Die ULTRAMARINES Graham McNeill Deutsche Erstausgabe 07/2009 Am Rande des Dschungels verborgen, starrte Veteranensergea...
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Die ULTRAMARINES Graham McNeill Deutsche Erstausgabe 07/2009 Am Rande des Dschungels verborgen, starrte Veteranensergeant Uriel Ventris durch den strömenden Regen auf den grauen Betonbunker am Ende der Brücke und zählte die Wachposten. Im Freien gab es vier Rebellen, aber sie waren schlampig und sorglos, und das würde sie umbringen. Sie hatten Schutz im Windschatten der gepanzerten Bunkertür gesucht, wo sie rauchten und sich unterhielten. Es war eine unverzeihliche Dummheit, aber Uriel war immer dankbar, wenn seine Feinde derartige Fehler machten. Das Zischen des warmen Regens, der durch das Dach aus dicken, hängenden Wedeln fiel und auf die Felsen klatschte, übertönte alle anderen Geräusche. Das Tosen des gewaltigen Flusses in der Schlucht unter ihnen verstärkte den Lärm noch. Nässe glänzte auf seinen blauen Schulterschützern und tropfte von den eingearbeiteten Ordensabzeichen der Ultramarines. Er glitt aus seinem Versteck und huschte durch den Regen, wobei die Servos in seiner Rüstung zischten, da die Faserbündelmuskeln jede seiner Bewegung unterstützten. Uriel zog sein Kampfmesser und prüfte die Schneide, obwohl er wusste, dass das unnötig war. Die Geste war eine zwanghafte Angewohnheit, welche die Bewohner Calths bereits in frühester Kindheit lernten. Die lange Klinge war dreieckig, jede Kante tödlich scharf und so konzipiert, dass sie leicht zwischen die Rippen eines Opfers dringen und diese brechen konnte. Sie war ein Tötungswerkzeug, sonst nichts. Infolge des heftigen Regens war die Sichtweite der Wachposten auf weniger als dreißig Meter gesunken. Uriels Sehvermögen war dem eines normalen Menschen weit überlegen, daher konnte er die Umrisse derer, die er gleich töten würde, deutlich erkennen. Er empfand kein Bedauern. Die Feinde des Imperators verdienten kein Erbarmen. Diese Männer hatten ihre Wahl getroffen und würden nun den Preis dafür zahlen, dass es die falsche gewesen war. Uriel glitt hinter einen der Adamantiumpfeiler der Brücke und bewegte sich unglaublich leise für seine klobige Gestalt. Er
war seinen Opfern so nah, dass sein verstärktes Gehör ihre Stimmen unterscheiden konnte. Wie für Soldaten typisch, stöhnten sie über ihr gegenwärtiges Kommando und ihre vorgesetzten Offiziere. Uriel wusste, dass sie sich nicht mehr lange beklagen würden. Er war ihnen so nah, dass seine überlegenen Sinne den Gestank ihrer ungewaschenen Leiber und die Feuchtigkeit des abgestandenen Schweißes wahrnehmen konnten, der sich nach wochenlangen Kämpfen in ihrer Haut eingenistet hatte. Seine Muskeln spannten und lockerten sich. Die Rune auf der Anzeige seines Visiers, die Hauptmann Idaeus repräsentierte, blinkte zwei Mal, und Uriel meldete ihm mit einer gehauchten Bestätigung Kampfbereitschaft. Er wartete, bis er das Kratzen der Stiefel seines ersten Ziels hörte, als sich der Mann abwendete, dann drehte er sich um den Pfeiler und rannte zum Bunker. Der erste Wachposten starb ohne ein Geräusch, als sich Uriels Messer durch seinen Schädel bohrte. Er fiel, und Uriel riss die Klinge heraus, fuhr tief geduckt herum und rammte sie dem zweiten Posten in den Unterleib. Blut spritzte, und der Mann kreischte in entsetzter Qual. Ein Lasergewehr hob sich, und Uriel warf sich vorwärts und schmetterte seinem Feind die Faust ins Gesicht. Die verstärkten Muskeln seiner Servorüstung hämmerten den Schädel des Mannes in Fetzen. Uriel machte auf dem Absatz kehrt, wich einem zustoßenden Bajonett aus und rammte dem letzten Wachposten den Ellbogen ins Gesicht, so dass ihm der Schädel zerschmettert wurde. Zähne und Blut klatschten an die Bunkertür. Er ging tief geduckt in Abwehrhaltung, während er das Messer aus dem Leichnam neben sich zog und die Klinge an dessen Uniform säuberte. Das Töten der Wachposten hatte keine drei Sekunden gedauert. Er warf einen raschen Blick um die Ecke des Bunkers auf die von Sandsäcken umgebenen Schützennester weiter die Brücke entlang. Es gab zwei, versetzt angelegt, so dass sich die Schussfelder überlappten. Das matte Funkeln von Metall drang unter der gleißenden Plane über den Nestern vor, und Uriel konnte drei schwere Bolter in jedem Nest ausmachen. Der Regen und das Tosen des Flusses hatten die Geräusche seines Angriffs übertönt, aber vor den Schützennestern gab es keine Deckung, sondern nur freies Feld. »Position gesichert«, flüsterte er ins Kom, während er seinem Spender Granaten entnahm. Er arbeitete rasch und zielstrebig
und befestigte den Sprengstoff um den Schließmechanismus der Panzertür des Bunkers. »Bestätigt«, erwiderte Hauptmann Idaeus. »Gute Arbeit, Uriel. Trupps Lucius und Daedalus sind in Stellung. Wir greifen auf Ihr Zeichen an.« Uriel grinste und kroch zur Vorderseite des Bunkers, wobei er darauf achtete, unterhalb der Schießscharten zu bleiben. Er zog seine Boltpistole und drehte das Messer in der Hand, dann holte er tief Luft und zündete die Sprengladungen an der Tür. Von der starken Explosion aus dem Rahmen gerissen, flog die Panzertür nach innen. Erstickender Rauch wallte nach draußen, und Uriel hatte sich bereits in Bewegung gesetzt, noch bevor die Erschütterung der Detonation vorbei war. Er hörte das Krachen von Boltgewehren aus dem Dschungel und wusste, dass der Rest der Abteilung Ultramarines ebenfalls angriff. Mittlerweile würden die Feinde des Imperators bereits sterben. Uriel hechtete durch die geschwärzte Türöffnung, rollte sich zu geduckter Feuerposition ab und ließ seine Pistole von links nach rechts wandern. Er sah zwei Köpfe silhouettenartig vor den hellen Schießscharten und drückte zwei Mal ab. Beide Männer wurden zurückgeschleudert, da ihr Kopf explodierte. Ein anderer Soldat war schreiend auf den Knien, verstümmelt und blutend. Sein Rumpf war in der Hüfte beinahe zweigeteilt, und ein messerscharfer Metallfetzen des Türrahmens ragte aus seinem Körper. Ein Laserstrahl traf Uriels Rüstung, und er fuhr herum und trat nach hinten aus, in die Richtung, aus der geschossen worden war. Sein bestiefelter Fuß traf das Knie eines Rebellen und zerschmetterte das Gelenk. Der Mann schrie auf und fiel, wobei er seine Waffe fallen ließ, um sein ruiniertes Knie zu umklammern. Der Rest der Bunkerbesatzung stürzte sich mit blankem Bajonett auf Uriel. Uriel wirbelte, stach und trat mit tödlicher Wildheit. Unter jedem Schlag brachen Knochen, starben Männer. Der Gestank nach Blut und entleerten Gedärmen drang ihm in die Nase, als der letzte Soldat fiel. Schulterschützer und Brustharnisch waren blutverschmiert. Seine Augen erforschte die Düsternis des Bunkers, doch alles war ruhig. Alle waren tot. Er hörte Kampfgeräusche und Geschützfeuer von draußen und ging zur Tür, um sich gleich darauf zurückzuducken, als großkalibrige Boltgeschosse seitlich den Eingang trafen. Er lugte um die mit Einschlagslöchern übersäte Wand und sah voller Stolz zu, wie
die Ultramarines des Sturmtrupps in den Kampf eingriffen, da ihre Sprungtornister sie hoch über den Bunker hinwegtrugen. Sie stürzten von oben herab wie flammende Todesengel, und ihre Kettenschwerter hieben mit schimmernden stählernen Hieben Köpfe und Glieder von Leibern. Das erste Schützennest lag in Trümmern, die Sandsäcke waren von Boltgeschossen aufgerissen und von den angreifenden Space Marines beiseite geworfen worden. Die schlecht ausgebildeten Verteidiger verließ im Angesicht derartiger Wildheit der Mut, aber die Ultramarines waren mitten unter ihnen, und es gab kein Entrinnen. Der Sturmtrupp machte sie mit heftigen Schwertstreichen nieder. Aus der Schlacht wurde ein Gemetzel. Das Stakkato-Geknatter massierten Bolterbeschusses hallte von den Seiten der Schlucht wider, und Erdfontänen spritzten aus den zerfetzten Sandsäcken des zweiten Schützennests. Doch Uriel sah, dass die Rebellen darin auch unter heftigstem Beschuss ihre Kanonen neu ausrichteten. Er sendete rasch eine Warnung über Kom. »Ventris an Idaeus. Das zweite Schützennest hat die Kanonen neu ausgerichtet. Sie werden jeden Moment unter Beschuss genommen!« Idaeus' Rune auf Uriels Visier blinkte zwei Mal, als der Hauptmann den Empfang der Warnung bestätigte. Uriel sah zu, wie der Hauptmann der Vierten Kompanie einen Befehl blaffte und dann zum zweiten Schützennest sprintete. Idaeus stürmte an der Spitze von fünf blau gerüsteten Kriegern voran, und Uriel fluchte und rannte selbst los. Ohne Unterstützung lag der Sturmtrupp auf dem Präsentierteller! Feuerzungen stoben aus den schweren Boltern und leckten den anstürmenden Ultramarines entgegen. Uriel sah die Geschosse einschlagen und zwischen den dahinrasenden Ultramarines explodieren, doch kein einziger Mann fiel, da die gesegneten Servorüstungen dem Feuer der Verräter widerstanden. Idaeus schaltete sein Sprungmodul ein, und der Rest seines Trupps folgte seinem Beispiel, so dass sie sich nun mit Riesensätzen vorwärtsbewegten. Laserstrahlen zuckten durch die Luft, doch die Ultramarines waren zu schnell. Idaeus brach mit einem Furcht einflößenden Kriegsruf auf den Lippen durch das Holzdach eines Schützennests. Er schwang sein Energieschwert, enthauptete einen Rebellen und stieß einem anderen seine Pistole in die Brust, um ihm
den Brustkorb zu zerschmettern. Uriels lange Schritte hatten ihn mittlerweile zum Schützennest gebracht, und er sprang mit den Füßen voran in die von Sandsäcken umgebene Stellung. Er spürte Knochen unter seinen Stiefeln brechen, rollte sich ab, sprang auf und schlug mit dem Panzerhandschuh zu. Noch ein Rebell starb schreiend. Das Krachen der Schüsse war ohrenbetäubend. Uriel spürte, wie seine Schulter getroffen und die Kugel himmelwärts abgelenkt wurde. Er wirbelte herum und feuerte ein Geschoss in das Gesicht des Angreifers, das den Kopf des Mannes sprengte. Hinter sich spürte er eine Bewegung und fuhr mit erhobener Pistole herum. Hauptmann Idaeus stand vor ihm, die Hände erhoben und ein breites Grinsen im Gesicht. Uriel atmete langsam aus und ließ die Waffe sinken. Idaeus schlug Uriel auf die Schulter. »Der Kampf ist vorbei, Sergeant«, sagte er lachend. Die Erfahrung hatte Falten in Idaeus' Gesicht hinterlassen, und sein rasierter Schädel troff von Regen und Blut. Vier goldene Stecker funkelten in seiner Stirn, von denen jeder ein halbes Dienstjahrhundert repräsentierte, aber seine durchdringenden grauen Augen hatten nichts von ihrem jugendlichen Funkeln verloren. Uriel nickte und verzog das Gesicht. »Das ist er, aber der Codex Astartes sagt uns, dass Sie auf Unterstützung hätten warten müssen, bevor Sie zum Sturm auf das Schützennest angesetzt haben, Hauptmann«, sagte er. »Vielleicht«, gab Idaeus ihm recht, »aber ich wollte es rasch erledigen, bevor einer von ihnen eine Warnung über Kom senden konnte.« »Wir haben schwere Waffen bei uns, Hauptmann. Wir hätten ihre Kom-Geräte stören und sie aus der Deckung des Bunkers zusammenschießen können. Die Nester waren schlecht zum Bunker postiert, und sie hätten uns kaum aufs Korn nehmen können. Im Codex Astartes heißt es...« »Uriel«, unterbrach Idaeus, während er ihn aus dem Schlachthaus des Schützennests führte. »Sie wissen, dass ich Sie respektiere, und ungeachtet dessen, was andere sagen, glaube ich, dass Sie bald Ihre eigene Kompanie befehligen werden. Aber Sie müssen akzeptieren, dass es manchmal nötig ist, Dinge ein wenig anders zu erledigen. Ja, der Codex Astartes lehrt uns die Methoden des Krieges, aber er lehrt uns nichts über die Herzen der Männer. Sehen Sie sich um. Schauen Sie in die Gesichter unserer Krieger. Ihr Blut singt vor Rechtschaffenheit, und ihr Glaube ist
stark, weil sie gesehen haben, wie ich mit ihnen durch das Feindfeuer gestürmt bin und sie in die ruhmreiche Schlacht geführt habe. Ist ein kleines Risiko für mich nicht solch eine Belohnung wert?« »Ich glaube, ich würde einen Sturmangriff durch das Sperrfeuer von drei schweren Boltern anders nennen als ein >kleines Risiko<«, stellte Uriel fest. »Hätten Sie es an meiner Stelle anders gemacht?«, fragte Idaeus. »Nein«, gab Uriel lächelnd zu, »aber ich bin schließlich auch Sergeant, es ist mein Schicksal, die riskanten Aufträge zu bekommen.« Idaeus lachte. »Ich mache noch einen Hauptmann aus Ihnen. Kommen Sie, es gibt Arbeit. Diese Brücke sprengt sich nicht von allein.« Während der Sturmtrupp die Brücke sicherte, rückte der Rest von Hauptmann Idaeus' Abteilung aus dem Dschungel vor, um sie zu verstärken. Zwei taktische Trupps besetzten die Bunker an den beiden Brückenenden, während Uriel mit dem dritten die mit Sandsäcken gesicherten Schützennester reparierte. In Übereinstimmung mit dem Codex Astartes postierte er sie so, dass jeder Zugang zur Kreuzung abgedeckt war, während die Abwehrstellungen wiederaufgebaut und gestärkt wurden. Uriel bekam mit, wie Idaeus ihre Kundschafter in das Hügelland auf der anderen Seite des Kamms oberhalb der Schlucht schickte. Sie würden den Fehler der Rebelilen nicht wiederholen. Wenn die Verräter einen Gegenangriff starteten, würden die Ultramarines davon erfahren. Er schritt über einen toten Rebellen hinweg und nahm dabei mit professionellem Stolz das Einschussloch mitten in der Stirn zur Kenntnis. Das war der Preis der Niederlage. Der Sieg der Ultramarines hier war beinahe absurd leicht gewesen und verdiente kaum die Bezeichnung Schlacht, und Uriel empfand sonderbar wenig Freude über ihren Erfolg. Mit sechs Jahren hatte seine Ausbildung begonnen. Er hatte gelernt, den Feinden des Imperators den Tod zu bringen, und normalerweise war er stolz auf seine Fähigkeiten. Doch in einem Kampf gegen derart schlecht ausgebildete Gegner lag keine Befriedigung. Diese Soldaten verdienten ihren Namen nicht und hätten in der Agiselus-Kaserne auf Macragge, wo Uriel vor so vielen Jahren ausgebildet worden war, keinen einzigen Monat überlebt.
Er schob alle trübsinnigen Gedanken beiseite, nahm den Helm ab und stellte ihn auf das breite Brückengeländer. Mehrere Tausend Meter tiefer donnerte ein breiter Fluss durch die Schlucht, dessen dunkles Wasser weiß über die Felsen schäumte. Uriel strich sich mit der Hand über die kurz geschnittenen, pechschwarzen Haare. Seine Augen hatten die Farbe von Gewitterwolken, dunkel und bedrohlich, sein Gesicht war ernst. Zwei goldene Stecker durchbohrten die Braue über dem linken Auge. Die Brücken waren das Schlüsselelement des gesamten Feldzugs. Die Krieger des Imperators hatten die schlecht bewaffneten und ausgebildeten Soldaten der Planetaren Verteidigungsstreitkräfte von Thracia bei jeder Begegnung zurückgedrängt, und nun lag Mercia, die Hauptstadt der Rebellen, in Reichweite. Trotz ihrer furchtbaren Verluste waren sie zahlenmäßig immer noch überlegen und mochten sich im Laufe der Zeit zu einer ernsthaften Bedrohung für den Kreuzzug entwickeln. Die rechte Flanke des Vorstoßes der Imperialen Garde auf Mercia war anfällig für Angriffe über eine Reihe von Brücken, und auf einer dieser Brücken stand Uriel gerade. Es war unbedingt erforderlich, die Brücken zu zerstören, aber die Imperiale Flotte hatte sich Tage der Planung für diese Aufgabe erbeten, Tage, die zu verschwenden sich der Kreuzzug nicht leisten konnte. Daher war die Aufgabe der Brückenzerstörung den Ultramarines zugefallen. Kampfschiffe vom Typ Thunderhawk hatten die Angriffstrupps im Schutz der Dunkelheit einen halben Tagesmarsch von den Brücken entfernt abgesetzt und warteten nun auf das Signal, sie nach der Zerstörung wieder abzuholen. Der Aufstand auf Thracia war bis auf einen Aspekt bedeutungslos: dem Oberkommando des Kreuzzugs lagen Berichte vor, nach denen Angehörige der Verrätermarines der Legion der Night Lords anwesend waren. Bis jetzt hatte Uriel noch keinen dieser Ketzer zu Gesicht bekommen und glaubte insgeheim, dass sie von der überaktiven Phantasie der Gardisten heraufbeschworene Phantome waren. Dennoch zahlte es sich nie aus, nachlässig zu sein, und Uriel hoffte inbrünstig, dass sich die Berichte als wahr erweisen würden. Die Gelegenheit, den Zorn des Imperators über derart verabscheuungswürdige Feinde zu bringen, durfte nicht ungenutzt bleiben. Er sah zu, wie ein Techmarine die Brückenpfeiler zur Sprengung bereitmachte. Melterladungen würden die Brücke in Stücke
sprengen und den Verrätern jede Möglichkeit nehmen, ihre gepanzerten Einheiten über den Fluss zu bringen, um so den Imperiumstruppen in den Rücken zu fallen. Uriel wusste, dass sich überall entlang der gewaltigen Schlucht dieselben Szenen abspielten, da Abteilungen der Ultramarines die Zerstörung gleichartiger Ziele vorbereiteten. Er nahm seinen Helm und marschierte zu einem schlammbespritzten Techmarine, der sich gerade über das Geländer zog und Kabel aus seinem Ausrüstungs-Rucksack entrollte. Der Mann blickte auf, als er Uriel kommen hörte, und nickte respektvoll. »Ich nehme an, Sie wollen mir sagen, dass ich mich beeilen soll«, brummte er, während er sich verdrehte, um das Kabel an einer Batterie zu befestigen. »Ganz und gar nicht, Sevano. Als ob ich einen Meistertech wie Sie zur Eile drängen würde.« Sevano Tomasin funkelte Uriel an und suchte in seinem Gesicht nach Spuren von Sarkasmus. Als er keine fand, nickte er und fuhr mit der elektrischen Verdrahtung des Sprengstoffs fort. Er bewegte sich dabei auf eine schiefe, mechanische Art, da beide Beine und der rechte Arm schwere bionische Ersatzglieder waren. Die Apothekarii hatten sie ihm angepasst, nachdem sie ihn auf Ichar IV aus dem Wrack eines Panzers geborgen hatten, der von einem tobenden Carnifex zerstört worden war. Das Bioplasma der entsetzlichen Kreatur war ins Innere des Kampfpanzers eingedrungen und hatte dessen Munition zur Explosion gebracht. Der Carnifex war dadurch getötet worden, aber die Explosion hatte Tomasin verstümmelt. Doch anstatt auf die Jahrhunderte seiner Weisheit zu verzichten, hatten die Apothekarii des Ordens einen völlig neuen künstlichen Körper um seine blutigen Überreste konstruiert. »Wann sind Sie und die Servitoren fertig?«, fragte Uriel. Tomasin wischte sich den Matsch vom Gesicht und betrachtete die Brücke. »In einer Stunde, Ventris. Wahrscheinlich eher, wenn dieser verdammte Regen nachließe und ich meine Arbeit nicht unterbrechen müsste, um mit Ihnen zu reden.« Uriel verbiss sich eine Erwiderung, wendete sich ab und überließ den Techmarine seiner Arbeit. Er ging zur nächsten Geschützstellung. Hauptmann Idaeus saß auf den Sandsäcken und sprach angeregt in sein Kom. »Dann vergewissern Sie sich, verdammt!«, schnauzte er gera-
de. »Ich will nicht mit nur dreißig Mann hier sitzen und der halben Rebellenarmee gegenübertreten.« Idaeus lauschte der Antwort, fluchte und befestigte die KomEinheit wieder am Gürtel. »Ärger?«, fragte Uriel. »Vielleicht«, seufzte Idaeus. »Beobachter auf der Vae Victus glauben, sie hätten etwas Großes entdeckt, das sich durch den Dschungel auf uns zubewegt, aber dieses verdammte Wetter erschwert die Abtastung, und sie finden es nicht wieder. Wahrscheinlich ist es nichts.« »Sie klingen nicht sonderlich überzeugt.« »Das bin ich auch nicht«, gab Idaeus zu. »Wenn die Night Lords auf dieser Welt sind, wäre so etwas genau das, was sie versuchen würden.« »Ich lasse unsere Scouts die Zugänge zur Brücke beobachten. Nichts kann sich ihr unbemerkt nähern.« »Gut. Wie kommt Tomasin voran?« »Wir müssen eine Menge Brücke sprengen, Hauptmann, aber Tomasin glaubt, dass er es in einer Stunde schaffen kann. Ich persönlich glaube aber, dass er früher fertig ist.« Idaeus nickte und erhob sich, um dann auf die in Nebel und Regen gehüllten Bergausläufer auf der feindlichen Seite der Brücke zu starren. Seine Stirn legte sich in Falten, und Uriel folgte seinem Blick. Die Abenddämmerung brach rasch herein, und mit etwas Glück würden sie sich noch vor Einbruch der Nacht aufmachen, um sich wieder dem Hauptvorstoß auf Mercia anzuschließen. »Stimmt etwas nicht?« »Ich bin nicht sicher. Jedes Mal, wenn ich über die Brücke schaue, habe ich so ein komisches Gefühl.« »Ein komisches Gefühl?« »Aye, als würde uns jemand beobachten«, flüsterte Idaeus. Uriel prüfte sein Kom. »Die Scouts haben nichts gemeldet.« Idaeus schüttelte den Kopf. »Nein, das hat mehr mit Instinkt zu tun. Alles hier kommt mir falsch vor. Ich kann es nicht genauer beschreiben.« Uriel war ein wenig verwirrt. Er vertraute Ideaus uneingeschränkt, und sie kämpften und bluteten gemeinsam seit über fünfzig Jahren, wodurch sich ein Band der Freundschaft geknüpft hatte, wie Uriel es nur allzu selten fand. Dennoch konnte er nicht
behaupten, Idaeus vollständig zu verstehen. Der Hauptmann verließ sich mehr auf Instinkte und Gefühle als auf den heiligen Codex Astartes, das große Werk militärischen Denkens, das vor zehntausend Jahren von ihrem eigenen Primarchen Roboute Guillaume verfasst worden war. Der Codex bildete die Grundlage aller taktischen Doktrinen praktisch jeden Ordens der Space Marines und der militärischen Macht des gesamten Imperiums. Der Imperator persönlich hatte die Worte gesegnet, und die Ultramarines waren niemals von seinen Lehren abgewichen, seit er nach den finsteren Zeiten der Horus-Ketzerei niedergeschrieben worden war. Doch Idaeus neigte dazu, die Weisheit des Codex' als Rat zu betrachten und nicht als heilige Unterweisung, und dies war eine beständige Quelle des Erstaunens für Uriel. Er war seit beinahe dreißig Jahren Idaeus' Stellvertreter, und trotz der Erfolge seines Hauptmanns hatte Uriel immer noch Schwierigkeiten, dessen Methoden zu akzeptieren. »Ich werde mir diese Hügel ansehen«, sagte Idaeus plötzlich. Uriel seufzte. »Die Scouts werden uns alles melden, was sich uns nähert«, stellte er fest. »Ich weiß, und ich habe vollstes Vertrauen zu ihm. Ich will mich nur selbst überzeugen. Gehen wir und werfen wir einen Blick darauf.« Uriel nahm seine Kom-Einheit und informierte die Scouts, dass sie sich ihnen von hinten nähern würden, dann folgte er Idaeus, der zielstrebig losmarschierte. Sie passierten den Bunker am Feindende der Brücke, den die Rebellen hätten besetzen müssen, und nahmen das Funkeln der schweren Bolter darin zur Kenntnis. Die beiden Space Marines marschierten die breite Straße entlang, die in die hohen Berge beiderseits der Schlucht führten, und inspizierten in den nächsten dreißig Minuten die Standorte, die Uriel den Scouts als Beobachtungsposten zugewiesen hatte. Der Regen dämpfte alle Geräusche und sorgte für geringe Sichtweite, und es gab genügend Bäume, um den Dschungelboden praktisch völlig zu verdecken. Da draußen konnte eine ganze Armee stecken, und sie würden sie erst sehen, wenn sie direkt vor ihnen stand. »Zufrieden?«, fragte Uriel. Idaeus nickte, antwortete aber nicht, und gemeinsam kehrten sie wieder zum Bunker auf der anderen Seite zurück, wo sie Sevano Tomasin sahen.
Die Warnung kam in dem Augenblick, als die erste Artilleriegranate über ihre Köpfe hinwegpfiff. Kaum hatte Uriel das Pfeifen der Granate zur Kenntnis genommen, als das Kom vor Stimmen förmlich explodierte. Meldungen von Artillerieblitzen in der Ferne, dazu mehrfache Sichtungen von gepanzerten Truppentransportern und Kampfpanzern. Eine blendende Explosion in der Mitte der Brücke zerriss die Dämmerung förmlich, weitere sechs krachten in rascher Folge. Uriel schrie, als er sah, wie einige Servitoren und zwei Space Marines von der Brücke gefegt wurden und in die Schlucht stürzten. Die beiden Offiziere rannten zur Brücke zurück. Uriel wählte sich ins Kom der Scouts ein und brüllte: »Spähtrupp Alpha! Woher kommen sie? Meldung!« »Kontakt bei drei Kilometern und abnehmend, Sergeant! Der Regen hat den Staub nicht aufsteigen lassen, und wir konnten sie durch das tote Gelände nicht ausmachen.« »Verstanden«, erwiderte Uriel und verfluchte innerlich das Wetter. »Was können Sie sehen?« »Unsere Zählung ist ungenau, aber es sieht nach einem Angriff in Bataillonsgröße aus. Hauptsächlich Chimären, aber es sind auch viele schwere Panzer dabei. Leman Russ, Greife und Höllenhunde.« Uriel fluchte und wechselte einen Blick mit Idaeus. Wenn die Scouts recht hatten, bekamen sie es mit über tausend Mann mit Artillerie- und Panzerunterstützung zu tun. Beide wussten, dass dies der Kontakt sein musste, den die Beobachter an Bord der Vae Victus geortet und dann wieder verloren hatten. Sie mussten alle auf die andere Seite der Brücke holen und sie dann sofort sprengen. »Bleiben Sie, so lange sie können, Alpha, und melden Sie weiter, dann setzen Sie sich hierher ab!« »Aye, Sergeant«, erwiderte der Scout und meldete sich ab. Mehr Granaten fielen auf die Brücke, und ihre Explosionen erzeugten in der Enge der Schlucht einen ohrenbetäubenden Widerhall. Jede Granate ließ Asphaltbrocken und riesige Regenwasserfontänen aufspritzen. Manche explodierten über der Brücke in der Luft und deckten sie mit einem tödlichen Splitterhagel ein. Uriel machte das unverkennbare Heulen von Granaten aus den Mörsern der Greife aus und dankte Guillaume, dass die PVS offenbar keinen Zugang zu den schwereren Artilleriekanonen der
Imperialen Garde hatte. Entweder das, oder ihnen war klar, dass solche Waffen die Brücke vermutlich zerstören würden. Die meisten Space Marines, die von dem Beschuss im Freien überrascht worden waren, befanden sich mittlerweile in Deckung, und Uriel wusste, dass sie von Glück sagen konnten, nicht noch mehr Männer verloren zu haben. Er fluchte, als er Sevano Tomasins ungeschlachte Gestalt sah. Der Techmarine brachte immer noch Sprengladungen an und rollte gerade eine Kabeltrommel zum letzten Bunker aus. Seine Bewegungen waren quälend langsam, aber der Beschuss schien ihn nicht zu beeindrucken. Uriel versuchte ihn mit reiner Willenkraft zu zwingen, schneller zu arbeiten. »Eineinhalb Kilometer, abnehmend. Rapide abnehmend! Feindliche Infanterie in Sichtweite!«, rief der Scout-Sergeant in Uriels Ohrhörer. »Bestätigt«, rief Uriel über das Krachen der Explosionen fallender Mörsergranaten hinweg. »Kommen Sie sofort hierher zurück, Sie können dort nichts mehr ausrichten. Trupp Schwert erwartet Sie am ersten Bunker, um Ihnen Feuerschutz zu geben. Ventris Ende.« Uriel und Idaeus erreichten den Bunker und verharrten hinter seinen beruhigend dicken Mauern. Idaeus hob sein Kom und rief: »Garde-Kommandonetz, hier Hauptmann Idaeus, Vierte Kompanie der Ultramarines. Melde einen Angriff entlang Brücke ZwoVier mindestens in Divisionsstärke, wahrscheinlich stärker. Wir lassen uns zurückfallen und bereiten die Zerstörung der Brücke vor. Ich wiederhole, Feindkräfte greifen über Brücke Zwo-Vier an!« Während Idaeus dem Imperialen Oberkommando seine Warnung schickte, schaltete sich Uriel in die Frequenz des Thunderhawk ein, das sie hier abgesetzt hatte. »Thunderhawk Sechs, hier Uriel Ventris. Wir werden angegriffen und fordern unmittelbare Abholung an. Missionsbefehl OmegaSieben-Vier. Bitte bestätigen.« Lange Sekunden hörte Uriel nur statisches Knistern, und er fürchtete bereits, dem Kampfschiff sei ein Unglück zugestoßen. Dann sagte eine stark verzerrte Stimme: »Bestätigt, Sergeant Ventris. Missionsbefehl Omega-Sieben-Vier empfangen. Wir sind in zehn Minuten an Ort und Stelle. Markieren Sie Ihre Position durch grünen Rauch.«
»Verstanden«, erwiderte Uriel. »Nehmen Sie zur Kenntnis, dass es bei Ihrer Ankunft in der Landezone aller Wahrscheinlichkeit nach hoch hergehen wird.« »Kein Sorge«, sagte der Pilot des Thunderhawk mit einem Glucksen. »Wir sind voll bewaffnet und werden dafür sorgen, dass sie die Köpfe unten halten, wenn wir Sie rausholen. Thunderhawk Sechs Ende.« Uriel befestigte das Kom an seinem Gürtel und hämmerte gegen die Bunkertür. Er und Idaeus duckten sich hinein, als die Tür aufglitt. Die fünf Space Marines darin standen an den Schießscharten und hatten Boltgewehre und eine Laserkanone auf das Hügelland jenseits der Brücke gerichtet, um den Rückzug ihrer Brüder decken zu können. Uriel starrte durch zur Granatenabwehr gespannte Netze und beobachtete, wie sich die Scouts geordnet zur Brücke zurückzogen. »Sobald die Scouts vorbei sind, lassen Sie sich zum ersten Schützennest zurückfallen und gehen dort in Stellung«, befahl Idaeus. »Die anderen Trupps sind bereits in Position und geben Ihnen Feuerschutz. Verstanden?« Die Space Marines nickten, wendeten den Blick aber nicht von dem Kamm über den sich nähernden Scouts ab. Idaeus wandte sich an Uriel und sagte: »Gehen Sie rüber und sehen Sie nach, wie weit Tomasin mit den Vorbereitungen für die Sprengung dieser verdammten Brücke ist. Wir folgen, so schnell wir können.« Uriel öffnete den Mund, um zu protestieren, doch Idaeus ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Geschenkt, Sergeant. Vorwärts! Ich komme nach, sobald Trupp Alpha in Sicherheit ist.« Ohne ein weiteres Wort glitt Uriel aus dem Bunker. Eine weitere Serie krachender Detonationen hallte über die Brücke und traf die Seiten der Schlucht. Uriel wartete, bis der Beschuss nachließ, dann rannte er die Brücke entlang, an Schutthaufen und mit Wasser gefüllten Sprengkratern vorbei. Er sah Sevano Tomasin immer noch hinter den Sandsäcken des Schützennests, wo er an den Sprengladungen arbeitete. Hinter sich hörte er Waffenentladungen, das unverkennbare dumpfe Krachen von Boltgewehren und das zischende Knacken von Laserwaffen. Er warf einen Blick zurück über die Schulter, während ihn eine schreckliche Vorahnung überkam. Zwei jaulende Projektile rasten ihm entgegen. Mit markerschütternden Explosionen landete eins vor und das andere hinter ihm.
Das erste explodierte weniger als vier Meter über den Männern des Alpha-Trupps und zerriss ihre Leiber in den leichteren ScoutRüstungen, so dass nur noch blutiger Nebel und zerfranste Fleischfetzen übrig blieben. Die Druckwelle der Explosion schleuderte Uriel zu Boden. Er hustete Matsch und spie Regenwasser und kam gerade rechtzeitig wieder auf die Beine, um mit anzusehen, wie Sevano Tomasin in blendend weißes, phosphoreszierendes Feuer gehüllt wurde. Der Techmarine brach zusammen, als sich seine Metallglieder verflüssigten und ihm das Fleisch von den Knochen geschält wurde. Eine zweite Melterladung zündete in seinem Rucksack, der einen Sekundenbruchteil nach der Explosion der Mörsergranate hochging. Tomasin verschwand in einer weißglühenden Explosion, während der Regen eine Dampfwolke um seine geschmolzenen Überreste bildete. Uriel stemmte sich hoch und rannte zu dem gefallenen Space Marine. Tomasin war tot, daran konnte kein Zweifel bestehen. Aber Uriel musste sich vergewissern, ob der Zünder ebenfalls mit ihm hochgegangen war. Wenn ja, waren sie in großen Schwierigkeiten. Hass brannte seiner Brust, als Idaeus beobachtete, wie die erste Abteilung der feindlichen Fahrzeuge über den Kamm rollte. Im Zwielicht der Dämmerung konnte er eindeutig die Silhouetten von drei Salamander-Spähfahrzeugen ausmachen, und Idaeus schwor, dass er ihre Vernichtung erleben würde. Er konnte den Gestank verbrannten Fleisches der gefallenen Scouts wahrnehmen. Sie waren nur zehn Meter vor der Sicherheit des Bunkers gestorben. Idaeus wusste, dass er sich zu den vorbereiteten Schützennestern weiter entlang der Brücke zurückfallen lassen sollte. Wenn sie noch länger blieben, würden sie in der Falle sitzen. Aber sein Durst nach Vergeltung brannte wie Feuer in ihm, und er wollte verdammt sein, wenn er vor diesen Schweinen auch nur einen Millimeter zurückwich, ohne Rache für seine gefallenen Krieger zu nehmen. »Nivaneus«, zischte Idaeus dem Space Marine mit der Laserkanone zu. »Haben Sie ein Ziel?« »Aye, Hauptmann«, bestätigte Nivaneus. »Dann haben Sie Feuererlaubnis. Machen Sie diese verräteri-
schen Hunde nieder!« Ein blendender Laserstrahl zuckte aus der schweren Waffe. Ein Salamander schlingerte brennend und rauchend von der Straße. Die Infanterietrupps, die das Spähfahrzeug begleiteten, eröffneten das Feuer mit ihren Lasergewehren, bevor sie von den Boltgeschossen der Space Marines mit kompromissloser Präzision zerfetzt wurden. Doch Idaeus wusste, dass sie ohne Bedeutung waren. Was zählte, waren nur die Panzer. Nivaneus wechselte gelassen das Ziel, und ein weiterer Salamander starb, während seine Besatzungsmitglieder brennend aus den Ausstiegsluken taumelten. Das letzte Spähfahrzeug hielt an. Knatternde Salven aus seiner Autokanone tackerten über die Bunkermauern, und Idaeus spürte die Vibrationen der Einschläge. Er lächelte grimmig, da der Fahrer des Salamander verzweifelt versuchte, hinter den Kamm zurückzusetzen. Die Ketten drehten sich wirkungslos und schleuderten hohe Schlammfontänen in die Luft, da sie keine Haftung fanden. Staub und ein stechender elektrischer Gestank lagen plötzlich in der Luft, als Nivaneus seine Laserkanonen auf den dritten Salamander richtete. Bevor er schießen konnte, raste eine Rakete durch den Regen heran und traf den Turm des festsitzenden Spähpanzers. Er explodierte von innen, von Sekundärexplosionen erschüttert, als seine Munition hochging. »Hauptmann Idaeus!«, rief Uriel über Kom. »Verschwinden Sie von da! Jeden Moment kommen schwere Panzer über den Kamm, und dann sind Sie abgeschnitten, wenn Sie sich nicht sofort zurückfallen lassen! Wir geben Ihnen Feuerschutz, also kommen Sie zurück!« »Ich glaube, da ist was dran, Männer«, sagte Idaeus gelassen. »Wir haben ihnen eine blutige Nase verpasst, aber jetzt wird es Zeit, dass wir uns absetzen.« Die Ultramarines gaben noch eine letzte Salve ab, bevor sie ihre Waffen hochnahmen und zur Tür eilten. »Uriel!«, rief Idaeus. »Wir sind so weit, jetzt geben Sie mir Feuerschutz!« Sekunden später schlug eine vernichtende Salve aus Boltgeschossen und Raketen in den Kamm und hüllte ihn in Rauch und Flammen. »Los, los, los!«, rief Idaeus den Space Marines zu und folgte ihnen in den Regen: Das Mörserfeuer war zum Erliegen gekommen, wahrscheinlich, weil die Greife gerade in Schussposi-
tion rollten, überlegte Idaeus. Aus welchem Grund auch immer, er war jedenfalls dankbar dafür. Er hörte ein markerschütterndes Scheppern und Quietschen von Ketten und wusste ohne hinzusehen, dass die schweren Panzer über den Kamm ausschwärmten und hinter ihnen in Stellung rollten. Er sah die Kondensstreifen zweier Raketen über sich hinwegrasen und hörte das Krachen ihres Einschlags. Eine donnernde Explosion verriet ihm, dass zumindest ein Feindpanzer außer Gefecht war, aber eben nur einer. »Volle Deckung!«, brüllte er und hechtete über einen Trümmerhaufen hinweg in einen Krater, als der Geschützdonner zweier Panzerkanonen hinter ihm durch die Schlucht hallte. Er spürte die unglaubliche Einschlagwucht hinter sich sogar durch das Keramit seiner Servorüstung. Seine Auto-Sinne fuhren vorübergehend herunter, um Gehör und Sehvermögen zu schützen, als die riesige Granate explodierte, und die Druckwelle quetschte ihn beinahe zusammen. Rote Runen blinkten auf seinem Visier, als seine Rüstung an einem halben Dutzend Stellen aufgerissen wurde. Er verspürte sengende Schmerzen und fluchte, während er sich einen tellergroßen knisternden Granatsplitter aus dem Bein zog. Er spürte, wie die Larramanzellen sein Blut praktisch augenblicklich gerinnen ließen und eine schützende Schicht aus Narbengewebe über der Wunde bildeten. Doch ihm fiel ein, dass er schon weitaus Schlimmeres erlebt hatte, also schob er die Schmerzen weg. Die beiden überlebenden Leman Russ rumpelten kammabwärts und fegten die rauchenden Überreste der Salamander mit ihren riesigen Räumschaufeln beiseite. Die auf dem Rumpf montierten schweren Bolter spien Geschosse, die den Bunker und die Brücke bestrichen und Fontänen aus Steinbrocken und Wasser aufspritzen ließen. Keine traf die Ultramarines, und Idaeus rief: »Auf! Los, los, in Bewegung bleiben!« Die Space Marines sprangen auf und rannten der relativen Sicherheit der anderen Brückenseite entgegen. Mehr Panzer und Infanterie quollen im Kielwasser der Leman Russ über den Kamm. Laserstrahlen folgten den Space Marines, doch die Entfernung war zu groß. Dann nahm Idaeus am Rande seines Hörvermögens das willkommene Tosen der Triebwerke eines Thunderhawk wahr und sah das eckige Kampfschiff über das Dschungeldach heranrauschen. Raketen zischten in Dreiersalven unter den Stummelflü-
geln hervor, und der Kamm verschwand hinter einer Flammenmauer. Schwere Kanonen an Rumpf und Tragflächen feuerten viele Tausend Patronen auf die Rebellen ab und löschten Panzer und Männer in Sekundenbruchteilen aus. Idaeus reckte triumphierend eine Faust in den Himmel, als das Thunderhawk über den Kamm jagte und zu einem weiteren Überflug herumschwenkte. Er trabte gemächlich zum Schützennest, und die Space Marines, die ihm folgten, gingen sofort mit ihren Waffen in Stellung. »Uriel«, sendete Idaeus. »Sind Sie bereit zum Abmarsch?« »Mehr als bereit«, erwiderte Uriel aus dem Bunker hinter Idaeus. »Aber wir haben ein Problem. Tomasin wurde durch eine Granate getötet, und er hatte die Zünder. Wir können die Brücke nicht sprengen.« Idaeus schlug mit der Faust auf einen Sandsack. »Verdammt!«, fluchte er und fletschte die Zähne. Er marschierte in dem Schützennest hin und her wie ein Grox im Käfig, bevor er sagte: »Dann müssen wir hier so lange wie möglich aushalten und hoffen, dass die Garde rechtzeitig ihre Flanke umgruppieren kann.« »Einverstanden. Der Imperator gebe Ihnen Zielsicherheit, Hauptmann.« »Gleichfalls. Möge er über Sie wachen.« Uriel schaltete sein Kom aus und schob ein frisches Magazin in die Boltpistole, während er auf den in Flammen gehüllten Hügelkamm starrte. Das Thunderhawk hatte gewendet, und seine Bordgeschütze feuerten auf etwas, das Uriel nicht sehen konnte. Frische Explosionen erblühten hinter dem Kamm, und mehr Verräter fielen. Plötzlich explodierten Granaten rings um das Kampfschiff, und Feuerströme leckten hell vor dem dunklen Himmel vom Boden zu ihm empor. Uriel fluchte, als ihm aufging, dass die Verräter mit Luftabwehrwaffen bestückt waren. Das Kampfschiff flog ein Ausweichmanöver, doch ein weiterer Strom aus Granaten raste himmelwärts, und Sekunden später hatten sich die Schützen auf ihr Ziel eingeschossen. Tausende Geschosse fetzten durch die Panzerung des Thunderhawk und rissen ihm die Backbordtragfläche ab. Das Triebwerk explodierte in einem leuchtenden Feuerball. Der Pilot mühte sich, die Maschine in der Luft zu halten, und legte
sich in eine Kurve, um der Flak auszuweichen, doch das Thunderhawk verlor beständig an Höhe, während schwarzer Rauch aus seinem angeschlagenen Rumpf quoll. Uriel sah mit Entsetzen zu, wie es immer tiefer sackte und seine schlingernde Form mit jeder Sekunde größer wurde. »Beim Imperator, nein!«, flüsterte Uriel, als das Kampfschiff kurz vor der Brücke aufschlug und dann in einen hell strahlenden Halo aus Funken und Flammen gehüllt weiterrutschte. Das Wrack prallte gegen den unbesetzten Bunker, demolierte ihn augenblicklich und schlitterte von metallischem Kreischen begleitet weiter die Brücke entlang und den Ultramarines entgegen. Die andere Tragfläche wurde abgerissen, und das brennende Kampfschiff überschlug sich und riss dabei die Straßendecke auf. Das Thunderhawk pflügte weiter und kam schließlich weniger als zweihundert Meter vor den Schützennestern zum Stillstand. Uriel ließ langsam den Atem entweichen. Eine Bewegung fiel ihm ins Auge, und er sah mehr Feindfahrzeuge aus dem wirbelnden schwarzen Rauch über dem Kamm auftauchen und der Brücke entgegenrumpeln. »Ziele gesichtet!«, rief er. »Feindliche Panzer im Anmarsch. Suchen Sie sich ein Ziel und schießen Sie, wenn Sie es klar im Visier haben!« Die führende Panzerkolonne der Rebellen bestand aus Dutzenden Chimären, die mit blasphemischen Runen beschmiert waren. Uriel knurrte, als er das Motiv des geflügelten Schädels der Night Lords erblickte, das krude auf die Chimären gepinselt worden war. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Der Makel des Chaos war nach Thracia gekommen. Jedes Vehikel war mit einem grellen Scheinwerfer bestückt, deren Strahlen in willkürlichen Mustern über die Brücke geschwenkt wurden, während sie voranstürmten. Raketensalven und Laserstrahlen erhellten die Dunkelheit, und explodierende Panzer erleuchteten die Nacht. Wie viele Panzer die Ultramarines auch abschossen, es kamen immer mehr, die ihren Platz einnahmen. Bald war die Brücke durchbrennende Wracks verstopft. Hunderte schreiende Soldaten sprangen aus ihren Transportern und arbeiteten sich durch den Panzerfriedhof vorwärts. Uriel gab Schuss um Schuss aus seiner Pistole ab. Verfehlen war unmöglich, so viele Ziele gab es. Die Finsternis der Schlucht hallte von Geschrei und Geschützfeuer wider. Doch Uriel ließ sich
durch das Gemetzel nicht täuschen, das sie in den Reihen der Verräter anrichteten. Ihre Munition war begrenzt, und bald würde die Schlacht zu einem blutigen Nahkampf verkommen. Zwar würden sie zweifellos viele Hundert Feinde töten, aber am Ende würden sie fallen. Es war schlicht eine Frage der Anzahl. Er lud wieder nach und wünschte, mehr tun zu können, während er Sevano Tomasin dafür verfluchte, gestorben zu sein und sie zu diesem schmachvollen Ende verurteilt zu haben. Wieder sah er das Bild vor sich, wie der Techmarine in der Kettenreaktion seiner explodierenden Melterladungen eingeäschert wurde. Etwas klickte in Uriels Kopf, und er stutzte. Nein, es wäre Wahnsinn, absoluter Wahnsinn und Selbstmord. Aber es mochte durchaus funktionieren. Er versuchte sich an einen Präzedenzfall im Codex Astartes zu erinnern, aber ihm fiel keiner ein. War es möglich? Eine Splittergranate würde nicht reichen, und nur die Sturmtruppen hatten panzerbrechende Sprenggranaten. Er prüfte seinen Spender. Er hatte noch eine von den panzerbrechenden übrig. Kurzentschlossen griff er sich einen Marine vor einer der Schießscharten und brüllte, um sich trotz des Schusslärms verständlich zu machen. »Ich muss zum Hauptmann. Ich brauche Feuerschutz!« Der Mann nickte und gab den Befehl weiter. Uriel huschte geduckt durch die aufgesprengte Tür und verharrte an der Ecke des Bunkers. Laserstrahlen und Boltgeschosse zuckten durch die Dunkelheit hin und her und sorgten für einen eigenartigen Stroboskop-Effekt. Aus dem Bunker kamen jetzt konzentrierte Salven, und Uriel sprang aus seiner Deckung und rannte nach vorn zu Idaeus' Schützennest. Sofort schlugen ihm Laserstrahlen aus der Deckung der brennenden Panzerwracks entgegen. Jeder Schütze wurde durch verheerend zielsicheres Bolterfeuer ausgeschaltet. Uriel hechtete hinter das Nest und kroch bäuchlings hinein. Idaeus, dessen Rüstung einige blutverkrustete Risse aufwies, richtete disziplinierte Boltersalven auf die Reihen der Verräter. Zwei Space Marines lagen mit herausgesprengtem Hinterkopf tot am Boden, und Uriel war sich plötzlich sehr bewusst, wie viel weniger Schutz das Schützennest bot. Idaeus warf ihm einen flüchtigen Blick zu und rief: »Was machen Sie hier, Uriel?«
»Ich habe eine Idee, wie wir die Brücke sprengen können!« »Wie?« »Die Sturmtrupps haben Sprenggranaten. Wenn wir ein paar davon an einer der Melterladungen an den Brückenpfeilern anbringen, könnten wir vielleicht eine Kettenreaktion mit den anderen auslösen!« Idaeus dachte einen Moment darüber nach, dann zuckte er die Achseln. »Man kann es kaum einen Plan nennen, aber haben wir eine Wahl?« »Nein«, sagte Uriel unverblümt. Idaeus nickte und kauerte sich hinter die Sandsäcke, während er sein ramponiertes Kom zückte. In aller Eile erklärte er dem Sergeant des Sturmtrupps Uriels Plan und bekam eine Bestätigung. Idaeus hob den Kopf und sah Uriel durchdringend an. »Da haben Sie sich ja einen schönen Zeitpunkt ausgesucht, außerhalb der Kategorien des Codex zu denken, Sergeant!« »Besser spät als nie, Hauptmann.« Idaeus grinste und nickte. »Uns bleiben nach der ersten Explosion etwa dreißig Sekunden, um uns abzusetzen. Wenn wir es bis dahin nicht von der Brücke schaffen, sind wir tot. Ich habe bereits ein weiteres Thunderhawk angefordert, aber es trifft frühestens in den Morgenstunden ein.« Der Hauptmann wechselte auf die Abteilungsfrequenz und wendete sich an alle Marines unter seinem Befehl. »An alle Trupps, sobald der Sturmtrupp aktiv wird, werden diese Schweine mit genügend Feuerkraft eingedeckt, um einen Titan zu sprengen. Verstanden?« Zackige Bestätigungen antworteten Idaeus' Befehl. Er lud seine Pistole nach und bedeutete Uriel, ihm am Rand der Geschützstellung Gesellschaft zu leisten. Im zweiten Schützennest flammten Lichtstrahlen auf, als der Sturmtrupp seine Sprungtornister zündete. »JETZT!«, brüllte Idaeus, und die Ultramarines feuerten mit allem, was sie hatten. Salve um Salve, Raketen und Laserstrahlen dezimierten die Rebellen. Die Schnelligkeit des Todes war unbegreiflich. Die Space Marines jagten Schuss um Schuss in die wankende Masse. Es begann mit einem einzelnen Rebellen, der kehrtmachte und in die Nacht floh. Ein Offizier erschoss ihn, aber es war bereits zu
spät. Andere folgten seinem Beispiel und flohen durch das Labyrinth der Panzerwracks, da ihre Entschlossenheit im Angesicht der Elite des Imperators unwiderruflich ins Wanken geraten war. Und dann war es vorbei. Uriel konnte sich nicht erinnern, wie lange sie gekämpft hatten, aber es musste viele Stunden gedauert haben. Er warf einen Blick auf das Chronometer an seinem Visier und stellte zu seiner Überraschung fest, dass es weniger als zwei waren. Er kniete nieder und zählte seine Magazine: sechs. Nicht gut. Er riskierte einen Blick über die oberste Reihe der Sandsäcke, deren Oberfläche durch die extreme Hitze zahlreicher Laser-Einschläge zu Glas geschmolzen war. Uriel sah, dass Hunderte Leichen auf der Brücke lagen. Die Spannung war förmlich greifbar, und jeder Space Marine war bereit, bei der Explosion einer Sprenggranate aufzuspringen und loszurennen. Lange Minuten verstrichen, in denen nur das Knistern des Korns und der Flammen und das Stöhnen der Sterbenden zu hören war. Alle im Schützennest fuhren zusammen, als sie das Krachen von Bolterwaffen hörten. Es hielt mehrere Minuten an, bevor es schließlich verstummte. Uriel und Idaeus wechselten einen besorgten Blick. Beide Seiten benutzten Bolterwaffen. Uriel schüttelte traurig den Kopf. »Sie haben es nicht geschafft.« »Das wissen wir nicht«, schnauzte Idaeus, aber Uriel merkte seinem Hauptmann an, dass er seinen eigenen Worten keinen Glauben schenkte. Fahles Sonnenlicht blitzte auf den Kadavern des abgestürzten Thunderhawk und der zusammengeschossenen Panzer auf der Brücke, von denen manche noch schwelten. Es hatte die ganze Nacht geregnet. Zum Glück galt das nicht für die Angriffe der Rebellen. Es hatte keine Granatexplosion gegeben, und Idaeus musste sich eingestehen, dass der Sturmtrupp bei der Ausführung seines Auftrags gescheitert war. Uriel ließ den Blick über den Himmel hinter ihnen wandern und hielt nach ihrem Thunderhawk oder vielleicht auch einer Maschine der Imperialen Flotte Ausschau. Beide wären im Augenblick ein willkommener Anblick gewesen, aber der Himmel blieb leer. Ein plötzlicher Ruf von einem der vorgezogenen Beobachter riss Uriel aus seinen melancholischen Gedanken, und er nahm rasch
seine Position an Idaeus' Seite ein. Er sah Bewegung durch das ausgebrannte Wrack des Thunderhawk, bemerkte blaue und goldene Farbkleckse und hörte ein kehliges Knirschen. Der Lärm schwerer Fahrzeuge, die unter ihren eisernen Ketten Knochen und Panzerung zermalmten. Außerdem huschten blau-goldene Gestalten verstohlen durch die Trümmer. Mit einem Gebrüll von urtümlicher Wildheit, das von Millennien des Hasses kündete, gaben sich die Chaos Marines der Night Lords schließlich zu erkennen. Durch die Trümmer kamen fünf aufwendig verzierte, gepanzerte Truppentransporter vom Typ Rhino, auf deren Flanken sich azurblaue Flammen wanden. Uriel war sprachlos. Sie waren nur dem Namen nach Rhinos. Blutige Stacheln schmückten jede Oberfläche, und hohngrinsende Gargyle waberten über die gewellte Panzerung und schnatterten unheimliche Beschwörungen, die Uriel Gänsehaut bereiteten. Doch das größte Grauen befand sich am Bug. Die noch lebenden Mitglieder des Sturmtrupps der Ultramarines waren auf kruden eisernen Gestellen gekreuzigt worden, die man am Rumpf befestigt hatte. Die Rüstungen hatte man ihnen abgerissen, dann die Brustkästen aufgesägt und weit gespreizt wie obszöne Engelsflügel. Glänzende Darmschlingen hingen aus ihren offenen Bäuchen, und sie weinten Blut aus schwarzen, leeren Augenhöhlen und zungenlosen Mündern. Dass sie noch lebten, war eigentlich unmöglich, doch Uriel sah, dass ihre Herzen immer noch schlugen, und sah auch die unvorstellbaren Schmerzen in ihren verzerrten Gesichtern. Die Rhinos fuhren weiter, dicht gefolgt von gigantischen Gestalten in mitternachtsblauer Servorüstung. Die Rüstungen waren mit Messing abgesetzt, und die Helme hatten die Gestalt von dämonischen Visagen mit blutverschmierten Hörnern. Rotflügelige Schädelsymbole pulsierten unnatürlich auf ihren Schulterschützern. Idaeus erholte sich als Erster von dem Schock, hob das Boltgewehr und schoss auf die anrückenden Night Lords. »Tötet sie!«, brüllte er. »Tötet sie alle!« Uriel schüttelte den Kopf und brach den Bann des Grauens, den ihm das Spektakel der verstümmelten Ultramarines auferlegt hatte. Er legte seine Pistole an. Zwei Raketen und ein Laserstrahl rasten den Night Lords entgegen. Uriel betete, die gemarterten Seelen der auf den Rhinos gekreuzigten Ultramarines würden
ihnen verzeihen, da zwei der Transporter explodierten, zur Seite schlingerten und gegen das Seitengeländer der Brücke prallten. Die Gefangenen verbrannten in den Flammen ihrer Zerstörung, und Uriel spürte, wie seine Wut ein Stadium erreichte, in dem er nur noch den Drang zu töten verspürte. Der Space Marine neben Uriel fiel, da ein Boltgeschoss in seiner Brusthöhle explodierte. Er brach ohne einen Laut zusammen, und Uriel hob sein Boltgewehr auf und leerte das Magazin auf die Verräter-Marines. Eine Handvoll Night Lords war tot, aber der Rest schloss die Lücke rasch. Zwei weitere Rhinos vergingen in feurigen Explosionen. Disziplinierte Salven aus Boltgewehren und Laserkanonen von den Ultramarines im Bunker hämmerten beständig auf die Reihen der Night Lords ein, als diese versuchten, die Schützennester zu überrennen. Doch nur wenige fielen, und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Verräter sie erreichen würden. Die Space Marines in dem anderen Schützennest starben in einem sengenden Ball aus weißglühendem Feuer, als Krieger der Night Lords mit Plasmagewehren durch die Schießscharten feuerten. Der Rückschlag der Explosion tötete die Mörder und stieg als schwarze Pilzwolke ins Morgengrauen auf. Dennoch rückten sie weiter vor. Uriel brüllte voller Wut und tötete immer weiter. Ein Panzerhandschuh schmetterte in das Schützennest. Idaeus schlug mit seinem Energieschwert zu. Blut spritzte. Uriel schrie »Granate!«, als er sah, was der abgetrennte Handschuh hielt. Er trat die Hand in die Granatengrube des Nests und wälzte einen toten Space Marine darauf. Die Splittergranate explodierte mit gedämpftem Krachen, aber die Rückenplatte des Leichnams absorbierte die volle Wucht der Explosion. »Danke, Bruder«, murmelte Uriel erleichtert. Ein anderer Night Lord trat in das Schützennest, eine kreischende Axt in der massigen Faust. Seine blaue Rüstung schien sich in einem inneren Feuer zu kräuseln, und der Messingbesatz war blendend in seiner Helligkeit. Das geflügelte Schädelsymbol zischte blasphemische Flüche, und Uriel spürte den obszönen Hunger der Axt nach Blut. Idaeus zog ihm sein Schwert über die Brust, doch die Klinge prallte ab. Der Krieger sprang und hieb Idaeus die Axt in die Schulter. Blut spritzte durch den Riss in der Rüstung, während Idaeus seinem Feind den Ellbogen in den Bauch ramm-
te, sich in ihn hineindrehte und dem Night Lord das Schwert in den Hals rammte. Er beförderte ihn mit zwei, drei Fußtritten nach draußen, während mehr Feinde in das Nest drängten. Uriel schoss mit seiner Pistole und rollte sich unter einer knisternden Energiefaust weg. Er bohrte sein Kampfmesser in den Spalt zwischen Brustharnisch und Helm seines Feindes und riss das Messer dann aufwärts. Blut spritzte in einer Fontäne, und er schrie vor jähem Schmerz, als der Krieger aus nächster Nähe auf ihn feuerte. Das Geschoss durchbohrte Uriels Rüstung und sprengte ihm ein faustgroßes Stück aus der Hüfte. Er stach wieder und wieder in den Hals seines Gegners und hörte erst auf, als der Night Lord vollkommen still lag. Idaeus und der letzte Space Marine in dem Schützennest kämpften Rücken an Rücken gegen vier Night Lords verzweifelt um ihr Leben. Uriel sprang ins Getümmel und legte einem Chaos Marine seine starken Arme um den Hals. Ein harter Ruck brach ihm das Genick. Alles war Blut und Gewalt. Der Space Marine, der neben Idaeus kämpfte, fiel, von einer Energiefaust förmlich pulverisiert. Uriel zerrte seine Klinge aus dem Helm des Night Lords und enthauptete den Mörder, um dann einem anderen Feind mit einem Boltgeschoss den behelmten Schädel wegzusprengen. Idaeus bohrte dem letzten Night Lord das Schwert in den Bauch und trat den Leichnam von der blutigen Klinge. Die beiden Space Marines hoben ihre Boltgewehre auf und schossen wieder. Das Schützennest stank nach Blut und Rauch. Der letzte Rhino war ein brennendes Wrack, und der Gefangene auf seinem Bug verbrannte in den Flammen. Er warf das Boltgewehr weg, als die Waffe nur noch leer klickte, und packte Idaeus bei der Schulter. »Wir müssen zurück zum Bunker. Wir können sie hier nicht aufhalten!« »Einverstanden«, sagte Idaeus, während er eine Grimasse schnitt. Sie rafften an Munition zusammen, was sie tragen konnten, dann eilten sie in den grauen Morgen und rannten zu dem mit Einschlagslöchern übersäten Bunker. Der Angriff schien einstweilen vorbei zu sein. Während sie rannten, knisterte Idaeus' Kom, und eine Stimme sagte: »Hauptmann Idaeus, können Sie mich hören? Hier Thunderhawk Zwo. Wir sind unterwegs zu Ihnen und erreichen Ihre
Position in weniger als einer Minute. Hören Sie mich?« Idaeus nahm das Kom und rief: »Ich höre, Thunderhawk Zwo, aber fliegen Sie nicht über unsere Position hinweg! Der Feind hat mindestens zwei, wahrscheinlich aber mehr Flakpanzer an der Brücke. Wir haben bereits Thunderhawk Sechs verloren.« »Verstanden. Wir landen einen halben Kilometer südlich der Brücke«, erwiderte der Pilot. Uriel und Idaeus erreichten den Bunker und ließen die Magazine auf den Boden fallen. »Teilt die Magazine auf. Mehr haben wir nicht«, befahl Idaeus. Die Ultramarines verteilten die Magazine unter sich, und Uriel bot Idaeus ein anderes Boltgewehr an, doch der Hauptmann schüttelte den Kopf. »Ich brauche es nicht. Geben Sie mir eine Pistole und ein paar Magazine. Und Ihre letzte Sprenggrante, Uriel.« Uriel durchschaute rasch die Bedeutung von Idaeus' Worten. »Nein, lassen Sie mich das machen, Hauptmann«, flehte er. Idaeus schüttelte den Kopf. »Diesmal nicht, Uriel. Das hier ist mein Auftrag, und ich lasse ihn nicht einfach so enden. Wir sieben können die Night Lords nicht aufhalten, wenn sie wieder angreifen, also befehle ich Ihnen, den Rest der Männer in das Thunderhawk zurückzubringen. Außerdem«, sagte er mit einem schiefen Grinsen, »haben Sie keinen Sprungtornister, um nach unten zu kommen.« Uriel sah, dass der Hauptmann nicht mit sich reden ließ. Er entnahm seinem Spender die letzte Sprenggranate und hielt sie Idaeus ehrerbietig hin. Er nahm sie und schnallte seinen Schwertgurt ab, drehte die Scheide um und reichte Uriel die kunstvoll gestaltete Waffe. »Nehmen Sie das«, sagte er. »Ich weiß, es wird Ihnen ebenso gute Dienste leisten wie mir. Eine so prächtige Waffe sollte nicht so enden, und Sie werden sie dringender brauchen als ich.« Uriel fehlten die Worte. Idaeus hatte diese wunderbare Klinge vor dem Corinthischen Kreuzzug selbst geschmiedet und seither in der Schlacht getragen. Die Ehre war überwältigend. Idaeus umklammerte Uriels Handgelenk im Kriegergriff und sagte: »Gehen Sie jetzt, alter Freund. Machen Sie mich stolz.« Uriel nickte. »Das werde ich, Hauptmann«, versprach er und salutierte. Die fünf überlebenden Space Marines im Bunker folgten Uriels Beispiel und nahmen Haltung an, indem sie zackig das
Boltgewehr vor der Brust präsentierten. Idaeus lächelte. »Der Imperator wache über euch alle«, sagte er und glitt dann hinaus in den Regen. Uriel überkam ein schreckliches Gefühl des Verlusts, doch er unterdrückte es mit aller Kraft. Er würde dafür sorgen, dass Idaeus' letzter Befehl ausgeführt wurde. Er legte ein Magazin in ein Boltgewehr und lud durch. »Kommt, wir müssen gehen.« Idaeus wartete, bis er sah, wie Uriel die fünf Space Marines aus dem Bunker zum Rand des Dschungels führte, bevor er sich in Bewegung setzte. Er hatte noch die Möglichkeit, dies in aller Heimlichkeit zu tun, wusste aber, dass es nicht lange dauern würde, bis den Night Lords aufging, dass die Brücke jetzt unverteidigt war, und sie ihre Einheiten in Marsch setzten. Das würde er nicht zulassen. Er kroch durch Matsch und Trümmer und blieb dabei außer Sicht der feindlichen Linien, bis er schließlich die pockennarbige Seitenwand der Brücke erreichte. Er nahm eine Handvoll Matsch und Asche, verschmierte sie über das Blau seiner Rüstung und zog sich dann auf die Brüstung. Der Fluss toste einige Tausend Meter tiefer, und Idaeus überkam ein vorübergehendes Schwindelgefühl, als er nach unten schaute. Er betrachtete die Brückenpfeiler und suchte einen mit den kastenförmigen Melterladungen, die Tomasin am Tag zuvor angebracht hatte. Er grinste, als er eine am Mittelpfeiler entdeckte. Mit einem an den Imperator und Guillaume gerichteten Gebet auf den Lippen ließ sich Idaeus über die Brüstung gleiten. Er fiel rasch, dann feuerte er die beiden Düsen seines Sprungtornisters und steuerte den Mittelpfeiler an. Der Düsenlärm kam Idaeus unglaublich laut vor, aber er konnte es nicht ändern. Jetzt hieß es alles oder nichts. Er fluchte, als er sah, dass seine Flugkurve zu kurz war. Er landete auf einem weiten Träger gut zwanzig Meter vom Mittelpfeiler entfernt, duckte sich und wartete auf ein Anzeichen dafür, dass man ihn entdeckt hatte. Er hörte nichts und kletterte durch das Gewirr aus Masten, Träger und Streben zum Mittelpfeiler. Plötzlich strich ein Schatten über ihn hinweg, und als er herumfuhr, sah er dunkel geflügelte Gestalten in nachtschwarzer Ser-
vorüstung zu ihm herabstoßen. Ihre Helme hatten die Form kreischender Dämonen, und aus ihren Kom-Einheiten drang unheimliches Geheul. Sie trugen stummelläufige Pistolen und gezahnte schwarze Schwerter, die rauchten, als seien sie gerade frisch aus der Esse gekommen. Idaeus identifizierte die widerlichen Kreaturen als Raptoren, schoss auf sie und fegte einen der verabscheuungswürdigen Krieger vom Himmel. Ein anderer warf sich auf ihn und stach mit seinem schwarzen Schwert zu. Idaeus grunzte, als er spürte, wie die Klinge einen seiner Lungenflügel durchbohrte, und brach dem Raptor mit einem Hieb seiner freien Hand den Hals. Er taumelte zurück, das Schwert noch in der Brust, und suchte Zuflucht im Metallgewirr unter der Brücke, um den heulenden Raptoren auszuweichen. Zwei landeten zwischen ihm und der Melterladung, während Dutzende weitere oben von der Brücke sprangen. Drei weitere tauchten hinter ihm auf, legten die Flügel an und landeten auf den Trägern. Idaeus knurrte und hob seine Pistole, als sie angriffen. Den ersten tötete Idaeus mit seiner Pistole. Es gelang ihm, auch den zweiten zu erschießen, aber er bewegte sich nicht schnell genug, um dem dritten auszuweichen. Weiße Hitze explodierte in seinem Gesicht und brannte ihm das Fleisch von einer Seite seines Schädels, als der Raptor mit seiner Plasmapistole schoss. Er fiel nach hinten, vor Schmerzen geblendet, und sah die knisternde Schwertklinge nicht kommen, die ihm den linken Arm vom Körper trennte. Er brüllte vor Wut, als er seinen Arm in die Tiefe fallen sah, Uriels letzte Sprenggranate noch in der gepanzerten Faust. Der Raptor holte zum tödlichen Hieb aus, doch Idaeus kam ihm zuvor. Er riss sich das rauchende Schwert aus der Brust und heulte seine ganze Kampfeswut heraus, als er dem Raptor das Schwert durch den Hals rammte. Neben dem kopflosen Leichnam brach er zusammen, und das Schwert entglitt seiner Hand. Schwindel und Schmerz drohten ihn zu überwältigen. Er versuchte aufzustehen, hatte aber keine Kraft mehr. Er sah die Raptoren zwischen sich und der Melterladung stehen, deren Dämonenhelme in der Verheißung des Sieges erstrahlten. Er spürte, wie mit dem Blut auch sein Leben aus seinem Körper rann, da die Larramanzellen die Flut nicht aufhalten konnten. Verbitterung stieg in ihm auf. Er streckte den Arm aus und stemmte sich in die Höhe, während Mattigkeit in seine Glieder
sickerte. Er spürte einen gemaserten Pistolengriff unter seiner Hand und schloss sie fest um die unbekannte Waffe. Wenn er sterben musste, dann wenigstens mit einer Waffe in der Hand. Mehr Raptoren schwebten heran und kreischten triumphierend, und Idaeus spürte ein Vibrieren in den Knochen, als sich Hunderte Panzerfahrzeuge an die Überquerung der Brücke machten. Er hatte versagt. Sein Blick fiel nach unten auf die Pistole in seiner Hand, und Hoffnung flackerte auf. Die fliegenden Abscheulichkeiten hoben ihre Waffen, um ihn auszulöschen. Dann explodierten die Raptoren in einer Reihe gewaltiger Detonationen, und Idaeus hörte ein Donnern, das zwischen den Wänden der Schlucht hin und her geworfen wurde. Er drehte seinen sterbenden Leib und sah die wunderschöne Form des Thunderhawk Zwo durch die Schlucht der Brücke entgegenrasen, während seine Bordwaffen die Raptoren in ihre Atome zerlegten. Er lächelte trotz seiner Schmerzen, als er sich den Streit vorstellte, den Uriel mit dem Piloten geführt haben musste, um ihn zu veranlassen, durch die Flak der Hy-dras und in die Schlucht zu fliegen. Er hob den Kopf zu den zwei Raptoren, die noch zwischen ihm und seinem Ziel standen. Sie zogen ihre Schwerter, als Thunderhawk Zwo unter der Brücke durchraste. Laserstrahlen jagten dem Kampfschiff hinterher, erreichten es aber nicht. Idaeus sank gegen einen schwarzen Träger und wendete sein verbranntes Gesicht den beiden Raptoren zu. Zwischen ihnen sah er die Melterladung. Er lächelte unter Schmerzen. Er hatte nur noch einen Schuss. Idaeus hob die Plasmapistole des toten Raptors und weidete sich einen Moment am Ausdruck des Entsetzens auf dem Gesicht seiner Feinde, als ihnen aufging, was als Nächstes passieren würde. »Auftrag ausgeführt«, knurrte Idaeus und drückte ab. Uriel sah den unerträglich grellen Plasmastrahl zum Mittelpfeiler der Brücke zucken und wie eine Miniatursonne direkt unter der Melterladung explodieren. Die sengende weiße Hitze zündete die Bombe mit einem Donnerschlag, und sie explodierte in einem gigantischen, blendenden Flammenball, der Ranken aus flüssigem Feuer verspritzte. Der Mittelpfeiler der Brücke wurde in der nuklearen Hitze augenblicklich verdampft, und Uriel erhaschte noch einen flüchtigen Blick auf Idaeus, bevor sein Hauptmann ebenfalls
von dem sich ausdehnenden Feuersturm verschluckt wurde. Die Echos der ersten Explosion hallten noch durch die Schlucht, als in der unvorstellbaren Hitze die anderen Ladungen explodierten. Einen Augenblick später verschwand die Brücke, da auf ihrer gesamten Länge Feuerbälle erblühten und die Pfeiler zerstörten. Ein knirschendes Bersten kündigte ihren Untergang an, als größere Abschnitte der Brücke absackten, und das Kreischen gemarterten Metalls und berstenden Betons erfüllte Uriels Sinne. Ganze Abschnitte fielen in die Tiefe und rissen Hunderte Panzer und Rebellen in den Tod, als die Brücke unter einer Belastung zerriss, der sie nicht standhalten konnte. Dichter Rauch und lodernde Flammen versperrten die Sicht auf den Todeskampf von Brücke Zwo-Vier, deren verbogene Überreste in den Fluss stürzten. Thunderhawk Zwo löste sich aus der Schlucht, gewann Höhe und nahm Kurs auf die imperialen Linien. Obwohl die Brücke hinter ihm rasch schrumpfte, konnte Uriel doch erkennen, dass praktisch nichts mehr von ihr übrig war. Die Hauptpfeiler waren verschwunden, die Fahrbahn, die sie getragen hatten, staute Tausende Meter tiefer den Fluss. Damit gab es einige Hundert Meilen schluchtaufwärts und -abwärts keine Möglichkeit mehr, sie zu überqueren. In dem gepanzerten Thunderhawk ließ er sich auf einen Sitz gleiten, setzte müde den Helm ab und strich über Idaeus' Schwert auf seinem Schoß. Er dachte an Idaeus' Opfer und staunte wieder, dass ein Krieger der Ultramarines ohne unmittelbare Zuhilfenahme des Codex Astartes kommandieren konnte. Es war ihm ein Rätsel, doch nun war es eines, das zu erforschen er sich in der Lage fühlte. Er strich mit dem Panzerhandschuh über die meisterhaft beschriftete Scheide und spürte die volle Last der Verantwortung auf seinen Schultern, die diese Waffe repräsentierte. Hauptmann Idaeus von der Vierten Kompanie war tot, aber solange Uriel Ventris die Klinge rührte, würde sein Andenken bleiben. Er schaute in die blutverschmierten Gesichter der Space Marines, welche die Mission überlebt hatten, und ihm ging auf, dass die Pflicht des Kommandierens jetzt ihm zufiel. Uriel schwor, ihr Ehre zu erweisen.
Nachtjäger
GRAHAM McNEILL Deutsche Erstausgabe Prolog Vor 60 Millionen Jahren... Die Sonne wurde zerstört. Es war eine Zwergsonne mit einem Durchmesser von gut eineinhalb Millionen Kilometern, und sie brannte seit über sechs Milliarden Jahren. Wäre das gewaltige, halbmondförmige Raumschiff nicht gewesen, das den vierten Planeten des Systems umkreiste und ihre gewaltigen Energien absaugte, hätte sie dies vermutlich auch noch weitere sechzehn Milliarden Jahre getan. Die Sonne erzeugte kolossale Energiemengen, indem sie in Kernfusionsprozessen tief in ihrem Herzen Wasserstoff zu Helium verbrannte, bevor sie diese Energie in den Weltraum abstrahlte. Diese Prozesse erzeugten starke elektromagnetische Felder im Kern der Sonne, die sich wellenförmig zur Oberfläche fortpflanzten. Ein Haufen dieser Wellen ballte sich zu einem ringförmigen Magnetfeld mit einem Durchmesser von über zweihunderttausend Kilometern zusammen und erzeugte einen dunklen, anschwellenden Sonnenfleck innerhalb der Fotosphäre der Sonne. Diese aktive Region eines Magnetfelds dehnte sich rasch aus und explodierte unvermittelt in einem gigantischen Aufflackern von der Oberfläche der Sonne nach außen, um eine Milliarde Quadratkilometer abzudecken und zu einem grellen Lichtspeer in der Korona der Sonne zu werden. Die starken Wellen aus elektromagnetischer Energie und Plasmaströmen bildeten einen Nimbus aus gleißendem Licht, der sich auf gewundenem Weg zu einer mit Runen übersäten Pyramide im Zentrum des riesigen Raumschiffs schraubte. Schauerliche, in die Flanken des Schiffs geprägte Runen flammten ob der empfangenen Energien auf, und der Rumpf pulsierte, als blähe sich das Schiff selbst unter kaum zu bändigender Kraft auf. Jeder der Sonne entrissene flammende Lichtstrahl, der seine Energien in das Schiff entlud, verkürzte die Lebensspanne der Sonne um hunderttausend Jahre, aber den Insassen des Raum-
schiffs war es egal, dass ihr Tod die Auslöschung jedes Lebewesens in diesem System zur Folge haben würde. Ihr Herr und Meister hatte schon über das Schicksal ganzer Galaxien entschieden, ganze Sternenreiche waren zu ihrem Vergnügen ausgelöscht und Rassen als Spielzeug erschaffen worden. Was bedeutete Wesen mit solcher Macht schon das Schicksal eines unbedeutenden Sonnensystems? Wie ein obszöner mechanischer Egel entzog das Schiff auf seinem Orbit um den Planeten der Sonne die Lebenskraft. Eine Reihe kleinerer Pyramiden und Obelisken an der Basis des Schiffs flimmerte wie unter einer Hitzewelle und wurde abwechselnd unsichtbar und wieder sichtbar, während das gewaltige Schiff unter der Einwirkung der kolossalen Energien erbebte, die es dem Stern entzog. Plötzlich verblasste der gewundene Strahl aus flüssigem Licht von der Sonne und verschwand, da das silberne Schiff für den Augenblick gesättigt war. Schwerfällig begann es zu rotieren und sank langsam durch die planetare Atmosphäre. Feurige Koronen flammten an den vorderen Rändern der Halbmondflügel auf, da es einer ausgedehnten Eisenoxidwüste auf der Nordhalbkugel entgegenstrebte. Unter dem Schiff raste die Planetenoberfläche vorbei: zerklüftete Berge, mahlende tektonische Platten und Asche speiende Vulkane. Das Schiff wurde langsamer, als es sich seinem Bestimmungsort näherte, einer sandigen Ödnis mit Staubstürmen, in deren Mitte es einen winzigen Fleck absoluter Dunkelheit gab. Die Schiffsgeschwindigkeit sank weiter, während der Fleck langsam die Gestalt einer glänzend schwarzen Pyramide annahm, deren Spitze mit Gold überzogen war. Ihre schimmernden Obsidianwände, rauchig und spiegelnd, blieben unbeeinflusst von den heulenden Winden, die über den Boden fegten. Kleine Wesen, die in der brennenden Sonne glitzerten, huschten mit einem klickenden, mechanischen Gang über ihre Oberfläche. Runen, welche denjenigen auf dem Raumschiff entsprachen, fingen an zu summen, als mächtige Rezeptoren aktiviert wurden. Das Schiff manövrierte graziös über die Pyramide, während sich die goldene Spitze öffnete wie der Blütenkelch einer Blume. Das Summen steigerte sich zu einem ohrenbetäubenden Kreischen, als die kleineren Pyramiden und Obelisken auf der Schiffsunterseite vor Energie förmlich explodierten und von ihnen eine Welle
aus reiner elektromagnetischer Kraft in das hungrige Maul der schwarzen Pyramide schoss. Weißglühendes Licht strahlte aus der Pyramide und äscherte augenblicklich die mechanischen Kreaturen auf ihrer Oberfläche ein. Die Wüste, in der sie stand, flammte golden, als sich Energiestrahlen in Schlangenlinien vom Fundament der Pyramide ausbreiteten und den Sand in komplexen geometrischen Mustern erstarren ließen und glasierten. Das riesige Raumschiff hielt seine Position, bis der letzte Rest der geraubten Energie übertragen worden war. Als die goldene Spitze der Pyramide wieder geschlossen war, machte das Schiff sich auf den Rückflug in die Umlaufbahn, um den Vorgang fortzusetzen in der Absicht, dem Stern so lange Energie zu rauben, bis er nichts weiter sein würde als ein sich abkühlender Ball aus Edelgasen. Das Gefährt ging vor dem Stern in Stellung, und die auf seinem Rumpf befestigte arkane Vorrichtung wurde erneut hochgefahren. Ein Teil des Weltraums hinter dem Raumschiff verzerrte sich und riss auseinander, als der dünne Schleier der Wirklichkeit klaffte und sich eine gewaltige Flotte bizarrer Raumschiffe aus dem Mahlstrom dahinter ergoss. Keine zwei Schiffe waren gleich; jedes hatte seine ganz eigene Geometrie und Form, aber alle hatten denselben tödlichen Zweck. Wie von einem einzigen Willen befehligt, näherten sich die Schiffe dem halbmondförmigen Raumschiff rasch und nahmen es dabei mit Waffen aller Art unter Beschuss. Eine Vielzahl greller Explosionen erblühte auf dem riesigen Schiffsrumpf, da gewaltige Energiestrahlen gegen die oberste Pyramide schlugen. Das Schiff erbebte wie ein verwundetes Tier. Doch dieses Raumschiff konnte sich wehren. Kobaltblaue Blitze zuckten aus seinen Waffenbatterien und zerstörten ein Dutzend Feindschiffe. Unsichtbare Strahlen von immenser Energie zerlegten eine weitere Gruppe in ihre atomaren Bestandteile. Doch keine noch so großen Verluste konnten die fremde Flotte von ihrer Attacke abbringen, und wie viele Schiffe auch zerstört wurden, es schien so, als seien immer noch mehr da, um deren Platz einzunehmen. Die gesichtslose Besatzung des Raumschiffs schien zu erkennen, dass sie verloren war, wenn ihr nicht die Flucht gelang. Langsam versetzte sich das Schiff in eine Eigenrotation, und ein machtvoller elektrischer Dunst erwuchs aus dem trägheitslosen Antrieb.
Eine Vielzahl fremder Waffen hämmerte auf die abgeflachte Polkuppel des Schiffs ein und riss tiefe Furchen in den Rumpf und große Metallbrocken aus dem Schiff. SelbstreparaturMechanismen versuchten den Schaden einzudämmen, aber sie standen wie das Schiff auf verlorenem Posten. Wrackteile wirbelten davon in die Dunkelheit des Weltraums, als die Triebwerke mit blendender Helligkeit ansprangen. Der Zeitablauf verlangsamte sich, und das Bild des gewaltigen Schiffs dehnte sich wie Gummi, als das Gravitationsfeld der Sonne Rache an dem Vampirschiff nahm und dessen Flucht verhinderte. Mit einem gequälten Kreischen, das durch den Warpraum hallte, schien sich das halbmondförmige Schiff zu einem singulären Punkt von unerträglicher Helligkeit zusammenzuziehen. Seine Angreifer gerieten in dessen Sog, und gemeinsam wurden sie ins Nichts geschleudert, um vielleicht niemals zurückzukehren. Die Sonne schien weiter, und auf der Planetenoberfläche verblasste das Leuchten der Goldspitze der schwarzen Pyramide, bis das Gold nur noch ein mattes, glanzloses Schimmern wie Bronze war. Bald darauf verbarg der Sand sogar das.
1. Kapitel Das 41. Millennium Die achtzehn Reiter folgten dem Lauf des gefrorenen Bachbetts, indem die Pferde auf dem eisglatten, felsigen Untergrund bedächtig einen Huf vor den anderen setzten. Trotz ihrer Vorsicht und der Herde von annähernd hundert schuppenhäutigen Grox, die sie durch den Schnee trieben, kamen sie gut voran, wie Gedrik wusste. Er drehte sich im Sattel und vergewisserte sich, dass die Herde noch zusammen war. Gedrik war hager und schlaksig und in einen abgenutzten, aber sehr gepflegten Schneeumhang gehüllt. Dazu trug er eine Reithose aus Leder, die an den Innenseiten der Oberschenkel gefüttert war, und warme, mit Pelz besetzte Stiefel. Der Kopf wurde von einer dicken Mütze aus gehärtetem Leder und Pelz geschützt, und um sein Gesicht war ein Wollschal gewickelt, um den scharfen Gebirgswind abzuhalten.
Der grüne Überwurf, der auf Caernus IV, Gedriks Heimatwelt, weit verbreitet war, hing locker über seine Brust, und die Fransenenden bedeckten teilweise das mit Draht umwickelte Heft seines Schwerts. Im linken Stiefel verborgen, führte er außerdem einen schlanken Dolch mit sich. Vor sechs Jahren hatte er beide Waffen persönlich aus dem Metall geschmiedet, und sie waren immer noch so scharf und glänzend wie am Tag ihrer Fertigung. Prediger Mallein hatte ihn gelehrt, wie man mit dem Schwert umging, und er hatte seine Lektionen wohl beherzigt: Niemand in den Vier Tälern konnte so gut kämpfen wie Gedrik. Um sein Arsenal zu vervollständigen, hatte er noch ein einfaches Repetiergewehr bei sich, das er über die breiten Schultern geworfen hatte. Sie waren jetzt fast zu Hause, und Gedrik freute sich auf ein warmes Feuer und die noch wärmere Umarmung seiner Frau Maeren. Diese letzte Woche in den Bergen, wo sie die Herde für das Schlachten zusammengetrieben hatten, war hart gewesen, als hätten Wind und Schnee versucht, die erbärmlichen Menschen auszulöschen, die es wagten, den Zorn der steinigen Gipfel herauszufordern. Doch bald würden sie wieder zu Hause sein, und Gedrik konnte das Fleisch schon beinahe schmecken, das Maeren ihm braten würde, wenn Gohbar mit dem Schlachten der Herde erst einmal begonnen hatte. Er drehte sich um, als er eine gedämpfte Verwünschung hinter sich hörte, und grinste, als sein Vetter Faergus zu ihm aufschloss und dann neben ihm ritt. Obwohl »reiten« eine schmeichelhafte Bezeichnung für Faergus' Fähigkeiten im Sattel war. Gedriks Vetter ließ sich mit seinen massigen Schultern und dem dicken, formlosen Hals nur als Bär von einem Mann beschreiben. Sein Gesicht war ramponiert und zerschlagen, die Nase nach unzähligen Brüchen in ebenso vielen Schlägereien unförmig, und er hatte einen dichten schwarzen Vollbart. Seine Füße baumelten dicht über dem Schnee, und Gedrik konnte das Verlangen seines Reittiers, ihn aus dem Sattel zu werfen, gut verstehen. Er ignorierte das Unbehagen seines Vetters und genoss einfach nur die majestätische Schönheit des Gelrochgebirges auf ihrem Ritt heimwärts. Die Sonne hatte ihren Zenit bereits vor einer Stunde überschritten, als die schneebedeckte Siedlung Mortens Weite in Sicht kam.
In der Biegung eines trägen Flusses mitten in einer ausgedehnten Bergschlucht angelegt, schienen sich die Häuser der Gemeinde aneinander zu schmiegen, als wollten sie sich gegenseitig wärmen. Gedrik konnte die Bewohner auf dem Marktplatz vor dem kleinen, dem Imperator gewidmeten Steintempel und auf den Hängen des Metallhügels hocken sehen. Prediger Mallein musste soeben einen Sermon beendet haben, und Gedrik lächelte, als er sich seinen Sohn Rouari vorstellte, wie dieser ihm beim Essen von geflügelten Engeln und Heldentaten des Imperators erzählte. Mallein verstand etwas vom Geschichtenerzählen, das war mal sicher! Rauch wehte aus der Schmiede, und Gedrik konnte erkennen, wie Gohbar, der Schlachter, auf der näher gelegenen Seite des Tals am Flussufer die mit Eisen umzäunten Koppeln für die Grox vorbereitete. Gedrik trieb sein Pferd an, da ihn der Gedanke an Maeren und ein daheim zubereitetes Essen mit neuer Energie erfüllte. Nur den Grox schien es zu widerstreben, einen Schritt schneller zu laufen, aber ein paar gebrüllte Flüche und gut gezielte Hiebe von Faergus' Schockstab sorgten rasch für Abhilfe. Gedrik ließ den Blick schweifen, und unversehens registrierte er das Aufblitzen einer Bewegung im Tal. Er verengte die Augen und hob eine Hand, um sie vor den Strahlen der tief stehenden Wintersonne abzuschirmen. Hinter einem dichten Gehölz immergrüner Bäume auf dem Kamm der gegenüberliegenden Erhebung hatte sich etwas bewegt, das hätte er beschwören können. Mechanisch nahm er das Gewehr von der Schulter und lud die Waffe durch, sodass eine Kugel in die Kammer geschoben wurde. »Ärger?«, fragte Faergus, als er sah, was Gedrik tat. »Ich bin nicht sicher. Ich glaube, ich habe etwas gesehen«, sagte Gedrik, indem er auf die dunkle Baumlinie zeigte. Faergus blinzelte über die Lichtung und zog dabei seine eigene Waffe, eine kurzläufige Schrotflinte, aus dem Schulterhalfter. »Ich sehe nichts...«, begann Faergus, als plötzlich ein Dutzend Vehikel mit schnittigem Bug aus den Bäumen hervorbrach. Mit Klingen und Krummdornen versehen, rollten die Fahrzeuge, auf deren offenen Decks es von Kriegern wimmelte, bergab der Siedlung entgegen. Schwarze Pfeile sausten aus Waffen, die auf den Vorderdecks der Fahrzeuge fest montiert waren, und explodierten mit schockierender Heftigkeit zwischen den Häusern von Mortens
Weite. »Beim Blut des Imperators!«, fluchte Gedrik, während er sein Pferd zum Galopp anspornte, da alle Gedanken an die Herde vergessen waren. Ohne hinsehen zu müssen, wusste er, dass der Rest seiner Männer hinter ihm war. Schreie und das dumpfe Krachen von Gewehrfeuer hallten von unten herauf, und heiße Furcht packte sein Herz beim Gedanken an diese schrecklichen Fremden in seiner Heimat. Ungeachtet der mit so einem wahnsinnigen Galopp verbundenen Gefahren jagte Gedrik mit seinem Pferd über den steinigen Boden. Trotz des wilden Ritts sah er, wie die fremdartigen Fahrzeuge ausschwärmten und sich eine Gruppe von ihnen aus jeder Flanke löste, um die Siedlung einzuschließen, während der Rest dem Ortskern entgegenstrebte. Gedrik sah, wie die Leute auseinander sprengten und zu ihren Häusern oder zum Tempel rannten, während die ersten Vehikel ins Dorf rasten und ein Haus nach dem anderen zum Einsturz brachten. Sein Pferd hatte mittlerweile die Ausläufer des Dorfs erreicht, und er sah eine Frau, die ein Kind an sich drückte - Maeren und Rouari? -, in die Kirche rennen, während Prediger Mallein von einer Flut tödlicher Splitter aus fremdartigen Gewehren niedergemäht wurde. Johlende Krieger in eng sitzender schwarz-roter Rüstung sprangen akrobatisch von den Decks ihrer Fahrzeuge und rannten durch die Ansiedlung, während sie mit langläufigen Flinten aus der Hüfte schossen. Er schrie vor Entsetzen, als er sah, dass die Dörfler niedergeschossen wurden, wo sie gerade standen, auch Frauen und Kinder, die zur Kirche rannten und deren Leiber unter dem Beschuss zuckten, bevor sie zu Boden fielen. Schwarzer Rauch stieg in den Himmel, da immer mehr Häuser in Flammen aufgingen, und die Schreie der Sterbenden schnitten wie Messer durch Gedrik. Aus ein paar Fenstern wurde zurückgeschossen, und einige der Banditen gingen zu Boden. Immerhin würden die Fremden Mortens Weite nicht kampflos einnehmen. Sein wilder Ritt hatte ihn fast bis zum Fluss gebracht, nahe genug, um den alten Gohbar zu sehen, der einer Gruppe der fremden Krieger laut brüllend und mit hoch über den Kopf erhobener Flenshellebarde entgegenlief. Die Fremden fuhren herum und erledigten den Schlachter mit einer Salve ihrer tödlichen Gewehre, bevor sie im Rauch der Todeszuckungen des Dorfs ver-
schwanden. Gedrik versuchte sein Pferd zu noch schnellerem Galopp anzuspornen, als er über die Flussbrücke donnerte, vorbei an der Generatormühle, bei deren Bau er eigenhändig geholfen hatte, und vorbei auch an dem zuckenden Gohbar. Das Gesicht des Mannes war violett und verzerrt, und die Zunge hing ihm aus dem Mund wie eine geschwollene schwarze Schlange. Die ganze Siedlung stand in Flammen, und Hitze und Rauch waren unerträglich. Gedrik erreichte den Marktplatz der Siedlung und zügelte abrupt sein Pferd. Zwei Fahrzeuge der Angreifer schwebten vor dem Tempel, und die fremden Krieger zerrten schreiende Dörfler zu ihnen. Ihre Gesichter waren außerordentlich grausam und bleich. Humanoid, doch vollkommen fremdartig. Gedrik beugte sich in den Steigbügeln vor und zielte mit seinem Gewehr auf einen der rot gerüsteten Eindringlinge, sodass sein eckiger Helm über Kimme und Korn auftauchte. Er drückte ab und holte den Krieger von den Beinen, aus dessen Hals Blut spritzte. Die anderen sprengten auseinander, und Gedrik schrie auf und bohrte seinem Pferd die Sporen in die Flanken. Das Tier sprang vorwärts, und Gedrik gab noch zwei Schüsse ab, die zwei weitere der Fremden fällten, bevor seine Waffe versagte. Die Angreifer richteten ihre Waffen auf ihn, aber der Imperator war mit ihm, und ihre leise heulende Munition verfehlte ihr Ziel. Dann war er zwischen ihnen, schwang sein Gewehr in brutalem Bogen und zerschmetterte einem Feind den Schädel. Er ließ das Gewehr fallen und zog sein Schwert. Er sah etwas rot aufblitzen, bevor ein Strahl aus dunklem Licht das Pferd unter ihm tötete. Gedrik zog die Füße aus den Steigbügeln, sprang von dem sterbenden Tier, landete leichtfüßig vor einem Haufen der fremden Krieger und schlug mit seinem glänzenden Schwert mit der breiten Klinge zu. Der erste Fremde fiel mit Schlingen seiner Eingeweide um die Knöchel, und der zweite starb, als sich Gedriks Schwert tief in seine Brust bohrte. Ihre fremdartige Rüstung bot keinen Schutz vor der übernatürlichen Schärfe von Gedriks Schwert, das sie mit Leichtigkeit durchschnitt. Der dritte Fremde stieß mit einer rauchenden Klinge am Ende seines Gewehrs zu, und als Gedrik daraufhin zurückspringen musste, verlor er sein Schwert. Hinter seinem Helm mit dem glatten Visier rückte der Fremde langsam und unbeirrt vor.
Gedrik knurrte und hechtete mit weitem Sprung unter der Waffe seines Gegners durch. Dabei zog er den Dolch aus dem Stiefel und stieß ihn dem Krieger in die Wade. Der Fremde ging entsetzlich kreischend zu Boden, und Gedrik riss das Messer aus der Wunde und rammte es dem Fremden tief in die Brust. Er sah, dass Faergus ihm folgte und zwei der Angreifer mit donnernden Schüssen aus seiner Schrotflinte in blutige Fetzen sprengte. Faergus riss sein Pferd herum, während Gedrik sein Schwert aufhob und seinem Vetter zurief: »Schaff so viele wie möglich in den Tempel. Wir versuchen uns dort gegen sie zu verteidigen!« Faergus nickte, doch bevor er sein Pferd in Bewegung setzen konnte, zuckte eine grelle violette Flamme aus einem der fremden Fahrzeuge und hüllte ihn ein. Faergus schrie auf, als die furchtbaren Energien ihm in Sekunden das Fleisch von den Knochen brannten. Langsam kippte sein verkohltes Skelett von seinem schreienden Pferd, und Gedrik spürte, wie sich ihm angesichts des furchtbaren Todes seines Vetters der Magen umdrehte. Das Pferd ging mit einer blutigen Furche in der Flanke zu Boden, wo es von der Waffe der Fremden getroffen worden war. Gedrik rannte die Stufen zum Tempel empor und hämmerte an die Tür, während er Maerens Namen rief. Splitter lösten sich aus den Mauern des Gebäudes, da immer mehr Fremde in der Mitte des Dorfs eintrafen und wild und unkontrolliert auf ihn schossen. Er hechtete von der Treppe, rollte sich ab und sprang wieder auf. Er sah, wie die überlebenden Dorfbewohner von den Fremden zu Tode gehetzt wurden und eine schlanke, weißhaarige Gestalt in jadegrüner Rüstung auf dem führenden Fahrzeug alles beobachtete. Die Gestalt ließ in ungeduldigem Bogen eine Axt durch die Luft sausen, und Gedrik schrie auf, als die Dorfbewohner niedergeschossen wurden, wo sie gerade liefen und standen. Er wollte dem Anführer der Fremden seinen Dolch in die Brust bohren, wusste aber, dass er tot sein würde, bevor er auch nur in seine Nähe kam. Er sprang zurück in dem Wissen, dass die Leute im Tempel das Risiko, die Türen zu öffnen, jetzt nicht eingehen konnten, und rannte um die Ecke in der Hoffnung, dass sie die Sakristei noch nicht verbarrikadiert hatten. Gedrik hörte, wie Befehle gebrüllt wurden, und dann das tiefe
Bassgrollen einer mächtigen Waffe. Er betete, dass es jemandem gelungen war, den Gemeinden in der Nähe eine Warnung zu schicken. Die Tür zur Sakristei lag vor ihm, und er stieß einen Ruf der Erleichterung aus, als er sah, dass sie nur angelehnt war. Er erreichte die Tür, und seine Hand schloss sich um die eiserne Klinke. Bevor er die Tür öffnen konnte, explodierte der Tempel. Orangefarbene Flammen schossen pilzförmig in den Himmel und holten Gedrik von den Beinen. Schmerzen, wie er sie noch nie erlebt hatte, schlugen über ihm zusammen, als die Explosion ihn gegen den Hang hinter dem Gebäude schleuderte. Er fiel schlaff zu Boden, vom Aufprall bis ins Mark erschüttert. Seine Haut war verbrannt, und Teile seines Körpers waren infolge der unnatürlichen Flammen den Elementen ausgesetzt. Er spürte kühlen Schnee auf seinem Körper, konnte aber keine Schmerzen empfinden. Er wusste, dass das schlimm war. Schmerzen bedeuteten Leben. Er verdrehte die Augen, sodass er die rauchende Ruine des Tempels sehen konnte, dessen stützende Holzpfeiler wie verkohlte Rippen gen Himmel ragten. Er konnte keine Leichen ausmachen, wusste aber, dass niemand die Explosion überlebt haben konnte, und Kummer überwältigte ihn. Maeren, Rouari, Faergus, Mallein, Gohbar... alle nicht mehr da. Alle waren tot. Bald auch er. Sein Atem rasselte in seiner Kehle, während er das leise Summen der sich nähernden Fahrzeuge der Invasoren hörte und er sich aufzurichten versuchte, aber seine Glieder wollten ihm nicht gehorchen. Dumpf hörte er die melodischen Stimmen der Fremden, elegant, aber bedrohlich, und versuchte ihnen eine trotzige Verwünschung entgegenzuspeien. Doch die Stimmen passierten ihn und erklommen den Metallhügel. Er sah zu, wie der grün gerüstete Krieger auf den Hang zeigte und seine Leute anwies auszuschwärmen. Er hörte sie aufgeregt tuscheln, konnte aber nicht verstehen, was sie sagten. War seine Gemeinde aus diesem Grund abgeschlachtet worden? Für das Metall! Er hörte das Tosen von Flammen, und der Hang loderte auf. Es zischte, als der Schnee verdampfte. Die Fremden bearbeiteten
den Hang weiter mit ihren Flammen speienden Waffen und hörten erst auf, als eine verhüllte Gestalt in leuchtend roten Gewändern aus dem nächsten Vehikel der Fremden stieg und die Hand hob. Die Gestalt trat vor und betrachtete, was unter dem Schnee zum Vorschein gekommen war, und die Fremden keuchten leise, als sich der Dampf verzogen hatte. Wie Quecksilber fließend, funkelten die freigelegten Schichten im Sonnenlicht. Der gesamte Berghang glänzte metallisch. Der Hügel unter dem Schnee bestand ausschließlich aus einem glatten, silbernen Metall. Wo die Hitze der Flammen es verflüssigt hatte, kräuselte es sich und wogte hin und her wie ein lebendiges Wesen. Langsam nahm es seine alte Gestalt wieder an und verfloss zu einer Oberfläche glatt wie Glas, bis es einem gigantischen Spiegel ähnelte. Die verhüllte Gestalt sank vor dem Metallhügel auf die Knie und begann mit einem verzückten Singsang, dessen Worte heiser und künstlich klangen. Augenblicke verstrichen, bevor Gedrik aufging, dass er die Worte kannte. Er verstand sie zwar im Grunde nicht, kannte das Mantra aber aus der Zeit, die er mit Faergus in der Schmiede gearbeitet hatte. Es war ein Loblied auf den Omnissias. Den Maschinengott. Die berobte Gestalt erhob sich, wandte sich dem Anführer der Fremden zu und schlug die Kapuze zurück. Gedrik sah, dass das Gesicht der Gestalt zum großen Teil durch kybernetische Implantate ersetzt worden war. In der Mitte der Kehle unter den zugenähten Lippen ruhte eine messingumrahmte Sprecheinheit, aus der das Knistern leeren Rauschens drang. Kupferdraht schlängelte sich durch die Gewänder und verschwand in den leeren Augenhöhlen, und Gitterscheiben waren auf die runzlige Haut genäht, wo sich bei einem normalen Menschen die Ohren befanden. Die Haut war fahl und grau, aber trotz der vielen deformierenden Aspekte der widerwärtigen operativen Veränderungen an der Gestalt des Mannes konnte Gedrik erkennen, dass er ganz eindeutig ein Mensch war, und er wollte vor Entsetzen aufschreien, das dieser Verrat in ihm wachrief. Kalter Schmerz breitete sich in seinem Leib aus, und er wollte wieder schreien, aber Bewusstlosigkeit übermannte ihn und erlöste ihn von der Qual.
2. Kapitel Es war kalt, als Hauptmann Uriel Ventris von den Ultramarines die tausend Stufen zu den Gemächern des Ordensmeisters erklomm. Er trug seinen Helm in der Armbeuge, und sein Schritt war sicher, da die Kunstmuskeln in seiner Servorüstung einen Spaziergang aus der Kletterpartie machten, obwohl er aufgrund der Wunde, die er vor sechs Monaten auf Thracia erlitten hatte, immer noch leicht hinkte. Die Treppe wand sich an den Talhängen des Laponis empor, wo das großartigste Bauwerk auf Macragge stand, die Hera-Festung, die Bastion der Ultramarines. Aus großen, aus den Abhängen geschlagenen Marmorplatten erbaut, war dieses riesige Bauwerk ein gigantisches Meisterwerk von einer Säulenhalle, dessen Oberflächen in makellosem Weiß erstrahlten. Elegante Balkone, goldene Kuppeln und schlanke, von angewinkelten Stahlstreben gestützte gläserne Wegbrücken vermittelten den Eindruck sowohl von großer Kraft als auch von luftiger Schwerelosigkeit. Das Festungskloster der Ultramarines war ein Wunder der Baukunst, ersonnen vom Primarchen des Ordens, Roboute Guillaume, und errichtet in der Zeit des Großen Kreuzzugs des Imperators vor zehntausend Jahren. Seitdem residierte der Space-MarineOrden der Ultramarines hier. Die Festung lag zwischen den höchsten Gipfeln im Laponistal, umgeben von Hochlandföhren und neben den gewaltigen Herafällen. Gletscherwasser donnerte über die Kante auf die Felsen hunderte von Metern tiefer, und funkelnde Regenbogen spannten sich über die Breite des Tals. Uriel blieb stehen und betrachtete die Fälle, wobei er sich an seinen ersten Blick auf sie und auf das Gefühl der Ehrfurcht erinnerte, das ihn dabei überkommen hatte. Seine Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln, als ihm aufging, dass sich daran nichts geändert hatte. Er legte die Hand auf den Knauf seines Schwerts und spürte die Last der Verantwortung, die es repräsentierte. Während er die sorgfältig ausgearbeiteten Einzelheiten auf der meisterhaft geschmiedeten Scheide betrachtete, kehrten seine Gedanken zu dem Gemetzel auf der Rebellenwelt Thracia zurück, wo sein Kompanieführer und treuer Freund, Hauptmann Idaeus, ihm diese wunderbare Waffe geschenkt hatte, bevor er in den Tod gegangen war.
Mit der Zerstörung einer Brücke beauftragt, um die verräterischen Soldaten Thracias daran zu hindern, einer imperialen Armee in den Rücken zu fallen, war Idaeus' Trupp in einen verzweifelten Kampf gegen ein gewaltiges Feindkontingent verwickelt worden, das die Brücke einnehmen wollte. Einen Tag und eine Nacht hatten die dreißig Ultramarines etwa tausend Soldaten in Schach gehalten, bis ketzerische Krieger der Nachtlords in den Kampf eingriffen. Uriel schauderte, als er sich an sein Entsetzen beim Anblick seiner auf den Transportfahrzeugen der Nachtlords gekreuzigten Kameraden erinnerte, und wusste, dass er die Bilder ihrer schmerzverzerrten Gesichter mit ins Grab nehmen würde. Die Verräter-Marines hätten die Stellung der Ultramarines beinahe überrannt, aber dank eines verzweifelten Wagnisses von Idaeus, das ihn das Leben gekostet hatte, war die Brücke zerstört und der Angriff abgewehrt worden. Der Kummer über Idaeus' Tod schnürte ihm wieder die Kehle zusammen, aber er unterdrückte das Gefühl rasch und setzte seinen Weg nach oben fort. Es ziemte sich nicht, seinen Herrn und Gebieter warten zu lassen. Er stieg die Stufen höher, die in der Mitte glatt waren von unzähligen Schritten, und fragte sich kurz, wie viele wohl schon vor ihm diesen Weg genommen hatten. Schließlich erreichte er die breite Esplanade an der Spitze und warf einen Blick zurück auf den Weg, den er bei seinem Aufstieg genommen hatte. Schneebedeckte Berge erstreckten sich, so weit das Auge reichte, in alle Richtungen bis auf eine. Im Westen schimmerte der Horizont in einem tiefen Azurblau, wo Uriels genetisch verbessertes Sehvermögen in weiter Ferne die felsige Küstenlinie und das Meer ausmachen konnte. Die mit Kuppeln und Marmordächern versehenen Festungsbauten lagen terrassenförmig unter ihm, und jede Terrasse war eine eigene kleine Zitadelle. Er drehte sich auf dem Absatz um und schritt zu dem gewaltigen Bauwerk vor ihm. Er folgte einem Säulengang, der zu den Gemächern des Ordensmeisters der Ultramarines, Marneus Calgar, führte. Glänzende Bronzetüren schwangen auf, als er sich näherte, und zwei massige Krieger der Ersten Kompanie in den heiligen Terminatus-Rüstungen mit langen Hellebarden schritten mit bereitgehaltenen Waffen hindurch. Selbst Uriels gerüstete Gestalt wirkte zwergenhaft neben der
Masse der Terminatus-Rüstungen, und er nickte den Veteranen im Vorbeigehen auf dem Weg ins kühle Vestibül respektvoll zu. Ein Diener des Ordensmeisters in einer schlichten blauen Tunika tauchte neben ihm auf, nahm ihm den Helm ab und zeigte auf den Mittelhof des Bauwerks, ohne ein Wort zu sagen. Uriel bedankte sich und schritt die Treppe zum tiefer gelegenen Hof hinab, während er den Blick schweifen ließ und sich bemühte, jede Einzelheit aufzunehmen. Golden bestickte Schlachtstandarten hingen von den Hofbalkonen über schattigen Kreuzgängen, und Statuen von Helden der Ultramarines aus uralten Zeiten umringten einen plätschernden Springbrunnen in der mit Marmor verkleideten Mitte des Hofs. Er erkannte den Alten Galatan, einen ehemaligen Träger von Macragges Banner, und Hauptmann Invictus, einen Helden der Ersten Kompanie, der im Kampf gegen den Großen Verschlinger gefallen war. Der Springbrunnen hatte die Gestalt eines gewaltigen Kriegers auf einem mächtigen Streitross, der die Lanze in den Himmel erhoben hatte: Konor, der erste Kriegskönig Macragges, dessen Gesicht höchst kunstvoll in den Stein gemeißelt war, sodass die grimmige Entschlossenheit des Mannes zu sehen war, das Beste für sein Volk zu tun. Ein weiterer Diener kam mit einem Tablett, auf dem ein irdener Krug und zwei Silberpokale standen. Er stellte alles auf der Steinbank ab, die den Springbrunnen umringte, und zog sich lautlos zurück. Uriel umklammerte nervös den Knauf seines Schwerts und wünschte, er würde sich seiner Geschichte würdig fühlen. »Konor war ein Riese unter den Menschen«, sagte eine Stimme, in der Jahrhunderte der Autorität und Macht mitschwangen. »Er hat vor seinem einundzwanzigsten Geburtstag den ganzen Kontinent befriedet und Ereignisse in Gang gesetzt, die es dem heiligen Guillaume ermöglichten, der Mann zu werden, der er sein musste.« Uriel drehte sich zum Herrn über Macragge um, zu Marneus Calgar. »Daran kann ich mich nach meinem Unterricht in der AgiselusKaserne noch gut erinnern, Milord«, erwiderte Uriel mit einer tiefen Verbeugung. »Eine hervorragende Einrichtung. Dort ist auch Guillaume ausgebildet worden.« Uriel lächelte über Calgars Bescheidenheit, da er sehr wohl
wusste, dass auch der Ordensmeister seine Ausbildung dort erhalten hatte. Der Herr der Ultramarines war ein Riese von einem Mann, selbst nach den Maßstäben der Space Marines. Der Glanz seiner blauen Rüstung schien kaum in der Lage zu sein, seine Kraft und Dynamik einzudämmen. Der zweiköpfige Imperiumsadler aus Bronze auf seiner rechten Schulter glänzte wie poliertes Gold. Schwarze Ringe baumelten an seinem rechten Ohrläppchen, und sein linkes Auge war durch eine schlichte, edelsteinartige bionische Version ersetzt worden. Feiner Kupferdraht zog sich von dessen Mechaniken zu seinem Hinterkopf. Calgars ehrwürdiges Gesicht schien aus Eiche geschnitzt zu sein, doch hatte er nichts von seiner Schläue und Intelligenz eingebüßt. Über vierhundert Jahre alt beneideten ihn halb so alte Krieger um seine Kraft und Vitalität. »Guten Tag, Bruder«, grüßte Calgar, indem er beide Handflächen auf die Schulterschützer von Uriels Rüstung legte. »Es ist schön, Sie zu sehen, Uriel. Mein Stolz und meine Bewunderung gehören Ihnen. Die Siege auf Thracia waren aller Ehren wert.« Uriel verbeugte sich in Anerkennung des Kompliments, und Calgar lud ihn ein, Platz zu nehmen. Der Herr der Ultramarines ließ sich auf der Bank nieder und goss Wein aus dem irdenen Krug in die Pokale, um Uriel dann einen anzubieten. In Calgars massigem Panzerhandschuh sah der Pokal geradezu absurd winzig aus. »Meinen Dank.« Uriel kostete den kühlen Wein und wartete schweigend ab. Seine raubvogelartigen Züge waren ernst und kantig, die Augen hatten die Farbe von Gewitterwolken. Er trug seine schwarzen Haare stoppelkurz, und in der Braue über dem linken Auge saßen zwei goldene Stecker. Uriel war ein geborener Krieger und stammte von der unterirdischen Höhlenwelt Calth. Dank seiner Heldentaten stand er bei den Ultramarines in dem Ruf, ein Krieger von großer Kraft und Leidenschaft zu sein, und seine Ergebenheit dem Orden gegenüber war beispielhaft. »Idaeus war ein hervorragender Krieger und ein wahrer Freund«, stellte Calgar fest, der Uriels Gedanken erriet. »Das war er in der Tat«, stimmte Uriel zu, indem er die Hand auf die gepunzte Schwertscheide legte. »Das hat er mir gegeben, bevor er sich daran gemacht hat, die Brücke auf Thracia zu zerstören. Er sagte, es würde mir bessere Dienste leisten als ihm, aber ich weiß nicht, ob ich ihm die gebührende Ehre erweisen
oder ihn als Führer der Vierten Kompanie ersetzen kann.« »Er hätte nicht gewollt, dass Sie ihn lediglich ersetzen, Uriel. Er hätte gewollt, dass Sie Ihren eigenen Weg gehen und die Vierte Kompanie zu Ihrer Kompanie machen.« Calgar stellte seinen Pokal ab. »Ich habe Idaeus gut gekannt, Hauptmann Ventris«, begann er, indem er Uriel mit seinem neuen Rang anredete, »und war mir seiner... unorthodoxen Methoden sehr wohl bewusst. Er war ein Mann mit vielen Talenten und einem aufrichtigen Herzen. Sie haben ihm viele Jahre gedient und wissen ebenso gut wie ich, dass Idaeus das Schwert, das er selbst geschmiedet hat, keinem, unwürdigen Mann vermacht hätte.« Calgars Miene war wie in Stein gemeißelt, als er fortfuhr. »Bedenken Sie dies, Sohn Guillaumes, der Vater unseres Ordens wacht immer über uns. Er kennt Ihre Seele, Ihre Stärken und, aye, sogar Ihre Ängste. Ich teile Ihren Schmerz über den Verlust von Bruder-Hauptmann Idaeus, aber seinen Namen mit Kummer zu entehren, ist falsch. Er hat sein Leben gegeben, damit seine Schlachtbrüder leben und die Feinde des Imperators besiegt werden konnten. Ein Krieger kann sich keinen besseren Tod wünschen. Hauptmann Idaeus war der dienstälteste Offizier, und Sie hatten die Pflicht, seine Befehle zu befolgen. Die Befehlskette darf nicht durchbrochen werden, sonst sind wir nichts. Disziplin und Ordnung sind alles auf dem Schlachtfeld, und die Armee, die diesem Credo folgt, wird immer siegreich sein« Vergessen Sie das nicht.« »Niemals«, bestätigte Uriel. »Verstehen Sie alles, was ich gesagt habe?« »Jawohl.« »Dann werden wir heute nicht mehr über Idaeus reden, sondern über zukünftige Schlachten, denn ich brauche die Vierte Kompanie.« Uriel stellte seinen Pokal ab, und beim Gedanken daran, dem Imperator wieder dienen zu können, machte sich Vorfreude in ihm breit. »Wir sind zum Kampf bereit, Lord Calgar«, verkündete Uriel stolz. Calgar lächelte, da er diese Antwort erwartet hatte. »Ich weiß, dass Sie das sind, Uriel. Einige Wochen von Ultramar entfernt gibt es eine Welt, die Ihrer Anwesenheit bedarf. Sie heißt Pavonis und
leidet unter Verwüstungen durch die Piraterie der verwünschten Eldar.« Uriels Miene verhärtete sich voller Verachtung bei der Erwähnung der Eldar, dekadenter Nichtmenschen, die sich weigerten, das göttliche Recht der Menschheit anzuerkennen, über die Galaxis zu herrschen. Uriel hatte schon gegen die Eldar gekämpft, wusste jedoch wenig über ihre blasphemischen, nichtmenschlichen Sitten und Bräuche. Die Schulungspredigten der Kaplane hatten ihn gelehrt, dass ihre Arroganz jeder Beschreibung spottete und man ihnen nicht trauen konnte, was für Uriel genug war. »Wir werden sie aufspüren und vernichten, wie es sich für nichtmenschliche Verräter gehört, Milord.« Calgar schenkte Wein nach und hob den Pokal. »Ich trinke auf die Schlachten und Siege, die da kommen werden, Uriel, aber Sie müssen noch aus einem anderen Grund nach Pavonis.« »Und der wäre?« »Im Administratum ist man sehr verärgert über die planetare Statthalterin von Pavonis. Man will sich mit ihr über die ausbleibenden Zahlungen der richtigen und angemessenen Abgaben für eine imperiale Welt auseinander setzen. Sie sollen einen Adepten des Administratums nach Pavonis bringen und dafür sorgen, dass er sein Missvergnügen übermitteln kann. Ich unterstelle seine Sicherheit Ihrer persönlichen Verantwortung, Hauptmann.« Uriel nickte, obwohl er nicht wusste, warum dieser spezielle Sesselpupser so einen umfangreichen Schutz bekam, und tat diese Überlegung dann als irrelevant ab. Dass Lord Calgar ihm die Sicherheit des Mannes anvertraute, war genug Grund, um dafür zu sorgen, dass ihm kein Leid geschah. »Lordadmiral Tiberius hat die Vae Victus startklar gemacht, und Ihr Schutzbefohlener wird morgen mit detaillierten Informationen an Bord gehen. Ich erwarte von Ihnen und Ihren Männern, dass sie sich vor dem nächsten Sonnenuntergang zur Abreise einfinden.« »So wird es sein, Lord Calgar«, versicherte Uriel, der sich wahrhaft geehrt fühlte ob des Vertrauens, das der Herr der Ultramarines ihm entgegenbrachte. Er wusste, er würde eher sterben als dieses Vertrauen enttäuschen. »Dann gehen Sie, Hauptmann Ventris«, befahl Calgar, indem er sich erhob und Uriel salutierte. »Huldigen Sie dem Schrein des Primarchen, und verständigen Sie dann Ihre Männer.«
Calgar streckte die Hand aus, und die beiden Krieger besiegelten ihren gegenseitigen Eid der Treue und der Courage mit dem Krieger-Griff, Hand um Unterarm. Uriel verbeugte sich tief vor Calgar und marschierte mit gestärkter Zuversicht aus dem Hof. Calgar sah seinem jüngsten Hauptmann nach, wie er durch die Bronzetüren und in die Abendsonne ging, und wünschte, er hätte ihm mehr sagen können. Er hob seinen Pokal und leerte ihn mit einem Schluck. Sein verschärftes Hören registrierte das Rascheln von Stoff hinter sich, und ohne sich umzudrehen, wusste er, wer hinter ihm im Schatten der Kreuzgänge stand. »Dieser Mann trägt jetzt eine sehr große Verantwortung, Lord Calgar. Hier steht sehr viel auf dem Spiel. Wird er es schaffen?«, fragte der Neuankömmling. »Ja«, sagte Marneus Calgar leise, »ich glaube, das wird er.« Uriel marschierte an der goldenen Prozession entlang und durch Trauben berobter Pilger, ohne die Blicke voll verwunderten Staunens wahrzunehmen, die seine Anwesenheit provozierte. Er überragte jene, welche gekommen waren, um einen der heiligsten Orte im Imperium zu besuchen, um Kopf und Schultern, und er spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte, als er sich dem Zentrum des Tempels der Besserung näherte. Wie ein Großteil der Hera-Festung wurde auch der Entwurf des Tempels Roboute Guillaume zugeschrieben. Seine Proportionen und die Pracht seiner Verzierungen widersetzten sich dem Begriffsvermögen. Vielfarbiges Licht fiel durch einen gewaltigen Torbogen vor ihm, Licht der tief stehenden Abendsonne, das in goldenen, blauen, roten und grünen Strahlen durch die Buntglaskuppel fiel. Die Pilgerscharen teilten sich vor ihm, da sein Status als einer der Auserwählten des Imperators ihm stillen Vorrang über ihr Verlangen einräumte, den gesegneten Guillaume mit eigenen Augen zu erblicken. Wie immer schnürte sich ihm in der Ehrfurcht gebietenden Gegenwart des Primarchen die Kehle zu, und er schlug die Augen nieder, da er nicht würdig war, den Blick zu lange auf dem Gründervater des Ordens ruhen zu lassen. Die massiv gerüstete Gestalt von Roboute Guillaume, dem Primarchen der Ultramarines, saß auf einem gewaltigen Marmorthron, seit zehntausend Jahren in der Gruft eines Stasenfelds ein-
gebettet. Dem Primarchen zu Füßen lagen sein Schild und seine Waffen, und hinter ihm stand das erste Banner Macragges, das angeblich aus den geschorenen Haaren von tausend Märtyrern gewebt und von der Hand des Imperators berührt worden war. Uriel spürte seine Brust vor Stolz darüber anschwellen, dass in seinen Adern das Blut dieses gewaltigsten aller Helden und Krieger floss, der schon in den Zeiten des Großen Kreuzzugs gelebt hatte. Er sank auf ein Knie, überwältigt von der Ehre, die seine bloße Existenz war. Selbst im Tod kündeten die Züge des Primarchen von großer Courage und Kraft, und ohne die glänzende Halswunde hätte Uriel geschworen, der gewaltige Krieger könne aufstehen und aus dem Tempel marschieren. Er verspürte einen kalten, stählernen Zorn, als sein Blick auf die scharlachrote Wunde fiel. Perlen von Blut wie winzige, funkelnde Rubine hingen unbeweglich unter dem Hals des Primarchen, da sie vom statischen Zeitfeld in der Gruft in der Luft gehalten wurden. Guillaumes Leben war von der vergifteten Klinge des Verräter-Primarchen Fulgrim von den Imperatorkindern ein Ende gesetzt worden. Seine Werke waren zunichte gemacht worden und sein Vermächtnis war unerfüllt geblieben, und darin lag die große Tragödie von Guillaumes Tod. Einige glaubten, die Wunden des Primarchen würden langsam heilen, und behaupteten, er werde sich eines Tages von seinem Thron erheben. Wie sich solch eine Unmöglichkeit in der zeitversiegelten Blase eines Stasenfelds zutragen sollte, war eine Angelegenheit, welche diese Propheten auf den unfehlbaren Willen des Imperators zurückführten. Er konnte die Anwesenheit der schweigenden Massen hinter sich spüren und war sich ihrer heiligen Wertschätzung für ihn bewusst, obwohl er sich solcher Verehrung für unwürdig hielt. Er wusste, dass er sich durch solche Gedanken von der Mehrheit seiner Brüder unterschied, aber Idaeus hatte ihn gelehrt, über die Grenzen des konventionellen Denkens hinwegzuschauen. Die gewöhnlichen gesichtslosen Massen der Menschheit waren die wahren Helden der Galaxis. Die Männer und Frauen des Imperiums, die nackt und verwundbar vor den Schrecken eines unendlichen Universums standen und sich weigerten, sich seiner schier unbegreiflichen Riesen-haftigkeit zu beugen. Für diese Menschen existierte er. Sein Lebenszweck bestand darin, sie zu beschützen, sodass sie fortfahren konnten, die manifeste Bestimmung der
Menschheit zu erfüllen, im Namen des Imperators über die Galaxis zu herrschen. Die meisten waren viele Monate oder sogar Jahre gereist und hatten tausende von Lichtjahren zurückgelegt und alles geopfert, was sie besaßen, um hier sein zu können, aber jeder Einzelne von ihnen wahrte einen respektvollen Abstand, da einer der Söhne Guillaumes seinen Primarchen ehrte. Uriel sank auf ein Knie und flüsterte: »Verzeiht mir, Herr, aber ich trete vor Euch, um Euren Segen zu erbitten. Ich führe meine Männer in den Krieg und bitte darum, dass Ihr mir den Mut und die Klugheit gebt, sie in Ehren durch das Feuer der Schlacht zu führen.« Uriel schloss die Augen und ließ sich von seiner Umgebung mit deren Gelassenheit und Majestät erfüllen. Er holte tief Luft, und seine Sinne wurden vom Geruch verblasster Schlachtenbanner erfüllt, mit denen die Peripherie der hohen Kuppeldecke behangen war. Empfindungen überfluteten ihn, als die im hinteren Teil seines Mundes befindliche Neuroglottis den chemischen Inhalt der Luft analysierte, die nach fremden Welten und in alten Zeiten ausgefochtenen Kreuzzügen roch. Erinnerungen brachen über ihn herein, und ganz besonders eine, die bereits über ein Jahrhundert alt war, setzte sich in seinen Gedanken fest. Er war gerade vierzehn und vor kaum einem Monat zum ersten Mal zum Hera-Tempel gebracht worden. Uriel rannte bergauf, seine Lunge brannte, da ihn seine langen Schritte rasch durch die ausgedehnten immergrünen Wälder des hohen Bergs trugen. Seine körperliche Tüchtigkeit war bereits besser als die der meisten anderen von den Ultramarines ausgewählten Rekruten, und nur Learchus war jetzt noch vor ihm. Aber Uriel holte auf. Die Arbeit in den Höhlenfarmen von Calth und die Ausbildung in der Agiselus-Kaserne hatte seinen Körper hager und hart werden lassen, und er wusste, dass seine Ausdauer reichte, um Learchus vor der Spitze einzuholen. Nur Cleander war dicht hinter ihm, aber Uriel konnte jetzt keinen Blick zurückwerfen, um festzustellen, wie nah ihm Learchus' Freund war. Uriel schloss die Lücke zwischen sich und Learchus, und jetzt trennten sie nur noch ein paar Schritte. Er grinste, da er sich dem größeren Jugendlichen langsam näherte, und seine gesamte Energie konzentrierte sich darauf, den Führenden des Ren-
nens zu überholen. Cleanders Schritte waren nahe, aber Uriel war zu erpicht darauf, Learchus einzuholen. Learchus warf einen Blick über die Schulter. Die Besorgnis auf seinen erschöpften Zügen war offensichtlich, und Uriel frohlockte. Er konnte das Wissen um die Niederlage auf Learchus' Gesicht geschrieben sehen und strengte sich noch mehr an. Uriel wich ein wenig nach rechts aus, um Learchus zu überholen, während er die brennenden Schmerzen in seinen Oberschenkeln zurückdrängte, da er seinen Schritt noch beschleunigte. Learchus schaute zurück, als er Uriel im Augenwinkel erblickte, und stieß den Ellbogen nach hinten. Blut spritzte aus Uriels Nase, und seine Augen füllten sich mit Wasser. Blendendes Licht explodierte vor seinen Augen, und er stolperte vorwärts, während er unwillkürlich die Hände vor das Gesicht schlug. Er spürte, wie von hinten seine Schultern gepackt wurden, und schrie auf, als Cleander ihn vom Weg stieß. Er fiel schwer und schlug mit der gebrochenen Nase auf die hart gestampfte Erde. Er hörte Gelächter, und eine schreckliche Wut überkam ihn. Uriel versuchte sich benommen aufzurappeln und wischte sich Blut von Nase und Kinn, aber Schwindel übermannte ihn, und er brach zusammen. Durch den Nebel der Schmerzen registrierte er, dass er von anderen Rekruten überholt wurde, die seinen Angreifern zur Spitze des Bergs folgten. Eine Hand schloss sich um seinen nackten Arm und zog ihn hoch. Uriel blinzelte Schmerztränen weg, sah seinen ZugKameraden Pasanius und hielt sich an den Schultern seines Freundes fest, da er sich langsam erholte. »Lass mich raten«, keuchte Pasanius außer Atem. »Learchus?« Uriel konnte nur nicken und wütend den Berg emporschauen. Learchus war jetzt weit voraus und beinahe oben. »Kannst du laufen?« »Aye, ich kann laufen«, fauchte Uriel. »Auf direktem Weg zur Spitze, wo ich diesem betrügerischen Tier den Schädel einschlage!« Er schüttelte Pasanius' Hand ab und setzte sich wieder in Bewegung, und bei jedem Aufsetzen seiner nackten Füße schossen heiße Schmerzwellen durch sein Gesicht. Blut lief reichlich aus seiner Nase, und er begrüßte dessen bitteren, metallischen Geschmack im Mund, da sich sein Zorn steigerte. Er überholte Läu-
fer, die er kaum zur Kenntnis nahm, da sein Kopf von Rachegedanken erfüllt war. Uriel erreichte die Bergspitze und stolperte zu dem Hügelgrab in der Mitte des kleinen, felsigen Plateaus. Er berührte die Säule aus Felsen und wandte sich der Stelle zu, wo Learchus und Cleander saßen. Zerklüftete schwarze Berge erstreckten sich, so weit das Auge reichte, aber Uriel schenkte der spektakulären Aussicht keine Beachtung, als er zu Learchus marschierte, der ihn wachsamen Auges beobachtete. Cleander erhob sich und trat zwischen die beiden, und Uriel sah Verärgerung über Learchus' Miene huschen. Cleander war jünger als Uriel, aber einen halben Kopf größer, und auf seiner schweißnassen Brust zeichneten sich dicke Muskelstränge ab. Uriel blieb stehen und begegnete dem Blick des größeren Jungen, dann verpasste er ihm einen Schlag mit dem Handballen in den Solarplexus. Cleander klappte zusammen, und Uriel ließ kraftvolle Haken ins Gesicht und an den Hals folgen und beendete den Kampf mit einer gewaltigen rechten Geraden. Der größere Junge ging zu Boden, und Uriel stieg über seine ächzende Gestalt hinweg und ging weiter auf Learchus zu. Der Junge erhob sich, wich zurück und nahm die Haltung eines Boxers an, die Fäuste hoch erhoben. »Du hast betrogen«, klagte Uriel ihn an, indem er ebenfalls die Fäuste hob. Learchus zuckte die Achseln. »Ich habe das Rennen gewonnen«, stellte er fest. »Und du glaubst, mehr zählt nicht? Nur das Gewinnen?« »Natürlich«, erwiderte Learchus höhnisch. »Wenn du etwas anderes glaubst, bist du ein Idiot.« Die beiden umkreisten sich drohend, während die letzten Rekruten die Bergspitze erreichten. »Hast du denn nichts in Agiselus gelernt, Learchus? Ein Sieg ist nichts wert, wenn du deine Ehre nicht bewahrst.« »Was erlaubst du dir, mir eine Strafpredigt zu halten, Bauernjunge!«, schnauzte Learchus. »Du hättest gar nicht dort sein dürfen. Ich habe mir meinen Platz wenigstens verdient. Ich habe ihn nicht wegen meiner Abstammung bekommen.« »Ich habe mir meinen Platz auch anständig verdient, Learchus«, erwiderte Uriel finster. »Lucian hatte mit meiner Aufnahme nichts zu tun.«
»Pferdemist! Ich kenne die Wahrheit in dieser Angelegenheit«, zischte Learchus, indem er vorwärts tänzelte und Uriel einen Hieb an die Schläfe verpasste. Uriel ging mit dem Schlag und nahm ihm so die Wucht und packte den Unterarm seines Gegners mit beiden Händen. Er wirbelte herum und brachte Learchus aus dem Gleichgewicht, dann ließ er sich auf ein Knie sinken und warf ihn über die Schulter. Learchus schrie, als er durch die Luft flog, und grunzte, als ihm beim Aufprall auf den Boden die Luft aus dem Leib gepresst wurde. Uriel riss den Arm des Jungen nach hinten, spürte, wie der Knochen brach, und hörte das Knirschen des Aneinanderreibens der gesplitterten Knochenenden über Learchus' Schmerzensschrei. Uriel ließ den Arm los und ging zum Hügelgrab zurück. Er ließ sich dagegen sinken, da Erschöpfung und Schmerzen mit doppelter Wucht zurückkehrten. Eine Gruppe von Jungen eilte den am Boden liegenden Rekruten zu Hilfe, und plötzlich empfand Uriel Scham. Learchus war allgemein beliebt, und Uriel würde nichts davon haben, ihn besiegt zu haben. Aber er konnte die Tat nicht rückgängig machen und musste mit den Konsequenzen leben. Ein Schatten fiel über ihn, und er sah Pasanius mit vorwurfsvoller Miene vor sich stehen. Sein Freund setzte sich neben ihn. »Das hättest du nicht tun sollen, Uriel.« »Ich weiß. Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen, wirklich.« »Learchus wird dich dafür hassen.« »Meinst du, ich sollte mich bei ihm entschuldigen?« »Ja, aber nicht jetzt. Du hast ihn öffentlich gedemütigt, und im Augenblick würde er eine Entschuldigung nicht annehmen. Rede mit ihm, wenn wir in die Festung zurückkehren und sein Arm von den Apothekern gerichtet wurde.« »Ich werde tun, was du sagst, mein Freund. Es war dumm mein Zorn hat mich geblendet.« »Wenigstens ist dir klar, dass es dumm war. Vielleicht haben sie dir in Agiselus ja doch etwas in deinen dicken Bauernschädel eingetrichtert«, grinste Pasanius. »Vorsicht«, warnte Uriel, »sonst muss ich dich auch noch umhauen.«
»Du kannst es ja versuchen, Bauernjunge, aber um mich umzuhauen, musst du mehr draufhaben.« Uriel lachte in dem Wissen, dass Pasanius Recht hatte. Sein Freund war ein Riese von einem Jungen. Obwohl gerade erst in seinem fünfzehnten Sommer, war Pasanius bereits größer als die meisten erwachsenen Männer. Seine Muskeln zeichneten sich unter der sonnengebräunten Haut wie Stahlkabel ab, und keiner der anderen Rekruten hatte ihn bisher in einem Wettbewerb geschlagen, in dem es auf Kraft ankam. »Komm«, sagte Pasanius, indem er sich erhob, »wir müssen uns bewegen. Du weißt, dass Clausel das Tor bei Sonnenuntergang schließt, und vielleicht bin ich ja der Einzige, aber ich habe keine Lust auf noch eine Nacht in den Bergen.« Uriel nickte und erhob sich ächzend, da seine Muskeln ob der jähen Aktivität protestierten. Ihm ging auf, dass er es versäumt hatte, sie nach dem Ende des Laufs zu dehnen, und beschimpfte sich im Stillen wiederum als Dummkopf. Die Rekruten setzten sich mit Pasanius an der Spitze in Bewegung und wechselten sich ab, dem kalkweißen Learchus zu helfen, der unter Einwirkung von Schock und Schmerzen nur dahinstolperte. Der Unterarm des Jungen war dick angeschwollen, die Haut hatte sich violett verfärbt, und ein paarmal auf dem Weg nach unten verlor er fast das Bewusstsein. Uriel bot ein Mal seine Hilfe an, doch die finsteren Mienen der anderen Rekruten ließen ihn von weiteren Angeboten dieser Art absehen. Bei Erreichen der Hera-Festung erzählte Learchus den Apothekern, er habe sich den Arm bei einem Sturz gebrochen, und in den folgenden Tagen bildete sich eine Kluft zwischen Uriel und den anderen. Die Erkenntnis, dass sie existierte, reichte jedoch nicht, um ihre Verbreiterung zu verhindern, und in den anschließenden Jahren blieb Pasanius Uriels einziger wahrer Freund. Im Tempel der Besserung öffnete Uriel die Augen, schüttelte die letzten flüchtigen Erinnerungen ab und erhob sich zu voller Größe. Er dachte nur noch selten an seine Zeit als Kadett zurück und war überrascht, dass er es heute getan hatte. Vielleicht war es ein Omen, eine Botschaft, die ihm der gesegnete Primarch hatte zukommen lassen. Er hob den Blick, schaute ins Antlitz von Roboute Guillaume und suchte nach einem Hinweis auf ihre Bedeutung, aber der tote Primarch saß weiterhin reglos auf seinem
Thron. Uriel spürte die Last der Befehlsgewalt schwer auf seinen Schultern, und er marschierte durch die Kammer, um vor einer bronzeumrandeten Tafel an der gewölbten Innenwand des Allerheiligsten des Tempels stehen zu bleiben. Die innere Peripherie des Tempels wurde von gewaltigen Platten aus glattem schwarzem Marmor gesäumt, die alle mit feinen Adern aus Jade durchsetzt waren. In diese Platten waren mit Goldbuchstaben die Namen aller Ultramarines eingelassen, die in der zehntausendjährigen Geschichte des Ordens gefallen waren. Tausende und abertausende von Namen umgaben den Primarchen, und Uriel fragte sich, wie viele noch hinzukommen würden, bevor er an diesen heiligen Ort zurückkehrte. Würde sein eigener dazugehören? Sein Blick wanderte die Tafel vor ihm entlang, die den hundert Kriegern der Ersten Kompanie gewidmet war, welche vor über zweihundertfünfzig Jahren gegen den nichtmenschlichen Schrecken der Tyraniden zwischen Macragges nördlichen Abwehrfestungen gekämpft hatten. Schließlich blieb er an einem einzelnen Namen gleich unter der Widmung für den heldenhaften Hauptmann Invictus der Ersten Kompanie haften. Veteransergeant Lucian Ventris. Uriels Finger zeichnete die Runen mit dem Finger nach. Er war stolz darauf, seinen Namen zu tragen. Seine zufällige Verwandtschaft mit einem Helden des Ordens hatte Uriel das Recht eingeräumt, in der prestigeträchtigen Agiselus-Kaserne ausgebildet zu werden, aber er hatte es seinen Fähigkeiten und seiner Entschlossenheit zu verdanken, dass er von den Ultramarines ausgewählt worden war. Uriel verbeugte sich, um seinen Vorfahr zu ehren, dann salutierte er zackig, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und aus dem Tempel marschierte. Er musste eine Kompanie auf den Krieg vorbereiten.
3. Kapitel Der Lärm hunderter brüllender Stimmen war ohrenbetäubend. Liktor Virgil Qrtega von den Adeptus Arbites auf Pavonis schlug seinen Schild ins Gesicht eines schreienden Mannes in schwerem
Overall und ließ seinen Schockstab in brutalem Bogen herabsausen. Leiber drängten sich um ihn, während er nach rechts und links schlug. Hände griffen nach ihm, da er und sein Trupp die wogende Masse zurückdrängten. Ein schreiender Mann griff nach seiner schwarzen Uniform, und er hieb mit dem Schockstab zu und brach den Knochen. Schreie der Schmerzen und der Wut ertönten, aber Ortega hatte nur eine Priorität, die Aufwiegler daran zu hindern, Statthalterin Shonai zu erreichen. Er sah, dass ihre Gruppe bereits einen Mann weniger zählte. Liktor Sharben kämpfte neben ihm und duckte den unbeholfenen Schlag eines massigen Schraubenschlüssels ab, um ihrem Angreifer dann ihren Stab in den Bauch zu rammen. Selbst inmitten des chaotischen Aufruhrs war Ortega beeindruckt. Für einen Neuling hielt sie sich beachtlich, nicht schlechter als ein Veteran nach zehn Jahren Dienst. Überall knüppelten schwarz gerüstete Liktoren Aufrührer vom Gouverneurspodium herunter. Dieser Abschnitt des Platzes war ein Schlachtfeld. Wider alle Vernunft und Ratschläge hatten Statthalterin Mykola Shonai und die führenden Kartellmitglieder beschlossen, sich in einer öffentlichen Ansprache an einen Teil des Arbeiterkollektivs von Brandontor zu wenden, um ihnen zu versichern, dass die so genannte »Zehntsteuer« nur eine vorübergehende Maßnahme sei. Daraufhin hatten sich zwangsläufig die Gemüter erregt, und die Bekundungen der Arbeiter waren beleidigend geworden. Die Dinge waren rasch eskaliert, und kurz darauf waren Flaschen und Steine geflogen. Die meisten dieser Wurfgeschosse hatten seine Männer mit den Schilden abgewehrt, als plötzlich ein Schuss gefallen war und einen aus seiner Truppe ins Bein getroffen hatte. Dann war alles zugleich passiert. Mehr Schüsse waren gefallen, und Ortega hatte einen seiner Männer mit fehlendem Hinterkopf zusammenbrechen sehen. Er war nach vorn gefallen und hatte die Statthalterin mit zu Boden gerissen. Ortega wusste nicht, ob sie getroffen worden und woher der Schuss gekommen war, und er hatte keine Zeit gehabt, es herauszufinden. Wichtig war nur, dass irgendein Bastard da draußen mit einer Schusswaffe soeben die Einsätze erhöht hatte. Wenn diese Leute das Spiel auf diese Art spielen wollten, war Virgil Ortega nur allzu bereit. Die Leibgarde der Statthalterin wich aus dem Epizentrum des Aufruhrs zurück und trug sie und die Mitglieder des Kartells aus der Zone unmittelbarer Gewalt, aber Ortega sah, dass sie die fal-
sche Richtung eingeschlagen hatten. Sie ließen sich zu den Toren des imperialen Palasts zurückfallen, aber die verdammten Narren konnten nicht sehen, dass andere Aufrührer den Weg dorthin versperrten. Einige Elemente der Menge waren an den Seiten auf dem Vormarsch, um das Podium einzuschließen. Die Adeptus Arbites hielten die Menge zurück, unterstützt von den Wasserwerfern der Aufruhrunterdrückungsfahrzeuge, aber ihre Reihen bogen sich durch, und es war nur eine Frage der Zeit, bis der Druck der Leiber zu groß sein würde, um ihm noch standzuhalten. Die Statthaltergarde entfernte sich aus dem Schutzbereich der Adeptus Arbites, und soweit Ortega erkennen konnte, waren nur er und seine Männer in der Lage, die Statthalterin lebend aus diesem Chaos zu holen. »Sharben!«, rief er. »Nehmen Sie sich einen Mann und holen Sie ein Aufruhrunterdrückungsfahrzeug her. Sammeln Sie die Statthalterin ein und bringen Sie sie in den Palast. Beeilung!« Sharben nickte, das Gesicht unsichtbar hinter dem verspiegelten Visier ihres Helms. Augenblicke später schlug sie die Richtung zu einem der Fahrzeuge ein und nahm ein Mitglied ihres Trupps mit. Die übrigen Liktoren in Ortegas Reihe wichen stetig vor der Menge zurück, die nur zögernd nachrückte, da die vordersten Aufrührer ihnen aus Angst vor den Schockstäben nicht zu nahe kommen wollten. Diese gegenwärtige Unruhe war ziemlich beängstigend, aber Ortega hatte schon schlimmeren Aufruhr als diesen unterdrückt und konnte erkennen, dass die Gewalt sich noch nicht sonderlich ausgeweitet hatte. Jene im Zentrum der Menge hatten niemanden, an dem sie ihre Wut auslassen konnten, und drängten einfach vorwärts. Wenn Sharben es schnell genug zur Statthalterin schaffte, konnten sie die Situation immer noch bereinigen. Ortega hielt in der Reihe nach Sergeant Collix Ausschau und winkte ihn zu sich. »Collix, Sie halten hier die Stellung. Sharben und ich werden versuchen, die Statthalterin wegzubringen.« »Wird gemacht!«, rief Collix und kehrte an seinen Platz zurück. Ortega wandte sich ab, zog sich aus der Reihe zurück und hakte seinen Schockstab im Gürtel ein. Er war ein wenig skeptisch wegen Collix, aber er war der dienstälteste Liktor in der Reihe. Ortega zog die Sprechkugel an seinem Helm vor den Mund und schaltete sich ins Sicherheits-Kommnetz der Statthalterin ein.
»Hier spricht Liktor Ortega für Sicherheitstrupp Primus. Bleiben Sie, wo Sie sind. Ihr Weg führt Sie in noch größere Schwierigkeiten. Wir sind in Kürze bei Ihnen. Ich wiederhole, bleiben Sie, wo Sie sind.« Ortega schob die Sprechkugel zurück in seinen Helm, ohne auf eine Bestätigung zu warten, und machte sich auf den Weg zur Statthalterin. Er hörte Collix hinter sich Befehle schreien, konnte die Worte aber nicht verstehen. Er blieb wie angewurzelt stehen, als er das unverwechselbare Geräusch des Entsicherns von Schrotflinten hörte. Kalte Angst packte ihn. Die ganze Reihe der Liktoren hatte ihre Waffen auf die Menge gerichtet. Beim Thron des Imperators, sie würden auf Zivilisten schießen! »Steckt die verdammten Waffen weg!«, brüllte Ortega, aber es war zu spät. Die Liktoren feuerten aus nächster Nähe in die Menge. Die Aufrührer zuckten, Dutzende fielen tot zu Boden. Pulverrauch verdeckte das Gemetzel, aber Ortega fluchte, als er den Urschrei der Wut von jenen hörte, welche die Schüsse überlebt hatten. Die Menge wogte vorwärts, und die Schrotflinten schossen erneut. Mehr Leute fielen, aber hinter diesen drängten noch tausende nach vorn. Männer und Frauen wurden zu Tode getrampelt, wenn sie über die Leiber der Gefallenen stolperten und zu Boden gingen. Die Schreie der Wut aus der Menge wichen jetzt solchen der Panik. Wie ein Mann gingen die Liktoren einen Schritt vorwärts. Sie feuerten noch zwei Salven in die Menge, bevor Ortega sie erreichte und schrie: »Feuer einstellen! Die Waffen zurück ins Halfter! Das ist ein Befehl, verflucht! Sofort die Waffen weg!« Die Liktoren halfterten die Waffen, während sich der Rauch vor ihnen verzog. Hunderte von Leichen lagen auf dem Boden, von den Schrotschüssen aus nächster Nähe brutal verstümmelt. Blut bedeckte das Pflaster des Platzes, und das Stöhnen der Sterbenden ging im Geschrei der von Panik erfüllten Menge unter. Die Aufrührer waren einstweilen zurückgewichen, aber Ortega war klar, dass sie jeden Augenblick nach ihrem Blut schreien und sich auf sie stürzen würden. »Rückzug!«, brüllte Ortega. »Alles zurück zu den Rhinos. Wir räumen den Platz - jetzt!« Ortega nahm seine Männer aus der Verteidigungslinie, die teilweise jetzt erst zur Kenntnis nahmen, was für ein Gemetzel sie
mit ihren Waffen angerichtet hatten. Es stank nach Kordit, Blut und Schweiß, und Ortega wusste, dass ihm nur noch ein paar Augenblicke blieben, bis alles zum Teufel ging. Die Liktoren wichen rasch zu den klobigen schwarzen Truppentransportpanzern zurück, deren starke Motoren kehlig im Leerlauf rumpelten. Mehrere waren modifiziert und mit einem schweren Wasserwerfer bestückt, und Ortega befahl den Besatzungen zu schießen, da das wütende Gebrüll der Menge hinter ihnen jetzt rasch anschwoll. Auf Rache versessen, machte die Menge förmlich einen Satz hinter den Liktoren her. Die Wasserwerfer eröffneten das Feuer mit dicken Strahlen auf die Menge und holten die vordersten Leute von den Beinen. Doch es waren zu viele Aufrührer und nicht genug Werfer. Der erzürnte Pöbel fiel über die Liktoren her und drosch mit Fäusten und eisenbeschlagenen Stiefeln auf sie ein. Disziplinierte Schildarbeit und akkurate Hiebe mit den Schockstäben gaben den Arbites ein wenig Raum, und Ortega riss die gepanzerte Seitentür des nächsten Rhinos auf und scheuchte seine Männer hinein. Er sprang auf die Trittbretter und schob den Kopf ins Führerhaus. »Wir sind drinnen! Nichts wie weg hier!«, rief er dem Fahrer zu. »Finden Sie heraus, wo Sharben ist, sie wird die Statthalterin bei sich haben.« Die Rhinos rollten langsam zurück und weg von der wogenden Masse, da ihre geschickten Fahrer sie zum Arbites-Revier lenkten. Ortega hielt nach Sharben Ausschau und fluchte, als er das Dach des von ihr requirierten Aufruhrunterdrückungsfahrzeugs nicht weit vom gepanzerten Tor des Reviers in Flammen stehen sah. Der Liktor hinter dem Wasserwerfer lag brennend über der Waffe. Ortega sah die linke Kette nutzlos vom Zahnrad hängen, und das Fahrzeug war vollkommen von Aufrührern umgeben, die zu seiner kostbaren Fracht vordringen wollten. Sie schaukelten den Rhino hin und her in dem Versuch, ihn umzukippen. Ortega ließ seinen Schockstab auf das Dach des Rhino krachen und zeigte auf Sharbens bewegungsunfähiges Vehikel. »Bringen Sie uns neben den Rhino und halten Sie an. Dann warten Sie auf mein Zeichen zur Weiterfahrt!« Der Fahrer nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte, und lenkte den Rhino zu dem festsitzenden Fahrzeug. Ortega klammerte sich aus Leibeskräften fest, da der Rhino unterwegs unkontrolliert hin- und herschaukelte.
»Sharben, bitte kommen«, rief Ortega, als sie sich dem brennenden Panzer näherten. »Hier Sharben«, kam die Antwort, und ihre Stimme verriet die Anspannung, unter der sie stand. »Wenn Sie in der Nähe sind, würden wir eine Mitfahrgelegenheit zu schätzen wissen.« »Wir sind gleich bei Ihnen, Sharben. Halten Sie aus. Ist die Statthalterin bei Ihnen?« »Positiv.« »Gut gemacht. Halten Sie sich bereit.« Liktor Jenna Sharben spürte, wie ihr unter ihrer schwarzen Lederrüstung der Schweiß den Rücken herunterlief. Die Hitze im Rhino wurde langsam unerträglich, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie braten und sterben würden. Der Panzer schaukelte heftig, und ihre zivilen Passagiere waren am Rand der Hysterie. Sie dankte dem Imperator, dass Virgil Ortega unterwegs war. Er mochte ein harter, humorloser Bastard sein, aber er ließ niemals einen Kameraden im Stich. »Liktor!«, schnauzte ein Mann in einem schwarzen Anzug, dessen Namen sie nicht kannte. »Welche Pläne haben Sie? Wir müssen uns in Sicherheit bringen. Ich verlange, dass Sie unsere Flucht aus dieser unerträglichen Situation in die Wege leiten.« Sie sah eine Anstecknadel des Vergen-Kartells an seinem Revers und verkniff sich eine wütende Antwort. Sie holte tief Luft und sagte: »Mein Vorgesetzter ist mit einem anderen Fahrzeug unterwegs, wir werden gleich überwechseln.« »Ich bin sicher, dass wir nichts zu befürchten haben, Leotas...«, begann Statthalterin Mykola Shonai, als die Seite des Panzers sich bedrohlich neigte. Jenna erkannte, dass der Panzer unweigerlich umkippen würde. »Festhalten!«, rief sie, indem sie einen Pfosten packte und die Beine um die Mannschaftsbank schlang. »Wir kippen um!« Der Rhino krachte mit markerschütternder Gewalt und gewaltigem Krachen auf die Seite. Jenna erwischte Statthalterin Shonais Gewänder, als sie, mit den Armen rudernd, der Seite des Vehikels entgegenfiel, und zog sie hoch. Sie hörte gedämpften Jubel von draußen und wiederholte Schläge gegen den Rumpf. Keiner würde die Panzerung durchschlagen, aber der Lärm war ohrenbetäubend. Der Mann, den die Statthalterin Leotas genannt hatte, lag reglos da, und Blut floss aus einer tiefen Wunde im Hinterkopf.
Die anderen Insassen des Rhino sahen beinahe ebenso ramponiert aus. Sie ließ den Pfosten los, riss einen Sanitätskasten aus dem Besatzungsspind und kauerte sich neben den reglosen Leotas. Sie sah sofort, dass sie ihre Zeit verschwendete. Der Mann hatte sich das Genick und den Schädel gebrochen. Durch das blutverklebte Haar war der weißliche Glanz von Knochen zu sehen. »Ist... ist alles in Ordnung mit ihm?«, fragte Statthalterin Shonai mit bebender Stimme. »Nein«, sagte Jenna schonungslos. »Er ist tot.« Shonais Augen weiteten sich, und der Schock ließ sie die Hände vor den Mund schlagen. Jena ließ den Sanitätskasten fallen, als sie draußen das Rumpeln eines starken Motors und das Knattern von Schüssen hörte. Ein kräftiger Stoß traf den bewegungsunfähigen Rhino, und sie stützte sich an der Seite ab, während gepanzerte Stiefel über die Wandung stapften, die nun das Dach über ihr war. In ihrem Ohrhörer knisterte es, und sie hörte die schroffe Stimme von Virgil Ortega. »Sharben! Öffnen Sie die Mannschaftsluke, wir stehen direkt neben Ihnen.« Jenna kletterte auf die Mannschaftsbank, drehte das Verschlussrad und löste die Türhalterungen. Die Tür wurde aufgerissen, und schwaches Sonnenlicht fiel in das verräucherte Mannschaftsabteil. Ortega hakte seinen Schockstab in den Gürtel. »Reichen Sie mir die Statthalterin!« Jenna packte Shonais Gewänder und zog sie auf die Füße. Die Statthalterin schrie zwar angesichts Sharbens Grobheit auf, ließ sich aber zum Ausgang ziehen. Ortega nahm Shonais ausgestreckte Hände und hob sie heraus. Er gab sie an einen anderen Liktor weiter, der am Mannschaftsluk des anderen Rhinos wartete, und streckte dann wieder die Arme durch das Luk von Sharbens Panzer. Die Feuerstöße der Boltgewehre seines Rhinos hatten die Menge von dem beschädigten Panzer vertrieben, aber es war nur eine vorübergehende Atempause. »Vorwärts!«, bellte er. »Geben Sie mir den Rest. Beeilen Sie sich, verflucht!« Einen nach dem anderen zog Jenna die übrigen Passagiere zu Ortega empor, der sie dann in seinen Panzer geleitete. Wiederholte Feuerstöße der Boltgewehre über die Köpfe der Menge hinweg
hielten die Aufrührer während der Rettungsaktion in Schach. Als alle den Rhino verlassen hatten, kletterte Jenna Sharben hinaus und sah den Rhino mit der Statthalterin gerade noch durch die Tore des imperialen Palasts rumpeln. »Höchste Zeit, dass wir verschwinden, Sharben«, stellte Ortega fest, als der Pöbel heulend herangestürmt kam. Mittlerweile hatten die Aufrührer begriffen, dass man sie um ihre Beute gebracht hatte. »Ganz Ihrer Meinung«, stimmte Sharben zu, als sie auf den Boden sprang, um dann der Sicherheit des nicht weit entfernten Arbites-Reviers entgegenzurennen. Gepanzerte Waffenbunker mit schweren Wasserwerfern streckten ihre Verfolger mit dicken Wasserstrahlen nieder, deren Wucht reichte, um Glieder zu brechen. Mehr Geschrei erhob sich hinter den beiden Liktoren, aber sie waren außer Gefahr und stampften außer Atem in den Innenhof ihres Reviers. Ortegas restliche Rhinos hatten in der Mitte des Hofs eine Wagenburg gebildet, und davor kauerten ramponierte Liktoren. Jenna Sharben setzte ihren verbeulten Helm ab und fuhr sich mit dem Handschuh durch die kurzen schwarzen Haare und über das verschwitzte Gesicht, während Ortega zu den verdrossenen Liktoren marschierte. Sie folgte ihm, während Ortega ebenfalls seinen Helm abnahm und zu Collix ging. Virgil Ortega war kein Baum von einem Mann, vielmehr klein und untersetzt, aber er strahlte Kraft und Autorität aus. Schweiß glänzte auf seinem kahlen Kopf und tropfte aus seinem ordentlich gestutzten Bart. »Sergeant! Was, beim Imperator, ist da draußen passiert? Habe ich Ihnen den Befehl gegeben, das Feuer zu eröffnen?« »Nein, Hauptmann«, erwiderte Collix glatt. »Aber unter den gegebenen Umständen hatte ich das Gefühl, Sie hätten diesen Befehl gegeben, hätten Sie noch in vorderster Front gestanden.« »Dann zeigen Sie bemerkenswert wenig Einfühlungsvermögen in Ihren Vorgesetzten, Sergeant.« »Vielleicht«, räumte Collix ein. »Da gibt es kein Vielleicht, Collix. Unsere Aufgabe besteht darin, den Gesetzen des Imperators Geltung zu verschaffen, nicht darin, Seine Untertanen zu massakrieren. Ist das klar?« »Die Menge hat diesen Gesetzen zuwidergehandelt, Hauptmann.«
»Mimen Sie mir nicht den Unschuldigen, Collix. Ich werde Sie im Auge behalten.« Ortega funkelte Collix noch einen langen Moment an, bevor er zum Dienstgebäude ging. Ohne sich umzudrehen, rief er: »Gute Arbeit da draußen, Liktor Sharben.« Jenna lächelte über dieses seltene Lob und sah Ortega nach, wie er im Revier verschwand. Sie setzte sich auf das Trittbrett eines Rhinos, legte den Kopf in den Nacken und ließ die Ereignisse des Morgens aus ihrem Bewusstsein sickern. Sie war zufrieden mit ihrem heutigen Verhalten. Sie wusste, dass sie sich wie ein erfahrenes Mitglied der Adeptus Arbites verhalten und auch so gekämpft hatte und nicht wie die Anfängerin, die sie tatsächlich war. Methodisch ging sie ihre Aktionen noch einmal durch und fand keinen Fehler in ihrer Vorstellung. Ja, sie hatte ihre Sache gut gemacht. »Sie sollten den Palastarzt einen Blick auf diesen Schnitt werfen lassen, Madam«, stellte Almerz Chanda fest, während er sanft gegen eine anschwellende violette Schramme an seinem tonsurierten Schädel drückte. Er war ebenfalls aus dem Rhino der Arbites gezogen worden, hatte aber nur eine Beule am Kopf davongetragen. Die Schramme am Kopf der Statthalterin war nicht tief und von einem der Arbites mit Kunsthaut überzogen worden, aber im Chaos des Aufruhrs war bereits ihr Neffe von einer für sie bestimmten Kugel getroffen worden und ein enger Freund gestorben. »Statthalterin?«, sagte er, als sie nicht antwortete. »Es geht mir bestens«, schnauzte sie brüsker als beabsichtigt. Sie wandte sich vom Panzerglas des Fensters ab und lächelte ihren obersten Ratgeber schwach an. »Es tut mir Leid, Almerz. Ich bin nur...« »Kein Grund zur Entschuldigung, Madam, es war ein trauriger und schrecklicher Tag für Sie.« »Ja«, gab Shonai ihm Recht. »Dumak und Leotas sind beide viel zu früh gestorben.« Chanda nickte. »Wir alle leiden sehr unter ihrem Verlust, Madam.« »Diese Kugel hätte mich treffen sollen«, sagte die Statthalterin. »Dumak war erst zwanzig. Ich hatte vor, ihn bei seiner Volljäh-
rigkeit im nächsten Jahr als meinen Nachfolger zu benennen.« »Er hat sein Leben gegeben, um Ihres zu retten«, stellte Chanda fest. »Er hat seine Pflicht als treues Mitglied des ShonaiKartells getan. Man wird seiner als Held gedenken.« »Und Leotas, wie wird man seiner gedenken?« »Als teuren Freund, den der Imperator in Seiner unendlichen Weisheit von uns genommen hat.« Statthalterin Mykola Shonai lächelte dankend. »Sie sind ein wahrer Freund, Almerz, aber ich möchte für einen Moment allein sein.« »Wie Sie wünschen, Madam«. Chanda schloss die Tür hinter sich und ließ die Statthalterin von Pavonis mit ihren Gedanken allein. Mykola Shonai wandte sich wieder dem Fenster zu und spürte, wie sie langsam ihre eiserne Selbstbeherrschung verließ. Ihr Freund und Verbündeter Leotas Vergen war tot. Nicht mehr da. Einfach so. Erst heute Morgen hatte er noch angeregt von der bevorstehenden Hochzeit seiner Tochter mit dem Sohn Talouns und vom Anbruch eines neuen Zeitalters der Zusammenarbeit zwischen den Kartellen geredet, doch nun war er tot und das Vergen-Kar-tell ohne Führer. Sosehr sie es hasste, es zuzugeben, aber ihr war klar, dass sein Traum von Zusammenarbeit wahrscheinlich mit ihm sterben würde. Zweifellos würde Taloun erfreut und bereits mit dem Vorantreiben der Hochzeit beschäftigt sein, um seinen Sohn als DefactoHerrscher über das Vergen-Kartell zu etablieren. Natürlich würde das Vergen-Kartell alles Mögliche unternehmen, um diese Vereinigung zu verhindern, aber Vergens Tochter war für ihr störrisches Wesen bekannt, und nur der Imperator wusste, welche Folgen Leotas' unzeitiger Tod haben würde. Shonai tat es Leid, dass die Beziehung des jungen Paars nun eine politische Waffe war, aber so war die Politik auf Pavonis nun mal, überlegte sie verdrossen. Sie verdrängte die zum Scheitern verurteilte Beziehung des jungen Paars aus ihren Gedanken und schaute hinaus auf den Befreiungsplatz. Beim Imperator, es war eine Schweinerei. Es hatte zu regnen begonnen, und das Blut und die Abfälle des Kampfes wurden in den Rinnstein gespült, aber Shonai wusste, dass sich ihre Probleme nicht so einfach aus der Welt schaffen ließen. Leichen lagen
verstreut auf dem Straßenpflaster, weinende Gruppen von Menschen hatten sich um gefallene Freunde und Verwandte versammelt. Wie hatte ein Tag, der mit so edlen Absichten begonnen hatte, eine derart furchtbare Entwicklung nehmen können? Noch vor ein paar Jahren war Pavonis ein friedlicher Planet gewesen und größtenteils unbehelligt vom Krieg, der im Rest der Galaxis tobte. Der Zehnte war pünktlich bezahlt worden, und die jungen Männer von Pavonis hatten sich regelmäßig zur Musterung für die Armee des Imperators eingefunden. Pavonis war in jeder Beziehung eine imperiale Musterwelt gewesen. Die Leute arbeiteten hart und wurden für ihre Mühe belohnt. Aufstände fanden nur auf anderen Welten statt. Doch wie sich die Zeiten geändert hatten! Ihr Schreibtisch war mit zerknitterten Papieren übersät, und jedes berichtete von ähnlichen Szenen. In Altemaxa hatten die Arbeiter das Büro für Imperiale Auslagen gestürmt und das Gebäude in Brand gesteckt. Aufrührer in Praxedes hatten die Mannschaft eines intergalaktischen Kauffahrers daran gehindert, an Bord ihres Schiffs zu gehen, und die Fracht des Mannes geplündert. Im Augenblick war eine Eingabe des Kauffahrers mit einer Forderung nach Entschädigung zu ihrem Büro unterwegs. Es hatte ein weiteres Bombenattentat der Kirche der Alten Sitten gegeben, bei dem dreißig Menschen ums Leben gekommen und die Produktionsanlagen von zwei Manufakturen des VergenKartells irreparabel beschädigt worden waren. Ein Mitglied des Abrogas-Kartells war in einem der Jotusburg-Gettos niedergestochen worden und konnte von Glück sagen, überlebt zu haben, obwohl nicht ganz klar war, was der Mann überhaupt dort gewollt hatte. Und in der Nähe von Caernus IV war wieder ein Versorgungsschiff in einen Hinterhalt jener Eldar-Piraten geraten, die Pavonis jetzt bereits seit sechs Jahren heimsuchten. Es hatte Material und Waren an Bord gehabt, mit denen der gewaltige Berg von Schulden hatte abgetragen werden sollen, die Pavonis beim Imperium in Form überfälliger Steuern hatte. Sie spürte, wie sie die Last jedes Fehlschlags mit ihrem gewaltigen Gewicht erdrückte, und fragte sich, was sie hätte anders machen können. Sie hatte ihr Bestes versucht, die vom Administratum geforderten Steuern zu bezahlen, aber sie konnte einfach nicht mehr aus Pavonis herausquetschen. Ihre Produktionsanlagen waren bis an die Grenzen belastet, und
nur wenige der Güter, die sie produzieren konnten, kamen tatsächlich durch. Ihre »Zehntsteuer« war ein Versuch gewesen, das Defizit auszugleichen, bis die Krise gemeistert werden konnte, aber die Leute liefen praktisch in jeder größeren Stadt dagegen Sturm. Sie hatte ihrem Volk die Lage erklären und den Leuten aufzeigen wollen, dass die gegenwärtigen Entbehrungen zum letztendlichen Besten von Pavonis waren, aber wie sie es auch drehte und wendete, es schien keine Möglichkeit zu geben, die Abwärtsspirale der Ereignisse aufzuhalten. Und hier, in ihrer eigenen Hauptstadt, hatte man auf sie geschossen. Sie konnte es immer noch nicht recht glauben. Als der erste Schuss schockierend laut über den Platz hallte, war Dumak zu ihr geeilt und hatte versucht, sie in Sicherheit zu bringen. Sie schloss die Augen und versuchte mit aller Willenskraft, das Bild seines explodierenden Gesichts aus ihrem Bewusstsein zu verbannen. Er war gefallen und hatte sie mit auf den Boden des Podiums gerissen, während seine Todeszuckungen sein Blut und seine Gehirnmasse über sie verteilten. Mykola Shonai hatte sich die Haare gewaschen und ihre Amtsgewänder fortgeschickt, um seinen Tod herauswaschen zu lassen. Sie hatte frische Kleidung von schlichter blauer Farbe angezogen, bildete sich aber ein, immer noch die Klebrigkeit des Bluts von ihrem Neffen auf der Haut spüren zu können. Ihr Herz sehnte sich nach ihrer jüngeren Schwester, und ihr fiel wieder ein, wie stolz sie gewesen war, als Mykola ihr anvertraut hatte, dass Dumak eines Tages das Shonai-Kartell von ihr erben würde. Sie sah Priester und hiesige Apotheker durch die Menge gehen und die Verwundeten versorgen oder den Toten die Absolution des Imperators erteilen. Sie betete für die Seelen der Verstorbenen und holte tief Luft. Sie war ein plantarer Statthalter des Imperiums und musste alles unter Kontrolle behalten. Aber das war außerordentlich schwierig, wenn ihr alles entglitt, wie sehr sie es auch festzuhalten versuchte. Sie ließ sich auf den grünen ledernen Polstersessel hinter ihrem Schreibtisch sinken und überflog die vielen Dutzend Berichte über Gewalttaten und Unruhen. Sie sammelte sie ein und legte sie als Stapel beiseite. Sie würde sich später mit ihnen befassen. Jetzt hatte sie sich um Wichtigeres zu kümmern: um ihr politisches Überleben. Sie glättete ihre noch feuchten grauen Haare und rieb sich die
hellgrünen Augen trocken. Ihr Gesicht war verhärmt und faltig, und Mykola Shonai spürte jedes ihrer zweiundsechzig Jahre schwer auf sich lasten. Es spielte keine Rolle, dass sie heute einen Verlust erlitten hatte. Sie war Statthalter einer Imperiumswelt, und dieser Verpflichtung wurde sie nicht wegen eines Trauerfalls vorübergehend entbunden. Sie zog an einer langen Samtkordel, die neben ihrem Schreibtisch hing, und starrte auf die Büste ihres Ururgroßvaters, Forlanus Shonai, die neben dem Kamin stand. Forlanus hatte das Shonai-Kartell vor drei Jahrhunderten gegründet und es von einer einzigen kleinen Manufaktur zu einem der mächtigsten industriellen Kartelle auf Pavonis hochgebracht. Wie wäre der alte Forlanus mit dieser Situation umgegangen?, fragte sie sich. Ein höfliches Klopfen an der Tür und die Ankunft von vier Männern in schwarzen Anzügen, jeder mit einer Anstecknadel des Shonai-Kartells am Revers, enthob sie der Mühe, sich eine Antwort darauf zu überlegen. Almerz Chanda war an ihrer Spitze und verbeugte sich vor ihr, als sie eintraten. Ihre Mienen waren trübe und finster, und Shonai konnte ihre Niedergeschlagenheit durchaus verstehen. »Nun, meine Herren«, begann Shonai, bevor sie mit banalen Platitüden hinsichtlich ihres Verlusts aufwarten konnten. »Wie schlimm ist es?« Den Männern schien die Frage Unbehagen zu bereiten, und keiner von ihnen war zu einer Antwort bereit. Statthalterin Shonai schnauzte: »Wenn ich eine Frage stelle, erwarte ich eine Antwort.« »Dieser Aufruhr war ganz sicher noch nicht das Schlimmste, Madam«, sagte das jüngste Mitglied ihres Ratgeber-Stabs. Sein Name war Morten Bauer, und sein spitzes Gesicht war ernst und voll jugendlichen Überschwangs. Shonai empfand einen Anflug mütterlicher Gefühle für den jungen Mann und fragte sich, ob ihm eigentlich klar war, dass er sich einem Stab angeschlossen hatte, der sich am Rand des Zusammenbruchs befand. »Nennen Sie Zahlen, Morten. Wie viele Tote?«, fragte Shonai. Bauer schaute auf seine Datentafel. »Es ist noch zu früh für exakte Zahlen, Madam, aber es sieht nach über dreihundert Toten und doppelt so vielen Verwundeten aus. Ich bekomme gerade die ersten Zahlen von den Arbites, und anscheinend sind auch zwei Liktoren getötet worden.«
»Das ist nicht so schlimm wie in Altemaxa«, stellte ein älterer Mann fest, dessen Körper augenscheinlich schon bessere Zeiten erlebt hatte. »Die dortigen Liktoren haben bei dem Versuch, den Aufrührern Einhalt zu gebieten, einen ganzen Trupp verloren.« Der Sprecher hieß Miklas Iacovone und war für die Öffentlichkeitsarbeit des Statthalters verantwortlich. Die Ansprache an das Arbeiterkollektiv war seine Idee gewesen, und er versuchte verzweifelt, den heutigen Ereignissen etwas Positives abzugewinnen. Die Worte waren ihm noch nicht ganz über die dicken Lippen gekommen, als er auch schon wusste, dass sie ein Fehler waren. »Miklas, Sie sind ein Narr, wenn Sie glauben, wir könnten nach Rosen duftend aus dieser Sache hervorgehen, indem wir die Gesetzeshüter einer anderen Stadt kritisieren«, schnauzte Almerz Chanda. »Wir schlagen keinen Profit aus dem Unglück anderer.« »Ich versuche nur die Vorteile herauszuheben«, protestierte Iacovone. »Hier gibt es keine Vorteile, Miklas. Gewöhnen Sie sich daran«, sagte Chanda. Statthalterin Shonai legte die Fingerspitzen zusammen und lehnte sich zurück. Persönlich fand sie, dass Iacovones Sichtweise durchaus etwas für sich hatte, aber sie wollte ihrem obersten Ratgeber nicht öffentlich widersprechen. Sie wandte sich an den vierten Mann ihres Beraterstabs, Leland Corteo. »Leland, wie schlimm werden die Auswirkungen für uns im Senat sein? Ich will eine ehrliche Einschätzung.« Der politische Analytiker der Statthalterin stieß einen Seufzer aus und zupfte an seinem langen grauen Bart. Er zog eine Tabakpfeife aus seiner bestickten Weste und hob die buschigen Augenbrauen. Shonai nickte, und Corteo zündete die Pfeife mit einem Zinnfeuerzeug an, bevor er antwortete. »Nun, Madam, wie ich die Sache sehe«, begann er, indem er einen tiefen, nachdenklichen Zug machte, »wenn sich die Dinge weiter so entwickeln, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die anderen Kartelle einen Misstrauensantrag stellen.« »Das würden sie nicht wagen«, sagte Morten Bauer. »Wer würde diesen Antrag vorbringen?« »Seien Sie nicht albern, mein Junge. Suchen Sie sich jemanden aus: Taloun, de Valtos, Honan. Jeder von ihnen hat genügend Rückhalt, um eine Niederlage zu überleben, selbst wenn der Antrag abgelehnt würde.«
»Wir können uns gerade noch halten«, stimmte Miklas Iacovone zu. »Unsere Mehrheit beruht nur noch auf Kooperationsversprechen und Handelszugeständnissen, die wir den kleineren Kartellen gemacht haben. Aber wir müssen davon ausgehen, dass die großen Fische sie dahingehend bearbeiten, ihre Vereinbarungen neu auszuhandeln.« »Rückgratlose Feiglinge!«, zischte Bauer. »Wohl eher Opportunisten«, sagte Corteo. »Und wer kann es ihnen verdenken? Wir haben vor zehn Jahren dasselbe getan, als wir uns mit Vergen verbündet und Taloun seines Amtes enthoben haben.« »Das war etwas ganz anderes«, sagte Bauer rechtfertigend. »Ach, hören Sie schon auf, mein Junge. Es ist genau dasselbe. Es ist Politik. Die Namen mögen sich ändern, aber das Spiel bleibt dasselbe.« »Spiel?«, stotterte Bauer. »Meine Herren«, unterbrach Chanda, bevor der grinsende Corteo antworten konnte. »Diese kleinlichen Zankereien bringen uns nicht weiter. Die Statthalterin braucht Lösungen.« Dergestalt zurechtgewiesen, verfielen ihre Ratgeber in verlegenes Schweigen. Statthalterin Shonai beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch und legte die Fingerspitzen vor dem Mund zusammen. »Was können wir also tun? Ich vermag nicht noch mehr Unterstützung von den kleineren Kartellen zu kaufen. Die meisten von ihnen hängen bereits an der Angel von de Valtos oder Taloun, und Honan wird einfach ihrem Beispiel folgen. Unsere Schatztruhen sind nahezu leer, nur von dem Bestreben, die Wölfe in Schach zu halten.« Corteo blies eine blaue Rauchwolke aus. »Dann werden wir uns wohl damit abfinden müssen, dass unsere Zeit im Amt bald ein verfrühtes Ende nehmen könnte.« »Ich bin nicht bereit, mich damit abzufinden, Leland«, sagte Shonai. »Bei allem gebührenden Respekt, Madam, ob Sie sich damit abfinden oder nicht, ist irrelevant«, stellte Corteo fest. »Sie bezahlen mich, damit ich Ihnen die Wahrheit sage. Das habe ich schon für Ihren Vater getan, und wenn Sie wollen, dass ich die Tatsachen schöne wie der fette Miklas hier, kann ich das tun, aber ich
glaube nicht, dass Sie mich all die Jahre deswegen behalten haben.« Shonai lächelte und bedeutete dem empörten Iacovone mit einem Wink zu schweigen. »Sie haben natürlich Recht, Leland, aber ich kann mich trotzdem nicht damit abfinden, dass wir nichts tun können.« Sie schob den Sessel zurück und erhob sich. Sie dachte angestrengt nach, während sie auf und ab ging und im Kreis durch den Raum schritt. Bei der Büste des alten Forlanus blieb sie stehen. Sie tätschelte liebevoll den Marmorkopf, bevor sie sich wieder ihren Ratgebern zuwandte. »Also gut, Leland. Wenn wir uns damit abfinden, dass ein Misstrauensvotum unvermeidlich ist, wie lange haben wir realistischerweise noch, bis der Antrag auf den Tisch kommt? Und gibt es eine Möglichkeit, wie wir den Vorgang verzögern können?« Corteo dachte kurz über die Frage nach, bevor er antwortete. »Es spielt keine Rolle, ob wir den Antrag verzögern«, sagte er schließlich. »Wir können nichts tun, um ihn zu verhindern, also müssen wir vorbereitet sein, damit wir uns dem Votum zu unseren Bedingungen stellen können.« »Ja, aber wie lange haben wir noch bis dahin?«, hakte Shonai nach. »Bestenfalls einen Monat, aber wahrscheinlich weniger«, schätzte Corteo. »Aber wir sollten uns fragen, was wir tun können, um unser Überleben zu sichern, wenn der Antrag kommt.« »Vorschläge, meine Herren?«, lud Almerz Chanda ein. »Man muss uns dabei sehen, wie wir die Ordnung wiederherstellen«, schlug Morten Bauer vor. »Ja«, pflichtete Iacovone enthusiastisch bei, der erleichtert war, einen Happen vorgesetzt zu bekommen, in den er sich verbeißen konnte. »Wir müssen zeigen, dass wir unser Bestes tun, um diesen terroristischen Abschaum zu fangen, diese Kirche der Alten Sitten. Wie ich höre, haben sie wieder eine Bombe in einer Fabrikhalle in Praxedes gelegt und dabei ein Dutzend Arbeiter getötet. Eine furchtbare Geschichte.« »Wir können auch versprechen, den Aktivitäten der Piraten ein Ende zu setzen«, fügte Bauer hinzu. Leland Corteo nickte nachdenklich. »Ja, ja, gut gemacht, mein Junge. Das könnte uns die Möglichkeit geben, unsere Opposition aufzusplittern. Wir könnten in dieser Sache de Valtos Unterstüt-
zung suchen. Er hat mehr Grund, den Eldar-Abschaum zu hassen, als sonst jemand.« Shonai marschierte im Raum auf und ab, während sich ihre Gedanken überschlugen. Kasimir de Valtos würde vermutlich jede Aktion unterstützen, die ihm ermöglichen würde, sich an den Nichtmenschen zu rächen, die ihn vor vielen Jahren gefangen genommen und gefoltert hatten, aber konnte man ihm trauen? Seine Organisation war ein ernsthafter Mitbewerber für die Position des Obersten Kartells, und Shonai wusste, dass de Valtos sogar die mit seinen Kriegsverletzungen verbundene Ehre dazu benutzt hatte, öffentliche Unterstützung seitens der Arbeiter zu fordern. Sie folgte der Logik von Bauers Vorschlag. Taloun würde zweifellos jedes Angebot an de Valtos als einen Versuch betrachten, ihre politischen Gegner zu spalten. Wahrscheinlich würde er alles daransetzen, de Valtos mit ähnlichen Versprechungen auf seine Seite zu ziehen, und seine eigenen Schiffe für die Jagd auf die Eldar anbieten. Wenn es Talouns Schiffen gelang, die Eldar-Piraten auszulöschen, war das auch gut. In diesem Fall würden die ZehntTransporte zum Administratum durchkommen, was viel Druck von ihrem Volk nehmen und die kommenden Monate erträglicher machen würde. Shonai setzte sich an ihren Schreibtisch und wandte sich an Chanda. »Es könnte opportun sein, ein Treffen mit de Valtos zu vereinbaren. Ich bin sicher, es wird ihn freuen, von unserer Entschlossenheit zu hören, die schändlichen Eldar-Piraten zu vernichten.« Almerz Chanda verbeugte sich. »Ich werde sofort einen Abgesandten schicken.« Chanda zog sich aus dem Raum zurück, während sich die Statthalterin an ihre Berater wandte. »Wir müssen Herr der Lage bleiben, meine Freunde. Die bedauerlichen Ereignisse dieses Tages haben bewiesen, dass wir mehr Sorgfalt darauf verwenden müssen, wie man uns wahrnimmt«, sagte Mykola Shonai mit einem vielsagenden Blick auf Miklas Iacovone. »Wir haben heute das Gesicht verloren, aber nicht so viel, dass wir den Schaden nicht wieder reparieren könnten. Wir können die Schuld immer auf die zu harte Aufruhrunterdrückung schieben, wenn es sein muss.«
»Ich mache mich sofort an die Arbeit, Madam«, versprach Iacovone, der erpicht darauf war, die Gunst der Statthalterin zurückzugewinnen. »Sehr gut, Miklas. Der heutige Tag soll uns eine Lehre sein.« Leland Corteo hüstelte und schüttelte den Kopf, während er frischen Tabak aus einem Beutel an seiner Hüfte holte. »Sie sind anderer Ansicht, Leland?«, fragte Shonai. »Offen gestanden, ja, Madam. So ungern ich auch einem derart bornierten Bürokraten wie Chanda Recht gebe, ich fürchte, ich bin hinsichtlich der Kritik unserer Gesetzeshüter einer Meinung mit ihm«, sagte Leland Corteo, während er seine Pfeife mit frischem Tabak stopfte. »Ich glaube, dass es ein Fehler wäre, die Schuld auf die Adeptus Arbites abzuwälzen. Sie würden auf derartige Behauptungen nicht sehr freundlich reagieren.« Die weitere Diskussion der Angelegenheit wurde durch die Rückkehr von Almerz Chanda verhindert, der mit einer Datentafel in der Hand ohne Umschweife zum Schreibtisch der Statthalterin marschierte. Er reichte sie Mykola Shonai mit blassem, abgespanntem Gesicht. »Das ist gerade aus der Kammer der Stimmen gekommen«, flüsterte Chanda. »Was ist es?«, fragte Shonai, die die Besorgnis aus Chandas Stimme heraushörte. Die Kammer der Stimmen war der Name für den psychisch entsprechend abgestimmten Raum, wo die Astrotelepathen des Palasts Botschaften von anderen Welten empfingen und zu anderen Welten sandten. In einem Imperium von galaktischem Maßstab war Telepathie die einzig machbare Kommunikationsmethode, und normalerweise waren derartige Botschaften relativ gewöhnlich. Chandas Verhalten verriet Shonai, dass diese alles andere als gewöhnlich war. »Ich weiß nicht. Sie wurde von den Schreib-Servitoren codiert, und für die Decodierung ist Euer persönlicher Gen-Schlüssel erforderlich. Sie trägt ein Omikron-Siegel des Administratums.« Shonai nahm die Tafel und hielt vorsichtig den Daumen über die Identitätskerbe. Was diese Tafel auch enthielt, es konnte nicht positiv sein. Wenn das Administratum sich für eine derart geplagte Welt wie ihre interessierte, war das gleichbedeutend mit Schwierigkeiten für die Verantwortlichen, und sie war durchaus clever genug, das zu erkennen. Und auf Pavonis war sie verant-
wortlich. Sie schob den Daumen in die Tafel und zuckte zusammen, als die Nadel darin zustach, um ihr eine Blutprobe zu entnehmen. Eine Sammlung von Lichtern blinkte an der Seite der Platte, als der Geist in der Maschinerie ihren genetischen Code mit dem in seinem Cogitator gespeicherten verglich. Die Tafel klickte, summte und ratterte, als sie ein dünnes Blatt Papier aus dem Scriptum an der Unterseite ausdruckte. Shonai riss die Botschaft ab und legte die Tafel auf ihren Schreibtisch. Sie setzte eine zierliche Brille auf und las die Nachricht. Während ihre Augen den Zeilen der Botschaft folgten, wurde ihr Gesicht heiß, und in ihrer Brust breitete sich ein Gefühl der Beklemmung aus. Sie erreichte das Ende der Nachricht und spürte, wie sich ein schweres Gefühl der Übelkeit in ihrem Magen einnistete. Sie reichte Chanda das Blatt, der die Nachricht rasch las, bevor er sie sacht vor der Statthalterin auf den Schreibtisch legte. »Vielleicht wird es nicht so schlimm, wie Sie befürchten, Madam«, sagte Chanda hoffnungsvoll. »Das meinen Sie nicht ernst, Almerz.« Corteo beugte sich vor, die Pfeife zwischen die Lippen geklemmt. »Dürfte ich nach dem Inhalt dieser Nachricht fragen?«, sagte er. Mykola Shonai nickte. »Natürlich, Leland. Anscheinend empfangen wir bald einen Abgesandten - einen Adepten aus dem Administratum, der unser Versäumnis untersuchen wird, den imperialen Zehnten zu bezahlen und den Frieden des Imperators zu bewahren. Vielleicht müssen wir gar nicht versuchen, die Kartelle davon abzuhalten, uns vorzeitig aus dem Amt zu entfernen. Das wird das Administratum für sie erledigen.« Den sorgenvollen Mienen im Raum konnte sie entnehmen, dass ihnen allen die Bedeutung der unmittelbar bevorstehenden Ankunft dieses Adepten klar war. »Dieser erbärmliche Ballion muss das Imperium verständigt haben«, zischte Iacovone. »Zweifellos auf Ersuchen Talouns«, fluchte Leland Corteo. Statthalterin Shonai seufzte. Sie hatte mehr Zeit vom Vertreter des Administratums auf Pavonis erbeten, konnte es dem Mann aber nicht verdenken, nicht einmal, wenn Taloun ihn dazu genötigt hatte.
»Kann Sie dieser Adept ohne entsprechenden Prozess Ihres Amtes entheben?«, fragte Morten Bauer. »Er kommt mit der höchsten Autorität«, antwortete Chanda ernst. Statthalterin Shonai hob das Papier wieder auf und las noch einmal die letzten Zeilen. »Und was noch wichtiger ist, Almerz, er kommt mit den Engeln des Todes. Er kommt mit den Space Marines.«
4. Kapitel Der Schlachtkreuzer der Ultramarines, die Vae Victus, glitt rasch durch die Finsternis des Alls. Ihr von unzähligen Schlachten zernarbter Rumpf reflektierte fahles Sternenlicht. Sie war ein länglicher gotischer, im All geborener Leviathan mit vorstehenden Warpschaufeln. Die Antenne auf der gewölbten Kathedralenzinne der Kommandozentrale wuchs aus der Mitte und pflanzte sich in Richtung der gewaltigen Plasmatriebwerke im Heck fort. Beiderseits des eckigen Bugs mit der Bombardierungskanone lagen die Eingänge zu den Hangars, aus denen ThunderhawkKampfflugzeuge und Entertorpedos starten konnten. Über die gesamte Länge starrte der Rumpf von mit Gargylen umkränzten Waffenbatterien und Abschussrohren für konventionelle Torpedos. Die Vae Victus war alt. Vor fast drei Millennien auf den Schiffswerften von Calth erbaut, wies sie das Markenzeichen der calthischen Schiffsbauer auf, die verschnörkelte Bauweise, die in den verzierten gotischen Bögen rings um die Hangars und den Strebebögen der Antriebsgehäuse ihren Ausdruck fand. In seinem langen Leben hatte der Schlachtkreuzer mehrfach die Galaxis durchquert und unzählige Gefechte sowohl gegen menschliche als auch nichtmenschliche Feinde ausgetragen. Er hatte in der Schlacht um Macragge mit den Tyraniden gerungen, das Flaggschiff des abtrünnigen Kommandanten Ghenas Malkorgh zerstört, dem orkischen Raumkoloss Aufbringer des Lasters den Todesstoß versetzt und erst kürzlich im Appolyonischen Kreuzzug die Raumabwehr von Thracia vernichtet. Ihr Rumpf trug stolz die Narben jeder Begegnung. Die Schiffshandwerker der Ultramarines hatten erst kürzlich jede Wunde geflickt und die Ehre ihrer Siege auf den riesigen Geist übertra-
gen, der im kräftig schlagenden mechanischen Herzen des Raumschiffs wohnte. Die Kommandobrücke der Vae Victus war eine ausgedehnte, von Kerzen erleuchtete Kammer mit gewölbter, gut fünfzehn Meter hoher Decke. Summende Bänke leuchtender Holoanzeigen und alter Runenbildschirme säumten die Kreuzgänge beiderseits des erhöhten Hauptschiffs, und ein kahlköpfiger, halb menschlicher Cyborg-Servitor war fest mit jedem Schiffssystem verdrahtet. Eine breite Aussichtskanzel beherrschte die Vorderseite der Kammer, die gegenwärtig ein Bild des leeren Weltraums vor dem Schiff zeigte. Kleinere Schirme in den Ecken der Kanzel zeigten den gegenwärtigen Kurs und die Geschwindigkeit des Schiffs zusammen mit allen lokalen Objekten, die von den divinatorischen Instrumenten des Schiffs ausgemacht werden konnten. Das breite Hauptschiff wurde achtern durch ein gewölbtes Querschiff zweigeteilt. Auf beiden Seiten befanden sich Divinator- und Kampfstationen. Deckoffiziere der Space Marines in schlichten Juteroben über ihrer Rüstung überwachten ebenfalls jede Station. Die aufbereitete Luft war stickig vom Qualm des brennenden Räucherwerks, der aus Weihrauchfässchen aufstieg, welche von Kapuzen tragenden Priestern geschwungen wurden. Aus der erhöhten Sakristei und der Navigatorenkuppel hinter der Kanzel des Kapitäns drang kaum hörbarer Choralgesang, der durch die Brücke trieb. Der Kommandant der Vae Victus stand auf seiner Kanzel und richtete seine altersgrauen Augen auf das Pult neben sich. Taktische Diagramme für die Vae Victus und Pavonis waren neben dem Chronometer dargestellt und zeigten ihren geplanten Kurs. Lordadmiral Lazio Tiberius sah sich auf der Suche nach etwas Ungewöhnlichem auf der Brücke um, stellte aber zu seiner Zufriedenheit fest, dass alles so war, wie es sein sollte. Tiberius war ein riesiger dunkelhäutiger Space Marine von beinah vierhundert Jahren, der fast sein gesamtes Leben im Weltraum gekämpft hatte. Sein Furcht erregend vernarbtes Gesicht war das Resultat eines Zusammenstoßes mit einem Bioschiff der Tyraniden, das im Frühstadium der Schlacht um Circe die Kommandobrücke der Vae Victus gerammt hatte. Sein Schädel war haarlos, und seine Haut hatte die Struktur von abgenutztem Leder. Der gegossene Brustharnisch seiner blauen Rüstung war mit
Gruppen bronzener Orden geschmückt, in deren Mitte die goldene Sonne eines Helden von Macragge prangte. Lordadmiral Tiberius stand mit hinter dem Rücken verschränkten Händen da und betrachtete das taktische Diagramm mit kritischem Blick, während er überschlug, wie lange die Vae Victus brauchen würde, um in die Umlaufbahn um Pavonis einzuschwenken. Er schaute auf die Ecke des Bildschirms und registrierte mit Befriedigung, dass seine Schätzung nahezu vollkommen mit der Vorhersage der Logikmaschine übereinstimmte. Er fand jedoch, dass seine Schätzung die realistischere der beiden war. Vor ihm bearbeiteten berobte Besatzungsmitglieder ihre ausgedehnten Sensorrunen und suchten den Weltraum vor ihnen mit allen möglichen divinatorischen und auguren-haften Vorrichtungen ab. Tiberius wusste, dass der Kapitän eines Raumschiffs immer nur so gut war wie die Mannschaft, die er befehligte. Aller taktischer Scharfsinn in der Galaxis war nichts wert, wenn er ungenaue Informationen bekam oder seine Befehle nicht rasch und fraglos ausgeführt wurden. Und Tiberius wusste, dass er eine der besten Besatzungen in der Flotte Ultramars hatte. Immer und immer wieder in der Hitze der Schlacht bewährt, hatte sie akkurat alle Befehle befolgt. Die Vae Victus hatte einige harte Schlachten mitgemacht, aber ihre Besatzung hatte sich immer mit Ruhm bekleckert. Dies lag zum Teil an Tiberius' Maxime, beständig die höchsten Anforderungen an jedes Besatzungsmitglied auf dem Schiff zu stellen, vom niedrigsten Matrosen bis zu ihm selbst und seinem Kommandostab. Aber es war auch ein Spiegelbild der Hingabe und Loyalität bei den Dienern der Ultramarines, welche die Mehrheit der Schiffsbesatzung bildeten. Wiederum führte der Weg in die Gefahr, und Tiberius empfand das vertraute Hochgefühl, dass sie bald den Feinden des Imperators Sein feuriges Schwert der Vergeltung bringen würden. Es war lange her, seit die Vae Victus zuletzt gegen Eldar gekämpft hatte, und wenngleich er die Nichtmenschen und ihre Art mit der Leidenschaft des Eiferers hasste, war er gezwungen zuzugeben, dass er einen widerwilligen Respekt vor ihrer Meisterschaft des raschen Zuschlagens verbunden mit einem ebenso raschen Verschwinden hatte. Tiberius wusste, dass die verschlagenen Eldar sich nur ganz sel-
ten auf einen Kampf zwischen Raumschiffen unter schlechteren als den allergünstigsten Bedingungen einließen, denn ihre Schiffe waren auf eine absurde Art zerbrechlich und genossen nicht die göttliche Gnade von Schutzschirmen. Sie verließen sich auf Verstohlenheit und List, um sich ihrem Ziel zu nähern, und setzten dann blasphemische nichtmenschliche Magie ein, um die ZielCogitatoren der Waffen ihrer Feinde durcheinander zu bringen. Tiberius wusste, dass die erste Warnung vor so einem Angriff der Einschlag von Buglanzen war, welche die Steuerdüsen eines Schiffs lahm legten. Danach war es akademisch, wer die größten Kanonen hatte. Das Eldar-Schiff konnte Kreise um den schwerfälligeren Gegner fliegen und ihn Stück für Stück auseinander nehmen. Tiberius schwor, dass seinem Schiff so ein Schicksal erspart bleiben würde. In der Dunkelheit des Weltraums sechs Stunden vor der Vae Victus glitt ein elegantes, tödliches Schiff aus dem Schatten seiner Asteroidenbasis. Der gegliederte Bug verjüngte sich zu einer Spitze, und gezackte, krummsäbel-artige Sonnensegel entfalteten sich graziös und schwangen sich von den klug gearbeiteten Triebwerken im Heck empor. Triebwerke und Bug waren durch eine schlanke, kuppelförmige Kommandobrücke miteinander verbunden, und von dort regierte der Kapitän dieses tödliche Schiff. Der Kapitän des eleganten Schiffs, die Sturmreiter, starrte jetzt mit unverhohlenem Vergnügen auf das Echo der Anzeige vor ihm. Endlich ein Gegner, der seiner Talente würdig war. Ein Schiff der Adeptus Astartes! Archon Kesharq von der Kabale der Zerbrochenen Klinge war es leid, ungeschlachten Kauffahrern aufzulauern, Patrouillenschiffe zu narren und primitive Hinterwäldlersiedlungen zu überfallen. Kesharq lag nichts an den Früchten dieser Unternehmungen, und sogar die Folterung der schreienden Seelen an Bord der aufgebrachten Schiffe über die bekannten Schmerzgrenzen hinaus war für seine verwöhnten Sinne schal geworden. Die solcherart schlechten Gegner konnten seine Fähigkeiten nicht einmal ansatzweise fordern. Ein dünner Blutfaden tropfte aus seinen Mundwinkeln, und Kesharq legte den Kopf nach hinten, zog die leblose Haut seines Gesichts straff über den Schädel und hakte die ausgefransten Enden über die Nähte im Nacken. Er hatte größere Träume und langsam schon befürchtet, dass sein Pakt mit dem Kyerzak ein
Fehler war. Doch nun war in der Tat würdige Beute aufgetaucht. Drei Decks unter der Kommandobrücke der Vae Victus hallten die Gebete der Space Marines leise durch die Kapelle der Vierten Kompanie. Mit ihrer hohen Decke war die geräumige Kammer mit Leichtigkeit in der Lage, die versammelten Brüder der Kompanie aufzunehmen. Ein mit polierten Steinfliesen ausgelegtes Mittelschiff führte zu einem spiegelglatten, schwarzen Altar und einem hölzernen Lesepult am anderen Ende der Kapelle. Buntglasfenster in wunderbaren Farben beherrschten voller Erhabenheit die oberen Gefilde der Kapelle. Jedes Fenster befand sich in einem blattförmigen Bogen, und elektrische Fackeln hinter ihnen warfen ein geisterhaftes Licht auf die versammelten Krieger. Jedes Fenster zeigte einen Teil der langen Geschichte des Imperiums: das Zeitalter des Haders, das Zeitalter der Apostasie, der Vergöttlichte und der Siegreiche Imperator. Von der Kompanie in einem Dutzend Kreuzzügen gewonnene Siegesbanner hingen unter den Fenstern, jedes Zeugnis für eine Tradition der Tapferkeit und der Courage, die zehntausend Jahre weit zurückreichte. Die Kompanie hatte im flackernden Schein der Elek-trofackeln bequeme Paradehaltung angenommen und die Augen zum glatten Boden der Kapelle niedergeschlagen. Jeder rezitierte eine Litanei des Danks an Ihn auf Erden und dachte über seine heilige Pflicht dem Gott-Imperator gegenüber nach. Stille senkte sich über die Kapelle, als sich die eisenbeschlagene Tür am anderen Ende des Mittelschiffs öffnete und zwei Gestalten eintraten. Die Space Marines nahmen wie ein Mann zackig Haltung an. Der Hauptmann der Vierten Kompanie, Uriel Ventris, marschierte mit flatterndem Zeremonienumhang durch das breite Schiff. Ein blasser, grimmiger Krieger mit milchweißem Umhang ging ihm voran. Der Kaplan der Vierten Kompanie, Judd Clausel, trug eine mitternachtschwarze Servo-Rüstung, die mit Reliefs von fangzahnbewehrten Schädeln geschmückt war. Messing- und Goldbesatz an Kürass und Beinschienen funkelten im matten Licht. Sein grinsender, schädelgesichtiger Helm hing am Hüftgürtel neben einem voluminösen Wälzer von einem Buch, das in verblichene grüne
Orkhaut gebunden war. Mit dem linken Arm schwang er ein qualmendes Weihrauchfässchen, und aromatische Kräuter und geheiligte Öle erfüllten die Kapelle mit dem wilden, berauschenden Duft des Hochlands von Macragge. Seine rechte Faust umschloss das Crozius Arcanum, seine Waffe und das Amtssymbol aller Ordenspriester der Space Marines. Das Crozius Arcanum war ein Adamantiumstab, der von einem funkelnden goldenen Adler mit messerscharfen Flügeln gekrönt war. Der Stab lief in einem grinsenden Schädel mit blutroten Edelsteinen als Augen aus. Der Mann strahlte spürbar Macht aus. Clausel verdiente nicht einfach nur Respekt, er gebot ihn. Seine Statur war gewaltig, noch massiger als Uriels, und seinem strengen, steten Blick entging nichts. Ein hartes graues Auge suchte in jedem Gesicht nach Schwäche, während das andere seine Umgebung durch die seelenlose Mechanik einer krude verpflanzten blinkenden roten Kugel betrachtete. Sein Schädel war kahl rasiert bis auf einen glänzenden, silbernen Dutt, der von der Mitte des Kopfes bis auf die Schultern fiel. Ein dickes Gesicht, stark vernarbt und zur grotesken Parodie eines Lächelns verzogen, begutachtete die Space Marines vor ihm. »Kniet nieder!«, befahl er. Der Anweisung wurde sofort Folge geleistet, und der Lärm gepanzerter Knie hallte durch die Kammer, als sie geschlossen niederkrachten. Uriel trat vor und nahm das Räucherfässchen und den Crozius entgegen. Er trat mit geneigtem Kopf hinter den massigen Kaplan. »Heute ist ein Tag der Freude«, bellte Clausel. »Denn heute bietet man uns die Gelegenheit, das Licht des Imperators in die Finsternis zu tragen und jene zu vernichten, die Seinen Dienern den Weg versperren wollen. Wir sind noch nicht wieder eine volle Kompanie, meine Brüder. Viele unserer Kameraden haben auf Thracia ihr Leben gelassen, aber wir wissen, dass sie nicht vergeblich gefallen sind. Sie werden ihren Platz an der Seite des Imperators einnehmen und die Geschichten ihrer Tapferkeit und Ehre bis zu den letzten Tagen erzählen.« Clausel streckte die panzerbehandschuhte Faust aus und ließ sie dann zwei Mal in rascher Folge auf seinen Brustharnisch krachen. »De mortuis nil nisi bene!«, intonierte der Kaplan und nahm Uriel das Räucherfässchen dabei wieder ab. Kaplan Clausel schritt vom Altar zu den knienden Marines und
tauchte die Hände in die rauchende grauschwarze Asche. Im Vorbeigehen malte er Schutzzauber und rituelle Schlachtsymbole auf die Rüstung jedes Mannes und skandierte dabei die Litanei der Reinheit. Als er den letzten Mann gesalbt hatte, wandte er sich wieder dem Altar zu und sagte: »Die Schlachtriten sind vollendet, mein Hauptmann.« »Wir sind geehrt durch Ihre Worte, Kaplan Clausel. Vielleicht werden Sie uns nun im Gebet vorangehen?« »Das werde ich, Hauptmann«, erwiderte Clausel. Er schritt nach vorne, erklomm die Stufen, kniete nieder und küsste die Basaltoberfläche des Altars, während er den Katechismus der Beteuerung hauchte. Dann erhob er sich und fing an zu beten, während die Ultramarines den Kopf neigten. »Göttlicher Gebieter der Menschheit. Wir, deine demütigen Diener, entbieten dir unseren Dank für diesen neuen Tag. Während wir unsere Kraft auf die ehrenwerte Schlacht richten, frohlocken wir über die Gelegenheit, die du uns bietest, unsere Stärken und Talente in deinem Namen einzusetzen. Die Welt Pavonis wird von degenerierten Nichtmenschen heimgesucht und ist von Hader zerrissen. Mit deiner Gnade und deinem Segen wird die Weisheit des Imperiums bald wieder obsiegen. Dafür danken wir dir und bitten um nichts außer der Möglichkeit zu dienen. Dies beten wir in deinem Namen. Gelobt sei Guillaume!« »Gelobt sei Guillaume!«, wiederholten die Space Marines. Clausel senkte die Arme und wartete mit vor der Brust verschränkten Armen ab, da Hauptmann Uriel Ventris vor seine Männer trat. Er war nervös, da dies seine erste Ansprache an die Kompanie war, und im Geiste schalt er sich wegen seines Mangels an Konzentration. Er kämpfte seit über einem Jahrhundert gegen die Feinde der Menschheit, und jetzt war er unruhig, weil er zu einer Kompanie Space Marines sprechen würde? Uriel ließ den Blick über die versammelten Schlachtbrüder seiner Kompanie wandern, dieser größten aller Menschen, und nickte dem riesigen, bärgleichen Sergeant Pasanius zu. Sein Jugendfreund war in der Ausbildung weiter gewachsen und bei weitem der stärkste Space Marine im Orden. Neben seiner riesigen Gestalt wirkten die meisten seiner Schlachtbrüder wie Zwerge, und die Tech-Marines waren schon früh während seiner Ausbildung gezwungen gewesen, eine einzigartige Rüstung für seine riesige
Statur aus den ausgeschlachteten Teilen einer irreparabel beschädigten Terminatus-Rüstung zu schmieden. Pasanius bedachte Uriel mit einem unmerklichen Nicken, und er spürte sein Selbstvertrauen wachsen. Der erfahrene Sergeant war ein Fels für Uriel gewesen, an dem er sich bei seinem Aufstieg durch die Ränge hatte festhalten können, und er war stolz, ihn einen wahren Freund nennen zu dürfen. Hinter Pasanius sah er die königlichen, wie gemeißelt wirkenden Züge von Sergeant Learchus und dessen Kamerad Cleander. Sie waren alle längst über kindische Rivalitäten hinaus und hatten einander bei mehr als einer Gelegenheit das Leben gerettet, aber sie waren nie Freunde geworden und hatten auch nicht das Band der Bruderschaft geknüpft, das den Rest des Ordens durchdrang. Es ärgerte Uriel, dass er immer noch solche Schwierigkeiten hatte, eine Verbindung zu seinen Männern herzustellen, wie dies wahrhaft große Offiziere taten. Idaeus war ein natürlicher Anführer gewesen, der sich bei der Austragung seiner Schlachten regelmäßig auf seine eigenen Lösungen verlassen hatte, anstatt sich an den heiligen Codex Astartes zu wenden, jenem Buch über den Krieg, das der große Roboute Guillaume persönlich verfasst hatte. Er hatte seine Männer mit einer instinktiven Leichtigkeit geführt, der Uriel schwerlich entsprechen konnte. Er richtete sich zu voller Größe auf, während er beschloss, Idaeus' Rat anzunehmen und seinen eigenen Führungsstil zu finden. Die Vierte Kompanie war jetzt seine, und er würde dafür sorgen, dass die Männer dies erfuhren. »Rühren!«, rief er, und seine Krieger entspannten sich eine Winzigkeit. »Ihr kennt mich alle. Ich habe über ein Jahrhundert neben den meisten von euch gekämpft. Und aus dieser Weisheit heraus sage ich, seid dankbar für diese Gelegenheit, unsere Ergebenheit für unseren Primarchen und den Imperator zeigen zu können.« Uriel legte voller Absicht die Faust auf den Knauf von Idaeus' Schwert und betonte damit noch einmal die Tatsache, dass der ehemalige Hauptmann der Kompanie es an ihn weitergegeben hatte. »Ich weiß, dass ich noch nicht lange euer Anführer bin, und ich weiß auch, dass einige von euch es vorziehen würden, wenn ich nicht euer Hauptmann wäre«, fuhr Uriel fort.
Uriel hielt kurz inne und wog seine nächsten Worte sorgfältig ab. »Hauptmann Idaeus war ein großer Mann, und ihn sterben zu sehen, war das Schlimmste, was ich je erlebt habe. Niemand trauert mehr um ihn als ich, aber er ist tot und jetzt bin ich hier. Ich habe das Licht des Imperators in jeden Winkel dieser Galaxis getragen. Ich habe in brennenden Schwarmschiffen gegen die Tyraniden gekämpft, ich habe die furchtbaren Krieger des Chaos auf Welten voller unaussprechlicher Schrecken getötet, und ich habe in kahlen Eiswüsten Orks besiegt. Ich habe neben einigen der größten Krieger des Imperiums gekämpft, und ich sage euch Folgendes: Ich bin Hauptmann dieser Kompanie. Ich bin Uriel Ventris von den Ultramarines, und ich werde eher sterben, bevor ich Unehre über den Orden bringe. Es ist mir eine Ehre, Teil dieser Bruderschaft zu sein, und könnte ich mir einen Krieger aussuchen, der neben mir kämpfte, könnte ich keine besseren Männer wählen als diejenigen der Vierten Kompanie. Jeder Mann hier und jeder einzelne unserer verehrten Toten hat sich auf eine Weise bewährt, auf die unseresgleichen stolz sein kann. Ich salutiere vor euch allen!« Bei diesen Worten zog Uriel mit verschnörkelter Bewegung Idaeus' Kraftschwert aus der Scheide und hob es hoch über den Kopf. Saphirblaue Energiefäden blitzten auf der Klinge des meisterlich geschmiedeten Schwerts und fingen das von den Elektrofackeln geworfene Licht ein. Die Marines erhoben sich und schlugen sich mit der geballten Faust auf den Brustharnisch, sodass ein ohrenbetäubender Lärm durch die Kapelle hallte. »Wir sind Ultramarines!«, rief Uriel. »Und kein Feind kann uns widerstehen, solange wir unseren Glauben an den Imperator bewahren.« Uriel trat hinter das hölzerne Lesepult und warf einen Blick auf die Datentafel, die clever in seine Oberfläche eingearbeitet war. Er brauchte nicht von der Tafel abzulesen. Er hatte sich die Einzelheiten ihrer Mission in der Woche eingeprägt, die sie im Flug durch den Warpraum verbracht hatten, aber die Einzelheiten griffbereit zu haben, war beruhigend. »Wir fliegen zu einer Welt namens Pavonis, und man hat uns mit der Aufgabe betraut, sie in den Schoß des Imperiums zurückzuführen. Pavonis hat seine Pflicht gegenüber dem Imperator
vernachlässigt. Sie gibt Ihm nicht, was Ihm zusteht. Um die Situation zu bereinigen, hat man uns den Schutz eines Adepten des Administratums anvertraut, der die Herrscher von Pavonis in der korrekten Ausübung ihrer Pflichten unterweisen wird. Die Herrscher von Pavonis scheinen zu glauben, dass die Gesetze des Imperators für sie keine Gültigkeit haben. Gemeinsam werden wir ihnen das Gegenteil beweisen. Gesegnet sei der Primarch.« »Gesegnet sei der Primarch«, wiederholten die Space Marines. Uriel hielt inne, bevor er fortfuhr, da er sich wünschte, er wüsste mehr über den Adepten, den sie beschützen sollten. Er war dem Mann, dessen Schutz ihm Marneus Calgar anvertraut hatte, noch nicht einmal begegnet. Bisher hatte der Adept den gesamten Flug in seinen Gemächern und ausschließlich in Gesellschaft seines Gefolges von Schreibern, Klerikern und Dienern verbracht. Nun, er würde bald herauskommen müssen. Die Vae Victus war nur noch eine Tagesreise von ihrem Bestimmungsort entfernt. Uriel senkte die Stimme, während er zum nächsten Punkt seiner Einweisung kam. »Vielleicht als Resultat des Unvermögens der Herrscher von Pavonis, den Gesetzen des Imperators ausreichend Geltung zu verschaffen, hat sich eine Gruppe formiert, die sich selbst die Kirche der Alten Sitten nennt. Diese Ketzer haben eine Serie von Bombenanschlägen durchgeführt, da sie eine Rückkehr zu den Zeiten vor dem prächtigen Imperium wollen.« Ein Murmeln der Ungläubigkeit lief durch die Reihen. »Bis heute haben sie dreihundertneunundfünfzig Diener des Imperators getötet und unschätzbaren Schaden angerichtet. Sie legen Bomben in Seinen Manufakturen. Sie töten Seine Priester und brennen Seine Tempel nieder. Gemeinsam werden wir sie aufhalten. Gesegnet sei der Primarch.« »Gesegnet sei der Primarch.« »Aber, Brüder, die Welt Pavonis leidet nicht nur unter dem Übel der Ketzer im Innern. Nein, die ketzerische Plage des Nichtmenschen ist über Pavonis gekommen. Diese Raumregion wird schon seit Jahren von den Eldar heimgesucht, einer Rasse, die so arrogant ist, dass sie glaubt, sie könne ungestraft unsere Raumsektoren plündern und Eigentum stehlen, das rechtmäßig dem Imperator gehört. Gemeinsam werden wir ihnen zeigen, dass sie das nicht können. Gesegnet sei der Primarch.« »Gesegnet sei der Primarch.«
Uriel entfernte sich vom Lesepult. »Kehrt in eure Zellen zurück, meine Brüder. Haltet eure Ausrüstung in Ehren, auf dass sie euch in den Zeiten des bevorstehenden Krieges schützen möge. Der Imperator sei mit euch allen.« »Und mit Ihnen, Hauptmann«, sagte Pasanius, indem er aus der Reihe trat und sich vor Uriel verbeugte. Zunächst zögerlich, aber unter dem Eindruck, dass Pasanius Uriel akzeptierte, trat die Kompanie einen Schritt vor und verbeugte sich vor ihrem neuen Hauptmann, bevor sie die Kapelle verließ. Pasanius war der Letzte, der ging, und er drehte sich noch einmal zu ihm um. Uriel nickte seinem ältesten Freund dankbar zu. Archon Kesharq nickte seinem Stellvertreter zu. »Hauptgenerator langsam hochfahren und Aktivierung der Imitationsmaschinen vorbereiten«, befahl er mit feucht raspelnder und hässlicher Stimme. »Jawohl, erhabener Archon.« Kesharq betupfte seinen nässenden Hals mit einem Dufttuch und hustete einen Klumpen blutiger Materie in einen Kelch neben sich. Mittlerweile fiel ihm selbst das Sprechen schwer, und er schluckte mühsam und belegte den Namen Asdrubael Vect wieder einmal mit dem Fluch eines Lebens der Tausend Leiden. Die eitrige Wunde in seinem Nacken würde niemals heilen. Dafür hatte Vects Haemonculus in den Folterkammern unter dem Palast der Kabale gesorgt. Kesharqs Griff nach der Macht über die Kabale war bis ins Detail geplant gewesen, aber Vect hatte von seinem Verrat gewusst, und der Coup war gescheitert, noch bevor er begann. Monate der Folterung waren gefolgt. Er hatte um die Erlösung gebettelt, aber der Haemonculus hatte ihn immer nur an den Rand des Todes gebracht, um ihn dann wieder zurückzuziehen in ihre Hölle unendlicher Qualen. Er hatte damit gerechnet, dort zu sterben, aber Vect hatte seine Freilassung und das Aufnähen seiner Haut auf die Reste seiner Muskulatur befohlen. Er erinnerte sich noch an Vects wunderschönes, grausames Gesicht, wie es ihn angelächelt hatte, während er in einem seltenen Augenblick geistiger Zurechnungsfähigkeit und Klarheit dalag. Er hatte versucht, die Augen zu schließen, um Vects hämisches Grinsen zu verbannen, aber die Augenlider
waren ihm bereits eine Woche zuvor sauber abgeschnitten worden. »Du glaubst, dass du hier sterben wirst?«, fragte der oberste Herrscher der Kabale des Schwarzen Herzens. Ohne eine Antwort abzuwarten, schüttelte der dunkle Eldarfürst langsam den Kopf und fuhr fort. »Das wirst du nicht. Diesen Luxus werde ich dir nicht gestatten«, versprach Vect, indem er mit seinen perfekt manikürten Nägeln über die freiliegenden Knochen von Kesharqs Rippen strich. »Du warst ein eitler Narr, Kesharq, mit deinen Plänen bezüglich meines Todes zu prahlen, wo du doch gewusst haben musst, dass meine Spione mir alles brühwarm weitererzählen würden.« An dieser Stelle hatte Vect geseufzt, als sei er mehr enttäuscht als wütend. »Verrat und Täuschung kann ich verstehen und sogar verzeihen. Aber Dummheit und Unfähigkeit verärgern mich nur. Deine kolossale Eitelkeit und dein ausuferndes Ego waren dein Verderben, und ich halte es nur für passend, dass sie auch in der Niederlage deine ständigen Begleiter bleiben. Ich schicke dich von Commorragh ins Exil, verbanne dich aus unserer finsteren Stadt und jage dich in die Wildnis mit der Beute-Rasse.« Kesharq hatte Vect nicht geglaubt und alles für eine ausgeklügelte Täuschung gehalten, um Hoffnungen in ihm zu wecken, er möge doch überleben, nur um auch diese zu zerschlagen. Doch Vect hatte nicht gelogen. Weniger als eine Woche später hatten er und die Überlebenden seiner Splitter-Kabale gedemütigt und in Schande Commorragh verlassen. Kesharq hatte dem Haus Asdrubael Vects Rache geschworen, aber sein ehemaliger Herrscher hatte nur gelacht, und die Laute seiner Belustigung waren wie feurige Peitschenhiebe auf seine Seele gewesen. Jetzt würde Vect bald nicht mehr lachen, und Kesharq kam wieder die Belohnung in den Sinn, die ihn erwartete, wenn er den dummen Kyerzak erst einmal überlistet hatte. Aber zuerst musste er sich dieser neu eingetroffenen Bedrohung für seinen sorgfältig durchdachten Plan widmen. Der Todesstoß war so nahe, dass Kesharq das Blut der Space Marines auf seinen empfindungslosen Lippen zu schmecken vermeinte. Er erhob sich von seinem Kommandosessel und ging zum Hauptschirm. Trotz der Lockerheit seiner Haut und der breiten
Axt auf seinem Rücken bewegte er sich so graziös wie ein Tänzer. Seine segmentierte grüne Rüstung glänzte wie polierter Jade und betonte die blasse, tote Hautmaske seines Gesichts. Leblose weiße Haare mit violetten Streifen fielen ihm um die Schultern und wurden von einem roten Diadem auf der Stirn zusammengehalten. Er befeuchtete seine lidlosen Augen mit einem feinen Sprühregen aus einem winzigen Zerstäuber und studierte das Bild vor sich. Ihm auf den Fersen folgte ein schnappendes Rudel grotesker Kreaturen, jede einzelne aus wahllos zusammengenähten Fleischfetzen zu einer wogenden Masse aus Krallen und Zähnen zusammengesetzt. Dies waren die Exkrente, Kesharqs Schoßtierchen, die ihre Existenz einer Laune seines obersten Haemonculus verdankten. Sie umschwärmten die Beine ihres Herrn und Meisters und zischten in hirnloser Bösartigkeit mit ihren gelben, giftigen Fängen alles und jeden an, das und der es wagte, in ihre Nähe zu kommen. Die Beute war jetzt fast in Reichweite, und Kesharqs Erregung nahm zu. Blut pulsierte durch seine Adern beim Gedanken an die Schmerzen, die er den Leichengottkriegern zufügen würde. Seine Mundwinkel zuckten voller Vorfreude, und bei dem Gedanken daran juckte es ihn in den Fingern. Kesharq beschloss, einen als Spielzeug am Leben zu lassen, der in beständiger Qual wimmern würde, während er dabei zusah, wie seine Kameraden langsam zerschnitten wurden, um seine Exkrente mit frischem Fleisch zu versorgen. »Erhabener Archon, das Beuteschiff ist in Waffenreichweite«, zischte sein Stellvertreter. »Ausgezeichnet«, lächelte Kesharq unter seiner Haut. »Waffen hochfahren und Nachahmungsmaschinen einschalten.« Das Feindschiff war noch zu weit entfernt, um es auf dem Bildschirm sehen zu können, aber Kesharq bildete sich ein, seine Nähe zu spüren. Er kehrte zu seinem Kommandosessel zurück und zog die Axt aus der Scheide. Er spielte gern mit ihrer OnyxKlinge, wenn er ein Schiff erledigte, auf dass ihre Seele auch weiterhin nach Blut dürsten mochte. »Wir fliegen aus dem vorderen Steuerbord-Quadranten ein, sodass wir die Sonne im Rücken haben«, befahl Kesharq. Er strich über die Fraktalschneide seiner Axt.
»Bitte um Erlaubnis, auf die Brücke kommen zu dürfen, Lordadmiral.« Tiberius drehte sich an seinem Lesepult um, und als er zwei berobte Männer im Eingang zur Kommandobrücke stehen sah, hatte er Mühe, sich seine Verärgerung nicht anmerken zu lassen. Zivilisten auf der Brücke versuchte er grundsätzlich zu vermeiden, aber dieser Adept trug das höchste Siegel des Administratums bei sich, und es wäre unhöflich gewesen, ihm seine Bitte abzuschlagen. Tiberius nickte zustimmend und stieg von seiner Kanzel herab, während das berobte Duo die Treppe des Kreuzgangs zum Kommandoschiff erklomm. Einer der beiden war ein ehrwürdiger Greis in dicken Gewändern, der sich beim Gehen der Hilfe eines elfenbeinernen Stocks bediente, der andere war ein Mann vielleicht in den Vierzigern mit einem unauffälligen Gesicht und nichts sagenden Zügen. Tiberius stellte bei sich fest, dass der Mann wie alle anderen gesichtslosen Adepten des Administratums aussah, denen er je begegnet war. Der ältere Mann schien von seiner Umgebung unbeeindruckt zu sein, aber der Mann mit dem nichts sagenden Gesicht strahlte eindeutig Begeisterung aus. »Vielen Dank, Lordadmiral. Sehr freundlich von Ihnen, uns auf die Brücke zu lassen, Ihr Allerheiligstes, Ihr Ausguck, wenn Sie so wollen. Sehr freundlich.« »Kann ich irgendetwas für Sie tun, Adept Barzano?«, fragte Tiberius, Barzanos unablässigen Wortschwalls bereits überdrüssig. »Ach bitte, Lordadmiral, nennen Sie mich doch Ario«, erwiderte Barzano fröhlich. »Mein persönlicher Schreiber Lortuen Perjed und ich wollten vor unserer Ankunft auf Pavonis nur die Brücke Ihres gewaltigen Raumschiffs besichtigen. Da wir bisher sehr beschäftigt waren, hatten wir noch nicht viel Gelegenheit, unsere Umgebung zu bewundern.« Barzano ging durch das Mittelschiff zum Aussichtsdeck, das gegenwärtig die winzige Scheibe von Pavonis und den flammenden Ball seiner Sonne zeigte. Barzano betrachtete im Vorbeigehen eingehend mehrere der von Servitoren bemannten Stationen. Er drehte sich um und bedeutete Tiberius und Lortuen Perjed, ihm zu folgen. Der Schreiber zuckte die Achseln und folgte seinem Vorgesetz-
ten, der sich über eine Monitorstation gebeugt hatte und mit der Hand vor dem leeren, ausdruckslosen Gesicht eines Servitors herumwedelte. Die lobotomisierte Kreatur ignorierte den Adepten, da ihr kybernetisch verändertes Hirn nicht einmal dazu fähig war, seine Anwesenheit zu registrieren. »Faszinierend, absolut faszinierend«, stellte er fest, als Tiberius sich zu ihm gesellte. »Was macht dieser hier?« Seine Ungeduld beherrschend, sagte Tiberius: »Diese Station überwacht die Temperaturabweichungen im Plasmakern.« »Und der da?« »Der reguliert die Sauerstoff-Wiederaufbereitungseinheiten auf den Geschützdecks.« Doch Barzano war bereits weiter durch den Torbogen des Querschiffs zu den Divinations-Stationen gegangen, wo Offiziere der Space Marines neben den reglosen Senatoren arbeiteten. Ein paar Gesichter wandten sich ihm bei seinem Eintreten zu, doch Barzano schüttelte den Kopf. »Kümmern Sie sich gar nicht um mich. Tun Sie so, als wäre ich gar nicht da.« Er stellte sich vor einen mit Stein eingefassten Planungstisch in der Mitte der Kammer, stützte die Ellbogen auf und studierte die Fülle taktischer Informationen auf der darin eingebetteten Tafel. »Das ist wirklich faszinierend, Lordadmiral, wirklich faszinierend«, wiederholte Barzano. »Ich danke Ihnen für Ihr Interesse, Adept Barzano, aber...« »Ario, bitte.« »Adept Barzano«, fuhr Tiberius fort. »Dies ist ein Kriegsschiff und kein...« »Lordadmiral«, unterbrach Philotas, Tiberius' Deck-Offizier. Tiberius eilte zu der verwirrend komplexen Anordnung runischer Anzeigetafeln, vor denen der Deck-Offizier seiner Arbeit nachging. »Sie haben etwas?« »Einen neuen Kontakt, Lordadmiral. Sechzigtausend Kilometer vor uns«, sagte Philotas, indem er die Runen vor sich justierte und auf die Anzeige vor sich starrte. »Die Mittelstrecken-Auguren haben soeben einen Plasma-Energie-Ausschlag registriert.« »Was ist es?«, fragte Tiberius rasch. »Ein Schiff?« »Ich glaube schon, Lordadmiral. Aus Richtung null-drei-neun.« »Identifizieren Sie es. Klasse und Typ. Und finden Sie heraus, wie es ihm gelungen ist, so verdammt nah an uns heranzukommen, ohne von uns entdeckt zu werden!«
Philotas nickte und beugte sich wieder über seine Kontrollen. Ario Barzano studierte die taktische Karte auf dem Mitteltisch und zeigte auf das Echo, das den unbekannten Kontakt darstellte. Zahlenkolonnen huschten daneben über die Tafel, eine erschöpfende Informationsfülle zu dem unbekannten Schiff. »Das ist der Kontakt?«, fragte er. »Ja, Adept Barzano, das ist er«, schnauzte Tiberius. »Aber ich habe jetzt gerade keine Zeit, sie in die Feinheiten der Raumschiffführung einzuweisen.« »Lordadmiral?«, rief Philotas. »Ja?« »Ich habe die Antriebssignatur des unbekannten Kontakts identifiziert, Lordadmiral«, bestätigte der Deck-Offizier. »Es ist die Galant, ein Schiff der Systemabwehr von Pavonis.« »Ziel nähert sich Energielanzen-Reichweite, erhabener Archon.« Kesharq fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, schmeckte das dort geronnene Blut und zitterte vor kaum beherrschter Erregung. Ja, die Narren schluckten den Köder und hielten die Sturmreiter für eines ihrer Schiffe. »Hauptenergie auf die Lanzen-Batterien legen und in Reserve halten. Ich will einen einzigen vernichtenden Schlag landen.« »Jawohl, erhabener Archon.« Tiberius schritt zu seiner Kapitänskanzel zurück. »Kommunikation, nehmen Sie Verbindung mit der Galant auf und richten Sie Ihrem Kapitän Grüße von mir aus.« »Jawohl, Lordadmiral.« Der Kapitän der Vae Victus starrte auf die Aussichtsschirme in der Hoffnung, die Umrisse des Schiffs der Systemabwehr zu sehen, aber die flammende Korona der Sonne in der Mitte des Systems ließ ihn so gut wie nichts erkennen. Er wandte sich wieder zur Divinationskontrolle um und spürte, wie ihm der Geduldsfaden riss, als er Barzano vor der Dateneingabenische einer der Logikbänke seines Schiffs stehen sah. »Adept Barzano?«, fragte Tiberius. Der Adept winkte ab, während er aufmerksam auf die Tafel vor sich starrte, und Tiberius kam zu dem Schluss, dass er jetzt genug von Adept Ario Barzano hatte. Adept der höchsten Autoritätsstufe hin oder her, niemand benahm sich dem Kommandant eines
Raumschiffs gegenüber derart respektlos. Tiberius kam von seiner Kanzel herab - als Barzano plötzlich aus der Divinationskontrolle zu ihm gelaufen kam. »Lordadmiral, fahren Sie die Schirme hoch, und lassen Sie die Waffen schussbereit machen!«, befahl Barzano, in dessen Stimme plötzliche Autorität lag. Tiberius verschränkte die Arme vor seiner massigen Brust und schaute in das angespannte Gesicht des Adepten. »Und warum sollte ich das tun, Adept Barzano?« »Weil«, zischte Barzano dringlich, »den Schiffsverzeichnissen des Ultima Segmentum zufolge die Statthalterin von Pavonis die Galant vor fünf Jahren als mit Mann und Maus zerstört gemeldet hat, Lordadmiral.« Tiberius spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich, als ihm die Implikationen und das Ausmaß der Gefahr aufgingen, in dem sein Schiff und seine Mannschaft schwebten. »Hart Steuerbord!«, rief er. »Schutzschirme hochfahren und Energie auf die vorderen Linearbeschleuniger!« »Feuer!«, rief Archon Kesharq, als er den gewaltigen Bug des Schiffs der Space Marines zu ihnen herumschwingen sah. Das Schiff erbebte, als die vorderen Lanzen-Batterien seiner Beute tödliche Energiestrahlen entgegenjagten. Einen Herzschlag später hatten sie die Entfernung überbrückt. Der Bildschirm flammte auf, als kolossale Energiemengen den Schlachtkreuzer trafen und mit unvorstellbarer Gewalt explodierten. Ein greller Leuchtkranz bildete sich um die Vae Victus, als die ersten Einschläge die Schutzschirme des Schiffs überluden. Die folgenden Energiestöße detonierten auf dem gepanzerten Bug des Schiffs und ließen Flammen und Sauerstoffwolken aus ihrem getroffenen Bug schlagen. So viel zerstörerische Kraft in solcher Nähe zu entfesseln, war wahrhaft erhebend, und Kesharq brüllte triumphierend. Selbst auf diese Entfernung konnte er erkennen, dass der Schaden, den die Energielanzen angerichtet hatten, entsetzlich war. Meterdicke Schichten aus Adamantium waren wie Dünnblech vom Rumpf des Raumschiffs abgeschält worden, und gezackte Stahlstreben hingen schlaff aus dem Teil des Bugs, in den die Lanzen eingeschlagen waren. Ströme aus gefrierendem Sauerstoff kristallisierten, während sie
aus dem geborstenen Rumpf schossen, und Druckschotts mühten sich, das Leck einzugrenzen. Kesharq wusste, dass hunderte bei diesem ersten Angriff gestorben sein und viele mehr ihnen schreiend in die Hölle gefolgt sein mussten, als ihre Kabinen plötzlich in den Raum geblasen wurden. Kesharq lachte. »Feindschiff umfliegen und Heck ansteuern. Antrieb lahm legen.« Die Brücke der Vae Victus kippte zur Seite, und die gesamte Brückenbesatzung ging zu Boden, als sich die gewaltige Explosion durch den Rumpf des Schiffs fortpflanzte. Folgeexplosionen im Anschluss daran klangen auf der Brücke wie dumpfe Schläge. Warnglocken läuteten, und die Kommandobrücke war plötzlich in rotes Licht getaucht, als der Schlachtkreuzer auf Gefechtsstation ging. Rettungstrupps löschten Brände und kümmerten sich um die Verwundeten, während Dampf, Rauch und Flammen aus geborstenen Leitungen und Überwachungsstationen schossen. Dutzende von Ser-vitoren sanken leblos von ihren Sitzen. Tiberius rappelte sich vom Boden auf. Er hatte eine tiefe Risswunde in der Wange, doch das Blut war bereits geronnen. »Schadensmeldungen! Sofort!«, brüllte er. Er lief zum Feuerleitstand und wand den Ziel-Servitor aus der Bedienleiste. Er war tot, die wächserne Haut schwarz und verbrannt und die Kontrollen zerstört. Die Logikmaschinen mühten sich, das Ausmaß ihrer Beschädigungen zu ermitteln, aber Tiberius wusste bereits, dass sie schwer verwundet waren. Nicht tödlich, aber doch ernsthaft. »Die Schutzschirme sind überladen. Wir haben Durchbrüche auf den Decks sieben bis neun«, rief der Deck-Offizier. »BugBombardierungsgeschütz ist vorübergehend nicht einsatzbereit, und der Haupthangar wurde getroffen. Wir hatten Glück. Die letzten Energiestrahlen haben uns nur gestreift, Lordadmiral. Ihre Wende ins Feuer hat uns gerettet.« Tiberius grunzte, da er sich dieses Kompliments nicht würdig fühlte, und kehrte in seine Kommandokanzel zurück. Barzanos Warnung war keinen Augenblick zu früh erfolgt, und ihr hatten sie die Rettung des Schiffs zu verdanken. Die Schirme hatten kaum gestanden, als die Vae Victus auch schon unter dem Beschuss des Feindes erbebt war.
Tiberius starrte auf die Aussichtsschirme, wütend auf sich selbst, weil er sich hatte übertölpeln lassen, während er zusah, wie sich eine fließende schwarze Form, deren Hauptsegel sich im Sonnenwind kräuselte, aus dem schützenden Glanz der Sonne schälte und an ihrer Steuerbordflanke vorbei außer Sicht glitt. »Eldar!«, fluchte Tiberius. Woher, bei allen neun Höllen, war das Schiff gekommen? Wie, im Namen Guillaumes, hatte es ihre Divinatoren und Auguren täuschen können? »Divinationskontrolle! Ich brauche eine verstärkte und vollständige Sondierung des gesamten Gebiets. Sagen Sie mir, was im Namen des heiligen Terra da draußen ist! Die Steuerbordbatterien haben uneingeschränkte Feuererlaubnis!« Philotas nickte und gab die Befehle des Lordadmirals eiligst weiter. »Und jemand soll dieses verfluchte Glockengeläut abstellen!« Auf der Brücke wurde es plötzlich still, als die Sakristeiglocke verstummte. Das Zischen beschädigter Maschinerie, das Knistern von Funken und das benommene Stöhnen verwundeter Servitoren waren die einzigen Geräusche. Er spürte die Vibrationen, als die Steuerbordbatterien das Feuer eröffneten, aber er bezweifelte, dass sie ohne eine richtige Feuerleitstelle etwas treffen würden. Tiberius wischte sich das geronnene Blut von der Stirn, während Ario Barzano zur Kapitänskanzel schwankte und dabei die zusammengesunkene Gestalt seines Schreibers stützte. Perjed blutete aus einer Kopfwunde, aber sie war nicht tief, und als Barzano den ehrwürdigen Schreiber auf eine Stufe der Kreuzgangtreppe gesetzt hatte, lief er zur Divinationskontrolle zurück. Tiberius rief dem Adepten zu: »Meinen Dank für die zeitige Warnung, Adept Barzano.« Dann rief er den taktischen Plan auf seinem Pult auf, aber auf der Tafel wimmelte es von anomalen Anzeigen, und die Kurzstreckendivinatoren fingen Dutzende von Echosignalen auf. Verwünschte nichtmenschliche Magie! Und eines der Echos konnte der Eldar-Pirat sein. Er musste sein Schiff retten, aber was konnte er mit derart wirren Informationen anfangen? Andererseits war eine schlechte Entscheidung besser als gar keine. »Ruderkontrolle, hart Steuerbord und Feuer aus allen Batterien. Legen Sie Entfernung zwischen uns und diesen Bastard! Wir brauchen Platz zum Manövrieren.«
»Nein, Lordadmiral!«, rief Barzano vom Taktiktisch. »Ich glaube, dass wir es mit einem Schiff der finsteren Verwandten der Eldar zu tun haben. Ich habe von solchen Schiffen gelesen, und wir dürfen uns auf keinen Fall von ihm wegbewegen.« Tiberius zögerte, da er nicht daran gewöhnt war, dass man ihm auf seiner eigenen Kommandobrücke widersprach, aber der Adept hatte bisher Recht gehabt und schien mehr über die Fähigkeiten des Feindschiffs zu wissen. »Also gut, Adept Barzano. Die Zeit ist knapp. Was soll ich Ihrer Ansicht nach tun?« »Wir müssen näher an den Feind heran, ihn mit Feuer eindecken und auf einen Glückstreffer hoffen, der seine Holofelder durchschlägt.« »Tun Sie das!«, schnauzte Tiberius seinen Ruder-Offizier an. »Backbordmanövrierdüsen zünden und auf neue Richtung nullneun-null beidrehen!« Kesharq sah, wie das beschädigte Schiff sich auf dem Bildschirm vor ihm um die eigene Achse drehte. Der geborstene Bug schwang rasch herum und, ging ihm plötzlich auf, kam näher. Er fluchte, als ihm klar wurde, dass jemand an Bord des Feindschiffs über die Fähigkeiten seines Schiffs Bescheid wissen musste. Er zeigte auf den Bildschirm und schrie: »Bringt uns hinter den Feind, verwünscht sei eure Seele!« Die Brücke erbebte, als die Explosionen des schweren Batteriefeuers rings um das Schiff erblühten. Die feindlichen Kanoniere konnten ihre Position nicht genau ausmachen, aber bei so einer Kanonade war es nur eine Frage der Zeit, bis man sie treffen würde. Und die Sturmreiter war nicht dafür ausgelegt, solche Treffer zu verkraften. Die Vae Victus mühte sich, ihnen mit ihrer Drehung zu folgen, aber bei so einem Wettstreit konnte es nur einen Sieger geben. »Bug-Torpedorohre sind feuerbereit, erhabener Archon!« »Ganzer Fächer!«, schrie Kesharq. »Feuer!« »Torpedos im Anflug, Lordadmiral!«, warnte Philotas. »Der Imperator verdamme sie in die Hölle! Hart backbord! Abwehrtürme, Feuer eröffnen!« »Breitseiten-Batterien auf den Ursprung der Torpedos ausrichten und schießen!«, rief Barzano.
»Feuerleitstand, Befehl ausführen!«, bestätigte Tiberius. Die Brücke schwankte heftig, und Tiberius hielt sich an der Kanzel fest, als die Vae Victus ihre Drehung rückgängig machte. Sechs Torpedos jagten der Vae Victus entgegen, und nichtmenschliche Peil-Störsysteme erzeugten ein Verzerrerfeld, das es ihrer Beute extrem erschwerte, sie abzufangen. Auf derart kurze Entfernung und bei solch heftigem Gegenfeuer war es unvermeidlich, dass einige der Torpedos nicht durchkommen würden, und zwei explodierten auch, als die Kanoniere der Breitseiten sich eingeschossen hatten. Ein weiterer ließ sich von der Strahlung des beschädigten Bugs ablenken und jagte unter der Vae Victus hindurch, ohne Schaden anzurichten. Die letzten drei Torpedos flogen dem Schlachtkreuzer unbeirrt entgegen und in die Reichweite der Kurzstreckenabwehr des Schiffs. »Drei Torpedos abgeschossen!«, schrie Philotas heiser. »Damit bleiben immer noch drei«, sagte Tiberius. »Holt sie runter!« »Kurzstreckenabwehrtürme visieren jetzt Ziele an!« Der riesige Sichtschirm zeigte die Dunkelheit des Raums mit den hellen Flecken der Explosionen und den eisigen Kondensstreifen der sich nähernden Torpedos. Die gesamte Brückenmannschaft konnte die Waffen anfliegen sehen, und jeder Mann hatte das Gefühl, dass die Sprengköpfe genau zwischen seine Augen zielten. Die Mannschaft hielt den Atem an oder richtete Stoßgebete an den Imperator, als die letzte Verteidigungslinie der Vae Victus das Feuer eröffnete. Jeder Kurzstreckenturm war mit einem Servitor und seinen ganz eigenen Auguren bemannt, die es ihm gestatteten, die Torpedos im Anflug unabhängig anzuvisieren. Die Torpedos waren auf Ausweichmanöver programmiert, aber auf dieser letzten Anflugetappe waren sie am anfälligsten. Als sie langsamer wurden, um ihren endgültigen Zielpunkt anzuvisieren, sank ihre Geschwindigkeit auf ein Niveau, wo sie nicht mehr wirkungsvoll ausweichen konnten, und einer der Torpedos löste sich in einer Salve aus einer Schnellfeuerkanone auf. Eine einzelne Granate eines der Abwehrtürme streifte einen wei-
teren Torpedo. Die Trefferwucht reichte nicht, um den Torpedo zu zerstören, beschädigte aber sein Gyroskop. Sein Leitsystem wähnte die Vae Vidus jetzt direkt über sich, änderte den Kurs und jagte dreihundert Kilometer in die Höhe, bevor er explodierte. Der letzte Torpedo beendete sein abschließendes Manöver und strebte seinem Ziel entgegen. Jedes Geschütz richtete sich auf den Torpedo, und in einem Abstand von weniger als zweihundert Metern schossen sie ihn ab. Hunderte von Granaten trafen den Torpedo, der in einem riesigen Ball aus Feuer und Splittern detonierte. Doch auch die Trümmer bewegten sich noch mit unglaublich hoher Geschwindigkeit, und brennende Trümmerteile des Torpedos trafen den Rumpf, zerstörten eine Kurzstreckenabwehrbatterie, zerfetzten eine Divinationsantenne und brachten eine Reihe Schmuckstatuen auf dem Rumpf zum Einsturz. Der Torpedoangriff war vorbei. Tiberius ließ sich gegen die Kanzel sinken, während er den letzten Torpedo sterben sah, und wusste, dass ihm noch nie ein schönerer Anblick vergönnt gewesen war. Ein rauer Jubel der Begeisterung brach aus den Kehlen des Brückenstabs hervor, dem inbrünstige Dankgebete folgten. »Gut gemacht, Lordadmiral. Wir haben es geschafft«, seufzte Barzano, schlaff vor Erleichterung und in Schweiß gebadet. »Dieses Mal, Ario«, warnte Tiberius. »Wir hatten Glück, aber mit dem Entkorken des Siegesweins sollten wir lieber noch etwas warten.« Er rief dem Deck-Offizier zu: »Was ist mit unserem Erwiderungsfeuer?« »Kommt sofort«, sagte Philotas. »Gut.« Tiberius grinste boshaft. »Es wird Zeit, zu zeigen, dass wir noch Zähne haben.« Kesharq traute seinen Augen nicht. Der Torpedofächer war abgewehrt worden! Die Chancen dafür waren unvorstellbar gering. Während er über die Ungerechtigkeit der Welt sinnierte, beschrieb die Brücke einen jähen Ruck und schleuderte ihn zu Boden. Die massiven Vibrationen naher Explosionen ließen das Schiff heftig erbeben. Lampen blinkten, und Rauch quoll aus zerschmetterter Maschinerie. »Erhabener Archon, wir sind getroffen!«, schrie sein Stellvertre-
ter. »Ja, vielen Dank für diese scharfsichtige Erkenntnis«, spottete Kesharq. »Und wenn ich getötet werde, sei so gut, und weise mich darauf hin. Wie schwer sind wir beschädigt worden?« Der Dunkeleldarlord rappelte sich auf. Ein Lappen seiner Haut hing von seiner Kehle, sodass die nass glänzende Anatomie darunter sichtbar war. Ungehalten wickelte er sie sich wieder um den Hals, während seine Untergebenen sich beeilten, seine Befehle auszuführen. Ein Schwall von Informationen stürmte auf ihn ein, und jede war ernster als die vorherige. »Wir haben einen Energieverlust bei den Holofeldern.« »Das Hauptsegel wurde beschädigt, und einige der Sicherungskabel für die Masten sind gekappt worden.« »Auf dem Folterdeck ist die Rumpfintegrität nicht mehr gewährleistet. Die für die Folter vorgesehenen Gefangenen sind alle tot.« Kesharq wusste, dass diese Schlacht einstweilen vorbei war. Des Schutzes ihrer Holofelder beraubt, war die Sturmreiter zu exponiert und würde ein zu leichtes Ziel für die feindlichen Kanoniere sein. Die Beute hatte sich in der Tat als würdig erwiesen, und er würde nicht den Fehler begehen, diesen Gegner noch einmal zu unterschätzen. »Rückzug!«, befahl er. »Wir kehren zur Basis zurück und reparieren das Schiff. Diese Beute muss noch warten.« »Eldar-Schiff macht sich aus dem Staub!«, rief Philotas, und Tiberius stieß einen aufgestauten Seufzer der Erleichterung aus. »Also gut«, sagte Tiberius. »Kurs auf Pavonis, und wenn wir in Reichweite für eine abhörsichere Funkverbindung sind, informieren Sie die Flottenleitung über die Fähigkeit der Eldar, sich als imperiales Schiff zu tarnen.« »Jawohl, Lordadmiral.« Tiberius rieb sich mit schwieliger Hand den Schädel. Die Eldar hatten sie überrumpelt und ihnen eine schmerzhafte Lektion in Demut erteilt. Er klopfte gegen seine Kanzel und erlegte sich dreißig Nächte Sühnefasten und taktische Studien dafür auf, dass er den Angriff nicht vorhergesehen hatte, bevor er zum Kommandoschiff herabstieg. Ario Barzano hockte unten vor der Kanzel, wischte Blut von Perjeds Stirn und lächelte, als Tiberius sich neben ihn kniete.
»Gut gemacht, Lordadmiral. Ihr rasches Manöver hat uns gerettet.« »Reden wir nicht darum herum, Adept Barzano...« »Ario.« »Also gut... Ario. Ohne Ihre Warnung wären wir jetzt alle tot.« »Gut möglich«, räumte Barzano ein. »Aber ich bin sicher, Sie wären früh genug dahintergekommen, was sie vorhaben.« Tiberius hob skeptisch eine Augenbraue. »Wie kommt es, dass ein Angehöriger des Administratums so viel über nichtmenschliche Schiffe weiß?« Barzano grinste schelmisch. »Ich bin weit gereist, Lazio, dabei vielen interessanten Leuten begegnet und ein guter Zuhörer. Ich schnappe Dinge auf von allem, was ich sehe, und von jedem, dem ich begegne.« Er zuckte die Achseln und fuhr fort. »In meiner Position stoße ich auf viele absonderliche Dinge, und ich achte darauf, sie mir alle einzuprägen. Aber im Ernst, Lordadmiral, die eigentliche Frage ist nicht, woher ich etwas weiß, sondern woher unsere Feinde wussten, wo sie uns finden würden. Ich gehe davon aus, dass Sie uns abseits der normalen Schiffsrouten ins System gebracht haben.« »Natürlich.« Barzano hob die Augenbrauen. »Woher haben sie dann gewusst, dass wir hier sein würden? Ich habe mein Signal nur der Statthalterin von Pavonis geschickt.« »Verdächtigen Sie sie, gemeinsame Sache mit den Eldar zu machen?« »Mein lieber Lordadmiral, ich bin Bürokrat. Ich verdächtige jeden«, lachte Barzano, bevor er wieder ernst wurde. »Aber Sie haben Recht, die Loyalität der Statthalterin gehört zu den vielen Dingen, über die ich mir Gedanken mache.« Bevor Tiberius noch weitere Fragen stellen konnte, ächzte Lortuen Perjed und hielt sich eine leberfleckige Hand an die Stirn. Barzano half dem Schreiber auf und verbeugte sich kurz vor Tiberius. »Lordadmiral, wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen, ich sollte Lortuen zu meinem Leibarzt bringen. Jedenfalls war der Besuch Ihrer Brücke sehr lehrreich. Wir müssen das irgendwann einmal wiederholen, nicht?« Tiberius, der überhaupt nicht mehr wusste, was er von diesem
glattzüngigen Adepten halten sollte, nickte. Und je mehr er darüber nachdachte, desto stärker wurde sein Verdacht, dass Barzano mit dem Angriff auf die Vae Victus gerechnet hatte. Warum sonst hätte er ausgerechnet an dieser Stelle zu einem Besichtigungsrundgang auf die Brücke kommen sollen? Und als es plötzlich ernst geworden war, hatte Barzano sich durchaus auf der Brücke eines Raumschiffs zurechtgefunden. Verdrossen fragte er sich, welche anderen Überraschungen ihn auf dieser Fahrt noch erwarteten.
5. Kapitel Der achteckige Operationssaal war kalt, der Atem der Anwesenden bildete kleine Wölkchen vor ihnen. Die beiden für die Prozedur Verantwortlichen bewegten sich mit seidiger Eleganz durch den düsteren Saal. Das Licht war matt, da die Augen des Chirurgen nicht an Helligkeit gewöhnt waren, und man ging ohnehin davon aus, dass er seine besten Arbeiten in annähernder Dunkelheit ausführte. In der Mitte des Saals war eine gefurchte Metalltafel mit dem Boden verschraubt. Sie war von arkanen Vorrichtungen umgeben, die mit Skalpellklingen, langen Nadeln und Knochensägen geschmückt waren. Der dritte Anwesende, ein nackter männlicher Mensch, lag reglos auf ihrer kalten Oberfläche. Es gab nichts, was ihn dort hielt. Der Chirurg benötigte die totale Bewegungsfreiheit des Körpers zum Arbeiten, und die Drogen würden den Menschen an jeder Bewegung hindern. Der Chirurg hatte genau die richtige Menge verabreicht, um diese Wirkung zu erzielen, aber nicht genug, um ihn daran zu hindern, etwas von der Prozedur mitzubekommen. Wo blieb die Kunst, wenn der Geehrte nichts mehr fühlen konnte? Der Chirurg trug einen anonymen roten Kittel und streifte sich dicke, ellbogenlange Gummihandschuhe über, deren Finger in zierlichen Skalpellen und klickenden chirurgischen Instrumenten endeten. Seine Assistentin beobachtete seine gründlichen Vorbereitungen aus dem Schatten mit einer Mischung aus träger Langeweile und Verehrung. Sie hatte das Geschick des Chirurgen mit seinen Instrumenten
schon viele Male vorher erlebt, und obwohl er wunderbare Dinge vollbringen konnte, war sie doch mehr an ihren eigenen Freuden interessiert. Der Chirurg nickte ihr zu, und sie glitt nackt auf den Zehenspitzen zur Tafel, während sich ihre Lippen in einem verruchten Grinsen teilten. Sie umklammerte die Ränder der Tafel, stieß sich mit den Füßen ab und hob den Körper langsam in die Höhe, bis er sich in senkrechter Streckung befand. Sie ging auf den Händen dem unbewegt daliegenden Menschen entgegen, dann stieß sie sich ab, flog durch die Luft und drehte sich dabei, sodass sie rittlings auf der Gestalt landete. Sie konnte die Angst vor der Prozedur in seinen Augen sehen und lächelte bei sich. Es war immer ihre Angst, die sie erregte. Die sie erregte und abstieß. Dass dieser menschliche Affe glauben konnte, sie, die sie die eintausendundneun Freuden der Finsternis gelernt hatte, könne dies tatsächlich genießen. Ein Teil von ihr war von Selbsthass erfüllt, als ihr wieder einmal aufging, dass sie es tatsächlich genoss, und es bedurfte einer Willensanstrengung, ihre vergifteten Fingernägel nicht durch seine flehenden Augen und in den Sitz seines gebrochenen Geistes zu bohren. Sie schauderte, was der Mensch fälschlich für Lust hielt, beugte sich vor, fuhr mit der Zunge über seine entblößte Brust und spürte, wie sich die Haut unter ihr zusammenzog. Sie arbeitete sich zum Hals empor, biss sanft in die Haut, wobei ihre spitz zugefeilten Zähne die Haut durchdrangen, und schmeckte die Bitterkeit seines schlechten Bluts. Er stöhnte, als ihre Zähne sein Gesicht entlangfuhren und messerscharfe Küsse auf die Kinnlinie hauchten. Ihre langen, blutroten Nägel strichen über seine Rippen und hinterließen rauchende Giftfurchen. Ihre Oberschenkel spannten sich über seinen Hüften, und sie wusste, dass er bereit war. Das Blut sang in seinen fauligen Adern. Sie schaute über die Schulter und nickte dem Chirurgen zu. Obwohl der Mensch sich nicht bewegen konnte, spürte sie das Entsetzen in ihm wachsen. Die Frau sprang elegant über seinen Kopf und landete mit der Anmut einer Turnerin hinter der Tafel, um das Blut auf ihren Zähnen auf den Boden zu speien. Der Chirurg drückte dem Mann den ersten seiner in Klingen endenden Finger gegen den Bauch. Erfahren schnitt er ihn auf, wobei er Haut und Muskeln abschälte wie die Schichten einer Zwiebel.
Der Chirurg arbeitete drei Stunden, in denen er geschickt jeden Zentimeter des Mannes bis auf den Knochen aufdeckte, sodass Fleisch und Organe offen in blutigen Fleischfetzen lagen. Wie leicht es sein würde, einfach mit der Öffnung fortzufahren und sie bis zu seinem Schädel fortzusetzen, bis er nur noch ein schreiendes, fleischloses Skelett sein würde. Die Versuchung war groß, aber er widerstand ihr in dem Wissen, dass Archon Kesharq ihm dieses Elend tausendfach verstärkt auferlegen würde, falls er den Kyerzak zu früh sterben ließ. Summende fremdartige Maschinerie aus Gummischläuchen, zischende Blasebälge und gurgelnde Flaschen mit Blut umgaben die Prozedur und versorgten den immer noch lebenden Kadaver sanft mit Leben erhaltenden Flüssigkeiten. Eine widerliche Metallkonstruktion wie ein gezackter Galgen zog sich aufwärts und über den Tisch und erhielt einen glänzenden, käferartigen Organismus am Leben, der in keuchender Atmung pulsierte. Dünne schwarze Nadeln aus Chitin ragten aus seinem aufgeblähten Bauch und bearbeiteten jeden abgezogenen Hautfetzen. Mit viel zu schnellen Bewegungen, um sie mit dem bloßen Auge noch wahrzunehmen, schälten sie kranke, faserige Materie von jedem Organ und jedem Fleischklumpen und verwoben an ihrer Stelle neue durchsichtige Stränge organischer Materie. Wenn das pulsierende, augenlose Ding mit einem Hautsegment fertig war, hob der Chirurg es vorsichtig zurück auf den Leib und nähte es fein säuberlich wieder fest, bis die Gestalt wieder ganz war. Nur der Kopf blieb ungeöffnet, und der Mund bewegte sich in einem lautlosen Schrei des Schmerzes und der Abscheu. Der Galgen senkte die glänzende Kreatur auf das Gesicht des Mannes, und ihre fleischige Unterseite strich warm über seine Haut. Die schwarzen Nadeln fuhren wieder aus seinem Körper, glitten über die Wangen und arbeiteten sich durch Nase, Ohren, Mund und Augen in den Schädel. Fäden der Qual wanden sich durch das Hirn des Menschen, da jeder Nerv und jedes Blutgefäß herausgerissen und erneuert wurde. Und schließlich war es vollbracht. Der abstoßend aufgequollene Organismus wurde vom Kopf des Menschen gehoben und auf einem breiten Metalltablett am Ende der Tafel deponiert. Der Chirurg nahm eine schmale Knochensäge, während die Kreatur zu zucken anfing und sich ihre Farbe von einem glänzenden Schwarz
zu einem nekrotischen Braun veränderte. Bevor sie zu nichts verfaulte, teilte der Chirurg ihren Thorax mit der Säge und entnahm ihm einen tropfenden gelben Eiersack. Er wurde gebraucht, um einen neuen Organismus für das nächste Mal zu züchten. Der Chirurg nickte der nackten Frau zu, die zurück zu der Tafel tänzelte und den Mann in eine sitzende Stellung aufrichtete. Seine Bewegungen waren langsam und unbeholfen, aber sie wusste, dass sein Unbehagen bald vergehen würde. Er sammelte seine Kleidung auf und legte sich mürrisch einen kurzen blauen Samtmantel mit silbernem Stickbesatz um die Schultern. Er nahm einen Ebenholzstab mit Bronzespitze und schlurfte unter Schmerzen zur Tür des Saals. Ohne sich umzudrehen, schnauzte er: »Was ist? Kommst du?« Sie legte den Kopf auf die Seite, und ihre giftig schönen Züge verzogen sich zu einem verächtlichen Hohngrinsen. Er drehte sich zu ihr um, als spüre er ihren Abscheu. Sein Blick bohrte sich mit einer Mischung aus Hass und Erregung in ihre Augen, und seinem inständigen Flehen konnte sie entnehmen, dass er sehr gelitten hatte. Sie freute sich und nahm an, dass mindestens sechs der eintausendundneun Freuden der Finsternis nötig sein würden, um ihn diesmal zu beschwichtigen. Es war so ein Jammer, dass das Verständnis der Menschen in Bezug auf diese Dinge so beschränkt war.
6. Kapitel Uriel lehnte den Kopf an die vibrierende Innenwand des Thunderhawk, die Hände zum Gebet vor sich gefaltet, da sie mit dem Landeanflug auf Brandontor, Pavonis' Hauptstadt, begannen. Jeder Mann unter Uriels Befehl saß in ehrfürchtigem Schweigen da, die Gedanken auf die Herrlichkeit des Imperators konzentriert. Am anderen Ende der Kabine saß Adept Ario Barzano mit seiner kleinen Armee von Gefolgsleuten, und Uriel schüttelte langsam den Kopf. Wie viele Diener brauchte ein Mensch? All die Jahre seiner Ausbildung in der Agiselus-Kaserne hatten ihm Disziplin und Genügsamkeit eingetrichtert, und es war seltsam, einen Mann zu sehen, der jede niedere Arbeit von einem anderen für sich verrichten ließ. Von frühester Kindheit an brachte man den Bewohnern Ultramars bei, ein Leben der Disziplin,
Selbstverleugnung und Askese zu führen. Barzano lauschte aufmerksam dem Mann, den er als Lortuen Perjed vorgestellt hatte, und nickte eifrig zu den Worten des alten Mannes. Adept Perjed fuchtelte mit dem Finger unter Barzanos Nase herum, als lese er ihm die Leviten, und für einen Moment fragte Uriel sich, wer eigentlich das Kommando hatte. Er verbannte den Adepten aus seinen Gedanken und starrte durch das dicke, in die Wandung des Thunderhawk eingelassene Bullauge nach draußen, da die letzten Wolkenfetzen verschwanden und sich die Masse des Hauptkontinents von Pavonis wie eine Landkarte vor ihm ausbreitete. Uriels erster Eindruck von Pavonis war einer der Gegensätzlichkeiten. Inmitten der ausgedehnten grünen und offenen Landschaft bedeckten Dutzende von Manufakturen mit Materialspeichern, Lagerhallen und Transportknoten, welche sie untereinander verbanden, ungezählte Quadratkilometer in allen Richtungen. Riesige Kräne und gelbe Hebemaschinen krochen durch diese industriellen Zentren und wurden von ungeschlachten rollenden Kästen überholt, die mit Brennstoff und Nachschub für die immer hungrigen Hochöfen beladen waren. Qualmende Kühltürme spien Dampfwolken in die Luft, und ein gelblicher Dunst hielt sich über dem Boden und überwog die Gebäude mit schmutzigen ockerfarbenen Rückständen. Doch vor ihnen, weiter weg von den Manufakturen und mitten in einem Waldgebiet am Fuße eines hohen Gebirges, konnte Uriel einen imposanten Komplex aus weißen Steingebäuden sehen, und er nahm an, dass er einem der herrschenden Kartelle gehören musste, welche die Produktion auf Pavonis beaufsichtigten. Der Thunderhawk flog so tief über den Komplex hinweg, dass eine Herde geschmeidiger, gehörnter Tiere aufgeschreckt wurde und Uriel den mit Marmorsäulen geschmückten Eingang des größten Gebäudes ausmachen konnte. Er verlor den Besitz rasch aus den Augen, da der Thunderhawk dem Band eines rasch dahinfließenden Flusses folgte, und als es eine felsige Klippe umrundete, konnte Uriel die Marmorstadt Brandontor am Horizont erkennen. Der Thunderhawk gewann noch einmal an Höhe und flog einen langsamen Kreis, was Uriel einen eingehenden Blick auf die sternförmige Stadt unter sich gestattete. Rings um die pfeilförmigen Abwehrbastionen gruppier-
te schwarze, rauchende Manufaktur-Siedlungen schwitzten und schafften in der Tageshitze, während die eigentliche Stadt untätig und entspannt im Innern lag und der polierte weiße Marmor ihrer Gebäude in der Mittagssonne strahlte. Die Architektur der Stadt war eine Mischung aus Alt und Neu: Millennienalte Bauwerke grenzten an Kuppeln aus Stahl und Glas und Kristalltürme. Die Straßen waren gepflastert und wurden von Statuen und hohen Bäumen gesäumt. Im Zentrum dieser Ansammlung von Marmor und Glas lag der imperiale Palast des Statthalters von Pavonis. Ein ausgedehnter gepflasterter Platz erstreckte sich vor den Palasttoren, der von weiteren Statuen eingefasst war. Der eigentliche Palast mit seinen weißen Türmen und der mit Zinnen versehenen und im vor einigen tausend Jahren beliebten hochgotischen Stil gehaltenen Brustwehr erhob sich hoch über die Straßen. Frei schwebende Pfeiler aus Bronze stützten einen gewaltigen kannelierten Glockenturm mit einem konischen, mit kostbaren Steinen besetzten Dach aus gehämmertem Gold. Uriel konnte den schwerfälligen Schaukelbewegungen der Glocke entnehmen, dass sie läutete, das Läuten über das Tosen des Antriebs des Thunderhawk aber nicht hören. Die vielen Gebäude, aus denen sich der Palastkomplex zusammensetzte, erstreckten sich über ein riesiges Areal, das einen dicht belaubten Park, einen Sportpavillon und einen kleinen See einschloss. Es war klar, dass die Herrscher von Pavonis gern gut lebten. Wie viel davon, fragte sich Uriel, würden sie zu opfern bereit sein, um sich diesen Stand der Dinge zu bewahren? Wie viel mochten sie bereits geopfert haben? Abgesehen von den ästhetischen Charakteristika des Palasts nahm Uriels geübtes Auge auch die vielen Geschützstellungen zur Kenntnis, die geschickt in die Grundmauern des Gebäudes eingearbeitet waren, und auch Eingänge zu unterirdischen Abschusshangars. Der Palast und eigentlich die gesamte Innenstadt mussten im Falle eines Aufstands oder Kriegs eine gewaltige Bastion bilden. Der Thunderhawk wurde langsamer und schwebte den blinkenden Lichtern einer Landeplattform direkt vor den Palastmauern entgegen, die von einem Ring aus hohen Bäumen umgeben war. Am Rand der Plattform standen ein kleines Beobachtungsgebäude und ein Treibstofftank, der durch hochgefahrene Schirme ge-
schützt war. Uriel betätigte den Öffnungsmechanismus seines Sicherheitsgeschirrs, als ihre Höhe auf zehn Meter gesunken war, und zog sein Boltgewehr aus dem Halfter. Die anderen Space Marines folgten seinem Beispiel. Pasanius und Learchus schritten durch die Kabine, als die grüne Ausstiegslampe zu blinken anfing. »Es geht los! Fertig machen zum Aussteigen und zur Sicherung der Umgebung.« Während die Sergeanten die Männer auf die Landung vorbereiteten, kniete Uriel vor dem kleinen Schrein im Alkoven neben seinem Hauptmannssitz nieder, neigte den Kopf und sprach das Gebet der Schlacht und den Katechismus des Kriegers. Er umklammerte den Knauf des ihm vermachten Energieschwerts, erhob sich und begab sich zur gepanzerten Mannschaftsrampe im vorderen Teil des Kampfflugzeugs. Mit dem Zischen entweichender Luft und dem Kreischen der Hydraulik senkte sich die Rampe rasch herab und krachte auf die Landeplattform. Noch bevor sie ganz unten war, sprangen die beiden Trupps der Ultramarines aus der Maschine und bezogen Sicherungspositionen. Mit dem Boltgewehr im Anschlag hielten sie rechts und links nach möglichen Bedrohungen Ausschau. »Meine Güte, die sind zackig, nicht wahr?«, rief Barzano über das Tosen der Triebwerke des Thunderhawk hinweg, die gerade heruntergefahren wurden. Pasanius schwang seinen gewaltigen Flammenwerfer, während Uriel die Augen verdrehte und hinter Barzano die Rampe hinuntermarschierte. Als die Schutzschirme am Rand der Plattform erloschen waren, kam ein plumper, rotgesichtiger Mann in den schlichten schwarzen Gewändern eines Adepten mit einem Geno-Tastaturfeld aus dem Beobachtungsgebäude. Ein ganzer Wald von Boltgewehren richtete sich auf den Mann, der quiekte und rasch die Hände hob. »Warten Sie! Nicht schießen!«, flehte er. »Ich bin hier, um Adept Barzano zu empfangen!« Barzano, Lortuen und Uriel traten auf die Plattform, und zwei Ultramarines flankierten den Mann und eskortierten ihn zu ihrem Hauptmann. Der Mann schwitzte ausgiebig und sah neben den beiden Giganten links und rechts von ihm wie ein Zwerg aus.
Barzano trat vor, um den Mann mit der lebhaften Gesichtsfarbe zu begrüßen, indem er eine Hand ausstreckte und ihm die andere auf die Schulter legte. »Sie müssen Adept Ballion Varle sein. Ich wünsche einen guten Morgen. Sie kennen mich bereits, Ario Barzano, wir müssen das nicht alles noch einmal durchkauen, aber diese prächtigen Burschen sind von den Ultramarines.« Barzano führte Varle zu Uriel und deutete mit kameradschaftlich lässiger Geste auf den Space Marine. »Das ist Hauptmann Uriel Ventris, und er hat das Kommando über sie. Sie sind gekommen, um dafür zu sorgen, dass hier alles reibungslos abläuft, und sich um einen Teil des Ärgers zu kümmern, mit dem Sie hier zu tun haben, nicht?« Adept Ballion Varle nickte, während er immer noch staunend in die ausdruckslosen Helmvisiere der Space Marines starrte. Uriel bezweifelte, dass er mehr als jedes dritte Wort von Barzanos Ausführungen mitbekam. Barzano legte Ballion einen Arm um die Schulter und drückte den Daumen auf das Geno-Tastenfeld, das der zitternde Adept bei sich hatte. Die Maschine klickte und surrte und läutete schließlich leise. Varle gelang es, den Blick von den gigantischen Kriegern loszureißen und ihn auf das Tastenfeld zu richten. »Nun, zumindest wissen Sie jetzt, dass ich kein Hochstapler bin«, lächelte Barzano. »Dann haben Sie also meine Nachricht bekommen?« »Ja, Adept, das habe ich, obwohl ihr Inhalt, wenn ich ehrlich sein soll, ziemlich verwirrend war.« »Aber kein Grund zur Sorge, nein? Alles wird sich regeln, kein Grund, nervös zu sein.« »Ja, aber wenn die Statthalterin erfährt, dass ich wusste, dass Sie früher eintreffen, und es ihr nicht gesagt habe... wird sie...«, verlor sich Varles Stimme. »Wird sie...?«, soufflierte Barzano. »Na ja, sie wird nicht erfreut sein.« »Ausgezeichnet, dann haben wir einen guten Anfang gemacht.« »Es tut mir Leid, aber das verstehe ich nicht, Adept Barzano«, protestierte Varle. »Kein Grund, sich zu entschuldigen, und kein Grund, warum Sie das verstehen sollten. Spielchen in Spielchen, mein lieber Junge.« Lortuen Perjed hüstelte vielsagend, tippte mit seinem Gehstock
auf die metallene Mannschaftsrampe und starrte Barzano an, der geringschätzig abwinkte. »Hören Sie gar nicht hin, mein Lieber, ich plappere dummes Zeug. Das mache ich oft, wenn ich neue Leute kennen lerne. Also, zur Sache. Ich finde, wir sollten zuerst dem imperialen Palast einen Besuch abstatten, was meinen Sie?« »Ich meine, dass die Statthalterin Sie noch nicht so früh erwarten wird.« »Andererseits...«, sann Barzano, indem er auf eine Lücke in den Bäumen deutete, wo eine gepflasterte Straße zur Stadtmauer führte. Uriel erblickte ein offenes, von einem Quartett dahintrottender Pferde gezogenes Gespann, das der Straße zum Rand der Landeplattform folgte. Die Kutsche wurde von einer Antigrav-Technologie in der Luft gehalten, die ähnlich funktionierte wie diejenige, welche der Orden in seinen Schwebern einsetzte, und ihre lackierten Seiten trugen ein Wappen in Gestalt einer bekränzten Artilleriegranate. Uriel wusste, dass solch eine Technologie nicht billig war und diese Kutsche ein kleines Vermögen gekostet haben musste. Die Pferde, sicherlich ein Zugeständnis an die Tradition, hielten in einer Staubwolke, und ein hoch gewachsener, auf eine kecke Art gut aussehender Mann in schwarzem Anzug und blauem Samtmantel mit einem kunstvoll gefiederten Zweispitz stieg aus der Kutsche und eilte zum Thunderhawk. Seine vollen Züge waren zu einem Begrüßungslächeln verzogen. Lortuen Perjed stellte sich neben Barzano und Uriel. Seine ausgemergelte Gestalt wirkte mager neben der gerüsteten Körperfülle des Hauptmanns der Space Marines. »Vendare Taloun«, flüsterte Perjed. »Sein Familienkartell produziert Artilleriegranaten für die Imperiale Garde. Statthalterin Shonai hat ihn vor zehn Jahren aus dem Amt verdrängt, und jetzt ist er Oppositionsführer im Senat von Pavonis. Gerüchte besagen, dass er nach seiner Amtsenthebung den Tod seines Bruders herbeigeführt hat, um Familienpatriarch zu werden.« »Gibt es dafür einen echten Beweis?«, flüsterte Barzano, bevor Taloun sie erreichte. »Nein, bis jetzt noch nicht.« Barzano nickte dankend, ohne sich dabei umzudrehen, und trat vor, um den Neuankömmling zu begrüßen. Uriel fiel auf, dass ein verängstigter Ausdruck über Ballion Varles Gesicht huschte, und blieb neben Barzano, die Hand nicht weit vom Schwertknauf ent-
fernt. Vendare Taloun verbeugte sich mit einer verschnörkelten Bewegung vor Barzano und Uriel, wobei er den Hut abnahm und in weit ausholender Geste hinter sich schwang. Als er wieder aufrecht stand, nahm Barzano seine Hand und schüttelte sie eifrig. »Ist mir ein Vergnügen, Lord Taloun, ein absolutes Vergnügen. Ich heiße Ario Barzano, aber natürlich wissen Sie das. Kommen Sie, lassen wir uns von Ihrer prächtigen Kutsche in die Stadt fahren, ja?« Barzanos Auftreten verblüffte Taloun, aber er fasste sich schnell. »Gewiss, Adept«, lächelte Taloun, indem er auf das schwebende Gefährt zeigte. »Möchte sich einer Ihrer Begleiter zu uns gesellen? Ich glaube, wir haben noch Platz für einen oder zwei.« »Uriel und Lortuen werden uns begleiten, glaube ich. Adept Ballion, seien Sie ein lieber Junge und lassen Sie diesen Burschen hier etwas zu essen und zu trinken bringen, ja? Sehr gut!« Als Barzano und Vendare Taloun zur Kutsche gingen, flüsterte Lortuen Perjed Uriel zu: »Na, wenigstens wissen wir jetzt, dass wir Ballion nicht trauen können.« »Wie meinen Sie das?«, fragte Uriel, während er zusah, wie der rundliche Adept niedergeschlagen zum Beobachtungsgebäude ging, aus dem er mit einem langen Umhang und einem noch längeren Gesicht wieder auftauchte. »Was glauben Sie, woher Taloun sonst wusste, wann er hier aufzutauchen und uns zu begrüßen hatte?« Uriel dachte über die Frage nach. »Sie hatten den Verdacht, ihm nicht trauen zu können, und haben ihm trotzdem unsere Ankunftszeit genannt?« »Adept Barzano hielt es für wahrscheinlich, dass einer der hiesigen Hochgeborenen den Adepten hier in der Tasche hat. Wenigstens wissen wir jetzt, welcher es ist.« Als er Uriels Überraschung angesichts seiner Freimütigkeit sah, lächelte Perjed nachsichtig. »Das ist durchaus üblich auf Welten wie dieser hier draußen am Ostrand, wo ein Planet Jahrzehnte ohne offiziellen Kontakt mit dem Administratum bleibt.« »Nicht auf Ultramar«, erklärte Uriel inbrünstig. »Vielleicht nicht«, stimmte Perjed zu. »Aber wir sind nicht mehr auf Ultramar.«
Jenna Sharben schlug dem Mann ihren Schild in sein gelbfleckiges Gesicht und schob ihn in die Menge zurück. Die Arrestzellen im Heck ihrer Rhinos waren bereits voll. Aus dem Revier waren noch weitere unterwegs, aber einstweilen konnte die Doppelreihe der Liktoren nicht mehr tun, als die Schilde zusammenund die Menge von der Straße zurückzuhalten, die zu den Palasttoren führte. Annähernd fünfhundert Leute hatten sich versammelt, seit die Palastglocke zu läuten begonnen hatte, aber die lauten, traurigen Glockenschläge würden gewiss noch mehr anrücken lassen. Sie verfluchte denjenigen, der auf die Idee gekommen war, die verdammte Glocke zu läuten. In den Anfängen der Geschichte von Pavonis war sie benutzt worden, um die Mitglieder des Senats zu versammeln, doch nun geschah es nur noch aus Gründen der Tradition. Und dazu noch einer verflucht dämlichen, überlegte Jenna, während sie die Menge mit dem Schild zurückdrängte. Sie wusste sehr wohl, dass die Kartellsenatoren alle persönlich benachrichtigt wurden, wenn sie sich zu einer Versammlung einfinden sollten. Jetzt rief die Glocke nur noch entrechtete Arbeiter zusammen, die wütend auf ebenjene waren, welche bald über diese Straße zum Palast kommen würden. »Haltet die Leute zurück!«, rief Sergeant Collix, der hinter der Doppelreihe der Liktoren stand. Was, glaubte er, taten sie?, fragte sich Jenna. Eine ruhige Diskussion mit Dutzenden erzürnten Arbeitern führen? Sie hatte das Gerede im Revier über das Massaker gehört, das er auf dem Befreiungsplatz angerichtet hatte, und dass er anscheinend nur mit der Schießerei aufgehört hatte, als Virgil Ortega den Liktoren befahl, das Feuer einzustellen und sich zurückfallen zu lassen. Welche anderen Fehler würde er noch machen, und wie viele Leute würden dafür büßen müssen? Ihr ging auf, dass diese Art zu denken gefährlich war, und versuchte die Überlegungen zu verdrängen, während ein anderer Mann ihren Schild von oben packte. Sie schlug ihm den Rand von unten gegen die Nase, und er fiel schreiend zu Boden. Der Charakter des Gebrülls der Menge änderte sich, und als sie einen Schulterblick riskierte, sah sie eine von Pferden gezogene Schwebekutsche auf die Tore zuhalten. Die Menge drängte vorwärts, und Jenna grunzte, als ihr Druck die Reihe der Liktoren
zurückdrängte. Sie grub die Stiefelabsätze in den Boden und stemmte sich dagegen. Solana Vergen ruhte auf dem gepolsterten Ledersofa der dahingleitenden Kutsche und betrachtete ihre feuchten Augen in einem kleinen Spiegel, während sie darüber nachdachte, ob sie wohl angemessen gramgebeutelt aussahen. Zufrieden, das perfekte Abbild der leidenden Tochter darzustellen, wunderschön, aber auch aufreizend verletzlich, fuhr sie sich mit einer Bürste aus Elfenbein und Silber durch die langen, honigblonden Haare, während sie durch das samtverhangene Fenster auf den hellen Befreiungsplatz schaute. Sie gähnte, als sie noch mehr von den langweiligen Arbeitern am Straßenrand sah, die ihre Kutsche auf dem Weg zu den Palasttoren anbrüllten. Was hofften sie damit eigentlich zu erreichen? Dann fiel ihr auf, dass viele von ihnen die gelb-grünen Overalls des Vergen-Kartells trugen. Warum arbeiteten sie nicht in der Manufaktur? War ihnen nicht klar, dass sie jetzt für sie arbeiteten? Nur weil ihr Vater sich in der letzten Woche törichterweise hatte umbringen lassen, konnten die Leute nicht einfach aufhören zu arbeiten, wenn ihnen danach war. Sie nahm sich vor, mit dem hiesigen Vorarbeiter Kontakt aufzunehmen und ihn die Namen aller sammeln zu lassen, die heute bei der Arbeit gefehlt hatten. Um ihnen eine Lektion zu erteilen, würde sie alle entlassen und den Vorarbeiter dazu, weil er derartige Undiszipliniertheiten unter den Arbeitern überhaupt zuließ. Sie würden bald alle erkennen, dass sie nicht so weich war wie ihr Vater. Als sie an ihren Vater dachte, zog sie einen Schmollmund eingedenk der Krokodilstränen, die Taloun mit ihr nach dem Aufruhr vergossen hatte, bei dem ihr Vater ums Leben gekommen war. Glaubte der Mann wirklich, ihre Heirat mit seinem idiotischen Sohn sei mehr als eine Zweckehe? Zweifellos hatte er vor, seinen Sohn in seinem Sinn über das Vergen-Kartell herrschen zu lassen, aber er hatte die Rechnung ohne Solana Vergen gemacht. Sie hatte bereits Verbindungen in den anderen Kartellen, die nur allzu erfreut einigen Dingen lauschen würden, die ihr Verlobter ihr zugeschluchzt hatte, als sie nach der Befriedigung seiner
grundlegenderen Bedürfnisse in der Dunkelheit nebeneinander gelegen hatten. Die Berater ihres Vaters waren entsetzt über die Vorstellung gewesen, sie könne die Zügel der Produktion übernehmen, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen warum. Das Haupt des Shonai-Kartells war schließlich auch eine Frau und noch dazu Statthalterin des ganzen Planeten! Sie zog ihren Mantel enger und legte eine seidenbehandschuhte Hand auf die Kante ihrer Kutsche, während sie über die Zukunft nachdachte. Ja, das Vergen-Kartell würde ganz sicher Veränderungen erleben. Taryn Honan tippte mit seinen fetten, beringten Fingern in einem Trommelwirbel gegen das Fenster seiner Kutsche, während er die unangenehmen Schläge ihrer Räder auf dem Pflaster in seiner ausladenden Kehrseite spürte. Er verfluchte abermals die Tatsache, dass man ihm nicht gestattet hatte, das Geld seines eigenen Kartells für eine AntigravKutsche auszugeben. Und das wäre eine Investition gewesen, konnte das Komitee das denn nicht sehen? Es war so demütigend, in einem klappernden Karren im Palast einzutreffen anstatt in einer prestigeträchtigen Schwebekutsche, wie sie Taloun und de Valtos benutzten. Er hoffte, eines Tages so erfolgreich zu sein wie sie und den Respekt und die Bewunderung der kleineren Kartelle zu genießen. Er beschloss, sie bei dieser Senatsversammlung eingehend zu beobachten. Was Taloun und de Valtos auch taten, würde er auch tun. Sie würden ihn mit Sicherheit als einen von ihnen akzeptieren, wenn er ihre Politik auch weiterhin unterstützte. Oder nicht? Würden sie ihn vielleicht für rückgratlos halten, wenn er einfach ihrem Beispiel folgte, um in ihrer Gunst zu steigen? Taryn Honan kaute auf seiner Unterlippe und fragte sich, was das Komitee tun würde. Doch er wurde gleich verdrossen, als er sie sich hinter dem langen Eichenschreibtisch vorstellte, wie sie die faden Köpfe schüttelten, da sie wieder eine aufregende Geschäftsidee ablehnten, die er ihnen vorgelegt hatte. Es war so ungerecht, dass er sich als einziger von allen Kartellführern vor einem Komitee verantworten musste. Er wusste, dass deswegen alle anderen über ihn lachten, sogar die ganz kleinen
Kartelle mit einer Manufaktur, die sich kaum einen Sitz im Senat leisten konnten. Schön, er hatte ein paar Fehler gemacht. Wer im Geschäft hatte das nicht? Ja, einige Handelsverträge hatten sich nicht annähernd so gut entwickelt, wie er vielleicht gehofft hatte, und, ja, es hatte diesen bedauerlichen Vorfall mit der männlichen Kurtisane gegeben, die sich Zugang zu seiner Kredittafel beschafft und ein Vermögen ausgegeben hatte, bevor sie Pavonis auf einem der vielen Handelsfrachter verließ. Aber war das ein Grund für das Komitee, ihn seiner Entscheidungsgewalt zu berauben und sich selbst als allmächtige Herren über seine Finanzen einzusetzen? Honan hoffte inbrünstig, dass der Junge auf einem der Schiffe gelandet war, die von den Eldar überfallen worden waren, und sie ihn auf alle möglichen gemeinen Arten gefoltert hatten. Das zauberte ein Lächeln auf sein feistes Gesicht, und er leckte sich die mit Rouge bedeckten Lippen, als er sich vorstellte, wie der Junge von den Sklavenjägern der Eldar erniedrigt wurde. Er umklammerte seinen Gehstock aus Ebenholz fester. Kasimir de Valtos gähnte und zuckte zusammen, als die bitteren Industrieabgase in der Luft in seiner Lunge brannten, dann schloss er die Augen, da ihn seine Antigravkutsche geschmeidig zum Palast brachte. Er fragte sich kurz, was dieses ShonaiMiststück jetzt wollen konnte, tat die Überlegung aber als irrelevant ab. Wen interessierte noch, was sie wollte? Er lächelte, als er sich fragte, ob sie vielleicht ihren absurden Vorschlag öffentlich verkünden wollte, die Eldar-Piraten aufzuspüren und zur Strecke zu bringen. Glaubte sie wirklich, dass sein Kartell so leicht zu kaufen war oder Taloun ihren durchsichtigen Plan nicht in Sekundenschnelle durchschauen würde? Wenn sie glaubte, sie würden ihr so einfach in die Hände spielen, war sie noch dümmer, als de Valtos ihr zugetraut hatte. Mykola Shonai mochte einmal ein würdiger politischer Gegner gewesen sein, doch nun war sie nur noch eine müde alte Frau. Sie hing gerade noch mit den Fingerspitzen an der Macht und sah gar nicht, dass eine Schlange von Leuten darauf wartete, ihr auf die Hände zu treten. Und Kasimir de Valtos war Erster in der Schlange. Er zog eine silberne Tabaksdose aus seinem Mantel, der er ei-
nen dünnen Stumpen entnahm und dann anzündete. Er wusste, dass das Rauchen schlecht für seine Lunge war, und lachte bitter über die Ironie. Nachdem die Eldar vor all diesen Jahren auf ihrem Höllenschiff mit ihm fertig gewesen waren, reichte manchmal schon eine Nebelschwade, um akute Atemnot bei ihm hervorzurufen, aber er wollte verdammt sein, wenn er sich dadurch daran hindern ließ, genau das zu tun, was ihm gefiel. Das hatte er immer getan und das würde er auch immer tun, und zur Hölle mit jedem, der ihn daran zu hindern versuchte. Vendare Taloun lächelte und zeigte dabei eine Reihe perfekter Zähne. Uriel fühlte sich dabei an das zahnbewehrte Grinsen der zischenden Hormaganten erinnert, die er auf Ichar IV getötet hatte. Uriel kannte den Mann erst seit zehn Minuten, konnte ihn aber bereits nicht leiden. »Also, Adept Barzano, Ballion Varle hat mir berichtet, dass Ihr Schiff unterwegs angegriffen wurde. Das ist wirklich eine schlimme Sache. Die Statthalterin muss mehr tun, um derartige Gräueltaten zu verhindern.« Uriel nahm zur Kenntnis, dass Taloun klugerweise nicht die Tatsache zu verheimlichen versuchte, dass Varle ihm von ihrer zeitigeren Ankunft erzählt hatte, weil er sich vermutlich dachte, dass Barzano dies bereits wissen musste. Er fragte sich, ob Taloun Barzano für ebenso leicht käuflich hielt. »Ja, mein lieber Taloun, eine schlimme Sache«, stimmte Barzano zu. »Wir wurden in der Tat angegriffen, haben den Schurken aber energisch heimgeleuchtet.« »Das ist gut zu wissen«, nickte Taloun. »Wir haben viele schreckliche Geschichten über diese verabscheuungswürdigen Nichtmenschen gehört.« Der Mann lächelte Uriel an und tätschelte dessen gepanzertes Knie. »Aber nun, da die tapferen Krieger der Ultramarines hier sind, haben wir nichts mehr zu befürchten, oder?« Uriel neigte den Kopf, völlig unbeeindruckt von der übermäßigen Vertraulichkeit des Mannes. »Ich danke Ihnen für das Vertrauen, Gildenmeister Taloun«, erwiderte Uriel, indem er die hiesige Form der Anrede für einen der Kartellführer wählte. »Mit dem Segen des Imperators werden wir Sie von diesen blasphemischen Nichtmenschen befreien und
auf Pavonis wieder Frieden einkehren lassen.« »Ach, wenn es doch so einfach wäre, mein lieber Hauptmann Ventris«, seufzte Taloun, »aber ich fürchte, Statthalterin Shonai hat uns zu weit in den Ruin getrieben, als könnte die simple Ausschaltung einiger lästiger Piraten die Wirtschaft unseres geliebten Planeten noch retten. Ihre Zehntsteuer trifft uns alle schwer und niemanden mehr als mich. Erst vor zwei Tagen war ich gezwungen, tausend Leute aus meinen Diensten zu entlassen, um die Kosten zu senken und die Gewinnspannen zu erhöhen, aber denkt die Statthalterin an Leute wie mich? Natürlich nicht.« Uriel verbarg seine Verachtung für die Eigensucht des Mannes und ließ seine Worte an sich vorbeirauschen. »Und was ist mit den zusätzlichen Sicherheitsleuten, die sie uns versprochen hat, um die Manufakturen vor der Kirche der Alten Sitten zu schützen? Ihren Bomben habe ich einen Ausfall von über siebentausend Arbeitsstunden zu verdanken!«, fuhr Taloun fort, der sich für das Thema erwärmte. Uriel fragte sich, wie viele Menschen er dabei verloren hatte und ob ihn das überhaupt interessierte. »Vielleicht, Gildenmeister Taloun«, empfahl Uriel mit Stahl in der Stimme, »reservieren wir diese politischen Gespräche für die Senatskammern und genießen einfach die Reise?« Taloun nickte fügsam, aber Uriel konnte kurz die Verärgerung hinter seinen Augen aufflackern sehen. Taloun war offensichtlich nicht daran gewöhnt, von jenen zurechtgewiesen zu werden, die er als politisch unterlegen betrachtete. Uriel ignorierte den Mann und studierte die an ihnen vorbeirauschende Landschaft. Die Stadtmauer war hoch und nach innen zu einer überhängenden Brustwehr geneigt. Er sah, dass Granatwerfer in die Gusserker eingearbeitet waren und die Mauer mit Kraftfeldgeneratoren bestückt war. Nach allem, was er über Pavonis gelesen hatte, wusste Uriel, dass buchstäblich alles vor Ort von dem einen oder anderen Familienkartell produziert worden war. Die Städte von Ultramar hatten solche technologischen Kinkerlitzchen nicht nötig, um sich zu verteidigen. Nein, sie hatten eine stärkere Verteidigung. Courage, Ehre und ein Volk, das die besten Beispiele für menschliche Größe verkörperte. Von Kindesbeinen an ausgebildet und mit den Methoden des Gesegneten Primarenen vertraut gemacht, würden sie niemals zusammenbrechen, niemals aufgeben und sich niemals mit derart
unnötigem Luxus umgeben. Uriel wurde durch ein vielsagendes Hüsteln Perjeds aus seiner bombastischen Grübelei gerissen, während sie durch die Bronzetore der Stadt schwebten. Vom Boden aus betrachtet, waren die Gebäude auf der Innenseite der Mauer viel weniger beeindruckend und mit wenig oder keinen Ausschmückungen funktionell konstruiert. Die Bauwerke auf Macragge waren zwar schlicht, aber intelligent angelegt, um nicht nur ein solides, verlässliches Gebäude zu schaffen, sondern auch etwas von ästhetischem Wert. Ihm ging auf, dass die klobigen Konstruktionen von Pavonis so kostengünstig wie möglich konzipiert waren und die Tatsache beklagten, dass jene, die das finanzielle Sagen hatten, oft die Kunst des Architekten beschnitten. Hier und da sah Uriel Männer und Frauen die Mauern der Gebäude von einem klebrigen, ockerfarbenen Rückstand reinigen, dem unvermeidlichen Resultat eines Lebens nahe der Schwerindustrie. Ihm fiel auf, dass die Mitglieder der Putzkolonne sämtlich weiße Overalls trugen, um weniger ins Auge zu fallen. Die Kutsche schwebte mühelos über die gepflasterten Straßen und passierte elegant gekleidete Bewohner in Schwarz, die ihre gefiederten Hüte zogen, wenn die Kutsche an ihnen vorbeischwebte. Das Läuten der Palastglocke hallte durch die wohlhabenden Straßen. Taloun winkte den Passanten zu, und Uriel fiel seine selbstsichere, unbeschwerte Art auf. »Sie sind hier sehr bekannt?«, fragte Barzano. »Ja, in der Tat. Ich habe viele Freunde in der Stadt.« »Ich nehme an, dass die Mehrheit dieser Freunde Kartellmitglieder sind?« »Selbstverständlich. Das gemeine Volk wagt sich im Allgemeinen nicht in die innere Stadt. Das liegt am Wegzoll, müssen Sie wissen. Die meisten können es sich nicht leisten. Vor allem jetzt nicht, da die Zehntsteuer der Statthalterin den letzten Heller aus ihnen herauspresst.« »Die Leute müssen bezahlen, wenn sie diesen Teil der Stadt betreten wollen?« »Ja, gewiss«, erwiderte Taloun, als sei jeder Gedanke an eine andere Möglichkeit lächerlich. »Und wie hoch ist der Wegzoll?« Taloun zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht genau. Kartell-
mitglieder sind von diesem Wegzoll selbstverständlich befreit, aber ich steuere einen kleinen Anteil der jährlichen Gewinne für mein Kommen und Gehen bei.« Barzano beugte sich vor und gestikulierte nach draußen. »Wie werden denn die Parks der Stadt instand gehalten? Die Gebäude gesäubert? Wer bezahlt das? Das Imperium?« »Nein, nein, nein!«, erklärte Taloun eilig. »Ich glaube, ein Teil der allgemeinen Steuern fließt in ihren Unterhalt.« »Mit anderen Worten«, sann Barzano laut, »die gesamte Bevölkerung trägt zu diesem reizenden Ort bei, kann sich seiner aber nicht erfreuen, wenn sie für dieses Privileg nicht noch einmal bezahlt?« »Das ist vielleicht eine Sichtweise der Dinge«, erwiderte Taloun hochmütig. »Aber niemand beklagt sich.« »Ach, ich weiß nicht«, stellte Uriel mit einem Kopfnicken auf den wütenden Pöbel fest, der sich vor den schwarzen Toren des imperialen Palasts versammelt hatte. »Die da sehen nicht allzu glücklich darüber aus.« Tenna sah, wie sich die letzte Kutsche den Palasttoren näherte, und verdrehte die Augen, als sie sah, dass diese offen war. War diesen Narren denn nicht klar, was auf den Straßen der Stadt los war? Die früher eingetroffenen Kutschen waren mit Flaschen und Pflastersteinen beworfen worden, und nur der Gnade des Imperators war es zu verdanken, dass niemand verletzt worden war. »Wie könnt ihr das tun?«, schrie ein rußverschmierter Mann Jenna ins Gesicht. »Wisst ihr nicht, dass ihr einer korrupten Regierung von Dieben und Lügnern dabei helft, an der Macht zu bleiben?« Sergeant Collix war plötzlich neben ihr und schlug dem Mann seinen Schockstab ins Gesicht. Der Mann brach zusammen, Blut sprudelte aus seinem zerschmetterten Kiefer, und Collix zerrte ihn hinter die Reihe der Liktoren. Der Sergeant schleifte den blutenden Bewusstlosen zu den Rhinos. Sicher, die Worte des Mannes waren subversiv gewesen, aber ihr ging auf, dass eine sehr realistische Möglichkeit bestand, dass er Recht hatte. Kaum fünf Jahre nach der Schola Progenium und sechs Monate nach Beendigung ihrer Ausbildung zum Adeptus Arbites waren Jenna solche Überlegungen viel zu hoch. Ihre Vorgesetzten wür-
den entscheiden, ob die Herrscher von Pavonis kriminell und unfähig geworden waren und sie in diesem Fall aus dem Amt entfernen. Sie spannte ihre Beinmuskeln, bereit, sich wieder gegen den Druck der Masse zu stemmen, aber dann ging ihr auf, dass das unnötig war, weil die Leute vor ihr kollektiv einen Schritt zurückwichen und voller Verwunderung auf etwas hinter ihr starrten. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand Bedrohliches in ihrer unmittelbaren Nähe war, warf sie einen eiligen Blick über die Schulter. Eine prächtige Antigravkutsche rauschte vorbei, aber es war der blau gerüstete Riese, der neben Taloun und den beiden Männern saß, die sie nicht kannte, der Jenna Sharbens Aufmerksamkeit erregte. Sie hatte noch nie zuvor einen Space Marine in Fleisch und Blut gesehen, dafür aber die Plakate der Verehrung auf ihrer Heimatwelt Verdan III. Nie hätte sie geglaubt, dass die übertriebenen Proportionen, die sie den Space Marines zuschrieben, tatsächlich auf Wahrheit beruhen könnten. Sie erkannte das alabasterweiße Emblem auf dem Schulterschutz als zu den Ultramarines gehörig und verspürte eine Regung grundloser Furcht, als der Blick des riesigen Kriegers über sie hinwegstrich. Die Kutsche raste durch die Palasttore, und sie verlor den Krieger der Ultramarines aus den Augen. Sie schüttelte sich buchstäblich aus ihrer Ehrfurcht ob der Größe des. Space Marine und wandte sich in Erwartung weiteren Ärgers wieder der Menge zu. Doch diese greifbare Erinnerung an die Macht des Imperiums hatte der Menge alle weiteren Gelüste geraubt, Ärger zu machen, und sie zerstreute sich langsam. Zuerst gingen nur einzelne Leute und Paare, dann immer größere Gruppen, als die Nachricht von der Ankunft des gewaltigen Kämpfers des Imperators auch jene im hinteren Teil der Menge erreichte, die den Ultramarine nicht selbst gesehen hatten. Ein paar unermüdliche Demagogen versuchten die Menge mit Ansätzen feuriger Reden zusammenzuhalten, aber es dauerte nicht lange, bis sie niedergeknüppelt und zu den Arrestzellen der Rhinos geschleift wurden. »Hast du gesehen, wie groß er ist?«, verkündete der Liktor neben ihr. »Die Space Marines sind da!« Ja, dachte Jenna Sharben, die Space Marines sind da. Aber war das eine Verbesserung oder eine Verschlimmerung der
Lage? Die Kuppel der pavonischen Senatskammern des Rechtschaffenen Kommerzes war aus solider Bronze gegossen und von innen mit einer üppigen Patina aus Alter und Ruß bedeckt. Unter der Kuppel war der runde Saal mit Sitzreihen und rufenden Mitgliedern der Kartelle von Pavonis gefüllt. Die dem rot-golden karierten Boden am nächsten befindliche Reihe war für die Köpfe der vierundzwanzig Kartelle reserviert, obwohl die burgunderroten Ledersitze mit Ausnahme der ersten Sitzung jedes fiskalischen Jahres selten voll besetzt waren. Sechzehn dieser Sitze waren gegenwärtig belegt. Die Führer der sechs einträglichsten Kartelle - Shonai, Vergen, de Valtos, Taloun, Honan und Abrogas - waren sämtlich anwesend und machten demonstrative Freundschaftsbekundungen. Hinter ihnen saßen die Mitglieder ihrer Familien oder jene, die durch Heirat oder Adoption eine Verwandtschaft für sich in Anspruch nehmen konnten. Auf den höchsten Rängen am hinteren Ende des Saals saßen schließlich die gleichermaßen lautstarken Mitglieder jedes Kartells, die mit den Besitzern nicht blutsverwandt waren, aber nichtsdestoweniger exklusive Loyalitätsverträge mit dem Kartell abgeschlossen hatten. Dies war bei weitem die größte Reihe im Saal, und ihre voneinander getrennten Mitglieder brüllten einander trotz der wiederholten Ordnungsrufe des Perücke tragenden Vorsitzenden giftig an. Dies waren die Trittbrettfahrer und Opportunisten, die sich von ihrer Assoziation mit dem Kartell ihrer Wahl sozialen Aufstieg erhofften. Uriel nahm zur Kenntnis, dass Adept Ballion Varle unruhig in der für die Anhänger Talouns reservierten Sektion saß. Gästen und jenen ohne offiziell ausgestellte Erlaubnis, an den Aktivitäten der Kammer teilzuhaben, war es gestattet, auf den nackten Holzbänken dieser Sitzreihe Platz zu nehmen, und von hier aus sahen sich Ario Barzano, Lortuen Perjed und Uriel Ventris auch die Vorgänge im Saal an. »Von hier aus kann ich nicht das Geringste sehen oder hören«, murmelte Barzano, indem er sich über das Messinggeländer der Reihe lehnte. »Ich glaube, das ist die Grundidee dabei«, stellte Perjed beißend fest. »Viele Welten im galaktischen Osten sind berüchtigt für
ihr Widerstreben, Beobachter bei ihren Regierungsversammlungen zuzulassen. Das gilt auch für Beobachter, die so... äh... einflussreich sind wie Sie.« »Stimmt das?«, schnauzte Barzano. »Nun, das werden wir noch sehen.« Uriel konnte Barzanos Enttäuschung über seinen Platz verstehen, aber dank seiner genetischen Verbesserungen konnte er auch aus ihrer luftigen Höhe perfekt hören und sehen. »Wer ist der große Bursche in Schwarz?«, fragte Barzano, indem er auf einen korpulenten Mann in der Mitte der Kammer zeigte, der mit einer langen Hellebarde, die in einer Bronzekugel auslief, herumpochte. »Das ist der so genannte Transaktionsleiter«, antwortete Lortuen Perjed. »Er ist der Senatsvorsitzende, billigt die Tagesordnung und erklärt, wer das Wort ergreifen darf und wer nicht.« »Sieht nicht so aus, als würde er seine Sache gut machen. Was sagt er überhaupt?« »Er bittet um Ruhe«, sagte Uriel. Barzano und Perjed starrten ihn einen Moment an, bevor ihnen seine verstärkten Sinne einfielen. »Trotzdem, das ist unzumutbar, Uriel«, schnauzte Barzano. »Es ist absolut unzumutbar. Vielleicht können Sie sehen und hören, aber ich will nicht aus zweiter Hand erfahren, was vorgeht. Nichts für ungut, mein Lieber.« »Keine Ursache«, versicherte ihm Uriel. »Gefechtsinformationen aus erster Hand sind immer verlässlicher.« »Genau. Und jetzt kommen Sie, lassen Sie uns diesen Hochsitz verlassen und den Geschehnissen etwas näher rücken.« Barzano ging die Steintreppe voran zu den tieferen Reihen. Ein paar muskulöse Saaldiener in pelzbesetzten Gewändern und Zweispitzen sowie goldenen Amtsketten um den Hals versuchten ihnen den Weg mit schwarzen, in Bronzekugeln auslaufenden Spitzen zu verwehren. Uriel sah, dass sie die Hellebarden so hielten, als wüssten sie mit ihnen umzugehen, und nahm an, dass einige Senatssitzungen gewaltsamer Auflösung bedurften, wenn die »Diskussionen« übermäßig hitzig wurden. Ein Blick auf den riesigen Ultramarine-Hauptmann überzeugte sie jedoch rasch, dass in diesem Fall Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit war, und Minuten später saßen Barzano, Perjed und Uriel auf den gepolsterten Ledersitzen hinter den Kartellführern.
Der Transaktionsleiter tippte mit seinem Stab auf den gefliesten Boden und starrte die drei Eindringlinge in seine Senatskammer missbilligend an. Die Saaldiener hinter ihnen zuckten die Achseln. Köpfe wandten sich ihnen zu, und ein bedeutungsvolles Schweigen senkte sich über den gefüllten Saal, da die Menge wartete, welche Schritte der Transaktionsleiter unternehmen würde. Uriel verschränkte die Arme und erwiderte das Starren des schwitzenden Mannes. Die Spannung löste sich, als Vendare Taloun aufstand und mit seinem Gehstock in Richtung des Vorsitzenden winkte. »Herr Vorsitzender, ich bitte um Erlaubnis, mich an unsere Gäste zu wenden.« Der Mann schnitt eine finstere Miene, nickte aber. »Das Haus erteilt dem Ehrenwerten Vendare Taloun das Wort.« »Vielen Dank. Freunde, Kartellmitglieder und Händler! Mit großer Freude heiße ich die Adepten Barzano und Perjed sowie Hauptmann Uriel Ventris von den Ultramarines hier und heute als unsere Gäste willkommen. Diese Abgesandten des Imperators sind auf unsere geplagte Welt gekommen, um zu sehen, was getan werden kann, um uns der furchtbaren Nöte zu entheben, die wir in diesen letzten schmerzlichen Jahren ertragen mussten. Es ist ein Gebot des Anstands, sie hier in unserer bescheidenen Versammlung willkommen zu heißen und ihnen während ihres Aufenthalts auf Pavonis mit Höflichkeit zu begegnen.« Applaus und Buhrufe begrüßten Talouns Worte in gleichem Maße, während Perjed sich vorbeugte und Barzano und Uriel zuflüsterte: »Sehr clever. Er erweckt den Anschein, als habe uns sein Einfluss hergebracht, sodass man ihn als Staatsmann mit größerer Perspektive als die Statthalterin betrachtet, während er gleichzeitig vermeidet, sie direkt zu kritisieren.« »Ja«, stimmte Barzano mit verengten Augen zu. »Sehr clever.« Während Buhrufe, Klatschen und Rufe nach anderen potenziellen Rednern anhielten, studierte Uriel die anderen Kartellmitglieder in der ersten Reihe. Auf der Bank, die dem Vorsitzenden am nächsten war, saßen die Statthalterin von Pavonis und ihre Ratgeber. Hinter der Statthalterin stand ein hagerer Mann mit einem verbitterten Gesicht, und neben ihr saß ein älterer Mann mit einem dichten grauen Bart, der eine Pfeife rauchte. Beide Männer flüsterten erregt auf sie ein. Uriel mochte Mykola Shonai. Trotz des Chaos in der Senats-
kammer wahrte sie ihre Würde, und er konnte erkennen, dass ihr viel Kraft innewohnte. Als Taloun sich setzte, sah Uriel einen weißhaarigen Mann in seiner Nähe sitzen, dessen vernarbtes, verbranntes Gesicht die ungesunde fahle Blässe von Kunsthaut hatte. Dieser Mann schien kein Interesse daran zu haben, zu reden, und starrte Statthalterin Shonai mit unverhohlenem Hass an. »Das ist Kasimir de Valtos«, flüsterte Perjed, als ihm die Richtung von Uriels Blick auffiel. »Das Schiff des armen Kerls wurde von den Eldar-Piraten angegriffen. Anscheinend haben sie alle möglichen furchtbaren Dinge mit ihm angestellt, bevor er entkam.« »Was für Dinge?« »Ich weiß nicht. In meinen Aufzeichnungen steht nur >furchtbar<.« »Was stellt sein Kartell her?« »Hauptsächlich Maschinen, den Rumpf für den Leman-RussKampfpanzer sowie schwere Artilleriegeschütze, obwohl ich glaube, das meiste davon wird von seinen Untergebenen überwacht.« »Wie kommen Sie darauf, Lortuen?«, fragte Barzano. »In den Aufzeichnungen des Administratums über diese Welt sind nicht weniger als sieben Anträge von Gildenmeister de Valtos aufgelistet, eine archäologische Expedition innerhalb des Systems anführen zu dürfen. Viele der schönsten Stücke in der Zahlmeistergalerie von Pavonis stammen aus seiner eigenen Privatsammlung. Er ist ein Förderer der Künste und hat eine Vorliebe für Antiquitäten.« »Tatsächlich? Dann haben wir anscheinend etwas gemeinsam«, gluckste Barzano. Uriel fragte sich, was genau er damit meinte, da Perjed seinem Vorgesetzten einen scharfen Blick zuwarf, und überlegte außerdem, warum Barzano selbst diese Fakten nicht kannte. Er nickte in Richtung eines bärtigen Mannes mit einem Pferdeschwanz, der unweit von de Valtos und Taloun zusammengesunken auf der Bank hockte. Er konnte erkennen, dass die Augen des Mannes glasig waren, und trotz der Körpergerüche hunderter Individuen im Saal nahm Uriel das schwache Aroma eines Schlafmittels wahr, das von dem Mann ausging, wahrscheinlich Obscura. »Was ist mit dem da, wer ist das?« Perjed blinzelte in Uriels Blickrichtung und seufzte enttäuscht.
»Das, Hauptmann Ventris, ist Beauchamp Abrogas, und es dürfte Ihnen schwer fallen, diesseits des Ophelianischen Pilgerpfads ein erbärmlicheres Exemplar der Menschheit zu finden. Er ist ein Verschwender, der nicht einmal dann seinen Namen buchstabieren könnte, wenn Sie ihm die Feder reichten und die Hälfte der Buchstaben für ihn schrieben.« Die Galle in Lortuen Perjeds Stimme überraschte Uriel, und der alte Mann schien das zu spüren. Er lächelte schwach und erklärte: »Nichts für ungut, aber eine solche Vergeudung der imperatorgegebenen Talente einer Person ist mir zuwider. Und wenn das Administratum eine Sache hasst, ist es Verschwendung, mein lieber Hauptmann.« Uriel richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Saal, wo mittlerweile ein gewisses Maß an Ordnung eingekehrt war. Der Vorsitzende zeigte mit seinem Stab auf einen fetten Mann mit einer gepuderten weißen Perücke, deren Locken ihm auf die Schultern fielen, während eine Frau mit langen blonden Haaren und einer schrillen Stimme den Vorsitzenden anbrüllte. Uriel sah Perjed fragend an, der die Achseln zuckte. »Sie sitzt auf dem Platz, der normalerweise für Vergen reserviert ist, also kann ich nur annehmen, dass sie seine Tochter ist. Ich weiß nichts über sie«, räumte der Adept ein. Die Frau wäre attraktiv gewesen, fand Uriel, wäre ihr Gesicht nicht in einem permanenten Ausdruck selbstgerechter Empörung erstarrt. Sie umklammerte das Geländer vor sich und versuchte sich über das Geschrei anderer Senatsmitglieder Gehör zu verschaffen. »Ich verlange, dass das Haus meine Autorität anerkennt, im Namen des Vergen-Kartells zu sprechen!«, rief sie. »Als Tochter von Leotas Vergen verlange ich das Recht, gehört zu werden.« Der Transaktionsleiter ignorierte die Frau demonstrativ, während zwei Saaldiener zu ihr gingen und sich vor ihr aufbauten. Der Vorsitzende wandte sich ab und sagte: »Das Haus erteilt dem... Ehrenwerten Taryn Honan das Wort.« Auf diese letzte Bemerkung kamen von den hohen Rängen unflätige Lacher und zusammengeknüllte Tagesordnungsblätter. Diese Reaktion schien den Mann verlegen zu machen, und er blies seine beträchtliche Brust auf, bevor er sich laut räusperte und mit hoher, näselnder Stimme zu sprechen anfing. »Ich glaube, ich spreche für uns alle, wenn ich mich Gilden-
meister Taloun anschließe und unsere verehrten Gäste auf Pavonis willkommen heiße. Ich möchte ihnen die volle Gastfreundschaft meines Landhauses anbieten.« »Hat das Komitee dafür auch sein Einverständnis gegeben, Honan?«, rief eine Stimme von der anderen Seite des Saals. Applaus und Gelächter begrüßten die Bemerkung des Witzbolds, und Uriel nahm zur Kenntnis, dass Gildenmeister Taloun sich ärgerlich den Nasenrücken rieb, als sei ihm die Unterstützung seitens Honan peinlich. Gildenmeister Honan setzte sich wieder und verschränkte die Hände auf dem Bauch, bestürzt und beschämt über das Gelächter auf seine Kosten. Die Frau mit der schrillen Stimme brüllte den Vorsitzenden wieder an, während dieser seinen Stab auf den Boden stieß und rief: »Wenn Sie dann so weit wären, meine Herren, erster Tagesordnungspunkt ist heute ein Außerordentlicher Antrag des ehrenwerten Gildenmeisters Taloun.« Auf der anderen Seite des Saals sprang die Statthalterin von Pavonis auf. »Herr Vorsitzender, das ist unerträglich! Wollen Sie Gildenmeister Taloun tatsächlich gestatten, das ganze Verfahren derart an sich zu reißen? Ich habe diese Senatsversammlung einberufen, und das Recht der ersten Rede steht mir zu.« »Ein Außerordentlicher Antrag hat Vorrang vor dem Recht der ersten Rede«, erklärte Taloun geduldig. »Ich kenne die Geschäftsordnung!«, bellte Shonai. »Dann darf ich wohl annehmen, dass Sie mir fortzufahren erlauben, Statthalterin?« »Ich weiß, was Sie hier veranstalten, Vendare. Also tun Sie, was Sie nicht lassen können, verdammt.« »Wie Sie wünschen, Statthalterin Shonai«, erwiderte Taloun höflich. Vendare Taloun erhob sich und breitete die Hände aus, während er in die Mitte des karierten Bodens ging und den Stab nahm, den ihm der Transaktionsleiter anbot. Einmal des Stabs beraubt, zog der Transaktionsleiter eine Datentafel zurate. »Gildenmeister Taloun, ich nehme zur Kenntnis, dass Ihr eingereichter Antrag keinen Namen hat. Unter Artikel sechs der Geschäftsordnung sind Sie verpflichtet, Antragsformular drei-zwo-vier-Schrägstrich-neun in dreifacher Ausfertigung vollständig auszufüllen. Kann ich davon ausgehen, dass Sie das jetzt tun werden?«
»Meine ausdrückliche Entschuldigung für das Fehlen eines Namens, aber ich hatte das Gefühl, die Ankündigung des Themas meines Antrags würde nur unnötige Vorurteile geweckt haben, wenn sein Inhalt allgemein bekannt geworden wäre, bevor ich ihn tatsächlich gestellt habe. Ich kann Ihnen versichern, dass ich besagtes Formular sofort im Anschluss an diese Versammlung vollständig ausfüllen werde.« Der Vorsitzende nickte zum Zeichen seines Einverständnisses und erteilte Vendare Taloun das Wort. Der stieß den Stab fest auf den Boden. »Freunde, wir leben in sorgenvollen Zeiten«, begann er zu speichelleckerischem Applaus. Taloun lächelte und nahm den Applaus huldvoll entgegen, bevor er die Hände hob, um Stille eintreten zu lassen, und fortfuhr. »Selten in unserer stolzen kommerziellen Geschichte waren wir solchen Drohungen ausgesetzt wie heute. Schändliche nichtmenschliche Piraten setzen unserem Transportwesen zu, die Kirche der Alten Sitten legt Bomben in unseren Manufakturen und tötet unsere Arbeiter. Aus dem Geschäft des Handels ist das Geschäft des Überlebens geworden, da die Kosten steigen, die Steuern stärker ins Gewicht fallen und die Gewinne schrumpfen.« Kriecherisches Nicken und entsprechende Zurufe hallten durch den Saal, da Taloun auf und ab zu marschieren begann und dabei zur Betonung seiner Worte immer wieder den Stab auf den Boden stieß. Uriel erkannte in Vendare Taloun einen kraftvollen Redner. »Und was unternimmt unsere viel gerühmte Statthalterin gegen diese Krise?«, wollte Taloun wissen. Erhitzte Rufe, »Nichts« und andere, weniger appetitliche Bemerkungen wurden im Saal laut, während Taloun fortfuhr. »Es gibt nicht einen unter uns, der nicht unter ihrer finanziell bedrückenden Regierung leidet. Mein eigenes Kartell ächzt unter der Last von Statthalterin Shonais Zehntsteuer, und ich weiß, dass es anderen ebenso geht. Bruder de Valtos, Sie selbst sind von diesen verabscheuungswürdigen nichtmenschlichen Piraten, die uns so zusetzen, angegriffen und aufs Grässlichste gefoltert worden. Und doch unternimmt die Statthalterin nichts! - Schwester Vergen, Ihr eigener geliebter Vater ist nur einen Steinwurf von hier ermordet worden. Und doch unternimmt die Statthalterin nichts! Bruder Abrogas, Ihr eigener Blutsverwandter wäre auf den Straßen seiner Heimatstadt um ein Haar ermordet worden. Und doch
unternimmt die Statthalterin nichts!« Solana Vergen war viel zu erschrocken über Talouns Erwähnung ihres Verlusts, um darauf angemessen gramgebeugt reagieren zu können, während Beauchamp Abrogas nicht einmal registrierte, dass sein Name gefallen war. »Unsere Welt wird von allen Seiten bedrängt, meine Freunde. Die Geier sammeln sich, um unseren Kadaver sauber zu picken. Und doch unternimmt die Statthalterin nichts!« Donnernder Applaus begrüßte Talouns Worte, und Uriel sah, dass die beiden Berater der Statthalterin sie regelrecht auf dem Sitz festhielten, während Taloun sich umdrehte, um den Transaktionsleiter direkt anzusprechen. Im Saal wurde es plötzlich totenstill, da die Versammlung darauf wartete, was Taloun als Nächstes sagen würde. »Herr Vorsitzender«, verkündete er förmlich. »Ich stelle den Antrag, dass der Senat Statthalterin Shonai sein Misstrauen ausspricht und sie ihres Amtes enthebt!«
7. Kapitel Magos Dal Kolurst, Techpriester der Tembragrat-Tiefbohrmine, überprüfte die Karte auf seiner Datentafel zum dritten Mal, um sich zu vergewissern, dass er an der richtigen Stelle war. Das Leuchten der Anzeige ließ die Umrisse seines Gesichts deutlich hervortreten und hüllte ihn in der Dunkelheit des Bergwerks in einen grünlichen Schein. Er sah sich um und überprüfte, ob die Reihe der Lichtkugeln und elektrischen Kabel intakt und mit dem Stromtransformator verbunden war. Er ging ganz nah an den Transformator heran und hörte das beruhigende Summen, welches ihm verriet, dass er funktionierte. Ja, alles schien in Ordnung zu sein. Die richtige Verbeugung war vor dem Omnissias gemacht worden, und er hatte sich vergewissert, dass alle erforderlichen Kabel korrekt verbunden waren. Warum stand er also allein in der schwülen Finsternis des Bergwerks, und nur der Schein seiner Datentafel und das Licht seiner Schulterlampe erhellten seine Umgebung? Er prüfte die Karte noch einmal, um sich zu vergewissern, dass er an der richtigen Stelle war. Schacht Secundus, Tunnel zweiundsiebzig, Kreuzung sechsunddreißig. Kolurst wusste, dass er an
der richtigen Stelle war, und konnte nicht verstehen, warum es hier kein Licht gab, wenn ihm doch alles sagte, dass dieser Teil der Schachtanlage eigentlich taghell hätte erleuchtet sein müssen. Er seufzte und ihm wurde klar, dass er noch einen Generator würde anfordern müssen, obwohl Vorarbeiter Lasko das nicht gefallen würde, jetzt, da die Zeiten so hart waren und das Kartell sich bemühte, die Kosten zu senken. Es war der dritte unbrauchbare Generator in ebenso vielen Wochen, und Kolurst konnte einfach nicht verstehen, was mit ihnen verkehrt lief. Er und die anderen Techpriester hatten jeden einzelnen korrekt angeschlossen, sie alle mit einem Gebet an den Omnissias gesegnet und die Aktivierungsrune auf dem Gehäuse gedrückt. Jeder Generator funktionierte ein paar Tage, vielleicht eine Woche ganz ausgezeichnet, bis dann immer wieder dasselbe geschah. Einer nach dem anderen hörten die Transformatoren auf, die Lichtkugeln mit Strom zu versorgen, sodass sich im Bergwerk von unten her langsam Dunkelheit ausbreitete. Kolurst hatte jeden einzelnen Transformator immer und immer wieder überprüft und jedes Mal dasselbe erlebt. Sie erzeugten Strom, der jedoch nicht dorthin floss, wo er benötigt wurde. Der Strom war da, aber wohin floss er? Kolurst schrak zusammen, als er ein leises Rascheln hinter sich hörte. Er fuhr herum und ließ seine Lampe in die Richtung leuchten, aus der das Geräusch gekommen war. Da war nichts, nur das leise Säuseln von Sand, der aus einem Spalt in der Wand rieselte. Kolurst ließ den Atem entweichen, den er angehalten hatte, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er drehte sich wieder zum Transformator um und schüttelte den Kopf. Er wurde langsam... Da war es wieder. Kolurst richtete seine Lampe in die Dunkelheit. Er schwenkte den Strahl hin und her und riss die Lampe ruckartig herum, als er eine Bewegung am Rand des Lichtkreises sah. Etwas Glänzendes glitt hinter einer Biegung im Tunnel außer Sicht. »Hallo?«, rief er in dem Bemühen, das Beben in seiner Stimme zu unterdrücken. »Ist da jemand?« Er bekam keine Antwort, aber eigentlich hatte er auch mit kei-
ner gerechnet. Langsam tastete er sich zu der Biegung vor und richtete dabei seine Lampe immer weiter in die Finsternis. Er hörte ein leises Klopfen, als schlügen dünne Metallstäbe zusammen. Er fuhr zusammen, als seine Datentafel knisterte, und er schloss die Augen und kämpfte um Ruhe. Er ließ sich von den albernen Geschichten beeinflussen, die von den Grubenarbeitern erzählt wurden. Ihr dummer Aberglaube hatte ihn verschreckt, und er versuchte ihn als Einbildung einer überbordenden Fantasie abzutun. Oben war das auch alles gut und schön, aber hier, zehntausend Meter tief unter der Erde, lag der Fall anders. Schweiß tropfte ihm von der Stirn auf die Nase. Es war nichts, nur irgendein... Irgendein was? Er schaute auf die Tafel und tippte beunruhigt dagegen, als die Anzeige zu verblassen begann. Bald würde sie vollkommen erlöschen, und er verwünschte das Pech, das ihn an diesen erbärmlichen Ort geführt hatte anstatt in eine der Manufakturen des Kartells. Das Geräusch ertönte wieder, und er schauderte trotz der trockenen Hitze hier unten im Bergwerk. Langsam wich er in Richtung des Fahrstuhlschachts zurück, als das Rascheln lauter wurde. Er schluckte schwer. Sein Herz schlug einen verzweifelten Trommelwirbel auf seinen Rippen. Die Schulterlampe flackerte, und ihr schwaches Leuchten wurde matter. Plötzlich konnte Kolurst Bewegung am Rand des Lichtstrahls erkennen, Dutzende winzige, funkelnde, das Licht spiegelnde Punkte bedeckten den Schachtboden. Er wich noch einen Schritt zurück. Und die Bewegung folgte ihm. Plötzlich erlosch das Licht seiner Lampe vollkommen, und er war schlagartig in völlige Dunkelheit gehüllt. Magos Dal Kolurst wimmerte vor Entsetzen und fing an zu laufen. Doch sie hatten ihn erreicht, kaum dass er zwei Schritte weit gekommen war.
8. Kapitel Der Senatssaal explodierte förmlich. Viele hatten mit diesen Worten gerechnet, aber sie so ungeschminkt ausgesprochen zu hören, war trotzdem ein Schock. Hundert Stimmen riefen alle gleichzeitig, und Uriel nahm zur Kenntnis, dass die Statthalterin gelassen und reglos dasaß, als sei ein seit langem befürchtetes Ereignis eingetreten. Taloun stand schweigend in der Mitte des Saals und hielt den Rednerstab wie eine Waffe vor sich. Der Vorsitzende verlangte Ruhe, während Saaldiener durch die Menge gingen und die lauteren Mitglieder der oberen Ränge mit unsanften Hieben ihrer Hellebarden beruhigten. Taloun hob die Hände in einem stummen Appell um Ruhe, und langsam wurden die Beifalls- und Buhrufe leiser, um einem aufgeregten Geflüster zu weichen. Er tippte mit dem Stab auf den Boden und fragte: »Wer von den Oberhäuptern der Familien unterstützt meinen Antrag?« Kasimir de Valtos erhob sich mit einem wölfischen Grinsen der Rechtfertigung und stützte seine blassen Hände auf das Geländer. Uriel sah, dass auch diese die gesprenkelte weiße Farbe künstlicher Haut hatten, und er salutierte im Stillen vor dem Mut des Mannes, seinen nichtmenschlichen Folterknechten entwischt zu sein. »Ich, Kasimir de Valtos, unterstütze den Antrag des ehrenwerten Gildenmeisters Taloun.« Taloun verbeugte sich tief. »Meinen Dank, Gildenmeister de Valtos.« Von den Rängen hinter der Statthalterin kamen Buhrufe. Der Vorsitzende bekam seinen Stab wieder und schwenkte ihn über dem Kopf, während Taloun zu seinem Platz zurückkehrte. Er klopfte damit laut auf den Boden. »Ein Misstrauensantrag wurde gestellt und unterstützt. Um zu entscheiden, ob dieses Votum tatsächlich ausgesprochen wird, bitte ich die Führer der Kartelle kundzutun, ob sie dem Antrag zustimmen oder ihn ablehnen.« Der Vorsitzende ging zu seinem Amtssitz, zog an einer langen Samtkordel und enthüllte eine große Anzeigetafel hinter einem breiten Vorhang an der Rückwand des Saals. »Das dürfte interessant werden«, flüsterte Barzano. »Jetzt wer-
den wir sehen, wer mit wem im Bett liegt.« Zunächst langsam tauchten die Symbole der Familienkartelle auf der Tafel auf. Barzano stieß Perjed an, der die Abstimmungsergebnisse auf seine eigene Tafel kopierte. De Valtos' und Talo-uns Symbole tauchten naturgemäß als Erste und zugunsten des Antrags auf, während Shonais Ablehnung des Antrags gleich darauf folgte. Zu spöttischem Gelächter der oberen Ränge tauchte das HonanSymbol neben Talouns auf. Ein kollektives Seufzen der Überraschung hallte durch den Saal, als das Vergen-Symbol zugunsten des Antrags aufleuchtete. Als das Ja erschien, winkten die Männer hinter Solara Vergen dem Haupt ihres Kartells verzweifelt zu und forderten es lautstark auf, Vernunft anzunehmen. »Du meine Güte«, hauchte Perjed. »Was für ein Affront.« »Inwiefern?«, fragte Barzano. »Nun, das Vergen-Kartell ist seit fast zehn Jahren mit dem Shonai-Kartell verbündet, seitdem sie sich zusammengetan und Taloun aus dem Amt verdrängt haben. Leotas Vergen und Statthalterin Shonai waren Gerüchten zufolge in der Tat sehr gute Freunde, wenn Sie verstehen, was ich damit sagen will. Anscheinend hat Leotas Vergens Tochter nicht die Absicht, diese Freundschaft fortbestehen zu lassen.« Statthalterin Shonai starrte mit unverhohlener, für jeden sichtbarer Wut in das selbstzufriedene, lächelnde Gesicht von Solana Vergen. Eine zusammengeknüllte Tagesordnung traf Beauchamp Abrogas' Kopf, und er richtete sich abrupt auf und drückte wahllos irgendeinen Knopf auf seiner Abstimmungsleiste. Das AbrogasSymbol tauchte neben demjenigen der Statthalterin auf, und die Mitglieder seines Kartells stießen einen kollektiven Seufzer der Verärgerung über die Dummheit ihres Anführers aus. Nachdem die großen Kartelle ihre Stimme abgegeben hatten, trafen jetzt die Anführer der kleineren Kartelle ihre Wahl, da sie jetzt wussten, aus welcher Richtung der politische Wind wehte. Schließlich waren alle Stimmen abgegeben, und das Ergebnis war klar. Das Shonai-Kartell hatte verloren. Lortuen Perjed nickte, als er die Stimme des letzten Kartells auf seine Tafel übertrug. »Die Statthalterin hat diese Runde verloren, und die Frage wird
nun dem gesamten Senat zur Abstimmung vorgelegt, obwohl es sich dabei im Wesentlichen nur um eine Formalität handelt, da ich bezweifle, dass auch nur ein einziges Kartellmitglied gegen die Interessen seiner kommerziellen Herren abstimmt.« »Also ist der planetare Statthalter soeben abgesetzt worden. Einfach so?«, fragte Uriel. »Nicht ganz«, grinste Barzano, indem er sich von seinem Platz erhob. »Was machen Sie da?«, wollte Lortuen Perjed wissen. »Ich werde meine Gesetzesmuskeln spannen. Uriel, kommen Sie mit mir.« Perjed hielt Barzano an dessen Gewand fest und zischte: »Das ist wohl kaum ein ziemliches Verhalten für einen Adepten des Administratums.« »Ganz recht.« Barzano lächelte mit einem schalkhaften Funkeln in den Augen. Uriel folgte Adept Barzano die letzten Stufen auf den karierten Saalboden und hob dabei mühelos einen verblüfften Saaldiener aus dem Weg, der ihnen den Weg versperrte. Barzano schob das hölzerne Schwingtor auf und schritt in die Mitte des Saals. Eine erstaunte Stille senkte sich über die Kammer ob seiner Kühnheit und allein schon wegen der körperlichen Ausstrahlung eines imperialen Space Marine. Der Transaktionsleiter stand ungläubig unter der Wahltafel, und sein Gesicht war vor Zorn rot angelaufen. Seine Verärgerung über die Störung der gewohnten Geschäftsordnung überwältigte seinen gesunden Menschenverstand, und er schritt Barzano, vor Empörung stotternd, entgegen. »Das ist absolut unzulässig, mein Herr! Sie können sich nicht einfach auf diese Weise über die Statuten hinwegsetzen, die für unsere rechtmäßige Versammlung gelten.« »Oh, ich glaube, das kann ich«, lächelte Barzano, indem er das rote Siegel des Administratums aus seinem Gewand zog und es hoch über seinen Kopf hielt, sodass der ganze Saal es sehen konnte. Uriel behielt die Saaldiener des Senats im Auge, obwohl niemand gewillt zu sein schien, für die Verteidigung der Statuten des Senats einzutreten. Barzano schob das Siegel wieder zurück in sein Gewand und sprach zur Senatsversammlung von Pavonis. »Ihnen allen einen guten Tag. Ich heiße Ario Barzano und bin
im Namen des Göttlichen Imperators der Menschheit hier. Meine Aufgabe besteht darin, diese Welt wieder auf den Weg der Rechtschaffenheit zu führen, die Korruption auszumerzen und den Problemen Einhalt zu gebieten, die Ihre Welt plagen. Ich habe die höchste Autorität und auch die Kraft, den Willen des Administratums zu vollstrecken.« Uriel registrierte unwillkürlich die besorgten Blicke, die mehrere Kartellführer wechselten, als das Wort »Korruption« fiel. Barzano breitete die Arme in einer Geste aus, die den gesamten Senatssaal einschloss. »Betrachten Sie die Abstimmung als unterbrochen, meine Herren. Und Damen«, fügte Barzano mit einem Nicken an Solana Vergens Adresse hinzu, die den Adept daraufhin mit flatternden Augenlidern ansah. Wütende Stimmen wurden laut, verstummten aber gleich wieder, als Barzano sich neben Uriels gerüstete Körperfülle postierte. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, meine gelehrten Freunde, die Statthalterin von Pavonis und ich haben über viele Dinge zu reden. Ihnen allen noch einen guten Tag.« Barzano verbeugte sich tief und bedeutete Lortuen Per-jed, sich zu ihm nach unten zu gesellen. Als der alte Mann bei ihnen ankam, war sein Gesicht dunkelrot angelaufen. Er nahm Barzanos Arm und flüsterte: »Das war vollkommen unangemessen.« »Ich weiß«, antwortete Barzano, indem er sich aus Perjeds Griff löste und zu den Plätzen der Statthalterin und ihrer Berater ging. Mykola Shonai saß verblüfft über diese unerwartete Wendung da und erhob sich bei Barzanos Annäherung benommen. »Sie haben meinen Dank, Adept Barzano. Ich hatte Sie erst später am Abend erwartet.« Barzano zwinkerte und beugte sich weit zur Statthalterin herab. »Ich mache gerne eindrucksvolle Auftritte, aber danken Sie mir noch nicht. Dies ist kein Aufschub. Es ist lediglich eine Unterbrechung dessen, was immer noch unweigerlich geschehen könnte.« Statthalterin Shonai nickte, da sie die Unterscheidung verstand, war aber dennoch dankbar für die Rettungsleine. »Ich danke Ihnen trotzdem.« »Und bevor Ihr Transaktionsleiter einen Schlaganfall erleidet, schlage ich vor, dass wir uns alle an einen etwas weniger öffentlichen Ort zurückziehen.« »Einverstanden.«
Ario Barzano und Lortuen Perjed saßen in den Gemächern der Statthalterin, während Uriel bequem hinter ihnen stand. Statthalterin Shonai saß hinter ihrem Schreibtisch und wurde dabei von Almerz Chanda und Leland Corteo flankiert. Rauch aus Corteos Pfeife hatte sich unter der Decke gesammelt und wurde von einem träge kreisenden Ventilator hin und her gewirbelt. »Ich muss sagen, Adept«, begann Mykola Shonai, »ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sie mir gestatten würden, im Amt zu bleiben.« »Das tue ich vielleicht auch nicht, Statthalterin Shonai. Diese Entscheidung muss noch getroffen werden.« »Warum haben Sie dann nicht einfach den Dingen ihren Lauf gelassen?« Almerz Chanda beugte sich vor. »Gewiss reicht es einstweilen, dass Adept Toulon sich nicht durchgesetzt hat, Statthalterin.« »Nein, Almerz, das reicht nicht. Nun, Adept? Warum?« »Sie haben mir gefallen, und Uriel haben Sie auch gefallen«, erklärte Barzano. Uriel war nicht der Ansicht, in seiner Einschätzung der Statthalterin so offen gewesen zu sein, und seine Achtung vor Barzanos Scharfsinn stieg ein wenig. »Außerdem, werte Dame, nach allem, was ich von den anderen potenziellen Kandidaten gesehen habe, erschienen Sie mir am wenigsten, wie soll ich es ausdrücken...?« »Schleimig, falsch und unzuverlässig?«, schlug sie vor. Barzano lachte. »Ja, so etwas in der Art. Aber ernsthaft, wir rütteln nicht gern zu sehr an den Grundfesten einer Welt, wenn es sich eben vermeiden lässt. Sie an dieser Stelle zu ersetzen, würde wenig bringen.« »Mit anderen Worten, dies könnte nur ein vorübergehender Zustand sein?« »Genau. Ich will ganz offen sein, Statthalterin. Sie haben Ihre Pflichten als imperialer Regent vernachlässigt. Der Zehnte, der von Rechts wegen dem Imperator gehört, wird nicht entrichtet, und Ihre Unfähigkeit, den Frieden auf dieser Welt zu wahren, hat dazu geführt, dass man mich geschickt hat, um die Probleme zu lösen.« »Es stimmt gewiss, dass wir einen Haufen Probleme gehabt haben, aber in der Vergangenheit haben Umstände...« »Umstände der Vergangenheit interessieren mich nicht, Statt-
halterin Shonai«, schnauzte Barzano, und Uriel war überrascht über den giftigen Unterton in seiner Stimme. Perjed schien ebenfalls besorgt zu sein und beugte sich auf seinem Stuhl vor, während Barzano fortfuhr. »Was mich hingegen interessiert, ist der Mangel an Fortschritten bei der Vernichtung der Kirche der Alten Sitten, eine Organisation, die für mich gefährlich nach Kult klingt. Was mich noch interessiert, ist die Unfähigkeit Ihrer Systemabwehrschiffe, die Eldar-Piraten aufzuspüren, die unser Schiff angegriffen und den Tod vieler Diener des Imperators verursacht haben. Aber was mir am meisten Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass Sie es nicht für nötig befunden haben, irgendetwas von alledem dem Imperium mitzuteilen. Eine Erklärung dieser Umstände wäre sehr erbaulich.« »Was soll ich Ihnen erzählen, Adept? Die Adeptus Arbites und unsere lokalen Sicherheitstruppen haben versucht, die Kirche der Alten Sitten auszuradieren, aber ihre Mitglieder sind wie Schatten, und wir haben noch keinen Hinweis darauf entdecken können, wie sie mit Waffen versorgt werden«, fauchte Shonai. »Was die Eldar-Piraten angeht, so sind unsere Schiffe reif dafür, eingemottet zu werden. Nicht eines unter ihnen ist weniger als zweitausend Jahre alt. Wie sollen wir sie Ihrer Ansicht nach bekämpfen?« Barzano lächelte, als die Statthalterin ihre Tirade beendet hatte, und lehnte sich gelassen zurück. Offenbar war er mit ihrer Antwort zufrieden. Mykola Shonai legte die Hände auf den Schreibtisch. »Ich gebe zu, es war... unklug, nicht eher mit unseren Problemen herauszurücken, aber ich dachte, wir könnten sie intern lösen. Wenn ich mich einer Sache schuldig gemacht habe, dann der, dass ich zu viel Vertrauen in meine Fähigkeiten gesetzt habe, die Krise zu überwinden.« »Ja«, stimmte Barzano zu. »Aber ich glaube nicht, dass Ihre Administration rettungslos verloren ist. Ich schlage vor, dass wir vergangene Fehler einstweilen hintenanstellen und daran arbeiten, die gegenwärtige Situation so schnell wie möglich zu verbessern. Stimmen Sie mir zu?« »Natürlich«, sagte die Statthalterin rasch. »Wie kann ich helfen?« »Die erste Phase bei jeder Unternehmung ist die Sammlung von
Informationen, und um mit den Nachforschungen beginnen zu können, brauche ich uneingeschränkten Zugang zu den Dateien in den Logikmaschinen und Cogitatoren des Palasts. Und natürlich schließt das alle Ihre privaten Dateien ein.« »Empörend!«, fuhr Almerz Chanda auf. »Sie überschreiten Ihre Befugnisse, mein Herr!« »Wirklich? Gibt es etwas in diesen Dateien, das ich nicht zu sehen bekommen soll, Herr Chanda? Aufzeichnungen über Bestechungen, illegale Machenschaften mit Xenos und Ähnliches?«, scherzte Barzano, obwohl Uriel sich fragte, wie scherzhaft die Frage tatsächlich gemeint war. »Gewiss nicht«, trompetete Chanda. »Aber es ist ein grober Verstoß gegen die guten Sitten, die persönlichen Dateien der Statthalterin durchsuchen zu lassen, als sei sie eine gewöhnliche Kriminelle.« Mykola Shonai legte Chanda beruhigend eine Hand auf den Arm. »Schon gut, Almerz, ich habe nichts zu verbergen. Adept, Sie werden das Gewünschte bekommen. Was brauchen Sie sonst noch?« »Da ich nicht in die Lage kommen möchte, ein Kartell zu bevorzugen, indem ich eine der Unterbringungs-Offerten annehme, die mit Sicherheit bald von allen Seiten gemacht werden, brauche ich eine Suite von Räumen im Palast für mich und meine Begleitung. Gegenwärtig warten sie auf einer Landeplattform am Stadtrand. Ich wüsste es zu schätzen, wenn Sie ihnen eine entsprechende Botschaft zusammen mit einem adäquaten Transportmittel schicken könnten, das sie und meine Habseligkeiten in den Palast befördert.« »Das wird sofort erledigt«, versicherte ihm die Statthalterin mit einem an Chanda gerichteten Nicken. Er schien angesichts einer derart knechtischen Aufgabe ein wenig aufzufahren, verbeugte sich dann aber und verließ den Raum. »Sonst noch etwas?« »Ja. Da ich im Laufe meiner Nachforschungen zweifellos mit den hiesigen Sicherheitstruppen zu tun haben werde, brauche ich einen Verbindungsoffizier zu den Adeptus Arbites. Nehmen Sie Verbindung mit ihnen auf und fordern Sie sie auf, eine entsprechende Person für mich abzustellen.« »Das wird ihnen nicht gefallen«, stellte Leland Corteo fest. »Mir ist ziemlich egal, ob es ihnen gefällt oder nicht, nur sorgen
Sie dafür, dass es geschieht.« Leland Corteo zuckte ob Barzanos Tonfall zusammen, nickte aber und kritzelte sich etwas in sein Notizbuch. »Schön, das regelt die Dinge an der Heimatfront. Hinsichtlich des Problems der Eldar-Piraten schlage ich vor, dass die Vae Victus so schnell wie möglich den Patrouillendienst in dem betreffenden Raumsektor aufnimmt. Uriel? Ich halte es für das Beste, wenn Sie die Statthalterin selbst darüber informieren, was Sie benötigen.« Uriel nahm zackig Haltung an und trat vor. »Für größtmögliche Effektivität brauchen wir die vollständigen kommentierten Dossiers über jede überfallene Siedlung und jedes angegriffene Schiff sowie Besatzungslisten und Ladungsverzeichnisse. Außerdem eine Karte des Systems, auf der ganz exakt Zeit und Ort jedes Angriffs vermerkt sind. Daraus lässt sich dann ein Hauptangriffsgebiet ableiten, sodass wir einen wirkungsvollen Patrouillenkurs festlegen können.« »Ich werde mich persönlich darum kümmern, Hauptmann Ventris.« Uriel nickte und trat zurück. »Wann können Sie mit dem Patrouillendienst beginnen, Uriel?« »Die Tech-Marines kümmern sich gegenwärtig um das Schiff, und es kann losgehen, sobald die erforderlichen Informationen an Bord der Vae Victus sind.« Barzano rieb sich nachdenklich das Kinn. »Ausgezeichnet. Kehren Sie zum Schiff zurück, und spüren Sie diese Piraten auf. Ich kann die Bedeutung, die ich dieser Aufgabe beimesse, gar nicht genug betonen, Hauptmann.« »Ich soll auf das Schiff zurückkehren? Adept, man hat mir Ihre persönliche Sicherheit anvertraut, und ich habe Lord Calgar mein Wort gegeben, dass Ihnen nichts zustößt.« »Und mir wird auch nichts zustoßen, denn Sie werden mir Sergeant Learchus' Trupp als Leibwache hier lassen. Es sei denn, Sie haben irgendwelche Vorbehalte hinsichtlich seiner Fähigkeiten, mich zu schützen?« »Natürlich nicht. Learchus ist ein bewährter Veteran vieler Kampagnen. Ich vertraue ihm uneingeschränkt.« »Dann teile ich Ihr Vertrauen.« Plötzlich ging Uriel auf, wie geschickt Barzano ihn ausmanövriert hatte. Learchus war ein großer Krieger und würde eher sterben
als zulassen, dass dem Adept ein Leid geschah, und ihn von seiner Aufgabe zu entbinden, würde einer Beleidigung seiner Ehre gleichkommen. Uriel hatte Marneus Calgar geschworen, Barzano zu beschützen, aber bei dem Adepten zu bleiben, würde bedeuten, dass seine Männer ohne ihren Hauptmann in die Schlacht ziehen mussten. Widerstrebend akzeptierte Uriel, dass er als Hauptmann der Vierten Kompanie in der Lage sein musste, den Offizieren unter sich zu vertrauen. Er verbeugte sich vor Barzano. »Sie haben in Sergeant Learchus und seinen Kriegern eine ausgezeichnete Leibgarde. Er stammt aus einer Familie mit Ehre und wird Sie nicht enttäuschen.« »Und das werden auch Sie nicht, Uriel, davon bin ich überzeugt.« »Nicht, solange ich noch atme«, versicherte der Space Marine dem Adepten. Ario Barzano rieb sich die Augen und lehnte sich zurück, da er spürte, dass eine Migräne im Anzug war. Seine Nachforschungen hatten Früchte getragen, aber er war des in den letzten beiden Tagen ausgegrabenen Katalogs von Lüge, Verrat und schlichter menschlicher Gemeinheit überdrüssig. Er riss sich vom Schreibtisch los und goss sich eine anständige Portion Uskavar ein, dem hier auf Pavonis bevorzugten alkoholischen Getränk. Die Gemächer, welche die Statthalterin seiner Begleitung zugeteilt hatte, waren düster, da die Kerzen fast auf Wachspfützen heruntergebrannt waren. Er zündete eine neue Reihe an, während er von dem starken Schnaps nippte und darüber nachdachte, wie er die Kirche der Alten Sitten konkret bekämpfen wollte. Mykola Shonai hatte nicht gelogen, als sie gesagt hatte, ihre Mitglieder seien wie Schatten. Tatsächlich wäre es leicht gewesen, einen Schatten zu fassen zu bekommen, verglichen damit, herauszufinden, wo diese Gruppe anzutreffen war. Die Sekte war zum ersten Mal vor sieben Jahren in Erscheinung getreten, als eine gewaltige Explosion eine von Honans Manufakturen zerstört hatte. Der daraus entstandene Brand hatte auf das nahe gelegene Versorgungsdepot übergegriffen und unermesslichen Schaden angerichtet. Man hatte die Explosion auf schlechte Sicherheitskontrollen zurückgeführt, bis ein verschlüsseltes Bekennerschreiben im Büro der Statthalterin eingetroffen war, in dem die finanzielle Gier der Herrscher von Pavonis angeprangert
und die Fortsetzung der Bombenanschläge verkündet wurde. Bald hatte jedes Kartell unter den Anschlägen der Terroristen zu leiden gehabt, und die Sicherheitstruppen waren machtlos gewesen und hatten die Fortsetzung der Gräueltaten nicht verhindern können. Fast vierhundert Personen waren bisher ums Leben gekommen, und Barzano wusste, dass diese Zahl im galaktischen Maßstab bedeutungslos sein mochte, dass aber jedes Leben ein Glied in einer Kette war, die eines Tages nachgeben würde, wenn er und seinesgleichen derartige Anschläge nicht verhindern konnten. Die lokalen Sicherheitstruppen auf Pavonis hatten wenig Erfolg bei der Ergreifung der Terroristen gehabt, und Barzano war deswegen nicht weiter überrascht. Ihm war rasch klar geworden, dass ihre Organisation eine Farce war. Von den Kartellen finanziert, waren sie nicht mehr als private Sicherheitsdienste, welche die Interessen ihrer Zahlmeister schützten und eine Politik brutaler Disziplinierung gegenüber den Arbeitern verfolgten und sonst nichts. Die wenigen kleinen, über den Planeten verstreuten Garnisonen der Adeptus Arbites konnten wenig anderes machen, als auf die Einhaltung der Gesetze des Imperators im Herzen der Städte zu achten. In den Barackendörfern und Arbeiterbezirken, welche die Manufakturen umgaben, herrschten nur die Gesetze, welche von den Kartellen erlassen wurden. Und nach allem, was Barzano bisher erfahren hatte, waren diese selbst wenig besser als Kriminelle. Einem heimtückischeren Nest verschlagener Schlangen war er selten begegnet - außerhalb seiner eigenen Organisation, überlegte er mit einem schiefen Grinsen. Jedes Kartell hatte sich irgendwann einmal mit einem anderen als Gegenleistung für kurzfristige Ziele und Profite verbündet, bevor entsprechende Verträge neu verhandelt und ein anderes Kartell unterstützt wurde. Anscheinend war dies der Normalzustand, und die Vorstellung, dass auch gegen Ende des einundvierzigsten Millenniums ihrer Geschichte die Menschheit immer noch nicht ihre Differenzen beilegen konnte, wo doch buchstäblich jede nichtmenschliche Rasse in der Galaxis auf ihre Vernichtung bedacht war, deprimierte Barzano gewaltig. Fast in jedem System in der Galaxis metzelten und plünderten Orks wahllos, und er unterdrückte gewaltsam seine Erinnerungen an die vom Krieg zerrissene Welt Armageddon. Und so nah am Ostrand der Galaxis war es nur eine Frage der Zeit, bis die ex-
pandierenden Grenzen des Tau-Imperiums Pavonis erreichten. Ja, die Galaxis war ein feindseliger Ort, und nur durch Stabilität geeint konnte das Imperium der Menschen hoffen zu überleben. Jeder andere Kurs war Dummheit der schlimmsten Sorte, und er hatte einen Eid geschworen, dafür zu sorgen, seine Stabilität zu erhalten. Was hatten die Herrscher von Pavonis getan, um die Heiligkeit des Gefildes ihres Imperators zu erhalten? Er kehrte zu seinem Stuhl zurück und aktivierte das Anzeigenterminal. In der Ecke der Anzeige blinkte eine weitere Nachricht, doch er ignorierte sie in dem Wissen, dass es sich nur wieder um eine Einladung eines Kartells handeln würde, dessen Gastfreundschaft anzunehmen. Einladungen zum Essen, zur Jagd, zum Trinken und zur Teilnahme an anderen, weniger angenehmen Zeitvertreiben waren von jedem einzelnen der kommerziellen Häuser eingetroffen. Er hatte sie alle höflich abgelehnt. Er ging die Informationen durch, die er in den letzten zwei Tagen zusammengestellt hatte. Über die kleineren Kartelle hatte er nicht mehr gefunden als die üblichen Bündnisse, Gegenbündnisse und Paktbrüche. Die Führer der größeren Kartelle waren jedoch ein weitaus interessanterer Schurkenhaufen. Beauchamp Abrogas verbrachte seine Zeit damit, sich mit illegalen Drogen das zentrale Nervensystem zu zerstören und das Familienvermögen zu verschleudern. Taryn Honan war ein fetter Dummkopf, der sagenhafte Summen für Kurtisanen ausgab und Mühe gehabt hätte, einen Raum voller lobotomisierter Servitoren zu leiten. Er wusste nicht viel über Solana Vergen, hatte aber die Falschheit ihres Kummers über den Tod ihres Vaters gespürt. Und die spektakuläre Änderung im Abstimmungsverhalten ihres Kartells ließ nichts Gutes für die Stabilität ihrer Persönlichkeit ahnen. De Valtos verbrachte die meiste Zeit in der Abgeschiedenheit seines Besitzes oder jagte hinter Antiquitäten her und dabei kreuz und quer durch das System. Sogar ein Blinder konnte den Hass und die Verbitterung sehen, die er der Statthalterin gegenüber hegte, obwohl Barzano keinen direkten Grund für diesen Groll hatte entdecken können. Das rechtfertige ganz eindeutig weitere Nachforschungen. Außerdem gab es die spürbare Verbindung zwischen de Valtos und den Dunkeleldar, doch Barzano war klar, dass es sich nicht um die Art Verbindung handelte, aus der eine
Zusammenarbeit erwuchs. Er war an Bord des fremden Schiffs beinahe zu Tode gefoltert worden und hatte, so unwahrscheinlich dies auch erscheinen mochte, überlebt. Barzano hatte Mykola Shonai bei seinen Untersuchungen ausgenommen. Bei ihrer Besprechung hatte er keine Täuschung ihrerseits gespürt, und hinzu kam, dass ihre zweite sechsjährige Amtszeit als planetare Statthalterin bald zu Ende war und die Verfassung von Pavonis ihr eine direkt daran anschließende dritte Amtszeit verbot. Sie hatte durch ein Andauern des gegenwärtigen Zustands nichts zu gewinnen und alles zu verlieren. Ario Barzano wusste, dass diese Tatsache allein nicht reichte, um sie von jedem Verdacht reinzuwaschen. Er hatte schon Verräter mit weitaus geringfügigeren Motiven entlarvt. Aber Angelegenheiten wie diese waren jetzt schon seit zu vielen Jahren sein tägliches Brot, und er glaubte ein Talent dafür zu haben, einen Lügner zu erkennen. Mykola Shonai kam ihm nicht wie einer vor. Um die Wahrheit zu sagen, bewunderte er die Frau sogar. Sie hatte ihr Bestes für ihre Welt gegeben. Aber er wusste auch, dass nur der Versuch, sein Bestes zu geben, nicht reichte. Die Anstrengungen mussten auch zu Resultaten führen, und die Resultate auf Pavonis sprachen für sich. Aber Taloun... Das war etwas anderes. Zwei Mal in den letzten zehn Jahren bei den Wahlen der vereinten Macht der Kartelle Shonai und Vergen unterlegen, hatte Vendare Taloun alles zu gewinnen. Wenn Ario sich an ein Problem wie dieses herantastete, stellte er sich zunächst immer dieselbe Frage: Wer hat am meisten zu gewinnen? Im Chaos terroristischer Aktivitäten, nichtmenschlicher Piraterie und politischen Aufruhrs unterschied Talouns Kartell sich von allen anderen. Es hatte mit der möglichen Ausnahme Shonais weniger unter den Bombenattentaten zu leiden gehabt als alle anderen, und Barzano hatte sich schon vor langer Zeit mit der Tatsache abgefunden, dass es in diesen Dingen so etwas wie Zufälle nicht gab. Das gleichzeitige Auftauchen der Kirche der Alten Sitten und der Eldar-Piraten verriet seiner Ansicht nach eine ordnende Hand. Taloun hatte seine Schläue bereits unter Beweis gestellt, und Barzano wusste, dass die gewundenen Pfade des menschlichen Geistes mühelos in der Lage waren, solch einen Plan zu ersinnen. Er kehrte dem Terminal den Rücken und trank sein Glas aus.
Sein Tag begann morgen sehr früh, und er fragte sich, was er noch alles aufdecken mochte. Er hatte seinen Verbindungsoffizier bei den Adeptus Arbites angewiesen, Zivilkleidung zu tragen, und plötzlich fragte er sich, ob sie überhaupt solche Sachen besaß. Sie sah aus, als lebe sie für ihre Berufung, und er lächelte, als ihm aufging, dass sie sich in diesem Fall sehr ähnlich waren. Barzano hörte die leisen Stimmen seiner UltramarineLeibwächter vor seinen Gemächern und dachte kurz an Uriel Ventris. Es war bedauerlich, dass er Uriel nicht die Wahrheit sagen konnte, aber Barzano wusste, dass er möglicherweise ein Problem mit dem Hauptmann der Space Marines bekommen haben würde, wenn er ihm die Wahrheit gesagt hätte. Er warf einen Blick auf den sicheren Tresor in der Wand, der hinter dem Porträt eines Mannes namens Forlanus Shonai verborgen war. In diesem Tresor hatte er den Kasten verborgen. Er wehrte sich gegen den Drang, den Kasten zu öffnen und seinen Inhalt zu untersuchen. Um Pavonis willen betete er, dass das nicht nötig sein würde. Uriel entging nicht, dass es Lordadmiral Tiberius ärgerte, einen Systempiloten an Bord zu haben, wusste aber, dass der Admiral klug genug war, sich mit der Notwendigkeit abzufinden. Die schnellste Route, die Uriel und Tiberius zu Caernus IV, dem Schauplatz des jüngsten Eldar-Angriffs, erarbeitet hatten, führte sie direkt durch einen breiten Asteroidengürtel, und ohne einen Einheimischen, der über Kenntnis der sicheren Routen hindurch verfügte, forderten sie das Unglück geradezu heraus. Sechs angespannte Stunden waren vergangen, in denen der Pilot sie kundig durch das Labyrinth gewaltiger Asteroiden gesteuert hatte, und Uriel betete zum Imperator, zu Guillaume und zu allen Heiligen, dass sie das Feld bald hinter sich haben mochten. Die von Statthalterin Shonai zur Verfügung gestellte Karte des Systems, auf der jeder Angriff der Eldar-Piraten eingetragen war, hatte sich als äußerst nützlich erwiesen. Uriel war das Ausmaß der Überfälle erst klar geworden, als er die Karte gesehen hatte. Knapp über hundert Angriffe in nur sechs Jahren. Bei fast jedem Angriff war eine Siedlung völlig zerstört oder ein Schiff schwer beschädigt und seine Besatzung abgeschlachtet worden. Uriels Bewunderung für Kasimir de Valtos war gestiegen, als er sich den Mut und die Entschlossenheit vorstellte, die nötig gewesen sein
mussten, um sich aus den Klauen dieser verabscheuungswürdigen Nichtmenschen befreien zu können. »Ruderkontrolle, auf Kurs null-zwo-fünf bei dreißig Grad Abwärtswinkel gehen«, rief der Systempilot. »Komm, meine Schöne, wir schleusen dich durch.« Uriel schaute vom Planungstisch in der Divinationskontrolle zur Aussichtsbucht und erbleichte, als er die Lücke in den langsam rotierenden Asteroiden sah, die der Pilot anstrebte. Er hielt den Atem an und sah zu, wie die beiden gigantischen Felsbrocken, die beide mehrere Millionen Tonnen größer waren als die Vae Victus, am Schiff vorbeiglitten. Uriel sah, dass Tiberius den Rand der Kapitänskanzel fest umklammert hielt. Seine Knöchel waren weiß und sein Gesicht vor Sorgen zerfurcht. Er hatte nur widerstrebend zugelassen, dass ein Pilot mit Ortskenntnis sein Schiff steuerte, ihm aber nicht gestattet, dies von seiner Kanzel aus zu tun. »Müssen Sie so nah an diesen verfluchten Steinbrocken vorbeifliegen?«, schnauzte Tiberius, der langsam die Geduld mit dem Piloten verlor. »Wenn Sie einen davon auch nur ankratzen, atmen wir alle das Vakuum.« Der Pilot, ein gebürtiger Altemaxaner namens Krivorn, grinste und zeigte dabei gelbliche Zahnstümpfe. »Das hier?«, spottete er. »Ha! Ich bin ganz vorsichtig bei euch Jungens. Das ist der leichte Weg. Ich hätte euch auch durch die Gasse der Wracks führen können. Dann hättet ihr mal erlebt, was Fliegen ist.« »Die Gasse der Wracks?«, fragte Uriel. »Die ist aber nicht auf Ihrer Karte eingezeichnet.« »Nee«, gab Krivorn ihm Recht. »Das ist nur der Name, den ich mir dafür ausgedacht habe, nachdem ich dort beinahe ein Schiff verloren hätte.« »Sie hätten beinahe ein Schiff verloren!«, explodierte Tiberius. »Ja, aber das war nicht meine Schuld«, protestierte Krivorn. »Wir flogen so daher, zufrieden wie ein Ork in den Pilzen, als dieser verflucht große Koloss aus dem Nichts auftaucht! Ich schwöre, gerade war da noch nichts, und dann verlieren wir plötzlich Energie und fliegen mit allen Maschinen im Rückwärtsgang hart Steuerbord.« »Ich nehme an, Sie haben einen Navigationsfehler gemacht, Pilot.« »Ich? Nein, Herr, ich hatte die Divinatoren noch eine Sekunde
vorher überprüft, und da war er noch nicht da. Ruderkontrolle, neue Richtung drei-zwo-vier, zehn Grad aufwärts.« »Was war es dann?«, fragte Uriel, dem Krivorns nachlässige Ruderanweisungen an die Nieren gingen. »Das habe ich nie herausgefunden, aber ich schätze, es war einer von diesen Raumkolossen, von denen man immer hört«, erwiderte Krivorn. »Und ich bin auch nicht der Erste, der ihn gesehen hat. Viele Raumfahrer sagen, sie hätten ihn in der Gegend des Pavonis-Systems gesehen. Sie nennen ihn wegen seiner Form das Halbmondschiff. Ruderkontrolle, neue Richtung null-null-null und geradeaus.« Uriel hatte von diesen Schiffswracks gehört, die im Warpraum gekentert waren, um Geisterschiffe zu werden und für immer durch die eisigen Tiefen des Alls zu treiben. Niemand konnte ihre Bewegungen vorhersagen, und sie tauchten vollkommen zufällig auf, wie sie das kapriziöse Schicksal aus dem Immaterium ausspie. Der Gedanke, dass solch ein Gebilde in der Nähe sein mochte, erfüllte Uriel mit nichts anderem als Abscheu. »Genug von diesem verfluchten Unsinn«, sagte Tiberius. »Wie lange noch, bis wir den Asteroidengürtel hinter uns haben und Caernus IV erreichen?« Krivorn zeigte wieder seine Zahnlücken und verbeugte sich tief vor Tiberius. »Wir haben den Gürtel soeben verlassen, Herr. Bei gegenwärtiger Geschwindigkeit und Flugrichtung erreichen wir in ungefähr einer Stunde die Umlaufbahn. Gern geschehen.« Kasimir de Valtos spürte, wie seine Eingeweide sich erneut zusammenzogen, und erbrach eine schaumige, zähe, blutfleckige Masse in die Schüssel auf der Kommode. Schweißperlen standen auf seiner Stirn, und sein Bauch befand sich in der starken Umklammerung schmerzhafter Krämpfe. Alles verschwamm vor seinen Augen, als die nächste Welle von schwarzem Erbrochenem brennend durch seinen Hals und in die Schale sprudelte. Diese verdammten Nichtmenschen. Jeden Tag wehrte sich sein Körper gegen die widerlichen Substanzen, mit dem sie ihn vergiftet hatten. Nur tägliche Infusionen mit starken Abführmitteln hielten die schwächendsten Auswirkungen in Schach, und selbst dann war es nur unwesentlich weniger schmerzhaft. Er raffte sich vom Boden seiner Waschnische auf und band sich
den Bademantel eng um seine schlanke Gestalt. Er klatschte sich Wasser ins Gesicht, während die Krämpfe langsam nachließen. De Valtos spülte sich den Mund mit eiskaltem Wasser aus in dem vergeblichen Versuch, den sauren Geschmack zu vertreiben, und trocknete sich mit einem Seidenhandtuch ab. Er fuhr sich mit einem Kamm aus Elfenbein durch seine albinotisch weißen Haare. Er starrte in den Spiegel und fragte sich, wie sein Leben so eine Wendung hatte nehmen können. Die Antwort war nicht schwer. Es hatte an dem Tag begonnen, als seine Expedition die Kavernen unter der Ruinenstadt auf Cthelmax und die Inschriften des Ketzer-Abts Corteswain entdeckt hatte. Hätte er die Inschriften doch nur nicht übersetzt. Hätte er nur nicht ihre düster-prophetischen Worte befolgt. Wäre er doch nur nicht den Eldar begegnet. Aber er hatte sie befolgt, und sie hatten ihn dorthin geführt, wo er jetzt war. Er hob eine blasse, aufgequollene Hand vor das Gesicht und quetschte an der empfindungslosen Kunsthaut herum, die seinen Schädel bedeckte, in dem Wissen, dass die Berührung nur erfolgte, weil er sich im Spiegel orientieren konnte. Früher hatte er als attraktiv gegolten, und er hatte den schönsten Frauen von Pavonis den Hof gemacht, aber jetzt nicht mehr. Dafür hatte die weißglühende Klinge eines nichtmenschlichen Folterknechts gesorgt. Nach seiner Begegnung mit den Eldar hatte er viele Male an Selbstmord gedacht, aber dazu fehlte ihm der Mut. Die Verlockung von Corteswains Worten hatte seine Seele zu fest im Griff, und de Valtos ging auf, dass Hoffnung in der Tat der größte Fluch der Menschheit war. Warum sonst sollte er diesen Weg weitergehen, wenn nicht aus Hoffnung? De Valtos warf das Handtuch weg und ging in sein privates Schlafgemach. Der Raum war spiegellos und spartanisch eingerichtet, und da war nichts von dem Staat, den viele mit dem Anführer eines derart vermögenden Kartells assoziierten. Er zog seinen Bademantel aus und ging nackt in seinen begehbaren Kleiderschrank, wo er sich seinen mitternachtsblauen Lieblingsanzug mit den schmalen Revers und dem hohen Kragen aussuchte. Er zog den Anzug an, und das Narbengewebe, mit dem ihn der Folterknecht der Eldar reich beschenkt hatte, spannte sich schmerzhaft über Brust und Armen. Sein Gast würde bald eintref-
fen, und er wollte sich nicht verspäten. Ungeachtet dessen, dass er ihn und all die kleingeistigen Dinge verachtete, an die er glaubte. Ungeachtet dessen, dass er noch vor wenigen Jahren selbst an diese Dinge geglaubt hatte. Seitdem hatten sich die Zeiten geändert, und jetzt lag viel mehr in seiner Verantwortlichkeit als Gewinn und Verlust, Produktion und Arbeit. Er wählte die schwarzen Carnodonlederschuhe zum Anzug und setzte sich ans Ende seines blutbefleckten Betts, um sie anzuziehen und seine Anzugjacke zu richten. Er hörte die Klingel im Vestibül und wusste, dass sein Gast eingetroffen war. Wie üblich sehr pünktlich. Vollständig angezogen, ging de Valtos zum Kopfende des Betts und sammelte die blutigen Messer ein, die rings um den verstümmelten menschlichen Kadaver auf der Matratze lagen, wobei er sorgfältig einen Bogen um die Pfützen klebrigen Bluts machte, die sich gesammelt hatten. Er verstaute seine Folterwerkzeuge in einer schwarzen Ledertasche und schob sie unter das Bett. Beim Anblick des Leichnams beschlich ihn wieder das vertraute Gefühl der Enttäuschung. Diese hier hatte seine Bedürfnisse nicht einmal annähernd befriedigen können, und schon bald würde er ein anderes Tuch aus Menschenhaut brauchen, auf dem er seine Dämonen austreiben konnte. Er stellte sich Solana Vergen auf dem Bett vor, und sein Herz raste vor Verlangen. De Valtos machte kehrt, verließ seine Gemächer und schritt die breite Marmortreppe zum Vestibül und zu seinem Gast hinunter. Er sah ihn unten stehen und nervös von einem Fuß auf den anderen treten. Almerz Chanda sah beim Geräusch von de Valtos' Schritten auf. Kasimir de Valtos lächelte. Jenna Sharben fühlte sich sehr unbehaglich ohne ihre LiktorenUniform und wünschte zum hundertsten Mal, Virgil Ortega hätte nicht sie als Kindermädchen für diesen Adepten aus der Hölle abgestellt. Sie trug eine praktische, eng sitzende blaue Tunika mit weiten Ärmeln und einem Innenhalfter, in dem eine Autopistole unter der linken Armbeuge steckte. Sie stand bequem in den Gemächern des Adepten und sah sich aufmerksam um.
Sie rühmte sich der Fähigkeit, anhand der Art und Weise, wie eine Person lebte, viel über sie aussagen zu können: über ihren Geschmack, ihre Vorlieben und Abneigungen, ob sie Ordnungsfanatiker war oder gerne in einem Zustand beständiger Unordnung lebte. Ihre Stirn legte sich in Falten angesichts der verschiedenen Signale, die das Quartier des Mannes ihr übermittelte. Ein Dutzend auf dem Schreibtisch gestapelte Bücher waren alphabetisch geordnet, obwohl sie eindeutig nicht zur Einrichtung des Raums gehörten, doch ein Stapel Kleidung lag unordentlich auf den Bettlaken. Eine waffen-metallgraue Truhe stand am Fußende des Betts, mit einem Geno-Schloss gesichert, während auf dem Schreibtisch ein offenes Tagebuch mit sämtlichen handschriftlichen Notizen des Adepten lag. Ein halb leerer Dekanter mit Uskavar stand neben dem Tagebuch zusammen mit einem Kristallglas, das die letzten Tropfen des vergangenen Abends enthielt. Was für ein Mensch war dieser Adept? »Genug gesehen?«, fragte eine Stimme am anderen Ende des Zimmers, und sie erschrak, wobei ihre Hand unwillkürlich zu ihrer Waffe fuhr. Ein Mann in einem fleckigen Overall in der roten Farbe des Taloun-Kartells lehnte an der Wand und kaute an einem Stück Tabak. Er war unrasiert und sah mit seinen Dreitagestoppeln um das Kinn grobschlächtig aus. Jenna öffnete den Mund, um den Mann zu fragen, was er hier zu suchen hatte, als ihr plötzlich aufging, dass dies der Adept war, bei dem sie am vergangenen Abend vorstellig geworden war. Die Verwandlung war ziemlich bemerkenswert. »Jetzt ja«, sagte sie, während der Adept zu ihr ging. Barzano lächelte. »Heute werde ich Gulyan Korda sein, Technikus Sekundus in Schmelzhütte drei-sechs-zwo des TalounKartells. Was meinen Sie?« Jenna war sprachlos. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie geschworen, dass der Adept auf Pavonis geboren war. Er hatte den Akzent, die Kleidung und den apathischen Gang der Manufaktur-Arbeiter. Sein Haar war zurückgekämmt und geglättet, und seine Wangen waren voller. Als könne er ihre Gedanken lesen, nahm Barzano zwei Wangenpolster aus dem Mund und zwinkerte, bevor er sie wieder einsetzte. »Glauben Sie, dass ich für einen Einheimischen durchgehe?«
»Ohne jeden Zweifel«, versicherte ihm Jenna. »Obwohl ich nicht verstehe, warum Sie das wollen.« »Nun, ich glaube nicht, dass angesichts des hiesigen Klimas der Unruhe und der Unbeliebtheit der derzeitigen Administration irgendjemand ein offenes Wort mit einem Fremdweltler reden wird, geschweige denn mit jemandem vom Administratum. Sie etwa?« Jenna sah, dass sein Argument stichhaltig war, und plötzlich ergab auch sein Beharren darauf einen Sinn, sie möge Zivilkleidung tragen. Er wollte ausgehen und sich unter die Arbeiter mischen. Und sie sollte was sein - ein Leibwächter, ein Führer? Beides? »Was haben Sie vor, Adept Barzano?« »Ach, nur einen kleinen Spaziergang in die Arbeiterviertel außerhalb der Stadtmauern. Nichts allzu Anstrengendes, das verspreche ich.« Barzano zeigte auf die Bücher und das Datenterminal. »Es ist schön und gut, Informationen daraus zu beziehen, aber ich finde immer, dass man sich die besten Informationen an der Basis holt. Sie nicht? Ja, heute wird sich Gulyan Korda, erst kürzlich aus den Diensten des Taloun-Kartells entlassen, unter ähnlich gesinnte Unzufriedene mischen und über die entsetzliche Lage diskutieren, in die uns die Statthalterin gebracht hat.« »Und welche Aufgabe habe ich dort?« »Sie, meine Liebe, sind mein Leibwächter«, flüsterte Barzano, dem seine neue Rolle offenbar großen Spaß zu machen schien. »Sie müssen nämlich wissen, als Gulyan bei Taloun entlassen wurde, hat er einige sehr belastende Dokumente mitgehen lassen.« »Hat er das?« »Ich glaube schon. Ja, tatsächlich bin ich fast sicher.« »Und worauf sollen sich diese belastenden Dokumente beziehen?« »Ich habe keine Ahnung«, gluckste Barzano. »Aber in jedem Fall auf etwas Saftiges, da bin ich ganz sicher.« »Was ist mit den Space Marines draußen? Sie werden nicht unbemerkt bleiben, wenn ihnen zwei gerüstete Riesen überallhin folgen.« »Ja, das weiß ich, aber die kommen nicht mit.« »Und wie wollen Sie ohne sie den Palast verlassen?« »Ganz einfach, sie werden mich nicht sehen«, versprach Barza-
no. »Sie werden Sie und ein ziemlich anrüchig aussehendes Subjekt im Overall sehen, die auf dem Weg nach draußen sind, und glauben, der Langschläfer von einem Adepten liege noch im Bett. Glauben Sie mir, es wird leichter, als Sie meinen.« Jenna Sharben schüttelte den Kopf. »Ich halte das wirklich für keine so gute Idee«, sagte sie.
9. Kapitel Uriel starrte auf das verbrannte menschliche Wrack auf dem kleinen Feldbett und fragte sich, wie im Namen all dessen, was heilig war, dieser Mann noch am Leben sein konnte. Kaum hatte er diese arme, gequälte Seele erblickt, als er auch schon den Kompanie-Apotheker gerufen und ihm aufgetragen hatte, sich um den jungen Mann zu kümmern. Der Arzt dieser Siedlung hatte getan, was er konnte, aber die furchtbaren Wunden des Mannes überforderten dessen Fähigkeiten bei weitem. Apotheker Selenus hob sanft ein Bein des Mannes, löste einen mit Blut und Eiter befleckten Verband und trug lindernde Salben auf die Streifen verbrannten Fleisches, die noch an dem ausgemergelten Leib klebten. Der Apotheker arbeitete im Licht eines Dutzends flackernder Kerzen, und der widerliche Gestank verkümmerten, verbrannten Fleisches erfüllte den Raum mit erstickender Schärfe. Caernus IV war Schauplatz des jüngsten Angriffs der EldarPiraten, und die von der Statthalterin zur Verfügung gestellten Informationen hatten darauf hingedeutet, dass ein Mensch das Gemetzel überlebt hatte. Wenn er den Mann ansah, den der Dorfälteste Gedrik genannt hatte, empfand Uriel nur Mitleid wegen seines Überlebens. Sie waren zu dieser Welt geflogen, um sich Informationen von einem lebenden Augenzeugen zu beschaffen, und Uriel hatte das merkwürdige Gefühl, dass es lebenswichtig war, sich mit Gedrik zu unterhalten. Sergeant Pasanius beugte sich vor und flüsterte Uriel zu: »Hat er noch lange zu leben, was meinst du?« Uriel schüttelte den Kopf. »Selenus sagt Nein, aber der Mann hier ist ein Kämpfer. Eigentlich müsste er schon lange tot sein. Etwas hat ihn am Leben erhalten.«
»Was zum Beispiel?« »Das weiß ich nicht, Pasanius, aber der Dorfälteste hat mir erzählt, dass er ihrem Arzt nicht erlaubt hat, ihm den Frieden des Imperators zu gewähren. Er hat immer wieder gesagt, dass er auf die Engel warten würde. Dass er ein Geschenk für sie hätte.« »Was soll das bedeuten?«, spottete Pasanius. »Die Schmerzen müssen ihn um den Verstand gebracht haben.« »Nein«, flüsterte Uriel. »Ich glaube, dass er auf uns gewartet hat.« »Auf uns? Woher sollte er gewusst haben, dass wir kommen?« Uriel zuckte die Achseln. »Es heißt, jenen, welche die Berührung des Todes spüren, aber noch leben, werden vom Imperator manchmal Visionen und wunderbare Kräfte gewährt. Sein Überleben ist ein Wunder, und vielleicht ist das allein schon Grund genug, es zu glauben.« Pasanius schaute nicht überzeugt drein. »Ich habe schon immer gesagt, die langen Jahre unter der Erde auf Calth können dir nicht gut getan haben. Glaubst du wirklich, nur weil dieser arme Teufel hier noch nicht tot ist, sei er vom Imperator persönlich berührt worden?« »Vielleicht, ich weiß es nicht. Es heißt, die gesegnete heilige Capilene hätte noch drei Tage gelebt, nachdem die tödliche Kugel ihr Herz getroffen hatte. Der Imperator habe ihren Tod erst zugelassen, nachdem sie auf der Schreinwelt, die jetzt ihren Namen trägt, die Truppen zum Sieg gegen den Chaos-Abschaum geführt hatte. Ich kann dir keine vernünftige Erklärung dafür geben, mein Freund, aber mein Bauch sagt mir, dass ihn irgendwas aus irgendeinem Grund am Leben erhalten hat. Ich kann es nicht erklären, ich habe nur so eine Ahnung.« »Jetzt hörst du dich an wie Idaeus«, murmelte Pasanius. »Ich habe immer gewusst, dass uns richtiger Ärger bevorstand, wenn er >eine seiner Ahnungen< hatte.« Apotheker Selenus erhob sich vom Bett und verbeugte sich vor Uriel. »Bruder-Hauptmann, wir können nichts mehr für ihn tun. Ich habe Salben verabreicht, die verhindern werden, dass böse Dämpfe die Wunden infizieren, und sie so gut wie möglich verbunden, aber es ist vergebliche Liebesmüh. Er wird bald sterben. Das kann jetzt nichts mehr verhindern.« »Sie haben getan, was Sie konnten, Bruder«, sagte Uriel. Als Selenus ihn passierte, legte er dem Apotheker eine Hand auf den
Schulterschutz. »Vergessen Sie nicht, Selenus, den Bedürftigen zu helfen, ist niemals vergebliche Liebesmüh. Gehen Sie wieder zu den Männern. Ich werde jetzt mit diesem Jungen reden. Ich glaube, er hat auf uns gewartet und eine Botschaft für mich.« Selenus nickte. »Wie Sie wünschen, Bruder-Hauptmann.« Der Apotheker duckte sich durch die Tür und verließ den stinkenden Raum. Uriel und Pasanius näherten sich dem Bett und knieten neben Gedriks Haupt nieder. Uriel nahm den Helm ab, legte ihn auf den gefliesten Boden und fuhr sich mit der Hand über den Kopf. Er ging ganz nahe an Gedrik heran und versuchte angesichts des furchtbaren Gestanks nach gebratenem Menschenfleisch möglichst flach zu atmen. Die Augen des jungen Mannes flatterten, als er Uriels Nähe spürte, und seine Brust hob sich, da er tief und rasselnd Luft holte. Gedriks Kopf kippte in Uriels Richtung. Aus seinen gesprungenen und geschwollenen Lippen sickerte eine klare Flüssigkeit, als er seine Worte formulierte. »Ich wusste, ihr würdet kommen«, zischte er kaum hörbar. »Ja, wir sind gekommen. Ich bin Uriel Ventris von den Ultramarines.« Gedrik nickte, und ein feuchtes Lächeln kräuselte seine Lippen. »Ja. Ich habe dich gesehen, als ich in die Nacht geschaut habe, die da kommen wird.« »Du hast mich gesehen?«, fragte Uriel mit einem verwirrten Blick in Pasanius' Pachtung. Der praktisch veranlagte Sergeant zuckte nur die Achseln. Seine Zweifel waren offensichtlich. »Ja - dich und den Weltentod. Licht und Dunkel, zwei Avatare desselben Engels.« Uriel mühte sich, aus den Worten des Mannes schlau zu werden. Weltentod, Licht und Dunkel? Hatte Pasanius Recht? War der Junge von den erlebten Dingen und erlittenen Schmerzen in den Wahnsinn getrieben worden? »Weißt du, warum ihr angegriffen wurdet?«, drängte Uriel. »Kannst du mir irgendwas darüber sagen, wer euch das angetan hat?« »Sie sind wegen des Metalls gekommen... Der Maschinenmann hat ihm das Herz herausgerissen, und jetzt stirbt es.« Uriel war verwirrt. Caernus IV war eine Agrarwelt. Den Auf-
zeichnungen des Segmentums zufolge gab es hier keine Metallvorkommen, die einen Abbau gelohnt hätten. Gewiss keine, die es wert gewesen wären, deswegen eine ganze Gemeinde abzuschlachten. »Ich verstehe dich nicht, Gedrik. Was für ein Maschinenmann? Ein Cyborg? Ein Servitor? Was für Metall?« »Das Metall, das fließt. Jetzt stirbt es. Mein Schwert... Ich habe es selbst geschmiedet. Jetzt stirbt es.« Pasanius hob eine neben dem Bett liegende Lederscheide auf und schloss die Faust um den mit Draht umwickelten Knauf der Waffe. Er zog ein verrostetes Schwert aus der Scheide und hielt es nahe ans Kerzenlicht. Uriel und Pasanius wechselten einen erstaunten Blick, als sie die Klinge des Schwerts sahen. Ihre Umrisslinie strahlte einen leicht bläulichen Glanz aus, der den Raum matt erhellte. Nur die Schneiden der Klinge waren noch silbern, denn eine leprös braune Ader, die im Herzen des Schwerts vergraben war, pulsierte in einem widerlichen nekrotischen Eigenleben. Wurmartige Ranken der Schwärze verunreinigten das durchsichtige Metall, und Uriel konnte erkennen, wie sie sich langsam über die ganze Waffe ausbreiteten. Er strich mit seinem Panzerhandschuh über die Klinge, und Schuppen toten Metalls fielen zu Boden. »Gedrik, was geschieht mit dem Schwert?« »Es stirbt. Der Weißhaarige und der Maschinenmann sind gekommen und haben den Metallhügel getötet, und jetzt stirbt alles. Sie haben Maeren und Rouari getötet«, weinte Gedrik. »Ich weiß nicht, warum - wir hätten ihn geteilt.« »Der Weißhaarige? Ist er mit dem Maschinenmann gekommen?« »Ja. Mit dem Maschinenmann, dem Priester der Maschinen.« Uriel und Pasanius gelangten gemeinsam zum gleichen Schluss. Ein Priester der Maschinen konnte nur eines bedeuten. Aber ein Adept des Maschinengotts, ein Techpriester der Adeptus Mechanicus, der mit den Nichtmenschen zusammenarbeitete? Die bloße Vorstellung war lächerlich. »Er kann unmöglich meinen...«, begann Pasanius. »Nein, gewiss nicht«, stimmte Uriel zu. »Gedrik, ich glaube, du könntest dich getäuscht haben.« »Nein!«, zischte Gedrik, indem er matt den Kopf auf dem fleckigen Kissen schüttelte. »Der Engel, dem ihr dient, hat mich gebe-
ten, diese Worte weiterzugeben. Der Weltentod und der Bringer der Finsternis warten darauf, in diese Galaxis geboren zu werden. Einer wird kommen oder keiner, die Wahl liegt in deinen Händen.« »Was soll das bedeuten? Hat der... Engel dir auch gesagt, was es bedeutet? Bitte, Gedrik.« Gedrik seufzte, und sein Atem rasselte in seiner Kehle wie etwas Totes. Sein Kopf rollte auf schlaffen Sehnen hin und her. Er flüsterte. »Bitte, holt einen Priester. Ich will beichten...« Uriel nickte. »Sergeant Pasanius. Holen Sie Kaplan Clausel, ein Diener des Imperators wartet auf seine seelsorgerischen Dienste.« Der Sergeant verbeugte sich und verließ das Krankenzimmer, während Uriel bei dem Sterbenden blieb. Seine Gedanken überschlugen sich angesichts der Möglichkeit, dass ein Priester des Maschinengotts gemeinsame Sache mit den Eldar machte. Wer hätte sich so etwas vorstellen können? Und der Weltentod und der Bringer der Finsternis. Wer oder was war das? Uriel hörte die gewichtigen Schritte von Kaplan Clausel und wandte sich dem vernarbten Kriegerpriester zu. »Er hat dem Imperator gut gedient, Bruder-Kaplan. Nehmen Sie ihm die Beichte ab, und gewähren Sie ihm, wenn er es wünscht, die Finis Rerum. Ich werde draußen auf Sie warten.« »Es soll geschehen, Hauptmann.« Uriel starrte auf die Totenmaske aus Verbänden, die alles war, was vom Gesicht des jungen Mannes noch übrig war, und salutierte zackig, indem er sich mit der Faust auf den Brustharnisch schlug. »Gedrik aus Mortens Weite, ich salutiere deiner Tapferkeit. Möge der Imperator mit dir sein.« Uriel vollführte eine zackige Kehrtwendung, duckte sich durch den Eingang und verließ das Gebäude. Pasanius und dreißig Krieger der Ultramarines erwarteten ihn in der Mitte der Siedlung. Jenseits des Dorfrands konnte Uriel die klobige Form ihres Thunderhawk sehen. Trauben verängstigter Dörfler beobachteten sie aus einiger Entfernung. Pasanius hatte seinen Flammenwerfer geholt und ihn sich über den Rücken geworfen, und jetzt kam er zu ihm marschiert. »Wir sind bereit zum Ausrücken, Hauptmann. Wir warten nur auf Ihren Befehl.«
»Sehr gut, Sergeant.« »Kann ich Sie etwas fragen, Hauptmann?« »Natürlich, Pasanius.« »Hast du ihm geglaubt? Das mit dem Engel, meine ich.« Uriel antwortete Pasanius nicht sofort. Er starrte auf die Berge, welche die Siedlung umgaben. Sie ragten bis in die Wolken empor, und die Leistungen der Menschheit ver-blassten neben ihrer Erhabenheit. Man sagte, das Leben eines Menschen sei ein Funke in der Dunkelheit, und wenn man ihn endlich bemerke, sei er bereits verschwunden und helleren und zahlreicheren Funken gewichen. Uriel akzeptierte das nicht. Es gab Männer und Frauen, die sich gegen die Dunkelheit stemmten, helle Lichtflecken, die der unvorstellbaren Weite des Universums trotzten. Dass sie letzten Endes sterben würden, war bedeutungslos. Dass es sie überhaupt gab, war das Entscheidende. »Habe ich ihm geglaubt?«, wiederholte Uriel. »Ja, das habe ich. Ich weiß nicht warum, aber das habe ich.« »Noch eine Ahnung?«, ächzte Pasanius. »Aye.« »Was glaubst du, hat er gemeint? Der Weltentod und der Bringer der Finsternis? Mir gefallen solche Begriffe nicht. Sie lassen nichts Gutes für die Zukunft ahnen.« »Wer weiß? Vielleicht kann Adept Barzano Licht ins Dunkel bringen, wenn wir nach Pavonis zurückkehren.« »Vielleicht«, grunzte Pasanius. »Du magst ihn nicht?« »Es steht mir nicht zu, einen Adepten des Administratums zu kritisieren«, erwiderte Pasanius steif. »Aber er ist anders als jeder Sesselfurzer, der mir je begegnet ist.« Die schwarz gerüstete Gestalt von Kaplan Clausel kam aus dem kleinen Krankenrevier des Dorfs und ging zum Hauptmann der Vierten Kompanie. »Es ist vollbracht, Hauptmann. Seine Seele ist jetzt beim Imperator.« »Meinen Dank, Kaplan.« Clausel verbeugte sich und stellte sich neben die übrigen Männer. »Wie lauten Ihre Befehle, Hauptmann?«, fragte Pasanius. Uriel warf noch einen Blick zurück auf das Krankenrevier, dann
sagte er: »Holen Sie den Jungen, Sergeant. Wir fliegen zu Mortens Weite und werden ihn in Ehren in seiner Heimat begraben.« »Ich kann es immer noch nicht glauben, Kasimir. Eigentlich müsste sie jetzt auf der Straße sitzen und ich im Palast«, schäumte Vendare Taloun. »Die ganzen Jahre der Verhandlung mit den kleinen Kartellen für nichts und wieder nichts. Vergeudet!« Kasimir de Valtos reichte dem anderen Kartellführer ein Kristallglas mit Uskavar und setzte sich ihm in dem holzvertäfelten Salon seines Herrenhauses in den Owsenbergen gegenüber. Taloun nahm das Glas ohne aufzuschauen und starrte weiterhin in das prasselnde Feuer des Marmorkamins. »Sie wird noch früh genug abtreten, Vendare. Sie kann nicht ewig bleiben.« »Das Miststück müsste jetzt abgetreten sein!«, brüllte Taloun, indem er sein Glas ins Feuer warf, wo es in tausend Scherben zersprang. »Der Imperator verdamme ihre Seele. Wir waren so nahe dran. Was ist nötig, um sie loszuwerden? Wir hatten jedes kleine Kartell in der Tasche und auch ohne diesen Schafskopf Abrogas eine klare Mehrheit.« »Wenn sie nicht fallen will, kann man sie auch stoßen«, warf de Valtos ein. »Was reden Sie da? Wir hatten ein klares Wahlergebnis gegen sie, aber dieser verfluchte Barzano hat uns den Teppich unter den Füßen weggezogen. Zur Hölle mit ihm, aber ich hatte ihn für einen geckenhaften Trottel gehalten.« »Der Adept ist kein Problem.« »Wirklich nicht?« »Nein. Sollte er sich als lästig erweisen, können wir uns seiner nach Belieben entledigen.« »Seien Sie kein Narr, Kasimir. Man kann einen Adepten des Imperiums nicht einfach umbringen.« »Warum nicht?« »Ist es Ihnen ernst damit?« »Todernst«, versicherte de Valtos. »Und wer würde ihn eigentlich vermissen? Er ist doch nur einer von Millionen sesselfurzenden Schreibern.« »Dieser Hauptmann der Ultramarines könnte etwas zu seinem Verschwinden zu sagen haben.«
»Machen Sie sich seinetwegen keine Sorgen, mein lieber Taloun.« »Ich bin deswegen immer noch nicht so sicher, Kasimir.« »Ist es schlimmer als das, was wir für das Shonai-Kartell vorgesehen haben? Ihre Panzer warten ebenso in den Bergen wie meine Kanonen, Vendare.« »Das ist etwas anderes, Kasimir. Das tun wir zum Wohle von Pavonis.« De Valtos lachte, ein hohles, krächzendes Geräusch, dem jeglicher Humor fehlte. »Spielen Sie hier nicht den Unschuldigen, Vendare Taloun. Ich weiß zu viel über Ihre Machenschaften. Ihr idiotischer Sohn hat ein loses Mundwerk, und das seiner zukünftigen Frau übertrifft seines noch. Sie klappert damit an den falschen Stellen und vor den falschen Leuten.« Taloun errötete und erhob sich, um sich ein neues Glas Uskavar einzugießen. Seine Hände zitterten, und das Glas klirrte, als er einen ordentlichen Schluck des bernsteinfarbenen Schnapses aus dem Dekanter eingoss. »Was immer Sie zu wissen glauben, ist eine Lüge«, sagte er schließlich. »Ich glaube Ihnen, Vendare«, besänftigte de Valtos, indem er Talouns Rücken angrinste. »Aber es gibt viele Leute, denen es gefallen würde, das Taloun-Kartell und insbesondere Sie fallen zu sehen. Und Sie wissen, wie unbewiesene Behauptungen am Ruf eines Mannes kleben bleiben, auch wenn sie sich später als falsch erweisen. Sehen Sie doch nur, was passiert ist, als Sie das Gerücht über Honan und seine... Affären ausgestreut haben.« »Aber das hat alles gestimmt.« »Zugegeben, aber mein Argument ist deswegen nicht weniger stichhaltig. Es wäre eine Schande, wenn gewisse Behauptungen hinsichtlich des Todes Ihres Bruders an die Öffentlichkeit gelangten. Das wäre das Ende unserer Vereinbarungen, weil ich mich nicht öffentlich mit einem Brudermörder verbünden könnte.« »Also schön, Kasimir. Sie haben Ihren Standpunkt klar gemacht. Was haben Sie also vor?«, fragte Taloun, während er zu seinem Platz zurückkehrte. »Ganz einfach«, erklärte de Valtos. »Wir machen weiter wie geplant.« Regen fiel in immer stärkeren Sturzbächen, als der schlammbe-
deckte Thunderhawk im Tiefflug über die Dächer der zerstörten Gemeinde Mortens Weite glitt. Die tosenden Triebwerke wirbelten eine hohe Gischt aus schlammigem Wasser auf, als der Lufttransporter auf dem Marktplatz der Siedlung aufsetzte. Dampf zischte aus den heißen Düsen. Die Landekufen hatten kaum den Boden berührt, als die Triebwerke kehlig röhrten und die gepanzerten Türen auf geölten Schienen zurückglitten. Drei Trupps der Ultramarines stiegen aus und schwärmten durch die Siedlung aus. Zwei rannten zum Rand der Siedlung, während der von Uriel angeführte dritte Trupp zur ausgebrannten Hülle eines Gebäudes eilte, das offensichtlich einmal ein Tempel gewesen war. Uriel schwenkte sein Boltgewehr nach links und rechts. Der Regen schränkte die Sicht dramatisch ein, und sogar die Autosinne seiner Servo-Rüstung hatten Mühe, das Grau zu durchdringen. Er konnte keine Bewegungen oder Lebenszeichen in der Siedlung ausmachen, und seine eigenen Sinne verrieten ihm, dass es an diesem Ort schon seit vielen Wochen nichts Lebendiges mehr gab. »Sektor Primus klar!«, kam ein Ruf über Kommnetz. »Sektor Sekundus klar!« »Sektor Tertius klar!« Uriel senkte die Waffe und schob sie in den Halteclip an seinem Oberschenkel. »Alle Truppsergeanten zu mir. Umkreis weiterhin sichern«, befahl er. Sekunden später hatten sich Uriels Sergeanten Venasus, Dardino und Pasanius, dessen Flammenwerfer im fallenden Regen knisterte, am Fuß der Tempeltreppe versammelt. »Dieses Dorf wird von einem Ende zum anderen und von Haus zu Haus durchsucht. Gehen Sie davon aus, dass das Gebiet in Feindeshand ist, und machen Sie augenblicklich Meldung, wenn Sie etwas finden.« »Was suchen wir denn, Hauptmann? Überlebende oder Opfer?«, fragte Venasus. »Alles, was außergewöhnlich ist. Vielleicht finden wir einen Hinweis darauf, was die Eldar in diesem System überhaupt wollen. Wenn es einen gibt, will ich, dass er gefunden wird.« Uriel zeigte auf die Waffeneinschläge an den geschwärzten Mauern des Tempels hinter sich. »Hier sind Diener des Impera-
tors gestorben, und ich will wissen warum.« Uriel setzte seinen Helm ab und legte den Kopf in den Nacken, sodass ihm der Regen übers Gesicht lief, dann spie er einen Mund voll Wasser in den Schlamm. Er glättete seine kurzen schwarzen Haare, während er die gesplitterten Überreste der Tempeltür untersuchte und mit der freien Hand über das verbrannte Holz und die Einschlaglöcher von Handfeuerwaffen strich. Er zog sein Kampfmesser und bohrte die Spitze der Waffe in ein kleines Schussloch, um es zu verbreitern. Etwas fiel aus dem Holz in seine Hand, und er hob es hoch und hielt es sich vors Gesicht. In seiner gewölbten Handfläche sammelte sich Regenwasser, aber Uriel konnte dennoch ganz eindeutig einen langen Splitter von einem gezackten violetten Kristall sehen. Von diesen waren Dutzende in der Mauer eingegraben, und ihrer Anordnung konnte Uriel entnehmen, dass sie von einem einzigen Schuss stammten. Aus seinen taktischen Unterweisungen über die Eldar wusste er, dass sie Waffen bevorzugten, die einen Hagel monomolekularer rasiermesserscharfer Metallscheiben abfeuerten. Aber es hatte auch andere Waffen gegeben, die als zu einer dunkleren SubSekte dieser Nichtmenschen gehörig beschrieben worden waren und genau diese Art Munition verschossen. In einigen Texten wurde diese Sub-Sekte als divergente Abspaltung der Eldar-Rasse klassifiziert, aber für Uriel waren sie alle gleich: schändliche Nichtmenschen, die im heiligen Feuer seines Boltgewehrs gereinigt werden mussten. Er schob die Türen zur Seite und betrat den Tempel, während er seine wachsende Wut über die Entweihung unterdrückte. Der Gestank nach verbranntem menschlichen Fett klebte immer noch an den geschwärzten Holzbalken, und Uriel bahnte sich einen Weg zum vorderen Teil des Tempels, wo eine geschwärzte Statue des göttlichen Meisters der Menschheit halb begraben unter einer zerschmetterten Kirchenbank lag. Er zog die Statue darunter hervor und hob sie aus den Trümmern, obwohl sie schwer war. Durch das offene hintere Ende des Tempels schaute er auf einen schlammigen Hügel mit einer Reihe einfacher Grabmarkierungen, die am Fuß in den Boden gehämmert waren. Mit der Statue in den Händen marschierte er aus dem Tempel, wobei er wadentief im Schlamm versank. Die hohe Anzahl der Gräber reichte schon
aus, um Uriel traurig zu machen. Die Leute, die Gedrik gefunden und sich um ihn gekümmert hatten, mussten sie für die Bewohner von Mortens Weite ausgehoben haben. »Pasanius«, rief Uriel über Kommnetz. »Ich bin hinter dem Tempel. Bring mir die Leiche des Jungen aus dem Thunderhawk. Er sollte hier bei seinen Leuten begraben werden.« »Positiv«, zischte die Stimme des Sergeanten. Uriel stellte die gerettete Statue vor sich ab und wartete Pasanius' Ankunft stumm im Regen ab. Sergeant Pasanius marschierte langsam und mit der in Verbänden gehüllten Leiche Gedriks auf den Armen um den Tempel. Der grüne Plaid von Caernus IV war um seine Hüften gewickelt, sein Schwert lag auf seiner Brust. Eine Ehrengarde aus Ultramarines folgte dem riesigen Sergeanten, als er sich dem Massengrab näherte. Uriel nickte seinem Freund zu und wandte sich an die Krieger, die hinter ihm standen. »Sucht ein Grab, das den Namen Maeren trägt. Wir werden ihn bei seiner Frau beerdigen.« Die Ultramarines schwärmten im Regen aus, lasen die Namen auf den Holzkreuzen und fanden nach einigen Minuten der Suche das Grab von Gedriks Frau und Kind. Eine Ehrengarde hob die schlammige Erde aus, bis der Leichnam des jungen Mannes schließlich in seiner Heimaterde zur Ruhe gebettet wurde. Uriel marschierte durch die Gräber dorthin, wo der Boden langsam anstieg, da er die Absicht hatte, die Statue des Imperators in die weiche Erde zu rammen, auf dass sie über Seine verblichene Herde wachen mochte. Er hob die Statue hoch über den Kopf und rammte sie in die Erde, und ein dumpfes, vom Schlamm gedämpftes Klirren von Stein auf Metall ertönte. Uriel zog die Statue wieder heraus und legte sie beiseite, dann ließ er sich auf die Knie sinken und kratzte im Schlamm zu seinen Füßen herum. In einer Tiefe von vielleicht einem halben Meter wechselte der Boden von weichem, klebrigem Lehm zu nassem, schuppigem Metall. Er räumte noch mehr von dem Lehm weg und legte eine rostige Metallplatte frei. »Sergeant!«, rief er. »Kommen Sie hierher und bringen Sie Ihren Trupp mit. Ich glaube, wir haben den Metallhügel gefunden, von dem dieser Junge geredet hat.«
Eine halbe Stunde später hatten die Ultramarines eine größere Fläche des Hügels von der Erdkruste befreit, und Uriel war verblüfft über die Ausmaße dessen, was sich darunter befand. Eine Schicht aus verrostetem Metall lag unter dem Lehm, und seine durchsichtigen Tiefen waren mit denselben bösen braunen Ranken durchsetzt wie Gedriks Schwert. »Guillaumes Blut!«, fluchte Dardino, als das Metall freilag. »Was ist das?« »Ich habe keine Ahnung«, antwortete Uriel. »Doch was es auch ist, die Eldar waren offenbar der Ansicht, dass es sich lohnt, dafür zu sterben.« Uriel und Pasanius erklommen den Hang zu einer dreieckigen Vertiefung in der Mitte der ansonsten ebenen Oberfläche. Metall zerbröselte unter ihren Panzerstiefeln, und jeder Schritt war von einem kreischenden Ächzen begleitet. Der Rost lief am Mittelpunkt zusammen, und Uriel wusste, dass bald nichts mehr übrig sein würde. Er und Pasanius kauerten vor der Vertiefung im Metall nieder. Das Innere der Vertiefung war mit Buchsen und hängenden Kabeln übersät, die in die Tiefen des Metalls reichten. Der genaue Zweck dieser Nische war ein Rätsel, aber sie hatte offenbar etwas annähernd Zylinderförmiges enthalten, das entfernt worden war. Hatte dies zum Absterben des Metalls geführt? Uralte Schriftzeichen umgaben die Nische, und Uriel zog die Umrisse der seltsamen, fremdartigen Buchstaben mit dem Finger nach. »Kannst du das lesen?«, fragte Pasanius. »Nein, und das würde ich auch gar nicht wollen. Diese Sigillen sind offenbar nichtmenschlichen Ursprungs, und ihr blasphemischer Sinn bleibt uns besser verborgen. Aber wir sollten sie für jene aufzeichnen, deren Aufgabe es ist, solche Geheimnisse zu enträtseln.« Uriel wischte sich verrostetes Metall und Schlamm von seiner Rüstung. »Nimm eine Probe davon, die wir mit auf die Vae Victus nehmen. Vielleicht können die Techs diese Substanz identifizieren und die Schrift entziffern.« Uriel nahm eine Hand voll Lehm und Metall und ließ den Schlamm langsam von seinen Fingern tropfen. »Das gefällt mir nicht, Pasanius. Wenn Xenos anfangen, sich untypisch zu verhalten, mache ich mir Sorgen.«
»Wie meinst du das? Untypisch?« »Na, sieh dich doch um. Alle liegen unter der Erde, vielleicht zweihundert Leute, jedenfalls genug, um eine Siedlung dieser Größe zu bevölkern. Richtig?« »Richtig.« »Und ihr habt euch die Häuserruinen angesehen. Ist irgendwas mitgenommen worden?« »Schwer zu sagen, aber ich glaube nicht. Es sieht so aus, als sei alles niedergebrannt und nicht geplündert worden.« »Was ich sage! Warum haben sie keine Gefangenen gemacht? Hast du je gehört, dass Eldar-Piraten Leute zurücklassen, wenn sie sie auch zu Folter und Sklaverei verschleppen können? Nein, diese Eldar sind nur aus einem einzigen Grund hierher gekommen - wegen dieses Dings, das in dem Metall war.« »Und was, glaubst du, war das? Irgendeine Waffe? Vielleicht etwas mit einer heiligen Bedeutung für sie?« »Genau das bereitet mir Sorgen, alter Freund. Ich weiß es nicht und kann es mir nicht einmal im Entferntesten vorstellen. Aber ich glaube allmählich, dass wir es hier mit mehr zu tun haben als nur einem einfachen Fall von nichtmenschlicher Piraterie.« Sie kehrten zum Fuß des Hügels zurück und marschierten zum Marktplatz der zerstörten Siedlung. Regen prasselte in Sturzbächen vom Himmel, und Uriel begrüßte ihn, da sein kalter Biss seine Haut vom bösen Gefühl reinigte, das ihn auf dem Hügel überkommen hatte. Ein Mosaikstein lag vor ihm, doch konnte er seine Bedeutung nicht ergründen. Offensichtlich hatten die Eldar einen guten Grund, die Vergeltung des Imperiums herauszufordern, indem sie eine der Welten des Imperators angriffen, denn er wusste, dass diese Nichtmenschen ohne guten Grund niemals so gehandelt hätten. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, unterbrach ihn ein Knistern der Kommnetz-Verbindung zur Vae Victus, und Uriel hörte die aufgeregte Stimme von Lordadmiral Tiberius. »Hauptmann Ventris, sofort ins Schiff zurückkehren. Wiederhole, sofort ins Schiff zurückkehren.« »Lordadmiral, was ist los? Ist etwas passiert?« »Das kann man wohl sagen! Ich habe gerade eine Meldung erhalten, dass Schiffe der Systemabwehr vor etwa zwei Stunden in der Gegend des achten Planeten auf ein Schiff mit anormaler An-
triebssignatur gestoßen sind und es unter Beschuss genommen haben.« »Dann hat offenbar jemand auf unsere Warnung gehört. Haben sie das fremde Schiff vernichtet?« »Nein, ich glaube nicht, dass sie es tatsächlich getroffen haben, aber sie haben es in unsere Richtung getrieben. Wir liegen fast direkt auf seiner Flugbahn, Hauptmann. Das fremde Schiff kann nicht wissen, dass wir hier sind. Wir können für diese Bastarde selbst einen Hinterhalt legen.« Uriel lächelte, da er die Vorfreude des Admirals trotz der Verzerrung des Kommnetzes aus seiner Stimme heraushörte. »Wann können Sie wieder hier oben sein, Uriel?« »Wir sind in weniger als einer Minute startklar, Lordadmiral. Übermitteln Sie die Divinator-Daten dem Flug-Cogitator des Thunderhawk.« »Beeilen Sie sich, Uriel. Sie sind schnell, und eine zweite Gelegenheit bekommen wir vielleicht nicht.« »Wir sehen uns in Kürze. Ventris Ende.« Uriel setzte seinen Helm auf und wandte sich an seine Krieger. »Der Feind, gegen den wir bereits gekämpft haben, nähert sich unserer Position, und wir bekommen Gelegenheit, jene zu rächen, die seinem heimtückischen Angriff zum Opfer gefallen sind. Die Ehre gebietet, dass wir diese Herausforderung annehmen.« Uriel zog sein Energieschwert und rief: »Seid ihr bereit für den Kampf?« Wie ein Mann brüllten die Krieger der Vierten Kompanie ihr Ja heraus. Ario Barzano lag auf seinem Bett und nippte an einem Glas Uskavar, während er einen Stapel Papiere durchsah, den ihm ein grimmig dreinblickender Sergeant Learchus in seine Gemächer gebracht hatte. Barzano hatte den vollen Zorn des Sergeants über sich ergehen lassen müssen, als er und Jenna Sharben nach ihrer Exkursion ins Manufakturenviertel der Stadt in die Palastgemächer zurückgekehrt waren. Die beiden hatten ein paar Bierhallen und Alehäuser besucht, dort jedoch nicht viel mehr als die Tatsache in Erfahrung gebracht, dass es Gerüchte bezüglich einer geplanten Massendemonstration gab. Das meiste Gerede hatte darauf abgezielt, die planetaren Herrscher zu verspotten und sich über das allgemein
erbärmliche Los der Arbeiter auszulassen. Nach drei fruchtlosen Stunden hatten sie beschlossen, es dabei bewenden zu lassen und in den Palast zurückzukehren. Die Lage auf Pavonis war in vielerlei Hinsicht ernster, als er sich vorgestellt hatte. Hier ging es um mehr als simple Piraterie und Unruhe in der Bevölkerung. Er legte die Papiere beiseite, schwang die Beine auf den Boden, rieb sich den Nasenrücken und seufzte tief. Er stemmte sich hoch und ging zum Tisch, wo eine Karte des Systems über den Resten seines Abendessens ausgebreitet lag. Im Hintergrund konnte er das beharrliche Kratzen von Federn und die leisen Gebete seines Gefolges von Schreibern hören. Lortuen Perjed war bei ihnen, lenkte ihre Nachforschungen und verglich ihr Geschreibsel, und Barzano spürte, wie seine Lippen sich zu einem Lächeln kräuselten, als er an den alten Mann dachte. Er war ihm in diesen letzten Wochen eine unentwegte Stütze gewesen, und Barzano glaubte nicht, dass er ohne seine Hilfe so weit gekommen wäre. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Karte und stellte sein Glas auf eine halb aufgerollte Ecke. Eine Linie aus blauer Tinte zeichnete den Kurs der Vae Victus nach, und Barzano fragte sich, ob dieses eine Schiff reichen würde. Er verdrängte den Gedanken sehr rasch. Wenn sie den Bringer der Dunkelheit nicht an der Rückkehr hindern konnten, würde nicht einmal die gesamte Schlachtflotte des Ultima Segmentum etwas ausrichten können. Die Aussicht deprimierte ihn, und er füllte sein Glas erneut. »Sollten Sie damit nicht etwas vorsichtiger umgehen?«, fragte Lortuen Perjed, der gerade aus dem Schatten auftauchte. »Er ist ziemlich stark, müssen Sie wissen.« »Ich weiß, aber er ist auch ziemlich gut«, erwiderte Barzano, indem er ein weiteres Glas einschenkte. Perjed nahm das Glas und setzte sich auf die Bettkante. Er nippte, und seine Augen weiteten sich ob des Alkoholgehalts. »Ja, sehr stark«, bestätigte er und nahm einen neuerlichen Schluck. Barzano ließ sich auf den Stuhl vor seinem Anzeigenterminal sinken und nahm sein Glas von der Karte. »Und was machen Sie noch so spät auf, Lortuen?« Der alte Adept zuckte die Achseln. »Im Moment gibt es sonst nicht viel zu tun.« »Wohl wahr«, stimmte Barzano zu. »Ich mag die Warterei
nicht.« »Früher haben Sie sie genossen. Zu warten, bis das Wild einen Fehler macht und Ihnen direkt in die Hände spielt.« »Habe ich das? Ich kann mich nicht mehr erinnern.« »Ja, in den alten Zeit waren Sie ganz der geduldige Jäger.« »In den alten Zeiten«, schnaubte Barzano. »Wie lange sind die her?« »Oh, einige Jahrzehnte.« »Seitdem hat sich viel verändert, Lortuen. Ich bin nicht mehr derselbe wie damals.« »Meine Güte, Sie sind heute Abend aber griesgrämiger Stimmung, Ario. Hat nicht der heilige Josmane gesagt, man solle sich an jeder Tätigkeit erfreuen, die im Dienst des Imperators vollbracht wird?« »Ja, aber ich wette, er musste nie das tun, was wir tun müssen.« »Nein«, räumte Perjed ein, »aber dafür war er ein Märtyrer und ist zu Tode gekommen. Der Imperator gebe seiner heiligen Seele den Frieden.« »Das stimmt«, lachte Barzano, »ein Schicksal, das ich mit Freuden vermeide, wenn ich kann.« »Das gilt auch für mich«, stimmte Perjed zu und hob sein Glas. Barzano rieb sich mit dem Handballen die Schläfen und schloss die Augen. Er griff über den Schreibtisch und nahm eine kleine Glasphiole mit weißen Kapseln. »Sind die Kopfschmerzen schlimm?« Barzano nickte ohne zu antworten und schluckte zwei der Kapseln mit einem Mund voll Uskavar. Er schüttelte den Kopf und streckte ob ihres widerlichen Geschmacks die Zunge heraus. »Sie sind schlimmer denn je. Ich habe sie seit der Landung, als drücke etwas Riesiges, das älter ist als die Zeit, von allen Seiten gegen meinen Schädel.« »Dann sollten Sie sich vielleicht mit dem Uskavar vorsehen. Der kann sicher nicht helfen.« »Ganz im Gegenteil, alter Freund, er ist das Einzige, was hilft. Alles im Alkoholdunst auszulöschen, ist eine der wenigen Freuden, die mir noch geblieben sind.« »Nein, das ist nicht der Ario Barzano, dem ich dreißig Jahre lang gedient habe.« »Und wer soll das sein? Ich weiß es nämlich nicht mehr. Der
Adept? Der Verbrecher von einer Makropolwelt? Der Höfling? Der Freihändler? Wer ist dieser Ario Barzano, dem Sie all die Jahre gedient haben?« »Der Diener des Imperators, der nicht auch nur ein Mal in Ausübung seiner Pflicht gezögert hat. Vielleicht können Sie sich nicht mehr erinnern, wer Sie sind, aber ich kann es noch, und es schmerzt mich, mit anzusehen, dass Sie sich das antun.« Barzano nickte und stellte sein Glas mit übertriebener Sorgfalt ab. »Es tut mir Leid, mein Freund. Natürlich haben Sie Recht. Je eher wir hier fertig sind, desto besser.« »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Ario. Ich habe vielen Herren gedient, und fast alle waren härtere Fälle als Sie. Aber um das Thema zu wechseln, gibt es Neues von der Vae Victus und Hauptmann Ventris?« »Nicht seit ihrer Ankunft auf Caernus IV, nein.« »Halten Sie sie für fähig, die Eldar aufzuhalten?« »Ich glaube, wenn es jemand kann, dann Uriel. Ich halte ihn nicht für einen Mann, der leicht aufgibt. Wissen Sie, dass er ein Protege von Hauptmann Idaeus war?« »Ja, ich erinnere mich, den Bericht über Thracia gelesen zu haben. Haben Sie ihn deshalb ausgewählt?« »Zum Teil, aber er muss etwas beweisen, und das ist die Sorte Mann, die ich an meiner Seite haben will, wenn es ums Ganze geht.« »Und Sie hoffen, dass etwas von Idaeus' unkonventioneller Denkweise auf Uriel abgefärbt hat?« »Hoffen?«, lachte Barzano. »Mein lieber Lortuen, ich verlasse mich darauf.« Uriel beobachtete die Echos, die den Standort des sich nähernden Eldar-Schiffs und der Vae Victus auf der Augurenleiste des Thunderhawk markierten, und die geisterhaft grünen Linien, welche ihre Flugvektoren verbanden. Es würde knapp werden. Das Eldar-Schiff näherte sich mit hoher Geschwindigkeit, und sie mussten noch zurück zur Vae Victus, um aufzutanken. Die Frage lautete: Blieb ihnen noch die Zeit? Er zeigte auf die leuchtende Leiste und sagte: »Wie lange noch, bis wir die Vae Victus erreichen?« Der Pilot betrachtete die Augurenleiste. »Sechsundzwanzig Mi-
nuten, Hauptmann.« Sechsundzwanzig Minuten. Hinzu kamen weitere fünfzehn für das Auftanken, acht, wenn sie heiß nachtankten, also mit laufenden Triebwerken im Hangar. Der Codex Astartes verbat derart gefährliche Vorgehensweisen ausdrücklich, aber Zeit war hier von entscheidender Bedeutung, und er konnte es sich nicht leisten, sie zu vergeuden. Aber andererseits hatte die Victus nur diesen einen flugtüchtigen Thunderhawk an Bord, und wenn er im Hangar explodierte... »Können wir das Eldarschiff erreichen ohne aufzutanken?« »Nein, Hauptmann.« Uriel fluchte. Es war unwahrscheinlich, dass sie noch eine Gelegenheit wie diese bekamen, aber die Entfernung und die logistische Notwendigkeit legte ihnen Fesseln an. Vielleicht konnten die Eldar dazu gebracht werden, in ihre Richtung beizudrehen. »Schnell, stellen Sie mich zum Lordadmiral durch!« Der Kopilot öffnete einen Kanal zur Vae Victus. »Admiral, hier spricht Hauptmann Ventris. Ich glaube nicht, dass uns die Zeit bleibt, Sie anzufliegen und nachzutanken, bevor die Eldar außer Reichweite sind.« »Was reden Sie da?«, donnerte die Stimme von Lordadmiral Tiberius von der Kommandobrücke. »Sie müssen auftanken, Sie haben nicht genug Treibstoff, die Eldar zu erreichen, wenn Sie es nicht tun.« »Das weiß ich, Admiral, aber wenn wir zur Vae Victus zurückkehren, verpassen wir die Gelegenheit, den Kampf zu ihnen auf ihr eigenes Schiff zu tragen. Sie können uns abholen, wenn wir fertig sind.« Im Kommnetz knisterte es, während Tiberius über Uriels Vorschlag nachdachte. Der Tonfall des Admirals war zurückhaltend, als er schließlich antwortete. »Ich halte das nicht für klug, Hauptmann Ventris. Vielleicht haben Sie Recht, aber es widerspricht allem, was im Codex Astartes über Schiffsoperationen steht.« »Das weiß ich, aber es ist unsere beste Gelegenheit, sie unschädlich zu machen. Wenn wir auf die Brücke gelangen, können wir ernsthaften Schaden anrichten. Wenn Sie die Eldar mit gut gezieltem Batteriefeuer in unsere Richtung treiben können, erreichen wir sie eben doch und können versuchen, ihr Schiff zu en-
tern.« »Also gut, Hauptmann Ventris, aber ich werde in meinem Logbuch vermerken, dass ich Ihre eklatante Missachtung der Worte des Gesegneten Primarchen missbillige.« »Das ist Ihr gutes Recht und Ihr Privileg, Admiral, aber darüber können wir zu einem späteren Zeitpunkt diskutieren. Der Feind naht.« Archon Kesharq hielt seine Axt in der Armbeuge, deren Klinge klebrig vom Blut des für die Wartung der Holofelder verantwortlichen Deckoffiziers war, und knirschte voller Vorfreude mit den Zähnen. Der Überfall auf den letzten Ort, den der Kyerzak bezeichnet hatte, war lächerlich einfach gewesen. Die dummen Affen hatten sich seiner Gnade ausgeliefert und nicht begriffen, dass er keine walten ließ. Er hatte ihnen die Seele schreiend aus dem Leib gerissen und das gestohlen, was sie aus dem Asteroiden entfernt hatten. Es war bedauerlich, dass einige der ungeschlachten Schiffe der Affen so nahe gewesen waren, aber Kesharq hatte sich keine Sorgen gemacht. Sie waren der Sturmreiter nicht gewachsen, und er hatte arroganterweise einen Kurs direkt durch sie gesteuert, da er darauf vertraute, dass seine Holofelder ihre primitiven Waffen verblüffen würden. Und das hatten sie auch, bis bei ihrem Schusswechsel mit dem Schiff der Astartes erlittener Schaden zum Ausfall der Holofelder geführt hatte. Er wusste, dass er hätte bleiben und kämpfen können. Die Sturmreiter konnte diese Schiffe mit Leichtigkeit besiegen, aber sie hatten jetzt das letzte Stück des Schlüssels, und sein Wert war bedeutend größer als einige Augenblicke hohlen Ruhms. Das für den Ausfall der Holofelder verantwortliche Besatzungsmitglied war hingerichtet worden, und dessen Ersatz war in diesen Augenblicken mit ihrer Reparatur beschäftigt. Als er an die Trophäe in seinem Laderaum dachte, stellte Kesharq sich Asdrubael Vect vor, wie er weinte und um sein Leben flehte, bevor er ihn vernichtete. Er konnte seine Rache an Vect in dem Blut schmecken, das seine Zähne bedeckte, und wusste, dass dies die kritischste Phase war. Der Kyerzak würde versuchen, ihm seine Trophäe zu rauben, aber er existierte überhaupt nur noch, weil Kesharq dem Chirurgen gestattete, seine Kunst an ihm zu praktizieren. Kesharq
wusste, dass dies allein als Drohung ihn nicht am Versuch hindern würde. Er wusste, dass der Elektro-Priester des Kyerzak, den sie an Bord hatten, bereits mehrere Versuche unternommen hatte, ein Gegenmittel für das Gift zu destillieren, das den Körper seines Gebieters täglich heimsuchte. Kesharq wusste auch, dass ihm das nicht gelingen würde. Einstmals war der Chirurg einer der besten Giftmischer der Kabale gewesen und seine tödlichen Kreationen der Fluch am Esstisch jeden Archons. Nein, der Kyerzak würde keinen Erfolg haben, und bald würde er dem Chirurgen gestatten, die jämmerliche Gestalt im Laufe der nächsten Monate zu Tode zu foltern. Er schaute auf den Sichtschirm und überschlug im Geiste, wie lange es noch dauern würde, bis sie Pavonis erreichten. Nicht mehr lange. Gar nicht mehr lange. »Haben Sie ihn, Philotas?«, flüsterte Lordadmiral Tiberius, als könnte ein lautes Wort das Feindschiff in der Mitte ihres Sichtschirms auf sie aufmerksam machen. »Ja, Lordadmiral, das gegnerische Schiff scheint seine Störschirme nicht hochgefahren zu haben. Die Batterien der Breitseite werden gerade auf das Feindschiff ausgerichtet.« »Ausgezeichnet.« Tiberius trommelte mit den Fingern auf die Holzvertäfelung seiner Kanzel und nagte an seiner Unterlippe. Ihm gefiel Uriels Methode der Kriegführung nicht. Sie entbehrte zwar nicht einer gewissen Logik, verstieß aber gegen alles, was er in Jahrhunderten des Raumkampfs gelernt hatte. Was der Gesegnete Guillaume im heiligen Buch, dem Codex Astartes, niedergelegt hatte, lief darauf hinaus, dass man mit allen verfügbaren Schiffen in die Schlacht ziehen und kein Schiff einen Enterversuch unternehmen sollte, bevor nicht die Nahkampfbatterien des Gegners ausgeschaltet waren. Es gefiel ihm nicht, aber ihm war auch klar, dass Uriel Recht hatte. Eine Rückkehr zur Vae Victus war gleichbedeutend damit, sich ihre beste Gelegenheit zur Vernichtung des Feindschiffs entgehen zu lassen. Einen Angriff auf die feindliche Brücke zu unternehmen, war der Traum jeder Entermannschaft, und im Erfolgsfall verhieß das Gefangennahme oder Tod des feindlichen Kapitäns.
Es gefiel ihm nicht, aber er würde mitspielen. »Die Leitstellen der Batterien melden, dass sie Kontakt mit dem Feindschiff haben und es in Reichweite ist.« Auf diese Entfernung auf ein feindliches Schiff zu schießen, würde sehr wahrscheinlich kaum zu Treffern führen, aber das sah ihr Plan auch gar nicht vor. Falls er noch länger wartete, würde das Feindschiff sie sehr wahrscheinlich entdecken und Ausweichkurs steuern. Er brauchte dem feindlichen Kapitän nur einen ordentlichen Schreck einzujagen und ihn Uriels Thunderhawk zuzutreiben, dessen Triebwerksemissionen durch die Nähe der Planetenatmosphäre getarnt wurden. »Auf meinen Befehl Feuer eröffnen. Danach volle Kraft zurück und Steuerbord-Steuerdüsen zünden. Ich will den Eldar über die Polargegend und Hauptmann Vetris in die Arme jagen.« »Jawohl, Lordadmiral.« Uriel blinzelte durch das Dach der Pilotenkanzel, konnte aber kaum etwas anderes sehen als die flammenden Entladungen der Planetenatmosphäre, die über den Rumpf des Thunderhawk zuckten. Der Datenstrom von der Vae Victus verriet ihnen die Position des Eldar-Schiffs, und wenn es nur noch ein wenig näher kam, hatten sie es. Tech-Marine Harkus stimmte den Gesang der Loslösung für den Enterkorridor und die Sprengladungen an, welche die erforderliche Bresche in den Rumpf des Feindschiffs sprengen würden. Kaplan Clausel betete für die Ultramarines und segnete die Waffen jedes Kriegers. Uriel hatte an jeden ein Kettenschwert ausgeben lassen in dem Wissen, dass es einen blutigen Nahkampf geben würde. Er gesellte sich zu seinen Männern und zog sein Energieschwert, während er sich verbeugte, um den Segen des Kaplans in Empfang zu nehmen. »Erhabener Archon! Ich entdecke einen Energieaufbau dreihunderttausend Kilometer genau vor uns!« Kesharq eilte zu dem Krieger, der gesprochen hatte, und starrte entsetzt auf die Sensor-Echos. Die Energiesignatur war unverkennbar. Ein Feindschiff baute Energie in den Waffenbatterien auf und bereitete sich auf eine Salve vor. »Hart Backbord, im Tiefflug über den Planeten. Wir hängen sie
in der Atmosphäre ab!« »Breitseitenbatterien, Feuer eröffnen!«, befahl Tiberius. »Volle Kraft zurück und nach Backbord beidrehen!« Das riesige Schiff erbebte, als die gesamte Backbord-Breitseite auf das Eldar-Schiff feuerte. Tiberius umklammerte den Rand der Kanzel, als das mächtige Kriegsschiff sich seinem Gegner zuwandte, um die Bugkanonen zum Einsatz zu bringen. Vielleicht kämpften sie nicht nach Vorschrift, aber, beim Imperator, sie würden zumindest mit ihren schwersten Waffen kämpfen. Jede Breitseiten-Batterie schleuderte ihrem Ziel hausgroße Sprenggranaten entgegen. Doch auf diese extreme Entfernung flogen die meisten weit am Ziel vorbei und detonierten hunderte Kilometer von der Sturmreiter entfernt. Manche Granaten explodierten ganz nah, verursachten aber keinen Schaden, da sie Rumpf und Hauptsegel lediglich mit umherwirbelnden Splittern eindeckten. Das Schiff änderte flink den Kurs. Sein spitznasiger Bug schwenkte nach links und tauchte steil in die Atmosphäre des Planeten ein. Mehr Schüsse wurden abgefeuert, und eine gigantische Explosion erblühte über dem Schiff, als die Bugkanonen des Schlachtkreuzers das Feuer eröffneten. Die Sturmreiter war ein Obsidianpfeil, der durch die Atmosphäre von Caernus IV schnitt, da sie mit ihrer überlegenen Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit rasch Distanz zwischen sich und die feindlichen Kanonen legte. Die Vae Victus versuchte sich ihren Manövern anzupassen und der Sturmreiter zu folgen, aber sie war nicht annähernd so flink wie ihr Jagdwild. Das Eldarschiff wurde langsamer, als es sich von Caernus IV entfernte. An dieser Stelle war ein Schiff praktisch blind, da seine Sensoren sich nach der feurigen Reise durch die obersten Schichten der Atmosphäre erst wieder neu kalibrieren mussten. Als die Sturmreiter die Atmosphäre verließ, zuckte ein blauer Streifen aufwärts und setzte sich hinter die hohen Segel des eleganten Schiffs. Die durchschlagskräftigen Kanonen des Tunderhawk beharkten das Heck des Schiffs und sprengten mit Klingen besetzte Flossen und mit Stacheln bewehrte Haken weg.
Bevor das Eldar-Schiff reagieren konnte, schoss der Thunderhawk direkt auf seine geschwungene Oberseite herab. Bohrklammern aus dem Bauch des Thunderhawk gruben sich in den Phantomknochenrumpf der Sturmreiter und zogen das leichtere Schiff mit hartem Ruck auf das Eldar-Schiff. Tech-Marine Harkus löste den Feuermechanismus des EnterKorridors aus. »Feuer im Loch!«, schrie er, während er die Sprengladungen an seinem Ende zur Detonation brachte. Selbst durch die gepanzerten Deckplatten des Thunderhawk spürte Uriel noch die gewaltige Explosion. Er drehte das Verschluss-Handrad und zog die runde Luke auf, die in den Korridor und zur Bresche im Rumpf des Eldar-Schiffs führte. Tempo war jetzt entscheidend. Sie mussten schnell und hart zuschlagen. »Ultramarines! Folgt mir!«, brüllte er und stürzte sich in den Enter-Korridor. Uriel schlug auf das Deck des Feindschiffs und rollte sich zur Seite, da hinter ihm bereits der nächste Ultramarine landete. Er sprang auf und zog Energieschwert und Boltpistole in einer einzigen fließenden Bewegung. Er schwenkte die Pistole in dem Raum hin und her, während er seine Umgebung begutachtete, einen Raum mit niedriger Decke, in dem runde Behälter gestapelt waren. Mit dem Daumen drückte er auf die Aktivierungsrune im Knauf seines Schwerts, und plötzlich umspielte unheimliches Feuer die Klinge, gerade als zwei rot gerüstete Krieger durch ein ovales Schott stürmten. Ihre Rüstung war glatt und glänzend und mit funkelnden Klingen geschmückt, und sie trugen lange Flinten mit gezackten Bajonetten. »Mut und Ehre!«, schrie Uriel und warf sich auf die EldarKrieger. Er hieb dem ersten Eldar sein Energieschwert auf das Schlüsselbein und spaltete ihn vom Hals bis zum Schritt. Der andere Eldar stach mit seinem Bajonett zu, und Uriel wirbelte mit einer Seitwärtsdrehung an seiner Deckung vorbei. Er rammte dem Angreifer seinen Ellbogen ins Gesicht, pulverisierte das Helmvisier und brach ihm das Genick. Er warf einen Blick zurück, da nun immer mehr Ultramarines durch die Bresche drangen. Pasanius war da, dessen Flammen-
werfer toste und bereit war, die Feinde des Imperators einzuäschern. Uriel hob sein Energieschwert und brüllte: »Zur Brücke!« Er rannte durch das Schott und fand sich in einem schmalen, schattigen Korridor mit glatten Wänden wieder, die sich nach oben verjüngten. Ein seltsames, wahrhaft nichtmenschliches Aroma erfüllte seine Sinne, doch er konnte es nicht identifizieren. Zwei gewundene Gänge standen zur Wahl, deren Ende nicht zu sehen war. Uriel wählte den linken und stürmte ihn entlang. Er rief: »Pasanius zu mir! Dardino und Venasus nehmen den rechten Korridor.« Uriel hörte Schritte von vorn und sah Dutzende gerüstete Krieger heranstürmen, um ihn abzufangen. Sie trugen dieselben Bajonettflinten, und Uriel konnte auch eine Reihe größerer, gefährlicherer Waffen in ihren Reihen ausmachen. Pasanius hob seinen Flammenwerfer und rief: »Auf den Boden!« Uriel warf sich hin und hörte das Tosen ultrahoch erhitzten Promethiums, das durch den Korridor wallte. Nichtmenschliche Schreie wurden von den glasartigen Wänden zurückgeworfen, als die flüssigen Flammen ihre Leiber in der Rüstung brieten und ihnen das Fleisch von den Knochen sengten. Uriel stürmte vorwärts, sprang über die brennenden Leichen und fuhr zwischen die Piraten. Sein Schwert hieb nach rechts und links, und wo es traf, starben Eldar. Mit wildem Gebrüll folgten die Ultramarines ihrem Hauptmann und taten es ihm nach. Kreischende Kettensägenklingen durchtrennten mühelos die flexiblen Panzerplatten und das Fleisch der Nichtmenschen. Kaplan Clausel bellte das Hohelied des Glaubens, während er mit seinem tödlichen Crozius Arcanum auf die Feinde eindrosch. Uriel spürte, wie ein Splittergeschoss aus nächster Nähe gegen seinen Arm prallte. Er beachtete den Treffer gar nicht, der von seiner Rüstung absorbiert wurde. Ein weiteres Geschoss prallte gegen seinen Helm, und er fuhr knurrend herum und enthauptete seinen Angreifer. Der letzte Eldar starb. Der Korridor hatte sich in ein stinkendes Schlachthaus verwandelt. Keiner der Ultramarines war gefallen, obwohl mehrere aus oberflächlichen Wunden bluteten. Pasanius gab kurze Flammenstöße in den Teil des Korridors jenseits der Biegung ab, um einen etwa-
igen Gegenangriff zu verhindern. Uriel nahm über Kommnetz Verbindung mit seinen anderen Trupps auf. »Dardino, Venasus. Wie sieht es bei euch aus?« Venasus antwortete zuerst mit steter und beherrschter Stimme, obwohl der Lärm einer wilden Schlacht ringsum zu hören war. »Starker Widerstand, Hauptmann. Wir sind anscheinend auf eine größere Abwehrstellung gestoßen. Dardino versucht den Nichtmenschen in den Rücken zu fallen. Ich schätze, dass es noch sechs Minuten dauern wird, bis wir sie überwältigt haben.« »Seht zu, dass ihr es in vier schafft! Ventris Ende.« Schüsse schlugen den Ultramarines entgegen, prallten von den Wänden ab und deckten sie mit einem Hagel sirrender Splitter ein. Dieselben Splitter, wie Uriel sie aus der Tempelwand auf Caernus IV gegraben hatte. Pasanius war am Boden, in seinem Schulterschutz qualmte ein dunkles Loch. Uriel konnte die Flüche des Sergeanten über das Kommnetz hören, als der massige Mann sich von der Biegung im Tunnel wegwälzte, dabei aber keinen Augenblick den Flammenwerfer losließ. Uriel hörte, wie mehr Nichtmenschen kamen, um sie aufzuhalten, und ließ mit einem doppelten Daumendruck zwei Sprenggranaten aus dem Gürtelspender in seine geöffnete Hand fallen. Das gegnerische Feuer wurde stärker, und Uriel wusste, dass sie nachsetzen mussten, wenn ihr Angriff nicht zum Erliegen kommen sollte, noch bevor er richtig begonnen hatte. Er wälzte sich um die Ecke und gab zwei Schüsse aus seiner Boltpistole ab. Das Donnern der Boltmunition war beruhigend laut verglichen mit den Waffen der Eldar. Zwei von ihnen fielen mit von den massereaktiven Patronen zerfetztem Brustkorb, da Uriel beide Granaten durch den Korridor rollte. Er gab noch zwei Schüsse ab, bevor er wieder in Deckung hechtete, da die Granaten gleichzeitig explodierten und Leiber durch die Luft geschleudert wurden. Uriel sprang auf und zog Pasanius hoch. »Bist du bereit, alter Freund?« »Mehr denn je, Hauptmann«, versicherte Pasanius, indem er den Flammenwerfer fester umklammerte. Uriel nickte und wirbelte um die Biegung, die Boltpistole ausgestreckt.
»Für den Imperator!« Die Ultramarines folgten Uriel zu einer roten Tür, in die komplizierte Muster aus gewundenen Zacken und Klingen geprägt waren. Schon aus der Entfernung sah er, dass sie schwer gepanzert war. Quergänge bildeten eine Kreuzung im Korridor, und Uriel konnte Kampflärm von anderer Stelle im Schiff hören. Rot gerüstete Gestalten rannten parallele Korridore entlang, und er gab lautstark Befehl, nach hinten zu sichern. Bei so vielen Quergängen bestand eine sehr realistische Möglichkeit, überflügelt und umzingelt zu werden. Er prallte gegen die Tür und sprengte sie aus dem Rahmen. Uriel stürmte durch die Tür, dicht gefolgt von kampfeslüsternen Ultramarines. Sie befanden sich in einem weiten Kuppelraum mit hoher Decke, und Uriel grinste in wölfischer Vorfreude, als ihm aufging, dass sie endlich auf der Kommandobrücke angelangt sein mussten. Ein verzierter Sichtschirm beherrschte die Wand gegenüber und wurde von breiten, Hangarartigen Toren flankiert. Eisentische mit Haltegeschirren aus schwarzem Leder standen in einer Reihe neben Gestellen mit Grauen erregenden Waffen mit vielen Klingen. In der Mitte der Kammer stand auf einem erhöhten Kommandopodium ein hoch gewachsener, schlanker Eldar in einer kunstvoll gefertigten Rüstung, die denen seiner Krieger ähnelte, aber eine dunkle jadegrüne Farbe hatte. Er trug keinen Helm, und seine violetten, mit weißen Strähnen durchsetzten Haare fielen ihm auf die Schultern wie Schnee. Seine Haut war eine leblose Maske bar jeden Ausdrucks, und über seine Lippe rann ein dünner Blutfaden. Er trug eine riesige Streitaxt, deren Klinge rot gefleckt war. Dutzende Eldar hielten sich in dem Raum auf, schwer gerüstete Krieger, die lange, Hellebarden ähnelnde Waffen trugen, in denen eine unnatürliche Energie pulsierte. Der Raum stank nach Tod und Entsetzen. Wie viele Seelen hatten an diesem trostlosen Ort ihr Ende gefunden?, fragte sich Uriel. Er hatte keine Zeit, über diese Frage nachzudenken, da die breiten Türen auf beiden Seiten des Sichtschirms aufglitten. Eine Horde beinahe nackter Krieger, sowohl männlich als auch weiblich, die auf bizarren Gleitklingen ritten und lange Breitschwerter
schwangen, rauschten durch die Türen. Boltpatronen fällten ein halbes Dutzend, doch dann hatten sie die Ultramarines erreicht und töteten mit ihren Waffen. Uriel sah Bruder Gaius fallen, als er von einer der scharfen Schwingen der Gleiter in der Hüfte entzweigeschnitten wurde. Sein Mörder kreiste über ihm, während Gaius in einem Schwall von Blut zusammenbrach. Uriel jagte dem johlenden Nichtmenschen eine Kugel in den Kopf und sah mit grimmiger Befriedigung zu, wie sein schlaffer Leichnam auf den Boden fiel. Die kreischenden Klingengleiter schraubten sich höher in die Luft und wendeten für den nächsten Anflug. Boltpatronen explodierten mitten unter ihnen, als Dardino und Venasus ihre Trupps in die Schlacht führten. Uriel erschoss noch einen Flieger, während Venasus neben ihm auftauchte, die Rüstung glitschig vom Blut der Nichtmenschen. »Ich muss mich entschuldigen, Hauptmann. Wir haben fünf Minuten gebraucht.« Uriel grinste grimmig. »Ich weiß, dass Sie es nächstes Mal besser machen werden, Sergeant.« Ein Gleiter explodierte, als Pasanius' Flammenwerfer seinen Reiter in einen Strom flüssigen Feuers hüllte, und neuerliche Schüsse hallten durch die Kuppel. Der Ohrhörer in Uriels Helm knisterte, als sich der Pilot des Thunderhawk in seinen persönlichen Kanal einschaltete. »Hauptmann Ventris, wir müssen uns bald zurückziehen. Das Eldar-Schiff beschleunigt, und wir können den Korridor nicht mehr lange halten. Ich schlage vor, Sie lassen sich zurückfallen, bevor ich gezwungen bin, die Andockklammern zu lösen.« Uriel fluchte. Er hatte keine Zeit, den Funkruf des Piloten zu bestätigen, da er gerade einen Krieger in Lederharnisch von seinem Gleiter schlug und ihm sein Schwert in den Bauch rammte. Er sah den jadegrün gerüsteten Albinokrieger, der sich einen Weg zu ihm hieb, und riss sein Schwert heraus. Irgendeine formlose Masse wand sich um die Beine des Kriegers, aber Uriel konnte in der Düsternis nichts Genaues erkennen. Ein Trio der fliegenden Krieger stieß auf Uriel herab. Mit gut gezielten Boltpistolenschüssen holte er zwei von ihren Gleitern, den dritten enthauptete er. Der Jade-Krieger hieb zwei Schlachtbrüder der Ultramarines mit verächtlicher Mühelosigkeit nieder, als sie
ihn aufzuhalten versuchten. Uriel rief seinen Kriegern zu, sie sollten standhalten. Den Symbolen auf seinem Helmvisier konnte Uriel entnehmen, dass sieben seiner Männer tot waren, denn ihre RunenIdentifikatoren waren kalt und schwarz. Sein Atem ging schwer, aber seine Ausdauer war unvermindert. Um die beiden Krieger wurde es leerer, als die Schlacht auf die gesamte Kommandobrücke übergriff. Die formlosen Gestalten zu Füßen des Jade-Kriegers waren jetzt besser erkennbar, und Uriel war entsetzt, als er die wogende Masse der Kreaturen sah, die neben dem Anführer der Eldar geiferte und zischte. Eine abstoßende, entsetzliche und erbärmliche Zusammenballung von zuckendem, deformiertem, in einer Orgie der Anatomien zusammengenähtem Fleisch wand sich zu Füßen des Nichtmenschen. Jede einzelne Kreatur war einzigartig in ihrer widerlichen Gestalt, aber alle zischten in derselben wahnsinnigen Bösartigkeit und bleckten gelbe Reißzähne und spitze Krallen. Uriel streckte sein Schwert aus und richtete die Spitze auf die Brust des feindlichen Anführers. »Ich bin Uriel Ventris von den Ultramarines und bin gekommen, um dich zu töten.« Der Eldar-Anführer neigte ein wenig den Kopf, bevor er antwortete. Seine Stimme war nicht daran gewöhnt, menschliche Worte zu bilden, und krächzte. »Du bist nur ein Affe, ein Tier, und ich werde dich an die Exkrente verfüttern.« Uriel nahm sein Schwert zurück, und einen Moment später sprang die brodelnde Masse widerlicher Kreaturen vorwärts. Ihr Kreischen war erschreckend und jämmerlich zugleich. Er bohrte das Schwert durch die erste Bestie, und stinkender Eiter spritzte aus ihrem weichen Leib, da die Klinge das Fleisch mühelos durchschnitt. Er erstach eine andere, aber sie waren einfach zu zahlreich, um sie alle zu töten. Fänge schlossen sich um seine Wade, und Uriel grunzte, als er glühend heiße Schmerzen empfand, da Gift in seinen Blutkreislauf gepumpt wurde. Sein Schwert trennte das Anhängsel mit den Fängen von der Masse der Hauptform, sodass er mit deren Körperflüssigkeiten bespritzt wurde. Kesharq trat vor und schwang seine Axt in weitem Bogen gegen Uriels Brust.
Uriel hatte den Schlag kommen sehen und warf sich zurück, wodurch dem Hieb ein Großteil seiner Wucht genommen wurde. Er wälzte sich herum und schlug dabei blind mit dem Schwert um sich. Ein entsetzliches Kreischen von einem anderen Exkrent belohnte seine Bemühungen. Er wälzte sich noch weiter herum, und Kesharqs Axt prallte neben ihm auf das Deck. Er sprang auf und parierte den nächsten Axthieb. Der Anprall zuckte durch Uriels Arm, aber dennoch war zu spüren, dass wenig Kraft hinter dem Schlag lag. Dieser Nichtmensch verließ sich darauf, dass das Gewicht der Axt ihm die Arbeit des Tötens weitestgehend abnahm. Er hämmerte mit der Faust auf den Onyxschaft der Axt und machte Anstalten, den schlanken Nichtmenschen mit der Schulter zu rammen. Der Krieger wich Uriels Schulterstoß aus, glitt seitlich am Space Marine vorbei und hämmerte ihm die Waffe auf die Schulter. Die Axt riss einen klaffenden Spalt in Uriels Rüstung, prallte aufwärts ab und rasierte seinen Helm. Uriel schwankte benommen, hob aber gerade noch rechtzeitig das Schwert, um einen Rückhandschlag zu seinem Kopf zu parieren. Ein Exkrent schloss die Kiefer um Uriels Bein. Er stampfte ihm mit dem Panzerstiefel auf den Kopf und zermalmte den Schädel zu einem Brei aus Knochen und Hirn. Flammen umzüngelten ihn, und ein schrilles Kreischen und der Gestank nach verbranntem Fleisch lagen plötzlich in der Luft, als Pasanius seinen Flammenwerfer auf die grässlichen Kreaturen richtete. Auf seinem Helmvisier blinkte das Symbol des Thunderhawk-Piloten. Kesharq wirbelte seine Axt in einer Schwindel erregenden Serie von Schleifen und Bögen umher, und die Klinge verschwamm zu einem funkelnden Netz aus Silber. Langsam rückte er gegen Uriel vor, wobei sein totes Gesicht völlig unbewegt blieb. »Es war ein Irrtum von mir, dich als würdige Beute zu betrachten«, krächzte Kesharq. »Der Kyerzak war ein Narr, sich vor dir zu fürchten.« Uriel fintierte mit seinem Schwert und veränderte dann die Richtung seines Hiebs, aber Kesharq hatte den Hieb vorausgesehen und parierte ihn mit dem Schaft seiner Axt. Die Klinge zuckte vor, hämmerte gegen Uriels Seite und bohrte sich tief in seine Rüstung. Heißer Schmerz überflutete ihn, und er spürte Blut aus seinem Körper rinnen. Blutiger Schaum sammelte sich in Kesharqs Mundwinkel. Uriel
brüllte auf, ließ sein Schwert fallen und packte die Axt, die noch in seiner Seite steckte, da Kesharq sie herauszuziehen versuchte. Er riss seine Boltpistole aus dem Halfter und richtete sie auf Kesharqs Kopf. Der Nichtmensch bewegte sich mit übernatürlicher Schnelligkeit, aber selbst er war nicht schnell genug, um einer Kugel völlig ausweichen zu können. Die Patrone traf Kesharqs Wange und riss ihm einen Brocken blasses Fleisch vom Schädel, aber die Entfernung war zu kurz für die Patrone, um sich scharf zu machen, und so explodierte sie ein ganzes Stück hinter dem Kopf des Nichtmenschen. Kesharq heulte vor Schmerzen, ließ die Axt los und wich zurück. Uriel sank auf die Knie, während Kesharq zu seinen gerüsteten Kriegern zurückstolperte. Uriel spürte Hände an seinen Schulterschützern. Er hob schwach die Pistole, senkte sie jedoch wieder, als er sah, dass es Pasanius war. Der massige Sergeant packte die in Uriels Seite steckende Axt und zog sie in einem Blutschwall heraus, bevor er seinen Hauptmann auf die Beine zerrte. »Wir müssen sofort weg von hier!«, zischte Uriel. Pasanius nickte und rief seinem Trupp Befehle zu. Uriel bückte sich, hob Idaeus' Schwert auf und gesellte sich zum Rest seiner Krieger, die mit dem Rückzug zum Thunderhawk begannen. Die Leichen der Gefallenen nahmen sie mit. Uriel wusste, dass sie die ehrenwerten Toten nicht an diesem blasphemischen Ort lassen durften. Apotheker Selenus würde die progenoiden Drüsen herausnehmen, sodass ihre kostbare Gensaat in den Schoß des Ordens zurückkehren konnte. Keiner der feindlichen Krieger schien jedoch gewillt zu sein, sie zu verfolgen, und Uriel konnte noch einen flüchtigen Blick auf den Anführer der Eldar werfen, der ihn mit unverhohlenem Hass anstarrte, bevor er ihn aus den Augen verlor. Die Ultramarines zogen sich geordnet zum Thunderhawk zurück und lösten sich vom Eldar-Schiff. Der Pilot wendete geschickt und gab Schub auf die Antriebsdüsen, bis schließlich der Treibstoff aufgebraucht war. Das Eldar-Schiff verschwand in der Dunkelheit und entfernte sich rasch vom Schauplatz des Kampfes. Der Thunderhawk trieb noch eine weitere Stunde im Raum, bis er von der Vae Victus geborgen wurde. Mittlerweile hatte Selenus sich um die Verwundeten geküm-
mert, und Kaplan Clausel stimmte die Litanei der Gefallenen vor den Toten an. Die Vae Victus folgte der Antriebsspur des Eldar-Schiffs. Der Schlachtkreuzer der Ultramarines war zwar schnell, konnte aber nicht hoffen, die Geschwindigkeit des gegnerischen Schiffs zu erreichen. Aber als die Karto-Servitoren dessen Kurs berechneten, hatte es den Anschein, als sei dies auch gar nicht nötig. Das Schiff lag auf direktem Kurs nach Pavonis.
10. Kapitel Kanonier Harlen Morgan strich mit den Fingerspitzen über die Flanke des riesigen Sechzigtonnenpanzers und lächelte, als er sich vorstellte, wie er eines Tages an der Spitze einer Panzerkolonne dieser gewaltigen Kriegsmaschinen fahren würde. Der Panzer war ein Leman Russ, Modell Conqueror, obwohl er widerstrebend einräumte, dass Panzerung und technische Spezifikationen dieses Modells aus einheimischer Produktion denjenigen unterlegen waren, welche auf der ursprünglichen Produktionswelt des Conqueror-Modells, Gryphonne IV, hergestellt wurden. Sein Kommandant, Major Webb, thronte hoch oben auf dem Geschützturm des Panzers und rauchte eine stinkende Zigarre, während der Lader des Panzers, Mappin, gerade eine Kanne Kaffein für die Besatzung kochte. Der Fahrer, Park, lag halb verborgen von der Kette neben dem Panzer und versuchte eine leckende Treibstoffleitung abzudichten. Gefächertes Sonnenlicht fiel durch das über ihnen gespannte Tarnnetz, und obwohl sie sich hoch oben in den Bergen befanden, war es noch warm. Er nahm ein Proviantpäckchen und reichte es dem Major, der dankend nickte und die Folie aufriss, während er das Gesicht voller Abscheu über den Inhalt zu einer Grimasse verzog. Morgan setzte sich mit untergeschlagenen Beinen, lehnte sich an den Erdwall, in dem der Panzer verborgen war, und ließ noch ein paar Proviantpäckchen neben Mappin und Park fallen. »Du hast dir aber verdammt viel Zeit gelassen«, beklagte sich Mappin. »Das nächste Mal kannst du ja gehen und das Essen holen«, erwiderte er und fing an zu essen.
Die Mahlzeit bestand aus etwas Brot, Käse und einem zweifelhaft aussehenden Fleischprodukt. Morgan roch daran und war anschließend noch genauso ratlos. Die anderen fingen an zu essen und machten sich über ihren Proviant her, als Soldat Park schließlich unter dem Panzer hervorkam und sein Proviantpäckchen aufhob. Er starrte es argwöhnisch an und warf es dann weg. »Bei allem, was heilig ist. Ich werde verdammt froh sein, wenn wir endlich abrücken und ich etwas Richtiges zu essen bekomme«, nörgelte Park, während er den Deckel von einer ramponierten Feldflasche schraubte, die er aus einer Tasche seines ölbefleckten Overalls zog. »Hörst du auch mal auf zu meckern?«, fragte Mappin zwischen zwei Bissen Brot mit dem klebrigen braunen Fleisch aus dem Proviantpäckchen. Park nahm einen Schluck aus seiner Flasche und bot sie Mappin an, der den Kopf schüttelte, aber Parks Proviantpäckchen aufhob. »Nein. Hörst du auch mal auf zu essen, du fettes Schwein?«, konterte Park. »Mehr als diesen Uskavar brauche ich nicht, um über den Tag zu kommen.« »Ja, das wissen wir«, lachte Morgan, »wir haben dich fahren sehen.« Soldat Park machte eine obszöne Geste. »Leck mich, Mann. Essen ist sowieso was für Dünnbrettbohrer.« Morgan verschloss die Ohren vor dem zänkischen Geplänkel seiner Besatzungskollegen. Es war ein vertrautes Ritual zu den Essenszeiten, und er richtete seine Aufmerksamkeit auf den Rest des getarnten Bunkerkomplexes in den Owsenbergen. Von hier aus sah die Tarnung für die Panzer fadenscheinig und wenig überzeugend aus, aber er nahm an, dass sie aus der Luft und aus der staubigen Ebene weit unter ihnen ziemlich gut aussehen musste. Schließlich hatte sie bisher noch niemand entdeckt, oder? Vom Erdwall ihres Panzers schaute man direkt auf das Anwesen ihres heldenhaften Anführers tief unten. Es handelte sich um eine Ansammlung von Gebäuden mit einer Marmorfassade, die mehr Reichtum repräsentierte, als er sich überhaupt vorstellen konnte. Herden gehörnter Hirsche liefen frei auf dem Gelände herum, und im Dunkel der Nacht schienen sehr viele Aktivitäten vonstatten zu gehen. Er hatte sich Parks Infrarot-Fernglas geborgt und gesehen, wie ganze Trupps von Männern sich im Gelände verteilten.
Vernünftigerweise hatte er dies dem Major gegenüber nicht erwähnt. Soldaten mit Mini-Raketenwerfern für die Schultern und auf Zweifüßen montierten automatischen Waffen standen bereit, sie vor jedem Angriff zu verteidigen, obwohl der Major ihnen versichert hatte, dass solch ein Angriff ziemlich unwahrscheinlich sei. Aber sie waren alle tüchtig erschrocken, als der klobige blaue Thunderhawk letzte Woche an ihnen vorbeigerauscht war. Alle waren wie verängstigte Kinder weggelaufen, und es war für die hier stationierten Männer ein Weckruf gewesen, dass sie allezeit wachsam sein mussten. Dutzende von Soldaten wanderten auf dem Plateau unter dem Tarnnetz umher. Kanoniere, Lader, Fahrer und Mechaniker, all die Männer, die man brauchte, um eine Truppe wie diese einsatzbereit zu halten. Wann dieser Einsatz kommen würde, wusste Morgan nicht, aber der Major hatte ihnen versichert, dass es bald so weit war. Insgesamt waren, wie Morgen wusste, dreihundertsiebenundzwanzig Panzerfahrzeuge auf dem Plateau und innerhalb des Berghangs versteckt. Basilisken, Greifen, Leman Russ, Höllenhunde und verschiedene andere Modelle. Er hatte sie einmal gezählt, als seine Mannschaft Streifendienst hatte. Anzahl und Modelle klangen beeindruckend, aber Morgan kannte sich gut genug mit Panzerfahrzeugen aus, um zu wissen, dass diese hier nur unterlegene Kopien der entsprechenden Modelle aus den Waffenschmieden des Imperiums waren. Aber das spielte keine Rolle. Vereint waren sie stärker als Adamantium. Vertrauen in die Gerechtigkeit ihrer Sache würde ihre Rüstung sein und der Glaube an ihre Bestimmung ihre Waffe. Morgan lächelte, als er sich an die Worte von Oberst Pontelus von der pavonischen Wehrmacht in Brandontor erinnerte, die ihn hierher gebracht hatten. Der Oberst hatte leidenschaftlich über den Verrat des Shonai-Kartells geredet, dass es sich heimtückischerweise mit gleich Gesinnten in anderen Kartellen verbündet habe, um aus jedem Arbeiter auch noch die letzte Geldmünze und den letzten Rest Würde herauszupressen. Ihre Zehntsteuer sei nichts anderes als der Versuch, sich die Taschen zu füllen, bevor sie aus dem Amt schied. Zuerst war Morgan unsicher gewesen, als er die Anstecknadel
des Taloun-Kartells am Revers der Uniformjacke seines Kommandanten sah. Er wusste, dass Taloun und Shonai politische Feinde waren, aber Pontelus' Worte hatten eine Saite in dem jungen Mann zum Schwingen gebracht. Gemeinsam würden sie für die Freiheit von der Tyrannei der Shonai kämpfen. Morgan war sich bewusst, dass man für die Freiheit bezahlen musste und dass der Preis das Blut von Patrioten war. Er war Patriot und mehr als bereit, sich zu erheben und seinen Anteil zu leisten. Die Shonai rissen Pavonis in den Abgrund, und die Politik der Statthalterin war unakzeptabel geworden. Herrschaft ohne Freiheit war Tyrannei unter anderem Namen, und er war nicht bereit, auch nur einen Tag länger unter dem Joch der Statthalterin zu leben. Nie mehr würden die Söhne von Pavonis gezwungen sein, als Sklaven in den stickig heißen Manufakturen korrupter Kartelle zu arbeiten. Fortschrittliche Denker wie Taloun und de Valtos wussten, dass Männer mit Mut und Ehre für das eintreten mussten, woran sie glaubten, und Morgan ging das Herz auf. Er wusste, dass er so ein Mann war.
11. Kapitel Die Sonne stieg höher am Himmel über Brandontor und buk die Straßen mit ihrer erbarmungslosen Hitze. Obwohl es bereits spät im Jahr war, blieb die Temperatur hoch und die Stadt schwitzte unter einer nicht der Jahreszeit entsprechenden Wärme. Die hohen Kühltürme der Manufakturen hatten ihren Gasnimbus verloren, und die stampfenden Maschinen standen untätig in ihren Hangars. Eine Atmosphäre geschäftiger Entschlossenheit lag über der Stadt, da tausende von Leuten auf den Straßen der äußeren Manufakturviertel unterwegs waren und langsam den weißen Mauern des finanziellen und administrativen Herzens der Stadt entgegenstrebten. Riesige Kolonnen von Männern, Frauen und Kindern versammelten sich und machten sich marschbereit. Die meisten lokalen Manufakturen und Geschäfte hatte geschlossen, entweder aus freien Stücken oder einfach deswegen, weil die Arbeiter jetzt unterwegs zum Befreiungsplatz waren. Das Transportnetz hatte den Betrieb
eingestellt, und die einzigen Eisenbahnen, die noch fuhren, waren diejenigen, welche mehr Arbeiter aus den umliegenden Regionen zum Schauplatz der geplanten Demonstration brachten. Es hatte Befürchtungen unter den Organisatoren der Demonstration gegeben, dass die Nachricht vom Eintreffen der Space Marines Leute davon abhalten würde, zu kommen, doch perverserweise schien genau das Gegenteil der Fall zu sein. Die Menge war festlich gestimmt. Familien marschierten Hand in Hand, und überall in der immer größer werdenden Menge verstreut spielten Musiker aufwühlende patriotische Lieder, um den Menschen Mut zu machen. Bunte Fahnen und Banner mit den Wappen der verschiedenen Zweige des Arbeiterkollektivs und Einheitsparolen flatterten in der leichten Brise. Hier und da verteilten Gruppen selbst ernannter Ordner Transparente mit erhebenden Sprüchen und halfen dabei, die Menge in die richtigen Bahnen zu lenken. Zehntausende Menschen verstopften die Straßen und bildeten eine in gemeinschaftlichem Anliegen vereinte, sich stetig bewegende Menschenmasse. Sicherheitspersonal mit den Anstecknadeln verschiedener Kartelle säumte die Vorderseiten jener Häuser, die ihren Herren und Meistern gehörten, unternahmen aber nichts, um die Demonstranten aufzuhalten oder auch nur zu behindern. Nicht weiter überraschend war, dass vom Shonai-Kartell niemand auf der Straße war. Hin und wieder gingen lachende Angehörige der Menge zu den Sicherheitsleuten und forderten sie auf, sich dem Marsch anzuschließen. Manchmal hatten sie Erfolg, manchmal auch nicht, aber so oder so war nichts von Feindseligkeit zu spüren. Als die Menge immer mehr anwuchs, ging den Organisatoren langsam auf, dass der Demonstrationsmarsch einen ganz neuen Aspekt bekam. Er hatte sich von einer Zurschaustellung vereinter Stärke zu einem extrem gefährlichen Unternehmen gewandelt. Eine derartige Masse von Menschen auf den Straßen der Stadt rückte die Ereignisse dieses Tages, so friedlich der Aufmarsch seinem Wesen nach auch sein mochte, in gefährliche Nähe zu einer offenen Rebellion. Für die planetaren Herrscher bedurfte es nur der geringsten Provokation, um ihn als solche zu betrachten und mit tödlicher Gewalt niederzuschlagen. Sie hatten bereits bewiesen, dass sie bereit waren, zu solchen Mitteln zu greifen. Die frisch geweihte Halle der Märtyrer trug die
Namen jener, die dies auf die harte Tour herausgefunden hatten, und die Organisatoren des Marsches schauten sich nervös nach den einschüchternden schwarz gerüsteten Gestalten der Adeptus Arbites um. Doch von den Liktoren war noch nichts zu sehen, denn sie hatten sich neben ihrem Revier, um die schmiedeeisernen Tore des Statthalterpalasts und an den Zufahrtsstraßen zum Befreiungsplatz postiert. Das Marschtempo erhöhte sich, als sich die Straßen nahe der marmornen Innenmauern verbreiterten, da sie aus jeder Richtung im Herzen der Stadt zusammenliefen. Die breiten Wegzolltore in den Mauern waren verlassen, die Tore geöffnet, ihre Wärter nicht gewillt, sich diesem marschierenden Leviathan zu stellen. Reihen der gewöhnlichen Bürger Brandontors folgten den Arbeitern, einige in organisierten Trupps, andere als bloße Individuen, da sie ihre Unterstützung zeigen wollten. Behelmte Arbeiter, Männer in schmutzigen Overalls und schlichter Arbeitskleidung vermischten sich mit solchen, die Zweispitze und elegante schwarze Anzüge trugen, Kleidung, die das Jahresgehalt eines Arbeiters kostete. Der Marsch passierte die Stadttore und verlangsamte sich ein wenig, da die Leute sich durch die Tore und über breite, von Bäumen gesäumte Alleen zwängen mussten. Stolz leuchtete auf jedem Gesicht, aber auch leidenschaftliche Entschlossenheit, ihrer Stimme endlich Gehör zu verschaffen. Es ging sehr ruhig zu, da die aggressiveren Mitglieder der Menge von den Ordnertrupps beruhigt worden waren. Alles in allem nahm die Demonstration des Arbeiterkollektivs einen guten Anfang. Statthalterin Shonai beobachtete die ungezählten Menschenmassen, wie sie über die gepflasterten Straßen ihrer Hauptstadt trotteten, und ein Schauder des Unbehagens überlief sie und ließ sie die Arme eng um sich legen. Sie hatte versucht, die Teilnehmerzahl zu schätzen, dieses Vorhaben aber längst aufgegeben. Die Massen, die sich in die Stadt ergossen, nahmen kein Ende. Tausende befanden sich bereits im Bellahon-Park innerhalb der Mauern, wo sie geduldig gezüchtete Ziersträucher niedertrampelten und in dem seichten Teich herumplantschten, in dem die Palastbiologen unschätzbar wertvolle Fischarten züchteten.
Alle Vorhersagen hinsichtlich der angedrohten Demonstration hatten ihr gesagt, dass sie gar nicht stattfinden konnte. Es gab keine organisierende Kraft hinter den Leuten. Jeder Zweig des Arbeiterkollektivs war viel zu beschäftigt mit inneren Querelen, um irgendetwas organisieren zu können, von einer Demonstration dieser Größe ganz zu schweigen. Nun, für sie sah dies wie eine Demonstration aus. Als sie die vielen tausend Menschen durch ihre Stadt wogen sah, schwor sie, nie wieder auf die Vorhersagen ihrer Analytiker zu hören. War dies das Ende? Hatte die kollektive Masse der Bevölkerung schlicht und einfach beschlossen, dass es reichte? Nein, entschied sie. Wenn sie abtreten sollte, dann durch Abstimmung oder Kugel. Dies war nur einer von vielen Einträgen auf der Liste der Ereignisse, die sie ertragen musste. Ihre Besprechung mit Barzano hatte ihr Hoffnung gemacht, dass sie auch den Rest ihrer Amtszeit mit Würde im Amt verbringen und einen friedlicheren Kurs für ihren Nachfolger abstecken konnte, aber es sah so aus, als solle ihr sogar das verwehrt bleiben. Sie hatte den Abgesandten des Administratums seit seiner Ankunft mit den Ultramarines nicht mehr gesehen, obwohl Sergeant Learchus den Palast auf den Kopf gestellt hatte, als Barzano plötzlich verschwunden war. Es hatte sich herausgestellt, dass er und sein Verbindungsoffizier von den Arbites eine Exkursion in die Manufakturviertel unternommen hatten, aber Shonai war der Grund dafür schleierhaft. Dort gab es nichts außer schäbigen Arbeiterlokalen und verräucherten Wohneinheiten. Sie konnte sich nicht vorstellen, was ein Adept dort zu suchen hatte. Shonai fragte sich, ob der Adept in Kontakt mit Hauptmann Ventris stand, denn ihr war zu Ohren gekommen, dass die EldarPiraten einen weiteren Außenposten überfallen hatten, diesmal eine archäologische Stätte. Anscheinend hatten Schiffe der Systemabwehr auf das nichtmenschliche Schiff geschossen, und mindestens drei Schiffskapitäne behaupteten, es getroffen zu haben. Sie wusste, dass das unwahrscheinlich war, aber es war ein konkreter Beweis dafür, dass ihre Administration jetzt eine energische Haltung den Piraten gegenüber vertrat. Der Plan, sich de Valtos' Unterstützung ihrer aggressiven Politik gegenüber den Eldar zu versichern und ihn und Taloun dadurch
zu entzweien, hatte nichts gefruchtet. Der Abgesandte, den sie zu de Valtos geschickt hatte, war zwar mit einem höflichen Dank von Kasimir de Valtos zurückgekehrt, aber ohne konkrete Hilfsangebote. Nach den Ereignissen in der Kammer des Rechtschaffenen Kommerzes war sie darüber nicht überrascht. Um die Dinge noch zu verschlimmern, hatte sie in der Morgenbesprechung einen Bericht der Liktoren gelesen, bei dem sie vor Frustration gestöhnt hatte. In der vergangenen Nacht hatten die Adeptus Arbites Beauchamp Abrogas festgenommen, der halb nackt durch den schäbigeren Teil des nordöstlichen Manufakturviertels gelaufen war. Er hatte unsinniges Zeug gebrüllt, dabei eine geladene Waffe geschwenkt und ungezielte Schüsse auf Passanten abgegeben. Offenbar hatte er mehrere Personen verwundet, und als die Arbites ihn schließlich festnahmen, hatten sie festgestellt, dass er sich deshalb um den Verstand fantasierte, weil er auf Opiatix war, einem hochgradig Sucht erzeugenden und verschreibungspflichtigen Betäubungsmittel. Gegenwärtig schlief Beauchamp in einer Zelle unter dem Revier der Arbites seinen Rausch aus und würde auch dort bleiben, bis seine Familie seine Freilassung arrangierte. Shonai nahm an, dass sie ihn ein paar Tage in der Zelle schwitzen lassen würde, bevor sie ihn abholte. Es klopfte höflich an die Tür zu ihren Gemächern. Sie rief ihrem Besuch zu, er möge eintreten, und als sie sich umdrehte, sah sie, dass es Almerz Chanda war, der die Hände auf dem Rücken verschränkt hatte. Sie richtete die Aufmerksamkeit wieder auf die Szenen jenseits des Fensters. Immer noch drängten Leute in die Stadt. »So viele, Almerz«, flüsterte Shonai. »Ja«, gab Chanda ihr Recht. »Ich will heute keinen Ärger, ist das klar? Die kleinste Provokation, und diese Leute degenerieren zu einem wütenden Pöbelhaufen und reißen die Stadt in Stücke.« »Man hat mir versichert, dass die Liktoren eine Haltung der Nichteinmischung annehmen, Madam.« »Gut.« »Nach den Ereignissen der letzten Woche bin ich sicher, dass sie sich der heiklen Natur des heutigen Tages bewusst sind.«
Statthalterin Shonai nickte und beobachtete, wie sich der Platz vor den Toren des Palasts langsam füllte. Beim Imperator, das waren sie hoffentlich. Noch mehr Augen beobachteten die Menge aus dem oberen Stockwerk eines Marmorgebäudes innerhalb eines von niedrigen Mauern umgebenen Gartens mit ganz anderen Empfindungen. Neun Männer legten mit der leisen Eile von Berufssoldaten ihre schlichten grauen Uniformen ab und wechselten in schwarzes Leder und Brustharnische. Sie entledigten sich sorgsam aller verräterischen Hundemarken wie auch aller anderen Gegenstände, die eine Identifizierung gestatten mochten, und verstauten sie in einem Segeltuchbeutel. Ihr Befehlsstand war in einem einfachen Sommerhaus aufgeschlagen, das dem Honan-Kartell gehörte. Die Möbel waren zum Schutz vor Staub mit Laken zugedeckt, und das ganze Haus roch unbewohnt. Es war perfekt. Niemand sagte etwas, als zwei weitere Männer den Raum betraten. Der erste der beiden sprach leise in ein tragbares Kommgerät, das der zweite Mann in den Händen hielt. Der Anführer dieser Gruppe, ein Mann namens Amel Vedden, reichte seinem Untergebenen den Handapparat und beobachtete die tausende, die in die Stadt strömten. Er blieb unbeeindruckt. In dieser Situation hatte die Anzahl nichts zu bedeuten. Er verfügte über ausreichende Kräfte, um diese Demonstration aufzulösen. Jeder Idiot konnte eine Menge zerstreuen. Entscheidend war, schnell und mit einem Maximum an Gewalt zuzuschlagen, sodass die Überlebenden benommen und nicht in der Lage waren, halbwegs vernünftig zu reagieren. Aber er wollte diese Demonstration gar nicht auflösen, er wollte den schlafenden Riesen der Masse in ein tobendes Ungeheuer verwandeln, und das war noch leichter. Vedden war ein Profi und überließ nur ungern etwas dem Zufall. Deswegen hatte er unten weitere zehn Männer mit Flammenwerfern und Sturmgewehren postiert, und das Dach war geräumt worden, damit sie per Ornithopter abgeholt und ausgeflogen werden konnten. Sein Funker sammelte den Segeltuchbeutel mit Hundemarken ein, während Vedden sich an seine Männer wandte, die jetzt alle
die bedrohliche schwarze Panzerrüstung der Liktoren von den Adeptus Arbites trugen. Die meisten waren mit automatischen Schrotflinten bewaffnet, aber zwei trugen klobigere, von einer Trommel gespeiste Granatwerfer. Die sich langsam bewegende Menge war jetzt kurz vor der Schlinge des Befreiungsplatzes, und er wusste, dass die Zeit zum Handeln gekommen war. Er nahm seine eigene Schrotflinte, und die zehn »Liktoren« machten auf dem Absatz kehrt und verließen den Raum. Aus der Sicherheit eines der golden gedeckten Palasttürme beobachteten Jenna Sharben, Ario Barzano und Sergeant Learchus ebenfalls die versammelte Menge. Learchus sah, dass die Frau von den Arbites nicht gern hier war. Sie wollte unten bei ihren Kameraden auf dem Befreiungsplatz sein, und das konnte er verstehen. Zuerst hatte es ihn aufgebracht, auf Pavonis zurückgelassen zu werden, aber als Hauptmann Ventris erklärt hatte, welchen Eid er Lord Macragge geschworen hatte, ging Learchus auf, welches Vertrauen der Hauptmann in ihn setzte und was für eine Ehre der Auftrag war. Dadurch war das Wissen nicht leichter zu ertragen, dass ihm die Ehre der Schlacht verwehrt blieb. Aber wie der Gesegnete Primarch immer gesagt hatte, »Was der Imperator will, wird auch geschehen«. Von hier aus hatten sie einen Logenplatz, um zu beobachten, wie die Bewohner von Pavonis ihre Unzufriedenheit äußerten. Der lebhafte Gesang und die Musik waren durch das Panzerglas nur gedämpft zu hören und klangen blechern. Es kam nicht gut bei Learchus an, dass eine Bevölkerung sich so benahm. Wo war ihre Disziplin und ihr Stolz darauf, für die Verbesserung der Gesellschaft zu arbeiten? Auf Ultramar hätte es diese Art von Massendemonstration niemals gegeben, dafür hätte es keinen Grund gegeben. Auf Macragge wurde einem schon von frühester Kindheit an in den Akademien Disziplin eingebläut, und wehe dem Jungen, der die Lektionen seiner Kindheit vergaß. Die Frau von den Arbites war sehr nervös und drückte beständig die Nase an die Fensterscheibe, um die Entwicklung zu verfolgen und ihre Kameraden besser beobachten zu können, die sich an den Palasttoren und Zufahrtsstraßen vernünftigerweise um ein
möglichst unauffälliges Verhalten bemühten. Eine Taktik der Härte würde die Menge nur zur Gewalt anstacheln, und Learchus hoffte, dass die Liktoren an diesem Tag von einem kühlen Kopf befehligt wurden. Virgil Ortega schwitzte in seiner Rüstung, und obwohl er sich sagte, dass es an der Hitze lag, klang das nicht recht überzeugend in seinen Ohren. Das Ausmaß der Demonstration war unglaublich. Jeder Bericht war zu dem Schluss gekommen, so ein Unternehmen übersteige die Fähigkeiten des Arbeiterkollektivs bei weitem, aber die Demonstration fand hier und jetzt genau vor ihm statt. Seine Reihe aus Liktoren war solide. Jeder von ihnen hatte die Schrotflinte auf dem Rücken und den Aufruhrunterdrückungsschild in Habt-Acht-Stellung. Hinter ihnen stand eine Reihe von Rhinos, die meisten von ihnen mit schweren Wasserwerfern bestückt, mit laufendem Motor, um sie bei Bedarf in Sicherheit zu bringen. Die Menge schien nicht übermäßig feindselig gestimmt zu sein, aber bei diesen Dingen konnte man nie wissen. Gerade war noch alles in Ordnung, und einen Herzschlag später führte die kleinste Provokation zu einem unkontrollierten Gewaltausbruch. Er würde alles tun, was in seiner Macht stand, damit so etwas heute nicht geschah, und er hoffte, dass die Organisatoren dieses Spektakels genauso empfanden. Ortega hatte seinen Truppen ausdrücklich befohlen, nur zu schießen, wenn er den Befehl dazu gab. Er warf einen Blick auf Collix. Er konnte sein Gesicht hinter dem Schutzvisier des Helms nicht sehen, hatte sich aber ausdrücklich vergewissert, dass der Sergeant seine Befehle auch verstanden hatte. Dennoch hatte Ortega dafür gesorgt, dass Collix in seiner Nähe war. Die Demonstranten waren gut fünfzehn Schritte vor ihrer Reihe stehen geblieben und machten vernünftigerweise keine Anstalten, sich ihnen noch weiter zu nähern. Ortega konnte erkennen, dass ein halbes Dutzend Leute die Statue des Imperators in der Mitte des Befreiungsplatzes erklommen hatten und deren geräumigen Sockel als Podium benutzten, um von dort zur Menge zu sprechen. Sie trugen Megaphone und schrien ihrem Publikum zu, wobei sie jede Bemerkung mit weit ausholender Geste, in den Himmel gereckter Faust oder
anklagend zeigendem Finger unterstrichen. Ortega konnte aus dieser Entfernung nicht viele Worte verstehen, aber es reichte, um zu wissen, dass die Redner die Menge nicht zur Erhebung aufforderten. Jede Feststellung der Redner wurde mit Jubel und Applaus begrüßt, und Ortega seufzte vor Erleichterung. Anscheinend hatten die Bewohner von Pavonis nichts schwer Wiegenderes im Sinn. Veddens Zehnmanntrupp verließ Honans Sommerhaus und begab sich auf eine der Zufahrtsstraßen zum Befreiungsplatz. Die Straße war voller Menschen, und sie drängelten sich unter Benutzung ihrer Schilde grob durch. Laute Verwünschungen folgten ihnen, aber die Organisatoren des Marsches waren beharrlich gewesen: Es darf keine Gewalt geben. Dies sollte eine friedliche Demonstration der Einheit vor den planetaren Herrschern werden, und daher konnten die »Liktoren« die Menge unbehelligt passieren. Sie kamen weniger als fünfhundert Meter von den Palasttoren und der Reihe echter Adeptus Astartes entfernt auf dem Platz an. Direkt vor ihnen konnte Vedden die Statue des Imperators und sechs Leute sehen, die durch Megaphone auf die Menge einschrien. Vedden hörte nicht auf die Worte. »Keilformation«, zischte er, und seine Männer formierten sich zu einer Pfeilspitze, jeweils drei neben ihm mit dem Schild nach außen und drei Männer in der Mitte, die Schrotflinten geladen und gespannt. »Es geht los.« Sie setzten sich in Bewegung und bahnten sich einen Weg zur Statue. Virgil Ortega betrachtete die Menge auf der Suche nach Anzeichen für Ärger, obwohl die Redner auf der Statue des Imperators ihre friedlichen Absichten bekundet hatten. Er hatte soeben Lageberichte von jedem seiner Trupps erhalten, und bisher war alles in Ordnung. Hektische Bewegung und Geschrei in der Menge erregte seine Aufmerksamkeit, und plötzlich sah er eine Gruppe Liktoren aus der Zufahrtsstraße voraus und links von sich kommen. Er runzelte verwirrt die Stirn. Wessen Trupp war das, und was, zur Hölle, wollten sie mitten auf dem Platz?
Ortega ging sämtliche Kommnetzkanäle durch und überprüfte den Standort jedes Trupps mit dem Resultat, dass jeder an der ihm zugewiesenen Position war. Hatte der Chef noch mehr Trupps eingesetzt? Sofort verwarf er diese Möglichkeit. Der Chef war nicht so dumm, uniformierte Truppen auf dem Platz einzusetzen und ihm nichts davon zu sagen. Trotz der Hitze des Tages überlief ihn ein kalter Schauder, als er sah, wie die unbekannten Liktoren einen Keil bildeten und begannen, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Seine Augen rechneten hoch, wohin ihr eingeschlagener Weg sie führen würde. »Hölle und Verdammnis, nein!« »Hauptmann?«, fragte Collix. Virgil Ortega ließ seinen Schild fallen und lief dorthin, wo die Rhinos kehlig im Leerlauf rumpelten. Er sprang auf den vorderen Stoßfänger des nächsten, schob sein Helmvisier hoch und kletterte auf das Dach. Der Liktor darin stieß die Dachluke auf und streckte den Kopf heraus. »Hauptmann?« »Geben Sie mir das Megafon. Sofort!« Der Liktor tauchte in den Rhino und kam Sekunden später mit dem Lautsprechgerät zurück, das Ortega ihm aus der ausgestreckten Hand riss. Er drückte auf den Sprechknopf und rief: »Achtung! Achtung! Hier spricht Liktor Virgil Ortega, ihr Leute auf der Statue, kommt sofort herunter!« Die Lautsprecheranlage des Rhino trug mühelos über den Platz, aber seine Aufforderung wurde ignoriert. Seine Worte stießen auf höhnisches Gebrüll und Buhrufe, und die Leute auf dem Sockel der Statue schrien ein paar unverständliche Antworten. Zur Hölle mit ihnen! Erkannten diese Narren denn nicht, dass er ihnen das Leben zu retten versuchte? Er warf das Gerät zurück in den Rhino und sprang vom Dach. Wieder in der Reihe angekommen, griff er sich Collix und eine Hand voll Liktoren. »Liktoren, einen Keil um mich bilden. Wir müssen schnell zur Statue. Vorwärts.« Mit geübter Präzision bildeten die Liktoren einen Keil um Ortega, einen Zwilling desjenigen, welcher bereits in der Menge war. Ortega wusste, dass er die Statue zuerst erreichen musste.
Doch als sie abrückten, war ihm bereits klar, dass sie zu spät kommen würden. Das Geschrei, das ihr Vorrücken durch die Menge begleitete, wurde immer lauter, aber Vedden ignorierte es. Ihr Ziel war die Statue des Imperators, und jeder, der ihnen nicht schnell genug Platz machte, wurde brutal beiseite geknüppelt. Sie wurden mit ein paar Tritten und Schlägen konfrontiert, aber ihre Schilde waren Furcht erregende Schlagwaffen, und nach kurzer Zeit machten ihnen die meisten Leute lieber Platz, als sich ihnen in den Weg zu stellen. Vedden hörte, wie eine raue Stimme den Rednern befahl, von der Statue zu klettern, und sah einen Hauptmann der Liktoren auf dem Dach eines Rhinos stehen und hektisch mit den Armen fuchteln. Doch die Kretins auf dem Podium beachteten ihn nicht. Sie machten es ihnen fast zu leicht. Wie bei einem in einen Teich geworfenen Kiesel pflanzten sich Wellen des Ärgers über ihr Vorrücken nach außen fort, da immer mehr Leute ramponiert und blutend zurückstolperten. Ein drohendes Grollen breitete sich aus, als die Neuigkeiten von der aggressiven Taktik der Liktoren die Runde machten. Die Leute auf der Statue sahen Vedden und seine Männer jetzt kommen und richteten ihre Aufmerksamkeit auf sie. Schmähungen wurden ihnen an den Kopf geworfen, als die Redner voller selbstgerechtem Eifer die kriminelle Gewalttätigkeit der Lakaien einer moralisch bankrotten Administration anprangerten. Die Stimmung der Menge war umgeschlagen, aber das spielte keine Rolle mehr, sie waren fast da. Ein Ring stämmiger Männer umgab den Sockel der Statue, und ihre drohende Haltung war unverkennbar. Vedden blieb stehen, als ein drahtiger Mann mit einem langen Bart ihn direkt vom Podium ansprach. »Bruder! Wir tun keinem etwas, wir haben uns friedlich versammelt. Lass uns weitermachen, und ich garantiere, dass es keinen Ärger gibt.« Vedden antwortete nicht. Er nahm seine Schrotflinte und lud die Waffe durch. Und vor den Augen tausender von Demonstranten schoss er den Mann nieder. Wie in Zeitlupe sah Ortega den Anführer der unbekannten
Liktoren seine Schrotflinte zücken und abdrücken. Das träge Echo des Schusses hüllte ihn ein, während er sah, wie der Mann auf dem Podium gegen die Alabasterstatue des Imperators der Menschheit geschleudert wurde. Sein Blut spritzte auf den Oberschenkel des Bildnisses, während er über dessen Fuß stolperte und zu Boden fiel. Mit einem widerlichen, nassen Knacken platzte sein Schädel beim Aufprall auf die Pflastersteine des Befreiungsplatzes auf, und als das Hirn aus dem Schädel floss, normalisierte sich der Zeitablauf wieder. Die Liktoren im Schildwall des Mörders gingen ein wenig in die Knie und stemmten die Schilde auf die Oberschenkel, während diejenigen im Zentrum des Keils auf die völlig benommenen Überlebenden auf dem Statuenpodest zielten. Eine Schrotflintensalve fegte die verbliebenen Redner von den Füßen des Imperators, und Virgil wusste, dass sie von Glück sagen konnten, wenn sie diesen Tag überlebten. Mykola Shonai schloss krampfhaft die Augen, als sie das Echo des Schusses hörte und den Mann fallen sah. Das war es, das wusste sie. Von diesem Schlag würde sie sich nicht mehr erholen. Eine Grenze war soeben überschritten worden, und nichts würde je wieder so sein, wie es einmal gewesen war. Jenna Sharben sprang mit ungläubigem Schrei auf, als der Mann vom Sockel der Statue fiel. Sie fuhr zu Barzano herum, ihr Gesicht ein stummer Appell, da sie vollkommen sprachlos über das soeben Geschehene war. Barzano kaute auf seiner Unterlippe und hatte die Fäuste geballt. Sie machte Anstalten, an ihm vorbeizugehen, aber er hielt sie mit einer Kraft am Arm fest, die sie überraschte, und seine zuvor nichts sagenden Züge hatten eine stählerne Härte angenommen. Er schüttelte den Kopf. Er riss den Blick von ihr los, betrachtete die Menge und bewertete die taktische Situation auf dem Befreiungsplatz in einem einzigen Augenblick. Er wandte sich an Sergeant Learchus. »Sergeant, ich brauche Sie da unten.« Verschwunden war Barzanos scherzhafter Tonfall, und an seiner Stelle ertönte eine volle, sonore Stimme, die offenbar daran gewöhnt war, Befehle zu geben, die auch befolgt wurden. Learchus hatte die Vorgänge ebenfalls beobachtet und verstand die Lage ebenso gut wie er.
»Was soll ich tun?«, fragte der Space Marine. »Was Sie können.« Vedden schoss noch ein paarmal in die Menge und genoss die Schmerzensschreie und das Entsetzen, das er verbreitete. Jene, die ihm am nächsten waren, versuchten verzweifelt, sich von dem Gemetzel zu entfernen, aber der Druck der Leiber auf dem Platz hinderte sie daran, schnell genug wegzukommen. Schade für sie, dachte Vedden, als er wieder abdrückte. Verdammt, es fühlte sich gut an, irgendwas umzubringen, auch wenn es nur dämliche Zivilisten waren. Er hatte sich eigentlich die Liktoren vornehmen wollen, aber seine Befehle waren präzise: nur Zivilisten. Töten Sie, so viele Sie können, nehmen Sie einen ihrer Anführer gefangen und kehren Sie zurück. Es machte Sinn, einen der Anführer gefangen zu nehmen. Das Arbeiterkollektiv würde vor dem Revier der Arbites seine Freilassung fordern, und die Liktoren würden wahrheitsgemäß behaupten, niemanden festzuhalten. Natürlich würde man ihnen nicht glauben und es als weiteren Beweis für die Korruption in der planetaren Administration ansehen. Es war perfekt. Vedden lief vorwärts, über die zuckenden Leichen der Leibwächter der Redner hinweg, hob eine weinende junge Frau von nicht mehr als zwanzig Jahren auf und warf sie sich grob über die Schulter. Sie schrie vor Schmerzen, und er schlug ihr mit der Faust ins Gesicht, um ihr das Maul zu stopfen. Seine Männer bildeten einen ungefähren Kreis, und er trat in ihre Mitte. »Wir haben, was wir wollten, jetzt lasst uns von hier verschwinden.« Seine Rüstung war an einem Dutzend Stellen verbeult, und er blutete aus einer Schläfenwunde, während er den nächsten schreienden Mann aus dem Weg stieß. Ortega schmeckte Blut, und dessen Kupfergeschmack stank nach Scheitern. Es war ihm nicht gelungen, den sinnlosen Mord an den Sprechern der Demonstranten zu verhindern, nicht gelungen, den Frieden des Imperators zu wahren, und jetzt war die Hölle los. Er hörte das hohle Krachen weiterer Schrotflintenschüsse vom entfernten Rand des Platzes und verzweifelte. Er hoffte, dass keiner von seinen Männern diese Schüsse abgegeben hatte, aber wenn die Dinge sich anderswo ebenso schlimm entwickelten wie
hier, konnte er diese Möglichkeit nicht ausschließen. Leiber bedrängten ihn von allen Seiten, und er stieß sie wütend aus dem Weg. Dies konnte nicht mehr lange gut gehen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie überwältigt und getötet wurden. Er schlug wieder einen Mann beiseite, als er eine Reihe erstickter Kracher wie Husten hörte, und plötzlich wallte weißer Rauch in dichten Schwaden auf. Tränengas-Granaten, die aus der Reihe der Liktoren vor den Palasttoren abgefeuert wurden, landeten in der Menge und spien beißende Dämpfe in Gestalt verhüllender weißer Nebelbänke aus. Die Granaten landeten direkt vor und neben seiner Gruppe, und Ortega nahm sich fest vor, demjenigen zu danken, der den Befehl gegeben hatte, sie abzuschießen. Er klappte sein Visier herunter und schaltete die Atemmaske ein. Durch eine Lücke im Tränengasnebel erspähte Ortega den flüchtenden Trupp der Mörder. Trauben benommener Demonstranten stolperten ziellos, mit tränenden Augen und krampfhaft nach Luft schnappend durch die Gaswolken. Viele übergaben sich auf das Pflaster oder krümmten sich auf dem Boden. Der Lärm war unglaublich, als sei eine riesige Bestie erwacht und brülle. Ortega wusste, dass sie sich im Bauch dieser Bestie befanden. Er rannte den Verursachern dieses Gemetzels hinterher, wich dabei stolpernden Arbeitern aus und sprang über die Leichen, welche die Mörder hinter sich zurückließen. Collix und die sechs Liktoren, die er hastig aus der Reihe abgezogen hatte, folgten ihm ähnlich erpicht auf Rache. Er rammte einen Mann mit der Schulter, der einen großen Schraubenschlüssel schwang und dessen Augen rot gerieben waren. Dann waren sie an der Einmündung zur Zufahrtsstraße angelangt, und er konnte eindeutig die Rücken der Mörder sehen, die unterwegs zu einem schlichten weißen Gebäude waren. Er brüllte eine Verwünschung und legte seine Schrotflinte an. Die Entfernung war nicht gut, und mit heruntergeklapptem Visier konnte er auch nicht sonderlich gut zielen. Virgil drückte ab, und einer der Mörder griff sich an die Schulter und fiel. Collix schoss ebenfalls und erzielte einen Treffer, aber keiner ihrer Schüsse war tödlich, und die Verwundeten wurden von ihren Kameraden mitgeschleift. »Weiter«, rief er. »Bevor sie es in Deckung schaffen!«
Ihr Wild blieb stehen und bildete eine disziplinierte Feuerlinie. Ortega war überrascht, aber nicht so überrascht, dass er nicht auf die Knie sank und seinen Schild vor sich hielt, während der Feind kontrollierte Salven mit seinen Schrotflinten abfeuerte. Der Schild bebte unter einem furchtbaren Einschlag, und eine faustgroße Beule bildete sich in dem Metall neben Ortegas Kopf. Doch der Schild hielt, und Schreie ertönten, als Demonstranten hinter ihnen, die sie verfolgt hatten, getroffen wurden. Er sprang hinter seinem Schild auf und wurde einen Moment später von den Beinen geholt, als sein Brustharnisch von einer zweiten unerwarteten Salve getroffen wurde. Ortega grunzte, mehr vor Überraschung denn Schmerz, und fiel zu Boden. Collix wälzte sich zu ihm. »Hauptmann? Sind Sie verwundet?« Ortega stöhnte, rappelte sich auf und zuckte zusammen, als ein stechender Schmerz durch seine Brust zuckte. Der Brustharnisch hatte einen Großteil der Aufprallwucht absorbiert, aber er war durchschlagen, und Blut lief vorne heraus. Collix' Anteilnahme überraschte ihn, aber er schüttelte den Kopf. »Vielleicht habe ich mir eine Rippe gebrochen. Nichts Ernstes, glaube ich.« Collix zog ihn hoch, und sie liefen weiter die Straße entlang. Beide Männer fluchten, als sie ihr Wild durch ein massives Holztor in einer hohen Mauer laufen sahen, die das Grundstück eines großen Stadthauses einschloss. Virgil Ortega trabte ein paar Schritte, bevor der stechende Schmerz in seiner Brust zunahm und er innehalten musste. Alles verschwamm vor seinen Augen, und er musste sich an der Hausmauer abstützen. Collix drehte sich um. »Weiter, Hauptmann!« »Gehen Sie vor! Ich komme nach«, keuchte er. Vielleicht war die Wunde doch ernster, als er gedacht hatte. Sein Atem ging stoßweise und rasselnd. Er taumelte seinen Männern hinterher und warf einen raschen Blick über die Schulter. Niemand verfolgte sie, was ihn überraschte, aber er war auch dankbar für kleine Geschenke. Er machte noch einen Schritt und schloss die Augen, als ihn ein Anfall von Schwindel und Übelkeit zu überwältigen drohte. Seine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an, und bei jedem Atemzug schienen sich
Glasscherben in seine Brust zu bohren. Er drängte die Schmerzen in den Hintergrund, indem er sich so fest auf die Lippe biss, dass Blut floss, und zwang sich zum Weitergehen. Seine Männer hatten mittlerweile das Tor erreicht, durch das die Mörder verschwunden waren, und Collix gab ihnen Anweisung, es aufzubrechen. Zwei Liktoren sprengten die Angeln, während ein dritter mit seinem eisenverstärkten Stiefel gegen das Schloss trat und die Tür damit aus dem Rahmen beförderte. Das Getöse von Sturmgewehrschüssen hallte aus dem Durchgang, und der erste Liktor wurde von den Beinen geholt. Collix und die anderen warfen sich in Deckung, als die nächste Salve kam. Er schwankte trunken zu seinen Männern, wobei er um jeden Atemzug rang, und lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer. Collix riskierte einen blinden Schrotflintenschuss durch das Tor. Die Antwort bestand aus einer weiteren Salve automatischen Feuers. Er warf einen raschen Blick durch das offene Tor und erblickte mindestens vier oder fünf Männer mit schweren Schrotflinten, automatischen Gewehren und einem Flammenwerfer in einer mit Sandsäcken gesicherten Geschützstellung. Ortega fluchte. Jeder, der sich länger als einen Sekundenbruchteil in diesem Tor zeigte, war ein toter Mann. Eine Salve schoss die Stuckverzierungen rund um das Tor in tausend Splitter, und er zog den Kopf rasch wieder ein. Collix und die anderen feuerten gelegentlich durch das Tor, aber Schrotflinten waren Sturmgewehren und Männern, die sie zu benutzen wussten, hoffnungslos unterlegen. Ein Feuerstrahl toste durch das Tor, und die Liktoren sprangen zurück, da der gesplitterte Torrahmen Feuer fing und der Eingang in Flammen gehüllt wurde. Rauch und Schatten tanzten auf der Straße, da Gasschwaden vom Befreiungsplatz durch ihre Zufahrtsstraße wallten. Ortega glaubte, klobige Gestalten kommen zu sehen, aber aufgrund der Schmerzen und des Blutverlusts sah er nur noch verschwommen und war sich nicht sicher. Sie befanden sich in einer Zwickmühle. Bei einem Frontalangriff würden seine Männer sterben, aber er war nicht gewillt, diese mordenden Schweine entkommen zu lassen. Eine weitere Flammenzunge leckte durch das Tor und erleuchtete kurz die verräu-
cherte Straße. Ein Schatten fiel über Virgil Ortega, als eine massige Gestalt hinter ihm auftauchte und sich in den Eingang des Stadthauses stellte. Und die mit Sandsäcken verstärkte Geschützstellung löste sich in einem donnernden Geschosshagel auf. Flammen zuckten durch das Tor und hüllten den gerüsteten Riesen in einen flackernden orangefarbenen Schein. Ein gigantischer Krieger in leuchtend blauer Rüstung stand ungerührt in den Flammen wie ein legendärer Kriegsgott und hielt eine massige Waffe in den Händen, die mit beängstigender Geschwindigkeit Boltpatronen durch das Tor spie. Ortega fiel die Kinnlade herunter, als er sah, dass es nicht nur einen dieser Kolosse gab, sondern deren acht. Der Riese wandte den Kopf, sodass das Helmvisier in Ortegas Richtung zeigte, und er spürte, wie er unter seinem Blick schrumpfte. »Wir übernehmen jetzt, Liktor«, sagte der Krieger, dessen Stimme durch das Helmsprechgerät verzerrt wurde. Unfähig zu antworten, nickte Virgil Ortega nur und winkte in Richtung des Stadthauses. »Sie sind herzlich eingeladen«, keuchte er. Sergeant Learchus nickte dem verwundeten Liktor zu und stürmte durch das brennende Tor. Ein Hagel von Sprengpatronen aus seinem Boltgewehr flog ihm voraus. Cleander war neben ihm, und die anderen Ultramarines schwärmten hinter ihm aus und schossen aus der Hüfte. Die unmittelbare Bedrohung war ausgeschaltet, die Männer hinter den Sandsäcken von dem massiven Beschuss zerfetzt worden, aber aus den oberen Fenstern des Hauses schlug ihnen Gewehrfeuer entgegen. Dem Knattern der Schüsse konnte Learchus entnehmen, dass es sich um automatische Gewehre handelte, deren Munition seiner heiligen Servorüstung eigentlich nichts anhaben konnte. Noch immer zuckten Flammen über seine Brust, wo das Promethium sich gesammelt hatte. Er spürte, wie Kugeln von seinen Schulterschützern abprallten, und erwiderte das Feuer. Ein Schrei ertönte. Er setzte über die blutige Ruine der Geschützstellung hinweg und warf sich mit seiner gerüsteten Körperfülle gegen die Haustür. Die massive Tür zersplitterte, und schon waren die Space Marines im Haus. Er wusste, dass er sich beeilen musste. Sein
verschärftes Gehör hatte das unverkennbare Jaulen von sich nähernden Ornithopter-Triebwerken aufgeschnappt, und das konnte nur eines bedeuten. Learchus hechtete zur Seite und rollte sich ab, als vor ihm ein Kugelhagel in den Boden schlug und Terrakottabrocken aus den Bodenfliesen gerissen wurden. Er kam wieder hoch und schoss sein Boltgewehr einhändig ab. Ein Mann in der Uniform eines Liktors, der auf der breiten Treppe stand, wurde förmlich zerfetzt, und er winkte seine Männer hinein. »Die Verräter werden auf dem Dach sein und darauf warten, dass sie abgeholt werden. Sie dürfen das Haus nicht verlassen«, befahl Learchus. Die Ultramarines nickten und folgten ihrem Sergeant, der vor ihnen die Treppe emporstürmte und dabei fünf Stufen auf einmal nahm. Learchus landete in einem länglichen Raum mit gefliestem Boden, in dem die Möbel mit weißen Laken abgedeckt waren. Eine andere, schmalere Treppe führte zu einem Rechteck aus Sonnenlicht empor, und er konnte den Lärm der Ornithopter-Triebwerke jetzt noch lauter hören. Als er der Dachluke entgegeneilte, erhob sich ein Mann hinter einem der Bettlaken, doch bevor er schießen konnte, jagte Cleander ihm eine Boltpatrone in den Schädel. Learchus eilte die Treppe empor und stürmte auf das flache Dach des Hauses. Amel Vedden beobachtete, wie die beiden Punkte der Ornithopter näher kamen, und überlegte verdrossen mit Blick auf die sieben überlebenden Männer, dass einer nun reichen würde. Er hatte eine Menge Soldaten bei diesem Unternehmen verloren, doch er konnte sich einfach nicht dazu bringen, dass sie ihm Leid taten. Aber was für ein Unternehmen! Wer hatte damit rechnen können, dass Space Marines sich einmischen würden? Er hätte angesichts dieser unerwarteten Bedrohung mit Sicherheit viel mehr Geld verlangt. Er hielt noch immer die bewusstlose Frau in den Armen und wusste, dass er es genießen würde, sie zu töten, sobald sie in Sicherheit waren. Sein Blick huschte zur Dachluke, als er Schüsse von unten hörte. Konnten sich diese verfluchten Ornithopter nicht etwas beeilen? Langsam wurde es eng. Die insektenähnlichen Flugmaschinen kamen mit breitem Rumpf
und knollenförmigen Geschützen wie Stacheln unter der Nase, die in unheimlichem Gleichklang mit den Kopfbewegungen des Piloten Ziele suchten, während sie das Haus umkreisten. Warum landeten sie nicht? Vedden fuhr herum, als er Panzerstiefel hörte, und zog eine Pistole, die er der jungen Frau kräftig an die Schläfe drückte. Fünf Space Marines standen da und hatten ihre unhandlich großen Boltgewehre auf ihn und seine Männer gerichtet. Seine eigenen Männer hatten ihre Schrotflinten angelegt, doch niemand rührte sich. Die Luft schien stillzustehen, als sei sie nicht gewillt, durch dieses Drama zu strömen. Sogar der Lärm der kreisenden Ornithopter und der brüllenden Menge, die jetzt die Stadt in Schutt und Asche legte, kam ihm seltsam gedämpft vor. Sein Mund war trocken, da er diesen gewaltigen Kriegern gegenüberstand, und er spürte, wie sich ein Zittern in seinem Arm ausbreitete. Das waren Space Marines, was, zur Hölle, hatte er sich da eingebrockt? Er grub tief in sich, wo er nach einer unangezapften Mutreserve suchte, und leckte sich die Lippen. Amel Vedden bekam keine Gelegenheit herauszufinden, ob er den Mut zu einer Kraftprobe mit einem Space Marine hatte, denn an dieser Stelle eröffneten die Geschütze der Ornithopter das Feuer. Großkalibrige Kugeln aus Autokanonen deckten das Dach ein, wühlten dessen Kieselbelag auf und zerfetzten menschliches Fleisch. Die Männer, welche auf den Abtransport in den Fliegern gewartet hatten, starben zuerst, von den panzerbrechenden Geschossen binnen Sekunden in Stücke gerissen. Vedden schrie auf, als ihn eine Patrone traf und ihm in Höhe der Oberschenkelmitte ein Bein abtrennte. Er brach zusammen und riss die junge Frau dabei mit zu Boden. Die Ultramarines sprengten auseinander und schossen auf die Ornithopter, aber ihre Boltpatronen richteten gegen die gepanzerte Unterseite der Kampfmaschinen nichts aus. Learchus rannte los, hechtete vorwärts, um die junge Frau in die Arme zu nehmen und sich auf sie zu wälzen, kurz bevor das Feuer der Ornithopter sie erreichte. Während er sich mit den Ellbogen abstützte, um die junge Frau mit seinem Gewicht nicht zu zerquetschen, spürte er kräftige Einschläge auf dem Rücken. Er richtete ein kurzes Dankgebet an seine Rüstung, weil sie ihn so
standhaft vor den Kugeln dieser Verräter schützte. Von einem Augenblick zum anderen stellten die Waffen das Feuer ein, und die Ornithopter gewannen rasch Höhe und entfernten sich von dem Haus, da sie ihren Mordauftrag erfüllt hatten. Boltpatronen verfolgten sie, doch sie waren schnell außer Reichweite und im nebligen Dunst verschwunden, in den die Manufakturen gehüllt waren. Learchus erhob sich auf die Knie und zog die junge Frau unter sich hervor. Sie war mit Blut beschmiert, aber wie viel davon ihr eigenes war, konnte Learchus nicht sagen. Nach einer oberflächlichen Untersuchung glaubte er, dass sie überleben würde. Er stand auf und nahm sie auf die Arme. Der Mann, der sie entführt hatte, starrte mit glasigen Augen in den Himmel und umklammerte hyperventilierend seinen Beinstumpf. Er kroch über das von Kugeln aufgewühlte Dach und winselte um Hilfe. Cleander legte eine Aderpresse an in der Hoffnung, dass der Mann sich als ergiebige Informationsquelle erweisen würde, falls er überlebte. Vom Befreiungsplatz drang immer noch Kampflärm herüber, und Learchus sah, wie sich in der ganzen Stadt orangefarbene Flammen und Rauch ausbreiteten, da die Bevölkerung von Pavonis auf die einzige Art und Weise auf die Ereignisse des Tages reagierte, die ihr dazu einfiel. Die Zerstörung dauerte den ganzen Tag, da der Pöbel mit Mord im Sinn durch die Marmorstadt wütete. Die Statuen an den großen Durchgangsstraßen waren umgestürzt, gepflegte Gärten und Parks in Brand gesetzt und Häuser geplündert worden, da die primitiveren Elemente der Menge den Aufruhr ausnutzen wollten. Brände breiteten sich ungehindert aus, und ganze Stadtteile wurden dem Erdboden gleichgemacht, da die Feuerwehr nicht bereit war, auf den Straßen der Stadt ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Leute versteckten sich voller Angst in ihren Häusern, da schreiende Arbeiter Türen einschlugen und alles Wertvolle stahlen. Einige der wohlhabenderen Bewohner wehrten sich und schossen die Einbrecher nieder, aber gegen den Pöbel standen sie auf verlorenem Posten, und letzten Endes wurden sie in Stücke gerissen und ihre kostbaren Besitztümer und Schätze zerstört. Vernünftigere Köpfe in der Menge marschierten mit erhobenen Armen durch die Straßen und forderten zu Ruhe und Besonnen-
heit auf, aber im Chaos des Aufruhrs konnten sie sich kein Gehör verschaffen. In dem Wissen, dass eine Rückkehr in die Stadt den sicheren Tod verhieß, hatten die Liktoren sich auf das Grundstück des Palasts zurückgezogen, wo sie von den dicken gepanzerten Mauern und Artillerietürmen geschützt wurden. Ein paar Aufrührer hatten versucht, die Tore zu stürmen, aber donnernde Salven aus den Geschützstellungen hatten sie gnadenlos niedergemäht. Die an den Zufahrtsstraßen postierten Liktoren-Trupps hatten rasch erkannt, dass sie von ihrem Revier abgeschnitten waren, und in der Nähe Zuflucht gesucht. Sie wurden stundenlang belagert, bis vom Palast Flieger zu ihnen geschickt wurden, um sie und die Besitzer der Häuser in Sicherheit zu fliegen. Von den Ultramarines beschützt, blieb Virgil Ortegas zufällig entstandenem Trupp nichts zu tun übrig, als darauf zu warten, bis sie von einem der Ornithopter aus dem Palast abgeholt wurden. Ortega, bei dem sich Phasen der Bewusstlosigkeit mit solchen des Wachseins abwechselten, wurde vorübergehend in eine Welle der Panik gehüllt, als er den Antriebslärm von Ornithoptern über sich hörte und glaubte, deren Geschütze würden jeden Moment das Feuer eröffnen. Ortega und der verwundete Gefangene wurden zusammen mit den anderen Liktoren abtransportiert. Die Flugmaschine konnte das Gewicht von acht vollständig gerüsteten Space Marines nicht tragen, aber der Pilot versicherte Learchus, er werde umgehend zurückkehren. Der Sergeant erklärte dem Piloten, er und seine Männer kämen auch ohne Ornithopter sicher in den Palast zurück, und befahl ihm, stattdessen alle Liktoren-Trupps abzuholen, die noch in der Stadt aushielten. Die Dunkelheit brach herein, und die Aufrührer hatten sich immer noch nicht ausgetobt. Rote Flammenzungen leckten zum Himmel, und von jedem Brandherd stieg Rauch auf. Ganze Viertel waren in Dunkelheit gehüllt, da ihre verängstigten Bewohner nicht bereit waren, ihre Anwesenheit durch Beleuchtung kundzutun. Später würde man erfahren, dass an diesem Tag über viertausend Personen gestorben waren: bei den Kämpfen getötet, in ihren Häusern ermordet oder in den unkontrolliert wütenden Bränden ums Leben gekommen. Es war ein Tag, den man auf Pavonis noch lange betrauern würde. Als sich die Kühle der Nacht ausbreitete, verließen zunächst
langsam und dann immer schneller Scharen von Arbeitern die Stadt. Doch viele blieben auch, um ihre Frustration an jenen auszulassen, von denen sie glaubten, sie hätten es verdient. Manche empfanden Scham angesichts der Vorgänge, während andere nichts als ein Gefühl gerechtfertigten Triumphs verspürten. Ario Barzano beobachtete mit ausdrucksloser Miene, wie der Palastarzt den Verwundeten versorgte und blutige Verbände und Klammern von dem unregelmäßigen Beinstumpfentfernte. Barzano hatte genügend schwere Wunden gesehen, um zu wissen, dass der Mann nicht sterben würde. Jedenfalls nicht an dieser Wunde. Einstweilen war er bewusstlos, vollgepumpt mit Beruhigungsund Schmerzmitteln. Seine Glieder wurden von Gurten am Bett gehalten, während der Arzt bemüht war, die sprudelnde Arterie zu klammern. Bruder Cleanders sachkundige erste Hilfe hatte ihm wahrscheinlich das Leben gerettet. Was der Gefangene später noch bereuen würde, überlegte Barzano. Liktor Ortega lag auf der Pritsche neben dem Verräter. Seine ausladende Brust war in Verbände gehüllt. Die Schrotladung hatte ihm zwei Rippen gebrochen, und ein gesplittertes Ende hatte seinen linken Lungenflügel durchbohrt. Er hatte Glück, dass er noch lebte, und angesichts der Schreie und Flüche, die er während der Behandlung von sich gegeben hatte, fragte er sich, ob ihn nicht einfach nur nackte Sturheit am Leben erhalten hatte. Jenna Sharben saß neben ihm, beschrieb leise die Ereignisse des Tages, die er aufgrund seiner Bewusstlosigkeit verpasst hatte, und zählte die Liktoren auf, die ums Leben gekommen waren. Seine Miene war dabei wie versteinert, aber Barzano konnte erkennen, dass es ihn schmerzte. Der dritte Patient war die junge Frau, die dieser mordende Abschaum unter der Statue des Imperators entführt hatte. Trotz des vielen Bluts auf ihrer Kleidung hatte sie die Ereignisse relativ unbeschadet überstanden. Der Arzt hatte eine Reihe von Schrotkugeln ausgegraben und sie auf eine Gehirnerschütterung behandelt, aber davon abgesehen, war sie unverletzt. Gegenwärtig schlief sie infolge eines Beruhigungsmittels. Hinter Barzano warteten Sergeant Learchus, Statthalterin Shonai und Almerz Chanda in gespannter Stille auf das Ende der ärztlichen Bemühungen. Barzano ging zu ihnen.
Er dankte Learchus für dessen couragierte Bemühungen im Chaos des Tages. Die Rüstung des Space Marine war verbeult und stellenweise geschwärzt, aber er war unverletzt. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Statthalterin von Pavonis. Sie war gealtert, seit er sie zuletzt gesehen hatte. Die grauen Haare fielen ihr lose auf die Schultern, und ihr Gesicht schien ganz neue Falten entwickelt zu haben. Nur Chanda schien der Blutzoll dieses Tages kalt zu lassen. »Ein verwünschter, blutiger Tag«, begann Barzano, indem er Mykola Shonai eine Hand auf die Schulter legte. Sie nickte, die Kehle zu zugeschnürt, um zu antworten. Chanda hatte ihr soeben eine Tafel mit der geschätzten Anzahl der Todesopfer des heutigen Tages gegeben, und die Höhe hatte sie schockiert. Barzano öffnete die Arme, und sie akzeptierte seine Geste. Er schloss ihren zitternden Leib in die Arme, während sie um die Toten weinte. Barzano schaute Chanda in die Augen. »Gehen Sie«, sagte er nur. Chanda sah aus, als wolle er protestieren, sah aber die eiserne Entschlossenheit in Barzanos Blick und ging nach einer knappen Verbeugung durch die Tür des Krankenreviers. Ario Barzano und Mykola Shonai standen mehrere Minuten in enger Umarmung, während die Statthalterin von Pavonis zuließ, wie die Jahre des Scheiterns und der Frustration sich in Tränen und Schluchzen Luft machten. Barzano hielt sie einfach nur fest, da er ihr Bedürfnis verstand, sich einer Bürde zu entledigen, die sie schon viel zu lange niederdrückte. Als sie aufhörte, waren ihre Augen verquollen und gerötet, aber ein Feuer in ihnen, das lange erstickt worden war, hatte sich nun wieder neu entzündet. Sie wischte sich mit einem von Barzano angebotenen Taschentuch über das Gesicht und holte tief Luft. Sie lächelte Barzano schwach an, straffte die Schultern und band sich die Haare zu einem ordentlichen Pferdeschwanz. Sie warf einen Blick auf das Bett mit dem Mann, der sein Bein verloren hatte. Bis jetzt waren ihre Feinde gesichtslose Wesenheiten gewesen, was sie der Möglichkeit des Zurückschiagens beraubt hatte, doch nun hatte sie einen dieser Feinde vor sich, und sie lächelte in grimmiger Befriedigung. Der Mann war bewusstlos, und laut Arzt würde sich daran möglicherweise noch einige Tage nichts ändern.
Aber irgendwann würde er aufwachen, und dann würde die Statthalterin von Pavonis ihm gegenüber keine Gnade walten lassen. Später hatten sich Ario Barzano, Jenna Sharben, Mykola Shonai, Sergeant Learchus, Almerz Chanda und Leland Corteo in den Gemächern der Statthalterin versammelt. Auf dem Tisch dampfte eine große Kanne mit Kaffein. Barzano goss jedem außer Learchus eine Tasse ein, der höflich ablehnte. Mit Ausnahme von Mykola Shonai, die sich mit aufgestauter Energie in dem Raum zu schaffen machte, sahen alle abgespannt und müde aus. Die Statthalterin blieb vor der Büste des alten Forlanus stehen, lächelte und tätschelte die steinerne Schulter. Corteo fand, dass es das Lächeln des Jägers war. Shonai kehrte an den Tisch zurück, trank einen Schluck aus ihrer Tasse und beugte sich mit verschränkten Händen vor. »Also zur Sache, Leute. Wir haben einen unserer Feinde geschnappt. Was wissen wir über ihn?« Jenna Sharben legte einen Segeltuchbeutel auf den Schreibtisch und schüttete den Inhalt aus. Silberne Hundemarken und verschiedene Habseligkeiten persönlicher Art fielen heraus: ein Feuerzeug, ein kleines Taschenmesser und anderer soldatischer Schnickschnack. »Eine der Leichen, die wir aus dem Haus geborgen haben, anscheinend ein Funker, hatte das bei sich. Wir glauben, dass er in dem Haus geblieben ist, während die anderen ihren Auftrag ausgeführt haben, und dann bei ihrer Rückkehr die Ornithopter gerufen hat. Ich nehme an, sie haben nicht damit gerechnet, dass ihre Fluchthelfer das Feuer auf sie eröffnen könnten.« »Wissen wir, wessen Ornithopter das waren oder wohin sie geflogen sind?«, fragte Shonai. »Ich fürchte, nein«, sagte Almerz Chanda. »In der fraglichen Zeit waren unsere Luftüberwachungssysteme zwecks planmäßiger Wartung außer Betrieb.« »Also wissen wir nicht, wohin die Ornithopter geflogen sind«, wetterte Shonai, »aber ich nehme an, diese Hundemarken verraten uns, wer die Männer waren, die in die Menge geschossen haben?« Jenna Sharben antwortete. »Ja, es sieht so aus, als wären alle Berufssoldaten bei der Planetaren Wehrmacht. Der höchste
Dienstgrad war ein Hauptmann, und ich wette, das ist der Gefangene, den wir unten haben.« »Hat er einen Namen?«, fragte Barzano. Sharben nickte dem Adepten zu. »Wenn er der Hauptmann ist, heißt er Amel Vedden und ist Offizier in der Kharon-Kaserne.« »Das ist eines der Regimenter, das von Taloun finanziert wird«, stellte Chanda fest. »Gibt es eine Akte über ihn?«, fragte Barzano. »Nein, sie wurde gelöscht. Und das erst kürzlich.« Barzano wandte sich an Shonai. »Wer könnte einfach so eine Militärakte löschen? Nur der kommandierende Offizier eines Regiments hat die Möglichkeit dazu.« Shonai begriff rasch die Implikationen von Barzanos Schlussfolgerung. »Also steht jetzt die Loyalität eines ganzen Regiments der Planetaren Wehrmacht infrage?« Sie fluchte. »Das sind fast fünftausend Mann.« Statthalterin Shonai dachte schweigend über die Situation nach, bevor sie eine Entscheidung traf. »Also gut, ich genehmige die Mobilisierung von mehr Regimentern, um ihre Basis abzuriegeln, bis wir sicher sind, wem ihre Loyalität gehört.« »Wie lange wird das dauern?«, fragte Barzano mit Blick auf Leland Corteo. Der alte Mann seufzte schwer und zog an seiner Pfeife. »Das ist schwer zu sagen. Die letzte Mobilmachung der PWM liegt Jahrzehnte zurück.« »Ja, aber wie lange wird es dauern?«, hakte Barzano nach. »Vielleicht zwei oder drei Tage. Das heißt, wenn genug Soldaten auf den Einberufungsbescheid reagieren. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass die meisten von ihnen heute auf dem Befreiungsplatz waren.« »Die Vae Victus und Hauptmann Ventris kehren in weniger als drei Tagen zurück«, fügte Sergeant Learchus hinzu. »Dann steht Ihnen eine Kompanie Ultramarines zur Verfügung, Statthalterin Shonai.« »Vielen Dank, Sergeant. Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Hilfe der Ultramarines. Sie gereichen Ihrem Orden zur Ehre.« Learchus neigte den Kopf. »Wir dienen dem Imperator.« Shonai nippte an ihrem Kaffein. »Was haben wir sonst noch?
Wissen wir schon, wem dieses Stadthaus gehört?« »Das wissen wir tatsächlich«, flötete Almerz Chanda mit großer Freude. Er legte einen Stapel Papiere, Kaufurkunden und Stadtakten auf den Tisch. »Es ist ein Sommerhaus, das Taryn Honan gehört.« »Honan?«, rief Corteo, der sich fast an seinem Pfeifenrauch verschluckte. »Das glaube ich nicht! Dieser fette Schwachkopf? Im Leben nicht!« »Hier steht es schwarz auf weiß«, sagte Chanda mit Verweis auf die Akten. »Die haben nichts zu bedeuten«, warf Barzano ein. »Das Unternehmen war sorgfältig geplant. Die Drahtzieher hatten nie die Absicht, die Soldaten nach getaner Tat abzuholen. Würde Honan dahinterstecken, wäre er wohl kaum so dumm gewesen, den Angriff von einem seiner eigenen Häuser zu starten. Obwohl es nicht schaden kann, ihn herzubringen, damit er ein paar Fragen beantwortet.« »Wo stehen wir dann also?«, fragte Jenna Sharben. »Wir stehen«, fuhr Barzano fort, »vor einem Haufen Arbeit.« Kasimir de Valtos stach seine Gabel in ein saftiges Fleischschnitzel und zwang sich trotz des sauren Gallegeschmacks in der Kehle zu schlucken. Das Fleisch schmeckte nach ranzigen Maden, und er spülte es mit einem Schluck Wein aus einem Kristallglas herunter. Man hatte ihn zuverlässig darüber informiert, dass dieser besondere Jahrgang zu den gefragtesten in diesem Sektor gehörte, aber für ihn war er ebenso geschmacklos wie Essig. Noch ein Vermächtnis seiner Tortur. Doch das würde bald der Vergangenheit angehören. Lasko hatte ihn darüber in Kenntnis gesetzt, dass seine Männer bald in die letzte Kammer eindringen würden, und es hatte seiner gesamten, nicht unbeträchtlichen Willenskraft bedurft, nicht davonzueilen und selbst nachzusehen. Er spürte, wie seine Finger, welche die Gabel hielten, krampfhaft zu zucken anfingen, und verbarg sie unter dem Tisch vor den Blicken. Sein Gast sagte etwas Triviales und Banales. Er lächelte höflich und gab etwas gleichermaßen Bedeutungsloses als Antwort von sich. Er konnte die Worte nicht hören. In seinen Ohren rauschte es, und in seinem Mund bildete sich eine heiße Trockenheit. Er
trank noch einen Schluck Wein. Unter dem Tisch schlug seine Faust einen Rhythmus auf seinem Oberschenkel, wobei die Gabel so tief durch die Hose ins Fleisch stach, dass Blut floss. Er spürte es nicht und bemerkte das Blut erst, als er die Gabel wieder zum Teller hob. Beim Anblick der klebrig-roten Flüssigkeit stockte ihm der Atem, Und seine Zunge zuckte vor, um die roten Tropfen aufzufangen, die ihm von der Hand rannen. Sein Gast sagte etwas anderes, aber die Worte rauschten an ihm vorbei, als er das Blut schmeckte. Er konnte die Schmerzen in seinem Bein nicht empfinden. Er konnte überhaupt keine Schmerzen empfinden. De Valtos spürte, wie sein Blick von der Decke des Speisezimmers angezogen wurde, als er sich die schwarze Ledertasche unter seinem Bett vorstellte, doch er zwang sich wegzuschauen. Es war noch zu früh. Es war immer viel besser, wenn er es hinauszögerte. Er verdrängte alle Gedanken an Klingen, Sägen, Zangen und Haken und versuchte sich auf seinen Gast zu konzentrieren. Doch es war unmöglich, dem hirnlosen Geplapper zu folgen, das von den geschminkten Lippen perlte. Schweiß rann ihm übers Gesicht, als er sich zwang, den nächsten Fleischbrocken zu schlucken. Er glaubte nicht, noch viel länger warten zu können, es zu töten. Ihm ging auf, dass er von seinem Gast nicht mehr als Mensch dachte, und das war ein schlechtes Zeichen. Der Hunger wuchs in ihm, und er stellte es sich nackt vor. Es war nur Fleisch, Fleisch, das zerschnitten werden konnte in einem kathartischen Auslöser für die Schmerzen, die er nicht mehr empfinden konnte. Um diese Schmerzen wieder zu spüren, würde er dem Körper vor sich Schmerzen und Elend bereiten, und seine Schmerzen würden ein Echo der Schreie sein. Blut lief sein Kinn herunter, und ihm ging auf, dass er sich fest auf die Lippen gebissen hatte. Er wischte sich das Kinn ab, während sein Gast seinen Stuhl zurückschob und mit vorgetäuschter Besorgnis auf seinem Kalbsgesicht auf ihn zukam. Es legte ihm die Hand auf die Schulter, und er zuckte voller Entsetzen ob seiner Berührung zurück. »Geht es Ihnen gut, Kasimir? Sie sehen schrecklich blass aus«, sagte Solana Vergen.
Kasimir de Valtos schluckte und hielt seinen Abscheu und seine Wut mühsam im Zaum. »Ja«, brachte er heraus, während er an die schwarze Tasche dachte. »Es wird schon wieder.«
12. Kapitel Es war unglaublich, überlegte Bergwerksleiter Jakob Lasko. Wie viel Saft sie diesem verfluchten Schneider auch gaben, er kam nie höher als halbe Kraft. Sie verbrauchten fünf oder sechs Generatoren pro Tag, und obwohl die Auswirkungen auf die Kosten an ihm nagten, war ihm klar, dass ihm keine andere Wahl blieb, als jeden einzelnen im Fall des Versagens sofort zu ersetzen. Sie mussten diese letzte Barriere schnell durchbrechen. Die Kammer pulsierte im Jaulen des Schneiders, und er war dankbar für die Ohrenschützer, die er trug. Sie machten nicht nur das Kreischen des Schneiders erträglich, sondern brachten auch den komischen Lärm zum Verstummen, den er in letzter Zeit hörte. In seinen fantasievolleren Momenten - von denen es nicht viele gab - hätte er geschworen, plappernde Stimmen in diesem Lärm unterscheiden zu können, die einander raffiniert überlappten. Verdammt, er war schon viel zu lange an diesem bizarren Ort! Er ließ seinen professionellen Blick in der Kammer umherwandern. Sie war absolut quadratisch, ihre Proportionen bis zum letzten Mikron perfekt, hatten ihm jedenfalls seine Kartografen gesagt. Die Wände waren mit einer engen, eckigen Schrift bedeckt, die in dreieckigen Gruppen in die glatten Wände gemeißelt war. Was sie besagte oder zu bedeuten hatte, war ihm ein Rätsel. Die einzigen Unterbrechungen in der Schrift waren vier nichts sagende Nischen, zwei in der Ostwand, zwei in der Westwand. Jede enthielt eine riesige, gut proportionierte Alabastergestalt, die einen seltsamen Kupferstab umklammert hielt, der von einer grünen Patina bedeckt war. Was sie waren oder darstellen sollten, war ihm ebenfalls ein Rätsel, dessen Lösung er anderen überließ. Jakob Lasko interessierte sich nur dafür, die Tür am anderen Ende der Kammer zu öffnen. Bis jetzt hatte die glatte schwarze Platte Diamantbohrern und Sprengladungen widerstanden. Nur der Laserschneider konnte
etwas ausrichten, und damit kamen sie quälend langsam voran. Zwei Techpriester beteten und schwangen Räucherfässchen über dem Schneider. Hinzu kamen sechs Bergarbeiter mit Spitzhacke und Schaufel, die aussahen, als wären sie überall lieber als hier. In letzter Zeit war es so schlimm geworden, dass keiner der Männer noch bereit war, allein irgendwohin zu gehen. Er konnte es ihnen nicht verdenken. Angesichts der Finsternis und der Spukgeschichten, die in den letzten Jahren über diesen Ort in Umlauf geraten waren, hätte jeder Bedenken gehabt. Aber das war keine Entschuldigung für die Arbeiterfluktuation, die er hier erlebte. Die Bezahlung war viel besser als andernorts, wenn sich also jemand verpflichtete, konnte man auch erwarten, dass er vernünftige Arbeit leistete. Sicher, im Laufe der Jahre waren ein paar Männer verschwunden, erst kürzlich dieser verdammte Narr Dal Kolurst. Der dämliche Idiot war vermutlich im Dunkeln in einen Schacht gestürzt. Diese Techpriester kannten sich vielleicht mit Maschinen aus, aber von richtiger Arbeit hatten sie keine Ahnung. Bis jetzt war Kolursts Leiche nicht gefunden worden, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand über seinen zerschmetterten Leichnam stolperte. Er sah auf, als die Lichter wieder flackerten, und warf einen wütenden Blick auf die skandierenden Priester. Das Licht war ohnehin schon schlecht genug hier drinnen, auch ohne totale Finsternis. Die diamantglatten Augen der Statuen in den Nischen funkelten im flackernden Lichtschein, und Lasko schauderte unwillkürlich. Ja, entschied er, die Bezahlung war gut, aber er müsste lügen, wenn er behauptete, er wäre nicht verdammt froh, wenn diese Arbeit vorbei war und er wieder richtigen Bergbau betreiben konnte. Diese Archäologie wurde vielleicht besser bezahlt, aber seiner Arbeiterseele kam es nicht richtig vor, so viel Geld in etwas zu stecken, ohne etwas Greifbares dafür zu sehen. Was hatten sie bisher aus dieser Stätte herausgeholt? Nichts, abgesehen von ein paar skelettdünnen Figuren aus irgendeinem verdrehten grünlichen Metall. Die Techpriester waren ihretwegen ganz aufgeregt gewesen, aber keiner von ihnen hatte ihm sagen können, was sie darstellten oder was das für ein Metall war. Großartige Experten waren
das. Nun, ein Blick auf die Arbeit an der Tür verriet ihm, dass der Schneider vielleicht einen Meter geschafft hatte. Den Techpriestern zufolge konnte nicht mehr viel übrig sein, aber Lasko würde warten, bis sie durch waren, bevor er den fünfzig Jahre alten Uskavar öffnete. So reich der große Meister auch war, Lasko glaubte nicht, dass er noch allzu viele Generatoren und Schneider ausspucken würde. Dieses Unternehmen musste ohnehin bereits ein Vermögen gekostet haben. Die Lichter flackerten abermals, und ein paar lange Sekunden versank alles in Dunkelheit, bis die Lichtkugeln mit einem matten Summen wieder etwas Helligkeit spendeten. Laskos Erleichterung war größer, als er sich eingestehen wollte, und er leckte sich die trockenen Lippen. Was in aller Welt konnte so Wichtiges hinter dieser Tür sein? Er hoffte nur, er würde es bald herausfinden.
13. Kapitel Taryn Honan betrat das Vestibül von Kasimir de Valtos' Heim und warf einen Blick durch die offene Tür, die ins Esszimmer führte. An einem Ende des Tisches lag überall zerbrochenes Geschirr und erlesenes Kristallglas auf dem Boden. Was für ein Jammer, so kunstfertige Arbeit so achtlos zerstört zu sehen. Er riss sich vom Anblick des Speisezimmers los, als ihm auffiel, dass ein Damenmantel an einem Haken neben der Hingangstür hing. Er leckte sich die geschminkten Lippen, hob den Saum des Kleidungsstücks vor sein Gesicht und atmete den süßlichen Duft ein. Ah ja, er identifizierte dieses Parfüm als dasjenige der reizenden Solana. War sie ebenfalls hier?, fragte er sich. Seltsam, bei seiner Ankunft hatte er ihre Kutsche gar nicht gesehen. Ein Hüsteln auf der Treppe ließ ihn den Mantel loslassen und herumfahren, wobei er vor schuldbewusster Überraschung errötete. Kasimir de Valtos und Vendare Taloun standen auf dem Treppenabsatz und beobachteten ihn. Honan schlurfte in die Mitte des Vestibüls und räusperte sich, während die beiden Kartell-Führer zu ihm herunterkamen. Ihm fiel auf, dass Kasimir ein wenig erhitzt und für seine Verhältnisse gut aussah, während Vendare
kreidebleich war, als habe er soeben einen gewaltigen Schock erlitten. »Was machen Sie hier?«, wollte Kasimir wissen, und die Feindseligkeit in seiner Stimme ließ Taryn zusammenzucken. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen nicht herkommen, wissen Sie noch?« »J-j-ja«, stammelte Taryn, »aber ich muss Sie sprechen. Die Statthalterin hat mich heute Morgen in den Palast bestellt. Die Fragen, die man mir gestellt hat! Ich meine, es hat die Grenzen des Erlaubten ziemlich gesprengt. Alles Mögliche. Sie...« »Taryn, beruhigen Sie sich erst mal«, befahl Kasimir, indem er einen Arm um Taryns ausladende Schulter legte. »Kommen Sie, setzen wir uns in den Salon vors Feuer, und reden wir darüber wie zivilisierte Menschen, ja?« Taryn nickte dankbar und ließ sich durch die Tür gegenüber vom Speisezimmer führen. Wie versprochen, brannte ein großes Feuer, und Taryn setzte sich auf einen hochlehnigen Ledersessel, während de Valtos drei großzügig bemessene Gläser mit Uskavar aus einer Flasche von einem beachtlichen Getränkewagen füllte. Taloun ging rasch zu Kasimir und kippte seinen Uskavar in einem Zug. Die beiden Kartell-Führer wechselten ein paar eilig geflüsterte Worte, dann setzte Kasimir sich Taryn gegenüber und reichte ihm ein Kristallglas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Vendare blieb am Getränkewagen stehen und goss sich noch ein Glas ein. »Also, Taryn. Was wollten Sie sagen?« Bevor er begann, trank er einen Schluck, um sich zu beruhigen. »Ja, es ist eine schlimme Sache, wenn ein einflussreicher Kartell-Führer wie ich von einem Mitglied des Administratums wie ein gewöhnlicher Verbrecher behandelt wird. Dieser neue Adept, Barzano, hat mir alle möglichen Fragen über mein Stadthaus gestellt. Sie wissen schon, das, welches ich Ihnen für eine Weile vermietet habe.« Kasimir nickte, während er auf seiner Unterlippe kaute, und Taryn fiel auf, dass ihm die Hitze des Feuers zu schaffen zu machen schien, denn auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Kasimir?«, fragte Taryn. »Keineswegs«, schnaubte Vendare, während er sich nachschenkte. Kasimir warf ihm einen giftigen Blick zu, nickte und sagte:
»Fahren Sie bitte fort, Taryn. Machen Sie sich wegen Harzano keine Sorgen, er wird nicht mehr lange ein Problem sein. Aber was wollte er wissen?« »Nun ja, er hat behauptet, die Kirche der Alten Sitten hatte von meinem Stadthaus aus wieder einen ihrer verabscheuungswürdigen Angriffe gestartet. Können Sie sich das vorstellen? Von meinem Haus? Lächerlich, nicht wahr?« »Eigentlich nicht, Taryn«, krähte Kasimir mit einem Anflug von Hysterie in seinem humorlosen Lachen. »Sehen Sie, es stimmt nämlich. Alles. Sie sind nur zu dumm, um es zu begreifen.« Taryn öffnete den Mund, um zu protestieren, doch Kasimir ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Sie haben keine Ahnung, was auf diesem Planeten vorgeht, nicht wahr? Die Ereignisse schreiten auf eine Art voran, die von mir bestimmt wird. Von mir! Ich habe zu viel investiert und zu viel verloren, um mir von einer kugelförmigen Platzverschwendung wie Ihnen alles verderben zu lassen, Taryn.« Dieser ungerechtfertigte Angriff trieb Taryn Honan Tränen in die Augen. »Ach, kommen Sie, Kasimir, es gibt keinen Grund, so etwas zu sagen, oder? Schließlich sind wir doch Freunde. Oder nicht?« »Freunde?«, spottete Kasimir de Valtos. »Nein, Taryn, wir sind keine Freunde. Sie sind nur ein jämmerliches Stück Dreck, in das ich auf meinem Weg zur Unsterblichkeit getreten bin. Und jetzt wird es Zeit, Sie loszuwerden.« Taryn hörte, wie sich hinter ihm eine Tür öffnete. Kasimir hob den Blick, um den Neuankömmling anzulächeln, aber in seiner Miene lag keine Wärme. Taryn wandte sich Hilfe suchend Vendare Taloun zu. Sein lieber Freund Vendare würde gewiss nicht zulassen, dass Kasimir in diesem Ton mit ihm redete, oder? Aber Vendare Taloun starrte offenen Mundes und voller Entsetzen auf die Person, die soeben den Raum betreten hatte. Taryn hörte leise Schritte hinter seinem Sessel, und eine blasse, zierlich geäderte Hand legte sich auf seine Schulter. Die Nägel der langen dünnen Finger waren spitz und schwarz angemalt. Von der Hand ging ein starker Geruch nach Desinfektionsmitteln aus. Taryn schluckte voller Angst. »Kasimir? Was geht hier vor?«, winselte er. Er drehte sich schwerfällig auf seinem Sessel und sah eine hoch
gewachsene, schlanke Gestalt in einem schlichten roten Kittel und einer Chirurgenmaske vor dem Gesicht. Nur die Augen waren über der Maske zu sehen, und die hatten eine dunkelviolette Farbe. Die andere Hand der Gestalt glitt in seinen Nacken und zog die Haut straff, und trotz seiner Angst spürte Taryn, wie ihm die zarte Berührung eine Gänsehaut verursachte. Kasimir de Valtos lehnte sich zurück und nippte an seinem Uskavar. Taryn wollte etwas sagen, als er einen scharfen Einstich im Hals spürte, da eine riesige Nadel in seinen Nacken stach. Er zuckte zusammen, doch der Schmerz verschwand sofort und wich einem warmen Gefühl des Schwebens, das seinen ganzen Körper erfasste. Seine Augenlider fühlten sich plötzlich lächerlich schwer an und fielen herab. Kasimir sagte etwas, und er musste sich konzentrieren, um die Worte mitzubekommen. »Taryn, das ist mein Chirurg. Ich finde, Sie beide sollten einander besser kennen lernen, Sie nicht auch?« Taryn Honan lächelte und nickte verträumt, während das schnell wirkende Schlafmittel sich in seinem Körper ausbreitete. Das Glas mit Uskavar entglitt seinen Fingern und zerschellte auf dem Boden. Barzano verließ den Verhörraum, wo Ortega und Sharben die junge Frau befragten, die Learchus vor den mordenden Liktoren gerettet hatte. Statthalterin Shonai, Almerz Chanda und Leland Corteo standen am Fenster zum Verhörraum und beobachteten die Liktoren bei der Arbeit. Shonais Gesicht war granithart, aber Chanda und Corteo schauten entschieden unbehaglich drein ob der Gewalt vor ihren Augen. »Weiß sie irgendwas?«, fragte Shonai. »Ich glaube nicht. Jedenfalls nichts Nützliches. Sie wird uns ein paar Namen nennen, die wir dann einkassieren können, aber sie ist ein zu kleiner Fisch, um etwas wirklich Bedeutsames zu wissen.« »Warum dann all diese... Unannehmlichkeiten?«, fragte Chanda mit einer Geste auf die verhärmte Gestalt jenseits der Glasscheibe. »Weil man nie weiß, unter welchem Stein man ein Teil des Mosaiks findet, mein lieber Almerz.« Chanda runzelte die Stirn über Barzanos übertriebene Vertrau-
lichkeit und schaute weg. »Sie war auf der Statue«, sagte Mykola Shonai. »Sie gehört zu den Rädelsführern. Sie muss irgendwas wissen.« »Wahrscheinlich«, räumte Barzano ein. »Sie gehört zum harten Kern der Militanten. Sie wird nicht leicht zu brechen sein.« »Tun Sie, was Sie tun müssen«, befahl Shonai. »Mir ist egal, wie, aber finden Sie heraus, wer dahintersteckt, damit ich die Verantwortlichen dafür büßen lassen kann.« »Oh, wir werden schon herausfinden, wer das getan hat, das garantiere ich«, versprach Barzano. »Ich glaube, dass einer Ihrer Rivalen sehr clever und sehr raffiniert war und Aktivistenzellen benutzt hat, um zu gewährleisten, dass wir mit einer einzigen Verhaftung nicht das ganze Netz aufrollen können. Ich weiß, wie diese Dinge funktionieren. Nichts wird schriftlich niedergelegt sein, es wird keine Aufzeichnungen geben, aber jeder in der Schleife weiß davon. Ich würde meinen, dass nach den anfänglichen Ereignissen die Demonstration ein Eigenleben angenommen hat und wenig Regie nötig war, um den Stein ins Rollen zu bringen.« Shonai nickte. »Es war nur ein Funke nötig, um das Feuer zu entzünden«, sagte sie. »Genau. Kundig gelegt von Hauptmann Vedden, verflucht sei seine Seele.« »Ist er schon wieder bei Bewusstsein? Können wir ihn vernehmen?« »Noch nicht, nein. Aber Ihr Arzt glaubt, dass es noch im Laufe des Tages möglich sein wird, obwohl er nicht sonderlich erbaut darüber ist, dass wir so bald mit ihm reden wollen.« »Zur Hölle mit ihm und seinen Sorgen. Ich will, dass dieses Schwein auseinander genommen wird. Wir sind nahe dran, Ario, das spüre ich.« »Begleiten Sie mich«, schlug er vor. »Ich könnte etwas zu trinken vertragen. Sonst noch jemand?« Shonai sah Barzano durchdringend an, aber ihre grimmige Miene wurde weicher und sie nickte. »Ja, warum nicht?« Corteo gluckste. »Tja, ich habe schon immer gesagt, dass es Pech bringt, einen Mann allein trinken zu lassen, also schließe ich mich an.« »Almerz?«, fragte die Statthalterin.
Der oberste Ratgeber der Statthalterin schüttelte den Kopf. »Vielen Dank für die Einladung, Statthalterin, aber ich bleibe hier für den Fall, dass die Liktoren etwas Bedeutsames in Erfahrung bringen, das Ihnen umgehend zur Kenntnis gebracht werden sollte.« Bevor sie sich umdrehte, um Barzano und Corteo zu begleiten, legte Statthalterin Shonai Gianda mit einem müden Lächeln eine Hand auf die Schulter. »Sie sind ein guter Mann, Almerz. Danke.« Almerz Chanda verbeugte sich und konzentrierte sich wieder auf die Vernehmung der jungen Frau. »Sie haben also Erfahrung in diesen Dingen, Adept Barzano?«, fragte Leland Corteo, während er seine Pfeife stopfte. Barzano saß mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Bett und nickte, um dann an seinem Uskavar zu nippen. Gleich nach Betreten seiner Gemächer hatte sie alle eine zwanglose Stimmung überkommen. »Ja, Herr Corteo, das habe ich. Ich war schon an vielen Orten und hatte mit vielen Leuten zu tun, die glaubten, die Gesetze des Imperators hätten für sie keine Gültigkeit.« »Und Sie haben ihnen gezeigt, dass sie die doch hatten?«, warf Mykola Shonai ein. »Das habe ich tatsächlich«, lächelte Barzano. »Und was werden Sie hier machen, wenn Sie erst einmal haben, was Sie wollen?« Die Frage war beiläufig gestellt, aber Barzano spürte die Ernsthaftigkeit hinter den Worten. Er erwog kurz, sie zu belügen, fand aber, dass sie verdient hatte, die Wahrheit zu erfahren. »Aller Wahrscheinlichkeit nach wird man Ihnen die Herrschaft über diese Welt entziehen. Versagen bei der Führung einer Welt des Imperators ist ein Verbrechen, und Ihre Regierung hier kann kaum als Erfolg bezeichnet werden, oder?« Corteos Gesicht rötete sich vor Zorn über Barzanos direkte Antwort, und er knallte sein Glas auf den Tisch des Adepten. »Jetzt hören Sie mal zu, verdammt! Sie mögen ja ein toller Feuerwehrmann von Terra sein, aber Sie haben kein Recht, so mit einem Imperiumsstatthalter zu reden.« »Nein, Leland, er hat jedes Recht«, flüsterte Shonai. »Schließlich ist ja richtig, was er sagt. Ich habe versagt, ich habe zugelassen, dass die Dinge aus dem Ruder laufen, und die Vorgänge viel
zu lange zu verbergen versucht. Vielleicht haben wir die Ablösung verdient.« Barzano beugte sich vor, stellte sein Glas neben sich ab und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Vielleicht haben Sie das, aber ich habe noch keine Entscheidung getroffen. Denn wen sollte ich an Ihrer Stelle einsetzen? Ballion Varle? Vendare Taloun? Taryn Honan? Ich glaube kaum, meine liebe Statthalterin. Nein, lassen wir das Gerede über Entlassungen für den Augenblick und konzentrieren uns auf das tatsächliche Problem.« »Und das wäre?«, schnauzte Corteo, der immer noch wütend über Barzanos Grobheit war. »Ich halte es für möglich, dass Personen auf diesem Planeten mit den Eldar zusammenarbeiten und deren Piratenüberfälle ausnutzen, um andere Aktivitäten zu tarnen, während sie gleichzeitig Zwietracht auf Pavonis säen, um die Aufmerksamkeit von ihren eigentlichen Zielen abzulenken«, erläuterte Barzano, indem er sich mit dem Rücken an die Wand lehnte. Sowohl die Statthalterin als auch Corteo waren sprachlos. Die Vorstellung, dass die Schwierigkeiten ihres Planeten absichtlich herbeigeführt worden sein mochten, war entsetzlich, und keiner wusste, wie er darauf reagieren sollte. »Ich glaube nicht, dass die Ereignisse, die hier stattgefunden haben, ohne einen lenkenden Einfluss möglich gewesen wären. Es gibt zu viele Zufälle, und ich glaube nicht an Zufälle.« »Aber wer?«, brachte Shonai schließlich heraus. Barzano zuckte die Achseln. »Das weiß ich noch nicht. Ich hoffe aber, dass wir das bald herausfinden können, denn ich fürchte, dass die Ereignisse sich einer kritischen Masse nähern.« »Und was soll das nun wieder heißen?« »Es soll heißen, meine liebe Statthalterin, dass die Dinge kurz vor der Explosion stehen.« In einem abgelegenen Korridor des imperialen Palasts schwebte ein flimmernder Lichtpunkt in der Luft und schwankte umher wie ein winziger Ballon in einem leichten Aufwind. Langsam dehnte sich der Lichtpunkt aus und wirbelte in einer trägen Spirale mit violettem Leuchten umher. Das Gefüge des Raums schien sich zu dehnen wie ein Gemälde mit einem unsichtbaren Gewicht in der Mitte, da es beharrlich zu dem Lichtschein gezogen wurde. Die Leuchtkörper an der Decke implodierten, als ein leises
Stöhnen aus dem Licht drang, ein gurgelnder, zirpender Laut, der nach obszönen Gelüsten und ewigem Hunger stank. Vier Punkte aus Dunkelheit formten sich langsam in dem Licht, drehten sich und schwollen in seinem Herzen an wie flüssige Krebsgeschwüre. Die flüssigen Gebilde folgten der Spirale des gewundenen Scheins schmutzigen Lichts, und ihre gallertartigen Formen gerannen allmählich zu festerer Materie und lösten sich aus der leuchtenden Masse. In membranartige Fruchtblasen gehüllt, zwängten die sich rasch verfestigenden Formen sich durch das Licht und zerrten und zirpten dabei mit dem Schmerz ihrer finsteren Geburt die Luft aus der Fasson. Mit einem gequälten Kreischen riss das Gefüge der Wirklichkeit, und die vier rot-violetten Formen fielen auf den Steinboden, während sich ihre leuchtende Gebärmutter in sich zusammenrollte, mit unglaublicher Geschwindigkeit verschwand und den Korridor wieder ins Halbdunkel tauchte. Die vier gleißenden Formen lagen nur ein paar Sekunden zitternd da, bis sie lange, bewegliche Beine entwickelten, Giftstacheln, mit Muskeln bepackte Arme und zahnbewehrte Mäuler. Sie streiften ihre tropfenden Fruchtblasen ab und witterten wie ein Wesen, da ihre Existenz dem einen Befehl untergeordnet war, den ihre Gebieterin ihnen eingepflanzt hatte. Das Wild zu töten. Die Schützen Korner und Tarnin schlichen mit ausgestreckten Laserpistolen durch den dunklen Korridor. Hier unten war irgendwas, das war sicher. Korner hatte einige verdammt merkwürdige Geräusche gehört und der Wachstation über Kommnetz mitgeteilt, dass sie der Sache nachgehen würden. Tarnin übernahm die Führung. Er nahm die zerbrochenen Leuchtkörper zur Kenntnis und hörte Glas unter seinen Stiefeln knirschen. Voraus war ein gleitendes, tropfendes Geräusch zu hören. Ohne sich umzudrehen, zischte er, »Korner, gib mir deine Lampe«, und griff hinter sich, um die Taschenlampe in Empfang zu nehmen. Er schaltete sie ein und hielt sie vor sich, sodass sie in den Korridor leuchtete. Eigentlich sah er das Wesen gar nicht, das ihn tötete.
Eine fließende Gestalt sprang aus der Dunkelheit und schlitzte ihm mit einem einzigen Hieb den Bauch auf. Zwanzig Zentimeter lange Krallen rissen ihn entzwei, und ein Biss der gewaltigen Kiefer zermalmte seinen Schädel. Korner erhaschte einen Blick auf brüllende Reißzähne und Krallen und auf spritzendes Blut und hörte, wie Tarnins grässlicher Schrei jäh abbrach. Er wandte sich zur Flucht. Etwas Schweres prallte gegen seinen Rücken und stieß ihn zu Boden. Seine Laserpistole flog davon. Glühend heißer Atem verbrannte seine Haut, und er spürte, wie sich Uniform und Fleisch unter den Pranken der Bestie auflösten. Korner öffnete den Mund, um zu schreien. Die vom Warpraum hervorgebrachte Bestie riss ihm in einer Springflut von Blut den Kopf ab und verschlang ihn mit einem einzigen Bissen. Sie vergrub ihre blutigen Fänge im Rücken des Soldaten, verschlang große Fleischbrocken und knackte seine Knochen, da sie zu fressen begann. Eine zweite Bestie schnappte mit ihrem tödlichen Maul, und ein drohendes Knurren drang aus ihrer breiten Brust. Dergestalt eingeschüchtert, ließ der Bluthund von seinem Mahl ab und folgte dem Anführer. Augenblicke später watschelten die vier Bestien unbeirrt durch die Palastkorridore. Das Wild war nah. Barzanos Kopf ruckte hoch. Er erhob sich mit flüssiger Eleganz von warf eilig einen Blick auf Statthalterin Shonai. Seine Züge verrieten ganz eindeutig Besorgnis. Er lief zur Tür seiner Gemächer, riss sie auf und trat in den Korridor. Die beiden Ultramarine-Wachen nahmen beim Erscheinen des Adepten Haltung an und präsentierten dabei das Boltgewehr quer vor dem Brustharnisch. Bruder Cleander drehte sich zu dem Adepten um. »Bruder Barzano, stimmt etwas nicht?« Barzano nickte eifrig. »O ja, ich glaube, dass etwas ganz gewaltig nicht stimmt. Wo ist der Rest Ihres Trupps?« »An den Hauptzugangspunkten zu diesem Flügel des Palasts. Nichts kann sich nähern, ohne auf einen meiner Schlachtbrüder zu stoßen.« »Oder durch ihn«, murmelte Barzano. »Wie meinen?«
»Nichts. Bruder Cleander, Sie müssen alle Diensthabenden über Kommnetz rufen und ihnen sagen, dass etwas extrem Gefährliches in den Palast eingedrungen ist. Wir befinden uns alle in großer Gefahr.« Cleander bedeutete seinem Kameraden, den Wunsch des Adepten zu erfüllen, und lud sein Boltgewehr durch. »Was geht vor, Adept?« »Ich habe im Augenblick keine Zeit, Ihnen das zu erklären. Sagen Sie den Wachen nur, sie sollen auf alles vorbereitet sein und auf alles schießen, was sie nicht kennen. Tun Sie es!« Bruder Cleanders Gesicht war hinter seinem Helm verborgen, aber Barzano spürte seinen Ärger darüber, von einem niederen Schreiber herumkommandiert zu werden. »Ihr Ton ist respektlos...«, begann er. »Zur Hölle mit meinem Ton, Cleander, tun Sie's einfach!«, schnauzte Barzano, und plötzlich ertönte das Krachen ganz in der Nähe abgefeuerter Boltgewehrschüsse. Weitere Schüsse folgten, dann hallte ein auf- und abschwellendes Geheul durch die Palastkorridore. »Zu spät«, sagte Barzano. Die drei Bestien rasten erschreckend schnell durch die Korridore und entfernten sich vom Geschrei ihrer Verfolger hinter ihnen. Der Kadaver der vierten Bestie lag hinter ihnen und löste sich auf den gerüsteten Leichen der beiden Ultramarines bereits in einen stinkenden Haufen schwarzen Schleims auf. Das Netz schloss sich um sie, aber sie verschwendeten keinen Gedanken an das eigene Überleben. Nur das Wild zählte. Barzano eilte zurück in seinen Raum und ging vor der langen Truhe am Fußende seines Bettes in die Knie. Er schob die Finger in das Geno-Schloss, während Shonai und Corteo aufsprangen. Sein Verhalten hatte beide in Panik versetzt, und das konnte er ihnen nicht verdenken. »Was ist los?«, wollte Shonai wissen. Der Deckel der Truhe glitt auf, und Barzano griff hinein und sagte: »Erinnern Sie sich noch an die brennende Lunte, die Sie vorhin erwähnt haben?« »Ja, natürlich.«
»Tja, sie erweist sich als viel kürzer, als wir gedacht haben. Unsere Feinde haben gerade den Einsatz erhöht. Hier«, sagte Barzano, indem er beiden eine Pistole zuwarf. »Sie wissen, wie man damit umgeht?« »Nicht wirklich, nein«, gestand Corteo. »Statthalterin?« »Nein. Ich habe noch nie eine Schusswaffe abgefeuert.« »Hölle und Verdammnis. Tja, man lernt nie aus.« Rasch zeigte er ihnen, wie man die Waffen durchlud und nachlud. »Wenn Sie schießen, zielen Sie etwas tiefer, weil sie einen Rückschlag haben und dann bocken wie ein Grox in der Brunft.« »Aber worauf sollen wir schießen?«, protestierte die Statthalterin. »Was geht hier eigentlich vor?« Barzano kehrte zur Truhe zurück und holte ein schlankes Schwert mit kunstvollen, in die Klinge geätzten Verzierungen heraus. Er erhob sich mit einer großen Pistole mit Wicklungen um die abgeplattete Mündung. Seine jovialgeschwätzige Art war einer tödlichen Ernsthaftigkeit gewichen. »Unsere Feinde haben Kreaturen aus den Tiefen der Hölle geschickt, um uns zu jagen, und sie werden erst ruhen, wenn sie uns getötet haben - oder wir sie.« Barzano drückte auf eine Rune im Schwertknauf, und Shonai und Corteo schraken zusammen, als die Waffe zum Leben erwachte und bernsteinfarbenes Feuer die Klinge in eine spiralförmige Energiewicklung hüllte. »Ein Energieschwert!«, rief Corteo überrascht. »Zu welcher Sorte Adept gehören Sie eigentlich?« Barzano grinste, aber es lag kein Humor darin. »Zur schlimmsten«, versicherte er Corteo. Bruder Cleander hörte Schüsse, das Krachen von Boltgewehren und das Zischen von Laserstrahlen durch die Korridore hallen, während die Gefahr dort draußen näher kam. Die Echos und gewundenen Gänge machten es unmöglich, zu sagen, aus welcher Richtung sich der Feind näherte, also deckte Cleander die eine Richtung ab und Bruder Dambren die andere. Cleander wünschte sich inbrünstig, den Jägern zu Hilfe zu eilen, aber er hatte nun einmal die Aufgabe und die Pflicht, die Gemächer des Adepten zu schützen. Cleander war ein Bewohner von Macragge und würde eher sterben als seinen Posten verlassen.
Der Knall von Bruder Dambrens Boltgewehr war das erste Anzeichen, dass die Feinde sie erreicht hatten. Cleander fuhr herum und sah drei monströse Kreaturen auf sie zurasen. Er feuerte ebenfalls, und die führende Bestie wurde im Hagel der massereaktiven Patronen von innen auseinander gerissen. Doch die Geschwindigkeit der Bestien war phänomenal, und die erste war kaum gestorben, als die verbliebenen beiden bereits voranpreschten. Cleander warf sich zu Boden, als eine Bestie ihn ansprang, wälzte sich herum und schoss, als sie über ihn hinwegflog. Seine Patronen verfehlten ihr Ziel und sprengten große Stücke Mauerwerk aus der Decke. Sein Blick fiel auf die zweite Bestie, die sich gerade in Dambrens Schulter verbiss und ihm den Arm dann in einer Springflut von Blut abriss. Er hatte keine Zeit, seinem Bruder zu helfen, denn die Bestie vor ihm griff erneut an. Cleander schoss, und eine einzelne Patrone traf die Bestie in den Bauch. Sie heulte vor Wut, raste aber weiter und prallte gegen Cleanders Brust. Die beiden rammten die Tür, zerschmetterten sie und stürzten gemeinsam in die Gemächer des Adepten. Shonai schrie auf, als die Tür nach innen explodierte und einer der Ultramarines in den Raum stürzte, während eine Bestie wie aus ihren schlimmsten Albträumen seinen Helm wie wahnsinnig mit den Pranken bearbeitete. Ihr länglicher Leib schillerte in einem widerlichen, rötlich violetten Licht, und ihr Rücken war mit Knochenstacheln besetzt. Der riesige Kopf war gehörnt, und Blut tropfte von den Reißzähnen. Jedes muskulöse Glied endete in bösartigen, mit Widerhaken versehenen Krallen, und die Augen waren pechschwarz, tot und empfindungslos. Barzano sprang vor und hieb mit seinem flammenden Schwert nach der Höllenbestie vor sich. Ihre Schnelligkeit war für eine so große Kreatur unglaublich, und der geschmeidige Kopf duckte sich unter der knisternden Klinge hinweg. Dann befreite die Bestie sich mit einem Satz von dem Space Marine und schlug mit einer Pranke zu. Sie verfehlte Barzano ganz knapp, riss aber ein Stück Holz aus dem schweren Schreibtisch. Cleander wälzte sich zu der Bestie und legte ihr seine starken Arme um den Hals. Sie schnappte nach dem Space Marine, und die geschwärzten Krallen durchdrangen mühelos den Brusthar-
nisch. Blut spritzte aus den Kratzern, und Cleander fauchte vor Schmerzen, denn seine Haut brannte unter der Berührung der Bestie. »Aus dem Weg!«, schrie Barzano, der mit seiner Plasmapistole zielte. Cleander ignorierte den Adepten und hielt die tobende Bestie fest, deren Fänge und Krallen seine Rüstung aufrissen, während er seinen Kampfruf erschallen ließ. Die zweite Bestie erschien in der Tür. Ihr Maul war blutverschmiert, und Barzano wechselte das Ziel. Das weißglühende Plasma traf die Bestie in der Flanke und schleuderte sie zurück. Eine widerliche Flüssigkeit sprudelte aus der Wunde, und sie sank zu Boden und ging in Zersetzung über. Cleander rang gegen die letzte Kreatur um sein Leben. Er versuchte vergeblich, die Krallen in Schach zu halten, wusste aber, dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte. Die Bestie war stärker als er. Der Hund rammte Cleander die Schnauze ins Gesicht, sodass sein Kopf nach hinten gestoßen wurde und auf den Boden krachte. Sein Helm barst bei dem Anprall, und Cleanders Griff lockerte sich eine Winzigkeit. Mehr an Blöße brauchte die Bestie nicht. Die Krallen hoben und senkten sich, durchdrangen Cleanders Brustharnisch und zerfetzten seinen Brustkorb. Corteo und Shonai schossen auf die verwundete Bestie, aber keiner von beiden hatte Übung mit Schusswaffen, und sie trafen nicht. Barzano schob sie aus dem Weg, als die Bestie, die Cleander getötet hatte, ihre Krallen aus seinem Leichnam riss und zu ihm herumfuhr. Ihre Bewegungen waren verlangsamt, aber sie war immer noch in der Lage, sie alle zu töten. Seine Plasmapistole summte, da sich die Energiezellen immer noch aufluden, und Barzano wusste, dass sie ihm jetzt noch nichts nützen würde. Die Bestie bäumte sich auf Beinen auf, deren Gelenke in die falsche Richtung zeigten, und sprang. Ario Barzano hechtete vorwärts und unter den tödlichen Krallen durch. Er wälzte sich auf die Knie und schwang sein Energieschwert in einem tiefen Bogen. Die energieverstärkte Klinge trennte der Bestie die Beine vom Körper, und sie fiel zu Boden und strampelte voller Wut mit den kauterisierten Stümpfen ihrer Oberschenkel. Barzano sprang auf und stellte sich neben Statthalterin Shonai
und Leland Corteo, während die Bestie unter Zuhilfenahme der Krallen ihrer Vorderpfoten zu ihnen robbte. Dabei löste sich ihre Substanz bereits in Rauchschwaden aus Dunkelheit auf. Nur der sich rasch zersetzende Rumpf und der Kopf waren noch übrig, als Barzano vortrat, seinen Griff um den Schwertknauf änderte und die Klinge nach unten und in den Kopf der Bestie stieß. Dann sank er neben ihren sich auflösenden Resten zu Boden und hob die Klinge auf, als Sergeant Learchus und der Rest seines Trupps eintrafen. Learchus sank neben Cleanders Leichnam auf die Knie und ballte vor Wut die Faust. Barzano ließ ihn mit seinem Kummer allein und ging zu Mykola Shonai und Leland Corteo, die beide kreidebleich waren. Er warf die Pistole auf das Bett, deaktivierte sein Schwert und legte es auf die durchhängenden Überreste des beschädigten Schreibtischs. »Sie haben die Bestie getötet«, keuchte Shonai. »Wie haben Sie das geschafft?« »Das zeige ich Ihnen wohl besser«, erwiderte Barzano, indem er das Gemälde von Forlanus Shonai beiseite schob, sodass der Wandtresor dahinter sichtbar wurde. Er tippte eine zehnstellige Zahl ein und öffnete die Tür. In Tresor befand sich ein Kasten, den er herausnahm und neben sich auf den Boden stellte. Barzano griff noch einmal in den Tresor und entnahm ihm einen kleineren Gegenstand, den er Shonai gab, die ihn mit einem Ausdruck der Furcht und der Überraschung nahm. Sie hielt einen rechteckigen saphirblauen Kristallklumpen in der Hand. Der Kristall war unbedeutend bis auf das Symbol, das er einschloss - ein grinsender Schädel, in den ein stilisiertes, großes »I« eingraviert war. Statthalterin Shonai schaute in das Gesicht eines Mannes, den sie nicht mehr kannte. »Ich bin Ario Barzano«, sagte er, »vom Heiligen Orden der Inquisition des Imperators.«
14. Kapitel Um genau 07:00 Uhr am Morgen nach der Demonstration des Arbeiterkollektivs auf dem Befreiungsplatz rollten Panzer aus der Kharon-Kaserne der Planetaren Wehrmacht durch die Tore ihrer
Basis und über Schnellstraße 236 nach Brandontor. Fünfundzwanzig Minuten später hatte die Kolonne der vierzig Panzer, Leman Russ Conquerors aus einheimischer Produktion mit dem Artilleriegranaten-Motiv des Taloun-Kartells, die Ausläufer der Stadt erreicht und rumpelten ihrem Zentrum und dem imperialen Palast entgegen. Die auf jedem Panzer montierten Lautsprecher plärrten eine sich ständig wiederholende Botschaft, dieses Manöver diene nur der Wahrung des Friedens und die Leute sollten nicht in Panik geraten. Die Bevölkerung von Brandontor riskierte eilige Blicke durch die Fenster, als die Panzerkolonne vorbeirumpelte, und fragte sich voller Furcht, was diese letzte Entwicklung wohl zu bedeuten haben mochte. Die Panzer passierten die Hauptwohnviertel und Manufakturzentren und hielten erst an, als sie die Marmormauern der Innenstadt erreichten. Im Laufe der nächsten Stunde rollten auch andere Panzerfahrzeuge aus jenen PWM-Kasernen, die von Kartellen unterhalten wurden, welche mit Taloun verbündet waren. Panzer mit dem Wappen des De-Valtos-Kartells wurden in ihrer Basis in Tarmegan mobilisiert, und Truppentransporter von sechs anderen, von Kartellen unterhaltenen Basen machten sich voll beladen auf den Weg nach Brandontor. Bis zum Mittag waren hundertneunzehn Panzer und über siebentausend Mann Infanterie vor den Stadtmauern zusammengezogen. Die Lautsprecher verstummten, und ein sich wiederholendes Signal überlagerte das Kommnetz und tat die Absicht der PWM kund, das zu tun, was die Statthalterin nicht konnte, nämlich den Frieden zu wahren. Aus Respekt vor ihrer Stellung würden jedoch nur dann Panzer in die Stadt eindringen, wenn sie dort benötigt würden. Nervöse Köpfe innerhalb der Stadtmauern dachten darüber nach, was das wohl zu bedeuten hatte. Trotz wiederholter Aufforderungen von Mykola Shonai zog sich keine der mobilisierten PWM-Einheiten zurück, und in jeder praktischen Hinsicht war Brandontor nun eine Stadt unter stillschweigender Belagerung. Als er durch die zerschmetterte Tür von Ario Barzanos Gemächern hinkte, sah Uriel schockiert, welche Verheerungen die Höllenbestien angerichtet hatten. Der Thunderhawk war vor weniger als einer Stunde gelandet, und seine Stimmung wurde noch erns-
ter, als er an Learchus' niedergeschlagene Miene dachte, während er Uriel über den Tod von Cleander und drei anderen Schlachtbrüdern in Kenntnis gesetzt hatte. Pasanius betrat den Raum hinter ihm, und beide Männer duckten sich, um sich nicht den Kopf am Türrahmen zu stoßen. Der massige Sergeant trug einen Stasenbehälter mit den metallenen Überresten von dem Hügel auf Caernus IV. Trotz der Bemühungen von Apotheker Selenus schmerzten die vom Anführer der Eldar und seiner widernatürlichen Schoßtiere verursachten Wunden immer noch bei jedem Schritt. Er würde es überleben, aber sein Herz hungerte nach Rache an dem Krieger mit dem toten Gesicht. Barzano stand mit dem Rücken zu Uriel und hatte die Hände auf einen alten Kasten gelegt, der auf einem gesplitterten und durchhängenden Schreibtisch stand. Er sprach leise mit Statthalterin Shonai und Leland Corteo. Lortuen Perjed saß auf der Bettkante, während Jenna Sharben und Sergeant Learchus reglos im hinteren Teil des Raums standen. Der Sergeant hatte Boltgewehr und Kettenschwert gezückt und hielt beide Waffen bereit. Barzano drehte sich beim Geräusch von Uriels Schritten um, und der Hauptmann der Vierten Kompanie war schockiert über die Veränderung des Mannes. Learchus hatte Uriel bereits über Barzanos wahre Identität aufgeklärt, und zuerst hatte er über die Vorstellung gelacht, der Adept sei in Wirklichkeit ein Inquisitor. Doch als er den Mann jetzt sah, konnte er die Tatsache ohne Schwierigkeiten akzeptieren. Barzano stand nicht mehr in der gebückten, ein wenig unterwürfigen Pose des typischen Adepten aus dem Administratum da. Mit einer weiten Tunika und kniehohen Stiefeln bekleidet, dazu Schwert und Pistole seitlich im Gürtel, war seine Haltung stolz und aufrecht. Er trat vor, ergriff Uriels Hand und legte ihm die andere auf den Ellbogen. In seinen Augen funkelte zielstrebige Entschlossenheit. »Hauptmann Ventris, meine Gebete gelten Ihren ehrenwerten Toten. Sie sind heldenhaft gestorben.« Uriel nickte bestätigend, während Mykola Shonai neben den Inquisitor trat. »Es ist schön, Sie wiederzusehen, Hauptmann«, sagte sie. »Auch meine Gebete gelten Ihren gefallenen Brüdern, und ich hoffe, dass bei der Verteidigung unseres Planeten nicht noch weitere fallen werden.«
»So der Imperator will«, erwiderte Uriel, indem er Pasanius zu sich winkte. Der Sergeant stellte den Stasenbehälter neben dem Kasten ab. »Was haben Sie mir mitgebracht, Uriel? Etwas aus dem EldarSchiff?« »Nein, es stammt von einer der Welten, die von den Piraten angegriffen wurden.« »Was ist es?«, fragte Barzano, während er das Stasensiegel deaktivierte und den Deckel hob. »Wir hatten gehofft, das könnten Sie uns sagen. Es stammt von einem Hügel, der fast vollständig aus Metall besteht. Der dortigen Bevölkerung und einem Überlebenden des Überfalls zufolge ist dieses Metall früher fast so geflossen wie eine Flüssigkeit, und ihre Schmiede haben daraus Pflüge und Klingen hergestellt. Obwohl dies schon seit Generationen üblich ist, hat das Metall angeblich jedes abgetrennte Stück irgendwie wieder regeneriert.« Barzano erbleichte sichtlich; er griff in den Behälter und entnahm ihm das Bruchstück des schwach leuchtenden Metalls. Seine Augen waren geweitet, während er mit den Fingerspitzen der eckigen Schrift folgte, die in das Metall geritzt war. Vor Uriels Augen nahmen die letzten leuchtenden Silberfäden im Kern des Metalls die rötliche Farbe von Rost an, und der Glanz verblasste völlig. Vorsichtig, geradezu ehrerbietig, legte Barzano das Metall auf den Schreibtisch und wandte sich an Uriel. »Sie sagten, es gab einen Überlebenden? Ich nehme an, er ist an Bord der Vae Victus und wartet auf Befehle?« »Nein. Er war tödlich verwundet. Auf meinen Befehl hat er von Kaplan Klausel die Finis Rerum bekommen, und dann haben wir ihn in seiner Heimat beerdigt.« Barzano rang mit seiner Empörung über diese beiläufige Vergeudung einer wertvollen Informationsquelle und nickte nur. »Nun gut«, brachte er schließlich mit einem Blick auf den Kasten heraus, auf dem seine Hand lag. »Und?«, hakte Uriel nach, indem er auf das tote Metall zeigte. »Was ist es?« Barzano richtete sich zu voller Größe auf. »Das, mein lieber Hauptmann, ist das Bruchstück eines über hundert Millionen Jahre alten Raumschiffswracks. Es ist außerdem der Grund, warum wir hier auf Pavonis sind.« »Einhundert Millionen Jahre«, sann Leland Corteo. »Das ist doch
unmöglich. Die Menschheit fliegt erst seit weniger als fünfzigtausend Jahren zu den Sternen.« »Ich habe nicht gesagt, dass es ein Schiff der Menschheit ist«, schnauzte Barzano. »Dies hat etwas mit den Problemen auf Pavonis zu tun?«, fragte Mykola Shonai. »Ich fürchte, ja. Wissen Sie noch, dass ich gesagt habe, ich glaube, dass ein tieferer Sinn hinter all den Problemen hier steckt? Das ist er. Irgendjemand auf diesem Planeten versucht herauszufinden, wo sich der Rest von diesem Schiff befindet.« »Was könnte dieser Jemand durch die Bergung zu erreichen hoffen?«, fragte Uriel. »Macht«, sagte Barzano lapidar. »In diesem Fall nennen Sie mir den Standort, wenn Sie ihn kennen, und die Vae Victus wird es vernichten.« »Ach, Uriel. Wenn es doch nur so einfach wäre. Es existiert nicht in dieser Wirklichkeit, wie wir sie verstehen. Es treibt durch die Zeit und wechselt dabei auf ewig zwischen dieser Welt und dem Immaterium. Würde es doch für alle Ewigkeit so bleiben.« »Warum fürchten Sie es so?« Barzano nahm die Hand von dem verschlossenen Kasten, legte seinen Daumen auf das Geno-Schloss und kauerte sich davor, sodass der Wächtergeist seine Identität bestätigen konnte. Schließlich gab er das dreizehnstellige Passwort ein und sprach den Öffnungsbefehl. Der Deckel schwang auf, und der Inquisitor entnahm ihm ein schweres eisenbeschlagenes Buch, das mit dreizehn kleinen goldenen Vorhängeschlössern gesichert war. Die Schlösser sahen zerbrechlich aus, aber jedes einzelne war mit hexagrammischen Sigillen von großer Macht verstärkt. Barzano berührte ein Schloss nach dem anderen und flüsterte dabei, als wolle er die Schlösser überreden, ihm Zugang zu den kostbaren Seiten zu gewähren. Sie öffneten sich eines nach dem anderen, und Barzano richtete sich wieder auf, als der quietschende Deckel des Buchs sich langsam und ohne die Hilfe einer menschlichen Hand öffnete. Uriel zischte, und die anderen wichen beunruhigt zurück. Barzano holte tief Luft und schloss die Augen, und Uriel spürte, wie ihn eine blecherne, elektrische Empfindung durchströmte. Das Buch hob sich, als kopiere es den Atemzug des Inquisitors, und Uriel spürte, wie seine Hand unwillkürlich nach seiner Pistole tastete.
Zauberei! Barzano streckte Uriel eine Hand entgegen und schüttelte den Kopf. »Nein, Hauptmann. Ich bitte den Geist in diesem Buch, uns einen Teil seines Wissens zu übermitteln.« »Den Geist in dem Buch?«, flüsterte Uriel. »Ja. Sie kennen die Redewendung, dass Wissen Macht ist, nicht? Haben Sie gedacht, das seien nur leere Worte? Wissen ist tatsächlich Macht, und Wissen hat Macht.« Als Uriel das Buch wie ein pochendes Herz pulsieren sah, murmelte er ein Schutzgebet. Plötzlich ging ihm auf, dass es nur eine Möglichkeit gab, wie Barzano, wie er es nannte, den Geist des Buches um etwas bitten konnte. »Sie sind ein Psioniker?« »Gewissermaßen«, räumte Barzano ein, dessen Stirn sich von der Anstrengung des Redens gerunzelt hatte. »Ich bin ein Empath. Ich kann starke Gefühle und Empfindungen spüren.« Das Buch schien plötzlich anzuschwellen, und die Seiten wurden umgeblättert wie von einem starken Wind, schneller, als das Auge folgen konnte. Abrupt kam das Buch zur Ruhe, seine gelblichen Seiten seufzten und bewegten sich nicht mehr. Barzano entspannte sich und öffnete die Augen, und Uriel sah Schweißperlen auf seiner Stirn. Ein dünner Blutfaden lief ihm aus der Nase, aber er wischte ihn weg und beugte sich über die Seiten, die das Buch für ihn aufgeschlagen hatte. Zögernd näherten sich Uriel, Pasanius, Shonai und Corteo dem Tisch. Zuerst konnte Uriel nicht verstehen, was er betrachtete. Die Seiten waren von einer verrückten Hand beschriftet worden, sodass sich hunderte von Wörtern überlappten und in Kreisen wanden oder einander unkenntlich machten. »Was ist das?«, fragte Shonai. »Das sind einige der Schriften des ketzerischen Tech-Abts Corteswain.« »Und wer war das?« »Corteswain hat zu den Adeptus Mechanicus gehört. Er ist auf der Suche nach alten archäologischen Fundstätten und StandardTechnologie-Konstrukten durch die Galaxis gereist. Gefunden hat er nur Wahnsinn.« Uriel wusste von der unablässigen Suche der Adeptus Mechani-
cus nach STK-Systemen, unschätzbar wertvollen Techno-Arkana. Jedes einzelne Beispiel imperialer Technologie war aus den wenigen kostbaren Fragmenten von STK-Systemen gewonnen worden, die sich im Besitz der Adeptus Mechanicus befanden. Schon das fadenscheinigste Gerücht von der Existenz eines STKs veranlasste ganze Flotten von Forschern und Entdeckern, sich auf die Suche nach diesen wertvollsten aller Schätze zu begeben. Barzano setzte seine Geschichte fort. »Corteswain war der einzige Überlebende einer Expedition zu einer toten Welt, deren Namen schon seit langem in Vergessenheit geraten ist, um STKArkana zu suchen. Etwas hat seine Expedition angegriffen, und er behauptete, er sei auf eine Welt jenseits dieser Galaxis gebracht worden, und zwar von einem Wesen mit unvorstellbarer Macht, das er als Gott bezeichnet hat.« »Als Gott?«, wisperte Shonai. »Ja, als Gott. Er behauptete, das wahre Gesicht des Omnissias, des Maschinengotts, gesehen zu haben. Es versteht sich ja wohl von selbst, dass ihn das bei einigen Fraktionen der Adeptus Mechanicus nicht sonderlich beliebt gemacht hat, die ihn der Blasphemie beschuldigten. Das hat zu einem Schisma in ihren Reihen geführt, das bis heute besteht, und binnen eines Jahres verschwand Corteswain aus dem Kloster von Selethoth, wo er damit begonnen hatte, seine Lehre zu predigen.« »Wie ist es ihm ergangen?«, fragte Uriel. Barzano zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich haben seine Rivalen ihn entführen und umbringen lassen. Aber einige seiner Schriften sind von seinen Jüngern aus dem Kloster geschafft worden und haben überdauert.« »Was steht dort? Ich kann kaum etwas entziffern«, sagte Shonai, die ihre Brille aufgesetzt hatte. »In dieser speziellen Passage ist von einem Raumschiff die Rede, das Cortewain gesehen zu haben behauptet«, sagte Barzano, indem er auf ein kaum leserliches Gekritzel in der Ecke der Seite zeigte. Seine Finger zeichneten die Umrisslinien eines schlecht gezeichneten Halbmonds mit einer Pyramide in der Mitte nach. Uriel blinzelte, während er die Worte zu lesen versuchte, die unter der Zeichnung auf das Pergament gekritzelt waren. Es waren immer wieder dieselben Worte notiert worden, in jedem Winkel, einander überlappend und im Kreis.
Seine Augen folgten dem am wenigsten obskuren Teil der spindligen Schrift, und er formulierte stumm die Worte, während er sie mühsam zusammensetzte. Schließlich begriff er, was die Worte bedeuteten, und seine Nackenhaare sträubten sich, als ihm aufging, dass er sie schon einmal gehört hatte - von den verbrannten Lippen eines Mannes am Rande des Grabes. Bringer der Finsternis. Barzano sah ihn durchdringend an, und Uriel wurde daran erinnert, dass der Inquisitor seine Gefühle spüren konnte. »Uriel«, sagte Barzano langsam. »Sagen Ihnen diese Worte irgendetwas?« Uriel nickte. »Ja. Der Überlebende auf Caernus IV, ein Mann namens Gedrik, hat sie kurz vor seinem Tod ausgesprochen.« »Was hat er gesagt? Schnell!«, zischte Barzano. »Er sagte, dass der Weltentod und der Bringer der Finsternis darauf warteten, in die Galaxis geboren zu werden, und dass es in meinen Händen liege, was davon eintrete. Wissen Sie, was er damit gemeint hat?« »Nein«, sagte Barzano ein wenig zu rasch. »Das weiß ich nicht. Was hat er sonst noch gesagt?« »Nichts. Er ist kurz darauf gestorben«, erwiderte Uriel, indem er auf die halbmondförmige Zeichnung in dem Buch deutete. »Also ist der Bringer der Finsternis ein nichtmenschliches Raumschiff. Wozu ist es in der Lage?« »Es kann Sonnen auslöschen, ihnen die Energie entziehen, bis in einem Sonnensystem nichts Lebendiges mehr existiert. Und das kann es in wenigen Tagen. Verstehen Sie jetzt?« Uriel nickte. »Dann müssen wir es vor den Eldar finden.« »Da gebe ich Ihnen Recht. Wir müssen außerdem herausfinden, mit wem sie hier auf Pavonis zusammenarbeiten«, sagte Barzano, während er mit auf dem Rücken verschränkten Händen im Zimmer auf und ab marschierte. »Der Anführer der Eldar hat während des Kampfes einen Namen genannt. Vielleicht war das sein Komplize.« Barzano blieb stehen und fuhr mit ungläubiger Miene zu Uriel herum. »Er hat einen Namen genannt?«, zischte Barzano. »Was für einen? Rasch, Mann!« »Ich bin nicht sicher, ob es ein Name war. Es war eines ihrer
ekelhaften Worte, es klang wie... Karsag oder so ähnlich.« Barzanos Stirn legte sich in Falten, und er wandte sich an Shonai. »Sagt Ihnen dieser Name etwas? So heißt nicht zufällig eines der hiesigen Kartelle?« »Nein, ich kenne den Namen nicht.« »Hauptmann Ventris«, sagte Lortuen Perjed. »Könnten Sie auch das Wort Kyerzak gehört haben?« Uriel schloss die Augen, stellte sich den leichengesichtigen Krieger vor und erinnerte sich an die Laute, die dessen ausdrucksloser Mund von sich gegeben hatte. Er nickte. »Ja, Adept Perjed. Ich glaube, dass er auch das gesagt haben könnte.« Barzano eilte zu seinem Sekretär, kniete vor dem alten Mann nieder und umklammerte dessen Schultern. Sein Gesicht strahlte förmlich vor innerer Erregung. »Lortuen, wissen Sie, was das Wort bedeutet? Ist es ein Name?« Perjed schüttelte den Kopf. »Nein, es ist kein Name, sondern vielmehr eine Anrede. Das Wort hat seinen Ursprung tatsächlich in der Eldar-Sprache, und es wird benutzt, um jemanden anzureden, den man ehren will.« Barzano ließ Perjeds Schultern los und erhob sich perplex. »So hilfreich das auch sein mag, es bringt uns der Antwort auf die Frage, mit wem die Eldar zusammenarbeiten, keinen Schritt näher.« »Ganz im Gegenteil, Ario, es verrät uns ganz genau, wen wir suchen.« »Tut es das?«, erwiderte Barzano. »Erläutern Sie das, Lortuen. Wir haben keine Zeit, Ihrem Sinn für Dramatik zu frönen.« »Das Wort Kyerzak bezeichnet einen Geehrten, aber Lasko Pyre berichtet in seinen Schriften, dass die Folterer der Dunkeleldar, Wesen, die er Haemonculi nennt, ihn immer wieder darauf aufmerksam gemacht haben, welche Ehre sie ihm eigentlich erwiesen, indem sie ihm die gewaltigsten Schmerzen zufügten, die sie sich überhaupt vorstellen könnten.« Uriel und Barzano stellten die Verbindung her, während Perjed fortfuhr. »Sehen Sie, die Dunkeleldar haben das Wort korrumpiert und seine Bedeutung herabgewürdigt, um damit jemanden zu bezeichnen, der mit ihrer schmerzhaftesten Kunst geehrt wurde.« Shonai ballte die Fäuste und zischte den Namen des Verant-
wortlichen für ihre Schwierigkeiten. »Kasimir de Valtos.« Untergebracht in einem besonders sicheren Bunker im Ostflügel des Palasts war die Raumabwehr für die Überwachung des Luftund Weltraum-Verkehrs in dem Gebiet um Pavonis verantwortlich. Der Bunker war schwer befestigt und mit einem eigenen Energienetz und Reservegeneratoren mit einer Lebensdauer von einem Jahr ohne primäre Energieversorgung vollkommen autark. Die Zweite Technikerin Lutricia Vijeon saß an ihrer Kontrolltafel und suchte den Weltraum rings um Pavonis nach nicht autorisiertem Verkehr ab. Ihr kommandierender Offizier Danil Vorens saß mit dem Rücken zu ihr an der Kommandokonsole und starrte auf eine Holoanzeige, die aus den Daten vor ihm erstellt wurde. Lutricia bemerkte ein schwaches Echo auf ihrer Divinationsanzeige und notierte die Zeit seines ersten Auftauchens im Logbuch. Es musste ein Schiff sein, für alles andere war es zu groß. Sie sah in den Flugplänen nach, die neben ihrer Kontrolltafel hingen, ob in dem ihrer Verantwortlichkeit unterstehenden Sektor irgendwas geplant war. Es war nichts eingetragen, und sie machte sich an den Runen vor sich zu schaffen, um ein schärferes Bild auf die Anzeige zu bekommen. Mit seinem langen, spitz zulaufenden Bug und den länglichen Segeln, die sich aus der Antriebssektion erhoben, sah es anders aus als alles, was sie bisher zu Gesicht bekommen hatte. Was, zur Hölle, war das? Das Bild schwamm unscharf auf der Anzeige und wurde immer wieder undeutlich, während sie versuchte, seine Form schärfer zu zeichnen. Das Bild wurde schlagartig deutlich, als sich eine dicke Hand auf ihre Schulter legte und fest zudrückte. Sie erschrak und schaute in das grimmige Gesicht von Danil Vorens. »Ich habe dieses Signal hereinbekommen...«, begann sie. »Ich weiß davon, Vijeon. Alles ist ordnungsgemäß aufgezeichnet worden. Ich habe das persönlich veranlasst«, sagte Vorens, indem er ihre Divinationsanzeige ausschaltete. »Ah, ich verstehe. Aber sollten wir es nicht im Tagesbericht erwähnen?« »Nein, Vijeon«, flüsterte Vorens, indem er sich ganz nah zu ihrem Ohr herunterbeugte und ihre Schulter noch fester drückte. »Dieses Schiff war nicht hier, und Sie haben es auch nicht auf
Ihrem Bildschirm gesehen. Haben Sie verstanden?« Das hatte Vijeon nicht, aber das würde sie Vorens nicht sagen. Andererseits, was ging sie das an? Sie nickte und richtete ihren Divinator auf einen anderen Raumsektor. Offenbar hatte Vorens dieses Schiff erwartet. Der Thunderhawk der Ultramarines landete auf dem Landsitz von Kasimir de Valtos am Fuß der Owsenberge, etwa fünfundsiebzig Kilometer westlich von Brandontor. »Alle raus!«, brüllte Uriel, der mit seinem Boltgewehr im Anschlag nach draußen stürmte. Er trat in die Spätnachmittagssonne und erblickte die Pracht von de Valtos' Landsitz, die sich vor ihm ausbreitete. Ein großes, vielflügeliges Haus lag vor ihnen, und vor dem Eingang standen zwei schwarze Kutschen. Die Ultramarines schwärmten aus und bildeten einen Abwehrkreis, während der Thunderhawk auf einer Säule feurigen Rauchs himmelwärts schoss. Uriel winkte Dardinos Trupp nach links und Venasus' nach rechts, um Pasanius' Leute zum Haupteingang zu führen. Der Haupteingang war bereits geöffnet, und Uriel rannte durch die schachbrettartig geflieste Eingangshalle. Ultramarines stürmten durch die Tür, und Uriel dirigierte sie mit energischen Armbewegungen. Er bedeutete Pasanius und zwei weiteren Space Marines, ihm zu folgen, und eilte die Treppe empor, das Boltgewehr beständig im Anschlag. Oben war der Treppenabsatz leer, und nach links und rechts erstreckte sich ein langer, mit Teppich ausgelegter Flur. Nach rechts beschrieb der Flur eine Biegung und verschwand dahinter, während er links vor einer großen Eichentür endete. Etwas verriet Uriel, dass dieses Haus verlassen war, aber sein soldatischer Instinkt war zu ausgeprägt, um von diesem Ort etwas anderes als Feindseligkeit zu erwarten. Uriel und Pasanius tasteten sich vorsichtig den Flur entlang, die Boltgewehre auf die Tür gerichtet. Seine Autosinne hörten nichts aus dem Raum dahinter, aber er nahm einen schwachen, aber bestürzenden Geruch wahr. Uriel trat die Tür aus dem Rahmen und stürmte geduckt hinein. Pasanius war direkt hinter ihm und sicherte mit dem Boltgewehr nach rechts und links. Angesichts der Enge des Hauses hatte Pasanius sich für das Gewehr und nicht für seinen ansonsten be-
vorzugten Flammenwerfer entschieden. Hinter sich hörte Uriel, wie die Ultramarines Türen eintraten und das Haus Zimmer für Zimmer durchsuchten. Der Gestank sprang ihn förmlich an, bevor er begriff, was er auf dem Bett liegen sah. Es war einmal ein menschliches Wesen gewesen, aber praktisch jedes Körnchen Menschsein war mit Klingen, Sägen, Nadeln und Feuer abgetrennt worden. Der Kopf des Leichnams wurde von einem Kranz goldener Haare eingerahmt, und seinem grinsenden Skelettgesicht war unterhalb der mit den blutigen Scherben eines zerbrochenen Spiegels ausgestochenen Augen die Haut abgezogen worden. Bei dem Anblick kam Uriel die Galle hoch. »Guillaumes Fluch!« Pasanius senkte sein Boltgewehr und stellte sich dem Entsetzen des Anblicks der toten Frau. »Beim Imperator, wer könnte so etwas tun?« Uriel wusste keine Antwort darauf. Trotz der schrecklichen Verstümmelungen erkannte Uriel Solana Vergen wieder, und er fügte ihren Namen der Liste derer hinzu, für die er an Kasimir de Valtos Vergeltung üben würde. Sergeant Venasus führte seinen Trupp vorsichtig durch die unteren Bereiche des Wohnhauses des Verräters. Es war kälter hier, und seine Servorüstung registrierte einen Temperaturunterschied von vierzehn Grad. Bisher hatten sie nichts gefunden, und Venasus hoffte inbrünstig, bald auf einige ihrer Feinde zu stoßen. Drei seiner Männer waren auf dem Feindschiff gestorben, und für ihren Tod musste ein Blutzoll entrichtet werden. Der nackte Steingang führte zu einer Eisentür mit Vorhängeschloss. Venasus vergeudete keine Zeit und schlug die Tür mit einem wohl gezielten Tritt aus den Angeln. Der Sergeant stürmte mit seinen Männern dicht hinter sich durch die Tür. Der Raum lag in Dunkelheit, aber seine Autosinne schalteten sich ein. Er sah das Glänzen von Metall zu seiner Linken. Ein grinsendes Schädelgesicht sprang ihn förmlich aus der Dunkelheit des Raums an. Venasus riss sein Boltgewehr in die Höhe und eröffnete das Feuer auf die Erscheinung. Uriel hörte die Salve und lief die Treppen ins Untergeschoss hinunter. Das Blut pulsierte in seinen Adern, da er hoffte, dass es
Feinde zu töten galt, denn sein Herz hungerte nach Rache. Als er den Ausgangspunkt der Schüsse erreichte, sah er, dass ihm diese Rache einstweilen verwehrt bleiben würde. Der Korridor war kalt, und an seinen Wänden glänzte Feuchtigkeit. Sergeant Venasus stand in der eingetretenen Tür zu einem matt erleuchteten Raum. »Machen Sie Meldung«, befahl Uriel. »Falscher Alarm, Hauptmann. Ich ging als Erster durch die Tür und glaubte ein Ziel zu erkennen. Ich habe das Feuer eröffnet, befand mich aber im Irrtum.« »Verordnen Sie sich zehn Tage des Fastens und Betens, um für Ihre laxen Zielrituale zu sühnen.« »Jawohl, Hauptmann.« »Worauf haben Sie geschossen, Sergeant?« Venasus hielt inne, bevor er antwortete. »Ich bin nicht sicher, auf eine Art von Metallskelett. Ich weiß nicht genau, was es ist.« Der Sergeant trat beiseite, um Uriel und Pasanius eintreten zu lassen. Eine einzelne Lichtkugel sorgte für ein unstetes Licht in dem kleinen Raum, der wie die Werkstatt eines wahnsinnigen Mechanikers aussah. Alle möglichen Werkzeuge, deren genauer Zweck unvorstellbar war, lagen verstreut auf ramponierten, geschwärzten Bänken. In einer Ecke des Raums lagen die zerschmetterten Überreste von Sergeant Venasus' Ziel. Wie der Sergeant beschrieben hatte, ähnelte es einem Metallskelett, dessen einstmals glänzende Oberfläche mit einer grünen Patina überzogen war und dessen Glieder in unnatürlichen Winkeln abstanden. Ein anderes Skelett aus fleckigem Metall saß angelehnt auf einer Bank, und Bündel von Drähten verliefen aus der offenen Brust zu Reihen gelber Batterien mit seitlich aufgestanzten roten Buchstaben. Klappen in Brust und Schädel standen offen, und Uriel lugte in die Dunkelheit innerhalb der grotesken Anatomie. Sie ähnelte einem Schädel dergestalt, dass Augenhöhlen und ein Skelettgrinsen vorhanden waren, aber die Konstruktion hatte etwas entsetzlich Nichtmenschliches an sich, als habe der Erbauer das Ziel verfolgt, sich über die Perfektion der Menschheit lustig zu machen. Die metallische Form stieß Uriel ab, obwohl er nicht genau sagen konnte, warum. Vielleicht lag es an der abscheulichen Boshaftigkeit, die ihre ausdruckslosen Züge ausstrahlten. Vielleicht lag es an der Ähnlichkeit des Metalls mit der Substanz, die sie in dem Hügel auf Caernus IV entdeckt hatten.
»Was, im Namen aller Heiligen, ist das?«, fragte Pasanius. Uriel schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, mein Freund. Vielleicht waren sie die Besatzung des Schiffs, das Barzano erwähnt hat.« Pasanius zeigte auf die Maschine auf der Bank. »Glaubst du, das Ding ist tot?« Uriel ging hin und riss die Metalldrähte aus Brust und Schädel des Metallskeletts. »Jetzt ja«, sagte er. Uriel verfolgte, wie die Temperaturanzeige auf seinem Visier langsam nach unten kroch, als er sich der letzten Tür näherte. Dampf zischte aus der Energieeinheit auf dem Rücken seiner Rüstung, und er hatte eine böse Vorahnung, als er sich dem verrosteten Portal näherte. Die Tür war nicht geschlossen, durch einen Spalt fielen abwechselnd Dunkelheit und flackerndes Licht auf den Türrahmen. Schwaden kondensierter Luft rauschten von jenseits der Tür hindurch. Er schaute hinter sich. Pasanius, Venasus und sechs Ultramarines standen bereit, den Raum auf seinen Befehl zu stürmen. Der Rest seiner Truppe stellte das Haus auf der Suche nach einem Hinweis auf de Valtos' Verbleib von oben bis unten auf den Kopf. Er nickte Pasanius zu und hämmerte seinen Stiefel gegen das Metall der Tür. Sie krachte nach innen, und Pasanius stürmte dicht gefolgt von Venasus hinein. Uriel wirbelte in den Raum und deckte die Gefahrenzone in ihrem toten Winkel ab, während der Rest seiner Männer folgte. Uriel hörte das Klirren von Ketten und leises Stöhnen aus der Mitte des Raums. Seine Autosinne hatten Mühe, sich an das flackernde Licht zu gewöhnen, und er schaltete sie aus und aktivierte die Lampen an seiner Rüstung. Die anderen Ultramarines folgten seinem Beispiel, und langsam wurde der grauenhafte Mittelteil des achteckigen Raums sichtbar. Auf einer stinkenden, blutverschmierten Platte lag ein großes menschliches, blutverschmiertes Skelett, über dem dessen ehemalige Hülle hing. Klumpen herausgeschnittenen Fleisches hingen an Dutzenden von Fleischerhaken von der Decke, jeder genau in der richtigen Höhe, um die Umrisse des Körpers nachzuzeichnen, den sie in ihrer Gesamtheit gebildet hatten. Als seien sie eine
Millisekunde nach einer Explosion des Körpers erstarrt, hingen das Fleisch und die Organe Taryn Honans über dem Skelett. Jede fette Scheibe seines Körpers war mit tropfenden Sehnen und pulsierenden Adern umwickelt. »Bei der Seele des Imperators«, flüsterte Uriel, dessen Entsetzen grenzenlos war. Honans Kopf war ein segmentiertes, untereinander verbundenes Mobile aus einzelnen Fleischklumpen, in dem schwabbelige Wangen und abgetrennte Mehrfachkinne sein dampfendes Hirn umkreisten und dabei in einer Imitation des Lebens vibrierten. Uriel sah, dass die Augen sich noch in den Höhlen bewegten, als erlebe der Leichnam immer wieder die letzten quälenden Augenblicke seines Lebens, und Uriel empfahl die gequälte Seele dem Imperator. Das Stück fettigen Fleisches, das den Mund enthielt, bewegte sich lautlos auf und nieder wie bei einer von einem unsichtbaren Puppenspieler geführten makabren Marionette. Das sich langsam drehende Fleisch, das die lidlosen Augen enthielt, flatterte, und Uriel sah mit wachsendem Entsetzen, wie sie sich auf ihn richteten und Taryn Honans Lippen wiederum ein leises Stöhnen von sich gaben. Dicke Tränen liefen über Honans bleiches Fleisch, als sein Mund unmöglicherweise ein leises gequältes Stöhnen von sich gab, das selbst für die Ultramarines herzzerreißend war. Uriel wollte dem Mann helfen, wusste aber, dass es seine Macht und auch die Macht jedes anderen Menschen überstieg, Honan zu retten. In Honans Augen lag eine schreckliche, flehentliche Verzweiflung, und sein Mund bewegte sich ständig im heldenhaften Bemühen zu sprechen. Uriel trat näher an die explodierte Anatomie des Mannes heran und verbarg sein Entsetzen angesichts der Verstümmelung. »Was wollen Sie sagen?«, flüsterte er ohne zu wissen, ob das Fleischmobile ihn hören, geschweige denn verstehen konnte. Honans Lippen formten zwei Worte, und Uriel wusste, was der Mann wollte. Töte mich... Er nickte und hob sein Boltgewehr, sodass es auf Honans Kopf zeigte. Die groteske Form von Honans Mund bildete noch mehr Worte, bevor seine Augen sich zum letzten Mal schlossen. Uriel flüsterte das Gebet für den Märtyrer und drückte ab. Ein
Hagel von Patronen zerfetzte die hängenden Fleischklumpen, riss sie von ihren Haken und gewährte dem verstümmelten KartellMann Frieden. Uriel ließ seine Wut im kathartischen Feuer seines Boltgewehrs entweichen. Seine Männer taten es ihm nach und leerten ihre Magazine in einem Feuerhagel, das den achteckigen Raum in Schutt und Asche legte, große Löcher in die Mauern sprengte, Metallregale zerstörte und jede Spur des Verbrechens wider die Natur auslöschte, das an diesem letzten Opfer von Kasimir de Valtos' wahnsinnigen Plänen verübt worden war. Während sich der Rauch des Gewehrfeuers langsam verzog, spürte Uriel, wie seine Atmung sich langsam wieder normalisierte, und senkte die Waffe. Honans lautlose Abschiedsworte hallten in seinem Kopf wider. Ich danke dir. Ihr Wild war geflohen. Egal. Sie würden es aufspüren. »Informieren Sie Inquisitor Barzano über die Vorgänge hier und sagen Sie ihm, dass wir in den Palast zurückkehren«, schnauzte Uriel. Er machte auf dem Absatz kehrt und marschierte aus dem verwüsteten Raum. Kasimir de Valtos ruhte auf den Ledersitzen seines Wagens. Das Fahrzeug war von weniger traditioneller Konstruktion wie auf Pavonis üblich, aber da sie sich in einer Zeit des Wandels befanden, war es nicht unangemessen, fand er. Er stellte sich wieder das hilflose Gesicht von Solana Vergen vor, als er ihr den Inhalt seiner schwarzen Ledertasche gezeigt hatte. Er hatte jeden Schrei und jedes flehentliche Winseln genossen, als sie um ihr Leben gebettelt hatte. Ihr war nicht klar gewesen, dass sie mit ihrer Annahme seiner Einladung zum Essen ihr Todesurteil unterzeichnet hatte. Ihm tat nur Leid, dass er keine Gelegenheit gehabt hatte, dem Chirurgen bei der Arbeit am fetten Honan zuzusehen, aber seine eigenen Bedürfnisse und Begierden hatten Priorität gehabt. Ja, Solana Vergen war exquisit gewesen. Ihr Tod würde die Dämonen eine Weile davon abhalten, jeden seiner Gedanken mit Blut und Schmerzen zu bestürmen. Aber er wusste, dass sie früh genug zurückkehren würden und er sie dann wieder mit dem Blut einer anderen Person wegspülen musste.
Kasimir beendete seine Grübeleien und betrachtete die anderen Passagiere in dem Fahrzeug. Er hatte den ganz untypischen Wunsch, seine Hochstimmung zu teilen. Der Chirurg saß ihm gegenüber, die Hände im Schoß verschränkt. Sein Blick schweifte über Kasimirs Körper, als denke er über die beste Methode nach, ihn zu sezieren. Er erinnerte sich noch allzu gut an die Schmerzen der letzten Prozedur, seine verwüsteten Organe zu reinigen und seinen vergifteten Kreislauf zu erneuern. Dieses Spiel konnten auch zwei spielen, schwor de Valtos im Gedenken an die Schreie von über hundert verschiedenen Opfern, an denen er seine eigene Kunstfertigkeit geübt hatte. Bald würde es einen Rollentausch geben, wenn er in Besitz des Nachtbringers war. Dessen schlafender Gebieter würde ihm die Unsterblichkeit gewähren, nach der er sich so sehnte, und diese nichtmenschlichen Emporkömmlinge würden begreifen, dass sie die Diener waren und nicht er. Die weibliche Komplizin des Chirurgen ruhte neben ihm und hatte die langen elfenbeinfarbenen Beine träge auf dem Boden des Fahrzeugs ausgestreckt. Ihre Augen funkelten neckisch, erregend und zugleich abstoßend. Sie hauchte ihm einen Kuss zu, und er zuckte zusammen, als habe sie ihm damit gedroht, ihn mit ihrem widerlichen und doch sinnlichen Fleisch zu berühren. Trotz ihrer stolzen Worte hatten ihre vom Warpraum hervorgebrachten Bestien versagt, aber er war nicht enttäuscht. Schließlich würde er dadurch die Gelegenheit bekommen, Shonais Gesicht zu sehen, wenn ihr aufging, dass er die Person war, die hinter all den Jahren des Elends steckte. Er spürte, wie seine gute Laune verflog, als das Geklopfte des letzten Fahrzeuginsassen in sein Bewusstsein drang. Vendare Taloun vermied es geflissentlich, die anderen Passagiere anzusehen, und pochte mit dem Ringfinger gegen das von außen undurchsichtige Glas des Fensters. Er wollte Vendare bedauern, aber dieses Gefühl war in ihm in dem Augenblick abgestorben, als die Klingen des Haemonculi ihm die Haut von den Muskeln gezogen hatten. Wenn er überhaupt noch etwas für den Mann empfand, dann Verachtung. Seine kleinliche Engstirnigkeit hatte ihn in diesen Pakt mit de Valtos getrieben. Was glaubte er, wie sie Shonai anders die Herrschaft über diese Welt entreißen sollten? Mit Worten
und demokratischem Vorgehen? Er wollte lachen und musste den Drang unterdrücken, in hysterisches Gelächter auszubrechen. Er zwang sich, seine extrem schwankenden Gefühle zu beherrschen, da er wusste, dass er jetzt, da das Ende in Sicht war, die Beherrschung nicht mehr verlieren durfte. Beherrschung war alles. Der Wagen bog um eine Ecke, und er erhaschte einen Blick auf die Stadt Brandontor voraus. Er hob die Hand und blinzelte durch eine Lücke, die er mit Zeigefinger und Daumen bildete. Die entfernte Stadt passte zwischen seine Finger, und er lächelte, als er sie enger zusammenpresste und sich dabei vorstellte, dass die immer kürzer werdende Entfernung zwischen ihm und der Stadt der Lebenserwartung von Statthalterin Shonai entsprach. Er drehte den Arm und warf einen Blick auf den Armbandchronometer, während der Chirurg einen langen, gebogenen Gegenstand aus seinem Gewand holte und diesen eingehend betrachtete. De Valtos fiel wiederum die zarte Struktur seiner Finger und die Gewandtheit ihrer Bewegungen auf. Der Nichtmensch hatte die Lippen vor Missvergnügen gespitzt und ließ den Gegenstand wieder in seinem Gewand verschwinden. »Die Fleischskulptur hat ihr Leben ausgehaucht. Es sind Feinde in den Vivisektionssaal eingedrungen.« De Valtos war überrascht, verbarg seine Reaktion aber. Wenn jemand Honan gefunden hatte, musste man seine Pläne bereits bis zu einem gewissen Grad kennen. Egal. Die Ereignisse waren bereits in Gang gesetzt, und nichts konnte ihren vorherbestimmten Weg jetzt noch ändern. Sie befanden sich kurz vor der Fährenplattform, wo er das Schiff besteigen würde, das ihn in den Palast bringen würde, um seine Bestimmung zu erfüllen. Er dachte an Beauchamp Abrogas, der im Revier der Arbites in einer Zelle saß, und hätte beinahe gelacht. Er wandte sich an die verhasste nichtmenschliche Frau: »Du hast dem Abrogas-Jungen den Inhalator gegeben?« Sie nickte, ohne ihn eines Wortes zu würdigen. Seltsam, dass es ausgerechnet ein Schwachkopf wie Beauchamp war, der den Beginn von Pavonis' neuem Zeitalter einläuten würde. Aber das lag noch in der Zukunft. Jetzt standen Dinge an, die seiner Aufmerksamkeit bedurften.
»Dann hat es also begonnen?«, fragte Mykola Shonai. »Es sieht ganz danach aus. De Valtos würde sein Haus nicht aufgegeben haben, wenn seine Pläne nicht im letzten Stadium angelangt wären«, antwortete Inquisitor Barzano, indem er sich aus dem Kommnetz ausschaltete und Schwert und Pistole zog. Wahrscheinlich war das eine Überreaktion, aber nach dem Angriff der Warpbestien wollte er kein Risiko mehr eingehen. Er hatte schlechte Laune, da er soeben erfahren hatte, dass Amel Vedden, der Verräter, den Learchus nach dem Aufruhr auf dem Befreiungsplatz gefangen genommen hatte, tot war. Obschon festgeschnallt, war es dem Mann irgendwie gelungen, einen seiner intravenösen Infusionsschläuche zu lösen und sich eine Luftblase in die Blutbahn zu schießen, was zu einer Embolie und zu einem Herzanfall geführt hatte. Es war eine schmerzhafte Art zu sterben, und Vedden war zwar der Gerechtigkeit in dieser Welt entronnen, aber Barzano wusste, dass mittlerweile alle Dämonen der Hölle an seiner Seele zerrten. Dutzende bewaffneter Wachen umringten den privaten Palastflügel der Statthalterin, und Learchus hatte die Ultramarines in den Gemächern selbst postiert. Mykola Shonai und Ario Barzano waren so gut geschützt, wie dies überhaupt nur möglich war. »Was machen wir jetzt, Inquisitor?«, fragte Leland Corteo, der offenkundig seine Nervosität zu verbergen suchte. Barzano wandte sich an den alternden Berater und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Unsere erste Priorität muss sein, alle loyalen Truppen zu mobilisieren. Schicken Sie den Arbites eine Warnung über Kommnetz, und rufen Sie die höchste Alarmstufe für die Palastwache aus. Befehlen Sie außerdem dem Kommandanten der Palastverteidigung, dass jede seiner Geschützstellungen einen der vor den Stadtmauern wartenden Panzer aufs Korn nehmen soll. Wir hoffen zwar, dass es überflüssig ist, aber wenn de Valtos die Initiative ergreift, müssen wir darauf vorbereitet sein. Verstanden?« »Natürlich. Ich kümmere mich selbst darum. Ich kenne Danil Vorens, den Kommandanten, persönlich und werde dafür sorgen, dass Ihre Wünsche ausgeführt werden.« Corteo eilte aus dem Raum und ließ Barzano, Jenna Sharben, Almerz, Chanda und Mykola Shonai zurück, die durch das Panzerglas der Gemächer der Statthalterin auf die rauchende Stadt schauten.
Jenseits der Stadtmauern stiegen die Abgase Dutzender Panzer in die Luft, und Barzano wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis ihre Waffen sich auf die Palastmauern richten würden. »Liktor Sharben?« »Was?«, fragte sie und drehte sich zu ihm um. »Ich will, dass Sie die Statthalterin zu ihrer persönlichen Fähre bringen. Dann werden Sie sie auf die Vae Victus begleiten.« Mykola Shonais Gesicht verhärtete sich, und sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Inquisitor Barzano, Sie wollen, dass ich meinen geschundenen Planeten verlasse? Es ist meine Pflicht, hier zu bleiben und mein Volk durch die Krise zu führen.« »Ich weiß, Mykola«, erläuterte Barzano, »und normalerweise wäre ich auch Ihrer Meinung, aber unsere Feinde haben bewiesen, dass sie in Ihr am besten geschütztes Allerheiligstes eindringen und gegen Sie vorgehen können. Ich lasse Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit auf die Vae Victus bringen, bis ich die Gewissheit habe, dass es im Palast ungefährlich ist. Wenn dies der Eröffnungszug einer Rebellion ist, dann diktiert die Logik, dass es noch einen Anschlag auf Ihr Leben geben wird.« »Aber hier sind wir doch gut geschützt. Sergeant Learchus versichert mir, dass ich nichts zu befürchten habe.« »Ich zweifle nicht an den Fähigkeiten des Sergeanten, aber ich lasse nicht mit mir diskutieren. Sie fliegen zur Vae Victus und damit Schluss.« »Nein!«, stellte Mykola Shonai fest. »Ich werde Pavonis nicht verlassen und wie ein verängstigtes Kind davonlaufen. Ich werde mein Volk nicht noch einmal im Stich lassen. Ich werde nicht fliehen, ich werde bleiben, und wenn ich dadurch mein Leben in Gefahr bringe, dann soll es so sein.« Barzano holte tief Luft und kratzte sich an der Stirn. Die Entschlossenheit stand Shonai ins Gesicht geschrieben, und er sah, dass er Learchus den Befehl würde geben müssen, sie auf die Fähre zu tragen, wenn er sie auf die Vae Victus schaffen wollte. »Also gut«, gab er nach, »aber ich will Ihr Wort, dass Sie uns gestatten werden, Sie auf die Vae Victus zu bringen, wenn es zu gefährlich werden sollte, hier zu bleiben.« Zuerst dachte er, sie würde sich weigern, aber schließlich nickte sie. »Nun gut. Wenn es hier zu gefährlich wird, werde ich mich
Ihrem Wunsch fügen.« »Danke, mehr verlange ich nicht«, sagte Barzano. Als seine Zellentür sich geöffnet und der mürrische Kerkermeister ihm gesagt hatte, ein Familienmitglied sei gekommen, um seine Strafe zu bezahlen, war das die beste Nachricht, die Beauchamp Abrogas seit langer Zeit erhalten hatte. Die Kopfschmerzen waren unerträglich. Er blinzelte, während er durch einen langen Korridor geführt wurde, der bis auf die nackten Eisentüren zu den Zellen rechts und links hell und nichts sagend war. Er fühlte sich diesen armen Unglücklichen bereits überlegen, die dort eingesperrt waren. Für sie wurde nicht umgehend eine Strafe aus überquellenden ererbten Schatztruhen bezahlt. Seine Gedanken kamen ihm jetzt so klar vor wie schon seit Monaten nicht mehr, und Beauchamp schwor, sich von nun an mit dem Opiatix zurückzuhalten und vielleicht sogar ganz damit aufzuhören. Beauchamp wurde durch einige triste Gänge geführt und durch mehrere Büros geschickt, wo er verschiedene Formulare unterschreiben musste, von denen er keines las, bevor man ihm schließlich gestattete, den Zellenblock zu verlassen. Er war bester Laune, als er mit dem Bündel seiner eigenen Kleidung unter dem Arm in den Aufzug stieg. Sie war völlig verdreckt, und er bezweifelte, dass seine treuen Diener die Flecken herausbekommen würden. Er leckte sich die Lippen, als sich die Fahrstuhltüren öffneten, und dann wurde er durch eine Reihe unscheinbarer Korridore der Freiheit entgegengeführt. Schließlich brachte man ihn in einen schlichten Raum mit einem ramponierten Tisch und auf dem Boden festgeschraubten Stühlen. Ein Liktor drückte ihn auf einen der Stühle und sagte: »Warten Sie hier.« Beauchamp nickte, verschränkte die Arme und legte die Füße auf den Tisch, da seine frühere Arroganz und sein sicheres Auftreten langsam zurückkehrten. Lange Minuten verstrichen, und er wurde unruhig und marschierte in dem kleinen Raum auf und ab, als seine Ungeduld zunahm. Des Umherwanderns müde kehrte er zu seinem Stuhl zurück, als er hörte, wie die Tür aufgeschlossen wurde. Ein neuer Liktor trat mit einem untersetzten Mann in langer Robe und einem kurzen, ordentlich gestutzten Bart ein. Der Neuan-
kömmling trug einen Metallkasten und eine Anstecknadel des Abrogas-Kartells im Revers, aber Beauchamp kannte ihn nicht. Der Liktor verließ den Raum, als der Abrogas-Mann Beauchamp gegenüber Platz nahm und ihm den Kasten über den Tisch zuschob. »Ich bin Tynen Heras, Mylord. Ich bin gekommen, um Sie nach Hause zu bringen.« »Das wird aber auch Zeit«, schnauzte Beauchamp gereizt. Er wollte verdammt sein, wenn er einem Diener Dankbarkeit zeigte. Er deutete auf den Kasten. »Was ist das?« »Ich habe mir die Freiheit genommen, für Ihr persönliches Eigentum zu unterschreiben, Mylord«, erwiderte Heras und öffnete den Kasten. Darin befand sich ein Haufen Bargeld, Schmuck, ein Kartenspiel und... Beauchamps Augen weiteten sich beim Anblick des schlichten schwarzen Opiatix-Inhalators, den ihm die schwarzhaarige Frau aus der Fleischbar kurz vor der Verhaftung in die Tasche geschoben hatte. Er lächelte verschmitzt und ließ den Inhalator in seiner Handfläche verschwinden, während er seine restlichen Besitztümer einsteckte. Er entschied, dass er letztlich doch großmütig sein konnte, und nickte Heras zu. »Meinen Dank, Gildenmann Heras. Sie haben Ihrem Anführer heute einen großen Dienst erwiesen.« »Mylord«, bedankte Heras sich, indem er den leeren Kasten nahm und sich von seinem Stuhl erhob. Er ging an Abrogas vorbei und klopfte an die Tür. »Ich gebe das hier den Beamten zurück, dann machen wir uns gleich auf den Weg, Mylord.« »Ja, tun Sie das. Ich kann es kaum erwarten, nach Hause zu kommen.« Die Tür öffnete sich, und der Mann verließ das Zimmer. Wieder allein konnte Beauchamp das Gewicht des Inhalators auf seiner verschwitzten Handfläche spüren. Er strich sich über das stopplige Kinn und spürte, wie der Drang in ihm stärker wurde. Nein, er konnte nicht. Nicht hier. Nicht im Revier der Arbites. Irgendwo würde ein verborgener Bildaufzeichner mitlaufen. Doch es war zu spät. Die Idee hatte sich bereits eingenistet. Es würde seine ganz eigene kleine Rache an den Adeptus Astartes sein, das Gesetz hier in ihrer Hochburg zu brechen. Die Idee war zu verlockend, um ihr zu widerstehen, und er kicherte plötzlich,
da er den überwältigenden Drang verspürte, sich das gesamte Opiatix des Inhalators in einem einzigen berauschenden Zug einzuverleiben. Aber das wäre dumm. Man würde ihn wieder in die Zelle sperren. Vor allem, wenn es so stark war wie die erste Füllung, die ihn überhaupt erst in die Zelle gebracht hatte. Nein, dann also nur einen ganz kleinen Zug. Na ja, vielleicht ein wenig mehr. Nicht mehr als die Hälfte. Beauchamp hob die Hand zum Mund, als wolle er gähnen, und führte das Mundstück des Inhalators an die Lippen. Er schmeckte das Plastik des Mundstücks und verspürte die vertraute Welle der Vorfreude, bevor er auf den Spenderknopf drückte und tief einatmete. Heiße Körnchen Opiatix rauschten durch seine Kehle und in seine Lunge. Beauchamp wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Beim Imperator, was, zur Hölle, war darin? Aber da war es längst zu spät für Beauchamp Abrogas. Glühende Hitze raste durch seinen Körper, seine Nerven standen in Flammen, und ein greller Schmerz stach in sein Rückenmark. Seine Beine zuckten krampfhaft, und seine Hände krallten sich so fest in den Tisch, dass die Nägel abgerissen wurden und sie blutige Spuren auf der Platte zurückließen. Er schrie gequält, hievte seinen Körper vom Stuhl und fiel auf den Zementboden. Sein gesamter Körper fühlte sich an, als stehe er in Flammen. Nichtmenschliche Chemikalien, gewonnen aus Bestandteilen, die so tödlich waren, dass man sie für mystisch hielt, vermischten sich mit jenen, die ihm die Gehilfin des Chirurgen in der Fleischbar verabreicht hatte. Sein Gehirn fühlte sich an, als koche es in seinem Schädel. Er fasste sich an den Kopf und riss sich dicke Haarbüschel aus. Beauchamp wälzte sich auf die Knie und kreischte wie ein Dämon, da jede Bewegung heiße Schmerzwellen durch seinen Körper sandte. Seine Knochen fühlten sich an wie geschmolzene Lava, aber irgendwie gelang es ihm, sich wieder aufzurappeln, und er stieß gegen die Tür. Er konnte keine Worte formulieren, schlug aber seinen Körper blutig, da ihn die Schmerzen in den Wahnsinn trieben. Die Tür öffnete sich, und Beauchamp prallte gegen einen Liktor der Arbites und rannte ihn um. Er floh blindlings. Schreie folgten
im Kielwasser seiner irren Flucht, aber Beauchamp war taub für sie, da er ziellos einfach in irgendeine Richtung lief. Er wusste nicht wohin, konnte aber auch nicht stehen bleiben. Er sank auf die Knie, als nichtmenschliches Feuer seinen Körper von innen verbrannte. Gellende Stimmen umringten ihn. Als die in seinem Blut brodelnden chemischen Reaktionen genügend Brennstoff aus seinem Körper absorbiert hatten, um die kritische Masse zu erreichen, traten sie in das Endstadium ihres Daseins. Reine Energie. Und Beauchamp Abrogas explodierte mit der Gewalt von einem Dutzend Sprengladungen.
15. Kapitel Die Druckwelle von Beauchamp Abrogas' explosivem Tod fegte die Vorderseite des Reviers der Arbites weg, das in einer Wolke aus Staub und Qualm einstürzte, und ließ alle Fensterscheiben im Umkreis von einem Kilometer zersplittern. Nur wenige Sekunden verstrichen, bevor die Motoren der Panzer vor den Mauern der Marmorstadt rumpelnd zum Leben erwachten und die Maschinen sich in Richtung Stadttore in Bewegung setzten. Zwei Leman Russ Conquerors aus der Kharon-Kaserne eröffneten das Feuer auf die Bronzetore, und die Granaten sprengten sie und einen beträchtlichen Teil der Mauer nach innen. Als sich der Rauch verzogen hatte, wurde eine zwanzig Meter lange Bresche sichtbar, und die Panzerfahrzeuge holperten über die Trümmer hinweg, die unter ihren Ketten zermalmt wurden, in die Stadt. Zwei Dutzend Panzer donnerten über die gepflasterten Straßen zum imperialen Palast, während andere peripheren Landeplattformen entgegenstrebten, und Truppentransporter fuhren zu strategisch wichtigen Kreuzungen, die ins Stadtzentrum führten, um sie zu sichern. Rebellierende PWM-Soldaten sprangen aus den Transportern, rannten durch die Manufakturviertel und übernahmen die Kontrolle über Schlüsselfabriken und Munitionsdepots. Es gab Widerstand gegen die Übernahmen, und auf den Straßen brachen heftige Kämpfe zwischen PWM-Truppen und dem ShonaiKartell treuen Arbeitertrupps aus. Mehr Feuer brachen aus, als
Fehlschüsse Silos mit Chemikalien trafen und ein flammendes Inferno entstand, als die Schlacht sich auf die Manufakturviertel ausbreitete. In der Marmorstadt donnerten die führenden Panzer über den Befreiungsplatz und schwärmten aus, um dem Beschuss aus den Palastgeschützen auszuweichen. Makrokanonen sprengten gewaltige Krater in den Platz, und mehrere Panzer explodierten in Flammengeysiren, als die gewaltigen Projektile ihre Panzerung durchschlugen und ihren Munitionsvorrat zur Detonation brachten. Doch als immer mehr Panzer in die Stadt strömten, wurden die Servitor-Kanoniere mit Zielen überschwemmt und konnten einfach nicht mehr genug Panzer ausschalten, um sie an der Erreichung der Palastmauern und der rauchenden Trümmer des Reviers der Arbites zu hindern. Auf dem Platz brannten Dutzende von Wracks, aber zu viele Panzer durchstießen den Abwehrring des Palasts. Aus irgendeinem Grund hatte sich sein Energieschirm noch nicht aktiviert, und Granaten der Kampfpanzer landeten innerhalb der Mauern der imperialen Palastfestung. Die Geschütztürme waren die ersten Ziele, und jeder Panzer lieferte sich einen Schusswechsel mit den Palastkanonieren. Ein Abwehrgeschütz nach dem anderen wurde aufs Korn genommen und zerstört und fiel in grell lodernde Flammen gehüllt von der Mauer. Explosionen regneten wahllos auf den Palast nieder, und Stützpfeiler und Säulengänge, die seit tausenden von Jahren standen, wurden von den hochexplosiven Geschossen in Schutt und Asche gelegt und die kunstvollen Fresken und Galerien darin in wenigen Augenblicken zerstört. Überall erblühten dunkle Explosionen auf dem strahlenden Gebäude, die vergoldete Torbögen einstürzen ließen und uralte Buntglasfenster von unschätzbarer Schönheit sprengten. Der große Glockenturm barst, als ein Doppeltreffer den Mittelabschnitt wegsprengte. Der Turm sackte zusammen und stürzte mit gewichtiger Erhabenheit ein. Die von den ersten Kolonisten nach Pavonis gebrachte Glocke läutete noch ein letztes Mal, als sie auf die gepflasterte Esplanade fiel, und zerschellte in große Messingscherben. Andere Panzer nahmen die Mauern des Reviers der Arbites unter Beschuss, doch hier stießen sie auf heftigeren Widerstand. Die in die Mauern eingearbeiteten Kraftfelder standen noch. Sie knis-
terten und blitzten zwar unter beständigen Energieentladungen, hielten aber den größten Teil der Angriffswucht ab. Einige Panzer versuchten ihre Granaten über die Mauern zu feuern, aber entweder konnten sie ihre Geschütze nicht hoch genug richten oder die Granaten nicht mit so niedriger Geschwindigkeit abschießen, dass sie innerhalb des Reviers landeten, sodass jeder Schuss zu weit ging und in die Wohnhäuser weiter im Osten einschlug. Doch als immer mehr Granaten auf die Energieschirme prallten, welche die Mauern schützten, wurde rasch klar, dass sie bald zusammenbrechen und die Mauern einstürzen würden. Die Stunden sowohl des Palasts als auch des Reviers der Arbites waren gezählt. Ario Barzano befreite sich von einem Haufen aus eingestürzten Streben und Gipsklumpen und wischte sich einen Blutfaden von der Wange, wo umherfliegende Splitter einen Schnitt hinterlassen hatten. Er blieb auf den Knien, da die Palastmauern unter neuerlichen Einschlägen erbebten, und kroch zu Mykola Shonai. Er zog die schlaffe Statthalterin unter den zerschmetterten Überresten ihres Schreibtischs hervor und legte ihr die Finger auf den Hals. Er zog sie von der Wand weg, wobei er sich tief duckte, um nicht in dem zerschmetterten Fenster aufzutauchen. Rasch untersuchte er sie und hielt nach ernsteren Wunden Ausschau, fand aber nur zerschundene Haut und harmlose Schnitte durch umherfliegende Splitter. Zufrieden, dass Mykola Shonai unversehrt war, kroch Barzano über den mit Trümmern übersäten Boden des Büros, um nach den anderen zu sehen. Jenna Sharben schien nicht viel abbekommen zu haben, obwohl sie den linken Arm nah an der Brust hielt. Sie nickte ihm kurz zu und deutete mit einer Kopfbewegung auf die reglose Gestalt von Almerz Chanda, der unter herabgefallenen Paneelen lag. Der Berater der Statthaltern stöhnte, als Barzano die Trümmer wegräumte. »Was ist passiert?«, fragte er undeutlich. »Anscheinend haben die Panzer auf dem Befreiungsplatz beschlossen, die Statthalterin mit direkteren Mitteln abzusetzen«, antwortete Barzano, während er dem übel zugerichteten Mann dabei behilflich war, sich an die Wand zu lehnen. »Sind Sie verletzt?« »Ich glaube nicht. Vielleicht ein paar Kratzer.«
»Gut, nicht bewegen«, wies Barzano ihn an, indem er wachsame Blicke auf die breiten Risse in der Decke warf, da weitere grollende Explosionen den Raum erbeben ließen. Er kroch zu den Überresten der Mauer, wo zuvor das Fenster gewesen war, und schob vorsichtig den Kopf durch das geborstene Mauerwerk. Dutzende von Leman-Russ-Panzern standen auf dem Platz, manche davon als brennende Wracks, aber weitaus mehr rollten dem Palast entgegen, die Geschütze erhoben, um die oberen Etagen unter Beschuss zu nehmen. Der Raum erbebte, und Gipsstaub quoll aus der ächzenden Decke, als Dachträger splitterten und barsten. Die untersten Etagen des Palasts standen in Flammen, und der gewölbte Eingang war nicht mehr als ein Haufen vom Feuer geschwärzter Gesteinstrümmer. Den Panzern folgten Dutzende von Chimäre-Truppentransportern, die alle in Richtung des Palasts und des Reviers der Arbites fuhren. Er wälzte sich zurück zu der Stelle, wo er Mykola Shonai gelassen hatte. Sie kam langsam wieder zu sich, und er wischte Blut und Staub von ihrem Gesicht. Sie hustete und öffnete die Augen, und Barzano registrierte zufrieden die Abwesenheit jeglicher Furcht. Shonai stemmte sich hoch und begutachtete die in ihren persönlichen Gemächern angerichtete Verwüstung. »Schweinehunde!«, schnauzte sie, während sie aufzustehen versuchte. Barzano hielt sie unten, als eine weitere Granatsalve dem Palast eine Reihe von Hammerschlägen versetzte. Er warf einen Blick auf Jenna Sharben, die neben Almerz Gianda kniete, und nickte. »Wir müssen hier raus, Mykola. Ich glaube, es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Lage sich verschlechtert hat, oder?« Trotz der Zerstörung ringsumher grinste Shonai schwach und schüttelte den Kopf. »Wohl nicht.« Sie presste eine Hand gegen die Schläfe und zuckte zusammen. »Ich kann mich nur noch an eine furchtbare Explosion erinnern, und dann lag ich plötzlich auf dem Boden.« Shonai schüttelte Barzanos stützende Hand ab, erhob sich schwankend und bürstete sich Staub von ihren Amtsgewändern, als die Türen zu ihren Gemächern vom ramponiert aussehenden Sergeant Learchus aus dem verbogenen Rahmen gerissen wurden. Der riesige Ultramarine duckte sich gefolgt von den beiden Kriegern in den Raum, denen Uriel befohlen hatte, beim Inquisitor
zu bleiben. »Sind alle wohlauf?«, wollte Learchus wissen. »Wir werden es überleben, Sergeant«, versicherte Mykola Shonai, die an Learchus vorbei in die unbeschädigten Vorzimmer ging, »aber wir müssen uns jetzt beeilen. Der Feind steht vor den Toren, und wir haben nur wenig Zeit.« Learchus hob den taumelnden Chanda mit einer Hand auf, als Jenna Sharben und Ario Barzano der Statthalterin folgten. Dutzende von Palastwachen und Soldaten umringten sie, als wollten sie ihr Unvermögen wettmachen, sie vor dem Beschuss zu schützen. Plötzlich blieb Shonai mit zur Seite geneigtem Kopf stehen und fuhr dann zu ihnen herum. »Warum steht der Energieschirm nicht?« Barzano überlegte einen Moment. »Das ist eigentlich eine verdammt gute Frage«, sagte er schließlich. Er öffnete einen Kanal im Kommnetz, der ihn mit seinen Gemächern und Lortuen Perjed verband. »Lortuen, alter Freund, sind alle wohlauf?« Nach einer längeren Pause antwortete Perjed schließlich. »Ja, uns allen geht es gut, Ario. Was ist mit Ihnen?« »Wir sind alle am Leben, was immerhin etwas ist, aber wir verschwinden von hier und sehen zu, dass wir die Vae Victus erreichen. Sammeln Sie alle ein und kommen Sie zu den Landeplattformen auf dem Dach des Ostflügels. Wir treffen uns dort.« Er schloss den Kanal und wandte sich an Learchus. »Sergeant, gehen Sie mit Ihren Männern in den Kontrollraum für die Luftabwehr und finden Sie heraus, warum die Schirme nicht aktiviert wurden. Tun Sie, was nötig ist, um die Schirme zu aktivieren.« Learchus setzte zu einem neuerlichen Protest an, doch Barzano ließ ihn nicht zu Wort kommen und zeigte auf das Dutzend Palastsoldaten. »Machen Sie sich keine Sorgen um meine Sicherheit, Sergeant. Ich bin sicher, dass wir hier genug Schutz haben.« Der Sergeant sah nicht überzeugt aus, nickte aber und reichte den schwankenden Chanda an zwei grau uniformierte Soldaten weiter. »Ich zeige Ihnen den Weg«, erbot sich ein junger Soldat. Learchus grunzte ein Dankeschön, und die vier machten sich im Laufschritt auf den Weg zum Kontrollraum. Die ehemals grimmige und imposante Fassade des Reviers der
Arbites sah aus, als habe es ein Belagerungstitan mit seiner riesigen Abbruchkugel bearbeitet. Die gesamte Westfassade war eingestürzt, sodass Bodenfliesen aus Plastibeton und verbogene Stahlträger zu sehen waren. Große, meterbreite Risse verliefen vom Boden zum Dach, und in den Mauern des Gebäudes klafften riesige Löcher. Die Verluste waren hoch, und innerhalb der Mauern war alles in Staub gehüllt und mit Trümmern übersät. Blutüberströmte Liktoren zogen verwundete Kameraden aus dem Schutt und gruben Überlebende aus, während Sanitäter verzweifelt versuchten, Wunden zu versorgen und zerquetschten Leibern neues Leben einzuhauchen. Virgil Ortega drängte sich durch die schockierte Menge und versuchte aus den Ereignissen der letzten Minuten schlau zu werden. Das Revier lag in Trümmern, und er gab sich alle Mühe zu ergründen, wie es zu solch einer Katastrophe hatte kommen können. Es war kein Granateneinschlag gewesen, das stand fest, da die Explosion von innen erfolgt war. Eine Bombe konnte niemand eingeschmuggelt haben, aber wie sollte es sich sonst abgespielt haben? Erklärungen und Vergeltung konnten später noch kommen. Wenn es ein Später gab, überlegte er, während er dem ohrenbetäubenden Donner des Granatbeschusses lauschte, da die Panzer der Verräter versuchten, sich mit Gewalt Zugang zu verschaffen. Hastig erteilte er sich im Stillen einen Verweis für diese kleine Ketzerei. Er war ein Krieger des Imperators, und solange noch Leben in ihm steckte, gab es keine Kapitulation. Er nahm sich jeden Mann, der noch kämpfen konnte, und brüllte ihnen seine Befehle zu. Dies war der erste Streich im Rahmen einer bewaffneten Rebellion, und wenn Mauern nachgaben, würde es mit Sicherheit knüppeldick für sie kommen. Sein Atem kam in kurzen, schmerzhaften Stößen, und in seinem Kopf pochte es heftig. Er hatte sich soeben erst selbst aus der Krankenabteilung des Reviers entlassen, und seine gebrochenen Rippen schmerzten immer noch heftig, aber er wollte verdammt sein, wenn er diesen Kampf aussaß. Er hätte es vorgezogen, die Verteidigung aus dem Revier zu organisieren, aber mittlerweile war das Gebäude in seinen Grundfesten erschüttert und sah aus, als werde es jeden Moment einstürzen. Geschützbatterien auf der mit Zinnen versehenen Brust-
wehr verliehen der Abwehr Schlagkraft, aber viele von ihnen waren durch die Explosion und den anschließenden Einsturz beschädigt worden. Überzeugt davon, alle für die Verteidigung möglichen Maßnahmen ergriffen zu haben, kehrte er zu den großen Toren des Reviers zurück, wo er Collix mit dem Kommgerät zurückgelassen hatte. Collix war blutüberströmt, und seine Rüstung war verbeult und mit Staub bedeckt. Virgil war angenehm überrascht über die Veränderung gewesen, die der junge Offizier in den letzten Tagen durchgemacht hatte. Er war zu einem hervorragenden Beamten gereift, und Ortega war froh, dass er die Explosion überlebt hatte. »Glück gehabt?«, fragte er. »Bisher noch nicht, Hauptmann. Alle anderen Reviere sind nicht im Netz. Wir werden gestört.« »Verdammt!«, fluchte Virgil. Alles war noch viel schlimmer, als er befürchtet hatte. »Versuchen Sie es mit dem PWM-Netz«, schlug er vor. »Das habe ich bereits. Das ist vollkommen gestört.« »Versuchen Sie es weiter, und rufen Sie mich, wenn Sie jemanden erreichen«, befahl Virgil. Collix nickte und widmete sich wieder seiner Komm-Ausrüstung. Ortega starrte auf das mit Schutt übersäte Gelände vor sich. Die Schutzzone des Reviers erstreckte sich dreihundert Meter weit von der Fassade des Gebäudes, und abgeschrägte Mauern, Panzerfallen und getarnte Gräben ermöglichten eine gestaffelte Verteidigung mit mehreren Linien, die seine hastig zusammengestellten Einsatztrupps sich einzunehmen beeilten. Doch was eigentlich ein klares Schussfeld hätte sein sollen, war jetzt mit riesigen Brocken aus Mauerwerk und Stahl übersät. Wenn der Feind die Mauern durchbrach, würde er reichlich Deckung haben. Er warf einen Blick auf die Rolltore, welche die Fahrzeughangars des Reviers schützten. Er konnte das Dröhnen der im Leerlauf tuckernden Motoren von den drei Leman-Russ-Panzern darin hören, welche den Liktoren zur Verfügung standen. Damit konnten sie den Feind hoffentlich noch überraschen. Eine gewaltige Explosion von den Mauern und ein Peitschenschlag flammender Energie kündigte den Ausfall der die Mauern schützenden Energieschirme an, da die Maschinengeister darin von der Masse des Beschusses erdrückt wurden. Sekunden später wurde ein Teil der Mauer nach innen gesprengt, und ein ganzer
Abschnitt stürzte ein. Das war es, der Angriff würde jetzt kommen. Virgil wusste, dass er angesichts der sehr begrenzten verfügbaren Zeit und Mittel getan hatte, was er konnte. Jetzt würde er sehen, ob das reichte. Danil Vorens senkte seine rauchende Laserpistole und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm vor sich. Ein benommenes Schweigen erfüllte den Kontrollraum der Palastverteidigung, da die Techniker vollkommen perplex waren über das soeben Geschehene. Lutricia Vijeon starrte mit vor Entsetzen weit aufgerissenem Mund auf die Leiche in der Mitte des Raums mit dem unregelmäßigen Loch, wo sich zuvor das Gesicht befunden hatte. Der alte Mann war hereingekommen, hatte seine Pfeife geschwenkt, ihnen zugerufen, sie sollten den Energieschirm einschalten, und sie alle zur Hölle gewünscht, weil sie Verrätern gestatteten, die Palastmauern zu verschandeln. Sie war überrascht gewesen, dass Vorens den Schirm nicht schon längst eingeschaltet hatte, und hatte gerade ihrer Besorgnis Ausdruck verleihen wollen, als der alte Mann hereingeplatzt war. Sie wusste nicht, wer er war, aber sein Rang musste extrem hoch sein, wenn er Zugang zur Kommandozentrale hatte. Er hatte Vorens angeschrien, der gelassen seine Pistole gezogen und ihm ins Gesicht geschossen hatte. Vorens hatte die Pistole gehalftert und den Blick über die Techniker im Kontrollzentrum wandern lassen. »Hat sonst noch jemand was dagegen, dass ich den Schirm nicht aktiviere?«, fragte er beiläufig. Niemand sagte etwas, und Lutricia spürte tief im Herzen eine Scham brennen. Das war Mord und Hochverrat. In diesem besonders geschützten Raum waren sie sicher und spürten nur eine Andeutung von dem Artilleriebeschuss, der den Rest des Palasts in Schutt und Asche legte, und sie richtete ein kurzes Stoßgebet an den Imperator, in dem sie Ihn um Verzeihung bat. Trotz der Anwesenheit eines Dutzends Palastgardisten fühlte Ario Barzano sich immer noch extrem verwundbar. Die Korridore bebten, da immer noch Panzer auf den Befreiungsplatz rollten und zu dem Geschosshagel beitrugen, der auf den Palast nieder-
ging. Er konnte von überall Gebrüll und Geschrei innerhalb des Palasts hören, da seine Bewohner in die Schutzräume im Keller und zu den Fährenplattformen rannten. In diese Geräuschkulisse mischten sich jetzt auch die Rufe eindringender Soldaten. Er hatte gesehen, dass Truppen in den Palast strömten, und wusste, dass die Männer hier nicht hoffen konnten, sie lange aufzuhalten. Von allen Verstärkungen abgeschnitten und über die bisher erlittenen grässlichen Verluste entsetzt, würden sie binnen kurzer Zeit überrannt werden. Seine vordringliche Aufgabe bestand jetzt darin, Mykola Shonai von hier wegzubringen. Mit ihr als Symbol, um das sich loyale Truppen scharen konnten, gelang es ihnen vielleicht, den Planeten zusammenzuhalten, bevor de Valtos seine Pläne verwirklichen konnte. Mykola Shonai hielt sich an seinem Arm fest, und hinter ihnen half Jenna Sharben dem obersten Berater der Statthalterin. Almerz Chanda hielt sie auf, da seine Verletzungen wohl doch ernster waren, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. »Wie weit ist es noch bis zu den Fährenhangars?«, fragte Barzano, der sicher war, dass die Rufe der angreifenden Soldaten näher kamen. »Nicht mehr weit. Wir müssten in ein paar Minuten da sein«, erwiderte Shonai atemlos. Der Korridor erbebte, als neue Granaten herabregneten und Barzano wie angewurzelt stehen blieb, weil vor ihnen ein Teil des Dachs einstürzte, die ersten sechs Männer ihrer Gruppe unter sich begrub und Staub und Trümmerstücke aufwirbelte, sodass die Luft unerträglich stickig wurde. Barzano rappelte sich auf und fluchte wie ein Seemann, als er sah, dass der Gang vor ihnen vollständig durch Trümmer versperrt war. Er zerrte einen keuchenden Soldaten auf die Beine und schrie: »Gibt es noch einen anderen Weg zu den Landeplattformen? Schnell, Mann!« Das Gesicht des jungen Soldaten war von einer Staubschicht bedeckt. Er hustete, dann nickte er. »Jawohl. Den Weg zurück, den wir gekommen sind. Das dauert länger, aber wir können es trotzdem noch schaffen.« Die Schreie und das Knattern von Handfeuerwaffen ertönten jetzt gefährlich nahe. »Verdammt, das sieht schlecht aus«, zischte Barzano.
Liktor Ortega sah den ersten Schuss, der das Revier traf, erst, als eine der Geschützbatterien aus der Mauer gesprengt wurde. Er sah, wie die brennenden Trümmer majestätisch von den Zinnen fielen, auf den Boden krachten und ein Dutzend Männer des Trupps in seiner rechten Flanke zerquetschten. Die verbliebenen Batterien eröffneten das Feuer auf die vordersten Panzer, die in der Bresche auftauchten. Das führende Fahrzeug explodierte, und sein Geschützturm wurde hoch in die Luft geschleudert. Der Rauch hatte sich noch nicht ganz verzogen, als drei Conqueror ihren zerstörten Kameraden beiseite fegten und eine Salve auf das Revier abfeuerten, die große Brocken aus der Fassade rissen. Das ohnehin instabile Gebäude gab schließlich nach. Liktoren liefen auseinander, als große Brocken Plastibeton und Stahl in einem tödlichen Regen herunterkamen und seine verwundeten Männer endgültig und vollständig unter sich begruben. Riesige Staubwolken blendeten Virgil, aber er konnte ganz eindeutig das Dröhnen der Motoren hören und überschrie das monotone Getöse. »Haltet stand! Keine Kapitulation!« Seine Stimme ging im Krachen der Kanonen unter, als sich die Geschütze des Reviers mit den feindlichen Panzern duellierten. Es war ein ungleicher Kampf, da die Conqueror schossen und dann rasch die Stellung wechselten, bevor die Batterien des Reviers sie richtig ins Visier bekommen konnten. Dennoch wurden alle drei Conqueror getroffen und zerstört, bevor nachfolgende Rebellentruppen mit Raketenwerfern und Mörsern die Geschütze des Reviers mit konzentrierten Salven rasch zum Schweigen brachten. Durch den Rauch und den Staub konnte Virgil die schattenhaften Umrisse von Panzerfahrzeugen ausmachen, und er hechtete in Deckung, als ihm schweres Laserfeuer aus dem Turm eines heranrasenden Chimäre-Transporters entgegenbrandete. Er richtete sich hinter einem der verstärkten Verteidigungswälle auf und rief seinen Männern zu: »Chimäre nähert sich aus elf Uhr!« Die beiden Liktoren hörten seinen Befehl, schwangen ihren Raketenwerfer herum und richteten ihn auf den Panzer. Das Geschoss verließ den rückstoßfreien Werfer und prallte frontal auf den Chimäre. Die Explosion durchtrennte eine Kette, durchschlug aber nicht den Rumpf. Das Fahrzeug geriet ins
Schleudern und krachte gegen eine abgerissene Betonplatte. Die andere Kette war noch in Bewegung, sodass sich das Fahrzeug langsam im Kreis drehte. Die hintere Rampe fiel herunter, und die Besatzung verließ den Transporter, bevor er ihr Sarg werden konnte. Virgil fluchte, als er die Angreifer zum ersten Mal deutlich sah. Pavonis-PWM! Er hatte gewusst, dass es die PWM sein musste, aber sie so offen seine Männer angreifen zu sehen, war trotzdem ein Schock. Der Zorn in ihm wuchs, bis er sich in einem unkontrollierten Ausbruch von Raserei Luft zu machen drohte, aber er unterdrückte die Wut in dem Wissen, dass in dieser Lage ein kühler Kopf vonnöten war. Eine weitere Rakete segelte durch die offene Mannschaftsluke des Chimäre. Der Transporter explodierte, als Brennstoff und Munitionsvorrat hochgingen. Die Stichflamme zuckte wie aus einem gewaltigen Flammenwerfer über die Rampe. Brennende PWMSoldaten rannten schreiend davon, während in den Reihen der Arbites Jubel laut wurde. Der Jubel verstummte sofort, als das unverkennbare metallische Husten von massiertem Mörserbeschuss ertönte. »Deckung!«, brüllte Virgil, indem er sich zu Boden fallen ließ und die Hände über dem Kopf verschränkte. Die Granaten landeten mit lautem Gekreisch und in einer Kette dröhnender Explosionen, die das gesamte Gelände erschütterten. Den meisten Arbites war es gelungen, eine sichere Deckung zu erreichen, bevor die Granaten einschlugen, aber jene, die das nicht geschafft hatten, wurden von einem Hagel von Granatsplittern zerfetzt. Virgil grub sich tiefer in sein Schutzloch, als ringsumher Salve um Salve einschlug. Solange sie hinter den Wällen den Kopf unten hielten, würden die Verluste durch das Mörserfeuer minimal bleiben, war Virgil klar. Aber ihm war auch klar, dass in jedem Augenblick, den sie in Deckung verbrachten, die PWM näher kam. Virgil riskierte einen Blick über den Wall und fluchte, als er vier Chimäre-Transporter in der Anfahrt auf seine Stellung sah. Die jähe Stille, als das Mörserfeuer aufhörte, war eine segensreiche Erleichterung, und Virgil erhob sich mit seiner Schrotflinte im Anschlag.
Die sechs PWM-Soldaten auf der anderen Seite des Walls waren ebenso überrascht wie er über die unerwartete Begegnung. Virgil feuerte eine Ladung Schrot auf sie ab. Aus dieser Nähe tötete der Schuss zwei Soldaten sofort, während ein dritter schreiend zu Boden ging. Er flankte über den Wall, schwang die Beine herum und trat dem nächsten Soldaten ins Gesicht, sodass er gegen die verbliebenen beiden prallte. Bei der Landung lud er die Schrotflinte durch. Bevor sie sich aufrappeln konnten, erledigte er die drei mit Schüssen in die Brust. Neben ihm schlug etwas in die Mauer, und er zuckte zurück, als der verwundete Soldat noch einmal mit seiner Pistole schoss. Virgil sprang vor und rammte dem Mann den Kolben seiner Schrotflinte mit Wucht auf den Schädel. Sofort flankte er wieder zurück hinter den Wall und betrachtete kurz die Linie der kämpfenden Arbites. Die Lage war schlimm, aber nicht aussichtslos. Die rebellierenden PWM-Soldaten hatten mehr Männer und leichte Artillerieunterstützung, aber auf Virgils Seite kämpften einige der gefürchtetsten Soldaten des Imperiums. Und die überlegene Ausbildung, Bewaffnung und Disziplin der Arbites demonstrierte nun ihren Wert, denn Virgil sah, dass der Angriff der PWM ins Stocken geriet. Anstatt vorzurücken, suchten die Angreifer Deckung hinter ihren Transportern und feuerten sporadisch mit ihren Laserwaffen. Er wusste, dass sie mit einem starken Gegenangriff zurückschlagen mussten, wenn sie die PWM besiegen wollten. »Collix!«, rief er. »Kommen Sie her!« Sergeant Collix kam geduckt zu Virgil gelaufen und feuerte dabei seine Schrotflinte aus der Hüfte ab. »Hauptmann?«, sagte Collix, dessen Atmung und Puls im Takt mit dem Adrenalin rasten. »Sagen Sie dem Veritas-Geschwader Bescheid, dass wir sie jetzt brauchen! Sie müssen die rechte Flanke des Feindes angreifen. Wenn sie ihnen schnell und schwer genug zusetzen, können wir die Linie der Rebellen aufrollen und sie zurückdrängen!« Während Collix hektisch ins Kommnetz sprach, lud Virgil seine Schrotflinte mit neuen Patronen. »Hauptmann! Geschwaderführer Wallas meldet, dass nur Rechtschaffene Gerechtigkeit richtig geweiht wurde. Göttliche Autorität und Heiliges Gesetz müssen noch gesegnet werden und sind erst
in einigen Minuten einsatzbereit.« Ortega knurrte, riss Collix das Gerät aus der Hand und brüllte hinein. »Wallas, setzen Sie sofort die verdammten Panzer in Bewegung, oder ich komme zu Ihnen und reiße Ihnen Ihr vom Imperator verfluchtes Herz raus und füttere Sie damit! Haben Sie mich verstanden?« Er wartete die Antwort nicht ab, sondern warf Collix das Gerät wieder zu. Sekunden später hob sich das gepanzerte Tor des Fahrzeughangars. Rechtschaffene Gerechtigkeit, ein ehrwürdiger Leman Russ, rollte heraus, und seine Geschütze sprengten große Löcher in die Reihen der PWM. Zwei Chimäre explodierten in rascher Folge, als die Kanoniere der Arbites ihre Ziele fanden. Kugeln aus Handfeuerwaffen prallten von der dicken Panzerung ab, während Rechtschaffene Gerechtigkeit seine Angreifer mit Boltpatronen eindeckte und Männer im Dutzend fällte. Virgil grinste bei sich. Beim Imperator, sie konnten es schaffen! Die PWM-Soldaten flohen vor dem angreifenden Kampfpanzer, da sie ihn nicht einmal ankratzen konnten. Virgil stockte der Atem, als er den Kondensstreifen einer Rakete auf den Panzer zurasen sah. Die Rakete traf den Panzer in der Flanke und hüllte ihn in Rauch. Der Panzer tauchte aus der Rauchwolke auf, und Virgil konnte erkennen, dass die auf dem Rumpf montierte Laserkanone abgerissen, aber sonst kein Schaden angerichtet worden war. Virgil seufzte erleichtert. »Männer des Imperators, unsere Zeit ist gekommen! Angriff!«, rief er und sprang wiederum über den Verteidigungswall. Die Arbites erhoben sich und rannten schießend über das verwüstete, mit Leichen übersäte Gelände. Ihr Blut war in Wallung, und der Anblick des Kampfpanzers, wie er ihre Feinde zerschmetterte, gab ihnen die Kraft, die Verräter unter ihren Stiefelabsätzen zu zermalmen. Vom Doppelschlag des Panzerangriffs und der schreienden Liktoren überwältigt, ließen sich die PWM-Soldaten zurückfallen. Virgil schoss einem Soldaten in den Rücken und einem anderen in die Brust, und dann sah er drei Conqueror durch die Bresche in der Mauer brechen. Deren großkalibrige Boltgewehre beharkten
das Schlachtfeld vor ihnen, als die Panzerkommandanten aus allen Rohren feuern ließen. Der Beschuss war wahllos und das daraus resultierende Blutvergießen sagenhaft, da Kugeln und Laserstrahlen gleichermaßen PWM-Soldaten wie Liktoren fällten. Der kurze Angriff von Rechtschaffene Gerechtigkeit wurde abrupt beendet, als sein Turm gleichzeitig von einer Rakete und dem grellen Strahl einer Laserkanone getroffen wurde. Die Munition der Hauptkanone explodierte und jagte den Panzer in die Luft. Das Ableben von Rechtschaffene Gerechtigkeit fiel mit der Ankunft von Göttliche Autorität und Heiliges Gesetz zusammen. Ihr Auftauchen war wie ein Donnerschlag, und ihre Boltpatronen beharkten die exponierten PWM-Soldaten, während ihre Hauptgeschütze große Löcher in den Boden sprengten. Virgil rief eine Warnung, als er eine Gruppe von PWM-Offizieren auf Göttliche Autorität zustürmen sah. Einer der feindlichen Offiziere trug eine Panzerfaust, deren klobige Form in zerstörerische Energien gehüllt war, welche die Panzerung eines Leman Russ leicht durchschlagen konnten. Der Offizier sprang mit erhobener Panzerfaust vor. Die auf dem vorderen Rumpf von Göttlicher Autorität montierte Laserkanone schoss und verdampfte einen seiner Kameraden, aber der Rest lief weiter. Der Fahrer von Göttliche Autorität erkannte die Gefahr und versuchte sich von den angreifenden Offizieren abzuwenden, aber es war schon zu spät. Der erste Offizier schmetterte seine Panzerfaust in die Seite des Panzers, die den Rumpf weit aufriss und die Adamantiumhaut abpellte. Der Panzer schleuderte herum, donnerte gegen eine Betonmauer und fällte sie zusammen mit vier hinter ihr kauernden PWM-Soldaten. Die anderen Offiziere schossen ihre Waffen durch den gewaltigen Riss leer, und die Besatzung wurde im Kugelhagel abgeschlachtet. Granaten explodierten rings um sie, als Arbites sich mühten, ihre gefallenen Kameraden zu rächen, aber die Offiziere flohen im Rauch der Schlacht und entkamen der Vergeltung. Virgil sah noch mehr Chimäre-Transporter durch die Bresche fahren. Hunderte von Soldaten folgten ihnen, und die Geschütze der drei Conqueror töteten weitere Liktoren. Der Gegenangriff der Arbites, bestenfalls ein fadenscheiniges Unternehmen, geriet im Angesicht eines derart fürchterlichen
Blutzolls ins Stocken. Als die Anzahl der Toten steil anstieg, brach die Reihe der Arbites plötzlich, welche die durch die Conqueror hervorgerufenen schrecklichen Verluste nicht länger verkraften konnten. Zunächst konnte Virgil sie noch zusammenhalten, doch als zunehmende Explosionen und Schüsse immer mehr Liktoren niedermähten, wurde aus dem Rückzug eine wilde Flucht. Heiliges Gesetz umfuhr die rauchenden Überreste von Göttliche Autorität und schoss unablässig in dem Versuch, den Liktoren die Zeit zum Rückzug zu erkaufen. Die PWM-Soldaten sprengten vor dem Panzer auseinander, der den Chimären entgegenrumpelte. Seine Laserkanone schoss, bohrte sich durch die Heckpanzerung eines der Transporter und zerstörte den Motor in einer gelben Stichflamme. Dessen gewaltige Explosion schleuderte das Vehikel sich überschlagend in die Luft. Das brennende Wrack krachte im schiefen Winkel auf einen zweiten Transporter und zerschmetterte dessen linke Kette. Durch den Aufprall brach die Hauptantriebswelle, die explosionsartig abwärts stieß. Mit laut aufheulendem Motor wurde der Chimäre in die Höhe katapultiert. Sich drehend, krachte er zu Boden und explodierte in einem grell orangefarbenen Feuerball, der ein gutes Dutzend PWM-Soldaten einäscherte. Trotz dieser Verluste raubten die Conqueror und die PWM der Verteidigung das Herz. Die meisten Liktoren waren bei ihrer Flucht niedergemäht worden, und Virgil war klar, dass das Revier verloren war. Er sah, wie der Offizier, der auch schon Göttliche Autorität geknackt hatte, Heiliges Gesetz angriff. Seine Panzerfaust knisterte vor tödlicher Energie. Virgil schoss mit seiner Schrotflinte auf den Mann, weil er dem letzten seiner Panzer unbedingt helfen wollte, aber die Entfernung war zu groß. Heiliges Gesetz gab Gas. Der Fahrer hatte gesehen, wie sein Kamerad von der Panzerfaust erledigt worden war, und schien keine Lust zu haben, dasselbe Schicksal zu erleiden. In der Erkenntnis, dass Geschwindigkeit seine einzige Überlebenshoffnung war, steuerte er auf den Offizier zu, um den Mann unter seinen Ketten zu zermalmen. Der Verräter sprang vor und ließ seine Panzerfaust auf Heiliges Gesetz niedersausen. Die Glieder der Ketten rissen. Die Zahnräder, welche die Ketten bewegten, drehten sich im Leerlauf. Orange Funken stoben, und die Ketten knarrten, als die Panzerfaust darin eingewickelt wurde. Das ganze
Vehikel bebte, als die wild peitschende Kette den sich wehrenden Offizier in die Tiefe zog. Der Offizier kreischte, als er fiel. Sein Arm wurde in einem Schwall aus Blut und Knochen aus dem Gelenk gerissen, als die Überreste der gerissenen Kette ihn unerbittlich unter die Masse des Panzers zerrten. Er konnte noch ein Mal schreien, bevor Heiliges Gesetz ihn überrollte und vollständig zerquetschte. Virgil, der aus einem Dutzend Wunden blutete, rannte zu den Überresten des Reviers. Der Kampf war verloren, und jetzt kam es nur noch darauf an, so viele seiner Männer wie möglich in Sicherheit zu bringen. Er wusste, dass ihre Aussichten dürftig waren, aber Virgil Ortega war nicht der Mann, der kampflos aufgab. Was er tun konnte, um diesen verräterischen Abschaum zu behindern, war es ganz sicher wert, auch getan zu werden. Aber zuerst musste er versuchen, mit einer Kampftruppe zu seiner Verfügung von hier zu entkommen. Einstweilen hatten sie eine Atempause. Die überlebenden PWM-Soldaten hatten ihren Angriff vorerst unterbrochen, da ihnen der entsetzliche Tod ihres Kommandanten und die bizarre Zerstörung der zwei Truppentransporter arg zugesetzt hatten. Doch die Gnadenfrist währte nicht lange: Eine Laser-Salve zerstörte Heiliges Gesetz, bevor auch nur ein Mitglied der Besatzung aus dem bewegungsunfähigen Panzer entkommen konnte. Virgil versammelte alle noch kampffähigen Liktoren um sich, die er finden konnte, und scheuchte sie zu den Ruinen des Reviers. Wenn noch genug von den Untergeschossen die Explosion überstanden hatten, konnten sie durch die Tunnel unter dem Revier in den Palast gelangen. Er sah, dass auch Collix zu den Überlebenden gehörte. Gut, vielleicht brauchten sie das Kommnetz noch. Virgil wusste, dass Flucht jetzt ihre einzige Option war, und wenn sie an die schweren Waffen des Arsenals unter dem Palast kommen konnten, würden sich ihre Aussichten auszuhalten erheblich verbessern. Er schwor sich, dafür zu sorgen, dass diese verdammten Rebellen noch den Tag verfluchen würden, an dem sie Virgil Ortega begegnet waren. Lutricia Vrjeons Gedanken überschlugen sich wie ein in die tiefe stürzender Bahnwaggon, als sie versuchte, aus den Vorgängen irgendwie schlau zu werden. Vorens hatte vor allen Leuten einen Mann getötet und ließ zu, dass der Palast beschossen wurde. Lut-
ricia war eine treue Dienerin des Imperators und wusste, dass irgendjemand etwas tun musste, aber wer? Sie? Sie zitterte vor Furcht am ganzen Leib, als ihr aufging, dass sie Vorens nicht gewachsen war und ihr Vorgesetzter sie zweifellos töten würde. Sie war Technikerin, um des Imperators willen! Sie war für so etwas nicht ausgebildet. Wie konnte man von ihr erwarten, gegen einen mit einer Laserpistole bewaffneten Mann zu kämpfen? Schweiß lief ihr in stetem Rinnsal in die Augen. Alle fuhren zusammen, als ein dumpfer Krach durch den Kontrollraum hallte, der wie ein gewaltiger Hammerschlag vor die Haupttüren klang. Sogar Vorens sah besorgt aus, und sie warf einen Blick auf die externe Bildanzeige. Ihr Herz tat einen Sprung, als sie drei gewaltige Krieger in der Rüstung der Space Marines sah. Ja! Diese heiligen Krieger würden diesem Albtraum ein Ende bereiten, und sie spürte, wie ihr angesichts dieser Erhörung ihrer Gebete eine große Last von den Schultern fiel. Doch je länger sie das Bild betrachtete, desto mehr sanken ihre Hoffnungen. Der Eingang zur Kommandozentrale war so gebaut worden, dass er auch schwersten Angriffen widerstehen konnte, und nicht einmal die Kraft der drei Space Marines reichte, um den drei Meter dicken Stahl zu zerstören. Eine huschende Bewegung erregte ihre Aufmerksamkeit, und sie sah, dass ihre Anzeige eine Flugmaschine im Anflug meldete. Telemetriedaten blinkten auf ihrer Anzeige, als die Logikmaschinen ihr Kurs, Geschwindigkeit und Höhe des neuen Kontakts meldeten. Es war ein Thunderhawk. Sie warf einen verstohlenen Blick auf Vorens, der angesichts der vergeblichen Versuche der drei Space Marines, in die Kommandozentrale einzubrechen, in breites Grinsen ausgebrochen war. Lutricia ging auf, dass ihr nur ein paar Augenblicke blieben, um diese Gelegenheit zu ergreifen. Vorens würde den Thunderhawk im Anflug mit Sicherheit bald bemerken. Sie überlegte angestrengt, wie sie die Situation zu ihrem Vorteil ausnutzen konnte. Ihre Furcht wich einer beängstigenden Ruhe, als ihr plötzlich klar wurde, was sie zu tun hatte. Mit der Schnelligkeit des geübten Profis huschten ihre Finger über die Runen ihrer Station und übermittelten dem Thunderhawk die genauen Positionsdaten der Kommandozentrale. Es war vielleicht nicht viel, aber mehr konnte sie nicht tun.
Sie sah, dass Vorens den Thunderhawk auf dem Hauptschirm erblickte, und hoffte, ihr kleiner Beitrag würde reichen, während er sich beeilte, die Abwehrroutinen der Servitoren zu aktivieren. Das Sonnenlicht der Landeplattform fiel auf Barzanos kleine Gruppe, und der Inquisitor war noch nie so erleichtert gewesen, den Himmel zu sehen, wie in diesem Augenblick. Sie eilten schwankend zu einer schwarzen Fähre, deren Antrieb heulte, da der Pilot die Maschine in ständiger Startbereitschaft hielt. Durch die geöffnete Seitenluke konnte er Lortuen Perjed und seine Gruppe von Schreibern sehen. Er lächelte über den willkommenen Anblick des über sie hinwegrasenden Thunderhawk der Ultramarines. Jenna Sharben ging voran und zerrte Mykola Shonai zur Fähre und der Sicherheit entgegen. Der letzte Palastgardist half dem schwankenden Almerz Chanda. Der Ratgeber der Statthalterin stolperte und fiel auf die Knie, als Barzano ihn passierte. Er ging weiter, bis er Jenna Sharben eingeholt hatte, und half ihr bei der Statthalterin. Ein Lasergewehr feuerte, trotz des Motorengeheuls der Fähre schockierend laut. Barzano fuhr herum und fragte sich, wie die Rebellen so schnell hatten aufschließen können. Er ließ sein Gewehr von der Schulter gleiten, ging auf die Knie und versuchte aus dem Anblick schlau zu werden, der sich ihm bot. Almerz Chanda stand vor der Leiche des Palastgardisten und hielt kundig ein rauchendes Lasergewehr. Er gab einen Schuss auf Barzano ab, der diesen hoch in die Schulter traf und ihn zurück und gegen die Fähre schleuderte. Barzano schrie vor Schmerzen und ließ die Waffe fallen. Jenna Sharben drehte sich um und wurde von einem gleichermaßen gut gezielten Schuss von den Beinen geholt. Statthalterin Shonai stand vor der Fähre und starrte Chanda voller Entsetzen an, als dieser zu ihr ging. Er hob sein Gewehr, zielte damit durch die Pilotenkanzel und fuhr sich in einer vielsagenden Geste mit der Handkante über den Hals. Das Geheul der Triebwerke schwoll ab, als der Pilot sie herunterfuhr und seine Sicherheitsgurte löste. Chanda erschoss ihn durch die Kanzel. Barzano mühte sich hochzukommen, als grau uniformierte PWM-Soldaten aus dem Palast auf die Landeplattform stürmten.
Mykola Shonai stand vor Chanda, und ihr Gesicht war eine granitene Maske des Zorns. »Warum?«, fragte sie nur. »Sie sind die Vergangenheit«, erwiderte Chanda, »und kleben schwach und jämmerlich an Ihrer überholten Treue zu einem verschrumpelten Leichnam auf einem Planeten, den Sie nie gesehen haben.« »Sie widern mich an, Almerz. Kaum vorstellbar, dass ich Sie für einen Freund gehalten habe.« Sie schlug Chanda fest und spie ihm ins Gesicht. Chanda rammte ihr den Kolben seines Gewehrs ins Gesicht, und sie ging zu Boden. Blut spritzte ihr aus der gebrochenen Nase. Aber sie starrte ihn dennoch voller Trotz und Wut an. Barzano versuchte die Schmerzen der Laserwunde in der Schulter zu ignorieren. Er wusste, dass ihre Flucht gescheitert war, aber er war entschlossen, dieses blasphemische Stück Dreck mit in die Hölle zu nehmen. Er versuchte die Hand zu heben, um mit seinem Fingernadler zielen zu können, doch Chanda kniete sich neben ihn und griff in seine Haare. »Das wollte ich schon lange tun«, flüsterte Chanda und schlug Barzanos Kopf gegen den Rumpf der Fähre. »Machen Sie schon und bringen Sie es zu Ende«, knurrte Barzano, in dem Übelkeit aufstieg. »Oh, ich werde Sie nicht töten, Ario. Nein, es gibt einen... Spezialisten in Diensten meines Arbeitgebers, bei dem Sie, glaube ich, einen Termin haben. Einen Chirurgen von erstaunlicher Fertigkeit.« Barzano hustete Blut. »Warum können Sie seinen Namen nicht nennen? Bleibt Ihnen der Gestank Ihres Verrats im Halse stecken? Kann Ihr winziger Verstand das Ausmaß des Fehlers, den Sie gerade gemacht haben, überhaupt begreifen?« Chanda lachte, während PWM-Soldaten die Fähre umzingelten. »Fehler?«, zischte Chanda, sodass nur Barzano ihn hören konnte. »Ich glaube nicht. Sie haben einen Fehler gemacht, als Sie hergekommen sind. Bald werde ich zu einer Gruppe unsterblicher Krieger gehören und an der Seite eines wiedererweckten Gottes kämpfen!« Jetzt lachte Barzano, obwohl ihm davon Schmerzen durch Brust und Kopf schossen. »Hat de Valtos Ihnen das gesagt?«, höhnte er. »Dann sind Sie
ein noch größerer Dummkopf, als ich gedacht habe. Ich kann Ihre Furcht vor ihm spüren. Wenn de Valtos sein Vorhaben verwirklicht, werden Sie sterben. Man wird Ihnen die Lebensenergie rauben, um den Hunger dieser Kreatur zu stillen, die er Gott nennt.« Chanda erhob sich mit wütender Miene, wandte sich ab und sprach eilig in ein kleines Kommgerät, das er aus der Tasche zog. Barzano mühte sich, die Worte über das Zischen der Laserkanonen und das Krachen der Granaten mitzubekommen, konnte sie aber nicht verstehen. Er schaute in der Hoffnung zum Himmel, den Thunderhawk der Ultramarines auf der Plattform landen zu sehen, aber die Flugmaschine jagte, von beängstigendem Luftabwehrfeuer verfolgt, in die Wolken. Das erklärte zumindest, warum der Energieschirm nicht aktiviert worden war. Irgendwie war es de Valtos gelungen, einen seiner Leute in das Personal im Kontrollraum einzuschleusen, der dann die Aktivierung verhindert hatte. Er fragte sich, was aus Learchus und den beiden Space Marines geworden war, die er zum Kontrollzentrum geschickt hatte. Eine Fähre näherte sich im Tiefflug und setzte in einer Wolke von Abgasen am entfernten Ende der Plattform auf. Die Tür der Fähre glitt zurück, und eine kleine Gruppe stieg aus. Die vor hämischer Freude strahlende Gestalt von Kasimir de Valtos betrat die Plattform, eine Ledertasche fest an die Brust gepresst. Vendare Taloun folgte ihm, und Barzano sah den verzweifelten Blick eines in Umständen jenseits seiner Herrschaft verstrickten Mannes. Hinter den Kartell-Männern kamen zwei schlanke, grazile Gestalten, und Barzano verspürte einen Anflug von Beklommenheit, als er den geschmeidigen Gang der Eldar an ihnen registrierte. Diese beiden Nichtmenschen waren Angehörige der dunkleren Sekten, die jenseits der normalen Gefilde der Galaxis lebten, und ihm war sofort klar, dass es vielleicht besser für sie alle gewesen wäre, wenn sie schon beim Angriff auf den Palast ums Leben gekommen wären. Die Frau bewegte sich mit der Grazie einer Tänzerin, und jede ihrer Gesten ließ sinnliche Tödlichkeit erahnen, während der Mann steif und vornübergebeugt ging, als sei er das Tageslicht nicht gewöhnt. Beide hatten grausame, violette Augen und eine Haut so bleich wie poliertes Elfenbein. Die Frau hatte kaum ein Auge für ihn, aber der andere warf ihm einen Blick von solcher Leere zu, dass sogar Barzanos abgebrühte
Seele fröstelte. Almerz Chanda übergab sein Gewehr einem nervösen PWMSoldaten, und Barzano konnte ihr Unbehagen beim Anblick der Eldar spüren. Damit hatte keiner von ihnen gerechnet. Kasimir de Valtos stand vor der reglos daliegenden Statthalterin und lächelte. Er genoss den Augenblick seines Triumphs. »Darauf habe ich lange gewartet, Shonai«, sagte er schließlich. Barzano mühte sich, bei Bewusstsein zu bleiben, während Chanda vor seinen wahren Herrn trat. »Ich habe sie Ihnen geliefert, wie ich es versprochen habe, Mylord.« Kasimir de Valtos drehte sich zu Chanda um und nickte. »Das haben Sie in der Tat, Almerz. Sie haben bewiesen, dass Ihr Verrat vollkommen ist.« Barzano spürte Chandas Verwirrung und Unbehagen sogar noch über die Gefühle der PWM-Soldaten auf der Plattform hinweg. »Ich habe alles getan, was Sie von mir verlangt haben, Mylord.« De Valtos neigte den Kopf in Richtung der Eldarfrau. Ihre Hand zuckte blitzschnell zu ihrem Ledergürtel, und plötzlich steckte ein Pfeil in Chandas Hals. Der Mann sank auf die Knie, und die Haut rings um den Pfeil schwoll beängstigend schnell an. »Mein lieber Almerz«, gurrte de Valtos. »Sie haben einen Herrn verraten, warum sollte ich darauf vertrauen, dass Sie mich nicht ebenfalls verraten? Nein, besser, es endet so.« Chanda fasste sich an den Hals und rang nach Atem. Binnen Sekunden waren seine gurgelnden Schreie verstummt, da er ohnmächtig wurde und zusammenbrach. De Valtos wandte sich an den männlichen Eldar. »Machen Sie mit ihnen, was Sie wollen.« Er stupste Chandas reglose Gestalt mit der Stiefelspitze an. »Aber sorgen Sie dafür, dass Sie diesem hier zuerst die Ehre erweisen.« Barzano verspürte keine Befriedigung über Chandas Schicksal, sondern hatte lediglich das Übelkeit erregende Gefühl, dass sich eine Katastrophe anbahnte. Denn wenn Kasimir de Valtos tatsächlich so wahnsinnig war, wie es den Anschein hatte, würde er eine Kraft freisetzen, von der nicht einmal Barzano wusste, wie man sie besiegen konnte. De Valtos richtete den Blick auf Barzano, und die emphatischen Sinne des Inquisitors schreckten vor den Tiefen des Wahnsinns dieses Mannes zurück.
»Ich weiß, was Sie tun, de Valtos«, krächzte Barzano. »Und Hauptmann Ventris auch. Er weiß alles, was ich weiß, und ich verspreche Ihnen, dass er Sie nicht triumphieren lassen wird. In diesen Minuten wird er mehr Schiffe und Männer anfordern, um Sie zu besiegen.« Kasimir de Valtos schüttelte den Kopf. »Wenn Sie wirklich wissen, was ich beabsichtige, dann wissen Sie ebenso gut wie ich, dass mehr Schiffe und Männer gar nichts erreichen werden.« Barzano wollte antworten, aber die Worte blieben ihm im Halse stecken. Weil er wusste, dass Kasimir de Valtos Recht hatte.
16. Kapitel Barzano hörte Almerz Chandas Schreie durch den Zellenblock hallen und hoffte, dass die Folter so schmerzhaft war, wie sie klang. Ihm war es egal, dass ein Nichtmensch ein menschliches Wesen folterte. Durch den Bruch seines Treueeids dem Imperator gegenüber hatte Chanda jedes Recht auf Mitgefühl verwirkt. Der Inquisitor hatte keine klare Vorstellung, wie lange sie schon eingesperrt waren, da er irgendwann aufgrund der Schmerzen das Bewusstsein verloren hatte. Er war in dieser Zelle zu sich gekommen, aller Waffen beraubt, sogar des Fingernadlers, der im Ring an seinem rechten Zeigefinger verborgen war. Seine Laserwunde war gesäubert und verbunden und Mykola Shonais gebrochene Nase war ebenfalls gerichtet worden. Offenbar wollte der nichtmenschliche Chirurg nicht an beschädigten Objekten arbeiten. Der Zellenblock, in dem sie gefangen gehalten wurden, war ins Kreuzgewölbe in den Grundfesten des Palasts eingearbeitet: In jeden Steinbogen waren stählerne Gitterstäbe einzementiert. Jede Zelle war mit einem schlichten Bett und einem am Boden befestigten Abort möbliert. Was Gefängnisse betraf, war dieses besser als viele, in die er schon Verräter gesperrt hatte. Lortuen Perjed und seine Schreiber schmachteten in der Zelle gegenüber, und Barzano nahm erfreut zur Kenntnis, dass keiner von ihnen im Zuge des Umsturzes verletzt worden war. Barzano teilte sich die Zelle mit Mykola Shonai, die mit wutverzerrtem Gesicht in der Ecke saß, und Jenna Sharben, die auf dem
Bett lag und deren Wunde man nicht behandelt hatte. Sie hatte einen Laserstrahl in den Bauch abbekommen, und obwohl die Hitze die Schusswunde kauterisiert hatte, argwöhnte Barzano, dass sie innere Blutungen hatte. Seit Chandas Verrat auf der Landeplattform war sie bewusstlos, und ohne medizinische Hilfe würde sie in ein paar Stunden tot sein. Anscheinend war sie die Aufmerksamkeit des Skalpells des Chirurgen nicht wert. Als die Statthalterin zu sich gekommen war, hatte sie sich an der Zellentür ausgetobt, gegen die Wand getreten und Verwünschungen gebrüllt, die einem Schauermann die Schamröte ins Gesicht getrieben hätten. Barzano hatte sie von der Tür weggezogen und mit Versprechungen von Rettung und Vergeltung beruhigt. Er hatte keine Ahnung, wie er diese Versprechungen erfüllen sollte, wusste aber, dass ihnen noch einige Möglichkeiten offen standen. Er ging wieder zum Bett und wischte Jenna Sharben mit seinem Ärmel die Stirn trocken. Ihre Haut war kalt und grau. Sie hatte bereits die Farbe eines Leichnams. »Ich verspreche Ihnen, Sie werden nicht sterben, Liktor Sharben«, flüsterte Barzano. »Noch ein Versprechen, von dem Sie nicht wissen, wie Sie es halten sollen?«, fragte Shonai. »Ganz und gar nicht, Mykola. Ich gebe niemals Versprechen, die ich nicht halten kann«, versicherte Barzano. Er legte eine Hand auf sein Herz. »Das verspreche ich.« Mykola Shonai lächelte wider Willen. »Glauben Sie wirklich, wir können uns befreien? Ich meine, in der Stadt sind mindestens drei Regimenter Soldaten, allein in diesem Block wahrscheinlich über zweihundert, und nur der Imperator weiß, wie viele im Palast umherschleichen.« Barzano zwinkerte. »Vergessen Sie die drei Space Marines nicht.« »Ich habe sie nicht vergessen, aber Sergeant Learchus und seine Männer sind doch gewiss längst tot?« »Das bezweifle ich doch sehr, meine liebe Mykola. Ich bin sicher, de Valtos hätte großen Spaß daran gehabt, sie uns vorzuführen, wenn sie tot wären. Nein, ich glaube nicht, dass Sergeant Learchus so leicht umzubringen ist, und er wird einen Weg gefunden haben, sich mit der Vae Victus in Verbindung zu setzen.« »Und Sie glauben, Hauptmann Ventris wird versuchen, uns zu retten?«
»Ich bin sicher, nicht einmal die Dämonen des Warpraums könnten ihn daran hindern.« »Ein Befreiungsversuch wäre praktisch ein Selbstmordunternehmen. « »Wahrscheinlich«, stimmte Barzano zu, »aber können Sie sich vorstellen, dass Uriel sich davon abhalten lässt?« »Nein, wohl nicht«, sagte Mykola, indem sie den Kopf gegen die Zellenwand lehnte. Sie schloss die Augen, und Barzano glaubte, sie sei eingeschlafen. Aber ohne die Augen zu öffnen, sagte sie: »Dieses Schiff, von dem Sie glauben, dass de Valtos scharf darauf ist - kann er es wirklich bekommen?« »Ich bin nicht sicher. Wir wissen, dass ein Mitglied einer uralten Rasse, die wir C'tan nennen, irgendwo in diesem Sektor in eine Art Stase gefallen ist. Wir wissen aber nicht, wo genau. Wir glauben, dass der Nachtbringer einmal sein - in Ermangelung eines besseren Wortes - Flaggschiff war. Es gibt im Laufe der Geschichte uralte Schriften über und Hinweise auf dieses Schiff und seinen Herrn, aber wir wissen dennoch kaum etwas darüber. All das hat in einer Zeit lange vor dem Aufstieg der Menschheit stattgefunden, und wir wissen so gut wie nichts mit Bestimmtheit.« »Dieser... C'tan, was war das für ein Wesen?« »Das kann niemand mit Sicherheit sagen. Wahrscheinlich befindet er sich schon seit Millionen von Jahren in dieser Stase, und alle Aufzeichnungen sind, gelinde gesagt, unklar. Ich habe alles gelesen, was ich über den Bringer der Finsternis finden konnte, weiß aber dennoch praktisch nichts über ihn. Bis auf eines.« »Und das wäre?«, fragte Mykola zögerlich. »Der Nachtbringer ist der Tod in Person. Seine Träume sind der Stoff, aus dem die Albträume jeder Rasse sind, der Inbegriff des Untergangs. Jeder Gedanke, den Sie jemals in Bezug auf den Schrecken des Todes und der Sterblichkeit hatten, stammt von diesem Wesen. Als es vor Äonen noch zwischen den Sternen fuhr, hat es dieses Vermächtnis im kollektiven rassischen Bewusstsein beinahe jeder Spezies dieser Galaxis hinterlegt.« »Können wir so ein Wesen besiegen?« »Wollen Sie die Wahrheit hören?« »Natürlich.« Barzano wartete, bis die Echos neuerlicher Schreie aus Almerz Chandas Kehle verhallt waren. »Nein«, sagte er leise, »ich glaube nicht, dass wir das können.«
Die majestätische Form der Vae Victus richtete ihre gewaltige Masse langsam auf die Oberfläche von Pavonis aus, während in ihren vorderen Linearbeschleunigern unvorstellbare Energien aufgebaut wurden. Nur wenige wussten, über welche sagenhaften Zerstörungsgewalten der Kommandant eines Raumschiffs gebot. Er konnte Städte dem Erdboden gleichmachen und Kontinente spalten. Mochten die Kapitäne der imperialen Raumflotte noch so sehr mit den Fähigkeiten ihrer großen Kriegsschiffe prahlen, es gab nichts, was sich hinsichtlich destruktiver Geschwindigkeit und Effizienz mit einem Schlachtkreuzer der Space Marines messen konnte. In regelmäßigen Abständen stachen Strahlen von Abwehrlasern aus gepanzerten Silos auf der Oberfläche in den Himmel. Keines dieser mächtigen Geschütze konnte es mit der Geschwindigkeit des Schlachtkreuzers aufnehmen, und obwohl ihre dicken Strahlen mit ihren kolossalen Energien den Himmel durchbohrten, haftete dem Feuer etwas Verzweifeltes an. Solange die Vae Victus in einer hohen Umlaufbahn blieb, waren die erdgebundenen Geschütze wirkungslos. Aus größerer Nähe waren die kleineren Luftabwehrbatterien jedoch eine ganz andere Sache. Dutzende solcher Silos waren rings um Brandontor verteilt und in die Planetenoberfläche gebettet. Zwar waren sie nicht in der Lage, ein Raumschiff zu beschädigen, auch keines in niedriger Umlaufbahn, aber sie konnten jede Flugmaschine zerstören, die sich der Stadt auf weniger als fünfzehn Kilometer näherte. Alle waren mit lobotomisierten Servitoren besetzt, die mit ihren Waffen verdrahtet waren und vom Abwehrkontrollbunker gesteuert wurden, der irgendwo innerhalb des Palastgeländes verborgen war. Solange diese Kanonen ihr schützendes Sperrfeuer über die Stadt legen konnten, war jeder Angriff aus der Luft zum Scheitern verurteilt. Kasimir de Valtos rieb sich den Nasenrücken und knurrte das Bild auf dem Kommnetz-Holo vor sich an. »Lasko, wenn Sie mir keine klare Antwort geben, lasse ich Sie in einem Ihrer kostbaren Bergwerke begraben. Und jetzt sagen Sie mir in Worten mit zwei oder weniger Silben, ob Sie die Tür schon aufgebrochen haben. Ich habe keine Zeit zu verschwenden.«
Das flackernde Bild seines Bergwerksaufsehers Jakob Lasko wirkte zaghaft, obwohl das verschlüsselte Signal aus dem Tembragrat nahezu hundert Kilometer vom Palast entfernt stark verzerrt ankam. »Nun ja, der letzte Schneider hat die Tür durchschnitten, aber wir haben Schwierigkeiten, sie zu bewegen.« »Und woran liegt das?«, hakte de Valtos nach. Seine Züge hatten etwas Wölfisches, als er sich vorbeugte. »Wir wissen es nicht genau, Mylord. Die Techpriester sagen, die Dichte der Tür übersteige alles, was für etwas von diesen Abmessungen möglich sein dürfte. Wir mussten eine unserer schwersten Zugmaschinen auseinander nehmen und zerlegt den Hauptschacht herunterlassen. Die Techs setzen sie gerade wieder zusammen, und wenn sie sie gesegnet haben, kann es losgehen.« »Wann wird das sein?«, zischte de Valtos, während er sich unablässig die Stirn rieb. »Später am Tag, nehme ich an.« »Ich bitte darum«, sagte de Valtos, indem er die Verbindung unterbrach und sich auf dem Ledersessel der Exstatthalterin zurücklehnte. Er massierte sich die Schläfen und holte schnaufend Luft, bevor er sich räusperte und einen Klumpen schwarzen Schleim auf den Boden spie. Die Schmerzen wurden schlimmer, und die speziellen Anlagen und die Ausrüstung des Chirurgen waren von den Ultramarines zerstört worden. Jetzt konnte sein Körper nicht mehr bis auf die nackten Knochen auseinander genommen und in vorübergehend gesundem Zustand wieder zusammengesetzt werden. Er musste Erfolg haben, und zwar bald. Wenn Lasko, dieser verdammte Trottel, nicht bald in den unterirdischen Grabkomplex eindringen konnte, war er ein toter Mann. Doch einmal darin, würde er das doppelte Vergnügen der Rache und der Unsterblichkeit genießen. Er erinnerte sich noch an den Tag, als er zum ersten Mal aus den Schriften Corteswains von dem C'tan erfahren hatte. Seitdem war der größte Teil seines Vermögens für die Suche nach seiner Ruhestätte draufgegangen, aber die letzte Ironie bestand darin, dass sie sich die ganze Zeit genau unter ihm befunden hatte. Dies konnte eigentlich nur bedeuten, dass die Hand des Schicksals am Werk gewesen war. Es war wie eine Offenbarung gewesen an dem Tag, als er endlich das vergessene Grab entdeckt hatte, das unter der Welt aus-
gehoben worden war, als diese noch ein unbewohnter Brocken aus leblosem Fels war. De Valtos gluckste freudlos, als ihm klar wurde, dass sie genau das bald wieder sein würde. Bald würde er durch die Hallen eines Gottes wandeln! Nicht durch die erbärmlichen staubigen Flure Terras, die Heimstatt eines verwesenden Leichnams waren, der sich als Gott maskierte, sondern einer lebendigen, atmenden Kreatur mit der Gabe der Schöpfung und der Kraft, ewiges Leben zu spenden. Wann war der Imperator zuletzt unter den Menschen gewandelt? Vor zehntausend Jahren! Wo war der Imperator gewesen, als der abtrünnige Kardinal Bucharis ganze Sektoren in Seinem Namen mit Krieg überzogen hatte? Wo war der Imperator, als die Tyraniden eine Welt nach der anderen verschlungen hatten? Wo war der Imperator, als die Eldar sein Schiff geentert und ihn beinahe zu Tode gefoltert hatten? Wo war Er da gewesen? De Valtos spürte, wie sein Zorn wuchs, und mühte sich, seine Wut zu zügeln, während Blut aus den Stellen tropfte, wo seine künstlichen Fingernägel sich in seine Handflächen gruben. Er wischte das Blut weg, fuhr sich mit der Hand durch das verschwitzte Haar und beruhigte seine hektische Atmung. Er erhob sich und marschierte zwischen den Trümmern des Raums auf und ab, wobei er über den zerschmetterten Schreibtisch, zerbrochene Stühle und Gipsbrocken hinwegstieg. Sein Fuß trat auf etwas Festes, und er schaute nach unten. Er lächelte, bückte sich, hob eine gesplitterte Büste aus weißem Marmor auf und hielt sie sanft in seinen vernarbten Händen. Er strich über das ernste Gesicht von Forlanus Shonai, sodass Blut die patrizischen Züge des alten Mannes verschmierte, und ging zur zerstörten Wand der Privatgemächer der Statthalterin. Die Stadt unter ihm war in eine schwarze Rauchwolke gehüllt, und aus Widerstandsnestern, die sich immer noch gegen das Unabwendbare wehrten, ertönten matte, hustende Detonationen. Seine Panzer und Truppen waren in jeder Straße, und er fand es zwar bedauerlich, dass diese Männer alle sterben würden, aber er fand auch, dass es ein geringer Preis für seine Erhebung zum Gott war. Er tätschelte den Kopf von Forlanus Shonai und lächelte, bevor er die Büste so weit wie möglich nach draußen warf. Er schaute ihr nach, wie sie durch die Luft flog und schließlich beim Aufprall
auf die gepflasterte Esplanade in tausend Stücke zersprang. Lordadmiral Lazio Tiberius verfolgte das Echo von Uriels Thunderhawk auf dem Divinationsschirm, während es sich der Hauptstadt von Pavonis näherte. Eine Atmosphäre gespannter Erwartung lag über der Brücke, und sogar der Chor der Astropathen war verstummt. Tiberius war von demselben Gefühl erfüllt wie vor dem Beginn einer Schlacht, was wohl zutreffend war, wenn sie auch selbst nicht in Gefahr waren. Hauptmann Uriel Ventris war derjenige, welcher sich gemeinsam mit seinen Kriegern in Gefahr begab. Die Astropathen auf der Vae Victus hatten mächtige Sigillen und hexagrammische Schutzvorrichtungen in den Mauern der Zellen gemeldet, die ebenso wie der Energieschirm, der den Palast nun einhüllte, einen Teleporterangriff ausschlossen. Da die Zeit gegen sie arbeitete, mussten sie es auf die altmodische Art machen. »Wie lange noch?«, fragte er angespannt. »Noch ein paar Augenblicke«, antwortete Philotas. »Die Koordinaten wurden in die Angriffs-Logikmaschine eingegeben?« »Ja, Lordadmiral, alles ist vorbereitet. Die Zielerfassung wurde bestätigt.« Tiberius hörte einen Anflug gezügelten Ungehaltenseins in der Stimme seines Offiziers und lächelte grimmig. Er wusste längst, dass alles vorbereitet war, konnte aber nicht anders, als sich doppelt und dreifach zu vergewissern. Gleich ist es so weit, dachte Tiberius, während er betete, dass die anonyme Sendung, die Uriel bei seinem Flug nach Brandontor aufgefangen hatte, echt war. Mochte ihm der Imperator helfen, wenn nicht. Tiberius zwang sich, zu seiner Kapitänskanzel zurückzukehren, wo er sein Pult umklammerte und sich an seine Mannschaft wandte. »Brüder, unsere schwerste Stunde steht jetzt bevor, und es gibt nur eine Möglichkeit, wie wir triumphieren können, nämlich gemeinsam. Wir haben nur Entschlossenheit und zielstrebiges Verlangen. Nicht einer unter uns hat sich als gewillt erwiesen, aufzugeben oder sich mit der Niederlage abzufinden, und das ist sehr lobenswert.« Tiberius neigte den Kopf, als Philotas meldete: »Sie sind jetzt am Rand der Todeszone der Abwehrgeschütze, Lordadmiral.«
Der Lordadmiral nickte. »Feuerleitoffizier«, befahl er. »Feuer frei für Bugbombardierungsgeschütz.« Lutricia Vijeons Mut sank, als sie den Thunderhawk auf ihrem Schirm sah. Die Flugmaschine kam im Tiefflug herein, und der Pilot war gut und folgte mit viel Geschick den Konturen der Landschaft. Doch es war vergebliche Liebesmüh. Die Kommandozentrale hatte sie in der Zielerfassung, seit sie in die Atmosphäre eingetaucht waren, und Vorens grinste mit wölfischer Häme, während er in der Zentrale auf und ab marschierte und ungeduldig auf die Ankunft des Thunderhawk wartete. Sie hatte seine vorübergehende Furcht beim Auftauchen der drei Space Marines vor dem Eingang zur Kommandozentrale gesehen, aber seine Maske boshafter Arroganz hatte sich gleich wieder erneuert, nachdem sie verschwunden waren. Lutricia fragte sich, wohin sie wohl gegangen waren. Die meisten Stabsmitglieder beteten stumm an ihren Stationen, und nur die Servitoren erfüllten noch die ihnen zugeteilten Aufgaben im Angesicht von Vorens' Verrat. Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und blinzelte, als sie sah, wie sich auf ihrer Anzeige etwas von der Darstellung des Schlachtkreuzers der Space Marines löste. Ein zweiter Thunderhawk? Nein, das Signal war zu klein, und als sie genauer hinschaute, sah sie, dass es sich für einen Thunderhawk zu schnell bewegte. Plötzlich ging ihr auf, was es war und wohin seine Flugbahn es führen würde. Eine Warnsirene ertönte, als die betagten Abwehr-Cogitatoren dieselben Schlüsse zogen und Alarm auslösten, während sich ein Schwall zusätzlicher Echos von dem Kreuzer löste. Danil Vorens umklammerte die Armlehnen seines Sessels und erhob sich mit einem Ausdruck schieren Entsetzens. »Nein«, zischte er, während er mit ansah, wie ihnen die Salve der von der Vae Victus abgeworfenen Magmabomben entgegenstürzte und dabei genau die von Lutricia Vijeon gelieferten Koordinaten ansteuerte. Seine Knie knickten ein, und Vorens fiel förmlich auf den Kommandantensessel. Lutricia beobachtete den unglaublich schnellen Fall der Bomben durch die Atmosphäre von Pavonis. Sie würden bald einschlagen
und diese Anlage vom Angesicht des Planeten fegen, und nicht einmal der Energieschirm würde sie davor bewahren. Plötzlich ganz ruhig erhob sie sich von ihrer Station und schritt in die Mitte der Zentrale. Danil Vorens beobachtete sie. Er weinte ganz offen über die Aussicht des Todes, machte aber keine Anstalten, sie aufzuhalten, als sie die Laserpistole neben ihm aufhob. Obwohl sie noch nie im Leben eine Waffe in der Hand gehalten hatte, wusste sie genau, was sie zu tun hatte. Lutricia Vijeon schoss Danil Vorens ins Herz und ließ die Pistole fallen, als der Näherungsalarm der Zentrale zu jaulen anfing. Sie drehte sich zum Hauptschirm um und sank auf die Knie. Lutricia lächelte, als sie ein enormes Gefühl der Befriedigung durchflutete. Sie wusste, sie hatte das Richtige getan, und bedankte sich im Stillen, dass sie Gelegenheit bekommen hatte, Ihm zu dienen. Sie streckte die Hände aus und sagte: »Kommt, Brüder und Schwestern. Lasst uns beten.« Der Rest der Kommandozentralenbesatzung gesellte sich zu ihr und bildete einen kleinen Kreis. Alle fassten sich weinend bei den Händen und beteten noch ein letztes Mal zum Imperator. Die Magmabomben fielen im Abstand von wenigen Sekunden. Die ersten Explosionen trafen den Schirm, überlasteten die Feldgeneratoren, welche diesen Abschnitt des Palasts schützten, und schlugen ein Loch. Weitere Bomben fielen auf den Flügel, unter dem die Kommandozentrale begraben war, löschten alles in einer donnernden Explosion aus und schleuderten panzergroße Steinbrocken hoch in die Luft. Die nächsten durchschlugen zehn Meter verstärkten Betonfelsen und sprengten einen hundert Meter durchmessenden Krater. Zwei Bomben fielen nicht wie vorgesehen. Die erste wurde bei der Berührung mit der Atmosphäre vom Kurs abgelenkt und landete am Rand des Greshawalds, wo sie einen beträchtlichen Teil des Landbesitzes des Abrogas-Kartells zerstörte. Die zweite ging über neunhundert Kilometer von ihrem eigentlichen Ziel entfernt nieder und fiel in den Ozean, ohne Schaden anzurichten. Aber die übrigen fielen in den Krater, und ihre Verzögerungszünder sorgten dafür, dass sie im Herzen der Kommandozentrale explodierten. Feuerstürme entflammten, äscherten jedes Lebewesen darin ein und brachten das wenige zum Einsturz, was noch
stand. Eine von vulkanischen Flammen durchdrungene schwarze Rauchsäule erhob sich von der zerstörten Kommandozentrale, und die Druckwelle ihrer Vernichtung pflanzte sich kilometerweit fort, als habe ein erzürnter Gott auf den Boden geschlagen. Brandontor war wieder aus der Luft zu erreichen, da von Servitoren kontrollierte Batterien tatenlos blieben und auf Zielanweisungen warteten, die nicht mehr eintreffen konnten. Uriel ließ den Atem entweichen, den er angehalten hatte, als er die Stimme des Piloten über Kommnetz hörte. »Bei Guillaume! Seht euch das an!« Er hatte den Lichtblitz der Magmabombenexplosionen durch die Bullaugen gesehen und wusste, dass nichts dem gerechten Feuer eines vom Imperator persönlich geweihten Raumschiffs widerstehen konnte. »Kein Abwehrfeuer«, bestätigte der Kopilot. »Setzen den Anflug fort.« Dann war die Komm-Nachricht also echt gewesen. Uriel schloss die Augen und richtete ein Gebet des Dankes und des Segens an den mutigen Diener des Imperators, dem es gelungen war, ihnen die Koordinaten des Abwehrkontrollzentrums zu senden und der damit dessen Schicksal besiegelt hatte. Lordadmiral Tiberius hatte den gesamten Palast dem Erdboden gleichmachen wollen, aber Uriel hatte sich diesem Vorhaben widersetzt in dem Wissen, dass die von der Vae Victus entfesselten Kräfte im Umkreis von fünfzig Kilometern um den Palast alles einebnen würden. Die in ihrer Sprengwirkung stark reduzierten Magmabomben hatten genau die richtige Explosionskraft entwickelt, und obwohl es mit Sicherheit Kollateralschäden geben würde, hoffte Uriel, dass man sie auf ein Minimum hatte beschränken können. Sie waren gekommen, um diese Leute zu retten, und nicht, um sie zu vernichten. Derart schlichte Metzeleien waren etwas für die Blutengel oder Missgünstigen Marines. Die Ultramarines waren keine Mörder, sondern das göttliche Instrument des Imperators. Der Schutz seiner Gläubigen war ihr Existenzzweck. Zu viele von denen, die zum Schutz des Imperiums kämpften, vergaßen, dass es lebendig war und aus Milliarden von Menschen bestand, welche die Welten des Imperators bewohnten. Ohne sie war das Imperium nichts. Sie waren der Klebstoff, der das Reich des Imperators
zusammenhielt, und Uriel wollte mit kaltblütigem Mord nichts zu tun haben. Ein Schauder überlief ihn, als er sich an Gedriks Worte auf Caernus IV erinnerte. Der Weltentod und der Bringer der Finsternis warten darauf, in diese Galaxis geboren zu werden... Er verstand jetzt ihre Bedeutung, und ihm gefiel die Aussicht auf das nicht, was sie vorhersagten. Der Thunderhawk schwankte hin und her, als der Pilot den Palast umkreiste und dann durch das Loch im Energieschirm flog, das die Magmabomben gerissen hatten. Gewehrfeuer schlug ihnen aus den Türmen entgegen, und ein paar Schüsse trafen den dahinrasenden Thunderhawk sogar, doch seiner Panzerung machten derartige Nadelstiche nichts aus. Der Ultramarine an der Luke warf einen Blick nach draußen und rief: »Fertig machen, Brüder! Ausstieg in zehn Sekunden!« Uriel straffte sich und klopfte zu Ehren ihrer Kriegsgeister auf seinen Brustharnisch und auf die Boltpistole im Gürtelhalfter. Er stützte sich an der Bordwand ab, zog sein Energieschwert und beobachtete, wie der Boden rasch näher kam und der Thunderhawk auf der kopfsteingepflasterten Esplanade vor dem Palast aufsetzte. »Mut und Ehre!«, schrie Uriel und sprang aus dem Thunderhawk. Die Ultramarines wiederholten seinen Kampfruf und stürmten ihrem Hauptmann hinterher. Barzano und Shonai starrten verängstigt auf die Decke ihrer Zelle, als die gewaltige Druckwelle der Magmabombenexplosion den Zellenblock mit der Heftigkeit eines Erdbebens erschütterte. Risse breiteten sich an den Kuppeldecken aus, und Dutzende von Torbögen stürzten ein und begruben die schreienden Insassen der betreffenden Zellen unter Tonnen von Gestein. Felsen barst mit dem Krachen eines Kanonenschusses, und Stahl ächzte, als Millionen Tonnen Gestein ihre Ladung auf das angeschlagene Fundament verteilten. Barzano raffte sich auf. Die Eisenstangen ihrer Zelle kreischten protestierend und wölbten sich unter dem gewaltigen Druck nach außen, als der Torbogen durchsackte. »Das wird auch Zeit«, murmelte er. »Was geht da vor?«, rief Mykola Shonai über das Grollen ein-
stürzenden Mauerwerks hinweg. »Für mich hört sich das nach der ersten Welle eines Flächenbombardements aus der Umlaufbahn an«, erwiderte Barzano kühl, während er sich in den Mund griff und an etwas zog. Shonai beobachtete ihn verwirrt, während das Beben der Detonationen anhielt. »Was tun Sie da?« »Uns hier herausholen«, erwiderte Barzano, indem er sich mit einem Schmerzenslaut einen Zahn zog. Blut tropfte aus seinem Mundwinkel und von dem Zahn, den er vor sich hielt. Er eilte zur Zellentür, schob den Zahn tief in das Schloss und sah sich nach Wachen um. Schreie hallten durch den Zellenblock, da die Insassen lauthals flehten, man möge sie aus ihren Zellen holen, während die Wachen sie aufforderten, den Mund zu halten. Barzano entfernte sich rasch von der Tür und ging mit Shonai zu Jenna Sharbens Bett, das sie in den hinteren Bereich der Zelle schoben. Barzano kniete sich hin und schützte die beiden Frauen mit seinem Körper. »Mykola, schließen sie die Augen, halten Sie sich die Ohren zu und öffnen Sie den Mund, damit Ihnen nicht die Trommelfelle platzen«, riet Barzano, um dann das Gesicht auf Jenna Sharbens Schulter zu drücken. Die Statthalterin kauerte sich zusammen, als der kompakte Sprengstoff in Barzanos falschem Zahn explodierte und das Schloss aus der Zellentür und in den Gang sprengte. Die Tür selbst rührte sich nicht, da sie von der abgesunkenen Decke fest in den Rahmen gedrückt wurde. Bevor der Explosionsdonner verhallt war, hatte Barzano sich bereits erhoben und trat gegen die Zellentür. Sie öffnete sich eine Handbreit, aber der nächste Tritt ließ sie auffliegen, und Barzano war draußen. Mit der Hand auf seiner verwundeten Schulter drehte er sich zu Shonai um. »Sie passen auf Sharben auf. Ich komme bald wieder.« »Seien Sie vorsichtig!«, flehte Mykola Shonai. »Immer«, grinste Barzano, indem er einen faustgroßen Stein aufhob, der aus der Decke gebrochen war, und sich dann vorsichtig und dicht an die Wand gepresst durch den Korridor tastete. Er erreichte eine Biegung und hörte auf der anderen Seite panische Stimmen der Wachen. Er konnte spüren, dass sie mit ihren Nerven am Ende und vollkommen erschöpft waren und nicht mehr
klar denken konnten. Er nahm den Stein fest in die Hand und rief mit dem ausgeprägtesten pavonischen Akzent, den er imitieren konnte: »Schnell! Die Gefangenen fliehen aus ihren Zellen!« Sekunden später kamen drei Männer um die Ecke gelaufen. Barzano schlug dem ersten Wächter den Stein ins Gesicht und zerschmetterte ihm den Schädel. Während der Mann zu Boden ging, sprang er den zweiten Wächter an und hieb ihm den Stein gegen den Helm. Der Inquisitor warf sich zu Boden, als ein Laserstrahl in seine Richtung zischte, richtete sich auf die Knie auf und rammte dem dritten Wächter den Ellbogen in den Schritt. Barzano fing das Lasergewehr des Mannes auf, als dieser fiel, und hieb ihm den Gewehrkolben fest an die Schläfe. Der zweite Wächter versuchte sich zu erheben, doch Barzano schoss ihm ins Gesicht, sodass er zusammenbrach. Der Inquisitor hob das Gewehr an seine unverletzte Schulter und hielt nach neuen Zielen Ausschau. Seine Wunde pochte schmerzhaft, und aus dem Verband sickerte Blut, aber er hatte keine Zeit, sie neu zu verbinden. Er hörte Gebrüll hinter sich und ließ sich auf die Knie sinken, da eine Lasersalve den Fels hinter ihm verdampfte. Er fuhr herum und gab ein paar Schüsse ab. Zwei Wächter gingen schreiend zu Boden. Doch mehr als ein halbes Dutzend blieb noch übrig, und Barzano wälzte sich um die Ecke, hinter der die ersten drei Wächter hervorgesprungen waren. Er sprang auf und rannte verfolgt vom Geschrei der Gefängniswächter den Korridor entlang. Ein Stück voraus teilte sich der Gang, und Barzano nahm den linken, da ein weiterer Schuss seinen Arm streifte und einen brennenden Striemen zurückließ. Der Korridor war kühl und dunkel, denn die Lichtkugeln waren trüb und konnten diesen Abschnitt kaum erleuchten. Die Wände rechts und links waren mit Zellentüren gespickt, und am Ende des Korridors war eine unscheinbare Tür aus verrostetem Metall. Barzanos empathische Sinne empfingen eine Ausstrahlung überwältigender Verzweiflung von der anderen Seite der Tür, und das Ausmaß ließ ihn stolpern. Er rang das greifbare Entsetzen nieder und lief in dem Wissen weiter, dass ihm nur wenige Sekunden blieben, um Deckung zu finden, bevor ihn seine Verfolger erschießen würden. Er lief durch den Korridor und sprang mit den Füßen voraus gegen die Tür.
Sie flog krachend auf, und er wälzte sich auf dem Rücken hindurch, wobei er ächzte, als seine Schulterwunde wieder aufbrach. Er schoss blind in den Korridor hinter sich, hörte noch einen Schrei, trat die Tür zu und legte den Riegel vor. Er kam auf die Beine und richtete sein Gewehr auf die Insassen des Raums. Der Chirurg stand neben einem blutverschmierten Platte und bearbeitete Almerz Chandas Knochen mit einer surrenden Säge. Barzanos Knie knickten ein, und er ließ unwillkürlich das Gewehr sinken, als er sah, wie der Chirurg Almerz Chanda Ehre erwiesen hatte. Uriel hechtete in die Deckung eines Geröllhaufens und deckte die Grabenlinie der Rebellen mit Boltpatronen ein. Rote Explosionen erblühten, wo seine Schüsse Leiber trafen, und die Schreie der Verwundeten trugen zum Schlachtenlärm bei. Trotz der Behandlung durch Apotheker Selenus spannte die vom Anführer der Eldar verursachte Wunde bei jeder Bewegung schmerzhaft. Der Eingang zum Palastgefängnis lag am anderen Ende eines ausgedehnten Abschnitts offenen Geländes, der mit Trümmern und kleinen Feuern übersät war. Zwei Bunker aus Felsbeton flankierten den Eingang, die jeden Zugangsweg abdeckten, und vor ihnen verlief ein Schützengraben, der durch Stacheldraht gesichert wurde. Aus dem Graben schlug ihnen stetiger Beschuss entgegen: helle Laserstrahlen und das Krachen schwerer Boltgewehre. Die Ultramarines überschütteten die provisorischen Barrikaden ihrerseits mit Feuer und deckten die Bunkermauern mit einem Hagel aus Boltpatronen ein. Zwei Raketen zischten los und trafen die Bunker, die aber so konstruiert waren, dass sie allem unterhalb von direktem Artilleriebeschuss widerstehen konnten. Konzentrierte Salven aus schweren Waffen beharkten die Stellungen der Ultramarines, und Uriel erkannte, dass die Zeit knapp wurde. Der Feind würde mit Sicherheit Panzer mobilisieren und einen Gegenangriff starten. So gewaltig die Krieger der Adeptus Astartes auch waren, im Angesicht derartiger Feuerkraft würde ihnen nichts anderes übrig bleiben, als sich zurückfallen zu lassen. Er rief seine Sergeants zu sich und skizzierte ihnen in aller Eile die Lage. »Vorschläge?«, fragte er. Pasanius schob sein Boltgewehr ins Halfter und nahm seinen
Flammenwerfer. »Fordern Sie begrenzte Artillerieunterstützung von der Vae Victus an. Sie soll ein Loch in ihre Linie blasen, durch das wir uns kämpfen könnten.« Uriel zog die Möglichkeit eines Angriffs aus der Umlaufbahn in Betracht. Sie war verführerisch, aber unrealistisch. »Nein. Wenn die Zieldivinatoren auch nur eine Winzigkeit danebenliegen, könnten wir selbst unter Feuer geraten, und wenn der Energieaufwand auch nur etwas zu hoch ist, könnte der gesamte Gefängniskomplex unter hunderten von Tonnen Geröll begraben werden.« »Dann müssen wir die Sache wohl auf die harte Tour erledigen«, sagte Sergeant Venasus grimmig. Uriel nickte. Venasus war nicht gerade für seine Raffinesse bekannt, aber als er noch einmal alle Möglichkeiten durchging, wurde Uriel rasch klar, dass der Sergeant Recht hatte. Sie würden auf taktische Raffinesse verzichten müssen. Überlegene Ausbildung und Vertrauen in den Imperator waren unerlässlich, aber in jedem Krieg kam früher oder später der Moment, wenn man eine Schlacht gewinnen musste, indem man den Kampf durch das Sperrfeuer zum Feind trug und ihm Klinge gegen Klinge und Kraft gegen Kraft begegnete. Dieser Moment war jetzt. Eine weitere Salve brach über sie herein, da die Kanoniere der PWM ihre Waffen methodisch von rechts nach links schwenkten und das Gelände direkt vor den Ultramarines in eine Todeszone verwandelten. »Also gut«, sagte Uriel schließlich. »Wir machen es folgendermaßen.« Barzano riss das Gewehr gerade noch rechtzeitig hoch, um den Aufwärtsschwung der Knochensäge zu parieren, und das nichtmenschliche Werkzeug durchschnitt den Lauf in einem Schauer violetter Funken. Er duckte sich unter einem weiteren Schwung der Säge hinweg und warf sich auf seinen schlanken Gegner. Das Paar ging in einem Wirrwarr strampelnder Gliedmaßen zu Boden, und Barzano schrie auf, als das surrende Sägeblatt über seine Hüfte schnitt und die kreischenden Zähne über sein Becken kratzten, bevor sie sich wieder lösten. Er rammte dem Chirurgen die Stirn ins Gesicht. Blut spritzte, als die Nase brach, und der Eldar kreischte vor Schmerzen. Barzano wälzte sich herum, als das Sägeblatt wieder geschwungen kam
und eine tiefe Schramme im Steinboden hinterließ. Während er aufsprang, hob er die Überreste des Lasergewehrs auf. Die Waffe würde zwar nie wieder einen Schuss abgeben, aber ihr schwerer Holzschaft ließ sich als Keule benutzen. Er wich zur Tür zurück, und als er sich dagegen lehnte, spürte er, wie sie wiederholt von Laserstrahlen getroffen wurde. Sie würde die Verfolger nicht mehr lange aufhalten. Der Chirurg griff ihn an, und Blut spritzte vom surrenden Sägeblatt in alle Richtungen. Das Gesicht des Eldar war eine rote Maske, und seine violetten Augen waren voller Hass. Hinter ihm ächzte der zerstörte Körper von Almerz Chanda auf der Platte, während sein blutiges, rohes Fleisch zuckte und bebte, als die einschläfernde Wirkung der Muskelrelaxanzen des Chirurgen nachließ. Uriel wappnete sich auf dem Geröll und richtete ein kurzes Stoßgebet an den gesegneten Primarchen, dass diesem Angriff Erfolg beschieden sein möge. Die Space Marines erwarteten seine Befehle. Kaplan Clausel stimmte die Litanei der Schlacht an, und seine strenge, stete Stimme gab den Kriegern der Vierten Kompanie ein gutes Beispiel. Uriel wusste, dass er selbst ein ähnliches Beispiel geben musste, indem er diesen Angriff persönlich anführte. Die PWM-Kanoniere schossen jetzt blind. Dutzende von Rauchund Blendgranaten waren geworfen worden, und wallende Wolken aus verhüllendem Rauch quollen aus den Granatkanistern. Als er der Ansicht war, dass der Rauch sich genügend ausgebreitet hatte, rief Uriel: »Jetzt! Zum Ruhme Terras!«, und sprang hinter seiner Deckung aus Schutt und Geröll vor. Wie ein Mann brüllten die Ultramarines und folgten ihrem Hauptmann in den Rauch. Kugeln und Laserstrahlen streckten ihre tödlichen Finger nach ihnen aus. Tödlich für jeden, der keine Rüstungen von heiliger Kraft trug, welche von den Tech-Marines gesegnet und von den Geistern der Schlacht durchdrungen waren. Sofort schwärmten die Space Marines aus, sodass eine konzentrierte Salve sie nicht alle treffen würde. Dies war ein Spießrutenlauf, den jeder für sich unternahm. Uriel spurtete durch die weißen Schwaden, die vom unheimlichen Schein flackernder Flammen erleuchtet waren. Er lief über verbrannte Leichen, Flecken versengten Bodens und Haufen abgelegter Kampfausrüstung
hinweg. Das Jaulen der Kugeln und das Zischen der Laser umgaben ihn, und der Rauch wurde von ihnen verwirbelt. Alle seine Sinne waren aufs Äußerste angespannt. Seine Autosinne mühten sich, den verhüllenden Nebel der Blendgranaten zu durchdringen. Die hellen Blitze voraus waren der einzige Hinweis darauf, wie weit sie noch zu laufen hatten. Hundertfünfzig Schritte. Durch den Rauch konnte er die verschwommenen Gestalten seiner Krieger erkennen, deren Waffen der Rebellenlinie Feuer entgegenspien. Hundert Schritte. Schmerzgebrüll ertönte. Kalte Wut packte ihn, während er die Entfernung weiter verringerte. Dann explodierte der Boden rings um ihn und bombardierte ihn mit Steinsplittern und brennendem Metall, als er mit einem Hagel von Boltpatronen eingedeckt wurde. Eine Patrone streifte seinen Schulterschutz und Helm und riss ihn von den Beinen. Eine andere traf sein Energieschwert und sprengte in einem gewaltigen Funkenregen die Klinge vom Heft. Uriel fiel und wälzte sich in Deckung, während sein Blickfeld durch rot blinkende Runen auf seinem Visier beeinträchtigt wurde. Blut lief ihm in die Augen, und er riss den Helm ab und wischte sich die bereits halb geronnene Substanz vom Gesicht. Seine Wut steigerte sich noch, als er das beschädigte Schwert sah. Das Heft endete in einem kurzen abgebrochenen Stück Klinge. Die kunstvollen Verzierungen, welche den Kriegsgeist beherbergten, waren zerstört. Idaeus' Vermächtnis war zerstört worden, der greifbare Beweis für die Anerkennung seiner Autorität durch seinen ehemaligen Hauptmann existierte nicht mehr. Uriel schob wütend in die Scheide zurück, was von der Klinge noch übrig war, und erhob sich. Der Rauch wurde dünner, und er sah, dass er weniger als hundert Meter von den Bunkern entfernt war. Er war fast da, aber aus dieser Nähe war das Abwehrfeuer aus dem Schützengraben mörderisch, und ihrem Sturmangriff war der Schwung ausgegangen. Das Sperrfeuer war einfach zu dicht, um darin vorrücken und überleben zu können. Ein Gefühl äußerster Gewissheit erfasste Uriel, und er marschierte gelassen durch den Kugelhagel, kniete neben dem Leichnam eines gefallenen Schlachtbruders nieder und entwand seinen Fingern das Kettenschwert. Kugeln stanzten neben ihm eine Linie in den Boden, aber Uriel zuckte mit keiner Wimper. »Hauptmann! In Deckung!«, rief Pasanius.
Uriel drehte sich zu den hinter ihm in Deckung liegenden Ultramarines um und schrie: »Folgt mir!« Ein Laserstrahl traf ihn mitten auf die Brust. Uriel schwankte, fiel aber nicht. Der Adler auf seinem Brustharnisch rann geschmolzen die Rüstung herab. Kaplan Clausel erhob sich mit hoch über dem Kopf gehaltenen Crozius Arcanum. »Seht, Brüder! Der Imperator beschützt uns!«, bellte er, und seine Stimme hallte über das ganze Schlachtfeld. Der Kaplan brüllte weiter: »Auf, Brüder! Auf! Für den Imperator! Vorwärts!« Uriel drückte auf die Aktivierungsrune des Kettenschwerts, und die Klinge erwachte surrend zum Leben. Er wandte sich wieder der feindlichen Linie zu. Sie würden es schaffen. Es würde keinen Pardon geben. Er rannte los und spurtete durch das Abwehrfeuer dem Feind entgegen. Barzano glitt zur Seite, als der Chirurg mit der Knochensäge nach seinem Bauch stieß. Er packte seinen Waffenarm, drehte sich an seiner Deckung vorbei einwärts und stieß dem Eldar den Ellbogen in die Seite. Er hechtete vorwärts und wich so dem Rückschwung der Knochensäge aus, prallte dafür aber gegen den Tisch mit chirurgischen Instrumenten neben der Platte, sodass alle möglichen Skalpelle und Bohrer neben ihm auf den Boden fielen. Er hörte Almerz Chanda über sich vor Schmerzen stöhnen und hob ein langes Skalpell mit gebogener Klinge auf, während der Chirurg wiederum auf ihn losging. Barzanos Kräfte ließen nach, und er wusste, dass er sich nicht mehr lange würde behaupten können. Er rappelte sich auf, das Skalpell fest in der Hand. Der Chirurg stieß mit der Knochensäge nach Barzanos Kopf. Der Inquisitor parierte den Stoß mit dem Unterarm und schrie auf, als die Sägezähne in seinen Arm schnitten und ihn bis zum Ellbogen aufschlitzten. Das surrende Ende der Säge kam zu einem Halt, als die Zähne sich im Armknochen des Inquisitors verhakten. Barzano schwang seinen verletzten Arm mit der darin eingebetteten Säge von sich weg, machte einen Schritt vorwärts und rammte dem Chirurgen das Skalpell in die Schläfe. Der Eldar taumelte. Blut sprudelte aus seinem Mund, und seine Knie gaben nach, da volle fünfzehn Zentimeter Stahl in seinem Hirn steckten. Er stieß noch einen letzten Seufzer aus, bevor er
vornüberkippte und die jaulende Knochensäge dabei aus Barzanos Arm riss. Barzano sank gegen die Platte und rang darum, trotz der entsetzlichen Schmerzen in seinem aufgeschlitzten Arm bei Bewusstsein zu bleiben. Eine dicke Schicht Haut und Muskeln war halb abgetrennt und flatterte hin und her, und er zwang sich, den Schaden nicht zu betrachten. Die Tür wurde von neuerlichen Einschlägen getroffen, und er bückte sich und zog eine seltsam aussehende Pistole aus dem Gürtel des Chirurgen, wobei jede Bewegung eine Supernova aus Schmerzen in seinem Kopf explodieren ließ. Er spürte die Bewegung neben sich mehr, als dass er sie sah, und er legte schwankend die Pistole an. Almerz Chanda richtete sich in eine sitzende Stellung auf, da sein zerstörter Körper noch eine letzte Anstrengung unternahm, bevor ihn der Tod ereilte. Seine Züge kündeten von den furchtbarsten Schmerzen, die man sich vorstellen konnte, und Barzano spürte den Wahnsinn, in den die Kunst des Chirurgen Almerz gestürzt hatte. Aber er spürte auch sein verzweifeltes Bedürfnis nach Sühne hinter den Wellen des Wahnsinns. Während Barzano darum rang, sich auf den Beinen zu halten, flog schließlich die Tür zu den Arbeitsräumen des Chirurgen auf. Uriel trieb seine Faust durch das Helmvisier eines Gardisten, dessen Gesicht sich unter dem Schlag auflöste. Ein Laserstrahl versengte seinen Brustharnisch, aber die Rüstung hielt stand, und Uriel tötete den Schützen mit einer gut gezielten Boltpatrone. Er schwang das Kettenschwert in brutalem Bogen, enthauptete einen Soldaten und entleibte einen zweiten. Er schoss mit seiner Pistole einem dritten ins Gesicht und brüllte in der wilden Freude des Kampfes. Der Schützengraben war ein Schlachthaus. Der Zorn der Ultramarines kannte keine Grenzen. Sie rissen die Männer der PWM förmlich in Stücke und überrannten den Schützengraben mit der Wucht ihres Ansturms. Boltpistolen feuerten, Kettenschwerter blitzten rot im Sonnenschein, und Strahlen aus flüssigem Feuer rösteten Menschen bei lebendigem Leib. Es wurde keine Gnade gewährt, und binnen Sekunden war der Schützengraben nur mehr ein offenes Grab für die Männer der PWM. Bevor der Angriffsschwung erlahmen konnte, rief Uriel seinen
Männern zu, ihm zu folgen, um dann aus dem Graben zu springen und zu den Bunkern zu rennen. Großkalibrige Kugeln wühlten den Boden zu seinen Füßen auf, aber er schlug einen Haken und wich dem Kugelhagel aus. Im Laufen schoss er und kam so bis auf zehn Meter an den Bunker heran. Er sah, wie Pasanius einen langen Strahl flüssigen Feuers durch die Schießscharte des zweiten Bunkers jagte. Um den riesigen Krieger leckten orange Flammen, als er den Bunker in ein flammendes Inferno verwandelte. Uriel hechtete vorwärts und wälzte sich zum Fuß des Bunkers, womit er es gerade noch vermied, von einer aus nächster Nähe abgefeuerten Salve in Stücke gerissen zu werden. Sein Rücken krachte gegen die vordere Bunkerwand. Der Bunker war ein Klotz aus Felsbeton mit Schießscharten auf jeder Seite und ragte einen Meter aus dem Boden. Granaten waren sinnlos. Im Bunker gab es mit Sicherheit eine Granatgrube, eine geschützte Kammer, worin die Soldaten darin Granaten fallen lassen konnten, sodass sie bei der Explosion keinen Schaden anrichteten. Mehr Schüsse wurden aus dem Bunker abgegeben, und Uriel wartete, bis er das unverkennbare Klicken eines Boltgewehrs hörte, das bei leerem Magazin durchgeladen wurde. Er hielt den Atem an, um den Doppelklick des Einrastens eines neuen Patronengurts in die heiße Munitionskammer zu hören. Uriel brüllte, sprang vor dem Bunker auf und stieß sein Kettenschwert durch die Schießscharte und in das Gesicht des Schützen. Ein blubbernder Schrei und das Knacken von Knochen ertönte, und Uriel griff hinein und zog die schwere Waffe durch die Schießscharte nach draußen. Er drehte die Waffe um, hielt die Mündung in den Bunker, drückte ab und ließ den Lauf von rechts nach links wandern, sodass eine Patrone nach der anderen in dem kleinen Raum explodierte. Die Schreie darin verstummten rasch, aber Uriel wartete, bis auch die letzte Patrone des Gurts verschossen war und der Hammer auf die leere Kammer traf und klickte. Uriel ließ die Waffe fallen. Sein Gesicht war mit Schweiß und Blut überströmt. Die Bunker gehörten ihnen, und der Gefängniskomplex lag offen vor ihm. Die Gefängniswachen stürmten in die Folterkammer und wurden mit einer Erscheinung aus ihren schlimmsten Albträumen konfrontiert. Almerz Chanda warf sich mit dem letzten Funken Kraft
vorwärts und riss die vordersten Männer zu Boden. Um sich schlagend und schreiend, heulte der sterbende Chanda vor Schmerzen, ein Geräusch, das an den Nerven jeder Person in Hörweite zerrte. Die Angreifer schossen instinktiv. Laserstrahlen trafen Chandas verwüsteten Körper, durchbohrten ihn und verletzten die Männer darunter. Chandas Todesschrei kündete eher von Erleichterung denn von Schmerzen. Die nachfolgenden Wächter rissen den Blick von dem schrecklich verstümmelten Mann los und richteten ihn auf den einzigen noch lebenden Insassen der Kammer. Barzano schwankte, und eine Körperhälfte war vollkommen mit Blut getränkt. Chandas Tod hatte ihm kostbare Sekunden verschafft, die er nicht zu verschwenden gedachte. Er zielte mit der Pistole des Chirurgen auf die Wachen und drückte ab. Ein Hagel dunkler Nadeln wurde in einem sich ausdehnenden Kegel abgeschossen, zerfetzte die vordersten Wachen und tötete sie augenblicklich. Die Wachen dahinter hatten nicht so viel Glück, und die vergifteten Nadeln überfluteten ihren Blutkreislauf mit tödlichen fremdartigen Giften. Barzano taumelte zur Tür, während die Wächter zurückfielen. Einige lagen bereits in den letzten Todeszuckungen, da das Gift sein böses Werk tat, während andere sich zurückzogen, als sie das Schicksal ihrer Kameraden weiter vorn mitbekamen. Der Inquisitor schloss die Tür und glitt zu Boden, da ihn die Kraft mit dem Blut verließ, das aus seinem aufgeschlitzten Arm lief. Von draußen waren mehr Schreie, Schüsse und Explosionen zu hören. Er spürte, wie etwas gegen die Tür drückte, und unternahm einen schwächlichen Versuch, sie geschlossen zu halten, konnte aber nicht verhindern, dass sie geöffnet wurde. Er sank zu Boden, während alles vor seinen Augen verschwamm, und versuchte die fremdartige Pistole zu heben. Sergeant Learchus nahm dem Inquisitor die Pistole aus der Hand und warf sie beiseite, während zwei seiner Schlachtbrüder gemeinsam mit Mykola Shonai, Lortuen Perjed und einem halben Dutzend wie versteinerter Schreiber nach ihm die Folterkammer betraten. Einer der Space Marines trug Jenna Sharben und legte die verwundete Liktorin behutsam auf der Platte des Chirurgen ab. »Kümmert euch um ihn«, befahl Learchus, indem er auf den bewusstlosen Barzano zeigte.
Learchus aktivierte sein Kommgerät. »Hauptmann Ventris, wir haben Inquisitor Barzano. Er ist am Leben, aber schwer verwundet. Wir müssen ihn rasch an Bord der Vae Victus bringen, wenn wir sein Leben retten wollen.« Uriel stürmte durch die rauchenden Überreste des Eingangstors zum Gefängniskomplex und feuerte dabei. Die Explosion hatte die meisten Verteidiger auf der anderen Seite getötet. Über dem Nachhall der Zerstörung des Tors war nur das Ächzen der Sterbenden zu hören. Seine Laune hatte sich sprunghaft gebessert, als Learchus ihn davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass der Inquisitor in Sicherheit war, da er wusste, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, den Sergeanten im Palast bleiben und von oben in den Gefängniskomplex einbrechen zu lassen. Learchus hatte Barzano, aber zwischen ihnen standen noch mehrere hundert Männer. Sie mussten ihre Brüder immer noch erreichen und in Sicherheit bringen. Pasanius blies noch eine Feuerwand die grob behauene Treppe hinunter, die in die Dunkelheit des Gefängnisses führte. Schreie drangen von unten herauf, und Uriel führte wiederum den Sturmangriff der Ultramarines an. Learchus jagte noch ein paar Boltpatronen durch die Tür, die zwei Wächter töteten und einen dritten verwundeten. Bis jetzt hatten sie drei Angriffe abgewehrt, aber ihre Munition wurde knapp und ihre Zeit ebenfalls. Es gab zwei weitere Eingänge zu diesem Raum, und jeder Space Marine kämpfte wie ein Löwe, um die Angriffswellen mit Boltgewehr und Kettenschwert zurückzuschlagen. Mykola Shonai und Lortuen Perjed mühten sich verzweifelt, die Blutung von Barzanos Arm zu stillen, aber es war ein Kampf, den sie zu verlieren drohten. Die Säge des Chirurgen hatte den Arm vom Handgelenk bis zum Ellbogen knochentief aufgeschlitzt, und an diesem Ort gab es nur Instrumente zur Vergeudung von Leben, nicht zu seiner Erhaltung. Barzanos Haut war wächsern, der Puls ging schwach und unregelmäßig. Immer mehr Wachen stürzten sich auf die Türen und wurden jedes Mal von tödlichen Patronen niedergemäht oder von kreischenden Kettenschwertern zerhackt. In der Kammer stank es
nach Tod. Learchus ließ sein Boltgewehr fallen, als sein letztes Magazin leer und der letzte Schuss abgegeben war, und stemmte sich dem Angriff der Wachen entgegen. Sein Schwert tötete den ersten Mann, bevor der Sergeant von Laserstrahlen von den Beinen geholt wurde. Statusrunen blinkten rot auf seinem Visier. Er wälzte sich herum, hieb einem Mann die Beine ab und rammte einem anderen die Faust in den Schritt. Bajonette stachen nach ihm, aber die meisten glitten von seiner starken Rüstung ab. Er stach und hackte, trat und schlug in alle Richtungen und spürte bei jeder Körperbewegung, wie Knochen brachen. Schüsse krachten, während er sich vor Kampfeswut brüllend von seinen Angreifern löste, eine menschliche Maschine im Tötungsrausch. Sie hielten stand, aber lange würden sie nicht mehr durchhalten. Ein Rückhandschlag schickte einen weiteren Feind schreiend in die Hölle, da Uriel und Pasanius tiefer in den Gefängniskomplex eindrangen. Uriels Helm lag verlassen über ihnen auf dem Schlachtfeld, also folgte er Pasanius, da sie die LokalisationsAuguren im Helm des Sergeants zu Learchus führten. Er hörte die Schreie Sterbender und den Lärm wilder Kämpfe voraus, und als er um eine Ecke lief, sah er vor sich Dutzende von Männern, die sich durch eine breite Tür zwängten. Pasanius wartete gar nicht erst den Befehl ab, sondern hüllte die Männer einfach in eine Feuerwand aus seinem tödlichen Flammenwerfer. Schreie und der Gestank nach verbranntem Fleisch erfüllten den engen Korridor, da die Ultramarines über die Gefängniswachen herfielen. Es war ein Massaker. Die Soldaten konnten nirgendwo-hin fliehen. Zwischen Sergeant Learchus' Wut und diesem neuen Angriff gefangen, lieferten sich die Überlebenden Uriels Gnade aus. Doch er ließ keine walten, und jeder Soldat starb. Uriel wischte sich das Blut aus dem Gesicht und trat schwer atmend in die Folterkammer des Chirurgen. Leichen lagen zuhauf in der Kammer, und der Gestank nach Blut war überwältigend. Die Stille bildete einen jähen Kontrast zum Kampfgebrüll von vor wenigen Augenblicken, und Learchus blinzelte und senkte sein blutverschmiertes Kettenschwert. Uriel marschierte zu Learchus und ergriff dessen Hand.
»Ein Wiedersehen zur rechten Zeit, Bruder«, flüsterte Uriel. Learchus nickte. »Aye, ein Wiedersehen zur rechten Zeit, Hauptmann.« Verfolgt von einigen hastig umgebauten Fähren und Ornithoptern raste der Thunderhawk himmelwärts. Für den Beschuss langsamer Bodenziele konzipiert, waren sie dem Kampfflugzeug der Space Marines nicht gewachsen und zogen sich zurück, nachdem sieben von ihnen abgeschossen worden waren. Die Rettung von Inquisitor Barzano hatte drei Ultramarines und zwei von Barzanos Schreibern das Leben gekostet, die ein Opfer des in der Folterkammer tobenden Kreuzfeuers geworden waren. Lortuen Perjed bestand hartnäckig darauf, sie mit allen Ehren zu bestatten. Bevor er sich um die Verwundeten kümmerte, hatte Apotheker Selenus den Leichen der gefallenen Space Marines die Gensaat entnommen, deren Bergung Vorrang vor den normalen Erfordernissen des Schlachtfelds hatte. Er stabilisierte den Zustand des Inquisitors und bereitete eine Blutübertragung mit einem Schreiber vor, der dieselbe Blutgruppe hatte. Der Mann drückte seine Bereitschaft aus, sein ganzes Blut zu spenden, um das Leben des Inquisitors zu retten, aber Selenus versicherte ihm, solche drastischen Maßnahmen seien nicht nötig. Er hatte auch Jenna Sharbens Wunde behandelt. Die Liktorin würde zwar noch mehrere Tage außer Gefecht sein, aber sie würde es überleben und keine Langzeitschäden zurückbehalten. Die Wunden der überlebenden Ultramarines waren größtenteils oberflächlicher Natur. Der ramponierte Thunderhawk ging in eine Umlaufbahn, traf schließlich mit der Vae Victus zusammen und brachte seine Krieger nach Hause. Die Offiziere der Pavonis-Expedition versammelten sich im Besprechungsraum des Kapitäns, wo sie um einen runden Tisch saßen, der aus den langsam wachsenden Bergföhren gefertigt war, welche die Hera-Festung auf Macragge umgaben. Lordadmiral Tiberius saß mit dem Rücken zur Wand unter einem prächtigen Seidenbanner, auf dem die Siege seines Schiffs und der Kapitäne vor ihm aufgelistet waren, eine Chronik, die in eine Zeit Jahrhunderte vor seiner Geburt zurückreichte. Auf der einen
Seite von Tiberius saßen die kampfesmüden Ultramarines, denen die Kämpfe auf Pavonis noch in den Knochen steckten: Uriel, Learchus, Pasanius, Venasus und Dardino. Auf der anderen Seite des Tisches saßen Mykola Shonai und Lortuen Perjed. Zwischen ihnen war ein Stuhl nicht besetzt, und als Mykola Shonai gerade einen Schluck Wasser trank, traf das letzte Mitglied des Kriegsrats ein. Inquisitor Barzano trug einen Kunsthautverband um den linken Arm und ging mit einem ausgeprägten Hinken. Uriel beobachtete Barzano dabei, wie er in den Besprechungsraum humpelte, und registrierte den verräterischen Glanz in seinen Augen, der vom massiven Gebrauch von Aufputschmitteln kündete. Offensichtlich hatte der Inquisitor Betäubungsmittel genommen, um die Schmerzen zu unterdrücken, die ihm Arm und Schulter bereiten mussten. Mit wächsernem Gesicht nahm er Uriel gegenüber Platz. »Also gut«, begann Barzano, »ich glaube, man kann mit Fug und Recht sagen, dass die Lage ernst ist. Kasimir de Valtos hat die Kontrolle über Pavonis und könnte jeden Augenblick eine uralte nichtmenschliche Waffe in die Finger bekommen, die zu Zerstörungen in einem systemweiten Maßstab fähig ist. Stimmen alle darin überein, dass dies eine angemessene Einschätzung unserer Lage ist?« Niemand widersprach dem Inquisitor. »Was schlagen Sie also vor, Inquisitor Barzano?«, fragte Tiberius. »Ich schlage vor, dass Sie eine verschlüsselte Botschaft nach Macragge senden und ein mit Zyklonentorpedos bestücktes Schlachtschiff für Pavonis anfordern.« Uriel hieb mit der Faust auf den Tisch. »Nein!«, verkündete er energisch. »Das lasse ich nicht zu. Wir sind hergekommen, um diese Leute zu retten, nicht um sie zu vernichten.« Tiberius legte Uriel beruhigend eine Hand auf den Arm. Mykola Shonai schaute verwirrt von Uriel zu Barzano. »Vielleicht entgeht mir etwas«, sagte sie. »Was sind Zyklonentorpedos?« »Planetenzerstörer«, antwortete Uriel. »Sie würden die Atmosphäre von Pavonis in einem Feuersturm verbrennen und die Oberfläche ausglühen, bis nichts mehr am Leben wäre. Die Meere würden verdampfen, und Ihre Welt würde zu einem öden, in die
Asche Ihres Volks gehüllten Felsbrocken.« Shonai starrte Barzano entsetzt an. »Sie würden meine Welt vernichten?«, fragte sie ungläubig. Barzano nickte zögernd. »Wenn sich dadurch verhindern lässt, dass ein Wahnsinniger den Bringer der Dunkelheit in die Finger bekommt, dann ja. Es ist besser, eine Welt zu opfern, als wer weiß wie viele andere zu verlieren, weil wir davor zurückschrecken, unsere Pflicht zu tun.« »Es ist nicht unsere Pflicht, unschuldige Menschen zu töten«, stellte Uriel fest. »Unsere Pflicht ist, so viele Leben zu retten, wie wir können«, konterte Barzano. »Wenn wir nichts tun und es de Valtos gelingt, das fremde Schiff zu bergen, werden viel mehr Welten sterben. Ich treffe diese Entscheidung nicht leichten Herzens, Uriel, aber ich muss mich bei meiner Entscheidungsfindung auf kalte Logik und auf den Imperator verlassen.« »Ich kann nicht glauben, dass dies der Willen des Imperators ist.« »Wer sind Sie zu beurteilen, was der Imperator will?«, schnauzte Barzano. »Sie sind ein Krieger, der seine Feinde auf dem Schlachtfeld sieht und sie mit Schwert und Boltgewehr tötet. Meine Feinde sind Ketzerei, Abweichlertum und Ehrgeiz. Heimtückischere Feinde, als Sie sich vorstellen können, und die Waffen, die ich einsetzen muss, sind dementsprechend von einem anderen Kaliber.« »Das können Sie nicht machen, Barzano«, sagte Uriel. »Meine Männer haben für diese Welt gekämpft und geblutet, ich werde sie nicht einfach so aufgeben.« »Es ist keine Frage des Aufgebens, Uriel«, erläuterte Barzano. »Es ist eine Frage der Prävention. Wir wissen nicht, wo de Valtos ist und wie er das Schiff finden will, und ohne diese Informationen können wir nichts unternehmen. Wenn wir zögern und ihn nicht daran hindern, den Nachtbringer in Besitz zu nehmen, wie viele Menschen werden dann sterben? Zehn Milliarden? Tausend Milliarden? Mehr?« »Wir müssen doch etwas unternehmen können, um de Valtos aufzuhalten«, sagte Shonai. »Auf Pavonis leben Millionen von Menschen. Ich werde nicht einfach so dastehen und zuhören, wie über das Schicksal meiner Welt diskutiert wird, als sei ihre Zerstörung eine völlig bedeutungslose Angelegenheit.«
Barzano wandte sich an Shonai. »Glauben Sie mir, My-kola, ich bin kein herzloses Ungeheuer, und ich halte den Tod einer Welt nicht für bedeutungslos. Gäbe es eine andere Möglichkeit, würde ich sie mit Freuden ergreifen. Ich war bisher noch nie gezwungen, eine Welt zu vernichten, und wenn ich de Valtos auf anderem Wege aufhalten könnte, würde ich es tun.« Bei Barzanos Worten fielen Uriel wieder Gedriks Worte ein. Der Weltentod und der Bringer der Finsternis warten darauf, in diese Galaxis geboren zu werden. Einer wird kommen oder keiner, die Wahl liegt in deinen Händen. »Meinen Sie das ernst, Inquisitor?«, fragte er. »Meine ich was ernst?«, fragte Barzano wachsam. »Dass Sie eine andere Möglichkeit ergreifen würden, wenn Sie könnten.« »Ja, das meine ich ernst.« »Dann glaube ich, dass es eine andere Möglichkeit gibt«, sagte Uriel. Barzano hob skeptisch eine Augenbraue, beugte sich vor und legte die Arme auf die Tischplatte, wobei er sorgfältig darauf achtete, nirgendwo mit seinem verwundeten Arm anzustoßen. »Und die wäre, Uriel?« Der Space Marine spürte, dass dies der kritische Augenblick war, und überlegte sich seine Worte sehr genau, bevor er antwortete. »Als ich in de Valtos' Haus war und wir die beiden Skelettkrieger in den Tiefen seines Kellergewölbes gefunden haben, ist mir aufgefallen, dass die Batteriesätze, an die sie gekoppelt waren, Kennzeichen trugen.« »Und?« »Sie trugen die Aufschrift >Tembragrat< - vielleicht kann die Statthalterin dazu etwas sagen«, antwortete Uriel. »Tembragrat? Das ist ein Gebirge ungefähr hundert Kilometer nördlich von Brandontor. Es erstreckt sich vom Westmeer bis zum Greshawald im Osten, eine etwa tausend Kilometer lange Kette aus felsigem Hochland und Wäldern. Es ist eine Bergbauregion, und dort gibt es hunderte von Tiefbohrminen. Die meisten Kartelle haben Besitzansprüche auf Land im Tembragrat. Das DeValtos-Kartell hat mehrere.« »Wenn diese Dinge in einem der Bergwerke des Tembragrats gefunden wurden, ist es dann nicht wahrscheinlich, dass auch der Nachtbringer dort irgendwo unter der Erde liegt?«, stellte Uriel
fest. Barzano nickte mit einem Lächeln. »Sehr gut, Uriel Wenn wir jetzt auch noch ermitteln könnten, aus welchen Bergwerk sie stammen, hätten wir tatsächlich Grund zum Feiern.« Barzanos Tonfall war ein wenig sarkastisch, aber Uriel konnte erkennen, dass er den Gedanken, dass Pavonis' Auslöschung vielleicht doch nicht unumgänglich war, zumindest in Erwägung zog. Der Inquisitor wandte sich an Mykola Shonai. »Wie tief reichen diese Minen?«, fragte er. »Das ist unterschiedlich«, erwiderte Shonai, »aber die tiefsten reichen vielleicht zehntausend Meter hinab, andere dagegen nur drei- oder viertausend Meter. Das hängt von dem Flöz ab, der gefördert wird, und davon, ob es sich wirtschaftlich rechnet, tiefer zu bohren.« »Dann finden wir heraus, welche Minen dem De-Valtos-Kartell gehören, und bombardieren sie alle von hier oben, bis nichts mehr von ihnen übrig ist«, knurrte Uriel. »Lortuen?«, sagte Barzano, indem er sich an seinen Untergebenen wandte, der nachdenklich nickte und die Augen schloss. Seine Atmung verlangsamte sich, und seine Lider flatterten, als er Tatsachen, Zahlen und Statistiken aus dem reichen Schatz der Informationen durchging, die er und seine Schreiber bei ihren Nachforschungen gesammelt hatten. Uriel sah, wie die Pupillen des alten Mannes rasch hin- und herzuckten, als lese er Nachrichten auf der Innenseite seiner Augenlider, und dabei fiel ihm zum ersten Mal das winzige Funkeln von Metall hinter seinem Ohr auf. Der alte Mann war mit kybernetischen Implantaten bestückt, vermutlich mit solchen, die denjenigen eines Lex-Mechanikers oder Gelehrten-Servitors ähnelten. Ohne die Augen zu öffnen, leierte Perjed monoton: »Es gibt vier Minen im Tembragrat, die dem De-Valtos-Kartell gehören. Alle fördern Eisenerz, das zu Stahl für Panzerkarossen und Geschützläufe verarbeitet wird, aber die Produktivität ist in der nördlichsten Mine mit Abstand am geringsten. Ich nehme an, dass die Ausfälle durch Überproduktion in den anderen Anlagen kompensiert werden, was die höhere Anzahl von Arbeitsunfällen erklären würde, die in den anderen Minen gemeldet wurden.« Perjed neigte den Kopf, und seine Atmung normalisierte sich langsam wieder, während Uriel Barzano triumphierend ansah. »Da«, sagte er. »Wir haben den Ort und können angreifen, oh-
ne zum Mittel des Genozids greifen zu müssen.« »Ich fürchte, das ändert nichts, Hauptmann Ventris«, sagte Tiberius leise. »Warum nicht?« »Selbst mit voller Energie auf das Bombardierungsgeschütz können die Magmabomben nicht so tief in die Planetenkruste dringen.« »Dann tragen wir den Kampf noch einmal nach unten«, rief Uriel. »Die Tech-Marines haben mir gesagt, dass wir jetzt zwei funktionstüchtige Thunderhawks haben. Ich sage, wir starten, sobald wir wieder voll ausgerüstet sind, und wühlen de Valtos von Hand aus der Planetenkruste, wenn es sein muss.« Uriel starrte Barzano trotzig an und wartete darauf, alle etwaigen Einwände abzuschmettern, die der Inquisitor vorbringen mochte. Doch Barzano nickte nur. »Also gut, Uriel. Wir versuchen es auf Ihre Weise, aber wenn Sie scheitern, wird Pavonis sterben. Durch meine Hand oder durch die von de Valtos.« »Wir werden nicht scheitern«, versicherte Uriel ihm. »Wir sind die Ultramarines.«
17. Kapitel Virgil Ortega duckte sich, als eine weitere Salve die Wände hinter ihm bestrich und Steinsplitter auf ihn herabregneten. Er glitt hinter die angewinkelte Barrikade aus Felsbeton, warf die leere Magazintrommel aus dem schweren Schnellfeuergewehr aus, legte ein neues Magazin ein und lud durch. Ortega schwang die gewichtige Waffe wieder auf die Barrikade, als ihnen ein weiterer Trupp Soldaten entgegenstürmte, stemmte den schweren Schaft gegen die Schulter und drückte ab. Eine meterlange Flammenzunge schoss aus dem perforierten Lauf, und ein ohrenbetäubendes Getöse ertönte, als hunderte von Kugeln die erste Welle der Angreifer in Stücke rissen. Die Vibration des Gewehrs war fast zu viel für Ortega, dessen Muskeln Mühe hatten, die Waffe ruhig zu halten. Mit derartiger Feuerkraft war es weniger eine Frage der Genauigkeit, sondern des Magazininhalts. Das Schnellfeuergewehr konnte sein Magazin binnen Sekunden leeren.
Von den siebenundzwanzig Liktoren, die der Katastrophe im Revier entkommen waren, lebten noch achtzehn. Nachdem sie aus den verborgenen Tunneln unter dem Palast gestiegen waren, von denen nicht einmal die Statthalterin wusste, hatten die Liktoren nach kurzem, aber heftigem Feuergefecht das Waffenarsenal erobert. Die Überraschung war vollkommen gewesen, und das imperiale Waffenarsenal, das von seiner Konzeption und Konstruktion her einem Angriff von außen angeblich unbegrenzt lange standhalten konnte, war binnen einer Stunde gefallen. Die Rebellen brauchten weniger Zeit, um einen Gegenangriff zu starten und zu versuchen, die Liktoren aus ihrer neuen Zuflucht zu vertreiben. Unter dem Palast begraben, war das Arsenal nur für Infanterietruppen zugänglich, und mit einer großen Auswahl an schweren Waffen zu ihrer Verfügung erwies Virgil Ortega sich als besonders schmerzhafter Dorn im Fleisch der Rebellen. Ohne die gewaltigen Vorräte an schweren Waffen, die im Arsenal gelagert waren, würde es dieser Rebellion bald an Feuerkraft fehlen, wenn sie der Zorn der imperialen Vergeltung traf. Er hatte Collix und sechs weitere Liktoren damit beauftragt, so viel Sprengstoff zündfertig zu machen, wie sie finden konnten, und das Arsenal für die Zerstörung vorzubereiten. Mit etwas Glück konnten sie ein paar Sprengladungen anbringen, von hier fliehen und den ganzen Laden in den Warpraum jagen. Der Korridor vor ihm war mit toten Feinden übersät, und die Leichenberge boten den Angreifern provisorische Deckungsmöglichkeiten. Ortega bewegte die Schnellfeuerkanone gnadenlos hin und her und schoss auf alles, was sich bewegte. Die Liktoren bei ihm schossen mit Schrotflinten, Boltgewehren und Schnellfeuerkanonen und spien ebenfalls Tod und Verderben. Er hörte gedämpfte Verwünschungen und warf einen Blick hinter sich. Collix zog eine fahrbare Trage mit zwei gekoppelten Autokanonen auf einem drehbaren Zwillingsstativ hinter sich her. Ortega grinste. Die Waffe war normalerweise auf einem Fahrzeug montiert, etwa auf einem Sentinel, und viel zu schwer, um von einem Mann getragen zu werden. Kugelsalven prallten als Querschläger von den Wänden, und Ortega zog einen Liktor von der Barrikade herunter, als dieser mit zur Hälfte weggeschossenem Kopf vornüberkippte. »Legen Sie mal einen Zahn zu, Collix!«, rief er. »Schon unterwegs, Hauptmann!«
»Wie lange noch, bis wir uns von hier absetzen können?« »Ich bin nicht sicher, ob uns das gelingt, Hauptmann.« »Wie meinen Sie das?« »Die Zünder für den Sprengstoff werden nicht hier aufbewahrt«, erklärte Collix. »Ich könnte mir vorstellen, um zu verhindern, dass ein Feind genau das tut, was wir gerade versuchen.« Ortega fluchte und legte die schwere Schnellfeuerkanone nieder. Er kletterte die Barrikade hinunter, wobei er darauf achtete, den Kopf unten zu halten, und ging zu Collix mit den beiden massigen Autokanonen. »Dann müssen wir einen anderen Weg finden, das Zeug hochgehen zu lassen«, fauchte Ortega. »Man könnte es von Hand machen«, schlug Collix vor. Ortega musterte Collix durchdringend, da ihm bewusst war, was der Sergeant damit andeuten wollte. »Wir wollen hoffen, dass es dazu nicht kommt, Sergeant.« »Ja.« Collix hielt die Bahre an, zog den Bremshebel, blockierte die Räder und fuhr die Seitenstützen aus. Der Rückschlag der Autokanonen war bestimmt gewaltig, und Ortega war nicht sicher, ob die improvisierte Geschützplattform dem gewachsen war. Hinter ihm ertönten Schreie und verzweifelte Rufe, und Ortega fluchte, als er grau uniformierte Männer mit seinen Liktoren kämpfen sah. Blut und Rauch erfüllten den Korridor, da jeder Mann und jede Frau mit verzweifelter Wildheit kämpfte. Die Liktoren gehörten zu den diszipliniertesten, hingebungsvollsten Truppen, auf die der Imperator zurückgreifen konnte, aber die Soldaten der PWM kämpften mit der Wildheit von Männern, die durch das Feuer der Schlacht gegangen waren. Ortega riss seinen Schockstab aus dem Gürtel, stürzte sich in das wogende Getümmel und knüppelte brutal auf seine Feinde ein. Collix schwang ein gewaltiges Energieschwert, das mühelos einen PWM-Soldaten zweiteilte. Sie konnten aus vielen exotischen Waffen wählen - darunter auch Energieschwerter und große Energieäxte -, aber Ortega verließ sich auf das solide Gefühl seines vertrauten Stabs und schlug einem Mann mit einem Rückhandhieb den Schädel ein. Bisher hatte er sieben Energieladungen für seinen Stab verbraucht, aber an diesem Ort gab es keine Munitionsknappheit. Und selbst bei den Gelegenheiten, als er gezwungen gewesen war, ihn ohne das Schockfeld zu benutzen, war ein halber Meter solider Stahl eine mächtige Waffe in den Händen
eines Mannes, der damit umzugehen wusste. Ortega kämpfte Rücken an Rücken mit Collix und hieb eine Schneise durch die PWM-Soldaten. Sie brachen Knochen und zerschmetterten Gesichter mit ihren Stäben und Fäusten. »Das Gericht des Imperators kommt über euch, ihr Sünder!«, schrie Collix, indem er einem Soldaten in den Schritt trat und ihn dann mit einem tödlichen Schwung seines Schwerts enthauptete. Ortega rammte einem anderen Soldaten seinen Stab in den Bauch und trieb dem Mann das Knie ins Gesicht, als der sich krümmte. Blut spritzte, und er schlug noch einmal zu in dem Wissen, dass sie die Angreifer noch ein wenig länger aufhalten mussten. Rings um ihn tat sich Freiraum auf, und er ließ seinen Schockstab fallen und hob die schwere Schnellfeuerkanone auf. Er suchte sich einen festen Stand und drückte ab. Sein ganzer Körper erbebte unter dem starken Rückschlag. Seine Rippen kreischten bei jedem Feuerstoß vor Schmerzen, und er war sicher, dass er sie sich wieder gebrochen hatte. Großkalibrige Kugeln schlugen in die Reihen der PWM-Soldaten, und ein Dutzend Männer fielen, da ihre dünnen Flakwesten nicht geeignet waren, einem derartigen Beschuss zu widerstehen. Ortega brüllte, ein unvollständiger Schrei zuvor unterdrückter Wut und Schmerzen. »Tod all denen, die das Gesetz des Imperators brechen!« Blut sammelte sich in seinen Mundwinkeln, und er spürte einen hohlen Schmerz in der Brust. Ja, jetzt war er sicher, dass er sich mindestens eine Rippe neu gebrochen hatte. Plötzlich war es vorbei. Die letzten Angreifer fielen oder gaben Fersengeld und flohen, von der Wildheit der Gegenwehr der Liktoren demoralisiert. Ortega kannte keine Gnade und schoss die flüchtenden Soldaten nieder. Ein Laserstrahl streifte Ortegas Brust und riss ihn herum. Der Boden kam ihm entgegen, und kalter Beton schlug ihm ins Gesicht. Er spürte Hände auf seinem Körper, die ihn zurückzerrten, konnte aber noch erkennen, dass seine Liktoren die Barrikade gehalten hatten. Weitere sechs seiner Männer waren gefallen, aber sie hatten standgehalten. Bis hierher. Uriel und Pasanius rannten bergauf, der Ansammlung mit Eisen verstärkter Gebäude auf dem Bergplateau entgegen. Die Hitze in
den Bergen war heftig, und der grelle Glanz des weißen Gesteins in dieser Region blendete. Hinter ihnen rückten die Ultramarines über die felsigen, mit Gestrüpp bewachsenen Hänge des Tembragrats zu der Tiefbohrmine vor, die Lortuen Perjed TG-701 genannt hatte. Das klang nicht nach einem Ort, der eines heroischen Todes würdig war, und Uriel hoffte, dass er das Richtige getan hatte, als er diese eine letzte Gelegenheit verlangt hatte, de Valtos aufzuhalten. Ario Barzano wartete sechs Kilometer westlich der Mine in einem der Thunderhawks der Ultramarines gespannt auf Uriels Signal, dass dies in der Tat der gesuchte Ort sei. Die sechs Trupps der Ultramarines absolvierten die Kletterpartie so mühelos wie einen Parademarsch. Die Trupps gaben sich beim Vorrücken gegenseitig Deckung, da man sie mit Sicherheit gesichtet hatte: das Blau ihrer Rüstung stand in zu krassem Gegensatz zu dem fast weißen Felsgestein, um unbemerkt zu bleiben. Sengende Flammenzungen entzündlicher Gase zuckten aus Abluftrohren, die über den Berghang verteilt waren, und leiteten die bei Bohrungen in solcher Tiefe entstehenden Dämpfe ab. Uriel fühlte sich an die ruhelosen Vulkane der Südmeere von Macragge erinnert. Trupp Dardino rückte auf der linken Flanke vor. Der Hang war dort steiler, aber die Krieger waren mit Sprungtornistern ausgerüstet, was das Erklimmen des mit Geröll bedeckten Hangs zu einem Kinderspiel nachte. Die Trupps Venasus, Pasanius, Elerna, Nivaneus und Daedalus marschierten in breiter, versetzter Front und gaben sich gegenseitig Deckung. Der Minenkomplex leuchtete in der Sonne, und seine silbernen Seiten reflektierten das Licht in grellen Strahlen. Es ließ sich unmöglich sagen, ob sich Feindtruppen darin befanden oder nicht. Hinter den ersten Gebäuden stiegen Abgase in den Himmel, aber ob diese von Panzerfahrzeugen stammten oder eine Folge des täglichen Betriebs eines Bergwerks waren, blieb unklar. Sie waren jetzt noch dreihundert Meter vom Plateau entfernt. Kasimir de Valtos folgte seinem Minenaufseher Jakob Lasko unter der flackernden Reihe der Lichtkugeln. Lasko wischte sich wiederholt die Stirn ab, aber de Valtos schien viel zu aufgeregt zu sein, um sich an der extremen Hitze so tief in der Erde zu stören. Ihnen folgte ein Kadertrupp schwer gerüsteter Eldar-Krieger,
deren Züge hinter verzierten roten Helmen unsichtbar waren. Sie trugen einen großen, silbrigen Metallbehälter, dessen Deckel versiegelt war. In ihrer Mitte befand sich der erhabene Anführer der Kabale der Zerbrochenen Klinge, Archon Kesharq. Wie bei seinen Kriegern war auch sein Gesicht hinter einem Helm mit Vollvisier verborgen, dessen jadegrüne Oberfläche glatt und konturlos war. Er trug eine große Streitaxt, und neben ihm tänzelte die wunderschöne, schwarzhaarige Hexe, die bis jetzt Kasimir de Valtos' untrennbarer Schatten gewesen war. An Kesharqs Fersen hechelten die Exkrente hinter ihrem Herrn und Meister mit der jeweiligen Fortbewegungsart her, die der Chirurg ihnen zugedacht hatte. Sie zischten und geiferten, da sie sich in dieser heißen, finsteren Umgebung unwohl fühlten. Vielleicht vermittelte ihnen ein latentes, instinktives Überbleibsel ihres ehemaligen Lebens eine Ahnung von dem Bösen, das diesem Ort innewohnte. Hinter den Eldar-Kriegern bildete eine ganze Kompanie PWMSoldaten die Nachhut. Zwischen ihnen marschierte Vendare Taloun, der mutlos die Schultern hängen ließ und sich die Schweißperlen mit dem Saum seiner Robe abwischte. Die Luft war staubig und mit Dämpfen durchsetzt, und an den Felswänden hingen in regelmäßigen Abständen Atemmasken an verrosteten Haken neben Schildern, die vor giftigen Gasen und Explosionsgefahr warnten. Die Prozession drang tiefer in das Bergwerk vor, und ihre Umgebung veränderte sich vom kahlen Felsen Pavonis' zu glatten, gemauerten Gängen, deren schräge Wände sich nach oben verjüngten und sich vielleicht vier Meter über ihren Köpfen trafen. Kasimir de Valtos blieb in der quadratischen Kammer stehen, in der sich das riesige Tor befand, das ihnen so lange den Zutritt zu diesem Ort versperrt hatte. Erregung pochte in seinen Adern, und er nickte den vier unbelebten Wächtern des Raums in ihren schattigen Nischen respektvoll zu. Ihre Augen funkelten, aber falls sie Vorbehalte gegen die Eindringlinge hatten, ließen sie sich davon nichts anmerken. Dicke verrostete Metallschuppen markierten die Stelle, wo sich die Tür befunden hatte, und de Valtos konnte die ungeheure Ausstrahlung von der anderen Seite spüren. Seine Glieder fingen an zu zittern, und er hatte Mühe, sein Gefühl der unmittelbar bevorstehenden Erfüllung seiner Bestimmung zu beherrschen. An die-
sem Ort lag ein schlafender Gott, und er konnte das Flüstern vergangener Zeitalter im muffigen Wind fühlen, der seufzend aus dem Grab wehte. Archon Kesharq schritt zu de Valtos. »Warum warten wir, Mensch? Die Beute ist dort drin, oder nicht?«, knurrte er. Die Stimme des Nichtmenschen blubberte, und sein gelispeltes Hochgotisch war wegen des Schadens, den Uriels Boltpatrone angerichtet hatte, kaum zu verstehen. »Das ist sie in der Tat, Archon Kesharq.« »Warum warten wir dann?« »Spüren Sie es denn nicht?«, sagte de Valtos. »Dieses Gefühl, kurz vor etwas ganz Großem zu stehen? Das Gefühl, dass nichts mehr so sein wird, wie es war, sobald wir diesen Ort betreten?« »Ich weiß nur, dass wir Zeit verschwenden. Die Astartes haben den Menschen befreit, den sie Barzano nennen, und wir sollten hier nicht mehr Zeit verbringen, als wir müssen. Wenn die Beute darin ist, sollten wir sie nehmen und verschwinden.« »Sie haben keine Seele, Kesharq«, flüsterte de Valtos. Er ging an dem Eldar vorbei und betrat die Ruhestätte einer Kreatur, die älter war als die Zeit. Die erste Rakete raste den Ultramarines entgegen und explodierte zwischen den Kriegern des Trupps Nivaneus. Weißglühende Splitter flogen in alle Richtungen. Zwei Krieger fielen, rappelten sich Sekunden später aber wieder auf. Das Echo der Explosion war kaum verhallt, als ihnen Geschützfeuer aus dem Bergwerkskomplex entgegenschlug. Uriel rannte in die Deckung eines breiten Abluftrohrs und versuchte die Anzahl der Gegner zu schätzen, mit denen sie es zu tun hatten. Den Mündungsblitzen nach zu urteilen, die er von seinem Platz aus sehen konnte, waren ungefähr zweihundert Schusswaffen auf sie gerichtet. Der Feind war gut postiert und deckte jeden Zugang zum Minenkomplex ab. Uriel lächelte grimmig, in seiner Entscheidung bestätigt, diese Mine anzugreifen. Doch nun wurden er und seine Männer mit der Aussicht konfrontiert, einen gut verschanzten und zahlenmäßig weit überlegenen Feind bergauf und über relativ offenes Gelände hinweg anzugreifen. Es war der Stoff, aus dem die Legenden des Ordens gestrickt waren, wunderbar anzuhören, aber etwas ganz anderes, wenn man selbst in der entsprechenden Situation war.
Seine Männer waren in Deckung gegangen und erwiderten das Feuer. Der Codex Astartes schrieb eine präzise Taktik für den Umgang mit derartigen Situationen vor, aber er verfügte weder über die Anzahl und die Ausrüstung noch die Zeit, um diese strikte Doktrin zu befolgen. Ein Dampfstrahl schoss durch das Gitter des Abluftschachts neben Uriel und hüllte ihn in beißende Dämpfe und heiße Asche. Er hustete, spie einen Mund voll der widerlichen Bergwerksausscheidungen aus und wischte sich das Gesicht ab, während die Neuroglottis in seiner Kehle bereits ihren chemischen Gehalt analysierte. Eine brennbare Mischung verschiedener Schwefelgase, für einen normalen Menschen tödlich, aber für einen Space Marine nur lästig. Er kroch auf das Gitter des Abluftschachts und umklammerte das heiße, mit Asche verkrustete Metall. Teile gaben unter seinem Griff nach, und er riss es ab, warf es weg und starrte hinein. Ein heißer, modriger Gestank wehte heraus. Uriels verbesserte Sicht reichte nicht weiter als hundert Meter tief in die wogende Finsternis darin, aber er konnte erkennen, dass der Schacht in flachem Winkel abwärts führte. Er öffnete einen Kanal im Kommnetz und rief Sergeant Dardino, da langsam ein Plan in seinem Verstand Gestalt annahm. »Verdammt!«, fluchte Major Helios Bextor vom 33. PWMRegiment Tarmegan, als er die blau gerüsteten Krieger der Ultramarines zwischen den Felsen unterhalb seiner Stellung in Deckung gehen sah. Er hatte den Schießbefehl zu früh erteilt und verfluchte seine Ungeduld. Doch wer konnte sie ihm verdenken? Die Aussicht, den mächtigen Space Marines entgegenzutreten, konnte selbst die mutigsten Männer verängstigen, und Major Bextor war nicht so dumm, sich zu denen zu zählen. Er wusste zwar, dass er kein besonders tapferer Mann war, aber dafür war er ein einigermaßen fähiger militärischer Kopf und ziemlich sicher, ihre Stellung so unangreifbar gemacht zu haben, wie das überhaupt möglich war. Zwei volle Kompanien verteidigten den Eingang zum Bergwerkskomplex, zu denen noch ein Mörser-Zug mit Brandgranaten kam. Er fragte sich kurz, was an dieser Mine so wichtig war, dass sie verteidigt werden musste, seit Jahrhunderten hatte es keinen offenen Handelskrieg mehr gegeben, aber er schob diese Überlegungen rasch beiseite. Gilden-
meister de Valtos hatte ihm die Sicherheit dieses Bergwerks anvertraut, und das reichte ihm. Major Bextor beobachtete die Felsen noch ein paar Minuten länger, sah aber keine Bewegung mehr auf den Hängen. Er schaltete sich in den Kommnetz-Kanal des Mörser-Zugs und sagte: »Achtung, Mörser-Zug, Feuer eröffnen. Ziele auf zweihundert und mehr Metern Entfernung. Feuer frei!« Sekunden später hörte Uriel das dumpfe Husten von Mörserfeuer und sah die Granaten hoch in die Luft fliegen. In der Zeit, die sie brauchten, um den Zenit ihres Aufstiegs zu erreichen, erkannte er, dass sie zu kurz landen würden. »Volle Deckung!«, brüllte er. Der ganze Berg schien unter den Erschütterungen der Explosionen zu beben. Eine zweite Salve wurde abgefeuert, bevor die Echos der ersten verhallt waren. Jaulende Splitter und Ranken aus phosphoreszierendem Licht schossen aus jeder Granate, wenn sie mit markerschütternder Wucht landeten und Hagelstürme aus Fels- und Granatsplittern entfesselten. Die Granaten landeten in einer Kette donnernder Explosionen, und die Einschlagstellen näherten sich in disziplinierten Gruppen den Stellungen der Ultramarines. Uriel hielt den Kopf unten, da der Boden bei jeder Salve erzitterte. Sie hatten keine andere Wahl, als auf Dardinos Signal zu warten und das Gewitter über sich ergehen zu lassen, das der feindliche Kommandant ihnen bereitete. Bei konzentriertem Mörserbeschuss vor die Mündungen feindlicher Geschütze zu stürmen, war reiner Selbstmord, und Uriel hatte nicht den Wunsch, sich und seine Einheit auf solche Art enden zu sehen. Jeder Einschlag hinterließ einen Krater in der Erdkrume des Bergs und eine Flammenwand, von der dichter Rauch aufstieg. Uriel roch den Gestank von Promethium und runzelte verwirrt die Stirn. Brandgranaten? War der feindliche Kommandant verrückt? Unter leicht gerüsteten Truppen würden Brandgranaten Panik und Verwüstung anrichten, aber gegen Krieger in Servorüstungen waren sie praktisch nutzlos. Dann ging ihm auf, dass der feindliche Kommandant zur PWM gehörte und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch nie zuvor gegen Space Marines gekämpft hatte. Dichte Wolken aus schwarzem Rauch erhoben sich von flam-
menden Brennstoffbächen und breiteten sich langsam mit der Gebirgsbrise aus, sodass die Kämpfenden einander nicht mehr sehen konnten. Die Ultramarines hatten soeben die Deckung geschenkt bekommen, die sie so dringend benötigten. Sergeant Dardino hieb mit der Faust durch den Stahl des Abluftrohrs und schälte ihn mit kräftigen Armschwüngen ab. Tageslicht flutete den geriffelten Metallschacht, und er lehnte sich hinaus und richtete seine Boltpistole nach oben, falls jemand ein wachsames Auge auf diesen Teil des Bergwerksschachts hatte. Vor sich sah er eine Masse von Kabeln in die Finsternis herabreichen, und breite Adamantiumträger überbrückten den riesigen Schacht, hielten Hebegerät und stützten Dutzende dick verkleideter Abluftrohre wie dieses, aus dem er sich jetzt langsam zwängte. Er sprang auf den gewaltigen Adamantiumträger, an dem das Abluftrohr befestigt war, und bedeutete dem Rest seines Trupps, ihm zu folgen. Einer nach dem anderen kletterten die Männer auf den Träger. Ihre Rüstung war von den Ausdünstungen der Mine versengt und geschwärzt. Die Statusrunen auf Dardinos Helmvisier verrieten ihm, dass seine Atemmaske ziemlich verstopft war. Sie befanden sich tief in dem zylindrischen Minenschacht, und der Himmel war eine helle Scheibe gut fünfhundert Meter über ihnen. Zu weit für Sprungtornister. Er tastete sich den Träger entlang und versuchte nicht in die undurchdringliche Finsternis des Schachts zu blicken, da er wusste, dass der Abgrund über neun Kilometer tief war. Er halfterte seine Pistole und wandte sich an die neun Männer seines Trupps. »Es gibt nur einen Weg nach oben. Folgt mir!«, befahl er und sprang dann mitten in den Schacht, wo er sich an den Kabeln festhielt, die vom Kraterrand einen halben Kilometer über ihnen in die Tiefe baumelten. Hand über Hand kletterten Sergeant Dardino und seine Männer zur Oberfläche zurück. Uriel erhob sich aus der Deckung und rief: »Männer des Imperators, vorwärts!« Er rannte bergauf, und die verstärkten Muskeln seiner Servorüstung trugen ihn erschreckend schnell vorwärts. Mit trotzigem Gebrüll folgten die Ultramarines ihrem Hauptmann in den Rauch der Brandgranaten und übersprangen dabei brennende
Lachen ultrahoch erhitzten Brennstoffs. Mörsergranaten fielen auch weiterhin, die meisten von ihnen nun allerdings hinter ihnen, da die Batterien nicht in der Lage waren, ihre Zielvorgabe zu korrigieren. Uriel konnte das Zischen von Laserfeuer und das Krachen schwererer Waffen hören, aber es war unkoordiniert und sporadisch. Ein Schuss streifte seinen Schulterschützer, aber die meisten waren zu hoch gezielt, ein weiterer Beweis dafür, dass sie es keineswegs mit Elitetruppen zu tun hatten. Die meisten Soldaten neigten dazu, zu hoch zu zielen, wenn sie bergab feuerten. Uriel brach aus den Rauchwolken und blinzelte in der jähen Helligkeit. Abwehrfeuer brandete ihnen entgegen und zupfte an ihren Rüstungen, und eine Hand voll Krieger fielen, aber alle rappelten sich wieder auf und stürmten weiter. Eine Rakete zischte heran, traf Sergeant Nivaneus, einen Veteran des Thracischen Feldzugs, und löste seinen Oberkörper in eine rote Wolke auf. Eine Gruppe Space Marines aus Sergeant Elernas Trupp wurde von einer Autokanone unter Beschuss genommen. Vier gingen zu Boden. Nur zwei standen wieder auf. Einer der Überlebenden hatte den rechten Arm verloren, hob aber mit seiner verbliebenen Hand seine Pistole auf und schoss auf den Feind, während er weiter aufwärts stürmte. »Verteilt euch, bleibt nicht so dicht beisammen!«, brüllte Uriel, als die Autokanone das Feuer wieder aufnahm. Major Bextor reckte eine Faust in die Luft, als die Autokanone eine Schneise in die Reihen der Ultramarines mähte. Er feuerte über die Brüstung auf die anstürmenden Krieger. Dies war seine erste Schlacht, und er fand langsam Gefallen daran. Sie hielten den Space Marines stand, obwohl ihm der analytische Teil seines Verstandes verriet, dass weniger Ultramarines seine Stellung angriffen, als den Angriff begonnen hatten. Er führte das auf seine anfängliche Ehrfurcht vor der Größe und offensichtlichen Stärke der Space Marines zurück, aber jetzt hatte er Maß genommen, daher kamen sie ihm nicht mehr annähernd so Furcht erregend vor. Er würde ein Held sein! Der Mann, der die Ultramarines besiegt hatte. Die Männer würden sich in der Regimentsmesse im Lauf der nächsten Jahrzehnte Geschichten über diese Schlacht erzählen. Bextor griff nach einer weiteren Energiezelle und grinste den
Soldat neben sich an. »Den Arschlöchern zeigen wir's aber, was, Junge?«, scherzte er. Der Kopf des Mannes explodierte, und Bextor wurde mit Blut und Hirnmasse bespritzt. Er zuckte zurück, vom entsetzlichen Tod des Soldaten unsagbar angewidert. Er verlor das Gleichgewicht und fiel vom Laufgang schmerzhaft auf den gestampften Boden. Er wandte sich in die Richtung, aus der der Schuss gekommen war, und sah ungeschlachte Gestalten aus dem Minenschacht klettern und mit dem systematischen Abschlachten seiner Männer beginnen. Schwarze Giganten mit abscheulich grinsenden Masken der Wut fielen wie ein Gewitter über seine Linie her, hackten Männer mit kraftvollen Schwüngen ihrer kreischenden Schwerter entzwei oder jagten ihnen Explosivgeschosse aus tosenden Pistolen in den Leib. Er wälzte sich auf die Seite und spürte Blut aus einer Schramme in der Stirn rinnen, während er voller Entsetzen über diese finsteren Albträume zu weinen anfing, die aus den Eingeweiden dieses Planeten aufgetaucht waren. Knatterndes Schnellfeuer riss seine Männer in Stücke, und Schwerter, die ganz sicher im Herzen des Chaos geschmiedet worden waren, hackten und wirbelten, trennten Gliedmaßen ab und beendeten Leben. Überall schrien seine Männer und starben. Er rappelte sich schwächlich auf und bückte sich nach seiner Laserpistole. Der Tod umgab ihn, aber er schwor, einen dieser Teufel schreiend mit sich in die Hölle zu nehmen. Er hörte ein donnernden Krachen hinter sich und fuhr herum. Eine schwarze Gestalt mit grinsender Schädelmaske tauchte aus dem Rauch auf und hob eine goldene Waffe. Bextor spürte, wie ihm vor Entsetzen die Knie einknickten, und starrte wie gebannt auf den geflügelten Adler auf dem goldenen Stab, den die schwarz gerüstete Gestalt hielt. Seine roten Augen schienen in der Farbe von Blut zu leuchten, als ihn seine in Energie gehüllte Schneide entzweihieb. Virgil Ortega kämpfte gegen die Schmerzen in seinem Brustkorb an, während er durch die Tür auf die PWM-Soldaten schoss. Der Korridor vor dem Arsenal war voll von Leichen und Rauch, und beide Seiten feuerten blindlings in den stinkenden blauen Korditnebel in der Hoffnung, etwas zu treffen. Die beiden gekoppelten Autokanonen hatten sich nicht als so nützlich erwiesen, wie sie gehofft hatten, da der heftige Rück-
schlag die Geschütze aus ihrer Verankerung gerissen und der größte Teil der Barrikade sich in einem Hagel von Explosivgeschossen aufgelöst hatte. Immerhin hatte ihnen das eine kurze Atempause verschafft, da die PWM-Soldaten zunächst nicht bereit gewesen waren, sich gegen so eine Waffe zu stemmen. Es hatte mehrere Minuten gedauert, bis ihnen aufgegangen war, dass die Autokanonen keine Gefahr mehr waren. In der Zwischenzeit hatten Collix und Ortega die letzten beiden überlebenden Liktoren zurück ins Arsenal gezogen. Nun, da die Barrikade so gut wie zerstört war, gab es keine realistische Möglichkeit mehr, den Korridor zu halten. Ortega warf zwei Granaten durch die Tür und sprang zurück, während draußen die Doppelexplosion und Granatsplitter durch den Korridor fegten und Geschrei ertönte. Collix war plötzlich neben ihm und reichte ihm einen Segeltuchtornister, der mit Schrotpatronen und Boltmunitionsgurten für seine Pistole gefüllt war. »Wenigstens wird die Munition nicht knapp«, grunzte Ortega. Collix nickte. »Genauso wenig wie die Verräterhunde, auf die wir sie abschießen können.« Ortega grinste und erhob sich mühsam, als er gedämpfte Rufe vor den Türen des Arsenals hörte. »Dem Gericht des Imperators kann man nicht entkommen, nicht einmal im Tod«, schrie er den Angreifern zu und zuckte zusammen, als die Schmerzen in seinen gebrochenen Rippen aufflackerten. Sie eilten zurück zu einer hastig errichteten Barrikade aus leeren Munitionskisten und umgestürzten Regalen, hinter der sie in Stellung gingen, um dort auf den unvermeidlichen nächsten Angriff zu warten. Eine Vielzahl von Waffen lag hinter der Barrikade zusammen mit einer Kiste Munition für jede Waffe bereit. Lasergewehre, Boltpistolen, Autokanonen, zwei Raketenwerfer, ein Granatwerfer, eine Laserkanone und sechs Boltgewehre. Es war eine beeindruckende Sammlung von Waffen, aber da nur noch vier von ihnen am Leben waren, würde aus den meisten Waffen gar nicht geschossen werden. Dreißig Meter hinter ihnen bereiteten ihre überlebenden Mitkämpfer hektisch die Sprengung des Arsenals vor. Ohne Zünder war ein Großteil des hier gelagerten Sprengstoffs nicht zu gebrauchen, aber die Zeit, die sie mit dem Leben vieler Arbites erkauft hatten, war nicht vergeudet worden.
An Schlüsselstellen im gesamten Arsenal hatten sie geöffnete Kisten mit Munition und Geschützen zu großen Haufen jeweils um eine Vielzahl von Granaten gestapelt, die abgezogen waren und deren Zündmechanismus mit der Batterie des Kommgeräts gekoppelt war. In wenigen Minuten würden sie über eine primitive, aber wirksame Methode verfügen, die Kettenreaktion in Gang zu setzen, die jedes Stück Munition im Arsenal hochgehen lassen würde. Das Gemach des Gottes war viel kleiner, als Kasimir de Valtos sich vorgestellt hatte, aber es strahlte eine gewaltige Macht aus. Die Wände neigten sich nach innen und vereinigten sich in einer goldenen Spitze über dem genauen Mittelpunkt der Kammer, wo ein Quader aus glattem schwarzen Obsidian ruhte, der prächtig war in seiner Abgeschiedenheit. Die Basis jeder Wand wurde von rechteckigen Nischen gesäumt. Jede Nische enthielt eine Skelettfigur, wie seine Arbeiter sie vor Monaten aus der Außenkammer des Grabkomplexes geholt hatten. Sogar die Eldar und Vendare Taloun sahen aus, als seien sie von der Kammer beeindruckt, und starrten staunend auf dieses fremdartige Gebilde, das sechzig Millionen Jahre lang unter der Oberfläche von Pavonis begraben gewesen war. »Es ist großartig«, hauchte de Valtos, während er vor einer der Nischen stehen blieb. Der Skelettkrieger darin war ebenso leblos wie diejenigen in seinem Haus, ihr ursprünglicher Glanz unter Grünspanflecken verborgen. Anders als diejenigen in seinem Besitz trugen diese hier bizarr aussehende Gewehre, deren Läufe mit Staub überzogen waren. Es war absolut faszinierend, und er freute sich darauf, mehr über diese seltsamen Wesen zu erfahren, wenn er erst einmal die Fesseln seiner Sterblichkeit abgestreift hatte. So fasziniert er von den Kriegerreihen auch war, er konnte sich der diabolischen Anziehungskraft des Mittelsarkophags nicht entziehen und marschierte mit hallenden Schritten darauf zu. Er war gewaltig, volle fünf Meter in der Länge, und als er näher kam, sah er, dass die Oberfläche gar nicht glatt war, sondern mit Runen beschriftet und mit präzis geformten Einkerbungen übersät. Sein Herz hämmerte, als er darin dieselben erkannte wie diejenigen, welche er unter den Ruinen von Cthelmax gelesen hatte. Dieselben Runen, nach denen er seit diesem Tag den ganzen Sektor
durchforstet hatte. In den Boden gemeißelte Rinnen gingen sternförmig von dem Sarkophag aus und wanden sich in präzisen geometrischen Mustern zu den Wandnischen. Kesharq stand neben ihm und schob sein Helmvisier hoch. Trotz der Unbeweglichkeit seines Gesichts und der grob genähten Kugelwunde in der Wange konnte de Valtos den Hunger in den Augen des Eldar erkennen. »Sie spüren es auch, nicht wahr?«, flüsterte er. Mit einem Schnauben verbarg Kesharq rasch seine Gefühle und schüttelte den Kopf. »Ich will nur das Gerät sichern und wieder verschwinden.« »Sie lügen«, kicherte de Valtos. »Ich kann es in Ihren Augen sehen. Sie wollen es ebenso wie ich.« »Spielt das eine Rolle? Erledigen wir die Sache endlich.« De Valtos schwenkte den Finger unter der Nase des EldarKriegers hin und her und deutete dann in die Richtung des silbrigen Behälters, der von Kesharqs Kriegern getragen wurde. »Also gut. Geben Sie mir die Teile, die Sie an sich gebracht haben, dann werde ich den Schlüssel zu der Waffe fertig stellen.« Kesharq hielt de Valtos' Blick stand, bevor er kurz nickte. Die Eldar mit dem silbernen Kasten traten vor und stellten ihn vor ihrem Anführer ab. Kesharq öffnete den Kasten, ohne den Blick von de Valtos abzuwenden. »Woher weiß ich, dass ich Ihnen trauen kann?« »Sie können mir so weit trauen, wie ich Ihnen traue, mein lieber Kesharq.« Der Eldar musste sich sichtlich anstrengen, die Hand von seiner Pistole fern zu halten, aber de Valtos wusste, dass er es nicht wagen würde, ihn zu erschießen, bis er den Nachtbringer aus dem Schattenreich geholt hatte, das dieser jetzt bewohnte. Durch uralte Wissenschaft mit Pavonis verankert, war er seit dem Tag seines Verschwindens ein Geisterschiff in diesem Sektor gewesen. De Valtos wusste, dass der heutige Tag seine Wiedergeburt erleben würde, und die Galaxis würde sein zweites Kommen betrauern. Collix starb. Granatsplitter hatten ihm die Bauchdecke aufgerissen, und seine Eingeweide quollen aus seiner Rüstung auf den Boden des Arsenals. Der Sergeant stemmte sich gegen die Barrikade und schoss mit einem Boltgewehr, obwohl ihm der Rück-
schlag bei jedem Schuss einen Schmerzlaut entrang. Ortegas linker Arm hing nutzlos herab, da ihn ein Laserstrahl knapp unter dem Ellbogen so gut wie abgetrennt hatte. Er schoss und lud seine Schrotflinte einhändig und brüllte den Rebellen dabei die Litanei des Gerichts entgegen, da sie unermüdlich gegen ihre hartnäckige Gegenwehr anrannten. Die Sprengladungen waren fertig, jetzt brauchten sie sie nur noch zur Explosion zu bringen. Sie hatten keine Wahl mehr. Virgil hatte gehofft, das Arsenal so lange verteidigen zu können, bis loyalistische Truppen zu ihrer Unterstützung anrückten, aber das war nun nicht mehr wahrscheinlich. Nur er und Collix waren noch übrig. Die anderen Liktoren waren tot, beim letzten Angriff gefallen, und jetzt lag es an ihnen. Ortega hatte sich immer gefragt, wie der Tod ihn ereilen würde, und nun, da er kam, fand er, dass man ihn nicht zu fürchten brauchte, sondern willkommen heißen konnte. Er würde den rechtschaffenen Zorn des Imperators über jene bringen, die glaubten, Seine Gesetze brechen zu können. Er hörte, wie Rebellenoffiziere ihre Männer für den nächsten Angriff sammelten. Collix zerrte unter Schmerzen einen frischen Gurt Boltpatronen aus der Munitionskiste, um ihn in das rauchende Magazin der Waffe einzurasten. Sein Gesicht war wächsern und schmerzverzerrt. Die Patronen entglitten seinen blutigen Händen immer wieder, und Ortega half seinem Sergeanten. »Danke, Hauptmann.« Collix schloss das Magazin. »Bei mir wollten sie nicht so richtig.« »Sie haben sich sehr gut geschlagen, Sergeant.« Collix hörte die Endgültigkeit in Ortegas Worten und warf einen Blick auf den Batteriezünder, den sie gebastelt hatten. »Dann ist es so weit?« »Ja, ich glaube schon.« Der Sergeant nickte, indem er das Gewehr durchlud und sich so hoch aufrichtete, wie es seine Wunde zuließ. Er salutierte schwach und sagte: »Es war eine Ehre, unter Ihnen zu dienen, Hauptmann Ortega.« Virgil erwiderte den Gruß, nahm Collix' ausgestreckte Hand und drückte sie fest. Er nickte zur Barrikade und lächelte dünn. »Aus Ihnen wäre ein hervorragender Offizier geworden, Liktor Collix.« »Ich weiß«, erwiderte Collix, »Liktor Hauptmann binnen vier Jahren, würde ich sagen. Das hatte ich sowieso vor.«
»Binnen vier Jahren? Eher sechs. Ich glaube, Sharben hätte Ihnen auf der Karriereleiter einen harten Kampf geliefert.« Collix nickte. »Vielleicht, aber bedenken Sie, welche Auswirkungen mein tapferes Verhalten hier auf meine Beförderungsaussichten haben wird.« »Gutes Argument«, räumte Ortega ein. »Erinnern Sie mich daran, es vor dem Chef zu erwähnen, wenn wir hier raus sind.« »Ich werde Sie beim Wort nehmen, Hauptmann.« Beide Männer wurden ernst, und Ortega sagte: »Verschaffen Sie mir nur genug Zeit, den Laden in die Luft zu jagen.« Collix nickte, presste den Gewehrschaft fest gegen die Schulter und zielte auf die breiten Türen des Arsenals. Virgil stolperte zum Kommgerät. Das Krachen von Boltgewehren und Zischen von Laserstrahlen kündete den nächsten Angriff an, aber er wagte nicht, sich umzudrehen. Laserstrahlen zuckten rechts und links an ihm vorbei, und einer streifte seinen Oberschenkel. Er schrie vor Schmerzen, als er von einem Strahl hoch in den Rücken getroffen wurde und auf den Boden fiel. Sein verwundeter Arm schlug schwer auf, und er wälzte sich herum und kämpfte darum, trotz der unerträglichen Schmerzen bei Bewusstsein zu bleiben. Er hörte Collix über das Geknatter der Waffen vor Wut brüllen und flehte den Sergeant im Stillen an, ihm noch etwas mehr Zeit zu verschaffen. Ortega kroch zum Kommgerät und verschmierte dabei das Blut über den Boden, das aus seinem zerrissenen Leib floss. Eine gewaltige Explosion überschüttete ihn mit Holzsplittern und Felsbrocken. Der PWM war es doch noch gelungen, schwerere Waffen zum Einsatz zu bringen, und von der Barrikade war jetzt nur noch ein qualmender Haufen verbogenes Metall und verstümmelte Leichen übrig. Soldaten rannten ob der Vernichtung ihres Feindes wie aufgezogen ins Arsenal. Ortega knurrte tief unten in der Kehle und schleppte sich weiter. Noch ein Laserstrahl traf ihn in den Rücken. Er schlang die Arme um das Kommgerät, als eine ganze Salve von Laserstrahlen seine Rüstung durchbohrte und ihn förmlich auseinander schnitt. Bevor ihn der Tod ereilte, gelang Virgil Ortega als allerletzte Handlung noch ein Druck auf die Aktivierungsrune des Kommgeräts, was einen Stromstoß durch den isolierten Draht zu den Zündern für sechzig Granaten sandte.
Virgil Ortega war tot, noch bevor die Druckwelle der ersten Explosion im Arsenal seinen Leichnam erreichte, aber das Ergebnis war spektakulärer, als er jemals hatte hoffen können. Sekunden nach der Aktivierung des Kommgeräts brachten die von ihm und seinen Leuten vorbereiteten Granaten den riesigen Vorrat an Waffen und Munition zur Explosion, der unter dem Palast lagerte. Noch bevor die ersten Detonationen verhallt waren, hatte eine tödliche Kettenreaktion begonnen. Hitze- und Vibrationssensoren registrierten die Explosionen und initiierten Eindämmungsmaßnahmen, aber die Eskalation der Vernichtung ging so rasch vonstatten, dass sie nicht einmal ansatzweise die gewaltigen Kräfte bezähmen konnten, die Virgil entfesselt hatte. Zuerst glaubten die Bewohner Brandontors, sie würden wieder von der Vae Victus bombardiert, und warteten voller Furcht darauf, dass die nächste Salve Magmabomben herabregnete. Die gewaltige Druckwelle breitete sich mit der Kraft eines Erdbebens durch den Boden aus und ließ die ganze Stadt unter der Wucht der unterirdischen Explosion erbeben. Flammengeysire zischten aus Rissen in den Straßen in den Himmel, und ganze Stadtteile verschwanden, da Häuser, Menschen und Panzer in Sekundenschnelle eingeäschert wurden. Granaten flogen wie tödliches Feuerwerk in den Himmel und landeten irgendwo in der Stadt, was zusätzlich zur allgemeinen Panik und Zerstörung beitrug. Mehrere Kommandanten von Kartellstreitkräften wähnten sich unter Beschuss, entweder seitens frisch eingetroffener loyalistischer Truppen oder verräterischer Kartell-Konkurrenten, und es kam zu heftigen Panzergefechten, als sich Jahrzehnte des Misstrauens und der politischen Grabenkämpfe auf den Straßen Brandontors entluden. Panzer des Vergen-Kartells kämpften gegen jene von Abrogas, die gegen de Valtos kämpften, die Honan bekämpften, die jeden beschossen, der in Reichweite kam. In der Verwirrung brauchten die Kommandanten über eine Stunde, um die Ordnung wiederherzustellen, und da waren bereits über fünfzig Panzer zerstört oder kampfunfähig. Das instabile Fundament des Reviers der Arbites rumpelte ohrenbetäubend, und riesige Brocken gelockerten Felsbetons fielen von der Fassade herab, als sich ein Spalt in der Esplanade auftat und ganze Abschnitte verschlungen wurden. PWM-Panzer versuchten mit heulenden Motoren, der Vernichtung zu entrinnen,
waren aber zu langsam, um dem wegkippenden Boden und dem einstürzenden Gebäude noch entrinnen zu können. Die Statuen auf dem Befreiungsplatz schwankten auf ihren Sockeln, und alle bis auf das Standbild des Imperators in der Mitte krachten auf den Platz. Der Imperiale Palast erbebte in seinen Grundfesten, als Kräfte auf ihn einwirkten, die auszuhalten er nicht geschaffen war, und von seinem ohnehin schon geschwächten Fundament löste sich noch mehr auf. Ganze Flügel fielen in wallenden Staubwolken in sich zusammen und begruben Kompanien von PWM-Soldaten unter Tonnen zerschmetterten Marmors. Ein riesiger Krater gähnte zwischen dem Revier der Arbites und dem Palast, und ein Abschnitt des Verteidigungswalls sackte nach unten in die Flammenhölle des zerstörten Arsenals. Gewaltige Flammen leckten inmitten einer gigantischen Rauchsäule in den Himmel. Binnen Sekunden sah Brandontor aus, als sei es wochenlang belagert worden. Mit einem Schlag hatte Virgil Ortegas Opfer den Rebellen das größte Vorratslager von Waffen und militärischem Nachschub entzogen. Uriel starrte in die Dunkelheit des Minenschachts, eine hundert Meter durchmessende Wunde im Antlitz des Planeten, während sich die beiden Thunderhawks näherten. Die Umgebung des Schachts wurde von gewaltigen Kränen und an Auslegern hängenden Förderkorbeinrichtungen in Beschlag genommen, um Arbeiter und Ausrüstung zu transportieren. Riesige, an dicken Stahlkabeln hängende Aufzugskörbe mit einem Fassungsvermögen von hundert Männern senkten sich zwischen gewaltigen Führungsschienen in die Tiefe. Ein Windenrad und ein Kontrollraum hingen an einem zentralen Trägerpaar über der Grube, in die dicke Kabelbündel fielen. Als Dardinos Infiltratoren über die Verteidiger herfielen, war das Schicksal der Soldaten besiegelt. Zwischen Hammer und Amboss des Angriffs der Ultramarines gefangen, hatten sie keine Aussicht mehr auf den Sieg gehabt. Er erinnerte sich an sein Gefühl des Stolzes, als seine Männer ihm über die Barrikaden gefolgt waren, um den Feind mit gerechtem Zorn und heiliger Entschlossenheit niederzumachen. Sie waren ihm bedingungslos in die Schlacht gefolgt, und der Eifer, den sie dabei an den Tag gelegt hatten, konnte sich mit allem mes-
sen, was er in dieser Beziehung je erlebt hatte. Uriel empfand Demut angesichts der Ehre, die diese Männer der Kompanie am heutigen Tag bereitet hatten. Der vorderste Thunderhawk setzte in einer heulenden Wolke aus Staub und Abgasen auf, und seine vordere Rampe fiel zu Boden, kaum dass die Triebwerke heruntergefahren wurden. Ario Barzano und einige Leibeigene aus der Vae Victus stiegen aus und gingen zu Uriel. Das strahlende Gesicht des Inquisitors spiegelte dessen Vorfreude wider. Er hatte eine Plasmapistole und ein Energiemesser aus der Rüstkammer des Schlachtkreuzers requiriert. »Gut gemacht, Uriel, gut gemacht!«, strahlte er mit einem Blick auf den Minenschacht und die Förderkörbe. »Vielen Dank, Inquisitor, aber wir sind noch nicht fertig.« »Nein, natürlich nicht, Uriel. Aber bald, was?« Uriel nickte angesichts der Zuversicht des Inquisitors. Er rief seinen Kriegern zu: »Holt die Gerätschaften zum Abseilen aus den Thunderhawks. Beeilt euch!« »Gerätschaften zum Abseilen?«, wiederholte Barzano. »Das kann nicht Ihr Ernst sein, Uriel, der Schacht ist fast zehn Kilometer tief. Er ist viel zu tief für Seile.« Er zeigte auf den klobigen Korb des Arbeiterfahrstuhls. »Was ist damit? Den können wir doch sicher benutzen?« Uriel schüttelte den Kopf. »Nein. Die Rebellen haben mit Sicherheit Männer am Ende des Schachts postiert. Jeder, der darin herunterfährt, wird entweder auf halbem Weg stranden oder bei der Ankunft niedergeschossen.« »Wie wollen Sie dann nach unten kommen?« Uriel drehte den Inquisitor um und führte ihn zum Thunderhawk zurück, wo die Ultramarines die Kletterseile von geschwärzten Metallzylindern entfernten. »Wir werden die hier benutzen«, sagte Uriel, indem er eines der schwarzen Geräte nahm. Es ähnelte einem schlichten Zylinder aus Metall mit einem strukturierten Handgriff an der Außenseite und einer breiten, gezähnten, vertikalen Kerbe. Die Vorrichtung passte genau in Uriels Handfläche, und als er die Faust ballte, schnappten die Zähne in der Mittelkerbe nach innen in den Zylinder. Als er wieder losließ, schnappten sie in die Kerbe zurück. »Die benutzen wir für schnelles Abseilen, wo wir keine Sprungtornister einsetzen können. Wir werden sie an den Kabeln der
Förderanlage befestigen und an ihnen nach unten gleiten, um die Verteidiger zu überraschen.« »Sie wollen einhändig zehntausend Meter in die Tiefe rutschen?« Uriel nickte mit schiefem Grinsen. »Und wie soll ich nach unten gelangen?« »Sie wollen mit uns kommen?« »Natürlich. Nach allem, was passiert ist, glauben Sie doch nicht, dass ich mir die Gelegenheit entgehen lasse, mir anzusehen, wie Sie de Valtos fertig machen, oder?« »Also gut«, antwortete Uriel, indem er mit dem Inquisitor zum Förderkorb ging. »Dann werden Sie nachkommen, wenn wir unten sind. Ich schätze, dass wir fast fünf Minuten brauchen werden, um die zehn Kilometer bis zum Grund des Schachts zurückzulegen. Warten Sie so lange, bis Sie den Korb in Bewegung setzen. Schließlich brauchen wir eine Möglichkeit, um hinterher wieder nach oben zu kommen.« Barzano gefiel ganz eindeutig die Vorstellung nicht, im Förderkorb nach unten zu fahren, sah aber auch, dass es für ihn keine andere Möglichkeit gab, die Mine zu erreichen. Auf keinen Fall konnte er es auf die Art der Ultramarines machen. Er nickte widerstrebend. »Also gut, Uriel«, sagte Barzano, indem er sein Pistolenhalfter öffnete, »wollen wir anfangen?« »Aye«, knurrte der Ultramarine. »Bringen wir es zu Ende.« Die Ultramarines würden sich in vier Wellen im Abstand von jeweils fünf Sekunden in die Tiefe stürzen. Uriel saß auf dem Mittelpfeiler, das gewaltige Windenrad neben seiner rechten Schulter, und seine gepanzerten Beine baumelten über der unendlichen Finsternis vor ihm. Er und die erste Welle der Krieger kletterten am Träger herab, legten die Abseilklammern über die Kabel des Förderkorbs, schlossen die Faust darum und waren somit bereit für den Abstieg. Uriel leckte sich die plötzlich trockenen Lippen, als ihn ein jähes Schwindelgefühl erfasste. Er warf einen Blick zurück auf Ario Barzano im Förderkorb und salutierte vor dem Inquisitor. Barzano erwiderte den Salut. Uriel schaute nach rechts und links, um sich zu vergewissern, dass die erste Welle bereit war. Er holte tief Luft, rief »Los!« und
stürzte sich in die Tiefen dieser Welt. Das Metall fühlte sich warm an, weich und nachgiebig, obwohl Kasimir de Valtos wusste, dass es stärker als Adamantium war. Andächtig nahm er das erste Teil aus dem Kasten, drehte es in den Händen und inspizierte jeden Zentimeter seiner schimmernden Oberfläche. Er hatte Jahre seines Lebens mit der Suche nach diesen Artefakten verbracht, und es raubte ihm den Atem, sie jetzt vor sich zu sehen. Widerstrebend riss er sich vom Anblick des Gegenstands los und wandte sich dem Sarkophag zu. Er spürte die Macht darin und die Anziehungskraft, die er auf das Metall ausübte. Er spürte, wie der Gegenstand in seinen Händen bebte und zitterte, und sah erstaunt zu, wie er zerfloss wie Quecksilber und sich etwas Neues daraus bildete. Er hielt das schimmernde Metall wie eine Opfergabe vor sich, während er zögernd einen Schritt zum Sarkophag machte und dabei nicht wusste, wer begieriger war, er oder das Metall. Das formbare Metall nahm die Gestalt einer flachen runden Scheibe ähnlich wie ein Zahnrad an, aber mit einem subtilen Eindruck von Falschheit an den Ecken und Kanten. De Valtos konnte das Spiegelbild dieses Gegenstands auf der Seite des Sarkophags ausmachen, kniete sich neben den dunklen Quader und drückte das Metall auf dessen Oberfläche. Es floss aus seinen Fingern und glitt mühelos in die perfekt passende Nische. Das Metall verflüssigte sich wieder und breitete sich in silbrigen Fäden über die gesamte Oberfläche des Sarkophags aus, indem es den dort eingravierten Linien und Mustern folgte. Die glitzernden Fäden hielten abrupt inne, als seien sie am Ende ihrer Elastizität angelangt, und de Valtos wusste, was er als Nächstes zu tun hatte. Er zerrte den silbernen Kasten zum Sarkophag, wobei er die Metallstücke darin klirren hörte, als seien sie aufgeregt ob der Aussicht, wieder an den Busen ihres Machers zurückkehren zu können. Jedes Mal, wenn er einen der Metallgegenstände aufnahm, veränderte er die Form und nahm eine andere an, sodass er in eine andere Nische an der Seite des Sarkophags passte. So schnell er konnte, passte de Valtos die einzelnen Teile des lebenden Metalls in die entsprechenden Nischen ein. Wenn ein Teil hinzugefügt wurde, breiteten sich die silbrigen Linien ein Stück weiter auf der Oberfläche des Basaltobelisken aus und bildeten ein immer grö-
ßer werdendes Netz eckiger Linien und komplexer Geometrien. Schließlich nahm er das letzte Stück aus dem Kasten, ein dünnes Kreuz, dessen Spitze in einem flachen, runden Haken auslief, und umkreiste den Sarkophag auf der Suche nach der entsprechenden Nische. Nur dieses letzte Teil behielt seine ursprüngliche Gestalt, und er konnte keine ähnlich geformte Nische finden, in die er es einpassen konnte. Dann lächelte de Valtos und stellte sich auf die Zehenspitzen. Tatsächlich fand sich die entsprechende Einbuchtung auf der wuchtigen Platte des Sarkophagdeckels. Er legte das Kreuz hinein und trat zurück, um die Schönheit des sich kräuselnden silbernen Gebildes vor sich zu bewundern. Der Sarkophag war in ein funkelndes Netz aus Linien des lebenden Metalls gehüllt, die in ihrem ganz eigenen Licht leuchteten. »Und jetzt?«, flüsterte Kesharq. »Jetzt warten wir«, antwortete de Valtos. »Worauf?« »Auf die Wiedergeburt eines Wesens, das älter ist als die Zeit.« »Und der Nachtbringer? Was ist damit?« De Valtos lächelte humorlos. »Keine Sorge, mein lieber Archon. Alles entwickelt sich so, wie ich es geplant habe. Das Schiff wird bald uns gehören. Und dann können wir...« Er brach ab, als ein tiefes Bassgeläut in der Luft lag, wie das Schlagen eines unbegreiflich großen Herzens. Nervöse PWMSoldaten hoben ihre Waffen, als das Geläut noch einmal ertönte und noch lauter. »Was ist los?«, schnauzte Kesharq. De Valtos antwortete nicht, er war vollkommen auf die silbernen Linien fixiert, die aus dem Sarkophag sickerten und in dünnen Bachen durch die Kanäle im Boden rannen. Flüssige Rinnsale aus Silber liefen von der Mitte der Kammer zu den Alkoven, die sie umgaben, und vier von ihnen zweigten zum Vorzimmer draußen ab. Die Bäche rannen an den Wänden empor und ergossen sich in jeden Alkoven. Vendare Taloun fiel mit einem an den Imperator gerichteten Gebet auf die Knie. »Bleibt, wo ihr seid!«, rief ein PWM-Sergeant, als mehrere Soldaten langsam zur Tür zurückwichen. Der tosende Herzschlag ließ die Luft erbeben, und de Valtos spürte, wie eine Macht aus einer Zeit Äonen zurück in das Gemach sickerte, während die goldene Kappe im Scheitelpunkt der Decke in einem geisterhaften Schein zu leuchten begann.
Archon Kesharq fasste seine Axt fester und sah sich in der Kammer nach der Ursache für das dröhnende Läuten um. Kasimir de Valtos trat neben den Sarkophag und legte die Hände auf dessen warme, pulsierende Seite. Ein Entsetzensschrei ertönte. Er schaute auf und sah die Skelettwächter des Grabs einen Schritt aus ihren Alkoven machen. Alle bewegten sich in absolutem Einklang mit ihren stummen Brüdern. Waren sie die Vorhut des Wesens, das er erweckt hatte? Eine Bewegung und Lichtschein im Eingang zur Kammer fiel ihm ins Auge, und er sah zu, wie die vier stummen Wächter aus dem Vorzimmer die Grabkammer betraten. Ihre Bewegungen waren geschmeidig und gemächlich. Die androgynen Züge jedes Kriegers blieben ausdruckslos, aber sie trugen ihre seltsamen Kupferstäbe bedrohlich vor sich her. Ein gespenstisches Licht leuchtete in jedem Grabwächter und pulsierte im Gleichklang mit dem dröhnenden Herzschlag, doch keiner bewegte sich. Ihnen schien zu reichen, die Eindringlinge in ihr Heiligtum zu beobachten. Mit einem Geräusch wie Donnerhall öffnete sich ein großer Spalt in der Mitte der Platte auf dem Sarkophag. Suchende Fäden aus dunklem Rauch wehten hindurch, und de Valtos taumelte rückwärts und fiel auf die Knie, als ungebetene Gedanken an Tod und Zerstörung durch sein Bewusstsein huschten. Er krümmte sich unter der Überladung seiner Sinne durch das Gefühl der Schmerzen und des Leidens, das vom Sarkophag ausstrahlte. Langsam löste sich der Sarkophag in Fetzen aus rauchiger Finsternis auf.
18. Kapitel Sie fielen immer tiefer unter die Oberfläche von Pavonis, vorbei an der Neuntausendmetermarke und immer noch weiter. Uriel sah einen Lichtpunkt unter sich und befahl den Ultramarines, langsamer zu werden. Er lockerte seinen Griff um die Abseilklammer, und orange Funken stoben, als die Zähne sich in die dicken Drahtkabel gruben. Die rasende Fahrt verlangsamte sich, und der Lichtpunkt unter Uriel dehnte sich zu mehreren Lichtkugeln und einem beleuchteten Tunnelabschnitt aus. Dort waren auch Männer, die angesichts der fliegenden Funken verwirrt nach oben starrten. Uriel gab
ihnen keine Zeit, sich bewusst zu werden, was sie sahen, sondern ließ die Abseilklammer einfach los und legte die letzten zehn Meter im freien Fall zurück. Seine gerüstete Gestalt schmetterte den ersten Soldaten zu Boden und tötete ihn, bevor dieser wusste, wie ihm geschah. Uriel rollte sich ab und gab ein paar rasche Feuerstöße aus seiner Pistole ab. Mehr Ultramarines landeten rings um ihn und schwärmten rasch und mit feuernden Pistolen und kreischenden Kettenschwertern aus. Am Ende des Schachts waren vierzig Soldaten stationiert, die hinter Barrikaden aus Sandsäcken kauerten und die Waffen auf den Förderkorb gerichtet hatten. Schüsse hallten den angreifenden Ultramarines entgegen, und Kugeln und Laserstrahlen zischten durch die Luft. Rauch wallte auf, und sengend heißer Dampf und Abgase quollen aus zerschmetterten Abluftschächten. Mit drei großen Schritten war Uriel über die Barrikade hinweg und teilte mit seinem Kettenschwert Hiebe nach rechts und links aus. Ein Soldat riss sein Lasergewehr hoch. Uriel durchschlug den Lauf, und der anschließende Rückhandhieb trennte dem Mann den Kopf von den Schultern. In einem einzigen blutdürstigen Rausch tötete er jeden Feind in Reichweite, und grausame Freude durchflutete ihn. Er schoss und hieb sich durch zehn Männer, bis schließlich keiner mehr in der Nähe war. Gegen die Heftigkeit dieses Überraschungsangriffs der Space Marines gab es keine Gegenwehr, und Minuten später waren die Verteidiger tot und ihre Stellung war nun ihr Grab. Uriel schwelgte in dem Blutvergießen, und seine Sinne wurden förmlich überflutet von dem Drang, zu töten und zu zerstören. Er brüllte seine urtümliche Wut heraus und stellte sich vor, wie hunderte und tausende von Feinden abgeschlachtet wurden, sah ihre entstellten Kadaver, an denen sich Fliegen und Aasvögel gütlich taten. Gefangene niederzumetzeln und ihr Blut wie köstlichen Wein zu trinken war sein einziges Bedürfnis und... Uriel sank plötzlich auf die Knie und ließ Pistole und Schwert fallen, als die grässlichen Bilder weiterhin sein Bewusstsein überfluteten. Er brüllte vor Wut und kämpfte mit all der geistigen Disziplin, die ihm seine Ausbildung vermittelt hatte, gegen diesen über ihn hereinbrechenden Wasserfall aus Schmutz an. Allmählich verdrängte er die Bilder von Tod und Gemetzel aus seinem Bewusstsein und mühte sich, die Mauern um seine Ge-
danken undurchdringlich zu machen. Er sah, dass seine Männer dasselbe geistige Duell austrugen, und rief: »Mut und Ehre! Ihr seid Ultramarines! Haltet stand! Die Bilder in euren Gedanken sind nicht eure eigenen. Sie gehören dem Wesen, das zu töten wir gekommen sind! Kämpft gegen sie an!« Einer nach dem anderen erhoben sich die Ultramarines, noch immer benommen und abgestoßen von den grässlichen Visionen, die sie bestürmt hatten. Er schickte Barzano an der Oberfläche ein rasches Signal über das Kommnet und sah die Kontrollen des Förderkorbs zum Leben erwachen, als er seine Fahrt nach unten begann. Pasanius' und Dardinos Krieger sicherten die Umgebung, während Trupp Venasus durch die Reihen der Gefallenen ging, um sich zu vergewissern, dass es keine Überlebenden gab, obwohl Uriel eindeutig erkennen konnte, dass dies unnötig war. Die Wut ihres Angriffs war noch zusätzlich von den unnatürlichen nichtmenschlichen Begierden gespeist worden, und die von ihnen getöteten Männer waren kaum mehr als blutige Fleischklumpen. Uriel empfand Scham über ihr hirnloses Wüten, und nicht einmal das Wissen, dass ihre Handlungen von einer fremden Macht beeinflusst worden waren, milderte die Erkenntnis, dass die Befähigung zu derart vorsätzlichem Gemetzel tatsächlich tief in ihnen allen schlummerte. Er schüttelte den Kopf und flüsterte ein Mantra der Standhaftigkeit. Nun, da er die Zeit hatte, die Merkmale ihrer Stellung zu bestimmen, konnten Uriels verstärkte Sinne das Ansteigen des Gehalts brennbarer Gase in der Luft feststellen. Schüsse und Explosionen hatten das Belüftungssystem zerstört, und die zunehmende Konzentration von Gasen würde gewöhnlichen Menschen bald gefährlich werden, während sie für Space Marines nicht tödlich war. Vier Gänge führten in die Hauptrichtungen des Kornpasses. Aus dem Osttunnel drangen spürbare Wellen des Entsetzens. Uriel schmeckte sie in der Luft und spürte sie in den Knochen, hielt das Gefühl aber unter Kontrolle. In seinen Gedanken hallten immer noch die Echos der Bilder von Gewalt, Tod, Folter und Verstümmelung wider. Selbst wenn Barzano ihm nichts über das Wesen erzählt hätte, das unter diesen Bergen schlief, hätte er sofort gewusst, dass sie diesen Weg einschlagen mussten. Uriel stand in der Tunneleinmündung und verdrängte die Bilder
verbrannter Leiber, abgetrennter Gliedmaßen und vernichteter Zivilisationen aus seinem Verstand. Das waren nicht seine Gedanken. Der Makel, sie in seinem Kopf gehabt zu haben, widerte ihn an, aber sie wappneten ihn auch gegen den Feind, der auf sie wartete. Er wandte sich seinen Männern zu, und der Stolz auf sie verbrannte die Hassbilder in seinem Kopf. »Krieger Ultramars, ihr habt euch als Männer der Tapferkeit und Stärke erwiesen, und wir werden es bald mit einem Feind zu tun bekommen, wie ihn die Gefilde des Imperators schon seit ungezählten Jahren nicht mehr gesehen haben. Ihr könnt selbst jetzt spüren, wie seine Ausstrahlung an eurem Verstand zerrt. Aber ihr müsst stark sein - widersteht seinen Eingebungen. Denkt daran, dass ihr Space Marines seid, heilige Krieger des Imperators, und dass es eure Pflicht ihm und unserem Primarchen gegenüber ist, die uns Kraft, Mut und Vertrauen einflößt. Dieser Kampf ist noch nicht gewonnen. Wir müssen uns gegen die letzte Prüfung wappnen, wo jeder von uns in sich schauen und die wahre Grenze seines Muts entdecken muss. Vergesst niemals, dass jeder einzelne Mann wichtig ist. Jeder Mann kann das Zünglein an der Waage sein.« Uriel hob sein Schwert, dessen blutige Schneide den Schein der Lichtkugeln reflektierte. »Seid ihr bereit, solche Männer zu sein?« Die Ultramarines brüllten zustimmend. Der Express-Förderkorb hielt jaulend im Bergwerksschacht an, und Uriel senkte sein Schwert, als Barzano den Korb verließ. Der Inquisitor stolperte und hielt sich die Hände an die Stirn. Uriel konnte sich kaum vorstellen, was für ein schrecklicher Ort das hier für den empathischen Inquisitor sein musste. Barzano ging steif zu Uriel, und die Anstrengung, die grässlichen Visionen auf Distanz zu halten, stand ihm klar ins Gesicht geschrieben. »Beim Imperator, können Sie seine Macht fühlen?«, flüsterte Barzano. Uriel nickte. »Ich fühle sie. Je eher wir von hier weg sind, desto besser.« »Genau meine Meinung, mein Freund«, erwiderte Barzano, während er voller Abscheu in den Osttunnel starrte. Er drückte auf die Aktivierungsrune seines Energiemessers und zog seine Pistole. »Es wird Zeit, die Sache zu Ende zu bringen, was, Uriel?« »Ja. Es wird wirklich Zeit.« Gegen die widerliche Macht ankämpfend, die ihren Gedanken so
zusetzte, machten die Ultramarines sich zum Grabmal des Nachtbringers auf. Schwarze Finger glitten tastend über den Rand des Sarkophags. Lange, schmutzverkrustete Nägel und in ein Totenhemd gehüllte Arme folgten, da der Nachtbringer sich aus seinem Grab erhob. Kasimir de Valtos lächelte, da sich in seinem Kopf die Gedanken an Gräueltaten überschlugen, von deren Existenz er nichts geahnt hatte. Blut, Tod, Leiden, Verstümmelung und Folter in einem für Jahrmillionen unbekannten Ausmaß erfüllte seinen Kopf. Es fühlte sich herrlich an. Die PWM-Soldaten fielen zu Boden und rieben sich die Augen. Ihre jämmerlichen Schreie hallten durch die Kammer, da sie versuchten, die grässlichen Dinge in ihrem Kopf zu vertreiben. Vendare Taloun fiel in Ohnmacht, und sogar der hassenswerte Eldar schien von Ehrfurcht vor diesem wunderbaren Wesen ergriffen zu sein, das sich langsam zeigte. Kesharq packte Kasimirs Arm, und sein nichtmenschliches Gesicht spiegelte Verzückung wider. »Das ist wunderbar«, hauchte er. Kasimir nickte, als der Nachtbringer die Seite des Sarkophags umklammerte und sich daran hochzog. Langsam tauchte der gewaltige Kopf über dem Rand des Sarkophags auf, und Kasimir de Valtos starrte in das Gesicht des Todes. Uriel kämpfte gegen die pulsierenden Wellen der Gewalt an, die sein Bewusstsein bestürmten, und hielt sein Kettenschwert fest umklammert. Von weiter vorn konnte er die Schreie der Verdammten hören, und er wappnete sich gegen die bevorstehende Auseinandersetzung. Barzano, der sich neben ihm hielt, sah blass und verhärmt aus. Der Tunnel neigte sich abwärts, und der Fels wich schrägen Wänden aus glattem, schwarzem Obsidian. Die gellenden Schreie zerrten an Uriels Bewusstsein und fütterten das Böse, das unablässig seine Gedanken bestürmte. Er betrat einen quadratischen Raum mit zwei leeren Alkoven auf beiden Seiten. Er spürte, dass die Kammer dahinter die Quelle des Übels in seinem Kopf und die Luft von einem Miasma kiesiger Finsternis erfüllt war. An dieser Stelle war durch Heimlichkeit nichts mehr zu gewinnen. Nötig war jetzt ein schnelles Zuschlagen mit tödlicher Kraft.
Uriel stürmte in die Pyramidenkammer des Nachtbringers und fand dort ein Tollhaus vor. PWM-Soldaten lagen zuckend auf dem Boden der Kammer. Ihre Gesichter waren blutig, wo Nägel und Finger sich die Augen aus dem Kopf gekratzt hatten. Diese Männer waren immer noch bei Bewusstsein und schlugen sich mit gebrochenen Fäusten blutig, während sie vor Entsetzen über Albträume wimmerten, die nur sie sehen konnten. Ein Ring aus metallischen Skelettwesen schnürte unerbittlich einen Mittelblock aus sich auflösendem schwarzen Stein ein, wo eine Gruppe schwer bewaffneter Eldar einen Krieger in Jaderüstung umgab, denselben, welchen er auf dem Eldar-Schiff über Caernuis IV bekämpft hatte. Kasimir de Valtos und eine dunkelhaarige Eldarfrau befanden sich ebenfalls im Schutz ihrer Mitte. Er hatte nur einen flüchtigen Blick für diese Szenerie übrig, als er das gewaltige Wesen sah, das sich soeben aus seinem steinernen Gefängnis befreite. In verrottete Gewänder gehüllt, erhob es sich aus seinem Grab, da sich das solide Gestein Atom für Atom auflöste und sich zu einem wirbelnden schwarzen Schleier neu zusammenfügte. Immer mehr von dem schwarzen Stein löste sich auf und bildete eine verhüllende Finsternis um das Wesen. Nach kurzer Zeit war nur noch die Deckplatte des Grabmals übrig, auf dessen Oberfläche ein Stück Metall leuchtete. Uriel hatte eine flüchtige Vision von einem hageren, vermoderten Gesicht mit zwei gelblich leuchtenden Gruben darin. In jenen Augen lag Wahnsinn und ein tobender, unstillbarer Durst nach Leiden. Ein Umhang geisterhafter Finsternis verbarg seine wahre Gestalt, und aus diesen nebelhaften Umrissen ragten lediglich zwei verrottete, in Verbände gewickelte Arme. Einer endete in langen, mit Graberde verkrusteten Krallen, der andere in einer riesigen Klinge aus unnatürlicher Dunkelheit, die wie eine große Sense gebogen war. Als das Wesen sich zu voller Größe erhob, sah Uriel, dass es viel größer war als die Sterblichen vor ihm. Wirbelnde Strudel der Finsternis gingen von ihm aus und wanden sich um die Leiber derjenigen, welche nicht schnell genug waren, ihrem Zugriff zu entkommen. Der Umhang aus Finsternis fegte zwei Eldar-Krieger empor. Der Sensenarm zuckte, und die Klinge durchschnitt ihre Rüstung und Leiber mit Leichtigkeit. Ihre verdorrten Leichen fielen zu Boden, nicht mehr als verschrumpelte Knochensäcke. Die Eldar verteilten sich, als noch mehr von ihnen von dem rie-
sigen Wesen verschlungen wurden. Die Alabastergestalten mit den Kupferstäben nahmen ihren Platz an der Seite ihres Herrn und Meisters ein. Ihren perfekten Gesichtern fehlte Animation und Leben in jeglicher Form. »De Valtos!«, brüllte Barzano. »Bei der Seele des Imperators, wissen Sie, was Sie getan haben?« Kasimir de Valtos schrie triumphierend, als der Nachtbringer die Kammer mit finsteren Energien aufblähte und seinem Bewusstsein die erstaunlichsten Dinge einflößte, die man sich vorstellen konnte. Die Eldar-Krieger wichen in Richtung der Ultramarines zurück und waren bereit, sich den Weg aus diesem Albtraum herauszukämpfen, in dem sie sich unversehens befanden. Doch der Nachtbringer hatte Hunger auf mehr SeelenLeckerbissen, und die Finsternis um seine Gestalt schwoll an und wallte wie von unsichtbaren Winden zerzaust. Ein tiefer, pulsierender Rhythmus erfüllte die Kammer, und die metallischen Skelettkrieger richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Eindringlinge in die Gemächer ihres Gebieters. Uriel schauderte vor Abscheu, als die Skelettwesen auf ihn zumarschierten und in perfektem Einklang ihre seltsamen Waffen hoben. Er hechtete aus dem Weg, rollte sich ab und schlug nach dem nächsten Krieger. Sein Kettenschwert durchtrennte die Beine und brachte das Wesen zu fall. Er sprang auf, während die Metallkrieger das Feuer eröffneten. Uriel sah mit Entsetzen, wie Sergeant Venasus unter einem unsichtbaren Aufprall erbebte. Das Material seiner Rüstung schälte sich in zerfransten Schichten ab, und Haut und Muskeln folgten mit entsetzlicher Schnelligkeit. Der Sergeant fiel auf die Knie, als seine Muskulatur zuerst sichtbar und dann abgestreift wurde, bis nur noch das kniende Skelett übrig war. Noch ein Ultramarine starb qualvoll, als sein Körper von den Waffen der schädelgesichtigen Krieger Schicht um Schicht abgeschält wurde. Klauenhände griffen nach Uriel und rissen an seiner Rüstung, und er fuhr zu dem Metallskelett herum, das er soeben gefällt hatte und dessen Metall sich vor seinen Augen regenerierte. Er schlug mit dem Schwert zu und jagte ihm zusätzlich eine Boltpatrone in den Brustkasten. Der Krieger fiel erneut, aber Uriel zerstampfte die Maschine in kleine Stücke, damit es ihr nicht gelang, sich noch einmal zu regenerieren. Überall herrschte Chaos. Space Marines kämpften mit den Metallskeletten und gewannen
größtenteils, indem sie sie zu Boden schlugen und dann mit Boltpatronen zerfetzten. Sergeant Learchus zerriss eines mit bloßen Händen und zerschmetterte den Schädel auf dem Boden. Doch viele der tödlichen Kreaturen rappelten sich noch einmal auf, da ihnen Wunden nichts ausmachten, die einen Menschen sofort getötet hätten. Barzano kämpfte neben Uriel, und sein Energiemesser hackte eine Schneise in die Reihen des Feindes. Sein Gesicht war wächsern, und seine Bewegungen wurden langsamer, da die Wirkung der schmerzstillenden Mittel nachließ und seine Wundschmerzen von Sekunde zu Sekunde stärker wurden. Die Eldar fochten neben ihnen, und während Uriel gegen die Metallskelette kämpfte, ließ er sie nicht aus den Augen. Er war bereit, sich in dem Augenblick gegen die Eldar zu wenden, wenn die Skelettkrieger erledigt waren. Ihr Anführer in der Jaderüstung kämpfte und metzelte mit einer tödlichen Eleganz, und seine Streitaxt wirbelte in Schwindelerregenden Spiralen des Todes. Wann immer er zuschlug, brach eine Maschine zusammen, und jeder Treffer entlockte der wirbelnden Finsternis im Zentrum der Kammer einen kreischenden Schrei. Doch für Uriel war es mehr nach einem Laut der Belustigung als nach einen des Missvergnügens. Die Exkrente schnappten und bissen und zerrten die Feinde ihres Herrn durch die schiere Last ihrer Anzahl zu Boden. Die furchtbaren, fremdartigen Waffen schälten große Fleischfetzen von ihren verunstalteten Leibern, aber sie kämpften weiter und nahmen die Zerstörung ihrer Anatomie erst zur Kenntnis, wenn kaum mehr von ihnen übrig war als ein paar Fetzen zerrissener, zuckender Körperteile. Uriel kämpfte wie noch nie zuvor, schnitt, schoss und tötete mit einem Geschick, das er sich nicht zugetraut hätte. Seine Reflexe waren zur Perfektion gereift. Mit übernatürlicher Schnelligkeit wich er tödlichen Stößen und Hieben aus, wehrte Klauenhände ab und zerschmetterte Metallschädel. Die letzten Metallkrieger wurden zerschmettert, ihre glänzenden Glieder und Leiber in kleine Stücke über den Boden der Kammer verteilt. Uriel holte tief und schmerzhaft Luft, da seine Seite brannte, wo eine der fremdartigen Waffen einen Teil seiner Rüstung und Haut abgeschält hatte. Kopf und Rüstung waren mit geronnenem Blut verklebt, wo Klauenhände an ihm gezerrt hatten.
Eine seltsame Ruhe kehrte ein, während Space Marines und Eldar einander quer durch die Kammer musterten. Der Nachtbringer stand ungerührt neben der Platte, die der Deckel seines Grabmals gewesen war. Das kreuzförmige Metallstück darin leuchtete immer noch in unheimlichem Feuer. Barzano gesellte sich zu Uriel. Sein Atem ging schwer und unregelmäßig. Uriel sah, dass sich die Armwunde wieder geöffnet hatte, da Blut durch den Kunsthautverband sickerte. Kasimir de Valtos stand im wogenden Schatten des Nachtbringers, und seine Züge hatten sich zu einer Fratze wilder Häme verzerrt. Er hob einen Finger, zeigte auf die Ultramarines und rief: »Vernichte sie! Ich befehle es dir!« Ob die Worte an den Anführer der Eldar oder an den Nachtbringer gerichtet waren, wusste Uriel nicht, aber die Eldar griffen tatsächlich an. Ihr Anführer ging mit hoch erhobener Streitaxt geradewegs auf ihn los. Die Ultramarines brüllten und stürmten den Eldar entgegen, und das Klirren der Waffen hallte durch die Kammer, als erneut Kämpfe ausbrachen. Uriel parierte einen Hieb und trat vor, um dem Eldar die Faust seitlich gegen den Helm zu rammen. Sein Gegner duckte sich, stieß Uriel das stachelbewehrte Heft der Axt in den Bauch und riss einen langen Spalt in seine Rüstung. Uriel keuchte vor Schmerzen, während er Kesharq den Knauf seines Schwerts in den Rücken rammte und den Eldar zu Boden warf. Er wechselte den Griff um das Schwert, fuhr herum und schlug mit der surrenden Klinge zu. Sein Gegner war nicht mehr da, sondern kam mit einem Rückwärtssalto hoch und wirbelte die Axt nach Uriels Kopf. Flammendes Licht explodierte, als Barzanos Messer den Hieb abfing. Uriel nutzte die vorübergehende Ablenkung des Eldar aus und hieb nach dessen Schädel. Kesharq sah die Klinge kommen und drehte den Hals, was dem Hieb einen Großteil seiner Schlagkraft raubte. Die surrenden Sägezähne fegten den Helm weg, dessen verbeultes Metall sich an der losen Gesichtshaut darunter verfing, um sich in einem Blutschwall loszureißen. Kesharq schrie vor Schmerzen, während sein fleischloses Gesicht auf grässliche Weise enthüllt wurde. Er taumelte zurück, fand sein Gleichgewicht sofort wieder und parierte Barzanos Rückhandhieb, indem er die Klinge ablenkte und dem Inquisitor seine Streitaxt in die Brust schlug.
Knochen wurden zerschmettert, als die Axt durch Barzanos Brustkasten abwärts fuhr und in einem Schwall von lut über der Hüfte wieder austrat. Barzano fiel, und das Energiemesser entglitt seiner Hand. Uriel schrie ungläubig auf und hieb nach dem Rücken des EldarAnführers. Kesharq drehte sich weg, klemmte Uriels Schwert zwischen den Dornen seiner Axtklinge ein und zerbrach es mit einer Drehung seines Handgelenks. Bevor er einen Rückschwung ausführen konnte, hechtete Uriel vorwärts, über Barzano hinweg, und hob das Energiemesser des Inquisitors gerade noch rechtzeitig auf, um einen Hieb abzuwehren, der ihn hatte enthaupten sollen. Kesharq ging wieder auf ihn los. Die Axt sauste heran, und Uriel parierte sie mit der leuchtenden Waffe, die er Barzano abgenommen hatte. Kesharq griff jetzt vorsichtiger an. Die rote Maske seiner blutigen Züge, in der man das Zucken der glänzenden Gesichtsmuskeln sehen konnte, war wahrlich ein abstoßender Anblick. Er spie einen Mund voll Blut aus und griff an, die Axt hoch zum Hieb erhoben. Anstatt zurückzuweichen, duckte Uriel sich und fing den Schaft der Axt mit dem Unterarm auf. Durch die Aufprallwucht platzte seine Rüstung an der Stelle auf. Er brüllte, wirbelte an der Deckung des Eldar vorbei, packte dessen Arme, rammte den Eldar mit seiner ganzen Körpermasse und zog. Der Schwung seines eigenen Angriffs ließ Kesharq über Uriels Schulter fliegen und auf dem Rücken landen. Uriel drehte das Energiemesser und stieß es mit aller Kraft durch Kesharqs Brustharnisch in dessen Herz. Der Anführer der Eldar zuckte krampfhaft, und dunkles Blut sprudelte ihm aus der Kehle, da Uriel das Messer in der Wunde drehte und wieder und immer wieder zustieß. Gebrüll und Kriegsrufe hallten ringsumher, aber Uriel sah nur die ekstatische Gestalt von Kasimir de Valtos im Zentrum der Kammer stehen. Er riss das Messer aus Kesharqs Leichnam und stolperte dem Mann entgegen, der diese Ereignisse in Bewegung gesetzt hatte. Kasimir de Valtos beobachtete die heftige Schlacht, die rings um ihn tobte, mit ungetrübter Freude. Zu sehen, wie so viel Blut ver-
gossen wurde, war angenehm für ihn, und die furchtbaren Dinge, die ihm durch den Kopf gingen, waren eine Offenbarung. So viel Gemetzel in seinem Kopf! Sein ganzes Wesen fühlte sich in Hochstimmung versetzt, da er die Vorstellung genoss, dass die Dinge, die er sah und fühlte, nur ein winziger Bruchteil des Blutvergießens waren, das der Nachtbringer anrichten konnte. Er war noch schwach, seine Substanz hatte sich noch nicht wieder vollständig geformt, aber dennoch war er unglaublich mächtig. Ob es nur die Nähe zu diesem Wesen war, die ihm dieses Wissen vermittelte, oder ob es eine tiefere Verbindung gab, wusste er nicht. Vielleicht erkannte der Nachtbringer in ihm einen verwandten Geist. Jedenfalls legte er ihm gegenüber nicht die tödliche Feindseligkeit an den Tag, mit der er den Eldar bereits in den ersten Momenten nach seinem Erwachen begegnet war. Die Eldarfrau von Kesharq stand hinter ihm. Er konnte die von ihr ausgehende Furcht wellenartig spüren, und es fühlte sich wunderbar an, dieses Gefühl aufzusaugen. Sie brach in die Knie, und ihre Haut warf Blasen und platzte auf, da ihr jeder Funke Lebenskraft aus dem Leib gesogen wurde. Sie konnte noch einmal schreien, bevor der Nachtbringer die letzten Überbleibsel ihrer Existenz verschlang. War dies der Beginn seiner Verwandlung in einen Unsterblichen?, fragte de Valtos sich. War dies die erste der neuen Kräfte, die sich bald in ihm manifestieren würden? Die Gewalt ringsumher hatte etwas wahrhaft Berauschendes an sich. Er spürte, wie der Hass und die Aggressionen aller Anwesenden grell und üppig aufflackerten, ihn erfüllten und stärker machten. Es war so angenehm, sich von solchen Dingen nähren zu können, anstatt von den kalten, geschmacklosen Energien, die ihn die vielen Millionen Jahre am Leben erhalten hatten. Kasimir de Valtos blinzelte verwirrt. Millionen Jahre? Woher war dieser Gedanke gekommen? Plötzlich ging ihm auf, dass die Empfindungen, die ihn durchströmten, die Furcht, die Wut und das Entsetzen, gar nicht seine eigenen waren, sondern nur von dem Wesen vor sich geborgt. Wut erfüllte ihn, als er erkannte, dass er nicht mehr als eine Leitung für Gefühle war, die dieses Wesen im Laufe der Äonen seiner Gefangenschaft vergessen hatte. Als spüre der Nachtbringer seine Gedanken, wandte er sich ihm langsam zu. Die gelben Höhlen seiner Augen brannten sich in seine Seele und in den Kern dessen, was aus ihm einen Menschen machte. Doch Kasimir de Valtos hatte sich fest vorgenommen, ein
unsterblicher Gott zu werden, und er war von äußerster Entschlossenheit erfüllt, als ein Wesen vom Anbeginn der Zeit ihn in seine Finsternis hüllte. »Mach mich wie dich! Ich habe dich befreit. Ich verlange Unsterblichkeit - ich habe ein Recht darauf!«, kreischte de Valtos, als er den Blick des Nachtbringers auf sich ruhen spürte. Er wurde in die Augen des Wesens gesogen, und die Leere ihres Blicks war so entsetzlich, dass sie sich seinem Begriffsvermögen entzog. Er sah die Anfänge der Rasse dieses Wesens und die Dinge, die sie getan hatte, das Elend und das Leiden, das sie über die Galaxis gebracht hatte, und er sah den Augenblick, den die Rasse der Menschheit dagegen war. Er sank auf die Knie, als die schiere Bedeutungslosigkeit seiner Existenz vor der unaussprechlichen Größe des Bewusstseins dieses Wesens erzitterte. Die brüchigen Fäden der verdrehten Überreste von Kasimir de Valtos' geistiger Gesundheit rissen im Angesicht derart schrecklicher Selbsterkenntnis. Dieses Wesen hatte Sterne gezähmt und ganze Zivilisationen ausgelöscht, bevor die menschliche Rasse überhaupt aus der Ursuppe der Schöpfung gekrochen war. Was brauchte es ihn? »Bitte...«, flehte er. »Ich will ewig leben!« Der Nachtbringer schloss seine Klauenhand um de Valtos' Kopf, sodass die schwarze Faust den Schädel vollkommen umgab. Kasimir kreischte vor Entsetzen bei der Berührung, und seine Haut schälte sich von den Knochen, als der Nachtbringer ihm die Lebensenergie entzog. Die finstere Sense zuckte zu seinem Hals. Er empfand einen kurzen Moment perfekten Schreckens, als er seinen eigenen Tod durch sich fließen spürte und Entsetzen und Schmerz als dürftigsten Leckerbissen wahrnahm, der es kaum wert war, verspeist zu werden, die aber um des Todes willen bereitet wurden, den sie verursachten. Sein Kopf löste sich vom Körper. Der Nachtbringer ließ de Valtos los, und dessen verheerter Körper sank zu Boden. Bedächtig richtete er die Aufmerksamkeit auf das leuchtende Metall auf dem Deckel seines einstigen Grabs und strich mit knorrigen Fingern darüber. Und im All glitt langsam ein halbmondförmiges Raumschiff aus dem Schattenreich, das es die letzten sechzig Millionen Jahre bewohnt hatte, als sein Herr es zu sich rief.
Uriel sah leidenschaftslos zu, wie der Nachtbringer de Valtos tötete. Er empfand nichts beim Tod seines Feindes. Es ging um sehr viel mehr als um persönliche Rache. Er musste dieses Wesen irgendwie vernichten oder bannen. Ihm zumindest widerstehen. Die Alabasterwachen traten ihm entgegen, aber Uriel ließ sich davon nicht aufhalten. Pasanius, Learchus und Dardino schlossen sich ihm in seinem Sturm auf den Nachtbringer an. Knisternde smaragdfarbene Energien zuckten aus den Stäben der ersten beiden Krieger. Uriel parierte den ersten Strahl mit dem Energiemesser und wich dem zweiten aus. Pasanis deckte eine der perfekten Gestalten mit Boltpatronen ein und sprengte porzellanartige Stücke aus ihrem Leib, während Learchus ihr sein Kettenschwert in den Bauch bohrte. Ein Schwung der Stabwaffe holte beide Sergeanten von den Beinen und hüllte sie in grünes Feuer. Dardino hieb dem Krieger mit seinem Energieschwert die Beine unter dem Leib weg, und Uriel sprang den zweiten mit den Füßen voraus an. Seine Stiefel trafen, doch es war so, als pralle er gegen eine solide Mauer. Die weiße Gestalt schwankte ein wenig, fiel aber nicht, sondern stach mit ihrem Kupferstab nach Uriel. Der konnte gerade noch das Energiemesser heben, und die Kraft hinter dem Stoß sandte heiße Schmerzwellen durch seinen Arm. Er sprang auf, stach der Gestalt in den Schritt und schnitt zunächst aufwärts und dann auswärts. Der fremdartige Krieger ging zu Boden, als ihm ein Bein an der Hüfte abgetrennt wurde, und Uriel duckte sich unter dem Schwung der Waffe eines anderen dieser emotionslosen Krieger hinweg. Pasanius erhob sich, schoss auf die verbliebenen Gestalten und holte eine in einem Hagel weißer Splitter von den Beinen. Die letzte Gestalt wich einen Schritt zurück, als Learchus' Schwert nach ihrem Kopf hieb. Die Klauenhand ihres Herrn fegte heran und fällte Learchus mit einem einzigen Schlag. Der Sergeant ächzte und mühte sich aufzustehen. Mit gezogenen Waffen standen Uriel, Pasanius und Dardino der Ehrfurcht gebietenden Gestalt des Nachtbringers gegenüber und spürten, wie ihnen Wellen des Entsetzens entgegenbrandeten, doch sie blieben standhaft im Angesicht des Feindes. Uriel empfand nur Verachtung für das gewaltige Wesen vor sich. Die Dunkelheit seines geisterhaften Mantels wallte um seine Gestalt, und zwei Pfützen aus widerlichem Gelb pulsierten in der Finsternis, wo sich der Kopf befinden mochte.
Die kreischende Schwärze des Sensenarms schlug schneller zu, als das Auge folgen konnte. Sergeant Dardino grunzte, mehr vor Überraschung denn Schmerzen, als sein Oberkörper zu Boden fiel und die Beine in einem Schwall von Blut einknickten. Pasanius eröffnete das Feuer, und seine Boltpatronen beharkten die wirbelnde Nacht der Gestalt des fremdartigen Wesens. Hohl hallendes Gelächter wurde von den Wänden zurückgeworfen, da jede Patrone durch die Hülle der Finsternis flog, ohne Schaden anzurichten. Die Sense schlug wieder zu, und Pasanius Boltgewehr wurde in zwei perfekte Hälften geteilt. Der Rückschlag trennte ihm den rechten Arm unter dem Ellbogen ab. Uriel nutzte die Ablenkung aus, um sich dem Nacht-bringer zu nähern, und stieß das Energiemesser in die Finsternis. Er schrie, als die Eiseskälte der Substanz des Wesens seinen Arm einhüllte. Die furchtbaren Krallen des Wesens kamen in tiefem Bogen, fegten durch Uriels Brust, fetzten durch einen Lungenflügel und rissen sein Primärherz auf. Er wurde zurückgeschleudert und landete unbeholfen auf der Deckplatte des Sarkophags, deren leuchtendes Metallkreuz sein Abbild in den Rückenharnisch seiner Rüstung brannte. Schmerzen durchfluteten ihn tief in der Brust, im Arm und in jedem Nerv seines Körpers. Er stöhnte und versuchte hochzukommen, während er sah, wie der Nachtbringer mit dem Gemetzel an seinen Männern begann. Inquisitor Barzano sah voller Stolz zu, wie Uriel und dessen Kameraden der Macht des Nachtbringers trotzten, obwohl es für sie vollkommen unmöglich war, zu siegen. Er zog sich zur Platte, während das Leben langsam aus seinem Körper sickerte. Er spürte machtvolle Energien durch die Kammer fluten, albtraumhafte Visionen, welche die Nähe des Nachtbringers erzeugte, und noch etwas anderes... Ein lautloses Kreischen, in der Reinheit seiner Absicht geradezu blendend, griff in die Tiefen des Alls aus und rief das verlorene Schiff zu sich. Das lebende Metall, aus dem es geformt war, konnte nicht widerstehen und wurde aus dem Gefilde gerissen, in dem es all die Jahrmillionen gestrandet gewesen war. So kraftvoll war der Ruf, dass er die Kraftwellen geradezu sehen konnte, die von der Stelle ausgingen, wo das Grab C'tans gestanden hatte. Oder genauer: von dem leuchtenden Metalltalisman in der Platte. Er hatte so gut wie keine Kraft mehr, aber er versuchte den-
noch, sich vorwärts zu ziehen. Er stöhnte, als er sah, wie Pasanius fiel und Uriel durch die Kammer geschleudert wurde, da die langen Krallen des Nachtbringers mühelos seine Rüstung durchbohrten. Barzano spürte, wie seine letzten Kräfte verrannen, aber er klammerte sich verzweifelt an seinen letzten Lebensfunken. Wo Leben war, war Hoffnung. Er sah, wie Uriel sich mühte, wieder auf die Beine zu kommen, und erkannte, dass ihm noch eine letzte Möglichkeit blieb. Uriel brüllte vor Wut, als der Nachtbringer mühelos seine Männer abschlachtete. Obwohl sie wussten, dass sie nicht die geringste Aussicht hatten, dieses uralte Wesen zu besiegen, traten sie ihm entgegen und weigerten sich nachzugeben. Pasanius kämpfte einhändig weiter und hieb wild auf das Wesen ein, das hauend und stechend durch die Kammer wütete. Ein benommener Learchus forderte die Ultramarines mit kratziger Stimme auf standzuhalten. Grässliches Gebrüll wie das Klatschen von Wellen gegen eine Klippe hallte durch die Grabkammer, und Uriel ging plötzlich auf, dass dieses fremde Wesen sie auslachte, während es sie langsam, qualvoll und sadistisch auseinander nahm. Heiße Wut goss Öl ins Feuer seiner Ausdauer, und er kam vor Wut und Schmerzen knurrend auf die Beine. Er hob das Energiemesser auf und humpelte los, um gleich darauf wie angewurzelt stehen zu bleiben, als ihn jäh der unwiderstehliche Drang dazu überkam. Einen Moment glaubte er schon, die infernalische Ausstrahlung des Nachtbringers sei erneut in sein Bewusstsein eingedrungen. Doch in diesen Gedanken steckte etwas Vertrautes, ein Wiedererkennen. Uriel drehte sich um und sah Inquisitor Barzano, der ihn anstarrte, während ihm der Schweiß in Strömen übers Gesicht lief und die Adern in seinem Nacken wie Stricke hervortraten. Das Metall Uriel, das Metall! Das Metall... Der Gedanke verblasste, kaum dass er sich in seinem Kopf gebildet hatte, aber Uriel wusste, dass der Inquisitor alles gegeben hatte, um ihm diesen Gedanken mitzuteilen, und er würde nicht zulassen, dass seine Mühe vergebens war. Er ging vor der Platte in die Knie, und der Glanz des leuchtenden Metalls war fast zu grell, um es direkt anzuschauen. Er konnte seine Hitze durch die Risse in seiner Rüstung spüren. Was sollte er tun? Darauf schie-
ßen, darauf einstechen? Die Schreie der Wut und der Schmerzen von seinen Männern entschieden die Angelegenheit. Uriel rammte das Energiemesser in die Ritze zwischen Metall und Platte. Er spürte eine Veränderung in den gequälten Energien in der Kammer, und als er aufschaute, sah er die riesige Gestalt des Nachtbringers vor den Ultramarines stehen und zwei Schlachtbrüder auf seinen Krallen aufgespießt halten. Er drückte mit seiner ganzen Kraft auf den Messergriff und spürte, wie die Klinge sich bog, da das Metall sich widersetzte. Er hatte nicht die Kraft, um es aus der Platte zu brechen. Der Nachtbringer schleuderte die Space Marines beiseite und fuhr in einem wilden Aufwirbeln seiner dunklen Materie herum. Uriel spürte seinen Zorn und seine Empörung, dass diese Beutekreatur es wagte, sich in seine Angelegenheiten zu mischen. Der Verstand des Nachtbringers berührte seinen mit einer Wut, die Sterne zum Erlöschen gebracht hatte, und Uriel ließ sie ein und spürte, wie ihn monströser Zorn überkam und ihm neue Kräfte gab. Sein eigener Hass auf dieses Wesen verschmolz mit der Wut, und er nutzte diese Kraft, richtete sie nach außen und riss das Metall damit aus der Platte. Das Metall klirrte auf den Boden der Grabkammer, und der Nachtbringer brüllte in bestialischer Wut, als die Verbindung zu seinem Sterne mordenden Schiff unterbrochen wurde, sodass es wieder in den gespenstischen Tiefen des Immateriums gestrandet war. Uriel packte das flammende Metall und kroch rückwärts. Er tastete nach seinem Granatspender, während Pasanius das Wesen ansprang. Ein beiläufiges Zucken seiner mitternachtschwarzen Krallen schleuderte ihn weg, aber der Angriff des Sergeanten hatte Uriel die Gelegenheit gegeben, die er brauchte. Als der Nachtbringer auf ihn zuglitt, hielt er das leuchtende Metall in die Höhe und zeigte dem widerwärtigen nichtmenschlichen Wesen, was er auf dessen Oberfläche befestigt hatte. Uriel bezweifelte, dass der Nachtbringer eine Vorstellung davon hatte, was eine Schmelzbombe war, aber irgendwie wusste er, dass er begreifen würde, was sie anrichten konnte. Das Wesen richtete sich zu voller Größe auf und breitete die Krallenfäuste aus, während das brennende Gelb seiner Augen Uriel mit ihrem tödlichen Blick fixierte. Uriel lachte ihm ins Gesicht, während er den Druck der furcht-
baren Macht des Wesens wie eine Klammer um seinen Schädel spürte. Todesvisionen zerrten an Uriels Verstand, enthielten aber keinen Schrecken für einen Krieger des Imperators. Er konnte spüren, wie konsterniert das Wesen über seinen Widerstand war. Die Finsternis rings um das Wesen schwoll an, doch Uriel hielt die freie Hand über die Explosionsrune. Er lächelte trotz der Schmerzen und qualvollen Visionen in seinem Kopf. »Du bist schnell«, flüsterte Uriel, »aber nicht so schnell.« Der Nachtbringer schwebte vor ihm und beugte und streckte seine Krallen im Takt mit dem pulsierenden Dröhnen seines fremdartigen Herzens. Uriel konnte seine Macht und seine Wut spüren wie ein körperliches Wesen, das ihn von allen Seiten bedrängte, aber er spürte auch noch etwas anderes. Unbehagen? Zweifel? Die vom Nachtbringer zwischen ihnen hergestellte Verbindung gewährte Uriel einen flüchtigen Einblick in die Manifestation dieses völlig fremdartigen Wesens, und plötzlich wusste er, dass es trotz des von ihm angerichteten Gemetzels nur über einen Bruchteil seiner eigentlichen Macht verfügte. Es war noch so schwach und brauchte Energie. Uriel wusste, dass jeder verstreichende Augenblick dem Nachtbringer frische Kraft verlieh, da er sich die starken Lebensenergien einverleibte, die es hier gab. Eine bessere Gelegenheit, dieses Wesen zu besiegen, würde er nicht bekommen. Mit steter Stimme sagte er: »Dieses Bergwerk füllt sich mit explosiven Dämpfen, und wenn ich diese Vorrichtung sprenge, wirst du unter zehn Kilometern Fels begraben. Ich weiß nicht, was du bist und woher du kommst, aber eines weiß ich. Du bist nicht stark genug, um das zu überleben. Kannst du dir weitere sechzig Millionen Jahre der Gefangenschaft unter der Oberfläche dieser Welt vorstellen ohne etwas, von dem du dich nähren kannst? Dann wirst du ausgelöscht. Willst du das? Wenn du in den Verstand von Menschen schauen kannst, wirst du erkennen, dass ich uns eher alle vernichten werde, als dir zu gestatten, dein Schiff zu bekommen.« Der Druck auf sein Bewusstsein verstärkte sich, und Uriel schwächte seine geistige Barriere ein wenig und gewährte dem Nachtbringer einen Blick auf seine unerschütterliche Entschlossenheit. Seine Krallen hoben und senkten sich, und die Finsternis umwirbelte seine nebulöse Gestalt, da seine Wut die Kammer erzittern ließ. Risse bildeten sich in den Wänden, und die rote
Erde von Pavonis rieselte hindurch. Dann schraubte sich der Schleier aus Finsternis wie ein schwarzer Tornado in einer Spirale um den Nachtbringer und riss dabei auch die zerschmetterten Überreste seiner Wächterwesen mit in den wilden Strudel. Uriel war noch ein letzter Blick auf den Nachtbringer vergönnt, als dessen gelbe Augenhöhlen von der Finsternis seines geisterhaften Schleiers verschluckt wurden. Ein fremdartiges Zischen erfüllte die Kammer. Das schwarze Gewitter schoss aufwärts, prallte gegen die Goldkappe der Decke und zerschmetterte sie in tausend Stücke. Dann war er verschwunden. Uriel senkte die Arme, und seine Gedanken fühlten sich so klar und rein wie ein Sommertag an, als ihn die bedrückende Last der entsetzlichen Gedanken des Nachtbringers verließ. Er lächelte und konnte nicht verhindern, dass das Lächeln sich zu einem breiten Grinsen ausweitete. Er hatte gar kein Verlangen zu lächeln, aber die Klarheit seiner Gedanken, die von allen Mord- und Foltervisionen befreit waren, gestattete keine andere Reaktion. Er ließ das Metall fallen, dessen Oberfläche nun kalt und leblos war, und kroch zu Ario Barzano, der reglos in einer riesigen Blutlache lag. Uriel kniete neben dem Inquisitor nieder, suchte einen Puls und hätte beinahe vor Erleichterung gelacht, als er einen schwachen Schlag spürte. »Holt Apotheker Selenus!« Barzanos Lider flatterten und öffneten sich, und der Inquisitor lächelte, da auch seine empathischen Sinne von den Visionen des Nachtbringers frei waren. »Er ist weg?«, hustete er. Uriel nickte. »Ja, er ist weg. Sie haben ihn gerade lange genug aufgehalten.« »Nein, Uriel. Ich habe nur den Weg gezeigt. Sie selbst haben ihn aufgehalten.« Barzano blutete stark und fing an zu zittern. »Ihr habt euch gut geschlagen, ich bin stolz auf euch alle. Ihr...« Ein Hustenanfall erstickte seine Worte, und sein ganzer Körper erbebte, während frisches Blut aus seiner Brustwunde quoll. »Apotheker!«, rief Uriel wieder. »Die Statthalterin...«, keuchte Barzano mit zusammengebissenen Zähnen. »Geben Sie Acht auf sie, sie vertraut Ihnen. Sie wird auf Sie hören... andere auch... sie wird Ihren Rat und Ihre Unterstützung brauchen. Werden Sie das für mich tun, Uriel?«
»Das wissen Sie doch genau, Ario.« Inquisitor Barzano nickte, schloss langsam die Augen und starb in Uriels Armen. Nachdem sie ihre Toten eingesammelt hatten, verließen die Ultramarines die Grabkammer des Nachtbringers. Der einzige andere Überlebende des Gemetzels war Vendare Taloun, dessen Ohnmacht ihn vor den Visionen des Nachtbringers und dem Wahnsinn bewahrt hatte. Uriel führte den Mann mit vorgehaltener Pistole zum Förderkorb. Eigentlich gab es wenig Grund zur Gewalt. Taloun war ein gebrochener Mann. Es ärgerte den Space Marine, dem Gefangenen eine Atemmaske geben zu müssen, damit er nicht zu viel von den giftigen Dämpfen einatmen und so der gerechten Strafe für seinen Verrat entgehen konnte. Abgesehen von ihren ehrenwerten Toten nahm Uriel auch noch das Metallstück mit, das er aus dem Sarkophagdeckel gebrochen hatte. Seine glitzernde Oberfläche war trotz der unsanften Behandlung durch das Energiemesser völlig makellos. Das Metall würde nach Macragge geschickt, wo es im tiefsten Gewölbe in den Bergen für immer unter Verschluss ruhen würde. Als seine Männer zum Förderkorb zurückgekehrt waren, übergab Uriel Taloun an den weißgesichtigen Pasanius und sagte: »Wartet.« Auf dem Weg zurück in die Grabkammer stellte er sich die Gesichter aller Männer vor, die er bei diesem Unternehmen verloren hatte, aber in dem Wissen, dass ihr Opfer nicht vergeblich gewesen war. Allein in der Grabkammer des Nachtbringers, sah er die Erde von Pavonis in die Kammer rieseln und wusste, dass sie bald wieder vollkommen begraben sein würde. Aber Uriel wollte noch mehr. Er kniete nieder, legte einige Schmelzbomben auf die Sarkophagplatte und stellte die Zeitzünder ein. Wie er dem Nachtbringer versprochen hatte, würde dieser blasphemische Ort für immer unter zehn Kilometern Felsen begraben liegen. Uriel wandte sich ab und marschierte müde aus der Kammer.
19. Kapitel Drei Monate später
Vendare Taloun wurde auf den Tag genau drei Monate nach der Schlacht in der Tiefbohrmine im Tembragrat hingerichtet. In einer öffentlichen Verhandlung gestand er sein Bündnis mit Kasimir de Valtos, den Mord an seinem Bruder und eine ganze Reihe andere Gräueltaten in seiner Zeit als Oberhaupt des Taloun-Kartells. Er war schluchzend und mit nasser Hose zu den Überresten des Befreiungsplatzes geführt worden, wo er am ausgestreckten Arm der Statue des Imperators gehängt wurde. Noch einige andere Schlachten wurden ausgefochten, bevor die imperiale Herrschaft auf Pavonis wiederhergestellt war, die meisten zwischen zänkischen PWM-Einheiten, deren KartellZugehörigkeit stärker war als jedes Loyalitätsgefühl für die Sache, der sie angeblich dienten. Ihrer Führerschaft beraubt, waren die Kartell-Anhänger rasch wieder zu ihren natürlichen Vorurteilen und Verdächtigungen zurückgekehrt. Als der Tod von Solana Vergen, Taryn Honan, Kasimir de Valtos und Beauchamp Abrogas bekannt wurde, brach das Chaos über die entsprechenden Kartelle herein, die praktisch handlungsunfähig waren, weil die Abkömmlinge und Erben um die politische und wirtschaftliche Kontrolle rangen. Jene Bataillonskommandanten, denen es gelungen war, so etwas wie Ordnung in ihren Reihen zu bewahren, zogen sich in ihre Kasernen zurück und warteten ab, welche Vergeltungs- und Strafmaßnahmen man gegen sie ergreifen würde. Die Panzer und Soldaten des Shonai-Kartells trugen mehrere Kämpfe aus, um die Männer zur Verantwortung zu ziehen, welche ihren Treueeid gebrochen hatten. Doch als die Vae Victus einen Angriff auf eine vom De-ValtosKartell unterhaltene Kaserne mit einem verheerenden Bombardement aus der Umlaufbahn unterstützte, wurden Kapitulationsflaggen gehisst, sobald die Panzer des Shonai-Kartells in Sichtweite anderer feindlicher Festungen kamen. Das Schiff der Space Marines hatte außerdem das beschädigte Raumschiff der EldarPiraten aufgespürt und es sehr zu Lordadmiral Tiberius' Entzücken bei seinem Versuch, aus dem Pavonis-System zu fliehen, in seine Atome zerlegt. Als Mykola Shonai nach Pavonis zurückkehrte, tat sie das an der Seite von Lortuen Perjed und an der Spitze der Ultramarines, deren Rüstungen repariert und deren Wunden verbunden waren
(obwohl die Rüstmeister des Ordens niemals in der Lage sein würden, den kreuzförmigen Abdruck zu entfernen, der sich in den Rücken von Uriels Rüstung gebrannt hatte). Als sie nach Vendare Talouns Hinrichtung ihren Platz in der Kammer des Rechtschaffenen Kommerzes einnahm, gab es Beifallsrufe und Unterstützungsbekundungen von allen Rängen. Uriel saß auf einer Marmorbank, deren Oberfläche mit Rissen und kleinen Löchern übersät war. Dies war der einzige Teil des Palastgartens, der den Verheerungen durch den Beschuss und die Explosion des unterirdischen Arsenals entgangen war. Pasanius wartete am Eingang zum Garten, das Boltgewehr fest in der Hand seines neuen bionischen Arms. Das Gras war frisch gemäht, und sein Duft erinnerte Uriel an die Berge daheim auf Macragge. Ein einfacher Grabstein kennzeichnete die letzte Ruhestätte von Inquisitor Ario Barzano. Unter seinem Namen war eine Inschrift in fließenden, geschwungenen Runen eingraviert: Jeder Mensch ist ein Funke in der Dunkelheit würden wir doch alle so hell leuchten. Uriel hatte die Worte selbst eingemeißelt. Er hoffte, Barzano wäre damit einverstanden gewesen. Er erhob sich, als Mykola Shonai den Garten betrat. Die Wunden, die er bei dem Kampf in den Tiefen dieser Welt erlitten hatte, heilten, aber es würde noch einige Wochen dauern, bis er wieder vollkommen gesund war. Das Haar fiel Shonai lose auf die Schultern, und sie hielt einen kleinen Blumenstrauß in den Händen. Drei Wachen begleiteten sie, wahrten aber respektvollen Abstand, als sie sich dem Grabstein näherte. Sie nickte Uriel zu und kniete nieder, um den Blumenstrauß neben den Stein zu legen. Sie erhob sich wieder, strich die Falten in ihrem langen Kleid glatt und wandte sich ihm zu. »Hauptmann Ventris, es ist schön, Sie zu sehen«, lächelte sie, während sie auf der Marmorbank Platz nahm. »Bitte setzen Sie sich doch einen Augenblick zu mir.« Uriel folgte der Aufforderung, und so saßen sie in einvernehmlichem Schweigen mehrere Minuten beisammen, da keiner bereit
war, diesen Augenblick des Friedens zu stören. Schließlich neigte Shonai den Kopf zu Uriel. »Also verlassen Sie Pavonis heute?« »Ja. Unsere Arbeit hier ist getan, und es gibt mehr als genug imperiale Truppen, um für die Aufrechterhaltung der Ordnung zu sorgen.« »Ja, das stimmt«, pflichtete Mykola Shonai traurig bei. Vor vier Tagen waren Transporter der Imperialen Garde gelandet, und die Soldaten und Panzer der 44. Laurentischen Husaren hatten die Stadt in ein Armeelager verwandelt. Schiffe der Adeptus Administratum und Adeptus Ministorum waren ebenfalls eingetroffen, um auf Pavonis ein gewisses Maß an politischer und spiritueller Stabilität wiederherzustellen. Prediger und Beichtväter erfüllten die Straßen mit ihrer Litanei und nahmen den Einheimischen neuerliche Schwüre der Frömmigkeit und Hingabe ab. Auf Empfehlung von Lortuen Perjed hatte das Administratum Shonai erlaubt, Statthalterin von Pavonis zu bleiben unter der Bedingung, dass sie sich am Ende ihrer Amtszeit aus dem öffentlichen Leben zurückziehen und nie wieder für ein öffentliches Amt kandidieren würde. Lortuen Perjed wurde als Vertreter des Administratums zum ständigen Beobachter auf Pavonis ernannt und löste damit den kriminell nachlässigen Ballion Varle ab, den Jenna Sharben, letzter überlebender Liktor in Brandontor, festgenommen und erschossen hatte. Die vom Shonai-Kartell dingfest gemachten rebellischen PWM-Soldaten wurden in diesen Stunden auf eine soeben eingetroffene Strafbarke überführt, die in die Kriegsgebiete des Segmentum Obscurus unterwegs war. Die Zukunft von Pavonis war gesichert, aber der Planet würde nicht mehr der autonomen Herrschaft der Kartelle unterstehen. Das Regierungssystem von Pavonis war als mangelhaft eingestuft worden und würde nun unter dem wachsamen Blick des Administratums stehen. Uriel konnte Shonais Enttäuschung verstehen. Sie hatte die schlimmste Tortur ihres Lebens überstanden, und nun, da sie am Ende den Sieg errungen hatten, wurde ihr alles weggenommen. »Ich wollte schon viel eher herkommen«, erklärte Shonai mit Blick auf das Grab, »aber ich war mir nie ganz sicher, was ich dann empfinden würde.« »In welcher Beziehung?« »Ich habe Ihnen und Ario die Rettung meiner Welt zu verdan-
ken, aber wären die Dinge etwas anders gelaufen, hätte er Pavonis vernichtet und damit alles, was mir lieb und teuer ist.« »Ja, aber er hat es nicht getan. Er hat sein Leben für die Verteidigung von Ihnen und Ihrer Welt gegeben. Gedenken Sie seiner deswegen.« »Das tue ich. Zu Ehren seines Andenkens bin ich heute hergekommen, und ich werde dafür sorgen, dass man seiner für immer als Held von Pavonis gedenkt.« »Ich glaube, das hätte ihm Freude bereitet«, gluckste Uriel. »Es hätte seiner kolossalen Eitelkeit geschmeichelt.« Shonai lächelte und reckte sich empor, um Uriel auf die Wange zu küssen. »Vielen Dank für alles, was Sie für Pavonis getan haben, Uriel. Und für mich.« Uriel nickte erfreut über die Haltung der Statthalterin. Als ihm ihre ernste Miene auffiel, fragte er: »Was werden Sie tun, wenn Ihre Amtszeit vorüber ist?« »Das weiß ich noch nicht, Uriel. Etwas Beschauliches.« Sie lachte, dann erhob sie sich und bot Uriel die Hand an. Er stand auf und ergriff sie. Shonais zierliche Finger verschwanden fast völlig in seinen. »Leben Sie wohl, Uriel. Ich wünsche Ihnen alles Gute.« »Vielen Dank, Statthalterin Shonai. Möge der Imperator Sie auf allen Wegen begleiten.« Mykola Shonai lächelte noch einmal, bevor sie in die Palastruinen zurückkehrte. Uriel stand allein vor Barzanos Grab, nahm zackig Haltung an und salutierte der Seele des Inquisitors und hämmerte die Faust zu Ehren der Gefallenen zwei Mal gegen seinen Brustharnisch. Dann marschierte er zum Rand des Gartens, wo Pasanius auf seinen Hauptmann wartete. Dieser spannte die unvertrauten Sehnen seines neuen mechanischen Arms. Der massige Sergeant schaute auf, als sich sein Vorgesetzter näherte. »Er fühlt sich immer noch nicht richtig an«, beklagte er sich. »Du wirst dich daran gewöhnen, mein Freund.« »Wahrscheinlich«, murrte Pasanius. »Sind die Männer bereit zum Abflug?«, wechselte Uriel das Thema. »Aye, Ihre Krieger sind zur Heimkehr bereit.« Uriel lächelte über Pasanius' unbewusste Benutzung der Formulierung »Ihre Krieger«. Er legte die Hand auf den Knauf von
Idaeus' Energieschwert und ballte die Faust um dessen goldenen Schädel. Nach dem Ende der Rebellion hatte er das Schlachtfeld vor dem Gefängniskomplex abgesucht und die zerbrochene Klinge schließlich gefunden. Er hatte beabsichtigt, die Waffe zu reparieren, aber aus irgendeinem Grund hatte er es noch nicht getan. Bis jetzt war ihm der Grund dafür nicht klar gewesen. Die Waffe war ein Symbol, ein greifbares Zeichen des Einverständnisses seines ehemaligen Hauptmanns, dem die Männer der Vierten Kompanie folgen konnten. Doch nun, in der Feuerprobe der Schlacht, hatte Uriel seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt und brauchte solch ein Symbol nicht mehr. Es war Idaeus' letztes Geschenk für Uriel, und er wusste, dass es einen Ehrenplatz im Reliquienschrein des Ordens finden würde. Er würde sich sein eigenes Schwert schmieden, wie er sich in der Schlacht auch seine eigene Kompanie geschmiedet hatte. Es war jetzt seine Kompanie. Er wandelte nicht mehr in den Fußstapfen von Idaeus oder seiner illustren Vorgänger, sondern ging seinen eigenen Weg. Hauptmann Uriel Ventris von den Ultramarines machte auf dem Absatz kehrt und ging gemeinsam mit Pasanius zur Stadtmauer, wo ein Thunderhawk wartete, um sie an Bord der Vae Victus zu bringen. »Komm, mein Freund. Kehren wir heim«, sagte Uriel.
Epilog Siebzigtausend Lichtjahre entfernt wechselte die bei den stellaren Kartografen des Imperiums unter dem Namen Cyclo bekannte Sonne in das letzte Stadium ihrer Existenz. Sie war ein roter Riese mit einem Durchmesser von über neunzig Millionen Kilometern und brannte seit über achthundert Millionen Jahren. Wäre die wallende schwarze Gestalt nicht gewesen, die in der Photosphäre des Sterns schwebte und ihre letzten Energien aufsog, hätte sie vielleicht noch zweitausend Jahre länger gebrannt. Normalerweise erzeugte sie Unmengen von Energie, indem sie tief in ihrem Herzen vermittels Kernfusion Wasserstoff zu Helium verbrannte, aber ihr Kern war nicht mehr in der Lage, die immensen Kräfte zu erhalten, die dort tobten. Gewaltige Schübe aus elektromagnetischer Energie und Ströme
von Plasma bildeten einen Nimbus aus gleißendem Licht, der sich in pulsierenden Wellen ausbreitete. Der Nachtbringer stärkte sich und kam in den Tiefen der sterbenden Sonne wieder zu Kräften.
ENDE
Die Krieger von Ultramar Graham McNeill PHASE I Entdeckung PROLOG Tief hängende Wolken zogen über den blauen Himmel von Tarsis Ultra, getrieben von der leichten Brise, die die dicken Stängel des Getreides beugte. Es war warm und roch durchdringend nach erntereifem Mais, der sich in alle Richtungen ausdehnte, so weit das Auge reichte. Ein großes Vehikel mit hohen Seiten holperte auf einem Weg aus gestampfter Erde durch das sanft schwankende Feld. Blitzende Klingen an ausgefahrenen, geneigten Armen sensten den Mais auf beiden Seiten ab und beförderten ihn in einen Schüttgutbehälter auf seinem Rücken. Die Sonne hatte noch nicht ihren Zenit erreicht, aber der Behälter war beinahe voll, da sich die Erntemaschine des Landwirtschaftskollektivs Prandium bereits vor Tagesanbruch an die Arbeit gemacht hatte. Rauch aus dem Motor der Erntemaschine durchlief eine Reihe von Filtern und wurde schließlich in einer giftfreien Wolke über dem kleinen Führerhaus ganz vorne in die Luft abgelassen.
Die Maschine ruckte zur Seite, bevor einer der beiden Insassen dem waghalsigeren Fahrer die Kontrollhebel entriss. »Corin, ich schwöre, du fährst dieses Ding wie ein Blinder«, schnauzte Joachim. »Wie soll ich denn besser werden, wenn du mich nie fahren lässt?«, fragte Corin, während er empört die Hände in die Luft reckte. Er fuhr sich mit behandschuhter Hand durch den widerspenstigen Haarschopf und starrte seinen Begleiter verärgert an. Joachim spürte den funkelnden Blick seines Freundes und sagte: »Du hättest uns fast in den Bewässerungsgraben gefahren.« »Vielleicht«, räumte Corin ein. »Aber ich hab's nicht getan, oder?« »Nur deshalb nicht, weil ich übernommen habe.« Corin zuckte die Achseln, da er nicht gewillt war, in diesem Punkt zuzustimmen, und ließ Joachim weiterfahren. Er zog seine dünnen Handschuhe aus und streckte die Finger, um die Steifheit aus den Gelenken zu vertreiben. Die ruckelnden Kontrollhebel einer Erntemaschine festzuhalten und sie damit über die großen Felder zu steuern, war anstrengend. »Diese Handschuhe sind nutzlos«, beklagte er sich. »Sie helfen überhaupt nicht.« Joachim grinste und sagte: »Also hast du sie noch nicht ausgepolstert?« »Nein«, erwiderte Corin. »Ich hatte gehofft, deine Elleiza würde das für mich tun.« »Ich würde nicht darauf warten, sie kümmert sich ohnehin schon um dich, als wäre sie deine Frau.« »Aye!«, lachte Corin. »Sie ist ein gutes Mädchen. Sie passt gut auf mich auf, ja, das tut sie.« »Zu gut«, stellte Joachim fest. »Es wird Zeit, dass du dir eine eigene Frau anschaffst, die sich um dich kümmert. Was ist mit Bronagh, der Medika in Espandor? Ich habe gehört, sie steht auf dich.« »Bronagh. Ah, ja, das ist ein Mädchen mit einem wirklich guten Geschmack«, sagte Corin lachend. Joachim zog eine Augenbraue hoch und wollte gerade antworten, als die Welt rings um sie explodierte. Ein krachender Einschlag traf die Seite der Erntemaschine, und beide Männer wurden in der Fahrerkabine herumgeschleudert, als das riesige Fahrzeug zur Seite ruckte.
Joachim spürte Blut auf der Kopfhaut und griff nach den Kontrollen, da sich die Erntemaschine auf die Seite legte. Er riss daran, doch es war bereits zu spät. Die linke Kette glitt von der Straße in den Graben und das ganze Fahrzeug kippte. »Halt dich fest«, rief Joachim, als die Erntemaschine mit dem Kreischen von sich verbiegendem Metall auf die Seite fiel. Glasscherben überschütteten sie, und Joachim spürte, wie eine scharfe Kante in seine Schläfe schnitt. Die Maschine krachte auf die trockene Erde des Feldes und wirbelte riesige Wolken aus Mais und Staub auf. Ihre gewaltigen Ketten bewegten sich weiter und zerwühlten die Luft, während der Motor weiterlief. Fast eine Minute verstrich, bis sich die Seitentür des Führerhauses öffnete und ein Paar bestiefelte Füße auftauchte. Vorsichtig ließ Joachim sich aus dem Führerhaus gleiten und klatschte schließlich ins knietiefe Wasser des Bewässerungsgrabens, der zwischen Straße und Feld verlief. Er landete unbeholfen und fluchte, während er sich den verschrammten, ramponierten Kopf hielt. Corin folgte ihm benommen in den Graben und hielt dabei einen Arm dicht vor der Brust. Wortlos begutachteten die beiden Männer den Schaden an der Erntemaschine. Der Schüttgutbehälter war nur noch eine verbogene Masse aus verbeultem Metall. Rauchende Trümmer und der stinkende Rest von verbranntem Mais waren alles, was von seinem Mittelteil noch übrig war, wo ihn anscheinend etwas extrem Starkes getroffen hatte. »Bei Guillaumes Fluch, was ist passiert?«, fragte Corin atemlos. »Hat jemand auf uns geschossen?« »Das glaube ich nicht«, erwiderte Joachim, indem er auf eine Säule aus weißem Rauch zeigte, die sich gut hundert Meter entfernt im Feld himmelwärts erhob. »Aber was es auch war, ich wette, es hat etwas damit zu tun.« Corins Blick folgte Joachims ausgestreckter Hand. »Was ist das?« »Ich weiß es nicht, aber wenn es ein Feuer ist, müssen wir es löschen, bevor die ganze Ernte verbrennt.« Corin nickte und kletterte unter Schmerzen ins Führerhaus der Erntemaschine zurück, wo er zwei Feuerlöscher von der Rückwand löste und sie nach unten zu Joachim warf. Mit einigen Schwierigkeiten erklommen sie die steile Betonwand des Gra-
bens, und Joachim drehte sich um und zog Corin hoch, nachdem er oben angekommen war. Sie eilten durch den Mais, wobei ihnen der Weg durch die lange, dunkle Narbe im Boden erleichtert wurde, die zu der Rauchsäule führte. »Bei Macragge, so etwas habe ich noch nie gesehen«, japste Corin. »Ist das ein Meteor?« Joachim nickte und wünschte sich dann, er hätte es nicht getan, da ihm ein heißer Schmerz durch den Kopf zuckte. »Ich glaube ja.« Sie erreichten den Rand des Kraters und blieben erstaunt über den Anblick stehen. Wenn es ein Meteor war, sah er nicht im Entferntesten so aus, wie die beiden Männer ihn sich vorgestellt hatten. Annähernd kugelförmig und aus einem leprösen braunen Material bestehend, ähnelte er einem riesigen Edelstein, der in ein Hitzeflimmern gehüllt war. Die Oberfläche sah glatt und glasig aus, wahrscheinlich infolge der Reise durch die Atmosphäre. Nun, da sie das Objekt vor sich sahen, konnten die beiden Männer erkennen, dass nicht etwa Qualm in stinkenden Wellen von ihm aufstieg, sondern Dampf. Geysire des übel riechenden Dampfes entwichen aus Spalten in seiner Oberfläche wie durch Überdruckventile. Sogar vom Kraterrand konnten sie die intensive Hitze spüren, die das Objekt ausstrahlte. »Tja, das Ding brennt nicht, ist aber noch verdammt heiß«, sagte Joachim. »Wir müssen es abkühlen, sonst könnte es immer noch das Feld in Brand setzen.« Corin schüttelte den Kopf und beschrieb das Zeichen des Adlers über dem Herzen. »Auf keinen Fall. Ich geh da nicht runter.« »Was? Warum nicht?« »Das Ding gefällt mir nicht, Joachim. Das ist was Schlimmes, das spüre ich.« »Sei kein Idiot, Corin. Das ist nur ein großer Stein, und jetzt komm.« Corin schüttelte vehement den Kopf und hielt Joachim den Feuerlöscher hin, den er in der Hand hielt. »Hier. Wenn du da runtergehen willst, dann geh, aber ich gehe zur Erntemaschine zurück. Ich rufe Prandium und lasse jemanden herkommen, der uns abholt.« Joachim sah, dass Corin nicht mit sich reden ließ, und nickte.
»Ich sehe mir das Ding mal genauer an«, sagte er. »Ich komme gleich nach.« Er hing sich einen Löscher über jede Schulter und kletterte vorsichtig in den Krater. Corin beobachtete ihn, bis er unten angelangt war, und machte sich dann auf den Rückweg zur Erntemaschine. Er berührte seinen verletzten Arm und zuckte zusammen, als direkt über dem Ellbogen Schmerzen aufloderten er fühlte sich gebrochen an. Er warf einen Blick zurück, als er ein lautes Zischen hörte, als werde Wasser auf eine heiße Ofenplatte gegossen, ging aber weiter. Das Zischen hielt an. Plötzlich gab es einen lauten Knall. Dann setzten die Schreie ein. Corin erschrak und fuhr herum, als er Joachim vor Schmerzen brüllen hörte. Der Schrei seines Freundes verstummte abrupt und ein heulendes Kreischen ertönte, absolut fremdartig und absolut Grauen erregend. Corin fuhr herum und rannte zur Erntemaschine, wobei ihm die Furcht Flügel verlieh. Im Führerhaus war ein Gewehr, und jetzt wünschte er sich verzweifelt, er hätte es mitgenommen. Er lief durch die in die Erde gerissene Furche, stolperte über eine Wurzel im Boden und fiel auf die Knie. Hinter ihm ertönten schwere Schritte. Etwas Großes und unmenschlich Schnelles raste durch den Mais. Er hörte Stängel brechen, als es immer näher kam. Corin hatte keinen Zweifel, dass es ihn jagte. Er ächzte vor Furcht, rappelte sich auf und lief weiter. Er riskierte einen Schulterblick und sah eine verschwommene Gestalt wie einen Geist aus seinem Blickfeld in den Mais verschwinden. Die Schritte von etwas Großem schienen von überallher auf ihn einzudringen. »Was bist du?«, schrie er im Laufen. Er rannte blindlings weiter, erreichte die Grenze des Maisfelds und stürzte kopfüber in den Bewässerungsgraben. Er landete schmerzhaft, da er sich den verletzten Ellbogen am Beton stieß, und schluckte brackiges Wasser, als er vor Schmerzen aufschrie. Er kroch Wasser speiend rückwärts und schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen. Er schaute hoch, als eine dunkle Gestalt den Himmel über ihm verdeckte. Corin blinzelte das Wasser in seinen Augen weg und sah seinen Verfolger deutlich.
Er holte Luft, um zu schreien. Doch er war schon bei ihm und ließ einen Hagel sensender Schläge auf ihn niedergehen, die ihn auseinanderrissen, bevor er den Schrei ausstoßen konnte. Ein See aus Blut breitete sich von seinem verstümmelten Leichnam aus. Corins Mörder hielt nur einen Moment inne, als wittere er. Er kletterte mühelos aus dem Graben und schlug die Richtung nach Prandium ein.
PHASE II Annäherung EINS Die Basilica Mortis war die Heimat der Mortifactors. Das uralte Heim des Mortifactor-Ordens der Space Marines mit seinen zerklüfteten und gebirgsartigen Oberflächen drehte sich langsam im blassen Licht Posuls und seiner weit entfernten Sonne. Fast zehntausend Jahre, seitdem der Gründer des Ordens, Sasebo Tezuka, vom Tarot des Imperators hergeführt worden war, standen die Mortifactors bereits Wache über die Nachtwelt Posul, und in dieser Zeit hatten diese heiligen Ritter des Imperiums immer Mitglieder ihres Kriegerordens innerhalb der Wälle ihres den Planeten umkreisenden Festungsklosters ausgebildet. Rein optisch ähnelte es einem riesigen Gebirge, das sich in die Weiten des Alls verirrt hatte. Die besten Techpriester und Adepten hatten sich vereint, um diese Festung in der Umlaufbahn zu erschaffen. Die Basilica war ein Wunder arkanen Konstruktionswissens, dessen Geheimnisse längst in Vergessenheit geraten waren. Seit Millennien sandten die Mortifactors Krieger aus der Basilica Mortis aus, um neben den Armeen des Imperiums in Diensten des göttlichen Imperators der Menschheit zu kämpfen. Kompanien, Trupps, Kreuzritter waren in den Krieg berufen worden und dreimal sogar der gesamte Orden, das letzte Mal erst kürzlich, um in
den elenden Wüsten Armageddons gegen die Orks zu kämpfen. Die vom Orden errungenen Auszeichnungen konnten sich sogar mit denen solch legendärer Orden wie den Space Wolves, Imperial Fists und Blood Angels messen. In voller Besetzung beherbergte das Kloster die tausend Schlachtbrüder des Ordens und deren Offiziere sowie einen Hilfsstab aus Servitoren, Schreibern, Technomaten und Funktionären, der insgesamt siebeneinhalbtausend Köpfe zählte. Ausgedehnte Docks mit schlanken silbernen Andock-Ringen ragten aus dem Bug des Adamantiumberges ins All. Zwei schwer bewaffnete Angriffskreuzer der Space Marines hatten an den Docks festgemacht, während kleinere Fregatten der GladiusKlasse und Zerstörer der Jäger-Klasse entweder vom Patrouillendienst in der Domäne der Mortifactors zurückkehrten oder zu ihm aufbrachen. Schlachtbarken, verheerende Kriegsschiffe von phänomenaler Macht, waren in gepanzerten Hangarbuchten tief in den Eingeweiden des Klosters untergebracht, deren stumme Rümpfe schreckliche Waffen von planetarer Zerstörungskraft bargen. Ein Leuchtfeuer, das in der Dunkelheit der am weitesten von den Docks entfernten Ausleger aufflammte, reflektierte das Licht vom Rumpf eines sich nähernden Angriffskreuzers. Von sechs schnellen Angriffsschiffen der Mortifactors eskortiert, glitt der Kreuzer elegant dem abgedunkelten Festungskloster entgegen. Uralte Codes und gewundene Begrüßungen auf Hochgothisch waren zwischen dem Schiffskapitän und dem Ordensmeister gewechselt worden, aber die Mortifactors gingen in Fragen der Sicherheit kein Risiko ein. Das Schiff, die Vae Victus, trieb langsam durch den Raum, nur durch Korrekturdüsen angetrieben, die ihre Fahrt zu den Docks kontrollierten. Die Vae Victus war ein Angriffskreuzer der Ultramarines, der Stolz und die Freude des Flottenkommandeurs des Ordens, und normalerweise mit einer kompletten Riege von Begleitschiffen unterwegs. Aber die Schiffe des Geschwaders Arx Praetora lagen in der Nähe des Sprungpunkts des Systems vor Anker, da ihnen die Annäherung an das alte Sepulchrum der Mortifactors nicht gestattet war. Die Schiffsaufbauten waren lang und trugen die Narben von vielen Tausend Jahren Krieg gegen die Feinde der Menschheit. Im Heck ragte eine von verzierten Strebebögen getragene kathed-
ralenartige Zinne in die Höhe, und als Verbeugung vor den Mortifactors waren Geschützmündungen und Hangarschleusen hinter ihren Schutzschilden verborgen. Die Backbordseite des Schiffs glänzte, wo die Schiffszimmerleute von Calth den horrenden Schaden repariert hatten, den ihm ein Schiff der Eldar zugefügt hatte, und die Insignien der Ultramarines leuchteten mit neuerlichem Stolz auf der Bugpanzerung. Als sich die Vae Victus der Basilica näherte, schwang ihr Bug langsam herum, bis sie mit der Steuerbordseite längsseits des Festungsklosters lag. Dort blieb sie stumm im All hängen, bis eine Vielzahl kleiner Schlepper aus der Basilica Mortis kamen und rasch Stellung auf der Backbordseite bezogen. Andere Schiffe mit gigantischen Andocktrossen, jedes davon dicker als ein Orbitaltorpedo, flogen der Vae Victus entgegen und brachten die Trossen an sicheren Verankerungspunkten an, während sich die Schlepper dem Kreuzer der Ultramarines langsam von der Backbordseite näherten. Wenig mehr als kraftvolle Antriebsmaschinen mit einem winzigen Servitor-Abteil obenauf, wurden die Schlepper benutzt, um größere Schiffe in eine Position zu manövrieren, wo sie andocken konnten. Ein Dutzend von ihnen manövrierte ganz langsam an die Vae Victus heran, wie winzige parasitäre Fische auf einem riesigen Seeungeheuer, um dann kontrollierte Schubstöße abzugeben. Schließlich überwand ihre vereinte Kraft die Trägheit des größeren Schiffs, und die Vae Victus kroch langsam der Basilica Mortis entgegen, wobei die dicken Kabeltrossen sie einholten und zu den gigantischen klauenartigen Andockklammern leiteten, die sie sicher mit dem Festungskloster verbinden würden. Tief im Innern des Raumschiffs waren gepanzerte Schritte und die entfernten Geräusche der Schlepper auf dem Rumpf das Einzige, was die ruhige, meditative Stille der Korridore störte. Durch unzählige Elektrokerzen hell erleuchtet, schienen die marmorweißen Wände alle Geräusche zu verschlucken, bevor sie Gelegenheit hatten, ein Echo zu erzeugen. Die sanft gewölbten Wände waren glatt und nur spartanisch verziert. Hier und da gab es winzige Nischen, die von zartem, diffusem Licht erleuchtet waren. Sie enthielten stasenversiegelte Behältnisse mit einigen der heiligen Reliquien des Ordens: den Oberschenkelknochen des Uralten Galatan, den Schädel eines Fremdwesens, der auf den Schlachtfeldern von Ichar IV erbeutet
worden war, ein Buntglassplitter von einem vor langer Zeit zerstörten Schrein oder eine Alabasterstatue des Imperators persönlich. Vier Space Marines marschierten zu den Andockbuchten auf der Steuerbordseite, wo sie endlich in der Lage sein würden, die Basilica Mortis zu betreten. Der Anführer der Abordnung war ein kahlköpfiger Riese mit einer dunklen Haut zäh wie Leder und einem Netz von Narben kreuz und quer auf der linken Gesichtshälfte. Seine Züge hatten sich zu einer Miene des Missvergnügens verzogen, und seine Blicke huschten bei jedem Ächzen von Metall, das der Schiffsrumpf von sich gab, zur Decke des Korridors, da sie sich den Schaden ausmalten, den die Schlepper an der Außenhülle des Kreuzers anrichteten. Lordadmiral Lazio Tiberius trug seinen zeremoniellen Amtsumhang. Die steife Halskrause aus Fuchsfledermausfell scheuerte im Nacken, und die silberne Spange, die den Umhang mit der blauen Rüstung verband, kratzte an der Kehle. Er trug einen Lorbeerkranz um die Stirn, und auf seiner Brust funkelten die vielen Auszeichnungen, die er errungen hatte, wobei der Goldorden eines Helden von Macragge leuchtete wie eine Miniatursonne. »Verdammte Schlepper«, murmelte Tiberius. »Sie hat die Werften von Calth gerade erst verlassen, und jetzt werden sie Imperator weiß wie viele Paneele und Bögen verbeulen.« »Ich bin sicher, es wird nicht so schlimm, wie Sie denken. Lordadmiral. Und sie wird Schlimmeres erleben, bis wir mit Tarsis Ultra fertig sind«, sagte der Krieger direkt hinter Tiberius, der Hauptmann der Vierten Kompanie, Uriel Ventris, dessen smaragdgrüner Gala-Umhang hinter ihm herwallte. Tiberius grunzte. »Sobald wir zurück nach Tarsis Ultra kommen, will ich nach Chordelis ins Dock und alles überprüfen. Ich führe sie nicht in die Schlacht, ohne mich vorher zu vergewissern, dass sie in bester Verfassung ist.« Als Hauptmann der Vierten Kompanie lautete einer von Uriels Titeln Flottenmeister, aber in Anerkennung von Tiberius' größerem Wissen in puncto Raumkampf hatte er ihn an den Lordadmiral abgetreten, der diese Rolle mit viel Enthusiasmus übernommen hatte. Darin lag keine Unehre, da die Krieger der Ultramarines den Lehren des heiligen Buchs ihres Primarchen folgten, dem Codex Astartes, der betonte, wie wichtig es war, dass jede Position von dem für sie am besten geeigneten Mann unabhängig von
dessen Rang eingenommen wurde. Tiberius und die Vae Victus kämpften seit beinahe drei Jahrhunderten gemeinsam, und Uriel wusste, dass der ehrwürdige Lordadmiral ein besserer Flottenmeister sein würde als er. In den Monaten seit der Zerstörung des Space Hulk Tod der Tugend hatten die Rüstmeister auf dem Schiff ihr Bestes getan, um den Schaden zu reparieren, den Uriels Rüstung dabei erlitten hatte, und einen Schulterschutz ersetzt sowie die tiefen Furchen gefüllt und neu lackiert, die die Krallen des Fremdwesens hinterlassen hatten. Doch ohne die Schmieden von Macragge war es unmöglich, den Schaden völlig zu reparieren. An seinen grünen Umhang war eine kleine Brosche in Form einer gehämmerten weißen Rose geheftet, die Uriel als Held von Pavonis auswies, und darunter war eine ganze Reihe Bronzesterne an seinem Brustharnisch befestigt. Sein Gesicht war eckig, die Züge von klassischem Schnitt, aber ernst und hager. Die Gewitterwolken-Augen waren schmal und hatten schwere Lider, und die beiden goldenen Langdienst-Knöpfe an der linken Schläfe funkelten hell unter der Dunkelheit seiner stoppelkurzen Haare. Uriels oberste Sergeanten marschierten im Gleichschritt hinter ihm, Pasanius links und Learchus rechts. Pasanius überragte die anderen mühelos, und die Rüstung konnte seine Körperfülle kaum halten und das trotz der Tatsache, dass ein Großteil davon von einer uralten, irreparabel beschädigten Terminator-Rüstung stammte. Sowohl er als auch Learchus trugen den grünen Umhang der Vierten Kompanie und wie ihr Hauptmann Broschen in Form der weißen Rose von Pavonis. Pasanius' blondes Haar lag eng am Kopf an, und obwohl er eine ernste Miene aufgesetzt hatte, konnte sein Gesicht auch Wärme und Humor ausstrahlen. Sein rechter Arm funkelte silbern unter dem Ellbogen, wo die Techpriester von Pavonis ihn nach der Auseinandersetzung mit dem uralten Sternengott namens Nachtbringer in den Tiefen jener Welt ersetzt hatten. Seine monströse Sense hatte Rüstung und Knochen durchschnitten, und trotz aller Bemühungen von Apothekarius Selenus war das von der Grabeskälte der Sense berührte Gewebe nicht mehr zu retten gewesen. Learchus war ein wahrer Ultramarine. Seine Abstammung war makellos, und jeder Schritt verriet den geborenen Krieger. In der Ausbildung waren er und Uriel erbitterte Konkurrenten gewesen,
aber im Zuge ihres gemeinsamen Dienstes an Orden und Imperator hatten sie jeglichen diesbezüglichen Groll längst hinter sich gelassen. Lordadmiral Tiberius zog an der Pelzkrause um seinen Hals und richtete den Lorbeerkranz an den Schläfen, während sie einer Biegung im Korridor folgten und sich dem Andockhangar näherten. Ein hallendes Krachen, welches das ganze Schiff durchlief, verriet Tiberius, dass sich die Andockklammern der Basilica geschlossen hatten. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Ich bin nur froh, wenn das hier vorbei ist.« Uriel konnte sich nicht dazu überwinden, Tiberius zuzustimmen. Er war erpicht darauf, diese Blutsbrüder kennenzulernen, und die Gefahr, der sie sich in Kürze auf Tarsis Ultra stellen mussten, machte ihn doppelt froh, dass die Vae Victus hierhergekommen war. Die Mortifactors hatten sich in der Zweiten Gründung vor beinahe zehntausend Jahren von den Ultramarines abgespalten, stammten aber von denselben Helden ab wie Uriel. Alte Geschichten berichteten, wie Roboute Guillaume, der Primarch der Ultramarines, das Reich des Imperators nach seiner Beinahe-Zerstörung seitens des verräterischen Kriegsmeisters Horus zusammengehalten und sein Buch, der Codex Astartes, das Fundament für das noch junge Imperium gelegt hatte. Von zentraler Bedeutung für dieses Fundament war das Dekret, die mehrere zehntausend Mann starken Legionen der Space Marines in kleinere Kampfeinheiten aufzuteilen, die bis zum heutigen Tag Orden genannt wurden, so dass nie wieder ein Mann in der Lage sein würde, über die furchterregende Macht einer ganzen Legion von Space Marines zu gebieten. Jede der ursprünglichen Legionen behielt ihre Farben und Titel, während die neu gegründeten Orden einen anderen Namen annahmen und sich daran machten, die Feinde des Imperators in der ganzen Galaxis zu bekämpfen. Ein Hauptmann der Ultramarines namens Sasebo Tezuka hatte das Kommando über die neu gegründeten Mortifactors erhalten und sie zur Welt Posul geführt, wo er sein Festungskloster errichtet und bis zu seinem Tod viel Ehre im Namen des Imperators errungen hatte. Trotz ihrer gemeinsamen Abstammung von Guillaumes Blut hatte es über viele Tausend Jahre keinen Kontakt zwischen den Ult-
ramarines und den Mortifactors gegeben, und Uriel freute sich darauf, diesen Kriegern zu begegnen, zu sehen, was aus ihnen geworden war und welche Schlachten sie ausgetragen hatten, und ihre Heldengeschichten zu hören. Eine Ehrengarde aus Ultramarines säumte den Zugang zu den Andockschleusen auf der Steuerbordseite, und die vier Krieger passierten das Spalier. Eine dicke goldene Tür mit einem Handrad und dem Motiv des Imperiumsadlers unter einem kunstvoll gestalteten Giebel wartete am Ende der Ehrengarde. Ein messingumrandetes Licht über der Tür leuchtete grün, um anzuzeigen, dass der Durchgang ungefährlich war, und als sich die Ultramarines näherten, rollte ein kybernetisch veränderter Servitor auf Ketten vorwärts, um das Rad zu drehen. Es funktionierte problemlos, und Dampf zischte aus den vakuumversiegelten Rändern. Die Schleuse öffnete sich mit einem Zischen der Dekompression und glitt auf geölten Rollen zur Seite, um einen langen dunklen Tunnel aus schwarzem Eisen zu enthüllen, der zu einem von schwarzen Schädeln umringten, tropfenden Portal führte. Eiszapfen-Fänge hingen an den Kiefern der Schädel, und auf dem mit Steinplatten gekachelten Boden des Andocknabels sammelte sich Feuchtigkeit. Tiberius wechselte einen unbehaglichen Blick mit Uriel, der neben den Lordadmiral trat. »Sieht nicht sonderlich einladend aus, nicht wahr?«, stellte Tiberius fest. »Nicht sonderlich«, gab Uriel ihm recht. »Na, dann bringen wir es hinter uns. Je eher wir wieder auf dem Weg nach Tarsis Ultra sind, desto glücklicher werde ich sein.« Uriel nickte und trat als Erster in den Andocktunnel. Er erreichte die Tür an seinem Ende, die aus demselben dunklen Eisen bestand wie der Rest des Tunnels. Hinter ihnen schloss sich die Druckschleuse und wurde mit hallendem Scheppern versiegelt. Ein Regen aus schmelzendem Eis tropfte von Uriels Schulterschützern, lief in dünnen Rinnsalen die Riefen in seinem Brustharnisch herunter und durchnässte den oberen Teil seines Umhangs. Er hob die Faust und hämmerte zweimal an die Tür. Dumpfe Echos der Schläge hallten hohl von den Wänden wider. Es kam keine Antwort, und er hob die Faust, um noch einmal vor die Tür zu schlagen, als sie mit dem Kreischen gequälten Metalls nach innen schwang. Trockene, tote Luft wie der letzte Atemzug eines Leichnams
wehte aus der Basilica Mortis, und Uriel nahm den muffigen Geruch von Knochen und Leichentüchern wahr. Drinnen herrschte Dunkelheit, die nur von flackernden Kerzen gemildert wurde, und es war genauso kühl wie im Andocktunnel. Uriel trat durch das mit Schädeln geschmückte Portal und setzte seinen Fuß in das Heiligtum der Mortifactors. Tiberius, Learchus und Pasanius folgten ihm und schauten sich wachsam um. Sie standen in einer langen Kammer, die von sitzenden Statuen gesäumt wurde und deren Decke in Dunkelheit getaucht war. Verblichene, schimmlige Banner hingen an den Wänden. Wasser sammelte sich hinter ihnen, da es aus dem Andocktunnel hereinlief. Vor ihnen befand sich ein weich erleuchteter Durchgang in einem blattförmigen Türbogen, der einzige andere sichtbare Ausgang der Kammer. »Wo sind die Mortifactors?«, zischte Pasanius. »Ich weiß es nicht«, sagte Uriel, während sich seine Hand um den Knauf des Schwerts schloss und er die Statuen beiderseits von sich anstarrte. Er ging zur nächsten, beugte sich vor und wischte ihr Staub und Spinnweben vom Gesicht. »Guillaumes Fluch!«, entfuhr es ihm, während er angewidert zurückzuckte, als ihm aufging, dass es sich nicht um Statuen handelte, sondern um konservierte menschliche Leichname. »Schlachtbruder Olfric, möge man seines Namens und seiner Kraft gedenken«, sagte eine tiefe Stimme hinter Uriel. »Er ist im Kampf mit den Hrud in der Schlacht von Ortecha IX gefallen. Das war vor siebenhundertdreißig Jahren. Aber er wurde gerächt, und seine Schlachtbrüder haben die Herzen seiner Mörder gegessen. Daher konnte seine Seele zur Festtafel des Ultimativen Kriegers emporfahren.« Uriel fuhr herum und sah eine berobte, Kapuze tragende Gestalt in der Tür stehen, deren Hände in den Ärmeln der Robe versteckt waren. Seine Körperfülle ließ keinen Zweifel daran, dass der Sprecher ebenfalls ein Space Marine war. Zwei messingverkleidete Servoschädel schwebten über dem Mann, die durch einen dünnen Kupferdraht miteinander verbunden waren. Baumelnde Metalltaster zuckten, als sie in die Kammer schwebten. Einer trug eine lange Pergamentrolle, und eine Feder huschte über ihre Oberfläche, während der andere zu den Ultramarines schwebte. Ein rotes Licht glühte an einer zylindrischen Vorrichtung unter seinem beständig grinsenden Kiefer.
Er verhielt vor Uriel, und das rote Licht beleuchtete seinen Kopf. Er musste gegen den aus Aberglauben geborenen Drang ankämpfen, den Schädel aus der Luft zu schmettern. Der Schädel bewegte sich weiter von Uriel zu Pasanius und dann zu Learchus und hüllte dabei auch ihre Köpfe in das unheimliche rote Licht. Als er Tiberius erreichte, griff der Lordadmiral wütend nach oben und scheuchte ihn weg. »Verfluchtes Ding«, schnauzte Tiberius. »Was soll das bedeuten?« Der Schädel jaulte und zuckte zurück, dann stieg er höher und verhielt gerade außerhalb von Tiberius' Reichweite. Sein Zwilling folgte ihm, durch das Kupferkabel gezogen, das die beiden verband. »Seien Sie nicht beunruhigt, Lordadmiral«, sagte die Gestalt in der Tür. »Die Vorrichtungen vermessen lediglich Ihren Schädel und zeichnen ein dreidimensionales Bild von ihm auf.« Als er Tiberius' Verwirrung sah, sagte der berobte Space Marine: »Damit er nach Ihrem Tod in eine Stellung gebracht werden kann, die für seine Abmessungen am vorteilhaftesten ist.« Tiberius starrte den Mann mit offenem Mund an, der seine Kapuze zurückschlug und vorwärts ins Licht trat. Seine Haut hatte die Farbe von Ebenholz, das dunkle Haar fiel in langen Zöpfen nach hinten und war mit bunten Kristallen durchwirkt. Vier goldene Knöpfe funkelten über der Braue, und seine vollen Züge und dunklen Augen waren ernst, als er sich an die verblüfften Ultramarines wandte. »Ich bin Ordenspriester Astador von den Mortifactors, und ich heiße euch willkommen, Brüder.« So hatte sich Uriel die Mortifactors nicht ausgemalt. Nach seiner Vorstellung hatte Astador kehrt gemacht und war ohne ein weiteres Wort aus der Kammer der Leichen marschiert, so dass den verblüfften Ultramarines nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen. Die beiden Servoschädel schwebten neben ihrem Herrn und Meister und dicht über dessen Kopf her, und Uriel fragte sich, welche anderen technologischen Artefakte die Mortificators wohl nutzten. Die Ultramarines mieden die Benutzung von Servoschädeln, da sie es vorzogen, die sterblichen Überreste gefallener Diener des Imperiums in ihrer Gänze zu beerdigen, auf dass sie vollständig zur Rechten des Imperators sitzen mochten.
Die Hallen der Mortificators waren düster und still wie ein Grab. Jedes Portal und jede Kammer, die sie passierten, wies mehr Schädel auf, und erst jetzt, da er genauer hinschaute, erkannte Uriel, dass kein einziger davon geschnitzt oder künstlich gefertigt war. Alle waren echt, gebleicht und staubig vom Alter. Zwar sahen sie auf ihrem langen Marsch keine Bewohner des Festungsklosters, aber die Stille wurde durch gelegentliche Klänge hymnischer Gesänge und ernster Gedenk-Choräle gestört. Uriels Gefühl der Verwunderung wuchs, je tiefer sie in dieses düstere Sepulchrum eindrangen. Wie konnten Krieger von seinem Blut an so einem morbiden Ort wohnen? Wie hatten sich diese Söhne Guillaumes so weit von den Lehren des Primarchen entfernen können? Er beschleunigte, bis er auf gleicher Höhe mit Astador marschierte. »Bruder Astador«, begann er. »Ich möchte keinen Anstoß erregen, aber hat Ihr Orden in seiner jüngsten Vergangenheit einen größeren Verlust erlitten?« Astador schüttelte verblüfft den Kopf. »Nein. Wir sind mit viel Ehr' und den Gebeinen unserer Gefallenen von Armageddon zurückgekehrt. Warum fragen Sie?« Uriel suchte nach den richtigen Formulierungen. Sie brauchten die Hilfe der Mortificators, und die falschen Worte konnten alle Hoffnung auf Hilfe rasch zerschlagen. »Die Hallen Ihres Klosters lassen vermuten, dass Sie in Trauer sind.« »Ist es nicht so auf Macragge?« »Nein. Die Festung Hera ist ein Ort der Feierlichkeiten, der Freude im Dienst des Imperators. Sie hallt von Geschichten über Tapferkeit und Ehre wider.« Astador schwieg einen Moment, bevor er antwortete. »Sie sind auf Macragge geboren?« »Nein, ich stamme von Calth, obwohl ich meine Ausbildung in der Agiselus-Kaserne auf Macragge im Alter von sechs Jahren begonnen habe.« »Und würden Sie sagen, dass Ihre Heimatwelt Sie geformt hat?« Uriel dachte kurz über Astadors Frage nach. »Ja, das würde ich. Ich habe auf einem unterirdischen Bauernhof gearbeitet, seit ich laufen konnte. Auf Calth ist das Leben hart, und entweder man arbeitete schwer oder man spürte die Rute auf dem Rücken.« »Hat Ihnen das Leben dort gefallen?«, fragte Astador.
»Das nehme ich an, obwohl ich mich mittlerweile kaum noch daran erinnern kann. Es war harte Arbeit, aber ich stammte aus einer Familie, die mich geliebt und sich um mich gekümmert hat. Ich weiß noch, dass ich dort glücklich war.« »Und doch haben Sie das alles aufgegeben, um ein Ultramarine zu werden.« »Ja, in Ultramar arbeiten alle nur daraufhin, Soldat zu werden. Ich fand heraus, dass ich eine natürliche Begabung für den Krieg hatte, und schwor, der beste Krieger zu werden, den Macragge je gesehen hat.« Astador nickte. »Sie sind, was Sie sind, wegen Ihrer Herkunft, Hauptmann Ventris, also maßen Sie sich nicht an, mich nach Ihren Maßstäben zu beurteilen. Die Welt unter uns war meine Heimat, und bis ich auserwählt wurde, ein Krieger des Imperators zu werden, habe ich weder Sonnenlicht noch Freude gekannt. Diese Dinge gibt es auf Posul nicht, nur ein brutales Leben der Finsternis und des Blutvergießens. Ich habe dreihundert Schädel im Kampf genommen, bevor ich auserwählt wurde, ein Space Marine zu werden, und seit diesem Tag töte ich die Feinde, des Imperators. Seitdem habe ich die Sonne gesehen, kenne aber immer noch keine Freude.« »Ein Space Marine braucht weder Freude noch Ruhm«, sagte Learchus. »Der Dienst am Imperator soll sein Wein und sein Brot sein, und seine Seele wird zufrieden sein.« Astador blieb stehen und drehte sich zu dem VeteranenSergeant um. »Sie zitieren aus dem Codex Astartes, Sergeant. Wir sind der Notwendigkeit solcher Dogmen entwachsen und pflastern uns einen eigenen Weg aus den Worten unserer Ordenspriester. Sich von Worten binden zu lassen, die vor einer Ewigkeit niedergeschrieben wurden, ist nicht unsere Art.« Die Ultramarines blieben wie angewurzelt stehen, entsetzt über Astadors beiläufige Blasphemie. Ein so leichtfertiges Abtun der heiligen Schriften Roboute Guillaumes hätten sie niemals von einem anderen Space Marine erwartet. Tiberius war der Erste, der sich fing, und sagte: »Vergeben Sie uns, Ordenspriester. Aber es hat uns überrascht, jemanden, dessen Abstammung auf den gesegneten Primarchen zurückgeht, auf solche Weise über den Codex Astartes reden zu hören.« Astador verbeugte sich respektvoll. »Ich entschuldige mich, wenn meine Worte Anstoß erregt haben, Lordadmiral. Wir vereh-
ren den Primarchen so wie Sie. Er ist der Vater unseres Ordens, und alle unsere Treueide werden auf ihn und den Imperator geschworen.« »Und doch schmähen Sie sein bedeutendstes Werk?«, schnauzte Learchus, während er die Fäuste ballte. »Nein, Bruder, ganz und gar nicht«, sagte Astador, indem er sich vor Learchus stellte. »Wir betrachten seine Worte als Grundlage unserer Lebensart, aber seinen Lehren zu folgen, ohne zu berücksichtigen, was wir selbst gelernt haben und was wir rings um uns sehen, ist nicht Weisheit, sondern lediglich Wiederholung. Wiederholung führt zur Stagnation. Und Stagnation führt in den Untergang.« Uriel legte Astador eine Hand auf die Schulter und sagte: »Bruder Astador, vielleicht sollten wir weitergehen? Wir sind gekommen, um mit Ihrem Ordensmeister zu sprechen, und haben keine Zeit für theologische Debatten. Die Welt Tarsis Ultra wird vom tödlichsten Feind überhaupt bedroht, und wir möchten Ihren Meister in dem bevorstehenden Konflikt um seine Hilfe bitten.« Astador nickte, ohne sich umzudrehen, dann machte er auf dem Absatz kehrt und marschierte weiter in die Dunkelheit. Uriel ließ den Atem entweichen, den er angehalten hatte, und lockerte Kiefermuskeln. »Verdammt, Learchus«, flüsterte er. »Wir sind hier, um sie um Hilfe zu bitten, und nicht, um sie vor den Kopf zu stoßen.« »Aber Sie haben gehört, was er über den Kodex gesagt hat!«, protestierte Learchus. »Uriel hat recht, Learchus«, sagte Tiberius. »Wir sind alle Krieger des Imperators, und das ist das Wichtigste. Sie wissen, dass es andere Orden gibt, die den Worten des Primarchen auch nicht so unbedingt folgen wie wir. Die Söhne von Russ folgen ihrem eigenen Weg, und wir betrachten sie als Verbündete, oder etwa nicht?« Learchus nickte, obwohl Uriel sah, dass er nicht überzeugt war. Uriels Blick folgte Astador, der weiter durch die Dunkelheit seines Festungsklosters ging. Die Schädel der gefallenen Mortifactors starrten ihn von den Wänden an. Uriel seufzte. Gewiss konnten Zeit und Raum einen Orden sehr stark verändern, wie ähnlich ihre Abstammung auch sein mochte. Astador drehte sich um und winkte sie vorwärts. »Kommt. Lord Magyar wartet.«
Die Galerie der Knochen war treffend benannt, überlegte Uriel, während er dastand und auf die Audienz bei Lord Magyar wartete, dem Ordensmeister der Mortifactors. Ein aus Knochen geschnitzter Kreuzgang umgab einen steingefliesten Boden, der mit vielen Hundert Grabsteinen gepflastert war. Nischen zwischen den Säulen des Kreuzgangs enthielten Skelettkrieger mit Schwertern in den Klauenhänden, und die gesamte Kuppeldecke bestand aus ineinandergeschachtelten Schädeln, deren augenlose Höhlen auf jene herabstarrten, die sich in ihrer Domäne befanden. Die vier Ultramarines standen im Zentrum der ausgedehnten Fläche, die von dem Kreuzgang eingefasst wurde, Uriel und Tiberius vorne, Learchus und Pasanius wie bei der Parade nach einem »Rührt-Euch«-Befehl hinter ihnen. Leichenhausstatuen von Engeln flankierten einen riesigen Thron aus den Knochen längst verstorbener Space Marines. Uriel konnte einzelne Oberschenkelknochen, Wirbelsäulen und andere Gebeine wie auch grinsende Schädel in den Armlehnen und oben in der sich verjüngenden Lehne des Throns erkennen. Ein knochenbeiniger Tisch mit einer flachen, dunkel emaillierten Schale darauf stand neben dem Thron. Wohin Uriel auch sah, der Tod wurde mehr als alles andere verehrt und erhöht. Ein tiefer Gong ertönte, und hinter dem Thron schwangen lautlos verborgene Türen auf. Eine lange Prozession betrat die Galerie der Knochen. Dutzende Kapuzen tragende Gestalten marschierten in die Kammer, von denen einige Räucherfässchen schwangen und andere leise Klagelieder sangen, aber alle hatten den Kopf gesenkt. Einer nach dem anderen bezogen sie Stellung in der Kammer, bis vor jeder Nische mit einem Skelett ein lebender Zwilling stand. Zwei Terminatoren in dunkler, mit Knochensäumen verzierter Rüstung marschierten in die Kammer, jeder mit einer langen Sense mit breiter Klinge in den Händen. Die Helme waren so gestaltet, dass sie schreienden Schädeln ähnelten, und Uriel konnte sich sehr wohl das Grauen vorstellen, das diese Krieger in ihren Feinden wecken konnten. Die Terminatoren bezogen beiderseits des Throns Stellung, während ein geflügeltes Skelett, nicht größer als ein Kind, auf zerbrechlich wirkenden Schwingen mit dünnen, membranartigen Überresten zerfledderter Gewandung zwischen den Flügelknochen in die Galerie flatterte. Es ließ sich auf der Thronlehne nieder, blieb dort hocken und betrachtete
stumm die schockierten Ultramarines. Messingdrähte glitzerten an den Gelenken, und Uriel konnte einen winzigen SuspensorGenerator erkennen, der zwischen den Flügeln an der Wirbelsäule befestigt war. Uriels Lippe kräuselte sich voller Abscheu beim Anblick des geflügelten Vertrauten, als ein hochgewachsener Mann in einer Knochenrüstung die Galerie betrat. Seine Bewegungen waren langsam und gemächlich, jeder Schritt mit Bedacht gesetzt und ernst. Sein Brustharnisch bestand aus langen Rippen, die zurechtgebogen worden waren. Der Imperiumsadler in der Mitte war ebenso skelettartig wie der geflügelte Vertraute, der die Vorgänge beobachtete. Jedes Einzelteil der Rüstung dieses Kriegers, von den Beinschienen bis zum Nacken- und Armschutz, bestand aus Knochen. Er trug eine gigantische Sense, deren Klinge scharf und versilbert und deren Heft aus glänzendem Ebenholz war. Lord Magyar, denn es konnte niemand anders sein, blieb vor seinem Thron stehen und verbeugte sich vor den Ultramarines. Das lange, silberne Haar war zu unzähligen, mit Kristallen geschmückten Zöpfen geflochten, die ihm bis zu den Hüften fielen, und seine kohlen dunkle Haut erinnerte mit den Kratern und Erhebungen ihrer unzähligen Runzeln an eine Mondlandschaft. Ein langer, gegabelter weißer Bart, zu scharfen Spitzen gewachst, reichte ihm ebenfalls bis zur Hüfte. Seine Augen waren dunkle Löcher, und obwohl sich das Alter des Ordensmeisters nicht schätzen ließ, war Uriel sicher, dass er mindestens siebenhundert Jahre alt sein musste. Lord Magyar setzte sich auf seinen Thron und sagte: »Ihr seid willkommen, Brüder des Blutes.« Uriel war schockiert über die Kraft und starke Autorität im Tonfall des alten Kriegers, verbarg jedoch seine Überraschung, als er vortrat und sich verbeugte. »Lord Magyar, wir danken Ihnen für das Willkommen und bringen Grüße von Ihren Brüdern von Ultramar. Lord Calgar persönlich hat mich gebeten, Sie von ihm zu grüßen.« Lord Magyar akzeptierte Uriels Begrüßung mit einem langsamen Nicken. »Sie kommen mit finsteren Neuigkeiten, Hauptmann Ventris. Unsere Ordenspriester haben schwerwiegende Vorzeichen gesehen, und sie haben Sie gesehen.« »Sie haben mich gesehen?«, fragte Uriel. »Sie, und zwar voller Blut. Als Sieger. Und als Leichnam«, ver-
kündete Magyar. »Das verstehe ich nicht, Lord.« »Wir wissen schon lange, dass Sie zu uns kommen würden, Uriel Ventris«, nickte Magyar, »aber nicht, warum. Erzählen Sie mir, warum Sie in mein Kloster gekommen sind, Bruder des Blutes?« Erleichtert darüber, wieder bei einem Thema zu sein, das er verstand, verbeugte sich Uriel noch einmal vor Lord Magyar. »Wir treten vor Sie in der Hoffnung, dass Sie die Kriegerschuld ehren und uns im Kampf gegen einen schrecklichen Feind zur Seite stehen werden.« »Sie sprechen von dem Eid, den Guillaume beim Großen Kreuzzug auf Tarsis Ultra geschworen hat.« »Das tue ich, Lord Magyar.« »Ihr Orden ist immer noch durch einen solchen Eid gebunden?«, fragte Magyar. »Ja, Lord. Wie es unsere Art ist, sind wir verschworen, die Bewohner von Tarsis Ultra zu verteidigen, sollte ihre Welt jemals bedroht werden, seitdem unser gesegneter Patriarch dem Soldaten, der ihm das Leben rettete, seinen Eid der Bruderschaft geleistet hat«, sagte Uriel. »Und ist ihre Welt bedroht?«, fragte Magyar formell. »Das ist sie, Lord.« »Sind Sie sicher?« »Ja, Lord. Ein Ableger des Großen Verschlingers bewegt sich darauf zu und wird sie bald angreifen. Meine Krieger und ich haben erst kürzlich ein Tod der Tugend benanntes Space Hulk geentert und zerstört, das nach Tarsis Ultra unterwegs war. Der verfluchte Koloss war voller Symbionten, und wir haben sie tapfer bekämpft. Nach der Rückkehr auf unser Schiff haben unsere Astropathen die psychischen Störungen entdeckt, die Schatten im Warp genannt werden. Sie bewegen sich auf uns zu. Die Tyraniden kommen, Lord. Das ist gewiss.« »Und was wünschen Sie von mir?« »Mein Orden ist verpflichtet, diese Gebiete zu verteidigen, und ich appelliere an das Blut, das zwischen uns fließt, und bitte um Ihre Hilfe. Die Tyraniden sind ein monströser Feind, und wir werden alle Mühe haben, sie zu besiegen. Mit Ihren tapferen Kriegern an unserer Seite hätten wir sehr viel größere Siegesaussichten.« Lord Magyar grinste und zeigte dabei strahlend weiße Zähne.
»Versuchen Sie gar nicht erst, an meine Eitelkeit als Krieger zu appellieren, Hauptmann Ventris. Ich weiß sehr wohl von dieser Schuld und dem Band, das zwischen uns existiert.« »Dann werden Ihre Krieger neben uns kämpfen?« »Das bleibt abzuwarten«, sagte Magyar, indem er Astador einen Wink gab. Astador trat neben seinen Lord und Meister und erwartete dessen Befehl. »Sie werden sich auf die Suche nach einer Vision begeben, Ordenspriester Astador?« »Ja, Lord. Wie Sie befehlen«, sagte Astador, indem er sein Gewand öffnete, so dass es auf den Grabsteinboden fiel. Seine Rüstung hatte die Farbe von vergossenem Blut, dunkel und bedrohlich, und goldene Einfassungen. Jeder Schulterschützer war mit einem Obsidianschädel geschmückt. Er trug ein Crozius Arcanum mit goldenen Flügeln, seine Waffe und ein Ordenssymbol der Autorität. Er bückte sich und zog Lord Magyar einen Panzerhandschuh aus, den er neben die Schale auf den Tisch legte. Dann hob er sein Crozius und zog seinem Meister die scharfe Schneide über die Handfläche, so dass das Blut in die Schale lief. Lord Magyar ballte und entspannte wiederholt die Faust, um zu verhindern, dass das Blut gerann, bis die Schale voll war. Astador hob die Schale und reichte sie Lord Magyar, der sie mit einem respektvollen Nicken entgegennahm. Der Ordensmeister nippte von seinem Blut und reichte die Schale dann wieder Astador. Der Ordenspriester hob sie an die Lippen und goss sich das Blut in einem roten Regen über das Gesicht. Er trank ausgiebig vom Blut seines Meisters, und Uriel verzog vor Abscheu das Gesicht. Was für ein barbarisches Ritual war dies, dass es das Blut eines Bruders bedurfte, um es vollziehen zu können? Waren die Morifactors so entartet, dass sie sich Ritualen verschrieben hatten, wie man sie gemeinhin mit den Mächten des Verderbens verband? Er warf einen Blick auf Tiberius. Die Miene des Lordadmirals war unergründlich, doch Uriel konnte die Anspannung in seinen Kiefermuskeln sehen, und er nahm sich ein Beispiel daran. Astador ächzte und streckte eine Hand aus, um sich abzustützen. Der knochige Vertraute auf der Rückenlehne des Throns erhob sich in die Luft, flatterte geräuschvoll
zu dem schwankenden Ordenspriester und fing die Schale auf, als sie seinen schlaffen Fingern entglitt. Uriel konnte sich nicht mehr beherrschen und rief: »Was macht er denn? Das stinkt nach unreiner Zauberei!« »Schweigen Sie!«, tönte Magyar. »Er sucht Rat bei unseren verehrten Vorfahren. Ihre Weisheit kommt von jenseits des Todesschleiers und stört sich nicht an den Bedenken der Lebenden. Er sucht ihren Rat, ob wir uns Ihnen in diesem Kampf anschließen sollten.« Uriel wollte gerade antworten, als er einen eisernen Griff um seinen Arm spürte. Lordadmiral Tiberius schüttelte bedächtig den Kopf. »Der Verschlinger kommt von außerhalb der Galaxis und schon durch seine Bezeichnung verraten Menschen ihre Unwissenheit«, ächzte Astador. »Das unsterbliche Schwarmbewusstsein beherrscht jeden seiner Gedanken. So viele Wesen... Milliarden mal Milliarden Ungeheuer bilden den Schwarmverstand, und es gibt niemanden hier, der sein Ausmaß begreifen kann. Es kommt hierher und will sich nur nähren. Man kann nicht mit ihm verhandeln, man kann nicht mit ihm argumentieren, man kann es nur bekämpfen. Es muss bekämpft werden.« Astador sank auf die Knie und erbrach einen Strahl gleißenden Blutes, aber der geflügelte Vertraute war da und fing die Lebensflüssigkeit in der Schale auf. Er flatterte zu Magyar und reichte ihm die mit Blut gefüllte Schale, bevor er seinen Platz über dem Ordensmeister wieder einnahm. Lord Magyar sah Uriel in die Augen und lächelte, bevor er einen Teil seines Blutes trank. Uriel hörte Learchus hinter sich würgen, zwang sich aber, seinen Ekel zu verbergen. Der Ordensmeister der Mortifactors wischte sich ein Rinnsal Blut vom Bart und sagte: »Die Omen sind nicht gut, Uriel Ventris von den Ultramarines.« Uriels Mut sank, aber Lord Magyar war noch nicht fertig. Er erhob sich von seinem Thron und schritt über den Boden der Toten, um vor Uriel stehen zu bleiben. Der Ordensmeister der Mortifactors beugte sich vor und bot ihm die Schale an. Speichelschaumiges Blut bildete einen Bodensatz. »Werden Sie den Pakt unserer Verbrüderung besiegeln, Hauptmann Ventris?«
Uriel starrte in die Schale. Das Blut war leuchtend scharlachfarben. Er spürte, wie ihm die Galle hochkam, nahm die ihm von Lord Magyar dargereichte Schale jedoch an. Er hob sie an die Lippen. Blutgestank drang ihm in die Nase. Belustigung funkelte in Lord Magyars Augen, und Uriel spürte Zorn in sich auflodern. Er neigte die Schale, spürte, wie das heiße Blut in seinen Mund rann, und schluckte. Es glitt seine Kehle hinunter, und Uriel konnte spüren, wie ihn ein gewisses Maß von Lord Magyars Vitalität und Kraft erfüllte. Das Blut trug die Last des Alters in seinem heißen, metallischen Geschmack, und Uriel würgte, als seine Sinne plötzlich von einer kraftvollen Vision eines Gemetzels überflutet wurden, die an eine Ewigkeit des Todes gemahnte. Er sah zwei fremdartige gelbe Augen, und wieder spürte er die Berührung des Nachtbringers in seinem Bewusstsein. Lord Magyar entnahm Uriels empfindungslosen Fingern die Schale und wandte sich Astador zu, der nickte. »Wir werden die Kriegerschuld ehren, Hauptmann Ventris. Ich werde Ihnen eine Kompanie meiner Krieger mitgeben und Ordenspriester Astador, um sie anzuführen. Sie werden nebeneinander als Gleichgestellte kämpften. Das Blut hat gesprochen, und Sie haben unser Band der Bruderschaft erneuert.« Uriel hörte ihn kaum, nickte aber dennoch, obwohl er eine tiefe Übelkeit verspürte. Doch ob sie die Folge des Blutes oder der Erinnerung an den Nachtbringer war, konnte er nicht sagen.
ZWEI Die riesige Stadt Erebus leuchtete wie ein grelles Juwel an den Flanken des Cullingebirges. Sie war in einer großen Wunde im Fels errichtet, als habe ein Riese eine Spitzhacke genommen und eine gigantische ovale Aussparung in die Südwestflanke des höchsten Gipfels gehauen. In einem felsigen Tal mit steilen Wänden gelegen, das an seiner Öffnung volle neun Kilometer breit war, reichte die Stadt fast vierzig Kilometer tief in das Gebirge hinein. Durch den Fluss Nevas geteilt und mit einer Bevölkerung von über zehn Millionen Menschen, war Erebus ein krabbelnder
Ameisenhügel und die bevölkerungsreichste Stadt von Tarsis Ultra. Hab-Einheiten, Fabriken, hydroponische Kuppeln, Vergnügungsboulevards und andere Bauwerke wetteiferten um Platz an den steilen Talhängen. Riesige Metallgebäude aus Glas und Stahl erhoben sich wie Metallblumen von der Talseite, und beinahe jeder Quadratmeter Felsen war verbaut. Vom Talboden bis zur gebirgigen Majestät der Luxus-Habs und exotischen Würze der Fleischbars war jeder verfügbare Felssplitter mit Trägern, Pfeilern und unwahrscheinlich dünnen Säulen geschmückt, die eine architektonisch vielseitige Stilmischung stützten, welche in krassem Gegensatz zur schlichten marmornen Eleganz der uralten, vor zehn Millennien von den Ultramarines errichteten Bauwerke stand. Als Erebus ursprünglich errichtet wurde, war es das Musterbeispiel einer perfekten Stadt gewesen, aber seit diesen Zeiten hatte sich eine Menge verändert. Wo die Stadt früher ein Beispiel für alles Gute in der menschlichen Gesellschaft gewesen war, hatten zehntausend Jahre beständiger Expansion ihren Tribut von ihren utopischen Idealen eingefordert und sie an die grimmige Realität der Makropolen auf Welten wie Armageddon oder Necromunda angenähert. Skulpturen aus Stahl erhoben sich steil über den Berghängen, jede in Hab-Einheiten gehüllt. Je höher ein Bauwerk angebracht war, desto alltäglicher wurden Unfälle. Stahlgitter gaben unter den horrenden Lasten nach, die ihnen auferlegt wurden, rissen sich von den Hängen los und glitten dann majestätisch die Felswände hinunter, wobei sie Gehwege, Brücken und Menschen mitrissen, bis sie in einem Gewirr aus verbogenem Metall, Betontrümmern und Leichen spektakulär auf den Talboden krachten. Doch selbst hier auf dem Boden, in diesem beständigen Chaos und Aufruhr aus herabstürzenden Trümmern, gediehen Menschen. Der brütende Unterbauch der Stadt das Wehr enthielt gewundene barocke Korridore und Kammern von anarchistischer Pracht, die den Bodensatz-Banden den Gesetzlosen und Ausgestoßenen Zuflucht boten. Die Adeptus Arbites, im Wehr auch die Bronzen genannt, hatten einige der wilderen Gegenden des Wehrs zu verbotenen Zonen erklärt, und selbst die zähesten Mitglieder der Vollstreckertrupps der Arbites wurden dort nur in Gruppen tätig,
und ihre Schrotflinten waren dort grundsätzlich geladen und entsichert. Wilde Banden hausten in den Tiefen des Wehrs, plünderten aus den Ruinen und eingestürzten Habs und Produktionstürmen sowie voneinander, was sie konnten. Gewalttätige Scharmützel waren an der Tagesordnung, da rivalisierende Banden um die Kontrolle frisch eingestürzter Bauten und um das Vorrecht kämpften, sie auszuplündern. Und manchmal kämpften sie einfach auch nur so zum Spaß. Schneehund flankte über den Tresen der Fleischbar. Kugeln fegten ihm entgegen und zersplitterten die Holzfront, während er darüberrollte. Er lud seine Schrotflinte durch und ließ sich hinter die Bar fallen. Flaschen und der Spiegel hinter ihm explodierten zu spiegelnden Dolchen. Der Barmann schrie auf und brach neben ihm zusammen, um sich eine blutende Schulterwunde zu halten. Glassplitter hatten ihm das Gesicht aufgeschnitten, und seine Züge waren mit roten Linien übersät. Schneehund zwinkerte dem weinenden Mann zu. »Ich schätze, das ist wirklich nicht dein Glückstag.« Die stampfende Musik übertönte beinahe das Knattern der Schusswaffen. Sechs Wyldern mit schwerer Bewaffnung waren gerade in die Bar marschiert, legten sie mit Salven in Trümmer und töteten dabei wahllos Gäste. Wer hätte das kommen sehen? Schneehund holte tief Luft und kroch ans Ende der Bar. Er schulterte seine Schrotflinte. Ihre blau-stählerne Oberfläche glänzte wie neu, und er war jetzt froher denn je, dass er ihren ersten Vorbesitzer, einen Bronzen, getötet hatte. Geschrei und panisches Gebrüll erfüllte die Bar, während die Leute zu flüchten versuchten, um auf keinen Fall in einen der Bandenkriege verwickelt zu werden, die in der Makropole von Erebus mittlerweile allzu alltäglich waren. Massive Salven hallten durch die Bar, und mehr Schreie ertönten. Die Musik verstummte, als die Lautsprecher in einer Funkenexplosion den Dienst einstellten. Leute fielen zu Boden, mit tiefen Kratern in der Brust oder von großkalibrigen Geschossen förmlich entzweigerissen. Schneehund riskierte einen Blick um die Seite des Tresens. Tigerlily war hinter einem umgestürzten Tisch festgenagelt, ein Wurfmesser in jeder Hand, und Silber hatte Schutz hinter einem dicken Stahlpfeiler gefunden. Er konnte weder Jonny Stampfer
noch Lex sehen, dachte sich aber, dass der eine zu schlau war und der andere zu viel Glück hatte, um von den ersten Salven erwischt worden zu sein. Verdammte Wyldern! Das Leben war für einen gerade flügge gewordenen Bandenführer schon schwer genug, auch ohne dass diese Verrückten es einem zur Hölle machten. Es war schon schrecklich genug, dass die Bronzen aus ihrem grimmigen, imposanten Festungsrevier am Rande des Wehrs, der schlimmsten aller schlimmen Zonen der Stadt, wie ein Eisenhammer über alle kamen, die das Gesetz brachen was in diesem Teil der Makropole praktisch alle taten. Nicht einmal die Bronzen kamen ohne massive Bewaffnung hierher. Aber die Wyldern... Er wurde nicht schlau aus ihnen. Er stahl und tötete für Geld und um das Sagen im Wehr zu haben, aber diese Irren töteten einfach nur. Niemand konnte sagen, wann oder wo sie zuschlugen, und wenn sie es taten, platzten sie mit überlegenen Waffen herein und feuerten so lange, bis alle tot waren. Töten um des Profits willen konnte er verstehen, aber für diese Massaker sah er keinen Grund, und das störte Schneehund ganz gewaltig. »Kommt raus, kommt raus, wo ihr auch seid«, rief ein Wyldern mit Singsang-Stimme. Schneehund hörte das Schnappen, als frische Munition in die automatischen Waffen gerammt wurde, und nickte Tigerlily zu. Der junge Rotschopf schnellte wie eine Feder in die Höhe und schleuderte ein Wurfmesser mit unfehlbarer Genauigkeit. Die dünne Klinge bohrte sich in das Auge des nächsten Wyldern, der wortlos zusammenbrach. Tigerlily duckte sich wieder, und Schüsse schlugen Funken an dem Metalltisch, hinter dem sie in Deckung kauerte. Ihr schwarzer einteiliger Trikotanzug war von einem Metallsplitter des Tisches eingerissen worden, und Schneehund sah, dass sie jetzt wirklich wütend war. Kaum waren die Wyldern abgelenkt, erhob sich Schneehund hinter der Theke und brüllte: »Ihr habt euch die falsche Bar für eure Späße ausgesucht, Jungs!« Er erledigte einen weiteren Wyldern mit seinem ersten Schuss und streifte noch einen mit dem zweiten, bevor sie reagierten und die Bar mit Kugeln eindeckten. Schneehund hechtete beiseite und wälzte sich weiter, während Hunderte Kugeln die Bar in Feuerholz verwandelten. Silber kam aus ihrer Deckung, eine Pistole in jeder Hand. Das
lange weiße Haar war zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden, und ihre eisblauen Augen waren kalt und erbarmungslos. Sie legte gelassen zwei weitere Wyldern um, bevor sie sich wieder hinter den Pfeiler zurückdrehte, so dass ihr langer schwarzer Mantel sie umwallte. »Und da waren es nur noch zwei«, murmelte er, als er die jähe Furcht und Verwirrung der beiden verbliebenen Wyldern sah. Er erhob sich, trat hinter der Bar hervor und schlenderte in die Mitte des blutgetränkten Schlachtfelds. Überall lagen Leichen, und es stank nach Pulverdampf. »So einen Empfang habt ihr nicht erwartet, was?«, fragte Schneehund. »Wir sind die Nachtschleicher, und ihr seid uns hier ziemlich in die Quere gekommen.« »Wir legen euch alle um!«, kreischte einer der Wyldern, aber seiner Stimme fehlte die Überzeugung. »Das glaube ich kaum, Mann«, sagte Schneehund, während er Jonny Stampfer und Lex auf dem oberen Balkon der Fleischbar erblickte, während sie Stellung hinter den Wyldern bezogen. Er schüttelte den Kopf. Wo hätten Jonny und Lex auch anders sein können als bei den Mädchen und Sexdrogen, um die Ware zu probieren, bevor die Arbeit erledigt wurde? »Was haltet ihr davon, wenn ihr beiden die Kanonen weglegt und uns einfach weitermachen lasst, hm?«, sagte Schneehund. Er sah ihr Zögern und wusste, dass er an ihren Selbsterhaltungstrieb appellieren musste, bevor ihre Dummheit und Tollkühnheit wieder die Oberhand gewannen. Er sagte: »Hört mal, hier muss heute keiner mehr sterben, in Ordnung?« Seine Stimme war besänftigend, und er senkte langsam die Schrotflinte, während er ihre teure Kleidung und gefärbten Haare taxierte. Ihre Gesichter waren mit Metalldornen gepierct, und ihre vollen Züge kündeten von gesundem Essen. Teuer aussehende Elektro-Tätowierungen wanden sich die Arme empor und um den Hals und pulsierten im Einklang mit ihrem rasenden Puls. Das waren Kinder reicher Eltern im Rausch irgendeiner narkotisierenden Droge. Er sah es in ihren Augen. Und plötzlich war alles ganz klar. Sie töteten wegen des Kitzels. Reiche Bengel, die töteten, weil sie gelangweilt waren und weil sie es konnten. Doch nun, da sich das Blatt gewendet hatte, war die Mordlust aus ihnen gewichen. Er ging weiter langsam zu den Wyldern und legte seine Schrot-
flinte auf den Tresen. »Ihr wollt doch nur noch in einem Stück hier rauskommen.« Die Wyldern nickten, und Schneehund breitete die Arme aus. »Das kann ich verstehen«, sagte er, »aber daraus wird nichts.« Sein Blick huschte zum Balkon. »Jetzt, Jonny«, sagte er gelassen. Auf den Mienen der Wyldern zeichnete sich für einen Sekundenbruchteil Verwirrung ab, bevor Jonny Stampfers hundert Kilo auf ihnen landeten und sie zu Boden rissen. Jonny war rasch wieder auf den Beinen, zerrte den ersten Wyldern vom Boden hoch, brach ihm mit trockenem Knacken das Genick, um sich dann dem anderen zuzuwenden, der wegzukriechen versuchte. »Nein, bitte!«, flehte er. »Meine Familie ist reich, die gibt euch alles...« »Kein Interesse«, sagte Jonny und schmetterte dem jungen Wyldern die Faust ins Gesicht. Blut und Zähne flogen, als Jonny den jungen Mann mit bloßen Händen totschlug. Schneehund drehte sich um, nahm die Schrotflinte vom Tresen und legte den Lauf auf die Schulter. Er holte tief Luft und fuhr sich mit der Hand durch das gebleichte stachelige Haar, während er sich auf den zersplitterten Tresen stützte. Flackerndes Neonlicht tauchte seine robusten Züge in einen ungesunden Schein, und Glas klirrte, als es aus zerschmetterten Rahmen fiel. Er klopfte auf den Tresen. Der benommene Barmann erhob sich, die Hände über den blutigen Kopf verschränkt. »Also gut, Mann. Wo waren wir vor diesen Unannehmlichkeiten stehen geblieben?«, sagte Schneehund. Er grinste wölfisch. »Ach ja, jetzt erinnere ich mich wieder. Das ist ein Überfall. Raus mit dem Geld.« »Gute Einnahme?«, fragte Lex mit Blick auf den Haufen Bargeld auf der umgedrehten Kiste. Schneehund beäugte Lex argwöhnisch. »Es reicht, Lex.« Er verstaute das Geld wieder in dem kleinen Rucksack und erhob sich, wobei er eine Schachtel Lho-Stäbchen öffnete und eins herausnahm. Er holte ein Messingfeuerzeug aus der Tasche, zündete das aromatische Stäbchen an und nahm einen tiefen Zug. Er hob den Rucksack an den Trägern auf und legte ihn auf sein eisernes Bettgestell.
Schneehund setzte sich auf das Bett und sah zu, wie Lex die Achseln zuckte und ins vordere Zimmer ihres augenblicklichen Unterschlupfs zu Jonny Stampfer ging. Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen, und die funkelnden Lichter der Talhänge schienen durch das löchrige Dach und die glaslosen Fensteröffnungen. Es herrschte eine durchdringende Kälte, und Schneehund spürte in der Luft einen rauen Winter nahen. Lex war ein Problem. Schneehund wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Lex sich ins Grab bringen würde. Normalerweise hätte Schneehund ihn machen lassen und die Achseln gezuckt, aber niemand kannte sich besser mit Sprengstoff aus als Lex. Was er aus Gegenständen des alltäglichen Lebens zusammenbraute, war unglaublich, und viele Bronzen hatten schon Grund gehabt, eine übereifrige Verfolgung der Nachtschleicher zu bereuen, wenn sie in eine von Lex' Sprengfallen gelaufen waren. Lex erzählte nicht viel über seine Herkunft, aber Schneehund hatte eine Zahnrad-Tätowierung auf seinem Oberarm gesehen und nahm an, dass er früher einmal Lehrling bei einer der TechGilden gewesen war, die in den Fabrikhangars und HochöfenTempeln tiefer im Tal arbeiteten. Er war vor sechs Monaten zu ihnen gestoßen, und man musste kein Genie sein, um sich zusammenreimen zu können, warum er aus der Gilde geflogen war. Lex war ein Süchtiger, wahrscheinlich schon seit Jahren, permanent auf Kalma oder Sporn und zu dämlich, um zu begreifen, dass sie dadurch auf routinemäßige Chemo-Raster ansprechen würden. Er verbannte Lex aus seinen Gedanken und legte eine Hand auf die Beute aus der Bar. Es war genug, um sich ein paar richtig fette Kanonen zu kaufen, und dann würden sie sich ein richtiges Revier erkämpfen. Und er wusste auch genau, von wem er die Waffen bekommen würde. Ja, es war ein guter Fischzug gewesen, aber die Wyldern hatten ihnen die Schau gestohlen, und das wurmte ihn. Wie sollte er die Nachtschleicher zur gefürchtetsten und angesehensten Bande im Wehr aufbauen, wenn praktisch niemand mehr am Leben war, der die Geschichte herumerzählen konnte? Vielleicht hätten sie den letzten Wyldern am Leben lassen sollen, aber Schneehund tat den Gedanken rasch ab. Jonny Stampfer daran zu hindern, jemanden zu töten, wenn sein Blut in Wallung war, das war keine gesunde Option, wenn man selbst am Leben bleiben wollte. Der
große Kerl war ein eiskalter Mörder, schlicht und ergreifend, aber er war nützlich und vertraute Schneehund vollkommen. Was nur bewies, dass Jonny nicht die hellste Birne in der Fassung war, aber Schneehund nahm alle Muskeln, die er kriegen konnte. Er nahm noch einen letzten Zug von seinem LhoStäbchen, ließ es dann auf den Boden fallen und trat es mit dem Absatz aus. Er legte sich aufs Bett und streckte sich aus. Er war durchschnittlich groß, aber mit einer drahtigen Muskulatur gesegnet, die seinen peitschenschnurdünnen Körper Lügen strafte. Er trug tigerstreifigen Kampfdrillich, dessen Beinenden in einem schweren Paar Stiefel steckten, die er einem toten Bronzen abgenommen hatte, und ein weißes T-Shirt mit einem verblichenen Holobild einer Pilzwolke, die sich ausdehnte und zusammenzog, wenn er sich bewegte. Die Beute aus der Fleischbar würde die Wölfe in Schach halten, aber er musste sich schnell den nächsten Fischzug überlegen, wenn er seine Truppe zusammenhalten wollte. Sie würden ihm so lange folgen, wie sie bei ihm Beute witterten. Aber er brauchte irgendwas, das ihm mit einem Minimum an Aufwand ein regelmäßiges Einkommen bescheren würde. Er schaute auf, als er ein Klopfen am Türrahmen hörte, und lächelte, als Silber zur Bettkante geschlendert kam und sich neben ihn setzte. »Das war 'n Tag, was?«, sagte sie. »Ja, das war es«, gab Schneehund ihr recht. »Wo ist Tigerlily?« »Sie ist mit Trask in einen Hammerclub gegangen«, antwortete Silber schläfrig. »Kominsky's, glaube ich.« »Vielleicht werde ich alt, aber diese Hammermusik ist etwas, das ich nicht verstehe. Laute Musik verstehe ich, aber die ist wie ein Überschallangriff auf die Sinne.« »Ein Haufen Leute stehen drauf«, stellte Silber fest. »Sogar ich hab nichts dagegen.« »Warum bist du dann nicht mitgegangen?« »Ich hatte keine Lust auf Trask. Du weißt ja, wie er auf Stimms ist.« »Tigerlily macht das offensichtlich nichts aus.« »Das liegt daran, dass sie zu jung und dumm ist, um zu erkennen, was für ein Verlierer er ist.« »Du bist ziemlich zynisch heute.« Silber lächelte, und Schneehund spürte, wie er lockerer wurde,
als sie sich zu ihm herunterbeugte und ihn küsste. »Ich bin müde«, sagte sie. »Und außerdem, was kann Trask schon für mich tun, das ich nicht von dir besser bekomme?« Schneehund kicherte, da er sich an das letzte Mal erinnerte, als Trask Silber nach einer langen Nacht auf Stimms übermäßig verliebt gekommen war. Das arme Schwein hatte danach eine Woche nicht gerade gehen können. Er beschloss, das Thema zu wechseln. »Wie geht's dem Rest der Truppe?« Silber zuckte die Achseln. »Ganz gut, nehme ich an. Lex wird langsam unruhig, und Jonny will raus, um noch ein paar Schädel einzuschlagen. Er redet ständig davon, es mit den Banden in der Hochmakropole aufzunehmen.« Schneehund lachte kurz. »Jonny wird mit dem Gesicht nach unten in der Senkgrube landen, wenn er glaubt, dass er es mit den Banden der Hochmakropole aufnehmen kann. Sag ihm, er soll besser dabei bleiben, die Feiern der kleinen Banden zu sprengen, wenn er weiß, was gut für ihn ist. Für diese Spielchen sind wir noch nicht reif.« Silber gähnte, zog den langen Mantel aus und löste das albinoweißen Haar aus dem Pferdeschwanz. Sie stieg über Schneehund hinweg und legte sich mit dem Rücken zur Wand. Ein Arm lag auf Schneehunds Hüfte, während der Kopf auf seiner Brust ruhte. Er küsste sie auf die Stirn und legte ihr einen Arm um die Schultern. »Ist dir aufgefallen, dass nicht viele Einheiten der Bürgerwehr rings um die Fleischbar unterwegs waren?«, fragte Silber, während ihre Hand unter sein T-Shirt glitt und ihre Finger mit den Haaren auf seinem Bauch spielten. »Ja. Das war ziemlich komisch, oder?« »Ich frage mich, wo die waren? Normalerweise kann man im Hochtal keinen Schritt machen, ohne wenigstens ein paar von ihnen zu sehen.« Schneehund nickte zögernd. »Ich weiß nicht, aber jetzt, wo du es erwähnst, muss ich sagen, dass mir die ganze Stadt in letzter Zeit ziemlich komisch vorkommt, gereizt und nervös. Ich habe viele Bronzen gesehen, aber was Soldaten angeht, war es ziemlich ruhig. Ich frage mich warum? Und diese Wyldern. Normalerweise würden sie es nie wagen, eine Bar anzugreifen, die so nah bei der Hochmakropole liegt.« »Was ist da wohl los, was meinst du?« »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, aber wenn es uns die Bür-
gerwehr und die Bronzen vom Hals hält, kann es mir nur recht sein.« Schneehund hätte sich nicht mehr irren können.
DREI Uriel sah die Landschaft an dem Thunderhawk vorbeirasen, der schneebedeckte Berge von majestätischer Erhabenheit umkreiste. Ein harter Winter stand diesem Teil der Welt bevor, und die Schönheit unter ihm war atemberaubend. Gefrorene Bergseen funkelten in dem blassen Licht, und die wilde Pracht erinnerte ihn mit Wehmut an die Landschaft rings um die Festung Hera. Das Thunderhawk legte sich in eine Kurve, als es der Linie der Berge folgte, und Uriel erhaschte einen Blick auf die schwarzen Kampfhubschrauber der Mortifactors, die ebenso in Formation flogen wie die Ultramarines. Seine Miene wurde verdrossen, als er von einer starken und lebhaften Erinnerung an den Geschmack von Lord Magyars Blut überflutet wurden. Der Ordensmeister der Mortifactors hatte gelacht, ihn Bruder genannt und mit den Handflächen auf Uriels Schulterschützer geklatscht, so dass blutige Handabdrücke zurückgeblieben waren. Wie ein Orden in der Nachfolge des gesegneten Roboute Guillaume so weit von seiner Vision einer heiligen Kriegertruppe abgefallen sein konnte, wollte ihm nicht in den Kopf. Er hatte außerdem das Gefühl, dass Uriels Trinken des Blutes den Ordensmeister dazu bewogen hatte, seine Krieger zu entsenden, und nicht etwa irgendein Band gemeinsamer Bruderschaft. Wie konnte solch ein Orden funktionieren, geschweige denn gedeihen, ohne sich auf den Codex Astartes zu stützen? Nach seiner Rückkehr auf die Vae Victus hatte sich Uriel in Gebete und Reinigungsrituale vertieft, aber die in seinem Bewusstsein herumspukende Vision ließ sich dadurch nicht austreiben. Er konnte das Gefühl der Macht nicht abstreiten, das er beim Trinken des Bluts erlebt hatte, und er wusste, dass ein Teil von ihm, der Imperator mochte ihm verzeihen, sich wieder nach dieser Macht sehnte. In dem Monat, den sie gebraucht hatten, um ins System von Tarsis Ultra zurückzukehren, hatte es nur spärlichen Kontakt mit den Mortifactors gegeben, eine Situation, mit der die Ultramari-
nes mehr als zufrieden waren. Es war ein Schock für alle gewesen, dass sich ein aus ihrer ehrenwerten Hinterlassenschaft hervorgegangener Orden so sehr verändert hatte. Sie würden mit den Mortifactors kämpfen, aber Uriel war klar, dass die Bruderschaft zwischen den Orden und die gegenseitigen Treueeide nicht erneuert würden. Sie würden gegen den gemeinsamen Feind kämpfen, mehr nicht. Ihm ging auf, dass er die Fäuste geballt hatte, und ließ langsam seinen angehaltenen Atem entweichen. Die Thunderhawks gingen tiefer, da sie die Berge hinter sich hatten, und Uriel versuchte, seine wütenden Gedanken abzuschütteln und den Blick wieder auf die Welt unten zu richten. Sie flogen über ordentliche Landwirtschafts-Kollektive, deren riesige Felder satte grüne Flächen inmitten der weißen Reifflecken des nahenden Winters bildeten. Funkelnde Eisenbahnschienen und Wasserstraßen schlängelten sich durch die Landschaft und verbanden die verstreuten Gemeinden, und ab und zu erhaschte Uriel einen Blick auf einen dazwischen verkehrenden silbrigen Zug. Der Blick erinnerte auf unheimliche Weise an die Oberfläche von lax, manchmal auch Garten von Ultramar genannt, eine der produktivsten Welten des Imperiums. Uriel fragte sich kurz, ob die Bewohner wohl auch ihre eigene Version von lax' Festungsstadt »Erstlandung« gebaut hatten. Soweit er das aus der Luft sagen konnte, sah Tarsis Ultra wie eine Modellwelt aus, die auch in Ultramar nicht fehl am Platz gewesen wäre. Aber Uriel wusste, dass es nicht immer so gewesen war. Vor zehntausend Jahren war die Welt jahrzehntelang durch die Lügen der Ketzer versklavt gewesen, bis sie von Roboute Guillaume und den Ultramarines im Großen Kreuzzug befreit worden war. Die dankbare Bevölkerung hatte den Namen ihrer Befreier in den Namen ihrer Welt eingearbeitet, auf dass sie sich immer an sie erinnern und sie ehren möge. Als die Legion der Ultramarines zu neuen Feldzügen aufgebrochen war, hatte Roboute Guillaume das Fundament einer geordneten Welt hinterlassen, die auf den Idealen von Gerechtigkeit, Ehre und Disziplin fußte anstatt auf den verheerten Wüsten, die viele andere Primarchen nach ihren Siegen hinterließen. Guillaume hatte Lehrer,
Handwerker, Konstrukteure und Architekten zurückgelassen, um beim Wiederaufbau von Tarsis Ultra zu helfen. Seine Zivilisation wurde nach dem Ebenbild Ultramars neu erschaffen, die Gesellschaft geordnet und gerecht, die Bevölkerung zufrieden und produktiv. Tarsis Ultra wurde wieder eine funktionierende Welt des Imperators. Ihr Ausstoß war erstaunlich, aber anders als viele industrielle Welten, auf denen die gedankenlose Ausplünderung ihrer natürlichen Rohstoffe dazu führte, dass sie zu verschmutzten Giftwüsten wurden, sorgte umweltbewusstes Haushalten mit den Rohstoffen dafür, dass Tarsis Ultra eine blühende, angenehme Welt blieb. Nach den grimmigen Enthüllungen hinsichtlich der Mortifactors freute sich Uriel schon darauf, den Fuß auf eine Welt zu setzen, die auch der Primarch besucht hatte. Seine Erlebnisse in der Basilica Mortis hatten ihn bis ins Mark erschüttert, und es würde ihm gut tun, eine greifbare Erinnerung an Roboute Guillimans Hinterlassenschaft zu sehen. Und er war beeindruckt von dem, was er bisher von Tarsis Ultra und seinen Verteidigungsanlagen gesehen hatte. Ungeschlachte Sternenfestungen hingen in geo-stationärer Umlaufbahn über der primären Kontinentalmasse, und in den Monaten seit ihrer Warnung hinsichtlich der sich nähernden Tyraniden hatte sich bereits eine beachtliche Flotte versammelt. Die Argus, ein Schlachtschiff der Victor-Klasse und Veteran des Ersten Tyrannenkrieges, war das Flaggschiff einer Abteilung stolzer Kriegsschiffe, darunter auch die Schwert der Vergeltung, ein Schlachtkreuzer der Herrscher-Klasse, drei Kreuzer und eine Reihe von Begleitschiffen. Ganze Flotten von Landungsbooten, mit Männern und Frauen der Imperialen Garde beladen, pendelten beständig zwischen der Planetenoberfläche und vier großen Truppentransportern in der Umlaufbahn. In wenigen Tagen würden zwei volle Regimenter, das 10. Logres und das 933. Todeskorps von Krieg, auf Tarsis Ultra stationiert sein. Weitere Schiffe wurden durch das Segmentum-Kommando in Bakka ins System beordert, und in nahen Systemen und SubSektoren wurden frische Regimenter ausgehoben, aber deren Eintreffen würde noch mehrere Monate auf sich warten lassen. Einstweilen waren sie auf sich allein gestellt. Lordadmiral Tiberius plante bereits die Strategie für die vereinten Flotten mit Kapitän Gaiseric vom Angriffskreuzer Mortis Pro-
bati und dem Kommandeur der Flotte, Admiral de Corte, einem Schüler von Lordadmiral Zaccarius Rath persönlich. »Zwei Minuten«, kam die Stimme des Piloten über Lautsprecher. Uriel riss sich aus seinen Grübeleien und beobachtete, wie Learchus durch das Thunderhawk ging. Seine normalerweise stoischen Züge verrieten Vorfreude. Es schien, als sei Learchus versessener darauf als alle anderen, Tarsis Ultra zu betreten. Pasanius saß Uriel gegenüber und sah entspannt aus. Es schien ihn nicht weiter zu berühren, dass sie bald eine Welt betreten würden, auf der ihr Primarch einst gewandelt war. Sein schwerer Flammenwerfer war über ihm verstaut, und er nickte Uriel zu, als das Thunderhawk zum Landeanflug ansetzte. »Das dürfte interessant werden«, sagte er. »Interessant?«, lachte Learchus. »Es wird wunderbar. Das Werk des gesegneten Guillaume auf halbem Weg durch die Galaxis zu sehen, ist ein Beweis dafür, dass unsere Lebensart der Weg ist, der die Menschheit voranbringt.« »Ist es das?«, fragte Pasanius. »Natürlich«, sagte Learchus, offenbar überrascht, dass Pasanius seine Feststellung überhaupt aufgriff. »Wenn die Lebensart, der wir seit Millennien folgen, hier Blüte treibt, kann sie das überall.« »Treibt sie hier Blüte?« »Offensichtlich.« »Woher weißt du das? Du hast sie noch nicht gesehen.« »Ich brauche sie nicht zu sehen, ich habe Vertrauen in den Primarchen.« Uriel ließ seine Sergeanten über die Feinheiten von Guillaumes Vision diskutieren, als er seinen ersten Blick auf Erebus warf, einer dunklen Narbe in der schneebedeckten Flanke eines riesigen Gebirges, die mit silbernen Türmen gefüllt war. Ein großes Staubecken glitzerte auf dem angrenzenden Plateau hoch über der kilometerbreiten Talmündung. Die felsigen Hänge waren mit weißen Marmorgebäuden und eleganten Säulenbauwerken gekrönt. Eine breite, von Statuen gesäumte Straße führte durch die Mitte des Tals zum ersten Verteidigungswall der Stadt, auf allen Seiten von zahllosen Gebäuden bedrängt. Das Innere der Stadt war ein funkelndes Spinnennetz aus Silber und Weiß. Mit Ausnahme der Gebäude am Rande des Tals konnte Uriel kein Schema in der Anlage der Stadt erkennen. Hier und da fielen
ihm Beispiele macraggescher Architektur auf, aber wo Raum und Licht hätten sein sollen, sah er stattdessen neuere, aufdringlichere Konstruktionen, hoch aufragende Karbunkel, welche die Eleganz der ältesten Gebäude überschatteten. Das Thunderhawk gewann wieder an Höhe und änderte den Kurs, so dass es parallel zum Tal flog. Uriel konnte erkennen, dass der Talboden anstieg, je weiter er ins Gebirge vordrang, bis er einen langen Abwehrwall mit einem schäumenden Wasserfall in der Mitte erreichte, der sich wiederum zu einem kleineren Wall erhob, da sich das Tal verengte. Diese Stufenstruktur der Verteidigungsanlagen der Stadt setzte sich bis zum Talende fort, und nun, da er auf die Stadt hinunterschauen konnte, sah er auch baufällige Gegenden, eingestürzte Bauwerke, die aussahen, als seien sie mit Granaten beschossen worden. In den kalten Schatten der hohen Wolkenkratzer des tiefen Tals kauerten Hunderte Häuserruinen, und dünne weiße Rauchfahnen stiegen von unzähligen Kochfeuern auf. Die Enttäuschung darüber, was aus Guillaumes Vermächtnis geworden war, war wie ein Schmerz in Uriels Brust. Er lehnte sich zurück und spürte, wie sich seine Fäuste wieder ballten. Er ruckte herum, als er das schockierte scharfe Atemholen von Learchus hörte. »Was ist das?«, hauchte er. »Kommen wir zu spät? Hat der Krieg bereits begonnen?« »Nein«, sagte Uriel traurig. »Das hat er nicht.« Die Flugmaschinen der Space Marines setzten auf den oberen Landeplattformen von Erebus auf, und das Heulen ihrer Triebwerke übertönte den Pomp und die Feierlichkeit der hundert Mann starken Kapelle, die erhebende Willkommensmelodien spielte. Uriel marschierte die Rampe hinunter und spürte den stechenden Biss der kalten Luft, als er sich von der Hitze der Triebwerke entfernte. »Also das ist mal ein Empfang«, sagte Pasanius mit erhobener Stimme, um sich verständlich zu machen. Uriel nickte zustimmend. Auf den Plattformen wimmelte es von Menschen. Viele Tausend Soldaten waren in geordneten Reihen vor den Flugmaschinen der Space Marines angetreten. Von einem Dutzend Männern mit Suspensoren und Haltetauen getragen, flatterten riesige Banner an dreißig Meter hohen Fahnenmasten. Goldlitzen wehten, und das Blau und Weiß des Symbols des Ordens der Ultramarines kräuselte sich auf den Stoffbahnen. Die
Kompaniestandarten aller zehn Kompanien der Ultramarines waren ebenso anwesend wie jene von einzelnen Helden aus der Legende des Ordens. In der Reihe der Standarten sah Uriel in vorderster Front das Wappen von Hauptmann Invictus und daneben das Banner der vierten Kompanie. Er musste zweimal hinsehen, als er entdeckte, dass dem Wappen eine Auszeichnung in Form der weißen Rose von Pavonis hinzugefügt worden war. Ordenspriester Astador gesellte sich über die Rampe seines eigenen Thunderhawk zu ihm. »Anscheinend eilt Ihnen Ihr Ruhm voraus, Hauptmann Ventris«, sagte er. Uriel nickte, während er auf diesen extrem förmlichen Empfang starrte. Er hatte mit einem Empfangskomitee gerechnet, aber dies war Wahnsinn. Wie viel Zeit und Mühen hatte man in diesen Empfang gesteckt, die besser für die Stärkung der Verteidigungsanlagen der Stadt oder die Gefechtsausbildung aufgewendet worden wären? War diesen Leuten denn nicht klar, dass sie sich bald im Krieg befinden würden? Eine Ehrengarde aus vielleicht zweihundert gerüsteten Kriegern formierte sich in geordneten Reihen beiderseits der Thunderhawks. Die Rüstungen waren blau und lächerlich unpraktisch. Mit Absicht den Servorüstungen nachempfunden, sahen die Soldaten neben der wuchtigen Fülle der Ultramarines absurd aus. Ein kalter Wind peitschte über die Landeplattformen, als eine weitere Kolonne von Männern durch das Spalier der Ehrengarde zu ihnen schritt. Die Soldaten marschierten in perfektem Einklang, und ihre Uniformen waren makellos. Vor ihnen war eine andere Gruppe, die von drei Männern angeführt wurde, welche der Ausschmückung der Kleidung des Anführers nach das Kommando über diese Veranstaltung hatten. Der führende Offizier trug dieselbe zeremonielle blaue Rüstung wie die Ehrengarde, aber mit silbernem Besatz und goldenen Litzen an Schultern und Hosennähten, dazu einen blitzenden silbernen Helm mit einem langen Busch aus Pferdehaar, das bis zur Hüfte fiel, und ein goldenes Schwert mit Säbelkorb, das er vor dem Gesicht hielt. Die Brust war übersät mit goldenen und silbernen Abzeichen, und seine Stiefel bestanden aus makellos poliertem, schwarzem Leder. Seine Begleiter scheuten offenbar vor derart frivolem Schmuck zurück und zogen die schlichte GalaUniform ihrer Regimenter der Imperialen Garde vor.
Uriel erkannte den schweren Mantel und den pelzbesetzten Kolpak des Krieg-Regiments und schloss aus dem silbernen Lorbeerkranz und den Sternen am Kragen, dass dies der Oberst des Regiments war. Das letzte Mitglied der Gruppe war ein älterer, um die Hüften fülliger Man mit ordentlich gestutztem Bart, der einfachen gut gebügelten Drillich und eine dick gefütterte Jacke mit Pelzkragen trug. Wie beim Oberst des Krieg-Regiments saß auch auf seinem Kopf ein pelzbesetzter Kolpak, und ihm schien dieser üppige Empfang Unbehagen zu bereiten. »Hauptmann«, sagte Pasanius und zeigte auf die Randzonen des Landefelds. Tiefer im Tal hatten sich jenseits der hohen Zäune, welche die Landeplattformen umgaben, riesige Menschenmengen versammelt. Mienen der Ehrfurcht und der Verehrung starrten den Ultramarines entgegen, und Uriel sah, dass viele Menschen beteten und Freudentränen vergossen. Die Delegation der Offiziere blieb vor ihnen stehen, und ihr übermäßig prunkvoll gekleideter Anführer ließ in einer verschnörkelten Salut-Bewegung das Schwert durch die Luft sausen. Er schob es in die Scheide, trat vor, verneigte sich und sank vor Uriel auf ein Knie. »Verehrte Herren, ich bin Euer bescheidener Diener, Sebastien Montante, Fabrikator-Marschall der Welt Tarsis Ultra, und im Namen des Göttlichen Herrschers der Menschheit heiße ich Euch willkommen«, sagte der Mann in angestrengtem Hochgothisch. »Möge Eure Wohltätigkeit über unserer Welt erstrahlen angesichts der Herrlichkeit Eurer Wiederkehr. Tausend mal tausend Dankgebete sollen zum Lob Eurer Namen gesprochen werden. Zahlreich sind die...« »Ich danke Ihnen für den Empfang, Fabrikator«, unterbrach Uriel ihn brüsk. »Ich bin Uriel Ventris, Hauptmann der Vierten Kompanie.« Montante sah hoch, verblüfft und bestürzt darüber, in seiner Rede unterbrochen worden zu sein. Uriel sah, dass er Anstalten machte fortzufahren, und sagte eiligst: »Das sind meine obersten Sergeanten, Pasanius und Learchus. Und das ist Ordenspriester Astador von den Mortifactors.« Montante wurde klar, dass er seine Rede nicht würde beenden können. Er erhob sich, strich sich die Falten aus der Hose, verbeugte sich nervös vor Astador und sagte: »Ordenspriester Asta-
dor, wir haben von Ihrem illustren Orden gehört und heißen Sie ebenfalls willkommen.« Astador nickte und erwiderte die Verbeugung. »Ihr Empfang ist überwältigend, Fabrikator Montante, und wir danken Ihnen dafür.« Montante lächelte schief und nickte, dann wandte er sich den beiden Obersten zu, die ihn begleiteten. »Gestatten Sie mir, Ihnen die kommandierenden Offiziere unserer tapferen Verteidiger vorzustellen«, sagte Montante, der sich rasch wieder gefasst hatte. Der Anführer des Krieg-Regiments trat vor, salutierte zackig vor den Space Marines und sagte: »Oberst Trymon Stagler, Regimentsführer des 933. Todeskorps von Krieg und Bereichskommandant. Ich entschuldige mich für diese Zeitverschwendung, aber Fabrikator Montante hat uns erst vor einer Stunde davon in Kenntnis gesetzt.« Stagler ignorierte Montantes indigniertes Stirnrunzeln, während der zweite Mann vortrat und Uriel die Hand anbot. »Oberst Octavius Rabelaq, Kommandierender des Zehnten Logres. Freut mich, Sie kennenzulernen, Uriel. Ich habe von Sebastien eine Menge von Ihnen gehört. Ich freue mich schon darauf, mit Ihnen zu kämpfen. Nun ja, nicht mit Ihnen, aber Sie verstehen schon, hm?« Uriel nahm die angebotene Hand, und Rabelaq schüttelte sie enthusiastisch und umklammerte dabei mit der anderen Hand auch noch zusätzlich Uriels Ellbogen. Schließlich ließ er Uriel wieder los und trat mit einem zackigen Salut zurück, während Montante mit dem Kopf in Richtung der Ehrengarde nickte. »Ja ja, gut, jetzt, wo wir einander kennen, sollten wir mit der förmlichen Abnahme der Parade weitermachen, nicht? Und dann weiter zum Willkommensfest, wie? Wir wollen doch die köstlichen Speisen und den Amasec nicht verkommen lassen«, lächelte Montante, indem er den Space Marines wiederum bedeutete, ihm zur Ehrengarde zu folgen. »Fabrikator Montante«, sagte Uriel. »Wir haben keine Zeit, hier herumzutrödeln, und sollten umgehend mit den Vorbereitungen auf die bevorstehende Schlacht beginnen. Die Tyranidenflotte ist wahrscheinlich keinen Monat mehr von Ihrem System entfernt, und Sie wollen, dass wir uns in Lustbarkeiten ergehen?« Montantes Mund öffnete und schloss sich, während er diesen
Bruch der offiziellen Empfangsetikette überdachte und sich Hilfe suchend an die Obersten der Garde wandte. »Hauptmann Ventris hat recht«, sagte Oberst Stagler. »Wir müssen mit der Planung anfangen. Der Feind steht vor den Toren.« Uriel glaubte, einen Anflug von Vorfreude in der Stimme des Obersten ausmachen zu können. »Das tut er in der Tat«, sagte eine Gestalt, die aus der Ehrengarde hinter Montante vortrat. Uriel sah einen berobten, Kapuze tragenden Adepten, der sich auf einen silbernen Gehstock stützte, mit einem Gefolge aus Schreibern, Lexmechanikern und grün gewandeten Astropathen zu ihnen hinken. »Der Feind steht in der Tat vor den Toren«, wiederholte der Adept mit der Kapuze. »Meine Astropathen sagen mir, dass die ersten Drohnenschiffe bereits in die äußersten Bereiche des Systems einfliegen. Der Rest der Schwarmflotte kann nicht weit dahinter sein.« »Und wer sind Sie, mein Herr?«, fragte Uriel. Der Mann schob die Kapuze zurück und enthüllte ein altes, verwittertes Gesicht mit einer Tonsurkrone silberner Haare. Seine Züge hatten die fahle, wächserne Struktur regelmäßiger JuvenalBehandlungen, aber seine Augen hatten nichts von dem Feuer verloren, das Uriel auf den zahlreichen Bildern von ihm in der Kapelle der Helden auf Macragge wahrgenommen hatte. »Ich bin Lord Inquisitor Kryptman vom Ordo Xenos, und wir haben nicht viel Zeit.« Sechzigtausend Pfund Schub röhrten aus den Zwillingstriebwerken jeder Kampfmaschine vom Typ Furie, als sie über das Flugdeck der Kharloss Vincennes glitten, einem Trägerschiff der Diktator-Klasse, um dann wie Kugeln aus einem Gewehrlauf aus den Starthangars in der Flanke des Trägers zu schießen. Zwei Staffeln, jede aus drei Maschinen bestehend, hoben ab und wendeten, um ihr Abfangmanöver zu beginnen. Ein anomaler Kontakt war mit den leistungsfähigen Überwachungsgeräten der Horchstation Trajen registriert worden, einer leicht bemannten Station in einer festen Umlaufbahn am Rande des Tarsis-UltraSystems. Ihre Aufgabe würde darin bestehen, dem Kontakt auf den Grund zu gehen und ihn, wenn die Umstände günstig waren,
möglichst zu zerstören. Sollte das nicht machbar sein, würden sie genaue Positionsdaten liefern und es damit den schwereren Geschützen der Kharloss Vincennes gestatten, ihn auszulöschen. Die Furien waren aerodynamische Kampfmaschinen mit Tragflächen und doppelten Heckflügeln sowie einer Lage Sprengraketen unter jeder Tragfläche. Dazu konzipiert, anfliegende Torpedos abzuschießen, angreifende Bomber abzufangen und feindliche Jäger zu vernichten, waren die Furien die Arbeitspferde der Imperialen Flotte. Jede Furie trug einen zusätzlichen Treibstofftank unter dem Rumpf, der es ihnen ermöglichte, längere Zeitperioden auf Patrouille zu bleiben, ohne zu ihrem Mutterschiff zurückkehren zu müssen. Die Furie konnte bis zu vier Besatzungsmitglieder aufnehmen, aber für Erkundungsunternehmen waren nur ein Pilot und ein Bordschütze erforderlich. »Engel-Staffel, bitte melden«, ertönte die Stimme des Versorgungsoffiziers von der Kharloss Vincennes. »Engel-Staffel, neun-null-eins, klar«, bestätigte Hauptmann Owen Morten, Kommandeur der Jägerstaffeln des Trägers, indem er den Sendeknopf an seinem Kontrollknüppel drückte und sich nach links und rechts zu seinen beiden Flügelmännern umsah. Er wartete darauf, dass sich Leutnant Erin Harlen, Führer der zweiten Staffel Furien meldete, während Kiell Pelaur, sein Bordschütze, die Sensor-Verbindung zur Kharloss Vincennes öffnete. »Dito. Engel-Staffel, neun-null-zwo. Wir sind klar, und das ist offiziell«, ertönte die schleppende Stimme von Erin Harlen über das Netz. »Kein Gequatsche, neun-null-zwo. Wir haben Gefechtsbereitschaft. Wissen Sie überhaupt, was das heißt, Leutnant Harlen?«, erwiderte der Versorgungsoffizier in einem Tonfall, der nahe legte, dass er diese Routine schon oft durchgegangen war. »Ja, Chef! Der Befehl wurde verstanden, Chef!«, tönte Harlen. »Harlen, halten Sie mal kurz den Rand, ja?«, sagte Pelaur über das interne Kom-Netz. »Finden wir erst mal heraus, wo wir überhaupt Patrouille fliegen sollen, bevor Sie anfangen, uns in den Wahnsinn zu treiben, ja?« »Verstanden, Leutnant. Das haben wir uns auch schon gefragt«, erwiderte Harlens Bordschütze, Caleb Martoq. Die Furien umkreisten die Kharloss Vincennes, da sie darauf
warteten, dass Navigationsdaten in ihre Angriffs-Cogitatoren übertragen wurden. Die Stimme des Versorgungsoffiziers ertönte wieder. »EngelStaffeln, Patrouillenschleife bestätigen.« Kiell Pelaur prüfte die Bildtafel vor sich, als ihr Kurs darauf erschien, und antwortete: »Bestätigt. Schleife wurde eingelesen.« »Bestätigt. Engel-Staffeln eins und zwo haben Waffenfreigabe und Kampferlaubnis. Gute Jagd.« »Darauf können Sie wetten, dass wir eine gute Jagd haben werden. Wir machen keine Gefangenen«, sagte Harlen. Er warf einen Blick durch die Kanzel auf den Rest seiner Staffel und seinen Staffelführer, die mit ihm in Warteposition waren. »Fertig, Hauptmann Morten?«, sagte er, und die Vorfreude in seiner Stimme war selbst über Kom nicht zu überhören. Morten lächelte unter seinem Helm und sagte: »Engel-Staffel, neun-nulleins übernimmt die Führung. Harlen, übernehmen Sie den unteren Quadranten und bleiben Sie nah dran.« »Verstanden, Hauptmann. Neun-null-eins hat die Führung.« Hauptmann Morten drehte seinen Steuerknüppel in die geforderte Richtung, holte tief Luft und gab Vollschub. Es fühlte sich an, als habe ihn jemand in den Hintern getreten, als die massiven Triebwerke feuerten und die Maschine vorwärtsjagten. Der mit Suspensoren ausgestattete Druckanzug dehnte sich aus, um ein Sammeln seines Blutes zu vermeiden, und wirkte den horrenden Fliehkräften entgegen, die bei derart rapider Beschleunigung auf seinen Körper wirkten. Extrem sauerstoffhaltiges Blut wurde über Rückenmarksverbindungen direkt in seinen Körper gepumpt, und die Konturhelme, die sowohl er als auch sein Bordschütze trugen, übten Druck nach außen auf die umgebende Luft aus, um zu verhindern, dass sie bewusstlos wurden. Genau darum ging es, dachte er mit einem breiten, jungenhaften Grinsen. Die langen Jahre der Ausbildung, die unglaublichen körperlichen Anforderungen und die Risiken wurden mehr als wettgemacht durch solche Momente. Am Steuerknüppel eines der heiligsten Stücke militärischer Ausrüstung, die je gebaut worden waren, durch das All zu rasen und dabei die Macht zu haben, den Feinden des Imperators den gerechten Tod zu bringen, war so nah an der Perfektion, wie man das im Leben nur sein konnte. Seine beiden Flügelmänner blieben rechts und links hinter ihm,
so dass sie die übliche V-Formation bildeten. Zufrieden legte er seinen Jäger in eine Rolle, um sich zu überzeugen, dass Harlen unter ihm in Stellung war. Morten wusste, dass Erin Harlen trotz seiner oft rücksichtslos wirkenden Art einer der besten Piloten im Geschwader war, wenn nicht sogar in der gesamten Schlachtflotte Tempestus. Aus diesem und nur aus diesem Grund ließ man ihm ein wenig mehr Freiraum, als dies an einem so streng reglementierten Ort wie einem Kampfschiff der Imperiumsflotte normalerweise üblich war. Als Harlens Staffelführer hatte er die oftmals beschwerliche Aufgabe, ihn bei der Stange zu halten und ihm nicht zu gestatten, seine ohnehin schon großzügiger gezogenen Grenzen der Disziplin zu überschreiten. Natürlich war Harlens Staffel Furien genau da, wo sie auch sein sollte, etwas unter und hinter ihm und leicht nach steuerbord versetzt. Er vollendete die Rolle und setzte den Flug wie geplant fort. Dieses Unternehmen sollte weniger als eine Stunde dauern, und bis dahin war wenig zu tun außer sich zurückzulehnen und ein Auge auf die Anzeigen zu werfen, um ganz sicherzugehen, dass sie sich innerhalb der Toleranzen der Maschine bewegten. Auch durch das Kanzeldach gab es nichts zu sehen, und ohne festen Bezugspunkt war es unmöglich, ihre Bewegung wahrzunehmen. Dreißig Minuten ihrer Patrouillenschleife waren verstrichen, als Leutnant Pelaur ihr Ziel ortete. »Ziel erfasst. Hauptmann. Empfangene Bio-Daten entsprechen tyranidischen Lebensformen. Richtung null-drei-sechs steuerbord, Abstand eintausend Kilometer«, sagte er von seiner etwas erhöhten Position in der Pilotenkanzel hinter Morten. »Empfehle Annäherungsvektor Markierung vier-sechs.« »Bestätigt, Leutnant«, sagte Morten, indem er seinen Kurs entsprechend veränderte, um im optimalen Angriffswinkel hereinzukommen, also hinter und über dem Ziel. Pelaurs Kurs hatte außerdem den Vorteil, dass sie die Sonne im Rücken haben würden, was hoffentlich dazu führte, ihre Anwesenheit noch ein paar Augenblicke länger verbergen zu können. Im Raumkampf, wo der Tod die Entfernung zwischen den Kämpfenden in Sekunden, sogar Bruchteilen von Sekunden überbrückte, hing der Unterschied zwischen Leben und Tod oft an eben diesen Bruchteilen. »Leutnant Harlen, kommen.«
»Hauptmann Morten! Mein Bordschütze hat Kontakt!« »So wie meiner, Leutnant Harlen. Annäherungsvektor Markierung vier-sechs.« »Bestätigt«, sagte Caleb Martoq. »Angriff in dreißig Sekunden«, sagte Pelaur. Sie näherten sich rasch dem Punkt der letzten Kursänderung vor Beginn des Angriffsanflugs. Von dieser Stelle an befanden sie sich im Krieg. »Bestätigt«, sagte Morten, indem er den Countdown für die Kursänderung begann und Schub wegnahm, um auf Kampfgeschwindigkeit abzubremsen. »Zwanzig Sekunden«, zählte Pelaur herunter. Die Piloten nahmen rasch Geschwindigkeit weg, so dass sie angreifen können würden, ohne an ihrem Ziel vorbeizurasen. »Leutnant Harlen. Zehn Sekunden, fertig machen«, sagte Morten, der die Finger um den Steuerknüppel spannte. »Aye, Hauptmann. In zehn.« »Umschwenken auf mein Zeichen«, sagte Pelaur, den Blick starr auf die Bildtafel vor sich gerichtet. »Schwenk!« Morten legte die Furie in eine scharfe Abwärtskurve nach rechts und folgte damit dem vorgegebenen Kurs auf seinem AngriffsCogitator. Die anderen Furien folgten ihm wie eine Schar Jagdfalken. »Was haben Sie, Leutnant?«, fragte er. Das Symbol auf Pelaurs Schirm blitzte auf und leuchtete in einem stetigen Rot. »Ich habe Feindkontakt, Hauptmann.« »Bestätigt«, sagte Martoq. »Angriffsschema Delta-vier«, befahl Morten. »Ich will eine Salve von Ihrer Staffel, Leutnant Harlen.« »Angriffsschema Delta-vier bestätigt«, sagte Harlen. »Schwenken nach steuerbord ab.« Die drei Furien in Harlens Staffel setzten sich etwas nach rechts ab und erhöhten die Geschwindigkeit, während sie sich dem Ziel näherten. »Raketen bereit«, sagte Martoq. »Feuer frei«, erwiderte Morten. Morten sah die Furien von Harlens Staffel erbeben, als sich eine Rakete von jedem ihrer Flügel löste. Seine Kanzel war plötzlich strahlend hell erleuchtet, als die Raketenantriebe zündeten und
die sechs Geschosse in die Dunkelheit rasten. »Raketen abgefeuert!«, rief Harlen. »Engel-Staffel neun-null-eins, folgen. Es geht los«, befahl Morten. Er gab wieder mehr Schub und raste den Raketen hinterher, während er seine eigenen scharf machte und Energie auf die Laserkanone gab. Falls irgendetwas vom Ziel ausgesandt wurde, um die Raketen abzufangen, würden er und seine Furien es in Empfang nehmen. Er hauchte ein schnelles Gebet an den Imperator und kontrollierte die Anzeige. Die Bildtafel zeigte das rote Symbol des Ziels mit zwei grünen Pfeilspitzen, die sich ihm rasch näherten. Seine eigene Staffel folgte den Raketen, überholte dabei Leutnant Harlens Staffel und überließ es ihm und seinen Furien, sie zu decken. Jede Überraschung war in dem Augenblick verloren gegangen, als sie die Raketen abgefeuert hatten, aber sie waren lange genug unbemerkt geblieben. »Zwei Sekunden bis zum Einschlag«, sagte sein Bord-schütze. Morten richtete den Blick nach vorn und sah in der Ferne eine Blüte aus weißem Feuer aufgehen. »Raketen sind eingeschlagen, wiederhole, Raketen sind eingeschlagen«, rief Martoq über Kom. »Wir haben ihn erwischt!« »Gut geschossen, Engel neun-null-zwo!«, sagte Morten, obwohl er wusste, dass Martoqs Einschätzung, da Ziel sei vernichtet worden, verfrüht war. Das wussten sie noch nicht mit Sicherheit. »Haben sie ihn erwischt, Kiell?«, fragte Morten. »Sieht so aus, Hauptmann. Ich bekomme keine Bio-Signale mehr. Ich glaube, das war's.« »Darauf können Sie wetten, dass wir sie erwischt haben! Wir haben sie in den Warpraum zurückgepustet! «, krähte Harlen. »Also gut, wir gehen näher ran und werfen einen Blick darauf. Geschwindigkeit verringern und folgen. Harlen, Sie geben uns Deckung.« »Kein Problem, Hauptmann«, bestätigte Harlen. »Laserkanonen scharf und schussbereit. Alles, was auch nur zuckt, lutscht bald Vakuum.« »In Ordnung, gehen wir's vorsichtig an«, warnte Morten. »Kiell, halten Sie Augen und Ohren offen. Wenn wir hier schnell verschwinden müssen, will ich es möglichst sofort wissen.« »Bestätigt«, erwiderte Pelaur, der sich sofort auf die Gefahren-
anzeigen konzentrierte. Morten steuerte direkt den Explosionsort an. Als seine Furie näher kam, sah er ein großes, röhrenförmiges Objekt mit riesigen Kratern in der Seite, das sich im Raum drehte. Er nahm eine Menge Geschwindigkeit weg und flog näher heran, um einen genaueren Blick darauf zu werfen. Das Objekt war vielleicht vierzig oder fünfzig Meter lang, die Oberfläche grünscheckig und mit wellenförmigen, schließmuskelartigen Öffnungen übersät. Ein zerfledderter, fleischiger Rüschenbesatz zog sich der Länge nach über das Objekt, und lange, tentakelartige Kabel trieben hinter ihm. Die Vorderseite ähnelte einem riesigen gezähnten Schnabel, und Seim schäumte wie Blut in einer sich langsam ausdehnenden lila Wolke aus den Wunden in der Flanke. Wenn dieses Ding früher einmal lebendig gewesen war, sah es jetzt sehr tot aus. »Bekommen Sie Bio-Signale?«, fragte er. »Nein, Hauptmann. Alle Sensoren sagen, das Ding ist tot.« »Gut«, sagte Morten. »Geben Sie...« »Aufpassen!«, schrie Leutnant Harlen plötzlich. »Drei Uhr, hoch!« Morten riss instinktiv den Steuerknüppel nach rechts und gab Vollschub. Er erhaschte einen Blick auf ein fleischiges, zahnbewehrtes, torpedoartiges Objekt, das durch eine der gewellten Öffnungen in der Seite des angeblich leblosen Organismus in den Raum geschossen war. Er rollte hart nach links und schüttelte sie ordentlich durch, während es über ihren Köpfen aufblitzte. Wie in Zeitlupe sah er den Organismus an seiner Kanzel vorbeisegeln. Er setzte seine Linksrolle fort, richtete die Maschine wieder aus und flog eine Kurve. Beim Imperator, das war knapp gewesen! Sie hätten beinahe... »Er hängt immer noch an Ihnen dran, Hauptmann!«, schrie Harlen. »Er ist direkt hinter Ihnen!« »Beim Blut des Imperators, das Ding ist hartnäckig!« Er rollte nach rechts und ließ sich durchsacken, so dass sich seine Furie in gewundener Spirale abwärtsschraubte. »Abstand hundertfünfzig Meter!«, rief Pelaur. »Zu nah! Bringen Sie uns weg!« »Was glauben Sie, was ich hier mache?«, schnauzte Morten, indem er die Maschine wieder hochriss und Vollschub gab. Wenn
das Verdammte Ding jetzt immer noch an ihm hing, war es nur eine Frage der Zeit, bis es ihn erwischte. »Abstand hundert Meter und abnehmend!« Es war zu nah, um von seinen Flügelmännern aufs Korn genommen zu werden, und Morten konnte nur hoffen, dass dieses Ding, was immer es war, auftreffen musste, um zu explodieren, falls es denn explodierte. »Hauptmann!«, rief Harlen. »Schwenken Sie nach steuerbord, Markierung neun-drei. Jetzt!« Ohne zu überlegen, gehorchte Morten, schwenkte nach rechts und raste mit Vollschub abwärts. Er sah gerade noch Harlens Furie mit feuernder Laserkanone an seiner Kanzel vorbeirasen. Er konnte zwar nichts hören, spürte aber die enorme Druckwelle der explosiven Todeszuckungen der Tyranidenwaffe, als sie von den Laserstrahlen erfasst und zerfetzt wurde. Doch sie war zu nah gewesen, um ihrem Vernichtungspotenzial völlig zu entgehen. Das Heck der Furie ruckte trunken zur Seite, als der Jäger von vielen Hundert Chitinfragmenten getroffen wurde. Morten kämpfte um die Herrschaft über seinen bebenden, kreiselnden Jäger. Sein Helm schlug seitlich gegen die Kanzel, und sein Blickfeld verschwamm, während vor ihm auf der Instrumententafel überall Warnlichter aufleuchteten. Sein Anzug dehnte sich aus, und trotz des Druckhelms spürte er, dass er kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren. Wenn das geschah, war alles vorbei. Die Zentrifugalkräfte würden seine Maschine auseinanderreißen, und ihre Leichen würden im Raum gefrieren. Funken und Rauch verdeckten ihm die Sicht, und er konnte den Steuerknüppel nicht richtig sehen. Morten bemühte sich, ihn trotz der steigenden Fliehkräfte in der Kanzel zu erreichen. Er konnte das Kreischen reißenden Metalls hören und wusste, dass sich seine Furie langsam in ihre Bestandteile auflöste. Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung warf er sich vorwärts, packte den Steuerknüppel und nahm den Schub weg. Praktisch sofort hörte das heftige Beben seiner angeschlagenen Maschine auf und wich dem leisen Knistern von verbogenem Metall, Pelaurs raschem Atmen und dem protestierenden Jaulen der herunterfahrenden Triebwerke. Die Furie trieb eine Weile mit Seitwärts-Spin antriebslos im Raum, bevor Morten neuen Druck in der Kanzel aufbaute, Rauch
und Dämpfe absaugte und vorsichtig wieder Schub auf die Triebwerke gab. »Alles in Ordnung da hinten?«, fragte er, während er den Hals reckte, um zu sehen, wie es seinem Bordschützen ging. »Es ist mir schon besser gegangen, Hauptmann. Aber ich bin noch da. Gute Arbeit«, keuchte Pelaur, dem es offensichtlich an die Nieren gegangen war, wie knapp sie dem Tod entgangen waren. »Ja, wirklich gute Arbeit. Ich hätte wissen müssen, dass aktive Biowaffen auf uns warten könnten.« »Wir leben noch«, stellte Pelaur fest. »Ja, dafür sollten wir wohl dankbar sein«, sagte Morten, indem er das Zeichen des Adlers beschrieb und seinen Handschuh auf den kleinen Schrein neben sich presste. Er konnte Harlens Staffel auf Parallelkurs sehen. Den an seiner Kanzel vorbeitreibenden Fleischklumpen konnte er entnehmen, dass Harlen nicht nur die Biowaffe zerstört, sondern seine Staffel auch das ursprüngliche Ziel in seine Einzelteile zerlegt hatte. Er schaltete sein Kom ein und sagte: »Neun-null-zwo, wir haben's überlebt. Wir sind etwas durchgeschüttelt, aber sonst geht's uns gut. Danke, übrigens. Das war gut geschossen.« »Nicht der Rede wert, Hauptmann«, sagte Harlen leichthin. »Jetzt halten Sie still. Ich mache eine Bestandsaufnahme Ihrer Schäden.« »In Ordnung. Halte still«, erwiderte Morten, was leichter gesagt als getan war, da sich die Furie gegen alle seine Versuche wehrte, in gerader Linie zu fliegen. Harlens Maschine schob sich unter und dann um den angeschlagenen Jäger herum und endete neben Mortens Backbordtragfläche. »Wie schlimm ist es?«, fragte er und fürchtete sich beinahe vor der Antwort. »Nicht gut, das steht fest. Sie haben reichlich Treffer im Triebswerksbereich abbekommen, also wird sie schwer zu lenken sein. Und es sieht so aus, als würden Sie Treibstoff verlieren. Nicht viel, aber wir bringen Sie besser nach Hause zur Vincennes, bevor Ihnen der Sprit ausgeht.« Morten ging plötzlich auf, wie nah sie dem Tod gewesen waren. Wenn auch nur ein einziger Chitinsplitter der Biowaffe den Zusatztank getroffen hätte, wären sie in einem tobenden Feuerball
eingeäschert worden. »Danke. Bringen Sie Ihre Staffel nach Hause zur Vincennes, wir kommen nach, so schnell wir können. Wenn wir Hilfe brauchen, geben wir Ihnen Bescheid«, sagte Morten. »Und unterrichten Sie die Taktik-Offiziere über diese Dinger. Ich habe das Gefühl, wir werden noch mehr davon zu sehen bekommen.« »Ja, Hauptmann. Sind Sie sicher, dass Sie zurechtkommen?« »Wir werden uns verspäten, aber wir schaffen es. Und jetzt verschwinden Sie von hier, bevor ich Sie herumkommandieren muss.« »Jawohl, Herr Hauptmann«, bestätigte Harlen, während seine drei Furien auf Kampfgeschwindigkeit beschleunigten und kurz darauf in der Dunkelheit verschwunden waren. »Sind Sie bereit, nach Hause zu fliegen, Kiell?«, fragte Hauptmann Morten. »Mehr denn je.« Hauptmann Owen Morten brachte die waidwunde Furie vorsichtig auf Heimatkurs und erhöhte ganz allmählich den Schub, um gleich darauf das Gesicht zu verziehen, als sich die Vibrationen des verbogenen Rumpfs verstärkten. Ihnen stand ein langer Heimflug bevor.
VIER Der unbekannte Künstler hatte die gesamte Kammer als Leinwand benutzt. Ein Mosaik von enormen Ausmaßen bedeckte Wände, Decke und sogar Fußboden. Die Ausführung der Arbeit war exquisit: Keiner der Buntglassplitter, aus denen das Mosaik bestand, war größer als ein Daumennagel. Größer als die Kapelle der Helden auf Macragge, war das Ausmaß der Arbeit atemberaubend. Die Kammer war über zweihundert Meter lang, und die gewölbte Decke befand sich mehr als dreißig Meter über ihnen. Uriel und die Ultramarines wanderten verzückt am Rand des langen Raums entlang, sprachlos vor Staunen ob dieses wunderbaren Anblicks, und alle enttäuschten Erwartungen in Tarsis Ultra waren von dem spektakulären Mosaik hinweggefegt worden. Pastorale Bilder eines zerklüfteten Landes von urzeitlicher Schönheit erstreckten sich vor ihnen, die Farben wunderbar hell und lebendig. Der Künstler hatte die wilde Erhabenheit seines Themas per-
fekt erfasst. Glasberge thronten über Glasmeeren aus funkelndem Azur, auf leuchtend smaragd-farbenen Feldern wimmelte es von stolzen Tieren. Uriel streckte eine Hand aus und berührte die Wand, wobei er fast erwartete, in das Mosaik zu greifen und zu spüren, wie die Meeresbrise über die schäumenden Wellen wehte, die sich an blendend weißen Klippen brachen. Auf den Bergen erkannte er eine majestätische Marmorfestung mit Säulen und goldenen Kuppeln, bei deren Anblick ihn eine schmerzliche Sehnsucht erfasste. Die Festung Hera, in solch liebevollem Detail dargestellt, dass er das Salz von Macragges Meeren beinahe schmecken und den süßen Saft seiner Hochlandfichten riechen konnte. Er sah, dass das Mosaik auf Pasanius und Learchus dieselbe Wirkung hatte, denn ihre Gesichter strahlten vor Freude. Uriel reckte den Hals und sah ein Heer gläserner Krieger auf der Jagd, zu Pferd und mit blauen Chiton angetan, jenem lockeren, knielangen Wollkleid, das die Männer und Frauen auf Macragge in uralten Zeiten getragen hatten. Die Jagd wurde angeführt von einem Riesen von Mann mit goldenen Locken und Alabasterhaut, dessen Miene Liebe und Stärke widerspiegelte und der einen langen Speer und einen ovalen Schild trug. Uriel erstarrte vor diesem Bild, von Gefühlen überwältigt, denn er erkannte Roboute Guillaume. Oft hatte er im Tempel der Besserung auf Macragge, wo Guillaumes lebloser Körper in einem Stasengrab ruhte, auf das blasse, tote Gesicht seines Primarchen gestarrt, aber ihn so dargestellt zu sehen, mit so viel Leben und Lebhaftigkeit, erfüllte Uriel mit einem schrecklichen Kummer über seinen Tod. Bis zu diesem Augenblick hatte Uriel nie viel auf die Geschichten gegeben, in denen es hieß, die Wunden des Primarchen würden langsam heilen und eines Tages werde er aus seinem Todesschlummer erwachen, aber bei diesem Anblick konnte er verstehen, warum die Leute glauben mussten, dass solch ein mächtiger Krieger aus der Leere zurückkehren konnte. Etwas weiter entfernt waren Schlachtszenen dargestellt, Bilder des Kriegs aus einem längst vergangenen Zeitalter, als die Helden so groß wie Berge waren und solche mit ihrer Kraft zum Einsturz bringen konnten. Hier bekämpfte Roboute Guillaume die Armeen des Bösen, wunderbar und edel. Hinter ihm und von ihm unbemerkt glitt ein Kämpe des Bösen aus dem Schatten und machte
Anstalten, ihm einen heimtückischen Todesstoß zu versetzen. Als Uriels Blick dem Fresko weiterfolgte, sah er, wie ein Krieger Guillaume das Leben rettete, meisterhaft dargestellt in Splittern aus Glas und Saphiren, da er dem Feind das Bajonett auf seinem Gewehr tief in den Bauch rammte. Rubine und Granate spritzten funkelnd aus der Wunde. Ein anderer Teil dieses Abschnitts der Decke zeigte Roboute Guillaume auf einem gebeugten Knie, während er dem Kriegervolk von Tarsis Ultra seinen Bruderschaftseid leistete. Solch eine Darstellung der Demut bei einem so mächtigen Krieger wie ihrem Primarchen zu sehen, erinnerte Uriel nachdrücklich an alles, um dessen Schutz die Ultramarines kämpften. Überall in der Kammer gab es neue Wunder und frische Visionen von unglaublicher Schönheit zu bestaunen, doch Uriel zwang sich, den Blick von dem fantastischen Mosaik loszureißen. Pasanius und Learchus standen an seiner Seite, gleichermaßen überwältigt von diesem genialen Werk. »Es ist...«, begann Learchus, der nach den richtigen Worten suchte, um dem Meisterwerk gerecht zu werden. Uriel nickte. »Ich weiß. Ich habe vom Tarsis-Fresko gelesen, aber ich hätte nie gedacht, dass es so großartig ist.« Schritte hallten durch die Kammer, und der Bann war gebrochen. Das Mosaik war nur noch eine Wand, und die Bilder darin waren nicht mehr als Glassplitter. Uriel drehte sich um und sah Fabrikator Montante, jetzt in praktischeren schlichten grauen Gewändern, der den Kriegsrat in den Raum führte. Die kommandierenden Regimentsoffiziere, jeder in Begleitung von Schreibern, Lakaien und Adjutanten, die hinter ihnen einen Respektsabstand wahrten, folgten Montante in die Mitte der Kammer. Dieser Teil des Raums war in den Boden eingelassen. Eine Reihe von Marmorbänken und ein langer, niedriger Tisch waren vorbereitet worden. Auf dem Tisch standen Tonkrüge mit Glühwein und Holzschalen mit frischem Obst. Uriel betrat diese Senke, nahm Platz und betrachtete die anderen Kommandeure, als sie eintrafen. Montante war dünn und schien auf eine jämmerliche Weise darauf bedacht zu sein zu gefallen. Seine Züge waren zierlich und asketisch, wenngleich eindringlich. Er sah nicht wie ein Krieger aus, und Uriel fragte sich, wie er hier auf seinen Autoritätsposten gelangt war. Wie war die Herrschaftsform hier auf Tarsis Ultra?
Wurde sie vererbt, war sie demokratisch oder folgte sie noch den leistungsorientierten Idealen des Primarchen? War Montante fähig, sein Volk in Zeiten des Krieges zu führen, oder musste er ersetzt werden? Stand ihm diese Entscheidung überhaupt zu? Montante beschäftigte sich damit, jedem Wein einzuschenken, und Uriel schüttelte höflich den Kopf, als ihm ein Pokal angeboten wurde. Stagler sah wie ein Krieger aus. Uriel hatte Geschichten über das Krieg-Todeskorps gehört und dass ihre Obersten für ihre Regimenter grundsätzlich um Einsätze in den gefährlichsten Gefechtszonen und gegen die tödlichsten Feinde baten. Wenn Stagler in diese Kategorie fiel, hatte er für seine Soldaten ein erstklassiges Kommando errungen. Er saß so gerade da, als habe er einen Ladestock verschluckt, und schien äußerst verärgert über Montante zu sein. Er lehnte den Wein ebenfalls ab. Rabelaq sah aus wie ein Mann, für den das Soldatentum eine Lebensart war, obwohl sein beachtlicher Bauch Uriel verriet, dass die Härten des Schlachtfelds für den Obersten des LogresRegiments nur eine entfernte Erinnerung waren. Er akzeptierte mit Freuden einen Pokal von dem süßen Wein und nippte anerkennend. Ordenspriester Astador akzeptierte ebenfalls einen Pokal und hob ihn zu einem Trinkspruch. »Möge diese Bruderschaft in der Sache vereint sein«, sagte er. »Hört, hört«, stimmte Rabelaq zu, leerte seinen Pokal und schenkte sich noch einen ein, doch Astador war noch nicht fertig. »Und sollte einer von Ihnen fallen, werde ich dafür sorgen, dass Ihre Schädel einen Ehrenplatz in unserer Galerie der Knochen erhalten.« Ein unbehagliches Schweigen trat ein, bis Montante sagte: »Vielen Dank, Ordenspriester Astador. Das ist äußerst befriedigend zu wissen.« Uriel wechselte einen Blick mit seinen Sergeanten, während die letzten Mitglieder der Begleitung die Kammer betraten. Lord Inquisitor Kryptman humpelte zu der Versammlung, gefolgt von einem weiß berobten Akoluthen, der ein Zahnrad-Medaillon aus Bronze um den Hals trug. Seine haarlosen Züge waren organisch bis auf eine bionische Vorrichtung, die das rechte Auge bedeckte, was für ein Mitglied der Adeptus Mechanicus ungewöhnlich war. Eine Reihe von Linsen verschiedener Größe waren seitlich an sei-
nem Schädel angebracht, die alle nach vorn gleiten und sich vor das leuchtend rote bionische Auge schieben konnten. Kryptman ging unter einigen Schwierigkeiten nach unten zu den Bänken, und als sein Begleiter von den Adeptus Mechanicus ihm folgte, sah Uriel erschrocken, dass er sich auf metallischen Beinen wie die Schenkel von Zirkeln bewegte, die unten aus seinem Gewand ragten. Als der Akoluth die Treppe hinunterging, um seinen Platz hinter Kryptman einzunehmen, teilte sich sein Gewand, und anstatt auf Beine und Rumpf erhaschte Uriel einen flüchtigen Blick auf ein dickes Messingrohr, das seine Brust mit den künstlichen Beinen verband. Der Lord Inquisitor ließ sich auf eine Bank nieder und schüttelte gereizt den Kopf, als Montante ihm etwas Wein anbot. Der Blick seiner grünen Augen wanderte über die Versammlung, und er grunzte etwas vor sich hin, obwohl Uriel nicht sagen konnte, ob es Ausdruck von Zufriedenheit oder Resignation war. »Dies ist ein großes Abenteuer«, sagte Montante, nachdem er endlich Platz genommen hatte. »Die meiste Zeit beschäftige ich mich mit Büchern, Konten und allen möglichen langweiligen logistischen Arbeiten für die Fabriken. Ich glaube nicht, dass ich jemals eine derart angesehene Gesellschaft im Palast bewirtet habe.« Kryptman bedachte Montante mit einem vernichtenden Blick. »Fabrikator-Marschall, das hier ist kein Abenteuer. Es ist eine Angelegenheit von absoluter Dringlichkeit und beängstigendster Natur. Ein Ausläufer der Schwarmflotte Leviathan nähert sich Ihrer Welt, und Sie glauben, es wird ein Abenteuer?« »Nun, nein, kein Abenteuer im traditionellen Sinn, wenn Sie verstehen«, sagte Montante eiligst, »aber es ist doch aufregend, oder nicht? Ich meine, schließlich tragen wir nicht jeden Tag einen Krieg aus, und ich freue mich jedenfalls sehr darauf, diesen Bestien eine blutige Nase zu verpassen.« »Dann sind Sie ein Dummkopf, mein Herr, und wären wohl beraten, die Verteidigung Ihrer Welt jenen zu überlassen, denen die extremen Gefahren einer Schwarmflotte der Tyraniden sehr wohl bewusst sind.« »Ich muss mich gegen Ihren Ton verwahren, Lord Inquisitor«, protestierte Montante. »Schließlich bin ich Gouverneur dieses Planeten.« »Einstweilen«, drohte Kryptman. »Wenn wir jetzt fortfahren
könnten? Stellen wir eines von Anfang an klar: Ich weiß aus erster Hand, was es bedeutet, gegen diese Wesen zu kämpfen, und es wird kein Abenteuer, und in ihrer Vernichtung wird kein Ruhm und nur wenig Ehre liegen. Ich habe ihre Spezies bereits vor zweihundertfünfzig Jahren zur Xenos Horrificus erklärt und sie seit diesem Tag studiert, gejagt und getötet, kenne aber trotzdem nur einen winzigen Bruchteil ihrer Xenologie.« Der Inquisitor deutete auf den Mechanicus-Adepten hinter sich. »Um gegen die Tyraniden kämpfen zu können, muss man sie zuerst kennen«, sagte er. »Dies ist Genetor Vianco Locard von den Magos Biologis, und er weiß mehr über diese Xeno-Monstrositäten als jeder andere lebende Mensch. Er wird uns eine große Hilfe sein. Magos, wenn Sie so nett wären?« Locard trat vor sie, und ein messingumrandetes Monokel surrte vor sein rotes Auge. Als er die Hände in einer akademischen Geste verschränkte, sah Uriel, dass sie aus glattem schwarzem Metall bestanden. Ohne Vorrede begann er seinen Diskurs. »Die Tyraniden sind eine bio-eugenische Rasse xenomorpher Wesen jenseits des Lichts des Imperators. Sie wurden erstmals entdeckt im 745. Jahr dieses Milleniums, und zwar von Magos Varnak auf dem Außenposten von Tyran Primus im Segmentum Ultima, gut sechzigtausend Lichtjahre vom heiligen Mars entfernt.« »Bio-eugenisch? Was bedeutet das?«, unterbrach Oberst Stagler. »Es bedeutet, dass die Tyraniden in der Lage sind, ganze Welten und Rassen zu assimilieren, indem sie sie in ihre genetischen Bestandteile zerlegen und diese dann in ihre eigene Physiologie integrieren«, erklärte Locard. Als Kryptman die Verwirrung Staglers und vieler anderer Anwesender sah, sagte er: »Vielen Dank, Magos Locard, aber vielleicht sollte ich das erklären und die Dinge hier auf einem Niveau halten, das jeder versteht.« Uriel fuhr angesichts einer so beiläufigen Beleidigung seiner Intelligenz innerlich auf, und er sah, dass auch andere finster dreinschauten, doch dem Inquisitor eilte diesbezüglich ein wenig schmeichelhafter Ruf voraus, und es gab keine Einwände, als er fortfuhr. »Die Tyraniden sind eine monströse nomadische Rasse aus Raubwesen aus einer fernen Galaxis und durcheilen die Wei-
ten des Alls in riesigen Schwarmflotten. Wie Heuschrecken verzehren sie alles auf ihrem Weg, und wenn sie einen Gegner besiegen, wird er assimiliert, so dass jede zukünftige Generation von Tyraniden besser an die Jagd auf diese Beute angepasst ist. Wenn sie angreifen, tun sie das mit Millionenheeren und fallen wie eine Pest und ebenso zerstörerisch über eine Welt her. Alles, jeder Grashalm, jede eingeborene Kreatur, wird von den wimmelnden Horden verschlungen. Millionen Jahre der Evolution werden vernichtet, und ungezählte Millennien hart erarbeiteter Entwicklung werden durch den unstillbaren Hunger der Tyraniden ausgelöscht. Die Ozeane werden ausgetrunken und der Himmel wird zersetzt und verdaut, bis nur noch nackter Fels übrig ist, dem jegliches Leben geraubt wurde.« »Aber kann man sie besiegen?«, fragte Stagler schlicht. Kryptman lachte humorlos. »O ja, Oberst Stagler, man kann sie besiegen, aber nur für einen schrecklichen Preis.« »Der Preis ist irrelevant«, sagte Stagler brüsk. »Wichtig ist nur, dass wir sie besiegen können, oder nicht?« Inquisitor Kryptman hob eine Augenbraue, bevor er den Kopf in Uriels Richtung neigte und sagte: »Oberst Stagler hat nicht ganz unrecht. Vielleicht kann Hauptmann Ventris uns den Gefallen tun und die Geschichte der Schwarmflotte Behemoth und der Schlacht um Macragge erzählen?« »Es wird mir ein Vergnügen sein, Lord Inquisitor«, sagte Uriel stolz, indem er sich erhob und die Hände auf dem Rücken verschränkte. »Die Schwarmflotte Behemoth kam von jenseits der Halosterne am Ostrand mit einer zu großen Anzahl Schiffe, um sie zählen zu können. Diese Schiffe flogen Macragge an, aber der edle Lord Calgar, der von Lord Kryptman rechtzeitig gewarnt worden war, hatte eine mächtige Flotte versammelt, um den heiligen Boden unserer Heimatwelt zu verteidigen. Eine furchtbare Schlacht tobte im Raum, bis Lord Calgar sich zurückzog und die Schwarmflotte in den Bereich der Geschütze von Macragge zog. Während die Tyraniden breit gefächert und daher verwundbar waren, kehrte er zurück und schlug zu. Seinen Schiffen gelang es, eines ihrer verfluchten Schwarmschiffe schwer zu beschädigen und damit ihre gesamte Flotte auf fatale Weise in Unordnung zu bringen.« »Das verstehe ich nicht, Hauptmann Ventris«, sagte Oberst Rabelaq. »Wie kann der Verlust eines Schiffes ihrer Flotte so großen
Schaden zufügen?« »Das beantworte ich«, warf Magos Locard ein. »Um die motivationalen Imperative der Tyraniden zu verstehen, muss man zuerst die Natur ihres Bewusstseins begreifen. Eine Schwarmflotte besteht aus Milliarden und Abermilliarden lebender Organismen, die in den Reproduktionskammern des Schwarms von der Nornenkönigin produziert werden. Im Wesentlichen ist jedes Schiff ein Lebewesen, und alle Organismen, aus denen das Schiff besteht, existieren nur, um dem Schiff zu dienen. Jedes Schiff wiederum funktioniert nur als Teil der Flotte. Ein Gestaltbewusstsein verbindet alle Kreaturen in der Flotte, von der gewaltigsten Kriegerbestie bis zu den winzigsten Bakterien der Verdauungsbottiche, was ein gigantisches Überbewusstsein schafft, das wir Schwarmverstand nennen. Dieser Schwarmverstand ist in der Lage, von einer gewaltigen Willenskraft und einer äußerst fremdartigen Intelligenz Gebrauch zu machen. Natürlich verfügen diese Kreaturen über keinerlei Individualität und existieren nur, um dem Schwarmverstand zu dienen. Wenn man die psychische Verbindung zwischen ihnen stören kann, verwirrt das die primitiveren Kreaturen, die dann meist zu ihrer primitiven, animalischen Natur zurückkehren. Das ist der Schlüssel, um die Tyraniden zu besiegen.« »Ja«, fuhr Uriel fort, »nachdem Lord Calgars Flotte das größte Schwarmschiff zerstört hatte, konnten sie weit mehr Bioschiffe abschießen, da die Angriffe der Tyraniden zunehmend unkoordiniert und wahllos wurden. Ihre Flotte wurde von Macragge vertrieben, und obwohl viele Tausend Sporen, jede mit einem Organismus der Tyraniden, über der polaren Abwehrfestung abgesetzt worden waren, verfolgte Lord Calgar den fliehenden Feind.« »Er hat seine Welt unverteidigt zurückgelassen?«, fragte Stagler missbilligend. »Nein, Oberst, weit davon entfernt«, sagte Uriel. »Die polaren Abwehrfestungen wurden von Terminatoren der Ersten Kompanie sowie tapferen Kriegern der Hilfstruppen und Titanen der Legio Praetor gehalten. Lord Calgar war zuversichtlich, dass sie sich behaupten würden, und verfolgte die Tyranidenflotte zum Ringplaneten Circe. Gemeinsam mit neu eingetroffenen Schiffen der Schlachtflotte Tempestus zerstörte er die Tyranidenflotte in einer großen Schlacht. Wir hatten die Tyraniden besiegt, aber der Preis war furchtbar. Hunderttausende starben, das Flaggschiff der Tempestus-Flotte, die Dominus Astra, ging verloren, und unsere
gesamte Erste Kompanie wurde getötet, darunter auch mein eigener Vorfahr Lucian Ventris. Sie hat bis heute ihre volle Stärke noch nicht wieder erreicht.« Uriel setzte sich wieder auf die Bank, während Kryptman weitererzählte. »Die Schwarmflotte Behemoth existierte nicht mehr, aber die Tyraniden hatten aus ihrer Niederlage gelernt, und als sie vor weniger als einer Dekade mit einer neuen Schwarmflotte zurückkehrten die wir Krake nannten -, geschah dies in sehr viel größerem Maßstab. Am Ostrand sind ganze Sektoren von den psychischen Interferenzen des Warpschattens der Tyraniden verschluckt worden, aber es kommt noch schlimmer. Ich habe ein Muster in einer scheinbar willkürlichen Reihe von Angriffen im gesamten Segmentum Tempestus, Segmentum Ultima und sogar Segmentum Solar entdeckt, das Grund zu der Annahme gibt, dass eine weitere Schwarmflotte angreift, diesmal von unterhalb der galaktischen Ebene. Ich habe sie Leviathan genannt, und es hat den Anschein, dass eine Absplitterung Leviathans diese Welt bedroht. Wir müssen die Tyraniden aufhalten, meine Herren. Hier und jetzt. Denn wenn dem Schatten im Warp gestattet wird, das göttliche Licht des Astronomikaners zu verdunkeln, dann wird die Menschheit wahrhaftig sterben. Schiffe werden nicht mehr in der Lage sein, im Warp zu navigieren, die Kommunikation in der Galaxis wird enden und das Imperium zusammenbrechen. Geben Sie sich keinen Illusionen hin: Wir kämpfen hier um die Zukunft unserer Rasse, und ich bin bereit, jedes Opfer zu bringen, um ihr Überleben zu sichern.« Die versammelten Kommandeure blieben stumm, da sie sich das Ausmaß des bevorstehenden Konflikts vor Augen führten, was auf dem Spiel stand und welche Rolle sie darin spielen würden. Sogar Montante schien jetzt den Ernst der Lage zu begreifen und kaute nervös auf der Unterlippe. »Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um dieses System auf den Angriff der Tyraniden vorzubereiten?«, fragte Astador. »Lordadmiral Tiberius arbeitet mit Admiral de Corte zusammen, um eine Strategie zu entwickeln, die es uns ermöglichen soll, die Tyranidenflotte aufzuhalten, bevor sie diese Welt erreicht«, antwortete Uriel, »aber es ist nicht zu übersehen, dass die Abwehrvorrichtungen dieser Stadt an vielen Stellen überholungsbedürftig sind und wir Zeit brauchen, um sie auf den bevorstehenden An-
griff vorzubereiten.« »Hauptmann Ventris hat recht«, nickte Kryptman. »Ich habe die Mobilisierung von Kriegern der Deathwatch erbeten, dem militärischen Arm meines Ordos, und in Kürze werden wir sie zu unseren Truppen zählen können. Aber wir müssen den Vorstoß der Tyraniden aufhalten, können die Flotte jedoch erst in Stellung bringen, bis wir genau wissen, woher der Angriff erfolgen wird. Astropathen melden Wirbel und Strömungen im Warp, die denjenigen entsprechen, die der Ankunft einer Flotte vorausgehen, aber die durch den Schatten im Warp hervorgerufenen Verzerrungen machen genauere Aussagen unmöglich. Wenn wir uns darauf verließen, könnte es damit enden, dass wir uns auf eine Geisterjagd begeben.« »Das Krieg-Regiment wird seine Infanterie und die gepanzerten Einheiten in den nächsten drei Tagen am Boden haben«, sagte Stagler. »Wir werden mit der Stärkung der Abwehranlagen der Stadt beginnen, und ich habe ein Übungsschema ersonnen, das unsere Bereitschaft garantiert, wenn diese Xenos eintreffen. Sie werden das Todeskorps nicht so schnell vergessen.« Uriel sagte: »Ich überstelle Ihnen Sergeant Learchus und einen Trupp Ultramarines, um Ihnen bei Ihrem Übungsprogramm zu helfen. Er ist der beste Ausbildungssergeant, den Agiselus je hervorgebracht hat, und ich bin sicher, er wird Ihnen eine große Hilfe sein.« »Vielen Dank, Hauptmann Ventris«, bestätigte Stagler. »Ich begrüße Ihre Hilfe.« Rabelaq meldete sich zu Wort. »Meine Soldaten werden am Ende dieses Tages in Stellung sein. Wir haben weit weniger Panzertruppen zu landen als Oberst Staglers Regiment, und bis morgen Früh werden Truppen über den ganzen Kontinent verteilt sein, um den Menschen hier Geleitschutz zurück in die Sicherheit ihrer Städte zu geben. Da die Soldaten des Logres-Regiments von einer Eiswelt stammen, bereitet ihnen das hiesige Klima keine Schwierigkeiten, und wir können Ihnen vielleicht sogar das eine oder andere über Erfrierungen und ihre Behandlung und Vorbeugung beibringen. Um ehrlich zu sein, haben unsere Pflichten bis heute darin bestanden, Krillzüchter vor plündernden tarellischen Stammeskriegern zu schützen. Es wird den Männern gut tun, einen Eindruck davon zu bekommen, was richtiges Soldatentum bedeutet.«
Fabrikator Montante sagte: »Meine Regimenter der Planetaren Streitkräfte werden gedrillt, seit wir die Warnung vor den Tyraniden erhalten haben. Als Oberbefehlshaber der Planetaren Streitkräfte habe ich in den letzten beiden Monaten verstärkte Ausbildung angeordnet und die Einheiten der Bürgerwehr aufgerufen, ebenfalls daran teilzunehmen. Die überwiegende Mehrheit von ihnen war kürzlich an Manövern beteiligt und sieht gut aus, wenn ich das so sagen darf. Wir haben außerdem begonnen, Vorräte von medizinischen Hilfsgütern, Munition, Treibstoff und Nahrungsmitteln in den Kavernen unterhalb der Stadt anzulegen.« Kryptman schaute ein wenig überrascht drein ob dieser neuen Seite an Fabrikator Montante und nickte. »Ausgezeichnet. Das war eigentlich mein nächster Punkt.« »Oh, machen Sie sich deswegen keine Sorgen, Inquisitor Kryptman. Wenn es etwas gibt, womit ich mich auskenne, dann ist es organisatorische Logistik. Ich bin vielleicht kein Soldat, aber ich kann Ihren Nachschub besser organisieren als sonst jemand und dafür sorgen, dass jeder Soldat genügend Munition hat und drei warme Mahlzeiten am Tag bekommt.« Kryptman gluckste. »Das ist der halbe Krieg.« »In der Tat«, strahlte Montante, der sich freute, etwas beisteuern zu können. Die nächsten zwei Stunden wurden mit der minutiösen Planung der bevorstehenden Kampagne verbracht. Alles, von den Flottenoperationen bis zur genauen Aufstellung von Menschen und Maschinen in der Stadt, wurde beraten und entschieden. Die Lage war ernst, aber am Ende des Kriegsrats war das vorherrschende Gefühl vorsichtiger Optimismus. Der Lord Inquisitor beschwor diesen Optimismus, als er sagte: »Tyraniden sind Kreaturen aus unseren finstersten Albträumen. Aber vergessen Sie eines nicht: Sie können bluten, und sie können sterben...« Uriel schenkte sich einen Pokal Wein ein, als sich die Tür am anderen Ende der Kammer öffnete und ein Kom-Offizier der Planetaren Streitkräfte eintrat. Er eilte zu Montante und reichte dem Fabrikator-Marschall eine Datentafel, bevor er sich wieder zurückzog. Montante überflog rasch den Inhalt der Tafel, und sein Lächeln wurde ausgeprägter, je mehr er las. Er reichte Kryptman die Tafel und sagte: »Ich glaube, wir haben sie.«
Kryptman las die Tafel, während Montante fortfuhr. »Die Sensoren auf dem Horchposten Trajen am Rande des Systems haben ein unbekanntes Signal im Barbarus-Haufen aufgeschnappt und eine Staffel Jäger von der Kharloss Vincennes hingeschickt, um nachzusehen. Anscheinend hat die Staffel einen Kundschafter der Tyraniden gestellt und vernichtet. Die Astropathen melden außerdem eine sich nähernde Störung im Immaterium. Meine Herren, ich glaube, wir wissen jetzt, woher der Feind kommen wird.« Tyren Mallick schob den Sicherungshebel seines Autogewehrs nach vorn und öffnete den Verschluss. Er nahm ein Magazin mit Kugeln aus der Tasche seiner Bomberjacke, vergewisserte sich, dass die Kugeln sauber waren, und schob es in die Munitionszuführung. Er drückte das Magazin herunter, schloss den Verschluss und zog den Sicherungshebel wieder zurück. Dann hob er das Gewehr an die Schulter und zielte über den Lauf auf die drei Steine, die er am Berghang aufgestellt hatte. Er atmete tief ein, ließ den Atem langsam entweichen und drückte ab. Der Schuss fegte einen Stein von seinem Platz. Er senkte das Gewehr und sah zu, wie sein Sohn Kyle seine Bewegungen ganz genau kopierte. Der Knall seines Schusses hallte von den dunklen Bergen wider, und der nächste Stein fiel von seinem Platz. Er sah, wie mehrere Leute in der tiefer gelegenen Ortschaft bei dem Geräusch zusammenfuhren, bevor sie sich wieder daran machten, die Barrikaden am Eingang der Ortschaft zu errichten. »In Ordnung, mein Sohn, gute Arbeit«, sagte er. »Und jetzt mach es noch mal. Wenn diese fremden Bestien kommen, musst du in der Lage sein, ganz schnell zu schießen. Wenn du das Gewehr mit geschlossenen Augen laden kannst, gehen wir essen.« Kyle strahlte über das Lob seines Vaters, entlud das Gewehr und fing noch einmal an. Tyren beobachtete seinen Sohn dabei, wie er die Waffe rasch neu lud und die Handgriffe wiederholte, die sie in den letzten beiden Tagen geübt hatten. Kyle war zwar erst elf Jahre alt, aber ein Naturtalent und konnte die Waffe in weniger als sechs Sekunden laden und schussbereit machen. Der letzte Stein verschwand in einer Rauchwolke, als Kyle ihn genau in der Mitte traf. Vater und Sohn übten noch eine halbe Stunde, bevor es heftig zu regnen anfing und sie rasch den mit Pfützen übersäten Weg zu
der kleinen Bergbaugemeinde namens Hadleys Hoffnung entlangeilten. Sie kletterten über die schlüpfrigen Erzfässer, die vor der Hauptstraße durch die Stadt aufgestellt waren, und gingen dann weiter nach Hause, wobei sie unter den breiten Regenrinnen der Häuser Schutz suchten, welche die Straße säumten. Tyren sah, dass das andere Ende der Straße ebenfalls verbarrikadiert war. Mit Stacheldraht umwickelte Sägeböcke stapelten sich neben mit Sand und Steinen gefüllten Erztonnen. Es war nicht viel, aber alles, was sie tun konnten. Neben der Schule, dem größten Gebäude der Gemeinde, stand Tyren Mallicks Heim, ein robust konstruiertes Haus aus Lehmziegeln, das er mit eigenen Händen errichtet hatte. Er hatte fünfundzwanzig schöne Jahre in diesem Haus verbracht, drei Kinder aufgezogen und schwer in den Bergwerken geschuftet, die Barbarus Primus wert machten, bewohnt zu werden. Er war ein so treuer Diener des Imperiums, wie man es sich nur wünschen konnte, und hörte sich jede Woche in Pelotas Pfarrer Cascus Predigt an. Außerdem verbrachte er jedes Jahr einen Monat damit, all jenen zu helfen, die nicht so viel Glück gehabt hatten wie er. Fünfundzwanzig gute Jahre, und er wollte verdammt sein, wenn er sich von einem gesichtslosen Adepten auf Tarsis Ultra vorschreiben ließ, sein Heim zu verlassen, weil irgendwelche nichtmenschlichen Piraten im Anflug waren. Die Bewohner von Hadleys Hoffnung hatten sich auch schon früher in Notzeiten zusammengeschlossen, und diesmal würde es nicht anders sein. Der Eingang zum Bergwerk war bereits versiegelt, die Stadt verbarrikadiert und die Bevölkerung bereit, ihre Herde und Heime zu verteidigen. Schwere graue Wolken sammelten sich am Himmel, und weiter die ins Tal führende Straße entlang sah Tyren die starken Turmlichter mehrerer anderer Gemeinden aufflackern, da die Nacht nahte. Sogar von hier aus konnte er erkennen, dass auch die anderen Gemeinden Vorbereitungen zur Abwehr ganz ähnlich denjenigen von Hadleys Hoffnung getroffen hatten. Das allgemeine Gefühl der Solidarität im Angesicht der Not gab Anlass zur Demut, und Tyren dankte wieder dem Imperator, dass er mit so guten Freunden und Nachbarn gesegnet war. Er und Kyle erreichten die massive Holztür zum Haus und zogen ihre schlammverschmierten Stiefel aus, bevor sie eintraten. Merria hielt das Haus sauber, und beide waren nicht so dumm, vor
dem Mittagessen Schmutz ins Haus zu tragen. Die Wärme und der Geruch nach einer anständigen, daheim gekochten Mahlzeit hüllten ihn ein, als er Kyle hineinführte. Seine Frau und die beiden Töchter beschäftigten sich mit dampfenden Schüsseln und Tellern und deckten den Tisch für das Mittagessen, während er die Gewehre neben die Tür hängte, wobei er sich zunächst vergewisserte, dass beide entladen waren. »Habt ihr da draußen Spaß gehabt?«, fragte Merria, ohne sich von ihrem heißen Herd abzuwenden. »Auf jeden Fall«, sagte Tyren, während er seinem Sohn die Haare zerzauste. »Kyle ist ein Naturtalent. Er hat nicht einmal danebengeschossen, nicht wahr, mein Sohn?« »Nein, nicht einmal«, bestätigte Kyle. Seine Mutter runzelte die Stirn, als sie sich umdrehte und sah, wie durchnässt ihr Sohn und ihr Mann waren. Sie trocknete sich die Hände an der Schürze ab und scheuchte sie in Richtung Schlafzimmer. »Ihr zieht jetzt beide eure nassen Sachen aus, bevor ihr euch den Tod holt. Ich dulde nicht, dass ihr mir hier den Boden nass tropft. Nun macht schon, beeilt euch. In fünf Minuten steht das Essen auf dem Tisch.« Vater und Sohn wussten beide, dass zu streiten sinnlos war und drängten ihren Hunger zurück, während sie sich abtrockneten und frische Kleidung anzogen. Sie kamen zum Tisch zurück, als Merria gerade das Essen au den Tisch stellte. Tyren nahm seinen üblichen Platz am Kopfende des Tisches ein. Als jeder einen vollen Teller vor sich hatte, faltet Tyren die Hände, schloss die Augen und neigte den Kopf, als er ein Dankesgebet an den Imperator sprach. »Heiliger Vater, der über und alle wacht, wir danken dir für dieses Mahl vor uns. Gib uns die Weisheit deiner Diener und die Kraft, uns gegen das Böse der Sünder und Nichtmenschen zu behaupten. Darum bitten wir in deinem Namen.« Seine Familie schloss mit einem gemeinschaftlichen Amen, und dann machten sich alle über das Essen her. Zischende Gaslaternen hingen an den Dachbalken und spendeten warmes Licht, als die Familie aß, während das grelle Licht der Bogenlampen draußen von den Blechen abgehalten wurde, mit denen Tyren die Fenster vernagelt hatte. Er lächelte seine Frau an und nahm einen Happen von seinem Essen.
Sollten diese Piraten ruhig kommen, wer sie auch waren. Sie würden feststellen, dass Tyren Mallick und die Leute von Hadleys Hoffnung auf sie vorbereitet waren. Schweiß sammelte sich auf der Stirn des Dritten Technikers Osric Neru, und er wünschte, die Astropathin würde endlich den Mund halten und ihnen allen etwas Ruhe gönnen. Ihr Ächzen war zuerst ziemlich beunruhigend gewesen, aber jetzt war es nur noch lästig und erfüllte Horchposten Trajens beengte Zentrale mit ihrem nicht enden wollenden Gejammer. Osrics Finger klopften einen nervösen Takt auf der Konsole vor sich, da er frustriert auf die Anzeige starrte. Die Werte konnten nicht stimmen, das konnten sie einfach nicht. Er rieb sich das unrasierte Kinn und prüfte die Zahlen noch einmal, obwohl er wusste, dass es sinnlos war. Die Zahlen huschten wieder über den Bildschirm, dieselben wie zuvor. Er wischte sich den Schweiß von seinem tonsurierten Schädel und brachte die Pergament-Liste neben sich auf den neusten Stand, wie ihm seine Vorgesetzten auf Tarsis Ultra befohlen hatten. Osric fühlte sich sehr allein und verängstigt und wünschte sich nichts mehr, als wieder auf Chordelis zu sein und in einem der vielen Hochöfen dieser Welt Dienst zu tun. Wenn diese Zahlen stimmten, näherte sich eine Feindflotte von unerhörter Größe diesem System. Schiffe der Imperiumsflotte waren von Tarsis Ultra unterwegs, aber Osric wusste, dass sie Trajen nicht vor dieser neuen Flotte auf seiner Konsole erreichen würden, und der Gedanke entsetzte ihn. Sein Blick traf sich mit dem des Adepten an der nächsten Konsole, und er versuchte beruhigend zu lächeln, konnte ihn aber nicht überzeugen. Er warf einen Blick über die Schulter auf den ranghöchsten Magos, und trotz der vielen augmetischen Veränderungen bei seinem Vorgesetzten konnte Osric doch erkennen, dass er ebenfalls extrem besorgt über das war, was sich da näherte. Wiederholte, an Admiral des Corte gerichtete Bitten um Erlaubnis, ihren Horchposten verlassen zu können, waren abschlägig beschieden worden, und sie konnten nur warten und hoffen, dass die nahende Flotte sie passieren würde. Die Astropathin lag auf einer Ruheliege neben dem Magos, die Zähne zusammengebissen, die Haut angespannt und blass. Sie
zuckte und murmelte, und ihr Gesicht bewegte sich unter nervösen Zuckungen und Flatteranfällen. Ihr Ächzen hallte durch den Kontrollraum und entnervte den sechs Personen zählenden Stab des Horchpostens noch mehr. Plötzlich schoss sie kerzengerade in die Höhe und schrie aus vollem Hals. Alle schraken zusammen, als die junge Frau von der Liege sprang, an ihren grünen Gewändern riss und sich mit den Fingernägeln das Gesicht zerkratzte. Sie fiel jämmerlich kreischend auf die Knie, während sich ihre Fingernägel immer tiefer in ihre Haut gruben. Blut lief ihr über das Gesicht, als sie sich die Nähte über ihren leeren Augenhöhlen aufriss und die Finger hineinbohrte, als wolle sie sich das Hirn aus dem Schädel pflücken. »Sie kommen!«, heulte sie. »Sie zerkratzen mir den Verstand, kratzen, schreien, brüllen so viele Stimmen. Sie wollen uns holen mit Haut und Haaren, Leib und Seele!« Osric hielt sich die Ohren zu, um ihr Geschrei nicht mit anhören zu müssen, da sie sich schwankend erhob, mit blutigen Fingern nach ihm griff und ihn anflehte, ihren Qualen ein Ende zu bereiten. Aber er konnte nichts für sie tun. Schließlich kippte sie nach vorn und fiel zu Boden. Blut sammelte sich in einer Lache um ihren Kopf, und ihre Schreie verstummten. Uriel gesellte sich zu Lordadmiral Tiberius und Philotas, dessen Deckoffizier, als diese die Systemkarte begutachteten, die auf dem steinumrahmten Planungstisch im Querschiff auf der Kommandobrücke der Vae Victus dargestellt wurde. Eine verblüffende Menge von Informationen war auf der eingebetteten Tafel sichtbar, die eine topographische Darstellung des Systems Tarsis Ultra zeigte. Gewundene Linien von Patrouillenschleifen der Verteidigungsschiffe, Planetenumlaufbahnen und lokale himmlische Phänomene waren ebenso eingezeichnet wie die größeren Schifffahrtsrouten. Sprungpunkte am Systemrand waren gelb markiert, und jeder Planet erstrahlte in einem weichen grünen Licht. Zahlen huschten über eine Seite der Tafel, obwohl Uriel keine Ahnung hatte, was sie darstellten. »Zeigen Sie es mir«, befahl Tiberius. Philotas stellte etwas an den Runen auf dem Planungstisch ein,
und die Hintergrundinformationen verschwanden von der Anzeige, so dass nur noch die planetaren Einzelheiten erleuchtet waren. »Am äußersten Rand des Systems Tarsis Ultra liegt Barbarus Primus«, sagte Philotas, als gewundene hoch-gothische Schrift in einem golden umrandeten Kasten neben dem Planeten aufleuchtete. »Eine Förderwelt«, stellte Uriel fest. »Kostbare Metalle und Edelsteinminen in der Hauptsache, obwohl es auch ein paar wertvolle Mineralien gibt, die für die Produktion der Metalle für Raumschiffshüllen benötigt werden.« »Bevölkerung?«, fragte Tiberius. Philotas warf einen Blick auf den Informationskasten und sagte: »Ziemlich wenig. Nach der letzten Zählung sind es etwas mehr als neuntausend Seelen, von denen die meisten im Hochland der Gebirge des Ostkontinents leben.« »Was wird unternommen, um die Leute von dort zu evakuieren?«, fragte der Lordadmiral. »Der dortige Adept hat eine Warnung erhalten, und von Chordelis ist ein Frachter dorthin unterwegs, obwohl es fraglich ist, ob er Barbarus Primus noch vor den ersten Organismen der Tyraniden erreichen kann.« »Verdammt«, fluchte Tiberius. »Je mehr Welten den Tyraniden zum Opfer fallen, desto stärker und zahlreicher werden sie.« »Danach folgen zwei unbewohnte Planeten. Der erste, Parosa, hat eine Atmosphäre, die im Wesentlichen aus einer BenzolWasserstoff-Mischung besteht. Hochgradig toxisch, und obschon die Adeptus Mechanicus mehrfach versucht haben, die Atmosphäre umzuwandeln, waren ihre Versuche bisher nicht von Erfolg gekrönt. Der zweite wird Yulan genannt. Er ist ein geologisch instabiler Gesteinsbrocken, der von vulkanischen Stürmen heimgesucht wird, obwohl es auf ihm mehrere riesige Wasserstoffplasma-Abbaustationen in permanenter geo-stationärer Umlaufbahn gibt.« Philotas zoomte näher heran, da sie sich den inneren Welten näherten. »Dann kommt Chordelis, eine kleine, aber bevölkerungsreiche Welt industrieller Manufakturen. Um die sechzehn Millionen Bewohner mit fünfzigtausend Mann Planetaren Streitkräften. Die Evakuierungsprotokolle sind in Kraft, obwohl ich dazu raten wür-
de, einen weiten Bogen um Chordelis zu machen. Es herrscht reger Schiffsverkehr, und es hat bereits mehrere Unfälle gegeben. Nach Chordelis haben wir zwei Agrarwelten, Calumet und Calydon, beide mit einer Bevölkerung, deren Hauptaufgabe die Verwaltung ist. Diese Welten werden gerade evakuiert. Und schließlich haben wir Tarsis Ultra selbst mit einer Bevölkerung von über sechzig Millionen.« »Wie lange noch, bis wir in der Lage sind, die Schwarm-flotte abzufangen?«, fragte Uriel. Philotas verstellte erneut die Runen an der Seite des Planungstisches, und eine Reihe von Linien schlängelte sich über die Oberfläche der Tafel. Sie begannen bei der Symbolgruppe, welche die Vae Victus und die Schiffe der Imperiumsflotte darstellte, und führten durch das System zu Barbarus Primus. Mehr Zahlen huschten über die Tafel. Philotas benutzte ein stählernes Lineal und einen Zirkel, um Zeit und Entfernung auf der Systemkarte abzumessen. »Bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit wird es sieben Tage dauern, bis wir die Umlaufbahn von Barbarus Primus erreichen«, sagte Philotas. »Die Tyraniden werden vor uns dort sein.« Osric Neru beobachtete die sich nähernde Wolke von Objekten in der Aussichtsbucht mit echtem Grauen, während er Schutzgebete murmelte, die ihm seit der Kindheit nicht mehr über die Lippen gekommen waren. Er hielt sich an seiner Konsole fest, als die Wolke der Fremdwesen sie einhüllte und ein weiterer explosiver Einschlag den Horchposten erbeben ließ. In den letzten zwanzig Minuten waren sporenartige Objekte aus der vorrückenden Flotte scheinbar ziellos durch den Raum getrieben, bis sie sich dem Horchposten genähert hatten, woraufhin sie rhythmisch zu pulsieren anfingen und zielstrebig auf ihre Position zuhielten. Einige explodierten wie Minen, andere platzten wie nasse Säcke voll Flüssigkeit und verspritzten zersetzende Säuren über die Station. Es gab bereits überall Lecks in der Station, wo sich Säuren und Viren durch die Hülle gefressen hatten. Die nahende Flotte war ganz einfach zu groß, um sie verstandesmäßig erfassen zu können. Tausende im Raum treibende Gegenstände umgaben die fremden Raumschiffe, tote Klumpen, die die jämmerlich unzureichenden Geschütztürme der Station gesprengt hatten, bevor ihnen die Munition ausgegangen war.
Osric warf einen Blick auf die Feuerprotokolle der verschiedenen Geschütztürme, um zu überschlagen, wie viele Schüsse abgegeben worden waren. Über zwanzigtausend Granaten waren in die sich nähernde Wolke abgefeuert worden, obwohl die von ihnen angerichteten Verluste verglichen mit einer Streitmacht von solchem Ausmaß unbedeutend waren. Sie waren jetzt praktisch wehrlos. Osric fiel auf die Knie und betete, da sich noch mehr von den Sporen der Tyraniden näherten. »Neru!«, blaffte der oberste Magos. »Zurück auf Ihren Posten.« Osric erhob sich, während die Station unter weiteren Einschlägen erbebte und eine neue Reihe von Warnlampen auf der Konsole zu blinken anfingen. »Wir werden sterben!«, rief Osric. »Was spielt es da für eine Rolle, ob ich auf meinem Posten bin?« »Es spielt eine Rolle, weil wir deswegen hier sind«, sagte der Magos mit einer Ruhe, die er nicht empfand. »Ja, wir werden sterben, aber wir werden sterben, indem wir unsere Pflicht gegenüber dem Imperator erfüllen. Kein Mensch kann mehr verlangen.« Osric nickte, neigte den Kopf und kehrte auf seinen Platz zurück, während von draußen das Ächzen sich verbiegenden Metalls in die Zentrale hallte. Wieder heulte eine Alarmsirene, die ein Leck in der Außenhülle verkündete, und die verängstigte Besatzung des Horchpostens hörte das Knirschen, als Druckschleusen langsam den betroffenen Bereich abriegelten. Dann hörten sie das Kratzen von nichtmenschlichen Krallen an der Tür zur Zentrale. Tyren Mallick verdrängte die Schmerzen in seiner aufgerissenen Schulter und lud mühsam das Gewehr nach, wobei das Zittern seiner Finger die Aufgabe zusätzlich erschwerte. Ein blutgetränkter Verband war um Schulter und Brust gewickelt, wo Fragmente der explodierenden Spore in sein Fleisch eingedrungen waren. Merria hatte die zischenden Knochensplitter aus seiner Schulter geholt, aber die Wunde wollte nicht heilen, sondern sonderte beständig infiziertes Blut ab. »Warum hat der Himmel so eine komische Farbe, Pa?«, fragte Kyle mit vor Furcht zitternder Stimme, da er durch die geschmolzenen Reste der Bleche vor den Fenstern starrte. Der normaler-
weise schiefergraue Himmel brodelte in einem widerlichen Bluterguss-Violett, und unnatürliche Blitze zuckten und tauchten die Berge in ein grelles unvertrautes Licht. Ein Hagel aus dunklen Objekten ging inmitten des brennenden Regens auf die Ebene nieder, der die Metalldächer von Hadleys Hoffnung wegätzte und die Leute gezwungen hatte, die Barrikaden zu verlassen und Zuflucht in der Schule zu suchen, dem einzigen Gebäude, das groß genug war, alle aufzunehmen. Die Männer von Hadleys Hoffnung waren mit einer Vielzahl verschiedener Waffen ausgerüstet, von alten Gewehren, bei denen man schon von Glück sagen konnte, wenn die Patrone nicht im Lauf explodierte und dem Schützen die Hand abriss, bis hin zu frisch geölten Lasergewehren, die im Dienst bei den hiesigen Planetaren Streitkräften erworben worden waren. Dreiundzwanzig weinende Kinder kauerten in der Mitte der Schule, und ihre Mütter und Lehrer taten ihr Möglichstes, um sie mit Liedern und Gebeten zu beruhigen. »Ich weiß nicht, warum, mein Sohn«, gestand Tyren, als es ihm endlich gelang, „die Patronen in sein Gewehr zu drücken. Er erhob sich vom Tisch und gesellte sich zu seinem Sohn am Fenster. Sporen wie grotesk angeschwollene und geäderte Ballons fielen seit Tagesanbruch vom Himmel, und obwohl die meisten von Aufwinden aus der Ebene ins Hochgebirge geweht worden waren, trieben viele wieder zurück nach unten, als die Nacht anbrach und die Luft abkühlte. Zuerst hatten die Einwohner von Hadleys Hoffnung sie mit ängstlicher Neugier beobachtet, bis eine pulsierende Spore mit einem Ring aus trompetenartigen Kegeln und nachgezogenen Wedeln in die Siedlung getrieben war. Pastor Upden war zuversichtlich auf das mysteriöse Objekt zugegangen und hatte aus nächster Nähe in der Erwartung darauf geschossen, es werde einfach in sich zusammenfallen. Tyren hatte voller Grauen mit ansehen müssen, wie der widerliche Tropfen explodiert war und den Pastor mit einer dicklichen, zähen Flüssigkeit bespritzt hatte, und seine Schreie waren auch in den entferntesten Winkel der Siedlung gedrungen. Tyren war losgelaufen, um Upden zu helfen, aber es war zu spät seine Haut warf bereits Blasen und löste sich von den Knochen, da die unbekannten Säuren sein Gewebe zersetzten. Er schrie erbärmlich, bis seine Kehle schmolz und sich sein lebloser Körper in stinkenden Schleim auflöste. Seitdem hatten sie sehr darauf geachtet, die Sporen abzuschie-
ßen, bevor sie die Siedlung erreichten. »Bleib wachsam, Kyle, und ruf mich, wenn du irgendwas siehst«, sagte Tyren, während er durch die tropfenden, korrodierten Löcher im Metall starrte. Die Lichter in den tiefer gelegenen Ortschaften waren erloschen, und in Pelotas war schon seit mehreren Stunden niemand mehr zu erreichen. Die Lichter hier erloschen auch langsam, da der Säureregen die Kabel zersetzte, die nicht unterirdisch verliefen, und Tyren wusste, dass schon bald die ganze Gemeinde im Dunkeln liegen würde. Er versuchte das Schluchzen der Kinder und die zitternden Stimmen der Frauen zu ignorieren, als er Bewegung auf der Straße sah. Der Boden wogte, als sei er lebendig, und der Regen glänzte auf den Panzern von vielen Tausend... Dingern, die zu der kleinen Siedlung liefen. Er kniete nieder, angelte ein ramponiertes, aber funktionierendes Fernglas aus dem Rucksack und richtete es auf die Straße. Die unnatürliche Dunkelheit machte es schwierig, etwas zu erkennen, aber ihm stockte der Atem, als er ein Meer von Kreaturen sah, die bergauf strömten und nur aus Klauen und Zähnen zu bestehen schienen. »Der Imperator helfe uns«, flüsterte er und ließ das Fernglas sinken. »Jeder mit einem Gewehr sucht sich einen Platz, von wo er schießen kann«, rief er. Er griff sich einen blassen Mann neben sich und sagte: »Radek, geh mit zehn Männern nach oben und schießt vom Balkon. Das Vordach wird euch vor dem Regen schützen.« Radek nickte und lief los, um Tyrens Befehl auszuführen. Tyren schaute zu seiner Frau und seinen Töchtern und warf ihnen einen beruhigenden Blick zu, bevor er sich ein Loch in der Wand suchte, durch das er schießen konnte. Kyle schulterte sein Gewehr und stellte sich neben seinen Vater, ein nervöses Lächeln auf den Lippen. »Ich bin stolz auf dich, mein Sohn«, sagte Tyren, und Kyle nickte. Tyren lugte in die Dunkelheit und sah den Schwarm der Kreaturen über die Barrikaden am Ende der Straße hinwegstürmen. »Sie kommen!«, brüllte er. »Eröffnet das Feuer!« Kinder schrien, als die Schule plötzlich von krachendem Lärm erfüllt war. Pulverdampf verräucherte die Luft, und das Knallen der Waffen in so einem beengten Raum war ohrenbetäubend.
Tyren sah mehrere Kreaturen fallen und hörte mehr Schüsse von oben. Über den Waffenlärm hörte er ein pfeifendes Kreischen wie von einer heranfliegenden Artilleriegranate und zuckte zusammen, als etwas Schweres ins Dach der Schule einschlug. Er hörte Holz splittern und Schreie von oben, wusste aber, dass er nichts tun konnte, um den oben postierten Männern zu helfen. Der Boden bebte, als weitere Objekte vom Himmel fielen und mit unglaublicher Wucht einschlugen. Er schoss wieder und wieder in die Masse der Bestien, deren geschwollene Schädel und Körperpanzer alles ablenkten bis auf die genausten Treffer. Sie drangen in die Stadt ein, schwärmten aus und umzingelten die Schule. Ein donnernder Einschlag draußen schleuderte Tyren zu Boden und sprengte die Fensterscheiben zur Straße. Ein Teil der Wand stürzte ein, und das Blech wurde von den Wänden gerissen. Heiße, stinkende Luft wehte herein. Durch das Loch konnte Tyren sehen, dass der Generatorschuppen brannte und ein großer Gegenstand wie ein Felsblock in dem Krater schaukelte, den sein Einschlag verursacht hatte. Kleinere Kreaturen kamen auf das Loch in der Wand zugelaufen, und Tyren rappelte sich auf und schoss wütend durch die Bresche. Flammen von der anderen Straßenseite beleuchteten die Kreaturen, und im Verein mit drei anderen Männern gelang es ihm, die Ungeheuer zu töten, die durch die Bresche eindringen wollten. Das Dach des Generatorschuppens stürzte ein und ließ Funken durch die Dunkelheit stieben. Unter den Trümmern ertönte ein Kreischen von etwas, das Schmerzen zu leiden schien. »Holt irgendwas, um das Loch hier zu stopfen!«, brüllte er, während er auf die Kreaturen schoss, bis seine Munition verbraucht war. Er tastete nach einem neuen Magazin, während drei Frauen einen schweren Tisch und ein paar Pulte anschleppten und vor der Bresche in der Hauswand umstürzten. Schüsse und das Geschrei der Kinder nahmen seine Sinne in Beschlag, als Tyren das Gewehr neu lud. Er hörte etwas gegen die wenigen noch verbliebenen Fenster mit einem Blechschutz prallen und sah noch eins nachgeben, als sich eine grauenhafte Kreatur hindurchzwängte. Sie sprang in den Raum. Regen dampfte auf ihrem glänzenden Panzer. Vornübergebeugt und sechsgliedrig zischte ihr bestiali-
sches Gesicht in unmenschlichem Hunger. Tyren schoss darauf, traf aber nicht, sondern sprengte nur Gips aus der Wand daneben. Die Bestie beachtete ihn nicht und ging auf die Verteidiger der Nordwand los. Er schrie auf, als er sah, wie Kyle sich zu dem Ungeheuer umdrehte und das Gewehr hob. Doch die Bestie war unmenschlich schnell, und ihre sensenden Krallen schlugen zu und schlitzten seinen Sohn auf, bevor dieser einen Schuss abgeben konnte. »Nein! Nein! Nein!«, schrie Tyren und schoss erneut. Seine Kugel traf das Ungeheuer am Halsansatz und ließ den Kopf in einem Regen aus dunklem Seim explodieren. Er ließ sein Gewehr fallen und rannte zu seinem Sohn, doch es war zu spät, sein Junge war bereits tot. Er schrie gequält und hob den Leichnam seines Sohns auf. Durch ein Tränenmeer sah er, wie sich die Ruinen des Generatorschuppens in die Höhe schraubten, als sich etwas Großes aus den Trümmern erhob. Er tastete nach seinem Gewehr, da das Schulgebäude von immer mehr Geschrei erfüllt war. Eine massige Gestalt stapfte über die Straße, warf sich gegen eine Mauer der Schule, brachte sie zum Einsturz und riss gleich noch einen Teil der Decke mit. Der Körper des Ungeheuers stand in Flammen, und es kreischte vor Wut und Schmerzen, während es sich in die Schule kämpfte. Tyren spürte, wie seine Knie nachgaben, als ein Ungeheuer wie aus seinen schlimmsten Albträumen einen donnernden Schritt in die Schule tat. Größer als eine Planierraupe ragte es auf starken behuften Beinen vor ihm auf, zwei dicke, in langen Krallen wie Rasiermesser endende Armpaare über den Kopf erhoben. Sein spitz zulaufendes Maul war mit vielen Hundert geifernden Reißzähnen gefüllt, und die dunklen Augen reflektierten das Feuer, das es verzehrte. Die Grauen erregende Kreatur kreischte ohrenbetäubend, schlug dabei mit den Krallen zu und hackte mit jedem Hieb Männer entzwei. Sie drang tiefer in die Schule ein, und ihr Gewicht ließ die Bodendielen bersten, während ihre tödlichen Krallen alles in Reichweite töteten. Tyren schrie immer noch und schoss mit seinem Gewehr auf das Ungeheuer, dessen Chitinpanzer jedoch jeden Schuss abwehrte. Noch eine der kleineren Bestien kam durch das Fenster neben Tyren. Er schoss ihr in den Kopf und rammte ein neues
Magazin in seine Waffe. Das Riesenungeheuer schrie weiter, während es die Schule demolierte. Dachbalken fielen krachend nach unten, als sein gepanzerter Schädel die Decke durchstieß. Das obere Stockwerk stürzte ein und Männer fielen zu Boden, nur um von den Füßen der Bestie totgetrampelt zu werden. Kinder weinten vor Angst. Das durchdringende Kreischen der Bestie wurde noch lauter, bis eine brodelnde Kugel aus grünlichem Licht aus ihrem Maul hervorschoss und die schreienden Frauen und Kinder tötete. Tyren brüllte vor Entsetzen und ging auf die Kreatur los. Er wusste, dass sie ihn töten würde, wollte aber nicht mehr weiterleben, da seine Familie tot war. Er schoss auf das Ungeheuer, bis das Magazin leer war, dann benutzte er das Gewehr als Keule und schlug es an den gepanzerten Beinen des Ungeheuers in Stücke. Das Ungeheuer traf Tyren mit seinen starken Armen, riss ihm einen Arm ab und schleuderte ihn durch die Wand. Er landete draußen vor der Schule, vor Schmerz und Verlustgefühl wie betäubt. Der Säureregen verbrannte seine Haut, und er spürte nichts mehr unterhalb des Halses. Zischende Ungeheuer versammelten sich um ihn und stachen immer wieder mit langen Krallen wie mit Schwertern auf ihn ein. Tyren spürte nichts. Sein Leben endete in einem verschwommenen Nebel aus Krallen und Reißzähnen.
FÜNF Eine sterbende Welt füllte die Observationsbucht. Wie monströse, saugende Parasiten versammelten sich die Kreaturen der Schwarmflotte um Barbarus Primus und bildeten einen verschwommenen, undeutlichen Halo. Flackernde Blitze zuckten durch die Atmosphäre, und obwohl der Eindruck aus dem Weltraum umwerfend und beinahe schön anzusehen war, wusste Uriel doch, dass sie das sichtbare Anzeichen der Todeszuckungen für diesen Planeten waren, der jetzt von gigantischen Stürmen heimgesucht wurde, die stark genug waren, Berge einstürzen und Kontinente versinken zu lassen. Die Oberfläche von Barbarus Primus hob sich, als die Kruste barst, da sie von gigantischen Fütterungs-Tentakeln aufgebro-
chen wurde, die sich tief in sie hineinbohrten und alles verschlangen, was in seine organischen Bestandteile zerlegt werden konnte. Auf Barbarus Primus konnte es kein Leben mehr geben. Die Tyraniden würden sehr bald das gesamte genetische Material dieser Welt absorbiert haben und es als Brennstoff für die immer hungrigen Reproduktionskammern der Schwarmschiffe benutzen. Mittlerweile würde die biologische Materie der Bevölkerung des Planeten bereits im Bauch dieser Bestien brodeln. Bei dieser Vorstellung wurde Uriel übel, und der Hass, den er auf den Schlachtfeldern von Ichar IV empfunden hatte, kehrte zurück, grell und heiß. »Der Imperator wache über euch«, flüsterte Uriel und schwor sich, die Seelen dieser Welt zu rächen. Er stand mit Lordadmiral Tiberius auf der Brücke der Vae Victus, ohne jede Möglichkeit, der Welt unter ihnen zu helfen, aber bereit, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um zu verhindern, dass noch mehr Diener des Imperiums ihr Leben an den Großen Verschlinger verloren. Tiberius schritt zu seiner Kommandokanzel und erklomm die Treppe zu seiner erhöhten Kommandoposition. Unbewusst kratzte er sich das Spinnennetz aus Narben auf einer Gesichtsseite, Narben, die er im Kampf gegen die Tyraniden in der Schlacht um Macragge vor über zweihundertfünfzig Jahren als einer von vielen Deckoffizieren davongetragen hatte, die auf diesem stolzen Schiff Dienst taten, bevor er schließlich Kapitän geworden war. Er presste den Daumen auf die Bildtafel des Pults aus poliertem Mahagoni vor sich, und die taktische Karte baute sich vor ihm auf und zeigte die zum Untergang verurteilte Welt und die Imperiumsflotte, die gekommen war, um gegen ihre Zerstörer zu kämpfen. Neben der Vae Victus war die Mortis Probati, das Schiff der Mortifactors, und beiderseits von diesen war die Macht der imperialen Schlachtflotte versammelt. Sie konnten die Bevölkerung von Barbarus Primus nicht mehr retten, aber die Schlacht, um sie zu rächen, würden sie im Schatten ihrer sterbenden Welt austragen. »Sie werden bald kommen«, sagte er. »Woran sehen Sie das?«, fragte Uriel. »Sehen Sie da«, sagte Tiberius, indem er auf eine Stelle zeigte, wo sich eine gigantische Kreatur schwerfällig von der Planetenbeute unter sich löste. »Sie reagieren auf unsere Anwesenheit.«
Länger als das größte Schlachtschiff, war die Haut des Ungeheuers knorrig und uralt, von den Kratern der Asteroideneinschläge übersät und durch Millennien der Reise durch die Leere gehärtet. Die Unterseite kräuselte sich vor winkenden, wedelartigen Tentakeln, und aus großen Saugöffnungen tropfte eine dicke, zähe Flüssigkeit, als es sich erhob, um sich ihnen zu stellen. Am, wie Uriel vermutete, hinteren Ende hingen lange Tentakel, die in stachelbewehrten Krallen endeten und in einer grotesken Bewegung pulsierten. Nichts derart Großes dürfte zur Animation befähigt sein, dachte Uriel, oder die Möglichkeit haben, ein so grauenhaftes Zerrbild des Lebens auszubilden. Eine ganze Flotte aus Vorhut-Organismen schwebten vor das Ungeheuer: riesige, stachelrochenartige Kreaturen mit höhlenartigen Mäulern voller Zähne, die so groß wie ein Thunderhawk waren, und messerscharfen Flügeln; sich drehende Kreaturen, die sich jeglicher Klassifizierung von Form widersetzten und nur aus gekräuselten Panzerplatten, Klingen, Krallen und nachhängenden Tentakeln zu bestehen schienen. Dutzende dieser Bestien umschwärmten das größere Schiff wie treue Diener, die eine Königin beschützten. Als sie sich auf die Imperiumsschiffe zubewegten, fühlte sich Uriel an Aasfresser erinnert, die in Rudeln jagten und sich die schwächsten Mitglieder der Herde herauspickten, um sie, einmal zur Strecke gebracht, mit sturer Wildheit zu bewachen, während sich die Rudelführer über den Kadaver hermachten. »Wie sieht ihre Taktik aus? Wie werden sie angreifen?« »Das weiß ich nicht, Uriel. Sie werden uns zuerst testen, auf Schwächen sondieren und lernen, was sie können, bevor sie die Hauptstreitmacht in die Schlacht werfen. Wir haben Glück, dass wir sie beim Fressen erwischen. So haben wir es nicht mit ihrer vollen Stärke zu tun.« Uriel beobachtete, wie sich die Vielzahl der Organismen der Vae Victus näherte, und dankte dem Imperator für diese kleine Gnade. Denn wenn dies nur ein Bruchteil des Tyranidenschwarms war, dann gab ihre volle Macht tatsächlich Anlass zu allergrößter Sorge. Lord Inquisitor Kryptman beobachtete dieselbe Szene auf der Brücke der Argus, dem Flaggschiff von Admiral Bregant de Corte und dieser Schlachtflotte. Er beobachtete, wie die gewaltige Kreatur den Fressvorgang beendete und sich erhob, um sie herauszufordern. Er hatte fast sein ganzes Leben gegen die Tyraniden ge-
kämpft und konnte sich an kein anderes Gefühl als Hass ihnen gegenüber erinnern. Während er den Planeten unter sich sterben sah, nahm er dankbar zur Kenntnis, dass dieser Hass nun nicht weniger stark in ihm brannte. Das sich nähernde Schwarmschiff war nicht das größte, das er je gesehen hatte, diese Ehre gebührte der Bestie an der Spitze der Schwarmflotte, die den Planeten Graia verschlungen hatte, aber es war dennoch ein Gigant, vielleicht drei Kilometer lang. »Widerliche Dinger«, stellte Admiral de Corte fest. »Aye«, gab Kryptman ihm recht, »aber tödlich. Sie sind mit furchterregenden Symbionten bewaffnet, Säurestrahlern, Bioplasma und Horden von Kriegerorganismen, die aus den Öffnungen in der steinigen Haut ejakuliert werden können.« »Unsere Waffen sind vom Imperator gesegnet und werden sich durchsetzen«, versicherte ihm de Corte. Kryptman nickte und zeigte auf den Sporennebel, der die Bestie umgab. »Sehen Sie dort, Admiral. Dieser Sporenschleier ist so dick, dass er die Kreatur vor allem außer den entschlossensten Angreifern beschützt.« »Lord Inquisitor«, sagte Admiral de Corte, und seine Stimme verriet die Anspannung, unter der die gesamte Brückenmannschaft stand. »Ich bitte um Ihre Erlaubnis, mit dem Angriff zu beginnen.« »Ja«, nickte Kryptman, der in makabrer Faszination auf den großen Taktiktisch starrte, auf dem die sich annähernden Flotten dargestellt waren. »Beginnen Sie mit dem Angriff.« Logistiker mit ausdruckslosem Gesicht, die direkt mit den Sensorsystemen des Schiffs gekoppelt waren, umringten den breiten Tisch der mit einem Gitter aus räumlichen Koordinaten überzogen war und benutzten lange Stangen mit flachen Enden, um maßstabsgetreue Nachbildungen der verschiedenen Schiffe innerhalb der Flotte zu bewegen. Der Admiral nickte kurz, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte zu seinem Kommandopult. Bregant de Corte war ein hochgewachsener, drahtiger Mann mit hageren, spitzen Zügen und einem bleistiftdünnen Schnurrbart. Seine Admiralsuniform hing förmlich an seiner ausgemergelten Gestalt, und viele, die ihm zum ersten Mal begegneten, konnten kaum glauben, dass dies der Mann war, der die Ork-Piraten von Charadax vernichtet, der Piraterie von Khaarx Blutaxt Einhalt geboten hatte und des-
sen meisterhafte Strategie die K'Nib von einer Invasion der Sulacus-Randzone abgehalten hatte. Er stand hinter dem Pult, schenkte sich ein Glas Amasec aus einer Kristallkaraffe ein, die immer dort stand, und holte tief Luft. Er nahm sich einen Moment Zeit, sich auf seiner Brücke umzusehen, und ließ ganz bewusst ein paar Sekunden verstreichen, bevor er seine Befehle gab. Es war wichtig, dass er nicht durch die sich nähernde Feindflotte eingeschüchtert wirkte, und sein ruhiges Gebaren würde dem Rest der Mannschaft ein Beispiel geben. Er trank das Glas Amasec und sagte: »Ich grüße Sie alle und wünsche Ihnen Ehre in dieser ruhmreichen Schlacht.« Jaemar, der Schiffskommissar, nickte bei diesen Worten beifällig. Ein Flottenmatrose, traditionell der jüngste Mann auf dem Schiff, näherte sich dem Admiral. Schweiß glänzte auf seiner Stirn, als er fragte: »Wird das Signal gegeben, Herr Admiral?« Admiral de Corte stellte das Glas auf das Pult und sagte: »Das Signal wird gegeben. Erteilen Sie allen Schiffen den Befehl zum Angriff. Gloriam Imperator.« Die beiden Flotten kamen sich näher, obwohl der Abstand zwischen ihnen immer noch viele Zehntausend Kilometer betrug. Die Schiffe der Imperiumsflotte schwärmten aus, als die Kapitäne den Angriffsbefehl erhielten und sich der Schlachtplan des Admirals entfaltete. Der Vorgehensweise der Tyraniden schien keine Strategie zugrunde zu liegen: Die Bio-Kreaturen stiegen vom Planeten auf, um dem Feind als homogene Masse zu begegnen. Die Angriffskreuzer der Space Marines und des Geschwaders der Arx Praetora rückten vor die gepanzerten Ungetüme des Schlachtschiffs Argus und des Schlachtkreuzers Schwert der Vergeltung. Drei Fregatten der Schwert-Klasse sowie zwei leichte Kreuzer der Furchtlos-Klasse, die Yertnetov und die Luxor, bildeten eine Art Spalier vor der Flotte. Ihre furchterregenden Lanzen würden in der kommenden Schlacht gewiss entscheidend sein, und de Corte wollte hinsichtlich ihrer Sicherheit kein Risiko eingehen. An den Flanken der Flotte eilten zwei Geschwader KobraZerstörer, Cypria und Hydra, der Hauptflotte voraus. Ihre höhlenartigen Torpedohangars waren mit gesegneten Torpedos gefüllt, und ihre Piloten waren erpicht darauf, sie auf den Feind loszulas-
sen. Das gewaltige Schwarmschiff im Zentrum der Tyrani-denflotte schauderte wie unter einem heftigen Schüttelanfall und setzte Millionen Sporen aus, die gleißende Geburtsfäden hinter sich herzogen, während sie sich von seiner zähen Hülle entfernten. Die majestätisch dahingleitenden Manta-Kreaturen bewegten sich, als schwämmen sie in einem tiefen Ozean, und ihre breiten Chitinschwingen kräuselten sich im Sonnenwind. Die Klingenwesen, die sich um die Königin geschart hatten, schwärmten in einer Welle brodelnder Klauen vorwärts, von dem instinktiven Drang überwältigt, jene zu vernichten, die ihren Schwarm bedrohten. Die Schlacht von Barbarus hatte begonnen. »Befehlen Sie den Fregatten vorzustoßen«, sagte Admiral de Corte. »Diese Bestien an der Spitze der Flotte nehmen Fahrt auf. Ich will sie nicht in meiner Schlachtreihe haben.« »Aye, Herr Admiral«, erwiderte Jex Viert, sein ranghöchster Flaggleutnant, der den Befehl an den Signal -offizier weitergab. De Corte studierte die Observationsbucht und ver suchte zu erraten, wie die Tyraniden auf ihre Manöver reagieren würden. Bisher konnte er den taktischen Sachverstand des Feindes noch nicht einschätzen, falls so etwas in der Tyranidenflotte existierte, und er gestattete sich ein dünnes Lächeln. Er sah zu, wie die Logistiker die Fregatten mit ihren Stangen vorwärtsschoben. »Diese Schiffe, die sich uns nähern, Lord Kryptman, was können Sie mir darüber sagen?« Der Inquisitor marschierte steif durch das Hauptschiff der Kommandobrücke und blieb vor der Apsis der Observationsbucht stehen. Er beugte sich ein wenig vor, als wolle er die Kreaturen eingehender studieren, und schüttelte dann langsam den Kopf. »Das sind Drohnenkreaturen, mehr nicht, obwohl sie extrem Widerstands fähig sind. Ich nenne sie Kraken, und der Wille des Schwarmverstandes kontrolliert sie. Lassen Sie sie nicht zu nah kommen, denn sie sind mit allen möglichen tödlichen Kriegerkreaturen gefüllt.« »Ich verstehe. Viert, geben Sie Befehl, dass die Kapitäne keinen dieser Organismen näher als fünftausend Kilometer an sich herankommen lassen dürfen.« »Fünftausend Kilometer. Aye, Herr Admiral.« Überzeugt davon, dass man seinen Befehl mit größter Bereitwil-
ligkeit ausführen würde, richtete de Corte den Blick wieder auf die Observationsbucht. Eine der größeren Kreaturen löste sich von der Hauptflotte der Tyraniden und beförderte sich mit kurzen Schlägen seiner breiten Flügel in sporadischen Schüben vorwärts. »Das Hydra-Geschwader soll auf der rechten Flanke in Abfangposition gehen. Befehlen Sie der Schwert der Vergeltung, den Fregatten zu folgen. Die Yermetov und die Luxor fliegen Begleitschutz.« »Aye, Herr Admiral«, sagte Viert und tippte die Befehle des Admirals ein. »Dürfte ich außerdem vorschlagen, dass die Angriffskreuzer der Space Marines mit den Kobras des CypriaGeschwaders vorrücken? Wenn diese Schiffe tatsächlich so widerstandsfähig sind, wie Lord Kryptman angibt, werden ihre schweren Kanonen von großem Nutzen sein.« »Ihr Vorschlag hat etwas für sich, Viert. Geben Sie den entsprechenden Befehl, und holen Sie die Bereitschaftsmeldungen der Lanzen-Decks und Geschützmannschaften ein.« Der Admiral beobachtete den Tanz der Schiffe auf dem Planungstisch und sah, wie sich der Schlachtplan entfaltete, als die Schiffskapitäne seinen Befehlen nachkamen. »Alle Waffendecks melden Bereitschaft, Herr Admiral. Hauptkanonier Mabon meldet, dass Zielerfassung für die Novakanone läuft.« »Verstanden, informieren Sie ihn, dass er Feuererlaubnis hat, wenn er so weit ist«, sagte de Corte. Er sah, dass die Kobras des Hydra-Geschwaders bald in Schussposition sein würden, und die Fregatten näherten sich rasch der ersten Welle jener Schiffe, die Kryptman Kraken nannte. Die Entfernung zwischen den beiden Flotten verringerte sich rasch, und er wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die ersten Tyraniden starben. Tief in den Eingeweiden der Argus schloss sich ächzend die fünfzig Meter breite Tür des Verschlusses der Novakanone, da viele Hundert schwitzende Matrosen die gewaltigen Rückschlagkompensatoren der Waffe in Stellung hievten. Heißer Dampf und Lärm erfüllten die längliche Kammer, deren höhlenartige Struktur von der Glutofenhitze der Hebemechanismen erfüllt war, welche die enormen Projektile aus den gepanzerten Magazinen weiter unten heraufholten.
Die Kammer zog sich beinahe durch die gesamte Länge des Schiffs und stank nach Fett, Schweiß und Blut. Eine lärmende Hymne hallte aus den alten Messinglautsprechern in vergitterten Nischen in der Wand, die von den vielen Hundert Männern aus vollem Halse mitgesungen wurde. Hauptkanonier Mabon schaute von seiner Dienstbrücke über der Geschützkammer zu, während Glocken läuteten und auf dem ramponierten Eisenpaneel vor ihm Lämpchen aufleuchteten. Er konnte die Glocken nicht hören, da ihn sein langer Dienst als Kanonier in der Imperialen Flotte schon vor Jahrzehnten hatte taub werden lassen. Die Granate wurde geladen, und er murmelte dem Sprengkopf das Kanoniergebet zu, während er durch einen Linsenaufsatz aus Bronze starrte, der sich auf ächzenden Angeln von dem Paneel hob. Er klemmte sein augmetisches Monokel an der Linse fest und richtete das dünne Fadenkreuz auf das rote Dreieck aus, das sein Ziel darstellte. Das Ziel bewegte sich auf sie zu, also brauchte er keine Korrekturen für Seitwärtsbewegung vorzunehmen. Es war ein leichter Schuss, den er auch schon in seiner Anfangszeit in der Flotte hätte abgeben können, gleich nachdem ihn die Press-Patrouillen auf Carpathia zwangsverpflichtet hatten. Überzeugt davon, dass die Granate ihr Ziel treffen würde, hob er den Kopf, sah sich in der Kammer um und vergewisserte sich, dass seine Geschützmannschaften Abstand zu den eingefetteten Geländern hatten, die sich der Länge nach durch die Kammer zogen, und dass jede ihre grüne Flagge gehoben hatte, um anzuzeigen, dass die Explosionsdämpfer geschlossen worden waren. Er griff nach oben und packte die Abzugskette, die über seiner Station hing. Er grunzte zufrieden, zog kräftig an der Kette und schrie: »Geister des Kriegs und des Feuers, ich erfülle euch mit dem Zorn des Maschinengottes. Fliegt los und reinigt!« Dampf zischte aus bebenden Rohren, und ein hohes Kreischen erfüllte die Waffenkammer, als die gravimetrischen Antriebspumpen Energie im Verschluss aufbauten. Mabon eilte ans Ende seiner Brücke und hielt sich am Eisengeländer fest. Das Abfeuern einer Waffe von solcher Kraft war ein Symbol der Macht der Imperiumsflotte, und er wurde seines Anblicks nie überdrüssig. Das Kreischen steigerte sich zu einer unglaublichen Lautstärke,
obwohl Mabon nichts davon mitbekam, bis die Novakanone feuerte und die enorme Druckwelle durch die Kammer fegte. Das Abfeuern der Waffe ließ den dreihundert Meter langen Lauf im Rückschlag mit urtümlicher Gewalt zurückschnellen. Funken und brennender Dampf lagen in der Luft, als der Fettüberzug der Geländer in der Hitze des Rückschlags verdampfte, und der Gestank nach versengtem Metall und Treibgasen erfüllte die Kammer mit erstickenden Dämpfen. Mabon brüllte triumphierend, während ihn die stinkenden Gaswolken, die rings um ihn wallten, würgen ließen. Bebende Vibrationen versuchten ihn von seiner Brücke zu schleudern, aber er hatte sich schon vor langer Zeit an sie gewöhnt und hielt mühelos das Gleichgewicht. Der Rauch verzog sich langsam, und seine Mannschaftsführer peitschten ihre Männer dazu auf, die gewaltige Waffe wieder in Feuerstellung zu bringen. Die gepanzerten Buchten im Boden öffneten sich wieder ächzend, und die Ketten wurden herabgelassen, um an einer neuen Granate befestigt zu werden. Mabon hatte seine Geschützmannschaften ohne Gnade gedrillt und war stolz darauf, dass er die Novakanone binnen dreißig Minuten wieder feuerbereit machen konnte. Dieses Mal würde es nicht anders sein. Die Granate aus der Argus raste wie ein Lichtschemen durch das All und explodierte wie eine Miniatursonne im Herzen der Tyranidenschiffe. Mächtiger als ein Dutzend Plasmabomben, detonierte die Granate nur ein paar Kilometer von einem der Rochenschiffe, das sofort in einer lodernden Feuerwolke verglühte, die auch eine Flotte kleinerer Kreaturen in der Nähe versprengte. Eine löste sich von ihrem Rudel, und klebrige Flüssigkeiten leckten aus ihrem geborstenen Bauch. Sie bebte und zuckte, doch schließlich hatte der Blutsturz tödliche Konsequenzen, und sie erstarrte. Der Schwarm strebte von der Explosionsstelle weg, obwohl eine Flut kleinerer Organismen, keines größer als eine Landekapsel, auf die schrumpfende Wolke organischer Trümmer zuhielt, um dann mit furchtbarer Heftigkeit zu explodieren, als sie sich dem Zentrum der Explosion näherten. Eine Gruppe von Kreaturen schoss vorwärts, als habe sie die Explosion zu größerer Aktivität angestachelt, und näherte sich
den anfliegenden Fregatten. Hinter den Fregatten kamen die Schwert der Vergeltung, die Kobras des Cypria-Geschwaders und die Angriffskreuzer der Ultramarines und der Mortifactors. Die Imperiumsflotte hatte den ersten Treffer erzielt, aber die Schlacht hatte gerade erst begonnen. Uriel umklammerte das Heft seines Energieschwerts und lauschte den Geräuschen der Vae Victus, deren Rumpf ächzte und knarrte, während sie in der Schlachtreihe manövrierte. Die Lichter im Korridor waren abgedunkelt, da er und sein Trupp an einem der Reaktionspunkte des Angriffskreuzers warteten. Wenn sie in die Schlacht zogen, waren die Space Marines an Bord eines Kriegsschiffs überall in den Gängen des Schiffs stationiert, und zwar dort, wo feindliche Streitkräfte am ehesten versuchen würden, sie zu entern. Sein Helmkom war auf die Frequenz der Schiffsbrücke eingestellt, und er konnte den aufgeregten Wortwechsel der Schiffskapitäne verfolgen. Er hörte den Jubel, als offensichtlich wurde, dass das Flottenflaggschiff soeben mit dem ersten Schuss ein Feindschiff direkt getroffen und vernichtet hatte. Der verheißungsvolle Beginn war ein gutes Omen für die bevorstehende Schlacht, obwohl Uriel seine Beklommenheitsgefühle nicht abschütteln konnte. Er mochte die willkürliche Natur des Raumkampfs nicht, wo das Schicksal eines Kriegers in den Händen anderer lag, wie geschickt und fähig sie auch sein mochten. Vor die Wahl gestellt, würde Uriel lieber tausend Feinden auf dem Schlachtfeld entgegentreten, als in der schweißtreibenden Dunkelheit eines Raumschiffs zu warten und nicht zu wissen, ob der Tod gerade seine langen, mit Grabeserde verkrusteten Finger ausstreckte und seine furchtbare Sense kreisen ließ, um sich seine Seele zu holen. Ihn schauderte bei dem Gedanken. Pasanius sah es und sagte: »Hauptmann?« Uriel schüttelte den Kopf. »Es ist nichts. Ich hatte nur gerade ein seltsames Déjà-vu-Empfinden.« »Schon wieder so ein >komisches Gefühl«, fragte Pasanius. »Nein, keine Sorge, alter Freund. Mir gefällt nur die Vorstellung nicht, hier auf einen Feind zu warten, der vielleicht gar nicht kommt. Ein Teil von mir wünscht, er wäre bei Learchus auf Tarsis Ultra geblieben.« »Jetzt weiß ich, dass Sie verrückt geworden sind«, scherzte
Pasanius. Die Rivalität, die zwischen Uriel und Learchus während ihrer Ausbildung auf Macragge geherrscht hatte, war zwar schon lange vergessen, aber sie würden nie wahre Freunde werden. Wo Uriel von seinem Mentor, Hauptmann Idaeus, die Vorzüge persönlicher Initiative gelernt hatte, schien Learchus unfähig zu sein, diesen Sprung zu machen. Er war ein Ultramarine, und daher konnte man das erwarten, aber Uriel wusste, dass es auch Zeiten gab, in denen solche starren Strukturen nicht immer die Antwort waren. Diese Gedanken bestürzten Uriel. Ihm war klar, dass es von dort aus nur noch ein kleiner Schritt bis zu dem Weg war, den die Mortifactors eingeschlagen hatten. Hatte so ihr Abstieg begonnen? Mit kleinen Verstößen gegen die Lehren des Codex, die im Laufe der Jahrhunderte immer größer geworden waren, bis nichts mehr vom Werk des gesegneten Primarchen übrig blieb? Astador hatte behauptet, sein Orden verehre den Primarchen, aber konnte man ihn höher als alles andere schätzen und sich dann nicht nach seinem Wort richten? War Idaeus der erste Schritt zum Ende von allem gewesen, was den Ultramarines teuer war? Konnte er sich in seinen Lehren geirrt haben, und hatte Uriel den Weg beschritten, der in die endgültige Verdammnis führte? Er hatte bereits gegen die Lehren verstoßen, die im Codex niedergelegt waren, erst kürzlich auf Pavonis. Im spärlichen Licht der Vae Victus spürte Uriel, wie sich zum ersten Mal in seinem Leben Zweifel in ihm regten. Auf der Brücke der Fregatte Mariatus beobachtete Kapitän Payne mit einer Mischung aus Vorfreude und Furcht, wie sich die Bioschiffe der Tyraniden näherten. Es machte ihn perplex, dass so riesige Kreaturen lebendig sein konnten, obwohl er annahm, dass sie wie die großen Bestien auf seiner Heimatwelt ebenso dumm wie groß waren. Eine Masse schwebender Objekte trieb vor den Klingenschiffen her, und sie verringerten die Entfernung. Der Kapitän verschränkte die Arme und nickte seinem Geschützoffizier am Feuerleitstand zu. »Sie haben das Ziel erfasst?«, fragte er. »Aye, Herr Kapitän, das führende Feindschiff wird in etwas unter einer Minute in Schussweite sein.«
»Sehr gut. Befehlen Sie allen Schiffen, sofort zu schießen, sobald die Feindschiffe in Reichweite sind.« Payne kehrte wieder zu seinem Kommandosessel zurück, der sich auf einem erhöhten Podium im Zentrum der Brücke befand. Er verfolgte den Vormarsch der anderen Schiffe in seinem Geschwader, Von Becken und Heldenhafte Tat, auf der Bildtafel vor sich, zufrieden darüber, dass sie die richtige Position wahrten und somit ihrem Anführer den ersten Schuss gestatteten. Der Schauder einer Vorahnung überlief ihn, als er sah, wie die Kreaturen vor seinem Schiff schwerfällig auf ihn zuschwenkten, und er hatte das Gefühl, die Blicke ihrer toten, ausdruckslosen Augen spüren zu können, wie sie ihm tief in die Seele schauten. Solch eine Vorstellung war natürlich vollkommen lächerlich. Wenn sich diese Bestien nur auf ihr Sehvermögen verlassen würden, wären sie durch die Trümmer im All geblendet. Doch die Vorstellung ließ ihn nicht los, und er ballte die Fäuste, um das plötzliche Zittern zu unterdrücken, das ihn überkommen hatte. »Alle Geschütze feuern jetzt«, meldete der Geschützoffizier gelassen, während das Schiff unter dem Rückschlag seiner gewaltigen Waffen erbebte. Die Vibrationen, die den abgenutzten Teakholzboden durchliefen, waren kein angemessenes Spiegelbild der Heftigkeit des Geschützfeuers. In diesem Augenblick jagten viele Hundert gewaltige Projektile und Laserstrahlen durch das All, um diesen schändlichen Feinden Feuer und Tod zu bringen. Er sah eine Reihe von Explosionen rings um das nächste Bioschiff, die allmählich näher wanderten, während seine Kanoniere sich darauf einschossen. Manche erzielten sogar direkte Treffer, und die Granaten sprengten eines der riesigen Klingenglieder der Kreatur weg. Flüssigkeit strömte aus den Innereien des Bioschiffs, als der Rest seines Geschwaders das Feuer eröffnete und ihm das Blitzen entfernter Explosionen vorübergehend den Blick auf die Tyranidenschiffe versperrte. Als die Observationsbucht wieder freie Sicht bot, sah er, dass eines der Schiffe vollkommen auseinandergeflogen war und ein weiteres leblos im Raum trieb. Er sprang von seinem Platz auf und reckte triumphierend die Fäuste in die Luft. »Verdammt noch mal, das war gut geschossen. Mein Kompliment an das Geschützdeck.« »Aye, Herr Kapitän«, erwiderte der Geschützoffizier stolz. Er beobachtete die Vorgänge weiter durch die Observations-
bucht und sah die verbliebenen Feindschiffe erbeben wie von Krämpfen geschüttelt. »Was in Imperators Namen ist das?«, fragte er sich laut. Bevor ihm richtig klar wurde, was er sah, schossen Strahlen einer gallertartigen Flüssigkeit aus dem Bug der Bioschiffe. »Alle Schiffe, hart steuerbord!«, brüllte er, als er plötzlich begriff, was vorging. Die Brücke der Mariatus neigte sich zur Seite, als die Notenergie auf den Antrieb geleitet wurde, aber ein Kriegsschiff reagiert nicht besonders schnell, auch wenn es sein Kapitän tut. Mit erschreckender Geschwindigkeit rasten die Strahlen den Schiffen in einem eng fokussierten Strahl entgegen. Payne umklammerte die Armlehnen seines Sessels, während sein Schiff gegen die Vorwärtsbewegung ankämpfte, um dem Feindfeuer auszuweichen. Als die Strahlen in der Observationsbucht seitlich abwanderten, sah er, dass es nicht reichen würde. Die Mariatus würde größeren Schäden entgehen, aber ihre Schwesterschiffe konnten unmöglich noch rechtzeitig ausweichen. Heldenhafte Tat wurde im unteren Sektor des Maschinenbereichs von drei zersetzenden Säurestrahlen getroffen. In höchster Panik schalteten die Maschinenwarte der Adeptus Mechanicus die Maschinen ab und belüfteten ihre Verbrennungskammern, als ihnen klar wurde, dass die Säure die Plasmazellen fraß, die den Antrieb mit Energie versorgten. Ihr rasches Handeln rettete zweifellos das Schiff, und zu ihrer immensen Erleichterung gelang es mit Hilfe der Notfallmaßnahmen, dem Schaden Einhalt zu gebieten, bevor die Säure die leicht entzündlichen Treibstofftanks erreichte. Vierhundertsiebenunddreißig Männer verloren bei dem Angriff das Leben, aber ihr Schwesterschiff Von Becken hatte nicht so viel Glück. Die Von Becken wurde mittschiffs von der vollen Wucht der Tyranidenwaffen getroffen. Die schiere Aufprallwucht ließ die Strahlen die ersten Panzerungsschichten durchschlagen, bevor sich die organischen Säuren durch die restlichen fraßen und die Mitteldecks des Schiffs die Wirkung der Tyranidenwaffen zu spüren bekamen. Hunderte starben in den ersten Augenblicken des Einschlags, zu Brei zerquetscht oder ins All gesogen, da die explosive Dekompression abgrenzende Rumpfabschnitte wegsprengte. Die Säuren
füllten Sektoren mit brennenden Flüssigkeiten, die Fleisch und Metall in Augenblicken auflösten, und die entstehenden Dämpfe waren so tödlich wie jedes von den Adeptus Mechanicus ersonnene Nervengas. Druckschleusen schlossen sich und riegelten den Einschlagsbereich ab, aber die Säure verflüssigte die Schotts und drang weiter vor, löste Deckböden auf und ergoss sich auf die schreienden Männer in den Decks darunter. Der Rumpf der Von Becken, durch die Säuren geschwächt und aufgrund des harten Ausweichmanövers hohen Belastungen ausgesetzt, kreischte protestierend und brach schließlich in zwei Teile auseinander. Von den Kobras des Hydra-Geschwaders abgeschossene Torpedos rasten mit flammenden Heckdüsen durch das All und strebten der nächsten der riesigen Manta-Kreaturen entgegen. Eine Sporenwolke trieb vor dem Schiff, und als die Torpedos näher kamen, wogte ein Schwarm von ihnen vorwärts, um sie abzufangen. Explosionen fegten durch die Sporenwolke, als die Torpedos auf sie trafen, da einige verfrüht explodierten und andere von den Säure freisetzenden Explosionen der Sporen auseinandergerissen wurden. Nicht alle Torpedos konnten aufgehalten werden, und eine Handvoll traf die Manta-Kreatur. Die Sprengköpfe in der Spitze sprengten einen Brocken aus der Außenhaut, bevor der Heckteil explodierte und den Mittelteil der Waffe tief in die Kreatur trieb, um dort zu explodieren. Der Bauch des Ungeheuers erbebte, als die Torpedos einer nach dem anderen explodierten, und es legte sich trunken auf die Seite, da sein Lebensblut aus den klaffenden Wunden entwich. Doch so schwer verwundet es auch war, es war noch nicht erledigt und konnte sich immer noch wehren. Eine interkostale Bewegung pulsierte durch die Oberseite der Kreatur und ein Schwarm gezackter Dornen löste sich aus ihren Flanken, die zu Tausenden ihren Angreifern entgegenrasten wie riesige Speere. Auf diese Entfernung war die Wahrscheinlichkeit, ein so schnell fliegendes Ziel wie einen Zerstörer zu treffen, nicht sonderlich groß, aber wenn man die Anzahl und Dichte der Dornenwolke berücksichtigte, änderte sich diese Wahrscheinlichkeit dramatisch. Zwei Kobras explodierten, als hundert Meter lange Dornen Panzerung und Rumpf mit erschreckender Leichtigkeit durchbohrten.
Die Brücke des führenden Zerstörers wurde bei der ersten Begegnung zerstört, vom Bug zum Heck von einem Dutzend Dornen durchbohrt, während der zweite in Flammen aufging, als drei riesige Dornen den Reaktor trafen und zahlreiche Feuer ausbrachen, die rasch außer Kontrolle gerieten. Das letzte Schiff wurde zwar durch ihre Schwesterschiffe vor der unmittelbaren Zerstörung bewahrt, aber dennoch von mehreren Dornen gestreift und erlitt dabei erheblichen Schaden, als mehrere Torpedos, die gerade für den Abschuss vorbereitet wurden, in den Rohren explodierten. Die Besatzung kämpfte um Schadensbegrenzung, aber der Kapitän war gezwungen, sich aus der Schlacht zurückzuziehen. Die primären Waffensysteme seines Schiffs waren so schwer beschädigt, dass an eine rasche Reparatur nicht zu denken war, und sein Schiff konnte daher keinen Einfluss mehr auf das Kampfgeschehen nehmen. Das Schwarmschiff flog schwerfällig vorwärts, von Explosionen umringt, da es in Reichweite der Geschütze der Imperiumsschiffe kam. Viele Hundert Sporen vergingen in dem Feuersturm, aber aus den brodelnden Reproduktionsbottichen des Schiffs wurden immer neue ins All gepumpt, um die Verluste zu ersetzen. Die Kreuzer Luxor und Yermetov passierten die Überreste der Fregatten Von Becken und Heldenhafte Tat, und ihre Lanzen zuckten dem Schwarmschiff entgegen. Eine Reihe kleinerer Bioschiffe schwenkte einheitlich herum, schoss vorwärts und warf sich in den Weg der brennenden Lanzenstrahlen. Drei explodierten, von den Hochenergiewaffen zerrissen, und ein viertes wurde der Länge nach durchschnitten. Eine Torpedosalve der Kobras des Cypria-Geschwaders raste durch eine sich ausbreitende Wolke aus Feuer und Sporen, traf das Schwarmschiff und explodierte an dessen steinerner Außenhaut. Seim sprudelte aus der Wunde, doch kaum war das Feuer der Torpedoexplosionen erloschen, als der Riss in der Haut der Kreatur auch schon zu heilen anfing und sich frisches Gewebe in der Flanke der Bestie bildete. Plötzlich öffnete sich eine Fleischfalte in der Unterseite des Bioschiffs und viele Dutzend Kreaturen mit Flossen schossen aus dem Bauch, die sehnige Ströme amniotischer Geburtsflüssigkeit hinter sich herzogen. Eine Handvoll wurde von der Schwert der Vergeltung in ihre Atome zerlegt, die weiter auf dem Vormarsch
war, während die Argus eine Kurskorrektur vornahm, um sich in eine Position zu bringen, die es ihr gestatten würde, die Breitseite gegen das Schwarmschiff einzusetzen. Doch keines der soeben vom Schwarmschiff gestarteten Bioschiffe war zu den beiden Schlachtschiffen der Flotte unterwegs. Sie stürzten sich vielmehr auf die Angriffskreuzer der Space Marines, die sie begleiteten. Admiral de Corte beobachtete, wie das Schwarmschiff in der Observationsbucht nach links glitt, und zählte dabei die Minuten herunter, bis die Backbordlanzen feuern konnten. Bisher verlief die Schlacht wie geplant, obwohl ihn die Zähigkeit der Tyranidenschiffe trotz der Warnungen des Inquisitors überrascht hatte. Es hatte Verluste gegeben, aber präzise Zahlen und genaue Informationen waren noch nicht eingetroffen. »Viert, Statusmeldung«, verlangte er ungeduldig. »Die Fregatten sind außer Gefecht, Lordadmiral, und die Von Becken wurde völlig zerstört. Die Maschinen der Heldenhafte Tat wurden abgeschaltet, obwohl die Maschinenwarte gerade versuchen, sie wieder in Gang zu setzen. Das Hydra-Geschwader hat zwei Schiffe verloren, und die ersten Meldungen lassen vermuten, dass keines wieder kämpfen wird, ohne vorher ein paar Jahre im Dock zu verbringen.« De Cortes Miene verhärtete sich, als das Ausmaß ihrer Verluste offensichtlich wurde. »Ich fürchte, wir haben die Kampfkraft dieser Tyraniden unterschätzt«, flüsterte er. »Da sind Sie nicht der Erste, Admiral«, stellte Kryptman fest. »Haben die Tyraniden uns zu diesem Angriff verleitet?«, wollte de Corte wissen. »Vier Schiffe sind bereits außer Gefecht, und wir haben das Schwarmschiff gerade mal angekratzt.« »Wenn man gegen die Tyraniden kämpft, muss man Verluste in Kauf nehmen, Lordadmiral.« »Verluste? Haben Sie eine Ahnung, wie viele Männer bereits gestorben sind?« »Sehr viele, ich weiß. Aber noch viel mehr werden sterben, wenn wir hier versagen. Wir müssen den Angriff fortsetzen und das Schwarmschiff zerstören.« Bevor de Corte antworten konnte, mischte sich Jex Viert ein. »Admiral! Optimale Entfernung für Lanzeneinsatz erreicht!« De Corte bedachte Kryptman mit einem letzten angewiderten Blick, bevor er zum Taktiktisch im Zentrum seiner Brücke eilte. Er
sah, dass die Schwert der Vergeltung mit ihren Lanzen und einer gut gesetzten Torpedosalve ein Loch in den vorderen Schirm der Bioschiffe gesprengt hatte. Sie beharkte das Schwarmschiff mit ihrer Breitseite, doch nur ein Bruchteil des Feuers traf die gewaltige Kreatur. Ein Schwarm kleinerer Schiffe raste dem Schlachtkreuzer und den beiden Angriffskreuzern entgegen, aber de Corte war zuversichtlich, dass ihre Nahbereichsgeschütze mit ihnen fertig werden konnten. »Geben Sie den Lanzen Befehl, auf die Schiffe rings um die Lücke in der Tyranidenlinie zu schießen, wir brauchen mehr Platz für einen klaren Schuss auf dieses Ungeheuer!« »Aye, Herr Admiral!«, sagte Viert und tippte die Befehle des Admirals ein. Er legte eine Hand auf den Ohrhörer seines Helmkoms, schaute auf und sagte: »Herr Admiral! Kapitän Payne auf der Mariatus bittet um Erlaubnis, näher an den Feind herangehen zu dürfen. Er behauptet, in einer guten Position für einen direkten Feindanflug zu sein.« De Corte sah, dass die Mariatus einen nicht unterstützten Direktangriff auf das Schwarmschiff nicht überleben würde. Die Argus war jetzt beinahe hinter dem Schwarmschiff, und der Admiral spürte den Deckboden im beständigen Feuer der Schiffsgeschütze vibrieren. »Sagen Sie ihm nein, Viert. Wir brauchen in den nächsten Tagen jedes Schiff, und ich erlaube kein sinnloses Heldengebaren. Befehlen Sie Payne, er soll sich zurückziehen und wenden, um die Yermetov zu unterstützen!« »Aye, Herr Admiral.« Die aus dem Bauch des Schwarmschiffs abgefeuerten kleineren Organismen rasten der Imperiumsflotte wie Kugeln entgegen, passierten die majestätische Gestalt der Schwert der Vergeltung und hielten auf die Angriffskreuzer der Space Marines zu. Die Geschütztürme des Schlachtkreuzers löschten die Mehrzahl der anfliegenden Organismen aus, und die Geschütze der Angriffskreuzer und des Geschwaders Arx Praetora verringerten deren Anzahl weiter. Doch es blieben noch genug übrig. Auf der Brücke der Vae Victus schwitzte Admiral Tiberius, während er den Schwarm der sich nähernden Schiffe beobachtete. Bisher hielten sie ihre Nahbereichsgeschütze in Schach, aber es bedurfte nicht viel, um die Waagschalen zu ihren Ungunsten zu beschweren.
»Herr Admiral!«, rief Philotas bestürzt. »Die Mortis Probati bricht den Kampf ab!« Tiberius sah mit wachsendem Entsetzen, dass Philotas recht hatte. Die Triebwerke des Angriffskreuzers der Mortifactors flammten hell auf, da er vorwärts und aufwärts flog, dem Schwarmschiff entgegen. Die Abwehrgeschütze hatten aufgehört zu schießen, und der Kreuzer ließ die Vae Victus in seinem Kielwasser zurück. »Was haben sie vor?«, wollte Tiberius wissen, obwohl er die Antwort selbst sah. Eine Lücke war in die Verteidigungslinie des gewaltigen Schwarmschiffs gesprengt worden, da das unablässige Feuer der Schwert der Vergeltung und ihrer unterstützenden Kreuzer den Schutzschirm aus Drohnenschiffen stellenweise vernichtet hatte. »Sie greifen das Schwarmschiff an!«, sagte Philotas. »Können sie es schaffen, bevor die Tyraniden den Schutzschirm erneuern?«, fragte Tiberius. Philotas warf einen Blick auf den Planungstisch und notierte sich in aller Eile Entfernungen und Flugbahnen auf einer Tafel neben sich. Seine Lippen bewegten sich, während er lautlose Berechnungen anstellte, und schließlich schüttelte er aufgebracht den Kopf. »Vielleicht, Lordadmiral, aber sie werden abgeschnitten sein, sobald sie den Abwehrschirm der Tyraniden durchbrochen haben.« Tiberius ließ die Faust auf sein Pult krachen, so dass das Glas in der Tafel einen Sprung bekam. »Bei allen neun Höllen, was denken sie sich dabei? Im Codex heißt es ganz klar, dass solche Manöver nur bei einer Feuerüberlegenheit von drei zu eins unternommen werden sollen.« »Ich glaube nicht, dass Kapitän Gaiseric mit diesem Teil des Codex vertraut ist, Herr Admiral. Und wir haben jetzt andere Sorgen!«, sagte Philotas, indem er auf die Observationsbucht zeigte. Ohne das unterstützende Feuer aus den Geschütztürmen der Mortis Probati hatten vielleicht ein halbes Dutzend der vom Schwarmschiff abgefeuerten Fleischkugeln das Abwehrfeuer überstanden, und der Kontakt würde bestenfalls Sekunden auf sich warten lassen. »Imperator helfe uns, nein!«, zischte Tiberius, als er den Aufprall der Tyraniden-Organismen auf sein geliebtes Schiff spürte.
Uriel lief zu der Stelle, wo das Objekt mit der steinernen Oberfläche den Rumpf durchschlagen hatte und die Breite des Korridors ausfüllte. Alarmglocken läuteten, und ein höllischer roter Schein tauchte alles in die Farbe von Blut. »Ausschwärmen!«, rief er. »Lasst nichts und niemanden vorbei!« Er dirigierte seine Krieger zu anderen beschädigten Schiffssektoren. Er trat einen rauchenden Klumpen Chitin aus dem Weg und näherte sich dem geborstenen Objekt, das wie ein riesiges zahnbewehrtes Ei in den Trümmern des Korridors hockte. Gelber Schleim tropfte aus den aufgebrochenen Rändern, und heißer Dampf umwallte es. Ein Teil des Objekts fiel auf das Deck und enthüllte dabei eine Innenhaut aus einer durchsichtigen geäderten Membrane. »Pasanius, hierher, ich brauche einen Flammenwerfer!«, rief Uriel, als sich die Membrane kräuselte. Er hob seine Boltpistole und gab ein paar Schüsse auf das Objekt ab, so dass die Membrane zerriss. Aus dem Objekt ertönte ein unmenschliches Schmerzgekreisch. Eine lange Kralle zerriss die Membrane, und eine groteske Kreatur sprang aus dem Objekt. Ihre Haut glänzte feucht, und Flüssigkeit tropfte von ihrem knochigen Exoskelett. Der in Schleim gehüllte Kopf war mit messerscharfen Reißzähnen gefüllt. Zwei Armpaare, die in bösartigen, mit Widerhaken versehenen Krallen endeten, klickten zusammen, als sie leichtfüßig auf dem Gitterdeck landete. Sie zischte Uriel an, während schwarze Augen blinzelten, da sie sich an ihre Umgebung anpassten. Ein Trio identischer Kreaturen folgte der ersten aus dem dampfenden Schmetterling. Uriel konnte noch viele mehr dahinter erkennen und feuerte auf die Massen der Kreaturen, während Pasanius endlich bei ihm eintraf. Zwei der Kreaturen wurden zerfetzt, als die massereaktiven Geschosse in ihren Leibern explodierten, während immer mehr von ihnen aus dem Organismus strömten. Der Korridor wurde in Flammen getaucht, als Pasanius einen Strahl flüssigen Feuers auf den Organismus abschoss und gleichzeitig das alte Schiff dafür um Vergebung bat. Eine brennende Kreatur sprang aus den tosenden Flammen, die Zähne im Todeskampf gefletscht. Uriel stieß ihr sein Schwert in
den Leib, als sie sprang, und sprengte ihr gleichzeitig mit einem Schuss aus seiner Pistole den Kopf von den Schultern. Von ringsumher konnte er Schüsse und das Gekreisch der Tyranidenwesen hören, da seine Männer gegen die grausigen Eindringlinge kämpften. Als die Flammen erloschen, drängten neue Kreaturen aus dem Objekt, und Uriel fragte sich, wie dicht es mit Kreaturen vollgepackt gewesen sein musste. Er hieb mit dem Schwert zu und fällte zwei mit einem Schlag, um einer dritten auszuweichen, die nach seinem Kopf sprang und dabei versuchte, ihn mit den Krallen an den Hinterbeinen zu zerkratzen. Die Kreatur traf einen Pfeiler und landete schlecht, und Uriel trat ihr auf den Hals, während er mit geübt sparsamen Bewegungen nach einem neuen Magazin für seine Boltpistole griff. Pasanius rang mit zwei Krallenbestien, die mit hektischen Hieben auf seine Rüstung einhackten. Doch Terminator-Rüstungen waren genau für diese Art von Nahkampf konzipiert worden, und sie konnten sie nicht durchdringen. Pasanius schmetterte ihre Köpfe zusammen, was ihre Schädel mit einem widerlichen feuchten Knacken aufplatzen ließ. Er ließ die zuckenden Kadaver fallen. Sein Flammenwerfer lag nutzlos neben ihm, da der Brennstofftank aufgeplatzt war und entzündliche Dämpfe aus ihm leckten. Doch immer mehr Kreaturen übersprangen die Leiber ihrer gefallenen Geschwister, um den Feind zu erreichen. Uriel und Pasanius kämpfen Rücken an Rücken, da die Tyranidenflut sie zu überwältigen drohte, und waren gezwungen, sich zurückfallen zu lassen. Sie konnten sich nicht halten, es waren ganz einfach zu viele. Hatten sie Unterstützung durch eine andere Enterspore bekommen? Uriel grunzte, als eine messerscharfe Kralle die Rüstung am Oberschenkel durchschlug, den Muskel einschnitt und bis zum Knie durchdrang. Er stolperte rückwärts, und die Kralle löste sich in einem Strahl aus hellrotem Blut aus seinem Fleisch. Uriel trat zu, brach der Kreatur das Genick und fiel rückwärts zu Boden. In dem Korridor stank es durchdringend nach Prometheum, und während Pasanius ihm wieder aufhalf, zog er eine Granate aus dem Gürtel. »Lauf!«, rief er, indem er Pasanius einen Stoß versetzte und die Granate in die Richtung warf, aus der sie gekommen waren. Pasanius packte den Arm seines Hauptmanns und riss ihn mit
sich auf den Boden, als die Granate explodierte, einen tödlichen Splitterregen durch den Korridor sandte und die erstickenden Prometheumdämpfe entzündete. Lodernde Flammen explodierten tosend, und einen Moment später raste eine Feuerwand durch den Korridor und äscherte alles in ihrem Weg ein. Uriel spürte, wie die Flammen über ihn hinwegrasten, und sah die Zahlen der Außentemperaturanzeige auf seinem Visier in die Höhe schnellen. Doch weder seine noch Pasanius' Rüstung ließ sie im Stich, und als sich die Feuerwand verbraucht hatte, fanden sie sich in einem geschwärzten Korridor voller Leichen, verkohlten Tyranidengliedmaßen und brennenden Prometheumlachen wieder. Die beiden Space Marines rappelten sich zum Lärm der weiterhin im Schiff tobenden Schlacht auf. Der Kampf war noch lange nicht vorbei. Admiral de Corte beobachtete mit einer Mischung aus Wut und Bewunderung, wie die Mortis Probati dem Schwarmschiff entgegenraste. Die Mortifactors hatten seine Kampflinie durchbrochen, aber beim Imperator, tapfer waren sie! Das Hauptgeschütz beharkte das Schwarmschiff aus nächster Nähe und riss riesige Krater in seine Flanke. Die langen Fütterungstentakel im Heck des Schwarmschiffs peitschten nach vorn und griffen schwerfällig nach dem Kreuzer, doch dem Kapitän gelang es, sich ihrem Zugriff im letzten Augenblick durch einen Schwenk zu entziehen. Eine Armada von Bioschiffen setzte sich hinter den Angriffskreuzer und versperrte ihm den Fluchtweg, während eine andere Formation heranflog und zum Angriff überging. Organische Säuren und Plasma trafen den Kreuzer, und Flammen loderten aus seinem Rumpf. Inquisitor Kryptman beobachtete den ungleichen Kampf mit grimmigem Stolz, während seine Knöchel am Knauf des Gehstocks weiß wurden. Er fuhr zu de Corte herum. »Wir müssen ihnen helfen. Lassen Sie beidrehen.« »Ich kann nicht«, sagte de Corte. »Wir sind viel zu weit hinter ihnen. Es ist unmöglich, rechtzeitig umzuschwenken. Wir fliegen weiter, um uns wie geplant hinter das Schwarmschiff zu setzen.« »Tun Sie's!«, schnauzte Kryptman, indem er mit dem Gehstock auf den Deckboden stampfte. »Sofort!« Kryptman fuhr zu dem schwarz uniformierten Jaemar herum, dem Schiffskommissar. »Sie! Bringen Sie ihn dazu, dieses vom
Imperator verlassene Schiff zu wenden und diese tapferen Krieger zu unterstützen!« Durch Kryptmans Ruf eingeschüchtert, zog Jaemar seine Pistole. »Der Admiral hat recht. Inquisitor, Kommissar«, sagte de Cortes Flaggleutnant Jex Viert, indem er sich zwischen Jaemar und seinem Admiral aufbaute. Er legte die Hand auf den Schwertknauf, um seine Position zu dokumentieren. »Das Bild, das Sie sehen, stammt von unseren Backbordsensoren. Selbst wenn wir jetzt den Befehl gäben, könnten wir nicht schnell genug wenden. In dieser Beziehung sind die Mortifactors jetzt auf sich allein gestellt.« Doch Jex Viert irrte sich. An Bord der angeschlagenen Mariatus rief Kapitän Payne: »Für den Imperator!«, während er die Armlehnen seines Kommandosessels umklammerte. Das Schwarmschiff ragte riesig in seiner Observationsbucht vor ihm auf, und er wusste, dass er, selbst wenn er diese Schlacht überlebte, vor das Kriegsgericht kommen würde, weil er einen direkten Befehl missachtet hatte. Doch nachdem diese Monstrosität zwei seiner Schiffe außer Gefecht gesetzt hatte, hätte er noch viel mehr riskiert, um deren tapfere Besatzungen zu rächen. Die Mariatus erbebte, als das Schwarmschiff sie mit flammendem Plasma eindeckte, das über den Rumpf leckte. Ihre Geschütze beharkten das Tyranidenungeheuer und rissen Fetzen aus seinem Panzer, die ins All trudelten und eine Spur leckender Wunden in dem Gebirge seines Leibs hinterließen. Voraus sah er die elegante Form des Kreuzers der Mortifactors in inniger Umarmung mit einem tobenden Ungeheuer mit Krallen so groß wie ein Titan, die ihm die Seite aufrissen und ganze Panzerungsschichten abschälten. Mehr Bioschiffe umzingelten den Kreuzer und würden jeden Augenblick zum Angriff auf ihn herabstoßen. Trotzdem feuerte die schwere Hauptkanone im Bug weiter auf das Schwarmschiff, doch obwohl der heldenhafte Mut der Space Marines wahrhaftig bewundernswert war, konnte diese Schlacht nur einen Ausgang nehmen. Aber Payne gedachte, mit seiner Mariatus noch ein Wörtchen mitzureden. Uriel rannte auf die Brücke, während er dem verzweifelten KomVerkehr zwischen den Flottenschiffen lauschte, bestürzt über das
Gemetzel, das sich anbahnte. Seine Rüstung war geschwärzt, und sein Bein schmerzte beim Laufen. Die Tyraniden im Schiff waren alle tot, und die beschädigten Sektoren des Schiffs waren endlich gesichert und unter Kontrolle. Er konnte nicht glauben, was die Mortifactors getan hatten. Die Schlachtreihe zu verlassen und einfach vorwärtszustürmen, um sich auf einen Nahkampf mit dem Schwarmschiff einzulassen, war so weit wie nur eben möglich von den Lehren des Primarchen weg. Er nahm drei Stufen auf einmal, als er die Treppe zur Brücke emporeilte, schob dabei sein blutiges Schwert in die Scheide und rannte schließlich durch den Torbogen zur Kommandobrücke. Lordadmiral Tiberius drehte sich bei seinem Eintreten um. Seine Miene war eine Maske kontrollierter Wut. »Uriel, dem Imperator sei Dank«, sagte der Herr der Vae Victus. »Die Eindringlinge wurden getötet«, meldete Uriel, während er entsetzt auf die Observationsbucht starrte, da das Schiff der Mortifactors langsam vom Schiff der Tyraniden verschlungen wurde. Die Hauptkanone feuerte weiter, obwohl sie allmählich auseinandergenommen wurde. »Was haben sie getan?«, flüsterte er. Tiberius schüttelte den Kopf, da dem alten Admiral die Worte fehlten. Dann schob sich eine ramponierte Fregatte der SchwertKlasse ins Bild, die flammende Plasmawolken und goldene Streifen aus Funken und gefrierendem Sauerstoff hinter sich herzog. »Bei Guillaumes Blut, sehen Sie doch!«, rief Philotas, als der Bug der Mariatus herumschwang und sich direkt ins Herz der Kreatur bohrte, welche die Mortis Probati angriff. Der Rumpf des Imperiumsschiffs bog sich und barst, als er den harten Panzer der Tyranidenkreatur traf, doch gegen die gewaltige kinetische Energie des Aufpralls gab es keine Gegenwehr, und das Schiff bohrte sich durch die Bestie, so dass ihre Körperflüssigkeiten über den Rumpf des Kreuzers der Space Marines verspritzt wurden. Sie wand sich in Todeszuckungen, ließ den Kreuzer los und trieb mit der tief in ihrem Leib vergrabenen Mariatus davon. So tapfer das Opfer der Mariatus auch war, es gab reichlich Tyranidenschiffe, um der Mortis Probati den Gnadenschuss zu versetzen, doch bevor eines auf deren unerwartete Rettung reagieren konnte, gab sie einen letzten Schuss mit der Hauptkanone ab,
der ein knotenförmiges Gewächs tief im Heck des Schwarmschiffs traf. Helle Flüssigkeit spritzte wie ein Geyser aus der gewaltigen Wunde, und ein sichtbarer Schauder durchlief das gesamte Schwarmschiff, da die Hauptsynapsenverbindung zu den anderen Bioschiffen zerstört worden war. Kryptman sah das Lebensblut des Schwarmschiffs aus der großen Wunde ins All spritzen und das teilnahmslose Dahintreiben der es umgebenden Drohnenschiffe. Seine Blicke huschten von Bioschiff zu Bioschiff, als er sie in ihren unablässigen Angriffen innehalten sah. »Ihre Verbindung zum Schwarmbewusstsein ist unterbrochen!«, rief Kryptman, indem er so schnell zu de Corte herumfuhr, dass er beinahe stürzte. »Wir müssen angreifen, bevor sie wieder hergestellt wird! Sofort!« Admiral Bregant de Corte nickte Leutnant Viert zu, der immer noch zwischen ihm und Jaemar stand. »Leutnant Viert, befehlen Sie allen Schiffen den Vormarsch. Gehen wir näher heran und erledigen die Bestie.« Während die Tyranidenschiffe verwirrt im All trieben, schlossen die Kapitäne der Schwert der Vergeltung, der Luxor, der Yermetov und der Argus die Entfernung so schnell wie möglich, während ihre Geschützdecks so schnell luden und feuerten, wie die Kanoniere ihre Mannschaften zur Arbeit antreiben konnten. Die Vae Victus und das Geschwader Arx Praetora rauschten heran und rissen dem Tyranidenschiff mit einer Serie gut gezielten Feuers die Unterseite auf. Salve auf Salve von Sprenggranaten und Laserstrahlen hämmerte auf das Tyranidenschiff ein, pulverisierte ganze Abschnitte seines Panzers und versprühte dicke Strahlen von Flüssigkeit in alle Richtungen. Fütterungstentakel versuchten vergeblich, die angreifenden Schiffe abzuwehren. Ihre Bewegungen wirkten trunken und unkoordiniert. Die kleineren Organismen, die das Schwarmschiff schützen sollten, schüttelten die Lethargie ab und kehrten zu ihren grundlegenden instinktgeleiteten Begierden zurück, doch da war es bereits zu spät. Die Imperiumsschiffe waren in einer Stellung wie aus dem Lehrbuch, um praktisch allen Drohnenschiffen den Todesstoß zu versetzen. Wie bei einer Zielübung auf Bakka, schoss die Schwert der Vergeltung mit ihren gewaltigen Breitsei-
ten ein Tyranidenschiff nach dem anderen ab. Die angeschlagene Mortis Probati schleppte sich zum krängenden Schwarmschiff, und aus Hochachtung vor dem tollkühnen Heldenmut ihrer Besatzung blieben alle anderen Schiffe zurück und überließen Kapitän Gaiseric den Fangschuss. Flüssigkeit und fleischige Gedärme trieben aus der tödlich verwundeten Bestie. Ihr fremdartiges Lebensblut spritzte aus geplatzten Arterien und zerstörten Organen ins All. Diejenigen Tentakel, welche nicht weggeschossen worden waren, zuckten krampfartig, und durch einen großen Riss im oberen Panzer war ein riesiges pulsierendes Organ zu sehen, das sich alle Mühe gab, die Bestie am Leben zu erhalten. Eine einzige Granate aus der Hauptkanone des Angriffskreuzers durchschlug die zähe, fleischige äußere Schicht um das Herz des Schwarmschiffs und explodierte in den gewaltigen Kammern. Die Explosion zerfetzte das Organ, und das Schwarmschiff starb mit einem letzten krampfartigen Schaudern. Admiral de Corte stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, und seine Brückenmannschaft jubelte, während sie den Tod des Schwarmschiffs beobachtete, dessen gewaltiges Herz von den Mortifactors zerstört worden war. De Corte wusste, dass er eigentlich wütend auf Kapitän Gaiseric sein sollte, weil dieser die Schlachtreihe verlassen hatte, aber er konnte sich auch nicht der Tatsache verschließen, dass diese Aktion der Schlüssel zum Sieg über die Tyraniden gewesen war. Sie verstieß gegen alles, was einem auf den Flottenakademien beigebracht wurde, aber de Corte war klar, dass die wahrhaft großen Schiffskapitäne diejenigen waren, die manchmal allen Lehren zuwiderhandeln und dennoch siegreich bleiben konnten. Er wusste noch nicht, ob Kapitän Gaiseric in diese Kategorie fiel oder einfach nur gewaltiges Glück gehabt hatte. Öffentlich würde er Ersteres vertreten, aber privat argwöhnte er Letzteres. Ohne Kapitän Paynes heldenmutiges, aber letzten Endes verschwenderisches Opfer würden die Leichen der Mortifactors in diesem Augenblick dem krängenden Leichnam des Schwarmschiffs Gesellschaft leisten. Während er das gewaltige Schiff in der Dunkelheit des Alls ausbluten sah, formulierte er ein kurzes Gebet an die Geister der Schlacht, die seinem Schiff innewohnten, und dankte ihnen für ihre treuen Dienste in diesem Kampf.
»Machen Sie einen Vermerk, Leutnant Viert«, sagte de Corte. »Lassen Sie ein neues Siegeszeichen erstellen, das dem Ehrenbanner unseres ruhmreichen Schiffs hinzugefügt werden soll.« »Aye, Herr Admiral, und vielleicht eine Dankesmesse?« »Ja. Eine Dankesmesse soll am Abend in der Schiffskapelle für die gesamte Besatzung gelesen werden. Vielen Dank, Leutnant Viert.« Der Admiral verschränkte die Hände auf dem Rücken und kehrte zu seinem Kommandopult zurück, während Inquisitor Kryptman durch das Mittelschiff zu ihm humpelte, um ihm Gesellschaft zu leisten. »Ein großer Sieg«, sagte der Admiral so laut, dass ihn die gesamte Brückenmannschaft hören konnte. Kryptman nickte. »Ein Sieg, ja. Ob es ein großer ist, bleibt abzuwarten.« Der Admiral beugte sich zu Kryptman vor und flüsterte: »Sie und ich, wir wissen beide, dass uns diese Schlacht teuer zu stehen gekommen ist, aber alles war umsonst, wenn wir unsere Besatzungen wissen lassen, wie teuer. Ich würde Ihre Unterstützung in dieser Angelegenheit sehr begrüßen.« Kryptmann sah aus, als wolle er zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, nickte dann jedoch nur knapp. »Sie haben recht, Admiral de Corte. An dieser Stelle ist die Moral ausschlaggebend.« De Corte ließ es dabei bewenden und gab die nötigen Befehle, um sich mit der Flotte von Barbarus Primus abzusetzen und sich zu den Docks in der Umlaufbahn von Chordelis zurückfallen zu lassen. Denn die Observatoriumsbucht war mit einer Vielzahl von Tyranidenkreaturen ausgefüllt, die ihren Fressvorgang beendet hatten, eine Ansammlung von Schwarmschiffen und Drohnen, neben der die soeben von ihnen vernichtete Gruppe winzig wirkte. Die Schlacht von Barbarus hatten sie gewonnen, aber im Angesicht solch einer gewaltigen Flotte wäre es Torheit gewesen, den Kampf fortzusetzen, ohne sich zuvor neu zu formieren und die Munition aufzufrischen. Sie hatten tatsächlich einen großen Sieg errungen, aber es war nur die Spitze des Eisbergs. Die eigentliche Schlacht stand ihnen noch bevor.
SECHS Learchus starrte den schrägen Wall empor, der sich beiderseits von ihm beinahe fünf Kilometer zu den Flanken des Tals erstreckte. Trotz seiner Enttäuschung über die Art, wie diese Welt den Idealen von Ultramar folgte, war er doch zufrieden über die Stärke der Konstruktion. Sie hätte auch Macragge keine Schande gemacht, befand er. Zehn Meter hoch und in glattes Gestein gehüllt, glitzerte der Wall wie weißer Marmor in der tief stehenden Sonne. Eine kleine Futtermauer schützte das goldene Tor, und ein eisiger Graben zog sich unterhalb des Straßenniveaus bis zu einem trägen Fluss, der sich in die Ebene unter ihnen schlängelte. Ein schäumender Wasserfall fiel aus der Mitte des Walls und toste einen in die Mitte eingelassenen Kupferkanal hinunter, speiste den Graben und erfüllte die umgebende Luft mit einem kühlen Nebel eisigen Wassers. Der Morgen war schneidend kühl, und sein Atem bildete Wolken, obwohl ihn die Servorüstung vor der gröbsten Kälte schützte. Neben ihm stand ein zitternder Offizier der Legion der Bürgerwehr von Tarsis Ultra, dessen blauer Pelzkragenmantel und weiße Schirmmütze makellos sauber waren. Abgesehen von seiner Gala-Uniform trug er noch einen grauen Schal um den Hals und dicke Wollhandschuhe an den Händen, die tief in den weiten Taschen des Mantels steckten. Er hieß Major Aries Satria und kommandierte die bewaffneten Streitkräfte dieser Stadt im Namen des Fabrikator-Marschalls. Sein eiserner Brustharnisch war zu silbernem Glanz poliert, und das Paradeschwert an seinem glänzenden Ledergürtel leuchtete wie Gold. »Wenn der Winter kommt, friert der Graben dann zu?«, fragte Learchus. »So weit draußen ja«, nickte Major Satria, »aber je weiter man in die Stadt kommt, desto mehr Wärme wird im Talkessel eingeschlossen, was die Eisbildung verhindert.« »Wie weit frieren sie zu?«, hakte Learchus nach. »Die Gräben vor dem ersten und zweiten Wall frieren immer zu und manchmal auch der dritte, aber letzten Endes hängt es von der Strenge des Winters ab.« Learchus nickte und setzte sich zum Tor im Wall in Bewegung. »Wie sieht die Vorhersage für den kommenden Winter aus?« »Die Meteorologen sagen, dass es ein harter Winter wird«, sag-
te Satria, der sich beeilen musste, um mit Learchus Schritt zu halten, »aber das sagen sie eigentlich immer.« Die Winter auf Macragge hatten Learchus gelehrt, wie hart ein Winter für Soldaten sein konnte, und er wusste, dass der Krieg für diese Welt kaum zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen konnte. Das kalte Wetter bereitete ihnen schon Probleme, da Männer über Erfrierungen und andere kältebedingte Beschwerden klagten. Angehörige des Logres-Regiments gaben den Männern des Krieg-Regiments und der Planetaren Streitkräfte Unterricht, wie man sich unter so strengen Verhältnissen zu verhalten hatte, aber es würde seine Zeit dauern, bis sich die Männer die entsprechenden Praktiken angeeignet haben würden. Die beiden Männer überquerten den Graben auf einer bevölkerten Stahlbrücke. Die Pfeiler waren mit Raureif überzogen, und in dem fließenden Wasser bildeten sich bereits Eisschollen. Learchus hatte befohlen, die Brücke zu verminen, so dass sie beim ersten Angriff zerstört werden konnte, obwohl er sehen konnte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis der Graben von einer soliden Eisschicht bedeckt war, die man dann so leicht würde überqueren können wie eine Brücke. Nichtsdestoweniger gehörte es zur normalen Vorgehensweise, alle Annäherungsmöglichkeiten zu zerstören, die der Feind benutzen konnte, also hatte er sie für die Zerstörung vorbereiten lassen. Doch solange die Brücke noch stand, machten die Einwohner von Erebus sie sich auch zunutze. Ihr Metallboden vibrierte infolge der Passage ungezählter Vehikel, die in Richtung Hauptraumhafen unterhalb der Stadt an Learchus und Satria vorbeirumpelten. Alle möglichen Vehikel, von der glänzenden Limousine bis zum ramponierten landwirtschaftlichen Nutzfahrzeug, strömten durch das Haupttor im Wall, und jedes war mit Leuten vollgestopft, die so viele ihrer Habseligkeiten mitnahmen, wie sie hineinstopfen konnten. Sie verließen die Brücke und folgten einer verschlammten Straße, die zu einem der wenigen Nebentore im Wall führte. Lastwagen voller verängstigter Leute passierten sie, und das jähe Tosen eines Raumschiffantriebs in der Nähe machte jede weitere Unterhaltung in den nächsten Sekunden unmöglich. Sowohl Learchus als auch Satria drehten sich um und sahen zu, wie sich ein Frachter vom Raumhafen erhob und auf einer Rauchsäule in den fahlen Himmel stieg. Er war das achte Schiff, das Tarsis Ultra an diesem
Morgen verließ, und den Menschenmassen nach zu urteilen, die sich um die Wälle des Raumhafens herumdrückten, würden ihm noch viele folgen. »Es ist unziemlich, dass Ihr Volk nicht bleibt und kämpft«, sagte Learchus, indem er sich wieder umdrehte, um die unter ihm arbeitenden Männer zu beobachten. »Wo ist ihr Kampfgeist? Ihre Welt wird bedroht, und sie fliehen vor dem Feind.« Er schüttelte den Kopf vor Enttäuschung. »Kein Bewohner Ultramars würde seine Heimatwelt im Stich lassen. Ich habe gedacht, die Nachricht vom großen Sieg über Barbarus Primus hätte den Leuten das Rückgrat gestärkt, aber sie scheint sie eher geschwächt zu haben.« »Die Leute haben Angst«, sagte Satria achselzuckend. »Und ich kann es ihnen nicht verdenken. Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmt, was ich über diese Tyraniden gehört habe, kann ich ihren Drang verstehen, sich abzusetzen.« »Wenn Sie die Möglichkeit hätten, würden Sie fliehen?«, fragte Learchus. »Nein«, räumte Satria lächelnd ein, »aber ich habe einen Eid geschworen, diese Welt zu verteidigen, und ich breche ihn nicht.« »Das ist gut zu wissen, Major Satria. Der Kriegergeist von Ultramar steckt in Ihnen.« Satria strahlte vor Stolz über das Kompliment, während sie einen Versorgungslaster passierten, dessen Motor laut aufheulte. Mit zwei Dutzend verängstigten Einwohnern von Erebus beladen, waren die Hinterräder im zerwühlten Schlamm versunken und drehten durch. Hinter ihm wurde wütend gehupt, als glaubten die Fahrer, schiere Lautstärke könne den festsitzenden Laster aus seiner Klemme befreien. Die durchdrehenden Hinterräder wirbelten Schlammfontänen und Kies auf, welche die Limousine hinter dem Laster bespritzten und Kratzer in der Windschutzscheibe und im Lack der zuvor makellosen Karosserie hinterließen. Der Lastwagenfahrer gab weiterhin Gas, ohne den Schaden zur Kenntnis zu nehmen. In den Wolken aus schmutzigblauem Ölqualm, der aus dem Auspuffrohr geblasen wurde, bildeten sich Benzin-Regenbögen. Der Passagier der Limousine, ein hochgewachsener Mann mit Geheimratsecken und Hakennase, stieg hinten aus und schrie den Lastwagenfahrer an, indem er ihm ausgewählte Beleidigungen hinsichtlich der Promiskuität seiner Eltern und Körperhygiene an den Kopf warf.
Learchus trat vor, um den Mann für sein unhöfliches Benehmen und die unflätige Sprache zu schelten, doch Major Satria schüttelte rasch den Kopf und sagte: »Lassen Sie mich das besser regeln, Sergeant Learchus, ich kenne diesen Mann. Ich glaube, da ist eine sanfte Hand erforderlich.« »Nun gut«, sagte Learchus widerstrebend. Major Satria hämmerte an die Fahrerkabine des Lasters und fuhr sich in einer an den Fahrer gerichteten Geste mit der Hand über die Kehle. Sofort ging der Fahrer vom Gas, und der Lärm des protestierenden Motors nahm ab, bis nur noch ein kehliges Tuckern zu hören war, während Satria bereits zur Limousine ging. »Kommen Sie, Herr van Gelder«, sagte Satria, der gewandt über den Schlamm auf der Straße sprang, um sich an den Passagier der Limousine zu wenden. »Es besteht kein Grund, solche Ausdrücke in den Mund zu nehmen.« Der hochgewachsene Mann richtete sich zu voller Größe auf und klemmte die Daumen in die Taschen seines langen Gehrocks. Ein sarkastisches Grinsen breitete sich auf seinen Zügen aus, als Satria sich näherte. »Haben Sie gesehen, was dieser Schwachsinnige getan hat?«, schnauzte er. »Das habe ich, Herr van Gelder, und wenn Sie einfach ein wenig Geduld mit uns haben, werden wir dafür sorgen, dass Sie weiterfahren können, sobald wir ein paar Bretter gefunden haben, die wir unter die Hinterräder dieses Lastwagens legen können.« »Ich will den Namen dieses jämmerlichen Fahrers wissen, damit ich bei meiner Rückkehr nach Tarsis Ultra angemessen entschädigt werden kann.« »Ich versichere Ihnen, dass ich mich um die Angelegenheit kümmern werde, mein Herr«, beschwichtigte Satria. »Wenn Sie jetzt einfach wieder in ihre angenehm warme Limousine steigen würden, werden wir Sie bald aus der Stadt haben.« Bevor van Gelder antworten konnte, war hinter dem Major ein Ächzen von Metall zu hören. Als Satria sich umdrehte, sah er, wie Sergeant Learchus mühelos das hintere Ende des voll beladenen Lastwagens aus dem Schlamm hob und das Vehikel ein Stück weiter auf festeren Boden schob. Der Sergeant ließ den Lastwagen wieder herunter, der praktisch sofort weiter zum Raumhafen fuhr. Satria hatte schon von der großen Kraft der Space Marines gehört, die Schilderungen aber für Übertreibungen gehalten. Jetzt
wusste er es besser. Das Gesicht des Sergeanten war finster, als er in Richtung van Gelder marschierte. Er zeigte auf die Menge, die sich versammelt hatte, und auf die Schlange der Fahrzeuge, die bis zum Tor reichte, und schrie: »Es reicht! Das hört jetzt auf. Es gehen keine Flüge mehr von Tarsis Ultra. Steigen Sie wieder in Ihre Fahrzeuge, wenden Sie und kehren Sie in die Stadt zurück, wo Sie hingehören!« Satria verzog das Gesicht über Learchus' Mangel an Taktgefühl, und selbst van Gelder war vorübergehend perplex. Aber er war kein Mann, der sich leicht einschüchtern ließ. »Wissen Sie, wer ich bin?«, plusterte er sich auf. »Nein«, sagte Learchus verächtlich. »Und es interessiert mich auch nicht. Jetzt wenden Sie diesen Wagen, bevor ich es selbst tue.« Nachdem der Space Marine soeben seine Kraft an dem Lastwagen demonstriert hatte, machte sich van Gelder keine Illusionen hinsichtlich Learchus' Fähigkeit, seine Ankündigung wahr zu machen, und stieg widerstrebend hinten in seine Limousine. »Davon wird der Fabrikator-Marschall erfahren«, verschoss Gelder noch einen Pfeil zum Abschied. »Dafür werde ich persönlich sorgen«, versprach Satria. Van Gelders Augen verengten sich, da er nicht wusste, ob der Major ihn verspottete. Er schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Das Getriebe der Limousine knirschte, als sich der Fahrer an das auf der schmalen Straße mühsame Wenden des Wagens machte. »Ich glaube, wir haben ihn in Wut gebracht«, lächelte Satria. »Gut«, erwiderte Learchus. Geschmolzener Schnee lief in langen zitternden und unregelmäßigen Linien das beschlagene Fenster des Eisenbahnwagens hinunter. Leutnant Quinn fragte sich kurz, wie schnell sie wohl fuhren. Das war schwer zu sagen, wenn draußen nur einförmiges Weiß zu sehen war. Er hielt sich am Haltegriff fest, als der Zug einer Kurve in den Gleisen folgte, und beugte sich vor, um mit behandschuhter Hand über das Glas zu wischen, während er die junge Familie anlächelte, die ihm gegenübersaß. »Kein Grund zur Sorge«, sagte er. »Es dauert nicht mehr lange, bis wir in Erebus sind. Nur noch ein Halt in Prandium.« Der Mann nickte, und seine Frau warf einen ängstlichen Blick
auf den Stahl des Lasergewehrs über Quinns Knien. Es war ein Blick, den er auf seiner Reise schon oft gesehen hatte, das Entsetzen darüber, dass ihrer friedlichen Welt eine bewaffnete Auseinandersetzung drohte, aber er konnte sich nicht dazu bringen, dass sie ihm leidtaten. Denn war es nicht die Pflicht jeden Bürgers des Imperiums, sich gegen die Feinde der Menschheit zu wehren? Er und sein Zug hatten sechs landwirtschaftliche Kollektive evakuiert und die Leute in diesen langen Überlandzug gepackt, um sie in die Sicherheit von Erebus zu bringen. Dutzende andere Züge taten auf dem gesamten Kontinent dasselbe, und mit etwas Glück würden sie ihren Auftrag ohne Zwischenfall erfüllen können. Über sechzig Waggons hingen an der sich mühenden Lokomotive, und sie näherten sich bereits der maximalen Auslastung, denn jeder Waggon war mit ängstlichen Leuten vollgestopft. Leutnant Quinn konnte sich bereits die Szenen der Empörung vorstellen, wenn er diesen Leuten befehlen musste, ihre Habseligkeiten zurückzulassen, um Platz für die Einwohner von Prandium zu machen. Sergeant Klein, sein Adjutant, quetschte sich unter Schwierigkeiten durch die protestierenden Leute, da er mit der dicken Jacke und dem Kampfkoppel praktisch überall hängen blieb. Klein hielt sein Gewehr hoch erhoben, die Schlinge um die Schulter gelegt, und sagte: »Herr Leutnant, wir fahren jeden Moment in Prandium ein.« »Ausgezeichnet. Dann haben wir es fast geschafft, nicht wahr, Sergeant?« »Ja, Herr Leutnant.« »Die Männer sollen sich bereithalten. Ich übernehme den Ersten Trupp, Sie den Zweiten.« Klein nickte und ging zurück durch den Waggon, während Quinn spürte, wie der Zug bremste. Er erhob sich von seinem Platz und schob sich durch die Menge zur Haupttür, wo eine Gruppe seiner Soldaten aus dem Logres-Regiment darauf wartete, aussteigen zu können. Er deutete einen raschen Gruß an und wischte mit der Hand über das Fenster in der Tür, als er den silbernen Stahl des Bahnsteigs näher kommen sah. Etwas kam ihm merkwürdig vor, aber es dauerte einen Moment, bis ihm aufging, was es war. Der Bahnsteig war leer. Zwar hatten einige Gemeinden ihre Häuser nur widerstrebend verlassen, aber die meisten waren mehr als erpicht darauf gewe-
sen, in die Sicherheit von Erebus gebracht zu werden, und die Bahnhöfe waren voller ängstlicher Menschen gewesen, die bereits auf den Zug warteten. Aber nicht hier. Quinn seufzte, als ihm aufging, dass sie wahrscheinlich noch mehr sture Bauern überzeugen mussten, ihr Land zu verlassen und mit ihnen zu kommen. Mittlerweile sollte er sich wohl daran gewöhnt haben. Jedes Mal, wenn die Tarellier eine der Meeresfarmen auf Oceanus angriffen, hatten sie die starrköpfigen Krillbauern evakuieren müssen, die verdammt sein wollten, wenn sie den Besitz verließen, den ihre Familie schon seit Generationen bewirtschaftete. Quinns Erfahrung nach endeten solche Leute eher früher als später tot. Der Zug hielt an, und die Türen öffneten sich. Eiskalte Luft sog die Wärme aus dem Waggon, was von seinen Insassen mit Ächzen und Beschwerden kommentiert wurde. Quinn stieg aus dem Zug auf den mit Reif überzogenen Bahnsteig und spürte, wie unter seinen Stiefeln Eis knirschte. Das war ungewöhnlich. Die Bahnhofs-Servitoren hätten eigentlich für einen eisfreien Bahnsteig sorgen müssen. Die Fenster des Bahnhofsgebäudes waren mit Reif bedeckt und undurchsichtig, und von den Traufen hingen lange Eiszapfen herunter. Das an Ketten hängende Schild, das in dem leichten Wind leise quietschte, verkündete; dass dies Prandium sei. Er sah Sergeant Kleins Trupp ein Stück weiter entfernt auf dem Bahnsteig und winkte seinen Adjutanten zu sich. »Das ist eigenartig«, sagte er. »Das finde ich auch«, sagte Klein. »Hier ist schon seit längerem niemand mehr gewesen.« »Hier ist noch kein anderen Zug vor uns durchgekommen, oder?« Klein zückte die kleine Datentafel mit ihren Befehlen, die er in der Brusttasche seiner dicken Winterjacke aufbewahrte, und schüttelte den Kopf. »Meinen Information nach nicht, Herr Leutnant.« »Das gefällt mir nicht«, verkündete Quinn. »Was sollen wir tun?« »Gehen Sie in die Stadt«, sagte Quinn. »Aber seien Sie auf der Hut. Hier stimmt irgendwas nicht.« Klein salutierte und ging vorsichtig über den Bahnsteig zu sei-
nem Trupp zurück. »Also gut«, sagte Quinn. »Wir rücken aus.« Mit kleinen, bedächtigen Schritten ging er über den glatten Bahnsteig und entsicherte sein Lasergewehr, als er das Ende einer Treppe unter einem Schild erreichte, das zum Ausgang wies. Die Steinstufen waren rutschig vom Eis, und an der Unterseite des Geländers hingen mehr Eiszapfen. Langsam und mit großer Vorsicht gingen Quinn und seine Männer die Treppe hinunter und betraten das landwirtschaftliche Kollektiv von Prandium. In den verschneiten Straßen war es unheimlich still, nur das leise Heulen des Windes und die knirschenden Schritte seines Trupps störten die Stille. Nicht einmal der einsame Ruf eines Vogels war zu vernehmen. Die Häuser waren robust aussehende Fertigbauwerke und sahen aus wie diejenigen auf tausend anderen Welten auch, bestanden aber aus einheimischen Materialien und waren mit dem Schweiß und der Arbeitskraft ihrer Bewohner errichtet worden. Ein Generatorschuppen stand verlassen daneben, und drei große Getreidesilos erhoben sich am anderen Ende der Straße hoch über die Gemeinde. In der Luft lag eine Spannung, die sogar Quinn spüren konnte. Prandium wirkte verlassen. Hier war schon lange niemand mehr gewesen, und die Vernachlässigung war schmerzhaft offenkundig. »Gehen wir«, sagte er und führte seinen Trupp durch den knietiefen Schnee in die Siedlung. Die Straßen vermittelten ein Gefühl von Beengtheit und Bedrohung. Durch eine Lücke zwischen zwei Häusern sah er Kleins Trupp auf parallelem Kurs vorrücken. Eine Tür knallte im Wind zu, und alle fuhren zusammen. Lasergewehre schwangen in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Aus Quinns Verdacht, dass hier irgendwas nicht stimmte, wurde Gewissheit. Selbst wenn diese Leute einen früheren Zug genommen hätten, von dem er nichts wusste, hätte jeder Bauer sich die Zeit genommen, dafür zu sorgen, dass sein Besitz winterfest verriegelt war. Zwei große Erntemaschinen standen verrostet am Ende der Straße im Schatten der großen Getreidesilos, und Quinn bedeutete seinem Trupp, ihm zu folgen. Obwohl die eiskalte Luft alle Gerüche dämpfte, konnte er dennoch den Gestank von verdorbenem Getreide wahrnehmen. Als sie die Erntemaschinen umrundeten, sah er etwas, das ihn innehalten und eine Faust heben ließ. Am Fuß des nächsten Getreidesilos war ein drei Meter langer
Riss in der Außenwand des Silos. Das Metall war weggebogen worden. Aus dem Riss war Getreide gerieselt, das einen gefrorenen Haufen draußen auf dem Boden bildete. Er näherte sich vorsichtig dem Loch im Silo, und jähe Kälte hüllte ihn ein, als er in den langen Schatten des Gebäudes trat. Quinn zog das Kettenschwert, und sein Daumen schwebte über der Einschaltrune. Er trat auf das kiesige Getreide, schaltete die Taschenlampe ein, die unter dem Lauf seines Gewehrs befestigt war, und holte tief Luft, während er in die Dunkelheit des Silos starrte. Ein durchdringender Gestank, durch die Kälte gedämpft, drang ihm in die Nase, als er vorsichtig das Silo betrat und den Strahl seiner Taschenlampe durch das Innere wandern ließ. Das Licht konnte nur Ausschnitte von dem zeigen, was sich darin befand, aber selbst das war noch zu viel. Er winkte benommen seinen Kom-Soldaten zu sich. »Rufen Sie Sergeant Klein hierher«, flüsterte er mit zitternder Stimme, »und sagen Sie ihm, er soll sich beeilen...« Sergeant Learchus, Major Satria und Oberst Stagler vom KriegRegiment standen auf der vereisten Brustwehr des ersten Walls von Erebus und beobachteten die Soldaten der Bürgerwehr bei ihren Übungen auf der Esplanade zwischen diesem Wall und dem zweiten. Männer schwitzten und grunzten unter ihnen, aber die Geräusche ihrer Bemühungen gingen im Klirren von Hämmern und Schaufeln auf dem gefrorenen Boden unter, da andere Soldatentrupps Grabenlinien vor den Wällen aushoben. Learchus beobachtete die Männer unter sich mit einer Mischung aus Enttäuschung und Resignation. »Sie sind nicht beeindruckt, nehme ich an«, sagte Satria. Learchus schüttelte den Kopf. »Nein, die meisten dieser Männer würden keine Woche in Agiselus überleben.« »Das ist eine der Ausbildungskasernen auf Macragge, nicht wahr?«, fragte Stagler. »Ja. Sie liegt am Fuß der Berge von Hera, wo Roboute Guillaume persönlich ausgebildet wurde. Dort haben auch Hauptmann Ventris und ich unsere Ausbildung absolviert.« Soldaten arbeiteten in kleinen Gruppen und übten den Kampf mit dem Bajonett und Nahkampftechniken, ließen dabei aber kaum einmal die Fähigkeiten erkennen, die sie brauchen würden, um die bevorstehenden Schlachten zu überleben.
Bei seiner ersten Truppeninspektion hatte Learchus jeden Zug dabei beobachtet, wie er akkurate, disziplinierte Salven von Laserstrahlen abfeuerte und nah beieinanderliegende Löcher in die Zielscheiben bohrte. Er war zum ersten Zug gegangen und hatte sich von einem nervösen Soldaten ein Lasergewehr geholt, bevor er wieder zu dem überrascht aussehenden Major Satria zurückkehrte. »Sie bringen ihnen das Schießen bei?« »Na ja, ich dachte, das könnte ganz wichtig bei einem Soldaten sein«, hatte Satria erwidert. »Aber nicht gegen Tyraniden«, sagte Learchus. »Haben Sie jemals einen Tyranidenschwarm gesehen?« »Sie wissen, dass das nicht der Fall ist.« »Ich schon, und sie greifen in Massen an, die so dicht sind, dass ein Blinder bei zehn Versuchen zehnmal treffen würde. Jeder, der ein Gewehr halten kann, ist in der Lage, einen Tyraniden zu treffen. Aber wie viele man auch erschießt, es gibt immer noch mehr, und unsere Aufgabe besteht darin, diesen Männern beizubringen, wie man gegen die Tyraniden kämpft, die unsere Linien erreichen.« Seitdem fiel die Organisation eines kohärenten Ausbildungsprogramms Learchus zu, und seit er vor einer Woche die Schließung der Tore von Erebus befohlen hatte, kämpfte er nun gegen bürokratische Unnachgiebigkeit und Jahre tief verwurzelter Dogmen an, um ein praktikables System einzurichten. Im Morgengrauen standen die Männer auf, übten das Auseinandernehmen und Zusammensetzen ihrer Waffen und vollführten Übungen, um ihre Kondition und körperliche Verfassung zu verbessern. Angehörige des Logres-Regiments zeigten den Soldaten gute Übungen bei kaltem Wetter, da alle Aktivitäten sorgfältig kontrolliert werden mussten, damit die Soldaten keine Schweißschicht unter ihrer Winterkleidung aufbauten, die später kondensieren und damit ihre Isolationseigenschaften drastisch beeinträchtigen konnte. »Diese Männer müssen schneller lernen«, sagte Learchus. »Wenn sie so weitermachen, werden sie alle beim ersten Angriff sterben.« »Sie erwarten Unmögliches von ihnen, Sergeant«, sagte Satria. »Wenn wir sie zwingen, so weiterzumachen, werden sie uns bald mehr hassen als die Tyraniden.«
»Gut. Wir müssen ihnen zunächst jegliches Ich-Gefühl nehmen. Wir müssen ihnen jede Vorstellung von dem nehmen, wofür sie sich halten, und sie dann neu zu den Soldaten aufbauen, die sie sein müssen, um zu überleben. Mich interessiert nicht, ob sie mich hassen, nur dass sie lernen. Und zwar schnell.« »Das wird nicht leicht sein«, sagte Satria. »Das ist unwesentlich«, sagte Stagler. »Die schwächsten Männer fallen ohnehin zuerst. Wenn sich die Spreu vom Weizen getrennt hat, bleiben nur noch die wahren Krieger übrig.« »Spreu?«, sagte Satria. »Das sind meine Soldaten, und ich lasse nicht zu, dass man so über sie spricht.« »Ihre Soldaten lassen eine Menge zu wünschen übrig, Major Satria«, stellte Stagler fest, der die Hände auf dem Rücken verschränkt hatte. Seine patrizischen Züge wirkten infolge der Kälte spitz, und sein strenger Blick wanderte missbilligend über das Übungsgelände. Learchus gab Stagler recht, und obwohl er wusste, dass Satrias Männer sich Mühe gaben, musste diese Mühe auch zu Ergebnissen führen, wenn sie irgendetwas nützen sollte. Er sah einer Gruppe Soldaten zu, die das Zustoßen und Parieren mit dem Bajonett übten und dabei in ihrer Bewegungsfreiheit von der dicken Winterkleidung behindert wurden. Ursprünglich hatten die Soldaten ohne Koppel und Winterkleidung geübt, aber dem hatte Learchus rasch ein Ende bereitet. Was hatte es für einen Sinn, unter idealen Bedingungen zu trainieren, wenn die Kämpfe so niemals ausgetragen würden? Learchus glaubte ganz fest an die Philosophie von Agiselus' schwere Ausbildung, leichter Kampf. Jede Übung der Kadetten dort verlangte von den Männern Unerreichbares, so dass der tatsächliche Kampf, wenn er denn kam, niemals so schwer war. Auch nach einer Woche der Ausbildung waren die Soldaten noch zu langsam. Tyraniden-Kreaturen waren unerhört flink, und ihre messerscharfen Glieder schlugen blitzschnell zu. Learchus wusste, dass die Verluste unter diesen Soldaten in der Tat sehr hoch sein würden. Ohne ein Wort der Erklärung machte er auf dem Absatz kehrt und ging die Treppe von der Brustwehr zur Esplanade herunter. Satria und Stagler folgten ihm eiligst die glatten Pflastersteine hinab. Er schritt in die Mitte des Übungsgeländes und blieb dort mit in die Hüften gestemmten Händen stehen. Die Aktivitäten rings um
ihn kamen allmählich zum Erliegen, bis sich die Soldaten langsam um den Space Marine in ihrer Mitte versammelten. »Ihr seid von den Idealen Ultramars abgewichen, die euch der gesegnete Primarch als sein Vermächtnis hinterlassen hat«, begann Learchus. »Ihr seid vom Firlefanz und von der Behaglichkeit verführt worden, die ein Leben in Luxus und Frieden mit sich bringt. Ich bin hier, um euch zu sagen, dass diese Zeiten vorbei sind. Behaglichkeit ist eine Illusion, eine Chimäre, die aus vertrauten Dingen und Angewohnheiten geboren wird.« Learchus marschierte in dem Kreis der Soldaten umher und unterstrich seine Worte, indem er sich mit einer Faust rhythmisch auf die Handfläche schlug. »Behaglichkeit schränkt den Geist ein, schwächt das Fleisch und raubt euch den Kriegergeist, das Feuer und die Entschlossenheit. Damit ist jetzt Schluss.« Er marschierte zurück in die Mitte des Kreises und sagte: »Behaglichkeit ist hier nicht mehr willkommen und wird auch nicht mehr geduldet. Gewöhnt euch daran.« Die Haut am Fuß des Soldaten sah wächsern aus und hatte eine grau-gelbliche Farbe. Aus mehreren aufgeplatzten Blasen sickerte eine klare Flüssigkeit auf die makellosen weißen Laken des Bettes. Joaniel Ledoyen schüttelte den Kopf über die Dummheit dieses Soldaten, während sie ihm eine Nadel in das Fleisch seiner Fußsohle stach. Der Mann reagierte nicht, obwohl sie nicht sagen konnte, ob dies eine Folge der Erfrierung war oder der halben Flasche Amasec, die er geleert hatte, um die Schmerzen zu betäuben. Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem, dachte sie, während sie die Nadel weglegte und etwas auf das Krankenblatt des Mannes kritzelte, das am Fußende seines Betts hing. »Ist es schlimm?«, fragte der Soldat mit undeutlicher Stimme. »Es ist nicht gut«, sagte Joaniel unverblümt. »Aber wenn Sie Glück haben, können wir Ihren Fuß vielleicht retten. Sind Sie nicht unterwiesen worden, wie man Erfrierungen vermeidet?« »Aye, aber ich kann nicht so gut lesen, Schwester. Hab ich nie gelernt auf Krieg.« »Nicht?« »Nein, wenn man alt genug ist, wird man sofort zum Regiment geschickt. Oberst Stagler hält nichts von gebildeten Männern, er
sagt, dass es gebildete Männer waren, die überhaupt erst dafür gesorgt haben, dass Krieg zerbombt wurde. Der Oberst sagt, ein Mann braucht nur zu kämpfen und zu sterben. So läuft das auf Krieg.« »Mit etwas Glück sind Sie bald wieder auf den Beinen, aber ich hoffe, dass Sie den Teil mit dem Sterben vermeiden können«, sagte Joaniel. Der Soldat zuckte die Achseln. »Wie der Imperator will.« »Ja«, nickte Joaniel traurig, während sie sich entfernte. »Wie der Imperator will.« Bisher hatte sie an diesem Tag vielleicht fünfzig Fälle leichter Unterkühlung und ein Dutzend Erfrierungen behandelt, die von leichter Blässe der Haut bis hin zu diesem Bedauernswerten reichten, der trotz ihrer optimistischen Worte seinen Fuß sehr wahrscheinlich verlieren würde. Joaniel zog die Gummihandschuhe aus und warf sie in den Abfall, wobei sie wieder zum Schwesternzimmer am Ende der langen Bettreihe ging. Sie schonte das rechte Bein und drückte die Handfläche gegen ihre Hüfte, während sie den Männern des Logres-Regiments zusah, die sich in dem langen, gewölbeartigen Raum zu schaffen machten. Sie benutzten Thermalverbände, um allmählich und auf kontrollierte Weise wieder Wärme in die erfrorenen Glieder der Verwundeten zu bekommen. Zum Glück waren die Betten des Krankenhauses im Bezirk Quintus immer noch größtenteils leer das Gebäude konnte über tausend Patienten aufnehmen -, obwohl sie wusste, dass sich das stetig zunehmende Rinnsal der in ihre Station eingelieferten Soldaten in einen reißenden Strom verwandeln würde, sobald der Krieg einmal begonnen hatte. Remian IV hatte sie das gelehrt. Sie rieb sich die Schläfen und gähnte, während sie das Band löste, das ihren Pferdeschwanz zusammenhielt, dann fuhr sie sich mit der Hand durchs Haar. Hochgewachsen und statuenhaft, war Joaniel Ledoyen eine gut aussehende Frau von vierzig Standardjahren mit rauchblauen Augen und vollen Zügen, die von großer Würde und Mitgefühl kündeten. Sie trug ein langes fließendes weißes Gewand mit dem Wappen des Ordens der Ewigen Kerze, einem der Heilerorden des Convent Sanctorum der Adepta Sororitas, das in der Taille von einer roten Schärpe gehalten wurde. Anders als die kämpfenden Schwestern der militärischen Orden,
leisteten die Schwestern der Heilerorden den kämpfenden Männern und Frauen der Imperialen Garde medizinische Hilfe und errichteten Missionen für die Bedürftigen und Verarmten des Imperiums. Viele verwundete Soldaten verdankten den Schwestern der Heilerorden das Leben, und es war tröstlich für jene an der Front zu wissen, dass sie diese Hilfe erwartete, sollten sie verwundet werden. Eine ihrer jüngeren Schwestern, Ardelia Ferria, sah auf und lächelte, als sie Joaniel kommen sah. Ardelia war jung und hübsch und hatte gerade erst ihre Ausbildung zur Novizin beendet und ihre Gelöbnisse auf Ophelia VII geleistet. Sie mochte sie, und obwohl die junge Frau die Gräuel des Krieges noch nicht erlebt hatte, war Joaniel doch recht sicher, dass Ardelia eine gute Schwester abgeben würde. »Alles erledigt für die Nacht?«, fragte Ardelia. »Ja, dem Imperator sei Dank. Die meisten dieser Männer werden es überleben.« »Sie haben Glück, dass Sie sich um sie kümmern, Schwester Ledoyen.« »Wir tragen alle unseren Teil dazu bei, Schwester Ferria«, sagte Joaniel bescheiden. »Sind die neuen Hilfsgüter für das obere Tal schon eingetroffen?« »Nein, noch nicht, obwohl mir das Stadtkommissariat versichert hat, dass sie bald kommen sollen«, sagte Ardelia mit mehr als nur einer Spur Skepsis. Joaniel nickte, da sie Ardelias Zweifel teilte und an die Launen des Kommissariats der Stadt gewöhnt war, wusste aber, dass die Hilfsgüter in den kommenden Tagen dringend gebraucht wurden. Sie musste sich am nächsten Morgen an das Kommissariat wenden und Aufklärung verlangen, was aus ihnen geworden war. »Ich kann mich den Rest der Nacht um die Stationen kümmern«, sagte Ardelia. »Sie sollten für heute Schluss machen, Schwester Ledoyen. Sie sehen müde aus.« Joaniel versuchte sich nicht gekränkt zu fühlen, tat es aber wohl doch. Die Last der Verantwortung und zu viele unschöne Erinnerungen hatten sie vorzeitig altern lassen, und obwohl sie immer noch den körperlichen Anforderungen entsprach, die ihr Orden an seine Mitglieder stellte, und auch ein Boltgewehr in unter vierzig Sekunden auseinandernehmen und wieder zusammensetzen
konnte, wusste sie, dass dieses Ziehen von einem Krieg zum anderen ihre Züge melancholisch gemacht hatte. Der Krieg auf Remian IV war der schlimmste, den sie je erlebt hatte: schreiende Männer, die um einen barmherzigen Tod gefleht hatten, anstatt solche Qualen erleiden zu müssen. Der Gestank nach Blut, entleerten Gedärmen und antiseptischen Flüssigkeiten sowie allgemein nach Krieg war noch lange bei ihr geblieben, nachdem er schon gewonnen war. Sie erinnerte sich an die Monate der Ratschläge, die sie den Soldaten nach der Schlacht gegeben hatte und mit denen sie viele aus dem Grauen ihrer Erfahrungen auf Remian zurückgeholt hatte. Wegen ihrer beschwichtigenden Worte und ihrer sanften Art hatten die Soldaten sie Engel von Remian getauft, und seitdem folgte ihr dieser Name. Sie hatte auf Remian Hunderte vor dem Tod gerettet, wenn nicht Tausende, aber am Ende war niemand da gewesen, um das Grauen in ihrem eigenen Kopf zu lindern. In ihren Träumen kehrte sie immer wieder dorthin zurück und weinte, wenn sie eine sprudelnde Arterie abklemmte und um das Leben eines gesichtslosen Soldaten kämpfte, während dieser schrie und mit gebrochenen Fingern nach ihr krallte. Abgetrennte Gliedmaßen und der erstickende Geruch nach verbranntem menschlichem Fleisch erfüllten immer noch ihre Sinne, und jede Nacht erwachte sie mit einem flehentlichen Schrei auf der Zunge. Joaniel erwog kurz, in ihre kahle Zelle über den Stationen zurückzukehren, aber die Aussicht auf die Leere dort war vorübergehend zu viel für sie. »Ich werde noch ein Gebet an den Imperator richten, bevor ich mich zurückziehe. Rufen Sie mich, wenn Sie etwas brauchen«, sagte sie zu Ardelia, bevor sie sich verbeugte und durch die dicken Holztüren ging, die von der Hauptstation in das steingeflieste Vestibül führte. Sie ging steif zu einem niedrigen Torbogen und betrat einen kurzen, von Kerzen erleuchteten Gang mit einer schwarzen Tür an seinem Ende. Die Schnitzerei einer Kapuze tragenden Gestalt mit goldenen Flügeln füllte die Tür aus, und Joaniel stieß sie auf und betrat die Krankenhauskapelle. Die Kapelle war eine schlichte Angelegenheit, kaum groß genug für zwei Dutzend Gläubige. Drei Reihen aus harten Holzbänken verliefen ordentlich von der Alabasterstatue am Ende des Kirchenschiffs, und viele brennende Kerzen erfüllten die Kapelle mit
einem warmen, rauchigen Schein. Über der Statue warf ein halbkreisförmiges Buntglasfenster eine Insel aus farbigem Licht auf den gebohnerten Holzboden. Joaniel verbeugte sich, ging zu den beiden Steinbänken neben der Statue und kniete davor nieder. Sie neigte den Kopf und faltete die Hände zum Gebet. Lautlos flüsterte sie die Worte der Verehrung und des Gehorsams und ignorierte den dumpfen Schmerz, der in ihren Knien zunahm, während die Kälte des nackten Bodens in ihre Knochen sickerte. Tränen traten ihr beim Beten in die Augen, da ihr die Bilder und Laute von Remian so lebhaft gegenwärtig waren, dass sie den Rauch schmecken und das Blut riechen konnte. Sie beendete ihr Gebet und richtete sich unter Schmerzen wieder auf. Die Metallstifte in ihrem rechten Oberschenkel schmerzten in der Kälte. Das Feldlazarett auf Remian hatte einen direkten Treffer von einer feindlichen Artilleriegranate abbekommen, und sie allein war aus den Trümmern geborgen worden. Die Knochen in ihrem Bein waren völlig zerschmettert worden. Die Soldaten, die ihr das Leben verdankten, hatten die besten Chirurgen zusammengetrommelt, und ihre Operation war im flackernden Licht dauernden Artilleriebeschusses ausgeführt worden. Sie hatte überlebt, aber ihre vielen Tausend Patienten in dem Lazarett nicht, und das mit ihrem Überleben verknüpfte Schuldgefühl fraß an ihrer Seele wie ein Krebsgeschwür. Sie rieb sich wieder Gefühl in die Beine und verbeugte sich noch einmal vor der Statue des Imperators, bevor sie sich auf den Weg in ihre kalte Zelle machte. »Wie der Imperator will«, sagte sie. Die vulkanische Welt Yulan sah aus dem Raum wunderschön aus. Ihre flackernde Atmosphäre war von scharlachroten Blitzen erfüllt, und die Wirbel rubinroter Wolken zeichneten Bänder aus leuchtenden Farben über die nördliche Hemisphäre. Eine Gruppe von Schiffen hing in der Umlaufbahn, die durch die seismischen Entladungen und das Aufflackern der aus der geborstenen Erdkruste dringenden und verbrennenden Gase herumgestoßen wurden. Ihre Kapitäne kämpften darum, die Schiffe ruhig zu halten, deren Schutzschirme auf volle Leistung hochgefahren worden waren, um sie vor der Vielfalt gefährlicher Materialien zu schützen, die von der Welt unter ihnen ausgespien wurde. Wenngleich
selbst das kleinste Schiff fast einen Kilometer lang war, waren sie doch alle winzig im Vergleich zu den drei Ungetümen, die in geostationärer Umlaufbahn über Yulan hingen. Viele Hundert Schlepper aus den Docks über dem nahen Planeten Chordelis kämpften gegen das Miasma der Turbulenzen in den unteren Atmosphärenschichten des Planeten an, um sich vor den riesigen Andocklaschen an der Vorderseite dieser gewaltigen Schöpfungen in Position zu bringen. Jedes Ungetüm war eine Wasserstoffplasma-Abbaustation, die ihre Fühler tief in die ungestüme Atmosphäre des Planeten ausstreckte und ihre Bestandteile zu wertvollen Treibstoffen raffinierte, die von den Panzern der Imperialen Garde, den Schiffen der Flotte und buchstäblich jeder Maschine verbrannt wurden, die von den Adeptus Mechanicus gewartet wurden. Sie waren weitestgehend automatisiert, da der Umgang mit derart leicht entzündlichen Brennstoffen, gelinde ausgedrückt, hochgradig gefährlich war. Mehrere Stunden lang und auf Kosten zahlreicher ServitorDrohnen wurde das erste der riesigen Raffinerie-Schiffe langsam aus der Umlaufbahn geschleppt, da seine gewaltige Masse nur im Schneckentempo befördert werden konnte. Trotz der Gefahr, die das Arbeiten in so einer unwirtlichen Umgebung darstellte, dauerte es nur wenig länger als drei Stunden, die Schlepper an die zweite Raffinerie anzukoppeln, die sich dann ebenso wie die erste auf die Fahrt nach Chordelis machte. Der Magos der Adeptus Mechanicus, der das Unternehmen leitete, war zufrieden mit dem Tempo, in dem es voranschritt, wusste aber auch, dass die Zeit für die Bergung der dritten Raffinerie knapp wurde. Die Tyranidenflotte hatte bereits Parosa erreicht und war in diese Richtung unterwegs. Zeit war von entscheidender Bedeutung, und weitere sechs frustrierende Stunden verstrichen, in denen die Besatzungen der Schlepper immer wieder versuchten, in den turbulenten tieferen Schichten der Atmosphäre an die letzte Raffinerie anzudocken. Die Schlepperkapitäne versuchten es noch einmal, und die Befehle, mit Eile zu Werke zu gehen, machten sie vielleicht waghalsiger, als gut für sie war. Doch Eile und eine Milliarden Tonnen schwere Raffinerie voller leicht entzündlicher Brennstoffe sind zwei Dinge, die nicht gut
zusammenpassen. Der Kapitän des Schleppers Truda brachte sein Schiff behutsam an der vorderen Andockklammer der letzten Raffinerie in Position, ohne sich dabei an die normalen Sicherheitsverfahren hinsichtlich der Annäherung zu halten. Als die Truda in ihre endgültige Position flog, war ihr Kapitän so auf die Andocklaschen vor sich fixiert, dass er die Cylla übersah, die um einen Ansaugturm für die Atmosphärengase flog. Im letzten Augenblick erkannten beide Kapitäne die Gefahr und versuchten die unausweichliche Kollision zu vermeiden, und die Truda schwenkte nach steuerbord und prallte gegen den Ansaugturm. Der Aufprall zerstörte die Truda und verbog das heiße Metall des Turms, und der Schlepper selbst durchschlug die dünnen Platten, bevor er explodierte, als seine Treibstoffzellen barsten. Die Truda hätte die Raffinerie an keiner schlechteren Stelle treffen können. Der Ansaugturm, dessen Aufgabe darin bestand, die heißen Gase vom Planeten unter ihr aufzufangen, saugte einen Großteil der Schlepperexplosion und mit ihr das brennende Plasma der Triebwerke direkt ins Herz der Verbrennungskammern der Raffinerie, wo es eine unkontrollierte Kettenreaktion auslöste. Notfallprozeduren wurden gestartet, doch Brandschutzschotts schlossen sich nicht, weil seit dem Bau der Raffinerie viele Tausend Jahre vergangen waren und die alten Schaltkreise längst nicht mehr funktionierten. Nur Minuten nach dem Unfall explodierten die Kammern der Raffinerie der Reihe nach, und jede Explosion sprengte mehr Speicherkammern, so dass sich ihre Gewalt exponentiell steigerte. Aus der Umlaufbahn sah es so aus, als zucke die riesige Raffinerie krampfhaft, und noch bevor die anderen Schlepper in der Nähe gewarnt werden konnten, explodierte sie in einem flammenden Glutball, der die Helligkeit der Sonne in den Schatten stellte. Alles im Umkreis von tausend Kilometern um den Explosionsherd wurde augenblicklich verdampft, und die Druckwelle ließ die Planetenoberfläche aufbrechen, so dass Wolken aus feurigen Gasen in den Raum schossen. Die Druckwelle verlief sich und ließ nichts von der Raffinerie und den vielen Hundert Angehörigen der Adeptus Mechanicus zurück, die mit der Aufgabe ihrer Bergung betraut waren, bis auf eine expandierende Wolke brennenden Plasmagases.
Die Flotte der Schlepper im Raum blieb von der Katastrophe in ihrem Kielwasser unbeeindruckt und setzte ihre Fahrt mit den beiden Überlebenden der aus der geo-stationären Umlaufbahn um Yulan geborgenen Raffinerien im Schlepptau nach Chordelis fort. Warum der Admiral der Ultramarines sie mit dieser gefährlichen Aufgabe betraut hatte, wussten sie nicht, aber ihnen stand auch nicht an, danach zu fragen, sondern nur zu gehorchen. Die sechs Lastwagen standen im spärlich erleuchteten Fahrzeughangar. Das durch die hohen Fenster einfallende Mondlicht lieferte die einzige Beleuchtung. Ein Dutzend Soldaten grunzte, während sie die Laster mit Kisten beluden, eine Arbeit, die von einem Magazin-Sergeanten des Kommissariats von Erebus beaufsichtigt wurde, der trotz der herrschenden Temperatur von unter null Grad unter der pelzgefütterten Kapuze seiner Winterjacke schwitzte. Er rauchte ein Lho-Stäbchen und stampfte mit den Füßen, um sich der Kälte zu erwehren, während die letzte Kiste auf einen der Laster verladen wurde. Alle trugen ein Brandzeichen da, wo das Departmento Munitorum Lieferungsnummer und Regimentswappen auf gestempelt hatte. Die Heckklappen der Laster wurden geschlossen und mit an Ketten befestigten Eisenstiften gesichert, und als seine Soldaten an ihm vorbeimarschierten, drückte er jedem ein Bündel Solawechsel in die Hand. »Macht keine Dummheiten damit«, warnte er. Nachdem der letzte Soldat den Hangar verlassen hatte, drückte er sein Lho-Stäbchen aus und drehte eine Runde um die Lastwagen, um sich zu vergewissern, dass alle Heckklappen gesichert waren. Als er an der letzten rüttelte, löste sich eine Gruppe Gestalten aus dem Schatten am anderen Ende des Hangars. »Alles fertig?«, fragte die vorderste Gestalt. Der Magazin-Sergeant schrak zusammen, und seine Hand tastete nach der Pistole unter seiner Jacke. »Das würde ich an deiner Stelle lassen«, knurrte eine ungeschlachte Gestalt hinter der ersten, und der Sergeant hob abwehrend die Hände. »Schneehund«, hauchte er erleichtert, während er die Hände senkte, da die Gruppe ins Licht trat. Er schob sich noch ein LhoStäbchen zwischen die Lippen. »Hast du jemand anders erwartet, Tudeca?«, fragte Schneehund, die Schrotflinte lässig auf die Schulter gelegt. Der Anführer
der Nachtschleicher trug einen dicken Wollmantel zum Schutz vor der winterlichen Kälte, und das gebleichte Haar glänzte ebenso silbern wie die des Mädchens neben ihm. Hinter Schneehund standen der psychotische Schläger, den er Jonny Stampfer nannte, sowie ein Trio schmerzhaft magerer Jugendlicher mit bunten, wenn auch schlecht gezeichneten Tätowierungen im Gesicht. Auf eine Geste von Schneehund trabten sie zu drei der Lastwagen. Ein rothaariges Mädchen in einem engen Trikotanzug stieg in den nächsten. »Nein«, sagte Sergeant Tudeca. »Ihr habt mich nur erschreckt. Ich hatte euch nicht so früh erwartet.« »Was soll ich sagen? Ich überrasche Leute gern«, sagte Schneehund mit einem Nicken, das Jonny Stampfer galt. Der viehische Riese kletterte auf die Ladefläche jedes Lasters und zählte die Kisten. Sergeant Tudeca trat nervös von einem Fuß auf den anderen, überrascht, dass Jonny Stampfer weiter zählen konnte, als er Finger hatte, während Schneehund und Silber ihn aufmerksam beobachteten. »Ist alles da?«, fragte Schneehund. »Ja, es ist alles da. Medizinische Hilfsgüter und Verpflegung, wie ihr wolltet. Habe ich nicht gesagt, ich könnte alles besorgen?« »Ja, du hast dich wirklich für uns ins Zeug gelegt«, gab Schneehund ihm recht, indem er Tudeca einen Arm um die Schultern legte und ihm das Päckchen Lho-Stäbchen aus der Brusttasche klaubte. Schneehund wartete eine Sekunde, dann hob er eine Augenbraue, bis Tudeca den Wink verstand und ihm Feuer gab. Die Flamme wackelte in seinen zitternden Händen, und Schneehund griff zu und hielt die Hand des Sergeanten ruhig. »Alles in Ordnung, Tudeca?«, fragte Schneehund mit geheuchelter Besorgnis. »Du siehst so zittrig aus, Mann. Hast du irgendwas auf dem Herzen?« »Es kostet mehr«, platzte es aus Tudeca heraus. »Ich musste meinen Jungs das Doppelte von dem geben, was sie sonst dafür kriegen. Die Kommissare greifen hart gegen alle durch, die sie beim Stehlen erwischen, und wenn sie mich schnappen, ist mir eine Kugel sicher.« »Tudeca, Tudeca«, beschwichtigte Schneehund. »Du darfst das nicht als Stehlen betrachten. Betrachte es als Umverteilung an die Leute, die es wirklich brauchen. Dieses ganze Zeug sollte doch zu
den Krankenhäusern für die Fremdwelt-Regimenter gehen. Ich sorge dafür, dass es der Bevölkerung von Erebus zugute kommt... gegen eine Schutzgebühr.« Tudeca lachte heiser und sagte: »Schutzgebühr! Ihr verkauft das Zeug für das Vierfache von dem, was es wert ist.« »He, Mann, da draußen regelt die Nachfrage den Preis. Wenn ich mit diesem Krieg etwas Geld verdienen kann, wer will behaupten, dass daran was Schlechtes ist?« »Vergiss nicht, dass du auch bis zum Hals mit drinsteckst«, stellte Silber fest, deren langes Haar im Mondlicht glänzte. »Ja, ich weiß«, sagte Tudeca mürrisch, während Jonny Stampfer von der Ladefläche des letzten Lastwagens sprang. »Es ist alles da, soweit ich das sagen kann«, sagte er. »Was soll das denn heißen?«, sagte Schneehund. »Entweder ist alles da oder nicht.« »Ich meine, für mich sieht es richtig aus«, knurrte Jonny. »Das reicht mir«, sagte Schneehund achselzuckend, während Silber und Jonny Stampfer sich jeweils hinter das Steuer eines der Lastwagen klemmten. Er stieg ins Führerhaus des Lastwagens neben sich und knallte die Tür hinter sich zu. Er kurbelte das Seitenfenster herunter, lehnte sich nach draußen und schaute über die Schulter zu Sergeant Tudeca, während die Motoren der Laster stotternd zum Leben erwachten. Er zückte ein Bündel Geldscheine, ein Großteil der Beute aus der Fleischbar abzüglich des Betrags, den er einem anderen unehrlichen Magazin-Sergeanten in der Nacht zuvor für eine gestohlene Waffenladung bezahlt hatte , und warf es Tudeca zu. Der Sergeant fing es mit einem schiefen Grinsen der Habgier auf. »In einer Weile kann ich noch mehr von dem Zeug besorgen«, rief er, da die Gier seine natürliche Feigheit überwand. »Ich muss nur warten, bis etwas Gras über die Sache hier gewachsen ist.« Scheinwerferstrahlen stachen von ihren Halterungen ins Dunkel, und der erste Laster fuhr in die Nacht. »Hört sich gut an«, sagte Schneehund und gab Gas. »Geschäft«, sagte Tudeca, »ist schließlich Geschäft.« »Ja«, stimmte Schneehund ihm zu. »Wie gehabt.«
SIEBEN
Die Docks in der Umlaufbahn um Chordelis stellten eine Szenerie aus kontrollierter Anarchie dar, denn jeder Techniker, Schiffszimmermann und körperlich gesunde verfügbare Mann war zum Dienst verpflichtet worden, die an den Schiffen der Imperiumsflotte von den Tyraniden in der Schlacht von Barbarus angerichteten furchtbaren Schäden zu reparieren. Ein Ring aus Kanonenbooten bildete eine Postenkette um die Schiffe, um sie von dem Schwarm der Schiffe abzuriegeln, der sich in unkontrollierter Flut von Chordelis' Oberfläche erhob. Unter Aufsicht der Techmarines der Mortifactors wurden dicke Stahlschichten auf die beschädigten Abschnitte der Mortis Probati geschweißt und frische Granaten in ihre Magazine verladen. Die Mannschaften der Heldenhafte Tat und des einzigen überlebenden Schiffs des Hydra-Geschwaders umschwärmten ihre Schiffe und nahmen provisorische Reparaturen vor, die es ihnen ermöglichen würden, wieder in die Schlacht zu fliegen. Niemand gab sich Illusionen darüber hin, dass diese Reparaturen anderer als zeitweiliger Natur waren jedes Schiff würde viele Monate in einem Dock zubringen müssen, bis es wieder voll diensttauglich war. Die Vae Victus hatte die Schlacht vergleichsweise unbeschadet überstanden. Ihr Rumpf war an vier Stellen durchbrochen worden, aber keiner der eingedrungenen Organismen der Tyraniden war weiter gekommen als bis zu den Außendecks, und die Instandsetzung war eine relativ einfache Angelegenheit. Nicht, dass dies ein Trost für Admiral Tiberius gewesen wäre, der geschworen hatte, die Beleidigung nicht zu vergessen, die seinem Schiff durch das Ungestüm der Mortifactors zuteil geworden war. Ein Großteil der Arbeiten an ihrem Rumpf war bereits abgeschlossen, und jenseits der Postenkette der Kanonenboote warteten bereits das Geschwader Arx Praetora und die beiden Kreuzer Yermetov und Luxor, um sie auf eine weitere Mission zu begleiten. Seit die Warnung vor der unmittelbar bevorstehenden Ankunft der Tyraniden Chordelis erreicht hatte, leerte sich der Planet beständig, und viele Hundert Schiffe verstopften die Schifffahrtsrouten rings um die Welt. Wohlhabende Bürger mit eigenen Schiffen verließen sie zuerst, dann jene, die in der Lage waren, eine Passage auf einem Schiff zu buchen. Alle mit genug Geld flohen weiter zum galaktischen Zentrum, während jene, die eine solche Reise nicht bezahlen konnten, auf kommerziellen, mit Flüchtlingen
vollgestopften Schiffen flogen, die zwischen Chordelis und Tarsis Ultra pendelten. Gierige Kapitäne, die hohe Gewinnmöglichkeiten witterten, hoben ihre Preise entsprechend an, bis auch die Wohlhabenden als Habenichtse flohen. Zwar entkamen Millionen, aber Millionen mehr blieben auch zurück. Auf jedem größeren Raumhafen bildeten sich panikerfüllte Mengen, die sich in Sicherheit zu bringen versuchten. Verzweifelt darauf bedacht zu fliehen, boten Männer ewigen Dienst und Frauen sich selbst an. Manche hatten Erfolg, andere nicht, und unter den Bewohnern von Chordelis breitete sich Furcht aus wie eine Epidemie. In Berliaas demonstrierten verzweifelte Menschen vor dem Palast des Gouverneurs und verlangten, für die Evakuierung der Bevölkerung zu sorgen. Die allgemeine Erregung stieg, und schließlich stürmten viele Tausend erboste Einwohner den Palast, um feststellen zu müssen, dass der Gouverneur bereits von Chordelis geflohen war und seine Appelle, die Ruhe zu bewahren, aus dem Raum gesendet worden waren. In Dremander eröffnete die Besatzung eines Freihändlerschiffs das Feuer auf Leute, die ihr Schiff an sich zu bringen versuchten, und töteten über siebzig, bevor sie überrannt und von der wütenden Menge in Stücke gerissen wurden. Zwei Tage nach diesem Zwischenfall starben in Jaretaq, dem größten Raumhafen des Planeten, mehr als elftausend Personen, als verängstigte Massen die Absperrungen der den Eingang bewachenden Arbites durchbrachen, auf die Landeplattformen strömten und Plätze auf der Flotte der im Abflug begriffenen Schiffe verlangten. Als der Luxuskreuzer Cherrona startete, hinderte die wütende Menge das Bodenpersonal daran, die Haltetaue zu lösen. Der Steuerbordantrieb wurde aus der Halterung gerissen, als der Kapitän das Schiff in die Abflugposition drehte. Das Triebwerk fiel und explodierte wie eine Bombe zwischen den wogenden Menschen, während das Schiff schwerfällig absackte, da die Schwerkraft zu stark für das eine verbliebene Triebwerk war. Voll beladen mit Flüchtlingen und vielen Tausend Tonnen Treibstoff, schwankte die Cherrona trunken in der Luft und rammte den nicht weit entfernten Kontrollturm, bevor sie wieder auf die Landeplattformen des Raumhafens abstürzte. Die Cherrona explodierte mit der Wucht eines OrbitalBombardements und schleuderte brennende Flammenwände und
tödliche Bruchstücke in alle Richtungen, die Tausende töteten und weitere Explosionen verursachten. Die Verheerungen erfassten den gesamten Raumhafen, bis praktisch nichts mehr übrig war. Die tobenden Brände dieser schrecklichen Katastrophe waren sogar noch in der planetaren Hauptstadt Kaimes zu sehen. In ganz Chordelis spielten sich dieselben Szenen ab, während die verängstigte Bevölkerung darum kämpfte, ihre zum Untergang verurteilte Welt zu verlassen. Auf der Kommandobrücke der Vae Victus war die Stimmung angespannt und gedämpft, da Admiral Tiberius mit seinem Schiff einen Respektsabstand von dem gewaltigen Objekt einhielt, das vor ihnen durch das All glitt und die Observationsbucht ausfüllte. Sie hatten alle von der Katastrophe auf Yulan und dem Verlust der dritten Raffinerie gehört, und Tiberius war entschlossen, diese vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren. »Wie nah sind wir, Philotas?«, flüsterte Tiberius, als könne die Lautstärke seiner Stimme die Tyraniden auf ihre Anwesenheit aufmerksam machen, obwohl sie mittlerweile längst darüber Bescheid wissen mussten. Verstümmelte Berichte des Geschwaders Arx Praetora und der beiden Kreuzer, die gut dreißigtausend Kilometer vor ihnen flogen, meldeten, die Tyranidenflotte fliege in einer soliden Masse Kreaturen, die von mehreren Schwarmschiffen durchsetzt sei. Sie waren wahrscheinlich zu weit auseinander, um mehr als ein oder zwei von ihnen zu erwischen, aber selbst eins war ein Sieg. »Schwer zu sagen, Admiral«, erwiderte Philotas. »Die Sensoren werden durch das Raffinerie-Schiff gestört, aber ich würde sagen, nicht weiter als fünfzigtausend Kilometer.« »Das ist sehr knapp bemessen«, stellte Uriel fest, während er auf den Planungstisch starrte. »Als es über Barbaras zu den ersten Schusswechseln kam, war die Entfernung nicht viel geringer.« »Ich weiß, Uriel, ich weiß. Aber wir haben nur einen Versuch. Das Schicksal von Chordelis hängt von uns ab. Wir dürfen nicht scheitern.« Uriel nickte, da er entschlossen war, Chordelis nicht das grässliche Schicksal von Barbarus Primus erleiden zu lassen. Mittlerweile war von dieser Welt nicht mehr übrig als ein toter Gesteinsbrocken. Seine Bevölkerung, Fauna und Flora sowie das gesamte Öko-System waren von den monströsen Tyraniden verschlungen
worden. Chordelis drohte ebenfalls die Vernichtung, aber in diesem Fall ging die Bedrohung nicht von den Tyraniden aus, sondern von den Leuten, die den Planeten eigentlich verteidigen sollten. Bei dem Gedanken an Kryptmans kalte, stählerne Logik überlief es Uriel kalt, und er wurde an das letzte Mal erinnert, als er sich dem Willen eines Inquisitors widersetzt hatte. Auf eben diesem Schiff hatte Inquisitor Ario Barzano die Vernichtung von Pavonis vorgeschlagen, um einen Wahnsinnigen daran zu hindern, sich in den Besitz einer Waffe zu bringen, die sogar Sonnen auszulöschen vermochte. Uriel hatte Barzano überzeugen können, ihnen eine letzte Gelegenheit, zum Handeln zu geben und durch die Gnade des Imperators hatten sie Erfolg gehabt und Pavonis war das Grauen der ultimativen Vernichtung durch ein VirusBombardement erspart geblieben. Wieder war er gezwungen gewesen, jenen zu widersprechen, die er eigentlich zu seinen Verbündeten bei der Verteidigung der gewöhnlichen Männer und Frauen des Imperiums zählte. Es verwunderte ihn, dass Kryptman so gefühllos in Bezug auf das Leben von Millionen Leuten war und einen ganzen Planeten zum Tode verurteilen wollte, nur um den Feind an seiner Einnahme zu hindern. Erst vor zwei Tagen hatte Kryptman ihnen im Quartier des Kapitäns auf dem Kommandodeck der Argus seine Entscheidung verkündet, Chordelis sterben zu lassen. »Wir haben keine andere Wahl«, hatte der Inquisitor gesagt. »Jäger der Kharloss Vincennes haben die Vorhut der Tyranidenflotte von Barbarus und an Parosa und Yulan vorbei verfolgt. Die Tyraniden werden in drei, spätestens vier Tagen hier sein. Wir haben ganz einfach keine Zeit, noch mehr Leute von Chordelis zu evakuieren. Wenn wir noch länger bleiben, gefährden wir dadurch die wenigen Aktivposten auf unserer Seite, aber wofür? Wir könnten kämpfen und den Verteidigern auf Tarsis Ultra damit vielleicht einen Tag Aufschub erkaufen. Und wenn wir erst einmal besiegt sind, werden die Tyraniden Chordelis ebenso verschlingen wie Barbarus Primus und ihre Zahl mit der Biosphäre eines ganzen Planeten neuerlich erhöhen.« Kryptman schüttelte den Kopf. »Nein, es ist viel besser, wenn Chordelis durch unsere eigene Hand stirbt als durch den Großen Verschlinger. Glauben Sie mir, Exterminatus ist ein besserer,
schnellerer Tod, als ihn die Tyraniden anzubieten haben.« Kryptmans Ankündigung war mit benommenem Schweigen aufgenommen worden. Admiral Bregant de Corte erbleichte und trank einen Schluck Amasec, bevor er tief Luft holte und seinen steinernen Blick rings um den Tisch wandern ließ. Seine versammelten Kapitäne sahen schockiert aus, nahmen sich aber an ihrem Admiral ein Beispiel und sagten nichts. Kapitän Gaiseric und Astador nickten zögernd. Admiral Tiberius räusperte sich, beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den glatten Tisch und legte die Hände vor sich zusammen, so dass die Fingerspitzen nach oben zeigten. »Es muss einen anderen Weg geben«, sagte er zögernd, und Uriel überkam wieder ein Gefühl des Déjà-vu, als er sich daran erinnerte, als Inquisitor Barzano zu einer ähnlichen Entscheidung gelangt war. »Admiral Tiberius hat recht«, sagte er. »Was hat es für einen Sinn, dass man uns in dieses System ruft, um es zu verteidigen, wenn unsere erste Reaktion auf den Vorstoß des Feindes darin besteht, alles in seinem Weg zu vernichten? Sollen wir in einem toten System um den Sieg kämpfen?« »Sie sehen das größere Ganze nicht, Hauptmann Ventris«, sagte Kryptman, indem er die Bedeutungslosigkeit von Uriels Rang neben seinem betonte. »Wir stehen im Krieg mit Mächten, die zu schrecklich sind, um sie zu verstehen, und manchmal muss man die kleineren Schlachten opfern, um den Krieg zu gewinnen.« »Sie sollten sich selbst hören«, schnauzte Uriel. »Sie reden davon, kleinere Schlachten zu opfern. Ist Ihnen klar, dass wir hier über eine Welt des Imperators reden, die immer noch mit Millionen Seiner Untertanen bevölkert ist, Seiner Soldaten? Ich glaube, dass Sie es sind, der den >Krieg< vergisst.« »Nein, Hauptmann Ventris«, sagte Kryptman mit Endgültigkeit. »Das tue ich nicht.« Uriel stand auf und ließ die Faust auf den Tisch krachen, so dass das Holz splitterte. »Jedes Mal, wenn diese Tyraniden in das Reich des Imperators eindringen, lassen wir uns zurückfallen. Leute wie Sie behaupten, wir können nicht gegen sie kämpfen, und das hören wir so oft, dass wir anfangen, es zu glauben. Damit ist jetzt Schluss. Ich sage, wir ziehen hier einen Schlussstrich und reden nicht mehr davon. Ich sage, diesmal bleiben wir und kämpfen.« »Hauptmann Ventris, Sie vergessen sich und Ihren Rang«, sagte Ordenspriester Astador. »Wir sind hier, um gegen die Tyrani-
den zu kämpfen, und wenn der gelehrte Inquisitor glaubt, dass dies der beste Weg ist, wer sind Sie, ihm zu widersprechen?« »Ich bin ein treuer Diener des Imperators und ein stolzer Sohn von Roboute Guillaume. Was ich auch einmal von Ihnen gedacht habe, und die Tatsache, dass Sie mir diese Frage überhaupt stellen, zeigt mir, wie sehr ich mich geirrt habe.« Astadors Gesicht verfinsterte sich, und seine Kiefermuskeln spannten sich vor Wut über Uriels Beleidigung. »Solange wir für eine gemeinsame Sache kämpfen, werde ich Sie Bruder nennen, aber wenn dieser Feind besiegt ist, wird es eine Abrechnung zwischen uns geben«, versprach er. »Das begrüße ich«, sagte Uriel, während er zu seinem Platz zurückkehrte. »Sie widern mich an.« »Meine Herren«, sagte Admiral de Corte. »Dies ist kaum der rechte Zeitpunkt für derartige Diskussionen. Das Schicksal einer Imperiumswelt liegt vor uns, und es gehört sich nicht, dass wir untereinander streiten wie Orks.« »Vielen Dank, Admiral de Corte«, sagte Kryptman. »Wir vergeuden wertvolle Zeit mit diesen Diskussionen. Die Entscheidung wurde bereits getroffen.« »Lord Inquisitor«, sagte Tiberius. »Ich habe vielleicht eine andere Lösung, die Sie in Erwägung ziehen sollten. Als wir die Orbital-Raffinerien von Yulan passiert haben, habe ich mich an meinen Ravensburg erinnert.« Kryptmans Augen verengten sich, da Tiberius' Erwähnung des Retters des Gothischen Sektors, Lordadmiral Cornelius Ravensburg, seine Neugier geweckt hatte. »Fahren Sie fort...« Und Tiberius war fortgefahren und hatte die Geschichte der Vernichtung der Unverzeihlich und der Aktionen von Commodore Kurtz während der Verteidigung von Delos IV erzählt. Aufgeregtes Stimmengewirr erfüllte den Raum, als Tiberius erklärte, welche Aktionen er nach dem Passieren Yulans eingeleitet und welches Potenzial das hatte. Selbst jetzt noch, Tage später, konnte Uriel nicht glauben, mit welcher Leichtigkeit Kryptman über das Schicksal von Millionen entschieden hatte. Für den Inquisitor waren es nur Zahlen, aber für Uriel waren es lebende, atmende Menschen Untertanen des Gott-Imperators, die Schutz verdienten. Er riss sich aus seinen Überlegungen und konzentrierte sich auf die Gegenwart, als eine
Sakristeiglocke zu läuten anfing und Tiberius aus seiner Kommandokanzel herabstieg, um sich an den Planungstisch zu stellen. »Alle Maschinen stopp«, befahl er. »Neue Flugrichtung nullsechs-fünf.« »Alle Maschinen stopp, aye«, bestätigte Philotas. »Ändern jetzt die Richtung.« Uriel und Tiberius schauten beide nervös, als das Bild vor ihnen nach backbord glitt. Nach der Drosselung der Energiezufuhr für die Triebwerke beschleunigten sie nicht mehr, sondern glitten nur noch mit konstanter Geschwindigkeit durch das All. Langsam, aber sicher schrumpfte die riesige Wasserstoffplasma-Raffinerie in der Observationsbucht, und ein spürbares Gefühl der Erleichterung breitete sich auf der gesamten Brücke aus, da die Entfernung zwischen der Vae Victus und dem gefährlichen Koloss zunahm. Je kleiner die Raffinerie wurde, desto größer wurden die nebelhaften Umrisse eines vagen Halos rings um ihre Silhouette. Zuerst glaubte Uriel, es sei die Korona entfernter Sonnen, doch nachdem sie sich noch etwas weiter entfernt hatte, sah er, dass es sich tatsächlich um den äußeren Rand der Vorhut der Tyranidenflotte handelte. »Guillaumes Fluch«, hauchte Uriel, als die Größenordnung der Tyranidenflotte offensichtlich wurde. Über Barbarus Primus hatten sie tatsächlich nur gegen einen Bruchteil gekämpft. Die Observationsbucht war erfüllt von Stäubchen reflektierten Lichts, bei denen es sich nur um Organismen der Tyraniden handeln konnte, und ihre Anzahl widersetzte sich allen Versuchen, sie zu zählen. Der Schwarm schien kein Ende zu nehmen, und angesichts seiner Größe verspürte Uriel so etwas wie ein Rühren unvernünftiger Furcht in den Eingeweiden. Nicht einmal die Massen, die über Ichar IV gekämpft hatten, konnten sich mit dieser Flotte messen, und für einen kurzen Moment fragte er sich, ob Kryptman nicht vielleicht doch recht hatte. Konnten sie gegen eine derart gewaltige Horde überhaupt gewinnen? »Courage und Ehre«, sagte Tiberius, als er sah, welche Wirkung die Größe der Tyranidenflotte auf seine Mannschaft hatte. »Sie sind zahlreich, aber wir haben gesehen, dass sie sterben können, und wir wissen, dass man sie besiegen kann. Und mehr noch als das haben wir Vertrauen in den Imperator. Vertrauen Sie auf ihn und den Primarchen, und wir werden siegen.«
»Das Geschwader Arx Praetora kommt in Sicht«, sagte Philotas. »Leichte Schäden an allen Schiffen, aber nichts Ernstes.« »Gut. Und die Kreuzer?« »Die Yermetov hält ihre Position auf unserer Backbordseite, und die Luxor fliegt nach vorne, um unsere schnellen Angriffskreuzer zu decken.« »Und die Tyraniden?« »Sind dicht hinter ihnen.« Die Kreaturen, die Inquisitor Kryptman als Kraken bezeichnet hatten, trieben hinter einem Schutzschirm aus Sporen zu der gigantischen Wasserstoffplasma-Raffinerie. Als die Sporen nah genug waren, schossen sie unter Benutzung heißer Gasstrahlen vorwärts und der Raffinerie entgegen, explodierten und deckten sie mit Chitinsplittern ein. Doch sie war zu groß, und derartige Nadelstiche konnten sie kaum ankratzen. Nachdem sie entdeckt hatten, dass die Sporen wirkungslos waren, raste eine Anzahl von Kraken vorwärts, sprühte das kolossale Gefährt mit schäumendem Bioplasma ein und peitschte die oberen Pylonen mit messerscharfen Tentakeln. Sie rissen riesige Brocken Stahl und Panzerung aus den Wandungen, doch so heftig die Angriffe auch waren, sie konnten dem Gebilde kaum Schaden zufügen. Mehr Kraken überholten die Raffinerie und eilten den Begleitschiffen entgegen, insbesondere den kleineren Pfeilen des Geschwaders Ars Praetora. Unerträglich helle Lanzen aus mächtigen Energiewaffen zuckten aus den Buggeschützen der Luxor und durchbohrten zwei Kraken. Die anderen sprengten auseinander und gaben die Verfolgung der schnellen Kreuzer zu Gunsten dieser neuen, sehr viel größeren Beute auf. Die Luxor schwenkte zur Seite, als ihre Triebwerke sich mühten, das Schiff auf einen neuen Kurs zu bringen, und ihr Bug kam geschmeidig herum. Weitere Lanzen zuckten aus der Yer-metov und setzten den Tyranidenorganismen zu, während die Luxor ihre Kursänderung vollendete, bis kein Tyranidenschiff mehr nah genug war, um ihr gefährlich werden zu können. Die Kreuzer entfernten sich von den Kreaturen, die das Raffinerieschiff angriffen, dem Schwärme von Tyraniden entgegenstrebten. Sie machten daran fest, wo sie konnten, und bissen zu, lösten sich auf oder explodierten, wie ihr genetischer Zweck es
ihnen vorschrieb. Binnen Minuten war das gesamte Schiff unter einer wimmelnden Masse von Kreaturen verschwunden, die alle verzweifelt darauf bedacht waren, diese Bedrohung für ihren Schwarm zu zerstören. Doch die Konstruktion der Raffinerie war derart solide, dass keine der Kreaturen den Rumpf durchdringen konnte, und kurz darauf befand sie sich tief in der Masse des Schwarms. Ein einzelnes Schwarmschiff, seinerseits größer als die Raffinerie, änderte seinen Kurs, um sie anzugreifen. Dicke Säurestrahlen trafen die Seite der Raffinerie, und organische Materie verteilte sich auf anorganischer und schmolz sie, während das Schwarmschiff die Raffinerie peitschte. Riesige Fütterungstentakel schlängelten sich aus dem knorrigen Panzer des Schwarmschiffs, packten das massive Raffinerieschiff und zogen es mühelos zu einer höhlenartigen Öffnung in seinem Leib, die von vielen Tausend Mahlzähnen gesäumt wurde. Uriel und Tiberius marschierten zum Ende des Kommandoschiffs und beobachteten, wie sich das riesige Schwarmschiff daran machte, die Raffinerie zu verschlingen, von der jetzt unter der wimmelnden Masse der Tyranidenorganismen kaum noch etwas zu sehen war. Tiberius hielt vor seiner nächsten Aktion kurz inne, um den Augenblick zu genießen. Uriel sah zu, wie die Tyraniden die Raffinerie angriffen, und spürte, wie sich seine Lippen zu einem verächtlichen Grinsen verzogen. Tyraniden würden sterben, und der Gedanke bereitete ihm Freude. Vor seinem geistigen Auge sah er das schwarze Gespenst des Todes über der Tyranidenflotte schweben und verspürte eine Woge berauschender Vorfreude beim Gedanken an das riesige Ausmaß der Zerstörung, die sie jeden Augenblick entfesseln würden. Er verspürte die Macht, die aus dem Wissen erwächst, dass andere Wesen nur deswegen noch lebten, weil man sie noch nicht getötet hatte, und die Empfindung kreiste wie eine elektrische Ladung durch seinen Körper. Er ballte die Fäuste. Er spürte, wie ihn heiße Wut überkam und das Verlangen, diese Fremdwesen zu töten. Sein Kopf füllte sich mit Visionen von blutigen Schlachtfeldern, die mit den Leichen der Tyranidenbestien übersät waren. Uriel schmeckte Blut und erkannte, dass er sich auf die Zunge gebissen hatte. Der metallische Geschmack holte ihn ruckartig
wieder in die Gegenwart zurück. Uriels Herzen klopften unter seinen Rippen, und auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. Er holte tief Luft und spürte, wie die Reinheit der mit Weihrauch angereicherten Luft ihn wie eine reinigende Welle durchlief. »Alles in Ordnung, Uriel?«, fragte Tiberius, dem das Unbehagen des Hauptmanns auffiel. »Ja«, brachte Uriel heraus. »Alles bestens.« Tiberius nickte und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Observationsbucht. »Sie haben das Ziel erfasst?«, fragte er, ohne sich umzudrehen. »Ja, Lordadmiral«, sagte Philotas, dessen Stimme Aufregung verriet. Respektvolles Schweigen senkte sich über die Brücke, als Tiberius sich umdrehte und zu seiner Kommandokanzel zurückkehrte, so dass Uriel allein vor der Observationsbucht zurückblieb. Er erklomm die Treppe und nahm seinen Platz am Kopfende der Brücke ein. Er legte die Hände beiderseits des Pults und sagte nur: »Feuer.« Die Vae Victus erbebte, als ihre Bugkanone ein hausgroßes Projektil aus ihrem blitzgeschützten Lauf abfeuerte. Das mit phänomenaler Geschwindigkeit fliegende Geschoss legte die Entfernung zwischen der Vae Victus und ihrem Ziel in weniger als einer Minute zurück. Der Zielpunkt war sehr sorgfältig ausgewählt worden: die schwächste Stelle in der Panzerung der Raffinerie, wo eine Explosion den größten Schaden in den Plasmatanks anrichten würde. Mit vielen Millionen Tonnen hochgradig explosivem Wasserstoffplasma gefüllt, war das Raffinerieschiff jetzt eine gigantische fliegende Bombe. Die Granate aus der Kanone traf mittschiffs und bohrte sich durch meterdicke Stahlwände, da ein Verzögerungszünder dafür sorgte, dass sie erst tief im Herzen des Ziels explodieren würde. Die Granate explodierte im größten aller Plasmatanks, entzündete die instabile Verbindung sofort und setzte eine Kettenreaktion wie diejenige in Gang, die bereits die dritte Raffinerie in der Umlaufbahn um Yulan zerstört hatte. Als spüre es die Gefahr, löste das Schwarmschiff seinen Griff um die Raffinerie, aber mittlerweile war es zu spät. Millionen Ton-
nen brennbarer Chemikalien entzündeten sich und explodierten, als wollten sie einen neuen Stern gebären. Alle Kreaturen, welche die Raffinerie angegriffen hatten, wurden eingeäschert. Der Feuerball dehnte sich in einer tödlichen Wellenfront aus und hüllte unzählige Schwarmkreaturen ein. Kraken, Drohnen und Sporen wurden in dem anfänglichen Feuerball verbrannt, und viele Tausend mehr erlitten tödliche Verwundungen durch die Erschütterungswelle, die der Explosion folgte. Das Schwarmschiff hatte Millennien damit zugebracht, die Leere zwischen den Galaxien zu durchqueren, und seine Haut war so dick wie die Panzerung eines Raumschiffs, aber es war hilflos im Angesicht der Entfesslung von so viel Energie. Sein gesamter Rumpf verschwand im Feuerball, und seine Überreste wurden von der auf die Explosion folgenden Erschütterungswelle in seine Atome zerlegt. Im Bruchteil einer Sekunde war eine Kreatur, deren Wachstum und Entwicklung zu ihrer jetzigen Gestalt viele hundert Jahre gedauert hatte, ausgelöscht und aus der Galaxis gefegt worden, als habe sie niemals existiert. Auch am neunten Tag hintereinander brachen die Verteidiger von Tarsis Ultra in erschöpfter Resignation zusammen. Learchus beobachtete sie, und ein heftiger Stolz brannte in seiner Brust, als er sah, wie der letzte Mann in die Hocke ging und seinen Rucksack abstreifte. Er selbst war nicht einmal ins Schwitzen geraten, aber er hätte auch tagelang laufen können, ohne sich ausruhen zu müssen. Er lächelte, während er durch die Reihen der erschöpften Soldaten schritt, und war sich dabei durchaus ihrer wütenden Blicke und gemurmelten Flüche bewusst. Alle Regimenter schlugen sich gut, und ein gemeinschaftliches Gefühl der Kameradschaft hatte sich bei allen entwickelt. Dass es auf ihrem gemeinsamen Hass auf ihn beruhte, störte ihn nicht denn er wusste, dass dies eine vorübergehende Empfindung war. Solange der Feind noch weit weg war, brauchten Soldaten eine gemeinsame Zielscheibe für ihren Hass und ihre Aggression. Learchus konnte sich noch lebhaft an Ordenspriester Clausel in Agiselus erinnern und auch daran, wie sehr er ihn während der Ausbildung gehasst hatte. Clausel war jetzt ein geschätzter Freund und Mentor und hatte den Männern der Vierten Kompanie in den finsteren Zeiten ihrer langen und stolzen Geschichte gro-
ßen spirituellen Trost gespendet. Major Satria ging schwankend zu Learchus. Sein Gesicht war gerötet und schweißüberströmt. »Verdammt, aber Sie bearbeiten uns hart«, keuchte er. »Die Tyraniden werden Sie noch härter bearbeiten«, sagte Learchus. »Das ist wahr«, nickte Satria, indem er sich vorbeugte, die Hände auf die Knie stützte und in tiefen Zügen kühle Luft einsog. Der Major hatte Gewicht verloren und sich seit Beginn der Ausbildung von seinem silbernen Brustharnisch und der Schirmmütze getrennt, die zu tragen ihm sein Rang gestattete. Das schulterlange schwarze Haar war schweißnass, und in seinem Gang lag jetzt ein Anflug von Stolzieren. Hilfskräfte und Freiwillige aus der Bevölkerung von Erebus gingen durch die Reihen der keuchenden Soldaten und verteilten warmes Essen und Trinkwasser aus schwappenden Fässern. Die Austrocknung war unter den Soldaten zu einem ernsten Problem geworden, da viele ganz einfach ungeschmolzenen Schnee aßen, der Krankheitskeime enthalten und die Körpertemperatur gefährlich absenken konnte. Learchus hatte außerdem den Genuss von Amasec, Kaffein und Lho-Stäbchen untersagt und die entsprechenden Zuteilungen an die Soldaten gestrichen. All diese Laster machten Soldaten empfänglicher für Austrocknung, und obwohl die Maßnahme bei ihrer Ankündigung beinahe eine Meuterei ausgelöst hätte, wusste Learchus, dass sich seine Entscheidung langsam auszahlte, da die Anzahl der gemeldeten Fälle von Austrocknung erheblich gesunken war. Fälle von Fußfäule waren bei den Soldaten zu Beginn der Ausbildung mit ihren dicken Gummistiefeln an der Tagesordnung gewesen, da diese die Nässe ihres Schweißes konservierten und das Wachstum von Pilzen förderten. Mit Zustimmung des LogresRegiments waren die Fabriken von Erebus dazu übergegangen, Kopien ihrer Stiefel herzustellen, und nach wenigen Tagen bekam jede Kompanie einige Dutzend Paar Socken, ein Pulver gegen Fußpilz und brandneue Stiefel, die den Füßen das Atmen gestatteten. Learchus hatte die Tüchtigkeit von Sebastien Montante bewundert, des Fabrikator-Marschalls von Erebus. Nach ihrer ersten Begegnung hatte er ihn für einen hohlen Schwachkopf gehalten.
Er war zwar kein Soldat, aber sein Organisationstalent suchte seinesgleichen, und praktisch jedem von Learchus' Ersuchen um Ausrüstung oder Vorräte war binnen Stunden nachgekommen worden. Montante erwies sich als wertvoller Verbündeter, doch das konnte man nicht von allen Mitgliedern des Industrierats behaupten, die bei der Verwaltung von Erebus halfen. Erst vor drei Tagen hatte sich Learchus mit den neun Mitgliedern des Rats im Mosaiksaal getroffen und seine Pläne für die Verteidigung der inneren Bereiche des Tals skizziert. Er erinnerte sich wieder an die Schande, angesichts ihrer Dummheit die Beherrschung verloren zu haben. Der Dummheit vor allem eines Mitglieds. Simon van Gelder. Der Mann, den Learchus daran gehindert hatte, die Stadt zu verlassen, trug die Last seiner Demütigung um den Hals und war entschlossen, es Learchus mit gleicher Münze heimzuzahlen. »Wir können einfach nicht zulassen, dass Sergeant Learchus die Gebäude zwischen den Wällen demoliert«, sagte van Gelder und trank einen Schluck Wein. »Du meine Güte, wenn diese Bestien erst einmal zurückgeschlagen sind, werden wir alle arme Schlucker sein, die Herren über eine Ruinenstadt, und können nur Trümmer und Schutt unser Eigen nennen.« »Wenn Sie sie nicht zerstören, werden Sie überhaupt keine Stadt mehr haben«, erklärte Learchus. »Die vielen Jahre des Friedens, die wir genießen durften, haben uns selbstzufrieden gemacht«, warf Montante mit einer Geste auf die Wände ringsumher ein. »Sehen Sie sich das Mosaik hier an. Daraus geht eindeutig hervor, dass wir bei unseren Bauprogrammen zu unbesonnen vorgegangen sind. Die ursprünglichen Stadtpläne, die von Roboute Guillaume persönlich entworfen wurden, zeigen uns, dass in diesem Gebiet gar keine Gebäude stehen dürften.« »Pah«, schnauzte van Gelder mit einer verächtlichen Handbewegung. »Ein verblichenes, viele Tausend Jahre altes Mosaik ist keine Basis, um uns in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben, Sebastien. Was machen wir, wenn unsere tapferen Verteidiger die Tyraniden besiegen? Wie sollen wir ohne Manufakturen Waren herstellen?« »Simon, wir können sie wiederaufbauen«, sagte Montante. »Aber dazu müssen wir am Leben sein. Bitte hören Sie auf Ser-
geant Learchus.« »Viele der Gebäude, die Ihnen gehören, stehen zu nah an den Wällen, Herr van Gelder. Wenn wir gezwungen sind, uns von einem Wall zurückzuziehen, oder wenn die Tyraniden einen erobern, geben wir ihnen damit wertvolle Deckung, in deren Schutz sie sich anschleichen können.« »Sie meinen die Gegend rings um den Bezirk Quintus? Die ist über dreißig Kilometer von der Taleinmündung entfernt. Wollen Sie mir etwa erzählen, Sie rechnen damit, dass diese verdammenswerten Bestien so weit in unsere schöne Stadt eindringen könnten? Verzeihen Sie mir, aber ich hatte die Ultramarines für Krieger von großer Kraft und Mut gehalten, doch anscheinend hat man mich falsch informiert.« Learchus sprang auf, packte van Gelder an seinen Gewändern, zog ihn über den Tisch und fauchte ihm die nächsten Worte ins Gesicht. Wein spritzte über den Tisch, und ein Weinkelch zersplitterte auf dem Steinboden. »Sie wagen es, unsere Ehre zu beleidigen? Sie sollten sich Ihre nächsten Worte besser gut überlegen, van Gelder, denn sollten Sie noch einmal so eine Beleidigung aussprechen, töte ich Sie.« Der Rat saß benommen da, während Learchus darum kämpfte, seine Wut zu bezähmen. Niemand wollte zu Gunsten ihres Kollegen intervenieren aus Angst, die Wut des Space Marines dadurch auf sich zu lenken. Die einzigen Geräusche waren van Gelders panikerfülltes Atmen und das Tropfen des vom Tisch auf den Boden rieselnden Weins. Sebastien Montante erhob sich langsam und legte Learchus eine Hand auf den Unterarm. »Sergeant Learchus«, sagte er leise. »Ich bin sicher, Herr van Gelder wollte Ihnen nicht zu nahe treten, nicht wahr, Simon?« Van Gelder schüttelte eiligst den Kopf. »Sehen Sie?«, fuhr Montante fort. »Er hat unbedacht gesprochen, im Eifer des Gefechts. Bitte, Learchus, wenn Sie so nett wären, Herrn van Gelder wieder abzusetzen?« Learchus ließ zischend die Luft entweichen und van Gelder dann los, der mit einem kläglichen Ächzen zurück auf seine Bank sank. Sein Gesicht war aschfahl, obwohl es nur Sekunden dauerte, bis sein Ärger wieder an die Oberfläche drängte. Montante sah es kommen und kam ihm zuvor. »Simon, bevor Sie etwas sagen, ich bin der Meinung, dass wir
für heute am Ende angelangt sind und uns auf morgen Früh vertagen sollten. Einverstanden?« Ein eiliges Nicken aller Anwesenden signalisierte die Zustimmung des Rats, und nach einer angespannten Pause hatte van Gelder ebenfalls genickt und den Mosaiksaal ohne ein weiteres Wort verlassen. In der Sitzung des folgenden Tages hatte van Gelder durch Abwesenheit geglänzt, und ein per Eilboten zu seinem Haus im oberen Tal gesandtes Schreiben, das ihn neuerlich zu dieser Besprechung einlud, kam ungeöffnet zurück. Eine Abstimmung über die Frage des Abrisses seiner Besitzungen folgte, und der Rat unterstützte einstimmig Learchus' Plan. Die Erinnerung an den Verlust seiner Beherrschung beschämte Learchus, und er hatte seitdem jede Nacht in bußfertigem Gebet verbracht. »Wie geht die Arbeit im unteren Tal voran?«, fragte Learchus, als Satria dankbar einen Becher Wasser von einem berobten Helfer entgegennahm und es trank wie süßen Wein. »Mit dem Gebiet zwischen den ersten beiden Wällen sind wir fast fertig, aber es geht langsam voran. Der Boden ist hart gefroren, und es dauert eine Ewigkeit, ihn aufzubrechen, selbst mit Hilfe von Baumaschinen.« »Die Gräben müssen in den nächsten beiden Wochen fertig werden. Bis dahin werden die Tyraniden den Planeten erreicht haben.« »Das werden sie auch, keine Sorge. Die Männer geben wirklich alles, das kann ich Ihnen versichern.« »Gut. Sie gereichen Ihnen zur Ehre, Major Satria.« »Vielen Dank, obwohl Sie das ihnen sagen sollten.« »Das liegt durchaus in meiner Absicht., wenn sie mich mehr hassen als ihren schlimmsten Albtraum.« »Glauben Sie mir, meiner Ansicht nach hassen sie Sie bereits mehr als das«, sagte Satria. »Die Tatsache, dass Sie ihnen bei diesen Übungen so überlegen sind, bringt sie ziemlich in Wut. Ich glaube, sie haben das Gefühl, dass Sie angeben.« »Sie täuschen sich nicht. Ich gebe an, wenn ich mich an den Übungen beteilige«, sagte Learchus. »Sie sollen wissen, dass ich ihnen überlegen bin, denn wenn die Zeit kommt, sie aufzubauen, müssen sie das Gefühl haben, dass mein Lob wirklich etwas bedeutet. Ich werde ihnen das Gefühl geben, dass sie Helden sind,
und in ihnen den Glauben wecken, dass sie die besten Krieger in der ganzen Galaxis sind.« »Sie sind ein ganz Hinterhältiger, was?«, sagte Satria schließlich. »Ich habe meine Sternstunden«, lächelte Learchus. Die kleine Flotte von Imperiumsschiffen kehrte mit Höchstgeschwindigkeit nach Chordelis zurück, wobei die schnellen Angriffskreuzer des Geschwaders Arx Praetora die Spitze bildeten und die Vae Victus, die Yermetov und die Luxor dicht dahinter folgten. Die Stimmung an Bord der Schiffe war vorsichtig optimistisch. Wenn noch ein weiteres Schwarmschiff auf ähnliche Weise zerstört werden konnte, würden sie dann nicht mit den orbitalen Geschützplattformen im Verein mit der Flotte die Tyranidenflotte in Schach halten und die Bestien vielleicht sogar daran hindern können, überhaupt eine Klaue auf den Boden von Tarsis Ultra zu setzen? Auf der Brücke der Vae Victus trank Admiral Tiberius einen Schluck Wasser und diskutierte die vor ihnen liegenden taktischen Möglichkeiten mit Uriel. »Wir können diese verdammten Tyraniden vielleicht so weit bringen, dass sie noch bedauern, diesen Weg genommen zu haben, Uriel«, sagte er. »Vielleicht«, gab ihm der Hauptmann der Vierten Kompanie recht. »Tarsis Ultra ist gut verteidigt, und die letzte Raffinerie dürfte in diesem Augenblick mit tödlichem Sprengstoff vermint werden.« »Wenn wir noch ein Schwarmschiff vernichten können, beschließt das Schwarmbewusstsein vielleicht, einen Bogen um Chordelis zu machen.« »Und das wäre ein Sieg in mehr als einer Hinsicht«, sagte Uriel düster. »Seien Sie vorsichtig, Uriel«, warnte Tiberius. »Kryptman sollte man sich nicht zum Feind machen, er gebietet über die Macht der Inquisition. Ohne ihn wäre Macragge vielleicht der Schwarmflotte Behemoth zum Opfer gefallen.« »Sind Sie ihm während des Kriegs je begegnet?« »Aye«, nickte Tiberius. »Damals war er noch jung und vom Feuer eines Inquisitors erfüllt, der seine wahre Berufung gefunden hat.« »Hat er sich je für die Zerstörung von Macragge ausgespro-
chen?« Tiberius lachte. »Nein, Uriel, das hat er nicht. Ich glaube, nicht einmal ein Inquisitor Kryptman in seiner damaligen Verfassung hätte es gewagt, so einen Gedanken laut auszusprechen. Lord Calgar hätte das niemals zugelassen.« »Glauben Sie, Lord Calgar würde die Zerstörung von Chordelis zugelassen haben?« Tiberius rieb sich mit der Hand über den Schädel und dachte nach, bevor er antwortete. »Das weiß ich nicht, Uriel. Unser Ordensmeister ist ein Mann von großer Weisheit und tiefem Mitgefühl, aber er ist auch ein Stratege, und ich glaube, dass Sie und ich vielleicht zu sehr der Vorstellung anhängen, so vielen zu dienen, wie wir können. Der Lord Inquisitor hatte außerdem recht, als er sagte, dass man manchmal eine Schlacht verlieren muss, um den Krieg zu gewinnen.« »Damit kann ich mich nicht abfinden«, sagte Uriel. »Die Vernichtung der treuen Anhänger des Imperators kann nicht richtig sein.« »Wir können nicht immer tun, was richtig ist, Uriel. Oft gibt es eine tiefe Kluft dazwischen, wie etwas ist, und wie es unserer Meinung nach sein sollte. Manchmal müssen wir lernen, uns mit den Dingen abzufinden, die wir nicht ändern können.« »Nein, Lordadmiral, ich glaube, wir müssen uns bemühen, die Dinge zu ändern, mit denen wir uns nicht abfinden können. Ein großer Krieger zeichnet sich dadurch aus, dass er sich gegen das wendet, was er für falsch hält. Der Primarch hat selbst gesagt, wenn ein Krieger Frieden mit seiner Angst schließt und sich ihr entgegenstemmt, wird er ein wahrer Held. Denn wenn man sich vor nichts fürchtet, worin liegt dann die Courage, sich ihm entgegenzustemmen?« »Sie sind ein Idealist, Uriel, und die Galaxis kann ein grausamer Ort für Leute wie Sie sein«, sagte Tiberius. »Aber ich wünschte dennoch, es würden mehr so denken wie Sie. Sie sind ein großer Krieger, der seinen Feinden einen raschen Tod bringen kann, aber Sie haben nie aus den Augen verloren, warum Sie kämpfen: das Überleben der menschlichen Rasse.« Uriel neigte den Kopf vor dem ehrwürdigen Admiral und freute sich über das Kompliment. Seine Hand schloss sich um seinen Schwertknauf, als Philotas sich mit einer Datentafel in der Hand näherte. Seine eckigen Züge blickten ernst.
Tiberius nahm die Tafel und überflog sie rasch. Ihm fiel die Kinnlade runter vor Grauen und Ungläubigkeit. »Öffnen Sie die Observationsbucht, sofort!«, schnauzte er. »Maximale Vergrößerung.« Die Messingjalousien vor der Bucht im vorderen Teil der Brücke falteten sich rasch zusammen, während Tiberius zum Planungstisch hinunterging und die taktischen Karten der Umgebung auflief. Er murmelte vor sich hin, und seiner pulsierenden Schläfenader entnahm er, dass er sich einem Zustand der Weißglut näherte. Er hatte Tiberius noch nie zuvor so ergrimmt erlebt. »Admiral, was ist denn?«, fragte er. Tiberius reichte Uriel die Datentafel, als die Jalousien vor der Observationsbucht endlich hochgefahren waren. Er las die Worte, während das, was sie besagten, in der Observationsbucht dargestellt wurde. Selbst bei maximaler Vergrößerung füllte der Planet vor ihnen kaum die Observationsbucht aus. Reflektiertes Licht von der fernen Sonne fiel auf eine bebende, feurige Oberfläche. Feuerstürme tobten über dem toten Planeten, da ihn entzündliche Gase der in den Meeren verwesenden organischen Materie einhüllten, und verbrannten die Oberfläche zu nacktem, leblosem Fels. Die Tyraniden selbst hätten ihre Sache nicht besser machen können. »Imperator, nein...«, hauchte Uriel, während die Datentafel seinen Händen entglitt. »Wie?« »Die Mortifactors«, sagte Tiberius traurig. »Kryptman hat uns belogen. Er hatte nie die Absicht, sich hier zum Kampf zu stellen.« Uriel schwieg, während der Planet Chordelis verbrannte.
PHASE III Angriff ACHT Das Quartier von Hauptmann Uriel Ventris war spartanisch und sauber, wie es sich für den Anführer der Vierten Kompanie der
Ultramarines gehörte. Eine schlichtes Feldbett mit einem einzigen Leinenlaken stand in einer Ecke der Zelle unter dem Familienwappen der Ventris. Daneben stand ein dünnbeiniger Tisch mit einem mit Wein gefüllten Tonkrug und zwei Silberpokalen darauf. Verschiedene Speicherkristalle lagen in ordentlichen Haufen neben dem Krug, und am Fußende des Bettes lag eine waffenmetallgraue Truhe mit einfachen blauen Gewändern und Übungskleidung. Uriel goss sich eine großzügig bemessene Menge Wein aus dem Krug ein und setzte sich auf die Bettkante, während er die rote Flüssigkeit in dem Pokal schwenkte. Er legte den Kopf in den Nacken und trank den Wein in einem einzigen langen Schluck. Der starke Geschmack ließ ihn das Gesicht verziehen, da er den Anblick der brennenden Welt in der Observationsbucht wieder vor Augen hatte. Er fragte sich, wie viele Leute sich wohl noch auf Chordelis befunden hatten, als die Virusbomben gefallen waren. Wie viele Hunderttausende hatte Kryptman im Namen des Krieges und für das größere Ganze geopfert? Der Gedanke erfüllte ihn mit Trauer, und er goss sich noch einen Pokal ein und hob ihn in stillem Gedenken an die Toten von Chordelis. Er stürzte den Wein hinunter und schenkte nach, da es ihn plötzlich nach dem Vergessen gelüstete, das Alkohol bringen konnte. Es war ihm gelungen, Inquisitor Barzano daran zu hindern, Pavonis zu vernichten, aber Chordelis hatte er nicht gerettet, und die Last dieses Scheiterns war jetzt ein dunkler Fleck auf seiner Seele. Hatten die Leute überhaupt gewusst, was vorging, als die ersten Bomben in der Atmosphäre explodiert waren? Der Lebensesser-Virus wirkte rasch und war absolut tödlich. Vielleicht hatten einige noch eine Ahnung gehabt, was ihrer Welt angetan wurde, aber die meisten waren vermutlich gestorben, ohne zu erkennen, welcher Verrat an ihnen geübt worden war. Die Atmosphäre würde mit erbgutschädigenden Giften durchsetzt sein, die den biologischen Klebstoff angriffen, der organische Materie zusammenhielt, und diese mit erschreckender Schnelligkeit zersetzen. Binnen Stunden war nichts mehr am Leben, und der Virus würde gezwungen sein, sich in einem gedankenlosen Akt des viralen Eigenkannibalismus gegen sich selbst zu wenden. Die Planetenoberfläche würde von einer dicken Schicht verwestem Schlamm bedeckt und in riesige Wolken von Giftmüll gehüllt sein.
Es bedurfte nur eines einzigen Schusses aus der Umlaufbahn, um die Dämpfe zu entzünden, und Feuerstürme von apokalyptischem Ausmaß würden die gesamte Planetenoberfläche kahl fegen. Uriel hatte das Grauen von Exterminatus erlebt und sogar schon einmal an einer Expedition teilgenommen mit dem Ziel, diese ultimative Strafe zu verhängen, und zwar gegen einen dem Chaos anheimgefallenen Planeten, dessen Bevölkerung entartet war und ihren finsteren Göttern Menschenopfer darbrachte. Unter gewissen Umständen waren solche Zerstörungen angemessen, sogar notwendig, aber dieser Akt des Mordens stieß Uriel bitter auf, und er brachte es einfach nicht über sich zu verzeihen, was Kryptman und die Mortifactors getan hatten. Seine Gedanken waren von Widersprüchen und Zweifeln erfüllt, während er über die Konsequenzen der Geschehnisse auf Chordelis nachdachte. Mit der Ausführung von Admiral Tiberius' Plan hatten sie Initiative an den Tag gelegt und mit einer originellen Idee auf die Entwicklung reagiert. Sie hatten sich nicht auf den Codex Astartes berufen, und so sehr es ihn auch schmerzte, es zuzugeben, die Mortifactors waren der korrekten Verfahrensweise näher, wie sie im heiligen Buch dargelegt war. Was sagte ihm das sonst noch? Es klopfte an die Tür, und Uriel sagte: »Herein.« Die Tür öffnete sich, und Pasanius stand im Eingang und füllte ihn mit seiner Körpermasse vollständig aus. Er trug seine Andachtsgewänder. Seine Rüstung wurde - wie Uriels in der Kompanieschmiede drei Decks tiefer repariert. Das Silber seines künstlichen Arms reflektierte das flackernde Kerzenlicht im Korridor draußen. »Ich habe ein Problem, Hauptmann«, begann Pasanius. »Ich habe einen Krug Wein, und wenn ich eines weiß, dann, dass es nicht gut ist, allein zu trinken. Können Sie mir dabei helfen, ihn zu leeren?« Uriel gelang ein schwaches Lächeln. Er bedeutete Pasanius einzutreten. Es gab keine Sitzgelegenheit, also hockte Pasanius sich auf den Boden und lehnte den Rücken an die Wand. Uriel reichte ihm zwei Pokale, und er füllte sie mit Wein. Pasanius gab Uriel einen zurück und hob den anderen an die Nase. Er schloss die Augen und roch das schwere Bukett wilder Beeren und schwarzer Johannisbeeren mit einer feinen Note von alter Eiche. »Das ist der gute Wein«, sagte Pasanius. »Auf Tarentus abge-
füllt im Jahre siebenhundertdreiundachtzig, das, wie ich zuverlässig informiert wurde, ein gutes Jahr für die Weinreben auf den Südhängen des Hügels der Roten Blüten war.« Uriel kostete den Wein und nickte anerkennend, und die beiden versanken in ein geselliges Schweigen, da jeder in eigene Gedanken versunken war. Schließlich sagte Pasanius: »Willst du mir jetzt erzählen, was dich bedrückt, oder muss ich warten, bis du betrunken bist?« »Ich war seit Agiselus nicht mehr betrunken, weißt du noch?«, sagte Uriel. Pasanius lachte. »Aye, Ordenspriester Clausel hat uns in den Bergen ausgesetzt und uns drei Tage dort gelassen.« »Der Imperator möge mir verzeihen, aber damals war er ein ganz harter Hund.« »Das ist er immer noch, nur ist er jetzt auf unserer Seite.« »Clausel würde dir einen Fastenmonat aufbrummen, wenn er das gehört hätte.« »Vielleicht, aber ich weiß, dass du es ihm nicht sagen wirst.« »Das stimmt wohl«, sagte Uriel und trank noch einen Schluck. Der Wein würde keinen von ihnen beiden auch nur annähernd betrunken machen, was am Preomnor lag, einem implantierten Magen zur Vorverdauung, der praktisch alle Gifte analysierte und neutralisierte, darunter auch Alkohol. Nichtsdestoweniger genossen die beiden Freunde den Geschmack eines guten Weines. »Ich hatte Zweifel, Pasanius«, sagte Uriel schließlich. »In welcher Hinsicht?« »In vielerlei Hinsicht«, sagte Uriel. »Ich habe über Hauptmann Idaeus nachgedacht und darüber, was er mich über das Nachdenken über die Grenzen des Codex hinaus gelehrt hat. Damals konnte ich den Sprung zu mehr Initiative nicht machen, der nötig gewesen wäre, um zu glauben, was er sagte, aber je mehr wir zusammen gekämpft haben, desto mehr sah ich seine Worte in die Praxis umgesetzt.« »Aye, Idaeus war ein ganz Wilder«, stimmte Pasanius zu. »Aber auch clever. Er wusste, wann er die Regeln beugen musste und wann nicht.« »Das ist das Problem, Pasanius. Ich weiß nicht, ob ich kann, was er konnte... ob ich verstehen kann, wann ich dem Codex folgen und wann ich querdenken muss.« »Du machst deine Sache gut. Die Männer der Kompanie ver-
trauen dir und würden dir ins Feuer der Hölle folgen. Reicht das nicht?« »Nein, Pasanius, nicht einmal ansatzweise. Ich dachte, Hauptmann Idaeus hätte recht, aber jetzt sehe ich die Mortifactors und frage mich, wohin seine Art zu denken führt. Wenn wir seinen Überzeugungen zu ihren logischen Konsequenzen folgen, enden wir dann wie sie?« »Nein, natürlich nicht. Ordenspriester Astador hat es selbst gesagt: Er und sein Orden sind das Produkt ihrer Heimatwelt. Er hat mir alles über Posul erzählt, und wenn du mich fragst, hört es sich an wie eine Vision der Hölle. Ständig in Dunkelheit gehüllt, und die Stämme bekämpfen sich, um einander auszulöschen, damit sie beweisen können, dass sie die brutalsten sind und dazu auserwählt werden, Space Marines und Mortifactors zu werden. So eine Kultur entwickelt zwangsläufig eine Verachtung für das Leben, und das hätten wir in dem Augenblick erkennen müssen, als sie sich auf Kryptmans Seite gestellt haben.« »Aber das haben wir nicht.« »Nein«, sagte Pasanius achselzuckend. »Hinterher ist man immer sehr viel schlauer.« »Ich weiß, aber sieh dir an, was mit Chordelis passiert ist. Wir haben gegen den Codex Astartes verstoßen, um diese Raffinerie in den Schwarm zu schicken, die Mortifactors haben die Anweisung des Inquisitors befolgt, und eine Imperiumswelt ist gestorben. Aber ich weiß, dass wir moralisch gesehen das Richtige getan und versucht haben, Chordelis zu retten, trotz der Logik von Kryptmans Argumenten.« Uriel knallte seinen Pokal auf den Tisch, so dass Wein über seine Speicherkristalle und Bettlaken spritzte. »Ich komme mir vor wie ein Blinder, der den Weg vor sich nicht einmal ertasten kann.« »Tja, niemand hat je behauptet, der Dienst am Imperator sei leicht«, sagte Pasanius, indem er Wein nachschenkte. Lord Inquisitor Kryptman sah durch die Hauptobservationsbucht der zentralen Basilica zu, wie die Vae Victus am Nordpier der Sternenfestung festmachte, und verspürte eine Woge unvertrauter Erregung durch seine Adern schießen. Er trug die offiziellen Gewänder eines Inquisitors des Ordo Xenos und hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Hauptmann Ventris würde mitt-
lerweile wissen, dass er ihn in Bezug auf seine Bereitschaft, Chordelis überleben zu lassen, belogen hatte, aber Zurechtweisungen und Vorwürfe hatten jetzt keinen Sinn mehr. Die Tyraniden mussten mit allen erforderlichen Mitteln besiegt werden. Admiral Tiberius würde das verstehen, aber Ventris war ein Protege von Hauptmann Idaeus, einem Hauptmann, den er nach dem Sieg über die Schwarmflotte Behemoth kennengelernt hatte. Er würde sich vor Ventris' puritanischem Zorn hüten müssen. Zum Glück hatte er genügend Macht, um zu gewährleisten, dass Ventris nicht aus der Reihe tanzen würde. Die blau-weiße Wölbung von Tarsis Ultra leuchtete im unteren Teil der Observationsbucht. Dutzende System-und Panzerschiffe hingen im Orbit um den Planeten. Eine beachtliche Streitmacht war hier aufgeboten, und die Demonstration der Ultramarines, was für wirkungsvolle Waffen die Raffinerien als fliegende Bomben sein konnten, war nicht unbemerkt geblieben. Die letzte Raffinerie hing in einer hohen Umlaufbahn, und eine Flotte mit Servitoren bemannter Schlepper war bereit, sie ins Herz der Tyranidenflotte zu manövrieren und feurige Zerstörung zu entfesseln. Der Inquisitor humpelte zu seinem wuchtigen Schreibtisch aus Nalholz und setzte sich dahinter. Das Möbel war vor vielen Hundert Jahren für seinen Mentor in Auftrag gegeben worden, auf einer Welt, an deren Namen er sich gerade nicht erinnern konnte, und zeugte von beeindruckender Handwerkskunst. Es wirkte immer einschüchternd auf jene, die vor ihn traten nicht dass er glaubte, ein Space Marine ließe sich durch einen Schreibtisch einschüchtern -, aber es gab ihm ein Gefühl für die ihm gebührende Stellung, wenn er dahinter saß. Er wusste, dass die Ultramarines jetzt bereits auf den Weg in seine Gemächer sein würden. Kryptman schaltete das Mikrofon in seinem Kragen ein und sagte: »Hauptmann Bannon, könnten Sie und Ordenspriester Astador zu mir hereinkommen?« Uriel marschierte an verängstigt aussehenden Matrosen und Techs vorbei, da er mit Tiberius und Pasanius unterwegs zur Basilica der Sternenfestung war. Die Raumstation im Orbit von Tarsis Ultra war eine gewaltige Konstruktion, unglaublich alt und zusammen mit den anderen in der Kette stark genug, ein Schlachtschiff samt Eskorte zu besiegen, und trotz seines Zorn konnte
Uriel erkennen, dass sie mächtige Waffen im Kampf gegen die Tyraniden darstellten. Als sie sich der Sternenfestung näherten, hatte er die riesige Struktur der letzten Raffinerie viele Tausend Kilometer vom nächsten Schiff entfernt vor Anker gesehen, wie sie von ferngesteuerten Schiffen mit noch mehr Sprengstoff vollgeladen wurde. Ein weiterer Beweis dafür, dass Kryptman niemals die Absicht gehabt hatte, Chordelis zu retten. Das Trio marschierte durch den nördlichen Quadranten der Sternenfestung und betrat die zentrale Basilica, wo Inquisitor Kryptman wartete. Ein schwarz uniformierter Posten führte sie zu den Gemächern, die der Inquisitor requiriert hatte, und als sie sich der Tür näherten, hielt Admiral Tiberius Uriel am Arm fest und sagte: »Denken Sie daran, Uriel. Kryptman ist kein Mann, mit dem man sich anlegen sollte, also achten Sie auf Ihre Worte.« »Das werde ich«, versprach Uriel, dann klopfte er mit seinem Panzerhandschuh an die Tür und öffnete sie dann, ohne eine Antwort abzuwarten. Tiberius nickte Pasanius zu, der seinem Hauptmann eiligst folgte. Uriel blieb stehen, als er Kryptman hinter einem hässlichen Schreibtisch aus einem dunklen Holz sitzen sah. Zwei Space Marines flankierten ihn. Er erkannte Astador und hielt den anderen zunächst für einen Mortifactor, bis er das silberne Inquisitionssymbol auf dem linken Schulterschützer sah. Das Gelb des Ordens der Imperial Fists auf seiner anderen Schulter stand in krassem Gegensatz zum Mitternachtsschwarz der Rüstung. Seine Haut war stark gebräunt und das Haar kurz und blond. »Ah, Hauptmann Ventris«, sagte Kryptman. »Gestatten Sie mir, Ihnen Hauptmann Bannon von der Deathwatch vorzustellen.« »Deathwatch...«, hauchte Uriel. Der militärische Arm des Ordo Xenos, die Elitekämpfer gegen Nichtmenschen, wo er selbst ein Jahrzehnt gedient hatte. Kryptman hatte gesagt, er habe einen Exterminatortrupp angefordert, doch Uriel hatte nicht damit gerechnet, dass sie noch rechtzeitig für den bevorstehenden Konflikt eintreffen würden. Die Mitglieder der Deathwatch wurden aus den besten Kriegern eines Ordens ausgewählt, um eine gewisse Zeit beim Ordo Xenos Dienst zu tun und in der gesamten Galaxis gegen die Bedrohung durch Fremdwesen zu kämpfen. Niemand war für den bevorste-
henden Kampf besser qualifiziert als die Deathwatch, und der Anblick des stilisierten Schädel-Symbols auf Bannons Schulterschützer erfüllte Uriel sofort mit neuer Hoffnung. Er marschierte zu dem geschmacklosen Schreibtisch, beugte sich vor, stützte die Hände auf die Schreibtischplatte und sagte: »Sie haben uns angelogen.« »Sie haben sich anlügen lassen, Uriel«, sagte Kryptman. »Haben Sie mich wirklich für jemanden gehalten, der aus einer Laune heraus seine Pläne ändert?« »Nein, aber ich hatte Sie für einen Mann gehalten, der zu seinem Wort steht. Was ich über Sie erfahren hatte, gab mir Grund zu der Annahme, Sie seien ein Mann von Ehre.« »Dann sind Sie in der Tat naiv«, sagte Kryptman. »Ich bin ein Mann, der dafür sorgt, dass eine Aufgabe erledigt wird.« »Auch wenn das die Ermordung Unschuldiger einschließt?« »Wenn es sich als nötig erweist, dann ja.« »Ich weiß nicht, wen ich im Moment mehr hasse. Die Tyraniden ermorden einander nicht für den Sieg.« »Noch nicht«, antwortete Kryptman mit einem listigen Lächeln. »Sie täten gut daran, auf Ihren Ton zu achten, Hauptmann Ventris«, sagte Astador, indem er hinter dem Schreibtisch hervortrat und sich vor Uriel aufbaute. »Ihr Orden verdankt diesem Mann seine Existenz.« »Gehen Sie weg von mir, Astador«, warnte Uriel. »Sie werden Ihre Stellung berücksichtigen, Hauptmann Ventris«, sagte Astador. »Wir alle haben in diesem Krieg eine Rolle zu spielen. Sie müssen sich mit Ihrer ebenso abfinden wie ich mich mit meiner.« Uriel spürte, wie seine Wut Astador gegenüber aufflackerte, und bevor er wusste, was er eigentlich tat, hämmerte er dem Ordenspriester eine krachende Rechte ans Kinn. Astador taumelte rückwärts und prallte gegen die Wand, doch bevor Uriel das Überraschungsmoment seines Angriffs ausnutzen konnte, spürte er einen starken Griff um den Hals und das Kribbeln sengender Hitze auf der Haut unter dem Kinn. »Wenn Sie auch nur eine Bewegung machen, ramme ich ihnen dieses Energiemesser durch den Rachen und ins Gehirn«, sagte Hauptmann Bannon. Astador sprang mit einem Todesfunkeln in den Augen auf, und in ihnen konnte er den wilden Stammeskrieger wiedererkennen, der er auf Posul gewesen war.
Doch bevor er sich bewegen konnte, war Pasanius da und legte dem Mortifactor eine starke Hand um den Hals. Er hielt den sich wehrenden Ordenspriester der Mortifactors in eisernem Griff. »Nicht«, sagte er. »Hören Sie jetzt alle sofort mit diesem Wahnsinn auf!«, bellte Tiberius und trat in die Raummitte. Er starrte Bannon an und sagte: »Nehmen Sie das Messer von der Kehle meines Hauptmanns«, bevor er sich an Pasanius wandte. »Sergeant, lassen Sie Ordenspriester Astador los und entfernen Sie sich von ihm.« Pasanius warf einen Blick auf Uriel, der wegen der leuchtenden bernsteinfarbenen Klinge an seinem Hals mit unmerklicher Kopfbewegung nickte, und ließ den Mortifactor los. Astadors Augen versprühten Wut, doch er wurde nicht aggressiv, und Pasanius wich zurück, wobei er die Verheißung neuer Gewalt ausstrahlte, sollte der Ordenspriester irgendetwas versuchen. Bannon nahm das Messer von Uriels Hals und sagte: »Ich habe von Ihnen gehört, Hauptmann Ventris, und großen Respekt vor Ihren Leistungen in der Vergangenheit, aber wir müssen in dieser gemeinsamen Sache einig sein. Es ziemt sich nicht für uns, untereinander zu streiten, wo wir es mit einem schrecklichen Feind zu tun haben, der uns alle vernichten will.« Uriel nickte und rieb sich unbewusst den Hals, wo die brennende Klinge von Bannons Energiemesser seine Haut versengt hatte. »Hauptmann Bannon hat recht«, sagte Tiberius. »Wir sind alle Diener des göttlichen Imperators und müssen uns entsprechend verhalten. Wir sind keine Tiere oder Gotteslästerer, die sich aller Codizes moralischen Verhaltens entledigt haben. Zwischen uns darf es keine Gewalt mehr geben.« Die Spannung in dem Raum ebbte langsam ab, und Bannon bot Uriel die Hand an. Uriel holte einmal tief Luft, um sich zu beruhigen, bevor er Bannons Hand ergriff, während er spürte, wie ihn die Mordlust verließ und verletzlich und beschämt zurückließ. Tief in sich spürte er die Berührung eines uralten Wesens und hörte dessen diabolisches Gelächter in seiner Seele widerhallen. »Kommen Sie«, sagte Kryptman, als er spürte, dass seine Besucher sich beruhigt hatten. »Es gibt viel zu besprechen. Während wir gegen die Tyranidenflotte gekämpft haben, war Magos Locard in den biologischen Forschungslabors auf Tarsis Ultra tä-
tig, und seine Funde sind äußerst erhellend...« Blendende Wolken aus heißem Dampf erfüllten den Bahnsteig, als der nächste Zug in den ihm zugewiesenen Haltebereich fuhr, und Pren Fallows, der Aufseher über diesen Bahnsteig, fluchte, als seine Schneebrille beschlug. Er setzte die Brille ab und wischte die Gläser mit dem Ärmel seines Overalls sauber. Es gab hier ohnehin sehr wenig Schnee, da die von den Zügen erzeugte Hitze und die wimmelnden Menschen Schnee und Eis schnell in einen tiefen Matsch verwandelten. Seit einem Monat trafen täglich Züge ein. Alle waren mit verängstigten bäuerlichen Gemeinden aus den umliegenden Regionen gefüllt, und als größte Stadt auf Tarsis Ultra musste Erebus die Mehrzahl dieser Flüchtlinge aufnehmen. Als wäre die Stadt nicht auch so schon überfüllt. Pren zuckte die Achseln, während er sich einen Weg durch die Massen zur Kontrollstation auf dem Bahnsteig bahnte. Siebzehn Halteplätze und fünfzig Gleise gingen von den Andockstationen aus. Er und sein Stab von siebzig Männern fuhren seit zwei Monaten Doppelschichten, um dafür zu sorgen, dass jeder Zug seine menschliche Fracht auslud und dann wieder pünktlich abfuhr, um neue zu holen. Es war eine undankbare, schmutzige Arbeit, die kaum belohnt wurde, aber es war das Leben, das der Imperator für ihn ausgewählt hatte, und obwohl er wusste, dass es ihm nichts nützen würde, sich darüber zu beklagen, war Pren Fallows nicht der Mann, der sich dadurch abhalten ließ. Helle Bogenlampen auf Stahltürmen tauchten die Bahnsteige in ein geisterhaft weißes Licht, und trotz der Hitze bildete sein Atem Nebelwölkchen. Gelb bemäntelte Kommissariatsbeamte nahmen die Leute in Empfang, trugen die Namen der Angekommenen auf Listen in Klemmbrettern ein und dirigierten sie zu den Lagern des Ministorums tiefer im Tal. Es war eine Szenerie des organisierten Chaos, aber dieser Zug war der letzte des Tages, und der nächste würde erst morgen gegen Mittag eintreffen, so dass Pren und seiner Mannschaft eine wohlverdiente Ruhepause vergönnt sein würde. Als die Kommissariatsbeamten die letzten Flüchtlinge aus dem Bahnhof geführt hatten, trat eine gesegnete Stille ein. Pren blieb stehen und lächelte, während er die Ruhe eines Winterabends und eines leeren Bahnhofs genoss.
Er erklomm die verrostete Eisenleiter zum Kontrollhäuschen und stampfte sich den Schneematsch von den Stiefeln, bevor er die Tür aufstieß. »Mach bloß die Tür zu!«, rief Halan Urquart, sein Stellvertreter, der vor einer Kontrolltafel saß, die Füße auf den Tisch gelegt hatte und eine Tasse heißen Kaffein trank. »Du lässt die ganze verdammte Wärme raus.« »Manchmal frage ich mich, ob dir klar ist, wer hier das Kommando hat, Halan«, erwiderte Pren, indem er den eingewachsten Reißverschluss seiner Winterjacke öffnete und sie an einem der Kleiderhaken an der Tür aufhängte. »Ja, das frage ich mich manchmal auch.« »Gibt es irgendwas zu melden?«, fragte Pren, während er sich das Eis aus dem Bart strich. »Nö, war ziemlich ruhig. Die Kerle vom Kommissariat scheinen endlich begriffen zu haben, wie sie die Leute hier wegschaffen können, ohne uns zu belästigen.« »Das wurde auch Zeit«, bemerkte Pren und schenkte sich eine Tasse Kaffein ein. Er war lauwarm, aber Bettler konnten es sich nicht leisten, wählerisch zu sein. Er setzte sich neben das Fenster und beobachtete, wie wieder heftiger Schneefall einsetzte und den Bahnsteig mit einer frischen Decke aus makellosem Weiß überzog. Pren nahm das Protokollbuch des Bahnsteigs aus dem Korb neben Halan und warf einen Blick auf die krakeligen Einträge seines Stellvertreters. Er trank einen Schluck Kaffein und stellte fest, dass die Umschlagzeiten für die Züge genauso schnell waren wie vor dem Krieg. Er musste daran denken, seinem Stab morgen Früh ein paar aufmunternde Komplimente zu machen. Er blätterte um und schaute jäh auf, als ihn plötzlich ein Schauder überlief. Er stellte seine Tasse ab und starrte aus dem halb beschlagenen Fenster auf die beiden Lichtpunkte, die sich dem Bahnhof näherten. »Was soll das denn...«, murmelte er. »Was ist denn?«, sagte Halan. »Sieh mal da«, sagte Pren und zeigte in die Richtung der mysteriösen Lichter. »Was soll das denn...«, sagte Halan. »Ich weiß«, sagte Pren. »Ich dachte, wir wären fertig für heute.« »Sind wir auch, ich habe keine Ahnung, was das ist.«
Die Männer sahen zu, wie die beiden Lichtpunkte in der Dunkelheit der Nacht immer näher kamen, und ihr Gefühl der Beklommenheit wuchs mit deren Helligkeit. Als die Lichter in den Lichtkreis der Bogenlampen einfuhren, stießen Halan und Pren einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie einen ganz normalen, dick mit Eis überzogenen Zug in den Bahnhof einfahren sahen. Der Zug wurde langsamer und hielt am Ende des am weitesten entfernten Bahnsteigs. Die Türen öffneten sich ruckartig. Pren und Halan warteten auf die unvermeidlichen Mengen, die jeden Moment daraus hervorquellen würden, doch niemand stieg aus. Der Zug stand nur still am entferntesten Ende des Bahnhofs da und blies Dampf aus den Gittern rund um den Motor auf die Gleise. Die beiden Männer wechselten einen unbehaglichen Blick. »Ich schätze, wir sollten mal hingehen und ein Auge drauf werfen«, schlug Pren vor. »Ich wusste, dass du das sagen würdest«, sagte Halan, während er Winterjacke und Handschuhe anzog. Pren schnappte sich eine Lampe und hüllte sich ebenfalls in seine Winterkleidung, um seinem Stellvertreter dann nach draußen in die schneidende Kälte zu folgen. Er stieg die vereiste Leiter hinunter und stapfte neben Halan durch den frischen Schnee zu dem dastehenden Zug. Als sie näher kamen, konnten sie erkennen, dass die Fenster des Zugs dunkel und wegen der Vereisung undurchsichtig waren, sogar die des Führerhauses, und ihr Unbehagen wurde stärker. Die Dunkelheit und Stille der Andockstationen, normalerweise eine Erleichterung nach der hektischen Geschäftigkeit des Tages, legte sich jetzt erstickend um sie, und Pren wünschte, es wären noch ein paar Kommissariatsbeamte im Bahnhof. Die waren wenigstens bewaffnet. Er hielt Halan am Arm fest, der sich daraufhin zu Tode erschreckte. »Guillaumes Fluch!«, tobte Halan. »Mach so was nicht!« »Sieh mal, man kann die Zugnummer an der Lokomotive sehen.« »Und?« »Na, jetzt können wir nachsehen, was das für ein Zug ist und warum er jetzt hier ist, du Idiot.« »Ja, richtig«, sagte Halan. Er zog eine Datentafel aus der Jacke
und ging eine Liste von Zahlen durch, bis er die Nummer schließlich fand. »Da ist er. War für letzte Woche vorgesehen.« »Letzte Woche? Und niemand hat bemerkt, dass er fehlt?« »Wohl nicht. Wir waren hier ziemlich beschäftigt, weißt du noch?« »Das stimmt schon«, sagte Pren. »Schön, woher kommt er?« »Dem Plan nach steht er unter Aufsicht von Leutnant Quinn und dem Logres-Regiment. Sie sollten Flüchtlinge aus den Bezirken im Nordosten abholen. Der letzte Halt war in Prandium, und sie hätten vor sechs Tagen hier ankommen müssen. Ich nehme an, der Zug ist auf Automatik eingelaufen.« Halan verstaute die Datentafel wieder, und die beiden gingen vorsichtig und mit klopfendem Herzen weiter zum Zug. Die Türen standen offen, doch es war immer noch niemand ausgestiegen. Ein Licht flackerte drinnen und beleuchtete kurz das Innere, dann ließ ein Klirren von zerbrochenem Glas beide Männer zusammenfahren. Dampf wallte aus dem Motor und schmolz den Eisüberzug, und kaltes Wasser tropfte rings um die geöffneten Türen herunter. Pren und Halan erreichten sie und traten wachsam in die Dunkelheit des Zuges. Pren schaltete die Lampe ein und ließ den Strahl durch das Innere des Waggons wandern. Er hörte Halan aufschreien und sank auf die Knie, während sein Verstand mit dem Gemetzel zurechtzukommen versuchte, dass er rings um sich sah. Leichen. Hunderte von aufgeschlitzten, enthäuteten, entleibten und halb verschlungenen Leichen lagen in dem Waggon wie Fleischbrocken in einem Kühlhaus. Sie hingen an klebrigen Streifen glänzenden Schleims an den Wänden, das tote Fleisch hart und unnachgiebig, während ihre toten Augen die Bahnhofsvorsteher in stummer Anklage anstarrten. Stalaktiten aus gefrorenem Blut reichten bis auf den unebenen Boden herunter, und Pren spürte, wie sich eine erstickende Furcht in seiner Brust ausbreitete. Er ließ die Lampe fallen, die über den Waggonboden rollte und irrwitzige Schatten über das Innere des erstarrten Schlachthauses wandern ließ, während der sich bewegende Strahl den erstarrten Zügen der Leichen eine grauenhafte Lebendigkeit verlieh. »Heiliger Imperator...«, jammerte Pren. »Was ist hier pas-
siert?« Doch die Toten konnten ihm keine Antwort geben, sondern lediglich erstarrte Augen, geleerte Bäuche, abgetrennte Gliedmaßen und angenagtes Fleisch. Und weiter hinten im Zug löste sich eine Kreatur, die bereits vor vielen Monaten nach Tarsis Ultra gekommen war, aus ihrem Versteck und tauchte im warmen Labyrinth von Erebus unter. Die vereinte Flottenmacht der imperialen Verteidiger des Systems Tarsis Ultra hing im Orbit um die Welt, von der das System seinen Namen hatte. Eine Kette verbundener Raumstationen umringten den Äquatorialgürtel des Planeten, von Scharen von Schleppern in Stellung gebracht, um den sich nähernden Tyraniden zu trotzen. Viele Dutzend Panzerschiffe trieben ebenfalls zu ihren Positionen in der Schlachtreihe neben Admiral de Cortes Flaggschiff Argus, dem Schlachtkreuzer Schwert der Vergeltung und den Kreuzern Yermetov und Luxor. Um die massige Form des Trägers Kharloss Vincennes hatten sich die Kobras des Cypria-Geschwaders gemeinsam mit dem einen überlebenden Schiff des Hydra-Geschwaders versammelt. Die beiden Angriffskreuzer der Space Marines ankerten im Schatten der Argus. Lord Inquisitor Kryptman und die Space Marines waren bereits auf Tarsis Ultra stationiert, da ihre Anwesenheit dort wichtiger war als an Bord der Kriegsschiffe. Infolgedessen würden sich die Mortis Probati und die Vae Victus aus der Hauptschlacht heraushalten und ihre gewaltigen Bugkanonen einsetzen, anstatt sich ins dickste Kampfgetümmel zu stürzen. Mit nur einer begrenzten Anzahl von Leibeigenen und Servitoren zu ihrer Verteidigung hatten sie keine Möglichkeit, Enterkommandos des Feindes abzuwehren, und diese alten Schiffe waren zu wertvoll, um das Risiko einzugehen, sie auf diese Weise zu verlieren. Die Tyranidenflotte tauchte zunächst als Lichtschimmer vor dem samtigen Gefunkel der Sterne auf, und ihr Ausmaß war großartig und furchtbar zugleich. Reflektiertes Sternenlicht funkelte auf riesigen Panzerplatten aus Chitin und glänzte auf nachhängenden Tentakeln, die mit einem zähen, klebrigen Schleim behaftet waren. Schwärme kleinerer Wesen, an deren Vorderseiten Entladungsbögen knisterten, umgaben die Schwarmschiffe und flogen der Hauptflotte mit einer bis dahin unter den Organismen dieser Flotte noch nicht erlebten Geschwindigkeit voraus.
Von der Kraft vieler Dutzender von Servitoren geflogenen Schlepper gezogen, trieb die Wasserstoffplasma-Raffinerie der Tyranidenflotte entgegen. Die Raffinerie war mit noch mehr Sprengstoff und Plasmazellen beladen, und die daraus resultierende Explosion würde die zwei vorangegangenen mit Sicherheit in den Schatten stellen. Admiral de Corte beobachtete mit einem wölfischen Lächeln, wie sich die Tyraniden der Raffinerie näherten. Obwohl viele Zehntausend Kilometer entfernt, wirkte alles winzig neben ihr, und de Corte wusste, dass die Explosion gewiss Hunderte, wenn nicht Tausende der Organismen töten würde. Wenn sie Glück hatten, würde sich vielleicht wieder ein Schwarmschiff zu einem Angriff auf die Raffinerie verleiten lassen, und dann würden sie noch einen der Herren dieser Flotte zerstören können. Schwärme von Tyranidenschiffen umringten die Raffinerie. Viele flogen in ihre Nähe, aber noch griff keines an. De Corte widerstand der Versuchung, den Feuerbefehl für die Novakanone der Argus zu geben, solange kein größeres Schiff zum Angriff überging. Sein geübtes Auge beobachtete, wie sich die Vorhut der Kreaturen geschmeidig teilte und an der Raffinerie vorbeiflog, wobei ihre Manöver so präzise ausgeführt wurden, als sei ein erstklassiges Flottengeschwader am Werk. »Sie greifen die Raffinerie nicht an«, sagte Jex Viert. De Corte kaute auf seiner Unterlippe herum und grübelte, ob er der Novakanone den Feuerbefehl geben sollte. Solange die Raffinerie vor seiner Flotte trieb, wollte er keinen allgemeinen Angriffsbefehl geben, und die verdammten Tyraniden schnappten nicht nach dem Köder. Irgendwas war faul. Die Tyraniden hatten den Berichten zufolge die ihnen von den Ultramarines vor Chordelis entgegengesandte Raffinerie mit allem angegriffen, was sie hatten warum verhielten sie sich also jetzt nicht genauso? Vier enorme Kreaturen näherten sich der gewaltigen Konstruktion. Die gekräuselten Öffnungen in ihrem länglichen Bug waren mit rotierenden klingenartigen Fangzähnen gefüllt. Sie flogen an der Raffinerie vorbei, und die langen, nachhängenden Tentakel verhakten sich in ihren Aufbauten. De Corte wusste nicht, ob dies ein zufälliger oder ein gewollter Vorgang war, aber ihm gefiel nicht, wie synchron sie ihre Positionen eingenommen hatten.
Horden von Kreaturen mit Stachelkämmen, die wie bizarre, reflektierende organische Segel aus ihren Leibern ragten, tauchten aus dem Schwarm auf und bezogen mit grotesken, peristaltischen Bewegungen Stellung vor der Raffinerie. »Was tun sie da, im Namen des Warps?«, fragte sich de Corte laut, als noch eine Gruppe von Tyranidenkreaturen, vor denen sich Bögen elektrischer Energie spannten, heranflog und die Leviathane mit den Tentakeln umringte. »Herr Admiral«, meldete Jex Viert, »die Kraken in der Vorhut der Tyranidenflotte nähern sich Geschützreichweite.« De Cortes Blick zuckte zum Planungstisch und den automatenhaften Logistikern, welche die Markierungssteine für die Tyranidenflotte seiner Schlachtreihe entgegenschoben. Die Raffinerie würde warten müssen. »Leutnant Viert, befehlen Sie die Panzerschiffe nach vorn und geben Sie allen Schiffen die Freigabe zum Kampf. Richten sie allen Kapitänen meine besten Empfehlungen aus und wünschen sie ihnen eine gute Jagd.« »Aye, Herr Admiral«, nickte sein Flaggenleutnant. Lordadmiral Tiberius beobachtete dieselbe Szene auf der Brücke der Vae Victus, und seine Verwirrung entsprach derjenigen de Cortes. »Das ist verdammt merkwürdig«, sagte er, indem er sich mit der Hand das Kinn rieb. »Warum schießt de Corte nicht?« »Ich glaube, er wartet darauf, dass eines der Schwarmschiffe die Raffinerie angreift«, sagte Philotas. »Dann unterschätzt er die Fähigkeit dieser Kreaturen, sich auf neue Kampfsituationen einzustellen.« Tiberius wusste gar nicht, wie recht er hatte. Die tentakelbehafteten Leviathane, deren nachhängende Anhängsel sich in die Raffinerie eingehakt hatten, rangen mit ihrer gewaltigen Masse. Ihre Leiber waren wenig mehr als eine endlose Reihe starker, miteinander verbundener Muskeln. Obwohl in ihnen viele Fasern rissen und jede Kreatur so viel Energie damit verbrauchte, die Vorwärtsbewegung der Raffinerie zu stoppen, dass der Vorgang sie zerstören würde, zogen sie doch weiter an der gigantischen Struktur. Der riesige Schwarmverstand machte sich nichts aus den individuellen Kreaturen, aus denen sich der größte Teil seiner Masse
zusammensetzte, und richtete seinen monströsen Willen auf die Muskelbestien, die nicht einmal im Tod vergeudet wurden. Die Schwarmflotte würde ihre organische Masse absorbieren und dazu benutzen, neue Kriegerkreaturen zu produzieren. Die Schwarmschiffe lauerten im Zentrum des Schwarms und wahrten einen Sicherheitsabstand von dem gefährlichen Eindringling in der Mitte ihrer Flotte. Langsam zunächst, doch schließlich immer schneller, nachdem sie die Trägheit der Raffinerie überwunden hatten, zogen die sterbenden Muskelbestien die Raffinerie hinter sich her. Flüssigkeiten und Muskelfasern wurden abgestoßen, da die zielstrebige Entschlossenheit des Schwarmbewusstseins fortfuhr, sie zu zerstören. Und die Raffinerie folgte ihnen und nahm immer mehr Geschwindigkeit auf, da sie zur imperialen Schlachtreihe zurückflog. Admiral Tiberius erkannte plötzlich, was vorging, und rief: »Philotas, stellen Sie sofort eine Verbindung zu Admiral de Corte her!« »Herr Admiral?« »Beeilung, Philotas!«, rief Tiberius, der bereits seine Kommandokanzel verlassen hatte und zur Kom-Station lief, während Philotas ihm den Kopfhörer aus Messing und das Sprechgerät hinhielt. Der Kom-Offizier nickte, und die abgehackte Stimme Admiral de Cortes knisterte von statischem Rauschen begleitet aus den goldumrandeten Lautsprechern in der Station. »Admiral Tiberius, fassen Sie sich bitte kurz, ich habe gerade dringliche Probleme.« »Zerstören Sie die Raffinerie. Sofort. Die Tyraniden schleppen sie zu uns zurück.« »Was? Sind Sie sicher?« »Ich bin ganz sicher, Admiral. Prüfen Sie die Sensorwerte, wenn Sie müssen, aber beeilen Sie sich.« »Sie müssen sich irren, Tiberius. Wie könnten die Tyraniden die Auffassungsgabe haben, unsere Absichten zu durchschauen?« »Sie lernen, Admiral. Ich hätte wissen müssen, dass wir diesen Bestien nicht zweimal denselben Streich spielen können. Bitte, Admiral, wir haben keine Zeit für eine Debatte. Vernichten Sie die Raffinerie umgehend!«
»Ich werde mir von meinen Sensor-Offizieren bestätigen lassen, was Sie sagen, aber ich bin nicht bereit, eine so mächtige Waffe aus einer Eingebung heraus zu zerstören. De Corte Ende.« Tiberius gab dem Space Marine an der Kom-Station den Kopfhörer zurück und marschierte zum Planungstisch zurück. Rasch nahm er die Stellung der imperialen Flotte in Augenschein und spürte, wie ihn eine Gänsehaut überlief, als ihm das Ausmaß der Katastrophe klar wurde, dass bald über die Flotte hereinbrechen mochte, wenn sie nicht schnell handelten. Philotas gesellte sich zum Admiral und tippte hektisch Zahlen in seine Navigationstafel ein. »Wenn wir jetzt aktiv werden, können wir die Raffinerie noch abfangen, Lordadmiral«, sagte er. »Dann tun Sie's. Volle Kraft voraus, alle verfügbare Energie auf die Autolader für die Bugkanone. Ich will diese Raffinerie mit allem treffen, was wir haben. Und nehmen Sie Verbindung mit Kapitän Gaiseric auf der Mortis Probati auf und bringen Sie ihn dazu, uns zu folgen. Sein Schiff werden wir auch brauchen.« »Aye, Herr Admiral. Volle Kraft voraus«, gab Philotas den Befehl des Lordadmirals weiter. Tiberius spürte, wie das Deck erbebte, und betete, dass sie noch rechtzeitig kämen. »Und?«, fragte Admiral de Corte ungeduldig. »Allem Anschein nach hat Admiral Tiberius recht«, erwiderte Jex Viert, dessen Stimme seine Beunruhigung verriet. »Die Raffinerie scheint sich uns jetzt zu nähern.« Heiße Furcht überfiel de Corte, als ihm die Konsequenzen dieser neuen Informationen aufgingen. Er nickte seinem Flaggenleutnant zu. »Geben Sie der Novakanone Feuerbefehl!«, rief Jex Viert. »Geben Sie allen Schiffen Signal, das Feuer zu eröffnen. Sofort, um des Imperators willen!« Nein, dachte Admiral de Corte, nicht um des Imperators willen, um unseretwillen. Kolossale Energien schleuderten die Sprenggranate aus dem Lauf der Novakanone im Bug der Argus und schickten sie auf einer flammenden Wolke der Tyranidenflotte entgegen. Mit einer Geschwindigkeit von annähernd fünftausend Kilometern pro Se-
kunde legte die Granate die Entfernung zum Feind in etwas unter fünfundzwanzig Sekunden zurück. Als sie bis auf fünfzehntausend Kilometer herangekommen war, zuckten strahlende blaue Blitze von den Kreaturen heran, welche die Muskelbestien umringten, und hüllten die Granate ein, die sofort in einer sich rasch ausdehnenden Wolke aus brennendem Plasma explodierte und deren zersplitterte Überreste ins All davonschossen. Die Blitzespeier und die Bestien mit den segelartigen Rückenkämmen bezogen Stellung vor der Raffinerie, der jetzt ein Gewitter aus Granaten und Energiestrahlen entgegenschoss. Ein dicker Morast aus Sporen und Tyranidenkreaturen schwärmte aus. Die Bestien explodierten und opferten ihr Leben, da sie den der Raffinerie geltenden Beschuss absorbierten. Lanzenstrahlen durchschnitten Sporen und verbrannten Tyranidenfleisch, bevor sie schließlich die abweisenden Segel der geflügelten Bestien trafen, welche die Blitzespeier eskortierten. Die Honigwabenstruktur der Segel zerstreute einen Großteil der Energie der Lanzenstrahlen, so dass diese harmlos wurden und keinen Schaden mehr anrichteten, als sie die Raffinerie trafen, da sie ihre Panzerung nicht mehr durchschlagen konnten. Abfangjäger vom Typ Furie und Sternfalke-Bomber schossen aus den Hangars der Kharloss Vincennes und versuchten ein Loch in den Schutzschirm aus Tyraniden zu sprengen, doch jede Lücke, die sie aufrissen, wurde gleich wieder durch neue Bestien gefüllt. Schließlich zog der Kommandeur der Furien, Hauptmann Owen Morten, seine überlebenden Jäger wieder zum Trägerschiff zurück, um sie aufzutanken und neu zu bewaffnen. Dass sich eine Aufgabe nicht ausführen ließ, war noch lange kein Grund aufzugeben. Wie hart die Imperiumsflotte auch zuschlug, sie konnte den lebenden Schutzschirm aus Tyranidenkreaturen nicht durchdringen, der die Raffinerie schützte, und da es keinen Reibungswiderstand gab, nahm deren Geschwindigkeit immer mehr zu, bis sie der imperialen Schlachtreihe entgegenraste. »Wir kommen nicht durch!«, rief Philotas. »Weiterschießen«, befahl Tiberius mit gepresster Stimme. »Aye, Herr Admiral.« Tiberius' Kiefermuskeln verkrampften sich vor Anspannung, während er die Explosionen beobachtete, die sich vor der Vae
Victus entfalteten. Ihre Feuerkraft, die normalerweise so vernichtend in der Schlacht war, richtete überhaupt nichts aus, da jede Granate aus ihrer Bugkanone von einer Tyranidenkreatur auf Befehl des Schwarmverstandes und unter völliger Selbstaufopferung abgefangen wurde. Viele Hundert Bestien starben, aber sie schafften, was der Schwarmverstand sich vorgenommen hatte. Nichts drang bis zur Raffinerie durch. Admiral de Corte umklammerte die Armlehnen seines Kommandosessels, während sich die Argus nach steuerbord neigte. Das gewaltige Schiff wich der nahenden Raffinerie träge aus, doch er musste niemanden fragen, um zu wissen, dass sie es nicht schaffen würden. Die Flotte sprengte so rasch auseinander, wie sie konnte, aber selbst mit Manövergeschwindigkeit brauchte ein so großes Schiff wie ein Schlachtschiff der Victor-Klasse Zeit für ein Abdrehen, und sehr viel mehr aus der Ankerposition. Vernichtende Salven massierter Geschütze von den Panzerschiffen hatten die sich nähernden Kraken daran gehindert, ihre Schlachtreihe zu durchbrechen, aber dem unausweichlichen Nahen der Raffinerie hatten sie nichts entgegenzusetzen. »Wie lange noch bis zur tödlichen Nähe, Leutnant Viert?« »Vierzig Sekunden, Herr Admiral.« »Bringen Sie uns weg, Philotas«, befahl Tiberius. Die Annäherungsgeschwindigkeiten der Raffinerie und der Vae Victus waren so, dass die Raffinerie längst an ihnen vorbeigerast sein würde, ehe sie die nächste Granate laden und abschießen konnten. Tiberius lehnte sich der Neigung seines Schiffs entgegen, als sich der Bug des Angriffskreuzers hob und die Raffinerie rasch aus der Observations-bucht verschwand. Der Admiral spürte das Deck unter sich beben, da der ächzende Rumpf unter dem Druck des harten Manövers und des Rückschlag der Breitseiten und kleineren Geschütze, die immer noch auf die kleineren Organismen des Schutzschirms rings um die Raffinerie feuerten, nachzugeben drohte. Ohne ihre Space Marines als Verteidiger an Bord wäre es Selbstmord gewesen, den Tyraniden eine Möglichkeit zu bieten, die Vae Victus zu entern. »Wie lange noch bis zur tödlichen Nähe, Philotas?« »Zwanzig Sekunden, Lordadmiral.«
Torpedosalven explodierten zwischen der Vorhut des schützenden Schwarms und töteten die Tyranidenkreaturen in ihren Feuerstürmen, aber nichts konnte die dicke Wand der Kreaturen durchschlagen, die zur Aufgabe ihrer Existenz im Dienste des Schwarmverstands gezwungen wurden. Weniger als sechzigtausend Kilometer trennten die Flotte jetzt noch von der Raffinerie. Und bei ihrer gegenwärtigen Geschwindigkeit waren das zehn Sekunden. »Alle Mann Schiff verlassen!«, brüllte Admiral de Corte, als die Näherungssirenen der Argus zu heulen anfingen. Die Glocke der Sakristei läutete und läutete und warnte - als sei noch eine Warnung nötig vor der unmittelbar bevorstehenden Kollision mit der Raffinerie. Er wusste, es war vergeudeter Atem, denn keines der Rettungsboote des Schlachtschiffs würde es noch aus dem Detonationsbereich schaffen, aber er musste es wenigstens versuchen. Ihr Verhängnis füllte die gesamte Observationsbucht aus und näherte sich ihnen mit entsetzlicher Endgültigkeit. In den wenigen Sekunden, die ihm noch blieben, erhob er sich und ging zur Mitte des Kommandoschiffs. Er salutierte vor seiner Brückenmannschaft und sagte: »Es war mir eine Ehre, mit Ihnen allen gedient zu haben. Der Imperator beschützt.« Als sich die Raffinerie der Imperialen Flotte weit genug genähert hatte, wendeten die Blitzespeier, die zuvor noch die Muskelbestien geschützt hatten, flink wie eine Peitschenschnur und deckten die Raffinerie mit züngelnden blauen Blitzen ein. Metall verflüssigte sich unter dem Beschuss, und die Blitzespeier bohrten sich wie fette Zecken durch die aufgeweichten Panzerplatten des Gebildes. Einmal im Innern, schob jede Kreatur ihre ultraheißen Entladungsblitze wie einen Bohrer vor sich her und schnitt so durch eine Metallschicht nach der anderen, bis sie die Speicherkammern tief im Innern erreichten. Die Hitze der Lichtbögen schmolz ihre eigenen Chitinpanzer und brannte ihnen das Fleisch von den Knochen, aber vom unnachgiebigen Willen des Schwarmbewusstseins getrieben, machte jede Bestie weiter, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Als der erste Blitzespeier einen der gepanzerten Tanks durch-
bohrt hatte, zuckten die elektrischen Lichtbögen durch die Brennstoffkammer und entzündeten augenblicklich die empfindliche Wasserstoff-Plasma-Mischung. Überall in der Raffinerie geschah dasselbe, und einen Moment später wurde die kolossale Bombe der Raffinerie in einer gigantischen Explosion auseinandergesprengt. Hunderte wurden von der strahlenden Helligkeit der Explosion geblendet, die am Himmel über Tarsis Ultra erblühte. Die Argus verschwand in der Korona der Explosion, vor der sie ihre Schutzschirme nicht bewahren konnten. Meterdicke Adamantiumwandungen verdampften im Zeitraum eines Augenblicks, als das uralte Schiff vom Plasmafeuer eingehüllt wurde. Ganze Abteilungen wurden in den Raum gesprengt. Der Sauerstoff entzündete sich, als die Hitze durch das Schiff fegte, und das riesige Schiff sank förmlich in sich zusammen, da ihr Kiel in der weißglühenden Hitze schmolz. Tausende starben sofort, da ihnen in dem Zeitraum, den sie benötigten, um Luft für einen Schrei zu holen, das Blut verdampfte und Haut und Fleisch von den Knochen gebrannt wurden. Das Feuer der Explosion weitete sich rapide aus, verschlang rasch die zum Untergang verurteilte Argus und fuhr zwischen die anderen Schiffe der Imperiumsflotte. Sechs Panzerschiffe und ebenso viele Systemschiffe verdampften, als ihre Magazine und Treibstofftanks explodierten. Die Kobras des Cypria-Geschwaders brachen auseinander, als ihr Torpedovorrat hochging, wenngleich die eine überlebende Kobra des Hydra-Geschwaders auch diese Katastrophe wunderbarerweise überstand. Die Starthangars der Kharloss Vincennes flammten auf, als Treibstoffsilos Feuer fingen. Die Brandschutzschleusen schmolzen zu, so dass der Träger nicht mehr in der Lage war, zuvor ausgesandte Geschwader und Staffeln von Jägern und Bombern aufzunehmen. Gut eingeübte Feuerlösch-Routinen retteten das Schiff, und das rasche Manövrieren des Kapitäns ließ sie die Explosion mit dem Bug voraus nehmen, was die Auswirkungen der Schockwelle stark abmilderte. Die Schwert der Vergeltung, die Yermetov und die Luxor waren vor den schlimmsten Auswirkungen der Explosion abgeschirmt, so dass ihnen größere Schäden erspart blieben, obwohl auch durch die Gänge dieser Schiffe das Jaulen der Feuer- und Leck-
Warnsirenen sowie das Gebrüll der Reparaturmannschaften gellte. Die Kontrollbrücke der Vae Victus war in blutrotes Licht getaucht, während die Sakristei-Glocke läutete, als schreie das Schiff selbst. Funken und Hydraulikflüssigkeit sprühten aus geborstenen Kontrollarmaturen, doch Tiberius wusste, dass sie von Glück sagen konnten, noch in einem Stück durch das All zu schweben. Die Vae Victus war der Explosion mit dem Heck begegnet, und ihre Gewalt hatte sie wie ein Blatt im Sturm umhergewirbelt, doch Admiral Tiberius' schnelle Reaktion hatte sie aus dem Hauptwirkungsbereich der Hölle gebracht, die über die Mehrheit der Imperiumsflotte hereingebrochen war. »Schadensmeldungen!«, bellte Tiberius. »Wir haben Lecks auf den Decks sechs, sieben und neun«, meldete Philotas. »Die Maschinen arbeiten nur mit fünfzig Prozent Leistung, und wir haben die meisten Heckgeschütze verloren.« »Was ist mit dem Rest der Flotte?«, fragte Tiberius, der sich vor der Antwort fürchtete. »Das weiß ich nicht, Herr Admiral. Die Sensoren haben Mühe, die bei der Explosion freigesetzte elektromagnetische Strahlung zu durchdringen.« »Verbinden Sie mich mit Admiral de Corte, wir müssen schnellstens die Lage unter Kontrolle bringen.« »Aye, Herr Admiral.« Tiberius stolperte über das schiefe Deck, blieb vor dem Planungstisch stehen und versuchte schlau aus dem Wirrwarr der dort sichtbaren Bilder zu werden. Ein roter Nebel füllte den Boden der schematischen Darstellung aus, da die Tafel nicht in der Lage war, genügend Symbole darzustellen, um die volle Zahl der Tyranidenflotte anzuzeigen. Versprengte blaue Symbole wechselten zwischen scharf und verschwommen, da die Sensoren sich mühten, die Positionen der Imperiumsschiffe auszumachen. »Der Imperator beschütze uns«, flüsterte Tiberius, als neben den blauen Symbolen Raumschiffsnamen aufflackerten. Sehr wenige, wie er sah. Er runzelte die Stirn und suchte den Tisch nach dem Symbol für die Argus ab. Tiberius blickte auf, als Philotas sagte: »Die Argus existiert nicht mehr, Herr Admiral.« »Existiert nicht mehr...«, wiederholte Tiberius.
»Sie hat die volle Wucht der Explosion abbekommen, Herr Admiral. Von ihr ist nichts mehr übrig.« Der Lordadmiral wehrte sich innerlich gegen den Schock angesichts der Zerstörung eines so mächtigen Schiffs und des Todes ihrer gesamten Besatzung. »Und der Rest der Flotte?«, fragte er leise. »Es sieht so aus, als hätten die hiesigen Schiffe am stärksten unter der Explosion zu leiden gehabt, aber wir haben die Kobras und die Argus verloren. Die Schwert der Vergeltung ist beschädigt, aber unter Energie, und auch die Kharloss Vincennes ist noch bei uns, obwohl ihre Starthangars unbrauchbar sind.« Tiberius nickte kurz, während er das Ausmaß der Katastrophe abschätzte, und wusste nur einen Augenblick später, dass der Krieg im Weltraum vorbei war. »Rundspruch an alle Schiffe. Ich übernehme das Kommando über die Flotte. Befehlen Sie allen Schiffen den Rückzug. Wir räumen Tarsis Ultra und sammeln uns bei Calydon.« »Herr Admiral?« »Nun machen Sie schon!«, schnauzte Tiberius. »Eine nicht zu gewinnende Schlacht auszufechten, hat keinen Wert, wenn wir dadurch den Krieg verlieren. Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe.« Philotas nickte und gab die Befehle des Admirals weiter, während Tiberius die Hände um die Kanten des Planungstisches gekrampft hatte. Durch eine Raumschlacht war gegen die vorrückenden Tyraniden nichts mehr zu gewinnen, und er wollte nicht die Verantwortung dafür übernehmen, jeden Mann der Imperiumsflotte in diesem System zum Tode zu verurteilen. Was immer jetzt kam, die Verteidiger auf Tarsis Ultra mussten allein damit fertig werden.
NEUN Ein kalter Wind blies über die Bergspitzen des Cullingebirges, heulte über den felsigen Boden darunter und raubte dem strahlenden Morgen jeden Rest verbliebener Wärme. Die Luft war frisch, aber die Sonne schien grell und verhinderte das Gefrieren des schäumenden Quellwassers, das aus den Bergen herabfloss. Die niedrigeren Hänge der Berge waren mit smaragdgrünen Wäl-
dern gesprenkelt, und hier und da kehrten Herden zottiger Yrenbacks von ihren Wasserstellen in den Bergen zu den wärmeren Ebenen zurück. Plötzlich verharrten die Tiere und reckten die langen, pelzigen Hälse in die Luft, als witterten sie ein Raubtier. Die Herden wogten verwirrt umher und rückten enger zusammen, in heller Aufregung über ihre Unfähigkeit, die Ursache der Bedrohung zu identifizieren. Sie blökten verwirrt und legten die Ohren an. Dahingestreute dunkle Flecken huschten über die Bergflanken, als eine Schar von Formen über den Himmel raste. Überall auf den Hängen wurden infolge der gewaltigen Einschläge herabfallender Objekte Wolken aus Schnee und Felsen in die Höhe geschleudert. Die Herden sprengten auseinander, als immer mehr Objekte vom Himmel fielen und durch ihre schiere Zahl die Oberfläche der Berghänge aufwühlten. In den Wolken über ihnen blitzte es violett, als Sporen in ihnen platzten und eine Vielzahl von Schadstoffen und Viren freisetzten, die augenblicklich damit begannen, das klimatologische Gleichgewicht der Planetenatmosphäre zu verändern. Hitze baute sich rasend schnell auf, was den Luftdruck zunehmen und aktinische Blitze von Wolke zu Wolke springen ließ, die dafür sorgten, dass die Wolken als toxischer Regen niedergingen. Minuten später war die gerade aufgegangene Sonne hinter der schieren Masse der aus dem Himmel fallenden Sporen verschwunden. Verängstigte Yrenbacks rannten vorwärts und rückwärts über die Berghänge und sprangen in blinder Panik durch den Schnee. In die dampfenden Sporen, die in ihrer Mitte gelandet waren, kam Bewegung, und fremdartige Schreie ertönten, da die Kreaturen darin herauskamen und etwas suchten, das sie töten konnten. Durch den Schwarmverstand und Superadrenaline von einer rasenden Mordlust erfüllt, hackte die erste Welle der gelandeten Tyraniden ganze Herden der grasenden Tiere in blutige Stücke, bevor sie zusammenbrachen und starben, nachdem sie ihre Wut verbraucht hatten und in diesen eisigen Temperaturen nicht überleben konnten. Tausende Tyranidenorganismen der ersten Welle starben, da die eisige Kälte von Tarsis Ultra sie Minuten nach ihrer Ankunft erfrieren ließ. Nachdem sie ihre gesamten Energien im Zuge der ersten Welle ihrer Gewalttaten buchstäblich verbrannt hatten und über keine Fettreserven verfügten, konnten sie nicht länger als ein
paar Minuten überleben. Doch nichts davon spielte eine Rolle, denn je mehr Kreaturen starben, desto mehr erfuhr der Schwarmverstand über die örtlichen Verhältnisse auf dem Beuteplaneten und veränderte die biologische Physiologie seiner Kriegerorganismen, indem er sie in die Lage versetzte, mehr isolierendes Gewebe und Energiereserven zu produzieren, die ihnen das Überleben über einen längeren Zeitraum ermöglichen würden. In den tiefer gelegenen Wäldern fiel der biologisch verseuchte Regen auf den mulchigen Boden und durchsetzte die Erde mit seinen bakterienüberladenen Substanzen, Mikroben mit dem genetischen Bauplan der Tyranidenfauna breiteten sich rasch im Boden aus und analysierten und verdauten den chemischen Inhalt der Erde, bevor sie diese Energie in beängstigend schnelle Wachstumsschübe umsetzten. Bunte Wedel fetzten sich einen Weg durch die silberne Rinde der Bäume, und gewundene Ranken und Schlingpflanzen schossen aus dem feuchten Boden. Wiederum verkürzte die Kälte auf Tarsis Ultra die Lebensspanne der Pflanzen erheblich, doch im Tod erbrach jedes Blatt und jede Schlingpflanze neue Sporen in die Atmosphäre, und der Kreislauf begann von neuem. Bei jeder Generation von Pflanzen, die ihren kurzen Lebenszyklus durchlief, hoben die chemischen Reaktionen, welche den Boden fermentierten, die Temperatur der umliegenden Luft. Warme Luftströmungen stiegen vom Boden auf und wärmten das blühende Pflanzenleben, bis die Wachstumsrate exponentiell anstieg. Gezackte Sporenschlote aus dicker Pflanzenmaterie brachen durch den heißen Boden und schraubten sich himmelwärts, während sich ihre Wurzelstrukturen durch den Dauerfrost in den nährstoffreichen Boden darunter bohrten. Heißer Dampf und Reaktionsgase der biologischen Prozesse wurden durch die Schlote ausgestoßen, wodurch neue Sporen hoch in die Atmosphäre geschleudert und durch die Winde verteilt wurden. Als sich die Atmosphäre dadurch noch mehr aufheizte, entstanden starke Aufwinde, die auf die von den Bergspitzen herabsinkende Kaltluft trafen und außergewöhnliche Wetterverhältnisse schufen, welche die Tyranidenorganismen noch weiter verbreiteten. Die Invasion von Tarsis Ultra hatte begonnen. Trotz der Unfähigkeit der Imperiumsflotte, die tyranidischen An-
greifer zurückzuhalten, war Tarsis Ultra an sich nicht ohne eigene Verteidigung. Auf dem Boden stationierte Batterien von Abwehrlasern schossen in den Himmel, und viele Hundert Orbitaltorpedos rasten auf flammenden Kondensstreifen in die oberen Schichten der Atmosphäre. Die Abwehrlaser zuckten durch den Himmel, aber der rasch mutierende Gehalt der Luft hielt eine weitere adaptive Überraschung für die Verteidiger von Tarsis Ultra bereit. Eines der größten Probleme für landgestützte Laserwaffen ist der Energieverlust über große Entfernungen. Wenn sich ein Laserstrahl durch Luft bewegt, werden kleine Mengen seiner Energie als Wärme an die umgebende Atmosphäre abgegeben, was zu Verwirbelungen der Luft führt und zu Störungen in der Flugbahn des Strahls. Dies beeinträchtigt nicht nur die Zielgenauigkeit, sondern sorgt auch für eine breitere Streuung des Strahls, was die ans Ziel abgegebene Energie weiter mindert. Bei den von den Abwehrlasern erzeugten kolossalen Energien war dies normalerweise kein Problem, aber jeder Strahl passierte auf seinem Weg viele Dutzend Luftschichten mit stark unterschiedlichen Temperaturen, was zu einem starken Energieverlust führte. Viele der kleineren Organismen litten unter den Abwehrlasern, aber die Mehrheit der Tyraniden hatte von ihnen nicht viel zu befürchten. Doch Torpedos haben keine derartigen Leistungsschwankungen, und diese Waffen verlangten den sich sammelnden Räubern einen hohen Tribut ab. Viele Hundert Torpedos explodierten zwischen den aufgeblähten Sporenschiffen der Tyranidenflotte, zerstörten einige und verwundeten andere tödlich. Ungezählte Tyranidenkreaturen starben und fielen als grelle, ausblutende Fleischmeteore durch die Atmosphäre, wobei sie das aus ihnen spritzende Blut wie einen Kometenschweif hinter sich herzogen. Der Himmel über Tarsis Ultra war, was die Strategen des Imperiums als »zielgesättigt« bezeichneten, und jeder Torpedo fand ein Ziel. Binnen zwei Stunden meldeten die Kommandeure der Abwehrbatterien über fünfhundert bestätigte Abschüsse und forderten gleichzeitig verzweifelt mehr Munition an. Angesichts so vieler Ziele verbrauchte jede Batterie ihren Munitionsvorrat nach etwa einer Stunde ununterbrochenen Feuerns. Gegen einen konventionellen Angreifer hätten die Abwehrgeschütze von Tarsis Ultra verheerenden Schaden angerichtet und
jeden Invasionsversuch unmöglich gemacht. Aber die Tyraniden waren weit davon entfernt, konventionelle Angreifer zu sein. Aus der Luft ähnelte das Hydro-Skiff einer dahinrasenden silbernen Kugel, wie es über die gefrorene Oberfläche der Wasserstraße raste. Die Passagierabteile waren mit Soldaten des LogresRegiments gefüllt, die nach Erebus zurückkehrten, und ihre Geschwindigkeit näherte sich der Zweihundertkilometermarke, da es von den riesigen, propellergetriebenen Motoren über den gefrorenen Kanal befördert wurde. Ein Nebel aus Eiskristallen wirbelte in seinem Kielwasser, als sich die Hydro-Skier neigten, um das Skiff um eine Kurve im Kanal zu tragen, die um eine Reihe niedriger Hügel führte, auf denen immergrüne Fichten wuchsen. Funken flogen, als der äußere Ski die Magnet-Leitplanke an der Seite des Kanals ankratzte, da der Pilot die Kurve ein wenig zu schnell angefahren hatte. Doch alle Sicherheitsüberlegungen mussten sich der Tatsache unterordnen, dass Eile Not tat. Sie hatten das Netz der Laserstrahlen am Himmel gesehen, und im Westen war das blasse Blau mit den nebligen Kondenssäulen der feuernden Torpedosilos überzogen. Niemand brauchte den Männern des Logres-Regiments zu sagen, was los war und dass es an der Zeit war, in die Sicherheit von Erebus zurückzukehren. Unnatürliches Zwielicht breitete sich aus, da der Himmel voller Sporen der Tyraniden war und die zirpenden schwarzen Wolken, die umherwirbelten und wogten wie fliegende Ölflecken, lange Schatten warfen. Soldaten spähten nervös durch die beschlagenen Fenster in die zunehmende Dunkelheit und beschworen den Fahrer des Skiffs in Gedanken, noch mehr Geschwindigkeit aus dem Gefährt herauszuholen. Zwei schwarze Wolken fielen herab, fingen den Sturzflug dicht über dem Boden ab und flogen dann parallel zum Skiff, während eine dritte in träger Spirale vor ihnen niederging. Offiziere, die die Vorgänge durch Periskope im Dach beobachteten, riefen ihren Männern zu, sich an den Fenstern zu postieren, und gaben ihnen allgemeine Feuererlaubnis. Eisige Luft wehte durch das Skiff, als Fenster geöffnet und Läufe von Lasergewehren nach draußen gehalten wurden. Laserstrahlen zuckten in die Höhe und fuhren zwischen die schwarzen Scharen,
die das Skiff verfolgten. Ab und zu fiel eine verdrehte Gestalt in den Schnee, aber derartige Siege gab es nur wenige, und die Scharen kamen trotz der atemberaubenden Geschwindigkeit des Skiffs immer näher. Angstschreie hallten durch die Passagierabteile, als die Scharen das Skiff überholten und die Soldaten den Feind zum ersten Mal zu Gesicht bekamen. Groteske Kreaturen mit Membranflügeln, grinsenden, zahnbewehrten Mäulern und Krallengliedern umringten sie. Laserstrahlen fuhren zwischen die Tyranidenwesen, aber auf jedes getötete kamen hundert, die am Leben blieben. Sie umschwirrten das Skiff und spien schwarze Strahlen aus den Waffenmündungen, mit denen ihre metallene Haut übersät war, wie Hände voll geworfener Steine. Glas splitterte und Männer schrien auf, als sie vom Beschuss der Angreifer getroffen wurden und sich ihre Rüstung unter den Einschlägen auflöste. Sanitäter eilten zu den Verwundeten, zogen ihnen blutige Flakwesten aus und übten Druck auf die Löcher in den Leibern der Soldaten aus, um dann voller Grauen zurückzuschrecken, wenn sie Schwärme sich windender, käferartiger Kreaturen sahen, die sich tief in das Fleisch der Männer bohrten. Klickende Krallen rissen am Dach des Skiffs und kratzten lange Schrammen in das dünne Metall. Das Skiff schwankte hin und her und sprühte mehr Funken, während der Pilot darum kämpfte, das zusätzliche Gewicht der Angreifer und die hinzukommende Trägheit auszugleichen. Soldaten schossen durch das Dach und töteten die fliegenden Bestien zu Dutzenden, konnten aber nicht alle vertreiben. Muskulöse Krallenarme griffen hinein und zerrten einen schreienden Soldaten durch ein Loch im Dach, dessen Schreie abbrachen, als ihm der heulende Fahrtwind den Atem raubte. Seine Kameraden mühten sich, ihn wieder hineinzuziehen, aber eine Salve der fleischfressenden Kreaturen tötete die MöchtegernRetter in einem Geschosshagel. Das Skiff jagte um die nächste Biegung im Eiskanal, nur um die nächste Schar geflügelter Ungeheuer vor sich zu sehen, die eine undurchdringliche Wolke bildete und dem Skiff den Weg mit ihren Leibern versperrte. Der Pilot reagierte instinktiv, trat auf die Bremse und riss das Skiff zu einer Seite herum. Bremsdornen bohrten sich ins Eis und ließen das Skiff unkontrolliert herumrutschen.
Das Heck geriet ins Schleudern, und das Passagierabteil drehte sich langsam, bis es seitwärts über das Eis glitt. Da es breiter als der Kanal war, verfing sich das hintere Ende an der MagnetLeitplanke, wodurch das Abteil auf die Seite geworfen wurde. Durch die hohe Geschwindigkeit wurde das Abteil aufgerissen und die Kupplung mit der Zugmaschine zerstört. Das Abteil flog sich überschlagend durch die Luft, um hundert Meter weiter im Eiskanal zu landen, wo es in einem sengenden orangen Feuerball explodierte. Flammen wallten himmelwärts, während das Wrack noch weitere sechshundert Meter durch den Kanal rutschte und die Hitze der Flammen das Eis unter dem Wrack schmolz. Als das Wrack zum Stehen gekommen war, krochen ein paar jämmerliche Überlebende aus dem Wrack, ramponiert, blutig und benommen. Noch bevor sie Gelegenheit bekamen, sich zu Tode zu frieren, waren die geflügelten Gargyle bei ihnen und fielen mit Krallen und Zähnen über ihre hilflose Beute her, bis niemand mehr am Leben war. Der Landkrieg auf Tarsis Ultra hatte seine ersten Opfer gefordert. Von ihrem Platz hoch oben auf dem Dach ihres Lagerhausverstecks beobachteten Schneehund und Silber die entfernten Kondensstreifen der Torpedos, die durch den violetten Himmel in die oberen Schichten der Atmosphäre flogen. Die Devotionalien-Holos, die normalerweise nur namenlose Prediger zeigten, die einen aufforderten, zum Imperator zu beten, hatten ununterbrochene Warnungen vor den Gefahren eines Kontakts mit der fremden Rasse gesendet. Schneehund wusste nicht, wie es um den Krieg stand, war aber ziemlich sicher, dass irgendwo etwas gewaltig schiefgelaufen sein musste, weil man nicht einfach anfing, bodengestützte Waffen abzufeuern, außer um eine unmittelbar bevorstehende Invasion abzuwehren. »Das sieht nicht gut aus«, sagte Schneehund. »Nein«, gab Silber ihm recht. »Ganz sicher nicht.« Lord Inquisitor Kryptman stand in der gepanzerten Observationsbucht auf dem Gouverneurspalast und beobachtete dieselbe Szenerie mit ähnlichen Gefühlen. Nach der Nachricht, dass die
Flotte zum Rückzug gezwungen worden war, hatten sich seine Hoffnungen zerschlagen, diese Invasion aufzuhalten, bevor sie die Oberfläche des Planeten erreichte. Er ließ den Blick ein letztes Mal über die Landschaft wandern, wissend, dass sich diese Welt selbst dann unwiderruflich verändern würde, wenn sie die Tyraniden besiegen konnten. Alle Offiziere hatten Befehle hinsichtlich der taktischen Doktrin und der richtigen Vorgehensweise im Kampf gegen die Tyraniden bekommen. Mit unzähligen Leben erkaufte Erfahrung machte die Runde durch die Soldaten von Tarsis Ultra, und Kryptman hoffte, das Opfer derjenigen, die gestorben waren, um diese Informationen zusammenzutragen, würde nicht umsonst gewesen sein. Während er den Beginn der Invasion der Tyraniden betrachtete, gesellte sich Magos Locard zu ihm in die Bucht, die Hände vor dem Bauch verschränkt, während über seinem Kopf Mechadendriten sanft hin und her schwankten. »Also beginnt es wieder«, sann der Inquisitor, während er den wogenden bunten Himmel beobachtete. »In der Tat«, sagte Locard. »Wäre es nicht so monströs, könnte man es sogar als ästhetisch erfreulich betrachten. Die Natur wird zu Paroxysmen der Schöpfung getrieben.« »Schöpfung, ja, aber daran ist nichts Natürliches. Es ist Schöpfung mit dem Ziel, zu zerstören und zu verzehren.« »Eine interessante Dichotomie, nicht?«, stellte Locard fest. »Ja, aber vielleicht eine für eine andere Zeit. Was machen Ihre Forschungen?« »Sie schreiten voran. Die Anlagen hier lassen in mancherlei Hinsicht zu wünschen übrig, sind aber für meine Bedürfnisse ausreichend. Die den auf der Vae Victus geborgenen Xeno-Kreaturen entnommenen Proben haben ungemein geholfen, aber ihre genetische Struktur weist Anzeichen der Mutation auf. Anscheinend sind die Tyraniden seit der Verzehrung von Barbarus Primus in eine neue Evolutionsphase eingetreten.« Kryptman drehte sich zu dem Magos um und nickte. »Das hatte ich mir schon gedacht.« »Um unser Ziel zu erreichen, müssen wir irgendwie an eine Genprobe gelangen, die so nah an der ursprünglichen Struktur des Schwarms wie eben möglich ist und noch keiner Mutation auf Geheiß des Schwarmverstandes unterworfen wurde.« »Und wie wollen Sie sich so eine Probe beschaffen?«
»Tja, das weiß ich noch nicht«, gestand Locard. »Finden Sie einen Weg«, befahl Kryptman. Uriel sah, wie Learchus und Pasanius die Front der Stadtverteidigung abmarschierten, und unterdrückte den Drang, sich ihnen anzuschließen. Vor nicht allzu langer Zeit war er ebenfalls noch Sergeant gewesen, und das alte Verlangen, nach den Männern unter seinem Kommando zu sehen, kam am Vorabend jeder Schlacht immer noch zum Vorschein. Er hatte jetzt andere Sorgen, machte er sich klar, während er die Datentafel durchging, um sich zu vergewissern, dass in seinem Verantwortlichkeitsbereich alles so war, wie es sein sollte. Von oben betrachtet, ähnelte die Ebene vor der Stadtmauer mit den gewundenen Gräben, welche die beiden Seiten des Tals miteinander verbanden, einer Rennstrecke. Drei Gräben durchquerten sie, die beständig schmaler wurden, da sie sich der Stadtmauer näherten, aber Uriel wusste, dass dies nur zeitweilige Verteidigungseinrichtungen waren. Die erste Welle der Tyraniden würde sie aus der Luft angreifen und festnageln, während die Hauptstreitmacht zu Fuß kommen würde. Sebastien Montante hatte ihm versichert, dass die Seiten des Tals mit ausreichend Geschützen verteidigt wurden, um jeden Angriff aus der Luft zu vereiteln. Uriel hatte seine Zweifel, da er wusste, dass Ausmaß und Umfang der Tyraniden-Invasion das Begriffsvermögen der meisten Leute überstieg, die noch keine erlebt hatten. Siebentausend Männer hielten den ersten Graben besetzt, sechstausend den zweiten und weitere zweitausend den dritten. Die restlichen Soldaten warteten innerhalb der Mauern von Erebus und wurden in Reserve gehalten, bis sie gebraucht würden. Vor dem Wall tuckerte das Capitol Imperialis von Oberst Octavius Rabelaq, dessen gepanzerte Flanken von Geschützen starrten und auf dessen krennelierter Brustwehr es von Soldaten wimmelte. Mit dem Wappen des Logres-Regiments verziert, erhob sich das gewaltige, rhomboidförmige Kommandofahrzeug fast fünfzig Meter über den Boden. Von hier aus konnte Rabelaq seine Soldaten dirigieren und den Überblick über die Schlacht behalten. Seine Ketten waren breiter als eine Straße, und im Lauf seines Hauptgeschützes war Platz für vier Kampfpanzer vom Typ Leman Russ. Es war eine furchterregende Erinnerung an die Macht des Imperiums, und diese Macht war für alle sichtbar. Kleinere Panzer
umgaben das Capitol Imperialis wie Ameisen einen Elefanten und fuhren durch Tore im Wall zur Front. Jene Panzer, die bereits Stellung bezogen hatten, standen in gut angelegten Böschungsansätzen und hatten Rollbahnen aus plattgewalztem Schnee hinter sich, über die sie zur nächsten Linie zurücksetzen konnten. Soldaten in schmutzigen weißen Mänteln kauerten in ihren Unterständen um Plasmawellen-Generatoren und erhitzten Essen. Die Männer genossen, was durchaus für längere Zeit ihre letzte warme Mahlzeit sein mochte, und Uriel wusste, dass kaum etwas besser für die Moral war als heißes Essen und Getränke. Hier hatte sich Montante selbst übertroffen, denn er handhabte den logistischen Albtraum, Zehntausende Soldaten versorgen und ausrüsten zu müssen, mit dem Geschick eines erfahrenen Zeugmeisters. Er hatte riesige Feldküchen organisiert, die die Soldaten regelmäßig mit warmem Essen versorgten, und dafür gesorgt, dass die Kommandeure einen zuverlässigen Nachschubtross hatten. Alles war mit bewundernswerter Tüchtigkeit organisiert worden, und er konnte die Lehren des Codex Astartes in der präzisen Struktur der Verteidigung wiedererkennen. Uriel fühlte sich an die schematische Darstellung der nordpolaren Abwehrfestung auf Macragge im ersten Tyrannischen Krieg erinnert, obwohl er hoffte, den Ausgang jener Schlacht vermeiden zu können. Zufrieden, dass alles so war, wie es sein sollte, marschierte er über die mit Schneematsch bedeckten Laufbretter des Grabens zur Front. Eine dicke, zwei Meter hohe Schneewehe war vor dem Graben errichtet worden, um das Feuer der Angreifer abzuwehren, da der Schnee nicht wie Sand unter dem Einschlag von Projektilen davonspritzte, sondern sich lediglich verdichtete und somit zu einer stärkeren und wirkungsvolleren Barriere wurde. Eimer mit Wasser waren wiederholt über die Böschung der Schneebarriere vor dem Graben gekippt worden, um eine spiegelglatte Oberfläche zu erzeugen, die sich für die Tyraniden hoffentlich als sehr schwer zu erklimmen erweisen würde. »Schon irgendwelche Nachrichten, wann wir mit ihnen rechnen können?«, fragte Pasanius, der sich zu Uriel gesellte. »Bald«, antwortete Uriel, während Learchus ebenfalls zu ihnen kam. »Hervorragende Arbeit, Learchus«, sagte Uriel, indem er seinem Sergeant zur Begrüßung die Hand schüttelte.
Learchus nickte. »Die Soldaten hier sind gute Männer, BruderHauptmann, sie mussten nur an die Lehren des Codex Astartes erinnert werden.« »Ich bin sicher, Ihre Erinnerung ist sehr nachdrücklich ausgefallen, Sergeant«, stellte Uriel fest. »Wo es nötig war«, räumte Learchus ein. »Ich war nicht rauer als ein Ausbildungs-Sergeant in Agiselus.« Sowohl Pasanius als auch Uriel zuckten zusammen, als sie sich an die Strenge ihrer Ausbildung auf Macragge erinnerten. Sie bezweifelten nicht, dass Learchus die Soldaten hier durch die Hölle geschickt hatte, um sie auf den bevorstehenden Krieg vorzubereiten. Aber wenn sie das zu besseren Soldaten machte, dann war es ein Preis, den zu zahlen sie dankbar sein mussten. »Wo werden die Mortifactors und die Deathwatch stationiert?«, fragte Learchus. Uriel zeigte auf den südlichen Bereich der Gräben, und seine Stirn furchte sich bei der Erinnerung an die Konfrontation mit Astador und Kryptman in der Raumstation. Er hatte die Beherrschung verloren, und die Scham über diesen Lapsus brannte immer noch in ihm. Er war ein Space Marine im Dienst des Imperators und stand über kleinlichen Dingen wie Temperamentsausbrüchen. Aber der Tod so vieler Unschuldiger auf Chordelis und der vom Nachtbringer auf seiner Seele hinterlassene Fleck hatten seinen normalerweise unverbrüchlichen Ehrenkodex überwunden. Die Vorstellung, die Beherrschung zu verlieren und plötzlich kaum mehr zu sein als ein Mörder ohne Gewissen, ängstigte ihn sehr. Er erwog kurz, die wachsende Finsternis in sich zu beichten, verkniff sich die Worte aber, da er nicht wusste, wie er seine Gefühle artikulieren sollte. Derartige Schwächen waren einem Space Marine fremd, und ihm fehlte die Menschlichkeit, um sie einfach auszudrücken. Die drei Space Marines beobachteten den wallenden Himmel in der Ferne mit Beklommenheit. Niemand würde je das Grauen vergessen, das sie auf Ichar IV erlebt hatten, und die Vorstellung, wieder so einem Feind gegenüberzutreten, brachte nur Besorgnis mit sich. Sie wussten zwar, dass sie jeden Feind besiegen konnten, aber sie waren nur hundert Krieger, und gegen so eine riesige Horde waren auch ihren Fähigkeiten Grenzen gesetzt. Die Soldaten ringsumher waren zahlreich, aber nicht annähernd
so zahlreich wie die Tyraniden. Doch der Vorteil der Verteidiger von Tarsis Ultra lag in ihrer grundlegenden Menschlichkeit und der Courage, die aus der Tatsache erwuchs, dass sie Heim und Herd verteidigten. Genau darin also, was Uriel und seinen Sergeanten fehlte. Die Berge im Westen schienen sich zu winden, so viel Bewegung herrschte dort. Tausende und Abertausende von Sporen hämmerten auf den Boden, und jede spie eine schleimbedeckte Kreatur aus, die in animalischem Hunger zischte und kreischte. Schwärme von Bestien versammelten sich im Schatten der verwandelten, in Rauch gehüllten Wälder, deren natürliche ökologische Schönheit zu einer monströsen, fremdartigen Flora pervertiert worden war, welche die Nährstoffe im Boden aufzehrte und die Landschaft mit einen dunklen Fleck nekrotischen Wachstums überzog. Blubbernde Seen aus Säuren und Enzymen bildeten sich in Senken, und kleine Verschlinger-Organismen tauchten in das Säurebad ein, um die gesammelte Energie abzugeben und den unstillbaren Hunger der Tyranidenflotte zu befriedigen. Als sich genügend Kreaturen zu einer schnappenden, beißenden Horde versammelt hatten, machten sie sich auf ein unsichtbares Signal hin auf den Weg, und kräftige Hinterbeine beförderten den springenden Schwarm durch den tiefen Schnee der Berge zur Ebene darunter. Größere Kreaturen stapften durch den Schnee, deren bestialische Kiefer beständig schnappten und deren Krallenhände die kleineren Organismen beiseite fegten, während sie sich durch den Schwarm bewegten. Zehntausende Tyraniden stürmten die Berghänge hinunter, durch unsichtbare Bande des Hungers mit den fliegenden Gargylen verbunden, die sie zu ihrer Beute lenkten, da sie dem Schwarm vorausflogen. Auf ganz Tarsis Ultra näherten sich die Bestien der TyranidenInvasion ihren Zielen. Gardist Pavel Leforto von der Wehrlegion Erebus leckte sich nervös die Lippen und wünschte sich sofort, er hätte es nicht getan, da er spürte, wie die Kälte die Feuchtigkeit binnen Sekunden gefror. Er musste dringend seine volle Blase entleeren, aber die Latrinengräben lagen dreihundert Meter hinter dem Grabenabschnitt seines Zugs. Er verfluchte die Notwendigkeit, so viel zu trinken. In seinem Alter war seine Blase nicht mehr die stärkste,
und der Zwang, jeden Tag fünf Kanister Wasser zu trinken, um der Dehydrierung vorzubeugen in dieser Kälte eine sehr reale Gefahr -, war eine beständige Last. Aber die Gardisten des Logres-Regiments waren allesamt humorlose Schweinehunde, wenn es um Erfrierungen ging, und mittlerweile war es ein strafbares Vergehen, sich eine Dehydrierung, Erfrierung oder Unterkühlung zuzuziehen. Im Graben war es nicht so kalt wie in den Wochen zuvor, obwohl hoch oben auf der Periskop-Plattform ein eisiger Wind wehte, der ihn trotz der vielen Schichten Thermo-Schutzkleidung bis ins Mark frösteln ließ. Die Anwesenheit so vieler Soldaten steigerte die Temperatur um mehrere Grad, und die Panzer waren zu einem Magneten für frierende Soldaten geworden, die sich in der Hitzeabstrahlung ihrer Motoren aalten. Allein in diesem Grabenabschnitt hielten sich über dreihundert Soldaten auf, eine Mischung aus Trupps der Logres- und Krieg-Regimenter. Keiner der Fremdweltsoldaten war sonderlich freundlich, und sie behandelten die Soldaten der Wehrlegion wie Wochenendkrieger, wie Amateure, die in den Arenen der großen Jungs spielten. Das in Verbindung mit der allgemein schlechten Laune hatte die Beziehungen zwischen den Verteidigern von Tarsis Ultra gelinde gesagt strapaziert. Die anfängliche Erregung darüber, seinen regulären Posten in den Gießereien von Erebus verlassen zu können, hatte sich längst verflüchtigt, und er vermisste die vorhersehbare Monotonie seiner normalen Arbeit. Doch noch mehr als das vermisste er sein Heim, seine Frau und seine Kinder, besonders abends, und die beengte, aber heimelige Hab-Einheit hoch an der Nordwand von Bezirk Secundus, die sie sich mit drei anderen Familien teilten. Sonya würde mittlerweile das Abendessen fertig haben, und seine beiden Kinder, Hollia und der kleine Solan, würden auf dem Rückweg aus der Schola sein. Ihre Abwesenheit schmerzte, und Pavel freute sich schon auf das Ende dieses Krieges, wenn er wieder mit ihnen vereint sein würde. Er verbannte alle Gedanken an Heim und Familie und drückte das Gesicht auf die mit Gummi überzogenen Augenöffnungen der Periskoplinsen und dann auf den Knopf, der die polarisierten Außenabdeckungen öffnete. Er verrückte die Sturmhaube unter seinem Helm, um richtig hindurchschauen zu können. Die Wärme seiner Haut ließ das Glas kurz beschlagen, bevor sich ein klares
Bild vor seinen Augen aufbaute. Das trostlose, ununterbrochene Weiß der Landschaft lag leer vor ihnen, so weit sein Auge reichte, obwohl er wusste, dass die niedrigen Temperaturen seine Tiefenwahrnehmung und Sehschärfe beeinträchtigten. Andererseits war er auch nicht der einzige Beobachter in diesem Sektor, also störte es ihn nicht sonderlich, dass er nicht viel sehen konnte. Nichts zu sehen war ohnehin ein gutes Zeichen, oder nicht? »Irgendwas zu sehen?«, fragte sein Truppkamerad Vadim Kotash, während er Pavel eine dampfende Blechtasse mit Kaffein hinhielt. Mit seinen fünfundvierzig Jahren war Vadim ein Jahr jünger als Pavel, und beide waren vermutlich die ältesten Männer im ganzen Zug. Das Gesicht seines Freundes war unter der Sturmhaube mit der Schneebrille sowie einem Schal verborgen, den er sich um den Mund gewickelt hatte und der seine Stimme dämpfte. »Nein«, sagte Pavel, indem er die Abdeckungen wieder über die Linsen gleiten ließ. Er nahm die Tasse, zog sich den Schal vor dem Mund hinunter und trank einen Schluck des heißen Getränks. »Bei diesem Wetter kann ich kaum etwas erkennen.« »Aye, das ist mir klar. Con hat erzählt, dass Kellis gestern ins Lazarett eingeliefert wurde. Er ist schneeblind geworden. Der Idiot hat seine Brille nicht aufgesetzt.« »Dafür werden ihn die Kommissare über glühende Kohlen zerren.« »Würde mir gar nichts ausmachen, über glühende Kohlen gezerrt zu werden, die könnten meine alten Knochen aufwärmen«, gluckste Vadim. »Dafür wäre jetzt schon der Hochofen in der Gießerei nötig«, sagte Pavel. Vadim nickte, während ein Offizier im langen, schlammfleckigen Mantel des Krieg-Regiments und einem dicken, pelzbesetzten Kolpak mit den Rangabzeichen eines Leutnants auf dem Kopf durch den Graben kam. Er trug ein Lasergewehr über der Schulter, und seine Miene drückte finstere Verdrossenheit aus. »Oje, das ist Konarski«, zischte Vadim und tippte Pavel auf die Schulter, aber es war schon zu spät. »Sie!«, schnauzte Konarski. »Warum halten Sie nicht nach dem Feind Ausschau?« Pavel erschrak ob des scharfen Tonfalls und schüttete sich Kaf-
fein über den Mantel. »Äh, Verzeihung, Herr Leutnant. Ich wollte gerade...« »Mir ist völlig egal, was Sie gerade wollten, Sie sollen nach dem Feind Ausschau halten. Mit Ihrer Achtlosigkeit könnten Sie uns alle ganz allein zum Tode verurteilen. Dafür melde ich Sie, verlassen Sie sich darauf.« Pavel ächzte frustriert, als Konarski ein ramponiertes und offenbar ausgiebig benutztes Notizbuch für disziplinarische Vergehen und einen winzigen Bleistiftstummel zückte. »Also gut, Soldat, Name, Rang und Dienstnummer...« Konarski bekam keine Gelegenheit mehr, seine Frage zu beenden, da entlang der gesamten Front die Alarmsirenen zum Leben erwachten und den Soldaten ihre Warnung entgegenheulten. In den Gräben brach panische Hektik aus, da Soldaten nach ihren Waffen tasteten, und auf dem Feuersteg ließ Pavel seine Tasse fallen und presste das Gesicht gegen das Periskop. Seine Auseinandersetzung mit Konarski war vergessen. Er ließ die Abdeckungen von den Linsen gleiten und keuchte, als er die Schwärme schwarzer Gestalten sah, die sich den Gräben aus der Luft näherten. Die gesamte obere Hälfte seines Blickfelds war mit diesen Kreaturen ausgefüllt, und er hörte das tosende Rauschen vieler Tausend schlagender Flügel, als sie näher kamen. Als ihm klar wurde, dass er das Periskop nicht mehr brauchte, sprang Pavel auf den Feuersteg und hob sein Gewehr an die Schulter. Motoren spien Qualm, als Hydra-Flakpanzer nach vorn fuhren und dabei gefrorenen Matsch und Schnee aufwirbelten und in die Luft schleuderten, da ihre Ketten den Boden aufwühlten. Munitionslaster folgten den Panzern. Jeder war mit dreitausend Granaten in leicht zu ladenden Munitionstaschen beladen, da die Hydras bis zu tausend Schuss pro Minute abfeuern konnten. Pavel beobachtete die sich nähernde Wolke fliegender Angreifer mit einer Mischung aus Entsetzen und Vorfreude. Er hatte die Mauern von Erebus noch nie weit hinter sich gelassen und war aufgeregt angesichts der Möglichkeit, echte Fremdwesen aus der Nähe zu sehen. Aber wenn auch nur die Hälfte der Informationen über sie stimmte, die ihnen in den Einsatzbesprechungen zugänglich gemacht worden waren, würde er aller Wahrscheinlichkeit nach eine allzu nahe Begegnung mit den Tyraniden-Organismen nicht sonderlich erfreulich finden.
Die Sirenen verstummten, und das furchtbare Geräusch der flatternden Schwingen hallte von den Talwänden zusammen mit dem spröden, schrillen Lärm von Millionen klickender Krallen wider. »Wartet mit dem Schießen, bis sie näher herankommen«, befahl ein Hauptmann des Logres-Regiments, der hinter ihnen gelassen auf und ab ging, das Schwert gezogen und die Klinge auf die Schulter gelegt. »Vergeudet keine Schüsse, ihr werdet jeden einzelnen brauchen.« Pavels und Vadims Blicke begegneten sich, und Pavel sah die Furcht hinter dem nervösen Lächeln seines Freundes. »Keine Sorge, Vadim«, sagte Pavel. »Halte nur immer ein frisches Magazin griffbereit, dann wird alles gut.« Vadim nickte unsicher, während die Hydras das Feuer eröffneten und der Lärm ohrenbetäubend wurde, da die vierläufigen Waffen die ersten Granaten in den nahenden Schwarm abschossen. Hunderte von Explosionen erfolgten zwischen den fliegenden Kreaturen und zeichneten Schmutzflecken in den Himmel, und die entfernten Schreie sterbender Kreaturen hallten durch die eisige Luft. Dampf quoll aus den luftgekühlten Läufen, und berobte Techpriester umkreisten jeden Panzer und besprenkelten ihn mit gesegnetem Wasser aus ihrem Aspergill, während die Kanonen ihre Sprenggranaten verschossen. Pavel sah den Schwarm in der Luft zucken, als er vom Abwehrfeuer der Hydras erfasst wurde und jede Sekunde viele Hundert Kreaturen zerfetzt wurden. Das unter ihnen angerichtete Gemetzel war furchtbar, und ein Regen schwarzer Objekte fiel aus dem Schwarm zu Boden. Er fragte sich, wie sie solche Verluste erleiden und trotzdem weiterfliegen konnten. In perfektem Gleichklang tauchte ein Teil des Schwarms ab, während der Rest an Höhe gewann und den höchsten Gipfeln der Stadt entgegenstrebte. Der tiefer fliegende Schwarm kam schnell tiefer und flog dicht über dem vereisten Boden wie ein dunkler Geschossregen den Gräben entgegen. Die Hydras feuerten weiter, da ihre Läufe sich senkten und dem Schwarm folgten, der es offenbar auf die Gräben abgesehen hatten. Die Entfernung verringerte sich rapide, und das kreischende Geschrei der Tyranidenkreaturen zerrte an den Nerven der vielen Tausend Männer, die ihnen gegenüberstanden.
Pavel beobachtete sie durch das Zielrohr seines Lasergewehrs, und das blinkende rote Fadenkreuz wurde grün, als die Kreaturen in die effektive Reichweite der Waffe flogen. »Feuer! Feuer frei!«, brüllte ein Offizier, und viele Tausend Lasergewehre schossen gleichzeitig. Der schwarze Schwarm schien kollektiv zusammenzuzucken. Hunderte und Aberhunderte der Bestien fielen sich überschlagend auf das Eis. Disziplinierte Salven trafen den Schwarm. Pavel schoss, ohne zu zielen. Es war einfach unnötig, wenn der Feind in solcher Zahl angriff. Das Gekreisch steigerte sich zu einem stürmischen Heulen, und plötzlich waren sie über ihnen. Vadim duckte sich, als ein fliegendes Ungeheuer gegen den Grabenrand prallte und verkümmerte Hinterbeine auf dem Eis Halt suchten. Membranartige Schwingen flatterten, als die Rippenarme auf ihn zeigten und eine schleimtropfende symbiotische Waffe auf sein Herz zielte. Pavel schoss der Bestie in den Kopf, und ihr zuckender Kadaver fiel in den Graben. Zwei zischende Ungeheuer glitten im Tiefflug heran, und Klumpen aus schwarzem Schleim bespritzten die Grabenwände, da Pavel Vadim in den Matsch am Boden des Grabens stieß. Er fuhr herum, als die Bestien auf ihn losgingen, ohne das allgegenwärtige Geschrei und den Kampflärm überhaupt noch wahrzunehmen. Er gab Dauerfeuer, so dass grelle Laserstrahlen durch den Graben zuckten, und schnitt die Bestien entzwei. Vadim erschoss eine andere Bestie, die sich über die Schneewehe zu krallen versuchte. Pavel zerrte Vadim auf die Beine. In der Luft wimmelte es von Gargylen, die im Sturzflug auf die Gräben niedergingen und krallten, bissen und mit ihren widerlichen Biowaffen schossen. Schreie waren über das beständige Zischen der Ungeheuer zu hören, und es stank nach Blut und Angst. Ein Trupp der kreischenden Bestien stieß aus dem dünner werdenden Schwarm herab, und grelle Strahlen aus Bioplasma schmolzen Schnee und Fleisch mit gleicher Leichtigkeit. Vadim schrie, als er von einem Gargyl in die Luft gehoben wurde. Er strampelte mit den Beinen und heulte jämmerlich, als er aus dem Graben getragen wurde. Pavel sprang hoch und erwischte Vadims Beine, aber seine dicken Fäustlinge fanden keinen Halt, und sein Freund wurde in den Himmel entführt. Pavel fiel wieder in den Graben zurück, während sich ein anderer Gargyl auf ihn stürzte. Er hechtete zur Seite und riss verzweifelt sein Lasergewehr hoch,
um die herabstoßenden Krallen zu parieren. Funken stoben, als die Krallen der Bestie durch den Lauf hackten und seine Winterjacke zerfetzten, sich aber wieder losrissen, bevor sie in seine Brust eindringen konnten. Er stolperte und fiel auf dem Feuersteg auf die Kehrseite. Er warf seine nutzlose Waffe weg und zückte das Kampfmesser, während sich die Bestie in der Luft herumwarf und zu einem neuerlichen Anflug ansetzte. Nichtmenschliches Blut bespritzte ihn, als der Gargyl in der Luft explodierte, von innen zerfetzt von einem Boltgeschoss aus dem Gewehr eines Space Marines. Er wischte sich das Blut von der Brille und sah gerade noch, wie sich ein Hauptmann der Ultramarines und ein Sergeant der Länge nach durch den Graben kämpften, Gargyle töteten und deren Angriffe abschüttelten, als seien sie auf dem Exerzierplatz. »Danke«, stotterte Pavel, aber die Krieger waren bereits weitergezogen. Er sank auf die Knie und übergab sich, als ihn die Wirklichkeit seines Beinahe-Todes übermannte und der Schock einsickerte. Übelkeit erregende Angst erfüllte ihn, und die heiße Furcht überflutete ihn förmlich, als ihm aufging, wie dicht er davor gewesen war, Sonya zur Witwe zu machen. Er spürte, wie seine Glieder zitterten, und suchte unter den Toten auf dem Grabenboden nach einer Waffe, nachdem ihm aufgegangen war, dass er nur hoffen konnte, die bereits in Ansätzen lähmende Furcht abzuschütteln, wenn er handelte. Pavel lud eiligst das Lasergewehr und sprang auf. Er stieg wieder auf den Feuersteg und schoss in die Masse der Kreaturen am Himmel über sich. Er schoss und lud nach und wusste irgendwann nicht mehr, wie viele Reservemagazine er schon in die Waffe gerammt hatte, da er sich aus den Beuteln der Gefallenen bediente, nachdem seiner leer war. Doch selbst er sah, dass die Zahl der Kreaturen geringer wurde. Da sie nicht landen und kämpfen konnten, würden die Gargyle die Gräben niemals erobern, und Pavel fragte sich, worin eigentlich der Sinn dieses Angriffs lag. Die Antwort war entsetzlich klar. Die Tyraniden sondierten sie... lernten. Dieser Angriff war nicht mehr als ein Erforschen der Fähigkeiten ihrer Beute, nur ein Hinweis auf das, was noch kommen würde. Diese Vorhut war nur eine Ablenkung, und die Bestien, die hier zu Tausenden starben, waren entbehrlich, Kanonenfutter, um
Informationen zu erhalten, wie sich die Kreaturen, die diese Welt verteidigten, am besten besiegen ließen. Der Gedanke an so eine kalte, gefühllose Logik ließ ihn im tiefsten Innern seiner Seele frösteln. Wenn Tausende geopfert wurden, um ein paar Informationen zu bekommen, welches Grauen mochten die Führer der Tyraniden dann noch entfesseln? Die Kampfgeräusche wurden leiser, und hier und da konnte Pavel die gerüsteten Gestalten der Ultramarines und der Mortifactors sehen, wie sie die letzten Exemplare des Schwarms erledigten und sich dabei ihrer klobigen Waffen mit einer Tüchtigkeit bedienten, die auf Jahrzehnte beständiger Übung zurückzuführen war. Er stützte sich an der Grabenwand ab, da ihn eine Flut von Empfindungen überschwemmte. Erleichterung über sein Überleben, Sehnsucht nach seiner Familie, Trauer um Vadim obwohl er keine Ahnung hatte, ob sein Freund noch lebte oder gefallen war. Er sank auf dem Feuersteg zusammen, als sich Erschöpfung wie kaltes Blei in seinen Gliedern ausbreitete und seine Hände zu zittern anfingen. Pavel weinte um seinen verschollenen Freund, und die Tränen gefroren auf seinen Wangen zu Eis. Schneehund gab einen Feuerstoß mit seinem schweren Karabiner ab, und die Geschosse zerfetzten einen zischenden Gargyl und fegten ihn aus dem verrammelten Fenster, durch das er einzudringen versucht hatte. Silber erledigte gelassen einen anderen, der ein Loch in die Decke hackte, und Tigerlily wirbelte umher und durch die Bestien und zerfetzte Flügel mit ihren Dolchen und stach Augen aus. Jonny Stampfer und Trask kämpften Rücken an Rücken und feuerten, was das Zeug hielt, auf die bizarr aussehenden Kreaturen, die in ihr Lagerhaus-Versteck einzudringen versuchten. Das Krachen der Waffen war ohrenbetäubend, und in den kurzen Feuerpausen brannten sich die Schreie der Panik und Furcht von denjenigen Zivilisten ins Bewusstsein, die das Glück gehabt hatten, die Sicherheit des Lagerhauses zu erreichen. Die Tür splitterte schließlich, und ein halbes Dutzend kreischende Ungeheuer kämpfte darum, sich durch die Öffnung zu zwängen. Schneehund wirbelte herum und wappnete sich, indem er die Beine zu einem sicheren Stand spreizte, während er auf den
Feuerknopf des Karabiners drückte. Eine meterlange Flammenzunge schoss aus dem perforierten Lauf und löste die Bestien in einer Wolke aus Blut und Rauch auf. Trotz seiner Vorkehrungen brachte der Rückschlag Schneehund aus dem Gleichgewicht, und der Strom der Geschosse wanderte nach oben und fegte Gipsbrocken aus der Decke. Er schwang die Waffe wieder nach unten und suchte nach neuen Zielen, fand für den Moment aber keine. Das panische Winseln und gedämpfte Schluchzen der zwei Dutzend Zivilisten im hinteren Teil des Lagerhauses irritierte ihn bereits, und er atmete tief ein und langsam wieder aus, um sich zu beruhigen, und lief dann zum Rand des zerschmetterten Fensterrahmens, um einen Blick nach draußen zu riskieren. Seit dem frühen Abend hallte das Krachen der Abwehrkanonen von den Talwänden wider, und er sah die Kanonen hoch oben in den Felswänden schießen. Zuerst hatte er nicht sehen können, worauf sie schossen, aber schon bald war eine wogende Wolke aus Kreaturen in Sicht geflogen. Im Kielwasser der Ungeheuer ging ein schwarzer Regen nieder, Tausende von Sporen, die in beängstigender Zahl auf die Stadt niedergingen. Explosionen pflasterten den Himmel, Granaten zerplatzten zwischen den herabstürzenden Organismen und töteten die Ungeheuer. Schneehund hatte noch nie zuvor eine so wunderbare Zurschaustellung der Abwehrgeschütze der Stadt gesehen, und die Feuerkraft, die sie gegen die Sporen zum Tragen brachten, war unglaublich. Der Maßstab der Tyraniden-Invasion war von einer Größenordnung, die alles überstieg, was sich die Erbauer der Stadt je hätten träumen lassen, und vereinzelte Teile des Luftbombardements konnten den Schutzschirm der Flak durchdringen, hauptsächlich in den tiefer gelegenen Bereichen der Stadt und weit entfernt von den Stellen, wo die zusätzlichen Geschütze in den Mauern des Imperiumspalasts von Sebastien Montante gegen die erste Welle kämpften. Neugierige Zuschauer umringten die Sporen, denen die Landung gelang, um diese Bedrohung ihrer Welt mit eigenen Augen zu sehen, und die meisten davon bezahlten ihre Neugier mit dem Leben, wenn die nichtmenschlichen Mörder aus den Sporen platzten: hackende Bestien und sichelarmige Ungeheuer mit gnadenlosen Augen und gefräßigem Appetit.
Schneehund hatte zugesehen, wie eine Handvoll Sporen die dünnen Wellblechdächer einiger Gebäude in der Nähe durchschlagen hatten und war bei ihrem Aufschlag in dem Wissen zusammengezuckt, dass ihre Bewohner bereits tot waren. Menschen sprengten auseinander, durch die Explosion der Gewalttaten ringsherum aufgeschreckt. Beinahe hundert der springenden, zischenden Bestien drängten sich durch die Straßen vor dem Lagerhausgebäude, das ihnen als Basis diente. Schreiende Menschen mit Kindern und jämmerlichen Bündeln mit persönlichen Besitztümern auf den Armen waren vor den Bestien geflohen, und in einem Augenblick der Schwäche, von dem er wusste, dass er ihn noch bereuen würde, hatte Schneehund ihnen Zuflucht in ihrem Lagerhaus gewährt. Seitdem kämpfte er mit seiner Bande um ihr Leben, da die Ungeheuer mit Klauen und Zähnen rangen, um hineinzugelangen. Jonny hatte sie so lange in Schach gehalten, bis Schneehund die Waffen auspackte, die er einem der vielen unehrlichen MagazinSergeanten in den geschäftigen Häfen abgekauft hatte, und nun, da alle starke Waffen trugen, schickten sie die Bestien mit eingezogenem Schwanz nach Hause. Es schmerzte Schneehund, diese Waffen benutzen zu müssen, weil sich ihr Widerverkaufswert stark verringert hatte, nachdem sie nun abgefeuert worden waren. Immerhin, überlegte er, hatte er noch reichlich Kisten mit Verpflegung und medizinischen Hilfsgütern auf Lager und war bereit, Sonne und Mond zu verwetten, dass in den bevorstehenden Tagen eine höllische Nachfrage danach bestehen würde. Er hustete, als sich jähe Stille auf die Hab-Einheit senkte, da seine Lunge mit dem beißenden Rauch aus der großkalibrigen Waffe gefüllt war. Trask und Jonny Stampfer klatschten sich ab. »Habt ihr den gesehen, den ich zwischen die Augen getroffen habe?«, knurrte Trask. »Dem hab ich sauber den imperatorverfluchten Schädel weggeblasen!« »Aye. Aber was ist mit dem, den ich mit dem Granatwerfer erwischt habe? Das war super«, sagte Jonny, indem er wieder und wieder so tat, als schieße er. Schneehund ließ sie prahlen, schulterte den rauchenden Karabiner und lächelte Silber an, die zurücknickte und ihre Pistolen nachlud. Lex und Tigerlily sanken zu Boden und zündeten sich Obscurastäbchen an, und Schneehund ließ sie, da er glaubte, die
Gefahr sei einstweilen vorüber. Silber schmiegte sich an ihn, rieb seinen Nacken und reckte sich zu ihm in die Höhe, um ihn auf die Wange zu küssen. Sie lächelte und deutete mit einem Kopfnicken auf die Menge verängstigter Leute hinten im Lagerhaus, wobei ihr normalerweise eisiges Gehabe weicher wurde. »Das hast du gut gemacht, dass du die Leute reingelassen hast«, sagte sie. »Ja, bin ich nicht ein Held?«, sagte Schneehund schnippisch. »Nein«, erwiderte Silber, »aber ich glaube, du bist ein Gefühlsmensch.« »Ich? Lass es nicht darauf ankommen, mein Schatz. Ich weiß nicht mal, warum ich's getan habe. Hätte ich Zeit gehabt, darüber nachzudenken, hätte ich ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen.« »Echt?« »Echt.« Silber suchte in seinen Augen nach einem Anzeichen dafür, dass er scherzte, dann nahm sie die Hand von seinem Nacken, als sie keines fand. Er sah, wie sich ihre gewohnte Distanziertheit wieder einstellte, als ihr Blick seinen scheinbaren Altruismus durchschaute und bis ins weiße Herz seines Eigennutzes vordrang. Sie wandte sich ab und sagte: »Ja, ich wette, das hättest du getan.« Schneehund richtete den Blick wieder durch das Fenster auf die schneebedeckte Stadt. Er konnte es Silber nicht verdenken, das Beste von ihm gedacht zu haben: Er konnte charmant sein, wenn er wollte, aber er wusste, dass sein Egoismus zu tief verwurzelt war, um sich in dieser Beziehung noch ändern zu können. Er kannte seine Fehler, und sie waren nicht seine wesentlichen Charakterzüge, sie waren nur Nebenprodukte Denkmäler seines Bestrebens, sich in erster Linie um sich zu kümmern. Er fluchte leise, als er sich Silbers Blick wieder vor Augen führte, als sie noch geglaubt hatte, er hätte die Leute aus uneigennützigen Motiven ins Lagerhaus fliehen lassen. In diesem Blick hatte keine Arglist gelegen, und seine nackte Aufrichtigkeit ängstigte ihn mit dem Gefühl, das sie in ihm auslöste. Schneehund lehnte den Karabiner an die Wand, zog ein Päckchen Lho-Stäbchen aus der Hosentasche und zündete sich eines an, während er darüber nachdachte, wie es weitergehen würde. Er würde diese Leute ernähren und für ihre Sicherheit sorgen
müssen, eine Verpflichtung, die allen Instinkten in ihm zuwiderlief. Er achtete nur auf sein Liebstes und Teuerstes, und das beinhaltete mit Sicherheit keine Zivilisten. Verdammt. Er warf einen Blick auf Silber, spürte die Kälte ihres Blicks und fluchte wieder. Er fuhr sich mit der Hand durch das gebleichte Haar und hörte Schreie und Schüsse, da noch mehr Ungeheuer in anderen Stadtteilen auf Widerstand trafen. Er warf einen Blick auf die ängstlich zusammengekauerten Leute und schüttelte den Kopf. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Was dachte er sich jetzt dabei? Kisten stapelten sich bis tief in die Dunkelheit ganz weit hinten im Lagerhaus. Es war eine Schatzkammer aus Waffen, medizinischen Hilfsgütern, Nahrung, Kleidung, Decken all die Dinge, die eine Stadt im tiefsten Winter während einer Invasion dringend brauchte. Sein Blick wanderte von den Kisten zu den Leuten, und als er die verzweifelte Sehnsucht in ihren Augen sah, stellte er sich den Inhalt der Kisten vor. Schneehund lächelte, als er plötzlich witterte, wie sich seine Möglichkeiten vervielfachten.
ZEHN Uriel und Learchus begutachteten die Zerstörungen der Grabenlinien mit geübtem Blick und kamen zu dem Schluss, dass sie einem weiteren Luftangriff wahrscheinlich standhalten würden, einem kombinierten Angriff aus der Luft und zu Lande aber wohl nicht. Nachdem die Kharloss Vincennes ihre Furien nicht mehr aufnehmen konnte, waren diese auf Tarsis Ultra gestrandet, und die von ihnen geflogenen Aufklärungsmissionen hatten ergeben, dass sich kaum sechzig Kilometer weiter westlich eine Chitinflut von unvorstellbaren Ausmaßen gebildet hatte. Nach einer konservativen Schätzung der Geschwindigkeit ihres Vormarschs war die Tyranidenhorde damit kaum noch eine Stunde entfernt. Drei Maschinen waren bei der Beschaffung dieser Information von umherstreifenden Gargylrudern zum Absturz gebracht worden, die in den bunten Wolken lauerten, welche von den mutierten, durch die Tyranidensporen eingeschleppten Gewächsen aufstiegen.
»Wir werden diese Linie nicht halten, Bruder-Hauptmann«, sagte Learchus. »Ich weiß, aber es wird ein schwerer Schlag für die Moral sein, wenn wir uns so rasch nach dem ersten Angriff zurückziehen müssen.« Bahrenträger und Sanitäter waren in den Gräben unterwegs, leisteten erste Hilfe, wo sie konnten, und markierten jene, die sofort in ein Lazarett geschafft werden mussten, mit Holzkohlestiften. Die Soldaten aller Regimenter hatten Heldenhaftes geleistet, aber Uriel wusste, dass Heldentum allein nicht genug war, um diesen Krieg zu gewinnen. Weiter weg in den Gräben sah Uriel Ordenspriester Astador von den Mortifactors, der mit den Space Marines seines Ordens im Kreis zum Gebet niederkniete. Aus einem Kohlepfännchen vor Astador trieb Rauch himmelwärts, und sogar über den Gestank der heutigen Schlacht hinweg konnten Uriels verschärfte Sinne den Geruch von siedendem Blut ausmachen. Learchus folgte dem Blick seines Hauptmanns, und seine Lippen verzogen sich angewidert, als er ebenfalls den Blutgeruch in dem dunklen Rauch witterte. »Was für eine Teufelei veranstalten sie jetzt?«, fragte er. »Das weiß ich nicht, Sergeant, aber ich wette, dass Sie dergleichen nicht auf den Seiten des Codex Astartes finden.« Learchus grunzte zustimmend, während Major Satria von der Wehrlegion Erebus und Hauptmann Bannon von der Deathwatch zu den beiden Space Marines kamen. Bannon bewegte sich mit den lässigen Schritten des geborenen Kriegers. Seine Rüstung war blutbefleckt, das gelb-schwarze Symbol der Imperial Fists mit dunkelrotem Seim verklebt. Satrias Züge waren blutig und erschöpft. Sein linker Arm steckte in einem rotfleckigen Verband, und sein Helm wies tiefe Furchen und Kratzer von Tyranidenkrallen auf. »Sergeant Learchus«, sagte er. »Major Satria. Ihre Männer haben tapfer gekämpft«, sagte Learchus. »Vielen Dank«, erwiderte Satria. »In diesen Jungs steckt Stahl. Wir werden Sie nicht im Stich lassen.« »Ihr Kampfgeist ist lobenswert, Major Satria, aber ich fürchte, dass dies nur ein Vorgeschmack auf das war, was uns noch bevorsteht«, sagte Uriel.
»Sie könnten recht haben, Hauptmann Ventris. Ich habe Meldungen hereinbekommen, dass bereits sieben andere Städte angegriffen wurden. Und viele der kleineren Siedlungen können wir nicht mehr erreichen.« »Die sind bereits tot«, sagte Bannon. »Das können Sie nicht wissen«, protestierte Satria. »Doch, das kann ich, Major Satria«, antwortete Bannon. »Ich habe schon zuvor gegen die Tyraniden gekämpft, und wir können sehr bald mit weiteren Angriffen rechnen, die mit noch mehr Wildheit und Schläue durchgeführt werden.« »Was sollen wir also tun?« »Wir werden kämpfen«, verkündete Bannon in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. »Das hier ist die größte Stadt auf Tarsis Ultra, und die Tyraniden werden darin das wichtigste Organ ihrer Beute sehen. Natürlich werden sie auf ganz Tarsis Ultra angreifen, aber ein Großteil ihrer Bemühungen wird sich gegen uns richten.« Uriel nickte, während sein Blut durch die Sicherheit und Leidenschaft in Bannons Tonfall in Wallung geriet und er spürte, wie die Mordlust und der Hass auf die Tyraniden durch seine Adern gespült wurden. »Wo sind Ihre Leute?«, fragte Learchus. »Ich habe sie an Schlüsselstellen in der Verteidigungslinie postiert«, erwiderte Bannon. »Jeder hat die Litanei des Hasses auf die Xenos in seinen Brustharnisch geritzt und wird sie im Kampf für die Soldaten ringsumher rezitieren. Der heilige Zorn des Imperators wird jeden Mann durchdringen und ihm den Mut geben, seine Pflicht zu tun.« »Die werden sie auch so tun«, versprach Satria. Uriel ließ die Worte seiner Begleiter an sich vorüberziehen, als der Blutgeruch in seiner Nase plötzlich ausgeprägter wurde und seine Sinne immer mehr ausfüllte, bis er nur noch das Verlangen sehen und spüren konnte, Blut zu vergießen. Er merkte, wie sich sein Puls beschleunigte, bis ihm aufging, dass er Gefahr lief zu hyperventilieren. »Hauptmann Ventris?«. fragte Bannon. »Ist alles in Ordnung?« Unter Willensanstrengung kehrte Uriel in die Gegenwart zurück, und der überwältigende Blutgeruch verflüchtigte sich wie ein vergessener Traum. Er entkrampfte seine geballten Fäuste und nickte. »Ja, alles bestens«, sagte er zögernd. »Ich bin nur erpicht
darauf, mehr Tyranidenblut zu vergießen.« Uriel hätte schwören können, die Belustigung eines gleich hinter seinen Augen lauernden finsteren Geistes zu spüren. In einem anderen Grabenabschnitt wischte sich Pasanius schwarze Streifen Tyranidenblut von seinem versilberten bionischen Arm. Ein konsterniertes Stirnrunzeln verfinsterte seine Züge. Er hob eine Handvoll Schnee auf, schmierte damit über das glänzende Metall, sah ihn schmelzen und wusch mehr Blut vom Arm. Schließlich bückte er sich, hob ein auf dem Boden liegendes Halstuch auf und wischte die Oberfläche sauber. Das Metall darunter glänzte wie neu, seine Oberfläche war glatt und makellos und wies nicht einen Kratzer auf. Pasanius hielt den Atem an und schloss die Augen. Er hielt den Arm dicht am Körper und betete. Wieder heulten die Warnsirenen, und Soldaten beeilten sich, die Gräben zu bemannen. In der Ferne ballten sich Schwärme von Gargylen in der Luft zusammen, während ein Geräusch wie ein Rascheln von einem Wispern zu einem Tosen anschwoll. Uriel erkannte darin den Lärm vieler Millionen Kreaturen, die beständig aneinandergerieten, während sie als unaufhaltsame Masse vorwärtseilten, da sie von dem unerbittlichen Willen des Schwarmverstands zum Kämpfen und Töten getrieben wurden. Eine wabernde schwarze Linie erschien am Horizont, eine wogende Flut aus Krallen, Panzern und springenden Ungeheuern. Er spannte die Finger um seinen Schwertgriff, und sein Daumen schwebte über der Einschaltrune, während er die Tyraniden in Gedanken aufforderte, sich zu beeilen, damit er seinen Blutdurst an ihren zerfetzten Eingeweiden stillen konnte. Der Horizont brodelte vor Aktivität, als sich die gesamte Breite des Tals mit mordlüsternen Ungeheuern füllte. Imperiale Artilleriegeschütze, die näher bei den Wällen standen, eröffneten das Feuer, und auf der vereisten Ebene erblühten schwarze Rauchwolken und Eisfontänen. Abwehrgeschütze in hastig angelegten Bunkern schossen ebenfalls und ließen ohrenbetäubenden Lärm und tödliche Geschosse los. Heulende Kampfflugzeuge rasten über die Gräben hinweg und feuerten auf die vordersten Elemente des Tyranidenschwarms oder ließen Bomben auf sie fallen, die Krater ins Eis sprengten und Tyranidenkreaturen zu Hunderten
einäscherten. Panzer der Imperialen Garde feuerten Granaten auf den Feind ab, ohne zu zielen, da ihre Kommandeure wussten, dass sie auch so treffen würden. Die gewaltige Kanone in der Vorderseite von Oberst Rabelaqs Capitol Imperialis schoss ebenfalls, und es klang wie das Donnern des Weltuntergangs. Lawinen aus Eis und Schnee lösten sich von den Berghängen, als die verschanzten Geschütze ihre volle Feuerkraft gegen den Feind zum Einsatz brachten. Tausende wurden getötet, ihre Kadaver von den überlebenden Kreaturen in ihrem Sturmlauf zur Beute zertrampelt, aber Uriel sah sehr wohl, dass der tatsächlich angerichtete Schaden vernachlässigbar war. Viele Tausend starben, aber hundertmal mehr lebten noch. In dem Schwarm sah er auch größere, gefährlicher aussehende Bestien, deren Gestalt auf riesenhafte lebende Rammböcke schließen ließ. Kreaturen, die keinen Schmerz empfanden und deren Nervensystem so rudimentär war, dass sie Minuten brauchten, um zu erkennen, dass sie eigentlich schon tot waren. Knisternde Bögen aus blauer Energie flackerten in dem Schwarm auf, und das kreischende Geheul der Tyraniden hallte von den Talwänden wider und zerrte an den Nerven der Soldaten. Er schaute in die nervösen Gesichter rings um sich und sah die Regimentsabzeichen von Einheiten des Krieg, des Logres und der Wehrlegion. Jedes Gesicht war unter Schneebrille, Schal und Helm verborgen, aber er spürte die Furcht in allen. »Vertraut auf den Imperator«, rief Uriel. »Er ist euer Schild und eure Waffe. Vertraut auf seine Weisheit, dass alles einen Sinn hat, und ihr werdet siegen. Tötet die Feinde mit Seinem Namen auf den Lippen und kämpft mit der Kraft, die Er euch gegeben hat. Und wenn es euer Schicksal ist, euer Leben in Seinem Namen hinzugeben, freut euch darüber, dass ihr Seinem Willen gedient habt.« Uriel aktivierte sein Energieschwert, und ein Energiefeld bildete eine tödliche Hülle um die Klinge. »Sollen die Tyraniden nur kommen«, knurrte er. »Wir werden ihnen zeigen, was es heißt, gegen die Soldaten des Imperators zu kämpfen.« Ordenspriester Astador spürte den Puls der Welt durch die Keramitplatten seiner Rüstung und den Schmerz des Planeten über
diese Invasion in jedem Fünkchen Leben, das Nahrung aus seinem Geist bezog. Der Geruch seines eigenen verbrannten Blutes erfüllte seine Sinne und gestattete seinem Geist-Ich, mit jenen zu kommunizieren, die vor ihm existiert hatten, die seine heilige Rüstung in vergangenen Zeitaltern getragen hatten und deren Wahrnehmung des Universums nicht durch die Fesseln sterblichen Fleisches beeinträchtigt war. Er konnte die flammenden Energien der Soldaten ringsumher spüren, die strahlende Furcht, heiß und drängend, aber auch Mut und Entschlossenheit. Es war eine starke Kombination, aber Astador konnte noch nicht sagen, ob sie ausreichen würde, um vor diesen Kreaturen zu bestehen, die an ihre Geister der Toten mit all ihrem Wissen weder Gedanken noch Ehrenbezeugungen verschwendeten. Er spürte zwar individuelle Intelligenzen im Schwarm lauern, nahm aber auch eine einzelne durchdringende Stimme wahr, die den Schwarm durchdrang, einen einzigen bestimmenden Willen, der ihnen große Entschlossenheit, aber keinen Eigenwillen gab. Er fühlte sich an wie kalter Stahl, wie ein Eisdorn, der durch sein Geist-Ich getrieben wurde. Das schiere Grauen vor diesem absolut fremdartigen Bewusstsein drohte Astador zu überwältigen, und das ungeheuerliche Ausmaß einer solchen Herrschaft über das Ich war fast nicht zu glauben. In diesem Willen lag kein Hunger, kein Zorn, kein Mut und kein Ehrgeiz, nur ein stures Verlangen zu verschlingen. Darin lag gewiss gewaltige Stärke, aber auch große Schwäche. Aber wenn dieser Willen aus kaltem Stahl durchbrochen werden konnte, was würden diese Sklavenkreaturen ohne Eigenwillen noch erreichen können? Er drang mit seinem Geist-Ich tiefer in die Eiseskälte der grässlichen Tyranidenpsyche ein, denn Astador suchte nach Mitteln und Wegen, genau das zu bewerkstelligen. Hauptmann Owen Morten riss heftig am Steuerknüppel seiner Furie und ging in einen steilen Sturzflug über. Weiße Flächen rasten an seiner Kanzel vorbei, und er fing die Maschine vierzig Meter über dem Eis ab. Er nahm Schub weg, legte sich in eine Kurve und schaute rückwärts über die rechte Schulter. Ein Schweif aus grellen Explosionen blühte in seinem Kielwasser auf, Tyranidenkadaver wurden durch die Luft geschleudert, und Mortens eisige
Miene verhärtete sich noch mehr. Nach ihrer Landung auf Tarsis Ultra in aller Eile auf Luft-BodenMunition umgerüstet, trug Hauptmann Mortens Staffel Furien den Kampf zu den Tyraniden. Bei seinem letzten Blick auf die Kharloss Vincennes hatten die Hangarbuchten in Flammen gestanden, bevor ihre Todeszuckungen vor der Gewalt der Raffinerie-Explosion verblasst waren. Ein Blutzoll musste für alle seine Schiffskameraden erhoben werden, und die Engel-Staffel holte das Blut dieser verdammten Tyraniden ein. Erin Harlens Furie kreiste über ihm, und die Bomben unter seiner Maschine lösten sich eine nach der anderen, um in einer Kette von Explosionen, die zu einem beständigen Tosen verschmolzen, zwischen den Tyraniden einzuschlagen. Morten flog eine Rolle, jagte wieder über die Gräben zurück und vergewisserte sich, dass seine beiden Flügelmänner noch bei ihm waren. Hoch über ihnen waren Abfangjäger mit irrsinniger Luftakrobatik beschäftigt, da sie Gargyl-Rudel beschäftigten, während sie die Bomben ins Ziel brachten. Schon ein flüchtiger Blick verriet ihm, dass die Abfangjäger ihnen die Scharen der Lufträuber nicht mehr lange würden vom Hals halten können. Er schaltete das Kom an seiner Kontrollkonsole ein. »Wir machen noch einen Anflug«, sagte er. »Dicht über dem Boden. Folgen Sie mir.« »Hauptmann«, warnte Kiell Pelaur, sein Bordschütze, »wir haben keine Raketen mehr. Wir können nichts mehr abwerfen.« »Ich weiß, Leutnant. Wir wechseln auf die Geschütze.« Morten ließ die Nase der Furie zum Boden kippen, und der Schwarm rauschte ihm durch die Kanzel entgegen. Das Beben des Rumpfes nahm zu, und eine rote Lampe leuchtete vor ihm zwischen den Armaturen auf, da die Näherungsalarme jaulten, als die Höhe der Furie auf dreißig Meter sank. Derartige Tiefflüge erforderten eine ruhige Hand am Knüppel, da die Furie beim geringsten Abweichen aufs Eis krachen würde. Doch der Kommandeur der Engel-Staffeln gehörte zu den besten Piloten von allen, welche die Kampfgruppe Kharloss Vincennes in die Luft bringen konnte, und in puncto Kontrolle musste er sich nur Erin Harlen beugen. Die Tyraniden rauschten ihnen entgegen, und Wolken aus Eiskristallen bildeten sich im Kielwasser der heranheulenden Furien. Hauptmann Morten drückte auf den Auslöser der Laserkanone
im Bug der Furie und sandte Laserstrahlen in die Horde. Explosionen aus Blut und Eis fegten durch ihre Reihen, als die starke Waffe immer wieder feuerte. Morten schrie beim Schießen, da er das brennende Verlangen in sich verspürte, jede einzelne dieser Abscheulichkeiten in einem einzigen Anflug zu töten. Er stellte sich einen aufblühenden roten Feuerball vor und die Zerstörung, die er einfach dadurch anrichten konnte, dass er die Furie abstürzen ließ und ihr einen endgültigen ruhmreichen Tod in der Hitze der Schlacht gestattete. Noch ein rotes Lämpchen fing an zu blinken, als die letzte Energiezelle für die Laserkanone auf der Unterseite der Furie abgeworfen wurde, und die Frequenz des Annäherungsalarms steigerte sich zu schriller neuer Höhe. »Hauptmann!«, schrie Pelaur. »Ziehen Sie hoch! Um Imperators willen, ziehen Sie hoch!« Pelaurs Aufschrei riss Morten aus seinen Todesvisionen, und er holte tief Luft und zog die Furie hoch, die daraufhin in einen rasanten Steigflug überging. »Imperator, Hauptmann! Das war haarscharf geflogen«, hauchte Pelaur. »Das ist die Art Fliegerei, wie ich sie von Harlen erwarten würde.« Hauptmann Owen Morten antwortete nicht, sondern stellte sich vielmehr eine riesige Abschiedsexplosion vor. Pavel Leforto schoss in die Masse der Tyraniden, vollkommen entsetzt über das Ausmaß dessen, was er sah. Riesige Ungeheuer stapften durch die anstürmende Horde Bestien, deren schnappende Krallen größer waren als die Greifklammern der Kräne in der Gießerei, die Stahlträger hievten. Der Vorstoß der Tyraniden war zehn Meter vor den Gräben zum Stehen gekommen, da sich das glatte Eis auf der Böschung des Schneewalls ihren Versuchen widersetzt hatte, das letzte Stück zu überwinden. Doch die kleineren Bestien hackten bereits auf das Eis ein, um sich näher zu ziehen. Sie starben in Scharen, aber die nachfolgenden Kreaturen benutzten die Leichen, um sich noch weiter zu ziehen. Der Vormarsch war gestoppt worden, aber für die imperialen Streitkräfte bedeutete das nicht mehr als eine kleine Atempause. Der Kampflärm war gewaltig: krachende Geschütze, Explosionen, Geschrei und das unmenschliche Krächzen der Tyraniden. In
der Mitte des Schwarms erhob sich eine riesige Pilzwolke, als das Capitol Imperialis wieder schoss und Eis und Tyranidenkadaver Hunderte Meter hoch in die Luft geschleudert wurden. In den Einsatzbesprechungen hatte man ihnen aufgetragen, auf die größeren Kreaturen zu schießen, denn die Sergeanten hatten behauptet, dies würde die kleineren Ungeheuer verwirren. Wie das vor sich gehen sollte, war ihm ein Rätsel, aber er hatte sein gesamtes Erwachsenenleben damit verbracht, Befehlen zu gehorchen, und würde jetzt nicht damit aufhören. Er warf ein verbrauchtes Magazin aus und rammte mit zitternden Händen ein neues in die Waffe. Er hob das Gewehr an die Schulter und zielte auf ein hoch aufragendes Ungeheuer mit einem Knochenkamm auf dem Hinterkopf. Starke, krallenbewehrte Arme hielten ein langes, knorpeliges Rohr, aus dem Schleim tropfte, und rings um dieses Ungeheuer scharten sich Kreaturen mit kuppelförmigen Schädeln, aus deren obere Gliedmaßen knochige Höcker ragten. Er gab einen Schuss auf den Schädel der großen Kreatur ab, aber der Laserstrahl wurde von dem dicken Knochenkamm abgelenkt. Eine Rakete raste von hinten auf das Riesenungeheuer zu und explodierte an den knöchernen Auswüchsen seiner chitingepanzerten Beschützer. Ihm wurde klar, dass er nichts gegen dieses Ungeheuer ausrichten konnte, und wechselte das Ziel, da eine zischende Bestie schließlich über den Teppich der Toten geklettert war und auf dem Schneewall auftauchte. Er schoss ihr mitten ins Gesicht und riss ihr den Kopf ab, der Leib blieb, wo er war, da sich die langen Krallen bereits in den Wall verhakt hatten. Soldaten ringsherum schossen hektisch in die Masse der Ungeheuer, da sie wussten, dass sie sie daran hindern mussten, ihre Linien zu erreichen, wenn sie überleben wollten. Doch Pavel dämmerte langsam, dass sie es nicht schaffen würden. Uriel zerhackte einen Hormaganten mit dem Schwert und trat einem anderen den Kopf von den Schultern, der sich über den Schneewall ziehen wollte. Neben ihm verbrannte Pasanius mit seinem Flammenwerfer eine ganze Gruppe Tyraniden, die den Wall über ihre Toten erklimmen wollten. Schnee und Eis dampften in der Hitze, und Prometheumtropfen schmolzen kleine Löcher ins Eis.
Uriel sah eine Gruppe der Ungeheuer ein Stück weiter in den Graben springen und rief Pasanius zu: »Mit mir, Sergeant!« Er sprang vom Feuersteg, lief zu der Bresche in der Linie und gab unterwegs Schüsse mit seiner Boltpistole ab. Die Explosivgeschosse zerfetzten eine Handvoll der Kreaturen, und er fuhr wie ein Blitz unter den Rest und teilte mit seinem Energieschwert wütende Hiebe nach rechts und links aus. Tyraniden starben zu Dutzenden, als sich die Space Marines durch ihre zischenden Leiber kämpften. Krallen kratzten blitzschnell über ihre Rüstung, aber diese Krieger waren die besten Soldaten des Imperators, und keiner der Hiebe der Feinde konnte sie aufhalten. Uriel verspürte einen monumentalen Hass auf diese Bestien in seinen Adern pochen, während er zuschlug und angriff, immer weiter angriff, ohne auch nur einen Gedanken an Verteidigung zu verschwenden. Ein Rudel Hormaganten landete auf ihm und ließ ihn in die Knie gehen. Chitinkrallen hämmerten auf seine Rüstung ein, und eine drang durch das Gelenk zwischen Brustharnisch und Hüfte. Blut spritzte aus der Wunde und gerann sofort, da sein genetisch veränderter Blutkreislauf augenblicklich eine schützende Schicht über der Fleischwunde bildete. Er wälzte sich herum, zerquetschte dabei mehrere Bestien unter sich und schlug wie ein Wahnsinniger um sich, um die anderen abzuschütteln. Er stieß den Ellbogen nach unten, spürte Knochen brechen und schwang den Arm dann in weitem Bogen, so dass seine Klinge Gliedmaßen abtrennte und Bäuche aufschlitzte. Er sprang auf und wirbelte mit erhobenem Schwert herum, als er einen starken Griff um den Arm spürte. Er brüllte vor Hass und lenkte seinen Hieb im letzten Moment zur Seite, als er Pasanius vor sich sah, so dass sein Schwert in den gestampften Schnee des Grabenwalls fuhr. Pasanius duckte sich an Uriel vorbei und sandte einen Flammenspeer aus seinem Werfer durch den Graben. Laufbretter fingen Feuer, und Tyraniden kreischten, als das Feuer sie verzehrte. Mehr kamen über den Wall und sprangen in den Graben. Die Space Marines drehten sich um und kämpften mit all der Wildheit und dem Können, wofür die Adeptus Astartes berühmt waren. Sie schüttelten Hiebe ab, die einen normalen Menschen zweimal getötet hätten, und kämpften jenseits der Grenzen des Muts und der Ausdauer.
Dann teilte sich die Flut der kleineren Bestien, und ein Riesenungeheuer mit gewaltigen Krallenarmen stapfte über die Masse der toten Tyraniden auf sie zu. Der drei Meter große KriegerOrganismus bestand praktisch nur aus krausen Panzerplatten und glänzenden Organen unter einem knochigen Exoskelett, das mit einer verkrusteten Schicht aus Fettgewebe überzogen war. Sein Maul öffnete sich, und ein grauenhaftes Kreischen ertönte, während sich die sensenartigen Krallenarme zum Schlag erhoben. Eine sabbernde Biowaffe spie einen Schleimbrocken. Uriel warf sich zur Seite, und der funkelnde Schleim sprengte einen großen Brocken Eis aus dem Wall hinter ihm. Er sprang wieder auf, während sich das Ungeheuer mit gewaltigen Schlägen einen Weg durch den Schneewall zum Graben bahnte. Uriel feuerte seine letzten Boltgeschosse auf die riesige Kreatur ab und sprengte Stücke des Chitinpanzers ab, konnte ihren Vormarsch dadurch aber nicht aufhalten. Pasanius tauchte die Kreatur in flüssiges Feuer, und die isolierende Fettschicht auf den Knochen knisterte und erfüllte den Graben mit einem widerlichen Gestank. Dutzende Hormaganten folgten in seinem Kielwasser. Uriel sprang auf, um dem Ungeheuer zu begegnen, und hieb mit seinem Energieschwert nach seiner Brust. Ein Krallenglied schoss herab und parierte den Hieb, während das andere gegen seinen Brustharnisch prallte, das Keramit spaltete und ihn von den Beinen holte. Er rollte sich mit dem Schlag ab, tauchte um die Bestie herum und hieb seine Klinge über den riesigen Hufen durch die Beine. Sie heulte vor Schmerzen, fiel auf die Knie und kippte vorwärts in den Graben, wo sie ohnmächtig mit den Armen um sich schlagend liegen blieb. Pasanius drängte die Hormaganten mit dem Flammenwerfer zurück, da noch mehr durch die Bresche kamen, die das große Ungeheuer geschlagen hatte. »Hauptmann!«, rief er. »Ich weiß!«, antwortete Uriel, indem er auf den Rücken des bockenden Ungeheuers sprang. Die riesige Tyranidenbestie gab sich alle Mühe, sich aufzurichten, doch Uriel änderte seinen Griff um das Schwertheft und stieß die Klinge nach unten und durch ihren Schädel. Sofort hörten alle Bewegungen auf, und Uriel brüllte, während er seine Klinge in einem Bogen spritzenden schwarzen Bluts wieder herauszog. Er sprang vom Rücken des Ungeheuers, während Pasanius sich einen Weg durch die plötzlich benommen wirkenden
Hormaganten hackte. Uriel und sein Sergeant gaben den desorientierten Kreaturen keine Zeit, sich zu fassen, sondern machten sie ohne Gnade nieder. Uriel tötete sie ohne Mitleid, weil er sie dafür hasste, dass sie ihn zu dieser Raserei, zu einem solchen Gemetzel trieben. Seine Klinge hob und senkte sich, ihre Oberfläche war blutverschmiert, und er watete durch Ströme von Tyranidenblut. Die Schlacht rings um ihn trat in den Hintergrund, bis er nichts anderes mehr sehen konnte als den Tod, der ihn umgab, das Blut und die jähe Furcht von Kreaturen, die keinen eigenen Willen hatten und denen die schützende Decke der Verbindung zu einem größeren Willen weggezogen wurde. Donnernde Schritte rissen ihn aus seiner blutigen Versunkenheit. Er sah, wie Pasanius durch die Luft geschleudert wurde und der Schatten eines anderen riesenhaften Ungeheuers in dem Nebel aus Eis und Blut aufragte. Größer als ein Gargbot der Orks, kreischte der Carnifex mit einem Raspeln von Platten tief in seinem haiähnlichen Maul. Sein Panzer war ramponiert und geborsten, und Tyranidenblut lief aus zahlreichen Wunden in seinem Leib. Als er sich aufbäumte, verdeckte er die Sonne, und vier Arme mit gewaltigen Krallen streckten sich nach Uriel aus. Dann öffnete sich sein Maul noch weiter, und ein smaragdgrüner Strom aus bioplasmischem Feuer erbrach sich daraus. Uriel riss die Arme hoch, um das energetisierte Plasma abzuwehren, aber die Wucht der Entladung schleuderte ihn zu Boden. Er mühte sich wiederaufzustehen, während der zischende grüne Schleim sein Visier überzog und ihn blendete. Er schlug blind mit dem Schwert zu und spürte, wie es Fleisch durchbohrte. Der Boden erbebte, als der Carnifex vor ihm aufragte und Uriel die Hitze seines Atems im Gesicht spürte. Astador spürte, wie ihm die Kontrolle über sein Geist-Ich entglitt, als er sich dem kalten Feuer im Zentrum des Schwarmverstandes näherte. Eine gigantische Präsenz wie die Kälte im Herzen eines Gletschers tauchte seine Seele in Eiswasser, und er konnte spüren, wie ihre Ausstrahlung von den Seiten des Tals zurückgeworfen wurde wie ein höhlentiefer Fluss. Dies war sie, dies war die Kontrolle, dies war das Herz des kalten Verstandes. Er konnte das Bewusstsein nur als Bruchstück von etwas unvor-
stellbar viel Größerem spüren, und er wusste, dass es ganz weit am Rande seiner Wahrnehmung auch ihn spürte. Kalte Wellen des Grauens griffen nach ihm, doch sein Geist-Ich kehrte bereits in seinen Körper zurück. Astador öffnete die Augen und erhob sich geschmeidig. Die Krieger, die ihm ihre Kraft geliehen hatten, taten es ihm nach, und er blinzelte, als sich seine normale Sicht wieder einstellte. Ringsumher tobte die Schlacht, aber er fühlte sich losgelöst von ihr, da sein Geist sich gegen die Beschränkungen des Fleisches wehrte. Mortifactors und Angehörige der Deathwatch kämpften überall gegen die Tyraniden und gaben alles, um die nichtmenschlichen Kreaturen daran zu hindern, seine Trance zu unterbrechen. Hauptmann Bannon marschierte zu ihm. Seine Rüstung war blutverschmiert. »Und?«, fragte er. »Wissen Sie es jetzt?« »Ich weiß es«, sagte Astador. Pavel warf die letzte Granate in die Masse und duckte sich, als die Sprengkraft der Explosion einen Abschnitt des Grabens zerstörte. Er war mittlerweile über den Zustand der Angst hinaus, und seine Handlungen waren ein automatisches Zusammenwirken von Adrenalin und Ausbildung. So viele Dinge waren ihm widerfahren, und er würde nicht mehr kämpfen können, falls sich die Furcht festsetzte. Sein Selbsterhaltungstrieb dämpfte die Angst und trieb ihn immer weiter. Er schoss, stach und hackte sich durch die Tyranidenwesen und machte sich alle Munition und Waffen zunutze, die er finden konnte, als seine eigene verbraucht war. Er stolperte über zwei sich auflösende Soldaten in den Jacken des Krieg-Regiments und prallte mit dem Gesicht gegen den kalten Stahl ihrer auf dem Boden liegenden Waffen. Zischender Schleim zersetzte ihr Fleisch, und Pavel zuckte zurück und spie Blut, während er sich wieder aufrappelte. Grünes Licht erleuchtete den Graben, und er sah eine ungeschlachte Bestie mit einem lebhaft gemusterten Panzer, die sich durch die Barrikaden hieb und dabei; grünes Feuer durch ihre zahnbewehrten Beißzangen spie. Dutzende zischender Bestien sammelten sich hinter der riesigen Kreatur, um hinter ihr in den Graben zu fluten. Ein Sergeant der Ultramarines lag bewusstlos
im Schnee, und derselbe Hauptmann, der ihn vor den Gargylen gerettet hatte, lag in einer dampfenden Pfütze des grünen Schleims der Kreatur. Pavel handelte, ohne nachzudenken, und hievte sich die Waffe der beiden Krieg-Soldaten auf die Schulter, während er betete, dass sie den Raketenwerfer vor ihrem Tod auch geladen hatten. Uriel krabbelte rückwärts, während er sich verzweifelt Bioplasma vom Visier wischte. Er schaute auf und sah den Tod in den schwarzen Augen des Carnifex. Sie waren schwarz, lidlos und bar jeden Lebens, wie die einer Puppe. Er spürte die Mauer des Grabens im Rücken und wusste, dass er nicht mehr weiter konnte. Sein Schwertarm kam hoch, doch er wusste, dass es zu spät war. Dann raste ein flammender Streifen durch sein Blickfeld und traf den Carnifex am Kopf. Eine starke Druckwelle fegte über Uriel hinweg, und Knochensplitter prasselten gegen seine Rüstung. Als die Echos der Explosion verklungen waren, betrachtete er den riesigen Organismus durch eine Rauchwolke und sah, dass sein Kopf verschwunden war und nur noch eine verkohlte, mit Blut gefüllte Öffnung, Hirnmasse und Schädelfragmente übrig waren. Der Carnifex schwankte einen Augenblick, bis sein Körper registrierte, dass er tot war, und seine Knie nachgaben. Die gewaltige Kreatur brach zusammen, und Uriel wälzte sich zur Seite. Der Aufprall schleuderte blutbespritztes Bioplasma und Eis in die Höhe. Ein Stück weiter den Graben entlang sah er einen Soldaten mit den Insignien der Verteidigungslegion auf dem Helm, der einen rauchenden Raketenwerfer auf der Schulter hatte. Er rappelte sich auf, da eine Flut von Hormaganten durch die von Carnifex geschlagene Bresche in den Graben drängte. Dann hob er sein Schwert und sprang ihnen entgegen. Pavel warf den rauchenden Raketenwerfer weg und wälzte sich rasch über einen der Krieg-Soldaten, um nach mehr Waffen zu suchen. Er zog dem Mann die Laserpistole aus dem Halfter und das Schwert aus einer breiten Scheide. Die Klinge hatte Zähne und war schwer, und Pavel erkannte darin ein Kettenschwert, obwohl er so eine Waffe noch nie zuvor benutzt hatte.
Er suchte einen Einschaltknopf, fand ihn am Ansatz des Knaufs, und das Schwert erwachte röhrend zum Leben. Die gezähnte Klinge drehte sich wie eine Kettensäge. Er sprang auf und rannte zu der Stelle, wo der Hauptmann der Ultramarines verzweifelt gegen eine Horde Bestien kämpfte, die in die Gräben strömten. Er schwang das schwere Kettenschwert und spürte die Klinge beben, als sie durch Tyranidenknochen fegte und ihn mit nichtmenschlichen Flüssigkeiten bespritzte. Er schoss in die Masse der Kreaturen, tötete eine weitere und riss im gleichen Augenblick sein Schwert heraus. Pavel kämpfte ohne das Geschick des Hauptmanns der Ultramarines, aber seine Furcht und das Verlangen, sein Heim zu beschützen, erfüllten ihn mit Zorn und Mut. Gemeinsam kämpften er und der Hauptmann der Space Marines wie Helden aus der Legende gegen die Tyraniden. Sein Arm schmerzte vom Schwingen des Schwerts, und als das Magazin der Laserpistole leer war, wechselte er auf einen beidhändigen Griff. Er hackte eine kreischende Bestie in Stücke, als sich noch eine riesige Gestalt in blauer Rüstung zu ihnen gesellte, ein Sergeant mit einem silbern glänzenden Arm. Er grinste, als er den nächsten Tyraniden tötete und sich die Geschichten ausmalte, die er Hollia und Solan erzählen konnte, wenn das alles vorbei war. Er versuchte das Kettenschwert aus der Brust der Kreatur zu reißen, aber die gezähnte Klinge steckte in dem knöchernen Exoskelett fest. Verzweifelt riss und zerrte er daran, als das nächste Ungeheuer über die Barrikade sprang. Seine Krallen hieben nach Pavels Kopf, und er zuckte instinktiv zur Seite. Aber nicht schnell genug, denn eine Kralle traf seinen Helm und riss ihn Pavel vom Kopf. Ein tiefer sitzendes Paar Krallenglieder stach nach ihm und fetzte durch seine Kleidung, und ein heißer Schmerz jagte durch seine Nervenenden. Blut spritzte aus der Wunde, und er brach zusammen und spürte, wie ihm blutbespritzter Schnee ins Gesicht klatschte. Pavel wälzte sich herum, zog sein Kampfmesser und hob es durch einen Nebel aus rotem Wasser und Schmerztränen gerade noch rechtzeitig, um der Bestie die Kehle durchzuschneiden, als sie ihn ansprang. Ihre Krallen tasteten nach ihm, als sie starb. Pavel stieß das Messer aufwärts und spießte den Schädel auf seiner Klinge auf.
Er ließ das Messer los und stieß sich schwach vom Boden ab, wobei er sich am Grabenrand abstützte. Sein Blickfeld verschwamm, und er spürte, wie seine Beine zu Wasser wurden, während ihn ein widerliches Schwindelgefühl überkam. Er schälte sich benommen den durchnässten Stoff seiner zerrissenen Jacke von der Schulter. Klebriges Blut sickerte feucht aus einem tiefen Riss, und eine glänzende schwarze Kralle war darin abgebrochen. Komisch, dachte er verträumt. Seine Wunde schien gar nicht mehr wehzutun. Er spürte keinen Schmerz. Er fragte sich, warum, wurde aber einer Antwort enthoben, als er zusammenbrach und mit dem Gesicht voran in den blutigen Schnee fiel. Er war bewusstlos, ehe er am Boden aufschlug. Uriel rannte durch die gewundenen Abschnitte des Grabens dorthin, wo eine Gruppe schwarz gerüstete Krieger in fünf RhinoTruppentransporter stieg. Oberst Rabelaq schaffte Reserven aus dem zweiten Graben heran, um die Front zu stabilisieren, und aus dem dritten Graben kamen noch mehr Truppen. Die Verteidigungslinien hielten, aber nur so eben. Wenn die Tyraniden weiterhin in diesen Massen angreifen konnten, war es nur eine Frage der Zeit, bis sie die Front durchbrechen würden. Er übersprang Leichenberge und eilte an verzweifelt kämpfenden Soldaten vorbei, um den Südabschnitt zu erreichen, wo die Fahrer der Rhinos bereits die Motoren anließen. Er sah Hauptmann Bannon von der Deathwatch und die knochengesäumte Rüstung von Astador, der durch die Reihen der knienden Männer ging und jedem den Segen der Mortis Astartes gab. Hauptmann Bannon erhob sich, als er den heranstürmenden Uriel sah, und trat ihm entgegen. »Was haben Sie vor?«, wollte Uriel wissen. »Wir werden tun, was getan werden muss, um die Linie zu halten«, antwortete Bannon, der Uriel den Weg versperrte. »Sie wollen den Kampf in die Reihen der Tyraniden tragen, nicht wahr?« »Ja. Ordenspriester Astador hat die Bestie ausgemacht, die seiner Ansicht nach dieses Element des Tyranidenschwarms kontrolliert.« »Was? Wie?«
»Die Geister seiner Vorfahren haben ihn hingeführt.« »Meinen Sie das ernst?« »Todernst«, stellte Bannon klar. »Ich vertraue seinem Urteilsvermögen in dieser Hinsicht blind.« Uriel war wie benommen. Zu hören, dass ein anderer Space Marine so viel Vertrauen in Rituale und Aberglauben legte, war unglaublich, und doch geschah es genau hier, direkt vor ihm. Er fragte sich, was Idaeus in dieser Situation getan hätte. Uriel nickte, und seine Miene verhärtete sich. »Also gut. Ich komme mit.« Bannons Augenbrauen schossen in die Höhe. »Tatsächlich?« »Aye. Wenn wir das jetzt beenden können, werden Sie alle Hilfe brauchen, die Sie kriegen können.« Bannon suchte in Uriels Gesicht nach Anzeichen für ein verborgenes Motiv. Als er keines fand, schlug er Uriel mit der Hand auf den Schulterschutz und sagte: »So sei es. Suchen Sie sich einen Platz auf einem der Transporter. Wir sind startklar.« Uriel trabte zu den Rhinos, und als ihm klar wurde, dass in den Fahrzeugen kein Platz mehr für ihn war, kletterte er auf das Dach des nächsten. Alles war schwarz lackiert und mit Nieten befestigt, auf die winzige Messingschädel gestanzt waren, und jedes Auspuffrohr endete in einem grinsenden Totenschädel, deren klaffende Kiefer blaue Abgase spien. Die Motoren heulten, und Uriel hielt sich am Rand des Daches fest, während der Rest der Mortifactors und sieben Mitglieder der Deathwatch auf die Transporter kletterten. Der Rhino schleuderte herum, da die Ketten in dem Schneematsch um Traktion kämpften, bevor er schließlich nach vorn ruckte, als sie griffen. Dicke Holzbohlen waren über den Graben gelegt worden, und der Rhino bäumte sich auf, als er den Rand den Schneewalls erreichte, um dann auf der anderen Seite hart aufs Eis zu krachen. Uriels Rhino übernahm die Führung an der Spitze eines Keils aus Transportern und überfuhr die Tyraniden, die nicht schnell genug aus dem Weg sprangen. Das Geschrei der Bestien schraubte sich in neue Höhen, als sie auf die Eindringlinge in ihren Reihen reagierten, und ein Teil des Schwarms änderte sofort seine Angriffsrichtung, um die Rhinos abzufangen. Dutzende Krallenbestien kamen angesprungen, und Uriel zog sich über das Dach ein Stück nach hinten, als die Frontluke aufging und sich ein Krieger der Mortifactors hindurchschob,
um die schwenkbare Boltkanone in Betrieb zu nehmen. Er vergewisserte sich, dass ein Magazin eingelegt war, lud durch und eröffnete das Feuer, wobei er die bockende Waffe von rechts nach links und wieder zurück wandern ließ und so den Rhinos den Weg freischoss. Uriel hielt sich mit einer Hand nach Kräften fest, da der Rhino wild schwankend durch die Reihen der Tyraniden holperte, das Schwert in der anderen Hand. Der Rhino steuerte auf eine monströse, bucklige Kreatur im Zentrum des Schwarms zu. Ihr glänzender segmentierter Leib kräuselte sich, und sogar aus der Ferne spürte Uriel, wie ihn ein Übelkeit erregendes Furchtgefühl packte, als sie dem Ungeheuer näher kamen. Ein Aufblitzen von Krallen holte ihn abrupt wieder in die Gegenwart zurück, als ihn ein Hormagant aus dem Schwarm ansprang. Er riss das Schwert hoch und hieb die Kreatur mit einem Schlag entzwei. Der Rhino wurde langsamer. Dutzende Bestien klammerten sich an die Karosserie des Fahrzeugs und ermöglichten anderen, über sie hinweg auf das Dach zu klettern und die Beute dort zu erreichen. Uriel stieß und schlug mit dem Schwert zu und hielt die Bestien davon ab, zu dem Schützen vorzudringen, der die Masse der Kreaturen vor ihnen weiterhin mit Boltgeschossen eindeckte. Wind peitschte an ihm vorbei, während der Rhino weiter vorwärtspflügte. Eine Explosion hinter ihnen erschütterte den Transporter. Er riskierte einen Schulterblick und sah grelle Flammen aus dem geborstenen Rumpf des zweiten Rhino lecken. Brennende Space Marines stolperten aus dem Wrack und kämpften, obwohl sie in Flammen standen. Zischende Kreaturen umringten sie, und kurz darauf war von den Kriegern nichts mehr zu sehen, da sie unter den Leibern vieler Hundert krallender und beißender Tyraniden begraben waren. Uriel sah sich rasch um, woher der Schuss gekommen war, und entdeckte ein groteskes Ungeheuer, das über dem Eis schwebte und dessen langer, schlangenartiger Schwanz unter dem knollenförmigen Kopf peitschte. Verkümmerte Gliedmaßen hingen nutzlos unter dem zischenden Maul, und ein knisternder Nebel umgab eine Halskrause aus Hautfalten direkt unter dem gepanzerten Schädel.
Als spüre das Ungeheuer, dass es beobachtet wurde, zischte es und richtete seinen unnatürlichen Blick langsam auf den dahinrasenden Rhino. Uriel beugte sich vor und schlug dem Kanonier mit der Faust auf den Schulterschutz. »Ein Uhr!«, brüllte er und zeigte zusätzlich mit dem Schwert auf die schwebende Bestie. Der Kanonier nickte, und die Boltkanone spie dem Ungeheuer einen Wirbelsturm aus massereaktiven Geschossen entgegen. Uriel sah einen violetten Lichtschein rings um die Kreatur aufleuchten und fluchte, als er bemerkte, dass die Salve keinen Schaden angerichtet hatte. Fast sofort baute sich eine flammende Korona aus psionischer Energie um den Kopf der Kreatur auf, und Uriel hielt sich krampfhaft am Dach des Rhinos fest, da er wusste, was jetzt kam. Ein Strahl aus reinem weißem Licht zuckte aus dem übergroßen Kopf der Kreatur und traf den Bug des Rhino. Uriel wurde durch den Anprall vom Dach geschleudert. Er segelte durch die Luft und konnte sich gerade noch an der Dachkante festhalten, während seine Füße nach Halt auf den Trittbrettern tasteten. Der Rhino schleuderte seitwärts, doch die gerade erst gesegnete Panzerung hielt dem Angriff des Ungeheuers stand. Schleimiges Eis raste unter Uriels Füßen dahin, der immer noch um einen Halt kämpfte. Eine kreischende Kreatur sprang ihn an, und er trat aus, während sich mehr Hormaganten näherten. Er trat mit den Füßen und hieb mit dem Schwert um sich, so dass Knochen brachen und Schädel gespalten wurden. Schließlich fand er einen Halt und schwang sich auf das Dach zurück, während er spürte, wie der Rhino zur Seite schlingerte. Uriel wusste, dass sie einen zweiten Treffer der Warpkreatur nicht überleben würden, und als er aufsah, ging ihm auf, dass der Fahrer des Rhino dieselbe Schlussfolgerung gezogen hatte. Die schwebende Bestie war direkt vor ihnen und schwebte langsam rückwärts, um sich von ihnen abzusetzen, doch es gab kein Entkommen, und der stachelbewehrte Kuhfänger des Rhino traf den verrunzelten Leib und zerrte ihn unter die Ketten des Transporters. Uriel hörte ein zufriedenstellendes Knacken, als das Ungeheuer unter dem Fahrzeug zermalmt wurde, und sah den riesigen Fleck seines zerquetschten Kadavers auf dem Eis, als der Rhino weiterfuhr.
Ihr Sturmangriff war ins Stocken geraten, aber die vier überlebenden Rhinos waren jetzt in Schlagdistanz ihrer Beute. Von seinem Platz auf dem Dach des Rhinos konnte Uriel eine wirbelnde Bewegung inmitten des Schwarms ausmachen, da sein Anführer die Tyranidenkreaturen auf die Gefahr hinwies. Mit einer Präzision, wie man sie sonst nur auf dem Exerzierplatz zu sehen bekam, änderten ganze Abteilungen der Bestien ihre Marschrichtung und brachen ihren Angriff auf die Gräben ab, um ihrem Herrn und Meister zu Hilfe zu kommen. Geschützfeuer der Rhinos beharkte die widerliche Bestie, die ihren mit einem Geweih versehenen Kopf in den Panzer ihres Körpers zurückzog, als überall in ihrer Nähe Boltgeschosse explodierten. Knisternde Energien flackerten um ihren Schädel, und das Furchtgefühl, das Uriel zuvor empfunden hatte, verstärkte sich. Sein Grauen vor dieser Kreatur mit ihrer fremdartigen Andersartigkeit drohte ihn zu überwältigen, bis ihm ungebeten die Erinnerung an den Nachtbringer zu Bewusstsein kam, und angesichts der ungeheuren Bösartigkeit seiner Existenz konnte er über die vergleichsweise Bedeutungslosigkeit dieser Kreatur nur lachen. Kriegerorganismen beeilten sich, das Ungeheuer zu beschützen, während die Rhinos neben der ungeschlachten Bestie anhielten und die Space Marines schnell und mit Präzision ausstiegen. Uriel sprang mit den Füßen voran vom Dach des Transporters und landete auf dem Kopf des nächsten Tyranidenwesens. Er spürte Zähne unter seinen Stiefeln brechen und rappelte sich auf. Er stach sein leuchtendes Schwert durch einen blutigen Kopf und stürmte durch den Schnee zur nächsten Bestie. Riesige Krallen sensten ihm entgegen, und er tauchte unter ihnen weg und landete einen Schwerthieb, der dem Organismus den Bauch aufschlitzte. Schwarzes Blut spritzte, und das unmenschliche Gekreisch endete abrupt, als Uriel ihm die Klinge durch den Hals rammte. Mehr Kreaturen stürmten auf ihn ein, während er sich zum riesigen Herrn der Horde vorarbeitete. Krallen und messerscharfe Hufen bearbeiteten ihn, aber die Schmerzen kümmerten ihn nicht, als sich ein dunkler Nebel über sein Blickfeld legte und er in seinem rasenden Sturmlauf wahllos Glieder abtrennte und Bäuche aufschlitzte. Er hörte ein Brüllen animalischen Hasses und fuhr auf der Suche nach dem Ursprung dieses atavistischen Geheuls herum, bis ihm
aufging, dass es sein eigenes war. Schockiert über diesen Verlust seiner Selbstbeherrschung, wechselte das Schlachtgeschehen in eine Art zeitlupenhaftes Ballett von äußerster Klarheit. Er sah, wie die Mortifactors einen Schutzwall um die sieben Mitglieder der Deathwatch bildeten, die Melter-Ladungen in den sich windenden segmentierten Leib des Schwarmführers rammten. Und er konnte die seelenlosen schwarzen Augen des Ungeheuers sehen, als ihm aufging, dass sein Ende nah war. Während er es anstarrte, glitt der gehörnte Käferkopf aus dem Panzer, rammte Uriels Brust, schnappte zu und hob ihn hoch in die Luft. Eine riesige zahnbewehrte Öffnung bildete sich unter den Hörnern, und Uriel konnte nicht verhindern, dass er in das Maul glitt. Er hielt sich mit einer Hand an den knochigen Hörnern fest und versuchte verzweifelt, sich herauszuziehen. Das Ungeheuer verdrehte die Augen, eine Nickhautmembran blinzelte, und die Öffnung schloss sich um seinen Körper. Er spürte, wie sich die Fänge in seine Rüstung bohrten, und wusste, dass die unglaubliche Kraft der Bestie die gehärteten Panzerplatten schon bald aufbrechen würden. Uriel drehte sein Schwert und hielt die Klinge nach unten. Er spürte, wie Zähne in seinen Körper eindrangen. Blut floss. Er stach der Bestie die Klinge in den chitingepanzerten Schädel und brüllte, als er sie ihr ins Gehirn trieb, während die Welt plötzlich von einer strahlenden Helligkeit erfüllt war. Jähe, intensive Hitze flammte auf, als die Melterbomben der Deathwatch explodierten, und er spürte, wie sich die Stahlklammer der Kiefer rings um ihn entspannte. Der schneebedeckte Boden schoss ihm entgegen, und er grunzte, als er aufs Eis krachte. Todesstille legte sich auf das Tal, und sogar Uriel spürte, wie sich ein Gefühl schmerzlichen Verlusts innerhalb des Tyranidenschwarms ausbreitete. Er schnitt sich rasch aus dem Maul der riesigen Tyranidenbestie frei und zog die Beine aus der klebrigen Saugöffnung. Er spürte eine Hand auf der Schulter, und als er aufschaute, sah er die Space Marines von dem verkohlten Kadaver des Ungeheuers wieder zu den Rhinos eilen. Nur Bannon war noch bei ihm. »Kommen Sie schon«, schnauzte Bannon in wütendem Tonfall. »Es ist tot. Wir müssen verschwinden.« »Aye«, keuchte Uriel, um dann dem Hauptmann der Deathwatch hinterherzuschwanken.
Als er an Bord des versengten und blutverschmierten Rhino kletterte, empfand er nichts als Scham, während er sich sein rasendes, unbeherrschtes Wüten vorstellte. Die Dunkelheit war schon seit mehreren Stunden hereingebrochen, als die Sirenen endlich Entwarnung gaben. Nach dem Tod des Schwarmführers war der Angriff der Tyraniden ins Stocken geraten, die in panischer Verwirrung ziellos herumirrten, nachdem die Mehrheit von ihnen des beherrschenden Willens beraubt worden war. Heftige Gegenangriffe seitens der Space Marines und disziplinierte Feuerprozeduren erledigten rasch alle verbliebenen Kreaturen, die noch zu eigenständigen Handlungen fähig zu sein schienen, und als die Temperaturen nach Sonnenuntergang auf unter zwanzig Grad minus sanken, erfroren die meisten Tyraniden, wo sie gerade standen. Einige überlebten, indem sie sich tief in den Schnee wühlten, wo ihnen ihre größeren Fettreserven gestatteten, in eine Art kurzen Winterschlaf zu fallen, doch das waren nur wenige. Den Verteidigern fehlten jedoch die Mittel, diese Tyraniden aufzuspüren, da die Minustemperaturen nur die allernotwendigsten Bewegungen zuließen. Ein derartiges Manöver wurde dann auch ausgeführt, als sich die imperialen Streitkräfte zur zweiten Graben-linie zurückzogen. Nachdem sie erkannt hatten, dass die erste Linie keinem weiteren Angriff mehr standhalten würde, hatten die Obersten Stagler und Rabelaq beschlossen, den Rückzug direkt im Anschluss an das Ende der ersten Schlacht auszuführen, die offiziell als großer Sieg gefeiert wurde. Doch nachdem die Luftaufklärung weitere ankommende Schwärme von mindestens der dreifachen Größe dieser Vorhut meldete, darunter auch Ungeheuer von der Größe eines Kampftitan, gab man sich im Oberkommando keinen Illusionen darüber hin, dass dieser Sieg etwas anderes war als ein Vollstreckungsaufschub ihrer bevorstehenden Hinrichtung.
ELF Ein blauer Schein erfüllte die Kommandobrücke des Capitol Imperialis und ließ die Gesichtszüge der Mitglieder des Kommando-
stabs reliefartig hervortreten. Kapuzen tragende Servitoren saßen starr vor ihren Konsolen, während sich isolierte Kabelbündel aus dem Rücken ihrer Gewänder zu Steckdosen im Gitterboden schlängelten. Der melodische Singsang der an den Maschinengott gerichteten Anrufungen drang aus den Bronzelautsprechern in der Decke. Stotternde Luftreinigungseinheiten versuchten eine kühle Atmosphäre zu erzeugen, aber auf der Kommandobrücke war es immer noch drückend heiß. Uriel gefiel es nicht, in diesem gepanzerten Leviathan zu sitzen. Es passte nicht zur Kriegsphilosophie der Space Marines, so unbeweglich zu sein, und der Codex Astartes zeigte an verschiedenen Stellen die Notwendigkeit für Mobilität auf dem Schlachtfeld auf. Doch seit Kurzem war seine Treue gegenüber den im heiligen Buch seines Primarchen festgehaltenen Lehren nur wenig mehr als ein Lippenbekenntnis. Learchus hatte kein Geheimnis aus seiner Missbilligung für Uriels überstürztes Abenteuer auf dem Dach eines Rhinos der Mortifactors gemacht und behauptet, es sei ein albernes Schaustück gewesen, wie es mehr zu den Söhnen von Russ passte als zu einem stolzen Ultramarine. Uriel war geneigt, ihm recht zu geben. Mit einem Kopfschütteln schob er die Erinnerungen beiseite und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwart. Die Lage war nicht gut. Eine Holokarte mit einer grünen Darstellung der Landschaft rings um Erebus füllte das Zentrum der Säulenkammer aus. Alle paar Sekunden wich das Bild körnigem Schnee. Informationen aus verschiedenen Quellen wurden der Anzeige zugeführt, und imperiale Einheiten waren ebenso dargestellt wie die Positionen ankommender Schwärme. Oberst Rabelaq stand flankiert von seinen Adjutanten an einem Ende der Karte, während Uriel und Oberst Stagler auf einer Seite standen und Ordenspriester Astador sowie Hauptmann Bannon auf der anderen. »Es sieht so aus, als seien Herastor und Parmenis beide gefallen«, begann Rabelaq. »Wir konnten in beiden Städten keine Imperiumstruppen mehr erreichen, und die Jägerstaffel, die wir ausgesandt haben, um visuelle Berichte über Konoris und Inyiriam einzuholen, sind nicht zurückgekehrt. Wir müssen annehmen, dass die Tyranidenschwärme, die sie vernichtet haben, jetzt zu uns weitergeschickt werden.« »Und was ist mit den Tyranidenschwärmen, die bereits zu uns
unterwegs sind?«, fragte Stagler, der trotz der Hitze immer noch seinen Mantel und den Kolpak des Krieg-Regiments trug. Rabelaq antwortete nicht sofort, und er wirkte etwas konsterniert. »Nun ja, das wissen wir nicht genau. Es hat den Anschein, als seien sehr viele von ihnen versprengt worden oder untergetaucht. Wir gehen davon aus, dass sie sich in den Schnee gewühlt haben, um sich vor der Kälte zu schützen, wie Tiere es im Winter tun würden, um auf die Ankunft der anderen Schwärme zu warten. Wir haben viele unserer Aufklärungseinheiten verloren, und ich hielt es für unklug, noch mehr aufs Spiel zu setzen, um Informationen zu beschaffen, über die wir aller Wahrscheinlichkeit nach bereits verfügen.« Benommene Stille beantwortete diese Feststellung, bevor sich Bannon über die Karte beugte und sagte: »Oberst Rabelaq, es ist ein Fehler, davon auszugehen, dass sich die Tyraniden wie Tiere verhalten, und wenn es etwas gibt, dass ich über sie gelernt habe, dann, sie nicht aus den Augen zu lassen nicht einmal für einen Moment.« »Ja, das mag alles durchaus sein, Hauptmann Bannon; aber wenn Sie sich die Karte anschauen, werden Sie feststellen, dass wir es mit drei verschiedenen Schwärmen zu tun haben, die unserer Position entgegenstreben. Ursprünglich hätte uns der südlichste Schwarm zuerst erreicht, aber allem Anschein nach hat er sein Marschtempo gedrosselt, so dass alle drei Schwärme gleichzeitig eintreffen werden.« »Schlau«, sann Astador. »Sehr schlau. Sie haben gelernt, dass wir einen Schwarm besiegen können, und sammeln sich jetzt, um uns in einem einzigen massiven Angriff zu überrennen.« Uriel beobachtete, wie die Symbole auf der Holokarte unmerklich langsam über die flackernde Darstellung der Oberfläche von Tarsis Ultra krochen. Etwas bohrte in seinem Hinterkopf, aber er konnte nicht den Finger darauf legen. Er wusste lediglich, dass es etwas ganz Einfaches, aber sehr Bedeutsames war. »Und was passiert im Raum?«, fragte Hauptmann Bannon. »Ist es uns gelungen, Kontakt mit der Flotte herzustellen?« Uriel meldete sich zu Wort. »Der Warpschatten verhindert die astropathische Kommunikation immer noch, aber wir hatten kurzen Kontakt zu Lordadmiral Tiberius über Langstreckenkom. Wegen der von der Schwarmflotte erzeugten elektromagnetischen Interferenzen hatten wir Schwierigkeiten, die Verbindung stö-
rungsfrei und über einen längeren Zeitraum offenzuhalten.« »Und wie ist die Lage dort?«, fragte Astador. »Der Admiral ist mit dem Rest der Flotte im Orbit der Agrarwelt Calydon vor Anker gegangen, obwohl er gemeldet hat, dass viele Schiffe schwer beschädigt sind.« »Haben die Tyraniden nicht versucht, ihn in ein Gefecht zu verwickeln?«, fragte Bannon. »Nicht in Massen, nein. Anscheinend sind nur noch zwei Schwarmschiffe in der Umlaufbahn, also verfügen die Tyraniden nicht mehr über die Fähigkeit, ihre Einheiten hier wirkungsvoll zu kontrollieren und gleichzeitig eine Expeditionsflotte auszusenden, um unsere Schiffe zu vernichten.« »Wäre die Flotte dann in der Lage, uns zu unterstützen?«, fragte Bannon. »Potenziell schon«, sagte Uriel. »Admiral Tiberius hat bereits einen Angriffsplan vorgeschlagen, aber ich muss mich mit dem Fabrikator-Marschall beraten, bevor ich weitere diesbezügliche Ausführungen machen kann. Einstweilen ist die Lage dergestalt, dass wir auf uns allein gestellt sind.« Köpfe nickten rings um den Kartentisch, da jeder Kommandant Uriels Informationen verdaute. »Um es auf einen Nenner zu bringen, meine Herren: Uns bleibt keine andere Wahl, als uns hinter die Stadtmauern zurückzuziehen«, sagte Rabelaq. »In den Gräben können wir uns gegen diese Massen nicht halten. Die Wälle werden die kleineren Schwarmorganismen am Angriff hindern, und dort verfügen wir auch über genügend Geschützstellungen, um die größeren Bestien zu erledigen.« »Ich bin Oberst Rabelaqs Ansicht«, sagte Astador. »Wir müssen uns damit abfinden, dass die Stadt unter dem Angriff leiden wird. Es ist besser, wenn wir zu unseren Bedingungen kämpfen als zu ihren.« Oberst Stagler nickte widerstrebend, obwohl Uriel sah, dass ihm der Rückzug gegen den Strich ging, auch wenn es Selbstmord sein würde, sich an den Grabenlinien zum Kampf zu stellen. »Das Krieg-Regiment wird bei dem Rückzug die Nachhut bilden«, sagte er und spie die Worte förmlich aus. Uriel schaute wieder auf die Karte, und plötzlich trat die im Hinterkopf bohrende Besorgnis in den Vordergrund. »Haben sich uns nicht ursprünglich vier Schwärme genähert?«,
fragte er. »Ja, Hauptmann Ventris«, nickte Rabelaq, »aber wir glauben, dass sich der kleinere Schwarm im Norden einfach mit demjenigen vereint hat, der sich von Parmenis her nähert. Schließlich waren sie nicht weiter als dreißig Kilometer auseinander.« »Sind Sie sicher?«, fragte Uriel. »Nein, aber wo könnte er sonst sein? Die Berge im Norden sind undurchdringlich, das hat mir Fabrikator Montante versichert.« »Bei allem Fabrikator Montante gebührenden Respekt, er ist kein Soldat. Können wir unsere Sicherheit den Schlussfolgerungen eines Logistikers anvertrauen?« »Er verfügt über die besten Ortskenntnisse, Hauptmann Ventris. Major Satria ist derselben Ansicht, und nachdem ich eine hololithische Topografie der Region gesehen habe, stimme ich mit ihnen überein.« Uriel sah, dass die anderen Männer am Tisch mehr als beunruhigt waren, wenn sie an einen potenziell verschwundenen Schwarm dachten, aber da es keinen Beweis gab, wusste auch niemand, was sie deswegen unternehmen konnten. »Wie lange haben wir noch, bis sie uns erreichen?«, fragte Bannon. »Fünf, höchstens sechs Stunden«, sagte Rabelaq. »Dann sollten wir uns besser an die Arbeit machen«, sagte Stagler. Ein Schneesturm trübte die Sicht rings um die baufälligen HabEinheiten von Bezirk Secundus. Der Schnee sammelte sich in Wehen und dämpfte den Lärm der Flüchtlingskolonne, die durch den knietiefen weißen Teppich stapfte, der Erebus einhüllte. Vom Regen organischer Bomben und jenen Kreaturen vertrieben, deren Kokonsporen es gelungen war, den Schirm der Flak zu durchdringen, der die Stadt schützte, trotteten fast sechshundert Personen durch den Schneesturm zu einer unauffälligen Gebäudeansammlung an den felsigen Südhängen. Bewaffnete Männer standen vor den gesplitterten Brettern Wache, mit denen der Eingang vernagelt war, und hinter ihnen flatterte eine ramponierte Plane. Seit dem ersten Tyranidenangriff hatte sich die Nachricht über den Held Schneehund wie ein Lauffeuer verbreitet, der die Leute aus den Baracken von Secundus vor der Flut der bestialischen
Ungeheuer gerettet hatte, die vom Himmel gefallen waren. Dass er außerdem als Mörder und Dieb bekannt war, spielte nur eine untergeordnete Rolle angesichts der Tatsache, dass die Leute behaupteten, er habe Nahrung und medizinische Hilfsgüter. Der Winter auf Tarsis Ultra war hart, und jene ohne Vermögen und ein Dach über dem Kopf würden ohne Schutz sehr bald sterben. Und irgendwo in Erebus war außerdem ein brutaler Mörder auf freiem Fuß. Auch im Chaos einer Invasion aus dem All blieben seine Verwüstungen nicht unbemerkt: kleine isolierte Gruppen von Einwohnern fand man abgeschlachtet wie Vieh, in Stücke gehackt und halb verzehrt. Furcht breitete sich in den ärmsten Vierteln der Stadt aus, und jene, die sich nicht ins Hochtal absetzen konnten, wo die Soldaten des Fabrikator-Marschalls auf den Straßen patrouillierten und die vermögenden Einwohner von Erebus wohnten, waren gezwungen, sich zusammenzutun, um einander zu beschützen. Je größer die Angst vor diesem mysteriösen Schlächter wurde, desto brutaler wurden auch seine Gewalttaten, als stachle ihn das von ihm selbst verbreitete Entsetzen zu immer heftigeren Metzelorgien an. Ganze Gemeinden wurden in ihren Heimen abgeschlachtet, und nur das ständig bewachte Gebiet rings um das Revier der Nachtschleicher schien der Aufmerksamkeit des Mörders zu entgehen. Für Leute ohne Hoffnung war Schneehund der einzige Strohhalm. Papa Gallo, der inoffizielle, aber anerkannte Anführer der Gruppe, schlug seine Kapuze zurück und näherte sich den beiden Männern, die die Tür bewachten. Der kleinere lud seine Schrotflinte durch und hielt sie ihm vors Gesicht. »Wir sind gekommen, weil wir Schutz vor den Ungeheuern suchen«, erklärte Papa Gallo. »Schutz ist nicht billig«, lautete die gedämpfte Antwort. Papa Gallo lachte und drehte sich zu den Elendsgestalten hinter sich um. »Seht uns doch an. Was glaubt ihr wohl, was wir euch anbieten können? Wir haben nichts mehr.« »Ach, ich weiß nicht«, lachte der ältere Mann, indem er die jüngeren Frauen beäugte. »Was meinst du, Lomax? Ich wette, wir können uns mit diesen guten Leuten hier einigen.«
»Halt die Klappe, Trask«, sagte der Mann, der zuerst gesprochen hatte. »Das ist Schneehunds Entscheidung.« Papa Gallo seufzte. Vielleicht überlebten sie diesen Winter, aber wenn ja, würden sie danach noch verzweifelter sein als zuvor. Tief im Schatten der Hab-Ruinen, unter einer gewölbten Lage Wellblech, beobachtete eine Kreatur die Kolonne der Flüchtlinge mit ihren Facettenaugen und witterte ihre Furcht und Verzweiflung als farbige Wogen mit ihren verschiedenen Sinnen. Die Haut kräuselte sich zu einem silbrigen Grau, da die Schuppen mit den Chamäleon-Eigenschaften die Oberflächen ringsumher widerspiegelten, und als sie unter ihrem Schutz hervorglitt, geschah dies mit einer für eine derart große Kreatur überraschenden Verstohlenheit. Ihre Fettreserven waren fast verbraucht, und sie würde wieder töten müssen, um sie aufzufüllen, da die eisigen Temperaturen auf Tarsis Ultra sogar für ihre extremen adaptiven Fähigkeiten beinahe zu viel waren. In Prandium war sie, nachdem sie alle Einwohner getötet hatte, in einen Winterschlaf gefallen. Die Bestie, eine Spezies, die bei den Truppen des Imperiums als Spuk oder Mantisschleicher, aber korrekter als Liktor bekannt war, sprang geschmeidig durch den Schnee, um die schlurfenden Leute zu beschatten. Sie sprang auf die Mauer eines verfallenen Ziegelgebäudes, indem starke interkostale Muskeln fleischige Dornen auf die Mauer peitschten, die dann eingefahren wurden, so dass die Bestie rasch die steile Fläche emporgehievt wurde. Lange sensenartige Krallen fuhren aus Chitinscheiden in den Oberarmen aus und gruben sich in die Mauer, als die Bestie ihren muskulösen Körper geschmeidig aufs Dach schwang. Wurmartige Ranken rings um den Kiefer sondierten die Luft, und die Bestie schlich weiter und folgte der Kolonne der Flüchtlinge in der Höhe. Pheromonsäcke entlang des gepanzerten Rückgrats atomisierten starke Lockstoffe, die weitere Tyranidenkreaturen zu diesem Ort locken würden. Bisher hatte der Liktor die Stadt unbehelligt durchstreift und darauf geachtet, den zahlreichen Gefahren auszuweichen, die an stark bevölkerten Orten drohten. Doch nun war auch der Schwarmverstand hier, für den er vorausgereist war, und er konnte es sich leisten, seinen Mantel der Verstohlenheit abzulegen und mit der Wildheit zu töten, für die er
geschaffen worden war. Der Liktor schlich zum Ende des Dachs und kauerte sich nieder, während er beobachtete, wie sich eine Gestalt aus der Kolonne löste und sich einem Gebäude näherte, das nach Beute stank. Trask überließ Lomax das Reden, während er die Frauen begutachtete, obwohl es wegen der Winterkleidung, die alle trugen, schwierig war, die Hingucker auszumachen. Er legte seine Schrotflinte auf die Schulter und fragte sich wieder, wie Schneehund es geschafft hatte, all diesen Leuten etwas vorzumachen. Ein Augenblick alberner Menschenliebe, und schon hatte sich die Nachricht in der ganzen Stadt verbreitet, dass er eine Art Zuflucht vor der Kälte und den Ungeheuern biete. Trask hätte sich totlachen können bei dem Gedanken, wie sehr sich die Leute doch irren konnten. Jene, die bleiben durften, bezahlten sich dumm und dämlich für alles, was sie brauchten: Unterschlupf, Essen und einfache medizinische Hilfsgüter. Manche wollten auch Rauschmittel, eine Flucht vor dem Schrecken, und auch das gab es. Ebenfalls gegen Bezahlung. Und wenn jemand nicht in harter Währung oder mit Wertsachen bezahlen konnte, gab es immer andere Möglichkeiten. Ein Mann mit einer hübschen Frau oder Tochter konnte sich mehr Dinge erkaufen als ein lediger Mann, und in Schneehunds Bande gab es genug Mitglieder, die bereit waren, diese Währung zu akzeptieren. Schneehund hatte dem ein Ende bereitet, weil es keinen Gewinn erwirtschaftete, was Trask natürlich nicht davon abgehalten hatte, es dennoch zu tun, er musste nur vorsichtiger sein. Mit einer Gruppe dieser Größe ließen sich ganz sicher ein paar Kröten machen und ein paar Blüten pflücken. Während er die Aussicht auf frische Eroberungen genoss, fiel ihm eine verschwommene Bewegung auf dem Dach der Ruine einer alten Munitionsfabrik ins Auge. Er hob eine Hand und blinzelte durch das Schneegestöber. Was war das? Er konnte jetzt nichts mehr sehen, war aber sicher, dass seine Augen ihm keinen Streich gespielt hatten. Da! Da war es wieder! Etwas fiel vom Dach des Gebäudes und landete mit einem durchdringenden Kreischen in einer Schneewehe. Was es auch war, es bewegte sich wie Quecksilber und stürmte in die Masse der Flüchtlinge, bevor er eine Warnung rufen
konnte. Er nahm die Schrotflinte herunter und lud durch, als das Schreien begann. Grellrotes Blut spritzte in den Schnee, und Trasks Blick fiel auf einen sauber abgetrennten Kopf, der über die Straße flog. Entsetzensschreie hallten von der Talwand wieder, während die Leute vor dem Mörder mitten unter ihnen davonliefen. Trask sah, wie sich der Platz rings um eine Sammlung blutiger Fetzen leerte, die nur noch oberflächliche Ähnlichkeit mit menschlichen Überresten hatten. Eine verschwommene Kreatur sprang aus dem Blutbad auf den Rücken eines Mannes, der einen in Windeln gewickelten Säugling auf den Armen trug. Der Mann ging in einem Gewirr von Gliedmaßen zu Boden, als ihn riesige knochige Krallen nach unten stießen und förmlich auf die Straße spießten. Sein Todesschrei ließ Trask vor Entsetzen zusammenzucken. Das Ding bewegte sich schnell, huschte durch das Festmahl seiner Opfer und massakrierte jeden in Reichweite seiner Krallen. Papa Gallo zog an Trasks langem Mantel und schrie: »Du hast ein Gewehr, also benutz es auch, verdammt!« Die Hände des alten Mannes schüttelten ihn aus seiner Lähmung. Trask stieß den alten Mann beiseite und trat auf die Straße. Er legte die Schrotflinte an. Schreiende Menschen liefen an ihm vorbei, zu viele, um sie aufzuhalten, und er ließ sie laufen, da er sich dachte, dass Schneehund später noch Ordnung in dieses Chaos bringen konnte. Lomax war plötzlich neben ihm. »Was ist das?«, brüllte er. »Keine Ahnung«, erwiderte Trask, der von immer mehr Leuten angerempelt wurde. Eine Traube von Leuten, die sich in eine Seitenstraße flüchten wollte, wurde von dem mörderischen Angreifer brutal niedergemetzelt, und Trask zielte mit der Schrotflinte, als er den Mörder zum ersten Mal deutlich sah. Seine Haut war mit Blut verschmiert, und welche Chamäleon-Eigenschaften sie auch gehabt haben mochte, nun kamen sie nicht mehr zum Tragen. Das Ungeheuer stand auf zwei Beinen und war fast drei Meter groß. Der Leib war muskulös und von knochigen Panzerplatten bedeckt. Es war größer als alle Bestien, die Trask bisher gesehen hatte, und die Krallen an den oberen Gliedmaßen waren riesige Sicheln, die einen Menschen mit einem Schwung durchschneiden konnten. Unter diesen monströsen Krallen hoben muskulöse, in Klauenfäusten endende Arme kreischende Opfer hoch zu dem mit
Reißzähnen gefüllten Maul. Das Ungeheuer fuhr rasch herum, nachdem sein Vorrat an Opfern erschöpft war, und rannte über den vereisten Boden auf ihn und Lomax zu. Plötzlich ging ihm die Absurdität seines Tuns auf. Warum riskierte er seinen Hals für diese dämlichen Leute? Er machte kehrt und sprintete zum Lagerhaus, während die Bestie angriff. Lomax fuhr herum und rief: »Wo willst du...«, während Trask floh, wurde aber unterbrochen, als etwas zwischen den Knochenplatten auf der Brust des Ungeheuers hervorschoss und seinen Körper durchbohrte. Lomax ließ seine Waffe fallen und starrte schockiert und ungläubig auf die aus seiner Brust ragenden Dornen, bevor er von den Füßen gerissen und von den Krallen des Ungeheuers erstochen wurde. Trask rannte wie noch nie zuvor in seinem Leben und warf sein Gewehr unterwegs weg, um noch schneller laufen zu können. Er stürmte die Treppe zum Lagerhaus empor, rutschte auf der obersten Stufe aus und fiel mit dem Gesicht voran auf den Beton. Das rettete ihm das Leben. Riesige Sichelklauen durchschlugen die Wand des Lagerhauses, wo sich sonst sein Kopf befunden hätte. Er winselte vor Furcht und wälzte sich zur Seite, als die Krallen wieder nach ihm stachen und Funken auf dem Boden schlugen, während er verzweifelt auswich. Er drückte fest die Augen zu und spürte, wie sich zu seinem nackten Entsetzen seine Blase entleerte. Eine Schrotflinte feuerte, ohrenbetäubend nah, und er schrie. Mehr Schüsse ertönten. Ein heulendes Schmerzkreischen antwortete. Etwas peitschte an seinem Gesicht vorbei, und warme Flüssigkeit tropfte ihm auf Gesicht und Hals. Er rollte sich zusammen und wartete auf den Tod. Nach langen Sekunden brachte er den Mut auf, die Augen zu öffnen. Das Ungeheuer war verschwunden, und Erleichterung überkam ihn. Er wischte sich stinkenden Schleim vom Gesicht, und als er aufblickte, sah er Schneehund und Silber, die ihn anstarrten. Der Abscheu in ihrem Blick war nicht zu übersehen. Rauch kräuselte sich aus dem Lauf von Schneehunds Schrotflinte, und Silber hatte ihre beiden Pistolen gezückt. »Mann, ich weiß nicht, warum ich dich überhaupt bei mir behal-
te«, schnauzte Schneehund, indem er ihm eine Hand anbot, um ihn hochzuziehen. Er lächelte Silber matt an, die ihn keines Blickes würdigte, sondern zu beschäftigt damit war, das Grauen des Massakers vor ihnen aufzunehmen. »Wo ist Lomax?«, fragte Schneehund. Trask versuchte zu antworten, aber die Worte wollten ihm einfach nicht über die Lippen kommen. »Ich hab dich was gefragt, Mann«, sagte Schneehund. »Er ist... er ist tot«, brachte Trask heraus. »Das Vieh hat ihn erwischt.« »Nicht, dass du nicht alles getan hättest, um es daran zu hindern, möchte ich wetten«, höhnte Silber. Er versuchte ihr einen giftigen Blick zuzuwerfen, aber es wurde lediglich ein mürrischer. »Hast du gesehen, was es war?«, fragte der albinohaarige Bandenführer. »Nein«, sagte Trask kopfschüttelnd. »Hab ich nicht, aber das Vieh war groß, Mann, echt groß. Größer als alles, was wir bis jetzt gesehen haben. Und es war schnell, wie auf Sporn oder so, weißt du?« »Schnell war es, das stimmt«, konterte Silber, »aber nicht schnell genug, um dich zu erwischen, Trask, was?« »Ach, leck mich doch, Silber«, sagte Trask, der etwas von seiner Selbstsicherheit zurückgewonnen hatte, nun, da das Ungeheuer verschwunden war. »Nicht in diesem Leben«, sagte sie, indem sie auf dem Absatz kehrt machte und wieder ins Lagerhaus ging. »Mach dich sauber, Trask«, schnauzte Schneehund. »Wir haben Arbeit. Diese Leute werden sich nicht selbst ausnehmen, oder?« Schneehund drehte sich um und ließ ihn auf der vereisten Treppe stehen. Die Nässe in Trasks Schritt gefror langsam. Trask spürte, wie sich seine Furcht in Wut und Groll verwandelte, als er Schneehund ins Lagerhaus folgte und sich eine juckende Hautstelle im Nacken und im Gesicht rieb. Der Caduceus prangte auf den Türen, ein Stab mit zwei geflügelten Schlangen, die sich um ihn wanden, und noch bevor Uriel sie aufstieß, hörte er schon Geschrei und roch den Gestank von Tod und Blut. Durch die Klinik des Bezirks Quintus hallten die gequälten Schreie von über tausend Verwundeten, und der Gestank der antiseptischen Sprays und mit Kampfer versetzten Öle konnte den
bitteren Geruch nach entzündetem Fleisch und nässenden Wunden nicht überdecken. Sein Atem gefror zu Wölkchen, da die Temperatur in dem Raum dem Gefrierpunkt nah war. Schwestern eines Heilerordens eilten durch die lange, gewölbeartige Kammer, und ihre fließenden weißen Gewänder waren steif von getrocknetem Blut. Die Verzweiflung und Furcht waren greifbar, und der Anblick so vieler tapferer Männer, die von den Tyraniden so zugerichtet worden waren, brach Uriel fast das Herz. Das Gekreisch Verwundeter und das Schluchzen jener, die unter die Knochensäge mussten, hallten durch das Gebäude. Drei Pfleger hielten einen schreienden Soldaten des Krieg-Regiments fest, dessen Beine nur noch zuckende Stümpfe waren, während sie versuchten, die Oberschenkelarterien zu klammern, aus denen das Blut spritzte. Bahrenträger liefen mit einer Frau an Uriel vorbei, deren Arm über dem Ellbogen abgetrennt worden war, und Uriel sah, dass die Wunde vereitert war, zweifellos infolge einer Erfrierung, die sie sich zugezogen hatte, während sie auf Rettung wartete. Aus dem Stumpf sickerte Eiter auf die raue Decke, mit der sie zugedeckt war. Priester skandierten das Finis Rerum von hohen Kanzeln, aber ihre Worte gingen in dem Geschrei unter. Es schien, als würde das Schreien nie aufhören. Er sah, wie eine der Schwestern ein Laken über das Gesicht eines Toten zog und den Pflegern zunickte. Uriel war der Tod nicht fremd, aber diese schlichte Darstellung menschlichen Leidens berührte ihn auf eine Weise, die er nicht erklären konnte. Die Frau blickte von dem Leichnam auf und sah ihn. Sie fuhr sich mit schmutzigem Ärmel über die Augen und hinkte um das Bett zu ihm. Ihr blondes Haar war zu einem fettigen Pferdeschwanz zusammengebunden, und Uriel sah, dass sie seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen haben konnte. Ihre rauchblauen Augen waren matt und blutunterlaufen, aber sie hatte eine Menge Kraft, so viel war offensichtlich. »Bruder-Hauptmann«, sagte sie. »Schwester Joaniel Ledoyen, ranghöchster Schwesternoffizier, zu Ihren Diensten, aber wir stehen ziemlich unter Druck, also was Sie auch wünschen, beeilen Sie sich bitte.« »Warum ist es hier so kalt?«, fragte Uriel. »Weil eins dieser verdammten... Ungeheuer schon vor dem ersten Angriff unseren Generator getroffen hat und die verwünsch-
ten Techpriester nicht in der Lage waren, uns einen neuen zu beschaffen«, sagte Joaniel schnippisch. »Haben Sie noch mehr dumme Fragen oder kann ich jetzt weiter versuchen, ein paar Leben zu retten?« »Es tut mir leid, Schwester, ich bin müde von der Schlacht und vergesse meine Manieren. Ich bin Bruder-Hauptmann Uriel Ventris und muss einen Soldaten finden, den ich hergebracht habe. Er heißt Pavel Leforto und gehört zur Wehrlegion Erebus. Er hat mir das Leben gerettet, und dafür möchte ich mich bedanken.« Joaniels Miene wurde weicher, und sie zeigte auf das Schwesternzimmer in der Mitte der Station. »Da. Meine Stellvertreterin Ardelia wird versuchen, ihn für Sie zu finden, obwohl Sie damit rechnen müssen, dass er tot ist.« »Wie der Imperator will«, sagte Uriel. Der Mundwinkel der Frau zuckte, als sie die vertraute Redewendung hörte, und sie nickte. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, ich habe zu tun«, sagte sie und wandte sich ab. Uriel sah Schwester Joaniel Ledoyen nach, wie sie zum nächsten Bett und zum nächsten blutverschmierten Soldaten hinkte, dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging zum Schwesternzimmer. Es dauerte eine Stunde, Pavel Leforto zu finden. In dem Bett, zu dem Ardelia ihn zuerst führte, lag nur ein armer Teufel, dessen verbranntes Gesicht in Verbände gehüllt war und bei dem es sich offensichtlich nicht um Pavel handelte, da seine Schulter unversehrt war. Schließlich fand Uriel ihn im ersten Stock des Gebäudes. Schulter und Hals waren in Kunsthautverbände gehüllt. Der Beutel eines Tropfs war unter seinen Arm geklemmt wahrscheinlich, um ein Gefrieren der Flüssigkeit zu verhindern -, der wiederum außerhalb der Laken lag, damit die Flüssigkeit in dem Beutel fließen konnte. Seine Augen waren geschlossen, aber er atmete tief und regelmäßig. Uriels geringes Wissen über menschliche Physiologie reichte aus, um ihm zu verraten, dass Pavel Leforto leben würde, obwohl ihn stets eine wulstige Narbe an seinen Kampf gegen die Tyraniden gemahnen würde. Uriel erinnerte sich an seinen letzten Eindruck von Pavels Gesicht, schreiend und schmerzverzerrt, während Pasanius ihn ins Lazarett trug. Seine Züge waren jetzt friedlich, und er bekam nichts von dem Geschrei mit, das aus dem Erdgeschoss heraufhallte, und auch nichts vom Miasma des
Todes, der dieses Gebäude erfüllte. Die Hand des schlafenden Mannes hielt eine holo-lithische Datentafel, und als Uriel sich vorbeugte und die Tafel hochhob, sah er das Bild einer schlichten, aber attraktiven Frau mit zwei strahlenden Kindern, die sie eng an sich gedrückt hatte. Uriel starrte mehrere Minuten auf das körnige Bild, in denen er die Liebe sah, die diese Leute für den Mann vor ihm empfanden. Pavel Leforto hatte eine Familie, an der er sich festhalten konnte, ein Heim zu verteidigen und eine Zukunft zu beschützen... Dinge, die er nie haben konnte. Uriel legte das Bild wieder zurück, entfernte ein Reinheitssiegel von seiner Rüstung und legt es Pavel auf die Brust, bevor er sich vom Bett zurückzog, da er nicht gewillt war, die Ruhe des verwundeten Soldaten zu stören. Er verließ die obere Etage und ging nach unten ins Vestibül der Klinik. Hinter einem niedrigen Torbogen auf der linken Seite sah er einen kleinen Gang, der zu einer geöffneten Tür führte, durch die ein warmer, weicher Schein fiel. Er nahm den beruhigenden Duft von Weihrauch neben dem Gestank von Blut wahr und trat durch den Bogen und in die kleine Kapelle der Klinik. Die schlichte, aber elegante Kapelle war spartanisch eingerichtet. Das einzige Zugeständnis an Gepränge war ein halbkreisförmiges Buntglasfenster, das die Schwestern eines Heilerordens darstellte, wie sie sich um die Kranken kümmerten und Almosen an die Bedürftigen verteilten. Uriel verspürte so viel Frieden und Gelassenheit wie schon seit vielen Monaten nicht mehr, als könne ein dunkler Schatten, der seine guten Wesenszüge erstickte, seine finstere Kraft an diesem heiligen Ort nicht entfalten. Er schloss die Tür und ging zum Ende des Schiffs, verbeugte sich vor dem Abbild des Imperators und kniete unter seinem majestätischen Blick nieder. »Imperator der Menschheit, in dieser Zeit des Krieges suche ich den Trost, den nur du geben kannst. Zu oft spüre ich, wie Hass meine Träume vergiftet. Finsternis sammelt sich in mir, und ich fürchte um meine Seele in den kommenden Tagen. Hilf mir, diesen Makel zu überwinden, der in mir gesät wurde, und rette mich davor, zu dem zu werden, was ich mein Leben lang in deinem Namen bekämpft habe.« Uriel holte tief und schaudernd Atem und sagte: »Ich fürchte, ich könnte bald aus den Augen verlieren, wie es ist, dir zu dienen, und deiner Liebe nicht mehr würdig
sein.« »Nein, Hauptmann Ventris«, sagte eine Stimme hinter ihm. »Alle Diener des Imperators sind seiner Liebe würdig.« Uriel fuhr herum und erhob sich. Schwester Joaniel stand da, in das Licht gehüllt, das durch das Buntglasfenster fiel, und die warmen Farben verliehen ihrer Haut einen rötlichen, gesunden Glanz. »Schwester«, sagte Uriel. »Ich habe Sie gar nicht bemerkt.« »Ich weiß. Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe. Soll ich lieber gehen?« »Nein, nein, natürlich nicht.« »Dürfte ich mich dann zu Ihnen gesellen?« »Ja, bitte, tun Sie das.« Schwester Joaniel nickte und hinkte zum Ende des Schiffs, knickste vor der Statue des Imperators und zuckte zusammen, als ihr Hüftgelenk laut knackte. Sie setzte sich auf die vorderste Bank und sagte: »Ich komme oft hierher, wenn ich Zeit habe. Es ist sehr friedlich.« »Das ist es«, stimmte Uriel zu, indem er sich ihr auf der Bank anschloss. Neben seiner Körperfülle wirkte die Schwester der Adepta Sororitas winzig. Das Holz ächzte unter seiner Last. »Ich hatte hier ein Gefühl, als würde mir eine große Last von den Schultern genommen.« »Sie tragen eine Last?«, fragte Joaniel. Uriel antwortete nicht. Er hielt den Blick auf den polierten Holzboden gerichtet, aber schließlich sagte er: »Sie haben gehört, was ich gesagt habe, als Sie hereingekommen sind.« »Das ist wahr, aber ich weiß nicht, worauf Sie sich bezogen haben. Möchten Sie darüber reden? Ich habe schon vielen Kriegern mit meinem Rat zur Seite gestanden, die nicht nur körperliche, sondern auch seelische Wunden davongetragen hatten. Vertrauen Sie mir, es kann sehr befreiend sein, Gedanken laut auszusprechen, die einen beunruhigen.« »Ich weiß nicht, Schwester... Ich bin... nicht gut darin, solche Dinge auszudrücken.« »Hat es etwas mit dem Soldaten zu tun, den Sie besucht haben?« »Nein, mehr mit einem monströsen Wesen, das ich auf einer weit entfernten Welt bekämpft habe.« »Was für ein Wesen, einen Tyraniden?«
Uriel schüttelte den Kopf. »Nein. Ich weiß bis heute nicht genau, was es war. Ich weiß nur, dass es eine uralte Kreatur war, schon alt, als die Galaxis noch jung war, die für Gemetzel lebte und im Morden schwelgte. Ein Inquisitor, den ich kannte, hat es Nachtbringer genannt, und dieser Name war sehr zutreffend, denn es konnte in die Gedanken eines Menschen eindringen und dessen niedrigste Instinkte zum Vorschein bringen.« Uriels Hände fingen an zu zittern, als er die Schlacht unter der Welt Pavonis nacherlebte. »Ich habe gesehen, wie sich Menschen in einer Orgie des Blutvergießens selbst in Stücke gerissen und zerfetzt haben, und ich habe gespürt, wie mein eigener Drang zu töten neue Höhen erreicht hat, die mir bis zum heutigen Tag Übelkeit bereiten. Diese Kreatur war von Visionen des Wahnsinns und Todes umgeben, und als sein Bewusstsein kurz meines berührte, habe ich alles gesehen, all das Gemetzel im Universum, und das war so, als hätte es meine Seele mit Blut getauft.« »Aber Sie haben die Kreatur besiegt?« »In gewisser Weise. Wir haben sie vertrieben und überlebt, obwohl ich nicht weiß, was aus ihr geworden ist.« »Was Ihnen dieses Wesen gezeigt hat, verfolgt Sie und lässt Ihnen keine Ruhe«, stellte Joaniel fest. »Aye«, nickte Uriel, indem er den Kopf auf die Hände stützte. »Ich schließe die Augen und sehe nur Blut, Tod und Verstümmelung. Wenn ich kämpfe, kann ich kaum die mörderische Raserei unterdrücken, die vom Makel des Nachtbringers stammt.« »Ich will nicht so tun, als würde ich die Natur dieses ungeheuerlichen Wesens verstehen, aber ich habe das Gefühl, dass Sie sich grundlos quälen, Uriel. Dass Ihr Bewusstsein Kontakt mit einem Wesen von solcher Macht hatte, muss Narben zurücklassen. Etwas anderes zu glauben, wäre töricht.« Joaniel nahm Uriels Hand. »Jede Verletzung, ob körperlich oder seelisch, hinterlässt Narben, und manchmal treten sie hervor, als sprängen Dämonen aus einem Sack. Narben heilen, Uriel, aber nur, wenn man sie lässt.« »Sie glauben nicht, dass ich mit dem Makel behaftet bin?« Joaniel lächelte. »Nein, das tue ich nicht, Uriel. Die Macht dieses Nachtbringers muss ungeheuerlich gewesen sein, aber Sie haben ihn besiegt. Ja, er hat Ihnen gezeigt, wie tief sich ein Mensch in Blut und Tod suhlen kann, aber diese Grausamkeit steckt in uns allen. Sie müssen sich mit diesem Aspekt Ihrer selbst abfinden
und begreifen, dass ein Teil des Nachtbringers immer bei Ihnen sein wird. Mit dem Sichabfinden wird die Erleichterung kommen. Dass Sie solchen Schmerz empfinden, zeigt mir, dass Sie nicht mit dem Makel behaftet sind.« Uriel nickte, da er bereits spürte, dass der Schatten in ihm bei Joaniels Worten zurückwich. Die beiden saßen viele Minuten in einträchtigem Schweigen da, bis es in Uriels Helmkom knisterte und Learchus sagte: »Bruder-Hauptmann, Ihre Anwesenheit ist an der Hauptmauer erforderlich.« Er bestätigte den Empfang der Nachricht, erhob sich und verbeugte sich vor der sitzenden Frau. »Meinen Dank für Ihr Verständnis, Schwester Joaniel«, sagte Uriel. »Aber ich muss jetzt gehen.« Joaniel erhob sich ebenfalls und bot ihm die Hand an. Uriel schüttelte sie, wobei ihre zierliche Hand völlig in seinem Panzerhandschuh verschwand. »Ich bin immer hier, Uriel, sollten Sie später noch einmal den Drang verspüren, sich wieder zu unterhalten.« »Vielen Dank, das würde mir gefallen«, sagte Uriel mit einer weiteren Verbeugung und marschierte dann rasch aus der Kapelle. Die Verlegung vieler Tausend Männer und Maschinen mit ihren Munitionsvorräten und Fahrzeugen war potenziell ein Albtraum, aber mit den gut gedrillten Kommissaren von Erebus, welche die Soldaten der Imperialen Garde dirigierten, gab es kaum Stau auf den Straßen, die in die Stadt zurückführten. Tausend Mann des Krieg-Regiments bemannten die zweite Grabenlinie, während sich das Logres-Regiment und die Wehrlegion Erebus zurückzogen. Alle Vorräte und Hilfsmittel, deren Rücktransport in die Stadt unmöglich war, wurden verbrannt, und so loderten grelle Scheiterhaufen in der Spätnachmittagssonne. Nachschublaster brachten Truppen mit bewundernswerter Schnelligkeit zu den Kasernen in Erebus zurück, und hoch oben in seinem Capitol Imperialis war Oberst Rabelaq zufrieden darüber, dass die Evakuierung der Gräben so gut voranschritt, wie man unter den gegebenen Umständen erwarten konnte. Doch Zufall und Pech hatten schon immer eine Rolle bei militärischen Unternehmungen gespielt, und zwei Dinge sollten den imperialen Verteidigern teuer zu stehen kommen. Auf der Straße zum Nordtor holperten die mit Panzermunition
beladenen Lastwagen über eine Fahrbahndecke, die aufgrund der starken kürzlichen Beanspruchung mittlerweile tiefe Furchen aufwies, und ein Nachschublaster mit so einer hochexplosiven Ladung krachte in eines der tieferen Schlaglöcher und mit einem markerschütternden Ruck wieder heraus. Ob eine der Granaten einen fehlerhaften Zündmechanismus oder ein achtloser Soldat zufällig eine der Zündnadeln abgezogen hatte, würde für immer ungeklärt bleiben, aber als die Granaten durch das Schlagloch heftig durchgeschüttelt wurden, explodierte der Laster plötzlich in einem verheerenden Feuerball. Folgeexplosionen zerfetzten die kümmerlichen Reste des Lasters, als die Hitze auch den Rest der Granaten hochgehen ließ, die in einer Serie er schütternder Schläge detonierten, welche die Straße aus löschten und dazu alles andere im Umkreis von hundertfünfzig Metern. Jene Fahrzeuge, denen das Grauen der Vernichtung erspart geblieben war, hielten mit einer halben Kilometer langen Schlange im Rücken auf einer schmalen Straße an, die wenig Raum bot, um zu wenden und zu einem anderen Tor zu fahren. Während die Kommissare versuchten, den Fahrzeugstau aufzulösen, tauchte am Horizont weit im Osten eine wirbelnde schwarze Wolke auf, die einen vollen Kilometer breit war und mit viel Gekreisch über die Gipfel der Hochebene hinwegflog. Warnsirenen fingen an zu heulen, und die Geschütze der Stadt eröffneten das Feuer. Viele imperiale Einheiten, die befürchteten, jeden Augenblick angegriffen zu werden, gingen sofort in Abwehrstellung, schlossen die Luken ihrer Panzer und machten ihre Waffen schussbereit. In vielen Fällen rettete ihnen das unzweifelhaft das Leben. Aus den Bergen im Norden strömten viele Hundert Tyranidenkreaturen die rutschigen, felsigen Hänge hinunter und fielen über die erschöpften imperialen Truppen her. Kurze Zeit später tobten heftige Schlachten vor den Stadtmauern, da die arglosen Gardisten von einer Flut mordlüsterner Tyraniden angefallen wurden, die über die angeblich unpassierbaren Berge gekommen war. Nichtmenschliches und menschliches Blut floss in Strömen, als die beiden Armeen aufeinanderprallten. Aber es sollte noch schlimmer kommen. »Ach du lieber Imperator, nein...«, ächzte Oberst Rabelaq, als
sich die Bilder auf der Holokarte plötzlich drastisch veränderten. Neue Symbole für Feindeinheiten tauchten in den Bergen im Norden auf, und ihm ging auf, dass Hauptmann Ventris zu recht an Fabrikator Montantes Zusicherung gezweifelt hatte, sie seien unpassierbar. Furcht breitete sich in seinen Eingeweiden aus, und das Blut wich ihm aus dem Gesicht. Die Tyraniden hatten sie alle an der Nase herumgeführt. Die Cogitatoren des Capitol Imperialis hatten die Geschwindigkeit der vorrückenden Schwärme hochgerechnet und angenommen, sie würden sich mit Höchstgeschwindigkeit bewegen. Naiverweise hatte er diese Annahme einfach übernommen, doch als er die Symbole der drei Schwärme beobachtete und sah, wie rasch sie sich nun Erebus näherten, ging ihm auf, dass er die Schläue der Tyraniden auf fatale Weise unterschätzt hatte. Er eilte zur Kom-Station und nahm das Sprechgerät aus Nalholz von der Konsole. »An alle Krieg-Einheiten: Die Tyraniden sind unmittelbar vor Ihnen! Ich wiederhole: Die Tyraniden werden Ihre Stellungen binnen Minuten angreifen! Ziehen Sie sich umgehend von dort zurück! »Wovon reden Sie?«, schnauzte Leutnant Konarski, als er dem Kom-Soldaten den Kopfhörer abnahm und sich über den Kopf streifte. Seine Augen weiteten sich, als er Oberst Rabelaqs panische Stimme hörte, die ihnen befahl, die Gräben zu evakuieren. Er riss sich den Kopfhörer ab, warf ihn dem Kom-Soldaten zu, lief zum Graben-Periskop und schaute hindurch. Er verbiss sich einen Fluch, während er das Periskop von links nach rechts wandern ließ, und spürte, wie sich ein eisiges Band aus Eisen um seine Brust schloss, als er eine Flut von Ungeheuern auf ihre Stellungen zustürmen sah. »Scheiße«, sagte Konarski und ließ sein Lasergewehr von der Schulter gleiten. Er rannte den Graben entlang und rief seinen Männern zu standzuhalten. »Herr Leutnant!«, rief der Kom-Soldat. »Heißt das, wir evakuieren nicht?« Konarskis Blick wanderte durch den Graben, und als er sah, dass andere Krieg-Offiziere ihre Männer auf den Feuersteg scheuchten, "sagte er: »Nein, Sohn, tun wir nicht.« »Aber Oberst Rabelaqs Befehle...«
»Zur Hölle mit Rabelaq!«, schnauzte Konarski. »Wir sind das Todeskorps von Krieg, Sohn. Haben Sie geglaubt, das ist nur ein hübscher Name? Wir ziehen uns nie zurück. Wir kämpfen und wir sterben, so machen's die Krieg.« So furchtbar die ersten Angriffe auf die Gräben auch gewesen waren, sie waren nur ein Schatten von diesem. Eine gewaltige, vielgliedrige Bestie stapfte vorwärts und schlug dabei riesige Krater ins Eis. Dampfende Säurestrahlen spritzten aus grotesken organischen Rohren unter dem riesigen Kiefer und lösten Schnee, Eis und Fleisch in Rauch auf. Hunderte Dornen schossen mittels monströser Muskelkontraktionen daraus hervor, hämmerten auf die Gräben ein und durchbohrten meterdicken Schnee, um Menschen und Panzer aufzuspießen. Eine brodelnde Flut von Kreaturen umschwärmte die Beine der riesenhaften Kreatur. In Chitin gehüllte Organismen mit knochiger Vorderseite und verkrümmten Vordergliedern schleuderten Fleischkapseln, die explodierten und dabei tödliche Mischungen aus messerscharfen Knochensplittern und organischen Säuren verspritzten. Die Kreaturen glitten langsam über das Eis und schieden dabei immer neue organische Granaten aus. Ähnlich klobige Wesen mit verschmolzenen, knochigen Vordergliedern, die langen, organischen Kanonen ähnelten, spien knisternde Chitingranaten, welche die zurückweichenden Panzer mit Ladungen von zersetzenden Viren und Säuren beschossen. Knisternde elektrische Energie sprang von den riesigen Krallen dicker, schlangenartiger Kreaturen über, die über das Eis glitten. Ihre gepanzerte Haut rutschte daher und wirbelte dabei Wolken von Eiskristallen hinter ihnen auf. Doch der Angriff wurde von einem Haufen riesiger Kreaturen angeführt, die sich auf gigantischen Krallen fortbewegten und ihre aufgeblähten Leiber mit furchterregendem Tempo über das Eis zogen. Brutnester pulsierten mit grotesken, peristaltischen Bewegungen zwischen den Knochenplatten ihrer Haut, und messerscharfe Dornen wurden durch Muskelkontraktionen in die Gräben geschleudert. Eine dunkle Wolke von Gargylen formierte sich über den angreifenden Ungeheuern, darunter auch eine gewaltige schwarze Brutmutter, deren monströse Flügel schwerfällig schlugen, als sie sich auf die Männer des Krieg-Regiments stürzte.
Leutnant Konarski übergab sich, während er die sich auflösenden Überreste des Kom-Soldaten von seinen Beinen wischte, so dass sie in eine Pfütze aus rauchender Säure fielen, die sich durch die Laufbretter des Grabens fraß. Er versuchte aufzustehen, aber der stechende Gestank nach verbranntem Fleisch bewirkte, dass er sich in einem Hustenanfall krümmte. Blut und Rauch erfüllte den Graben, da die Geschosse der Tyraniden überall explodierten, nachdem ihre Schanzen praktisch zerstört waren. Hier und da wurden Schüsse erwidert, aber verglichen mit dem Feuer, das auf sie einschlug, waren sie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Nachdem er seine Übelkeit endlich überwunden hatte, rief er: »Für Krieg!«, und schoss über den Grabenrand auf den Feind. Ein dunkler Schatten sperrte das Sonnenlicht aus, und als Konarski aufblickte, sah er eine gigantische Monstrosität mit zehn Meter langen Flügeln im Sturzflug auf die Gräben herabschießen. Viele Dutzend kleinerer Ungeheuer klammerten sich am Bauch fest, und im Maul bildete sich wirbelndes Feuer. Er riskierte einen Schulterblick, um festzustellen, warum niemand auf die Bestie schoss. Als sein Blick auf den nächsten Hydra-Flakpanzer fiel, verstand er es. Der vordere Teil war eine geschmolzene verbogene Masse, da dicke Panzerplatten von zersetzenden Viren und Säuren verflüssigt worden waren. Blutiger Schleim rann aus dem Fahrzeuginneren, die sich auflösenden Leiber der Besatzung, und dampfte in der Kälte. Doch Konarski sah auch, dass die Geschütze des Panzers noch intakt waren. Er ließ sein Gewehr fallen und sprintete zu dem vierläufigen Geschütz. Er musste es wieder in Betrieb nehmen. Riesige kreischende Kreaturen mit sensenden Armen und grässlichen organischen Waffen strömten in die Gräben und rissen seine Männer in Stücke. Schwärme kleinerer Kreaturen umsprangen sie und töteten ebenfalls alles um sie herum. Verzweifelte Handgemenge waren im Gange, da Soldaten vergeblich versuchten, sich gegen die Tyranidenflut zu stemmen. Riesige Fleischmonstrositäten spien Horden von Krallenbestien aus, in denen er Symbionten erkannte. Sie wurden überall überrannt. Konarski duckte sich und hielt sich die Hand vor Mund und Nase, als ihm der Gestank der geschmolzenen menschlichen Leiber
zusetzte. Er kletterte über die stinkenden Reste der Besatzung hinweg und glitt auf den Platz des Kanoniers. »Ja!«, schrie er, als er sah, dass die Geschütze noch einsatzbereit und vollgeladen waren. Seine Hände schlossen sich um die Griffe, und er schwenkte den vierläufigen Turm herum und dem riesigen Flugungeheuer entgegen. Konarski drückte auf die Feuerknöpfe, und eine vier Meter lange Flammenzunge stach aus der Mündung, während am Himmel feurige Explosionen erblühten. Das Geschütz erbebte unter dem gewaltigen Rückschlag, da es in wenigen Sekunden hundert Granaten in die Luft spie. Konarski schrie, während er schoss, da das Grauen der letzten Tage in einer Adrenalinflut aus seinem Körper gespült wurde. Zwischen seinen Wahrnehmungsaussetzern sah er, wie die fliegende Bestie zerfetzt wurde, da die aus nächster Nähe abgefeuerten Granaten ihren Knochenpanzer durchschlugen und in den lebenswichtigen Organen explodierten. Das Ungeheuer fiel kreischend vom Himmel und schlug in einer Fontäne aus Schnee und fremdartigem Blut auf, wobei die Brut, die es im Leib trug, zerquetscht wurde. Explosionen in seinem Bauch förderten bunte Dämpfe zu Tage, und Giftwolken wallten über den Boden, von denen grüne Fäden in die Gräben trieben. Er schwenkte das Geschütz nach links und rechts und zerfetzte jeden Tyraniden, der ihm vor die Läufe kam. Er hielt die Feuerknöpfe noch lange gedrückt, nachdem die Munition längst versiegt war. Oberst Rabelaq beobachtete die Vorgänge durch die Observationsbucht des Capitol Imperialis und erkannte sofort, dass die Tyraniden die Nachhut der Krieg ohne Verstärkungen auslöschen würden. Die Kom-Frequenzen waren ein Chaos aus Hilferufen und verzweifelten Bitten um Artillerieunterstützung. Das Ausmaß dieser Katastrophe erschütterte ihn. Die auf der Straße zur Stadt angegriffenen Abteilungen hielten sich und drängten die Tyraniden an vielen Stellen zurück. Wenn sie etwas Zeit bekamen, konnten sie sich vielleicht bis hinter die Stadtmauern durchkämpfen. Aber Zeit war genau das, was sie nicht mehr hatten. Die Soldaten des Krieg-Regiments konnten nicht hoffen, den Vorstoß der Tyraniden lange genug aufzuhalten. Ihm blieb nur eine Möglichkeit.
Er marschierte zur Mitte seiner Kommandobrücke, knöpfte die Uniformjacke zu, zog den Kragen gerade und fegte sich ein Stäubchen von den Epauletten. »Alles vorrücken, Geschütze feuerbereit machen«, befahl er. »Herr Oberst?«, fragte sein Adjutant. »Sie haben mich beim ersten Mal verstanden! Alles vorrücken, ich lasse diese tapferen Jungs nicht einsam verrecken. Das ist nicht die Art der Logres. Und jetzt befolgen Sie meinen Befehl!« »Aye, aye, Herr Oberst«, nickte der Mann und beeilte sich zu gehorchen. Oberst Octavius Rabelaq nahm Haltung an, als er die grollenden Vibrationen der riesigen Ketten spürte und das Capitol Imperialis seinen schwerfälligen Vormarsch begann. Der Boden erbebte, und durch den Ansturm vieler Hundert Tyranidenungeheuer wurden Schnee, Eis und Holz aus den Mauern der Gräben gerissen. Konarski scharte alle Männer um sich, die er in den stinkenden Wolken der Tyranidendämpfe finden konnte, und zog sich mit ihnen kämpfend in Richtung Stadtmauer zurück. Sie hatten getan, was sie konnten, und es wurde Zeit, seine Männer in Sicherheit zu bringen. Gewaltige Vibrationen ließen den Boden erbeben, und er fragte sich kurz, ob es ein Erdbeben gab. Ein kreischendes Brüllen hinter ihm kündete vom unersättlichen Hunger unmenschlicher Ungeheuer, und er drehte sich um und hob sein Lasergewehr in einer letzten Trotzreaktion. Plötzlich erzitterte die Erde, und eine Kette donnernder Explosionen erfüllte die Welt mit ihrem Lärm. Grelles Licht flammte hinter ihm auf, und das Knistern verdrängter Luft drohte ihn taub zu machen. Er spürte, wie er durch die Luft flog, als sich der Boden vor ihm infolge des Bebens spaltete. Er schlug schwer auf, rollte sich ab und schluckte Schnee, während vor seinen Augen Sterne explodierten. Flammen loderten vor ihm, und er erhob sich wacklig auf die Knie. Was war gerade passiert? Dann teilte sich der Rauch, und ein Berg aus Stahl tauchte vor ihm auf. Auf seinen knirschenden Ketten zermalmte er den Boden und spaltete den Fels mit seiner Masse, während er panzergroße Brocken aus Eis und Gestein aufwirbelte. Das gesegnete Ad-
lerwappen prangte auf dem Leviathan, nicht weit unter dem riesigen, rauchenden Lauf der Behemoth-Kanone des Capitol Imperialis. Konarski lachte, als die gigantische Kriegsmaschine an ihm vorbeirumpelte, und sein Freudenausbruch verlor sich im donnernden Krachen, als die Kanone erneut feuerte und die Druckwelle ihn wieder durch die Luft schleuderte. Die Landung raubte ihm den Atem, setzte jedoch noch mehr Adrenalin frei, und er rappelte sich rasch wieder auf und schwankte weiter in Richtung Stadt. Oberst Rabelaq hatte ihnen Zeit verschafft, und er hatte nicht die Absicht, diese Zeit zu vergeuden. Oberst Stagler drückte sich die Kompresse fest gegen den Bauch. Ihm war ein wenig schwindlig vom Blutverlust, aber er war nicht bereit, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, bevor er das Schicksal seiner Männer kannte. Von seinem Platz auf dem schneebedeckten Geschützturm im Hauptwall der Stadtmauer sah er kaum mehr als wallende Wolken aus Rauch und Dämpfen, die ihm die Sicht auf die Gräben versperrten. Dem Kom war auch nichts zu entnehmen außer Geschrei und Tyranidengeheul. Seine Männer waren wahrscheinlich verloren, aber wenigstens waren sie nach Art der Krieg gestorben: in zähem, hartnäckigem Kampf. Der Schwachkopf Rabelaq hatte ihn überrascht und war mit seinem kostbaren mobilen Kommandostand mitten in die Feindmassen vorgestoßen. Er hatte damit den Männern, die sich gegen den Überraschungsangriff der Tyraniden verteidigten, genug Zeit erkauft, um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen und sich in die vorübergehende Sicherheit der Stadtmauern zu flüchten. Ganze Scharen der Tyraniden hatten die Mauern umgangen und sich von den hohen Klippen in die Tiefen der Stadt gestürzt, aber darum konnte er sich jetzt keine Gedanken machen. Das Capitol Imperialis schoss wiederum, und mehr Schnee fiel von den höchsten Berggipfeln. Hunderte Tyraniden kletterten an den Flanken des gewaltigen Fahrzeugs empor, und viele mehr warfen sich in die Ketten. Elektrizität entlud sich rings um den Rumpf, und grelle Explosionen hüllten ihn ein. Die Nahkampfgeschütze zerfetzten ganze Scharen angreifender Tyraniden, konnten mit der ständig wachsenden Anzahl aber nicht Schritt halten. Stagler machte seinen Kom-Offizier mit einem Fingerschnippen auf sich aufmerksam. »Verbinden Sie mich mit Oberst Rabelaq«,
befahl er, während er mit einem Anblick konfrontiert wurde, den er bis zu seinem Todestag nicht vergessen sollte. »Warum werden wir langsamer, verdammt?«, wollte Oberst Rabelaq wissen. »Herr Oberst, die Ketten sind verklemmt. Wir sind bewegungsunfähig«, kam die Antwort. Der Oberbefehlshaber des Logres-Regiments eilte zur SensorStation, wo Dutzende kleiner Datentafeln Bilder der AußenAufzeichner zeigten. Jede stellte flackernde Szenen des Gemetzels dar, buchstäblich Tausende aus der Tyranidenbrut, die das Capitol Imperialis umschwärmten. Viele Hundert Boltkanonen spien einen beständigen Strom von Geschossen in die Tyranidenhorde, konnten aber nicht alle aufhalten. Er spürte die Vibrationen des gedämpften Rückschlags der Behemoth-Kanone und hörte das Kreischen der tödlichen Ungeheuer sogar durch den dicken Rumpf seines Kommandofahrzeugs, da sie darum kämpften, zu den Menschen in diesem gepanzerten Ungetüm vorzudringen. Hunderte, vielleicht Tausende Bestien hatten sich in die gewaltigen Ketten des Capitol Imperialis geworfen, um es an der Flucht zu hindern, und das Ausmaß dieser bedenkenlosen Hingabe ängstigte Rabelaq bis in die Sohlen seiner Stiefel. Nicht einmal der rücksichtslose Macharius oder der charismatische Slaydo hatten diese Art von Gehorsam in ihren Männern wecken können. Ein entsetztes Atemholen riss ihn aus seinen Überlegungen, und als er aufschaute, sah er die riesige Bestie aus den wallenden Wolken aus Eiskristallen und giftigen Dämpfen auftauchen und alles vor sich zermalmen. Mehrere Beißzangen sabberten rings um ein höhlengroßes, schließmuskelartiges Maul mit wahrscheinlich Tausenden dicken Reißzähnen. Seim tropfte in dicken Schlieren ätzenden Geifers aus der Öffnung. Chitinbeine mit andersherum angelegten Gelenken wie bei einer Spinne schleppten den aufgeblähten Leib über das Eis, und Hunderte wuselnder Organismen krabbelten über die dicken Knochenplatten des oberen Panzers. »Bei allen Heiligen!«, flüsterte Rabelaq. »Alle Kraft auf die Autolader! Hauptgeschütz abfeuern, um des Imperators willen. Sofort!« »Herr Oberst! Oberst Stagler ist am Kom!«
»Ich habe jetzt keine Zeit für diesen Fanatiker!«, schnauzte er. »Hauptgeschütz abfeuern!« Noch durch die vielen Meter Adamantiumdeck und trotz der Dämpfer spürte er den donnernden Rückschlag der BehemothKanone. Das Ungeheuer erbebte unter dem Einschlag, und gewaltiger Jubel erfüllte die Kommandobrücke. Massive Brocken abgesprengter Materie segelten durch die Luft, und gewaltige Blutfontänen schossen aus einem riesigen Krater in der Flanke der Bestie. Das Ungeheuer sackte auf eine Seite, da ein Vorderbein nur noch an blutigen Strängen zerfetzter Muskeln hing. Dunkles Blut schoss aus der Wunde, überflutete den Graben und schmolz das Eis mit seiner Hitze. Ein Spalt öffnete sich in dem Sack an seinem Bauch und riss immer weiter auf, während sich das kreischende Ungeheuer weiter dem Capitol Imperialis entgegenschleppte. Tausende springender, schnappender Kreaturen und aufgeblähter Eier glitten aus der Wunde, nur um unter der Körpermasse der gewaltigen Bestie zerquetscht zu werden. »Mach schon, mach schon«, zischte Rabelaq, während er auf die Kontrolllämpchen auf der Hauptschalttafel starrte, die den Fortschritt des Nachladevorgangs tief unter ihnen auf dem Geschützdeck anzeigten. Er zwang sich, den Blick von der Tafel abzuwenden, und sah dann voller Entsetzen, wie sich das Tyranidenungeheuer aufbäumte und die Wunde an der Trefferstelle bereits wieder verheilte. Aus dem Bauch sprudelte kein Blut mehr, und neue Muskelstränge und Gewebe glitten bereits das verwundete Bein hinunter und reparierten durchtrennte Sehnen und Knochen. »Herr Oberst, Durchbrüche auf den Decks, zwo, drei und fünf!« »Herr Oberst, Maschinenraum meldet Eindringlinge!« »Herr Oberst, Nahkampfwaffen haben keine Munition mehr!« Rabelaq lauschte weiteren Meldungen, von denen eine schlimmer als die andere war, und wusste, dass sich seine Laufbahn als Soldat in der Armee des Imperators dem Ende zuneigte. Aus dieser Schlacht würde er nicht lebend hervorgehen, um in den nächsten Jahren in den Offiziersmessen immer wieder einen Toast auf sie auszubringen. Seltsamerweise beunruhigte ihn der Gedanke nicht so sehr, wie er immer angenommen hatte. Die Kommandobrücke erbebte unter einem gewaltigen Anprall,
als die gigantische Tyranidenkreatur gegen die Seite des Capitol Imperialis krachte. Er hielt sich an dem Messinggeländer fest, das den Holokartentisch umgab, als ein Ruck durch das Deck fuhr. Senatoren glitten von ihren Stühlen und baumelten an den Kabeln, die sie mit dem Deck befestigten, und die anderen Offiziere schrien, als der mächtige Leviathan kippte und sie gegen die Wand geschleudert wurden. Er konnte nichts mehr durch die Observationsbucht sehen, nur noch eine bebende Masse eitrigen Fleisches. Warnglocken läuteten, und Flammen zuckten aus zerschmetterten Konsolen. Glassplitter flogen, als verbogenes Metall auf den Kartentisch fiel und Dampf aus geborstenen Rohren schoss. Das Deck neigte sich weiter, und Rabelaq schnappte sich das Sprechgerät des Korns von der Seite des Funken sprühenden Kartentisches. »Hier spricht Oberst Octavius Rabelaq«, sagte er gelassen. »Oberst Stagler, wenn Sie das hören können, dann wissen Sie, was Sie zu tun haben. Rabelaq Ende.« Der Oberst ließ das Sprechgerät fallen und verlor den Halt am Geländer des Kartentisches, als das Capitol Imperialis schließlich Übergewicht bekam und auf das Eis krachte. Er segelte durch den Kontrollraum und prallte gegen die Ecke einer verbogenen Konsole. Er blieb reglos auf der explodierenden Kontrollbrücke liegen, während Blut und Hirnmasse aus seinem geplatzten Schädel sickerten. Als er in Bewusstlosigkeit versank, tröstete ihn lediglich die Vorstellung, dass man in den Regimentsmessen noch Jahre später über seinen Tod reden würde. Uriel beobachtete den Angriff des gewaltigen Bio-Titanen auf das gekippte Capitol Imperialis mit einer Mischung aus Grauen und Kummer. Oberst Rabelaq war ein guter Mann gewesen, und die Soldaten des Logres-Regiments würden seinen Verlust nur schwer verkraften. Sie alle hatten Oberst Rabelaqs letzten Befehl gehört und gesehen, wie Oberst Stagler den Geschütztürmen den Feuerbefehl gab. Das Gekreisch der Tyraniden hallte von den Talwänden wider, als der Bio-Titan das umgestürzte Capitol Imperialis mit seinen riesigen Krallen aufriss und die dicke Panzerung dabei so leicht einriss, wie ein Kind ein Geschenk auspacken würde.
Dann verwandelte sich die Dämmerung in grelles Tageslicht, als jedes schwere Artilleriegeschütz in der Stadtmauer das Feuer auf das umgestürzte Vehikel eröffnete. Das zerfetzte Wrack war von feurigen Explosionen erfüllt, die viele Hundert der kleineren Kreaturen einäscherten, welche sich gerade einen Weg in das Vehikel bahnten. Uriel war klar, dass es vielleicht noch Überlebende in dem Wrack gab, aber er wusste auch, dass dies ein gnädigerer Tod war als alles, was die Tyraniden anzubieten hatten. Eine riesige Pilzwolke schraubte sich in den Himmel, als der anhaltende Beschuss schließlich den Maschinenraum erreichte und den Plasmareaktor darin zur Explosion brachte. Unerträglich grelle Lichtblitze stachen aus dem Wrack, als die Plasmakammern hochgingen und alles im Umkreis von einem halben Kilometer verdampften. Als das Licht erlosch, sah Uriel einen tiefen Krater, der mit zischender, geschmolzener Biomasse gefüllt war. Der tödliche verwundete Bio-Titan trieb in einer magmaheißen Plasmasuppe, während das zu ultraheißem Dampf erhitzte Eis das Fleisch kochte und von den Knochen abfallen ließ. Nicht einmal die furchterregenden regenerativen Kräfte des Ungeheuers konnten es noch retten, und es kreischte und strampelte in seinen Todeszuckungen. Schmelzwasser floss in den Krater und bildete einen rasch erkaltenden See. Zischende Wolken wogten, da das Plasma den größten Teil des Wassers verdampfte, doch bereits Minuten später kündete nur noch ein erstarrter, mit Eis gefüllter Krater von der dort stattgefundenen titanischen Auseinandersetzung, der für viele Tausend Tyraniden und auch für die sterblichen Überreste von Oberst Octavius Rabelaq zur letzten Ruhestätte geworden war. »In Mortis est Gloriam«, flüsterte Uriel.
ZWÖLF In den nächsten vier Tagen warfen sich die Tyraniden gegen die Stadtmauern und verloren dabei jedes Mal viele Tausend ihrer Organismen, aber der nächste Angriff erfolgte immer mit derselben Heftigkeit, und die Zahl der Angreifer schien ebenfalls nicht abzunehmen. Die Berge toter Tyraniden türmten sich vor der Mauer so hoch auf, dass ihre Masse das Eis auf dem Wassergraben bersten ließ. Flammenwerfer verbrannten die Überreste, so
gut es ging, aber die schiere Masse der Leichen konnte vor der nächsten Angriffswelle niemals ganz beseitigt werden. Jeder Angriff begann mit einer Kanonade von Bio-Granaten, die von aufgeblähten Kreaturen mit pumpenden Halskrausen aus Knochen ausgeführt wurden, deren verschmolzene Vorderglieder sich zu Kanonen entwickelt hatten. Riesige Breschen waren bereits in die Mauer gesprengt worden, aber da sie als Stufenkonstruktion in den abfallenden Boden eingelassen war, sprengten sie wenig mehr als das Felsgestein des Bergs. Danach feuerten ungeschlachte Bestien mit langen knochigen Gliedmaßen einen Regen fleischiger Kapseln auf die Verteidiger hinter der Mauer ab. Jedes dieser Geschosse explodierte in der Luft und verströmte Giftgaswolken, welche die Frontlinie einhüllten und viele Soldaten töteten und noch mehr verwundeten. Nachdem sich die Lazarette mit Soldaten füllten, die durch ätzende Dämpfe geblendet worden waren oder sich die Lunge aus dem Leib husteten, wurde es nötig, dass die Krieger der Adeptus Astartes den ersten Angriffen begegneten. Sie allein konnten hoffen, den tödlichen Giften zu widerstehen, die vor Beginn jedes Angriffs gegen die Verteidiger zum Einsatz kamen. Nach dem Bombardement füllte sich die Ebene vor der Stadt rasch mit zischenden Tyranidenbestien, die aus ihren von blinden Grabkreaturen geschaffenen Schneehöhlen krochen. Nur wenige Tyranidenspezies konnten eine Nacht ohne Schutz überleben, wenn die Temperatur auf vierzig Grad unter null sank, und die Dunkelheit war für die Verteidiger von Erebus die einzige Atempause von dem Grauen. Elektrische Feuer und giftige Flammenzungen, zwitschernde Verschlingerkreaturen und Knochensplittergranaten hämmerten erbarmungslos gegen die Mauer, und als die Verluste anstiegen, fiel die Entscheidung, die erste Mauer aufzugeben. Von der Brustwehr war kaum noch etwas übrig, und die kleineren Kreaturen durchliefen einen neuen Evolu-tionsprozess und bildeten fleischige, in kräftigen Haken endende Ranken aus, die sie in die Lage versetzten, die steilen Mauern zu erklimmen. Die vielen in den Talwänden stationierten Geschütze hielten die Mehrheit der fliegenden Kreaturen in Schach, und nach dem Hinterhalt an der Stadtmauer ließ niemand mehr die Möglichkeit außer Acht, dass die Tyraniden Mittel und Wege für Angriffe aus Richtungen finden mochten, die bisher als unmöglich erachtet
worden waren. Einige Tyraniden waren durch die Kanalisation, vergessene Höhlen und sogar über die höchsten Berggipfel in die Stadt eingedrungen, und obwohl diese die Zivilbevölkerung massakrierten, konnten sie keinen einzigen Mann von der Front erübrigen, um diese Bestien aufzuspüren und zu töten. Einstweilen mussten sich die Einwohner von Erebus selbst verteidigen. Uriel erlebte die Kälte auf der Haut wie ein Brennen, begrüßte den Schmerz aber als Zeichen dafür, dass er noch lebte. Seine Rüstung war an unzähligen Stellen verbeult, eingerissen und verschrammt und dazu mit so viel Tyranidenblut besudelt, dass von ihrer ursprünglichen Farbe kaum noch etwas zu sehen war. Die Servomotoren in seinem linken Schulterschutz keuchten und pfiffen beim Gehen, das Ergebnis einer nicht allzu sanften Behandlung seitens eines riesigen Tyranidenkriegers. Techmarine Harkus hatte getan, was er konnte, um die Bewegungsfreiheit des autoreaktiven Schulterschutzes zu erhalten, doch ohne die richtigen gesegneten Werkzeuge war er gezwungen gewesen die Rüstung um Verzeihung zu bitten und nur eine provisorische Reparatur auszuführen. Seit der Zerstörung von Oberst Rabelaqs Capitol Imperialis hatte er nicht mehr geschlafen, und obwohl ihm sein Cataleptischer Knoten gestattete, weiter zu funktionieren, indem er den Tagesrhythmus seines Gehirns und dessen Reaktion auf Schlafentzug beeinflusste, spürte er doch eine bis ins Mark reichende Müdigkeit im ganzen Körper. Als er die vielen Tausend Männer betrachtete, die sich um die heißen Brenner versammelt hatten, spürte er, wie seine Hochachtung vor ihnen stieg. Wenn er schon so müde war, wie mussten sich dann erst die menschlichen Soldaten fühlen? Learchus, dessen Rüstung gleichermaßen ramponiert aussah, wirkte ausgeruht, seine Augen strahlten und der Gang war fest, als er neben seinen Hauptmann trat. »Guillaumes Fluch, aber diese Männer sind erschöpft«, sagte Uriel. »Aye«, gab Learchus ihm recht. »Das sind sie, aber sie werden es aushalten. Ich weiß es.« »Sie haben die Männer gut ausgebildet, Bruder-Sergeant.« »So gut, wie der Codex es verlangt«, sagte Learchus mit einem
Anflug von Tadel im Tonfall. Uriel ignorierte den sanften Verweis seines Sergeants, während sie die Gebäude des Bezirks Quatros verließen und auf die verwüstete Ebene vor der zweiten Mauer traten. Wo es früher von Fabriken, Produktionshallen und Häusern gewimmelt hatte, gab es jetzt nur noch vereiste Beton-Rechtecke, die anzeigten, wo sie früher einmal gestanden hatten. Reihen mit Ölfässern, die man mit allen gerade vorhandenen brennbaren Materialien gefüllt hatte, brannten und sorgten für eine Lufttemperatur gerade über dem Gefrierpunkt. Viele Soldaten waren in den kalten Nächten bereits erfroren, wo sie lagen, so dass ihre Kameraden bei Tagesanbruch die festgefrorenen Leichen hatten losbrechen müssen. Der Rat von Erebus, der ursprünglich Learchus' Entscheidung unterstützt hatte, die Gebäude einzureißen, um den Tyraniden jegliche Deckung zwischen den Mauern zu nehmen, hatte sich quergestellt, als ihnen schließlich die volle Tragweite der Entscheidung aufgegangen war. Simon van Gelder war Wortführer der lautesten oppositionellen Gruppe, und in einer überraschend kühnen Maßnahme hatte Sebastien Montante den Rat von Erebus aufgelöst und Oberst Stagler bis zur Vernichtung der Tyraniden den Oberbefehl über die Stadt übertragen. Es verblüffte Uriel, dass Menschen am Rande der Auslöschung noch über solch unbedeutende Dinge wie Eigentum und Wohlstand streiten konnten. Diese Welt mochte den Namen der Ultramarines tragen, aber ihre Führer hatten den Lehren des Primarchen schon lange abgeschworen. Doch als er und Learchus zur Stadtmauer gingen, war er von Liebe für die Soldaten erfüllt, die der Flut der tyranidischen Invasoren trotzig widerstanden. Hier war der Geist von Ultramar am besten verdeutlicht. Im gemeinen Soldaten, der sich gegen das Grauen des Alls zur Wehr setzte und bereit war, für den Schutz dessen, woran er glaubte, zu sterben. Die beiden Space Marines blieben an einem der strahlenden Feuer am Rande der Mauer stehen und nickten den Soldaten zu, die sich um diese vergängliche Wärme geschart hatten. Uriel ließ den Blick über den verwüsteten Boden zwischen den beiden Mauern zu den Massen der vor ihm versammelten Tyraniden wandern. Der kollektive Atem von Millionen Kreaturen erfüllte das Tal und klang wie das Schlafgeräusch einer einzigen riesigen Bestie. Wahrscheinlich würde es nicht so einfach sein, aber wenn
Lordadmiral Tiberius' Plan gelang, dann vielleicht doch. Er hatte sich nach der Ratsauflösung mit Sebastien Montante beraten, als er ihn dabei angetroffen hatte, wie er unbeholfen in einen Thermalanzug gestiegen war und sich einen Munitionsgurt umgelegt hatte. »Was haben Sie vor, Fabrikator Montante?«, hatte Uriel gefragt. »Jetzt, wo der Rat aufgelöst wurde, ist es wohl an der Zeit, dass ich ein Gewehr in die Hand nehme und kämpfe, meinen Sie nicht auch?« Uriel verschränkte die Arme und sagte: »Wann haben Sie das letzte Mal mit einer Waffe geschossen, Fabrikator?« »Äh, lassen Sie mich nachdenken... wahrscheinlich in der Grundausbildung, als ich meinen Wehrdienst bei den Planetaren Streitkräften abgeleistet habe.« »Und wie lange ist das her?«, setzte Uriel nach. Montante hatte den Anstand, verlegen auszusehen, als er sagte: »Ungefähr dreißig Jahre, aber ich muss kämpfen, verstehen Sie das denn nicht?« »Doch, ich verstehe es, Sebastien, keine Sorge. Sie sind einer der besten Logistiker, die mir je begegnet sind, und Ihr Platz ist hier. Sie haben dafür gesorgt, dass die Soldaten Essen und Munition bekommen, und Zeit, Mühe und Geld investiert, um zu gewährleisten, dass alle Bedürfnisse unseres Militärs befriedigt werden. Aber Sie sind kein Soldat, Sebastien, und Sie würden in den ersten Minuten eines Angriffs sterben.« »Aber...« »Nein«, sagte Uriel entschieden, aber nicht unfreundlich. »Sie können Ihrer Stadt in anderer Hinsicht besser dienen.« »Wie zum Beispiel?« »Sie könnten mir zum Beispiel alles über die orbitalen Verteidigungseinrichtungen von Erebus erzählen: wo sie sind, wie ihr Status ist und wie wir sie wieder dazu bringen können zu schießen.« Montante schaute verwirrt drein. »Aber davon ist nichts mehr übrig, Uriel. Die Torpedosilos haben ihre Munition verbraucht, und die Abwehrlaser haben geschossen, bis ihre Energiekondensatoren leer waren.« »Tun Sie mir den Gefallen«, sagte Uriel. Und das hatte er. Uriel und Montante hatten die nächsten zwei Stunden über Karten verbracht, Berechnungen zu Reichweiten
und Verhältnissen von Treibstoff zu Gewicht angestellt und alle möglichen Variablen berücksichtigt, bis sie sich auf eine optimale Handlungsweise verständigt hatten. Nachdem er sich praktisch vergewissert hatte, dass der Plan des Admirals in der Tat ausführbar war, ließ Uriel Montante noch einen Eid schwören, dass er nicht versuchen würde, sich den kämpfenden Männern auf der Mauer anzuschließen, bis das Ende kam. Dann hatte er seine Idee den anderen Kommandeuren vorgetragen. Anfänglich skeptisch, hatte die kommandierenden Offiziere eine vorsichtige Erregung erfasst, als er die Resultate seiner und Montantes Arbeit skizzierte, denen daraufhin die ganze Tragweite des Plans aufgegangen war. Vorbereitungen waren bereits im Gange, und sie konnten nur ausharren, bis die Überreste in einer Position waren, aus der sie zuschlagen konnten. Das Unternehmen war für übermorgen angesetzt, und Uriel wollte unbedingt anfangen. Sie hatten sich schon viel zu lange vor den Tyraniden zurückgezogen. Jetzt hatten sie die Möglichkeit, sich zu wehren. Kryptmans bevorzugter Mechanicus hatte ihnen eine Waffe versprochen, die sie gegen die Tyraniden würden einsetzen können, aber noch nichts geliefert. Die Zeit wurde knapp für Locard, und Uriel wusste, dass der Plan des Admirals ihnen die besten Aussichten bot, diesen Krieg zu beenden. Sie waren nicht rosig, aber ein Blick auf die Masse des Tyranidenschwarms reichte für die Gewissheit, dass sie keine anderen hatten. Als er sich von der Mauer abwandte, sah er Learchus neben dem Brenner stehen, die Hände zu den Flammen ausgestreckt. Uriels Stirn runzelte sich vor Verwirrung, denn er wusste, dass Learchus in seiner Servorüstung sowohl vor Hitze als auch Kälte perfekt geschützt war, bevor ihm aufging, dass sein Sergeant ganz unbewusst die Männer ringsumher nachahmte. Er lächelte und hörte sich an, was Learchus sagte, als er Ordenspriester Astador und Major Satria kommen sah. Von anderen Feuern kamen Männer zu ihnen herüber, während Learchus lauter redete, um von mehr Soldaten gehört zu werden. »Ihr habt mit Mut und Ehre gekämpft«, sagte Learchus, »und alles für den Kampf gegeben. Niemand kann mehr tun. Böse Nichtmenschen greifen uns von allen Seiten an, doch obwohl ihr von Tod und Gemetzel umringt seid, ist keiner von euch bereit, auch nur einen Schritt zurückzuweichen. Ich bin stolz auf euch
alle.« »Sie haben uns gut ausgebildet, Sergeant Learchus«, rief Major Satria. »Nein, die Größe war längst in euch allen, ich wusste nur, wo ich sie suchen musste. Eure Einheit heißt Wehrlegion Erebus, also seid ihr die Beschützer eures Volkes. Aber ihr seid mehr als das. Der Bruderschaftseid, der zu Anbeginn des Imperiums zwischen eurer und meiner Welt geleistet wurde, bindet uns fester zusammen als die stärksten Adamantiumketten.« Learchus reckte eine Faust in den Himmel und rief: »Ihr seid Krieger von Ultramar, und ich bin stolz darauf, euch Brüder nennen zu können.« Gewaltiger Jubel hallte von den Talwänden wider. Schneehund holte die letzten beiden Gewehre aus der Kiste und zerstampfte sie zu Kleinholz. Tigerlily und Lex sammelten das Holz in großen Plastikbeuteln, um es den vielen Tausend Leuten, die sich jetzt im Lagerhaus und den angrenzenden Gebäuden aufhielten, als Feuerholz verkaufen zu können. Er reichte Jonny Stampfer ein fabrikneues Lasergewehr mit zwei mit Klebeband am Schaft befestigten Magazinen. Die Waffe sah in Jonnys schaufelartigen Händen absurd klein aus, und Schneehund grinste. »Ich sehe zu, dass ich was Besseres für dich finde, Großer«, versprach er. »Gut«, grunzte Jonny. »Diese Winzgewehre bringen's einfach nicht, Schneehund.« »Hey, mehr haben wir nicht.« Die Munition für Jonnys Granatwerfer war längst verbraucht, und er war unzufrieden mit allem, was weniger Zerstörungskraft hatte. Und sie hätten ganz sicher etwas Stärkeres brauchen können. Zahl und Heftigkeit der Angriffe auf das Lagerhaus hatten in den letzten Tagen zugenommen, als wüssten die Ungeheuer, dass hier ein nettes Festmahl auf sie wartete. Bis jetzt erledigten die Waffen, die sie aus den Beständen der Garde abgezweigt hatten, ihre Aufgabe zufriedenstellend, und Lex' Bomben erwiesen sich gegen die Ungeheuer als ebenso wirksam wie früher gegen die Arbites. Aber Schneehund wusste, dass sie bald mehr brauchen würden. Er sagte: »He, Trask, fang auf«, und warf ihm ein funkelndes Autogewehr mit einer Schachtel Magazine zu. Die Waffe polterte
auf den Boden, weil Trask zu sehr damit beschäftigt war, einen hässlichen roten Hautausschlag zu kratzen, den er auf einer Seite seines Gesichts und am Hals bekommen hatte. Der Ausschlag machte seine hundeartigen Züge noch unansehnlicher, und er kratzte ständig an der abblätternden, scheckigen Haut. »Verdammt, Trask, du musst besser aufpassen«, sagte Schneehund. Trask antwortete mit einer obszönen Geste, wandte sich ab und ging in das von Lärm erfüllte Lagerhaus zurück. Schneehund schlug sich alle Gedanken an Trask aus dem Kopf und ging dorthin, wo jene Männer, die er als relativ vertrauenswürdig eingestuft hatte, den Rest seiner Vorräte bewachten. Es war immer noch eine Menge übrig, aber jeden Tag kamen auch mehr Leute hinzu. Sein Vermögen wuchs ständig, da ihm verzweifelte Leute für das, was sie brauchten, alles gaben, was sie besaßen. Antiseptisches Spray? Kostet 'ne Kleinigkeit. Proviant für die Kinder? Kostet 'ne Kleinigkeit. Im Grunde war es ganz schlichte Ökonomie: Angebot und Nachfrage. Sie wollten seine Vorräte, und er verlangte dafür ihr Geld. Wenn das hier vorbei war, würde er reich sein, und dann konnte er alles machen. Mit den Nachtschleichern ehrbar werden oder sie sich selbst überlassen und weiterziehen er wusste noch nicht, wie er sich entscheiden würde, aber mit so viel Geld in der Tasche waren seine Möglichkeiten grenzenlos. Vielleicht würde er diesen Planeten sogar verlassen und sich auf einer jungfräulichen Welt niederlassen, die nur auf einen Mann mit seinen Talenten wartete, um sie zu erschließen. Zufrieden, dass alles so war, wie es sein sollte, schulterte er seine Schrotflinte und ging zurück ins Lagerhaus. Beinahe dreitausend Menschen hockten hier eng aufeinander und bedeckten buchstäblich jeden Quadratmeter Bodenfläche. Schwelende Brenner hielten die schlimmste nächtliche Kälte fern, und der gestohlene kalorienreiche Proviant, der speziell für WinterUnternehmungen konzipiert war, wurde rationiert und geteilt und ernährte ganze Familien. Zerfledderte Planen boten ein wenig Privatsphäre für jene, die etwas damit anfangen konnten. Nur die Kälte hinderte den Geruch so vieler ungewaschener Leiber daran, alles einzustänkern.
Tigerlily ging durch das überfüllte Lagerhaus, und obwohl er wusste, dass sie Feuerholz einfach verschenkte, ließ er es ihr durchgehen, weil er sich dachte, dass es gut war, sie bei Laune zu halten. Niemand konnte besser mit einem Messer umgehen, und er hatte sie oft genug in Aktion erlebt und wusste, dass es keine gute Idee war, sie wütend zu machen. Das Lagerhaus war von leisem Schluchzen und Stimmengemurmel erfüllt. Feindselige Blicke folgten ihm überall hin, aber das störte ihn nicht. Sie mochten ihn hassen, aber sie brauchten ihn auch. Ohne ihn waren sie alle so gut wie tot. So einfach war das, und wenn er dabei ein Vermögen verdiente, war das nur umso besser. Auf dem Weg zur Vorderseite des Lagerhauses hörte er einen unterdrückten Schrei hinter einer hochgezogenen Plane. Das war hier drin ein weit verbreitetes Geräusch, und Schneehund beachtete es nicht weiter, bis er eine vertraute Stimme zischen hörte: »Halt die Klappe, Mädchen. Dein Mann war einverstanden, also halt dein verdammtes Maul und lieg still.« Sofort machte Schneehund auf dem Absatz kehrt und lud die Schrotflinte durch. Er riss die Plane beiseite und fauchte vor Wut, als er sah, dass Trask ein weinendes Mädchen auf den Boden gedrückt hatte, deren Kleid über die Hüften hochgeschoben war. »Trask, du Arschloch! Ich hab doch gesagt, das läuft hier nicht mehr!« »Leck mich, Schneehund«, schnauzte Trask, indem er sich erhob. »Sie hatten kein Geld!« »Ich habe nein gesagt«, wiederholte Schneehund. Er trat vor und rammte Trask die Schrotflinte ins Gesicht. Der massive Holzschaft brach ihm mit scharfem Knacken die Nase. Er ließ einen Tritt zwischen die Beine folgen. Trask fiel auf die Knie, die Hände in den Schritt gepresst, während ihm das Blut aus der Nase spritzte. Schneehund wirbelte die Schrotflinte herum und rammte Trask den blau schimmernden, stählernen Lauf zwischen die Beine. »Das nächste Mal drücke ich ab, schon wenn ich bloß den Verdacht habe, dass du das noch mal versuchst. Hast du begriffen?« Trask hustete Blut und Schleim. »Ich hab dich gefragt, ob du begriffen hast?«, bellte Schneehund. »Ja, ja«, hustete Trask. »Ich hab's begriffen, du Schwein.« »Geh mir aus den Augen, Trask«, schnauzte Schneehund.
Sein Gesicht war eine blutige Fratze, als Trask sich unter Schmerzen aufrappelte und davontaumelte, während er kichernden Leuten zurief, sie sollten das Maul halten. Schneehund holte tief Luft und hielt dem weinenden Mädchen die Hand hin. Sie schüttelte den Kopf, während die Tränen saubere Streifen durch den Schmutz auf ihrem Gesicht zogen. »Dann nicht«, sagte Schneehund achselzuckend, indem er ein paar zerknitterte Geldscheine aus der Hosentasche zog. Er warf sie ihr zu und sagte: »Ich bin vieles, aber so tief werde ich nie sinken. Hast du mich verstanden?« Das Mädchen nickte eifrig, stopfte das Geld in ihr Kleid und eilte davon. Schneehund sah ihr nach, während Silber hinter ihm auftauchte und ihm die Arme um die Hüften legte. »Er wird dich töten, wenn du ihm nicht zuvorkommst«, sagte sie. »Nicht Trask«, sagte Schneehund. »Der hat nicht den Mumm, mir von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten.« »Ich weiß. Deshalb solltest du immer darauf achten, was hinter deinem Rücken vorgeht.« »Das werde ich«, versprach Schneehund. Lord Inquisitor Kryptman zitterte trotz seiner dicken Gewänder und des Thermogenerators, der neben ihm hell brannte. Sein Atem bildete Wolken in der Luft, und der Gestank des auf Befehl von Magos Locard auf der Esplanade hinter der Mauer zusammengetragenen Leichenbergs verursachte ihm eine immer stärkere Übelkeit. Seit über zwei Jahrhunderten studierte, sezierte und tötete er Tyraniden, aber er hatte sich nie an ihren widerlichen fremdartigen Geruch gewöhnen können. Je eher diese Rasse ausgelöscht werden konnte, desto besser. Sein persönliches, von Hauptmann Bannon angeführtes Gefolge aus Sturmtruppen sowie zwei Mitgliedern der Deathwatch umringte sie, und Boltgewehre und Plasmawaffen zeigten nach draußen in die Nacht. »Irgendwas?«, rief er Locard zu, der bis zur Taille in Eingeweiden der Tyraniden steckte. Seine Gewänder waren besudelt, seine Mechadendriten durchsuchten den organischen Abfall, und eine Gensonde summte leise in seinen Händen. »Nein, Lord. Alle von mir bisher untersuchten Kreaturen sind
Mutationen mindestens der sechsten Generation und daher ungeeignet.« »Verdammt«, fluchte Kryptman. »Also gut, verbrennt sie. Verbrennt sie alle.« In die Dunkelheit gehüllt, glitt der Liktor durch die Stadt und dorthin, wo die Pheromonspur seiner Artgenossen am stärksten war. Sie zog ihn zur Taleinmündung, und der Liktor bewegte sich verstohlen und rasch wie ein huschender Schatten, der von einer Deckung zur anderen glitt, lautlos und unsichtbar, sogar für jene, die er tötete. Gelegentlich begegnete er Beute, die er umbrachte, um seine Energiereserven aufzufrischen, bevor er weiterschlich. Der Liktor bog um die Ecke einer Gebäuderuine und spürte, wie die vor ihm liegende Szenerie binnen eines Herzschlags von seinen Sinnesrezeptoren erfasst wurde. Er spürte Wärme, tote Artgenossen und eine Pheromonsignatur, die ganz sicher auf die Anwesenheit eines Anführers der Beutewesen hindeutete. Hauptmann Bannons Blicke huschten von einer Seite zur anderen, während Inquisitor Kryptman und Locard ihre widerlichen Autopsien an den Tyranidenleichen vornahmen, die sie befehlsgemäß gesammelt hatten. Zu welchem Zweck, das wusste Bannon nicht, und es war ihm auch egal, solange es den Verteidigern half, diese Xenos auszulöschen. Er und seine Männer hatten sich alle Mühe gegeben, jedem Trupp Soldaten die besten Kampfmethoden gegen die Tyraniden beizubringen, ihnen jede Schwachstelle in ihrer natürlichen Rüstung zu zeigen und sie auf verwundbare Organe und die korrekten Lieder hinzuweisen, die sie vor und nach dem Kampf zu singen hatten. Es war eine mühselige Arbeit, doch sie zahlte sich aus, da die täglichen Verlustzahlen zwar immer noch entsetzlich waren, aber nicht mehr so hoch wie zu Beginn. Bannon war klar, dass dies zum Teil auch darauf zurückzuführen war, dass die schwächeren Männer bereits gefallen und nur noch die stärkeren übrig waren, aber die Männer von Erebus hatten schnell gelernt, und er wusste, dass die Verluste auf Seiten der Tyraniden erheblich höher waren. Die Ultramarines und die Mortifactors hatten ihn im Kampf beeindruckt, obwohl er kaum glauben konnte, dass sie tatsächlich
denselben genetischen Ursprung hatten. Er selbst und seinesgleichen stammte vom gesegneten Rogal Dorn ab, und er fragte sich kurz, wie viele Nachfolgeorden der Imperial Fists wohl von den ursprünglichen Lehren abgewichen waren. Nicht viele, nahm er an, wenn die Black Templar ein Maßstab waren, an dem man sich orientieren konnte. »Hauptmann Bannon«, sagte Inquisitor Kryptman. »Lord Inquisitor?« »Hier gibt es nichts von Wert. Verbrennen Sie alles.« Bannon bestätigte und nickte Bruder Elwaine zu, ursprünglich ein Mitglied des Ordens der Salamander, der seinen Flammenwerfer hob und den Leichenberg in eine Wand aus brennendem Prometheum hüllte. Sein Mund zuckte in einem zufriedenen Lächeln, als er beobachtete, wie die Kadaver verbrannten. »Bruder-Hauptmann«, knurrte Henghast von den Wolfskriegern. »Feind in der Nähe!« Bannon hatte keinen Grund, an den Sinneswahrnehmungen des Wolfskriegers zu zweifeln, aber bevor er mehr tun konnte, als sich nach außen zu orientieren, war der Feind bereits bei ihnen. Ein Mitglied der Sturmtruppen des Inquisitors wurde vom Boden gehoben, als eine Vielzahl von Dornen in einer Wolke aus Blut und Knochen aus seinem Rücken austraten. Waffen feuerten blind in die Dunkelheit, da die Soldaten ins Feuer geschaut und ihre Nachtsicht vorübergehend verloren hatten. Noch ein Soldat fiel, als ihm der Sensenhieb massiver Chitinkrallen die Beine unter dem Körper wegrasierte. Er sah das Wesen im flackernden Flammenschein. Ein Liktor, die oberen Krallen entblößt und blutverschmiert. Er hob sein Boltgewehr, zielte auf die Schnittstelle zwischen Thorax und Beinen und feuerte eine krachende Salve ab. Der Liktor wirbelte vor seinen Schüssen davon und verschwand hinter dem Scheiterhaufen aus brennenden Tyraniden. Bannon folgte ihm und rief: »Henghast, nach links! Elwaine, Feuerschutz!« Elwaine baute sich breitbeinig auf und hielt seinen Flammenwerfer bereit, während sich Henghast dem Scheiterhaufen von der anderen Seite näherte. Kryptman hatte seine Pistole gezogen, und Locard wandte den Kopf nach links und rechts und redete aufgeregt auf den Inquisitor ein. Er konzentrierte sich auf die Umgebung und darauf, das Ge-
schrei der durch den Liktor Verwundeten zu ignorieren. Die Bestie war verdammt schnell. Woher war sie gekommen? Bannon hörte sie einen Augenblick, bevor sie angriff. Starke Muskeln ließen den Liktor den Scheiterhaufen überspringen, und seine Krallen zielten direkt auf Bannons Herz. Er hechtete zur Seite, rollte sich ab und schoss in einer einzigen fließenden Bewegung. Die Krallen des Liktors kratzten durch Beton, durchschnitten seinen Schulterschutz und verwundeten ihn. Seine Schüsse verfehlten ihn, da der Liktor in eine Flammenzunge gehüllt wurde. Aber er war schon nicht mehr da, sondern hatte sich bereits aus Elwaines Schusslinie gebracht und den Space Marine von den Beinen geholt. Krallenhände entrissen ihm den Flammenwerfer, und die Arme ruckten in einer roten Flut aus den Schultergelenken. Elwaine ging mit einem Schmerzensschrei zu Boden und trat noch einmal nach der Bestie, als diese ihm den Bauch aufschlitzte. Bannon schoss erneut, und diesmal entlockte er dem Liktor einen Schmerzensschrei, da seine Boltgeschosses den Chitinpanzer durchschlugen. Die Bestie fuhr blitzschnell herum, und Dornenranken peitschten heran und durchbohrten sein Boltgewehr. Die Waffe explodierte, als sich die Treibladungen in den angebohrten Patronen entzündeten, und die Hitze schmolz Bannons Panzerhandschuh, während der Space Marine auf den Rücken. Der Liktor wurde von einem Plasmagewehr getroffen, und über dessen Gekreisch hinweg hörte Bannon Kryptmans Stimme. »Nicht töten! Um des Imperators willen, nicht töten!« Er raffte sich auf, als der Liktor auf ihn losging, zog sein Kampfmesser und sprang ihm entgegen. Im Sprung ging ihm auf, dass der Liktor gar nicht auf ihn losging. Sein Ziel war Inquisitor Kryptman. Der Inquisitor schoss aus nächster Nähe und zerstrahlte einen Teil des Oberschenkels der Bestie. Sie stolperte, aber die scherenartigen oberen Krallen zuckten herab, um den Inquisitor aufzuschlitzen. Dann war Henghast da, und sein Energieschwert zuckte herab und wehrte den Schlag ab. Der ehemalige Wolfskrieger wirbelte geduckt heran und durchschlug mit seinem Schwert die oberen Krallen des Liktors, aus denen schwarzes Blut schoss. Der Liktor
brüllte vor Wut, und wieder schlugen seine Dornenranken zu und wickelten sich um den Schwertarm des Space Marines. Das untere Armpaar stieß vor, durchbohrte Henghasts Rüstung und schleuderte ihn durch die Luft. Blut spritzte immer noch aus den abgetrennten Klauen, während sich Bannon mühte, mit den versengten Händen sein Schwert zu ziehen. Seine Servorüstung pumpte schmerzstillende Drogen in seinen Blutkreislauf. Der Liktor entfernte sich vom Feuer, da seine Wunden ihn in die Flucht schlugen, bevor er ihn erreichen konnte. Er stolperte zum Inquisitor und zu Locard. Beide lebten noch. Sie waren erschüttert, aber am Leben. »Fangen Sie ihn, Bannon!«, zischte Kryptman, »aber um der Liebe des Imperators willen, töten Sie ihn nicht. Wir brauchen ihn lebend!« Er stolperte hinter dem Ungeheuer her, das zur Stadtmauer lief, und rief dabei in seinen Kom: »Uriel, Astador, an alle, die mich hören! Ich brauche Hilfe. Ich verfolge einen Liktor, der in nordwestlicher Richtung zur Mauer flieht. Nähern Sie sich meiner Position und wenn Sie ihn sehen, nehmen Sie ihn gefangen. Ich wiederhole: Nehmen Sie ihn gefangen, aber töten Sie ihn auf keinen Fall!« Uriel, Pasanius und zehn Krieger der Vierten Kompanie eilten von der Mauer Bannon entgegen. Er hatte gerade mit seinen Männern gebetet und staunte über den letzten Teil der Botschaft. Ein Liktor war los, und sie sollten ihn nicht töten? »Ausschwärmen«, befahl Uriel. »Warum im Namen von allem, was heilig ist, können wir die verdammte Bestie nicht umbringen?«, sagte Pasanius. »Das weiß ich nicht, aber Bannon muss einen guten Grund haben.« »Wie sollen wir den Liktor sehen? Ich dachte, diese Dinger hätten Chamäleon-Eigenschaften?« »Folgt einfach dem Geschrei«, sagte Uriel, der jetzt Schmerzensschreie etwa hundert Meter weiter links hörte. Die automatischen Sensoren seiner Rüstung durchdrangen die Dunkelheit mühelos, und er sah die schimmernden Umrisse der Kreatur, wie sie sich durch die Postenkette der Trupps metzelte. »Sofort zu mir!«, rief Uriel und eilte zum Liktor. Er nahm Verbindung zu Bannon auf. »Ich sehe den Liktor, er ist im Nordsektor
Delta!« Ob das Ungeheuer töten musste oder einfach nur Freude dabei empfand, wusste Uriel nicht, aber es hatte aufgehört, die dort stationierten Männer niederzumetzeln. Uriel hob die Waffe, und sein Finger krümmte sich um den Abzug, bis ihm wieder einfiel, dass er das Wesen nicht töten durfte. Es lief vor ihm weg und sprang zur Felswand. Seine Dornenranken bohrten sich in den Fels, und es hangelte sich rasch daran empor. »Er entkommt!«, rief Pasanius. »Nicht, wenn ich es verhindern kann«, fauchte Uriel und schaltete sein Boltgewehr auf Einzelfeuer. Der Liktor erklomm die Felswand in sprunghaften Sätzen, da mehrere seiner organischen Kletterhaken nutzlos an ihm herabhingen. Uriel sagte: »Bolt-Verbindung«, und zielte sorgfältig über den Lauf seiner Waffe. Entfernungsvektoren und ein Fadenkreuz erschienen auf seinem Visier und zeigten die Stelle an, wo das Geschoss treffen würde. Er wartete, bis der Punkt rot blinkte, und drückte ab. Die Waffe bockte in seiner Hand, und ein Teil der Felswand explodierte, als das Geschoss sie sprengte. Der Liktor kreischte frustriert, als seine Fleischhaken aus dem Gestein gesprengt wurden und er hundert Meter tief den Hang hinunterfiel und mit einem widerlichen Klatschen am Boden aufschlug. Der Liktor richtete sich benommen auf, als Uriel und Pasanius sich auf ihn warfen und mit ihrem Gewicht auf dem Boden festnagelten. Er wehrte sich schwach und riss an ihrer Rüstung, aber als mehr Ultramarines eintrafen, konnten sie die strampelnde Kreatur schließlich zähmen. Bannon näherte sich mit weiteren Mitgliedern der Deathwatch im Schlepptau. Drei seiner Männer hatten ein extrem dehnbares Kabel bei sich, das einen Leman Russ tragen konnte. »Fesselt ihn«, befahl er.
DREIZEHN In einem höhlenartigen Hangar im Fels auf dem Familienbesitz der van Gelders in den Bergen belud eine beachtliche Armee aus Stapler-Servitoren und Arbeits-verpflichteten ein längliches silbergraues Raumschiff namens Herrlichkeit mit ungezählten ver-
siegelten Kisten. Die Schiffswandung war mit den Wappen hervorragender van Gelders aus der Geschichte geschmückt, und der Wert des Schiffs überstieg jede Vorstellung. Nicht bereit, das Verladen seines gesamten Besitzes einfachen Arbeitern zu überlassen, beobachtete Simon van Gelder, ehemaliges Mitglied des Rats von Erebus, ungeduldig von einer hohen Gerüstbrücke, wie seine gestressten Aufseher jede Kiste abhakten, wenn sie die Rampe zum geräumigen Laderaum der Herrlichkeit hinauf gekarrt wurde. Das Beladen des Schiffs zog sich nun schon über mehrere Stunden hin, und Simon wusste, dass er wegen des Umfangs seiner Besitzungen noch einige Zeit hier sein würde. Nun, das spielte keine Rolle. Wichtig war nur, dass der Ladevorgang beendet war, bevor diese Invasion noch weiter voranschritt. Er wollte verdammt sein, wenn er blieb und mit diesen Narren aufgrund eines überholten Ehrbegriffs starb. Ein Eid, den man einer lange toten - und wahrscheinlich mythischen Gestalt geschworen hatte, war überhaupt kein Eid und konnte ihn ganz gewiss nicht binden. Nein, er würde diesen Krieg überleben, und wenn es diesen Narren tatsächlich durch irgendeinen Zufall gelingen sollte, diese Tyraniden von Tarsis Ultra zu vertreiben, würde er mit seinem gesamten Vermögen zurückkehren, das dann nicht im Namen einer Militärstrategie dem Erdboden gleichgemacht worden sein würde. Diese sanften Schafe, die Montantes Scharwenzeln um diese Space Marines folgten, würden durch diesen Krieg ganz sicher bankrott gehen, und selbst wenn sie überlebten, würden sie sich nur an ihn wenden können, wenn sie ihr Wirtschaftsleben fortsetzen wollten. Der Gedanke an Montante, wie er ihn anflehte, in den Rat zurückzukehren und seine unfähige Regentschaft mit van Gelders Finanzen zu stützen, erfreute ihn gewaltig, und er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis er eine Stellung erreicht hatte, die ihm gestatten würde, Montante aus dem Amt zu drängen. Nicht lange, da war er ziemlich sicher. Die industriellen Bündnisblöcke waren für ihre Unbeständigkeit berüchtigt, und wenn die entscheidenden Leute geschmiert und die richtigen Taschen gefüllt wurden, würde es ein Kinderspiel sein, dafür zu sorgen, dass seiner Nominierung auch Erfolg beschieden sein würde. Simon zog eine dicke Zigarre aus dem langen Gehrock, zündete
sie mit einem kleinem goldenen Feuerzeug art und blies eine ausgedehnte Reihe von Rauchringen. Ein Sicherheits-Servitor nahm den Rauch wahr und marschierte steif auf ihn zu. Ein rotes Licht blinkte auf seiner Brust, als er sagte: »Dies ist eine geschützte Zone, und das Entzünden brennbarer Materialien ist verboten. Löschen Sie alle offenen Flammen und bereiten Sie sich auf einen Tadel vor.« Simon winkte den Servitor weg und schnauzte: »Verschwinde. Autorisierungscode Gelder neun-alpha-primus.« Der Servitor machte kehrt und marschierte davon, während Simon den Kopf schüttelte und über die Brücke zu einer gepanzerten Brandschutzschleuse schlenderte, die auf einen Balkon mit Blick auf die Stadt führte. Ein anderer Servitor öffnete die in den Fels eingelassene Tür, da seine Arme mit Kolben verstärkt waren, welche das schwere Handrad mit Leichtigkeit drehten. Die Tür öffnete sich knirschend, und kalte Luft zischte herein. Simon raffte seinen isolierten Gehrock zusammen und trat hinaus in das verblassende Licht des Abends. So hoch im Berg peitschte der Wind wie ein Skalpell und schnitt ihm mit eisiger Klinge bis ins Mark. Weit im Westen hörte er das metallische Klirren der Schlacht, und die Schreie der Kämpfenden wurden mit dem durch Erebus heulenden Wind nach Osten getragen. Seine Verachtung für alles, wohin diese Männer des Krieges sie geführt hatten, kannte keine Grenzen, und das Verlangen, all das zu überleben, erfüllte ihn wieder. Knatterndes Geschützfeuer ertönte aus dem Tal von einer Stelle in der Nähe von Montantes Palast. Simon sah, wie eine Schar fliegender Tyraniden über der Gegend, wo der Nevas entsprang, durch die Luft jagte. Die mit Servitoren bemannten Geschütze in den Talhängen folgten ihren Bewegungen und spickten die Luft mit Sprenggranaten, die in tödlichen Splitterwolken explodierten und viele Dutzend Bestien zerfetzten, bevor diese sich zurückzogen. Diese Tyraniden waren schlau, sah Simon. Sie testeten jede Zone des Tals auf Schwachstellen, um einen Weg hineinzufinden. Aber Simon wusste, dass es keine Schwachstellen gab. Sein Konsortium hatte in Zusammenarbeit mit den Adeptus Mechanicus die Waffen gebaut und ebenso die Servitoren zur Verfügung gestellt, welche die Geschütze bedienten, und er wusste, dass ihr Sperrfeuer praktisch undurchdringlich war.
Alles, was oberhalb einer bestimmten Höhe flog, wurde von den Maschinengeistern zur Identifikation aufgefordert, und wenn keine Reaktion auf diese Aufforderung erfolgte, eröffneten die Geschütze das Feuer. Ohne Freigabe wurden Flugobjekte gnadenlos beschossen und in dem Moment zerstört, in dem sie ins Schussfeld der Geschütze eindrangen. Simon lächelte, während seine Finger mit einem schlichten Metallkasten in der Tasche seines Gehrocks spielten. Es sei denn, man wusste, wie man sie abschaltete. Techs umschwärmten das Thunderhawk der Ultramarines und entfernten unter den wachsamen Blicken von Techmarine Harkus Panzerung und Munitionsbehälter vom Rumpf. Er schaute besorgt drein, und Uriel hörte gelegentliche Zornestiraden, die Harkus und die Techs der Adeptus Mechanicus wechselten. Funken flogen, als mit schwerem Schweißgerät noch mehr dicke Panzerplatten und Waffen entfernt wurden, um das Gesamtgewicht der Maschine von sechsundsiebzig Tonnen auf vierzig zu verringern. Ein Riesenkran ächzte, als er das Hauptgeschütz entfernte, während Stapler-Servitoren auf Ketten die dazugehörigen Granaten über die Frontrampe abtransportierten. Techpriester der Adeptus Mechanicus arbeiteten auf Gerüsten rings um die Kanzel, um die vorderen schweren Boltkanonen zu entfernen, während unter ihnen eine Prozession von Techs alle unnötigen Beschläge und Füllungen entfernten. Schweißmannschaften umringten die Maschine, und blaue Funken stoben, als sie die schwersten Panzerplatten durch dünne Bleche aus Leichtmetall ersetzten. Die Bleche bogen sich durch, während verstärkte Servitoren sie an Ort und Stelle hievten, wo sie festgeschweißt wurden, und Uriel war klar, dass sie auch bei den geringfügigsten Zusammenstößen nur spärlichen Schutz bieten würden. »Es bricht mir das Herz, dass so eine edle Flugmaschine so grausam behandelt wird«, sagte Uriel. »Wir müssen uns vor ihrem Kriegsgeist verneigen, damit er weiß, dass wir dies nur aus der größten Not heraus tun.« Neben ihm nickte Hauptmann Bannon. »Aye, aber Ihr Techmarine wird dafür sorgen, dass die korrekten Bittgesuche gestellt werden, und uns die entsprechenden Gebete nennen, die wir sprechen können.«
Harkus hockte bei den Maschinenabdeckungen und schaute bestürzt auf die drastischen Maßnahmen, die ergriffen wurden, um seinen Schützling leichter zu machen. »Ich frage mich, vor wem er im Moment mehr Angst hat?«, sagte Bannon. »Vor dem Kriegsgeist des Thunderhawk oder seinem Meister der Essen?« »Ein wenig vor beiden, würde ich sagen«, grinste Uriel, der an den jähzornigen Fennias Maxim auf Macragge denken musste, der vor der Vorstellung zurückgescheut war, dass er sich seine eigene Klinge schmiedete, wo es doch Dutzende von erstklassigen Schmieden gab, die es besser konnten. Harkus erhob sich von den Maschinen und lief mit offensichtlicher Bestürzung in seiner waidwunden Flugmaschine umher. Er beschrieb eine weit ausholende Geste. »Diese... diese Metzger zerstören meine Maschine. Neunhundert Jahre alt, über zweitausend Feldzüge erlebt und so behandeln wir sie. Darüber wird noch zu reden sein, wenn das alles vorbei ist. Sie kann diese Art von Behandlung nicht verkraften.« »Wie schwer ist sie?«, fragte Uriel. »Zu schwer«, schnauzte Harkus. »Sie wiegt immer noch über fünfzig Tonnen.« »Wir müssen sie auf vierzig herunterbekommen, Bruder Harkus«, erinnerte Bannon ihn. »Glauben Sie, ich wüsste das nicht?«, sagte Harkus aufgebracht. »Aber ich bin nur ein Techmarine und kann keine Wunder vollbringen. Ich kann die Gesetze der Aerodynamik nicht ändern. Wenn wir zu viel entfernen, wird sie fluguntüchtig.« »Finden Sie einen Weg, Bruder«, sagte Uriel freundlich. »Entfernen sie alles bis auf das nackte Gerüst, wenn es sein muss. Alles hängt davon ab, dass Sie das Gewicht dieser ehrenwerten Maschine auf vierzig Tonnen drücken und sie dabei flugtüchtig bleibt.« Harkus schüttelte den Kopf. »Ich versuch's ja, aber ich kann nichts garantieren. Ich kann den Zorn ihres Kriegsgeistes spüren, und der wird nicht leicht zu besänftigen sein.« »Ich weiß, dass Sie Ihr Bestes tun werden, Bruder Harkus«, sagte Uriel, während sich der wütende Techmarine wieder daran machte, die Schweißmannschaften anzubrüllen und eine weitere Panzerplatte auf die Landeplattform krachte. »Kann er es schaffen?«, fragte Bannon. »Davon hängt viel ab.«
»Er war ein Lehrling von Sevano Tomasin, einem unserer Besten, der auf Thracia gestorben ist. Wenn jemand das Unmögliche schaffen kann, dann Harkus.« Bannon nickte. »Selbst wenn es uns gelingt, kommen wir vielleicht nicht zurück. Sie wissen das.« »Ich weiß es«, sagte Uriel zögernd. »Aber wenn wir die Sache dadurch beenden könnten, wäre es das wert.« Bannon nickte, dann gab es eine kleine Pause, bevor er sagte: »Sie müssen uns nicht auf dieser Mission begleiten, Uriel. Wir sind die Deathwatch, und dafür sind wir ausgebildet.« »Ich habe auch in der Deathwatch gedient, und wenn Sie gehen, gehe ich auch. Außerdem wird Harkus noch einen Ultramarine dabeihaben wollen, um die Gewähr zu haben, dass die Deathwatch seine Maschine auch mit dem gebührenden Respekt behandelt.« Schneehund wechselte das Magazin seines Lasergewehrs so schnell, dass er viele Gardisten beschämt hätte. Er schoss über die Barrikade, die sie um den Eingang des Lagerhauses errichtet hatten und ließ den nächsten Klingenmörder rückwärts in den blutigen Schnee fallen. Jonny Stampfer gab Dauerfeuer, und Silber heizte den Bestien mit wohlgezielten Schüssen aus ihren beiden Pistolen ein. Er hatte vielleicht hundert der gesündesten Flüchtlinge verpflichtet und ihnen eine Waffe in die Hand gedrückt, bevor er sie nach draußen zum Kampf hinter die Barrikaden gescheucht hatte. Einige hatten sich darüber beklagt und gesagt, weil sie ihn für seinen Schutz bezahlt hätten, brauchten sie eigentlich nicht zu kämpfen. Schneehund hatte ihnen mit vorgehaltenem Gewehr erklärt, dass sie keine andere Wahl hätten. Ungeheuer strömten aus jeder Straße auf den freien Platz vor dem Lagerhaus und stürmten furchtlos und ohne Angst um das eigene Leben durch den Feuersturm, der ihnen dort entgegenschlug. Bevor diese Angelegenheit so eskaliert war, hatte er auf einigen der Bild-/Tontafeln gehört, dass es größere Kreaturen geben sollte, welche die kleineren kontrollierten, aber zum Glück hatten sie davon noch keine zu Gesicht bekommen. Vielleicht waren sie alle an der Front, die dem aus dem Westen kommenden Lärm nach zu urteilen jeden Tag näher rückte. Er fragte sich, warum ihnen keine Soldaten zu Hilfe kamen,
dachte sich aber, dass ihnen klar war, dass dies ein Armenviertel im Wehr war und die Stadt besser dran sein würde, wenn die Tyraniden praktischerweise ein paar Tausend Wehr-Bewohner auslöschten. Also sah es so aus, als müssten sie allein damit fertig werden. Bis jetzt waren alle Angriffe von Schneehund und seiner Bande zurückgeschlagen worden, so dass immer mehr tote Ungeheuer auf dem Platz lagen. Er begriff jedoch nicht, warum sie das Lagerhaus so entschlossen angriffen. Trask schoss mit seiner Schrotflinte mitten in die anstürmenden Ungeheuer, und obwohl ein Auge infolge des Ausschlags, der sein halbes Gesicht bedeckte, zugeschwollen war, konnte er gar nicht anders, als etwas zu treffen. Eine Schar Ungeheuer griff diesen Abschnitt der Barrikade an, und Schneehund wechselte auf Dauerfeuer, schnitt zwei in Stücke und schoss einem dritten die Beine weg. Tigerlily, Rentzo und ein Dutzend anderer Mitglieder der Nachtschleicher warteten als Reserve an den Lagerhaustüren. Die Furcht war in jedes Gesicht gestanzt. Die nächste Welle kreischender Bestien stürmte auf den Platz, und jetzt wusste Schneehund, dass er sich nichts einbildete. Die Angriffe auf das Lagerhaus nahmen tatsächlich an Häufigkeit und Heftigkeit zu. Es hatte den Anschein, als wolle ihm jedes Ungeheuer in der Stadt an den Kragen. Was war nur los mit ihnen? Hatten sie etwas dagegen, dass er im Zuge ihrer Invasion etwas Geld verdiente, oder was? Silber kauerte nieder, um ihre Pistolen nachzuladen, und hob die Augenbrauen. »Das ist ein Tag, was?«, sagte sie. »Ja, das ist ein Tag«, gab er ihr recht. Das Thunderhawk war ein Schatten vor der Dunkelheit der Nacht und das Blau seines gepanzerten Rumpfs nur an den Kanten der Tragflächen und Schwanzflossen zu sehen, da der Rest entfernt worden war, um das Gewicht zu reduzieren. Uriel und die Mitglieder der Deathwatch standen in lockerem Kreis da, die Hände zum Gebet gefaltet. Jeder hatte seinen Frieden mit dem Imperator gemacht und war auf die Mission vorbereitet. Uriel hatte seine Rüstung so gut gesäubert und repariert, wie ihm dies möglich war, aber sie war immer noch ramponiert und brauchte Monate in einer Waffenschmiede. Mannschaften sich
mühender Stapler-Servitoren brachten die Last der Fracht des Thunderhawk an Bord, während die Landekufen unter der Belastung ächzten. Als sie mit dem Beladen der Maschine fertig waren, kam Harkus heraus und nickte Uriel zu. Alles war verladen und gesichert. Dem Thunderhawk standen einige harte Flugmanöver bevor, und lose Fracht, die durch den Laderaum flog, konnten sie dabei überhaupt nicht gebrauchen. Nach einem Blick auf die dünnen Seitenbleche der Maschine wusste Uriel, dass die Fracht in diesem Fall glatt hindurchfliegen würde. »Wir sind fertig«, sagte Bannon, indem er sich den Schulterriemen seiner Waffe umlegte. »Aye«, stimmte Uriel zu, während er noch einmal seine eigene Waffe überprüfte und sich vergewisserte, dass das Schwert in der Scheide an seiner Hüfte gesichert war. Die restlichen Mitglieder der Deathwatch sahen ebenfalls noch einmal und mit der Stille der Elitesoldaten, die sie waren, gegenseitig ihre Waffen durch. Zufriedengestellt rezitierte jeder Mann die ersten fünf Strophen des Katechismus des Xeno, bevor er sich abwandte und an Bord des Thunderhwak ging. Uriel holte tief Luft und betrachtete die hohen Berggipfel ringsumher. Entfernte Stäubchen wirbelten am Sternenhimmel weit im Westen. Er schüttelte den Kopf, als ihn eine jähe Vorahnung nahenden Unheils überkam, und folgte der Deathwatch in das Mannschaftsabteil des Thunderhawk. Drinnen hatten die Space Marines kaum Platz, sich zu bewegen, da überall Kisten bis unter das Dach gestapelt waren und die anderen Passagiere der Maschine eine Menge Platz einnahmen. Es gab keine gepanzerten Bänke, auf die sie sich hätten setzen können, da ihr Gewicht für unnötig befunden worden war, also setzte er sich auf den Boden und lehnte sich an die vibrierende Wand des Rumpfs. Die Rampe schloss sich surrend und sperrte das Sternenlicht aus, und Uriels Autosinne übernahmen. Ein kreischendes Jaulen baute sich auf, als die Trieb- werke die nötige Energie für den Senkrechtstart aufbauten, und Uriel sandte ein Stoßgebet zum Imperator, dass Harkus sie nicht im Stich gelassen hatte und Lordadmiral Tiberius in der Nähe war. Er spürte das Rucken des Thunderhawk, als dieses leicht abhob und sich dann drehte, da Harkus ihren Kurs festlegte. Die Leichtigkeit des
Starts hatte ihn überrascht, bis ihm wieder einfiel, dass das Problem jetzt nicht mehr das Gewicht, sondern die Reichweite war. Alles lief auf die Frage hinaus, ob sie ihr Ziel erreichen und ihre Mission erfüllen konnten und dann noch genug Treibstoff haben würden, um wieder nach Hause zu fliegen. Uriel spürte die Beschleunigung der Maschine, als die Triebwerke Vollschub gaben und sie ostwärts über die Bergspitzen beförderten. Etwas höher gab es eine Wolkendecke, und während der Tiefflug sie vielleicht vor der Entdeckung schützen mochte, war er auch extrem unwirtschaftlich und verbrauchte zu große Mengen Treibstoff. Während die Maschine nach Osten raste, tippte ihm Magos Gossin, der ranghöchste der Adeptus Mechanicus an Bord, auf die Schulter und zeigte durch ein Bullauge. »Selbst wenn wir Erfolg haben, wird diese Welt je wieder wirklich uns gehören?« Uriel wandte den Kopf und schaute nach draußen. Violette Wolken wogten in der Ferne, und bunte Nebelstreifen am Horizont reichten bis in die oberen Schichten der Atmosphäre wie ein verschmiertes Gemälde. Uriel wollte lügen, fürchtete aber, an den Worten zu ersticken. »Nein«, sagte er. »Nein, das wird sie nicht.« Das Thunderhawk raste über den Nachthimmel. Die Vae Victus war längst nicht mehr das glänzende Gefährt, das vor so vielen Monaten von Macragge aufgebrochen war. Ihr Mittelschiff war krumm und geborsten, die polierten Holzpfeiler geschwärzt und versengt. Viele der zuvor bemannten Konsolen waren verlassen, da ihre Systeme beschädigt waren und nur in einem Dock repariert werden konnten. Dampfschwaden zischten aus hastig abgedichteten Rohren, und viele Waffen waren nicht einsatzbereit. Ihre Sensoren funktionierten mit minimaler Leistung, da die meisten externen Systeme durch die Explosion der Raffinerie zerstört worden waren. Die Hitze hatte einen Teil des Rumpfs geschmolzen, und der Antrieb gestattete nur noch die einfachsten Manöver. Und Tiberius wusste, dass sie relativ dezimiert entkommen waren. Sie hatten die Argus verloren sowie den Großteil der hiesigen
Flotte, und von der Kharloss Vincennes würden nie wieder Jäger starten. Er war gezwungen gewesen, den Befehl zur Aufgabe der Yermetov zu geben, als offensichtlich geworden war, dass der Warpantrieb bei der Explosion Beschädigungen davongetragen hatte und bald implodieren würde. Die Mannschaft hatte sich auf die Schwert der Vergeltung abgesetzt und den Kreuzer auf seine letzte Reise in den Warp geschickt. Die beiden verbliebenen Schiffe des Geschwaders Arx Praetora und die Mortis Probati der Mortifactors schleppten sich neben der Vae Victus dahin. Kapitän Gaiseric und seine Mannschaft waren erpicht darauf, sich an den Tyraniden zu rächen. Ein Schlachtkreuzer, zwei angeschlagene Angriffskreuzer der Space Marines und ein Träger, von dem keine Jäger mehr starten konnten, waren keine Flotte mehr, die es mit der Macht einer kompletten Schwarmflotte aufnehmen konnte, aber mehr hatten sie nicht. Tiberius fuhr sich mit der Hand über den vernarbten, haarlosen Schädel und kaute an seiner Unterlippe. »Irgendeine Nachricht von Uriel?«, fragte er. Philotas sah von dem gesprungenen Planungstisch auf. Seine Tafel war dunkel, und sein Deckoffizier hatte darauf Sternkarten entrollt. Er schüttelte den Kopf. »Nein, Lordadmiral. Die letzte Nachricht von ihnen haben wir vor eineinhalb Stunden empfangen, nach der sie im Plan waren.« »Das gefällt mir nicht, verdammt. Wir könnten in eine Falle fliegen!« »Das könnten wir in der Tat.« »Sind Sie sicher, dass wir von Uriel nichts gehört haben?« »So sicher, wie ich sein kann. Die meisten unserer Kom-Geräte sind bei der Explosion zerstört oder durch den elektromagnetischen Impuls unbrauchbar geworden. Wir hatten Glück, dass wir überhaupt Verbindung aufnehmen konnten.« »Dann müssen wir es auf die altmodische Art machen«, sagte Tiberius. Philotas nickte und widmete sich wieder seinen Karten, während Tiberius erwartungsvoll auf die Observationsbucht starrte. Tarsis Ultra drehte sich langsam vor ihm, besudelt von mehreren bunten Schandflecken, die sich über die Oberfläche des Planeten ausbreiteten. Er konnte entfernte Stäubchen von Tyranidenorganismen ausmachen und spürte, wie sein Hass stärker wurde. Wie Parasi-
ten saugten sie an dieser Welt und beraubten sie allen Lebens, ohne an die Milliarden Kreaturen zu denken, für die sie ein Heim war. Noch während er sie beobachtete, änderten mehrere der Kreaturen die Richtung, um sich der anfliegenden Imperiumsflotte entgegenzustellen. »An alle Schiffe, hier spricht Tiberius. Auf Kampfstation. Sie kommen.« Er schloss die Augen und murmelte ein Gebet, dass Uriel gegenwärtig sein Ziel anflog. Ob es nun so war oder nicht, Tiberius konnte diesbezüglich nichts unternehmen. Er konnte nur noch seine Schiffe in die Schlacht führen und kämpfen. Schlammklumpen und Wasser wurden in die Höhe geschleudert, als das Thunderhawk mit heulenden Triebwerken auf den obersten Hängen des Gebirges im Osten aufsetzte. Die Kufen rutschten kurz über den glatten Boden, bevor sie schließlich sicheren Halt fanden. Die vordere Rampe krachte in den Schlamm, und fünf Mitglieder der Deathwatch und Uriel sprangen nach draußen. Uriel trabte zu einer geschützten Stelle und kauerte sich tief hinter einen zerklüfteten schwarzen Felsen, auf den er den Lauf seines Boltgewehrs legte, während er auf den tiefer gelegenen Hängen nach Gefahren Ausschau hielt. Ein dickflüssiger, klebriger Regen fiel, und Uriel blieb nicht verborgen, dass die Temperaturen hier sehr viel höher waren als in Erebus. Die Viren der Tyraniden veränderten bereits das Erbgut der Fauna und Flora, um die Temperatur von Tarsis Ultra zwecks leichterem Verzehr anzuheben. Der Regen schränkte die Sicht dramatisch ein, und die Sichtweite betrug kaum mehr als dreihundert Meter. Donner grollte, und kurz darauf zuckten Blitze über den Himmel, die ein unstetes Licht auf die tiefer gelegenen Ebenen warfen. Er fluchte, als ihm aufging, dass es im Falle eines Angriffs kaum eine Vorwarnung geben würde. Er gab einem Mitglied der Deathwatch ein Zeichen, seinen Platz zu übernehmen, und erklomm den vom Schlamm glitschigen Hang zu der Stelle, wo Bannon das Ausladen der Fracht des Thunderhawk koordinierte. Der nächste Blitz zuckte über den Himmel, und Uriel sah das, weswegen sie gekommen waren, durch die grelle atmosphärische Entladung in Schatten gehüllt.
Von außen war es nichts Bemerkenswertes, lediglich ein übergroßer, gut dreißig Meter im Quadrat messender Betonbunker mit einer gepanzerten Brandschutzschleuse, die hineinführte. Eine halbkugelförmige Kuppel mit acht langen Geschützläufen bildete das Dach, dessen Bronzebeschichtung grün oxidiert war. Vier Stapler-Servitoren rangen mit der Last der Paletten, während Magos Gossin und seine drei durchnässten Techpriester von den Adeptus Mechanicus ihre Gewänder zusammenrafften und eiligst zum Bunker liefen. Hinter ihnen transportierten die Servitoren die kostbare Fracht, voll aufgeladene Kondensatoren, um die Abwehrlaser mit Energie zu versorgen, mit äußerster Vorsicht in den Bunker. Bannon, dessen schwarze Rüstung vor Nässe glänzte, kam Uriel entgegen. »Irgendwas?« »Nein, aber sie könnten jeden Moment angreifen, und wir würden es nicht wissen«, erwiderte Uriel, der schreien musste, um sich in dem Regen und vor dem Triebswerksgeheul des Thunderhawk verständlich zu machen. Noch eine halbe Stunde verstrich voller Anspannung, bis schließlich die letzten aufgeladenden Kondensatoren aus dem Thunderhawk ausgeladen und in den Bunker geschafft worden waren. Mittlerweile waren die Adeptus Mechanicus längst damit beschäftigt, sie ans Hauptstromnetz anzuschließen. Uriel betete stumm, dass sie schnell arbeiten würden. Er glitt bergab durch den dicken Matsch zu seinem ersten Beobachtungsposten und blinzelte in die Düsternis. Etwas bewegte sich unter ihm, aber waren es angreifende Tyraniden oder ein Streich, den Licht und Regen seinen Sinnen spielten. Dann blitzte und donnerte es heftig, und die Nacht war plötzlich taghell erleuchtet. Auf den glitschigen Berghängen wimmelte es von Tyranidenkreaturen, die zu Tausenden den Berg emporeilten. Springende Hormaganten führten den Angriff an, aber er sah auch drei ungeschlachte Carnifexe mit ihren Krebsscheren und eine große geflügelte Bestie mit einem langen stacheligen Schwanz und einem massigen knöchernen Kamm, der sich hoch über ihr brüllendes Maul erhob. Riesige Klingen an den oberen Gliedmaßen durchschnitten den Regen, und im Rumpf quoll Dampf aus einer tropfenden Biowaffe. Er kletterte wieder bergauf und kämpfte sich durch den zähen
Matsch. Über Kom nahm er Verbindung mit dem Hauptmann der Deathwatch und Techmarine Harkus auf. »Bannon, halten Sie Ihre Männer in Bereitschaft! Harkus, bringen Sie das Thunderhawk in die Luft«, brüllte er. Sekunden später heulten die Triebwerke auf, als das Thunderhawk abhob und in der Luft Wartestellung bezog, bis die Space Marines abgeholt werden konnten. Uriel warf einen Blick zurück auf den Hang. »Und sagen Sie Gossin, er soll sich beeilen«, sagte er. »Sie kommen...« »Bombardementkanone abfeuern!«, rief Tiberius, als die beiden Kraken langsam an der Observationsbucht vorbeiglitten. Da ihnen ein Großteil der für die Zielerfassung nötigen Sensoren fehlte, war das Feuern der Waffen keine exakte Wissenschaft mehr, und nur seine und Philotas' Erfahrung gaben ihnen überhaupt noch die Möglichkeit, Treffer zu erzielen. Die Brücke erbebte, als das Hauptgeschütz feuerte, und Tiberius zuckte zusammen, als wieder zahlreiche rote Lampen auf den Schadenskontrollleisten zu blinken anfingen. »Außenleck auf Deck sechs neuerlich geöffnet!« »Kursänderung auf null-fünf-sieben«, befahl Tiberius. »Volle Kraft voraus. Wir müssen an ihrem Sperrriegel vorbei.« Die gesamte Brücke ächzte, als das ramponierte Schiff die Kursänderung vollzog und ihr krummer Kiel protestierend kreischte. »Komm schon, halte durch«, flüsterte Tiberius dem Geist der Vae Victus zu. Tyranidenblut spritzte vor ihm ins All, als die Granaten der Bombardementkanone den Kraken trafen und in einer gigantischen Fontäne aus Fleisch und Blut zur Explosion brachten. Ein eckiger Bug glitt in Sicht, als die Mortis Probati vor dem Bug der Vae Victus kreuzte. Ihre Steuerbordgeschütze beharkten die Überreste des Kraken und zerlegten ihn in eine expandierende Wolke aus verbrannten Fleischklumpen. Der zweite Krake näherte sich schwerfällig dem Schiff der Mortifactors, und seine klingenförmigen Schwingen kräuselten sich, als er den Kurs änderte. Hinter ihm konnte Tiberius den Umriss eines der gewaltigen Schwarmschiffe im Schein der Planetenatmosphäre erkennen.
»Volle Kraft voraus«, rief Tiberius. »Zwanzig Grad abwärts. Bringen Sie uns durch die Lücke!« Tiberius hielt sich am gesplitterten Holz seiner Kommandokanzel fest, als die Vae Victus heftig erbebte und durch die Lücke beschleunigte, die sich die beiden Angriffskreuzer geschossen hatten. Kleinere Schiffskreaturen ließen von ihrem Angriff auf die Schwert der Vergeltung ab und drehten bei, um Tiberius' Schiff anzugreifen. »Lordadmiral!« »Ich sehe sie, Philotas. Backbordbatterien einsetzen.« »Ohne die Zielerfassungssensoren werden sie nicht viel treffen.« »Schießen sie trotzdem.« »Wenn sie uns entern, können wir sie nicht zurückschlagen.« »Zur Hölle mit ihnen! Unsere einzige Priorität sind die Schwarmschiffe. Bleiben Sie auf Zielkurs!« Die Schwert der Vergeltung stieß tiefer in den Schwarm der Tyranidenkreaturen vor und feuerte verheerende Breitseiten aus den Hauptgeschützdecks ab, so dass der Raum rings um sie von Explosionen erfüllt war. Der Schlachtkreuzer hatte den geringsten Schaden von allen Imperiumsschiffen erlitten, und sein Kapitän hatte sich freiwillig erboten, die Führung in dem Angriff zu übernehmen. Tödliche Angriffe der Lanzen bohrten ein Loch in die Tyranidenflotte, durch das die kleineren Schiffe der Flotte flogen. Tyranidenschiffe beeilten sich, die Lücke zu schließen, aber die Kreuzer der Space Marines waren zu schnell und glitten mit Kurs auf die Schwarmschiffe an den Organismen vorbei. Die Kharloss Vincennes blieb hinter der Schwert der Vergeltung zurück, da ihr geborstener Rumpf und der beschädigte Antrieb sie hinter die beschleunigenden Schiffe der Space Marines zurückfallen ließen. Als die Tyranidenschiffe die Lücke in ihrem Kordon schlossen, drangen sie damit auch unweigerlich auf den angeschlagenen Träger ein. Nicht in der Lage, Jäger zu starten, um sich zu schützen, war er leichte Beute. Breitseiten der Nahkampfgeschütze hielten die Tyraniden eine Zeit lang in Schach, doch als sich immer mehr auf den Träger stürzten, konnte es keinen Zweifel mehr am Ausgang der Schlacht geben.
Lange Tentakel von einem Dutzend kegelförmiger Drohnen schlängelten sich vorwärts und blieben wie Kletten am Rumpf des kämpfenden Trägers haften. Ätzende Sekretabsonderungen verbanden die Kreaturen mit dem Schiff, und ihre Mäuler öffneten sich und enthüllten riesige Höhlen voller gigantischer Zähne, die sich rasend schnell in ihre Beute bohrten. Größere Schiffe näherten sich und änderten dann plötzlich den Kurs, um wieder zum Planeten zu fliegen, nachdem der Schwarmverstand sie daran erinnert hatte, die Angreifer in eine Falle fliegen zu lassen. Während die Kharloss Vincennes einen aussichtslosen Kampf um ihr Leben führte, drang der Rest der Flotte tiefer in den Schwarm vor. Das erste Schwarmschiff lag vor der Vae Victus, und seine gigantische Form füllte die gesamte Observationsbucht aus. Wachschiffe bildeten einen undurchdringlichen Schutzschirm zwischen ihm und seinen Begleitschiffen. »An alle Schiffe, Feuer frei!«, rief Tiberius. »Wir müssen durchbrechen.« Gewaltige Projektile flogen durch das All und explodierten in grellen Feuerblüten, aber keines erreichte das Ziel. Kraken und Drohnen bewegten sich in einem komplizierten Ballett, wie es für die Imperiumsflotte undurchführbar gewesen wäre, und schirmten das Schwarmschiff vor dem Beschuss ab. Tiberius sah, dass seine Handvoll Schüsse den lebendigen Schutzschild durchschlugen, aber nur sehr wenige verursachten wirklichen Schaden. Tiberius nahm Kom-Verbindung zum Kapitän der Schwert der Vergeltung auf. »Kapitän, Sie müssen uns den Weg freischießen! Setzen Sie alle erforderlichen Mittel ein!« Er unterbrach die Verbindung, ohne eine Antwort abzuwarten, und sagte: »Philotas, versuchen Sie, Uriel zu erreichen. Sagen Sie ihm, was er auch tut, er muss sich beeilen, weil wir uns hier nicht mehr viel länger halten können.« Regen prasselte auf den Berghang, und Blitze sorgten für eine stroboskopartige Beleuchtung der felsigen Umgebung, als die Tausende zählende Horde auf den Bunker losstürmte. Ströme schäumenden Wassers fluteten bergab und rissen große Scharen der Tyraniden mit sich in die Tiefe.
Zur Abwechslung wirkte sich die von ihnen selbst eingeleitete Verwandlung des Planeten einmal zu ihrem Nachteil aus, sah Uriel. Der zähe Matsch war für sie ebenso ein Hindernis wie für die Space Marines. Boltgeschosse fegten den Hang hinunter und sprengten Hormaganten und andere namenlose Ungeheuer in Stücke. Uriel warf zwei Granaten und duckte sich hinter einen Felsen, als sie explodierten und Schlamm und nichtmenschliche Körperteile in die Luft schleuderten. Kreischende Carnifexe mühten sich durch den Schlamm, in dem sie wegen ihrer Körperfülle knietief einsanken. Das geflügelte Ungeheuer schwebte über der Horde, da Sturmböen es einstweilen am weiteren Vordringen hinderten. Die Deathwatch tötete Tyraniden mit gezielten Einzelschüssen in ihre anfälligen Organe, darauf bedacht, Munition zu sparen. Bannon eilte zu Uriel. Seine Rüstung war schlammverschmiert, das Symbol der Imperial Fists kaum noch erkennbar. »Sie umgehen unsere Stellung, um uns in den Rücken zu fallen. Wir müssen in den Bunker!« Uriel schaute in den schmutzigen Regen und sah undeutliche Gestalten über ihnen im Fels, die sich dem Bunker näherten. Bannon hatte recht: In ein paar Minuten würden die Tyraniden sie umzingelt haben. »Dann los«, sagte er, indem er sich hinter dem Felsen erhob. Uriel spürte, wie sich der Boden unter seinen Füßen bewegte, und sprang zurück, als sich ein großer Teil des Schlamms plötzlich vom Hang löste und vom Wasserstrom als Lawine mit in die Tiefe gerissen wurde. Er landete auf dem Rücken, wälzte sich herum und griff nach dem Felsen, als er spürte, wie er selbst ins Rutschen geriet. Sein Boltgewehr fiel scheppernd hinter den Felsen. Er hörte Bannon aufschreien und sah, wie der Hauptmann der Deathwatch verzweifelt und vergebens um seine Standfestigkeit rang, um nicht in die Masse der Tyraniden unter ihnen zu rutschen. Uriel stemmte sich gegen den Felsen und streckte eine Hand zu Bannon aus. Die beiden Krieger hielten sich gegenseitig am Handgelenk fest, und Uriel fing an zu ziehen. »Uriel!«, rief Bannon plötzlich. Er blickte auf und sah eine monströse Bestie mit einem Maul voller Reißzähne den Hang emporklettern. Ihre lange Krallenfaust
schloss sich um Bannons Knöchel und drückte zu. Das Keramit barst unter dem gewaltigen Druck, und der Blick ihrer schwarzen Augen begegnete Uriels. Boltgeschosse explodierten ringsherum, da die Deathwatch Uriel die Zeit verschaffen wollte, ihren Hauptmann zu retten. Uriel brüllte, da er nun gegen die Kraft des Tyranidenungeheuers kämpfte und wusste, dass er es nicht besiegen konnte. Er stemmte die Stiefel gegen den Felsen, zog mit einem gewaltigen Ruck und streckte sich zu seinem Boltgewehr, das er mit der freien Hand aufhob. Als er spürte, dass die Sehnen in seinen Armen kurz vor dem Reißen standen, streckte er die Beine wieder und ließ sich von dem Tyranidenungeheuer in eine aufrechte Stellung ziehen. Das Boltgewehr in einer Hand, zielte er auf den Kopf der Kreatur. »Lass los«, sagte er nur und leerte das Magazin in ihr Gesicht, so dass die Hirnmasse hinten aus dem Schädel quoll, als die Geschosse darin explodierten. Der Griff des Ungeheurs erschlaffte, und Uriel zog Bannon auf den Felsen und auf die Beine, während ein weiterer Blitz über den Himmel zuckte und für Helligkeit sorgte. Die beiden Space Marines rutschten und stolperten durch die Sturzbäche aus Wasser und Schlamm zum Bunker. Zweimal waren Tyranidenungeheuer kurz davor, sie zu überholen, aber in beiden Fällen wurden die Bestien vom präzisen Beschuss der Deathwatch in Schach gehalten. Uriel hörte von statischem Knistern begleitete Worte im Helmkom, konnte sie aber kaum verstehen. Er erkannte Philotas' Stimme, aber was er sagte, blieb ihm verborgen. Schließlich erreichten sie die Betonschürze rings um den Bunker und rannten in dessen beruhigend soliden Schutz. Im Licht weiterer Blitze glitten Tyranidenkreaturen von den Hängen über ihnen bergab und durch den Schlamm und mühten sich, einen festen Stand zu finden. Uriel sah auch, wie ein Carnifex und die riesige geflügelte Bestie schließlich das Plateau erreichten und sich dem Bunker näherten. »Alles in den Bunker!«, rief Bannon, während er rückwärts humpelnd den Carnifex unter Beschuss nahm. Neben ihm rammte Uriel ein neues Magazin in sein Boltgewehr und verschoss es, ohne viel Wirkung zu erzielen. Das kreischende Gebrüll des Ungeheuers hallte von den Bergen wider, als es durch den Regen
stürmte. Uriel duckte sich in den Bunker, packte das große Handrad und rief: »Bannon! Sofort rein mit Ihnen!« Der Hauptmann der Deathwatch schoss weiter, und Uriel wollte den Befehl bereits wiederholen, als Bannon sich umdrehte und hineinlief, sein Boltgewehr fallen ließ und Uriel bei der Schleuse half. Mit einer doppelten Schutzschicht aus Adamantium gepanzert, wog die Schleusentür über vier Tonnen und wurde normalerweise hydraulisch geschlossen, aber Uriel und Bannon schlossen sie gemeinsam in wenigen Sekunden, da die Verzweiflung ihnen zusätzliche Kräfte verlieh. Die Tür krachte zu, und Uriel drehte am Handrad. »Das war zu knapp«, keuchte er. »Aye«, stimmte Bannon zu, während er seine Waffe aufhob. Der Stahl der Tür wölbte sich mit einem hallenden Krachen nach innen. Donnernde Schläge erschütterten sie, und Staub fiel von der Decke. Die Lichtkugeln in der Decke flackerten bei jedem Anprall. »Kommen Sie«, sagte Bannon. »Diese Tür wird sie nicht lange aufhalten.« Er folgte dem nackten Betonkorridor, und Uriel schloss sich mit wachsamen Blicken in Richtung der krachenden Schleuse an. Schließlich trafen sie in der feuchten Feuerleitzentrale ein. Uralte Technologie säumte die Wände des achteckigen Raums, und eine Eisenleiter führte zu der messingumrandeten Luke in der Decke. Magos Gossin saß mit zum Gebet geneigtem Kopf vor einer Vorrichtung, bei der es sich vermutlich um die Hauptkontrolltafel handelte, während seine Techpriester hinter ihm knieten und den Gegenpart zu den Worten ihres Meisters skandierten. Schlammbespritzte Space Marines der Deathwatch standen stramm, während das monotone Mantra andauerte, ohne dass etwas auf ein baldiges Ende hinwies. »Magos Gossin«, schnauzte Bannon. »Wann können Sie mit diesen Waffen schießen?« Gossin drehte sich auf seinem Platz, und sein Missvergnügen ob der Unterbrechung war nicht zu übersehen. »Die Kondensatoren sind an das Hauptnetz angeschlossen, aber die Gebete zur Einleitung des eigentlichen Schießvorgangs sind lang und kompliziert. Es wäre von Vorteil, wenn Sie mich dabei nicht unterbrechen würden.« Bannon marschierte zu Gossin, während von der Hauptschleuse
ein weiteres Krachen hereinhallte. »Hören Sie das?«, wollte er wissen. »Uns bleiben nur noch wenige Minuten, bis die Tyraniden über uns herfallen. Sorgen Sie schnell dafür, dass diese Geschütze feuern, sonst feuern sie überhaupt nicht mehr. Haben Sie mich verstanden?« Ein gequältes metallisches Kreischen hallte durch den Bunker. Gossin starrte ängstlich in den Korridor und nickte. »Deathwatch zu mir!«, rief Bannon und machte sich wieder auf den Rückweg zur Schleuse. Die Observationsbucht der Vae Victus erhellte sich infolge der Zerstörung der Kharloss Vincennes, da das Licht ihrer Explosion von den glänzenden Panzern der tyranidischen Bioschiffe reflektiert wurde. »Möge der Imperator über euch wachen«, flüsterte Tiberius, während sein Schiff von einem weiteren Einschlag erschüttert wurde. Die Kommandobrücke war in den tödlichen roten Schein der Warnlampen getaucht, während immer mehr Tyranidenschiffe Treffer erzielten. Ihre Abwehrmöglichkeiten waren durch viele Hundert treibende Sporen erheblich beeinträchtigt worden, und dagegen konnte er nichts unternehmen. Die Schwert der Vergeltung kämpfte immer noch, und ihr Kapitän lieferte eine brillante Vorstellung, wie er selbst den Tyranidenkreaturen auswich und gleichzeitig die Eskorte des Schwarmschiffs unter Beschuss nahm. »Er versucht das zweite Schwarmschiff zu erreichen«, sagte Philotas plötzlich. Aber Tiberius sah, dass er es nicht schaffen würde. Organismen umschwärmten bereits ihren Rumpf und erstickten ihre Feuerkraft. Sie waren so dicht davor! Das erste Schwarmschiff lag direkt vor ihnen. Die Vae Victus und die Mortis Probati hatten es eines Großteils seines Schutzschirms beraubt, so dass viele der Organismen, die es vor einem Angriff von der Planetenoberfläche schützten, abgezogen worden waren. Aber es kam kein Angriff vom Planeten, und Tiberius spürte, wie sein Mut mit der Erkenntnis sank, dass ihr Vorhaben gescheitert war. »An alle Schiffe, bereitmachen zum Rückzug«, sagte er.
Die Schleuse flog nach innen, von einem gewaltigen Klauenpaar entzweigerissen. Regen und Wind heulten in den Bunker, während ein Dutzend Hormaganten darum kämpfte, sich an dem schreienden Carnifex vorbeizuzwängen. Er rammte die Krallen in den Beton rings um die Schleuse und versuchte, seinen massigen Leib hindurchzuquetschen. Disziplinierte Salven der Boltgewehre erledigten die ersten beiden Wellen. Ein riesiger Riss spaltete die Decke, während sich der Carnifex weiter vorwärtsarbeitete. Kreischendes Geheul und das ohrenbetäubende Krachen von Gewehrsalven erfüllten den schmalen Korridor. Uriel zielte auf den Kopf des Carnifex, dessen stumpfe Züge ausdruckslos blieben, während er sich in den Bunker vorarbeitete. Sein Schuss zerfetzte ein Auge und sprengte ein Stück Schädel weg. Die Bestie zuckte zusammen, senkte aber lediglich den knochigen Kopf und hämmerte nur noch stärker auf den Bunker ein. Der Korridor war von springenden Hormaganten erfüllt, die in unmenschlicher Wut kreischten, während sich die Space Marines langsam vor ihnen zurückzogen. Lichtkugeln zersprangen, und die Decke spaltete sich mit donnerndem Krachen. Große Steinbrocken fielen in den Korridor. Uriel warf sich zur Seite, als Tonnen von Felsgestein nachgaben und einstürzten und Staubwolken wallten. Er kam wieder hoch und tastete nach seinem Boltgewehr, als ein schlammbedeckter Kriegerorganismus auf die Trümmer sprang. Das Maul öffnete sich weit, und ein zweites Paar Kiefer schoss aus dem Maul und biss tief in Uriels Helm. Sein Visier splitterte, und er spürte Blut im Gesicht, als sich das Kieferpaar zurückzog. Er sank auf die Knie, löste die Vakuumverschlüsse an der Halsberge und riss den Helm los. Der Tyranidenkrieger sprang, und ein halbes Dutzend Boltgeschosse trafen seinen Oberkörper, sprengten ihn in Stücke und bespritzten Uriel mit seinem Blut. Bannon zog ihn auf die Beine, während die Tyraniden über die Trümmer kletterten und die Deathwatch sie mit mehr Schüssen eindeckte. Ohne den Schutz der Autosinne seines Helms war der Lärm wahrhaft ohrenbetäubend. Gewehrfeuer und Donner vereinten sich mit den Blitzen zu einer Hintergrundkakophonie. Uriel hörte vage, wie Bannon das Thunderhawk rief, während sie sich zur Zentrale zurückfallen lie-
ßen. Als sich die Space Marines zurückzogen, wurde Uriel sich plötzlich eines bitteren, metallischen Geruchs in der Luft bewusst, als sich eine starke elektrische Ladung aufbaute. Seine Kopfhaut kribbelte, und trotz des Kampflärms konnte er hören, wie sich unter ihm ein tiefes Bassbrummen aufbaute. Als er zur geborstenen Decke hochschaute, sah er gerade noch einen gleißend hellen Lichtspeer himmelwärts rasen, der wie der materialisierte Zorn des Imperators aussah. Wieder erhellte sich die Observationsbucht, und es dauerte einen Moment, bis Tiberius klar wurde, warum. Noch ein Lichtstrahl zuckte an der Vae Victus vorbei und durchbohrte sauber das Schwarmschiff. Ein weiterer Schuss folgte, dann noch einer, und er lief aus seiner Kommandokanzel und reckte die Faust in die Luft. »Verdammt, Uriel. Ich wusste, du kannst es schaffen!«, überschrie er das Heulen der Alarmsirenen. Da die atmosphärischen Verhältnisse in der von Uriel und Sebastien Montante ausgewählten Region mehr oder weniger stabil waren, litten die Energiestrahlen des Abwehrlasers nicht unter dem Energieverlust, welcher der Verteidigung im Anfangsstadium so sehr geschadet hatte. Das Schwarmschiff befand sich in einer niedrigen Umlaufbahn, und da die planetenwärtigen Begleitschiffe abgezogen worden waren, um es vor der Imperiumsflotte zu schützen, war das Schwarmschiff extrem verwundbar und hatte jetzt darunter zu leiden. Fleischexplosionen überzogen den gesamten Leib des Schwarmschiffs, als es von den Abwehrlasern zerstört wurde. »An alle Schiffe: Mein letzter Befehl wird widerrufen!«, rief er. »Feuern Sie mit allem, was Sie haben, auf das Schwarmschiff! Wir haben es erwischt, beim Imperator, wir haben es erwischt!« Uriel erklomm die Leiter in der Mitte der Zentrale, zerrte an dem verrosteten Öffnungshebel und stieß die Luke beiseite. Das statische Summen war hier noch viel stärker, und ein weicher blauer Schein erleuchtete die Kuppel über der Zentrale. Dann flammte ein blendendes Licht auf, und Uriel blinzelte glühende Nachbilder weg, als der Blitz des schießenden Abwehrlasers das Innere der Kuppel ausfüllte. Die Geschütze feuerten jetzt automa-
tisch und würden es weiterhin tun, bis die mitgebrachten Kondensatoren erschöpft waren. »Alles frei!«, rief er. Die Boltgewehre krachten häufiger, als die Tyraniden, die vielleicht spürten, dass ihre Beute entkam, ihre Angriffsbemühungen verstärkten. Uriel zog sich auf die Kuppel, griff nach unten und zog die Techpriester hoch, als sie die Leiter erklommen. Von oben drang das Heulen der Triebwerke des Thunderhawk herunter, das über ihnen schwebte. Einer nach dem anderen erschienen auch die Mitglieder der Deathwatch auf der Kuppel, bis nur noch Bannon fehlte. Er gab noch eine letzte Salve aus dem Boltgewehr ab, bevor er es fallen ließ und auf die Leiter sprang. Er erklomm sie in Windeseile, während die Tyraniden in die Zentrale fluteten. Uriel und ein anderer Space Marine zogen Bannon durch die Luke und schlugen sie zu. »Zeit, von hier zu verschwinden, finden Sie nicht auch?«, sagte Bannon außer Atem. »Längst über die Zeit«, stimmte Uriel zu, während der Laser den nächsten Schuss abgab. Mit Uriel an der Spitze kletterte die erschöpfte Gruppe auf das Dach des Bunkers. Wind und Regen hatten nachgelassen, und die Größe des Schwarms, der den Bunker umzingelt hatte, wurde jetzt offensichtlich. Die von den Triebwerken des Thunderhawk erzeugten Luftverwirbelungen drohten sie vom Dach zu fegen. Hormaganten versuchten hektisch auf das Bunkerdach zu klettern, während die Carnifexe auf die Bunkerwände einschlugen. Ihnen blieben nur noch Sekunden. Dicke Stahlseile hingen aus der Besatzungsrampe der Maschine, und Uriel packte sie schnell und verteilte sie an die Mitglieder der Deathwatch, als er plötzlich Schwärme von Gargylen sah, die auf das Thunderhawk zuflogen. »Sehen Sie da«, sagte er. »Schon bemerkt«, sagte Bannon, indem er sich ein der Trossen griff. Die Deathwatch sammelte die Techpriester und Magos Gossin ein, während Harkus die Winde einschaltete, um sie nach oben zu ziehen. Uriel fragte sich, wie es der Flotte ergangen war, als er durch die Luft gezogen wurde und die Rampe über ihnen näher kam. Die Gargyl Horden stießen auf sie herab, und er drängte die
Winde bei sich, sie schneller an Bord zu ziehen. Harkus kam zu dem Schluss, dass er nicht länger warten konnte, und gab Schub auf die Triebwerke, um an Höhe zu gewinnen. Uriel konnte es ihm nicht verdenken. Der Boden glitt unter ihm vorbei, und Tausend Tyraniden zischten in ihrer Boshaftigkeit den Himmel an, da ihnen ihre Beute entkam. Dann kehrte sich die Welt um. Etwas Gewaltiges prallte gegen seinen Rücken und wirbelte ihn wild umher. Er hörte ein wütendes Kreischen und einen Schmerzensschrei. Schlagende Flügel wirbelten ihn herum. Sein Blickfeld verschwamm, aber er konnte das riesige Flugungeheuer sehen, das in den Trossen unter der offenen Mannschaftsrampe des Thunderhawk hing. Aus den Schwingen spritzte Blut, als sie von den Stahlseilen zerfetzt wurden, während die Bestie auf eine schwarz gerüstete Gestalt eindrosch, die sich mit ebenbürtiger Wildheit wehrte. Dabei drehten sich die beiden Kämpfenden in den Trossen, und Uriel sah das gelbe Symbol der Imperial Fists aufblitzen. Hauptmann Bannon stach mit seinem Energiemesser mit die Kreatur ein und rammte es immer wieder in den harten Knochenpanzer, während die Krallen des Ungeheuers über die Rüstung kratzten, Keramitplatten abrissen und ihm blutige Fetzen aus dem Leib hackten. Schwärme von Gargylen stießen herab und gingen zum Angriff über. Das Thunderhawk hing schwankend in der Luft und konnte sich nicht absetzen. Hände griffen nach unten, packten Uriels Rüstung und zogen ihn an Bord. Er brach erschöpft auf dem Boden zusammen und atmete in keuchenden Stößen, während er sich zum Rand der Rampe wälzte. Unter ihm trugen Mensch und Ungeheuer einen Kampf aus, wie Uriel noch keinen gesehen hatte. Das Thunderhawk änderte den Kurs und versuchte so viel Entfernung wie möglich zwischen sich und den anfliegenden Schwarm der Gargyle zu bringen. Doch mit offener Mannschaftsrampe konnte es nicht schnell genug beschleunigen. Uriel sah, dass auch der Hauptmann der Deathwatch zu dieser Erkenntnis gelangte.
Er sah, was Bannon vorhatte, und rief: »Nicht!« Doch es war zu spät. Bannon reckte den Arm in die Höhe und durchtrennte seine Leine mit dem Energiemesser. Er und sein monströser Gegner fielen auf den Berghang und landeten inmitten der wimmelnden Tyraniden. Uriel verfluchte die Tyraniden von ganzem Herzen, als er sich an der Wandung des Thunderhawk hochzog und auf den Schließmechanismus der Rampe drückte. Nun in der Lage, auf Fluchtgeschwindigkeit zu beschleunigen, drehte Harkus die Maschine einmal um die eigene Achse, gab Vollschub und schaltete die Nachbrenner ein. Scharen von Gargylen schienen nach den Tragflächen des Thunderhawk zu schnappen, aber sie kamen zu spät, denn die Maschine legte sich in eine Kurve und raste mit Hunderten fliegenden Ungeheuern im Kielwasser zurück in Richtung Erebus. Uriel starrte durch das Bullauge nach draußen. Unter ihnen trug Hauptmann Bannon seinen letzten Kampf gegen Tausende von kreischenden Mördern aus.
PHASE IV Unterwerfung VIERZEHN Das Thunderhawk schoss durch den heller werdenden Himmel und zog einen langen Kondensstreifen hinter sich her. Auf der Flucht vor den Gargylen hatten sie viel von ihrem kostbaren Treibstoff verbraucht, und Harku war gezwungen, in größere Höhen zu steigen, wo die Luft dünner war und sich mehr Kilometer aus dem wenigen Treibstoff in ihren Tanks quetschen ließen. Sollte sich der Treibstoff als zu knapp erweisen und sie Erebus nicht erreichen, waren ihre Überlebensaussichten gleich null. Die Maschine war auf unheimliche Weise leer, da sich nur noch die fünf Mitglieder der Deathwatch, die Techpriester und Uriel in dem nun äußerst geräumigen Laderaum befanden. Ohne die schweren Kondensatoren konnte das Thunderhawk viel schneller fliegen und hatte die verfolgenden Gargyle rasch abgehängt, um
sich anschließend in der Wolkendecke zu verstecken. Das Heulen des Windes war ohrenbetäubend, doch trotz des gewaltigen Lärms konnte Uriel die Abschiedsgebete der Deathwatch hören, aber obwohl auch ihm der Verlust von Hauptmann Bannon sehr nahe ging, respektierte er ihren Wunsch, für sich zu bleiben, während sie ihm Lebwohl sagten. Uriel schloss die Augen und sprach bei sich ein kurzem Gebet für den von ihnen gegangenen Hauptmann der Deathwatch. Es war das Mindeste, um sein Andenken zu ehren. Schwere Brandschutzschleusen glitten geschmeidig beiseite, und die eisige Kälte eines frühen Morgens in Erebus erfüllte den weiten Hangar, als sich die Herrlichkeit in einem Nebel heulender Düsen aus ihren Verankerungen hob, während leistungsstarke Deflektoren ihre Abgase in die kalte Luft ableiteten. Das Schiff kroch schwerfällig aus dem Hangar, da sein Pilot besondere Vorsicht walten ließ, denn der Besitzer des Schiffs saß direkt hinter ihm, und nachdem der Laderaum mit so vielen wertvollen Dingen gefüllt war, reagierte es schwerfälliger als sonst. An die Kontrollen des Schiffs angeschlossen, war er sich jedes Aspekts der Herrlichkeit bewusst, aber bei einem so leicht erregbaren Herrn wie Simon van Gelder zahlte es sich nie aus, ein Risiko einzugehen. Simon beobachtete, wie das felsige Innere des Hangars an der Observationsbucht vorbeiglitt, um dann dem makellosen Weiß des Himmels zu weichen. Er lächelte, als er sein Anwesen unter dem Schiff sah, das immer noch von seiner privat finanzierten Armee bewacht wurde. Zwar rechnete er damit, dass Erebus jeden Tag fallen würde, aber es gab keinen Grund, seinen Besitz ungeschützt zurückzulassen. Wenn er tatsächlich noch einmal zurückkehrte, würde er wieder in seinem repräsentativen Anwesen residieren wollen. Der Boden kippte langsam unter ihm weg, als der Pilot an Höhe gewann. Simon sah winzige Gestalten tiefer im Tal mit den Fingern auf sein Schiff zeigen und empfand blasierte Selbstzufriedenheit, als er sich ihre Bestürzung angesichts seiner Flucht vorstellte. Ein warnender Summton kam aus den Lautsprechern und lenkte seine Aufmerksamkeit von den rasch kleiner werdenden Wahrzeichen von Erebus ab.
»Die Abwehrgeschütze des Tals fordern uns auf, uns zu identifizieren«, sagte der Pilot mit einem nervösen Unterton. Simon nickte und schaute durch die Observationsbucht auf die massiven Abwehrgeschütze, deren Läufe sich drehten und seinem Schiff folgten. Er lächelte und zog einen schlichten Metallkasten aus seinem langen Gehrock, rollte ein isoliertes Kabel an einem Ende aus und stöpselte es in die Konsole des Piloten. Er drückte auf einen schwarzen Knopf an der Seite und sagte: »Senden Sie dieses Signal auf allen Frequenzen. Es wird die Steuerprotokolle der Geschütze außer Kraft setzen. »Wir sind vollkommen sicher«, sagte er noch und beschloss, sich in sein Quartier auf den oberen Decks des Schiffes zurückzuziehen. »Festhalten!«, rief Harkus ihnen zu, als sich das Thunderhawk in eine enge Kurve um den höchsten Gipfel östlich von Erebus legte. »Wir kriegen Gesellschaft!« Uriel ging durch das Passagierabteil in die Pilotenkanzel. Voraus sah er die Kerbe im Gebirge, wo Erebus lag. Aus den Bergen stiegen schwarze Scharen von Gargylen und anderen, tödlicheren Flugbestien auf und sammelten sich um die Berggipfel. Die Scharen rasten dem Thunderhawk entgegen, und Uriel sah, dass sich eine sehr knappe Entscheidung anbahnte, ob sie den Feuerschutz der Talgeschütze erreichen würden, bevor die Ungeheuer sie erwischten. »Wie ist die Treibstoffsituation?«, fragte er. »Die Reservetanks sind praktisch leer. Wir fliegen mit Dämpfen und Gebeten«, antwortete Harkus reizbar. »Nicht mehr genug für den Einsatz der Nachbrenner?« »Kaum genug für eine sichere Landung.« Uriel nickte und beobachtete, wie das Tal vor ihm immer größer wurde. Das galt auch für die Schar fliegender Ungeheuer, die sich alle Mühe gab, sie noch abzufangen. Die Geschwindigkeit des Thunderhawk nahm zu, als Harkus die Nase abwärtsdrückte und ihnen der Berghang entgegenraste. Schneebedeckte Felsen blitzten unter ihnen auf. Was hätte er im Augenblick für einige der Waffensysteme der Maschine gegeben. Plötzlich kippte der Boden weg, als Harkus bremste und die Maschine in eine scharfe Kurve legte. Tageslicht fiel hinein, als der Beschuss aus Biowaffen die dünne Leichtmetallwandung der Ma-
schine durchschlug. Uriel hörte einen von Gossins Techpriestern aufschreien, als er von Tyranidenorganismen aufgelöst wurde. Er hielt sich am leeren Kopilotensitz fest, während die Maschine heftig in der Luft schwankte und ein Warnlicht auf der Armaturentafel aufleuchtete. »Wir sind im Bereich der Geschütze, aber sie feuern nicht!«, brüllte Harkus. Uriel ließ den Atem entweichen, den er angehalten hatte, und musste mit ansehen, wie die fliegenden Ungeheuer immer näher kamen. Weitere Einschläge perforierten die dünne Wandung der Maschine, und neues Geschrei ertönte. »Beim Blut des Imperators!«, schrie der Techmarine plötzlich, und Uriel sah ein silbernes Ungetüm von einem Schiff direkt vor ihnen aufsteigen, auf dessen gesamtem Rumpf Wappen prangten. Simon hörte seinen Piloten alarmiert aufschreien und machte kehrt, um ihn zurechtzuweisen, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken, als er das Thunderhawk auf sie zurasen sah und dazu die vielen Tausend schwarzen geflügelten Ungeheuer, die es verfolgten. Seine Beine versagten den Dienst, und er sank auf die Knie. »Nein«, ächzte er, »nicht so...« Das Thunderhawk schwenkte nach links und ging in den Sturzflug, wobei Harkus den geschwächten Rumpf stärker belastete, als gut für ihn war. Der Druck riss die dünnen Verkleidungsbleche ab, und die orkanartigen Winde wehten durch das Innere. Uriel sah den spiegelnden Rumpf des Schiffs vor ihnen so nah vorbeirasen, dass er die Hand hätte ausstrecken und ihn berühren können. Den Mitgliedern der Deathwatch gelang es, sich an Verstrebungen festzuhalten, aber die Techpriester wurden schreiend aus der Maschine und in den Tod gerissen. Uriel prallte gegen eine dicke Strebe und hielt sich daran fest, während er über das heftig bebende Deck rutschte. Über das Heulen des Windes hinweg hörte er Harkus im Wechsel laut fluchen und den Maschinengott anrufen. Das Deck ruckte wieder, und Uriel sah den Boden erschreckend nah durch die riesigen Löcher in den Flanken des Thunderhawk. Er raste an ihnen vorbei und verschwand dann wieder aus dem Blickfeld, als Harkus die Maschine ausrichtete. Uriel zog sich
hoch, ohne dabei seinen Klammergriff um die Strebe zu lösen. Der Lärm der hereinrauschenden Luft verminderte sich, da Harkus Schub wegnahm. »Imperator, das war knapp!«, hauchte Uriel. »Achtung!«, rief Harkus. »Die Landung steht bevor, und sie wird ziemlich rau!« Tausende von Gargylen umschwärmten die Herrlichkeit, verstopften Lufteinlasse und zerstörten Außensensoren. Größere Kreaturen schlitterten über den Rumpf und kratzten und bissen mit ihrem ätzenden Speichel und den diamantharten Zähnen durch das Metall. Unzählige Kreaturen klammerten sich an die Unterseite, krallten und bissen sich durch Zugangsluken und Wartungsschächte und arbeiteten sich ins Schiff. Binnen Sekunden stieg das Gewicht des ohnehin überlasteten Schiffes um viele Tonnen, und es krängte trunken nach steuerbord. Simons Pilot gab Vollschub, um die Kreaturen abzuschütteln, aber infolge der Schieflage und der zusätzlichen Belastung durch die vielen Tyraniden, die sich an das Schiff klammerten, brannte ein Triebwerk einfach aus, so dass das Schiff ins Trudeln geriet. Der Frontsichtschirm explodierte. Kreischende Bestien flogen in die Kommandozentrale, und Simon schrie, als sie ihm das Fleisch von den Knochen rissen. Eine silberne Tragfläche rasierte eine Felswand und wurde vom Rumpf abgerissen. Die Herrlichkeit fiel vom Himmel, immer schneller, bis sie in einem spektakulären Feuerball zwischen den Häusern des Bezirks Secundus aufschlug. Schwarze Gestalten kreisten über Schneehund am Himmel, als er sich einen Weg durch die Ruinen des zerstörten Lagerhauses bahnte. Rauchende Trümmer fielen von den Mauerruinen, und der unheilvolle orange Schein der verbogenen Haufen brennender Wrackteile hatte mehr als nur eine oberflächliche Ähnlichkeit mit seiner Vorstellung von der Hölle. Weinende Familien drückten die zerschmetterten Leiber geliebter Angehöriger an sich, und benommene Überlebende wanderten ziellos durch die Ruinen, geblendet und durch den Absturz des Raumschiffs verbrannt. Eine silberne Tragfläche ragte in den
Himmel, und ein brennender Teil des Rumpfs hatte sich vor dem Lagerhaus in den Boden gebohrt. Zerbrochene Kisten aus dem Laderaum des Schiffs lagen überall und hatten zertrümmertes Porzellan und kostbare Kleidung mit Goldsäumen überall im Schnee verstreut. Ein gerahmtes Porträt eines uralten Adligen lag geborsten in den Ruinen, zusammengerollte Läufer und Wandteppiche brannten in einer großen Pfütze Treibstoff und Blätter aus einer ganzen Bibliothek flatterten in der heißen Luft. Sagenhaft teure Kleidung sog sich im schmelzenden Schnee voll Wasser, irreparabel ruiniert, und Wertgegenstände aller Art lagen überall in der feurigen Hölle von Bezirk Secundus. Ein kleines Vermögen lag einfach auf dem Boden, und Schneehund bediente sich und stopfte so viel in seinen Rucksack, wie hineinpasste, ein Auge ständig auf die kreisenden Gestalten über sich gerichtet, während er den verdammten Piloten verfluchte, der das Schiff direkt auf sie hatte abstürzen lassen. Das hintere Ende des Lagerhauses gab es nicht mehr, ausgelöscht durch den Einschlag des abstürzendes Raumschiffs. Jede Kiste mit Proviant und anderen Gütern, die er gestohlen oder von MagazinSergeanten gekauft und für die er sogar getötet hatte, war zerstört, im Zuge der Explosion zu Asche verbrannt. Tigerlily stand ob des Ausmaßes der durch den Absturz angerichteten Zerstörung benommen einfach nur da, während Lex und Trask Hände voll Edelsteine aufsammelten und sich in die Taschen stopften. Jonny nahm sich eine große Jagdbüchse, die aus einer geborstenen Kiste ragte, und die Größe der Patronen in den zwei Gurten, die er sich kreuzweise über die Brust streifte, war einfach verblüffend. »Damit könntest du ein wütendes Grox aufhalten, Jonny!«, rief Schneehund. Jonny lachte, hob das Gewehr und ahmte den gewaltigen Rückschlag der Büchse nach. Das Grinsen verschwand von Schneehunds Gesicht, als er Silber unter einem Haufen Gesteinstrümmer liegen sah, das Gesicht blutig und die Arme ausgestreckt. Er lief zu ihr und fühlte ihren Puls. Er war dünn, aber stetig. Sie ächzte, und Schneehund sah, dass ihr ein Stück Strebe in der Seite steckte. Blut leckte aus der Wunde, und er hob sie sanft von der Strebe herunter und verzog das Gesicht, als er bemerkte, dass die Strebe volle fünfzehn Zentimeter tief eingedrungen war.
Er nahm sein Halstuch ab, stopfte es in das Loch in ihrer Seite und verknotete es dann um ihren Leib. Es war nicht viel, aber mehr konnte er im Moment nicht für sie tun. Eine Hand schloss sich um seinen Oberarm und drehte ihn um. Er griff nach seiner Pistole, entspannte sich aber, als er sah, dass er einen wettergegerbten alten Mann vor sich hatte. »Was willst du, Großvater? Siehst du denn nicht, dass ich beschäftigt bin?« Papa Gallo blickte Schneehund fest ins Gesicht. »Du bist diesen Leuten hier was schuldig, Wehr-Bewohner. Du hast ihr Geld und ihre Habe genommen im Tausch gegen Sicherheit.« »Was?«, schnauzte Schneehund zurück, indem er sich aus dem Griff des alten Mannes losriss. Er zeigte in den Himmel und sagte: »Ich habe ihnen ein warmes Plätzchen gegeben und diese verdammten Ungeheuer daran gehindert, sie umzubringen. Ich glaube, ich habe meinen Teil erfüllt. Jetzt habe ich selbst genug Probleme.« Tigerlily kam zu ihm, blieb hinter ihm stehen und stieß ihn in die Rippen, aber Schneehund beachtete sie nicht, da seine Aufmerksamkeit ganz von der Konfrontation mit dem alten Mann und der verwundeten Silber in Anspruch genommen wurde. »Das sehe ich anders«, sagte Papa Gallo und verschränkte die Arme vor der Brust. »Pech«, erwiderte Schneehund. »Und das Zeug, das sie mir gegeben haben, hat sich sowieso in Rauch aufgelöst.« »Nicht unser Problem. Du schuldest uns was.« Tigerlily stieß ihn noch einmal an, und diesmal warf er ihr einen irritierten Blick zu. Sie nickte in Richtung des brennenden Lagerhauses. Er folgte ihrem Blick und spürte, wie heiße Furcht durch seinen Körper schoss. Hunderte rußverschmierte Zivilisten hatten sich versammelt, viele davon bewaffnet. Mit den Waffen, die Schneehund ihnen selbst gegeben hatte. Sie waren nervös und gereizt und sahen aus, als seien sie bereit, sie zu benutzen. Schneehund schaute Papa Gallo in die Augen und sah dort grimmige Entschlossenheit. Er sah, wie Jonny eine Patrone aus dem Gurt in die Büchse schob, und schüttelte den Kopf. »Gut, Mann, du gewinnst«, sagte Schneehund, während er sich neben die bewusstlose Silber kniete. »Was willst du? Aber beeil
dich.« »Wir haben viele Verwundete, und du hast nicht mehr die Mittel, um sich um sie zu kümmern.« »Und?« »Und wir müssen diesen Leuten helfen. Ich will, dass du sie zur nächsten Klinik führst«, sagte Papa Gallo. »Scheiße, Mann, die nächste Klinik, die noch steht, ist in Bezirk Quintus«, protestierte Schneehund. »Nicht mein Problem«, wiederholte Papa Gallo, und als Schneehund einen Blick auf das blutende Mädchen neben sich und die vielen Waffen vor sich warf, ging ihm auf, dass er keine Wahl hatte. »Von mir aus«, sagte er achselzuckend, indem er sich den Rucksack auf den Rücken schwang, Silber aufhob und auf die Arme nahm. »Brechen wir auf. Wir wollen uns nicht groß aufhalten, solange diese Viecher über uns kreisen.« Der Liktor wehrte sich gegen seine Fesseln, und Fleischdornen zuckten gegen das Panzerglas, das ihn von denjenigen trennte, die ihn beobachteten. An drei zusammengeschobene Seziertische gebunden, spannten sich seine starken Muskeln in dem Versuch, sich zu befreien, aber die Fesseln ließen ihm keinen Bewegungsspielraum. Dennoch hatte er zwei Magos Biologis getötet, die die Sicherheitsvorschriften für den Umgang mit Xenos unklugerweise nicht eingehalten hatten, und einen dritten verwundet, der für seinen Lapsus anschließend hingerichtet worden war. Nach der Gefangennahme des Liktors hatte Magos Locard seine Arbeit mit neuem Schwung und vermehrter Eile fortgesetzt, da der Versuch, beide Schwarmschiffe im Kreuzfeuer der Flotte und der planetaren Abwehrlaser zu zerstören, gescheitert war. Die Lage hatte sich noch einmal verschlechtert, als der feige Simon van Gelder von Tarsis Ultra hatte flüchten wollen und dabei in einem Akt äußersten Hochverrats die Abwehrvorrichtungen des Tals außer Kraft gesetzt hatte. Die Kampfbereitschaft der Abwehrgeschütze war schließlich wiederhergestellt worden, aber erst, nachdem Hunderte von Gargylen und ihre monströsen Brutmütter tief in das Tal von Erebus eingedrungen waren. Anscheinend fehlte ihnen der beherrschende Einfluss des Schwarmverstandes, da die Mehrheit der Kreaturen zu ihren grundlegenden animalischen Trieben und Ins-
tinkten zurückgekehrt war, in Höhlen in den Felswänden nistete und kleine Gruppen von Zivilisten angriffen. Andere waren in die dicht bevölkerten Viertel der Stadt eingedrungen und hatten dort zwei Tage lang ein Massaker unter den Zivilisten angerichtet, bevor sie von Freiwilligen der Verteidigungslegion Erebus systematisch aufgespürt und getötet worden waren. Die Kämpfe vor der Mauer zum Bezirk Quintus tobten mit unverminderter Heftigkeit, und der Tyranidenschwarm war mittlerweile fast doppelt so groß wie zu Beginn, da das eine noch verbliebene Schwarmschiff weitere Kreaturen zur Oberfläche gesandt hatte. Die Zeit der Verteidiger von Tarsis Ultra lief ab, und Magos Locard war ihre letzte Hoffnung. Tief in einem der Vivisektorien der Adeptus Mechanicus hielt Magos Locard einem ausgesuchten Publikum bestehend aus Oberst Stagler, Major Satria, Lord Inquisitor Kryptman, Ordenspriester Astador und Uriel einen Vortrag. Ein ausdrucksloser Servitor mit verstärkter Bionik an Kopf und Oberkörper stand neben dem Magos in Bereitschaft und trug einen silbernen Waffenkoffer. Mit Abscheu beobachteten sie durch das Panzerglas den Liktor, dessen Physiologie widerwärtig war und dessen geistige Prozesse ihr Verständnis überstiegen. »Wie Sie selbst sehen«, begann Locard, »hat der LiktorOrganismus selbst in dieser Umgebung mit dem XenoSchutzfaktor drei bedauerlicherweise der höchste in dieser Anlage verfügbare Faktor noch eine Lethalität von 45,43 Prozent.« »Warum lassen Sie die verdammte Bestie dann noch am Leben?«, wollte Stagler wissen. »Warum töten Sie das Vieh nicht einfach?« »Um die Tyraniden zu besiegen, müssen wir sie zuerst verstehen«, erläuterte Kryptman. »Wenn wir gegen Orks, Hrud, Galthiten und Lacrymolen kämpfen, dann sind wir mit dem Wissen bewaffnet, wie wir sie schlagen können. Gegen einen Tyraniden zu kämpfen, heißt nicht automatisch, den nächsten zu verstehen, Ihre Anpassungsfähigkeit macht sie zu überragenden Raubwesen. Sie ist ihr größtes Plus und in diesem Fall potenziell die einzige Schwäche, die wir ausnutzen können.« »Auf welche Weise?«, fragte Uriel. »Sagen Sie, Hauptmann Ventris, haben Sie schon einmal die Redewendung gehört, >die Stärke eines Feindes gegen ihn wenden«
»Natürlich.« »Genau das beabsichtigen wir«, sagte Kryptman mit einem verschmitzten Lächeln. »Magos Locard, wenn Sie so nett wären.« Locard nickte und wandte sich dem Servitor zu. Seine Mechandriten öffneten den Waffenkoffer mit präzisen Drehungen der gezähnten Schlüssel, die aus den Fingerwerkzeugen glitten. Er entnahm dem silbernen Koffer mit seiner Schaumstoffeinlage eine wunderbar gefertigte silberne Pistole und eine großkalibrige Kugel mit einem Glaseinsatz. Mit übertriebener Vorsicht lud er die Pistole mit der Kugel und reichte die Waffe dem Servitor. Auf ein Nicken Kryptmans öffnete er das Handrad der Schleuse zur Zelle des Liktors und sagte: »Führe Anweisung eins aus.« Der Servitor machte kehrt, stieß die massive Tür auf, marschierte in die Zelle und blieb neben den Seziertischen stehen. Locard versperrte die Schleuse wieder, während der Liktor seine Versuche verstärkte, sich zu befreien. Der Servitor näherte sich, hob die Pistole und drückte sie auf den fleischigen Rumpfbereich des Liktors. »Was im Namen des Imperators macht er da?«, fragte Uriel. »Sehen Sie selbst«, sagte Locard mit mehr als nur einem Anflug von Stolz. Er drückte auf den Knopf der Sprechanlage und sagte: »Führe Anweisung zwei aus.« Der Servitor drückte ab und feuerte die gläserne Patrone in den Liktor. Blut spritzte aus der Wunde und fiel zischend auf den Boden des Vivisektoriums. Ohne jedes Zögern legte der Servitor die Pistole behutsam auf den Boden, während Locard die Fesseln löste, die den Liktor auf den Seziertischen hielten. Der Liktor griff so schnell an, dass seine Bewegungen verschwammen. Die Stümpfe seiner oberen Gliedmaßen stießen den Servitor durch den Raum. Dessen extrem verstärkter Körper prallte gegen das Panzerglas, auf dem sich ein paar Sprünge bildeten, was den Beobachtern beunruhigte Rufe entlockte. Uriel und Astador zogen beide ihre Boltpistole und richteten sie auf das Glas. »Warten Sie!«, rief Kryptman. Der Liktor sprang den Servitor an, und seine unteren Arme zerfetzten in einer Raserei der Gewalt dessen graues Fleisch. Blut spritzte an die Wände, da die Bestie ihr Opfer in Stücke riss und den Leichnam massakrierte und verstümmelte, bis nichts mehr übrig war, was auch nur entfernte Ähnlichkeit mit einem Men-
schen hatte Die Bestie richtete sich auf und hämmerte auf das Glas. Neue Sprünge dehnten sich in Windeseile spinnwebartig aus. »Schießen Sie! Schießen Sie doch!«, rief Oberst Stagler. Bevor Uriel und Astador jedoch abdrücken konnten, krümmte der Liktor sich plötzlich zusammen und fiel auf den Boden seiner Zelle. Die Bestie stieß ein unheimliches Geheul aus, und ihr gesamter Körper zuckte, während er sich unter der Haut zu kräuseln schien. »Ah, ja, jetzt beginnt es«, stellte Locard fest. »Widerstandsfähig, aber damit habe ich angesichts der relativen Stabilität der genetischen Struktur auch gerechnet.« »Was passiert mit dem Liktor?«, sagte Uriel, während er angewidert auf das zuckende Ungeheuer starrte. Der Liktor fiel auf den Rücken, von gewaltigen Krämpfen geschüttelt, und sein Leib bog sich zu einem umgedrehten U durch. Trotz der Panzerglasscheibe hörte Uriel das Knacken, als das Rückgrat brach. Der Körper des Liktors teilte sich, und monströse Wucherungen brachen daraus hervor, während sich das Gewebe in unkontrollierter Evolution wand. Halb geformte Glieder schlängelten sich aus den Eingeweiden, und andere unkenntliche Organe ohne Namen quollen aus dem mutierenden Körper. Das Ungeheuer stieß einen letzten gepeinigten Schrei aus, als schwarzes Blut aus jeder Körperöffnung spritzte. Schließlich lag es still. Uriel fühlte sich über alle Maßen abgestoßen. Der Liktor war unzweifelhaft tot, aber was hatte ihn getötet? Ein einfaches Gift? Jähe Hoffnung flackerte in ihm auf, als ihm klar wurde, dass sie damit vielleicht eine Waffe gefunden hatten, mit der sie die gesamte Tyranidenrasse besiegen konnten. »Hervorragende Arbeit, Magos«, sagte Kryptman, während das Blut des Servitors von der gesprungenen Panzerglasscheibe tropfte. »Vielen Dank, Lord.« »Was haben Sie mit ihm gemacht?«, fragte Astador. Locard lächelte. »Mit Hilfe des genetischen Codes dieses Liktors ist es mir gelungen, die grundlegenden Stränge der ursprünglichen Mutation dieser Splitterflotte zu isolieren. Mit diesem >Schlüssel<, wenn Sie so wollen, konnte ich eine massive Überstimulierung des Anpassungsvorgangs hervorrufen. Im Prinzip
habe ich eine extrem beschleunigte Hyper-Evolution in Gang gesetzt, die auch ein Tyranidenorganismus nicht überleben kann. Die genetische Struktur eines Liktors ist normalerweise sehr viel stabiler, daher hat es etwas länger gedauert, bis die Infektion die erwartete Wirkung zeigte, aber ich glaube, Sie werden mir beipflichten, dass die Ergebnisse für sich selbst sprechen.« »Das ist unglaublich«, hauchte Uriel. »Das ist es in der Tat, Hauptmann Ventris«, stimmte Locard ohne jede falsche Bescheidenheit zu. »Mit dieser Waffe können wir endlich die gesamte Tyranidenrasse besiegen!« »Bedauerlicherweise ist das nicht der Fall«, erklärte Locard. »Jede Schwarmflotte hat ihre ganz eigene genetische Struktur, und wir konnten die grundlegenden genetischen Stränge überhaupt nur aufgrund der Gefangennahme einer so frühen Generation von Kreatur isolieren.« »Also können wir diese Waffe nur gegen diese Flotte einsetzen?«, fragte Stagler. »Bedauerlicherweise, ja, und sie könnte sich auch gegen die Kreaturen dieses Schwarms als nicht sonderlich wirkungsvoll erweisen. Viele der Kreaturen hier auf Tarsis Ultra befinden sich bereits in der sechsten oder siebten Mutation und könnten sich inzwischen zu weit vom Ursprung entfernt haben, um noch beeinflusst zu werden.« »Also könnte es nicht gegen alle funktionieren?«, fragte Uriel. »Ich glaube, es wird gegen alle funktionieren, obwohl ich natürlich nicht ganz sicher sein kann«, antwortete Locard. »Wir sollten diese Munition so schnell wie möglich verteilen«, sagte Major Satria aufgeregt. Uriel sah, wie Kryptman und Locard einen Blick wechselten, und plötzlich wurde ihm die Absicht dieser Demonstration klar. »So einfach ist es nicht, Major Satria«, sagte er. »Nicht?« »Nein. Habe ich recht, Lord Inquisitor?« Kryptman sah Uriel ein paar Sekunden an, bevor er ernst nickte. »Hauptmann Ventris hat recht. Es wäre in diesem Stadium des Kampfes sinnlos, Munition mit diesem Gengift herzustellen. Nein, dies muss ins Herz des Feindes gebracht werden, wo es den größten Schaden anrichten wird.« »Und was bedeutet das?«, fragte Satria.
»Es bedeutet«, sagte Uriel, »dass wir uns in das Schwarmschiff kämpfen müssen. Es bedeutet, dass wir die Schwarmkönigin infizieren müssen.« In Deiner Immerwährenden Herrlichkeit war schon immer eines von Schwester Joaniels Lieblingsgebeten gewesen, wie es von der Freude und der Verpflichtung des Dienstes am Imperator kündete. Sie hatte ihr Leben in den Dienst der Erhaltung des Lebens und der Heilung jener gestellt, deren zerbrechliche Leiber und Seelen das Grauen des Krieges nicht unversehrt überstanden hatten. Auf Remian hatte sie überlebt, als jene in ihrer Obhut gestorben waren, und sie weinte beim Beten, da immer noch dasselbe Schuldgefühl beim Gedanken an diese armen Unglücklichen in ihr brannte, die blutend und sterbend in der Klinik lagen. Wie sie geahnt hatte, war die Flut der Opfer zu einem reißenden Strom angewachsen, und jeden Tag wurden Hunderte eingeliefert. Wie ausgiebig sie ihre Hände auch schrubbte, sie wurde den Gestank und den Makel des Blutes nicht los. Wie viele Soldaten sie auch zusammenflickte, die Bahrenträger brachten immer neue. Und da die Front dem Bezirk Quintus immer näher rückte, mussten sie und ihr Stab begleitet vom Lärm der Artillerie und der Gewehre arbeiten. Der Lärm des Krieges, Schreie, Explosionen und Schluchzen, begleitete sie immer, und der Anblick so vieler Verwundeter verfolgte sie bis in ihre Träume. Ihre Gesichter verschwammen zu einem einzigen, so dass sie nicht mehr sagen konnte, wer lebte und wer starb. So oft hatte sie daran gedacht, einfach aufzugeben, da ihr ob der Unmöglichkeit ihrer Aufgabe die Tränen kamen. Doch dann rezitierte sie jedes Mal ihr Lieblingsgebet, und Zweifel und Schuldgefühl waren für eine Weile verdrängt. Sie begann das Gebet zum vierten Mal und war mitten im zweiten Vers, als sie Türen schlagen und Lärm aus dem Vestibül hörte. Sie erhob sich unter Schmerzen und hinkte aus der Kapelle, um nachzusehen, was dieser Tumult zu bedeuten hatte. Als sie die Treppe zum Vestibül erklomm, sah Joaniel einen Haufen Verwundete, die sich vor den Stationstüren versammelt hatten. Uniformierte Helfer versperrten ihnen den Weg und stritten sich mit einem jungen Mann mit gebleichten Haaren, der ein silberhaariges Mädchen mit blutverschmiertem Bauch trug.
»Im Namen von allem, was heilig ist, was geht hier vor?«, sagte sie, und ihre Stimme drang mühelos durch das Stimmengewirr im Vestibül. Der Mann mit dem Mädchen auf den Armen drehte sich um und betrachtete sie von oben bis unten. Eine Frau, deren feuerrote Haare zu Streifen rasiert waren flankierte ihn. Falten der Erschöpfung hatten sich in ihr Gesicht gegraben. »Ich habe hier Verwundete und dachte, Sie könnten sich hier um sie kümmern«, sagte der Mann. »Und wer sind Sie?«, fragte Joaniel. »Ich? Ich bin Schneehund, aber das tut nichts zur Sache. Ich hatte die Aufgabe, diese Leute hierher zu bringen, und das habe ich getan. Dieses Mädchen ist schwer verwundet. Können Sie ihr helfen?« Einer der bewaffneten Pfleger drängte sich durch das überfüllte Vestibül zu ihm, und seine Verärgerung war nicht zu übersehen. Er zeigte auf die Verwundeten, von denen sich draußen vor der Klinik noch mehr versammelt hatten, und sagte: »Diese Leute gehören nicht zum Militär. Wir können sie nicht aufnehmen. Wir sind ohnehin schon überfüllt.« »Mann, Sie müssen ihnen helfen«, sagte Schneehund. »Wohin sollte ich sonst gehen?« »Nicht mein Problem«, schnauzte der Pfleger. »Ich habe von Ihnen gehört«, sagte Joaniel. »Sie sind ein Mörder und handeln mit Waffen und Drogen.« »Und?« »Und warum sollte ich Ihnen helfen, wenn da draußen viele Tausend Männer jeden Tag ihr Leben gegen die Tyraniden aufs Spiel setzen?« »Weil Sie genau das tun. Sie helfen den Leuten«, sagte Schneehund, als sei es das Offensichtlichste auf der Welt. Joaniel lächelte über diese simple Feststellung und wollte ihn schon für seine Naivität zurechtweisen, bevor ihr die Erkenntnis kam, dass er recht hatte. Genau das tat sie. Es war tatsächlich so einfach, und plötzlich ging ihr auf, dass sie diese Leute nicht abweisen konnte. Wenn sie das tat, würde sie alles verraten, wofür ihr Orden stand. Und das konnte sie nicht. Joaniel nickte Schneehund zu und zeigte auf eine breite Treppe, die in die oberen Etagen der Klinik führte. »Die oberste Etage ist noch nicht so voll wie die anderen. Ich
schicke Essen und Korpsleute zu Ihnen, die sich um Ihre Verwundeten kümmern. Wir haben zu wenig Personal und noch weniger Hilfsmittel, weil unsere Vorräte gestohlen wurden, aber ich verspreche Ihnen, dass wir tun werden, was wir können.« »Aber diese Leute gehören nicht der Armee an!«, protestierte der Pfleger. Sie wandte sich an den Mann und schnauzte ihn an: »Das ist mir egal. Sie bekommen Schutz und sämtliche Fürsorge, die wir entbehren können. Haben Sie mich verstanden?« Der Pfleger nickte, nahm Schneehund die verwundete Frau ab und trug sie in die Station. »Danke, Schwester«, sagte Schneehund. »Schweigen Sie«, sagte Joaniel. »Ich tue das nicht für Sie, sondern für die anderen hier. Lassen Sie mich eins klarstellen: Ich verachte Sie und alles, was Sie sind, aber wie Sie gesagt haben, die Leute hier sind verwundet, also holen wir sie aus der Kälte.« Riesige gelbe Planierraupen räumten den gröbsten Schutt von der langen Allee, die zur Front führte, während Pioniertrupps des Departmento Munitorum diese letzte Räumphase der improvisierten Rollbahnen beaufsichtigten. Ein verirrter Felsbrocken oder ein Schlagloch konnte den Tod für jede Flugmaschine bedeuten, die das Pech hatte, darauf zu treffen, und diese Mission war zu wichtig, um auch nur eine auf diese Weise verlieren zu dürfen. Tanklaster und Raketentransporter fuhren kreuz und quer über den Beton und lieferten letzte Ladungen an die Vielzahl der Flugzeuge, deren Triebwerke die Luft mit einem bedrohlichen Grollen erfüllten. Überall wurde der Eindruck von Dringlichkeit erweckt, da Piloten und Bodenpersonal ihre Flugmaschinen für den Kampf vorbereiteten. Hauptmann Owen Morten, Kommandeur der Engel-Staffel von der Kharloss Vincennes, machte einen letzten Rundgang um seine Furie und vergewisserte sich, dass die Techs alle Raketen scharfgemacht hatten und die Kanten seiner Tragflächen eisfrei waren. Die größte Gefahr beim Fliegen in solcher Kälte war nicht das zusätzliche Gewicht des Eises, sondern die Störung des Luftstroms über der Tragfläche und die damit verbundene Verringerung des Auftriebs. Überzeugt, dass seine Maschine startklar war, zog Morten den Reißverschluss seines Fluganzugs bis zum Hals hoch und tätschelte den gepanzerten Rumpf seiner Furie.
»Wir machen das für die Vincennes«, flüsterte er. »Haben Sie etwas gesagt?«, fragte Kiell Pelaur aus der Kanzel, wo er gerade die letzten Einstellungen am Angriffs-Cogitator der Furie vornahm. »Nein«, sagte Morten, während er die Techs dabei beobachtete, wie sie ihre Inspektion der Eisrampe fortsetzten, die ihnen hoffentlich gestatten würde, von einer kürzeren Rollbahn zu starten, wie sie es gewohnt waren. Die Plätze und Straßen der Umgebung waren mit einer Armada von Flugmaschinen vollgestopft. Alles, was irgendwie fliegen konnte, ob Jäger, Bomber oder Aufklärer, wurde in diesem Augenblick für den Start vorbereitet. Owen wusste, dass die meisten von ihnen nie zurückkehren würden. Man war bereit, sie zu opfern, um dafür zu sorgen, dass die Space Marines ihr Ziel erreichten. Der Gedanke beunruhigte ihn nicht. Er hatte sich schon lange mit der Tatsache abgefunden, dass dies sein letzter Flug würde. Am Himmel über ihm war sein Platz, und er hatte schon immer gewusst, dass er dort auch einmal sterben würde. Der Gedanke, dass er bald alle seine toten Schiffskameraden wiedersehen würde, war Owen Morten ein großer Trost, als er die Leiter empor und in seine Pilotenkanzel stieg. Dem schwarzen Thunderhawk fehlten jegliche Insignien und Verzierungen. Oder jedenfalls schien es so vor eingehenderer Begutachtung. Jeder Quadratzentimeter des Rumpfs war mit winziger Schrift bedeckt, die mit akribischer Sorgfalt von Hand eingeritzt worden war. Glaubensbekenntnisse und den Xenos geltende Hassgebete schmückten den Rumpf der Flugmaschine vom Bug bis zum Heck. Skandierende Techpriester umkreisten die Flugmaschine, und gesegnete Rüstmeister kritzelten Worte des Zorns auf die Sucher der unter den Tragflächen montierten Raketen. Jede Granate für die Autokanonen wurde kurz in heiliges Wasser getaucht, bevor man sie mit Gesängen, die ihre Detonation gewährleisten sollte, in die Ladevorrichtungen einpasste. Die fünf überlebenden Mitglieder der Deathwatch knieten im Gebet vor dem Thunderhawk und flehten, es möge sie sicher an ihr Ziel bringen. Henghast sprach vor. Seine Wunden schmerzten noch, aber er hatte sich von seinem Kampf mit dem Liktor wieder so weit erholt, dass er seine Schlachtbrüder begleiten konnte.
Bruder Elwaine von den Salamandern hatte ebenfalls überlebt und unterzog sich gerade einer Operation, bei der seine verlorenen Arme durch künstliche Glieder ersetzt würden. Trotz Elwaines Proteste hatte Henghast ihm nicht erlaubt, an diesem Einsatz teilzunehmen. Fünf Männer gegen die Macht des Schwarmschiffs. Aus solchem Stoff waren die Legenden der Deathwatch gestrickt, und der Gedanke an die bevorstehende Schlacht erfüllte Henghasts fenrisische Seele mit Feuer. Sollten sie überleben, würden die Runenpriester ihre Geschichte an den Festtafeln im Reißzahn erzählen. Henghast verschränkte die Hände vor der Brust und sagte: »Wir betrauern den Verlust von Hauptmann Bannon und verehren sein Andenken. Er war ein hervorragender Anführer und ein würdiger Waffenbruder. Ich wünschte, er wäre hier und könnte uns noch einmal in die Schlacht führen, aber Wünsche sind etwas für Dichter, und wir werden ihm Ehre bereiten, indem wir diese Schlacht in seinem Namen austragen.« Ein langer Schatten fiel auf Henghast, und er bleckte seine Reißzähne, als er sich geschmeidig erhob, um denjenigen zurechtzuweisen, der die Gebete seiner Männer unterbrach. Doch die Worte blieben ihm im Halse stecken, als er die Gestalt sah, die vor ihm stand. Ein Space Marine in nachtschwarz lackierter Rüstung mit einer einzigen blauen Schulter. »Machen Sie Ihre Krieger bereit, Bruder Henghast«, sagte Hauptmann Uriel Ventris von der Deathwatch. »Wir ziehen in die Schlacht.«
FÜNFZEHN Uriel spürte den Ruck, als das Thunderhawk abhob, und lohnte den behelmten Kopf an die vibrierende Wandung der Flugmaschine. Ein weicher blauer Schein erfüllte das Mannschaftsabteil, und ein seligmachender Engelschor drang leise aus den Wiederaufbereitungseinheiten, die heiligen, den Xenos abträglichen Weihrauch verteilten. Die Space Marines der Deathwatch saßen auf der anderen Seite, den Kopf geneigt, da sie sich innerlich auf den bevorstehenden Kampf vorbereiteten. Bruder Henghast, der Wolfskrieger, betete vor, und Uriel war
nicht überrascht, fromme Anrufungen zu hören, die das Kennzeichen des Kriegers waren, der sich auf den Tod in der Schlacht vorbereitete. Er ließ den Blick über die Brüder wandern, mit denen er diesen letzten Kampf austragen würde, und tat dies in dem Wissen, dass ihr Dienst in der Deathwatch bereits bedeutete, dass sie zu den besten und tapfersten Kriegern gehörten, die ihr Orden aufbieten konnte. Bruder Jagatun von den White Sears saß da und schärfte einen langen, krummen Tulwar, an dessen Schädelknauf ein Totem aus Pferdehaar baumelte. Bruder Damias war ein Apothekarius der Raven Guard, wortkarg und zurückgezogen. In seine Energiefaust waren bizarre Narben geritzt, die Uriel an jene erinnerten, welche sich eifernde Priester selbst zufügten, wenn sie sich in eine selbstverstümmelnde Rage der Hingabe steigerten. Neben ihm saßen Bruder Alvarax von den Howling Griffons und Bruder Pelantar von den White Consuls. Beide luden Höllenfeuerpatronen in ihre schweren Boltgewehre, und jede Patrone enthielt das Mutationsserum, das so tödlich für diesen Schwarmorganismus war. Neben Uriel saß das letzte Mitglied ihrer Einsatzgruppe. Er allein trug noch die ursprünglichen Farben seines Ordens, und seine Anwesenheit beruhigte Uriel ebenso sehr wie die der Deathwatch. Veteranen-Sergeant Pasanius hielt den Lauf seines schweren Flammenwerfers fest in seiner versilberten bionischen Hand und wartete schweigend auf den Beginn der bevorstehenden Schlacht. Uriel hatte versucht, seinen ältesten Freund vom Mitkommen abzubringen, aber Pasanius hatte nichts davon hören wollen, und da Bruder Elwaine und dessen Flammenwerfer nicht kämpfen konnten, war Henghast froh gewesen, dass Pasanius sie begleiten wollte. In der Enge eines Schwarmschiffs der Tyraniden war ein Flammenwerfer mit Sicherheit eine überragende Angriffswaffe. Als Uriel gesehen hatte, dass Pasanius sich nicht würde umstimmen lassen, war ihm klar gewesen, dass er den Sergeant nur mit Gewalt am Mitkommen hätte hindern können, und ihm widerstrebend, aber innerlich dankbar seinen Segen gegeben. Astador und Learchus waren mehr als fähig, die Verteidiger zusammenzuhalten, und Pasanius' Anwesenheit dort würde so oder so keinen Einfluss auf das Schicksal von Erebus haben. Astador hatte ihn umarmt und seinen sterblichen Überresten einen Ehrenplatz in der Galerie der Knochen versprochen. Uriel hatte die Endgültigkeit im Tonfall des Ordenspriesters nicht gefallen,
als er ihnen den Segen des Imperators gab. Learchus hatte ihnen keinen Segen mitgegeben. Seiner Ansicht nach ließ Uriel als Hauptmann der Vierten Kompanie seine Männer im Stich, und er hatte aus seiner Wut darüber kein Hehl gemacht. »Ihr Platz ist bei Ihren Männern, nicht bei der Deathwatch!«, hatte er argumentiert. »Nein, Learchus, mein Platz ist dort, wo ich der Sache am meisten nütze«, hatte er erwidert. »Zeigen Sie mir die Stelle im Codex, wo das steht«, schnauzte Learchus. »Sie wissen, dass ich das nicht kann, Sergeant. Aber das hier muss ich einfach tun.« »Lord Calgar wird davon erfahren.« »Sie müssen tun, was Sie für richtig halten, Learchus, und ich muss das auch«, sagte Uriel, bevor er ging und es seinem erzürnten Sergeant überließ, die Ultramarines auf die letzte Schlacht vorzubereiten. Uriel war traurig über Learchus' Unfähigkeit, über den Buchstaben des Codex' hinauszusehen, und sicher, dass Roboute Guillaume seine Entscheidung gutgeheißen hätte, die Deathwatch in die Schlacht zu führen. Er wusste, dass große Weisheit in den Seiten des Codex Astartes steckte, aber er wusste auch, dass es eine Weisheit war, aus der man lernen musste, und dass ein dogmatisches Sichklammern an den Buchstaben des Textes, wie Astador es formuliert hatte, nicht Weisheit, sondern Wiederholung war. Doch darin lag auch eine Gefahr: dass solche Gedanken unweigerlich auf den Weg führten, den die Mortifactors beschritten hatten. Uriel hatte nicht den Wunsch, diesem Weg zu folgen, wusste jetzt aber, dass es einen goldenen Mittelweg gab, indem man dem Geist des Codex' folgte und nicht seinem Buchstaben. Er lächelte, als er sich den stummen Beifall von Hauptmann Idaeus vorstellte, und beobachtete durch das Bullauge, wie der violette Himmel von Tarsis Ultra in die Schwärze des Alls überging. Er betrachtete seine Kameraden noch einmal einen nach dem anderen. Sieben großartige Krieger, die in die Schlacht zogen. In eine Schlacht, die über das Schicksal einer Welt entscheiden würde. Learchus beobachtete, wie das Thunderhawk in die oberen
Schichten der Atmosphäre raste und dabei von vielen Hundert Begleitmaschinen umringt war, die helle Flecken vor der Dunkelheit bildeten. Das Morgengrauen erhellte den Horizont bereits mit einem diffusen gelblichen Licht, und er sah bereits die ersten Bewegungen unter dem Schnee, da die Tyraniden wieder an die Oberfläche kamen. Die geborstenen Überreste der Mauer gaben an vielen Stellen nach, aber das war nicht zu ändern. Arbeitstrupps hatten sich bemüht, die gröbsten Schäden bis zum nächsten Angriff zu beseitigen, aber ein Großteil der nächtlichen Arbeit war in die Anlage der Startbahnen für die Flugmaschinen gesteckt worden. Er umschloss den Griff seines Kettenschwerts fester. Sein Zorn auf Uriel und Pasanius war immer noch ungebrochen, obwohl sie längst weg waren. Er und die verbliebenen achtzig Mitglieder der Vierten Kompanie standen bequem hinter dem Nordabschnitt der Mauer des Bezirks Quintus und erwarteten den Angriff der Tyraniden. Astador und die dreiundsechzig Krieger der Mortifactors hielten den Südteil der Mauer, und Learchus machte sich im Geiste einen Vermerk, ein Auge auf diese unbesonnenen Abkömmlinge seines Ordens zu haben. Astador hatte ihm bereits angeboten, an einem ihrer barbarischen Blutrituale vor der Schlacht teilzunehmen, aber er hatte abgelehnt und war angewidert davonmarschiert, bevor er etwas tat, was er hinterher bereuen mochte. »Mut und Ehre!«, brüllte er, als die ersten aufgeblähten Kreaturen träge vortraten und mit sehnigen, knochigen Armen ausholten, um ihre organischen Bomben zu werfen. Mit dem Blutgeschmack im Mund beobachtete Ordenspriester Astador die unnachgiebige Gestalt Learchus', der mit seinen Kriegern stocksteif dastand. Er wusste, dass Learchus ein großer Krieger war, aber auch nie mehr als das sein konnte. Sein Geist-Ich war eben erst in seinen Körper zurückgekehrt, und seine Seele wehrte sich immer noch dagegen, wieder in ihrem Kerker aus Fleisch eingesperrt zu sein. Astador erwog kurz, Learchus mitzuteilen, was die Geister seiner Vorfahren ihm gezeigt hatten, schüttelte dann aber den Kopf und richtete den Blick wieder auf die vorrückenden Tyraniden. Was würde es für einen Sinn haben, es ihm zu sagen? Er würde nicht dankbar für das Wissen sein, dass sein Hauptmann sterben würde.
Ein zwei Stunden dauerndes Bombardement mit Sporen ging auf die Mauer des Bezirks Quintus nieder und hüllte die Wehrgänge in wallende Wolken aus giftigen Dämpf en. Die im Tal wehenden Höhenwinde verteilten den größten Teil der giftigen Gase, aber mit den Gassporen wurden auch solche abgefeuert, die bei ihrer Explosion zersetzende Viren freisetzten. Große Teile der Brustwehr lösten sich in Pfützen geschmolzenen Gesteins auf, die an der Mauer herunterliefen wie dicke Rinnsale aus Wachs. Ein Abschnitt der südlichen Brustwehr löste sich auf, und drei Mortifactors verloren den Halt und fielen von der Mauer. Sie brachen durch das dünne Eis des Grabens und tauchten unter die Wasseroberfläche, um Sekunden später wieder aufzutauchen. Learchus sah, wie die schwarz gerüsteten Space Marines Feuerstellung einnahmen, als die Horden der Tyraniden als homogene Masse vorwärtsdrängten. Er sah sofort, dass dies kein normaler Angriff war, sondern ein konzertierter Hammerschlag, der ihre Verteidigung zerschlagen sollte. Die kleineren springenden Organismen eilten voran, eine zwitschernde schwarze Flut, die dei Boden vollständig bedeckte. Gewehrfeuer dezimierte sie, aber angesichts des Umfangs ihres Angriffs wann diese Verluste bedeutungslos. Das Gewicht so vieler Kreaturen ließ das Eis auf den Graben mit einem allgegenwärtigen Krachen bersten und Tausende der Organismen fielen in das eiskalte Wasser. Sie drängten weiter, da die riesige Zahl gefrorener Leichen im Graben jenen dahinter die Möglichkeil des Überquerens bot. Riesige Krallenbestien mit einer ganzen Brut zischen der Organismen zwischen den Panzerplatten stürmte heran und wirbelten dabei große Eisbrocken auf. Skorpionartige Ungeheuer, die Learchus bisher noch nicht gesehen hatte, huschten vorwärts, und aus knochigen Auswüchsen am Rumpf gebildete Waffen schossen an die Mauer. In Blitze gehüllte Bestien mit riesigen Scherenhänden glitten schlangenartig auf sie zu, während Energieblitze gegen die Mauer prallten und fahrzeuggroße Betonbrocken heraussprengten. Über Kom rief Learchus Major Satria von der Wehrlegion Erebus. »Führen Sie jetzt Ihre Männer nach vorn, Major. Schema alpha-eins.«
»Sind Sie sicher, dass Sie bereit dafür sind?«, fragte Major Satria, während er zur Mauer trabte. »Ich bin sicher, Major. Und jetzt hören Sie damit auf antwortete Sebastien Montante, während er atemlos versuchte, mit dem Major und seinen fünftausend Soldaten der Wehrlegion Schritt zu halten. Sein Koppel war zu locker, und er schwitzte gründlich in seiner dicken Jacke. Sein Lasergewehr fühlte sich so schwer an wie ein Geschütz, aber er war froh über das beruhigende Gefühl, das es ihm vermittelte. Er fühlte sich stark, nur weil er es trug, und hoffte nur, er werde sich daran erinnern, wie man damit schoss, wenn die Zeit zum Kampf gekommen war. Tief in den vielen Höhlen der hohen Berge im Osten des Tals steigerte sich ein schrilles Kreischen zu einem ohrenbetäubenden Heulen, das durch die höher gelegenen Teile der Stadt hallte. Viele der Gargyle, die infolge des Vorrats von Simon van Gelder durch die Schutzzone in die Stadt eingedrungen waren, hatte man aufgespürt und getötet, aber eine große Zahl eben auch nicht. Die Mehrheit davon waren simple Kriegerorganismen mit der Fähigkeit zu fliegen, aber neun von ihnen waren sehr viel mehr. Die Brutmütter der Gargyle hatten sich in die tiefsten Höhlen zurückgezogen und dem Befehl des Schwarm-verstandes gehorcht, dort zu nisten und mehr ihrer Art zu produzieren. Zu einer Raserei der Reproduktion getrieben, waren die Brutmütter mittlerweile gestorben, hatten zuvor aber noch Tausende und Abertausende von Nachkommen geboren. Als der Angriff auf die Mauer begann, drang ein unerbittlicher Befehl zu den nistenden Gargylen durch, die sich zu Tausenden in die Luft schwangen, und eine schwarze Flut von Ungeheuern tauchte kreischend aus ihren Verstecken auf und griff an. »Haben Sie sie erwischt, Leutnant?«, fragte Hauptmann Worten, während sich seine Finger auf den Kontrollen der Furie verkrampften. »Ja«, knurrte Kiell Pelaur. »Der Angriffs-Cogitator kann den vielen hereinkommenden Signalen nicht mehr folgen. Die Bioschiffe ändern die Formation, um sich gegen uns zu wehren, aber sie sind langsam. Wir werden bei ihnen sein, bevor sie sich richtig
aufgestellt haben.« Morten grinste unter seiner Sauerstoffmaske. Die Zielinformationen auf Pelaurs Tafel fanden sich auch auf seiner Anzeige wieder, und die schiere Anzahl mit der sie es zu tun bekamen, überstieg bei weitem alle in der Geschichte der Staffel. Da war es passend, dass dies sein letztes Gefecht werden sollte. Eine Rune auf Mortens Armierungskonsole blinkte und zeigte an, dass ein Ziel in der optimalen Reichweite der Raketen erfasst worden war. Per Kom wandte er sich an die Maschinen, die er führte. »An alle Maschinen, Feuer frei!« Er drückte zweimal in rascher Folge auf den Auslöser und rief dabei: »Für die Vincennes!« Hunderte Raketen lösten sich von den Tragflächen ebenso vieler Maschinen und rasten der Tyranidenflotte entgegen. Sie mussten für das Thunderhawk ein Loch in den Schutzschirm schlagen. Alles andere war nebensächlich. Die Lücke zwischen den beiden Formationen schloss sich rapide, und Morten war klar, dass es sehr schnell sehr unangenehm würde. Schon glitten kleinere, schnellere Feindschiffe geschmeidig heran, um sie abzufangen. »Wachsam bleiben«, rief Morten, »der Feind greift uns an.« Die erste Salve hatte eine Schneise in den äußeren Schirm der Tyranidensporen gesprengt, aber es blieben noch viele Hundert, die sich jetzt alle seiner Luftarmada näherten. Ein anderer Mann hätte sich davon vielleicht einschüchtern lassen, aber Owen Morten war ein geborener Furien-Pilot, der für den Kampf lebte. Er ging in einen flachen Steigflug und machte seine letzten Raketen scharf. Kaum hatte er das getan, als er und seine Staffel auch schon in einen irrwitzigen Luftkampf mit Dutzenden fleischiger Sporenkreaturen verwickelt wurden, die bei nahe so schnell und wendig waren wie die Furien. Morten rollte nach backbord, erblickte einen dahinrasenden Organismus und klemmte sich hinter ihn. »Ich bin zu nah für einen Raketenabschuss!«, rief er, in dem er auf die Kanone wechselte, während die Kreatur ihn abzuschütteln versuchte. Jedes Manöver der Kreatur wurde von der Furie kopiert, und sie wirbelten umher wie Insekten in einem bizarren Paarungsritual. Die Bestie flog durch sein Zielfadenkreuz, und er drückte ab.
»Erwischt, du Schwein!«, brüllte er, als grelle Laserstrahlen die Tyranidenbestie entzweischnitten. »Hauptmann! Nach steuerbord ausweichen!«, schrie Pelaur, als ein schäumender Lichtstrahl an der Kanzel der Furie vorbeiraste. Er zog herum und atmete tief, verblüfft darüber, wie knapp sie verfehlt worden waren. Er nahm Schub weg und wechselte wieder auf die Raketen. Ein Trillern in seinem Ohr verriet ihm, dass der Kriegslist der Rakete ein Ziel gefunden hatte, und er drückte wieder ab. »Hauptmann!«, rief Erin Harlen. »Sie haben einen direkt hinter sich!« Morten zog wieder nach steuerbord und nach einem Blick hinter sich flog er einige halsbrecherische Manöver mit seiner Furie. »Ich werde ihn nicht los!«, fluchte Morten, als die Bestie hartnäckig hinter ihm blieb. »Er schießt!«, rief Pelaur. »Ausweichmanöver nach backbord!«, antwortete Morten, indem er hart rollte und den Nachbrenner zündete. Er spürte, wie sich sein Fluganzug ausdehnte und sein Puls raste. Ein Energiestrahl zuckte unter ihm durch, und er legte die Maschine in eine enge Kurve und nahm dann so heftig Schub weg, dass er beinahe das Triebwerk abgewürgt hätte. Die Kreatur versuchte sein Manöver zu kopieren, war aber zu langsam. Morten rollte wieder, setzte sich hinter den pulsierenden Organismus, bekam ihn ins Fadenkreuz und schoss. Laserstrahlen zerfetzten die Kreatur und ließen sie in einer blutigen Wolke explodieren. Er horchte kurz in den Kom-Verkehr und hörte Schreie und Gebete von den übrigen Maschinen. Die Tyraniden schlachteten sie ab, aber daran konnte er jetzt nicht denken. Nicht solange noch eine Schlacht im Gange war. Doch als er den Raum vor sich begutachtete, sah er, dass sie eine Bresche gesprengt hatten. Das Thunderhawk raste hindurch, und der blaue Schein seines Plasmaantriebs leuchtete grell vor der Dunkelheit des gewaltigen Schwarmschiffs und seines steinernen Panzers. Dann sah er eine riesige geflügelte Kreatur mit Beißzangen, zwischen denen elektrische Energie zuckte, hinter dem Thunderhawk der Space Marines herfliegen. Knisternde Lichtbögen folgten der Flugmaschine, und Morten sah sofort, dass sie sich nicht
mehr lange behaupten würde. Sein Fluganzug war durchgeschwitzt, und ihm war klar, dass er bereits erschöpft war, aber er gab dennoch Vollschub, um dem Thunderhawk zu folgen. Das Thunderhawk ruckte, und blaue Energiebögen griffen nach der Maschine. Der Pilot flog eine Reihe wilder Flugmanöver, aber Thunderhawks waren keine Jagdmaschinen und nicht für Kämpfe im Raum konzipiert, und Uriel wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis ihr Verfolger sie zerstören würde. Aus den Spinden über ihm purzelten Waffen und Magazine. Er löste sein Sicherheitsgeschirr und stand auf, um die Waffe zu holen, die Inquisitor Kryptman ihm gegeben hatte. Sie jetzt zu verlieren, würde das Unternehmen beenden, bevor es überhaupt begonnen hatte. Er taumelte, als das Thunderhawk von etwas getroffen wurde. Flammen loderten aus einer geborstenen Treibstoffleitung, und Warnsirenen jaulten. Noch ein Hammerschlag traf das Heck der Maschine, und eines der Bullaugen explodierte mit einem lauten Krachen der Dekompression. Luft entwich heulend aus dem Thunderhawk, und Uriel spürte, wie sich seine Wut steigerte. Sie durften nicht scheitern. Nicht nachdem sie ihrem Ziel so nah gekommen waren. Doch als das Thunderhawk von weiteren Einschlägen erschüttert wurde, wusste er, dass ihre Zeit ablief. Hauptmann Owen Morten holte alles an Geschwindigkeit aus seiner Furie heraus, was das Triebwerk hergab. Sein Jäger raste an dem Tyranidenorganismus vorbei, der das Thunderhawk verfolgte, und machte seine letzte Rakete scharf. Ein flackernder blauer Schein erleuchtete die Furie, als die Beißzangen der Kreatur Lichtblitze abfeuerten. Die Bestie war sechsmal so groß die die Furie, und Morten wusste, dass sie nur durch einen direkten Treffer an der verwundbarsten Stelle zerstört werden konnte. »Hauptmann!«, rief Pelaur, »nicht so viel Schub, sonst haben wir nicht mehr genug Treibstoff für die Rückkehr zum Planeten.« »Wir kehren nicht zurück«, sagte Morten gelassen, während er die Furie sauber zwischen die Tyranidenbestie und das Thunderhawk brachte.
»Was machen Sie denn da?«, schrie Pelaur. »Was nötig ist«, antwortete Morten und drosselte den Schub, während er die Furie um die eigene Achse drehte, bis sie sich um volle einhundertachtzig Grad gedreht hatte. Das knisternde Maul der Tyranidenbestie füllte seine Kanzel aus. Riesige Blitze hüllten die Furie ein. Funken und Flammen loderten rings um ihn auf. Hauptmann Morten drückte ab und schickte sei letzte Rakete direkt ins Maul des Ungeheuers. Uriel spürte eine gewaltige Explosion hinter dem Thunderhawk und wartete auf dessen unvermeidliche Zerstörung. Doch der tödliche Treffer kam nicht, und der Thunderhawk flog weiter durch den Sporenschwarm, der sich um das riesige Schwarmschiff versammelt hatte. Er ging durch den Mittelgang der Maschine zur Pilotenkanzel. Voraus waren nur noch die zerklüfteten Klippen der Haut des Schwarmschiffs zu sehen. Inquisitor Kryptman hatte ihnen die wahrscheinlichsten Eintrittspunkte gezeigt, und er hielt auf der grauen Mondlandschafft voraus nach einem Ausschau. Die Armada der Flugmaschinen hatte sie ans Ziel gebracht, und jetzt lag es an ihnen, dafür zu sorgen, dass die vielen Opfer nicht umsonst gewesen waren. »Da!«, sagte er, indem er auf eine gekräuselte, fleischige Öffnung in der Seite der riesigen Kreatur zeigte durch die vermittels peristaltischer Muskelkontraktionen organische Abfälle ins All befördert wurden. Ein gerippter Schließmuskel dehnte sich aus, als mehr Abfälle nach draußen befördert wurden, und Uriel wusste, dass sie das Gesuchte gefunden hatten. »Schnell jetzt! Wenn es stimmt, was Inquisitor Kryptman gesagt hat, schließt sich die Öffnung binnen Sekunden.« Der Pilot gab mehr Schub, so dass sie der sich langsam schließenden Öffnung förmlich entgegenschossen. Erst als sie ganz nah heran waren, ging Uriel auf, wie riesig die Öffnung war volle sechzig Meter im Durchmesser. Bevor sie sich völlig schließen konnte, raste das Thunderhawk in den gerippten Fleischtunnel. Jetzt waren sie wahrhaftig im Bauch der Bestie, dachte Uriel, als sich der Muskel hinter ihnen schloss und das schwache Sternenlicht ausgelöscht wurde.
Learchus hieb sein Kettenschwert durch den Hals der nächsten Tyranidenkreatur. Seine Klinge war mit Fleisch und Fett verklebt, und da ihm für seine Boltpistole schon lange die Munition ausgegangen war, kämpfte er beidhändig mit seiner Klinge. Geronnenes Blut bedeckte seine Schulter, wo ein kreischendes Ungeheuer von der doppelten Größe eines Menschen seine Rüstung zerfetzt hatte, nachdem es über die Mauer gesprungen war. Die Mauer war ein Schlachthaus voller toter Tyraniden und Menschen. Geborstene Pfeiler und Säulen am Rande der Mauer waren mit Blutspritzern und Eingeweiden bedeckt, die auf den steinhart gefrorenen Boden tropften und diesen schlüpfrig machten. Learchus musste bei jedem seiner Schritte um sein Gleichgewicht ringen. Major Satria kämpfte neben ihm. Er stieß mit seinem Bajonett zu und schoss mit dem Lasergewehr, wann immer er die Gelegenheit zum Nachladen fand. Neben ihm kämpfte Fabrikator Montante mit Verzweiflung und Courage, wenn auch ohne großes Geschick. Learchus hatte ihm bereits mehrfach das Leben gerettet, und obwohl es dumm von Montante war, sich hier zum Kampf zu stellen, musste er seine Tapferkeit doch bewundern. »Krieger von Ultramar, haltet stand!«, brüllte Learchus. Herantreibende Sporen explodierten unter den kämpfenden Kriegern, aber sie weigerten sich nachzugeben. Er trat nach einem kreischenden Hormaganten, als dieser über die Mauer kletterte, und sandte seinen zerschmetterten Schädel zu den wogenden Tyranidenmassen unter ihm zurück. Neben dem ohrenbetäubenden Kampflärm an der Mauer hörte Learchus auch das Donnern der Geschütze hinter sich und riskierte einen Schulterblick. Die wenigen noch verbliebenen HydraFlakpanzer schossen ostwärts, und ihm blieben fast die Herzen stehen, als er die undurchdringliche schwarze Wolke der Gargyle sah, die in das Tal herabstieß. »Guillaume rette uns...«, flüsterte Learchus, als ihm die Zahl der Feindkreaturen gewahr wurde, die sich ihnen jetzt von hinten näherten. »Astador!«, rief er über Korn. »Ich sehe sie!«, erwiderte er. Die Hydras stanzten Löcher in den Schwarm, aber Learchus sah, dass sie der Größenordnung dieses Angriffs nichts entgegenzusetzen hatten.
Sebastien Montante kämpfte mit weit mehr Gewandtheit und Mut, als er sich zugetraut hatte. Seine Arme schmerzten vom Kampf, aber er war von einer Hochstimmung darüber erfüllt, dass er sich endlich des Mantels der Führerschaft über diese Welt als würdig erwiesen hatte. Er duckte sich hinter einen Pfeiler und tastete nach einem neuen Magazin für sein Lasergewehr. Ein Space Marine fiel neben ihm zu Boden, in dessen Rüstung ein Krater rauchte, wo sich zuvor seine Brust befunden hatte. Sebastien lud hastig nach, tauchte hinter dem Pfeiler hervor und feuerte auf einen Schwarm huschender Kreaturen mit breiten Schwimmhaut-Händen, die in den Rücken von Learchus und Major Satria zu gelangen versuchten. Er fällte drei mit einem Feuerstoß seiner auf Dauerfeuer eingestellten Waffe und verwundete eine vierte, als ein riesiger Schatten auf ihn fiel. Sebastien fuhr herum und riss das Gewehr in die Höhe. Eine dornenbesetzte Peitsche schlug die Waffe entzwei und riss ihn von den Beinen. Er rappelte sich wieder auf, indem er sich am Pfeiler abstützte, und tastete nach seinem Säbel, während der riesige Kriegerorganismus vor ihm aufragte. Sein Knochenpanzer wies ein grellrotes Streifenmuster auf, und sein zischendes Maul schien ihn höhnisch anzugrinsen, als die sich winkenden Peitschen am Ende seiner oberen Gliedmaßen wieder zuschlugen. Sebastien schrie auf, als die messerscharfe Peitschenschnur in ihn schnitt und ihn an die Säule fesselte, als sie sich festzog. Die Krallen des Ungeheuers tasteten nach ihm... Dann war Learchus da, durchtrennte die organische Peitsche mit dem Schwert und sprang das Ungeheuer an. Dessen Krallen schlossen sich um seine Rüstung, als er die Klinge durch den harten Chitinpanzer stieß. Das Ungeheuer schrie durchdringend und bohrte große Löcher in Learchus' Rüstung. Sebastien kämpfte gegen seine Fesseln, gab aber auf, als sich die Dornen an der Peitschenschnur nur noch tiefer in ihn bohrten. Learchus brüllte, als er der Bestie schließlich das Schwert in den Hals stieß und Major Satria ihnen zu Hilfe eilte. Ein schwarzer Schatten rauschte über ihn hinweg, und Sebastien sah eine Vielzahl Kreaturen auf die Verteidiger auf der Mauer herabstoßen. Das Gemetzel war fürchterlich, da Menschen von diesem neuen Feind in die Höhe gehoben und mit den Krallen
zerfetzt wurden. Während der Widerstand auf der Mauer mehr oder weniger zusammenbrach, zückte Major Satria sein Messer. »Ich habe Sie gleich frei, Fabrikator«, sagte er, als er hinter den Pfeiler trat. Sebastien nickte, da er zu starke Schmerzen hatte, um eine Antwort zu geben. Dann sah er, wie zwei gewaltige Krallenhände auf die Brustwehr niedersausten und eine riesige gurgelnde Bestie ihre unglaubliche Körperfülle über die Mauer zog. Eine Schar von Kreaturen, rotschwarz und mit denselben Schwimmhaut-Händen wie diejenigen, welche er zuletzt getötet hatte, lösten sich aus Falten in der Haut des Ungeheuers und rasten auf sie los. »Major...«, krächzte er, doch zu leise, um gehört zu werden. Die Ungeheuer blieben stehen und hoben ihre bizarr aussehenden Hände, als wollten sie ihm zuwinken, und die Lächerlichkeit dieses Gedankens hätte ihn beinahe laut lachen lassen. Ihre Fäuste blähten sich auf, als füllten sie sich mit Luft, und plötzlich schossen unzählige spitze Dornen daraus hervor und ihm entgegen. Er schrie auf, als er von ihnen getroffen wurde. Wie viele es waren, wusste er nicht, er empfand nur Schmerzen, und Feuer raste durch seinen ganzen Körper. Er sackte in der Dornenfessel zusammen, die ihn an den Pfeiler band, nachdem er von Dutzenden langer organischer Dornen durchbohrt worden war. Sein Kopf sank auf die Brust, und er sah eine sich rasch ausweitende Blutlache um seine Stiefel. Er hörte jemanden seinen Namen rufen, aber alles wurde vage, und er konnte nicht ausmachen, wer ihn rief. Dann wurde alles schwarz, und er verlor das Bewusstsein. Uriel stieg aus dem ramponierten Thunderhawk und trat auf das weiche, schwammige Fleisch im Innern des Schwarmschiffs. Inquisitor Kryptmans Waffe war in einem Halfter verstaut, das er um die Taille trug. Es passte nicht genau, aber doch so gut, dass es keine Rolle spielte. Ein diffuses grünes Licht erhellte die gerippte Kammer, in der sie sich wiederfanden und deren Weite von stechenden Dämpfen und knietiefen organischen Ausflüssen erfüllt war. Der Gestank war unbeschreiblich, und Uriel stellte die Geruchssinne seiner Rüstung ab, bevor der Ekel ihn überwältigen konnte.
Er winkte die übrigen Krieger vorwärts. Pasanius übernahm die Führung, und die blaue Flamme seines Werfers loderte hell in der mit brennbaren Gasen in gereicherten Atmosphäre des Schwarmschiffs. Uriel spürte Bewegung um seine Stiefel und sah groteske käferartige Kreaturen über die gerippten Wände der Kammer huschen und den dort klebenden Unrat verzehren. Sie waren keine Gefahr, und er ignorierte sie, als sie tiefer in die Kammer eindrangen. Ein pulsierendes Grollen wie vom Schlag eines oder mehrerer gigantischen Herzens hallte von den Wänden wider. Kryptman hatte gesagt, ein Schwarmschiff sei eine riesige Zusammenballung von Kreaturen, die zu einem Wesen verschmolzen sei und den Schwarmverstand bilde. »Dieser Ort ist verflucht«, sagte Bruder Pelantar, der sein schweres Boltgewehr im Anschlag hatte und den Flankenschutz übernahm. Alvarax übernahm dieselbe Position auf der anderen Seite. »Da könnten Sie recht haben«, sagte Uriel, der sich wieder an die Tiefen von Eavonis erinnerte, wo er den Nachtbringer gefunden hatte, und daran, wie böse Echos vergangenen Grauens einen Ort mit ihrer Macht durchdringen konnten. Bruder Damias begab sich in die Mitte der Gruppe und las Werte von einem speziellen Sensor ab, mit denen Kryptman sie versorgt hatte. Dessen blaues Licht wurde von seinem Helmansatz reflektiert, und sein Summen hallte laut durch die warme Kammer. Zischender Dampf strömte aus geschlitzten Öffnungen, und ein Zittern durchlief den Boden der Kammer, als die Wände sich in einer Bewegung kräuselten. Uriel sah, wie die herumhuschenden Käferorganismen in fleischige Höhlen in den Tiefen der Wände rasten und sagte: »Kommt, sehen wir zu, dass wir unser Geschäft erledigen. Ich glaube nicht, dass wir uns noch länger hier aufhalten sollten.« Mit Pasanius an der Spitze machte sich die Deathwatch auf den Weg in die Tiefen des Schwarmschiffs. Schneehund rannte die Steintreppe der Klinik herunter, als das Läuten der Alarmglocken durch das Gebäude hallte. Schwestern des Heilerordens eilten durch die Stationen und befahlen den lauffähigen Verwundeten, sich in die oberen Etagen zurückzuziehen. Anden trugen Bahren und Kisten mit medizinischer Ausrüstung.
Er erreichte das Erdgeschoss und fand das Vestibül voller Schwestern vor, die Erblindete durch die Panzertüren am Ende der Treppe führten. Schneehund konnte die in der Luft liegende Panik beinahe schmecken. »Was ist los?«, wollte er wissen. Niemand antwortete ihm, da alle zu verängstigt waren. Er drängte sich durch die Menge zu den Hauptstationen, wo weinende Schwestern noch mehr Verwundeten aufhalfen. Er sah sofort, dass es viel zu viele Verwundete und viel zu wenige Schwestern gab. Als ihm das aufging, sah er Schwester Joaniel auf ihn zukommen. »Sie!«, brüllte sie. »Kommen Sie her!« Er ging durch die Station, wobei er sich an den Verwundeten vorbeiquetschte, die sich zur Haupttür schleppten. »Was ist los?«, wiederholte er seine Frage. »Wir haben den Evakuierungsbefehl bekommen«, sagte Joaniel verzweifelt. »Wir müssen diese Männer in Sicherheit bringen. Die Front steht kurz vor dem Zusammenbruch.« »Was? Aber sie ist keinen halben Kilometer von hier entfernt!« »Ich weiß, deshalb dürfen wir keine Zeit verschwenden. Ich brauche Ihre Hilfe.« »Meine Hilfe? Was glauben Sie denn, das ich tun kann?« Joaniel packte Schneehund bei den Armen und sagte: »Diese Klinik ist direkt am Südhang des Tals gebaut. In den oberen Etagen gibt es einen Eingang zu den Höhlen, die tiefer ins Tal führen.« »Und?« »Und ich will, dass Sie diese Leute durch die Höhlen in Sicherheit führen«, erklärte Joaniel. »Was? Ich habe sie doch gerade erst hergebracht!« »Das ist mir egal, tun Sie's einfach«, schnauzte Joaniel. »Schon gut, schon gut«, sagte Schneehund. »Was ist mit Ihnen? Was werden Sie tun?« »Ich werde dafür sorgen, dass meine Patienten lebend aus dieser Klinik kommen.« Zäher Schleim tropfte von der Decke und zischte, wenn er auf den Schulterschutz der Deathwatch fiel. Die fleischigen Gänge des Schwarmschiffs waren ein Füllhorn biologischen Grauens. Flei-
schige Falten aus Muskeln und Fettgewebe säumten jede Wand, und eiternde Pfützen mit Verdauungssäften füllten jeden Fußabdruck, den sie hinterließen. Winzige Sklavenorganismen eilten durch jeden Gang und ignorierten die Space Marines, während sie tiefer in den Leib der Bestie eindrangen. Das allgegenwärtige Rumpeln drang aus jeder Öffnung, und der Lärm der biologischen Prozesse sorgte für einen beständigen Hintergrundlärm. Uriel verspürte eine aufkeimende Klaustrophobie, als sich die gerippten Wände des Gangs im Einklang mit dem Rumpeln zusammenzogen und wieder ausdehnten, als befänden sie sich in einem riesigen Atmungsorgan. Dampfende Strahlen einer Flüssigkeit bespritzten sie, als sie aus dem Gang in eine ausgedehnte brandige Kammer mit knisterndem Fett und zermalmtem Fleisch traten. Reihen um Reihen geplatzte Eiersäcke und Nischen mit untätig darin hängenden krebsgeschwulstartigen organischen Röhren säumten die Wände der Kammer vom Boden bis zur Decke. »Was ist das hier?«, fragte Henghast. »Hier schlafen sie«, sagte Damias, während er sich mit seinem leise summenden Sensor einmal um die eigene Achse drehte. »Hier haben sie die Jahre verschlafen, während sie von wo auch immer nach Tarsis Ultra geflogen sind.« Uriel sah, dass Damias recht hatte, als er einen tyranidischen Kriegerorganismus in einer der Nischen entdeckte, dessen Fleisch verwittert und tot aussah. Seine vier Arme hingen schlaff herab, und der knochige Kopf lag auf der Schulter. Eine jähe zischende Bewegung durchlief die Wände, und ein grünliches Leuchten baute sich aus dem Rauch auf, der in Knöchelhöhe wallte. Am anderen Ende der Kammer hob sich eine fleischige Knochenfalte, und stinkende Chemikalien ergossen sich in die Kammer, die eine Flut kreischender Tyranidenkreaturen mitbrachten. »Hauptmann!«, brüllte Pasanius, während er sie in Flammen hüllte. Alvarax und Pelantar wappneten sich und deckten die Kreaturen mit Geschossen aus ihren schweren Boltgewehren ein. Uriel schoss in die Masse der Kreaturen, als sich eine ganze Reihe der Herzklappen öffnete und noch mehr Bestien in die Kammer fluteten.
Ein riesiges Ungeheuer kam ihnen entgegen, flach und gepanzert wie ein Skorpion. Es sprang Jagatun an, der sich duckte und ihm mit seinem scharfen Tulwar in den weichen Unterbauch hieb. Darmschlingen glitten aus der Wunde. Henghast heulte und schlug sein Energieschwert durch den Leib des Ungeheuers. Dann zog er Jagatun auf die Füße und gab mit der anderen Hand einen Schuss mit dem Boltgewehr ab. Pasanius ließ sich langsam zurückfallen und begleitete jeden seiner Schritte mit einem Feuerstoß auf Scharen kreischender Tyraniden. Uriel feuerte auf die Kreaturen, die aus den Wänden fluteten und sie angriffen. Er wusste nicht, wie viele Bestien dem Schwarmschiff zur Verfügung standen, aber er wusste sehr wohl, dass sie es sich nicht leisten konnten, es herauszufinden. »Deathwatch, zurückfallen lassen!«, befahl er. Alvarax und Pelantar wichen schießend zu Uriel zurück. »Bruder Damias!«, rief Uriel. »In welche Richtung?« Damias war blutverschmiert, seine Energiefaust mit Tyranidenblut besudelt. Er zog seinen Sensor zu Rate und sagte: »Hier entlang.« Er verschwand durch ein ovales Loch in der Wand, während Uriel rief: »Alle Mann hier hindurch!« Henghast tauchte durch das Loch, gefolgt von Jagatun. Das Feuer der schweren Boltgewehre gab ihnen Deckung, bevor Pelantar durch die Öffnung sprang. Uriel schob Pasanius hindurch und rief: »Alvarax! Los jetzt, wir verschwinden!« Alavarax feuerte auf die angreifenden Bestien und tötete Dutzende Tyranidenwesen mit seinen gesegneten Boltgeschossen. Dann öffnete sich der Boden unter ihm, und er war verschwunden, in die Tiefen des Schiffs gesogen. Uriel rief: »Alvarax!«, und machte Anstalten, seinem Schlachtbruder zu Hilfe zu eilen, doch eine starke Hand packte ihn und zerrte ihn zurück. »Er ist weg«, rief Pasanius. »Weiter!« Uriel nickte und drang tiefer in diesen engen neuen Korridor vor, wobei er sich mehr mit dem Tastsinn orientierte als mit den Augen. Er hörte ein Sauggeräusch hinter sich, als der Gang durch Muskelkontraktionen breiter gemacht wurde, um mehr Tyraniden die Verfolgung zu ermöglichen. Pasanius schob ihn weiter, um sich dann umzudrehen und den Korridor hinter ihnen in Flammen zu tauchen. Kreischendes Geheul folgte ihnen, da Tyraniden ver-
brannten. Der Fleischgang schauderte im Einklang mit ihren Schmerzen, und Uriel fühlte sich plötzlich an etwas erinnert, das Kryptman ihm vor ihrem Aufbruch von Tarsis Ultra noch gesagt hatte: »Je tiefer sie in das Schiff eindringen, desto komplexer wird das Nervensystem. In der näheren Umgebung des Zentrums kann es Schmerzen empfinden.« Er folgte seinen Kriegern durch den abwärtsführen den Gang. Der feuchte Boden quatschte bei jedem Schritt. Er hörte Schüsse und sah einen Schein voraus, wo der Gang sich zu einer von Adern durchzogenen Kammer mit einem pulsierenden pilzförmigen Organismus in der Mitte verbreiterte. Eine Schar toter Kreaturen lag vor dem Ding auf dem Boden. »Was ist das?«, fragte Henghast. »Spielt das eine Rolle? Sie haben es bewacht, also muss es wichtig für sie sein«, sagte Jagatun, indem er den Stiel mit seinem Tulwar durchschlug. Schwärme von Sporen schossen aus dem durchtrennten Stängel des Organismus und hüllten Jagatun ein wie eine Wolke aus summenden Insekten. Er schlug nach ihnen, bevor er sich zusammenkrümmte, während seine Rüstung sich vor Uriels Augen zu zersetzen anfing. Er hörte die Schreie der Weißen Narbe über Kom, als die Sporen ihn von innen verschlangen, da seine Filter und Atemmasken keinen Schutz vor so einem tödlichen Angriff boten. Die Männer der Deathwatch wichen vor der Wolke aus tödlichen Sporen zurück, da sie ihrem Schlachtbruder nicht helfen konnten. Pasanius schoss mit seinem Flammenwerfer und verbrannte sie in einem reinigenden Prometheumstrahl. Zwitscherndes Gekreisch drang aus dem Gang, durch den sie gerade gekommen waren, zu ihnen in die Kammer. »Hier entlang«, sagte Uriel, indem er in eine gezähnte Öffnung in der Wand auf der anderen Seite der Kammer lief. Sie führte in einen langen, gewundenen Korridor in dem kniehoch Flüssigkeit stand. Zilien hingen wir Wedel von Decke und Wänden und schwankten wie in einer leichten Brise. Die matschige Flüssigkeit floss nach rechts ab, und Uriel wartete auf Bruder Damias und seinen Sensor. Als sich alle Mitglieder der Deathwatch versammelt hatten, führte Damias sie nach links, gegen den Strom des stinkenden Unrats. Wurmartige Organismen schwammen in der Brühe, klammerten sich an ihre Rüstung und versuchten sie zu essen.
Die Space Marines klaubten sie sich angeekelt von den Rüstungen. Die Würmer waren lästig, aber nicht eben gefährlich. Uriel drang tiefer in den kreisrunden Tunnel vor, wobei die Wedel an der Decke beständig über seinen Helm strichen. Er blieb stehen, als er ein seltsames Geräusch vor dem Hintergrund des ständigen Rumpelns im Innern des Sehwarmschiffs hörte. Es klang wie entfernter Donner, als stehe er auf Macragge am Ende des Laponistals und lausche dem Tosen der weit entfernten Herafälle. Als ihm aufging, was es war, rief er: »Haltet euch an irgendwas fest.« Er schlug mit der Faust ein Loch durch die zähe Wand des geäderten Gangs und packte eine Handvoll der Substanz des Schwarmschiffs, da Hunderte Tonnen organischen Abfalls durch den Gang auf sie zudonnerten. Schneehund scheuchte die Verwundeten die Treppe zu den oberen Etagen der Klinik herauf, während er sich ragte, wie viel Zeit ihnen noch blieb, bis die Tyraniden kamen. Die verdammten Alarmglocken läuteten immer noch, und er hieb mit dem Kolben seines Gewehr gegen eine, bis sie verstummte. Jonny war auf dem Treppenabsatz über ihm, und Lex verminte die Haupttür des Gebäudes mit der Mutter aller Sprengstoffe. Tigerlily hatte ein Auge auf Silber, deren Zustand jetzt stabil, die aber immer noch bewusstlos war. Er hatte keine Ahnung, wo Trask war, aber so oder so war ihm das auch ziemlich egal. Er trug immer noch seinen Rucksack mit den Wertsachen aus dem abgestürzten Raumschiff, also konnte Trask nicht auf und davon sein, um ihm den zu stehlen. Er lief wieder zurück ins Vestibül und zum hageren Lex, der immer noch mit der Tür beschäftigt war. »Lex, was du auch machst, mach es schneller, Mann«, sagte er. »Ich mach so schnell, wie ich kann. Wenn du helfen würdest, wär ich schneller fertig.« »Auf keinen Fall, Mann. Ich und Sprengstoff? Vergiss es.« »Tja, dann danke für das Angebot«, höhnte Lex. »Gern geschehen. Sind alle raus aus dieser Etage?« »Ich glaube schon. Alle außer dieser irren Schwester.« Schneehund eilte in die Hauptstation. Sie war tatsächlich leer bis auf Schwester Joaniel, die mit einem einfachen Holzkasten in
den Händen gerade das Schwesternzimmer verließ. Schneehund lief zu ihr und warf sich das Lasergewehr über die Schulter. »He, Schwester, wir haben keine Zeit, hier rumzuhängen. Wir müssen zügig verduften.« »Sind alle in Sicherheit?«, fragte Joaniel, der die Tränen über das Gesicht liefen. »Ja, mehr oder weniger. Sie sind alle auf dem Weg nach oben, falls Sie das meinen.« »Gut«, nickte Joaniel. »Damals konnte ich sie nicht retten.« »Was? Wen?« »Alle. Auf Remian. Sie haben mich den Engel von Remian genannt, weil ich sie wieder zusammengeflickt habe, nachdem der Krieg sie zerbrochen hatte, aber am Ende konnte ich sie nicht retten. Sie sind alle gestorben.« Joaniel zeigte ihm den Holzkasten und sagte: »Das haben sie mir gegeben für die gute Arbeit, die ich geleistet habe. Das ist ein Medicus Ministorum... Ich habe es nicht verdient.« »Sicher«, sagte Schneehund ein wenig verwirrt. »So schön es auch ist, in Erinnerungen zu schwelgen, Schwester Joaniel, ich glaube, wir müssen uns jetzt beeilen.« Wie um seine Worte zu unterstreichen, krachte etwas gegen die dicken Holztüren der Klinik. Durch die dicken Mauern konnte Schneehund das Kratzen und Scharren der Tyranidenhorden hören, die das Gebäude umschwärmten. Lex streckte den Kopf durch die Tür zur Hauptstation und rief: »Beeil dich, Mann, nichts wie weg hier.« Schneehund wandte sich an Joaniel. »Sie haben den Mann gehört, also kommen Sie.« Sie nahm den Holzkasten, rührte sich aber nicht von der Stelle. Während er sich innerlich selbst als Schwachkopf schalt, packte er sie am Arm und zerrte sie hinter sich her. »Warum lasse ich mich immer wieder in solche Sachen reinziehen?«, fragte er sich laut. Gemeinsam eilten sie ins Vestibül, dessen Türen bereits unter wiederholten Schlägen von etwas Massivem splitterten. Sie liefen weiter zu der gepanzerten Tür, die zum Treppenhaus führte. Jonny Stampfer stand unten, die massive Jagdbüchse über der Schulter. »Beeilung!«, rief er. Mit einem Krachen berstenden Holzes wurden die Haupttüren
aus dem Rahmen gerissen, und Scharen fauchender Kreaturen strömten an einem gewaltigen Rammbock von einem Ungeheuer vorbei ins Gebäude. Seine Krallen waren gewaltig und steckten im gesplitterten Holz, und in seinem kreischenden Maul brannte Feuer. Es machte einen schwerfälligen Schritt in die Klinik, und die Steinfliesen brachen unter seinem Gewicht, als Lex' Bombe hochging. Schneehund legte die Arme um Joaniel und warf sich mit ihr flach auf den Boden. Trotzdem schleuderte die Druckwelle sie noch vor die Wand. Alles war von Feuer, Staub und Gesteinsbrocken erfüllt, da die Explosion nicht nur die Tyraniden tötete, sondern auch die Stützpfeile des Dachs und die Mauern rings um den Eingang zum Einsturz brachte. Das riesige Ungeheuer taumelte, fiel aber nicht. Sein Panzer war mit den blutigen Überreste seiner kleineren Brüder gesprenkelt, und es schwankte am Rand eines Kraters im Boden, während Steinbrocken aus den Wänden ringsumher fielen. Schneehund wälzte sich auf den Bauch, da sein Körper nur noch aus Schmerzen zu bestehen schien. Seltsamerweise ging es seinem Rücken bestens, aber dann fiel ihm der Rucksack mit den Wertsachen wieder ein, und er dachte sich, er müsse ihn vor dem Schlimmsten beschützt haben. Er versuchte sich aufzurappeln und stielt einen Schmerzensschrei aus, als er spürte, dass er sich mindestens eine Rippe gebrochen hatte. Joaniel stützte sich an der Wand ab, hielt aber immer noch den Medicus Ministorum an sich gepresst. Schneehund ächzte neben ihr, während sich das Riesenungeheuer wieder so weit gefasst hatte, dass es den nächsten Schritt ins Gebäude machte. Jonny Stampfer trat ins Vestibül, die riesige Jagdbüchse fest an die Schulter gepresst. Die gewaltige Bestie hatte ihn fast erreicht, und das Feuer zwischen ihren knirschenden Beißzangen loderte heller. Jonny zielte und drückte ab. Und der Kopf der Bestie verschwand in einer Explosion aus Blut und Knochen. Der Rückschlag schleuderte Jonny durch den Treppenhauseingang, wo er zu Boden ging. Er stieß einen lauten Jubelschrei aus und lud die Waffe mit einer weiteren Patrone. Das Ungeheuer fiel rückwärts in den Krater, den Lex' Bombe
gesprengt hatte, während Joaniel Schneehund aufhalf. Er schrie wieder vor Schmerzen, als sie ihn in Jonnys Arme stieß. »Los!«, rief sie. »Nehmen Sie ihn mit und verschwinden Sie!« »Was wollen Sie machen?«, fragte Jonny. »Ich bin direkt hinter Ihnen«, sagte Joaniel, indem sie sich zu dem Medicus Mmistorum bückte und den Deckel öffnete. Jonny sah, dass sich draußen Hunderte der kleineren Hostien versammelten. »Wie Sie meinen«, sagte er achselzuckend und zog Schneehund hinter sich her ins Treppenhaus. Joaniel entnahm der Holzkiste ein silbern glänzendes Boltgewehr und rammte ein Magazin in die Waffe. Sie warf einen Blick hinter sich, wo Jonny und Schneehund den ersten Treppenabsatz erreicht hatten. Und sie schloss die Tür und hörte das schwere Krachen des Riegels, als sie ihn vorlegte. Zischende Ungeheuer marschierten vorsichtig und auf der Hut vor weiteren Fallen in das Gebäude. Joaniel lud das Gewehr durch und lächelte bei sich. Sie hatte ihre Patienten auf Remian nicht retten können, aber hier und jetzt würde sie alles tun, was man von einer Schwester des Heilerordens der Ewigen Kerze erwarten konnte. »Kommt her!«, rief sie. »Soll ich den ganzen Tag auf euch warten?« Sie lächelte gütig, als sie das Feuer eröffnete und die nächsten Kreaturen mit kontrollierten Feuerstößen in Stücke sprengte. Sie schoss und schoss und tötete Dutzende, bis der Hammer schließlich auf eine leere Kammer fiel. Sie ließ die Waffe fallen und breitete die Arme aus, als die Bestien auf sie zustürzten. Als der Engel von Remian starb, wurde ihr Schuldgefühl mit Blut weggewaschen. Learchus rannte durch die Ruinen von Bezirk Quintus, da sich die letzten Überlebenden der Verteidiger von Erebus ungeordnet neben ihm zurückfallen ließen. Aus der Luft stießen Kreaturen auf sie herab und zerfetzten die fliehenden Soldaten, und sogar die formidable Kraft der Space Marines wurde, einer ernsten Prüfung unterzogen. Die Ultramarines und Mortifactors kämpften Seite an Seite und verschafften den Männern des Krieg, des Logres und der Wehrle-
gion Zeit, um sich hinter der nächsten Mauer zu sammeln. Learchus sah, dass es hoffnungslos war, aber er hatte eine Kriegerseele und kämpfte weiter. Die Tyraniden hatten jeden Fluchtweg versperrt, als würden sie alle Wege durch die Stadt kennen oder könnten sie jeden Zug der Space Marines vorhersehen. Er schoss mit dem Boltgewehr, das er einem toten Marine abgenommen hatte, und brachte damit eine Schar geflügelter Ungeheuer zur Strecke, die einen Krieg-Soldaten wegtragen wollten, um dann zwei zischende Bestien mit dem Schwert zu zerstückeln, die den Leichnam eines gefallenen Ultramarines verschlangen. Er griff nach unten, packte die Rüstung seines toten Kameraden und schleifte ihn rückwärts. Astador stolperte neben ihm und packte mit an, während er mit seinem Crozius Arcanum einem Tyraniden den Schädel einschlug. Die Krieger der Vierten Kompanie und den Mortifactors scharten sich um ihre Anführer und bildeten einen Verteidigungsring um sie. Learchus sah, wie jämmerlich wenige von ihnen jetzt noch übrig waren. Weniger als vierzig Space Marines kämpften noch. Doch weniger als diese Zahl hatten schon in ebenso hoffnungslosen Situationen obsiegt, und Learchus wusste, solange noch Blut in seinen Adern floss, würde er nicht aufgeben. Gemeinsam schleppten die Space Marines den Leichnam zurück zu einem großen Platz, von dem zuvor viele Flugzeuge gestartet waren. Ihm kam der Gedanke, ob Hauptmann Ventris seinem Ziel wohl nah war, musste sich aber eingestehen, dass es jetzt wohl kaum noch eine Rolle spielte. »Warten Sie«, sagte Astador. »Was?«, schnauzte Learchus. »Wir müssen weiter.« »Nein«, sagte Astador, indem er auf die nächste Mauer zeigte. »Es ist schon zu spät.« Learchus sah, dass Hunderte Tyranidenbestien sie an den Flanken überflügelten und ihnen den Rückzug abschnitten. Riesige Kreaturen, dreimal so groß wie ein Space Marine, und Horden von Kriegerbestien strömten in das Gebiet zwischen ihnen und der nächsten Mauer. Astador hatte recht. Es war zu spät für eine Flucht.
PHASE V
Verzehr SECHZEHN Viele Tausend Liter stinkende Bio-Flüssigkeiten tosten mit der Urgewalt einer Flutwelle an den Space Marines vorbei, prallten gegen ihre Rüstung und rissen sie von den Wänden der Röhre. Uriel spürte Tyranidenfleisch unter seinem Panzerhandschuh reißen und fluchte, als er mitgerissen wurde. Er wurde wild umhergewirbelt und gegen die Tunnelwände und seine Schlachtbrüder gestoßen und verlor die Orientierung, während er mit der Abfallmaterie fortgerissen wurde. Er konnte nur trübe Flüssigkeiten und ein gelegentliches Durchscheinen der Tunnelwände sehen. Er versuchte sich an den Seiten des Tunnels festzuhalten, aber die wedelnden Zilien hatten sich in die Wände zurückgezogen. Uriel konnte sich einen Moment aufrichten und sah einen ausgestreckten Panzerhandschuh. Er packte danach, dann schloss sich ein eiserner Griff um seinen Unterarm und stoppte seine Schussfahrt. Die tosende Flüssigkeit drohten ihn dem Griff seines Retters zu entreißen, aber er fand einen Halt für seine Füße in einer Fleischfalte und zog sich hoch. Sein Kopf durchbrach die Oberfläche, und er sah, dass die Mitglieder der Deathwatch Halt auf einem Knochensims oberhalb der Unratflut gefunden hatten. Pasanius zog ihn aus dem Tunnel, und er sank erschöpft auf den beruhigend festen Untergrund. »Vielen Dank, mein Freund«, keuchte er. Pasanius nickte, zu erschöpft, um zu antworten. Uriel richtete sich auf die Knie auf und warf einen eingehenderen Blick auf seine Umgebung. Sie befanden sich in einer ovalen Kammer, die offensichtlich von dem mit Flüssigkeit gefüllten Tunnel abzweigte. Damias, Henghast und Pelantar kauerten neben einem Sehnengeflecht, das ihnen den Weitermarsch aus dieser Kammer versperrte, und Uriel spekulierte, dass sie sich vielleicht in einer Art Filterkammer befanden. Giftige Gaswolken wehten von der anderen Seite des Fasergitters herein, und das Pochen der Herzen war viel stärker. »Wie nah sind wir, Bruder Damias?«, fragte Uriel. »Ich weiß es nicht, Bruder-Hauptmann«, erwiderte Damias mit einigem Selbsttadel. »Ich war so achtlos, den Sensor zu verlieren,
als ich mitgerissen wurde, und werde nach Beendigung unserer Mission jede Buße verrichten, die Sie für angemessen erachten.« Uriel fluchte leise, tröstete sich aber mit der Überlegung, dass sie nicht viel falsch machen konnten, solange sie in Richtung der Herzschläge des Schwarmschiffs gingen. Kryptman glaubte schon lange, dass sich die Reproduktionskammern der Nornenkönigin, der Brutmutter des Schwarms, in der Nähe der Herzen befanden, wo die Nährstoffe und Nährflüssigkeiten am reinsten waren. »Keine Sorge, Bruder. Der Imperator wird uns führen«, sagte Uriel, indem er sein Energieschwert zückte und das Geflecht vor dem Ausgang aus der Kammer durchschlug. Nachdem er seinen Flammenwerfer neu gezündet hatte, übernahm Pasanius wieder die Spitze und führte sie durch den glänzenden Korridor. Schleimiger Speichel tropfte von den Wänden, und aus Wänden und Boden tauchten mehr von den wurmartigen Organismen auf. »Beim Imperator, das ist schlimmer als Pavonis, und das fand ich schon ziemlich schlimm«, sagte Pasanius. Uriel nickte zustimmend. Die Dunkelheit unter der Welt war furchtbar gewesen, aber dieses groteske Zerrbild des Geschenks des Lebens spottete jeder Beschreibung, und ihm wollte einfach nicht in den Kopf, wie einer Rasse, die dem Universum nichts gab, die nur lebte, um zu verzehren, überhaupt die Existenz gestattet worden sein konnte. »Was ist Pavonis?«, fragte Henghast. »Eine Welt am Ostrand, aber das ist eine Geschichte für eine andere Gelegenheit«, sagte Uriel. »Ich werde Sie beim Wort nehmen, Bruder-Hauptmann. Ich will eine Geschichte mit zurück in den Reißzahn nehmen, die Ihre Tapferkeit dokumentiert.« Uriel war beeindruckt vom ungebrochenen Optimismus der Deathwatch. Trotz ihrer Verluste und der Größenordnung der vor ihnen liegenden Aufgabe hatte noch niemand auch nur ein Wort von sich gegeben, das auf etwas anderes als den unbedingten Glauben an ihren Sieg hätte schließen lassen. Er klopfte Henghast auf den Schulterschutz und sagte: »Wenn wir nach Tarsis Ultra zurückkehren, werden wir gemeinsam den Siegeswein trinken, und dann erzähle ich alles über Pavonis.« »Wein! Pah, Wein ist etwas für Frauen. Wir werden ein Fass fenrisischen Met trinken, und die Kopfschmerzen nach dem Erwachen werden wie der Zusammenstoß zweier Kontinente sein.«
»Ich freue mich schon darauf«, sagte Uriel, als Pasa-nius die Hand hob. Uriel ging zu seinem Sergeanten an der Spitze der Kolonne und lauschte dem Schlag der mehrfachen Herzen und dem Getöse anderer weniger offensichtlicher Organe nicht weit entfernt. In einer niedrigen Kammer mit einem wogenden Schließmuskel in der Mitte wallten ockerfarbene Dämpfe. Donnernde Echos hallten von den fleischigen Wänden wider. »Ich glaube, wir sind nah, Bruder-Hauptmann. Die Geräusche laufen an dieser Stelle zusammen«, sagte Pasanius. »Ich glaube, du hast recht, mein Freund, aber woher kommen sie?« Bruder Henghast betrat die Kammer, setzte seinen Helm ab und hustete kurz, bevor sein verbessertes Atmungssystem in der Lage war, sich an die giftige Atmosphäre anzupassen. »Was machen Sie denn?«, fuhr Uriel auf. »Setzen Sie den Helm wieder auf!« Henghast neigte den Kopf zur Seite und flüsterte: »Autosinne sind gut und schön, aber meine eigenen sind besser.« Der Wolfskrieger witterte, und in seinem Gesicht zuckle es, als er die Gerüche und Geräusche im Schwarmschiff mit Sinnen filterte, die noch empfindlicher waren als Uriels. Die Sinne der Ultramarines waren durch die Apothekarii seines Ordens verbessert worden, denjenigen eines Wolfskriegers aber hoffnungslos unterlegen. »Der Herzschlag ist am stärksten aus diesem Gang«, sagte Henghast, indem er seinen Helm wieder aufsetzte und beiseite trat, um Pasanius vorbei zu lassen. Uriel sagte: »Gut gemacht, Bruder Henghast.« Auf dem Weg durch diesen neuen Gang erfüllten Rauchschwaden die Luft, und die Geräusche im Gegentakt schlagender Herzen wurden immer lauter. Der Schein von Pasanius' Flammenwerfer ließ die Silhouette seines Sergeanten deutlich hervortreten und warf einen flackernden blauen Schein auf die tropfenden Wände des Gangs. Sie folgten dem gewundenen Gang mehrere Kilometer, bis ein widerlich grüner Schein das Licht des Flammenwerfers überstrahlte. Der Gang schwenkte nach unten und verbreiterte sich allmählich, bis Uriel die donnernden Organe auch sehen konnte, deren Schlag sie gefolgt waren.
Größer als superschwere Panzer, pulsierten die beiden pochenden Herzen in intramuskulärer Bewegung und pumpten lebenserhaltende Flüssigkeiten durch das Schwarmschiff. Uriel kämpfte gegen den Drang an, das Feuer zu eröffnen. Kryptman hatte ihn gewarnt, dass diese Organe durch meterdicke, zähe, faserige Haut geschützt waren und es noch andere gab, die deren Funktion übernehmen konnten. Zischende Organismen schlichen durch die Kammer dahinter, aber ob sie sich ihrer Anwesenheit bewusst waren, konnte er noch nicht sagen. Uriel und die Mitglieder der Deathwatch kauerten sich am Ende des verräucherten Gangs nieder und starrten ins Herz des Schwarmschiffs. Sie hatten die Reproduktionskammern der Nornenkönigin erreicht. Schneehund verzog das Gesicht vor Schmerzen, während Jonny ihn die Treppe nach oben zerrte und er die donnernden Schläge gegen die Panzertür zum Treppenhaus hörte. Er hatte Kopfschmerzen, und seine Rippen fühlten sich an, als habe er zehn Runden gegen einen Space Marine gekämpft. Er warf einen Blick die Treppe hinunter. »Wo ist Schwester Joaniel?«, keuchte er. »Keine Ahnung«, sagte Jonny, ohne seinen Schritt zu unterbrechen. »Ich nehme an, sie ist tot.« »Was?« »Ja«, bestätigte Jonny. »Sie hat die Tür hinter uns zugeschlagen.« »Sie hat die Tür zugeschlagen?« »Ja.« Schneehund zuckte im Geist die Achseln. Es war ein Jammer, dass sie tot war, aber wenn sie so verrückt war, es mit der ganzen Tyranidenrasse aufzunehmen, ging ihn das nichts an. Krachende Schläge an die Treppenhaustür machten ihn froh, dass sie die Tür verschlossen hatte. Er war nicht sicher, ob Jonny es nicht vergessen hätte. Die Tür war gepanzert, aber bei diesen Ungeheuern konnte man nicht davon ausgehen, dass Barrikaden lange standhielten. »Wo sind die anderen?« »Oben, nehm ich an. Warum stellst du so viele Fragen?«, sagte Jonny.
»Weil ich so Sachen rausfinde«, sagte Schneehund schnippisch und bereute es sofort, als die Schmerzen in seinen Rippen grell und dringlich aufloderten. Sie erreichten den nächsten Absatz, und Schneehund hätte schwören können, dass es bis vor kurzem noch nicht so viele Treppen gegeben hatte. Seine Sinneswahrnehmungen normalisierten sich langsam wieder, und er hörte ein leises Prasseln wie von einem Windspiel in einer starken Brise und fragte sich, was das war. Einen Augenblick später kam ihm die Erkenntnis, und er stieß einen beunruhigten Schrei aus. »Jonny! Warte! Bleibe stehen!«, brüllte er. »Dreh dich um!« »Hä?«, machte Jonny, tat es aber. Schneehund ächzte frustriert, als er eine Flut von Gold, Silber und kostbaren Steinen sah, die eine funkelnde Spur auf den Treppenstufen bildeten. Er entwand sich Jonnys Griff und setzte unter Schmerzen seinen Rucksack ab, während das Krachen von unten immer lauter und hektischer wurde. Der Rucksack hatte ihn vor den schlimmsten Auswirkungen von Lex' Bombe bewahrt, aber dafür war er auch in keinem guten Zustand mehr. Alles, was er sich aus dem Wrack geholt hatte, rieselte aus langen Rissen und Brandlöchern in der Leinwand. Es war kaum noch etwas übrig. Er stopfte den Rest in seine Taschen und hörte das Kreischen nachgebenden Metalls von unten. Dann hörte er Schritte auf der Treppe hinter sich, die er aber ignorierte, während er weiter kostbare Steine in seine Hosentaschen stopfte. »He, Trask«, sagte Jonny. Schneehund spürte, wie ihm das Blut gefror, und griff nach seiner Pistole, aber es war zu spät. Er hörte, wie eine Schrotflinte durchgeladen wurde, und wälzte sich mit einem Schmerzensschrei zur Seite, um dann vor Schmerzen zu brüllen, als die Enden seiner gebrochenen Rippe sich aneinanderrieben. Aber der Schuss war nicht auf ihn gezielt. Jonny Stampfer fiel auf die Treppenstufen. Hinter ihm blieb ein blutiger Schmier an der Treppenhauswand zurück. Schneehund blinzelte durch einen Nebel aus Schmerzenstränen und hob seine Pistole. Trask trat ihm ins Gesicht. Er spürte, wie Zähne abbrachen, und spie Blut.
»Wir zwei haben noch was zu erledigen, Schneehund«, sagte Trask. Den Anblick der Nornenkönigin würde Uriel nie vergessen, solange er lebte. Die Kreatur war gewaltig, kam leicht auf die Größe eines Kampftitan, und ihre Körpermasse füllte die Kammer mit unzähligen Mitteln zur Produktion ihrer monströsen Nachkommenschaft aus. Ein riesiges schleimbedecktes Rohr hing an der Wand das in einer widerwärtigen Bewegung pulsierte und aus dem große Mengen von Eiersäcken in einen mit Schleim gefüllten Teich fielen, wo Ammenorganismen sie mit großen Scherengliedmaßen aufhoben und wegbrachten Riesige Teiche voll mit protoplasmischem Schleim blubberten und brachen in Bewegung aus, während schreien de Säuglingsbestien über Knochenrutschen daraus ausgeschieden wurden und praktisch sofort zu wachsen anfingen, wenn sie den Boden erreichten. Viele Tausend Inkubationslarven hingen an klebrigem Schleim an der großen gewölbten Decke, die von großen Rippen aus Knochen gestützt wurden, welche allesamt dicker waren, als die Säulen im Tempel der Besserung auf Macragge. Stinkende Flüssigkeiten bedeckten den Boden, und stinkender Qualm wehte aus Millionen winziger Öffnungen in den Wänden. Schlingen tropfender Eingeweide pumpten zähe Flüssigkeiten in den Bauch der Nornenkönigin, deren riesiger aufgeblähter Kopf mit der gerippten Decke der Kammer verschmolzen war. Sechsbeinige Kreaturen, die dicken Spinnen ähnelten, krochen über ihren Leib und säuberten, fütterten und kümmerten sich um ihre Königin. Speergroße Dornen ragten aus ihrem knöchernen Panzer, und jeder einzelne troff von zischenden Giften. Die Nornenkönigin selbst war ebenso Teil des Bioschiffs wie individuelle Kreatur. Kriegerorganismen patrouillierten in der Kammer und hackten mit ihren glänzenden Krallen nach jeder Sklavenbestie, die ihrer Königin zu nah kam. Größer als der größte Tyranidenkrieger, den Uriel je gesehen hatte, waren diese Kriegerbestien nur zu einem Zweck gezüchtet worden um ihre Königin bis zum Tod zu verteidigen. »Wie machen wir weiter?«, fragte Damias. »Damit«, sagte Uriel, indem er die Waffe zückte, die Kryptman ihm gegeben hatte. Es war die silberne Pistole, mit der der Servitor dem Liktor das Gengift verabreicht hatte, aber mit einer zu-
sätzlichen Verbesserung. Auf dem Lauf saß ein langes Metallrohr, dessen bläulicher Stahl einen subtilen Kristallschimmer aufwies. Am Ende des Rohrs befand sich ein Ring aus neun kleinen Dornen, die über den Lauf von Kryptmans Pistole hinausragten. Es war immer widerlich, Waffen der Xenos zu benutzen, aber Inquisitor Kryptman hatte ihm versichert, dass es sich bei der Waffentechnologie der Hrud nur um eine Verschmelzung von Melter- und Plasma-Technologie handelte. Gewiss ein Produkt übler nichtmenschlicher Ketzerei, aber eines, das sich in diesem Fall als nützlich erweisen mochte, das Gengift zu verabreichen. »Was ist das?«, fragte Pelantar. Er schob die Waffe wieder in das schlecht sitzende« Halfter und sagte: »Das ist die Waffe, mit der wir alles beenden können. Wir müssen nur zur Schwarmkönigin gelangen.« Uriel erhob sich und sagte: »Aber zuerst müssen wir uns hineinkämpfen, und zwar auf die altmodische Art, mit Fleisch, Blut und Stahl.« Die Deathwatch folgte ihrem Hauptmann, als dieser in die Kammer der Nornenkönigin marschierte, Pasanius neben sich, Henghast zur Linken und Damias zur Rechten, während Pelantar mit seinem schweren Bolter die Nachhut bildete. Praktisch sofort stieß einer der Ammenorganismen ein warnendes Kreischen aus, und die Wächter wandten sich den Eindringlingen zu. Ein misstönendes Heulen hallte durch die Kammer, und die Wände erbebten in einem heftigen Rhythmus, als sich die Tyraniden beeilten, ihre Königin zu verteidigen. Pasanius hüllte die ersten Angreifer in Feuer, und die Wächterkreaturen heulten vor Wut darüber, dass in den Gemächern ihrer Königin solche destruktiven Energien entfesselt wurden. Pelantar schoss einen Hagel von Mutagengeschossen in die Masse der Tyraniden und skandierte dabei die Riten des Schießens. Uriel stürmte voran, und sein Energieschwert hackte sich mühelos durch Fleisch und Knochen der Tyraniden. Die kleineren Bestien fielen wie Weizen unter der Sense, und obwohl er spürte, wie sich die Mordlust in seinem Kopf aufbaute, schloss er seinen Frieden damit und wandelte den Makel des Nachtbringers in eine positive Kraft um. Flammen verstärkten den infernalischen Schein in der Kammer, und knisternde Bögen aus Energie zuckten aus Damias' Energiefaust, als er sich den Weg freikämpfte. Henghast heulte vor Wut,
als er auf die Tyranidenkreaturen losstürmte. Pelantars schwerer Bolter schlug eine Schneise durch sie. Uriel wirbelte unter dem sensenden Hieb einer springenden Bestie durch, die mehr reißzahnbewehrtes Maul war als alles andere, um sie dann zu zerhacken, während die Anwesenheit von etwas Großem hinter sich spürte. Er warf sich nach vorn und konnte es gerade noch vermeiden, von den Krallen eines Wächterorganismus zerfetzt zu werden. Die vor ihm aufragende Bestie war größer als ein Carnifex, aber schlanker und flinker. Ihr Maul war mit tropenden Reißzähnen gefüllt, und ihr oberes Paar Gliedmaßen endete in blitzenden Krallen, die nach seinem Kopf hieben. Uriel wälzte sich zur Seite, als sie in den Hoden fuhren, und hieb mit dem Schwert nach seinen Beinen. Die Kreatur entging seinem Hieb durch einen Sprung und hackte mit den Krallen nach seiner Rüstung. Keramik teilte sich unter dem Schlag, und Blut floss an ihm herunter, bis die Larramanzellen die Blutung stoppten. schmerzstillende Mittel wurden in seinen Blutkreislauf gepumpt, und er schwankte, als die Bestie ihn noch einmal traf. Er flog durch die Luft und landete am Rand des blubbernden Teichs mit dem stinkenden Seim. Peitschende Tentakel zuckten aus der Flüssigkeit und wickelten sich um seine Hüften. Uriel schrie auf und schlug mit dem Schwert nach ihnen, während er dem Teich entgegenrollte. Der Wächterorganismus sprang ihm hinterher, und seine Hufe schleuderten stinkende Flüssigkeit in die Höhe. Uriel wälzte sich verzweifelt herum, stemmte sich auf die Knie und hob das Schwert zur Parade, als ihm die Krallen entgegenzuckten. Funken stoben, und er grunzte, während er der Kraft der Bestie standhielt. Er wälzte sich unter den Krallen durch und stieß sein Schwert aufwärts und der Kreatur zwischen die Beine, die unter lautem Geheul auf ein Knie sank und sich das Schwert dabei noch tiefer in den Leib bohrte. Uriel riss die Waffe wieder heraus und durchschlug den Oberkörper des Ungeheuers. Es strampelte wild, als es starb, und sofort fielen insektenartige Kreaturen über den Leichnam her, um ihn als Futter für ihre Königin zu verschlingen. Als Uriel sich aufraffte und seinem Ziel entgegentaumelte, gesellte Pasanius sich
zu ihm. Sein Schwert war blutverschmiert, und der Schutz um seinen versilberten künstlichen Arm war verschwunden. Bruder Damias kämpfte mit Geschick und Verstand, und seine Energiefaust fuhr eine blutige Ernte ein. Henghast tötete mit all der Wildheit, für die er und sein Orden berühmt waren, während Pelantar Patronen verschoss, Eiersäcke platzen ließ und die grausige Röhre perforierte, die sich an den Kammerwänden entlangzog. Drei Kriegerorganismen versperrten den Weg, jeder so tödlich wie der, den Uriel bereits umgebracht hatte. Damias und Henghast kämpften sich zu den beiden Ultramarines durch. »Auf die altmodische Art«, hauchte Damias. »Also mitten durch, hm? Pasanius, Henghast und ich beschäftigen sie, und Sie kümmern sich um die Königin!« Uriel nickte, und die vier Space Marines liefen den Wächterbestien entgegen. Pelantar sah, was sie vorhatten, und feuerte den Tyraniden eine sorgfältig gezielte Salve entgegen. Zwei schwankten unter dem Beschuss, da ihr Panzer der gesegneten Munition der Deathwatch nicht standhalten konnte. Aber dabei vernachlässigte er seine eigene Verteidigung für einen Sekundenbruchteil. Und mehr brauchte der Feind nicht. Krallen zuckten vor, und der schwere Bolter brach auseinander, während Pelantar von einem gewaltigen Krallenpaar von den Beinen geholt wurde. Er kämpfte unter Einsatz all seiner Kräfte weiter und hieb blutige Löcher in den Panzer der Bestie, doch es war zu spät. Mit lautem Gebrüll riss die Bestie Pelantar in Stücke und warf den Aasbestien die Teile zu, damit sie sie verzehren konnten. Damias und Pasanius griffen an, solange die Bestien, die Pelantar zu verwunden sein Leben geopfert hatte, noch unter dem Eindruck der Boltgeschosse schwankten. Eine ging in Flammen auf, während Damias den Panzer der anderen mit der tödlichen Kraft seiner Energiefaust durchbohrte. Henghast und Pasanius griffen das brennende Ungeheuer an. Uriel lief mit erhobenem Schwert dem aufgeblähten Bauch der Nornenkönigin entgegen, um die letzte Bestie zwischen sich und seinem Ziel niederzuschlagen. Deren Krallen zuckten vor, und
Uriel durchschlug sie mit seinem Schwert. Er sprang der Kreatur entgegen und duckte sich ganz nah heran, während die Bestie mit den herabhängenden Krallen nach ihm schlug und sich dabei ins eigene Fleisch schnitt. Uriel zog sich auf den Leib der Bestie, deren knochiges Exoskelett genügend Halt bot. Die Bestie schlug um sich, als sie ihn zu vertreiben suchte, und hackte sich dabei selbst blutig, da sie keine Kontrolle mehr über ihre Krallen hatte. Ein zweites Maul bohrte sich durch seinen Brustharnisch, biss ihm ein faustgroßes Stück aus der Brust und riss einen Teil des Brustmuskels frei. Uriel brüllte vor Schmerzen, hielt sich aber weiterhin an den Rippen der Bestie fest. Er zog sich auf die Panzerplatten der Schultern und stieß dem Ungeheuer das Schwert in den Nacken. Schwarzes Blut spritzte, und die Bestie kreischte gequält, bevor sie starb. Ihre Todeszuckungen rissen ihm den Schwertgriff aus der Hand. Bevor das Ungeheuer zusammenbrach, sprang Uriel von seinen Schultern auf die glänzenden Wände der Kammer, und seine Finger schlossen sich um das härtete Fleisch der Haut der Nornenkönigin. Horden der Aasbestien stürzten sich beim Klettern auf ihn und bissen und krallten nach ihm. Sie krochen auf ihn und quetschten sich sogar in seine Rüstung, und er drohte durch ihr bloßes Gewicht den Halt zu verlieren. Trotz der schmerzstillenden Mittel war seine Brust ein Meer der Schmerzen. Er fegte die Aasbestien lange genug beiseite, um Kryptmans Pistole ziehen und sie auf den Bauch der Nornenkönigin pressen zu können. Als er spürte, dass sich sein Griff um das Fleisch der Königin langsam löste, drückte er ab. Er spürte einen Ausbruch von unvorstellbarer Hitze als der Hrud-Mechanismus aktiviert wurde und eine Feuersäule, heißer als das Herz einer Sonne, durch das dicke Fleisch der Nornenkönigin sandte. Einen Sekundenbruchteil später bockte die Pistole in seiner Hand, als das Geschoss mit dem Gengift in ihren Leib abgefeuert wurde. Er ließ die Pistole fallen und spürte, wie er schließlich den Halt verlor und fiel. Im Fallen drehte er sich und klatschte dann auf den schleimigen Kammerboden. Er schrie vor Schmerzen, als die giftigen Flüssigkeiten in seine Brustwunde gespült wurden. Er wälzte sich herum, so dass die Aasbestien unter ihm zer-
quetscht wurden, und versuchte sich zu erheben. Er sah, wie Damias das Ungeheuer, mit dem er kämpfte, mit wiederholten Schlägen seiner Energiefaust tötete. Pasanius wurde von seinem brennenden Feind von den Beinen geholt und hoch in die Luft gehoben. Henghast hieb auf die Beine der Kreatur ein, die einfach nicht sterben wollte. Die Krallen der Bestie schlossen sich um Pasanius' silbernen Arm, und das Metall verbog sich unter der Einwirkung ihrer unglaublichen Kraft. Uriel griff nach seinem Schwert, bis ihm wieder einfiel, dass es noch im Hals der Tyranidenbestie steckte. Er schaute empor zum zischenden Kopf der Nornenkönigin und spürte, wie ihn eine furchtbare Verzweiflung überkam. Das Gengift hatte keine Wirkung auf das Ungeheuer. Sie hatten versagt. Trask hob den Rucksack auf, dessen Inhalt aus den Löchern rieselte wie ein funkelnder, kostbarer Regen. Seine hässlichen verschwollenen Gesichtszüge waren hass- und wutverzerrt. Er trat Schneehund in die Rippen und noch einmal ins Gesicht. »Du dämliches Arschloch«, fauchte er. »Hast du wirklich gedacht, ich lasse mir die ganze Scheiße von dir bieten? Zwei Jahre habe ich dir gegeben, und mehr kriege ich nicht dafür?« Schneehund schaute durch einen Nebel aus Tränen und an seinen eigenen verschwollenen Gesichtszügen vorbei. Über Trasks Lamentieren hinweg hörte er, wie die Tür mehrere Etagen unter ihm sich schließlich ins Unvermeidliche fügte und nachgab. Er stemmte den Rücken gegen die Wand, um irgendwie hochzukommen. Trask trat wieder nach ihm, doch Schneehund warf sich zur Seite, und Trasks Stiefelspitze traf die Steinmauer des Treppenhauses. Trask heulte vor Schmerzen, fing sich aber wieder, bevor Schneehund mehr tun konnte, als auf der Seite zu dem reglos daliegenden Jonny zu kriechen. Der große Jonny lebte noch, sah Schneehund. Er blutete stark, aber er lebte noch. Nicht mehr lange, wenn er nicht mit Trask fertig wurde. Widerliches Kreischen drang von der Treppe unter ihnen, und er konnte sich lebhaft vorstellen, wie die Ungeheuer übereinander stolperten, während sie zu den oberen Etagen rasten. Er fummelte an Jonnys Körper herum und lächelte bei sich, als er Metall und Holz in der Hand spürte.
Er drehte den Kopf zu Trask herum. Und plötzlich ergab alles einen Sinn. Aus der Schwellung auf Trasks Gesicht lief violetter Eiter, und Schneehund wusste, dass die einzelne Kreatur, die das Gemetzel unter den Flüchtlingen angerichtet hatte, Trask mit einem Geruch eingesprüht haben musste, der die Ungeheuer anlockte wie Scheiße die Fliegen. Er lächelte darüber, wie passend der Vergleich war. »Worüber grinst du so, Arschloch?«, sagte Trask, während er nach frischen Patronen für seine Schrotflinte griff. »Über dich, Mann. Die wollen dich, schon die ganze Zeit.« »Hä?«, machte Trask, während sich Schneehund mit Jonnys Jagdbüchse in den Händen zu ihm herumwälzte. »Ihr wollt ihn haben?«, rief er den Ungeheuern zu. »Gut, hier kommt er!« Schneehund schoss mit der riesigen Büchse und spürte, wie ihm der ungeheure Rückschlag noch eine Rippe brach. Der Schuss schleuderte Trask die Treppe hinunter. Ein großer Teil seines Oberkörpers fehlte, da das Geschoss ihn einfach weggesprengt hatte. Er fiel auf den nächsttieferen Treppenabsatz. Sein Leichnam war nur noch ein verstümmeltes Häuflein Elend. Die ersten Tyranidenbestien tauchten auf, verhielten aber vor Trasks Leichnam und schlugen und hackten ihn in Fetzen. Während der Geruch von was auch immer Trask noch anhaftete und die Ungeheuer beschäftigte, benutzte Schneehund die Büchse als Krücke und richtete sich unter Schmerzen auf. Er erwog kurz, Jonny aufzuheben, verwarf den Gedanken aber rasch wieder als Wahnsinn. Er hörte mehr Schritte über sich und lachte erleichtert, als er Tigerlily und Lex sah. »Was ist denn hier los?«, rief Tigerlily. »Später«, sagte Schneehund, indem er den Schmerz niederrang und die Treppe erklomm. Tigerlily und Lex gelang es, Jonny hochzuhieven, und die vier ramponierten Mitglieder der Nachtschleicher hinkten die letzte Treppe hinauf in die oberste Etage der Klinik. Schneehund war in seinem ganzen Leben noch nie so froh darüber gewesen, irgendwo angekommen zu sein. »Wo ist Silber?«, sagte er. »In Sicherheit«, sagte Tigerlily. »Beeil dich, der Eingang zu den Höhlen ist nicht mehr weit. Nichts wie weg von hier.«
»Die beste Idee des ganzen Tages«, sagte Schneehund. Weniger als zwanzig Space Marines waren noch übrig. Heldentum, wie Learchus es bisher nur aus der Geschichte kannte, hatten sie vierzig Minuten überleben lassen, aber das Ende war nah. Entsetzte Männer der Garde beobachteten das letzte Gefecht der Space Marines von der Mauer des Bezirks Sextus, ohne ihnen helfen zu können. Learchus hätte ihre Hilfe ohnehin nicht gewollt. Dies war eine ruhmreiche Schlacht; eine passende Art für einen Diener des Imperators, sein Leben zu beenden. Er und Astador fochten Rücken an Rücken und töteten die Ungeheuer mit Wildheit und Geschick. Ein Berg Tyranidenleichen umgab die Space Marines, viele Hundert hoch, und der schrumpfende Ring aus kämpfenden Kriegern stand auf dem Berg und kämpfte wie die Helden aus uralten Legenden. Wieder fiel ein Krieger den Krallen der Tyraniden zum Opfer, und Learchus spürte dessen Märtyrerseele mit ihm gehen. Als er die nächste Bestie zerhackte, fing er an zu singen, eine erhebende Hymne aus den Anfängen des Imperiums, ein Kampflied, das die Herzen all jener rührte, die es hörten. Astador fiel ein, und kurz darauf erhoben alle Space Marines die Stimme, um den Imperator zu preisen, während die Tyraniden ihre Bemühungen noch einmal verstärkten, um ihnen den Gnadenstoß zu geben. Pasanius trat der Wächterbestie ins Gesicht, zerschmelterte ihren Schädel und pulverisierte ihr Hirn, wahrem Henghast ihr schließlich das Schwert in den Bauch trieb Die Krallen zuckten und ließen ihn los. Er fiel mit einen Klatschen zu Boden. Uriel sah den goldenen Knauf seines Schwerts aus dem Kadaver des Kriegerorganismus ragen. Er rafft sich auf, um es zu holen, da er sich nichts mehr wünschte, als aufrecht und mit der Waffe in der Hand zu sterben. Er riss es aus dem sich auflösenden Fleisch der Bestie und hinkte zu Pasanius und den blutverschmierten Damias und Henghast. Die vier Space Marines standen mit gezogenen Waffen da, bereit zu kämpfen und wie Space Marines zu sterben. Zischende Kreaturen näherten sich ihnen von allen Seiten, die Zähne gefletscht und die Krallen zum Schlag erhoben.
Ein jähes, krampfartiges Zittern ließ die Kammer erbeben, und ein gequältes animalisches Heulen baute sich hinter Uriel auf. Die kleineren Kreaturen sanken voller Entsetzen auf die Hinterbeine, als die seit vielen Hundert Jahren stumme Kehle der Nornenkönigin in unvorstellbaren Schmerzen aufkreischte. Ihr Leib zuckte und riss sich von ihren Eiersäcken los, und die mit verhärtetem Schleim an den Wänden befestigten Gliedmaßen brachen infolge der Heftigkeit der Krämpfe ab. Im Bauch der Königin öffneten sich gewaltige Risse, und aus jedem quollen mutierte Gewächse. Das Fleisch der Königin brodelte und kräuselte sich, als ihr Evolutionsgenom in Aufruhr geriet und durch Magos Locards Gengift unkontrollierbar stimuliert wurde. Jede Kreatur in der Kammer nahm das heulende Schmerzgekreisch auf, als das Gestaltbewusstsein evolutionäre Imperative an jede Kreatur weitergab, die mit dem Schwarm verstand verbunden war. Die Kammer erbebte, und sogar die Schiffsstruktur schrie, als jede Kreatur in eine Raserei unkontrollierter Mutation getrieben wurde. Uriel sah, wie Kreaturen so heftige Krämpfe durchlitten, dass sie sich selbst das Rückgrat brachen, da sie mit Schaum vor dem Maul genetische Abweichungen und Wucherungen über sich ergehen lassen mussten. »Es funktioniert!«, rief Uriel, als Teile der Kammer sich in weißglühenden Flüssigkeitsexplosionen auflösten und ätzender Schleim in riesigen Klumpen von der Decke fiel. »Aye, es funktioniert«, sagte Pasanius, der sich den verstümmelten Arm hielt, »aber wir sollten besser von hier verschwinden, solange wir noch können.« Die Space Marines kämpften sich durch die sich rasch auflösende Kammer der Nornenkönigin und die Reihen der krampfhaft zuckenden Tyranidenbestien. Uriel verspürte ein gewaltiges Gefühl der Bestätigung, als sie aus der Kammer flohen, und er wusste, dass seine Wahl, dieses Unternehmen anzuführen, die richtige gewesen war. Den speerartigen Dorn sah er nicht, der aus dem Panzer der Nornenkönigin abgeschossen wurde und durch die kollabierende Kammer flog. Der zwei Meter lange Dorn durchbohrte seinen Rücken und trat in einer Explosion aus Keramit und Fleisch auf dem Bauch wieder aus.
Das scharfkantige Geschoss durchbohrte ihn vollständig und blieb im brandigen Boden stecken. Er kippte nach vorn, da die Schmerzen alles überstiegen, was er je zuvor gespürt hatte. »Uriel!«, schrie Pasanius. Er schaute nach unten auf die Wunde. Komisch, dass es kein Blut gab. Ein harter roter Schorf bildete sich um die Austrittswunde, aber es floss kein Blut. Ein Gefühl der Trägheit erfasste ihn, und ein stechender Schmerz flammte auf der linken Seite auf und breitete sich über seinen ganzen Körper aus. Pasanius hob ihn vom Boden auf. »Damias, Sie sind Apothekarius! Helfen Sie ihm!« Uriel wurde schwarz vor Augen, und seine Glieder wurden immer schwerer. Er verstand das nicht. Er war schon schlimmer verwundet worden und hatte sich nicht so gefühlt. Er sah wie sein in der Ecke seines Visiers angezeigter Puls in Bodenlose fiel. »Bei Corax' Knochen«, fluchte Damias. »Es ist irgendein Zellgift. Es lässt seine Larramanzellen überreagieren, und jetzt gerinnt das Blut in seinem ganzen Körper!« »Dann unternehmen Sie irgendwas dagegen!«, brüllte Pasanius. Ihre Worte wurden leiser, und Uriel versuchte den Mund zu öffnen, aber dann spürte er, wie seine Herzen zu schlagen aufhörten, als sie mit dem geronnenen Blut verstopft wurden. Er schloss die Augen, und die Schmerzen verloren sich. Learchus tötete die nächste Tyranidenkreatur und stimmte die nächste Strophe an, als ihm aufging, dass die Angriffe nicht mehr so heftig kamen wie zuvor. Tatsächlich kamen überhaupt keine mehr. Die Tyranidenbestien wanden sich in Krämpfen, und ihr kreischendes Gebrüll schraubte sich in neue Höhen. Er sah, wie ganze Rudel der Kreaturen aufeinander losgingen und sich gegenseitig in Stücke hackten. Auf dem Platz wimmelte es von sich windenden Ungeheuern, die vor Schmerzen heulten, da der Schwarmverstand starb und ihre Körper nicht in der Lage waren, die psychische Schockwelle seines Todes zu überstehen. Tyranidenorganismen liefen durch die Straßen des Bezirks Quintus, heulten vor Berserkerwut und fielen in einer Orgie sinnlosen Blutvergießens übereinander her.
Die Space Marines waren vergessen, während sich die Tyraniden selbst in Stücke hackten. Bevor eine der größeren Kreaturen die Kontrolle wiederherstellen konnte, hatten die sechzehn überlebenden Space Marines die Mauer von Bezirk Sextus erreicht. Nur wenige Kreaturen stellten sich ihnen in den Weg, und jene, die es taten, griffen ohne Plan und Verstand an und wurden gnadenlos niedergemetzelt. Das mörderische Gemetzel hielt den Rest des Tages an, und die Verteidiger sahen mit Begeisterung zu, wie sich die tyranidische Gefahr, die ihre Welt so lange bedroht hatte, selbst in Stücke riss. Als die Nacht hereinbrach und die Temperaturen sanken, starben die Ungeheuer in Scharen in der Kälte, da sie ohne die Anweisungen des Schwarmverstandes allein keinen Schutz mehr suchen konnten. Einige Kreaturen überlebten, größere, mit einem gewissen Grad von Unabhängigkeit vom Schwarmverstand, und bald hatten sie kleine Rudel verzweifelter Bestien um sich geschart und suchten Zuflucht in den wärmeren Teilen der in Trümmern liegenden Stadt. Die Nacht war längst über Erebus hereingebrochen, als ein Lichtfunke aus dem Himmel herabsank, eine ramponierte Flugmaschine des Thunderhawk, dessen Tragflächen in Trauer geneigt waren.
EPILOG Pasanius saß allein auf den Ruinen der Mauer des Bezirks Quintus und starrte auf die weiße Ebene vor der verwüsteten Stadt. Er hatte die Rüstung abgelegt und trug einen schlichten Chiton aus blauem Stoff. Den silbernen Arm hielt er an die Brust gepresst. Er sah zu, wie ein Transporter am Himmel vorbeiflog. Zweifellos kehrte er mit noch mehr schlechten Nachrichten aus den Ruinen einer anderen Stadt zurück. Sechs Tage waren seit ihrer Rückkehr aus dem sterbenden Schwarmschiff vergangen, und Pasanius hatte einen großen Teil dieser Zeitspanne im Gebet verbracht, um sich für ihren Sieg zu bedanken und seiner Trauer, um die Gefallenen Ausdruck zu verleihen. So viele waren tot, so viele Gebete zu sprechen. In der
großen Kammer mit dem Mosaik brannte eine Kerze für jeden toten oder vermissten Soldaten, und der durch die Kritallkuppel fallende Lichtschein war auch vom anderen Ende des Tals noch zu sehen. Zu den Gefallenen zählte auch Sebastien Montante, dessen von Dornen durchbohrter Leichnam zwischen den Ruinen eben jener Mauer gefunden worden war, auf der Pasanius jetzt saß. Sein Leichnam war im Imperiumspalast aufgebahrt worden, und die Priester dieser Welt verlangten bereits seine Heiligsprechung. Pasanius wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis aus Sebastien der Heilige Sebastien geworden war, und er grinste bei dem Gedanken, wie amüsant der Fabrikator-Marschall diese Vorstellung gefunden hätte. Der Heilige Sebastien, das hatte einen guten Klang. Oberst Staglers Leichnam war von seinen Männern auf einem Berg von Tyranidenkreaturen gefunden worden, gefroren und brutal in Stücke gehackt. Seine Männer betrauerten ihn nicht. Er war nach Art der Krieg gestorben, und das reichte. Da sowohl Stagler als auch Rabelaq gefallen waren, hatte Major Aries Satria von der Verteidigungslegion Erebus das Kommando über die Streitkräfte des Imperiums übernommen, bis ein höherrangiger Gardeoffizier ernannt werden konnte. Was nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Nach der Zerstörung des Schwarmschiffs hatte sich der Schatten im Warp vom System Tarsis Ultra gehoben, und eine Flut astropathischer Nachrichten wurde von denjenigen Telepathen empfangen, die nicht von dem infernalischen psychischen Lärm der Tyraniden in den Wahnsinn getrieben worden waren. Schiffe der Imperiumsflotte waren weniger als eine Woche entfernt, schwerfällige Schlachtkreuzer und riesige Transporter, die frische Truppen brachten, um die geschwächten Verteidiger zu verstärken. Die Mortifactors hatten Tarsis Ultra am Tag zuvor verlassen. Ordenspriester Astador hatte ihnen angeboten, die sterblichen Überreste der gefallenen Ultramarines mitzunehmen und in den Ossarien der Basilica Mortis zu bestatten. Learchus, der das Kommando über die verbliebenen Krieger der Vierten Kompanie übernommen hatte, lehnte höflich, aber bestimmt ab. Inquisitor Kryptman und die Deathwatch schlichen immer noch durch die Ruinen der Stadt und sammelten Kadaver, die Magos
Locard studieren konnte. Das Gengift hatte vielleicht nur gegen diese Schwarmflotte gewirkt, aber es gab immer noch viel über die Tyranidenrasse zu lernen. Freiwillige Säuberungstrupps wurden zusammengestellt, um die überlebenden Tyranidenungeheuer aufzuspüren und zu töten, die sich in den Tiefen der verwüsteten Stadt und in den Höhlen des Hochtals versteckt hatten. Der Schatten der Zerstörung war von dieser Welt genommen worden, doch Pasanius wusste, dass es noch viele Jahre lang Ärger mit den Tyraniden geben würde, wenn ihn seine Erlebnisse auf Ichar IV irgendetwas gelehrt hatten. Die Winde von der Ebene waren kalt, und Pasanius streckte die silbernen Finger seines rechten Arms aus, dessen Metall makellos funkelte. Mehr als ein Techpriester hatte bereits eine Bemerkung zum Geschick des Schmieds gemacht, der seinen bionischen Arm nach der Schlacht auf dem Schwarmschiff repariert hatte. Pasanius schauderte und schloss die Augen, da er den Arm wieder im Stoff seines Chitons verstaute. Er konnte ihnen nichts erzählen, weil es keinen Schmied gegeben hatte. Der Arm hatte sich selbst repariert. Da waren Schmerzen. Er nahm an, dass Schmerzen gut waren, weil sie bedeuteten, dass er noch lebte. Uriel öffnete die Augen, die nach so langer Bewusstlosigkeit verklebt waren. Er blinzelte die Rückstände fort und versuchte sich aufzurichten, fiel aber sofort wieder erschöpft zurück, da er kaum zu mehr in der Lage war als zu einer Kopfdrehung. Er lag auf einem soliden Bett in einer Steinkammer mit einem Kuppeldach. Es war warm, und er verspürte eine angenehme Taubheit, die nur das Resultat schmerzstillender Mittel sein konnte. Er schlug das Laken zurück, um seinen in Bandagen gewickelten Körper zu sehen. Narben überzogen seine Brust, und er konnte die Schmerzen einer kürzlichen Operation spüren. Was ihm auch zugestoßen war, es musste ernsthafterer Natur gewesen sein. Mehrere Stunden lang wechselte Uriel zwischen Wachzustand und Bewusstlosigkeit, bis er sich einer Gestalt gewahr wurde, die neben seinem Bett stand und einen Tropf an seinem Arm wech-
selte. Er versuchte zu sprechen, brachte aber kaum mehr als ein heiseres Krächzen heraus. »Das Sprechen wird Ihnen noch eine ganze Weile schwerfallen, Uriel«, sagte eine Stimme, die er als diejenige von Apothekarius Selenus identifizierte. Es gelang ihm, ein »Was ist passiert?« hervorzubringen. »Sie wurden von tyranidischen Phagezellen vergiftet, die auf die Larramanzellen in ihrem Blut einwirkten. Das Gift hat eine Gerinnung Ihres Blutes im gesamten Körper bewirkt, und dadurch ist es zu einem Stillstand der Herzen gekommen, die durch das geronnene Blut verstopft waren. Klinisch waren Sie tot, aber die Deathwatch hat Sie so rechtzeitig wieder in das Thunderhawk gebracht, dass Bruder Damias Ihnen eine massive Dosis Gerinnungshemmer verabreichen und mit der Infusion frischen Bluts beginnen konnte. Pasanius hätte sich beinahe umgebracht, um Sie mit genug Blut zu versorgen und bis zu Ihrer Ankunft hier am Leben zu erhalten. Sie haben in der Tat Glück, dass Sie einen Freund wie ihn haben.« Uriel nickte, während er versuchte, die Information aufzunehmen, verlor aber wieder das Bewusstsein. Als er erneut erwachte, sah er einen Mann in der Uniform der Verteidigungslegion Erebus mit einem Arm in der Schlinge neben ihm sitzen. An seine Brust war ein Reinheitssiegel der Space Marines geheftet. »Sie sind wach«, sagte er, indem er sich erhob und die Hand ausstreckte. »Ja«, brachte Uriel hervor. »Sie sind...« »Pavel Leforto, ja. Sie haben mir in den Gräben das Leben gerettet.« Uriel lächelte, als er den Mann wiedererkannte. »Sie haben mir meines ebenfalls gerettet, wenn ich mich recht erinnere.« »Ja, nun, ich hatte Glück mit dem Raketenwerfer. An jedem normalen Tag hätte ich wahrscheinlich Sie getroffen«, sagte Pavel. »Trotzdem vielen Dank, Pavel.« »Keine Ursache, Hauptmann Ventris. Jedenfalls bin ich nur schnell vorbeigekommen, um mich bei Ihnen zu bedanken, aber jetzt muss ich mich bei meiner neuen Einheit melden. Wissen Sie, es gibt noch reichlich zu tun«, sagte Pavel. Pavel nahm Haltung an und salutierte, bevor er kehrt machte
und den Raum verließ. Uriel sah ihm nach und dachte wieder an das Bild seiner Familie, das Pavel in der Hand gehalten hatte, als er verwundet und bettlägerig war. Wenn für Pavel Leforto die Zeit gekommen war zu sterben, würde er das Vermächtnis der Erinnerungen seiner Frau und seinen Kindern hinterlassen, die davon kündeten, dass er existiert hatte, dass er das Reich des Imperators für eine kurze Zeitspanne mit seinen Werken bereichert hatte. Was würde Bruder-Hauptmann Uriel Ventris hinterlassen? Ein Leben gewidmet dem Dienst am Imperator, dem Dienst an der Menschheit, obwohl er selbst gar nicht mehr dazugehörte? Er erinnerte sich nur vage an seine Eltern, die jetzt seit fast einem Jahrhundert tot waren. Die Erinnerung an sie war nur noch ein entfernter Schatten nach den Jahrzehnten der Hingabe an den Orden und den Imperator. Nichts war mehr übrig, das ihn an seine Menschlichkeit erinnerte, keine Familie und kaum Freunde. Wenn er tot war, würde es so sein, als habe er nie existiert. Uriel hatte seine Möglichkeiten, so ein Leben zu führen, in dem Augenblick geopfert, als er Novize der Ultramarines geworden war. Und nachdem er dies alles nun wusste, wäre er bereit gewesen, ein Space Marine zu werden, wenn ihm das Ausmaß dessen, was er opferte, um ein Mitglied der Elite des Imperators zu werden, klar gewesen wäre? Uriel lächelte, und seine Züge wurden weicher, als die Antwort plötzlich so klar vor ihm stand, dass es ihn erstaunte, die Frage überhaupt gestellt zu haben. Ja. Das wäre er. Durch den Verzicht auf die Möglichkeit, ein normales Leben zu führen, hatte er etwas viel Größeres gewonnen. Die Möglichkeit, etwas zu bewirken. Die Möglichkeit, den Feinden der Menschheit entgegenzutreten und die Flut degenerierter Fremdwesen, verräterischer Ketzer und Diener des Chaos aufzuhalten, welche die Herrschaft über das Reich des Imperators an sich reißen wollten. Darauf konnte er stolz sein. Seine Kraft entsprang einer uralten Technologie, die ihn stärker, schneller und tödlicher machte, als es jeder Krieger je zuvor gewesen war. Er hatte auf seine Möglichkeit, ein wahrer Mensch zu sein, verzichtet, und, ja, er unterschied sich von der Masse der Menschheit, aber ohne seinen Ver-
zicht wären unzählige Menschen sehr viel früher gestorben. Das war eine edle Gabe, und er war dankbar dafür, was und wer er war. Uriel lächelte, als er in einen traumlosen Schlaf fiel. Schneehund zuckte vor Schmerzen zusammen, als er zu dem Bett hinkte, wo Silber schlief. Seine Seite tat weh wie die Hölle, und sein Gesicht schien nicht abschwellen zu wollen. Er zog Silbers Laken zurecht und strich ihr eine Strähne weißer Haare aus dem Gesicht. Sie bewegte sich, schlug die Augen auf und streckte eine Hand aus, um sein zerschundenes Gesicht zu berühren. »Hallo«, sagte sie. »Selber hallo. Wie geht's dir?« Sie stöhnte, als sie sich aufrichtete. »Furchtbar. Nächste blöde Frage?« Schneehund beugte sich vor, um sie zu küssen, und ein stechender Schmerz zuckte durch seine gebrochenen Rippen. Sie sah den Schmerz in seinen Augen und grinste »Das war ein Tag, hm?« »Ja«, stimmte er zu. »Das war ein Tag.« »Wie geht's jetzt weiter mit uns?« Schneehund antwortete nicht sofort, sondern warf einen Blick über die Schulter in den vorderen Raum der verlassenen HabEinheit, die sie als zeitweilige Basis requiriert hatten. Lex und Tigerlily würfelten, und Jonny Stampfer schnarchte laut auf einem Bett aus zusammengerollten Mänteln. Er hatte fast alles verloren, was er aus dem abgestürzten Schiff geborgen hatte, und als sein Blick auf die Schrotflinte und das Lasergewehr fiel, die auf dem Boden lagen, lächelte er. »Wie gehabt, mein Schatz«, sagte er. »Ganz wie gehabt.«
ENDE
Toter Himmel, schwarze Sonne Graham McNeill
»Wer gegen Ungeheuer kämpft, sollte darauf achten, dass er nicht selbst zu einem wird.«
PROLOG Hammerschläge monströser Maschinen dröhnten entfernt durch die Kammer. Sie hallten tief aus der Domäne der Brutalen Bestatter, begleitet von verderblichen Schwaden stechender Dämpfe und gequälten Schreien. Höhnisch grinsende Gargyle aus gehämmertem und genietetem Eisen umringten die schwindelerregend hohe Kuppeldecke der Kammer und krönten die Spitzen unmöglich hoher, säulenartiger Kolben, die in schmierigen Dampf gehüllt waren und rhythmisch durch große, schädelumrandete Löcher am Rand auf und ab stießen. Aus einer großen Kluft im Obsidianboden wallte kochendheißer Dampf in brodelnden Hitzeschwaden und stieß auf eine Brücke aus beschlagenen Eisenplatten, die auf massiven Trägern ruhten. Sie wurde von Ketten gehalten, deren eingeölte Glieder so dick wie der Rumpf eines Menschen waren. Hunderte Meter tiefer erleuchtete ein gewundenes Band aus geschmolzenem Metall am Boden der Kluft die Szenerie. In der Kammer stank es nach Schwefeldämpfen und der sengenden Bitterkeit von gehämmertem Metall. Die Brücke führte zu einer massiven, zyklopischen Wand aus dunkel geädertem Stein mit einem großen Eisentor, das bei seiner Herstellung in einem Ozean aus Blut gehärtet worden war. Das mit scharfkantigen schwarzen Stacheln beschlagene Innentor der Festung Khalan-Ghol wurde von zwei gerüsteten Kolossen flankiert, deren polierte Eisenhaut von Millennien des Krieges vernarbt war. Das Tor führte zu den inneren Sälen des neuen Festungsherrn, und die beiden dämonengesichtigen Titanen, die mit den verdorbenen Bannern der Legio Mortis behangen waren, hoben furchterregende Waffen - fähig, ganze Städte in Schutt und Asche zu legen. Sie richteten sie auf ein Dutzend Gestalten, die es wagten, sich dem Tor zu nähern. Die schreckliche Riesenhaftigkeit der Kammer konnte die Krieger nicht schrecken, die der ächzenden Brücke entgegenmarschierten. Der Anblick war nicht neu für sie. Tatsächlich stammte der Anführer der Gruppe aus einer weitaus älteren und monolithischeren Festung als dieser.
Lord Toramino, Kriegsschmied der Iron Warriors, zog verächtlich einen Mundwinkel hoch, als er die veränderten Augen hob, um über die Läufe der Waffen auf die Titanen zu starren. Wenn dieser Mischling glaubte, eine derart vulgäre Zurschaustellung von Macht könne ihn einschüchtern, war er noch dümmer, als seine minderwertige Abstammung vermuten ließ. Vor drei Tagen hatten sie das Wächterhaus der Festung passiert, ohne von einem Krieger des Mischlings angehalten worden zu sein, obwohl Toramino seitdem Blicke aus übernatürlichen Augen auf sich ruhen spürte. Zweifellos wurden sie auch jetzt von Runenlesern der Kabale beobachtet, doch Toramino hätte das nicht gleichgültiger sein können, während er mit hoch erhobenem Haupt und auf dem Rücken verschränkten Händen weitermarschierte. Neben ihm knurrte Lord Berossus, während er beobachtete, wie sich die Waffen der Titanen auf sie richteten, und tastete nach seinen eigenen Waffen. Toramino sah Berossus an und schüttelte den Kopf über den Mangel an Zurückhaltung seines Vasallen. Keiner hier konnte sich einem Titan stellen und überleben, aber Berossus' Reflexmuster waren so fest in ihm verankert, dass keine andere Reaktion möglich war. Toramino betrat die Eisenbrücke, und das Metall zischte unter seinen gepanzerten Stiefeln und kräuselte sich wie Quecksilber, während sich seine massige gerüstete Gestalt in dem strahlenden Glanz spiegelte. Weit über zwei Meter groß, trug Lord Toramino eine Servorüstung von erlesener Qualität, die auf Olympia selbst handgefertigt und spiegelblank poliert war. Arabesken aus gehämmertem Gold und Onyxsterne zierten die Säume, und in die gesamte Oberfläche waren schreckliche Sigillen des Verderbens graviert. Ein ockerfarbener Umhang aus verwobenen Metallfäden, stärker als Adamantium, umwallte seine massige Gestalt und verdeckte teilweise das Schädelmasken-Symbol der Iron Warriors auf einem Schulterschutz. Auf dem anderen prangte das persönliche Wappen einer gepanzerten Faust über dem schlichten Bild einer Schanze mit einer Bresche. Ein Iron Warrior aus seinem vertrauenswürdigsten Gefolge trug seinen kunstvoll gestalteten Helm, ein anderer die gestrahlte Standarte, einen achtzackigen Stern aus geschwärzten Knochen auf einem stachelbewehrten, messingumrandeten Rad, aus den Sehnen von tausend schreienden Opfern gewoben. Lange weiße Haare, zu einem straffen Pferdeschwanz zurückgebunden, reich-
ten tief hinunter auf den Rücken, und seine strengen, patrizischen Züge waren verkniffen und eckig - sie kündeten von langen Jahren bitterer Erfahrung. Die Augen unter den buschigen Brauen schillerten golden und schwelten vor unterdrückter Wut. Als sie sich der Mauer näherten, spien die Kolben beiderseits des Tors gewaltige Ströme stinkender, öliger Gase aus. Ächzend und kreischend öffneten sich die kolossalen Schlösser, dass der Staub von der Kammerdecke rieselte. Die Titanen senkten die gewaltigen Waffen, und ihre oberen Körperhälften drehten sich auf Bronzegelenken, packten das stachelbewehrte Tor und zogen. Dampf strömte aus schnaufenden Faserbündelmuskeln, und das furchtbare Tor öffnete sich langsam. Smaragdfarbenes Licht fiel in die Kammer, während Toramino und Berossus zwischen den gewaltigen Todesmaschinen durch in das Allerheiligste des Festungsherrn schritten. Toramino erinnerte sich noch an den Ort; er war oft hergekommen, um Khalan-Ghols Vorgänger die Ehre zu erweisen - einem großen und schrecklichen Krieger, der zur finsteren Majestät eines Dämonenpatriarchen aufgestiegen war. Die Wände bestanden aus schlichtem schwarzen Stein, der mit Gold und Silber durchzogen war und trotz der von dem Terrazzoboden aus pulverisiertem Knochen aufsteigenden Hitze vor Feuchtigkeit glänzte. Fahles weißes Licht fiel aus einer Vielzahl hoher, schmaler Fenster in der Ostwand in schillernden Streifen auf den Boden, das der Kammer jegliches Leben entzog und ihren Insassen eine Todesblässe auferlegte. Zwanzig Iron Warriors hatten am anderen Ende der Kammer rings um einen polierten silberweißen Thron Haltung angenommen, auf dem ein Krieger in einer ramponierten Servorüstung saß. Es wurmte Toramino, dass er als angeblich Gleichgestellter vor den neuen Festungsherrn trat. Der Mischling war ein Bastard, eine Promenadenmischung, und ungeeignet, das Blut von der Rüstung eines Iron Warriors zu wischen, ganz zu schweigen davon, sie in der Schlacht zu befehligen. Dieser Affront für die Ehre der Legion war beinahe mehr, als Toramino ertragen konnte, und während er zusah, wie sich der Festungsherr jetzt von seinem Thron aus miteinander verschmolzenem Eisen und Knochen erhob, spürte er in sich Hass aufsteigen wie eine giftige Flut aus Galle.
Das Aussehen des Mischlings entsprach Toraminos Meinung von ihm dergestalt, dass er unrein war und nichts vom Adel der Alten Olympias hatte. Sein kurz geschnittenes schwarzes Haar saß über einem zerklüfteten, vernarbten Gesicht mit nüchternen Zügen, und seine Rüstung war verbeult und verschrammt und trug immer noch die Spuren von Kämpfen. War es dem Mischling egal, dass er gerade zwei der ältesten und edelsten Kriegsschmiede von Medrengard empfing? Dass der Kriegsschmied dieses Emporkömmlings eine derart niedere Promenadenmischung zu seinem Nachfolger ernannt haben konnte, wollte ihm nicht in den Kopf. »Lord Honsou«, sagte Toramino, während er sich zu einer Verbeugung vor dem Mischling zwang, bei der er die Hände auf dem Rücken verschränkt ließ. Sein Tonfall war förmlich, und er sprach mit leisen Zischlauten, obwohl er darauf achtete, einen spöttischen Unterton einfließen zu lassen. »Lord Toramino«, antwortete Honsou. »Ihr ehrt mich mit Eurer Anwesenheit. Und Ihr ebenfalls, Lord Berossus. Viele Jahre sind vergangen, seit Khalan Ghols Mauern unter der Wucht Eurer Schritte erbebten.« Der Boden ächzte unter dem Gewicht von Lord Berossus, einem ungeschlachten Ungeheuer aus dunklem Eisen und Bronze mit einem grinsenden Totenschädelgesicht. Doppelt so groß wie Toramino, waren die lebendigen Überreste von Kriegsschmied Berossus vor vielen tausend Jahren in den geschändeten Sarkophag eines Cybots eingeschmolzen worden. Die groteske Maschine zischte, und eine knirschende Stimme, die von einer Sprech-Einheit aus Bronze gedämpft und verzerrt wurde, sagte: »Aye, das ist wahr, obwohl ich mich besudelt fühle, weil ich mit dem Wissen innerhalb dieser Mauern stehe, dass ein Mischlingsbastard wie du ihr neuer Herrscher ist.« Seit seiner Bestattung verstärkt und ausgiebig verändert, überragte Berossus' mechanische Gestalt die anderen Cybots seiner großartigen Kompanie, da seine Beine verstärkt und vergrößert werden waren, damit er immer schwerere und schwerere Kampfausrüstung tragen konnte. Der Oberkörper des Cybots war vernarbt und mit Löchern übersät, Zeugnisse ungezählter Belagerungen, die sich in seine Adamantiumhülle eingeprägt hatten. Ein Arm trug einen gewaltigen, kolbengetriebenen Belagerungshammer, der andere einen monströsen Bohrer, der von großkalibrigen Kanonen umringt war.
Vier dicke eiserne Arme, die in Hacken, Klingen, Klauen und schweren Brecheisen endeten, wuchsen aus dem Rücken von Berossus' Sarkophag und baumelten einsatzbereit über seinem gerüsteten Panzer. Toramino sah, wie Honsou sich eine scharfe Erwiderung verkniff, und seine seelenlosen goldenen Augen funkelten vor Belustigung über Berossus' Direktheit. Honsou musste bereits wissen, was sie beide hergeführt hatte. Nur wegen einer Sache würden er und Berossus sich dazu herablassen, den Bau des Mischlings zu betreten, und er lächelte, weil er sich mühelos Honsous Verdruss darüber vorstellen konnte, teilen zu müssen, was sein ehemaliger Herr und Meister errungen hatte. »Ihr müsst Berossus verzeihen, Lord Honsou«, sagte Toramino glatt, indem er vortrat und die Hände aus-, streckte. Im Unterschied zum Rest seiner Rüstung bestanden die Panzerhandschuhe aus brutalem dunklen Eisen, das die Spuren unzähliger Kämpfe und Schlachten aufwies. Vom Geist des Gemetzels erfüllt, hatte Toramino vor langer Zeit geschworen, niemals seine Hände vom Tod zu reinigen, und seine Handschuhe waren mit dem Blut und dem Leiden von Äonen verkrustet. Als seine Panzerhandschuhe in Sicht kamen, richteten alle Iron Warriors hinter Honsou ihr Boltgewehr auf Toraminos Kopf. Der Kriegsschmied grinste und entblößte dabei Zähne aus funkelndem Silber, dann sagte er: »Ich bin gekommen, um Euch zum Sieg auf Hydra Cordatus zu gratulieren. Euer ehemaliger Herr hat einen meisterhaften Feldzug geführt. Die Mauern einer derart formidablen Festung zu schleifen, war eine wahrhaft große Tat. Und die anderen Hauptmänner, Forrix und Kroeger? Wo sind sie, auf dass ich ihnen ebenfalls Ehre erweisen kann?« »Sie sind tot«, schnauzte Honsou, und Toramino erfreute sich an dem Ärger des Mischlings über dessen Ausschluss von den Ehren des Siegs. Er witterte das erbärmliche Verlangen des Mischlings, von ihnen akzeptiert zu werden, und steuerte den wahren Zweck ihrer Reise hierher an. »Ein Jammer«, sagte Toramino, »aber ihr Tod hat einem größeren Zweck gedient, nicht? Ihr habt die Trophäe erbeutet, die unter der Zitadelle verborgen war?« »Ein Jammer?«, wiederholte Honsou. »Ein Jammer ist nur, dass ich sie nicht eigenhändig töten konnte, obwohl ich immerhin das Vergnügen hatte, Forrix sterben zu sehen. Und ja, wir haben uns
die Kriegsbeute aus der Kühlanlage unter den Bergen geholt oder wenigstens das, was die Imperialen nicht vernichtet hatten.« »Stabile Gensaat?«, hauchte Toramino, dem es nicht gelang, den Hunger aus seiner Stimme zu verbannen. »Aye«, stimmte Honsou zu. »Biologisch stabil und ohne Mutation. Und alles für den Plünderer. Das wisst Ihr, Toramino.« Lord Berossus lachte, ein körniges Rauschen von Rückkopplungs-Knistern, und sein massiger Körper beugte sich vor, als er sagte: »Halte uns nicht für Dummköpfe, Mischling. Wir wissen, dass du etwas davon für dich behalten hast. Du wärst dumm, wenn du es nicht getan hättest.« »Und wenn ich es getan hätte, was geht dich das an, Berossus?«, fauchte Honsou. »Welpe!«, brüllte der Cybot, indem er einen hallenden Schritt vortrat und die Servoarme auf seinem Rücken zum Leben erwachten. »Du wagst es, in diesem Ton mit Höhergestellten zu reden!« Bevor Honsou antworten konnte, sagte Toramino: »Lord Beressus spricht zwar unverblümt, aber auch die Wahrheit. Ich weiß, dass Ihr Gensaat für Euch behalten habt, also hört mir gut zu, Mischling: Euer ehemaliger Herr war ein verschworener Verbündeter von Berossus und mir selbst, und wir erwarten, dass Ihr als sein Nachfolger diese Eide in Ehren haltet und die Siegesbeute teilt.« Honsou schwieg lange Sekunden, dann lachte er ihnen ins Gesicht. Toramino spürte seinen Hass auf diesen unverschämten Mischling heißer denn je brennen. »Teilen?«, sagte Honsou, indem er sich umdrehte, von einem Iron Warrior hinter sich eine Axt mit breiter Klinge entgegennahm und einem anderen zunickte, der sich bückte und eine schwere eiserne Kryotruhe hinter dem Thron hochhob, während hinter ihnen mehrere Dutzend Krieger aus Honsous großer Kompanie in den Saal marschierten. Der Iron Warrior mit der Kryotruhe hielt sie Toramino hin, während Honsou sagte: »In dieser Kryotruhe ist alles, was ich abzugeben bereit bin. Es ist mein einziges Angebot, also rate ich Euch, es zu nehmen und zu gehen.« Toraminos Augen verengten sich, als er einen ramponierten Panzerhandschuh ausstreckte, um den Deckel anzuheben, so dass Schwaden kondensierter Luft aus der Truhe wallten. Alle
seine Instinkte schrien ihm zu, dass dies eine Falle sei, aber er durfte vor diesem Mischling keine Schwäche zeigen. Er öffnete das Behältnis und versteifte sich, als er sah, dass es leer war. »Soll das der jämmerliche Versuch eines Scherzes sein, Mischling?«, zischte er. »Du kehrst den Eiden deines Herrn den Rücken?« Honsou machte einen Schritt auf Toramino zu und spie auf den glänzenden Brustharnisch des Kriegsschmieds. »Ich spucke auf diese Eide wie auch auf dich«, sagte er. »Auf dich und dein idiotisches Ungeheuer. Und nein, es ist kein Scherz. Dir muss klar sein, Toramino, dass du nichts von mir bekommst. Keiner von euch. Was ich den Imperialen auf Hydra Cordatus abgenommen habe, dafür habe ich gekämpft und geblutet, und keiner von euch oder sonst jemand wird es mir abnehmen.« Toramino kochte vor Wut, zügelte sie aber. Die Muskeln in seinem Nacken spannten sich, und er versuchte, den in ihm brodelnden Zorn im Zaum zu halten. Er knurrte eine Verwünschung und nickte Berossus zu, der aufbrüllte und seinen mächtigen Belagerungshammer auf den Iron Warrior mit der Kryotruhe niedersausen ließ und ihn in einer Explosion aus Fleisch und Rüstungsteilen auslöschte. Eine leuchtende Korona elektrischer Entladung flammte auf dem Boden auf, in dem jetzt ein Krater gähnte, und blutige Materie tropfte von dem knisternden Hammer. Toramino konnte nicht glauben, dass dieser schändliche Mischling die Nerven hatte, sich vor einem wie ihm so zu verhalten, und brüllte: »Du wagst es, mich derartig zu beleidigen?« »Das tue ich, und Ihr sind mir nicht länger willkommen. Ich gestatte Euch, meine Festung zu verlassen, wie es sich für Kriegsschmiede Eures Rangs ziemt, aber Ihr werdet nie wieder einen Fuß in diese Festung setzen, solange ich atme.« »Sich mir zu widersetzen, bedeutet Tod«, versprach Toramino. »Meine Armeen werden dieses Loch Stein für Stein und Träger für Träger einreißen, und ich werde dich an die Hautlosen verfüttern.« »Wir werden sehen«, sagte Honsou, während er seine Axt fester umklammerte. »Schick deine Armeen her, Toramino, sie werden nur den Tod vor meinen Mauern finden.« Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, machte Lord Toramino auf dem Absatz kehrt und marschierte mit seinem Gefolge und Lord Berossus dichtauf aus dem Saal.
Wenn der Mischling Krieg wollte, würde Toramino ihm Krieg geben. Einen Krieg, der sogar den mächtigen Perturabo aus seinen verbitterten Grübeleien reißen würde.
TEIL I Todeseid EINS Uriel atmete weiter gleichmäßig, während er die letzten Bewegungen seiner Angriffsroutine ausführte, jede Aktion perfekt ausbalanciert und konzentriert, da Körper und Geist in absolutem Einklang handelten. Langsam und wohlüberlegt führte er die Hiebe gegen einen imaginären Feind aus, zunächst mit dem Ellbogen, dann mit der Faust, alles mit exakten, präzisen Bewegungen. Er hielt die Augen geschlossen und beendete alle Bewegungen gleichzeitig. Nach Vollendung seiner Schritte holte Uriel tief Luft, während er die Fäuste vor sich kreuzte, und atmete dann wieder aus, ohne in seiner Konzentration nachzulassen, während er die Arme geschmeidig zurück an die Seiten nahm und seine Kraft wieder in sich zentrierte. Er spürte das Potenzial der tödlichen Gewalten in den Gliedern und die Kraft in sich wachsen, und er empfand eine innere Ruhe wie schon seit vielen Wochen nicht mehr, als er die letzte der vorgeschriebenen Bewegungen ausführte. »Fertig?«, fragte Pasanius. Uriel nickte und schüttelte seine Glieder aus, um sie zu lockern, während er geduckte Kampfhaltung annahm, die Fäuste vor sich erhoben. Sein ehemaliger Sergeant war viel größer als er, muskelbepackt und trug einen Übungschiton aus blauer Baumwolle, der Beine und Arme unbedeckt ließ. Obwohl Pasanius seinen Arm bereits vor zwei Jahren im Kampf gegen einen uralten Sternengott verloren hatte, wurden Uriels Blicke immer noch von dem glänzenden, silbrig-glatten augmetischen Arm angezogen, der das verlorene Glied ersetzt hatte.
Pasanius trug seine blonden Haare dicht am Kopf anliegend, und obwohl zur Bekundung großer Wärme und viel Humor fähig, hatte er nun, da sie sich auf den Kampf vorbereiteten, eine todernste Miene angenommen. Pasanius feuerte eine rechte Gerade auf seinen Kopf ab, und Uriel wich dem Schlag mit einer Seitwärtsbewegung aus. Er lenkte Pasanius' anschließenden Hieb ab und drehte sich in ihn hinein, um seinem Gegner den Ellbogen in die Kehle zu rammen. Doch der große Mann wich geschmeidig aus, lenkte Uriels Stoß zur Seite und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Uriel duckte einen sensenartigen Hieb ab und konnte gerade noch zurückspringen, um einem kraftvollen, auf seinen Schritt gezielten Tritt auszuweichen. Trotz der blitzschnellen Reaktion traf ihn Pasanius' Ferse immer noch in der Seite, und er grunzte vor Schmerzen, als ihm die Luft wegblieb. Uriel wich dem nächsten Hieb aus und tänzelte auf den Fußballen, als sein Gegner wieder auf ihn losging. Er parierte und konterte alles, was Pasanius auf ihn abfeuerte. Der große Mann war schneller, als er aussah, und Uriel wusste, dass er nicht ewig würde vermeiden können, von ihm getroffen zu werden. Und wenn Pasanius einen sauberen Treffer landete, standen nur wenige wieder auf. Er konterte mit mörderischen Hieben, die er mit Drehungen aus Hüften und Schultern unterstützte, um sein ganzes Gewicht hinter die Schläge zu legen, während er geduckt vorrückte, um die Rippen seines Gegners mit extrem schnellen Faustschlägen einzudecken. Pasanius wich vor ihnen zurück, ohne getroffen zu werden, und Uriel setzte rasch nach und versuchte es mit einem Haken zum Kopf. Es war ein riskantes Manöver und hätte leicht pariert werden können, doch anstatt dass Pasanius' silberglänzender Unterarm hochkam, um den Hieb zu parieren, traf Uriels Faust ungehindert die rechte Schläfe. Pasanius stolperte und fiel auf ein Knie. Helles Blut sickerte aus einer Platzwunde über dem rechten Auge. Uriel wich einen Schritt zurück, ließ die Fäuste sinken und beruhigte seine Atmung, während er verwirrt auf die Schramme in der Stirn seines ehemaligen Sergeanten starrte. »Ist alles in Ordnung?«, fragte Uriel. »Was war los? Den hättest du leicht parieren können.« »Du hast mich überrumpelt«, sagte Pasanius, während er sich
das bereits gerinnende Blut mit seiner fleischigen Hand abwischte. »Ich habe damit gerechnet, dass du wieder auf die Beine zielst.« Uriel ließ die letzten Sekunden ihres Übungskampfes noch einmal vor seinem geistigen Auge Revue passieren und begutachtete seine und Pasanius' Stellungen und Bewegungen. »Auf die Beine? Ich war in keiner guten Position, um deine Beine anzugreifen«, sagte Uriel. »Aus der Position musste ich eigentlich auf den Kopf zielen.« Pasanius zuckte die Achseln. »Ich habe einfach die Fäuste nicht rechtzeitig hochgenommen.« »Du hast es nicht einmal versucht, nicht einmal mit dem anderen Arm.« »Du hast gewonnen. Worüber beklagst du dich?« »Ich habe nur noch nie gesehen, dass du so eine leichte Parade vermasselst, das ist alles.« Pasanius wandte sich ab, nahm ein Handtuch vom Messinggeländer, das sich um die geodätische Aussichtskuppel zog, die Hauptmann Laskaris ihnen für Übungskämpfe und Training zugewiesen hatte. Die Schwärze des Alls füllte das Sichtfenster der Kuppel aus: Sterne breiteten sich darin aus wie Diamantstaub auf schwarzem Samt. Reflektiertes Licht von der fernen Sonne Macragge glitzerte auf den vielen Facetten der Kuppel und erfüllte die Aussichtsbucht mit einem weichen Schein geisterhaften Lichts. »Es tut mir leid, Uriel, diese ganze Situation hat mich ein wenig... aus dem Gleichgewicht gebracht«, sagte Pasanius, während er das Handtuch über seinen aug-metischen Arm drapierte. »Aus dem Orden ausgestoßen zu werden...« »Ich weiß, Pasanius, ich weiß«, sagte Uriel, indem er sich zu seinem Sergeanten am Kuppelrand gesellte. Seine Hände krampften sich um das Geländer, als er durch das gehärtete Panzerglas auf das starrte, was dahinter lag. Der gothische klippenartige Rumpf des Transporters Calths Stolz erstreckte sich auf seinem Weg von Macragge zum Sprungpunkt Masali bis tief in die Dunkelheit des Raums und außerhalb seines Blickfelds. Uriel betrat sein Quartier, warf das Handtuch auf den ge-
schützmetallgrauen Spind am Fußende des Betts und ging in die kleine Waschnische, die in das stählerne Schott eingelassen war. Er zog den verschwitzten Chiton aus und hängte ihn über eine verchromte Halterung, dann drehte er an dem polierten Hebel über dem gesprungenen Porzellanbecken und wartete darauf, dass es volllief. Er füllte seine hohlen Handflächen mit dem eiskalten Wasser, spritzte es sich ins Gesicht und ließ es von seinen schroffen Zügen tropfen. Uriel starrte auf das schäumende Wasser im Becken, und die Gischt erinnerte ihn an seinen letzten Morgen auf Macragge, wie er auf Gallans Felsen gekniet und den glitzernden Schaum in dem felsigen Teich am Fuße der Herafälle beobachtet hatte. Mit geschlossenen Augen stellte er sich wieder die entfernten Meere vor, wie sie wie eine Decke aus Saphiren hinter den zerklüfteten weißen Gipfeln des Gebirges im Westen schimmerten, die wiederum mit Fetzen grüner Hochgebirgsweiden gesprenkelt waren. Die untergehende Sonne warf blutrote Lichtfinger auf die Landschaft und tauchte die Berge in Gold. Es war ein Gefühl gewesen, als wolle ihm die Heimatwelt seines Ordens noch einen letzten Blick auf ihre majestätische Pracht gestatten, bevor sie ihm auf ewig verwehrt sein würde. An diese Vision klammerte er sich jede Nacht, wenn er in seinem schlichten Feldbett lag, erinnerte sich an jede Nuance der Farben, Bilder und Düfte, um sie nur ja nicht in seiner Erinnerung verblassen zu lassen. Der schale Geruch der wiederaufbereiteten Luft machte die Erinnerung nur umso eindrucksvoller, und das harsche, spartanisch möblierte Quartier, das man ihm an Bord der Stolz zugewiesen hatte, ließ ihn mit Wehmut an sein Hauptmannsquartier auf Macragge denken. Uriel hob den Kopf und starrte in den polierten Stahlspiegel, während er zusah, wie die Wassertropfen wie Tränen über die Wangen seines Spiegelbilds rannen. Er wischte sich das letzte Wasser aus dem Gesicht, da ihn die grauen Augen seines Zwillings unter einer starken, brütenden Stirn und kurzen schwarzen Haaren beobachteten. In den Augenbrauen saßen zwei goldene Stecker, und sein Kinn war eckig und patrizisch. Sein Körper war durch längst in Vergessenheit geratene Technologie genetisch verstärkt und durch Ausbildung, Disziplin und Krieg bis an die Grenzen der Perfektion geschliffen worden und ließ gewöhnliche menschliche Soldaten, mit denen dieses riesige Sternenschiff ge-
füllt war, winzig erscheinen. Arme und Brust waren mit Narben übersät, aber mehr Narbengewebe, als sie alle zusammen ausmachten, befand sich über dem Magen, wo eine Nornenkönigin der Tyraniden ihn auf Tarsis Ultra beinahe tödlich verwundet hatte. Er schauderte bei der Erinnerung, dann wandte er sich vom Spiegel ab und setzte sich auf die Bettkante, während er an seinen letzten Blick auf Macragge dachte, als die Fähre vom Raumhafen am Ende des Laponistals gestartet war. Er hatte beobachtet, wie seine adoptierte Heimatwelt unter ihm schrumpfte und zu einem Flickenteppich aus glitzernden quarzreichen Bergen und ausgedehnten Ozeanen wurde, die sich bald seinen Blicken entzogen, als die Fähre die unteren Wolkenschichten erreicht hatte. Langsam war die Rundung der Welt sichtbar geworden, und mit ihr der blasse Nebel, der die Trennung zwischen dem Planeten und dem eisigen Vakuum des Alls darstellte. Voraus war die Calths Stolz ein hässliches metallisches Rechteck gewesen, der über der Nordpolargegend des Planeten im All hing. Er hatte die Hand ausgestreckt und den Panzerhandschuh auf die dicke Sichtscheibe der Fähre gelegt, während er sich fragte, ob er je wieder einen Fuß auf Macragge setzen würde. »Sieh genau hin, Hauptmann«, hatte Pasanius bedrückt gesagt, da er Uriels Blick durch die Sichtscheibe folgte. »Das sehen wir zum letzten Mal.« »Ich hoffe, du irrst dich, Pasanius«, sagte Uriel. »Ich weiß nicht, wohin unsere Reise führt, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass wir unsere Ordenswelt wiedersehen.« Pasanius zuckte die Achseln. Neben seiner riesenhaften gerüsteten Gestalt wirkte sein ehemaliger Hauptmann fast zwergenhaft. Der verstorbene Techmarine Sevano Tomasin hatte die Rüstung nach Pasanius' Ernennung zum vollen Space Marine geschmiedet, und die Bestandteile ihrer Panzerplatten waren aus TerminatorRüstungen ausgeschlachtet worden, die in der Schlacht irreparabel beschädigt worden waren. »Vielleicht, Hauptmann, aber ich weiß, dass ich Macragge nie wiedersehen werde.« »Was macht dich so sicher? Und du brauchst mich nicht mehr >Hauptmann< zu nennen, weißt du noch?« »Natürlich, Hauptmann, aber ich weiß einfach, dass ich nicht hierher zurückkehren werde«, erwiderte Pasanius. »Das ist so ein
Gefühl.« Uriel schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht, dass Lord Calgar uns diesen Todeseid auferlegt hätte, wenn er nicht glaubte, dass wir ihn erfüllen könnten«, sagte er. »Vielleicht dauert es viele Jahre, aber Hoffnung gibt es immer.« Uriel hatte seinen ehemaligen Sergeanten betrachtet und seine grimmige Laune sehr gut verstanden, da sein Blick auf den riesigen Schulterschutz fiel, wo einst das Symbol der Ultramarines geprangt hatte. Wie auch an seiner eigenen Rüstung waren alle Insignien der Ultramarines im Anschluss an ihre Geißelung durch eine Konklave ihrer Vorgesetzten für ihren Bruch des Codex Astartes auf Tarsis Ultra entfernt worden, und sie hatten den Marsch der Schande aus der Hera-Festung angetreten. Uriel seufzte, als er an all das dachte, was geschehen war, seit er das Schwert seines ehemaligen Hauptmanns aufgehoben und den Befehl über die Vierte Kompanie der Ultramarines übernommen hatte. Ein Übermaß an Tod und Schlachten war das Los eines Space Marines. Schlachtenbrüder, Verbündete und Freunde waren im Kampf gegen Abtrünnige, Xeno-Wesen und ganze Splitterflotten der Tyraniden gestorben. Er lehnte sich an das Schott und kehrte in Gedanken zu dem Gemetzel zurück, das die Tyraniden auf Tarsis Ultra angerichtet hatten. Er erinnerte sich immer noch ganz genau an die grässlichen Schlachten, die auf dieser eisigen Industriewelt ausgetragen worden waren. Die Wut der Invasion der außergalaktischen Räuber hatte sich unauslöschlich in sein Gedächtnis gebrannt. Die Schlachten auf Ichar IV - eine weitere von den Tyraniden verheerte Welt waren furchtbar, aber die Versammlung der imperialen Streitkräfte dort war großartig gewesen, wohingegen die auf Tarsis Ultra versammelten Truppen entsetzlich in der Unterzahl waren, und nur verzweifeltes Heldentum und die Einmischung des legendären Inquisitors Kryptman hatten ihnen den Sieg gebracht. Aber der Sieg war für einen Preis errungen worden. Um den Planeten zu retten, hatte Uriel das Kommando über einen Trupp der Todeswacht des Ordo Xenos übernommen - entgegen der Pflicht seinen Kriegern gegenüber und der Lehren im heiligen Buch des Primarchen, dem Codex Astartes - und sich ins Herz des tyranidischen Schwarmschiffs vorgekämpft. Nach der Rückkehr der Kompanie nach Macragge hatte Learchus, einer
seiner tapfersten Sergeanten, den Hochmeistern des Ordens Uriels flagrante Verletzungen der Lehren des Codex' gemeldet. Vor dem Gericht der Gesamtheit der Ultramarines hatten Uriel und Pasanius auf ihr Recht verzichtet, sich zu verteidigen, und stattdessen das Urteil von Marneus Calgar akzeptiert, um zu verhindern, dass ihr Beispiel Schule machte. Die Strafe für so eine Ketzerei konnte nur der Tod sein, doch anstatt das Leben zweier tapferer Krieger zu verschwenden, die den Feinden des Imperators durchaus noch Verderben bringen mochten, hatte der Ordensmeister sie an einen Todeseid gebunden. Uriel konnte sich noch lebhaft an den Abend erinnern, als sie sich aus der Hera-Festung aufgemacht hatten, da sie das Urteil Lord Calgars akzeptiert und dem Orden gezeigt hatten, dass der von den Ultramarines gewählte Weg richtig war. Sie waren an den Todeseid gebunden, auf dass der Orden weiterleben mochte, wie er es immer getan hatte. Ordenspriester Clausel hatte Verse aus dem Buch der Unehre vorgelesen und den Blick abgewandt, als Uriel und Pasanius an ihm vorbei zu den Türen des Wächterhauses gegangen waren. »Uriel, Pasanius«, sagte Lord Calgar. Die beiden Space Marines blieben stehen und verbeugten sich vor ihrem ehemaligen Meister. »Der Imperator ist bei euch. Sterbt gut.« Uriel nickte, als sich die gewaltigen Türen öffneten. Er und Pasanius waren in das violette Dämmerlicht des Abends getreten. Vögel sangen, und Fackellicht flackerte auf den hohen Türmen des äußersten Festungswalls. Bevor sich die Tür schloss, hatte Calgar noch etwas gesagt, zögernd, als sei er nicht sicher, ob er überhaupt etwas sagen solle. »Letzte Nacht hat Bibliothekar Tigurius mir etwas erzählt«, begann er, »und zwar von einer Welt, die nach dunklem Eisen riecht, auf der es große Brutfabriken für Dämonenfleisch gibt, das sich in monströsem, unnatürlichem Leben kräuselt. Tigurius hat mir erzählt, brutale Leichenbestatter - selbst Ungeheuer - würden mit Klingen und Sägen auf diese Kreaturen einhacken und blutbefleckte Gestalten herausziehen. Obwohl mehr tot als lebendig, würden diese Gestalten leben und atmen und groß und stark und wie ein finsterer Spiegel unserer eigenen Herrlichkeit sein. Ich weiß nicht, was das bedeutet, Uriel, aber das Böse darin ist offensichtlich. Sucht diesen Ort. Zerstört ihn.«
»Wie Sie befehlen«, sagte Uriel, während er in die Nacht wanderte. Die bedrückende Vision von Bibliothekar Tigurius konnte überall in der Galaxis sein, und obwohl die Vorstellung, sich an einen so abscheulichen Ort zu wagen, Uriels Seele mit Beklemmung erfüllte, freute sich ein Teil von ihm auch auf die Gelegenheit, derart schändlichen Ungeheuern den Tod zu bringen. Fünf Tage waren vergangen, seit sich der Frachter aus der Umlaufbahn von Macragge gelöst hatte und unter Benutzung seiner konventionellen Plasmatriebwerke zum Sprungpunkt Masali flog. Uriel war bisher all seinen Feinden mit der Klinge begegnet und hatte sie besiegt, und doch waren er und Pasanius nun hier an Bord eines Transporters, der bis zu den Dollborden mit Regimentern der Imperialen Garde vollgestopft war, allesamt unterwegs zum Seg-mentum Obscurus und den Kriegen, die dort durch das Eindringen des Plünderers in das Imperiumsgebiet ausgebrochen waren. »Mut und Ehre«, flüsterte er verbittert, doch er bekam keine Antwort. Pasanius drückte sich die Spitze des Messers in die Mitte der Brust und bekam eine Gänsehaut. Die Haut platzte auf, Blut quoll aus dem Schnitt und lief über seine Brust, bevor es rasch gerann. Pasanius bohrte die Klinge tiefer und zog das Messer dann über den gewölbten Brustmuskel auf der linken Seite, so dass ein langer, horizontaler Schnitt entstand. Er ignorierte den Schmerz, änderte den Schnittwinkel und zog die Klinge diagonal nach unten zum Solar Plexus, um dann auf der anderen Brustseite ein Spiegelbild der Schnitte anzulegen. Rasch ausgeführte Schlitze zwischen den tiefen Schnitten bildeten den letzten Teil des Musters, und Pasanius ließ das Messer auf das Bett fallen, um dann vor dem improvisierten Schrein am Boden auf die Knie zu sinken. Brennende Duftkerzen verbreiteten ein rauchiges Aroma und flackerten in der Brise der Wiederaufbereitungsanlagen. An ihrem Fuß lagen lange Streifen Gebetspapier zusammengerollt, die mit Pasanius' krakeliger Schrift vollgekritzelt waren. Pasanius hob einen Streifen des golden gerandeten Papiers mit blutigen Fingerspitzen auf und las die dort niedergeschriebenen Worte der Reue
und der Beichte, obwohl er sie auswendig kannte. Er hob die glänzende bionische Hand, spreizte die Finger und legte sie mit der Innenseite auf seine blutige Brust, in die ein Adler mit ausgestreckten Flügeln geritzt war. Pasanius zog sich die Hand über die Brust und verschmierte das geronnene Blut über dem glänzenden Metall, während er die auf das Papier geschriebenen Beichtworte hauchte. Als er fertig war, ließ er das Papier in die flackernde Kerzenflamme sinken und beließ es dort, bis es Feuer fing. Hungrige Flammen leckten über die ganze Länge des Gebetspapiers und verzehrten gierig die niedergeschriebenen Worte, während sie ihm die Fingerspitzen schwarz versengten. Das Papier löste sich in seinen Händen auf und zerfiel in orange umrahmte Flocken, die sanft zu Boden schwebten. Der letzte Funke entglitt seiner Hand, und Pasanius hämmerte seine silberne Faust vor die Wand seines Quartiers, so dass ein tiefer Krater entstand. Er hielt sich die Hand vor das Gesicht, um den furchtbaren Schaden zu begutachten. Seine Metallfinger waren durch die Aufprallwucht geborsten und verbogen, aber Pasanius weinte bittere Tränen des Abscheus und Selbsthasses, während er beobachtete, wie seine Fingerspitzen anfingen zu schimmern und sich zu begradigen, bis nicht mehr der kleinste Kratzer zu sehen war. »Vergib mir...«, flüsterte er. Uriel warf ein leeres Magazin aus seinem Boltgewehr aus und rammte rasch ein neues in die Waffe, als ihn ein weiterer Feind aus dem Eingang des Gebäudes voraus angriff. Er wälzte sich zur Seite, als eine Salve Laserstrahlen den Sand aufspritzen ließ, und kam neben einem Stapel leerer Munitionskisten wieder auf die Beine und in Schussposition. Mit einer so natürlichen Bewegung, dass er sie kaum noch bewusst zur Kenntnis nahm, zielte er über den Lauf des Boltgewehrs und gab einen einzigen Schuss ab, der seinem Ziel den Kopf wegsprengte. Ein anderer Schütze tauchte kurz auf der Brüstung des Hauses auf, und er korrigierte seine Zielrichtung und jagte dieser neuen Bedrohung ein Boltgeschoss in die Brust. Pasanius rannte zur Tür des Gebäudes, während Uriel in den oberen Fenstern und umliegenden Dächern nach neuen Zielen Ausschau hielt. Er entdeckte
keine und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Haupteingang, dessen Tür Pasanius gerade in einer Wolke davonfliegender Splitter aus den Angeln fegte. Uriel verließ seine Deckung und rannte zu dem Gebäude, während Pasanius ihm Feuerschutz gab. Er hörte das unverkennbare Knistern von Laserschüssen und das antwortende Krachen eines Boltgewehrs. Er erreichte das Gebäude und prallte förmlich vor die Wand. Pasanius warf eine Granate durch die Tür, bevor er sich duckte, während der Explosionsdonner nach draußen hallte. »Los!«, rief Pasanius. Uriel stürzte aus seiner Deckung neben der Tür in den Eingang und die von Rauch erfüllte Hölle des Raums dahinter. Leichen lagen auf dem Boden, und von der Explosion trieben beißende Rauchschwaden durch den Raum, aber die Autosinne von Uriels Rüstung durchdrangen den Nebel mit Leichtigkeit und zeigten ihm, dass noch zwei Feinde standen. Er streckte den ersten nieder, und Pasanius erledigte den zweiten mit einem Kopfschuss. Raum für Raum, Etage für Etage, durchkämmten die beiden Ultramarines das Gebäude und töteten weitere dreißig Ziele, bevor sie es für gesichert erklärten. Seit dem Aufbrechen der Tür waren vier Minuten verstrichen. Uriel setzte seinen Helm ab und fuhr sich mit der Hand über den Schädel. Sein Atem ging ruhig und gleichmäßig, und das trotz einer Übungseinheit, nach der auch der körperlich fitteste menschliche Krieger nach Luft geschnappt hätte. »Vier Minuten«, sagte er. »Nicht gut. Ordenspriester Clausel hätte uns nach einer Leistung wie dieser zur Strafe eine Woche fasten lassen.« »Aye«, gab Pasanius ihm recht, der ebenfalls den Helm absetzte. »Ohne seine Vorträge aus dem Gesangbuch sind die Übungen nicht mehr das, was sie einmal waren. Wir verlieren den Biss. Ich verspüre hier nicht die Notwendigkeit, mich auszuzeichnen.« »Ich weiß, was du meinst, aber es ist eine Ehre, solche Fähigkeiten zu haben wie wir, und es ist unsere Pflicht dem Orden gegenüber, sie in bestmöglichem Zustand zu erhalten«, sagte Uriel, während er sein Boltgewehr überprüfte und das Gebet flüsterte, das den Kriegsgeist der Waffe ehrte. Beide Männer hatten Gebete gesprochen und die korrekten Ölungen und Schussriten angewandt, bevor sie die Waffen überhaupt geladen hatten. Derartige Hingabe an eine Waffe war unter den kämpfenden Männern und
Frauen des Imperiums weit verbreitet, aber für einen Space Marine war sein Boltgewehr viel mehr als einfach nur eine Waffe. Es war ein göttliches Instrument des Willens des Imperators, das Mittel, das seinen Zorn über jene brachte, die dem Imperium trotzten. Trotz seiner Worte wusste Uriel, dass Pasanius wahr gesprochen hatte, als er sagte, sie verlören den Biss. Vier Minuten, um ein Gebäude dieser Größe zu sichern, war ganz erstaunlich, aber er wusste, dass sie es schneller und effizienter hätten tun können, und die Vorstellung, nicht das zu leisten, was er zu leisten imstande war, wurmte ihn. Seit seinem sechsten Lebensjahr und seinem Eintritt in die Agiselus-Kaserne war er der Beste gewesen in allem, was er angefasst hatte. Nur Learchus war ihm in seinen Leistungen gleichgekommen, und die Möglichkeit, dass er nicht so gut war, wie er sein konnte, war eine äußerst bestürzende Vorstellung. Pasanius hatte recht - ohne den beständigen Drill und die Übungen, die sie als Teil eines Ordens von Space Marines gewöhnt waren, konnte Uriel förmlich spüren, wie seine Fähigkeiten mit jedem Tag nachließen, den sie sich weiter von Macragge entfernten. »Aber«, fuhr Pasanius fort, »vielleicht brauchen wir nicht mehr die Besten zu sein, vielleicht sind wir dem Orden überhaupt nichts mehr schuldig.« Uriels Kopf ruckte hoch, schockiert über die Idee und auch über die Leichtigkeit, mit der Pasanius sie ausgesprochen hatte. »Wovon redest du?« »Hast du immer noch das Gefühl, dass wir Space Marines des Imperators sind?«, fragte Pasanius. »Natürlich. Was sollten wir sonst sein?« »Nun ja, wir wurden ausgestoßen und entehrt und sind keine Ultramarines mehr«, fuhr Pasanius mit schwankender, unsicherer Stimme fort, während er mit leerem Blick ins All starrte. »Aber sind wir noch Space Marines? Müssen wir uns noch so drillen? Wenn wir keine Space Marines mehr sind, was sind wir dann?« Pasanius hob den Kopf und begegnete seinem Blick, und Uriel war überrascht über die Tiefe der Qual, die er darin sah. Die Seele seines ehemaligen Sergeanten lag bloß, und Uriel konnte den furchtbaren Schmerz über ihren Ausschluss aus dem Orden erkennen. Er legte Pasanius eine Hand auf den schmucklosen Schulterschutz.
Uriel konnte den Schmerz seines Freundes verstehen und fühlte sich wieder schuldig, weil Pasanius die Schande teilte, die nur er und er allein hätte durchleben dürfen. »Wir werden immer Space Marines sein, mein Freund«, bestätigte Uriel. »Und was auch geschieht, wir werden weiterhin die Kampfrituale unseres Ordens befolgen. Wo wir auch sind und was wir auch tun, wir werden immer Krieger des Imperators sein.« Pasanius nickte. »Das weiß ich«, sagte er schließlich. »Aber in der Nacht plagen mich schreckliche Zweifel, und es gibt niemanden an Bord dieses Schiffes, dem ich beichten kann. Ordenspriester Clausel ist nicht hier, und ich kann nicht zum Schrein des Primarchen gehen und um Anleitung bitten.« »Du kannst mit mir reden, Pasanius, immer. Sind wir nicht Waffenbrüder, Schlachtgefährten und Freunde?« »Aye, Uriel, das werden wir auch auf ewig bleiben, aber du bist auch nur ein Verdammter neben mir. Wir sind Ausgestoßene, und deine Worte sind für mich wie Staub im Wind. Ich sehne mich nach der spirituellen Anleitung von einem, der rein und nicht mit Schande befleckt ist. Es tut mir leid.« Uriel wandte sich von seinem Freund ab und wünschte, er hätte gewusst, was er sagen sollte, aber er war kein Ordenspriester und kannte nicht die richtigen Worte, um Pasanius den Trost zu spenden, nach dem er sich so sichtbar sehnte. Doch noch während er nach beruhigenden Worten suchte, fragte sich eine verräterische Stimme in seinem Hinterkopf, ob Pasanius nicht vielleicht recht hatte. Uriel und Pasanius gingen durch das mit Kugeln gespickte Übungsgebäude und an den verstümmelten Überresten der siebenunddreißig von Servitoren gelenkten Gegner vorbei, deren Leiber aus Plastek und Drahtgeflecht von den massereaktiven Boltgeschossen der Space Marines zerfetzt worden waren. Nachdem sie das Gebäude verlassen hatten, schritten sie durch die volle Übungshalle zu einer der vielen Kapellen auf dem Schiff. Nachdem sie ihre Schießrituale beendet hatten, verlangte ihre starre Routine nun, dem Primarchen und dem Imperator die Ehre zu erweisen. Die Lichter in der Trainingshalle verdunkelten sich ein wenig, was Uriel verriet, dass das Raumschiff kurz vor dem Eintritt in
den Nachtzyklus stand, wenngleich Tag und Nacht an Bord eines Raumschiffs bedeutungslose Begriffe waren. Trotzdem hatte Kapitän Laskaris strikte Verdunkelungsphasen und Wecksignale angeordnet, damit sich die Passagiere der Calths Stolz schneller an die Bordzeit des Schiffs gewöhnten. Es war ein weit verbreitetes Phänomen, dass viele Soldaten Probleme hatten, sich an das Leben an Bord anzupassen. Die zwangsweise Klaustrophobie und die vielen anderen Entbehrungen, die das Leben auf einem Raumschiff mit sich brachten, führten zu stark vermehrten Ausbrüchen von Gewalt und Disziplinlosigkeiten. Doch die gegenwärtig im riesigen Rumpf dieses Schiffes untergebrachten Truppen stammten von Ultramar, und jene, die eine Ausbildung in den Kasernen des Reichs der Ultramarines genossen hatten, waren eine sehr viel strengere Disziplin gewöhnt, als von der Schiffsbesatzung und der Militärpolizei eingefordert wurde. Die Übungshalle war ein großer Saal mit Steinsäulen und maß volle neunzig Meter vom Sandboden bis zur Kuppeldecke und mindestens tausend von Seite zu Seite. Ein ganzes Regiment und mehr konnte hier Schießen, Nahkampf, Infiltration, Dschungelkämpfe oder auch den Albtraum der Straßenkämpfe üben. Diese zweckbestimmten Arenen waren abgeteilte, vollständig nachgebildete Landschaften, wo viele tausend Soldaten zusätzliche Ausbildung erhielten, bevor sie ihr Zielgebiet im galaktischen Nordwesten erreichten. Viele Reihen Kampfstandarten hingen von der Decke, und große anthrazenblaue Statuen bedeutender Helden von Ultramar säumten die Wände. Buntglasfenster, die von der anderen Seite durch Lichtkugeln beleuchtet waren, stellten das Leben von Roboute Guillaume dar, während auf jeder Säule Endlosgebete auf Hoch-gothisch aus schallenden Fanfaren hallten, in die Engel aus Alabaster bliesen. »Gute Männer und Frauen«, stellte Uriel fest, während er eine Gruppe Soldaten beobachtete, die das Kämpfen mit aufgepflanztem Bajonett übten. Dennoch bemerkte Uriel, dass viele der übenden Soldaten ihnen trotz ihrer Disziplin verwirrte Blicke zuwarfen. Er wusste, dass ihre Rüstungen, die aller Insignien der Ultramarines beraubt worden waren, zweifellos für endlose Spekulationen bei den Regimentern im Schiff sorgen würden. »Aye«, nickte Pasanius. »Das 808. Macragge. Die meisten wer-
den von Agiselus stammen.« »Dann werden sie gut kämpfen«, sagte Uriel. »Eine Schande, dass wir nicht mit ihnen üben können. Sie könnten viel lernen, und für uns wäre es eine Ehre, unsere Erfahrung weiterzugeben.« »Vielleicht«, sagte Pasanius. »Obwohl ich nicht glaube, dass ihre Offiziere es so sehen würden. Ich habe das Gefühl, dass wir für viele eine Enttäuschung sind. Ein entehrter Space Marine ist kein Held. Er ist wertlos, weniger als nichts.« Überrascht über das Gift in seinem Tonfall, drehte sich Uriel um. »Pasanius?«, sagte er. Pasanius schüttelte den Kopf, als entledige er sich eines leichten Unbehagens, und setzte ein Lächeln auf; obwohl Uriel dessen Falschheit durchschaute. »Es tut mir leid, Uriel, mein Schlaf war unruhig. Ich bin es nicht gewöhnt, so viel davon zu haben. Ich rechne immer mit einem brüllenden Ordenspriester Clausel, der zum Wecken ruft.« »Aye«, stimmte Uriel zu und zwang sich zu einem Lächeln. »Mehr als drei Stunden Schlaf pro Nacht ist Luxus. Pass auf, dass du dich nicht daran gewöhnst, mein Freund.« »Unwahrscheinlich«, sagte Pasanius trübsinnig. Uriel kniete vor der dunklen Marmorstatue des Imperators. Das flackernde Licht vieler hundert Kerzen, das die Kapelle erfüllte, wurde hundertfach von ihrer glatten Oberfläche reflektiert. Unter dem Dach der Kapelle hing eine Schwade aus stark nach Nalholz und Sandarak duftendem Rauch, der aus den vielen Brennern aufstieg, die das Kirchenschiff säumten. Skandierende Priester mit Rosenkränzen und brennenden Kerzen in den Händen marschierten murmelnd und vor sich hin flüsternd durch die Kirche, während albinohäutige Cherubime mit flackernden goldenen Flügeln und kobaltblauen Haaren über ihnen in der Luft schwebten und lange Stücke Gebetspapier aus Spendern in ihren Bäuchen hingen. Uriel ignorierte sie, während er das drahtumwickelte Heft seines Energieschwerts beidhändig hielt und die Hände auf den goldenen Parierstangen ruhten. Das Schwert war gezogen und zeigte auf den Boden, und Uriel hatte beim Beten die Stirn auf den geschmiedeten Schädel des Knaufs gelegt. Das Schwert war das letzte Geschenk von Hauptmann Idaeus,
seinem ehemaligen Mentor, und obwohl es auf Pavonis zerbrochen war - vor einer Ewigkeit, wie es ihm jetzt erschien -, hatte Uriel selbst eine neue Klinge geschmiedet, bevor er sich auf den Kreuzzug nach Tarsis Ultra und auf den Weg zu seiner schließlichen Entehrung gemacht hatte. Er fragte sich, was Idaeus wohl von seiner gegenwärtigen Situation gehalten hätte, und dankte dem Imperator, dass er nicht mehr da war, um mit anzusehen, was aus seinem Protege geworden war. Pasanius kniete mit geschlossenen Augen neben ihm, und seine Lippen bewegten sich in einem stummen Gebet. Uriel fand es schwierig, die düstere, brütende Gestalt zu ertragen, in die sich Pasanius seit ihrem Aufbruch aus der Hera-Festung verwandelt hatte. Sicher, sie waren aus dem Orden verstoßen und von ihrer Heimatwelt und ihren Schlachtenbrüdern getrennt worden, aber sie hatten noch eine Pflicht zu erledigen und einen Eid zu erfüllen, und solchen Verpflichtungen kehrte ein Space Marine niemals den Rücken, vor allem kein Ultramarine. Uriel wusste, dass Pasanius ein Krieger mit Mut und Ehre war, und hoffte nur, dass er die Charakterstärke besitzen würde, sich über seine schlechte Laune zu erheben, während er sich daran erinnerte, auf Tarsis Ultra in einem der Hospitäler in einer Kapelle nicht unähnlich dieser gesessen zu haben und selbst von Problemen gequält zu werden. Er erinnerte sich außerdem an das wunderschöne Gesicht der Schwester eines Heilerordens, die er dort kennengelernt hatte. Schwester Joaniel Ledoyen hatte sie geheißen, und sie hatte mit einer Weisheit und Klarheit zu ihm gesprochen, die durch seinen Schmerz gedrungen war. Uriel hatte nach den Kämpfen in das Hospital zurückkehren wollen, aber beim letzten Angriff auf das Schwarmschiff war er zu schwer verletzt worden, um etwas anderes zu tun, als sich auszuruhen, während sich Apothekarius Selenus bemüht hatte, die letzten Spuren des tyranidischen Zellgifts aus seinem Blut zu tilgen. Als es ihm wieder so gut gegangen war, dass er aufstehen und sich bewegen konnte, war es bereits an der Zeit gewesen, nach Macragge aufzubrechen, und er hatte keine Zeit gehabt, ihr für ihre schlichte Freundlichkeit zu danken. Er fragte sich, was aus ihr geworden und wie es ihr nach der Tyranideninvasion ergangen war. Wo sie auch war, Uriel wünschte ihr alles Gute. Er beendete seine Gebete, stand auf und küsste seine Schwert-
klinge, bevor er sie in die Scheide schob. Er verbeugte sich vor der Statue des Imperators und beschrieb das Zeichen des Adlers vor der Brust, während er auf Pasanius starrte, der immer noch betete. Er runzelte die Stirn, als ihm einige seltsame Male auffielen, die über dem Nackenschutz von Pasanius' Rüstung zu erkennen waren. Hinter ihm stehend, konnte Uriel erkennen, dass die Male am Nackenansatz begannen und unter der Rüstung verschwanden. Das verkrustete Narbengewebe verriet Uriel, dass es sich um Wunden handelte, kürzlich erlittene Wunden, die infolge der Larraman-Zellen in ihrem Blut sofort verschorften. Aber wie war er an diese Wunden gekommen? Bevor Uriel ihn fragen konnte, spürte er jemanden hinter sich und drehte sich um. Einer der Priester stand vor ihm, ein junger Mann mit gehetztem Blick, der ihn in verzückter Faszination anstarrte. »Prediger«, sagte Uriel respektvoll. »Nein, noch nicht!«, quiekte der Priester, während er sich den Rosenkranz in immer engeren Schlingen um die Handgelenke wickelte. »Nein, ich bin kein Prediger. Nur ein armer Zönobit, mein Todesengel.« Uriel konnte erkennen, dass die Handflächen des Mannes glitschig von Blut waren, und fragte sich, welchem Orden er wohl angehörte. Es gab viele Tausend anerkannte Sekten im Imperium, und dieser Mann konnte zu jeder gehören. Er betrachtete die Gewänder des Mannes auf der Suche nach einem Hinweis, aber sein dunkelblaues Skapulier und die gleichfarbige Kasel waren bis auf die silbernen Verschlussösen schmucklos. »Kann ich dir irgendwie helfen?«, hakte Uriel nach, während sich Pasanius erhob und neben ihn stellte. Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein«, gackerte er mit einem schiefen Grinsen. »Ich bin bereits tot. Der Omphalos Daemonium kommt! Ich spüre, wie er von innen aus meinem Schädel hervorbricht. Er wird mich und alle anderen für seine infernalische Maschine nehmen. Als Totbrocken für seine Esse, Fleisch für seinen Tisch und Blut für seinen Pokal.« Uriel wechselte einen Seitenblick mit Pasanius und verdrehte die Augen, da ihm aufging, dass dieser Zönobit vollkommen wahnsinnig war, ein durchaus nicht ungewöhnliches Leiden unter den fanatischeren der Anhänger des Imperators. Man ging allgemein
davon aus, dass diese Bedauerlichen auf einer Ebene existierten, die dem göttlichen Imperator näher war, und ließ sie frei herumlaufen, auf dass ihr irres Gerede einen Hinweis auf den Willen des Unsterblichen Meisters der Menschheit geben mochte. »Ich danke dir für diese Worte, Prediger«, sagte Uriel, »aber wir haben unsere Andacht beendet und müssen gehen.« »Nein«, sagte der Zönobit mit Nachdruck. »Nein? Was soll das heißen?«, fragte Uriel, der langsam die Geduld mit dem verrückten Priester verlor. Wie viele der Adeptus Astartes hatten die Ultramarines eine angespannte Beziehung zu den Priestern des Ministorum. Der Glaube der Space Marines, dass der Imperator der mächtigste Sterbliche in der Galaxis, aber eben doch nur ein Sterblicher sei, war den Lehren ihres Ekklesiarchen diametral entgegengesetzt. »Kannst du ihn nicht hören, Sohn Calths? Den Zug auf den Gleisen der Blutbahnen mit seinen verhassten Waggons hinterdrein?« »Ich höre nichts«, sagte Uriel, indem er um den Zönobit herumging und zur eisernen Tür der Kapelle marschierte. »Das wirst du noch«, versprach der Mann. Uriel drehte sich um, als eine monotone Servitor-Stimme durch die mit Neusilber überzogenen Lautsprecher-Einheiten im Schatten der Kuppeldecke knisternd verkündete: »Alle Mann auf WarpÜbergang vorbereiten. Warp-Übergang in dreißig Sekunden.« Der Zönobit lachte, und Speichelbläschen platzten in seinen Mundwinkeln, als er die zerschnittenen Unterarme über den Kopf hob. Blut rann aus den geöffneten Pulsadern und spritzte ihm ins Gesicht, bevor es ihm wie rote Tränen über die Wangen rann. Er sank auf die Knie und flüsterte: »Zu spät... der Herr der Schädel kommt.« Ein Krampf der Übelkeit überlief Uriels Rückgrat, als die letzten Worte den Mund des Zönobiten verließen, und er trat zu dem Mann in der Absicht, ihn zu schelten, weil er an diesem heiligen Ort solche Blasphemien von sich gab. Das Licht in der Kapelle trübte sich, als sich das Schiff auf den Eintritt in den Warpraum vorbereitete. Uriel zog den jungen Prediger auf die Beine. Und der Kopf des Zönobiten explodierte.
ZWEI
Blut spritzte aus dem zerfetzten Halsstumpf des Zönobiten, und Uriel schob den zuckenden Leichnam angewidert beiseite, wich zurück und wischte sich die klebrige Flüssigkeit aus dem Gesicht. Der Leichnam blieb auf den Beinen und zuckte und ruderte mit den Armen, als habe er einen heftigen Anfall. Aus den Pulsadern der hektisch schlagenden Arme spritzte immer noch mehr Blut und besudelte Altar und Statue. Während er noch in entsetzter Faszination auf den irrsinnigen Tanz des Leichnams starrte, verspürte Uriel das vertraute Gefühl in seinem Primärmagen, als dieser sich umdrehte, da das Schiff in die trügerischen Strömungen des Warpraums sprang. Er hielt sich an einer der Bankreihen in der Kapelle fest, als ihn ein jähes Schwindelgefühl überkam, das Sekunden später verschwunden war, weil sein Lyman-Ohr die räumliche Verschiedenheit der Dimensionen ausglich. Der grässliche Leichnam zuckte und strampelte weiterhin und wollte nicht fallen, obwohl ihm der Kopf fehlte, und Uriel hatte die unverkennbare Empfindung, dass Warpraum-Hexerei in der Luft lag. Die Priester in der Begleitung des Zönobiten heulten vor Entsetzen und sanken auf die Knie, und ihre vor Grauen weit aufgerissenen Münder stammelten Gebete des Schutzes und der Gnade. Einige, die aus härterem Holz geschnitzt waren, zogen Pistolen unter ihren Gewändern hervor und richteten sie auf den tanzenden Leichnam. »Nein!«, schrie Uriel, indem er sein Schwert zog und auf den grässlichen Wiedergänger zusprang. Der torkelte ihm mit ausgestreckten Armen entgegen, aber ein weit ausholender Hieb von Uriels Klinge spaltete ihn vom Schlüsselbein bis zur Hüfte, und die beiden Hälften des Mannes fielen auf den Marmorboden, zuckend, aber gnädigerweise frei von allem, was Besitz von ihm ergriffen haben mochte. »Guillaumes Blut!«, fluchte Pasanius, während er vor dem toten Zönobiten zurückwich und das Zeichen des Adlers vor seiner Brust beschrieb. »Was ist mit ihm passiert?« »Ich habe keine Ahnung«, sagte Uriel. Er kniete sich neben den Leichnam und wischte die Klinge an der Kutte des Toten ab, als plötzlich das Licht in der Kapelle zu blinken anfing. Warnsirenen und Alarmglocken drangen von draußen in die Kapelle. Uriel erhob sich geschmeidig und sagte: »Aber ich habe das Ge-
fühl, wir werden es gleich herausfinden.« Er drehte sich um, lief zur Kapellentür und schnappte sich dabei sein Boltgewehr aus dem Waffenständer neben dem Eingang zum Andachtsraum. Pasanius nahm seinen Flammenwerfer und folgte ihm nach draußen auf den Flur, um wie angewurzelt stehen zu bleiben, als er sah, was sich jenseits der Kapellentür befand. Beide Männer standen wie versteinert da, während der Gang vor ihnen anschwoll und sich kräuselte wie in einem diabolischen Hitzeflimmern. Seine Dimensionen verzerrten sich, jenseits der drei den Menschen bekannten. »Imperator!«, hauchte Pasanius voller Entsetzen. »Das GellerFeld muss zusammengebrochen sein. Der Warpraum dringt ins Schiff ein!« »Und nur der Imperator weiß, was sonst noch«, sagte Uriel, dem aus Furcht vor dem unbekannten Grauen des Warpraums ein kalter Schauder über den Rücken lief. Ohne den Schutz des Geller-Feldes vor den räuberischen astralen und dämonischen Wesenheiten, die sich in den Tiefen des Immateriums herumtrieben, würden diese freie Hand im Schiff haben, ätherische Ungeheuer und schattenhafte Phantome, die Menschen in Fetzen reißen konnten, bevor sie wieder im Warpraum verschwanden. »Komm mit«, rief Uriel. »Die Übungshalle. Wir müssen so viele Soldaten wie möglich sammeln, bevor es zu spät ist.« Uriel und Pasanius torkelten wie zwei Betrunkene durch den Gang, da sie sich im Angesicht dieses räumlichen Wahnsinns mühten, das Gleichgewicht zu wahren. Geschrei und Gebrüll drang von vorn zu ihnen, aber Uriel war nicht in der Lage auszumachen, wo genau vorne war, da die Geräusche rings um ihn unkontrollierbar verzerrt wurden. Boden und Decke des steinernen Gangs schienen sich verflüssigt zu haben und wirbelten umher, als löse sich ihr strukturelles Gefüge vor seinen Augen auf. Das Läuten einer Glocke ertönte, schwerfällig, langsam und traurig in einem Augenblick und blechern und scheppernd im nächsten. Mit der Wand als Orientierungshilfe, wenngleich es eine trügerische war, kämpften sich die beiden Space Marines weiter, und jeder Schritt brachte frischen Wahnsinn in ihre Umgebung. Uriel glaubte einen hohen Berg zu sehen, in Rauch gehüllt und aus dem Boden entstanden, bevor er wieder verschwand und
durch ein wogendes Meer aus schnappenden Mäulern ersetzt wurde. Doch auch das verschwand wie ein Fiebertraum, sobald er es anzuschauen versuchte. Er konnte erkennen, dass Pasanius ähnliche Schwierigkeiten hatte, ungläubig blinzelte und sich die Augen rieb. Körnige Statik erfüllte Uriels Blickfeld, und ein beharrliches Summen wie von einem sich nähernden Insektenschwarm erfüllte seinen Schädel. Er schüttelte den Kopf in dem Versuch die Verzerrung abzuschütteln, ohne die Dinge zu begreifen, die er vor sich sah. »Wie weit ist es noch?«, rief Pasanius. Uriel stützte sich an einem Schott, dankbar für dessen vorübergehende Solidität, und schüttelte noch einmal den Kopf, obwohl ihm von der Bewegung übel wurde. »Wie können wir das wissen? Alles verändert sich, kaum dass ich es ansehe.« »Ich glaube, wir sind fast da«, sagte Pasanius, indem er auf eine Stelle zeigte, wo sich der Gang zu einem marmorgefliesten Atrium verbreiterte, obwohl es gegenwärtig den Anschein hatte, als habe sich der Saal umgekehrt, da seine Kuppeldecke unter ihren Füßen wirbelte und sich seine Dimensionen vollkommen verändert hatten. Uriel nickte und schob sich vorwärts. Ein intensives und Übelkeit erregendes Schwindelgefühl packte ihn, als sie in das umgedrehte Atrium stolperten. Uriels Augen verrieten ihm, dass er den Boden überquerte, aber gleichzeitig spürte er auch, dass jeder Schritt über die leicht konkave Wölbung der umgekehrten Kuppeldecke führte. Seine bestiefelten Füße schritten über das Panzerglas der Atriumkuppel, die alles war, was sich zwischen ihm und dem Warpraum befand. Uriel schaute durch die Kuppel nach unten, und die Übelkeit in seinem Bauch explodierte förmlich nach oben. Er sank auf die Knie und übergab sich heftig auf das Glas. Eine widerliche Masse kranker Farben schäumte und wirbelte hinter dem Glas, der Stoff des Warpraums, verderblich und giftig für das Auge. Seine widerliche Böswilligkeit überstieg sein schlichtes, abscheuliches Aussehen, da es irgendeinen inneren Teil des menschlichen Geistes verletzte, der sein albtraumhaftes Potenzial nicht zu begreifen wagte. Uriel stellte fest, dass seine Blicke von einem hassenswerten Fleck im Warpraum angezogen wurden, einem widerlichen,
schmutzigen Geschwür aus aschefleckigem Gelb, von dem er den Blick nicht mehr abwenden konnte. Während er das Gebilde anstarrte, veränderte sich der Warpraum, zum Leben erweckt durch die Aufmerksamkeit und die Echos von Uriels Gedanken. Schlimme, furchtbare Dinge bildeten sich aus der widerlichen Ursuppe der Schöpfung, und Uriel wusste, sollte er je erblicken, was für ein schreckliches Ding ihre hasserfüllten Tiefen gebaren, würde er wahnsinnig werden. Behandschuhte Hände packten ihn und zogen ihn hoch, und er spürte die blinde, ohnmächtige Wut des Warpraums darüber, dass ihm ein solcher Leckerbissen wie seine geistige Gesundheit verwehrt blieb. »Nicht hinsehen! Halt die Augen geschlossen!«, rief Pasanius, während er Uriel über die Kuppel zerrte. Uriel spürte seinen beharrlichen Ruf. Die Verführungen seiner Fruchtbarkeit und die Versprechungen von Macht, die ihm gehören würde, wenn er sich ihm ergab. Seine Augen sehnten sich danach, die furchtbare Herrlichkeit des Warpraums zu schauen, doch Uriel presste sie fest zu, um seine Seele nicht an das Immaterium zu verraten. Außer Atem und angeekelt kletterten Uriel und Pasanius aus dem Atrium und krochen vor den falsche Versuchungen des Warpraums davon. Ihre Übelkeit nahm ab, je weiter sie sich entfernten. Uriel schaute auf, hustete Schleim aus, der mit Erbrochenem durchsetzt war, und sagte: »Danke, mein Freund.« Pasanius nickte und sagte: »Da. Der Eingang zur Übungshalle müsste hinter diesem Kreuzgang liegen!« »Aye, das müsste er«, gab Uriel ihm recht, während er sich mühsam aufrappelte. »Hoffen wir nur, dass er immer noch da ist.« Er stolperte durch den Kreuzgang und wandte sich dem Eingang der Übungshalle zu. »O nein...«, flüsterte er, als er sah, was vor ihm lag. Wo er den marmornen Eingang zur Übungshalle zu finden erwartet hatte, befand sich nun ein riesiges Tor aus Bronze und Stacheldraht, das in eine rechteckige Arena führte, die einen ganzen Kilometer breit und doppelt so lang war. Noch unglaublicher war, dass die Arena kein Dach hatte, sondern von einem rissigen roten Himmel bedeckt war, an dem krebsgeschwürartige, melanome Wolken standen. Was war das für ein neuer Wahnsinn? Geschrei, wahnsinnig und verrückt wie das Geheul verdammter
Seelen, hallte von drinnen heraus und stach Uriel wie Glassplitter in den Kopf. Sein Magen verknotete sich vor entsetztem Ekel, als seine Sinne den überwältigenden Gestank nach frischem Blut registrierten. Die Soldaten des 808. Macragge, die sie hatten suchen wollen, waren noch da, aber wo kurz zuvor noch ein stolzes Regiment von Männern und Frauen mit der unbedingten Bereitschaft gewesen war, zum Ruhme des Imperators zu kämpfen, gab es nun nicht mehr als die schreienden, blutigen Fetzen jener, die noch nicht gestorben waren. Hunderte Soldaten wanden sich auf dem Boden und verspritzten Massen von Blut rings um sich, als kämpften sie gegen einen unterirdischen Angreifer. Fleischlose Knochenhände griffen durch den dunklen Boden und krallten und grapschten nach ihren Leibern, um sie dann unter die Oberfläche zu zerren. Uriel rannte mit gezogenem Schwert durch das Tor und spürte, wie seine Stiefel in den weichen, lehmigen Boden einsanken und eine rote Flüssigkeit aus der mit Wasser vollgesogenen Erde quoll. Knochen und grinsende Schädel glänzten weiß durch die rote Erde, und Uriel sah, dass der Boden keineswegs mit Wasser vollgesogen war, sondern mit frisch vergossenem Blut. Ihm stockte der Atem. Wie viele mussten ihr Blut hergegeben haben, um eine derart riesige Fläche so gründlich zu durchnässen? Wie viele Arterien waren durchtrennt worden, um den schändlichen Durst dieser finsteren Erde zu stillen? Die Schreie eines Mannes ganz in der Nähe, der halb in der Erde untergetaucht war und Tränen der Qual weinte, rissen Uriel aus seinem Ekel. »Hilf mir! Um der Liebe des Imperators willen, hilf mir!«, kreischte er. Uriel schob sein Schwert in die Scheide und lief zu dem Mann, um ihm zu helfen, der flehentlich die Arme nach oben reckte. Die vom Blut glitschigen Hände des Mannes glitten von seinen Panzerhandschuhen ab, doch Uriel packte ihn an der Jacke und riss ihn vom Boden weg, um dann voller Entsetzen zurückzutaumeln, als er sah, dass der Mann unterhalb der Hüfte nur noch aus Knochen bestand und aller Muskeln und Haut sowie allen Blutes beraubt worden war. Vor seinen Augen verschlang die hungrige Erde, was noch von dem Sterbenden übrig war, da sie nicht bereit war, sich diesen Leckerbissen stehlen zu lassen.
Ein Gefühl äußerster Hilflosigkeit erfüllte Uriel, während er beobachtete, wie Männer und Frauen von dem blutigen Boden verschlungen wurden. Die monströsen Geräusche, wie Knochen das Mark ausgesogen wurde, hallten von den monolithischen Seiten dieser blutigen Arena wider. »Gesegneter Imperator, nein!«, heulte Pasanius, der sich mühte, eine heulende Frau vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren. Lachende Schatten rannen wie schwarzes Quecksilber über die Wände der Arena, ein Tanz der Seelen, die in den blutroten Himmel stiegen, da das Gemetzel an Tausenden zum Ende kam. Eine jähe Stille senkte sich auf die Arena, als das letzte der hilflosen Opfer des blutigen Bodens in dessen durstige Tiefen gezerrt wurde. Kaum war der letzte Leichnam verschwunden, als ein kehliges Gurgeln aus der Mitte der Arena ertönte und Uriel sah, wie sich langsam ein langer Streifen Steinbeton aus dem durchnässten Boden hob. Matte blutige Gleise hoben sich mit ihm, die durch die Mitte der Arena verliefen und vor gegenüberliegenden Wänden endeten. Die grässliche Stille wurde durch ein zischelndes Ächzen gestört, als seien viele tausend Stimmen in einem Albtraum gefangen und wüssten, dass es aus ihm kein Erwachen gab. »Heiliger Imperator, beschütze uns vor dem Bösen, gewähre Geist und Körper die Kraft, deine Feinde zu bekämpfen und sie mit deinem Segen zu zerschmettern«, betete Pasanius. »Zu spät«, flüsterte Uriel, der sein Schwert zog und sich bereithielt, alle neuen Monstrositäten zu bekämpfen, die der Warpraum auf sie loslassen mochte. »Wir haben versagt.« Nein... ihr habt noch gar nicht angefangen... Uriel und Pasanius fuhren herum und suchten nach dem Ursprung der Stimme. »Hast du das gehört?«, sagte Uriel. »Aye«, nickte Pasanius. »Ich glaube schon, aber es war, als... als wäre die Stimme in meinem Kopf. Etwas Grauenhaftes kommt, Uriel.« »Ich weiß. Aber was auch kommt, wir werden es mit Mut und Ehre bekämpfen.« »Mut und Ehre«, stimmte Pasanius zu, indem er die Zündflamme in der Mündung seines Werfers einschaltete. »Gehen wir«, sagte Uriel grimmig mit einem Kopfnicken zu dem tropfenden Bahnsteig in der Mitte der Arena. »Was auch kommt,
wir werden ihm frontal begegnen!« Pasanius folgte seinem ehemaligen Hauptmann, und gemeinsam gingen sie über den grässlich quatschenden Boden. Als sie die Stufen erklommen, wurde schließlich auch die Ursache des zischenden Ächzens ersichtlich. Jede Schwelle, die zwischen den Gleisen lag, war ein Mosaik aus Leibern und Gliedern, die sich in äußerster Qual wanden und durch irgendeine finstere Zauberei miteinander verknotet waren. Sie schrien in einem irrsinnigen Delirium, und ihre Stimmen waren jämmerlich und herzzerreißend. Zwar kannte er keines der Gesichter, aber die Gesichtszüge verrieten Uriel, dass sie von Ultramar stammten und dass die Seelen der von diesem entsetzlichen Ort Verschlungenen immer noch litten. Die in der flüssigen Materie jedes Schläfers wogenden Augen und Münder verliehen ihrem Leiden Ausdruck, bevor sie von Form zu Formlosigkeit gezwungen wurden, so dass eine andere Seele ihren Qualen in diesem endlosen Fegefeuer Ausdruck verleihen konnte. In Uriel wuchs der Hass angesichts solchen Grauens, und er schloss die Augen. Splitternde Kristalle alternativer Existenzebenen prallen aufeinander und klirren, lösen sich von den Wänden einer Ebene und verändern ihre Position, um in einer anderen Frequenz zu vibrieren. Echos in der Zeit ermöglichen den Ebenen, sich zu bewegen und zu verwandeln, was die Winkel der Realität verändert und das Aufschließen der Dimensionen ermöglicht, so dass sie ein Ballett aller Möglichkeiten aufführen. ... Und öffnete sie wieder, als er tief in den Knochen eine widerliche Vibration und ein ruheloses Kräuseln in der Luft spürte. Die gesplitterten Knochenstümpfe, die aus dem Boden ragten, zogen sich in die blutigen Tiefe« zurück, und die ächzenden Schläfer weinten in neuerlicher Qual. Wo die Bahngleise in den Wänden dieses riesigen Hofs verschwanden, sickerten Ströme bunter Materie aus dem Mauerwerk. Gekräuselte Spiralen aus reflektierendem Licht wanden sich aus dem Mörtel und verzerrten die Bilder dahinter wie eine verdrehte Linse. Die Mauern schienen sich zu strecken, als würden sie in einen unsichtbaren Strudel dahinter gesogen, bis nur noch ein gekräuselter Schleier aus undurchdringlicher Finsternis übrig war,
ein Tunnel in den Wahnsinn umringt von schreienden Schädeln, die zu sterben ausgesandt waren. Verzerrte Gefilde, ein Universum und eine Ewigkeit voneinander getrennt, fließen zusammen, so dass sich alle Zeitpunkte auf den bronzenen Blutschienen verbinden. Auf einer Reise, die überallhin führt und nirgendwo beginnt, erhebt sich der Omphalos Daemonium aus dem Nichts zur Gestalt. Schlängelt sich aus seinem dämonischen Geburtskanal und lässt hinter sich nur öde Verwüstung und Tod zurück. Und der Omphalos Daemonium kam. Zwar hatte der Zönobit von der Macht und Kraft des Bösen des Omphalos Daemoniurhs phantasiert, doch seine Worte waren kaum mehr als eine Andeutung der diabolischen Erhabenheit des Dings gewesen. Aus der soeben geformten Tunnelmündung raste der Omphalos Daemonium wie eine Messingdampfwalze der Endzeit und kreischte den entsetzten Space Marines entlang der Blutgleise entgegen. Riesige knöcherne Kolben trieben ihn an, und Flanken aus Stahl und Eisen hoben und senkten sich im Rhythmus immaterieller Maschinen. Blutiger Dampf leckte aus jedem verrückten, schädelgesichtigen Niet, während Räder aus gequälten Seelen den Gleisen folgten, um sich an dem Blut zu laben, das aus der toten Erde quoll. Tief im Kern der wahnsinnigen Struktur mochte einmal eine gewisse Ähnlichkeit mit einer alten Dampflokomotive bestanden haben, aber unbekannte Kräfte und verdrehte Energien hatten sie in etwas völlig anderes verwandelt. Das Dröhnen ihrer Ankunft konnte von Sinnen jenseits der jämmerlichen fünf der Menschheit bekannten wahrgenommen werden und hallte durch die Ebenen, die jenseits des Schleiers der Realität existierten und diesen schnitten. Es folgte ein Tender aus dunklem Eisen und eine schaudernde Prozession Waggons, die mit dem Blut und Unrat von Äonen verschmiert waren. Uriel wusste instinktiv, dass in diesen höllischen Waggons schon Millionen vor ihrer endgültigen Auslöschung zu den grässlichen Bestimmungsorten gefahren worden waren, die diese grauenhafte Maschine ansteuerte. Die riesige Dämonenmaschine wurde langsamer und hielt schließlich am Rand des Bahn-
steigs. Uriel glaubte dröhnendes Gelächter zu hören und dann das Knirschen verdrehter Holztüren, die auf von Blut verrosteten Laufschienen quietschend aufglitten. Schwaden blutigen Dampfs zischten aus der gepanzerten Haut des Omphalos Daemonium, und boshaftes Gelächter durchfuhr sie, während sie sich kräuselten und wanden. Die Schwaden wurden dicker und verdichtete sich, während sie sich den Space Marines entgegenwanden, und Uriel sagte: »Halte dich bereit.« Die Rauchschwaden verschwanden ohne Vorwarnung, und an ihrer Stelle standen acht Gestalten da, die alle einen nichtssagenden grauen Overall und kniehohe Stiefel mit verrosteten Schnallen auf dem Schaft trugen. Jede der Gestalten war mit einem Furcht erregenden Arsenal von Messern, Haken und Sägen am Ledergürtel bestückt. Die Gesichter waren nur den Proportionen nach menschlich. Ihnen fehlte die Haut, und die Muskeln glänzten feucht. Krude Nähte zogen sich kreuz und quer über ihre Schädel, und als sie die Köpfe drehten, wie um nach der Witterung zu jagen, sah Uriel, dass sie bis auf die vergrößerten und mit Reißzähnen bewehrten Mäuler keine Merkmale aufwiesen. Sie hatten weder Augen noch Ohren noch Nase, nur farblose Schwellungen, die sich unter ihren fleischlosen Schädeln wölbten und kräuselten. »Dämonen!«, schrie Uriel. »Abartige Scheußlichkeiten! Kommt her und sterbt durch meine Klinge!« Der Flickenteppich eines Dämonengesichts schwang zu ihm herum, und tumorartiges Gewebe in seinem Hals wölbte sich in grausigem Appetit vor. Die Kreaturen bewegten sich jedoch nicht, sondern begnügten sich damit, die beiden Space Marines zu beobachten, während eine wallende Dampfwolke aus der Seite der riesigen Dämonenmaschine quoll. Mit dem Klirren sich lösender Schlösser öffnete sich kreischend eine dicke Eisentür, und eine gigantische Gestalt betrat den Bahnsteig. Der Riese überragte sie um Kopf und Schultern und trug einen scheppernden mechanischen Anzug aus zusammengenieteten Eisenplatten und dicken Lagen vulkanisierten Gummis. Über dieser verrosteten Rüstung trug er eine verkohlte Schürze, und aus einem konischen Helm mit hochgeschobenem Visier ragte eine Krone aus geschwärzten Hörnern. Trotz der kruden Herstellungsweise und des Verfalls erkannte Uriel in der Konstruktion eine
uralte Servorüstung, wie sie vor vielen Tausend Jahren von Kriegern der Legende getragen worden war. Der Gestank verkohlten Fleisches hüllte sie ein, hinzu kam ein knisternder Eindruck von verkommenem Bösen und unstillbarer Wut. Ein Schulterschutz war mit sternförmigen Nieten besetzt, auf dem anderen prangte ein Symbol uralter Bösartigkeit, an das sich beide Ultramarines aus den Tiefen des rechtschaffenen Zorns erinnerten, der ihnen Clausels tägliche Litaneien des Hasses eingeflößt hatten. Ein grinsender Schädel mit einem eisernen Visier, der einmal das Wappen einer Legion gewesen war, die vor geheiligten Urzeiten einmal für den Imperator gekämpft hatte, nun jedoch ein Symbol für niemals endende Verbitterung und Hass war. Es war ein Symbol, das nun mit den tödlichsten Feinden des Imperiums verbunden war: Kriegern von unaussprechlicher Bosheit und Verkommenheit - den Chaos Marines. »Iron Warriors...«, zischte Uriel. »Die Verräter von Istvaan«, knurrte Pasanius. Die Gestalt trug eine lange Hippe mit Eisenschaft, deren breite, gekrümmte Klinge verrostet und mit rotbraunen Flecken gesprenkelt war. Zwei brennend gelbe Augen wie fahle, erlöschende Sonnen leuchteten unter dem Helm, als die Gestalt einen gewichtigen Schritt vortrat und die hautlosen Dämonen hinter ihr Stellung bezogen. »Tothappen füttern das neue Feuer, Blut wird von den gesichtslosen Sarcomata getrunken, und das Fleisch der Menschen wird mich begleiten«, sagte die Gestalt, deren Stimme wie verrostetes Metall klang. Sie hielt ihre gewaltige Hippe in einer geschwärzten, verbrannten Hand und winkte sie mit der anderen ungeduldig zur zischenden Dämonenmaschine. »Kommt!«, dröhnte der Riese. »Ich habe Verwendung für euch. Gehorcht mir, sonst verwandelt euch der Schlachtermann in Tothappen! Ich bin der Omphalos Daemonium, und mein Wille treibt diesen Anzug aus Fleisch an, der euch in Tothappen verwandeln wird! Jetzt kommt!« Uriel bereitete schon die Nähe dieses Chaos-Wesens Übelkeit. Konnte es wirklich glauben, dass sie sich willentlich auf etwas so Böses einließen? Diese gesichtslosen Dämonen, von denen Uriel annahm, dass sie die vom Omphalos Daemonium erwähnten Sarcomata waren, schwärmten auf dem Bahnsteig aus und zogen lange Messer mit Sägezahnklingen aus dem Gürtel.
»Mut und Ehre!«, brüllte Uriel, sprang auf den nächsten der Sarcomata zu und stach nach seinem Bauch. Sein Schwert glitt mühelos durch die Kreatur, die sich in eine gackernde Säule aus rotem Dampf verwandelte. Er hielt überrascht inne und grunzte dann vor Schmerzen, als sich die Gestalt der Bestie neben ihm wieder verfestigte und ihre Klinge über seine Wange fuhr. Noch eine flitzte heran, und ihre rostige Klinge stach ihm in den Nacken. Er löste sich von der Waffe, bevor sie tiefer als einen Zentimeter eindringen konnte, und hieb nach dem neuen Angreifer. Wieder verwandelte sich dieser in Dampf, bevor die Klinge ihr Ziel erreichte, und Uriel verlor das Gleichgewicht, als eine weitere Messerklinge ihm die Wange bis auf den Knochen aufschlitzte. »Brenne, Chaos-Abschaum!«, brüllte Pasanius und spie dem riesigen Iron Warrior einen Strahl brennenden Prometheums entgegen. Die Flammen leckten hungrig nach dem Riesen, doch kaum hatten sie ihn erfasst, als sie auch schon wieder erloschen. Das dröhnende Gelächter des Wesens hallte von den Seitenwänden der Arena wider. »Ich war über Äonen Gefangener der Flammen, und Lebendfleisch glaubt, es kann mich verbrennen!« Pasanius warf sich den Flammenwerfer über die Schulter und griff nach seiner Pistole, doch mit einer Schnelligkeit, die seine ungeschlachte Gestalt Lügen strafte, trat das Chaos-Wesen vor, legte Pasanius die geschwärzten Finger um den Hals und riss ihn von den Beinen. Uriel hieb nach den Sarcomata, die ihn umringten, aber sein Schwert traf immer nur glucksende Dampfschwaden, die dann verschwanden, um anderswo wieder aufzutauchen und ihn zu schneiden. Geronnenes Blut bedeckte sein Gesicht, und er wusste, dass er gegen diese Feinde nicht mehr lange kämpfen konnte. Er sah, wie der Riese in der verrosteten Rüstung Pasanius hochhob und ihn durch die Eisentür warf, durch die der Omphalos Daemonium ausgestiegen war, und eilte zu dem Chaos-Wesen. Er konnte nicht gegen Gegner kämpfen, die nach Belieben verschwinden konnten, aber er schwor, dass dieser Verräter aus uralter Zeit durch seine Hand sterben würde. Er hieb mit dem Schwert nach dem Iron Warrior, die Klinge in durchsichtige Flammen gehüllt, die Rüstung und Fleisch mit derselben Leichtigkeit durchschneiden konnten. Das Schwert traf seinen Feind mitten auf die Brust, doch die Klinge prallte einfach von den schweren Eisenplatten der Rüstung
ab. Uriel war verblüfft, holte aber zu einem neuen Hieb aus. Bevor er zuschlagen konnte, traf ihn die Faust des Iron Warriors im Gesicht und schleuderte ihn über den Bahnsteig. Er kämpfte, um wieder zu sich zu kommen, doch die Sarcomata umringten ihn, und ihre geschwärzten Finger tasteten hungrig nach ihm. Ihre Berührung fühlte sich an wie verwestes Fleisch, in dem die Andeutung von Maden und frisch geschlüpften Larven zappelten. Ihre toten Hautmasken waren nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt, und ihr Atem war wie ein Schmelzofen für Kadaver. Sie bewegten ihre welligen Gesichter um seins, als wollten sie seine Witterung kosten, während sie ihn mit Furcht erregender Kraft am Boden hielten. »Die Sarcomata sind dir gewogen, Ultramarine«, lachte der Riese, während er über den Bahnsteig zu ihm schritt. »Sie sind verdorbene Seelen, denen Gestalt und Zweck gegeben wurde. Vielleicht spüren sie eine gewisse Verwandtschaft?« Uriel wartete auf den Tod, als einer der Sarcomata den Mund zu seinem nackten Hals herabsenkte, doch der Omphalos Daemonium hatte eine größere Bestimmung für ihn, als ihn einfach zu ermorden, und brüllte ungehalten. Die hautlosen Dämonen zischten unterwürfig, hoben Uriel vom Bahnsteig und trugen ihn zur Eisentür der gewaltigen Dämonenmaschine. Brennende Luft und der Gestank nach gekochtem Fleisch wehte daraus hervor, und als er hineingetragen wurde, wusste Uriel, dass sie wahrhaftig verdammt waren.
DREI Blut. Der Gestank danach drang ihm in die Nase, überwältigend und widerlich, und blieb ihm bitter und metallisch im Halse stecken. Seine Neuroglottis identifizierte viele Hundert verschiedene Blut-Witterungen, und der sengende Geruch nach brennendem Fleisch ließ seine Augen tränen, bevor seine Occulobe reagierte und eine Schutzmembrane über dem Auge bildete. Er blinzelte die Feuchtigkeit weg, während er sich im Griff der Sarcomata wand und sich zu orientieren versuchte. Trotz allem, was seine Augen ihm zeigten, war ihm klar, dass er sich Dinge einbilden musste, denn das Innere der Dämonenmaschine ver-
wirrte die Sinne und beleidigte jede Vorstellung von der Realität. Es spottete jeder Geometrie und wölbte sich auf beiden Seiten unmöglich über die Grenzen des Blickfeldes hinaus: eine glühende, rot erleuchtete Höllen-Kaverne. Eine Feuerung mit breiter Tür toste und brodelte an einem Ende der Kammer, und Ketten und Flaschenzüge, jeweils mit einem gliedlosen menschlichen Torso an einem verrosteten Haken versehen, baumelten von der dunklen, tropfenden Decke herab. Er und Pasanius wurden an verstreuten Bergen menschlicher Gliedmaßen höher als ein Kampfpanzer vorbeigezerrt, deren Fleisch verwest war und stank. Zwei der Sacromata lösten sich von Uriel, hoben einen kopflosen Rumpf auf und warfen ihn in die Feuerung. Sie fütterten die Dämonenmaschine mit Fleisch und Blut, und ihr rülpsender Schornstein spie zu Asche verbrannte Leichen in die Luft. Der Riese in der Rüstung eines Iron Warriors schleifte Pasanius hinter sich her, und der bärenstarke Sergeant war vollkommen hilflos gegen diese Macht. »Nein!«, rief Uriel, als der Omphalos Daemonium seine Hippe fallen ließ und Pasanius mühelos mit einer Hand hochhob, während er mit der anderen nach einem leeren Haken griff. Der eiserne Riese nahm keine Notiz von ihm und rammte den verrosteten Haken in die Rückenplatte von Pasanius' Rüstung, was diesem ein Grunzen des Schmerzes entlockte. Uriel wehrte sich noch heftiger, als er einen leeren Haken neben Pasanius hängen sah, doch die Sarcomata hielten ihn fest, und er konnte sich nicht aus ihrem Griff befreien. Fleischige Hände hoben ihn hoch, und er knirschte mit den Zähnen, um nicht aufzuschreien, als er ebenfalls aufgehängt wurde und die Spitze durch die Rüstung und in seinen Rücken drang. Die Sarcomata zischten und zogen sich zurück, während sich die klumpigen Gewächse unter ihrem bloßen Fleisch in monströsem Hunger kräuselten. Das Scheppern mächtiger Kolben hallte durch das unmögliche Gebilde, zischende Hähne sonderten stinkende Wolken aus öligem Dampf ab und in eisenvergitterten Öfen flackerten blaue und grüne Flammen auf. Das Ächzen und Knacken geschmolzenen Metalls vermischte sich mit der kichernden Häme der Sarcomata, und Uriel konnte sich keine vollständigere Vision der Hölle vorstellen. Der Omphalos Daemonium beobachtete ihre vergebliche Ge-
genwehr, dann trat er vor und schloss einen schwarzen Panzerhandschuh um Uriels Kinn. Uriel konnte die Asche auf den Fingern und den Gestank nach gekochtem Fleisch darunter schmecken. Das Wesen... war es ein Iron Warrior oder eine dämonische Wesenheit in der Haut von einem? Uriel wusste es nicht, und als es sich vorbeugte und ihm seinen Atem wie Luft aus einem exhumierten Grab ins Gesicht blies, trat er zu, doch sein Stiefel prallte harmlos von dem uralten Brustharnisch ab. »Du verschwendest deine Energie, Ultramarine. Es liegt weder in deiner Macht noch in deinem Schicksal, mich zu vernichten. Spar dir deine Kraft für die Welt aus Eisen. Du wirst sie brauchen.« »Geh weg von mir, du Scheusal«, rief Uriel, während er sich trotz der feurigen Schmerzen von dem Haken in seinem Rücken gegen den Griff seines Häschers wehrte. »Widerstand ist zwecklos«, sagte der Omphalos Daemonium. »Ich befahre die Blutgleise zwischen den Realitäten schon seit ungezählten Äonen, und dort werden alle Dinge offenbar. Was gewesen ist, was ist und alles, was vielleicht noch kommt. Ich habe Leben ausgelöscht, die noch gar nicht geboren waren, ungeschriebene Geschichte verändert und Wege bereist, die kein anderer je beschreiten wird. Und du glaubst, du könntest dich meinem Willen widersetzen?« »Der Imperator steht uns bei, auch wenn wir in der Finsternis wandeln...«, begann Pasanius. Der Omphalos Daemonium verpasste Pasanius einen Schlag ans Kinn, der den Sergeant unkontrolliert an seinem Haken herumschwingen ließ und ihm ein schmerzerfülltes Zischen entlockte, als sich der Haken tiefer in seinen Rücken bohrte. »Gebete an deinen Leichnam von einem Gott bedeuten hier nichts. Seine Macht hat diese Welt verlassen, und jetzt ist nichts mehr von ihm übrig.« »Du lügst«, schnauzte Uriel. »Die Macht des Imperators währet ewiglich.« »Ewiglich?«, fauchte der Omphalos Daemonium. »Du wärst gut beraten, solche Worte nicht so leichtfertig zu benutzen, bevor du nicht selbst so eine Zeitspanne erlebt hast, gefangen, hilflos, und über alle Maßen gemartert.« Die gelben Augen des Omphalos Daemonium brannten sich in Uriels, und er sah den bodenlosen Zorn und Wahnsinn darin. Was
diese bösartige Intelligenz auch war, die sich in diese alte Servorüstung eingenistet hatte, sie war ganz eindeutig wahnsinnig. Die soeben erwähnten Martern hatten sie offenbar in einen bodenlosen Abgrund getrieben. »Was bist du?«, sagte Uriel schließlich. »Was hast du mit uns vor?« Der Omphalos Daemonium ließ ihn los und wandte sich von ihm ab, während sie Sarcomata weitere Körperteile einsammelten, zur Feuerung trugen und Arme, Beine und Köpfe in die Flammen warfen. »Das ist einstweilen unwichtig«, sagte er, indem er an einer dicken Kette zog, die neben der Feuerung hing, und einen verrosteten Hebel mit einem dicken, gummiüberzogenen Griff herunterdrückte. »Wichtig ist nur, dass ihr hier seid und wir zu diesem Zeitpunkt unserer Reise demselben Weg folgen.« Uriel spürte, wie der unmögliche Raum erbebte, als der Hebel ganz heruntergedrückt wurde, und die Eisentür, durch die sie hereingetragen worden waren, schloss sich mit dem Kreischen gequälten Metalls. Schmerzen loderten in seinem Rücken auf, als sich der Haken zwischen seinen Rippen drehte und sich die gewaltige Dämonenmaschine in Bewegung setzte. Kadaver an anderen Haken schwangen an ihren baumelnden Ketten hin und her, und Uriel spürte die vertraute Übelkeit im Bauch, die das Eindringen in den Warpraum verursachte. War diese infernalische Maschine irgendwie in der Lage, die Strömungen des Warpraums zu durchqueren? War es ihr so gelungen, Calths Stolz in den trügerischen Untiefen des Immateriums abzufangen? Er wusste, dass es besser war, nicht zu lange über solche Dinge nachzudenken. Das Stellen solcher Fragen führte auf den Weg der Abweichung, also genau zu dem, was sie zu diesem Schicksal verurteilt hatte. Die Übelkeit wurde stärker, und er knirschte mit den Zähnen. Der Omphalos Daemonium wandte sich von seinen Arbeiten ab und holte sich seine Hippe wieder, während die Sarcomata die Feuerung weiter mit Leichen fütterten. »Wohin bringst du uns?«, zischte Pasanius durch zusammengebissene Zähne. »Wohin ihr müsst«, sagte der Riese. »Ich weiß von eurem Todeseid und was euch hergeführt hat. Der Herr der Schädel hat mehr Kunstfertigkeit an sich als nur die Kunst des Todes.«
»Du bist ein Dämon!«, knurrte Uriel. »Du bist ein Scheusal, und ich werde deine Vernichtung erleben.« »Dein Schädel wird vor dem Thron des Blutgottes liegen, bevor das passiert, Space Marine. Ich habe bereits gesehen, wie du stirbst. Willst du wissen, wie?« »Die Worte eines Dämons sind gelogen!«, rief Pasanius. »Ich glaube nichts von dem, was du sagst.« Der Omphalos Daemonium wirbelte seine Hippe herum, und die Klinge zuckte über Pasanius' Hals. Blut quoll aus einem flachen Schnitt in der Kehle des Sergeanten. »Du suchst den Tod, Ultramarine, und ich würde deine Seele mit Freuden zerfetzen. Ich würde dir das Fleisch von den Knochen reißen und deinen Leib mit deinen Eingeweiden bekränzen, aber dein Tod wird sehr viel schlimmer sein, als ich ihn je herbeiführen könnte. Dein Schädel wird mit einem Platz in einem der Knochenberge im Blickfeld des Blutgottes geehrt.« Noch ein Schaudern, intensiver, durchlief die Kammer, und Uriel hatte das Gefühl, ihm würden rotglühende Spieße in den Kopf gestoßen. »Ihr solltet mich ehren, denn ihr reist auf eine Art, wie es schon seit Äonen kein Sterblicher mehr gewagt hat.« Der Omphalos Daemonium hob die Arme zur Decke und lachte. »Wir reisen auf den Blutgleisen. Das Blutherz und die Daemonculaba warten!« Und die Dämonenmaschine raste in Gefilde jenseits der Existenz. Uriel schrie. Raum faltete sich, die Strömungen des Warpraums verschwanden, die Arena, die Dämonenmaschine, die Feuerung, Pasanius. Alles verschwand, wurde weggerissen, da sich alles ringsumher umstülpte und zu bedeutungslosen Begriffen wurde. Er spürte, wie er gleichzeitig in Milliarden Splitter explodierte, in sich implodierte und zu einer Singularität hohler Existenz zusammengepresst wurde. Gesichter schwebten vor ihm, wenngleich er als dichter Ball aus Nichts und zersplitterte Seele nicht wusste, wie er sie erkannte. Welten und Leute, Leute und Welten blitzten in nahtlos verschwommenem Strom vorbei, und doch war jedes einzelne Bild
so klar, als habe er es in allen Einzelheiten untersucht. Die Zeit verlangsamte sich und raste doch dahin, wie aus weiter Ferne war das Splittern von Kristallen zu hören, als geborstene Realitäten knirschten und bebten wie tektonische Platten. Er sah, wie sich die Dämonenmaschine durch die Spalten zwischen den Dimensionen schraubte und einem Weg folgte, der sich durch die wandernden Glasscherben der Realität wand. Sie existierte außerhalb von allem und reiste in den Splittern des Nullraums zwischen allem, was war, und allem, was je sein mochte. Er sah Welten unter erstickenden Rauchglocken, Leute im Wachkoma, die von einem banalen Tag zum anderen schlurften, grau und tot und nicht einmal mit dem Bewusstsein, angesichts der Frustration in ihrem sinnlosen Leben laut zu schreien. Welten, wo gewundene Zahlen auf Berge der Unwahrscheinlichkeit fielen, bevor sie in geschmolzenen Strömen von Algorithmen in ein Meer ganzer Zahlen flossen. Einen Augenblick später waren sie verschwunden, einer Welt voller Berge und Meere gewichen, weiß, marmorn und golden. Flammen tosten und züngelten über jede Oberfläche, und die Welt brannte, ihre Bewohner Asche im Wind, da alles Leben ausgelöscht wurde. Uriel, obwohl er nicht mehr sicher wusste, wer das überhaupt war, sah mit wachsendem Grauen, dass er diese Welt kannte. Er sah die Hera-Festung zerstört, ihre einst so stolzen Mauern geborsten, den Tempel der Besserung, nicht mehr als eine zerschmetterte Ruine. Dämonen machten sich im Schrein des Primarchen zu schaffen, nagten an seinen heiligen Knochen und schändeten seinen heiligen Leichnam. Er weinte über diese Schändlichkeit, wütend über seine Hilflosigkeit und unfähig, Vergeltung über jene zu bringen, die solches Verderben über Macragge gebracht hatten. Schwarze heulende Dinge näherten sich der Dämonenmaschine, unsichtbare, dahinschlängelnde Hüter des Nichts, die sich durch die Spalten wanden, um zu ihnen zu gelangen. Die Dämonenmaschine war seit Millennien auf den Blutgleisen unterwegs und wusste, dass diese blinden Wächter keine Bedrohung für ihre erschreckende Macht darstellten. Diese HüterKreaturen nährten sich von den Seelen jener unwissenden Narren, die zufällig in dieses Gefilde vorstießen, Wahnsinnigen, die vergessene Überlieferungen und verbotene Magie studierten, um die Tore zwischen den Dimensionen aufzuschließen. Sterbliche,
die es wagten, in Gefilde zu reisen, die nicht für Seelen bestimmt waren, wurden verschlungen und in noch mehr der dunklen Würmer verwandelt. Die Blutgleise trugen die Dämonenmaschine fort von den zahnlosen, suchenden Mündern der WächterKreaturen, und ihre Bosheit und Macht verbrannte all jene, die ihr zu nahe kamen. Uhrwerk-Welten, vom Bösen eroberte Welten, Welten elementaren Wahnsinns, Welten des Chaos, Welten des Irrsinns und Welten der Blitze. Alles war da. Jede Aktion, die ein neues Gefilde der Möglichkeiten schuf, konnte hier gefunden werden, und Uriel spürte, wie ihn das Wissen über solche Dinge erfüllte, während er blutend und wund am Haken hing. Der Klebstoff, der seinen zerbrechlichen Verstand zusammenhielt, begann sich aufzulösen, das furchtbare Wissen um die Bedeutungslosigkeit des Seins und die Sinnlosigkeit des Handelns zerrte an seinem Bewusstsein dessen, was er war, und er klammerte sich verzweifelt an seine Identität. Er war Uriel Ventris. Er war ein Krieger des Imperators. Er hatte geschworen, Sein Reich zu verteidigen, solange er lebte. Er war ein Space Marine. Sein Wille war stärker, seine Entschlossenheit größer als die jedes anderen sterblichen Menschen. Er befand sich im Bauch der Bestie, und er würde gegen ihren verderblichen Einfluss ankämpfen. Er war... wer...? Seine Existenz flackerte, und trotz : des Schutzes der Dämonenmaschine wusste er, dass ihn der Wahnsinn einhüllte, der Besitz vom Verstand der ignoranten Narren ergriff, welche solche Orte aufsuchten. Er mühte sich verzweifelt, sein Wesen zusammenzuhalten, da sich Scherben seines Lebens von ihm lösten, um sofort neue Realitäten in diesem Furcht erregenden Multiversum zu erschaffen. Visionen von Potenzial und ungeschriebenen Vergangenheiten trieben an Uriels Augen vorbei, und er keuchte, als er alternative Historien... an seinen Augen vorbeigleiten sah. Er sah sich als runzligen Alten, Er sah sich als jungen Mann, Auf einem schlichten Feldbett liegen und Aber einen, der kein Space Von trauernden Familienmitgliedern umgeben.
Marine mehr war. Er war ein hagerer Da war sein Sohn, dunkelhaarig wie er, muskulöser Bauer, der auf den aber größer und mit dem Aussehen eines Kriegers. Höhlenfeldern seiner Heimatwelt Calth Uriel schwoll das Herz vor Stolz und Bedauern. arbeitete. Seine Züge waren weich und Stolz auf seinen Sohn, und Bedauern, voll Bedauern darüber, dass diese Vision von seinem Leben nie sein würde... dass diese Vision von seinem Leben nie sein würde... Beide verblassten, obwohl er sich danach sehnte, mehr davon zu sehen und die Konsequenzen seines Lebens zu erfahren, nachdem er den nicht beschrittenen Weg bereist hatte. Doch es sollte nicht sein, und andere Visionen drangen auf ihn ein. Pavonis. Schwarze Knochenstraße. Tarsis Ultra. Medrengard? Was war das? Namen von Orten oder Leuten? Erinnerungen oder Erfindungen? War er an diesen Orten gewesen? Stammte er von ihnen? Waren sie seine Freunde? Er konnte die Bedeutung jeder einzelnen Silbe schmecken, aber keine sagte ihm etwas, obwohl er wusste, dass er sie eigentlich hätte wiedererkennen müssen. Außer... außer einem Namen, dem nicht das subtile Aroma des Wiedererkennens anhaftete. Der nach dunklem Eisen schmeckte, nach Asche und brennendem Öl stank, und nach dem Hämmern riesiger Bergrammen und den Kolben höllischer Maschinen klang. Diese Welt, diese Wirklichkeit war ihm fremd. Warum sollte sie dann jetzt in sein zerbrechendes Bewusstsein eindringen? Sie schwoll in seiner Wahrnehmung an, wuchs und füllte aus,, was von seinem Verstand noch übrig war, bevor auch sie verschwand und sein Verstand nach innen einbrach. Nichts ergab mehr einen Sinn. Alles... löste sich auf in einen Morast aus Information. Er konnte sich an nichts Kohärentes mehr klammern, spürte, wie seine Gedanken verschwommen, weicher wurden und davonliefen wie hundert Nebenflüsse von tausend Strömen, die alle in einem Meer des Vergessens mündeten, und er begrüßte es in dem Wissen, dass damit dieser schrei-
ende Wahnsinn in seinem Kopf ein Ende haben würde. Eine Ewigkeit oder ein Augenblick verstrich, obwohl er nicht sagen konnte, was Zeit war - jetzt ein bedeutungsloser Begriff ohne Sinn und Bezug. Eine Stimme ertönte inmitten des Wahnsinns, und der Rest von Uriel Ventris griff danach wie ein Ertrinkender nach einer Rettungsleine. »Keine Angst, Ultramarine«, sagte sie. »Diese Reise ist wie alles sterbliche Leben.« Die Dämonenmaschine raste wieder in das Reich der Existenz. »Sie endet...« Uriel schnappte nach Luft, seine Herzen hämmerten, als wollten sie ihm die Brust sprengen, und das Blut toste durch seine Adern. Über sein Gesicht zogen sich rote Streifen, die ihm aus Augen und Nase rannen. Er hatte sich auf die Zunge gebissen und einen kupfrigen Geschmack im Mund. Er spie aus und roch den Gestank von Abgasen und Industrie. Er blieb lange Augenblicke still liegen, in denen er sich zusammenzureimen versuchte, wo er war. Über ihm war unendliches Weiß, ohne Tiefe oder Maßstab, und er blinzelte, während er sich das geronnene Blut vom Gesicht wischte. Er sah die Hand vor seinem Gesicht, und sofort überkam ihn ein Schwindelgefühl. Er hatte plötzlich den Eindruck zu fallen und schrie auf, während er rings um sich nach einem Halt tastete. Seine Hände schlossen sich um eine Schicht feiner Metallspäne, und sein Schwindelgefühl verschwand, als ihm klar wurde, dass er auf dem Rücken lag und in einen Himmel schaute - einen toten Himmel ohne jedes Merkmal, leer und ohne eine einzige Wolke oder einen Fleck, der die grauenhafte Leere auflockerte. Alles tat ihm weh, seine Muskeln waren erschöpft, und er verspürte einen sengenden Schmerz im Rücken, wo der Haken in sein Fleisch eingedrungen war. Seine Gedanken überschlugen sich und stolperten übereinander, da er sich zusammenzureimen versuchte, was gerade passiert war. Er stützte sich auf die Arme und richtete sich auf. Pasanius lag neben ihm und übergab sich auf den metallischen Boden. Das Gesicht seines Freundes war verhärmt und eingefallen, als habe sich das Gewicht dieser Welt auf seine Schultern gelegt.
»Steht auf«, knirschte eine Stimme hinter ihnen, und eine Flut von Erinnerungen erfüllte Uriels Schädel. Dämon. Dämonenmaschine. Er mühte sich aufzustehen, aber sein Körper stellte sich noch auf seine Rückkehr in den Zustand der Existenz ein, und er schaffte es nur auf die Knie. Vor ihnen stand der Omphalos Daemonium, gigantisch und monströs in seiner uralten geschwärzten Servorüstung. Hinter ihrem Häscher befand sich ein schimmerndes unmögliches Rechteck aus brodelndem roten Licht, ein Tor zurück ins Innere der Dämonenmaschine. Er trug seine Hippe und stand knöcheltief in der pulverigen Schicht der Metallspäne auf dem Boden. Ihre Waffen, Uriels Schwert und Boltgewehr, sowie Pasanius' Flammenwerfer und Pistole, lehnten an den Felsen neben ihm. Weiße Reflexionen des toten Himmels glitzerten auf seinen Schulterschützern, und Uriel hatte den Eindruck, als strahle der grinsende Schädel hinter dem Visier noch mehr Böswilligkeit aus als zuvor. »Ihr müsst euren Gleichgewichtssinn rasch wiederfinden, Ultramarines«, sagte das Dämonenwesen mit einem hallenden Glucksen. »Die Deliriumgespenster werden den hämmernden Schlag eurer Herzen hören, und solche Happen wie ihr bleiben nicht lange unbemerkt.« »Die was?«, brachte Uriel schließlich hervor. »Ungeheuer«, sagte der Riese. »Ungeheuer?«, wiederholte Uriel. Er biss die Zähne zusammen und schaffte es schließlich, sich zu erheben. Pasanius rappelte sich ebenfalls auf und stellte sich neben ihn. Sein Gesicht war aschfahl, aber wütend. »Die Haut von Mördern, die von den Brutalen Bestattern auf entweihte Rahmen genäht und mit den wahnsinnigen Seelen jener gefüllt wird, die durch ihre Hände gestorben sind«, erklärte der Omphalos Daemonium. »Sie jagen in diesen Bergen, und ihr werdet sie an den Schreien der Verdammten hinter euch erkennen.« »Wo sind wir?«, sagte Pasanius. »Wohin hast du uns gebracht?« »Das hier ist Medrengard, die Welt bitteren Eisens«, sagte der Omphalos Daemonium, während er auf etwas hinter den beiden Space Marines zeigte. »Die Domäne des Dämonenprimarchen Perturabo. Könnt ihr seine Ausstrahlung nicht in der Luft spüren? Die Boshaftigkeit eines Wesens, das einst mit Göttern gewandelt
ist und nun unter dem Reich leben muss, das er früher einmal beschritten hat. Seht diese Aschewelt und verzweifelt!« Uriel wandte sich dorthin, wohin der Omphalos Daemonium zeigte, und die Luft blieb ihm im Halse stecken, als er die Trostlosigkeit seiner Umgebung sah. Sie standen auf einem hohen felsigen Plateau über einem weitläufigen grauen Hinterland von äußerster Erbärmlichkeit. Weit unter ihnen in der bedrückenden Steppe lag eine Welt des Todes. Uriel hatte geglaubt, die glühendheiße Kaverne der Dämonenmaschine sei eine Vision der Hölle, aber sie war nicht mehr als ein Vorspiel zu dieser die Seele zerstörenden Trostlosigkeit gewesen. Riesige Weiten industriellen Kernlandes bedeckten die Oberfläche dieser Welt, die stählernen Skelette von Fabriken, Berge von Kohle und rötlicher Schlacke und riesige rauchende Schlote. Von Raffinerien stiegen Flammen auf, und das Klopfen gewaltiger Hämmer und das scheppernde Kreischen von Eisen auf Stein war noch aus vielen hundert Kilometern Entfernung zu hören. Uriel hatte schon verschmutzte Makropolwelten gesehen, Planeten mit einer Milliarden-Bevölkerung, die unablässig in dreckigem Smog und auf verrußten Todeswelten schuftete, aber verglichen mit Medrengard waren das Gartenparadiese. Er war sogar schon auf Waffenschmieden der Adeptus Mechanicus gewesen, den heiligen Domänen der Priester des Maschinengottes. Der Maßstab ihrer Infrastruktur hatte ihn in ehrfürchtiges Staunen versetzt, wie sie die gesamte Oberfläche mit kolossalen Manufakturen und kathedralenartigen Schmieden ausfüllten, aber die gewaltigste dieser Welten war verglichen mit Medrengard nur eine Dorfschmiede. Flüsse aus geschmolzenem Metall wanden sich wie Lavakanäle, und jeder hohe Turm und Schlot war in Wolken aus tödlichen Dämpfen gehüllt. Ein ausgedehntes dunkles Gebirge überragte alles, nackter schwarzer Fels, wo nie etwas gelebt hatte und nie etwas leben würde. Die Berggipfel schienen den Himmel anzukratzen und waren ein Dutzend Mal höher als der höchste Berg auf Macragge. Uriel spürte, wie ihm das Blut gefror, als sein Blick über die erschreckenden Höhen der gewaltigen Bergkegel wanderte und er Schwaden giftigen schwarzen Rauches dahinter sah, die sich unmöglich hoch in den Himmel schraubten. Seltsame Türme ragten jenseits der Gipfel auf, und Uriel wusste
mit schrecklicher Gewissheit, dass irgendeine Albtraumstadt verborgen und brütend in den tiefen, dunklen Tälern dieses grässlichen Gebirges lag. Eine Stadt, wo sich Mauern und Festungen auf dem Boden ausbreiteten und entfernte Kuppeln auf dem Fels wuchsen wie Pilze nach dem Regen. Es war ein abscheulicher, vom Tod umringter Außenposten des Bösen, der zu recht von allen Lebewesen verabscheut wurde. Angelaufene Spitztürme und fleckige Mauern, unkrautüberwucherte Zinnen und leere Hallen waren von hinkenden, schlurfenden Geistern in Lumpen erfüllt, die blind dem hassenswerten Willen des diabolischen Meisters der Stadt gehorchten: dem Dämonenprimarchen Perturabo, dem Herrn und Meister der Iron Warriors. »Dieser Hass...«, flüsterte Uriel. »So viel Hass und Verbitterung.« »Ja«, sagte der Omphalos Daemonium. »Stellt euch all die Verbitterung vor, die ich in euch rieche - vergiftet und stark geworden durch rachsüchtiges Brüten, dann ist das immer noch nur ein Bruchteil davon, wie sehr ein lebendiger Gott hassen kann.« Uriel schloss die Augen, um diese Albtraumvision zu verdrängen. Ihm war klar, dass auch nur ein einziger Schritt in Richtung dieser furchtbaren Stadt gleichbedeutend damit war zu sterben, aber ihre gigantische Unermesslichkeit war für immer in sein Bewusstsein eingebrannt, so dass nichts sie je wieder entfernen konnte. Die Vergeblichkeit der Existenz im Angesicht dieses namenlosen Grauens war beinahe nicht zu ertragen, und er hob den Blick zum toten Himmel, dessen seelenvernichtende Leere Perturabos entsetzlicher Stadt immer noch vorzuziehen war. Die geisterhaft schwarzen Schwaden trieben durch die Luft, und er sah, dass sie zu dem einzigen Ding unterwegs waren, das die Leere befleckte. Eine riesige schwarze Sonne, deren Oberfläche so dunkel war, dass ihre Dunkelheit nicht einfach nur die Abwesenheit von Licht und Farbe war, sondern ihre rußigen Tiefen Leben und Seele aus dieser Welt sogen. Pasanius weinte über ihr entsetzliches, zermalmendes Gewicht, und Uriel war nicht überrascht, als er feststellte, dass er beim Anblick solch einer Widernatürlichkeit ebenfalls Tränen vergoss. »Der Imperator beschütze uns«, flüsterte er. »Das ist...« »Aye«, sagte der Omphalos Daemonium. »Das ist der Ort, den ihr das Auge des Schreckens nennt.«
»Warum...?«, keuchte Uriel, indem er sich vom Anblick der morbiden Sonne losriss. »Warum hier?« »Dies ist das Ende eurer Reise. Der Ort, wo ihr euren Eid erfüllen werdet.« »Das verstehe ich nicht.« »Das spielt keine Rolle. Was ihr zerstören wollt, die Daemonculaba, sind auf dieser Welt, abgeschottet in der Finsternis, weit weg von den Blicken der Menschen in einer großen Festung aus Irrsinn und Verzweiflung.« »Warum solltest du uns hierher bringen?«, wollte Uriel wissen, der ein gewisses Maß an Selbstbeherrschung wiederfand. »Warum sollte uns eine Kreatur des Chaos helfen wollen?« Der Omphalos Daemonium lachte sein dröhnendes, misstönendes Gelächter und sagte: »Weil ihr tun sollt, was ich will, Uriel Ventris.« »Niemals!«, schnauzte Uriel. »Wir würden eher sterben, als einer Bestie wie dir zu helfen.« »Vielleicht«, gab ihm der riesige Krieger recht. »Aber seid ihr auch bereit, alles zu opfern, für dessen Schutz ihr gekämpft hat, um euch mir zu widersetzen? Alles, was ihr geopfert, und jeder, den zu retten ihr geblutet habt, wird in einem Meer von Blut hinweggespült, wenn ihr es tut.« »Du lügst«, fauchte Pasanius. »Dumme Happen. Was brauche ich Lügen? Der Architekt des Schicksals hat Lügen genug für dieses Universum. Der Herr der Schädel verlangt keine derartigen Täuschungen. Ich weiß, was ihr gesehen habt, als wir die Blutgleise befahren haben: Eure Welt stand in Flammen, und euer Volk war tot, Asche im Wind, da sie zu Tode verbrannte.« Der Omphalos Daemonium machte einen gewichtigen Schritt auf sie zu, die Hippe gesenkt, so dass sie auf Uriels Brust zielte. »Ich kann dafür sorgen, dass es dazu kommt«, versprach er. »All die abgesplitterten Zukünfte, die ihr gesehen habt, können gebildet werden, und ich kann dafür sorgen, dass eure kostbare Heimat schreiend in den Flammen stirbt. Glaubt ihr das?« Uriel starrte in die leprösen gelben Augen des Dämons und wusste mit absoluter Gewissheit, dass er die Dinge vollbringen konnte, von denen er sprach - Macragge zerstört. Ultramar gestorben... »Ja, ich glaube dir«, sagte er schließlich. »Was sollen wir tun?«
»Uriel!«, rief Pasanius. »Ich glaube nicht, dass wir eine Wahl haben, mein Freund«, sagte Uriel zögernd. »Überleg dir, was du sagst«, erwiderte Pasanius ungläubig. »Was dieses verwünschte Ding von uns will, kann nur zum Bösen sein. Wer weiß, was wir entfesseln, wenn wir tun, was es von uns will?« »Das weiß ich, Pasanius, aber was können wir sonst tun? Willst du Ultramar zerstört sehen? Die Hera-Festung in Ruinen?« »Nein, natürlich nicht, aber...« »Nein, Pasanius«, sagte Uriel gemessen. »Vertrau mir. Du musst mir vertrauen. Vertraust du mir?« »Du weißt, dass es so ist«, protestierte Pasanius. »Ich vertraue dir mit meinem Leben, aber dies ist Wahnsinn!« »Dann vertrau mir auch jetzt«, drängte Uriel. Pasanius öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, aber als er den Ausdruck in Uriels Augen sah, nickte er nur kurz. »Also gut«, sagte er. »Gut«, schwelgte der Omphalos Daemonium in ihrer Niederlage. »Sehr weit von hier gibt es eine Festung, hoch im Südteil des Gebirges, und ihr Herr hat etwas tief in seinem geheimsten Gewölbe, das mir gehört. Ihr werdet es für mich holen.« »Was ist es denn?«, fragte Uriel. »Es ist das Blutherz, und ihr braucht nicht mehr zu wissen, als dass es mir kostbar ist.« »Wie sieht es aus? Wie werden wir es erkennen?« Der Omphalos Daemonium gluckste. »Ihr werdet es wissen, wenn ihr es seht.« »Warum brauchst du uns dafür?«, wollte Pasanius wissen. »Wenn es so verdammt wichtig ist, warum holst du es dir dann nicht selbst?« Der Omphalos Daemonium schwieg einen Moment und sagte dann: »Ich habe euch damit gesehen, und es ist eure Bestimmung, es zu tun. Das reicht.« Uriel nickte und hörte einen entfernten schrillen Schrei. Der Omphalos Daemonium hörte das Geräusch ebenfalls. Er neigte den Kopf, wandte sich ab und marschierte zu dem Rechteck aus rotem Licht zurück, das in die Dämonenmaschine und zu den zischenden Sarcomata führte. Als er das schimmernde Portal erreichte, sagte er: »Die Deliri-
umgespenster kommen. Sie hören das Schlagen eurer Herzen, und ihr Hunger zerrt an ihnen. Es wäre klug, sich nicht von ihnen finden zu lassen.« »Warte!«, sagte Uriel, doch der Omphalos Daemonium trat durch das Portal, und er musste hilflos mit ansehen, wie es verblasste und von dem Plateau verschwand und ihren dämonischen Häscher mitnahm. Ein bleiernes Gewicht der Verzweiflung legte sich auf Uriels Seele, als der Omphalos Daemonium verschwand, und er sank auf die Knie, während er die Schreie hörte, die wie ein kreischender Chor von Luftschutzsirenen klangen. Er schaute in den toten Himmel und sah eine Schar hybrider, geflügelter... Wesen, die sich ihnen mit rhythmischen Flügelschlägen aus der Richtung des Gebirges näherten. »Was ist das...?«, sagte Pasanius, der ebenfalls in den Himmel blinzelte. »Das sind die Deliriumgespenster«, sagte Uriel, während er zu dem Felsen eilte, um seine Waffen zu holen. »Was machen wir jetzt?«, sagte Pasanius, wobei er sich die Pistole ins Gürtelhalfter schob und den Flammenwerfer über die Schulter warf. »Wir fliehen«, sagte Uriel, während die irre kreischende Schar immer näher kam.
VIER Schwarze Gestalten vor dem weißen Himmel kreischten, als sie sich aus den Höhen des Gebirges herabschwangen und den beiden Space Marines näherten. Die Deliriumgespenster erfüllten die Luft mit dem Geheul Sterbender, und Uriel konnte ihre Qualen in jedem Ton hören. Er sah sich auf dem Plateau nach offensichtlichen Verstecken um. Zwar hasste er die Vorstellung einer Flucht, aber ihm war klar, dass der Omphalos Daemonium nicht gelogen hatte, als er ihnen verriet, dass es klug sein würde, sich von diesen Kreaturen nicht finden zu lassen. »Uriel«, sagte Pasanius, während er schräg nach oben auf einen schmalen Hohlweg höher im Berg zeigte. »Da oben! Ich glaube nicht, dass sie da hineinkommen.«
»Können wir das schaffen?« »Das lässt sich nur auf eine Weise herausfinden«, sagte Pasanius und setzte sich in Bewegung. Uriel schnallte sich sein Schwert um und lief Pasanius hinterher. In der giftigen Atmosphäre atmete er schnell und angestrengt, und sein Rücken fühlte sich an, als stehe er in Flammen, aber er verdrängte die Schmerzen, als er die Böschung erreichte und Pasanius hinterherkletterte. Die Böschung war uneben und bestand aus verstaubten Eisenspänen, Kohleklumpen und verdrehter Schlacke. Pasanius' erstaunliche Kraft ermöglichte ihm, die Böschung zu erklimmen, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, aber Uriel fand auf dem losen Geröll keinen Halt, und je mehr er sich bemühte, desto weiter rutschte er zurück. Kreischendes Geheul obszönen Hungers ertönte hinter ihm, und er riskierte einen Blick über die Schulter, als sich das erste der Deliriumgespenster von oben auf ihn stürzte. »Uriel!«, rief Pasanius von einem Sims über ihm. »Nach links!« Er wälzte sich nach links, als die Kreatur aus dem Himmel herabstieß, und angeschweißte Eisenkrallen an den Flügeln zerkratzten den Boden, wo eben noch sein Kopf gewesen war. Er trat zu, und das Wesen rutschte die Böschung hinunter. Seine fleischigen Flügel schlugen wütend, als es sich wieder aufrichtete. Seine Gestalt entsprach der eines großen, im Meer lebenden Mantarochens und bestand aus einem externen Skelett aus Eisenstreben, auf das ein Flickwerk aus wallender Menschenhaut genäht war. Schreiende Gesichter wölbten sich unter der ledrigen Haut, und ein o-förmiger Mund mit vielen Hundert spitzen Zähnen klaffte darin. Weitere drei Kreaturen stießen von oben herab, deren Kiefer sich über die gesamte Oberfläche ihrer Haut erstreckten, und wallende Flügel wurden ausgebreitet, um ihren Sturzflug abzubremsen, als sie auf Uriel prallten. Das von Uriel nach unten gestoßene Wesen sprang mit einem misstönenden Heulen in die Luft, während er mit den Bestien rang, die ihn bedrängten, da ihre Zähne an seiner Rüstung nagten. Pasanius schoss auf das fliegende Deliriumgespenst, aber sein Boltgeschoss durchschlug die Haut, bevor sie explodierte, und es änderte den Kurs und flog höher die Böschung empor, um ihn mit ohrenbetäubendem Gekreisch anzugreifen. Uriel packte die schmierige Haut eines der angreifenden Unge-
heuer, zerrte es von seiner Rüstung und sah gepeinigte Gesichter unter der sich wölbenden Haut, die nach ihm tasteten. Er schlug mit der Faust auf eines dieser Mäuler, und sein Panzerhandschuh zerfetzte die straffe Haut, während ein Hitzeschwall von oben über ihn wusch und er Pasanius rufen hörte: »Geh zurück!« Die Bestie wehrte sich in seinem Griff, während die anderen nach ihm schnappten und bissen. Er zwang seine andere Hand durch die Wunde, die er geschlagen hatte, während er sich die Böschung hinunterwälzte und so die anderen loswurde. Er packte die flatternde Haut auf beiden Seiten und riss sie von dem Eisenrahmen, wobei er spürte, wie die darin gefangenen Seelen etwas über ihre Freilassung brüllten. Flackernde Lichter und Freudenschreie drangen aus der sterbenden Bestie, als sich die letzte Seele aus ihr löste, und Uriel hielt plötzlich nur noch einen unbelebten Haufen zerfetzter Haut und Metall in den Händen. Er warf die Überreste beiseite, während sich noch mehr von den Kreaturen auf ihn stürzten. Uriel zog sein Schwert und durchschlug mit der Energieklinge die Haut des nächsten Deliriumgespensts. Ein hysterisches Gekreisch der Freiheit drang aus seinem Maul, bevor es zusammenbrach. Die letzte Bestie sprang ihn an, und er warf sich vorwärts, rollte sich ab und landete einen hoch geführten Hieb mit der Klinge, der das Ungeheuer zerteilte, während es über ihn wegflog. Er hörte noch einen Schrei, der von Freiheit kündete, und sah einen leblosen Haufen Eisenstreben mit brennenden Hautfetzen weiter oben auf der Böschung liegen. Pasanius hatte seinen Flammenwerfer aktiviert und versprühte Flammenstrahlen in die Luft, um die anderen Kreaturen daran zu hindern, ihnen zu nahe zu kommen. »Komm hoch!«, rief Pasanius. »Ich weiß nicht, wie lange ich sie damit noch abhalten kann!« Uriel schob sein Schwert in die Scheide, bückte sich und löste zwei Eisenstreben aus dem Leichnam des nächsten Ungeheuers, bevor er sich wieder an das Erklimmen der rutschigen Böschung machte. Indem er die Eisenstangen wie primitive Felshaken tief in das lose Geröll trieb, gelang es Uriel, die Böschung ohne größere Schwierigkeiten zu erklimmen, während Pasanius die Deliriumgespenster mit seinem Flammenwerfer in Schach hielt. Schließlich erreichte er den Sims und wälzte sich auf den Rü-
cken, als die Deliriumgespenster wieder näher rückten. Er zog sein Schwert und schlug das erste entzwei, wobei er eine grimmige Befriedigung verspürte, als er vor dessen Auflösung seinen dankbaren Schrei hörte. Andere verbrannten im Feuer, und kindliches Gelächter löste sich aus ihrer brennenden Haut, wenn sie starben. Die beiden Space Marines tasteten sich langsam rückwärts zur Zuflucht des Hohlwegs, wobei sie die kreischenden, herabstürzenden Bestien töteten, wenn sie ihnen zu nah kamen. Obwohl sie viele Dutzend von ihnen töteten, sah Uriel doch, wie sich Hunderte mehr um die Bergspitzen versammelten, und ihm war klar, dass sie so gut wie tot waren, wenn sie nicht bald Deckung fanden. Sie konnten nicht hoffen, solche Massen ewig in Schach zu halten. Der Hohlweg lag hinter ihnen, und Uriel sah, dass er sich weiter und tiefer in den Berg zog. Scharen von Deliriumgespenstern sanken tiefer, und Uriel betete, dass sie nicht in der Lage sein würden, ihnen zu folgen. »Ich kann nicht erkennen, wohin der Hohlweg führt!«, sagte er. »Es spielt keine Rolle, oder?«, erwiderte Pasanius, der aus vielen kleinen Kratzern seitlich am Kopf blutete. »Uns bleibt keine andere Wahl.« »Gib ihnen noch einen ordentlichen Strahl, dann folge mir hinein!« Pasanius nickte, rief »Los!« und sandte den kreischenden Ungeheuern einen Strahl der flammenden Flüssigkeit entgegen. Uriel eilte in den Hohlweg, dessen schmale Basaltwände glasig, schwarz und reflektierend waren. Sie kratzten über seine Schulterschützer und schnitten Furchen in den Lack, und Uriel flüsterte ein Gebet, in dem er den Kriegsgeist der Rüstung um Verzeihung für diese achtlose Behandlung bat. Pasanius zog sich in den engen Hohlweg zurück und musste sich seitlich hineinzwängen, und Uriel hatte kurz die schreckliche Vision, wie die beiden hier in der Falle saßen und darauf warteten, von diesen schändlichen Kreaturen getötet zu werden. »Verdammt, das ist eng«, grunzte Pasanius stoisch. Frustriertes Gekreisch war zu hören, und Uriel sah Dutzende der monströsen Bestien über den schmalen Streifen Himmel am Eingang des Hohlwegs wegfliegen. Er drang tiefer in den gewundenen Gang vor, der sich aufwärtsneigte, und die Entfernung zwi-
schen ihnen und dem freien Himmel verringerte sich mit jedem Schritt. »Uns geht der Platz aus!«, rief er nach hinten, als von oben ein verzweifeltes Scharren von Krallen und das Klirren von Metall auf Stein ertönte. Zischende Bestien zwängten sich mit wild schlagenden Flügeln in den Hohlweg, und ihr Gekreisch war ohrenbetäubend in der Enge. Das Geheul wilden Hungers und Sehnens entrang sich den Leibern, und Uriel stach mit seinem Schwert aufwärts und spießte das erste Deliriumgespenst auf seiner Klinge auf. Noch mehr zwängten sich in den Spalt und klirrten scheppernd aneinander, während sie zu ihrer Beute gelangen wollten. Nicht in der Lage, in dieser Enge seinen Flammenwerter einzusetzen, riss Pasanius ihnen unter wütendem Gebrüll mit bloßen Händen die Haut von den Eisenrahmen. Uriel stieß und hieb blindlings in die Höhe, von totem Fleisch umgeben, während scharfe Zähne nach seinem Gesicht schnappten. Das Geräusch reißender Haut vermischte sich mit ihren Schmerzlauten und dem unpassenden Freudengelächter der Seelen, wenn sie beim Tod einer Bestie ihrer schrecklichen Qual entflohen. »Immer weiter!«, rief Pasanius in einer kurzen Pause zwischen den wütenden Angriffen. »Ich weiß nicht, was vor uns liegt«, antwortete Uriel. »Es kann nicht schlimmer sein als das hier!« Uriel musste ihm recht geben und tastete sich weiter vorwärts, während er sich verkrustetes Blut von der Stirn wischte und verzweifelt nach einer Stelle Ausschau hielt, die ihnen besseren Schutz gewähren würde. Die Deliriumgespenster kreisten weiter über dem Hohlweg und warteten geduldig auf die nächste Gelegenheit zum Angriff. Der Hohlweg schlängelte sich weiter, und jeder Schritt führte sie tiefer in den Berg, bis er schließlich nach unten abknickte und auf einen schmalen Pfad führte, der am Rand einer steilen Klippe verlief. Auf der einen Seite des Pfads fiel die Felswand viele hundert Meter tief ab, und an seinem Ende konnte Uriel eine schmale Höhle erkennen, deren Eingang von einem Wald aus langen, in den Fels getriebenen Eisenstacheln umgeben war. »Voraus ist eine Höhle«, sagte Uriel. »Sieht ganz so aus, als hätte sie schon jemand benutzt, um sich vor diesen Biestern zu
verstecken.« »Woran erkennst du das?« »Der Höhleneingang ist von eisernen Stacheln umgeben. Ich glaube nicht, dass sich diese Bestien dem Eingang nähern können, ohne sich die Flügel zu ruinieren.« »Das schreit förmlich nach der Frage...« »Wer hat sie dort angebracht?«, beendete Uriel. Pasanius schaute zum Himmel, als er die Deliriumgespenster gegen den Felsen klirren und ihre schrillen Schreie näher kommen hörte, da sie tiefer gingen, um erneut anzugreifen. »Wir werden wohl dorthin rennen müssen«, sagte Uriel. »Das schaffen wir nie«, stellte Pasanius fest. »Sie würden sich auf uns stürzen, bevor wir auch nur halb drüben wären.« »Glaubst du, das wüsste ich nicht?«, schnauzte Uriel. »Aber wir müssen es versuchen.« Uriel biss sich auf die Lippe, als er sich fragte, wie weit sie wohl kommen würden, bis die Ungeheuer sie erwischten. Einige mochten sie abwehren können, aber nicht alle, und selbst wenn die Ungeheuer sie nicht direkt töten konnten, würde es doch ein Leichtes für sie sein, sie vom Pfad zu stoßen. Und der Absturz aus dieser Höhe würde tödlich sein, selbst für jemanden, der so unverwüstlich wie ein Space Marine war. Eines der Ungeheuer flog über sie hinweg. Sein blinder Hunger war hassenswert und vollkommen fremdartig. »Warte...«, sagte Uriel, da sich eine Erinnerung an die Oberfläche seines Verstandes quälte. »Was denn?« »Als der Omphalos Daemonium von diesen Kreaturen gesprochen hat, da hat er doch etwas darüber gesagt, wie sie jagen, etwas über unsere Herzen und dass wir nicht lange unbemerkt blieben.« »Und?« »Und so jagen sie uns, sie können unseren Herzschlag hören.« Pasanius schwieg einen Moment, bevor er sagte: »Dann nehmen wir ihnen, was sie brauchen, um uns zu jagen.« »Du erinnerst dich noch an die Mantras, mit denen wir die Susan-Membran aktivieren können?« »Aye, obwohl es schön Jahrzehnte her ist, seit ich sie zuletzt rezitieren musste.« »Ich weiß, aber wir sollten sie wohl besser richtig hinbekom-
men«, sagte Uriel. »Ich will nicht auf halbem Weg über den Pfad ins Koma fallen.« Pasanius nickte, während Uriel langsam zum Rand des Hohlwegs kroch. Die Deliriumgespenster waren hoch über ihnen, aber immer noch zu nah für sie, um hoffen zu können, die Höhleneinmündung unbehelligt zu erreichen. Uriel wandte sich an Pasanius und sagte: »Geh los, wenn ich gehe. Langsam, aber nicht zu langsam. Ich will nicht, dass du unterwegs stirbst.« »Ich werde mich bemühen«, erwiderte Pasanius trocken. Uriel schloss die Augen und rezitierte die Verse, die ihm Apothekarius Selenus beigebracht hatte, welche die hormonelle Aktivierung der Susan-Membran in Gang setzten, einem während seiner Verwandlung in einen Space Marine in das Gewebe seines Gehirns implantierten Organs. Er holte tief Luft, regulierte seine Atmung und zwang seinen Herzschlag, sich zu verlangsamen. Was er tat, war äußerst gefährlich und erforderte normalerweise viele Stunden der Mediation und der richtigen Gebete, aber ihnen fehlte die Zeit für derartige Vorbereitungen. Uriel spürte, wie sich die rhythmischen Schläge der Herzen in seiner Brust verlangsamten. Vierzig Schläge in der Minute, dreißig, zwanzig, zehn... Er hörte, wie Pasanius dieselben Mantras wiederholte. Ihm war klar, dass sie loslaufen und die Höhle erreichen mussten, bevor das Organ vollständig aktiviert wurde, denn dann würden ihre Herzen vollkommen stillstehen und sie in eine Art komatösen Winterschlaf fallen. Drei Schläge pro Minute... zwei... Uriel erhob sich. Sein Blickfeld war an den Rändern grau, und seine Glieder fühlten sich bleischwer an. Er nickte Pasanius zu, verließ die vorübergehende Deckung des Hohlwegs und hastete so schnell den Pfad zur Höhle entlang, wie er sich traute. Pasanius folgte ihm. Die durchdringenden Schreie der dämonischen Furien über ihm störten ihn in seiner Konzentration, und eiskalter Schweiß rann ihm über das blasse Gesicht. Beide Space Marines hielten sich auf ihrem Weg über den Pfad dicht an der Felswand. Die geflügelten Bestien stießen tiefer zu ihnen herab, und ihr Kreischen hallte von der Felswand wider, als sie verwirrt kreisten und wieder höher stiegen, da sie sie nicht ausmachen konnten.
Sie hatten die Höhle fast erreicht, und immer noch flatterten die Scharen über ihnen ziellos in der Luft umher. Zwei der Deliriumgespenster flogen geräuschvoll an Uriel vorbei und landeten mit einem Kratzen von Klauen vor ihnen auf dem Weg. Ihre Schreie waren leise und widerlich, als sie sich langsam drehten, da ihre sich kräuselnden Häute ihr Jagdwild auszumachen versuchten. Uriel wurde langsamer, als er sich an den Ungeheuern vorbeischlich, während er sich alle Mühe gab, seinen Körper in dem Limbus zwischen Leben und selbstinduziertem Koma zu halten. Er stolperte, und sein Stiefel streifte eine Klaue der Bestie... Er erstarrte. Doch über welche anderen Sinne die Bestie auch verfügen mochte, sie registrierte die Berührung nicht und ignorierte ihn. Uriel schlich sich an dem Ungeheuer vorbei. Die zweite Bestie erhob sich wieder in die Luft, als er sich dem Ende des Pfads näherte, und... Ein Herzschlag... Das Deliriumgespenst fuhr mitten in der Luft herum und gab ein ohrenbetäubendes Kreischen von sich, als es den donnernden Schlag seines Herzens hörte. Die Scharen über ihnen beendeten ihr verwirrtes Kreisen und stießen einhellig und mit triumphierendem Gekreisch auf sie herab. »Lauf!«, rief Uriel, der alle Täuschung aufgab und zur Höhleneinmündung rannte. Er duckte sich unter den ersten Stachel und wand sich zwischen den anderen durch, um den Eingang zu erreichen, taumelte hinein und schnappte nach Luft. Seine Brust war ein tobendes Inferno, als seine Herzen in wenigen Augenblicken von einem buchstäblichen Stillstand zu ihrem normalen Rhythmus beschleunigten. Er drang weiter in die stygische Dunkelheit der Höhle vor und ließ sich auf die Knie sinken, während er darum kämpfte, seine inneren Organe zu stabilisieren und sich zu zwingen versuchte, nicht in einen Schlaf zu fallen, aus dem er nicht mehr erwachen würde. Pasanius wich in die Höhle zurück, während sein Werfer einen Strahl brennenden Prometheums spie. Die Deliriumgespenster flatterten geräuschvoll vor dem Höhleneingang umher und schrien ihre Wut darüber, dass ihnen ihre Beute entkommen war, heraus. Mehrere setzten zum Angriff an,
doch ihnen gelang lediglich, sich auf den scharfen Stacheln aufzuspießen, die den Eingang schützten. Ihre Leiber wurden zerrissen, und ihre zerfetzten Häute und eisernen Rahmen fielen die Klippe hinunter, als sie starben. Uriel stieß einen rasselnden Seufzer aus, da er wusste, wie nah sie dem Tod gekommen waren. »Pasanius, ist alles in Ordnung?«, keuchte er. »So eben«, keuchte Pasanius. »Beim Thron, das will ich nie wieder tun müssen. Ich hatte ein Gefühl, als würde ich sterben.« Uriel nickte und zog sich an den Wänden der Höhle auf die Beine. Sein zurückkehrendes Sehvermögen drang mühelos durch das Dunkel der Höhle, und er sah, dass sie sich in einem langen, gewölbten Tunnel befanden, der in den Fels gehauen worden war, doch von wem oder was, das konnte er nicht sagen. »Na, wenigstens sind wir für den Augenblick sicher«, sagte Uriel. »Da wäre ich nicht so sicher«, erwiderte Pasanius, indem er mit dem Stiefel gegen einen gespaltenen menschlichen Schädel trat, der auf dem Boden lag. Die beiden Space Marines gingen vorsichtig durch den Tunnel, und das kreischende Geheul der Deliriumgespenster verlor sich, je tiefer sie in den Berg eindrangen. Ihre verbesserte Sicht verstärkte den Schein der zischenden Zündflamme von Pasanius' Werfer dergestalt, dass sie durch die vollkommene Finsternis marschierten, als sei ihr Weg durch Lichtkugeln beleuchtet. »Was glaubst du, wer diese Tunnel angelegt hat?«, fragte Pasanius mit Blick auf die Spuren der Spitzhacken und Bohrer im Fels. »Ich habe keine Ahnung«, sagte Uriel. »Vielleicht Sklaven oder die Bevölkerung dieser Welt, bevor sie vom Chaos übernommen wurde?« »Ich kann immer noch nicht glauben, dass wir so weit gereist sind«, sagte Pasanius. »Glaubst du wirklich, dass dies Medrengard ist? Können wir wirklich im Auge des Schreckens sein?« »Du hast die finstere Stadt jenseits der Berge gesehen. Kannst du daran zweifeln, dass darin einer der gefallenen Primarchen haust?« Pasanius beschrieb das Zeichen des Adlers vor der Brust, um alles Böse abzuwehren, das sogar mit dem bloßen Gedanken an
solche Dinge verbunden war. »Wohl nicht. Ich habe das Böse wie Gift in den Knochen gespürt, aber so weit gekommen zu sein... das ist doch eigentlich unmöglich.« »Wenn das hier wirklich das Auge ist, dann ist nichts unmöglich«, sagte Uriel. »Ich war immer der Meinung, die Geschichten von Welten, die von Dämonen und den Mächten des Verderbens übernommen worden seien, wären nur düstere Legenden, überzogene Geschichten, um die Arglosen zum Gehorsam zu ängstigen.« »Ich wollte, es wäre so«, erwiderte Uriel. »Aber neben der Vernichtung dieser Daemonculaba, die Bibliothekar Tigurius in seiner Vision gesehen hat, sind wir meiner Ansicht nach auch hierher geschickt worden, um die Festigkeit unseres Glaubens zu prüfen.« »Und sind wir bereits durchgefallen?«, murmelte Pasanius. »Mit einem Dämon zu schachern...« »Ich weiß, ich habe unsere Seele aufs Spiel gesetzt, mein Freund«, sagte Uriel. »Und das tut mir sehr leid. Aber ich habe keine andere Wahl gesehen, als den Omphalos Daemonium glauben zu machen, wir würden tun, was er verlangt.« »Dann hast du nicht vor, ihm sein Blutherz zu holen, was immer das sein mag?« »Natürlich nicht«, sagte Uriel entsetzt. »Wenn wir es finden, will ich das widerliche Ding in tausend Stücke zerschmettern!« »Dem Imperator sei Dank!«, hauchte Pasanius. Uriel blieb abrupt stehen. »Hast du gedacht, ich würde mich den Begierden eines Dämons fügen?« »Nein, aber wenn man bedenkt, wie wir hier gelandet sind und womit er gedroht hat...« »Gegen den Codex Astartes zu handeln, ist eine Sache, aber sich mit Dämonen einzulassen eine ganze andere«, schnauzte Uriel. »Aber wir sind von unserem Orden ausgestoßen und aus dem Antlitz des Imperators verbannt worden und sitzen wahrscheinlich auf ewig im Auge des Schreckens fest«, sagte Pasanius. »Ich kann schon sehen, warum du gedacht haben könntest, es wäre vielleicht eine Möglichkeit.« »Wirklich?«, wollte Uriel wütend wissen. »Dann sei bitte so gut und erkläre es mir.« Pasanius begegnete Uriels Blick nicht, als er sagte: »Nun ja,
wahrscheinlich ist das Blutherz irgendein dämonisches Artefakt, das einen Feind des Omphalos Daemonium hier im Auge ins Verderben stürzen soll. Könnten wir in diesem Fall nicht das Werk des Imperators tun, wenn wir es seinem gegenwärtigen Besitzer stehlen?« Uriel schüttelte den Kopf. »Nein. Dieser Weg ist Wahnsinn und der erste Schritt, alles zu verraten, wofür wir als Space Marines stehen. Durch solche Schritte werden Menschen verdammt, Pasanius, weil die Ketzerei jedes Mal durch eine halbwegs vernünftige Rechtfertigung entschuldigt wird, bis die Seele unwiderruflich schwarz und geschrumpft ist. Jetzt, wo wir keinem Orden mehr angehören, könnte man sagen, wir sind nur noch uns selbst verantwortlich, aber wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Was auch aus uns wird, im Herzen werden wir immer Krieger des Imperators sein. Das habe ich dir schon einmal gesagt, mein Freund. Zweifelst du immer noch an deinem Mut und deiner Ehre?« »Nein, es ist nur so, dass...«, begann Pasanius. »Was?« »Nichts«, fuhr er schließlich fort. »Du hast recht, und es tut mir leid, so etwas auch nur gedacht zu haben.« Uriel schaute seinem Freund in die Augen. »Erinnerst du dich an die Geschichte des alten Philosophen von Calth, der die Frage gestellt hat, wenn ein Stalaktit in einer Höhle herunterfiele, ob er ein Geräusch verursachte, wenn niemand da wäre, es zu hören?« »Aye«, nickte Pasanius. »Das habe ich nie richtig begriffen.« »Ich auch nicht, wenigstens nicht bis jetzt«, sagte Uriel. »Wir sind zwar ins Exil geschickt worden, aber wir haben noch unsere Ehre, und obwohl der Orden sehr wahrscheinlich nie von unseren Taten hören wird, werden wir bis zu unserem Tod weiter gegen die Feinde des Imperators kämpfen. Richtig?« »Richtig«, stimmte Pasanius ihm zu, indem er Uriel mit der Hand auf den Schulterschutz schlug. »Und deswegen warst du Hauptmann und ich nur Sergeant. Du weißt immer das Richtige zu sagen.« Uriel grinste. »Das sehe ich anders. Ich meine, sieh uns doch an, Zehntausende Lichtjahre von Macragge entfernt und gefangen in einer Höhle irgendwo im Auge des Schreckens...« »... die voller Leichen ist«, beendete Pasanius den Satz. Uriel drehte sich einmal im Kreis und sah, dass Pasanius recht
hatte. Der Tunnel hatte sich in eine kuppelförmige Höhle mit rauen Wänden und einer ganzen Reihe schattiger Gänge verbreitert, die daraus abzweigten. Die Überreste eines lange erloschenen Feuers füllten eine tiefe Feuergrube in der Mitte der Höhle aus, und durch einen Rauchabzug in der Decke fiel ein dünner Lichtstrahl. Skelette lagen überall verstreut auf dem Höhlenboden, gespreizt und zerschmettert, die Knochen verstaubt und gebrochen. »Thron! Was ist hier passiert?«, flüsterte Uriel, indem er die Feuergrube umkreiste und sich neben ein in Lumpen gehülltes Skelett kniete. »Das sieht so aus, als wären sie angegriffen worden, während sie eine Mahlzeit zubereiteten«, sagte Pasanius, der mit dem silbernen Arm in den Überresten des Feuers herumstocherte. »In der Feuergrube sind noch Töpfe.« Uriel nickte und untersuchte die Knochen vor sich, wobei er sich fragte, wem sie gehört hatten und welche bösartige Wendung des Schicksals ihren Besitzer zu so einem Tod verurteilt hatte. »Wer das hier getan hat, war unglaublich stark«, sagte Uriel. »Die Knochen sind sauber gebrochen.« »Aye, und dem hier wurde der Kopf von den Schultern gerissen.« »Iron Warriors?«, fragte Uriel. »Nein, das glaube ich nicht«, sagte Pasanius. »Dieser Angriff hatte etwas Wahnsinniges an sich. Sieh dir die Flecke an den Wänden an. Das ist Blut, das aus Arterien gespritzt ist. Wer das hier getan hat, war in einer Art Raserei und hat seinen Opfern in Sekunden die Kehle zerfetzt und sie in Stücke gerissen. Sie hatten nicht einmal die Zeit, sich zu bewaffnen.« Uriel ging durch die Höhle zu Pasanius und schritt über die Knochen der Toten hinweg, als ihm etwas Metallisches auffiel, das halb vergraben im Staub lag. Er bückte sich, um es aufzuheben, und seine Finger schlossen sich um ein primitives Messer mit dickem Griff und langer, flexibler Klinge. Er drehte sich zu den Leichen um, und ihm kam eine Übelkeit erregende Erkenntnis. »Ihnen wurde die Haut abgezogen«, sagte er. »Was?« »Den Leichen«, sagte Uriel, indem er das Messer in die Höhe hielt. »Ihnen wurde die Haut abgezogen. Sie wurden getötet, und dann haben die Mörder sie gehäutet.«
Pasanius fluchte. »Ist denn das Böse auf dieser Welt ohne Ende?« Uriel zerbrach die Klinge des Häutungsmessers und schleuderte es von sich, so dass die Bruchstücke von der Felswand der Höhle abprallten. Welche Bestie würde ihre Beute tief in den Berg verfolgen und sie dann mit solcher Schnelligkeit und Raserei angreifen, um sich dann die Zeit zu nehmen, sie zu häuten? Er hoffte, sie würden es nicht herausfinden, aber ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube verriet ihm, dass es durchaus wahrscheinlich war, däss sie bereits in ihr Revier gestolpert waren. »Wir können jetzt nichts mehr für sie tun, wer immer sie auch waren«, sagte er. »Nein«, stimmte Pasanius zu. »Wohin jetzt?« Uriel durchquerte die Höhle, wobei er vor jeder Abzweigung stehen blieb, um sie zu untersuchen, weil er hoffte, auf irgendeinen Hinweis zu stoßen, der ihnen verraten würde, welche Richtung die meiste Hoffnung auf einen Ausweg bot. »In diesen Gang hier führen Spuren«, sagte er, während er niederkniete und den Boden des Mittelgangs untersuchte. »Sogar ziemlich viele.« Pasanius gesellte sich zu ihm und zeichnete die Umrisslinie eines riesigen Fußabdrucks im Staub nach. Es ließ sich nicht sagen, wie alt er war, aber trotz seiner Größe bestand kein Zweifel daran, dass er menschlich war. »Glaubst du, der Gang hier könnte zum Bau der Ungeheuer führen und wir sollten ihn meiden?« »Nein, ich glaube, er könnte zu einem Weg aus diesen Tunneln führen«, sagte Uriel. »Ich wusste, dass du das sagen würdest«, seufzte Pasanius. Uriel und Pasanius folgten dem Gang, der sich viele Kilometer durch das Gebirge schlängelte, bis sie vollkommen die Orientierung verloren hatten und nicht mehr wussten, in welche Richtung sie gingen. Als der Boden felsiger wurde, verschwanden die Spuren, und Uriel wusste, dass sie sich hoffnungslos verirrt hatten. Doch als ihnen gerade der Gedanke kam, sie könnten nie wieder zur Oberfläche zurückfinden - an und für sich kein unattraktiver Gedanke -, spürte er etwas in der Luft. Einen Hauch von Bewegung, einen schwachen Luftzug auf der Haut. Er hob die Hand und forderte Pasanius zum Schweigen auf, als
dieser den Mund öffnete, um etwas zu sagen. Gerade oberhalb der Hörschwelle konnte er ein leises Grollen hören wie ein entferntes Knistern von weißem Rauschen. Obwohl es seiner gesamten Konzentration bedurfte, folgte er einem gewundenen Weg durch die Tunnel, wobei er ab und zu umkehren und einen anderen Weg wählen musste, da er dem Geräusch nachging. Je lauter es wurde, desto sicherer wurde er, und eine Stunde, nachdem er das Geräusch zum ersten Mal wahrgenommen hatte, sah er einen hellen Streifen weißen Himmels voraus. »Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal dankbar sein würde, diesen Himmel wiederzusehen«, sagte Uriel. »Ich auch nicht, aber er ist besser als die verwünschte Dunkelheit.« Uriel nickte, und sie traten aus dem Tunnel und blinzelten in das ewige Tageslicht von Medrengard. Als sie den Tunnel verließen, sah Uriel die Ursache des Geräuschs, dem sie gefolgt waren. »Guillaumes Fluch!«, fluchte Pasanius. Viele Kilometer voraus überragte eine Befestigung aus düsterem Wahnsinn das Gebirge, die aller Vernunft trotzte. Ihre steilen Türme und mächtigen Bollwerke wanden sich in den Himmel, und ihr gewaltiges Tor war eine fauchende Leere. Die Mauern bestanden aus dunklem, blutfleckigem Gestein, das mit unnatürlichen Farben durchzogen war, die nicht hätten existieren dürfen und sich in die Netzhaut brannten. Blitze zuckten zwischen den Türmen hin und her, und das Scheppern großer Maschinen und Motoren hallte wie Donner von den Mauern wider. Säulen aus Rauch und Feuer sprangen von den Mauern, wo Explosionen aufblühten und große Brocken aus schwarzem Gestein aus der kolossalen Festung gesprengt wurden. Das entfernte Grollen von Artilleriegeschützen donnerte und hallte, und sie sahen grelle Mündungsblitze von unzähligen großen Haubitzen und Belagerungsgeschützen, die von den zerklüfteten Felsen weiter unten auf die Festung feuerten. Das urtümliche Kampfgebrüll vieler Tausender, Zehntausender Krieger - vielleicht sogar noch mehr - wurden ihnen vom Wind zusammen mit dem Geruch von verbranntem Eisen und Krieg von der entfernten Schlacht zugetragen. Wolken aus Asche und Rauch von den Brandherden, welche die
Festung umgaben, flackerten und zuckten unter der Wucht der Belagerung, und Uriel spürte, wie sich seine Seele im Angesicht solcher Brutalität verfinsterte. Nichts konnte diese Festung erreichen und überleben. Aber genau das mussten sie schaffen.
TEIL II Unter einer schwarzen Sonne FÜNF Ein Strahl ultrahoch erhitzter Luft schoss zwischen den Stümpfen der Zinnen durch, schleuderte Honsou von den Beinen und verdampfte die obere Hälfte eines seiner Iron Warriors. Er wälzte sich zur Seite, als die rauchenden Beine neben ihm kollabierten, dann sprang er auf, beugte sich über die ramponierten Reste der Festungsmauer und schwenkte seine gewaltige Streitaxt. »Lass es sein, Berossus, du musst dir schon mehr Mühe geben!«, schrie er. Von weiter unten aus dem finsteren Gebirge hallte das metallische Husten massierten Artilleriebeschusses empor und hämmerte die tiefer gelegenen Bollwerke von Khalan-Ghol in Trümmer. Er hörte die Schreie der Sterbenden, aber Honsou achtete nicht darauf. Das waren nur Sklaven und jene, die zu schlimm verletzt waren, um in den Fleischlagern gehäutet zu werden, und es gab noch viel mehr von ihnen, die entbehrlich waren. Er wischte sich Staub von der Rüstung, während mehr Iron Warriors vorwärtsmarschierten, um die Bresche zu stopfen, die der verirrte Schuss in den oberen Bereich seiner Festung gesprengt hatte. Es war ein Glückstreffer gewesen, und Honsou spürte den Kitzel des Adrenalins, das wegen des Beinahe-Treffers in seinen Adern kreiste. Seit der Belagerung auf Hydra Cordatus sehnte er sich nach dem Feuer und dem Donner der Schlacht. Die Kämpfe auf Perdictor II nach seiner Rückkehr ins Auge des Schreckens waren oberflächlich und unbefriedigend gewesen, da die Krieger des Plünderers seinen Voraustruppen nicht das Wasser reichen konnten.
Doch nun griffen ihn seine »Kollegen« an, die anderen Kriegsschmiede, und dies war gewiss eine Schlacht, die diesen Namen auch verdiente. Wieder war er gezwungen, jenen seine Fähigkeiten zu beweisen, die ihn für nicht besser hielten als die imperialen Hunde, gegen die sie den Langen Krieg ausfochten. Bei dem Gedanken, dass sie ihn immer noch nicht als ihresgleichen betrachteten, obwohl ihn sein Vorgänger zum Kriegsschmied ernannt hatte, stieg ihm die Galle hoch. »Lord Berossus geht sehr gründlich vor«, sagte Obax Zakayo, dessen knirschende, von Statik unterlegte Stimme Honsou aus seinen verbitterten Grübeleien riss. »Die unteren Bollwerke werden bald nur noch Staub und Knochen sein.« Honsou wandte sich an seinen Unterführer, einen massigen, breitschultrigen Iron Warrior mit gelben und schwarzen Sternen auf den Platten seiner verbeulten Servorüstung. Jedes Gelenk gab ein zischendes Pfeifen von sich und leckte bei jedem Schritt stinkende schwarze Flüssigkeiten und Dampfwolken. Wie Honsou trug er eine furchterregende Streitaxt, aber außerdem noch eine knisternde Energiepeitsche, die sich am Ende einer auf seinem Rücken angebrachten mechanischen Klaue wand. »Wenn Berossus glaubt, er kann irgendwas dadurch erreichen, dass er solche Spreu tötet, ist er noch dümmer, als ich gedacht habe«, spottete Honsou, während er sich mit seinem glänzend schwarzen augmetischen Arm grauen Staub vom Visier wischte. Sein ehemaliger Herr hatte ihm den mechanischen Arm geschenkt, nachdem ihm der mittlerweile tote Kastellan von Hydra Cordatus seinen eigenen vom Körper getrennt hatte. Früher hatte er Kortrish gehört, einem mächtigen Kämpen aus uralten Zeiten, und somit war er ein greifbares Zeichen der Gunst seines Herrn. »Was ihm an Phantasie fehlt, macht er durch Entschlossenheit wert«, sagte Honsous persönlicher Kämpe, ein hochgewachsener, schlanker Krieger in einer Servorüstung so dunkel und lichtschluckend, dass er sich wie flüssiger Schatten bewegte. Seine Stimme klang geisterhaft monoton, und sein Gesicht war eine krabbelnde Masse aus bio-organischen Schaltkreisen, die wie feuriges Quecksilber unter seiner toten Haut herliefen und seinen Augen einen leblosen silbernen Glanz verliehen. »Berossus ist unwichtig, Onyx. Er wird die unteren Bollwerke in Schutt und Asche legen und nicht in der Lage sein, seine Artillerie weiter nach oben zu verlagern. Nein, Toramino ist derjenige, den
wir im Auge behalten müssen«, erwiderte Honsou, indem er sich von der Brustwehr abwandte, während das Krachen neuer Explosionen und das Gebrüll anstürmender Krieger von unten heraufhallten. »Zugegeben«, sagte Onyx, während lange Bronzekrallen aus seinen grauen Händen ausfuhren. »Soll ich ihn vernichten?« Honsou hatte schon einige der grässlichsten Dinge in dieser Galaxis gesehen - da er viele von ihnen selbst begangen hatte -, doch Onyx' unheilvolle Ausstrahlung beunruhigte sogar ihn. Der Iron Warrior, wenn er überhaupt noch als solcher bezeichnet werden konnte, war eine gemiedene Gestalt, denn sein dämonischer Teil machte ihn selbst unter seinen eigenen Kriegern zu einem Ausgestoßenen. Zwar behauptete sich seine menschliche Seite in der symbiotischen Beziehung mit dem an seinen Körper gebundenen Dämon, aber seine diabolische Ausstrahlung war unverkennbar. »Nein«, sagte Honsou. »Jedenfalls jetzt noch nicht. Ich werde dieses Ungeziefer zuerst vor meinen Mauern brechen. Berossus kann ich leicht besiegen, aber ich will, dass Toramino sieht, wie dieser Mischling hier ihn besiegt, damit er weiß, dass der Kriegsschmied gut daran getan hat, mich zu seinem Nachfolger zu ernennen. Dann kannst du ihn töten.« »Wie Ihr wollt«, sagte Onyx, der von einem kaum wahrnehmbaren Dunst der Macht umgeben war. Als die Kreatur in Honsous Dienste getreten war, weil er der Herr von Khalan Ghol war, hatte sie ihm als Zeichen ihrer unbedingten Gefolgschaftstreue ihren wahren Namen genannt, den Honsou aber nicht aussprechen konnte, also hatte er sich für die beste Annäherung an den Teil entschieden, den er noch verstanden hatte: Onyx. Honsou hatte selbst miterlebt, wie tödlich Onyx sein konnte, wenn sein im Warpraum geborener Teil an die Oberfläche kam und er das volle Grauen seines Dämons entfesselte. Onyx war sein dunkler Schatten, sein Beschützer, und er konnte sich keine Kreatur vorstellen, die einen besseren Kämpen und Leibwächter abgeben würde. »Aber Berossus ist stolz«, sagte Obax Zakayo, »und man sollte ihn nicht unterschätzen. Er hat große Kraft und viele Krieger in seiner großen Kompanie.« »Sollen sie kommen«, sagte Honsou. »Das tun sie bereits«, stellte Obax Zakayo mit einer Geste über
die Mauer fest. Honsous Blick folgte der Richtung, in die Obax Zakayos Panzerhandschuh zeigte, und grinste in wilder Vorfreude. Zehntausende Soldaten schwärmten über die rauchende, mit Kratern übersäte Hölle der unteren Bollwerke und schrien wie Bestien, während sie die wenigen ramponierten Überlebenden des Beschusses abschlachteten. Ihre Opfer flehten um Gnade, aber die Angreifer erwiesen ihnen keine, und das Gemetzel fand in einem wahrhaft großen Maßstab statt. Banner mit Berossus' Wappen wurden gehisst, dazu heilige Standarten in der blutigen Erde aufgepflanzt, welche die Herrlichkeit des Chaos in ihren rohsten, viszeralsten Aspekten zeigten. Minuten später waren die Entleibungsgestelle errichtet, und die noch lebenden Soldaten wurden vor den Mauern rituell abgeschlachtet, um jene zu verspotten, die von oben zusahen. »Das sieht Berossus ähnlich«, spottete Honsou kopfschüttelnd, während er zusah, wie weiteren hundert schreienden Soldaten die Eingeweide aus dem Bauch gezerrt und um sich drehende Trommelvorrichtungen gewickelt wurden. »Was?«, fragte Obax Zakayo. »Er hat nicht mal so viel Verstand, ein paar Gefangene am Leben zu lassen, um seine ehrenwerte Gnade zu zeigen.« »Ich habe schon mit Lord Forrix an der Seite von Lord Berossus gekämpft«, sagte Obax Zakayo wehmütig, »und ich weiß, dass diese Eigenschaft nicht mehr in ihm steckt.« »Du weißt das, und ich weiß das, Zakayo, aber wenn Berossus auch nur einen Rest Verstand hätte, würde er versuchen, die Soldaten von Khalan-Ghol vom Gegenteil zu überzeugen.« »Warum?« »Wenn unsere Soldaten dazu bewegt werden könnten zu glauben, dass Berossus gnädig mit ihnen verfährt, könnte ihnen der Gedanke kommen, sich zu ergeben«, antwortete Onyx. »Aber da sie wissen, dass sie lediglich ein grässlicher Tod erwartet, sollte man sie lebendig fangen, kämpfen sie nur umso verbissener.« »Wenn man eine Festung erobern will, muss man die Männer darin zerbrechen, nicht die Mauern. Und wenn man eine Belagerungsarmee zerbrechen will, muss man ihre Krieger so zermürben, dass sie eher die Waffen gegen sich selbst richten als auch nur noch einen Schritt weitergehen würden«, sagte Honsou. »Wir müssen in jedem von Berossus' Soldaten das Gefühl wecken,
dass er unter der Mündung einer unserer Kanonen steht. Dass er nichts weiter als Futter für unsere Kanonen ist.« Obax Zakayo nickte verstehend und sagte: »Das können wir. Meine Geschütze werden das Gelände vor den Mauern mit zerfetztem Fleisch bedecken, und über die Felsen werden Wasserfälle aus ihrem Blut fließen.« »In den Warpraum damit, Zakayo, solange sie sterben!«, fauchte Honsou zufrieden darüber, den in Obax Zakayo schwelenden Funken der Furcht wieder aufflackern zu sehen. »Sonst bist du beim nächsten Mal da unten bei dem Abschaum. Seit du diese für meine Schmelzen bestimmten Sklaven an die verdammten Abtrünnigen verloren hast, sind deine Versprechungen so wertlos wie der Dreck, den ich von meinen Stiefeln kratze.« »Ich werde Euch nicht noch einmal enttäuschen, Milord«, versprach Obax Zakayo. »Nein, das wirst du nicht«, sagte Honsou. »Denk einfach daran, dass Forrix nicht mehr dein Herr ist, das bin ich, und ich weiß, dass du ein echter Protege von ihm bist. Er war vielleicht schon so abgestumpft, dass er deine mangelnde Weitsicht geduldet hat, aber glaube ja nicht, dass ich das auch tue.« Dergestalt zurechtgewiesen, richtete Obax Zakayo den Blick wieder auf das Gemetzel unten. »Was wird Berossus jetzt tun, wo er die unteren Bollwerke erobert hat?«, fragte er. »Er wird die Dämonenmaschinen schicken«, sagte Honsou. Als sei dies das Stichwort gewesen, tauchten plötzlich die monströsen Silhouetten vieler Dutzend spinnenbeiniger Kriegsmaschinen und scheppernder Cybots auf, die inmitten der Rauchsäulen und brennenden Trümmer vorrückten. Berossus' dämonische Kriegsmaschinen schritten durch die zertrümmerten Bollwerke, arbeiteten sich durch die Leichenfelder und kletterten über die Felsen zum ramponierten Hang, der zur nächsten Festungsebene führte. »Wie vorausgesagt«, sagte Onyx, der den Vormarsch der dämonischen Maschinen ebenfalls beobachtete. Honsou nickte und lauschte dem heulenden Gekreisch der Furcht einflößenden Kriegsmaschinen, das zur nächsten Verteidigungsebene emporscholl, da Hunderte der klauenbewehrten und schnappenden Ungeheuer ihre stachelige Fülle zu den Verteidigern über ihnen schleppten. Die nächste Schanze befand sich gut fünfhundert Meter oberhalb der unteren Bollwerke, viele Ebenen
unter der Stelle, wo Honsou und seine Unterführer standen und zusahen, aber die Dämonenmaschinen würden nicht lange brauchen, um die Verteidiger zu erreichen. Diese schossen auf die kletternden Maschinen, die jedoch nichts aufhalten konnte. Der Artilleriebeschuss von unten wurde mit donnerndem Crescendo fortgesetzt, und die ersten Salven explodierten in der Felswand zwischen den Verteidigern und den kletternden Dämonenmaschinen. Felsbrocken so groß wie Panzerfahrzeuge kollerten den Abhang hinunter und walzten eine Reihe von Cybots zu abgeflachten Metallklumpen platt, während das Artilleriefeuer anhielt, da sich die Kanoniere langsam auf ihre Ziele einschossen. »Jetzt?«, fragte Obax Zakayo. Honsou schüttelte den Kopf. »Nein, die Cybots sollen ruhig noch näher kommen.« Obax Zakayo nickte und sah zu, wie die ersten spinnenartigen Dämonenmaschinen die nächste Ebene erreichten. Ihre gewaltigen klauenbewehrten Scheren packten Soldaten und rissen sie auseinander. Sie heulten beim Töten, da sie das Gemetzel genossen, und warfen die Leichen hinter sich in den Abgrund. »Jetzt«, sagte Honsou. Obax Zakayo nickte und sprach ein einzelnes Wort in die KomEinheit seiner Servorüstung. Honsou beobachtete mit Genuss, wie der Boden auf Höhe der Bollwerke unter ihm zitterte und bebte, als sei ein Erdbeben ausgebrochen. Riesige klaffende Spalten öffneten sich quer durch die Bollwerke und spalteten den Fels mit einem hohlen Krachen, das dem Geschützdonner gleichkam. Rauch und Flammen brachen aus den Spalten hervor, als der Boden unter der gesamten vorderen Hälfte der Bollwerke absackte und splitterte. Mit einem ächzenden Knirschen explodierten Millionen Tonnen Felsgestein, lösten sich von der Seite Khalan-Ghols und stürzten die Felswand hinunter. Tausende von Khalan-Ghols Soldaten wurden schreiend in den Tod gerissen, aber die Lawine aus Geröll und Trümmern fegte außerdem alle Dämonenmaschinen vom Hang und zerquetschte sie unter der unaufhaltsamen Gesteinsflut. Hunderte wurden unter dem Berg begraben. Ihr kreischendes Gebrüll hallte aus dem Gestein, als die mystischen Bindungen rissen und die Dämonen darin aus ihren eisernen Gefäßen gefegt wurden. Honsou lachte, als er sah, wie sich die Cybots und viele tausend
Feindsoldaten unter ihnen zur Flucht wandten, obwohl sie keine Möglichkeit mehr hatten, dem Erdrutsch zu entkommen. Die Gesteinsflut fegte über sie hinweg und prasselte die Hänge hinunter, die zu erobern sie gekämpft und geblutet hatten. Das Poltern knirschenden Gesteins verhallte langsam, ebenso wie das Tosen und Krachen der Geschütze, da Berossus erkannt hatte, dass der Beschuss ohne Sturmangriff tatsächlich eine Verschwendung war. Honsou wandte sich von der Massenvernichtung ab, die er entfesselt hatte. Jetzt würde Berossus wissen, dass ihm ein echter Kampf bevorstand. Der unwandelbare Himmel und die statische Sonne machten es unmöglich, das Verstreichen der Zeit an ihrer Umgebung festzumachen, und der interne Chronometer auf Uriels Visier zeigte eine ständig fluktuierende Zeit an, die er schließlich ausschaltete. Ganz sicher waren Tage verstrichen, aber wie viele, war ein Rätsel. Er hatte gehört, dass im Auge des Schreckens die Zeit anders ablief, und dachte sich, dass derartige Affronts gegen die Naturgesetze wohl keine Überraschung sein sollten. »Imperator, ich hasse diesen Ort«, sagte Pasanius, während er sich über einen Haufen verbogenen Eisens arbeitete, das aus dem Felsgestein des Bergs ragte. »Hier gibt es nichts, was natürlich wäre.« »Nein«, gab Uriel ihm recht, der trotz der Bemühungen seiner Rüstung, seine Körperausscheidungen zu Trinkwasser und Nährpasten wiederaufzubereiten, müde und hungrig war. »Das ist ein Ödland des Todes. Nichts könnte hier leben.« »Ich glaube, hier lebt etwas«, sagte Pasanius mit einem Blick auf die finsteren Berggipfel ringsumher. »Ich weiß nur nicht, was oder ob ich es überhaupt herausfinden will.« »Wovon redest du?« »Hast du es nicht gespürt? Dass wir beobachtet werden? Verfolgt?« »Nein«, sagte Uriel, beschämt darüber, dass ihm sein Gefahreninstinkt abhanden gekommen zu sein schien. »Hast du irgendwas gesehen?« Pasanius schüttelte den Kopf. »Nichts mit Gewissheit, nein, aber
ich glaube eigentlich ständig, dass ich irgendwas sehen kann, ich weiß nur nicht, was.« »Irgendwas? Was für eine Art Irgendwas?« »Ich bin nicht sicher. Es ist wie ein Huschen im Augenwinkel, das verschwindet, sobald ich es anschauen will«, sagte Pasanius düster. »Etwas Rotes...« »Das ist dieser Ort«, sagte Uriel. »Die Höhle des Feindes wird versuchen, deine Sinne in die Irre zu führen und zu täuschen. Wir müssen stark im Glauben sein und seiner bösen Zauberei widerstehen.« Pasanius schüttelte den Kopf. »Nein, es hat nichts mit dem Feind zu tun, sondern lebt hier. Ich glaube, es ist das, was die Leute in der Höhle getötet hat.« »Was die Leute in der Höhle getötet und gehäutet hat, war böse und ein Feind alles Lebendigen. Sollen sie kommen, was sie auch sind, sie werden nur den Tod finden.« »Aye«, stimmte Pasanius zu, während sie weiterkletterten. »Tod.« Die belagerte Festung war einstweilen nicht zu sehen, da der Weg aus den Tunneln sie tiefer in die felsigen Rinnen und Spalten des Gebirges führte. Der weiße Himmel strahlte auf sie nieder, greller als die grellste Sonne, und Uriel achtete darauf, nicht nach oben in die einförmige Leere zu schauen. Einmal glaubte er einen Blick auf die roten Dinger zu erhaschen, von denen Pasanius behauptete, dass sie ihnen folgten, doch sie trotzten jedem seiner Versuche, sie richtig in Atigenschein zu nehmen. Schließlich gab er auf, nicht in der Lage, sie auszumachen, und konzentrierte sich einfach nur darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Die harsche metallische Schicht auf dem Boden knirschte unter den Stiefeln, und ab und zu sahen sie vergitterte Abluftschächte im Fels, die heißen Dampf ausspien, der nach bearbeitetem Metall roch. Die Luftschächte verschwanden im Berg, und ihre Dunkelheit war sogar für die verstärkte Sicht der Space Marines undurchdringlich. Uriel sah rauchende Schlote viele hundert Meter über ihnen, viele tausend klobige Schornsteine, die den Kamm wie große Masten säumten und ätzende Dämpfe in die Atmosphäre bliesen. Doch wie viel schwarze Abfallprodukte auch in die Luft gespien wurden, der tote Himmel über ihnen war immer leer und bedrückend.
Über den Bergspitzen vor ihnen konnte Uriel etwas sehen, das wie aufgeblähte Luftschiffe aussah. Sie schwebten irgendwo voraus über den Bergen, und aus ihren Bäuchen hingen lange Kabel herab, doch ob diese sie einfach am Boden verankerten oder sie als eine Art Sperrballon nutzbar machten, konnte Uriel nicht sagen. Vielleicht sollten sie ja die Deliriumgespenster von einer bisher noch unsichtbaren Anlage fernhalten. Während ihr müder Marsch durch die stinkende Bergluft anhielt, passierten die beiden Space Marines einen Steinbruch, an dem die Seite einer der gigantischen Schlote bloßlag. Rötlich-braune Flecken quollen aus den Gelenken zwischen den massiven, rundlichen Segmenten, aus denen der Schlot bestand, und das Gestein strahlte eine mörderische Hitze in pulsierenden Wellen aus. »Was glaubst du, wohin der führt?«, sagte Uriel. »Das weiß ich nicht. Vielleicht gibt es eine Manufaktur unter dem Berg.« Uriel nickte und fragte sich, welche diabolischen Produkte unter ihren Füßen wohl erzeugt wurden. Starben gerade Männer und Frauen bei der Herstellung von Waffen, Rüstungen und Nachschub für die Kriegsmaschinerie der gefürchteten ChaosLegionen? Es wurmte ihn, dass er nichts dagegen unternehmen konnte, aber welche Wahl hatten sie? Die heilige Aufgabe des ihnen von Marneus Calgar auferlegten Todeseides hatte Vorrang vor allem anderen. Die dämonischen Gebärkreaturen... diese Daemonculaba befanden sich in der belagerten Festung, die sie gesehen hatten, als sie aus der Dunkelheit der Tunnel unter dem Gebirge gekrochen waren, und nichts konnte Uriel daran hindern, diesen verfluchten Ort zu erreichen. Uriel und Pasanius erklommen einen zerklüfteten, sägeblattartigen Kamm, dessen Seiten steil und geriffelt waren, als sei eine riesige Planierraupe mit Räumschaufel darüber hinweggefahren. Eine schwarze Senke aus gesplittertem Gestein und Eisen mit einem Durchmesser von vielen tausend Metern fiel auf der anderen Seite steil nach unten, und eiserne Säulen und verbogene Träger ragten wie Krallenfinger aus dem Berg. Die Senke schien ein perfekter Kreis zu sein, obwohl es schwer einzuschätzen war, denn Sandkörner und Eisenspäne wirbelten in heulenden Strudeln über dem kreisrunden Tal umher. Ein schmaler Spalt aus weißem Himmel war gerade noch am anderen Ende der Senke zu sehen, doch Uriels gesamte Aufmerksamkeit war auf die Mitte der Senke
gerichtet. »Im Namen des Imperators...«, hauchte Uriel angewidert. Eine riesige Gitterplattform füllte die Mitte der Senke aus. Zusammengeklumpte Staubschichten bedeckten die Oberfläche, und durch die perforierte Oberfläche tropften geleeartige Rinnsale aus Fett und Innereien. Große Stangen ragten aus der Plattform, die von bebenden Ankern aus Stahl an Ort und Stelle gehalten wurde, die sangen, da der unnatürliche Wind hindurchpfiff. Zwischen den Stangen waren wallende Segel aus Haut über Holzrahmen gespannt, auf dass die windgepeitschten Partikel sie von allen Rückständen ihrer ehemaligen Besitzer freigeben mochten. Monströse entartete Geschöpfe, die Gummimasken mit runden Augengläsern und geriffelten Schläuchen trugen, welche zu Tanks auf ihrem Rücken führten, kratzten die aufgespannten Häute mit langen hellebardenartigen Werkzeugen ab. Sie schwankten in einem seltsam verdrehten, mutierten Gang über die Plattform und gurgelten einander monotone Befehle zu. »Was geht da vor?«, sagte Pasanius, den der sich ihm bietende Anblick entsetzte. »Es sieht so aus, als würden sie Häute gerben und sauber kratzen«, sagte Uriel. »Aber die Häute wovon?«, sagte Pasanius. »Es können keine Menschenhäute sein, dafür sind sie zu groß.« »Mir ist völlig egal, was es für Häute sind«, knurrte Uriel, indem er sich auf den Weg den rutschigen Hang zur Plattform hinunter machte und sein Schwert mit dem goldenen Heft zog. »Damit ist es jetzt vorbei.« Pasanius nahm seinen Flammenwerfer und prüfte den Brennstoffstand, während er Uriel folgte. Wenn die mutierten Kreaturen sie zur Kenntnis nahmen, ließen sie es sich nicht anmerken. Der heulende Wind und der entfernte Geschützdonner übertönten die Geräusche ihrer Annäherung. Doch was ihnen an Aufmerksamkeit fehlte, machten sie durch gründlichen Eifer wett, da sie ihre Hellebarden immer wieder der Länge nach über die wehenden Häute zogen, um sie von allem zu befreien, was der peitschende Wind übrig gelassen hatte. Uriel erblickte eine steinerne Treppe, die zur Plattform führte, und folgte ihr hinauf, indem er mehrere Stufen auf einmal nahm, während sich seine Wut immer mehr steigerte. Der erste Mutant starb mit einem erstickten Kreischen auf Uriels
Schwertspitze, der zweite fiel ohne einen Laut, da Uriel ihn mit einem Schlag enthauptete. Sich mittlerweile der Angreifer in ihrer Mitte bewusst, sprengten die verbliebenen Mutanten auseinander. Eine Flammenwand verbrannte weitere, deren Geschrei in Schmerzgeheul überging, als die trikotartige Gummikleidung auf ihrem verderbten Fleisch schmolz. Das Gemetzel war nach wenigen Augenblicken vorbei, da die verwachsenen Mutanten der Kraft und der Wildheit der Adeptus Astertes nichts entgegenzusetzen hatten. Die meisten wandten sich zur Flucht, aber vor Uriels Zorn gab es kein Entrinnen. Als die letzte mutierte Kreatur unter seiner Klinge fiel, holte Uriel tief Luft. Das Niedermetzeln dieser widerwärtigen Geschöpfe hatte ihm außerordentliche Freude bereitet. Was für abscheuliche Bestien sie im Leben gewesen sein mochten, jetzt waren sie nur noch totes Fleisch. Er drehte sich um, als Pasanius sagte: »Uriel, sieh doch...« Er zeigte auf die nächste Haut. Uriel spürte, wie sich sein Herz in der Brust zusammenkrampfte, als er die toten Züge einen Menschen über der riesigen Hautfläche sah. Beinahe jenseits allen Wiedererkennens gedehnt, aber eben doch unverkennbar die Züge eines Menschen. »Heiliges Blut. Aber wie kann ein Mensch so riesig werden?«, sagte Pasanius. Uriel schüttelte den Kopf. »Nicht auf natürliche Weise.« »Aber warum?« »Die Wege des Feindes sind unergründlich«, sagte Uriel. »Und das bleibt auch besser so.« »Was sollen wir machen?« Uriel drehte sich einmal im Kreis und sah Reihe um Reihe von Gesichtern auf den Häuten - tote schlaffe Züge von Männern und Frauen, die auf ihn herabstarrten, als sei er Untersuchungsgegenstand im Operationssaal eines Anatomen. »Verbrenn sie«, sagte er. »Verbrenn sie alle.«
SECHS Mit dem Gestank von verbranntem Fleisch in der Nase verließen Uriel und Pasanius die Senke im Fels und überließen die schwe-
lenden Überreste dem peitschenden Wind und den Aasfressern, wie diese auf Medrengard auch aussehen mochten. Durch die Tötung der Mutantenwesen gestärkt und von neuer Entschlossenheit erfüllt, war ihr Schritt rasch und energisch, aber als sie den schmalen Einschnitt im Fels passierten und den Aufstieg der abgenutzten, in das Gestein gemeißelten Stufen begannen, hatte sich das Bleigewicht der Dämonenwelt schon wieder auf sie gelegt. Uriel warf einen Blick zurück auf die brennenden Häute und spürte, wie sein Hass auf das, was man diesen Leuten angetan hatte, ebenso hell loderte. Er wusste, dass ihn das Bild der Züge des Gehäuteten sein Leben lang verfolgen würde, und fühlte sich an das Grauen der Fleischskulptur erinnert, die der hassenswerte Xeno-Chirurg unter dem Anwesen von Kasimir de Valtos auf Pavonis erschaffen hatte. Durch seine bloße Anwesenheit hier fühlte er sich vergiftet, als verhärte sich seine Seele oder werde ihm aus dem Leib gesogen, um das tote Gestein unter seinen Füßen zu nähren, so dass er selbst weniger würde. Die Leere Medrengards höhlte ihn aus und reduzierte ihn zu einer bloßen Hülle seiner selbst. »Was wird bleiben«, flüsterte er, »wenn diese Welt mir auch das Letzte raubt?« Für ihn war nicht zu übersehen, dass Pasanius ebenso empfand. Seine Wangen waren eingefallen und die Augen glasig, während er die gewundene Treppe erklomm. In diesem Augenblick stolperte Pasanius, und sein silberner Arm streckte sich, um den Sturz abzufangen, aber im letzten Moment riss sein Freund den Arm zurück und fiel so auf die Knie. »Ist alles in Ordnung?«, fragte Uriel. »Aye«, nickte Pasanius. »Ist nur schwierig, sich zu konzentrieren, ohne einen Feind, den man bekämpfen kann.« »Keine Sorge, mein Freund«, sagte Uriel. »Sobald wir diese Festung erreichen, werden wir ganz sicher reichlich Feinde haben. Wenn es stimmt, was uns der Omphalos Daemonium erzählt hat, werden wir sie im Überfluss haben.« »Glaubst du, ein Dämon des Herrn der Schädel ist fähig, die Wahrheit zu sagen?« »Das weiß ich nicht mit Sicherheit«, sagte Uriel aufrichtig, »aber ich glaube, Dämonen hüllen nur in Lügen, was sie müssen, und umgeben einen Kern von Wahrheit mit Schleiern der Täuschung.
Ein Teil von dem, was er uns erzählt hat, stimmt, davon bin ich überzeugt, aber welcher Teil das ist... wer weiß?« »Was tun wir also?«, fragte Pasanius. »Was wir können, mein Freund«, sagte Uriel. »Wir werden mit Mut und Ehre handeln und hoffen, dass das reicht.« »Es wird reichen müssen«, sagte Pasanius. »Mehr haben wir nämlich nicht mehr.« Der Marsch durch die Berge schien kein Ende zu nehmen, und der Weg durch die geschwärzte felsige Einöde ließ mit jedem Schritt ihren Mut sinken. Sie sahen mehr von den Dampf absondernden Abluftgittern, und der stechende Geruch der großen Schlote war ihr ständiger Begleiter, als sie sich dem Gipfel eines weiteren Felszackens näherten. Je weiter sie kamen, desto mehr Tod sahen sie. Gebleichte Knochen lagen überall zwischen den Felsen verstreut, doch Uriel konnte nicht ergründen, wie sie hergekommen waren. Kein Fetzen Fleisch hing noch an den Knochen, aber es ließ sich unmöglich sagen, ob sie von Aasfressern abgenagt oder das Fleisch abgekocht worden war. Giftige Wolken aus Smog und Asche hielten sich dicht über dem Boden. Sie lauerten in Felsspalten wie Raubtiere mit Fangarmen aus Dampf, die durch die Luft trieben wie unterseeische Pflanzenwedel. Uriel nahm kurz den Helm ab, um einen Klumpen brackigen Speichel auszuspeien, dessen Substanz schwarz und klebrig war. Sein verstärkter Metabolismus versetzte ihn in die Lage, derartige Gifte in der Luft zu überleben, aber das machte sie nicht weniger unangenehm. Mehrfach waren sie gezwungen, zischende Bäche aus geschmolzenem Metall zu überqueren, die durch breite Abzugsgräben zu den Schmelzhütten und Schmieden in den Ebenen flossen. Die Hitze stieg an, und große Geysire aus kochendheißem Dampf und glühender Asche schossen aus Abzugsschächten und Rissen im Fels. Ohne ihre gesegnete Servorüstung und genetisch veränderte Physiologie hätten Uriel und Pasanius den Marsch nicht überleben können. Wieder meinte Uriel die rötlichen Dinger zu erblicken, von denen Pasanius glaubte, dass sie ihnen folgten, aber jedes Mal verschwanden sie einfach im Fels und blieben unsichtbar. Scharen
der Deliriumgespenster kreisten hoch am Himmel, und Uriel hatte den Verdacht, dass sie nur die Hitze der lavaheißen Metallströme und die Geysire aus kochendem Wasser in Schach hielten. Als er eine zickzackförmige Spalte im Boden passierte, brach plötzlich eine zischende Säule einer kochenden Flüssigkeit daraus hervor. Dampf wallte rings um ihn auf und blendete ihn, und er stolperte davon, während ein Hagel von Gegenständen rings um ihn zu Boden fiel. Hustend und spuckend spürte er, wie die Hitze ihm die Speiseröhre verbrannte. Er wischte sich Flüssigkeit vom Visier und sah einen Knochenregen auf den Berg fallen, die durch die sprühenden Geysire von irgendwo tief unter der Erde hoch in die Luft geschleudert worden waren. »Tja, zumindest wissen wir jetzt, woher die Knochen stammen«, sagte Pasanius. Die seltsamen Objekte, die Uriel vor der Entdeckung der Häutungsplattform am Himmel gesehen hatte, kamen wieder in Sicht, als sie sich der Spitze näherten, aufgequollene, ledrige, ballonartige Körper in der Luft, von denen Kabel herabhingen und die über etwas jenseits des Kamms aus schwarzem Gestein schwebten. Nun, da sie näher heran waren, konnte Uriel erkennen, dass seine anfängliche Annahme, es handle sich um eine Art von primitiven Sperrballons, richtig war. Dutzende hingen vor ihnen in der Luft, ihre Oberfläche ein Flickenteppich aus ungleichmäßigem Stoff, und nach allem, was sie bisher auf Medrengard gesehen hatten, wollte Uriel nicht so angestrengt darüber nachdenken, aus welchem Material die Hülle bestand. Der Belagerungslärm war jetzt nicht mehr so weit entfernt, und das Donnern der Artillerie kam mit jedem Schritt näher. »Wer auch immer versucht, diese Festung einzunehmen, ist in der Tat entschlossen, in seinem erstaunlichen Munitionsverbrauch nicht nachzulassen«, sagte Uriel, als er den nächsten Felsgrat erklomm. Seine Panzerhandschuhe waren ramponiert und vernarbt, da die messerscharfen Felszacken von Medrengard bei jedem Handgriff an ihnen rissen. Pasanius nickte schwer atmend, während er Uriel folgte. Der massige ehemalige Sergeant setzte seinen Helm ab und spie den Geschmack dieser Welt aus. »Ja, ich glaube, wir sind nicht die Einzigen, sie sich für dieses Blutherz interessieren.« »Glaubst du, der Belagerer ist hinter dem Blutherz her?« »Ich weiß es nicht, aber es wäre sicher eine Erklärung. Wie du
gesagt hast, er ist entschlossen.« »Die Armeen der Dunklen Mächte führen zu ihrem Vergnügen Krieg gegeneinander. Das muss nichts bedeuten.« »Richtig, aber was ich von Bibliothekar Tigurius über die Iron Warriors erfahren habe, weckt in mir die Überzeugung, dass sie von Verbitterung und Böswilligkeit verzehrt werden und nicht dazu neigen, kapriziösen Launen nachzugeben. Wer diese Festung angreift, tut das nicht nur zu seinem Vergnügen.« »Du könntest recht haben«, stimmte Uriel zu. »Komm weiter, es gibt nur einen Weg, es herauszufinden. Der Gipfel ist nah.« Sie setzten sich wieder in Bewegung, und nach weiterem vielleicht einstündigem Klettern durch stinkende Dampfschwaden und noch mehr Knochenfelder erreichten sie den Gipfel. Uriel hatte damit gerechnet, dass der Boden dahinter steil zur Ebene abfallen werde, doch stattdessen erstreckte er sich zu einem ebenen geröllübersäten Plateau aus gezackten Felsspitzen und gewundenen Spalten, aus denen gelblicher Nebel quoll. Einer der aufgeblähten Ballons stand beinahe direkt über ihnen, und Uriel sah jetzt, dass die herabhängenden Kabel mit Dornen versehen und so dick wie der Oberschenkel eines Menschen waren und Furchen in den grauen Metallstaub des Bodens kratzten, da sie hin und her trieben. »Hör doch«, sagte Uriel und ließ sich auf ein Knie sinken. Pasanius blieb stumm, neigte den Kopf und lauschte auf das, was Uriel gehört hatte. Zwischen dem tiefen Donnern des Artilleriebeschusses und dem Gehämmer der entfernten Schmieden war ein pulsierendes mechanisches Geräusch, wie es zum Beispiel eine Reihe von Generatoren erzeugt haben würde. Zwar war es schwierig, ein bestimmtes Geräusch aus dem allgegenwärtigen Hintergrundlärm Medrengards herauszuhören, aber Uriel war sicher, dass es von vorn kam und ganz nah war. »Wofür hältst du das?«, fragte er. »Maschinen vielleicht?«, schlug Pasanius vor. »Vielleicht«, nickte Uriel. »Vielleicht etwas, das wir stehlen können.« »Genau mein Gedanke«, grinste Uriel, während er sich aufrichtete, vorsichtig durch die wallenden Bänke aus stinkendem Nebel schlich und sich dabei eng an die hohen Felsnadeln schmiegte. Die Geräusche wurden lauter, als sie sich näherten, und als sich
die Smogwolken teilten, sah Uriel auch ihren Ursprung. Ein ausgedehnter Komplex aus Wellblechgebäuden, jedes so groß wie ein großes Lagerhaus, bedeckte das Plateau. Er war von einem hohen Stacheldrahtzaun umgeben, der oben in einem Wald von Eisenstacheln endete. Ausgetrocknete Leichen hingen an dicken Holzpflöcken entlang des Zauns, deren Glieder in unnatürlichem Winkel um die Holme verdreht waren. Aschefarbene Rauchsäulen quollen aus einem Gebäude aus schwarzen Ziegeln nahe der Mitte des Lagers, und ein leises Stöhnen lag in der Luft. Die Felsen waren mit einem schmierigen, fettigen Rückstand überzogen, und Uriel nahm einen widerlichen Gestank wahr, der ihn an verdorbenes Fleisch erinnerte. »Dieser Ort stinkt nach Tod«, flüsterte er. In der Mitte des Lagers reckte sich ein hoher gepanzerter Turm in den Himmel. Dicke Eisenträger und Ankerkabel stützten eine monströse Konstruktion, die dem Kopf einer gigantischen Dämonenkreatur ähnelte. Flammen sprühten aus Augen und Nüstern, und der klaffende Mund war mit langen Geschützläufen gefüllt. Zwei Bunker bewachten den Eingang des Lagers, deren Spitzdächer mit Stacheln versehen waren. Uriel sah das Glitzern schwerer Geschütze durch die Schießscharten und wusste, dass sie die einander überlappenden Schussfelder beider Bunker durchqueren mussten, wenn sie sich diesem Todeslager nähern wollten. Jenseits des Stacheldrahtzauns konnte Uriel Krieger in eisengrauer Rüstung erkennen, die in dem Lager patrouillierten, und er spürte, wie sein Hass hochgespült wurde. »Iron Warriors!«, zischte Pasanius. »Iron Warriors«, wiederholte Uriel, wobei er das Heft seines Schwerts fester umklammerte. Verräter. Widernatürliche Scheußlichkeiten. Chaos Marines... gab es einen Feind, der schändlicher war? Diese Krieger wollten alles verderben, woran Uriel glaubte, und die Vernichtung des Reichs des Imperators herbeiführen. Jede Faser seiner Seele schrie nach Vergeltung. »Was ist das hier?«, fragte Pasanius, als die Türen eines der Lagerhäuser aufschwangen und eine Schar der schlurfenden Mutantenwesen herauskam, die sie auf der Häutungsplattform getötet hatten. Ihnen folgte eine jämmerliche Masse Menschen, gesenkten Hauptes und in sackartige fleischfarbene Gewänder gehüllt.
»Eine Art Gefängnis?«, mutmaßte Uriel, während die Mutanten die Gefangenen zu den Toren des Lagers trieben. Waren alle diese Gebäude mit Gefangenen gefüllt? Der große Dämonenkopf auf dem Turm drehte sich auf knirschenden Zahnrädern der hundert Mann starken Kolonne zu, und gewaltige Feuerstrahlen schossen aus seinen Augen. Eine donnernde Stimme dröhnte aus seinem Mund in einer Sprache, die Uriel nicht verstand, deren Klang aber krampfartige Schmerzen in seinen Muskeln und Gelenken auslöste, als halle das Geräusch in den finstersten Nischen seines Verstandes wider. Die Gefangenen marschierten durch das Lager, wobei die Mutanten mit knisternden Stöcken nach ihnen stießen und mit Knüppeln mit eiserner Spitze auf sie einschlugen. Die Iron Warriors marschierten vor der Kolonne und trugen dabei scheußlich pervertierte Bolt-gewehre vor der Brust. Bei ihrer Annäherung öffnete sich kreischend das Tor, und die daran hängenden Leichen bebten und wackelten in einer grotesken Imitation von Leben. »Wohin bringen sie sie?«, fragte sich Uriel. »Oh, Imperator, nein«, flüsterte Pasanius. »Sie bringen sie...« »Zur Plattform, um sie lebendig zu häuten...«, beendete Uriel den Satz, als er sah, dass die Gefangenen gar nicht in sackartige Gewänder gehüllt, sondern allesamt vollständig nackt den Elementen ausgesetzt waren. Ihre Haut hing ihnen in riesigen Falten vom Leib, durch irgendeine unbekannte Methode über alle normalen Proportionen hinaus gedehnt. Hautlappen hingen von ausgemergelten Armen, Brustkörben, Beinen und Hinterbacken. Männer und Frauen hielten Lagen um Lagen ihrer gedehnten Haut an sich gepresst, um nicht darüber zu stolpern, und hängende Bäuche und schlaffe Brüste hingen wie leere Säcke aus getrocknetem Leder an ihren abgemagerten Leibern. »Sie bringen sie zur Häutungsplattform. Nein, nein...«, sagte Uriel. »Aber warum?« »Spielt das eine Rolle?«, fauchte Pasanius, indem er seinen Flammenwerfer fester umklammerte und der silberne Finger über dem Zündknopf schwebte. »Wir können dieses Grauen nicht ungestraft andauern lassen!« Uriel nickte, da sein Hass auf die Iron Warriors neue Höhen erreichte, aber er zwang sich, ruhig zu bleiben. Diese Kolonne anzugreifen wäre Selbstmord. Sie befanden sich direkt vor den Bun-
kern und dem Geschützturm, von den drei Iron Warriors ganz zu schweigen. Aber solch einen Affront gegen die Menschheit ungestraft lassen? Diesen Verrätern zu gestatten, diese Menschen abzuschlachten wie Vieh? Pasanius hatte recht, so viel Böses durfte nicht bestehen bleiben. Er konnte rechtschaffenen Zorn in Pasanius' Augen erkennen, aber auch noch etwas anderes, etwas Finstereres. Uriel sah das Licht eines Eiferers in den Augen seines Schlachtbruders, das Licht von einem, der mit einem Todeswunsch in den Kampf zieht, wo das Überleben unwichtig ist. Steckte mehr hinter Pasanius' Verlangen zu kämpfen als die offensichtlichen, auf Menschlichkeit beruhenden Gründe? Uriel kam es so vor, aber die Fragen stellten sich erst, wenn oder falls sie die nächsten paar Minuten überlebten. Uriel zog sein Schwert und legte den Daumen auf die Aktivierungsrune. Er legte die Hand auf Pasanius' Schulterschutz und sagte: »Wenn wir nicht überleben, dann war es mir eine Ehre, dich meinen Freund zu nennen.« Pasanius nickte, antwortete aber nicht, da er den Blick nicht von der sich nähernden Kolonne aus Sklaven, Mutanten und Iron Warriors nahm. Seine Augen verengten sich plötzlich, und er deutete mit einem Kopfnicken auf eine Stelle hinter Uriel. »Was im Namen des Imperators hat das zu bedeuten?« Uriel drehte sich um und sah eine Reihe von Gestalten, die sich verstohlen zwischen den hohen Felsnadeln rings um das Lager bewegten. »Sind das die Wesen, die uns durch die Berge gefolgt sind?« »Nein«, sagte Pasanius. »Das glaube ich nicht. Sie sehen aus wie...« »Space Marines!«, hauchte Uriel, als er sah, wie sich zwei Gestalten in grüner Servorüstung hinter einer Gruppe von Felsblöcken erhoben und mit Raketenwerfern auf das Lager zielten. Die Iron Warriors der Eskorte hatten die Gestalten über ihnen noch nicht bemerkt, und Uriel ging mit wilder Begeisterung auf, dass es sich um einen Überfall handeln musste! Zwei Raketen zischten aus den Waffen der Space Marines und rasten dem linken Bunker entgegen, trafen den Beton und hüllten
ihn in eine grelle Explosion aus Feuer und Rauch. Von irgendwo hoch über Uriel und Pasanius hämmerte ein zweites Paar Kondensstreifen gegen den anderen Bunker, der ebenfalls in einer feurigen Explosion verschwand. Gefangene schrien, und Iron Warriors brüllten den Mutantentreibern Befehle zu, während nun mehr Krieger in Servorüstung aus ihren Verstecken auftauchten, da die Falle zugeschnappt war. Boltgeschosse sprengten eine Bahn durch die Gefangenen, und Blut und Geschrei erfüllten die Luft, als sie starben. Weitere Raketen zischten los und trafen die Bunker, und Uriel hörte das Bersten von Mauerwerk, das infolge der Explosionen einstürzte. »Los!«, rief Uriel, indem er sein Schwert aktivierte und aus seiner Deckung der panischen Kolonne der Gefangenen entgegenstürmte. Pasanius war dicht hinter ihm, da am Ende seiner Waffe eine blaue Zündflamme zum Leben erwacht war. Uriel sah, wie ein Iron Warrior einen Gefangenen mit dem Gewehrkolben niederstreckte, und wählte ihn zum Angriffsziel. Der Krieger überragte Uriel um Kopf und Schultern, und seine Rüstung war mit Stacheln besetzt und mit unreinen Symbolen bemalt. Zwei gebogene, gewundene Hörner sprossen aus seinem Helm, und er trug ein brutales Schwert mit kreischenden Sägezähnen. Er fuhr herum, als er Uriels wilden Ansturm hörte, und hob die Waffe, doch es war bereits zu spät. Uriels Schwert fuhr durch den Brustharnisch des Iron Warriors, so dass schwarzes Blut spritzte und der Iron Warrior vor Schmerzen brüllte. Pasanius hüllte einen zweiten Iron Warrior mit mechanischen Scherklauen anstelle von Händen in einen Feuerstrahl, und eine Explosion fegte durch die Gefangenen, als ein mit Treibstoff gefüllter Tank auf dem Rücken des Chaos Marines explodierte. Uriel hörte das Krachen von Boltgewehren von oben und sah Dutzende von Kriegern in unterschiedlich gefärbten Servorüstungen aus ihrer Deckung stürmen. Er wich behände aus, als der Iron Warrior sein Schwert in plumpem Bogen schwang, um ihn zu enthaupten, und hieb ihm das Schwert in die Flanke, das eine ganze Handspanne tief in seine Rüstung eindrang. Mehr Raketen jagten aus den Felsen heran, trafen den Dämonenkopf und schleuderten ihn zurück. Dicke Kabelverankerungen rissen und peitschten umher, während der Dämonenturm brüllte. Großkalibrige Geschosse fegten aus seinem Mund, sprengten große Furchen in den Boden und trafen Freund und Feind gleich-
ermaßen, da sie ziellos durch das Lager fegten. Die Mutanten in ihren Gummi-Anzügen prügelten die Gefangenen ins Lager zurück, so dass das Blut spritzte und die erbärmlichen Sklaven jämmerlich schrien. Der Iron Warrior brüllte vor Wut, trat vor und rammte Uriel die Faust vor die Brust. Seine Kraft war phänomenal, auch für einen, der durch genetische Veränderungen stärker gemacht worden war, und Uriel wurde zurückgeschleudert und rutschte durch die Asche, während der Angreifer sein Schwert zu einem beidhändigen Todeshieb erhob. Uriel zog seine Pistole und feuerte zwei Schüsse ab, die von der Rüstung des Iron Warriors abprallten. »Jetzt stirbst du, Abtrünniger!«, brüllte der Verräter. Uriel wälzte sich zur Seite, als das kreischende Schwert heruntersauste und nur den Boden traf, während er dem Iron Warrior vor die Kniescheibe trat. Er brüllte bei dem Tritt und legte seine ganze Kraft hinein, und er spürte, wie die Rüstung seines Feindes barst und das Knie zersplitterte. Der Iron Warrior heulte und fiel zu Boden. Uriel gab ihm keine Gelegenheit, sich zu erholen, sondern sprang auf und stieß ihm sein Schwert in die Brust. Der Krieger packte seinen Hals und lachte kehlig, und Uriel spürte die immense Kraft in dem Griff. Er drehte die Klinge, und Blut spritzte auf seine Hände, als die Wunde weiter aufriss. Der Griff des Iron Warriors um seinen Hals verstärkte sich, und er hörte ein Gelenk in seinem Nackenschutz knacken, als sein sterbender Feind versuchte, das Leben aus ihm herauszuwürgen. Uriel rammte seinem Gegner wieder und wieder die Faust seitlich gegen den Helm und hämmerte auf dessen Schädel ein, bis der Griff des Iron Warriors endlich erschlaffte. Uriel taumelte von dem toten Iron Warrior weg und sah die Space Marines durch das offene Tor ins Lager stürmen. Die Bunker waren nur noch rauchende Trümmer und von innen Schlachthäuser. Der Dämonenturm schoss auf die Reihen der angreifenden Space Marines, und einige fielen, aber die meisten rappelten sich wieder auf und warfen sich in jede verfügbare Deckung. Mutanten flohen vor dem Zorn der Angreifer, wurden aber ohne Gnade niedergemacht, mit dem Schwert zerhackt oder mit Panzerhandschuhen totgeschlagen. Der Beschuss aus dem Turm setzte den Angreifern heftig zu, und als sein feuriger Blick über das Plateau schweifte, hatte Uriel das widerliche Gefühl, dass er ihn sah, dass er ihn sah und wie-
dererkannte... Ein Krieger in nachtschwarzer Servorüstung sprang von einer Felsnadel auf einer Seite des Lagers. Ein Feuerstrahl zuckte aus seinem Rücken, und Uriel sah, dass der Krieger einen Sprungtornister trug. Rauch und Flammen fegten aus den Düsen und beförderten den Krieger durch die Luft, bis er auf dem Kopf des Dämonenturms, landete. Flammen schossen aus seinen Augen, und der Turm erbebte heftig, doch ob dies eine Reaktion auf die Landung des Space Marines oder Ausdruck der Wut des Dämons war, ließ sich unmöglich sagen. Der Krieger hieb mit Klauen nach dem Dämonenschädel, die in Blitze gehüllt waren. Knisternde Bögen aus blauer Energie flackerten, wo er traf, bevor er sich einhändig von der Seite des Kopfes schwang und dabei etwas daran befestigte. Der Turm erbebte heftig, als wolle er den Angreifer abschütteln, aber der dunkel gerüstete Krieger trieb seine Energieklauen in den Dämonenschädel und hielt sich fest. Er schwang um den Turm herum und hieb nach den dicken Kabeln, die ihn hielten, bevor er die Füße gegen eine Wange stemmte und sich abstieß. Seine Sprungdüsen feuerten, als die Melterbombe explodierte, die er am Dämonenkopf angebracht hatte, und er flog vor der Druckwelle der Explosion davon, welche die Spitze des Turms in einer pilzförmigen Wolke aus weißglühender Energie verdampfte. Mit einem kreischenden Tosen schwankte der Turm trunken, und die wenigen verbliebenen Verankerungskabel sirrten laut, als sie sich strafften, bevor sie mit dem Knall eines Gewehrschusses rissen. Der Turm kippte majestätisch und krachte durch das Wellblechdach des nächsten Lagerhauses, wobei Wolken aus Rauch und Staub aufgewirbelt wurden. Vereinzelt ertönten noch Schüsse aus dem Lager, da die letzten Mutanten zusammengetrieben und getötet wurden, und Uriel stieß einen tiefen Seufzer aus, als er sah, dass der Kampf vorbei war. Er zog sein Schwert aus der Brust des Leichnams vor sich, und als er sich umschaute, sah er einen Iron Warrior auf den Knien, dem das Blut über den Brustharnisch lief, während Pasanius mit seinem eigenen Kettenschwert nach ihm schlug. Der Iron Warrior hatte beide Arme verloren, und der Inhalt seines Bauchs lag auf dem dunklen Boden. Der Kampfgeist war längst aus dem Iron Warrior gewichen,
doch Pasanius war immer noch nicht mit ihm fertig. Ein Trupp Space Marines hatte den letzten Iron Warrior umzingelt und ihn ohne Gnade erschossen. Ihre Boltgeschosse waren durch Löcher in seiner zerfetzten Rüstung gedrungen und in seinem Körper explodiert. Erst jetzt, wo der Kampf vorbei war, achtete Uriel wirklich auf die Rüstungen der Space Marines, mit denen er gekämpft hatte. Nicht mehr als zwei oder drei ähnelten sich in Farbe und Konstruktion, und jede wies Spuren schwerer Kämpfe auf, die hastig und mit unzureichenden Mitteln geflickt und repariert worden waren. Fast alle trugen unterschiedliche Ordenssymbole auf den Schulterschützern, und viele hatten sie mit gezackten roten Schrägen übermalt. Jammernde Sklaven hockten in ihren Hautfalten oder hielten einander in ihrem Elend umschlungen. Uriel lief zu Pasanius, der damit fortfuhr, den gefallenen Iron Warrior in Stücke zu hacken. »Pasanius!«, rief Uriel. Er hielt Pasanius' Arm fest, als der zu einem neuen Schlag ausholte. »Pasanius, er ist tot!« Pasanius' Kopf fuhr herum, und seine Augen funkelten vor Wut. Einen kurzen Moment befürchtete Uriel, etwas Schreckliches habe von seinem Freund Besitz ergriffen, dann verließ ihn die Mordlust, und er ließ die Waffe des Iron Warriors fallen und stieß einen tiefen, schaudernden Seufzer aus. Sein Gesicht war aschfahl ob der von ihm entfesselten Zerstörungswut, als er auf die Knie sank. »Die Wut deines Kameraden steht ihm gut«, sagte eine Stimme hinter Uriel, und als er sich umdrehte, sah er den Krieger in der schwarzen Rüstung vor sich, der den Turm zerstört hatte. Seine Rüstung war weit weg von dem üblichen strahlenden Glanz der Servorüstung eines Space Marines und mit Beulen, Kratzern und Flicken übersät. Heißer Dampf entwich aus den Mündungen seines Sprungtornisters, und ein weißes Symbol - irgendein Raubvogel - war mit einem gezackten roten Kreuz übermalt worden. Sein Helm trug ein ähnliches Symbol auf dem Visier. »Ihr tötet die Iron Warriors beide gut«, sagte er. Uriel betrachtete diesen Space Marine von oben bis unten, bevor er antwortete, und nahm eine selbstsichere, beinahe arrogante Haltung an ihm zur Kenntnis. »Ich bin Uriel Ventris von den Ultramarines, und das hier ist Pasanius Lysane. Wer bist du?«
Der Krieger ließ die Energieklauen an seinen Panzerhandschuhen wieder in die Scheide zurückgleiten und löste dann die Vakuumverschlüsse an seinem Nackenschutz. Er setzte seinen Helm ab und nahm einen tiefen Zug von der stinkenden Luft Medrengards, bevor er antwortete. »Ich bin Ardaric Vaanes, ehemals von der Raven Guard«, sagte er, indem er sich mit der Hand über den Kopf strich. Vaanes' Haare waren lang und dunkel und zu einer straffen Skalplocke zusammengebunden. Seine Züge waren kantig und blass, die violetten Augen saßen tief in den Höhlen und waren zusammengekniffen. Die Wangen waren vernarbt, und auf der Stirn über dem linken Auge hatte er drei runde Narben, die aussahen, als stammten sie von Steckern für langen Dienst, die entfernt worden waren. »Ehemals?«, fragte Uriel wachsam. »Aye, ehemals«, sagte Vaanes, indem er vortrat und Uriel die Hand anbot. Uriel beäugte die dargebotene Hand und sagte: »Ihr seid Abtrünnige.« Vaanes hielt die Hand noch einen Augenblick länger ausgestreckt, bevor er akzeptierte, dass Uriel sie nicht nehmen würde, und ließ sie dann sinken. Er nickte. »Manche nennen uns so, ja.« Pasanius stellte sich neben Uriel und sagte: »Andere nennen euch Verräter.« Vaanes' Augen verengten sich. »Vielleicht, aber nur einmal.« Die drei Space Marines starrten einander noch ein paar lange Sekunden schweigend an, bevor Vaanes die Achseln zuckte und an ihnen vorbei in das zerstörte Lager marschierte. »Warte«, sagte Uriel, indem er sich umdrehte und dem Abtrünnigen folgte. »Ich verstehe das nicht. Wie kommt es, dass ihr alle hier seid?« »Das, Uriel Ventris, ist eine lange Geschichte«, erwiderte Vaanes, während sie durch das Tor in das brennende Lager schritten. »Aber wir sollten jetzt diesen Ort vernichten und bald von hier verschwinden. Die Hautlosen sind nah, und der Geruch des Todes wird sie rasch hierherlocken.« »Was ist mit all diesen Leuten?«, fragte Pasanius mit einer Geste, die all die weinenden Gefangenen innerhalb und außerhalb des Lagers einschloss. »Was soll mit ihnen sein?« »Wie schaffen wir sie von hier weg?«
»Gar nicht.« »Gar nicht?«, schnauzte Uriel. »Warum seid ihr dann überhaupt gekommen, sie zu retten?« »Sie zu retten?«, sagte Vaanes und zeigte dabei auf seine Krieger, die damit begonnen hatten, sich methodisch von Lagerhaus zu Lagerhaus zu arbeiten und Sprengladungen anzubringen. »Wir sind nicht gekommen, um sie zu retten, wir sind gekommen, um das Lager zu zerstören, mehr nicht. Diese Leute bedeuten mir nichts.« »Wie kannst du das sagen? Sieh sie dir an!« »Wenn du sie retten willst, wünsche ich dir viel Glück dabei, Uriel Ventris. Du wirst es brauchen.« »Verdammt Vaanes, hast du keine Ehre?« »Keine nennenswerte, nein«, schnauzte Vaanes. »Sieh sie dir doch an, diese kostbaren Leute, die du retten willst. Sie sind wertlos. Die meisten überleben ohnehin nicht, bis sie die Häutungsschlucht erreichen, und die es doch schaffen, wünschen sich schnell, sie wären auch gestorben.« »Aber ihr könnt sie doch nicht einfach im Stich lassen«, hakte Uriel nach. »Wir können und wir werden.« »Was ist das hier überhaupt?«, fragte Pasanius. »Ein Gefängnis? Ein Todeslager?« Vaanes schüttelte den Kopf. »Nein, nichts so Normales. Es ist viel schlimmer.« »Was ist es dann?« Vaanes packte die Griffe der Rolltüren des nächsten Lagerhauses, zog sie auseinander und sagte: »Warum findet ihr das nicht selbst heraus?« Uriel wechselte einen Blick mit Pasanius, während Ardaric Vaanes ihnen bedeutete, das Gebäude zu betreten. Ein durchdringender Gestank nach menschlichem Unrat drang nach draußen, vermischt mit dem Geruch nach verwestem Fleisch und Verzweiflung. Brennende Lampen flackerten, und ein leises Schluchzen drang mit dem Gestank ebenfalls nach draußen. Uriel betrat das Gebäude, und seine Augen gewöhnten sich rasch an die Düsternis darin. Von innen erwies sich das Lagerhaus als automatisierte Fabrikanlage. Eisenträger mit baumelnden Ketten und schweren Flaschenzugmechanismen an geölten Laufrollen zogen sich durch die gesamte Länge. Drahtkäfige auf erhöhten
Plattformen befanden sich in der linken Gebäudehälfte, und jeder Käfig war mit einer Masse blassen Fleisches gefüllt. Unter dem Dach hingen prall gefüllte Mastsäcke, von denen gurgelnde Rohre und Schläuche nach unten führten. Ein Trog, der nach menschlichen Fäkalien roch, verlief unter den Käfigen, und quoll über von summenden Insekten, die sich davon ernährten. Uriel hielt sich Mund und Nase zu, da sogar seine Systeme Mühe hatten, ihn vor dem entsetzlichen Gestank zu bewahren. Seine Stiefel hallten auf dem Gitterboden, als er sich dem ersten Käfig näherte. Ein nackter Mann befand sich darin, obwohl man ihn kaum so bezeichnen konnte. Sein Körper war immens, aufgebläht und schwabblig, und seine Haut hatte die Farbe und Struktur von Galle, ihr haftete ein grässlicher feuchter Glanz an. Verrostete Klammern hielten seinen Kiefer geöffnet, während geriffelte Schläuche in grotesken peristaltischen Bewegungen pulsierten, da eine Mischung aus Nährstoffen, Nahrung und Wachstumshormonen in ihn hineingepumpt wurde, während ein anderer Schlauch die ausgeschiedenen Fäkalien abtransportierte. Farbige Drähte und augmetische Stöpsel steckten in der Haut seiner herabhängenden Brust, die zweifellos seinen Herzschlag regulierten und das Herzversagen verhinderten, das seine Körperfülle ansonsten schon vor langer Zeit herbeigeführt hätte. Seine Glieder waren dicke, teigige, graue Fleischklumpen, die durch enge Drahtschlingen gefesselt und somit unbeweglich waren, und seine Züge verloren sich in der aufgequollenen Weite seines Schädels, während die Augen von einem Verstand kündeten, der schon vor langer Zeit Zuflucht im Wahnsinn gesucht hatte. Uriel empfand eine immense Traurigkeit und gleichzeitig ein Grauen ob der Leiden dieses Mannes - was für eine Art Ungeheuer konnte dies einem menschlichen Wesen antun? Er ging weiter zum nächsten Käfig und wurde dort mit einem ähnlichen Anblick konfrontiert. Diesmal war es eine nackte Frau, deren Leib ebenfalls aufgebläht war. Der Bauch war vernarbt und verheert infolge von etwas, das nach wiederholten und unnötigen Operationen aussah. Anders als beim Insassen des vorigen Käfigs kündeten ihre Augen von einem Rest geistiger Klarheit und sprachen sehr beredt zu Uriel von ihrer Qual. Er wandte sich ab, entsetzt über dieses Grauen, und sah, dass sich Hunderte dieser Käfige in der abgedunkelten Hölle befanden.
Unbeschreiblich abgestoßen, aber irgendwie doch von einem Drang getrieben, der Sache auf den Grund zu gehen, durchquerte er den Raum, um festzustellen, was auf der anderen Seite des Gebäudes lag. Mehr Käfige nahmen die rechte Seite des Gebäudes in Beschlag, aber diese waren schmaler und von Individuen belegt, die wie die armen Kerle aussahen, welche Uriel einmal auf einer Makropolwelt gesehen hatte, als sie von der Agrarwelt abgeschnitten worden war, von der sie ihre Nahrung bezog. Hungernde Männer und Frauen hingen an Eisenhaken und waren an Maschinen angeschlossen, die sie in einem höllischen Limbus zwischen Leben und Tod hielten, während ihnen von zischenden Pumpen und industriellen Bewässerungsanlagen das Fett abgesaugt wurde. Die Haut hing ihnen locker und in eitrigen Schichten am ausgemergelten Leib. Uriel kannte jetzt das Schicksal derjenigen in den Käfigen hinter ihm. Sie wurden künstlich gemästet, damit sich die Haut zu obszönen Proportionen dehnte, und dann extrem schnell ihrer Körperfülle beraubt, so dass man ihnen danach sehr viel mehr frische Haut abziehen konnte. Aber warum? Warum gab sich jemand solche Mühe, derartige Mengen menschlicher Haut zu ernten? Uriel fiel keine Antwort ein, und er spürte, wie angesichts der Not dieser Gefangenen alles verzehrendes Mitleid in ihm aufstieg. »Siehst du?«, sagte Ardaric Vaanes, der plötzlich hinter ihm stand. »Du kannst nichts für sie tun. Diese... Geschöpfe zu befreien, ist sinnlos, und ihr Tod wird eine gesegnete Erleichterung sein.« »Heiliger Imperator«, flüsterte Uriel. »Welchen Zweck erfüllt diese Grausamkeit?« Vaanes zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht, und es interessiert mich auch nicht. Die Iron Warriors haben in den letzten paar Monaten Dutzende dieser Lager in den Bergen errichtet. Sie sind für die Iron Warriors wichtig, also zerstöre ich sie. Das >Warum< spielt keine Rolle.« »Sind alle Gebäude wie dieses?«, fragte Pasanius, dessen Miene seinen Kummer verriet. »Aye«, bestätigte Vaanes. »Wir haben bereits zwei dieser Lager zerstört, und sie waren alle wie dieses. Wir müssen es jetzt zerstören, denn wenn wir es nicht tun, kommen die Hautlosen, und dann gibt es ein Gemetzel, wie ihr es euch nicht vorstellen
könnt.« »Das verstehe ich nicht«, sagte Uriel. »Die Hautlosen? Was ist das?« »Bestien aus den schlimmsten Albträumen«, sagte Vaanes. »Sie sind die Bastarde der Iron Warriors, Abtreibungen, denen Leben gegeben wurde und die den Vivisektorien der Brutalen Bestatter entfliehen konnten, um durch die Berge zu streifen. Sie sind zahlreich, und wir sind nur wenige. Jetzt kommt, es wird Zeit, dass wir verschwinden.« Uriel nickte müde, ohne Vaanes noch richtig zuzuhören, und folgte dem Abtrünnigen zurück in die Überreste des Lagers. Benommen registrierte er die Größenordnung des Lagers: zwei Dutzend der lagerhausartigen Gebäude, jedes eine düstere Hölle für alle, die dort gehalten wurden. So sehr er es auch hasste, es zuzugeben, aber Vaanes hatte recht - je eher diese Anlage und alles darin zerstört wurde, desto besser. Ein Space Marine in der grauen Rüstung eines Ordens, den Uriel nicht kannte, trabte zu Vaanes und sagte: »Sie sind da. Bruder Svoljard hat gerade ihre Witterung aufgenommen!« »Wie weit?«, fragte Vaanes, während er sich den Helm aufsetzte und den Rest seiner Krieger über den Kom rief. »Nah, vielleicht drei- oder vierhundert Meter«, antwortete der Krieger. »Sie haben sich gegen den Wind angeschlichen.« »Verdammt, sie lernen«, zischte Vaanes. »Alle Mann raus. Nach Süden in die Berge und jeder auf eigene Faust zurück zur Zuflucht.« »Was ist los?«, fragte Uriel. »Die Hautlosen«, sagte Vaanes.
SIEBEN Durch die Dringlichkeit im Tonfall des Abtrünnigen aufgeschreckt, folgte Uriel ihm rasch durch das Lager, als die ersten Ladungen mit hohlem Krachen explodierten. Es regnete Trümmer und Fleischfetzen, als eine der menschlichen Hautbatterien hochging und die Gefangenen von ihren Qualen erlöst wurden. Weitere Ladungen explodierten, und noch mehr der infernalischen Gebäude fielen in sich zusammen. Uriel betete, dass die Seelen darin ihnen verzeihen und den Weg zur Seite des Impera-
tors finden mochten. Flammen und Rauch wallten aus den brennenden Trümmern, als das Lager systematisch zerstört wurde, und die Space Marines liefen der Sicherheit der Berge entgegen. Uriel und Pasanius folgten Ardaric Vaanes und seinen Abtrünnigen nach Süden und weg vom Lager, als Uriel plötzlich einen irren Chor heulender Stimmen aus den Bergen rechts und links neben ihnen hörte. Der Atem blieb ihm im Halse stecken, und sein Schritt verlangsamte sich beim Anblick der Hautlosen, die mit verdrehtem, irgendwie schiefem Gang aus den Bergen zum brennenden Lager schlurften. Sie waren riesenhaft und ein wildes Durcheinander von Anatomien, ein Karneval des Grotesken, und jeder sah anders aus. Massig gebaut und extrem groß, waren sie aufgequollen und glänzten rot und nass, und die wellige Form ihrer entblößten Muskulatur war vollkommen unproportional zum Körper. Uriel sah, dass abgesehen von ihrer Massigkeit und der fehlenden Haut jeder auch noch auf andere albtraumhafte Weise entstellt war und den Resten vom Tisch eines irren Bildhauer-Chirurgen ähnelte. Hier war eine Kreatur mit zwei Köpfen, die am Kieferknochen zusammengewachsen waren, mit einem Quartett vom grauen Star getrübter Augen, die zu einem verunstalteten Augapfel zusammengelaufen waren. Ein anderer hatte einen monströsen fötalen Zwilling aus dem Bauch geboren, und verschrumpelte, metastasierte Arme hielten sich krampfhaft an seinem Elternteil fest. Wieder ein anderer schlurfte unter Einsatz kolbenartiger Arme bergab, da die Beine zu wenig mehr als Greifklauen verkümmert waren. Ein Trio von Bestien, die vielleicht auf irgendeine Art miteinander verwandt waren, hatten eine Entstellung gemeinsam, da alle drei in flatternde Lagen ledriger Haut gehüllt waren. Ihre Schädel waren geschwollen und verlängert und mit langen Reißzähnen bestückt, und überall am Körper brachen Hornkämme aus ihnen hervor. Aber herausragend aus der Flut der brüllenden Schreckensgestalten, die dem Lager entgegenstürmten, war eine riesige Bestie, die sie anführte. Größer und breiter als alle anderen, kauerte der Klumpen von einem Kopf tief zwischen den Schultern. Wenngleich ein ganzes Stück von Uriel entfernt, wiesen die hautlosen Züge das unverkennbare Funkeln räuberischer Intelligenz auf, und die Vorstellung, dass so ein Geschöpf auch nur einen Funken Ich-
Bewusstsein haben könnte, stieß Uriel über alle Maßen ab. »Kommt schon, Ultramarines«, rief Vaanes. »Wir haben keine Zeit, die Ungeheuer anzugaffen!« Uriel ignorierte Vaanes und starrte die Kreaturen an, wie sie ungeachtet der Stacheln, die sich in ihre rötlichnassen Leiber bohrten, den Stacheldrahtzaun niederwalzten. Waren sie schmerzunempfindlich? »Was sind das für Bestien?«, sagte er. »Das sagte ich bereits«, rief Vaanes zurück. »Komm schon! Da unten gibt es genug Fleisch, um sie eine Weile zu beschäftigen, aber wenn sie sich satt gegessen haben, werden sie versuchen, uns zu jagen. Wenn du jetzt nicht kommst, lassen wir dich für sie hier.« Uriel starrte weiterhin mit morbider Faszination auf das gruselige Spektakel, das sich unter ihnen abspielte, und beobachtete, wie sich die Hautlosen durch die Ruinen der Lagerhäuser arbeiteten, die massiven Träger wie Streichhölzer beiseitewarfen und das verbrannte Fleisch darin fraßen. Grässliche Geräusche von knackenden Knochen und reißendem Fleisch erklangen von unten, als die Hautlosen über die Gefangenen herfielen, die sich beim Angriff der Abtrünnigen außerhalb des Lagers befunden hatten. Die meisten starben in den ersten Augenblicken des Angriffs, da sie von den Hautlosen in wilder Raserei in Stücke gerissen wurden. Andere wurden lebendig verschlungen, und Glieder und Fleischfetzen flogen durch die Luft, da die Ungeheuer um jeden Happen kämpften. Ihr furchtbares Hungergebrüll hallte durch die Berge. Pasanius fasste ihn am Arm und sagte: »Wir müssen gehen, Uriel!« »Wir lassen sie sterben«, sagte Uriel finster. »Wir haben sie im Stich gelassen. Wir hätten sie ebenso gut selbst töten können.« »Wir hätten sie nicht retten können, aber wir können sie rächen.« »Wie?«, sagte Uriel. »Indem wir weiterleben«, antwortete Pasanius. Uriel nickte, wandte sich von dem grausigen Spektakel unter ihnen ab und verschloss die Ohren vor dem Brüllen und Schmatzen und dem orgiastischen Freudengeheul, während er spürte, wie ein Teil seines Herzens kälter und härter wurde, als er diese
Leute ihrem Schicksal überließ. Khalan-Ghol stand in Flammen. Ihre Zinnen lagen in Trümmern, und ihre Bollwerke waren von dem unablässigen Beschuss zu Staub zermalmt worden. Quadratkilometer brannten im Feuer von Berossus' Bombardement, aber es betraf dennoch nur einen winzigen Bruchteil der Festung. Unnatürliche Finsternis hüllte die Festung ein, schwarze Wolken aus von Blitzen durchzogenem schwarzen Rauch hingen tief und verdeckten das tote Weiß des Himmels im Umkreis von vielen Kilometern. Endlose, mit Stacheldraht gesicherte Gräben umgaben den verdunkelten Berggipfel, und neu anlegte Schanzen, Bunker, Geschütznester und Türme, deren mächtige Kanonen Honsous Festung unter ohrenbetäubendem Krachen mit Granaten beschossen, überzogen die Landschaft mit einem stroboskopartigen roten Blitzgewitter. Manufakturen waren in der Ebene errichtet worden, und das hämmernde Scheppern der Industrie lag wie ein beständiger Refrain in der Luft. Orange leuchtende Fabriken spien einen steten Strom neuer Granaten, Geschütze und Kriegsmaterialien aus, und Honsou wusste, dass ihre Produktionsraten die besten Imperiumswelten beschämt hätten. Er sah die riesigen Silhouetten von Titanen am Horizont, deren diabolische Formen alles ringsumher winzig wirken ließen. Sie konnten einstweilen kaum etwas tun, außer als Geschützplattformen zu dienen, da die Leviathane die Berghänge Khalan-Ghols erst erklimmen würden, wenn die gewaltige Rampe fertig war, die Berossus bauen ließ. Er und ein handverlesener Kader seiner besten Krieger kletterten die zerklüfteten Hänge zu den unter ihnen in Stellung gegangenen Truppen hinunter. Honsou glitt an einem Haufen herabgestürzten Gerölls hinab. Aus den Spalten zwischen den Felsblöcken ragten verrottete Skelettarme, aber ob sie seinen Kriegern oder seinen Feinden gehörten, konnte er nicht sagen und es interessierte ihn auch nicht. Berossus war zumindest sehr gründlich vorgegangen. Die unteren Bollwerke waren nicht mehr da, zerschossen, bis es so war, als habe es sie nie gegeben, und der äußere Festungsring war unter seinem Ansturm gefallen. Zehntausende waren bereits in der Schlacht gestorben, aber
Berossus war nicht so dumm gewesen, bis zu diesem Zeitpunkt seine besten Krieger einzusetzen. Kanonenfutter, Sklaven und Pack in Diensten des Chaos hatten seine Mauern bestürmt, um mit Feuer und Stahl zurückgeworfen zu werden. Im Verein mit den Soldaten aus Toraminos großer Kompanie verfügten die beiden Kriegsschmiede über genügend Soldaten, um die Mauern Khalan-Ghols letzten Endes zu überwinden. Es war lediglich eine Frage der Zeit. Zeit, die Honsou ihnen nicht geben würde. »Berossus ist ein Narr«, hatte er gesagt, als er den Plan durchgesprochen hatte, der ihn jetzt vorsichtig auf die Postenketten der am weitesten vorgezogenen Gräben des Feindes vorrücken ließ. »Wir werden den Kampf zu ihm tragen.« »Vor die Mauern?«, fragte Obax Zakayo. »Aye«, erwiderte Honsou. »Ins Herz seiner Armee.« »Wahnsinn«, sagte Zakayo. »Genau«, grinste Honsou. »Und aus diesem Grund wird Berossus auch nicht damit rechnen. Du kennst Berossus! Für ihn sind Belagerungen nur eine Frage der Logistik. Als ehemaliger Vasall von Forrix hätte ich gedacht, du wüsstest das zu schätzen, Zakayo.« »Das tue ich auch, aber den Schutz unserer Mauern zu verlassen...« »Berossus ist ein Sklave der Mechanik einer Belagerung. Diese Aktion führt zu jenem Ergebnis - so denkt er. Er lässt sich viel zu sehr durch die großen Traditionen der Schlacht aus uralten Zeiten einengen, um über die Reinheit eines Sturmangriffs hinauszudenken und mit dem Unerwarteten zu rechnen.« »Seine Methode hat noch nie versagt«, stellte Obax Zakayo fest. »Er hat auch noch nicht gegen mich gekämpft«, sagte Honsou. Die Gräben voraus waren vom Schein der in Ölfässern brennenden Feuer erhellt, und das Klirren der Grabschaufeln und Grollen der Raum-Maschinen wurde praktisch vom Geschützdonner übertönt. »Onyx«, flüsterte Honsou, wobei er seine Streitaxt mit der schwarzen Klinge zückte. »Los.« Onyx nickte, ein fließender Schatten und praktisch unsichtbar in der Dunkelheit, der bäuchlings zur Grabenlinie glitt. Seine Umrisse verschwammen und vermischten sich mit der Nacht. Obax
Zakayo sagte: »Wenn er entdeckt wird, werden wir hier alle sterben.« »Dann sterben wir eben«, knurrte Honsou. »Jetzt sei still, sonst töte ich dich persönlich.« Dergestalt zurechtgewiesen, sagte Obax Zakayo nichts mehr. Plötzlich waren gurgelnde Schreie und das Klirren von Klingen von vorn zu hören. Honsou sah einen Geysir aus Blut über den Grabenrand spritzen und wusste, dass es jetzt sicher war, sich zu nähern. Er kroch zu der Stelle, wo Onyx ein Loch in den Stacheldraht geschnitten hatte, und sprang in den Graben. Ein, zwei Dutzend Leichen lagen darin und in einem angrenzenden Unterstand. Im Feuerschein ölig glänzendes Blut bedeckte die Wände und sickerte durch die gut verlegten Laufbretter. Jeder Leichnam lag in einem unnatürlichen Winkel da, als sei ihm jeder Knochen im Leib gebrochen worden. Alle hatten eine lange Wunde mitten im Rücken, wo ihnen die Wirbelsäule herausgerissen worden war. Onyx selbst stand reglos mitten im Graben und fuhr langsam Bronzekrallen in das graue Fleisch seiner Hände ein, während das silberne Feuer seiner Adern noch heller brannte als sonst. Der Dämon in ihm schwelgte in dem Gemetzel und gestattete dem menschlichen Teil in ihm, wieder an die Oberfläche zurückzukehren. »Gute Arbeit«, sagte Honsou, als seine Iron Warriors in den Graben sprangen, ausschwärmten und ihren Zugang sicherten. Er rannte zum Verbindungsgraben im hinteren Bereich dieser breiteren Stelle und lugte vorsichtig um die Ecke. Wie erwartet, konnte er nur ein Stück weit hineinsehen, da der Graben nach dem üblichen Zickzack-Muster angelegt war. Ein Stück weiter sah er Soldaten in roter Uniform und Sklaven. »Hast du keine Phantasie, Berossus?«, grinste er in sich hinein. »Du machst es mir zu leicht.« Er wandte sich ab und versammelte seine Krieger um sich. »Es ist Zeit. Wir fangen an, und vergesst nicht, so weit die Leute hier wissen, sind wir Berossus treu ergeben. Lasst bei niemandem Zweifel daran aufkommen.« Seine Krieger nickten, und mit Honsou an der Spitze machten sie sich auf den Weg durch den Verbindungsgraben. Sie marschierten auf die selbstsichere, mühelose Art der Krieger, die wussten, dass sie ihresgleichen suchten, und alle Arbeiter von Berossus, seien es Menschen oder Mutanten, erniedrigten sich vor
ihnen, als sie vorbeikamen. Sie passierten Unterstände voller verdrehter Mutantenwesen, die sich um Schreine der Finsteren Götter versammelt hatten, und ihr Gemurmel wurde von Zauberern in goldenen Roben beaufsichtigt. Niemand hielt sie an, niemand hatte einen Grund dazu, vielmehr war es eine Ehre, wenn uralte Krieger des Chaos vorbeikamen. Honsou sah helle Bogenlampen auf barocken Eisentürmen hängen, die sich in die Nacht reckten und mit allen möglichen blutigen Trophäen behangen waren. Singende Gruppen berobter Gestalten umringten sie. Honsou blieb stehen und fragte: »Zakayo, was sind das für Türme? Das sieht nicht nach etwas aus, das Berossus tun würde.« »Das kann ich auch nicht sagen«, erwiderte Obax Zakayo. »Ich habe dergleichen noch nie gesehen.« »Sie wollen die Mauern Khalan-Ghols mit Zauberei zum Einsturz bringen«, sagte Onyx. »Die Türme sind von mystischer Energie durchdrungen. Ich kann sie spüren, und der Dämon in mir suhlt sich darin.« »Was?«, zischte Honsou, der plötzlich aufmerkte. »Ist ihre Magie stark genug, um die Kabale und das Blutherz zu überwinden?« »Nein«, sagte Onyx. »Nicht einmal annähernd. Hier baut sich viel Macht auf, aber das Blutherz existiert bereits eine Ewigkeit, und keine Macht, die von einem Sterblichen gebändigt werden kann, ist in der Lage, es zu überwinden.« Honsou nickte, überzeugt, dass die magischen Abwehrvorrichtungen seiner Festung halten würden. Er schaute auf die Türme. »Das riecht nach Toramino«, sagte er. »Berossus hätte nicht daran gedacht.« »Aye«, pflichtete ihm Obax Zakayo bei. »Lord Toramino ist schlau.« »Das ist er, aber ich werde den Tod dieses arroganten Schweins erleben, bevor er Khalan-Ghol einnimmt, Zauberei hin oder her.« Honsou und seine Krieger passierten die Türme und erreichten ohne Zwischenfall das Ende der Grabenlinie, wobei sie Berossus' schwitzende, schwer arbeitende Armee bei ihren Bemühungen beobachteten, die Festung einzunehmen. Mit Granaten beladene Kettenfahrzeuge rumpelten hinter hohen Erdwällen vorbei, und Honsou sah sich gezwungen, Bewunderung für die gründliche und
vollständige Art der Belagerungsmaßnahmen aufzubringen. Sogar Forrix wäre stolz gewesen. Aus einer Eisenraffinerie schossen Feuerwolken in die Höhe. Das Dröhnen von Vlanufakturen, die Sprengstoffe herstellten, und das Hämmern der Schmieden erfüllte die Ebene. Millionen Männer arbeiteten daran, ihn zu Fall zu bringen. Munition und Granaten mit Messinghülsen wurden in gepanzerten Magazinen gelagert, und auf ihrem Weg daran vorbei, machte Obax Zakayo einen Abstecher in jedes und legte eine Sprengladung aus dem Spender auf seinem Rücken. Honsou wusste, dass Obax Zakayo aller Wahrscheinlichkeit nach eine Belastung war, den alten Methoden seines ehemaligen Herrn zu sehr verhaftet, um zu Honsous Kader von Unterführern zu gehören, aber niemand kannte sich besser mit Sprengstoffen aus als er. Und ihm haftete eine Grausamkeit an, die Honsous Sinn für Verwüstung ansprach. Je weiter sie sich von den Gräben der Front entfernten, desto größer wurde das Risiko der Entdeckung. Er sah robust konstruierte Kasernenbunker und riesige Artilleriegruben, die offensichtlich von Iron Warriors angelegt worden waren, und hörte irrsinniges Gebrüll, das nur bedeuten konnte, dass die Käfiggruben der Cybots nah waren. »Es ist töricht weiterzugehen, Milord, wir sollten uns jetzt zurückziehen«, sagte Obax Zakayo. »Wir haben genug Sprengstoff gelegt, um Berossus auf Monate lahmzulegen.« »Nein, noch nicht«, sagte Honsou, den ein Gefühl waghalsiger Unbekümmertheit vorantrieb, als er ein vertrautes Banner auf einem gepanzerten Pavillon im Wind flattern sah. Es stand im Schatten eines der kolossalen Titanen hinter einem Wald aus Stacheldraht und einer versetzt angelegten Reihe von Bunkern. »Nicht, wenn wir Gelegenheit haben, Lord Berossus selbst ein persönlicheres Geschenk zu machen.« Obax Zakayo sah das Banner und sagte: »Götter des Chaos, das kann nicht Euer Ernst sein!« »Du weißt, dass es mein Ernst ist, Zakayo«, sagte Honsou. »Ich scherze nie, wenn es ums Töten geht.« Sieben Meter tief in den Fels gegraben, waren die Seiten der Artilleriegrube mit mindestens zwei Meter dickem Stahlbeton ver-
stärkt worden. Eine geneigte Brustwehr, dazu gedacht, feindlichen Artilleriebeschuss abzulenken, zog sich über die Scharte, durch die das gewaltige Belagerungsgeschütz feuerte. Honsou wusste, dass keines seiner Artilleriegeschütze so weit reichte und solch eine Anlage vollkommen unnötig war, aber es sah Berossus ähnlich, sie trotzdem zu bauen. Der Bronzelauf der riesigen Kanone zeichnete sich vor den wogenden Wolken am Himmel ab. Große Zauber des Verderbens waren eingraviert, und außerdem war er mit dicken Ketten aus entweihtem Eisen behangen. Das Geschütz stand am Fuß seiner Neigung auf Schienen, so dass es nach jedem Schuss in die Feuerposition zurückrollen konnte. Das gewaltige Geschütz war von hundert menschlichen Soldaten umringt, die es bewachten. Honsou und seine Krieger marschierten dreist zur Artilleriegrube und forderten die Soldaten förmlich heraus, sie doch anzuhalten. Zwar präsentierten er und seine Krieger stolz das Wappen der Iron Warriors, aber den Soldaten würde sehr bald klar werden, dass sie nicht hierher gehörten, und dann würden sie Alarm geben. Honsou sah, dass sie bereits die Blicke auf sich zogen, ging aber weiter und setzte noch eins drauf, als ein Iron Warrior mit massiv aufgerüsteten Armen und Kopf aus der Artilleriegrube kletterte. Rote Lichter blinkten an seinem Helm, der mit Entfernungsmessern und Cogitatoren ausgerüstet war, und Honsou wusste, dass dies einer von Berossus' Chirumeks war. Mehr Maschine als Mensch, betrachtete ihn dieser Anwender der schwarzen Künste der Technologie von oben bis unten, bevor eine große, auf seinem Rücken befestigte Kanone auf einem zischenden Verankerungsarm herumschwenkte und auf sie zielte. Onyx ließ ihm keine Gelegenheit, mit der Waffe zu schießen, sondern sprang mit der Geschwindigkeit einer zustoßenden Schlange vor. Seine Umrisse verschwammen und wurden ölig und undeutlich. Ein Aufblitzen von Bronzekrallen und ein Reißen von Fleisch, und der Chirumek brach zusammen, während der dämonische Symbiont seine Wirbelsäule in die Höhe hielt. »Beeilt euch!«, rief Honsou, während er zur Artilleriegrube rannte, da alle Hoffnung auf eine Täuschung dahin war. Er sprang in die Grube und schoss mit seinem Boltgewehr auf alles, was sich darin bewegte. Lader-Sklaven starben im Kugelhagel, von den Sprenggeschossen zerfetzt, und Chirumeks warfen sich in
Deckung, als die Iron Warriors ihm folgten. Geschrei und Warnrufe kamen von den menschlichen Soldaten, doch im anschließenden Geschosshagel verstummten die meisten sehr schnell. Honsou wusste, dass sie nicht viel Zeit hatten, und rief: »Zakayo, komm hierher!« Der ungeschlachte Riese kletterte in die Grube, während Honsou und seine Krieger den Rest der Geschützmannschaft abschlachteten. Die riesige Kanone zischte und rumpelte und schwelgte in dem Blutvergießen rings um sie, und er konnte den dämonischen Drang zu töten spüren, der in ihr gebunden war. Obax Zakayo kletterte auf den Sitz des Kanoniers und machte sich an den Bronzehebeln zu schaffen. Honsou musste über die Ironie des Augenblicks lachen, als er ebenfalls die Leiter zum Sitz des Kanoniers erklomm, da das Geschütz ein Bassgrollen von sich gab und der Lauf sich von KhalanGhol zu Berossus' Pavillon drehte. Der ächzende Lauf senkte sich gleichzeitig, bis er buchstäblich in der Horizontalen war. Boltgewehrschüsse krachten an den Seiten der Artilleriegrube, und die Iron Warriors aus Berossus' großer Kompanie strömten aus ihren Kasernen, um gemeinsam mit ihren menschlichen Hilfstruppen einen Gegenangriff zu starten. »Geht das nicht schneller?«, schnauzte Honsou. »Eigentlich nicht, nein!«, rief Obax Zakayo, der an dicken Hebeln und schweren Ketten am Verschluss des Geschützes zog. Honsou beugte sich über das Geländer der Geschützplattform und rief seinen Kriegern zu. »Macht euch bereit, die Kanone nachzuladen, sobald wir schießen! Ich will ein paar Schüsse abgeben, bevor wir uns ab setzen!« Vier Krieger lösten sich aus dem Verteidigungsring in der Grube und zogen an den Ketten des Flaschenzugs, der durch ein großes Eisenportal im Boden der Artilleriegrube zum gepanzerten Magazin darunter führte. Binnen Sekunden öffnete sich das eiserne Tor mit lautem Quietschen, und eine enorme Granate tauchte auf. Vor Anstrengung grunzend, bugsierten sie die Granate auf den Wagen, der sie zum Geschütz bringen würde. Es war extrem gefährlich, das Tor zum Magazin beim Schießen geöffnet zu lassen, aber Honsou dachte sich, da es nicht ihre Kanone sei, spiele es keine Rolle, ob sie in die Luft gesprengt würde oder nicht. »Feuerbereit!«, rief Obax Zakayo. Honsou zielte mit dem Fadenkreuz und lachte, als er das Dach
von Berossus' Pavillon und das schwarz-goldene Wappen auf seinem Banner sah. »Feuer!«, rief er, und Obax Zakayo riss an der Abzugskette. Honsou schwankte, als der gewaltige Rückschlag der Waffe ihn beinahe von der Plattform schleuderte, und das Krachen des Schusses ließ ihn kurzzeitig taub werden. Dichter, stechender Qualm wehte aus dem Lauf, und das riesige Geschütz kreischte vor Freude. Der dämonische Verschluss öffnete sich von allein, und seine Iron Warriors beförderten die nächste Granate über die Schienen in die Waffe. Während sie die nächste Granate aus dem Magazin holten, sah Honsou, dass der erste Schuss unheimlich genau gewesen war. Berossus' Banner existierte nicht mehr: Die Explosion hatte es völlig zerstört. Der oberste Teil des Pavillons war verschwunden, und von der oberen Hälfte waren nur noch unregelmäßige Trümmer übrig. Schutt rieselte herab, und die brennenden Trümmer lösten weitere Explosionen aus. Die Kanone gab den zweiten Schuss ab. Diesmal war er vorbereitet, und dennoch brachte ihn der Rückschlag aus dem Gleichgewicht. Wieder verschwand der Pavillon hinter einer Flammenwand, als die zweite Granate explodierte. Die nächste Granate wurde geladen, aber als der Verschluss klirrend zuschlug, spürte Honsou, wie den Boden ein Beben durchfuhr, dem rasch ein zweites folgte. Er schaute in die Düsternis und sah einen gewaltigen Schatten, der sich auf sie zubewegte. Mit einem Schauder der Furcht erkannte er, dass es sich um einen Titan handelte. Der Erdboden bebte unter seinem Tritt, den Schritten eines zornigen Kriegsgottes, der gekommen war, um sie zu zerstören. »Beeil dich!«, rief er Obax Zakayo zu. »Noch ein Schuss, dann wird es Zeit zu verschwinden!« Obax Zakayo warf bei jedem hallenden Schritt des sich nähernden Titans einen furchterfüllten Blick in diese Richtung, nickte aber. Wieder feuerte die gewaltige Dämonenkanone, und diesmal traf sie den Kasernenblock neben dem Pavillon und verwandelte ihn in rauchende Trümmer. »Alles absetzen!«, schrie Honsou, indem er vom Geschütz sprang und zu den Leitern rannte, die aus der Artilleriegrube führten. Honsou zwängte im Vorbeilaufen das Tor zum Magazin auf und warf eine Handvoll Granaten hinein. Er sprang zur Leiter,
als ein riesiger Schatten auf die Artilleriegrube fiel. Er schaute hoch und sah den massiven krallenbewehrten Fuß des Titanen, der sich auf ihn herabsenkte. Er huschte die Leiter empor und wälzte sich beiseite, als der Fuß herunterkam, das Dämonengeschütz in einem Augenblick auslöschte und ihn um weniger als einen Meter verfehlte. Er sprang auf, noch immer benommen von der Erschütterung des aufsetzenden Titanenfußes, als die von ihm in das Magazin geworfenen Granaten explodierten. Der Boden bebte, und gewaltige Geysire aus Flammen und Rauch schossen in die Höhe, als viele hundert Tonnen Artilleriemunition in einer beängstigend starken Detonation hochgingen. Honsou wurde in die Höhe gehoben und vom Luftdruck über hundert Meter weit durch die Luft geschleudert, bis er gegen einen Erdwall prallte und in einen Haufen ausgegrabener Erde fiel. Er rappelte sich hustend und schwankend auf und betrachtete seine Umgebung. Er drehte sich um, als er ein Ächzen hörte, und sah den Titan, der das Geschütz zerstört hatte, trunken schwanken, da die Explosion des Magazins eines seiner Beine vom Knie an abwärts zerstört hatte. Funken und Plasmafeuer leckten aus durchtrennten Leitungen und Kabeln. Dann kippte die gewaltige Dämonenmaschine ganz langsam um, während ihre kolbengetriebenen Arme verzweifelt ruderten, um das Gleichgewicht zu halten. Er wandte sich lachend ab, während bestürzte Soldaten und entsetzte Iron Warriors mit ansahen, wie eine ihrer mächtigsten Dämonenmaschinen vor ihren Augen zerstört wurde. Die Erde bebte, als der Titan auf den Boden schlug und auseinanderbrach, doch Honsou war bereits auf dem Rückweg nach Khalan-Ghol. Er wusste nicht, was aus dem Rest seiner Krieger geworden war, vertraute aber darauf, dass sie erfahren und einfallsreich genug waren, um es in dem allgemeinen Durcheinander auch auf sich allein gestellt zurück nach Khalan-Ghol zu schaffen. Eine dunkle Gestalt löste sich neben ihm aus dem Rauch, und er erkannte die schlangenartige Gestalt von Onyx. Die Krallen des dämonischen Symbionten waren ausgefahren und blutig, und das glitzernde Feuer in seinen Augen hatte einen tödlichen Glanz. Er hatte gut gejagt. »Ein erfolgreicher Ausflug«, sagte Onyx in einer für ihn typischen Untertreibung.
»Aye«, gab Honsou ihm recht. »Er war nicht schlecht. Gar nicht schlecht.« Die Zuflucht, die Ardaric Vaanes erwähnt hatte, befand sich abseits in einem schattigen Tal mit Blick auf die Ebene vor der gewaltigen, in dunkle Wolken und Explosionen gehüllten Festung. Der Lärm der Schlacht drang zu ihnen empor, und Uriel konnte einen gewaltigen Feuerschein tief im Lager der Belagerer ausmachen. Ihre Flucht vor den Hautlosen war eine Hals über Kopf improvisierte Aneinanderreihung von falschen Spuren und Schleifen gewesen, um die Bestien davon abzuhalten, sich auf ihre Spur zu setzen. Uriel konnte einfach die Geräusche nicht abschütteln, welche die Hautlosen beim Fressen der Gefangenen verursacht hatten, war aber überrascht, wie wenig es ihn jetzt noch störte. Vielleicht hatte Vaanes recht; man hätte ohnehin nichts für diese armen Unglücklichen tun können, und der Tod war das Beste für sie. Die Abtrünnigen hatten sich aufgeteilt, sobald sie das Todeslager verlassen hatten, und kehrten nun allein und in Zweiergruppen zu ihrer Basis zurück, indem sie Berghänge hinunterkletterten oder von unten aufstiegen. »Unsere Zuflucht«, sagte Vaanes mit einer Geste auf eine Reihe verfallener Bunker und Blockhäuser hinter teilweise zugeschütteten Gräben und verrosteten Lagen von Stacheldraht, die baufällig waren und ganz eindeutig schon bessere Zeiten erlebt hatten. Doch Uriels geübtes Auge konnte erkennen, dass es andere Abwehranlagen gab. Kaum sichtbare Geschütznester deckten die Zugänge ab, und er bezweifelte, dass sich jemand unbemerkt nähern konnte. »Was war das hier?«, fragte Pasanius. Vaanes zuckte die Achseln. »Ein altes Munitionsdepot, eine Kaserne, ein Übungsgelände? Wer weiß? Ich weiß nur, dass die Gegend hier verlassen war, als wir darauf gestoßen sind, und niemand je in ihre Nähe gekommen ist. Das reicht mir.« Uriel nickte, während sie einen Graben über eine improvisierte Brücke aus Eisenplatten überquerten. Vaanes ging mit ihnen zum Blockhaus jenseits der Bunker. Pasanius beugte sich nah zu Uriel und flüsterte: »Was machen wir? Diese Space Marines sind Abtrünnige! Sollen wir uns in den
Augen des Imperators noch mehr verdammen?« »Ich weiß«, sagte Uriel bitter, »aber welche andere Wahl haben wir?« »Wir können allein weitermachen.« »Aye, und das werden wir vielleicht auch, aber sie sind länger hier als wir, und vielleicht lernen wir etwas über diese Welt und ihre Gefahren.« Pasanius wirkte nicht überzeugt, sagte aber nichts mehr, da sie die Panzertüren des Blockhauses erreichten. Welcher Mechanismus sie früher einmal geöffnet und geschlossen haben mochte, er funktionierte offensichtlich nicht mehr, und Vaanes riss sie mit brutaler Kraft auf, bevor er drinnen verschwand und ihnen bedeutete, ihm zu folgen. Uriel duckte sich ins Blockhaus, das von innen durch mehrere ins Dach gebohrte Löcher überraschend gut beleuchtet war. Strahlen des toten weißen Lichts sammelten sich auf dem Betonboden und wurden von den abblätternden Flakbrettwänden reflektiert. »Mir ist klar, dass es hier etwas luxuriöser ist, als ihr das als Ultramarines gewöhnt seid, aber im Moment kommt es für uns alle einer Heimat noch am nächsten«, grinste Vaanes, während er vor ihnen in den Hauptraum des Blockhauses ging. Licht strömte durch die Schießscharten herein, und Uriel sah, dass der Raum voll war von denselben Space Marines, die zuvor das Lager angegriffen hatten. Die meisten waren mit dem Reinigen ihrer Waffen oder der Reparatur ihrer Rüstung beschäftigt, und Uriel war schockiert über die große Zahl verschiedener Ordenssymbole, die er hier versammelt sah. Howling Griffons, White Consuls, Wolf Brothers, Crimson Fists und viele andere, die er nicht kannte. Aber die größte Überraschung waren die beiden Gestalten, die in einer Ecke des Raums saßen und Lasergewehre reinigten. Sie trugen die ramponierte Drillichhose und die zerrissene Uniformjacke der Imperialen Garde und schauten auf, als Uriel und Pasanius eintraten. Beide Männer waren so verdreckt und zerzaust, dass sich unmöglich sagen ließ, welchem Regiment sie einmal angehört hatten, aber beide Mienen kündeten von müder, aber stolzer Courage. »Zwei neue Krieger für unseren Trupp!«, rief Vaanes, bevor er sich vor eine Wand hockte und seinen Helm absetzte.
Uriel enthielt sich eines Kommentars zu dieser Aussage, da sich der schlankere der beiden Gardisten erhob und zu Uriel hinkte. Seine Haut war blass und sah krank, fleckig und aufgequollen aus. Die Augen waren blutunterlaufen. Der Mann streckte eine zittrige Hand aus und sagte: »Oberstleutnant Mikhail Leonid vom 383. Joura-Dragoner.« »Uriel Ventris, und das ist Pasanius Lysane.« »Was sind Sie für Space Marines?«, fragte Leonid, indem er ein Husten unterdrückte. »Ich sehe keine Ordenssymbole.« »Wir sind Ultramarines«, erwiderte Uriel. »Von unserem Orden ausgesandt, um einen Todeseid zu erfüllen.« Leonid zuckte die Achseln. »Ein besserer Grund, um hier zu sein, als ihn die meisten haben.« »Vielleicht«, nickte Uriel. »Und wie kommt es, dass ein Oberst der Imperialen Garde hier ist?« »Das«, sagte Leonid, »ist eine lange Geschichte...«
ACHT Leonid und Sergeant Ellard, der zurückhaltende Kamerad des Obersten, verbrachten die nächsten neunzig Minuten damit, Uriel und Pasanius zu schildern, wie sie als Sklaven auf der trostlosen Dämonenwelt Medrengard gelandet waren, und sie begannen mit dem verheerenden Angriff der Iron Warriors auf die Welt Hydra Cordatus kurz vor der Invasion des Vernichters durch das Tor von Cadia. Er berichtete von Wochen ständigen Granatbeschusses, von Panzern und Titanen und vom tödlichen Krebsgeschwür des Verrats, das sich unter den Männern und Frauen seines Regiments ausgebreitet habe. Doch mehr als darüber sprach er von nobler Courage, von einem Krieger namens Eshara, einem Space Marine der Imperial Fists, und dem Opfer, das er und seine Männer vor dem Tor des Verabschieders gebracht hatten. Uriel spürte, wie grimmiger Stolz in ihm aufwallte bei dem Gedanken, wie sich dieser edle Krieger einer hoffnungslosen Übermacht gestellt hatte, und er wünschte, er hätte diesen tapferen Helden gekannt. Aber letzten Endes ging die Geschichte nicht gut aus. Die Iron Warriors hatten die Zitadelle schließlich eingenommen, bevor die imperialen Verstärkungen eintreffen konnten, und Leonid weinte, als er
das brutale Gemetzel beschrieb, das nach ihrem endgültigen Fall stattgefunden hatte. »Es war ein Albtraum«, sagte Leonid. »Sie waren gnadenlos.« »Die Iron Warriors dienen den Mächten des Verderbens«, sagte Uriel. »Sie kennen die Bedeutung des Wortes >Gnade< nicht.« »Hauptmann Eshara hat uns etwas Zeit erkauft, aber es war nicht genug. Die Höhle unter der Zitadelle war zu groß und es gab zu viel Gensaat, die vernichtet werden musste. Wir...« »Augenblick«, unterbrach Uriel. »Gensaat? Unter Ihrer Zitadelle wurde die Gensaat von Space Marines aufbewahrt?« »Ja«, nickte Leonid. »Ein Magos der Adeptus Mechanicus hat mir verraten, dass die Höhle einer der wenigen Orte in der Galaxis war, wo sie gelagert werden konnte. Der Kriegsschmied Honsou hat sie gestohlen und zusammen mit den Sklaven, die er am Ende der Schlacht für seine Schmieden gemacht hat, auf diese Welt gebracht.« »Wer ist Honsou?«, fragte Pasanius. »Er ist der Kriegsfürst, der in der Festung lebt, die ihr gesehen habt, als wir in dieses Tal gekommen sind«, sagte Ardaric Vaanes. »Es ist also die Festung dieses Honsou, die belagert wird?«, fragte Uriel, ohne sein Interesse verhehlen zu können. »Ja«, bestätigte Vaanes, der zu ihnen kam, um sich der Unterhaltung anzuschließen, und sich auf den Boden hockte. »Warum seid ihr so interessiert an Honsou?« »Wir müssen in diese Festung.« Vaanes lachte. »Dann seid ihr wahrhaftig hier, um euren Todeseid zu erfüllen. Warum müsst ihr in Honsous Festung?« Uriel stutzte, da er nicht wusste, wie weit er Vaanes trauen konnte, erkannte aber, dass ihm keine Wahl blieb, und sagte: »Der Imperator hat unserem Oberstem Bibliothekar eine Vision geschickt, eine Vision von Medrengard und von aufgeblähten dämonischen Gebärkreaturen, die Damonculaba genannt werden und verderbte, entartete Space Marines gebären. Wir sind hier, um sie zu vernichten, und ich glaube, dass uns mehr als bloßer Zufall hierhergeführt hat.« »Inwiefern?«, fragte Vaahes. »Kann es Zufall sein, dass dieser Honsou mit Gensaat für diese Daemonculaba zurückgekehrt ist und wir davon durch einen Mann erfahren, der dort war und gesehen hat, wie er sie geraubt hat?«
Vaanes betrachtete Ellard und Leonid von oben bis unten. »Ich hatte mich schon gefragt, warum ich sie nicht mit den anderen Sklaven im Omphalos Daemonium habe sterben lassen. Vielleicht hat noch etwas anderes als Neugier meine Hand geführt.« Uriel fuhr zusammen. »Du weißt vom Omphalos Daemonium?« »Natürlich«, sagte Vaanes. »Nur wenige auf Medrengard tun das nicht. Woher wisst ihr davon?« »Er hat uns hergebracht«, sagte Pasanius. »Er ist beim Übergang ins Immaterium in unserem Schiff aufgetaucht, hat alle an Bord getötet und uns dann hierhergebracht.« »Ihr seid freiwillig im Omphalos Daemonium gereist?«, sagte Vaanes entsetzt. »Natürlich nicht«, fauchte Uriel. »Seine dämonischen Kreaturen haben uns überwältigt.« »Die Sarcomata...«, nickte Vaanes. »Aye, und dann hat uns der eiserne Riese in der Dämonenmaschine hierher gebracht.« »Der eiserne Riese?«, fragte Leonid. »Der Schlachtermann?« »Schlachtermann? Nein, er hat gesagt, er trage nur die Gestalt des Schlachtermanns und es sei der Wille des Omphalos Daemonium, der befehle.« »Dann ist der Dämon frei!«, hauchte Vaanes. »Was ist er überhaupt?«, fragte Uriel. »Das weiß niemand mit Sicherheit«, begann ein blasshäutiger Space Marine von hohem Alter, der eine dunkelrote und knochenfarbene Rüstung mit einem Rabenkopf auf dem Schulterschutz trug. »Aber es gibt reichlich Geschichten, o ja, reichlich Geschichten.« »Und hättest du auch die Güte, ein paar davon zu erzählen?«, fragte Vaanes ungehalten. »Ich war gerade im Begriff«, knurrte der Space Marine, »wenn du mich gelassen hättest.« Der Space Marine wandte sich an Uriel und sagte: »Ich bin Seraphys von den Blood Raven und habe meinem Orden in den Jahren vor meiner Entehrung als Bibliothekar gedient. Eine der größten Triebkräfte meines Ordens ist die Suche nach dunklem Wissen und verbotener Kunde, und in den Millennien unserer Existenz haben wir viel entdeckt und alles an Bord unserer Ordensfestung gesammelt.« »Dein Orden wusste vom Omphalos Daemonium?«
»In der Tat. Tatsächlich war er sogar ein für viele unserer Geheimnismeister ein Gegenstand besonderen Interesses. Im Laufe der Jahrhunderte habe ich viel über diese dämonische Wesenheit gelesen, und obwohl ich glaube, dass vieles davon falsch war, gibt es doch auch einiges, das ich für wahr halte. Es heißt, er war einmal ein uralter, mächtiger Dämonenprinz, ein Diener des Blutgottes, der nur für das Gemetzel lebte. Die Schädel, die er vor seinem finsteren Meister aufstapelte, waren Legion, aber immer wurde er von einem Geschöpf übertroffen, von einem der am höchsten in der Gunst des Blutgottes stehenden Avatare, einem Dämon namens Blutherz. Man sagte, dieser Dämon sei so furchtbar, dass er die Macht habe, Blutstürme zu beschwören und seinen Opfern das Blut zu entziehen, ohne eine Klinge an sie legen zu müssen.« Uriel und Pasanius erlebten beide den Schreck des Wiedererkennens, als Seraphys fortfuhr. »Dieser Avatar war ein Dämon von tödlicher Kunstfertigkeit, der sich eine Rüstung schmiedete, in die er all seine Böswilligkeit, seinen Hass und seine Schläue einfließen ließ, so dass sich seine Feinde sogar durch ihre eigenen Hiebe selbst niederstrecken würden.« »Was ist aus diesen Dämonen geworden?«, sagte Uriel. Seraphys rückte näher, da er sich langsam für seine Geschichte erwärmte. »Manche sagen, sie hätten eine große Schlacht ausgetragen, die das Gewebe des Universums zerrissen und seine Trümmer über das Firmament verstreut hätte, woraus Galaxien und Planeten entstanden seien. Andere sagen, der Avatar des Blutgottes hätte den Omphalos Daemonium überlistet und in das feurige Herz einer mächtigen Dämonenmaschine in Diensten der Iron Warriors gesperrt, aus der schließlich der schreckliche Streitwagen des Schlachtermanns geworden sei - um in ewiger Qual nach Rache zu dürsten.« »Wie kommt es dann, dass er frei ist?« »Ja nun, das verraten die alten Legenden nicht«, sagte Seraphys traurig. »Ich glaube, ich weiß es vielleicht«, sagte Leonid. »Sie?«, sagte Seraphys. »Woher sollte ein bescheidener Gardist von solchen Dingen wissen?« Leonid ignorierte den herablassenden Tonfall des Blood Raven. »Vielleicht, weil wir bei unserer Befreiung aus der Gefangenschaft durch Ardaric Vaanes und seine Krieger den Schlachtermann
überwunden und in die Feuerung der Dämonenmaschine getrieben haben. Wir dachten, wir hätten ihn vernichtet.« »Aber dadurch bekam lediglich der Dämon in der Feuerung Gelegenheit, vom Körper des Schlachtermanns Besitz zu ergreifen«, sagte Vaanes. »Weiß jemand, was aus dem Rivalen des Omphalos Daemonium geworden ist?«, fragte Sergeant Ellard zögernd. »Über dessen letztendliches Schicksal habe ich nichts gelesen«, sagte Seraphys. »Warum?« »Weil ich glaube, dass ich ihn gesehen habe.« »Was? Wann?«, fragte Leonid. »Auf Hydra Cordatus«, erklärte Ellard. »Herr Oberst, erinnern Sie sich noch an die Geschichten, die plötzlich kursierten, als die Mori-Bastion fiel?« »Ja«, nickte Leonid. »Irres Zeug, Phantastereien über einen riesigen Krieger, der alles in der Bastion getötet hätte, und zwar allein mit seiner Stimme und einem Wirbelwind, der... sich von Blut nährte.« Mittlerweile hatte sich eine beachtliche Menge versammelt, um sich die Geschichten anzuhören, und die Synchronizität dieser Enthüllungen blieb keinem verborgen. Ellard nickte. »Ich habe es auch gesehen, aber... ich habe nichts gesagt. Ich dachte, sie würden mich einsperren, wenn ich sagte, was ich gesehen hatte.« »Spannen Sie uns nicht auf die Folter, Sergeant, was ist mit ihm passiert?«, wollte Vaanes wissen. »Das weiß ich nicht mit Sicherheit«, sagte Ellard, »aber nachdem er Bibliothekar Corwin getötet hatte, öffnete er eine Art... eine Art Portal, glaube ich. Ich weiß es nicht genau. Es war ein schwarzes Ding, in das er trat und verschwand. Danach habe ich ihn nicht wiedergesehen.« Vaanes erhob sich und sagte: »Ich glaube, ihr bringt Ärger, Uriel Ventris von den Ultramarines. Dies ist eine tödliche Welt, aber wir können hier überleben. Wir stehlen uns, was wir brauchen, von den Iron Warriors, und sie versuchen uns dafür zu jagen. Es ist ein nettes Spiel, aber ich glaube, eure Ankunft auf Medrengard hat dieses Spiel gerade gestört.« »Dann ist das ja vielleicht eine gute Sache«, stellte Uriel fest. »Ich würde nicht darauf wetten«, mahnte Vaanes.
Pasanius saß allein auf den Felsen vor dem Blockhaus, so müde wie noch nie. Er war wach seit... Tagen, Wochen? Er konnte es nicht sagen, wusste aber, dass es eine lange Zeit war. Der Hammel über ihm war immer noch so verdammt weiß, und wie jemand auf so einer Welt leben konnte, wo es keine Veränderungen gab, um das Verstreichen der Zeit festzuhalten, überstieg sein Begriffsvermögen. Die erdrückende Monotonie so einer trostlosen Aussicht weckte in ihm das Bedürfnis zu weinen. Er streckte die Arme aus und hielt sich beide Hände vors Gesicht. Sein linker Handschuh war zerkratzt und verbeult, durch das beständige Klettern über messerscharfe Felsen ruiniert, aber der rechte war makellos wie an dem Tag, als ihm der künstliche Unterarm an seinen Ellbogen angepasst worden war. Bisher war es ihm gelungen, seinen Schlachtenbrüdern seine einzigartige Fähigkeit der Selbstreparatur zu verheimlichen, aber er wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis seine wunderbaren Kräfte ans Tageslicht kommen würden. Pasanius schlug mit der Faust auf den Boden, rammte einen pulvrigen Krater in den Fels und zerschmetterte dabei seine Finger, dann sah er angewidert zu, wie sie sich wieder ausbeulten und ganz wurden. Die Scham, dieses Böse vor seinen Brüdern verheimlichen zu müssen, war beinahe nicht zu ertragen gewesen, und die Vorstellung, Uriel zu enttäuschen, entsetzte ihn. Aber sich zu einer solchen Schwäche zu bekennen, war eine ebenso große Schande, und die mit seinem Geheimnis verbundene Schuld hatte ein Loch in sein Herz gerissen, das er nicht stopfen konnte. Für ihn bestand kein Zweifel, dass er unter der Oberfläche von Pavonis im Kampf gegen den uralten, als Nachtbringer bekannten Sternengott verflucht worden war. Er erinnerte sich noch an die schmerzliche Kälte des Sensenhiebs, der ihm den Arm abgetrennt hatte, an das Kribbeln toten Fleisches, wo sich zuvor lebendiges Gewebe befunden hatte. War es möglich, dass durch die Waffe des Nachtbringers eine Verderbnis auf ihn übertragen worden war und ihn mit dieser schrecklichen Krankheit angesteckt hatte? Die Adepten von Pavonis hatten ihm sehr rasch einen Ersatzarm zur Verfügung gestellt, den besten, den ihre Welt herstellen konnte, und Techmarine Harkus und Apothekarius Selenus hatten ihm den Arm angesetzt. Ihm hatte die Idee eines künstlichen Arms nie sonderlich behagt, aber erst im Zuge der Kämpfe an
Bord der Tod der Tugend war ihm der Verdacht gekommen, dass mit seinem neuen Arm etwas nicht stimmte. Was hatte er verbrochen, um so bestraft zu werden? Warum wurde er mit so einem Gebrechen geschlagen? Er wusste es nicht, aber als er seinen Brustharnisch ablegte und das Messer zückte, schwor er, dass er dafür mit Blut bezahlen würde. Uriels Lider waren bleischwer, und er versuchte zu schlafen. Im Blockhaus gab es zumindest einige Stellen, die nicht im ewigen Licht des toten Himmels lagen, wo man Dunkelheit und Schlaf suchen konnte. Doch er wollte sich nicht einstellen, und die Gedanken in seinem Kopf überschlugen sich und bildeten ein wirres Durcheinander. Uriel war jetzt sicher, dass hinter seiner Suche mehr steckte, als er ursprünglich gedacht hatte. Es hätte ihn nicht überraschen dürfen zu erfahren, dass das Blutherz mehr war als nur ein Artefakt, dass die Pläne von Dämonen niemals geradeheraus und direkt waren. Waren er und Pasanius Teil einer komplizierten Vergeltung, die der Omphalos Daemonium für seinen uralten Rivalen plante? Wer konnte das wissen, aber Uriel schwor, dass er sich nicht auf so eine Weise benutzen lassen würde. Finstere Pläne waren geschmiedet worden, und ein Zusammenfluss von Ereignissen hatte ihn hierhergeführt. Trotz aller Gefahren ringsumher spürte er auf einer instinktiven Ebene, dass durch ihn der Willen des Imperators geschah. Warum fühlte er sich dann aber so leer, so hohl? Uriel hatte in den Schriften vieler Heiliger des Imperiums gelesen und in unzähligen, mit leidenschaftlicher Rhetorik aus der Kanzel vorgetragenen Predigten gehört, dass die Kraft des Imperators wie ein Feuer sei, das heißer als die heißeste Sonne brenne. Doch Uriel spürte kein derartiges Feuer, kein Licht in seiner Brust, und er hatte sich noch nie so allein gefühlt. In den Predigten waren Helden immer leuchtende Beispiele der Tugend: reinen Herzens und frei von Zweifeln und Selbsterhöhung. Angesichts solcher Qualitäten war ihm klar, dass er kein Held war. Vielmehr war er ein Ausgestoßener, dem sogar der Name seines Ordens verwehrt blieb und der sich mit Abtrünnigen und Verrätern im Auge des Schreckens wiedergefunden hatte. Wo war
hier das helle Licht des Imperators in ihm? Er veränderte seine Position und versuchte es sich auf dem harten Betonboden bequemer zu machen, so dass er sich ausruhen und dann weiter zur Festung vordringen konnte. Er wusste, dass seine Aussichten, die Reise zur Festung Honsous zu überleben, minimal waren, aber vielleicht gab es eine Möglichkeit, diese Abtrünnigen zu bewegen, sich ihnen anzuschließen. Aller Wahrscheinlichkeit nach würden sie alle sterben, aber wer würde derart wertlose Exemplare wie sie eigentlich vermissen? Als er sich umdrehte, sah er die Silhouette eines Space Marines in der Tür und richtete sich zu sitzender Haltung auf, als Ardaric Vaanes eintrat und sich Uriel gegenüber mit dem Rücken zur Wand setzte. Spärliches Licht fiel durch die Tür, und ein feiner Staubnebel lag in der Luft, wo Vaanes' Schritte ihn aufgewirbelt hatten. Die beiden Space Marines saßen lange Minuten schweigend da. »Warum bist du hier, Ventris?«, sagte Vaanes schließlich. »Das habe ich dir bereits gesagt. Wir sind hier, um die Daemonculaba zu vernichten.« Vaanes nickte. »Aye, das hast du gesagt, aber da ist noch mehr, nicht wahr?« »Wie meinst du das?« »Ich habe gesehen, wie ihr zwei Ultramarines euch angesehen habt, als Seraphys das Blutherz erwähnte. Der Name sagt euch etwas, oder nicht?« »Vielleicht. Und wenn?« »Wie ich schon sagte, ich glaube, ihr bringt Ärger, aber ich kann mich noch nicht entscheiden, ob es Ärger ist, mit dem ich etwas zu tun haben will.« »Sollte ich dir vertrauen, Vaanes?« »Wahrscheinlich nicht«, räumte Vaanes mit einem Lächeln ein. »Und noch etwas. Mir ist aufgefallen, dass du sehr bewusst vor einer Erklärung zurückgescheut bist, warum sich der Omphalos Daemonium solche Mühe gegeben hat, euch herzubringen.« »Er ist ein Dämon, wer kann sagen, welche Motive er hatte?«, sagte Uriel, dem es widerstrebte, von dem Pakt zu erzählen, auch wenn es ein falscher Pakt war, den er mit dem Omphalos Daemonium geschlossen hatte. »Wie praktisch«, sagte Vaanes trocken. »Aber ich will trotzdem eine Antwort.«
»Ich kann dir keine geben.« »Nun gut, dann behalte deine Geheimnisse für dich, Ventris, aber ich will, dass ihr verschwindet, sobald ihr euch ausgeruht habt.« Uriel erhob sich, ging durch den Raum und setzte sich neben Vaanes. »Ich weiß, du hast keinen Grund dazu, aber vertrau mir. Ich weiß, wir sind alle im Namen des Imperators hier - zu viel geschieht, als dass es bloßer Zufall sein könnte. Komm mit uns, wir könnten deine Hilfe brauchen. Deine Männer kämpften gut, und gemeinsam können wir unsere Ehre wiederherstellen.« »Unsere Ehre wiederherstellen?«, sagte Vaanes. »Ich hatte keine Ehre zu verlieren, was glaubst du, warum ich hier bin und nicht bei den Schlachtenbrüdern meines Ordens?« »Ich weiß es nicht«, erwiderte Uriel. »Warum nicht? Sag es mir.« Vaanes schüttelte den Kopf. »Nein. Du und ich, wir sind nicht genug befreundet, um diese Schande zu teilen. Es muss reichen, wenn ich sage, dass wir euch nicht begleiten werden. Es ist ein Selbstmordkommando.« »Sprichst du für alle hier?«, wollte Uriel wissen. »Mehr oder weniger.« »Und du würdest einem Bruder, der deine Kraft braucht, den Rücken kehren?« »Ja«, sagte Vaanes. »Das würde ich.« Plötzlich wütend, erhob sich Uriel und schnauzte: »Ich hätte nichts anderes von einem verfluchten Abtrünnigen erwarten sollen.« »Vergiss nicht«, lachte Vaanes, während er ebenfalls aufstand und sich zum Gehen wandte, »dass du auch ein Abtrünniger bist. Du bist kein Soldat des Imperators mehr, und es wird Zeit, dass dir das klar wird.« Uriel öffnete den Mund zu einer Antwort, sagte aber nichts, als ihm eine Zeile aus der letzten Predigt einfiel, die er Ordenspriester Clausel vor dem Besserungstempel hatte halten hören. Leise flüsterte er diese Zeile, während Vaanes den Raum verließ: »Er muss seiner Seele ein weißes Gewand überstreifen, auf dass er in den Schmutz hinabsteigen und kämpfen, aber doch als Heiliger sterben kann.« Uriel erwachte schlagartig, erschrocken und desorientiert. Er
hatte nicht mitbekommen, dass er eingeschlafen war, und seine Umgebung vermittelte ihm ein eigenartiges Gefühl der Verlagerung, während er sich den Schlaf aus den Augen blinzelte. Er richtete sich auf, wiederholte ein Dankgebet für den neuen Tag und spürte, wie sein Verstand sich konzentrierte, als der Cataleptische Knoten in seinem Gehirn wieder alle seine kognitiven Funktionen weckte. Der Cataleptische Knoten ermöglichte einem Space Marine, gleichzeitig zu schlafen und dabei wach zu bleiben, indem er den Tagesrhythmus des Schlafens und die Reaktion seines Körpers auf Schlafmangel beeinflusste und Regionen des Gehirns nacheinander »abschaltete«. Dieser Vorgang konnte den normalen Schlaf nicht vollständig ersetzen, gestattete einem Space Marine aber, seine Umgebung auch in Ruhephasen wahrzunehmen. Er fuhr sich mit der Hand über den Kopf und verließ den schattigen Raum, wobei ihm der Geruch von heißer Nahrung in die Nase stieg und ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Er betrat den Hauptraum des Blockhauses. Dasselbe leblose Licht fiel durch die Schießscharten, und Gruppen von Space Marines hatten sich um ein Feuer versammelt, über dem ein großer Kessel mit einem dicklichen, grützeartigen Brei blubberte. Er sah bestenfalls nach schlechtem Essen aus, aber im Augenblick kam er ihm so erstrebenswert vor wie das zarteste Stück gebratenes Wildschwein. Mehrere Gestalten lagen in der Kammer, ruhende Space Marines sowie Leonid und Ellard, die unter einer Schießscharte schliefen und dabei ihr Gewehr als Kopfkissen benutzten. »Ich würde >guten Morgen< sagen, aber das ist keine Wendung, die ich auf dieser Welt wirklich benutzen kann«, sagte Ardaric Vaanes, während er etwas von dem Brei in eine primitive Metallschale löffelte und Uriel reichte. »Es ist nicht viel, nur ein paar gestohlene und verlängerte Proviant-Rationen.« »Es reicht vollkommen. Danke«, sagte Uriel. Er nahm die Schale und setzte sich damit neben Pasanius, der zum Gruß nickte, während er sich den grauen Brei in den Mund schaufelte. »Macht ihr euch keine Sorgen, dass man den Rauch des Feuers sehen könnte?« »Auf Medrengard? Nein, aufsteigender Rauch ist nichts Ungewöhnliches auf diesem Planeten.« »Nein, wohl nicht«, sagte Uriel zwischen zwei Bissen. Der Brei war dünn, und er schmeckte verwässerte Nährstoffe. Die Grütze
reichte kaum aus, um die Leute nicht verhungern zu lassen, geschweige denn sie zu sättigen. Immerhin hatte sie aber mehr Geschmack als die wiederaufbereitete Paste, mit der seine Rüstung ihn versorgte. »Hast du noch mal über das nachgedacht, was ich dich gefragt habe?«, sagte Uriel, als er zu Ende gegessen hatte und die Schale neben sich stellte. »Das habe ich«, nickte Vaanes. »Und?« »Du machst mich neugierig, Ventris. Hinter dir steckt viel mehr, als offensichtlich ist, aber ich will verdammt sein, wenn ich weiß, was. Du sagst, ihr seid hier, um einen Todeseid zu erfüllen, und ich glaube dir. Aber da ist noch etwas, das du nicht sagst, und ich fürchte, das wird uns allen den Tod bringen.« »Du hast recht«, sagte Uriel, dem klar wurde, dass er keine andere Wahl hatte, als diesen Abtrünnigen die Wahrheit zu sagen. »Da ist noch mehr, und ich werde euch alles erzählen. Versammle draußen die Krieger, dann spreche ich zu euch allen.« Vaanes' Augen verengten sich ob des Ansinnens, Uriel direkt zu seinen Männern sprechen zu lassen, aber ihm ging auf, dass er es ihm nicht verweigern konnte. »Nun gut. Hören wir uns an, was du zu sagen hast.« Uriel nickte und folgte Vaanes und seinen Männern in die unbewegte Luft und die blendenden Strahlen der schwarzen Sonne. Space Marines verließen das Blockhaus und wurden von ihren Posten auf den Gipfeln rund um den Bunkerkomplex abberufen. Gähnend und blinzelnd traten auch Leonid und Ellard in die grelle Helligkeit des Tals, das Lasergewehr locker auf der Schulter. Als sich der Trupp der abtrünnigen Krieger vollständig versammelt hatte, gut dreißig Space Marines verschiedener Orden, sagte Vaanes: »Du hast das Wort, Ventris.« Uriel holte tief Luft, während Pasanius flüsterte: »Bist du sicher, dass das klug ist?« »Wir haben keine Wahl, mein Freund«, erwiderte Uriel. »Wir müssen es auf diese Art machen.« Pasanius zuckte die Achseln, und Uriel trat in die Mitte des Kreises der Space Marines und fing mit starker und klarer Stimme an zu reden. »Ich bin Uriel Ventris und war vor Kurzem ein Hauptmann der Ultramarines. Ich habe die Vierte Kompanie befehligt, und Pasanius war mein dienstältester Sergeant. Wir wurden aus
unserem Orden ausgestoßen, weil wir dem Codex Astartes zuwidergehandelt haben, und für unsere Brüder sind wir keine Ultramarines mehr.« Uriel marschierte in dem Kreis auf und ab und hob die Stimme. »Wir sind keine Ultramarines mehr, aber wir sind immer noch Space Marines, Krieger des Imperators, und das werden wir bis zu unserem Todestag bleiben. Genau wie du, du und du!« Bei seinen letzten Worten zeigte Uriel mit der Faust auf Space Marines in dem Kreis. »Ich weiß nicht, warum ihr hier seid, welche Umstände euch aus euren Orden vertrieben und an diesen Ort geführt haben, und ich brauche es auch gar nicht zu wissen. Aber ich biete euch eine Gelegenheit, Eure Ehre zurückzugewinnen und zu beweisen, dass ihr wahre und entschlossene Krieger seid.« »Was verlangst du von uns?«, sagte ein massiger Space Marine in den Farben der Crimson Fists, dessen ramponierter Schädel vernarbt und kahl rasiert war. »Wie heißt du, Bruder?« »Kyama Shae«, sagte die Crimson Fist. »Ich verlange von euch, dass ihr euch uns und unserer Aufgabe anschließt, Bruder Shae«, sagte Uriel. »Wir wollen in Honsous Festung eindringen und die Daemonculaba vernichten. Einige von euch wissen das bereits, aber da ist noch mehr. Der Omphalos Daemonium, der Dämon, der uns hierhergebracht hat, hatte einen Grund dafür. Er hat uns vom Blutherz erzählt und uns gesagt, es befinde sich in den geheimen Gewölben von Honsous Festung.« Ein Murmeln überraschten Entsetzens durchlief den Kreis, als Uriel fortfuhr: »Der Dämon hat uns beauftragt, ihm das Blutherz zu beschaffen, und wir haben zugestimmt.« »Verräter!«, zischte ein White Consul. »Ihr verkehrt mit Dämonen!« Pasanius sprang auf und rief: »Niemals! Wenn du das noch mal sagst, bringe ich dich um!« Uriel trat zwischen die beiden Space Marines und sagte: »Wir haben zugestimmt, weil unseren Heimatwelten mit Vernichtung gedroht wurde, Bruder, aber hab keine Angst, wir haben nicht die Absicht, uns an die Vereinbarung zu halten. Wenn ich dieses Blutherz in der Festung finde, werde ich es zerstören. Ihr habt mein Wort darauf.«
»Wie können wir dir trauen?«, fragte Vaanes. »Ich kann euch nur mein Wort anbieten, Vaanes, aber denkt über Folgendes nach: Der Kriegsfürst Honsou ist kürzlich von einem Feldzug zurückgekehrt und hat gestohlene Gensaat mitgebracht. Was glaubt ihr, wofür er sie benutzt? Was glaubt ihr, wie die Daemonculaba diese neugeborenen Abartigkeiten produzieren? Mit genug Gensaat kann Honsou Hunderte, vielleicht sogar Tausende neuer Krieger für seine Armeen erschaffen. Bald werden sie kommen und euch vernichten. Das wisst ihr, warum also nicht jetzt zuschlagen, bevor sie dazu in der Lage sind?« Uriel sah, dass seine Worte zu den versammelten Space Marines durchdrangen, und setzte nach. »Ihr sagt, in allem, was ihr tut, steckt das oberste Anliegen, den Iron Warriors zu schaden, und was würde ihnen mehr schaden, als wenn ihre neusten Krieger vernichtet würden, bevor sie kämpfen können? Zumindest können wir den Iron Warriors solchen Kummer bereiten, dass sie uns nicht so bald vergessen werden. Wenn wir dabei sterben sollten, tun wir es wenigstens mit unserer Ehre!« »Was nützt einem Ehre, wenn man tot ist?«, fragte Vaanes. »Tod und Ehre«, sagte Uriel. »Wenn der eine das andere mit sich bringt, dann ist es ein guter Tod.« »Du hast leicht reden, Ventris.« Uriel schüttelte den Kopf. »Nein, Vaanes, habe ich nicht. Glaubst du, ich will sterben? Das will ich nicht. Ich will lange leben und meinen Feinden noch viele Jahre Tod und Zerstörung bringen, aber wenn ich sterben muss, kann ich mir kein besseres Ende vorstellen als im Kampf für eine gute Sache neben Schlachtenbrüdern.« »Für eine gute Sache? Wen interessiert das?«, schnauzte Vaanes. »Wenn wir bei deinem Selbstmordkommando sterben, was spielt dann all das noch für eine Rolle? Wer wird überhaupt von deiner kostbaren Ehre wissen?« »Ich«, sagte Uriel leise. »Und das reicht vollkommen.« Stille trat ein, und Uriel sah, dass die abtrünnigen Space Marines hin- und hergerissen waren zwischen dem Status Quo ihrer gegenwärtigen Existenz und dieser Gelegenheit zur Wiedergutmachung. Er konnte noch nicht sagen, wofür sie sich letzten Endes entscheiden würden. Gerade als er glaubte, keiner werde auf das Angebot reagieren, das er ihnen gemacht hatte, erhoben sich Oberst Leonid und Ser-
geant Ellard und gingen durch den Kreis zu ihm. Leonid salutierte vor ihm und sagte: »Wir werden mit Ihnen kämpfen, Hauptmann Ventris. Wir sterben ohnehin, und wenn wir Iron Warriors töten können, bevor das passiert, dann umso besser.« Uriel lächelte und schüttelte Leonid die Hand. »Sie sind ein tapferer Mann, Oberst.« »Vielleicht«, sagte Leonid, »oder ein Mann, der nichts mehr zu verlieren hat.« »Jedenfalls danke ich Ihnen beiden«, sagte Uriel, während Bruder Seraphys ebenfalls vortrat, um sich ihnen anzuschließen. »Ich komme mit euch, Uriel«, sagte Seraphys. »Wenn ich mehr über die Machenschaften der Mächte des Verderbens erfahren kann, dann kann das nur gut sein.« Uriel nickte dankend, als zunächst noch ein Space Marine und dann noch weitere vortraten und zu ihm kamen. Sie kamen allein und in Zweiergruppen, bis alle abtrünnigen Space Marines bis auf Ardaric Vaanes bei Uriel und Pasanius standen. Der ehemalige Space Marine der Raven Guard lachte in sich hinein und sagte: »Du kannst mit Worten umgehen, Ventris, das muss ich dir lassen.« »Schließ dich uns an, Vaanes!«, drängte Uriel. »Ergreif die Gelegenheit zur Ehre. Denk daran, wer du bist und wofür du geschaffen wurdest!« Vaanes erhob sich und näherte sich Uriel. »Das weiß ich sehr wohl, Ventris.« »Dann schließ dich uns an!« Der Abtrünnige seufzte und ließ den Blick über den baufälligen Bunkerkomplex wandern, den er Heim genannt hatte, und über die Space Marines, die jetzt bei Uriel standen. »Also gut, ich helfe euch dabei, in die Festung zu gelangen, aber ich lasse mich nicht töten, um euch dabei zu helfen, euren Todeseid zu erfüllen. Solange das klar ist...« »Es ist klar«, versicherte ihm Uriel. Vaanes grinste plötzlich und schüttelte den Kopf. »Verdammt, ich wusste doch, dass du Ärger bringst...«
NEUN
Von einem neuen Gefühl der Bestimmung erfüllt, packte der Kriegertrupp Waffen und Ausrüstung zusammen und bereitete sich darauf vor, die Zuflucht zu verlassen. Uriel säuberte seine Rüstung, so gut er konnte, und kniete nieder, um seiner Ausrüstung zu danken, dann legte er sein Gewehr und sein Schwert vor sich hin und bat sie, ihm dabei zu helfen, das Werk des Imperators zu verrichten. Pasanius füllte seinen Flammenwerfer mit dem Rest seines Prometheums, und obwohl es ihn schmerzte, wusste er doch, dass er ihn bald würde zurücklassen müssen. Eine Waffe ohne Munition war keine Waffe mehr. Schließlich waren die Krieger so weit, und Uriel führte die zusammengewürfelte Truppe der Space Marines stolz von den zerfallenden Bunkern zur Einmündung in das schattige Tal. Ardaric Vaanes marschierte neben ihm und sagte: »Dir ist klar, dass du uns wahrscheinlich alle in den Tod führst?« »Das ist durchaus eine Möglichkeit«, räumte Uriel ein. »Gut. Ich wollte mich nur vergewissern, dass du das einsiehst.« Der Himmel verdunkelte sich, als sie schließlich das Ende des Tals erreichten, eine unnatürliche Dunkelheit, die auf niedrige, bedrohliche Rauchwolken zurückzuführen war. Uriel fragte sich kurz, ob es so etwas wie Wetter auf Medrengard gab, verwarf die Überlegung dann aber. Wozu brauchten die Iron Warriors Wetter? Hier wuchs nichts oder brauchte Bewässerung vom Himmel. Voraus lag ihr eigentlicher Bestimmungsort, und nun, da Uriel die Festung tatsächlich klar sehen konnte, begriff er Vaanes' Versicherung, der Versuch die Abwehranlagen so eines Bauwerks zu überwinden, sei ein Selbstmordkommando . Honsous Festung war eine albtraumhaft schwarze Zacke vor dem Himmel. Pechschwarze Türme aus dunklem, blutfleckigem Stein bohrten sich in Wolken aus Asche, in denen düstere Blitze zuckten. Die Türme und gewölbten Hallen der Festung waren von vernarbten Bollwerken umringt, deren Mauern Hunderte von Metern hoch waren. Die oberen Ebenen standen unberührt von der Belagerungsarmee unten, aber die unteren Ebenen waren eine mit Kratern übersäte Hölle aus Flammen und Krieg. Ein Nebel aus mächtigen Energien umgab die Festung, als sei sie nicht vollkommen wirklich. Uriel musste sich brennende Feuchtigkeit aus den Augen blinzeln, wenn er zu lange auf diese aberwitzige Architektur schaute.
Die Welt selbst hallte im Gedröhn mächtiger Maschinen wider, und das rhythmische Trommeln der Hämmer klang wie der Schlag eines monströsen mechanischen Herzens. Wie ein bösartiger Pilz hatten sich die Armeen von Honsous Angreifern in unregelmäßigen Umfassungslinien rings um die Festung ausgebreitet, und Zugangswege schlängelten sich im Zickzack durch die tieferen Ausläufer der Festung und endeten in schwer befestigten Parallelen, die mit gewaltigen Bunkern und Schanzen bestückt waren. Auf der Festung erblühten beständige Explosionen, und die Ebene vor ihr flackerte und blitzte im ununterbrochenen Mündungsfeuer monströser Kanonen und Haubitzen. Eine riesige Rampe war im Bau, die schweren Panzern und Titanen Zugang zu den oberen Ebenen der Festung geben würde, und Uriel konnte erkennen, dass es in der Ebene von Millionen Kriegern wimmelte. Ausgedehnte Lager und ganze Städte waren errichtet worden, um diese Soldaten unterzubringen, und wie sie durch so viele Feinde gelangen wollten, um die Festung zu ergreifen, war ihm schleierhaft. »Kommen dir Bedenken?«, fragte Vaanes. »Nein«, sagte Uriel. »Sicher?« »Ich bin sicher, Vaanes. Wir können es schaffen. Es wird nicht leicht, aber wir können es schaffen.« Vaanes wirkte nicht überzeugt, zeigte aber auf eine Stelle, wo das Plateau schmaler und zu einer beinahe vertikalen Schere im Fels wurde, die einen Pfad die Flanke des Bergs hinunter ausbildete. »Das ist der Weg nach unten, und er führt in die Ebene. Er ist steil, sehr steil, und ein Fehltritt bedeutet den Tod.« »Wie sollen wir da hinunterkommen?«, hauchte Leonid. »Sehr vorsichtig«, sagte Vaanes. »Also fallt nicht.« »Für Sie ist es kein Problem«, sagte Ellard. »Wenn Sie abstürzen, haben Sie einen Sprungtornister.« »Was? Soll ich unsere Anwesenheit hier aller Welt verkünden?«, erwiderte Vaanes. Uriel folgte dem Abtrünnigen und wurde von einem Schwindelanfall erfasst, als er den Weg sah, den sie nehmen mussten. Die Ebene lag viele tausend Meter unter ihnen, und dampfende Wasserfälle aus geschmolzenem Metall plätscherten durch Basaltkanäle zu den orange leuchtenden Seen unten. »Man muss mit dem Gesicht zum Felsen herabsteigen«, erklärte
Vaanes, indem er den Weg betrat, der kaum einen halben Meter breit war, und die Finger in Spalten im Fels bohrte, um Halt zu gewinnen. Vorsichtig folgte er dem Weg, an die Felswand gelehnt, indem er seitwärts daran entlang nach unten glitt. Uriel ging als Nächster. Er verlagerte sein Gesicht weiter nach vorn in dem Wissen, dass ein kleiner Ausrutscher bereits ausreichen würde, ihn viele tausend Meter tief abstürzen zu lassen. Kalter Wind peitschte ihn, und er spürte das Hämmern seiner Herzschläge in der Brust. Er folgte Vaanes Beispiel und machte sich dieselben Handgriffe zunutze, wo er nur konnte. Nach ein paar Stunden schmerzten seine Muskeln und brannten seine Finger vor Erschöpfung, und sie hatten nicht einmal die Hälfte des Wegs geschafft. Sein Atem kam in kurzen, harten Stößen, und er musste sich extrem beherrschen, um nicht nach unten zu schauen. Hand über Hand folgte Hand über Hand, und ein schlurfender Schritt zur Seite folgte dem nächsten, bis sie eine Stelle erreichten, wo der Hang abflachte und es möglich war, ein kurzes Stück direkt abwärtszuklettern. Während Uriel nach unten zu einem schmalen Sims kletterte, spannte und entspannte er die Finger. Seine Panzerhandschuhe waren an vielen Stellen aufgerissen und beinahe unnütz. Seine Arme waren Bleigewichte, und er hoffte, die Kraft zu haben, es bis zum Boden zu schaffen. Mit etwas mehr Bewegungsspielraum auf dem Sims drehte er sich vorsichtig um und betrachtete den beängstigenden Maßstab der Belagerung unter sich. Was war überhaupt der Anlass dieser Belagerung? Irgendein mörderischer Konflikt, oder steckte ein anderer, finstererer Zweck hinter dem Gemetzel, das dort stattfand? Wussten die Angreifer vom Blutherz und den Daemonculaba? Es spielte wohl keine Rolle, warum die Anhänger der Dunklen Mächte Krieg gegeneinander führten. Je mehr sie einander töteten, desto weniger blieben übrig, um das Reich des Imperators anzugreifen. Ein Schreckensschrei von oben riss ihn aus seinen Grübeleien, und als er nach oben schaute, sah er eine Steinlawine mit Oberst Leonid den Hang hinuntersausen, der vor Entsetzen über seinen Absturz schrie. Uriel drückte sich flach gegen die Felswand und lehnte sich gefährlich weit auf die Seite, um Leonid zu fangen, als er an ihm
vorbeisegelte. Seine Finger schlossen sich um Leonids Uniformjacke, und er biss die Zähne zusammen, und seine andere Hand krampfte sich fester um den Felsen, als das Gewicht des Obersten drohte, sie beide vom Sims zu reißen. Unter normalen Umständen hätte Uriel keine Mühe gehabt, Leonid auf diese Weise zu fangen, aber halb aus dem Gleichgewicht und am äußersten Rand eines bröckelnden Felsvorsprungs spürte er nun, wie er von der Klippe gezogen wurde, da seine schmerzenden Finger langsam den Halt verloren. »Ich kann mich nicht halten!«, rief er. Der Sims bröckelte am Rand, und Dreck und Geröll kollerte abwärts in Richtung Ebene. »Nicht loslassen!«, schrie Leonid. »Bitte!« Uriel kämpfte darum, ihn weiter festzuhalten, wusste aber, dass er es nicht konnte. Sollte er Leonid einfach loslassen? Die Anwesenheit Leonids würde ihr Unternehmen gewiss weder so noch so beeinflussen. Er war ein normaler Mensch unter Space Marines, was konnte er ihnen schon nützen? Doch bevor er loslassen konnte, spürte er, wie sich eine Hand um seinen Schulterschutz legte und ihn zurückzog. Über ihm hatte Sergeant Ellard seine Rüstung gepackt und mühte sich, ihn zurückzuziehen. Uriel war zu schwer, als dass er ihn hätte festhalten können, aber Ellard war ziemlich kräftig, und er hielt Uriel so lange fest, dass dieser zu einem besseren Handgriff mit sicherem Halt wechseln konnte. Zentimeter für Zentimeter schob sich Uriel auf den festeren Boden des Simses zurück und konnte dann Leonid absetzen. Der Oberst hyperventilierte, und sein Gesicht war blass vor Schock und Grauen. »Sie sind jetzt in Sicherheit, Mikhail«, sagte Uriel, wobei er den Obersten absichtlich mit dem Vornamen anredete. Leonid atmete tief und angestrengt und hielt den Blick krampfhaft von dem Abgrund hinter sich abgewendet. Er zitterte, sagte aber dennoch: »Danke.« Uriel antwortete nicht, sondern schaute nach oben und sah einen atemlosen Sergeant Ellard scheinbar mit den Fingernägeln an der Felswand kleben. Uriel nickte dem Mann respektvoll zu, der das Nicken erwiderte. »Herr Oberst, können Sie weitergehen?«, fragte Ellard. »Aye...«, keuchte Leonid. »Ich bin gleich wieder so weit, lassen sie mich noch ein, zwei Minuten verschnaufen.«
Die drei warteten noch ein wenig, bevor sie weiterkletterten, Uriel an der Spitze und Ellard am Ende. Die Schritte des Obersten waren zunächst zögerlich und unsicher, aber schließlich kehrte sein Selbstvertrauen zurück, und er kam gut voran. Der Weg den Berg hinunter verschwamm zu einer schmerzhaften Aneinanderreihung ständig wiederkehrender Muster: Traversen über erschreckend schmale Felsnadeln und tiefe Abgründe neben gesplitterten Vorsprüngen. Uriel ging weiter bergab, eng gegen den Fels gepresst, bis er ein Klopfen auf der Schulter spürte. Als er sich umschaute, sah er, dass sie den Fuß der Schere im Fels erreicht hatten und sie sich auf einem breiten, geröllübersäten Hang aus Asche und Eisentrümmern befanden. Eine aufgewühlte Masse geborstener Erde zog sich mit sanfter Neigung zur Ebene weiter unten. Der Kriegertrupp war versammelt, nach der Kletterpartie außer Atem, und als Uriel nach oben schaute und sah, dass auch Leonid und Ellard sich dem Ende näherten, stieg seine Bewunderung für ihre Ausdauer und ihren Mut ebenso in neue Höhen wie seine Scham bei dem Gedanken, auch nur in Erwägung gezogen zu haben, Leonid in den Tod stürzen zu lassen. Ardaric Vaanes kam zu ihm und sagte: »Also habt ihr es auch geschafft.« »Du hattest recht«, sagte Uriel. »Das war nicht leicht.« »Nein, aber wir sind alle da. Was nun?« Das war eine sehr gute Frage. Sie waren immer noch viele Kilometer von der Festung entfernt, und Uriel konnte nicht einmal ansatzweise raten, wie viele Feindsoldaten zwischen ihnen und den tiefsten Ebenen der Festung standen. Er starrte auf die Ebene unter sich und sah unzählige Arbeitsmannschaften und Erdräummaschinen, die Hunderte Tonnen Erde bewegten, um die Rampe zu bauen, die zur Festung führte. Ein zischender See aus geschmolzenem Metall sammelte sich am Fuß des Hangs und tauchte alles in einen höllischen orangen Schein, und das Rumpeln der Maschinen und fluchende Stimmen trieben von den Baustellen nach oben. »Wir können unmöglich einfach durch so viele Soldaten marschieren. Selbst wenn die meisten nur Menschen sind.« »Ich weiß«, erwiderte Uriel mit Blick auf die riesigen Räummaschinen. »Aber vielleicht brauchen wir das gar nicht.«
Die Hitze, die der geschmolzene See abstrahlte, war erstickend. Stinkende Dämpfe entwichen aus ihm und machten jeden Atemzug heiß und schmerzhaft. Uriel schlich um einen hohen Haufen aufgestapelter Stahlplatten und wartete darauf, dass die letzte Arbeitsmannschaft vorbeimarschierte, deren Mitglieder am Hals durch stachelbewehrte Kragen aneinandergekettet waren und schmutzige Lumpen trugen. Diener der Iron Warriors in Ganzkörper-Vakuumanzügen gurgelten den Sklaven Befehle zu und schlugen und peitschten sie nach Belieben. Das Rumpeln schwerer Raupenschlepper und das Donnern des Geschützfeuers verschluckte alle Geräusche, welche die Space Marines bei ihrem Anmarsch durch die tiefer gelegenen Hänge verursachten, und die durch die Rauchwolken hervorgerufene Düsternis half ihnen ebenfalls, den Bauplatz unbeobachtet zu erreichen. Die riesigen Maschinen waren größer als die größten Superschweren Panzer, die Uriel kannte. Sie bestanden aus einem Führerhaus auf einer gewaltigen, mit Ketten versehenen Zugmaschine und einem gigantischen Container auf Rädern mit dem Durchmesser von drei ausgewachsenen Männern. Mit unzähligen Tonnen Erde und Gestein beladen, fuhren sie gemächlich die Rampe empor, luden ihre Fracht ab und fuhren dann wieder zurück, um die nächste Ladung zu holen. Millionen Tonnen waren bereits verarbeitet worden, doch die Rampe hatte nicht einmal die Hälfte des Wegs zu den oberen Ebenen der Festung überbrückt. Uriel sah zu, wie drei der Transporter wieder zurück zum Fuß der Rampe fuhren, und wandte sich an Pasanius. »Sie kommen«, flüsterte er in die Kom-Einheit seiner Rüstung. »Ich sehe sie«, bestätigte Vaanes. Auf der anderen Seite des Bauplatzes sah Uriel Vaanes jetzt an der Seite der Rampe emporklettern, um Höhe zu gewinnen und seinen Sprungtornister besser einsetzen zu können. Andere Space Marines warteten nur auf den Angriffsbefehl. Der erste Transporter vollendete seine weite Kehre und verschwand im Rauch, um mehr Erde zu holen, und Uriel biss sich in nervöser Erwartung auf die Lippe. »Der zweite ist fast da«, sagte Pasanius, und Uriel hörte die Vorfreude in der Stimme des ehemaligen Sergeanten. »Aye«, nickte er. »Bereit?« »Bereiter geht's nicht.«
»In solchen Momenten wünschte ich, Idaeus wäre noch da«, sagte Uriel. Pasanius grinste und sagte: »Dieser Angriff wäre ganz nach seinem Geschmack.« »Was? Hoffnungslos unterlegen und ohne Rückhalt durch den Codex Astartes?« »Genau«, sagte Pasanius mit einem Nicken zur Rampe. »Der letzte ist unten.« Uriel richtete den Blick auf den Transporter, da dieser einen weiten Bogen am Fuß der Rampe fuhr und sich die gewaltige Zugmaschine der Festung zuwandte. Als sie die Ebene erreicht hatte, der riesige Container aber noch auf der Schräge war, erhob er sich und rief, »Los! Los!«, über Kom, um dann ins Freie zu laufen. Einzelne Sklavengruppen starrten sie an, als sie zu der riesigen Maschine rannten, achteten aber ansonsten gar nicht auf sie. Aus der Nähe betrachtet war der Transporter sogar noch größer, als es aus der Ferne den Anschein hatte: volle neunzig Meter lang und aus verbeulten Eisenplatten und Bronzeträgern konstruiert. Die Räder waren massiv und wühlten tiefe Furchen in den Boden. Zum Glück fuhr er noch langsam genug, um ihn einholen zu können, und Uriel sprang mit einem Satz auf die Eisenleiter, die nach oben ins Führerhaus führte. Space Marines trabten neben dem Transporter her, sprangen auf die Trittbretter und kletterten an den unregelmäßigen Seiten des Hängers empor. Uriel erklomm rasch die Leiter zur Plattform neben der Fahrerkabine, dann hörte er ein lautes Krachen, als etwas auf dem Kabinendach landete. Metall riss, und er hörte Geschrei. Er kletterte weiter. Über ihm flog die Tür auf, und ein Wesen in einem Vakuumanzug und einem Ledergeschirr tauchte aus dem Führerhaus auf. Raue, statische Triller der Furcht drangen aus einer kupfernen Gesichtsplatte, als es Uriel erblickte, doch der ließ ihm keine Zeit zu einer Reaktion, sondern griff nach oben und packte das Geschirr. Es versuchte eine Pistole zu ziehen, aber Uriel zog mit kräftigem Ruck, so dass es aus der Kabine und nach unten auf den Boden fiel. Kyama Shae, der Space Marine der Crimson Fists, der auf dem Trittbrett mitfuhr, schoss dem Mutanten in den Kopf, und die Gruppe der in diesem Teil der Rampe versammelten Sklaven ju-
belte, als er es tat. Uriel kletterte die Leiter empor und schwang sich kampfbereit in die Fahrerkabine, sah aber, dass bereits alles erledigt war: Noch zwei weitere, ebenfalls in schwarze Vakuumanzüge gehüllte Wesen der Art, wie Uriel es gerade zu Boden geworfen hatte, lagen tot auf ihren Klappsitzen, von Ardaric Vaanes' Energieklauen vom Hals bis zum Schritt aufgerissen. Der Abtrünnige saß unbeholfen vor einer Leiste mit Kontrollen, und sein Sprungtornister füllte beinahe die Kabine aus. Er kämpfte mit einem Durcheinander aus Hebeln und einem riesigen Rad unter einem großen Riss im stählernen Dach und sagte: »Weißt du, wie man dieses Ding fährt?« »Nein«, sagte Uriel. »Aber wie schwer kann das sein?« »Das werden wir gleich herausfinden«, sagte Vaanes. Uriel wischte mit der Hand über die blutverschmierte Windschutzscheibe und schaute durch sie auf das hintere Ende der beiden Schlepper vor ihnen. »Fahr einfach geradeaus, und versuch an den beiden vor uns so lange wie möglich dranzubleiben.« Vaanes nickte, zu beschäftigt damit, sich mit der Steuerung vertraut zu machen. Uriel überließ ihn sich selbst und schwang sich nach draußen auf die Plattform neben der Kabine. Die Space Marines des Trupps liefen über die Trittbretter zu den Leitern an den Seiten und im Heck des Hängers und kletterten daran empor, um sich in dem leeren Container zu verstecken. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie ohne größeres Entdeckungsrisiko tatsächlich nah herankommen konnten, kletterte Uriel wieder zurück ins Führerhaus und zerrte die Leichen der Mutanten nach draußen. Er schleuderte sie zu Boden, und die Sklaven, die ihnen am nächsten waren, fielen über sie her und rissen sie mit hemmungsloser Selbstvergessenheit in Stücke. »So schwierig ist es gar nicht«, sagte Vaanes, als Uriel die Tür hinter sich schloss. »Nein?« »Nein, ein Rhino ist schwerer zu steuern als dieses Ding hier. Es ist nur ein wenig größer.« »Nur ein wenig«, stimmte Uriel zu. Er überließ Vaanes der Steuerung und starrte durch die schmutzige Windschutzscheibe auf die Szenerie, und der Maßstab der hier stattfindenden Schlacht raubte ihm den Atem.
Sie passierten riesige Artilleriegruben und gewaltige Geschütze, die um vieles größer waren als die schwersten Kanonen der Imperialen Garde und der Festung panzergroße Granaten entgegenschleuderten. Hohe, mit Leichen behangene Türme und stachelige Bunker waren über das ganze Lager verteilt, und eine gigantische Infrastruktur hatte sich gebildet, um bei der gewaltigen Anstrengung zu helfen, Honsous Festung einzunehmen. Finstere Wunder und monströse Anblicke begegneten ihnen an jeder Ecke, die ungezählten Schrecken einer Dämonenwelt im Krieg. Die Schlepper fuhren über leichenbehangene Straßen und schädelgepflasterte Plätze, wo nackte Irre große mit Eingeweiden behangene Götzenbilder und eiserne Säulen umtanzten, die vor Energie knisterten. Sie sahen, wie Mutanten verkrüppelte Sklaven in blubbernde Seen aus geschmolzenem Metall warfen und dabei lachten, und Uriel wandte sich ab. Er konnte sie nicht alle retten, also würde er keinen retten. Es verletzte seine Seele, derartige Gräueltaten ungestraft zu lassen, aber er glaubte langsam, dass Vaanes recht hatte - es war besser, sie sterben zu lassen, als bei dem Versuch, sie zu retten, selbst zu sterben und zu scheitern. Während der Schlepper die Entfernung zwischen dem Rand des Lagers und den Belagerungslinien überwand, fuhren sie über große Eisenbrücken, die tiefe Gräben überquerten, durch Kilometer von Stacheldraht und um tiefe Gruben mit schreienden mechanischen Ungeheuern herum. Schatten von großen, krallenbewehrten Gliedern tanzten im Feuerschein, und Uriel verspürte einen Schauder der Furcht beim Gedanken daran, solche Dämonenmaschinen auch nur zu erblicken. Die Hitze im Führerhaus war bedrückend, aber aus Angst vor Entdeckung wagte er nicht, die Tür zu öffnen. Bisher war es ihnen gelungen, den Schleppern zu folgen, aber sobald sich der führende Schlepper von der Festung abkehrte, würde die Täuschung auffliegen. Die Schlepper rollten weiter durch das Lager der Iron Warriors, durch riesige Barackenstädte voller rot gekleideter Soldaten und in Ölfässern brennenden Feuern. Soldaten stimmten Lobgesänge auf ihre Herren an und schossen in die Luft, während sie um die Flammen tanzten. »Das sind die Krieger von Lord Berossus«, sagte Vaanes, indem er auf eine schwarz-goldene Standarte zeigte, die am Rande des Lagers gehisst war.
»Und wer ist das? Ein Rivale Honsous?« »Sollte man meinen. Er ist Anführer einer großen Kompanie der Iron Warriors und ein Vasall von Lord Toramino, einem der mächtigsten Kriegsfürsten überhaupt.« »Woher weißt du das alles?«, fragte Uriel. »Wir haben hin und wieder Gefangene genommen«, erwiderte Vaanes, »und sind nicht davor zurückgescheut, sie zu verhören. Wenn Berossus hier ist, kann Toramino auch nicht weit sein. Aus welchem Grund sie Honsous Festung auch belagern, es muss ein ziemlich guter Grund sein.« »Vielleicht wissen sie, was Honsou von Hydra Cordatus mitgebracht hat, und wollen einen Anteil von der Kriegsbeute.« »Gensaat? Ja, das wäre eine Erklärung.« »Das dürfen wir nicht zulassen.« Vaanes lachte. »Wir sind nur dreißig Krieger, und du willst, dass wir diese Welt umkrempeln.« »Warum nicht?«, sagte Uriel. »Wir sind Space Marines des Imperators. Wir können alles schaffen, was wir uns vornehmen.« »Ich weiß nicht warum, weil ich deinetwegen wahrscheinlich sterbe, aber ich mag dich, Uriel Ventris. Du hast einen absurden Sinn dafür, das Unmögliche zu versuchen, das gefällt mir.« Uriel richtete den Blick wieder nach draußen, erfreut über das Kompliment, als der führende Schlepper eine breite Kreuzung erreichte und eine weite Kurve zu einer riesigen Abraumhalde fuhr. »Verdammt, sie kehren um«, fluchte Vaanes, der dasselbe sah. »Wir sind noch zu weit weg, um es zu Fuß zu schaffen«, sagte Uriel. »Vor uns sind noch ganze Regimenter.« »Was meinst du?« »Gib Gas!«, sagte Uriel. »Fahr direkt zur Festung, und wir machen alles nieder, was uns in die Quere kommt. Wir fahren sie über den Haufen oder erschießen sie, aber bring uns so nah an die Festung heran, wie du kannst.« »Ich versuch's!«, rief Vaanes, indem er einen Gang höher schaltete und Gas gab. »Wir werden nicht weit kommen, bevor es Ärger gibt, also mach dich bereit, mir Feuerschutz zu geben.« Uriel nickte und verließ die Fahrerkabine. Er rief die anderen Space Marines über Kom und unterrichtete sie über die Situation. Bestätigungen huschten über sein Visier, und Uriel machte Schwert und Boltgewehr bereit, während der Schlepper der Kreu-
zung entgegenrumpelte. Die für die Schlepper gedachte Straße war eindeutig zu sehen und bog nach links ab, doch anstatt langsamer zu werden, um der Kurve zu folgen, erhöhte das Vehikel die Geschwindigkeit und raste geradeaus weiter, wobei es wie wild zu bocken anfing, als es auf einen Untergrund wechselte, der nicht für ein derart schweres Fahrzeug geeignet war. Schreie und Alarmrufe ertönten hinter ihnen, da Zelte, Lagerhäuser und Fertighütten unter ihren Ketten plattgewalzt wurden. Rot uniformierte Soldaten, Sklaven und Mutanten sprengten vor ihnen auseinander, und jene, die nicht schnell genug waren, wurden überrollt und zerquetscht. Schüsse prallten von den Seiten des Schleppers ab, aber sie waren sporadisch und ungenau gezielt, und Uriel wusste, dass sie sich wegen derart kleinkalibriger Waffen keine Sorgen zu machen brauchten. Sie würden erst dann Grund zur Sorge haben, wenn weiter vor ihnen stationierte Einheiten über die Situation informiert wurden. Und natürlich sah er kurz darauf Geschützmannschaften vor sich, die statische Waffenplattformen mit Geschützen herumschwenkten, welche ihr Fahrzeug in Fetzen schießen würden. »Krieger, zum Angriff!«, rief er über Kom. Space Marines, die auf diesen Befehl gewartet hatten, erhoben sich hinter der Wandung des Hängers und eröffneten das Feuer. Boltgeschosse beharkten die Schützen und rissen ihre Kanonen in Stücke. Der Schlepper raste in die Grabenlinien und pflügte eine tiefe Furche, während er auf dem weicheren Boden langsamer wurde. Brüllende Soldaten sprangen in die Gräben, doch dort fanden sie keine Zuflucht, da das gewaltige Gewicht des Schleppers die Gräben einstürzen ließ und viele Männer unter Tonnen von Erde und Geröll begrub. Uriel sah ohne Mitgefühl zu und genoss die Zerstörung, die sie anrichteten. Er schoss mit seiner Waffe auf die Soldaten und brüllte den anderen Space Marines Aufmunterungen zu, während sie den Feind töteten. Er schaute gerade rechtzeitig auf, um einen grellen Lichtblitz zu sehen, und fuhr zusammen, als eine gewaltige Explosion den Boden neben ihnen erschütterte. Der Schlepper schwankte, und einen Moment war Uriel sicher, er werde umkippen. Aber der Imperator war mit ihnen, und der Schlepper richtete sich wieder auf und krachte mit markerschütternder Wucht wie-
der auf den Boden. Uriel kam wieder hoch und sah mehrere Artilleriegeschütze mit gesenkten Läufen auf sie zielen. Wieder explodierte eine Granate dicht neben ihnen und überschüttete den Schlepper mit Trümmern, Erde und Rauch. Die Kanoniere schossen sich ein, wie viele ihrer eigenen Leute sie auch dabei töteten, und Uriel wusste, dass ihnen bestenfalls noch Sekunden blieben, bevor eines der Geschütze sie in Atome zerlegen würde. »Alles abspringen!«, rief er. »Sofort!« Nachdem der Schlepper zweimal so knapp verfehlt worden war, brauchte keiner der Space Marines eine Extra-Einladung. Sie kletterten über die Wandung des Hängers und sprangen ab. Uriel sah, wie Pasanius landete und sich abrollte, und riss die Tür des Führerhauses auf. »Vaanes! Komm, beeil dich!«, überschrie er das Knattern der Schüsse und die Explosionen. »Spring ab!«, antwortete Vaanes. »Ich bin gleich hinter dir!« Uriel nickte und sprang von der Plattform neben dem Führerhaus. Er schlug schwer auf, rollte sich ab und prallte auf ein Dutzend Soldaten. Einen Herzschlag später war er auf den Beinen, schlug mit dem Schwert um sich und rannte dem Berg entgegen. Schüsse wirbelten Staub rings um ihn auf und prallten von seiner Rüstung ab, während er einfach weiterlief. Er sah Ardaric Vaanes aus dem Führerhaus springen, als eine Granate aus einer der Kanonen schließlich den Schlepper traf. Die Zugmaschine verschwand hinter einer Flammenwand, und das Wrack pflügte noch ein paar Sekunden weiter, bevor es einen Stacheldrahtzaun durchbrach und mit der Gewalt einer Bombenladung explodierte. Folge-Explosionen schlossen sich an, als Treibstofftanks und Granaten hochgingen. Uriel ging auf, dass Vaanes die letzten paar Sekunden genutzt haben musste, um den Schlepper auf ein empfindliches Ziel zu lenken, bevor er abgesprungen war. Die Erde bebte, als Granaten durch die Luft flogen und brennender Treibstoff in alle Richtungen spritzte. Feindliche Soldaten duckten sich und liefen in dem Mahlstrom aus explodierenden Granaten und sengenden Flammenwänden in Deckung, doch Uriel und die Space Marines rannten weiter. Voraus sah er den Fuß des Berges, wo Berossus' Ingenieure riesige Führungsschienen für eine Seilbahn verlegt hatten, die in die höheren Regionen führten. Ein riesiger Waggon, der von Eisen-
führungen gehalten wurde, kroch den Berg empor und brachte viele hundert Soldaten der Iron Warriors zur weiter oben tobenden Schlacht. Tausende Soldaten ballten sich am Fuß des Bergs und warteten darauf, nach oben gebracht zu werden und sich dem Angriff anzuschließen. Explosionen und Schüsse waren nichts Neues für sie, und sie hatten die heranstürmenden Space Marines hinter sich noch gar nicht bemerkt. Uriel sah Pasanius und Vaanes voraus und rief sie über Kom. »Der Bahnsteig rechts!«, rief er. »Da kommt gerade ein leerer Waggon nach unten. Den müssen wir nehmen!« »Ich sehe ihn«, erwiderte Vaanes. Die Space Marines des Kriegertrupps fuhren wie ein Güterzug zwischen die arglosen Soldaten und mähten in den ersten Sekunden ihres Angriffs Dutzende nieder. Mit grimmiger Entschlossenheit kämpften sie sich hauend, stechend und schlagend in einer Orgie des Blutvergießens vorwärts. Von Schlächtern in ihrer Mitte überrascht, kämpften die Soldaten darum, ihnen aus dem Weg zu gehen, und es dauerte nicht lange, bis Uriel freie Bahn zum Bahnsteig hatte. Vaanes war vor ihm da und hatte ihnen bereits einen Weg zu der einlaufenden Seilbahn geschlagen. Uriel nahm mehrere Stufen auf einmal, als er die Treppe zum Bahnsteig emporlief. Ein Schulterblick zeigte ihm, dass der Rest der Krieger hinter ihm war und sich geduckt hielt, um den auf sie gezielten Schüssen ein möglichst kleines Ziel zu bieten. Die Seilbahn dockte mit gewaltigem Scheppern und Krachen am Bahnsteig an und hatte es kaum getan, als die Space Marines auch schon über sie herfielen. Der Waggon war leer bis auf eine grauhäutige Servitor-Kreatur, die mit den Mechanismen der Steuerung verschmolzen war und deren einzige Funktion darin zu bestehen schien, an den Hebeln zu ziehen, welche die Bahn bergauf oder bergab fahren ließ. Uriel, Pasanius und Kyama Shae gingen zum Rand des Bahnsteigs und schossen auf die heranstürmenden Feindsoldaten, die jetzt langsam den Mut wiederfanden. »Ventris!«, rief Vaanes. »Beeil dich, die Bahn fährt los!« Uriel schlug seinen beiden Begleitern auf den Schulterschutz, bevor er zurück zur Seilbahn lief. Knirschende Zahnräder und schnaufende Motoren hoben sie bereits in die Höhe, aber sie war
schwerfällig, und Uriel schwang sich an Bord, bevor sie weiter als einen Meter gestiegen war. Er drehte sich zu Pasanius um, packte seinen silbernen Arm und zog ihn hinauf, wobei er mit einiger Überraschung zur Kenntnis nahm, dass er vollkommen makellos war und nicht einen Kratzer hatte. Wie konnte das sein, wenn seine eigenen Panzerhandschuhe so zerkratzt und ramponiert waren, dass sie praktisch nutzlos waren? Pasanius eilte an ihm vorbei und ging hinter den Führungsschienen in Schussposition, während Uriel auch noch Kyama Shae an Bord der Seilbahn half. Kugeln prallten von den Seiten des Waggons ab, doch nach einigen Sekunden stetiger Beschleunigung waren sie außer Reichweite der Waffen des Feindes. Uriel warf noch einen Blick auf Pasanius, bevor er wieder auf den Berg vor ihnen schaute. Schwarze, rauchige Wolken hüllten die höher gelegenen Hänge ein, und in der Dunkelheit flackerten Blitze und Explosionen von der über ihnen tobenden Schlacht. »Tja, wir sind da«, sagte ein atemloser Vaanes. Uriel drehte sich zum rasch kleiner werdenden Bahnsteig unter ihnen um, während sie in die Wolken aufstiegen und von Dunkelheit verschluckt wurden. »Hierher zu kommen, war der leichte Teil«, sagte Uriel. »Jetzt müssen wir die Festung stürmen.«
ZEHN »Es hat den Anschein, als sei Euer Versuch, Lord Berossus durch die Beschießung seines Pavillons zu verärgern, ein voller Erfolg gewesen«, sagte Obax Zakayo unnötigerweise, als eine weitere Granatsalve in die Mauern einschlug. Wolken aus Flammen und Rauch rasten himmelwärts, und Honsou lachte, da inmitten der Trümmer auch Leiber nach unten regneten. Staub hüllte sie ein, Trümmerstücke polterten die gepflasterten Brustwehre entlang nach unten und Honsou hustete, als er einen Mundvoll Asche verschluckte. Vielleicht war es töricht, sich so nah bei der Front aufzuhalten, aber er war dem scharfen Ende einer Schlacht noch nicht so fern, dass er den Kanonendonner in den Ohren nicht genossen hätte. »Ja, so sieht es aus. Er ist so berechenbar, dass es einem bei-
nahe den Spaß raubt, ihn zu zerquetschen.« »Aber, Milord, er ist nur noch Tage davon entfernt, die inneren Wälle von Khalan-Ghol zu durchbrechen«, sagte Onyx, der seitlich versetzt etwas hinter Honsou stand. »Wie kann das zu unserem Vorteil sein?« »Weil er nach meiner Pfeife tanzt, Onyx, nicht nach seiner eigenen. Bring einen Feind dazu, dass er auf deine Vorgaben reagiert, und er ist so gut wie verloren. Ich habe ihn fast genau da, wo ich ihn haben will. Aber Toramino... mit Toramino ist es nicht so einfach. Vor ihm müssen wir uns vorsehen. Ich weiß nicht, was er tut.« »Unsere Seher haben nichts Bemerkenswertes hinsichtlich Toramino herausgefunden«, sagte Obax Zakayo. »Anscheinend wartet er und schont einfach seine Krieger, während Berossus seine Männer gegen unsere Mauern anrennen und sterben lässt.« »Ich weiß, und genau das beunruhigt mich«, schnauzte Honsou mit einer Geste auf das Gemetzel, das auf den Mauern unter ihnen stattfand. »Toramino ist viel zu schlau, um uns einfach so seine Männer entgegenzuwerfen. Er weiß, dass Berossus keine anderen Taktiken beherrscht, und wartet auf seinen Augenblick zum Zuschlagen. Den müssen wir voraussehen und ihm zuvorkommen. Sonst sind wir verloren.« Onyx beugte sich über die Brüstung und ließ den Blick seiner funkelnden Silberaugen nach rechts und links von der Stelle wandern, wo er, Honsou und Obax Zakayo standen. Iron Warriors standen bereit, die Brustwehr zu verteidigen, sollten die Bollwerke unter ihnen fallen, was, wenn er die Stärke des Angriffs richtig einschätzte, absolut wahrscheinlich war. »Wir sind dem Kampfgeschehen zu nah«, sagte er. Honsou schüttelte den Kopf. »Nein, ich muss hier sein.« »Ich kann Euch vor der Klinge eines Attentäters oder der Kugel eines Mörders schützen«, sagte Onyx, »aber von einer Artilleriegranate kann ich nicht dasselbe behaupten. Eine Ewigkeit der Marter erwartet meine Essenz, sollte ich zulassen, dass Ihr sterbt, während Ihr unter meinem Schutz steht.« »Warum sollte mich deine ewige Marter kümmern?« »Sie würde Euch nicht kümmern, Ihr wärt tot.« Darüber dachte Honsou einen Moment nach und sagte dann: »Da könntest du recht haben, Onyx.« Der dämonische Symbiont nickte respektvoll, während mehr
jaulende Granaten unter ihnen an den Mauern explodierten. Honsou wandte sich ab, zufrieden, dass das Bollwerk hier so sicher war, wie er es sich nur wünschen konnte. Die Krieger, die er ausgewählt hatte, ihn in Berossus' Lager zu begleiten, befehligten diesen Abschnitt der Mauern, und es gab keine besseren in seiner großen Kompanie. Er hatte einen Schritt gemacht, als ihn ein Aufblitzen dunklen Vorauswissens innehalten ließ, und er brüllte: »Alles runter!« Ob durch schieres Glück oder großes Geschick, das würde Honsou nie erfahren, aber eine Granatsalve aus den Geschützen unten traf den Rand der Brustwehr, auf der er mit seinen Kriegern stand, und fegte wie mit einem vernichtenden Hammerschlag die Stützen für das Gestein weg. Honsou rappelte sich auf und rannte verzweifelt der Sicherheit der Promenade hinter der Brustwehr entgegen, doch es war bereits zu spät. Mit dem knirschenden Krachen berstenden Gesteins wurden er und viele Hundert seiner besten Krieger in einer Lawine aus Trümmern und zerschmettertem Gestein nach unten geschwemmt. Das Auftauchen aus dem Rauch war wie eine Wiedergeburt in der Hölle, überlegte Uriel. Zuerst war er enttäuscht gewesen, ihren Bestimmungsort nicht sehen zu können, doch als sie die dunklen Wolken in den Bergen passiert hatten und ihn zum ersten Mal aus der Nähe sahen, wünschte er sich rasch, ihn wieder aus den Augen zu verlieren. Honsous in den toten Himmel ragende Festung war das Wirklichkeit gewordene Hirngespinst eines Irren. Stein war so auf Stein gelegt worden, dass jeder Winkel auf eine unterschwellige Art falsch war und den Sinnen auf einer tief liegenden, instinktiven Ebene Gewalt antat. Ihre dunklen, geäderten Mauern ragten mit ihren spiralförmigen, in Blitzen gehüllten Zinnen und Türmen allen Gesetzen der Perspektive zum Trotz in schwindelnde Höhen. Klingen und Stacheln ragten aus ihrem gleißenden Gefüge, und ein schwarzer Regen ergoss sich wie Blut aus den Stellen, wo sie von Artilleriegranaten getroffen worden war. Schnell fließende Bäche aus geschmolzenem Metall rannen aus Abzugsgräben den Berg hinunter wie Lavaströme aus einem ausgebrochenen Vulkan. Geschütze feuerten aus Portalen, die wie Dämonenvisagen aus-
sahen, und brennendes Dämonenblut ergoss sich aus riesigen Eisenkesseln auf die schreienden Soldaten weiter unten. Flammen tanzten über die Brustwehre und in die Massen der kämpfenden Soldaten. Tod und Zerstörung schlichen an diesem Tag über das Schlachtfeld, und sie machten fette Beute. Zehntausende Soldaten füllten die mit Trümmern übersäten Weiten der Festung und kämpften sich einen verwüsteten, von Geröll bedeckten Hang empor, der früher ein Bollwerk gewesen war. Explosionen schleuderten Leichname durch die Luft, da vergrabene Minen Hunderte in den Tod sprengten, und die monströsen Gestalten zweier Titanen kämpften inmitten der Trümmer und Flammen und zerquetschten Menschen und Maschinen unter ihren riesigen Füßen. Uriel und die Space Marines beobachteten das entsetzliche Wüten der Schlacht über ihnen, als sich die Seilbahn dem oberen Bahnsteig näherte und kreischend abbremste, um sie abzuladen und den Rückweg den Berg hinunter zu beginnen. »Der Imperator beschütze uns«, hauchte Vaanes. »So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen.« »Ich weiß...«, stimmte Uriel zu und zog sein Schwert, als die Seilbahn den Bahnsteig erreichte und sich quietschend die Bronzetür öffnete. »Wie können wir hoffen, das zu überleben?« Uriel wandte sich Vaanes zu und sagte: »Denk daran, was ich dir gesagt habe: Tod und Ehre. Wenn der eine das andere mit sich bringt, ist es ein guter Tod.« »Nein...«, zischte Vaanes. »Kein Tod ist gut. Nicht so wie hier.« Keiner der Space Marines bewegte sich, da sie angesichts des furchtbaren und überwältigenden Spektakels eines Krieges in einer Größenordnung, wie ihn nur wenige je erlebt hatten, beinahe ehrfürchtige Scheu empfanden. Uriel wurde klar, dass er sie in Bewegung setzen musste, bevor das Ausmaß dieser Schlacht und der Impuls der Selbsterhaltung das neu geweckte Ehrgefühl und Pflichtbewusstsein überwinden würden, das er in ihnen geweckt hatte. Er wurde gerettet, als Pasanius rief: »Los, vorwärts, bewegt euch! Alles raus!« Tief verankerte Reflexe übernahmen, und die Space Marines eilten rasch aus der Seilbahn, die ganze Zeit von einem brüllenden Pasanius angestachelt. Nur Uriel und Ardaric Vaanes blieben an
Bord. »Komm«, sagte Uriel. »Es gibt Arbeit.« Vaanes sagte nichts, nickte aber und folgte Uriel aus dem Seilbahnwagen auf den Bahnsteig, während er seine knisternden Energieklauen aus den Panzerhandschuhen ausfuhr. »Was hast du vor?«, rief Uriel. »Seilbahnen halten einander im Gleichgewicht«, erklärte Vaanes, indem er die Krallen sauber durch die dicken Kabel zog, welche die Seilbahn hielten. Der Bahnsteig ächzte, und die Kabel rissen mit einem metallischen Sirren. Die Seilbahn kippte langsam weg und fiel dann durch den Rauch nach unten. Das Geräusch kreischenden Metalls und orange Funkenschauer folgten ihr nach unten. »Hier kommt eine ganze Weile niemand mehr nach oben«, sagte Vaanes. »Schlau«, sagte Uriel. Sie eilten zu ihren Kameraden, die sich in einer Nische im Fels unter einem überhängenden Bollwerk versammelt hatten, von wo sie die Schlacht aus relativer Sicherheit beobachten konnten. Raketen und Granaten flogen hin und her, und der Lärm der Explosionen und Geschütze war ohrenbetäubend. Der Berg erzitterte unter den Schritten der Titanen, die beide in völliger Selbstvergessenheit aufeinander einschlugen. Grimassenhafte Dämonenköpfe prallten zusammen, und gewaltige Klingen zerfetzten die Panzerung des anderen, während peitschende Stachelschwänze ganze Abschnitte der Mauer zum Einsturz brachten. »Und jetzt?«, rief Pasanius, der Mühe hatte, sich über den Lärm hinweg verständlich zu machen. »Jetzt müssen wir rein!«, sagte Uriel. »Du meinst, wir schließen uns dem Angriff an?«, fragte Vaanes. »Unmöglich!« »Welche Wahl haben wir?«, brüllte Uriel zurück. »Wir können machen, dass wir von diesem Berg verschwinden! Ich habe dir gesagt, ich würde dir helfen reinzukommen, Ventris, aber ich habe dir auch gesagt, dass ich mich für deinen Todeseid nicht töten lasse!« »Verdammt, Vaanes, wir sind jetzt hier! Wir müssen weiter!« Vaanes wollte gerade antworten, als eine Granatsalve über sie hinwegrauschte und den Rand des überhängenden Bollwerks direkt über ihnen traf. Staub und Trümmer regneten auf sie herab,
und Felsbrocken polterten die Hänge hinab, als sich das Bollwerk mit berstendem Krachen vom Berg löste. »Achtung!«, schrie Uriel, als das Bollwerk abkippte und ihnen in einem Erdrutsch aus Geröll und geborstenen Felsbrocken entgegenstürzte. Honsou spürte, wie Felsbrocken gegen ihn prallten, als er fiel, und drohten, ihn völlig zu zermalmen. Er überschlug sich, und seine Sinneseindrücke waren ein kaleidoskopisches Durcheinander aus Lärm und Licht. Der Aufprall raubte ihm den Atem, aber er konnte sich gerade noch zur Seite wälzen, als riesige, panzergroße Felsbrocken rings um ihn aufschlugen. Erstickende Wolken aus schwarzem Staub und Rauch wallten auf, doch wenngleich er sich nach dem Sturz ziemlich zerschlagen fühlte, schien er weder Knochenbrüche noch innere Verletzungen davongetragen zu haben. »Onyx!«, rief er heiser. »Zakayo!« »Hier!«, hustete Zakayo. »Ich lebe noch!« »Ich auch«, sagte Onyx, »aber ich brauche Hilfe.« Honsou wankte zu der Stelle, wo sein Kämpe lag, der beinahe vollständig unter einem Haufen Gesteinsbrocken begraben war, aus denen verbogenen Eisenstangen ragten. Onyx' Rumpf und Beine waren unter einer Trümmermenge begraben, die sogar einen Krieger in einer Servo-Rüstung zerquetscht hätte, doch der Körper des dämonischen Symbionten war von immateriellen Energien durchdrungen, und er war gegen solche Dinge gefeit. Honsou packte ein Trümmerstück und versuchte die gewaltige Masse zu bewegen, doch es war selbst für jemanden wie ihn zu schwer. Obax Zakayo kam ihm zu Hilfe, und die zischenden mechanischen Arme, die aus dem Rückenteil seiner Rüstung sprossen, umklammerten die Eisenstangen. Iron Warriors rappelten sich langsam aus dem Geröll auf, und jene, die nicht von herabfallenden Trümmerstücken zermalmt oder beim Einsturz des Bollwerks sonstwie getötet worden waren, packten ebenfalls mit an, um Onyx zu befreien. Honsou machte Platz und sah sich um, während grelle Nachbilder der Schlacht über sein Visier zuckten. Er schüttelte den Kopf, um sein Blickfeld zu klären und eine bessere Vorstellung davon zu bekommen, wo sie nach dem Absturz aus der Festung gelandet waren. Der Zweikampf der beiden Titanen nicht weit entfernt hatte weitere Trümmer herabregnen lassen, und Honsou sah, dass
sie wenig Mühe haben würden, wieder zurück in die Festung zu gelangen. Der glückliche Artillerietreffer hatte einen Teil der Mauer unter dem Bollwerk einstürzen lassen, wodurch sich ein Hang gebildet hatte, der direkt zu den Mauern führte. Natürlich nur, wenn sie lange genug überlebten, dachte er, als er verschwommene Gestalten durch die wirbelnden Wolken aus Staub und Rauch kommen sah. Uriel riss sich den Helm ab, dessen Visier gesprungen und nutzlos war. Die Drucksiegel, die ihn mit seinem Nackenschutz verbanden, waren irreparabel zerstört. Er murmelte ein Abschiedsgebet für den Geist des Helms und legte ihn auf den Boden. Ohne seine Autosinne konnte er nur verschwommene Umrisse im Rauch der herabgestürzten Trümmer erkennen, aber nachdem er sich ein paar Staubkörnchen aus den Augen geblinzelt hatte, sah er, dass der Imperator sie erneut gesegnet hatte. »Da!«, rief er, indem er auf einen großen Spalt in der Seite der Festung zeigte, wo das Bollwerk gelandet war. Ein steiler, aber begehbarer Hang aus Gesteinstrümmern und Stahlbetonbrocken führte aufwärts zur Brustwehr. Uriel wusste, dass sie nie eine bessere Gelegenheit bekommen würden, in die Festung einzudringen. Er ging seinen Kriegern voran und sah plötzlich undeutliche Gestalten in Servorüstung, die sich ebenfalls aufrappelten. Zuerst nahm er an, dass es sich um die Space Marines seines Trupps handelte, doch als sich der Staub langsam legte, erkannte er, dass er sich geirrt hatte. Es waren Iron Warriors. Honsou sah einen Space Marine aus dem Rauch treten, dessen blaue Rüstung staubbedeckt und ramponiert war. Sein Herz tat einen Sprung, als der Krieger ein Knurren von sich gab und eine schimmernde Klinge zückte. Einer der Krieger des Falschen Imperators? Hier? Seine Überraschung hätte ihn beinahe das Leben gekostet, als die Klinge seinem Hals entgegenzuckte, und er konnte sie gerade noch mit seiner Axt parieren und dem anschließenden Rückhandschlag durch einen Sprung nach hinten ausweichen.
Seine Axt kreischte, als seine Kriegerseele zum Leben erwachte, und Honsou sah, dass die blaue Rüstung des angreifenden Kriegers keine Insignien und Rangabzeichen aufwies. Ein Abtrünniger? Ein Söldner? War das Toraminos Werk? Hatte er den Abschaum der Abtrünnigen, die in den Bergen herumschlichen hinter sich geschart? Doch ihm blieb keine Zeit mehr, über die Herkunft des Kriegers nachzudenken, da dessen Klinge wieder nach ihm stach. »Iron Warriors!«, bellte er. »Zu mir!« Uriel hieb wieder nach dem Iron Warrior, doch jeder seiner Schläge wurde von einer riesigen Streitaxt mit einer glänzenden, schwarz gezähnten Klinge pariert. Sein Gegner rief seinen Kriegern etwas zu, und weitere Gestalten schälten sich aus dem Staub, Schwerter und Äxte erhoben, während die Mündungsblitze schießender Boltgewehre den Staubnebel erleuchteten. »Imperator, führe meine Klinge!«, rief er, als er wiederum angriff. »Der hat hier keine Macht«, erwiderte der Iron Warrior, der nun die Axt wirbeln ließ und zum Gegenangriff überging. Uriel wich zur Seite aus und beschrieb einen Bogen mit dem Schwert, um seinen Gegner zu enthaupten, doch der war nicht mehr da, sondern wälzte sich unter dem Schlag durch und schwang die Axt gegen Uriels Rücken. Uriel warf sich flach auf den Boden, und die kreischende Axtklinge verfehlte seine Rüstung nur um Zentimeter. Er wälzte sich weiter zur Seite, als die Axt hinuntersauste und bei ihrem Aufprall den Boden erzittern ließ. Uriel landete einen Tritt, der den Iron Warrior auf die Knie sinken ließ, und ließ einen Schwerthieb in weitem Bogen zum Kopf folgen. Die Spitze seiner Klinge traf den Helm des Iron Warriors und ließ ihn den Hang hinunterpoltern. Er rappelte sich wieder auf, da sich mehr Space Marines in das Getümmel im Schatten der kämpfenden Titanen stürzten. Neben der Gewalt des Zweikampfs dieser Teufelsmaschinen wirkte dieser bescheiden, aber er war nichtsdestoweniger ebenso brutal und gnadenlos. Es kam zu heftigen Feuergefechten und Nahkämpfen, Boltgewehre krachten und Schreie der Wut und der Schmerzen ertönten, als Sprenggeschosse Rüstungen bersten ließen und Klingen in Fleisch eindrangen. Er holte mit dem Schwert aus, um einen Iron Warrior
zu erstechen, aber eine peitschende Energieschnur zuckte vor und legte sich um seinen Arm. Unerträgliche Schmerzen zuckten durch seinen Arm, und er konnte gerade noch sein Schwert festhalten. Uriel sank auf die Knie, als ein riesiger, breitschultriger Iron Warrior näher kam, aus dessen Schultern gewaltige mechanische Arme ragten. Die Energiepeitsche war an einer weiteren Zusatzklaue angebracht. »Du wagst es, den Herrn von Khalan-Ghol anzugreifen! Du wirst sterben!«, brüllte der Krieger mit hässlicher, knisternder Stimme. Ein Flammenstrahl raste durch das Schlachtfeld, und Uriel roch plötzlich verbranntes Fleisch. Wieder bebte die Erde, und ein gigantischer Fuß krachte keine drei Meter von Uriel entfernt auf den Boden und hinterließ einen tiefen Krater. Er sah den gewaltigen Titan vor ihnen aufragen, während er gegen die entsetzlichen Schmerzen ankämpfte, die in Wellen von der Energiepeitsche ausgingen. Während der Arm mit der Peitsche ihn mit den ihm zugefügten Schmerzen lähmte, zückten die freien Hände des ungeschlachten Iron Warriors eine krude, brutale, aber zweifellos wirkungsvolle Kettenstreitaxt. »Obax Zakayo!«, schrie eine Stimme, doch Uriel konnte unter Einwirkung der durch seine Nervenbahnen tobenden Schmerzen nicht erkennen, wer gerufen hatte. Schüsse trafen die Rüstung des Iron Warriors, der daraufhin mit seiner Axt nach einem unsichtbaren Ziel hieb. »Du?«, lachte der Iron Warrior. »Du warst schon einmal unter meiner Klinge und bist entkommen, Sklave. Das wird dir nicht noch einmal gelingen.« Seine Aufmerksamkeit war einen kurzen Augenblick von Uriel abgelenkt, und mehr war nicht nötig. Er riss sein Schwert hoch und durchtrennte die Energiepeitsche. Die Schmerzen hörten sofort auf, und er konnte die durch sie hervorgerufene Lähmung abschütteln. Uriel sprang auf und sah, dass es Oberst Leonid und Sergeant Ellard waren, die den Iron Warrior angriffen. Laserstrahlen trafen seinen klobigen Leib, aber seine entartete Servorüstung konnte derartigen Kleinigkeiten mühelos widerstehen, und er brüllte auf und hieb mit seiner Axt nach Leonid. Der Oberst sprang zurück, stolperte auf dem lockeren Geröll und fiel zu Boden. Obax Zakayo setzte nach, um ihm den Rest zu geben, doch Ellard sprang auf den Iron Warrior und bearbeitete dessen Kopf mit den Fäusten.
Ellard war ein großer, massiger Mann, aber neben dem Iron Warrior war er ein Kind, und Obax Zakayo riss ihn sich von den Schultern und schleuderte ihn weg. Uriel sprang vor und hämmerte dem Iron Warrior das Schwert über die Schultern. Die Klinge knisterte, als sie die Keramitplatten der Rüstung durchschnitt, löste sich aber wieder, bevor sie mit Fleisch in Berührung kam. Obax Zakayo schwang seine Axt in brutalem Bogen nach Uriels Körpermitte, aber die Klinge traf ihn nicht, denn in diesem Augenblick bebte die Erde und barst. Geschmolzenes Metall quoll aus den Rissen, als die donnernden Schritte der kämpfenden Titanen schließlich den Berg spalteten. Weißglühendes Metall spritzte zischend auf das Gestein und reduzierte es binnen Sekunden zu Schlacke. Uriel stolperte von dem sich verbreiternden Erdspalt weg und schob sein Schwert in die Scheide, als er sah, dass für seinen Gegner kein Weg über die Kluft aus flüssigem Metall zu ihm führte. Wallende Wolken aus bitterem Rauch erhoben sich von dem Strom aus geschmolzenem Metall, und Uriel wich vor der unerträglichen Hitze zurück. Leonid und Ellard kletterten über die Felsen und gesellten sich zu ihm. »Hier spricht Uriel Ventris!«, rief er in der Hoffnung, dass sein Kehlkopfmikrofon noch funktionierte. »Falls mich jemand hören kann, versucht jetzt die Bresche über uns zu erreichen!« Boltgewehre krachten hinter ihnen, und der Explosionsdonner übertönte seinen Befehl beinahe, doch als er durch die blendenden Wolken aus Dampf und Rauch kletterte, konnte er die schattenhaften Gestalten des Kriegertrupps erkennen, die rasch zu ihm eilten. Die Bresche war über ihnen, kaum dreißig Meter entfernt, und die geröllübersäten Hänge der Festung waren wie ein Leuchtfeuer, das ihn weitertrieb. Sie hatten es geschafft. Sie hatten einen Weg in die Festung gefunden. Blut blendete ihn, und ein knirschendes statisches Rauschen erfüllte seine Sinne. Honsou setzte seinen Helm ab, warf ihn wütend beiseite und wischte sich Blut aus den Augen. Heiße Dampfschwaden trieben ihm Schweißrinnsale über das Gesicht, und er richtete sich auf, als der Schlachtendonner wieder mit aller Ge-
walt über ihn hereinbrach. »Was im Namen der Finsteren Götter geht hier eigentlich vor?«, rief er, ohne jemanden direkt anzusprechen. »Milord!«, erwiderte Obax Zakayo, der sich vorsichtig über die Felsen zu ihm vortastete. Flüssigkeit und Blut tropften von seiner Rüstung, und seine Energiepeitsche sprühte knisternde Funken, wo sie durchtrennt worden war. »Die...« »Abtrünnige!«, brüllte Honsou. »Ist das alles, was Toramino zu bieten hat?« »Aye, Abtrünnige«, stimmte Obax Zakayo zu. »Abtrünnige und entlaufene Sklaven, sie...« »Es war falsch von mir, ihn zu fürchten, Obax Zakayo«, sagte Honsou, der sich langsam wieder etwas beruhigte. »Sind sie alle tot?« »Nein, Milord. Der Berg ist aufgerissen, und wir wurden getrennt.« Honsou merkte auf. »Wo sind sie also?« »Das versuche ich Euch ja zu sagen. Sie sind durch unsere Linien gebrochen und zur Bresche gestürmt!« »Verdammt!«, fluchte Honsou. »Warum im Namen des Chaos stehst du dann noch hier herum?« »Milord, ein Strom aus geschmolzenem Metall trennt uns. Einstweilen führt kein Weg auf die andere Seite.« »Für dich vielleicht nicht«, höhnte Honsou, während er sich auf den Weg zu seinem immer noch gefangenen Kämpen machte. »Onyx!« Iron Warriors mühten sich immer noch mit den Trümmern ab, unter denen der Symbiont begraben war, aber als sie die Wut und Dringlichkeit in der Stimme ihres Herrn hörten, verdoppelten sie ihre Bemühungen noch einmal. Binnen Minuten hatten sie so viel Geröll abgetragen, dass Onyx sich daraus befreien konnte. Geschmeidig und biegsam, war ihm nicht anzumerken, dass er beinahe zermalmt worden war, als Onyx graziös zu Honsou ging. Seine schwarze Rüstung wies keinen Kratzer auf, und Honsou sah Onyx' Dämonenkräfte direkt unter seiner silbrigen Haut lauern. In seinen Augen funkelten Totenlichter, als Honsou auf die Bresche zeigte. »Finde die Abtrünnigen«, befahl er Onyx. »Finde sie und bringe sie zu mir.« Das Dämonenwesen nickte und machte sich auf den Weg die
Berghänge empor. Die zerstörten Überreste dieses Teils der Brustwehre waren wie ausgestorben, und der Kampflärm klang hier oben gedämpft. Uriel zog sich mithilfe einiger aus den Trümmern ragender Eisenstangen über die zerklüftete Gesteinsklippe und sprang auf der Suche nach drohenden Gefahren sofort auf, ohne jedoch welche zu entdecken. Die brütende Aura der Festung hüllte ihn immer noch ein, aber er hielt einstweilen den Blick von der monströsen Geometrie abgewandt, da er sich umdrehte und dem Rest seiner Streitmacht auf die Brustwehr half. Die Mauern zogen sich um den Berg, gerundet und verwinkelt und scheinbar wahllos, und Horden von Menschen und Mutanten schossen von den umkämpften Brustwehren in die Massen der Angreifer unter ihnen. Viele tausend Krieger kämpften in der Bresche und sahen von hier oben aus wie eine große Schlange, die sich wand und zuckte, während sie sich Meter um Meter den Geröllhang emporschob. Pasanius und Vaanes kletterten hinauf, denen Leonid und Ellard sowie der Rest des Kriegertrupps folgten. Uriel konnte es kaum glauben. Sie waren innerhalb der Festungsmauern! »Beim Thron!«, hauchte Pasanius. »Das war blutige Arbeit!« »Sie ist noch nicht vorbei«, warnte Uriel, während er sich umdrehte und seine Umgebung eingehender in Augenschein nahm. Eine Reihe großer Torbogen führte tiefer in die Festung, jeder von ihnen so groß wie ein Titan und von grotesken Schnitzereien umringt, die sich im Felsen wanden, als forme sich die unruhige Materie der Felsblöcke vor ihren Augen beständig neu. »Wo entlang?«, fragte Vaanes, als es der letzte Space Marine auf die Brustwehr geschafft hatte. »Ich weiß es nicht«, gestand Uriel. »Ich kann keinen Unterschied erkennen, wonach man eine Wahl treffen könnte.« »Dann haben wir nichts zu verlieren, welchen Weg wir auch nehmen«, stellte Vaanes fest und schritt dem mittleren Torbogen entgegen. »Das stimmt wohl«, sagte Uriel, obwohl ihm ein unbestimmtes Gefühl sagte, dass an diesem Torbogen durchaus etwas anders war. Er konnte nicht sagen, was, aber da er keine bessere Idee hatte, welchen sie nehmen sollten, folgte er Vaanes. Die Space
Marines schlossen sich mit den Boltgewehren im Anschlag an. Vaanes wartete vor dem Torbogen auf sie, und als Uriel unter seiner stygischen Unermesslichkeit durchging, beschrieb er das Zeichen des Adlers vor der Brust, als er ein entferntes Hämmern hörte wie vom langsamen Schlag eines schlafenden Ungeheuers. »Wir sind wieder im Bauch der Bestie, Uriel«, sagte Pasanius. Die blaue Zündflamme seines Werfers bewirkte, dass ihre Züge reliefartig hervortraten und die Gravuren auf den Innenseiten des Torbogens über das Gestein zu tanzen schienen. »Ich weiß«, nickte Uriel und betete dabei stumm, dass der weiße Umhang, den er über seine Seele gestreift hatte, ihn vor den bösen Dingen schützen würde, auf die sie im Herzen der feindlichen Festung ganz sicher stoßen würden. Onyx schwang sich auf die zerstörte Brustwehr und ließ langsam die Bronzekrallen aus dem Fleisch seiner Hände gleiten. Seine silbernen Augen suchten die Umgebung nach Spuren der Abtrünnigen ab, aber sie waren nirgendwo zu sehen. Mit schattenhaften Bewegungen witterte Onyx, und die silbernen Adern unter seiner Haut leuchteten heller, als er die dämonische Energie in sich kanalisierte, um die Eindringlinge aufzuspüren. Seine Sicht wechselte auf Gefilde jenseits des Erfahrungshorizonts der Sterblichen, wo das, was sich bereits ereignet hatte, gesehen werden konnte, indem man den Echos in der Luft lauschte. Er beobachtete, wie schattenhafte Gestalten auf ähnliche Weise auf die zerstörte Brustwehr kletterten, wie er es getan hatte: viele Krieger, die von einem geführt wurden, dessen Seele vor Zielstrebigkeit hell leuchtete, und von einem anderen, dessen Seele verwittert und tot war. Wie aus wirbelnden Rauchpartikeln geformt, waren ihre Gestalten ätherisch und immateriell, aber Onyx konnte sie so klar erkennen, als sei er hier gewesen und habe ihre Ankunft beobachtet. Sie waren hierhergekommen, aber bereits vor mehreren Minuten, und ihre geisterhaften Echos verließen die Brustwehr und wandten sich in die Richtung der riesenhaften Portale, die in den Berg gemeißelt waren. Onyx beobachtete, wie die Schattengestalten von der flüsternden Finsternis der Torbögen verschluckt wurden, und fuhr seine Krallen wieder ein. Er musste einen anderen Weg in die Festung
nehmen, um die Eindringlinge zu jagen, denn wenn Khalan-Ghol sie in die Irrwitzportale gelockt hatte, bestand durchaus die Möglichkeit, dass sie bereits tot waren.
ELF Uriel wusste, dass er den Weg durch den dunklen Torbogen niemals vergessen würde. Das Gefühl, von jedem Quadratzentimeter der Wand ausspioniert zu werden, war unerträglich, und er war sicher, flüsternde Stimmen gerade oberhalb der Schwelle seines Hörvermögens wahrnehmen zu können. Ihre Worte, wenn es sich denn um welche handelte, waren unverständlich, aber auf irgendeiner instinktiven Ebene wusste Uriel, dass sie von schändlichen, furchtbaren Dingen redeten. ... Unehre, Schande und Versagen... Das zumindest glaubte er ertragen zu können, nachdem er bereits in Anwesenheit des Nachtbringers die schrecklichsten nur vorstellbaren Dinge gesehen hatte, aber dennoch... Die dämmrige Finsternis schien unendlich zu sein, und Uriel verlor rasch jedes Gefühl dafür, wie lange sie bereits durch diesen verfluchten Tunnel marschierten. ... er endet niemals, er geht weiter und immer weiter... »Imperator! Hört das denn nie auf?«, knurrte Vaanes, während sie immer tiefer in die niemals endende Finsternis vordrangen. »Ich weiß«, sagte Uriel. »Ich habe langsam das Gefühl, dass wir hier nicht auf normalen Wegen wandeln. Wir können auf nichts vertrauen, nicht einmal auf die Eindrücke unserer Sinne.« »Wie sollen wir dann finden, was wir suchen?« ...das werdet ihr nicht... »Wir werden darauf vertrauen müssen, dass der Imperator uns den Weg zeigt«, sagte Uriel durch Vaanes' beständige Fragen irritiert. Vaanes schüttelte aufgebracht den Kopf. »Ich wusste, ich hätte mich niemals auf dieses Unternehmen einlassen dürfen. Es war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.« ... ja, zum Scheitern verurteilt, nur der Tod wartet... »Warum bist du dann mitgekommen?«, schnauzte Uriel, während er zu dem ehemaligen Mitglied der Raven Guard herumfuhr, da ihm langsam der Geduldsfaden riss.
... er hasst dich und will dich verraten... »Ich kann mich nicht erinnern«, fauchte Vaanes, dessen Gesicht nur Zentimeter von Uriels entfernt war. »Vielleicht weil ich dachte, du hättest eine bessere Vorstellung, wie du hier reinkommen und finden könntest, weswegen wir hier sind!« ... das hat er nicht, er wird euch alle in den Tod führen... »Verdammt, Vaanes, warum musst du mich immer unterminieren?«, sagte Uriel, der leises maliziöses Gelächter hörte, während das Geflüster der Wände immer lauter wurde. »Auf jedem Schritt dieses Weges hast du nichts anderes getan, als uns zu sagen, dass wir zu einem Metzgergang angetreten sind. Das mag stimmen, aber wir sind Space Marines, die auf einer Dämonenwelt festsitzen, und es ist unsere heilige Pflicht, die Feinde der Menschheit zu bekämpfen, wo wir sie treffen.« ... nicht mehr. Gebt auf, ihr seid wertlos... »Verstehst du denn nicht? Wir sind keine Space Marines«, brüllte Vaanes, in dessen Augen das reflektierte blaue Licht des Tunnels funkelte. »Jetzt nicht mehr. Wir sind alle Ausgestoßene, von unseren Orden verstoßen und verbannt. Wir schulden jetzt weder ihnen noch dem Imperator irgendwas. Und ich habe es langsam satt, deiner frömmelnden Stimme dabei zuzuhören, wie sie mir sagt, was ich tun sollte.« ... ja, töte ihn, was bedeutet er dir eigentlich...? Uriel schüttelte den Kopf, während Vaanes ihm mit dem Panzerhandschuh auf den Schulterschutz klatschte und sagte: »Wo ist dein Ordensabzeichen, Ventris? Ich sehe es nicht, sieht es sonst jemand?« »Was ist mit dir passiert, Vaanes?«, fragte Uriel, wobei er zornig die Hand von seiner Schulter abschüttelte und den Schwertknauf umklammerte. »Warum bist du so negativ?« ... weil er keine Ehre hat, er hat den Tod verdient...! »Weil ich mich einmal zu oft in Situationen wie diese habe drängen lassen«, zischte Vaanes. »Und ich habe geschworen, ich würde niemandem blindlings in den Tod folgen. Ich will verdammt sein, aber ich habe mir wieder etwas vormachen lassen.« Uriel zog sein Schwert, da seine Wut überkochte, als er wieder das leise Wispern der Wände hörte und sich die Worte und Gefühle dahinter in seinen Verstand schlängelten. ... mehr, sag mehr, sprich alle deine geheimen Zweifel und Ängste und Enttäuschungen aus...
Die Stimmen nisteten sich in seinem Kopf ein und legten sich auf seine Zunge, und die Worte wollten gesprochen werden, nur um ihrer Böswilligkeit und Gehässigkeit willen. Uriel hielt sich die Ohren zu, während sich ein gewisses Maß an Verständnis an dem Nebel der Verbitterung vorbeizwängte, der sein Bewusstsein erfüllte. Die Stimmen erfüllten seinen Kopf, lauter jetzt, da ihre Täuschung aufgedeckt worden war. Uriel stolperte und streckte die Hand aus, um sich abzustützen. Seine Hand streifte die Wand, deren wellige Substanz nass und flüssig war. Er sank auf die Knie und schrie: »Verschwindet aus meinem Kopf!« ... nein, du bist wertlos, du bist unbedeutend, du bist unwesentlich, du bist vergessen... »Uriel? Ist alles in Ordnung? Was ist los?«, rief Pasanius, der zu ihm gelaufen kam. Vaanes wich kopfschüttelnd vor Uriel zurück und presste vor Schmerzen die Hände an die Schläfen. »Was geht hier vor?«, rief er, als das Stimmengewirr an Lautstärke zunahm und den Tunnel erfüllte. ... töten, das ist so ein freundliches Wort...es ist der einzige Weg... »Hört nicht auf sie!«, rief Uriel. »Verschließt euch vor ihnen!« Die anderen Space Marines spürten jetzt ebenfalls die volle Kraft der irren Stimmen und ließen die Waffen fallen, als der Drang, sie gegen sich selbst zu richten, unerträglich wurde. Ein Schuss ertönte, und ein Mitglied ihres Kriegertrupps, ein Schicksalsadler, fiel nach vorn, da sein Kopf nur noch wenig mehr war als eine verkohlte blutige Schale, aus der bei seinem Sturz Hirn und Knochensplitter rieselten. Uriel warf seine Waffe weg, als seine Armmuskeln als Reaktion auf die Stimmen in seinem Kopf zu zucken anfingen, und kämpfte gegen ihr Drängen an. ... es ist hoffnungslos, kämpfen hat keinen Sinn, nichts kann gegen die Erhabenheit des Chaos bestehen... Er kniff die Augen zu und wiederholte die Litaneien des Hasses, wie Ordenspriester Clausel sie immer von seiner Kanzel gepredigt hatte. Katechismen des Hasses und die Riten des Abscheus, die er in den Diensten des Ordo Xenos gelernt hatte. ... es ist sinnlos, sich dem Unvermeidlichen zu widersetzen. Komm zu uns! Gib nach und töte dich... Uriel kämpfte gegen den Drang an, sich hinzulegen und nachzu-
geben. Er rief sich vergangene Triumphe ins Gedächtnis, als der Sieg noch eine konkrete Bedeutung gehabt hatte und mit der Niederlage des schrecklichen Feindes tatsächlich etwas Bedeutungsvolles erreicht worden war. Er stellte sich den großen Sieg auf Tarsis Ultra vor, die Niederlage von Kasimir de Valtos und die Gefangennahme des Alpha-Psionikers auf Epsilon Regalis. Mit jedem erinnerten Sieg ließ die Kraft der Stimmen nach, da die von ihnen hervorgerufene Verzweiflung durch das starke Gefühl des Selbstwerts und der Bestimmung in Schach gehalten wurde. Er kam schwankend wieder auf die Beine, als er sah, wie Pasanius den Prometheum-Tank von der Werfer-Einheit löste und eine Splittergranate aus dem Spender an seinem Gürtel in seine Hand fallen ließ. »Nein!«, rief Uriel und trat ihm die Granate aus der Hand. Pasanius erhob sich zu voller Größe, das Gesicht wutverzerrt, während ihm Tränen über die Wangen liefen. »Warum?«, rief er. »Warum willst du mich nicht sterben lassen? Ich habe den Tod verdient!« ... das hat er! Lass ihn sterben, du hasst ihn ohnehin...! »Nein!«, keuchte Uriel, der sich immer noch mit aller Kraft gegen die tödliche Kraft der Stimmen wehrte. »Du musst dagegen ankämpfen!« »Ich kann nicht!«, jammerte Pasanius, indem er seinen silbernen Arm hob und vor sich hielt. »Siehst du es denn nicht? Ich muss sterben.« Uriel packte seinen Freund bei den Schultern, als plötzlich wieder ein Schuss durch den Tunnel hallte und der nächste Krieger der Selbstmord-Verlockung der Stimmen nachgab. »Weißt du noch, wie du diesen Arm bekommen hast?«, rief Uriel. »Du hast geholfen, die Welt Pavonis zu retten. Du hast vor einem Sternengott gestanden und ihm getrotzt. Du bist ein Held, Pasanius! Ihr seid alle Helden! Ihr seid die größten Krieger, die diese Galaxis je gesehen hat! Ihr seid stärker, mutiger und einfallsreicher als jeder sterbliche Mensch!« ... nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein... Uriel ließ Pasanius los, ging von Krieger zu Krieger und redete mit ihnen, wobei seine Stimme immer lauter wurde, da er sich für das Thema erwärmte. »Vergesst nicht, wer ihr seid!«, übertönte er das furiose Geflüs-
ter. »Ihr seid Space Marines. Krieger des Imperators der Menschheit, und ihr kämpft gegen die Dunklen Mächte, wo immer ihr ihnen begegnet. Ihr seid stark und stolz, und ihr seid Krieger. Ihr kämpft seit Jahrhunderten, und eure Ehre ist euer Leben, lasst sie euch von niemandem streitig machen!« Er zog sein Schwert und aktivierte die Klinge, um die sich der Schimmer feuriger Energie legte, um sie dann hoch über den Kopf zu heben. »Jeder Feind, den wir töten, ist von Bedeutung!«, rief Uriel, der mit jedem Wort auf die Tunnelwände einschlug. »Jede Schlacht, die wir gewinnen, ist von Bedeutung. Wir sind von Bedeutung! Denkt an jede ausgetragene Schlacht, an jeden besiegten Feind, an jede errungene Ehre. Sie stehen für alles, dem zu dienen wir erschaffen wurden. Erinnert euch an sie alle, dann haben die Stimmen keine Macht mehr über euch!« Die schlangengleichen Schnitzereien in den Wänden kreischten vor Enttäuschung und zogen sich vor Uriels leuchtender Klinge tief in das Gestein zurück, da seine Worte ihre Maskeraden beendeten. Ein neues Geräusch kam auf, welches das verhasste Flüstern bannte: Stimmen, die zu Ehren der großen Siege des Imperiums erhoben wurden. Die Erstürmung Corinths, der Eisenkäfig, die Phönixinsel, die Befreiung Vogens, Armageddon, der Fall von Sharendus, die Schlacht von Macragge... und viele mehr wurden gegen die schändliche Versuchung der Stimmen ins Feld geführt, und die Wände wurden immer dunkler und solider, je lauter die Stimmen der Krieger ertönten. Uriel hätte über diesen Triumph beinahe geweint, als die Dunkelheit der Wände zurückwich, die illusorische Natur des Tunnels offenbar und der sanft leuchtende Ausgang vor ihnen enthüllt wurde. Das seelenlose Licht Medrengards erfüllte den Tunnel, und obwohl es nichts anderes als Tod und Leere verhieß, freute sich Uriel, es zu sehen. »Hier entlang!«, rief Uriel. Er hob sein Boltgewehr auf, bevor er erschöpft zum Tunnelausgang wankte. Der Kriegertrupp sammelte die Waffen auf und folgte ihm aus dem höllischen Schlund des Wahnsinns. Nachdem sie die Tunnel der Verzweiflung einmal hinter sich ge-
lassen hatten, sah Uriel, dass sie überhaupt nicht tief in die Mauern der Festung eingedrungen waren. Der Iron Warrior mit der Energiepeitsche hatte die Festung Khalan-Ghol genannt, und während Uriel einen letzten wachsamen Blick auf das hungrige Maul des soeben verlassenen Tunnels warf, fragte er sich, ob der Festung dieser Namen gegeben worden war oder sie ihn selbst angenommen hatte. Eine starke Böswilligkeit durchdrang alles, die Aura eines uralten Bewusstseins, das sogar in den Felsen und im Mörtel dieser Anlage lauerte. Die Space Marines, Oberst Leonid und Sergeant Ellard flohen aus der Dunkelheit des Bergs und schüttelten die letzten Überreste des Bösen ab, dem sie im Tunnel begegnet waren. Der Weg führte sie auf einen hohen Sims und ans Ende einer langen schwarzen Wendeltreppe aus Stein mit Blick auf den Wahnsinn des Innenraums von Honsous Festung. Türme, Manufakturen und dunkel überwölbte Kreuzgänge rangen um Platz inmitten hoher Statuen und stachelbewehrter Schanzen. Dunkel gedeckte Dächer und irrsinnige Bauwerke, deren Architektur nicht-euklidischen Geometrien folgte, die im Auge schmerzten und die Sinne vergewaltigten, waren in die zerklüftete, feindselige Baulandschaft der Festung gezwängt, und gewundene Galgen-Alleen wanden sich auf unmögliche Weise zwischen ihnen durch. Ein fahles smaragdgrünes Licht hielt Hof über allem, durchdrungen von den widerlich orangefarbenen Streifen der Feuer, die in Schmelzöfen und melancholischen Tempeln brannten. Ströme flüssigen Metalls rannen in Basalttrögen durch die Festung, und die reflektierte Hitze bedeckte alles mit Tropfen metallisch glänzenden Kondenswassers. Kupferne, grünspanbedeckte Gargyle spien Dampfwolken, und hohe, krumme Türme aus schwarzem Ziegelstein bliesen erstickende Giftwolken aus riesigen kolbengetriebenen Kraftwerken in die Atmosphäre. Graue Gestalten schlurften durch die Stadt, und dunkle, sich dahinschlängelnde Wesen glitten wie Schatten durch die albtraumhaften Straßen der Festung zum Herzen des Bergs, wo ein hoch aufragender Turm aus Eisen stand, dessen Dimensionen immens und unmöglich waren. Er durchbohrte die Wolken am Himmel, und eine wirbelnde Masse aus blutergussfarbenen, dampfartigen Energien umkreiste seine höchste Spitze. Viele Tausend Schießscharten waren in den Turm geschnitten, dessen Fuß hinter den sich vor ihm ballenden
Schmelzöfen verborgen war. Uriel wusste, dass der Herr dieses entsetzlichen Ortes in diesem furchtbaren Turm wohnen musste, und erkannte mit absoluter Gewissheit, dass dies ihr endgültiger Bestimmungsort war. Scharen von Deliriumgespenstern umschwirrten den schrecklichen Turm, und ihre heiseren Schreie hallten merkwürdig von seinen hohen Zinnen und namenlosen Kammern wider. Hohe Gipfel des schwarzen Gebirges überragten sie, und obwohl es ihnen vorgekommen war, als seien sie viele Kilometer durch das Gestein des Bergs gewandert, war der Schlachtenlärm noch ganz nah, als hätten sie nur eine geringe Entfernung zurückgelegt. »Wie kann das sein?«, sagte Vaanes, der Uriels Gedanken erriet. »Ich weiß es nicht«, erwiderte Uriel. »Wir können nicht darauf vertrauen, dass unsere Sinne an diesem finsteren Ort nicht an jeder Ecke getäuscht werden.« »Uriel, hör zu, was ich in dem Tunnel gesagt habe...« »Es spielt keine Rolle. Es waren die Stimmen, sie sind in uns eingedrungen und haben uns diese Dinge sagen lassen.« Vaanes schüttelte den Kopf. »Was waren sie? Dämonen? Geister?« »Das weiß ich nicht, aber wir haben sie besiegt, Vaanes.« »Du hast sie besiegt. Du hast durchschaut, was sie uns antun wollten. Ich hätte beinahe nachgegeben... ich wollte es.« »Aber du hattest die Kraft, sie zu besiegen«, sagte Uriel. »Die kam aus dir, ich habe dich nur an sie erinnert.« »Vielleicht«, sagte Vaanes in einem seltenen Augenblick des Eingeständnisses. »Aber ich bin schwach, Ventris, ich bin jetzt seit vielen Dekaden kein Space Marine des Imperators mehr, und ich glaube nicht, dass ich die Kraft habe, wieder einer zu werden.« »Ich glaube, du irrst dich«, sagte Uriel, indem er Vaanes die Hand mitten auf den Brustharnisch legte. »Du hast Herz, und ich sehe Mut und Ehre in dir, Vaanes. Du hast nur vergessen, wer du wirklich bist.« Vaanes nickte knapp und zog sich ohne eine Antwort von seiner Hand zurück. Uriel hoffte, dass es ihm gelungen war, das ehemalige Mitglied der Raven Guard von seinem Wert zu überzeugen. Dieser höllische Ort würde sie alle bis an die Grenzen ihres Mutes treiben, jede Schwachstelle in ihrer Rüstung finden und sie zer-
stören, wenn sie es zuließen. Er suchte Blickkontakt mit Pasanius, doch sein Freund schaute rasch weg und wandte Uriel den Rücken zu. »Pasanius«, sagte Uriel. »Bist du zum Weitermarsch bereit?« Der Sergeant nickte. »Aye, wer weiß, was uns durch diese Tunnel folgt. Je eher wir verschwinden, desto besser.« Uriel hielt Pasanius auf, als dieser Anstalten machte, sich zu entfernen. »Ist alles in Ordnung, mein Freund?« »Natürlich«, erwiderte Pasanius kurz angebunden, indem er sich an Uriel vorbeischob und zu der unebenen Wendeltreppe ging. Die Stufen waren glatt und glasartig, und sie würden sie vorsichtig beschreiten müssen, wenn sie nicht ausrutschen und sich den Hals brechen wollten. Pasanius ging voran, die Space Marines und die beiden Soldaten der Imperialen Garde folgten vorsichtig und einzeln. Die klirrenden Werkstätten der Festung spien Flammen und Rauch. Das Dröhnen der Schläge panzergroßer Hämmer hallte von den geschwärzten Mauern der fensterlosen Gebäude wider. Doch über allem hing das bleierne Gewicht der Aura des Eisenturms, dessen tote Schießscharten-Blicke die Seele durch seine bloße Existenz zermalmten. Während sie in die Festung hinabstiegen, sah Uriel seltsame Wesen aus Licht, die sich zwischen den riesigen Gebäuden bewegten, elegante Geschöpfe auf goldenen Stelzenbeinen, die leuchtende Streifen aus bernsteinfarbenem Feuer hinter sich herzogen. Zwischen ihnen hingen bizarre Kutschen, die mit grellem Licht und einem wirbelnden Gitterwerk aus Zahnrädern und Kolben gefüllt waren. Eine Prozession dieser Wesen zog durch die Festung, aber sie verloren sie in dem unlogischen Straßengewirr bald aus den Augen. Riesige Planierraupen nach Art des von ihnen gekaperten Schleppers tuckerten die breiteren Straßen entlang, rot und hassenswert, mit hohen, mit achtzackigen Sternen behangenen Fahnenstangen und Hängern aus Eisen. Blut schwappte aus den Hängern, so dass die Raupen einen schmutzigen roten Strom hinter sich zurückließen, während sie von den Kämpfen an der Mauer zum Turm in der Mitte der Festung fuhren. Verdrehte Gliedmaßen ragten aus den Hängern hervor und zappelten hin und her, da die Leichen darin durchgeschüttelt wurden. Aus der Größe und Muskelmasse der sich bewegenden Leichen ging hervor, dass es sich
um Iron Warriors handelte. »Wohin bringen sie sie?«, sagte Leonid. »Vielleicht zur Bestattung«, mutmaßte Uriel. »Ich glaube nicht, dass den Iron Warriors viel daran liegt, die Toten zu ehren.« »Ich auch nicht, aber warum sollten die Gefallenen sonst in die Festung zurückgebracht werden?« »Wer weiß, aber ich habe das Gefühl, dass wir es bald herausfinden«, sagte Vaanes düster. »Wenn es mit unserer Aufgabe zu tun hat, dann hast du sicher recht«, sagte Uriel, während sie weiter der Treppe in die Festung folgten. Die Steinstufen reflektierten das Licht von den purpurfarbenen Wolken über dem Eisenturm, und Uriel fragte sich, welche finsteren Praktiken und Pläne in seinen kalten Tiefen wohl ausgeheckt wurden. Die Treppe schraubte sich an der Bergklippe entlang nach unten und verbreiterte sich dabei, bis sie vor einem knochengeflaggten Platz endete, auf dem in regelmäßigen Abständen eiserne Hinrichtungspfosten standen. An drei der Pfosten hingen ausgetrocknete Leichen, die Haut eingefallen und fleckig. Uriel ignorierte sie und starrte vielmehr auf die dunkle Masse hämmernder Gebäude und gewundener Straßen, die zum Turm führten. Der smaragdgrüne Schein, der das Innere des Bergs von oben durchdrang, war nun, da sie das Ende der Treppe erreicht hatten, noch stärker, obwohl von seinem Ursprung nichts zu sehen war. Die Manufakturen ragten vor ihnen in die Höhe, und der Lärm stampfender Kolben, zischender Ventile und klirrender Hämmer war allgegenwärtig. Es roch nach Asche und heißem Metall. »Gehen wir«, sagte Uriel, mehr um sich selbst zur Aktion anzustacheln, denn um einen Befehl zu geben. Er marschierte mit dem Boltgewehr im Anschlag los, und die Space Marines des Kriegertrupps folgten dichtauf. Sie hatten instinktiv eine Abwehrformation gebildet und Leonid und Ellard in die Mitte genommen, während alle Waffenmündungen nach außen wiesen. Eine Seelenkälte erfüllte jeden Krieger, als sie in die bösen Schatten Khalan-Ghols traten, die Kälte eines Eintauchens in das schwarze Wasser eines unterirdischen Sees, der noch nie die wärmende Berührung einer Sonne verspürt hatte. Uriel schauderte und hatte ein Gefühl, als ruhten die Blicke aus tausend Augen
auf ihm, doch er konnte nichts sehen, und niemand bewegte sich in ihrer Nähe. »Wo sind all die Leute, die wir von oben gesehen haben?«, fragte Vaanes. »Das habe ich mich auch schon gefragt«, sagte Pasanius. »Von oben sah es so aus, als sei die Festung stark bewohnt.« »Vielleicht verstecken sie sich vor uns«, erwiderte Ellard. »Oder vielleicht sah sie auch nur bewohnt aus«, mutmaßte Uriel, während er wachsame Blicke überallhin warf und ständig Andeutungen von Bewegung im Schatten sah. »Dieser Ort hier narrt unsere Sinne und versucht uns mit Illusionen und Trugbildern in die Irre zu führen. Denkt daran, was im Tunnel passiert ist.« Die Straßen und schmalen Gassen von Khalan-Ghol wanden sich wahllos hierhin und dorthin, bis Uriel nicht mehr mit Sicherheit sagen konnte, in welche Richtung sie gingen. Er wünschte, er hätte seinen Helm noch gehabt, war aber nicht einmal sicher, ob dessen Auspex hier von Nutzen gewesen wäre. Er konnte den Eisenturm in den engen Straßen nicht mehr sehen und musste darauf vertrauen, dass seine Instinkte sie zu ihm führten. Hohe Schatten tanzten über die Mauern und die Seiten der schwarzen Ziegelgebäude, als wollten sie sie durch die Festung hetzen. Die Dunkelheit legte sich um sie, und Uriel stellte fest, dass er absurd dankbar für die flüchtigen Blicke auf ein Stück weißen Himmel über ihnen war. Er konnte die Kraft der schwarzen Sonne über sich spüren, hielt aber den Blick abgewendet aus Furcht vor dem Wahnsinn, den sie in ihren rußigen Tiefen versprach. Blechernes Gelächter wie von einem Kind sickerte aus Mauern und Schatten, und Uriel konnte erkennen, dass die Space Marines auf derartige Geräusche äußerst verstört reagierten. Er fühlte sich an die Freudenschreie der Deliriumgespenster erinnert, wenn diese starben, und fragte sich, ob ähnliche Kreaturen irgendwo in der Nähe lauerten. Es kam ihnen so vor, als marschierten sie Stunden umher, orientierungslos und von den Aberwitzigkeiten der Dämonenstadt in die Irre geführt. Uriel fand keine Stadtmerkmale, an denen er sich orientieren konnte. Der Eisenturm war hinter den hoch aufragenden Mauern der fensterlosen Schmelzhütten und dem von der schwarzen Sonne geworfenen undurchdringlichen Schatten
verborgen. Schließlich gebot er einen Halt und wischte sich über sein verschwitztes Gesicht. Die Anlage der Festung folgte keiner bestimmten Ordnung oder Logik, falls etwas dergleichen überhaupt existierte. Man konnte ein und derselben Straße ein zweites Mal folgen und ganz woanders herauskommen als beim ersten Mal, und eine Umkehr führte nicht dorthin zurück, woher sie gekommen waren. Unmögliche Physik führte sie an jeder Kreuzung in die Irre, und Uriel wusste nicht, wie sie verfahren sollten. Er hockte sich hin, legte sich das Boltgewehr quer über die Oberschenkel und lehnte den Kopf an die bröckelnde Ziegelmauer des Gebäudes hinter ihm. Er konnte das Stampfen von Schwerindustrie im Gewebe des Gebäudes spüren, doch in keinem der seltsam verwinkelten Gebäude an ihrem Weg hatten sie ein Fenster oder einen Eingang gesehen, nur rauchende Schlote und dampfende Entlüftungen. »Was nun?«, fragte Vaanes. »Wir haben uns verirrt, nicht wahr?« Uriel nickte, zu müde und seelenkrank für eine Antwort. Vaanes warf sich das Boltgewehr über die Schulter, als habe er keine andere Antwort erwartet. Er schaute von einem Ende der schmalen, beengenden Straße zum anderen, deren Belag schwarz und ölig war und hier und da wie von vergossenem Prometheum in allen Regenbogenfarben schillerte. »Liegt es an mir oder wird es hier dunkler?«, fragte er. »Wie kann es dunkler werden, Vaanes?«, sagte Uriel schnippisch. »Diese verdammte schwarze Sonne geht nie unter, sie bewegt sich nicht einmal am Himmel. Also frage ich dich, wie es dunkler werden kann.« »Das weiß ich nicht«, zischte Vaanes. »Aber es ist so. Sieh selbst!« Uriel drehte den Kopf und sah, dass Vaanes recht hatte. Kriechende flüssige Schatten glitten die Wände empor, verschluckten das Licht und verdunkelten die Oberflächen der Gebäude, an denen sie emporkletterten. Die tintenschwarzen Schatten kräuselten sich von den Mauern nach unten, breiteten sich wie Ölflecke über den Boden aus und schienen sich an den Enden der kopfsteingepflasterten Straßen aufzubäumen, um sie völlig einzuschließen. »Was geht da vor?«, keuchte Uriel, als sich die finsteren, un-
möglichen Schatten vor ihnen zu albtraumhaften Flecken aus einem stinkenden schwarzen Schillern verdichteten, die sich ihnen von vorne und hinten über Straßen und Mauern näherten. Sie trieben stinkende Dampfwolken direkt aus dem Höllenschlund vor sich her, giftige Dämpfe und unbeschreibliche Verschmutzungen. Formlose Ansammlungen protoplasmischer Blasen quollen aus ihren amorphen Formen, und Uriel sah jetzt die Quelle des fahlen smaragdgrünen Scheins, der die Festung durchdrang, da sich in den abscheulichen Tiefen unzählige Augen bildeten und zurückbildeten, die in ihrem eigenen Licht leuchteten. »Was sind das für Wesen?«, rief er, als die dahingleitende Masse schmutziger, stinkender Kreaturen - oder Kreatur - vorwärtsquoll. »Was spielt das für eine Rolle?«, rief Vaanes. »Tötet sie!« Boltgewehre feuerten Sprenggeschosse in die wogende Masse aus Verderbnis, die in den geleeartigen Leibern explodierten. Aus den dergestalt gesprengten Wunden wehte ein überwältigender Gestank nach chemischen und biologischen Abfallprodukten. Uriel atmete etwas von den Dämpfen ein und sank sofort auf die Knie, um sich ausgiebig zu übergeben. Nicht einmal die beachtlichen biologischen Verbesserungen eines Space Marine waren in der Lage, den widerlichen, grässlichen Gestank zu verarbeiten, den ihre Boltgewehre losgetreten hatten. Immer mehr Space Marines sanken zu Boden und würgten krampfhaft angesichts der Widerwärtigkeit dieser Wesen. »Pasanius!«, keuchte Uriel. »Setz deinen Flammenwerfer ein!« Er konnte nicht sagen, ob sein Schlachtbruder seine Aufforderung gehört hatte, aber Sekunden später hüllte Pasanius die vorrückenden Bestien in eine Flammenwand aus seiner zischenden Waffe. Das Feuer hüllte die Bestien ein, sprang an ihnen hoch und brannte mit furchtbarer Gewalt, als enthielten diese Wesen jede dem Menschen bekannte entzündliche Substanz. Knisternder Schleim brannte mit weißer Flamme, und Pasanius richtete seinen Werfer auf die sich ihnen von hinten nähernden Schattenwesen. Mehr flüssiges Feuer spritzte, und die ohrenbetäubenden Schreie der brennenden Wesen erreichten neue Höhen. Empfindungslose Augen schmolzen, und neue bildeten sich in dem flüssigen Fleisch der Bestien, während die Flammen sie verzehrten. Das Feuer erzeugte Dämpfe, welche die Augen tränen ließen, doch obwohl es den Anschein hatte, als litten die Bestien
Schmerzen, zogen sie sich nicht zurück, sondern hielten sie in der schmalen Straße gefangen. Die Hitze war intensiv, aber im Schutz ihrer Servorüstungen waren die Space Marines immun gegen die tödlichen Temperaturen. Dabei schirmten sie die beiden Gardisten so gut wie möglich vor der tödlichen Hitze ab, doch Uriel sah, dass Leonid und Ellard kurz vor dem Kollaps standen. Das Feuer hatte den schlimmsten Gestank verzehrt, und Uriel zog sich an der Wand auf die Beine. »Warum sterben sie nicht?«, fluchte Vaanes. Er hielt sein Boltgewehr bereit, und Uriel sah sein verzweifeltes Bedürfnis, damit zu schießen, doch er hielt den Finger vom Abzug fern, nachdem er gesehen hatte, wie wenig Wirkung ihre anfängliche Salve erzielt hatte. Space Marines rappelten sich auf und bildeten einen Abwehrriegel zwischen den beiden Flammenwänden an den Straßenenden. »Und warum greifen sie nicht an?«, wunderte sich Pasanius. »Bis sie in Flammen aufgegangen sind, sah es so aus, als wollten sie uns überrennen.« »Ich bin nicht sicher«, antwortete Uriel, dem ein beängstigender Verdacht kam. »Ich glaube, dass sie vielleicht niemals die Absicht hatten, uns zu töten, sondern vielleicht etwas ganz anderes bezwecken.« »Was?«, fragte Vaanes. »Vielleicht wollen sie uns nur hier festhalten«, sagte Uriel, während er beobachtete, wie ein Krieger in einer glänzend schwarzen und silbern geäderten Servorüstung durch die lodernden Flammen marschierte, während sich die Masse der Bestien vor ihm teilte. Bronzekrallen wurden aus seinen grauhäutigen Händen ausgefahren, und in seinen Augen brannte ein seelenloses silbernes Licht. »Hab ich euch«, sagte der Krieger.
ZWÖLF »Ihr habt die Irrwitzportale überlebt«, sagte der Krieger und klang dabei leicht beeindruckt, während er sich den Space Marines näherte. Seine schwarze Rüstung mit ihren spiegelglatten Oberflächen reflektierte nicht einmal die grellen Flammen, son-
dern blieb völlig schwarz. Uriel sah, dass der Krieger keine Schusswaffe hatte, aber das beruhigte ihn nicht im Geringsten. Denn schließlich, wie unglaublich zuversichtlich musste ein Krieger sein, wenn er unbewaffnet vor mehr als zwei Dutzend Space Marines trat? Obwohl es eine Fehleinschätzung war, diesen Krieger als unbewaffnet zu bezeichnen, überlegte Uriel, als er die langen, funkelnden Bronzekrallen sah. »Wer bist du?«, rief er. Der Krieger lächelte, und als er antwortete, strömte mattes silbriges Licht aus seinem Mund. »Ihr habt weder die Ohren noch die Stimmbänder, um meinen Namen verstehen oder aussprechen zu können, also lernt ihr mich als Onyx kennen.« Die Space Marines richteten ihre Gewehre auf Onyx, während die knisternden Flammen langsam erloschen und mehr Schatten über die Straße glitten und sie in Dunkelheit tauchten. »Sind das deine Kreaturen?«, fragte Uriel, indem er selbst die Waffe hob. »Die Exuviae? Nein, die sind nicht mehr als der vergiftete Schmutz von Khalan-Ghol, von der Industrie produzierte Abfälle, die zu einem Idiotenleben mutiert sind. Sie suchen diese Festung heim, aber sie haben auch ihren Nutzen.« »Du tätest gut daran, uns passieren zu lassen«, knurrte Vaanes. Onyx schüttelte den Kopf. »Nein, mein Herr hat mir befohlen, euch zu ihm zu bringen.« »Dein Herr?«, sagte Uriel. »Honsou?« »In der Tat«, sagte Onyx. Für Uriel war offensichtlich, dass sie nicht ohne Gewalt an Onyx vorbeikommen würden. Er hatte keine Ahnung, wie furchtbar der feindliche Krieger namens Onyx im Kampf Klinge gegen Klinge war, und nicht das Bedürfnis, es herauszufinden. Gelassen sagte er: »Tötet ihn.« Boltgeschosse jagten über die Straße, doch Onyx bewegte sich wie Quecksilber, ein huschender Schatten, der zwischen den Kugeln durchglitt und Pirouetten um den Geschosshagel drehte. Bronzekrallen hieben nach Uriels Bauch, und er warf sich zurück gegen die Wand und vermied es gerade noch, dass Onyx' Hieb ihm den Bauch aufschlitzte. Pasanius trat vor und trat nach Onyx, doch der schwarze Krieger wirbelte davon und rammte Pasanius den Ellbogen ins Gesicht, bevor er über ihn hinwegsprang und Ardaric Vaanes einen
Sprungtritt versetzte. Kyama Shae schoss aus nächster Nähe mit dem Boltgewehr auf Onyx, aber die Geschosse prallten von der glänzenden schwarzen Rüstung ab. Onyx warf sich mit einem Satz vorwärts und rammte Shae die Faust in den Bauch. Seine Bronzekrallen fetzten durch die Rüstung der Crimson Fist und weiter aufwärts. Onyx wirbelte mit einem gequälten Knacken von Knochen von seinem Opfer davon, Shaes Wirbelsäule in der Faust. Der Space Marine sank in die Knie, und Blut schoss aus der riesigen Wunde in seinem Leib. Seine Augen starrten einen winzigen Augenblick in entsetzter Faszination auf seine Wirbelsäule in der Hand eines anderen, bevor er nach vorn kippte. Uriel fiel bei dem Anblick vor Entsetzen die Kinnlade hinunter, während die tropfende, blutige Wirbelsäule von der gläsernen Dunkelheit von Onyx' Rüstung eingehüllt wurde, dann sprang der silberäugige Mörder in die Höhe, und mehr Boltgeschosse trafen die Mauer hinter ihm. Er stieß sich von der Mauer ab, drehte sich mitten in der Luft und schlug dabei mit Krallen und Füßen zu, und jeder Hieb und Tritt drückte eine Luftröhre ein oder enthauptete einen Space Marine. Bei der Landung tauchte er seine blutverschmierten Krallen in jedes Opfer und riss ihnen mit dem furchtbaren Geräusch splitternder Knochen die Wirbelsäule heraus. Fünf Space Marines waren bereits gefallen, und es war ihnen nicht gelungen, auch nur einen einzigen Tropfen des Blutes dieses Wesens zu vergießen. Uriel feuerte Geschosse auf Onyx ab, aber wie gut er die Bewegungen des Mörders auch antizipierte, er war immer einen Sekundenbruchteil zu langsam, um ihn zu treffen. »Der Imperator rette uns, er ist zu schnell!«, rief Vaanes. Noch ein Space Marine fiel, vom Schritt bis zum Brustbein aufgerissen, und Uriel sah, dass Onyx nicht allzu wählerisch sein würde, wie er die Wünsche seines Herrn ausführte. Der schwarz gerüstete Krieger wirbelte durch die Luft, und seine flammend silbernen Adern und Augen hinterließen Spuren darin, da er sich mit übernatürlicher Schnelligkeit bewegte. Uriel hob sein Boltgewehr, als Onyx ihn ansprang, wusste aber, dass er nicht schnell genug sein würde. Onyx' Faust traf seinen Hals, und die Krallen der äußersten Extremitäten seiner Fäuste nagelten Uriel an die Mauer hinter ihm. Sein Kopf krachte schmerzhaft gegen die Ziegel, und er spürte, wie Blut sein Haar
verklebte. Er sah, dass Onyx' Mittelkralle teilweise eingefahren war, so dass sie Spitze nur die Haut an Uriels Hals kitzelte. »Wenn sich noch jemand rührt, stirbt euer Anführer!«, rief Onyx und hüllte Uriel dadurch in silbriges Licht. Die Flammen der brennenden Exuviae waren erloschen, und die erneuerten öligen Schattenbestien glitten vorwärts und bäumten sich auf amorphen Leibern auf, die jetzt den Anschein von Festigkeit erweckten. Die Überlebenden des Kriegertrupps umzingelten Onyx und Uriel und richteten die Waffen auf den Rücken des Schwarzgerüsteten. »Ich dachte, dein Herr hätte gesagt, du sollst uns zu ihm bringen«, keuchte Uriel. »Das hat er«, nickte Onyx. »Aber er hat nicht gesagt, ob tot oder lebendig.« »Er ist nicht unser Anführer«, sagte Vaanes. »Also mach weiter und töte ihn, aber du wirst ihm in den Tod folgen!« »Da bin ich anderer Ansicht«, sagte Onyx. »Ich sehe, dass seine Seele im Licht der Entschlossenheit brennt.« »Vaanes, erschieß ihn!«, rief Uriel, während er sich in Onyx' Griff wand und die Augen schloss, als rings um ihn Boltgewehre mit ohrenbetäubendem Krachen abgefeuert wurden. Er spürte, wie Onyx erbebte, als die Geschosse ihn trafen. Trotz des Krachens der Geschosse hörte er den Krieger lachen und schrie dann vor Schmerzen, als er spürte, wie Onyx' Mittelkralle aus der Haut schoss, seinen Hals durchstach und sich in die Mauer hinter ihm bohrte. Die Kralle wurde herausgerissen, und er glitt die Wand hinunter. Blut strömte in scharlachroter Flut aus seinem Hals und seiner Rüstung, bevor die Larraman-Zellen sein Blut gerinnen ließen und die Blutung gestoppt wurde. Uriel keuchte, und der Atem kratzte im Hals, da ihm aufging, dass seine Luftröhre vollkommen durchtrennt worden war. Uriel schloss die Augen, als sein Blickfeld an den Rändern grau wurde und sein Körper nach Sauerstoff schrie, während sich seine Brust krampfhaft hob und senkte. Er kämpfte darum, bei Bewusstsein zu bleiben, da er wusste, dass er sterben würde, sobald er es verlor, und stellte die Atmung auf die dritte an sein Pulmonalsystem angeschlossene Lunge um. Seine veränderte Atmung stellte den Schließmuskel ruhig, der normalerweise Luft einholte, und er machte einen tiefen Atemzug, als die veränderte Physiologie das Kommando übernahm. Onyx übersprang den Geschosshagel und landete mit einem
atavistischen Heulen der Blutgier hinter den Space Marines. Seine Krallen schwollen an und wurden zu monströsen goldenen Schwertern, und drei Space Marines wurden mit ebenso vielen Hieben zerhackt. Sein Gesicht schwoll an und kräuselte sich, schwarze Hörner drehten sich aus den Schläfen, und in seiner Gestalt wurden funkelnde Linien augmetischer Körperteile sichtbar, als die dämonische Wesenheit in Onyx vollständig die Kontrolle über seinen Körper übernahm. Seine Augen sprühten Feuer, und Uriel sah, dass die Bestie, zu der er geworden war, erpicht darauf war, ihnen mehr Schaden zuzufügen, doch bevor er den Vorsatz in die Tat umsetzen konnte, erbebte sein ganzer Körper, und das Dämonenwesen, zu dem Onyx geworden war, zog sich wieder in ihn zurück. Auch die goldenen Schwerter glitten in die Hände zurück. Vor ihren Augen wurde Onyx' ursprüngliche Gestalt wiederhergestellt. Onyx stieß einen tiefen Seufzer aus und sank auf ein Knie, doch bevor jemand aus dem Kriegertrupp seine vorübergehende Verwundbarkeit ausnutzen konnte, stimmten die welligen Gestalten der Exuviae ein Tosen wie von schwarzen Flutwellen an und stürzten sich auf sie. Uriel mühte sich, auf die Beine zu kommen, aber die blubbernden animierten Abfälle fielen über ihn her, nagelten seine Arme an den Körper und hielten ihn fest. Matte, geistlose Augen barsten aus giftfleckiger Materie und blinzelten ihn idiotisch an, und er hörte die Rufe des Abscheus der überlebenden Space Marines, als die Exuviae sie in ihre widerlich stinkende Umarmung hüllten. Mit Onyx als Führer durch Khalan-Ghol schien sich die aberwitzige Architektur als Reaktion auf seine bloße Anwesenheit zu stabilisieren. Wo das chaotische Wesen ihrer Anlage Uriel und seine Schlachtbrüder noch auf verschlungenen Wegen in die Irre geführt hatte, erleichterte sie jetzt der dämonischen Kreatur und ihrer dahingleitenden Gefolgschaft das Vorankommen. Die Exuviae wogten in einer grotesken Kräuselbewegung über die gepflasterten Straßen und trugen ihre bewegungsunfähigen Schützlinge in ihren stinkenden flüssigen Leibern. Nur Uriel, Pasanius, Vaanes, Seraphys, Leonid, Ellard und neun weitere Space Marines hatten bis hierher überlebt, aber Uriel
wusste, dass er seinem Todeseid nicht entsagen konnte, solange er noch atmete. Die verrußten Straßen der Festung blieben bald hinter ihnen zurück und wichen ihrem eigentlichen Ziel: dem Mittelpunkt der Festung, dem großen Eisenturm. Ob es ein perspektivischer Streich oder die illusionären Kräfte des Chaos waren, wusste Uriel nicht, aber er war unsagbar schockiert ob seiner schieren Gewaltigkeit. Seine Spitze entzog sich den Blicken jenseits der wallenden Purpurwolken, und es war unmöglich, ihn in seiner ganzen Breite wahrzunehmen. Gewundene, krumme Türme sprossen aus den Seiten, überhängende Schmelzöfen spien dicke Giftwolken in die Luft, geflügelte Wesen scharten sich um dunkle Horste und bösartige Blitze zuckten durch Fensterschlitze nach draußen. Eine hohe Mauer umgab den Fuß des Turms, auf deren Brustwehr es von Iron Warriors und Geschütztürmen wimmelte. Ein riesiges Tor aus schwarzem Eisen mit je einem gepanzerten Wachturm auf beiden Seiten verteidigte den Eingang in den Turm, und als Onyx sie darauf zuführte, schwang das schreckliche Portal mit einem Quietschen wie ein Schrei tödlicher Qual auf. Die Exuviae trugen sie durch das dunkle Tor, und im Gang dahinter sah Uriel kochenden Dampf aus stachelbewehrten Schießscharten in der Decke quellen. Der bedrückenden Enge des Gangs entronnen, fiel Uriel in düsterem Staunen die Kinnlade hinunter, als er sah, dass der Turm überhaupt nicht auf dem Felsgestein des Bergs stand, sondern an vielen Hundert immensen Ketten über einer gigantischen Leere hing, die ein Spiegelbild des toten Himmels war. Jedes Kettenglied war so dick wie die Säulen der großen Halle vor dem Tempel der Besserung, und als sie zu einer Brücke getragen wurden, sah Uriel außerdem, dass der Turm auch noch viele Tausend Meter in die Tiefe reichte. »Der Imperator beschütze uns...«, hauchte Uriel. »Du verschwendest deinen Atem«, sagte Onyx. »Glaubst du, er hätte an diesem Ort auch nur die geringste Macht?« Uriel enthielt sich einer Antwort, da er nicht gewillt war, noch weiter Worte mit einem zu wechseln, der von den üblen Mächten des Immateriums berührt worden war. Eine lange Basalttafel, die von unzähligen marschierenden Füßen geglättet worden war, überbrückte die Leere und führte zu einem gewaltigen Tor, das den eigentlichen Turm durchbohrte. Bei der Überquerung der Ba-
salttafel sah Uriel, dass es aus irgendeinem tödlichen Material bestand und zischte und geiferte, als sei es gerade aus dem Schmelzofen gekommen. Seine Ausmaße waren kolossal: Ganze Regimenter waren in der Lage, durch dieses Portal zu marschieren, und der größte Titan konnte es passieren, ohne sich ducken zu müssen. Onyx führte sie zu dem Portal, und ein kleineres, mit Nieten besetztes Nebentor gewährte ihnen Zugang ins hallende Turminnere. Uriel spürte die Macht längst vergangener Zeitalter im Turm, und seine uralte Bösartigkeit war wie ein starker Geruch in der Luft. »Khalan-Ghol«, sagte Onyx stolz. »Die Macht und Erhabenheit eines lebendigen Gottes haben geholfen, diese Festung zu errichten und ihr eine ihm genehme Form zu geben, die nicht durch irgendwelche Naturgesetze beeinträchtigt ist.« »Sie ist ein Schandfleck!«, fauchte Pasanius. »Nein«, sagte der dämonische Symbiont. »Sie ist die Zukunft.« Das Innere des Turms war nicht weniger grauenerregend als das Äußere - riesige verstaubte Säle mit Bronzestatuen, große Schmelzöfen, die Funken und orangefarbene Bäche aus Metall ausspien. Eine sengende, erstickende Hitze durchdrang den Turm, und schwarze Flüssigkeit tropfte von den im Schatten liegenden Kuppeldecken. Uriel konnte entfernte Schreie und schwere Hammerschläge von tief unten hören, lauter und kräftiger, als er sie bisher auf Medrengard vernommen hatte. Kriechende Schatten, vielleicht noch mehr Exuviae, lauerten in den hohen Kreuzgängen, obwohl die zahlreichsten Bewohner des Turms Gestalten in schwarzer Robe zu sein schienen, die sich mit mechanischem Kreischen fortbewegten. Rote augmetische Augen begutachteten sie mit Interesse, während Onyx seine Prozession der Exuviae tiefer in den Turm führte, und klickende Messingglieder griffen mit zischendem Hunger nach ihnen. Verdrehte Zahnradsymbole im Verein mit dem achtzackigen Stern des Chaos waren in ihre Gewänder gebrannt, und gurgelnde algorithmische Stimmen klickten zwischen ihnen, da sie sich riesigen verstaubten Maschinen widmeten, deren Zweck Uriel verschlossen blieb. Als sie weitergingen, trat eine ungeschlachte Bronze-
Konstruktion mit stampfenden, geschmierten Kolben und einer fest verankerten Bildtafel zischend aus dem Schatten der großen Maschine und versperrte ihnen den Weg. Onyx versteifte sich, als die schwarz gewandete Kreatur in eine Lichtinsel schlurfte, und Uriel spürte, wie sich bei ihrem Anblick ein schleichendes Grauen in ihm ausbreitete. Sie bewegte sich unbeholfen auf sechs Spinnenbeinen aus genietetem Eisen, und der Leib wurde von einem ölbefleckten Exoskelett gehalten. Wo die Haut bloß lag, konnte Uriel erkennen, dass sie verwittert und tot war und sich ein Flickwerk von Nähten über erhöhte Knochenwülste zog. Der Kopf war schwer und hing tief auf den Schultern. Messingruten durchbohrten den Schädel, die von einem an den Schläfen genieteten Messingkäfig gehalten wurden. Unter der Kapuze befand sich ein widerlicher pergamentfarbener Schädel, dessen untere Hälfte aus glänzendem Metall ohne Haut bestand und dessen Augen durch surrende mechanische Linsen ersetzt worden waren. Eine Vielzahl transparenter Schläuche steckten in der Haut und zogen sich in gurgelnden Schlaufen um den Leib, und zischende Ventile ließen giftigen Dampf ab, da sich die Brust von der Anstrengung des Atmens hob und senkte. Das Wesen hob Uriel mit langen augmetischen Armen hoch, die von Skalpellen, Bohrern und Schneidbrennern starrten. Onyx trat vor das Wesen und fuhr die Krallen aus. »Nein«, sagte er. »Die sind für den Herrn von Khalan-Ghol.« Die Bestie zischte vor Wut, ihre Klauenhände schnappten vor Enttäuschung auf und zu und ihre Bohrer surrten gefährlich dicht an Onyx' Kopf. Das Wesen machte Anstalten, Onyx aus dem Weg zu schieben, doch der schwarz gerüstete Krieger ließ sich nicht bewegen. »Ich sagte nein«, wiederholte er. »Es mag sein, dass die Brutalen Bestatter sie zu einem späteren Zeitpunkt bekommen, aber dieser Zeitpunkt ist nicht jetzt.« Das Wesen schien einen Moment darüber nachzudenken, bevor sein scheußliches Schädelgesicht nickte und es sich wieder in den Schatten der Maschine zurückzog. Onyx sah ihm nach, und während seine Aufmerksamkeit abgelenkt war, wehrte sich Uriel gegen das stinkende Gefängnis der Bestie, die ihn, Pasanius und Vaanes trug, doch vergeblich, da sie vollkommen bewegungsunfähig waren. Schließlich, als er sicher
war, dass der Brutale Bestatter nicht irgendwo im Hinterhalt lauerte, fuhr Onyx die Krallen ein und führte die Exuviae mit ihren Gefangenen weiter. Uriels Frustration wuchs mit jedem dunklen Saal, den sie durchquerten, und jeder unmöglich verwinkelten Treppe, die sie erklommen oder herabstiegen, da er nicht in der Lage war, auch nur einen Muskel zu rühren. Das unerträgliche Geräusch des Hämmerns wurde lauter, je weiter sie kamen, und dasselbe smaragdgrüne Licht, das die Festung außerhalb des Turms erfüllte, wurde heller, als ihr Weg sie aus von menschlichen Händen erbauten Kammern und Gängen in eine riesige feurige Kaverne führte, die von großen, Dampf ablassenden Kolben gesäumt wurde. Eine funkelnde Silberbrücke überquerte einen großen Abgrund im Boden, aus dem Schwaden heißer Schwefeldämpfe trieben und der Geruch nach bearbeitetem Metall drang. Jenseits der Brücke befand sich eine kolossale Mauer aus dunklem, grün geädertem Stein mit einem großen Eisentor darin. Mit gezackten schwarzen Stacheln besetzt, wurde das Tor von zwei dämonengesichtigen Titanen flankiert, deren Panzerplatten von Millennien des Krieges vernarbt waren. Uriel sah mit beträchtlichem Abscheu, dass die an ihren Waffen hängenden Banner das verdammenswerte Symbol der Legio Mortis trugen. »So seht denn das Allerheiligste der Festung Khalan-Ghol! Ihr werdet in der Tat geehrt!«, rief Onyx, während er sie über die Brücke führte. Als sie sich dem Tor näherten, entriegelte es sich mit einem hallenden Donnerschlag, der den Staub von den hohngrinsenden Gargylen unter der Decke der Kammer schüttelte, und die Titanen griffen hinter sich, um das stachelbewehrte Portal zu öffnen. Onyx führte sie hindurch, und Uriel und seine Begleiter begegneten dem Herrn Khalan-Ghols endlich von Angesicht zu Angesicht. Die Mauern innerhalb des Allerheiligsten der Festung bestanden aus schwarzen Quadersteinen, die mit Gold und Silber durchzogen waren und vor Feuchtigkeit glänzten. Zwanzig hohe Spitzbogenfenster durchlöcherten eine der Mauern, und das tote Licht des Himmels wurde als milchige Linien auf den Boden reflektiert.
Von zweimal zwanzig Iron Warriors umringt, saß ein vernarbter Krieger mit schwarzen Stoppelhaaren in einer verbeulten und stark vernarbten Schlachtrüstung auf einem silberweißen Thron. Sein Gesicht war grausam und zu einer Miene ernsthaften Interesses erstarrt, An der rechten Schläfe hatte er eine lange, erst kürzlich verheilte Narbe. Hinter ihm stand der riesige Iron Warrior, der Uriel mit der Energiepeitsche außer Gefecht gesetzt hatte. »Lass die Exuviae verschwinden, Onyx«, sagte der Krieger. Onyx nickte und wandte sich den dahingleitenden Ungeheuern zu. Die silbrigen Linien in seinem Gesicht flammten hell auf, und ein Zischen drang aus seinem Mund. Uriel spürte, wie die Festigkeit der Kreaturen weniger beengend wurde, und fiel auf den Boden, da sie wieder klebriger und flüssiger wurden. Ihre Substanz zog sich von dem Licht auf dem Boden zurück und nahm wieder die schlangenartige Schattenform an. Wie geprügelte Hunde wichen sie in die dunklen Winkel des Saals zurück, bevor sie durch das große Portal außer Sicht und wieder in die beißende Dunkelheit der Festung glitten. Uriel erwog kurz, nach seinem Schwert zu greifen, doch als er aufschaute, starrte er in die Läufe von vierzig Boltgewehren, in deren Seiten obszöne Sigillen eingraviert und die mit dem achtzackigen Stern des Chaos geschmückt waren. Die Iron Warriors nahmen ihnen die Waffen ab und bedeuteten ihnen, sich dem Krieger auf dem Thron zu nähern. Als sie dies taten, sah Uriel, dass der Krieger eine wuchtige Streitaxt auf dem Schoß liegen hatte, und erkannte in ihm den Iron Warrior, gegen den er bei seinem Aufstieg zur Bresche gekämpft hatte. Nur Zentimeter hatten gefehlt, dann hätte sein Schwert ihn enthauptet. »Ich kenne dich«, sagte der Krieger. »Du bist Honsou?«, sagte Uriel. Ein Iron Warrior trat heran und hämmerte ihm den Kolben seiner Waffe auf den Hinterkopf. Uriel sank auf ein Knie, da sich seine Kopfwunde wieder öffnete und frisches Blut auf seine Rüstung lief. Honsou nickte. »Du kennst mich, aber ich kenne dich nicht. Wie wirst du genannt?« »Durch Gewalt wirst du nichts von uns erfahren«, sagte Uriel, indem er sich wieder erhob und sich den Hinterkopf massierte. »Es ist eine einfache Frage«, sagte Honsou, während er sich mit
den Fingern über die Narbe an seiner Schläfe strich. »Ich wüsste gern den Namen des Kriegers, der mir eine Narbe zugefügt hat.« »Nun gut. Ich bin Uriel Ventris, und das sind meine Krieger.« Honsou schaute an Uriel vorbei. »Du bewegst dich in merkwürdiger Gesellschaft, Uriel Ventris - Abtrünnige, Verräter und entlaufene Sklaven.« Uriel antwortete nicht, da ihm aufging, dass Honsou ihn ebenfalls für nicht mehr als einen Abtrünnigen hielt. Ohne Insignien und Rangabzeichen wies nichts darauf hin, dass er immer noch ein Krieger des wahren Imperators der Menschheit war. Seine Gedanken überschlugen sich, da er fieberhaft nach einer Möglichkeit suchte, wie er den Fehler des Verräters ausnutzen konnte, während Honsou fortfuhr: »Woher kennst du mich? Hat Toramino dir von mir erzählt?« »Wer?« »Spiel nicht den Unschuldigen vor mir«, warnte Honsou. »Du wirst feststellen, dass ich dafür keine Geduld habe. Du weißt, wer Toramino ist.« Uriel antwortete nicht, und Honsou seufzte. »Es hat keinen Sinn zu versuchen, nobel zu sein. Ich werde erfahren, was ich wissen will. Wenn nicht jetzt, dann werden es dir die Brutalen Bestatter noch früh genug entlocken. Glaub mir, es wäre besser für dich, mir jetzt zu sagen, was ich wissen will, als unter ihren Händen zu leiden.« »Ich habe durch Toramino von dir erfahren, ja«, sagte Uriel schließlich. Honsou grinste. »Siehst du, Zakayo, Toramino ist so tief gesunken, dass er sich sogar zur Anwerbung von Söldnern hergibt. So viel zu seinen hehren Idealen der Reinheit, hm?« »In der Tat«, sagte Obax Zakayo, indem er Honsous Thron umkreiste und Leonid und Ellard mit den starken, zischenden Klauen hochhob, die sich über seine Schultern herabbeugten. Beide Männer wehrten sich in seinem Griff, hatten der Kraft des Riesen aber nichts entgegenzusetzen. »Ich sagte doch, dass ihr wieder unter meine Klingen geraten würdet, Sklaven.« »Setz sie wieder ab, Zakayo, ihr Blut ist es nicht wert, hier vergossen zu werden. Lass sie in den Schmelzhütten arbeiten.« Obax Zakayo nickte und ließ die beiden Gardisten los, blieb aber
bei ihnen, und sein Verlangen, ihnen blutigen Schaden zuzufügen, war offenkundig. »Warum seid ihr innerhalb der Mauern meiner Festung, Ventris?«, sagte Honsou. »Wie du schon sagtest, wir sind Söldner«, erwiderte Uriel. »Sie sind durch die Irrwitzportale gekommen und haben versucht den Turm zu erreichen, als ich sie gefunden habe«, sagte Onyx. »Ich halte sie für Attentäter.« »Stimmt das, Ventris? Seid ihr Attentäter?« »Ich bin nur ein einfacher Soldat.« »Nein, das bist du nicht«, stellte Honsou fest. Er erhob sich von seinem Thron und ging entspannten und selbstbewussten Schrittes zu Uriel. »Ein einfacher Soldat hätte seine Krieger nicht lebend durch die Irrwitzportale gebracht und wäre auch nicht so tief in Khalan-Ghol eingedrungen.« Honsou ergriff Uriels Kinn und drehte den Kopf von einer Seite zur anderen, und Uriel sah, dass der Arm des Verräters ein künstliches Glied aus schwarzem Metall mit einer Oberfläche so glatt wie ein Insektenpanzer war. Seine Berührung fühlte sich widerlich auf der Haut an. »Warum seid ihr auf Medrengard?«, fragte Honsou, wobei er Uriel in die Augen schaute. Uriel begegnete Honsous Blick, und die beiden Krieger starrten einander an und forderten sich gegenseitig heraus, den Blickkontakt als Erster abzubrechen. Uriel war ein Krieger des Imperators der Menschheit und Honsou ein Verräter, der eine gerade ein gutes Jahrhundert alt, der andere schon seit vielen Tausend Jahren auf dem Schlachtfeld zu Hause. Obwohl sie durch einen Abgrund aus Zeit und Glauben getrennt waren, sah Uriel einen Kriegergeist in Honsou und einen Kern der Verbitterung, der beunruhigend vertraut war. Ob seine Anwesenheit im Auge des Schreckens seine Sinne geschärft hatte oder er eine Form finsterer Verwandtschaft zum Herrn von Khalan-Ghol empfand, wusste er nicht, aber er sah mit Entsetzen, dass der Unterschied zwischen ihnen nicht so groß war, wie er gedacht hatte. Er sah denselben Drang, sich als den Höhergestellten ebenbürtig zu erweisen, dieselbe Frustration darüber, dass ihm durch die Blindheit anderer der rechtmäßige Platz verwehrt blieb. Ein Teil von ihm bewunderte Honsous Zielstrebigkeit bei der Verfolgung
seiner Ziele. Vom Zufall der Geburt abgesehen, hätten sie nicht als Brüder gemeinsam auf dem Schlachtfeld stehen können? Hätte Uriel nicht in den Schwarzen Kreuzzügen kämpfen oder Honsou Schulter an Schulter mit anderen Space Marines Tarsis Ultra verteidigen können? Er sah das Erkennen und die Bewunderung in Honsous Gesicht und dass er sich ebenfalls ihrer gemeinsamen Abstammung bewusst war. »Wir sind auf Medrengard, um zu kämpfen«, sagte Uriel schlicht. »Das habe ich gesehen«, nickte Honsou. »Ihr habt vor meinen Mauern gut gekämpft. Ich nehme an, ich muss dir und deinen Kriegern für die Zerstörung von Berossus' Truppenaufzug danken?« »Aye«, sagte Vaanes stolz. »Ich habe die Kabel durchgeschnitten.« »Dann ist es sicher, dass ihr nicht Berossus dient, vielleicht nur Toramino...«, sagte Honsou mit Wonne. »Jedenfalls habt ihr mir einen großen Dienst erwiesen! Ohne Verstärkungen war Berossus nicht in der Lage, die Mauern einzunehmen. Ohne euch wäre Khalan-Ghol jetzt vielleicht in seinen idiotischen Händen.« Honsou umkreiste den Kriegertrupp der Space Marines und begutachtete jeden von ihnen ausgiebig. Er blieb neben Pasanius stehen und hob seinen silbernen Arm an, um die makellose Oberfläche eingehender zu untersuchen. »Das ist ausgezeichnete Arbeit«, sagte er. »Selbst gefertigt?« »Nein«, sagte Pasanius zähneknirschend. »Die Adepten von Pavonis haben ihn für mich gemacht.« »Pavonis? Von dieser Welt habe ich noch nie gehört. Ist das eine der Welten der Mechancus?« »Nein.« Honsou lächelte. »Du hasst mich, nicht wahr?« Pasanius wandte den Kopf und starrte Honsou an. »Ich hasse dich, ja. Dich und deine ganze verräterische Sippschaft.« Honsou trat hinter Pasanius und wischte schwarzen Staub und die schmierigen Überreste der Exuviae von seiner Rüstung, um sich ihre Farbe genauer anzusehen. Er kehrte zu Uriel zurück und untersuchte auch dessen Rüstung. »Ich sehe keine Insignien«, sagte er. »Aus welchem Orden
stammt ihr?« »Was spielt das hier für eine Rolle?«, sagte Uriel. »Mir gefällt die Art, wie du geantwortet hast.« »Wie habe ich denn geantwortet?« »Sehr vorsichtig«, grinste Honsou. »Soll ich dir sagen, was ich glaube?« »Würde es etwas ändern, wenn ich nein sagte?« »Eigentlich nicht. Ich halte euch für Ultramarines, obwohl ich mir kaum auszumalen wage, was für schändliche Verbrechen ein Ultramarine begehen muss, um ins Auge des Schreckens verbannt zu werden. Habt ihr euch auf dem Exerzierplatz nach links gewandt anstatt nach rechts? Vergessen, morgens eure Gebete aufzusagen?« Uriel spürte, wie sein Zorn wuchs, doch er zwang sich, nicht auf Honsous Spott zu reagieren. »Ja, wir sind Ultramarines, aber die Gründe, warum wir hier sind, spielen keine Rolle. Letzten Endes sind wir hier, um zu kämpfen.« »Ist es dann wichtig für euch, für wen ihr kämpft?« Uriel dachte über die Frage nach, bevor er antwortete. »Nicht besonders.« »Dann könnte ich Krieger wie euch brauchen«, sagte Honsou, indem er eine Hand ausstreckte. »Ich kann euch viel mehr anbieten als Toramino oder Berossus. Wollt ihr euch mir anschließen?« Uriel starrte auf die Hand des Iron Warriors, und ein Durcheinander von Gefühlen erfüllte ihn. Er und Honsou hatten viele Qualitäten als Krieger gemeinsam, aber sie würden niemals ihre Glaubensdifferenzen überwinden können... oder doch? Ohne einen Orden, dem er zugehörig war, mochte er da nicht besser bedient sein, wenn er einen Anführer mit Mut und Weitblick fand, neben dem er kämpfen konnte? Alles, woran zu glauben ihm beigebracht worden war, und alles, was er als Space Marine gelernt hatte, kämpfte gegen die Verbitterung über ihren Ausschluss aus den Ultramarines an, und als er Honsou wieder in die Augen schaute, sah er den einzigen Weg, der ihm offen stand.
TEIL III Im Reich der Hautlosen
DREIZEHN Uriel warf sich zur Seite, rammte dem Iron Warrior, der sein Schwert hielt, den Ellbogen in den Hals und fing die fallende Scheide auf, während der Verräter nach seiner eingedrückten Luftröhre tastete. Die Klinge zischte aus der Scheide, und er rief: »Ich bin ein Krieger des Imperators der Menschheit und ein Space Marine. Ich werde mich niemals deinesgleichen anschließen!« Honsou bewegte sich nicht, und Uriels Klinge zuckte seinem Hals entgegen, doch Onyx' Bronzekrallen waren zuerst da und fingen den Hieb ab, und Onyx' andere Faust traf Uriels Brust. Der Schlag raubte ihm den Atem und schleuderte ihn über den Boden aus pulverisiertem Knochen. Er ließ sein Schwert fallen und rang nach Luft, da er vorübergehend versuchte, durch seine durchtrennte Luftröhre zu atmen, bevor seine autonomen Funktionen wieder auf die dritte Lunge umschalteten. Er griff nach seinem gefallenen Schwert, doch ein bestiefelter Fuß trat auf die Klinge. »Für wie dumm hältst du mich, Ventris?«, fauchte Honsou. »Glaubst du, ich wäre durch reines Glück zum Herrn dieser Festung aufgestiegen? Nein, ich habe es mir verdient, weil ich besser war als alle, die mir meine Herrschaft streitig machen wollten!« Honsous Stiefel kam Uriel entgegen, traf seinen Kiefer und brach den Knochen. Uriel wälzte sich vor Honsous Tritten davon, während die Iron Warriors mit erhobenen Boltgewehren auf den Kriegertrupp losgingen, als dieser Anstalten machte, Uriel zu Hilfe zu eilen. Uriel mühte sich, auf die Beine zu kommen, doch Honsou gab ihm keine Gelegenheit dazu, sondern stemmte ihm ein Knie in den Rücken und landete harte, knappe Faustschläge in die Rippen. Honsou packte Uriels Hinterkopf und schlug sein Gesicht auf den Boden. Uriel spürte, wie Nase und Wangenknochen brachen, und drehte den Kopf, um das Schlimmste zu vermeiden, aber Honsou klemmte ihm das Gesicht mit dem Ellbogen ein, während er wutentbrannt darauf einschlug. »Verdammt, du wirst dir noch wünschen, du hättest mein Angebot angenommen!«, tobte Honsou, als er sich erhob und sich Spritzer von Uriels Blut aus dem Gesicht wischte. »Ich übergebe dich den Brutalen Bestattern, und die werden dein Fleisch schän-
den und dir Qualen zeigen, wie du sie noch nie erlebt hast. Dein Körper wird ihre Leinwand sein, und wenn sie damit fertig sind, dich zu verstümmeln, werden sie dich zerreißen, um ihren ausgemergelten Gestalten Substanz zu verleihen.« Uriel wälzte sich auf den Rücken. Sein Mund war voller Blut, und er hustete und bespritzte seine Rüstung mit roten Flecken. Er stützte sich auf einen Ellbogen und sagte: »Ich bin Uriel Ventris von den Ultramarines, treuer Diener des gütigen Imperators der Menschheit und Feind aller verräterischen Anhänger der Mächte des Verderbens. Nichts, was du tust, kann daran etwas ändern.« Honsou knurrte, beugte sich über Uriels Brustharnisch und hämmerte ihm noch einmal die Fäuste ins Gesicht. Blut spritzte auf den Boden, während er brüllte: »Sei verdammt, wie kannst du dich mir verweigern! Du bist nichts, niemand. Dein Orden hat dich verstoßen! Du bedeutest ihm nichts. Was hast du davon, dass du ihn in Ehren hältst?« Uriels Hand schoss vor und hielt Honsous herabsausende Faust auf. »Ich habe meine Ehre und meinen Glauben!«, fauchte er, indem er mit der anderen Faust zuschlug und Honsou von sich warf. Uriel erhob sich und wankte zu den übrigen Mitgliedern des Kriegertrupps. Die Space Marines und die beiden Gardisten bildeten einen trotzigen Kreis um ihn vor den Iron Warriors. Uriel spie Blut und Zähne und stützte sich auf Pasanius. »Einen Moment habe ich mir Sorgen um dich gemacht«, sagte Pasanius. Sein Tonfall war unbekümmert, aber selbst in seinem ramponierten Zustand entging Uriel nicht die unterschwellige Besorgnis seines Freundes. »Ich bin ein Krieger des Imperators, mein Freund«, keuchte er. »Ich würde mich niemals den Dunklen Mächten zuwenden, das weißt du.« »Das weiß ich«, stimmte Pasanius zu. »Diesen Schweinehund hast du jedenfalls getäuscht«, sagte Vaanes, der neben ihn trat und seine Energieklaue ausfuhr. »Und mich auch. Verdammt, Ventris, so werde ich nicht sterben!« »Ich auch nicht, wenn ich es verhindern kann«, sagte Uriel. Die Iron Warriors umringten sie und hatten die Bolt-gewehre auf sie angelegt, während sich Honsou erhob und das Blut aus dem Gesicht wischte. »Ich werde dafür sorgen, dass du gebrochen wirst, Ventris«,
versprach er. »Ich lasse dich an die Daemonculaba verfüttern und werfe dich dann den Hautlosen vor. Mal sehen, ob du dir deine kostbaren Ideale dann immer noch bewahrst.« »Du kannst nichts tun, was meinen Glauben an den Imperator erschüttern würde«, sagte Uriel. »Glauben?«, spottete Honsou. »Was ist das anderes als hoffnungsvolles Unwissen? Die Iron Warriors hatten auch einmal ihren Glauben, doch was hat er ihnen gebracht? Sie wurden vom Imperator verraten und ins Auge des Schreckens geworfen. Wenn dir dein Glaube an den Imperator das einbringt, bist du herzlich eingeladen!« Pasanius brüllte vor Wut und sprang Honsou an, doch wieder ging Onyx dazwischen, um seinen Herrn zu beschützen, und hieb mit seinen Bronzekrallen nach Pasanius' Kehle. Für einen derart massigen Mann bewegte sich Pasanius überraschend schnell. Er lenkte Onyx' Hieb zur Seite ab und landete einen Rückhandschlag seiner massigen Faust im Gesicht des dämonischen Symbionten. Onyx brüllte und taumelte rückwärts, und silbernes Feuer sprudelte aus seiner Platzwunde. Pasanius packte Honsous Rüstung und holte mit seiner silbernen Faust zum tödlichen Schlag aus. Doch bevor es dazu kam, schloss sich eine zupackende Klaue darum, und Obax Zakayo riss ihn zurück. Die hydraulische Klaue schloss sich um Pasanius' Unterarm, quetschte das Glied zusammen und trennte es beinahe vollständig ab. Dann schlug er mit der Vorschlaghammerfaust zu und holte Pasanius damit von den Beinen, um daraufhin seine Axt zu ziehen und ihm den Rest zu geben. Er hob die Waffe zum tödlichen Schlag, der jedoch nicht kam, da der Iron Warrior vielmehr ungläubig auf das starrte, was er vor sich sah. Mit Grausen und absoluter Verblüffung sah Uriel, wie das verbeulte und verbogene Metall von Pasanius' Arm wie flüssiges Quecksilber zerrann, bis die von Obax Zakayo angerichteten Schäden repariert und jede Beule, jeder Kratzer und jeder Makel verschwunden und der Arm wieder so makellos wie am Tag seiner Anbringung an Pasanius' Stumpf war. »Pasanius...«, hauchte Uriel. »Was... wie?« Sein Freund wälzte sich auf die Seite und versteckte seinen soeben geheilten silbernen Arm vor Uriels Blick. »Es tut mir so leid...«, weinte er. »Ich hätte...« Honsou tauchte vor Pasanius auf und zog den silbernen Arm
von der Brust weg, an die er ihn presste. Er schloss seine eigenen augmetischen Finger um die silberne Perfektion von Pasanius' mechanischem Arm und schaute dann mit höhnischer Vorfreude auf sein eigenes glänzendes mechanisches Glied. »Bringt sie zu den Brutalen Bestattern und übergebt sie ihnen, aber sagt ihnen, sie sollen den hier am Leben lassen... ich will seinen Arm.« Honsou ging weiter zu Uriel, und in seinen Zügen spiegelte sich die Wut des Verratenen. »Aber übergebt Ventris den Daemonculaba, er ist nichts anderes wert. Sollen sie seinen Körper missbrauchen und sich von ihm nehmen, was sie wollen, bevor sie ihn wieder ausscheißen.« Der Weg zu den Brutalen Bestattern war ebenso mit wahnsinnigen Bildern und aberwitzigen Erscheinungen überladen wie der zum Allerheiligsten. Das Innere des Turms verspottete die Gesetze der Natur und der Physik mit Übelkeit erregenden Perspektiven und unmöglichen Winkeln, die sich Uriels Sinne anzuerkennen weigerten. Sie stiegen Wendeltreppen hinunter, die sich in schwindelerregenden Doppelhelix-Mustern umeinan-derschraubten, die schlurfende Sklaven, goldberobte Akoluthen und Iron Warriors der Schwerkraft zum Trotz über ihnen erklommen oder herabstiegen - Uriel war nicht sicher, was. Obax Zakayo, Onyx und die vierzig Iron Warriors hatten den Kriegertrupp aus Honsous Allerheiligstem zurück über die Brücke zu den hallenden Kreuzgängen des Turms eskortiert. Danach konnte Uriel nicht mehr sagen, welchen Weg ihre Häscher mit ihnen nahmen, da die chaotische Architektur des Turms alle seine Versuche vereitelte, sich den Weg einzuprägen. Zerschlagen, ohne Waffen und mit in der Niederlage gesenktem Kopf wurden die Space Marines und die beiden Gardisten durch dunkle, verstaubte Gänge gescheucht - obwohl sich Pasanius von Uriel fernhielt und auch seinem Blick auswich. Diese Passivität verletzte Uriels Ehrgefühl, aber ein Angriff auf ihre Häscher hätte zu diesem Zeitpunkt nur ihren raschen Tod zur Folge gehabt. Und er hatte zwar noch einen Todeseid zu erfüllen und lebte immer noch, aber er wusste sehr wohl, dass noch Zeit genug zum Kampf sein würde.
Ihr Marsch sollte sie dorthin führen, wo die Brutalen Bestatter hausten. Uriel hatte bei der Erwähnung dieses Namens mehr als nur ein wenig Furcht gespürt und freute sich nicht auf die Aussicht, den Grund für diese Angst herauszufinden. War die Kreatur, die versucht hatte, sie Onyx beim Betreten des Turms abzunehmen, eines dieser Wesen? Uriel hatte den schrecklichen Verdacht, dass sie es nur zu bald herausfinden würden. Ihr Weg endete abrupt, als sich Obax Zakayo zögerlich einem niedrigen, rot erleuchteten Torbogen näherte, dessen Ränder von Haken, langen Nadeln und blutigen Fleischregalen mit portionierten Stücken Menschenfleisch gebildet wurden. Durch die Öffnung drangen flehentliche Schreie und das Zischen von knisterndem Fleisch, dazu der Geruch nach Blut und Verzweiflung. Etwas bewegte sich in dem leuchtenden Torbogen, eine ungeschlachte, missgebildete Kreatur. Obax Zakayo zögerte, bevor er durch den Torbogen ging, und das Klicken von Metallklauen auf Stein sowie das Echo eines donnernden Herzschlages hallte aus dem tropfenden Gang voraus. Die Beklommenheit des Iron Warriors war offensichtlich. Onyx ließ kein derartiges Zögern erkennen und passierte die Schwelle zur Domäne der Brutalen Bestatter ohne Furcht. Uriel spürte eine stinkende Wärme, als er durch den Torbogen ging, und schaute sich nach Gründen für das Unbehagen der Iron Warriors um. Das silberne Feuer von Onyx' Augen und Adern warf einen spärlichen Schein in die Kammer, und Uriel war plötzlich dankbar für das fehlende Licht, da er makabre Hinweise auf alle möglichen grotesken Experimente an den Wänden hängen und in Glaskrügen mit einer milchigen Flüssigkeit darin sah. Der in dem Raum Anwesende, dem offenbar jeder Schritt Schmerzen bereitete, hinkte zu Obax Zakayo. Uriel sah, dass sein nackter Körper eine Melange aus Gliedern und Anhängseln von Imperator weiß wie vielen anderen Körpern war. Der Kopf war rückwärts angenäht, und künstliche Ersatzorgane aus verrostetem Kupfer ersetzten Augen und Ohren. Er stand auf Beinen, die offenbar zwei Leuten sehr unterschiedlicher Größe gehört hatten, und der Rumpf war ein Spinnennetz aus schlecht verheilten chirurgischen Nähten. Vielleicht hatte das Wesen früher einmal ein Geschlecht gehabt, doch von seinem Schritt war nichts mehr übrig, was es hätte verraten können. Die Arme des Dings baumelten in einer asymmetrischen Schlinge vor der
Brust, und die Hände waren zu einem klumpigen Masse aus Fleisch und Knochen zusammengeschmolzen. »Was willst du?«, erscholl es undeutlich aus einem Mund, aus dem dicke Speichelfäden liefen. »Nicht willkommen.« »Sabatier«, sagte Onyx. »Wir bringen Opfer für deine Meister. Neues Fleisch.« Die Kreatur namens Sabatier richtete den Blick von Onyx auf den Kriegertrupp und schleppte sich unter Schmerzen zu Ardaric Vaanes. Sie reckte die verschmolzenen Fäuste nach oben, um damit über sein Gesicht zu reiben, doch Vaanes wich davor zurück, bevor ihn das entstellte Fleisch berühren konnte. »Fass mich nicht an, du Ungeheuer«, fauchte er. Sabatier kicherte - oder gurgelte, das ließ sich nur schwer sagen - und wandte sich wieder an Onyx. »Widerspenstig«, sagte Sabatier, und plötzlich sprang Vaanes vor, packte das Wesen am Hals und drehte mit lautem Knacken von Knochen den Kopf herum. Sabatier seufzte einmal und fiel zu Boden. Obax Zakayo trat näher, packte Vaanes mit seinen mechanischen Klauen und hob ihn mit wütendem Brüllen hoch. »Und stark...«, sagte Sabatier auf dem Boden, während das Wesen sich unbeholfen aufrichtete. Der Kopf rollte haltlos auf den Schultern hin und her, und aus dem Flickwerk der Haut ragte ein scharfkantiger Knochen. Mit der fleischigen Schlinge seiner Arme wedelte es Obax Zakayo zu. »Lass ihn in Ruhe, den Meistern ist es lieber, wenn das Fleisch stark ist und nicht so schwach, wie es die Verhungerten normalerweise sind. Vielleicht hat der Widerspenstige Glück, und die Meister machen ihn so wie mich. Tot, aber nicht kalt in der Erde.« »So viel Glück sollte er wirklich haben«, sagte Obax Zakayo, indem er Vaanes wieder absetzte. »Wird er aber nicht«, sagte Sabatier, während er den Kopf hob und eine gutturale Beschwörungsformel sprach. Beim Klang seiner belegten Stimme flimmerte die Wand auf der anderen Seite des Torbogens und verschwand, und der Lärm der Schreie und hämmernden Herzschläge erfüllte die Kammer. Ein großer Eisenkäfig lag dahinter, und die Iron Warriors trieben sie mit brutalen Stößen ihrer Gewehrkolben hinein. Sobald sie und ihre Häscher im Käfig waren, schlang Sabatier die Arme um einen schwarz-gelb gestreiften Balken und zog ihn
mit einiger Mühe vor die Käfigtür. Nachdem sich diese klirrend geschlossen hatte, ruckte der Käfig, und knirschendes Quietschen baute sich über ihnen auf, als uralte Mechanismen griffen und der Käfig in die Tiefen des Turms abgesenkt wurde. Uriel schaute durch den Gitterboden des Käfigs nach unten, sah aber nur einen spärlich erleuchteten Schacht aus öligen Eisenplatten. Der Boden verlor sich in der Tiefe, und Uriel sah, dass sich dieser Schacht unmöglich räumlich innerhalb des Turms befinden konnte. Die Tatsache der räumlichen Unmöglichkeit des Schachts konnte ihn nicht mehr überraschen. Vaanes stellte sich neben Uriel, während der Käfig seine Fahrt nach unten fortsetzte und dabei immer schneller wurde, bis die Metallseiten des Schachts nur noch vorbeihuschten. »Wir müssen schnell weg von hier. Mir gefallen diese Brutalen Bestatter nicht.« »Mir auch nicht«, gab Uriel ihm recht. »Was einen Iron Warrior beunruhigt, kann nicht gut sein.« »Vielleicht kann sich dein Freund mit dem sich selbst reparierenden Arm freikämpfen. Woher hat er den nur?« »Ich wünschte, ich wüsste es...«, sagte Uriel, während der Käfig nun langsamer wurde und schließlich mit einem Ruck anhielt. Sabatier öffnete die Türen auf der anderen Käfigseite. Die Iron Warriors prügelten sie aus dem Käfig in einen sich allmählich verbreiternden Tunnel, der in den nackten Fels gehauen war. An seinem Ende befand sich ein pulsierender roter Schein, durch den ein Chor aus schreienden Stimmen, Zischen, Klirren und dem Stampfen von Maschinen drang. Doch all das wurde noch vom ohrenbetäubenden Hämmern eines Herzschlags übertönt. Der rote Schein und die grausige Kakophonie schwoll an, bis sie die kolossale Höhle dahinter betraten. »O nein...«, hauchte Uriel, als er schließlich sah, wo die Brutalen Bestatter hausten. »Was um alles in der Welt...?«, sagte Vaanes, dessen Gesicht vom diabolischen blutroten Schein der Kaverne erleuchtet war. Die andere Seite war nicht zu sehen. Geriffelte Eisenwände schraubten sich in ferne Höhen, wo dröhnende Maschinen und gewaltige Turbinen tosten und brodelten. Dicke Kabel und gewundene Rohre zogen sich an den Wänden und der gewölbten Decke entlang, und ein feiner Sprühnebel aus Körperflüssigkeiten
rieselte auf den stinkenden Felsboden. Terrassenförmig gestapelte Käfige wie diejenigen, welche Uriel in dem Lager in den Bergen gesehen hatte, zogen sich die Kavernenwände entlang. Unter ihnen verliefen Tröge, und aus schweren Blasen, die an der Decke hingen, verliefen Schläuche zu ihnen nach unten. Als er in die Kaverne getrieben wurde, empfand Uriel plötzlich eine jähe Mattigkeit und Stumpfheit, als stehe er unter dem Einfluss eines extrem starken Schmerzmittels. Alles schien Farbe, Geschmack und Geruch verloren zu haben, als seien seine sinnlichen Wahrnehmungen irgendwie beeinträchtigt. Der Boden der Höhle war rau und uneben, und darauf standen überall in der Höhle verstreut wahllos Gebilde und galgenartige Strukturen, zum Teil übereinandergestapelt, zwischen denen Leichentische - manche belegt, manche nicht - verteilt waren. Vom Lärm des Fahrstuhlkäfigs angelockt, fanden schwarz berobte Ungeheuer den Weg durch die Höhle zu ihnen, die sich auf äußerst unterschiedliche Art und Weise fortbewegten. Manche kamen auf Spinnenbeinen, andere auf langen Stelzen, während wieder andere auf stacheligen Ketten rollten. Ihre winkenden Arme waren eine eklektische Mischung aus Klingen, Krallen, Klammem, Knochensägen und surrenden Schädelbohrern. Keine zwei waren gleich, aber alle trugen die Narben massiver, selbst ausgeführter chirurgischer Eingriffe und waren abstoßend und böse. Alle trugen eine entstellte und verderbte Version des Schädelund-Zahnrad-Symbols der Adeptus Mechanicus auf der Robe, obwohl Uriel Mühe hatte, diese Abscheulichkeiten mit den Priestern des Maschinengottes in Verbindung zu bringen. Ihre Haut war tot, und sie gaben ein unverständliches Geplapper von sich, das sich wie ein beständiges Klicken anhörte und nur Kauderwelsch für Uriel war. Onyx trat in die Höhle, dicht gefolgt von Sabatier. Die Brutalen Bestatter umringten sie rasch und stachen Onyx mit Scherenarmen und Nadeln. »Ein Geschenk von Lord Honsou«, sagte der dämonische Symbiont, der die Untersuchung völlig ignorierte. Nachdem sie an seiner Dämonengestalt nichts von Wert gefunden hatten, ließen die schändlichen Chirurgen von ihm ab und näherten sich dem Kriegertrupp mit krankhafter, skelettartiger Lust in den seelenlosen Augen. Eines der albtraumhaften Ungeheuer drehte sich wieder zu Onyx um, und Uriel erkannte in ihm den Brutalen Bestat-
ter, den sie auch schon beim Betreten des Turms gesehen hatten. Sein Mund öffnete sich, und zischende Klicklaute kamen heraus. »Dein Geschenk ist annehmbar«, übersetzte Sabatier. »Ihr könnt unoperiert gehen.« Onyx nickte, während Uriel mehr von den finsteren Wundern in der Höhle zur Kenntnis nahm. So unmittelbar und furchterregend die Gestalten der Brutalen Bestatter auch waren, Uriels Blick wurde unwiderstehlich von der Mitte der Kammer angezogen. Über einem blubbernden See aus Blut und von drei dicken Ketten und glänzenden silbernen Ahlen in Brust und Rumpf gehalten, hing ein aufgeblähter roter Dämon, uralt und geschwollen von knisternden Energien. Sein Leib war schuppig, und breite Strähnen dicker, verfilzter Haare hingen von seinem gehörnten Schädel den Rücken hinunter. Seine gespaltenen Hufe wirbelten durch die Luft, und während er sich vergeblich gegen seine Fesseln wehrte, konnte Uriel große Wunden in seinem Rücken erkennen, wo zwei Flügel operativ entfernt worden waren. Seine Brust wogte im Rhythmus des donnernden Echos auf und ab, der die Kammer erfüllte, und Uriel wusste, dass dieser gefangene Dämon die Ursache des Geräusch sein musste. »Ihr werdet es erkennen, wenn ihr es seht...«, sagte Pasanius. »Was?« »Das hat der Omphalos Daemonium zu uns gesagt, nicht?« »Worüber?«, fragte Uriel. »Über das Blutherz«, sagte Pasanius. »Ihr werdet es erkennen, wenn ihr es seht.« Uriel schaute wieder zu dem gefesselten Dämon, und ihm ging auf, dass Pasanius recht hatte. Dies musste das Blutherz sein, das Dämonenwesen, das laut der von Seraphys erzählten Geschichte schlauer als der Omphalos Daemonium gewesen war und ihn für eine Ewigkeit der Qual an die Feuerung einer furchtbaren Dämonenmaschine gefesselt hatte. Der Blutsee war von vielen Hundert aufrecht stehenden Särgen aus schwarzem Eisen mit gurgelnden roten Schläuchen umgeben, die durch die Deckel drangen. In jedem Sarg lag ein skandierender golden berobter Zauberer, und in jedem verwitterten Leib steckten viele Dutzend Blutentnahmenadeln, über die der zischende See unter dem gefangenen Dämon mit Blut gefüllt wurde. Ein pulsierender Schlauch erhob sich aus dem See und endete in der Brust des Dämons, da das Blut der Psioniker in sein imma-
terielles Fleisch gezwungen wurde. Der Dämon wand sich voller Qual über dem See, und ein flimmernder Dunst psychisch toter Luft stieg vom Schädel der Warpkreatur auf und unter die Decke der Kammer. Die Qualen des Dämons ob seiner Gefangenschaft waren offensichtlich, und nun, da er sich darauf konzentrierte, konnte Uriel klar erkennen, dass dies der Grund für seine betäubten Sinne war. »Lord Honsou wünscht, dass dieser hier«, sagte Onyx, indem er auf Uriel zeigte, »an die Daemonculaba verfüttert wird. Bei diesem hier« - er zeigte auf Pasanius - »soll der silberne Arm entfernt und in sein Allerheiligstes gebracht werden. Ist das annehmbar?« Das Wesen ruckte vorwärts und hob Pasanius mit einer zischenden Klaue hoch, die aus seiner pneumatischen Bein-Anordnung spross. Eine surrende Klinge klappte aus der Armatur an seinem Handgelenk und sägte mit brutalen, effektiven Schnitten die Rüstung von Pasanius' Oberarm, so dass sein Bizeps und die Verbindungsstelle zwischen Fleisch und Metall sichtbar wurde. »Setz mich ab, Chaos-Abschaum!«, brüllte Pasanius und trat nach der verwitterten Brust des Brutalen Bestatters. Er zischte, als sei er solchen Widerstand nicht gewöhnt, und eine dicke Nadel wurde unter der Säge ausgefahren und Pasanius in die Brust gestoßen. Sekunden später hörte er auf, sich zu wehren, und das Ungeheuer reichte ihn an einen seiner chirurgischen Brüder weiter. Uriel sprang vor, als Pasanius weggetragen wurde, aber seine lethargischen Sinne machten ihn langsam, und Onyx hielt ihn mit einer Bronzeklinge im Nacken auf. »Nicht«, sagte er nur. »Sein Schicksal ist nichts verglichen mit deinem.« Uriel sagte nichts, als die Brutalen Bestatter sie umzingelten und mit ihren mechanischen Klauen aufhoben. »Ich werde dich töten«, versprach Uriel, als er trotz seiner Gegenwehr vom Boden aufgehoben wurde. »Am besten erschießt du mich jetzt, denn wenn du es nicht tust, bringe ich dich um.« »Wenn die Mächte festlegen, dass dies mein Schicksal ist, dann soll es so sein, aber ich glaube, du irrst dich. Du wirst an diesem Ort sterben, Uriel Ventris«, sagte Onyx achselzuckend, bevor er auf dem Absatz kehrtmachte und sich mit dem dankbar dreinschauenden Obax Zakayo wieder auf den
Rückweg durch den Tunnel zum Fahrstuhlkäfig machte. Uriel wehrte sich ohne Erfolg gegen die Klauen des Brutalen Bestatters, aber seine Kraft war gewaltig, und er konnte sich nicht rühren. Dessen totes Gesicht zischte, als er seinen Körper in allen Einzelheiten untersuchte. Funkelnde Bronzearme hielten ihn fest, während Scheren und Nadeln seine Haut durchbohrten. Eine klickende Anordnung dünner Ruten mit einer Art Mundschutz aus einem Metallgeflecht am Ende fuhr aus der Kapuze des Ungeheuers aus, und der Mundschutz legte sich vor die zahnbewehrte Mundöffnung. Scharfe Klammern schnappten klickend auf und schlossen sich um den Metallkiefer des Brutalen Bestatters, so dass staubige Späne metallischer Haut durch die Luft flogen. Der Mundschutz knisterte statisch, und dann sagte der Brutale Bestatter: »Du sollst an die Daemonculaba verfüttert werden. Eine Verschwendung von Fleisch. An dir könnten viele Operationen vorgenommen werden. Unbekanntes könnte bekannt werden. Die anderen werden reichen.« »Was habt ihr mit uns vor?«, schrie Vaanes, der sich hilflos im Griff eines großen, schwarz berobten Ungeheuers wand, das sich auf zischenden mechanischen Beinen mit verkehrt angeordneten Gelenken wie bei einem Kampfläufer fortbewegte. »Wir sind die Chirurgen des Ablebens«, sagte das Ungeheuer. »Monarchen des Königreichs der Toten. Wir werden euch zeigen, was Schmerzen bedeuten. Euch blenden und dann mit Messern aufschneiden. Uns nehmen, was wir wollen. Euer Fleisch zu unserem machen.« Die finsteren Priester aus Fleisch und Maschinen entfernten sich mit den Mitgliedern des Kriegertrupps durch die rote Kaverne in die Richtung der Experimentiertische, wobei sie sich in ihrer klickenden Maschinensprache angeregt über ihre vorgeschlagenen Operationen unterhielten. Der Brutale Bestatter, der Uriel hielt, schlug eine ganz andere Richtung ein, und sein rollender, vielbeiniger Schritt führte ihn rasch durch die Kammer. Beim Gang durch die höllische Kaverne bekam Uriel Grässliches zu Gesicht: Ketten zusammengenähter Gefangener, schreiende Wahnsinnige, deren Kopf mit Flüssigkeit vollgepumpt war, die infolge des Innendrucks durch die herausquellenden Augen gepresst wurde. Männer und Frauen, die sich über langsam röstende Feuer drehten, verbranntes Fleisch, das heruntertropfte und auf den eiser-
nen Gitterrosten darunter zischend verdampfte. Mehr Mutanten wie Sabatier, deformiert und ohne Sinn oder Beachtung der Gesetze der Anatomie wieder zusammengenäht, kümmerten sich um die gewöhnlicheren Experimente, wobei sie sich an den Schreien ihrer Versuchspersonen erfreuten und jeden Aspekt ihres Leidens auf langen Pergamentrollen festhielten. Mehrmals waren sie zu Umwegen gezwungen, um den widerlichen roten Raupenschleppern auszuweichen, die er schon oben auf der Treppe hinunter in die Festung gesehen hatte. Sie zogen immer noch die blutschwappenden Hänger mit den Leichen der Eisenkrieger und fuhren mit ihnen durch die Experimentierkammer einem unbekannten Ziel entgegen. Uriel verlor die Raupenschlepper aus den Augen, als der Brutale Bestatter eine lange Gitterrampe erklomm, die zur ersten Reihe der Käfige führte. Mehrere Leitungen, die an Eisenhaken hingen, folgten der Rundung der Höhlenwände, ächzende, speiende Rohre, knisternde elektrische Kabel und auch ein durchsichtiger Schlauch mit einer zähen, knorpeligen Flüssigkeit darin. Am Ende der Rampe angelangt, sah Uriel, dass die Käfige tatsächlich mit Opfern gefüllt waren, die große Ähnlichkeit mit jenen Bedauernswerten hatten, welche in dem Fleischlager in den Bergen gestorben waren. Doch so schrecklich das auch gewesen war, dies war ein Grauen, das alles überstieg, was er bisher gesehen hatte. Jede riesige aufgeblähte Kreatur in diesen Käfigen war weiblich, und ihre Leiber waren so aufgedunsen, dass sie jede Ähnlichkeit mit Menschen verloren hatten. An ihre Käfige gekettet, gurgelten und sabberten sie in sprachlosem Wahnsinn und Schmerz, da ihre Stimmbänder schon vor langer Zeit durchgeschnitten worden waren. Zwar waren sie auch durch unnatürliche Mittel aufgebläht, aber Uriel sah, dass ihre Masse nicht nur auf monströse Infusionen von Wachstumshormonen und finstere Magie zurückzuführen war. Diese riesigen weiblichen Wesen waren schwanger. Aber es waren keine normalen Schwangerschaften. In ihren geschwollenen Bäuchen wanden sich riesige Wesen von der Größe eines Space Marines... Mit angewidertem Entsetzen ging Uriel auf, dass er die Daemonculaba vor sich hatte, schändliche, furchtbare, dämonische Gebärmaschinen, aus denen neu erschaffene Chaos Marines herausgerissen wurden. In jedem Käfig steckte eines dieser grässli-
chen schwangeren Ungeheuer, und Uriel weinte über ihr grausiges Schicksal. Hier war das ultimative Ziel ihres Todeseids, deren Zerstörung seine Rückkehr in die Gnade des Ordens zur Folge haben würde. Er wehrte sich heftiger gegen den Griff des Brutalen Bestatters, als dieser anfing, ihm mit einer brutal wirkungsvollen Mischung aus Klingen und Plasmaschneidern die Rüstung vom Leib zu schneiden. Dies war keine behutsame Operation, und er schrie, da er bei dieser Prozedur Schnitte und Brandwunden erlitt. Scherben seiner Rüstung klirrten zu Boden, und er weinte ob der Schändung ihres Geistes. Zuerst wurde sein Brustharnisch aufgeschnitten, dann der Nackenschutz abgerissen, schließlich seine beiden Schulterschützer entzweigebrochen, bevor sie ebenfalls weggerissen wurden. »Nicht wehren«, warnte das Ungeheuer. »Du wirst an die Daemonculaba verfüttert.« »Nimm deine dreckigen Hände von mir, Dämonengezücht!«, schrie Uriel. Das verärgerte Ungeheuer schlug Uriel mit einer massiven Faust an den Kopf, und Blut lief ihm über die Stirn, während grelle Sterne vor seinen Augen barsten. Das berobte Wesen trug ihn weiter die Reihen der Käfigbatterien entlang und drehte ihn dabei um, so dass sein Kopf herabhing und ihm das Blut in die Augen lief, während er durch den Gitterboden starrte. Unter sich sah er eine große tosende Maschine mit einem blutverschmierten Förderband, auf dem Leichname mit Schusswunden und fehlenden Gliedmaßen transportiert wurden. Große Zerkleinerer und Walzen warteten auf die Leichen der gefallenen Iron Warriors, die in der Maschine zu einer dicken Paste verarbeitet wurden, um dann durch pulsierende Rohre weiter zu den Käfigen der Daemonculaba transportiert zu werden. Uriel sah, dass dies zusammen mit der von Honsou auf Hydra Cordatus erbeuteten Gensaat die Methode der Verräter sein musste, ihre Gensaat einzusammeln und für die Wiedergeburt zu verwenden. Diese Blasphemie gegen ein derart heiliges und kostbares Symbol der Space Marines war beinahe nicht zu ertragen, und er schwor, Honsou mit bloßen Händen zu töten. Schließlich wurde er wieder aufgerichtet und erblickte weitere Brutale Bestatter, die sich an zuckenden Daemonculaba zu schaf-
fen machten. Diesen bedauernswerten Exemplare hatte man den Bauch aufgeschnitten und auseinandergespreizt, und blassrosa Lappen fettigen Fleisches wurden mit Klammern offen gehalten, da die deformierten Mutanten panische halbwüchsige Kinder in die Gebärmuttern legten. Wo das den Daemonculaba zugeführte genetische Material an die implantierten Kinder weitergegeben würde... Die Kinder schrien die Ungeheuer an und flehten um ihr Leben oder das ihrer Mütter, aber die schwarz be-robten Ungeheuer achteten nicht darauf, sondern setzten die makabere Prozedur fort. Uriel drehte sich im Griff seines Häschers und wehrte sich verzweifelt, als er den offenen Bauch einer Daemonculaba vor sich sah. »Nein!«, schrie er. »Nicht!« Ein zweiter Brutaler Bestatter half seinem Kollegen bei der Ovariotomie-Prozedur, und Uriel brüllte vor Wut, als er spürte, wie eine stumpfe Nadel durch den Knochenschild getrieben wurde, der die Organe in seiner Bauchhöhle schützte. Seine Gegenwehr wurde schwächer, als sich das starke Schlafmittel in seinem Körper ausbreitete und seinen extrem resistenten Stoffwechsel überwand. Er spürte, wie ihn raue Hände in die weiche, feuchte Hülle der Gebärmutter der Daemonculaba legten, und Wärme umgab ihn, als er darin eingenäht wurde. Er spürte pulsierende Organe rings um sich und das Trommeln eines zu schnell schlagenden Herzens über sich. »Du stirbst jetzt«, sagte der Brutale Bestatter. »Zu alt, um ein Iron Warrior zu werden. Gensaat bringt neues Wachstum hervor, das dich zerreißen wird. Mutiertes Wachstum mit unbekannten Resultaten. Bald wirst du in Stücke zerfallen. Und in Krügen aufbewahrt.« »Nein...«, murmelte Uriel, während er sich schwach gegen die einschläfernde Droge wehrte. »Töte dich...« Aber die Lappen des schwabbeligen Fleisches der Daemonculaba hatten sich bereits über seinem reglosen Körper geschlossen, so dass er in Dunkelheit gehüllt war. Feuchtes, gut durchblutetes Gewebe legte sich auf sein Gesicht, und er kämpfte darum, seine Hände zu. befreien, während sein Körper von einer warmen Taubheit durchdrungen wurde. Das Letzte, was Uriel hörte, bevor er das Bewusstsein verlor,
war das Stechen der Nadel durch die dicke, ledrige Haut der dämonischen Gebärmutter, als diese über ihm vernäht wurde.
VIERZEHN Ardaric Vannes wehrte sich den ganzen Weg gegen den Brutalen Bestatter, obwohl es ihm nichts nützte. Seine Bronzeklauen hielten ihn sicher, und er konnte lediglich den Kopf bewegen. Der monströse Chirurg eilte auf seinen langen Stelzenbeinen trotz der Unebenheiten des Bodens mit raumgreifenden, geschmeidigen Schritten durch die Kaverne. Er überragte die abscheulichen, hybriden Schöpfungen auf den vom Blut glitschigen Experimentiertischen, da er zu einem zweifellos gleichermaßen abscheulichen Ziel unterwegs war. »Pasanius!«, rief er. »Kannst du mich hören?« Der ehemalige Ultramarine nickte matt, und sein Kopf wackelte auf tauben Muskeln schlaff hin und her. Vaanes war klar, dass er keine Hilfe von ihm erwarten konnte, bis die Wirkung der ihm verabreichten Droge abgeklungen war. Er konnte erkennen, dass die schwarz berobten Ungeheuer mit Ausnahme von Ventris alle Space Marines an denselben Ort brachten, eine Prozession grotesker Kreaturen, die sie zu ihrem Verhängnis trugen. Pasanius hinter ihm war so gut wie bewusstlos, dann folgten Seraphys der Blood Raven und die beiden Gardisten. Die restlichen neun Mitglieder ihres Kriegertrupps waren ebenfalls noch da. Nicht zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch nach Khalan-Ghol verfluchte Vaanes Ventris, weil er sie glauben gemacht hatte, sie könnten dieses Selbstmordunternehmen zu einem erfolgreichen Ende führen. Aber noch mehr verfluchte er sich dafür, auf seine schönen Worte über Mut und Ehre hereingefallen zu sein. Vaanes gab sich keinen Illusionen hin, was seinen Mangel an Ehre betraf, und hätte nie so dumm sein dürfen, dieselbe alte, abgedroschene Lüge noch einmal zu glauben. Honsou hatte recht gehabt mit seinem Ausspruch, wohin einen die Ehre brachte. Vaanes hatte schon vor langer Zeit aufgegeben, an solche Dinge zu glauben, die ihm nichts anderes eingebracht hatten als Dekaden der Wanderschaft zwischen den Sternen als entwurzelter Söldner, bis er auf diesem erbärmlichen Höllenloch eines Planeten gelandet war. Er hatte zu glauben gewagt, dass Ventris seine letzte Gelegen-
heit zur Wiedergutmachung sei, dass er sich durch die Ergreifung dieser einen, letzten Gelegenheit im Antlitz des Imperators reinwaschen könne. Jetzt, wo sich dieses Versprechen in heiße Luft auflöste, wusste er es besser. Er verschloss sich vor dem Geschrei und Gestöhn jener armen Unglücklichen, die unter der Gier der Brutalen Bestatter nach Wissen litten, so dass ihre jämmerlichen Schreie nicht mehr zu seinem verbitterten Herz aus Stein vordrangen. Sie waren schwach und gestatteten sich zu empfinden: Schmerzen, Reue, Qual und Mitleid. Vaanes hatte sich schon vor langer Zeit vor diesen Gefühlen verschlossen und wusste, dass es ihn stärker gemacht hatte. »Die Starken sind am stärksten allein«, flüsterte er, da ihm die Worte wieder einfielen, die er zuerst aus dem Munde eines seiner ehemaligen Zahlmeister gehört hatte. Schließlich endete ihre Höllenreise in einer ausgedehnten, kreisrunden Arena, in der ein Dutzend verrostete Leichentische mit tiefen Ablaufrinnen für das Blut an den Längsseiten entlang der Außenwand angeordnet waren. Ein Arrangement von Eisenstangen wie das Gitterwerk für einen großen Pavillon umschloss diesen Anatomiesaal, an dem Flaschenzüge mit Fleischerhaken befestigt waren, die über jedem Tisch hingen. Große Wannen und Fässer für Blut und Abfälle standen in regelmäßigen Abständen gut erreichbar neben einem langen Trog voller dunklem Wasser. Eine verschmutzte Werkbank stand in der Mitte des Saals, auf der ein Sortiment kurzer und langer Messer, Beile, Macheten und Sägen ausgebreitet war. Die Brutalen Bestatter legten rasch jeden aus dem Kriegertrupp auf einen der Tische und sicherten ihre Gliedmaßen mit dicken Eisenklammern und schweren Bolzen. Vaanes trat aus, als die Bestie, die ihn trug, mit einem einzigen Hieb seinen Sprungtornister abtrennte und ihn dann auf den Tisch knallte. Eine Bronzekralle schlug zu, und Vaanes blinzelte Blut weg, als die Klinge ihm das Gesicht bis auf den Knochen auftrennte. Die toten Züge der Kreatur beugten sich über seine eigenen, dann zischte sie wütend etwas in ihrer knisternden unverständlichen Sprache, und er spie ihr Blut ins Auge. Die Kralle holte aus, um ihn erneut zu schlagen, aber von einem anderen Brutalen Bestatter kam ein zorniges Zischen, und der Hieb kam nicht. Stattdessen wurde er so an den Tisch gefesselt, dass er seine
Energieklaue nicht ausfahren konnte. Ein berobtes Ungeheuer auf Stachelketten trug ihre Waffen zu seinem Untersuchungstisch, und zwei der Bestatter machten sich daran, sie mit eifrigem Interesse zu katalogisieren. Er zerrte an den Fesseln am Tisch, um sich zu befreien und seine Feinde zu töten. Er rechnete nicht damit, lebend entkommen zu können, aber vielleicht konnte er ein paar von diesen Ungeheuern mitnehmen, bevor er starb. Pasanius war an einen anderen Tisch gefesselt, sein silberner Arm oberhalb der Verbindungsstelle zwischen Metall und Fleisch, so dass der Unterarm über der scharfkantigen Seite baumelte. Nachdem sie ihre Opfer dergestalt festgebunden hatten, gingen die meisten Brutalen Bestatter wieder, jeder von ihnen erpicht darauf, seine eigenen makaberen Experimente fortzusetzen. Nur zwei blieben, und Vaanes war klar, wenn es überhaupt einen Moment gab, eine Flucht zu versuchen, dann war er gekommen. Die Mutantenkreatur, die von ihrem dämonischen Häscher Sabatier genannt wurde, humpelte in den Saal und nickte zufrieden, als sie sah, dass die Space Marines gefesselt waren. »Nicht mehr so widerspenstig jetzt«, sagte Sabatier zu Vaanes. Der verunstaltete Kopf hing immer noch haltlos auf der Schulter. »Wenn ich mich befreit habe, reiße ich dir den Kopf ab. Wir werden ja sehen, ob du dann immer noch aufstehst, du verdammte Missgeburt!«, rief Vaanes. Sabatier lachte gurgelnd. »Nein. Ich sehe zu, wie du an Haken aufgehängt und abgeschlachtet wirst. Du und alle deine Kameraden.« »Verdammte Bestie. Ich bringe dich um«, schrie Vaanes, während er sich erfolglos gegen seine Fesseln wehrte. Sabatier beugte sich vor, und sein gebrochener Hals ließ seinen Kopf dabei locker hin und her schwanken. »Ich werde es genießen, dich sterben zu sehen. Zu sehen, wie du weinst und dich besudelst, wenn sie dich aufschneiden und du siehst, wie dir die Eingeweide aus dem Bauch quellen!« Vaanes hörte Leonids vertrautes Husten und drehte den Kopf, während er seiner Frustration in einem Wutausbruch Luft machte. »Halten Sie endlich das Maul!«, brüllte er. »Halten Sie das Maul oder sterben Sie einfach und hören sie auf, so einen erbärmlich Krach zu machen!«
Doch Leonids Husten wurde gleich darauf vom durchdringenden Jaulen einer Motorsäge übertönt. Vaanes drehte den Kopf und sah, wie sich die Brutalen Bestatter über Pasanius beugten. Einer fuhr Stahlklammern aus, um seinen Arm festzuhalten, während der andere die kreischende Säge zum Fleisch dicht über dem Ellbogen des einstigen Ultramarines führte. Mit Grauen, aber auch morbider Faszination sah Vaanes zu, wie sich die Sägezähne in Pasanius' Arm bohrten und das Blut in hohem Bogen durch den Operationssaal spritzte. Pasanius schrie, während der Brutale Bestatter die Säge tief in den zuckenden Arm drückte, da die Schmerzen den Nebel des Sedativums durchdrangen. Der Ton der kreischenden Säge änderte sich, und Vaanes roch verbrannte Knochen, als sie in den Oberarmknochen schnitt. Blut lief aus der Wunde auf den Boden und mit einem schauderhaften Gurgeln durch einen teilweise verstopften Abfluss in der Mitte des Saals. Vaanes hörte die beiden Gardisten vor Entsetzen über das Geschehen weinen, verdrängte sie jedoch aus seinem Bewusstsein, da er weiter die grausige Amputation beobachtete. Augenblicke später war die furchtbare Prozedur beendet, und der Brutale Bestatter, der das Glied festhielt, nahm es jetzt seinem ehemaligen Besitzer ab. Pasanius, der durch die Schmerzen wieder vollständig bei Sinnen war, drehte den Kopf, um den entsetzlichen Schaden zu betrachten, der ihm zugefügt worden war, und wenngleich die Beleuchtung an diesem grauenhaften Ort schlecht war, hätte Vaanes schwören können, den Anflug eines Lächelns im Gesicht des ehemaligen Ultramarines zu sehen. Eine funkelnde Kryotruhe wurde gebracht, aus der Schwaden kondensierter Luft wehten, als sie geöffnet wurde, und das abgetrennte Glied behutsam hineingelegt. Die Brutalen Bestatter richteten sich auf und gingen durch den Saal zum nächsten Mann auf einem Tisch: Seraphys. »Du wirst deine Männer einen nach dem anderen sterben sehen«, krächzte Sabatier. »Dann kommst du an die Reihe.« Er empfand keine Schmerzen, und das war gut. Die Luft war mild, und Kondenswasser tropfte in einem angenehm warmen Nieselregen von der Kavernendecke hoch über ihm. Uriel wusste, er hätte sich daranmachen müssen, die langen,
sanft wehenden Garben der Ernte einzubringen, aber seine Glieder fühlten sich an, als fließe warmer Sirup durch seine Adern, und er brachte einfach nicht die Energie auf, sich zu bewegen. Ein Gefühl friedlicher Zufriedenheit erfüllte ihn, und er schlug die Augen auf, beobachtete die Halme über sich und wusste, dass er sich vor seinem Vater würde verstecken müssen, wenn er nicht genügend Körbe füllte, doch seltsamerweise war es ihm egal. Der süßliche Geruch des feuchten Getreidesafts drang ihm in die Nase, und er sog den vertrauten Duft tief ein. Schließlich richtete er sich auf, massierte sich den Nacken, der beim Dösen ein wenig steif geworden war, und ließ den Kopf auf den Schultern kreisen. Die Muskeln brannten von seinen Übungen zuvor, und er wusste, er würde sie anständig dehnen müssen, wenn er schmerzhafte Krämpfe vermeiden wollte. Pastor Cantilus' Freiübungen am Ende des Tages sollten jedoch ausreichen, um derartigen Beschwerden vorzubeugen. Der weiche nasse Regen fühlte sich gut auf seiner klammen Haut an, und er dankte dem Imperator dafür, ihn mit einem so friedlichen Leben gesegnet zu haben. Calth war vielleicht nicht die aufregendste Welt, auf der man aufwachsen konnte, aber nachdem die Ausscheidungen für den Zugang zur Agiselus-Kaserne bevorstanden, würde er bald Gelegenheit haben zu zeigen, dass er für größere Dinge bereit war. Wenn er seine Sache gut machte... Die Ausscheidungen... Was? Er betrachtete seine Gliedmaßen und sah die muskulösen Arme eines Space Marines und nicht die drahtigen Arme des Sechsjährigen, der gerade vom Eintritt in die Kriegsakademie geträumt hatte, wo Roboute Guillaume persönlich ausgebildet worden war. Er stand auf und überragte das Getreide, das ihm damals noch so hoch vorgekommen war, um Kopf und Schultern. In schlichten hellblauen Chitons arbeiteten die Leute aus seinem Kollektiv schwer, aber zufrieden auf den unterirdischen Feldern, um die Ernte einzubringen. Das Feld füllte die Kaverne aus, folgte in sanfter Rundung der Linie der Felswände dieser unterirdischen Zuflucht. Silberne Bewässerungsmaschinen summten und besprühten das Getreide in regelmäßigen Abständen mit einem feinen Wassernebel, und Uriel lächelte, als er daran dachte, wie viele glückliche Tage er als Kind in eben dieser Kaverne mit fleißiger
Arbeit verbracht hatte. Aber das war gewesen, bevor... Bevor er nach Macragge gegangen und seinen Weg begonnen hatte, ein Krieger der Adeptus Astartes zu werden. Das war lange her, und er war überrascht, wie lebendig diese Szene in seinem Bewusstsein war, die er schon vor langer Zeit vergessen zu haben glaubte. Wie kam er also hierher, wie konnte er in der Erinnerung einer längst vergangenen Zeit stehen? Uriel folgte der Reihe der Garben zu einigen schlichten weißen Gebäuden, die in einem eleganten, symmetrischen Muster angeordnet waren. Dieses Kollektiv war seine Heimat gewesen, und der Gedanke, dorthin zurückzukehren, erfüllte ihn mit Gefühlen, die er schon vor langer Zeit unterdrückt zu haben glaubte. Es wurde dunkler, während er dorthin ging, und Uriel schauderte, als ihn eine unnatürliche Kälte überlief. »Ich würde nicht dorthin gehen«, sagte eine Stimme hinter ihm. »Du akzeptierst das hier als wirklich, wenn du das tust, und du könntest niemals zurückkehren.« Uriel drehte sich um und sah einen anderen Space Marine, der denselben hellblauen Chiton trug wie die Arbeiter auf dem Feld, und er lächelte, als er ihn wiedererkannte. »Hauptmann Idaeus«, sagte er freudig. »Sie leben!« Idaeus schüttelte seinen vernarbten, haarlosen Kopf. »Nein, ich bin auf Thracia gefallen, weißt du noch, Uriel?« »Ja, ich kann mich erinnern«, nickte Uriel traurig. »Sie haben die Brücke über den Abgrund zerstört.« »Stimmt genau, das habe ich getan. Ich bin bei der Erfüllung unseres Auftrags gefallen«, fuhr Idaeus vielsagend fort. »Warum sind Sie dann hier? Obwohl ich gar nicht sicher bin, ob ich wirklich weiß, wo hier ist.« »Natürlich weißt du es. Du bist auf Calth, und zwar in der Woche, bevor du den ersten Schritt auf dem Weg gemacht hast, der dich letzten Endes hierher geführt hat«, sagte Idaeus, während er gemächlich den Weg entlangschlenderte, der von der Ansiedlung weg und zu einer der silbernen Bewässerungsmaschinen führte. Uriel trottete seinem ehemaligen Hauptmann hinterher. »Aber warum bin ich hier? Warum sind Sie hier? Und warum soll ich nicht zu den Häusern gehen?« Idaeus zuckte die Achseln. »So voller Fragen wie eh und je«,
grinste er. »Ich weiß auch nicht mit Sicherheit, warum wir hier sind, schließlich ist es dein Verstand. Du hast diese Erinnerung ausgegraben und mich hergeholt.« »Aber warum gerade hierher?« »Weil das vielleicht ein sicherer Rückzugsort ist«, mutmaßte Idaeus, indem er einen um die Hüfte gebundenen Weinschlauch hob und ausgiebig trank. Er gab Uriel den Schlauch, der ebenfalls trank und den Geschmack eines echten Calther Jahrgangs genoss. »Rückzugsort?«, sagte er, als er den Weinschlauch zurückgab. »Das verstehe ich nicht. Rückzug wovor?« »Vor dem Schmerz.« »Welchem Schmerz? Ich empfinde keinen Schmerz.« »Nicht?«, blaffte Idaeus. »Du kannst den Schmerz nicht fühlen? Den Schmerz des Versagens?« »Nein«, sagte Uriel mit einem Blick zum Himmel, da sich die dunklen Schatten von Wolken in den obersten Gefilden der Kaverne zusammenballten und böse Gedanken ihren Weg in die idyllische Szene fanden. Toter Himmel, der Geschmack von Eisen. Namenloses Grauen und Scheußlichkeiten zu schrecklich, sie zu ertragen... Ein entferntes Donnergrollen sandte ein Beben durch die Wolken, und Uriel schaute verwirrt in die Höhe. Dies gehörte nicht zu seiner Erinnerung. In den unterirdischen Höhlen von Calth gab es solche Gewitter nicht. Über ihm bildeten sich noch mehr Wolken, und er spürte eine erstickende Furcht in sich aufsteigen, als sie sich mit zunehmender Schnelligkeit und Wildheit zusammenballten. Idaeus trat näher an Uriel heran und sagte: »Du stirbst, Uriel. Sie stehlen dir das, was dich zu dem macht, der du bist... spürst du das denn nicht?« »Ich spüre gar nichts.« »Versuch es!«, drängte Idaeus. »Du musst zu dem Schmerz zurückkehren.« »Nein«, rief Uriel, als plötzlich schwerer, dunkler Regen zu fallen begann und die dicken Tropfen Schlamm aufspritzen ließen. Erdrückende, erstickende, suchende Hände in ihm, ein grauenhaftes Gefühl der Vergewaltigung... »Ich will nicht dorthin zurück!«, rief Uriel. »Du musst. Nur so kannst du dich retten.«
»Ich verstehe das nicht!« »Denk nach! Hat mein Tod dich nichts gelehrt?«, sagte Idaeus, während der Regen heftiger niederprasselte und die Haut auf seinen Knochen schmelzen ließ. »Ein Space Marine findet sich nie mit der Niederlage ab, hört nie auf zu kämpfen und kehrt seinen Schlachtenbrüdern nie den Rücken.« Der Regen hämmerte die Felder platt, und die Arbeiter rannten voller Furcht zu den Häusern. Uriel verspürte ein fast unkontrollierbares Verlangen, mit ihnen zu laufen, doch Idaeus legte ihm eine Hand auf die Brust und mühte sich, im Angesicht seiner Auflösung zu sprechen. »Nein. Der Krieger, dem ich mein Schwert geschenkt habe, würde sich nicht zurückziehen. Er würde umkehren und sich dem Schmerz stellen.« Uriel schaute an sich herab und spürte das Gewicht eines perfekt ausbalancierten Schwerts in der Hand, dessen Klinge funkelndes Silber war und dessen goldener Knauf wie eine Sonne strahlte. Sein Gewicht fühlte sich gut an, natürlich, und er schloss die Augen, als er sich daran erinnerte, wie er die Klinge in der milden Hitze einer Nacht auf Macragge geschmiedet hatte. »Was erwartet mich, wenn ich zurückkehre?«, fragte er. »Leiden und Tod«, gestand Idaeus. »Schmerz und Qual.« Uriel nickte. »Ich kann meine Freunde nicht im Stich lassen.« »Das ist mein Uriel«, lächelte Idaeus, dessen Stimme sich langsam verlor, während seine Gestalt von dem harten Regen weggeschwemmt wurde. »Aber bevor du gehst... habe ich noch ein letztes Geschenk für dich.« »Was?«, sagte Uriel, der spürte, wie seine Kontrolle über diese Phantasie nachließ und seine Wahrnehmung immer trüber wurde. Während die Vision seines Hauptmanns verblasste, glaubte Uriel ihn noch etwas sagen zu hören, eine geflüsterte Warnung, die sich wie Morgennebel auflöste... hüte dich vor der schwarzen... Sonne? Aber die Worte hatten sich aufgelöst, bevor er ihren vollständigen Sinn erfassen konnte. Uriel schlug die Augen auf, und er spürte das Brennen amniotischer Flüssigkeiten auf der Haut und hörte den Herzschlag der Daemonculaba über sich, als die Wirklichkeit wieder über ihn hereinbrach. Er brüllte vor Wut, als er tastende, nabelschnurartige Fasern in sich eindringen spürte. Sie bohrten sich durch die Buchsen in seinem Körper, über die seine Rüstung direkt mit den Organen verbunden war.
Saugende Parasiten schlängelten sich in ihn und nahmen Proben von ihm. Ketten klirrten, als zwei durch eine waagerechte Eisenstange verbundene baumelnde Haken von dem Gitterwerk heruntergelassen wurden, das diesen Anatomiesaal umgab. Mit einem stabilen Flaschenzug verbunden, wurden die schweren Haken auf den Metalltisch herabgezogen, auf dem Seraphys lag. Während einer der Brutalen Bestatter die Haken vorbereitete, schnitt der andere ihm mit geübter Leichtigkeit die Rüstung vom Körper. Zuletzt nahm er dem Space Marine den Helm ab und zückte einen schweren eisernen Hammer aus den surrenden Mechanismen seiner Arme. Bevor Seraphys mehr tun konnte, als einen Schrei auszustoßen, schlug er ihm den Hammer wiederholt auf den Schädel. Seraphys grunzte vor Schmerzen,, aber nach dem sechsten Schlag wurden seine Augen glasig, und der Kopf erschlaffte. Der Bestatter nickte seinem Kollegen zu, der die Beine des bewusstlosen Space Marines anhob und ihm mit einer schweren Klinge die Achillessehnen durchschnitt, um dann jeweils einen Haken in einen Knöchel zu bohren. Seraphys' Beine waren gespreizt, so dass die Füße weiter auseinanderstanden, als seine Schultern breit waren, und als sich der Brutale Bestatter vergewissert hatte, dass der Körper fest an den Haken hing, zog er an dem klirrenden Flaschenzug und damit Seraphys in die Höhe. »Was macht ihr da?«, rief Vaanes. »Um der Liebe des Imperators willen, tötet ihn einfach und Schluss!« »Nein«, zischte Sabatier. »Sie töten ihn nicht. Nicht, wo er so leckeres Fleisch an sich hat. Siehst du, wie sie die Arme parallel zu den Beinen halten? Dadurch haben sie leichten Zugang zum Becken und halten seine Arme aus dem Weg und in einer Stellung, die ein leichtes Entfernen erlaubt.« Sabatier kicherte gurgelnd, während er seine grausige Schilderung fortsetzte. »Wenn man Anatomie und Skelett genauer betrachtet, stellt man fest, dass ihr Menschen nicht für das Fleisch gebaut und entwickelt seid. Euer großes zentrales Becken und die breiten Schulterblätter behindern das perfekte Zuschneiden der Stücke zu sehr. Außerdem seid ihr zu mager, kein Fett. Etwas Fett, wenn auch nicht viel, ist wünschenswert, aber wenn Fleisch
durchwachsen ist, wird es saftiger und geschmackvoller.« »Fahr zur Hölle«, fluchte Vaanes, während er beobachtete, wie die Brutalen Bestatter sich über den be-wusstlosen Blood Raven beugten. Rote Rinnsale verklebten sein Gesicht, wo es aus den Teilen rann, die der Eisenhammer eingeschlagen hatte. Ein Messer mit langer Klinge machte einen tiefen Schnitt von Ohr zu Ohr durch Kehle und Luftröhre des hängenden Space Marines und durchtrennte die innere und äußere Halsschlagader. Blut spritzte aus dem Schnitt, bevor Seraphys' verbesserte Körperfunktionen begannen, das Blut gerinnen zu lassen und den Strom zu stoppen. Doch Sabatier hinkte zu ihm und verhinderte das vollständige Schließen der Wunde, indem er das verschmolzene Fleisch seiner Fäuste in den Schnitt rammte, so dass das helle arterielle Blut weiter in eine fleckige Eisentonne laufen konnte. Nicht in der Lage, den Anblick der brutalen Häme zu ertragen, die seine Häscher daraus zogen, dass sein Kamerad wie ein Tier abgeschlachtet wurde, wandte Vaanes den Kopf von der widerwärtigen Prozedur ab, als ein Brutaler Bestatter Vorbereitungen traf, seinem Opfer den Kopf abzutrennen. Vaanes hörte das groteske Geräusch, als Muskeln und Fasern durchgeschnitten wurden, und das Reißen von Haut und Sehnen, als der Brutale Bestatter Seraphys' Kopf packte und ihn dort abdrehte, wo die Wirbelsäule in den Schädel überging. Er presste die Augen fest zu und wehrte sich gegen die dicken Fesseln, die ihn reglos auf dem Tisch hielten. Sein Gesicht rötete sich, und die Adern traten hervor, als er alle Kraft einsetzte, die er hatte. »Es hat keinen Sinn, sich zu wehren, also lass es sein«, sagte Sabatier, der seine Bemühungen bemerkte. »Das macht nur das Fleisch zäher. Außerdem wird die Haut beschädigt, aber das stört keinen, schließlich kriegen wir genug davon aus den Fleischlagern in den Bergen, auch wenn ihr welche zerstört und verbrennt.« Trotz seines Grauens verspürte Vaanes plötzlich so etwas wie Interesse. »Wofür braucht ihr die Häute überhaupt?« »Um die Neugeborenen einzukleiden!«, sagte Sabatier stolz. »Die Brut der Daemonculaba wird hautlos aus den Leibern geholt. Jene, die überleben, bekommen eine neue Haut, um ihr Fleisch zu binden und sie ganz zu machen, damit sie Eisenmeister werden können.«
Vaanes spürte, wie ihn angesichts dieser letzten Schändlichkeit eine Gänsehaut überlief. Dass die Lager in den Bergen Massen von Haut produzierten, um den neugeborenen Soldaten der Iron Warriors eine zu geben, war ein Gräuel zu viel. Er öffnete die Augen, und sein Blick fiel auf Pasanius, der vielsagend mit den Augen rollte und ihm damit zu verstehen gab, dass er weiterreden solle. Einen Moment wusste er nicht, warum, dann sah er, dass es Pasanius ohne seinen Unterarm beinahe gelungen war, den kauterisierten Stumpf aus der Eisenklammer zu befreien, die das Glied an den Tisch fesselte. Er zwang sich, den Blick wieder auf den grässlichen Schlachtvorgang zu richten. »Du sagtest, den Überlebenden wird die Haut umgebunden. Was passiert mit denen, die nicht überleben?« Sabatier krächzte vor Lachen und richtete seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf Vaanes. »Neugeborene, die zu verunstaltet oder mutiert sind, werden zusammen mit dem restlichen Abfall aus Khalan-Ghol in die Berge gespült. Eure Knochen und abgezogene Haut wird ihnen bald Gesellschaft leisten.« »Die Hautlosen...«, sagte Vaanes, als er in Sabatiers kurzer Schilderung die furchtbaren roten Ungeheuer wiedererkannte, die durch die Berge streiften. »Das sind die Missgeburten...« »Ja«, zischte Sabatier. »Die meisten sterben nach ein paar Minuten, aber einige überleben.« »Dafür werdet ihr büßen«, versprach Vaanes, während er sah, dass Pasanius endlich den Armstumpf aus der Klammer befreit hatte, da die Brutalen Bestatter ihre geräuschvolle Arbeit an dem hängenden Kadaver fortsetzten. Uriel versuchte zu schreien, aber brennende Geburtsflüssigkeiten füllten seinen Mund aus, und sein Körper verkrampfte sich und zuckte, da sein geschwächtes Atmungssystem darum rang, so viel Sauerstoff wie möglich aus der Flüssigkeit in seiner Lunge zu filtern. Er trieb in dem widerlichen amniotischen Gelee in der Gebärmutter der Daemonculaba, und seine Haut brannte von durchsickernden Magenflüssigkeiten und der Bösartigkeit der Magie, die benutzt worden war, um den Frauenkörper derart zu entstellen und mutieren zu lassen. Er wehrte sich gegen die Nähte, die ihn festhielten, und spürte seine Kraft mit jeder reißenden Naht wachsen. Seine Entschlos-
senheit, sich zu befreien, brannte mit weißglühender Hitze in seiner Brust, und er schlug um sich wie eine primitive Bestie und zerriss seine Fesseln, bis er frei in der Gebärmutter trieb. Uriel kratzte und biss in krause Fleischlappen und schmeckte Blut und Fettgewebe, während er sich einen Weg nach oben bahnte, und jeder Atemzug brannte wie Feuer in seiner Lunge. Ihm wurde langsam schwarz vor Augen, und seine Herzschläge hallten wie Donner in seinen Ohren, wie ein dumpfes Pochen, das ein seltsames Echo hatte, als höre er in seinem Gefängnis aus Fleisch nicht nur sein eigenes Herz schlagen. Er wand sich und trat und arbeitete sich mit den Händen immer weiter nach oben. Plötzlich fand seine rechte Hand Trockenheit, als sie die straff gespannte Haut des Daemonculaba-Bauchs durchbrach. Durch die Aussicht auf die nahe Freiheit angespornt, verdoppelte Uriel seine Anstrengungen und drückte auch die andere Hand durch den Riss, um ihn zu verbreitern. Die Haut riss an der Naht auf, und schaumige Flüssigkeit lief aus dem Bauch der Bestie auf den Gitterboden des Laufstegs. Uriel drängte mit dem Kopf aus der Daemonculaba, erbrach die widerlichen Geburtssäfte und schnappte gierig nach Luft. So abgestanden und blutgetränkt sie auch war, verglichen mit dem Bauch der Daemonculaba kam sie ihm wie die reinste Bergluft Macragges vor. Mit Drehungen und Wendungen zwängte Uriel die breiten Schultern nach draußen und benutzte die dadurch gewonnene zusätzliche Hebelwirkung, um seinen zerschundenen Leib aus der Daemonculaba zu hieven. Und in einer stinkenden Flut aus Geburtsflüssigkeiten, Blut und Eingeweiden fiel Uriel aus dem Bauch der Kreatur auf den Eisenboden. Hustend und nach Luft schnappend lag er da und hörte alarmierte Rufe in der Nähe. Als er aufschaute, sah er zwei der buckligen Mutanten in schwarzen Gummianzügen auf ihn zurennen. Sie trugen lange Hellebarden mit gekrümmter Klinge, und bei ihrem Anblick überkam Uriel kalte Wut. Er raffte sich müde auf, als sie auf ihn losgingen und mit ihren Waffen nach seinem Bauch stachen. Uriel wich der ersten Klinge aus und drehte sich zur Seite, da die zweite nach seinem Schritt stieß. Uriel packte den Schaft der Hellebarde des ersten Mutanten, schmetterte die Faust in das gläserne Visier vor seinem Gesicht
und pulverisierte den Schädel dahinter. Er drehte die Waffe rasch um und parierte mühelos einen unbeholfenen, auf seinen Kopf gezielten Schwung, um dem zweiten Mutanten dann seine eigene Klinge in den Leib und durch den Körper zu bohren. Der Mutant kreischte vor Schmerzen, und Uriel trat ihn ohne Mitleid von der Waffe herunter. Er ließ sich neben den Mutanten auf die Knie sinken und weinte und heulte in blinder Wut, während er sich zusammenkrümmte, da Zorn und Grauen ihn zu überwältigen drohten. Er spie fettige Flüssigkeit aus und hörte eine fluchende, schreiende Stimme. Uriel zwang sich, seine in ihm brodelnden Gefühle zu bezähmen, als er in der Stimme diejenige von Ardaric Vaanes erkannte. Er verstand die Worte des Abtrünnigen nicht, aber die Bitterkeit und Wut darin waren nicht zu überhören. Sein Herz verhärtete sich in rechtschaffenem Zorn, als Uriel mithilfe der langen Hellebarde auf unsichere Beine kam und den Weg in die Richtung einschlug, aus der das Geschrei erscholl.
FÜNFZEHN »Der Imperator verdamme euch alle in die Tiefen der Hölle!«, schrie Vaanes, als Seraphys' aufgeschlitzter Kadaver von den Haken am Flaschenzug genommen wurde. Jene Fleischstücke, die nicht zum Verzehr gedacht waren, wanderten in dieselben Tonnen, die von Blut überflossen, und dann wurde die klirrende Vorrichtung durch den Saal zum nächsten Space Marine geschoben. Die Brutalen Bestatter ignorierten sein Gezeter, und Sabatier lachte nur, aber ihre Aufmerksamkeit war entweder auf ihn oder ihr nächstes Opfer gerichtet. Und nur das zählte. Er riskierte einen Blick auf Pasanius und hatte Mühe, sich ein rachsüchtiges Lächeln zu verkneifen, als er sah, wie sich der ehemalige Ultramarine über den Leichentisch beugte. Mit dem Armstumpf drückte er den Bolzen aus der Klammer, die seinen anderen Arm hielt, und das Klirren der Ketten, Vaanes' Geschrei und das laute Pochen des Blutherzens übertönten mühelos das Kreischen rostigen Metalls, als der Bolzen durch die Klammer glitt. Nachdem er seinen gesunden Arm befreit hatte, konnte er die Bolzen in den Klammern um Bauch und Beine mit Leichtigkeit
lösen. Vaanes rief: »Sabatier! Die Hautlosen, was wird aus ihnen?« Sabatier, der gerade dabei war, Seraphys' Überreste wegzuschleifen, hielt inne. Seine sabbernden Züge hatten einen Ausdruck der Verärgerung angenommen. »Du stellst zu viele Fragen! Ich sollte dir die Zunge rausschneiden!« Vaanes sah, wie sich Pasanius auf dem Leichentisch aufrichtete, und rief: »Dann komm doch her und tu es, Chaos-Abschaum!«, aber der widerliche Mutantenleichnam sah jetzt, dass Pasanius frei war. Er schrie den Brutalen Bestattern eine Warnung zu, die für derart plump aussehende Wesen überraschend flink zu ihm herumfuhren. Sie kreischten in apoplektischer Wut und klangen mehr empört als sonst etwas. Sabatier duckte sich hinter die Tonne mit dem Blut, aber die Brutalen Bestatter rasten durch die Arena, und ihre Klingenarme und stampfenden Beine trugen sie mit furchterregendem Tempo. »Pasanius, pass auf!«, rief Vaanes, aber der ehemalige Sergeant hatte nicht die Absicht, den heranrasenden Ungeheuern auszuweichen. Vielmehr sprang er das nächste mit den Füßen voran an, und Vaanes hörte Metall und Knochen brechen. Das Ungeheuer schlug mit seinen surrenden Bohrern und schnappenden Klingen nach Pasanius und schnitt sich dabei in das eigene tote Fleisch. Vaanes wehrte sich wieder einmal erfolglos gegen seine Fesseln, während er den ungleichen Kampf beobachtete. Pasanius packte mit einer Hand die schwarzen Roben des Brutalen Bestatters, während dieser ihn abzuschütteln versuchte. Der ehemalige Ultramarine wechselte rasch den Griff, so dass er das Drahtgerüst zu fassen bekam, das den Kopf stützte, und rammte dem Ungeheuer die Stirn ins Gesicht. Trotz des Geschreis des Bestatters hörte Vaanes das Knirschen der Knochen. Die Spinnenbeine des Brutalen Bestatters falteten sich unter der Wucht des Schlags zusammen, und der Brutale Bestatter ging zu Boden. Pasanius ließ ihn los und kauerte sich neben ihn. Das zweite Ungeheuer versuchte nach ihm zu schnappen, doch Pasanius hielt den benommenen Bestatter zwischen sich und den zustoßenden Klingen des anderen. Der wich jetzt zurück, um längere und tödlichere Klingen aus den Scheiden seiner Arme auszufahren, und Pasanius ergriff die Gelegenheit, um näher heranzugehen und dem Ungeheuer vor
sich auf dem Boden einen krachenden Hieb zu versetzen, da es sich gerade aufzurappeln versuchte. Der Brutale Bestatter heulte vor Schmerzen, und Pasanius ergriff das bebende Instrumentarium mit den kreischenden Schneidewerkzeugen und rammte es dem Ungeheuer ins Gesicht. Abgestandene Flüssigkeiten und lange verweste Haut flogen, als die eigene Faust den Kopf des Ungeheuers in verfaulte Fetzen hackte. Vertrocknetes Fleisch und Knochen spritzten, und das Heulen verstummte, während es mit einem langen Todesröcheln nach vorn kippte. »Pasanius!«, rief Vaanes. »Befreie mich! Schnell!« Pasanius sah aus, als wolle er es allein mit dem zweiten Bestatter aufnehmen, nickte aber und wich in Richtung Vaanes zurück, während der Bestatter auf seinen langen Beinen vorsprang. Er wich dem ersten Hieb seiner Klingen aus und duckte sich unter dem zweiten weg. Sein Bein trat zu und traf den Bestatter in den Bauch, so dass sich dieser seufzend krümmte. Pasanius wälzte sich zur Seite, und die Klingen stachen in den blutigen Boden, aber Vaanes sah, dass Pasanius den Angriffen nicht mehr lange würde ausweichen können. Sabatier floh aus dem Saal, so schnell ihn seine mutierten Beine trugen. Er schrie um Hilfe, und Vaanes wusste, dass sie so gut wie tot waren, wenn Pasanius ihn nicht schnell befreien konnte. Pasanius sprang auf und stürzte sich förmlich auf die Klammern, die Vaanes an den Leichentisch fesselten. Seine Finger schlossen sich um den Bolzen einer Armklammer, als ihn ein Hieb durch die Luft schleuderte. Pasanius landete mit einem stählernen Krachen auf dem Tisch mit den Sägen und Skalpellen - und ihren Waffen, so dass Boltgewehre und auch Uriels Schwert mit dem goldenen Heft zu Boden fielen. Doch Vaanes sah, dass Pasanius sein Ziel erreicht und den Bolzen mit herausgerissen hatte, als er davongeschleudert wurde, und mit einem hasserfüllten Brüllen riss Vaanes seinen Arm frei und fuhr seine Energieklaue aus. Mit ein paar entschlossenen Hieben waren die restlichen Klammern zerhackt, und er sprang vom Leichentisch und schrie dem Brutalen Bestatter eine Herausforderung zu, der zu Pasanius' ramponierter Gestalt unterwegs war. Doch bevor er mehr als einen Schritt in die Richtung des Ungeheuers machen konnte, schwang sich eine blutige, stinkende Ge-
stalt auf einen leeren Leichentisch und sprang das Ungeheuer an. Die Gestalt hielt eine lange Hellebarde mit einer krummen, hakenförmigen Klinge über dem Kopf und zielte auf den Rumpf des Brutalen Bestatters. Sie landete auf dem Rücken des Ungeheuers und rammte ihm die Hellebarde in den Rücken, so dass sie in einer Flut stinkender gelber Flüssigkeiten und Gase aus der Brust wieder austrat. So schrecklich die Wunde auch war, das Ungeheuer gab keinen Laut von sich, sondern drehte sich entlang einer inneren Achse, um seinen blutverschmierten Angreifer zu vertreiben, und ließ die Hellebarde in seinem Körper stecken. »Uriel!«, rief Pasanius und warf ihm das Schwert mit dem goldenen Heft zu. Es war ein Schock für Vaanes, als ihm aufging, dass diese wilde, animalische Gestalt niemand anders als der ehemalige Ultramarine war. Ventris fing das Schwert, und die Klinge leuchtete auf, als er auf die Aktivierungsrune drückte. Ohne Worte bewegten sich Uriel und Vaanes nach links und rechts, während sich der Brutale Bestatter die Hellebarde aus dem Leib zog, beiseite warf und das gellende Kreischen eines Alarms aus den Kom-Einheiten in seinem Hals dröhnte. »Wir müssen das Ding erledigen!«, rief Vaanes. Ventris antwortete nicht, sondern schnellte vorwärts, um nach den Beinen des Bestatters zu schlagen. Der wich nach hinten aus und stach mit einem jaulenden Sägeblatt nach ihm, das länger als das längste Ausweidemesser war. Ventris tauchte darunter weg und hieb mit seinem Schwert aufwärts, so dass der Arm in einem blauen Funkenstrom durchtrennt wurde. Vaanes stürzte ebenfalls vorwärts und sprang dem Ungeheuer auf den Rücken, als es nach Uriels Hieb zurücktaumelte. Er rammte ihm die Energieklaue in den Nacken und hielt sich mit der anderen Hand fest, da das wild strampelnde Ungeheuer ihn abzuschütteln versuchte. Von der Decke hängende Haken prallten gegen ihn, aber er hielt sich eisern fest, und stach seine Klaue immer wieder in den Leib des Brutalen Bestatters. Das Ungeheuer kreischte vor Schmerzen, und Vaanes glitt von seinem Rücken, als Ventris ihm die zuckenden Beine unter dem Leib weghieb. Vaanes wälzte sich von dem monströsen Leib weg, da dieser im Todeskampf zuckend um sich schlug, während Ventris wieder und wieder und wieder auf den ekelhaften Leichnam
einstach. »Ventris!«, rief er. »Er ist tot. Komm schon, nichts wie raus hier!« Der ehemalige Ultramarine stach dem Ungeheuer noch ein letztes Mal in die Brust, während er heiser keuchte und mehr wie ein Anhänger des Blutgottes aussah, wie er sich an dem soeben von ihm angerichteten Gemetzel zu berauschen schien. »Uriel, komm schon!«, drängte Pasanius. »Wir müssen jetzt gehen. Von diesen Ungeheuern werden bald noch mehr kommen!« Ventris nickte, gesellte sich zu Vaanes und Pasanius und holte dann ihre Waffen. Der blutverschmierte Space Marine schob sein Schwert in die Scheide und warf sich das Boltgewehr um, als Leonid rief: »Wartet! Geht nicht, lasst uns nicht hier liegen!« »Warum nicht?«, fragte Vaanes. »Was?«, schnauzte Ellard verblüfft, dass diese Frage überhaupt gestellt wurde. »Weil wir sonst sterben!« »Was hätte es für einen Sinn, euch zu befreien? Ihr werdet ohnehin sterben«, sagte Vaanes, indem er sich abwandte und sich sein Gewehr holte. »Uriel!«, rief Leonid. »Sie können uns doch nicht hier zurücklassen! Bitte!« Ventris schwieg lange Sekunden, in denen sich seine Brust im Adrenalinrausch des Kampfes immer noch rasch hob und senkte. Vaanes ging an ihm vorbei, doch Ventris hielt seinen Arm fest, schaute ihm in die Augen und schüttelte langsam den Kopf. »Wir lassen niemanden zurück«, sagte er entschlossen. »Wir haben keine Zeit dafür!«, schnauzte Vaanes. »Sie werden es nicht schaffen, wir vielleicht schon!« »Ich glaube, ich habe mich in dir getäuscht, Vaanes«, sagte Uriel traurig. »Ich dachte, du hättest noch Mut und Ehre, aber dein Herz ist innerlich tot. Dieser Ort hat deine Seele zerstört.« »Wenn wir jetzt nicht gehen, sterben wir alle, Ventris, und werden von diesen Ungeheuern in blutige Fetzen geschnitten!« »Jeder, der dem Imperator dient, stirbt blutig, Vaanes«, sagte Uriel. »Wir können nur wählen, wie und wo. Das hat jeder Krieger verdient, und ich gehe nicht ohne sie.« Ventris drehte sich um und lief wieder in die Arena, und mit Pasanius' Hilfe begann er mit der Befreiung der kläglichen Überreste ihres einstmals so stolzen Kriegertrupps. »Wenn sie euch nicht töten, folgt meiner Spur!«, rief Vaanes.
»Sabatier hat irgendwas davon gesagt, dass der ganze Abfall aus Khalan-Ghol in die Berge gespült wird, also muss es einen Weg nach draußen geben!« Ventris nickte, zu beschäftigt für eine Antwort, während das Geschrei der nahenden Feinde immer lauter wurde. Mit einer letzten Verwünschung, die dem Dummkopf von einem Ultramarine galt, machte sich Vaanes in die, Tiefen der Kaverne auf. Uriel befreite Leonid und Ellard, und die hustenden Gardisten nickten ihm dankend zu, während sie sich aufrappelten und dann ihre Waffen holten. Kurz darauf hatten sie alle überlebenden Mitglieder des Kriegertrupps befreit und machten sich in die makabre Wildnis der Kaverne auf, durch die der laute Herzschlag und die Schreie von Opfern wie Verfolgern hallten und seltsame Echos erzeugten. Vaanes' Spur war nicht schwer zu verfolgen. Die Leichen getöteter Mutanten und umgestürzte Operations- tische bildeten eine deutliche Spur. Die Geräusche der Verfolger kamen immer näher, da die Mitglieder des Trupps infolge einer Mischung aus schierer körperlicher Erschöpfung und Entsetzen kurz vor dem Zusammenbruch standen. Von vorne war jetzt das Rauschen von Flüssigkeiten zu hören, und Uriel taumelte in eine große offene Schleusenkammer mit einer Vielzahl dreckverkrusteter Rutschen und Aquädukte, die entweder die Wände der Kaverne durchdrangen und von unten kamen oder von den oberen Rängen der Daemonculaba nach unten gespült wurden. Das Tosen vieler Tonnen von Exkrementen, Abfällen und totem Fleisch kam dem Pochen des Blutherzens gleich. Alles wurde in einen stinkenden See gespült, der wiederum durch eine kolossale Röhre in der Kavernenwand abgelassen wurde. Ein Wasserfall aus Unrat, Körperteilen und verwesenden Nachgeburten ergoss sich aus der Kaverne und auch aus der Festung. Ein Ausweg... Tote Mutanten lagen in der Kammer, von Vaanes bei seiner irren Flucht in die Freiheit in Stücke gehauen, und Uriel sah, dass es nur einen Weg gab, auf dem sie diesen verfluchten Ort verlassen konnten.
»Wir können hier nicht gegen sie kämpfen! In den Tunnel!«, rief er und marschierte weiter in den See, wo er bis zu den Oberschenkeln in den wogenden Abfällen versank. Er hatte keine Ahnung, wohin der breite Tunnel führte oder ob sich ihre Lage überhaupt verbessern würde, wenn sie hineinsprangen, aber es musste besser sein als das hier. Es ging langsam voran, aber als er einen Blick zurück über die Schulter warf, sah er ein Dutzend Brutale Bestatter oder mehr in die Schleusenkammer stürmen, und der Anblick ließ ihn mit neuerlicher Energie durch den Schlamm waten, während er sein Schwert in die Scheide schob. Der Kriegertrupp erreichte den wogenden, tosenden Wasserfall des Tunnels, und die Männer sprangen einer nach dem anderen in seine stinkende Düsternis. Uriel hörte das Klatschen dicker mechanischer Glieder hinter sich in der Brühe und sprang seinen Kriegern hinterher, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen. Tosende Brühe umschloss ihn, deren widerwärtiger Inhalt gegen ihn stieß, während er abwärtssauste. Dunkelheit und Dämmerlicht rangen miteinander, und als er unter die Oberfläche glitt, war er dankbar für die Finsternis, die das tote Grauen vor ihm verbarg, das aus dem Reich der Brutalen Bestatter gespült wurde. Das Tosen im Tunnel war ohrenbetäubend und der Absturz zu steil und das Wasser zu tief, um sich irgendwo festhalten zu können. Er kämpfte sich an die Oberfläche, schnappte nach Luft und schluckte etwas von der stinkenden, schäumenden Brühe. Das Donnern großer Pumpen und das Surren enormer Filter hallte durch die verkrusteten Wände, und Uriel spürte, wie die giftigen Abfälle auf seiner Haut brannten. Er krachte gegen die Wand des Tunnels, als dieser einen Knick machte, und verlor sein Boltgewehr, das er im Wasser entschwinden sah. Seine Finger suchten nach Halt, doch er wurde zu schnell mitgerissen, um sich irgendwo festklammern zu können. Riesige Klingen wühlten das Wasser auf und schleuderten abgetrennte Körperteile und aufgeschlitzte Kadaver in die Luft, und Uriel trat verzweifelt um sich, um ihnen auszuweichen. Ein verrosteter Holm aus scharfem Metall fuhr neben ihm durch das Wasser, und brennende Fluten blendeten ihn, da er von der Strömung mitgerissen und unter Wasser gedrückt wurde. Als sein Kopf wieder auftauchte, sah Uriel eine gewaltige Masse des schäumenden Abwassers voraus und hörte das tosende Kra-
chen von Wasser, das Hunderte Meter abwärtsfiel. Schroffe Archipele aus totem Fleisch und fötale Inseln hatten sich am Rande des Wasserfalls zu verwesenden Massen verbunden, und Uriel kämpfte gegen den immensen Strom des Abwassers an, um eine davon anzusteuern. Das Tosen des Wasserfalls und der Gestank verwesenden Fleisches und organischen Unrats erfüllten seine Sinne und drohte ihn zu überwältigen. Als die Strömung ihn weiterzerrte, versuchte er einen letzten verzweifelten Beinschlag und reckte dann die Hände, um nach der Masse der Körperteile vor sich zu greifen. Seine Hände schlossen sich um schwammiges, schmieriges Fleisch und bohrten sich durch die Oberfläche, und eine Masse verwester Innereien quoll ins Wasser. Tote Augen und glasige Züge starrten ihn aus den leblosen Haufen an, während sich das breiige Fleisch unter seinen Händen auflöste. Er wurde mitgerissen und herumgewirbelt und schrie auf, als er über die Kante des Wasserfalls getragen wurde. Plötzlich befand sich Uriel im freien Fall und stürzte überschlagend in die unbekannten Tiefen. Er strampelte sinnlos und brüllte trotzig in die Dunkelheit unter sich. Sollte es so enden? Im Unrat der Iron Warriors in Stücke geschmettert? Er sah einen Lichtschimmer auf der gebrochenen gläsernen Wasseroberfläche und straffte seinen Körper, um beim Eintauchen möglichst wenig Widerstand zu bieten. Er fuhr wie ein Messer ins Wasser, und die schmutzige Brühe schlug über ihm zusammen, während er in die schwarzen Tiefen schoss. Ertrunkene Leichen wirbelten in der kalten Finsternis neben ihm umher, verweste Arme legten sich um ihn und augenlose Schädel verspotteten ihn mit ihren leeren Blicken. Uriel strebte mit kräftigen Beinschlägen der Oberfläche entgegen, während die Luft heiß in seiner zusätzlichen Lunge brannte, und wehrte sich dabei gegen die Opfer der Brutalen Bestatter, die ihn zu sich in die Tiefe zogen. Sein Kopf durchbrach die Wasseroberfläche, und er schnappte keuchend nach Luft. Der feuchte Geruch des rauschenden, wassergefüllten Tunnels war nach den stinkenden Tiefen durchaus willkommen. Wirbelnde Abfälle schäumten rings um ihn, und als er den Kopf schüttelte, um ihn frei zu bekommen, hörte und sah er riesige wirbelnde Metallblätter das Wasser voraus aufwühlen und die Abfälle zu einem fleischigen Morast zerhacken.
Uriel kämpfte gegen die Strömung an und spie dabei Flüssigkeit aus, da er sich gegen den stärker werdenden Zug stemmte. Die großen Schraubenblätter drehten sich zu schnell, um ihnen ausweichen zu können, doch als er näher getragen wurde, sah er auch, dass die Blätter nicht ganz bis zur Decke der Kaverne reichten... War es möglich, dass sie auch nicht bis auf den Grund des Tunnels reichten? In dem Wissen, dass er nur eine Möglichkeit zu überleben hatte, holte Uriel tief Luft und tauchte in das mit Leichen und Leichenteilen angefüllte Wasser, wobei er von den Druckwellen der riesigen Klingen hin und her gewirbelt wurde, die das von Fleisch und Blut rötlich gefärbte Wasser zum Schäumen brachten. Die stampfenden Druckwellen der Schraubenblätter waren eine gewaltige Kraft, die ihn weiterzerrten, aber mit kräftigen Stößen und Schlägen schwamm Uriel tiefer zum Grund des Tunnels. Seine Lunge brannte wie Feuer, und ihm wurde langsam schwarz vor Augen, aber er sah dennoch den verdreckten Betonboden des Tunnels unter sich. Voraus verdeckte eine wirbelnde Masse von Blasen die Sicht auf die tödlichen Kanten der Schraubenblätter, und er wusste nicht, ob genug Platz war, um darunter wegzutauchen. Da er keine andere Wahl hatte, zog er sich über den Boden voran und spürte den gewaltigen Wirbel der rotierenden Schraubenblätter nahen. Er schrie auf, und ein Strom von Luftblasen entwich aus seinem Mund, als er einen brennenden Schnitt im Rücken verspürte. Instinktiv zog er sich vorwärts und schmiegte sich dabei noch enger an den Boden, um sich dann von der wenigen noch in seiner Lunge verbliebenen Luft zur Oberfläche ziehen zu lassen, als er die Schraubenblätter passiert hatte. Uriels Schwimmbewegungen wurden immer schwächer, da der Sauerstoffmangel seinen Tribut von seinem ohnehin geschwächten Körper forderte. Und dann durchbrach sein Kopf wieder die Wasseroberfläche, und er würgte verseuchtes Wasser hoch und schnappte nach der stinkenden Luft. Die Strömung jenseits der Schraubenblätter war immer noch stark, aber er stellte fest, dass er mit ein wenig Mühe den Kopf über Wasser halten konnte. Erstaunt, dass er immer noch lebte, kreiste er im Wasser und suchte nach anderen Mitgliedern des Kriegertrupps. »Pasanius!«, rief er. »Vaanes!«
Seine Stimme hallte von den tropfenden Wänden des Tunnels wider, aber er bekam keine Antwort und war der Verzweiflung nahe, da er keine Überlebenden sah. Waren alle von den Filterblättern des Tunnels zu unkenntlichen Fleischbrocken zerhackt worden? Nun, da die unmittelbare Gefahr vorbei war, fragte sich Uriel, wohin dieser Tunnel führen mochte. Er konnte es nicht mit Sicherheit wissen, hatte aber das Gefühl, schon viele Kilometer in diesen höllischen Fluten zurückgelegt zu haben. Wohin entleerte sich der Tunnel also? Noch während sich der Gedanke formte, spürte er, wie die Strömung an Kraft zunahm, und sah einen hellen Fleck weißen Lichts voraus. Wieder hörte er das tosende Rauschen eines Wasserfalls, aber diesmal gab es keine potenziell lebensrettenden Inseln im Wasser, an die er sich hätte klammern können, und Uriel wurde immer schneller der Tunneleinmündung entgegengerissen. Der weiße Himmel jenseits der Öffnung wurde rasch größer, bis er schließlich ins Freie gespült wurde. Berge ragten steil in die Höhe, und der tote Himmel breitete seine widerliche weiße Leere über die dunklen Felsen Medrengards aus, während er viele Hundert Meter über dem Boden aus Khalan-Ghol gespült wurde. Er stürzte einem widerlichen, schäumenden See voller Unrat entgegen und erhaschte auch einen Blick auf gerüstete Gestalten, die bei seinem Sturz aus dem Wasser kletterten. Der Aufprall raubte ihm den Atem, und er schluckte große Mengen der widerlichen Flüssigkeit. Uriel wirbelte in der trüben Flüssigkeit umher und versuchte Schwimmbewegungen, obwohl er keine Ahnung hatte, wo oben und unten war. Er spürte Hände auf sich und ergab sich ihnen, und sie zogen ihn nach oben und aus dem Wasser. Er würgte und erbrach große Mengen des schaumigen, öligen Wassers, während er sich auf die Seite wälzte und ihm Hände auf den Rücken klopften. Er schaute auf und sah das schmutzige, streifige Gesicht von Ardaric Vaanes, ramponiert und blutend. »Dann habt ihr es also nach draußen geschafft?« »So gerade eben«, hustete Uriel, der sich fühlte, als habe er ein Dutzend Übungskämpfe mit Hauptmann Agemman hinter sich,
dem Anführer der Ultramarine-Veteranen-Kompanie. Er richtete sich auf und spürte, wie mit jedem Atemzug ein wenig Kraft in seinen Körper zurückkehrte. Er nahm sich einen Moment Zeit, seine Umgebung zu begutachten, und sah, dass sich der tiefe See in einem steinernen Becken mit hohen Seiten am Fuß eines gleißenden Gipfels befand. Im Wasser selbst blubberten und wirbelten trügerische Strömungen. Eine Seite des Beckens war eine steile, glatte Betonwand, eine vertikale Steinplatte, aus der viele hundert Meter höher der Wasserfall in die Tiefe stürzte. Er schaute sich nach weiteren Überlebenden des Grauens von Khalan-Ghol um und spürte, wie ihn kalter Hass überkam, als er sah, dass sie die Flucht aus den Verliesen der Iron Warriors teuer zu stehen gekommen war. Ardaric Vaanes hatte ebenso überlebt wie zwei andere Space Marines, ein Wolf Brother namens Svoljard und ein White Consul, dessen Namen Uriel nicht kannte. Er stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, als er Pasanius auf den nassen Felsen am Ufer des Sees sitzen sah. Seine Freude war so groß, dass es einen Moment dauerte, bis ihm aufging, dass der Arm seines ehemaligen Sergeanten über dem Ellbogen endete und sein Unterarm entfernt worden war. Der Armstumpf endete in einer verkrusteten Masse knotigen Narbengewebes, und wenngleich die Wunde schmerzhaft gewesen sein musste, ließ sich Pasanius nichts davon anmerken. »Was ist mit dem Arm passiert?«, fragte er. »Diese Ungeheuer haben ihn abgeschnitten«, sagte Pasanius. »Hat höllisch wehgetan.« Uriel musste über diese extreme Untertreibung unwillkürlich lachen. Leonid und Ellard zählten ebenfalls zu den Überlebenden, aber Uriel sah, dass Sergeant Ellard ernsthaft verwundet war: Eine furchtbare Schnittwunde zog sich über seinen Bauch. Uriel war kein Apothekarius, aber selbst er konnte erkennen, dass die Wunde zu Ellards baldigem Tod führen würde. »Sie sind ein Überlebenskünstler, Oberst.« »Ich wäre tot, wäre Pasanius nicht gewesen«, sagte Leonid, der Ellards Kopf im Schoß hatte und auf die furchtbare Wunde seines Freundes starrte. »Aber ich glaube nicht...« Uriel nickte verständnisvoll und sagte: »Nein... aber ich bin froh, dass Sie noch leben.« Uriel schlug sich den verwundeten Sergeanten einstweilen aus
dem Kopf und wandte sich an Ardaric Vaanes. »Wo sind wir? Kennst du diesen Ort?« »Aye«, sagte Vaanes, »und wir sollten uns schnell aus dem Staub machen.« »Warum?« »Weil das hier die Jagdgründe der Hautlosen sind«, sagte Vaanes mit einem Blick auf die Grate rings um den See. Uriel überlief ein Schauder der Furcht, als er an die missgestalteten rothäutigen Ungeheuer dachte, welche die erbärmlichen Insassen des Fleischlagers der Iron Warriors verschlungen hatten. »Du hast recht«, sagte er, indem er sich unsicher erhob und nach dem verschmierten Heft seines goldenen Schwerts griff. »Wir müssen von hier verschwinden.« »Zu spät«, sagte Leonid, während er auf den Kamm zeigte, der rings um das Becken verlief. »Sie sind bereits da...« Uriel folgte Leonids ausgestrecktem Zeigefinger zur Spitze des Kamms, und ihm stockte der Atem, als er die Silhouetten von vielleicht hundert Hautlosen sah, die sie umzingelt hatten.
SECHZEHN Uriel sah die Gestalten hinter den Silhouetten deutlicher hervortreten, als sie die hohen Hänge des Kamms über ihnen herabstiegen. Sie kamen rasch und kletterten trotz ihrer grässlich entstellten Gliedmaßen sehr schnell über die zerklüfteten Felsen. Breite Brustkörbe dehnten sich, als sie ihre Beute witterten, und geifernde Kiefer öffneten sich und enthüllten große gelbe Reißzähne. Schwarze Krallen glitten aus fleischigen Fingern. So schrecklich entstellt wie die Bestien, die sie beim Angriff auf das Fleischlager gesehen hatten, waren diese Ungeheuer ein ähnliches Grauen wahnsinniger Anatomien. Glieder, die von innen nach außen gestülpt waren, pulsierende Organe, deren mutierter Wuchs durch verdrehte Exoskelette ragte, Köpfe und Brustkörbe, die durch metastasierte Knochensehnen verschmolzen waren, siamesische Zwillinge, die durch Fleischlappen zusammengehalten wurden, und einige mit extrem geschwollenen Bäuchen, welche den dämonischen Müttern ähnelten, die sie in die Welt gesetzt hatten. »Von einem Todesurteil zum nächsten«, stellte Ardaric Vaanes
mürrisch fest, während er seine Energieklaue ausfuhr. »Ach, sei still, Vaanes!«, schnauzte Uriel, indem er sein Schwert zog, dessen Klinge sofort zu feurigem Leben erwachte. Die Mitglieder des Kriegertrupps, die ihre Waffen behalten hatten, zogen sie jetzt und bereiteten sich auf den Kampf vor. Es würde ein ungleicher Kampf sein, aber einer, den sie dennoch austragen würden. Leonid ließ den verwundeten Ellard liegen und hob einen spitzen Stein auf. Die Hautlosen zogen die Schlinge um sie zusammen. Ihre grotesken, geschwollenen Gliedmaßen beförderten sie rasch über den felsigen Boden des Beckens, da sie nach dem Geschmack warmen, blutigen Fleisches im Maul hungerten. Die erste Bestie klatschte in das stinkende Wasser des Sees, und das Tosen des herabstürzenden Wasserfalls war nicht laut genug, um das aus einem monströsen Appetit geborene bestialische Grunzen zu übertönen. Ihre muskulösen Arme ballten starke Fäuste, als sie sich zum Angriff bereitmachte. Uriel und die anderen bildeten einen Kreis, als die Bestien angesprungen kamen, da sie sich dem Tod wie Krieger stellten und ihm kämpfend begegnen wollten. »Ihr Fleisch...«, zischte der Hautlose, als er ihnen durch das Wasser entgegenwatete. Uriel fuhr überrascht zusammen, weil das Wesen sprechen konnte. Vaanes hatte ihm erzählt, dass diese Ungeheuer die unehelichen Geschwister der Iron Warriors seien, und bis jetzt hatte er sie für nicht mehr als gescheiterte Experimente der Brutalen Bestatter wie die Kreatur namens Sabatier gehalten. Doch als er sie nun aus der Nähe sah und nachdem er selbst in eine Daemonculaba eingenäht worden war, wusste er es besser. Er stellte sich vor, wie die Kinder in die Dämoninnen eingenäht wurden, und ihm war klar, dass so eine primitive Methode der Züchtung von Chaos Marines zu mehr Fehlschlägen als Erfolgen führen musste. »Beim Blut des Imperators«, flüsterte Uriel, als ihn die Erkenntnis seiner Verwandtschaft mit den Hautlosen traf. Er warf einen Blick zu dem Abfluss in der Betonwand hoch über ihnen und begriff nun, wie die Anwesenheit dieser Bestien in den Bergen zu erklären war. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Hautlosen, der sich vor ihm zu seiner vollen Größe aufbäumte und eine Herausforderung brüllte. Uriel verspürte einen jähen Adrenalinstoß an-
gesichts der Massigkeit dieses Wesens. Seine tonnenförmige Brust war kreuz und quer mit unvollkommen verpflanzten Hautfalten bedeckt, die mit Knochensplittern an seinen muskulösen Rumpf geheftet waren, auf dem ein Albtraum von einem Wasserkopf mit einer Vielzahl gelber Augen und einem verlängerten Kiefer mit stumpfen Reißzähnen thronte, die sich perfekt dazu eigneten, Uriels Knochen zu einem verdaulichen Brei zu verarbeiten. »Blut«, sagte das Ungeheuer mit einem Nicken und leckte sich die Lippen. Die anderen blieben zurück, als sich die führende Bestie näherte, und Uriel spürte, dass hier eine Rudel-Mentalität herrschte. Er trat der Bestie entgegen und hielt dabei sein Schwert mit beiden Händen vor sich. »Was hast du vor?«, fragte Pasanius. »Ich glaube, das hier ist das Alpha-Männchen dieses Rudels«, sagte Uriel. »Wenn ich es töten kann, greifen die anderen vielleicht nicht an.« »Oder sie reißen uns nur umso schneller in Stücke«, sagte Leonid. »Richtig«, räumte Uriel ein, »aber ich glaube, wir haben keine große Wahl.« »Tu, was du kannst«, sagte Vaanes, indem er seine Energieklaue wieder einfuhr. Das Ungeheuer beobachtete Uriels Annäherung und spannte die gewaltigen Muskeln in seinem Oberkörper. Er versuchte in seiner Miene zu lesen, aber die stumpfen Gesichtszüge gaben ihm keinen Hinweis auf die Gedanken dahinter. »Dann komm. Komm und hol mich, wenn du mich fressen willst!«, brüllte er. Das Ungeheuer sprang vor, und Uriel konnte gerade noch einem wilden Schwinger ausweichen, der ihm im Fall eines Treffers den Kopf abgerissen hätte. Er duckte sich unter dem Schlag durch, wich auf die Seite des Hautlosen aus und hieb mit dem Schwert nach seinem Rücken. Die Klinge drang kaum einen Zentimeter tief ein, und Uriel spürte die Wucht des Aufpralls durch seine Arme zucken, während ihn das Entsetzen packte, dass es den tödlichen Energien seiner Waffe nicht gelungen war, das Ungeheuer in Stücke zu hacken. Bevor er sich von seiner Überraschung erholt hatte, griff das Ungeheuer wieder an, und seine dicken Fäuste knüppelten ihn nieder. Uriel fiel ins Wasser und konnte gerade
noch einem krachenden Stampfen ausweichen, das einen Geysir aus brackigem Wasser aufwirbelte. »Uriel!«, rief Pasanius und machte Anstalten, ihm zu Hilfe zu eilen. »Nein!«, rief Uriel, der sich mit kräftigen Beinschlägen auf dem Rücken von dem Ungeheuer entfernte und in die aus dem Reich der Brutalen Bestatter herabstürzenden Fluten schwamm. »Wenn du mir hilfst, greifen sie alle an!« Uriel sprang aus dem schäumenden Wasserfall und stieß mit dem Schwert zum Unterleib des Hautlosen. Die Spitze der Klinge durchbohrte kaum dessen Haut, bevor sie abglitt, ohne eine weitere Wunde zu verursachen. Das Ungeheuer brüllte, hob ihn mit einer Faust hoch und biss ihm in die Seite. Uriel stieß einen Schmerzensschrei aus und drehte sich in seiner Faust, um nicht zerbissen zu werden, dann stach er mit dem Schwert zum Kopf des Ungeheuers. Die Klinge kratzte über die Augen, was dem Ungeheuer ein Schmerzgebrüll entlockte. Seine Faust zuckte und öffnete sich, und Uriel fiel aus der Hand. Er landete vor dem Hautlosen und stieß das Schwert mit wütendem Brüllen gerade nach vorn, wobei er seine ganze Kraft in den Stoß legte. Er schrie triumphierend, als die Spitze eine schwächere Stelle in der Haut des Ungeheuers durchbohrte, und trieb die Klinge sauber durch den ganzen Leib. Eine schwere Faust traf seine Schulter, und Uriel ging im Wasser in die Knie. Er spürte, wie sein Schlüsselbein brach, und ließ das Schwertheft los. Ein Blick in die blutenden Augen des Hautlosen verriet ihm, dass er ihn nicht besiegen konnte. Obwohl eine knisternde Energieklinge in seinem Leib steckte, wies nichts darauf hin, dass das Ungeheuer die Wunde überhaupt spürte. Uriel hatte der Macht eines Sternengottes getrotzt, das Herz eines Schwarmschiffs der Tyraniden zerstört und sich der unvorstellbaren Kraft eines Psionikers gestellt, und nun würde er durch die Hände dieses Ungeheuers sterben, das mit ihm auf einer genetischen Ebene verwandt war. Seine Klauenhände griffen nach ihm, aber bevor sie sich um seinen Kopf schließen und ihn zerquetschen konnten, ertönte ein bellendes Gebrüll vom Beckenrand, und die Hautlosen, die sie umgaben, zogen sich in furchtsamem Respekt zurück. Stille trat ein, jäher Frieden, und Uriel sah, wie eine furchtbare
Bestie, größer als die anderen, langsam in die mit Wasser gefüllte Senke herabstieg. Der Hautlose, gegen den Uriel gekämpft hatte, war eine gigantische, aufgeblähte Monstrosität, aber diese Bestie war noch eine andere Kategorie. Ihre Statur war kolossal und mit abnormalen Muskelmassen bedeckt, ein Kraftpaket voller urtümlicher, destruktiver Energie. Der Körper war eine glänzende Masse nasser, entblößter Muskulatur mit dicken Sehnen, deren Bewegungen man beim Gehen beobachten konnte. Wenn es bei den Hautlosen ein Alpha-Männchen gab, dann dieses. Uriel erkannte darin das Ungeheuer, das den Angriff auf das Fleischlager angeführt hatte. Der Kopf kauerte geduckt zwischen den Schultern, ein rotes Schädelgesicht mit brennenden gelben Augen. Ohne Haut wirkten die Züge tot und vollkommen ausdruckslos. Der Mund war lippenlos, und die Nase ein Schlitz in der Gesichtsmitte. Anders als viele seiner Artgenossen hatte sich dieser Hautlose noch ein gewisses Maß seiner menschlichen Gestalt bewahrt, obgleich er sogar noch massiger gebaut war als alles, was die alten Legenden über die Primarchen zu berichten wussten. Das Schlimmste war jedoch, dass Uriel einen Funken Intelligenz in seinem berechnenden Blick lauern sah. Wo den anderen seiner Art das furchtbare Wissen über ihr Schicksal und das Grauen ihrer Existenz erspart blieb, würde diese schreckliche Kreatur ganz genau wissen, wozu sie verdammt war. Das Ungeheuer kam mit einer Reihe gutturaler Brüll-und Grunzlaute in die Senke, und die Hautlosen, die sie umzingelten, wichen vor ihm zurück, der ihr Herr sein musste... der Herr der Hautlosen. Uriel schauderte, als er diese Bezeichnung prägte, und verzog das Gesicht über ihre Angemessenheit. Es stampfte und klatschte durch das Wasser auf ihn zu und stieß die Kreatur zur Seite, in deren Bauch immer noch Uriels Schwert steckte. Es kauerte sich ins Wasser, wobei sein Kopf immer noch Meter über Uriel thronte, zog ihn auf die Beine und hob ihn zu seinen grässlichen Zügen empor. Uriel wehrte sich dagegen, aber seine Kraft übertraf selbst die eines Cybots, und er wurde festgehalten. Er wurde aus dem Wasser gehoben und dicht vor das Gesicht des Herrn der Hautlosen gehalten, und die Hautlappen rings um die Nasenöffnung flatterten, als er Uriel beschnüffelte. Eine dicke Zunge glitt aus seinem Mund, und Uriel würgte ob
des Leichenatmens, als das ledrige Anhängsel über seine Gesichtshaut leckte. Bevor er etwas unternehmen konnte, ließ ihn der Herr der Hautlosen wieder ins Wasser fallen, und er grunzte vor Schmerzen, als die gesplitterten Enden seines Schlüsselbeins aneinanderrieben. Die riesige Kreatur wandte sich den Hautlosen rings um den See zu. »Noch kein Fleisch! Vielleicht sind Unerwünschte wie wir. Rieche und schmecke Fleischmutter an ihm«, sagte sie kaum verständlich und guttural. Die Hautlosen warfen den Kopf in den Nacken und stießen ein klagenden Heulen aus, das von den hohen Berggipfeln widerhallte, und Uriel konnte sich nicht entscheiden, ob der unheimliche Ruf eine Willkommensgeste oder ein verzweifeltes Mitleidsgeheul war. Im Reich der Brutalen Bestatter hallte immer noch der hämmernde Herzschlag des Blutherzens, und es stank auch immer noch nach Verzweiflung, während sich die psychische Taubheit um die Seele legte. Doch obwohl all das noch so war wie zuvor, gab es doch auch eine subtile Veränderung in der Dynamik der Kaverne. Zuerst war sie Honsou nicht aufgefallen, doch während er dem bronzebeinigen Brutalen Bestatter durch die Wege der Sterbenden folgte, fiel sie ihm in den gesenkten Schädelgesichtern von jedem der schwarz berobten Ungeheuer auf. »Ist es Euch auch aufgefallen...«, flüsterte Obax Zakayo, der in den Zügen seines Herrn las. »Aye«, erwiderte Honsou. »Sie haben Angst, und das geschieht nicht oft.« Aber sie hatten auch guten Grund, Angst zu haben, überlegte Honsou. Gefangene, die ihnen vom Herrn Khalan-Ghols zum Zwecke der Zerstörung anvertraut worden waren, hatten zwei von ihnen getötet und waren geflohen. Offensichtlich brannten in den Brutalen Bestattern noch finstere Erinnerungen an den letzten Herrn der Festung, und Honsou stellte fest, dass ihm ihre Furcht gefiel. Sie trafen in dem Raum ein, wo die Space Marines, die Ventris folgten, angekettet worden waren. In der Mitte des Tischkreises lagen die verstümmelten Überreste zweier Bestatter, die zu kleinen grauen Stücken zerhackt worden waren. Honsou kniete sich neben den nächsten und zog den toten
Arm mit einem bösartig aussehenden Bohrer daran aus der Ruine seines Kopfes. »Ich fürchte, ich könnte diesen Ventris und seinen Trupp unterschätzt haben«, sagte er. »Ihr glaubt, er könnte mehr sein als ein Söldner Toraminos?« Honsou nickte. »Ich glaube langsam, dass er vielleicht gar nichts mit Toramino zu tun hat, dass er vielleicht aus ganz eigenen Gründen hier ist.« »Aus welchen Gründen?« Honsou antwortete zunächst nicht, sondern schnippte mit den Fingern und deutete an, dass sich einer der zischenden dunklen Bestatter nähern möge. Ein großes Ungeheuer mit breiten Klingenbeinen und klickenden hydraulischen Klauen anstelle von Armen bückte sich, so dass sein Gesicht auf einer Höhe mit ihm und das funkelnde Maul nur Zentimeter von Honsou entfernt war. »Ihr habt Ventris in die Daemonculaba verpflanzt?«, fragte er. »Ja. Er wurde eingenäht wie alle anderen auch. Er dürfte eigentlich nicht mehr am Leben sein.« »Nein«, gab Honsou ihm recht. »Das dürfte er ganz eindeutig nicht. Zeig es mir.« »Was soll ich dem Herrn von Khalan-Ghol zeigen?«, zischte der Brutale Bestatter. »Zeig mir, wo ihr ihn implantiert habt«, befahl Honsou. »Jetzt gleich.« Das Ungeheuer nickte, richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf und schritt dann zwischen Tonnen voll Blut und Eingeweiden zur nächsten Rampe, die zu den Käfigen der Daemonculaba führte. Honsou und Obax Zakayo folgten und nahmen unterwegs mit Interesse den Stand einiger ungewöhnlicher Experimente in Bezug auf Schmerzen zur Kenntnis, die in ihrem Streben nach tödlichem Wissen angestellt wurden. »Bei allem gebührenden Respekt, Milord«, begann Obax Zakayo. »Ist es klug, sich mit dem Schicksal einiger Abtrünniger zu befassen? Die Armeen von Lord Berossus stehen vor den Toren Khalan-Ghols.« »Und?« »Und sie sind nur noch ein paar Tage davon entfernt, die Mauern zu durchbrechen...« »Berossus kommt nicht herein, ich habe Pläne mit ihm.« »Wollt Ihr sie vielleicht mitteilen?« »Nicht dir, nein«, sagte Honsou, als sie das Ende der Rampe er-
reichten. »Du musst eins begreifen, Obax Zakayo, du bist mein Diener, ein Funktionär und nicht mehr. Du hast einem Herrn gedient, der vergessen hatte, warum wir den Langen Krieg austragen, einem Herrn, der die Erinnerung an das bittere Feuer des Verrats des Falschen Imperators beinahe hat erlöschen lassen. Hast du schon vergessen, wie unsere Legion fast Stück für Stück durch seinen unachtsamen Verrat zerstört worden wäre? Hast du schon vergessen, wie er uns zu stagnieren gestattet hat, bis wir wenig mehr als Gefängnisaufseher waren? Der Falsche Imperator hat uns in dieses Schicksal getrieben und zu einer Ewigkeit der Qual im Auge verdammt. Forrix mag das vergessen haben, ich aber nicht.« »Ich habe nur gemeint...«, begann Obax Zakayo. »Ich weiß, was du gemeint hast«, schnauzte Honsou, während er an den sich in den Wehen neuen Lebens windenden Fleischmassen vorbeiging. »Glaubst du, ich wüsste nichts von deinen Bittgesuchen an Toramino und Berossus? Du hast mich verraten, Obax Zakayo. Ich weiß alles.« Obax Zakayo öffnete den Mund, um zu protestieren, aber Honsou drehte sich zu ihm um und schüttelte den Kopf. »Du kannst nichts sagen. Ich kann es dir nicht verdenken. Du hast eine Gelegenheit gesehen und sie ergriffen. Aber zu glauben, jemand wie du könnte mich überlisten... ich bitte dich!« Die Servoklauen auf Obax Zakayos Schultern kamen hoch und schnappten wie die Mäuler böser mechanischer Schlangen, und der riesige Iron Warrior umklammerte seine gezähnte Axt. Honsou lächelte und schüttelte wieder den Kopf, als zwei Brutale Bestatter hinter Obax Zakayo auftauchten. Die Axt wurde ihm aus den Händen gerissen und wie ein Zweig zerbrochen, während sich Bronzeklauen um seine mechanischen Glieder schlossen, die von knisternden, kolbengetriebenen Scheren abgeschnitten wurden. »Nein!«, rief Obax Zakayo, als er aufgehoben wurde. »Ich weiß Dinge, die Ihr wissen müsst!« »Das glaube ich nicht«, sagte Honsou. »Toramino ist nicht so dumm, dir irgendwas von Bedeutung anzuvertrauen.« Honsou nickte den beiden Brutalen Bestattern zu und sagte: »Macht mit ihm, was ihr wollt.« Er wandte sich ab, und Obax Zakayo schrie und häufte Flüche auf sein Haupt, während die Brutalen Bestatter ihn zu seinem
zweifellos blutigen Schicksal abführten. Obax Zakayos Verrat war keine Überraschung für Honsou gewesen, sondern hatte sich tatsächlich als äußerst nützlich erwiesen. Bald würden Berossus und Toramino wissen, wie teuer es sie zu stehen kommen würde, einem derart schlechten Verräter vertraut zu haben. Er schlug sich Obax Zakayo aus dem Kopf, während er über den Gitterboden zu einer pfeifenden Masse tranigen, zerrissenen Fleisches ging, die von dem Wesen, das ihn hergeführt hatte, noch weiter gestochen und zerschnitten wurde. Die schmerzerfüllten Züge der Daemonculaba starrten ihn in stummem Grauen an, während ihre glasigen Augen in unaussprechlichen Schmerzen hin und her rollten. Honsou ignorierte ihr Leiden und beugte sich vor, um den aufgerissenen Bauch zu inspizieren, wo kürzlich vernähtes Fleisch brutal aufgerissen worden war. »Von innen...«, stellte Honsou fest. »Er ist selbst herausgeklettert.« Der Kopf des Brutalen Bestatters schaukelte hin und her, obwohl Honsou eindeutig seine Verwirrung ob dieser Tatsache sehen konnte. »Wie kann Ventris das geschafft haben?«, fragte Honsou. »Ich weiß nicht, die Daemonculaba hat ihn gekostet und mit Schlafmitteln vollgestopft. Es hätte nicht passieren dürfen«, krächzte der Bestatter. »Und doch ist es passiert«, sann Honsou, während er die schmierigen Hautlappen des geborstenen Bauchs der Daemonculaba zurückschlug. Die glitschigen Innereien der großen Bestie zitterten und bebten bei seiner Berührung, und Honsou wich zurück, als die Kreatur einen heftigen Anfall bekam, die ihre gesamte Gestalt erbeben ließ. Zwar hatte sie keine eigene Stimme, aber dennoch drang ein hohes klagendes Heulen aus der zerstörten Kehle, während ein Blutstrom aus der offenen Wunde quoll. »Was passiert damit?«, wollte Honsou wissen. »Bauch ist bereit, das Gewebe abzustoßen«, erklärte der Bestatter. Mehr Blut und amniotische Flüssigkeiten strömten aus dem Bauch der Daemonculaba, und der Brutale Bestatter griff hinein und hackte mit seinen langen schwertartigen Gliedern auf das Innere ein. Zischende, gurgelnde Schläuche transportierten tote Flüssigkeiten ab, und Honsou hörte das Knacken von Knochen und das Reißen von Sehnen aus dem Körper der Daemonculaba.
Der Bestatter schnitt die Wunde weiter auf, und mit einem letzten Schwall Blut und blauen und violetten Eingeweiden fiel der Abkömmling der Daemonculaba aus dem Bauch auf den Gitterboden. Er landete mit einem feuchten, fleischigen Klatschen. Muskulös und erheblich weiter gediehen als der kleine Säugling, der er bei seiner Implantation gewesen war. Honsou kniete sich neben den zitternden Neugeborenen, dessen hautloser Leib in den Nachwehen der Gewalt seiner Geburt zitterte. Obwohl er in ein mutiertes Stück Nabelschnur gewickelt war, konnte Honsou erkennen, dass diese Geburt perfekt war - kein Grund, ihn mit dem Rest der Missbildungen durch den Abfluss zu spülen. Seine Muskeln waren mit klebrigen, sauren Rückständen bedeckt, und er fing vor Schmerzen an zu weinen, als der Brutale Bestatter ihn vom Boden aufhob. »Warte«, sagte Honsou, indem er vortrat und blutigen, mit Klumpen durchsetzten Schleim vom glänzenden roten Schädel des Neugeborenen abwischte und seine hautlosen Züge von den Geburtsflüssigkeiten säuberte. Das Neugeborene hob den Kopf bei Honsous Berührung und schaute mit eindringlicher Ernsthaftigkeit in sein Gesicht. Honsou hielt den neugeborenen Chaos Marine seiner schwarzen, klauenbewehrten Hebamme hin. »Mach ihn sauber, dann kleide ihn in frische Haut«, befahl er. »Gib ihm Obax Zakayos Rüstung, und bring ihn zu mir, wenn er so weit ist.« Der Brutale Bestatter nickte und brachte das quengelnde Neugeborene weg. Und der Herr von Khalan-Ghol lachte, als ihm aufging, dass die Götter des Chaos manchmal doch Sinn für Humor haben konnten. Ob die Manufaktur einfach aufgegeben worden und dann von den Hautlosen in Beschlag genommen worden war oder sie sie sich mit Gewalt erobert hatten, war unbekannt, aber dem Zustand der Verwahrlosung und den herumliegenden Trümmern nach zu urteilen, waren beide Erklärungen möglich. Uriel war schockiert gewesen über die Grässlichkeit der Hautlosen, die er an der Oberfläche Medrengards gesehen hatte, aber die war nichts verglichen mit dem Grauen jener, die unter ihr in der Dun-
kelheit blieben. Wie solche Wesen leben konnten, verblüffte Uriel, aber wenngleich er Abscheu angesichts ihrer schrecklichen Gestalten verspürte, so empfand er doch auch großes Mitleid für sie. Denn sie waren ebenfalls Opfer der Bösartigkeit der Iron Warriors. Uriel hatte keine Möglichkeit, das Verstreichen der Zeit zu messen, schätzte aber, dass vielleicht zehn oder zwölf Stunden seit ihrer Flucht aus dem Verlies von Khalan-Ghol vergangen waren. Vom Herrn der Hautlosen angeführt, hatten sie einen zermürbenden Marsch in die Höhe der Berge und einem unbekannten Ziel entgegen angetreten, obwohl sie nicht wussten, ob sie als Waffenbrüder oder Gefangene aufgenommen worden waren. Uriel und Pasanius hatten Ellards Wunde verbunden und ihn trotz Vaanes' Protest mitgenommen, der Mann sei so gut wie tot und solle zurückgelassen werden. Nachdem sie den See am Fuß der Klippen verlassen hatten, wo ihre irrsinnige Flucht aus den Tiefen Khalan-Ghols durch den Abwassertunnel geendet war, hatte Uriel gesehen, dass sie in der Tat viele Kilometer von der Festung entfernt waren. Nach vielen weiteren war der Kriegertrupp schließlich zu einer großen Spalte im Berg geführt worden, wo giftige Dampfwolken wehten und Unrathaufen aus Abfall und Knochen gesammelt waren. Sie waren in die stygische Dunkelheit des Bergs gestiegen, und der felsige Weg hatte sich schließlich zu einer Höhle verbreitert, wo eine unterirdische Manufaktur vielleicht durch ein Erdbeben zerstört worden war. Verbogene eiserne Säulen stützten ein sich neigendes Dach mit riesigen genieteten Trägern, und Strahlen aus trübem Licht fielen durch geborstene, durch die Decke ragende Kühltürme ein und sorgten für Licht in der hallenden Kaverne. Gewundene Brücken aus verknoteten Seilen verbanden die Säulenwälder, und in die Mitte der Manufaktur war eine große Grube in den Boden gegraben oder gebohrt worden, wo etwas Unsichtbares im matten Licht funkelte und sich wand. Haufen zerschmetterter Maschinen lagen verrostet in Pfützen, und Gruppen der Hautlosen, die viele Hundert zählten und nasse, glänzend rote Leiber hatten, versammelten sich um sie. Diese Hautlosen waren die wahren Ungeheuer, so mutiert und deformiert, dass sie nicht jagen oder - in einigen Fällen - sich nicht einmal bewegen konnten. Haufenweise entstellte Leiber, verdrehte Gliedmaßen ohne Zahl und zusammengeschmolzenes Fleisch,
die alle in beständigem Schmerz jammerten und heulten. »So viele...«, sagte Uriel. Bevor es zu weiteren Kommentaren kommen konnte, waren sie weiter in die Tiefen der Manufaktur geführt worden, und der Herr der Hautlosen hatte ihnen bedeutet, sich in den Schatten einer großen Walzmaschine mit Hämmern von der Größe eines Kampfpanzers zu setzen. »Ihr. Nicht bewegen.« »Warte«, sagte Uriel. »Was willst du von uns?« »Stamm muss reden. Entscheiden, ob ihr unerwünscht seid wie wir oder nur Fleisch. Wahrscheinlich töten wir euch alle«, räumte der Herr der Hautlosen ein. »Gutes Fleisch auf den Knochen und frische Haut zu tragen.« »Uns töten?«, schnauzte Vaanes. »Wenn ihr uns einfach töten wollt, warum hast du uns dann überhaupt erst hergebracht, du verdammte Missgeburt?« »Schwache von Stamm brauchen das Fleisch«, rasselte das Ungeheuer, während es Ellard mit unverhohlenem Appetit anstarrte. Der Sergeant hatte sie alle überrascht, weil er die Kletterpartie hierher überlebt hatte, aber Uriel sah, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Blut quoll durch den aus seiner zerrissenen Uniformjacke improvisierten Verband, und sein Gesicht war totenbleich. »Sie nicht jagen können, also wir ihnen bringen Fleisch.« »Du musstet ja unbedingt fragen«, knurrte Pasanius. Vaanes zuckte die Achseln und hockte sich mit dem Rücken zu den Ultramarines auf den Boden. Dann war der Herr der Hautlosen zu seinem Stamm gegangen und hatte sie in der Gesellschaft eines Dutzends riesiger Ungeheuer zurückgelassen, jedes größer als ein Cybot und mit einem furchterregenden Arsenal spitzer Zähne und langer Krallen ausgestattet. Mittlerweile warteten sie seit Stunden in dem stinkenden Dämmerlicht, während ihre Häscher - oder Brüder debattierten, ob sie sie töten sollten oder nicht. Das Ungeheuer, gegen das Uriel in dem See gekämpft hatte, gehörte auch zu den Wächtern, obwohl es sich immer noch nicht an der in seinem Bauch steckenden Waffe zu stören schien. »Verdammt, ich wünschte, ich wüsste, was sie machen«, sagte Uriel, während er sich von den Hautlosen abwandte, die sie bewachten.
»Tatsächlich?«, sagte Pasanius. »Ich bin mir da gar nicht so sicher.« »Wir können nicht hierbleiben. Wir müssen in die Festung zurück.« »In die Festung zurück?«, lachte Ardaric Vaanes. »Meinst du das ernst?« »Todernst«, nickte Uriel. »Wir haben einen Todeseid zu erfüllen, die Daemonculaba zu zerstören oder bei dem Versuch zu sterben.« »Dann werdet ihr sterben«, versprach Vaanes. »Dann sterben wir eben«, sagte Uriel. »Hast du denn nichts von dem verstanden, was ich dir gesagt habe Vaanes?« »Wage es ja nicht, mir Vorträge über Ehre und Pflicht zu halten, Ventris«, warnte Vaanes. »Ich habe genug von dem gesehen, was deine Ehre zu bieten hat. Die meisten von uns sind schon tot, und wofür?« »Kein Krieger, der für die Ehre in Diensten des Imperator sein Leben gelassen hat, ist je umsonst gestorben.« »Erspar mir deine geborgte Weisheit, Ventris«, höhnte Vaanes. »Sie steht mir bis hier oben. Wenn wir das hier überleben, gehe ich nicht wieder in die Nähe der Festung. Ich bin fertig mit deinem Heldentum und überlasse dich deinem Tod.« »Dann habe ich mich in dir getäuscht, Vaanes«, sagte Uriel. »Ich dachte, du hättest noch Ehre in dir, aber jetzt sehe ich, dass es nicht so ist.« Vaanes ignorierte Uriel und starrte mürrisch auf die ungeschlachten, missgestalteten Bestien, die sie be wachten. Uriel wandte sich an Pasanius und sagte: »Dann sind wir auf uns allein gestellt, mein Freund.« »So scheint es«, gab Pasanius ihm zögernd recht, und Uriel sah, dass sein Freund gern gesprochen hätte - und von der furchtbaren Last eines Schuldgefühls niedergedrückt wurde. Verlegenes Schweigen lastete zwischen ihnen, da keiner wusste, wie er es brechen und sagen sollte, was gesagt werden musste. »Warum hast du mir nichts erzählt?«, sagte Uriel schließlich. »Wie sollte ich?«, schluchzte Pasanius. »Ich war verflucht. Vom Bösen berührt und verdorben!« »Wie? Wann?«, fragte Uriel. »Auf Pavonis, glaube ich.« Nun, da er sich einmal zu reden entschlossen hatte, gab es kein Halten mehr, und die Worte sprudel-
ten in eiliger Beichte nur so aus ihm heraus. »Du weißt noch, dass ich die Prothese schon in dem Augenblick gehasst habe, als sie mir von den Leuten des Shonai-Kartells angepasst worden ist?« »Aye«, nickte Uriel, der sich noch daran erinnerte, wie Pasanius sich darüber beklagt hatte, der Arm könne nie so gut sein wie einer, der durch ein Leben des Krieges stark geworden sei. »Ich hatte ja keine Ahnung«, fuhr Pasanius fort. »Nach einer Weile hatte ich mich daran gewöhnt und wusste sogar die Kraft des Arms zu schätzen, aber nachdem wir die Orks auf der Tod der Tugend bekämpft hatten, fiel mir zum ersten Mal auf, dass etwas nicht stimmte.« Uriel erinnerte sich noch gut an den verzweifelten Kampf um die Zerstörung des von Orks und Tyraniden verseuchten Space Hulk, das ins System von Tarsis Ultra getrieben und der Vorbote der großen Schlacht gegen eine Splitterflotte von Bioschiffen aus der Schwarmflotte Leviathan gewesen war. »Was ist passiert?« »Wir haben gegen die Orks gekämpft, kurz bevor du ihren Anführer getötet hast, weißt du noch? Einer der Grünhäute hatte sich hinter mich geschlichen und hätte mich mit seiner Kettensäge beinahe geköpft.« »Ja, du hast den Hieb mit dem Arm abgewehrt.« »Aye, das habe ich, und du hast gesehen, wie groß die Klinge war. Mein Arm hätte in Stücke gehackt werden müssen, aber das wurde er nicht. Er hatte nicht einmal einen Kratzer.« »Aber das ist unmöglich«, sagte Uriel. »Das habe ich auch gedacht, aber später, als wir uns abgesetzt haben, war er wieder so gut wie neu und hatte nicht mal einen Kratzer.« »Ich kann mich erinnern...«, flüsterte Uriel, während er Pasanius' Arm vor sich sah, als dieser nach unten griff und ihn in Sicherheit zog, während ihre Sprengladungen explodierten und das Space Hulk auseinanderrissen. »Er hat wie Silber geglänzt.« »Ich weiß, aber mir ist das erst aufgefallen, als wir wieder an Bord der Vae Victus waren und mir aufging, dass mein Arm eigentlich völlig zerstört hätte sein müssen. Ich dachte, ich hätte mir den harten Treffer vielleicht nur eingebildet, aber heute weiß ich, dass es nicht so war.« »Wie ist das möglich? Glaubst du, die Adepten von Pavonis hat-
ten Zugriff auf irgendeine Form von Xeno-Tech?« »Nein«, sagte Pasanius kopfschüttelnd. »Die silberhäutigen Teufel, die wir unter Pavonis bekämpft haben, die Diener des Bringers der Finsternis, die konnten dasselbe. Wie hart man sie auch schlug, stach oder schoss, sie konnten immer wieder aufstehen, und ihre Körper setzten sich von selbst wieder zusammen.« »Die Necrontyr«, sagte Uriel. Pasanius nickte. »Aye, Necrontyr. Ich glaube, dass vielleicht ein Teil des Bringers der Finsternis in mich gefahren ist, als er mir den Arm abgehackt hat, etwas Verdorbenes, das gewartet und dann im Metall meines neuen Arms eine Heimat gefunden hat.« »Warum hast du nichts gesagt?«, sagte Uriel. »Es war deine Pflicht, das zu melden.« »Ich weiß«, sagte Pasanius niedergeschlagen. »Aber ich habe mich geschämt. Du kennst mich, es war immer meine Art, mich selbst um Sachen zu kümmern. So war ich schon als Junge auf Calth.« »Ich weiß, aber du hättest es Clausel trotzdem beichten müssen. Ich muss es melden, wenn wir wieder nach Macragge zurückkehren.« »Du meinst, falls wir zurückkehren«, erinnerte Pasanius ihn. »Nein«, sagte Uriel mit Nachdruck. »Wenn.« Uriel drehte sich um, als er Schritte hinter sich hörte. Oberst Leonid stand hinter ihm, und sein Gesicht wirkte erschöpft und ausgemergelt, als er verkündete: »Sergeant Ellard ist tot.« Uriel warf einen Blick dorthin, wo der große Mensch lag, und legte Leonid eine Hand auf die Schulter. »Es tut mir leid, mein Freund. Er war ein feiner Mann und ein guter Soldat.« »Er hätte nicht so sterben sollen, allein in der Dunkelheit.« »Er war nicht allein«, sagte Uriel. »Am Ende waren Sie bei ihm.« »Aber es ist trotzdem nicht recht«, flüsterte Leonid. »So viel überstanden zu haben und dann so zu sterben.« »Man hat selten die Wahl in der Art seines Todes«, sagte Uriel. »Die Art, wie man lebt, macht den Krieger aus. Ich habe Ellard nicht gut gekannt, aber ich glaube, er wird einen Platz an der Seite des Imperators finden.« »Das hoffe ich«, stimmte Leonid zu. »Ach, und Sie haben sich übrigens geirrt.« »In welcher Beziehung?«
»In der Beziehung, dass Sie allein nach Khalan Ghol zurückkehren müssen. Ich werde Sie begleiten.« Uriel spürte, wie seine Bewunderung für Leonid weiter anstieg, und sagte: »Sie sind ein außergewöhnlicher Mann, Oberst, und ich nehme Sie beim Wort. Obwohl Sie wissen sollten, dass Vaanes beinahe mit Sicherheit recht hat. Diese Sache wird aller Wahrscheinlichkeit nach unser Tod sein.« Leonid zuckte die Achseln. »Das stört mich nicht mehr. Ich lebe auf geborgter Zeit, seit das 383. nach Hydra Cordatus befohlen wurde, also habe ich vor, dem Tod ins Gesicht zu speien, bevor er mich holt.« Ein langsames Beifallklatschen war zu hören, und in Uriel flackerte Wut auf, als er sah, wie Vaanes sich über sie lustig machte. Der abtrünnige Marine der Raven Guard schüttelte den Kopf. »Ihr seid alle Narren«, sagte er. »Ich spreche ein Gebet für euch, wenn wir von diesen Ungeheuern nicht getötet werden.« »Sei still!«, zischte Uriel. »Ich will keine Gebete von Leuten wie dir, Vaanes. Du bist kein Space Marine mehr, du bist nicht einmal mehr ein Mensch. Du bist ein Feigling und ein Verräter!« Vaanes kam auf die Beine, und Hass flackerte in seinen violetten Augen auf, während die Energieklaue aus seinem Panzerhandschuh ausfuhr. »Ich habe dir doch gesagt, dass mich niemand zweimal so nennt!« Bevor Blut vergossen werden konnte, fiel ein großer Schatten auf die Gruppe, als die mächtige Gestalt des Herrn der Hautlosen ins Licht trat. Eine Gruppe abscheulich deformierter Kreaturen begleitete ihn, und ein buckliges Ungeheuer, dessen Kopf mit dem Rückgrat verschmolzen war, hinkte zu Ellards Leichnam. Es tauchte eine lange Kralle in die Bauchwunde des toten Sergeanten und hob den blutigen Finger dann zum Mundschlitz. »Totfleisch«, sagte es. »Noch warm.« Der Herr der Hautlosen nickte mit seinem riesigen Kopf. »Nimm es. Fleisch für den Stamm.« »Nein!«, rief Leonid, als der Bucklige den Leichnam des Sergeanten mühelos aufhob. Pasanius streckte den einen ihm noch verbliebenen Arm aus und hielt Leonid zurück, während er zischte: »Nein, nicht. Das ist nicht mehr Ihr Freund, es ist nur die Hülle, die er getragen hat. Er ist jetzt beim Imperator, und diese Ungeheuer können ihm nichts
mehr anhaben. Sie stürzen sich nur unnötig in den Tod.« »Aber sie wollen ihn fressen!« »Ich weiß«, sagte Uriel, der sich vor den sich wehrenden Mann stellte. »Aber Sie haben sich verpflichtet, uns bei unserem Todeseid zu unterstützen, und wenn Sie ihn brechen, brechen Sie ihn für uns alle.« »Was?«, stotterte Leonid. »Aye«, nickte Uriel. »Wir sind jetzt alle an dieses Unternehmen gebunden. Pasanius, ich und jetzt auch Sie.« Leonid schien das nicht ohne Widerspruch hinnehmen zu wollen, aber Uriel sah, dass ihm die Erkenntnis des Pakts, den er mit den Ultramarines eingegangen war, den Wind aus den Segeln genommen hatte. Er nickte benommen und hörte auf, sich zu wehren, als sich der Herr der Hautlosen vor ihnen aufbaute. »Ihr kommt jetzt mit«, sagte das Ungeheuer. »Wohin?«, fragte Uriel. »Zum Imperator. Er wird entscheiden, ob ihr sterbt oder nicht.«
SIEBZEHN Die Rüstung des Imperators war schmutzig und mit den Rückständen ungezählter Millennien der Industrie befleckt, und der Adler auf seinem Brustharnisch war nur noch eine Reihe verrosteter Bronzestreifen. Schulterschützer aus gehämmertem Metall hingen von seinen mächtigen Schultern, und aus seinem Rücken ragte ein Paar heiliger Flügel aus fleckigem Metall. Über zwanzig Meter groß und von dicken Eisenketten in der großen Grube in der Mitte der Manufaktur aufrechtgehalten, war die Statue eine Schöpfung höchster Verehrung. Uriel fühlte sich wie ein Kind vor dieser kolossalen Größe, und ihm fiel wieder ein, wie er das erste Mal eine Statue des Imperators in der Basilika Konor auf Calth gesehen hatte. Wenngleich die Statue dort meisterhaft aus wunderbar geädertem Marmor aus den tiefen Brunnen Calths gehauen war, so war diese - trotz ihrer Primitivität - doch nicht weniger beeindruckend. Der Imperator der Hautlosen hing über der Schwärze der Grube, und Rüstung und Glieder bestanden aus allen möglichen Trümmern und Maschinenteilen, die bei Aufgabe der Manufaktur zurückgelassen worden waren.
Mochten einige übereifrige fanatische Prediger des Ministorum es auch blasphemisch finden, dass solche abscheulichen Kreaturen so ein primitives Abbild des Imperators geschaffen hatten, Uriel fand es seltsam rührend. »Möge uns der Imperator beschützen!«, zischte Pasanius, als er die hängende Statue erblickte. »Tja, das werden wir gleich erfahren«, erwiderte Uriel, als ihm aufging, dass sein erster Eindruck richtig gewesen war, als er sich vor dieser Statue wie ein Kind gefühlt hatte. Wer wusste schon, wie lange die Hautlosen unter der Oberfläche Medrengards lebten oder welche Erinnerungen sie an die Zeit vor ihrer Abtreibung und Implantation in das Grauen der Daemonculaba hatten? Doch eines war klar - in den unschuldigen Kindern, die in die Hautlosen verwandelt worden waren, hatte eine Erinnerung überlebt, ständig und dauerhaft: die an den unsterblichen und wohlmeinenden Imperator der Menschheit. Trotz allen Grauens, das über die Hautlosen hereingebrochen war, erinnerten sie sich noch an die Liebe des Imperators, und Uriel empfand eine immense Trauer über ihr Schicksal. Auch wenn sie auf grässliche Weise verändert worden und Ungeheuer geworden waren, erinnerten sie sich immer noch an den Imperator und hatten ein Bildnis von ihm geschaffen, auf dass es über sie wachen möge. Uriel und die anderen wurden grob zum Rand der großen Grube gestoßen, während die Hautlosen näher kamen. Uriel sah, dass es viele Hundert waren - von denen viele auf ihren mutierten Beinen, Korkenzieherknochen oder Fleischmassen, die einst Glieder gewesen waren, nicht laufen konnten und denen von ihren Brüdern geholfen wurde. »Gott-Imperator, seht sie euch an!«, sagte Vaanes. »Wie kann man solchen Wesen erlauben zu leben?« »Halt den Mund, Vaanes«, sagte Uriel traurig. »Sie sind mit dir und mir verwandt, vergiss das nicht. Das Fleisch des Imperators ist in ihnen.« »Das kann nicht dein Ernst sein«, sagte Vaanes. »Sieh sie dir doch an. Sie sind böse.« »Sind sie das? Ich bin nicht so sicher.« Eine Atmosphäre des Hungers und Selbsthasses hing über der Grube, als der Herr der Hautlosen sich umdrehte und zu voller
Größe aufrichtete. Er griff nach hinten, zog Uriel vorwärts und hob ihn mühelos in die Höhe. Machtlos gegen so viel Kraft, spürte Uriel, wie er den Boden unter den Füßen verlor, da er über der bodenlosen Grube schwebte. »Mutters Fleisch an dir gerochen«, brüllte der Herr der Hautlosen. »Ihr aus Berg der Eisenmänner gespült und aus Wand gefallen. Aber ihr nicht ausseht wie wir. Warum ihr habt Haut?« Uriels Gedanken überschlugen sich, während er sich überlegte, mit welcher Antwort er verhindern konnte, in die Grube geworfen zu werden. Der Blick der gelben Augen des Ungeheuers bohrte sich in seine, und Uriel sah eine verzweifelte Sehnsucht in ihnen, ein kindliches Bedürfnis nach... wonach? »Ja!«, rief er. »Wir sind aus dem Berg der Iron Warriors gekommen, aber wir sind ihre Feinde.« »Ihr auch Unerwünschte? Nicht Freunde von Eisenmännern?« »Nein!«, schrie Uriel aus vollem Halse, damit alle Hautlosen rings um die Grube ihn hören konnten. »Wir hassen die Eisenmänner und sind gekommen, um sie zu vernichten!« »Euch schon einmal gesehen«, knurrte der Herr der Hautlosen. »Gesehen, wie ihr Eisenmänner in Bergen tötet. Wir viel Fleisch erbeutet.« »Ich weiß. Ich habe es gesehen.« »Ihr Eisenmänner getötet?« »Ja!« »Mutters Fleisch an euch, ja?« Uriel nickte, während das Ungeheuer weiterredete. »Fleischmütter von Eisenmännern uns hässlich gemacht, aber Imperator hasst uns nicht wie Eisenmänner, er liebt uns immer noch. Eisenmänner wollen uns töten. Aber wir stark und nicht sterben, obwohl sterben gut für uns. Schmerzen hören auf, Imperator nimmt Schmerzen weg und macht uns wieder ganz.« »Nein«, sagte Uriel, der endlich wenigstens teilweise diese Kreatur begriff, die trotz ihrer gewaltigen Kraft und kolossalen Größe in ihrem monströs geschwollenen Schädel nur ein Kind war. Sie sprach mit der Schlichtheit und Klarheit eines Kindes von der Liebe des Imperators, und als Uriel ihr in die Augen sah, fand er darin ihre tödliche Sehnsucht, für ihre Abscheulichkeit Buße zu tun. »Der Imperator liebt euch«, sagte er. »Er liebt alle seine Kinder.«
»Imperator spricht zu dir?«, sagte der Herr der Hautlosen. »Das tut er«, bejahte Uriel und hasste sich für diese Täuschung, begriff aber ihre Notwendigkeit. »Der Imperator hat uns geschickt, um die Eisenmänner zu vernichten und die Dae... die Fleischmütter, die euch so gemacht haben. Er hat uns zu euch geschickt, damit ihr uns helfen könnt.« Das Wesen zog ihn näher zu sich heran, und Uriel spürte, wie Argwohn und Hunger mit einem tief verwurzelten Verlangen rangen, sich an seinen Schöpfern zu rächen, an jenen, denen er seine Missbildungen zu verdanken hatte. Es beroch ihn noch einmal, und Uriel hoffte nur, dass der Gestank der Daemonculaba, der ihm im See geholfen hatte, noch stark genug an ihm haftete. Doch der Herr der Hautlosen brüllte nur gequält und holte aus, und Uriel schrie auf, als er in die Grube geworfen wurde. Uriel segelte durch die Luft, und ein Kaleidoskop aus Bildern wirbelte an ihm vorbei: entstellte Bestien, die einst Kinder gewesen waren, eine verrostete Eisenkette, silberne Platten aus gehämmertem Metall und die schwarze, bodenlose Leere der Grube. Er prallte gegen das hängende Abbild des Imperators, und der Schlag raubte ihm den Atem. Er griff nach dem Metall, tastete nach etwas zum Festhalten und spürte, wie seine Fingernägel an Nieten abbrachen, da er an dem rauen Eisen herabglitt. Das schwarze Loch der Grube gähnte unter ihm und verhieß den Tod, doch seine Finger schlossen sich um eine Platte aus gehämmertem Eisen, die nicht ganz plan am Leib der Statue anlag. Ihre Kanten waren teilweise scharf, und er spürte, wie die Spitze seines Mittelfingers von einer dieser scharfen Kanten abgetrennt wurde. Die Platte bog sich und kreischte und löste sich von der Statue, aber sie hielt seinen Fall so lange auf, dass er sich am Bronzeadler auf dem Brustharnisch des Imperators festklammern konnte. Uriel hielt sich mit einer Hand aus Leibeskräften fest, während er über der Dunkelheit der Grube hing und dabei leicht hin und her schwang, während die Hautlosen brüllten und - jene, die dazu in der Lage waren -mit den Füßen stampften und skandierten: »Stamm! Stamm! Stamm!« Nun, da er sich besser an der Statue festhalten konnte, zog er
sich an den Metallstreifen hoch, die den Adler bildeten, und schwang sich keuchend auf den Schulterschutz des Imperators. Der Herr der Hautlosen stand reglos am Rand der Grube, und Uriel hatte keine Ahnung, was er als Nächstes tun sollte. Er sah, wie die Hautlosen die Reste des Kriegertrupps ergriffen und Pasanius, Leonid, Vaanes und die anderen Space Marines zum Rand der Grube schleiften. »Nein!«, rief er, wobei er das Risiko einging, sich aufzurichten und an den riesigen Helm der schwankenden Statue zu lehnen. »Nein!« Dann geschah das Wunder. Ob es ein lange untätiger Mechanismus in der ramponierten Maschine war, die den Helm der Statue bildete - und durch Uriel Bewegungen kurzfristig noch einmal zum Leben erweckt wurde oder die Macht des Imperators, würde Uriel nie erfahren, aber in diesem Augenblick zuckte plötzlich ein strahlendes Licht aus dem primitiv gestalteten Visier. Ein tiefes Summen wie von einem arbeitenden Generator baute sich unter dem Helm auf, und die Hautlosen zogen sich voller Entsetzen vor der großen Statue zurück, da der Lichtschein greller wurde. Uriel spürte, wie das Metall des Helms heiß wurde, und obwohl er keine Ahnung hatte, was eigentlich vorging, war er nicht gewillt, sich diese Gelegenheit entgehen zu lassen. Er rief dem Herrn der Hautlosen zu: »Siehst du! Der Imperator will, dass ihr uns helft! Gemeinsam können wir die Fleischmütter und die Eisenmänner vernichten!« Die große Bestie sank auf die Knie, den breiten Mund vor Verzückung geöffnet, während sich den Kehlen der um die Grube versammelten Hautlosen ein schreckliches Ächzen und Heulen entrang. Heiße Funken sprangen vom Metall des Helms, und Uriel ging auf, dass er rasch von der Statue herunter musste, um nicht irgendwann von dem, was für diese Vorgänge verantwortlich war, unter Strom gesetzt und getötet zu werden. Er tastete sich an den Schulterschützern des Imperators vorbei und bat dabei den Herrn der Menschheit um Vergebung für die respektlose Behandlung seines Abbilds, während er sich zur nächsten Haltekette vorarbeitete. Kaum war er auf die Kette geklettert und hatte sich von dem Helm gelöst - der jetzt in einem durchdringenden, blendenden
Schein erstrahlte -, als ein lauter Donnerschlag ertönte und er in einem Gewitter aus Funken und blauen Blitzen explodierte. Die Hautlosen heulten vor Furcht, als die Ketten rissen und die Statue des Imperators in die Tiefe der Grube fiel, während die dicken Ketten in Richtung Grubenwand schwangen. Uriel schwang mit und fing einen Großteil des Schwungs mit ausgestreckten Beinen ab, so dass der Aufprall erträglich war. Uriel drehte sich jetzt an der Kette über dem bodenlosen Abgrund, die Knöchel weiß verfärbt, da er sich an den abblätternden Gliedern der Kette festhielt. So blieb er hängen, bis er wieder zu Atem gekommen war, und begann dann vorsichtig mit dem langen Aufstieg nach oben. Beim Klettern spürte er plötzlich, wie von oben an der Kette gezogen wurde. Da er nichts anderes tun konnte, wartete Uriel einfach ab, was das Schicksal für ihn bereithielt. Als er nach oben schaute, sah er die gewaltige rohe Hand des Herrn der Hautlosen nach unten greifen und ihn von der Kette pflücken. Er wurde hochgehoben und grob neben Pasanius und Ardaric Vaanes abgestellt, die ihn mit ängstlicher Scheu betrachteten. Uriel zuckte die Achseln, zu sehr außer Atem, um etwas zu sagen. Der Herr der Hautlosen kniete sich neben ihn und sagte: »Imperator liebt dich.« »Ich glaube, dass er das vielleicht tut...«, keuchte Uriel. Der Herr der Hautlosen nickte und zeigte auf die Grube. »Ja. Du noch am Leben.« »Ja«, japste Uriel. »Du hast recht, der Imperator liebt mich. Wie er auch euch liebt.« Das Wesen nickte langsam. »Dir helfen Eisenmänner töten. Fleischmütter auch. Darf nicht noch mehr von uns geben.« »Danke...«, seufzte Uriel. »Imperator uns liebt, aber wir uns hassen«, sagte der Herr der Hautlosen gequält. »Wir nicht getan, das nicht verdient. Wollen Eisenmänner töten, aber nicht wissen, wie in den Berg kommen. Können nicht kämpfen über hohe Mauern!« Uriel straffte sich und lächelte den Herrn der Hautlosen trotz seiner Begegnung mit dem Tod an, da ihm plötzlich ein Teil ihres Marsches nach Khalan-Ghol mit einer Klarheit vor Augen stand, die gewiss auf mehr als bloße Erinnerung zurückzuführen war. »Das spielt keine Rolle«, sagte Uriel. »Ich kenne einen anderen Weg hinein.«
Khalan-Ghol erbebte unter der Wut des neuerlichen Bombardements, und Granaten explodierten wie Feuerstürme auf ihren alten Mauern. Armeen schwerer Panzer und ganze Korps von Soldaten versammelten sich am Fuß der gigantischen Rampe, die zu dem Bergplateau führte, das alles war, was von den äußeren Verteidigungsanlagen der Festung noch übrig war. Zeitweilige, aber doch unglaublich robuste Schanzen und Wälle hatten die Arbeiter und Maschinen geschützt, welche die Rampe gebaut hatten, und nun, da sie fertig war, begann Berossus mit seinem letzten Angriff. Sie war ein Wunder der Konstruktions- und Ingenieurskunst und führte viele Tausend Meter den Berg empor, nachdem sie viele Kilometer vor dem felsigen Hochland ihren Anfang nahm. Mit segmentierten Eisenplatten gepflastert, rollten sie unzählige Panzer im Kielwasser zweier gewaltiger Titanen empor, deren Rüstung rot und noch tropfnass vom Blut vieler tausend Opfer waren. Mit gewaltigen Belagerungshämmern, pneumatischen Kolbenbohrern und mächtigen Kanonen ausgestattet, beförderten diese kolossalen Landschlachtschiffe außerdem die besten Krieger aus Berossus' großer Kompanie. Diese Krieger würden den Ansturm durch die Mauern der Festung anführen und sie Stein für Stein niederreißen. Ein Tunnel mit einer gigantischen Einmündung führte ins Felsgestein der Rampe, und riesige Gleise verschwanden in der Dunkelheit, die vor dem Fuß des Bergs endeten. Große Bergbaumaschinen waren durch den Tunnel transportiert worden und bereiteten sich darauf vor, die Unterseite der Festung zu durchbrechen und sich ins Herz von Honsous Bau zu bohren. Zehntausende Soldaten warteten in der schweißtreibenden Dunkelheit des Tunnels, um die Festung von unten zu stürmen. Der Verräter Obax Zakayo hatte präzise Informationen hinsichtlich der besten Stelle für einen Durchbruch geliefert, und im Zusammenwirken mit dem Frontalangriff bedeutete das, Honsous Leben konnte nach Stunden gemessen werden. Zuversichtlich, dass die letzte Schlacht bevorstand, führte Berossus den Angriff persönlich an der Spitze eines Rudels von beinah hundert blutgierigen Cybots. Der Beginn der letzten Schlacht um Khalan-Ghol stand kurz be-
vor. »Wir können diesen Angriff nicht aufhalten«, sagte Onyx, der zusah, wie Berossus' Titanen ihren stetigen Aufstieg die Rampe empor zur Festung begannen. Wenngleich noch viele Kilometer vom Ende entfernt, war ihre dämonische Erhabenheit ein prächtiger Anblick. »Berossus wird uns in einem Gewitter aus Eisen und Blut hinwegfegen.« Honsou sagte nichts, aber in seinem Mundwinkel zuckte die Andeutung eines Lächelns. Er beobachtete ebenfalls die riesige Streitmacht, die gekommen war, sie zu vernichten. Viele Hundert kreischende Dämonenkrieger flogen über ihnen am Himmel Kreise, Phalanxen waffenbildender Ungeheuer, deren Fleisch unter dem Einfluss mechaorganischer Schaltkreise blubberte und brodelte. Scharen heulender, spinnengliedriger Dämonenmaschinen schepperten und ratterten die Rampe empor und spien dabei giftige Abgase. Die an ihre eisernen Leiber gefesselten höllischen Wesenheiten waren nun, da sie aus ihren Käfigen gelassen worden waren, erpicht auf ein Gemetzel. In seine verbeulte und ramponierte Servo-Rüstung gehüllt, während ein unbekümmerter Ausdruck von Schlachtenhunger seine bleichen Züge verzerrte, und mit einem silbern glänzenden bionischen Arm anstelle desjenigen, den ihm sein früherer Herr geschenkt hatte, schien Honsou das nahende Verhängnis kaltzulassen. Das verwirrte Onyx, der aber schon lange vorher erkannt hatte, dass ihm die Gedankengänge von Khalan-Ghols jüngstem Herrscher ein Rätsel waren - der Mischling ähnelte keinem der Kriegsschmiede, denen er in seinen Äonen der Dienstbarkeit für die Herren dieser Festung gedient hatte, und verhielt sich auch ganz anders. »Ihr scheint nicht übermäßig beunruhigt zu sein«, fuhr Onyx fort. »Das bin ich auch nicht«, erwiderte Honsou, indem er sich von der geborstenen Brustwehr seines obersten Bollwerks des Turms abwandte. Ein heißer Wind wehte, der nach Asche und Metall schmeckte. Honsou holte tief Luft und wendete sich schließlich seinem Kämpen zu. »Berossus hat mich bisher noch nicht im Stich gelassen«, sagte
er mit Blick auf den großen Tunnel, der in die Rampe und zweifellos unter die Festung führte. »Und ich hoffe, das wird er auch jetzt nicht tun. Nicht noch im letzten Moment.« »Das verstehe ich nicht.« »Keine Sorge, Onyx, ich weiß, deine Besorgnis gilt deiner Essenz, nicht meinem Leben, aber du brauchst es auch nicht zu verstehen. Du brauchst mir nur zu gehorchen.« »Euer Wunsch ist mir Befehl.« »Dann vertrau mir einfach«, grinste Honsou und schaute in die Tiefe, wo Rauch und knisternde Blitze sich verschworen hatten, seine eigenen Titanen und die meisterhaften Anlagen zu verhüllen, die er für Berossus vorbereitet hatte. Er starrte in den konturlosen weißen Himmel und auf die Sonne, die wie ein schwarzes Loch über ihm brannte. »Ich kämpfe beinahe ebenso lange wie Berossus und Toramino im Langen Krieg und habe meine eigenen Pläne.« »Das hoffe ich um Euretwillen«, sagte Onyx. »Selbst wenn es uns gelingt, diesen Angriff aufzuhalten, bleibt immer noch Lord Toramino. Seine Armee hat noch gar nicht in den Kampf eingegriffen.« Honsou blickte auf den Schein der Feuer und Schmelzen weit hinter denen von Berossus' Lagern, wo Toramino unsichtbar und unerkannt wartete. Hier registrierte Onyx endlich einen Hauch von Unbehagen. »Er wartet, bis Berossus uns und seine eigenen Krieger zu Staub zermahlen hat, bevor er losmarschiert, um Khalan-Ghol einzunehmen und Herr über die Ruinen zu werden.« »Und wie wollen wir ihn daran hindern?« Honsou lachte. »Eins nach dem anderen, Onyx, eins nach dem anderen.« Das verhasste Geräusch massierten Artilleriebeschusses war gedämpft und weiter entfernt, obwohl Uriel klar war, dass es gefährlich nah sein musste, wenn sie es so tief unter den Bergen hören konnten. Staub fiel in trägen Wolken vom Tunneldach, und feine Kiesel kollerten und tanzten auf dem Boden. Die Dunkelheit war absolut, sogar seine verstärkte Sicht hatte Schwierigkeiten, das Dunkel zu durchdringen. Im Tunnel war es heiß. Und es stank durchdringend nach Tie-
ren, obwohl es sich nicht um Tiere handelte. Sie waren menschlich oder es zumindest einmal gewesen. Viele Hundert Hautlose marschierten durch die beängstigenden Tunnel unter den Bergen, deren gewundene Route sie durch hallende Kristallkammern, aufgegebene Manufakturen und schwindelerregend steile Felsrinnen emporführte, die in den Fels gehauen waren. Ihre massigen Leiber füllten die Gänge aus, da sie Uriel und die anderen zurück nach Khalan-Ghol brachten. Sie folgten dunklen und geheimen Wegen unter den Bergen, die von allen außer ihnen vergessen worden waren, den versteckten, verlassenen Kanälen und Gängen, die sie ihrem Schicksal entgegenführten. Hinter Uriel grunzte Pasanius vor Anstrengung, dem die Amputation das Vorankommen zusätzlich erschwerte, doch wo immer er auf Probleme stieß, griff der Herr der Hautlosen hinter sich und half ihm weiter. Das riesige Wesen ging durch die Dunkelheit voran, und seine massige Gestalt füllte die Breite des Gangs mühelos aus. Wären nicht seine buckligen Schultern und der gebeugte Kopf gewesen, hätte er sich an den zahllosen herabhängenden Stalaktiten sicher den Kopf eingeschlagen. Der Herr der Hautlosen marschierte mit neuer Zielstrebigkeit, und seine langen, federnden Schritte gaben ein furchterregendes Tempo durch die geheimen Berggänge vor. Uriel zuckte beinahe bei jedem Schritt zusammen, da er auf die schmerzlindernden Mittel seiner Rüstung verzichten musste und somit unter den ungemilderten Schmerzen in den gebrochenen Rippen und dem Schlüsselbein litt. Außerdem brannte jeder Atemzug wie Feuer in seinem einen noch funktionierenden Lungenflügel. Weiter hinten wurde Leonid von einer verdrehten Kreatur mit einem verwelkten, runzligen siamesischen Zwilling auf dem Rücken getragen, der den Oberst festhielt. Und noch weiter hinten folgten Ardaric Vaanes und seine beiden überlebenden abtrünnigen Space Marines. Als sich die Verzückung über das Erwachen des Imperators vor den Hautlosen gelegt hatte, waren die Kreaturen mit fliegenden Fahnen und der eifrigen Inbrunst eines Kreuzzugs zu Uriel übergewechselt und hatten alle mobilisiert, die jagen und kämpfen konnten. Uriel hätte über die heilige Freude weinen können, von der jeder von ihnen durchdrungen war, was die Tatsache, dass er
sie getäuscht hatte, für ihn noch schwerer erträglich machte. Als er vor dem Herrn der Hautlosen auf die Beine gekommen war, hatte dieser einem aus seinem Stamm ein Zeichen gegeben, und ein anderes Ungeheuer war vorgetreten: die Bestie, gegen die er im See gekämpft hatte und in deren Leib immer noch sein Schwert steckte. »Nimm Klinge«, hatte der Herr der Hautlosen gesagt, und Uriel hatte genickt und behutsam die Hände um das Heft der Waffe geschlossen. Er hatte gezogen, mit der ganzen Kraft seiner Muskeln, da er gegen den Zugriff des um die Klinge verkrampften Fleisches ankämpfte, und die Füße fest gegen den Boden der Manufaktur gestemmt, um einen besseren Halt zu haben. Das Schwert steckte fest im Körper der Bestie, und er war gezwungen, die Klinge ein wenig zu drehen, um sie herausziehen zu können. Schließlich war sie widerstrebend aus ihrer fleischlichen Scheide geglitten. Der Hautlose hatte den Vorgang mit stoischer Ruhe über sich ergehen lassen und sich anschließend wieder seinen Brüdern angeschlossen. »Ich danke dir«, hatte Uriel gesagt. Der Hautlose hatte respektvoll genickt, und Uriel hatte gespürt, wie ein Funke der Hoffnung in seinem Herzen aufgeflackert war. Doch seine anfängliche Erleichterung und sein Hochgefühl über diese Wendung der Ereignisse waren rasch verflogen, als er wieder mit seinen Kameraden vereint gewesen war und Ardaric Vaanes mit ihm geredet hatte. »Sie werden euch töten, wenn sie herausfinden, dass du sie belogen hast«, sagte der Abtrünnige, während sich die Hautlosen auf den Krieg vorbereitet und mit primitiven Keulen bewaffnet hatten. Die meisten benötigten jedoch keine Waffen, da sie ihre grässlichen Mutationen mit den Mitteln zum Töten versorgten. »Habe ich das?«, hatte Uriel wachsam geantwortet. »Ich tue das Werk des Imperators, und sie tun es jetzt auch.« »Die Hautlosen?«, hatte Vaanes entsetzt gefragt. »Glaubst du, der Imperator würde sich solcher Bestien bedienen? Sieh sie dir an, es sind Ungeheuer. Wie kannst du glauben, dass solche Kreaturen fähig sind, Instrumente Seines Willens zu sein? Sie sind böse!« »Sie tragen das Fleisch des Imperators in sich. Das Blut alter Helden fließt in ihren Adern, und ich werde sie nicht enttäuschen.«
»Glaub nicht, dass du mich täuschen kannst, Ventris. Du bist kein Bote des Imperators, und ich kann in deinen Augen erkennen, dass du selbst das auch weißt.« »Es spielt keine Rolle mehr, was ich selbst glaube«, hatte Uriel gesagt. »Was glaubst du?« »Ich glaube, dass ich deinetwegen recht hatte.« »Was willst du damit sagen?« »Dass ich in dem Moment, als ich dich gesehen habe, schon wusste, dass du Ärger bedeutest.« Vaanes hatte die Achseln gezuckt. »Das ist jetzt egal. Sobald wir wieder an der Oberfläche sind, verlassen wir dich und deine bunte Truppe.« »Du willst uns wirklich den Rücken kehren? Nach allem, was passiert ist, all dem Blutvergießen, dem Tod und dem Schmerz? Kannst du das wirklich?« »Ich kann es, und ich werde es tun. Und wer könnte es mir verdenken? Sieh dich doch um, sieh dir diese Ungeheuer an. Sie werden bald alle tot sein, und ihr Blut wird an deinen Händen kleben. Denk darüber nach, du willst eine belagerte Festung mit einem Haufen kannibalistischer Mutanten, einem sterbenden Garde-Oberst und einem ehemaligen Sergeanten mit nur einem Arm stürmen. Ich bin ein Krieger, Ventris, schlicht und einfach, und mir bleibt nichts mehr, außer zu überleben. Eine Rückkehr nach Khalan-Ghol wäre Wahnsinn, und ein Angriff auf diese Festung entspricht nicht meiner Vorstellung von Mut, sondern von Selbstmord.« Vaanes hatte Uriel am Arm gepackt und gesagt: »Du musst hier nicht sterben. Warum kommt ihr zwei nicht mit mir? Ihr seid gute Kämpfer, und ich könnte einen Krieger wie dich brauchen.« Uriel hatte den Arm des Abtrünnigen abgeschüttelt und gesagt: »Du bist ein guter Krieger, Ardaric Vaanes, aber ich habe mich geirrt, als ich angenommen habe, du könntest deine Ehre zurückgewinnen. Du hast Mut, aber ich bin froh, dass ich nicht noch einmal mit dir in den Kampf ziehe.« Hass war in den Augen des Abtrünnigen aufgeflackert, und seine Miene war hart wie Stein geworden. Und Vaanes war ohne ein weiteres Wort gegangen. Uriel schlug sich den Abtrünnigen aus dem Kopf, als er einen Fleck hellen Lichts voraus sah und ihm auffiel, dass der Schlachtenlärm lauter wurde. Neuerlich beflügelt, kletterte er dem Herrn der Hautlosen hinterher und trat blinzelnd in das grelle weiße
Licht Medrengards. Der Lärm der um Honsous Festung tobenden Schlacht war gewaltig, und Uriel sah, dass die geheimen Wege der Hautlosen sie in das felsige Hochland unweit der Basis der Festung selbst geführt hatten. Die Ebene vor der Festung lag viele Hundert Meter unter ihnen. Hoch über ihnen waren die Bollwerke der Festung in die Feuer der Schlacht gehüllt, und Uriel sah, dass sie ins Herz des über ihnen tobenden Mahlstroms emporklettern mussten. Viele Kilometer entfernt hallte das Klirren von Spitzhacken und Schaufeln durch die heiße, von Lampen erleuchtete Enge des Stollens unter der großen Rampe. Eine breite Galerie war freigelegt worden, gut neunhundert Meter breit und mit einem sanft geneigten Boden. Ein Krieger in fleckiger Eisenrüstung sah zu, wie Hunderte von Sklaven und Aufsehern große Tieflader mit Fässern voller Sprengstoff und Treibstoff herankarrten und auf der gesamten Breite der Galerie anbrachten. Die lange Galerie war beinahe voll und mit genug Sprengstoff versehen, um den ganzen Berg einzuebnen, wusste Corias Keagh, Lord Berossus' persönlicher Meister des Wehrmaterials. Die Tunnel, die bis zur Unterseite von Khalan-Ghol reichten, waren sein Meisterwerk. Es war harte, langsam vorangehende Arbeit gewesen, die Tausende das Leben gekostet hatte, aber es war ihm gelungen, das komplizierte Netz der Tunnel an die richtige Stelle zu führen. Es war fast eine Schande, so ein perfektes Beispiel für einen Belagerungsstollen zu sprengen. Dreißig Meter über ihm - wenn seine Berechnungen stimmten, und er hatte keinen Grund an ihnen zu zweifeln, da Obax Zakayo sehr präzise in seinem Verrat gewesen war - lagen die Katakomben der Festung, wo angeblich die Wiedergänger vergangener Herren Khalan-Ghols umherspukten. Keagh wusste, dass alle derartige Geschichten vermutlich blanker Unsinn waren, aber im Auge des Schreckens war es niemals ratsam, sich allzu offen über solche Dinge lustig zu machen. Doch diese und andere Geschichten hatten den Weg zu den vielen Tausend menschlichen Soldaten gefunden, welche die letzten Monate in den Garnisonstunneln verbracht hatten, die er in der großen Rampe angelegt hatte, und er hatte hässliches Gemurmel in Bezug auf diesen Angriff gehört. All diesen Schwarzsehern und Unkenrufern hatte er rituell die Haut abziehen lassen, aber da
hatte sich bereits ein allgemeines Gefühl ängstlicher Beklommenheit breitgemacht. Trotz alledem waren alle seine Soldaten bewaffnet und bereit, den Angriff auf die Bresche in Khalan Ghols Bauch zu beginnen, und Keagh war erpicht darauf, dem Feind endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Seine Rüstung summte in der Hitze, da ihre Systeme Mühe hatten, seine Körpertemperatur zu halten. Die Hitze in den Tunneln war furchterregend - größer, als Keagh es in dieser Tiefe erwartet hätte -, aber er dachte nicht weiter darüber nach, da er zu sehr auf das Spektakel der Zerstörung fixiert war, die er bald anrichten würde. Die Bollwerke standen sämtlich in Flammen, und Gewehrfeuer und Stahl fegte in verheerenden Salven großkalibriger Granaten durch Männer und Gestein. Mobile Haubitzen fuhren im Nebel der Panzerkolonne, die sich dem Ende der Rampe näherte, und ließen Sprenggranaten auf die letzten Linien der Bollwerke niederregnen, so dass ein Wirbelsturm aus umherfliegenden rotglühenden, metallenen Splittern und Trümmerstücken herrschte. Männer starben zu Hunderten, in verheerenden Salven zerfetzt oder durch die Flammenwände der von den sich nähernden Titanen auf die oberen Bollwerke abgefeuerten Brandgranaten verkohlt. Doch Berossus würde Khalan-Ghol nicht kampflos einnehmen, und Honsous Titanen und verschanzte Artilleriestellungen hatten sich mittlerweile eingeschossen und richteten entsetzliche Schäden in der anrollenden Kolonne an. Panzer explodierten nach Treffern der panzerbrechenden Granaten, die von oben herabregneten und mühelos die leichteren Panzerplatten auf dem Dach durchschlugen. Alle derartigen Opfer wurden von den nachrückenden Fahrzeugen ohne Gnade beiseitegefegt, so dass sie die steilen Seiten der Rampe herunterstürzten und auf den Felsen unten zerschellten. Doch wie viele Panzer von Honsous Artillerieschützen auch vernichtet wurden, die Kolonne setzte ihren erbarmungslosen Vormarsch fort. Honsou hielt sich an einem geborstenen Träger aus Stein fest und beobachtete die nahende Armee mit einer Mischung aus Hochgefühl und Furcht.
Logistisch hatte Berossus die Oberhand, und er nutzte sie, um die Verteidiger der Festung - oder was noch von ihnen übrig war zu Tode zu würgen. Onyx hatte recht, mit konventionellen Mitteln konnten sie diese Armee nicht besiegen. Aber Honsou hatte nicht die Absicht, mit konventionellen Mitteln zu kämpfen. »Kommt schon, verdammt!«, schrie er in das ohrenbetäubende Crescendo des Lärms. Er mühte sich, durch den Qualm der Geschütze etwas zu erkennen, konnte aber in dem beißenden Nebel nichts sehen. Onyx schaute Honsou verwirrt an, sagte aber nichts, da mehr Granaten in der Nähe einschlugen. Pfeifende Schrapnelle prallten von den Mauern ab, und Onyx sprang vor Honsou, so dass sich mehrere plakettengroße, scharfkantige Metallstücke in sein dämonisches Fleisch bohrten, anstatt seinen Herrn zu zerfetzen. »Onyx!«, rief Honsou, indem er den dämonischen Symbionten auf die Füße zog. »Schau auf Berossus' Armee und sag mir, was du siehst!« Onyx taumelte zum Rand der Mauer und veränderte sein Sehvermögen, bis er die Gesamtheit der Schlacht klar überblicken konnte. Feuerströme und Explosionen flackerten wie entfernte Galaxien, doch seine Augen durchdrangen das Chaos und die Verwirrung der Schlacht mit Leichtigkeit. Die führenden Elemente von Berossus' Armee hatten sich einen Weg über das Plateau gebahnt und waren kaum noch hundert Meter von der letzten Mauer entfernt, die zwischen ihnen und dem Endsieg stand. Cybots heulten voller Kampfeswut, und die Titanen schritten hinter ihnen wie Avatare von Kriegsgöttern, da ihre Waffen dröhnten wie Gebete an ihre finsteren Herren. »Berossus ist an der Mauer!«, rief Onyx. »Er wird in wenigen Augenblicken bei uns sein!« »Nein! Die Rampe!«, erwiderte Honsou. »Was passiert am Ende der Rampe!« »Ich sehe Panzer, viele Hundert Panzer«, rief der dämonische Symbiont, der vor dem donnernden Krachen des Artilleriefeuers kaum zu verstehen war. »Sie haben sich neben dem Eingang zu den Stollen am Fuß der Rampe versammelt und warten auf ihr Startsignal.« »Hervorragend«, lachte Honsou. »Ach, Berossus, du bist noch ein größerer Dummkopf, als ich gedacht habe!«
Überzeugt davon, dass genau die richtige Menge Sprengstoff so platziert worden war, dass er nach oben in die Festung explodieren würde, zog sich Corias Keagh rasch von der Galerie unter Khalan-Ghol zurück und wickelte dabei ein langes isoliertes Kabel von der Servotrommel auf seinem Rücken ab. An der Trommel befestigte Scherenarme verhinderten ein Verheddern des Kabels und sorgten dafür, dass es straff und gerade blieb. »Das müsste weit genug weg sein«, murmelte er bei sich, als er in den gepanzerten Bunker ging, den er nur für diesen Augenblick konstruiert hatte. Die Scherenarme durchschnitten das Kabel und beugten sich über seine Schulter, um ihm das blanke Kupferende zu reichen. Alle Zünder waren über die Energieeinheit seiner eigenen Rüstung kalibriert worden, und er führte das Kabelende in eine Buchse in seinem Brustharnisch ein. Ein blinkendes rotes Licht auf seinem Helmvisier wurde golden und er spürte körperlich, wie die von ihm angebrachten Ladungen scharf gemacht wurden. Er öffnete einen Kanal zu seinem Herrn und Meister und sagte: »Lord Berossus, die Ladungen unter der Festung sind an Ort und Stelle und scharf und können jederzeit zur Explosion gebracht werden.« »Dann lass sie hochgehen«, ertönte das vertraute knurrende Krächzen der Stimme seines Meisters. »Wir haben das Ende der Rampe beinahe erreicht.« Keagh hielt kurz inne, um diesen Moment seines größten Triumphs zu genießen, und ließ die dumpfe Stille des Tunnels auf sich wirken, bevor er einen Energieimpuls durch das Kabel sandte. Der ganze Berg erbebte unter der Gewalt der Explosion tief unten, da viele Tausend Tonnen Sprengstoff und Treibstoff gleichzeitig hochgingen, und eine ganze Schicht des Grundgesteins von Medrengard wurde augenblicklich in ihre Atome zerlegt. Honsou taumelte und fiel auf die Knie, als die Druckwelle durch die Festung lief. Hohe Türme, die seit Jahrtausenden standen, stürzten ein, und jeder Kämpfer wurde von den Beinen geholt. Panzer und sogar einer von Berossus' Titanen fielen von der
Rampe, als die Druckwelle von unten herauffegte. Risse spalteten das Mauerwerk der Bollwerke, und Hunderte starben, als sie von den zerstörten Brustwehren stürzten. Die Hauptmauer stürzte ein, wie Papier zerrissen und an einem Dutzend Stellen infolge der gewaltigen Kräfte geborsten, die den Berg verwanden. Nachbeben grollten und erschütterten Khalan-Ghol bis in die Grundfesten, und Honsou hörte ein tiefes Antwortgebrüll, als schreie die Festung selbst vor Wut über diese Schändung. Eine Bresche war in seine Festung gesprengt worden, doch Honsou verspürte nichts als ein Hochgefühl, als die Beben nachließen, die seine Festung gepackt hatten. »Jetzt habe ich dich, Berossus!«, knurrte er. »Iron Warriors, macht euch bereit!«
TEIL IV Der Feind meines Feindes... ACHTZEHN Corias Keagh spürte, wie das donnernde Krachen der Explosionsgewalten durch den Tunnel fegte wie das Brüllen eines erzürnten Gottes. Er stemmte sich gegen die Wand seines unterirdischen Bunkers, zuversichtlich dass sein Werk die von ihm entfesselten Gewalten überstehen würde. Das Metall der Tunnelstützen ächzte aus Protest über die Kraft der Druckwelle, aber Keagh legte schon seit Tausenden von Jahren Stollen an und brachte Festungen zum Einsturz - er verstand sich auf sein Handwerk. Erst als die Temperaturanzeige auf seinem Visier in die Höhe schnellte, ging ihm auf, dass etwas nicht in Ordnung war. Er hörte es zuerst als Rauschen ultrahoch erhitzter Luft, die vor etwas unvorstellbar Heißem durch die Tunnel gepresst wurde Plötzlich von einer schrecklichen Furcht gepackt, rannte er nach draußen in den Tunnel. Von Tunnel zu Tunnel springend, schäumte eine blitzende Wolke strahlend heller Dämpfe entlang seines Schanzwerks. Ihr folgte ein tosender, brodelnder orangefarbener Schein von geschmolzenem Metall auf dem Fuß, und Keagh hörte die Schreie der Solda-
ten, als der tödlich heiße Dampf ihnen das Fleisch von den Knochen brannte. Da wusste er, dass jeder der vielen tausend Männer in den Tunneln unterhalb der Rampe sterben würde. Seine Tunnel waren nicht zu den Grabstätten Khalan-Ghols durchgebrochen, sondern ganz woanders hin. Aber wie konnte das sein, wenn die Position von Keaghs Durchbruchsgalerie direkt von Obax Zakayo stammte...? In den letzten Sekunden vor seinem Tod erkannte Keagh, dass sie schrecklich getäuscht worden waren - dass alles, wofür sie gekämpft hatten, verloren war. Er wandte sich zur Flucht, doch selbst ein Iron Warrior konnte nicht vor Millionen Tonnen geschmolzenen Metalls davonlaufen, das aus den Schmelzen Khalan-Ghols in die Tunnel strömte und dabei alles vor sich zerstörte und das Material der Rampe verflüssigte. Keagh wurde in den tosenden Feuerstrom gehüllt und erlebte das Grauen der letzten paar Sekunden seines Lebens, bevor die Rüstung geschmolzen war und sein Körper verdampfte.
Uriel spürte, wie sich die immense Gewalt der unterirdischen Explosion auf die Landschaft ausbreitete, und stolperte. Er hielt sich an den spitzen Felsen von Khalan-Ghols Gipfel fest, während die Beben die Grundfesten der Welt zu erschüttern schienen. Wolken aus leuchtend orangefarbenem Dampf schossen wie Geysire aus dem Fuß des Bergs, und dann explodierte immer mehr davon aus den Kanälen, die in die ungeheure Rampe gehauen waren. »Im Namen des Imperators...«, hauchte Uriel, als er plötzlich sah, wie die Spitze der Rampe absackte und einstürzte, als werde die Erde entfernt, die sie stützte. »Ein Gegenstollen?«, rief Pasanius. »Er müsste gewaltig sein, um solchen Schaden anzurichten«, sagte Uriel kopfschüttelnd. »Imperator zornig auf Eisenmänner«, brüllte der Herr der Hautlosen. »Bestraft sie vom Himmel!« »Das tut er wirklich«, nickte Uriel, indem er einen Blick auf die Blutigen Züge des Wesens riskierte und eine immense Erleichte-
rung darüber verspürte, dass Vaanes nicht da war und seinen eigenen Gesichtsausdruck sah. Die Abtrünnigen hatten ihnen den Rücken gekehrt und auf diese letzte Gelegenheit zur Wiedergutmachung gespien. Sie waren ohne ein weiteres Wort davonmarschiert, kaum dass sie an der Oberfläche angelangt waren. Uriel hatte ihnen nachgeschaut, und sein Herz war schwer gewesen ob ihres Verrats daran, was es bedeutete, ein Space Marine zu sein, aber auch erleichtert darüber, dass er selbst gewogen und nicht für zu leicht befunden worden war. Tatsächlich steckte viel Wahres in Vaanes' Worten. Vielleicht war es ein Selbstmordunternehmen, bei dem sie alle sterben würden. Und vielleicht war auch das schlichte Überleben etwas Erstrebenswertes, denn inwiefern ließ sich Ruhm oder Ehre aus ihrem Tod gewinnen? Aber Uriel wusste auch, dass der Tod für einen wahren Krieger des Imperators keinen Schrecken barg, nur die Furcht, dass er sterben mochte, ohne sein Werk vollendet zu haben. Der ihm von Marneus Calgar auferlegte Todeseid musste befolgt werden, und selbst wenn sie bei diesem Unternehmen scheiterten, würden sie bei der Ergreifung der Gelegenheit sterben, die ihnen ihr Ordensmeister vor scheinbar so langer Zeit auf Macragge zur Rehabilitation gegeben hatte. Während er Vaanes und die beiden anderen Abtrünnigen entschwinden sah, wusste Uriel, dass er zwar sehr wahrscheinlich in den Tod ging, aber dennoch die bessere Wahl getroffen hatte. »Wir jetzt gegen Eisenmänner kämpfen?«, fragte der Herr der Hautlosen. »Zeig uns Weg zu ihnen!« Die ursprüngliche Wildheit im Gesicht des Herrn der Hautlosen machte Uriel noch einmal klar, wie prekär ihre Lage war. Es gab keine Garantie, dass sein Plan funktionieren würde, und er wollte sich gar nicht erst die Konsequenzen ausmalen, sollten die Hautlosen zu dem Schluss kommen, dass er nicht mehr mit der Stimme des Imperators sprach. »Bald«, sagte Uriel, indem er weiter die Felsen emporkletterte, die zur weiter oben tobenden Schlacht führten. Honsou eilte die Treppe von der hohen Zinne zur Mauer rasch hinunter, während ihm durch den Kopf ging, dass das anschwel-
lende Hassgebrüll eine ausgezeichnete Hymne war, um zu ihr Krieg zu führen. Er, Onyx und eine Gruppe seiner besten Krieger stürmten auf eine mit Wachtürmen versehene Reihe von Brustwehren, die in einem Sägezahnmuster angeordnet und gerade erst hinter der Hauptmauer errichtet worden war. Rauch hüllte die Breschen ein, und Khalan-Ghols Haupttor hing in Trümmern, da ein Rudel berserkerhaft wütender Cybots es in Stücke geschmettert hatte. An ihrer Spitze sah Honsou Lord Berossus, dessen mechanischen Arme Krieger vor sich in Ströme von Blut tauchten. Ein wildes orgiastisches Heulen kreischte aus seinem Stimmen-Verstärker, und Honsou grinste wölfisch bei dem Gedanken, dass er Berossus nicht gestatten würde, diese Schlacht zu überleben. Wallende Wolken sengenden Dampfes und das Bersten von splitterndem Gestein jenseits der Mauerruinen verrieten ihm, dass die Spitze der großen Rampe nicht mehr existierte, da Stein und Erde unter der Last von Berossus' Panzerkolonne eingestürzt waren. Buchstäblich alles Metall in der Festung war geschmolzen worden, und die Schmelzen hatten ständig geglüht, um zu gewährleisten, dass Berossus' Ingenieure, wenn sie von unten in die Festung einbrachen - und Honsou hatte gewusst, dass sie das tun würden -, ein großes Reservoir geschmolzenen Metalls anstechen würden und nicht die erwarteten Katakomben. Honsou wusste, dass ein Kriegsschmied, der so leichtgläubig war wie Berossus, nicht verdient hatte, weiterzuleben. Seine bloße Existenz schwächte die Iron Warriors. Geglaubt zu haben, Honsou wisse nichts von Obax Zakayos Verrat und könne ihn daher auch nicht gegen seine Zahlmeister benutzen, war lächerlich, hatte sich aber als seine Rettung erwiesen. Geschützfeuer und Explosionen erfüllten das Innere des Wachturms, als die Vorhut von Berossus' Armee durch das Tor stürmte, obwohl Honsou aufging, dass dies nun nicht mehr die Vorhut war, sondern das gesamte Heer. Jetzt war das Kräfteverhältnis ausgeglichen, und Berossus würde erfahren, was es hieß, gegen Honsou von den Iron Warriors zu kämpfen. Cybots stürmten den mit Sandsäcken gesicherten Geschützstellungen entgegen, schüttelten direkte Treffer ab und zerfetzten Männer mit unbeherrschten Salven aus ihren Waffen. Doch hinter den Geschützgruben warteten disziplinierte Gruppen von Iron
Warriors, welche die gepanzerten Kampfmaschinen mit gelassener Tüchtigkeit auseinandernahmen, so dass die Zahl ihrer rauchenden Ruinen bald die der immer noch kämpfenden überstieg. Ein dunkler Schatten fiel auf die Festungsmauern, als der überlebende Titan die zerstörten Bollwerke packte und sie mit großen Schwüngen seiner kolbengetriebenen Hammerarme einriss. Hausgroße Steinblöcke fielen auf die Krieger beider Armeen und töteten jedes Mal ein Dutzend oder mehr Männer. Gewaltige Sturmrampen krachten auf die Schutthaufen nieder, und Iron Warriors mit Berossus' schwarz-goldenem Banner stürmten aus den Schulterbastionen des Titanen. »Iron Warriors!«, rief Honsou. »Jetzt ist die Zeit gekommen, diesen Bastarden zu zeigen, wer der Herr von Khalan-Ghol ist!« Seine Krieger brüllten lobhudelnd und folgten ihrem Herrn in die Hitze des Gefechts. Berossus' Iron Warriors kämpften sich schießend über die Trümmer der Bresche, und Honsou sah, dass sie Krieger mit Mut und Eisen in den Knochen waren, da Salve um Salve tödlich wirkungsvollen Geschützfeuers einen schrecklichen Tribut von ihnen forderte und sie dennoch keinen Augenblick zögerten. Der Platz zwischen der zerstörten Mauer sowie den Bunkern und der Sägezahnmauer, die Honsou hatte errichten lassen, war eine Todeszone: Nichts konnte ihn lebend überqueren. Aber ohne eine Rückzugsmöglichkeit hatten Berossus' Iron Warriors gar keine andere Wahl, als in das Feuer von Honsous Geschützen vorzurücken, und das Gemetzel war in seiner Grausamkeit ehrfurchtgebietend. Mehr Trümmer fielen von der Hauptmauer, als sich der Titan einen Weg hineinbahnte, da seine Fracht aus Kriegern ausgestiegen war. Eine Schulterkanone sprengte einen riesigen Krater in die Mitte von Honsous Verteidigungsstellung, und Berossus' Krieger jubelten, da sie nun weiter vorstürmen konnten. Bevor der Titan noch einmal schießen konnte, wurde die Kanone in einer gewaltigen Explosion von der Schulter des Titanen gerissen, und eine Linie aus weißem Feuer legte sich auf seinen blutigen Panzer. Aus dem Rauch beiderseits des angreifenden Titans kamen zwei gleichermaßen massive Gestalten, Titanen mit dem gefürchteten Banner der Legio Mortis. Nicht länger benötigt, um das Allerheiligste Khalan-Ghols zu bewachen, schritten die beiden Furcht einflößenden Dämonenmaschinen aus den Trümmern und
dem Rauch im Innern der Festung, um in den Kampf einzugreifen. Berossus' letzter Titan brüllte angesichts derart würdiger Gegner, richtete die Waffen auf die neuen Feinde und überließ es den Iron Warriors, die er getragen hatte, ihren Kampf allein auszutragen. Der Boden bebte unter den Schritten dieser mächtigen Dämonenmaschinen, und ganze Abschnitte der Mauer wurden pulverisiert, als sie mit weißglühenden Klingen und kreischenden Kettenfäusten miteinander rangen. Alle Raffinesse und Planung war jetzt bedeutungslos. Das Resultat dieses Sturmangriffs würde am Ende eines rauchenden Boltgewehrs oder auf der kreischenden Klinge eines Kettenschwerts entschieden. Iron Warriors stürmten aufeinander los, und die Schlacht löste sich in viele Einzelkämpfe zwischen brutalen Schlächtern auf. Eine grimmige Hochstimmung breitete sich in Honsous Adern aus, ein derartigen Gemetzel hatte einen ganz eigenen Kitzel. Er hieb seine Axt durch den Arm eines Iron Warriors und wirbelte einmal auf dem Absatz herum, um ihn zu enthaupten, bevor er auf der Suche nach weiteren Feinden den rauchenden Leichnam eines Cybots übersprang. Onyx folgte ihm und tötete mit beiläufigen Hieben seiner klingenbewehrten Fäuste jeden, der es wagte, dem Herrn der Festung zu nah zu kommen. Honsou sah die ehrfurchtgebietend kraftvolle Gestalt von Berossus durch den wirbelnden Rauch und rief: »Onyx! Zu mir!« Uriel wusste, dass sie nicht viel Zeit hatten. Die Schlacht oben tobte mit der Wildheit eines Wirbelsturms, und die Schreie der Kämpfenden hallten von den hohen Gipfeln herab. Er kletterte, so schnell er konnte, aber ihr Ziel schien nicht näher zu rücken. Er wollte nicht in die Kämpfe verwickelt werden, wusste aber, dass sie den Austragungsort der Schlacht erreichen mussten, bevor zu viel Zeit verstrich. »Weiter!«, rief er. »Wir müssen uns beeilen!« Der Herr der Hautlosen brüllte: »Ihr langsam! Nicht schnell wie ich!« »Ich weiß!«, rief Uriel. »Aber wir können nicht schneller klettern!« »Wir gehen schneller!«, sagte der Herr der Hautlosen, packte
Uriel am Arm und schwang ihn sich auf die Schultern, so dass er genauso getragen wurde wie Oberst Leonid. Der Boden schwang schwindelerregend unter Uriel hin und her, und er klammerte sich am feuchten, glänzenden Fleisch des Wesens fest, während es die felsigen Flanken Khalan-Ghols mit beängstigender Schnelligkeit erklomm. Als er den Kopf drehte, sah er, dass Pasanius ebenfalls aufgehoben worden war, und das Tempo ihres Aufstiegs verdoppelte sich. »Gehen jetzt schneller!«, versprach der Herr der Hautlosen. »Stamm! Weiter!« Viele Hundert der roten, hautlosen Kreaturen folgten dem Herrn der Hautlosen, und Uriel wurde urplötzlich von einem wilden Gefühl der Hingabe übermannt. Sie waren vielleicht in den Tod unterwegs, aber welch ein Ende würden sie sich bereiten! Er richtete den Blick auf den in Rauch gehüllten Gipfel der Festung und registrierte mit einiger Verblüffung, wie anders sie jetzt aussah. Als er sie zuerst erblickt hatte, war sie ihm vollkommen uneinnehmbar vorgekommen, aus dunklem Wahnsinn und unmöglich behauenem Stein erschaffen und auf den höchsten Gipfel gepflanzt. Jetzt war kaum noch etwas von ihren unteren Bereichen übrig bis auf staubige, verwüstete Friedhöfe, und ihr höchster Turm sah aus, als könne er jeden Augenblick einstürzen. Doch nachdem er gesehen hatte, was mit der riesigen Rampe geschehen war, wusste Uriel, dass Honsou seine Festung nicht ohne einen verdammt harten Kampf fallen lassen würde. Er wusste nicht genau, was mit der Rampe passiert war, sah aber dennoch voller Staunen mit an, wie ganze Abschnitte des oberen Teils einbrachen und die Panzer und Männer, die darauf unterwegs waren, förmlich verschlungen wurden. Ströme rauchender, orangefarbener Flüssigkeit brodelten aus Rissen in den Seiten der Rampe und flossen daran herunter wie Lava aus dem Krater eines ausgebrochenen Vulkans. Ein großer See aus geschmolzenem Metall quoll aus der Einmündung des Tunnels am Fuß der Rampe und wurde mit jedem verstreichenden Augenblick größer. Hunderte von Fahrzeugen waren hier angetreten und in die Springflut der tödlichen Flüssigkeit geraten. Uriel sah Panzer in Flammen aufgehen und explodieren, wenn Treibstoff und Muniti-
on in der schrecklichen Hitze hochgingen. Panzer rasten mit laut aufheulenden Motoren in ihrer Verzweiflung ineinander, doch es gelang ihnen lediglich, eine undurchdringliche Hindernismauer aufzubauen. Es dauerte nicht lange, und eine ganze Armee von Panzerfahrzeugen war nur noch geschmolzene Schlacke, ohne dass ein einziger Schuss abgegeben worden wäre. »Nein«, flüsterte Uriel, als Honsous Festung immer näher kam. »Du wirst ganz gewiss nicht ohne Kampf untergehen.« Brocken aus Stein und Fleisch wurden himmelwärts geschleudert, als im Zuge des Kampfes der Titanen Wrackteile und Trümmer zu Boden fielen. Ein weiterer Bunker wurde dem Erdboden gleichgemacht, und Honsou wusste, dass diese Schlacht so oder so bald vorüber sein würde. Ein Iron Warrior feuerte einen Faustschlag auf seinen Kopf ab, und er tauchte darunter hinweg und schwang seine Axt in einem Rückhandhieb, der dem Gegner die Beine unter dem Leib weghieb. Der Krieger schrie und brach zusammen, während er die Hände um die Stümpfe seiner Oberschenkel krampften, und Onyx trennte ihm im Kielwasser seines Herrn den Kopf ab. Honsou stürmte jedoch bereits weiter und Berossus entgegen, und schließlich sah der Kriegsschmied ihn kommen. »Mischling!«, röhrte der Cybot, indem er herausfordernd die Arme hochriss. Zwar war er kein Krieger aus Fleisch und Blut mehr, aber Berossus hatte nichts von der Wildheit verloren, die er im Leben an den Tag gelegt hatte, und sein bronzeschädeliger Sarkophag flammte vor diabolischer Energie. Der riesige Cybot spreizte die Beine und senkte seinen monströsen Bohrer mit dem Kranz großkalibriger Kanonen. Onyx sprang vor, als sich die Rotation der Kanonen auf Feuergeschwindigkeit beschleunigte, und hieb seine Krallen in einem Schauer sprühender Funken durch deren Läufe. Für eine derart gewaltige Maschine war Berossus immer noch unmenschlich schnell, und sein gewaltiger kolbengetriebener Belagerungshammer traf den dämonischen Symbionten und schleuderte ihn durch die Luft. »Jetzt stirbst du, Mischling!«, schrie der Cybot und holte mit dem riesigen Hammer zum nächsten Schlag aus, während er ihm einen krachenden Schritt entgegenkam. Honsou schlug nach Berossus' Sarkophag, aber die dicken mechanischen Arme, die aus
seiner gepanzerten Hülle sprossen, zuckten vor und wehrten den Hieb ab, während ein kreischender Sprengbohrer seiner Brust entgegenstach. Honsou fuhr herum, und die Spitze des Bohrers jaulte über seinen Brustharnisch und kratzte seine Haut darunter an, bevor er seine Axt gegen das dicke Bein des Cybots schmetterte. Die Axt prallte von der dicken Rüstung ab, und die Aufprallwucht zuckte schockartig durch Honsous Arme. Eine weitere Explosion ließ den Boden erbeben, und Honsou wurde umgeworfen. Der riesige Cybot bewegte sich kaum, und ein großer Krallenfuß stampfte nur Zentimeter neben seinem Kopf auf. Honsou wälzte sich zwischen den gepanzerten Beinen durch, während rings um sie die Schlacht tobte und Iron Warriors sich mit grimmiger Wildheit gegenseitig massakrierten. Berossus drehte sich in der Achse seiner Hüfte, und zwei seiner augmetischen Glieder fuhren in den Boden. Honsou wälzte sich rückwärts, und die Spitze von Berossus' Klauenarm streifte seine Rüstung und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Er spürte ein Stechen im Bein und brüllte vor Schmerzen, als Berossus' Bohrerarm in seinen Oberschenkel fuhr. Die Bohrspitze riss ihm einen großen Fetzen blutigen Fleisches aus dem Bein, und Honsou sank auf ein Knie. Der Cybot trat näher, und sein Klauenarm schloss sich um Honsous Schulterschutz und hob den sich wehrenden Krieger hoch in die Luft. »Du bist mich teuer zu stehen gekommen, Köter, aber hier endet es«, fauchte Berossus. »Deine Festung gehört mir, egal, was passiert.« »Niemals!«, rief Honsou, der darum kämpfte, sich aus dem Griff seines Häschers zu befreien, aber Berossus hatte ihn fest im Griff und nicht die Absicht, ihn loszulassen. Der Cybot stach mit seinem Bohrerarm nach Honsous Gesicht. Der Herr von Khalan-Ghol riss seinen künstlichen Arm hoch und brachte ihn zwischen sein Gesicht und den Bohrer. Das Kreischen reißenden Metalls und weißglühende Späne erfüllten die Luft, als der Bohrer in das silberne Metall von Honsous Arm eindrang. Doch anstatt durch den Arm zu dringen und Honsous Schädel zu durchbohren, zerlief das Metall wie eine Flüssigkeit und setzte sich so schnell wieder zusammen, wie Berossus' Arm ihn zu zerstören versuchte. Der Cybot sah verblüfft, wie der Bohrer stotterte und in Honsous Arm verstummte. Während Honsou noch stutz-
te, schoss ein schwarz gerüstetes Schemen durch die Luft und sprang den Cybot an. Onyx landete ganz weit oben auf dem Panzer des Cybots elegant auf einem Knie und rammte beide ausgefahrenen Bronzekrallen nach unten in die gepanzerte Hülle. Die schreckliche Maschine brüllte vor Schmerzen, und ihre Arme zuckten und ließen Honsou auf den mit Kratern übersäten Boden fallen. Honsou wälzte sich von dem um sich schlagenden Cybot weg und hörte plötzlich ein donnerndes Krachen hinter sich, als die kopflose Gestalt von Berossus' Titan durch den letzten noch stehenden Abschnitt der Hauptmauer brach und dabei Steine und glühendes Plasma durch die Luft wirbelte. Einer von Honsous Titanen fiel mit ihm, praktisch entzweigeschnitten, und der Aufprall der beiden gepanzerten Leviathane sandte Stoßwellen durch die Erde, die beinahe der Wirkung der großen Explosion unter der Rampe gleichkamen. Ein Aufschrei der Bestürzung erhob sich, und Honsou war klar, dass er die Sache jetzt beenden konnte. Berossus kämpfte darum, Onyx von sich zu vertreiben, und sein Klauenarm schlug und stach wiederholt nach dem dämonischen Symbionten. Honsou packte seine Axt und sprang auf, da er sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen würde, die ihm sein Kämpe verschafft hatte. Mit einem hasserfüllten Brüllen stürmte er vorwärts, während die Aufmerksamkeit des Cybots auf Onyx fixiert war, und rammte seine Axt mit aller Kraft in die jetzt ungeschützte Stelle am Bein des Cybots, wo die Rüstung am schwächsten war. Kreischend traf im Warp geschmiedeter Stahl in einer flammenden Korona aus leuchtender Energie auf uraltes und durch vergessene Technologien gestaltetes Metall. Berossus brüllte und fiel auf den Rücken, während sich Onyx mit einem geschmeidigen Satz von der kippenden Maschine löste. »Nenn mich doch noch mal Mischling, du Bastard!«, schrie Honsou, indem er vortrat und seine Axt auf den Sarkophag des Cybots niedersausen ließ. Das alte Metall barst, und Berossus heulte vor Schmerzen, als die Dämonenwaffe in seinen eisernen Leib fuhr. »Glaubst du immer noch, du bist besser als ich?«, brüllte Honsou, während er wütend auf den Leib des sterbenden Cybots einschlug. Metall und Funken flogen, da der Herr von Khalan-Ghol seinen eisernen Feind niedermetzelte. Berossus mühte sich auf-
zustehen, doch Honsou und Onyx gaben ihm keine Gelegenheit, wichen seinen unbeholfenen Schlägen aus und hackten ihm die sinnlos rudernden Glieder vom Leib. »Du bist nichts, Berossus, nichts! Hast du gehört?« Ein körniger Strom eines unzusammenhängenden Knisterns plärrte aus Berossus' Stimmenverstärker, und Honsou sprang auf den Sarkophag des Cybots und schrie: »Vielleicht kannst du mich durch das viele Eisen ja nicht hören.« Er reckte sich auf dem Kriegsschmied der angreifenden Armee triumphierend in die Höhe und ließ seine Axt wieder und wieder auf den grinsenden, schädelgesichtigen Sarkophag niedersausen, bis dieser endlich beim fünften Schlag auseinanderbrach. Die Kampfgeräusche verstummten, und zum ersten Mal seit Monaten kamen die Kämpfe zum Erliegen, da die Iron Warriors innehielten, um das Drama zu beobachten, das sich vor ihren Augen abspielte. Honsou kniete auf Berossus' Sarkophag und rammte seinen makellosen silbernen Arm in den Cybot. Mit einem Grunzen und einem heftigen Ruck riss er etwas in einem Strom aus schwarzem Blut und amniotischen Flüssigkeiten heraus. Er hob den Arm und rief: »Euer Kriegsschmied ist tot!« In der Hand hielt er einen monströs geschwollenen Schädel und ein Stück tropfende Wirbelsäule, und von diesen letzten sterblichen Überresten des Kriegsschmieds Berossus baumelten durchgeschmolzene Drähte wie Adern. Die Spannung war fast greifbar, und Honsou wusste, er musste die feindlichen Krieger einschüchtern oder das Risiko eingehen, dass dieses Gemetzel eine Schlacht der gegenseitigen Zerstörung wurde. Mit einem hasserfüllten Brüllen schwang er die Wirbelsäule wie eine Keule und schlug Berossus' Schädel auf der geborstenen Eisenhülle in Stücke, die ihn bis gerade noch beherbergt hatte. »Euer Kriegsschmied ist tot!«, wiederholte er, indem er die Reste von sich schleuderte. »Aber ihr braucht nicht zu sterben! Berossus ist tot, und nach dem Recht der Eroberung biete ich jedem Krieger, der ihn will, einen Platz in meiner Armee an. Ihr habt euch als Krieger mit großem Mut erwiesen, und solche Männer brauche ich.« Niemand rührte sich, und Honsou glaubte schon, er habe einen schweren Fehler gemacht.
Doch dann trat ein Krieger in einer stark modifizierten Rüstung aus brüniertem Eisen mit einem verbrannten und zerfledderten schwarz-goldenen Banner vor. Die Rüstung des Kriegers war blutig und infolge der schweren Kämpfe angesengt. Er setzte seinen gesprungenen Helm ab und zeigte ein vernarbtes Gesicht mit einer kurzen Haarsichel auf dem Kopf. »Warum sollten wir uns dir anschließen, Mischling?«, rief er. »Berossus magst du besiegt haben, aber Toramino wird dich und deine Festung vom Angesicht Medrengards auslöschen.« »Wie heißt du, Krieger?«, sagte Honsou, indem er von dem zerstörten Kadaver des Cybots sprang und zielstrebig auf den Iron Warrior zumarschierte. »Ich bin Cadaras Grendel, Waffenhauptmann von Lord Berossus.« Honsou blieb vor dem blutverschmierten Krieger stehen und sah den Trotz in seinem Blick. »Aye«, stimmte Honsou zu, wobei er die Stimme hob, so dass alle in den Ruinen seiner Festung versammelten Krieger ihn hören konnten. »Du magst recht haben, Cadaras Grendel. Toramino hat die Waffenstärke, mich zu vernichten, das kann ich nicht bestreiten. Aber eine Frage... warum sind seine Männer noch nicht in der Schlacht?« Honsou wandte sich an alle versammelten Krieger, und er hob die Arme und unterstrich seine Worte mit Stößen seiner Axt. »Wo war Toramino, als ihr gekämpft und geblutet habt, um hierherzukommen? Ihr wisst, wer diese Festung gebaut hat, und ihr wisst, dass nur die tapfersten Krieger sie einnehmen können. Wo war Toramino, als ihr zu Hunderten gestorben seid, um diese Festung zu stürmen?« Er konnte erkennen, dass seine Worte die gewünschte Wirkung erzielten. Honsou spürte das Adrenalin heiß durch seinen Körper strömen, als er sah, dass er den Groll richtig eingeschätzt hatte, den diese tapferen Iron Warriors darüber empfinden mussten, dass sie die Drecksarbeit erledigten, während Toraminos Krieger ihnen beim Sterben zusahen. »Toramino hat euch im Regen stehen lassen und sich dabei ins Fäustchen gelacht. Selbst wenn ihr hier Erfolg gehabt hättet, glaubt ihr wirklich, ihr hättet die Früchte eures Siegs genießen können? Toramino hat euch verraten, so wie der Imperator die Iron Warriors in uralten Zeiten verraten hat. Wollt ihr euch so von
ihm benutzen lassen oder seid ihr Männer aus Eisen?« »Wir sind Männer aus Eisen!«, rief Cadaras Grendel, und der Ruf wurde von seinen überlebenden Kriegern aufgenommen. »Dann schließt euch mir an!«, brüllte Honsou, indem er Grendel bei den Schulterschützern fasste. »Schließt euch mir an und rächt diesen Verrat!« Monate der Verbitterung über den Tod seiner Männer bahnten sich einen Weg in Grendels Miene, und er nickte. »Aye. Toramino wird für das hier büßen. Meine Krieger und ich unterwerfen uns Eurem Befehl!« Honsou drehte sich um und rief mit Cadras Grendel neben sich: »Eisen von innen!« »Eisen von außen!«, kam der Antwortruf von jedem Iron Warrior und ertönte danach wieder und wieder. Und Honsou wusste, dass sie ihm gehörten. Uriel sah die beiden Titanen zusammenbrechen und hörte dann die Kampfgeräusche überraschenderweise verstummen. War Khalan-Ghol gefallen oder hatte Honsou den Ansturm abgewehrt? Das ließ sich unmöglich sagen, und sie würden es erst wissen, wenn sie oben ankamen. Ihr Aufstieg war extrem nervenaufreibend gewesen, da die Hautlosen sie in Windeseile Steilwände emporgetragen hatten, von denen Uriel geschworen hätte, sie seien unbezwingbar. Ihre Kraft war unglaublich und ihre Ausdauer phänomenal. In der jähen Stille konnte Uriel das Knistern der Flammen von den brennenden Fahrzeugen am Fuß des Bergs und gelegentliche Explosionen hören, wenn Granaten in der Hitze hochgingen. Die Infrastruktur von Berossus' Armee verbrannte, und als die Stille anhielt, nahm Uriel an, dass der Angriff gescheitert und die Festung nicht eingenommen worden war. Krieger, die sich durch eine Bresche kämpften, waren normalerweise anschließend so voller Adrenalin und Wut, dass auf einen erfolgreichen Sturmangriff immer Plünderungen und weiteres Gemetzel folgten. Aber Stille... das war Uriel neu. Der Herr der Hautlosen kletterte über eine überhängende Felsnadel und schwang seinen massigen Körper hoch und über die Lippe des Plateaus, und Uriel konnte seinen ersten Blick auf die blutigen Trümmer des letzten Angriffs werfen.
»Der Imperator beschütze uns!«, hauchte Pasanius, als er sich zu Uriel gesellte. »Selbst der Sturm der Zitadelle war nichts verglichen damit...«, fügte Leonid hinzu, als die verbundenen Zwillinge ihn neben den beiden Space Marines absetzten. Die Trümmer einer vernichteten Armee lagen verstreut vor den zerstörten Überresten der Schutzmauer des Turms, der selbst nicht mehr war als scharfkantige Stümpfe aus schwarzem Stein, die aus dem Boden ragten wie verfaulte Zähne aus krankem Zahnfleisch. Brennende Panzer und Leichen waren auf dem Plateau verstreut, manche eingedrückt, andere nach Explosionen ausgehöhlt. Munition entzündete sich und explodierte, und die Überreste der Titanen brannten in strahlendem Plasma-Schein. Geschützläufe so dick wie Kühltürme lagen geborsten und nutzlos zwischen den Trümmern, und selbst wenn jemand auf dem Schlachtfeld Wache gehalten hätte, wären sie in all dem Rauch und den Flammen dennoch vor jeder Entdeckung sicher gewesen. »Wer hat gewonnen?«, fragte Leonid. »Ich bin nicht sicher...«, sagte Pasanius, der Uriel durch die mit Leichen übersäten Trümmer folgte. Er bückte sich, um ein Boltgewehr mit seinem gesunden Arm aufzuheben, und überprüfte das Magazin, bevor er sagte: »Suchen Sie sich eine Waffe, Oberst, und sammeln Sie so viel Munition ein, wie Sie tragen können.« Leonid nickte und hob ein ramponiertes, aber funktionstüchtiges Lasergewehr auf, dazu ein paar Magazine sowie einen Brustgurt mit Granaten. Dabei fuhr ihm plötzlich ein jäher Schmerz durch die Brust, und er krümmte sich in einem Hustenanfall. Er wischte sich mit der Hand über den Mund und sah altes, mit Bröckchen durchsetztes Blut auf der Innenseite, bevor er sie an den Überresten seiner staubigen, himmelblauen Uniformjacke abwischte. Die Hautlosen liefen über das Schlachtfeld und machten sich daran, sich an den Kadavern gütlich zu tun. Sie rissen ihnen die Glieder aus dem Leib und verschlangen das noch warme Fleisch direkt vom Knochen. Der Herr der Hautlosen hob den leblosen Leichnam eines Iron Warriors hoch, riss seinen Brustharnisch ab, biss in die Brust und riss einen großen Brocken Fleisch heraus. Uriel war bestürzt, obwohl es sich um den Leichnam eines Feindes handelte, und sagte: »Nein, esst dieses Fleisch nicht.« Der Herr der Hautlosen drehte sich um, und in seinem Gesicht
leuchtete ein grausiger Appetit und wilde Häme über diese Gelegenheit, sich an einem Iron Warrior gütlich zu tun. »Ist Fleisch. Frisch.« »Nein!«, sagte Uriel mit mehr Nachdruck. »Nein?«, erwiderte der Herr der Hautlosen. »Warum?« »Es ist verdorben.« Als er die Verständnislosigkeit des Wesens vor sich sah, sagte er: »Es ist schlecht.« »Nein... ist gut«, sagte der Herr der Hautlosen, indem er ihm den geöffneten Leichnam des Iron Warriors hinhielt. Der Brustkorb war durchgebissen worden, und die inneren Organe lagen bloß. Uriel schüttelte den Kopf. »Wenn du den Imperator liebst, isst du dieses Fleisch nicht.« »Liebe den Imperator!«, bellte der Herr der Hautlosen, und Uriel zuckte zusammen, da er glaubte, die Stimme des Wesens müsse weithin zu hören gewesen sein. »Viele Iron Warriors tot«, knurrte der Herr der Hautlosen wütend. »Viel Fleisch.« »Ja, aber wir sind nicht wegen Fleisch hier«, sagte Uriel. »Wir sind hier, um Eisenmänner und Fleischmütter zu töten, nicht?« Der Herr der Hautlosen schien entschlossen zu sein, dies nicht widerspruchslos hinzunehmen, ließ dann aber mit einem wütenden Knurren den halb verzehrten Leichnam fallen und sagte: »Eisenmänner jetzt töten?« »Ja, Eisenmänner töten«, sagte Uriel, als er das Geräusch sich nähernder Maschinen aus der Festung hörte. »Aber wir müssen zuerst ins Herz der Festung eindringen.« Uriel drehte sich um, da Pasanius und Leonid mit Waffen, Munition und Granaten kamen. Pasanius streifte ein Boltgewehr von der Schulter ab und reichte es Uriel zusammen mit mehreren Magazinen. »Es wurmt mich, dass wir die Waffen des Feindes benutzen müssen«, sagte Uriel, als er ein Magazin in das Gewehr rammte. »Ich finde, es liegt eine gewisse poetische Gerechtigkeit darin, ihre eigenen Waffen gegen sie einzusetzen«, sagte Pasanius, während er die Waffe ein wenig unbeholfen lud und spannte. »Was ist das für ein Lärm?«, fragte Leonid, als auch er schließlich das rumpelnde Motorengeräusch näher kommen hörte. »Das ist unsere Eintrittskarte«, sagte Uriel, indem er auf die sie
umgebenden Leichen zeigte. »Wir werden uns zwischen den toten Iron Warriors verstecken. Wir werden nah beieinanderliegen, aber wir müssen dafür sorgen, dass wir zwischen den Toten sind.« Er wandte sich an den Herrn der Hautlosen und sagte rasch: »Der Stamm soll sich zu den toten Eisenmännern legen. Verstehst du? Sich einfach zu ihnen legen.« »Zum Fleisch legen?« »Ja«, bestätigte Uriel. »Wir legen uns zu den Eisenmännern, und wenn wir wieder aufstehen, sind wir genau da, wo wir hinwollen.« Der Herr der Hautlosen nickte zögernd und ging durch die Reihen seines Stammes, während er beständig grunzte und auf die Leichenhaufen zeigte. Als sich die Hautlosen zu den toten Chaos Marines legten, sagte Pasanius: »Du weißt, dass sie die Leichen fressen werden.« »Ja, aber wir können wenig dagegen tun.« »Die Wege des Imperators sind wahrhaft rätselhaft«, fügte Leonid hinzu. Uriel versuchte den Gedanken an die kannibalistischen Tendenzen der Hautlosen beiseitezuschieben, während sie eine Gruppe zerfetzter Iron Warriors an den Rändern eines Granattrichters ausfindig machten und sich zwischen ihre Leichen schoben. Während er den Leichnam eines Iron Warriors über sich zog, sah er ihren Weg in die Festung aus den Rauchschwaden auftauchen, die dicht über dem Boden wallten. Riesige Raupenschlepper, rot und widerwärtig und mit großen Flaggenmasten, die mit achtzackigen Sternen behangen waren, sowie eisernen Hängern im Schlepptau kamen aus dem Reich der Brutalen Bestatter gefahren. Sie kamen, die Toten einzusammeln, um sie zu zerkleinern und an die Daemonculaba zu verfüttern.
NEUNZEHN Tote Augen in einem Schädel, dessen Decke abgesprengt worden war, glotzten ihn an, blicklos und zu einem Ausdruck der Überraschung erstarrt. Wohin sich Uriel in dem mit Blut gefüllten Waggon auch wendete, er konnte den starren Augen der Toten nicht entrinnen. Er war mit dem Rest der Leichen von den Schau-
feln der dämonischen Raupenschlepper aufgehoben und ohne viel Aufhebens von der ratternden Maschine in den Hänger gekippt worden, da sie ihre Aufgabe des Einsammelns der Leichen automatisch und würdelos ausführte. Leichen auf Leichen, Blut und Eingeweide, die sich im schwappenden Bodensatz sammelten, während Uriel darum kämpfte, sich an die Oberfläche zu arbeiten, um nicht im Blut der Gefallenen zu ertrinken. Er hustete rot, als er sich durch die Leichen gearbeitet hatte, und hielt aus Furcht vor Entdeckung den Kopf unterhalb der Wände des Hängers geduckt. Der heiße Blutgestank war allgegenwärtig, und glitschige Leiber stießen gegen ihn, da der Hänger über den unebenen Boden holperte. Er wälzte sich auf den Rücken und reckte den Hals nach links und rechts, um so viel wie möglich zu erkennen, ohne den Kopf zu sehr anheben zu müssen. Er sah die zerschmetterten Überreste einer hohen Mauer vorbeigleiten, deren Trümmer mit Granateinschlägen übersät waren und aussahen, als seien sie einem Orbitalbombardement unterzogen worden. Fetter, schwarzer Rauch stieg von Scheiterhaufen auf, und Uriel hörte grölende Stimmen in weiter Ferne, die etwas zu skandieren schienen. Sie befanden sich bereits innerhalb der Mauern Khalan-Ghols und mussten jetzt nur so lange verborgen bleiben, bis diese Raupenschlepper sie in das albtraumhafte Reich der Brutalen Bestatter und der Daemonculaba brachten. Ein Kadaver tauchte aus dem Blut auf, und Uriel wollte ihn gerade wegstoßen, als er ihn anblinzelte. »Imperator! Ich dachte, du wärst eine Leiche!«, rief Uriel, als er sah, dass es Pasanius war. »Noch nicht«, grinste Pasanius und spie Blut. »Wo ist Leonid?« »Hier«, sagte eine Stimme auf der anderen Seite des Hängers. »Bei den Eiern der Hohen Senatoren, das hier ist fast noch schlimmer, als mit dem Abwasser aus der Festung gespült zu werden.« Uriel hob eine Augenbraue, und Leonid zuckte die Achseln. »Na ja, vielleicht auch nicht.« »Wenn ich recht habe, bringen sie uns genau dahin, wo wir hinwollen«, sagte Uriel. »Wir müssen es nur noch eine Weile ertragen.« »Was glauben Sie, wie lange es dauert, bis wir da sind?«, fragte
Leonid, der sich beinahe vor der Antwort zu fürchten schien. Uriel schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber ich glaube nicht, dass sich diese Maschinen durch die Magie verwirren lassen, die diesen Ort schützt, also würde ich vermuten, nicht lange.« Leonid nickte resigniert und schloss die Augen in dem Versuch, den furchtbaren Gestank der Toten auszublenden. Die Fahrt der Raupenschlepper durch das gewundene Innere Khalan-Ghols zog sich tatsächlich vielleicht noch eine Stunde hin, in der sie durch grausige Straßen mit Opferaltaren, zwischen dunkel gepanzerten Bunkern durch und schließlich durch das Gewirr der Manufakturen fuhren, in dem sich der Kriegertrupp so verirrt hatte. Der riesige Schatten des Portals des Eisenturms im Zentrum der Festung fiel auf sie, und kurz darauf waren sie wieder tief im Herzen von Honsous Bau. Entfernte Hammerschläge und das knirschende Getöse naher Maschinen erfüllten die Düsternis, und Uriel hörte die klickenden Schritte unsichtbarer Kreaturen, als diese an den tuckernden Raupenschleppern vorbeimarschierten. Widerliches gelbes Licht, das von flackernden Leuchtstreifen erzeugt wurde, kam und ging auf ihrer Fahrt durch breite Betontunnel. Schließlich hörte Uriel das Pochen eines monströsen Herzschlags lauter werden und wechselte einen unbehaglichen Blick mit seinen Kameraden. Der hallende Basston war ihnen nur allzu vertraut. »Das Blutherz«, sagte Pasanius. Uriel nickte, und seine Muskeln spannten sich, als er klickende und pfeifende mechanische Schritte kommen hörte. Der Raupenschlepper hielt mit einem Ruck an. Eine große Silhouette beugte sich über den Rand des Anhängers, und Uriel schloss die Augen, nachdem er die tote Haut eines Brutalen Bestatters erkannt hatte. Er blieb vollkommen reglos, als er spürte, wie Metallscheren in den Anhänger tauchten. Zischende Klauen drehten Leichen in dem mittlerweile klebrigen Blut. Leichen bewegten sich in dem Anhänger, da die Brutalen Bestatter aus irgendeinem unbekannten Grund die Toten inspizierten. Er kämpfte ein Ächzen des Abscheus nieder, als er spürte, wie sich eine Klaue um sein Bein schloss und ihn umdrehte, und er hatte Mühe, reglos zu bleiben, da sein Fleisch gedrückt und son-
diert wurde. Der Brutale Bestatter klickte und pfiff in seiner unverständlichen Sprache, vermutlich im Zwiegespräch mit einem seiner schändlichen Kollegen, bevor er das Glied losließ und mit anderem Ziel davonratterte. Uriel hielt die Augen geschlossen und die Atmung sehr flach, bis sich der Raupenschlepper wieder in Bewegung setzte und sie einige Entfernung zwischen sich und die höllischen Chirurgen gelegt hatten. »Heiliger Thron«, flüsterte er, da ihm immer noch schlecht von der Berührung durch den Brutalen Bestatter war. Ihre albtraumhafte Fahrt ging weiter in die Kammer der Schreie, wo der furchtbare Schlag des dämonischen Herzens wieder seine Sinne dämpfte. Über das Trommeln des Herzschlags hinweg hörte Uriel dennoch das jaulende Dröhnen schwerer Maschinen ebenso wie das knirschende Knacken von Knochen und das feuchte Quatschen pulverisierten Fleisches. »Macht euch bereit!«, zischte er. »Ich glaube, wir sind da!« Pasanius und Leonid nickten, während sich Uriel über den Leichenteppich schob und langsam den Kopf über den Rand des Anhängers hob. Und natürlich waren sie nicht mehr weit von der großen Zerkleinerungsmaschine entfernt, welche die toten Chaos Marines zermahlte und in genetische Materie für die Daemonculaba verwandelte. Doch wie zuvor wurde sein Blick von der Mitte der Kammer angezogen, von der massigen Gestalt des Blutherzens, jener dämonischen Kreatur, die über dem Blutsee an drei riesigen Ketten hing. Er riss sich vom Anblick des gefangenen Dämons los und sah, dass sie Teil einer großen, gewundenen Prozession roter Raupenschlepper waren, die neben der eisernen Rampe parkten, welche zu den Gitterkäfigen mit den großen dämonischen Gebärwesen führte. Ihr höllischer Zug war nur einer von einem Dutzend oder noch mehr Raupenschleppern, die sich ruckweise dem blutverschmierten Förderband näherten, das zu den klebrigen Walzen und Mahlwerken führte. Ein pulsierender Wald aus Rohren pumpte eine knorpelige rosa Masse aus der Maschine zu den Käfigen der Daemonculaba, und Uriel spürte, wie ihm die Galle hochkam angesichts dieser Blasphemie gegen das, was einst heiliges Fleisch aus dem Leib des Imperators gewesen war.
Servitor-Mutanten in Vakuumanzügen auf einer erhöhten Plattform stachen an Ketten befestigte dicke Haken in die Leichen in den Anhängern und wickelten die Ketten dann mit schweren Flaschenzügen auf. Sie erledigten ihre Arbeit rasch und tüchtig und luden die Leichen auf eine Weise auf das Förderband, die von vielen Jahren der Wiederholung kündete. Neben dem Förderband sah Uriel einen kreuzförmigen Rahmen, der etwas hielt, das wie ein Gestell mit Fleisch aussah. Es war nah genug, um mit dem Blut besudelt zu werden, das aus den Walzen spritzte. Uriel achtete nicht darauf, sondern hielt nach den schwarz berobten Ungeheuern Ausschau, die hier das Sagen hatten. Als er keines sah, richtete er sich auf und schwang sich über den Rand des Anhängers auf den nassen Boden. Er klopfte gegen den Anhänger und sagte: »Macht schon.« Pasanius gesellte sich zu ihm, entfernte Blut vom Nachlademechanismus seiner Waffe und klemmte sich das Boltgewehr zwischen die Knie, um es durchzuladen. Leonid folgte ihm, wischte sich das Blut aus den Augen und säuberte die Lüftungsschlitze seines Lasergewehrs. Die drei Krieger kauerten sich schwer atmend in den Schatten des Anhängers und säuberten sich so gut es ging vom geronnenen Blut. »Also, wir sind da«, sagte Leonid. »Was nun?« Uriel spähte um den Rand des Anhängers. »Zuerst zerstören wir diese Maschine. Wenn die Iron Warriors die Daemonculaba nicht mehr mit genetischem Material füttern können...« »Kann Honsou keine Iron Warriors mehr herstellen!«, vollendete Leonid. »Und dann gibt es auch keine neuen Hautlosen mehr«, fügte Pasanius hinzu. Uriel nickte. »Und danach stürmen wir die Rampe hinter uns und erledigen so viele Daemonculaba wie möglich, bevor die Brutalen Bestatter uns töten.« Seine Kameraden schwiegen, bis Leonid schließlich sagte: »Guter Plan.« Uriel grinste und sagte: »Freut mich, dass er Ihre Zustimmung findet.« Pasanius legte sein Boltgewehr auf den Boden, hielt Uriel die linke Hand hin und sagte: »Was auch passiert, ich bedaure nichts
von dem, was uns hierhergeführt hat, Hauptmann.« Uriel nahm die Hand seines Freundes und schüttelte sie, gerührt von der schlichten Warmherzigkeit der Äußerung, und sagte: »Ich auch nicht, mein Freund. Was auch passiert, wir haben hier viel Gutes bewirkt.« »Wenn Sie mich fragen«, sagte Leonid, »wäre mir lieber, ich hätte nie von diesem verdammten Ort gehört, geschweige denn ihn aus der Nähe kennengelernt. Aber ich bin hier, und mehr gibt es dazu nicht zu sagen, also worauf warten wir noch? Tun wir's.« Uriel lud sein Boltgewehr durch und nickte. Doch bevor er noch mehr tun konnte, hörte er ein lautes bestialisches Heulen, das von einem irren Chor aus Gebrüll und Gebell beantwortet wurde, der von der Decke der Kammer widerhallte. Er lugte um die Kante des Anhängers und sah, wie sich der Herr der Hautlosen in einer Fontäne aus Blut und Gliedmaßen aus seinem Versteck erhob und einen der Mutanten-Schlächter mit bloßen Händen in Stücke riss. Die Hautlosen brachen in einer strampelnden Masse verknoteter, deformierter Gliedmaßen aus den blutgefüllten Anhängern hervor und rissen die Mutanten, welche die Zerkleinerungsmaschine bedienten, mit der Wut von Raubtieren in Stücke, die ihren Hunger und ihre Wut schon viel zu lange bezähmt hatten. Uriel sah, wie sich der gewaltige Kiefer des Herrn der Hautlosen um einen schreienden Mutanten schloss, ihn in der Hüfte durchbiss und seine Schreie für immer verstummen ließ. Die Bestie, gegen die Uriel im See gekämpft hatte, riss einem anderen Mutanten die Arme aus, bevor er sein Opfer in die Walzen der Zerkleinerungsmaschine warf. Die Hautlosen metzelten im Nu. zwei Dutzend Diener der Brutalen Bestatter nieder, und Uriel war entsetzt darüber und zugleich dankbar für ihre grimmige Wildheit. »Verdammt«, fluchte Uriel. »Damit ist das Überraschungsmoment dahin!« »Und jetzt?«, fragte Pasanius. »Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis die Brutalen Bestatter nachsehen kommen, was los ist, also beeilen wir uns. Wir haben nicht viel Zeit.« Uriel und seine beiden Kameraden brachen aus ihrer Deckung hervor und liefen zu der stampfenden Maschine, die eine potente
Aura der Böswilligkeit und des Hungers ausstrahlte, da ihr finsterer Verwendungszweck sie buchstäblich mit Bösem impfte. Je eher sie zerstört wurde, desto besser, wusste Uriel, als er näher kam und sich eine stärker werdende Übelkeit in seinen Eingeweiden ausbreitete. Leonid taumelte und hustete einen Strom von Erbrochenem aus, da sein krebsversuchter Körper die schändliche Aura der Dämonenmaschine nicht ertragen konnte. »Uriel!«, rief er, indem er ihm den Brustgurt mit Granaten hinhielt, den er den Überresten von Berossus' Armee draußen auf dem Berg abgenommen hatte. Uriel nahm die Granaten, lief zur Maschine und passierte dabei das Kreuz mit dem tropfenden Fleischgestell, dem er im Vorbeilaufen einen flüchtigen Blick gönnte. Er blieb wie angewurzelt stehen und drehte sich zu ihm um, als ihm aufging, dass es gar kein Fleischgestell war. Es war Obax Zakayo. Uriel empfand nichts als Abscheu beim Anblick von Obax Zakayos verstümmeltem Körper, aber ein Teil von ihm staunte über die Grausamkeit von Wesen, die einer anderen lebenden Seele so etwas antun konnten. Der Iron Warrior - oder was noch von ihm übrig war - war an den Rahmen genagelt, und aus den Winkeln seiner verdrehten Lippen tropften dicke Speichelfäden. Durchsichtige Schläuche pumpten lebenserhaltende Chemikalien in seine verheerte Gestalt. »Guillaumes Fluch«, flüsterte Uriel, als der Iron Warrior sein zerschundenes, zerschlagenes Gesicht hob. »Ventris...«, keuchte er, während sich jähe Hoffnung in seine tränenden Augen schlich. »Töte mich, ich flehe dich an.« Uriel ignorierte Obax Zakayo, da Pasanius versuchte, die Hautlosen in eine Abwehrformation zu dirigieren, und entnahm dem Brustgurt Granate um Granate. Die Maschine dröhnte, als er sich näherte, schmutziger blauer Ölqualm quoll aus verrosteten Gittern und ein wütendes Bellen hallte aus ihren Tiefen herauf. Das nagende Gefühl in seinen Eingeweiden verstärkte sich, aber Uriel unterdrückte es und brachte die Granaten an Energieversorgungsbuchsen und Achsgelenken an und kletterte sogar auf sie, um eine in dem Wald der gurgelnden Zuführungsschläuche zu
platzieren. Er arbeitete rasch, aber methodisch, und sorgte dafür, dass die Maschine durch die Explosion der Granaten völlig zerstört würde. Uriel stieg vor der Maschine und sah Leonid vor Obax Zakayo stehen. Der Oberst hatte sein Lasergewehr angelegt und zielte damit zwischen die Augen des Einsenkriegers. »Tu es!«, weinte der gebrochene Obax Zakayo. »Tu es! Bitte! Sie verfüttern mich Stück für Stück an die Maschine und lassen mich zusehen...« Leonids Finger krampfte sich um den Abzug, doch dann ließ er ächzend die Luft entweichen und senkte die Waffe. »Nein«, sagte er. »Warum solltest du so leicht davonkommen, nachdem du so viele von meinen Soldaten zu Tode gefoltert hast? Ich glaube, mir gefällt die Vorstellung, dass du so leidest!« »Bitte!«, flehte Obax Zakayo. »Ich... ich kann euch helfen, den Mischling zu besiegen!« »Den Mischling?«, sagte Uriel. »Honsou, ich meine Honsou«, keuchte Obax Zakayo. »Ich kann euch sagen, wie ihr seinen Tod herbeiführen könnt.« »Wie?«, fragte Leonid, indem er vortrat und dem Iron Warrior den Kolben seines Lasergewehrs unter das Kinn rammte. »Sag es uns!« »Nur wenn ihr versprecht, dass ihr mich tötet«, pfiff Obax Zakayo und spie ein paar Zähne aus. »Uriel!«, rief Pasanius von den Barrikaden der Anhänger. »Ich glaube, sie kommen!« »Wir haben keine Zeit für diesen Unsinn, Verräter«, schnauzte Uriel. »Sag uns, was du weißt!« »Schwöre es, Ultramarine. Gib mir deinen Eid.« »Also gut«, nickte Uriel. »Ich schöre, ich sorge für deinen Tod, jetzt rede!« »Das Blutherz«, begann Obax Zakayo. »Das ist ein Dämon des Herrn der Schädel, und der ehemalige Meister des Mischlings hat ihn unter Khalan-Ghol eingesperrt und seine Essenz mit dem Blut von Zauberern angereichert.« »Was hat das mit Honsou zu tun?«, wollte Uriel wissen. »Weißt du denn gar nichts über deine Feinde?«, spottete Obax Zakayo. »Der Herr der Schädel ist der Fluch aller Psioniker, und das Blutherz wurde durch derart verseuchtes Blut in den Wahnsinn getrieben. Die Zauberer des Kriegsschmieds haben ihre
mächtigsten Null-Magien durch den gefangenen Dämon geleitet und seine immateriellen Energien genutzt, um eine große psionische Barriere rings um die Festung zu wirken, die seit fast zehntausend Jahren kein Zauberer mehr durchbrechen konnte!« Obax Zakayo hustete und sagte: »Ich habe deinen Eid, dass du mein Leiden beendest?« , »Ja«, sagte Uriel. »Rede weiter.« Der Iron Warrior nickte und sagte: »Lord Toramino hat einige der mächtigsten Zauberer im Auge des Schreckens unter seiner Herrschaft, und obwohl sie über große Macht verfügen, können sie diese uralte Barriere des Blutherzens nicht durchbrechen. Vernichte die Barriere, und sie schleifen die Festung bis auf die Grundmauern!« Uriel schaute Obax Zakayo auf der Suche nach einer Lüge in die Augen, aber der Iron Warrior war über jedwede Täuschung längst hinaus, da er viel zu vertieft in sein eigenes Elend war und sich zu sehr danach sehnte zu sterben. Er spürte jetzt die lenkende Hand der Vorsehung in der Anwesenheit des Verräters, denn hier bot sich die Gelegenheit, seinen Todeseid zu erfüllen und dem Omphalos Daemonium seine Beute vorzuenthalten. »Also gut«, drängte Uriel. »Wie vernichten wir das Blutherz?« »Die Ahlen«, sagte Obax Zakayo. »Die silbernen Ahlen, die sein dämonisches Fleisch durchbohren und über dem See halten...« »Was ist mit ihnen?« »Das sind verhasste Artefakte, die aus euren heiligsten Einsiedeleien gestohlen oder jenen abgenommen wurden, die mit ihren Nachforschungen zu tief in die Mysterien des Chaos eingedrungen sind. Sie sind mehr als nur körperliche Anker. Sie binden ihn an diesen Ort. Entfernt oder zerstört sie, und seine Auflösung wird vervollständigt.« Uriel wich einen Schritt vor Obax Zakayo zurück und schaute in die Dunkelheit der Kammer über dem zischenden Blutsee, wo der gewaltige Dämon in seinem sich windenden Wahnsinn hing. Er sah drei funkelnde silberne Spitzen aus Licht, die das schuppige Fleisch durchbohrten, und jede hing an einer Kette, die im Gestein der Kammerwände verankert waren. Sein Blick folgte der Linie der Ketten vom Dämon aus, und er blinzelte, als er sah, wo die nächste verankert war. Uriel wandte sich wieder an Obax Zakayo, hob sein Boltgewehr und sagte: »Ich töte dich jetzt.«
»Nein!«, sagte Leonid grimmig. »Lassen Sie mich das übernehmen. Ich schulde diesem Bastard noch einen Tod.« Uriel sah den Durst nach Vergeltung in Leonids Augen und nickte. »So sei es. Wenn er tot ist, schalten Sie die Zünder der Granaten ein und setzen Sie sich ab. Die Brutalen Bestatter kommen, also bleiben Sie in der Nähe der Hautlosen. Sie werden versuchen, Sie zu beschützen, wenn Sie in ihrer Nähe sind, aber Sie müssen den Feind so lange wie möglich in Schach halten.« »Ich verstehe«, sagte Leonid. »Jetzt gehen sie.« Uriel nickte und lief zu Pasanius. Leonid beobachtete, wie Uriel Pasanius in aller Hast seinen Plan erklärte und die beiden Ultramarines dann die Eisenrampe emporliefen, die zu den Käfigen der Daemonculaba führten. »Also, Sklave«, zischte Obax Zakayo. »Ventris hat dir aufgetragen, mich zu töten.« Leonid hob sein Lasergewehr und schoss Obax Zakayo in den Bauch. Er roch verbranntes Fleisch und nickte zufrieden, weil der Iron Warrior Schmerzen litt, aber immer noch lebte. Obax Zakayo hob den Kopf und brüllte: »Schieß noch mal, ich bin noch nicht tot!« Leonid trat näher und spie Obax Zakayo ins Gesicht. »Nein«, sagte er gelassen. »Ein Eid wurde geschworen!«, schrie der Iron Warrior. »Ventris hat geschworen, für meinen Tod zu sorgen!« »Uriel hat sein Wort gegeben, aber ich nicht«, fauchte Leonid. »Ich will, dass du in Qualen lebst und dann unter Schmerzen stirbst, wenn diese ganze Festung hier dem Erdboden gleichgemacht wird!« Obax Zakayo weinte und verfluchte ihn, doch Leonid ignorierte sein Flehen, während er die dem Iron Warrior am nächsten angebrachte Granate entfernte und in die Brusttasche seiner Uniformjacke schob. »Wir wollen doch nicht, dass du durch einen Unfall stirbst, oder?«, sagte er. Ohne ein weiteres Wort wandte sich Leonid ab und ging. Uriel stürmte die Rampe empor und lief an den Leibern der Daemonculaba vorbei, während er sich wünschte, bei jeder innehalten und ihrem Leiden ein Ende bereiten zu können. Er wusste,
dass sie bessere Aussichten hatten, ihre Qualen zu beenden, wenn sie Honsous Feinden ermöglichten, diese Aufgabe für sie zu übernehmen. Er und Pasanius liefen an der Außenwand der Kammer entlang zu einer der drei Ahlenketten, die den Leib des Blutherzens durchbohrten und den Dämon an Khalan-Ghol banden. Wenn sie auch nur eine der Ahlen aus dem furchtbaren Dämon ziehen konnten, würde das vielleicht schon reichen... »Großer Imperator der Menschheit, gib mir die Kraft deines Willens, dies für dich zu tun«, betete er unterwegs, den Blick fest auf die Kette gerichtet, deren Lauf er vom Leib des Dämons verfolgte. Er sah, dass sie höher verankert war, als diese Ebene der dämonischen Gebärkreaturen reichte, und als sie die Stelle auf dem Laufgang direkt unter der Verankerung der Kette erreichten, hörte er, wie die Zerkleinerungsmaschine explodierte und das durch die Kammer hallende bestialische Gebrüll der Hautlosen. Diesem Lärm folgte rasch das Zischen von Laserstrahlen und das Kreischen der Brutalen Bestatter. »Wir müssen klettern«, sagte Pasanius. Uriel nickte und drehte sich zu der Schlacht unter ihnen um. Er sah viele Leichen durch die Luft fliegen und grellblaue Blitze, als die Bewohner dieses grauenhaften Ortes den Kampf gegen die Hautlosen aufnahmen. »Der Imperator wache über euch«, flüsterte Uriel, als er die Finger um die Eisenstangen eines Käfigs der Daemonculaba schloss und zu klettern anfing. Die dicke Kette war gut zehn Meter über ihm in der Wand verankert, und das matte Licht reichte aus, ihn erkennen zu lassen, dass sie mit einem Betonstopfen tief und fest in das Gestein eingebettet war. »Kannst du mir helfen?«, sagte Pasanius, als Uriel auf dem Dach des Käfigs angekommen war. Er klang so, als schäme er sich außerordentlich dafür, um Hilfe zu bitten. Uriel drehte sich peinlich berührt um, weil er bis zu diesem Augenblick nicht daran gedacht hatte, dass Pasanius mit nur einem Arm Schwierigkeiten haben könnte, die Kette zu erreichen. Er griff nach unten uns half seinem Freund zu ihm hinauf. Verrostete Streben und lange vernachlässigte Gerüste steckten unter dem Stopfen im Gestein, vermutlich von jenen dort zurückgelassen, welche die Kette überhaupt erst dort verankert hatten. Er hörte einen jämmerlichen Schrei unter sich und schaute
durch das Geflecht des Käfigdachs in das weinende Gesicht der Daemonculaba. Uriel beugte sich so tief zu der gepeinigten Kreatur hinunter, wie er konnte. »Ich sorge dafür, dass deine Leiden ein Ende haben«, versprach er. Ihre Augen schlossen sich langsam, und Uriel glaubte, ein beinahe unmerkliches Nicken ihres aufgeschwemmten Kopfes zu sehen. »In der ganzen Galaxis gibt es nicht genug Leiden, um die Iron Warriors für das büßen zu lassen, was sie hier getan haben«, sagte Pasanius mit erstickter Stimme, da seine Gefühle ihn zu überwältigen drohten. »Nein«, gab Uriel ihm recht, »das gibt es nicht, aber wir werden sie trotzdem leiden lassen.« »Aye«, bestätigte Pasanius, als sie auf das Käfigdach kletterten und sich weiter an den Seiten der dunklen Kammer nach oben vorarbeiteten, da sie jeder Armzug ihrem Ziel näher brachte. Von unten drangen weiter Kampfgeräusche zu ihnen herauf, während sie sich an den in Risse und Spalten gezwängten Gerüststangen zur Kettenverankerung hocharbeiteten. So dick wie Pasanius' Unterarm, führte sie zur Mitte der Kammer und zum Blutherzen. »Fertig?«, fragte Uriel. »Fertig«, nickte Pasanius und spie sich auf die Handfläche. Die beiden Space Marines packten die verrostete Kette und zogen mit aller Kraft, um die Ahle aus dem Körper des Blutherzens zu zerren. Leonid hatte sein Lasergewehr auf Dauerfeuer geschaltet und gab einen Feuerstoß auf die ungeschlachten Mutanten in Vakuumanzügen ab, die Deckung hinter einer Reihe blutgefüllter Tonnen nahmen. Seine Schüsse durchlöcherten die Fässer, so dass rote Bögen aus ihnen Seiten liefen. Er wusste, er hatte keinen von ihnen getötet, aber die Schüsse sorgten dafür, dass sie den Kopf unten hielten. Er hatte die Mutantenkreatur Sabatier bei den bewaffneten Sklaven der Brutalen Bestatter gesehen und verspürte das dringende Bedürfnis, dieses Ungeheuer zu durchlöchern. Verdammt, aber es war ein gutes Gefühl, wieder eine Waffe in der Hand zu haben und auf den Feind zu schießen! Das Chaos der
blutigen Schlacht tobte und wogte rings um ihn, da die Hautlosen sich mit urtümlicher Wildheit gegen ihre Schöpfer wehrten, um den Ultramarines die Zeit zu verschaffen, das Blutherz herunterzuholen. Der Herr der Hautlosen brüllte beim Töten, und seine kraftvollen Fäuste brachten dem Feind mit jedem Hieb den Tod. Ein schwarz berobtes Ungeheuer bäumte sich auf großen pneumatischen Beinen auf, die mit kreischenden Klingen bestückt waren, aber ein anderer Hautloser, ein schnatterndes Grauen aus Gliedern und Mäulern, landete auf ihm und riss ihm mit brutalem Rucken die Beine ab. Leonid wälzte sich in die Deckung der rauchenden Überreste der Zerkleinerungsmaschine, um nachzuladen, als der Brutale Bestatter zusammenbrach und sein Bezwinger ein anderes Opfer ansprang. Die gliederlose Gestalt Obax Zakayos schrie »Töte mich!« an seinem Kreuz, aber Leonid beachtete ihn nicht, da er zu sehr auf die Schlacht ringsumher konzentriert war. So wild die Hautlosen auch waren, die Brutalen Bestatter waren seit ungezählten Millennien Ausübende der Kunst des Tötens, und wenn sie sich mit einem auskannten, dann mit den Schwächen des Fleisches. Auch wenn es so widerstandsfähig war wie das der Hautlosen. Fliegende Metallscheiben durchtrennten dicke Glieder, und schwere Pfeile mit Giften, wie sie nur im Auge des Schreckens existieren konnten, stachen in hämmernde Venen und töteten ihre Opfer, bevor sie auch nur registrieren konnten, dass sie getroffen waren. Wesen starben, und auch das unablässige Feuer der Diener der Brutalen Bestatter forderte seinen Tribut, da Salve um Salve über die Hautlosen hereinbrach. Leonid erhob sich aus seiner Deckung und sah einen Brutalen Bestatter mit gewaltigen Kettenklingen anstelle von Fäusten hinter den Herrn der Hautlosen huschen, während dieser gerade den Rumpf von der mechanischen Ketten-Einheit eines anderen Bestatters riss. Leonid schwang den Lauf seiner Waffe herum und gab eine Lasersalve ab. Er hatte gut gezielt, und der Kopf des Brutalen Bestatters explodierte, während seine zuckende Gestalt hinter dem Herrn der Hautlosen zu Boden sank. Der Kopf der massigen Kreatur ruckte herum, als er den Fall hörte, und die Verwirrung über den Tod
hinter ihm verwandelte sich in grimmige Freude, als er sah, wer ihn gerettet hatte. Er schlug sich mit den Fäusten auf die Brust und rief: »Jetzt du Stamm!« Als sich Leonid wieder in den Schutz der Deckung kauerte, hörte er hinter sich die Schritte bestiefelter Füße. Er fuhr herum und riss das Lasergewehr hoch, da er ein halbes Dutzend Mutantensklaven mit Keulen und Hippen bewaffnet sah, die sich auf ihn stürzten. Eine Keule mit Eisenspitze zischte auf seinen Kopf zu, und er warf sich zurück, doch zu langsam, so dass die Spitze der Waffe seine Schläfe traf. Er ließ das Gewehr fallen und griff sich an den Kopf, während sich die Welt wild drehte und grelle Sonnen vor seinen Augen explodierten. Der Boden kam ihm entgegen, und er schlug auf den harten Beton und schloss die Augen, da er auf den tödlichen Hieb wartete. Der Schatten von etwas Heißem und Schwerem fiel auf ihn, und warmes Blut bespritzte ihn. Er öffnete die Augen, schüttelte den Kopf und bedauerte es in dem Augenblick, als er Hammerschläge der Erschütterung in seinem Schädel nachhallen spürte. Der Herr der Hautlosen stand vor ihm, den muskulösen Körper von zahlreichen langen Klingen durchbohrt und unzähligen Laserstrahlen verbrannt. Das Wesen griff nach unten, um ihm auf die Beine zu helfen, und Leonid sah die Leichen jener, die ihn hatten töten wollen. Sie sahen aus wie eine Explosion in der Sammlung eines Anatomen, eine Masse abgetrennter Glieder und aufgeplatzter Leiber. »Danke«, brachte Leonid hervor, während er sich Blut von der Schläfe wischte und sich bückte, um sein Gewehr aufzuheben. »Du Stamm«, erwiderte der Herr der Hautlosen, als sei keine andere Erklärung nötig. Ohne ein weiteres Wort stürzte sich das Wesen wieder in das Getümmel. Scharen der Hautlosen waren tot, aber die Übrigen kämpften weiter, ohne in ihrem grimmigen Wüten nachzulassen. Immer mehr Feinde strömten in die Kammer, und Leonid wusste, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis man sie überwältigen würde. Er schaute hoch zu den Gerüsten an den Wänden der Kammer und forderte Uriel und Pasanius auf, sich zu beeilen. Die Adern an Uriels Armen traten wie Stahlseile hervor, als er an der Kette zog. Gegen das erhöhte Ende des Gerüsts vor ihnen gestemmt, mühten sich die beiden Space Marines mit der Kette
ab. Uriel glitt mit einem Fuß aus und spreizte die Beine, um besseren Halt zu finden. Die stechenden Schmerzen in Brust und Schulter setzten ihm beim Ziehen zu, aber er konzentrierte sich und nutzte sämtliche Möglichkeiten der Disziplinierung, die er in Agiselus und dem Hera-Tempel gelernt hatte, um sie zu verdrängen. »Komm schon, verdammt!«, brüllte er die Kette an, während er die wilden Kampfgeräusche hörte und wusste, dass die Hautlosen für ihn starben. Er konnte sie nicht im Stich lassen und verdoppelte seine Bemühungen. Pasanius mühte sich ebenfalls mit der Kette ab, und vor Anstrengung lief ihm der Schweiß ins Gesicht. Pasanius hatte mehr Kraft als Uriel, aber eben auch nur einen Arm, mit dem er ziehen konnte. Gemeinsam ließen sie jeden Funken Hass auf die Iron Warriors in ihre Anstrengungen einfließen. Uriel brüllte vor Schmerz und ohnmächtiger Wut, während er weiterzog. Und plötzlich spürte er, wie etwas nachgab... Mit lautem Triumphgeschrei zogen die Ultramarines noch fester, so dass die Sehnen in ihren Schultern und Armen kurz vor dem Zerreißen standen, und trieben ihre Körper an die Grenzen des Möglichen. Ohne Vorwarnung erschlaffte die Ahlenkette plötzlich, und Uriel sah einen aufflammenden Blitz aus weißem Feuer, als sich der silberne Dorn aus dem Fleisch des uralten Dämons löste. Die rot geschuppte Kreatur fiel, und silberweiße Blitze explodierten über ihrem Leib, wo ihr fallendes Gewicht die anderen beiden Ahlen herauszog. Der Dämon landete mit einem gewaltigen Klatschen in dem Blutsee, und eine rote Flutwelle wurde durch die Kammer gespült. Der Dämon verschwand unter der brodelnden Oberfläche, und Uriel spürte, wie ihn beim Anblick der zischenden roten Fluten eine Vorahnung von Unvermeidlichkeit überkam. »Wir haben es geschafft!«, rief Pasanius. »Ja«, stimmte Uriel zu, der beobachtete, wie sich die Oberfläche des Sees teilte und der gewaltige Dämon zu voller Größe erhob, während Lichtblitze um seine glänzenden roten Schuppen spiel-
ten, »aber ich frage mich langsam, ob das wirklich ein Grund zum Frohlocken ist.« Hoch oben im Eisenturm schrie Onyx plötzlich auf, als sei er getroffen worden, sank auf die Knie und fasste sich an den Kopf, während in seinen seelenlosen silbernen Augen eine jähe Erkenntnis aufblitzte. Honsou sah die Bewegung und blickte ob dieser Unterbrechung seiner Schlachtplanung mit Cadaras Grendel gereizt auf. Dann sah er den Ausdruck äußerster Beunruhigung in Onyx' Miene. »Was ist los?«, wollte er wissen. »Das Blutherz!«, zischte der dämonische Symbiont. »Was ist damit?« »Es ist frei...«, sagte Onyx.
ZWANZIG Das Blutherz warf den gehörnten Schädel in den Nacken und brüllte in irrsinniger Qual. Sein Gebrüll der Wut und des Wahnsinns erfüllte die Kammer und hatte ein Timbre, das die Seele durchbohrte und beinahe jedem Lebewesen darin Schreie der Urangst entlockte. Der Blutsee brodelte, wo es stand, und in seinen Augen glühte ein Feuer, in dem uralte Bosheit brannte. Sein zottiger, gehörnter Kopf drehte sich, während es seine Umgebung begutachtete, als sehe es sie zum ersten Mal, und der aufgeblähte Körper sonderte dunkle Blitze ab, die in rotem Feuer explodierten. Die Haut des Blutherzens war schuppig, und dicke Strähnen zotteliger, verfilzter Haare fielen ihm tief in den Rücken. Die großen Wunden dort, wo die Brutalen Bestatter die Flügel amputiert hatten, sonderten einen roten, flüssig wirkenden Rauch ab, als sei ein Fass rote Tinte unter Wasser ausgeleert worden. Seine Brust hob und senkte sich angestrengt, und das donnernde Echo seines Herzschlags erfüllte die Kammer, als es sich den pulsierenden roten Schlauch herausriss, über den ihm das unreine Blut der Psioniker zugeführt wurde. Der Strom der Lebensflüssigkeit sprudelte in den See. »Guillaume, bewahre uns!«, hauchte Pasanius, als sich der Dämon in Bewegung setzte und zielstrebig zum Ufer marschierte.
Die Funken, die seine behuften Füße auf dem Grund des Sees schlugen, ließen Geysire aus brennendem Blut in die Höhe schießen. »Ein Dämon«, sagte Uriel. »Einer der Prinzen des Chaos...« »Was machen wir jetzt?«, fragte Pasanius. Uriel zog sein Schwert, als der gewaltige Dämon das Seeufer erreichte und sich zu voller Größe erhob. »Wir bereiten unsere Seele auf das Ende vor«, sagte er nur. Honsou sah, dass der Himmel rings um seine Festung in einem aktinischen blauen Licht brannte. Viele Hundert Säulen aus durchsichtigen blauen Flammen umringten Khalan-Ghol und stachen von der Ebene unter ihnen viele Kilometer in die Höhe wie Ölquellen, aus denen der kostbare Treibstoff sprudelte. Das blaue Feuer brodelte, und Honsou sah lebende Albträume in den Flammen umherwirbeln, in denen die furchtbare Kraft und die Bosheit des Warpraums enthalten war. »Was geht da vor?«, wollte er wissen. »Die Türme!«, sagte Onyx. »Türme? Welche Türme?« »Die wir bei unserem Vorstoß in Berossus' Lager gesehen haben«, sagte Onyx. »Hohe barocke Eisentürme, die mit psionischer Energie gesättigt waren. Erinnert Ihr Euch?« Honsou nickte, da er noch den beunruhigenden Anblick ihrer arkanen Geometrie und die skandierenden Gruppen golden berobter Gestalten vor Augen hatte, die sie umtanzten und mit Opferblut salbten. Nach dem Überfall hatte er sie sich aus dem Kopf geschlagen, in der Zuversicht, dass die Macht des Blutherzens ihrer Magie widerstehen würde. Er ging auf Onyx los, hob die Axt und sagte: »Du hast mir gesagt, es gäbe keine Zauberkräfte, die das Blutherz besiegen könnten!« »Und es gibt auch keine, aber es ist jetzt frei und nicht mehr an Khalan-Ghol gebunden.« »Wir sind schutzlos?«, fragte Cadaras Grendel. Onyx schüttelte den Kopf. »Nein. Die Zauberer der Festung können die Barriere eine Weile aufrechterhalten, aber ohne die Macht des Blutherzens ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich Toraminos Magie durchsetzt und uns vernichtet.«
»Blut des Chaos!«, fluchte Honsou, bereits unterwegs zur großen Doppeltür, die aus seinem Allerheiligsten führte, während er seinen auserwählten Kriegern bedeutete, ihm zu folgen. »Wie konnte der Dämon freikommen?« »Der Kriegsschmied hat das Blutherz mit drei unreinen Ahlen gebunden, und es kann nur freigekommen sein, weil sie jemand entfernt hat.« »Aber wer würde so etwas wagen?« Honsou blieb wie angewurzelt stehen, als Onyx sagte: »Ventris und sein Kriegertrupp?« »Natürlich!«, schnauzte Honsou. »Ich hätte wissen müssen, dass sich Toramino nie dazu herabgelassen hätte, Abtrünnige in seine Dienste zu holen, nur um für ihn zu kämpfen. Er und Ventris müssen die ganze Sache geplant haben! Zuerst das Blutherz befreien und uns dann mit Zauberei vernichten. Ich lasse die Eingeweide dieser Bastarde Stück für Stück an die Exuviae verfüttern.« »Dann hatte Toramino nie die Absicht, seine Armee hier kämpfen zu lassen!«, fauchte Cadaras Grendel. »Nein«, stimmte Onyx zu. »Es hat nicht den Anschein.« »Wie lange haben wir noch, bis die Barriere fällt?«, wollte Honsou wissen, während er in die Dunkelheit des Eisenturms marschierte und die Richtung zum Reich der Brutalen Bestatter einschlug. Seine Krieger folgten ihm mit geladenem Boltgewehr und gezücktem Schwert. »Das weiß ich nicht mit Sicherheit«, räumte Onyx ein, »aber lange kann es nicht dauern.« »Dann sollten wir uns besser beeilen!«, sagte Honsou. »Ich will Ventris töten, bevor Toramino Khalan-Ghol zerstört!« Uriel sprang auf die Galerie, die sich an der gesamten Kammerwand entlangzog, drückte auf die Aktivierungsrune am Heft seines Energieschwerts und wirbelte die leuchtende Klinge durch die Luft. Pasanius landete neben ihm, und gemeinsam eilten sie dem Kammerboden entgegen, während das Blutherz den See verließ und rote Flüssigkeit in grausigen Rinnsalen seinen roten Körper hinunterlief. Er überragte sie um einiges, war volle vier oder sogar fünf Me-
ter groß, und über seine muskulöse Statur zuckten heiße Lichtstreifen, die sich unter seiner Haut entlangzogen wie feurige Adern. Es schaute auf den blutigen Boden vor sich - auf die Leichen der Hautlosen, der Brutalen Bestatter und ihrer Diener -, und ein blutverschmiertes Grinsen spaltete das bestialische Gesicht. Die überlebenden Mutanten flohen vor seiner furchterregenden Macht, und sogar jene Brutalen Bestatter, die noch nicht von den Hautlosen getötet worden waren, wichen vor dem diabolischen Wesen in ihrer Mitte zurück. Nur die Hautlosen wichen nicht, da sie zu wenig über die grauenhafte Macht eines Dämonenprinzen wussten, um ihn zu fürchten. Sie spürten zwar seine verabscheuungswürdige Macht, aber sie hatten keine Vorstellung von der Bedrohung, die er darstellte. Der Herr der Hautlosen stand vor dem mächtigen Dämon, die Brust herausfordernd aufgeblasen, und das Blutherz betrachtete ihn mit so viel Interesse, wie ein Mensch vielleicht für eine Ameise aufbringen würde. Der Herr der Hautlosen brüllte und stürmte auf den Dämon los, doch bevor er auch nur ansatzweise einen Schlag landen konnte, fegte das Blutherz ihn mit einem beiläufigen Zucken seines Schuppenarms beiseite. Der gewaltige Anführer der Hautlosen prallte mit einem markerschütternden Krachen gegen die Höhlenwand, und Uriel wusste, dass die Aufprallwucht gereicht haben musste, um ihm jeden Knochen im Leib zu brechen. Als sie sahen, wie mühelos ihr Anführer besiegt worden war, heulten die Hautlosen und sprengten vor dem grauenhaften Dämon auseinander, um Schutz in den dunklen Nischen und Winkeln der tödlichen Kaverne zu suchen. Uriel und Pasanius beobachteten, wie sich das Blutherz von den fliehenden Hautlosen abwandte, während das gewaltige Pochen seines Herzens nun nachließ, da keine Magie mehr hineingeleitet wurde. Uriel spürte, wie seine Sinne schärfer wurden und die erstickende Taubheit jetzt, wo der Dämon frei war, wich. Leonid eilte zu ihnen und rief: »Ich dachte, er würde durch das Herausziehen der Ahlen zerstört!« »Ich auch«, erwiderte Uriel, als das Blutherz den Kopf in den Nacken warf und ein fürchterliches Brüllen von sich gab, das die Sinne überwältigte, nicht durch seine Lautstärke, sondern durch das schiere Verlustgefühl und die Wut, die darin zum Ausdruck kamen. Sein Hunger durchbohrte den Wall der Dimensionen und
hallte über die riesige Kluft, die Universen trennte. Uriel und alle Lebewesen in der Kammer fielen zu Boden, bis in den Kern ihres Wesens vom Schrei des Dämons erschüttert. »Was macht es?«, brüllte Leonid. »Das weiß nur der Imperator!«, rief Pasanius. Uriel rappelte sich auf, die Hände an den Kopf gepresst, um den monströsen Lärm des Dämonengeheuls zu mildern. Etwas im Tonfall des langen auf- und abschwellenden Schreis erzählte Uriel von Dingen, die verloren waren, und Dingen, die zurückgerufen würden. Ihm ging auf, was es war, als er einen sich windenden Klecks aus dunklem Licht in der Luft vor dem Dämon auftauchen sah. »Das war ein Ruf der Beschwörung...«, sagte er. Pasanius und Leonid musterten ihn mit seltsamem Blick, als das Gebrüll des Dämons verstummte und der brüchige Schleier der Realität mit einem grauenhaften Geräusch wie von reißendem Fleisch aufbrach. Ein schwarzes Loch in den Mauern, welche die Realitäten trennten, öffnete sich und erfüllte die Luft mit einer widerlichen Statik, als seien Millionen Aasfliegen aus irgendeiner schändlichen Seuchendimension eingeflo-gen. Furchtbares Wissen überkam Uriel, als er in das Portal starrte, das sich im Gefüge des Universums geöffnet hatte. Er sah Galaxien von Milliarden und Abermilliarden Seelen, die geerntet und dem Herrn der Schädel, dem Blutgott, zugeführt worden waren. »Imperator, sei uns gnädig«, weinte Uriel, als er spürte, wie sich jeder dieser Tode wie ein Splitter in sein Herz bohrte. Neues Leben und neue Zuversicht hatte diese Galaxien einmal erfüllt, doch nun waren alle tot, dahingemetzelt, um den Hunger des Blutgotts zu stillen... dessen schändlicher Name eine finstere Ausstrahlung in dem kupfrigen Wind war, der aus dem Portal wehte und einen Gestank von tiefstem, dunkelstem Rot mitbrachte, dessen Zweck durch nur eine einzige Rune und eine Inschrift simpler Hingabe verkörpert wurde: Blut für den Blutgott... Khorne... Khorne... Khorne ,.. Ein einziger Schrei der finsteren und blutigen Verwandtschaft, ein Pakt aus Hass und Tod. Er hallte aus dem Portal und schwoll an, so dass der Staub von der Decke geschüttelt wurde. Und da war ein Antwortgebrüll blutigen Willkommens direkt aus der Messingkehle des Blutherzens. Licht flutete aus dem Portal, als ein gerüsteter Riese in den
brünierten Eisenplatten einer uralten Servorüstung in die Kammer stapfte. Das Portal schloss sich hinter ihm, als er sich vor dem Blutherz aufbaute. Größer als ein Space Marine, war seine böse Ausstrahlung unverkennbar und seine Bösartigkeit unberechenbar. Weißes Licht, unrein und verderbt, rann wie Tropfen saurer Milch unter dem gehörnten Helm hervor, und auf dem Schulterschutz prangten Sterne, die ihn als Iron Warrior auswiesen. Der dämonische Krieger trug eine große Sägezahnklinge und eine Pistole mit goldenen Ziselierungen. Beide Waffen stanken förmlich nach den von ihnen angerichteten Gemetzeln. Stark und auf eine finstere Art großartig war dieses Ding, und Uriel wusste, dass es der vollendetste Schlächter war, den man sich vorstellen konnte. Uriel erhaschte einen Blick auf eine schlurfende Gestalt, die den Gang entlanghumpelte, der aus der Kaverne führte, und erkannte darin die widerliche Kreatur Sabatier. Kaum hatte er deren Anwesenheit registriert, als der in Eisen gehüllte Krieger seine Pistole hochriss und schoss. Das Geschoss traf Sabatier hoch im Rücken, explodierte durch seine Brust und sprengte einen riesigen Krater in seinen Leib. Sabatier grunzte und fiel vornüber, und Uriel empfand nur Bedauern, dass diese Kreatur vor ihrem Tod nicht noch mehr gelitten hatte. »Wir können nicht gegen beide kämpfen«, sagte Pasanius. »Nein«, stimmte Uriel zu, »aber vielleicht brauchen wir das auch gar nicht. Seht doch!« Die gerüstete Gestalt sank vor dem Blutherzen in die Knie, aber Uriel sah sofort, dass es sich nicht um eine simple Geste der Verehrung handelte. Der dämonische Iron Warrior legte seine Waffen nieder und hob die Arme. Ein blutroter Schein drang aus jedem Gelenk der Rüstung und badete das Blutherz in seinem Licht. »Ich kehre zu dir zurück!«, rief eine hohe Stimme unter dem Helm des gerüsteten Kriegers. Das Blutherz hob die Arme und ahmte die Pose des Kriegers nach, und Stück für Stück löste sich die eiserne Rüstung von der knienden Gestalt und schwebte dem gewaltigen Dämon entgegen. »Was macht es denn jetzt?«, sagte Leonid, dessen Tonfall nun unverhohlenes Entsetzen verriet. »O nein...«, flüsterte Uriel, als er sich an eine Geschichte erin-
nerte, die ihm vor noch gar nicht allzu langer Zeit von Seraphys von den Blood Raven in den Bergen erzählt worden war. Eine Geschichte darüber, wie sich das Blutherz eine Rüstung geschmiedet habe, in die es all seine Bosheit, all seinen Hass und all seine Schläue habe einfließen lassen, eine Rüstung so voller Wut, dass sich die Feinde mit ihren eigenen Hieben auf sie niederstreckten. Es war wahrhaftig Khornes Avatar, des Bluttgottes Lieblingsschüler des Todes. Die Eisenrüstung schwebte von der Gestalt des Kriegers weg, die nun immer kleiner wurde, je mehr Teile sie verlor. Obwohl das Blutherz sehr viel größer war als der gerüstete Krieger, passte sich jedes Teil irgendwie der Gestalt des Dämons an und wechselte dabei von der Farbe Eisens zu einer dunklen und irgendwie widerlichen Messingfarbe. Beinschienen und Brustharnisch sortierten sich klirrend ein, und ungebeten sprangen die Waffen des Kriegers vom Boden auf und veränderten in der Luft die Gestalt: Aus Pistole und Schwert wurden eine ächzende Axt und eine sich windende Peitsche aus beschlagenem Leder. Zuletzt rissen unsichtbare Hände dem Krieger den Helm vom Kopf und setzten ihn auf den großen gehörnten Schädel des Blutherzens. Wo gerade noch ein furchterregender gerüsteter Riese gekniet hatte, war jetzt nur noch eine Frau, die in ihrer schmutzigen und zerrissenen himmelblauen Uniform der Imperialen Garde wie eine Streunerin aussah. »Das 383.!«, rief Leonid. »Was?« »Diese Jacke«, zeigte Leonid. »Das ist die Uniform meines Regiments!« »Das kann nicht sein«, sagte Uriel. »Hier?« »Ich kenne doch mein Regiment, verdammt«, schnauzte Leonid. »Ich werde sie holen!« »Seien Sie kein Narr«, sagte Pasanius und hielt Leonid an der Jacke fest. »Nein!«, protestierte Leonid, der sich in Pasanius' Griff wand. »Verstehen Sie denn nicht? Zusammen mit mir ist sie wahrscheinlich die letzte Überlebende des 383.! Ich muss gehen!« »Sie werden sterben«, sagte Uriel. »Und? Ich sterbe ohnehin«, rief Leonid. »Und wenn ich mein Leben hier beenden muss, dann wenigstens mit einem anderen
Jouraner. Denken Sie an Ihre eigenen Worte, Uriel! Wir sterben alle blutig, wir können nur entscheiden, wo und wann!« Uriel nickte, da er Leonids Verzweiflung nun deutlich sah, und sagte: »Lass ihn gehen.« Pasanius ließ Leonid los, und sie sahen zu, wie er zu der schwankenden Frau lief und sie aufhob, während zwei weitere dicke, gewundene Hörner mit Bronzespitze durch das Metall des Dämonenhelms stießen. Die Augen des Blutherzens leuchteten in neuerlicher Zielstrebigkeit und Bewusstheit, als es den Kopf hob, schnüffelte und in furchtbarem Appetit grinste. »Psioniker...«, brüllte es und fuhr zu den aufrecht stehenden eisernen Sarkophagen herum, die den Blutsee umgaben. Der Eisenkäfig raste abwärts in die Tiefen Khalan-Ghols, und uralte Mechanismen und Zauberkünste vereinten sich, um die Reise so schnell wie möglich zu machen, da ölige Platten aus gehämmertem Eisen mit gewaltigem Tempo an ihnen vorbeirasten. Doch Honsou wusste, dass es trotz allein nicht schnell genug war. Die mystische Barriere, die seine Festung schützte, hielt immer noch gegen Toraminos Zauberer stand, würde aber bald zusammenbrechen, wenn sie das Blutherz nicht irgendwie wieder gefügig und nutzbar machen konnten. Er und seine auserwählten Krieger, tödliche Schlächter, die nur ihm treu ergeben waren, rasten mit ihm in die Tiefen der Festung, bereit, alles zu töten, worauf sie unterwegs stießen. Onyx stand zurückgezogen in einer Ecke des Fahrstuhlkäfigs, und seine silbernen Augen und Adern wirkten matt und träge. »Was ist los mit dir?«, schnauzte Honsou, als der dämonische Symbiont ächzte. »Das Blutherz ist mächtig...«, zischte Onyx. »Und?« »Es könnte meine Essenz in einem einzigen Augenblick auslöschen«, fauchte Onyx, in dessen toten Augen ein mörderischer Glanz leuchtete. »Und wenn es mir einen Befehl gäbe, könnte ich mich ihm nicht widersetzen.« »Du meinst, es könnte dich gegen mich wenden?«, fragte Honsou. »Ja«, nickte Onyx. »Es kennt meinen wahren Namen.« Honsou wandte sich an Cadaras Grendel und sagte: »Wenn die-
se Kreatur auch nur Anstalten macht, mich anzugreifen, töte sie.« »Verstanden«, sagte der Iron Warrior mit der Haarsichel, dessen vernarbte Züge sich bei der Vorstellung genüsslich aufhellten. »Ich habe noch nie zuvor jemanden getötet, der besessen war.« Honsou schaute durch den Gitterboden des Käfigs nach unten und sah nur den spärlich erleuchteten Schacht nach oben rauschen. Das Ende verlor sich in der Perspektive, aber schließlich raste ihnen das dunkle Rechteck des Schachtbodens von unten entgegen. Übelkeit ergriff ihn, als drehe sich der Magen um, als der Eisenkäfig verlangsamte und mit dem durchdringenden Kreischen uralten Metalls anhielt. Die Gittertüren öffneten sich quietschend, doch bevor Honsou hindurchtreten konnte, wurde er von einem gewaltigen Einschlag von den Beinen geholt, während er das Krachen fallenden Mauerwerks in weiter Ferne spürte, das vom entfernten Donner massierter Artillerie begleitet wurde. »Was ist jetzt?«, brüllte er, indem er sich auf die Knie erhob und das Klirren von Metall auf Stein und dazu ein sich nähernden Tosen hörte. Onyx fiel auf die Knie, schrie vor Schmerzen und griff sich mit seinen Leichenhauthänden an den Kopf. »Die Barriere ist gefallen!«, brüllte er. »Götter des Chaos, die Barriere ist gefallen!« Honsou rappelte sich auf und schaute hoch, da er die Quelle des sich nähernden Lärms auszumachen versuchte. »Alles raus aus dem Fahrstuhl!«, schrie er, hechtete in den Tunnel und rollte sich ab, da er Tausende Tonnen Gesteinstrümmer den Schacht herabfallen sah. Seine Krieger bewegten sich schnell, aber manche nicht schnell genug, und schließlich landete eine Lawine aus gewaltigen Stein- und Betonbrocken auf dem Schachtboden und drückte den Fahrstuhlkäfig platt. Schwaden aus erstickendem Staub und Rauch wallten aus den Trümmern. Der Aufprall und der ohrenbetäubende Lärm hatten Honsou desorientiert, aber er kam rasch wieder auf die Beine und sah, dass beinahe die Hälfte seiner Krieger fehlte und von dem tödlichen Trümmerregen zermalmt worden war. Onyx stand unsicher vor ihm, die bedrohliche Gestalt von Cadaras Grendel dicht hinter sich. »Wenn die Barriere gefallen ist...«, begann Grendel. »Bedeutet das, Toramino greift an!«, vollendete Honsou.
Das bloße Aussprechen der Worte vermittelte ihm ein Gefühl der Verlassenheit, da ihm klar wurde, dass dies vermutlich das Ende war. Khalan-Ghol konnte sich unmöglich gegen Toraminos Armee behaupten, und er hatte keine Pläne mehr, die er in die Tat umsetzen konnte. Nichts war mehr übrig außer Rache um des Hasses willen und Bosheit um des Trotzes willen. Wenn das alles war, was ihm noch blieb, dann sollte es eben so sein. Es würde reichen. Uriel zog Leonid in die spärliche Deckung eines der Raupenschlepper und half ihm dabei, die murmelnde Frau, die er in Sicherheit gebracht hatte, in eine sitzende Stellung aufzurichten. Freudentränen liefen dem Oberst über das Gesicht, und er wiederholte immer wieder den Namen seines Regiments. »Kommen Sie, beeilen Sie sich«, drängte Uriel in dem Bemühen, Leonid aus der Schussrichtung der mörderischen Wut des Blutherzens zu bekommen. Der gewaltige, gerüstete Dämon verlustierte sich mitten im Blutsee und riss golden berobte Zauberer aus ihren Blutspendesärgen, um mit ihnen auf zahllose schreckliche Arten zu spielen, bevor er sie mit der Axt oder seinem großen, mit Reißzähnen bewehrten Maul tötete. Der Dämon watete durch das Blut und ließ die entsetzten Zauberer sich selbst in Stücke reißen, da sie verzweifelt darum kämpften, sich aus ihren Särgen zu befreien. Nicht einer von ihnen überlebte die brutale Bosheit des Dämons, der ihren Tod inhalierte wie das Bouquet eines guten Weines. »Psioniker!«, bellte er. »Die Nahrung der Götter!« Uriel richtete seine Aufmerksamkeit auf die blasse Frau mit dem hageren Gesicht, die Leonid aus den Klauen der dämonischen Rüstung gerettet hatte. Ihre Haar war lang und strähnig und fielen ihr stellenweise aus, während ihre Züge von erlittenem Grauen kündeten und von einem Verstand am Rande des Wahnsinns. »Alle tot, alle tot, alle tot, alle tot...«, wiederholte sie immer wieder. »Wer ist sie?«, fragte Pasanius. Leonid zog eine verrostete Hundemarke unter ihrer Jacke aus der Kragenöffnung und drehte sie, um sie im spärlichen Licht der
Kammer zu inspizieren. »Das ist Leutnant Larana Utorian vom 383. Joura-Dragoner«, sagte er stolz. »Kennen Sie sie?« Leonid schüttelte den Kopf. »Nein. Ihre Marke besagt, dass sie zu Tedeskis Haufen in Bataillon A gehört hat, und er mochte es nicht, wenn sich andere Offiziere um seine Soldaten kümmerten. Er war ein Offizier der alten Schule.« »Wie im Namen des Imperators hat es sie hierher verschlagen?« »Ich weiß es nicht«, jammerte Leonid, der sie fest umarmte. »Vielleicht wollte der Gott-Imperator nicht, dass ich allein sterbe, ohne jemanden von meiner alten Heimatwelt neben mir.« Uriel nickte und wechselte einen Blick mit Pasanius, während sich seine Hand enger um sein Schwertheft krampfte. »Aye, vielleicht haben Sie recht, mein Freund. Wenn man schon sterben muss, dann mit seinen Freunden.«
Der tote weiße Himmel brannte vor magischer Energie, und Wolken aus blauem Feuer peitschten aus den geomantischen Türmen in die Höhe, die Toraminos Zauberer rings um KhalanGhol angelegt hatten. Ungeheuer mächtige Energien waren entfesselt worden, und nachdem die ewige Barriere niedergerissen war, die Honsous Festung vor den Kräften des Warpraums schützte, litt sie furchtbar unter dem immateriellen Angriff. Schwarze Blitze zuckten aus dem wolkenlosen Himmel und sprengten kolossale Felsplatten aus dem Berg. Furchterregende rote Gewitter aus weinenden Wolken, die wie Blutergüsse aussahen, hämmerten auf die wenigen verbliebenen Türme und Bollwerke mit einem mutierenden Regen ein, der Festungsanlagen auflöste, die zehntausend Jahre unbezwinglich überdauert hatten. Große, wütende Bestien des Warpraums stießen herab und stürzten sich auf die fliegenden Kreaturen, die den obersten Turm umkreisten, um sie zu zerreißen, und ein Nebel aus magischen Energien hüllte die Schanzen und Bunker ein, die Honsou nach dem Sieg über Lord Berossus gerade erst wiederaufgebaut hatte. Und die Festung wurde auch nicht nur von magischen Kräften angegriffen, denn Toraminos große Artillerie-Batterien hatten
schließlich das Feuer eröffnet und brachten dem Berg des Feindes ihres Herrn und Meisters Tod und Verderben. Viele Tausend Tonnen von Granaten regneten auf Khalan-Ghol nieder und zerschmetterten den ganzen Berg. Riesige Kolonnen mit Soldaten und eine ganze große Kompanie Iron Warriors, die von Toramino persönlich angeführt wurde, marschierten auf Khalan-Ghol, ein viele Tausend Mann starkes Heer, das sämtliche Streitkräfte des Mischlings vernichten würde, die den furiosen Angriff überlebten, der gerade über den Berg hereinbrach. Khalan-Ghols Untergang stand unmittelbar bevor. Uriel hatte wieder das Gefühl, als stülpe sich sein Magen um, und er hörte das läutende Klirren splitternden Glases, während ihn ein schreckliches Gefühl der Hilflosigkeit übermannte. Er verspürte extrem unangenehme Vibrationen tief in den Knochen, als eine Unruhe durch den Boden fuhr. Eine starke Vision von aus dem Boden ragenden, gezackten Knochenstümpfen packte ihn, und ein irrsinniges Heulen bildete sich in der Luft, durchdringend, böse und mit einem unvorstellbaren Rachedurst durchsetzt. Er blinzelte, als sich eine äußerst schmerzhafte Empfindung in seinem Schädel aufbaute, als würden ihm heiße Nadeln durch die Augäpfel gestochen. »O nein...«, flüsterte er, als ihm aufging, was geschah, und als sein Blick auf Leonids Gesicht fiel, verriet es dasselbe Wissen. »Gott-Imperator, nein«, weinte Leonid. »Nicht noch einmal, bitte nicht, nicht wieder!« »Was ist denn?«, fragte Pasanius. Bevor Uriel antworten konnte, hörten sie das Blutherz in jäher Erkenntnis aufbrüllen, und es klang wie der Ausdruck eines unerwarteten Vergnügens. »Meine alte Nemesis...«, krächzte er, da die Luft plötzlich mit Ozon und Schwefel angereichert zu sein schien. Uriel spürte, wie sich ihm der Magen umdrehte, und hielt sich an der Seite des Raupenschleppers fest, als sich der Saal der Brutalen Bestatter plötzlich... veränderte... Der Boden fühlte sich jetzt weich und lehmig an, und eine rote Flüssigkeit quoll träge nach oben, wo sein Gewicht sie aus der dunklen Erde presste. Uriel schaute auf, obwohl er wusste, was er
sehen würde. Über ihm wogte ein rissiger roter Himmel mit Wolken wie Melanome, an dem Aaskreaturen kreisten und auf eine Gelegenheit zum Fressen warteten. Ein vertrautes irres Geschrei wie das Heulen der Verdammten hallte schmerzhaft, aber es war nichts verglichen mit dem Elend, das er an diesem Ort bereits gesehen hatte, und er schob es beiseite. Fleischlose knochige Hände griffen durch die dunkle Erde, und Leonid hielt die Augen fest geschlossen und klammerte sich an Larana Utorian. Gekräuselte Spiralen aus reflektierendem Licht lösten sich von den Wänden der Kammer und verzerrten das Bild des Felsens dahinter wie eine verdrehte Linse. Die Wände schienen sich zu strecken, als würden sie in einen unsichtbaren Strudel dahinter gesogen, bis nur noch ein flimmernder Schleier aus undurchdringlicher Finsternis da war, ein Tunnel in den Wahnsinn, der von schreienden Gesichtern umringt war. Eisenbahnschienen aus Messing und mit verkrustetem Blut überzogen tauchten aus den ehedem undurchdringlichen Wänden der Kammer aus, und Streifen bunter Materie quollen aus dem geborstenen Fels. Nachdem ihn keine ewige Barriere mehr davon abhielt, seinen verhassten Rivalen zu erreichen, manifestierte sich der Omphalos Daemonium innerhalb der Mauern Khalan-Ghols.
EINUNDZWANZIG Aus der Einmündung des Tunnels donnerte der Omphalos Daemonium in den Saal der Brutalen Bestatter. Das irrwitzige Gebilde des gepanzerten Leviathans war Uriel jetzt doppelt verhasst, da sich ein Verdacht bestätigte, der die ganze Zeit in seinem Hinterkopf genagt hatte. »Er wusste es...«, fauchte er. »Wusste was?«, schrie Pasanius, um sich über das heulende Tosen der Ankunft des Omphalos Daemonium hinweg verständlich zu machen. Uriel duckte sich wieder, als die wirbelnden roten Rauchschwaden, die das Kennzeichen der Sarcomata waren, von der Vorbeifahrt der riesigen Dämonenmaschine mitgerissen wurden. Der Omphalos Daemonium hielt mit dem Geräusch kreischenden Eisens und einem metallischen Tosen vor einem neu
entstandenen Bahnsteig aus blutverschmiertem Beton, und zischende Seelen entkamen seinen qualmenden Schloten in kreischenden Schmerzwellen. »Er wusste, dass wir versuchen würden, uns ihm zu widersetzen«, sagte Uriel in der ohnmächtigen Wut der Erkenntnis, dass sie benutzt worden waren. »Er wusste, dass wir versuchen würden, dass Blutherz zu vernichten.« »Warum hat er uns dann hergeschickt?« »Weil er sich nun, da die psionische Barriere nicht mehr besteht, von der Obax Zakayo gesprochen hat, in Khalan-Ghol manifestieren kann. Denk an die Geschichten, die Seraphys uns erzählt hat. Diese Dämonen sind uralte Feinde, und der Omphalos Daemonium will jetzt am Blutherzen Rache nehmen, weil es ihn in diese Dämonenmaschine gesperrt hat.« Pasanius drehte sich um, als das Blutherz aus dem roten See schritt, nachdem er alle Psioniker Honsous abgeschlachtet hatte, da ihn die Aussicht auf einen Kampf gegen seinen uralten Feind zu der dampfenden Maschine zog. Die messigene Dämonenmaschine bebte vor Kraft, und roter Nebel wand sich um ihre dicken Platten, als sich die schwere Tür ins Innere öffnete und der Schlachtermann den Bahnsteig betrat. Von den scheppernden Eisenplatten seiner Rüstung tropften schwarze, ölige Rückstände. Der dämonische Iron Warrior war noch genauso groß, wie Uriel ihn in Erinnerung hatte, und die zusätzlichen Panzerplatten, die im Laufe der Millennien an seine Rüstung geschweißt worden waren, machten seine Körperfülle nur noch beträchtlicher. Er trug immer noch seine verkohlte und geschwärzte Schürze, die steif von uraltem Blut war und nach gekochtem Fleisch und Blut stank. Eine Krone aus dunklen Hörnern spross aus seinem ramponierten Helm, und Uriel war nicht überrascht, als er sah, dass er immer noch seine mörderische Hippe mit dem Eisenschaft trug, deren Klinge breit und von Äonen des Blutvergießens verkrustet war. Das Blutherz brüllte vor Freude, als der Schlachtermann den Saal der Brutalen Bestatter betrat. »Ist es so weit mit dir gekommen?«, brüllte er. »Dass du die Haut deines Wärters trägst?« »Das einzige Lebendfleisch, das mir geblieben ist«, bellte der Schlachtermann. »Genug der Worte. Ich reiße dein Warpselbst in Stücke.«
Das Blutherz spreizte die Beine, hob seine gewaltige Axt, ließ die Peitsche knallen und brüllte dem Schlachtermann seine blutige Herausforderung zu. Dicke rote Rauchfahnen verdichteten sich rings um den riesigen Iron Warrior und wurden zu soliden Wesen aus totem Fleisch und immaterieller Energie. »Sarcomata!«, fauchte Uriel, als er die gesichtslosen Dämonenwesen sah, die sie an Bord der grauenhaften Dämonenmaschine des Omphalos Daemoniums gebracht hatten. Acht von ihnen sammelten sich um ihren dämonischen Herrn, sämtlich in graue, nichtssagende Overalls und kniehohe Stiefel mit verrosteten Beinschienen gehüllt. Sie trugen Messer, Haken und Sägen und waren dem widerlichen Schnappen ihrer Kiefer nach zu urteilen erpicht darauf, sie auch zu benutzen. Ihre abstoßenden Gesichter waren rot und roh wie die der Hautlosen, aber wo die Hautlosen noch über Eigenschaften verfügten, die - wenn auch nur rudimentär - menschlich waren, hatten die Sarcomata die Maske der Menschlichkeit gänzlich abgelegt. Ihre augenlosen Gesichter waren mit groben Nähten über dem mit Reißzähnen bewehrten Maul versehen, und ihre schmalen, suchenden Zungen sondierten immer wieder die Luft. Uriel rechnete mit einer Antwort des Blutherzens, aber Worte waren nicht Teil der Gleichung, wenn es um Dämonen des Blutgottes ging. Das Blutherz knallte wieder mit seiner Peitsche, und die Stachelspitze traf in einem Funkenstrom die Brust des Schlachtermanns. Der in Eisen gehüllte Dämon brüllte und stürzte sich von dem Bahnsteig, und das Blutherz sprang ihm entgegen. Die beiden gewaltigen Kreaturen prallten in einer flammenden Korona feuriger Warpenergien zusammen. Maschinerie ging zu Bruch, und massige Eisensäulen wurden beiseitegefegt, als die beiden mächtigen Dämonen mit einem Hass aneinander zerrten, der bereits seit ungezählten Äonen brannte. Ohrenbetäubendes Kreischen diabolischer Waffen hallte durch die Kaverne, die unter der Gewalt ihres Kampfes erbebte. Uriel lehnte sich an den Raupenschlepper, während ihm aufging, dass nicht nur der Kampf der Dämonen diesen Ort zerstörte. Er spürte ein Bass-Dröhnen, das Wummern von Einschlägen auf Gestein, und lächelte, da er wusste, was geschah. »Honsous Festung liegt schon wieder unter Beschuss«, schrie er. Pasanius schaute ihn zweifelnd an. »Der Beschuss müsste unglaublich sein, um sich in dieser Tiefe bemerkbar zu machen.«
»In der Tat«, gab Uriel ihm recht. »Toramino muss mit allem angreifen, was er hat.« Gesteinsbrocken und Maschinenteile wurden zur Seite geschleudert, als die beiden Dämonen in den Blutsee stürzten. Geysire aus brennendem Blut und Fleisch wirbelten durch die Luft, und ein widerlicher Regen ging nieder, während die Dämonen aufeinander losgingen. »Vorwärts!«, überschrie Uriel den Lärm. »Wir müssen hier raus. Toraminos Armee wird die Festung bald zerstören, und ich will eine möglichst große Entfernung zwischen uns und die beiden Dämonen legen, solange sie noch kämpfen!« »Wohin gehen wir?«, fragte Pasanius, da Trümmerstücke von den Wänden der Kammer zu Boden fielen und riesige Wolken aus Staub und Qualm aufwirbelten. »Egal, nur weg von hier«, sagte Uriel mit einem Nicken in Richtung des langen Gangs, der zu dem Fahrstuhlkäfig führte, in dem sie aus Honsous Allerheiligstem hergebracht worden waren. »Wenn der Aufzug noch funktioniert, können wir dorthin zurück, wo dieses silberäugige Dämonenwesen uns in die Festung gebracht hat.« Er kniete sich neben Leonid und sagte: »Wir gehen jetzt, Oberst. Kommen Sie.« Leonid schaute durch seine Tränen hoch, und Uriel sah, dass der Oberst am Ende war. Er schüttelte den Kopf. »Nein. Gehen Sie nur. Ich bleibe mit Larana Utorian hier.« Uriel schüttelte den Kopf. »Wir werden Sie nicht hier zurücklassen. Ein Space Marine lässt niemals einen Schlachtenbruder zurück.« »Ich bin nicht Ihr Schlachtenbruder, Uriel«, hustete Leonid traurig. »Selbst wenn sie und ich hier herauskämen, könnten wir nicht länger als ein paar Tage überleben. Der Krebs, mit dem die Mechanicus uns infiziert haben, wird jeden Tag stärker. Für uns ist es vorbei.« Uriel legte Leonid die Hand auf die Schulter, wissend, dass der Mann recht hatte, obwohl er das Gefühl des Verrats hasste, das sich auf ihn legte, als er Leonids Entscheidung akzeptierte. »Möge der Imperator mit Ihnen sein«, sagte er. Leonid schaute in Larana Utorians Gesicht und lächelte. »Ich glaube, das ist Er.« Uriel nickte und wandte sich von Leonid ab, während Pasanius
sagte: »Sterben Sie wohl, Leonid. Wenn wir überleben, zünde ich eine Kerze für Ihre Seele an, auf dass sie den Heimweg finden möge.« Leonid sagte nichts, sondern hielt nur Larana Utorians ausgemergelte Gestalt und wiegte sie behutsam hin und her. In dem Wissen, dass es nichts mehr zu sagen gab, wandten sich die Ultramarines ab und rannten zum Eingang der Kaverne, da das ehemalige Reich der Brutalen Bestatter von den kämpfenden Dämonen in Trümmer gelegt wurde. Hinter ihnen hielten sich Oberst Mikhail Leonid und Leutnant Larana Utorian vom 383. Joura-Dragoner fest umschlungen und warteten auf den Tod. Pasanius zuckte zusammen, als neben ihm eine gewaltige Steinlawine herunterprasselte, ihn aus dem Gleichgewicht brachte und in pudrigen Staub hüllte. Er hustete und rief nach Uriel, da alles in Rauchwolken gehüllt war und die Sicht immer schlechter wurde. »Hier!«, rief Uriel, und Pasanius folgte der Stimme. Er stolperte über etwas auf dem Boden und rollte sich ab, dann wollte er sich auf die Arme stützen, um sich wieder zu erheben, fiel jedoch auf den Bauch, während ihm einfiel, dass ein Arm fehlte, um das Gewicht zu tragen. Er verfluchte sich für seine Dummheit und sah dann, worüber er gestolpert war. Die gurgelnde Gestalt von Sabatier zog sich mühselig und unter Schmerzen in Sicherheit, der verdrehte und deformierte Körper mit Staub und Blutergüssen bedeckt. In seinem Rücken war ein großer Krater infolge des Schusses, den die durch das Portal gekommene Person auf ihn abgegeben hatte, aber Pasanius war nicht weiter überrascht, dass Sabatier noch lebte. Schließlich hatte er auch schon überlebt, dass Vaanes ihm das Genick wie einen trockenen Zweig gebrochen hatte. Von dieser Wunde ragte immer noch ein Knochen aus dem Hals, und Pasanius wälzte die widerwärtige Kreatur auf den Rücken, die vor Schmerz und Furcht winselte. »Jetzt bist du wohl nicht mehr so stolz, was?«, sagte Pasanius. »Lass Sabatier! Er hat niemandem etwas getan!« »Nein«, knurrte Pasanius. »Er hat nur hämisch gegrinst, als meine Freunde wie Tiere abgeschlachtet wurden!«
Pasanius kniete sich auf Sabatiers Brust, und sein Gewicht reichte, um der widerlichen Kreatur alle verbliebenen Rippen zu brechen. Ein grässliches Gurgeln entrang sich Sabatiers Kehle, aber Pasanius empfand keine Reue wegen seiner Leiden. Sabatier hatte dagestanden und gelacht, als Space Marines getötet worden waren, und dafür musste dieses Unwesen sterben, das wusste Pasanius. Während er es weiterhin mit dem Knie auf dem Boden festnagelte, packte er Sabatier mit der ihm verbliebenen Hand am Hals und zog. Der Hals des Mutanten dehnte sich, und Pasanius hörte das Knacken reißender Sehnen, bevor er Sabatier endgültig den Kopf abriss. Sabatiers Mund bewegte sich immer noch, doch kein Laut kam heraus. Pasanius hatte keine Ahnung, ob er Sabatier nun getötet hatte, aber es war ihm auch egal. Es reichte, dass er zurückgeschlagen hatte. Er erhob sich und spie auf den zuckenden Leib, dann stampfte er wiederholt auf die veränderten Gliedmaßen, um die Knochen zu zermalmen, bevor er sich abwandte und den Kopf des Mutanten in Richtung Blutsee warf. Wenn Sabatier das immer noch überlebte, war zumindest nichts mehr von seinem Körper übrig, in das er zurückkehren konnte. »Was war das?«, sagte Uriel, der aus einer Staubwolke auftauchte und ihn weiter zum Tunneleingang winkte. »Nichts«, sagte Pasanius. »Nur irgendwelcher Abfall.« Leonid strich Larana Utorian über die Wange, und Tränen liefen ihm über das Gesicht, als der brennende Schmerz, der seit seiner Gefangennahme auf Hydra Cordatus sein ständiger Begleiter war, einen weiteren krampfartigen Stoß heißen Feuers durch seinen Bauch sandte. Er wusste, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb -der Krebs hatte bereits das meiste von ihm verschlungen -, und ein Blick auf Larana Utorian verriet ihm, dass auch sie nicht mehr viel Zeit hatte. Sie waren die letzten Überlebenden des 383., und die Tatsache, dass sie zusammen sterben würden, war ihm ein großer Trost. Er dachte zurück an die Männer und Frauen seines Regiments und an das letzte Mal, als er neben ihnen gekämpft hatte, beim Fall der Zitadelle. Sie waren wunderbar gewesen.
Kastellan Vauban, ein mutiger und ehrenhafter Krieger. Piet Anders, Gunnar Tedeski und Morgan Kristan. Seine Offiziersbrüder. Und vergessen durfte er auch Gardist Hawke nicht, den schlechtesten Soldaten des Regiments, dessen unerwartete Courage sie fast alle gerettet hätte. Sie waren alle tot, und bald würden Larana Utorian und er wieder bei ihnen sein. Oberst Leonid blickte auf, als er ein lautes Zischen hörte, und holte scharf Luft, als er die beiden Dämonen aus dem Blutsee schwanken sah. Beide waren ramponiert und angeschlagen, ihre Rüstungen verbogen und zerrissen, von den mächtigen Schlägen, mit denen sie einander eingedeckt hatten. Die Heftigkeit ihres Kampfes hatte einen Großteil der Kaverne verwüstet, und Teile von ihr stürzten immer noch in Lawinen aus Geröll und Trümmern ein. Das Blutherz taumelte unter einem furchtbaren Hieb des Omphalos Daemonium... des Schlachtermanns... Leonid wusste nicht einmal, ob er die Unterscheidung zwischen diesen beiden Wesen wirklich begriff oder dies überhaupt wollte, selbst wenn es eine gab. Der dämonische Iron Warrior hämmerte seine lange Hippe gegen die ungeschützte Flanke des Blutherzens und schleuderte es rückwärts in einen Stapel von Leichentischen und umherschwingenden Kadavern. Leichen und Trümmer klirrten inmitten der anhaltenden Zerstörung zu Boden, und Leonid sah, wie sich der Schlachtermann umdrehte und den Blick durch die Kammer wandern ließ. Nein, Ultramarines, ihr entkommt meiner Rache nicht so leicht... Leonid schrie auf, als er die schmutzige, hassenswerte Stimme in seinem Kopf hörte. Die Sarcomata sollen sich in alle Ewigkeit an euren Seelen weiden! Leonid sah, wie sich die acht Dämonen, welche die Diener des Schlachtermanns waren, wieder in ihre rauchigen Aspekte verwandelten und einen Moment durch die Luft wirbelten, bevor sie Uriel und Pasanius hinterhereilten. »Nein!«, schrie Leonid in Rage. »Ihr sollt sie nicht haben!« Die Sarcomata beachteten ihn gar nicht, zu fixiert auf ihre Beute, bis er sich an ihren Hunger auf Verdorbenes erinnerte. Leonid
zog den ausgefransten Kragen seiner Uniformjacke von der Haut weg und die verrostete Kante von Larana Utorians Hundemarke über ein geschwollenes Melanom, das auf seiner pulsierenden Schlagader wuchs. Verseuchtes, dreckiges Blut lief über seine Haut, sammelte sich in der Höhlung seines Schlüsselbeins und durchnässte seine Uniformjacke. Der kupfrige, unreine Geruch drang ihm in die Nase, und er rief: »Hierher, Dämonenbrut! Ihr wollt doch das hier, oder nicht?« Praktisch sobald sein verseuchtes Blut spritzte, wirbelten die rauchigen Kometen der Sarcomata in der Luft herum und rasten ihm entgegen, da sie die bösartigen Geschwülste rochen, die seinen Körper verzehrten und für sie die süßesten Leckerbissen waren. Oberst Leonid ließ sich auf den Boden sinken, zog Larana Utorian dicht an sich und griff dann in seine Brusttasche, der er einen runden, flachen Gegenstand entnahm. »Alle tot, alle tot, alle tot, alle tot...«, flüsterte Larana Utorian. »Ja«, gab Leonid ihr recht. »Das sind wir.« Roter Nebel hüllte sie ein, widerlich und feucht, und verschwand dann in einem einzigen Augenblick, nach dem die Jouraner von den krebshungrigen Sarcomata umringt waren, die mit Berührungen wie sich windende Maden über ihre geschwollenen Geschwüre strichen. Die Dämonen bissen und rissen an ihnen, und er schrie vor Schmerzen. Einen winzigen Augenblick trafen sich die Blicke der beiden 383er, und Leonid sah, wie das letzte Bruchstück ihres Verstandes nach ihm tastete. Sie lächelte ihn an und nickte. Leonid drückte auf den Sprengknopf der Granate, die er von der Zerkleinerungsmaschine neben Obax Zakayo entfernt hatte, und löschte sie und die Sarcomata in der weißglühenden Hitze einer Melter-Explosion aus. »Hier geht's nicht raus, Ventris«, sagte Honsou, indem er sich mit gespreizten Beinen und fest umklammerter Axt vor Uriel zum Kampf aufbaute. Der Herr Khalan-Ghols und gut zwanzig Iron Warriors waren in dem Augenblick aus dem Gang gekommen, als
die Ultramarines ihn erreicht hatten, und Uriel sah, dass kein Weg an ihnen vorbeiführte. Das silberäugige Dämonenwesen, das sich Onyx genannt hatte, stand abseits von den Iron Warriors, und seine Bewegungen hatten etwas Zaghaftes. Ein Iron Warrior mit dem brutalen Gesicht eines Schlächters und einer Haarsichel stand neben ihm und hatte ein riesiges Gewehr auf Onyx gerichtet, das einem Boltgewehr mit unter dem Lauf befestigten Melter ähnelte. In der Kaverne dröhnte und rumpelte es weiterhin, da die beiden Dämonen in ihr kämpften, aber hier draußen herrschte eine Stille, als halte das Universum den Atem an und warte auf den Ausgang dieses besonderen Dramas. »Es ist vorbei, Honsou«, sagte Uriel. »Deine Festung ist gefallen.« »Ich kann eine neue bauen«, antwortete Honsou achselzuckend. »Diese hier hat eigentlich sowieso nie richtig mir gehört.« »Wohl wahr, aber jetzt gehört sie Toramino«, rief Pasanius. »Ja, oder wenigstens das, was seine Zauberer und Artillerie von ihr übrig lassen, wenn die sie in Schutt und Asche gelegt haben«, sagte Honsou. Der Iron Warrior zeigte auf den hässlichen roten Himmel. »Aber sag mir, ist das auch dein Werk oder noch ein Zauber deines Herrn?« »Meines Herrn?« »Hör auf, Ventris!«, lachte Honsou. »Die Zeit für Spielchen ist längst vorbei. Toramino!« »Wir haben keinen Herrn neben Lord Calgar und dem Imperator«, sagte Uriel. »Selbst jetzt spielst du noch deine Spiele«, seufzte Honsou. »Egal, hier und jetzt endet es.« »Aye«, stimmte Uriel zu und hob sein Schwert. »Es endet mit deinem Tod, Verräter.« »Vielleicht, aber du wirst mir einen Herzschlag später in die Hölle folgen.« Uriel schüttelte den Kopf. »Glaubst du, das wäre wichtig zwischen alledem hier? Ich werde gegen dich kämpfen und dich töten. Das reicht mir.« »Gegen mich kämpfen?«, sagte Honsou, indem er die Arme ausbreitete und seine Krieger mit der Geste ein schloss. »Glaubst du, wir tragen ein Duell aus? Meine Krieger und ich sind euch
zehn zu eins überlegen! Was bringt dich auf den Gedanken, ich würde dir Gelegenheit geben, Hiebe mit mir zu wechseln?« Die Iron Warriors richteten ihre Waffen auf sie, wissend, dass hier jeden Augenblick Blut vergossen würde, aber sie warteten auf den Befehl ihres Herrn, bevor sie den Tod aus ihnen austeilten. Pasanius beugte sich zu Uriel vor und sagte: »Du nimmst die zehn auf der rechten Seite, ich die zehn auf der linken.« Uriel musste unwillkürlich grinsen und stellte sich Rücken an Rücken mit seinem alten Kameraden. »Mut und Ehre, mein Freund«, sagte Uriel. »Mut und Ehre«, wiederholte Pasanius. Die beiden Ultramarines bereiteten sich auf einen Sturmangriff vor, während die Iron Warriors ihre Waffen durchluden. Das Blutherz fiel auf die Knie, als die Hippe des Omphalos Daemonium in sein im Warpraum geborenes Fleisch eindrang und eine große Schramme riss. Dunkles Blut lief seine Rüstung hinunter, und seine Kraft ließ nach. Die Lange Zeit des Eingesperrtseins in den Tiefen Khalan-Ghols hatte ihm einen Großteil seiner diabolischen Spannkraft geraubt. Ein weiterer Schlag traf seine Brust und schleuderte ihn durch die Kammer. »Die Ewigkeit erwartet dich!«, brüllte der Omphalos Daemonium. »Eine Ewigkeit der Gefangenschaft im Feuer wird nichts gegen die Qualen sein, die du erleiden wirst!« Rauch und Trümmer fielen in einem beständigen Regen von den Wänden und zerschmetterten alles, was sich ungeschützt auf dem Kavernenboden befand. »Du kannst mich nicht vernichten. Ich bin das Blutherz!« Der Omphalos Daemonium rannte zu ihm, und in seinen Augen brannte ein grimmiges, rachsüchtiges Feuer. Das Blutherz sprang auf und schlug mit seiner Peitsche zu. Der Schlag traf seinen Feind am Kopf und entrang ihm ein ohrenbetäubendes Schmerzgebrüll, während dunkles Blut spritzte, da der Hieb ihm ein Hörn abtrennte. Das Blutherz taumelte in der kurzen Atempause davon, die ihm sein Glückstreffer verschafft hatte. Es watete in den Blutsee zurück und spürte, wie die belebende Flüssigkeit in sein immaterielles Fleisch eindrang, so dass neue Kraft in seine Essenz einsicker-
te. Doch dies war schlechtes, abgestandenes Blut, das mit dem Makel der psionischen Energien verseucht war und dem die heiße Qualität fehlte, die es dringend benötigte, um seinen Feind zu besiegen. Vom Omphalos Daemonium verfolgt, brachen Erinnerungen über das Blutherz herein und schrien in seinem Schädel, obwohl es nicht mehr die geistigen Kapazitäten hatte, sie wirklich abzurufen. Der Wahnsinn, der es im Laufe seiner Gefangenschaft verzehrt hatte, beraubte ihn auch der Klarheit der Gedanken bis auf den einen, dass es Blut brauchte, Blut wollte... Blut ersehnte! Eine starke Vision von einer riesigen Festung schwamm durch die fließende Landschaft seiner Erinnerung - nein, nicht seiner Erinnerung, sondern der blutgetränkten Erinnerung des Avatars Khornes, der Kreatur, zu der die Rüstung in seiner Abwesenheit geworden war... Eine Vision von einer Schlacht neben den Iron War-riors gegen einen der Magie mächtigen Feind in gelber Rüstung - einen der Anhänger des Leichen-Gottes - und von einem heulenden Sturmwind aus Blut, der wie ein Wirbelsturm tobte und seine Essenz mit unvorstellbarer Kraft erfüllte. Etwas in dieser Erinnerung war der Schlüssel, den es brauchte, um seinen Rivalen zu besiegen und den Omphalos Daemonium zurückzutreiben in das feurige Gefängnis, in den es ihn für eine Ewigkeit eingesperrt hatte. Ein einziges Wort durchdrang den komaähnlichen Zustand des Blutherzens aus Amnesie und Wahnsinn. Blutsturm... Der erste Schuss traf Uriel in den Bauch, als er vorstürmte, und durchschlug die verknotete Masse des Narbengewebes, das die Wunde bedeckte, welche ihm die Nornenkönigin der Tyraniden beigebracht hatte. Er war zu nah, und das Geschoss flog zu schnell, um in seinem Leib zu explodieren, aber das tat es einen Sekundenbruchteil später, nachdem es tief unten in seinem Rücken ausgetreten war, und beharkte ihn mit sengenden Splittern. Der zweite explodierte auf einem seiner wenigen noch intakten Rüstungsteile, und die heißen Splitter fegten aufwärts und zerkratzten ihm die Wange, während der dritte ein Stück in seiner Seite zu einer roten Ruine sprengte.
Er taumelte, rannte dann jedoch weiter und hieb dem Iron Warrior, der auf ihn geschossen hatte, die feurige Klinge seines Schwerts durch den Hals. Pasanius wurde viermal getroffen, und seine Rüstung lenkte zwar die Mehrheit der Geschosse ab, konnte ihn aber nicht vollkommen schützen. Der ehemalige Sergeant fiel und riss dabei den Iron Warrior vor sich mit zu Boden, um ihm mit lautem Knacken das Genick zu brechen. Uriel wurde noch einmal getroffen, und er fiel auf den harten Boden. Boltgewehrschüsse krachten. Uriel hörte einen Schrei der Schmerzen und Überraschung. Gebrüll und noch mehr Schüsse. Er versuchte sich aufzuraffen und spürte einen durchdringenden Schmerz bei jeder Bewegung, während er sich fragte, warum er noch nicht tot war. Bellendes Hassgebrüll hallte überall rings um sie, das Geheul äußerster Wut und Qualen. Unter dem Gestank nach Blut und Tod konnte Uriel auch den Geruch von nassem, rohem Fleisch wahrnehmen, und ihm ging auf, was geschah. Blut spritzte aus dem zerfetzten Stumpf des Halses eines Iron Warriors, und Uriel schrie triumphierend, als er sah, wie die ramponierte, aber ungebeugte Gestalt des Herrn der Hautlosen seine grausige Trophäe in eine Ecke schleuderte, bevor er einen anderen Iron Warrior ansprang, der hektisch auf die angreifenden Ungeheuer schoss. »Eisenmänner sterben!«, brüllte er, da die Überlebenden Hautlosen über Honsous Krieger herfielen. Der Krieger mit der Haarsichel schoss die siamesischen Zwillinge nieder, und der weißglühende Strahl seiner Waffe löschte das Wesen mit einem Zischen ultrahoch erhitzter Luft aus. Onyx wich den brutalen Hieben zweier Hautloser gewandt aus, wirbelte um sie herum und schnitt ihnen die Achillessehnen durch, während er ihren Angriffen tänzelnd auswich. Uriel sah Honsou vor dem Angriff der Hautlosen zurückweichen, und er wälzte sich auf die Seite und schwang sein Boltgewehr herum. Ihm ging auf, wie sehr ihm die Fürsorge der Rüstung fehlte, als ihm die durch die brennenden Splitter des Boltgeschosses hervorgerufenen Schmerzen im Rücken stachen. Pasanius lag mit zwei
großen Austrittswunden im Rücken auf einem toten Iron Warrior. »Pasanius!«, rief Uriel. Sein ehemaliger Sergeant drehte den Kopf, und Uriel sah, dass sein Gesicht totenbleich war, die Wangen aschfahl und eingefallen. »Wag mir ja nicht zu sterben, Sergeant!«, rief Uriel, indem er sein Schwert niederlegte und das Boltgewehr in Schussposition brachte. »Aye, Hauptmann«, sagte Pasanius schwach. Rauch und die um sich schlagenden Kämpfer verschworen sich, um Uriel die Sicht zu rauben, aber schließlich bekam er Honsou dennoch ins Visier. »Jetzt stirbst du, Verräter!«, flüsterte Uriel, als er abdrückte und plötzlich Trümmer und Rauch neben ihm explodierten. Doch in dem Augenblick, bevor er Honsou aus den Augen verlor, hatte er noch gesehen, wie der Herr Khalan-Ghols zurückgeschleudert wurde, während sein Helm Keramiksplitter und einen roten Blutstrahl spie. Blutsturm... Die beiden Dämonen standen einander in den Tiefen des Blutsees gegenüber, und ihr gemeinsamer Hass stand wie etwas Greifbares zwischen ihnen. Wirbelnde Kraftströme umwehten sie, und die von beiden im Kampf verbrauchten Energien hatten sie beinahe bis zum Punkt der Auslöschung ausgelaugt. Es blieb nichts mehr zu sagen. Was hätten sich in diesem Augenblick auch zwei Wesen sagen sollen, die schon seit dem Anbeginn der Zeit Feinde waren? Worte waren jetzt nur noch etwas für Sterbliche und solche mit einer Zukunft, um sich an sie zu erinnern. Der Omphalos Daemonium hatte sich auf diesen Augenblick vorbereitet, seit ihn die zufälligen Handlungen zweier Sterblicher befreit hatten, und seine Kraft war sehr viel größer. Aber das Blutherz und der Avatar Khornes waren wieder dieselbe Kreatur, und die Rüstung hatte sich am Tod einer ganzen Galaxis von Seelen genährt. Die Dämonen waren einander ebenbürtig, und keiner konnte die Vernichtung des anderen herbeiführen. Blutsturm... Das Blutherz breitete die Arme aus und entrang sich einen Schrei des Hasses, der die rote Flüssigkeit des Sees teilte und eine Flutwelle von der Mitte nach außen sandte. Ein krauser Wir-
belwind rauen, roten Hungers ging von der Rüstung des Blutherzens aus und fegte durch die Kammer wie die Druckwelle einer Explosion. Ein peitschender Sturm aus hasserfüllter Energie toste durch die in Trümmern liegende Domäne der Brutalen Bestatter, schlug um sich wie ein blindes, empfindungsloses Ungeheuer und drängte den Omphalos Daemonium mit seiner unwiderstehlichen Kraft von dem Blutherz zurück. Der Blutsturm hüllte die wenigen kauernden Mutanten ein, die sich hinter den zerschmetterten Maschinen und den Trümmern der Kammer verborgen hatte. Er senste durch ihr Fleisch und sprengte sie auseinander. Der Blutsturm erfasste die verstümmelte Ruine von Obax Zakayo und beendete dessen Leiden in einer Explosion aus roten Knochen. Der Blutsturm rauschte an den aufgeblähten Gebärmuttern der Daemonculaba vorbei, die eine nach der anderen explodierten wie große, fleischige, blutgefüllte Ballons. Der Blutsturm raste einmal durch die Kammer, und ein Blutmeer wurde von dem ätherischen Taifun aufgewirbelt, während er zum Blutherz in dessen Epizentrum zurückkehrte. Der gewaltige Dämon schwoll zu ungeheuerlichen Proportionen an, und seine Waffen und Rüstung erstrahlten in kaum zu zügelnder Kraft, da der Dämon die Energien zu meistern versuchte, die er dem Ozean reifen Blutes entriss, den er kurz zuvor entfesselt hatte. Jetzt war er bereit. Jetzt würde alles ein Ende haben.
ZWEIUNDZWANZIG Heulende rote Winde fegten durch den Saal der Brutalen Bestatter, und der harsche, metallische Blutgestank blieb Uriel im Halse stecken. Er wälzte sich auf die Seite und hob sein Schwert auf, während die Wut des Taifuns die Luft draußen durcheinanderwirbelte, die wie Peitschenschnüre in ihrer Haut schnitten. Die Iron Warriors sprangen in Deckung, als der ätherische Wirbelsturm durch die Kaverne fegte, und die Hautlosen wurden von seiner Kraft von den Beinen geholt. Der verzweifelte Kampf kam
zum Erliegen, da die Kämpfer Schutz suchten oder sich an massige Felsbrocken klammerten, um nicht mitgerissen zu werden. Uriel keuchte, als ihm die Lebenskraft entzogen wurde, und fühlte sich so machtlos wie eines der schwächlichen Neugeborenen, die in den Bergen Macragges ausgesetzt wurden, um zu sterben. Doch am Rand der Kaverne war die Kraft des Blutsturms am geringsten, und so blieb ihnen das Grauen erspart, das jene ereilte, die dem Blutherzen näher waren. Pasanius grunzte vor Schmerzen, und Uriel sah, wie sich das geronnene Blut in seinem Rücken wieder verflüssigte und von dem vampirischen Sturm in die Luft gerissen wurde. Auch seine eigenen Wunden bluteten stark und fütterten den schrecklichen Dämon im Herzen der Kammer. »Nicht so...«, zischte er. »Nicht so!« Dann war es vorbei, und die jähe Stille nach der heulenden Gewalt des diabolischen Sturms hatte etwas Entnervendes an sich. Uriel stemmte sich auf die Knie hoch und schnitt eine schmerzerfüllte Grimasse, während sich auch jene rings um ihn von dem höllischen Erlebnis erholten. Die Hautlosen heulten vor Schmerzen. Ohne den Schutz einer Haut, die sie vor den schlimmsten Auswirkungen des Blutsturms schützte, sahen ihre Leiber ausgemergelt und hager aus, bleich und blutarm. Uriel zog sich an einem umgestürzten Leichentisch hoch, und die Schmerzen seiner Schusswunden und gebrochenen Knochen waren durchdringend. Sein verbesserter Stoffwechsel hatte das Blut gerinnen lassen und bereits Narbengewebe über den Wunden gebildet, aber er war immer noch schwer angeschlagen. »Komm hoch«, drängte er Pasanius. »Hier gibt es keinen Weg nach draußen. Wir müssen einen anderen finden.« »Ich weiß nicht, ob ich es schaffe«, sagte Pasanius, doch Uriel gab ihm keine Gelegenheit, weiterzureden, sondern zog den ehemaligen Sergeant in die Höhe. Schließlich nickte Pasanius zögernd und sagte: »Schon gut, schon gut, du bist noch schlimmer als Apothekarius Selenus.« Pasanius lehnte sich an einen Trümmerhaufen, während das aus seinen Boltgewehrwunden sickernde Blut wieder gerann. Die Geräusche der in der Mitte der Kammer tobenden Schlacht
hallten weiter, aber dem Gebrüll und dem Klirren der Waffen haftete eine neuerliche Wut an. Als der Blutsturm abgeflaut war, hörte Uriel grausames Gelächter, blechern und maliziös, und er verspürte ein krankes Gefühl in den Knochen, während seine Seele vor so viel Bösartigkeit zurückprallte. Durch den wirbelnden Staub und die Steinlawinen sah Uriel den furiosen Höhepunkt der Schlacht der beiden Dämonen, und der Anblick derart unglaublicher Macht raubte ihm den Atem. Das Blutherz überragte den Omphalos Daemonium jetzt, da es auf die dreifache Größe angewachsen war, und seine schiere animalische Körperlichkeit war etwas, das er so noch nicht erlebt hatte. Nicht einmal der Nachtbringer mit seiner finsteren Erhabenheit hatte ihm diese Art ehrfürchtige Scheu eingejagt. Seine albtraumhafte Ausstrahlung hatte seine Gedanken mit quälenden Visionen von seiner eigenen Düsterkeit erfüllt, aber das hier... Das hier war etwas ganz anderes. Wohin das Blutherz ging, folgte ihm der Tod. Ein roter Nebel hing ihm hinterdrein, ein blutiger Schleier, der vor Nässe glänzte, und bei jedem Schritt wirbelten seine Waffen durch die Luft und hinterließen dunkle Schlieren, welche die Wirklichkeit aufrissen. Der dämonische Iron Warrior wich davor zurück, zerschlagen und gebrochen, da ihm die Rüstung vom Leib gerissen wurde und Seim aus seinen Wunden rann. Jeder gewaltige Hieb des Blutherzens drängte ihn weiter zurück, und mit jedem Schritt wurden seine Paraden unbeholfener. Er wich verzweifelt zur zischenden Dämonenmaschine zurück, die ihn hergebracht hatte, und aus deren kreischenden Schloten schrille Schreie der Qual drangen. Doch das Blutherz wollte sich nicht um seinen Sieg bringen lassen, und seine Peitsche zuckte vor, wickelte sich um den Arm des anderen Dämons und riss ihn in einer Fontäne schwarzen Bluts ab. Der Omphalos Daemonium fiel auf die Knie und brüllte in wütendem Trotz, doch vergeblich, da das Blutherz näher herantrat und ihm mit einem einzigen Axthieb den Kopf von den Schultern trennte. Der gerüstete Dämon brach zusammen, und eine Flut von Blut strömte aus der tödlichen Wunde. Das Blutherz reckte seine Waffen in die Höhe und stieß dabei ein dem Blutgott geltendes ohrenbetäubendes Triumphgeheul aus, das die Mauern der Kammer erbeben ließ.
Dunkle Energien wirbelten aus dem vernichteten Dämon, und das Blutherz zuckte, als es von der Essenz seines alten Feindes trank, da seine Glieder unter der Einwirkung der geerbten Macht erbebten. Noch während er die Beute seines Siegs genoss, ver-blasste der rote Himmel langsam, der mit der Ankunft des Omphalos Daemonium heraufgezogen war, und die in dem verfluchten Metall der Dämonenmaschine eingesperrten schreienden Seelen heulten mit neuerlicher Kraft. Zischende Knochenkolben stampften, da die monströse Dämonenmaschine die Kraft aufbaute, um ihrem sterbenden Herrn und der einstürzenden Kaverne zu entrinnen. Dann, als seien die Schlacht und die durch seinen Sieg entfesselte schiere Kraft zu viel für das furchtbare Wesen, sank es auf die Knie, satt und von dunkler Energie überwältigt. Axt und Peitsche entglitten den Krallenhänden des Blutherzens, da es auf die Seite fiel, während sich der Glanz seiner roten Haut zu einem heißen Zinnober vertiefte und das Wesen rauchte und zischte, als sei es an einem elektrischen Schlag verendet. Mit dem Zusammenbruch der beiden Dämonen war auch das misstönende scheppernde Klirren der Dämonenwaffen verstummt und dem allgegenwärtigen Donner der Artillerie draußen gewichen. Die Schlacht innerhalb Khalan-Ghols mochte einstweilen vorbei sein, aber die von Toramino entfesselten Gewalten hielten an. Uriel hielt den Atem an, denn er befürchtete, die geringste Bewegung könne den Dämon wieder aufspringen lassen. Doch nichts dergleichen geschah, und er stieß einen tiefen Seufzer aus, während der Herr der Hautlosen zu ihm kam und sich herunterbeugte, so dass sein Kopf auf einer Höhe mit ihm war. »Wir Eisenmänner getötet!«, sagte er. »Ja«, sagte Uriel müde. »Das haben wir.« »Imperator glücklich?« Uriel schaute sich in den Ruinen des Saals der Brutalen Bestatter um und sah, dass praktisch nichts mehr davon übrig war. Alles war in dem kataklysmischen Kampf der beiden Dämonen zerstört worden. Das hier entfesselte Grauen gab es nicht mehr, und den leidenden Opfern der bizarren Experimente war endlich der Frieden des Imperators gewährt worden. Der Blutsee war jetzt nicht mehr als ein staubiger Krater, und die Käfige der Daemon-
culaba waren nur noch verbogene Eisentrümmer. Von den Daemonculaba selbst waren nur noch traurige Haufen zerstörten Fleisches übrig, und Uriel spürte, wie eine große Last von ihm abfiel, als er erkannte, dass sie ihren Todeseid erfüllt hatten. Die Wesen, die Tigurius in seiner Vision gesehen und mit deren Zerstörung sie Marneus Calgar beauftragt hatte, gab es nicht mehr. »O ja«, sagte Uriel. »Der Imperator ist glücklich. Ihr habt den Imperator sehr glücklich gemacht.« Der Herr der Hautlosen richtete sich zu seiner vollen Größe auf und schlug sich mit seinen gewaltigen Fäusten auf die Brust. Seine wenigen überlebenden Brüder folgten seinem Beispiel und heulten ihre Freude in den verblassenden roten Himmel. »Stamm! Stamm! Stamm!«, brüllten sie immer wieder. Uriel nickte und tat es der gewaltigen Kreatur nach, indem er sich mit den Fäusten auf die Brust hieb und aus Leibeskräften »Stamm! Stamm! Stamm!« rief. Pasanius schaute ihn merkwürdig an, aber Uriel ging zu sehr im urtümlichen Hochgefühl der Hautlosen auf, um sich daran zu stören. Als der Sprechchor verstummt war, richtete der Herr der Hautlosen seine Aufmerksamkeit wieder auf die wenigen überlebenden Iron Warriors, die sich nun nach dem Abflauen des Blutsturms wieder aufrappelten. Der Herr der Hautlosen wandte seinen hungrigen Kopf in Uriels Richtung und fragte: »Fleisch?« Uriels Herz verhärtete sich, als er zögernd nickte. »Fleisch«, stimmte er zu. Diese Iron Warriors waren die besten aus Honsous großer Kompanie, aber selbst sie konnten der voll entfesselten Wut der Hautlosen nicht standhalten. Der Boden war mit Toten übersät, sowohl mit Iron Warriors als auch mit ihren monströsen Halbbrüdern, aber das war nur ein schwacher Vorgeschmack darauf, was nun folgte. Rüstungen wurden aufgebrochen und Glieder aus den Gelenken gerissen, als sich die Hautlosen über die noch lebenden ihrer verhassten Schöpfer hermachten. Uriel half Pasanius auf die Beine, während er mit ansah, wie das Dämonenwesen Onyx von einem Rudel der Hautlosen umzingelt wurde. Der dunkel gerüstete Krieger kämpfte mit unglaublicher Flinkheit, aber die Hautlosen ließen sich trotz ihrer Wunden, die
schwächere Gegner dreimal getötet hätten, nicht beirren. Uriel hatte kein Mitleid mit Onyx, denn es war ein Wesen aus dem Warp, eine Widernatürlichkeit, und als es schließlich unter einer brüllenden Masse Hautloser zu Boden ging, wandte er sich ab. »Was machen wir nun also?«, fragte Pasanius, indem er sich an einen Trümmerhaufen aus Betonplatten lehnte und sich Staub und Blut vom Gesicht wischte. »Ich weiß es nicht«, antwortete Uriel ehrlich. »Wir haben vollbracht, was uns aufgetragen wurde. Wir haben unseren Todeseid erfüllt.« Trotz seiner offensichtlichen Schmerzen lächelte Pasanius, und die mürrische Last, die sein Freund seit den letzten Tagen auf Tarsis Ultra mit sich herumgeschleppt hatte, schien von ihm abzufallen. »Es ist schön, dich wieder lächeln zu sehen, mein Freund«, sagte Uriel. »Aye, es ist schon eine Weile her, seit mir zuletzt danach war.« »Unsere Ehre ist wiederhergestellt«, sagte Uriel. »Weißt du«, sagte Pasanius. »Ich glaube eigentlich nicht, dass wir sie je wirklich verloren hatten.« »Vielleicht nicht«, stimmte Uriel zu. »Wenn es doch nur einen Weg gäbe, das unseren Brüdern auf Macragge zu sagen.« »Ich glaube nicht, dass sie je erfahren werden, was hier passiert ist.« »Nein, das werden sie wohl nicht«, sagte Uriel. »Aber das spielt keine Rolle. Wir wissen es, und das reicht.« »Aye, ich glaube, du hast recht, Hauptmann.« »Ich habe dir doch gesagt, dass du mich nicht so anreden sollst.« »Bis jetzt nicht«, stellte Pasanius fest, »aber wir haben unseren Todeseid erfüllt, und jetzt bist du wieder mein Hauptmann.« Uriel nickte. »Das bin ich wohl.« Die beiden Krieger schüttelten sich die Hände, erfreut noch am Leben zu sein und im Genuss des Gefühls, erreicht zu haben, was sie sich vorgenommen hatten. Da spielte es auch keine Rolle, dass sie immer noch auf einer albtraumhaften Dämonenwelt viele Tausend Lichtjahre von der Heimat entfernt festsaßen. Ihr Erfolg war einfach nur dadurch gut, dass sie ihn erzielt hatten.
Was jetzt auch geschah, sie hatten es geschafft. Es war vorbei. Der Herr der Hautlosen näherte sich. Sein mit Reißzähnen bewehrtes Maul war blutverschmiert. »Wir jetzt gehen?«, fragte er. »Von hier weg?« »Von hier weg?«, sagte Uriel. »Wie? Wir können nirgendwohin. Der Weg zum Fahrstuhl ist unpassierbar, und viele Hundert Tonnen Gestein haben den Abfluss verstopft. Es gibt keinen Ausweg.« Der Herr der Hautlosen bedachte ihn mit einem schiefen Blick, als könne er nicht glauben, dass Uriel so begriffsstutzig war. Er zeigte über Uriels Schulter und sagte. »Maschine von großem Eisenmann auch weg von hier!« Einen Moment war Uriel völlig verwirrt, bis sein Blick dem zeigenden Finger des Herrn der Hautlosen folgte und er die dunkle Gestalt des gepanzerten Leviathans sah, der den Schlachtermann hergebracht hatte, Die Dämonenmaschine stampfte einem der schädelumringten Tunnel entgegen, die sie erschaffen hatte, um sich in der Maschine manifestieren zu können. Die rot beleuchtete Tür in ihr Inneres stand noch offen, und obwohl die herrenlose Maschine langsam Fahrt aufnahm, blieb immer noch genug Zeit, an Bord zu gehen. »Hat großen Eisenmann hergebracht«, sagte der Herr der Hautlosen. »Bringt uns auch weg!« Uriel wechselte einen Blick mit Pasanius. »Was meinst du?«, sagte Uriel, während die Andeutung eines Lächelns seine Mundwinkel umspielte. »Ich glaube, wohin uns das Ding auch bringt, kann es nur besser sein als hier, Hauptmann«, sagte Pasanius, indem er sich von den Felsen abstieß und sich die Wunden hielt. »Ich hoffe, du hast recht.« »Tja, entweder das, oder Toraminos Artillerie macht uns nieder.« »Gutes Argument«, stimmte Uriel zu und wandte sich an den Herrn der Hautlosen. »Versammle den Stamm. Wir gehen.« Der Herr der Hautlosen nickte, und seine massigen Schultern hoben sich bei der Bewegung. Er warf den Kopf in den Nacken und stieß ein sich steigerndes Geheul aus. Binnen Sekunden lösten sich die Hautlosen von ihrem grausigen Mahl und gesellten sich zu ihrem Anführer. Weniger als ein Dutzend von ihnen lebten noch, und Uriel war schockiert, wie wenige
das Unternehmen Khalan-Ghol überlebt hatten. Ardaric Vaanes hatte recht gehabt, als er gesagt hatte, die meisten, wenn nicht alle, würden hier sterben. Uriel nickte. »Also gut, machen wir, dass wir von hier verschwinden.« Einen Moment lang glaubte Honsou, er sei tot. Als ihm dann aufging, dass er es nicht war, glaubte er, er sei erblindet. Er fühlte nur Schmerzen und hörte die dumpfen Schläge der irgendwo über ihm einschlagenden Artillerie. Er richtete sich auf, und da er ein Brennen in den Augen verspürte, löste er die Vakuumsiegel am Nackenschutz seiner Rüstung. Sie waren aufgesprengt und nutzlos, also riss er sich den Helm vom Kopf, wobei ihm aufging, dass er gar nicht blind war, sondern ihm lediglich Klumpen geronnenen Blutes die Augen verklebten. Honsou klaubte sich die Klumpen der klebrigen Materie aus dem Gesicht und spie einen Mund voll Dreck aus. Er wischte sich noch einmal das Gesicht ab, erzürnt darüber, dass er auf einem Auge immer noch nichts sehen konnte. Weiteres Sondieren erbrachte, dass es einen guten Grund dafür gab. Das Geschoss hatte einen Teil seines Kopfes pulverisiert, und seine linke Gesichtshälfte war eine blutige, verbrannte Ruine, sein Auge eine klebrige, geschmolzene Schweinerei. Schwindel und Übelkeit erfassten ihn, aber er streckte seinen silbernen Arm aus, um sich zu stützen, und lachte kurz, als er sah, dass der Arm glatt und makellos war, und das trotz der brutalen Kämpfe, die er seit der Transplantation des Arms ausgefochten hatte. »Sei verdammt, Ventris, jetzt hast du mich schon zweimal mit meinem eigenen Blut geblendet.« Honsou richtete sich auf die Knie auf und versuchte sich die letzten Momente der Schlacht zusammenzureimen. Er erinnerte sich, Ventris gegenübergestanden zu haben, und an den verzweifelten Sturmangriff der Ultramarines, der in einem Hagel von Boltgeschossen sein Ende gefunden hatte. Oder wenigstens hätte er darin sein Ende finden müssen. Das Glück der Verdammten war mit ihnen, und sie hatten lange genug überlebt, um zwei seiner Krieger zu töten. So töricht heldenhaft ihr Sturmangriff auch gewesen war, er hatte ihnen bestenfalls
Momente erkauft. Aber dann hatten die Ungeheuer angegriffen. Honsou verspürte immer noch einen Schauder des Abscheus, als er an ihre unvorstellbare Scheußlichkeit zurückdachte. Ihre Leichen lagen überall rings um ihn verstreut, und als er sich von dem Geröll befreite, unter dem seine Unterschenkel begraben waren, und sich schwankend erhob, empfand er Erstaunen darüber, das so unglaublich widerlich Kreaturen überhaupt leben konnten. Er hatte von den Hautlosen gehört, hätte sich aber nie träumen lassen, sie könnten so furchterregend und einmal sein Untergang sein. Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, war der Schuss, den Ventris aus seinem Boltgewehr abgegeben hatte. Er hatte gesehen, wie der Ultramarine auf seinen Kopf gezielt hatte, und sich reflexartig weggedreht. Er konnte sich noch an den Mündungsblitz erinnern und an einen grellen, brennenden Schmerz im Gesicht, dann... dann an nichts mehr bis zu diesem Moment. »Eisen von innen.«, rief er. Er bekam keine Antwort und wusste somit, dass alle Krieger tot waren, die ihn ins Reich der Brutalen Bestatter begleitet hatten. Er schlug sie sich aus dem Kopf und begutachtete bewundernd die Zerstörung rings um sich. Von der Kammer war nichts mehr übrig. Der Kampf der Dämonen und das beständige Bombardement von Toraminos großen Batterien hatten sie in Schutt und Asche gelegt. Eine Bewegung fiel ihm ins Auge, und er hob seine Axt auf, bevor er schwankend zu der Stelle ging. Ein Iron Warrior, der unter dem halb verzehrten Kadaver eines anderen lag, stöhnte vor Schmerzen. Honsou hob den Leichnam von dem darunter begrabenen Iron Warrior und sah, dass es sein jüngster Unterführer war, Cadaras Grendel. An den Beinen war die Rüstung des Kriegers weggerissen, und große Bissen hatten ihn ein beachtliches Stück seines Oberschenkelmuskels gekostet. »Immer noch am Leben, Cadaras Grendel?«, sagte Honsou. »Aye«, erwiderte Krieger. »Ich sterbe nicht so schnell. Helft mir auf.« Honsou streckte die Hand aus und zog Cadaras Grendel in die Höhe. Der grimmgesichtige Schlächter hob seine Waffe vom Bo-
den auf und überprüfte den Mechanismus, bevor er sagte: »Dann ist es vorbei?« Honsou zuckte die Achseln. »Vielleicht. Ich weiß es nicht. Aber es sieht so aus.« Cadaras Grendel nickte. »Was ist mit Toramino?« »Was soll mit ihm sein?« »Ich will ihn immer noch töten.« »Wollen wir das nicht alle?«, sagte Honsou, der durch einen großen Riss in der Seite des Bergs starrte. Aus den magischen Türmen rings um seine Festung hämmerte immer noch blaues Feuer auf sie ein. Toraminos Artillerie-Offiziere waren gründlich, überlegte Honsou, wenn sie einen Berg aufgebrochen hatten. Als er sich umdrehte, sah er einen funkelnden Haufen zuckenden Metalls neben dem Durchgang zu dem Tunnel liegen, der zum Fahrstuhlkäfig geführt hatte. Als er einen abgelegten Satz Bronzekrallen neben dem Metall liegen sah, ging er zu dem Schrotthaufen. Beim Näherkommen sah er, dass es sich nicht um schlichte Trümmer handelte, sondern um die noch lebenden Überreste seines Kämpen. Onyx lag zuckend auf dem Boden. Seine schwarze Rüstung war gesprungen und von seinem Leib gerissen. Die Ungeheuer hatten ihm die dämonische Haut vom Metall seines Skeletts gerissen. Das immaterielle Fleisch des dämonischen Symbionten hatte einen Sprössling des Warps beherbergt, und ohne einen Körper war er aus seiner Hülle vertrieben worden. Von Honsous Kämpe war nur noch eine Sammlung lose verbundener silberner Glieder, Messingkolben und ein Bronzeschädel mit Augenhöhlen übrig, aus denen sich langsam trübendes silbriges Licht sickerte. »Bist du da drinnen, Onyx?«, fragte Honsou. »Noch«, antwortete Onyx mit einer Stimme, die kaum mehr als ein heiseres Flüstern war. »Was ist dir zugestoßen?« »Die Ungeheuer...«, zischte das Wesen, das seine Auflösung nur mit Mühe aufhalten konnte. »Sie haben mir die Haut abgezogen, so dass sich der Dämon in mir nirgendwo mehr verstecken konnte. Er ist geflohen und hat mich so zurückgelassen...« Cadaras Grendel gesellte sich zu Honsou und sagte: »Das ist das Dämonending, auf das ich achten sollte?« »Aye«, nickte Honsou.
»Sieht jetzt nicht mehr nach viel aus.« »Nein, wirklich nicht«, sagte Honsou, während er sich abwandte und zur Mitte der Kammer humpelte. »Was soll ich damit machen?«, rief Cadaras Grendel ihm hinterher. »Entsorge es«, sagte Honsou mit einer verächtlichen Handbewegung. Er kletterte unter Schmerzen über die vielen Haufen aus Trümmern und Leichen, und als er das heiße Zischen von Cadaras Grendels Meltergewehr hörte, wusste er, dass Onyx nicht mehr existierte. Die Mitte der Kaverne sah wie das Epizentrum eines großen Orbitalbombardements aus. Der Boden war infolge der Schlacht, die hier getobt hatte, aufgerissen und zerfurcht. Überall lagen Leichen und Trümmer herum, die so zerschmettert waren, dass sich nicht mehr sagen ließ, was sie zu Lebzeiten gewesen waren. Eine in ihren Proportionen gigantische Servorüstung lag am Rande eines tiefen Kraters, und davor lag das Blutherz. Der Leib des gewaltigen Dämons hatte eine matte glutrote Farbe wie halb erloschene Funken, die jeden Moment wieder zum Leben angefacht werden konnten. Die Brust hob und senkte sich in gesättigter Lust, und die feurigen Streifen seiner Adern pulsierten in neuerlichem Leben. Die neben dem Dämon liegende Axt war doppelt so groß wie Honsou, und obwohl er wusste, dass es unmöglich war, spürte er den unbestreitbaren Drang, sie aufzuheben. Seine eigene Axt grollte in seiner Hand, und er wusste, dass es die dämonische Ausstrahlung in der Waffe des Blutherzens war, die ihn ansprach. Honsou marschierte zum ruhenden Körper des Blutherzens und verpasste ihm einen Stiefeltritt an den gehörnten Schädel. »Komm hoch!«, rief er. »Du bist jetzt frei, und es sind Zauberer zu töten! Auf mit dir!« Die lavaheißen Adern des Dämons flammten auf, und seine Augen öffneten sich, in denen ein seelenloses weißes Feuer wie von sterbenden Sonnen brannte. Das Blutherz schüttelte die Sattheit im Zuge seines siegreichen Kampfes ab und richtete sich zu voller Größe auf, während die riesige Axt und die Peitsche in seine großen Krallenhände sprangen. »Das ist besser«, knurrte Honsou, als der Dämon hoch vor ihm aufragte.
»Wer wagt es, mich aus meiner Blutversunkenheit zu wecken?«, blaffte der Dämon. »Ich bin Honsou. Mischling. Herr von Khalan-Ghol.« Der kolossale Dämon überragte Honsou, der jedoch keinen Schritt wich und entschlossen war, keine Furcht vor dieser Kreatur zu zeigen. »Du bist vom Warp gezeichnet«, sagte das Blutherz. »Du warst Haut für einen meiner Art.« Honsou nickte. »Ja, ich war einmal für kurze Zeit mit der Berührung eines Dämons des Chaos gesegnet.« »Ich rieche immer noch Zauberei an diesem Ort«, fauchte der Dämon. »Genau«, sagte Honsou. »Meine Feinde setzen mächtige Magie gegen mich ein und wollen meine Festung zerstören.« »Du bist der Herr dieses Ortes?« »Gegenwärtig, ja«, bestätigte Honsou. »Wo sind diese Feinde, die sich zur Benutzung übler Zauberei herabwürdigen?«, wollte der Dämon wissen. Honsou schaute durch die große Bresche in der Seite des Bergs und zeigte auf die knisternden blauen Feuer dahinter. »Da draußen«, sagte er. »Der Kriegsfürst, der das Heer befehligt, das meine Festung angreift, ist ein Zauberer, der viele Zauberkundige in seinen Diensten hat.« »Ich werde ihn töten und seine Seele für alle Ewigkeit zerreißen«, versprach das Blutherz, drehte sich um und zwängte sich durch den Riss im Berg nach draußen. Honsou kletterte zu dem Riss im Fels und ließ den Blick über den in Rauch gehüllten Berghang schweifen, um mit unverhohlener Belustigung zuzuschauen, wie der unaufhaltsame Dämon auf die Front von Toraminos Armee traf. »Ja«, lachte er. »Mach genauso weiter...«
EPILOG Das Sanktuarium hallte von den Geistern der Toten wider, da seine Blockhäuser und Bunker verlassen waren. Natürlich hatte es hier schon so ausgesehen, als sie diesen Ort entdeckt hatten, aber jetzt wirkte alles so leer, als sei die kurze Zeit der Besetzung durch den Kriegertrupp nicht mehr als ein letztes Aufbäumen ge-
wesen. Ardaric Vaanes wusste, dass sie nicht mehr länger bleiben konnten. Dieser Ort war in seiner Erinnerung für immer makelbehaftet. Hier hatte Ventris ihm und Vaanes' Männern seine Lügen untergeschoben. Die Lüge der Ehre. Dieselbe Lüge hatte überhaupt erst zu seiner Verbannung aus seinem Orden geführt. Dieselbe Lüge, die ihn auf diesem trostlosen, erbärmlichen Misthaufen von einer Welt beinahe das Leben gekostet hatte. Ehre... Was nützte sie einem, wenn sie einem nur Tod und Leiden einbrachte? Dreißig Krieger hatten an diesem Ort gelebt, von hier aus gegen ihre Feinde gekämpft und überlebt... immer überlebt. Bis Ventris gekommen war. Sie hatten kein großartiges Leben geführt, aber wenigstens war es ein Leben gewesen. »Du hast sie alle umgebracht, du Schwein«, zischte Vaanes, und sein Hass auf den Hauptmann der Ultramarines schwelte wie ein Feuer in seinem Herzen, während er mit seiner Energieklaue Spiralen in den Staub ritzte. Svoljard, hochgewachsen und wild in seiner grauen WolfBrother-Rüstung, und Jeffar San, der stolze und hochmütige White Consul, waren alles, was von seinem Kriegertrupp übrig war, und Ardaric Vaanes wusste, dass sie von Glück sagen konnten, wenn sie die nächsten Tage überlebten. Nachdem er Ventris und dessen zusammengewürfelten Haufen von Ungeheuern und Missgeburten verlassen hatte, waren die drei durch die Berge zu ihrem Sanktuarium zurückgekehrt und hatten die rings um die Festung tobenden großen Schlachten aus der Ferne beobachtet. Das Spektakel war wunderbar gewesen, und bei dem unglaublichen Angriff die große Rampe empor hatte Vaanes unerklärlicherweise gehofft, Honsou könne sich wider alle Wahrscheinlichkeit gegen seine Gegner behaupten. Beim Kollaps der Rampe und der anschließenden Vernichtung der Armee von Berossus hatte er jubeln wollen. Doch so spektakulär dieser Akt der Zerstörung auch gewesen war, gegen das anschließende Chaos und Gemetzel war er nichts gewesen.
Die strömenden Säulen aus blauem Feuer, welche die Festung umgaben, hatten gnadenlos auf sie eingehämmert und den Berg Stück für Stück zerrissen. Gewitter aus magischer Energie brachen mit unvorstellbarer Gewalt über das Gestein herein und zerschmetterten uneinnehmbare Türme im Zeitraum eines Augenzwinkerns. Vaanes hatte so etwas noch nie gesehen, und obwohl der Anblick der Zerstörung Ehrfurcht gebietend war, verspürte er doch einen Anflug von Bedauern, dass es Honsou nicht gelungen war, noch einen letzten Trick aus dem Hut zu ziehen, um Toramino zu besiegen. Dann war das Blutherz gekommen, und alles hatte sich verändert. Es war aus den Tiefen des Bergs gekommen wie ein roter Wirbelsturm des Todes und hatte alles vor sich in einer Orgie der Zerstörung vernichtet, die in ihrer Brutalität schwindelerregend war. Nichts konnte sich vor diesem Avatar der Zerstörung behaupten - keine Männer, keine Iron Warriors, keine Panzer, nicht einmal Toraminos Dämonenmaschinen. Alles, was auch nur in die Nähe des kolossalen Dämons kam, starb, wurde von seiner kreischenden Axt niedergemetzelt oder unter seiner monströsen Körperfülle zerquetscht. Das Gemetzel hatte Tage angedauert, aber am Ende war Toraminos Armee vor dem Lieblingsavatar des Blutgotts geflohen, solange sie noch konnte, und hatte das rauchende Wrack von Khalan-Ghol dem Mischling überlassen. Honsou war immer noch der Herr von Khalan-Ghol, und obwohl es Vaanes gefreut hatte, dass der arrogante Toramino zurechtgestutzt worden war, überlief ihn ein eisiger Schauder der Beklommenheit. Er wusste, dass der Mischling ganz sicher furchtbare Rache an jenen üben würde, die ihn angegriffen hatten. Jedenfalls hätte Vaanes es an seiner Stelle getan, und nach allem, was er über Honsou wusste, hatte er den Verdacht, dass sie in dieser Beziehung nicht so verschieden waren. Das war vor einer Woche gewesen, und da ihnen nichts anderes übrig blieb, waren er, Svoljard und Jeffar San im Sanktuarium geblieben, da sie mit ihren neuen Lebensumständen zurechtzukommen versuchten. Was sollten sie tun? Wohin sollten sie gehen?
Sollten sie nach einer Möglichkeit suchen, Medrengard zu verlassen, und ihr Glück wieder als Söldner versuchen? Vielleicht, aber Vaanes hatte die Vorliebe für verzweifelte Unternehmen verloren und konnte der Vorstellung nichts abgewinnen, durch die Galaxis zu ziehen und wieder für unbedeutende Tyrannen zu kämpfen. Er wurde von Schritten hinter sich aus seinen verbitterten Grübeleien gerissen. Er löschte die Spirale aus, die er in den Staub gemalt hatte, und als er sich umdrehte, sah er Svoljard in der Tür, dessen wolfsartige Züge einen grimmigen Ausdruck der Unausweichlichkeit angenommen hatten. »Was gibt es?«, fragte Vaanes. »Ärger«, sagte der Wolf Brother. Jeffar San stand im Eingang des Blockhauses, das Boltgewehr locker auf der Schulter, und hatte seine langen, schmutzigen blonden Haare zu einer Skalplocke zusammengefasst. Vom Weiß seiner Rüstung war unter dem Schmutz und Unrat, den sie von ihrem Abenteuer in Khalan-Ghol mitgebracht hatten, kaum noch etwas zu sehen, aber er strahlte immer noch eine arrogante Aura verblasster Erhabenheit aus. »Was ist los?«, schnauzte Vaanes, als er und Svoljard in das helle, immerwährende Tageslicht traten. »Da drüben«, sagte Jeffar San, indem er auf eine Stelle zeigte, wo ein einzelnes Fahrzeug am Ende eines schattigen Tals stand. Vaanes erkannte darin einen unglaublich starken Kampfpanzer des Typs Landraider, dessen harte, eiserne Seiten mit gelben und schwarzen Streifen geschmückt und dessen obere Panzerplatten mit Stacheln eingefasst waren. Ein toter Körper lag gefesselt und mit gespreizten Gliedern auf der oberen Bedachung des Panzers. Seine Gliedmaßen waren blutig und die Darmschlingen um die dicken Stacheln des Panzers gewickelt. Gewaltige Geschütze in gepanzerten Schwalbennestern waren auf das Blockhaus gerichtet. Die Kraft dieser Waffen war enorm, wusste Vaanes, und ganz leicht in der Lage, das Blockhaus mit einem Schuss in Schutt und Asche zu legen. Warum schoss er also nicht? Honsou - denn niemand sonst würde sie hier suchen - würde keinen anderen Grund haben, hierherzukommen, als den, sie zu töten. »Warum schießt er nicht?«, zischte Svoljard, der dasselbe dach-
te. »Ich glaube, das finden wir gleich heraus«, sagte Vaanes mit einem Kopfnicken zu dem massigen Panzer, dessen vordere Sturmrampe gerade mit lautem Krachen auf die Felsen herabgesenkt wurde. Drei Krieger stiegen aus, alle in der Rüstung der Iron Warriors und bewaffnet. »Was soll das denn?«, sagte Vaanes, als die Iron Warriors die Sicherheit ihres Fahrzeugs verließen, über die ruinierten Gräben zu ihnen kamen und dabei einen Bogen um die scharfkantigen Überreste von Panzerfallen machten. Als sich die Iron Warriors ihnen weiter näherten, flüsterte Vaanes: »Haltet euch zum Kampf bereit, wenn ich das Zeichen gebe.« Die anderen beiden nickten, aber er sah, dass ihnen die Aussicht auf ein letztes Gefecht nicht schmeckte. Der führende Krieger setzte seinen Helm ab, und Vaanes war nicht überrascht, als er die ramponierten Züge des Mischlings darunter entdeckte. Eine Seite seines Gesichts war eine Ruine, und ein Knoten augmetischer Vorrichtungen bedeckte seinen halben Schädel, während sein fehlendes Auge durch ein blaues Juwel ersetzt worden war. Der zweite Krieger hatte das Gesicht eines Schlächters. Die Augen waren hart und kalt, und eine stachelige Haarsichel zog sich über seine Schädelmitte. Die dritte Gestalt konnte Vaanes nicht erkennen. Honsous Körper verdeckte seine gerüstete Gestalt. »Du hast einen weiten Weg zurückgelegt, nur um uns zu töten, Honsou«, sagte Vaanes. Der Mischling lachte. »Wenn ich gekommen wäre, um euch zu töten, wärt ihr längst tot.« »Warum bist du dann hier?« »Dazu komme ich noch früh genug«, versprach Honsou. »Ihr habt mit Ventris gekämpft, nicht?« »Aye«, fauchte Vaanes. »Welchen Nutzen ich davon auch hatte.« »Das habe ich mir gedacht.« »Wovon redest du?« »Du trägst eine große Verbitterung in dir, Krieger, aber du bist ein Kämpfer, ein Überlebenskünstler.« »Und?«
»Und ich brauche jetzt Männer wie dich. Die meisten aus meiner eigenen großen Kompanie sind tot, und Berossus' Männer, die mir die Treue geschworen haben, nicht sehr zahlreich. Ich habe Ventris das Angebot gemacht, sich mir anzuschließen, aber er hat es mir ins Gesicht gespien. Jetzt mache ich euch dasselbe Angebot, aber ich glaube nicht, dass ihr genauso reagieren werdet.« »Wir sollen für dich kämpfen?« »Ja.« »Für welches Ziel?« »Für Eroberung, Krieg und Blut. Und für Rache an unseren Feinden.« »Ventris...«, zischte Ardaric Vaanes. »Aye«, nickte Honsou, indem er den Iron Warrior heranwinkte, der hinter ihm gestanden hatte und sich nun an den Hals griff, um seine Helmklammern zu lösen. »Mein Kämpe ist tot«, sagte Honsou, »und ich brauche jemanden wie dich, der diesen neugeborenen Ersatz in der Kunst des Todes ausbildet.« Der Krieger nahm den Helm ab, und Vaanes stieß ein schockiertes Ächzen aus, als er sah, welches Gesicht darunter zum Vorschein kam. Die Haut des Neugeborenen war wächsern und saß schlecht, und an Hals und Kiefer zeichneten sich grobe Nähte ab, aber die patrizischen Züge waren ebenso unverkennbar wie das Gewitterwolkengrau seiner Augen. Es war Uriel Ventris.
ENDE