Terry Rotter
und die fragwürdige Kammer der schieren Schrecklichkeit
Gewidmet all jenen, denen noch niemals etwas gewidmet wurde. Ob sie wollen, oder nicht.
-1-
Inhaltsverzeichnis Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel
1: Die Musterung................................................................................ 3 2: Der Plan........................................................................................ 12 3: Das Schloss................................................................................... 19 4: Vor dem Tor.................................................................................. 28 5: Die Lärche.....................................................................................36 6: Timidus Lotleak............................................................................ 43 7: Unheimliche Stimmen.................................................................. 51 8: Die üblichen Verdächtigen........................................................... 57 9: Die Rückkehr des dunklen Lords..................................................63 10: Der Duellierclub und das goldene Vlies..................................... 71 11: Der Trunk der Subversion.......................................................... 78 12: Ein Besuch bei alten Feinden..................................................... 84 13: Das total mysteriöse Tagebuch...................................................91 14: Ein Opfer zu viel......................................................................... 97 14.5: Kornwallace Pfusch............................................................... 104 15: Aragorn.....................................................................................110 16: Die fragwürdige Kammer der schieren Schrecklichkeit.......... 117 17: Der Erbe Sifferins.....................................................................124 18: Bernard's Belohnung................................................................ 135
-2-
Kapitel 1: Die Musterung Jemand musste Terry R. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens eingezogen. Es hatte alles, wie so vieles im Leben, mit einem Eiswagen angefangen. Aber nicht mit irgendeinem Eiswagen. Nein, es war der Eiswagen von Martin Engelbert. Und Martin war ein leidenschaftlicher Eisverkäufer. Wenn mir in meiner Kindheit ein ähnlich engagierter Eisverkäufer Eis verkauft hätte, dann wäre sicherlich vieles anders verlaufen in meinem Leben. Angefangen damit, dass mir ein wirklich talentierter Eisverkäufer Eis verkauft hätte und nicht irgend so ein daher gelaufener Kerl, der gar nicht wusste, was es hieß, Eis zu verkaufen, ja der sich gar nicht über seine gewaltige gesellschaftliche Bedeutung im Klaren war. Doch Martin war anders. Er fuhr im Sommer wöchentlich seine Runden. Immer schon erwarteten ihn die Kinder gespannt, weil sie in ihm einen freundlichen Onkel sahen, der stets die richtige Eissorte für alle Lebenslagen anzubieten hatte. Sie wussten: Ein gutes Eis zur rechten Zeit am rechten Ort konnte Leben retten. Zum Beispiel das Leben von Verschollenen auf einer einsamen Insel, auf der es nichts anderes zu essen gab. Doch eines Tages sollte all’ das ein tragisches Ende nehmen, denn ein islamistischer Fundamentalist verübte aus heiterem Himmel ein Selbstmordattentat auf Martin und seinen Eiswagen. Warum, das werden wir vielleicht niemals erfahren. Vielleicht war der Attentäter in seiner Kindheit so schrecklich arm gewesen, dass er sich niemals ein Eis hatte leisten können. Vielleicht war sogar sein ganzes Land zu arm dazu gewesen. Oder vielleicht lehnte er auch die kapitalistische Gesellschaftsordnung ab, laut der er über zu wenige liquide Zahlungsmittel verfügte, als dass er sich auch nur an der billigsten Version mit Schweinshaxen-Geschmack hätte erfreuen können. „Aber vielleicht ist das auch alles nur auch hohles Gewäsch!“ sagte Friedrich Nietzsche. Er, Charles Darwin und der Autor dieses Buches hatten sich in einem kleinen Knusperhäuschen irgendwo im verbotenen Wald in der Nähe der Rowlingstone Schule für Esoterik und mystischen Krimskrams häuslich eingerichtet. Eigentlich hatte der Autor die Beiden nur zu einer Partie Schach eingeladen. Aber historische Persönlichkeiten bekam man bekanntlich nur schwer wieder los. „Wieso?“ wollte der Autor wissen. „Da fragt er noch!“ meinte Nietzsche, als er seinen Kopf zu Darwin drehte. „Ich denke, was mein werter philosophischer Freund hier kritisieren möchte ist, dass du alleine in diesen ersten Zeilen deines Romans, der an sich gar nichts mit gemeinem Speiseeis zu tun hat, das Wort „Eis“ dennoch ganze 14 Mal verwendest.“ „Na und? Viele Autoren gebrauchen das Wort „Eis“ öfter als 14 Mal am Anfang ihrer Romane! Stephen King zum Beispiel. Ich glaube, mich daran erinnern zu können, dass er in seinem Werk „Es“, das von einem wahnsinnigen Clown handelt, ganze 100 Mal dieses Wort in seiner Einleitung benutzt!“ Nietzsche schlug mit der Faust auf den Tisch. „Und ich glaube, das liegt daran, dass du nicht schreiben kannst!“ „Da muss ich meinem geschätzten Kollegen leider Recht geben“, sagte Darwin und schenkte sich noch etwas Kaffee ein. „Ach ja! Ihr glaubt, ihr könnt es besser? Na schön: Wie soll die Geschichte eu-3-
rer Meinung nach weitergehen, ohne von Eis zu handeln?“ Herr und Frau Thorsley nahmen ihren Enkelsohn Terry für die Dauer der Sommerferien wieder bei sich auf. Und sie freuten sich darüber. Im Gegensatz zu Terry, der es zutiefst bedauerte, die Ferien nicht in der Magieschule Rowlingstone verbringen zu dürfen, wo er seit einem Jahr Schüler war. An dieser Stelle sollte man erwähnen, dass Freude im Allgemeinen nicht mit den Thorsleys verwechselt werden konnte. Denn diese Familie hasste einst beinahe alles: Moderne Technik*, Menschen, Politiker, die Grafschaft Liechtenstein, Käsebrötchen, Bananen - die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Vor 15 Jahren änderte sich das jedoch. Denn eine Haarausfall-Versuchsperson drückte Herr Thorsley eine Broschüre in die Hand, die genau auflistete, wen sie alles hassen durften, um zu einer politischen Gruppierung zu gehören. So kam es, dass die Thorsleys trotz einiger Mühen ihren Hass auf bestimmte soziale Gruppierungen konzentrierten. Namentlich waren dies: Leute, die den jüdischen Glauben teilten, auslandsstämmige Deutsche, Arbeitslosenhilfebezieher, linke Politiker, unzureichend rechte Politiker und der suspekte Kerl am Zeitungsstand des örtlichen Bahnhofes. Für gewöhnlich waren die Thorsleys schlecht gelaunt und mit Ungewöhnlichem hatten sie sich sowieso noch nie anfreunden können. Es vermochte sie nicht einmal zu trösten, dass sie damals so viele Sozialwohnungen abreißen ließen, um ihr Einfamilienhaus in Kreuzberg, Berlin zu bauen. Terry durfte neuerdings zusammen mit seinem Onkel Valium, seiner Tante Ficus und seinem Cousin Deadly an einem Tisch sitzen. Er hatte sogar ein eigenes Zimmer bekommen, das noch größer war als Deadlys. Entgegen aller Erwartungen war dieser aber nicht eifersüchtig auf ihn. Auch nicht, als Terry seinen Cousin im Gemeinschaftsspiel „Fang den Juden“ besiegte. Etwas stimmt hier nicht, so viel war klar. Terry wurde in der magischen Welt oft als „Der Junge, der überlegte“ bezeichnet, weil er angeblich den dunklen Lord mittels einer geschickten Anordnung von Fallen in die Flucht schlagen konnte, nachdem dieser Terrys Eltern ermordet hatte. Doch trotz angestrengter Überlegungen kam Terry nicht darauf, warum ihn die Thorsleys plötzlich behandelten, als wäre er die Reinkarnation des leibhaftigen Führers. Dieser war vielmehr der Hausgeist Sifferins, einem Schulhaus Rowlingstones. Terry ließ sich nach ein paar Wochen endlich dazu herab, Onkel Valium auf seine ungewohnt nette Behandlung anzusprechen. Es fand soeben die Feier zu Terrys 14. Geburtstag statt. Seine Tante hatte nur für ihn einen großen Kuchen gebacken, was Terry gleichzeitig fröhlich und misstrauisch stimmte. Onkel Valium hielt eine seiner Predigten über verloren gegangene moralische Werte: “Neulich bin ich einer Frau begegnet, ihr glaubt das nicht! Die hatte teuren Schmuck an ihren wohlgenährten Händen, einen Pelzmantel und was noch alles. Und jetzt kommt’s: Die war eine Negerin! Anstatt dass sie arbeiten gehen, kaufen sie sich Pelzmäntel! Unsere deutschen Pelzmäntel! Eine * Als moderne Technik bezeichneten die Thorsleys alle Dinge mit mehr als zwei Knöpfen daran. Da sie jedoch manchmal Auto fahren mussten, ergaben sich diverse Schwierigkeiten mit ihrer technikfeindlichen Haltung: Onkel Valium und Tante Ficus konnten weder den Zigarettenanzünder anschalten, die Nebelscheinwerfer betätigen, den Rückwärtsgang einlegen
-4-
Schande!“ Terry schüttelte den Kopf und seuftze. „Onkel Valium: Warum seid ihr in letzter Zeit so nett zu mir? Das seid ihr doch sonst nie!“ „Wieso in letzter Zeit? Waren wir früher etwa nicht nett zu dir?“ fragte Onkel Valium. Terry schlug auf den Tisch. „Ihr habt mich in einen 1m² großen Besenschrank gesperrt, wenn ihr mich mal nicht gefoltert habt!“ „Was einen nicht umbringt, macht einen nur stärker. Aber ich muss zugeben, wir sind sehr stolz auf dich!“ „Stolz!? Auf mich!? Ihr!?“ „Du hast ganz alleine unseren Innenminister Heinrich Himmler besiegt. Das hätten wir dir niemals zugetraut.“ „Wieso findet ihr das gut? Er war doch einer eurer großen Helden!?“ „Junge, du musst noch viel lernen! Im Faschismus geht es nicht einfach nur darum, Helden zu verehren. Es geht darum, stark zu sein und sich gegen andere durchzusetzen. Nur der Stärkste hat das Recht, respektiert zu werden. Und du hast einen der Stärksten noch übertroffen!“ „Aha ... Und woher wisst ihr bitteschön davon?“ „Der Direktor deiner Schule hat uns vor deiner Ankunft einen Brief geschickt, in dem er von deiner großen Tat erzählte. Im Nachhinein hätten wir seine Eule vielleicht nicht erwürgen sollen.“ Tatsächlich hatte Terry den dunklen Lord nicht alleine besiegt. Seine beiden Freunde, Hermione und der im wörtlichen Sinne unsterbliche Ron, waren ihm dabei behilflich gewesen. Und außerdem befand sich der dunkle Lord nicht unter der Erde, sondern im Altenheim Greistram, wo er an einem Theaterprojekt teilnahm. Gandalf hatte empfohlen, den 35-jährigen Altnazi dort unterzubringen, damit er der Gesellschaft etwas wiedergeben konnte. Als Terry sich beim Essen mit seinen Pflegeeltern am Kopf kratzte, war ihm eines nicht klar: Himmler war bereits aus dem Altenheim geflohen! Und das, obwohl man es ihm vorher strikt untersagt hatte. „Es gibt noch einen Grund, warum wir so stolz auf dich sind ...“ Onkel Valium und Tante Ficus standen auf, legten sich die Arme um die Schultern und lächelten Terry an, dessen Gesicht Sorgenfalten entwickelte. „... du wirst nämlich morgen eingezogen!“ riefen sie im Kanon und sprangen lachend auf und ab. Terrys Laune war zu ihrem Normalzustand zurückgekehrt. Seine Mundwinkel fielen herunter und er legte seinen traditionellen Ich-wünschte-ich-wäre-totBlick auf. „Ich werde eingezogen? In die Armee? Morgen? Warum?“ „Nach dem Terroranschlag auf den Eiswagen wurde das Einberufungsalter auf 14 Jahre herabgesetzt, um unser großartiges Land vor den Israelis zu schützen. Und heute ist dein 14. Geburtstag. Morgen musst du also zur Musterung. Wir wollten die große Überraschung für den Schluss deiner Feier aufheben.“ Terrys Kinnlade klappte herunter. Er war der Ansicht gewesen, Gandalf der Rote, Direktor von Rowlingstone, hätte dafür gesorgt, dass er von der Wehrpflicht befreit wurde. Trotz seines Schocks gelang es ihm, einige weitere Worte heraus zu würgen: oder bremsen.
-5-
„Die Überraschung ist euch gelungen. Moment mal: Ich dachte, das mit dem Anschlag war ein muslimischer Radikaler!?“ „Ach, das sind auch Ausländer, oder? Hauptsache unser kleiner Soldat bekommt eine ordentliche Ausbildung! Ach ja, übrigens: Wir haben den verantwortlichen General deines Armeestützpunktes morgen zum Essen eingeladen. Wir möchten ihn davon überzeugen, dass du wirklich ein hartes und ordentliches Training verdient hast. Dafür möchten wir dich aber bitten, in deinem Zimmer zu bleiben. Es ist besser, wenn er dich nicht schon vor deiner Ausbildung persönlich kennt. Das verweichlicht nur.“ Terrys Ich-wünschte-ich-wäre-tot-Blick verwandelte sich allmählich in seinen Ich-wünschte-ihr-währet-tot-Blick. Er ging niedergeschlagen auf sein Zimmer und überprüfte seine Avengers. Das waren seine geliebten Handfeuerwaffen, die er sich vor einen Jahr auf dem Kreuzberger Schwarzmarkt besorgt hatte. In Rowlingstone hatte er die Missbrauch-der-dunklen-Künste-Stunden dazu genutzt, sie mit Todesflüchen magisch zu verstärken. Diese ließen sich mit einem Schalter an jeder der beiden Waffen auswählen. Der Junge war sich nicht sicher, was er jetzt machen sollte. Aber es hatte wahrscheinlich etwas mit Gewaltanwendung zu tun. Eigentlich die perfekte Einstellung für einen Nachwuchssoldaten, würde man meinen. Terry war jedoch der Überzeugung, dass Gewalt eine ganz persönliche Sache sei, falls man sie denn schon einwenden musste. Er würde sich nicht einfach so von einem daher gelaufenen Staat sagen lassen, wen er gerade zu erschießen hatte. Doch dann fiel ihm seine Freundin Hermione wieder ein. Er hatte ihr versprochen, seine überzeugendsten Argumente nach dem Sieg über den dunklen Lord nicht mehr so oft einzusetzen. „Verflucht!“ Währenddessen befand sich Terrys Geliebte im US-Bundesstaat Florida. Sie betrat ein altes Lagerhaus im verlassenen Industriegebiet einer Stadt, die sich bis heute keinen Namen hatte leisten können. Hier trafen sich die besten Wissenschaftler der Welt, um über ihre aktuellen Theorien zu sprechen und um darüber zu beraten, wie man die Wissenschaft in den Vereinigten Staaten wieder salonfähig machen könnte. Das erleuchtete Land mit den goldenen Straßen wurde inzwischen von einer kreationistischen Mehrheit regiert. Die Kreationisten waren Menschen, die glaubten, man müsse die Bibel beim Wort nehmen. Sie hatten zwar ein paar Probleme damit gehabt, zu beweisen, dass der Mensch aus Lehm bestand und dass er, insbesondere sie selbst, keinen gemeinsamen Vorfahren mit den Affen teilte und natürlich, dass Kaninchen Wiederkäuer waren - aber zu ihrem Glück interessierte sich inzwischen niemand mehr für Beweise. Sie mussten nicht einmal mehr auf die Pseudowissenschaft Intelligent Design zurückgreifen, um ihren Glauben zu verbreiten. Die letzten Wissenschaftler und Humanisten sammelten sich in der Brights-Bewegung. Für die Mehrheit der Bevölkerung galten sie als Volksverräter, verfügten also über ein Gehirn. Doch in jüngster Zeit hatten die Brights mit einigen zusätzlichen Problemen zu kämpfen gehabt. Es ereigneten sich plötzlich Dinge, die sie nicht erklären konnten. James Randi, der Uri Gellers als Schwindler entlarvt hatte, waren zum Beispiel neue Haare gewachsen. Er und Richard Dawkins, Autor von Horrorromanen wie „The selfish gene“, hatten das ganze letzte Jahr über versucht, die Existenz von mysteriösen Geschehnissen zu vertuschen. Denn sie mussten erst einmal herausfinden, was es mit diesen Dingen auf sich hatte. Wenn ihnen das nämlich nicht gelang, hatten Leute wie Uri Geller neues Ma-6-
terial für ihre Überzeugungen, von denen sie natürlich nicht wirklich überzeugt waren. Das würde ihnen die Chance geben, bei umso mehr Leuten die Spendenbereitschaft für wohltätige Organisationen wie den Internationalen Dachinteressensverband Obrigkeitshöriger Taubstummer („IDIOT“), zu erhöhen. Im Moment ging es bei den Brights um eine Kernfrage aus dem Bereich Quantenmechanik: Laut der so genannten Kopenhagener Deutung musste eine genau an der Kante aufgestellte und perfekt ausbalancierte Spielkarte in beide Richtungen gleichzeitig umfallen. Was aber nicht stimmte. Der Begriff „Dekohärenz“ hatte dieses Problem schon fast im Griff gehabt, weil er meinte, das wäre alles irgendwie ganz anders. Doch dann geschah Folgendes: Richard balancierte eine Spielkarte auf einem Tisch aus. Die Fachschaft erwartete nun, dass sie entweder auf die eine oder auf die andere Seite umkippte. Doch den Gefallen tat sie ihnen nicht: Sie kippte tatsächlich nach beiden Seiten gleichzeitig um. „Was sagst du dazu, Richard?“ fragte James. „Scheiße, oder?“ „Verdammte Scheiße“, antwortete Richard. Hermione gesellte sich zu ihnen und sagte: “Ich hätte da vielleicht eine mögliche Erklärung hierfür.“ „Eine wissenschaftliche?“ fragten Richard und James. „Ja.“ „Gepriesen sei der Herr!“ sagten sie erleichtert. „Ähm, ich meinte, gepriesen sei die Natur - oder gar keiner ...“, fügte Richard hinzu. „Ich glaube ...“ „Ähem!“ unterbrach sie James. „Ich denke, dass gerade zwei Dimensionen miteinander verschmelzen und es dabei zu einer gegenseitigen Übertragung einiger ihrer Naturgesetze kommt.“ „Das ist ein bisschen weit her geholt“, meinte Richard. „Auf der anderen Seite fällt uns auch nichts Besseres ein.“ Hermione konnte ihre These nicht weiter stützen, denn Schülern der Rowlingstone-Schule war es verboten worden, die Offenbarung ihrer Dimension zu riskieren. Warum, das war ein bisschen unklar. Vielleicht fragten sich die Zauberer, was den Muggeln wichtiger war: Die Erleichterung, dass es (scheinbar) übernatürliche Phänomene tatsächlich gab, oder die Angst davor, dass dem so war. Am nächsten Tag quälte sich Terry aus dem Bett. Er hatte kaum geschlafen und sah furchtbar aus. Das hieß bei Terry nicht viel, denn er sah immer so aus wie die Willkommens-Fußmatte vor dem örtlichen Arbeitsamt. Doch dieses Mal ging es darum, ob er nach Rowlingstone zurückkehren konnte, oder ob er in einem fernen und viel zu heißen Land andere Kindersoldaten erschießen musste. Als er gerade nach seinen Klamotten greifen wollte, sagte eine Stimme plötzlich „Merde“. Terry blickte hinunter auf den Stuhl, auf dem sich seine Kleider befanden. „Bonjour!“ ergänzte sie. „In Ordnung: Da hat sich offenbar ein Baguette mit Gesicht, Füßen und Händen auf meinem T-Shirt niedergelassen. Ich hoffe, dieser Umstand verbessert meine Situation“, dachte Terry. „Na schön: Wer bist du?“ fragte er das Baguette. Es sprang auf den Boden hinunter und sagte: “Isch bin Bernard, das Brot!“ „Willkommen in meinem Zimmer. Ich bin Terry Rotter. Du darfst gerne auf dem Stuhl sitzen bleiben“, sagte Terry. Das Brot begann zu schluchzen und zu weinen. -7-
„Sorry. Offenbar willst du doch lieber stehen“, spekulierte der Junge und stand auf. „Non, non. Das ischt es nicht. Mais isch bin noch nie gefragt worden, ob isch mich setzen möchte. Exactement comme le fraternité. Schlüchz.“ Terry befürchtete, man könne sie unten hören. Und er sollte den General ja noch nicht kennen lernen. Was ihm völlig egal war, aber er konnte im Moment auf Ärger verzichten. Außerdem hatte er sich einen ganz besonderen Plan für die Stolze Armee ausgedacht... Hinter diesem Begriff verbarg sich nichts anderes als das hiesige Militär. Es war nur von Bundeswehr in Stolze Armee umbenannt worden, weil vor ein paar Jahren jemand ein Buch geschrieben hatte, welches die deutsche Bevölkerung von der Zwecklosigkeit eines nationalen Militärapparates überzeugt hatte. Die Bundeswehr war jedoch zu stolz dafür gewesen, das einzusehen und deshalb nannte sie sich neuerdings: „Stolze Armee“. Unterstützung dafür fand sie bei bestimmten Schustern, die dafür Kritik ernteten, aber wirtschaftlich auf die Versorgung des Militärs angewiesen waren. Also kümmerten sich seitdem die so genannten „Stolzen Schuhmacher“ um angemessene Soldatenstiefel. Darum wurde das deutsche Militär von einigen Zynikern als Stolze Armee/Stolze Schuhmacher oder auch SA/SS bezeichnet. Die Abkürzung SA hatte sich inzwischen sogar eingebürgert, was auf einige armeeinterne Skandale in Verbindung mit Reitpeitschen und Heftklammern zurückzuführen war. „Sei leise!“ sagte Terry und legte kurz einen Zeigefinger auf seinen Mund. „Hm. Du kennst wohl nicht viele freundliche Zauberer, was?“ „Non, leider nein“, sagte Bernard und fügte hinzu: „Mon dieu, was 'abe isch gesagt?“ Das Baguette lief zu Terrys Heizung und schlug den Teil von ihm dagegen, den man wohl als Kopf bezeichnen konnte. „Hey! Meine Heizung geht kaputt! Hör sofort damit auf, du blödes, französisches ...“, sagte Terry aufgebracht. Das Baguette unterließ es höflich, seinen Kopf weiterhin zu malträtieren. „Es tüt mir leid. Isch 'ätte auch deine Tischlampe benützen können, aber meine Arme sind zu kürz. Schlüchz. Es ist ja alles so fürchtbar. Merde.“ „Was soll denn das alles überhaupt?“ fragte Terry. „Isch bin ein Haussklave. Güt, isch war nicht immer ein Haussklave. Isch war einmal Bäcker in Fronkreich und 'atte meine eigene Bäckerei. Aber dann 'at misch eine Zaubererfamilie entführt und isch toujours für sie arbeiten müss. Aber isch sie niemals beleidigen darf . Böser Bernard. Merde. Tout est merde!“ „Und warum bist du hier?“ fragte Terry. Das Baguette bekam diese großen, flehenden Augen. “Isch bin hier, um disch zu warnen! Du darfst nischt nach Rowlingstone zurückkehren!“ „Aber ich muss dahin zurück. Die Schule ist zwar auch Mist ...“ „Merde.“ „Genau. Aber ich will auf keinen Fall zur SA. Außerdem vermisse ich meine Freunde.“ „Freunde, die dir während der ganzen Ferien nischt geschrieben 'aben?“ „Woher weißt du das?! Moment mal: Was hast du denn da für einen Belag d’rauf?“ „Isch weiß nicht, wovon dü redest ...“ Terry teilte das Baguette in zwei Hälften und nahm seine Briefe heraus. „Ha! Nicht geschrieben, wie? Du hast sie abgefangen! Und du warst es auch, der meinen Freemail-Account blockiert hat! Du verdammtes, französisches ...“ -8-
„Non! Es tüt mir leid! Isch wollte dir helfen, Zaubererjünge! Isch dürfte das nischt. Es ist ja alles so fürchtbar. Ich wünschte, der Himmel würde mir auf den Kopf fallen. Merde!“ Das Baguette fing damit an, seinen Kopf zur Abwechslung gegen die Tür von Terrys Zimmer zu schlagen. „Böser Bernard! Böser Bernard! Merde!“ „Nein! Hör’ sofort auf damit!“ Schritte kamen von unten herauf. Terry packte das Baguette an seinen viel zu kurzen Armen und warf es in seinen Schrank. Er hielt die Tür mit seinen Füßen zu. Onkel Valium betrat das Zimmer. „Terry! Wir versuchen hier, das Beste für dich herauszuholen! Du könntest uns wenigstens dabei unterstützen!“ „Kümmere dich um deinen blöden General und lass mich zufrieden!“ Valium verließ das Zimmer und lief wieder nach unten. Am Esstisch saß ein ordensbehängter, haarloser Kerl mit strengem Blick. „Es tut mir Leid“, sagte Valium zu ihm. Das war nur die Katze, Hund, Taube eine Taube, die gegen das Fenster schlug, genau.“ „Hervorragend. Setzen!“ forderte der General und zeigte auf den gegenüberstehenden Holzstuhl. „Jawoll, Herr General!“ entgegnete Onkel Valium und setzte sich so ordentlich wie nie zuvor an seinen Platz. Währenddessen drohte Bernard Terry: “Wenn dü nischt auf misch willst 'ören, dann es müssen wohl sein ...“ „Nein. Ich gehe zurück nach Rowlingstone und du wirst mich nicht daran hindern! Besonders nicht, wenn du keinerlei Argumente vorbringen kannst, warum ich nicht zur Schule zurückkehren sollte!“ Bernard hastete die Treppe hinunter. Es war ein selten merkwürdiger Anblick. Terry versuchte, ihn einzuholen. Das Baguette bemühte sich, seinen Zauberstab aus der Innenseite seiner Wenigkeit herauszuziehen, was zunächst etwas problematisch war, denn seine Arme waren einfach zu kurz. „En fin! Et pour la grande finale ...“, sagte Bernard, während er seinen Zauberstab schwang. „Nein!“ sagte Terry. „Detonantium massivus!“ schrie Bernard und ein gelber Blitz flog auf den General zu, der seinen Kopf explodieren ließ. Tante Ficus stand entsetzt auf und stürmte hinaus, rutschte dann aber auf des Generals Kleinhirn aus und fiel zu Boden. Das Baguette löste sich per Fingerschnippen in Luft auf und so deutete plötzlich alles darauf hin, dass Terry das Ereignis zu verantworten hatte. Ein Brief kam durch das Fenster geflogen und landete in Terrys Hand. „Ließ ihn vor! Sofort!“ sagte Onkel Valium und stampfte auf. Terry las: “Sehr geehrter Mr. Rotter, wir möchten Sie darauf hinweisen, dass Sie keinerlei Zauberei in der MuggelWelt verwenden dürfen, insbesondere, wenn sie sich gegen Mitglieder der nonmagical community (Muggel) wendet. Aber gut, was soll’s. Übrigens: Lord Himmler ist ausgebrochen. Mit freundlichen Grüßen, Magdalena Schnitzelsandwich, Verbotene Verwendung von Magie und Kantine, -9-
Ministerium für Aberglauben, deutscher Sitz hinter der Kneipe ‚betrunkener Penner’ in Berlin“ Onkel Valiums Gesicht färbte sich rot. „Du hast uns ja gar nicht gesagt, dass du in der Muggel-Welt nicht zaubern darfst! Gut, dass du zum Militär musst! Du wirst diese blöde Schule nie wieder sehen!“ Terry hatte nicht im Geringsten vor, diese SA-Geschichte auch nur eine Sekunde zu akzeptieren. Vielleicht brauchte er ja gar nicht zu zaubern, um der Sache habhaft zu werden. Er zog mit wachsendem Blutdurst seine geliebte schwarze Bestatteruniform an, die aus einer Armeehose, einem Stoff-T-Shirt, einem Gürtel mit silberner Schnalle und einem Kurzmantel bestand. Er hatte sie in einem Laden in der Quantengasse gekauft, welche zur magischen Welt gehörte. Nicht zu vergessen: Die schwarzen Wanderstiefel und sein mit „Freund der Totprügler“ beschriftetes Armband. Jenes war Terry von einem netten Naturvolk im verbotenen Wald geschenkt worden, nachdem er dessen Dorf von Lord Himmlers Anwesenheit befreit hatte. Er schnallte sich seinen selbstgebastelten Schusswaffenhalfter um und lud seine Avengers. Zu guter Letzt schnappte er sich noch seinen schwarzen Rucksack, ein Souvenir aus London. Er verließ das Haus der Thorsleys in Richtung des nächsten Angriffskriegersatzamtes*. „Sind ihre nahen Verwandten an irgendeiner vererbbaren Krankheit gestorben oder haben an ihr gelitten?“ wollte die zuständige Ärztin wissen. Sie war schon alt, trug einen weißen Kittel, eine Brille und erweckte den Eindruck, als wüsste sie, was sie da tat. „Nein. Meine Eltern wurden von meinem Großvater ermordet, dem dunklen Lord Heinrich Himmler“, antwortete Terry wahrheitsgemäß. Er saß auf einem Stuhl der Ärztin gegenüber und bewegte sich nicht. „Sehr gut. Trinken Sie oder nehmen Sie Drogen?“ „Ich trinke oft etwas mit meinen Freunden oder mit Ragrid, einem großen Kerl, der in einer riesigen Strohrum-Flasche wohnt. Außerdem kann ich die Zeit mittels meiner magischen Fähigkeiten beeinflussen.“ „In Ordnung.“ Die Ärztin machte ein weiteres Häkchen auf ihrer Liste. „Konsumieren Sie Marihuana?“ „Nur wenn ich unsichtbar sein will oder mich in einem Terroristenausbildungslager der Al Kaida befinde“, antwortete Terry. Auch das stimmte, denn er hatte letztes Jahr von seinen Unsichtbarkeits-Joints Gebrauch machen und ein Lager der Al Kaida besuchen müssen. „Gut. Nun wenden Sie sich bitte an unseren psychologischen Gutachter. Den Gang hinunter.“ Der verantwortliche Psychologe schlug gerade ein Rad, wofür er Applaus von den anderen Musterungskandidaten erhielt. „Ah, da sind Sie ja, Herr Rotter. Haben Sie manchmal Depressionen?“ Der Psychologe setzte sich an einen PC und machte sich bereit zum Tippen. „Ich habe selten keine Depressionen.“ „So? Ist das manchmal so schlimm, dass Sie sogar Selbstmord begehen möchten?“ * Nachdem die SA/SS vor ein paar Monaten beschuldigt worden war, einen Krieg mit der Grafschaft Liechtenstein angefangen zu haben, was jedoch nicht bewiesen werden konnte, da dieses Land einfach zu klein dazu war, um Schäden feststellen zu können, hatten sie das Kreiswehrersatzamt in Angriffskriegersatzamt umbenannt. Ein Modewort, so zu sagen.
-10-
„Oh ja“, sagte Terry. „Aber meistens projiziere ich meine Wut auf andere und bringe die dann um.“ Was der Junge dabei nicht erwähnte war, dass er seine Wut nur auf die Personen projizierte, die sie auch tatsächlich auslösten. Ein ganz klein wenig Differenzierung mag auch eine Rolle gespielt haben. Streng genommen hatte er erst einen Menschen in Notwehr erschossen und das war natürlich voll ok. „Sehr gut, Herr Rotter. Solche Leute wie Sie können wir hier gut gebrauchen. Bitte setzen Sie sich noch eine Weile in den Warteraum und genießen Sie unsere Dokumentarfilme. Wir kontaktieren Sie dann, wenn wir unser Ergebnis haben.“ Im Wartezimmer lief gerade: „Die Helden des zweiten Weltkriegs“. Terry setzte sich zu den anderen Gemusterten. Terrys Großvater flimmerte über den Bildschirm. „Den kenne ich schon. Einer der Lieblingsfilme meiner Pflegeeltern“, sagte er, um die Stimmung etwas aufzuheitern. Doch das funktionierte nicht. Die anderen Kinder zitterten, manche weinten und vor allem die Mädchen schrieen nach ihren Eltern. Eines von ihnen verkroch sich in einer Ecke und redete mit einem Plakat. Terry verschränkte die Arme und grinste. „Macht euch keine Sorgen. Wenn ich mit denen fertig bin, werden sie es sein, die nach ihrer Mami schreien!“
-11-
Kapitel 2: Der Plan „Die zukünftige Elite des Landes steht vor mir! Glaubt es ruhig, denn ihr seid es, die unsere große Nation verteidigen werden, wenn die kriegslüsternen Israelis hier einmarschieren!“ verkündete Feldwebel Hauer voller Stolz, als er die neuen Kadetten, unter ihnen Terry, bei der Stolzen Armee willkommen hieß. Sie befanden sich auf dem großen Hof einer Baracke, welche für die gewaltigen Nachwuchswellen gebaut worden war. Terry überlegte, weshalb die Juden erneut als Verantwortliche feststanden. Sein Ausbilder wurde darauf auferksam und sagte: „Kadett Rotter: Sie sehen etwas nachdenklich aus. Ich sage ihnen gleich, dass sie mit dieser Einstellung hier nichts verloren haben!“ Terry versuchte nun, möglichst dumm dreinzublicken. Er erwiderte mit einem zackigen Disziplin-ist-klasse Ton: “Tut mir leid, Feldwebel! Kommt nie wieder vor, Feldwebel!“ Im Hinterkopf behielt er stets den Gedanken, wie alt diese hohlköpfigen Harpunierer des Gehirns bald aussehen würden. Hauer stolperte zufrieden ein paar Schritte weiter, bis er vor einem blonden Mädchen stehen blieb, das weinte. „Was muss ich da sehen! Hier wird nicht geheult! Die Juden werden auch nicht weinen, wenn sie sich an dem Blut eurer zukünftigen Kinder weiden und uns in Vernichtungslager stecken!“ Terry hatte inzwischen eine Theorie dazu entwickelt: Es gab anscheinend einige Deutsche, die jene Geschehnisse des 2. Weltkrieges nie richtig verarbeitet hatten. So war es zu einer Schuld- und Geschichtsüberkreuzstellung gekommen, durch die Opfer zu Täter wurden. Bei dem einen oder anderen, vornehmlich Mitglieder der Stolzen Armee, war es der Gesellschaft nicht geglückt, die durch ihre Eltern vermittelte Version wieder ins rechte - oder besser gesagt - ins richtige Licht zu rücken. Aber vielleicht waren auch alle einfach nur verblödet. „Was hast du da?“ fragte Hauer gereizt. „Das ist Polly“, antwortete das kleine Mädchen. „Wie lautet dein Name und wer ist ‚Polly’?“ konterte des Feldwebels eiserne Stimme. „Ich bin Susanne. Polly ist meine Freundin.“ „Ach, Polly ist also deine Freundin. Habt ihr das auch alle gehört?“ „Jawohl, Feldwebel Hauer!“ riefen die Kadetten. „So, so. Und was macht deine Freundin den ganzen Tag?“ „Sie tröstet mich, wenn es mir schlecht geht. Manchmal kochen wir auch zusammen Tee.“ Das 14-jährige Mädchen machte einen verstörten Eindruck, als es seine Puppe umarmte. Eigentlich hatte sie schon seit vielen Jahren keine mehr in den Händen gehalten, aber sie brauchte seelische Unterstützung für ihre Zeit beim Militär. Und außerdem stellten Puppen keine unangenehmen Fragen, wie zum Beispiel: Wieso spielst du mit 14 Jahren immer noch mit Puppen? Hauer schritt unruhig hin und her und versuchte, Fassung zu bewahren. „Ihr kocht also manchmal zusammen Tee. Was sagte Polly, sei ihre Lieblingssorte? Kamillentee, Grüner Tee, oder vielleicht sogar Schwarzer Tee?“ Das Mädchen zuckte zusammen und stotterte: “S-Sie hat es mir nicht gesagt.“ „Könnte das vielleicht daran liegen, dass sie VERDAMMT NOCH MAL KEIN -12-
MENSCH IST?! Her mit der Puppe, du dummes Kind!“ Hauer riss ihr die Puppe aus den Händen. Dann zerstückelte er sie in kleine Teile und ließ diese auf den Boden hinabsegeln. Terry griff nach seinen Avengers. Doch der Gesandte der Landesverteidigung war blitzschnell zur Stelle. „Halt! Was haben wir denn da, Kadett Rotter?“ „Das sind meine Waffen.“ Leugnen hatte keinen Zweck mehr. Hauer hatte Terrys Avengers schon von weitem als Schusswaffen identifiziert. Eine zentrale Fähigkeit von Soldaten. Dafür hatten sie einige Probleme bei der Erkennung von weißen Fahnen. „Lassen Sie mal sehen.“ „Vergessen Sie’s!“ Terry würde niemals seine Avengers irgend einem unwürdigen Banausen aushändigen. Seine Waffen waren für den Jungen gewissermaßen, was Polly für das blonde Mädchen war. Schließlich hatte er schon einen Nazi, ein Studiopublikum, einen Quizmaster, eine gewaltige fleischfressende Pflanze, ein riesiges, rosafarbenes Kaninchen und einen Gott damit erschossen. Nur dass Terry für gewöhnlich keinen Tee mit seinen Feuerwaffen teilte. Streicheln war aber des öfteren drin. „Hervorragend! Kadett Rotter steckt voller wichtiger Lektionen: Gib niemals deine Waffe aus der Hand! Aber woher haben Sie die eigentlich? Sie werden ja wohl kaum einen Waffenschein besitzen!?“ „Nein.“ „Hier haben Sie einen“, sagte Hauer und überreichte Terry ein modisches Stück Papier. „Danke, Feldwebel!“ „Danken Sie nicht mir, sondern der Stolzen Armee! Und ihr anderen Kadetten bekommt auch einen. Auf zum Schießstand!“ Hauer und der potenzielle Nachwuchs in Sachen Leute erschießen wurden von einem Sonderkommando begleitet. Sie sangen ein Lied über den Schießstand und tanzten, wohl um die Auszubildenden zu motivieren. Es ging etwa so: “Feuer, Feuer, auf die Ziele. Wir sind wenig, sie sind viele. Feuer, Feuer, auf den Feind, denn er ist nicht allzeit bereit. Feuer, Feuer, Scheiß Juden.“ So sehr wie jetzt hatte sich Terry noch niemals an den Kopf gelangt. Als ihm der Feldwebel zu nahe kam, wandelte er die Geste geschickt in einen militärischen Gruß um. Obwohl, war eigentlich dasselbe. Fairerweise sollte man erwähnen, dass man Soldaten der Bundeswehr früher beigebracht hatte, wie man Kampfhandlungen vermied oder wenigstens die Opferzahlen gering hielt. Auch dachte man sich stets einen überzeugend klingenden Grund dafür aus, weshalb man sie in Krisenregionen sandte. Doch -13-
eines Tages beging man einen großen Fehler: Man lehrte dem Volk simple Mathematik. Und schon bald fiel den Leuten die Differenz zwischen der Größe des Militärhaushalts und den Ausgaben für Entwicklungshilfe auf, welcher letztlich die Umwandlung der Bundeswehr in die Stolze Armee begünstigte. Endlich erreichten sie den Schießstand. Die Kinder bekamen diverse Waffen in die Hände gedrückt. Terry schnappte sich ein Scharfschützengewehr und legte an. Er feuerte, schien das Ziel jedoch verfehlt zu haben. „Na, das war wohl nichts, Rotter!“ sagte der Feldwebel. „Sind Sie sicher?“ Hauer erblickte Oberfeldwebel Schulz durch sein Fernglas. Er torkelte den Hügel hinunter, auf dem sich die Ziele befanden und hielt sich den Bauch. „Feuer einstellen!“ sagte er zu den Kadetten. Ah: Sie haben meinen Vorgesetzten erwischt! Sehr gut, Rotter!“ „Danke, Feldwebel!“, sagte der Junge und nahm das Gewehr herunter. Schulz erreichte schließlich den Schießstand und wandte sich an Hauer: “Feldwebel Hauer! Nächstes Mal sagen Sie mir gefälligst, wann sie hier Schießübungen machen!“ „Jawohl, Herr Oberfeldwebel! Doch bedenken Sie das Verbot, den Zielhügel zu betreten, Herr Oberfeldwebel!“ „Feldwebel Hauer! Was muss ich da hören? Hier wird nicht gedacht! Das wissen Sie doch, Sie Pfeife!“ „Jawohl, Herr Oberfeldwebel! Kommt nie wieder vor, Herr Oberfeldwebel!“ „Also schön. Welcher ihrer Kadetten hat diesen einwandfreien Schuss abgegeben?“ „Kadett Rotter, Herr Oberfeldwebel.“ „Gut. Sie wissen, was zu tun ist, Hauer. Ich werde nun ein Lazarett aufsuchen. Sieg H... Ich meine: Guten Tag, Feldwebel!“ Schulz torkelte langsam hinfort, fiel in der Nähe der Offiziersbaracke auf den Boden und blieb dort regungslos liegen. Hauer gab erneut den Feuerbefehl und die meisten Kadetten versuchten eher schlecht als recht die Pappsoldaten zu erwischen, welche etwa 100 Meter entfernt in einer ordentlichen Reihe auf dem Zielhügel aufgestellt waren. Terry hatte mit jedem Schuss nanometergenau getroffen. „Ausgezeichnet, Rotter! Eine weitere ganz fabelhafte Leistung! Ich ernenne Sie zum neuen Gruppenführer! Sie werden ihre Kadetten kommandieren, wenn ich nicht da bin. Und Sie haben das Recht, sich in der Offiziersbaracke aufzuhalten. Verstanden?“ „Jawohl, Feldwebel!“ antwortete Terry monoton, als ob er sich in einem langen, mentalen Schlaf befände. Es gelang ihm ziemlich gut, sein hämisches Grinsen zu verbergen, denn ohne es zu wissen, hatte ihm Hauer gerade einen großen Gefallen erwiesen. Nach einer weiteren Woche bekam er endlich eine erste Gelegenheit, sein Amt des Gruppenführers auszuüben, denn der Feldwebel hatte sich beurlauben lassen, um zu einem Freizeitpark zu fahren, welcher seiner Ansicht nach von einer gezeichneten Maus gegründet worden war. Wie dem auch sei: Terry versammelte sich und die anderen Kinder auf einem kleinen Hinterhof bei den Baracken. Da seine Untergebenen nicht genau wussten, an wen sie bei Terry geraten waren, stellten sie sich hochdiszipliniert in Reih und Glied auf. „Ok, Leute. Folgendes: Ich musste in letzter Zeit ein wenig den Tyrannen spielen, um mein Ziel zu erreichen. Ich entschuldige mich dafür. Susanne?“ „Ja, Herr Gruppenführer?“ „Nenn’ mich Terry. Es sei denn, Soldaten sind in der Nähe. Hier, ich habe dir -14-
eine neue Puppe besorgt. Aus einem mir nicht näher bekannten Grund liegen einige davon in der Offiziersbaracke herum, gleich neben den Strapsen. Na ja, jedem das seine.“ Das Mädchen zögerte. „Hier, nimm. Es ist ein Geschenk“, sagte der Junge, der wieder begonnen hatte, zu überlegen. Susanne nahm langsam die Puppe, gewann dann den Eindruck, sie könne der Situation vertrauen und knuddelte sie. „Schlimm, was das Militär mit so einem unschuldigen 14-jährigen Geschöpf anrichten kann“, dachte Terry kopfschüttelnd. An die Kadetten gewandt, sagte er: “Ich habe in Erfahrung bringen können, dass wir von Freitag bis nächsten Donnerstag eine große Stützpunktbesichtigung machen werden. Ihr sollt euch dadurch entscheiden können, wie eure Karriere bei der Stolzen Armee weiter gehen soll. Unsere Zeit dort ist unterteilt in acht Stunden Besichtigung und Training an den dortigen Gerätschaften, also je nach dem: Hubschrauber, UBoote, Panzer – alles da, was mit Steuergelder zu kaufen war. Und dann bleibt uns noch eine Stunde zusammen, nur der Gruppenführer und die Kadetten. Etwas Besseres hätte uns gar nicht passieren können, denn hier kommt mein Plan ins Spiel ...“ Die Kinder hörten Terry gespannt zu und waren sofort hellauf begeistert von seinem Vorhaben. Wenn das funktionieren würde - dann wären fast alle Probleme dieses Landes auf einmal gelöst. Und das, obwohl nicht einmal ein Wollknäuel in Terrys Plan vorkam. Der Bundestag, das deutsche Parlament, Hüter von Freiheit und Demokratie, Garant für Brüderlichkeit und Recht, hatte gerade seinen Parkettfußboden vergolden lassen. Die Vernünftige Partei hatte nämlich einem Vorschlag der Konservativen Partei nachgeben müssen, da sie zusammen mit der RAPD (Rassistisch Antisemitische Partei Deutsch(e)lands) eine Mehrheit in dieser Frage hatte bilden können. Die Konservative Partei vertrat die Ansicht, Besucher aus anderen Ländern sollten von Deutschlands schönen, vergoldeten Parkettfußböden von säkularer Größe überwältigt werden und sich so unwürdig dabei vorkommen, dass sie sich nie wieder trauten, deutschen Forderungen zu widersprechen. Die Vernünftige Partei hatte dagegen argumentiert, dass man das Geld lieber dem angefressenen Haushalt zu Gute kommen lassen solle. Die RAPD war ursprünglich der Ansicht gewesen, der Vorschlag ginge nicht weit genug und man müsse die anderen Länder am besten gleich wegbomben, einigte sich aber schließlich mit der Konservativen Partei. Währenddessen plädierten die Grünen für einen Regenwald anstelle des Parkettfußbodens und die Kommunisten wollten ihn gerecht an die Bevölkerung verteilen. Doch alle waren sie letztlich froh, dass sie sich nach einem Jahr hitziger Debatten über den Bundestagsboden endlich hatten einigen können. Abgesehen davon gab es nicht viel zu tun für das Parlament, und wenn doch, so hatte man den Abgeordneten mal wieder nichts davon erzählt. Doch es bestand kein Grund zu vorschneller Freude, denn die Kuchen Partei, momentan die drittstärkste Kraft nach Konservativer Partei und Vernünftiger Partei, eröffnete eine neue Debatte. Abgeordneter Müller betrat das Rednerpult. „Ich möchte den Abgeordneten dazu auffordern, vom Rednerpult herabzusteigen, denn es war teuer und geht dadurch nur kaputt“, riet des -15-
Bundestagspräsidenten Stimme durch die Lautsprecher, welche willkürlich im Bundestag verteilt worden waren. Müller entschuldigte sich und trat vor das Pult: “Meine sehr geehrten Damen und Herren ...“ Die RAPD ließ sich zu einigen obligatorischen Zwischenrufen hinreißen: “Judenfreund! Volksverhetzer!“ „Ich bitte um Ruhe!“ sagte der Bundestagspräsident. „Danke. In meiner heutigen Rede geht es einmal mehr um eine entscheidende Frage: Sollen wir oder sollen wir es nicht jedem Bürger ermöglichen, kostenlos Freikuchen zu beziehen?“ „Herr Abgeordneter ...“, seufzte der Bundestagspräsident. „Nein, wirklich! Überlegen Sie doch einmal: Wenn der Staat jedem einen Kuchen bezahlen würde, würde das die Wirtschaft ankurbeln: Bäcker könnten wieder investieren, neue Arbeitsplätze entstünden durch die neu errichteten Backstuben und denken sie nur an die Botschaft: Arm und Reich, wir sind alle gleich! Denn jeder kriegt einen Kuchen! Wäre doch klasse. Und jeder wäre viel glücklicher, weil er Kuchen essen könnte, ohne sich über die Finanzierung Gedanken machen zu müssen.“ Während die anderen Parteien verzweifelt ihre jeweiligen Köpfe auf die Bänke hinab senkten, ergriff wiederum die Stimme des Bundestagspräsidenten das Wort: “Ich möchte den Abgeordneten Müller dazu auffordern, möglichst bald kein Idiot mehr zu sein!“ Plötzlich ertönten Schritte aus dem Treppenhaus und von einer Sekunde auf die nächste strömte eine Gruppe bewaffneter Kinder in den Sitzungssaal und verteilte sich an strategisch ausgeklügelten Positionen. Der Abgeordnete Müller überließ Terry das Mikrofon. „Zuhören, ihr Penner: Ich halte hier in meiner Hand einen Fernzünder. Wenn ich ihn betätige, fliegen all’ eure schönen neuen Militärstützpunkte in die Luft, also solltet ihr mir lieber zuhören: Ich fordere die sofortige Auflösung der Stolzen Armee. Ihre Stützpunkte werden in Flüchtlingslager und andere soziale Einrichtungen umgewandelt und humanistischen Organisationen unterstellt!“ Der Abgeordnete Müller flüsterte Terry etwas ins Ohr. Nur die Antworten des Jungen waren im Saal zu hören: „So? Aha. Das mag ja sein, aber ... Hm - Na schön, meinetwegen!“ Terry wandte sich erneut an die schockierten Abgeordneten: „Des weiteren soll einem jeden und jedem einen Bürger dieses Landes ein Kuchen übereignet werden. Kostenlos.“ „Ha! Was sagt ihr nun?“ fragte der Abgeordnete Müller in die Runde. Mit geborgter Selbstsicherheit ergriff der Abgeordnete Strohmann der Konservativen Partei das Wort: “Wir werden uns von Terroristen niemals erpressen lassen! Ohne Militär haben wir keine Verteidigung mehr! Und wer schützt uns dann vor den Israelis – äh – vor den radikalen Islamisten?“ „Das ist kein Problem. Ich habe bereits mit ihren Anführern gesprochen*. Wenn wir keine Möglichkeit mehr dazu haben, sie anzugreifen, besteht auch für sie kein Anlass mehr dazu, uns anzugreifen. Die Tore werden geöffnet für * Als die Thorsleys voriges Jahr vor Eulen, Rowlingstones Briefträger, auf der Flucht gewesen waren, versteckten sie sich eine Weile lang bei Anhängern der Al Kaida in Afghanistan. Terry machte dort Bekanntschaft mit einigen Terroristen, obwohl er meistens nur in ihren Hanffeldern herumlag (ihre Einkommens- und Inspirationsquelle). Sie hatte er auch kürzlich zwecks
-16-
die Diplomatie. Und im Zweifelsfall haben wir immer noch die Polizei, unsere Verbündeten und die Möglichkeit, einen Militärapparat sehr schnell aus dem Boden zu stampfen. Doch im Frieden stellt er eine Bedrohung der Demokratie dar, vermute ich wenigstens.“ „Aber unser Land hat eine lange militärische Tradition! Ich akzeptiere ...“, entgegnete der Abgeordnete Strohmann. „Wagen Sie es ja nicht, in meiner Gegenwart das Wort Tradition zu erwähnen!“ unterbrach ihn Terry, während er mit seiner freien Hand seine Avenger auf Strohmann richtete. „Ich musste jahrelang Gedenkveranstaltungen für gefallene deutsche Soldaten der beiden Weltkriege beiwohnen, nur aus Tradition! Ich musste mich jahrelang in einem mittelalterlichen Schulsystem zu Tode langweilen, das es nur aufgrund von Tradition noch gibt! Ich musste jahrelang mit ansehen, wie ihr nur auf euren fetten Ärschen herumsitzt und sich nichts verändert! Und das alles nur aus Tradition!“ Müller flüsterte Terry einmal mehr etwas ins Ohr. „Oh ja. Ja. Genau. Ganz Recht. Allerdings!“ sagte Terry. An die Volksvertreter gewandt, ergänzte er: „Und ihr habt diese unerträglichen Kantinenkuchen in unseren Schulen zu verantworten! Allein dafür allein gehört euch schon ordentlich eins ’rein gewürgt!“ „Und woher sollen wir wissen, dass sich wirklich Bomben in unseren Militärstützpunkten befinden?“ „Schauen Sie mal aus dem Fenster“, sagte Terry. „Welches Fenster?“ wollte Strohmann wissen. Terry stellte seine Avengers auf Mini-nukleare-Detonationen und sprengte ein Loch in die Wand des Saales. Einige pflichtbewusste Glaseinsetzer machten sich ans Werk und ein neues Fenster ward entstanden. „Dieses hier!“ meinte Terry mit Fingerzeig auf das glasbesetzte Loch. Er betätigte einen Knopf auf seinem Fernzünder und die im Bau befindliche Kaserne gegen internationale Zusammenarbeit auf der anderen Straßenseite explodierte in einer wunderschönen Detonation, wie es Militäreinrichtungen halt so machen. Nach einer nur zweistündigen Diskussion, was ein neuer Rekord für sie war, einigten sich die Abgeordneten auf Folgendes: Innerhalb von vier Wochen wurden alle Militärstützpunkte in Flüchtlingslager, Pflegeheime, Umerziehungslager für die Soldaten und ähnliche Einrichtungen umgewandelt. Diese mussten eine mindestens 100 Quadratmeter große Grünfläche enthalten, Waffen wurden vernichtet, die Soldaten in Sozialarbeiter umgelernt und jedes Lager musste mindestens einen Stand mit kostenlosem Kuchen, auf Vorschlag der Konservativen Partei vornehmlich Schwarzwälder Kirsch, enthalten. Eines der Kindersoldaten lief zu Terry und fragte ihn, was nun zu tun sei. „Keine Ahnung. Hätte nicht erwartet, dass das funktioniert“, flüsterte er. Das Kind blickte unsicher hin und her. An den Bundestag gewandt sagte Terry: “So. Schön. Ich schlage vor, Sie lassen die eingezogenen Kinder zu ihren Familien zurückkehren. Wir haben bislang niemanden verletzt, also denke ich, das wäre einzurichten, oder?“ Zögerlich raffte sich Strohmann zu einer Antwort auf: “Also schön. Die ganze Sache war sowieso eine fixe Idee.“ Besprechung bezüglich des Eiswagen-Vorfalls und seinem Plan besucht. Offenbar hatte der Eiswagen-Selbstmordattentäter ohne Anweisung gehandelt und war daher nach seinem Anschlag unehrenhaft aus der Organisation entlassen worden. Terrys Einschätzung zufolge hatten religiöse Fundamentalisten nicht alle Tassen im Schrank.
-17-
Die Abgeordneten taten das erste Mal in ihrem Leben etwas Sinnvolles und verließen den Bundestag. Sie kümmerten sich um die Durchführung von Terrys Forderungen und brachten die Kinder nach Hause. Terry lief eine Weile lang durch seine Heimatstadt Berlin und lehnte sich irgendwann erschöpft am Brandenburger Tor an. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr, die er sich in einem örtlichen Laden gekauft hatte. Aus dem ein oder anderen unverständlichen Grunde, konnte sie nicht nur bis zu 500 Meter unter Wasser die exakte Uhrzeit laut der altindischen Zeitrechnung anzeigen, sondern auch die Zeit in verschiedenen Dimensionen. Folglich war sie sowohl hier als auch in Rowlingstone zu gebrauchen. Terry wartete auf etwas. Genau genommen wartete er auf eine Antwort auf die Frage, was er hier eigentlich wollte. Auf einmal entdeckte er ein fliegendes Objekt. Als es näher kam, bemerkte der Junge die schwarze Färbung jenes Dinges, die ihm schon einmal gut gefiel. Offenbar handelte es sich um ein Auto. Es drehte eine Runde um das Brandenburger Tor und landete schließlich vor Terrys Füßen. „Ein fliegender Trabi! Man hatte die real existierenden Sozialisten vielleicht doch ein wenig unterschätzt“, überlegte der Junge, der überlegte. Ron stieg aus dem Kunstwerk proletarischer Baukunst und schloss seinen Freund in die Arme. Er fasste sich wieder und sagte: „Terry! Ich dachte schon, dir wäre etwas passiert! Warum hast du uns denn nicht geschrieben?“ „Hi Ron. Das habe ich, aber ein sprechendes Baguette hat meine Briefe abgefangen, weil es mich von Rowlingstone fernhalten wollte.“ „Warum?“ „Wollte es nicht sagen. Wie kommst du hier her?“ „Ich und Hermione haben uns Sorgen um dich gemacht. Im Muggel-Fernsehen haben wir einen Bericht über die Besetzung eures Parlamentes gesehen und dachten, dass das deine Idee gewesen sein musste. Kein anderer Mensch wäre schließlich arrogant genug dazu, so eine Aktion durchzuziehen. Ich fragte dann ein bewaffnetes Kind, wo du hin wolltest - schließlich würdest nur du auf die Idee kommen, Kindern Waffen zu geben - und hier bin ich.“ „Stimmt nicht. Das war der verhängnisvolle Einfall der Regierung. Die drehen hier alle in letzter Zeit ziemlich am Rad. Also: Wohin soll’s gehen?“ fragte Terry. „Zu mir. Ach ja: Glaubst du, irgend ein Muggel hat den fliegenden Trabi gesehen?“ „Ja. Aber das ist denen doch egal. Hauptsache, sie können sich die neueste Folge von ‚Neurotiker im Kuhstall’ anschauen.“ Das Problem der Menschen lag normalerweise darin, Dinge zu sehen, die es entweder nicht gab, oder die es unter Vorraussetzung eines gewissen geistigen Niveaus eigentlich nicht geben durfte, wie zum Beispiel Talk Shows. Rein zufällig sahen sie manchmal aber auch Dinge, die tatsächlich existierten. Sowohl fliegende Trabis als auch Bücher, die nicht von einer britischen Kinderbuchautorin geschrieben wurden, gehörten nicht dazu. „Na, dann ist ja gut. Komm, steig ein! Es wird Zeit, sonst merken meine Eltern noch, dass ich mir ihre Karre ausgeliehen habe.“
-18-
Kapitel 3: Das Schloss „Ist es das?“ fragte Terry. „Jepp.“ Ron und Terry waren gerade auf dem Weg zur bescheidenen Behausung der Grievlys. Nach der Überquerung der Straße von Dover in Richtung des Vereinigten Königreiches flogen sie nun erhaben über die gepflegten Rasen Ihrer Majestät hinweg. Vorbei an rasenden Reportern, die über des Premierministers neue Kleider berichten wollten, vorbei an freilaufenden Hühnern, an gefilterten Industriegärten, vorbei an überwachten Containerstädten, erreichten sie endlich das Dimensionstor zur magischen Welt. Es stand auf einem Rübenacker herum. „Hm. Das sieht aus wie das Tor aus dieser einen Fernsehserie ...“ „Die, in der dieser große Kerl mitspielt?“ wollte Ron wissen. „Ja, genau. In der einen Folge essen sie Kuchen.“ Der Abgeordnete der Kuchen Partei hatte Terry offenbar für sich gewinnen können. Ron betätigte einen Knopf am Armaturenbrett des fliegenden Trabis. Daraufhin begann sich in dem Ring ein waberndes Etwas zu bilden. Es flimmerte erst eine Weile, bevor es sich stabilisierte. „Dieser blöde Wackelkontakt!“ fluchte Terrys ärmlich gekleideter Freund. Der schwarz schimmernde Trabi flog hastig durch das Tor. An den zwei Freunden zogen Sterne, Galaxien und die Sundance Filmfestspiele vorbei, bis sie schließlich die magische Dimension erreichten. „Warum sind wir durchs All geflogen? Ich dachte, unsere beiden Welten wären direkt nebeneinander!?“ wunderte sich der Junge, der überlegte. „Das sind sie auch. Dieses verdammte Tor muss mal wieder gewartet werden“, erläuterte Ron. Auf der Beifahrerseite tauchte ein flügelschlagendes Schaf auf. Es grinste Terry an, als ob es sagen wollte: „Tja, das hättest du wohl nicht erwartet!“ Die Wiesen hatten sich derweil auf einen bayerischen Volkstanz geeinigt, sehr zu Terrys Missfallen. Die Gräser warfen sich fröhlich hin und her und drehten sich im Kreis. Die beiden Nachwuchszauberer erreichten bald ein romantisches Gebirge, oder besser gesagt: Einen einzigen romantischen Berg. Normalerweise hätte man an dieser Stelle ein Gebirge erwartet, aber die restliche Umgebung war es wohl überdrüssig, uneben zu sein. Nadelwälder und Laubwälder wechselten sich auf dem Flug nach oben ab. Auf einen Teil des Berges lag Schnee, der andere Teil genoss ein ausgiebiges Sonnenbad. Trotzdem näherte sich der Tag ganz offiziell seinem Ende. Zumindest gemessen an dem edlen Abendrot, das sich in der Ferne gemütlich ausstreckte. Endlich erblickten sie auf dem Gipfel ein herrliches, weißes Schloss. Wohl ein Abkömmling des Absolutismus. Der Epoche, in der sich die hungernde Bevölkerung an der Gewissheit hatte nähren können, dass ihr Geld in künstlerisch aufwändigen Bauten angelegt wurde. „Und da wohnst du!?“ fragte Terry überwältigt. Der Trabi verlor an Höhe und kreiste um das Schloss. „Nein. Da wohnt der Rest meiner Familie. Ich wohne da drüben.“ Ron verwies mittels Zeigefinger auf einen zerbrechlich wirkenden kleinen Schuppen, der seinen Platz neben dem Hintereingang des prächtigen Schlosses gefunden hatte. Sie landeten und fuhren die letzten paar Meter in -19-
die Garage der Grievlys. Ein Bauwerk, das jeder Muggel wohl als Automuseum bezeichnet hätte. Sie stiegen aus und machten sich auf den Weg zum Haupteingang: Ein wahrhaft großes Tor aus feinstem norwegischen Eichenholz. Ron legte die rostige Klinke um. Sie bestand nicht etwa aus billigen Metallen, sondern aus purem Gold. Jedes Kind wusste natürlich, dass Gold als Edelmetall nicht oxidierte, also auch nicht verrosten konnte. Nur die Welt der Magie zeichnete sich einmal mehr durch schiere Ignoranz aus. Die Decke der Eingangshalle wurde getragen von dorischen Marmorsäulen und die Wände waren verziert mit Porträts der Familie Grievly, exklusive Ron natürlich. Am Ende des roten Teppichs befand sich das Treppenhaus, auf dessen gar marmornen Treppen die Grievlys bereits ihren Sohn mit säuerlichem Gesichtsausdruck erwarteten. Die pummelige Mrs. Rosaline Grievly stand mit verschränkten Armen neben ihrem Mann Karl und ihren Zwillingssöhnen Frank und Joe, sowie Rons 13-jähriger Schwester Guinness, kurz Ginny, benannt nach der Lieblingsbiersorte Alecs, Rons ältestem Bruder, der eine Stufe weiter oben stand. Ginny war eine ganze Weile lang in einen jungen Romantiker namens Michael verliebt gewesen.* Doch ihre Eltern, also Rosaline, hatten sie bereits für eine zukünftige Heirat mit Prinz Ausdertraum vorgesehen, wie das Reiche halt so machten. Zu ihrem Glück wurde der jedoch von einem Volkswagen überfahren. Michael allerdings auch. Zu Ginnys Glück verliebte sie sich aber sowieso ständig in einen Neuen, was Alec für nicht standesgemäß hielt. Alecs Geschwister warfen ihm oft vor, sich zu viel darauf einzubilden, dass er in Rowlingstone die Ämter des Vertrauensschülers und Klassenzimmerblumengießers bekleidete. Da er das partout nicht einsehen wollte, hatten ihn Frank und Joe eines Tages in der Muggel-Welt von einigen Neuropsychologen durchchecken lassen. Diese hatten tatsächlich den empirischen Beweis dafür erbringen können, dass Alec der arroganteste Mensch der Welt war. Natürlich interessierte ihn die Meinung von Muggeln nicht. Und die von Zauberern sowieso nicht. Wie die anderen Grievlys, außer Frank und Joe, denen der Trabidiebstahl leider nicht selbst eingefallen war, wollte er Ron eigentlich mit strengen Worten empfangen, doch als die Familie Terry entdeckte, änderte sich ihre säuerliche Mimik schlagartig. „Der leibhaftige Terry Rotter!“ riefen sie alle. Terry und Ron liefen auf sie zu, während erstgenannter seinen gleichgültigen Blick auflegte. „Du bist es wirklich! Willkommen in unserem bescheidenen Heim!“ trällerte Rosaline erfreut. Sie stolperte auf Terry zu, schubste ihren Sohn zur Seite und nahm ihn in den Arm. „Tut mir leid, das mit dem Auto. Ich wollte nur ...“, meinte Ron. „Kümmere du dich um unseren undankbaren Sohn, Karl“, forderte Rosaline. Karl erschrak und erläuterte an Ron gewandt ohne jede Intonation: „Ron, das war wirklich falsch. Dass mir das bloß nie wieder vorkommt.“ Ja, es fehlte eindeutig die Überzeugung in seiner Stimme. Seine Frau Rosaline musste sie sich ausgeborgt haben. Einmal mehr bemerkte Terry, dass Ron seit dem Ereignis mit dem dunklen Magier erheblich schlechter gestellt war als seine Geschwister**. Man konnte also davon ausgehen, dass Rosalines Erklä* Schließlich brauchten Abtreibungsbefürworter gute Argumente. ** Als Ron noch ein kleiner Junge gewesen war, erreichte der Kampf gegen Lord Himmler einen Höhepunkt. Einer von dessen schwarzen Magiern besuchte eines Tages Rons Vater, ein hoher Beamter im Ministerium für Aberglauben, um ihn zu töten. Doch Karl befand sich gerade im
-20-
rung „So, nun da das erledigt ist: Lasst uns essen!“ ihren jüngsten Sohn nicht mit einschloss. Terry war zwar noch nie mit Rons schlechter Behandlung einverstanden gewesen, aber auf der anderen Seite hatte er dessen Fähigkeit, nicht sterben zu können, schon einige Male zu seinem eigenen Vorteil ausgenutzt. Deshalb war er sich nicht sicher, ob es ihm zustand, Ron bei dieser Sache zu helfen. Und außerdem war er im Augenblick sowieso viel zu faul dazu. Rons Mutter schnippte mit den Fingern, woraufhin Essen kochende Geräusche aus der Küche zu hören waren. Ron und Terry machten sich auf den Weg zur Quelle jener tätigen Töne. Es verstand sich natürlich von selbst, dass es sich bei der grievlyschen Küche um einen Raum von epischen Ausmaßen handelte. Etwa zehn Haussklaven huschten darin umher und bereiteten diverse Delikatessen zu. Dies war ein Begriff, der sich aus dem Altorientalischen ableiten ließ und so viel bedeutete wie: Teuer, ohne Nährwert und ungenießbar, oft in Verbindung mit pikanten Körperteilen von nicht minder pikanten Lebewesen. Die Grievlys setzten sich an ihren Platz und Terry wurde der unwahrscheinlich kostspielige Ebenholzstuhl am Ende des Tisches zugewiesen. Für Leute, die nie das zweifelhafte Vergnügen hatten, Benimmregeln lernen zu müssen: Am Kopf des Tisches saß immer der Hausherr. Und normalerweise fiel diese Rolle dem Vater und Ehemann der Familie zu. Bei den Grievlys trug dagegen Rosaline jene schwere Bürde. Allerdings nicht in dieser speziellen Situation, schließlich war heute jemand zu Gast, der in der sozialen Hierarchie über den Grievlys stand. Ein Umstand, den Terry bislang jedes einzelne Mal nach allen Regeln der Kunst ausgenutzt hatte und gar nicht daran dachte, ausgerechnet jetzt oder sonst irgendwann einmal damit aufzuhören. Die kleinen Haussklaven ähnelten einem Wesen, das alleine auf einem unwirtlichen Planeten lebte und Privatstunden in Dinge-Grundlos-Herumschweben-Lassen erteilte. Sie brachten Cocktails herein. Es handelte sich dem Geschmack nach um den Inhalt der Gallenblase eines Nilpferdes mit einer Kirsche oben drauf. Ron bekam stattdessen sein obligatorisches leeres Glas. Plötzlich riss jemand die Tür des Speisesaals auf. Alle Augen richteten sich auf den Autor des Buches, das der werte Leser gerade in den Händen hält - oder das er sich über irgendeine Tauschbörse heruntergeladen hat. Er trug seinen geliebten schwarzen Stoffmantel und auch ansonsten Kleider, die denen Terrys sehr ähnlich waren. Er war nur größer und ein paar Jährchen älter als der Junge, der überlegte. Außerdem trug er eine Brille und hatte rot-schwarz gefärbte Haare, mit denen er laut einer Zugehörigen der damaligen Bundeswehr wie der Teufel in Person aussah. Er trug ein unwirkliches Element in sich. Es war fast so, als könne er jenseits der von ihm konstruierten Wirklichkeit nur durch Glück, dumme Sprüche und fetthaltige Nahrung überleben. Mit Angstschweiß auf der Stirn rannte er in den Raum hinein und versteckte sich hinter dem Esstisch. „Sie kommen. Sie sind hinter mir her. Sagt ihnen, ich sei nicht hier. Bitte!“ Mehrere anzugtragende Männer mit Aktenkoffern und glattgeschmierten Haaren huschten in den Speisesaal. Rosaline erhob sich und sagte: Schlossgarten, um einen Joint zu rauchen. Genau in dem Moment, als der dunkle Zauberer einen Todesfluch auf Ron schleuderte, betrat sein Vater den Raum. Er schaffte es gerade noch, mit einem Gegenfluch zu kontern. In der Eile und unter Einwirkung der Droge konterte Karl jedoch mit dem falschen Fluch, die kombinierten Energieblitze trafen seinen Sohn und der dunkle
-21-
“Wer sind Sie und wie kann ich Ihnen behilflich sein?“ Der Oberanzug antwortete: “Wir sind die Rechtsvertreter der juristischen Person Weiche Birne Produktionen, dessen geistiges Eigentum schamlos von einem gewissen Individuum zu eigenen Zwecken verwandt wurde. Angesichts einer zivilrechtlichen Entscheidung, laut der sich die kriminelle Übernahme diverser Handlungselemente eines Werkes des von uns geschützten Urhebers durch das angesprochene Individuum innerhalb der Legalitätsgrenzen bewegt, wurde die Entwicklung einer unternehmensinternen Justiz erforderlich, laut deren Rechtsgrundsätzen dieses Individuum zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Wir fordern Sie daher zur sofortigen Herausgabe des beschriebenen Individuums auf. Danke für ihre Kooperation.“ Der Autor zupfte an Terrys schwarze Armeehose und er blickte nach unten. “Hey, Junge: Du bist mir noch etwas schuldig, weißt du noch? Als du Gott erschossen hattest, habe ich dich zurück auf die Erde geschickt! Bitte tu irgend etwas! Die verfolgen mich schon seit dem Knusperhäuschen. Sie haben sogar Darwin gedroht, weil er zu Lebzeiten angeblich Urheberrechte der Natur verletzt hatte, indem er ihre Funktionsweise erkundete.“ „Ist ja schon gut“, erwiderte Terry. An die Anzüge gewandt sagte er laut: “Meine Herren: Es wird sich alles aufklären. Ich möchte Sie nur kurz nach draußen bitten.“ Sie verließen den Speisesaal und befanden sich nun mehr in der Empfangshalle, die noch immer von dorischen Säulen getragen wurde. Der Oberanzug sagte: “Wer sind Sie denn eigentlich? Und wie glauben Sie, zur Lösung unseres kleinen Problems beitragen zu können?“ „Mein Name ist Terry Rotter. Ich bin einer seiner Charaktere. Ich möchte Ihnen zwei Lösungsmöglichkeiten anbieten: 1. Sie lassen uns in Ruhe oder 2. Ich reiße Ihnen die Köpfe ab.“ „Ich muss doch sehr bitten: Rechte wurden verletzt!“ sagte der Aktenkoffer, wohl Zweiter in der Hierarchie nach dem Oberanzug. „Meiner Erfahrung nach fangen gewisse Rechte für gewöhnlich den Streit an“, meinte Terry. „Nein, so nicht! Ich nehme Sie fest wegen Verletzung von §131!“ „So sei es!“ sagte Terry. Der Anzug wirft seinen Koffer in die Luft, öffnet ihn und zieht den ultimativen Urheberrechtskatalog heraus. Er holt aus und versucht, ihn Terry in die Magengegend zu schleudern. Doch der Junge schaltet in Zeitlupe um*, weicht aus und hechtet geschwind hinter eine der Säulen. Doch da Geld bekanntlich Zeit ist, sind auch Anwälte dazu in der Lage, die Zeit zu ihrem Vorteil zu manipulieren. Sie öffnen alle ihre Koffer und ziehen Gesetzesbücher heraus. Terry stellt derweil seine Avengers auf Schnellfeuer um und springt aus seiner Deckung hervor. Die Kugeln rasen auf die Bürokraten zu, doch sie blocken diese mit Hilfe des Paragraphen ab, der den Besitz von Schusswaffen verbietet. „Na schön: Manifesto Katana!“ ruft Terry und ein japanisches Schwert reißt sich von der Wand des Schlosses ab und fliegt dem Jungen zu. „Hey! Die sind nur in einer dekorativen Funktion legal!“ betont der Oberanzug Terry rennt auf die Anwälte zu und schwingt seine Waffe. Die Grievlys betraten die Empfangshalle. Rosaline stieg über den einen oder Magier suchte das Weite. Seitdem war Ron unsterblich. Seine Eltern nutzten diesen Umstand konsequent aus, in der Annahme, es sei zum Wohle ihres Jungen. * Terry hatte sich die Fähigkeit, die Zeit zu beeinflussen im verbotenen Abteil der Bibliothek von Rowlingstone angeeignet. Er konnte sie allerdings nicht zurückspulen. Vorzugsweise bis zur
-22-
anderen Körper hinweg und legte einen Arm auf Terrys Schulter. „Das Essen wird kalt, mein Guter. Aber wie ich sehe, hast du die Angelegenheit bereits zu deiner vollsten Zufriedenheit regeln können.“ „Durchaus. Sehr dekorativ hier“, meinte der Junge mit Blick auf diverse Köpfe, die schlecht gelaunt, aber den Vorschriften entsprechend, in den Salon rollten. Der Junge und Mrs. Grievly begaben sich zurück zum Esstisch und letztgenannte wandte sich an die Haussklaven: “Der Salon und die Empfangshalle könnten ein wenig Aufmerksamkeit vertragen.“ „Sehr wohl, Madam“, antwortete einer der Unbezahlten. Der Autor bedankte sich bei Terry, verabschiedete sich von den Grievlys und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Knusperhäuschen, um Darwin tröstend in den Arm zu nehmen. Nachdem sie ein geflügeltes Schaf verdrückt hatten, während Ron versucht gewesen war, sich an dessen Duft satt zu essen, bemerkte Rosaline Terrys mitleidvollen Blick. Sie nahm seine Hand und sagte: “Es ist nur zu seinem Besten. Fasten hat eine hohe Bedeutung in zahlreichen Religionen. Es wird ihm bestimmt gut tun.“ Terry war nicht gut auf Religionen zu sprechen. Er hatte sich vor seinem ersten Jahr in Rowlingstone einige Male an Priester gewandt und ihnen seine Probleme mit den Thorsleys erläutert. Sie erteilten ihm zwar alle Absolution, jedoch hatte Terry eigentlich nach Hilfe gesucht und nicht nach göttlicher Vergebung für die Sünden seiner Pflegefamilie. Er riss sich von Rons Mutter los und ließ seine Hand beschwörend durch die Luft gleiten, während er sagte: „Sie werden Ron in Zukunft genau so gut behandeln wie ihre anderen Söhne!“ Rosaline wiederholte den Satz hypnotisiert. „Er wird ein eigenes Zimmer hier im Schloss erhalten, neue Kleider und etwas zu essen.“ Auch diesen Satz sprach ihm Rosaline nach, als habe ihr jemand einen göttlichen Auftrag erteilt. Für Außenstehende war es vielleicht ein bisschen schwer zu verstehen, warum Terry Rons Mutter Befehle erteilen konnte. Die Antwort war nicht etwa in der Magie, sondern in der Welt der Reichen und Schönen zu suchen: Terry war sowohl berühmter und, was noch viel wichtiger war, er hatte auch mehr Geld als die Grievlys. Also durfte er von seinem Recht Gebrauch machen, kund zu tun, was sich schickte und was nicht. Als Rons Mutter wieder zu sich kam, sagte sie: “Ach ja: Ron und Terry, ihr könntet mir einen Gefallen tun ...“ Ron flüsterte seinem Freund begeistert zu: “Sie redet mit mir! Und sie bittet mich um etwas, anstelle Dad zu beauftragen, es mir zu befehlen!“ Mrs. Grievly fuhr fort: ”Wir haben ein Ungezieferproblem im Garten.“ „Wieder die Gartenzwerge, oder? Welche denn?“ fragte Ron voller neuem Tatendrang. „Die roten“, antwortete Rosaline. „Oh nein!“ sagte Ron. „Nicht schon wieder!“ Die beiden Nachwuchszauberer begaben sich in den Schlossgarten. Es handelte sich um einen typischen französischen Garten, der sehr penibel zuZeit, in der er noch nicht geboren war.
-23-
rechtgeschnitten und gepflegt war. Eine Allee mit exakt zylinderförmigen Kiefern führte sie in ein Gebiet mit Blumenbeeten, Kirschbäumen, die im Teich ein Bad nahmen, und den besagten Gartenzwergen, die einigen Schneeglöckchen lüstern hinterher jagten. Sie trugen einen roten Stern auf ihrer Zipfelmütze und T-Shirts mit Logos von Karl Marx und Mao Tsetung darauf. „Kommunistische Gartenzwerge?“ „Sie klauen immer unsere Unterwäsche und diverse andere Dinge und bunkern sie irgendwo in ihren Höhlen im Untergrund. Das ist echt nervig“, erläuterte Ron. „Also, inzwischen wundert mich gar nichts mehr“, meinte Terry. In Wirklichkeit wunderte ihn fast alles. Sowohl die magische Welt als auch die Welt der Muggel schienen nicht so zu funktionieren, wie sie es eigentlich sollten. Aber durch die gewaltige Anpassungsfähigkeit Terrys an seine Umwelt und aufgrund einer gewissen Faulheit, hatte sich seine persönliche Evolution dazu entschlossen, neuen Dingen zwar aufgeschlossen aber ebenso emotional gleichgültig zu begegnen, wie allem anderen eben auch. „Und wie werdet ihr sie los?“ „Man packt sie an ihren Beinchen und schleudert sie in dieses kleine Waldstück dort drüben.“ Ron verwies auf einen Dschungel der Größe des brasilianischen Regenwaldes, der an ihr Grundstück angrenzte und sich auf der einen Seite des Schlossberges hinunter und immer weiter in die magische Welt hinein erstreckte. „Oder du erschießt sie einfach“, schlug Ron vor. „Ach nein. Ich empfinde ein wenig Mitleid für sie“, meinte Terry. Offenbar hatte er den Begriff „Mitleid“ noch nicht oft verwendet, denn es fiel ihm hörbar schwer, ihn auszusprechen. „Kommen sie nicht irgendwann wieder?“ fragte der Junge, der überlegte, irritiert. „Nein. Die dort lebenden Ahornbäume beuten ihre Arbeitskraft aus und lassen die Gartenzwerge für sich Wasser und symbiotische Pflanzen und Tiere holen. Immerhin besser, als unsere Unterwäsche zu klauen“, erklärte Ron. „Offensichtlich... Aber wo kommen die Gartenzwerge eigentlich her?“ wollte Terry wissen. „Aus China.“ Terry und Ron rannten den Zwergen hinterher, doch sie waren ziemlich schnell für ihre Größe. Sie versteckten sich hinter Büschen, in Blumenbeeten und auf zurecht geschnittenen Bäumen. Manchmal warfen sie Phrasen wie „Tod den Klassenfeinden“ oder „Gartenzwerge aller Länder vereinigt euch“ hinein. Nach einer Weile blieb Terry stehen und sagte: “So kriegen wir sie nicht. Ich schlage Wirtschaftssanktionen vor.“ Die roten Gartenzwerge, die über ein gewisses, wenn auch beschränktes, Sprachverständnis verfügten, versuchten, die Bedeutung von Terrys Worten zu entschlüsseln, um so auf seine neue Strategie reagieren zu können. Terry nutzte ihre Verunsicherung aus und schnappte sich überraschend zwei von ihnen aus der Menge. „Ha! Das hättet ihr wohl nicht erwartet!“ sagte er überlegen. Er gab Ron einen der Gartenzwerge. Die Jungs packten sie an ihren Beinchen und drehten sich im Kreis. Als ihr Drehsinn recht hoch war, ließen sie los und die Proletarier flogen in das genannte Waldstück hinein. Die zwei Magier beobachteten, wie die dort lebenden Bäume sich ihrer annahmen. Sie ließen die Zwerge sofort für sich schuften und peitschten sie bei Nichtgehorsam mit ihren Ästen aus. Terry und Ron fuhren mit der Prozedur fort, bis sich die Bäume -24-
über ein reichhaltiges Sortiment günstiger Arbeitskräfte erfreuen konnten. Und die Personalnebenkosten lagen praktisch bei Null. Außerdem konnte Ron nun mit der Sicherheit einschlafen, dass er auch am nächsten Tag noch über seine Unterwäsche verfügen würde. Trotzdem war er nicht ganz zufrieden mit dieser Lösung. „Weißt du Terry: Manchmal frage ich mich, ob es wirklich richtig ist, was wir hier tun.“ „Ich nicht“, meinte Terry. „Aber ich habe was gegen diese Ahornbäume.“ Die letzten paar Tage der Ferien verbrachte der wohl populärste Zauberjunge aller Zeiten bei den Grievlys. Rons neues Zimmer war an Luxus kaum noch zu überbieten. Wenn er irgend etwas wollte, musste er nur auf einen Knopf drücken und sich mit seinem Wunsch an die Haussklaven wenden, die ganz glücklich mit ihrem Beruf zu sein schienen. Das Zimmer war groß genug für Terry und Ron - und theoretisch noch für zehn weitere Bewohner - so dass sie es sich teilten. Die meiste Zeit übten sie entweder im Schlossgarten Quititsch - Albert, Terrys Wanderfalke, hatte dem Jungen nämlich sein Snowboard zurück gebracht - oder sie schauten sich Sendungen mit einem zynischen Gnom an, die sie beide ungemein witzig fanden. Das Zauberfernsehen entsprach in etwa dem Muggelfernsehen, nur, dass es in den Politmagazinen statt um herkömmliche Tierrechte um Rechte von Kobolden und Dinosauriern ging und hin und wieder Angehörige der Troll-Partei das Studio demolierten. Ein Problem des magischen Parlamentes war es scheinbar, dass das Parteiprogramm der meisten Parteien darauf hinauslief, alle anderen Parteien verbieten zu lassen. Vor einigen Monaten hatte es derlei Probleme noch nicht gegeben, aber dann hatte der Schulgärtner Rowlingstones, ein Gehilfe des dunklen Lords, die Minister für internationale Quititschregeln und für Hexenverbrennung ermordet. Gerade diese beiden Minister waren stark am Erhalt der Geheimdiktatur des Ministeriums für Aberglauben beteiligt gewesen. Irgendwie konnte die magische Welt aber nicht viel mit parlamentarischer Demokratie anfangen. Politologen befürchteten Schlimmes, sollte im magischen Ministerrat der Kuchen ausgehen. Eines Tages betrat Mrs. Grievly Rons Zimmer und stolperte über diversen Unrat, bis sie ihren Sohn unter einer Decke aus ungewaschenen Klamotten vorfand. Terrys Bett und seine Hälfte des Zimmers waren dagegen sehr ordentlich und aufgeräumt. Seinen Ordnungswahn hatte er von den Thorsleys erlernt und wurde ihn nun nicht mehr los. Als Rosaline die beiden Jungs geweckt hatte, sagte sie: “Heute sind eure Einkaufslisten für die Schule mit der Eulenpost gekommen. Und Terry: Dein Wanderfalke hat ein paar Säckel Gold angeschleppt. Wo soll ich die hin bringen?“ „Einen der Goldsäckel nehme ich mit. Kann ich die anderen hier lagern?“ fragte der unverschämt reiche Junge. „Sicher. Dein Geld ist hier unter Freunden.“ Mrs. Grievly überreichte Terry seine Einkaufsliste. Er las sie sich durch: „Schüler des zweiten Jahrgangs der Rowlingstone Schule für Esoterik und mystischen Krimskrams benötigen: ‚Das Buch der Sprüche’, Band 2 von Wolfram Weise ‚Abenteuer Anderer’ von Timidus Lotleak ‚Nicht mein Buch’ von Timidus Lotleak -25-
‚Aufgeschnappt aber Wissenswert’ von Timidus Lotleak ‚Die Lehre von so manchem’ von Timidus Lotleak ‚Abgeschriebene Geschichte’ von Timidus Lotleak ‚Die magische Welt aus der Sicht eines Verlierers’ von Timidus Lotleak und ‚Die Biographie eines Unwürdigen’ von Timidus Lotleak“ Ron hatte gerade seine eigene Liste überflogen und warf nun einen Blick auf Terrys. „Du musst dir also auch alle Lotleak Bücher kaufen. Unser neuer Missbrauchder-dunklen-Künste-Lehrer muss wohl ein Fan von ihm sein. Wahrscheinlich eine Hexe. Oder ein Homosexueller.“ „Ron!“ ermahnte ihn Mrs. Grievly. „Tut mir leid, Mum.“ Ron wusste nicht, was ein Homosexueller war, aber es reichte ihm, dass sich seine Mutter darüber aufregte, wenn er diesen Begriff verwandt. „Ach ja: Und hier ist noch ein Brief von eurer kleinen Freundin.“ Terry las Hermiones Brief vor: „Lieber Ron und Terry, wenn du da bist, ich hoffe, alles ist glatt gelaufen und du hast nichts illegales gemacht, um Terry davon abzuhalten, seine Regierung zu erpressen. Tut mir leid, dass ich dich nicht besuchen kommen konnte, aber ich musste noch einmal in die Vereinigten Staaten gehen. Sie haben mir einen Ehrendoktortitel verliehen - toll, nicht war? Wir sind dann am Mittwoch in der Quantengasse, wir können euch ja dort treffen. Und wehe, du hast jemanden erschossen, Terry! Bis dann, hab euch lieb, Hermione“ „Ich habe doch nur einen einzigen Oberfeldwebel erschossen, ist doch halb so wild. Gibt sowieso viel zu viele davon“, meinte Terry. „Sie wird’s überleben“, sagte Ron. „Macht euch dann fertig. Es wird Zeit, zu gehen“, warf Mrs. Grievly dazwischen. „Wohin?“ wollte Ron wissen. „Es ist Mittwoch. Wir müssen zur Quantengasse und eure neuen Schulsachen kaufen. Hm, das wir teuer. Lotleaks Bücher sind nicht gerade günstig. Tja, die armen Leute, die sich das nicht leisten können. So ein Pech.“ Nach dem Frühstück versammelten sich alle im Salon vor dem Kamin. An Terry gewandt erläuterte Mrs. Grievly: “Wir reisen mit Feenstaub.“ „Homosexuell“, sagte Ron leise. Doch Mrs. Grievly hatte ihn gehört: “Ron! Das ist eine absolut gebräuchliche Art zu reisen in der Welt der Magie!“ „Ja, Mum“, sagte Ron. „Alec, Frank, Joe, Ginny und Karl, ihr geht zuerst rein. Ihr müsst Terry zeigen, wie es geht“, sagte Mrs. Grievly. Sie stellten sich nacheinander in den Kamin, wo sie versuchten, nicht auf -26-
heiße Asche zu treten, schütteten Feenstaub über ihre Köpfe und sprachen laut den Namen ihres Reisezieles aus, also „Quantengasse“. Darauf wurden sie in glitzernde Sternchen eingehüllt und lösten sich auf. Als Ginny an der Reihe war, fragte Terry: „Warum muss man dazu eigentlich in den Kamin gehen?“ „Damit Mum den Feenstaub nicht vom Teppich kehren muss“, erläuterte Ron. Als Terry Feenstaub in die Hand nahm, sagte Mrs Grievly: „Aber sei vorsichtig, dass du nicht Gasse des Bösen sagst, mein Junge. Ist ziemlich ungemütlich dort und die verkaufen lauter verbotene Sachen.“ „Ist das so?“ meinte Terry. „Gasse des Bösen!“ Der Junge, der überlegte, verschwand unter einem Vorhang aus funkelnden Sternen.
-27-
Kapitel 4: Vor dem Tor Finstere Gestalten aller Art sitzen herum. Einige Zauberburschen: Warum denn gar nichts tun? Andre: Seht, dort drüben läuft manch ein Huhn. Die Ersten: Ruhig, wir wollen hören, was es sagt. Ein Zauberbursche: Hühner sind eher sprachlose Gesellen. Zweiter: Jene Tiere sind gar nicht schön. Die Zweiten: Was redest du? Ein Dritter: Ein jedes die andern plagt. Vierter: Dort kommt einer herauf, gewiss ihm nehmen wir Die schönsten Kleider und das beste Bier... Terry: Und Prügel von der ersten Sorte. Fünfter: Du überlustiger Passant, Juckt dir als ersten hier die Hand? Er mag keinen Kampf, spricht nur grausig Worte. Zauberin: Nein, nein! Ich gehe zur Gasse zurück. Andre: Wollen ihn nicht länger mit Gered’ erhellen. Terry: Das ist für euch ein großes Glück. Nietzsche: Willst dich zu den Fisch’ gesellen? Der Autor: Mit dir gleich werd’ ich füttern sie! Nietzsche: Versuch es nur, du schaffst es nie! Terry war gerade in der Gasse des Bösen angekommen. So manch ein arg grausig schwankender Zauberer kreuzte seine Wege, dunkel glitzernde Augen, schmutzig riechende Hüte und wohliger Alkoholduft waren allgegenwärtig. Und doch: Keine brauchbaren Waren in Sicht. Stattdessen nur ein kleiner bleicher Junge, der in einem finsteren Laden verschwand. „Efeu! Ich hätte es wissen müssen!“* sagte Terry und folgte ihm. Im Inneren des Geschäftes fanden sich allerlei Gegenstände, die gekonnt Illegalität ausstrahlten. Ein Skelett flüsterte Terry leise „Hier her!“ zu und versteckte den Jungen hinter einem Schrank. Spongo gesellte sich zu seinem Vater, der an der Kasse auf den Ladenbesitzer wartete. Luzifer Efeu hatte die selben emotionsarmen Gesichtszüge wie sein Sohn und die selben farblosen grauen Augen. Seine langen Haare hingen widerwillig von seinem hohen Haupt herab. Spongo startete eine seiner missgönnenden Reden über Terry: „Ich hasse ihn. Letztes Jahr durfte er als einziger unseres Jahrgangs ins Quititsch-Team. Und das auch noch als Schnapper! Er ist nicht einmal sonderlich gut. Nur weil er berühmt ist. Der große Terry Rotter! Kniet nieder vor ihm.“ „Das hast du mir jetzt schon 22,5 mal erzählt. Genug davon!“ verlangte Luzifer. Terry flüsterte an das Skelett gewandt: “Eigentlich hat er damit vollkommen Recht.“ „Yeah, that’s life”, meinte das Skelett. „... jeder denkt, er sei so gerissen, der große Rotter mit seiner Narbe und seinem Snowboard...“ „Stimmt“, bestätigte Terry. „Ach, irgendwann siehst du über solche Dinge hinweg. Spätestens wenn sich deine Augen nur noch an den Bakterien in einem Second-Hand-Sarg erfreuen können“, versuchte ihn das Skelett aufzuheitern. * Natürlich hätte er es weder wissen müssen noch wissen können.
-28-
„Mr. Efeu. Welch ‚Freude’ Sie hier wieder einmal begrüßen zu dürfen. Was darf ich Ihnen anbieten?“ fragte der Verkäufer. „Ich kaufe heute nichts, Mr. Doubtable, ich verkaufe“, antwortete Luzifer. „Sie verkaufen?“ „Sie sagen es, Doubtable. Wie Sie sicher wissen, führt das Ministerium seit der Sache mit dem aufblasbaren Spielzeugkamel verstärkt Hausdurchsuchen durch,“ sagte Mr. Efeu, während er eine kleine Truhe unter seinem Umhang hervor holte. „Und ich besitze ein paar Utensilien, die mich in Bedrängnis bringen könnten, sollte das Ministerium ...“ „Ich verstehe“, sagte der Ladenbesitzer. Luzifer öffnete die Truhe und Doubtable erblickte einen Taschenrechner, ein Duschgel und einen Schokoriegel darin. Er ließ die Sachen schnell hinter dem Tresen verschwinden. „Ich frage mich, was das Ministerium mit den ganzen verbotenen MuggelArtefakten anstellt, nachdem sie diese konfisziert haben ...“, überlegte der Verkäufer. „Ha, gewonnen!“ rief das Skelett von hinter dem Schrank her. „Was war das?“ fragte Mr. Efeu überrascht. Terry hielt dem Skelett die Kiefer zusammen. Es hatte ihn gerade im Daumendrücken geschlagen und seine Freude darüber etwas zu laut kund getan. Während sich Mr. Efeu im Raum umsah, legte Mr. Doubtable seinen Zeigefinger auf die Lippen und warf einen kurzen Blick in Richtung des Schrankes. Zum Glück war sein Skelett auch ohne diese Geste gesehen zu haben still. „Ach, das war nur das Holz von diesem Regal dort drüben. Es ächzt dann und wann. Ich muss es wohl mal wieder ölen“, meinte der Ladeninhaber. „Für die Ware biete ich Ihnen zehn Silberstücke.“ „20“, sagte Luzifer mit Griff an seinen Zauberstab. „Oh, sagte ich zehn? Ich meinte natürlich 20 Silberstücke“, korrigierte sich Mr. Doubtable. Er reichte Mr. Efeu das Geld und lächelte auf mäßig überzeugende Weise. „Es war wieder einmal ein Vergnügen, mit Ihnen Geschäfte zu machen“, sagte Luzifer und wandte sich an seinen Sohn: „Spongo, wir gehen.“ Nachdem die beiden unglaublich bösartigen Zauberer den unwahrscheinlich zweifelhaften Laden verlassen hatten, verabschiedete sich Terry von dem Skelett und schlich sich hinaus. „Lebendige Menschen können also doch ganz nett sein“, stellte es erleichtert fest. „Na schön. Die Zeit ist gekommen, in der es mich interessiert, wo ich hier eigentlich bin ...“, überlegte Terry laut. Ein Schild am Straßenrand stellte fest: „Du bist hier in der Gasse des Bösen.“ „Sehr informativ“, entgegnete der Junge. „Und wie komme ich zur Quantengasse?“ „Bevor ich dir das verrate, musst du mir erst einmal einen kleinen Gefallen tun“, erläuterte das Schild. „Ich möchte, dass du den Schmutz von mir wischt.“ „Nun gut. Aber nicht mit meinen schönen Sachen!“ sagte Terry und schnappte sich einen Taschendieb aus den Reihen der Passanten. Er reinigte mit ihm das Straßenschild und warf ihn wieder zurück. „Ich danke dir. Zur Quantengasse geht es dort die Treppen rauf“, erläuterte das Schild. Terry machte sich auf den Weg. Auf einmal erschienen drei Banditen vor ihm und bedrohten ihn mit ihren Zauberstäben. -29-
„Geld oder Leben!“ stellten sie fest. „Was schlagt ihr vor?“ fragte der Junge. „Wir raten zum Geld“, sagte einer der Banditen. „Vorschlag angenommen“, antwortete Terry und verlangsamte die Zeit. Er schnappte sich die Brieftaschen der Räuber und hängte letztere mit ihren Kapuzen an einer Straßenlaterne auf. Er kehrte zur Echtzeit zurück und stieg die Treppen hinauf. Auf halbem Wege begegnete er Rubeus Ragrid. Ein Mann von markanter Körpergröße, der sich in Rowlingstone um die Tiere kümmerte. Er hatte sich im letzten Jahr mit Hermione, Ron und Terry angefreundet. Der Junge, der überlegte, war sehr beeindruckt gewesen von der Strohrumflasche, die Rubeus sein Zuhause nannte. „Tag Ragrid!“ sagte Terry. „Oh, ähm - Hallo Terry! Was für eine freudige Überraschung! Ich würd’ mich aber net hier rumtreibe’, wenn ich du wär’!“ entgegnete Rubeus. „Ziemlich g’fährlich.“ „Und was willst du dann in der Gasse des Bösen?“ „Hm. Gute Frage. Und wo gehst du jetzt hin?“ „Ich sollte mich eigentlich in der Quantengasse mit den Grievlys treffen. Ich denke mal, die sind inzwischen in diesem Buchladen. Wie hieß der noch?“ „Flounder and Bluffs.“ „Genau”, sagte Terry. „Tja, hoffentlich fällt dir bald wieder ein, was du hier wolltest.“ „Ich denke schon. Also bis dann, mein Junge!“ Vor Flounder and Bluffs warteten nicht nur Ron, Ginny und Mrs. Grievly auf Terry, sondern auch Hermione. Als sie ihren Freund entdeckte, rannte sie samt verlangsamter Zeit und im Wind wehenden Haaren zu ihm und schlug ihm gegen den Arm. Dann küsste sie den Jungen, der überlegte, warum ihn Hermione geschlagen hatte. „Es ist so schön, dich wieder zu sehen“, stellte sie fest. „Ja. Es ist auch schön dich wieder zu sehen - abgesehen von leichten Schmerzen auf dem Oberarm.“ „Du hast die Anwälte von Weiche Birne erschossen! Ron hat es mir erzählt!“ „Stimmt ja gar nicht. Ich habe sie enthauptet“, erwiderte Terry, der auf seine Kreativität beim Leute auseinanderlegen ziemlich stolz war. „Du hast mir doch versprochen, dich zurückzuhalten!“ sagte Hermione beleidigt. „Habe ich doch. Du glaubst ja nicht, wen ich alles nicht umgelegt habe: Die Thorselys, die Regierung, die Offiziere der Stolzen Armee ... Na gut: Alle Offiziere bis auf einen. Aber der war ganz zufrieden damit.“ „Da habe ich mir vielleicht einen geangelt ...“, sagte Hermione kopfschüttelnd. „Ach was. Wollen wir miteinander schlafen?“ „Du bist wirklich unmöglich!“ stellte das Mädchen fest und strich sich die Haare zurück. „Warte wenigstens noch, bis wir zurück in der Schule sind!“ Mr. Grievly spazierte die Straße entlang, bis er sich der Gruppe näherte. „Entschuldigen Sie, Mr. Grievly!“ rief Terry. „Ja?“ „Luzifer Efeu hat in einem Laden in der Gasse des Bösen ein paar MuggelArtefakte verkauft.“ „Ich wusste es. Mal sehen, ob ich ihn dafür irgendwie drankriegen kann. Aber ich schätze, das wird sich nur schwer nachweisen lassen“, befürchtete Mr. Grievly. „Und wenn nicht: Kriege ich dann eine Lizenz, die mich dazu berechtigt, ihn -30-
von irgendeiner Klippe zu schubsen?“ „Ich glaube eher nicht“, schmunzelte Rons Vater. „Mist. Naja, wer braucht schon eine Lizenz ...“, murmelte Terry. Hermione zog einen Mann und eine Frau heran, die auffallend wenig wie Zauberer aussahen und stellte sie als ihre Eltern vor. Mrs. Grievly war davon sofort begeistert: „Oh, Sie sind also Muggel! Hervorragend! Sind Sie sehr vermögend?“ „Nein, wir sind Sozialarbeiter“, antwortete Mrs. Stranger. „Ein grausames Schicksal. Naja, wir müssen unbedingt mal einen Tee zusammen trinken. Ich möchte mehr von den Luxusgütern der Muggelwelt erfahren. Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir in ein etwas abgelegeneres Café gehen? Muss uns ja nicht jeder gleich zusammen sehen ...“ „Nein. Das ist schon in Ordnung. Etwas anderes könnten wir uns sowieso nicht leisten. Wissen Sie, wenn Hermione kein Stipendium bekommen würde ...“ „Ja, ja. M-hm. M-hm. Aber erst sollten wir einmal die Schulsachen für die Kinder kaufen“, schlug Mrs. Grievly vor. Es war einer dieser Vorschläge, die eigentlich eher eine Feststellung waren. Terry sah sich während des Gespräches zusammen mit Hermione das Schaufenster von Flounder and Bluffs an. Ein großes Banner war darin aufgehängt worden. Es trug die Inschrift: Timidus Lotleak wird heute seine Autobiographie „Die Biographie eines Unwürdigen“ signieren. 12:30- 16:30 Anm.: Bitte nicht zu viel Applaus „Ach, er ist so süß!“ schwelgte Hermione und legte ihren Kopf auf Terrys Schulter. „Wer ist das?“ fragte Terry. „Der Kerl, der die meisten unserer Schulbücher geschrieben hat, nicht wahr?“ „Ach. Er ist der beste Schriftsteller aller Zeiten! Leider ist er ziemlich schüchtern. Er glaubt, er habe den Erfolg nicht verdient, weil er nur die Abenteuer anderer Zauberer aufschreibt. Aber sie beauftragen ihn ja auch dazu und er verzichtet auf den Großteil seines Gehaltes und verspendet das Geld für wohltätige Zwecke. Er ist ja so ein lieber Kerl!“ schwärmte Terrys Freundin. „Frauen. Ich traue Leuten nicht über den Weg, die glauben, sie könnten Probleme friedlich lösen“, meinte Terry. „Typisch“, sagte Hermione. „Hey, ich habe es versucht. Aber meiner Erfahrung nach schlagen sie einfach weiter auf dich ein, wenn du dich nicht ordentlich wehrst. Und außerdem haben Schriftsteller sowieso nicht alle Tassen im Schrank* “ „Es ist richtig, Gutes zu tun!“ sagte Hermione. „Und außerdem spendet er das Geld zur Rettung der Succubus-Wale und nicht für die Resozialisierung krimineller Jugendlicher.“ „Klingt aber auch gefährlich“, meinte Terry.** * Duppeldidupp. Lang lebe das Wollknäuel. ** Und das waren sie auch: Die Succubus-Walkuh war dafür bekannt, dass sie ihren Gatten kurz nach der Paarung in den Wahnsinn trieb und mit seinem ganzen Vermögen ins Nirvana verschwand.
-31-
„Kommt, Kinder!“ rief Mrs. Grievly und betrat das Geschäft. Die anderen taten es ihr gleich und bald sah sich Terry mit einer kleinen Bühne im Inneren des Buchladen konfrontiert, die man offenbar zu Ehren des berühmten Autors aus dem Boden gestampft hatte. Die Bücherregale waren so an den Seiten angeordnet, dass die Bühne geradezu wie ein Schrein wirkte. Den religiösen Bezug verstärkten die Kerzenhalter und die Mönchsgesänge im Hintergrund. Ein Fotograf der Tagesbild stand frontal vor der Bühne, allerdings in der Nähe des Eingangs, damit er auch die ganzen Lotleak-Jünger einfangen konnte. Sein Literaturagent schob den verängstigten Timidus auf die Bühne und die Masse brach in Begeisterungsstürme aus. Plötzlich sprach der Fotograf Terry an: „Hey, bist du nicht Terry Rotter?“ „Wer will das wissen?“ fragte der Junge. Doch seine Frage blieb unbeantwortet und einige Sekunden später fand er sich auf der Bühne neben Lotleak wieder. Er begrüßte Terry: „Hallo, mein Junge! Tut mir leid, dass du dich mit mir fotografieren lassen musst.“ Als die magische Digitalkamera endlich Ruhe fand, sagte Timidus: “Wenn du willst, schenke ich dir gerne mein gesamtes Werk als Entschädigung.“ „Das können Sie sich an den Hut stecken. Aber Sie könnten mir und meinen Freunden die Schulbücher spendieren, die schließlich vor allem von Ihnen stammen.“ „Aber gerne“, sagte Lotleak. Ein Mann mit einem Lektor -Namensschildchen flüsterte ihm etwas ins Ohr. „Ich befürchte, das geht doch nicht“, meinte er schließlich. „Es ist ein so schöner Tag. Da kann man Blümchen gießen oder Lektoren töten“, drohte Terry. Der Lektor flüsterte Lotleak wieder etwas zu und Timidus sagte: “Geht klar!“ Das Publikum applaudierte „Ich soll Ihnen allen noch mitteilen, dass ich dieses Schuljahr den Posten des Missbrauch der dunklen Künste Lehrers in Rowlingstone bekleiden werde“, fügte er hinzu. Besonders Hermione war von dieser Information sehr angetan und sprang freudig auf und ab. „So, also wer will, dem schreibe ich nun meinen unwürdigen Namen auf sein Exemplar meiner Biographie. Tut mir leid, dass sie dafür auch noch anstehen müssen. Wirklich, ich bin es nicht wert, Sie können ruhig wieder gehen.“ Timidus Fans dachten gar nicht daran zu gehen und warteten ungeduldig auf ihre Signatur. „Das sehen Sie ganz richtig“, stellte Terry derweil fest. Hermione winkte Timidus zu. Jedenfalls glaubte das der Junge, der überlegte. In Wirklichkeit hatte sie ihm zugewinkt, damit er die Bühne wieder verließ. Lotleak lächelte derweil in ihre Richtung. Tatsächlich galt sein Gesichtsausdruck allerdings einer älteren Hexe neben Hermione, bei der es sich um die Mutter des Erfolgsautors handelte, die ganz furchtbar stolz auf ihren berühmten Sohn war. „Hey, Autor: Gehen sie in der Annahme nach Rowlingstone, dieses Schuljahr zu überleben?“ „Ich gehe davon aus, obwohl ich es eigentlich gar nicht verdient hätte“, antwortete der Federschwinger. „Wie wahr. In diesem Fall könnte ich ...“ -32-
Hermione zog Terry von der Bühne. Sie hatte schon wieder diesen Blick bei ihm ausgemacht, der darauf hinwies, dass es sehr ungesund war, sich in den nächsten Minuten in seiner Nähe aufzuhalten. Als sie ihm auf die Wange küsste, beruhigte er sich und übergab den Grievlys ihre Schulbücher. Terry sah sich ein wenig im Laden um: Die Buchhändler waren offenbar große Fans der Sachbuchreihe „Wie stapele ich Bücher auf möglichst unpraktische Weise“. Auf jeden Fall gab es in einigen Abteilungen des Ladens, der innen faktisch größer war als außen, einige Buchstapel, die in Form einer auf dem Kopf stehenden Pyramide aufgetürmt waren. Einer davon schien zusammengebrochen zu sein, denn Terry konnte die Füße eines Zauberers erkennen, die aus einem Bücherhaufen herausschauten. Einige Kinder, also noch jüngere Kinder als es Terry selbst war, liefen auf ihn zu. Sie zogen an Terrys Mantel und sagten: „Krieg ich ein Autogramm? Krieg ich ein Autogramm?“ „Ach, ihr seid so süß. Ich kann bestimmt einen hohen Preis für euch beim örtlichen Kinderhändler erzielen“, antwortete Terry. „Autogramm! Autogramm!“ wiederholten die kleinen Magier, ohne dem Jungen zugehört zu haben. „Na schön“, sagte Terry und signierte die Bücher, die ihm die Kinder hinhielten. Er betrachtete diese etwas genauer. „Hm. ‚Terry Rotter und der Stein des Anstoßes’ und ‚Terry Rotter und die fragwürdige Kammer der schieren Schrecklichkeit’“ Er blätterte ein wenig in den Romanen herum und warf Bemerkungen ein wie: “Das hat sie also währenddessen gemacht“ und „Ich wusste gar nicht, dass ich so böse bin“ oder „Wer verlegt denn so einen Schund?“. Schließlich gab er die Bücher samt seinem Namen darauf den Kindern zurück. Terry wirkte ziemlich nachdenklich. An der Seite eines Regals erschien auf einmal Spongo Efeu. „Der unglaubliche Terry Rotter. Immer ein Titelbild wert, nicht wahr?“ „Na schön, hör zu!“ antwortete der Prominente. „Ich kann gut nachvollziehen, dass du auf mich eifersüchtig bist. Das wäre ich an deiner Stelle ebenfalls. Aber ich habe mir das alles nicht ausgesucht. Bedenke auch die Schattenseiten meines Lebens.“ „Ja, deine Hände werden schon ganz taub von dem ganzen Autogramme schreiben!“ meinte Spongo. „Warum lassen wir die Vergangenheit nicht einfach hinter uns und fangen noch einmal von neuem an?“ schlug Terry vor. „Was?“ fragte der Autor. „Aber, aber das können wir doch nicht machen! Spongo ist Terrys böser Gegenspieler! Der dunkle Lord und seine Wenigkeit bringen doch erst die ganze Dramatik in die Geschichte!“ „Na und?“, fragte Nietzsche den Autor. „Endlich hat dein Buch eine Gelegenheit, aus dem Trivialen herauszukommen.“ „So ist es“, bestätigte Darwin. „Es gibt sowieso kein Gut und Böse.“ „Aber wo bleibt denn da der ganze Spaß?“ wollte der Autor wissen. „Außerdem will doch kein Mensch etwas anspruchsvolles lesen. Mal abgesehen davon, dass ich auch nichts übermäßig anspruchsvolles schreiben will.“ „Ja. Weil du es gar nicht kannst“, stellte Nietzsche fest. „Kann ich wohl!“ widersprach der Autor. „Kannst du nicht!“ wiederholte Nietzsche. „Ach ja? Na dann passt mal auf!“ „Edel sei der Mensch und gut“, sagte Johann Wolfgang von Goethe. Er -33-
präsentierte seine Bücher in der Klassikerabteilung von Flounder and Bluffs. „Ja, denn nur so entzünden wir unseren göttlichen Funken“, bestätigte Friedrich Schiller. „Aber: Für eure großen Pläne, ihr Götter, bin ich armer Mensch zu klein“, gab Bertold Brecht zu bedenken. „Eben. Letztendlich gilt nur: Sein oder nicht sein. Das ist hier die Frage“, meinte William Shakespeare. „Ach. Ist doch alles scheiße!“ sagte Heinrich von Kleist. „Ich bring mich um, wer macht mit?“ „Schreib’ bloß nie wieder etwas anspruchsvolles!“ sagte Nietzsche. „Endlich siehst du es ein“, schloss der Autor erleichtert. Die Anderen hatten ihren Weg zu Terry und Spongo gefunden. „Lass ihn in Ruhe!“ forderte Ginny von Efeu. „Oh, hast dir also eine Zweitfreundin zugelegt, was?“ meinte Spongo zu Terry. Ginny wurde rot im Gesicht und rannte zu ihrer Mutter. „Was will der denn schon wieder?“ fragte Ron. „Ah, Ronald Grievly. Heute sogar mit richtiger Kleidung. Haben deine Eltern Weihnachten und Geburtstag zusammengelegt, was?“, zischte Efeu. „Nein, ich bekomme jetzt einen fairen Anteil. Terry und ich sind tausend mal so reich wie du!“ Hermione mischte sich ein: „Ron, das bringt doch nichts!“ „Ah, Pseudoblut kann sprechen!“ „Ich finde es bedauerlich, das du meinen Vorschlag nicht annehmen willst, Spongo“, stellte Terry fest. „Auf Vorschläge von solchen wie dir kann ich verzichten!“ sagte Efeu. Mr. Grievly trat zwischen die streitenden Gruppen und meinte: “Nun beruhigt euch. Kommt Kinder, wir gehen.“ Luzifer Efeu war ihm gefolgt. Er belegte Rons Vater mit einem tödlichen Blick. „Grievly. Dass sich so etwas wie Sie überhaupt in die Öffentlichkeit traut.“ „Luzifer!“ entgegnete Mr. Grievly mit einem wütenden Funkeln in den Augen. Spongos Vater griff sich ein Buch aus Ginnys Tragekessel. Eine unpraktische Angelegenheit, denn Kessel waren viel zu schwer, um als brauchbare Einkaufstasche dienen zu können. „Oh, ein Geschenk vom Lotleak persönlich. Sie bilden sich wohl ganz schön was auf ihren Stand ein, nicht wahr Karl?“ provozierte Luzifer. „Genug ist genug!“ sagte Karl und verpasste Mr. Efeu einen heftigen Schlag ins Gesicht. Er fiel nach hinten um und riss Ginny mit sich auf den Boden hinunter. Er knallte mit dem Kopf gegen ein Regal, das umkippte und auf Spongo fiel. Der Ladenbesitzer forderte die Parteien auf, sofort ihren Streit beizulegen. Luzifer raffte sich auf und legte Ginnys Buch zurück in den Kessel: „Hier, du dummes Kind“, sagte er. „Der goldene Einband ist ein bisschen in Mitleidenschaft gezogen worden, fürchte ich.“ Terry und die Grievlys verließen geschwind den Laden. „Hey, wer kommt denn jetzt für den Schaden auf?“ fragte der Ladenbesitzer mit Blick auf zerrissene Einbände und das zerkratzte Regal. Terry warf ihm einen Säckel Gold zu und verschwand mit den anderen in den Untiefen der Quantengasse. Er fühlte sich bedenklich gut dabei, für die anderen den Schaden bezahlt zu haben. Auch wenn er natürlich heimlich Luzifer das Geld aus der Tasche gezogen hatte. „Vielleicht hattest du doch Recht, Hermione“, meinte er. -34-
„Vielleicht ist Gutes tun ja doch ganz - gut.“ Sie gingen zum Hintereingang der Kneipe „Tropfender Becher“ durch das Tor in die Muggelwelt, genauer gesagt nach London, und bestellten sich einen Tee, um nach dem ganzen Aufhebens wieder ein wenig Ruhe zu finden. Außerdem waren die Grievlys schon ganz gespannt auf die Unterhaltung mit den Strangers über die Eigenarten der Muggeldimension.
-35-
Kapitel 5: Die Lärche „Also, nur damit ich das richtig verstehe ...“, sagte Mrs. Grievly. „Manche von euch falten die Hände zusammen, wenn sie ein neues Auto haben wollen?“ „Mehr oder weniger“, antwortete Mrs. Stranger. Die beiden Familien und Terry hatten es sich im tropfenden Becher gemütlich gemacht und tranken einen magischen Kaffee. Eigentlich war nichts magisches daran, aber ein guter Name steigerte in jeder Dimension den Wert des feilgebotenen Produktes. „Und das funktioniert?“ wollte Rosaline wissen. „Nun ja. Nicht wirklich“, meinte Mr. Stranger. „Interessant ...“, fand Mrs. Grievly mit einem gesellschaftswissenschaftlichen Ausdruck auf ihrem Gesicht. Während des Gesprächs unter Erwachsenen schliefen Terry und Hermione. Sie hatten sich aneinander gekuschelt, während Ron seine Freunde neidisch anstarrte und seine Geschwister ihn dafür neckten. „Ron hat keine Freundin. Ha-ha!“ sangen Frank und Joe im Chor. „Ihr doch auch nicht!“ zischte Ron. Seine Brüder verstummten und blickten verlegen auf den Tisch. Terry spürte eine rüttelnde Hand auf seiner Schulter, war sofort hellwach und holte mit seiner Faust zum Schlag aus. Als er Mr. Grievly erkannte, ließ er seine Hand wieder sinken. „Wir sollten allmählich aufbrechen, morgen geht der Zug nach Rowlingstone und es haben noch nicht alle fertig gepackt.“ „In Ordnung“, antwortete der Junge. Terry lächelte versöhnlich. Sein Lächeln hatte immer einen gewissen Touch des schieren Wahnsinns. Mr. Grievly zuckte zusammen und hielt seine Frau vorsichtig davon ab, die Strangers die Zeche bezahlen zu lassen. Terry küsste Hermione auf die Stirn. Sie murmelte benommen etwas in der Art von „Stunde verpasst, Leben kein Sinn mehr“ und raffte sich langsam auf. Durch den Kamin der Kneipe machten sie sich auf den Weg zurück zum Schloss, im Falle der Strangers zu ihrer Drei-Zimmer-Wohnung irgendwo in der englischen Grafschaft Wiltshire. Terry brauchte nicht viel Zeit, um seine letzten Sachen einzupacken. Ein paar Säckel Gold, seine Kleider und natürlich seine Avengers. Im Abendrot glänzte ihre silberne Oberfläche, als ob ihr Gott höchstpersönlich ihr heiliges Antlitz verliehen hätte. Im Nachhinein hätte er das wohl als Fehler betrachtet, angesichts dessen, dass Terry ihn mit jenen Waffen im letzten Schuljahr erschossen hatte. Zurück nach Rowlingstone - War das jetzt gut oder schlecht? Der Junge, der überlegte, war sich nicht sicher: Einerseits war die Schule um einiges besser als jede Muggel-Schule, die er kannte. Auf der anderen Seite wurde er das Gefühl nicht los, dass wieder etwas wie im letzten Jahr passieren würde. Diese Magenverstimmung, als ob er wieder die Schule, wenn nicht gar die ganze Welt retten müsste. Dieser ungute, auf Logik und Wahrscheinlichkeit basierende Eindruck, dass der dunkle Lord Himmler, Terrys Großvater, aus dem Altenheim Greistram ausgebrochen war, um wieder einmal Rowlingstone zu terrorisieren. Warum eigentlich? Soweit Terry wusste, gab es mehrere Magieschulen. Davon abgesehen gab es auch militärisch bedeutendere Ziele als irgend ein Schloss voll mit Kindern und Büchern. Und Terry hätte er schon -36-
längst in der Muggel-Welt ermorden können. Jemand unglaublich irrationales musste dafür verantwortlich sein. Eigentlich wünschte sich Terry ein Leben, in dem er nicht ständig in haarsträubende Kämpfe verwickelt wurde. Er wollte nur mit seinen Freunden glücklich sein. Ganz ohne Nazis und Konsorten. Aber wer wünschte sich das nicht? „Kannst du mal mit diesem Gesülze aufhören, das hält ja kein Mensch aus!“ forderte Nietzsche. „Ja echt, wann kommt mal wieder ein bisschen Action in die Sache?“ wollte Darwin wissen. „Das fragt der Richtige. Du warst es doch, der sich tagelang irgendwo auf den Galapagos-Inseln auf die Lauer legte, nur um zu notieren, was irgendwelche blöden Tiere die ganze Zeit über so treiben!“ „Und heute gelte ich als Begründer der weltweit anerkannten Evolutionstheorie. Jeder Schüler auf diesem Planeten lernt, was ich unter anderem in diesen paar Tagen entdeckt habe.“ „Wirklich?“ fragte der Autor. „Terry, komm herunter! Wir fahren!“ rief Mrs. Grievly zu Rons und Terrys Zimmer hinauf. „Was schwafelt die mir hier in unseren Dialog hinein!“ erboste sich der Autor. „Hättest du sie halt nicht schwafeln lassen!“ zischte Nietzsche. „Ach, so einfach ist das. Dann stellt sich die Frage: Was war zuerst da? Ihre wörtliche Rede oder mein Gedanke daran, das Ei oder das Huhn?“ fragte der Autor. „Die Frage ist lächerlich“, meinte Darwin. „Das hängt nämlich davon ab, ab wann wir eine Lebensform als Huhn betrachten. Irgendwann hat sich durch Mutation, Selektion und Züchtung ein Wesen entwickelt, das wir heute als Huhn bezeichnen. Vorher war es eben kein Nutztier, sondern ein freilebender Vogel. Und davor ein Dinosaurier, wie meine Nachfolger erkannt haben. Bei dir ist es etwa so: Zuerst spinnst du dir irgendetwas zusammen, dann schreibst du es nieder.“ „Ach ja? Ruhe jetzt: Terry fährt nun mit dem Trabi nach Rowlingstone!“ Der Junge stieg die Treppen hinunter und entdeckte den schwarzen Trabi, mit dem er bei den Grievlys angekommen war. Sie stiegen gerade ein. Der Wagen verfügte über eine interessante magische Funktion: Er konnte die räumlichen Dimensionen seiner Insassen variieren. Mit anderen Worten: Dadurch, dass die Grievlys in das Auto stiegen, wurden sie in eine zweidimensionale Ebene transformiert, ohne Schaden davon zu tragen. „Sehr praktisch“, meinte Terry. „Und sehr amüsant.“ Die Grievlys sahen aus wie lächelnde Pappwände. Sie waren lächelnde Pappwände. Unter Vorbehalt setzte sich Terry zu den anderen und der Trabi fuhr los. Dann hob er ab, passierte das Dimensionstor und kam schließlich an der King’s Cross Station an. Er fuhr deshalb nicht gleich zur Schule, weil dadurch das ganze Feeling verlorengegangen wäre, das so eine altmodische Zugfahrt mit sich brachte. Und überhaupt. Da sie etwas in Eile waren, rannten die Grievlys mit ihrem Gepäck durch die Bahnhofshalle, bis sie an der grünen Tür zu Gleis 9 ankamen. Karl öffnete sie und die Familie huschte hindurch. Terry und Ron waren ein bisschen spät dran, weil Ron von einem Gepäckwagen überrollt worden war. Als sie an der Tür ankamen, versuchte Terry, sie zu öffnen. Doch auf einmal war sie verschlossen. Er zückte kurzerhand seine Avengers und feuerte auf das Schloss. Aber das zeigte keinerlei Effekt. „Was ist bloß los mit diesen britischen Bahnhöfen?“ murmelte er. -37-
„Wir könnten das Auto nehmen“, schlug Ron vor. „Dafür würden wir in Rowlingstone aber Ärger kriegen“, meinte Terry. „Schließlich hätten wir es uns ohne Erlaubnis geliehen und außerdem wird man argumentieren, dass man uns hätte sehen können. Ich schlage vor, ich schicke Albert mit einem Brief zu McGonekel und informiere sie von der verschlossenen Tür.“ „Das klingt ja alles recht vernünftig, aber wo bleibt denn da der Spaß?“ fragte Ron. „Hast recht, was soll’s!“ Sie liefen zurück zum Trabi, packten ihre Sachen in den Kofferraum und hoben ab. Sie flogen auf Terrys Wunsch über das Londoner Fußballstadion. Es lief gerade das Endspiel der Weltmeisterschaft England gegen Frankreich. Die Erbfeindschaft als Spiel. Terry öffnete das Fenster und brannte mit dem Zauberspruch „Entflamme!“ und einem Schwung mit seinem Zauberstab den Rasen an. Die Mannschaften flohen vor dem Feuer. Manche Spieler stießen aneinander und fielen um. Andere trugen einen Wettbewerb darüber aus, wem es gelang, über die Flammen zu springen und zu überleben. „Verdammte Proleten!“ rief Terry aus den Fenster. „Warum hast du das gemacht?“ fragte Ron. „Ich hasse Fußball. Selten dummer Sport ausgetragen von selten dummen Leuten. In der Grundschule musste ich das oft spielen. Eigentlich wollte ich ‚Organische Chemie für Dozenten Band 3’ fertig lesen. Aber ‚man muss sich halt anpassen’ und so weiter. Wo kämen wir denn da hin, wenn wir uns während unserer Schulzeit noch selbstständiges Denken und Lernen aneignen würden? Oh, ich vergaß: Im Berufsleben zählt ja auch nur Gehorsam. Besonders für Schüler meines Viertels.“ „Ist heute dein Sozialkritik-Tag?“ „Kommt darauf an: Ist heute ein beliebiger Wochentag?“ „Schätze schon. Also, ich finde, dass dieses Ballspiel Quititsch gar nicht einmal so unähnlich ist.“ „Du sagst es. Hm. Wenn wir schon einmal dabei sind: Wollen wir kurz beim Buckingham Palace vorbeischauen?“ „Und du machst dir Sorgen, dass wir dafür Ärger kriegen könnten, dass wir uns den Wagen ausgeborgt haben?“ fragte Ron. „Also gut: Fliegen wir nach Rowlingstone.“ Diesmal passierten sie ein anderes Dimensionstor: Sie landeten in der Nähe von Wiltshire. „Und hier ist ein Eingang zur Zauberwelt?“, fragte Terry. „Aber die Strangers erwähnten doch, dass sie hier wohnen. Und die sind Muggel!“ „Vielleicht ist es ihnen noch gar nicht aufgefallen ...“, überlegte Ron laut. „Schau mal: Der Mann da neben diesem riesigen Zwerg!“ „Der gerade an der Zahnfee vorbeiläuft?“ fragte Terry. „Ja. Erkennst du ihn?“ „Nein. Aber er trägt auch schwarze Sachen und einen tollen Hut. Ich mag ihn.“ „Das ist Terry Pratchett. Erinnerst du dich noch an die Architektin unserer Schule?“ „Ja. Joanne Keintee Rowling. Den Namen werde ich niemals vergessen. Leider, denn er steht überall in der Schule unter ihren Porträts.“ „Genau: Sie hat Rowlingstone entworfen. Pratchett hat sich den Rest der Magiewelt ausgedacht. Oder entdeckt, wie man will. Allerdings hat sich die Architektin die Urheberrechte sichern lassen.“ „Hey, und ich?“ fragte der Autor. -38-
„Ach du, was kannst du dir schon ausdenken?“ meinte Nietzsche. Sie verließen die Grafschaft in Richtung Schule. Unter ihnen zogen Zebras, Lamas und Kolibris vorbei. „Vielleicht erwischen wir den Zug noch“, sagte Ron. „Dann merkt keiner, dass wir den Wagen genommen haben.“ „Und wie willst du darauf landen?“ fragte Terry. „Ach, das geht schon.“ Sie näherten sich einer Eisenbahnbrücke, die über eine Schlucht führte. Nicht weit entfernt erkannten sie den Rowlingstone Express, der sich jener Brücke näherte. Ron lenkte den Wagen in etwa 50 Meter Höhe über den Zug und versuchte, seine Geschwindigkeit zu erreichen, um dann auf ihm zu landen. Plötzlich fiel ein Rad des Trabis hinunter, hüpfte auf der Lock auf und ab und verschwand schließlich in den Untiefen der steinernen Schlucht. Man konnte sie mit einiger Berechtigung auch als Steinbruch bezeichnen. Dann brachen die Achsen des Wagens ab und fielen ebenfalls hinunter. „Gibt es einen spezifischen Grund, warum unser Auto auseinander bricht, Ron?“ wollte Terry wissen. „Ja. Es kommt aus der ehemaligen DDR.“ „Dann bin ich ja beruhigt“, murmelte Terry. Der Unterboden des Trabis, welcher offenbar aus Pappe bestand, brach ebenfalls nach unten weg. Ron und Terry stürzen hinab. Terry zieht seine Avengers und feuert auf den Kofferraum des Wagens. Dieser springt auf und das Gepäck der Zauberlehrlinge fällt heraus. Der Junge, der überlegt, schnappt nach seinem Snowboard. Er ergreift die Kante und befestigt es unter seinen Füßen. Im Sturzflug erreicht er Ron und trägt ihn am Hemdkragen zum Zug, wo er ihn auf das Dach fallen lässt. Mit extremer Geschwindigkeit gelingt es Terry, ihr Gepäck auf halber Höhe zwischen dem Zug und dem Boden des Steinbruchs abzufangen. Mit seinen gewaltigen Kräften stellt er es auf dem Dach des Speisewagens ab. Doch Ron ist verschwunden. Mit einer modischen 1080°-Schraube dreht sich Terry in die Schlucht hinunter und findet Rons zertrümmerte Leiche auf einem spitzen Felsen aufgespießt. „Jetzt stell dich nicht so an“, ruft er. „Sorry. Bin ausgerutscht“, meint Ron und setzt sich wieder zusammen. Gemeinsam fliegen sie nach oben und lassen sich auf dem Zug neben ihrem Gepäck nieder. „Die ganze Zeit ist das blöde Ding nicht auseinandergefallen!“ stellte Ron fest. „Ja. Der Wagen hatte eben ein Gespür für die Dramatik der Situation. Der wusste ganz genau, wann wir es am wenigsten gebrauchen können, dass er sich in seine Bestandteile auflöst.“ „Wie konntest du eigentlich noch dein Snowboard erreichen? Du warst doch schon viel tiefer und es dürfte auch nicht so schnell fallen wie du, wegen dem Luftwiderstand.“ „Das fragst du mich?“ antwortete Terry. „Du müsstest doch am besten wissen, dass eure Welt kein großer Physik-Fan ist.“ Sie liefen zur Verbindungsstelle zwischen Speise- und Personenwagen und Ron sprang hinunter. Er stellte das Gepäck unten ab, das ihm Terry von oben reichte. Schließlich betraten sie den Personenwagen, entdeckten Hermiones Abteil und klopften an. Das Mädchen ließ sie herein und sie setzten sich. „Ihr kommt spät.“ „Ja, die grüne Tür war verschlossen“, erläuterte Terry. „Achso.“ Am Fenster ihres Abteils klopfte jemand. Die Jungs erkannten den Trabi, der -39-
offenbar wieder zur Ganzheit zurückgekehrt war. Auf dem Fahrersitz saß der Autor. Er öffnete das Seitenfenster des Wagens und Ron das Fenster des Abteils. „Worum geht es?“ fragte Terry. „Nun, es gibt hier ein kleines strukturelles Problem“, erklärte der Autor. „Inwiefern?“ „Die Handlung sieht vor, dass ihr mit dem Wagen in eine Lärche auf dem Schulgelände hinein rast, die dann nach euch schlägt und Rons Zauberstab zerbricht, was für einige gar amüsante Verwicklungen sorgen wird.“ „Das ist jetzt natürlich unpraktisch. Ich schlage Folgendes vor: Du denkst dir einen fadenscheinigen Grund dafür aus, warum wir uns der Lärche nähern müssen“, schlug Terry vor. „Und so kann sie Rons Zauberstab zerbrechen.“ „Oh, sehr gut. Danke!“ antwortete der Autor und flog wieder zu seinem Knusperhäuschen zurück. Die Tür des Abteils öffnete sich und Professor Wurzel stand im Türrahmen. „Guten Tag, Kinder. Ron und Terry: Ich wäre euch sehr verbunden, wenn ihr die alte Lärche im Hof des Schlosses gießen könntet. Es hat ziemlich selten geregnet in der letzten Zeit. Dafür bekommt ihr auch ein paar Bonuspunkte. Aber lasst euch nicht von ihr schlagen.“ „Ja klar, kein Problem“, antworteten die Beiden. „Geschickt eingefädelt, sehr glaubwürdig“, meinte Nietzsche. „Ach, halt doch die Klappe!“ forderte der Autor. Als die beiden Zweitklässer in der Schule ankamen, räumten sie zunächst ihre Sachen in den Griffamtor-Schlafsaal und begaben sich dann mit einer Gießkanne bewaffnet in den Schulhof. Oder besser gesagt: In einen der unzähligen Schulhöfe, die alle voller unglaublicher Überraschungen und extremer Gefahren steckten. Hermione zog es vor, im Gemeinschaftsraum zu verbleiben. „Und nun zu etwas völlig anderem: Wie erkennt man von sehr nahe dran, auf welche Weise man eine um sich schlagende Lärche unbeschadet gießen kann?“ fragte Terry. „Ron, am besten, du gehst vor, damit sie deinen Zauberstab kaputt machen kann.“ Terrys Freund schnappte sich die Gießkanne und rannte zur leicht aus dem Boden ragenden Wurzel der Lärche. Gerade als Ron das Wasser auf sie schütten will, schleudert ihn der Baum mit einem seiner Äste gegen eine Mauer des Schulgebäudes. Sein Zauberstab zerbricht. „In Ordnung: Du willst es ja nicht anders!“ schreit Terry und verlangsamt die Zeit. Neuerdings ist diese Fähigkeit mit tollen Spezialeffekten unterlegt: Jetzt gibt es Verwischeffekte und beeindruckende Farbverläufe. Außerdem begleitet nun ein Chor das Geschehen. Terry läuft mit gezogenen Avengers auf einer ausstehenden Wurzel des Baums entlang. Als sich ihm ein Ast nähert, springt er ab und rennt auf ihm nach oben. Da, wo sich bei einer normalen Lärche die Augen befinden, klammert er sich mit seinen Beinen fest und lässt sich nach unten hängen. Er feuert einige bleierne Kugeln auf die Gießkanne, die noch immer in der Nähe der Wurzel am Stamm des Baumes steht. Sie fliegen mit sichtbaren Luftwirbeln nach unten und durchtrennen den Korpus des Behälters. Wasser strömt aus und die Lärche schreit in Agonie ob des zuströmenden nassen Elements. Terry schwingt sich auf den Ast zurück und surft an ihm entlang, bis er auf einen niedriger hängenden abspringt. Von dort aus landet er mit dreifachem Salto vor Ron und schaltet wieder auf Echtzeit zurück. „Wow. So cool hat noch niemals jemand einen Baum gegossen!“ fand Ron. „Yeah!“ Sie gingen in die Schule zurück und unterhielten sich über ihre Lehrer. Ron -40-
zitterte. „Glaubst du, Snake unterrichtet uns dieses Jahr immer noch in Giftmischen?“ „Naja, vielleicht ist er ja auch in Pension ...“, meinte Terry. „Oder krank...“, mutmaßte Ron. „Oder tot ...“, hoffte Terry. „Oder aber, er ist direkt hinter euch und hört alles was ihr sagt“, meinte Professor Snake. Sie drehten sich um und entdeckten ihren am wenigsten geliebten Lehrer. Jedenfalls ihren am wenigsten geliebten Lehrer, den Terry noch nicht umgelegt hatte. „Ihr habt euch einigen Ärger eingehandelt!“ sagte er. „Wieso?“ fragte Terry verwirrt. „Weil ihr die alterwürdige Gießkanne von Frau Wurzel durchlöchert habt!“ „Kommt mit in mein Büro.“ Dort angekommen mussten sich Ron und Terry wieder eine von Snakes Drohungspredigten anhören. „Wenn ihr in meinem Haus wärt, würde ich euch von der Schule verweisen!“ „Wenn wir in ihrem Haus wären, wären Sie nicht mehr am Leben!“ stellte Terry fest. „Doch zum Glück sind sie in Griffamtor“, sagte McGonekel, die Hauslehrerin der Griffamtors, die gerade zusammen mit Gandalf, dem Roten - Direktor der Schule - Snakes unterirdisches Büro betreten hatte. „Und die Bestrafung von Schülern ist Sache der jeweiligen Hauslehrer“, fügte dieser hinzu. „Herr Direktor! Die Beiden haben gerade die alterwürdige Gießkanne ...“ „Ach, das ist nicht so schlimm“, meinte Frau Wurzel. „Ich dachte mir schon, dass sie von Kugeln durchlöchert sein würde, wenn ich sie Terry in die Hand gäbe.“ Frau Wurzel hatte ihren Weg still und heimlich in Gandalfs Büro gefunden. „Genau. Und nun fügen Sie sich dem Unvermeidlichen und übergeben Sie die Verantwortung ihrer Kollegin“, forderte Leonardo Da Vinci, einer der Geister Rowlingstones. Allmählich wurde es ein wenig eng in Snakes Büro. „In Ordnung“, sagte die furchtbar böse Lehrkraft widerwillig. „Wir gehen dann unsere Sachen holen“, meinte Ron. „Wovon reden Sie da, Mr. Grievly?“ wollte McGonekel wissen. „Ich wollte mit Terry zu den Kanarischen Inseln ziehen, wo wir uns ein schönes Leben machen könnten, angesichts dessen, dass wir reich sind und wohl von der Schule verwiesen werden“, antwortete Ron. „Da muss ich Sie leider enttäuschen“, sagte McGonekel. „Sie werden nicht bestraft, das wäre ja reine Willkür. Die Gießkanne war kein Kulturgut, die hat sich Frau Wurzel bei einem Discounter gekauft. Stattdessen kriegt Griffamtor 1000 Punkte, weil ihr eure Arbeit so gut gemacht habt. Also, geht euch jetzt ausruhen.“ Im Griffamtor-Gemeinschaftsraum angekommen, wurden sie erst einmal von Frank, Joe und Thomas Tropf begrüßt. „Stimmt das mit dem Baum?“ fragte Frank. Ron runzelte die Stirn. „Was meinst du?“ „Dass ihr ihn gegossen habt“, erläuterte Joe. „Ja ...“, antwortete Terry zögerlich. Franks Mund klappte auf. „Groovy!“ -41-
„Der Wahnsinn!“ sagte Thomas. Terry konnte sich nicht helfen und musste ungläubig den Kopf schütteln.
-42-
Kapitel 6: Timidus Lotleak Frühstück. Die wichtigste Mahlzeit, denn man nahm sie meistens ein, bevor sich der Rest des Tages gegen einen wenden konnte. Der Speisesaal, oft auch Große Halle genannt, war gefüllt mit prächtigen Gerichten aus aller Herren Länder. Was in diesem Fall bedeutete, dass Gandalf sie aus den entsprechenden Ländern hinfort gezaubert hatte und sie nun von den Haussklaven in Rowlingstone auftischen ließ. Nachdem alle Schüler bereits zehn Minuten lang an dem jeweiligen ellenlangen Eichentisch ihres Hauses gegessen hatten, betrat Terry die Arena des alltäglichen Kampfes um Nahrung, nur ohne den Kampf. „Uh, seht mal, wer da wieder der Letzte ist, um nicht zu sagen, das Letzte!“ rief Spongo Efeu am Tisch der Sifferins. Terry bat ein paar Schüler Griffamtors um ein Messer und warf es auf Spongos Frühstücksei, welches es exakt in zwei Hälften teilte. „Guter Wurf“, lobte Ron. „Wieso?“ fragte Terry. „Ich habe seinen Kopf ganz klar verfehlt.“ „Haha!“ sagte Efeu in einem verzweifelten Versuch, hämisch zu lachen. „Du Verlierer! Du kannst doch gar nichts! Rotter, der – ähm - Potter! Haha!“ „Wow, er hat zwei sich reimende Namen gefunden“, stellte Hermione fest. „Ach, lassen wir doch den braven Jungen in Ruhe, er hält sich schließlich stets untertänigst an die Regeln“, meinte Terry. „Bist mal wieder ganz pünktlich zum Frühstück erschienen, was? Kannst stolz auf dich sein! Ich schlage Snake vor, dass er dir dafür eine Eins einträgt.“ Während Efeu nach neuen originellen Reimen suchte, flatterten ein paar hundert Eulen und ein Wanderfalke durch die Große Halle, um die Post zu verteilen. Letztbenanntes Federtier landete neben Terrys Teller. Albert, der Wanderfalke, nahm seine kleine Brille ab, um sie zu putzen. Daraufhin berichtete er seinem Freund und Futtergeber von allen Neuigkeiten, die ihn interessieren könnten: „In der heutigen Tagesbild befindet sich ein Artikel, der von den aktuellen Ereignissen rund um den dunklen Lord handelt.“ Terry stöhnte und schüttelte den Kopf. „Ich sagte doch: Keinen Klatsch!“ „Ich muss doch sehr bitten“, entgegnete Albert mit hochgezogenem Schnabel. „Normalerweise lese ich nur Hexopolis*. Aber die gemeine Regenbogenpresse hat nun einmal die größten Auswirkungen auf die Ansicht der Bevölkerung.“ „Na schön: Was steht in dem Artikel?“ fragte Terry. „Seit dem Ausbruch des dunklen Lords aus Greistram fehlt jede Spur von ihm. Es existiert das Gerücht, dass er sich an dir für deinen Sieg über ihn letztes Jahr rächen will“, erläuterte der Vogel. „Ach herrje, wie unerwartet“, meinte der Junge, der überlegte. „Ist das hier ‚Heinrich Himmler Teil 2: Das Böse kehrt zurück’ oder was?“ Die anderen Schüler schreckten unerwarteterweise nicht auf. Sie waren der Furcht vor dem Namen des schwarzen Magiers wohl überdrüssig geworden. Irgendwann machte eben alles keinen Spaß mehr. „Ich wollte nur, dass du auf dich acht gibst“, sagte Albert. * Das Hexopolis, ein Magazin, welches man nur über das magische Netzwerk abrufen konnte, galt landläufig als Medium ideeller Hetzkampagnen, welche nur aus populistisch-kapitalistischen Gründen verbreitet wurden. Natürlich ließ die Tagesbild aus rechtlichen, manchmal auch technischen Gründen, unerwähnt, dass Hexopolis ein gänzlich unentgeltliches Magazin
-43-
„Und ich danke dir dafür. Hier, willst du den Schinken von meinem Brötchen?“ meinte Terry versöhnlich. Zögerlich schnappte der Falke nach dem Fleisch und aß es auf. Selbstverständlich zivilisiert mit Messer und Gabel. Der Blick des Jungen fiel derweil auf Ron: Er hielt zitternd einen Brief in der Hand und sah mindestens so blass aus, wie die Vernünftige Partei vor der nächsten Wahl des bayerischen Landtags. „Ron, was ist los?“ wunderte sich Terry. „Ich glaube, meine Mutter ist wütend auf mich, weil wir uns den Trabi ausgeborgt haben.“ „Wie kannst du das wissen?“ fragte Terry. „Du hast doch den Briefumschlag noch gar nicht geöffnet.“ „Aus gutem Grund“, sagte Ron. „Es ist eine Briefbombe darin.“ „Könnte man als Überreaktion bezeichnen“, bemerkte der Junge, der überlegte. Hermione bekam von all dem nichts mit, weil sie in Lotleaks Bestseller „Abenteuer Anderer“ vertieft war. „Keine Panik, Ron: Ich habe eine Idee ...“, meinte Terry. „Ein Brief?“, fragte Urig Geller den Wanderfalken, der es sich auf dem gewaltigen Namensschild vor der Villa des Mediums bequem gemacht hatte. „In der Tat“, stellte Albert fest. „Von wem kann der wohl sein?“ überlegte Urig. „Ich wusste gar nicht, dass ich Freunde habe ...“ „Und ich wusste gar nicht, dass Sie in Wirklichkeit gar nicht hellsehen können“, bemerkte der Falke und fügte hinzu: „Nun gut, ich wusste es. Aber ich glaube, ich selbst habe dafür übernatürliche Talente.“ „So, und welche könnten das wohl sein?“ fragte der Amateurhexer beiläufig. „Nun, zunächst einmal kann ich sprechen. Aber das scheint Sie ja nicht weiter zu wundern. Des weiteren sehe ich voraus, dass sich meine Überlebenschancen drastisch erhöhen könnten, wenn ich ihr Anwesen nun verlasse. Auf Wiedersehen, Herr Geller.“ „Ja, ja ...“, murmelte das Medium mit fixiertem Blick auf dem Absender: „Ihr schlimmster Alptraum“ war auf dem Umschlag zu lesen. Der Originalabsender war überklebt worden, was dem übernatürlichen Talent trotz göttlicher Konzentration knapp entging. „Hat Randi etwa den Prozess gewonnen?“ grübelte Urig, während Albert das Weite suchte. Er öffnete den Umschlag. Der größte Nachteil dieser Entscheidung war wohl, dass von Urigs Springbrunnen in seinem Vorgarten nicht mehr als ein paar Trümmer übrig blieben. Hermione hob langsam ihren Kopf und versuchte das hochpopuläre Stück Literatur in ihrer Tasche zu versenken, ohne einen weiteren Blick darauf zu wagen. Denn es war enorm fesselnd. Es gab Leute, die ihre halbe Jugend mit Lotleaks Büchern verschwendet hatten. Natürlich war das noch lange keine so große Zeitverschwendung wie der Konsum der Romane einer gewissen britischen - wie dem auch sei, auf jeden Fall hatten die Zweitklässler nun Pflanzenkunde bei Frau Wurzel. Sie näherten sich den pompösen Glashäusern, welche die natürlichen Lebensbedingungen der in ihnen war, das dementsprechend derlei Dinge wie Populismus gar nicht nötig hatte. Ganz im Gegensatz zur Tagesbild natürlich.
-44-
wohnenden Pflanzen kopierten. Und das, ohne für die entsprechenden Lizenzen bezahlt zu haben. Angeblich gab es sogar Leute, die es wahrhaftig wagten, Sauerstoff zu atmen. Wohl unwissend, dass jene zwei Teile Oxid bereits in frühneuhochdeutscher Literatur Erwähnung fanden. Natürlich forderten die Nachkommen jener originellen Schriftsteller eine entsprechende finanzielle Gegenleistung für die Einatmung ihres geistigen Eigentums. Was aber irgendwie niemanden interessierte. Die drei Freunde betraten zusammen mit ihren Mitschülern das künstliche Treibhaus. Ein Treibhaus, gänzlich ohne bösen Treibhauseffekt, und somit vergleichsweise beliebt bei örtlichen Umweltschützern. Hinter einer Palme erblickte Hermione Timidus Lotleak. Er schien sich hinter dem exotischen Gewächs zu verstecken. Natürlich hinderte sie das nicht daran, kurzerhand zu ihm zu rennen und aufgeregt auf und ab springend „Signieren Sie mein Poesiealbum, Mr. Lotleak?“ zu rufen. Das Poesiealbum. Die weibliche Sammelstelle gehobener Kunst, dem Alltagsleben entnommen. Zeit für eine neue These, direkt aus dem gebieterischen Patriarchat der Neuzeit: Frauen konnten nicht schreiben. Sie waren technisch dazu in der Lage, sicher, aber sie konnten, von unzähligen Ausnahmen einmal abgesehen, nicht wirklich schreiben. Psychoanalytiker ab dem dritten Semester mochten es ja interessant finden, absurde Fantasien femininer Literatur nachzuvollziehen, Menschen, die bei Verstand waren, jedoch eher weniger. Angeblich betraf der ständige Gedanke an Fortpflanzung nur Vertreter des männlichen Geschlechts, aber ein Vergleich der Literatur hinterlies einen gänzlich anderen Eindruck: Da trieb es Adam nicht nur mit Eva, sondern sogar der ach so heilige Vater war des öfteren involviert. Und wir sprechen hier nicht von einem erotischen Subgenre. Von jenen wilden Gedanken abgesehen ging es in diesen Büchern eher um gewöhnliche Dinge, wie zum Beispiel die Verarbeitung des Mauerfalls oder um Mord. „Das stimmt gar nicht!“ meinte der Autor. „Die meisten meiner Freundinnen sind Frauen!“ Und die meisten Schriftsteller sind Männer. Natürlich nur wegen ihrer Macht, ist doch klar. „Hey, du bist hier nur der Erzähler! Ich kommentiere, klar?“ sagte der Autor bestimmt. Aber ich bin nicht irgendein Erzähler, sondern der allwissende. Um nicht zu sagen, der Allmächtige. Viele weitere Schülerinnen und Schüler schlossen sich Hermiones Anhimmelungsgebärden an, bis Timidus benommen nach Luft schnappte. „Idioten“, stellte Terry fest. „Lotleak ist wahrscheinlich ihr Vorbild“, meinte Ron. „Leute mit Verstand brauchen keine Idole“, erläuterte der Zauberjunge, der für viele Nachwuchsmagier selbst eine große Vorbildfunktion inne hatte. „Menschen mit eigener Persönlichkeit wollen nicht das Leben eines anderen leben, sondern ihre eigenes. Und besonders nicht das Leben dieses Möchtegernautors - der sich verdammt noch mal an meine Freundin ranmacht!“ fügte Terry hinzu. Er begab sich schnellen Schrittes zu dem bekanntesten Schriftsteller der Magiewelt und packte ihn an seiner grauen Krawatte. „Ich möchte dich freundlich darauf hinweisen, dass dein erbärmliches Antlitz einen Respektsabstand von mindestens drei Metern von meiner Freundin erforderlich macht!“ -45-
„Wer? Dieses junge Mädchen dort? Oh, tut mir leid. Ich wollte sowieso gerade gehen. Ich habe nur Frau Wurzel beim Eintopfen der Dendriten geholfen“, erklärte Lotleak. Mit bösartigem Blick begutachtete der Junge, der überlegte, wie der Schriftsteller, der gleichzeitig sein neuer Lehrer in Missbrauch der dunklen Künste war, den Ort der freudigen Vegetation verließ. Hermione verschränkte die Arme und stellte sich mit erhobener Nase ein paar Meter von ihrem eifersüchtigen Freund entfernt vor einen großen Tisch. Auf diesem Tisch, um den sich auf Anweisung von Frau Wurzel nun alle Schüler versammelten, befanden sich zwei Reihen von Blumentöpfen. Aus jenen Töpfen ragten tentakelartige Wurzeln hervor. Irgendwie unerwartet, befanden sich doch die Wurzeln herkömmlicher Pflanzen traditionellerweise in der Erde. „Oh, wie avantgardistisch, Blumen mit Wurzeln auf dem Kopf!“ bemerkte Spongo. Dieser Ausspruch ließ Terry und Hermione schlicht sprachlos werden. Wenn sie also gesprochen hätten, hätten sie nun mehr damit aufgehört. „Der war ja fast schon akzeptabel“, murmelte Hermione verwirrt. Dann erblickte sie einen Notizzettel in Efeus Hand, von dem er scheinbar abgelesen hatte. „Ah! Das erklärt einiges. Er muss Tage, wenn nicht Jahre gebraucht haben, um sich diese schlagfertige Bemerkung zurecht zu legen“, stellte Terrys offiziell beleidigte Freundin fest. „Wir werden nun die Dendriten ernten“, sagte die pummelige Frau Wurzel und fuhr folgendermaßen fort: „Aber ihr müsst darauf achten, dass ihr immer euren Gehörschutz tragt, ihr Schrei ist nämlich sehr schädlich für eure Nerven.“ „Wie schädlich?“ fragte Ron. „Es würde nicht viel von deinem Kopf übrig bleiben“, erläuterte Hermione. „Richtig, Ms. Stranger. 159,5 Punkte für Griffamtor“, sagte Frau Wurzel. „Irgendwann muss mir mal jemand das hiesige Bewertungssystem erklären“, meinte Terry beiläufig. Die Schüler nahmen sich auf Fingerzeig ihrer Lehrerin hin je einen Ohrschützer von dem langen Tisch, auf dem auch die Töpfe standen. „Ihr müsst ihn aufsetzen“, erläuterte Frau Wurzel. Die Kinder taten, wie ihnen geheißen. „Nun: Zieht an den schnurartigen Fortsetzen am Kopf der Dendriten.“ Die Schüler zogen ihre jeweilige Pflanze heraus. Diese hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit asiatischen Kampfsportlern und fingen an, wie Bruce Lee in seinen besseren Tagen zu kreischen. Das veranlasste einige der anderen autotrophen Organismen in jenem Gewächshaus, aus ihren Blumentöpfen oder Beeten zu springen und schnell das Weite zu suchen. Spongo lief derweil unbemerkt zu Ron, tippte ihm von hinten auf die Schulter und flüsterte ihm etwas zu. Der Grievly-Nachwuchs drehte sich um, während er seinen Gehörschutz abnahm, um seinen ihm unbekannten Adressaten zu verstehen. Das veranlasste seinen Schädel dazu, wie ein überspannter Luftballon auseinander zu bersten. Spongo schlich sich wieder an seinen Platz zurück, als Angelina Spirit, eine Schülerin der Griffamtors, Rons Leiche erblickte und schockiert zurückschreckte. „Frau Wurzel!“ schrie sie. „Rons Kopf ist explodiert!“ „Ja, ja. Lassen Sie ihn einfach liegen“, antwortete die Ökologie-Hexe. Übrigens nicht zu verwechseln mit jenen langhaarigen Graskonsumenten. -46-
Während sich Ron wieder zusammensetzte, machten sie sich auf den Weg zu ihrer Mutations-Stunde bei Professor McGonekel. Ihre Stunden waren immer ziemlich anspruchsvoll, zumindest schienen nur die Griffamtors manchmal Erfolge zu erzielen und niemals die Sifferins. Die anderen beiden Häuser interessierten sowieso niemanden. Eigentlich schade, denn die Art und Weise, wie die Rebhuhnclaws es schafften, ohne jegliche Arbeit gute Noten zu bekommen war erstaunlich. Nicht weniger erstaunlich wie die Angewohnheit der Haferschleims, Wettbewerbe im Weitwerfen mit diamantenverzierten Schmuckstücken zu veranstalten. Als sich Ron über Efeu aufregte, von dem er annahm, dass er für den kurzzeitigen Verlust seines Kurz-, Mittel-, und Langzeitgedächtnisses verantwortlich war - wohl deshalb, weil er gerade kichernd damit angab - erläuterte ihnen McGonekel ihre erste Aufgabe: Sie sollten eine Spitzmaus in eine Wühlmaus verwandeln. Und dabei hatten sich die Tiere wohl kaum umsonst ihre jeweilige ökologische Nische gesucht. Aber egal, Ron zückte seinen zerbrochenen Zauberstab, den er mit Speichel eher schlecht als recht wieder zusammengesetzt hatte, und machte sich an die Arbeit. Mit einem eleganten Schwung seines Stabes und den Worten „Transformare sorex in microtus guentheri!“ erzielte Ron, dass sich die Spitzmaus auf seinem Tisch in das Modell eines Oldtimers verwandelte, welches quietschte, zum Pult fuhr und sich den dort lagernden Käse in die Motorhaube stopfte. Eine Aktion, die großes Gelächter nach sich zog. „Sie sollten diesen Stab ersetzen lassen“, meinte Professor McGonekel. „Ich weiß“, sagte Ron. „Aber das werde ich unterlassen, weil er nämlich im Verlaufe dieses Schuljahres zu einigen unglaublich originellen Verwicklungen führen wird.“ „Genau“, bestätigte der Autor in seinem Knusperhäuschen. „Nun gut. Mr. Rotter, zeigen Sie mir doch einmal ihre magischen Fähigkeiten“, antwortete die Lehrerin. Terry schwang seinen Zauberstab und sprach jene magischen, mehr oder minder lateinischen Worte und nichts passierte, außer dass ihn die Spitzmaus überlegen anglotze. Das veranlasste den Jungen dazu, seine Avengers auf das Tier zu richten und zu fordern: “Entweder du verwandelst dich jetzt in eine Wühlmaus oder ich verarbeite dich zu Schweizer Käse!“ „Quietsch!“ entgegnete der Nager unterwürfig und schon wenige Sekunden später wuselte eine pflichtbewusste Wühlmaus auf Terrys und Rons Schulbank herum. Auf dem Weg zu Lotleaks Missbrauch der dunklen Künste Klassenzimmer sprach ein kleiner Junge Terry an: „Hallo. Ich bin Colin McRae und ich gehöre auch zu Griffamtor. Aber eigentlich arbeite ich undercover für die Tagesbild und bin hier, um skandalöse Fotos von dir zu schießen. Geht das in Ordnung?“ „Natürlich. Wenn du ungespitzt in den Boden gestampft werden willst - kein Problem!“ antwortete Terry. Ungeachtet dieser Drohung betätigte Colin den Abzug seiner Digitalkamera und innerhalb kürzester Zeit druckte sie ein Abbild Terrys in grandioser Qualität auf ein hochwertiges Fotopapier. Der kleine Junge händigte dem Kämpfer für das mehr oder weniger Gute das Bild aus und nötigte ihn dazu, eine Kugelfeder zu ergreifen, um es zu signieren. „Das hier ist für mich. Eigentlich bin ich nämlich ein großer Fan von dir. Aber -47-
du weißt schon: Man muss halt von etwas leben“, meinte Colin. Nur sehr widerwillig kritzelte Terry seinen Namen auf das Foto, als plötzlich Efeu aus der Versenkung auftauchte. „Oh, der große Held gibt Autogramme!“ gab das Böse zynisch zum Besten. Die anwesenden Sifferins überschlugen sich vor Lachen und Terry seufzte: “Spongo. Warum gehst du mir nur immer wieder auf die Nerven? Habe ich dir irgendetwas angetan?“ Der fiese Junge wusste nicht, wie er nun reagieren sollte und seine Übersprungshandlung bestand darin, seinen Kopf wild hin und her zu schütteln und „Hu!“ zu rufen. „In dem Falle, dass ich dir noch nichts angetan habe: Rechne damit, dass sich das bald ändern wird“, stellte Terry fairerweise fest. „Hast du Lotleaks Stunden wirklich mit Herzchen umrandet, mit Parfüm bestäubt und mit deinen gefärbten Lippen geküsst?“ fragte Ron Hermione irritiert, wobei er sich auf ihren Stundenplan bezog. Als sie Terrys schockierten Blick ausmachte, begab sie sich schnellen Schrittes in das Missbrauch der dunklen Künste Klassenzimmer, welches ich im Folgenden der Kürze wegen nur noch als Missbrauchszimmer bezeichnen werde. „Ich würde ein wenig auf sie acht geben, wenn ich du wäre ...“, riet Ron seinem besten Freund. „Also bitte. Das wäre doch viel zu vernünftig. Als klischeebewusster eifersüchtiger Liebhaber, werde ich vielmehr auf diesen Lotleak acht geben, als auf meine Freundin. Obgleich ich auf sie mehr Einfluss habe und ich denke, dass er es in Wirklichkeit keineswegs auf sie abgesehen hat“, antwortete Terry. „Schön ...“, meinte Ron abschließend. Endlich betraten auch sie das Missbrauchszimmer und setzten sich an ihre Plätze, die sie aufgrund ihrer ominösen Schülerintuition genau kannten, obwohl die Bänke gänzlich anders verteilt waren, als letztes Jahr und eigentlich auch der ganze Raum ein anderer war. Manche Schulen hatten einfach zu viel Geld. Der schüchterne Schriftsteller wagte es, neben einer Säule in der Nähe des Lehrerpultes hervor zu lugen. Das neue Missbrauchszimmer war insgesamt betrachtet ziemlich eindrucksvoll: Es war groß, hoch und verfügte über Möbel, die mindestens fünf verschiedenen Hochkulturen der Muggel-Welt entnommen waren. Offenbar hatte sie jemand mit der Absicht hier abgestellt, den Raum eindrucksvoll, mit Verweis auf die befreundete Nachbardimension, zu gestalten. Ohne natürlich von letzterer irgendeine Ahnung zu haben. Timidus stellte sich nun neben das ägyptisch angehauchte Pult und lächelte unsicher seine Schüler an. Er trug unauffällige blaue Kleider, die denen der Beduinen ähnlich sahen. Mit den bedeutungsschwangeren Worten: „Hallo. Ähm. Ich bin Timidus Lotleak, euer neuer Missbrauch der dunklen Künste Lehrer. Tja ...“, eröffnete er den Unterricht. Die anwesenden Mädchen tuschelten und legten ihren typischen Anhimmelungsblick auf. Währenddessen wussten die Jungen nicht so recht, was sie von Lotleak halten sollten. Falls er sich jedoch als zu gutherzig herausstellen sollte, würden sie ihm ununterbrochen auf die Nerven fallen, denn in der dieser Hinsicht waren die Vertreter des männlichen Geschlechts denkbar zwiespältig: Nie wollten sie sich etwas sagen lassen und wenn dann mal einer auftauchte, der ihnen tatsächlich keine Vorschriften machen wollte, konnte er seiner psychischen Gesundheit bald Gute Nacht sagen. „Also, nun, ich möchte euch in diesem Jahr nicht so viele Vorschriften machen -48-
und versuchen, euch dazu zu ermutigen, selbstständig mündig und verantwortungsbewusst zu handeln“, erläuterte Timidus. „Ich meine, wenn ihr nichts dagegen habt ...“ Die Beteuerung jenes Vorhabens veranlasste Terry dazu, seine Avengers wieder in ihre Halfter zu stecken. Die anderen Schüler begannen schon einmal damit, Papierkügelchen zu rollen und Kaugummis zu kauen. „Habt ihr bereits einen Blick in die Bücher geworfen, die ihr euch laut meinem Lektor kaufen solltet?“ „Ich habe sie alle gelesen!“ sagte Hermione. „Ich bin doch nicht verrückt und lese diesen Mist!“ meinte Terry trotzig. „Da gibt es also ganz verschiedene Positionen. Was haltet ihr davon: Ich teile euch einen kleinen Test aus, den ich nur für die Schüler werte, die das auch wollen. Dann kann ich mir einen Überblick über euer Vorwissen verschaffen“, meinte Lotleak. „Den schaffe ich bestimmt!“ meinte Hermione. „Den können Sie sich sonst wo hin stecken!“ entgegnete Terry. Trotzdem entschieden sich letztlich alle dazu, den Test so gut es ging auszufüllen. Auch der populäre Zauberjunge würdigte dem Papier einen kurzen Blick. Die ersten drei Fragen stachen ihm ins Auge: 1.) In der Nacht ist es tendenziell: A) hell oder B) dunkel? 2.) Ein Zwerg ist in der Regel: A) groß oder B) klein? 3.) Acetylcholin ist ein Molekül, das: A) in der präsynaptischen Membran zwischen Muskel und Nervenfaser eine Rolle spielt (richtig) oder B) die Freiwandler in ihre Energydrinks schütten (falsch) Obwohl er vor hatte, die schriftliche Abfrage zu verbrennen oder einem beliebigen Gott zu opfern, beantwortete Terry die zwanzig Fragen, für die sie eine halbe Stunde Zeit bekamen. Schließlich sammelte Hermione für Timidus die Tests ein und händigte sie ihm strahlend aus. Er brauchte nur fünf Minuten dazu, sie zu korrigieren und besprach dann das Ergebnis mit der Klasse: „Leider wusste nur die Hälfte von euch, dass Wasser nass ist, dafür konnten fast alle die Frage beantworten, wie man Napalm herstellt. Wobei das eigentlich nur eine Scherzfrage sein sollte. Dennoch: Zwei von euch haben die maximale Punktzahl erreicht und zwar Ms. Hermione Stranger und Mr. Terry Rotter.“ Die Klasse applaudierte verhalten. Seine Freundin lächelte Terry auf eine Weise an, die ihn darauf hinweisen sollte, dass sie sehr mit seiner Strebsamkeit einverstanden war. Wenn sich Timidus nicht überraschend zu einer praktischen Übung entschlossen hätte, wäre der Junge mit hoher Wahrscheinlichkeit Amok gelaufen. „Jeweils 73, 25 Punkte für Griffamtor für euch zwei. Die Schüler Sifferins konnten leider keine Frage richtig beantworten, sie werden mir daher verzeihen, dass ich ihnen dafür auch keine Punkte geben kann. Aber nicht verzagen, nun könnt ihr euch erneut beweisen.“ Mit diesen Worten begab sich Lotleak zu einem relativ großen Käfig in der Mitte des Klassenzimmers, welcher von einem Tuch verdeckt war. „Euch erwarten die angeblich harmlosesten Wesen der magischen Welt. Schließlich wollen wir euch für den Anfang nicht überfordern. Ich ...“ Eine Durchsage unterbrach Timidus. Das System für derlei akustische Meldungen benötigte in Rowlingstone keine Elektronik und funktionierte einfach durch Schallsprung: Der Schall sprang selbstständig überall hin, wo er gebraucht wurde. -49-
„Mr. Lotleak bitte in Direktor Gandalfs Büro melden. Es geht um Details für Ihre Krankenversicherung.“ „Ach, warum ausgerechnet jetzt?“ fragte Timidus rhetorisch. An die Klasse gewandt, sagte er: “Ihr schafft das aber auch ohne mich: Ihr müsst nur die Knuddel wieder einfangen, die sich in diesem Käfig befinden. Viel Spaß!“ Er zog das Tuch weg und öffnete die Käfigtür. Kleine Fellträger, die auf zwei Beinen liefen und sich bemühten, sehr harmlos auszusehen, verließen den Käfig, während sich Lotleak in Gandalfs Büro begab. Die klischeebewussten Mädchen kicherten und gaben Bemerkungen von sich wie „Oh, sind die süß!“ oder „Ich will auch eines von denen!“ Daraufhin gingen sie auf die Knuddel zu und streichelten diese vorsichtig. Die Tiere sagten scheinbar zufrieden „Wieeeh!“, „Wuuuuh!“ und „Jubba-Jubba!“. Dann flüsterten sie sich etwas zu und verließen das Klassenzimmer, indem sie die kleine Treppe hinunterstiegen, welche zu Timidus Büro führte. „Wo wollen die denn hin?“, fragte Angelina Spirit verwundert. Ron versuchte, die Bürotür zu öffnen, doch die Tiere hatten sie verriegelt. „Und was sollen wir jetzt machen?“ wollte er wissen. Fünf Minuten später kehrten die Knuddel aus Lotleaks Büro zurück. Sie trugen Glasgefäße mit einer braunen Flüssigkeit und je einem Handtuch darin bei sich. Die Tiere stellten sich in mehreren Reihen hintereinander auf. „Verschwindet da vorne!“ ruft Terry einigen Schülern zu, doch ein grüngestreifter Knuddel hat bereits mit seinem Feueratem einen der Molotov-Cocktails entzündet und auf die Kinder geworfen. Sie versuchen, ihre Schuluniformen zu löschen, indem sie sich auf dem Boden umherrollen. Ein paar der Fellträger ziehen die Vorhänge zu, wodurch der Raum nur noch durch die brennenden Schüler erhellt wird. Durch die Flammen erkennt Terry die leuchtenden Augäpfel seiner neuen Feinde. Der Junge zieht seine Avengers und rennt zu den Vorhängen, während ihm die gefährlichen Gefäße entgegenfliegen. „Hey, Thomas!“ ruft er einem der brennenden Kinder zu. „Kannst du mal hier rüber kommen, ich sehe nichts!“ „Ja klar, kein Problem!“ Terry feuert auf die raffinierten Wesen und springt auf die blauen Vorhänge, um seitlich an ihnen entlang zu laufen, während ihm Thomas Tropf das nötige Licht verschafft. Die blauen Tücher fangen durch die Cocktails an beiden Enden Feuer und Terry springt in ihrer Mitte ab, um seine kuscheligen Gegenspieler während des Fluges mit explodierenden Geschossen sauber in ihre Einzelteile zu zerlegen. Doch eine Gruppe Knuddel hat sich einen Vorteil verschafft und Hermione als Geißel genommen. Sie bedrohen sie mit ihren ausgefahrenen Klauen, als Terry wieder auf dem Boden landet und seine Avengers auf Bleikugeln umstellt. Fünf gut gezielte Kopfschüsse und eindrucksvolle Blutfontänen später ist seine Freundin frei und der Junge kann sich wieder der gezielten Massenvernichtung seiner Feinde widmen. Doch diese versammeln sich in einer dunklen Ecke des Zimmers, um von dort aus mit Brandbomben um sich zu werfen. Terry nutzt die Gelegenheit, den ebenfalls brennenden Spongo in ihre Reihen zu werfen. Dadurch verbreiten sich die Flammen auch auf einige der Tiere und der Junge kann besser zielen. Mit Schnellfeuer besiegt er auch die letzten Kuschelmonster, als plötzlich ein scheinbar funktionsloser, riesiger Balken Feuer fängt und auf die zusammengedrängten Schüler fällt. Terry gelingt es, den Balken in Zeitlupe in die andere Richtung zu schmettern. Die Türen des Klassenzimmers öffnen sich und Lotleak sowie Gandalf stehen mit erhobenen Zauberstäben darin. Sie rufen „Icem optimum!“ und löschen mit Eisstrahlen die Flammen und Schüler. Hermione liegt verängstigt in Terrys Armen.
-50-
Kapitel 7: Unheimliche Stimmen „Wir haben das Feuer von meinem Büro aus gesehen. Wo bin ich?“ erläuterte Gandalf. „Was ist denn geschehen?“ fragte Lotleak. „Ihre harmlosen Geschöpfe haben sich als wilde Bestien erwiesen und mit Molotov-Cocktails um sich geworfen, die sie aus ihrem Büro geholt hatten. Nun denn: Wo möchten Sie Ihren Kopf hingeschickt haben, Herr Professor?“ antwortete Terry. „Das ist ja verrückt ... In den Büchern steht, die Knuddel seien völlig harmlos“, überlegte Timidus. „Tja, ich würde auch nicht darauf hinweisen, dass sie in Wirklichkeit hoch gefährlich sind, wenn sie mich mit ihren Klauen bedrohten“, meinte Terry. „Obwohl: Eigentlich hätte ich sie in ihre Einzelteile zerlegt und dann geschrieben, was ich wollte.“ „Das tut mir ja alles so leid!“ schluchzte Lotleak. „Was wollten Sie eigentlich mit den Cocktails anfangen?“ fragte Ron. „Das waren Begrüßungsgeschenke von Rubeus. Ich habe die Gefahr völlig unterschätzt, die von Alkohol ausgehen kann. Schluchz“, meinte die Lehrkraft. „Na gut“, sagte Terry. „Aber ihr Klassenzimmer bauen sie selbst wieder auf.“ „Wollen wir jemandem Punkte geben?“ fragte Gandalf. „Terry hat uns alle gerettet!“ sagte Hermione, die sich mit diesem Ausspruch selbst überraschte. „Gut. Ähm. 957 Punkte für Griffamtor. So, da das nun erledigt ist, wollen wir einen trinken gehen, Timidus?“ fragte Gandalf. „Und die Schüler? Sie müssen völlig verängstigt sein“, antwortete er. „Oh, ja, natürlich: Hört zu, Kinder: Ihr kriegt den Rest des Tages frei, was haltet ihr davon?“ Ein sehr verhaltenes „Juhu!“ machte sich breit und die Schüler begaben sich nach draußen, wo sich ein blauer Himmel wölbte. Die Mädchen nutzten die allgemeine Verstörung aus, um sich ihren bevorzugten Jungen verängstigt in die Arme zu werfen. Nachdem Terry die meisten der Griffamtor, Haferschleim und Rebhuhnclaw Weibchen abgeschüttelt hatte, besorgte er sich von Timidus Büro ein bisschen Rum und zog sich mit Ron und Hermione zum GriffamtorGemeinschaftsraum zurück. Die nächsten Wochen verbrachte Terry damit, Colin McRae aus dem Weg zu gehen, sich zu betrinken und mit Hermione zu schlafen. Letzteres taten sie meistens im Mädchenschlafsaal der Griffamtors. Natürlich waren damit gewisse Probleme verbunden: Zunächst einmal musste Hermione ihren meist alkoholisierten Freund die Treppen zum Schlafsaal hinauftragen, um die AntiJungen-Vorrichtung zu umgehen. Ein weiteres Problem waren die anderen Mädchen. Schließlich lag es neuerdings im Trend, in Terry verliebt zu sein. Und ihn in dieser Situation mit einer anderen beim Zärtlichkeitsaustausch zusehen zu müssen, war nicht unbedingt sehr leicht für sie. Das führte bald zu McGonekels Hinweis, dass die Beiden ihre Exzesse vielleicht lieber wo anders ausleben sollten. Nach Terrys überzeugender Erläuterung, dass es keinen anderen Platz dafür gab, da der Jungenschlafsaal mit zuviel Testosteron gefüllt war und keine Einzelschlafsäle existierten, musste die Hauslehrerin ihnen weiterhin ihren Liebesausdruck in Gesellschaft anderer Mädchen zugestehen. Hin und wieder gestattete Hermione immerhin als Kompromiss die Invol-51-
vierung weiterer Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts. „Hi, Terry!“ sagte Al Brandy zu dem Zauberjungen, der gerade auf dem Weg zur Bibliothek war. Terry lernte dort immer den Stoff nach, den er für die Prüfungen brauchte, weil er so gut wie nie zum Unterricht ging. Und er eignete sich sogar noch viele weitere Zaubersprüche an, denn schließlich verfolgte er seit einer Weile spaßeshalber das Ziel, der mächtigste Zauberer aller Zeiten zu werden. Da eine halbe Stunde lernen mindestens drei Stunden Unterricht ersetzte, hatte Terry dennoch nicht allzu viel zu tun. „Tag Al, was gibt’s?“ „Quititsch-Training!“ meinte der Mannschaftscaptain der Griffamtors mit einem Ausdruck irrsinnigen Enthusiasmus in den Augen. „Ach, nein. Das will ich wirklich nicht mehr spielen ...“, sagte Terry. „Na, komm schon, Terry! Mit den neuen Regeln gibt es jetzt viel weniger Verletzte und fast keine Toten mehr. Das ist doch was!“ „Naja, gut. Ich will ja nichts aufgrund von Vorurteilen verurteilen“, antwortete der Junge und schnappte sich sein magisches Snowboard aus dem Gemeinschaftsraum seines Hauses, um sich damit zum Trainingsplatz im Zentrum des Schulgeländes zu begeben. Dort wurde er bereits von Al erwartet. „Einen Moment, Terry: Ich möchte erst noch etwas mit euch besprechen, folgt mir zur Tribüne!“ Vor versammelter Griffamtor-Mannschaft erläuterte Al die Neuerungen des Spiels: „Also, Leute: Aufgrund einiger neuer Regeln und dem Wegfall von ein paar alten geht es inzwischen nicht mehr darum, das Spiel durch die Dezimierung der gegnerischen Mannschaft zu gewinnen, sondern durch Taktik und Geschicklichkeit. Geblieben sind die Bezeichnungen für unsere Spielbälle, also Morgenstern, Patscher und goldener Schnaps. Wobei der Morgenstern keine Spitzen mehr hat und neuerdings aus Gummi besteht, genau wie der Patscher.“ „Aber der Schnaps enthält noch immer ...“, fragte John Shutter, der Ringhüter Griffamtors. „... Rum. Ja. Ragrid unterstützt nach wie vor unsere Mannschaft. Abgesehen davon hat sich nicht viel verändert, außer, dass wir jetzt eine neue Spielerin haben, da unsere Predatorin Alice Wonderland das letzte Turnier nicht überlebte. Darf ich vorstellen: Hermione Stranger!“ Hermione erschien zwischen den anderen Schülern. Terry fand, dass sie süß aussah mit ihrem rot-goldenen Trikot auf dem ein animierter Compy, ein kleiner, grüner Dinosaurier, herumtollte. „Und dieses Spiel ist jetzt wirklich sicher?“ hörte sich Terry sagen. „Zumindest ist es erheblich sicherer als früher“, meinte Al und wechselte geschickt das Thema: „Also, gehen wir auf den Trainingsplatz! Bin schon ganz eingerostet.“ „So früh wie wir fängt sonst niemand mit dem Training an! Wir werden Sifferin ja so was von platt machen!“ meinte Shutter. „Ich bezweifle es“, warf Spongo ein. Die Sifferins breiteten sich gerade über den Platz aus, als Crêpes und Goil, Efeus Türsteher, damit anfingen, Terry auf den Arm zu schlagen. Franklin Silver, der neue Captain und Predator der Sifferins, widmete sich derweil Al Brandy. „Was wollt ihr denn hier?“ fragte Al. „Ich habe den Platz heute für Griffamtor -52-
reservieren lassen.“ „Und wir haben hier eine schriftliche Erlaubnis von Professor Snake“, antwortete Captain Silver. „Dieses idiotische Zuständigkeitswirrwarr! Tja, dann werden wir uns das Übungsgelände wohl teilen müssen“, meinte Al. „Ihr habt einen neuen Schnapper?“ „Ja. Rebecca Catcher hat nun den Platz von Adam Baldwyn als Killerin eingenommen. Dadurch ist die Position des Schnappers freigeworden für ...“ „Mich“, sagte Spongo und grinste überheblich. Crêpes und Goil hätten nun auch gegrinst, wenn Terry Crêpes nicht den Arm abgerissen und Goil damit bewusstlos geschlagen hätte. „Soso“, meinte Al. „Und Goil ist demnach der Ersatz-Predator für Peter Sinclair?“ „So ist es“, stellte Silver fest. „Moment: Was hast du denn da für einen - das ist doch nicht etwa der neue ...?“ meinte Al schockiert mit Blick auf Franklins Besen. „Wischmob 2001. Ein großzügiges Geschenk von Spongos Vater. Wir haben alle einen.“ Zwischen Bewunderung und Abscheu stehend, entschied Al, sich auf den Rasen zu übergeben. „Wenn man sich in eure Mannschaft einkaufen kann, dann kann man sich bei euch wohl auch hoch schlafen?“ meinte Terry, während ihm Crêpes Blut von der Wange tropfte. „Das brauchst du gerade zu sagen mit deiner Pseudoblut-Freundin!“ schrie Spongo. Ron schlenderte gerade herbei. Er war bereits ziemlich wütend, weil er auf dem Weg zum Trainingsgelände gestolpert war und sich dabei das Genick gebrochen hatte. Spongos Kommentar kam ihm also sehr gelegen. Mit den Worten „Friss Kugelfisch!“ und einem Schwung mit seinem beschädigten Zauberstab erreichte Ron einen Rückstoß des Fluches auf ihn selbst und kurze Zeit später planschte ein hochgiftiger Kugelfisch in seinem Magen herum. Da diesem seine neue Heimat jedoch Angst einjagte, blähte er sich kurzerhand auf und seine Stacheln durchbohrten Rons Magenwände, was dem Jungen einen unerfreulichen Tod einbrachte. Aber wenigstens war er nicht vergiftet worden. Außerdem fühlten sich zumindest die Sifferins durch diesen Unfall gut unterhalten. „Oh toll! Ein Unfall!“, sagte auch Colin McRae und holte seine Kamera heraus. Offenbar hatte er einen sechsten Sinn für sensationelle Geschehnisse. Zumindest, wenn jemand dabei zu Schaden kam. „Terry: Könntest du dich hier neben Rons Kadaver aufstellen und lächeln?“ fragte er. „Nein. Aber ich könnte mich neben deinem Kadaver aufstellen und lächeln, wenn du nicht sofort Leine ziehst, Colin!“ bemerkte Terry. Mit Blick auf die lachenden Sifferins zog der Junge, der überlegte, seine Avengers. Doch bevor er zur Tat schreiten konnte, hatte ihn Hermione schon vom Trainingsgelände weggezogen. „Was tust du denn da?“ fragte er. „Ich halte dich von unüberlegten Handlungen ab!“ sagte das Mädchen bestimmt. „Inwiefern unüberlegt? Ich will doch nur die Sifferins auslöschen. Damit tue ich der Menschheit einen Gefallen.“ „Du musst noch viel lernen, Terry ...“, seufzte Hermione. „Keine Ahnung, was du meinst“, antwortete der Junge wahrheitsgemäß. -53-
Ron hatte sich inzwischen wieder zusammen gerafft und folgte den Beiden auf dem Weg zu Ragrids Flasche. „Was wollen wir denn bei Rubeus?“ fragte Terry. „Ihn besuchen!“ meinte Hermione. „Wozu?“ „Weil wir ihn schon seit einem Jahr nicht mehr gesehen haben!“ „Na und? Den dunklen Lord habe ich auch schon seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Und außerdem bin ich Rubeus bereits in der Quantengasse begegnet.“ „Warum willst du denn nicht zu Ragrid?“ warf Ron ein. Sie überquerten den mit Unkraut besetzten Weg zwischen Rowlingstone und Ragrids Eigentumsflasche, als sie ein geflügeltes Schaf knapp verfehlte. Es blökte verzweifelt, wohl weil sein Fell brannte. Doch es gewann wieder an Höhe und ließ sich schließlich in den großen See am Fuße des Berges, auf welchem die Schule thronte, fallen. Dort wurde es von einem weißen Hai gefressen. „Wisst ihr, in seiner Hütte gibt es so viel Rum und, na ja ...“, meinte Terry. „Und du wirst immer mehr zum Alkoholiker“, sagte Hermione. „Mach’ dir keine Sorgen, ich werde dir das schon abgewöhnen.“ Unerwartet wie Ostereier unter dem Weihnachtsbaum öffnete sich die Tür von Ragrids Flasche und Professor Lotleak stand im Türrahmen. Er hatte wieder sein schüchternes Gesicht aufgelegt und ging mit kleinen Schritten und gesenktem Kopf zur Schule zurück. Als er Terry, Ron und Hermione begegnete, sagte er vorsichtig „Hallo Kinder“ und beschleunigte dann seinen Gang, als wäre er vor seinen eigenen Worten erschreckt. Hermione lächelte ihm nach und klopfte dann an, während Terry die Tür öffnete, um in die Hütte zu stürmen. „Tag, Ragrid. Was gibt’s Neues?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, fügte er „Nichts? Oh, schade. Also, bis später“ hinzu und verließ die Flasche wieder. Leider wurde er von seiner Freundin davon abgehalten, das Weite zu suchen. Hermione zerrte ihn wieder zurück. „Du musst dich deinen Problemen stellen, Schatz“, stellte sie fest. „Normalerweise ist es für alle Anwesenden recht gefährlich, wenn sich Terry seinen Problemen stellt“, meinte Ron. Doch Hermione ließ sich nicht beirren und setzte ihren Freund auf einen Stuhl an Ragrids Tisch. „Ai, des is ja schö, dass er ma wieder vorbei schaut!“ sagte Rowlingstones Schlüsselmeister erfreut. „Das liegt im Auge des Betrachters“, grummelte Terry. Ron und Hermione setzten sich auch an den Tisch und das Mädchen fragte: „Was wollte Lotleak eigentlich von dir, Ragrid?“ „Ach, er hat mir ein paar Tipps gegeben, um die Stegosaurier loszuwerden, die mir immer nachts meine Kürbisse anknabbern.“ Ron warf einen Blick aus den Fenster und erkannte eines jener halloweensch’en Gewächse. Jemand hatte seine Nase abgebissen, was den Kürbis nicht unbedingt glücklicher stimmte. Der Riese lief hinüber zu seinem Vorratsschrank und fragte, ob er den Kindern etwas anbieten könne. „Vielleicht ein paar Kekse, einen Tee, oder eventuell ...“ „Sag es nicht!“ forderte Terry. „Einen Rum?“ „NEEEEEIN!“ schrie der Zauberjunge und ließ seinen Kopf unter großer Ab-54-
scheu zurückschnellen „Es ist ein guter Jahrgang“, meinte Rubeus und schleppte eine Flasche braunen Rum an, um ihn vor Terrys Nase auf den Holztisch zu stellen. „Tu ... das ... weg!“ zitterte letzterer. „Er ist bestimmt noch gut. Hier, willst du mal daran riechen, Terry?“ „Ganz bestimmt nicht!“ sagte der Junge, der überlegte. Doch Ragrid öffnete die Flasche, um sie Terry unter die Nase zu halten. Gerade als der sie sich greifen will, schnappen Ron und Hermione seine Arme, um den Jungen davon abzuhalten. „Lasst mich los! Ich will doch nur einen kleinen Schluck! Das verstößt gegen die Genfer Konvention!“ Fünf Minuten unbarmherziger Folter später entspannte sich Terry und hörte auf, nach der Flasche greifen zu wollen. „So. Nun bist du schon bald geheilt. Du wirst nie wieder das Gefühl haben, du müsstest Alkohol trinken“, sagte Hermione strahlend. „Toll. Und wie soll ich dieses Leben sonst bitte ertragen?“ fragte Terry. Ragrid fiel auf, dass Rons Gesichtsfärbung etwa der einer unpräparierten Leiche entsprach. „Ron, du siehst nicht gut aus. Was ist denn passiert?“ „Ich wollte einen Fluch auf Efeu schleudern, aber der hat mich getroffen, weil mein Zauberstab kaputt ist.“ „Warum wolltest du Efeu verfluchen? Du weißt doch, dass kein Schüler Magie gegen andere Schüler einsetzen darf!“ „Was ehrlich? Und gegen Lehrer?“ warf Terry ein. „Ich weiß. Aber er hat Hermione Pseudoblut genannt“, erklärte Ron. „Das hat er nicht!“ meinte Ragrid schockiert. „Das hat er doch schon tausend Mal gemacht“, krächzte Terry, der merklich auf Entzug war. Auf einmal fing Hermione damit an, theatralisch zu weinen. Mit den Worten „Das darf doch nicht wahr sein“ fiel Terry zitternd auf den Boden und sehnte die Rumflaschen herbei, die Rubeus auf einem Dachbalken aufgereiht hatte. „Was soll das überhaupt sein, ein Pseudoblut?“ fragte Ron, um Hermione zu unterstützen. „Das ist jemand, von dem wenigstens ein Elternteil von Muggeln abstammt“, erklärte Ragrid. Terry begann zu singen: „Zehn braune Flaschen stehen auf dem Brett ...“ „Und? Hat das irgendwelche Nachteile?“ wollte Ron wissen. „Außer dem Hass der Sifferins und dem dunkler Magier ...“ „... was eigentlich dasselbe ist“, meinte Terry, noch immer singend. „... eigentlich keine“, schloss Ragrid und ergänzte „Magische Fähigkeiten werden zwar vererbt, aber nur rezessiv und nur auf einem Allel. Deshalb müssen nicht beide Eltern Zauberer sein. Eigentlich sogar keiner von beiden. Obwohl: Manchmal wird es auch dominant vererbt, sonst wären ja ewig viele Abkommen von Zauberern selbst keine. Hm. Eigentlich macht das nicht viel Sinn. Typisch für diese Dimension.“ „Wenn ich das doch nur in meinem Bio-Abi gewusst hätte“, meinte der Autor. Ragrid nahm Hermione in den Arm, um sie zu trösten. Dennoch gelang es ihr, zu atmen. Ein paar Tage später fand sich Terry in dem verbotenen Abteil der Bibliothek wieder. Er suchte nun schon seit drei Stunden nach einer Zauberformel für Unverwundbarkeit, wobei er Flüche, Mutation und Geschichte des Aberglau-55-
bens ferngeblieben war. „Verdammter Mist. Schon wieder ein Buch über das magische Kämmen der eigenen Unterarmhaare. Wer will denn so etwas überhaupt wissen? Und warum sollte man das verbieten?“ Frustriert verließ er die Bibliothek und machte sich auf den Weg zum Gemeinschaftsraum der Sifferins, um einen seiner missglückten Tränke dort hinein zu schütten. Er trug nun schon den ganzen Tag seinen Kupferkessel mit sich herum und hatte bis vor etwa zehn Minuten überlegt, was er wohl nützliches mit dessen Inhalt tun könnte. Plötzlich hörte er eine leise, aber bedrohliche Stimme: „... töten ... vernichten ... zerstören ... “ „Ah, ein Bruder im Geiste“, kommentierte der Junge und suchte nach dem Ursprung der Stimme. „... so lange schon hungrig ... kein Geld für den Automaten ...“ „Welch ein trauriges Schicksal“, meinte Terry. Er lokalisierte die Quelle seines Gesprächspartners. Offenbar befand er sich in einer Wand. Der Junge schaute sich kurz nach einem lockeren Stein um. Nach etwa zwei Sekunden hatte er einen gefunden und rüttelte daran. Als dieser sich weit genug aus der Wand gelöst hatte, konnte Terry ihn ganz heraus ziehen. Dann warf er ein paar Kupfermünzen in das Loch, steckte den Stein zurück und machte sich wieder auf den Weg. „... danke ... jetzt kann ich mir ein Eis kaufen ... aber ich werde trotzdem alle Pseudoblüter umbringen ...“ Die letzte Bemerkung hatte Terry überhört, weil er sich schmunzelnd vorstellte, wie sich die Sifferins in seinem Trank auflösen würden. Er kam zu einer rechtsgerichteten Abzweigung. Auf der Wand schimmerten meterhohe Buchstaben im flackernden Licht der Fackeln. Sie waren offenbar mit roter Farbe geschrieben worden. Oder mit Blut. Sie ergaben folgende Worte: „Die fragwürdige Kammer der schieren Schrecklichkeit wurde geöffnet. Feinde des Erben, passt bloß auf!“ „Kurz und prägnant“, stellte Terry fest. Neben den Buchstaben erkannte er Margaret Catcher, den Katzenhund von Hausmeister Filz. Jemand hatte eine Schnur um ihre Hüfte gewickelt. Sie baumelte miauend herum und hing an der Decke hängend. Terry fand das alles ziemlich witzig. Er stellte seinen Kessel ab und lachte. Dann kam Filz zum Ort des Geschehens und erstarrte vor Schock. Dann hörte er wieder damit auf und jaulte: “Margaret! Was haben Sie dir nur angetan!“ Und da solche dramatischen Geschehnisse immer sehr publikumswirksam waren, erschienen auf einmal unzählige Schüler auf dem Gang und auch die Lehrkräfte ließen nicht lange auf sich warten. Spongo Efeu ließ sich von seinen zwei Türstehern den Weg nach vorne durchkämpfen. „Feinde des Erben, passt bloß auf! Ihr seid die nächsten, Pseudoblüter! Vor allem du, Stranger!“ sagte er zu Hermione. Terry versuchte, sein Lachen einzustellen, um auf Spongo sauer zu sein. Aber er fand die Situation einfach zu lächerlich. Jetzt würde wieder jeder denken, er habe das geschrieben, obwohl er weder Farbe noch Pinsel dabei hatte. Und wenig später wären alle davon überzeugt, er sei dieser Erbe. Und dann könnte er alle einschüchtern. Wahrscheinlich war es das, was Terry so witzig fand.
-56-
Kapitel 8: Die üblichen Verdächtigen Gandalf verschaffte sich einen Überblick über die Situation. Dann nahm er seine Seifenblasenpfeife aus dem Mund und steckte sie in die Innentasche seines Umhangs. Man konnte richtiggehend seinem Verstand beim Arbeiten zusehen. Sein Blick wanderte von Mrs. Catcher über die Worte an der Wand zu Terry, der von einem herzhaften Lachen zu einem milden Lächeln übergegangen war. Der Direktor nickte weise und zog seine schlussfolgernde Augenbraue nach oben. „In Ordnung“, sagte er. „Was ist los und warum stehen hier alle so blöd in der Gegend herum?“ „Jemand hat Mrs. Catcher aufgehängt!“, heulte Filz. Lotleak betrat das Innere des Kreises, der sich um Terry gebildet hatte, warf einen Blick auf das Tier und sagte: “Nun. Ich will ja nicht anmaßend sein. Aber ihre, ähm, ihr Haustier erscheint mir eigentlich vollkommen unversehrt zu sein. Warum nehmen wir es nicht einfach ab? Was natürlich nur ein Vorschlag sein soll.“ „Ich pflichte Professor Lotleak bei, Herr Direktor“, meinte Professor McGonekel streng. „Nicht so schnell“, sagte Professor Snake. „Wir sollten erst feststellen, dass Mr. Rotter dieses Geschmiere und die Schandtaten an jenem armen Tier zu verantworten hat.“ „Sie meinten wohl, ob er sie zu verantworten hat?“ fragte McGonekel. „Nein...“, murmelte Snake. Gandalf wurde schon ganz schummerig von dem ganzen Nachdenken, weshalb er vorschlug, die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen. Doch schließlich einigte man sich auf Professor Lotleaks Vorschlag, die Angelegenheit unter Ausschluss der Öffentlichkeit in seinem Büro zu bereden, da es nicht weit entfernt war. Die Menge löste sich auf und Terry flüsterte Hermione noch kurz zu, dass sich alles schon klären werde und sie sich keine Sorgen machen müsse. Außerdem wies er Ron an, seinen Kessel in den Gemeinschaftsraum der Sifferins zu entleeren, bevor Snake auf die Idee kommen könne, ihn als Beweis für irgend etwas zu präsentieren. Als sie alle den Raum betreten hatten, schloss Snake langsam die Tür. Etwa so wie ein Polizist, der gleich einen Verdächtigen höflich davon überzeugen wollte, die Tat begangen zu haben. Terry setzte sich auf Lotleaks Sessel hinter seinem Schreibtisch. Draußen hatte sich ein Gewitter entwickelt, weil es die dramatische Atmosphäre von Terrys Befragung verstärken wollte. Der Direktor hatte das Tier von Argwohn Filz mitgenommen. Es miaute und bellte abwechselnd auf sehr wehleidige Art und Weise. Gandalf legte Mrs. Catcher vorsichtig auf einen Stuhl und Snake richtete den Schein der beweglichen Tischkerze auf den Jungen. „Die Katze simuliert, so viel ist sicher“, meinte Terry. „Sie ist kein verlässlicher Zeuge!“ Filz wirkte immer noch sehr besorgt. Gandalf versuchte, ihn aufzuheitern: „Sie ist nicht tot, Argwohn.“ „Natürlich nicht“, stellte Terry fest. „Sie war noch nie tot! Schätze ich mal ...“ „Wenn ich kurz etwas anmerken dürfte ...“, merkte Snake an. „Ich denke, es ist offensichtlich, dass Mr. Rotter für all’ das hier verantwortlich ist. Als alle anderen beim großen Halloween-Fest waren, hat er sich in den Gängen herumgetrieben, um allen Muggel-Geborenen mit seiner Schmiererei Angst -57-
einzujagen. Und um die Wirkung seines kleinen Streiches zu verstärken, hat er Argwohns Katze gefoltert.“ „Also das ist nun wirklich lächerlich“, murmelte Lotleak. „Was sagst du dazu, Junge?“ fragte Gandalf in der Hoffnung, etwas sinnvolles getan zu haben. „Es gab eine Halloween-Party und ich habe sie verpasst? Komisch, ich dachte, es wäre immer noch Sommer.“ „Nun, wenn man fast nie dem Unterricht beiwohnt und keinen geregelten Tagesablauf mehr hat, verliert man allmählich das Zeitgefühl, nicht wahr, Mr. Rotter?“ fragte Snake. „Wie meinen Sie das?“ wollte Gandalf wissen, weil er Snakes rhetorische Frage nicht verstanden hatte. „Mr. Rotter zieht es vor, sich das Lernpensum in Eigenarbeit anzueignen“, erklärte McGonekel. „Darf er das denn?“ fragte der Direktor. „Seine Ergebnisse bei den Tests waren hervorragend, also ließ ich ihn gewähren“, antwortete Silenzia. „Tests hin oder her: Hier sehen Sie das Ergebnis ihres liberalen Getues!“ raunte Snake. „Der Junge kommt nur auf dumme Gedanken!“ „Aber warum sollte ich denn so etwas an die Wand schreiben?“ hakte Terry nach. „Meine eigene Freundin ist doch Muggel-Geborene!“ „Du selbst aber nicht!“ schrie Snake, als hätte er einen Joker ausgespielt. „Nein. Na und? Ich werde ja wohl kaum der Einzige in diesem verdammten Schloss sein, der keine Muggel-Eltern hat!“ sagte Terry. Gandalf und McGonekel sahen sich besorgt in die Augen. Das heißt: McGonekel sah Gandalf besorgt in die Augen, der Direktor erwiderte ihren Blick nur, um zu verschleiern, dass er nicht wusste, was dessen Anlass war. „Ich schätze, es gibt wohl tatsächlich nicht so viele der sogenannten ‚Reinblüter’ in Rowlingstone, mein Junge - auch wenn die Sifferins das gerne von sich behaupten“, meinte Terrys Hauslehrerin. „Und nur ein solcher würde Muggel-Geborenen und Halbblütern drohen!“ stellte Snake fest. „Aber ich hatte doch gar keine Farbe dabei!“ verteidigte sich der Junge. „So? Aber Blut! Und außerdem: Was war in deinem Kupferkessel?“ wollte der Giftkunde-Lehrer wissen. „Und warum hast du deinen Gehilfen beauftragt, ihn hinweg zu tragen?“ „Da war keine Farbe drin! In dem Kessel war eine magische Säure, das Ergebnis einer misslungenen Mischung!“ sagte Terry aufgebracht. „Außerdem habe ich keine Einstiche, durch die ich mir Blut hätte entnehmen können.“ „Ach ja? Und was hattest du mit dieser Säure vor? Ich werde es dir sagen: Du wolltest alle Muggel-Geborenen darin auflösen, nicht wahr?“ „Nein, ich wollte das Zeug in den Gemeinschaftsraum der Sifferins schütten!“ „Ich glaube ihm kein Wort!“ schrie Snake und wandte sich von Terry ab. „Also ich halte das für durchaus denkbar“, meinte McGonekel. „Mr. Rotters Hass auf die Schüler Ihres Hauses ist ein offenes Geheimnis, Satanus.“ „Nun denn: Im Zweifel für den Angeklagten“, sagte Gandalf und schloss damit die Befragung. Vor allem deshalb, weil er mal dringend wohin musste. Ron und Hermione erwarteten Terry bereits. „Und? Haben sie dich schuldig gesprochen?“ wollte Ron wissen, als McGonekel, Gandalf und Snake gerade das Missbrauchszimmer verließen. Terry lachte nur und sagte: „Also wirklich, Ron. Schau dir doch die Lehrer an!“ -58-
Ron sah irritiert den drei Professoren hinterher. Er konnte nichts ungewöhnliches an ihnen erkennen. „Was meinst du?“ fragte er. „Ist doch wohl offensichtlich: Sie leben alle noch!“ erwiderte Terry. „Da bin ich aber erleichtert!“ sagte Hermione und fiel ihrem Freund um den Hals. Nach einer kurzen, kussbedeckten Phase des Aufatmens brach ihre unbändige Neugier hindurch: „Haben sie zufällig erwähnt, was die fragwürdige Kammer der schieren Schrecklichkeit ist?“ „Es gibt etwas, das du nicht weißt!?“ schreckte Ron auf. „Na und?“ meinte Hermione trotzig. „Ich kann schließlich auch nur wissen, was ich schon einmal irgendwo gelesen habe ...“ „Es gibt etwas, das du noch nicht gelesen hast!?“ erschrak Ron aufs Neue. „Ach! Ich schlage vor, wir fragen Professor Romero, dann wissen wir es“, schlug Hermione vor. „Wie jetzt?“ fragte Terry. „Unser Geschichte des Aberglaubens Lehrer“, erklärte sie. „Geschichte des Aberglaubens? Hm. Ich erinnere mich daran, irgendwann letztes Jahr einmal dieses Fach besucht zu haben ...“, überlegte Terry. „Oder habe ich das nur geträumt?“ „Also manchmal frage ich mich, wieso du überhaupt noch auf dieser Schule bist“, meinte Hermione. „Ist doch klar“, antwortete Terry. „Ich bin hier, um berühmt zu sein. Außerdem bin ich hier, um alle Jahre wieder die Schule vor dem dunklen Lord zu retten. Und ich bin hier, um mit dir zu schlafen.“ „Du meintest wohl: Um mit mir zusammen zu sein?“ fragte Terrys Freundin kritisch. „Genau das“, antwortete der Junge, der überlegte. „Und mit den anderen Mädchen, die manchmal dabei sind.“ Hermione sah Terry vorwurfsvoll an. Ein sehr gefährlicher Blick. Er verhieß nichts Gutes. „Aber ich liebe natürlich nur dich allein ...“, ergänzte der Junge vorsichtig. „So?“ „Allerdings. Du hast mein Leben erheblich bereichert. Überlege doch mal: Ich bringe jetzt nicht mehr wahllos irgendwelche Leute um.“ „Aber du versuchst es immer wieder!“, zischte das Mädchen. „Wirklich? Ich erschieße nicht einfach irgendwen, sondern stets nur den Erstbesten!“ Und doch wusste Hermione, dass sie von Terry nicht mehr erwarten konnte und dass seine Gefühle aufrichtig waren, auch wenn er nicht dazu in der Lage war, das immer so klar auszudrücken. Und so weiter. Das Geschichte des Aberglaubens Klassenzimmer bestand ganz aus grauem Stein. Kein einziges Bild, nicht einmal eine Karte ließ sich hier finden. Es gab nur Professor Romero, seine Schüler und die Farbe Grau, welche auch noch grimmig dreinblickte. Aber schließlich war die hiesige Lehrkraft schon seit einer ganzen Weile tot, und es war allgemein umstritten, ob Tote besonders begabt waren in gestaltungstechnischen Fragen. Terry begutachtete das Klassenzimmer, als habe er schon lange keines mehr gesehen, was auch den Tatsachen entsprach. Unter Vorbehalt setzte er sich auf den Platz neben Hermione. Zwecks dessen musste er zunächst den Sifferin entfernen, der während des Unterrichts von dort aus dem Mädchen Drohungen zugeflüstert hatte. Terry warf ihn kurzerhand aus dem offenen Fenster, beziehungsweise -59-
aus dem Loch in der Wand. Professor Romero betrat den Raum. Dazu musste er auf einem Bein hüpfen, weil ihm sein zweites mal wieder abgefallen war. „Guten Morgen, Kinder“, ächzte er. „Heute geht es um die Kriege gegen die Löffel, Tresen, Zwerge - Zwerge, genau, die im vorherigen Jahrhundert zu dem Jahrhundert von der Stunde vor drei Schulstunden stattgefunden haben und zwar gegen die noch kleineren, ähm, Büffel, Larven, Gnome, ach ja: Gnome, noch kleiner als die anfangs angesprochenen Tiere, körpergrößenmäßig betrachtet ...“ Romero sprach so unwahrscheinlich langsam, dass Terry sofort einschlief. Hermiones motivierte Meldung weckte ihn jedoch schnell wieder auf. „Professor, Professor!“ „Und diese Hüte, ähm, Fliegende- Gnome - oh, ja, ähm, du, Fluglotse - Mädchen, nicht wahr?“ „Ja, ich bin ein Mädchen ...“, meinte Hermione zögerlich. „Nun denn, meine Frage: Könnten Sie uns etwas über die fragwürdige Kammer der schieren Schrecklichkeit erzählen?“ Jeder Schüler, der sich nicht im Land der Träume befand, wurde plötzlich enorm aufmerksam. Was eigentlich nur für Terry galt. Aber auch ein paar der anderen Kinder erwachten allmählich aufgrund der unterbrochenen Monotonie in Romeros Stimme, an die sie nicht gewohnt waren. Sogar der untote Lehrer erschien auf einmal lebendiger als vorher. „Aber Sie sind sich schon darüber im Klaren, dass dieses Thema nicht vollkommen langweilig ist, Ms. Stranger?“ fragte er, plötzlich richtiggehend konzentriert. „Ja ...“, antwortete Hermione verwirrt. „Und das ist eigentlich auch nicht meine Zuständigkeit“, meinte Romero, dessen Ohr gerade abfiel. „Ich bin Geschichtslehrer, kein Märchenerzähler oh!“ Er setzte sein Ohr wieder ein, bevor er sagte: „Aber gut, wenn sich denn schon einmal jemand für etwas begeistert, das halbwegs mit meinem Fach in Verbindung steht: Wie ihr ja alle wisst, wurde Rowlingstone vor ein paar tausend Jahren errichtet, das genaue Datum interessiert euch ja sowieso nicht, und zwar von den vier berühmtesten Magiern, die jemals auf die Idee gekommen waren, Rowlingstone zu errichten. Die vier Schulhäuser wurden nach ihren Gründern benannt: Gary Griffamtor, Henrietta Haferschleim, Robert Rebhuhnclaw und Sakrilegus Sifferin. Am Anfang arbeiteten alle außer Sakrilegus noch in Harmonie miteinander und suchten nach magiebegabten Kindern, um sie auszubilden. Doch nach ein paar Jahren begann Sakrilegus damit, diejenigen seiner Schüler, die Muggeleltern hatten, zu töten.“ „Warum hat er sie denn nicht von Anfang an ausselektiert?“ wunderte sich Spongo. „Das hat er ja“, meinte Romero. „Aber irgendwann begann er damit, jedes Kind zu akzeptieren. Dadurch war es ihm möglich, die so genannten Pseudoblüter zu ermorden.“ „Was hatte er denn eigentlich gegen Schüler, die von Muggeln abstammten?“ fragte Hermione. „Angeblich hatte ihm mal eines von diesen Kindern während seiner eigenen Schulzeit einen Besen geklaut. Daraufhin hat er Pseudoblüter zu einer unterlegenen Rasse erklärt.“ „So läuft das also ...“, stellte Terry fest. „Auf jeden Fall ließen ihn die anderen drei Gründer unserer Schule nicht lange so weiter machen, spätestens bis er aufhörte, ihnen Schweigegeld zu bezahlen. Er musste die Schule nach der verloren Schlacht von Klein-60-
schweinfeld verlassen. Aber das Gerücht, dass er eine verborgene Kammer in der Schule errichtete, von der er den anderen nichts erzählte, ist bis heute weder belegt noch widerlegt. Es heißt, er habe sie versiegeln lassen und nur sein wahrer Erbe sei in der Lage, das Siegel zu öffnen.“ „Ach was. Ich sprenge das Ding einfach auf“, sagte Terry. Diese Aussage lenkte wider Erwarten jedoch nicht von ihm als möglichen Erben Sifferins ab. „Denn nur sein wahrer Erbe sollte in der Lage sein, die Kammer zu betreten, um alle Muggel-Geborenen mit Hilfe des Wesens darin zu vernichten.“ „Aber natürlich hat man Rowlingstone schon mehrfach erfolglos nach einer solchen Kammer durchsucht, nicht wahr, Professor?“ fragte Hermione. „Ach. Nun. Nicht wirklich“, meinte Romero. „Wie bitte!?“ erschrak das Mädchen. „Man hielt das für unnötig. Schließlich ist es nur eine Legende.“ „Und wieso sollte man das als Legende bezeichnen, wenn es noch nie untersucht wurde?“ wollte Hermione wissen. „Sind die Quellen, die von der Kammer berichten, vielleicht unzuverlässig?“ „Na ja. Es handelt sich um die Tagebücher der Begründer Rowlingstones. Außerdem geht es aus alten Notizen der Architekten hervor. Und angeblich sind schon mehrere Schüler darin spurlos verschwunden“, erklärte der Geschichtslehrer. „Angeblich?“ fragte Hermione. „Gut. Wir sind uns da eigentlich ziemlich sicher. Jedenfalls stand es auf diversen Wänden in Blut geschrieben. War eine ganz schöne Arbeit, das wieder zu entfernen ...“ „Und was genau ist das für ein Viech in dieser Kammer?“ wollte Terry wissen. „Ein MONSTER“, keuchte Romero dramatisch. Alle Schüler schreckten plötzlich auf. Und ein paar Mädchen begannen sogar, zu weinen. „Erbitte exakte Definition“, forderte Terry. „Wieso? Es ist ein MONSTER“, wiederholte der Lehrer. Und wieder erschreckten die Kinder gar grässlich. „Wie dem auch sei“, meinte Terry abschließend. Die drei Freunde machten sich auf den Weg zurück zu jener rot bemalten Wand, weil Terry das Klischee vom Täter erfüllen wollte, der zum Tatort zurückkehrt. „Hey, Terry: Mach dir keine Sorgen, denn wenn dich das 16-Tonnen Gewicht nach Griffamtor und nicht nach Sifferin eingeteilt hat, kannst du wohl kaum der Erbe Sifferins sein“, erläuterte Ron. Terry erinnerte sich daran, dass ihn das Gewicht erst nach einer seichten Drohung nach Griffamtor eingeteilt hatte. Die ursprüngliche Wahl hatte tatsächlich „Sifferin“ gelautet. „Leute: Schaut mal, da sind Frösche“, sagte der Junge, um vom Thema abzulenken. Und tatsächlich grabbelten mehrere kleine Grasfrösche durch einen kleinen Ritz in der Mauer unter dem bedrohlichen Schriftzug nach draußen. Durch das Fenster, das auf einmal aus dem Nichts an der Wand auftauchte, konnte Hermione beobachten, wie die Amphibien an der Außenseite des Schulgebäudes hinunter krabbelten. „Wo kommt das denn auf einmal her?“ wunderte sich Terry. „Naja, öfter mal ein neues Fenster soll ja kreativ machen.“ „Ich glaube, der Meinung war die überschüssige Magie des Schlosses auch“, meinte Hermione. -61-
„Moment mal, mir fällt da etwas ein“, sagte Terry. „Leonardo da Vinci dreht hier öfters seine Runden, um besser denken zu können. Wir sollten ihn fragen, ob er etwas gesehen hat.“ „Oh, tolle Idee, Terry. Wo hält er sich denn im Moment auf?“ fragte das Mädchen. „Hm. Um die Zeit müsste er in der Mädchentoilette im Keller sein.“
-62-
Kapitel 9: Die Rückkehr des dunklen Lords Die Mädchentoilette. Es gab einen bestimmten Grund, warum Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts vorzugsweise gemeinsam den Weg zu jener Einrichtung der Notwendigkeit antraten. Denn im Gegensatz zu der eigentlichen Funktion sanitärer Anlagen diente sie vor allem als sozialer Treffpunkt. Lebenslange Freundschaften entstanden nicht selten in einer Toilette. Doch Leonardo da Vinci war keine Frau. Vielmehr war er einer der größten Genies der Menschheitsgeschichte. Was natürlich nicht heißen soll, dass man nicht gleichzeitig eine Frau und ein Genie sein konnte. Aber nicht zu Leonardos Lebzeiten. Letztendlich stand jedoch die Frage im Raum, was ein Geist wie der da Vincis in einem Raum wie diesem zu suchen hatte. Und tatsächlich schien er kein bestimmtes Ziel zu haben, als er zwischen Kabinen und Waschbecken hin und her schwebte. Von weitem hörte Leonardo vertraute Stimmen. Sie näherten sich. „Was soll das heißen, man kann Türen auch öffnen? Ich habe sie doch geöffnet!“ beharrte Terry. Hermione Stimme schüttelte seufzend den Kopf und antwortete: „Du hast sie eingetreten. Die Tür hatte einen Knauf. Normale Menschen drehen daran, wenn sie einen Raum betreten wollen.“ „Normale Menschen wollen auch, dass man ihnen Klarsichtfolien über den Kopf stülpt, damit sie besser schlafen können“, meinte Terry. „Nein, das hast du dir nur eingeredet, um deinen neuesten Mordversuch an Efeu zu rechtfertigen“, erinnerte ihn Ron. „Hallo Kinder!“ rief der Geist des Erfinders erfreut. „Hi Leo“, antwortete Terry. „Und, hast du deine Schreibblockade überwunden?“ Da Vinci wirkte auf einmal zerstreut, während er sich einer gewissen Verzweiflung näherte. „Nein. Ich kann so nicht arbeiten. Die anderen Kinder sind immer so gemein zu mir. Sie werfen Sachen auf mich. Tut ja nicht weh, oder? Ich bin ja schließlich ein Gespenst, nicht wahr?“ Er drehte sein Gesicht weg, um seine aufkommenden Tränen zu verbergen. „Ach, die sind doch nur auf Ihren unvergleichlichen Intellekt eifersüchtig“, versuchte ihn Hermione zu trösten. „Danke, meine Kleine. Aber ich glaube, da steckt mehr dahinter. Sie merken, dass mir meine Ideen allmählich ausgehen.“ „Soll das ein Witz sein?“ fragte Terry. „Du hast doch neulich den ersten Fusionsreaktor entwickelt, der mehr Energie produziert, als er verbraucht!“ „Das mag schon sein ...“, meinte Leonardo zögerlich. „Aber mein Versuch, die globale Ungerechtigkeit zu beseitigen, ist gescheitert. Die wirklich wichtigen Dinge gelingen mir nicht.“ „Nun gut. Aber daran bist nicht du schuld, sondern die Gesellschaft, das System, die Verhältnisse, ... und die Konservative Partei“, stellte Terry fest. „Vor allem die Konservative Partei.“ „Da hast du gewiss Recht, mein Junge“, seufzte das Genie. Leonardos Tod hatte ihn nicht davon abgehalten, weiterhin bedeutsame Erfindungen und Entdeckungen zu machen. Diejenigen, welche die Muggel-Welt betrafen, sandte er stets anonym an sorgsam ausgewählte Wissenschaftler, denen ein solcher Durchbruch zuzutrauen gewesen wäre. Zwar wurde ihm da-63-
durch der verdiente Ruhm vorenthalten, aber das war ja nichts neues für ihn. Er begnügte sich mit so manchem zweideutigen Augenzwinkern, das ihm seine Kollegen bei ihren Präsentationen zudachten, welchen er unsichtbar beiwohnte. Insgeheim hatten sie alle eine bestimmte These, wem sie ihre Ideen tatsächlich zu verdanken hatten. „Also denn: Was kann ich für euch tun?“ „Hast du schon von der Sache mit der Schmiererei an der Wand gehört?“ fragte Terry. „Ah, ja. Irgendjemand will mal wieder alle Muggel-Geborenen umbringen“, meinte Leonardo. „Genau“, sagte Terry. „Hast du zufällig etwas gesehen, das uns weiterhelfen könnte?“ „Ich befürchte nicht, Terry“, stellte da Vinci fest. „Ich bin schon seit drei Tagen hier drin. Wobei: Irgendwie habe ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Naja, ist wahrscheinlich nur Altersparanoia.“ „Hm. Das glaube ich nicht ...“, überlegte der Junge, der überlegte. „Nun gut, dann werden wir wo anders unsere Nachforschungen weiterführen. Wenn dir wieder einmal etwas merkwürdiges auffallen sollte, dann sag uns am besten Bescheid.“ Da Vinci ließ seine Pupillen nervös hin und her gleiten. „Das werde ich. War schön, mal wieder mit euch zu reden, Kinder.“ Zurück im Griffamtor-Gemeinschaftsraum suchten die drei Freunde nach Ideen, wer wohl der Erbe Sifferins sein könnte: „Du“, sagte Ron zu Terry. „Also bitte, Ron! Terry ist doch nicht der Erbe Sifferins!“ „Nein, nein“, antwortete der akut lebensgefährdete. „Ich fragte Terry nur, ob er mir kurz die Schokolade reichen könnte.“ „Klar, hier“, meinte Terry und gab seinem Kumpel die Schale mit den Drogen, deren Konsum einen gestiegenen Enkephaline-Wert bedeutete. „Hm. Der Erbe Sifferins“, überlegte Terry. „Ist doch eigentlich eine klare Sache: Wer in dieser Schule könnte von Sakrilegus Sifferin abstammen und will alle Muggel-Geborenen umbringen?“ „Gandalf?“ riet Ron. “Blödsinn!” antwortete der Junge, der überlegte. „Zumindest hoffe ich das ... Aber eigentlich meinte ich natürlich Efeu.“ „Vielleicht war es ja auch Snake“, meinte Ron. „Ich weiß nicht“, sagte Terry. „Den haben wir schon letztes Jahr fälschlicherweise verdächtigt - und das wird allmählich langweilig. Ich meine, das können wir doch nicht jedes Jahr machen, oder?“ „Dann sollten wir versuchen, herauszufinden, ob Efeu wirklich der Erbe Sifferins ist“, stellte Hermione fest. „Und wie wollen wir das anstellen?“ wollte Ron wissen. „Wir fragen ihn einfach“, sagte das gar regeltreue Mädchen. „Ah, die Idee gefällt mir“, meinte Terry. „Wir foltern ihn so lange, bis er es zugibt!“ „So war das eigentlich nicht gedacht ...“ widersprach Hermione. „Auch gut“, sagte Terry. „Dann machen wir das einfach als kostenlose Zusatzleistung.“ „Und wie sieht dein Plan aus?“ wollte Ron von dem weiblichen Anteil seiner Clique wissen. „Wir brauen einen Trank um ...“ „... ihn zu vergiften. Hervorragende Idee“, lobte Terry seine Freundin. -64-
„Nein! Um uns in Schüler Sifferins zu verwandeln. Dann können wir unbemerkt in ihren Gemeinschaftsraum gelangen und mit Spongo sprechen.“ „Ich soll mich irgendwo hineinschleichen, nur um mit Efeu zu reden?“ fragte Terry. „Erscheint mir irgendwie sinnlos.“ „Ach, Schatz! Warum musst du immer alle Probleme mit Gewalt lösen? Hast du schon einmal von Marithma Handi gehört? Ohne Gewalt anzuwenden, hat er es geschafft, den Tag des kostenlosen Sandwichs im Tropfenden Becher einzuführen! Einzig und allein mit der Macht des friedfertigen Widerstands!“ „Obgleich ich die Intentionen dieser Person durchaus achte ...“, sagte Terry. „Widerstand ohne Gewalt ist wie ein Cocktail ohne Alkohol.“ „Ähm, Terry: Sagt dir der Name ‚Früchtecocktail’ etwas?“ fragte Ron. „Sag bloß ...“ „Ja, der enthält keinen Alkohol.“ „Nein! Das glaube ich einfach nicht!“ erschrak Terry. „Welcher stillose Unmensch denkt sich denn so etwas aus!?“ Am nächsten Tag fand sich Terry zusammen mit den anderen Spielern in der Umkleide der Griffamtors vor dem Quititsch-Stadium wieder. Al Brandy versuchte, wie immer vor einem Spiel, seine Mannschaft zu motivieren: „In Ordnung. Es sieht übel aus. Es sieht verdammt übel aus. Die Sifferins haben neue Spieler, die wir noch nicht beurteilen können. Und was noch viel schlimmer ist: Sie haben erheblich bessere Besen als wir. Wir sind verloren ...“ „Also ich habe ja gar keinen Besen“, meinte Terry. „Womit ich überaus zufrieden bin.“ „Wir sind nicht verloren!“ betonte Hermione. „Sie mögen ja eine bessere Ausstattung haben als wir, aber auch Griffamtor hat neue Spieler, über deren Fähigkeiten Sifferin nichts weiß. Und wir haben mehr trainiert! Wir können heute durchaus gewinnen!“ „Also, ich habe ja überhaupt nicht trainiert“, gab Terry zu bedenken. „Und außerdem: Was macht ihr euch denn alle so viel Stress? Ist doch egal, ob wir gewinnen oder verlieren. Spiele sollen Spaß machen. Das ist hier kein Profilierungswettbewerb. Sollte es zumindest nicht sein.“ Al Brandy lachte. In seiner kleinen, aus Quititsch bestehenden Welt, konnte Terry das unmöglich ernst meinen. „Da steckt sicherlich ein Fünkchen Wahrheit darin“, meinte Hermione. „Aber wir spielen gegen Sifferin, Schatz. Du willst doch nicht gegen Spongo verlieren, oder?“ „So oder so wird Efeu eines Tages aufwachen und feststellen, dass er tot ist. Und das wirklich Bedeutende ist doch das wahre Leben, oder, wie in diesem Fall, das wahre Ableben und nicht irgendein Spiel.“ „Ha, ha, ha! Sehr witzig, Terry”, sagte Brandy und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Du hast wirklich Humor, das muss man dir lassen“. Die Mannschaften betraten das Quititsch-Stadion. Sechs Türme und ebenso viele Zuschauerreihen machten es sich am Rande des Spielfelds bequem. Brandys Mannschaft erhielt begeisterten Applaus von den anwesenden Rebhuhnclaws, Haferschleims und natürlich Griffamtors. Schwer zu erraten, dass sie von den Sifferins ausgebuht wurden, während Gandalf, der in der ersten Reihe saß, begeistert Popcorn auf das Spielfeld warf und: „Wir gewinnen, wir gewinnen.“ rief. Er wusste selbst nicht so genau, wen er mit „wir“ meinte. Noch wo er sich gerade befand. Die Mannschaftskapitäne Al Brandy und Franklin Silver reichten sich druck-65-
voll die Hände. Terry betrachtete das Snowboard vor seinen Füßen und überlegte, ob es ihm nun einen taktischen Vorteil oder Nachteil verschaffen würde. Und Gandalf fiel von der Tribüne. McGonekel lief nach unten und holte den Schulleiter zurück, welcher derweil panisch „Sie kucken mich an! Sie sind überall!“ schrie. Und damit hatte er durchaus Recht, denn es war die Aufgabe kleiner, pelziger und geflügelter Wesen namens „Kuckis“ das Spiel zu verfolgten. Sie übermittelten die Bilder per Telepathie an den Kommentator Air Jordan Scott. Letzterer schnappte sich kurzerhand sein Knochophon und begann, in Echtzeit über das Spiel zu berichten: „Blauer Himmel, Sonnenschein! Die Mannschaften stehen sich gegenüber, bereit zum Kampf. Diesmal gibt es einige neue Regeln, also bereitet euch auf ein revolutionäres Spiel vor. Madam Lutsch greift zur Pfeife und: Das Spiel beginnt! Die Besen sind in der Luft und die Jagd auf die Morgensterne kann losgehen! Die Sifferins sind ganz schön schnell unterwegs, mit ihren neuen Besen, diese Penner. Aber unsere Griffamtors sind viel geschickter!“ „Air Jordan!“ mahnte McGonekel. „Ist ja gut, Professor. Und Angelina Spirit hat den Morgenstern! Pass zu Hermione Stranger! Doch sie wird von Josephine Ripley und Franklin Silver verfolgt. Ich hoffe, sie knallen gegen eine Tribüne! Und schon sind zwei Patscher mit im Spiel. Auch sie haben es auf Terrys Freundin abgesehen. Doch Hermione zieht nach oben, die Sifferins folgen ihr und - werden von den Patschern von den Besen geschlagen! Halleluja!“ „Es gibt da einen Begriff, der nennt sich ‚Objektivität’ ...“, erläuterte Silenzia. „Sie sagen es, Professor! Hermione wirft. Verena Trittbrett versucht, ihn zu halten - Ja! Terrys Mädchen hat es geschafft, zehn Punkte für Griffamtor! Aber, oh nein, Johnny Bartlett und Rebecca Catcher haben es auf Hermione abgesehen. Sie versuchen, sie vom Besen zu treten! Ein böses Faul, dieser Abschaum! Madam Lutsch pfeift die Beiden zur Ordnung, doch das lässt sie völlig kalt und - das kann man nur als großen Fehler bezeichnen, denn offenbar ist Terry schon auf dem Weg, um die Angelegenheit zu klären. Letztes Mal hätte er beinahe die Lehrertribüne in die Luft gejagt, als er dachte, jemand würde die Patscher verfluchen, also sollten sich das Johnny und Rebecca lieber noch einmal überlegen. Zu spät: Terry hat sich ein Schwert herbeigezaubert und hackt gerade die neuen Besen der zwei Killer in mundgerechte Häppchen und stopft sie ihnen in die Rachen, während sie fallen. Das gibt dem Spiel einiges an Fairness wieder. Ah, Terry springt mit seinem Snowboard auf Spongos Kopf herum. Offenbar hat er den goldenen Schnaps entdeckt und - HEILIGER MERLIN! WAS IST DENN DAS!?“ Der Himmel verdunkelte sich. Wolken brauchte er nicht dazu. Auch die Sonne blieb an ihrem Platz. Es wurde eben einfach spontan Nacht. Ein kühler Wind suchte das Stadion heim. Terry seufzte auf und murmelte: „Ich weiß es: Irgendein Mist wird wieder passieren. Und ich muss hinterher aufräumen.“ Air Jordan Scott führte mit seiner Berichterstattung fort: „Tja, Leute: Sind ganz danach aus, dass es auf einmal vollkommen dunkel geworden ist. Ich empfehle ‚Licht!’“ Das Publikum kramte seine Zauberstäbe hervor und erleuchtete sie magisch. „Eine Art fliegender Feuerball“, meinte Jordan „Er kommt direkt auf uns zu. Jetzt hält er mitten im Stadion an“, Das Feuer bildete einen Kreis um das Wesen, das es erhellte. Eine tiefe, bedrohliche Stimme erschallte: „HALLO ROWLINGSTONE. ICH BIN WIEDER DA! HABT IHR MICH -66-
VERMISST?“ Terry drehte mit seinem Snowboard eine Runde um die Gestalt und murmelte dann: „Na, sieh mal an, wer da aus dem Urlaub zurück ist.“ „Bei Ludmillas verwunschener Kaffeetasse“, sagte Scott entgeistert. „ES IST DER DUNKLE LORD!“ Gandalf erhob sich von seinem Platz und fragte: “Was willst du hier, Heinrich?“ Die Schüler schreckten auf und McGonekel flüsterte dem Schulleiter „Nicht seinen Namen nennen!“ zu, woraufhin Gandalf „Flüstern Sie nicht so laut, mein Kopf tut weh!“ erwiderte. Der dunkle Lord ergriff wieder das Wort: „ACH, EIGENTLICH BIN ICH NUR GEKOMMEN, UM SÄMTLICHE MUGGELGEBORENEN ZU TÖTEN. ES IST DOCH NICHT ETWA ZUFÄLLIG EINER VON IHNEN UNTER EUCH? IN GRIFFAMTOR, HAFERSCHLEIM ODER REBHUHNCLAW WOMÖGLICH? OH, HALLO, MEIN ENKELSOHN.“ „Großvater“, stellte Terry kühl fest, als hätte er Himmlers Namen auf einer Anwesenheitsliste abgehakt. Sämtliche Schüler und Lehrer waren nach dieser Enthüllung vollkommen schockiert. Man erklärte Gandalf dann später, warum sie das alle gewesen waren. Ron flüsterte Hermione „Wusstest du das?“ zu, woraufhin sie „Nein, das hat mir Terry nie erzählt!“ antwortete. „HAST DU DIE WAHRHEIT ALSO ENDLICH AKZEPTIERT, MEIN ENKELSOHN“, stellte Himmler fest. „Was heißt hier endlich?“ wollte Terry wissen. „Mir ist das schon bewusst, seit mir vor einem Jahr eine Videokamera im verbotenen Wald davon erzählte. Und als du es mir auf der Wiese vor dem Schulgarten gesagt hast, habe ich es auch nicht angezweifelt. Der Punkt ist nur: Das ist mir völlig egal.“ „IST JA GUT“, meinte der dunkle Lord. „UND? WILLST DU MIR NUN DABEI HELFEN, UNSERE GEMEINSAME MISSION ZU ERFÜLLEN, ODER NICHT? IMMERHIN BIST DU DER ERBE SIFFERINS.“ Diese Aussage verschlag den Anwesenden entgültig die Sprache. „Schwachsinn“, stellte Terry fest. „Ich würde es wohl wissen - und besonders Hermione- wenn ich Tendenzen hätte, Muggel-Geborene umzubringen.“ „SO, SIE IST ALSO DEINE KLEINE FREUNDIN. MIT DEINEN GEDANKEN HAST DU AUCH SIE NUN VERRATEN. WENN ES MIR NICHT GELINGEN SOLLTE, DICH VON DER DUNKLEN SEITE DER MAGIE ZU ÜBERZEUGEN, DANN GELINGT MIR DAS VIELLEICHT MIT IHR!“ „Also, du bist wirklich ein selten dummer Schwachkopf!“ stellte Terry fest. „Du hast doch gerade gehört, dass sie Muggel-Geborene ist. Und die willst du doch ohnehin auslöschen und nicht bekehren, oder?! Außerdem haben mich nicht meine Gedanken, sondern meine Worte verraten. Obwohl du natürlich schon längst wüsstest, dass ich mit Hermione zusammen bin, wenn du nicht gar so blöde wärst.“ „JA, KANN SCHON SEIN ...“, meinte Himmler verwirrt. „Schön, dann werde ich dir nun auch verraten, was ich vorhabe“, meinte Terry. „Ich werde alle Sifferins vernichten. Besonders Efeu. Ach ja: Und dich und alle deine sonstigen Anhänger natürlich auch.“ „DU BIST GENAUSO DICKKÖPFIG WIE DEIN VATER!“ sagte der dunkle Lord. „NUN GUT: GANZ WIE DU WILLST, JUNGER MAGIER!“ Himmler zog seinen Zauberstab und richtete ihn auf Terry. „Du willst doch nicht etwa schon wieder von mir besiegt werden, oder?“ -67-
meinte der Junge. „VON DIR BESIEGT? DASS ICH NICHT LACHE! OHNE DEINE FREUNDE WÄRE DIR DAS LETZTES MAL SOWIESO NIE GELUNGEN!“ „Hey, nicht so laut!“ flüsterte Terry seinem Erzfeind zu und zog seine Avengers. „Das muss hier wirklich keiner wissen!“ „EX MORTIS EXTREMUM!“ schrie Himmler und schleuderte Terry einen giftgrünen Flammenball zu, doch der Junge wich blitzschnell aus und feuerte Explosivgeschosse auf seinen Widersacher ab. Doch die Projektile rasten einfach durch ihn hindurch und schlugen schließlich auf der Tribüne der Griffamtors ein. Rons Gliedmaßen verteilten sich mürrisch auf dem Spielfeld und auch andere Schüler wurden verletzt. Terry konnte erkennen, wie sich Hermione schreiend den Arm hielt. „Mist“, stellte er fest. Mit höhnendem Gelächter verschwand der dunkle Lord allmählich wieder ins nichts und der Feuerkreis erlöschte langsam. Himmlers Antlitz verblasste, als er seine Abschiedsworte sprach: „GUTE ARBEIT, ERBE SIFFERINS! HAHAHAHAHAHA!“ Die Dunkelheit verschwand und der mittägliche blaue Himmel wurde wieder sichtbar. Der kühle Wind verzog sich. Vereinzelte weiße Wolken warfen einen seichten Schatten auf Terry. Die Zuschauer starrten ihn ungläubig an. Unter dem Jungen tauchte plötzlich der goldene Schnaps auf. Als Spongo ihn entdeckte, versuchte er, ihn sich zu schnappen. Doch der güldene Ball glitt Efeu aus der Hand und Terry griff ihn sich beiläufig. Air Jordan fuhr derweil damit fort, das Spielgeschehen zu kommentieren: „Ja. Ähm. Sieht ganz so aus, als hätte Spongo Terry den Schnaps zugespielt. Das bedeutet 150 Punkte und Griffamtor gewinnt das Tournier.“ Doch außer Al Brandy, der jubelnd auf und ab hüpfte, schien das niemanden wirklich zu interessieren. Manche waren damit beschäftigt, die Verletzten in den Krankenflügel zu transportieren und alle anderen Zuschauer blickten nach wie vor ungläubig zu Terry hoch. Selbstredend würden die Sifferins niemals glauben, dass ausgerechnet Terry Rotter Sakrilegus Erbe sein könnte. Selbst, wenn es ihnen der dunkle Lord persönlich gesagt hatte. Nicht nach Terrys unzähligen Kämpfen mit und heimlichen Mordversuchen an den Schülern ihres Hauses. Doch bei den anderen Kindern war sich Terry dessen nicht so sicher. Und tatsächlich: Für sie verliefen allmählich die Farben. Aus Schwarz und Weiß waren verschiedene Grautöne geworden. Die fantasievolleren Schüler sahen noch ein paar weitere Farben, wie zum Beispiel blau, grün, oder rot. Gandalf beobachtete derweil eine rosa Kuh, die, seiner Wahrnehmung zufolge, auf dem Rasen Tango tanzte. Die folgenden Wochen waren sehr schwer für Terry. Oder besser gesagt: Sie wären sehr schwer für Terry gewesen, wenn er ein normaler 14-jähriger Junge gewesen wäre. Tatsächlich amüsierte sich der Narbenträger königlich. Fast alle Schüler und auch Lehrer waren sich ziemlich sicher, dass Terry der Erbe Sifferins war oder zumindest sein könnte. Sie reagierten jedoch sehr unterschiedlich darauf: Die Haferschleims liefen meistens mit ihren kostengünstigeren Klamotten herum. Schließlich befürchteten sie einen Angriff Terrys. Und der durfte ja wenigstens nicht ihre ausgesuchte Designermode in Mitleidenschaft ziehen, wenn er sie schon töten sollte. Die Griffamtors versuchten dagegen möglichst, Terry aus dem Weg zu gehen und sich mit ihren eigenen Angelegenheiten, die -68-
den Jungen meist nicht mit einschlossen, zu beschäftigen. Die Sifferins glaubten derweil zwar nicht, dass Terry der Erbe Sifferins war, aber sie versuchten ohnehin eine gewisse Distanz gegenüber dem Jungen zu bewahren, um nicht ihre Köpfe zu verlieren. Die Rebhuhnclaws veränderten ihr Verhalten gegenüber Terry überhaupt nicht, denn das hätte ein gewisses Maß an Aufwand bedeutet. Mit ihnen konnte der Junge also gelegentlich reden. Und ein Haus reichte Terry auch als Adressat seiner zynischen Sprüche über die anderen Schüler. Selbst die meisten Lehrer mieden seine Gegenwart. Nur der Freundschaft von Ron und Hermione konnte er sich noch sicher sein. Und selbst sie mieden manchmal seinen Blick, obwohl sie ihm seine Version der Ereignisse auf dem Quititsch-Spielfeld glaubten. Schließlich sprach ihn Hermione auf die Sache an: „Terry – Ich - Ich weiß, dass du nicht der Erbe Sifferins bist, aber ...“ „Aber alle glauben es“, stellte er entzückt fest. „Doch mach’ dir keine Sorgen um mich, Schatz. Endlich kann ich mich mal über die anderen Schüler lustig machen, ohne nebenbei Autogramme für sie schreiben zu müssen.“ „Das meinte ich nicht. Ich habe ja schon oft deine - unorthodoxen – Methoden beim Lösen von Problemen kritisiert. Du magst ja auf der richtigen Seite stehen, nur, nur dass du oft die Mittel dunkler Magier anwendest, wenn auch, um gegen sie zu kämpfen.“ „Sieh das mal so“, erläuterte Terry. „Die Sifferins wollen dich tot sehen, nur weil du Muggel-Eltern hast. Ich meine: Wenn ich die Menschen danach beurteilen würde, wer sie großzieht, dann müsste ich Selbstmord begehen. Und überhaupt: Bei allem was sie tun, sagen, oder auch nur denken, kann man sich sicher sein, dass es auf der Liste der dämlichsten Dinge auf Platz Eins steht. Ich meine: Sie sind ganz offen auf der Seite des dunklen Lords! Der Kerl hat immerhin meine Eltern ermordet! Aber bei ihnen zählt keine Moral, sondern nur die Stärke des Einzelnen: Wenn einer von ihnen krank ist, dann schubsen ihn vom Treppengeländer - obgleich ich mir, zugegeben, niemals die Mühe mache, einen von denen aufzufangen. Und wer nicht in ihrem Haus ist, gilt von Anfang an als minderwertig. Hermione, glaube mir: Das ist der größte Abschaum, den diese Welt jemals hervorgebracht hat. Die sind sogar noch ein klein wenig schlimmer als die Konservative Partei! Ich respektiere deine Meinung, dass ich keine Gewalt anwenden sollte. Aber teilen kann ich sie nicht. Der Tag, an dem ich alle Sifferins ausgerottet haben werde, wird ein Freudentag für die Menschlichkeit sein.“ „Du bemerkst nicht einmal das Paradoxon in diesem Satz“, meinte Hermione verzweifelt. „Ein Paradoxon ist auch nur ein Scheinwiderspruch“, stellte Terry fest. „Eigentlich ist es also logisch, man merkt es nur nicht.“ „Die Sifferins sind wohl kaum von Geburt an böse!“ sagte das Mädchen aufgebracht. „Sie haben doch nur diese schändlichen Überzeugungen, weil sie die von ihren Eltern gelernt haben!“ „Ach ja, stimmt: Du hast Recht!“ sah Terry ein. „Ihre Eltern muss ich natürlich auch noch ins metaphorische Jenseits befördern. Mit Bleikugeln.“ „Terry!“ schrie Hermione wütend. „Du kannst sie auch mit Argumenten überzeugen!“ Diese These veranlasste den Jungen dazu, sich lachend auf dem Boden zu wälzen. Die Wangen seiner Freundin färbten sich rot. Als er Tränen in Hermiones Augen erkannte, raffte sich Terry auf und schloss sie lächelnd in die Arme. „Es tut mir leid, meine Süße. Aber das sind Fundamentalisten. Sie haben sich ihre eigene Realität erschaffen. Ihre Ideologie verhindert jegliche Einsicht, -69-
denn sie lehnen alles, was ich ihnen erklären könnte, als prinzipiell falsch ab. Das ist so, als würde ich versuchen, einem Priester die Evolutionsbiologie zu vermitteln. Oder einem Faultier die Tour de France. Ich bin für sie einfach nur der Feind. Und bist dasselbe, nur mit weniger Waffen.“ Hermione legte ihren Kopf auf Terrys Schulter und sagte: „Du bist doch auch ein Fundamentalist! Schließlich bewertest auch du deine Ideologie höher als alle anderen und bist sogar bereit, für sie zu töten.“ „Nein. Ich bin nur radikal. Aber ich bin kein Fundamentalist. Meiner Meinung nach darf jeder so leben wie er will. Bis er mir in die Quere kommt. Dann darf er nicht mehr leben.“ Hermione schloss die Augen und murmelte: „Männer und ihre Prinzipien!“
-70-
Kapitel 10: Der Duellierclub und das goldene Vlies Schlafen. Jene scheinbare Untätigkeit diente unter anderem dazu, das Chaos an Informationen, welches sich im Laufe des Tages angesammelt hatte, zu ordnen. Unbrauchbares Wissen, wie zum Beispiel der Namen des Bürgermeisters eines kleinen Dorfes, in dem man sowieso nur angehalten hatte, um sich kurz den aktuellen Trachtenweitwerfwettbewerb anzusehen, wurden in dieser Phase gelöscht. Albert Einstein behauptete einmal, dass wir nur zehn Prozent unseres Gehirns verwenden würden. Tatsächlich verwendeten wir stets, abhängig von der Tätigkeit, die wir gerade ausübten, viele spezifizierte Teile unseres Denkorgans gleichzeitig. Was Einstein eigentlich hatte sagen wollen, war: Die meisten Menschen, vor allem Mitglieder von Scientology und der Konservativen Partei, verwendeten höchstens zehn Prozent ihres Verstandes. Und die brauchten sie schon, um dem abendlichen Musikantenstadel auf öffentlichen Kanälen, die ihrem kulturellen Auftrag nachkommen wollten, folgen zu können. Oder um zu schlafen. Terry jedenfalls hatte genug davon und erwachte. Er schien sich nicht neben, auf oder unter Hermione zu befinden. Viel mehr hatte ihn irgendetwas dazu bewegt, sich in den Krankenflügel zu begeben. Er erinnerte sich vage daran, Spongos Kopf gegen einen Kerzenhalter geschlagen zu haben, als er ihm auf dem Weg zum Griffamtor-Gemeinschaftsraum begegnet war. Vorsichtig betastete er seine Stirn. Sie trug einen Verband. Nun erinnerte er sich: Ron hatte ihm zu Hilfe eilen wollen, war jedoch auf dem frisch gebohnerten Boden ausgerutscht und hatte seinen Freund unabsichtlich gegen eine Wand gestoßen. Als Terry allmählich das Bewusstsein verlor, hatte er Ron noch dabei beobachten können, wie er über das Geländer bei der großen Treppe fiel. Mit einer dunklen Vorahnung wandte Terry seinen Blick dem Nachbarbett zu. Und tatsächlich: Efeu lag darin. Gerade als er aufstehen wollte, um Spongo zu erwürgen, erkannte der Zauberjunge ein längliches Weißbrot auf seiner Brust. Es lächelte. „Bonjour, mon ami. Tu es bien? (Guten Tag, mein Freund. Geht es dir gut?)“, fragte Bernard. „Mir geht es gut“, antwortete Terry, der gerade erkannte, dass er offenbar Französisch sprechen konnte. „Mais pourquoi tu as venu à Rowlingstone? (Aber warum bist du nach Rowlingstone gekommen?")“, wollte das Brot wissen. „Je toi a expliqué que tu ne devrais pas de tout retourner ici! (Ich habe dir doch erklärt, dass du auf keinen Fall hierher zurück kommen darfst!") “ „Ja, aber was interessiert mich das?“ fragte Terry aufgebracht. „Ich bin nach Rowlingstone zurückgekehrt, weil ich hier nun einmal zur Schule gehe!“ „Vraiment? (Wirklich?)“ „Na schön “, meinte Terry. „Vielleicht bin ich auch deshalb hierher zurück gekommen, um die Sifferins auszurotten und mit Hermione zu schlafen. Und wenn schon. Könntest du jetzt bitte eine vernünftige Sprache sprechen?" "Wurde auch Zeit", stellte Nietzsche fest. „Aber warüm ist Terry Rotter nischt zuhause geblieben, als er vermiest hat den Züg?“ „Natürlich könntest du auch eine vernünftige Sprache auf vernünftige Art und -71-
Weise sprechen. Ach, vergiss es. Als ob ich mich durch so einen kleinen Rückschlag aufhalten ließe - ein verpasster Zug, lächerlich!“ sagte Terry und fügte hinzu: „Moment mal: Du hast die Tür zu Gleis 9 verschlossen!“ „Oui, dü ’ast Recht“, wimmerte Bernard. „Und isch ’abe auch dem dünklen Lord geholfen, in einer Projektion auf dem Spielfeld zü erscheinen ...“ „WAS!?“ „Bernard Terry Rotter retten wollte. Es lauert große Gefahr in Rowlingstone ...“ „Ja. Zum Beispiel der dunkle Lord, du dämliches, französisches ....“ „Aber er nür sollte erschrecken Zauberjüngen. Er dir nischts konnte an'aben.“ „Bernard! Wenn du das nächste Mal versuchst, mich zu retten, dann bring ich dich um!“ „Bernard kennt Morddrohüngen très bien. Er sie bekommt täglisch zu Hause.“ „Sag mal, warum läufst du eigentlich noch immer mit diesem alten Salatblatt herum?“ fragte Terry überrascht. „Das ein Symbol für das Enslavement von Bernard seien. Falls sein Meister ihm nur geben würde eine frische Dressingsauce, Bernard frei wäre und zürückkehren könnte zu Bäckerei in Fronkreich.“ „Wovor willst du mich eigentlich die ganze Zeit beschützen?“ fragte Terry. „Terrible Dinge passieren in Rowlingstone. Die fragwürdige Kammer der schieren Schrecklischkeit ... Non, je ne dois pas!" sagte Bernard. „Rede, du nährwertarmes Stück Grundnahrungsmittel!“ forderte der Junge. „Salut, mon héro!“ rief das Baguette, als es unerwartet aus dem Fenster sprang. „Na toll“, sagte Terry. „Das bringt die Handlung ja wirklich voran.“ Auf einmal betrat Gandalf zusammen mit McGonekel den Krankenflügel. Sie trugen eine Bahre. Terry setzte sich auf sein Bett, als ihnen Madam Pommes von ihrem Büro aus entgegenkam. „Was ist denn mit ihm passiert?“ fragte sie. „Gar nichts“, meinte Gandalf. Terry erkannte Colin McRae. Er war wach, kerngesund und machte es sich auf der Bahre bequem. „Aber warum tragen Sie ihn dann zu mir?“ fragte die Krankenpflegerin verwirrt. „Sie haben doch gewiss von der Sache mit dieser mysteriösen Kammer gehört?“ fragte McGonekel. „Oh ja: Die fragwürdige Kammer der schieren Schrecklichkeit. Aber was hat sie ...“ „Die Schüler sind nun verunsichert, weil sie ständig von dem Gerücht hören, die Kammer werde bald geöffnet und ein Monster befinde sich darin“, erklärte Gandalf. „Tatsache ist, dass bislang nichts weiter schlimmes geschehen ist“, fügte McGonekel hinzu. „Und darum versuchen einige Schüler nun, diesen Umstand zu kompensieren. Und zwar, indem sie so tun, als wäre ihnen wirklich etwas grausames angetan worden“, sagte der Direktor abschließend. „Das erklärt aber nicht die Sache mit den Worten an der Wand und Filzes Katze“, wandte Madam Pommes ein. „Ja, das war ja auch der Ursprung der Gerüchte. Dieses Ereignis können wir uns auch nicht erklären“, erläuterte Gandalf. „Moment mal: Ich war der Überzeugung, ich ginge zum Speisesaal ...“ „Ist die Kammer jetzt offen oder nicht?“ fragte Terry genervt. -72-
Gandalf ignorierte Terry und meinte nachdenklich: „Ein Sandwich wäre jetzt nicht schlecht“. Er verließ den Krankenflügel. „Um Ihnen eine ehrliche Antwort zu geben, Mr. Rotter: Wir wissen es nicht“, sagte McGonekel. „Aber mindestens genau so gefährlich wie eine geöffnete Kammer der schieren Schrecklichkeit sind Schüler, die glauben, eine solche Kammer wäre geöffnet worden.“ Silenzia zog einen Mundwinkel nach oben folgte dem Direktor. Terry stand auf und streckte sich. Er ging zum Fenster, aus dem Bernard gesprungen war und sah hinaus. Die Sonne schob sich hinter dem Gebirge empor, das sich vor der Schule erstreckte. Ihre Strahlen tauchten den großen See am Fuß des Berggipfels, auf dem Rowlingstone thronte, in orangefarbene Reflektionen. Ein Rudel Sumpfdrachen drehte eine Runde über dem Schulgebäude. Auf einmal tauchte ein fliegendes Schaf vor dem Fenster auf. Es warf Terry einen freundlichen Blick zu. Dann wurde es von einem der Drachen geschnappt und hinfort getragen. Der Junge griff nach einem Notizblock, der sich in einer Innentasche des schwarzen Mantels befunden hatte, von dem er sich nur selten trennte. Denn Kleider ließen sich mittels Magie sehr einfach reinigen. Gut, einige muggelstämmige Schüler wussten das nicht und wunderten sich über die fehlenden Waschmaschinen und darüber, warum sie keine Freunde fanden. Das aufgeklappte Blatt des Notizblocks enthielt eine Liste, die in feinfühliger Schrift geschrieben war. Eine Zeile lautete: „Romantische Augenblicke“. Daneben war noch etwas Platz für Eintragungen. Terry nahm einen Stift von dem kleinen Nachttisch neben seinem Bett und machte einen Strich. Er erinnerte sich daran, was Hermione ihm gesagt hatte: Er solle Gefühle entwickeln. Sensibler werden. Nicht einfach jeden umbringen, den er nicht leiden konnte. Unter „Romantische Augenblicke“ hatte Terry selbst eine Zeile beschrieben: „Schafe“. Auch dieser Eintragung fügte er einen Strich hinzu. Es gab eindeutig mehr tote Schafe in Terrys Leben als romantische Augenblicke. Der Narbenträger warf einen Blick auf den schlafenden Spongo. Glaubte man seiner Freundin, war es unangebracht, kurz vor, nach, oder während solcher Momente einen Mord zu begehen. Obwohl - laut Hermione war es prinzipiell unangebracht, einen Mord zu begehen, wie sich Terry plötzlich erinnerte. Und das konnte ja wohl kaum zutreffen ... Terry entschied sich schließlich dazu, den Krankenflügel zu verlassen. Nur so, für alle Fälle. Auf dem Weg zur Eingangshalle traf Terry auf Al Brandy. Er strahlte noch immer und umarmte den Jungen, der überlegte. „Tolles Spiel gestern!“ sagte er begeistert. „Eindeutiger Sieg für Griffamtor!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, hüpfte Al freudig davon, wie eine junge Pfadfinderin. Auch Terry ging wieder seiner Wege. Als er bei der Eingangshalle ankam, fiel sein Blick auf eine Gruppe Schüler, die sich um das schwarze Brett versammelt hatten. „Sie starten einen Duellierklub“, ließ sich Thomas Tropf vernehmen. „Heute um Acht ist das erste Treffen im Speisesaal. Könnte recht nützlich werden.“ „Ja, wir könnten uns gegen Sakrilegus Monster verteidigen“, stellte Hermione fest. „Oder gegen deinen Freund, den Erben Sifferins“, meinte Josephine Ripley provokant. „Das schafft ihr sowieso nicht“, stellte Terry fest und legte seinen Arm um Hermiones Schulter. Er lächelte zufrieden. „Oh, hallo Terry. Schön, dass es dir wieder gut geht. Warum grinst du so?“ -73-
fragte Ron. „Spongo lag auf dem Bett neben mir und ich habe ihn nicht erwürgt.“ „Und das ist gut?“ „Hm. Nein, eigentlich nicht. Aber ich konnte ihn nicht ermorden, wegen dem romantischen Augenblick.“ „Du findest es romantisch, neben Spongo zu liegen!?“ bemerkte Ron entsetzt und wurde von einem Klavier erschlagen. „Oh, sorry Ron“, sagten Frank und Joe, die gerade die Treppen hinunter liefen. „Wir hatten keine Lust, das Klavier bis hier herunter zu tragen. Viel zu anstrengend.“ „Habt ihr euch denn keine Sorgen gemacht, dass es vielleicht zerbrechen könnte?“ fragte Hermione. „Wieso? Ist doch weich gefallen“, stellten Rons Brüder fest und schoben das Instrument weiter in den Speisesaal. Die Tatsache, das nichts weiter geschehen war, hatte die Schüler Rowlingstones tatsächlich in hohem Maße beunruhigt. Einige ließen sich Talismänner andrehen, die angeblich besonders wirkungsvoll gegen das Monster in der Kammer der schieren Schrecklichkeit waren. "Spezialanfertigungen von vertrauenswürdigen Spezialisten" versicherten Frank und Joe. Natürlich fertigten sie jene Utensilien selbst an. Die Grievly-Zwillinge hatten eine große Zukunft in der freien Wirtschaft vor sich, da waren sich Ron und Hermione einig. Terry wäre sich auch einig gewesen, wäre er nicht gerade damit beschäftigt gewesen, das Verhalten seiner Mitschüler höflich zu ignorieren, um Munition zu sparen. Manche von ihnen waren auf einmal davon überzeugt, dass sie nur oft genug unter einer Treppe hindurch laufen mussten, unter der sie eine schwarze Katze mit einem Spiegel erschlagen hatten, um so viel Glück zu bekommen, dass es kein Ungeheuer der Welt wagen würde, sie anzugreifen. Keiner hielt es derweil für angebracht, seine magischen Fähigkeiten zum Schutz seiner Person zu erweitern. Das hätte schließlich Arbeit bedeutet. Und es war ja wohl kaum die Aufgabe von Schülern, zu arbeiten. Um acht Uhr Abends schob sich Terry widerwillig in den großen Saal. Jemand hatte drei der Eichenholz-Tische beiseite schieben lassen. Zahlreiche Kerzen kreisten um den vierten, der in der Mitte des Raumes stand. Das Deckengewölbe zeigte pure Dunkelheit, welche nur durch diverse Werbeeinblendungen aufgelockert wurde. "Kaufen Sie Terry Rotter Toilettenpapier!?" stellte Ron entsetzt fest. "Naja, solange sie mich dafür bezahlen ...", murmelte Terry. Timidus betrat die Ersatzbühne. Jene war bekanntlich aus feinstem Eichenholz geschnitzt worden, was für die nun folgenden Geschehnisse leider ohne Bedeutung bleiben musste. Stürmischer Applaus empfing ihn. "Ja, ähm. Hallo Leute. Sieht wohl so aus, als sollte ich euch das Duellieren beibringen. Tja ..." Und wieder gab es rasende Zustimmung für den Schrifsteller. "Lasst mich kurz meinen Assi vorstellen. Ähm: Professor Snake?" Professor Snake, das personifizierte Böse, der sechste Reiter der Apokalypse*, erkletterte die andere Seite des missbrauchten Esstischs. Seine Mimik wies eindeutig darauf hin, dass er Lotleaks Aufruf mit wenig Begeisterung entgegen nahm. Die beiden Lehrkräfte verbeugten sich. Genauer gesagt verbeug* Bei dem fünften Reiter der Apokalypse handelte es sich bekanntlich um einen Milchmann namens Ron. Er hatte allerdings nichts mit dem Ron zu tun.
-74-
te sich Timidus, während Snake die Bewegung mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken andeutete. Sie zogen ihre Zauberstäbe und richteten sie aufeinander. "Das war soeben die traditionelle Eröffnungsgeste eines Zauberduells", erläuterte Timidus. "Falls ihr sie in der Realität gegen einen dunklen Magier ..." An dieser Stelle sah Snake kurz auf, als wäre sein Name genannt worden. "... anwenden solltet, müsstet ihr euch auf eine drastische Lebensverkürzung gefasst machen. Aber hier in Rowlingstone haben wir zum Glück die Möglichkeit, ein wenig Form zu wahren." Terry schüttelte den Kopf und wollte gehen, wurde aber von Hermione zurück gehalten. "Ich beginne nun, zu zählen und auf drei werden wir unsere ersten Flüche abgeben. Natürlich dienen sie nur zur Entwaffnung, wir wollen ja schließlich keine Unfälle provozieren, nicht wahr?" Diesmal blickte Lotleak zu Snake, als gelte das Gesagte ihm. Er grinste. Und bekanntlich war es nie ein gutes Zeichen, wenn böse Leute grinsten. Wenigstens ersparte er sich das wahnsinnige Gelächter von verrückten Wissenschaftlern, die planten, die Welt in eine genmanipulierte Tomate zu verwandeln. "Eins - zwei - ..." Doch bevor Timidus auch nur an die Zahl drei denken konnte, schleuderte ihn Snakes Fluch bereits gegen die nächste Wand. Er fiel hinab und landete auf Ron. Kurze Zeit später raffte sich Lotleak wieder auf, krabbelte auf die Bühne zurück und sagte: "Dankeschön Professor." Zu den Schülern gewandt, erklärte er: "Ihr habt soeben die Simulation eines Kampfes gegen einen echten Gegner erleben dürfen. Denn von einem solchen braucht ihr auch nicht zu erwarten, dass er euch erst bis drei zählen lässt, bevor er angreift. Und nun: Sucht euch einen Partner, mit dem ihr trainieren möchtet!" "Wenn ich Sie kurz bevormunden dürfte ..." sagte Snake zu Timidus, als sich Terry Ron gegenüber positionierte. "Oh ja, natürlich, Professor", meinte Lotleak. "Stranger: Sie duellieren Angelina. Rotter: Sie werden Spongo duellieren!" "Terry und Mr. Efeu? Sind Sie sicher, Herr Kollege? Soweit ich weiß, vertragen die beiden sich nicht unbedingt ..." "Ich bin sicher", sagte der Giftmischer. Seine Augen ließen keinen Widerspruch zu. Hermione stellte sich etwa zehn Meter gegenüber Angelina Spirit auf und lächelte kurz zur Begrüßung. Das Sifferin-Mädchen quittierte dies, indem sie ihren Mittelfinger erhob. An dieser Stelle sei noch kurz der Ursprung jener Geste erwähnt: Vor langer Zeit war der erhobene Mittelfinger ein Symbol für die quantitative Überlegenheit des männlichen Fortpflanzungsorgans gewesen. Es darf spekuliert werden, was es wohl bedeuten könnte, wenn ein Mädchen, wie Angelina, derlei Gebärden demonstrierte. Ron hatte sich derweil Thomas Tropf als Gegenüber ausgesucht. "Nun gut: Haben alle einen Partner gefunden?" fragte Timidus. "Schön. Ich zähle wieder bis drei und dann liegt es an euch, euren Gegner zu enwaffnenund ich betone: Entwaffnen. Das gilt besonders für Sie beide, Mr. Rotter und Mr. Efeu! Also los: Eins - zwei - drei!" Bereits auf eins hatte Spongo Terrys Mantel in Brand gesetzt. Terry löschte -75-
ihn kurzerhand, indem er Spongo zu Boden trat und auf ihm herum rollte. Ron versuchte derweil, Thomas zu entwaffnen, doch die Überreste seines Zauberstabs richteten den Fluch auf ihn zurück. Wenige Sekunden später steckte das edel verarbeitete Stück Holz in seinem rechten Auge. Hermione dagegen hatte keinerlei Probleme damit, Angelina zu entwaffnen. Und das, obwohl letztere jeden Fluch mit einer Beleidigung beantwortete. Was ja ansonsten eine verlässliche Verunsicherungstaktik war. Allerdings war das Einzige, was Terrys Freundin verunsichern konnte, die Androhung schlechter Noten. Terry und Spongo standen sich erneut gegenüber. Und zwar auf einer Bühne, thronend über ihren Mitschülern. Efeu sprach: "Manifesto Ranae virulentus!" und ein roter Frosch erschien aus dem Nichts. Er hüpfte langsam auf den Griffamtor John Shutter zu, der neben dem Esstisch stand, um die beiden zu beobachten. Während Snake das Tier anfeuerte, erhob Lotleak seinen Zauberstab, um ihm Einhalt zu gebieten. Doch Terry kam Timidus zuvor: "Hey! Lass ihn in Ruhe!" Das giftige Amphibium hielt ein und antwortete: "Ich wollte ihm doch nur ein wenig Angst einjagen!" "Achso", meinte Terry. "In Ordnung." Das Tier begann wieder damit, wild vor Johns Augen umher zu hüpfen, bis Timidus es verbrannte. Alle Augen waren plötzlich auf Terry gerichtet. "Was ziehst du hier für eine Show ab!?" fragte ihn Shutter entsetzt und lief davon. Der Narbenträger rief ihm noch "Weichei!" hinterher, bis Rons Zeigefinger seine Schulter berührte. Hermione hatte inzwischen auch den Rest von Ron zusammengesammelt und trug ihn zu seinem Arm zurück, woraufhin er sich wieder komplettieren konnte. "Gehen wir", sagte er. Die drei Freunde verließen geschwind den Saal. Andere Schüler wichen hastig vor ihnen zurück. Fast so, als hätten sie Angst, dass Terry sie beißen würde. Schließlich erreichten des Autors Hauptprotagonisten den leeren Gemeinschaftsraum. Oder waren es meine Hauptprotagonisten? Hm. Hätte in Deutsch wohl besser aufpassen sollen. Oder der Autor? Kann ein Erzähler überhaupt die Schule besuchen? "Dieser hier anscheinend nicht", meinte Nietzsche. "Du bist ein Dummschwätzer! Warum hast du uns das nie erzählt?" wollte Hermione sofort von Terry wissen, als sie die Tür geschlossen hatte. "Ich dachte, das merkt ihr früher oder später schon", antwortete der Junge. "Weißt du überhaupt, was ein Dummschwätzer ist?" fragte Hermione. "Zum Beispiel Gandalf?" riet Terry. "Nein! Ein Dummschwätzer ist jemand, der mit Fröschen sprechen kann!" "Jeder kann mit Fröschen sprechen", meinte Terry. "Ja, aber nur die wenigsten werden auch von ihnen verstanden!" gab Hermione zu bedenken. "Also, so schlimm finde ich das jetzt nicht. Ich habe mal einen auf Onkel Valium angesetzt", erzählte Terry. "Er hat ihn dann in sein Mini-KZ gesperrt." "Diese Fähigkeit ist furchtbar, Terry!" "Wieso? Ich habe den roten Frosch ja gefragt, was er vorhat. Aber er wollte John doch nur ein wenig ärgern." "Ach, das hast du ihm gesagt", stellte Ron fest. "Es klang eher so, als würdest du ihn auf Shutter hetzen." "Naja. Das ist wohl ein wenig übertrieben ..." "Der Punkt ist doch, dass fast niemand mit Fröschen reden kann. Nur von -76-
Sakrilegus Sifferin ist das bekannt", meinte Hermione. "Nun werden alle denken, du seist sein Ur-, Ur-, Ur-, Urenkel, oder so etwas!" ergänzte Ron. "Meine Verwandschaftsverhältnisse sind ziemlich kompliziert. Aber ich halte das für unwahrscheinlich", sagte Terry. "Und außerdem kann ich mit allen Tieren sprechen. Sogar mit Franzosen." "Was!?" schrie Ron auf. "Das ist ja noch viel schlimmer!" Seine Freundin dachte kurz nach und meinte: "Sakrilegus lebte vor über tausend Jahren. Es wäre durchaus möglich, dass du mit ihm verwand bist." "Und das war's?" fragte Nietzsche. "Ähm, ja. Vorerst schon ...", antwortete der Autor zögerlich. "Und warum kommt dann ein goldenes Vlies im Titel vor?" wollte Darwin wissen. "Klingt gut", stellte der Autor fest. Nietzsche schüttelte den Kopf und stand auf. Er verließ das Häuschen, um draußen eine zu rauchen. "Na komm schon", meinte Charles. "Das geht doch nicht!" "Also schön ..." Al Brandy betrat den Gemeinschaftsraum, während ihn Ron und Hermione verließen, um den anderen zu erklären, was Terry tatsächlich gesagt hatte. "Ich weiß gar nicht, was mit den Leuten da unten los ist", meinte der Captain. "Ist ja nicht so, als hätten wir ein Quititsch-Spiel verloren." "Oh. Hallo Al", grüßte Terry. "Wie geht's?" "Gut. Aber eine Sache belastet mich doch etwas ...", meinte Brandy. "Warum? Was hast du?" "Meine Tante hat mir doch letzte Weihnachten dieses goldene Vlies geschenkt, weißt du noch?" "Ach ja: Genau. Und? Wird es von Milben heimgesucht?" "Nein, nein. Es wurde von einem Minotaurus gestohlen." "Ob so etwas wohl häufig vorkommt?" fragte sich Terry. "Der hat es über sieben Meere verschleppt, um es an Kampfzwerge zu verkaufen. Diese wurden von der Armee der Finsternis überfallen, wobei das Vlies verloren ging. Jedenfalls steht das in der Tagesbild. Kannst du mir einen Gefallen tun und es mir zurück holen?" "Na klar", sagte Terry. Er packte seine Sachen und machte sich auf die Reise. Nach ein paar Tagen kam er wieder und reichte Al das Vlies. "Schätze, die magische Welt ist nun um ein paar Spezies ärmer", meinte er. "Wie kann ich dir nur jemals dafür danken, Terry?" fragte Al. "Ach, war halb so wild. Aber ich gehe jetzt schlafen, wenn du nichts dagegen hast." "Zufrieden?" fragte der Autor. "Charles?"
-77-
Kapitel 11: Der Trunk der Subversion Ein toter Schuh hing über Ragrids Schulter, als er in der Eingangshalle auf Terry traf. „Hi, Ragrid!“ „Oh, hallo Terry!“ antwortete Rubeus. „Wie geht es dir?“ „Wunderbar. Jeder denkt, ich sei der Erbe Sifferins. Jetzt haben alle Angst vor mir. Und das bedeutet Macht! Ich bin mir nur noch nicht sicher, ob meine Macht als Prominenter oder als potenzieller Massenmörder mehr Spaß macht. Was ist denn eigentlich mit diesem Schuh passiert?“ „Schön, dass es dir gut geht. Und ja, es hat schon wieder einen erwischt. Diesmal war ein Turnschuh das Opfer. Sie fallen wie die Fliegen in letzter Zeit. Wer tut so etwas nur?“ „Gute Frage ... Mir war bislang gar nicht klar, dass es überhaupt lebende Schuhe gibt. Und jetzt erfahre ich, dass sogar jemand auf die Idee gekommen ist, sie zu ermorden. Obwohl, ich würde auch keine lebenden Schuhe tragen wollen.“ „Man trägt sie auch nicht. Ich halte sie in Käfigen und füttere sie“, erklärte Ragrid. „Warum fütterst du Schuhe?“ „Warum füttern die Leute Enten?“ „Auch wieder wahr. Wohin gehst du eigentlich gerade, Ragrid?“ fragte Terry. „Ähm. Keine Ahnung. Ich bin hier im Prinzip nur durchgelaufen, um auf dich treffen zu können, damit ich dir wiederum von den ermordeten Schuhen erzählen kann. Ich vermute mal, dass sie eine gewichtige Rolle in der Gesamthandlung spielen. Also, ich muss dann weiter.“ „Warum? Ich dachte, du hättest kein bestimmtes Ziel!?“ Ragrid sprach nun etwas langsamer, da heute offenbar keiner von Terrys hellsten Tagen war: „Die Szene ist vorbei, Junge. Jetzt kommt die nächste. Und ich werde nicht darin vorkommen. Und ich glaube, es wird eine ziemlich dramatische Szene sein, weil sie dieses verzögernde Moment rechtfertigen muss.“ „Wie du meinst. Also dann: Bis später, Rubeus!“ „Bye, Terry.“ Und tatsächlich: Kaum war der Junge in den nächsten Gang eingebogen, wurde er mit einem Anblick konfrontiert, der normale Menschen in den Grundfesten erschüttert hätte: John Shutter lag regungslos vor ihm. Sein Körper war in eine dünne Eisschicht gehüllt und seine Augen offenbarten sich bei näherem Hinsehen als weit aufgerissen. Einige Meter entfernt erkannte Terry seinen zweitliebsten Schulgeist nach Leonardo, den fast gliederlosen Nick. Auch er war in eine blau schimmernde Eisschicht eingeschlossen. Dennoch schwebte er wie gewöhnlich über dem Boden. In solcherlei Situationen pflegte die Physik erhaben auf ihre Erkunder hinabzublicken und sich verstohlen ins Fäustchen zu lachen. „Das war ja mal wieder so klar“, murmelte Terry, als Peefy, der hießige Poltergeist angeschwebt kam, um das Geschehene wie folgt zu kommentieren: „ROTTER HAT IHN UMGEBRACHT - HAT SICH DARÜBER TOTGELACHT! ER SAGTE GANZ KLAR ICH BIN'S – ICH, DER ERBE SIFFERINS!“ Als sich Peefy aufgeregt umdrehte, um die Lehrkräfte zu alarmieren, übersah er den beinahe gliederlosen Nick und knallte gegen ihn, um kurzerhand umzu-78-
fallen. Die Geister Rowlingstones konnten nämlich frei zwischen ihren Daseinsformen wählen: Materiell oder als körperloses Ekto-Plasma*. Manche erwiesen sich darin allerdings als recht ungeschickt. Doch es war ohnehin zu spät: McGonekel rannte den Flur des Verbrechens entlang und ihre Klasse begleitete sie. Wobei Terry eigentlich zu ihrer Klasse gehörte, aber seine Definition von Unterricht enthielt bekanntlich nicht die Pflicht, diesem auch beizuwohnen. „Bei Ludmillas verwunschener Kaffeetasse: Du hast sie umgebracht!“ schrie Thomas Tropf entsetzt. Terry hatte den Griffamtor bislang für einen netten Kerl gehalten. Im letzen Jahr hatte Thomas ihm sogar ein Erinnerdich geliehen, mit welchem er in der Lage gewesen war, Spongo zu vergiften. „Das habe ich nicht, du elender Verräter!“ schmunzelte Terry. Er hatte vorgehabt, Thomas empört anzubrüllen. Aber dass er immer wieder in Fettnäpfchen treten musste, fand Terry nach wie vor sehr amüsant. Wäre ihm das in einem Roman passiert, hätte man diesen wohl als unglaubwürdig ansehen müssen. „Folgen Sie mir, Rotter“, ließ sich McGonekel vernehmen. „Na klar. Wohin soll's gehen?“ fragte Terry lässig. „Es freut mich, dass Sie den Verdacht, der sich nun schon seit einer Weile gegen Sie richtet, so gelassen hinnehmen. Doch bedenken Sie auch, dass ich inzwischen vielleicht die Einzige bin, die an Ihre Unschuld glaubt. Deshalb sehe ich mich dazu veranlasst, Sie zum Büro des Direktors zu begleiten, der letztendlich entscheiden wird, wie mit dieser Sache weiter zu verfahren sei. Es befindet sich in der Spitze des nördlichen Turmes neben dem Hauptgebäude.“ „Und Sie halten das für sinnvoll?“ wollte Terry wissen. „Ich meine: Gandalf eine wichtige Entscheidung treffen zu lassen?“ „Ich halte es für meine Pflicht“, erwiderte Silenzia seufzend. Sie erreichten schließlich das Obergeschoss eines der Türme neben dem Eingangstor der Schule, wo sie vor einer Pflanze stehen blieben. Sie befand sich am Ende einer Sackgasse. Eines ihrer gezackten Blätter brannte. „Lass mich rein!“ forderte die Lehrerin. Die Pflanze versuchte, ihren Blütenkopf in eine aufrechte Position zu bringen. Sie trug denjenigen einer Sonnenblume, was nicht unbedingt ihrem Wesen als Quelle bewusstseinsverändernder Substanzen entsprach. Derlei Fauna hatte für gewöhnlich, was man als bezeichnend ansehen konnte, gar keinen Kopf. „Hä?“ fragte sie verwirrt. „Das Passwort lautet: Lass mich rein!“ wiederholte McGonekel. Gandalf hatte sich diesen Code ausgedacht. Nach mehreren missglückten Anläufen erinnerte er sich immer an ihn, oder traf wenigstens zufällig ins Schwarze. „Passwort, was denn für'n Passwort?“, lallte die Pflanze. „Es ist immer wieder dasselbe mit dir!“ schrie Silenzia ungehalten. „Ey, jetzt mach' mal ke'n Stress, Alte!“ „Tut mir leid, Junge. Irgendwann wird ihr langweilig und dann beginnt sie immer, sich selbst zu rauchen. Ich hätte sie schon längst entlassen“, erklärte Silenzia. „Ach so, ja, das Passwort!“ stellte die Pflanze fest. Sie fuhr eines ihrer Blätter aus und zog damit an einem Ring, der in der Decke befestigt war. Ein Teil von dieser klappte herunter. Eine Leiter wurde ausgefahren, die bis zum Dachboden führte. „Na endlich!“ stöhnte McGonekel. „Nach Ihnen, Mr. Rotter.“
* Eine magische Substanz, die man mit Haargel vergleichen konnte.
-79-
Gandalfs Büro war sehr luxuriös eingerichtet, wenn man bedachte, dass es sich an einem Ort befand, an dem Muggel höchstens ihre alten Autoreifen lagern würden. Ein säulenverzierter Gang führte zu einer ansteigenden Treppe. Als Terry ihn beschritt, erzählten Gemälde an den Wänden Rowlingstones Geschichte. Sie wurden erhellt von vergoldeten Kronleuchtern, die von der nach oben gewölbten Decke herabhingen und auch von dem Licht, das von Gandalfs Garten durch die Glastüren hinter seinem Schreibtisch schien. Welcher wiederum am Ende der kleinen Treppe thronte. Der Direktor lag in einer Hängematte hinter seinem roten Sessel. Sie war zwischen zwei Palmen aufgespannt worden, die der alte Mann in seinem Büro angepflanzt hatte. Seine schlaffe Hand hielt ein Cocktailglas und zwischen seinen Mundwinkeln steckte ein halbgerauchter Joint. McGonekel konnte nicht beurteilen, ob er schlief oder nicht, da sein Gesicht von seinem grauen Bart verdeckt wurde. „Professor?“ fragte Silenzia laut, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Als Gandalf nicht reagierte, schüttelte sie ihn sanft und beugte sich zu seinem Ohr vor. „Herr Direktor? Jimmy?“ Endlich rührte sich der Schulleiter, stellte sein Glas ab und strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Was ist denn geschehen, Silenzia?“ „Ein Schüler und ein Hausgeist wurden eingefroren. Mr. Rotter befand sich zu dieser Zeit am Tatort. Wir können nicht eindeutig sagen, ob er etwas damit zu tun hat.“ „Oh, gut. Dann lass' mich bitte weiterschlafen, Kleines“, meinte er. McGonekel warf Terry einen verlegenen Blick zu und rüttelte dann wieder den Schulleiter hin und her. „Ich denke, du solltest mit ihm reden. Er ist hier.“ Das Terry zugewandte Auge des Direktors sah ihn an. Das andere wahrscheinlich auch, aber es wurde durch eine Haarsträhne verdeckt, daher konnte man diese These nicht eindeutig verifizieren. „Oh!“ meinte er und erhob sich langsam aus der Hängematte. Hätte er nicht unter Drogen gestanden, wäre er von Terrys unerwarteter Anwesenheit überrascht gewesen. So reichte er dem Jungen nur lächelnd die Hand. Erst Silenzias, dann seine. Sie nickte ihm schließlich zu, als gäbe sie Gandalf ein Stichwort. „Danke, Ms. McGonekel. Sie dürfen nun gehen.“ Als sie den Raum verlassen hatte, mischte Gandalf dem Jungen ein Getränk. „So. Ein paar Leute eingefroren, was? Wen hat es denn erwischt?“ fragte er. „John Shutter und den beinahe gliederlosen Nick. Ich habe aber nichts damit zu tun“, meinte Terry. Gandalf, der Rote, sah dem Jungen tief in die Augen. Er hatte einmal irgendwo gelesen, dass man jemandem nur tief in die Augen sehen müsse, um zu erkennen, ob er die Wahrheit spreche. Terry trug seinen klassischen, nichtssagenden Gesichtsausdruck, der Gleichgültigkeit vermittelte. „Ich glaube dir“, sagte Gandalf weise, um zu verbergen, dass er sich nicht mehr daran erinnern konnte, worauf man bei diesem intensiven Blick eigentlich achten musste. „... etwa in die Zeit der ersten Troll-Kriege hineinreicht. Begonnen wurden sie von Klonk, einem Abkömmling der vierten Kalkstein-Dynastie und Joe, dem damaligen Herrscher über das Quarz-Reich ...“ erzählte eines der Gemälde, das eine altertümliche Felsformation zeigte. „Nerven die nicht irgendwann?“ fragte Terry. „Warum? Ihre Anwesenheit zwingt mich zum Zuhören. Sonst würde ich die Geschichte unserer Schule bis heute nicht kennen“, meinte Gandalf. „Die interessiert mich nämlich nicht. Und außerdem sind sie still, wenn man ihnen ein Bonbon gibt.“ -80-
Der Schulleiter reichte Terry den Cocktail und griff dann in eine der Taschen seines Umhangs, um eine Tüte mit Süßigkeiten herauszunehmen. Als er dem Fels-Gemälde ein Kirschbonbon zeigte, war es auf einmal still und streckte seine Zunge heraus. Gandalf legte das Bonbon darauf und das Gemälde nahm es auf, um zufrieden daran zu lutschen. „Interessant ...“, meinte Terry und fuhr wie folgt fort: „Sagen Sie, wir befinden uns doch hier im höchstgelegenen Raum der Schule, nicht wahr?“ „Schätze schon“, antwortete der Direktor. „Wie konnten Sie sich dann hinter diesen Glastüren einen Garten anlegen? Ich meine, von hier aus betrachtet scheint der ein Ausmaß von gut zwei Hektar zu haben. Und ich war irgendwie der Überzeugung, wir befänden uns hier in der Spitze eines Turmes ...“ „Ja, ich weiß. Ich hielt es auch für unpassend, aber was soll man da machen? Mein Phönix hat darauf bestanden.“ „Ihr Phönix? Das Ding aus der Asche?“ wollte Terry wissen. „Genau. Nach einer unbestimmten Zeit verbrennt er zu einem Häufchen Asche. Und irgendwann entsteigt er dieser dann wieder.“ „Tja. Ich schätze, auch Vögel brauchen ein Hobby“, meinte Terry. „Ja, er ist schon ein komischer Vogel. Aber Phönixe haben auch viele nützliche Eigenschaften: Sie können extrem schwere Lasten tragen, ihre Tränen haben eine heilende Wirkung und sie geben wirklich bezaubernde Alleinunterhalter ab. Willst du ihn einmal sehen?“ Die beiden Magier liefen an dem roten Sessel und der Hängematte vorbei durch eine der Glastüren. Terry fiel auf, das etwas an diesem Garten nicht seine Erwartungshaltung an einen durchschnittlichen Garten erfüllen konnte. Vor allem, wenn man bedachte, dass Gandalf derjenige war, der ihn pflegte. Und dass zur Winterszeit Sommer war, konnte man auch als ungewöhnlich ansehen. Denn das Gras, die Apfelbäume, sogar der Komposthaufen - alles sah übernatürlich gut aus. Geradezu ... Terry machte einen weiteren Strich auf seiner Liste. Damit reichte die Menge an Romanik in seinem Leben beinahe an die Anzahl der Gelegenheiten heran, in denen er alkoholfreie Getränke zu sich nahm. „Und? Was hälst du von meinem magischen Garten? Ganz nett, nicht wahr?“ wollte Gandalf wissen. „Er ist wunderschön“, ließ sich Terrys Stimme vernehmen. Hatte er das eben wirklich gesagt? Hermione wäre stolz auf ihn. Sie wanderten eine Weile lang durch die bezaubernde Natur. Vorbei an einem kleinen Teich, der von Enten bewohnt wurde, vorbei an Libellen, die am nahen Schilf ein Zuhause gefunden hatten und vorbei an einem bärtigen Mann, der in einem Gartenstuhl saß. „Warte Terry! Ich möchte dir jemanden vorstellen.“ Gandalf verwieß auf den Mann, an dem sie geradeeben vorbei gelaufen waren*. Terry sah sich den alten Herrn näher an: Ein weißer Bart bedeckte sein ganzes Gesicht. Er erinnerte an das Gottesbild junger Kinder und alter Rentner. Mit dem Unterschied, dass diese Person Kleidung aus dem späten 19. Jahrhundert trug. Und kein Nachthemd. Interessant eigentlich: Warum trug das christliche Gottesbild ein Nachthemd? Schlief da einer bei der Arbeit? „Darf ich vorstellen: Mein Phönix!“ sagte der Schulleiter strahlend. Als Terry * Des Direktors Reaktionszeit schien an jenem Tag nicht ganz der Norm zu entsprechen. Jedenfalls nicht der Norm normaler Menschen.
-81-
seine Überraschung überwunden hatte und dem Phönix eine Hand reichte, dämmerte es ihm allmählich: „Moment mal. Ich glaube, ich kenne Sie! Meine Freundin hat letztes Jahr Heinrich Himmler mit einem Ihrer Bücher außer Gefecht gesetzt.“ „Oh ja: Ich habe davon gehört! Eine kreative und zugleich konstruktive Anwendung meines Hauptwerkes. Da sieht man es: Auch heute noch hat das Kommunistische Manifest eine Daseinsberechtigung“, antwortete Karl Marx. „Naja. Ich finde, es taugt vor allem als Waffe“, meinte Terry. „Sie haben ja eine recht ungewöhnliche Karriere hinter sich - Vom Mitbegründer des modernen Kommunismus zum Phönix in Gandalfs Garten ...“ „Ach, immer nur Klassenkämpfe und Parteitage - Hier ist es doch viel ruhiger. Man wird schließlich nicht jünger“, sagte Karl und verbrannte. „Demnach hat gerade die Vernünftige Partei die Wahl gewonnen“, überlegte Terry laut. „Oder die Kuchen-Partei. Auf jeden Fall haben die Protestwähler gerade ordentlich Verluste einstreichen müssen.“ „Keine Sorge, der kommt wieder“, sagte Gandalf. „Der kommt immer wieder.“ Terry, Ron und Hermione betraten den Speisesaal. Weihnachten stand vor der Türe und die drei Freunde standen vor einer gefährlichen Mission. Trotz grellweißem Schnee und funkelnder Christbäume konnte sich bei ihnen keine echte Weihnachtsstimmung einstellen, denn sie hatten vor, etwas zu beweisen: Spongo Efeu war der Erbe Sifferins. Und Bratäpfel schmeckten nur halb so gut, wenn man sie mit Senf füllte. Betrachtete man sich den prachtvoll geschmückten großen Saal und die fröhlich singenden Hausgeister – Nicks Eineisung schienen sie verkraftet zu haben – so konnte man es richtig bedauern, dass die meisten Schüler gar nicht hier waren, sondern ihre Zeit zu Hause bei ihren liebenden Familien verbrachten. Dort fuhren sie mit ihren jüngeren Geschwistern Schlitten und kauften Geschenke für ihre Bekannten und Freunde. „Bla, bla, bla! Hast du jetzt bald alle Weihnachtsklischees durch oder müssen wir noch weitere ertragen?“ fragte Nietzsche den Autor. „Das gehört nun einmal dazu“, entgegnete er. „Es ist doch jedes Jahr dasselbe! Die Leute wissen ganz genau, wie Weihnachten in der Realität sowieso nie aussieht!“ „Ach, du projezierst doch nur deinen Selbsthass auf dieses schöne Fest“, meinte der Autor. „Und auf überhaupt alles!“ „Wieso sollte ich mich hassen? Ich bin ein Übermensch. Übermenschen sind toll. Und außerdem hast du letztes Jahr noch ganz anders geredet!“ „Man lernt eben dazu. Ich zumindest lerne dazu. Du natürlich nicht!“ stellte der Autor fest. „Sieh es mal so, Friedrich: Solange sie nicht die Geburt von Gottes Sohn feiern, sondern nur ihr liebgewonnenes Brauchtum ausleben, sich beschenken und so ...“, sagte Darwin. „Was Brauchtum!? Ich hasse Brauchtum!“ zischte Nietzsche. „Du hast alles! Und jetzt Ruhe!“ schrie der Autor abschließend. Und doch machte er seinem philosophischem Kritiker ein kleines Zugeständnis, indem er mich, den Erzähler, damit beauftragte, die Geschenke unserer Hauptcharaktere nicht zu nennen. Der werte Leser verpasst aber nicht viel, denn er kann sie sich bestimmt in etwa vorstellen (Terry bekam einen selbstgebackenen Kuchen von seinen kleinen Revolutionären, eine Packung Säuredrops von den Thorsleys, ein großes Schokoherz von Hermione und ...) „Ja bist du des Wahnsinns fette Beute?“ fragte der Autor entrüstet. Wieso? Ist doch nicht so schlimm -82-
„Nicht so schlimm? Jetzt wo Nietzsche endlich Ruhe gibt, kommst du mit deiner blöden Klammeraufzählung daher! Du musst dir sein Genörgle danach ja nicht anhören!“ Ist ja gut. Es kommt nie wieder vor! Dieser blöde Autor! Wofür sind die überhaupt gut? Reicht denn nicht ein Erzähler, um Bücher zu schreiben? Hermione legte eine Stück Lebkuchen auf den schönen Eichentisch der Griffamtors und wandte sich verschwörerisch an ihre Freunde: „Damit der Trunk der Subversion funktioniert, brauchen wir alle noch etwas von der Person, in die wir uns verwandeln möchten.“ „Ausgezeichnet. Ich nehme ein Bein von Crêpes. Bin gleich wieder da“, sagte Terry. Doch Hermione zog ihm am Mantel und nötigte ihn dazu, sich wieder zu setzen. „Nein Terry! Das muss unauffällig vor sich gehen, sonst erregen wir Verdacht! Du musst dich Crêpes heimlich nähern und ihm irgenwie ein Haar oder dergleichen abluchsen.“ „Ich soll mich Crêpes nähern und ihn nicht umbringen?“ fragte Terry entsetzt. „Ich darf ihm nicht einmal ein Körperteil abhacken?“ „Nein, besser nicht“, meinte Hermione. „Das könnte er bemerken.“ „Aber wie sollen wir das denn sonst anstellen?“ fragte Ron. „Ganz einfach: Wir müssen nur Crêpes und Goil abfangen, wenn Spongo nicht dabei ist. Bekanntlich haben die beiden keinen eigenen Willen. Wir müssen ihnen nur sagen, dass wir ein Haar von ihnen haben wollen und sie werden es uns geben“, erklärte Hermione. „Aber Spongo lässt sie nie allein“, meinte Ron. „Dann müssen wir ihn eben weglocken. Wir könnten das Schallsprungsystem verwenden, um eine Durchsage vorzutäuschen. Und jetzt wäre der passende Augenblick, da McGonekel nicht in ihrem Büro ist, sondern mit Gandalf Merlin kennt die Weihnacht nicht singt.“ Kurze Zeit später hörte man Terrys Stimme überall in der Schule. Er versuchte, wie McGonekel zu klingen: „Spongo Efeu bitte im Büro des Direktors melden. Spongo Efeu bitte. Und komm' allein, du blöder Penner. Danke.“ Spongo wunderte sich zwar, dass McGonekel ihn in Ganalfs Büro rief, vor allem, da beide gut sichtbar auf der Lehrertribüne vor ihm saßen, aber auf der anderen Seite hatte sie seinen Spitznamen benutzt. Als er verschwunden war, gesellten sich die Freunde zu seinen Türstehern. „Hallo Crêpes, Goil“, sagte Ron. Die Beiden blickten unsicher drein und antworteten „Hallo“. „Wärt ihr wohl so nett, uns eines eurer Haare zu geben. Spongo hat das angeordnet“, meinte Hermione. Nach einer kurzen Bedenkzeit, oder einer Zeit, die normale Menschen zum Denken verwendet hätten, rissen sich die zwei Leibwächter je einen Büschel Haare aus und gaben sie Hermione. „Sehr gut. Jetzt dürft ihr euch einen Keks nehmen“, meinte sie. Zurück am Griffamtor-Tisch fragte Terry seine Freundin, was sie eigentlich für den Trunk verwenden wolle. „Ach, ich habe Josephine Ripley im Schlaf ein Haarbüschel von ihrer Uniform abgeluchst“, erläuterte sie. „Wie hast du denn das angestellt? Du sagtest doch, du hast geschlafen!?“ meinte Ron und erstickte an einem Zimtmännchen. -83-
Kapitel 12: Ein Besuch bei alten Feinden „Ich glaube, wir haben da etwas vergessen“, meinte Hermione. Sie und ihre beiden Freunde standen in Da Vincis Mädchentoilette vor einem Kupferkessel. Der Erfindergeist selbst war allerdings nicht anwesend, wahrscheinlich versuchte er mal wieder mit Peefy zu diskutieren. Ron blickte widerwillig auf die braune Flüssigkeit hinab, die in dem Kessel umherschwamm. Gewöhnliche Flüssigkeiten sollten eigentlich nichts sonderlich aktives tun, wenn sie sich in einem unbewegten, soliden Behältnis befanden. Aber der Trunk der Subversion hatte da ganz individuelle Vorstellungen. „Also, ich trinke das nicht“, stellte Ron fest. „Was haben wir vergessen?“ fragte Terry, während er Ron ignorierte. „Crêpes und Goil. Wenn ihr euch in die Beiden verwandelt und den Originalen über den Weg lauft, dann fliegen wir auf“, erklärte Hermione. „Ach, keine Sorge. Ich habe ihre Kekse vergiftet und sie dann im Gewächshaus in einen Bottich geworfen“, sagte Terry. „Aber wie konntest du wissen ...“, wandte Ron ein. „Seit wann brauche ich einen Grund dazu, Sifferins zu vergiften?“* „Denkt daran, dass ihr euch nach etwa einer Stunde wieder zurückverwandeln werdet“, sagte Hermione und tauchte ein Glas in den Kessel. Das schlammartige Zeug schien sie anzugrinsen. Sie legte Josephines Haare hinein und nahm einen großen Schluck. Dann rannte sie in eine Kabine, um sich zu übergeben. Doch George Washington war ihr zuvorgekommen. Da sie nicht vorhatte, ihren Mageninhalt auf den ersten amerikanischen Präsidenten zu entleeren, hetzte sie schnell zur nächsten Kabine. „Sag mal: Denkst du auch, dass dieses Zeug wirkungslos sein müsste, wenn es sich nur so kurze Zeit im Magen befindet?“ fragte Terry. „Vor allem glaube ich, dass ich das auf keinen Fall trinken werde“, meinte Ron. „Halt dir einfach die Nase zu und runter damit. Bist es ja gleich wieder los.“ Der Unsterbliche warf Crêpes Haare in das hoffentlich nicht lebendige Gemisch und stürzte etwas davon hinunter. Sehr zum Missfallen Washingtons musste auch Ron sich kurz darauf übergeben. „Was machen Sie denn hier?“ konnte Terry seinen Freund noch hören, als er sein mit Goil-Essenz angereichtertes Gebräu trank. George erklärte es ihm: Er war wieder aus seinem Urlaub in den Vereinigten Staaten nach Großbritannien zurückgekehrt und musste sich daher übergeben. Eine Tätigkeit, die allmählich in Mode kam. Terry spürte den Geschmack ungezuckerten Schimmels auf seiner Zunge. Da er diesen schon vom Essen der Thorsleys kannte, behielt er als einziger seinen Mageninhalt für sich. Trotzdem kippte er benommen auf das Waschbecken vor ihm. Er spürte, wie seine Haut wabbeliger wurde und warf einen Blick in den Spiegel. Er sah plötzlich genau so aus wie Goil. Sehr kurze Haare, sehr dick. Er dachte nach. Die Strukurformel von Benzol war ... freie Radikale ... sechs alternierende Doppelbindungen ... Ja, es funktionierte! Er konnte noch denken. Ron kam aus der Kabine. Der Trunk zeigte auch bei ihm die erhoffte Wirkung. Seine Haare hatten sich schwarz gefärbt und waren ebenfalls sehr kurz. Und * Tatsächlich waren Spongos Leibwächter aber nicht tot. Sie würden nur die nächsten Wochen ziemlich apathisch aus der Wäsche kucken und sich kaum bewegen können. Eigentlich keine große Veränderung für sie. Vielleicht fiel es nicht einmal jemandem auf.
-84-
auch er ging stark in die Breite, was im krassen Gegensatz zu Rons sonstigem Erscheinungsbild stand. Man fühlte sich nicht einmal mehr dazu verpflichtet, etwas für Brot für das Geld* zu spenden, damit solche ausgehungerten Kinder wie Ron der Vergangenheit angehörten. „Ich habe mir da etwas überlegt“, meinte er. „Vielleicht muss ich nicht mehr so oft sterben, wenn ich im Körper von Crêpes stecke - Was meinst du?“ In diesem Moment öffnete Washington schwungvoll die Tür seiner Kabine und traf damit Rons Kopf. Dessen Oberkörper wurde nach hinten geschleudert und er rutschte auf dem nassen Kachelboden aus, um sich einen Schädelbruch zu holen. „Oh, tut mir leid, mein Junge“, meinte George. „Ihr entschuldigt mich? Ich muss mal mit diesem Bush über seine Interpretation meiner Verfassung reden!“ Er passierte auf seinem Weg nach draußen den Waschraum, verbeugte sich kurz vor Terry, und war auch schon verschwunden. „Sehr schön“, meinte dieser. „Wo bleibt denn Hermione?“ „Ich bin hier“, kam ihre Stimme aus ihrer Kabine. „Ihr müsst ohne mich gehen. Es gab da gewisse Komplikationen ...“ „Komplikationen? Das Zeug, das es auch mit meinem zerbrochenen Zauberstab gibt?“ wollte Ron wissen, der offensichtlich auch im Körper von Crêpes unsterblich war. „Genau“, meinte Terry. „Nun gut, gehen wir.“ Auf ihrem Weg zum Sifferin-Gemeinschaftsraum, den man, wie sich später herausstellte, mit Fug und Recht auch als Ungemeinschaftsraum bezeichen konnte, trafen sie auf Alec. Er sorgte in den Gängen Rowlingstones für seine Version von Recht und Ordnung. „Halt! Wer da?“ ließ sich seine feste Stimme vernehmen. „Das geht dich nichts an“, meinte Terry. „Das tut es wohl, sehet mein Vertrauensschüler-Abzeichen!“ antwortete er. „Mir doch egal. Durchlassen!“ „Ihr seid Sifferins - nicht wahr?“ fragte Alec. „Wie man an unseren schwarz-grünen Roben eindeutig erkennen kann, ja“ sagte Terry. Und da fiel es ihm erst auf: Wie konnte es eigentlich sein, dass er Sifferin-Klamotten trug? Sie mussten wohl auf ein metaphysische Weise mit allen Schülern jenes Hauses verbunden sein. „Was macht ihr zu so später Stunde noch hier?“ fragte Alec weiter. „Wenn du uns nicht sofort durchlässt, du arroganter ...“, sagte Terry und wurde vom Klassenzimmerblumengießer unterbrochen: „Eine Drohung? Man besteht wohl auf einen gewaltigen Punkteabzug für euer Haus, nicht wahr? Man möge ihn haben: 200 Punkte von Sifferin! Verlanget Ihr noch mehr, Unhold?“ „Ich bitte darum“, entgegnete Terry mit einem leichten Grinsen. Doch das sollte nicht geschehen, denn Spongo hatte seine Türsteher schon erblickt: „Crêpes, Goil: Kommt mit, mit solchen Pseudoblütern wollen wir nichts zu tun haben!“ sagte er bestimmt. „Meine ehrbare Familie ist einige der wenigen wahren Reinblüter-Familien, wie der werte Herr Efeu vielleicht schon einmal gehört hat. Obgleich dies natürlich von keinerlei Bedeutung ist“, entgegnete Alec. Tatsächlich hatte dieser Umstand schon ein gewisses Gewicht für ihn, denn von den Sifferins nicht * Ja, damit meine ich Brot für die Welt. Aber überlegen Sie mal: Es geht nicht einfach nur um Brot und Welt. Erstes Glied der Kette ist Geld. Im Prinzip kauft jemand Brot ein. Was ist daran so humanitär?
-85-
ernstlich als Pseudoblüter bezeichnet werden zu können, trug zu seinem Selbstbild göttlicher Unfehlbarkeit bei. „Desto größer ist die Schande“, sprach Efeu und machte sich mit Terry und Ron auf den Weg zum Gemeinschaftsraum. Ein Porträt von Sakrilegus bewachte den Eingang, eine steinerne Wand. „Man nenne das Passwort oder sterbe“, sprach es. Terry griff instinktiv nach seinen Waffen. Sie waren nicht da. Würden sie zurückkehren, wenn er wieder er selbst war? Was wenn nicht? Im Zweifelsfall konnte er ja immer noch mittels asiatisch-kreuzbergerischer Kampsportarten gegen seine Feinde vorgehen. „Reines Blut“, sagte Efeu und die Wand klappte nach hinten auf. Sie betraten den Gemeinschaftsraum der Sifferins. Der Teufel hätte sich hier heimisch gefühlt - wenn er das nicht ohnehin gewesen wäre. Man konnte diesen Ort nicht eigentlich als Raum bezeichnen. Er war vielmehr eine Sammlung von großen Hölen. Kaulquappen aus Plastik hingen von Stalaktiten herab. Das Sifferinsche' Giftgrün lag wie eine Algenschicht über dem Möbiliar. Schlangen krochen über die ebenholz'nen Schränke und eine Kröte, so groß wie eine Katze, quakte zur Begrüßung. Efeu nahm sie auf den Arm, um sie zu streicheln. „Wartet hier einen Moment. Das müsst ihr sehen“, sagte er, legte die Kröte wieder auf den Tisch, auf dem sie zuvor gesessen hatte, und verschwand hinter ein paar Schränken. Das nahm Ron zum Anlass, Terry etwas zu fragen: „Du warst schon öfter hier, nicht wahr?“ „Klar“, meinte Terry. „Ein inspirierender Ort. Weiter hinten haben die sogar eine Folterkammer.“ „Aber woher wusstest du eigentlich das Passwort? Und warum ist niemandem etwas aufgefallen?“ „Also bitte, Ron: Das Passwort könnte kaum offensichtlicher sein.“ „Ändern sie es nie?“ „Doch. Es gibt drei verschiedene Passwörter, die sich immer abwechseln: „Reines Blut“, „Reinblut“ und „kein Pseudoblut“. „Einfallsreich“, murmelte Ron. „Und hier drin bemerkt mich nie jemand, weil ich meistens nachts hier bin. Außerdem habe ich einen kleinen Deal mit dem Kerl dahinten. Er lenkt die Sifferins ab, während ich mich hier nach Möglichkeiten umsehe, sie unauffällig aus dem Weg zu räumen. Zum Beispiel durch Sprengladungen.“ Terrys Zeigefinger verwies auf ein großes, muskulöses Wesen roter Färbung mit zwei gebogenen, spitzen Hörner auf dem Kopf. Es spielte gerade mit einer Gruppe Sifferins Schafkopf. Und zwar an einem Tisch im hinteren Bereich der Eingangshöle. „Der Teu...“, wollte Ron entsetzt rufen. „Leise! Und nenne seinen Namen nicht! Er ist hier undercover als Sifferin“, mahnte Terry. „Was verlangt er denn als Gegenleistung?“ „Gar nichts. Er hätte die Sifferins ebenfalls gerne beseitigt. Sie machen ihm angeblich Konkurrenz um den Posten des bösartigsten Wesens überhaupt“, erklärte Terry. Spongo kam zurück. Er reichte den beiden eine Zeitung und deutete mit den Worten „Das ist echt ein Witz!“ auf den Leitartikel. Terry nahm die Tagesbild und las ihn durch.
-86-
Außenminister der Ketzerei bezichtigt Karl Grievly, Außenminister der magischen Welt, wurde heute vom Minister für Diverse Bösartigkeiten, Luzifer Efeu, der Ketzerei bezichtigt. Efeu kündigte eine Klage beim Allerobersten Gerichtshof an. Er beruft sich dabei auf das Buch 'Malleus Maleficarum' aus dem Jahre 1487, das Anweisungen zur Hexenverfolgung enthält. Der oberste Richter kündigte an, die Klage abzuweisen, da sie 'absurd' sei und die Beweislast 'keinerlei Verbindung zu dem Fall' aufzeige. Er wies Efeu außerdem darauf hin, endlich mit dem Blödsinn aufzuhören. Gerüchten zufolge denkt man im Ministerium schon über die Streichung des Postens des Ministers für Diverse Bösartigkeiten nach, der 'offensichtlich keinen Sinn' mache und 'dem Gemeinwesen einen Bärendienst' erweise. „Ja, das ist allerdings ein Witz“, meinte Terry. „Was darf sich dieser Grievly denn noch alles erlauben? Seine ganze Familie ist wahrlich eine Schande für die Reinblüterschaft!“ erklärte Spongo. „Das finde ich auch“, sagte Ron und dachte „zum Glück“. „Es wundert mich, dass die Tagesbild noch nicht über die Angriffe in Rowlingstone berichtet hat“, meinte Spongo. „Stimmt, das ist merkwürdig“, sagte Terry und dachte: „Die schreiben ja auch sonst über jeden Mist, wenn er nur unwichtig genug ist!“ „Wahrscheinlich versucht Gandalf, sie zum Schweigen zu bringen“, überlegte Efeu laut. „Wahrscheinlich weiß Gandalf nicht einmal, wo er sich gerade befindet“, entgegnete Terry wahrheitsgemäß. „Guter Einwand, Goil. Da hast du Recht. Ein guter Schulleiter hätte auch niemals verdeckte Reporter wie diesen widerlichen Colin McRae in die Schule gelassen!“ „Das stimmt ebenfalls“, antwortete Terry. Auch in diesem Punkt war er mit Spongo tatsächlich einer Meinung. Dennoch konnte er Gandalf gut leiden, denn in all' seiner Inkompetenz war er ein sympathischer Mensch. Und irgendwie hatte es die Schule schließlich geschafft, trotz Gandalf noch immer zu stehen. „Der heilige Rotter, Freund aller Pseudoblüter! Die Leute sind so dumm, ihn für den Erben Sifferins zu halten! Wie soll denn das gehen? Er hängt doch immer mit diesem Pseudoblut Stranger herum! Außerdem versucht er ständig, einen von uns umzubringen!“ Wenn Spongo nicht bald mit dem Recht haben aufhörte, würde Terry noch anfangen, ihn zu mögen. „Ich wünschte, ich wüsste, wer der Erbe Sifferins wirklich ist. Wir könnten ihm helfen“, meinte Efeu schließlich. „Hervorragend“, sagte Terry. Wurde auch Zeit. Drei Mal hintereinander etwas halbwegs Vernünftiges zu sagen, das war hart an der Grenze des Möglichen für Efeus Verhältnisse. „Hast du irgend eine Idee, wer es sein könnte?“ fragte Ron. „Nein! Wie oft soll ich dir das noch sagen, Crêpes? Und mein Vater will mir auch nichts über das letzte Mal erzählen, als die fragwürdige Kammer der schieren Schrecklichkeit (TM) geöffnet wurde, obwohl er alles darüber weiß. Mir ist nur bekannt, dass ein Pseudoblut getötet wurde und dass der Verantwortliche nach Achterbahn gebracht wurde.“ „Achterbahn?“ fragte Ron. -87-
„Das Zauberergefängnis, Crêpes. Also echt, das müsstest du inzwischen kennen!“ „Finde ich auch“, sagte Terry und dachte „ ...und zwar von Innen!“ „Vater meint, er habe schon zur Lösung des Pseudoblut-Problems beigetragen. Natürlich hat er in letzter Zeit viel zu tun, denkt man an die Hausdurchsuchungen durch das Ministerium.“ Luzifer Efeu der Erbe Sifferins? Nein, das konnte wohl kaum möglich sein. Aber was hatte Luzifer sonst damit gemeint? „Naja, wenigstens hat mir Vater einen Trunk geschenkt. Er enthält magische Energie, sehr belebend. Wollt ihr einen?“ „Sicher!“ sagte Terry, kaum hatte Efeu den Satz beended. Seine Alkoholsucht war vielleicht geheilt, aber er erinnerte sich voller Nostalgie daran. „Die Flasche steht auf dem Tisch. Bedient euch ruhig.“ Ron schenkte sich ein Glas ein und trank. Auf einmal wurde er ganz bleich. Etwas fraß seine Magenwände auf. „Nein! Nicht die Flasche, Crêpes! Darin befindet sich das Gift! Das ist für Terry gedacht, sollte er hier nochmal auftauchen und mein Zeug wegtrinken!“ Auf einmal färbten sich Rons Haare wieder rot - was jedoch in keinem Zusammenhang zu dem Gift stand. Terry flüsterte ihm „Gute Idee, Ron“ zu und sprang schnell auf. „Ich bringe ihn besser zum Krankenflügel.“ „Tu das, Goil. Du bist heute ziemlich schnell im Denken, das muss man sagen.“ Als die Beiden den Gemeinschaftsraum verlassen hatten, glichen sie auch schon wieder sich selbst. Zu früh, denn das Porträt Sakrilegus erkannte Rons Hausuniform und schrie es auch sofort hinaus, auf dass es jeder hören würde: „Griffamtors im Gang! Griffamtors greifen uns an!“ Das Gemälde klappte auf und einige Sifferins traten heraus. Sie umstellten Ron und Terry. „Na, wen haben wir denn da?“ fragte Spongo. „Nimmst du jetzt schon Verstärkung mit, Terry?“ Letztgenannter gab kein Kommentar dazu ab und tastete stattdessen nach seinen Avengers. Sie waren wieder da. Ausgezeichnet. „Ihr wolltet wohl zusammen hier einbrechen, nicht wahr?“ fragte Efeu. „Schade, dass ihr Crêpes und Goil verpasst habt, sie hätten sich sicherlich gefreut, euch zu sehen.“ „Sie sahen wenig erfreut aus, als ich sie in in den Bottich warf“, dachte Terry. Er wandte sich an Ron und flüsterte: „Runter, Kumpel!“ Als sich Ron duckt, zieht Terry seine Waffen. Überrascht stellt er fest, dass die Sifferins ähnlich schnell eure Zauberstäbe hervorholen. Er streckt seine Arme nach beiden Seiten aus und feuert auf die Schüler, die links und rechts neben ihm stehen. Dann kreuzt er seine Avengers, um diejenigen weiter vorne zu treffen. Er macht eine 90°-Drehung und schießt auf zwei weitere. Sechs Sifferins in vier Sekunden, das muss ein neuer Rekord sein. Doch er rechnet nicht mit Spongo, der ihm einen „Iacere!“ entgegen wirft. Der Fluch schleudert Terry hoch in die Luft und über die Köpfe seiner Feinde hinweg. „Eigentlich ganz praktisch“, denkt er und gibt mehrere Schüsse im Flug ab. Dann landet er stilvoll auf beiden Beinen und kommentiert sein neuestes Werk wie folgt: „Alle Neune! Und dabei hab' ich noch nie gekegelt!“ Und vor ihm lagen tatsächlich neun Sifferins und ein Ron. Erstgenannte schrien vor Schmerzen und begutachteten gleichsam entzückt ihr reines Blut, welches sich in einigen Pfützen sammelte. Jemand schien Ron mit einem Fluch -88-
erwischt zu haben, denn er war platt wie eine Flunder. Er erhob kurzerhand seine beiden Dimensionen vom Boden und warf Terry einen beleidigten Blick zu, als er entdeckte, dass dieser grinste und sagte „Da bist du platt, was?“ „Das ist nicht witzig“, stellte Ron fest und steckte sich einen Daumen in den Mund. Er pustete. „Ron? Was soll das werden?“ „Ich versuche, mich wieder aufzublasen!“ „Du hast wohl zu viele Cartoons gesehen. Wir benötigen den richtigen Gegenfluch!“ Das fasste die hiesige Biochemie als Beleidigung auf und gestattete Ron eine Rückkehr zu seiner minimal voluminöseren Normalform. „Auch gut“, meinte Terry und sie machten sich wieder auf den Weg zu da Vincis Toilette. Und dann waren sie auch schon da. Sie blieben vor Hermiones Kabine stehen und Terry sagte: „Mission erfolgreich!“ „Gab es Probleme?“ fragte sie. „Ja, das kann man allerdings ...“, meinte Ron. „... nicht ernsthaft behaupten“, beendete Terry den Satz. „Was ist denn mit dir passiert, Kleine?“ wollte Terry wissen. Hermione schob den Riegel vor und sagte: „Josephine scheint ein Häschen zu halten.“ Terry öffnete die Tür langsam. Sein Mädchen hatte Hasenohren auf dem Kopf und war von braun-weißem Fell bedeckt. Ron schreckte zurück. „Ist noch jemand hier?“ fragte sie und Terry stotterte: „Nein, du, du kannst herauskommen.“ Das tat sie auch. Dabei fiel den zwei Jungs Hermiones weißes, buschiges Schwänzchen auf. Wenigstens hatte sie keine hervorstehenden Zähne. Speichel tropfte aus Terrys Mundwinkeln. „Wir sollten sie zu Madam Pommes bringen“, meinte Ron. „Sie stellt inzwischen schon gar keine Fragen mehr.“ „Ja, ähm,“ sagte Terry. „Weißt du, Ron - Ich kümmere mich schon darum. Später. Ähm, macht es dir etwas aus, mal kurz draußen zu warten?“ Als Ron die Tür hinter sich schloss, konnte er noch hören, wie Hermione Terrys Namen schrie und hinzufügte, dass er von grundauf verdorben sei. Hermione musste ein paar Wochen im Krankenflügel verbringen. Terry besuchte sie täglich. Aus zwei Gründen: Einmal, weil es sich um seine Freundin handelte und er sie liebte und respektierte. Und aus dem anderen Grund natürlich auch. Es war trotzdem nicht schön, dass sie ihn und Ron nicht mehr begleiten konnte. Außerdem musste das Paar nachts immer Rücksicht auf die anderen Kranken nehmen. Gut, eigentlich hätten sie früher auch auf die anderen Mädchen im Schlafsaal Rücksicht nehmen müssen, aber die waren nicht krank, selber Schuld. So kam es, dass Ron und Terry Ragrid eines Tages alleine besuchten. Er war, genau wie viele Lehrer, die ihre scheinbar einzige Schülerin vermissten, sehr besorgt um Hermione. Es gab nicht viel zu bereden und Männer hatten weniger als Frauen die Neigung, etwas zu sagen, wenn es nichts zu sagen gab. Also machten sie sich bald wieder auf den Rückweg. Als sie über die Wiese schlenderten, fiel etwas vom Himmel. Es war klein, quadratisch und näherte sich konsequent Rons Kopf. Letztgenannter war gerade guter Laune angesichts des Mangels an Beinahe-Toden in letzter Zeit. Zum Glück verursachte das Ding nur eine kurze Bewusstlosigkeit und eine Beule. Terry hob es auf. Es war ein Tagebuch. Sein photographisches Gedächtnis erkannte es -89-
sofort: Luzifer Efeu hatte es in Ginnys Kessel gelegt, als sie ihm in Flounder and Bluffs begegnet waren! Er warf einen Blick auf den Einband: Es war 50 Jahre alt. Genau vor 50 Jahren wurde die fragwürdige Kammer der schieren Schrecklichkeit das letzte Mal geöffnet, wie ihm Hermione erzählt hatte! „Hey, was ist das?“ fragte Ron, wieder bei Sinnen. „Das Tagebuch von einem gewissen Tim Marlboro* Rätsel“, sagte Terry. Er hatte diesen Namen schon einmal gehört - genau, letztes Jahr im Trophäenraum hatte er ihn auf einem Ehrenpokal für besondere Anbiederung an die Schule gelesen. „Ah. Der größte Streber in der Geschichte Rowlingstones. Steht etwas interessantes in seinem Buch?“ fragte Ron. „Nein. Genau genommen enthält es nur leere Seiten.“ Terry versuchte es mit einem „Zeig dich!“, doch der Zauberspruch blieb wirkungslos. „Abgesehen von einem einzigen Eintrag“, meinte Terry. „Und zwar auf Seite 1.“ „Und was steht da?“ „6. Juni.“ „Und?“ „Und das war's“, stellte Terry fest. Aber ich glaube, das Buch wird uns vielleicht trotzdem bei der Lösung des Rätsels um die Kammer helfen können“, meinte Terry. „Nur im Moment gerade nicht.“ „Na toll“, antwortete Ron. „Schön, dass es dir gefällt! Ich werde mir gerne öfters Dinge auf den Kopf fallen lassen!“
* Ich will übrigens Geld für diese Schleichwerbung
-90-
Kapitel 13: Das total mysteriöse Tagebuch Der Valentinstag. Eine alterwürdige Tradition, erfunden von Floristen. Genau so wie Beerdigungen. Bis Terry mit dem Valentinstag konfrontiert wurde, hatte er Floristen für ziemlich faszinierend gehalten. Vor allem aufgrund ihrer Fähigkeit, auch in dem hässlichsten Unkraut noch eine innere Schönheit und eine tiefere Bedeutung sehen zu können. In der vierten Klasse der Muggel-Grundschulde, die er vor Rowlingstone besucht hatte, war jenes Brauchtum allerdings etwas missverstanden worden. Gut - seine Mitschüler schenkten ihren Angebeteten Pralinen – weil das die Lehrerin verlangte und weil sie Terrys Gesicht sehen wollten, wenn er keine bekam. Eine nette Geste, mag wohl sein. Unüblich war es aber, dass sie die Pralinen dann gemeinsam nach Terry warfen. Auch mit der unschönen Angewohnheit roter Rosen, spitze Dornen zu tragen, wurde er in jener Zeit konfrontiert. Es gab außerdem Leute, die meinten, ein Mistelzweig allein sei nicht genug. Man müsse auch noch einen Ast daran hängen und mit ihm nach Terry schlagen. Reißnägel hätte auch niemand im Umschlag seines Liebesbriefes erwartet. In Rowlingstone sah die Sache anders aus. Hermione ging es auf eine humanoide Weise endlich wieder gut. Lange, blonde Haare, ein gutmütiges Gesicht und eine zierliche Gestalt ohne Fell wiesen darauf hin, dass sie nun keine Katze mehr war. „Komm schnell, Süßer“, sagte sie zu Terry. „In der Nähe des Gewächshauses sind ein paar Sifferins, die darüber reden, wie sie sich an dir rächen könnten!“ Terry begleitete Hermione und freute sich darauf, Sifferins bekämpfen zu dürfen. So musste ein Valentinstag aussehen! Doch auf einmal fand er sich genau an der Stelle wieder, wo Hermione ihn haben wollte: Unter diversen Mistelzweigen, aber ohne Sifferins. Biologisch betrachtet, handelte es sich bei Misteln um parasitäre Organismen, Halbschmarotzer, Bahnhofspunks. Dennoch wohnte ihnen ein gesellschaftliches Ansehen inne, welches Hast-dumal-'n-Euro wohl niemals erreichen würde. Andererseits war es auch eine komische Idee, sich zu küssen, wenn man unter Punks stand. Terry verstand den Sinn des Ganzen nicht: Warum sollte er sein Mädchen küssen, wenn er mit ihr unter Mistelzweigen verweilte? Er küsste sie doch sowieso ständig! Eine der vielen Merkwürdigkeiten der menschlichen Psyche, doch Terry ging gerne darauf ein. Einen Kommentar konnte er seiner Freundin jedoch nicht ersparen: „Du bist verrückt, Schatz.“ „Dann passen wir ja gut zusammen“, antwortete sie. Ron war nicht tot. Nein, er war sogar gut gelaunt und lief im Speisesaal umher. Denn ein (hoffentlich) weibliches Geschöpf hatte ihm einen Engel gesandt. Terry hätte sich über dessen Anblick sehr gewundert, war er doch davon ausgegangen, in seinem Kampf gegen Gott im letzten Schuljahr alle Engel erschossen zu haben. Und tatsächlich: Es handelte sich nicht wirklich um einen Engel, sondern um die neue Ich-AG eines vormals arbeitslosen Gnoms. Doch das erfüllte den selben Zweck, nur mit geringerer Bezahlung. Er begann zu singen: -91-
„Seine Augen so braun wie schmutziges Gewässer, seine Haare so feurig, ich könnt' es nicht besser. Ich wünschte, er wäre mein, wie ein schöner Schmuckstein, Ron, du bist unsterblich, meine Liebe sei dein!“ Rons Herz schmolz dahin. Und diesmal wirklich nur metaphorisch. Wer konnte seine Angebetete nur sein? Der Gnom gab ihm den Text des Liedes in die Hand. Vielleicht erkannte Ron sogar die Handschrift? Moment mal, sie hatte tatsächlich eine frappierende Ähnlichkeiten mit der von ... Efeu erschien auf der Bildfläche. Er sah nicht so aus, als hätte er auch einen Liebesbrief bekommen. Dafür grinste er zu teuflisch. Obwohl, wer weiß, wie Spongo grinsen würde, hätte er eine Freundin. Ron wünschte sich, das niemals zu erfahren. „Feurige Haare, wie?“ lachte Spongo. „So feurig finde ich deine Haare nicht, aber wir können das gerne ändern!“ Er richtete seinen Zauberstab auf Ron, als Terry Efeu mit voller Kraft ins Gesicht schlug und ihn Schachmatt setzte. „Dich kann man wirklich nicht eine Sekunde allein lassen, Ron.“ „Tut mir leid“, meinte dieser und fragte: „Wo hast du eigentlich dein Mädchen gelassen?“ „Hermione ruht sich aus“, erklärte Terry. „Komisch - bislang habe ich zu viel Sex immer für Aberglauben gehalten. Naja, jetzt habe ich wenigstens Zeit, mir dieses Tagebuch einmal genauer anzusehen. Hey, was ist das für ein Brief?“ „Das ist der Text von einem Liebeslied“, erklärte Ron. „Ah. Nett von dir, Ron. Aber ein bisschen – komisch - findest du nicht?“ „Es ist nicht für dich, Terry!“ „Da bin ich aber erleichtert. Für wen ist er denn?“ „Für mich“, stellte Ron lächelnd fest. „Cool. Ich wusste gar nicht, dass du auf einmal so ein Frauenschwarm bist. Normalerweise stehen Mädchen nicht auf Männer, die ihnen ständig wegsterben - dachte ich zumindest. Nichts für ungut. Wie heißt die Angebetete?“ „Ich weiß es nicht. Ich glaubte schon, ihre Schrift zu erkennen, aber da habe ich mich sicherlich geirrt.“ „Zeig mal her“, meinte Terry und nahm den Text an sich. „Augen braun wie schmutziges Gewässer ? Goethe würde in seinem Grab rotieren - hielte er nicht in Flounder & Bluffs Vorlesungen.“ „Ach, seit wann bist du denn hier der große Literat?“ fragte Ron beleidigt. „Genau“, meinte der Autor. „Du hälst mal lieber die Klappe!“ forderte Nietzsche. „Hab' nichts gesagt“, behauptete Terry. „Ist ein sehr liebes Lied.“ „So ist es“, meinte Ron und holte sich den Text zurück. „Naja, dann finde mal 'raus, von wem es ist. Nicht, dass sich nur wieder jemand über dich lustig machen will.“ „Das werde ich!“ stellte Ron fest und setzte sich an den Griffamtor-Tisch im Speisesaal, um sein Liebeslied anzugrinsen. Terry begab sich derweil in den Gemeinschaftsraum und von da aus zum Schlafsaal, um sich dort auf sein Himmelbett zu setzen. Denn es war sinnvoll, die anderen Schüler von dem Buch fern zu halten, wie sich bald herausstellen sollte. „Hm. Wenn nichts in dem Tagebuch steht, dann schreibe ich eben was rein“, überlegte Terry und griff sich eine Feder. Er hielt kurz inne. Eine Feder? Er hatte bislang noch gar nicht darüber nachgedacht, weil er es für selbstver-92-
ständlich hielt, dass man in der Magiewelt nicht mit Füller schrieb. Aber warum eigentlich? Federn musste man ständig wieder in Tinte tauchen und nur Zauberer der höchsten Stufe waren dazu in der Lage, sie mittels Magie automatisch mit Tinte vollzusaugen. Wie dem auch sei, Terry schrieb seinen Namen auf die erste Seite, gleich unter 6. Juni. Und tatsächlich: Unter seinem Eintrag erschien wie von Geisterhand der Schriftzug: „Was interessiert mich dein Name?“ Terry ließ sich das nicht gefallen und schrieb: „Du mich auch! Wer bist du überhaupt und was kannst du mir über die Kammer der Schrecklichkeit erzählen?“ „Ok, sorry. Ich bin Tim Marlboro Rätsel. Wie kommst du an mein Tagebuch?“ „Es ist Ron auf den Kopf gefallen“, schrieb Terry. „Kein Wunder, dass es jemand loswerden wollte. Es enthält schreckliche Erinnerungen. Schreckliche Erinnerungen an furchtbare Geschehnisse, die sich vor langer Zeit in der Rowlingstone-Schule für Esoterik und mystischen Krimskrams abgespielt haben. Und vertuscht wurden. Auf gar schreckliche Weise.“ „Um das näher zu präzisieren: Du meinst vermutlich schreckliche Erinnerungen an furchtbare Geschehnisse, die mit der fragwürdigen Kammer der schieren Schrecklichkeit in Verbindung stehen?“ fragte Terry. „Ja. Es gab sogar einen Toten. Schrecklich, nicht wahr?“ meinte das Tagebuch. „Schreib noch einmal „schrecklich“ und ich werfe dich in die lodernden Flammen des Gemeinschaftsraum-Kamins!“ meinte Terry. „Lieber nicht. Ich möchte dich stattdessen mitnehmen auf eine kleine Reise – 50 Jahre in die Vergangenheit!“ „Wieso? War das Fernsehprogramm damals besser?“ „Neiiiin“, schrieb das Buch verhallend, als es Terry in sich hinein saugte. „Leider.“ Der Raum wurde mehr und mehr grau. Oder auch nicht. Nein, wahrscheinlich geschah überhaupt nichts mit dem Schlafsaal. Nur, dass sich Terry nicht mehr in ihm befand, sondern ganz wo anders. Nämlich in einer schwarz-weißen Version von Gandalfs Büro. Wie erwartet saß Gandalf in seinem Sessel und streichelte einen Blumentopf, der auf dem Schreibtisch stand. Terry war sofort klar, dass er sich in der Vergangenheit befinden musste. Denn erstens hatte er diese Information von einem Tagebuch - und warum sollte ein Tagebuch lügen? - und zweitens fühlte er sich wie in einem alten Film, der noch ohne Farbe auskommen musste. Aber: Wenn er sich hier 50 Jahre in der Vergangenheit befand - wieso saß dann Gandalf, der damals noch Lehrer gewesen sein musste – im Sessel des Schulleiters? „Wieso sitzen Sie in meinem Sessel!?“ fragte Direktor Tibet genervt. „Und was ist das für eine Pflanze?“ Gandalf der Rote war schockiert vom Eintreffen des Schulleiters in seinem Büro, sprang auf, schnappte sich den Blumentopf und rannte blitzschnell hinaus. Zumindest hatte er sich das fest vorgenommen. Tatsächlich war er nicht fähig, sich schneller zu bewegen als eine tote Schnecke im Winterschlaf, denn er stand unter Drogeneinfluss. Also ließ er sich eine Ausrede einfallen: „Oh. Ähm. Professor Tibet. Sie - hier in Ihrem Büro? Was für eine freudige Überraschung! Welch ein Glück, dass ich Sie so lange vertreten habe!“ „Professor Gandalf! Sie sind eine Schande für das ganze Kollegium und für diese Schule! Sie haben weder heute das Recht, in diesem Sessel zu sitzen,
-93-
noch werden sie es jemals haben! Nur über meine Leiche!“* „Aber was, wenn jemand gekommen wäre, um Sie zu sprechen?“ fragte Gandalf. „Auch, wenn er hätte warten können, weil sie gleich wieder da waren.“ „Was meinen Sie damit?“ wollte Tibet in Erfahrung bringen. Doch er kannte die Antwort bereits: „Hm. Ich weiß nicht genau.“ Der Rote schlich sich verstohlen aus dem Zimmer. Terry folgte ihm. Draußen liefen gerade zwei Sifferins umher und kicherten. Reflexartig sprang Terry in die Luft, um nach ihnen zu treten. Doch sein Bein bewegte sich durch seine Erzfeinde hindurch und er landete unsanft wieder auf dem Boden. Es dämmerte ihm allmählich: Er musste sich in einer von Rätsels Erinnerungen befinden - und die konnte er natürlich nicht verändern. Schade. Obwohl: Warum konnte Terry dieser Logik zufolge überhaupt auf dem Boden laufen? Warum konnte er mit dessen Materie interagieren, mit jener der beiden Sifferins jedoch nicht? Diese magische Welt - sie schien keiner inneren Logik zu folgen. Mal galten die einen Regeln, mal ganz andere. Ihre Naturgesetze mussten demnach von einem oder mehrerer Wesen personifiziert werden. Von sehr kindischen Wesen mit einem zweifelhaften Sinn für Humor. Terry wünschte sich, ihnen einmal zu begegnen ... Ein gut aussehender Schüler einer höheren Klasse lief Gandalf entgegen. Er trug schwarze Haare, eine Schülersprecher-Uniform und lächelte freundlich**. „Schönen guten Tag, Tim“, grüßte Gandalf. „Warum wanderst du noch so spät in den Gängen herum?“ „Ich habe Sie gesucht“, erklärte Rätsel. „Und was kann ich für dich tun?“ „Ich möchte Ihnen einige Dinge über meine Vergangenheit erzählen, die Sie bereits wissen, um meinen Charakter zu zeichnen. Folgendes: Ich bin ein Halbblut - mein Vater war Muggel und meine Mutter Hexe. Sie starb kurz vor meiner Geburt. Im Waisenhaus hat man mir erzählt, dass sie mir gerade noch einen Namen geben konnte: Tim nach meinem Vater und Marlboro nach einer Zigarettenfirma.“ „Sieh an. Interessant: Du willst die Sommerferien in der Schule verbringen. Etwas anderes hätte ich von dir auch nicht erwartet.“ „Das habe ich zwar mit keinem Wort erwähnt, aber Sie haben Recht“, meinte Tim. „Ich befürchte jedoch, dass das kaum möglich sein wird - bedenken Sie die aktuelle Tragödie! Da Vinci ist gestorben. Mal wieder. Im Waisenhaus bist du sicherer. Das Ministerium denkt sogar darüber nach, die Schule zu schließen. Und wir haben immer noch keine Ahnung, wer der Täter ist. Wir haben schon damit angefangen, wild drauflos zu verdächtigen. Im Moment denken wir, es war George Rotter.“ „Das ist mal wieder so typisch ...“, murmelte Terry. „Aber was, wenn der Täter gefunden würde?“ fragte Rätsel nachdenklich. „Oder wenn jemand einen Sündenbock auftriebe?“ „Was meinst du damit?“ wollte Gandalf wissen, der nicht zugehört hatte. „Meinst du, du weißt etwas über die Morde?“ fügte er hoffnungsvoll hinzu. Denn er selbst wusste ganz bestimmt nichts über irgendetwas. * Und tatsächlich: Der pensionierte Professor Tibet verstarb genau an dem Tag, an dem Gandalf zum Rektor ernannt wurde. Ein Schelm, der eine Verbindung zwischen diesen beiden Geschehnissen sah. Und der zuständige Arzt war ein Schelm. ** Diese Art von Menschen lächelte genau so lange freundlich, wie man ihre Ansichten teilte.
-94-
„Nein, Sir!“ meinte Tim bestimmt. Doch Terry war der Überzeugung, dass dieses „Nein, Sir“ genau so klang wie sein „Ich habe damit aber nichts zu tun“ damals in Gandalfs Büro. Er hatte zwar tatsächlich nichts mit der Eineisung von Nick und John Shutter zu tun gehabt, jedoch wusste Terry, dass seine Aussage damals sehr unglaubwürdig rübergekommen war. „Gut, dann darfst du jetzt gehen. Gute Nacht“, meinte Gandalf, kehrte zu Tibets Büro zurück und verschwand darin, wo man ihn kurze Zeit später wieder hinaus warf. Tim begab sich derweil zu Snakes Keller, wo sich traditionellerweise allerlei düstere Geschehnisse abspielten, und Terry folgte ihm. Aus dem finsteren Raum hörten sie eine tiefe, trunkene Stimme entweichen: „Na los! Geh inne Käfig! Du sollst kene Leute mehr fresse, des wesst du doch! Also los, wird’s bald!“ Terry erkannte die Stimme sofort. Rätsel öffnete hastig die Tür, holte seinen Zauberstab heraus und richtete ihn auf eine Kreatur, die neben Ragrid stand. Der Junge, der überlegte, versuchte das Tier gedanklich zu katalogisieren: „Hm. Beurteilt nach den Beckenknochen würde ich sagen, es gehört zur Gattung der Saurischia. Kleine Arme und spitz gekrallte Finger, kräftige Kiefer mit spitzen Zähnen, ein S-förmiger Hals und lange, muskulöse Hinterbeine mit bekrallten, vierzehigen Füßen - ganz klar, das muss ein junger Theropoda sein. Aber welcher? Kommt ganz darauf an, wie viele Anwälte er pro Jahr essen muss, um zu überleben ...“ „Guten Abend, Ragrid - Sag mal: Wie viele Anwälte muss dieser Theropoda pro Jahr essen, um zu überleben?“ fragte Tim. „292, wieso?“ wollte Rubeus wissen. „Ich möchte das Tier katalogisieren“, erklärte Rätsel und Terry dachte: „Ah, ein Tyrannosaurus Rex also. Ich wusste gar nicht, dass die ein braun-grünes Fell, zwei Hörner auf dem Kopf und ein Artikelnummer-Tattoo auf der Stirn hatten.“ „Da mir das nun gelungen ist: Ich werde dich wohl festnehmen müssen, Ragrid. Falls diese Angriffe nicht aufhören, wird Rowlingstone geschlossen.“ „Aragorn hat noch niemals jemanden umgebracht!“ schrie Rubeus empört. „Also bitte, Ragrid: Da Vincis Eltern werden morgen hier sein und das Mindeste, was die Schule tun kann, ist dafür zu sorgen, dass der Mörder ihres Sohnes zur Strecke gebracht wird.“ „Das würde Aragorn niemals tun!“ versicherte Rubeus. „Aus dem Weg!“ forderte Rätsel und rief „Entflamme!“, was er mit einem Schwung seines Stabes verband. Ein Feuerball entsprang ihm, traf auf Snakes Gothic-Modekatalog und verwandelte ihn in ein Häufchen Asche. Der kleine TRex rannte derweil auf die Tür zu und streifte Tim, der dadurch seinen Stab verlor. Marlboro sprang auf den Boden zu seinem Zauberutensil, um den Dinosaurier noch zu erwischen, doch Ragrid hatte seinen Fuß auf dem Holzstab gelagert und brüllte: „Nein!“ Genau in diesem Moment erfand jemand die Technicolor-Realität. Terry saß wieder auf seinem Bett und das Tagebuch lag neben ihm, um zu verkünden: „Sorry, eigentlich sollte dieses „Nein“ jetzt auch dramatisch verhallen, aber das haben wir nicht hinbekommen. Der zuständige Techniker kann sich als entlassen betrachten.“ Auf einmal tauchte Ron im Zimmer auf. Die herausragendste Eigenschaft von Schülersprechern war es, nie für Schüler zu sprechen. Im Prinzip ging es dabei immer nur um die jährlichen Saufgelage der SOV (Schüler ohne Verantwortung).
-95-
„Hi, Ron“, meinte Terry. „Das war gerade echt cool. Wirst es nicht glauben, aber ich war noch vor ein paar Sekunden Teil einer Erinnerung, die den Eindruck erwecken wollte, dass es Ragrid war, der vor 50 Jahren die Kammer öffnete. Und das Monster ist ein T-Rex.“ „Was!? Wirklich?“ fragte Ron schockiert. „Rubeus?“ „Naja, ich halte das alles für Quatsch mit Soße. Aber es war eine tolle Erinnerung mit mords Spezialeffekten und Dinosauriern darin. Kann man nicht meckern. Schade, dass ich kein Popcorn dabei hatte!“
-96-
Kapitel 14: Ein Opfer zu viel „Sehen wir die Sache pragmatisch ...“, sagte Terry. „Das bringt uns alles überhaupt nichts!“ „Also bist du der Ansicht, dass Ragrid nichts mit der Kammer zu tun hatte?“ wollte Hermione wissen. „Ich meinte: Wozu wurde die Kammer damals überhaupt geöffnet? Wir wissen jetzt, dass es das letzte Mal einen Toten gegeben hat: Leonardo Da Vinci. Ein Mann – und ich schätze ihn sehr – der ohnehin schon seit ein paar hundert Jahren tot ist. Es dürfte ihn kaum gekümmert haben, nochmal zu sterben. Wobei ich ohnehin nicht verstehe, wie das überhaupt möglich gewesen sein soll. Außerdem wissen wir jetzt, dass Ragrid offenbar der Überzeugung war, sein T-Rex sei das Monster gewesen. Und der ist abgehauen. Aber er wird ja wohl kaum in den Wänden der Schule rumhängen und Leute einfrieren, oder?“ „Es ist nur wenig über das Jagdverhalten des Tyrannosaurus Rex bekannt“, stellte Hermione verzweifelt fest. „Und außerdem ist es naheliegend, dass derjenige, der die Kammer vor 50 Jahren öffnete, uns zumindest bei den Nachforschungen weiterhelfen könnte. Davon abgesehen sollten wir auch mal mit diesem Dinosaurier reden.“ „Und von ihm gefressen werden?“ gab Ron zu bedenken. „Dinosaurier können sprechen?“ wunderte sich Terry. Auf einmal kam Da Vinci über den Frühstückstisch geflogen und näherte sich lächelnd den drei Schülern. „Hallo Freunde“, sagte er gut gelaunt. „Gibt's was neues?“ „Schön, dass du da bist“, meinte Terry. „Wir fragen uns, was eigentlich so schlimm daran ist, dass du damals gestorben bist.“ „Das frage ich mich schon seit 50 Jahren“, meinte der Geist*. „Ich vermute, dass durch meinen Tod eine längst überfällige Panik entstanden ist. Es war seit einiger Zeit recht langweilig in der Schule gewesen.“ „Wie bist du damals eigentlich gestorben?“ fragte Ron. „Ich hielt mich mal wieder in dieser Mädchentoilette auf ...“ „Benutzte die damals schon kein Mensch?“ hakte Ron nach. „Man fragt sich doch, wozu die überhaupt da ist, wenn sie noch nie jemand brauchte ...“ „Ähm. Nein. Normalerweise nicht. Aber es war gerade Unterrichtszeit. Und da drin kann man in Ruhe nachdenken und lesen. Leider hatte ich damals das Pech, auf ein paar Werke der Trümmerliteratur zu stoßen. Die waren so deprimierend, dass mir schon richtig schlecht wurde. In meiner materiellen Form wollte ich mich also übergeben. Doch als ich den Toilettendeckel öffnete, fiel ich auf einmal tot um. Halb so schlimm eigentlich. Kurze Zeit später bin ich wieder munter in der Schule herum geflogen. Aber dieses Geschehnis hatte offenbar eine Schülerin beobachtet und Schwatzmäuler, wie die bekanntlich sind ...“ „Hey!“ wandte Hermione ein. „Aber das sind die meisten Mädchen nun mal“, bestätigte Terry. Daraufhin drehte sich Hermione schmollend um und ihr Freund fügte hinzu: „Natürlich bist du eine rühmliche Ausnahme. Einer der Gründe, warum ich * Tatsächlich handelte es sich um ein Gespenst. „Geist“ war eine esoterisch angehauchte Bezeichnung für das Denkvermögen des Menschen, die davon ausging, dass das Gehirn nichts mit dem Denken zu tun hatte. Und bei Leuten, die an die Trennung von Körper und Geist glaubten, war das wohl auch der Fall.
-97-
dich so liebe!“ Sie wandte ihren Kopf zur Seite und Terry erkannte ein Lächeln auf ihrem Gesicht. „Na gut“, meinte sie. „Manche reden wirklich ein bisschen viel.“ „Aber die Angriffe müssen aufgehört haben, als der T-Rex geflohen ist“, gab Ron zum Besten. „Sonst hätte Rätsel seine Auszeichnung nicht bekommen. Vielleicht hat Ragrid ja doch irgend etwas mit der Kammer zu tun. Erinnerst du dich daran, dass du ihm in der Gasse des Bösen begegnet bist?“ „Ja“, meinte Terry. „Was wollte er da eigentlich?“ „Das wusste er angeblich nicht, was auch möglich wäre. Trotzdem komisch, jetzt wo du es erwähnst ...“ „Warum fragen wir Ragrid nicht einfach?“ schlug Hermione vor. „Das sagst du so. Du bist ja auch von seiner Unschuld überzeugt“, meinte Ron. „Du etwa nicht?“ fragte Hermione entsetzt. „Terry, was meinst du?“ „Ragrid der Erbe Sifferins? Nein, niemals. Falls er etwas mit der Kammer zu tun hat, dann nur aus Liebe zu seinen Monstern, ähm, gefährlichen Tieren. Oder, weil er betrunken irgendwo drauf getreten ist, wo man besser nicht drauf getreten wäre.“ Vier Monate nach den Angriffen hatte sich die Lage beruhigt: Niemand erinnerte sich noch an John Shutter und dass Griffamtor mal über einen Hausgeist verfügte, galt inzwischen als Legende. Dass jemand Margaret Catcher an einem Faden aufhängte und eine Wand beschmierte, war für die Schüler sowieso nichts, was sie nicht auch tun würden und dass Terry recht eindeutig der Erbe Sifferins war - es gab Dinge, die man leicht verdrängen konnte. Die Dendriten sahen sich im Gewächshaus bereits Bruce Lee Filme an und befanden sich insofern schon in der Pubertät oder den späten 60ern. Bald würde man sie, wie Frau Wurzel verlauten ließ, für das Entfrieren der Opfer verwenden können. Dumm nur, dass sich die Osterferien näherten. An sich eine gute Sache, jedoch mussten die Zweitklässler zum ersten Mal Fächer für das nächste Schuljahr wählen und waren etwas gestresst von dem Gedanken, sich am Ende die falschen auszusuchen. „In Bayern gab es erst ab der Oberstufe was zu wählen“, meinte der Autor beleidigt. „Man hat so was wie dich wählen lassen?“ entgegnete Nietzsche schockiert. „Das ist wirklich wichtig. Es kann einen bedeutenden Teil unserer Zukunft beeinflussen!“ sagte Hermione, als sie sich mit Terry und Ron die Liste der neuen Fächer ansah. Mal wieder beim Frühstück. Der Beginn des Tages war nämlich gut als Metapher für etwas neues zu gebrauchen. „Wieso?“ fragte Ron. „Wenn wir jetzt ein falsches Fach wählen, können wir später nicht den Beruf ausüben, für den wir uns entscheiden.“ „Ist das nicht ein bisschen hart? Ich meine - wir sind gerade erst 14. Da können wir doch noch nicht unser Leben geplant haben“, gab Ron zu bedenken. „Was sowieso Zeitverschwendung ist“, sagte Terry. „Ich würde nur die wichtigsten Dinge ganz grob planen, wenn es denn sein muss. Unvorhersehbarkeiten würden mir sonst einen Strich durch die Rechnung machen. Ich könnte zum Beispiel im Knast landen, weil ich zu viele Sifferins gekillt hab'. Und schon wär's das mit meinem Traumjob.“ „Was ist denn dein Traumjob?“ fragte Ron. -98-
„Sifferins umbringen“, erwiderte Terry. Hermione schnappte sich noch ein Croissant, denn solche Dinge tut man beim Frühstück. Früher hatte jenes Gebäckstück noch den Namen „Hörnchen“ getragen. Als Frankreich mit seinen Atomtests begann, wurde man sprachlich flexibler. „Also ich möchte auf jeden Fall Giftkunde streichen“, stellte Ron fest. „Ihr behaltet aber eure alten Fächer“, gab der Autor zu bedenken. „Warum?“ fragte Ron. „Weil ich nicht weiß, ob die Leser auf eines verzichten möchten. Vielleicht hat ihnen ja gerade Giftkunde so gut gefallen und wenn ich es weglasse, lesen nur noch halb so viele Leute meine Bücher.“ „Entspricht das der offiziellen Begründung des Ministeriums?“ hakte Terry nach, doch der Autor hatte bereits mit ein paar Keksen in den Händen das Weite gesucht. „Ich frage mich, ob ich lieber Arithmomanik oder Alte Runen nehmen soll“, überlegte Hermione laut. „Nimm Alte Runen. Das ist wenigstens eine Wissenschaft“, riet Terry. „Wenn auch eine langweilige und uninteressante.“ „Es gehört aber auch praktische Anwendung dazu“, erläuterte Hermione. „Du meinst Runen schreiben?“ „Ja - und zwar auf eine Art und Weise, die ihre magischen Kräfte freisetzt.“ „Die magischen Kräfte eines überholten Zeichensystems!?“ „Du vergisst, dass du nicht mehr in der Muggelwelt bist.“ „Genau“, ergänzte Ron. „Hier funktioniert das alles wirklich. Mit Runen kann man zum Beispiel Geister beschwören oder Räume magisch abdichten.“ „Demnach stimmen die Thesen der Arithmomantik auch?“ fragte Terry erstaunt. „Also dass es Zahlen mit höherer, mystischer Bedeutung gibt?“ „Hier stimmten sie auch - ja“, ergänzte Terrys Freundin. Er überflog derweil die Liste. „Wahrsagerei!? Hier ist sogar Wahrsagerei mehr als eine Zirkusattraktion?“ „Naja. Sie ist sehr umstritten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der größte Teil der Hellseher, beziehungsweise Wahrsager, Betrüger sind - oder Leute, die sich etwas eingeredet haben. Wobei die Zauberer mit wahrem Talent in diesem Bereich eher Seher und selten Wahrsager sind. Denn meist lohnt es sich, solche Vorahnungen für sich zu behalten. Zum Beispiel, wenn es die Lottozahlen von nächster Woche betrifft.“ „Also der eine Aberglaube funktioniert in dieser Dimension und der andere nicht“, stellte Terry fest. „Warum auch immer.“ „Vielleicht wäre ja Muggelkunde etwas für dich“, schlug Hermione vor. „Da musst du nicht viel tun und bekommst trotzdem ständig Einser.“ „Das ist doch bei allen Fächern so“, erwiderte Terry. „Oder Pflege absurder Geschöpfe. Da ist man viel draußen und kann nicht so leicht als Versuchskaninchen missbraucht werden“, schlug Ron vor. „Ja, stattdessen wird man von wilden Bestien gefressen“, sagte Terry. Aber letztendlich nahm er die selben Fächer wie Ron. Oder besser gesagt: Er warf seinen Fächerbogen trotz Androhung von Strafe in den Müll und Ron fischte ihn wieder heraus, um ihn für seinen Freund auszufüllen. Nach dem ersten Jahr in Rowlingstone hätte man ja annehmen können, dort gebe es gar keine Mülleimer. Tatsächlich lag die Wahrheit nur unter einer Schicht aus Offensichtlichkeit verborgen. Terry hatte es sich leicht gemacht und einfach „Müll!“ gerufen, unter gnadenloser Erwartung, dass sich das Problem darauf von selbst lösen würde. Und wahrhaftig: Kaum ausgesprochen erschien ein entsprechendes Behältnis auf der Bildfläche. Es verfügte sogar über drollige -99-
Beinchen aus Holz, reich an der Zahl und unauffällig in der Erscheinung. Sie vermochten die quadratische und hilfsbereit lächelnde Entsorgungsstation, selbst aus bescheidenem Kirschbaumholz gefertigt, problemlos zu befördern. Betrachtete man sich manche Böden der Schule, mochte man sich allerdings fragen, wer außer Terry sonst noch über die magischen Mülleimer Bescheid wusste. Die Antwort auf diese Frage bewahrte auch den Grund für die verzweifelte Freundlichkeit Filzes in sich auf. Selber Tag, nur später: Gerade als Terry anfing, wieder gut gelaunt zu sein, begegnete er Thomas Tropf im Gemeinschaftsraum. Selbst nichts schlimmes, war er doch dessen Vorbote: „Terry - Ich weiß nicht, wer das getan hat. Ich bin selbst gerade erst hier ...“ Der Junge mit der neckischen Narbe riss hastig die Tür zum Griffamtor-Schlafsaal auf und fand eine heere Verwüstung vor: Der Inhalt seiner diamantverzierten Goldtruhe war überall im Raum verstreut worden. Seine seidene Bettwäsche lag aufgeschlitzt auf dem Boden vor seinem Himmelbett. Als ihm herausgerissene Seiten von „Aufgeschnappt aber Wissenswert“ entgegenflogen, lächelte er noch. Doch dann entdeckte er es: Jemand hatte seinen schwarzen Kurzmantel aufgeschlitzt! Und außerdem war Rätsels Tagebuch verschwunden. Aus dem heiterem Himmel der Sensationsgier kamen Ron, Frank, Al und Joe hereingeschneit. „Was ist denn hier passiert?“ fragte Ron entsetzt. „Geht es dem Snowboard gut?“ wollte Al sofort wissen und das Frank/Joe-Duett begnügte sich mit dem Kommentar: „Wilde Nacht gestern, was Terry?“ „Wer tut so etwas nur?“ fragte Terry entsetzt. „Wer ist nur so grausam, so unmenschlich, so lebensmüde und schlitzt meinen Mantel auf!?“ „Ist das Tagebuch noch da?“ wollte Ron wissen. „Hm? Oh, Marlboros Buch. Nein, das hat irgendwer mitgehen lassen. Mein schöner Mantel!“ Die Anwesenden schleppten Terrys betrübten Körper nach unten in den Gemeinschaftsraum und setzen ihn auf seinen roten Sessel. Eigentlich war es nicht wirklich sein Sessel, aber niemand wagte es, sich dort hineinzusetzen, wenn Terry anwesend war. Hermione legte „Abgeschriebene Geschichte“ beiseite und fragte Ron, was denn geschehen sei. Er berichtete von dem gestohlenen Buch (und fing einen bösartigen Blick von Terry ein, weil er dessen Mantel nicht einmal erwähnte), woraufhin Hermione feststellte: „Aber – nur ein Griffamtor hätte es stehlen können ... Niemand sonst kennt das Passwort ...“ „Du sagst es“, schloss Ron. Der nächste Tag brach an. Das große Quititsch-Turnier Griffamtor gegen Haferschleim bestimmte die Konversationen der Schüler. Angeblich war es diesmal ein besonders wichtiges Spiel, bei dem es um alles oder nichts ging. Die wenigsten erinnerten sich an ihre Kommentare zu den vorangegangenen Wettbewerben, die eine frappierende Ähnlichkeit mit den aktuellen aufwiesen. Im Prinzip war jedes Quititsch-Spiel unglaublich wichtig und es ging immer um alles oder nichts. „Aufstehen, Terry!“ schrie Ron. „Heute ist das große Turnier gegen Haferschleim! Es geht um alles oder nichts!“ „Wen interessiert's? Das sagst du doch jedes mal. Lass mich zufrieden“, lallte Terry schlaftrunken. „Es interessiert jeden bis auf dich! Und du bist Schnapper, unser wichtigster Mann!“ -100-
„Herrgott Sakrament. Dann stehe ich halt auf!“ seufzte der wichtigste Spieler Griffamtors und erhob sich langsam aus seinem oberflächlich wiederhergestellten Bett. „Herrgott? Wer ist das?“ wollte Ron wissen. „Eine gute Frage“, meinte Terry, wobei er Zustimmung von Nietzsche erhielt. Der Junge zog seine Sachen an und nahm sein Snowboard aus der Truhe. Als er sich nach dem Frühstück mit Ron und Hermione auf den Weg zum Stadion machte, hörte er auf einmal wieder eine vertraute Stimme: „Töten ... vernichten ... zerstören ... und zwar in Bezug auf alle Pseudoblüter. Und diesmal meine ich es ernst!“ „Hallo Stimme“, antwortete Terry. „Wie läuft's?“ „Ganz gut soweit. Äh, ich meine: Töten ... vernichten ... zerstören. Und so weiter, du weißt schon.“ „Mit wem redest du da, Terry?“ fragte Ron. „Mit der geheimnisvollen Stimme in der Wand. Demnach hört ihr sie also nicht!? Habt ihr Glück - die nervt allmählich.“ Hermione schnippte mit den Fingern und sagte: „Das ist es! Mir ist gerade etwas eingefallen, ich muss es sofort in der Bibliothek nachschlagen! Bin gleich zurück!“ „Aber was ist mit dem Turnier gegen Haferschleim? Das ist diesmal besonders bedeutend!“ rief ihr Ron hinterher. „Das hier ist wichtiger!“ rief sie zurück und verschwand aus dem Sichtfeld der Beiden. „Was für so ziemlich alles gilt. Da siehst du, warum ich mit ihr zusammen bin. Dabei fällt mir ein: Ich wollte ja endlich mal meine Socken ordnen ...“ „Lass dir bloß nicht einfallen, auch noch zu verschwinden!“ forderte Ron. „Ist doch egal. Das Turnier wird ohnehin abgesagt“, erklärte Terry beiläufig. „Was? Wieso abgesagt?“ fragte Ron sofort. „Ich glaube, ich verstehe allmählich, wie diese Welt hier funktioniert“, begann Terry. „Im Gegensatz zur Muggeldimension, die im Prinzip sinnlos, unvorhersehbar und mäßig spannend ist, folgt eure Welt bestimmten Regeln narrativer Natur. Ragrid hat mir bereits einen Hinweis in dieser Richtung gegeben. Und eine dieser Regeln besagt: Es gab in diesem Jahr bereits ein ereignisreiches Quititsch-Turnier, also wird es kein weiteres geben, noch dazu, wo wir das Haferschleim-Team noch gar nicht kennen gelernt haben und sich so was nicht gut in die Action einbauen lässt. Außerdem wird es mal wieder Zeit für eine überraschende und dramatische Wendung, da es jetzt schon seit einer ganzen Weile ziemlich ruhig ist. Und ich kann nur hoffen, dass sie nichts mit Hermione zu tun haben wird.“ Im Stadion war schon allerhand los. Al drehte bereits ein paar Proberunden – genauer gesagt schon seit drei Stunden – und das gegnerische Team widmete sich einer letzten strategischen Besprechung – mit welcher Al schon seit drei Stunden und zwei Minuten fertig war. Schließlich begaben sich die Spieler in ihre Mannschaftskabinen, obgleich sie schon lange umgezogen waren. Doch die Dramaturgie verlangte es, dass sie mit großem Trara in das Spielfeld einmarschierten. Auf halben Weg in die Kabinen nahm Terry reißaus und lief zu Ron, der in der ersten Reihe saß und seinen Freund mondkalbmäßig anglotzte. „Noch zehn Sekunden“, sagte der wichtigste Spieler seines Hauses. „Noch zehn Sekunden bis was?“ fragte Ron entsetzt. Plötzlich erschien McGonekel auf der Griffamtor-Tribüne. Sie hielt Jordans -101-
Knochophon in der Hand. Terry begann zu zählen: „Drei ... zwei ... eins ...“ „Dieses Turnier wurde gestrichen!“ erschall die Stimme der strengen Lehrkraft über das Stadion. Normalerweise neigten die Menschen dazu, sofort Erklärungen einzufordern und nie einfach nur zu akzeptieren, was man ihnen gesagt hatte - zumindest forderte das ihre Natur, während die auch in der Magiewelt vorherrschende freie Marktwirtschaft diese Neigung höflich unterdrückte. Doch wenn McGonekel etwas sagte, so war es weniger Befehl als Feststellung, etwa wie: „Es regnet.“ Kaum einer wäre jemals auf die Idee gekommen, ihr zu widersprechen. Natürlich wurde das Turnier gestrichen, war doch das Natürlichste auf der Welt. Hätte McGonekel es nicht explizit erwähnt - nach kurzer Zeit wäre es ohnehin jedem aufgefallen. Mit einer Ausnahme: „Was, gestrichen?“ schrie Al entsetzt. „Aber wir müssen doch spielen! Heute ist Quititisch! Ein Turnier! Das wichtigste Turnier aller Zeiten! Wir müssen spielen!“ Sportfanatismus hieß nicht ohne Grund Fanatismus. Für einen wahren Quititschfan gab es nichts anderes auf der Welt. Und es mangelte ja wirklich an Angeboten, die ein positives Gemeinschaftsgefühl boten und trotzdem etwas bedeuteten. Auf der Verleihung des Merlin-Preises für Arithmomanik ging es traditionell eher ruhig zu und sich einer revolutionären Bewegung in einem Entstehungsland* anzuschließen, war meist eine aufwändige und wenig luxuriöse Angelegenheit. Silenzia überhörte Als Einwände und fuhr mit ihren Ausführungen fort: „Alle Schüler begeben sich bitte sofort in ihre Gemeinschaftsräume zurück. Ihr werdet von euren jeweiligen Vertrauensschülern in Kürze weitere Informationen erhalten.“ Al fiel in Ohnmacht und musste von anderen Griffamtors getragen werden. Derweil begab sich McGonekel zu Terry und Ron, um sie auf Folgendes hinzuweisen: „Rotter, Grievly - Sie beide kommen besser mit.“ Doch diesmal wurden sie nicht in irgendein Büro gebracht und auch nicht zu Strafen verdonnert. Terry hatte schon befürchtet, dass ihn nun McGonekel zu den Erziehungsmaßnahmen zwingen wollte, die ihm Snake seit zwei Jahren ununterbrochen aufbürdete - und die er bislang ignoriert hatte und ihnen zum Trotz stets dem Unterricht ferngeblieben war. Nein, sie gingen schnurstracks zum Krankenflügel. Ron fiel unwillkürlich etwas ein, das sich auf Terrys neue Vorahnungsfähigkeit bezog: „Sag mal: Wenn du jetzt alles vorhersehen kannst, warum wusstest du dann nicht, wo uns McGonekel hinführt? Und warum warst du dir nicht sicher, welche Fächer du für nächstes Jahr aussuchen sollst?“ „Du hast mich missverstanden, Ron“, erklärte Terry. „Ich kann nicht alles vorhersehen, ich erkenne nur allmählich die Gesetze, denen diese Dimension gehorcht. Ein Naturwissenschaftler kennt zum Beispiel die Regeln der Muggelwelt und kann trotzdem nicht hellsehen. Aber bestimmte Tendenzen lassen sich durch logisches Denken erkennen. Momentan befürchte ich, dass irgendeine halbwegs wichtige Person angegriffen worden ist. Wahrscheinlich noch * Zauberer waren ziemlich konsequent, was die Einordung anderer Völker und Geschöpfe betraf. Waren sie intelligent (oder dumm) genug, sich zur Gründung einer Nation zu entschließen, so erkannte man diese noch lange nicht als solche an. Dazu gehörte schon etwas mehr, zum Beispiel der Besitz von Massenvernichtungswaffen.
-102-
eine weitere, die niemanden sonderlich kümmert, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen.“ McGonekel hatte Terry nicht zugehört. Sie legte die Hand um die Klinke der Tür und sagte in einem ungewöhnlich freundlichen Tonfall: „Das wird bestimmt ein großer Schock für euch sein. Es hat einen neuen Angriff gegeben.“ Ron flüsterte Terry zu: „Knapp daneben.“ Doch Silenzia ergänzte „Sogar einen doppelten Angriff“ und öffnete die Tür. In einer Mischung aus rechthaberischer Genugtuung und blankem Entsetzen erblickte Terry seine Freundin auf einem Krankenbett. Auf demjenigen neben ihr lag Colin McRae, aber das kümmerte ohnehin niemanden. Beide waren von einer dünnen Eisschicht eingeschlossen und bewegten sich nicht. An Ron gewandt sagte Terry: „Das war eindeutig ein Opfer zu viel. Wäre ich das Monster, würde ich mir jetzt wünschen, nie geboren, genetisch erschaffen oder durch Magie in die Welt gesetzt worden zu sein.“ „Sie wurde in der Nähe der Bibliothek gefunden“, erklärte McGonekel. „Das hier lag neben ihr.“ Sie zeigte den beiden einen Handspiegel. „Ich nehme an, ihr wisst auch nicht, was geschehen sein könnte?“ Als Terry und Ron nicht antworteten, sagte sie: „Ich begleite euch zurück zum Griffamtor-Turm. Ich werde mich ohnehin an die Schüler wenden müssen. Rowlingstone ist kein sicherer Ort mehr.“
-103-
Kapitel 14.5: Kornwallace Pfusch McGonekel stand mit einem Sofortmaßnahmenkatalog in den Händen vor den Griffamtors in deren Gemeinschaftsraum. Natürlich hätte sie auch einfach das Schallsprungsystem verwenden können, aber sie tat es nicht. Sie klang sehr überzeugend, als sie sagte: „Alle Schüler werden um sechs Uhr abends zu ihrem Gemeinschaftsraum zurückkehren und ihr Domizil danach nicht mehr verlassen. Eine Lehrkraft wird euch zu euren Fächern bringen. Kein Schüler darf mehr auf die Toilette gehen, wenn keine Lehrkraft anwesend ist, um ihn dorthin zu begleiten. Alle Quititsch-Aktivitäten und Abendveranstaltungen werden gestrichen. Desweiteren wird eine flächendeckende Kuckisüberwachung in Rowlingstone installiert werden. Alle Schüler werden zukünftig anhand ihrer aurischen* Daten identifiziert. Der Zugriff auf das magische Netzwerk wird erheblich eingeschränkt. Die Schülerzeitung unterliegt ab sofort der Kontrolle eines Gremiums von Oberlehrern.“ „Machen Sie sich nicht die Mühe, auch noch Wahlen und Parteibildung zu verbieten“, kommentierte Terry. „Es gibt hier sowieso keine.“ „Damit macht man keine Witze, Mr. Rotter. Es ist zu befürchten, dass die Schule geschlossen wird, sollte nicht bald der Schuldige gefunden werden.“ „Der Schuldige oder ein Sündenbock wie letztes Mal?“ wollte Terry wissen. „Ich habe auch nie an Ragrids Schuld geglaubt, Mr. Rotter. Aber wir haben das nicht zu entscheiden. Also: Sollte irgendjemand von Ihnen auf einen Hinweis stoßen, erbitte ich sofortige Meldung bei einer Lehrkraft. Ich wünsche Ihnen allen eine gute Nacht.“ Mit diesen Worten verschwand Silenzia durch die Rückseite des Porträts nach draußen. „Und wieder ein paar Regeln, an die ich mich sowieso nicht halten werde“, meinte Terry. „Ich frage mich, wieso ich überhaupt zugehört habe.“ „Das wären dann drei Griffamtors, unser Geist und Filzes Haustier“, stellte Frank fest. „Es muss also jemand sein, der etwas gegen uns hat und außerdem unter einer Katzenhaarallergie leidet“. „Ist es nicht offensichtlich“, meinte Rons Bruder Alec, „... dass sich alle anderen Schüler gegen uns verschworen haben, weil sie eifersüchtig darauf sind, dass ich ein Griffamtor bin und kein Schüler ihrer Häuser? Jetzt gehen sie sogar schon so weit, die fragwürdige Kammer zu öffnen und uns ihr Monster an den Hals zu hetzen!“ „Halt die Klappe, Alec“, sagte Ron. Wenn die Schule geschlossen würde, dann müsste Terry ja noch viele Jahre bei den Thorsleys leben! Er wusste nun genau, wie sich Rätsel damals gefühlt haben musste, als es hieß: Rowlingstone oder Waisenhaus. Aber das war eigentlich nicht so dramatisch, schließlich konnte Terry immer noch das Ministerium für Aberglauben in die Luft sprengen, falls sie auf die Idee kommen sollten, die Schule zu schließen. „Hermiones letzter Vorschlag“, sagte Terry. „Wir sollten ihn befolgen.“ „Welcher war das doch gleich?“ erkundigte sich Ron. „Sie meinte, wir sollten mit demjenigen reden, der die Kammer das letzte Mal geöffnet hatte. Aus Ermangelung einer solchen Person könnten wir einfach * Zauberer waren ummantelt von einer unsichtbaren magischen Hülle, der „Aura“. Leider konnte man mit ihrer Hilfe nur die Identität eines Magiers feststellen. Sie gestattete keinen Einblick in die Stärke seiner Macht, die Ausrichtung seiner Kräfte oder in seine Kochfertigkeiten.
-104-
mal mit Ragrid sprechen. Der hatte zumindest indirekt etwas mit der Sache zu tun. Und wo wir gerade dabei sind, wäre es auch nicht schlecht, wenn wir seine Unschuld beweisen könnten. Ich glaube nämlich, dass ihn große Schwierigkeiten erwarten ...“ Ron entschied sich, flüsternd einen Vorschlag zu unterbreiten: „Wir könnten die Unsichtbarkeits-Joints verwenden, um ungeachtet aus der Schule zu schleichen ...“ „Ich weiß nicht. Die Dinger haben gewisse Nachteile, die unsere Nachforschungen erschweren könnten“, meinte Terry. „Aber wie sollen wir sonst hier raus kommen?“ „Wir gehen einfach. Wenn uns jemand aufhalten will, gibt’s auf die Fresse!“ „Ich wünschte, Hermione wäre hier, um dir das auszureden.“ „Ich wünschte, Hermione wäre hier, um mit mir zu schlafen“, sagte Terry. „Aber da sie das nicht ist ...“ Und doch: Ein von der Psychologie gänzlich unterschätzter Effekt trat ein das Abwesende-Freundin-Syndrom. Es zeichnete sich dadurch aus, dass der Patient nicht mehr dazu in der Lage war, so zu handeln, als wäre der Partner nicht anwesend, auch wenn das den Tatsachen entsprach. Es handelte sich im Prinzip um eine Mischung aus Verfolgungswahn, Schizophrenie und Borderline-Syndrom*. Mit dem Unterschied, dass es völlig normal war. Konnte mit gegenseitigem Respekt verwechselt werden. „Mist“, stellte Terry fest. „Ich höre Hermiones Einwände in meinem Kopf. Na gut, nehmen wir die blöden Joints!“ Der Marsch bis zum Ausgang war kein großer Spaß. Überall befanden sich Lehrer und Geister auf Patrouille, um die Gänge zu überwachen. Wo versteckte sich das Monster, wenn man es einmal brauchte? Noch dazu traten immer häufiger Halluzinationen und Orientierungslosigkeit auf. Ron hatte schon zweimal einen rosafarbenen Elefanten nach dem Weg fragen müssen. Noch beunruhigender vielleicht, dass er sogar geantwortet hatte. Auf dem Weg über die Wiese blieb Terry plötzlich stehen und fragte: „Moment mal. Was ist eigentlich der entscheidende Wirkstoff in diesen Unsichtbarkeits-Joints?“ Ron kehrte um und ging ein paar Meter zurück zu seinem Freund und Schutzpatron Terry. „THC, nicht wahr?“ „Du denkst zu sehr wie ein Hippie“, stellte Terry fest. „Ich meinte: Welcher Wirkstoff bewirkt die Unsichtbarkeit?“ „Keine Ahnung“, meinte Ron. „Aber ich glaube, ich weiß, worauf du hinaus willst: THC ist es nicht.“ „Du sagst es. Wenn wir diese Substanz aus den Joints entfernen würden, hätten sie immer noch die Wirkung, uns unsichtbar zu machen, jedoch nicht mehr die für Spionageeinsätze höchst unpraktischen Nebenwirkungen.“ „Aber mit welchem Spruch geht das?“ fragte Ron. „Hm. Ich weiß es nicht. Aber ich bin sicher, dass uns dieses Kamel da drüben weiterhelfen kann.“ Terry ging ein paar Meter weiter und führte eine kurze Unterhaltung mit einem Busch. Dann kam er zurück. „Es ist eigentlich ganz einfach“, erklärte er und nahm die Packung Joints in * Das Gegenteil von Bindungsängsten. Der Eindruck, keine Sekunde mehr ohne seinen Partner leben zu können. Symptome: Panikattacken, übertriebene Anhänglichkeit und das Ich-geh-nurshoppen-wenn-du-mitkommst-Symptom. Kann einem ziemlich auf die Nerven gehen. Spart andererseits eine Menge Geld.
-105-
eine Hand. Mit der anderen richtete er seinen Zauberstab darauf. Er klopfte dreimal auf das Behältnis und sprach: „Verschwinde: THC!“ Kleine gelbe Sternchen und das obligatorische Glöckchengebimmel umhüllten die Packung. „Das wäre wirklich klasse, wenn das funktioniert hätte“, meinte Ron. „Zumindest für bestimmte Situationen.“ „Aber das reicht noch nicht ganz“, sagte Terry. „Bist ja ganz schön anspruchsvoll.“ „Nun. Es wäre schon praktisch, jetzt wieder clean zu werden. Diese Mohnblumen da hinten befinden sich nämlich im Tiefflug und kommen direkt auf uns zu.“ „Wie wäre es mit einem Kaffee?“ schlug Ron vor. „Nein, das funktioniert nicht. Zwar reden sich die Leute in der Muggel-Welt immer ein, Kaffee hebe die Wirkung beliebiger Drogen sofort auf, aber das ist ein ziemlicher Käse, wenn du mich fragst.“ „Aber wir sind hier nicht in der Muggel-Welt.“ „Na schön“, meinte Terry. „Manifesto frischgebrühter Kaffee aus Südamerika in zwei formschönen Tassen!“ Einen Schwung mit dem Zauberstab später hielten die Beiden je ein koffeinhaltiges Heißgetränk feinster Qualität in den Händen und ließen sich kurz Zeit, ihn zu genießen. „Das Kamel ist schon mal weg. So weit, so gut“, sagte Terry. „Obwohl es eigentlich ganz hilfreich war ... Ich schlage vor, wir riskieren es. Lass uns gehen!“ Endlich erreichten sie Ragrids Flasche, respektive Hütte. Der Magiernachwuchs löschte die Joints und nach etwa zehn Sekunden waren die Beiden wieder sichtbar. Ron klopfte an die Tür. Unerwartet wie ein Hecht im Bierglas stand Ragrid mit einer Minigun an der Schwelle. Hinter ihm hörte man das Fauchen von Scratch, seinem Tiger. „Oh“, sagte Ragrid, als er die Jungs erkannte und seine Minigun beiseite legte. „Was führt euch denn hierher?“ „Wozu brauchst du diese Waffe?“ erschrak Ron. „Eben. Willst du sie nicht lieber mir geben?“ fragte Terry. „Ach, die brauche ich für etwas Bestimmtes, aber ich verrate euch nicht, wofür. Und glaubt nicht, dass diese Frage im Verlaufe des Romans noch beantwortet wird. Kommt doch herein, ich mache euch Tee!“ Terry und Ron setzten sich an den Holztisch in der Mitte der Hütte, während Rubeus Tee kochte und Kuchen backte. Er brachte ein paar Dinge durcheinander - letztlich entstanden mit Rum gefüllte Schokokuchen und Rumtee. Jedoch war das für Ragrids junge Freunde kein Grund zur Klage. Gerade als Terry den Rumkuchen probieren wollte, klopfte es laut an der Tür. „Schnell, versteckt euch!“ flüsterte Rubeus. Die Jungs zündeten ihre Joints an und versteckten sich in der Ecke des Raums, die sich neben der Tür befand. Da Ragrids Hütte rundlich war, handelte es sich nicht wirklich um eine Ecke, aber sie standen dort trotzdem ganz gut. Rubeus nahm seine Minigun und öffnete. „Guten Abend, Ragrid“, erklang Gandalfs Stimme. Letzter betrat die Hütte. Sein Gesichtsausdruck war Besorgnis erregend ernst und ungewöhnlich clean. Ein Mann, den Terry nicht kannte, folgte ihm. Er trug einen blauen Seidenumhang mit weißen Sternchen darauf und einen -106-
spitzen Hut mit genau dem selben Motiv. Nur seine braunen Lederstiefel wichen vom Konzept ab. Andererseits trügen sie nun ohnehin diese Farbe, denn wie die Beiden feststellten, regnete es draußen und Schlamm breitete sich vor der Hütte aus. Des Mannes Pullover und seine Hose waren schwarz. Davon abgesehen sah der Mann ziemlich genau so aus wie Josef Stalin, was natürlich nur Terry bemerkte. „Das ist Dad's Boss!“ flüsterte Ron. „Der Zaubereiminister Kornwallace Pfusch!“ Im Prinzip meinte dieser Umstand, dass Karls Chef mehr verdiente, dafür aber auch weniger arbeitete als Mr. Grievly. Legenden rühmten vergangene Zaubereiminister. Und Legenden konnten sehr mächtig sein, weshalb man den aktuellen Minister nur selten kritisierte und einfach davon ausging, dass dieser selbst einmal zur Legende werden würde. Nicht wenige Magier im Ministerium freuten sich auf diesen Tag. „Es gehen üble Dinge vor sich, Ragrid - ganz üble Dinge!“ sagte Kornwallace. „Ich musste kommen. Drei Angriffe auf Muggelgeborene bis heute. Das Ministerium muss handeln!“ „Ich würde niemals ...“ versicherte Rubeus. „Professor Gandalf, Sie wissen, dass ich niemals ...“ „Ich möchte darauf hinweisen“, meinte Gandalf. „... dass Ragrid mein vollstes Vertrauen genießt. Und das hängt durchaus nicht nur mit seinen regelmäßigen Geschenkkörben zusammen!“ „Aber sehen Sie denn nicht, in welcher Situation sich das Ministerium befindet?“ fragte Pfusch. „Wir müssen angesichts der Angriffe irgend jemanden festnehmen. Und wer wäre dafür besser geeignet, als eine Person, die angeblich schon einmal die Kammer öffnete?“ „Aber das habe ich nicht!“ protestierte Ragrid. „Das ist nicht relevant“, stellte Kornwallace fest. „Die Leute wollen, dass jemand verhaftet wird.“ „Nochmals möchte ich Sie darauf hinweisen, dass Ragrids Festnahme nicht das Geringste verändern würde. Die Angriffe würden dennoch weitergehen!“ Gandalf fuchtelte mit seiner Faust und blickte grimmig drein. Terry hatte ihn noch nie wütend gesehen. Andererseits war das auch kein Wunder, da sein Drogenkonsum das für gewöhnlich verhinderte. „Ich stehe unter gewaltigem Druck“, erklärte Pfusch. „Wir müssen wenigstens so tun, als hätten wir die Situation unter Kontrolle. Sonst kommen die Leute noch auf die Idee, vielleicht gar keine Regierung zu brauchen. Aber machen Sie sich keine Sorgen, alter Freund: Sollte sich Ragrid als unschuldig erweisen, und davon gehe ich aus, dann ist er schneller frei, als Sie Machtmissbrauch aus Inkompetenz sagen können. Aber nun ist es erstmal meine Pflicht, ihn mitzunehmen.“ „Mitzunehmen?“ erschrak Rubeus. „Aber doch nicht nach Achterbahn, oder?“ „Sobald es ein weiteres Opfer gibt, kommst du sofort wieder frei, Ragrid“, versuchte ihn Kornwallace zu beruhigen. „Ich bin das weitere Opfer!“ schrie Rubeus. „Das hättest du wohl gerne“, meinte Pfusch. Auf einmal klopfte wieder jemand an die Tür. Und es handelte sich um eine Person, die keinerlei Respekt vor den Türen anderer Leute besaß, selbst wenn sie aus feinstem Sapelli-Mahagoni (Westafrika) geschnitzt waren. Ohne abzuwarten, bis jemand öffnete, stürmte Luzifer Efeu die Hütte. Sein weißes Haar glänzte im Lichte Rubeus kerzenhafter Innenbeleuchtung. Seine schwarzen Klamotten standen ihm gut. Aber das taten schwarze Klamotten aus Prinzip. Auf seinem T-Shirt stand mit roter Schrift Ich esse kleine Kinder geschrieben. -107-
Scratch wies darauf hin, seit heute Morgen noch nichts gefressen zu haben und erkannte die passende Gelegenheit. Zu seinem sichtbaren Bedauern hielt ihn Ragrid zurück. „Sie sind bereits eingetroffen, wie ich sehe“, sagte Luzifer. „Meine vollste Anerkennung dafür, Mr. Pfusch.“ „Ja, ich konnte ganz ohne Ihre Hilfe hierher laufen, Mr. Efeu“, meinte Kornwallace. „Raus aus meinem Haus!“ forderte Ragrid. „Glauben Sie mir“, entgegnete Luzifer. „Ich empfinde nicht das geringste Vergnügen dabei, mich in ihrem sogenannten „Haus“ aufzuhalten. Aber man sagte mir, dass der Schulleiter hier anzutreffen sei. Und dass Sie über eine gewaltige Rumsammlung verfügen. Obgleich ich weder danach gefragt hatte, noch in diesem Moment jener Tatsache meine Aufmerksamkeit schenken konnte.“ „Und was genau wollen Sie von mir?“ wollte Gandalf wissen und fügte hinzu: „... Sie durch Inzucht entstandenes Überbleibsel einer traditionell faschistoiden Familie?“ Er sprach noch immer höflich, doch Terry konnte nach wie vor den Zorn des Rektors in dessen Augen erkennen. „Eine unschöne Angelegenheit“, gähnte Efeu. „Aber so wie es aussieht, fordert das bayerische Kultusministerium* einstimmig Ihren Rücktritt. Dies hier ist ein Rücktrittsgesuch - Sie finden alle möglichen Unterschriften darauf. Einige davon auch von den zuständigen Ministern. Ich befürchte, dass wir zum Schluss gelangt sind, dass Sie nicht schnell genug auf die aktuellen Unannehmlichkeiten reagiert haben. Wie viele Angriffe gab es jetzt schon? Zwei neue allein heute Nachmittag, wenn ich nicht irre. Blieben Sie im Amt, so gäbe es in Rowlingstone bald keine Muggel-Geborenen mehr. Und wir sind uns natürlich alle darüber im Klaren, dass das hocherfreulich wäre. Ähm - das wäre ein schrecklicher Verlust, wollte ich natürlich sagen.“ „Nein, der Rücktritt Gandalfs kann momentan nicht im Interesse des Ministeriums liegen“, meinte Pfusch besorgt. „Das ist eine Sache der bayerischen Kultusminister und nicht des Ministeriums für Aberglauben“, stellte Efeu fest. „Und da der Schulleiter nicht in der Lage war, die Angriffe zu stoppen ...“ „Und wen halten Sie für geeignet, die Angriffe zu stoppen, Mr. Efeu?“ unterbrach ihn Pfusch. „Diese Frage wird noch früh genug beantwortet werden“, entgegnete Luzifer. „Aber da alle möglichen Leute unterschrieben haben ...“ Ragrid stampfte auf den Boden und brüllte: „Und wie viele von ihnen mussten Sie bedrohen oder erpressen, damit sie unterzeichneten? Wie viele, Efeu?“ „Also bitte. Die bayerischen Kultusminister waren schon für weitaus gravierendere Dinge verantwortlich. Denken Sie nur an das achtstufige Gymnasium! Außerdem glaube ich, dass Sie ihr ungezügeltes Temperament noch einmal in große Schwierigkeiten bringen wird, Mr. Ragrid. Ich möchte Ihnen den Ratschlag erteilen, niemals so mit den Wächtern von Achterbahn zu reden. Die werden das gar nicht gut leiden können.“ „Nehmen Sie Gandalf mit und es wird noch viel mehr Opfer geben! Und bald werden Völkermorde folgen!“ brüllte Rubeus. „Das will ich doch schwer hoffen“, murmelte Efeu, unhörbar für die anderen. * Wenn irgendetwas an einem beliebigen Ort auf der Welt in Punkto Schulsystem schief lief, so konnte man davon ausgehen, dass das bayerische Kultusministerium dafür verantwortlich war. Und wahrhaftig trafen sich dessen führende Mitglieder regelmäßig im Ministerium für Aberglauben, um den Erhalt mittelalterlicher Verhältnisse in den Magieschulen zu garantieren.
-108-
„Beruhige dich, Ragrid“, sagte Gandalf in gemäßigtem Tonfall, während er Luzifer scharf in die Augen sah. „Wenn die bayerischen Kultusminister fordern, dass ich zurücktrete, dann werde ich das selbstverständlich tun.“ „Nein!“ schrie Ragrid. „Aber ...“, wandte Kornwallace ein. „Alle denkbaren Schulleiter sind noch viel unfähiger als Gandalf!“ „Wie dem auch sei ...“, erklärte der Rote laut und deutlich. „Sie werden feststellen, dass ich diese Schule erst dann wirklich verlassen haben werde, wenn meine Cannabispflanzen vertrocknet sind. Und Sie werden außerdem feststellen, dass jeder, der in Rowlingstone nach Hilfe sucht, diese auch erhalten wird.“ In diesem Moment hatte Terry den Eindruck, dass der ehemalige Direktor ganz genau in seine und Rons Richtung blickte. Wenn er keine Drogen nahm, konnte Gandalf offenbar recht helle sein. Nach einer Weile sagte Efeu: „Eine bemerkenswerte Haltung. Wir werden alle Ihren sehr – ähm – alternativen Weg vermissen, mit dem Sie die Schule geleitet haben, Professor, und ich kann nur hoffen, dass Ihr Nachfolger in der Lage sein wird, 'Völkermorde' zu verhindern.“ Luzifer öffnete die Tür und winkte Gandalf symbolisch nach draußen. Efeu folgte ihm und Kornwallace wartete, bis Ragrid sein Schlusswort losgeworden war: „Wenn irgend jemand irgend etwas herausfinden möchte, so muss er nur den Fröschen folgen. Sie werden ihn führen!“ „Wirklich?“ fragte Pfusch überrascht. „Dann sollte ich wohl öfters mal Fröschen hinterher laufen.“ Rubeus machte sich auf den Weg nach draußen. Als er die Tür erreichte, hielt er plötzlich inne und sagte: „Und jemand sollte Scratch füttern. Sifferins gibt es ja noch genug - Zwinka, Zwinka.“ Dann verschwand er nach draußen, doch Pfusch ließ es sich als Zaubereiminister nicht nehmen, die letzen Worte innerhalb von Ragrids Hütte zu sprechen: „Ob ich mich wohl auch von meiner Eigentums-Rumflasche verabschieden würde, wenn ich eine hätte? Naja, Selbstgespräche führe ich ja schon ...“ Als die Tür zuschlug, hörten Terry und Ron auf zu rauchen und wurden wieder sichtbar. „Jetzt stecken wir aber ordentlich in Schwierigkeiten“, meinte Ron. „Ohne Gandalf lebt sich's gefährlich in Rowlingstone. Bestimmt wird die Schule bald geschlossen. „Ach was“, sagte Terry. „Es gibt keine Probleme, die sich nicht durch angemessene Gewaltanwendung lösen ließen.“
So kam es, dass geheime Bonus-Kultusminister gewählt wurden, um den zusätzlichen Aufgaben nach eigener Definition nachkommen zu können.
-109-
Kapitel 15: Aragorn „Folge den Fröschen - das klingt fast schon philosophisch“, meinte Ron. „Ragrid ist kein sehr tiefschürfender Mensch“, sagte der Junge, der überlegte. „Falls er überhaupt ein Mensch ist - denke an seine gewaltige Größe und seinen Umfang. Ich glaube daher, Rubeus meinte das wörtlich.“ „Und welchen Fröschen speziell sollen wir folgen?“ „Hm. Am ersten Tatort, wo Filzes Katzenhund hing - da haben wir doch beobachtet, wie Grasfrösche die Schule hinunter sprangen, weißt du noch?“ „Ah ja, genau! Also hätten wir glatt selbst darauf kommen können, ihnen nachzulaufen, oder?“ „Hier passieren so viele sinnlose Dinge“, meinte Terry. „Da kann ja keiner ahnen, dass etwas davon noch wichtig sein könnte.“ „Schau mal da aus dem Fenster!“ rief Ron plötzlich. Neben den Kürbissen vor Ragrids Hütte konnte Terry ein Rudel Frösche erkennen. Komisch genug, denn Amphibien lebten für gewöhnlich nicht in Rudeln. Sie hüpften in Richtung verbotener Wald. „Alter Schwede“, stellte Terry fest. „Wie ungemein praktisch, dass die gerade jetzt auftauchen!“ „Wir sollten zur Sicherheit Scratch mitnehmen“, schlug Ron vor. „Was sagst du dazu, Sratch? Bist du dabei?“ fragte Terry den Tiger. „Lieber nicht“ antwortete Ragrids Haustier. „Ich glaube, ich mache stattdessen einen Abstecher in den Sifferin-Gemeinschaftsraum. Ich habe Hunger. Es sei denn, ihr braucht unbedingt meine Hilfe.“ „Nein, kein Problem“, sagte Terry. „Irgendjemand muss schließlich Sifferins töten, solange ich nicht da bin.“ Der Magiernachwuchs verließ die Eigentumsflasche und wandte sich den Fröschen zu. Terry holte seinen Zauberstab hervor und sagte „Licht!“ - mit naheliegendem Ergebnis. Doch Ron hatte Einwände: „Wenn man einen Verdächtigen verfolgt, dann sollte man das Licht aus - und nicht einschalten. Das weiß ich aus dem Muggel-Fernsehen.“ „Es ist nicht im eigentlichen Sinne möglich, etwas aus dem Muggel-Fernsehen zu wissen, Ron. Das ist eher eine Frage des Glaubens und diverser Kartelle. Außerdem gilt das nur beim Autofahren. Zumindest die mir bekannten Frösche haben nicht einmal ein Bewusstsein, das ihnen Misstrauen ermöglichen würde. Noch dazu finde ich es nützlich, etwas zu sehen, wenn ich in einem stockfinsteren Wald herum laufe.“ „Na gut, überredet. Wäre doch nur mein Zauberstab nicht zerbrochen ...“ Vorbei an einigen kahlen Nadelbäumen*, Dornenbüschen und allerlei exotischem Gewächs, erreichten die beiden Nachwuchszauberer eine unheilverkündende Stelle, an der die Frösche den befestigten Waldweg verließen. Ausgerechnet jetzt hörten sie von überall her ein gruseliges Flüstern. Lauschte man genauer, klang es nach: „Da treibt das Treibholz. Treib es fort. Treib es weg von diesem Ort. Treib es hin, war kein Gewinn. Ohnehin.“ „Die Freiwandler“, erklärte Terry. „Haben nicht alle Tassen im Schrank, wenn du mich fragst.“ „Und was jetzt?“ fragte Ron. * Ein eher ungewöhnliches Phänomen im frühen Sommer. Aber die Bäume wussten genau, wie sie Atmosphäre schaffen konnten.
-110-
„Hast du dich gegen Zecken impfen lassen?“ „Nein ...“ „Naja, macht nichts. Wahrscheinlich wirst du sowieso von weitaus größeren Ungeheuern gefressen. Ich schlage vor, wir gehen nun weiter, sonst verlieren wir noch den Anschluss an die Frösche.“ Hier im Dickicht konnten sie sich nicht mehr so schnell fortbewegen. Überall lagen Steine herum, auch Äste und Wurzeln erschwerten das Vorankommen. Dann und wann gesellten sich ein paar Knochen hinzu. Endlich trafen auch die seichten Nebelschwaden ein. Sie waren etwas spät dran, weil sie auf der A8 im Stau gestanden waren. „Wurde auch Zeit“, sagte Terry vorwurfsvoll zu ihnen. „Das finde ich gar nicht!“ wimmerte Ron. „Ich will weg, es ist hier so gruselig!“ „Bitteschön, du darfst meine Hand halten“, schlug Terry vor. „Nein, das finde ich ein bisschen komisch ...“, meinte Ron. „Ist doch kein Mensch da. Und du musst die Nerven behalten.“ Ron ergriff Terrys Hand und fühlte sich tatsächlich gleich viel besser. Das änderte sich schlagartig, als die Beiden plötzlich von einer Gruppe Totprügler umgeben waren, die sie auslachten. Ron ließ die Hand wieder los. „Klappe halten“, forderte Terry. „Sonst werfe ich das hier in den Sumpf.“ Er zeigte auf sein „Freund der Totprügler“-Armband. Die Totprügler hatten es Terry letztes Jahr geschenkt, nachdem der Junge Lord Himmler aus ihrem Dorf vertrieben hatte. „Du bist es!“ stellte einer von ihnen fest. „Terry! Können wir dir irgendwie helfen?“ „Ja, ihr könntet mir eine Frage beantworten: Wohin laufen die Frösche?“ „Ach, das kannst du ganz leicht herausfinden“, erwiderte der von einem bunten Federkleid bedeckte Ureinwohner. „Du musst ihnen nur hinterher laufen.“ „Danke“, sagte Terry, fügte murmelnd „ihr mich auch ...“ hinzu und heftete sich wieder an die metaphorischen Fersen der Frösche. Die Totprügler fuhren derweil mit Spurenlesen fort und taten allgemein Dinge, die Naturvölker eben so taten. Zum Beispiel richteten sie ihre Bögen beizeiten in eine bestimmte Richtung und schlichen sich mit fixiertem Blick an etwas heran. Dann ließen sie es doch lieber sein und tanzten um ein Lagerfeuer. Nach etwa einer halben Stunde dramatischer Ereignislosigkeit („Terry, es will mich fressen!“ - „Das ist ein Stein, Ron!“) erreichten die Jungs den Eingang einer große Höhle. Dort warteten sie und beobachteten die Frösche. Diese verschwanden im Inneren. Die beiden Nachwuchsmagier hörten ein wildes Fauchen, dann ein aggressives Kreischen. Aus der Höhle kamen Froschbeine geflogen. „Sehr gut“, meinte Terry. „Gut!? Was meinst du mit 'gut'!? Da sind bestimmt riesige Tiere drin, die mich fressen wollen!“ „Ja, aber immerhin haben wir endlich unseren Bestimmungsort erreicht.“ Terry wagte sich näher an die Höhle heran. Dann stolzierte er aufrecht hinein. Dort angekommen drückte er sich an eine Wand und schlich sich vorsichtig weiter. Nach einer Weile folgte ihm Ron. „Warte, warte doch auf mich!“ wimmerte er. „Shhhht! Ich höre etwas. Merkwürdig, da sind Stimmen. Gehen wir weiter.“ Terry entdeckte Licht. „Was, noch weiter?“ -111-
„Shhhht!“ Sie betraten einen großen Raum. Fackeln waren an den Rändern angebracht worden. Sie tauchten den Ort in ein schwaches Licht, welches noch dazu die Angewohnheit hatte, bedrohlich zu flackern. Ron hielt sich die Augen zu und Terry riss die selbigen auf. Dann rieb der Actionheld ungläubig seine Lider und riss sie noch einmal auf. Nein, da konnte kein Zweifel bestehen: Vor ihnen tummelte sich ein Rudel Velociraptoren*. Einige von ihnen kauten verträumt Froschreste. „Sind das Fleischfresser?“ flüsterte Ron entsetzt. Er hatte sein rechtes Auge einen Spalt weit geöffnet und zwei Finger gespreizt, sodass er den Ausschnitt mit den scharfen Zähnen darin erkennen konnte. „Aber nein, Ron. Normalerweise fressen die nur Salat, die Frösche waren ein Versehen und die Krallen brauchen sie zum Dosen öffnen.“ „Na, dann ist ja gut.“ „Moment. Sieh mal die da hinten!“ rief und flüsterte Terry gleichzeitig. Einige der Raptoren. Sie spielten Zauberschach. Eine andere Gruppe von Tieren lauschte einem Artgenossen, der eine seiner Kopfform angepasste Brille trug. Er kritzelte etwas mit Kreide an eine Tafel. Andere hielten sich in der Nähe der Bibliothek auf und lasen. „Tja. Es gibt offenbar sehr viele Dinge, die man aus Millionen Jahre alten Knochen nicht erahnen kann“, stellte Terry fest. „Du sagst es. Nur, dass uns die Krallen manchmal im Weg sind“, merkte ein Raptor an, der plötzlich hinter Ron auftauchte. Dieser nutzte die Situation, um in Ohnmacht zu fallen. „Hi“, grüßte Terry, während er seine Waffen auf den Dino richtete. „Wir werden euch nichts tun“, versicherte das Reptil. „Zumindest vorerst nicht.“ Das beruhigte Ron und er erwachte wieder aus seiner Ohnmacht. „Lust auf eine kleine Führung?“ schlug der Dino vor. „Aber immer“, meinte Terry. Sie gesellten sich zu den Zauberschachspielern. Offenbar spielte ein Weibchen gegen ein Männchen**. „Das sind Schnappzu und Fanggut. Sie sind seit zehn Jahren verheiratet und haben letztes Jahr die britische Zauberschach-Meisterschaft gewonnen. Oh, ich habe ja ganz vergessen, mich vorzustellen: Ich bin Redetviel, so zu sagen Aragorns Außenminister.“ „Aragorn!?“ schreckte Ron auf. „Wir dachten, der wäre ein T-Rex ...“ „Das ist er auch. Aragorn ist schon sehr alt und schläft im Moment in der Höhle dort hinten“, erklärte Redetviel. „Er ist mehr oder weniger unser Anführer.“ Der Raptor warf einen Blick auf Aragorns Schlafhöhle und drehte seinen Kopf dann in Richtung Terry und Ron. Er flüsterte: „Eigentlich ist er nur derjenige, der 'Angriff' schreit und Geschichten von der guten, alten Zeit erzählt. Aber sagt ihm nicht, dass ich euch das mitgeteilt habe. Denn wir alle respektieren ihn. Er war es, der unser intellektuelles Potenzial erkannt und uns gefördert hat.“ „Du meinst wohl: Er war es, der erkannt hat, dass ihr dumm genug seid, für ihn zu jagen, wenn er sich bei euch einschleimt?“ meinte Terry. „Schach matt!“ rief der weibliche Raptor und sprang freudig auf und ab. * Lange Schnauze, Hals, Schwanz und klauenbesetzte Arme. Sichelkralle an der Mittelzehe. Etwa 0,8 m hoch und 1,8 m lang. Weibchen mit dunkelbraunem Federkleid mit schwarzen Längsstreifen auf dem Rücken. Männchen mit schwarzen Flaumfedern, roten Längsstreifen und irokesenmäßigem Federkamm auf dem Kopf (Es handelte sich um die coolen Viecher aus Ju-
-112-
Der populärste Zauberschüler der Magiewelt verfügte über ein seltenes Talent: Er war dazu fähig, innerhalb weniger Minuten die Essenz einer Gesellschaft zu erkennen, um sich über sie lustig zu machen. Redetviel ignorierte die Bemerkung und führte die Beiden weiter zu den Dinos in der Nähe der Tafel. „Das sind unsere Physiker“, erklärte der Raptor. „Sie sind kurz davor, eine Formel zu finden, welche die Grundlage für die Naturgesetze beider Dimensionen bildet. Diese Formel wäre praktisch die Lösung aller physikalischen Geheimnisse. So eine Art Weltformel. Die Muggel suchen schon lange nach so etwas.“ „Die Zauberer etwa nicht?“ fragte Terry. „Hehehe - Die Zauberer! Der war gut Junge, wirklich gut!“ lachte Redetviel. Die beiden Jungs lauschten kurz der Diskussion unter den Physikern: „Das geht nicht!“ meinte einer. „Wegen der heisenberg'schen Unschärferelation: Man kann nicht gleichzeitig Ort und Geschwindigkeit eines Teilchens feststellen!“ „Hm. Vielleicht hast du Recht“, sagte ein anderer. „Moment mal: Der Geschwindigkeitsmesser ist ja gar nicht an den Generator angeschlossen!“ „Ja, das war meine Idee“, erklärte Redetviel stolz. „Die ganze Höhle wird mit einem Unglaubwürdigkeitssgenerator betrieben. Er entzieht der Unglaubwürdigkeit unserer Existenz Energie und leitet sie an unsere Messinstrumente weiter.“ „Verdammt: Du hast wirklich Recht!“ rief der erste Physiker-Raptor. Er verband das Gerät mit dem Stromnetz. „Hey: Seht euch das an!“ Sowohl das Gerät, das den Ort, als auch dasjenige, das die Geschwindigkeit eines Teilchens messen konnte, zeigten Daten. Physiker waren sicherlich ziemlich schlau, aber oft auch ein wenig zerstreut. Und das war wohl der Hauptgrund für alle ungelösten Rätsel des Universums. Plötzlich ertönte ein gähnartiges Brüllen aus Aragorns Schlafhöhle. Das veranlasste den Außenminister-Raptor dazu, Terry und Ron zur Bibliothek zu führen. Er zeigte auf ein volles Glas, welches dort auf einem Tisch stand. „Beobachtet das Wasser“, sagte er. Ein eindrucksvolles Stampfen erklang. Das Wasser schwappte über und bildete Wellen. „Cool“, meinte Terry. „Es ist fast so, als hätte ich das Glas schwungvoll auf den Tisch geknallt - und doch eindrucksvoller durch das bevorstehende Eintreffen eines Tyrannosaurus Rex.“ „Du sagst es“, bestätigte Redetviel. Und Aragorn erschien auf der Bildfläche. Er war braun, hatte jedoch grüne Querstreifen von Hals bis Schwanz. Die rote Farbe seines Kopfes stach hervor wie ein Akadamiker auf einer Faschingsfete. Auf seinem Haupt befanden sich zwei Hörner und ein Tattoo, welches eine Artikelnummer zeigte. Seine Zähne hatte sich das Tier schon lange nicht mehr geputzt. „Igitt“, flüsterte Ron. „Was erwartest du?“ fragte der Raptor. „Er ist ein Aasfresser. Die sind nun einmal keine Augenweide.“ Als der T-Rex sie erblickte, quietschte er mit einer unerwartet hohen Stimme: rassic Park, Aussehen jedoch auf den neuesten Stand gebracht ...). ** Terry kannte sich gut mit Dinosauriern aus. Er hatte sich immer einen gewüscht, der seine Pflegefamilie auffressen würde. Leider schenkten ihm Tante Ficus und Onkel Valium niemals einen davon. Irgendwann fand Terry heraus, dass seine Lieblingstiere, die er nur von Kinderbü-
-113-
„Wer ist das? Ist das Ragrid?“ „Nein, es sind Schüler von Rowlingstone“, antwortete Redetviel. Das wusste er, weil diese Schule der einzige Ort war, in dem man hier Kinder finden konnte. Im anliegenden Schweinsdorf gab es keine eingeborenen Kinder. Einem Gerücht zufolge hatte man alle Bewohner des Dorfes sterilisieren lassen. Leider schweigt sich das Gerücht über die Gründe dafür aus. An die Kinder gewandt erklärte der Raptor: „Aragorn sieht nicht so gut.“ „Wozu auch? Schließlich kann er einfach über alles drüber latschen, was ihm in den Weg kommt“, meinte Terry und kicherte wie Ron über des gewaltigen Dinos Stimme. „Ach so. Dann fresst sie! Und lasst mir die Schenkel übrig“, befahl Aragorn. „Wir sind Freunde von Ragrid!“ schrie Ron und zitterte. „Ragrid hat keine menschlichen Freunde“, meinte der T-Rex. „Höchstens Gandalf. Aber der seid ihr offensichtlich nicht.“ „Rubeus ist in Schwierigkeiten. Deshalb sind wir gekommen“, erklärte Terry. „Im Ministerium glauben sie, – zumindest offiziell – dass Ragrid die fragwürdige Kammer der schieren Schrecklichkeit geöffnet und das Monster freigelassen hat. Darum hat man ihn nach Achterbahn gebracht.“ „Diese dummen Ignoranten! Sie haben mich damals für das Monster gehalten und tun es immer noch!“ „Du bist es aber nicht, oder?“ fragte Ron ängstlich. „Natürlich nicht!“ sagte der T-Rex. „Es ist noch viel zu früh im Roman für eine Auflösung! Ragrid hat mich gezüchtet und gepflegt, das ist wahr. Er war wie ein Vater für mich. Dann wurde mir der Mord an Leonardo angehängt, obwohl er selbst meinte, ich sei es nicht gewesen, das sei alles halb so wild und man solle wieder Vernunft annehmen. Ich habe noch nie einen Menschen getötet, denn das bringt nur Probleme mit sich. Trotz allem musste ich fliehen. Seitdem verstecke ich mich hier im verbotenen Wald. Ragrid züchtete für mich die Raptoren - meine Kinder. Ich wollte für sie der Vater sein, der Rubeus immer für mich gewesen ist. Hier leben wir von der Jagd auf Pflanzenfresser und auf diverse Fabelwesen.“ „Und du weißt nicht zufällig, wer oder was das Monster ist?“ fragte Terry. „Es ist das Geschöpf, das wir fleischfressenden Dinosaurier mehr fürchten, als alles andere auf der Welt.“ „Frösche?“ riet Ron. „Wohl kaum“, meinte Terry leise zu seinem Freund. „Du hast ja gesehen, dass sie die gefressen haben.“ „Wir sprechen den Namen dieses Wesens nicht aus“, stellte Aragorn fest. „Warum?“ fragte Ron. „Das sagte ich doch schon: Es ist noch nicht an der Zeit für die Auflösung! Wäre ja blöd, wenn ich alles vorwegnehmen würde.“ „Wie dem auch sei“, meinte Terry. „Ich denke, wir gehen dann. Man sieht sich.“ In kluger Voraussicht entsicherte der Junge seine Waffen. „Das glaube ich kaum“, sagte Aragorn. „Ich denke, die Konsequenzen wären erträglich, wenn wir euch fressen würden. Schließlich weiß gewiss niemand, dass ihr hier seid. Außerdem könnt ihr nicht einfach ohne Einladung unsere Höhle betreten und erwarten, sie lebend wieder zu verlassen. Macht's gut, Freunde von Ragrid!“ „Es tut mir wirklich leid“, sagte Redetviel. „Zumindest ich werde euch nichts chern kannte, ausgestorben waren. Damit war er seinen Pflegeeltern einen Schritt in der Evolution voraus.
-114-
tun, denn ich wäre ein schlechter Außenminister, würde ich Gäste von Auswärts fressen. Leider sind nicht alle meine Artgenossen so diplomatisch ...“ Redetviel zog sich an den Rand der Höhle zurück und auf einmal sahen sich die beiden Jungs von gut 20 Raptoren umzingelt. „Nun werdet ihr sterben!“ stellte einer der Physiker-Dinos fest. „Haben wir noch genug Salz?“ fragte ein anderer laut. „Ich muss dich enttäuschen“, entgegnete Terry. „Jetzt gibt’s erst mal Saures!“ Der Brillenträger-Raptor springt nach vorne, während Terry auf ihn feuert. Die Kugeln verletzen ihn zwar, können ihn aber nicht stoppen. Er drückt den Jungen mit seinen Klauen auf den Boden und schnappt zu. Ein Faustschlag Terrys auf die Schnauze kann ihn vorrübergehend aufhalten, doch erst mit der Flammenwerferfunktion der Avengers lässt er sich zum Zurückweichen bewegen. Terry steht auf und gibt in weniger als drei Sekunden zwölf explosive Geschosse in verschiedene Richtungen ab, doch die Tiere scheinen das bereits geahnt zu haben und weichen aus. „Ein Kampf gegen ebenbürtige Gegner ist ja so unfair!“ bemerkt Terry an Rons Kopf gewandt. Dessen Körper macht es sich derweil auf dem Lesetisch in der Bibliothek bequem. Neben seiner Hand liegt der Klassiker A farewell to arms. Terry steckt seine Avengers weg und läuft los. Mit einigen Sprüngen über die Raptoren hinweg erreicht er den Ausgang. Dieser wird blockiert von Aragorn. Ist es einem so großen Tier etwa möglich, zu schleichen? Mit der Frage im Hinterkopf weicht er den 13 Zentimeter langen Zähnen des T-Rex aus, was sich angesichts dessen Trägheit als sehr einfach erweist. Er versucht es schließlich mit Zeitlupe: Die Farben verwischen und die Höhle leuchtet auf. Ein Chor begleitet den Effekt. Doch ähnlich wie der dunkle Lord sind auch die Raptoren in der Lage, die Zeit zu verlangsamen, was Terrys Vorteil ausgleicht. Wieder eine Eigenschaft, die sich nicht aus Knochen ableiten ließ. Schließlich bohrt sich eine Kralle in Terrys Oberschenkel. Er reißt sich los und rennt auf eine Höhlenwand zu. Der Schmerz ist angesichts der Gefahrensituation betäubt, so dass nicht einmal Magie benötigt wird. Er läuft seitlich an der Wand entlang und ruft: „Manifesto Lichtschwerter!“ Und tatsächlich fliegen zwei futuristische Schwerthalfter an Aragorn vorbei in Terrys Hände. Mit den Worten „Welch ungemein unwahrscheinlicher Zufall“ aktiviert er sie und springt mittels Salto von der Wand ab. Mit dem roten Schwert schlägt der Junge dem Brillenträger-Dino den Kopf ab, während Terry mit dem blauen Schwert die Bibliotheks-Raptoren vom Näherkommen abhält. Rons Kopf lächelt erleichtert und Terry rennt auf Aragorn zu. „Halt, warte!“ quietscht dieser. „Du musst gegen meine Sklaven kämpfen! Ich bin derjenige, der dich dann frisst!“ „Du wärst besser ausgestorben geblieben!“ antwortet Terry, springt auf den T-Rex und bohrt beide Schwerter in seinen Rücken. Er surft an des Dinos Schwanz entlang, springt ab und landet vor dem Ausgang des Hauptraums. „Das wirst du bitter bezahlen!“ brüllt Aragorn und fügt kurz danach hinzu: „Oh. Verflucht!“ In der Mitte seines Kopfes zeigt sich ein blutiger Riss, bis schließlich sein ganzer Körper in zwei Hälften zerfällt. „Sauberer Schnitt. Der Meisterbrief als Metzger ist dir sicher, Junge“, kommentiert Redetviel. „Du hast unseren Führer ermordet!“ kreischt ein Physiker-Raptor. „Das ist so eine Art Hobby von mir“, meint Terry, als Ron neben ihm auftaucht. Diesmal inklusive Körper. „Besser wir verschwinden hier, Ron. Und zwar gleich!“ Verfolgt von 19 Raptoren exklusive Redetviel und dem toten Brillenträger fliehen die Beiden aus der Höhle. Endlich erreichen sie den Wald. „Müssten die uns nicht schon längst eingeholt haben, wenn sie bis zu 90 km/h schnell sind?“ fragt Terry. „Eigentlich schon“, antwortet der Autor. „Aber das hätte nicht zur Handlung beigetragen. Steigt ein!“ Der fliegende Trabi landet auf einer Lichtung in der Nähe der Höhle. Terry und Ron laufen darauf zu und springen in die Hintertür. -115-
„Und los geht's“, meint der Autor, als der Wagen abhebt. Terry erkennt Darwin auf dem Beifahrersitz. „Hallo, ihr zwei jungen Magier. Wusstet ihr, dass das hier meinen Theorien grundlegend widerspricht? Es ist ja alles so aufregend!“ „Nietzsche wollte nicht mitkommen“, erklärt der Autor. „Er hält die Szene für blöd, weil ich nicht in mein Buch eingreifen soll.“ Der Trabi schwebt schon fast zwei Meter über dem Boden, als plötzlich zwei Raptoren daran hoch springen und sich an die seitlichen Stoßdämpfer klammern. „Mist! Wir können mit diesem Schrottauto bei dem Gewicht nicht weiterfliegen!“ schreit der Autor. Auf einmal reißt Darwin die Beifahrertür auf und tritt dem Dino auf die Klauen. Dieser fällt kreischend in die Tiefe und der Wagen steigt ein wenig höher. „Ach, was soll's?“ meint der Autor, öffnet seine Tür und wirft auch den anderen Raptor nach unten. „Nicht schlecht“, stellte Terry fest. „Ihr Beiden habt's echt drauf!“ „Danke, mein Junge“, sagte Darwin gerührt. „Ich wünschte, das hätte man mir zu Lebzeiten auch ein paar Mal gesagt.“ „Und was hat uns das Ganze jetzt eigentlich gebracht?“ fragte Ron, noch immer erschüttert und mit zitternder Stimme. „Wir wissen nun, dass Ragrid definitiv unschuldig war und ist“, antwortete Terry. „Da das aber ohnehin völlig klar war und die Raptoren wohl kaum im Ministerium aussagen werden, hat es uns eigentlich gar nichts gebracht.“ „Doch, aber sicher!“ wandte der Autor ein. „Es war die längst überfällige Actionszene, die bislang längste in meiner Parodiereihe überhaupt.“ „Na dann: Herzlichen Glückwunsch“, meinte Ron. „Wäre es möglich, mich nächstes Mal nicht zerteilen und auffressen zu lassen?“ „Wir werden sehen“, antwortete der Autor lächelnd. Rowlingstone kam näher und der Trabi tauchte ins glitzernde Mondlicht ein. Ein Rad und der Auspuff fielen herab und verschwanden irgendwo im verbotenen Wald.
-116-
Kapitel 16: Die fragwürdige Kammer der schieren Schrecklichkeit „Das muss die Stelle sein, wo Hermione und das andere Opfer eingeeist wurden“, stellte Ron fest. Er und Terry hatten vermutlich gerade Geschichte des Aberglaubens, oder so etwas ähnliches. Sie befanden sich in einem Gang nahe der Bibliothek. Laut McGonekel hatte sich hier der Unfall, Anschlag oder was auch immer ereignet. „Hier sind keinerlei Spuren oder Hinweise zu erkennen“, bemerkte Terry. Silenzia, welche den Posten der Übergangsrektorin bekleidete, erblickte die Beiden und lief auf sie zu. „Rotter, Grievly: Was machen Sie denn hier?“ „Wir untersuchen den Tatort“, erklärte Terry. „Haben Sie nicht gerade Unterricht?“ „Keine Ahnung. Gut möglich.“ „Rotter - Sie treiben es allmählich zu weit. Entweder Sie lassen sich jetzt eine halbwegs passable Ausrede einfallen, oder ich muss Ron einen Verweis geben.“ „Wir sind gerade auf dem Weg zu Hermione. Es tut uns leid, dass wir uns zum Krankenflügel schleichen wollten, obwohl wir Unterricht haben. Aber der vorübergehender Verlust unserer engsten Freundin hat uns tief erschüttert.“ „Dann will ich Ihnen das einmal durchgehen lassen, Rotter. Obgleich der Krankenflügel in einem ganz anderen Teil der Schule liegt. Es wird Sie freuen zu hören, dass die Dendriten wohl schon morgen in der Lage sein werden, die Eingeeisten wieder aufzutauen. Angesichts Ihrer Ausrede werden Sie Ihre Freundin nun dennoch besuchen müssen. Ich erteile Ihnen offiziell die Erlaubnis dazu.“ „Danke, Professor McGonekel“, sagte Terry und lächelte. Terry und Ron saßen neben Hermiones Bett und spielten „Snake explodiert“. Gelegentlich überlegten sie laut, welche Spielzüge ihre Freundin wohl getätigt hätte. „Aber Ms. Stranger wird Sie nicht hören, Mr. Rotter. Sie verschwenden Ihre Zeit!“ stellte Madam Pommes fest. „Meine liebe Gutmine“, sagte Terry. „Wollen Sie nun die Dinge, die ich in Ihrem Medikamentenschränkchen fand, zurück haben, oder nicht?“ „Ich habe nichts gesagt“, antwortete Madam Pommes und ging ihrer Wege. „Hey!“ meinte Ron. „Sieh mal: Hermione hält einen zusammengerollten Zettel in ihrer Hand!“ Terry nahm den Zettel und sagte: „Sehr glaubwürdig, dass der noch niemandem aufgefallen ist.“ Er setzte sich näher zu Ron, damit auch er ihn lesen konnte: Das Buch der magischen Kreaturen Band 1 2. Auflage mit illustrierten Zeichnungen von Dingen, die nicht mit dem Inhalt in Verbindung stehen, wie zum Beispiel diverse Spiegel und ein paar Werkzeuge aus dem Bergbaubereich.
-117-
1. Das Blödsviech Von all' den furchtbaren Bestien und Monstern, die jemals das Land heimsuchten, ist keines eigenartiger oder tödlicher als das Blödsviech, auch bekannt als der König der Amphibien. Diese Kaulquappe, die kein bisschen größer ist als normale Kaulquappen, kann mehrere hundert Jahre alt werden und entschlüpft einem Turnschuh, der in der Nähe von Fröschen lebt. Seine Tötungsmethoden sind höchst verwunderlich, denn abgesehen von seiner strategisch geringen Größe und seiner scheinbaren Harmlosigkeit hat das Blödsviech einen tödlichen Blick, bei dessen Erwiderung der Erwidernde den sofortigen Tod erleidet. Das Blödsviech flieht nur vor dem Schlürfen von lebenden Schuhen, welches tödlich für ihn ist. Fleischfressende Dinosaurier fliehen wiederum vor dem Blödsviech, weil er ihr Todfeind als Vorgänger in der evolutorischen Entwicklung ist und die Entstehung der Reptilien beinahe verhindert hätte. Jedoch sind seit über hundert Jahren keine lebenden Blödsvieche mehr entdeckt worden, genau so wenig wie Dinosaurier. Wir können nur hoffen, dass Ragrid nicht auf die Idee kommt, wieder welche zu züchten. „Diese Lexikaautoren haben einen beachtlichen Weitblick“, stellte Terry fest. „Warte, da steht noch etwas“, sagte Ron. Nun sah er es auch: Hermione hatte mit ihrer erotischen Handschrift das Wörtchen Rohre neben den Eintrag auf der kopierten* Lexikonseite geschrieben. „Das verstehe ich nicht“, meinte Ron. „Wieso Rohre?“ „Ist doch klar: Das Monster ist eine Kaulquappe, die in den Rohren der Wände Rowlingstones umher schwimmt. Deshalb konnte ich auch seine Stimme hören, ohne das Tier zu sehen.“ „Aber seit wann sprichst du Kaulquappisch?“ wollte Ron wissen. „Oh, Ron! Was ist denn eine Kaulquappe? Ein junger Frosch! Und da ich bekanntlich ein 'Dummschwätzer' bin, also mit Fröschen reden kann, war nur ich in der Lage, diese Stimme zu hören!“ „Ja, aber warum ist niemand tot und alle nur eingeeist?“ Terry zögerte kurz (0,012 Sekunden) und hatte dann die Erklärung parat: „Weil das Blödsviech niemandem direkt in die Augen geblickt hat! Colin hat ihn durch seine Kamera gesehen, als er das Ding fotographieren wollte, welches meine Freundin eingefroren hat. Sein Film mit Aufnahmen von mir in allen Lebenslagen ist zum Glück verbrannt. Er selbst wurde nur eingeeist. Nein Moment ...“ Terry ging hinüber zu Colin und sah sich dessen Kamera an. Er nahm die SDCard** heraus. „Wie ich es mir dachte: Sowohl der Film, als auch die Speicherkarte sind im Arsch.“ „Und das bedeutet?“ fragte Ron. „Das bedeutet, mein einfältiger Freund, dass eine doppelte Abschirmung notwendig ist, um nicht von dem Blick des Monsters getötet zu werden. Ich vermute einfach mal, dass eine einfache Abschirmung auch nicht tötet, aber zu schweren Verletzungen führt. Das Ganze hat sich wohl folgendermaßen abgespielt: Der fast gliederlose Nick war dem Blick des Blödsviech durch eine * Das Kopieren von Seiten funktionierte in der Magiewelt per folgendem Zauberspruch: „Kopiere: Gewünschte Seitenzahl!“, einem Antippen mit dem Zauberstab und dem präventiven Hinweis: „Du erinnerst dich doch bestimmt noch an die Bücherverbrennung, nicht wahr?“ ** Magische Kameras verwandten eine Mischung dreier verschiedener Aufnahmetechniken:
-118-
Abschirmung, nämlich dem Fenster, aus welchem er schauen wollte, ausgesetzt. In diesem Fenster spiegelte sich nämlich das Monster, welches sich zur Tatzeit wohl in einem offen liegenden Rohr der gegenüber liegenden Wand befand. Natürlich konnte Nick in seiner Geistform nicht schwer verletzt werden, so wurde er nur von einer Eisschicht umhüllt. John Shutter sah vermutlich durch unseren Hausgeist hindurch zum Fenster, weil es ihn interessiert hat, wohin Nick da eigentlich schaute. Und so hat es Beide erwischt.“ „Und was ist mit Hermione?“ fragte Ron. „Sie hatte doch diesen Handspiegel bei sich, erinnerst du dich?“ „Ja“, sagte Ron. „Ich vermute, dass sie mit dem Spiegel überprüfen wollte, ob der Name des Monsters, also 'Blödsviech' spiegelverkehrt gelesen mehr Sinn ergab und vielleicht nicht ganz so dämlich klang. Wir können darauf schließen, dass neben der Seite mit dem Eintrag über das Monster in diesem Lexikon ein Spiegel abgebildet war - und hier funktionieren Abbildungen von Spiegeln bekanntlich genau wie echte Spiegel. Das bedeutet, dass das Monster auf die Buchseite mit der Spiegelabbildung geblickt haben muss. Sein Blick wurde auf den Handspiegel reflektiert und dann zu Hermione geworfen. Und das hat sie eingeeist.“ „Du bist ein Genie, Terry. Auf so etwas kann ein normal denkender Mensch nun wirklich nicht kommen.“ „Danke, Ron.“ „Aber wer hat dann die Wand beschmiert und Filzes Katzenhund aufgehängt?“ „Das weiß ich nicht. Aber wir werden es bestimmt noch heraus finden. Hm. Ich habe da so einen leisen Verdacht ... Nein, das würde nicht einmal er fertig bringen. Hey, aber mir fällt da ein weiterer Hinweis ein, der meine Thesen bestätigt: Das Blödsviech flieht nur vor dem Schlürfen von Schuhen, welches tödlich für ihn ist. Jemand hat Ragrids Schuhe ermordet! Der Erbe Sifferins wollte keine davon in der Nähe der Schule haben, nachdem er die Kammer geöffnet hatte.“ „Aber es heißt doch, fleischfressende Dinosaurier würden vor dem Blödsviech fliehen. Und doch haben sie die Frösche verputzt, denen wir gefolgt waren“, wandte Ron ein. „Das Blödsviech ist ja auch nicht irgendein Frosch, Ron. Es ist eine bestimmte Art von Kaulquappe. Und nur vor ihm selbst wären die Raptoren geflohen. Allerdings scheint das den Fröschen nicht so ganz klar gewesen zu sein, also sind sie blauäugig in deren Höhle reingelatscht. Kommt davon, wenn man nicht einmal ein Bewusstsein hat. Dann hat man eben auch keines für Gefahren.“ „Moment mal“, sagte Ron. „Das Monster lebt in den Rohren der Schule, könnte es also nicht sein, dass der Eingang zur Kammer ...“ „Ausgezeichnet, Ron! Er befindet sich wahrscheinlich in einer Toilette schließlich spielt sich ein unglaublich großer Teil unserer Abenteuer in Toiletten ab. Doch in welcher? In Leonardos Toilette! Dort ist er doch vor 50 Jahren gestorben, als er sich übergeben wollte!“ „Genau!“ erwiderte Ron aufgeregt. „Also kann ich auch nicht der einzige 'Dummschwätzer' in dieser Schule sein. Die alte Methode, die das Einlegen eines Films erforderlich machte, die neue digitale Aufnahmetechnik und eine Bonusfunktion, welche die Zauberer als einzige nicht aus der MuggelWelt geklaut hatten: Die magische Animation der Bilder - die eine Bewegungsaufnahme über mehrere Sekunden erforderlich machte.
-119-
Der Erbe Sifferins muss schließlich mit dem Blödsviech kommunizieren können!“ „So muss es sein“, bestätigte Ron. „Und was machen wir jetzt?“ „Wir gehen zum Lehrerzimmer und warten auf McGonekel. Die Pause fängt gleich an.“ Wann Pausen waren, wusste Terry nämlich genau. In diesem Fach waren alle Schüler sehr talentiert und wissbegierig, sogar diejenigen, die ohnehin nie zum Unterricht gingen. Doch als sie auf dem Weg zum Lehrerzimmer waren und gerade in einen anderen Gang einbiegen wollten, entdeckten sie dort eine Ansammlung verschiedener Lehrkräfte, die eine Wand anstarrte. Die Jungs versteckten sich an der Mündung zu jenem Gang und lauschten gespannt. „Nun ist es geschehen“, erklärte McGonekel. „Jemand wurde von dem Monster verschleppt. Wahrscheinlich direkt in die fragwürdige Kammer!“ „Woher wollen Sie das wissen?“ fragte Snake. „So machen Sie doch die Augen auf: Der Erbe Sifferins hat uns eine weitere Nachricht hinterlassen, gleich hier unter der alten! An eben jener Wand, die Sie seit fünf Minuten anstarren!“ sagte Lotleak und las sie vor: „Sein Skelett wird für immer in der Kammer liegen bleiben und langsam verfaulen!“ „Knochen verfaulen nicht!“ zischte Terry, fast ein bisschen zu laut. Professor Pimpf brach in Tränen aus. „Wer ist es?“ fragte Madam Lutsch. „Welchen Schüler hat das Monster verschleppt?“ „Wenn es denn nur ein Schüler gewesen wäre“, sagte McGonekel. „Das Monster hat Gandalf verschleppt!“ Diese Offenbarung löste eine Mischung aus Betroffenheit und Fassungslosigkeit aus, vermengt mit einer Prise War-ja-mal-wieder-klar. „Das letzte Mal, als ich ihn sah, war er gerade dabei, ein paar letzte Sachen aus seinem Büro zu holen“, erklärte Silenzia. „Er warf einen Blick in ein Buch, sagte 'wenn du meinst' und rannte hinaus. Als ich dieses Geschmiere an der Wand entdeckte, war mir klar: Das Monster musste ihn verschleppt haben!“ „Ja, aber was machen wir denn jetzt?“ fragte Madam Lutsch ratlos. „Ich denke, es handelt sich um eine sehr schwierige Aufgabe, das Monster zu bekämpfen und Gandalf zu befreien“, stellte Snake fest. „Von daher sollten wir das tun, was wir immer tun, wenn uns schwierige Aufgaben bevorstehen.“ „Gandalf die Schuld geben und darauf vertrauen, dass die Leute sagen werden: 'Das erklärt alles'?“ fragte Professor Wurzel. „Nein: Wir lassen den Neuen die Arbeit machen“, erklärte Snake. „Schön, dass Sie mir das so offen mitteilen ...“, bemerkte Timidus. „Stimmt! Sie haben doch all' diese Bücher über Heldentaten geschrieben!“ stellte Madam Lutsch fest. „Das ist doch Ihre Chance zu beweisen, dass Sie wirklich so heldenhaft sind!“ „Ich glaube, dass Sie meine Bücher niemals gelesen haben“, meinte Lotleak. „Diese Geschichten handeln nämlich nicht von mir ...“ „Dann hätten Sie das mal lieber nicht behauptet“, sagte Snake kühl. „Aber ich habe das niemals behauptet! Und außerdem: Woher soll ich wissen, wo der Eingang zur Kammer ist?“ „Dann ist die Sache ja geklärt“, stellte McGonekel fest. „Professor Lotleak: Ich wünsche Ihnen viel Glück!“ „Also ... Na gut. Ich bin dann im meinem Büro und mache mich fertig.“ Timidus verließ den Schauplatz des künstlerisch zweifelhaften Bagatelldelikts. „Gut“, stellte McGonekel fest. „Da wir dies nun geklärt hätten: Ich bitte dar-120-
um, dass alle Hauslehrer ihre Schüler augenblicklich davon in Kenntnis setzen, dass die Schule geschlossen wird. Der Rowlingstone-Express wird sie morgen früh abholen. Die restlichen Lehrkräfte sorgen bitte dafür, dass niemand mehr auf den Gängen umher irrt.“ Zögerlich verließen alle nacheinander die Szene. Auch Terry und Ron. Allerdings begaben sie sich auf den Weg zu Lotleaks Büro. Sie wollten ihm alles erzählen, was sie bislang herausgefunden hatten. Und zumindest Ron war felsenfest dazu entschlossen, seinen Lehrer auch zu begleiten. Schnellen Schrittes führten sie eine kurze Konversation: „Der Erbe Sifferins muss Gandalf deshalb entführt haben, weil er etwas über die Kammer herausgefunden hatte“, meinte Ron. „Oder, er wollte den Direktor aus dem Weg schaffen, damit er in aller Ruhe sein Monster auf die Muggel-Geborenen loslassen kann.“ „Ich habe noch eine weitere Theorie, Ron. Aber ich wage es nicht einmal, sie auszusprechen“, meinte Terry. Ohne anzuklopfen riss der narbentragende Held die Tür auf und konfrontierte Timidus mit seiner blanken Anwesenheit. Lotleak hatte sich graue Lederkleidung angezogen und stand zitternd vor einem Spiegel. Ron trat ein und schloss die Tür. „Oh. Hallo Terry, hallo Ron. Fasst euch kurz, ich begebe mich gleich auf eine gefährliche Mission. Zumindest insofern ich den Eingang finde - Diese Kleidung enthält eine magische Panzerung“, erklärte er, Schweißperlen auf der Stirn. „Toll, nicht wahr?“ „Bringt vermutlich nicht viel“, meinte Terry. „Aber eine nette Idee.“ Sie erzählten Lotleak alles, was sie über die Geschehnisse rund um die Kammer wussten. „Danke, Kinder. Leider konnte mich das nicht unbedingt beruhigen. Aber sie haben ja Recht: Es ist meine Pflicht als Missbrauch-der-dunklen-Künste-Lehrer, dieses Monster aufzuhalten und beim heiligen Merlin, das werde ich auch tun!“ „Trotzdem war es unfair von den anderen Lehrern, Ihnen Ihre Geschichten vorzuhalten“, wandte Terry ein. „Sie geben schließlich offen zu, Abenteuer anderer Magier zu sammeln und sie in Erzählform zu veröffentlichen. Das ist nichts ungewöhnliches. Eigentlich gibt es kaum einen Abenteurer, der jemals selbst über seine Erlebnisse ein brauchbares Buch geschrieben hat. Kein Wunder, das kann schließlich nicht jeder. Einige der erfolgreichsten Bücher überhaupt handeln von den Erlebnissen anderer Menschen! Zum Beispiel die Bibel - Immerhin das zweiterfolgreichste Buch aller Zeiten!*“ „Wow. Danke, mein Junge. Das hat mir etwas Mut gemacht“, meinte Lotleak. „Gut, denn ich denke, Sie sind echt in Ordnung und ich habe Ihnen Unrecht getan, als ich glaubte, sie seien hinter Hermione her. Eine recht dumme Annahme, im Nachhinein betrachtet ...“ „Du sagst mal was positives, Terry?“ fragte Ron. „Das hast du doch noch nie gemacht!“ „Und ich werde es auch bestimmt nie wieder tun, wollte nur einen Fehler korrigieren“, rechtfertigte sich Terry. „Das sollte kein Vorwurf sein!“
* Gleich nach Harry Potter. Ehrlich, das stimmt. Ich hätte die Bibel auch nie für so erfolgreich gehalten.
-121-
Sie begaben sich zu Leonardos Mädchentoilette, klopften an und traten ein. Nachdem sie eingetreten waren, erklärte Terry seinem in doppelter Hinsicht geistreichem Freund, was sie über die Kammer wussten und warum sie hier den Eingang vermuteten. „Natürlich, du hast Recht!“ sagte Da Vinci. „Darauf hätte ich eigentlich auch selbst kommen können - aber naja: Man kann nicht alles wissen!“ „Eben. Und wie, meinst du, kann man den Eingang öffnen und wo genau ist er?“ fragte Terry. „Hm. Ich vermute, dass er sich unterhalb dieses Raums befindet ...“ „Sag doch mal was in dummschwätzerisch!“ schlug Ron vor. „Gute Idee“, entgegnete Terry. „Ähm. Wie wäre es mit: 'Geh auf!'“ „Das war Englisch, Terry“, stellte Lotleak fest. „Versuche doch mal, dir einen Frosch vorzustellen, während du die Worte sprichst. Wobei ich damit keinen Frosch im Halse meine.“ Terry befolgte den Vorschlag und er erwies sich als brauchbar: In der Mitte der Toilette zersplitterten Kacheln und ein Riss entstand. Schließlich erstreckte sich dieser über den gesamten Raum hinweg und wurde breiter. Der Boden verschwand allmählich unter den Füßen der Anwesenden. Abgesehen von Leonardos, der in der Luft schwebte. „Ich wünsche euch viel Glück“, sagte er. „Aber ich werde euch nicht begleiten, denn für Actionfilme gibt es geeignetere Anwärter als mich.“ „Man sieht sich“, stellte Terry fest und sie fielen hinab. Sie fielen hinab in ein riesiges Loch, das sich bis tief ins dunkle Nichts erstreckte. Wie durch ein Wunder wurden sie zu Beginn der nun folgenden Rutschpartie nicht zerschmettert. Mit engen Kurven und extremen Neigungen präsentierte sich vor ihnen eine Gummirutsche, auf die Walt Disney bestimmt neidisch gewesen wäre, denn ihr farbenfrohes und fröhliches Design war mehr als kindgerecht. Wahrlich begegneten sie auf ihrem Weg des öfteren einer Maus, was auf eine finanzielle Beteiligung Disneys am Bau der Kammer schließen ließ. Oder auf mangelnde Hygienevorschriften. Endlich erreichte die Rutsche ihr Ende. Die drei Helden wurden nacheinander hinausgeschleudert und landeten auf einem Knochenhaufen. Ihr Empfang wurde garniert durch graue Felswände und mangelhafte Lichtverhältnisse. An dieser Stelle hätte der gute Walt gewiss ein paar Optimierungen vornehmen wollen. Terry stand auf, zog seinen Zauberstab, sagte „Licht!“ und sah sich die Knochen näher an. „Sie stammen von Dinosauriern“, stellte er fest. „Das sind ja ganz schön viele unerwartet gefräßig, so eine Kaulquappe.“ „Wir müssen ja Meilen von der Schule entfernt sein!“ bemerkte Ron. „Vermutlich irgendwo in der Nähe des Sees“, sagte Timidus. „Oder in Memphis, Tenessee, wo seit 1866 der gottverdammt beste Whiskey des Südens gebrannt wird.“ „Werden Sie eigentlich dafür bezahlt?“ fragte Terry. „Nein, ich übe nur für den Ernstfall.“ Langsam und vorsichtig gingen sie weiter durch die Höhle. Hin und wieder glaubten sie, ein Geräusch zu hören, das Ron Angst einjagen wollte. Auf einmal rutschte jener auf einem mysteriösen Etwas aus und brach sich den Schädel. Terry begutachtete nun das mysteriöse Etwas, während sich Lotleak um Ron kümmerte. „Sieht aus wie die Haut irgendeines winzigen Tieres“, meinte er. „Ich wusste gar nicht, dass sich Kaulquappen häuten“, entgegnete Ron, -122-
wieder lebendig. Plötzlich musste er niesen. Das Geräusch hallte noch eine Weile nach und bildete Echos, weil es mit einem nicht zufrieden war. Dann stürzte die Höhle ein. Die furchtlosen Drei rannten so schnell sie konnten weiter, doch auf einmal fielen Felsbrocken von der Decke herab und landeten genau auf Ron und vor Timidus. Terry blickte nach oben: Er sah Licht, vielleicht konnten sie später durch die Öffnung fliehen, zumindest, wenn sie Lust hatten, ein paar Stunden lang zu klettern. „Verdammt: Wir kommen hier nicht durch!“ sagte Ron. „Na toll. Jetzt muss ich alleine das Monster besiegen und Gandalf retten. Hätte ich mir eigentlich denken können. Geht es euch Beiden gut?“ fragte Terry. „Ja, abgesehen davon, dass wir hier eingeschlossen sind“, meinte Lotleak. „Ich könnte vielleicht versuchen, die Felsen mit Magie beiseite zu schieben, aber das würde ein Weilchen dauern.“ „Ja, machen Sie das! Sie werden ohnehin nichts besseres zu tun haben, bis ich wieder da bin“, sagte Terry. „Viel Glück, Terry! Und pass auf dich auf!“ meinte Ron mit zitternder Stimme. „Ja, viel Glück, mein Junge. Wenn es jemand schafft, eine Kaulquappe zu besiegen, dann du!“ Terry rannte weiter, tiefer in die Höhle hinein, seinen leuchtenden Zauberstab in einer Hand haltend, bis er an einem Tor zum Stehen kam. Es war scheinbar aus Stein gefertigt und zeigte das Bild eines besonders bedrohlichen Frosches. Terry betrachtete ihn und sagte dann auf dummschwätzerisch: „Geh auf!“ Das Bild des Frosches quakte und das Tor zerbrach. Tausend kleine Steine verstreuten sich in alle Himmelsrichtungen. Zumindest eine ungewohnte Art für ein Tor, sich zu öffnen.
-123-
Kapitel 17: Der Erbe Sifferins Die fragwürdige Kammer der schieren Schrecklichkeit. Endlich. In gewisser Hinsicht: Endlich. Denn so sehr freute sich Terry dann auch wieder nicht, hier zu sein. Er stand am Ende einer ziemlich langen, schwach beleuchteten Kammer. Augen waren es, die das giftgrüne Licht aussanden. Und zwar die Augen riesiger Froschstatuen, die in zwei randlichen Reihen parallel zueinander bis an das andere Ende der Kammer reichten und ihr jeweiliges Gegenüber wortlos anstarrten. Hin und wieder schnappten sie nach Fliegen, vermutlich nur alibihalber, denn es gab hier kein erwähnenswertes Leben. Wobei man darüber streiten konnte, ob Fliegen erwähnenswert gewesen wären. Auf jeden Fall konnte man zusammenfassend sagen: Es war so, wie auf einer Dinnerparty*, nur noch langweiliger und ohne Essen. Terry zog seine Avengers. Gemächlich schritt er voran, mit offenen Augen und wachen Reflexen. Seine Schritte hallten laut wieder, was einem ziemlich auf die Nerven gehen konnte. Er achtete auf jedes Anzeichen von Bewegung, fast enttäuscht musste er feststellen, dass da nichts war, was sich hätte bewegen können. Zum Beispiel Gandalf: Er lag reglos am anderen Ende der Kammer unter einer Statue, die zugleich als Stützpfeiler diente - wie ungemein praktisch und originell. Sie stellte Sakrilegus Sifferin dar. Er trug einen langen, grauen Bart und hatte Gesichtszüge, die auch steinern gewesen wären, hätten sie nicht aus Stein bestanden, also etwa wie auf seinem Porträt vor dem Sifferin-Gemeinschaftsraum. Wer hatte das alles hier wohl gebaut? Auf jeden Fall verstand er einiges von Bildhauerei. Terry stellte sich Sakrilegus vor, wie er auf dem Rollstuhl hier hindurch sauste, um zu mauern und zu meißeln. Er musste schmunzeln. Nach einer ausgiebigen künstlerischen Betrachtung der Statue widmete sich Terry seinem Schulleiter. Gandalfs Gesicht fühlte sich kalt an, doch sein Herz schlug noch. Gerade als der Junge zu peinlichen Widerbelebungsmaßnahmen ansetzen wollte, unterbrach ihn eine bekannte Stimme: „Er wird nicht aufwachen.“ Terry drehte sich blitzschnell um. Die Stimme hatte schwarze Haare, war recht groß, jung und sah gut aus. Ja, es handelte sich allem Anschein nach um Tim Marlboro Rätsel. Und er war nicht einen Tag gealtert. „Ah, Tim“, stellte Terry fest und machte einen gedanklichen Strich auf seiner Anwesenheitsliste. „Warum wird er nicht aufwachen? Ist er tot?“ „Nein, er lebt noch“, meinte Rätsel. „Gerade noch so.“ „Naja, das ist ja nichts weiter Beunruhigendes oder Neues bei Gandalf. Wer so viele Drogen nimmt, muss damit rechnen, dass er irgendwann nicht mehr so lebendig ist, wie früher.“ „Ähm. Das mag wohl sein, aber ...“, antwortete Rätsel zögerlich. „Also gut: Was bist du?“ fragte Terry. „Ein Geist? Ein Prominentendouble?“ „Eine Erinnerung“, erklärte Tim. „Konserviert im Inneren eines Tagebuchs, seit nunmehr 50 Jahren.“ Rätsel verwies mittels Zeigefinger auf das Buch, in das Terry schon einmal gebeamt worden war, oder wie auch immer man das eben nennen wollte. Er hielt es in seiner anderen Hand. * Weil sich auch auf solchen Veranstaltungen Männlein und Weiblein gegenübers saßen und sich wortlos anstierten, da sie versuchten, keine fremden Leute wortlos anzustieren. Und es kamen auch oft Frösche darin vor, zumindest deren Schenkel.
-124-
„Du hast ihn hierher gerufen“, schlussfolgerte Terry. „McGonekel hat davon erzählt. Nach einem Blick in ein Buch soll Gandalf verschwunden sein. Offenbar hat er es mitgenommen und irgendwie ist es in deine Hände geraten. Fragt sich nur, warum du ihn in die Kammer gebeten hast - egal, jetzt ist er verletzt, also hilf mir, ihn hier raus zu schaffen! Sonst gibt’s morgen zu Mittag keine Nachspeise.“ „Gib mir deinen Zauberstab, dann kannst du Gandalf besser hochheben“, schlug Rätsel vor. „Als ob ich auf diesen billigen, alten Trick reinfallen würde!“ sagte Terry. Nach kurzer Zeit fügte er hinzu: „Wollte dich nur auf den Arm nehmen, hier hast du ihn“, und händigte Tim sein Zauberutensil aus. Als Terry Gandalf ein paar Meter weit geschleppt hatte, fragte er Rätsel: „Was ist denn jetzt? Kommst du nicht mit? Ich will ja nicht drängeln, aber irgendwo in der Kammer gibt es ein Blödsviech und wenn das hier vorbei schaut, dann ist aber Schluss mit lustig.“ „Er kommt nur, wenn er gerufen wird“, erklärte Tim. „Schön für ihn“, kommentierte Terry und legte Gandalf zurück auf den Boden. „Also was wird jetzt: Kommst du mit und wenn nicht, gibst du mir dann wenigstens meinen Zauberstab zurück?“ „Du wirst ihn nicht brauchen“, stellte Rätsel fest. „Ja, du mich auch. Und jetzt her mit meinem Zauberstab - na schön, beenden wir das Theater: Du bist der Erbe Sifferins und hast Gandalf dazu benutzt, die Kammer zu öffnen, stimmt's?“ „Wie hast du ...?“ „Du hättest meine Waffen verlangen sollen und nicht meinen Zauberstab! Den brauche ich sowieso nur für die Schule“, meinte Terry. „Aber was du nicht weißt, ist ...“, begann Rätsel. „Klar weiß ich das“, stellte Terry fest. „Du hast Gandalf auch dazu gebracht, Ragrids Schuhe zu ermorden, Filzes Katzenhund aufzuhängen, Wände zu beschmieren und diese dämliche Kaulquappe auf drei Pseudoblüter und unseren Hausgeist loszulassen. Es ist mir nur noch nicht so ganz klar, wie du das gemacht hast. Obgleich ich einen leisen Verdacht hege.“ „Ja, das war nämlich so: Ich habe Gandalf ...“ „... mit einem Bessessenheitsfluch belegt?“ fragte Terry. „Entweder das, oder ich habe Recht mit meiner Drogenthese.“ „Sollte ich nicht derjenige sein, der am Ende alles erklärt?“ fragte Rätsel, fast beleidigt. „Und du bist auch nicht einfach nur ein ehemaliger Schüler hier, habe ich Recht? Nicht irgendein Schüler ...“ „Ja, verdammt! Das gibt es doch einfach nicht!“ schrie Tim und stampfte auf. „Kein normaler Mensch kann so clever sein! Darf ich jetzt bitte wenigstens erzählen, wie genau ich das alles gemacht habe?“ „Wenn's denn sein muss ...“, meinte Terry. „Also: Ich glaube, der wahre Grund, weshalb Gandalf nun halbtot vor uns liegt, ist, weil er sein Herz öffnete und all' seine kleinen Geheimnisse und Problemchen einem unsichtbaren Freund ausschüttete.“ „Doch nicht etwa dem Tagebuch?“ „Dem Tagebuch“, bestätigte Rätsel und überhörte Terrys Sarkasmus. „Meinem Tagebuch. Der kleine Gandalf schreibt da schon seit Monaten und Monaten hinein und erzählt mir all' seine Sorgen und Wehwehchen: Wie die Schüler ihn immer ärgern, wie ihn niemand respektiert, wie“ - Rätsel griff sich an den Kopf - „seine Hanfpflanzen schon wieder eingegangen sind ...“ -125-
Die ganze Zeit über verließen Tims Augen nie die von Terry. Er versuchte sich offenbar einzureden, dass seine Enthüllungen den Jungen überraschten. „Es ist sehr langweilig, den Problemchen eines uralten Schuldirektors zu lauschen“, fuhr er fort. „Aber ich war geduldig. Ich habe zurück geschrieben, war freundlich, war nett. Gandalf liebte mich einfach. Niemand hat mich jemals so verstanden, wie du, Tim ... Es ist so, als hätte ich einen Freund, den ich in der Tasche herumtragen kann ...“ Rätsel lachte, ein hohes, kaltes Lachen, das gut zu ihm und zehntausend anderen Klischeeschurken passte. Terry bemitleidete ihn beinahe. „Ich würde es so ausdrücken, Terry: Ich war schon immer dazu fähig, die Leute zu verzaubern, die ich brauchte. So hat mir Gandalf seine Seele ausgeschüttet und es ergab sich, dass seine Seele genau das war, was ich brauchte. Ich wurde stärker und stärker, je mehr ich mich an seinen tiefsten Ängsten und dunkelsten, obgleich uninteressanten, Geheimnissen nährte. Ich wurde mächtig, viel mächtiger als der arme kleine Gandalf ...“ „Warum sagst du immer, Gandalf sei klein? Der Mann ist über zwei Meter groß!“ wandte Terry ein. „Aber klein ist seine Zurechnungsfähigkeit! So kam es, dass ich bald mächtig genug war, ihm ein paar meiner kleinen Geheimnisse zu erzählen, ihm einen Teil meiner Seele einzuflösen ...“ „Das will doch keiner wissen. Wirst du mir nun endlich verraten, wie genau du Gandalf dazu gebracht hast, die Kammer zu öffnen und die Anschläge zu begehen?“ fragte Terry. „Hast du das noch immer nicht erraten, Terry Rotter?“ wollte Rätsel wissen. „Natürlich wusste er zunächst nicht, was er da tat. Es war sehr belustigend. Ich wünschte, du hättest seine neuesten Tagebucheinträge sehen können ... Sie wurden allmählich viel interessanter ... Lieber Tim, - zitierte Rätsel, während er Terrys gleichgültigen Gesichtsausdruck betrachtete – Ich glaube, ich war in letzter Zeit noch bekiffter, als ich es jemals zuvor gewesen bin. Da sind abgerissene Schnürsenkel überall auf meinen Klamotten und ich weiß nicht, wie sie dorthin geraten sind. Lieber Tim, ich kann mich nicht an die Halloweennacht erinnern, aber jemand hat eine Katze aufgehängt und da ist Farbe auf meinem Umhang ...“ „Darum hat Gandalf die Sache also so schnell auf sich beruhen lassen“, meinte Terry. „Er befürchtete, selbst der Täter gewesen zu sein ...“ Rätsel freute sich darüber, dass ihm der Junge überhaupt noch zuhörte und fuhr fort: „Lieber Tim, Silenzia erzählt mir immerzu, ich sei im Moment noch weniger ich selbst als sowieso schon. Ich glaube, sie verdächtigt mich ... Heute gab es schon wieder einen Angriff, Tim, was mache ich denn nur? Ich werde noch verrückt ... Ich glaube, ich bin derjenige, der alle angreift, Tim!“ „Jetzt verstehe ich“, sagte Terry. „Der Eintrag muss von dem Tag stammen, als Ron das Tagebuch auf den Kopf fiel - Gandalf muss es von seinem Garten aus den Turm hinunter geworfen haben! Und nach dem Angriff auf Hermione nahm er endlich keine Drogen mehr! Deshalb war er so normal beim Besuch des Zaubereiministers. Oder so unnormal, für seine Verhältnisse.“ „Genau“, bestätigte Rätsel. „Und hier kamst du ins Spiel, Terry. Du hast das Tagebuch gefunden und ich hätte nicht erfreuter darüber sein können. Von allen Leuten, die es hätten aufheben können, warst du es. Die Person, auf deren Begegnung ich schon so gespannt war ...“ „Es ist immer wieder schön, einen Fan zu treffen“, sagte Terry. „So würde ich das nicht unbedingt nennen“, meinte Rätsel. „Siehst du Gandalf hat mir alles über dich erzählt. Über die leuchtende Narbe auf deiner Stirn ...“ -126-
„Die gelegentlich leuchtende Narbe“, korrigierte Terry. „Wie dem auch sei: Ich war höchst gespannt darauf, dich einmal zu treffen. Also habe ich dir gezeigt, wie ich damals Ragrid, diesen ewig betrunkenen Dummkopf, als denjenigen hingestellt hatte, der die Kammer öffnete, um dein Vertrauen zu gewinnen.“ „Der Wahnsinn“, sagte Terry gelangweilt. „Als ob ich jemals geglaubt hätte, dass Ragrid der Täter gewesen sei. Und du kamst mir auch gleich verdächtig vor.“ „Aber du wusstest nicht, dass ich Ragrid reingelegt habe!“ „Stimmt. War eher eine Eventualität im Phasenraum der Möglichkeiten.“ „Mein Wort stand gegen das von Ragrid, Terry! Und du kannst dir vorstellen, wem der alte Professor Tibet mehr geglaubt hat.“ „Doch nicht etwa dir, oder?“ fragte Terry und tat überrascht. „Oh doch! HAHAHAHAHA!“ Rätsels kreischendes Lachen hallte dunkel von den Wänden wider. Terry fühlte sich gut unterhalten, zauberte sich eine Tüte Popcorn herbei und aß es auf. „Stell dir das mal vor: Auf der einen Seite Tim Rätsel, arm aber brilliant, elternlos aber so mutig, Schülersprecher*, das Modell-Exemplar eines Schülers, und auf der anderen Seite der große, dümmliche Ragrid, jede zweite Woche in Schwierigkeiten, versucht Dinosaurier zu klonen, hängt ständig im verbotenen Wald herum, um mit Trollen zu kämpfen und Schnaps zu brennen. Aber ich gebe zu, dass ich dennoch erstaunt war, wie gut der Plan funktionierte. Es hat mich ganze fünf Jahre gekostet, alles über die Kammer der schieren Schrecklichkeit herauszufinden und ihren geheimen Eingang zu entdecken ... als ob Ragrid den Verstand oder die Fähigkeiten dazu gehabt hätte!“ An dieser Stelle konnte sich Terry nicht mehr halten und kugelte sich lachend am Boden. „Fünf, hihihi, fünf Jahre, hahaha, unglaublich, hehehe, und der gibt damit auch noch an, hohoho, ich habe das in ein paar Monaten hinbekommen und hatte es nicht mal besonders eilig damit!“ Rätsel ballte die Fäuste und sagte: „Grrrr!“ Schließlich erzählte er weiter: „Einzig und allein der Pflanzenkundelehrer, Professor Gandalf, schien der Ansicht zu sein, dass Ragrid unschuldig war. Er überredete** Tibet dazu, Ragrid hier zu behalten und ihn zum Wildhüter ausbilden zu lassen. Ja, ich denke, Gandalf wusste vielleicht Bescheid. Er konnte mich nie so gut leiden, wie die anderen Lehrer - meinte, ich würde mich nicht normal verhalten. Vermutlich, weil ich nichts von seinem Stoff haben wollte ...“ „Tja, da sieht man mal wieder, dass Faulheit und Unfähigkeit intuitiv richtig liegen können“, stellte Terry fest. „Auf jeden Fall hat er von diesem Moment an einen ärgerlich aufmerksamen Blick auf mich geworfen, wenn er nicht gerade zugedröhnt war“, meinte Rätsel. „Und das konnte man leider nicht vorausahnen. Ich wusste, dass es nicht sicher war, die Kammer erneut zu öffnen, während ich noch zur Schule ging. Aber ich wollte die ganzen Jahre nicht sinnlos vergeudet haben, die ich in das Projekt investiert hatte. Also entschied ich mich dazu, mein 16-jähriges Selbst in den Seiten eines Tagebuchs zu konservieren, so dass ich eines Tages, mit ein wenig Glück, in der Lage sein könnte, jemanden zu benutzen, um Sakrilegus Sifferins ehrenvolle Arbeit zu beenden.“ „Soso. Na, das war wohl nichts. Niemand ist gestorben, nicht einmal der * Klassenzimmerblumengießer ** Ü|ber|re|den, Tätigkeitsverb; Er konnte zur Subventionierung unseres Unternehmens überredet werden: bestechen
-127-
Katzenhund, und in ein paar Stunden werden die Dendriten in der Lage sein, jeden, der eingeeist wurde, wieder aufzutauen.“ „Habe ich dir nicht schon erzählt, dass mir nichts mehr daran liegt, Pseudoblüter umzubringen?“ fragte Rätsel ruhig. „Äh. Nein, das hast du nicht ...“ „Aber man hätte es sich herleiten können!“ „Ich habe mir auch schon fast alles hergeleitet, was du mir bislang erzählt hast. Ich finde diese Unterhaltung eigentlich ziemlich langweilig und sinnlos“, bemerkte Terry. „Nur deine jämmerlichen Versuche, wie ein Oberbösewicht zu klingen, sind amüsant.“ „Du arroganter Wicht! Auf jeden Fall wollte Gandalf nicht, dass du etwas von seinem geheimen Freund erfährst - und von all' den kleinen Geheimnissen, die er mir erzählte. Ich kann dir allerdings verraten, dass sie dich ohnehin herzlich wenig interessiert hätten. So kam es, dass er sich in den GriffamtorSchlafsaal begab und sich das Tagebuch zurück holte. Am Ende wusste ich genau, was ich zu tun hatte!“ „Ja, nachdem du die ganze Zeit über nur Mist gebaut hattest ...“ „Du! Ich hatte großes Glück: Aufgrund seiner Entlassung als Schuldirektor begann Gandalf wieder damit, Drogen zu nehmen. So konnte ich ihn dazu bringen, sein baldiges Ableben künstlerisch vorweg zu nehmen und hierher zu kommen!“ „Jetzt sag bloß noch, dass du das getan hast, um mich in die Kammer zu locken?“ murmelte Terry. „Ja, aber nicht nur ... Ich habe eine Frage an dich, Junge: Wie ist es möglich, dass ein Baby ohne erwähnenswerte magische Fähigkeiten in der Lage war, den größten Zauberer aller Zeiten zu besiegen? Wie konntest du entkommen, mit nur einer Narbe, während Lord Himmlers gesamte Macht schwer erschüttert wurde?“ „Soll ich dir die nächsten Fragen nicht auch gleich beantworten? Lord Himmler ist in Wirklichkeit noch zu schwach, um zurückzukehren und sich an mir zu rächen. Deshalb brauchte er Bernard, um auf dem Quititsch-Spielfeld eine Projektion seiner Erbärmlichkeit zu erzeugen. Kaum zu fassen, dass ich ihm tatsächlich auf den Leim gegangen bin ... Und ich konnte ihn deshalb als Baby besiegen, weil ich sehr wohl über beachtliche Fähigkeiten verfüge - oder, weil meine Eltern* für mich gestorben sind und ihre altruistische Tat als Symbol ihrer Liebe ein starkes magisches Schutzschild gegen Himmlers Flüche erzeugte, oder sollte ich sagen, gegen ...“ „Nein! Halt! Das will ich erzählen!“ wandte Rätsel ein. „Um zunächst meine Geschichte zu vollenden: Hier in der Kammer konnte ich die Macht Sakrilegus' nutzen, um Gandalf seine Lebenskräfte zu entziehen und sie auf mich zu übertragen. So konnte ich das Tagebuch verlassen und mich in eine materielle Daseinsform transformieren. Nun stirbt Gandalf, während ich immer stärker werde! Hahaha!“ „Dauert das hier noch lange?“ fragte Terry. „Ja, tut mir leid, mein Junge. Der Plot ist inzwischen verflucht kompliziert geworden“, erklärte der Autor. „Da verändert man eine Kleinigkeit und schon ist eine Kettenreaktion im Gange, die alle folgenden Ereignisse beeinflusst. Es ist wie mit dem Schmetterling und dem Orkan. Dauert jetzt aber nicht mehr lange. Äh. Zumindest kann ich jetzt so tun, als hätte ich's voll drauf, weil meine Story so viel anspruchsvoller ist und voll sozialkritisch und so. Ähm. * Und nicht nur Terrys Mutter. Schon mal was von der Emanzipation des Mannes gehört, Frau Kollegin?
-128-
Sorry, Terry: Du hast das Wort.“ „Na schön: Eine Sache verstehe ich nicht ganz“, log Terry. „Was interessiert es dich eigentlich, wie ich Himmler damals besiegt habe? Der dunkle Lord war nach deiner Zeit.“ „Lord Himmler“, sagte Rätsel langsam. „ist meine Vergangenheit, meine Gegenwart und meine Zukunft, Terry Rotter ...“ Tim zog Terrys Zauberstab aus der Innentasche seiner altmodischen Schuluniform und schrieb damit rot schimmernde Worte in die Luft:
TIM MARLBORO RÄTSEL Hierauf ließ er den Zauberstab einmal über die Worte gleiten und die Buchstaben änderten ihre Position:
ICH BIN LORD HIMMLER „Das passt jetzt aber gar nicht“, kritisierte Terry. „Oh ja, das hättest du wohl nicht gedacht!“ antwortete Rätsel. „Nein. Denn es ergibt auf doppelte Weise keinen Sinn. Erstens: Die Buchstaben haben sich verändert - ein billiger Trick, um zu vertuschen, dass du nicht in der Lage warst, aus den Buchstaben deines Namens einen anderen zu bilden. Und zweitens: Lord Himmler kann nie in Rowlingstone gewesen sein, denn er hat nie so ausgesehen wie du, sondern immer wie Heinrich Himmler, der Naziverbrecher, und zwar im Alter von 35 Jahren.“ „Ich muss schon sagen: Gar nicht schlecht, mein zukünftiger Enkel. Tatsächlich war auch nie Himmler selbst in dieser Schule, sondern der dunkle Magier, der vor gut sechzig Jahren Heinrichs Seelen einsog. Himmlers gute Seele* übernahm allmählich die Kontrolle über jenen Magier, als dieser Schüler in Rowlingstone war. Und jener Schüler war ich: Tim Rätsel. Den Beinamen Marlboro habe ich nur gewählt, damit das mit den Buchstaben hinhaut, naja, war wohl nichts. Verflucht: So ein saublöder Beiname seit fünfzig Jahren und das völlig umsonst! Auf jeden Fall sah Himmler noch nicht wie Himmler aus, sondern immer noch wie ich.“ „Aber ich weiß, dass der dunkle Magier zu dieser Zeit bereits verheiratet war“, wandte Terry ein. „Ja, das war ich auch. Da siehst du mal, dass selbst Himmlers späterer Körper bereits von grund auf verdorben war. Aber eine Sache hat Heinrich bis heute nicht kapiert: Er hat nie vollständig Besitz von mir ergriffen! Und meine Frau hat mich hinter der Fassade Himmlers erkannt, sonst wäre sie niemals bei ihm geblieben. In Wirklichkeit haben wir, Tim Rätsel und Heinrich Himmler, heute beide die Kontrolle über Heinrichs Körper!“ „Woher willst du das wissen? Du bist eine fünfzig Jahre alte Erinnerung“, gab Terry zu bedenken. „Ähm. Ja. Aber ich vermute einfach mal, dass das wohl so ist. Sonst wäre meine Frau ja eine ganz schöne Schlampe gewesen ...“ „Tut mir leid, Leute. Ich muss mich noch mal kurz einschalten“, sagte der Autor. „Also: Ein paar Erklärungen sind noch nötig, sonst ist die innere Logik im Eimer ...“ An dieser Stelle lachte sich Nietzsche mit den Worten „Die innere Logik!“ die Seele aus dem Leib. Also, nicht so wie Himmler - ach, vergesst es ... „Aber gleich kommen mords-tolle Kampfszenen, also lest bitte noch ein wenig * ... welche bekanntlich in Rätsels Körper immer böser wurde ...
-129-
weiter! Ähm, danke. Und nun zurück zu Himmler, nein zu Rätsel, zum dunklen Magier - ach, ist ja auch egal!“ „Verstehst du?“ fragte Rätsel. „Ich hieß schon in der Schule 'Lord Himmler', aber das wussten nur meine engsten Freunde.“ „Freunde?“ hakte Terry nach. „Meine Gang“, erklärte Rätsel. „Oder glaubst du etwa, ich hätte auch in ihrer Gegenwart den Namen meines verfluchten Muggel-Vaters gebraucht? Ich, obwohl in meinen Venen das Blut Sakrilegus Sifferins pulsiert - ein Vorfahre meiner Mutter? Sollte ich etwa für immer den Namen meines unwürdigen Vaters gebrauchen, der mich in dem Moment verließ, als er erfuhr, dass meine Mutter eine Hexe war? Nein, die Entscheidung, Himmlers Seele einzusaugen, war richtig! So konnte ich zu einem höheren Wesen werden, zum mächtigsten Zauberer aller Zeiten - und noch dazu mit einem besseren Namen!“ „Also ich finde 'Heinrich Himmler' ist kaum besser als 'Tim Rätsel'“, gab Terry zu bedenken. Rätsel ignorierte ihn und fuhr fort, mit einem wahnsinnigen Glitzern in den Augen: „Ich wählte einen Namen, von dem ich wusste, dass ihn, eines Tages, kein Zauberer sich mehr auszusprechen getrauen würde! Der Tag, an dem ich der größte Magier aller Zeiten wäre!“ „Das bist du nicht. Du bist es heute nicht und warst es früher nie“, stellte Terry fest. „Ach ja? Wieso?“ fragte Rätsel beleidigt. „Weil ich der mächtigste Zauberer aller Zeiten bin“, sagte Terry. „Und ich sage das nicht, um damit anzugeben. Das soll eine rein objektive Feststellung sein. Ich habe dich nicht nur letztes Jahr besiegt, als du einen Teil deiner Mächte wiedererlangt hattest, nein, sogar schon als Baby. Du konntest mich damals nicht töten und du wirst es auch jetzt nicht tun!“ „Dann, mein Engelsohn, ist dein Schicksal schon besiegelt! Ich bringe dich nun zum Imperator! Oder besser gesagt: Nun werde ich dir eine kleine Lektion erteilen! Lass uns die Mächte Sakrilegus Sifferins gegen die von Terry Rotter stellen und wir werden sehen, wie groß dein Talent wirklich ist!“ Tim drehte sich um und lief auf die Statue zu. Er kniete sich nieder und sagte: „Sprich zu mir, Sakrilegus, Größter der Gründer Rowlingstones!“ „Sprich zu der Hand!“ antwortete das Felsgesicht. Der verwirrte Tim murmelte: „Wie? Was? Hand? Welche Hand?“ „Drei mal darfst du raten“, antwortete das Abbild Sakrilegus. „Aber deine Statue hat doch gar keine Hände! Das ist nicht fair!“ Der junge dunkle Lord war den Tränen nahe. Er wischte sich die erste Nässe aus den Augen und versuchte Terrys sarkastischem Blick auszuweichen. Dann verstand er: „Achso: Meine Hand! Aber wieso soll ich ...“ „Es ist hier unten ziemlich langweilig“, meinte die Statue. „Da wird man sich doch mal ein kleines Hindernis ausdenken dürfen, oder?“ „Nun gut ...“ sagte Himmler und hielt sich eine Hand in ausreichendem Abstand vor den Mund. „Gib dein Monster frei, größter aller ...“ „Spinner“, ergänzte Terry. „Magier“, korrigierte Himmler. „Wie sagt man da?“ fragte das Steingesicht. „Bitte“, murmelte Tim. „Ich kann dich leider nicht verstehen“, bemerkte Sakrilegus Abbild. -130-
„BITTE!“ schrie Rätsel. „Das ist noch lange kein Grund, laut zu werden!“ Tim näherte sich nun mit großen Schritten der Resignation. „Was muss ein Übermensch denn noch alles ertragen?“ fragte er die Welt. „Ich will doch nur ein paar Pseudoblüter töten, ist denn das zu viel verlangt?“ „Warum hast du das nicht gleich gesagt?“ wollte die Statue wissen und öffnete ihren Mund so weit wie möglich. Die entstandene Öffnung war alleine gut zwei Meter hoch. Wasser strömte aus ihr heraus. Nach kurzer Zeit schwamm die ganze Kammer in kühlem Nass*. Obgleich das Wasser nur ein paar Zentimeter hoch stand. Der Mund schloss sich wieder. „Und nun?“ fragte Tim „Was nun?“ entgegnete das Felsgesicht. „Das Monster! Ich will das Monster!“ „Ist doch schon draußen!“ meinte Sakrilegus. „Ich kann es aber gar nicht sehen. Ist es wirklich so klein?“ „Hast wohl in Bio nicht aufgepasst, was?“ fragte Terry. „Kaulquappen sind wirklich verdammt klein.“ „Ja, aber diese hat einen bösen Blick! Einen tödlichen Blick!“ triumphierte Rätsel versuchsweise. „Weshalb ich es mir bislang auch noch nicht angesehen habe!“ „Wo er Recht hat, hat er Recht“, bestätigte Sakrilegus. „Gut. Dann gebe ich jetzt den Befehl: Greife den Jungen an, Blödsviech!“ forderte Tim. „Aber er ist doch Reinblüter!“ protestierte die Statue. „Und du bist ruhig!“ schrie Rätsel. „Und jetzt stirb, Narbengesicht!“ „Oh je“, meinte Terry. „Hoffentlich trete ich nicht aus Versehen auf das blöde Viech.“ Auf einmal plätschert es direkt vor Terry. Reflexartig will er nach der Quelle des Geräuschs Ausschau halten und kann sich gerade noch stoppen. „Na schön“, sagt er. „Ich komme mir zwar ein bisschen dumm dabei vor, aber ...“ Mit diesen Worten hüpft Terry wild auf dem feuchten Boden herum. „Platsch!“ „Mist!“ Der Blödsviech taucht – scheinbar – hinter Terry auf. Er zieht seine Waffen, dreht sich um und feuert mit geschlossenen Augen ins Wasser vor sich. „Ist dir eigentlich klar, dass du mein wertvolles Mineralwasser mit Blei verunreinigst!?“ protestiert Sakrilegus. Der Junge hört auf zu schießen und lauscht. „Platsch!“ ertönt es wieder. Diesmal in ein paar Meter Entfernung neben ihm. „Wie du willst!“ Terry stellt seine Waffen auf Flammenwerfer und bringt das Wasser zum Kochen. Stille. „Platsch!“ „Grrr! Es kann doch gar nicht sein, dass sich dieses Problem nicht mit Waffengewalt lösen lässt!“ Des Jungen fixierter Geradeaus-Blick entdeckt ein Rohr neben einem der Steinfrösche. „Ah, hier kann das Blödsviech nicht plötzlich neben mir auftauchen!“, denkt er und setzt zum Sprint an. Das Rohr ist groß genug, so dass er hindurchlaufen kann. Er entdeckt eine kürzere Abzweigung. „Platsch!“ Er geht hinein, schließt die Augen und verwandelt das Hauptrohr in ein Flammenmeer. Stille. Nach einer Weile öffnet er die Augen. Ganz langsam richtet er seinen Blick fast bis ganz nach unten. „Platsch!“ „Verflucht!“ * Enthält viele wichtige Mineralien und Nährstoffen.
-131-
Terry rennt wieder aus dem Rohr hinaus in die Kammer, wo ihn der grinsende Tim erwartet. „Na schön“, bekennt er der Allgemeinheit kleinlaut. „Ich könnte hier tatsächlich etwas Hilfe gebrauchen.“ „Das ist schlimmer, als von einer Frau geschlagen zu werden, nicht wahr?“ fragt Rätsel zynisch. „Frauen können ziemlich gefährlich sein, du chauvinistischer Depp! So etwas sagen nur Leute, die noch niemals eine echte Freundin hatten! Verdammte Kaulquappe!“ entgegnet Terry. Auf einmal hört er einen hallenden Schrei. Er klingt wie: „Halte ein, Proletarier: Deine Rettung naht!“ Von oben kommt Karl Marx geflogen. Er flattert mit den Armen, sein Bart weht im Wind. „Platsch!“ Terry, noch ganz fasziniert von jüngsten Anblick, schreckt zurück. Doch im Sturzflug kommt der Kommunist und plättet das Amphibium. Er schabt noch ein wenig mit den Schuhen und geht dann einen Schritt beiseite. „Platsch!“ „Ich dachte, du hättest das Ding gekillt!“ schreit Terry entsetzt. „Nein, ich habe ihm nur die Augen ausgekratzt.“ „Eine Kaulquappe hat Augen?“ „Platsch!“ Erschrocken macht Terry einen Satz nach hinten. Stille. „Ist es jetzt tot?“ „Ja“, bestätigte Karl. Terry war aus Versehen auf das blöde Viech getreten. „Wie konntest du das Blödsviech eigentlich so leicht erkennen?“ „Ich habe ein Auge für Details“, erklärt Marx. „Vielleicht nicht für das große Ganze, aber für Details.“ „Hahahaha, zu spät!“ schreit Tim, als er seinen Schock überwunden hat. „Ich mag zwar noch nicht wieder komplett in der materiellen Welt manifestiert sein, aber es reicht allemal aus, um dich zu vernichten!“ Rätsel zieht Terrys Zauberstab und kreischt: „Detonantium massivus!“ Ein gelber Blitz rast aus dem Stab und sprengt ein Loch in den Boden. Doch Terry ist schon verschwunden. „Zeit für Zeitlupe!“ erkennt er und löst selbige aus. Die Farben verlaufen, ein Chor erklingt. Terry läuft an Sakrilegus Statue – welche eigentlich nur aus einem übergroßen Kopf besteht und offiziell wohl eher Büste genannt werden müsste – nach oben. Er springt ab, dreht sich und feuert samt cooler Lichteffekte auf Tim, der unter ihm verweilt. „Die Zeit verlangsamen. Ein Zauber, der wahrlich nur den größten Magiern vorbehalten ist. Einem Magier wie mir!“ gibt Rätsel an und springt zur Seite. Doch eine Kugel trifft ihn in der Schulter. „Aaargh! Aber das verwundet mich nur leicht, noch bin ich kein vollends körperliches Wesen!“ „Weniger reden, mehr kämpfen!“ schlägt Terry vor und landet vor seinem Widersacher. „Wie du willst, junger Magier! Finito Injurie! Nuevo Vitae!“ Jene Flüche bewirken ein schnelleres Heilen von Tims Schulter und eine Verabschiedung aus dem Reich der unbelebten Natur für einen der Steinfrösche. Jener hüpft auf Terry zu. „Ultima destruktivum finalis!“ schreit der Junge und verwindet für ein paar Sekunden ins Nichts. Dann taucht er an der selben Stelle wieder auf. „Wow. Ich war gerade in einer gedehnten Zeitblase und habe ganz unglaubliche Dinge erlebt“, erklärt er. „Wusstet ihr, dass ein Verwandter von mir einen gewaltigen rosafarbenen Schwamm bekämpft, der das Universum aufsaugen will?*“ „Ähm. Nein“, antworten Rätsel und Sakrilegus im Duett. „Naja, ist ja auch egal“, meint Terry, stellt seine Avengers auf Mini-nukleare-Detonationen und verarbeitet den Frosch zu Steinpulver. „Manifesto Lichtschwerter!“ schreit Terry ergänzend und fängt erneut zwei Exemplare jener exo* Was für ein Schwamm? Erfahren Sie mehr in meinem neuen Roman „Say goodbye to your galaxy“.
-132-
tischen Nahkampfwaffenart auf. Diesmal in den Farben rot und grün. „Man, die Dinger müssen ja echt überall herumliegen ...“ „Du hast Recht“, stellte Rätsel fest. „Zweifellos kann dieser Wettstreit zwischen uns nicht durch unser Wissen um die Magie entschieden werden - aber sicher durch unsere Fertigkeiten mit dem Laserschwert! Extraktum Doppelklinge!“ Mit diesen Worten bildeten sich jeweils ein Meter lange Laserklingen an den Enden von Terrys Zauberstab. Beide drehen ihre Schwerter und rennen aufeinander zu. Nach einigen Schlägen springt Terry über Rätsels Kopf und bohrt ihm eine Klinge in den Rücken. „Aua!“ kommentiert dieser und sinkt zu Boden. „Aber auch das wird mich nicht aufhalten!“ Er dreht die Doppelklinge und verfehlt nur knapp Terrys Bein. Tim steht wieder auf und schleudert den Fluch „Virulentus letalis!“ auf Terry. Der Junge erbleicht und kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Eine ätzende Wunde hat sich auf seinem Handrücken gebildet, was Rätsel zu folgendem Kommentar veranlasst: „Uahaha! Es gibt nichts, nein, nichts mehr, was mich jetzt noch aufhalten könnte!“ „Schau mal, hinter dir: Ein dreiköpfiger Affe!“ „Was, ehrlich?“ fragt Rätsel und risikiert einen kurzen Blick nach hinten. Terry nutzt den Augenblick, um Tim in den Magen zu schlagen. Das Tagebuch fällt aus dessen Tasche und Terry befördert seinen Gegner mit einem heftigen Tritt zurück auf den Boden. Dann steckt er eines seiner Lichtschwerter in das Buch. „Neeiiiin!“ schreit Tim und verliert ein paar Gliedmaßen. „Du glaubst ja gar nicht, wie weh das tut!“ Die Klinge des zweiten Lichtschwerts bohrt sich in das Tagebuch und Rätsels Körper löst sich auf, um schließlich in die ewige Vergessenheit zu entschwinden. Terry brach zusammen. Er starb. Das wusste er, weil er schon einmal tot gewesen war. Karl Marx lief auf ihn zu und sagte: „Du armer Junge, du tapferer, kleiner Proletarier!“ Er setzte sich neben Terry und weinte. Seine Tränen tropften auf die Wunde des Helden. Letztgenannter erinnerte sich daran, was ihm Gandalf erzählt hatte: „... ihre Tränen haben heilende Wirkung ...“ Seine Wunde verschwand. Er ließ das erstmal sein mit dem Sterben und ging hinüber zu Gandalf, der in diesem Moment erwachte. „Oh, hallo, mein Junge“, sagte er. „Habe ich irgendwas verpasst? Moment, jetzt erinnere ich mich wieder ... Saperlott! Ich glaube, ich habe einige äußerst dumme Dinge in letzter Zeit angestellt!“ „Das ist wohl wahr“, antwortete Terry. „Ich hoffe, Sie haben etwas daraus gelernt!“ „Ja, das habe ich: Hin und wieder können weiche Drogen Spaß machen. Aber falls man es mit ihnen übertreibt, hetzt man irgendwann Kaulquappen auf Kinder mit Muggel-Eltern und hilft der Erinnerung eines dunklen Magiers, der die Seele eines Nazis enthält, bei der Umsetzung seiner grausamen Pläne.“ „So in etwa.“ „Und darum werde ich nie wieder Drogen nehmen.“ „Könnte es denn jemals einen besseren Grund geben?“ fragte Terry. Der Held des Tages half Gandalf beim Aufstehen. Gemeinsam verließen sie die Kammer, die ihren Schrecken verloren hatte. Das Eingangstor war wieder intakt, ließ sich aber durch den bekannten Trick erneut zum Zerfallen animieren. Der einzige Unterschied war, dass diesmal Gandalf den Befehl „Geh auf!“ in dummschwätzerisch gab. Als sie verschwunden waren, ließ Sakrilegus das Wasser ablaufen. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck sagte er: -133-
„Vielleicht sind heute keine Pseudoblüter gestorben. Aber ein Reinblüter hat sich als sehr mächtig erwiesen. Ich werde deine Karriere mit großem Interesse verfolgen, Terry Rotter ...“ Und er lachte. Sein Lachen war überzeugender als das von Tim Rätsel, der nun entgültig ein Relikt der Vergangenheit darstellte und nicht einmal mehr als Erinnerung taugte. Timidus Lotleak und Ron hatten die Felsen aus dem Weg geräumt. „Terry! Professor Gandalf! Ich bin so froh, dass es euch gut geht!“ sagte Ron und umarmte Terry. „Das hast du viel besser gemacht, als ich es jemals gekonnt hätte!“ stellte Timidus fest. „Lass uns nach Rowlingstone zurückkehren! Wir haben uns eine Feier verdient, besonders du natürlich, Terry!“ „Ja, sehr schön, danke“, sagte der Held. „Und nun werden wir hier unten verdursten. Und dann verhungern wir. Aber ich muss wirklich sagen: Wenn ich schon sterben muss, so bin ich doch froh, dass ich die Ehre habe, mit euch zusammen zu sterben. Und nicht zum Beispiel mit den Sifferins. Obwohl ...“ „Nun mal keine Panik, Junge“, sagte Karl Marx. „Ich bin auch noch hier, schon vergessen?“ „Ach ja, genau! Oh, tut mir leid, Herr, ähm, Phönix“, sagte Terry. „Nenn mich doch Karl, wie alle meine Freunde.“ „Freunde?“ „Parteigenossen. Aber es gibt einen Grund, sich zu freuen: Ich kann euch hier rausholen, wenn ihr wollt!“ Gandalf erinnerte sich daran, was er Terry gesagt hatte: „Sie können extrem schwere Lasten tragen ...“ - natürlich! „Jetzt haben Sie Freunde“, sagte Lotleak zu Karl. „Die ganze Schule wird Ihnen dankbar für das sein, was Sie für uns getan haben!“ „Und dafür, dass du mir bei dem Kampf gegen das Blödsviech geholfen hast, nicht zu vergessen“, sagte Terry. „Ich erzähl's dir später, Ron!“ fügte er hinzu, als sein Freund die ganze Geschichte hören wollte, am besten mit heldenhaften Ausschmückungen. So kam es, dass ein Lehrer, ein Direktor und zwei Schüler am Begründer des modernen Kommunismus hängend eine eingestürzte Höhle hinauf flogen. Hinauf zu einer Zauberschule.
-134-
Kapitel 18: Bernard's Belohnung Aber was, wenn es auch Frauen gab, die vielleicht gar nicht in den Krieg ziehen wollten? Oder Fußball kucken und Bier trinken? Oder anderen Frauen nachpfeifen? Wenn sie vielleicht lieber Hausfrauen sein wollten, statt wie ihre männlichen Kollegen in die Politik zu gehen oder die heisenbergsch'e Unschärferelation zum hundertsten Mal durchzurechnen? Ein schrecklicher Gedanke. Durfte ein emanzipiertes Mädchen ihrer Puppe die Haare kämmen und eine ästhetische Anziehung zur Farbe Rosa haben? Streng genommen war es politisch völlig inkorrekt, weiblichen Geschlechts zu sein. Egal, wie interessant diese Gedanken auch sein mochten, McGonekel quälten sie jedenfalls nicht, als sie ihrem geliebten Direktor eine Tasse Tee brachte. „Dass du mir ja nie wieder so einen Unsinn machst, Jimmy!“ forderte sie. „Aber nein, Silenzia“, versicherte Gandalf. Der Tag nach den Ereignissen in der Kammer. Mittag. Der Direktor saß zusammen mit Terry, Ron, Karl und Timidus in seinem magischen Garten an einem runden Holztisch. Am Nachmittag sollten Hermione und die unwichtigeren Opfer wieder aufgetaut werden. Für diesen Anlass, wegen dem Sieg über das Monsters und aufgrund der Rückkehr des Rektors war für den Abend eine große Party geplant. Man konnte auch gleich Merlins Geburtstag und das Ende des Treibholz-Jahres mitfeiern. Außerdem die niedrigeren Müllgebühren, die das Ministerium angekündigt hatte. „Ich muss Ihnen wirklich danken, Professor“, sagte Gandalf zu Lotleak. „Sie haben der Schule einen großen Dienst erwiesen, beziehungsweise: Sie wollten der Schule einen großen Dienst erweisen, aber dann haben sich Ihnen ein paar Felsen in den Weg gelegt. Nichts desto weniger haben Sie dem Kollegium bewiesen, dass Sie mehr als würdig sind, in Rowlingstone zu unterrichten.“ „Ich danke Ihnen, Herr Schulleiter. Und dennoch befürchte ich, dass ich meine Tätigkeit als Lehrer aufgeben muss“, erwiderte Timidus. „Sehr schön“, meinte Gandalf. „Es wird Ihnen hier sicherlich gefallen. Moment: Haben Sie gerade 'aufgeben' gesagt?“ „Ja, sehen Sie: Dank Terry habe ich nun endlich meine Berufung akzeptieren können.“ „Und die wäre?“ fragte Gandalf. „Ich bin Schriftsteller. Und es gibt noch viele Geschichten zu erzählen. Dieses Mal habe ich eine davon selbst miterlebt.“ „Oh ja, natürlich. Tut mir leid, ich muss mich erst einmal wieder an klares Denken gewöhnen.“ An Terry gewandt erklärte der Rektor: „Ich danke dir, dass du mich gerettet hast. Und natürlich auch das Leben, das Universum und den ganzen Rest. Allerdings hast du seit deiner Ankunft hier schon so unglaublich viele Regeln gebrochen, dass ich dich leider von der Schule verweisen muss. Und dich auch, Ron.“ Terry lächelte nickend und deutete dann mit dem Zeigefinger auf Gandalf. „Sie hätten mich beinhahe gekriegt, aber nur beinahe ...“ Ron war aufgrund des Schocks an einem Herzinfarkt gestorben, erwachte aber wieder erleichtert, als Gandalf sagte: „Du bist gar nicht so leicht hereinzulegen, Terry! Hahaha. In Wahrheit werde ich euch beiden Auszeichnungen für besondere Anbiederung an die Schule verleihen!“ -135-
„Hehehe“, entgegnete der Held und stand auf. Der Rektor tat es ihm gleich. „Alter Schwede, das war vielleicht ein verrücktes Jahr!“ sagte er und lachte. Terry und Gandalf umarmten sich und klopften sich auf den Rücken. „Sie sind schon ein irrer Kerl, wirklich!“ „Du bist aber auch nicht ganz zurechnungsfähig, Junge!“ „So, und jetzt keinen Schmalz mehr“, forderte Nietzsche. „Sonst landet dein Groschenroman in irgendwelchen Bahnhofsshops.“ „Hey, was soll's? Ich hätte mir so einen Rektor gewünscht. Aber es sollte nicht sein“, bedauerte der Autor. „Du hast deinen Schulleiter dazu aufgefordert, die Kreuze in den Klassenzimmern abzuhängen! Ich meine – versteh' mich nicht falsch, da hast du meine vollste Zustimmung - aber du hast Glück, dass er dich nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt hat!“ „Ja“, bestätigte Darwin. „Und als er dir das verweigert hat, hättest du auch nicht unbedingt einfach die Kruzifixe vor den Augen aller abreißen und in den Müll werfen sollen. Du wohnst in Bayern, Mann!“ „Und ich dachte, du nennst dich Aufklärer“, meinte der Autor beleidigt. „Das bin ich auch“, sagte Darwin. „Und außerdem bin ich am Überleben interessiert. Nun gut, jetzt natürlich nicht mehr ...“ „Aber etwas verstehe ich noch nicht so ganz“, meinte Terry, als sie sich wieder an den Tisch gesetzt hatten. „Ich kam nicht umhin, gewisse Parallelen zwischen mir und Rätsel zu entdecken - zum Beispiel die Fähigkeit, Dummschwätzerisch sprechen zu können. Außerdem finde ich es immernoch etwas beunruhigend, dass mich das 16-Tonnen-Gewicht letztes Jahr zuerst nach Sifferin schicken wollte.“ „Keine Sorge, Terry“, bestätigte Gandalf. „Das 16-Tonnen-Gewicht ist auch nur ein Mensch. Außerdem überwiegt deine eigene Entscheidung, nichts mit Sifferin zu tun haben zu wollen. Und die Fähigkeit, dumm zu schwätzen, wurde vom dunklen Lord auf dich übertragen. Und zwar bei seinem Angriff vor gut 14 Jahren.“ „Das ist eigentlich völlig unmöglich ...“ stellte Terry fest. „Aber damit reiht es sich nur allzu gut in meinen Erfahrunghorizont ein. Obwohl: Wäre es nicht auch denkbar, dass ich dieses Talent von ihm geerbt habe? Schließlich ist er mein Großvater.“ „Nun ja. Das könnte schon sein, aber es sind zwei gleichzeitig auftretende rezessive Allele für diesen Erbgang erforderlich. Das ist ziemlich selten. Es wäre allerdings möglich, dass deine Neigung, Leute umzubringen, die deine Ansichten nicht teilen, in deinem Erbut steckt. Ich bin froh, dass nicht auch die konkrete Zielgruppe vorprogrammiert ist.“ „Ja“, sagte Timidus. „Vielleicht bist du sogar derjenige, der das magische Gleichgewicht bringen soll - der Auserwählte!“ „Na logo“, kicherte Terry. „Das hatten wir doch schon letztes Jahr! Und am Ende werde ich dann unerwartet zu Dark Rotter. Sie haben wohl zu viel Narrativium intus. Oder zu viele schlechte Filme, für die spätestens ab Episode 2 keinerlei Verstand mehr empfehlenswert ist*. Ich bin einfach nur ein Junge mit einem gewissen magischen Talent und dem Willen, gegen das Böse zu kämpfen. Und zwar nicht, um damit die Menschheit zu retten oder irgend so einen Käse, sondern weil mir die Sifferins einfach tierisch auf den Zeiger gehen mit ihrem Schwachsinn!“ „Das stimmt also wirklich?“ fragte Ron. „Du bekämpft die Sifferins nur, weil * Allerdings ersetzbar durch eine THX-lizensierte Soundanlage, einen TFT-Bildschirm mit mindestens 36 Zoll und ein gutes Filesharing-Programm.
-136-
sie andere Ansichten haben?“ „Das kann man so nicht ernsthaft sagen. Ich tue das, von dem ich glaube, dass es richtig ist. Aber es ist mir echt zu blöd, 'für das Volk zu kämpfen', um die Welt vor dem Untergang zu bewahren oder um das Klonen von Rauhaardackeln zu verhindern.“ „Warum denn?“ wollte Ron wissen. „Ganz einfach“, erklärte Terry. „Das Volk hat es gar nicht verdient, dass man für es kämpft. Ein Beispiel: Wenn die Politiker, da wo ich herkomme, wirklich das tun würden, was das Volk will, dann müssten die Leute keine Steuern mehr bezahlen, hätten aber ein Anrecht auf vom Innenminister persönlich gemähte Rasen und saubere Straßen, über die eine Frau auch des nachts noch sicher gehen kann.* Außerdem würde man gelegentlich Minderheiten lynchen, vor allem Ausländer und Hexen. Außerdem würden Politiker überhaupt nichts mehr verdienen und es wäre gleichzeitig verboten, dass sie noch in der freien Wirtschaft arbeiten. Mit anderen Worten kann sich der Außenminister mit Lumpen einkleiden und in einer Sozialwohnung leben, bevor man ihn ins Gefängnis steckt, weil er Sozialschmarotzer ist. Aber das ist eigentlich nicht so schlimm, schließlich würde man bald auf alternative Heilmethoden umstellen, was bedeutet, dass sich das Problem ohnehin von selbst lösen würde. Für Politiker kann die Devise eigentlich nur lauten: Tut das, was für das Volk das Beste ist und bloß nicht, was das Volk will - Oder schmeißt euch selbst raus, mich könnt ihr eh nicht regieren!“ „Aber du gehörst doch auch zum Volk!“ beharrte Ron. „Ich gehöre zu mir und zu sonst niemandem. Außer zu Hermione vielleicht. Und zu dir, wenn du nicht gerade so blöde Fragen stellst. Die maximale Größe einer überschaubaren Gruppe, mit der man sich eventuell identifizieren könnte, beträgt 150 Personen.** Und nicht 89 Millionen und noch ein paar Elfen.“ „Und warum willst du die Welt nicht vor dem Untergang bewahren?“ fragte Ron verwirrt. „Weil es egal ist, ob die Welt existiert oder nicht. Wenn alle tot wären, bliebe keiner mehr übrig, der sich über diesen Umstand beschweren könnte. Und ob Rauhaardackel geklont werden oder nicht, ist für mich von mäßigem Interesse.“ „Das ist eine etwas – unorthodoxe Einstellung ...“, meinte Ron. „Lächerlich. Einfach lächerlich“, stellte Terry fest, als er das neueste T-Shirt von Luzifer Efeu erblickte. In roten Buchstaben stand darauf: „Schade, dass man Blut nicht waschen kann!“ Er hatte einen wütenden Gesichtsausdruck aufgelegt. Und vor ihm lief Bernard, der noch sehr viel weniger glücklich aussah. Wohl vor allem, weil er unentwegt von seinem Meister getreten wurde. „Guten Tag, Luzifer“, grüßte ihn Gandalf. Des Spongos reinblüt'ger Vater schubste Ron beiseite. Dieser landete in einem tiefen Brunnen und brach sich so manchen Knochen. Dann stellte sich Efeu breitbeinig vor Gandalf, streckte ihm seinen Zeigefinger entgegen und sagte: „Sie! Sie sind also wirklich zurückgekehrt! Die bayerischen Kultusminister haben Sie entlassen und doch sind Sie wieder hier!“ Gandalf rückte seinen Gartenstuhl zurecht und blickte Luzifer erhaben in seine feurigen Augen. * Warum wollen Frauen immer nachts über die Straße laufen? Gibt es dafür etwa Freitickets für Spumoniland? ** Ja, ehrlich. Ging aus diversen Studien hervor. Einige davon hingen sogar mit der Fragestellung zusammen.
-137-
„Nun, sehen Sie, Luzifer: Die Minister haben mich heute Morgen kontaktiert. Man könnte von einer richtigen Euleninvasion sprechen. Sie hatten davon gehört, dass mich das Monster in die Kammer verschleppt hat. Und Sie waren davon überzeugt, dass ich selbt die geeignetste Person sei, um mich wieder aus dieser Lage zu befreien. Und außerdem erzählten sie mir einige merkwürdige Geschichten. Viele von ihnen schienen den Eindruck zu haben, ihre Familien wären von Ihnen verflucht worden, hätten sie mich nicht suspendiert.“ „Ach, die reden sich doch nur heraus! Jeder weiß doch, wie unfähig die bayerischen Kultusminister sind!“ „Da hat er allerdings Recht“, gab Terry zu bedenken. „Also: Haben Sie den Angriff gestoppt und den Schuldigen gefasst?“ fragte Luzifer. „Ja, das haben wir“, sagte Gandalf und zwinkerte Terry zu. „Und?“ fragte Efeu. „Wer war's?“ Der Direktor lächelte und verschränkte die Arme. „Es war die Person, die auch letztes Jahr der Täter war“. „Was die Sache natürlich ungemein spannend und abwechslungsreich macht“, stellte Terry fest. „Aber diesmal handelte der dunkle Lord durch jemand anderen“, erklärte Gandalf. „Mehr oder weniger“, warf Terry ein. „Und zwar mit der Hilfe dieses Tagebuchs“, schloss Gandalf und legte das Buch auf den Tisch. Es waren zwei Brandlöcher darin. Bernard tat etwas seltsames: Er deutete gleichzeitig auf das Tagebuch und auf Luzifer, während er sich selbst verprügelte. „Ich verstehe“, meinte Efeu. „Ein schlauer Plan“, sagte Gandalf. „Niemand hätte jemals herausfinden können, dass jemand meinen Rausch für seine eigenen finsteren Zwecke ausnutzte. Und dass ich nicht nur aufgrund meiner eigenen Bekifftheit meine Schüler dem Monster auslieferte. Doch zum Glück deckten Terry und Ron hier die Wahrheit auf. Und Hermione vermutlich auch.“ „Aber das war gar nicht so geplant, nicht wahr?“ fragte Terry. „In Wirklichkeit war es gar nicht Gandalf, dem Sie das alles in die Schuhe schieben wollten.“ Luzifer blickte nervös hin und her. „Ich weiß nicht, wovon du redest. Und ich habe leider auch keine Zeit, das herauszufinden. Guten Tag, Professor.“ Efeu trat Bernard in Gandalfs Büro hinunter und folgte ihm. Terry schnappte sich das Tagebuch und eine Dressingsoße vom Holztisch. Er öffnete das Buch und schüttete etwas von der Soße hinein. Dann folgte er Luzifer. Im säulenverzierten Gang angekommen, rief er Efeu folgendes zu: „Vergessen Sie Ihr Buch nicht!“ Luzifer blieb stehen und drehte sich um. „Was soll das heißen – mein Buch?“ „Sie haben es heimlich in Ginnys Kessel geworfen, als ich Ihnen in Flounder & Bluffs begegnet bin. Das weiß ich noch genau. Und Folgendes war Ihr Plan: Ginny sollte von Rätsel zu diesen gräuslichen Schandtaten verführt werden. Doch sie hatte Angst davor und gab das Buch lieber beim Direktor ab.“ Luzifer nahm es an sich und fragte: „Warum beweist du nicht einfach, dass es sich in meinem Besitz befand?“ „Wozu?“ wollte Terry wissen. „Seit wann interessieren sich Magier für Beweise?“ Efeu öffnete das Buch und French Dressing tropfte heraus. -138-
„Igitt! Warum um alles in der Welt hast du Soße in das Buch geschüttet? Du bist gar nicht so weise, wie alle denken, Terry! Solche Knabenstreiche mit mir zu machen! Du wirst eines Tages dasselbe armselige Ende nehmen wie deine Eltern! Sie waren ebenfalls unverbesserliche Kindsköpfe! Hier, Bernarnd: Nimm das ekelhafte, unnütze Buch. Es passt gut zu dir!“ Er drehte sich um und wollte gehen. „Komm Bernard!“ Doch das Baguette blieb stehen. Es hielt das Tagebuch nach oben und ließ die Soße auf sich hinunter tropfen. „Bernard! Ich sagte, du sollst ...“ „Der Meister hat Bernard mit Dressingsauce beschenkt!“ „Ich habe was?“ fragte Luzifer. „Depp“, stellte Terry fest. Bernard sprang auf und ab. Er sang: „Bernard est libre! Bernard est libre! Enfin, la liberté est là!“ „Du hast mir meinen Diener gekostet! Dafür wirst du bezahlen!“ schrie Luzifer und zog seinen Zauberstab, um zum Fluchen anzusetzen: „Detonantium massivus!“ Terry springt zur Seite und eine Säule zerberstet. Die Marmorbrocken fliegen durch den Raum und verfehlen Luzifer um Haaresbreite. Eines der Porträts an der Wand beschwert sich über den Lärm. „Entflamme!“ Doch auch diesmal entgeht Terry dem Fluch und ein Porträt fängt Feuer. „Avatar Kebab!“ kreischt Luzifer und ein Todesfluch grüner Färbung macht sich auf den Weg zu Terry. Doch dieser verschwindet hinter einer Säule. „Das wird allmählich langweilig!“ Terry gähnt und kratzt sich am Kopf. „Stirb endlich!“ fordert Efeu. „Ach ne, lieber nicht.“ Luzifer rennt auf Terry zu und holt mit seiner Faust zum Schlag aus. Er stolpert über das Baguette und stößt mit dem Kopf gegen eine Säule. „Ach herrje!“ Terry schüttelt den Kopf. „Komm, geh doch zurück in dein Ministerium! Bei allem nicht vorhandenen Respekt: Du bist kein Gegner für mich!“ Efeu rafft sich wieder auf und schreit: „Nuevo vitae!“ Terry geht gemütlich ein paar Schritte zur Seite und plötzlich öffnet eine Säule die Augen. „So, nun bin ich also lebendig“, stellt sie fest und kratzt sich am Echimus. „Interessantes Gefühl. Habt ihr mich aus einem bestimmten Grund zum Leben erweckt?“ „Nein, das war ein Versehen“, erklärt Terry höflich. „Oh, na dann.“ Mit diesen Worten erstarrt die Säule und kehrt so zu sagen in den Hades zurück. Gemächlich zieht Terry eine Avenger und richtet sie auf Efeu. Luzifer steckte seinen Zauberstab wieder ein und hob die Hände. „Was erwartest du nun von mir, du lausiger Amateur mit zu viel Glück?“ Bernard schüttelte drohend sein Fäustchen. „Dü sollen verschwinden! Dü nicht anfassen Terry Rotter! Dü jetzt gehen!“ Terry nickte. „Besser hätte ich das auch nicht ausdrücken können, Bernard. Naja, ein bisschen vielleicht. Aber ich lasse dir die Wahl, Efeu: Selbstverständlich kann ich dich auch erschießen, falls du nicht gehen möchtest.“ Luzifer warf den beiden noch einen geringschätzigen Blick zu und verließ schließlich Gandalfs Büro durch die Dachluke. „Terry Rotter 'at Bernard befreit!“ stellte das Baguette fest. Sein Grinsen weitete sich, so dass kaum noch etwas vom Rest des Gesichts zu sehen war. -139-
Terry steckte seine Waffe gelangweilt zurück. „Ja, hatte gerade nichts besseres zu tun.“ „Endlisch kann Bernard zurückkehren zu Bäckerei in Fronkreich!“ Des backenden Baguettes Held lächelte und nahm es bei der Hand. „Meinen Glückwunsch, Bernard. Willst du vorher noch zu dem Fest mitkommen, das sie zu meinen Ehren veranstalten? Und wegen ein paar anderer Dinge, aber an der Stelle habe ich nicht zugehört.“ „Ah, merci, Terry le grand! Mais isch möchte nicht wieder enden als Haussklave. Wir uns wiedersehen bestimmt. Salut et merci pour tout, größter aller Zauberer!“ Und mit diesen Worten machte sich Bernard unsichtbar. Man hörte noch, wie er stolperte, die Dachluke herunterfiel und fluchte. Dann war er erst einmal aus Terrys Leben verschwunden. Ein paar Stunden später: Die Tür des Krankenflügels öffnete sich. Madam Wurzel betrat den Saal, in ihrer Hand die sehnsüchtig erwarteten Dendriten. Sie setzte diese auf den Eingefrorenen ab und trat beiseite. Mit gezielten Tritten und Schlägen bearbeiteten die kleinen Wesen das Eis auf den Körpern. Bei besonders schwierigen Stellen setzten sie ihren Feueratem ein. Und schon kehrten die Opfer der fiesen Kaulquappe in die Welt der aktiv lebenden zurück. Colin schreckte auf. „Mein Film! Geht es ihm gut?“ Terry schüttelte den Kopf. Er saß auf Hermiones Bett und sah seine Aufmerksamkeit durch McRae missbraucht. „Dann hat das Leben keinen Sinn mehr!“ schluchzte dieser. Terry wandte sich mit den Worten „Das hättest du dir überlegen sollen, bevor wir dich aufgetaut haben!“ von ihm ab und legte eine Hand auf Hermiones Wange. „Du hast es also gelöst!“ sagte sie erleichtert. „Natürlich. Du hättest mir nicht einmal dabei helfen müssen. Allerdings ging es dadurch ein wenig schneller. Und jetzt küss mich!“ Terry war schon auf vielen Rowlingstone-Festen gewesen - und dieses war wirklich haargenau so, wie alle anderen. Genau genommen handelte es sich um ein typisches Happy-End-Fest, so wie das im letzten Jahr. Aber er wollte sich ja nicht beklagen. Denn Griffamtor gewann erneut den Pokal der Zwecklosigkeit, McGonekel sagte die Jahresprüfungen ab, zahlreiche Schüler entschuldigten sich bei Terry, weil sie ihn verdächtigt hatten und die Aufgetauten fühlten sich ihm gegenüber zu ewiger Leibeigenschaft verpflichtet. Nur Ginny Grievly fühlte sich schrecklich. Sie entschuldigte sich bei jedem Opfer persönlich und sprach nun Terry ihren Dank aus: „Oh, ich kann gar nicht daran denken, was ohne dich geschehen wäre!“ schluchzte sie. „Wie konnte ich nur so blöd sein und das Tagebuch unserem Direktor geben? Nur weil es mich dazu aufgefordert hat, Kinder mit MuggelEltern umzubringen!“ „Tja“, meinte Terry. „Und was lernen wir daraus? Das werde ich dir sagen: Es ist falsch, ein dummes kleines Mädchen zu sein!“ „Terry!“ zischte Hermione und schlug ihm auf den Arm. „Tut mir leid. Ich meinte: Es ist falsch, Menschen zu vertrauen. Vor allem Vertrauenspersonen.“ Hermione boxte ihn noch einmal und korrigierte ihren Freund: „Du hast richtig gehandelt, Ginny! Was geschehen ist, war nicht deine Schuld. Du hast dir überhaupt nichts vorzuwerfen!“ -140-
„Genau“, bestätigte Terry. „Und steig nicht gleich mit jedem ins Bett! Hat zwar mit dieser Sache nichts zu tun, aber das wollte ich dir schon immer mal sagen.“ Das Eingangstor zum Speisesaal sprang auf und Ragrid stand im Torrahmen. „Tut mir leid, dass ich so spät bin“, sagte er. „Die Wächter haben erst noch Rons Eule gefressen, bevor sie die Freilassungspapiere lasen.“ „Schaust auch mal wieder vorbei, Ragrid?“ bemerkte Terry. „Ohne dich und deinen Alkohol war es hier echt nicht mehr so lustig. Ein Rowlingstone ohne Ragrid ist schlichtweg unerträglich.“ Gandalf stand auf und klatschte. McGonekel tat es ihm gleich. Und auf einmal standen alle da und applaudierten. Nur Terry hielt sich noch zurück und fragte: „Was ist denn auf einmal mit euch los? Hat Ragrid einen neuen Rekord im Freigelassen-werden aufgestellt? Naja, was solls ...“ Und auch er erhob sich und klatschte. Ein Weilchen später war das Schuljahr zu Ende und man begab sich auf den Weg zurück nach Hause. Der Rowlingstone-Express fuhr ein weiteres mal jeden Schüler nach London. Ganz egal, wo er daheim war. Besonders stressig erwies sich diese Prozedur für Tuto Schielt, ein Austauschschüler. Denn er wohnte momentan in Rowlingstone. Die rote Lock verschwand inmitten der untergehenden Sonne. Schafe drehten Pirouetten in der Luft. „Was hast du denn, Terry?“ fragte Hermione. Sie saß mit Ron und ihrem Freund in einem eigenen Abteil. „Magenverstimmungen“, meinte der Magier. „Ich glaube, so etwas ähnliches wird nächstes Jahr wieder geschehen. Mit höchstens 2-3 neuen Charakteren darin. Und die werde ich wohl auch noch erschießen müssen.“ Nietzsche kratzte sich am Kopf. „Kommt dieses Ende nicht etwas abrupt?“ Der Autor lächelte erhaben. „Soso, jetzt plötzlich kann dir der Roman gar nicht lang genug sein!“ „Ich habe nichts gesagt!“
-141-
Nachwort an alle Befürworter der Bundeswehr: Bitte denkt daran, dass Terry Rotter 2 in einer fiktiven Welt spielt, in der die Bundeswehr voll böse geworden ist. In unserer Welt ist sie natürlich nicht voll böse, sondern ganz doll lieb und will nur den Menschen helfen. Sie ist sogar so lieb, die Arbeit vom Technischen Hilfswerk, der Polizei und der CDU/CSU gleich mit zu übernehmen. Ich hoffe mit euch, dass Deutschlands Militärausgaben weiter steigen werden und unsere Entwicklungshilfe weiter sinken wird. Vielleicht werden wir eines Tages sogar der größte Waffenexporteur der Welt sein und nicht nur der drittgrößte wie heute. Denn dass sich Deutschland einen Platz an der Sonne verdient hat, wissen wir bereits, seit es unser ideeller Gründungsvater und auch mein persönliches Idol, Kaiser Wilhelm II., verkündet hat. Viel Glück und erschießt nicht so viele Kinder, Andreas Müller
Impressum:
Autor: Andreas Müller Pseudonym: Seltsamer Attraktor Email:
[email protected] Online: http://people.freenet.de/terry_rotter Cover: Jana Mengel Vielen Dank an: Elfirina und Frameguard für das Lektorat Simon Parzer für seine Hilfe bei Open Office Und natürlich den Leser Fortsetzung folgt! -142-