Lobo � Lobo
Der Einzelgänger � Nr. 105 � 105
John Reno �
Umzingelt! �
Sahara
Die Falle war zugeschnappt, und nur d...
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Lobo � Lobo
Der Einzelgänger � Nr. 105 � 105
John Reno �
Umzingelt! �
Sahara
Die Falle war zugeschnappt, und nur das Halbblut hatte eine Chance, zu entfliehen – aber Lobo blieb und kämpfte weiter. Die Hauptpersonen des Romans: Lobo – Das Halbblut muß sich entscheiden Entweder kämpft es auf der Seite der Apachen oder es stirbt mit den Weißen in der Station. Tony – Der Begleitfahrer behält selbst in gefährlichen Situationen seinen trockenen Humor Doch diesmal vergeht ihm gehörig das Lachen. Chamber – Der Stationsmann weiß nichts von der außerplanmäßigen Kutsche. Er hört erst von den drei Killern davon. Laura – Die attraktive Frau ist auf der Flucht vor der Vergangenheit. Und es sieht ganz so aus, als wurde es keine Zukunft für sie geben Big Cloud – Der Häuptling hat einen weißen Lehrer gehabt Jetzt trägt er dessen Haar an seiner Apachenhaube. Es war heiß und stickig in der Concord-Kutsche. Die fünf Männer in der Kutsche versuchten, sich die Zeit während der langen Fahrt von Silver City nach Lordsburg auf unterschiedliche Weise zu vertreiben. Drei spielten Poker, der vierte trank trotz der brütenden Hitze Whisky und begleitete die Kartenpartie mit gelegentlichen Kommentaren, und der fünfte Mann hockte in der Ecke am Fenster und schlief. Der fünfte Mann war Lobo. Man hätte die fünf Männer für normale Passagiere der Postkutschenlinie halten können. Doch sie waren es nicht. Sie hatten einen Spezialauftrag. 2
Sie sollten ein Vermögen bewachen. Keiner von ihnen wußte, wie hoch die Summe war, die sie in Albuquerque in einer versiegelten Kassette entgegengenommen hatten und die sie in Fort Bowie abliefern sollten. Doch es konnte kein Pappenstiel sein, denn fünf Mann Wachpersonal wurden nicht zum Spaß bezahlt. Zehn Dollar pro Tag. Ein wahrhaft fürstlicher Lohn. Deshalb hatte Lobo den Job angenommen. Und weil ihn ein guter Bekannter, Captain Mike Anderson, darum gebeten hatte. Die vier anderen Männer waren seit langem Begleitfahrer – ein eingespieltes Team, das viele ähnliche Jobs bisher erledigt hatte. Lobo war der Neue. Auf der Fahrt von Albuquerque bis nach Silver City war alles ohne Zwischenfall verlaufen – abgesehen von einem kleinen Streit innerhalb der Wachmannschaft. Chuck Barrymore, der älteste der Crew und bisher so etwas wie der Vormann, hatte Lobo wegen seiner Abstammung gehänselt. Vielleicht hatte er das Halbblut auch nur testen wollen, wie es üblich ist, wenn ein Neuer zu einer Gruppe stößt, die sich seit langem kennt. Das alte Spiel. Barrymore hatte Lobo während einer Rast provoziert, wobei die Bezeichnung ›dreckige Rothaut‹ noch die harmloseste gewesen war. Lobos Antwort auf die Herausforderung war knapp und präzise gewesen. Jetzt hatte Barrymore ein blaues Auge. Der Streit unter Männern war schnell vergessen. Tony rückte seinen Whisky heraus, und Barrymore und Lobo tranken einen Versöhnungsschluck. Dann stießen alle gemeinsam auf gute Zusammenarbeit an. Der Neue war akzeptiert. 3
Wilder, der vollbärtige Fahrer auf dem Kutschbock der außerplanmäßigen Concord, machte seinem Namen alle Ehre. Er fuhr wie ein Wilder. Das hatte seinen Grund. Je schneller er die einzelnen Etappen zwischen den Pferdewechselstationen schaffte, desto länger währte die Rast. Und bis auf Lobo, der die Strecke nicht kannte, hatten alle Männer dieses Spezialkommandos eine bestimmte Vorliebe für einzelne Stationen, die sie im Laufe der Jahre auf dieser Route kennengelernt hatten. Chris Wilder schwärmte von Ma Paddingtons Kochkünsten auf Eldermans Station nördlich von Silver City. Tobe Griffin, sein Begleitfahrer, freute sich mehr auf das stets kühle und gut gepflegte Bier, daß es auf der übernächsten Station gab. Die drei Pokerspieler dachten an die Mädchen im ›Traveler's Home‹, eine Station mit einem Badehaus, in dem nicht nur gebadet wurde. Tony, der Whiskyliebhaber, freute sich auf ihr nächstes Etappenziel : Kellys Station, etwa zwanzig Meilen südlich von Silver City. Bei Kelly gab es hervorragenden Bourbon, und Kellys Tochter Kathy sollte noch hervorragender sein, wenn Tony nicht übertrieb, was allerdings anzunehmen war. Lobo schreckte auf, als die Kutsche in halsbrecherischer Fahrt einen Hügel hinabraste und die Passagiere regelrecht durcheinandergewirbelt wurden. Einer der Pokerspieler landete seinem Gegenüber auf dem Schoß. Der Mann stieß ihn zornig zurück und behauptete, der andere habe ihm nur in die Karten sehen wollen. Lobo hob seine Winchester auf, die er an den Sitz gelehnt hatte, und die beim Schlingern der Kutsche gefallen war. 4
»Wilder, du verdammter Eselstreiber!« brüllte Barrymore aus dem Fenster. »Willst du, daß wir uns das Genick brechen?« Von Wilder war nur ein meckerndes Lachen zu hören. »Der legt sich prächtig ins Zeug«, sagte Tony und warf einen Blick auf seine Taschenuhr. »Wir sind mindestens 'ne halbe Stunde früher bei Kelly als geplant.« Barrymore grinste. »Da wird sich Kathy aber freuen, wenn sie dich in ihre zarten Arme schließen kann.« Er warf Lobo einen Blick zu und sagte erklärend: »Kathy ist Kellys liebreizende Tochter. Und sie steht auf Tony. Die beiden sind ein reizendes Paar. Sie passen zusammen wie die Faust aufs Auge.« Die letzten Worte erinnerten ihn an sein geschwollenes Auge, und sein Grinsen wurde säuerlich. »Du bist nur eifersüchtig, weil sie mich auserwählt hat«, sagte Tony und nahm noch einen Schluck aus der Whiskyflasche. Die anderen lachten. Lobo schaute sich Tony an. Anthony Burgess war ein gutaussehender Bursche. Zweiunddreißig, mittelgroß, schlank und muskulös. Sein tiefgebräuntes Gesicht mit braunen Augen, dem kastanienfarbenen Schnurrbart und dem energisch wirkenden Kinn schien niemals ernst zu sein. Es wirkte immer, als lächelte er leicht spöttisch. Tony war elegant gekleidet. Ein schwarzer Tuchanzug, weißes Hemd mit einer roten Samtschleife, ein weißer Stetson. Alles wirkte wie neu. Gelegentlich hänselten ihn die anderen, nannten ihn »Mister Piekfein« oder »Der schönste Mann von Lukkenbach und Umgebung«. Luckenbach war, wie Lobo erfahren hatte, Tonys Geburtsort. Der Ort in der Nähe von Fredericksburg, Texas, bestand praktisch nur aus einem großen Store. Die Einwohnerzahl betrug zwischen drei und fünf, und die paar Leute waren wirklich 5
keine Konkurrenz für den schönen Tony. Tonys Frohnatur ließ sich von solchen Bemerkungen und Anspielungen seiner Partner nicht beeindrucken. Er konterte, indem er sie als Wilde bezeichnete, die sich erst einmal waschen sollten, bevor sie einen zivilisierten Mann wie ihn anquatschten. Tony legte großen Wert auf Pflege. Er, Lobo und der Kutscher waren die einzigen gewesen, die sich im Badehaus des ›Traveler's Home‹ tatsächlich nur gebadet hatten. Tony, weil er Kathy nicht mit >diesen billigen Flittchen< betrügen wollte, und Lobo, weil ihm keines der Mädchen gefallen hatte. »Tony grinste Lobo an und hob die Whiskyflasche. »Prost, Indianer!« Er hatte Lobo von Anfang an ›Indianer‹ genannt. Tony nahm einen Schluck, verkorkte die Flasche wieder und rülpste dezent hinter vorgehaltener Hand. Dann holte er ein blütenweißes Taschentuch aus seiner Hosentasche hervor und tupfte sich damit Schweiß von der Stirn. »Es ist ein Teufelskreis«, erklärte er mit einem spitzbübischen Grinsen. »Diese Hitze ist an allem schuld. Wenn es heiß ist, habe ich Durst. Wenn ich Durst habe, muß ich trinken. Wenn ich trinke, bricht mir der Schweiß aus. Wenn ich schwitze, bekomme ich Durst. Und wenn ich Durst habe…« »Du bist nicht nur der schönste Mann von Luckenbach«, stichelte Barrymore, »sondern auch der größte Schluckspecht.« Tony zeigte lächelnd weiße Zähne. »Das kommt vielleicht daher, weil ich in einem Store geboren wurde. Gleich neben den Whiskyfässern. Und statt der Mutterbrust…« »Hör auf mit diesem Märchen«, winkte Barrymore ab, »die Story kennen wir auswendig.« Er warf Lobo einen Blick zu. »Der gute Tony hat nie die Mutterbrust bekommen. Ein Flaschenkind. Vielleicht ist er deshalb so weg, wenn er Kathy nur sieht.« »Laß Kathy aus dem Spiel.« Obwohl Tonys Stimme Ärger ver6
riet, wirkte seine Miene freundlich, fast lächelnd. »Das ist die schönste Lady von New Mexico.« Alle bis auf Lobo lachten. Lobo war gespannt darauf, diese Kathy zu sehen. Er blickte zu Barrymore. Chuck Barrymore war Mitte vierzig, groß und mager. Er schien nur aus Knochen, Sehnen und Haut zu bestehen. Sein schmales Gesicht mit hervorstehenden Wangenknochen, einer spitzen, leicht gekrümmten Nase und dünnen Lippen war im Gegensatz zu Tonys Gesicht stets ernst, fast düster. Vielleicht lag das auch an seinen stechend blickenden schwarzen Augen. Selbst wenn er lächelte, wirkten seine Züge hart. Auch Barrymore war Texaner. Er stammte aus Sweetwater, einem kleinen Ort westlich von Abilene. Er trug einen verbeulten schwarzen Stetson, dessen Krempe zwei Kugellöcher aufwies, ein kariertes Baumwollhemd, das halb offenstand und den Blick auf schwarze Brusthaare freigab, und verschlissene Levishosen, die über den hochhackigen Stiefeln hochgekrempelt waren. Als einziger der Mannschaft war er mit zwei Colts bewaffnet. Die Griffe der Peacemaker-Revolver, die aus den Halftern des Kreuzgurtes ragten, waren ziemlich abgegriffen. Er trug die Waffen bestimmt nicht zur Zierde mit sich herum. Die beiden anderen Männer in der Kutsche hießen Elmore und Masters. Elmore war ein gedrungener Mann Mitte dreißig mit blonden Haaren und einem rötlichen Bart. Masters war der jüngste der Mannschaft. Er war gerade zwanzig, aber der Ausdruck seiner Augen verriet, daß er schon viel im Leben gesehen und erlebt hatte. Insgesamt war Lobo mit seinen Partnern zufrieden. Er war gerade zwanzig, aber der Ausdruck seiner Augen verriet, daß er 7
schon viel im Leben gesehen und erlebt hatte. Lobo war kein Mann, der sich in einer gefährlichen Situation auf andere verließ. Im Grunde war er ein Einzelgänger, den das Leben in einer gnadenlosen Wildnis, der ständige Kampf ums Überleben geformt hatte. Aber wenn er schon in einem Team mitmischte, dann war es gut, zu wissen, daß er den anderen vertrauen konnte, falls es mal hart auf hart gehen sollte. Bisher war der Job ein Kinderspiel gewesen – abgesehen von den Strapazen der langen Fahrt durch staubiges, heißes Land. Lobo schaute eine Weile den drei Pokerspielern zu. Barrymore spielte gut und konzentriert. Er war ein eiskalter Bluffer. Gerade kassierte er wieder einen Pott. Dabei hatte er nur zwei lumpige Pärchen auf der Hand – zwei Sieben und zwei Buben. Die Kutsche erreichte die Ebene. »Jungs, wir sind bald da!« rief Tony übermütig und steckte den Kopf aus dem Fenster. »Jetzt kann man schon die Station…« Er brach abrupt ab. »Eh, was ist denn das?« In diesem Augenblick gellte Wilders Stimme vom Kutschbock: »Indianer!« * Jeff Ballinger zügelte seinen staubbedeckten Hengst auf einem Höhenrücken und ließ seinen Blick über das verlassene Land gleiten. Die beiden anderen Reiter folgten seinem Beispiel. »Wie weit noch, Jeff?« Jeff Ballinger blickte den Mann an seiner Seite an. »Nur die Ruhe, Matt. Wir sind gut in der Zeit. Die Station muß zwei, drei Meilen jenseits der Hügel im Süden liegen. Und die Kutsche trifft dort frühestens am Mittag ein.« Der dritte Reiter kicherte. »Dann können wir uns ja vorher 8
noch ein bißchen amüsieren.« »Du denkst wieder nur an Unterröcke, Rufus!« sagte Matt mit rauher Stimme und wischte sich mit dem Ärmel Schweiß und Staub aus dem stoppelbärtigen Gesicht. Dann band er die Feldflasche los und trank. Er spuckte einen Strahl lauwarmen Wassers angewidert aus. »Schmeckt ja ekelhaft. Wird Zeit, daß ich mal wieder 'nen anständigen Schluck gurgeln kann.« Rufus kicherte wieder, seltsam hoch und schrill. Es klang kindisch. »Und du denkst wieder nur ans Saufen, Matt.« Er heftete den Blick seiner leicht hervorquellenden blauen Augen auf Ballinger. »Was meinst du, Boß, ob es auf Chambers Station auch was anderes zum Amüsieren gibt?« »Möglich«, sagte Jeff Ballinger. Seine Miene verhärtete sich. »Aber ihr wißt Bescheid. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Wenn das Ding gelaufen ist, könnt ihr meinetwegen 'ne Party veranstalten. In Mexiko oder sonstwo. Aber vorher verlange ich absolute Disziplin. Ist das klar?« Er blickte mit kalten grauen Augen von Rufus zu Matt. »Sicher, Boß«, murmelte Matt. Rufus kicherte. »Das größte Ding, das ich je gedreht habe, Boß. Nett, daß du mich eingeladen hast. Bist du auch sicher, daß deine Informationen stimmen?« Ballinger bedachte Rufus mit einem eisigen Blick. Und er dachte: Ein Riese mit dem Verstand eines Kindes. Dieses ewige blöde Kichern! Wenn alles gelaufen ist, schlage ich ihm auf sein breites Froschmaul, wenn er wieder kichert. Aber noch brauche ich ihn. »Wenn Jeff ein Ding dreht, dann ist das immer todsicher«, sagte Matt mit einem ärgerlichen Blick zu Rufus. »Ich kenne ihn ein bißchen länger als du.« »Ich meinte ja nur begann Rufus. »Was du meinst, interessiert keinen«, unterbrach ihn Matt. 9
»Also hör mit deinen blöden Fragen und dem irren Gekicher auf. Das geht mir auf die Nerven.« »Eh, Matt, was hast du denn? Warum bist du denn auf einmal so wütend?« »Ich bin nicht wütend.« »Na klar bist du wütend. Das sehe ich dir doch an.« »Schluß jetzt«, sagte Barrymore scharf »Ich habe keine Lust, mir euer Geschwafel anzuhören. Weiter jetzt.« Er trieb seinen Hengst an. Matt und Rufus folgten ihm. Ihr Ziel war Chambers Station. Drei Banditen, die den ganz großen Coup landen wollten. Jeff Ballinger ging in Gedanken noch einmal seinen Plan durch. Wenn alles klappte, wurde er auf einen Schlag ein schwerreicher Mann. Und es mußte klappen. Er wußte, daß die Kutsche mit der wertvollen Fracht gegen Mittag bei Chambers Station hielt. Dann würden sie zuschlagen, schnell und gnadenlos… Die einzige Frage war nur, ob drei Mann gegen das Wachpersonal reichten. Der Informant hatte von fünf Mann gesprochen. Es war alles sehr schnell gegangen. Aber bei einer solchen Gelegenheit muß man schon einmal improvisieren können, dachte Ballinger. Er hatte den Tip erst in Silver City bekommen und keine Zeit mehr gehabt, sich ein oder zwei weitere Männer zu suchen. Er hatte sich mit dem primitiven Rufus zufriedengeben müssen. Ach was, dachte Ballinger, was soll schon schiefgehen? Wir überraschen die Wächter, wenn sie aussteigen. Bevor die überhaupt merken, was los ist, haben die schon Blei gefangen. Und dann brauchen wir nur noch mit der Beute zu verschwinden… Auch die beiden anderen Banditen beschäftigten sich in Gedanken mit der Beute. Matt dachte: Erst mal genehmige ich mir 'nen ordentlichen Whisky bei Chamber. Da kann der Boß sagen, was er will. Dann 10
kassieren wir mit der Bleispritze, und ab geht's nach Mexiko… Rufus fragte sich, ob es auf der Station eine Frau gab. Er hoffte es. Zum Teufel mit dem Boß. Disziplin! Der spielte sich vielleicht auf. Allerdings, überlegte er, wenn die Beute wirklich so groß ist, wie der Boß angedeutet hat, dann lohnt es sich, ruhig mal zu kuschen. Schließlich kann ich mit meinem Anteil später überall die Puppen tanzen lassen, oder? Bei diesem Gedanken kicherte Rufus lautlos in sich hinein. * Die Männer in der Kutsche griffen zu ihren Waffen. Lobo hebelte eine Patrone in die Kammer seiner Winchester und spähte aus dem Fenster. Die Kutsche verringerte nicht die rasende Fahrt. Im Gegenteil. Wilder trieb das Gespann nur noch mehr an. Dann sah Lobo die Reiter hinter einer Gruppe Saguaro-Kakteen in der Ferne auftauchen. Es war ein kleiner Trupp, sieben, acht Apachen, soweit Lobo das in der Staubwolke erkennen konnte, die von den Ponys aufgewirbelt wurde. »Die greifen Kellys Station an!« brüllte Tony. »Los, Wilder, leg noch 'nen Zahn zu!« »Sag das mal diesen lahmen Gäulen!« schrie Wilder gegen das Hämmern der Hufe und die Fahrgeräusche an. Jetzt waren die Schüsse zu hören, seltsam gedämpft und noch weit entfernt. »Komisch«, sagte Tony. »Seit zwei Jahren war auf dieser Strecke alles friedlich. Keine einzige Rothaut hat sich je sehen lassen.« »Vielleicht hat ihnen Kellys Whisky nicht geschmeckt«, erwiderte Barrymore. »Oder Kathy hat ihnen einen Schrecken eingejagt, so daß sie glauben, sich verteidigen zu müssen!« 11
»Sehr witzig«, erwiderte Tony. Lobo konzentrierte sich mehr auf die Apachen als auf das Wortgeplänkel der beiden. Die Indianer ritten im Kreis um die Station, die im Hitzeschleier und dem aufgewirbelten Staub nur schemenhaft zu erkennen war. Einige der Apachen waren mit Gewehren bewaffnet und schossen auf das Stationsgebäude. Offensichtlich stießen sie auf heftigen Widerstand. Eines der Apachenponys brach getroffen zusammen, und sein Reiter verschwand im wirbelnden Staub. Ein anderes Pony war bereits reiterlos. Wilder schrie auf das Gespann ein. Dann war die Kutsche auf Schußweite heran. Der Begleitfahrer schoß als erster. Die Apachen befanden sich plötzlich zwischen zwei Feuern. Sie hatten sich ganz auf die Station konzentriert und fast zu spät das Nahen der Kutsche bemerkt. Jetzt feuerten sie wütend auf die Kutsche. Tonys Gewehr krachte. Ein Apache stürzte vom Pony und rollte durch den heißen Sand. Er war wohl nur leicht verletzt, denn er sprang auf und warf sich mit einem wahren Panthersatz auf ein reiterloses Pony. Jetzt waren die kehligen Schreie durch das Peitschen der Schüsse zu hören. Einer der Apachen, ein junger Krieger, aber offenbar der Anführer des kleinen Trupps, stieß eine Faust in die Luft, schrie etwas und änderte die Richtung. Er drehte nach Süden ab, preschte fort von der Station und der sich nähernden Kutsche. Die anderen Apachen folgten ihm. »Nicht mehr schießen«, rief Lobo, »sie haben genug!« Doch es war zu spät. Sowohl Barrymore als auch Tony und Elmore feuerten auf die 12
fliehenden Apachen. Der Anführer sank vornüber auf den Pferdehals, und selbst auf die Entfernung hin konnte Lobo den dunklen Fleck auf dem nackten Rücken des Apachen sehen. »Ich hab ihn erwischt!« rief Barrymore triumphierend. Lobo blickte den davongaloppierenden Apachen nach. Ihre gutturalen Schreie verklangen, und ein Staubschleier verschluckte die Reiter. »Das war nicht nötig«, sagte Lobo hart zu Barrymore. Der Mann starrte ihn finster an. »Zu wem hältst du eigentlich?« Lobo wollte Barrymore eine wütende Antwort geben, doch dann wurde er gegen den Sitz geschleudert, und ein anderer Mann prallte gegen ihn, denn Wilder stoppte die Kutsche. Der Kutscher war nicht nur für seinen rasanten Start und seine wilde Fahrt bekannt, sondern auch für seinen Stop. Unter den Frachtwagen- und Postkutschenfahrern im Umkreis von ein paar hundert Meilen wurde vom ›Wilder-Stop‹ geredet, wenn ein Fahrer sein Gespann und das Gefährt erst in letzter Sekunde und mit unglaublich kurzem Halteweg zum Stoppen brachte. Schon mancher wartende Passagier hatte geglaubt, die Kutsche würde an der Station vorbeirasen. Aber Wilder hatte es immer wieder geschafft, genau vor dem Eingang zu halten. Dieses Mal schien es Wilder einen besonderen Spaß zu bereiten, seine ›Vollbremsung‹ hinzulegen. Die Passagiere wurden regelrecht durch die Kutsche gewirbelt. Elmore holte sich eine Beule am Hinterkopf. Masters stieß sich den Ellenbogen, als er gegen die Kante des gegenüberliegenden Sitzes prallte. Elmore rieb sich fluchend über den Kopf. »Typisch Wilder«, meinte Tony, nahm seinen Hut ab und fächerte damit gegen den Staub an, der in die Kutsche wölkte. »Aussteigen, Gentlemen!« rief Wilder mit rauher Stimme vom Kutschbock herab. »Unsere roten Freunde haben's mit der Angst gekriegt!« 13
»Hoffentlich ist in der Station nichts passiert«, murmelte Tony sorgenvoll. »Glaube ich nicht«, meinte Barrymore. »Wir sind gerade rechtzeitig gekommen. Die waren wohl erst beim Vorgeplänkel.« »Ob die noch mal zurückkehren?« überlegte Tony. Barrymore schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht. Und wenn schon. Mit den paar Typen werden wir spielend fertig.« Lobo teilte nicht Barrymores Optimismus. Sicher, es waren nur ein paar Apachen gewesen. Aber wo ein paar waren, gab es noch mehr. Sie konnten auf die Idee kommen, Verstärkung zu holen, um sich zu rächen. Aber er sagte nichts von seinen Gedanken. Warum sollte er die anderen unnötig beunruhigen? Er stieg aus. Barrymore und Tony folgten ihm. Die anderen beiden blieben in der Kutsche. Sie waren diesmal mit der Wache an der Reihe. Bei keiner Rast wurde die Kutsche unbeaufsichtigt gelassen. »Schickt uns gleich mal was zu trinken!« rief Elmore ihnen nach. »Mensch, hab ich einen Brand.« Lobo warf einen Blick zu dem Kutscher, der vom Bock geklettert war und bei dem Begleitfahrer Tobe Griffin stand. Griffins Hemd war an der Schulter blutgetränkt. »Halb so schlimm«, versicherte er gerade Chris Wilder. »Nur ein Kratzer. Teufel, dafür hab ich den Kerl erwischt, der auf mich geschossen hat.« Tony stürmte schon in die Station. »Der kann es mal wieder kaum erwarten«, sagte Barrymore zu Lobo. »Jetzt wirst du gleich seine Kathy kennenlernen. Paß auf, daß dir nicht die Luft wegbleibt.« »Wieso?« fragte Lobo. »Ist sie so atemberaubend?« »Und wie«, sagte Barrymore, und seine dünnen Lippen verzo14
gen sich zu einem spöttischen Grinsen. »Sie kommt ganz auf ihren Daddy.« Lobo sah, daß ein Fenster an der Frontseite der Station zerschossen war. Gezackte Splitter steckten noch im Rahmen. Rechts und unterhalb des Fensters waren Kugeleinschläge zu erkennen. Lobo betrat die Station. Im Innern war es angenehm kühl. Der Hauptraum war wie ein Saloon eingerichtet. Eine kleine Bar mit dem Flaschenregal, drei Tische mit Stühlen, ein Ölgemälde mit schneebedeckten Berggipfeln und zwei Werbeplakate einer Brauerei. Doch das registrierte Lobo nur am Rande. Sein Hauptaugenmerk galt Kathy. Ihm blieb nicht die Luft weg, aber er staunte doch ein wenig. Sie war so groß wie Tony, aber bestimmt einen halben Zentner schwerer. Sie war üppig, ja man mußte zugeben, sie war dick. Aber sie war nicht unansehnlich dick. Alles war irgendwie harmonisch aufeinander abgestimmt, prall und vor Kraft strotzend. Ihr hellblondes Haar fiel bis auf die Schultern. Ihr Puppengesicht mit himmelblauen Augen und einem herzförmigen Mund strahlte Tony an. Ihre Wangen waren gerötet, und ihr gewaltiger Busen wogte unter einem tiefen Atemzug, als wollte er die geblümte Bluse sprengen. »Hallo, Tony-Darling«, sagte sie gerade mit einer kräftigen Altstimme. »Mein Gott, als die Indianer auftauchten, da dachte ich, ich würde dich nie mehr wiedersehen. Gut, daß du da bist. Komm mit, ich muß dir unbedingt was zeigen.« Tony warf Lobo und Barrymore noch einen Blick zu, zwinkerte bedeutungsvoll und verschwand mit Kathy durch die Tür mit der Aufschrift: Private. »Letzteres sagt sie immer, wenn wir hier einkehren«, raunte Barrymore Lobo zu. »Und 'ne Stunde später kommt Tony mit 15
leicht wackligen Knien, aber grinsend wie ein satter Kater aus ihrem Gemach. Jetzt rate mal, was sie ihm zeigen will.« Lobo lächelte. Dann schaute er sich den Mann an, der gerade seinen Springfield-Karabiner hinter der kleinen Bar ablegte. »Hallo, Kelly«, sagte Barrymore. »Nett, dich mal wiederzusehen. Wie ich sah, hattest du Ärger mit den roten Kunden. War's schlimm?« »Ach was«, sagte Kelly mit dröhnender Stimme. Die Stimme paßte zu ihm. Er war ein imponierender Mann. Ein Koloß. Wie Kathys enormer Busen die Bluse, so schienen seine Muskeln fast das Hemd zu sprengen. Seinen massigen Schädel hielt er etwas vorgeneigt wie ein angriffslustiger Bulle. Von seinem Hals war kaum etwas zu sehen. Eine schwarze Haarsträhne hing ihm wirr ins Gesicht. »Fred ist leicht verletzt worden«, fuhr Kelly fort. »Meine Frau kümmert sich um ihn in der Küche.« Er hieb plötzlich seine geballte Rechte, die schon fast an eine Pranke erinnerte, in die linke Handfläche. »Weiß der Teufel, was in die Rothäute gefahren ist. Seit Jahren war hier Ruhe, und plötzlich tauchen sie hier auf und ballern los. Gut, daß Fred sie vom Korral aus frühzeitig sah und Alarm schlug. So konnten wir sie gebührend empfangen.« »Gut, daß wir im richtigen Augenblick gekommen sind«, meinte Barrymore. »Ach was«, sagte Kelly grollend. »Wir wären mit den paar Typen schon fertiggeworden. Da haben wir früher schon ganz andere Angriffe erlebt und überlebt.« Er musterte Lobo kurz und wandte sich dann wieder Barrymore zu. »Neuer Mann?« Barrymore nickte. »Sieht ja fast aus wie'n Indianer«, sagte Kelly, ohne Lobo anzusehen. »Er ist auch ein halber«, antwortete Barrymore mit einem leich16
ten Grinsen. »Aber keine Sorge. Er ist nicht auf dem Kriegspfad.« Kelly wischte mit einem nassen Lappen über die Bar. Er ließ die breiten Schultern etwas sinken und hob leicht den Kopf, als wollte er Lobo zeigen, daß er doch einen Hals hatte. »Ich hab' nichts gegen Indianer im allgemeinen«, erklärte Kelly. »Solange sie mich in Ruhe lassen. Verdammt, ich möchte wissen, was in diese Burschen gefahren ist. Der Anführer war ein ganz junger Spund. Vielleicht wollte der mal ein bißchen die Flinte ausprobieren, die ihm sein Alter geschenkt hat. Nein, nein, Chuck, das war kein richtiger Angriff. Die Jungs haben sich angestellt wie die Anfänger. Haben mehr rumgebrüllt und Luftlöcher geschossen als sonstwas. Abgesehen von dem Kratzer, den Fred abgekriegt hat. Aber das war wahrscheinlich ein Zufallstreffer. Ich sage dir…« »Erst mal hab ich Durst, Kelly«, unterbrach ihn Barrymore. »Wir alle haben Durst. Bringst du den Jungs auch was nach draußen?« »Was darfs denn sein?« fragte Kelly. »Wenn dein Bier noch so sauer ist wie bisher, dann kannst du schon mal ein paar Liter laufen lassen.« Kelly lachte, und jetzt bemerkte Lobo, daß Kelly und seine Tochter eine gewisse Ähnlichkeit hatten. Besonders die Augenpartie ähnelte der ihres Vaters. »Mein Bier ist noch nie sauer gewesen«, erklärte Kelly dröhnend. »Aber leider kann ich heute nicht damit dienen. Alle Fässer sind leer. Mit der neuen Lieferung ist erst Anfang nächster Woche zu rechnen. Du siehst also, nicht nur du bist durstig bei dieser Hitze. Wie wär's mit Wasser oder meinem exzellenten Bourbon?« Barrymore und Lobo bestellten Bourbon. 17
Der Whisky war wirklich gut. Sie setzten sich an einen der Tische. Kelly brachte Elmore und Masters ihre Drinks zur Kutsche. Lobo blickte Kelly nach und sagte: »Das ist aber ein Brocken. Barrymore grinste. »Nicht wahr? Kelly war mal Boxchampion im Osten. ›Hammer von Boston‹ nannten sie ihn. Ein As mit den Fäusten. Wenn du ihn an seinen berühmten Kampf gegen Bill Cross und den sagenhaften K.o. in der fünften Runde erinnerst, gibt er dir einen aus.« Er zwinkerte Lobo zu. Lobo hatte gerade sein Glas ausgetrunken, als Kelly zurückkam. »Na, wie schmeckt mein Bourbon?« fragte Kelly. »Ausgezeichnet«, sagte Lobo. »Wie wär's mit einer neuen Füllung?« »Na klar«, sagte Kelly. »Davon hab ich noch jede Menge.« Er ging zur Bar und holte die Flasche. »Ich hörte, Sie sind ein berühmter Boxer?« Lobo hoffte nun, seinen Gratisdrink zu bekommen. »Da haben Sie richtig gehört, Mister.« Kelly lächelte geschmeichelt und schenkte großzügig ein. »In Boston, nicht wahr?« plauderte Lobo weiter, um den Mann bei Laune zu halten. »Philadelphia, Boston…« »Man nennt ihn den Hammer von Boston«, warf Barrymore wie auf ein Stichwort hin ein. »Ah, dann war der berühmte Fight in Boston«, setzte Lobo nach. Kellys blaugraue Augen blickten etwas verständnislos, wie Lobo verwundert feststellte. Der Koloß stellte die Whiskyflasche auf den Tisch. »Wieso?« fragte Kelly. »Na, gegen Bill Cross. Fünfte Runde. Dieser sagenhafte…« 18
Weiter kam Lobo nicht. Kellys Faust raste auf ihn zu. Lobo blieb nicht einmal mehr Zeit, den Kopf zur Seite zu reißen. Kelly hatte fast ansatzlos zugeschlagen. Kellys Faust traf Lobo am Kinn. Es steckte allerhand Dampf hinter dem Hieb. Lobo hatte das Gefühl, von einem Pferdehuf getreten worden zu sein. Er fiel um mitsamt dem Stuhl und erkannte benommen, daß er irgendwas Falsches gesagt haben mußte. Dann sah er Barrymores Grinsen und ahnte die Zusammenhänge. Barrymore hatte ihn reingelegt. Na warte, Freundchen, dachte Lobo. Aber zunächst einmal war Kelly dran. Lobo hätte allenfalls von einer Frau eine Ohrfeige eingesteckt, wenn er ihr einen Grund dafür geliefert hätte. Aber was immer auch Kelly veranlaßt haben mochte, ohne Vorwarnung zuzuschlagen – das konnte Lobo nicht durchgehen lassen. Er schob den Stuhl zur Seite, dem jetzt ein Bein fehlte, und richtete sich langsam auf. Er lächelte den Hünen an, der mit grimmig-zufriedener Miene vor ihm stand und die Hände sinken gelassen hatte wie ein Boxer, der zuschaut, während sein Gegner vom Ringrichter ausgezählt wird. Und dann schlug Lobo ebenso überraschend und blitzschnell zu. Kelly bewies erstaunliche Reflexe, riß noch die Arme hoch, um den Schlag abzublocken, doch Lobo war den entscheidenden Sekundenbruchteil schneller. Lobos knallharter Hieb erwischte Kelly am Kinn. Kelly wurde zurückgeschleudert und ruderte wie haltsuchend mit den Armen. Lobo hatte keine Lust, sich lange herumzuprügeln. Schon gar 19
nicht mit dem ›Hammer von Boston‹. Sein Kinn schmerzte noch von Kellys Treffer. Deshalb setzte Lobo sofort nach. Kelly fing sich gerade und wollte zum Gegenangriff übergehen, da fing er schon zwei blitzschnelle Schwinger von Lobo ein. Ein saftiger Aufwärtshaken folgte. Das war ein Volltreffer. Kelly fiel endgültig, und die Planken erzitterten, als er aufschlug. »Mann, das reicht«, murmelte Barrymore, und es klang beinahe ehrfurchtsvoll. Lobo wandte sich zu dem Mann um und hob die Fäuste. »Das reicht auch noch für dich«, sagte er grimmig und ging langsam auf Barrymore zu. Chuck Barrymore hob abwehrend beide Hände. »Schon gut, schon gut. Du hast gewonnen. Ich bezahle die Zeche.« Lobo setzte sich auf einen anderen Stuhl an den Tisch und trank einen Schluck Bourbon. Er warf noch einen Blick zu Kelly, der noch am Boden lag und offensichtlich nicht wußte, wie er dahin gekommen war. Kelly schüttelte ein paarmal den massigen Schädel und blinzelte. Dann wandte sich Lobo wieder Barrymore zu. »Ich warte auf eine Erklärung.« Er rieb sich über den rechten Handrücken. Barrymore legte tatsächlich die Hand auf den Griff seines rechten Colts, und seine Haltung spannte sich. »Nun ja«, meinte er. »Den Kampf gegen Bill Cross hat Kelly damals verloren. Das war das Ende seiner Laufbahn. Er wachte nach dem K.o. erst ein paar Stunden später wieder auf. Aber er kann sich noch an alles erinnern. Wenn ihn jemand darauf anspricht, dann sieht er rot.« Barrymore zuckte mit den Schultern. »Ich hab doch nicht zuviel versprochen: Einen ausgegeben hat er.« 20
Lobo nahm die Whiskyflasche und ging zu Kelly, der sich gerade ächzend aufsetzte. Fassungslos starrte er Lobo an. »Mann, du hast aber mächtig was drauf. Das waren saubere Schläge!« »Gut, daß du es vom Fachlichen her siehst«, sagte Lobo und reichte Kelly lächelnd die Flasche. Kelly nahm einen langen schluck, stand auf und sagte: »Da merkt man gleich, daß du 'n Profi bist. Dagegen war Cross 'ne Niete. Er hat mich unsauber auf die Bretter geschickt. Aber niemand hat das gemerkt.« Er blickte Lobo noch einmal kopfschüttelnd an. »Wo hast du denn bisher gekämpft, Kollege?« »Mal hier, mal da«, erwiderte Lobo lächelnd. »Immer, wenn es nötig war.« »Man nennt ihn den Hammer von Arizona«, sagte Barrymore spöttisch. »Und ›Keule der Apachen‹. Ich sage dir…« Lobo warf ihm einen eisigen Blick zu, und Barrymore sagte nichts mehr. »Das ist 'n Ding«, murmelte Kelly und rieb sich über das Kinn. »So trifft man sich hier. Schade, daß wir nicht mal früher zusammen im Ring standen…« Lobo hatte noch nie in einem Boxring gestanden. Aber er hatte sich oft genug mit den Fäusten verteidigen müssen. Er ließ Kelly in seinem Glauben. Der Mann war ein fairer Verlierer. »Ein Drink auf Kosten des Hauses«, erklärte Kelly dröhnend. Dann setzte er sich zu den beiden Männern an den Tisch, und sie plauderten, während Kellys Frau in der Küche das Essen zubereitete. Später gesellte sich dann auch Tony zu ihnen, und er wirkte zwar wie ein zufriedener, aber hungriger Kater. Er vertilgte zwei Portionen, und seine Kathy schaute ihm bei jedem Bissen zu. Ihr Vater erzählte ihr, seiner Frau und dem Stationshelfer Fred von dem größten Kampf seiner Laufbahn, und Lobo ließ die 21
bewundernden Blicke über sich ergehen und lobte Kellys Schlagkraft, woraufhin Kelly sich dazu hinreißen ließ, noch einen Drink zu spendieren. Die Stimmung auf Kellys Station war harmonisch. Niemand sprach mehr von dem so glimpflich verlaufenen Apachenüberfall. Drei Stunden später setzten sie die Fahrt fort. Sie hatten eine Stunde länger gerastet als vorgesehen, aber Wilder versprach, die Zeit spielend wieder aufzuholen. Ihr nächstes Ziel war Chambers Station. Wilder schien seine eigenen Rekorde brechen zu wollen, denn er holte das letzte aus dem frischen Gespann heraus. Die Männer in der Kutsche gingen wieder zur Routine über. Barrymore, Elmore und Masters spielten Poker, Tony kiebitzte und wußte alles besser, und Lobo erlaubte sich ein Nickerchen. Und niemand sah die drei Apachenspäher, die den Weg der Kutsche verfolgten. Es hätte sie auch niemand entdeckt, wenn man auch noch so intensiv nach ihnen Ausschau gehalten hätte. Dies war ihr Land. Die Apachen kannten jeden Felsen, jeden Hügel, jede Bodensenke. Und sie verstanden es meisterhaft, für einen Beobachter unsichtbar zu bleiben. * Dreißig Meilen von Kellys Station entfernt, im heißen Niemandsland zwischen Silver City und Lordsburg, lag das nächste Etappenziel der außerplanmäßigen Kutsche: ›Chamber's Inn‹. Es war ein Morgen wie jeder andere für die vier Menschen, die in der Station lebten. Nach dem Frühstück ging der alte Floyd Chamber in den Stall, 22
um die Pferde zu versorgen. Seine Frau Eleanor kümmerte sich um ihren Garten. Die grauhaarige Lady hatte sich mitten in der staubigen Einöde ein Stückchen Paradies geschaffen – ein Blumenbeet neben dem Korral der Station. Dort blühten rote Sandverbenen, gelbe, sternförmige Blumen, deren Namen Ma Chamber nicht einmal kannte, und dornige Ocotillos mit ihren schuppigen grünen Blättern und flammendroten Blüten. Es war ein schöner Farbtupfer im Grau und Ocker der Wildnis und Ma Chambers ganzer Stolz. Liebevoll betrachtete sie die Blütenpracht. Dann hörte sie die Schüsse und blickte auf. Sie seufzte. Bob, ihr Sohn, übte sich wieder einmal im Schießen. Wie jeden Tag. Sie stellte sich vor, wie er jetzt zwischen den Büschen am Creek stand und auf Flaschen und Büchsen schoß, und sie dachte: ein Jammer mit dem Jungen. Sechzehn Jahre – und nichts anderes im Kopf als Waffen und Schießen. Träumt davon, mal ein berühmter Revolvermann zu werden. Als wenn das ein erstrebenswertes Ziel wäre, schneller zu sein als andere. Mein Gott, wenn wir ihm das doch ausreden könnten! Ob ich mal mit Laura rede? Der Junge mag sie, vielleicht kann sie ihn von seiner Schießleidenschaft abbringen? Laura Campbell lebte seit fast einem Jahr bei den Chambers auf der Station. Sie war eines Tages mit der Kutsche gekommen und geblieben. Die Chambers hatten sich oft gefragt, weshalb eine so attraktive junge Frau die Einsamkeit suchte. Entsprechende Fragen hatte sie immer höflich lächelnd, aber ausweichend beantwortet. Ja, ich werde mal mit Laura reden, dachte Eleanor Chamber, als sie zum Haus zurückging. 23
Laura war in der Küche. Sie hantierte am Herd und summte ›Yellow Rose of Texas‹ vor sich hin. Sie lächelte, als Ma Chamber die Küche betrat. »So, das Essen braucht nur noch zu kochen, Ma. Jetzt hab ich ein bißchen Zeit. Soll ich noch einen Kaffee machen?« Ma Chamber nickte und setzte sich an den Tisch. Devil, der kleine schwarze Bastardhund, kam schwanzwedelnd zu ihr, und sie kraulte ihn gedankenverloren. Laura bemerkte, daß die alte Lady bedrückt war. »Ist etwas, Ma? Du siehst so traurig aus.« Ma Chambers seufzte wieder. »Laura, ich mache mir Sorgen wegen Bob…« Laura strich sich eine Strähne des schwarzen Haars aus der Stirn und nickte. »Er verpulvert wieder jede Menge Munition.« Ma Chamber neigte lauschend den Kopf. »Ja, heute schießt er besonders oft. Aber das ist es nicht. Solange er noch auf Dosen oder Flaschen schießt, habe ich nichts dagegen. Aber er tut das doch nur mit dem Ziel, eines Tages auch auf Menschen zu schießen.« »Ach, Ma, er ist noch ein richtiges Kind. Obwohl er sich einbildet, schon ein ganzer Mann zu sein.« Sie dachte an den Morgen, als Bobby ihr nachgestellt hatte. Er hatte ihr einen regelrechten Antrag gemacht und versucht, sie in die Arme zu nehmen und zu küssen. Sie hatte ihn abgewiesen und ihm klargemacht, daß er erst mal erwachsen werden solle. Wahrscheinlich hat er mich nicht verstanden, dachte sie, und er tobt sich jetzt zornig und enttäuscht aus. »Ja, er ist noch ein Kind«, wiederholte Ma Chamber gedankenverloren. »Was sind das nur für Zeiten, daß Kinder schon mit Waffen spielen…« Laura Champell lachte hell. Sie versuchte, Ma Chamber zu trösten. »Ach, das gibt sich sicher noch. Mein Bruder hat früher 24
auch immer mit einem Spielzeugrevolver rumgefuchtelt und hat sich vorgestellt, Kunstschütze zu werden. Heute ist er Arzt und flickt die Leute zusammen, die ihre pubertären Phantastereien auch als Große nicht bewältigt haben.« »Das ist es ja eben, was mich beunruhigt. Wenn Bob noch elf oder zwölf wäre! Aber mit sechzehn! Da müßte ein normaler Junge doch schon andere Wünsche und Ziele haben. Als ich sechzehn war, hatte ich einen Freund, der konnte Klavier spielen, und ich tanzte zu seiner Musik. Es war wunderbar.« Laura lächelte. »Sorg dich nicht, Ma. Ich glaube, Bobby entwickelt sich noch. Er ist noch unreif – wahrscheinlich hält er den Colt für sein ›Klavier‹, mit dem er sich bestätigen kann. Aber sonst hat er auch schon andere Interessen.« Ma Chamber blickte Laura überrascht an. »Was interessiert ihn denn noch außer seiner Schießerei und Devil?« Sie tätschelte den kleinen Hund, der sich schwanzwedelnd bemerkbar machte, als sein Name fiel. »Nun, zum Beispiel denkt er auch an Mädchen.« Laura lachte. »An die Liebe. So verkehrt sich das Zerstörerische ins Gegenteil. Ein Mensch, der an die Liebe glaubt, wird irgendwann dahinter kommen, daß Waffen letzten Endes zum Töten erfunden worden sind, und er wird sie verabscheuen.« Ma Chamber blickte Laura überrascht an. »Mädchen, ich mag dich«, sagte sie dann spontan. »Wie du das gesagt hast. Du bist doch auch noch so jung. Manchmal wünschte ich, du wärst meine Tochter. Und ich denke daran, daß du uns irgendwann wieder verlassen wirst.« Laura ging zum Herd, denn das Kaffeewasser kochte. »Im Augenblick gefällt es mir noch ganz gut hier. Es ist zwar einsam, aber in der Einsamkeit hat man Zeit, sich Gedanken, zu machen und mit sich selbst ins reine zu kommen.« Sie warf der grauhaarigen Frau einen Blick zu. »Als ich herkam, war für mich die 25
Welt völlig durcheinander. Ich verstand sie nicht mehr. Und jetzt ist die Welt für mich wieder in Ordnung.« Ma Chamber wollte eine Frage stellen, aber sie verzichtete darauf. Irgendwann würde Laura Campbell von sich aus über ihre Vergangenheit erzählen. Etwas anderes beschäftigte sie jetzt. Sie blickte Laura prüfend an. »Sag mal, Mädchen, wie kommst du darauf, daß Bobby an die Liebe, an Mädchen denkt? Hat er dir etwa…« Laura schüttelte langsam den Kopf. Sie wollte Bobby nicht verraten oder seine Eltern beunruhigen. »Ah, ich sehe ihm das an der Nasenspitze an, an seinen Blicken. Wenn er etwas älter oder ich jünger wäre, würde er mir wahrscheinlich einen Antrag machen.« »Nein. Das kann doch nicht wahr sein. Bobby? Der Junge ist doch wirklich noch ein Kind. Und viel zu schüchtern.« »Irgendwann entwachsen alle den Kinderschuhen«, erwiderte Laura. Und in Gedanken fügte sie hinzu: »Die Eltern bemerken das meistens als letzte.« Sie schenkte Kaffee ein. Ma Chamber war nachdenklich geworden. Schließlich wirkte sie fast vergnügt. »Das wäre ja schön, wenn Bobby langsam auf andere Ideen kommt. Vielleicht ist die Einsamkeit hier für seine Entwicklung nicht gerade förderlich. Vielleicht sollten wir mal mit ihm zur Stadt fahren, damit er sich ein bißchen umsehen kann. Die wenigen Reisenden, die er hier mal sieht, sind einfach zu wenig…« »Vielleicht ist irgendwann einmal ein Mädchen dabei, eine kleine Prinzessin, die nur auf ihn wartet.« Ma Chamber winkte ab. »Ah, den Traum kann er vergessen. In seinem Alter hab ich auch immer von einem Märchenprinzen geträumt, der mich eines Tages entführt. Und wie war die Wirklichkeit? Der Märchenprinz kam nicht. Statt dessen kam Floyd. 26
Und ich mußte ihn entführen, denn er war schüchterner als ein dummer Farmersjunge. Dabei hatte er schon einen berühmten Namen als Revolverma…« Sie verstummte, als hätte sie zuviel gesagt. Laura hatte verstanden. Die Neuigkeit überraschte sie, aber sie ließ sich nichts anmerken. Der alte Floyd Chamber ein berühmter Revolvermann? Jetzt wurde Laura vieles klar. Vor allem die Sorge der Eltern um Bobby. Daß er so werden könnte wie sein Vater. Ma Chamber nippte an ihrem Kaffee. »Ja, Mädchen. Jetzt habe ich es verraten, dabei soll es niemand wissen. Vor allem Bobby nicht. Floyd war einer dieser legendären Revolverschwinger. Jetzt ist er alt und hat die Gicht. Ich glaube, ich könnte noch schneller einen Colt ziehen als er. Er hat mir damals die Wahrheit gesagt. Und er hat mir geschworen, nie mehr eine Waffe anzurühren. Wir sind vor zwanzig Jahren absichtlich an diesen einsamen Platz mitten in der Wildnis gezogen. Floyd wollte nichts als Ruhe, wollte vergessen. Es war eine sehr glückliche Zeit. Aber ich weiß, daß er unter Bobbys Schießwut leidet. Jedesmal, wenn Bobby übt, wird er an seine alte Zeit erinnert…« »Vielleicht solltet ihr mal ein offenes Wort mit Bobby reden.« »Wir haben es mehrfach versucht. Er verschließt sich sofort, er meint, wir hätten kein Verständnis für die Jugend.« Sie blickte Laura bittend an. »Könntest du nicht mal mit ihm sprechen?« »Warum nicht?« sagte Laura. »Ich kann es ja mal versuchen.« »Aber sag nichts von der Vergangenheit meines Mannes, bitte.« Die ältere Frau legte eine Hand über Lauras Rechte. Laura nickte. »Ich werde ihm gleich Kaffee bringen. Vielleicht ergibt sich da schon eine Gelegenheit.« Floyd Chambers betrat die Küche. Er war ein kleiner, fast schmächtiger Mann Anfang sechzig. Er ging schleppend und etwas gebeugt. Die vielen Falten und Run27
zeln in seinem von Wind und Wetter gegerbten Gesicht ließen ihn noch älter wirken, als er war. Er schob seinen speckigen Hut in den Nacken und wischte sich die Hände an der verschlissenen Reithose ab. Als er lächelte, gerieten die Runzeln und Falten in Bewegung. »Ah, da sieht man mal wieder, wie anstrengend die Hausarbeit ist«, sagte er mit erstaunlich tiefer Stimme und lachte glucksend. »Habt ihr noch etwas Kaffee übrig?« Laura schenkte noch ein. »Du hast dich auch nicht gerade zu Tode gearbeitet«, sagte Ma Chambers, als ihr Mann ächzend am Tisch Platz nahm. »Immerhin habe ich mein Morgenpensum erledigt«, erwiderte Chamber und holte sein Rauchzeug hervor. Er stopfte Tabak in die Pfeife und steckte ihn umständlich in Brand. Dann blies er genußvoll dicken Qualm aus. Ma Chamber begann, ihrem Mann einen Vortrag über die anstrengende Hausarbeit zu halten, und Laura lächelte in sich hinein. So gut sich die beiden Alten auch verstanden, bei diesem Thema gerieten sie sich jedesmal in die Haare. Laura nahm die Kaffeekanne und einen Becher. »Dann will ich mal Bobby etwas zu trinken bringen«, sagte sie und wandte sich zur Tür. »Unser Held wird Durst haben.« »Jetzt wird der nichtsnutzige Bengel auch noch bedient«, hörte Laura Floyd Chamber mürrisch sagen, als sie die Küche verließ. Auf dem Weg zum Creek, zu Bobbys ›Schießplatz‹, bemerkte Laura am nördlichen Horizont drei Reiter. Sie waren noch weit entfernt, so daß sie wie winzige Punkte erschienen, die langsam in einer Staubwolke näher krochen. Ob die bei uns rasten? dachte Laura. Es kam vielleicht alle paar Wochen mal vor, daß Reiter den Postkutschentrail benutzten und in ›Chambers Inn‹, einkehrten. 28
Es war immer eine Abwechslung im alltäglichen Trott. Vielleicht ist eines Tages auch einmal mein Märchenprinz dabei, dachte Laura. Der Gedanke erheiterte sie. Beschwingt setzte sie ihren Weg fort. Bobby lag im Gras am Ufer des Creeks. Als er Lauras Schritte hörte, sprang er auf, und seine Rechte zuckte zur Colthalfter. Dann sah er Laura zwischen den Büschen auftauchen und entspannte sich. »Es sind keine Indianer und keine bösen Buben«, sagte Laura mit leichtem Spott, »sondern es ist deine Freundin Laura mit dem Kaffee.« Sie schritt anmutig zu Bobby und setzte sich neben ihn ins Gras. »Freundin ist gut«, murmelte Bobby. Er hatte eine Stimme, die noch stark an den Stimmbruch erinnerte. »Heute morgen warst du aber anderer Meinung.« Es klang fast trotzig. Laura blickte den Jungen an. Er war fast zwei Köpfe größer als sein Vater, schlaksig und mager. Sein blonder Haarschopf hing ihm wirr in die Stirn. Er hatte blaßblaue, muntere Augen. Seine Haut war sommersprossig und mehr rot als braun. Laura lächelte ihn an. »Nein, ich war nicht anderer Meinung, Bobby…« »Nenn mich nicht Bobby! Mein Name ist Robert. Allenfalls kannst du Bob zu mir sagen. Aber ich habe es satt, mich andauernd wie einen dummen Jungen behandeln zu lassen.« »In Ordnung, Robert«, sagte Laura geduldig. »Du bist fast schon erwachsen. Warum bist du so ärgerlich? Noch wegen heute morgen? Laß uns das vergessen und wieder gute Freunde sein.« »Auf so eine Freundin pfeife ich«, sagte Bob. »Du – hast dich ja nicht mal küssen lassen.« Laura lachte. »So ist das. Du hältst das für das Wichtigste. 29
Glaubst du wirklich, daß sich Freund und Freundin küssen müssen?« »Na klar, das gehört doch zu der Liebe dazu.« »Aber Liebe und Freundschaft ist etwas anderes«, erklärte ihm Laura. »Es ist schön, wenn beides zusammentrifft, aber das ist sehr selten.« »Für mich ist das dasselbe. Entweder küßt du mich, oder du kannst mich nicht leiden.« Sein Blick nahm einen hungrigen Ausdruck an, als er über ihre Formen tastete. »Mit einem Kuß fängt alles an, und dann sehen wir weiter.« Er bemühte sich, das lässig zu sagen, aber Laura spürte, wie es in dem Jungen aussehen mußte. Sie hatte Mühe, über sein Getue nicht zu lachen. Er war eben doch noch ein Bobby, kein Bob und ein Robert schon gar nicht. »Sieh mal, Bob«, sagte Laura, »ich kann dich verstehen und ganz gut leiden. Aber ich liebe dich nicht.« Sie hob abwehrend die Hand, als er aufbegehren wollte. »Das liegt nicht daran, daß du ein paar Jährchen jünger bist als ich.« Sie knuffte ihm freundschaftlich in die Seite. »Es ist keine Frage des Alters, wenn man sich liebt, Bob.« »Und was ist es denn?« fragte Bob. »Das ist schwer zu beantworten. Es ist einfach da…« Laura Campbell wußte nicht, wie sie dem Jungen ihre Gedanken verständlich machen konnte. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen. Schließlich sagte Bob, ohne sie anzusehen: »Warst du denn schon mal verliebt? Ich meine, so richtig?« Sie spürte, daß er ihrer Antwort entgegenfieberte. »Ja, Bob, ich war schon mal verliebt. So richtig. Damals war ich dreiundzwanzig. Bevor ich hierhin kam, kannte ich einen Mann, den ich liebte…« »Tatsächlich?« Bob starrte sie offenen Mundes an. »Davon hast 30
du ja noch gar nichts erzählt.« Laura lachte. »Du hast mich auch noch nicht danach gefragt.« Sie schaute ihn überlegend an. »Wenn du mir versprichst, daß es unser Geheimnis bleibt, erzähle ich dir noch mehr.« »Versprochen«, sagte Bob fast feierlich. Manchmal wirkt er noch wie ein Zwölfjähriger, dachte Laura bei sich. Sie hoffte, daß sie dem Jungen so einiges ausreden konnte. Zum Beispiel seine Schießleidenschaft. Oder daß er sich falsche Hoffnungen bei ihr machte. Heute morgen hatte er sich wie ein liebestoller Jüngling aufgeführt. Sie wollte ihn nicht kränken, aber er mußte einsehen, daß er sich nicht in dumme Phantasien verrennen durfte. Sie erklärte ihm, was sie unter Liebe und Freundschaft verstand, aber sie hatte das Gefühl, daß er ihr nicht ganz folgen konnte. Er legte einen Arm um ihre Schulter, und sie ließ ihn gewähren. Sie lenkte das Thema wieder auf ihre Vergangenheit. »Ich liebte diesen Mann vom ersten Tag an, als ich ihn sah. Es war einfach da, ein Gefühl, das tief aus dem Herzen kommt und das man nicht erzwingen kann. Auch er liebte mich, so glaubte ich jedenfalls. Wir waren eine Zeitlang sehr glücklich miteinander. Aber da wußte ich noch nicht, daß er ein berühmter Revolvermann war…« »Was?« Das interessierte Bob wie erwartet. »So 'n richtiger Revolverschwinger?« »Ja, sie nannten ihn das schnellste Eisen von Laredo.« »Und?« fragte Bob ungeduldig. »Weiter?« »Da gibt's nicht mehr viel zu erzählen«, erwiderte Laura herb. »Er starb bei einer Schießerei.« »Damit muß man immer rechnen«, sagte Bob. »Viele große Namen hat's erwischt. Es gehört natürlich ein bißchen Glück dazu, sich immer zu behaupten. Aber das meiste ist Können.« »So, meinst du?« Laura schüttelte den Kopf, daß ihr langes 31
schwarzes Haar flog. »Irgendeiner ist immer schneller. Eine Kugel kann alles auslöschen: das Leben, die Liebe, das Glück. Denk mal darüber nach, Bob.« Bob blickte plötzlich mißtrauisch. Er nahm den Arm von ihrer Schulter. »Eh, warum erzählst du mir das? Klingt ja beinahe wie die Predigten von Ma und Pa. Sie meckern mich auch andauernd an, weil ich übe, um meine Form zu steigern und geschmeidig zu bleiben. Hast du auch etwas dagegen? Hast du mir das nur erzählt, um mir den Spaß zu verderben? He, das mit dem Revolvermann stimmt vielleicht gar nicht?« »Doch«, erwiderte Laura, »es stimmt.« Und sie dachte: Im großen und ganzen stimmt es. Tom war zwar kein berühmter Revolvermann, sondern ein berüchtigter Killer – aber was macht das für Bob schon einen Unterschied… »Naja«, überlegte Bob, »wenn man Pech hat, hat man eben Pech. Das mit deinem Freund tut mir leid. Wart ihr eigentlich verheiratet?« Laura schüttelte den Kopf. Bob grinste verständnisvoll, aber Laura wußte, daß der Junge noch gar nichts verstand. Er zog einen Schmollmund, als sie sich erhob. »Willst du schon gehen? Wir haben uns doch gerade so schön unterhalten.« Sein Blick verriet ihr, daß er gehofft hatte, das Gespräch auf andere Art fortsetzen zu können. »Ich muß mich um das Essen kümmern«, erwiderte sie und schritt davon. Sie dachte: Irgendwann werde ich noch deutlicher bei ihm werden müssen… In der Tür der Station wandte sie sich noch einmal um. Die Büsche am Creek verdeckten die Sicht auf Bob. Die drei Reiter waren jetzt bis auf etwa eine halbe Meile heran. Sie ritten im Galopp. Als Laura später aus dem Küchenfenster blickte, sah sie die 32
Reiter wieder. Die drei Männer trennten sich. Zwei ritten auf dem Trail weiter, der dritte trieb sein Pferd am Korral vorbei auf das Stallgebäude zu. Dann stockte Laura der Atem. Der Reiter ritt mitten durch Ma Chambers Blumenbeet. Er rief den anderen etwas zu, was Laura nicht verstehen konnte, und lachte. Sie konnte sein Gesicht sehen. Ein breites, aufgedunsenes, stoppelbärtiges Gesicht. Das Pferd trampelte die Blumen nieder, und der Reiter lachte! Im nächsten Augenblick tauchte Floyd Chamber in der Stalltür auf. Er rief dem Reiter etwas zu. Der Reiter griff zum Colt. Dann peitschte auch schon der Schuß. Floyd Chambers Hut segelte davon. Laura war vor Schreck wie erstarrt. Das sind keine normalen Gäste, durchfuhr es sie. Das sind wilde, gefährliche Burschen. Wieder knallte es, und Laura sah, wie Floyd Chamber erschrocken zur Seite sprang. Der Mann, der geschossen hatte, stemmte die Hände aufs Sattelhorn und lachte. Der Huf schlag war vor der Station verstummt. Schritte näherten sich. Eine rauhe Stimme rief etwas. Dann schrie Ma Chamber, die im Hauptraum die Tische gesäubert hatte. Es war ein schriller Schrei voller Furcht. Laura lief aus der Küche. Auf dem Gang blieb sie abrupt stehen. Ein Mann stand in der Tür. Ein finsterer Mann mit stechendem Blick. Er hielt einen Colt in der Hand. »Eh«, sagte er rauh und musterte sie lüstern. »Das ist aber 'ne Überraschung. Da wird sich Rufus aber freuen.« Die Tür zum Hauptraum ging auf, und Laura sah Ma Chamber. Die grauhaarige Frau war blaß und wirkte völlig verstört. 33
Hinter ihr tauchte ein Mann auf. Er war groß, und seine schwarze Kleidung war staubig und verschwitzt. Auch er hielt einen Revolver in der Hand. Er gab Ma Chamber einen Stoß und zischte: »Ich hab dich etwas gefragt, Mylady! Und ich wiederhole nicht gern meine Fragen. Sind das alle auf der Station?« Er richtete drohend seinen Revolver auf die Frau. Ma Chamber nickte und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Ihre Lippen zitterten. Devil, der kleine Bastardhund sprang bellend in den Gang. Der Schwarzgekleidete ruckte herum und schoß. Ma Chamber schlug die Hände vors Gesicht. Der Hund überschlug sich, sein Bellen ging in ein klagendes Jaulen über und erstarb dann. Ein Schrei brach über Lauras Lippen. Entsetzt starrte sie auf den toten Hund. »Verbrecher!« schrie sie. »Gemeine…« Der zweite Mann war mit zwei Sätzen bei ihr und schlug ihr ihs Gesicht. Laura taumelte zurück und prallte gegen den Türrahmen. In diesem Moment ging die Hintertür auf. Floyd Chamber wurde von dem dritten Banditen ins Haus gestoßen. Der alte Mann stürzte. Der Bandit kicherte. Dann sah er Laura, und seine Augen begannen zu glitzern. »He, Jungs, ich werd verrückt. Was haben wir denn da? Das ist ja genau meine Kragenweite.« Und er fügte eine obszöne Bemerkung hinzu. Laura erschauerte. Floyd Chamber erhob sich. Er blickte fassungslos auf den toten kleinen Hund, und seine Lippen bewegten sich lautlos. Seine Augen zeigten Schmerz und Erschütterung. Er blickte seine Frau an, dann Laura, und sie sah, daß seine Hand zitterte, die er in 34
ohnmächtiger Wut zur Faust geballt hatte. Der Schwarzgekleidete wies mit dem Colt auf den toten Hund und sagte kalt: »Ihr seht, daß dies alles kein Spaß ist.« Dann fixierte er Chamber. »Alter, du bist wohl Chamber. Ist außer euch dreien noch jemand auf der Station?« Chamber zögerte, schluckte, dann schüttelte er den Kopf und warf seiner Frau einen mahnenden Blick zu. »Eh, Boß, was sagst du zu der Puppe?« rief der bullige Mann mit dem aufgedunsenen Gesicht. Er kicherte seltsam schrill und hoch und schob sich an Floyd Chamber vorbei auf Laura zu. Sein Blick tastete über ihren Körper. Sie wollte vor ihm zurückweichen, doch er war schneller. Er packte sie vorne am Kleid, daß der Stoff einriß, und zerrte sie brutal an sich. Er hielt sie hart umklammert. Sie roch seinen fauligen Atem, sah seine gierig funkelnden Augen und verspürte Übelkeit. Verzweifelt bäumte sie sich auf, doch der Bandit preßte sie nur noch fester an sich und lachte. »Warum so widerspenstig, Baby? Ich hab bisher noch jede gezähmt.« Sie spürte seine tastende Hand auf ihrem Körper, und es war ihr, als würde eine Schlange über ihre Haut kriechen. Sie bog den Kopf zurück, als der Mann versuchte, sie zu küssen. Sein irres Kichern gellte in ihren Ohren. Seine Lippen berührten ihren Hals. Sie glaubte, ohnmächtig zu werden. Doch dann gab ihr irgend etwas neue Kraft. Sie hob ihren Fuß und trat damit zu. Der Kerl ließ sie fluchend los. Sein Atem ging heftig. Seine kleinen, schwarzen Augen starrten sie jetzt tückisch an. Er hob drohend eine Hand. 35
»Du hast mich getreten, Baby? Das hast du nicht umsonst getan. Dafür werde ich dich…« »Schluß jetzt, Rufus!« Die Stimme des Schwarzgekleideten war schneidend. Lauras Herz hämmerte. Sie hielt ihr eingerissenes Kleid vor dem Busen zusammen. Der Kerl namens Rufus wandte sich von ihr ab. »Aber, Boß…« »Ich sagte Schluß! Du bringst den Köter raus und kümmerst dich um die Pferde!« Rufus zögerte, dann wandte er sich wieder Laura zu. Er kicherte. »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, Baby!« Sein aufgedunsenes, verlebtes Gesicht verzog sich zu einem gemeinen Grinsen. Dann machte er kehrt, nahm den toten Hund und stampfte davon. Floyd Chamber und seine Frau hatten die Szene entsetzt beobachtet, vom Schock wie gelähmt. Innerhalb von Minuten war der Frieden für die Menschen auf der kleinen Station zerstört und das Grauen eingekehrt. »Matt, du siehst dich ein bißchen in der Gegend um«, sagte der Schwarzgekleidete. »Aber erst brauche ich 'nen kräftigen Schluck, Jeff.« »Tu, was ich dir sage!« Jeffs Tonfall duldete keinen Widerspruch. »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!« Matt zuckte mit den Schultern, dann warf er Laura noch einen lüsternen Blick zu, rückte seinen Revolvergurt zurecht und verließ die Station durch die Hintertür. »Und jetzt zu euch!« sagte der Boß und blickte von den beiden Frauen zu Chamber. »Ich sagte schon, dies ist kein Spaß. Wir sind nicht zu einem Picknick hier.« »Mister, bei uns ist nicht viel zu holen«, sagte Chamber. »Wenn Sie glauben…« 36
»Ich glaube gar nichts, Opa«, unterbrach ihn der Bandit spöttisch. »Ich weiß nämlich alles.« Er ruckte mit dem Coltlauf. »Nur nicht die genaue Uhrzeit. Um wieviel Uhr kommt die Kutsche?« »Heute kommt gar keine«, antwortete Floyd Chamber verwundert. »Irrtum«, sagte der Banditenboß. Er maß Chamber mit einem kalten Blick. »Möglich, daß du davon nichts weißt. Ist ja auch egal. Vor Mittag wird sie nicht hier sein. Wir haben noch 'ne Weile Zeit. Ich werde euch erklären, worum es geht. Und ihr werdet genau das tun, was ich euch sage. Wenn nicht…« Er ließ den Rest unausgesprochen. Aber die drei Menschen in der Station wußten auch so, was er meinte. Ihr Leben war in der Hand dreier Verbrecher. * Häuptling Big Cloud blickte lange auf seinen toten Sohn hinab. Vor zwei Tagen war Kleine Wolke mit einem Trupp ebenfalls junger Krieger zur Jagd aufgebrochen. Jetzt hatten sie ihn zurückgebracht. Tot. Von Weißen erschossen. Nichts in dem scharfgeschnittenen Gesicht des Häuptlings verriet die Gefühle, die in ihm tobten, den Schmerz, die Trauer und den Haß. Haß auf die Weißen, die seinen Sohn erschossen hatten. Schweigend standen die dreiundvierzig Krieger ein paar Dutzend Yards entfernt im Halbkreis und blickten ihren Häuptling an. Schließlich erhob sich Big Cloud und blickte über das weite Land. Eine Weile verharrte er so, dann gab er einem der Krieger ein Zeichen. 37
Der Krieger eilte sofort zu ihm. »Erzähle, Kleiner Bogen«, sagte Big Cloud. Kleiner Bogen berichtete. Big Cloud hörte schweigend zu. Statt auf die Jagd waren die jungen Krieger unter der Führung von Kleine Wolke auf einen Beutezug geritten. Sie hatten einen Frachtwagen überfallen, zwei Skalps, einige Waffen und Feuerwasser erbeutet. Als sie vom Feuerwasser berauscht gewesen waren, hatte Kleine Wolke die Idee gehabt, Kellys Station zu überfallen. Dabei war er ums Leben gekommen. »Er ist tapfer im Kampf gegen die Bleichgesichter gestorben«, sagte Kleiner Bogen. Big Cloud war ein erfahrener Mann. Er wußte, daß Kleiner Bogen in diesem Punkt log. Sein Sohn hatte eine Kugel in den Rücken bekommen. Aus der wortreichen Schilderung des jungen Kriegers ging hervor, daß plötzlich die Kutsche aufgetaucht war und die Weißen überraschend das Feuer eröffnet hatten. Daß die Apachen die Kutsche so spät erst bemerkt hatten, war wohl nur durch ihre Unerfahrenheit zu erklären und damit, daß sie zuviel Feuerwasser getrunken hatten. Für Big Cloud bestand kein Zweifel: Als die Weißen geschossen hatten, mußten Kleine Wolke und seine Stammesbrüder auf der Flucht gewesen sein. Er war nicht im tapferen Kampf gestorben. Aber Big Cloud war Kleiner Bogen für diese Lüge dankbar. Niemand sollte denken, sein Sohn Kleine Wolke sei ein feiges Weib gewesen. Er sollte mit allen Ehren in die Ewigen Jagdgründe eingehen. Als der mutige und ruhmreiche Sohn von Big Cloud. Der Häuptling dachte an seine Jugendzeit. Auch er hatte damals mit siebzehn Jahren in seinem ungestümen Drang Fehler 38
begangen. Für Big Cloud war es kein Fehler, daß sein Sohn statt auf die Jagd zu reiten, auf Beute ausgegangen war. Für den Häuptling war es nur ein Fehler, daß Kleine Wolke zu leichtsinnig gewesen war und offensichtlich die Weißen unterschätzt hatte. Er hatte sich über die Worte und den Rat seines Vaters hinweggesetzt. Doch Big Cloud gestand sich ein, daß er dem Jungen das verziehen hätte, wenn er erfolgreich zurückgekehrt wäre. »Wie viele Bleichgesichter waren es?« fragte er ruhig. Kleiner Bogen antwortete ohne Zögern. »In der Station waren es mindestens zwei Hände…«, er streckte fünf Finger aus, »… und dann die Bleichgesichter, die mit der Kutsche kamen. Wir haben bestimmt die Hälfte von ihnen getötet. Aber dann wurde Kleine Wolke getroffen, und ich entschloß mich zum Rückzug.« Auch in diesem Punkt log Kleiner Bogen. Big Cloud wußte, daß sich nur zwei Männer und eine weiße Squaw in der kleinen Station aufhielten. Er kannte alle Stationen in diesem Gebiet. Aber auch diese Lüge nahm er dem jungen Krieger nicht übel. »Das war weise, Kleiner Bogen«, sagte er doppelsinnig. Er blickte Kleiner Bogen an. Er war einen Mond älter als Kleine Wolke, besaß Mut und List und Verstand, wie er mit seinen Lügen bewiesen hatte. Vielleicht wird er anstelle meines Sohnes einmal mein Nachfolger, dachte Big Cloud. Wieder war sein Blick in weite Ferne gerichtet. Er dachte an seine Jugend, als er an der Seite seines Vaters durch die weiten Jagdgründe gestreift war. Jetzt war alles anders. Die Weißen waren immer weiter vorgedrungen mit ihren Kutschen und sogar Feuerrössern, mit ihren Waffen und ihrem Feuerwasser. Sie hatten mit ihren Städten und Zäunen alles ruiniert, was die Götter den Apachen geschenkt hatten und was ihnen heilig war. Sie führten sich auf, als gehörte dieses Land ihnen. 39
Big Cloud empfand tiefe Bitterkeit. Aber er war sich im klaren darüber, daß die neue Zeit nicht aufzuhalten war. Er hatte es in langen Nächten des Grübelns erkannt: Die Weißen wurden immer überlegener. Sie besaßen bessere Waffen, bessere Pferde, und sie wurden immer zahlreicher. Er hatte von großen Kämpfen gehört, von Schlachten, die die Bleichgesichter gegen die Indianer gewonnen hatten. Big Cloud verachtete die Weißen, aber er gestand sich ein, daß sie in vielem einfach überlegen waren. Deshalb hatte er zunehmend darauf verzichtet, die Stationen und Postkutschen der Bleichgesichter zu überfallen und sich mit gelegentlichen risikolosen Beutezügen zufriedengegeben. Er konnte das Drängen der jungen Krieger verstehen. Sie wollten den offenen Kampf. Sie wollten die weißen Eindringlinge vernichten. Aber sie vergaßen dabei den Sinn für die Realitäten. Mit Mut alleine waren die Weißen nicht zu schlagen. Er wußte, daß ihn seine Krieger in den letzten Jahren für einen Zauderer hielten. Sein Sohn selbst hatte es ihm gesagt. Aber er hatte versucht, ihnen klarzumachen, daß es weiser war, eine große Auseinandersetzung zu vermeiden. Was hatte er davon, wenn er die kleinen Stationen in diesem Gebiet überfiel? Kleine Beute und großes Risiko. Es war ein leichtes, die wenigen Weißen auf den Stationen zu töten, das war nicht das Risiko. Aber die Postkutschen-Gesellschaft würde es nicht hinnehmen, daß ihr Geschäft gestört wurde. Die Armee würde kommen, viele, viele Soldaten, und viele seiner Krieger würden sterben. Dieses Risiko wollte Big Cloud vermeiden. Er wollte den Bleichgesichtern keinen Grund geben, die Soldaten zu schicken. Bei vereinzelten Überfällen auf gut gefüllte Frachtwagen oder auf Farmen und einsame private Gruppen war risikoloser Beute zu erlangen. Blitzschnell zuschlagen und im heißen Niemands40
land untertauchen, das hielt Big Cloud für weise. Wer fragte schon nach Leuten und nach Wagen, die irgendwo in der Wildnis von Indianern überfallen wurden? Das war eben Schicksal, wie die Weißen sagten. Wo sollte man in diesem weiten Land nach den Schuldigen suchen? Dafür schickte niemand die Soldaten los. Aber mit der Postkutschenlinie war das etwas anderes. Das war eine Organisation. Da ging es um viel Geld. Und für die Bleichgesichter drehte sich alles um Geld… Big Cloud wußte viel über die Weißen, über ihr Leben, ihre großen Städte und ihre Erfindungen. Er hatte vor vielen Jahren einen kleinen Treck überfallen und alle Bleichgesichter getötet – bis auf einen. Als er mit dem Tomahawk zuschlagen wollte, sagte der Weiße in seiner Todesangst etwas auf Apache. Big Cloud ließ diesen Mann leben. Es war ein gelehrter Mann, der sich sogar ein bißchen in Big Clouds Sprache auskannte. Er nahm ihn mit in sein Lager und ließ sich fast zwei Jahre lang von ihm unterrichten. Von diesem Mann lernte er, sich in der Sprache der Weißen zu verständigen, lernte ihre Schriftzeichen und erfuhr vieles über ihre Sitten, ihr Leben und ihre Denkungsart. Als Big Cloud überzeugt war, genug zu wissen, tötete er seinen weißen Lehrer und skalpierte ihn. Der Häuptling blickte wieder auf seinen toten Sohn hinab, und er dachte an Vergeltung. »Hast du gesehen, wer meinen Sohn erschossen hat?« fragte er den jungen Krieger. Kleiner Bogen nickte. »Ich ritt neben Kleine Wolke, als wir die Bleichgesichter angriffen. Es war ein Weißbauch aus der Kutsche. Die Kutsche ist auf dem Weg nach Süden. Wenn wir uns beeilen…« 41
Big Cloud hob majestätisch die Rechte. »Geduld, Kleiner Bogen. Wenn wir die Kutsche angreifen wollen, können wir das immer noch. Meine Späher werden mir berichten, wo die Kutsche am leichtesten zu stoppen ist und wie viele Bleichgesichter damit fahren. Aber ich frage mich, ob es nicht zu riskant ist, die Kutsche zu überfallen…« »Gib mir die Erlaubnis, und ich werde Kleine Wolke rächen«, sagte der junge Krieger. Big Cloud nickte. »Du bist tapfer wie mein Sohn. Dir fehlt nur noch ein bißchen Erfahrung.« Er überlegte. »Warten wir erst einmal ab, was meine Späher berichten.« Die Späher trafen eine halbe Stunde später ein. Und was sie berichteten, gefiel Big Cloud. Es war eine besondere Kutsche, wie sie beobachtet hatten. Eine außerplanmäßige Kutsche, die von Wächtern begleitet wurde. Selbst bei der Rast wurde sie bewacht. Das war für eine normale Kutsche unüblich. Es konnte bedeuten, daß die Kutsche eine wertvolle Ladung transportierte. Vielleicht Waffen? Auf jeden Fall lohnende Beute. Das gab für Big Cloud den Ausschlag. Er konnte, wie die Weißen sagten, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und nicht nur den Tod seines Sohnes rächen, sondern zugleich lohnende Beute machen. Dafür konnte er ruhig das Risiko eingehen, daß die Bleichgesichter unter Umständen Soldaten schickten. Er würde für einige Zeit wieder untertauchen und abwarten, bis Gras über die Sache gewachsen war. »Ich werde die Götter befragen«, sagte er zu seinen wartenden Kriegern. Doch seine Entscheidung war längst gefallen. Er würde die Weißen, die mit dieser Kutsche fuhren, töten. 42
Alle. Und er würde die Ladung der Kutsche erbeuten. Er überlegte. Es blieb noch genug Zeit. Spätestens bei der Station, die von den Weißen ›Chamber's Inn‹ genannt wurde, würde er zuschlagen… * »Die Kutsche kommt«, meldete Matt. »Sie muß in drei, vier Minuten hier sein.« Seine Stimme verriet die große Anspannung, die alle in der Station befallen hatte. Seit Stunden warteten sie auf diesen Moment. Die Banditen lauerten auf die große Beute. Und Laura Campbell und Eleanor und Floyd Chamber wußten, daß die nächsten Minuten über Leben und Tod entscheiden würden. Sie konnten nichts tun, nur hoffen und beten. Die beiden Frauen hockten gefesselt und geknebelt in einer Ecke des Hauptraumes. Floyd Chamber war nicht gefesselt. Ihn brauchten die Banditen für ihren Plan. Sie hatten gedroht, die beiden Frauen zu töten, wenn er nicht spurte. Wenn alles nach Plan verlief, wollten sie ihn und die beiden Frauen am Leben lassen. Floyd Chamber bezweifelte, daß sie ihr Wort hielten. Und er bezweifelte, daß alles planmäßig verlief. Denn Bob war verschwunden. Der Bandit, der die Gegend abgesucht hatte, war unverrichteter Dinge zurückgekehrt. Er hatte erzählt, daß er am Creek Büchsen und zerschossene Flaschen gesehen hatte. Floyd Chamber hatte behauptet, daß er gelegentlich Schieß43
übungen veranstaltete und den Spott der Banditen über sich ergehen lassen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Floyd Chamber noch Hoffnung gehabt. Bob war in Sicherheit und konnte Hilfe holen. Er konnte der Kutsche entgegenlaufen und die Leute warnen. Es war mit Hilfe zu rechnen. Erst später war Floyd Chamber klargeworden, wie teuflisch das Vorgehen der Banditen war. Sie hatten die beiden Frauen als Geiseln. Die Leute, die mit der Kutsche kamen, konnten nichts unternehmen, ohne das Leben der Geiseln zu gefährden. Floyd Chamber hoffte fast, daß Bob nichts unternommen hatte, daß er sich irgendwo versteckthielt. Vielleicht wird er als einziger überleben, dachte Chambers. »Du weißt Bescheid«, sagte der Banditenboß gerade. »Du benimmst dich wie immer. Die Leute in der Kutsche sollen keinerlei Verdacht schöpfen. Wir stehen hier am Fenster und haben alles im Auge. Sollte etwas schiefgehen, sterben die beiden Frauen.« Floyd Chamber blickte zu seiner Frau und zu Laura. Er sah die Angst in ihren Augen, und er fühlte sich so hilflos wie nie zuvor in seinem Leben. Wenn ich doch nur nicht so alt wäre, dachte er. Früher hätte ich kämpfen können. Der Bandit, der mich am Stall überrascht hat, wäre gar nicht mehr zum Schuß gekommen. Aber heute? Vielleicht hat die Postkutschengesellschaft recht. Sie hätten die Station längst einem Jüngeren übergeben, wenn er sich nicht dagegen gesträubt hätte. Sein verdammter Stolz. Er hatte diesen Typen von der Gesellschaft klargemacht, daß er noch gut für sich und den Betrieb auf der Station sorgen könne. Und außerdem sei sein Sohn ein hervorragender Schütze… Bitterkeit erfüllte Floyd Chamber. 44
Vielleicht hatte Bob sogar recht, wenn er jeden Tag das Schießen übte. Es gab keinen Frieden auf der Welt. Floyd Chamber hatte geglaubt, den Frieden gefunden zu haben – bis jetzt. Und er bedauerte jetzt, daß er damals seiner Frau geschworen hatte, den Revolvergurt abzulegen. Er hatte ihn unter einer Diele im Schlafzimmer versteckt, damit Bob ihn nicht fand und Fragen über die Kerben am Griff stellte… »Los, geh jetzt raus!« Die scharfe Stimme des Banditenbosses riß Chamber aus seinen Gedanken. »Und denk an deine Frau und deine Tochter.« »Vor allen Dingen an die Tochter«, sagte Rufus und kicherte. Floyd Chambers hatte Laura als seine Tochter ausgegeben, als dieser gemeine Rufus sie zwingen wollte, sich zu entkleiden. Aus irgendeinem Grunde hatte der Boß Rufus daraufhin zurückgepfiffen. Floyd Chamber mochte Laura wie eine Tochter. Er konnte sich gar nicht vorstellen, daß sie eines Tages die Station wieder verlassen könnte. Das Schicksal hatte Laura eines Tages zu ihnen geführt. Vielleicht war es ihr Schicksal, mit ihnen zu sterben. Und Eleanor. Sie hatte ihr Leben mit ihm geteilt. Es war ein glückliches, zufriedenes Leben gewesen, wenn man einmal von den schweren Zeiten absah, die es im Leben eines jeden Menschen gibt und die in der Erinnerung gar nicht mehr so schwer erscheinen. Er dachte an den Tag, an dem er sie kennengelernt hatte. In einem billigen Tingeltangel. Aber sie war der Star des Programms gewesen. Sie hatte gesungen und getanzt, sehr verführerisch, und er war wie alle anderen Zuschauer ganz verrückt auf sie gewesen. Als die Schau zu Ende gewesen war und er noch überlegt hatte, ob er sie zu einem Drink einladen sollte, war 45
sie zu ihm an den Tisch gekommen und hatte gesagt: »Ich bin es ja gewohnt, von Männern angeglotzt zu werden. Die meisten starren auf den Busen, den Po und die Beine. Ganz selten schaut mir auch mal jemand in die Augen. Aber so wie Sie hat mich noch niemand angesehen. Ich wette, ich gefalle Ihnen auch ohne die Schau. Also, was ist, begleiten Sie mich in mein Hotel?« Er hatte sie begleitet. Gleich bis in ihr Zimmer. Und eine Woche später waren sie getraut worden… Alle diese Gedanken rasten durch Floyd Chambers Hirn. Könnte ich doch nur etwas tun! schrie eine Stimme in ihm. Seine Haltung straffte sich, als er jetzt zur Tür schritt. Vielleicht gab es doch noch eine Chance? Wenn Bob die Begleitmannschaft gewarnt hatte, dann mußte er jetzt dafür sorgen, daß die Männer nichts unternahmen. Er wollte sie anflehen, die Geiseln nicht zu gefährden und das Geld, von dem die Banditen gesprochen hatten, kampflos zu übergeben. Vielleicht gaben sich die Banditen damit zufrieden und verschwanden. Vielleicht ging dann doch alles ohne Blutvergießen ab. Er sah, wie die drei Banditen mit schußbereiten Gewehren an den beiden Frontfenstern in Position gingen, als er die Tür aufstieß und in die grelle Sonne hinaustrat. Seine Kehle war trocken, und das flaue Gefühl in seinem Magen nahm noch zu. Er ließ die Tür halb offenstehen, wie es ihm die Banditen befohlen hatten. Sie hatten über vieles Bescheid gewußt, über die Route der Kutsche, über die Anzahl der Wächter und über die Höhe der zu erwartenden Beute – obwohl sie die Summe nicht genannt hatten. Das ließ nur einen Schluß zu: Sie mußten einen Tip bekommen haben. Es waren eiskalte Verbrecher, für die ein Menschenleben nichts zählte. Floyd Chambers fragte sich in Gedanken, wer von den dreien 46
der gefährlichste war. Dieser Jeff, der Boß? Er gab die Befehle und war anscheinend der gerissenste und kaltblütigste von dem Trio. Matt? Offensichtlich ein Trinker. Er war gereizt und mürrisch gewesen, bis der Boß ihm erlaubt hatte, von Chambers Whisky zu trinken. Auch ein gefährlicher Bursche. Jähzornig, unberechenbar. Und dieser Rufus mit seinem irren Gekicher? Er war gewalttätig und verkommen. Er hätte wahrscheinlich Laura vor aller Augen vergewaltigt, wenn der Boß das nicht verhindert hätte. Alle drei waren die Ausgeburt der Hölle. Floyd Chambers ging wie in Trance ein paar Schritte vor die Station und beschattete die Augen, wie er es immer tat, wenn er das Nahen der Kutsche beobachtete. Die fahren wie die Wilden, dachte er besorgt. Hoffentlich greifen sie nicht die Station an, bevor ich ihnen sagen kann, daß die Banditen zwei Frauen als Geiseln haben. Aber das muß ihnen doch klar sein, wenn Bob ihnen alles erzählt hat… Floyd Chamber war nicht mehr fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Mit einer müden Bewegung wischte er sich über die schweißnasse Stirn. Und er schickte ein Stoßgebet gen Himmel, daß alles gutgehen möge. * »Auch bei Chambers gibt's 'ne Überraschung«, sagte Barrymore zu Lobo. »Warum grinst du so blöde?« erwiderte Lobo. »Wieder ein ehemaliger Boxchampion?« »Weder das noch ein Indianerangriff', sagte Barrymore, und seine dünnen Lippen verzogen sich noch mehr. Das erstemal, 47
daß seine Miene das Düstere verlor. Die schwarzen Augen funkelten. »Er meint die schönste Frau von New Mexico«, sagte Tony. »Abgesehen von Kathy natürlich.« »Kathy ist im Vergleich zu Laura ein Walroß«, erklärte Barrymore, ohne sich von Tonys wütendem Blick beeindrucken zu lassen. »Das Dumme ist nur, Laura läßt keinen dran.« »Nun ja, schlecht ist sie nicht«, gab Tony zu. »Zwar im Vergleich zu Kathy etwas schwach auf der Brust, aber insgesamt ein schönes Kind.« Er seufzte. »Nur, leider, leider ein unnahbarer Engel. Aber vielleicht gefällt ihr unser Indianer?« Er grinste Lobo an, dann blickte er in die Runde. »Ich sage euch, der Junge hat Chancen. Kathy hat mir ins Ohr geflüstert: Dieser Lobo hat so etwas männlich Wildes, da könnte ich direkt schwach werden. Nun ja, damit wollte sie mich nur ein bißchen eifersüchtig machen und mir sagen, wie toll ich bin, denn sie ist ja nur bei mir schwach geworden.« »Fragt sich, wer wen mehr geschwächt hat«, warf Masters ein. »Sieh dich vor, mein Freund«, erwiderte Tony, »sonst könnte ich auf die Idee kommen, dich zu verraten, daß du vorhin beim Pokern gemogelt hast.« Lobo lächelte. Dieser Tony war ihm recht sympathisch. »Leider hat unser Indianer aber diesmal Wache«, sagte Barrymore, und es klang ein bißchen schadenfroh, wie Lobo fand. Barrymore war Lobo in diesem Augenblick mal wieder unsympathisch. Er mochte seine Art nicht. »Du bist ein schadenfroher Hund«, sagte Tony zu Barrymore und sprach damit Lobo aus dem Herzen. Tony zwinkerte Lobo zu. »Ich werde den Engel mal zu dir rausschicken. Damit ihr euch beschnuppern könnt.« »Ich werde schon aufpassen, daß nichts passiert«, sagte Barrymore. 48
»Du hältst deine Finger da raus!« sagte Tony lachend. Er spähte aus dem Fenster. Dann rief er dem Kutscher zu: »He, Wilder, du hast nur etwas über 'ne halbe Stunde rausgeholt. Was soll die Stümperei? Wirst du alt oder was?« Wilder brüllte: »Dieser verdammte Kelly hat mir seine lahmsten Klepper eingeschirrt. Dem hau ich das nächstemal die Zähne ein!« »Hört, hört!« rief Tony spöttisch. »Wilder gegen den Hammer von Boston. Ich befürchte, wir werden uns nach einem neuen Kutscher umsehen müssen!« Er hob die Stimme: »Wilder, untersteh dich nur ja, wieder so irre zu stoppen, daß wir uns die müden Glieder verrenken! Diesmal brauchen wir keine Indianer zu erschrecken!« Für Wilder war das wohl eine Aufforderung, seinen bisherigen Rekord zu brechen und die Kutsche aus voller Fahrt noch schneller anzuhalten. Die Männer in der Kutsche waren diesmal auf der Hut, stemmten sich gegen ihre Sitze und suchten Halt. Doch als die Kutsche stand und sich alle entspannten, ließ Wilder das Gespann noch einmal kurz anspringen, und bei dem unerwarteten Ruck wurden die Männer in der Kutsche ebenso herumgeschleudert wie bei der ›Vollbremsung‹ vor Kellys Station. Staub wölkte um die Kutsche. Die Station war nur schemenhaft wie durch einen bräunlichen Schleier zu erkennen. Tony schimpfte über Wilder. »Man sollte ihm eine verpassen!« sagte er grimmig und nahm sein Gewehr, als meinte er seine Worte ernst. Masters und Elmore stiegen bereits aus der Kutsche. Lobo sah den alten Stationsmann am Fenster vorbei zum Kutscher gehen. »Habt ihr meinen Jungen gesehen?« fragte der Stationsmann mit seltsam gepreßter, etwas gedämpfter Stimme. »Deinen Jungen? Wieso?« hörte Lobo Wilders kräftiges Organ. 49
»Sag mal, was ist eigentlich mit dir los, Chamber, altes Haus. Du bist ja kreidebleich. Ist dir nicht gut?« Lobo blickte mit der üblichen Wachsamkeit, die ihm zur Routine geworden war, zum Stationsgebäude. Der Staub legte sich, und Lobo konnte Einzelheiten erkennen. Es war ein niedriger, langgestreckter Bau aus Holz und Adobe, etwas kleiner als Kellys Station. Plötzlich alarmierte ihn etwas. Und es wurde ihm trotz der Hitze eiskalt. Eine Gewehrmündung an einem der Fenster. Er riß seine Winchester hoch, doch es war bereits zu spät. Sein Warnschrei ging im Krachen von Schüssen unter. Und die Ereignisse überstürzten sich. Er sah Elmore zusammenbrechen. Masters schoß noch zweimal, dann stürzte auch er in den Staub. Lobo stieß den Gewehrlauf aus dem Fenster und schoß an Tony vorbei auf den Mann, der aus dem Fenster der Station auf Masters gefeuert hatte und jetzt wieder schoß. Jemand stieß einen langgezogenen Schrei aus, der abrupt mit einem dumpfen Aufprall endete. Entweder hatte es den Kutscher oder den Beifahrer erwischt. Immer noch fielen Schüsse in rasender Folge. Tony, der im Begriff gewesen war, auszusteigen, bevor die ersten Gewehrschüsse gefallen waren, wurde zurück in die Kutsche gestoßen. Er hing in der halb offenstehenden Tür. Seine Schulter war blutig. Lobo packte Tony, zog ihn mit der Linken in die Kutsche und duckte sich unter das Fenster. Blei klatschte in die Kutschenwand. Dann war plötzlich Totenstille. »Verdammt, mich hat's erwischt«, stöhnte Tony und preßte die Linke auf seine verletzte rechte Schulter. »Eine Falle! Wir sind in 50
eine Falle getappt! Was machen wir jetzt?« »Abwarten!« sagte Lobo rauh und riskierte einen schnellen Blick aus dem Fenster. »Noch haben sie uns nicht. Irgendwie müssen sie an die Kutsche heran. Und dann…« »Irrtum«, sagte Barrymore kalt. Und Lobo erstarrte. Denn die Mündung eines Revolvers bohrte sich in seinen Rücken. * »So ist das also«, sagte Lobo. »So ist das«, erwiderte Barrymore. »Laß das Gewehr fallen, oder du bist 'ne Leiche.« Lobo gehorchte. Barrymore zog ihm den Army Colt aus der Halfter. »Dreckiger Verräter«, sagte Tony gepreßt. Sein Gesicht war vor Zorn und Schmerz verzerrt. Lobo hatte schlagartig erkannt, warum Captain Mike Anderson ihn zu diesem Job geradezu überredet hatte. Der Captain mußte geahnt haben, daß es in der Mannschaft einen Verräter gab. Lobo erinnerte sich an das Gespräch vor der Abfahrt. Ja, der Captain vermutete, daß es eine undichte Stelle geben mußte. Er hatte es nicht gesagt, aber durchblicken lassen. Zwei geheime Transporte waren in den letzten Monaten überfallen worden. Deshalb sollte diesmal das Geld mit einer Kutsche ohne weithin sichtbare Eskorte befördert werden. Und ein neuer Mann sollte die Augen offenhalten. Es war kein Zufall gewesen, daß ein Begleitfahrer kurz vor dem Aufbruch in Albuquerque erkrankt war, damit Lobo für ihn einspringen konnte. In diesem Augenblick ärgerte sich Lobo über seinen alten Freund Mike Anderson. 51
Hätte Mike ihn doch nur eingeweiht! Barrymore hatte inzwischen Tonys Revolver an sich genommen. Tonys Gewehr lag vor der Kutsche im Staub. Es war ihm entfallen, als er getroffen und gegen die Kutsche geschleudert worden war. »Ihr werdet jetzt hübsch brav aussteigen!« sagte Barrymore. »Damit uns deine Kumpane umlegen?« rief Tony. »Das werden sie so oder so. Es widerstrebt mir, das selbst zu erledigen. Schließlich sind wir lange zusammen gefahren, Tony. Und auch an dich er verstärkte den Druck der Coltmündung gegen Lobos Rücken, »… hab ich mich schon beinahe gewöhnt, du Bastard.« Er lachte. »Na, hab ich nicht gesagt, daß hier eine Überraschung auf dich wartet?« Im nachhinein sah Lobo die Äußerungen Barrymores in einem anderen Licht. Ich hab von Anfang an gespürt, daß er ein Stinktier ist, dachte Lobo. Aber er sagte es nicht. Es hatte keinen Sinn, Barrymore in dieser Situation zu provozieren. »Also okay«, sagte Barrymore. »Damit du dir nicht vor Angst in die Hosen machst, Tony.« Er rief laut: »He, Freunde! Ich bin's, Barrymore. Ich hab sie vor dem Colt. Sie kommen jetzt raus! Nehmt sie in Empfang, aber laßt sie noch leben!« »In Ordnung!« antwortete eine rauhe Stimme aus der Station. Tony stieg als erster aus. Lobo folgte ihm. Er lauerte auf eine Chance, Barrymore überraschen zu können, doch es gab keine. Barrymore wartete, bis Tony und Lobo ausgestiegen waren, dann stieß er die andere Tür auf und sprang zur anderen Seite aus der Kutsche. Er umrundete die Kutsche und hielt sich seitlich von Lobo und Tony, um seinen Kumpanen nicht in die Schußlinie zu geraten. Lobo sah aus den Augenwinkeln, daß Barrymore seinen Revol52
ver gehalftert hatte und jetzt in jeder Hand ein Gewehr hielt. Lobos Army Colt und Tonys Waffe hatte er in den Hosenbund geschoben. Tony blieb zwei Schritte vor der Kutsche stehen. »Mein Gott«, murmelte er und starrte auf die reglosen Gestalten, die im Staub lagen. Lobo preßte bei dem Anblick die Lippen aufeinander. Masters und Elmore waren tot. Griffin, der Beifahrer, war mit Sicherheit ebenfalls tot. Auch Wilder und der Stationsmann lagen reglos am Boden. Täuschte sich Lobo, oder bewegte Wilder sich tatsächlich? Direkt neben dem Kutscher lag ein Gewehr, und es schien Lobo, als schiebe Wilder seine Hand darauf zu. Lobo wurde von Spannung erfaßt. »Weiter!« kommandierte Barrymore. »Los, los!« Lobo drehte den Kopf und blickte Barrymore an. Um den Banditen abzulenken, sagte er: »Ich hätte dir nicht nur ein blaues Auge schlagen sollen.« Barrymore lachte. Spöttisch und triumphierend. »Dafür hab ich mich doch gut revanchiert, oder?« Zeit gewinnen, dachte Lobo. Wenn Wilder unbemerkt an das Gewehr herankommt… »Du meinst die Sache mit Kelly?« »Nein, das war nur ein kleiner Spaß am Rande. Ich meine die Sache hier! Nun geht schon, oder ich mache euch Beine.« Tony setzte sich zögernd in Bewegung. Auch Lobo ging langsam auf die Station zu. Aus den Augenwinkeln blickte er zu Wilder. Dessen Finger berührten fast den Abzugsbügel der Winchester. Dann zuckte Lobo zusammen. Denn er sah die Indianer. »Apachen!« schrie er. »He, wenn das ein Trick…« Barrymore beendete abrupt seinen 53
scharfen Ruf. Auch er hatte die Apachen bemerkt. Es war ein großer Trupp, der gespenstisch und lautlos zwischen den Büschen am Creek aufgetaucht war und jetzt auf die Station zugaloppierte. Die Ereignisse überstürzten sich. Barrymore hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als auch schon die ersten Schüsse peitschten. Plötzlich war die Hölle los. Durch das Krachen der Schüsse und das Hämmern der Hufe drangen die kehligen, trillernden Kriegsschreie der Apachen. Lobo sah, wie Wilder das Gewehr packte und aufprang. Doch es war nicht mehr daran zu denken, die Banditen anzugreifen. Die andere Gefahr war größer. Es ging ums Überleben. Das hatte auch Barrymore erkannt. Der Bandit hetzte ins Haus. Tony rannte ebenfalls los. Aus der Station wurde jetzt geschossen. Lobo nahm das alles innerhalb von Sekunden wahr. Seit dem Auftauchen der Apachen waren gerade drei Sekunden vergangen. Lobo sah, wie Wilder plötzlich stehenblieb, neben dem alten Stationsmann in die Hocke ging, ihn packte und sich über die Schulter warf. Kugeln fetzten Staub neben ihm hoch, als er auf die Station zuhetzte. Lobo hatte sofort reagiert, als Barrymore zur Station gelaufen war und keine Gefahr mehr von ihm gedroht hatte. Er hatte sich umgedreht und war auf Tonys Winchester zugeschnellt, die vor der Kutsche im Staub lag. Jetzt feuerte er bereits auf die heranjagenden Apachen, um Wilder Feuerschutz zu geben. Die Apachen umrundeten gerade den Korral. Sie schossen 54
ungezielt. Es ist nicht einfach, von einem sattellosen, galoppierenden Pony aus ein Ziel zu treffen. Dennoch schwirrten einige Geschosse gefährlich nahe an Lobo vorbei, als er auf die Station zurannte. Wilder verschwand mit dem Stationsmann bereits in dem Gebäude. Einige der Apachen schossen auf die Kutsche. Vielleicht vermuteten sie darin noch Passagiere. Als Lobo sich in der Stationstür noch einmal umblickte, sah er, daß eines der Gespannpferde getroffen zusammenbrach, dann ein zweites. Schade um die Tiere, aber von Vorteil für die Weißen. Jetzt konnten die Apachen die Kutsche nicht mitnehmen. Und in der Kutsche war die versiegelte Kassette mit dem Geld. Lobo sprang mit Tonys Winchester im Hüftanschlag in die Station, bereit, sofort zu schießen, wenn ihn die Banditen angreifen sollten. Doch die hatten im Augenblick anderes im Sinn. Lobo erfaßte die Situation mit einem Blick: zwei gefesselte und geknebelte Frauen, die ihn in Todesangst anstarrten, als sei er einer der Apachen. Eine reglose Gestalt am Boden. In einer Blutlache. An den Fenstern ein schwarzgekleideter Mann und Barrymore. Beide schossen auf die Apachen, die jetzt im Kreis um die Station und die Kutsche herumritten, schießend und schreiend. Lobo sprang neben Barrymore ans Fenster. Tony hielt plötzlich einen Colt in der Linken. Er mußte ihn dem Toten abgenommen haben. Wilder hetzte durch den Raum an ein Fenster und feuerte mit seiner Winchester. Lobo kämpfte ebenfalls an der Seite der Banditen. Als sei nichts geschehen. Es ging für alle ums Überleben. Barrymore schoß auf einen Krieger, der plötzlich zu Fuß neben 55
der Kutsche auftauchte. Er mußte sich hinter der Kutsche im Vorbeireiten vom Pony geschnellt haben. Barrymores Kugel traf den Apachen. Das kehlige Kriegsgeheul und das Krachen der Schüsse schien sich noch zu steigern. Kugeln klatschten in die Wand der Station, fetzten Splitter aus den Fensterrahmen und wirbelten Adobestücke durch die Luft. Lobo schätzte die Zahl der Angreifer auf mindestens zwei Dutzend. »Sie dürfen nicht an die Kutsche ran!« schrie Barrymore durch den Kampflärm. Barrymore verteidigte nicht nur sein Leben, sondern auch die Beute. Zwei Apachen stürzten von ihren Pferden in den wirbelnden Staub. Wieder brach eines der Gespannpferde zusammen. Die Kutsche ruckte, als sich die noch lebenden Tiere in ihrer Panik aufbäumten. Aber sie kamen nicht von der Stelle. Das Gewicht der toten Führpferde verhinderte das. Lobo riß gedankenschnell den Kopf zurück, als eine Lanze auf ihn zuraste. Die Lanze flog durch das Fenster, dessen Scheibe längst zerschossen war, und bohrte sich keine Handbreit neben dem bewußtlosen Stationsmann in die Planken. Immer noch umkreisten die Apachen die Station. Barrymore ließ seine leergeschossene Winchester fallen, nahm das Gewehr, das er Lobo abgenommen hatte, und feuerte weiter. Ein Schreck durchfuhr Lobo. Er hatte vorhin Schüsse vom rückwärtigen Teil der Station gehört. Jetzt waren dort die Schüsse verstummt. Das Hauptinteresse der Apachen galt offensichtlich der Kutsche, die sie in ihren Kreis mit einbezogen hatten, und sie feuerten ausschließlich auf die Frontseite. Aber wenn sie auf die Idee kamen, auch von der anderen Seite 56
anzugreifen? Sie konnten sogar schon im Haus sein… Lobo warf sich herum und hetzte los. Auf dem Weg aus dem Hauptraum packte er den Stationsmann und schleifte ihn ein Stück aus der Gefahrenzone. Dann erreichte er die Tür, die halb offen war, und sprang in den Gang, das Gewehr schußbereit. Er mußte mit zwei möglichen Gegnern rechnen. Mit Banditen oder Apachen. Der Gang war leer, die Hintertür verschlossen. Links und rechts zwei Türen. Lobo wählte die erstbeste und gelangte in die Küche. Der Mann, der unter dem Fenster lag, war keine Gefahr mehr. Ein Apachenpfeil ragte aus seiner Brust. Lobo ging neben dem Fenster in Deckung und spähte vorsichtig hinaus. Er atmete auf. Der letzte Apache verschwand gerade um die Ecke der Station. Die Apachen hätten in aller Seelenruhe durch die Fenster an der Rückseite der Station klettern können. Sie hätten durch die Hintertür spazieren und die Menschen im Hauptraum töten können. Aber es war alles so schnell gegangen, so völlig überraschend. Wahrscheinlich auch für die Apachen. Sie hatten wohl nicht mit so starkem Widerstand gerechnet. Lobo konnte nicht ahnen, daß Big Cloud gar nicht vorgehabt hatte, die Station anzugreifen. Er hatte seinen Kriegern den Befehl gegeben, die Kutsche zu überfallen, alle Insassen zu töten und die Fracht der Kutsche zu erbeuten. Die Weißen in der Station sollten nur durch pausenloses Schießen abgelenkt und in Deckung gezwungen werden. Big Clouds Plan war nicht aufgegangen. Es gab mehrere Gründe dafür, vor allem, daß er – durch die Schießerei zwischen 57
den Weißen irritiert – zu spät den Befehl zum Angriff auf die Kutsche gegeben hatte. Es fielen nur noch vereinzelte Schüsse, dann war es plötzlich still. Huf schlag entfernte sich. Lobo spähte aus dem Fenster und sah die Apachen jenseits des Korrals wieder auftauchen. Sie gaben auf. Sie verschwanden zwischen den Büschen am Creek. Nur eine Atempause, das war für Lobo klar. Lobo war entschlossen, diese Pause zu nutzen. Er schlich mit dem Gewehr im Anschlag zur Tür des Hauptraumes. Er hörte einen Mann fluchen und einen anderen sagen: »Die kommen bestimmt wieder. Verdammt, wir müssen…« Lobo sprang in den Raum. »Keine Bewegung!« Er sah den schwarzgekleideten Banditen kalt grinsen. Jeff Ballinger hielt Laura einen Revolver an die Schläfe. »Eine Bewegung wäre auch tödlich für die Lady«, sagte er spöttisch. »Auch für den lieben Tony«, sagte Barrymore fast im gleichen spöttischen Tonfall. Barrymore hielt sein Gewehr auf Tonys Rücken gerichtet. Tony hatte die unversehrte Linke erhoben. »Wir waren ein bißchen schneller als du«, sagte Barrymore. »Laß fallen, oder es knallt!« Lobo preßte die Lippen aufeinander und gehorchte. Barrymore trat von Tony fort und ging im Bogen auf Lobo zu, um seinem Kumpan nicht in die Schußlinie zu geraten. Denn der schwarzgekleidete Bandit hatte jetzt seinen Revolver auf Lobo gerichtet. Barrymore hob das Gewehr auf und legte es zu den Waffen, die er Wilder und Tony abgenommen hatte. »Geh zu den anderen«, sagte der Schwarzgekleidete und 58
ruckte mit dem Revolverlauf. Lobo stellte sich zu Wilder und Tony. »Wo ist Matt?« fragte Jeff Ballinger und starrte Lobo an. »Hast du ihn…?« »Wenn das der Knabe in der Küche war«, sagte Lobo, »den kannst du vergessen. Er ist von einem Pfeil getötet worden.« »Wart ihr nur zu dritt, Jeff?« fragte Barrymore. »Du wolltest doch…« »Ja, ich wollte noch zwei Leute mehr mitnehmen. Aber es mußte ja alles schnell gehen. Außerdem brauchen wir so nicht durch so viele zu teilen.« Er lachte kalt. »Und wie soll's weitergehen?« fragte Lobo, nur um irgend etwas zu sagen. »Für dich gar nicht«, antwortete Barrymore. »Für euch alle nicht. Wir legen euch um, schnappen uns die Beute und verschwinden, bevor die Roten auf die Idee kommen, die Station ein zweites Mal anzugreifen.« Lobos Blick glitt an Tony vorbei zum Fenster, und seine Augen verengten sich. »Das dürfte zu spät sein«, sagte er. »Seht mal raus!« Barrymore schaute aus dem Fenster und fluchte. Die Apachen hielten sich außerhalb der Schußweite. Sie wirkten wie Statuen. »Sieh mal hinten nach, Jeff, sagte Barrymore zu dem Schwarzgekleideten. Jeff verließ den Hauptraum und nickte mit angespannter Miene, als er zurückkehrte. Lobo wußte Bescheid. Sie waren umzingelt. *
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»Warum tun sie nichts?« fragte Barrymore. »Warum starren sie nur zu uns herüber? Jetzt schon seit fast 'ner halben Stunde.« »Sie haben Zeit«, sagte Lobo. »Zeit und Geduld. Warum sollen sie sich beeilen? Wir sitzen hier fest.« »Halt die Klappe!« fuhr Jeff ihn zornig an. »Du bist ja selbst 'ne verdammte Rothaut.« Lobo erwiderte gelassen den Blick des Verbrechers. Der Mann war gereizt und nervös. Lobo schätzte ihn als unberechenbar ein. Lobo zog Bilanz. Sie saßen in der Falle. Zwei Frauen und sieben Männer. Die Frauen waren von ihren Fesseln und Knebeln befreit worden. Sie kümmerten sich jetzt in einem Nebenraum um die Verletzten. Tony, Floyd Chambers und der Bandit namens Rufus waren verletzt, Rufus schwer. Er war noch ohne Bewußtsein, und Lobo bezweifelte, daß der Mann es jemals wiedererlangen würde. Unverletzt waren Wilder, der sich bei der Schießerei mit den Banditen geistesgegenwärtig vom Kutschbock geworfen und tot gestellt hatte, Lobo, Barrymore und Jeff Ballinger. Zwei Frauen und sieben Männer. Umzingelt von Apachen, die noch Verstärkung erhalten hatten. Lobo schätzte sie auf über dreißig. Ein Drittel mehr als bei ihrem Angriff. Ein weiterer Trupp mußte in der Nähe gewartet haben. Noch warteten die Apachen ab, aber irgendwann würden sie angreifen. Das war auch den Banditen klar. Sie hatten einsehen müssen, daß sie ebenso Gefangene waren wie ihre Gefangenen. Noch hatten sie Lobo und den anderen die Waffen nicht zurückgegeben, aber sie mußten es tun, wenn die Indianer von neuem angriffen. Dann waren sie alle aufeinander angeweisen. Die Erbauer der Station hatten war auf Sicherheit Wert gelegt, 60
aber es gab doch einige schwache Stellen. Der Stall zum Beispiel lag ungünstig. Die Apachen konnten unbemerkt an die Rückseite des Stalls gelangen, ihn anzünden, die Pferde wegtreiben. Der Creek war gut hundert Yards entfernt, und die Büsche dort gaben den Indianern Deckung. Das andere Land ringsum war flach und gut zu überblicken. Nur am Creek konnten die Apachen unbemerkt auf Schußweite herankommen. Das war der wundeste Punkt. Es war unerträglich heiß und halbdunkel in der Station, denn die Eingeschlossenen hatten alle Fensterläden vorgelegt. Nur durch die Schießscharten fiel etwas Licht ein. Lobo wurde aus seinen Gedanken gerissen, den Laura Campbell betrat den Hauptraum. Lobo schaute sie an. Tony hatte nicht übertrieben. Laurawar wirklich eine schöne Frau. Sie war groß, langbeinig und schlank, doch an den richtigen Stellen wohlgerundet. Das hellgrüne Leinenkleid betonte ihre Figur. Langes schwarzes Haar umrahmte ein apartes Gesicht mit großen, wie fragend blickenden Augen unter feingeschwungenen Brauen. Ihr Mund mit vollen, schillernden Lippen hatte einen etwas melancholischen Zug. Ihre Haut war sanft gebräunt, doch jetzt war ihr Gesicht blaß und zeigte das Grauen, daß sie immer noch im Griff hatte. »Er ist tot«, sagte sie leise. Rufus war gestorben, ohne noch einmal aufgewacht zu sein. »Na und?« sagte Jeff gereizt. »Soll ich 'ne Trauerfeier abhalten oder was?« »Ich dachte nur, es interessiert Sie«, erwiderte Laura. Ihre Stimme klang weich und melodisch. »Immerhin war er Ihr Kumpan.« »Kumpan, Kumpan! Er war 'ne Niete. Sein blödes Gekicher 61
ging mir sowieso auf die Nerven.« Er starrte Laura von oben bis unten an. »Eh, sag nur, daß es dir um ihn leid tut, nachdem er dir an die Wäsche gehen wollte.« »Es tut mir nicht leid um ihn«, antwortete Laura kühl und beherrscht. »Er war verkommen und gemein. Aber er war trotz allem ein Mensch.« »Ach nein, Schwester, wie rührend.« Jeff lachte kalt. »Vielleicht hat es dir doch Spaß gemacht, daß er dir…« Laura unterbrach ihn. »Der einzige Unterschied zwischen ihm und Ihnen besteht darin, daß Sie noch leben.« Sie wandte sich stolz um und wollte den Raum verlassen. Der Bandit holte sie an der Tür ein. Er packte Laura brutal an der Schulter und riß sie herum. Er wollte sie schlagen, doch Lobo verhinderte das. Lobo hatte sofort reagiert. Er packte den Verbrecher am Arm und zerrte ihn von der Frau fort. Laura blieb stehen. Lobo sah das Entsetzen in ihren Augen, ihre Angst. Die Angst um ihn. Mit Jeff konnte er noch fertig werden. Er wich einem wütenden Angriff des Banditen aus. Dann traf ihn ein Schlag auf den Kopf, und er stürzte. Barrymore hatte zugeschlagen. Lobo taumelte direkt gegen Jeffs Faust, die ihm ans Kinn krachte. Benommen fand er sich am Boden wieder, hörte Lauras Aufschrei wie aus weiter Ferne. Schmerzen zuckten durch seine rechte Hüfte, als ihn Jeff mit der Stiefelspitze traf. »Hör auf!« Das war Barrymores Stimme. Lobo stemmte sich hoch und blickte in das verzerrte Gesicht Jeffs, der schwer atmend vor ihm stand. Haß funkelte in den 62
Augen des Banditen. Doch er griff nicht mehr an. Lobo erhob sich und erkannte den Grund dafür. Barrymore hielt den Revolver auf Jeff gerichtet. »Wenn wir dich nicht noch gebrauchen könnten«, sagte Barrymore kalt zu Lobo, »hätte ich dir den Schädel eingeschlagen.« Dann wandte er sich an seinen Kumpan. »Jeff, reiß dich doch zusammen. Jeden Augenblick können die Roten wieder angreifen, und du gibst dich mit solchen Kinkerlitzchen ab.« Jeff fuhr zornig zu Laura herum, die wie erstarrt auf der Türschwelle stand und Lobo anblickte. »Hau schon ab, du Flittchen! Mach Kaffee!« Lobo sah die helle Empörung in Lauras Augen aufblitzen. Sie öffnete den Mund zu einer heftigen Antwort, doch sie sagte nichts, als sie Lobos warnenden Blick auffing. Sie wandte sich um und verließ den Raum. Barrymore sagte: »Jeff, das war nicht nötig. Was hast du davon, die Frau zu beleidigen!« »Ach, halt's Maul!« sagte Jeff wütend. »Ich tue, was ich will.« Barrymore maß Jeff mit einem kalten Blick, ohne eine Antwort zu geben. Dann stieß er den Revolver ins Leder zurück und ging zum Fenster. »Immer noch nichts«, murmelte er. »Ich möchte wissen, worauf die warten.« »Vielleicht rechnen sie damit, daß wir einen Ausbruch versuchen«, überlegte Jeff. Er ignorierte Lobo und trat zum anderen Fenster, um hinauszublicken. »Das wäre Selbstmord«, sagte Barrymore. Jeff fluchte. »Da sitzen wir hier, haben die Beute und kommen nicht weg! Alles hätte tadellos geklappt! Wer hat schon mit den Roten gerechnet!« »Noch haben wir die Beute nicht«, stellte Barrymore fest. »Sie 63
ist vor unserer Nase, aber wir können nicht ran. Oder willst du zur Kutsche und dich abknallen lassen?« Jeff grinste. »Abknallen nicht, aber zur Kutsche will ich. Und zwar, bevor die Rothäute uns die Beute abnehmen.« »Tot nützt dir alles Geld der Welt nichts«, sagte Barrymore. »Wieviel ist es überhaupt?« fragte Jeff. »Du sprachst in Silver City nur von 'ner Riesensumme…« In Silver City hatte Barrymore also seinen Kumpanen den Tip gegeben. Lobo erinnerte sich daran, daß Barrymore sich bei einer Rast unter einem Vorwand von der Wachmannschaft abgesondert hatte. »Genau weiß ich's nicht«, erwiderte Barrymore. »Aber es lohnt sich. Sonst hätten die nicht so 'n Riesen-Tamtam deshalb veranstaltet.« Tony, der mit Wilder und Chamber an den rückwärtigen Fenstern Wache gehalten hatte, stürmte in den Hauptraum. »Sie reiten auf den Stall zu. Verdammt, rückt schon unsere Waffen raus!« Barrymore und Jeff ergriffen ihre Gewehre. »Bedient euch!« rief Barrymore und wies zu dem Schrank, in dem die Waffen verstaut waren. Lobo und Tony liefen bereits zum Schrank. Lobo nahm die erstbeste Winchester und seinen Army Colt. Tony bewaffnete sich ebenfalls und nahm Waffen und Munition für Wilder und Chamber mit. Schüsse krachten. »Der Stall!« schrie Wilder dröhnend. »Sie haben es auf den Stall abgesehen!« Tony hetzte aus dem Hauptraum. »Komm zurück!« rief ihm Lobo nach, denn er befürchtete, daß die Apachen gleichzeitig auch wieder von der Frontseite die Station angreifen würden. 64
Genau das taten sie. Während ein Dutzend Apachen den Stall in Brand setzten, versuchte ein anderer Trupp, die Kutsche in die Hand zu bekommen. Barrymore und Tony unterstützten Lobo. Der Kampf währte kaum zwei Minuten. Dann zogen sich die Apachen zurück. »Vier, fünf weniger«, sagte Barrymore grimmig und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß aus dem Gesicht. Jeff tauchte im Hauptraum auf. »Der Stall brennt, die Pferde sind weg, und die Apachen haben sich zurückgezogen. Wir haben drei von ihnen erwischt!« Alle versammelten sich jetzt im Hauptraum. Die Banditen dachten nicht mehr daran, ihre ursprünglichen Gefangenen wieder zu entwaffnen. Alle in der Station waren sich der tödlichen Gefahr bewußt. Es sah ganz so aus, als wären sie dazu verdammt, gemeinsam zu sterben. Laura schenkte für alle Kaffee ein, und Ma Chamber brachte kalten Braten aus der Küche. »Wann kommt die nächste Kutsche?« fragte Lobo den Stationsmann. Floyd Chamber sah erbärmlich aus. Sein Gesicht war bleich und eingefallen. Der Blutverlust hatte ihn geschwächt. Er trug einen Verband um die linke Schulter. »Übermorgen«, sagte Chamber tonlos. »Na, dann gute Nacht«, murmelte Barrymore. »Ist auch fraglich, ob uns die Kutsche helfen kann«, meinte Jeff. Floyd Chamber sagte in die einsetzende Stille: »Vielleicht kommt andere Hilfe. Mein Junge ist weg.« Bis auf die beiden Frauen waren alle überrascht. »Dein Junge?« fragte Barrymore. 65
Floyd Chamber nickte. »Dann hast du uns also belogen, Alter?« fuhr Jeff ihn an und legte drohend seine Rechte auf den Revolverkolben. Barrymore hob beschwichtigend eine Hand. »Laß mal, Jeff. Das interessiert jetzt keinen. Erzähle, Chamber.« Chamber berichtete. Eine Weile herrschte dann Schweigen. Jeder hing seinen Gedanken nach. Schließlich sagte Barrymore: »Er ist also zu Fuß. Der Kutsche ist er nicht entgegengelaufen. Wohin ist er dann? Vielleicht hat er sich nur versteckt, als er die Schüsse hörte? Vielleicht liegt er auch schon längst skalpiert irgendwo da draußen…« »Mein Gott«, schluchzte Ma Chamber und schlug die Hände vors Gesicht. Jeff blickte Chamber an. »Was ist das denn für ein Bengel? Traust du dem zu, daß er etwas unternommen hat?« »Ja, vielleicht…« Lobo sah der Miene des alten Stationsmannes an, daß Bob Chamber wohl doch kaum Anlaß zu irgendwelchen Hoffnungen gab. Es war immerhin möglich, daß der Junge davongekommen war und Hilfe holte. Aber es konnte Tage dauern, bis diese Hilfe eintraf. Es war genausogut möglich, daß er längst tot war, wenn die Apachen ihn entdeckt hatten. Als hätte Barrymore ähnliche Gedanken gehabt, sagte er: »Man müßte herausfinden, ob die Apachen den Jungen getötet haben oder nicht. Wenn nicht, haben wir 'ne Chance. Dann kommt es darauf an, die Roten hinzuhalten.« »Und wie das?« fragte Jeff. Barrymore grinste. Es war ein teuflisches Grinsen. »Das laß mal meine Sorge sein.« Er blickte Laura an. »Wir könnten sie mit 66
dem einen oder anderen Geschenk erfreuen und ablenken…« Jeder im Raum wußte, wie der Verbrecher das gemeint hatte. Lobo sah die Furcht in Lauras Augen, und er blickte sie an, um ihr einen stummen Trost zu übermitteln. Das werde ich verhindern! signalisierte sein Blick. Täuschte er sich, oder zeigten Lauras Lippen wirklich die Andeutung eines zaghaften Lächelns? »Wenn wir wissen, ob der Junge entkommen ist«, fuhr Barrymore fort, »können wir jedenfalls um Zeit pokern. Das ist nicht das größte Problem. Und halten können wir uns hier auch noch 'ne Weile. Wir haben noch genug Proviant und Wasser, und die Munition reicht, um noch ein paar Angriffe zu überstehen. Ja, wir müssen herausfinden, ob der Junge entkommen ist…« »Geh doch hin, und frag sie, du Drecksack«, sagte Tony. Barrymore reagierte gelassen. Grinsend sagte er. »Die Idee ist gar nicht so schlecht. Aber nicht ich werde hingehen und fragen, sondern der da!« Und er richtete seinen Colt auf Lobo. * Es war nicht das erstemal, daß Lobo dem Tod ins Auge blickte. Aber es war das erstemal, daß er gezwungen wurde, so sinnlos zu sterben. Denn was nützte es den Leuten in der Station, wenn ihn die Apachen töteten? Gar nichts. Im Gegenteil – sie hatten dann einen Mann weniger zur Verteidigung. Doch Barrymore war nicht umzustimmen gewesen. Er hatte sich immer mehr an seiner Idee begeistert. Selbst Jeff war zuerst dagegen gewesen, hatte aber schließlich zugestimmt und Lobo höhnisch alles Gute für die Ewigen Jagdgründe gewünscht. Auch Barrymore schien Lobo kaum Überlebenschancen einzuräumen, aber er wollte lieber einen Kämpfer weniger in der 67
Station haben, als seinen Plan aufzugeben. »Entweder hat er Glück, und sie lassen ihn am Leben«, hatte Barrymore erklärt, »oder er ist unser erstes Geschenk an die Apachen. Auf jeden Fall haben wir etwas Zeit gewonnen.« Und dann hatten die Verbrecher gedroht, die Frauen töten oder zu den Indianern hinauszuschicken, wenn Lobo nicht zu den Apachen ging und mit ihnen verhandelte. Lobo ging. Verhandeln, dachte er bitter, worüber soll ich verhandeln? »Biete Ihnen die Frauen an«, hatte Jeff vorgeschlagen. »Meinetwegen auch Geld«, hatte Barrymore gesagt. »Bluffe sie. Sag, wir würden schon seit Tagen in Lordsburg erwartet. Soldaten würden nach uns suchen. Laß dir was einfallen.« »Komm nur ja nicht auf die Idee, mit deinen roten Brüdern gemeinsame Sache zu machen«, hatte Jeff gedroht. »In diesem Fall müßten deine weißen Freunde hier es ausbaden.« Lobo wußte, daß seine Überlebenschancen gleich Null waren. Er kannte die Apachen gut genug. Er wußte, daß diese Wüstenwanderer und Jäger andere Ehrbegriffe als die Reitervölker des Prärie- und Steppengürtels hatten. Apachen kämpften möglichst aus dem Hinterhalt und mieden das Risiko. Warum sollten sie mit ihm verhandeln, wenn sie die Weißen ohnehin in der Falle hatten? Sie würden ihn wahrscheinlich auslachen und dann zu Tode foltern, vor den Augen der Bleichgesichter, um ihnen zu demonstrieren, welches Schicksal auch ihnen drohte. Bitter dachte Lobo: Dann hat dieser wahnsinnige Barrymore wenigstens in einem Punkt recht: Er wird Zeit gewinnen. Lobo schritt weiter auf die Reiter zu. Nichts verriet seine Anspannung. Noch hundert Yards. Die Krieger hatten sich nur einmal gerührt. Als er aus der Sta68
tion getreten war, hatten sie ihre Waffen angeschlagen. Jetzt hockten sie wieder wie Statuen auf ihren Ponys und starrten ihm stumm mit ausdruckslosen Mienen entgegen. Er war unbewaffnet bis auf das Messer in der Lederscheide am Stiefelschaft. Den Gurt hatte er abgelegt. Ein Dutzend Gewehre, Lanzen und Pfeile zielten auf ihn, und er sah den Kriegern an den Augen an, daß sie nur auf ein Wort ihres Häuptlings warteten, um ihn zu töten. Der Anführer war breit und gedrungen. Er trug keine Federn, sondern eine Apachenhaube aus Fell, Menschenhaaren und Antilopenhörnern, so wie sie bei den White Mountain Apachen in Arizona üblich waren. Als Lobo bis auf etwa dreißig Yards heran war, trieb er sein Pony auf Lobo zu. Lobo blieb stehen. Der Anführer zügelte das Pony und sagte mit gutturaler Stimme in der Spräche der Weißen: »Ich bin Häuptling Big Cloud, der große und tapfere Führer der Apachen…« Er sprach mit schauderhaftem Akzent und vielen Fehlern, aber Lobo war überrascht, daß Big Cloud überhaupt Amerikanisch konnte. Er hörte gelassen zu, wie Big Cloud sich wortreich aller seiner Heldentaten rühmte. Für einen Apachen redete Big Cloud sehr viel. Vielleicht war er stolz darauf, seine Sprachkenntnisse vorzuführen. Lobo antwortete in der Sprache der Apachen. »Ich bin Lobo. Ich bin gekommen, um mit dir zu verhandeln.« Big Clouds dunkle Augen zeigten kurz Verblüffung. Dann lachte er. »Verhandeln? Wozu soll ich verhandeln, Mann ohne Gesicht?« Lobo kannte diesen Ausdruck. Für viele Indianer war er ›der Mann ohne Gesicht‹, weil er weder ein Weißer noch ein Roter 69
war, sondern ein Halbblut. »Du bist nicht nur dumm, freiwillig in den Tod zu gehen, du bist auch lustig«, fuhr Big Cloud fort. Er musterte Lobo und sagte: »Warum kämpfst du an der Seite dieser Bleichgesichter, die alle sterben werden? Du beherrschst die Sprache der Apachen, und ich denke, du hast auch indianisches Blut in dir, oder?« »Meine Mutter war eine Apachensquaw«, antwortete Lobo. »Die Tochter eines Häuptlings.« Big Cloud blickte überrascht. »Von welchem Stamm?« »Vom Stamm der Jicarillas«, sagte Lobo. Das war eine Lüge. Seine Mutter war eine Pimahäuptlingstochter gewesen. Aber Lobo mußte sich hüten, das zu erwähnen. Die Pirnas waren Feinde der White Mountain Apachen. Pirnas trieben Ackerbau, kannten schon künstliche Bewässerung und unterhielten im Gegensatz zu den Apachen recht freundschaftliche Beziehungen zu den Amerikanern, abgesehen von einigen unbedeutenden Zwischenfällen. Einige Pima-Krieger dienten als Soldaten im Arizonabataillon unter ihrem Häuptling Antonio Azul. Wenn Lobo gesagt hätte, daß seine Mutter eine Pirna gewesen war, hätten sich seine ohnehin minimalen Chancen noch mehr verschlechtert. Die Jicarillas schienen Big Cloud da schon besser zu gefallen. »Ein halber Jicarilla?« sagte er. Es klang fast anerkennend. Dann verhärtete sich sein Gesicht wieder. »Und warum verrätst du dein Volk?« »Ich habe kein Volk«, erwiderte Lobo. »Mein Vater war ein Weißer. Er hat mich gelehrt, Gut und Böse zu unterscheiden. Für mich spielt die Hautfarbe keine Rolle. Egal, ob einer weiß, rot, gelb oder schwarz ist. Hauptsache, er ist ein guter Mensch. Denn wir sind alle nur Menschen, die auf einer Welt leben…« 70
»Du sprichst wie ein Mann, den die Weißen Prediger nennen«, sagte Big Cloud. »Du kennst dich aus in der Welt der Weißen?« fragte Lobo und tat überrascht, obwohl er das schon nach Big Clouds Sprachkenntnissen und seinen Worten vermutet hatte. Big Clouds dünne Lippen verloren ihren harten Zug. Er lächelte geschmeichelt. »Ich weiß alles über die Bleichgesichter.« Er erzählte von seinem weißen Lehrer und strich über das Haar an seiner Haube. »Das war sein Haar.« Lobo versuchte, Big Cloud zu verunsichern. »Die Zeit ist nicht stehengeblieben, Big Cloud. Inzwischen haben die Weißen neue Waffen erfunden. Und sie sind immer stärker geworden. Sie werden kommen und dich und deine Krieger töten, wenn du ihre Station überfällst. Wenn du wirklich so weise bist, müßte dir das doch klar sein.« Big Cloud seufzte. Offensichtlich hatte Lobo ihn an einer empfindlichen Stelle getroffen. »Mein Herz ist voll Trauer, aber auch voller Zorn.« Er sprach jetzt wieder in Apache. »Ich habe die Götter befragt, und sie haben entschieden. Ich werde alle Weißen in diesem Haus dort töten. Denn einer von ihnen hat meinen Sohn, den tapferen Little Cloud, getötet. Ich werde seinen Tod rächen…« Lobo fiel es wie Schuppen von den Augen. Der Überfall auf Kellys Station, den sie vereitelt hatten! Für einen Moment glaubte er wieder den jungen Krieger getroffen über den Pferdehals sinken zu sehen… Seine Gedanken jagten sich. »Wer hat deinen Sohn getötet?« fragte er, um Einzelheiten zu erfahren. Big Cloud erzählte vom Tod seines Sohnes. Aus seinen Worten klangen Trauer, aber auch Zorn und Haß auf die Weißen. Den Namen seines Sohnes sprach er immer mit großem Stolz aus. 71
Das wollte Lobo nutzen. »Dein Sohn ist im tapferen Kampf gestorben«, sagte er. »Ich selbst habe gesehen, wie er das Bleichgesicht erschoß, das ihn mit seiner Donnerbüchse traf.« Er sah, daß seine Worte Big Cloud beeindruckten. Selbst wenn der Apache das als Lüge erkannte, würde er es nicht zugeben. Big Cloud sagte: »Ich weiß, daß Little Cloud sehr tapfer gestorben ist und viele Bleichgesichter getötet hat, bevor er selbst starb. Meine Krieger haben es mir berichtet. Aber ich weiß nicht, ob unter den Toten wirklich das Bleichgesicht war, das Little Cloud erschossen hat.« »Ich sage dir, daß es so ist«, erwiderte Lobo. »Du suchst nur einen Grund für deinen Überfall. Du willst nur Skalps und Beute.« In Big Clouds Augen blitzte es auf. »Ich will den Tod meines Sohnes rächen«, sagte er kehlig. »Wir sind zu viele Männer in der Station«, sagte Lobo. »Es ist dir und deinen Kriegern noch nicht gelungen, einen einzigen Skalp zu erbeuten.« Lobo sagte es in der Hoffnung, daß Big Cloud sich damit brüsten würde, doch schon einen Weißen getötet zu haben: den Sohn des Stationsmannes. Doch der Häuptling erwähnte nichts davon. Seine dünnen Lippen verzogen sich spöttisch. »Ich kann zählen. Ihr seid nur sieben Männer und zwei Squaws. Und einige der Männer sind tot oder verletzt, wie mir meine Krieger nach dem letzten Angriff berichtet haben.« »Wir haben gute Waffen und genug Munition, um euch alle in die Ewigen Jagdgründe zu schicken«, sagte Lobo. »Wenn du ein weiser Häuptling bist, so frage ich dich, warum willst du deine Krieger in den sicheren Tod führen?« »Ich werde den Tod meines Sohnes rächen«, erwiderte Big 72
Cloud ernst. Er blickte Lobo nachdenklich an. »Du weißt, daß du zum Sterben hergekommen bist. Warum bist du so dumm, wenn du der Sohn einer Jicarilla bist?« Lobo kannte die Denkungsart der Apachen. Sie mußten ihn für einen Dummkopf oder Wahnsinnigen halten, weil er sich waffenlos in ihre Hand begeben hatte. Und sie hatten aus ihrer Sicht durchaus recht. »Ich bin nicht freiwillig hier«, sagte Lobo. »Man hat mich dazu gezwungen.« Er erzählte von den Banditen und spürte, daß er das Interesse des Häuptlings geweckt hatte. Big Cloud hörte zwar mit ausdrucksloser Miene zu, aber allein die Tatsache, daß er Lobo so lange reden ließ, sprach dafür, daß ihn die Story interessierte. Lobo ließ geschickt einfließen, daß die Banditen die Kutsche verwechselt hätten. Daß nur wenig Geld an Bord sei, weil sie erst in Lordsburg die Ladung in Empfang nehmen sollten. Es entging Lobo nicht, daß Big Cloud bei diesen Worten leichte Enttäuschung verriet. Er war also doch auf Skalps und Beute aus. Trotz allem war es ein Glücksfall, daß er an einen Häuptling wie Big Cloud geraten war, der einen weißen Lehrer gehabt hatte. Lobo erzählte, daß die Banditen gedroht hatten, die Frauen umzubringen, wenn er nicht zu den Apachen ginge und mit ihnen rede. Als Lobo geendet hatte, verzogen sich Big Clouds Lippen zu einem verächtlichen Lächeln. Er strich über das Haar seines Lehres und sagte: »Ich dachte, die Bleichgesichter sind gut zu ihren Frauen.« »Es gibt auch böse Bleichgesichter«, sagte Lobo. Big Cloud nickte. »Es gibt nur böse Bleichgesichter. Du willst also sterben, um die beiden Frauen zu retten. Bist du schon so 73
sehr ein Weißer geworden, daß du für Squaws in den Tod gehst?« Lobo grinste, obwohl ihm nicht danach zumute war. »Ich will nicht sterben. Und du wirst mich nicht töten. Oder willst du, daß die Götter dir zürnen, wenn du den Sohn einer Jicarilla tötest?« Er sagte es sehr selbstbewußt, und nichts verriet die Anspannung, die ihn beherrschte. Jetzt kam alles darauf an, wie Big Clouds Entscheidung ausfiel. Der Häuptling zögerte mit der Antwort. »Wenn der Sohn einer Jicarilla mit den Weißbäuchen gemeinsam gegen uns kämpft, dann muß er sterben.« Lobo sah aus den Augenwinkeln, wie Bewegung in die Linie der wartenden Krieger kam. Einige spannten ihre Bogen, andere hoben ihre Feuerwaffen etwas an. Trotz der heißen Sonne wurde es Lobo kalt. Doch da sagte der Häuptling: »Weil du der Sohn einer Jicarilla bist, will ich großzügig sein und dich nicht auf der Stelle töten lassen. Ich erlaube dir, zu den Bleichgesichtern zurückzugehen und ihnen zu sagen, weshalb sie sterben werden. Ich gebe dir bis Sonnenuntergang Zeit, dich zu entscheiden. Entweder kämpfst du auf unserer Seite gegen die Weißen, oder du stirbst mit ihnen.« Wieder verzogen sich seine Lippen zu der Andeutung eines Lächelns. »Ich habe viel von meinem weißen Lehrer gelernt«, fuhr er fort. »Ich weiß von den Weißen, daß sie Männer ausschicken, die Missionare heißen. Die Götter werden zufrieden mit mir sein, wenn ich meine Klugheit für sie einsetze. Ich bin ein Missionar der Apachen. Ich werde dich zurückholen zu unserem Volk. Du wirst dich für alle Zeiten entscheiden müssen, auf welcher Seite du stehst, Mann ohne Gesicht. Und als Sohn einer Jicarilla wirst du nicht so dumm sein, mit den Weißen zu sterben.« 74
Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte Lobo laut gelacht. Vieles, was Big Cloud von seinem weißen Lehrer mitbekommen hatte, war von ihm offensichtlich nicht richtig verstanden worden. Lobo lachte nicht. Und er sagte Big Cloud nicht, daß die Missionare der Weißen nicht mit Erpressung arbeiteten. Er nickte feierlich und war bemüht, sich seine grenzenlose Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Big Cloud ließ ihn am Leben. Das war das wichtigste. Er konnte zurück zur Station. Und bis zum Sonnenuntergang waren ein paar Stunden gewonnen… »Ich werde mich entscheiden, weiser Häuptling«, sagte Lobo. »Es ist eine schwere Entscheidung, aber es war an der Zeit, daß ich sie eines Tages treffe.« Big Cloud nickte. »Geh hin, und sag den Bleichgesichtern, warum sie sterben werden. Und dann entscheide dich. Wenn du bis Sonnenuntergang noch in der Station bist, wirst du sterben wie die anderen.« Dann zog er sein Pferd herum und ritt zu seinen Kriegern zurück. Lobo wandte sich um und ging davon. Es kribbelte zwischen seinen Schulterblättern. Er mußte immer noch damit rechnen, daß Big Cloud im letzten Moment seine Meinung änderte. Oder daß alles nur ein grausames Spiel gewesen war. Aber nichts geschah. Sie ließen ihn tatsächlich gehen. Weil Big Cloud einen weißen Lehrer gehabt hatte. Vielleicht glaubte der Häuptling wirklich so etwas wie ein roter Missionar zu sein und stellte ihn deshalb vor die Alternative: rot oder Tod. Vielleicht ließ Big Cloud ihn auch nur am Leben, damit er den Weißen in der Station sagen konnte, weshalb sie sterben wür75
den. Lobo brauchte sich die Entscheidung nicht zu überlegen. Er war ein Mann, der zwischen zwei Welten lebte. Er war weder rot noch weiß – und schon gar nicht gelbgestreift. Er würde in der Station bleiben und sich und die anderen Eingeschlossenen verteidigen. Bis zur letzten Patrone. Aber zuerst mußte er noch etwas anderes regeln. Es war an der Zeit, daß die Banditen ausgeschaltet wurden. * Die Menschen in der Station bestürmten ihn mit Fragen. Als erstes fiel Lobo auf, daß die Banditen wiederum alle Waffen eingesammelt hatten. Später erfuhr er, daß Tony versucht hatte, Barrymore anzugreifen und daß die Banditen daraufhin wieder alle entwaffnet hatten, um einen weiteren Zwischenfall zu vermeiden. Sie hatten sogar die Station nach Waffen durchsucht. Lobo berichtete. Natürlich änderte er so einiges in seinem Sinne. »Big Cloud ist auf keinerlei Angebot eingegangen«, sagte er. »Er will weder Geld noch die Frauen oder irgendwen von uns.« Er blickte Barrymore an. »Dein Plan, den Apachen gelegentlich einen von uns als Geschenk zu überreichen, kannst du vergessen. Big Cloud läßt sich durch nichts aufhalten. Er hat geschworen, daß wir bis spätestens Sonnenuntergang alle tot seien. Ich erinnere mich, daß du es warst, Barrymore, der den Häuptlingssohn bei Kellys Station erschossen hat. Du hast uns das alles eingebrockt.« Lobo versuchte, einen Keil zwischen die beiden Banditen zu treiben. Es schien zu gelingen. 76
Jeff fluchte. »Du Idiot!« fuhr er Barrymore an. »Mußte das denn sein?« Barrymore maß ihn mit einem düsteren Blick. »Das ist doch alles nur Gerede. Dieser Apachenhäuptling sucht doch nur einen Vorwand. Der hätte so oder so angegriffen.« Lobo widersprach. Und er erzählte, was er von Big Cloud hielt. Auch hier änderte er die Wahrheit ein bißchen zu seinen Gunsten. »Big Cloud ist ein gebildeter Apache. Er hätte niemals die Station oder die Kutsche überfallen, wenn du seinen Sohn nicht getötet hättest. Aber jetzt schäumt er vor Wut und will Rache.« »Verdammt, woher sollte ich denn wissen, daß es sein Sohn war?« versuchte sich Barrymore zu rechtfertigen. »Jeff, was glotzt du mich so blöde an?« »Ich überlege gerade«, sagte Jeff. »Dieser Big Cloud will also Rache für seinen toten Sohn. Und du hast den Sohn erschossen. Wenn wir dich…« Er ließ den Rest unausgesprochen, aber jeder wußte, was er meinte. Barrymore und Jeff starrten sich an. Plötzlich herrschte Spannung zwischen den beiden Banditen. Barrymores Gesicht verzerrte sich. »Sprich nur weiter!« sagte er drohend und legte die Hände auf die Griffe seiner Revolver. Auch Jeffs Haltung spannte sich. Die Blicke der Banditen schienen sich ineinander zu verkrallen. Dann zuckte Jeff gleichmütig mit den Schultern und warf einen Blick aus dem Fenster. »Es hat keinen Sinn, sich zu streiten«, sagte Lobo, obwohl er zufrieden war, daß seine Rechnung aufgegangen war. »Selbst wenn wir Big Cloud den Mörder seines Sohnes übergeben, hilft uns das nichts. Er hat geschworen, uns alle zu töten. Also müssen wir zusammenhalten. He, Barrymore, wo sind meine Waf77
fen?« Barrymore starrte ihn finster an. »Noch brauchst du die nicht.« »Aber wenn die Apachen angreifen?« Lobo hatte bewußt nichts von dem Ultimatum erzählt, damit die Banditen jederzeit mit einem Überfall rechnen mußten und die Waffen wieder herausrückten. Dann wollte Lobo dafür sorgen, daß die Frauen in der Küche verschwanden und sich eine Gelegenheit ergab, die Banditen zu überrumpeln. Möglich, daß er später beim nächsten Angriff der Apachen, den Banditen wieder Waffen geben mußte. Aber das würde sich dann ergeben. Vielleicht langten auch vier Männer zur Verteidigung, und sie konnten auf die Banditen verzichten. Jedenfalls wollte Lobo das Gesetz des Handelns bestimmen. »Wenn sie angreifen, sehen wir weiter«, sagte Barrymore. »Du mußt es wissen«, erwiderte Lobo gleichmütig. Jeff blickte ihn nachdenklich an. »Ich frage mich nur eines: Warum haben die Roten dich wieder gehen lassen. Ich hätte jede Wette gehalten, daß sie dich ins Jenseits befördern.« Lobo grinste. »Ich auch. Aber sie wollten, daß ich euch sage, warum wir sterben müssen.« »Wir können uns gut hier halten«, sagte Barrymore. »Und da sie den Bengel offensichtlich nicht geschnappt haben, können wir irgendwann mit Hilfe rechnen. Unsere Aussichten sind gar nicht so schlecht. Sie sollen nur kommen. Wir werden sie gebührend empfangen.« Barrymore übernahm immer mehr das Kommando in der Station. Er schickte die Frauen in die Küche, und Wilder und Chamber auf Posten an den rückwärtigen Fenstern. Lobo und Tony blieben im Hauptraum. Die Banditen berieten, und Lobo lauerte auf eine Chance. Und alle in der Station fragten sich, ob es Bob Chamber gelun78
gen war, Hilfe zu holen. Es gab eine Farm etwa acht Meilen westlich der Station. Wenn er sich dort ein Pferd besorgt und nach Lordsburg geritten war, bestand die Hoffnung, daß im Laufe der Nacht Hilfe eintraf. Es fragte sich nur, welche Hilfe. Der Junge mußte die Schüsse in der Station gehört haben. Er hatte glücklicherweise nicht eingegriffen, sondern sich versteckt und wahrscheinlich beobachtet, daß drei Banditen die Station heimgesucht hatten. Wenn er gleich losgerannt war, konnte er von dem Indianerüberfall gar nichts wissen. Was nutzte es schon, wenn er mit einem Sheriff und seinem Deputy kam? Immerhin würden die, wenn sie Glück hatten, früh genug bemerken, daß die Station umzingelt war. Sie konnten dann Verstärkung holen. Das würde aber wiederum einige Zeit dauern. Dennoch fand Lobo die Lage gar nicht so aussichtslos. Es hätte auch schlimmer sein können. Sie hatten Proviant, Wasser und Munition und konnten sich wahrscheinlich noch einige Zeit verteigen, weil die Apachen nur vom Creek aus die Möglichkeit hatten, bis auf etwa hundert Yards an die Station heranzukommen, ohne eine Zielscheibe abzugeben. Das war ein gefährlicher Punkt. Die zweite Gefahr drohte von den Banditen. Sie konnten noch einmal auf die Idee kommen, Lobo zu zwingen, zu den Apachen zu gehen. Und ein zweites Mal würde ihn Big Cloud nicht verschonen. Lobo war entschlossen, beide Gefahrenquellen auszuschalten. Zuerst die Banditen. Außer ihm wußte niemand in der Station, daß im Augenblick keine Gefahr von den Apachen drohte, sondern erst nach Sonnenuntergang. Lobo war überzeugt davon, daß Big Cloud bis dahin nichts unternehmen würde. Bei einem anderen Apachen 79
wäre er skeptischer gewesen. Das Warten zerrte an den Nerven der anderen. Lobo lauerte dagegen eiskalt auf seine Chance, auf eine Unachtsamkeit der Banditen, auf eine Möglichkeit, sie zu überrumpeln. Sie hatten bewiesen, daß sie wachsam waren. Barrymore war noch mißtrauischer als Jeff. Er hatte Lobo. auch schon öfter in Aktion gesehen und war gewarnt. »Dir Bastard traue ich alles zu«, hatte er grinsend erklärt, als er Lobo das Messer abgenommen hatte. Und er hatte seinen Kumpan aufgefordert, wachsam zu bleiben. Dennoch kam die Chance. Eine knappe Stunde vor Sonnenuntergang. Auch für Lobo völlig überraschend. Lobo hielt am Fenster neben Barrymore Wache. Der Bandit stand nur zwei Schritte von Lobo entfernt und hatte sein Gewehr griffbereit neben sich an die Wand gelehnt. Lobo hatte mit dem Gedanken gespielt, Barrymore anzugreifen, sich aber dann dagegen entschieden. Jeff war ja ebenfalls bewaffnet, und gegen zwei konnte er waffenlos nichts ausrichten. Zumal Jeff Tony als Schild benutzen konnte. Lobo hatte versucht, die beiden Banditen zu trennen. Er hatte Barrymore darauf hingewiesen, daß die Rückseite des Gebäudes nur von zwei Männern, noch dazu unbewaffneten, bewacht wurde. Doch Barrymore hatte sich auf keinerlei Diskussionen eingelassen. Zornig hatte er Lobo angefahren: »Halt den Mund! Du hast uns gar nichts zu sagen!« Eigentlich war es Tony, der die Dinge ins Rollen brachte. Er beklagte sich über das zermürbende Warten und sagte: »He, jetzt weiß ich auch, weshalb ich so kribbelig bin. Das ist der 80
Durst! Mir fehlt ein guter Tropfen!« »Das erste vernünftige Wort, daß ich von dir höre«, meinte Jeff. Tony wollte Whsiky holen. »Du bleibst hier und paßt auf, sagte Jeff. Er nahm sein Gewehr und ging selbst. Er hatte gerade den Hauptraum verlassen, als sich auch schon die Ereignisse überstürzten. »He, was…«, sagte Jeff alarmiert. Dann krachte ein Schuß. Keiner der drei Männer im Hauptraum wußte, was los war. Barrymore ergriff sein Gewehr und wirbelte herum. Lobo handelte. Was immer auf dem Gang passiert sein mochte, er mußte diesen Augenblick nutzen. Er schnellte sich auf Barrymore zu, packte den Gewehrlauf, den Barrymore in der Drehung an ihm vorbeischwenkte, und warf den Verbrecher zu Boden. Barrymore war zu überrascht, um schnell genug reagieren zu können. Fluchend wollte er Lobo abschütteln. Er hätte die Situation noch zu seinen Gunsten entscheiden können, wenn er das Gewehr einfach losgelassen und zu den Revolvern gegriffen hätte. Doch er hielt die Winchester umklammert. Lobo hieb mit dem Ellbogen zu, und als der Bandit um Luft rang, drückte Lobo ihm das Gewehr gegen die Brust und nagelte ihn förmlich am Boden fest. Im nächsten Augenblick war Tony heran und schaltete Barrymore mit einem einzigen Schlag aus. Lobo riß dem bewußtlosen Banditen die Winchester aus den Händen und wirbelte herum. Dann atmete er auf. In der Tür war der Stationsmann aufgetaucht. Floyd Chamber hielt einen rauchenden Colt in der Hand. 81
Tony bewaffnete sich gerade mit Barrymores Revolvern. »Ich dachte schon, es wären Indianer im Haus!« rief er Floyd Chamber zu. Der alte Stationsmann grinste und wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über die Stirn. »Mein Gott, das war knapp. Ich hatte gerade meinen alten Colt aus dem Schlafzimmer geholt – für alle Fälle. Da tauchte der Kerl auf dem Gang auf und sah mich.« Lobo sah hinter Floyd Chamber Laura auftauchen. Dann stürmte Wilder in den Raum. Er hatte sich mit einem Stuhlbein bewaffnet. Als sein Blick auf den bewußtlosen Barrymore fiel, atmete er tief auf. »Alles okay.« Und auf Lobos fragenden Blick fügte er hinzu: »Der andere ist tot.« Floyd Chamber war kreidebleich. Plötzlich setzte er sich hin. Er zitterte am ganzen Leib. »Es war nur eine einzige Patrone drin«, murmelte er und starrte auf den Peacemaker. »Wenn ich nicht getroffen hätte…« Lobo sah die Kerben am Revolvergriff und ahnte Zusammenhänge. Der alte Stationsmann mußte früher ein Mann vom schnellen Eisen gewesen sein. Er blickte zu Tony, der Barrymore im Auge behielt. Wilder rannte wieder zu seinem Platz am Fenster zurück. Lobo übernahm jetzt das Kommando. Als erstes wurde Barrymore gefesselt. Als er zu sich kam und begriff, was geschehen war, sagte er lange Zeit gar nichts. Dann wandte er sich haßerfüllt an Lobo: »Du hältst dich wohl für besonders clever, wie? Du hast nur eines vergessen: Die Apachen. Es wird dir nichts anderes übrigbleiben, als mich wieder loszubinden und mir die Waffen zurückzugeben. Und dann rechnen wir ab.« »Soll ich ihm eine aufs Maul geben?« fragte Tony. »Du wirst dir doch nicht die Finger an einem Banditen schmut82
zig machen«, sagte Lobo. »Da hast du auch wieder recht«, sagte Tony. »Er ist das größte Stück Dreck, das ich je gesehen habe.« Dann blickte er Lobo besorgt an. »Und wie geht's jetzt weiter, Indianer?« »Erst nehmen wir alle mal einen Schluck. Du hattest doch Durst?« Laura brachte die Flasche und Gläser. Sie schenkte Lobo als erstem ein und hielt ihm mit einem zaghaften Lächeln das Glas hin. Lobo nahm es und erwiderte das Lächeln. Sie ist noch schöner, wenn sie lächelt, dachte er. Und um ihr einen Grund dafür zu geben, erzählte er, was er nach seiner Rückkehr von Big Cloud verschwiegen hatte. Tony sprach aus, was alle dachten: »Bis Sonnenuntergang also. Immerhin eine Gnadenfrist. Lobo, du hast verdammt viel erreicht. Du hast unser Leben um ein paar Stunden verlängert.« »Vielleicht kommt doch noch Hilfe«, murmelte Laura und blickte Lobo an. »Wenn Bob es geschafft hat, Mister Lobo…« »Hoffen wir's«, sagte Lobo. »Aber erst müssen wir uns selber helfen. Wir haben noch etwa eine Stunde Zeit, um uns etwas einfallen zu lassen.« Barrymore, der ja alles mit angehört hatte, sagte gehässig: »Und dann gehst du zu deinen roten Freunden, du…« Weiter kam er nicht. Tony, der am nächsten bei ihm stand, klopfte ihm auf die Nase. »Beleidige nicht unseren Inidaner, du verkommenes Bleichgesicht.« Barrymores Gesicht war eine Maske des Hasses. »Laß ihn zufrieden«, sagte Lobo zu Tony. »Seine Zukunft ist ohnehin nicht rosig. Entweder stirbt er hier oder am Galgen.« Ma Chamber, die sich neben ihren Mann gekniet hatte und ihn 83
umarmte, sagte tonlos: »Was macht das schon für einen Unterschied. Wir werden wohl alle sterben, wenn nicht ein Wunder geschieht. Und warum? Was haben wir denn getan?« Sie schluchzte. »Wir haben noch Chancen, Ma'am«, sagte Lobo, um die alte Dame aufzumuntern. Eine Idee beschäftigte ihn seit ein paar Minuten. »Vielleicht sollte ich wirklich bei Sonnenuntergang zu Big Cloud gehen…« »Nein!« sagte Laura. Es war wie ein Aufschrei. Sie stand neben ihm, und in einer impulsiven Geste berührte sie seinen Arm, als könnte sie ihn dadurch aufhalten. Tony grinste. »Sieh mal einer an. Na, Lobo, hab ich's dir nicht gesagt? Kathy hat recht.« Und als er Lauras verständnislosen Blick bemerkte, fügte er erklärend hinzu: »Kathy ist meine Freundin. Und die hat gesagt, er hätte so etwas männlich Wildes, daß selbst ein unnahbarer Engel schwach werden könnte.« Laura zog hastig ihre Hand von Lobos Arm, und ihre Wangen bekamen etwas mehr Farbe. »Wie können Sie jetzt noch Witze machen, Mister.« »Sie dürfen Tony zu mir sagen«, erklärte er großzügig. »Kathy wird nichts dagegen haben.« Lobo lächelte. Laura warf Tony noch einen funkelnden Blick zu, dann schaute sie Lobo an. »Sie meinen das doch nicht im Ernst? Ich meine, Sie wollen doch nicht wirklich zu den Indianern gehen…?« Lobo zuckte mit den Schultern. »Ich könnte mir Big Cloud schnappen…« »Aber das wäre doch Ihr sicherer Tod. Es sind doch so viele!« Laura blickte ihn beschwörend an. »Sie haben recht«, sagte Tony. »Ich traue dir zwar allerhand zu, aber das kann keiner schaffen. Und außerdem sind wir dann 84
ganz verloren, wenn es schiefgeht.« »Hast du denn einen anderen Vorschlag?« fragte Lobo. »Nein«, gab Tony zu. Einen Augenblick lang herrschte Stille in der Station. Schließlich sagte Floyd Chamber: »Das Dach!« Er schlug sich gegen die Stirn. »Daß ich nicht an das Dach gedacht habe.« Lobo blickte ihn fragend an. Chamber erklärte: »Mein Vorgänger hat mir mal von einem Indianerüberfall während seiner Zeit erzählt. Da mußte er sich mit drei Mann ein paar Tage und Nächte gegen eine große Indianerhorde verteidigen. Er hat die tollsten Dinge erzählt. Immer wieder griffen die Rothäute an. Doch die Männer schossen vom Dach herunter, bis die Indianer so große Verluste hatten, daß sie aufgaben.« »Das klingt ja wie ein Märchen«, sagte Tony. Floyd Chamber nickte. »Ich hielt es auch für eine von Aaron Whittakers Angebereien. Er schnitt immer ein bißchen auf. Aber vielleicht ist doch etwas Wahres an der Geschichte?« »Sehen wir uns mal das Dach an«, sagte Lobo. Floyd Chamber zeigte ihm die Luke in der Decke über dem Gang. Als sie die Luke aufgezogen hatten, stieg Lobo auf einen Stuhl, zog sich hoch und spähte über das Dach hinweg. Das Dach war flach und bot bis auf den Kamin keinerlei Deckungsmöglichkeit. Lobo registrierte zufrieden, daß das Dach mit Steinen gedeckt war zum Schutz gegen einen Brand. Vielleicht hatten die Apachen es deshalb noch nicht mit Brandpfeilen versucht. Die Fensterläden waren ebenso wie die Türen mit Metall beschlagen. Insgesamt war die Station schon recht sicher. »Was siehst du?« fragte Tony gespannt. »Indianer«, antwortete Lobo trocken. »Also doch ein Märchen von diesem Aaron Dingsbums.« Lobo sprang herunter. »Die Position da oben wäre günstig«, 85
überlegte er. »Das Dumme ist nur, daß jeder da oben eine Zielscheibe abgeben würde. Das Dach ist flach wie ein Brett.« »Warum habt ihr nicht ringsum Zinnen gebaut wie bei einem Fort?« sagte Tony vorwurfsvoll zu Chamber. »Dann könnten wir…« »Das ist die Idee«, sagte Lobo. Alle blickten ihn überrascht an. Lobo entwickelte seinen Plan. * Sheriff Mark Sondheim blickte mißmutig zu dem Jungen, der an seiner Seite ritt. Dieser Bob Chamber führte sich einerseits auf wie ein Großer, war aber andererseits noch ein dummer Bengel. »Ich hätte die Kerle umgelegt, aber ich hatte nur noch zwei Schuß Munition«, hatte er großspurig erklärt, als er in Lordsburg eingetroffen war und berichtet hatte, daß drei Banditen die Station besetzt hätten. Der Sheriff hatte eigentlich an diesem Abend an einer Hochzeitsfeier teilnehmen wollen. Doch die Pflicht ging eben vor. Der Junge behauptete, daß er die drei Banditen eine Weile beobachtet hätte. Sie waren nicht auf schnelle Beute ausgewesen, sondern hatten sich in der Station anscheinend häuslich niedergelassen. Das konnte nur bedeuten, daß sie etwas planten. Einen Überfall auf die nächste Kutsche? Eine Gefangenenbefreiung? Was immer es sein mochte, es mußte verhindert werden. So war Sheriff Sondheim mit seinem Deputy und vier anderen Männern sofort losgeritten. »Sag mal, Bobby«, wandte er sich an den Jungen. »Wäre es 86
möglich, daß die drei Kerle, die auf eurer Station aufgetaucht sind, nur Pferde klauen wollten und längst wieder weg sind?« »Nennen Sie mich nicht immer Bobby«, begehrte Bob auf. »Ich sag ja auch nicht Marky zu Ihnen. Ich hab Ihnen doch schon alles geklärt. Das sind ganz schwere Jungs. Einer hat auf Pa geschossen. Auch in der Station ist ein Schuß gefallen. Und dann haben sie Pa gefangengenommen. Das hab ich vom Creek aus genau gesehen. Und außerdem sind sie mitten durch Mas Blumenbeet geritten.« »Das ist der Beweis«, bemerkte der Deputy spöttisch. »Wenn sie durch das Blumenbeet geritten sind, dann müssen es ganz schwere Jungs sein.« Bob Chamber warf ihm einen wütenden Blick zu. Dann sagte er: »Wenn ich jetzt nicht andere Sorgen hätte, dann würde ich Sie zum Duell herausfordern!« »Warum willst du so jung sterben?« fragte der Sheriff trocken. »Ich bin der beste Schütze im Umkreis von hundert Meilen«, behauptete Bob. »Und wenn ich genug Munition gehabt hätte…« »Okay, dann hättest du die drei schweren Jungs zur Hölle geschickt«, sagte der Sheriff. »Alle auf einmal oder nacheinander?« fragte der Deputy mit einem spöttischen Grinsen. »Nur die Ruhe, Heldensohn«, sagte der Sheriff, bevor Bob eine wütende Antwort darauf geben konnte. »Du darfst das Sanders nicht übelnehmen. Sieh mal, der hätte heute abend auf einer Hochzeit getanzt, sich an gutem Essen und Trinken gelabt und auf seiner Trompete geblasen. Das fällt jetzt alles flach, weil du nur zwei Schuß Munition hattest, Heldensohn.« »Was wollen Sie damit sagen?« brauste Bob auf. »Soll das etwa eine Anspielung sein? Wollen Sie mich einen Feigling nennen?« »Paß auf, Mark, daß er dich nicht auch noch zum Revolverdu87
ell herausfordert«, stichelte der Deputy. »Nein, nein, Junge«, sagte Sheriff Sondheim. »Du hast genau das Richtige getan. Ich hätte auch Hilfe geholt. Und ich bin bestimmt kein schlechter Schütze. Aber gegen drei Banditen…« »Die wären kein Problem gewesen«, unterbrach ihn Bob zornig. »Die hätte ich…« »Schon gut«, sagte der Sheriff und seufzte. * Die rote Scheibe der Sonne versank hinter den Hügeln im Westen. Dämmerung senkte sich über das Land. »Es ist soweit«, meldete Tony. »Sie greifen an!« Alle in der Station waren auf ihren Posten – mit Ausnahme von Barrymore. Er hockte gefesselt in dem einzigen fensterlosen Raum, den Floyd Chamber bisher als Abstellkammer benutzt hatte. Alle Waffen waren geladen, Ersatzmunition war verteilt. Wilder und Chamber standen an den rückwärtigen Fenstern. Tony, Laura und die Frau waren an der Frontseite. Ma Chamber sollte leergeschossene Waffen wieder aufladen. Und Lobo wartete unter der Dachluke auf seinen Einsatz. Lobo sah seltsam aus. Gepanzert wie ein Ritter. Seine ›Rüstung‹ war in aller Eile angefertigt – kein Meisterwerk, aber Lobo hoffte, daß sie ihren Zweck erfüllte. Lobo sah fast viereckig aus. Der Oberkörper war bis zur Hüfte durch dicke Bretter geschützt. Floyd Chamber hatte die Dielen in seinem Schlafzimmer dafür geopfert. Lobos Absicht, oben auf dem Dach Barrikaden zu errichten, ließ sich nicht in die Tat umsetzen. Die Apachen hätten es bemerkt und wohl sofort angegriffen, bevor das Material für eine Deckung komplett auf das Dach geschafft worden wäre. 88
Da war Lobo die Idee gekommen, sich zu ›panzern‹, um vom Dach aus die Apachen zu überraschen. Er konnte sich nur schwerfällig bewegen und kriegte schlecht Luft, denn er hatte im wahrsten Sinne des Wortes ein Brett vorm Kopf. Ein solider Schrankkasten war als Kopfschutz umfunktioniert worden. Floyd Chamber hatte Luftlöcher und Sehschlitze hineingeschlagen, und das Ganze war mit Stricken auf Lobos Schultern befestigt. Der kräftige Kutscher stemmte Lobo hoch. Lobo zog sich auf das Dach und wartete, bis der Kutscher den Schrank unter die Luke geschoben hatte, den Lobo als Plattform benutzen wollte. Dann stellte sich Lobo auf den Schrank, und er ragte bis zur Hüfte auf das Dach hinaus. Die ersten Schüsse krachten. Und Lobo feuerte auf die angreifenden Apachen. Er konnte rundum den Kreis der Indianer unter Beschuß nehmen. Die Überraschung war perfekt. Die Apachen sahen das hölzerne Ungetüm auf dem Dach und glaubten, ihren Augen nicht zu trauen. Sie hatten sich nur auf die Fenster konzentriert. Das Feuer von oben kam völlig unerwartet für sie. Lobo feuerte die Winchester leer und griff zum nächsten Gewehr, das Ma Chamber ihm geladen anreichte. Das Kriegsgeheul der Apachen wurde immer wütender. Ein wahrer Kugel- und Pfeilhagel ging auf die Station nieder. Lobo sah einen Reiter bei der Kutsche und schoß. Dann drehte er sich und traf einen Apachen, der schon fast bis auf ein Dutzend Yards an die Rückwand der Station herangekommen war. Reiterlose Ponys jagten davon. 89
Lobo sah einen Apachen durch den Staub davonkriechen. Er schoß nicht auf den Krieger. Er kämpfte nicht, um zu töten, sondern um zu überleben. Dreimal schoß Lobo ein Gewehr leer. Dann war der Angriff vorbei. »Sie hauen ab!« brüllte Tony. »Mein Gott, sie hauen ab!« Lobo wartete, bis Wilder den Schrank zur Seite schob und ihm half, durch die Luke hinabzusteigen. Floyd Chamber befreite Lobo von dem Kopfschutz. »Gut siehst du aus!« sagte Tony grinsend. »Gespickt mit Pfeilen und Blei.« Lobo blickte an sich hinab. Er mußte selbst lächeln. »Der Trick war gut«, meinte Chamber. »Sie haben fast ein Dutzend Pferde verloren, und mindestens zehn Krieger sind verletzt und kampfunfähig. Vielleicht geben sie jetzt auf?« »Das glaube ich nicht«, sagte Lobo. »Jetzt werden sie nur noch wilder auf unsere Skalps sein. Aber erst einmal haben wir eine Ruhepause.« Laura trat zu ihm. »Um Himmels willen«, rief sie, »Sie sind ja doch verletzt!« Erst jetzt bemerkte Lobo, daß sein Hemd am linken Oberarm blutig war. Er hatte einen Streifschuß abbekommen. Floyd Chamber und Wilder befreiten ihn von dem Rest der ›Rüstung‹. Während die anderen an den Fenstern Wache hielten, folgte Lobo Laura in die Küche. Laura untersuchte seinen Arm und atmete auf, denn es war nur eine harmlose Verletzung. Sie wischte das Blut rings um die Schramme fort und legte Lobo einen Verband an. »Sie haben sehr geschickte Hände«, sagte er anerkennend. Sie lächelte, und ihr blasses Gesicht kriegte etwas Farbe. »Das sagte Tony auch, als ich heute mittag seine Schulter verbunden 90
habe. Mein Gott, ist das alles erst seit heute mittag passiert? Ich habe das Gefühl, es wären ein paar Tage vergangen.« Lobo nickte. Er holte sein Rauchzeug hervor und drehte sich eine Zigarette. Er kramte in den Taschen nach Zündhölzern und fand keine. Laura holte welche aus dem Küchenschrank und rieb eines für ihn an. Er berührte ihre Hand, als Laura ihm Feuer gab. Sie blickten sich in die Augen. Dann spitzte Laura leicht die Lippen und blies das Zündholz aus. »Was hat eigentlich eine so schöne Frau wie Sie hier verloren, Miß Campbell?« fragte Lobo impulsiv. »Sie dürfen Laura zu mir sagen«, erwiderte sie, strich sich anmutig eine Haarsträhne aus der Stirn und setzte sich zu Lobo an den Tisch. »Danke für das Kompliment.« Sie lächelte. »Das ist eine lange Geschichte.« Lobo rauchte schweigend und wartete. Schließlich sagte Laura: »Ich – war auf der Flucht. Auf der Flucht vor einem Mann. Ich habe ihn geliebt, und als ich vor ihm fortlief, wußte ich noch nicht, ob ich vor mir selbst weglief oder vor ihm. Er war ein Verbrecher. Ein Banditenboß. Aber das habe ich erst erfahren, als es fast schon zu spät war. Dann bin ich aus Arizona fortgegangen. Ich hab mich heimlich aus dem Staub gemacht. Eine Weile war ich dann in Texas. Aber Donnegan spürte mich auf. Zwei seiner Leute sollten mich mit Gewalt zu ihm zurückbringen. Ich konnte ihnen entkommen. Dann hab ich mich hier verkrochen.« Sie blickte Lobo in die Augen und lächelte. »So einfach war das.« Lobo wußte, daß es nicht einfach für sie gewesen war. Schweigend rauchte er. »In der ersten Zeit war es ganz furchtbar«, fuhr Laura gedan91
kenverloren fort. »Ich wurde noch nicht mit meiner Enttäuschung fertig. Mal sagte ich mir, daß ich ihn immer noch liebte, mal machte ich mir Vorwürfe, daß ich das Gesetz nicht eingeschaltet hatte. Es ist schlimm, wenn man innerlich so zerrissen ist, verstehen Sie, was ich meine?« Lobo nickte. »Die Einsamkeit hier hat mir geholfen. Ich bin mit mir selbst wieder ins reine gekommen. In der ersten Zeit allerdings versteckte ich mich jedesmal, wenn eine Kutsche kam. Ich hatte Angst, daß Donnegan mich finden könnte. Und ich hatte nicht nur Angst davor, daß er mich mitnehmen könnte. Ich hatte die Angst, daß ich freiwillig bei ihm bleiben könnte. Aber jetzt ist das vorbei. Beide Ängste haben sich nach und nach verloren.« Sie blickte Lobo forschend an. »Glauben Sie, daß wir es schaffen?« Lobo lächelte ihr aufmunternd zu. »Na klar schaffen wir es, Laura. Nur nicht, wenn du mich weiter siezt.« Sie lachte. Dann schaute sie ihn wieder ernster an. »Bist du wirklich ein halber Apache?« »Pirna«, korrigierte Lobo. Er sprach nicht gern über seine Vergangenheit. Aber Laura erzählte er davon. Sie hatte ihm ihre Geschichte anvertraut, und sie sollte auch seine erfahren. Er erzählte von seinem weißen Vater Henry Gates, von seiner Mutter Tavoneh und von jenem grauenhaften Tag, an dem weiße Skalpjäger seine Eltern und seinen Bruder getötet hatten. Tony kam in die Küche. »Nanu«, sagte er und grinste überrascht. »Sowas Ähnliches hab ich mir beinahe gedacht. Der Ritter nutzt die Feuerpause, um sich an die Prinzessin ranzuschmeißen. Nun, meine Freunde, ich will euch nicht beim Vorspiel stören. Ich wollte nur Bescheid sagen, daß die Apachen ein Picknick veranstalten. Sie haben 92
einige Feuer angezündet und wärmen wohl ihr mitgebrachtes Süppchen auf. Da fiel mir ein, daß ich gewaltigen Hunger habe. Aber ich bin ein Gentleman und werde meinen knurrenden Magen vergessen, um das traute Paar nicht zu stören.« Die Feuer der Apachen waren wie glühende Augen im Dunkel. »Damit wollen sie uns nur zeigen, daß sie noch da sind«, sagte Lobo. »Ob sie noch mal angreifen?« fragte Floyd Chamber vom anderen Fenster her. »Wahrscheinlich«, sagte Lobo. »Auf jeden Fall wird es eine lange Nacht«, erklärte Tony ernst. Und er sollte recht behalten. Gegen zehn Uhr griffen die Apachen von neuem an. Während sie vom Creek aus die Rückseite der Station unter Dauerbeschuß nahmen, gelang es einigen Kriegern, im Schutz der Dunkelheit bis zur Kutsche zu gelangen. Tony, an einem der Frontfenster, bemerkte sie erst, als er ihre Schatten davonhuschen sah. Die Schüsse verstummten. Die Apachen am Creek hatten nur einen Ablenkungsangriff gestartet. »Sie haben die Kassette erbeutet«, sagte Tony, als Lobo in den Hauptraum zurückkehrte. »Einen konnte ich noch erwischen, aber dann waren die Burschen auch schon verschwunden. Schade um das schöne Geld. Aber ehrlich gesagt, mein Skalp ist mir lieber.« Er kratzte sich am Kopf. »Wilder hat 'ne Schramme abgekriegt«, sagte Lobo. »Wir sind alle nicht mehr die schönsten«, bemerkte Tony trocken. Dann bemerkte er Lobos Miene und wurde ernst. »Ist es schlimm?« »Rechte Schulter«, sagte Lobo. »Na denn prost«, murmelte Tony bitter. Er blickte Lobo an. 93
»Ich glaube, Kathy wird schon Witwe, bevor sie mich überhaupt geheiratet hat.« Er spähte einen Augenblick lang aus dem Fenster. Dann fragte er: »Was meinst du, sollen wir diesen Hundesöhn von Barrymore wieder losbinden?« »Es wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben«, sagte Lobo nachdenklich. Wilder tauchte auf der Schwelle zum Hauptraum auf. »Mir wäre wohler, die Apachen würden wieder angreifen«, sagte er. »Daß sie nichts tun, macht mich nervös. Die führen sicher etwas im Schilde, aber was?« »Du vergißt, daß unsere Munition langsam knapp wird«, sagte Tony. »Einen Angriff könnten wir vielleicht noch überstehen, aber dann hat es sich. Was stehst du darum? Geh auf deinen Posten und paß auf. Ich hab das Gefühl, daß es bald wieder losgeht.« »Schon gut, schon gut«, maulte Wilder. »Ich wollte dir nur meinen schönen Verband vorführen.« »Das reinste Lazarett haben wir hier«, sagte Tony und fluchte. Dann bemerkte er Laura, die Kaffee brachte, und sagte: »Entschuldigung, ich hab ganz vergessen, daß Damen mithören.« Laura schaute Lobo besorgt an. »Warum tun die Apachen nichts? Das Warten ist ja furchtbarer als alles andere.« »Das sagte die Jungfrau auch immer«, warf Tony ein. »Sie mit Ihrem Galgenhumor«, fuhr Laura ihn an. Lobo sagte: »Sie haben Verluste hinnehmen müssen und sind jetzt vorsichtiger. Apachen gehen nicht gern ein Risiko ein. Und Big Cloud ist kein Dummkopf. Er wird irgend etwas planen…« »Aber was?« fragte Laura. »Vielleicht wartet er auf Verstärkung«, überlegte Tony. »Wer weiß, wie viele Krieger er noch zur Verfügung hat. Während sie uns hier in aller Ruhe belagern, rotten sich sämtliche Rote Brüder zusammen…« 94
Lobo schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Big Cloud wird sich denken, daß irgendwann die Kutsche vermißt wird. Insofern steht er unter Zeitdruck. Er weiß aber auch, daß ein offener Angriff ihm wenig nutzen kann. Er wird auf irgendeinen Trick zurückgreifen…« »Eh, was ist denn das?« murmelte Tony nach einem Blick aus dem Fenster. »Die löschen ja die Feuer aus. Jetzt sagt nur, daß sie sich zum Schlafen legen.« »Vielleicht ziehen sie sich zurück«, sagte Laura hoffnungsvoll. Sie trat neben Lobo ans Fenster und schmiegte ihr Gesicht an Lobos Wange, um ebenfalls einen Blick nach draußen zu erhaschen. Lobo roch den Duft ihres Haares, und die Berührung ihrer weichen Haut war wie ein wohliger Schauer. Lobo hätte den Kontakt gerne noch länger genossen, doch dann sah er, daß es plötzlich draußen stockdunkel wurde. Gerade war der freie Platz noch in silbernen Mondschein getaucht gewesen, jetzt mußte sich eine Wolke vor den Vollmond geschoben haben. »Darauf haben sie gewartet«, sagte er. »Sie wollen sich zu Fuß an die Station heranarbeiten. Schnell, ich muß wieder aufs Dach.« »Ich sehe nichts«, sagte Tony, »aber ich hab das ungute Gefühl, sie sind schon hinter der Kutsche und…« Der Rest ging im Donnern der Explosion unter. Und dann brach über die Menschen in der Station die Hölle herein. * Sheriff Sondheim und die Männer des kleinen Trupps hatten die Feuer der Apachen rechtzeitig gesehen. Er ließ im Schatten einer Kakteengruppe halten und schickte seinen Deputy zu Fuß auf 95
Erkundung. Phil Sanders war ein ausgezeichneter Scout. Als er lautlos wieder aus dem Dunkel auftauchte, zuckten alle zusammen. »Mensch, Phil«, murmelte der Sheriff, »gib dich doch zu erkennen. Ich dachte schon, du wärst ein Apache.« Sanders grinste. Seine Zähne schimmerten im dunklen Gesichtsoval. »Die Station wird belagert«, berichtete er. »So etwas Ähnliches dachte ich mir«, sagte der Sheriff grimmig. »Oder hältst du mich für blöde?« Sanders verzichtete auf eine Antwort. »Es sind mindestens zwei Dutzend, können aber auch mehr sein.« »Das hat uns gerade noch gefehlt«, meinte einer der anderen Männer. »Indianer auf dem Kriegspfad. Seit Jahren war doch alles ruhig!« »Wieviel mehr?« hakte der Sheriff nach. »Ich will präzise Aussagen.« Der Deputy zuckte mit den Schultern. »Die Station verdeckt die Sicht auf die Roten im Norden.« »Und wie kommst du darauf, daß im Norden überhaupt welche sind?« »Warum sollten da keine sein, wenn sie im Westen, Osten und Süden sind?« antwortete Sanders mit einer Gegenfrage. »Okay. Sagen wir mal über den Daumen gepeilt, wir müssen mit dreißig Apachen rechnen. Das ist zuviel.« Die anderen Männer murmelten beifällig. »Wie sind sie bewaffnet?« fragte der Sheriff. »Das konnte ich auf die Distanz mit meinen Adleraugen trotz Fernrohr nur erraten«, gab Sanders zu. »Sicher ist, daß sie kaum mit Murmeln werfen werden.« »Sehr lustig«, knurrte Sheriff Sondheim. »Statt mit drei Bandi96
ten haben wir es mit dreißig Rothäuten zu tun, und mein Deputy blödelt noch herum. Was habe ich nur getan, daß mich das Schicksal so straft.« Er spähte zu der Station hin. Das Gebäude und die Kutsche davor hoben sich nur schwach vom Nachthimmel ab. Kein einziger Indianer war zu sehen. »Ich frage mich, warum die Apachen die Station belagern«, sagte der Deputy. »Apachen schlagen meistens aus dem Hinterhalt zu und verschwinden wieder, im Gegensatz zu manchen anderen Stämmen. Sie müssen einen besonderen Grund haben, daß sie durch die Feuer ihre Anwesenheit demonstrieren.« »Du sollst keinen Vortrag über Apachen halten, sondern beim Thema bleiben«, sagte der Sheriff. »Was denkst du, haben wir eine Chance gegen sie oder nicht?« »Ich war lieber zu der Hochzeit gegangen«, sagte Phil Sanders. »Sie löschen die Feuer!« Bob Chambers Stimme klang aufgeregt. »Vielleicht ziehen sie ab?« »Eher das Gegenteil«, meinte der Deputy mit einem Blick zum Himmel. Gerade verschwand der Mond hinter einer Wolke. »Es geht zwar die Sage um, daß Indianer nachts nicht angreifen, aber ich hab da andere Erfahrungen gemacht. Ich könnte mir denken, daß sie die Dunkelheit nutzen, um sich zumindest die Kutsche unter den Nagel zu reißen.« »Also nutzen wir auch die Dunkelheit«, sagte der Sheriff entschlossen. »Ohne mich«, beharrte Bill. Der Sheriff bedachte ihn mit einem finsteren Blick, was Bill in der Dunkelheit aber nicht sehen konnte. »Ich hab dich nicht auf einen Spazierritt mitgenommen, Bill. Noch ist die Entscheidung nicht gefallen, ob wir verduften und Verstärkung holen oder etwas unternehmen. Aber ich bin es, der die Entscheidung fällt. Und du stehst unter meinem Kommando. Also hör mit deinem 97
ängstlichen Gemecker auf. Ich will erst mal so nahe ran wie möglich. Dann sehen wir weiter.« Der Deputy führte sie bis auf etwa eine halbe Meile an die Station heran. Sie verharrten im tiefen Schatten einiger mannshoher Saguaros. Der Deputy holte sein Fernrohr aus den Satteltaschen und ließ seinen Blick über das dunkle Terrain gleiten. Plötzlich stieß er einen leisen Pfiff aus. Er hatte die Schatten gesehen, die sich von Süden her auf die Station zuwanden. »Die Apachen greifen die Station an«, sagte er. »Etwa zwölf Krieger. Kriechen wie die Raupen durch den Staub.« Er blickte über die Schulter zu Bob Chamber. »Sag mal, Heldensohn, hat die Station an der Südseite ein Fenster?« Bob überlegte. »Moment mal, was für ein Zimmer ist denn da? Da müßte der Anbau sein. Nein, der hat kein Fenster. Aber genau kann ich das nicht sagen.« »Der kennt noch nicht mal sein Heim«, murmelte der Deputy kopfschüttelnd. Sein Blick tastete die Hauswand ab. Sie war nur ein schwarzer Fleck vor dem etwas helleren Nachthimmel. »Sie konzentrieren sich ganz auf die Südseite«, stellte Sanders fest. »Jetzt sind sie schon bis auf etwa fünfzig Yards heran.« »Was tun wir jetzt?« fragte der Deputy. »Das frage ich mich auch«, erwiderte Sheriff Sondheim. »Wir können doch nicht einfach zusehen, wie die Apachen die Station erobern…« »Das läßt sich leicht vermeiden«, meinte der Deputy spöttisch. »Wir brauchen nur zurückzureiten.« Er wies mit dem Daumen über die Schulter. Zwei andere Männer murmelten etwas Zustimmendes. Der Sheriff sagte: »Es ist unsere verdammte Pflicht…« In diesem Augenblick erhellte ein Feuerblitz die Nacht. 98
Alle zuckten bei der unerwarteten Explosion zusammen. Eines der Pferde scheute, und sein Reiter hatte Mühe, es unter Kontrolle zu bekommen. »Sie haben Dynamit!« sagte der Sheriff rauh. »Weiß der Teufel woher, aber sie haben es. Vielleicht haben sie mal wieder 'ne Mine überfallen.« »Ich wundere mich, daß sie damit umgehen können«, murmelte Sanders. »Das müssen sie von den Weißen…« Wieder explodierte Dynamit, und im grellen Lichtblitz sahen die Männer der Posse, daß die halbe Wand der Station in die Luft flog. * Mündungsfeuer blitzten durch die Nacht. Die Tür der Station hing schief in den Angeln und brannte. Ebenso ein Fensterladen. Nach der Explosion waren Flaschen an der Hauswand zerschellt. Wahrscheinlich hatten sie Alkohol enthalten. Qualm waberte durch die Schießscharten in die Station. Pulverrauch zog durch die Dachluke ab. Es war heiß in der Station. Und die Eingeschlossenen wußten, daß sie zum Sterben verdammt waren. Die Explosion hatte zwar das Gebäude erzittern lassen, doch sie war nicht stark genug gewesen, um es zum Einsturz zu bringen. Bei der zweiten Explosion durchfuhr Lobo ein siedendheißer Schreck. Die Südseite des Gebäudes! Kein Verteidiger war dort. Und wenn es den Apachen gelang, die Wand zu sprengen… Lobo stülpte sich bereits den Kopfschutz über. Er mußte aufs Dach. Und er hatte nicht einmal mehr Zeit, die komplette Holz99
rüstung anzulegen. Durch das Krachen der Schüsse waren jetzt Hufschlag und die kehligen Schreie der Apachen zu hören. »Die Südseite!« rief Lobo Tony zu. »Gib Barrymore ein Gewehr!« Tony ließ seine leergeschossene Winchester fallen und schoß mit dem Revolver weiter. Laura stand am anderen Fenster und schoß ebenfalls. Lobo bewunderte die Tapferkeit der Frau. Er bewunderte auch Ma Chamber. Mit fliegenden Fingern lud die alte grauhaarige Frau Waffen auf. Floyd Chamber und Wilder verteidigten die Rückseite des Gebäudes. Die Nordseite war fensterlos, und wie Lobo von Chamber erfahren hatte, war diese Wand doppelt so stark wie die anderen. Lobo preßte sich auf das Dach und feuerte auf die Krieger an der Südseite. Die Apachen griffen von allen Seiten an. Big Cloud hatte wirklich viel von seinem weißen Lehrer gelernt. Aber er beging einen entscheidenden Fehler. Er fühlte sich zu siegessicher. Er wartete nicht ab, bis das Feuer die Weißen aus dem Haus trieb. Er wurde von Rachegefühlen getrieben und vergaß eine der größten Tugenden der Indianer: Geduld. Lobo sah Big Cloud. Er erkannte ihn an der Apachenhaube. Und Lobo feuerte. Big Cloud stürzte vom Pony. Lobo hatte ihn in die Schulter getroffen. Big Cloud rollte durch den Staub. Der Krieger, der neben dem Häuptling geritten war, zügelte sein Pony und sprang zu seinem Häuptling hinab. Er half Big Cloud auf den Pferderücken. Lobo ließ ihn gewähren. 100
Er schoß auf das Pferd eines Angreifers, der bereits bis auf zwei Längen an der Tür war und auf die Fenster feuerte. Im nächsten Augenblick sah Lobo die Reiter im Süden. Sie waren nur schemenhaft im Dunkel zu erkennen, aber dann blitzten ihre Mündungsfeuer auf. Und durch das Hämmern der Gewehre ertönte das Signal einer Trompete. Soldaten? Lobo hätte jubeln mögen. Es war nur ein kleiner Trupp. Aber er tauchte für alle so überraschend auf, daß in dem Chaos die Stärke gar nicht so wichtig war. Und die Trompete war vielleicht erschreckender für die Apachen als das Gewehrfeuer. Sie kannten das Signal. Sie fürchteten es. Oft genug war das Trompetensignal der Weißen der Auftakt zum großen Sterben für die Apachen geworden. Fast panisch ergriffen sie die Flucht. Big Cloud hatte den Befehl zum Rückzug gegeben, aber das konnte keiner der Weißen wissen. Lobo atmete auf. Fast mechanisch zog er die Ersatzpatronen aus der Tasche und lud die Winchester auf. Immer noch peitschten Schüsse. Die Reiter, die Lobo noch für Soldaten hielt, schossen hinter den fliehenden Apachen her. »Das ist doch nicht mehr nötig«, murmelte Lobo und kletterte durch die Luke vom Dach hinab. * Der Brand war schnell gelöscht. Denn der Zugang zum Creek war ja jetzt frei. Die Männer der Posse holten zusätzliches Wasser für den Fall, 101
daß die Apachen wiederkamen und mit einer erneuten Belagerung zu rechnen war. Doch die Apachen kamen nicht mehr wieder. Big Cloud war verletzt, und viele seiner Krieger waren kampfunfähig. Nur einer der Weißen war bei der Attacke verletzt worden. Ausgerechnet Bill, der von Anfang an nur widerwillig mitgeritten war. Er schimpfte auf den Sheriff, auf die Apachen, auf die ganze Welt, aber als Laura die Wunde an der Hüfte gereinigt und verbunden hatte, wurde er friedlicher. Bob Chamber wollte sich als Held feiern lassen. Er brüstete sich vor Laura damit, daß er mindestens ein Dutzend Indianer erschossen hätte, und er war maßlos enttäuscht, daß Laura das nicht anerkannte. »Ja, Bobby, du bist ein Held«, sagte sie. »Aber nicht, weil du einen Menschen erschossen hast oder zwei oder meinetwegen ein Dutzend. Das ist keine Heldentat, sondern das Gegenteil. Du bist ein Held, weil du das Richtige getan hast und Hilfe geholt hast.« »Ein Mini-Held«, bemerkte Tony spöttisch. »Da wir gerade von Helden sprechen«, sagte Laura lächelnd und blickte in die Runde, »eigentlich gebührt diese Übertreibung jedem hier. Ma Chamber zum Beispiel. Wir hätten uns nicht verteidigen können, wenn sie nicht immer die Waffen aufgeladen hätte. Floyd Chamber.« Verletzt hat er sein Bestes gegeben. Lobo, der für uns alle gekämpft hat. Er hätte sein Leben retten können, wenn er sich für die Apachen entschieden hätte. Aber er ist geblieben und hat mit uns gekämpft…« »Das hätte ich auch getan«, sagte Bob Chamber bissig. »Ohne Haare«, warf Tony grinsend ein. Laura blickte lächelnd Lobo an. »Im Grunde hat Lobo uns allen das Leben gerettet. Er hat uns die Zeit verschafft, die uns rettete. 102
Wir hätten uns keine zehn Minuten mehr halten können.« Sie blickte zu Tony. »Aber fahren wir nur fort mit den Helden. »Sie, Tony, haben ebenso Ihr Letztes gegeben. Wilder genauso. Und Sie, Sheriff, haben mit Ihrem Eingreifen alles entschieden. Sie und Ihre tapferen Männer kann man ebenso als Helden in Bobbys Sinn bezeichnen.« »Es war nur unsere Pflicht«, wehrte Sheriff Sondheim bescheiden ab. Dann grinste er seinen Deputy an. »Phil, die Idee mit der Trompete war Spitzenklasse. Wußte gar nicht, daß du das Ding bei dir hattest.« »Ich habe das Ding immer bei mir«, erwiderte Sanders grinsend. Und er warf Laura einen bewundernden Blick zu. »Vergiß nicht, daß ich eigentlich auf einer Hochzeit spielen wollte.« Tony, dem nicht gefiel, daß der Deputy andauernd Laura anlächelte, sagte spöttisch: »Wir sind also alle Helden. Der eine mit der Trompete, der andere mit dem Gewehr. Aber bevor wir das Ganze zünftig mit einem Schluck Whisky feiern, möchte ich dieser Heldenrunde noch zwei Schönheitsfehler zu bedenken geben.« Alle blickten ihn an. »Zum einen dieses Stinktier Barrymore, das immer noch in der Abstellkammer hockt und hoffentlich gleich von dem Sheriff offiziell festgenommen wird.« »Das ist kein Schönheitsfehler, wenn man es genau nimmt«, meinte Wilder. »Vielleicht bekommen wir noch 'ne Belohnung…« »Ich gebe dir recht, Wilder«, unterbrach Tony ihn. »Daß wir Barrymore haben, ist kein Schönheitsfehler. Aber ich dachte an unsere Partner, die durch Barrymore und seine Komplizen getötet wurden. Und ich denke an das Geld, das den Indianern in die Hände gefallen ist.«
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* � Fünf Tage später trafen sie in Fort Bowie ein. Mit der von Kugeleinschlägen übersäten Kutsche. Der Sheriff und seine Männer waren noch zwei Tage auf der Station geblieben. Dann waren die Chambers mit der planmäßigen Kutsche nach Lordsburg gefahren. Floyd Chamber hatte sich entschlossen, das Leben in der Einsamkeit aufzugeben. Er wollte das Angebot der Postkutschengesellschaft annehmen und im Verwaltungsbüro in Lordsburg am Schreibtisch arbeiten. Die Leitung der Pferdewechselstation, die den Namen ›Chamber's Inn‹ behalten sollte, wurde einem Jüngeren übertragen. Chambers Nachfolger hatte vier erwachsene Söhne und wollte zusätzlich zur Station noch eine Farm aufbauen. Der Sheriff brachte den gefangenen Barrymore zur Stadt. Laura Campbell fuhr mit den Chambers nach Lordsburg. Der Sheriff verschaffte ihr einen Job bei seiner Schwester, die das größte Hotel von Lordsburg führte. Lobo dachte an Laura, als die Kutsche in Fort Bowie eintraf. Eine interessante Frau. Sie wollte einen Schlußstrich unter die Vergangenheit ziehen und neu beginnen. Vielleicht gemeinsam mit dem Deputy. Die beiden waren sich in den zwei Tagen auf der Station nähergekommen. Lobo hatte Laura viel Glück gewünscht. Der Abschied in Lordsburg war ein wenig traurig gewesen. Er wäre gern noch ein wenig länger bei Laura geblieben – trotz des Deputys. Er dachte an den langen, zärtlichen Kuß, den Laura ihm beim Abschied vor den Augen aller anderen gegeben hatte, und er lächelte in Gedanken über Tonys Bemerkung: »Warum hast du es bei den anderen Indianern nicht ebenfalls mit einem Bussi versucht? Große Wolke wäre aus allen Wolken gefallen, hätte sich den Hals oder sonstwas gebrochen, und wir wären 104
alle Sorgen los gewesen…« Dann verging Lobo das Lächeln, denn Wilder legte seinen berühmtberüchtigten ›Wilder-Stop‹ hin. Lobo, der in Gedanken versunken war, wurde durch die Kutsche geschleudert und prallte gegen Tony. »He, Indianer, keine Vertraulichkeiten«, sagte Tony grinsend und schob Lobo von seinem Schoß fort. »Ich bin bei Kathy schon in festen Händen.« »Alles aussteigen!« brüllte Wilder vom Kutschbock. »Wir sind da! Pünktlich auf die Sekunde.« Und nach einem markigen Fluch: »Allerdings ein paar Tage später.« »Mit alle meint er uns beide«, sagte Tony und hob seinen Hut auf, der ihm bei Wilders wildem Halt und Lobos Anprall vom Kopf gerutscht war. Keiner lachte, als sie dem Captain gegenübertraten und den Verlust der Kassette meldeten. Tony war der Wortführer. Er servierte dem Captain die Meldung scheibchenweise. Captain Mike Andersons Miene war ernst, als er von Elmores und Masters Tod und von Barrymores Festnahme hörte. Erst als Tony nach einer langen und farbigen Schilderung der Ereignisse damit herausrückte, daß die Kassette den Indianern in die Hände gefallen war, hellte sich die Miene des Captains auf. »Die Kassette ist weg«, wiederholte Tony, weil er annahm, der Captain habe ihn nicht verstanden. Captain Mike Anderson grinste. Er war ein großer, schlanker Mann Mitte Dreißig, mit einem Gesicht, das etwas Spitzbübisches hatte. Und er grinste spitzbübisch. »Wieviel war denn drin?« fragte Tony verwundert. »Warum grinsen Sie so?« 105
Auch Lobo konnte sich keinen Reim auf das Verhalten des Captains machen. Aber er begann etwas zu ahnen. »Mein lieber Mister Tony«, sagte der Captain. »Das ist ein Militärgeheimnis. Und ihr drei seid Zivilisten.« Sein blauen Augen blickten von Tony zu Lobo und Wilder. »Aber, nachdem ihr drei euren Job tadellos erledigt habt, will ich nicht so sein und euch das Militärgeheimnis verraten. Die Kassette war leer.« »Was?« fragten Tony und Wilder wie aus einem Munde. Tony starrte den Captain entgeistert an. Dann schaute er zu Lobo und stieß ihm den Ellbogen in die Seite. »He, Indianer, warum sagst du nichts? Hast du etwa davon gewußt…« »Nein«, sagte Lobo. »Aber ich hätte mir's denken können.« Der Captain lächelte. »Ich danke dir, Lobo, daß du mir den Gefallen getan und den Job angenommen hast. Ich wußte, daß es ein gefährlicher Job werden könnte. Aber ich wußte auch, daß du der richtige Mann dafür bist. Einer in der Mannschaft mußte ein Verräter sein. Ich wußte nicht, ob eure Kutsche nun tatsächlich überfallen werden würde, aber ich hoffte es.« Er bot den Männern Zigarillos an. Lobo und Tony rauchten. Wilder nicht. »Ihr habt eine Erklärung verdient«, fuhr der Captain fort. »Als ich meinen Freund Lobo nach Albuquerque schickte, um den Transport zu begleiten, waren meine Kollegen dort bereits instruiert. Mehrere geheime Transporte waren überfallen worden. Alles wies darauf hin, daß nur jemand aus der Wachmannschaft den Banditen die Tips gegeben haben konnte. Da entschlossen wir uns, dem Verräter eine Falle zu stellen. Wir streuten in Albuquerque das Gerücht aus, daß eine Riesensumme nach Fort Bowie überbracht werden sollte. Der eigentliche Transport ist bereits seit über einer Woche hier. Ihr solltet die Banditen nur ablenken.« Der Captain blickte von einem zum anderen, bevor er fortfuhr. 106
»Ich hoffte, daß alles unblutig verlaufen würde. Ihr seid erfahrene Leute. Ihr hättet sicher nicht euer Leben aufs Spiel gesetzt für eine leere Kassette…« »Aber das Ding war doch versiegelt. Wie konnten wir denn ahnen, daß gar nichts drin war?« Tony blickte den Captain erstaunt an. Dann kapierte er. »Sie sind vielleicht ein Schlitzohr«, murmelte er. »Ich gebe Ihnen völlig recht«, sagte der Captain schmunzelnd. »Sie haben den Job aber akzeptiert, obwohl Sie ausdrücklich auf die Gefahren hingewiesen wurden. Sie haben den Job freiwillig angenommen. Sie sind ausführlich darüber belehrt worden, daß Sie mit einem Überfall zu rechnen haben. Das haben Sie akzeptiert. Was macht es da schon für einen Unterschied, ob die Kassette nun leer war oder randvoll?« Tony tauschte einen Blick mit Lobo. »Da hat er nun auch wieder recht«, murmelte Tony. »Ich rechnete allerdings nicht mit einem Indianerangriff', sagte Mike Anderson. »Aber dazu führten ja, wie wir wissen, einige unglückliche Umstände. Ich danke Ihnen für Ihre Mitarbeit. Ich habe bereits angeordnet, daß Sie die doppelte Prämie erhalten. Dafür bestehe ich darauf, daß Sie den zweiten Teil der Vereinbarung einhalten. In zwei Tagen werden Sie mit einer neuen Mannschaft wieder zurück nach Albuquerque fahren.« »Auf zu Kathy!« rief Tony. »Wer ist denn das?« fragte der Captain verwundert, »Das ist ein Zivilgeheimnis«, erwiderte Tony und zwinkerte Lobo und Wilder zu. »He, Captain fahren wir diesmal mit 'ner leeren Kassette oder mit 'ner vollen?« »Das ist Militärgeheimnis«, sagte Mike Anderson. ENDE 107