit brennenden Augen zu, wie sie und ihr Mann vom Bischof begrüßt wurden und anschließend die Ehrenplätze einnahmen. Und er sah auch, dass der Günther von Mauritz seiner Frau liebevoll zulächelte. Sie erwiderte dieses Lächeln und griff nach seiner Hand. Und so boten sie ein Bild ehelicher Harmonie. Das war mehr, als Klaus ertragen konnte. Noch ehe die Predigt begann, verließ er die Kirche und eilte zu Goedecke, Henning und Fietje, die hinter dem Gotteshaus mit den Pferden auf ihn warteten. 75
»Nun, hast du sie gesehen?«, erkundigte sich der Kapitän beiläufig, während er seinem Pferd den Hals tätschelte. »Ja, habe ich«, erwiderte Klaus ausdruckslos. »Es geht ihr gut. Sie scheint ihrem Mann sehr zugetan zu sein. Was soll's? Ich muss mich eben damit abfinden.« Goedecke legte ihm die Hand auf die Schulter. »Komm, wir müssen zum Schiff, damit wir noch rechtzeitig zu unserem Winterquartier kommen.« Störtebekers Miene hellte sich schlagartig auf und er fragte: »Segeln wir nach Rügen?« Goedecke schmunzelte. »Wohin sonst? Du solltest dir den Bart abnehmen lassen. Er könnte die Wirtstochter stören.« »Guter Gedanke.« Klaus lachte schon wieder und bestieg dann sein Pferd. Die anderen taten das gleiche. Und so dauerte es nicht lange, da passierten sie das Stadttor und kamen bei jenem freien und sehr verschwiegenen Bauern an, der für gutes Geld ihre Pferde betreute, wenn sie auf See waren. Und von da aus war es nicht mehr weit bis zur ›Maria Anna‹. * Clara hatte die Hütte im Wald von Grund auf instand setzen lassen. Für klingende Münzen war ihr Vater nämlich bereit gewesen, die armselige Behausung vom verlotterten Ritter Kunibert zu kaufen und sie künftig ›sein Jagdhaus‹ zu nennen. Natürlich würde Hannes Wichmann nicht einen Fuß in seine neueste Errungenschaft setzen, wenn die Freibeuter in der Nähe der Insel wieder vor Anker gingen. Das hatte er seiner Tochter versprechen müssen. Er glaubte allerdings nicht daran, dass die rauen Gesellen sich hier jemals wieder blicken lassen würden. Für sein Mädel war das auch besser so. Aber störrisch, wie sie nun einmal war, hatte sie es sich in den Kopf gesetzt, auf den blonden Klaus zu warten. Ja, der Wirt schüttelte oft sein kahles Haupt über so viel Dummheit. Er konnte seine Tochter nicht verstehen. Sie war doch hübsch 76
und drall und so mancher andere Mann würde ihr gern die Ehe anbieten. Clara überhörte das gelegentliche Murren ihres Vaters ebenso wie die düsteren Prophezeiungen ihrer Mutter. Sie ging ihrer Arbeit nach, schäkerte mit den Gästen und freute sich im übrigen auf die kalte Jahreszeit. Klaus würde wiederkommen, das spürte sie. Ihre Gedanken und Wünsche würden wie der Wind zu ihm fliegen und würden ihn überzeugen, dass er nur bei ihr einen schönen Winter verbringen konnte. Goedecke, Störtebeker und alle die anderen sahen Rügen nach wie vor als geeignetes Versteck an, denn dort war man sehr weit von Lübeck und Hamburg entfernt. Auch Stralsund, dessen verworfener Bürgermeister immer noch nach ihnen suchen ließ, war nicht gerade in der Nähe. Und wer machte sich schon im Winter auf den Weg, um einen Haufen Freibeuter festzunehmen? Da saß man doch viel lieber zu Hause und wärmte sich am Feuer. Das traf auch für die Söldner des Bertram Wulflam zu. * »Was stehst du da am Fenster herum und starrst zum Himmel? Meinst du etwa, dein Klaus kommt wie die wilde Jagd angebraust?« Hannes Wichmann musterte seine Tochter spöttisch. »Ich schaue nur zum Himmel, weil es bald schneien wird. Erlaubt mir, Wein und Brot einzupacken und zur Jagdhütte zu gehen. Klaus wird sich freuen, wenn er anständig versorgt wird.« »Ja, geh nur«, brummelte der Wirt und sah kaum vom Putzen der Krüge auf. »Du gibst ja doch keine Ruhe.« »Danke, Herr Vater.« Sie schlüpfte in Stiefel und Umhang, schlang sich ein warmes Tuch um den Kopf und nahm dann einen Korb. Leichtfüßig eilte sie in den Vorratskeller, wo sie nicht nur Wein und Brot, sondern auch Schinken, Käse und ein gebratenes Hühnchen einpackte. Der Korb war nun recht schwer, aber das störte sie nicht. Außerdem war es bis zur Hütte nicht allzu weit. 77
Dort angekommen, stellte sie den Korb in eine Ecke und überprüfte anschließend die Holzvorräte. »Es reicht mindestens für eine Woche«, sagte sie zu sich selbst. »Danach muss Klaus eben im Wald Holz schlagen.« Clara warf noch einen Blick auf das breite, mit Fellen und Decken belegte Bett und ging dann wieder hinaus. Einen kaum bekannten Pfad benutzend, ging sie zügig zum Strand, so wie immer in den letzten Tagen. Sie hatte sich stets vorgestellt, das Schiff schon weitem erkennen zu können und dann zu sehen, wie es immer näher kam. Aber so war es nicht. Nirgendwo war eine Kogge auszumachen, alles war still. Und doch wusste Clara, dass sie nicht allein am Strand war. In diesem Augenblick tauchten mehrere Männer auf. Sie schienen aus der Dämmerung zu kommen - und einer von ihnen war Klaus. Ohne sich zu besinnen, lief sie auf ihn zu. Und er rannte ihr entgegen, fing sie in seinen Armen auf und drehte sich mit ihr im Kreis. »Clara«, murmelte er und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen, »wie schön ist es doch, bei dir zu sein.« * Das Feuer brannte die ganze Nacht, es wärmte den Raum und das Wasser, das in einem Kessel über dem gemauerten Herd hing. »Und diese Hütte gehört jetzt dir?«, erkundigte sich Klaus, während er Claras Brüste streichelte. Sie lachte und erwiderte: »Sozusagen, mein Vater hat sie auf meine Veranlassung unserem Ritter Kunibert abgekauft. Dessen Taschen waren wieder einmal so leer, dass er die Zeche nicht bezahlen konnte. Er hat uns gern diese Behausung überlassen. Danach hat der Vater ein paar Handwerker kommen lassen, die das Dach neu gedeckt und eine bessere Feuerstelle hergerichtet haben.« »Wundert sich niemand im Dorf darüber?« »Offiziell nicht, denn mein Vater hat überall erzählt, dass er künftig sein Wild nicht mehr kaufen, sondern allein erlegen will. Und dazu braucht er nicht nur eine Armbrust, sondern auch eine Hütte, in der er 78
sich von Zeit zu Zeit ausruhen kann. Das verstehst du doch, oder nicht?« »Aber sicher.« Störtebeker, der mit Clara auf dem Bett lag und seit Stunden nichts anderes getan hatte, als sie zu küssen und zu lieben, grinste breit und setzte dann spöttisch hinzu: »Dein Vater will also ein großer Jäger werden. Nun, warum auch nicht. Mir ist es egal, so lange er uns in dieser Hütte nicht überrascht.« »Sei unbesorgt. Er wird nicht kommen und er wird über deine Anwesenheit und die deiner Mannschaft schweigen, so wie alle Leute im Dorf. Jeder weiß, dass ihr auf der Seite der Armen und Schwachen seid und schon so manche Not gelindert habt, allen voran du. Weißt du, wie man dich in der Umgebung bereits nennt?« Er blickte sie verwundert an. »Nein. Wie denn?« »Retter der Armen.« »Klingt gut.« Klaus lächelte versonnen und sagte eine Weile nichts. Er hatte Clara dicht an sich herangezogen und wärmte sie mit seinem Körper. Und irgendwann fragte er: »Woher hast du gewusst, dass ich wiederkomme?« »Eine innere Stimme hat es mir gesagt. Von ihr weiß ich auch, dass du die andere Frau irgendwann vergessen wirst. Sie gehört nicht mehr zu deinem Leben.« »Die andere Frau?« Sie lachte über seine verdutzte Miene. »Ich meine das Mädchen aus deiner Heimat. Sie hat einen anderen, nicht wahr?« »Ja, sie ist verheiratet und hat ein Kind.« Klaus' Stimme klang gepresst, aber er war nicht der Mann, der jammerte und klagte. Und so lachte er bald wieder und sagte amüsiert: »Meine Clara, die das Gras wachsen hört und durch sieben Bretter sehen kann, weiß das sicher schon.« »So ungefähr«, gab sie zu und gab ihm einen Kuss auf seine muskulöse Brust. »Ich weiß, dass ich dich jetzt ganz für mich allein habe.« »Ich bin aber kein Mann zum Heiraten«, entgegnete er warnend. »Ich werde immer ein Seemann sein, der sich weder vor dem Tod noch vor dem Teufel fürchtet.« 79
»Das macht mir nichts aus. Ich werde auch ohne den Segen der Kirche deine Frau sein. Meine Liebe wird dir Kraft geben und dich beschützen.« Ihre Worte ließen ihn zuversichtlich lächeln. Er hatte Anna verloren, aber Clara gewonnen. Und er würde auch weiterhin versuchen, dem Leben die beste Seite abzugewinnen. Er würde kämpfen und den armen Leuten helfen, soweit das möglich war. Er wollte Gottes Freund und aller Welt Feind sein. Ende
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