Emil Rudolf Weiß über Buchgestaltung
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Emil Rudolf Weiß über Buchgestaltung
E. R. Weiß über sich selbst 1921 Das Buch als Gegenstand. Ein Brief 1911 Begleitwort zur Probe der Weiß-Fraktur 1913 Begleitwort zu einer Probe der Weiß-Antiqua 1931 Künstler und Buchkünstler Gestern, heute und morgen. Ein Vortrag 1931 Oskar Loerke: Von der unermüdlichen Freude Für E. R. Weiß 1934
Hamburg 1969
E. R. Weiß über sich selbst 1921 Was ich bin? Sicher kein Impressionist; bin es nie gewesen, meiner Natur nach. Aber merkwürdig: während ich ›impressionistische‹ Studien malte, war alles, was ich bildmäßig malte, was es mich zu malen trieb, Erfindung, und immer das Gegenteil alles Impressionistischen, in jeder Hinsicht. Mir war ächte Kunst immer, was Goethe sie nennt: Symbol. – Hat es je andere ächte Kunst gegeben, als ›expressionistische‹, um das üble Modewort zu gebrauchen? War sie je etwas anderes als Ausdruck der Empfindung dessen, der sie machte? Und wäre sie auch ›nur‹ die der reinen Erlebensfreude des Lichtes gewesen und seiner ›Taten und Leiden‹, der Farbe. Wie armselig die Beschränkung des Expressionismus auf sein Rezept! Man kann das ›Programm‹ der Jungen (ohne das geht es anscheinend nicht!) fast restlos unterschreiben und, wie ich, neun Zehntel von allem, was sie machen, schlecht finden. Was ich liebe? Ziemlich viel: Runge, Cézanne, vieles von Thoma, Picasso, Hofer, Lehmbruck; die wunderbaren Kinderbücher von Freyhold; den Kopf Renoirs von Maillol; Dürers Aquarelle und seinen Dresdener Altar (die Flügel!); manch anderes altes deutsches Bild (herrliche in der Karlsruher Galerie) und Bildwerke, lange bevor sie Mode wurden; und die frühen Holzschnitte, zwanzig Jahre bevor sie der Expressionist für sich in Anspruch nahm! – Das Straßburger Münster!! – Den Rhein im Badischen; Baden überhaupt, das schöne Land, meine Heimat; den Breisgau besonders und Bernau; – Homer (die Odyssee) und die Gedichte der Sappho; den Goethe, den Mann und was er schrieb; Hölderlin! Stifter, Hebel; ein Dutzend Gedichte von Dehmel; den glühenden, den Schöpfer, den Denker, den Aeon, den Helden der Erde Mombert! Dauthendeys ›Reliquien‹. Beethoven!! – ›Die Zauberflöte‹. – Heinrich Schütz, Schubert. Dies lieb’ ich. – Und die Erfinder, Empfinder und Verehrer der Dryaden und Nymphen, Kentauren und Sirenen. Welches Volk hat je etwas Ähnliches gesehen und mit ihm gelebt? – Die großartige Ruhe des ›Chinesischen‹ in der großen Kunst dieses Volkes; manches aus der Bibel, lateinisch, besonders aus dem Neuen Testament. Aber das gehört zu dem, was man nicht liebt, sondern verehrt oder anbetet. Was ich wirklich liebe? R. S. und was sie schafft; und den Albert H. 5
E. R. Weiß über sich selbst Was ich hasse? Nicht viel, das aber gründlich: Den preußischen Ton, den jüdischen Ton, den frommen Ton, den kriechenden Ton, den revolutionären Ton, den Schulmeisterton; deshalb auch den ›Ernst‹ als Programm, Lebensanstellung und Beruf, den Ernst jener Praeceptores Germaniae (artis Germaniae!), die immer aussehen, als hätten sie gerade etwas Saures geschluckt; das Wartenmüssen (ich tu es nicht!).
Was ich habe? Geduld und pupillarische Sicherheit, allemal! Was ich nicht habe? Meine Ruh’; Geschmack; also auch keine künstlerische Verwandtschaft mit César Klein. Zwei kritische Herren haben das entdeckt, und der eine berief sich auf den ändern zur Bestätigung der Richtigkeit seiner Entdeckung. Klein wird darüber ebenso lachen wie ich. Was mich freut? Wenn’s still ist (aber es ist nie still!). Junge Menschen, junge Hunde; ein ›schönes‹ Buch; schöne Buchstaben zu sehen und zu machen; durch den Louvre zu gehen (allein!); am Quai zu bouquinieren; auf dem Lande zu leben (was ich nicht kann); ein Pferd, alle Pferde, ein Nußbaum, eine Akazie, ein Rebberg; Trauben zu sehen, zu malen, zu essen; gutes Brot, ein gutes Glas Wein (das ich nicht habe). – Es gibt nicht mehr viel zum Freuen! – Doch die wahrste Freude: zu arbeiten! Die Daten: Geboren in Lahr, der Stadt des ›Hinkenden Boten‹, in Baden; aufgewachsen im alten Breisach am Rhein, Baden-Baden; studiert in Karlsruhe, etwas gelernt nur bei Poetzelberger; Paris 1896 und lange Jahre jedes Jahr; drei Jahre in Hagen in Westfalen (siehe das Gedicht im ›Wanderer‹); 1906 in Berlin; 1907 an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums, durch Bruno Paul.
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Emil Rudolf Weiß (1875–1942) und Renée Sintenis (1888–1965)
E. R. Weiß: Das Buch als Gegenstand. Ein Brief 1911 Lieber H. Sie haben mein Manuskript für den Fischerschen Jubiläumskatalog erwartet, das ich Ihnen versprach, und bekommen da einen dicken Brief, den Sie schon als solchen ansehen müssen, der Anrede nach. Ich war leichtsinnig, als ich Ihnen versprach, mich für diese Veröffentlichung über die bisherige und die mögliche und zu wünschende künftige Entwickelung des deutschen Buches zu äußern. Doppelt leichtsinnig, weil ich es nicht für meine Sache halte, öffentlich über Dinge zu reden, an denen ich mit anderen schaffend beteiligt bin, also eben deswegen nur bedingte und einseitige Kritik bieten kann, dazu ein bißchen Geschichte und höchst persönliche Forderungen. – In den Fragmenten von Novalis – in einer Ausgabe, die ich Anno 96 in Paris am Quai für 20 Centimes kaufte, – las ich dieser Tage wieder einmal folgendes, das ich hierher setze, weil es mir vorzüglich auszudrücken scheint, was über Entstehung, Entwickelung, Methode und Gang der Arbeit, die an der Form des Buches geleistet wurde, im Prinzip zu sagen ist, nämlich: »An Gedanken interessiert uns entweder der Inhalt, die neue frappante, richtige Funktion, oder ihre Entstehung, ihre Geschichte, ihre Verhältnisse, ihre mannigfaltige Stellung, ihre mannigfaltige Anwendung, ihr Nutzen, ihre verschiedenen Formationen. So läßt sich ein an sich trivialer Gedanke sehr interessant bearbeiten; ein weitläufiges Unternehmen derart kann sehr interessant sein, ungeachtet das Resultat eine Armseligkeit ist; hier ist die Methode, der Gang, der Prozeß das Interessante und Angenehme. Je reifer man ist, desto mehr wird man Interesse an Produktionen der letzten Art haben. Das Neue interessiert weniger, weil man sieht, daß sich aus dem Alten so viel machen läßt. Man verliert die Lust am Mannigfaltigen, jemehr man Sinn für die Unendlichkeit des Einzelnen bekommt. Man lernt das mit einem Instrumente machen, wozu andre hundert nötig haben, und interessiert sich überhaupt mehr für das Ausführen, als für das Erfinden.« Es ist den Deutschen gewiß noch nicht die »Lust am Mannigfaltigen« ausgegangen, was ich auch nicht wünschen möchte, sie haben ja auch noch nicht so sehr den Sinn für die Unendlichkeit des Einzelnen. Das zeigt sich in großen und kleinen Dingen. Zu welchen von beiden man z. B. das Format der Bücher rechnen soll, scheint keinem noch ein Problem zu sein, sonst wäre es nicht möglich, daß von hundert Büchern, die in Deutschland er8
Das Buch als Gegenstand scheinen, neunzig gewiß verschiedene Formate haben. Das ist um so unerklärlicher, als die Folgen davon höchst unbequem und schädlich sind, die Feststellung einer bestimmten, möglichst festen Zahl von Formaten aber von außerordentlicher Annehmlichkeit für jeden wäre, der mit Büchern irgendeiner Art je zu tun hat. Das wäre schon eine Forderung, deren Durchführung mir in jeder Hinsicht, für alle und jeden, wertvoll und ausführbar erscheint. Ein halbes Dutzend Formate sollten genügen, alles passend und richtig darin unterzubringen. Die Franzosen kommen in den weitaus meisten Fällen mit noch weniger aus. – Da ich einmal an die Forderungen geraten bin, so sei die zweite, nicht weniger wichtige, gleich angefügt: die Bücher sollen leichter werden! – Seit ich einmal in der Bibliothek des Kunstgewerbe-Museums in Berlin einen Stoß von zehn Quartbänden eines chinesischen Werkes über die kaiserliche Broncensammlung auf drei Fingerspitzen an meinen Arbeitstisch balanciert habe, wäge ich jedes neue Buch unwillkürlich in der Hand. Wie selten geschieht es mir da, daß ich angenehm überrascht werde! Ich selber habe beide Forderungen je und je an die deutschen Verleger gestellt, mit denen ich gearbeitet habe, habe aber bis jetzt allzuwenig Erfolg damit gehabt. Es gilt also, zuerst einmal anzuregen, daß die großen Verleger bestimmenden Einfluß auf die Papierfabriken gewännen. Ich wüßte nicht, warum es der Technik nicht gelingen sollte, ein möglichst leichtes und möglichst festes Papier herzustellen, welche beide Eigenschaften ein Verleger mir gegenüber als sich gegenseitig ausschließende ansah. Es sind in den letzten Jahren mannigfache schöne Papiere aufgekommen, die aber alle noch nicht das echte Büttenpapier haben aus dem Feld schlagen können, wo der Preis eines Werkes es erlaubt, solches zu verwenden. Die bis heute bestehenden leichten und ›federleichten‹ Papiere sind alle zu weich und zu dick und entstellen im Druck die meisten Typen. Dieses möglichst leichte und möglichst feste Papier der Zukunft müßte selbstverständlich außerdem undurchsichtig sein, eine Eigenschaft, die gerade reinen und guten modernen Papieren leider nur allzusehr fehlt; denken Sie nur an die ersten Bände des Tempel-Verlags, um von dem zu sprechen, was mich am meisten angeht. Ich habe gerade da die Erfahrung gemacht, daß jede reine Wirkung auch der besten Type unmöglich wird, wenn der Druck der Rückseite, ja der der nächstfolgenden Seite durchscheint, ein Fehler, der unter allen Umständen vermieden werden muß, und geschähe dies auf Kosten der sogenannten ›Qualität‹ des Papieres. Ich denke, der Reinheit der Druckerscheinung und der Leserlichkeit, als der 9
Das Buch als Gegenstand höheren und notwendigeren, muß die schätzbare Qualität der Haltbarkeit und Reinheit des Papieres nachstehen. Die Schätzung der Qualität des Papieres, seine Wahl nach der Art des Werkes, für das es verwendet werden soll, hat in den Jahren seit der Gründung des ›Pan‹ (1895) einen außerordentlichen Fortschritt gemacht. Der ›Pan‹ war ja der erste Versuch, etwas, von seinen künstlerischen Qualitäten abgesehen, auch typographisch Schönes und Wertvolles zu schaffen. Wir sehen schon lange, wie höchst problematisch, wie mangelhaft, ja wie verunglückt vieles an diesem Versuch ist, aber wir denken alle dankbar an ihn, die wir seine Gründung miterlebten und fruchtbare Anregung, vielerlei Lehre, unverlierbaren Gewinn an Bildung von ihm gewannen. Sein Gründer Bierbaum war der erste und lange Jahre der eifrigste und verständigste Liebhaber und Förderer aller Bemühungen um das schöne Buch. Vergessen wir ihm das nicht. Es waren Maler, die mit ihm dem ›Pan‹ seine Gestalt gaben. Eckmann, Ludwig von Hofmann, Behrens, ich, zeichneten für ihn ihren ersten ›Buchschmuck‹, damals wurde diese nachmalen so entsetzlich mißbrauchte Sache und ihr nicht weniger ominöser Name erfunden. Valloton, ich, Behrens, zeichneten den Schmuck für die Jahrgänge des ›Bunten Vogels‹, dessen schöne schwere Fraktur von unseren noch schwereren Ornamenten erschlagen wurde. Bierbaum hatte damals schon begriffen, daß im Gegensatz zur Antiqua, die den Satz in rechtwinkligen Wortgruppen, in Blöcken von Buchstaben begünstigt, die Fraktur nach aufgelöstem Satz verlangt, eine Eigenschaft, die heute noch von den ›Buchkünstlern‹ nur wenige kennen, die von den Druckern Poeschel begriffen hat. Wie wäre sonst eine so monströse Sache wie ein neuerlicher ›Monumentaldruck‹ des ›Faust‹ möglich, der, um ein ›geschlossenes‹ Seitenbild, einen fortlaufenden Satz zu erzielen, den Versen der Dichtung die Atmung unterbindet, indem die Namen der sprechenden Personen und alle Regiebemerkungen an den Rand gesetzt, die Verse selbst ohne Unterschied in gleichem Abstand aneinander gekettet werden! Welch ein Mißverständnis aller Eigenschaften der Fraktur, der Sprache, der Dichtung und der Bedingungen des Lesens! – Die im Verhältnis zur Antiquatype, und wäre sie die schönste, unvergleichlich reichere, lebendigere, charakteristischere und daher lesbarere Frakturtype braucht Raum, um richtig zu wirken; sie muß, um das zu tun, atmen können. Sie verlangt daher offenen Satz, und zwar zwischen den Buchstaben, den Worten und erst recht zwischen den Zeilen. (Forderung!) Das hat der vollendete Drukker Unger genau gewußt, wie seine Drucke alle zeigen. Er wußte auch, daß 10
Das Buch als Gegenstand es richtiger ist, die Schönheit und die Leserlichkeit einer Frakturseite nicht in der Größe der Type, sondern sie, bei kleinem Druck, in dem richtigen Abstand der Zeilen voneinander zu sehen. (Forderung!) Diese Forderung entspricht in hohem Grade auch der Tatsache, daß unser Auge nicht das Wort, sondern das Wortbild, manchmal sogar Wortgruppen als Bild aufnimmt, was ein kleinerer Druck, der aber die Zeilen klar voneinander trennt, am mühelosesten erlaubt. – Schrift und Auge werden in diesem erwähnten ›Monumentaldruck‹ vergewaltigt, nicht weniger aber die organische, lebendige Sprache des Dichters; sie wird mechanisiert, atomistisch. Das ist die gröbste all der unkünstlerischen Verfehlungen dieses Druckes, Von dem schauderhaften Guillochenstil der Titelblätter und sonstigem ›symbolischem‹ Buchschmuck nicht zu sprechen. – »Ob Geschmack als Begabung nicht eben so selten sei, wie Genie« meinten Sie einmal. Sie haben abgründig recht! Dieser Druck des ›Faust‹ ist ein Schulbeispiel, ist auch in seiner ganzen Anlage symptomatisch, ist ›deutsch‹ im übelsten Sinn, wenn wir uns darin einig sind, daß es eine spezifisch deutsche Plumpheit gibt, über die auch alles Gelernthaben und Tüchtigkeit in vielem nicht hinweghilft, eine höchst fatale Aufdringlichkeit, die dieselbe ist im Grund, ob ihr die heiligen Symbole der ältesten Kulturen gerade gut genug sind, schlecht gezeichnet und ornamental gehäuft (so jeden Sinn, jede Schönheit verlierend) zu Buchdeckelschmuck verwendet zu werden, oder ob sie glaubt, einen Krebs erst zu etwas Rechtem zu machen, wenn sie ihn einen ›ff. prima DelikateßTafel-Edel-Riesen-Oderkrebs‹ nennt! Es gehört zu beidem derselbe Mut und derselbe Geschmack. – Haben Sie sich einmal die ersten Drucke der Bücher von Voß angesehen? Es werden dort die Forderungen, die ich für die Fraktur aufstellte, sogar auch für die Antiqua angewendet. Wenn wir wieder beisammen sind, wollen wir uns einmal die in Königsberg im Jahre 1802 erschienene zweite Ausgabe der Vossischen Homerübersetzung daraufhin anschauen, die ein Meisterwerk ist in Format, Type und dem vollendet gelösten Satz. Von ihr habe ich viel gelernt. Ich bin, wie die meisten, von den Anfängen des ›Pan‹, vom ›Bunten Vogel‹, von den ersten Jahren des Diederichsschen Verlags, dem Gang der Entwicklung folgend, von dem malerischen Stil des Anfangs, der seine Wirkungen mit dem geschmückten Buche erreichen wollte, mit der ›Mannigfaltigkeit‹, durch vieles Sehen und Versuchen fast völlig autodidaktisch zur Schätzung des rein typographischen Buches gekommen. Auf diesem Weg liegt wieviel vergewaltigtes 11
Das Buch als Gegenstand schönes Papier! Ein modernder Haufen von Blatt- und Blumenunkraut bedeckt unzählige verrenkte und zertrümmerte Buchstaben! Wenn irgend etwas aus jener Zeit einen Wert behält, so beruht er fast nie auf dem Verständnis der Buchseite selbst, oder der Schrift, oder des buchgemäßen Ornaments, sondern nur auf einer rein bildmäßig geglückten, vom Buch unabhängigen Lösung der Verteilung von Schwarz und Weiß, mag die Schrift als solche und das Ornament für sich genommen auch schlecht sein. Ich möchte als Beispiel dafür die Titel der im übrigen im Format angenehmen und nicht übel gesetzten Bücher von Helene Voigt-Diederichs nennen: ›Schleswig-Holsteiner Landleute‹ und ›Dreiviertelstund vor Tag‹. Unser verehrter Eugen Diederichs, dessen höchst idealen Willen, nach allen Kräften zur Förderung des Notwendigen, Schönen und Guten beizutragen, Sie kennen wie wir alle, hat mit seinem damals neugegründeten Verlag als einer der Ersten sich in den Dienst der jungen buchgewerblichen Bewegung gestellt. Er und S. Fischer haben den Ruhm, zuerst Bücher in der charakteristisch malerischen Eckmann-Type gedruckt zu haben, er war der Erste, bei dem ein Buch in der Behrens-Type erschien. Die Bücher seines Verlages waren die Tummelplätze fast aller, die, berufen oder nicht, an der Gestaltung des modernen Buches mitarbeiteten. Da wuchs Ornamentkraut und -unkraut, und wenn uns heute neben vielem dauernd Schönen manches Buch aus jener Zeit mehr ein wüster Nessel- und Distelplatz zu sein scheint, so sei daran gedacht, daß wir ganz gewiß heute noch keinen Wein hätten, wenn Diederichs sich nicht des Mostes angenommen hätte. – Es kamen die Jahre, da man in Deutschland Morris und die englischen Buchkünstler besser zu kennen anfing, da man zuerst Beardsleys Bücher sah, es kam die Gründung der ›Insel‹. Thomas Theodor Heine hatte schon eine Anzahl karikaturistisch und ornamental glänzender Zeichnungen für Bücher gemacht. Sein empfindlicher Geschmack und ein richtiges Begreifen des Buchornamentes hatten ihn in der ›Insel‹ dazu gebracht, als erster den Versuch zu machen, alle Ornamente aus kleinen Stücken zusammenzusetzen, also wie Worte aus Buchstaben, sie aus Ornamentlettern zu bilden, eine Kunst, welche die Drucker des 18. Jahrhunderts namentlich in Frankreich in der erstaunlichsten Weise beherrschten. Weil die Ornamentteile aber nicht gegossen vorhanden waren, mußte er die Variationen durch Ausschneiden und Zusammenkleben von Klischeeabdrucken herstellen. »Nie wieder!« schrieb er mir damals, »einen Sack voll Flöhe fangen ist ein Spaß gegen diese Arbeit.« Ich glaub’s. Das von ihm mit diesen Ornamenten ge12
Das Buch als Gegenstand schmückte Quartal der ›Insel‹ ist das weitaus reizvollste, mit ein paar Zeilen von ganz vollendetem Zusammenhang von Schrift und Schmuck. Auch seine für die ›Insel‹ gezeichneten bunten Umschlagpapiere behalten ihren Reiz und Wert. Er ist auch der einzige, dem es gelungen ist, aus Menschenund Tierleibern ein höchst geistreiches Spiel von Ornamentformen zu bilden, das mit Buchumschlägen für den Langenschen Verlag begann und in den Zeichnungen zur Hebbelschen ›Judith‹ im Verlag von Hans von Weber seine kühnste Formel fand. Die amüsanteste ironisierte Biedermeierei, das reizendste Rokoko, der exzentrischste Japanismus und ein gutes Stück Bauernkunst stecken in seinen Erfindungen, die stets vollendetste Graphik sind und nur selten nicht vortrefflich in ihrem linearen Duktus mit der Type zusammenklingen. Dem malerischen Empfinden der Anfangsjahre der buchgewerblichen Bewegung war alles als Anregung und Lernmaterial wert gewesen. Sattler kam im Kostüm des 15. Jahrhunderts, Lechter kam feierlich gotisch. Aber wie, um Sie wieder zu zitieren, »das Bekämpfen falscher Gedanken noch nicht unbedingt zu richtigen Gedanken führen muß«, so hilft ihm nichts zu wissen, wie ein Buch nicht sein darf. Die Schwäche seiner Kunst wird am offenbarsten durch den Vergleich mit William Morris’ Lebensarbeit. Der griff nicht aus Schwäche auf die alten Formen zurück, sondern zuerst einmal aus handwerklich technischen Gründen und er blieb bei ihnen, weil ihm die reine Handarbeit, die er verlangte und übte, diese Formen als diejenigen erwies, die am natürlichsten aus dem Material entsprangen und mit dem geringsten Aufwand an Mitteln die größte Wirkung zu erreichen gestatteten. Der Umstand, daß wir heute seine Drucke als lichtlos empfinden, die Einseitigkeit seines Stiles vermindert die Bedeutung seiner Leistung nicht, deren Wert nicht minder als in ihrer handwerklich technischen Qualität in ihrem moralischen Rang zu sehen ist und seinem Namen Klang und beherrschende Stellung für immer sichert. Von ihm haben seine Nachfolger und Schüler in England, wenn auch nicht die Kraft und die Begabung, so doch die größte Gewissenhaftigkeit, den Ernst und die leidenschaftliche Liebe geerbt, mit denen sie des scheinbar kleinsten sich annehmen. Diese Engländer haben einen Teil des Sinnes für die Unendlichkeit des Einzelnen, alle ihre Bücher sind im Grunde ein Buch. Aber diese fast puritanische Reinheit des englischen Buchstils, die immer wirksame und befriedigende Qualität dieser allzu gesunden und daher manchmal langweiligen Leistungen haben auf den Deutschen den allerbesten Einfluß gehabt. Der Englän13
Das Buch als Gegenstand der »hat einen natürlich-ökonomischen und einen durch den Verstand erworbenen edlen Geschmack«, wie Novalis sagt und wie er ihn Goethe zuschreibt. Uns aber fehlte nichts mehr und tat nichts mehr not, als zu lernen, wie unsern Verstand zu bilden und mit ihm haushalten zu lernen. Wir haben uns ehrlich Mühe gegeben und auch schon recht tüchtig gelernt. Wir haben in den letzten Jahren sogar eine Anzahl besonderer Leistungen zu verzeichnen, von denen gerade die, welche nicht ›englisch‹ sind, den besten englischen Drucken ebenbürtig, manche ihnen überlegen zu nennen sind. Es war vor allem der Insel-Verlag, der, aus der Zeitschrift ›Die Insel‹ erwachsen, eine Zeitlang fast allein, später in der Gemeinschaft mit den neueren Verlagen von Georg Müller und Hans von Weber in München, Zeitler in Leipzig, neuerdings Rowohlt, englischen Lehren folgend, vorbildliche Arbeit geleistet hat. Sie kennen ja all die schönen Bücher, viele davon unter Tiemanns Leitung gedruckt und von ihm geschmückt, kennen die vollendet schön gedruckten Bücher von Rudolf Alexander Schröder. Er hat leichter als Tiemann und andere den starken englischen Einfluß auf die Gestalt des Buches aufgenommen und überwunden. – Da wäre noch Behmer zu nennen, der uns wie Tiemann stark englisch kam, er besonders ein Schüler der unvergleichlichen Schwarz-Weiß-Kunst Beardsleys. Er hat eine schöne Ausgabe des ›West-östlichen Diwans‹ gemacht für die Insel, in einem Pergamentband, den eine persische Ornamentrosette in Grün und Gold glänzend ziert. Gemeinsam all diesen Arbeiten ist das englische Gerüst, um das der eine seine italiänisierende Architektur baut, seine modern gebogenen Linien zieht, um das der andere seine Rosenketten aus dem 18. Jahrhundert hängt, höchst anmutig, das der andere mit krausem Tauschirwerk überspinnt, alle unterschieden durch den stets bewahrten künstlerischen Takt im Dienst um die Sache, zu dem unerträglichen, geistlosen Ernst, mit dem gewisse ›Unentwegte‹ vom ›Flächenornament‹ den Kübel ihrer ›modernen‹ Spiralenkringel über die Buchseite und die Einbände schütten. Ach, das Dogma vom Flächenornament, was hat es alles auf dem Gewissen! Als ob nicht jedes Ding, es mag noch so rund in seiner ganzen Körperhaftigkeit gegeben sein, nicht schon durch seine Größenreduktion im Zusammenhang mit einer Ornamentform, welche immer es sei, seine Realität verlöre, um zum reinen Spiel und Schmuck zu werden. Diese besonderen Leistungen, die kostbaren, die edlen, die Liebhaberbücher, bestimmen aber nicht vor allem den Rang einer Kultur des Buches, sondern die Qualität des Gebrauchsbuches. Sie haben, wie ich, schon oft 14
Das Buch als Gegenstand genug einen beliebigen englischen Roman in seinem glatten Leinenband in die Hand genommen und gesagt: wie gut ist dies gemacht, weil alles, was daran ist, notwendig, und dieses Notwendige höchst einfach, entsprechend und angenehm ist. Diese Qualität auch des Gebrauchsbuches haben wir in Deutschland nur in wenigen Fällen erreicht. Als Beispiel sei die gelungene Volksausgabe von Ibsens Werken genannt, aus dem Verlag von S. Fischer, Berlin, der in richtiger Erkenntnis des Wertes des Gebrauchsbuchs, vor allen Luxus- und Amateurbüchern, dessen Besserung und Pflege sich ernsthaft angelegen sein ließ. Ich sehe darin die wichtigste Aufgabe, habe sie immer darin gesehen und mich glücklich geschätzt, vor die Aufgabe gestellt worden zu sein, den edelsten aller Gebrauchsbücher, unseren besten deutschen Dichtern, diese höchst einfache, entsprechende und angenehme Form zu geben. Wie weit diese Aufgabe in den ›Tempelklassikern‹ gelöst ist, das wird die Zukunft, die Verbreitung des Einflusses lehren, den diese Ausgaben gewinnen sollen und werden. Richtig verstanden sind die Prinzipien dieser Ausgaben in mannigfacher Abwandlung auf jedes Buch anzuwenden. Ich sehe einen Vorzug dieser Ausgabe gerade darin, daß sie höchst ›unenglisch‹ ist, in allem, in der Proportion des Buches, der Seite, des Satzes in sich, von der Type ganz zu schweigen. Man kann dasselbe von den handlichen, leichten Bänden der ›Fischerschen Bibliothek‹ sagen, die mir dem Ideal des ganz einfachen Gebrauchsbuches, des modernen Buches überhaupt, vielleicht am nächsten zu kommen scheinen. Der Insel-Verlag hat seinen sozusagen aristokratischen Veröffentlichungen neuerdings Serien von billigeren Bänden (klassischen Werken, Auszügen, Sammlungen und Erzählungen) folgen lassen, die neben seinen kostbaren Büchern den Ruhm des Verlages in weitere Kreise zu tragen wohl verdienen. Die Lust, schöne Bücher zu machen, der die Produktion der Lebenden nicht genügen konnte oder nicht entsprach; das Verlangen, das Gelernte auf die ganze Welt der alten Bücher anzuwenden, die man in manchmal höchst fragwürdiger Gestalt in seiner Bibliothek stehen hatte, hat dazu geführt, daß außer vom Insel-Verlag namentlich von neueren Verlagen wie Georg Müller und Hans von Weber in München einzelne Werke und Gesamtausgaben von Klassikern und älteren Schriftstellern von den Griechen an bis auf jüngst Verstorbene in mannigfachen Ausgaben gedruckt wurden. Da war nun Auswahl und Gestaltung manchmal mehr Laune als Notwen15
Das Buch als Gegenstand digkeit. Das gleichzeitige Abebben und Verschwinden des Ornamentsabbats des modernen Stils in der Kunst und im Gewerbe, die Erkenntnis der Zusammengehörigkeit mit der alten Kunst und ihr tieferes Begreifen hatten langsam die Augen auch für die sichere, einfädle Schönheit aller Kunstund Gebrauchsformen des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts geöffnet, und die gelben Kirschholz- und Birkenmöbel, die Stoffe, die Stiche, die man bisher nur in den Malerateliers geschätzt hatte, kurzum ›Biedermeier‹ wurde Mode. Wie wäre sonst Georg Müller wohl dazu gekommen, seiner schön gedruckten Ausgabe der Werke von Ernst Theodor Amadeus Hoffmann einen Einband zu geben, der mit Maschinen in gänzlich anderer Herstellungstechnik einen (an sich sehr reizenden) Einband nachahmt, den Anno 1830 irgendein Buchbindermeister baute? Das ist Maskerade und ganz und gar zu verwerfen! Ich komme hier wieder auf etwas Prinzipielles und auf eine Forderung: Wir schleppen auf dem Buchrücken heute noch gedankenlos die Gliederung, die Einteilung in Felder mit, die aus der Zeit stammt, da man den Rücken durch Bünde wirklich teilte. Ich weiß wohl, wie solche Formen zu reinen Schmuckformen werden (schauen Sie die drei oder mehr Knöpfe an, die Sie an Ihren Rockärmeln spazieren tragen!). Ich weiß auch sehr gut, wieviel leichter es ist, mit dieser Gliederung und mit kleinen Ornamenten, die Handstempel zu sein vortäuschen, eine höchst reizende Wirkung zu erreichen, als zu versuchen, den Rücken als eine Fläche zu behandeln, entsprechend der Platte, mit der er von der Maschine in ebensoviel Minuten geprägt wird, wie der Buchbinder an seiner Vergoldung Stunden saß. Es gab merkwürdigerweise eine Zeit (niemand hat das noch in seiner Besonderheit erkannt), in welcher der Buchrücken, obwohl zumeist noch mit handgearbeiteter Vergoldung geschmückt, als eine Fläche behandelt wurde, im richtigen Gefühl dafür, daß die Querteilung keinen Sinn mehr hatte, da man nicht mehr auf Bünde arbeitete: das war die Zeit von 1830 bis etwa 1860, aus der ich eine ganze Anzahl von Einbänden kenne, die vollendet schöne Lösungen des Problems sind und den Anschlußpunkt für den modernen, mit der Maschine gemachten Masseneinband ebensogut zeigen, wie für den handgemachten Band, um so mehr, als sogar der Ornamentcharakter der Bände dieser Zeit eigentümlicherweise schon nicht mehr den Charakter des alten, aus kleinen Stempeln zusammengesetzten Vergolderornaments hat, sondern, wie das Studium alter Buchbinder-Werkzeugkasten zeigt, von Stempeln, ja von Platten von oft beträchtlicher Größe geprägt wurde! Damit wären wir also an meiner For16
Das Buch als Gegenstand derung für den modernen Einband, dessen Rückenvergoldung von der Maschine geprägt wird: keine Einteilung des Rückens in Felder, wie sie der Teilung durch Bünde entspricht, sondern Behandlung des ganzen Rückens als einer Fläche; kein Ornament, das den Eindruck hervorruft, als wäre es mit Stempeln von der Hand gemacht. – Mancherlei Sünden auf diesem Gebiet hat Karl Walser auf dem Gewissen, aber da er sie mit so großer Grazie begeht, wird es schwer, sie nicht zu verzeihen, wie es ja einem oft genug geschieht, daß ein guter und angenehmer Effekt gerne vergessen läßt, mit welchen Mitteln er erreicht wurde. Wer aber hat mehr einen Freipaß für alle Wege als die Grazie? Walser – ein Kapitel für sich, eines der besten und merkwürdigsten. Das Geheimnis, das alle seine Arbeiten trägt (seine Bühnenbilder, seine wahrhaft mozartischen Dekorationen zum Figaro, seine Alpen, seine Friedhöfe und Wälder, seine Biedermeier-Zimmer und Mondnacht-Zaubereien, seine Kostüme, seine Büchertitel und Bucheinbände, all seine radierten und lithographierten Illustrationen), das ist ein untrüglicher Sinn für die Proportion des Ganzen und seiner Teile unter sich. Das trägt und hält seine Arbeiten auch dann, wenn er, wie manchmal mit seinen Büchern, allzu impressionistisch-malerisch, dekorativ-romantisch spielt. Sein untrüglicher Geist für die Proportion aller Dinge, die Besonderheit, Leichtigkeit und das Geistreiche seines Strichs werden umspielt von dem Zauber einer immer beziehungsreichen, bedeutungsvollen, melancholisch-heiteren Farbe. Ich habe, glaub ich, noch nicht einen Buchumschlag oder etwas dergleichen von seiner Hand gesehen, das nur in schwarz-weiß gelöst gewesen wäre. Er bedruckt sogar das zarte zitrongelbe Leder des Einbandes von Büchners ›Leonce und Lena‹ (dazu er reizende Lithographien gemacht hat) mit farbiger Vignette, und das Unwahrscheinliche gelingt, im Kampf mit dem Leder und dem Drucker, – es gelingt, und eine ganz einzige höchst ›walserische‹, rührend schöne, unverrückbar bestehende Kostbarkeit ist geschaffen. Wir haben nun einmal in Deutschland fast ebenso viele Stile, als wir Künstler und Verleger haben, die ihre bestimmten Wünsche und Absichten verwirklichen wollen, – und daher keinen Stil, wenn mir, was ich ›deutschen Stil‹ nennen will, auch in einigen Leistungen sichtbar geworden zu sein scheint. Wir haben das spezifisch ›deutsche‹ Buch mit vielen Vorzügen und nicht viel weniger Mängeln, aber lebendig, persönlich, entwicklungsfähig, bei Diederichs, bei Müller. Wir haben das kultivierteste Buch, das ›gut europäische‹ Buch, das lieber unpersönlich scheinen will als laut sein, lieber 17
Das Buch als Gegenstand kalt als unerzogen, im Insel-Verlag, dann bei Hans von Weber, bei Zeitler, bei Rowohlt (manches ganz untadelig). Wir haben Leistungen aus beiden Kategorien bei S. Fischer (Gesamtausgaben von Gerhart Hauptmann, Ibsen, Hartleben, Hofmannsthal, Shaw) und einiges bei Bard in Berlin. Wir haben das Buch, das ›gut europäisch‹ sein will und ganz ›deutsch‹ ist, in den ›Tempelklassikern‹ – und damit das allgemein gültigste, denn »Deutschheit ist echte Popularität und darum ein Ideal« (Novalis). Wir haben endlich eine »kleine Zeitschrift für Geschmack in Büchern und anderen Dingen«, von Poeschel reizend gedruckt. – Wir haben zu lernen und lernen gern; wir haben gute Lehrer und wissen sie zu nützen. Also, lieber H. es kann uns nicht fehlen! Auf Wiedersehen!
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E. R. Weiß: Begleitwort zur Probe der Weiß-Fraktur 1913 Dem Andenken an Johann Friedrich Unger, den ›Künstler‹ als Buchdrucker und Schrifterfinder, habe ich die ›Probe der Weiß-Fraktur‹ geweiht; dem Andenken an den ›Künstler‹ nicht zum wenigsten deshalb, weil heutige Anmaßung sich nicht scheut, den Künstler gerade von einem Gebiete menschlicher Tätigkeit fortzuweisen, das nicht nur vorzüglich geeignet ist, künstlerischen Fähigkeiten allgemeiner und besonderer Art Gelegenheit zur Betätigung zu geben, sondern das diese Fähigkeiten sogar verlangt, wo irgend höhere Ansprüche an das zu Leistende gestellt werden: den Buchdruck mein’ ich. Diese Anmaßung, die dem Künstler das Betreten der Buchdruckerwerkstätte verbieten möchte, ist wahrlich nur verständlich (deshalb aber keineswegs verzeihlich!) bei einem Menschen, der in den runden zwanzig Jahren, welche die Bemühungen um die Neubelebung und den Wiederaufbau des Schriftwesens und der Buchdruckerkunst – um nur von diesem Teil der Gewerbe zu sprechen – nun dauern, Gott weiß wo, aber nicht in der Reihe der um diese Dinge leidenschaftlich sich Mühenden zu finden war; der nicht weiß, daß es die Künstler waren, immer und überall, auf allen Gebieten, die dem Karren nicht nur den ersten Ruck aus dem Dreck heraus gaben, sondern ihn auch weiter führten und noch führen. Die Gewerbe, die Fachleute kamen nach und gingen mit. Der ›Künstler‹ war derweile selber ›Fachmann‹ geworden; er mußte es werden, das sah er ein, weil er, gerade seiner Wesenheit nach, begriff, daß er dem Fach nur beikommen konnte aus dem Fach heraus. Es gab und giebt leider noch genug üble Buchschmückler, die immer noch schlechte Schriften für Titel und dergleichen ›zeichnen‹, statt gute Typen gut zu setzen. Von ihnen red’ ich nicht, ich rede vom ›Künstler‹. Sage mir, was Du ›Künstler‹ nennst, und ich sage Dir, wer Du bist. Anmaßung meint, vom Künstler zu sprechen und trifft nur, was sie begreift, den ›Oberflächler‹, denn alle Anmaßung ist Oberflächlertum. Der Künstler Unger begann die Schöpfung seiner unvergänglich schönen Schrift, die einen völligen Gegensatz zu der jahrhundertelang gebrauchten Frakturtype bedeutete, nicht aus handwerklichen, nicht aus buchdruckermäßigen, nicht aus technischen, nicht aus Werkstattgründen, sondern aus künstlerischen, die alle diese nicht künstlerischen Gründe in sich begreifen und noch etwas mehr! Schöne Bücher hat er auch mit anderen Typen, als der seinen, der Ungerfraktur, gedruckt, von der ein anderer heutiger Oberflächler, um ihre Bedeutungslosigkeit darzutun, gesagt hat, daß sie sich 19
Begleitwort zur Probe der Weiß-Fraktur ›nicht hätte durchsetzen können‹. Sie hat sich durchgesetzt, soweit sie ihrer Natur nach sich bis heute durchsetzen konnte. Sie ist unentbehrlich und unschätzbar als Sache und unsterblich als Idee. Die künstlerische Kühnheit der Ungerschen Tat ist ungeheuer; kein moderner Versuch, der ihr darin verglichen werden könnte. Ihre wesentlichste Eigenschaft, die Offenheit und Helligkeit des Satzbildes, macht sie zum Vorbild aller neueren Bestrebungen, den gedrängten, gekrümmten, barocken Formen der Fraktur zu entrinnen und das zu schaffen, was man eine ›Weltfraktur‹ genannt hat. Das wird das dauernde ›Sichdurchsetzen‹ der Ungerschen Tat sein. Es wird keinen neuen Versuch geben, eine Frakturtype für uns und die Zukunft zu schaffen, die achtlos an ihr wird vorbeigehen können. Tut sie’s, so ist sie von Geburt an zum Tod verurteilt oder wird eine Mode; und das kommt auf dasselbe hinaus; totgeboren wäre auch jeder Versuch einer Nachahmung. Sie ist unnachahmlich, und jede Umbildung einer einzigen ihrer Formen wäre Verbildung und also Tötung ihres unvergleichlich reinen Formgeistes. Das hat der Versuch, sie zu einem ›Mädchen für alles‹ zu machen, das zu sein man von jeder heutigen Brotschrift verlangt, bewiesen. Ich habe von der Unger-Fraktur gesprochen, während ich hier die ›Probe‹ einer eigenen neuen Fraktur vorlege, die, wie ich glaube, ihre Lebensfähigkeit, (zum wenigsten) in einer großen Reihe von Druckwerken schon bewiesen hat. Ich hätte von meiner eigenen Arbeit sprechen können und sagen, welche Richtung und Ziel-Punkte ich mir bei der Schaffung der ›Weiß-Fraktur‹ gesteckt hatte. Was ich erstrebte, ist in Ungers Ideal vollkommen, in seiner Type formal bedingt durch ihren Zeitcharakter enthalten. Ich habe es als größtes Lob meiner Arbeit angesehen, als man fand, die ›Weiß-Fraktur‹ habe, ohne auch nur in der kleinsten Form mit der Unger-Fraktur übereinzustimmen, gewisse Eigenschaften und Wirkungen mit ihr gemeinsam, beide von mir gewollt und als prinzipiell bestimmend angesehen. Von der wesentlichsten Eigenschaft, der Offenheit und Helligkeit des Satzbildes, sprach ich, die einer Überwindung des Charakters aller üblichen Frakturen gleichkam. Zeit- und Kunstgenossen haben in Verkennung dieser wesentlichsten Errungenschaft Typen geschaffen, Drucke gemacht, Theorien schriftlich und mündlich, mit und ohne Lichtbilder propagiert, die das Gegenteil wollen und hundert Jahre nach Ungers Tat das Druckwesen um ihren Segen bringen. Zum unendlichsten Male werden dieselben Beispiele aus Handschriften, aus Fustschen, aus Schöfferschen Drucken, aus italienischen, deutschen, französischen Inkunabeln reproduziert, dieselben 20
Begleitwort zur Probe der Weiß-Fraktur Forderungen nach ›gleichmäßig engem Drittel-Satz‹, Verzicht auf das ›Sperren‹, puritanische Einfachheit des Satzes etc. etc. erhoben, und eine der ach! bald so unsäglich leblos wirkenden englischen Imitationen der alten Drucke als Vorbild gepriesen. Wer wahrhaft lebendiges Gefühl für die Schönheit alter Drucke hat, wird sie gerade deshalb nicht nachahmen und den Charakter der Drucke, der einmal gut war für die zeitlosen Menschen früherer Jahrhunderte, für ihre Bücher und ihre Typen, nicht den Druckwerken unserer Zeit gegeben wissen wollen. Es ist wiederum der Oberflächler, der meint, die ›Schönheit‹ eines Druckwerks bestände einzig in der Erfüllung der vorhin genannten Bedingungen, der also, um schöne Drucke zu schaffen, heute und ewig ornamental schön wirkende, oft unlesbar gewordene Typen früher Zeiten zu Imitationen früher Druckwerke verwendet (wozu er allerdings keinen ›Künstler‹ braucht)! Wie weit weg ist all das vom Lebendigen und der ›Forderung des Tages‹! Veränderte Lebensbedingungen schaffen andere Formen der Gebrauchsdinge, so auch der Bücher. Was von den frühen Vorbildern übernommen werden kann, sind gewisse Proportionsgesetze, die die Gestalt der Buchseite bestimmen, der Blattgröße und der darauf stehenden Druckseite; Schönheit der Type und des Satzes kann nur empfunden und in ihren Wirkungsbedingungen begriffen werden. Wer dieser Empfindung fähig und zum Begreifen vorgeschritten ist, wird, was unabhängig von Zeitformen ist, wird die Tektonik der Buchseite erfassen, die mehr aufzubauen imstande ist und sein muß, als eine Fläche, gleichmäßig gefügt wie eine ungegliederte Wand von Ziegelsteinen. Die Gesetze aber zu achten erlaubt jede Type, und wer mit dem Einrichten eines Buchsatzes zu tun hat, wird mir bestätigen, daß oft eine an sich reizlose Type in gut gehaltenen Proportionen des Blattes und der Druckseite gute Wirkung ergiebt. Zu der guten Wirkung eines heutigen guten Gebrauchsbuches – und auf dieses kommt es vor allem anderen an, nicht auf archaistische Liebhaberdrucke – gehört offener Satz. Darunter verstehe ich: Verwendung nicht zu großer Schriftgrade im Verhältnis zur Größe der Druckseite und immer lieber eines kleineren Grades, als eines auch nur um eine Spur zu großen. Dazu reichlichen Durchschuß, der die einzelnen Zeilen genügend trennt, um ein Hinüberlesen in die andere Zeile zu vermeiden. Das Auge erfaßt die Folge der Wortbilder (und der Verstand den Inhalt des Gelesenen) so weitaus am raschesten und leichtesten. Der verhältnismäßig große Abstand der Zeilen erlaubt dann, um so besser der Forderung nach engem Satz (Drittel21
Begleitwort zur Probe der Weiß-Fraktur satz), mit nicht größerem Ausschluß nach Punkten als zwischen den Worten, gerecht zu werden. Die Zeile wird dadurch fester im Gefüge und führt das Auge. Im achtzehnten Jahrhundert und zu Anfang des neunzehnten sind mustergültige Bücher in diesem Sinn gesetzt worden, die im wesentlichen den neuen, modernen Typ des schönen Gebrauchsbuches eigentlich geschaffen haben. Was sie zu Büchern ihrer Zeit macht, ist der Charakter der Type und des Ornaments. Der zweckmäßigen Schönheit des Neuen die entmaterialisierte Schönheit des Alten vorziehen, heißt, unsinnig den gesetzmäßigen Verlauf der Entwicklung verneinen; heißt, den eigentlichen Schwierigkeiten der Aufgabe ausweichen, die Wege, die vorhanden sind (mit Wegweisern!), verbauen, die erfüllbaren durch unerfüllbare oder völlig falsche Forderungen verwirren. Was in aller Welt soll ein Setzer durch den Anblick eines Holztafeldruckes lernen, der auf 9,5 cm Höhe dreißig aufeinander sitzende Zeilen von ungefährer Cicerogröße einer ganz fetten Type hat? Zeigt ihm, wie man mit den Mitteln, die er hat, die er kennt, die er täglich brauchen muß, eine gute Seite baut! Zeigt ihm, wenn er Dramen setzen soll, eine Seite aus dem ersten Druck des Schiller’schen ›Macbeth‹, den Vieweg’schen Druck der Aristophanesübersetzung von Voß (alle Voß’schen Bücher sind vollendet gedruckt!), zeigt ihm den Molière von 1787 in Oktav, zeigt ihm als Prosaseite eine Seite aus den Quartausgaben von Geßner, Zürich, 1777, von Rousseau, von Voltaire (beide gedruckt in Genf, 1782 und 1768), zeigt ihm als Verssatz eine Seite aus dem ›Wunderhorn‹, eine Seite des zweiten Druckes des Homer von Nicolovius in Königsberg, 1801, aus dem Uz, aus dem Wieland, (mit den reizvollen Nebentiteln in gestochener Fraktur) aus dem Verlag von Schmieder in Karlsruhe, 1819; aus der Quartausgabe von Ramler, Berlin 1800; zeigt ihm Drucke von Bodoni, von Degen in Wien, eine Seite aus dem ersten Druck des ›West-östlichen Divans‹, zeigt ihm schließlich fast irgend ein beliebiges Buch gerade aus der Zeit vor hundert Jahren; vergeßt auch nicht, ihm die Titel zu zeigen und die Widmungen und die Vorreden und die Inhaltsverzeichnisse! – er wird von allem und jedem immer irgend etwas lernen können. Was soll er aber von noch so schönen Vorbildern lernen, die ihm das gerade nicht zeigen, was er mit seinen Mitteln erreichen kann! Es ist so bequem, über die Schwierigkeiten, einen Titel sinnfällig schön zu setzen, indem man die Worte sinngemäß durch entsprechende Typengröße bewertet und die Wortgruppen ebenso sinngemäß und rhythmisch gut auf den Titel (innerhalb des für den Titel imaginären Satzspiegels) verteilt, mit Phrasen von ›Raf22
Begleitwort zur Probe der Weiß-Fraktur finement‹ und ›Steinbaukasten-Architektur‹ wegzugehen. Als ob in irgend welchen Druckseiten mehr Architektur wäre, als in dem Titelsatz der frühen Drucke, namentlich so vieler hochgepriesener Renaissancedrucke! Da ist (mit Recht) nichts mehr von der geschriebenen Zeile zu merken: einzig der Aufbau der Wortgruppen nach rein ästhetischen Rücksichten, nach ihrer Schwärze oder Helligkeit, ihrer Höhe, Länge und Kürze, wird gesucht, mit so ausschließlich auf den architektonischen, rhythmischen Bau des Titels zielender Absicht, daß diesem Ziel in sehr vielen Fällen der Inhalt dergestalt hintangestellt wird, daß z. B. das Titelwort, oder, steht er voran, der Autorname entweder mitten drin geteilt oder mit der Hälfte eines folgenden Wortes beliebig zusammengefügt wird, nur um eine Druckzeile von gewollter Länge in besonderem Grad der Type als erste, sozusagen als Gesims, über die Wortfassade legen zu können! Ich möchte den Verleger eines heutigen, für Kenner bestimmten Druckes sehen (von Gebrauchswerken gar nicht zu reden), der nicht die Hände über dem Kopf zusammenschlüge, wollte man ihm zumuten, ›so etwas‹ zu verantworten! Und das haben die Alten gemacht, sogar die ganz Frühen, die tabu sind! Ich aber behaupte, daß sie sich’s leicht gemacht haben damit, denn sie hatten so nur einer Forderung zu genügen, der ästhetisch schönen Wirkung; lesen konnte man’s ja auch, trotzdem! Die spätere Zeit löste die gebauten, zusammenhängenden Wörterblöcke auf und verteilte sie rhythmisch abgewogen über die Seite, zum großen Vorteil der Sinnfälligkeit des Inhalts, und hat im siebzehnten, achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert nicht weniger vollkommen schöne Lösungen der Aufgabe gefunden, als die Vorfahren. Die Auflösung des Wörtergefüges hatte zur logischen Folge, daß die entstehenden Zwischenräume teils aus ästhetischen Gründen, teils um die getrennten, in sich zusammenhängenden Wortgruppen noch sinnfälliger zu teilen, das Ganze aber in der Schwarz-Weiß-Wirkung zusammenzuhalten, mit Ornamenten, Vignetten etc. später oft und im 19. Jahrhundert meist nur mit einfachen, oder gezierten Linien gleicherweise betont und aufgehoben wurden. Das hat in der Zeit des allgemeinen Geschmacksverfalls aller Gewerbe schließlich auch zu einer vollkommenen Auflösung und sinnlosen, weil zufälligen, Anfüllung der Titelseiten mit schlechter Schrift und schlechtem Ornament geführt, innerhalb ebenso schlecht gewählter Proportionen von Höhe und Breite des Buches und des Satzes. Es waren, wie ich zu Anfang sagte, die Außenseiter, die Künstler, die vom Beginn des ›Heiligen Frühlings‹ an, der über die Gewerbe kam, mit richtigem Instinkt, wenn auch oft 23
Begleitwort zur Probe der Weiß-Fraktur genug planlos und mit falschen Mitteln, und also mit verunglückten Resultaten, den Grundnotwendigkeiten des Druckwesens zu neuem Leben verhalfen. Daß sie dabei oft genug übers Ziel oder neben das Ziel stürmten, indem sie an die Stelle des verkommenen Renaissance-Ornaments der 60er bis 90er Jahre die lebendigen naturalistischen Formen setzten, die den ornamental gerichteten unter ihnen die erneute Beziehung zur Natur eingab: wer will es tadeln! Eine erneute, lebendige Beziehung zur Formenwelt der Type war da und drückte sich bei Verwendung herkömmlicher Typen in der Benutzung kräftiger Typen und großer Grade aus, die dem kraftvoll holzschnittmäßigen Charakter des neuen primitiven, naturalistisch-malerischen Ornaments am meisten entsprach. Diese Zeit fand aber auch in einer Neuschöpfung, der Eckmann-Type, eine ihr entsprechende, originale und höchst talentvolle eigene Typenform, die kein dauerndes Leben haben konnte, gerade weil sie in Formen sprach, die zu persönlich und zu zeitlich bedingt waren. Die Überwindung des naturalistisch-malerischen Stils begann auf dem Gebiet der Typenformen mit der Schaffung der Behrens-Type, der nicht minder überragenden Schöpfung einer tektonisch gerichteten Natur. In Dänemark schuf um seine Zeit Bindesboel (auch ein Architekt), seine von dem großartigen Duktus chinesischer Stilformen beeinflußten abstrakten Ornamente, – Dinge, die wir heute kaum in irgend einem Druckwerk ertragen könnten, die in ihrer kraftvollen Bewegtheit aber mehr noch unausgeschöpfte Entwicklungskeime in sich tragen, als beinahe alles andere zusammengenommen, was die Übergangszeit vom naturalistisch-malerischen Ornament zum abstrakt-linearen hervorgebracht hat. Die Engländer, die es niemals über eine schwächlich geschmackvolle Nachahmung des gotischen und des Renaissanceornaments hinaus gebracht haben, – das einzige Genie Beardsley ausgenommen, – haben sich, von einem sicheren Geschmack, der weder allzu schlechtes Altes, noch allzu problematisch Neues zu überwinden hatte, geführt, beizeiten zur puritanischen Einfachheit bekehrt, die man uns nur allzuoft und allzu doktrinär als der Weisheit Schluß gepredigt und zur Nachfolge empfohlen hat. – Die Anknüpfung an die Formen des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts, die nach der Überwindung der ›malerischen Flegeljahre‹ und des ›Yachting-Stils‹ mit der Wiederentdeckung der Schönheit namentlich des deutschen Empirestils begann, als der Epoche, mit der die lebendige Entwicklung abbrach, vollzog sich eigentlich zuletzt auf dem des Buches, nachdem Architektur, Raumbildung und die Formengebung der beweglichen Dinge vorangegangen war. Nicht 24
Begleitwort zur Probe der Weiß-Fraktur ohne Einfluß mag die neu belebte und allgemeiner gewordene Sammlertätigkeit auf die Schätzung nicht nur des seltenen, sondern auch des schönen Buches der klassischen Epoche der deutschen Literatur gewesen sein. Begreiflich genug! Haben die Menschen, haben die Buchstaben, hat das Lesen, die Gebrauchsform der Bücher sich seit der Zeit Goethes, Ungers oder Bodonis sich so sehr geändert, daß ein Buch heute sehr anders aussehen muß als anno 1813? und, wäre das der Fall, soll es dann aussehen wie eines von 1500 oder 1600? Zu der Schönheit der frühen Werke soll man den gereiften Adepten führen, nicht den Anfänger. Der entwickeltere Geschmack, das sichere Urteil werden diese Schönheit um so mehr empfinden, als sie imstande sind, erst einmal sich über die Ursachen Rechenschaft zu geben, auf denen die Wirkung einer alten Seite, eines alten Titels beruht, und, zum zweiten, zu unterscheiden, was die eigene Arbeit fördert, ihr dienstbar gemacht werden kann und darf. Und nur so wird die Freude an den frühen Werken und ihr Studium lebendigen Gewinn bringen. Darauf allein kommt es an. Über den Inhalt der ›Probe der Weiß-Fraktur‹ mich zu äußern, möchte ich mir gern durchaus versagen. Ein paar Worte werden aber notwendig sein, schon, um Mißdeutungen einiger besonderen Seiten vorzubeugen, die meine intimen Feinde, die ›Unentwegten‹, nicht verfehlen werden, als ›Urteile‹ von sich zu geben, die, wie ich wohl weiß, Verurteilungen gleichkommen: ich meine die Seiten, die gegenständliche Formen aus den kleinen Ornamentstücken zusammengesetzt zeigen. Niemand wird Anstoß nehmen, Borten, Leisten, Rahmen, Schlußstücke ornamentaler Art aus Teilen ornamentaler Art zusammengesetzt zu sehen. Das entspricht durchaus dem Material, das die großen Formen, Worte und Ornamente, aus den kleinen, Buchstaben und Ornamentteilen, zusammensetzt. Wer will mir nun die Grenze ziehen zwischen gegenstandslosem Ornament und solchem, das entweder Ähnlichkeit mit Gegenständen oder deutlich deren Form hat, die Grenze, die das Erlaubte von dem Unerlaubten trennt? und wer kann oder darf erlauben oder verbieten? ist nicht einzig und allein das Resultat maßgebend und seine Wirkung aufs Auge, als fürs Auge geschaffen? Nennt es Spiel, meinetwegen; warum soll, wer es kann (oh! es ist gar nicht leicht, gut zu spielen!) – nicht auch einmal spielen? Vor Kurzem erst ist schlechtes Spielen mit Schriften und Ornamenten in einem vortrefflichen Aufsatz in der ›Zeitschrift für Bücherfreunde‹ gebrandmarkt worden, sehr mit Recht und sehr zur Zeit. Ahnungslose, willkürliche, dilettantische Pfuscharbeit, 25
Begleitwort zur Probe der Weiß-Fraktur wie sie dort gerichtet wurde, kann nicht scharf genug getadelt werden. Deshalb: lieber Freund am Setzkasten: um meiner Seelenruhe willen sei beschworen, laß davon wenigstens die Finger! Und versuchst Du’s, wage Dich nicht damit heraus, bevor einer, dessen Urteil Du fürchtest, sein Imprimatur gegeben hat. Animam meam salvavi! Für die ausführliche Vorführung der Grade in ganzen, reinen Seiten und mit den verschiedensten Durchschüssen, die, unverständlich genug, in allen Proben, die ich kenne, mit je ein paar Zeilen für jeden Grad völlig ungenügend abgetan ist, wird man der Bauerschen Gießerei besonderen Dank wissen, dem ich mich mit dem meinigen anschließe für die aufopferungsvolle und geduldige Mitarbeit, die sie mir in der jahrelangen Arbeit an der Schaffung der Schrift und dieser Probe gewährt hat. Schließlich sei Carl Ernst Poeschel für die vielen schönen Dinge, die er zu der Probe beigesteuert hat, bedankt. Es ist mir eine Freude, in diesem Hefte auch eine ganze Reihe Arbeiten eines Mannes von der Presse zeigen zu können, dessen Teilnahme an meinem Versuch mir zur Ehre gereicht. Forte dei marmi, September 1913.
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E. R. Weiß: Begleitwort zu einer Probe der Weiß-Antiqua 1931 Ich bin zuerst einmal ein maler und ich male alles: menschen, nackte figuren, landschaften, pferde, stilleben, ich verabscheue die spezialisten. Als erster meiner generation, der männer, die zwischen siebzig und achtzig geboren sind, habe ich gewagt, blumen zu malen. Das war damals, vor dreißig jahren, die etwas belächelte angelegenheit der malenden damen. Heute gibt es so viele blumenbilder, daß ich schon lange keine mehr malen oder sehen mag! Von meinen jungen jahren an war ich ein bücherfreund, ein büchernarr. Ich habe die bücher auch gelesen, viel zu viele. Als unerfahrener junger mensch habe ich eine anscheinend angeborene freude, ein leidenschaftliches interesse auch an der gestalt der bücher gehabt, an allem, was diese gestalt ausmacht, vor allem aber an schönen ausdrucksvollen buchstaben. Diese freude habe ich noch heute. Vor kurzer zeit habe ich mir einige bewunderungswürdig kühne buchstaben abgezeichnet, die ich auf dem spruchband eines alten deutschen bildes sah. Ich habe lateinische schriften von römischen denkmalen, schriftformen der renaissance, gotische und bezaubernde barocke schnörkelschriften von grabmalen abgezeichnet, ich habe die griechische schrift studiert, als ich die gedichte der unsterblichen Sappho in kupferplatten stach, – ich habe buchstaben, zeilen und ganze seiten nach schönen buchtiteln gezeichnet, heute gibt es das alles in hundert schönen werken über die schriftformen aller zeiten. Deswegen bemühen sich die jungen leute nicht mehr so eifrig darum, sie haben es zu bequem. Ich fing ganz autodidaktisch, ganz ahnungslos an, selbst schriften zu schreiben und zu zeichnen. Wenn ich solche produkte aus meiner anfängerzeit sehe, muß ich lachen. Später habe ich bei der ausgezeichneten Anna Simons einige zeit richtig und systematisch schreiben gelernt, römische schrift, unzialen, halbunzialen, und was sonst dazu gehört. Da sind denn auch einige arbeiten entstanden, als frucht dieses studiums, die man noch heute billigen kann. Ich stürzte mich auf die inkunabeln, ich häufte druckernamen und typenformen in meinem gehirn, aber ich habe das alles gottlob zum größten teil wieder vergessen. Ich war doch ein maler und wollte eigentlich und nie etwas anderes sein! So habe ich die viele arbeit, die ich den buchstaben und den büchern gewidmet habe, nebenher gemacht, sozusagen ›mit der linken hand‹, als künstler, als liebhaber, nicht als ›fachmann‹. Der mann, der auf 27
Begleitwort zu einer Probe der Weiß-Antiqua irgend einem gebiet schöpferischer tätigkeit ›fachmann‹ ist und nichts als fachmann war mir immer ein wenig fremd und verdächtig! Die neuen druckschriften, die ich gezeichnet habe, und die die Bauersche Gießerei hat schneiden und gießen lassen, die antiqua, die kursive, und die initialen-alphabete, aus denen man aber auch worte setzen kann, sind die frucht vieler erfahrung und langer gemeinsamer arbeit. Ich wünsche uns, daß man sieht und versucht, daß diese schriften sich gut einfügen in die unzerstörbare tradition der buchstabenformen und daß sie doch von heute sind, wie ja jede generation die alten formen verwandelt, wie es ihr gemäß ist, genau so, wie jede generation den alten Homer immer wieder übersetzt, – daß diese schriften also ›modern‹ sind, um dieses wort zu gebrauchen, das so viel mißbraucht wird, besonders für dinge, die morgen schon nicht mehr ›modern‹ sind, daß diese neuen schriften also jedem druckwerk, welches es auch sei, ob es sich in seiner gestalt an alte vorbilder anschließt oder ob es eine durchaus neue form sucht, gleich gut dienen können. Tantus labor non sit cassus.
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E. R. Weiß: Künstler und Buchkünstler gestern, heute und morgen. Ein Vortrag, gehalten 1931 Meine damen und herren! Wenn ich gewußt hätte, in welche verlegenheit mich die annahme der einladung bringen würde, zu Ihnen hier zu sprechen, nämlich in die verlegenheit, nicht zu wissen, von was ich sprechen soll, nicht aus mangel an möglichkeiten, sondern aus einem zuviel, dann hätte ich, wie andere, so auch Ihre einladung am ende doch ablehnen müssen. Denn von was sollte ich zu Ihnen sprechen: von der malerei? von meiner malerei? Die soll für sich selber sprechen und sie braucht, denke ich, keinen interpreten. Von der buchkunst im allgemeinen, oder von meinen arbeiten im besonderen? Auch sie brauchen keine deutung, das neue daran ist reif geworden und in die anschauung vieler übergegangen, womit ich nicht sagen will, daß es alt und keiner wandlung mehr fähig wäre, denn ich bin weit entfernt davon, zu glauben, ich hätte ausgelernt. Was mich aber schließlich doch bewogen hat, Ihrer mich ehrenden aufforderung zu entsprechen, ist, weil ich mich Ihnen auch als maler, und nicht nur als buchkünstler, vorzustellen die gelegenheit habe und nicht zuletzt auch als Ihren landsmann, ich meine nicht nur als Badener, sondern auch als halben Pfälzer, der ich von meiner mutter her bin, die ein bauernmädchen war aus Oftersheim bei Schwetzingen, wo meine base noch immer ihre ›duwackäcker‹ hat. So war es also wohl der zug des herzens, der mich hierher geführt hat. Aber schon der umstand, mich durch den titel des vertrages gebunden zu sehen – und selbst diesen zu finden, war schwierig genug! – hat mir verlegenheit gemacht, um so mehr, als ich nie ein theoretiker, nie ein programm-mensch gewesen bin, auch kein ›fachmann‹, und nie ein künstlerisches parteibuch in der tasche gehabt habe, was alles mir meinen weg gewiß nicht erleichtert hat. Das bißchen bildung, das dazu gehört, vor einigermaßen gutwilligen zuhörern über irgend ein bestimmtes thema zu sprechen, über das man ein wenig bescheid weiß, konnte ich ja schließlich noch aufbringen, außerdem gibt es über alles und jedes in unserer bildungs- und druckwütigen zeit – ganz besonders in Deutschland! – material genug, überall zu haben, mit dem man sich vorher noch schnell versorgen kann, um es dann vor dem staunenden zuhörer aus dem ärmel zu schütteln! Aber das, gerade das ›bestimmte thema‹ habe ich nicht und ich will es auch gar nicht haben, da ich, wie ich bereits gesagt habe, kein fachmann bin und sein will, daher 29
Künstler und Buchkünstler auch nicht als solcher zu Ihnen sprechen kann. Der fachmann nämlich, nach Paul Renners treffender definition, ist »der meister seines faches, der die techniken, z. b. der mechanisierten graphik, beherrscht, wozu er niemals auch nur einen blick in die geistige sphäre des gestaltens und formens getan zu haben braucht, die man kunst nennt«. Ich habe sogar häufig genug erlebt, wie selbst von natur gescheiten menschen das blickfeld durch die fachkenntnisse in verhängnisvoller weise verstellt worden ist, oft sogar gerade für das eigene fach! Damit, daß ich keiner bin und keiner sein will, geht mir ja allerdings eine für einen kompletten Deutschen eigentlich unentbehrliche qualität ab, denn wie und über was soll man mit so einem menschen ernsthaft sprechen? Aus diesem grunde habe ich als titel meines vortrags möglichst dehnbar gesagt, ›künstler und buchgewerbler, gestern, heute und morgen‹, wozu ich bemerken muß, daß der ›buchgewerbler‹ von zuständiger stelle zu dem feineren ›buchkünstler‹ gemacht worden ist, während Karl Walser uns, noch weniger fein und anspruchsloser, die ›buchdeckler‹ nannte. Als künstler und als buchkünstler zu Ihnen zu sprechen, ist das gegebene für mich: Es erlaubt mir, es als der zu tun, der ich mein leben lang war. Ich hoffe aber sehr, ich werde Sie nicht in der erwartung enttäuschen, einiges von mir zu hören, was über das persönliche hinausgeht, einiges ›sachliche‹, um dieses eben so schreckliche, wie beliebte wort zu gebrauchen, etwas, was Sie, wenn auch nicht schwarz auf weiß, so doch im kopfe nach hause tragen können. Von was aber kann ich vernünftigerweise ausgehen, als von der persönlichen tätigkeit und erfahrung von gestern und heute und der persönlichen meinung über das morgen? Die beiden tätigkeiten, die des künstlers und die des buchkünstlers, sind, solange ich arbeite, ich will nicht sagen, nebeneinander hergegangen, denn das wäre eine allzu oberflächliche charakterisierung, sondern die eine, die buchkünstlerische, ist ein nebenwerk der anderen, der freien künstlerischen und wäre in ihrem wesentlichen ohne sie nicht vorhanden, wenn sie auch zweckvoll bedingt ist und scheinbar wenig oder nichts mit der eigentlichen zu tun hat, der freien künstlerischen, die keinen zwang, noch zweck kennt, als den, den sie sich selber auferlegt. Ich lege auf diesen zusammenhang, auf dieses einssein im ursprung, das entscheidende gewicht. Ich nehme auch die konsequenzen dieser einstellung auf mich, selbst wo sie mir, namentlich gerade in den augen des fachmannes, keineswegs günstig sein können. Ich bin mir durchaus bewußt, daß diese meine einstellung unzulänglichkeiten zur folge 30
Künstler und Buchkünstler haben kann und hat, die der tüchtige fachmann, ja jeder brave handlanger vermeidet und vermeiden muß, denn sonst wäre er zu gar nichts zu gebrauchen. An ihn stellt man mit recht forderungen, denen sich der künstler entzieht, aus seiner natur heraus, die im höchsten sinne und gerade dann, wenn er ein meister ist, mit den dingen spielt. Der fachmann – es ist um dieses wort nicht herum zu kommen –, in unserem falle der mann also, der nichts ist als buchmann, schriftmann, ist ganz gewiß notwendig und wichtig, aber nur der künstler, der schöpferisch tätige, der schöpferisch zerstörende, erfindende und aufbauende mensch ist wesentlich, einmalig und unersetzlich. Niemand ist weiter davon entfernt als ich, diesen fachmann, den werkmann, gering zu schätzen, denn ich weiß zu genau, wie wichtig und notwendig er ist, wie auch das schöpferische gehirn ohne seine hand nicht auskommen kann, wie viel erfahrung, wie viel gewissenhaftigkeit, geistig-moralische und handliche, sich in den scheinbar einfachen, scheinbar nur technischen, gewerblichen, handwerklichen, sogar den maschinellen arbeiten verbirgt. Ich selbst habe die viele arbeit auf dem gebiete des schriftmannes, des buchmannes durch all die jahre sozusagen ›mit der linken hand‹ gemacht, die rechte gehörte dem maler. Als maler, ganz genau gesagt: sogar als dichter, bin ich zu den ersten versuchen auf diesem tätigkeitsfelde gekommen, auf dem ich dann im laufe der jahre so vieles gemacht habe und damit so bekannt geworden bin, wie das in der natur dieses arbeitens liegt, dessen produkte in die hände von tausenden kommen, daß es mir geschehen konnte, nachdem ich schon zwanzig jahre lang meine bilder überall ausstellte, eines tages von einem genauen kenner meiner bucharbeiten hören zu müssen: Ach, Sie malen auch? Als dichter also kam ich zu meinen ersten versuchen, und das kam so: Bierbaum sah die handschrift einiger gediente und forderte mich daraufhin auf, für den eben gegründeten ›Pan‹ eine schriftseite zu zeichnen, – denn daß man eine schriftseite gegebenermaßen schreiben sollte, das war damals noch nicht raus, und zwar eine der ›hymnen an die nacht‹ von Novalis. Das tat ich denn auch und zeichnete die seite in einer unmöglichen schrift, einem mittelding zwischen rune und antiqua, die aussah, als wäre sie aus lauter verbogenen stecknadeln gemacht, und die kein mensch lesen konnte. Aber dazu war sie in erster linie auch nicht gemacht, sondern dazu, dekorativ gut mit der figürlichen umrahmung zusammen zu gehen, die, ich weiß nicht mehr wer, gezeichnet hatte. Man kann sehr verschiedener meinung 31
Künstler und Buchkünstler sein, ob sie das wirklich tat: jedenfalls waren die herren vom ›Pan‹ damit einverstanden, und ich habe weiter für den ›Pan‹ meine ersten sogenannten ›schmuckstücke‹ gezeichnet, von denen ich auch heute noch einige nicht schlecht finde, denn, so ahnungslos sie gemacht sind, ein gutes richtiges gefühl für den charakter einer solchen arbeit und ihre wirkung war darin. Einen wesentlichen schritt weiter waren schon die ersten arbeiten für meinen ersten richtigen brotherrn, meinen seligen freund Eugen Diederichs. Aber auch er kam nicht zu mir als dem buchkünstler, diesen begriff und das wort gab es damals noch gar nicht, und ich hätte einen wohl ausgelacht, der mich so hätte nennen wollen! Er kam zu dem dichtenden maler. Diederichs aber war noch gehilfe im Bielefeldschen antiquariat in Karlsruhe, verkaufte mir die erste ausgabe des zweiten teiles des ›Faust‹ für 8 mark, – was teuer war! – und der verleger Diederichs war damals noch ein traum, den der antiquariatsgehilfe träumte. Er hat ihn wenige jahre später zur wirklichkeit gemacht, unter dem zeichen des Donatelloschen Löwen in Florenz, des Marzocco, wie Sie wissen, und begonnen hat er sein wirken, daß ich es gestehe, mit unmöglichen gedichten von mir, die ich ihm am tag seines besuches in Schwetzingen vorlas, wo ich im schloßgarten und in den feldern studien malte, und die ihm außerordentlichen eindruck machten, weil sie ihm ziemlich unverständlich waren, und weil ich ein ›symbolist‹ war, ein sehr vieldeutiger und ein klein wenig unheimlicher begriff. Diederichs hielt mich dafür, und ich mich wahrscheinlich auch, weil ich Maeterlinck las und Verlaine und Malarmé, aber ich war es nicht; es war eine Jugendkrankheit, eine der vielen schlangenhäute, die der eindrucks- und wandlungsfähige junge mensch bekommt und wieder ablegt. »Alle große kunst ist symbolisch« hatte ich einmal bei Goethe gelesen, aber ich war viel zu jung, um dieses tiefe wort zu verstehen, wie es gemeint war, denn ich glaubte, um symbolisch zu sein, müsse die kunst sich symbolischer gestalten bedienen. An diesem irrtum habe ich lange genug getragen, er war die ursache vieler schlechter, sogenannter ›symbolischer‹ bilder, die später wieder zerstört wurden. Als Hans Thoma, den wir jungen leute anbeteten – und ich als alter tue es noch! – nach Karlsruhe gekommen war, und ich meisterschüler bei ihm sein durfte, stand ein solches bild in riesigem format bei mir auf der staffelei. Es stellte den wind dar, symbolisiert durch eine gruppe schwebender figuren, deren eine, selbstverständlich eine frau, den an der erde liegenden maler oder dichter mit sich in die lüfte zieht. Thoma kam auf seinem allwöchentlichen besuche zu mir, setzte sich, stützte 32
Künstler und Buchkünstler hand und kinn auf die elfenbeinkrücke seines rohrstockes und besah sich das bild eine weile stumm. Dann sagte er: »Ja, wisse Sie, so was hab ich auch emal probiert, es isch au nix worde.« – Warum es aber bei ihm nichts wurde und bei mir auch nicht, das hat er mir nicht gesagt und er konnte es wohl auch nicht, das aber wäre das wichtigste gewesen. Er hat als lehrer seinen schülern Haueisen, Hofer und mir gegenüber versagt. Wir, die menschen meiner generation, haben uns als künstler alle einsichten und erfahrungen selber erwerben müssen. Von dem als lehrer ausgezeichneten Robert Poetzelberger abgesehen, in dessen strenger schule wir gips und akt zeichneten, und das in einer weise, von der kein junger mensch von heute mehr etwas weiß, hatten wir keine lehrer, auch Kalckreuth, als mensch und freund unvergeßlich, war keiner. So habe ich auch als buchund schriftgewerbler, nur von meinem leidenschaftlichen interesse geführt, mir kenntnisse und übung mit vieler mühe gesammelt, die sich der heutige junge mann alle in vorzüglichen schulen und aus vielen prachtvollen vorlagewerken bequem erwerben kann, – allzu bequem, denn ich kenne wenige, die es wirklich tun. An schönen charaktervollen buchstaben habe ich von jeher interesse und freude gehabt, ich habe sie heute noch unvermindert und habe mir vor nicht langer zeit einige buchstaben von dem spruchband auf einem alten deutschen bild abgezeichnet, deren kühnheit mich entzückte. Schließlich habe ich bei der ausgezeichneten Anna Simons richtig schreiben gelernt, kapitalschrift, unziale, halbunziale und was sonst dazu gehört. Ich stürzte mich, von Peter Jessen geführt, in die wunderwelt der inkunabeln, lernte typenformen und druckernamen, aber die habe ich fast alle wieder vergessen, den am meisten bewunderten Erhard Ratdolt aber nicht. In Venedig, in der Markusbibliothek hielt ich drucke von ihm ehrfürchtig in den händen, darunter ein buch mit holzschnitten der sternbilder, das ich nicht genug bewundern konnte und kann. Ich zeichnete römische monumentalschriften, schrieb in gotischen schreibformen, zeichnete bezaubernde barocke schnörkelschriften von grabsteinen ab, versuchte fraktur zu schreiben, bis ich merkte, daß man das nicht kann, weil die formen der fraktur durch den weg über den schnitt in metall sich aus schreibformen schon in eine andere, nicht mehr schreibbare gestalt gewandelt haben, wie das natürlich und logisch ist, denn stoff wandelt die form, ebenso, wie der zweck. Dies erleben wir ja heute in der architektur, im gewerbe, in der technik, in einem umfang und mit einer gewalt, wie noch niemals zuvor, mit einer gewalt, der sich keiner entziehen kann, der am lebendigen kleide der zeit 33
Künstler und Buchkünstler wirken will. Das aber will und soll doch der mann, der irgend ein ding macht, das einem zweck dienen soll, und er muß es tun, sonst führt ihn sein eigenes geschöpf ad absurdum. Vor sechzig jahren hat Gottfried Semper die kunst als »resultat aus gebrauchszweck, rohstoff und technik« definiert. Paul Renner, auf dessen veröffentlichungen ich mich mehrfach beziehe, ohne im rahmen dieses vortrages in genügend ausführlicher weise sowohl zustimmen, wie widersprechen zu können, hat in einem lesenswerten aufsatz, veröffentlicht in dem jahrbuch der hamburgischen vereinigung der bücherfreunde ›Imprimatur‹, diesem unsinn das wort von Kornmann gegenüber gestellt: daß gebrauchszweck, rohstoff und technik nicht ein kunstwerk ergeben, sondern nur das, was er den »werkbestand am kunstwerk« nennt. Mir war das außerordentlich tröstlich zu lesen, denn oft und lange genug hatten allerlei schwätzer uns die schönheit der maschine, die schönheit der technik, die schönheit der ›funktionellen form‹, wie das neue wort heißt, einzureden versucht und sogar die überwindung und das ende der kunst programmatisch angekündigt. Dieser meinung kann nur einer sein, der nie gefühlt und nie begriffen hat, was kunst ist. Kunst kann nie sterben, die lebensbedingungen, die gestalt des lebens, die technik mögen sich wandeln wie sie wollen. Renner glaubt, daß noch einmal die »stunde einer urzeugung der kunst« gekommen ist, und daß es die geschichtliche aufgabe unserer zeit ist, auf jede überlieferte form zu verzichten und nur den nackten werkbestand künstlerisch zu gestalten. Was heißt das, »den nackten werkbestand künstlerisch gestalten«? Werkbestand setzt doch zweck voraus, welches aber ist der werkbestand der kunst, etwa der plastik, der malerei? und welches ist ihr zweck? Man kann farben und leinwand, einen klumpen ton oder einen block holz oder stein keinesfalls werkbestand nennen, – nur der architekt gestaltet einen werkbestand künstlerisch, die gestalt des hauses, das er baut, die zunächst ein resultat aus gebrauchszweck, rohstoff und technik ist, und seinem wesen nach als solches eigentlich schon vollkommen und fertig, also kein kunstwerk, wie Adolf Loos das auch ausdrücklich betont. Es hieße also, diesen werkbestand nach anderen gesichtspunkten zu modifizieren, die außerhalb des gebrauchszweckes, des rohstoffes, der technik liegen. Nach welchen? Doch wohl nach künstlerischen, nach ästhetischen, deren wesen ewig, deren form wandelbar ist, denn jede zeit empfindet alles, gebrauchszweck, rohstoff, technik und form anders, von den wandlungen, denen sie alle von sich aus unterliegen, gar nicht zu 34
Künstler und Buchkünstler sprechen. Auf das, was uns hier angeht, die druckschrift angewendet, also auf ein ding, das, so wenig wie etwa ein anderes gebrauchsding oder gar eine maschine, seine schönheit aus sich selbst und durch sich und für sich selbst hat, also als solches nicht ein ding der kunst ist, ist die forderung, die man an sie stellen muß, zunächst die, dem zwecke, gelesen zu werden, auf möglichst vollkommene art zu dienen. Wer will bestreiten, daß sie das auf sehr vielerlei art tun kann? Die große reihe vollkommen schöner alter druckschriften genügt diesem zweck heute so gut wie je. Die nächste forderung wäre die, daß die schrift den nackten werkbestand künstlerisch gestaltet. Sie werden mit mir der meinung sein, daß viele der als schön geltenden alten druckschriften auch dieser forderung genügen, wenigstens im wesentlichen, keinesfalls aber ihn verkennen oder verunstalten. Die alten schriften geben in ihren formen allerdings nicht nur die grundform, sie haben eine gestalt, die ihnen das formgefühl ihrer zeit gab. Wer kennt nicht eine fraktur der barocken zeit, wer erkennt nicht eine antiqua des Empire an dem nur ihr eigenen verhältnis der fetten und der mageren linien? Die grundform ist dieselbe und wird dieselbe bleiben müssen, weil, wie Renner richtig sagt, der gebrauchszweck die schrift dazu zwingt. Was die in ihrer art ausgezeichnete Futura Renners leistet, ist eine reduzierung der ›gestalt‹ auf die unentbehrlichen grundformen, sie bedeutet einen reinigungsprozeß, durch welchen sie, dank des künstlerischen gefühls ihres schöpfers, eine überzeugende zweckdienlichkeit gewonnen hat, und eine schönheit! Daß diese schrift aber das ideal der lesbarkeit, also eine ideale lösung der künstlerischen gestaltung ihres werkbestandes bedeutet, bezweifle ich, denn die erfahrung hat gelehrt, daß allzu durchgehend gleichmäßige und gleich starke form, die bei dieser schrift als einer aus den formen der antiqua stammenden, auf der senkrechten, der horizontalen, der diagonalen, dem rechteck und dem kreis, resp. halbkreis beruht, – ursprünglich war sie rein konstruktiv!, – daß diese eigenschaften die optische erfassung des wortbildes und damit die geistige erfassung des inhaltes nicht erleichtern, sondern erschweren. Dies ist eine erfahrung, die viele mit mir gemacht haben, sie ist auch wissenschaftlich experimentell bewiesen. Es ist natürlich und notwendig, daß auch die druckschrift sich dem prozeß der abstoßung aller gewesenen formen, der sich heute in einer außerordentlichen intensität vollzieht, nicht entzieht. Ich glaube an die innere notwendigkeit dieses geschehens, dem sich kein schaffender entziehen kann, wenn er sich nicht selber seine über35
Künstler und Buchkünstler flüssigkeit beweisen will. Es würde zu weit führen, von der auswirkung dieser grundsätzlichen einstellung innerhalb der kunst zu sprechen, so wichtig und unendlich interessant es ist, dieser wirkung nachzugehen. Vielleicht könnte man, wie Renner es tut, von einer neuen »urzeugung der kunst« sprechen mit beziehung auf die versuche, bildflächen und plastische formen rein aus den mittein, aus denen sie entstehen, zu gestalten, auf der bildfläche die ihr immanenten kräfte in formen sichtbar werden zu lassen, die sich durchaus selbst genügen, ohne jede beziehung zu den gegenständlichen formen der erscheinungsweit, also in abstrakten formen. Diese gestaltung von farbe und form, von rhythmus, spannung, gleichgewicht, von ruhe und unruhe, hell und dunkel, besitzt alle rein ästhetischen möglichkeiten, sie stellt physische schönheit, wohlklang und dissonanz nicht nur vollkommen dar, wie das gegenständliche bild oder die gegenständliche plastik, sondern sie ist das alles selbst, aus sich und durch sich und für sich, in ihren vollkommenen schöpfungen dem vollkommenen aller kunst ebenbürtig. In der kunst gilt nur das bedeutendste, ich denke also nicht etwa an die talentlosigkeiten eines Kandinsky, sondern an bestimmte schöpfungen des genies Picasso oder Braques. Es ist kein zufall, daß es maler waren, wieder einmal die maler, wie zu beginn der ersten modernen bewegung in den neunziger jahren, schrift und buch neu zu gestalten, die auch heute die schöpfer dessen sind, was man neue typographie nennt. Und zwar sind es die maler abstrakter malerei, die, wie sie bildfläche, farben und form nach eigenem gesetz gestalten, so papierfläche, schrift, farben, bild nicht in irgend ein für alles geltendes prinzip oder schema zwingen, sondern von fall zu fall aus sich selbst ordnen. Und das bedeutet eine außerordentliche verlebendigung, um das wort zu gebrauchen, eine ›aktivierung‹ des werkstoffes und der wirkung. Es liegt in der natur der dinge, daß diese aktivierung zuerst dort versucht, begriffen, aufgenommen und durchgeführt wurde, wo aktive wirkung eine forderung war, die an die lösung der aufgabe gestellt wurde; in allem druckwerk nämlich, das der werbung dient. Ich gestehe, den fehler gemacht zu haben, nicht schon längst und genauer diesen dingen nachgegangen zu sein. Das mag daran liegen, daß ich wenig mit druckwerken zu tun hatte und habe, die dieser forderung zu genügen hatten. Es sind einige einbände gewesen, auch schutzumschläge, hinter denen man jetzt die schönsten einbände versteckt, also dinge, die zunächst wirken, einer praktischen forderung ästhetisch genügen sollen und wollen, die mich von gewissen bisher 36
Künstler und Buchkünstler festgehaltenen prinzipien der gestaltung abgehen ließen. Ich habe schließlich ganz für mich etwas entdeckt, was längst, ohne daß ich es wußte, ein wesentlicher teil des programms der neuen typographie ist: das aufgeben der mittelachse und der symmetrischen anordnung einer schriftseite! Für mich etwas ungeheures! Es ging mir damit etwa so, wie dem jungen mann, der eines tages zu dem alten geheimrat Lehrs in Dresden kam und ihm begeistert und aufgeregt erzählte, er hätte mit schwarz gefärbtem fett auf einen glatten stein gezeichnet, hätte die zeichnung geätzt, und diese auf dem stein fixiert, dann hätte er sie mit farbe eingerieben und hätte das ganze dann drucken können, worauf Lehrs ihm antwortete: »Ja, mein lieber, da haben sie die lithographie erfunden, – die gibt es aber schon hundert jahre!« – Immerhin, ich, der ich gewohnt war, vor allem der forderung nach möglichst vollkommener harmonie, möglichst vollkommener ruhe und ausgeglichenheit einer schriftseite, vor allem einer buchseite, eines titels, was immer es für einer war, genügen zu müssen, für den die mittelachse der seite ein axiom war, so gut wie die symmetrie, ich habe mich eines tages gefragt: Warum muß das eigentlich immer und überall so sein? Sie werden mir glauben, daß ich diese frage nicht leichten herzens stellte! Es ›mal anders zu machen‹ ist kein grund, eine vollkommen logische, tausendmal bewährte form aufzugeben. Ich denke auch nicht im mindesten daran, sie aufzugeben, und ich habe mit vergnügen vor kurzem gelesen, daß auch ein anhänger modernster druckgestaltung gemeint hat, auch der symmetrische aufbau eines titels auf der mittelachse sei richtig und gut und schön, und man könnte das eine ja tun, nämlich einen titel oder eine dafür sich eignende seite asymmetrisch, rhythmisch, dynamisch aufbauen, und brauche das andere, bisher übliche, deshalb nicht zu lassen. Probatum est. Aber ich glaube, daß gerade dem buchtitel, mit großer sorgfalt auch anderen buchseiten, am wenigsten natürlich der eigentlichen textseite, möglichkeiten der Wirkung gewonnen werden können, die nicht nur neue und sehr viele reizvolle ästhetische qualitäten haben, sondern auch dem inhalt, dem zu übermittelnden wort nach seinem wert durch die typographische gestaltung sinngemäßer, bedeutungsvoller entsprechen können. So glaube ich sehr wohl, z. b. der inneren gestalt eines Mombertschen dramas oder gedichtwerkes mit dem gedachten freien satz anders und besser gerecht werden zu können, als ich es mit mittelachse und der bisherigen anordnung bei diesem dichter tun konnte, der so schrecklich untypographisch dichtet! 37
Künstler und Buchkünstler Für die titelseite eines buches ist ja die größe des satzspiegels, der bedruckten fläche auf der buchseite, imaginär. Das weiß ich schon lange, und meine frage, warum das eigentlich immer und überall so sein müsse, ist nur die logische folge der einsicht in die eigentlich künstliche beibehaltung des maßes des satzspiegels für den titel, die ja in vielen fällen auch bisher praktisch gar nicht vorhanden war. Denken Sie an viele titel z. b. in inkunabeln und in englischen drucken, deren ganzer text am kopf des satzspiegels steht, blockartig zusammengefaßt über der weißen papierfläche des imaginären satzspiegels und in genau bedachtem kontrast zu dieser. Damit ist, schon von den druckern der inkunabeln, der anspruch der neuen typographie, sie habe die dynamik der leeren fläche entdeckt, widerlegt. Steht autor und titel am kopf, dann steht die verlagsangabe meistens am fuße des satzspiegels. Das ist ganz sinngemäß, aber muß es immer so sein? müssen vor allem beide wortgruppen auf die mittelachse und symmetrisch gestellt sein? Keineswegs! Wie viele titel werden durch den zwang der axialen und symmetrischen anordnung schlechthin häßlich! Ich könnte Ihnen beispiele dafür in viel gerühmten druckwerken zeigen, z. b. in drucken von Bodoni, und mich selbst hat in vielen fällen die schwierigkeit, einen titel zu guter wirkung zu bringen, zur verzweiflung gebracht, eine schwierigkeit, die ausschließlich in der symmetrischen anordnung auf der mittelachse und im einhalten des satzspiegels ihre ursache hatte. Aber auch für den eigentlichen textsatz ist die aufgabe der mittelachse und der symmetrischen anordnung in gewissen grenzen möglich und erlaubt lösungen, die dem worte nicht schaden, sondern ihm dienen, – und das soll das druckwerk doch tun. Erlauben wir ihm, dies auch auf andere, als die übliche weise zu tun, die neue wird es in vielen fällen besser tun können als die alte. Im fortlaufenden prosasatz sind die möglichkeiten am beschränktesten, im dramensatz und am meisten im gedichtsatz, ganz besonders aber im illustrierten buch, sind sie vorhanden. Versuchen wir sie ungescheut! Ich erhoffe von der neuen typographie, nicht zuletzt auch von dem zwang der einmal begonnenen entwicklung, die verwirklichung einer idee, die ich seit vielen jahren propagiere, ohne sie durchsetzen zu können. An der gewohnheit, an der denkfaulheit von verleger und leser ist sie bisher gescheitert, von verschwindend wenigen ausnahmen abgesehen: diese idee ist: das buch so klein, so handlich, so leicht zu machen als möglich, jedes buch, alle bücher, so weit es das buch überhaupt verträgt. Ich spreche vom gebrauchsbuch jeder art. Sehen Sie sich in der buchhandlung oder zuhause in Ihrer 38
Künstler und Buchkünstler bibliothek bücher an, welche Sie wollen und bedenken Sie einmal, was für eine unsumme von leerem papier an den zu großen papierrändern wir in buchform durchs leben schleppen, zu nichts gut, als die bücher zu verteuern, die formate zwecklos zu vergrößern, gewicht und handhabung zu erschweren! Schließlich haben doch gottlob nicht alle die schlechte gewohnheit, wie ich, die ränder der buchseiten mit marginalien zu versehen! Der einzige und schlechte zweck, den diese großen ränder haben können! Jede eintagsfliege von roman, jede aktuelle broschüre, die morgen vergessen ist, kommt mit breiten papierrändern großartig daher, die ich wohl dort gerne sehe, wo sie hingehören, als ausnahme, als festkleid, wenn Sie wollen, für das buch, das nach inhalt und gestalt anspruch darauf haben darf. Für diese stege oder unbedruckten papierränder rund um den satzspiegel gibt es gewisse, zwar schwankende, aber auf bestimmten zahlenverhältnissen beruhende regeln, über die allerlei tiefsinnig theoretisch ästhetisches geschrieben worden ist. Wie immer das format des buches sein mag, die proportionen des darauf zu stellenden satzes und dadurch die der stege, werden immer sache der überlegung, des konstruktiven gefühles, des auges sein, das ist auch dann der fall, wenn man, wie ich es will, die papierränder auf das minimum reduziert. Ich werde auch dann, wenn ich um den satzspiegel auch nur einen fingerbreiten rand lasse, den fußsteg, den unteren papierrand, um eine kleinigkeit breiter machen, als die drei anderen, um den optischen eindruck zu vermeiden, als sinke die bedruckte fläche nach unten; das gehört zur architektur der buchseite. Das auge wird sich viel rascher, als die bedenklichkeitskrämer glauben, an die schmalen ränder gewöhnen. Ich will an beispielen aus früheren zeiten, an Elzevierdrucken, an drucken in kleinquart und kleinoktav des 17. und 18. jahrhunderts beweisen, daß der schmale rand nicht nur durch vernunft erzwungen zu sein braucht, sondern, daß er ein ästhetisches plus sein kann und recht eigentlich zum stil und charakter des buches gehören kann. Aus neuerer zeit kenne ich ganz wenige beispiele für das gesagte, ich nenne nur eines, den mit besonderer liebe und sorgfalt von Lechter gestalteten ›Schatz der Armen‹ von Maeterlinck, aus Lechters frühester zeit, bevor sein stil verwässerte, und sein ornament in den schlimmsten laubsägecharakter geriet. Versuche, das kleine handliche leichte buch mit schmälstem papierrand und auf dünndruckpapier gedruckt, d. h. das vernünftige buch, durchzusetzen, sind da und dort gemacht worden, sie blieben aber ohne auswirkung. Ich erinnere nur an die Goetheausgabe des Insel-Verlages, an seinen Kleist, seinen Hölderlin, beide 39
Künstler und Buchkünstler in je einem bände, an die einbändigen ausgaben von Adalbert Stifters großen romanen ›Nachsommer‹ und ›Witiko‹, deren originaldrucke je drei dicke bände umfassen. Dies sind gar nicht genug zu lobende leistungen in ästhetischer, praktischer und wirtschaftlicher hinsicht. Gibt es einen menschen, der noch eine andere Goetheausgabe in die hand nimmt? Diese ausgaben haben sich ihre freunde erobert, obwohl die ›Literarische Welt‹, die doch, sollte man meinen, am ehesten begreifen sollte, welch einen wirklichen fortschritt, ja, was es alles bedeutet, den ganzen ›Wilhelm Meister‹, den ganzen Hölderlin in einem handlichen band zur hand haben zu können, wo immer man ihn lesen will, – obwohl besagte ›Literarische Welt‹ gerade diese ausgaben kritisch abgelehnt hat, aus einem völligen verkennen ihrer notwendigkeit und ihrer buchgemäßen vollkommenheit! Niemand wird Willy Haas oder sonst wen deshalb daran hindern, sich an ein meßpult zu stellen und die großfolioausgabe des Homer von Bodoni zu lesen, wozu er sich eine armdicke kirchenkerze anzünden kann, wie d’Annunzio, wenn ihm das spaß macht! Ich ziehe es vor, meinen griechisch-deutschen Homer aus dem Tempel-Verlag am meere liegend oder im schwarzwald in der hand zu haben, von dem Poeschel für mich und ein paar freunde gottseidank einige exemplare auf dünndruck hergestellt hat, beide bände, alle vierundzwanzig gesänge, griechisch und deutsch in einem fingerdicken pergamentband, der in jeder rocktasche platz hat! – Glauben Sie nicht, daß ich nicht genau weiß, welche eigenschaften und wirkungen es hat, den Homer, den Faust, den Hamlet, den Dante oder was immer Sie vorziehen, in einer, wie man sagt, ›würdigen‹ oder monumentalausgabe zu lesen! Welche stimmungselemente mitschwingen, wenn ich den ›West-östlichen Divan‹, der nebenbei gesagt, eines der geschmackvollst, ja raffiniert gut gesetzten bücher ist, die ich kenne, – oder den ›Titan‹ in der originalausgabe lese und dabei das gefühl habe, der alte Goethe schaut mir über die schulter in das ihm in dieser gestalt vertraute buch, oder Jean Paul läßt eine träne der rührung auf meinen scheitel fallen, der rührung darüber, daß einer noch den ›Titan‹ liest! Niemandem, der lust und liebe dazu hat und das geld, diese lust zu stillen, soll sie genommen werden, aber den unzählig vielen soll gegeben werden, was ihnen leichter gegeben werden kann, wenn das gebrauchsbuch den schritt endlich macht, den architektur und gewerbe getan haben, historische formen in jeder hinsicht als ballast abzuwerfen und von heute zu sein, für heutige menschen. 40
Künstler und Buchkünstler Man ›normt‹ heute alle möglichen dinge, so auch die papierformate. Sehr vernünftig. Die vorteile, die alles druckwerk daraus ziehen kann, sind außerordentlich. Man hat aber, finde ich, schlecht genormt, denn ich finde das normformat als solches unschön. Wahrscheinlich hat es irgend ein wissenschaftler ausgetüftelt, der wohl gut überlegen kann, aber keine augen hat. Wäre es nicht ein gar nicht hoch genug einzuschätzender fortschritt, dem schauderhaften chaos der bücherformate endlich ein ende zu machen? Ist es nicht schlechterdings unbegreiflich, daß man dies nicht schon längst getan hat? Glauben Sie nicht, daß man mit zehn, meinetwegen mit einem dutzend formaten auskommen kann? daß das für jeden, aber wirklich für jeden, eine ganz wesentliche erleichterung des umgangs mit büchern bedeutet? Ich habe auch dafür vor langen jahren schon einem großen modernen verleger genau ausgearbeitete vorschläge gemacht, habe verschiedene bestimmte buchtypen für jede art buch vorgeschlagen, nach format, type, satz, umschlag und einband genau festgelegt; ich habe damals mit all dem kein glück gehabt. Und was für eine unsumme sinnlos vergeudeter arbeit wäre damit zu ersparen, die fast bei jedem buch von neuem gemacht werden muß! Wird die zeit kommen, wo zwang und einsicht endlich auch hier unwesen zum wesentlichen wandeln? ›Das vernünftige buch‹, wie ich es genannt habe, das gebrauchsbuch, geht Sie, meine damen und herren, als bibliophile, nichts an, das weiß ich, womit ich nicht sagen will, daß es ein vorrecht bibliophiler vereinigungen wäre, unvernünftige zu machen! Obwohl auch das schon vorgekommen sein soll! Sie haben die freiheit, zu machen, was Sie wollen. Aber »aktive literatur«, in aktiver gestalt, füge ich hinzu, »statt passive lederbände zu produzieren«, wie Tschichold es schlagend formuliert hat, das gerade ist eine aufgabe der bibliophilen gesellschaften, und zwar eine der wesentlichsten, vielleicht die wesentlichste überhaupt, durch deren verwirklichung sich die bibliophilen gesellschaften einen beweis für ihre existenzberechtigung erwirken können, den sie uns bisher so gut wie ganz schuldig geblieben sind. Dr. Fritz Homeyer, vorstandsmitglied der Maximilian-Gesellschaft in Berlin, hat in einem ausgezeichneten vortrag, den er in Hamburg über die heutigen aufgaben der bibliophilen gesellschaften gehalten hat, den bestehenden gesellschaften mit recht allerlei wahrheiten gesagt, die recht bitter sind. Man soll ihm dafür sehr danken, daß er diese wahrheiten gesagt hat. Es ist bedauerlich genug, daß es so ist, daß es nur verschwindend wenige bibliophile gesellschaften gibt, – unter denen die Maximilian-Gesellschaft und die 41
Künstler und Buchkünstler Weimarer nach Homeyers meinung gewiß nicht zu finden sind! – die, wie er sagt, »den mut und die spannkraft haben, an den versuchen um die gestaltung des modernen buches mitzuarbeiten«. Das aber wäre, gerade heute, eine der wichtigsten und vornehmsten aufgaben der bibliophilen gesellschaften, mehr als jemals, denn sie allein haben die möglichkeit, unabhängig vom finanziellen erfolg, versuche zu wagen, die kein verleger heute machen kann. Dazu gehört allerdings nicht nur der entschluß, es zu tun, sondern auch augen, verstand und urteil, das rechte zu tun. Hier ist die gelegenheit, mäzenatisch zu fördern, was unter der not der zeit leidet, alte so gut wie junge, durch bestimmte aufträge dinge zu schaffen, die die zukunft als die wesentlichen unserer zeit legitimieren wird. Je kühner, je radikaler, je reiner dieser aufgabe gedient wird, desto größer das kulturelle verdienst! Auf dem gotischen altar in Tiefenbronn steht aufgemalt: »Schri kunst, schri und klag dich sehr, dein begert jetzt nieme meh, so, o weh, 1432.« So kann sie auch heute wieder, ein halbes jahrtausend später, schreien; Wir haben alle nichts zu lachen, aber die künstler wohl am wenigsten. Zu ihrem teil zu helfen, in ihrem bereich, meine damen und herren, gehört mit zu dieser hohen aufgabe und ist vielleicht ihr schönster und wesentlichster teil. Lassen Sie mich mit einem worte Goethes schließen, großartig, erschütternd im munde dieses mannes, der alles gewußt und alles verstanden und beinahe alles auch gesagt hat, ein wort, das jedem von uns tag für tag eine geistige hilfe bedeuten mag: »Was ist aber deine pflicht? Die forderung des tages.«
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Oskar Loerke: Von der unermüdlichen Freude. Für E. R. Weiß 1934 Den Ausklang einer Gedichtsammlung mit der Aufschrift »Zwanzig Gedichte aus zwanzig Jahren«, die Emil Rudolf Weiß 1930 in zwanzig Exemplaren zum Geburtstag seiner Frau, Renée Sintenis, drucken ließ, bildet das Bruchstück eines schwermütigen Epigramms. Ein Seufzerhauch nur, hebt es an, stockt, kommt nicht zu Ende. Es lautet: Einstmals hieß mich ein Freund die unermüdliche Freude; Jetzt … Und am Eingang des kleinen Buches steht der französische Wappenspruch: ›Souvent obscurcie jamais ternie‹. Wer Weiß kennt, hört in der Innigkeit und Leidenschaft solcher Worte ein schicksalhaftes Pochen mit langhallendem Echo. Daß Weiß glauben darf, er, die unermüdliche Freude, könne doch ermatten, ja schon ermattet sein in lang verdunkelter Welt, bezeugt seinen unabdingbaren Anspruch an die Hoheit des Lebens in Glück und Trübnis; und daß er glauben muß, unausweichlich, das Wirkliche des Daseins, also seine Ehre und Kraft, seine Liebe und Kunst, könne niemals vergeblich sein und vergehen, beweist das nämliche. Aber wird Leben zu seiner Erklärung an Begriffen aufgeknüpft, liegt da nicht die Vorstellung von Galgen und Hängen auf der Lauer? – Vor Weiß so sehr wie selten bei anderen! Sucht man das Einheitliche in seinem Wesen und Werk, wie es nach so vielen Richtungen des Lernens und Lehrens, des Erhaltens und Erneuerns, der dichtenden, malenden und schreibenden Künste, des zweckfreien Bildens und des zweckgebundenen Gewerbes ausströmt, so gerät zunächst Unruhe, fast Verwirrung in unsere Gedankenschau, als griffen aus einem Kopfe tausend Augen nach dem Um und An und Innen des Sichtbaren, als wären an einem Körper hundert Hände regsam. Aber kaum ist dem erregten ersten Herzschlag der zweite gefolgt, da erscheint überall das gleiche, entschiedene, rasch und tapfer fleißige Augenpaar, überall die gleiche wissende und glücklich strenge Hand. Die Frage nach der Vielfalt dieser künstlerischen Erscheinung vergißt sich alsbald in dem Phänomen selbst. Und befragt man dann die Erscheinung weiter, wie man wohl den beständigen Charakter und Rhythmus ihrer tauschenden Gegenwart hier und dort und drüben und hüben bezeichnen sollte – man zögert nicht einzustimmen in das Verwun43
Loercke: Von der unermüdlichen Freude dern, das der Freund einstmals vorsprach mit der Prägung: unermüdliche Freude! Die Freude in Weiß ist einsichtiger als bloße Einsicht, willensvoller als bloßer Wille, gläubiger als bloßer Glaube, verständiger und heißer als schiere Vernunft, verantwortlicher als Beruf und Pflicht. Und – das Letzte bleibt das Erste – sie kann nicht abbrechen und versiegen. So wie es Weißens altverehrter Dichter-Seher Alfred Mombert den Denker des Kosmos sprechen läßt: Wenn Musik einschlafen könnte, ja – dann schlief ich ein. Die Stete der Gewärtigkeit ist das beherzt und traumsicher Organisierende dieses im Jahre 1940 fünfundsechzigjährigen Künstlerdaseins, sie bestimmt Gehalt und Reichtum seiner Sendung. Aber wird damit nicht auch eine eher zu verwerfende als zu rühmende Wahllosigkeit und Zerstreuung in Eindrücken und Ausdrücken behauptet? Nein; vielmehr die Blutnähe zu beiden und die persönliche Form, sie zu verwalten und zu beherrschen. Da es Weiß verliehen ist, die Kunst auch als ein Verhängnis über den Göttern gegenwärtig zu spüren, ihre Identität mit den übrigen religiösen Rätseln zu schmecken (zu schmecken: Mozart sagte vor dem Sterben: »Ich habe ja schon den Totengeschmack auf der Zunge«), da es ihm verliehen ist, den Bezirk zu erschweben, wo nicht mehr Zeitlichkeit und Nachbarschaft ist, sondern Schweigen, Staunen, offenbarende Einsamkeit, Gnade und das Tao der urwissenden Chinesen, und da dieses Lehen von keiner Macht berührbar ist, geschweige denn von ihr zerstörbar wäre, ist ihm die Kunst Leiterin und Gesetzgeberin in jeglichem Segen und Fluch unseres Gestirns, und seine besondere Kunst ist ein Teil an diesem Segen und Fluch. Jederzeit hat die künstlerische Weltseele, sobald sie irgendwo in Fleisch und Blut ihre Behausung aufschlägt, eine Rangordnung alles Sinnlichen und Außersinnlichen vollendet, ohne daß der im Fleisch und Blut mithausende Menschengeist sich um Errichtung und Erhaltung der Rangordnung zu mühen brauchte: er folgt ihr unwillkürlich und unbefangen. Die Ordnung gewährt ihm den Ernst für das Große und den Hohn gegen das Niedrige, und sie gewährt Freiheit, den seligen Äther des Seins. Man verzeihe, sollte dies zu feierlich klingen – es ist die Wahrheit. Ein morgendliches Benetzen der Augen ist nötig, um E. R. Weiß in der ihm angeborenen Artung zu erblicken. Denn es ist denkbar, er käme zu kurz, wenn man, um ihn zu begrenzen, im deutschen oder gar europäischen Bereich Arbeit und Arbeit, Gesinnung und Gesinnung durcheinanderwürfe und quer durch die verschiedenen Ranggattungen mit demselben Aichmaß 44
Loercke: Von der unermüdlichen Freude mäße. Es wäre denkbar, daß gleichaltrige oder jüngere Kameraden Weiß in manchem handwerklichen Spiele überlegen wären, daß ihr Beharren weniger hartnäckig und doch ergiebiger erschiene und daß sie mit gefälligem Gelingen das Woher, Wohin und Wozu vergessen machten, als handle es sich dabei um Regeltand und Hintersinn. Nun, es gibt jenes oft beträchtliche und manchmal vollkommene Können in den Künsten, das niemand angehört, dem Schöpfer nicht im Werken und dem Aufnehmenden nicht im Wirken. Es ist der modisch frohe und modisch vergängliche Überfluß. Und wiederum gibt es ein Unterliegen ganzer Künstlergeschlechter im Ringen mit dem einen einzigen Engel, das vor der übergeschichtlichen Gerechtigkeit mehr gilt als der Triumph eines Sterblichen über Heere seinesgleichen. Die Bezauberung von daher – seinen Tagen kein Licht ans einem Jenseits, vielmehr das Mittel zur vollen Verwirklichung des Diesseits – umfängt Weiß in all seinem Beginnen. Sie schafft ihm keine Last, sondern trägt sie ihm. Denn, damit das heilige Handwerk, Tagwerk und Nachtwerk nicht sauer und pfäffisch werde, bedarf es sehr vielen Glücks, das sein Stoffvorrat ist, Glück von der winzigen wie von der riesenhaften, von der lindesten wie der heftigsten Art. Es gibt dafür hunderttausend Beispiele um Weiß, und man schämt sich angesichts der Überfülle, auf dieses oder jenes einzelne hinweisen zu müssen, um deutlich zu sein, man schämt sich doppelt, weil Weiß einen zu dem Neidglauben zwingt, so sollte es bei jedem rechtgewachsenen Menschen sein. Glück am Wahrnehmen und Erfassen: er macht die Gangart eines Pferdes mit zwei zierlich stolzierenden Fingern unvergeßbar anschaulich, oder mit dem Mund das Geräusch des Kleinbahnzuges von Schelebele nach Halewein – man hört noch nach fünfundzwanzig Jahren das Bähnchen geblähter Brust durch die holländische Landschaft pusten. Glück der guten Laune: die Donnerstagsgesellschaft, eine beschwingte, zwangfrei zusammen gestimmte Zunftgemeinschaft aus allen Künsten, die in dem Jahrfünft vor dem Kriege blühte, unternimmt einen Ausflug in die gesparte Wald Schönheit der Mark, und der Anführer verläuft sich; – Weiß vexiert die Wegeverwechslung in Schüttelreimen von »durch die Schneise laufen« und »leise schnaufen«. Ebenso hebt er auf einer anderen Expedition das Stuckern des Leiterwagens schüttelreimend auf, um desto besser dem Freunde Geigenbauer zuzuhören, der eben im Abgrunde seines stupenden musikalischen Wissens und Gedächtnisses versunken ist und eine entlegene Stimme im Fundament eines Chores von Michael Prätorius brummt und schnarcht, (übrigens hat die Gesellschaft in ihrem Nachsommer, vor45
Loercke: Von der unermüdlichen Freude züglich für ihre Teilnehmer und Gäste, bibliophile Publikationen unter der künstlerischen Leitung von E. R. Weiß begonnen. Es sind dies: im Herbst 1915 ›Gedichte von Oskar Loerke‹, in 70 handschriftlich numerierten Exemplaren; Weihnachten 1917 ›Lorenz Lammerdien‹, 1. Kapitel eines unvollendeten Romans von Emil Strauß, in 75 Exemplaren; Sommer 1918 ›Aphorismen‹ von Moritz Heimann, in 80 Exemplaren. Herstellerin war die Hausdruckerei der Bauerschen Gießerei als Privatpresse der Donnerstagsgesellschaft.) Glück über den Nicht-Spezialisten, der doch ein Gerechter ist: einen fern der Weltstadt vergrabenen simplen Dorftischler läßt er schwierige kunstgewerbliche Arbeiten ausführen, weil der Dörfler durch helles Empfinden den Sonderfachmann aussticht. Glück an Gottes Rebhügeln: in einem festlichen Kreise wird eine Flasche besonders erlesenen Weines geöffnet; Weiß wittert und nippt, springt auf, flüchtet abseits, setzt sich, wehrt eine Anrede mit einem humorig spitzen und scharfen »Laßt mich!« ab und kostet gebückt, langsam und hingegeben den Duft und die Sonnenschwere, den ersten Schluck und die Neige. Dicht über und in den Schwärmen solcher Glücksmiszellen wartet anziehungsgewaltig das Höhere und Höchste, das zu lieben ist, zwar mit gleicher Freudigkeit, jedoch gleichsam nach dämonischer Einflüsterung, welche den Befehl einschließt, Ungemäßes schroff und jäh abzulehnen. Einmal hat Weiß aufgezählt, was ihm am Herzen liege. »Was ich liebe? Ziemlich viel: Runge, Cézanne, vieles von Thoma, Picasso, Hofer, Lehmbruck; die wunderbaren Kinderbücher von Freyhold; den Kopf Renoirs von Maillol; Dürers Aquarelle und seinen Dresdener Altar (die Flügel!); manch anderes altes deutsches Bild (herrliche in der Karlsruher Galerie) und Bildwerk, lange, bevor sie Mode wurden; und die frühen Holzschnitte, zwanzig Jahre, bevor sie der Expressionist in Anspruch nahm! – Das Straßburger Münster!! – Den Rhein im Badischen; Baden überhaupt, das schöne Land, meine Heimat; den Breisgau besonders und Bernau.« – So springt die Erinnerung weiter, Puls des Blutes, blitzbeleuchtet, grüßt Homer, Sappho, Goethe, Hölderlin, Stifter, Hebel, Heinrich Schütz, Schubert, Nymphen, Kentauren und Sirenen. Das Sausen des Erdgeistes wird sich diesem Manne nicht erschöpfen, und im Geheimsten des Erdgeistes wie in seinem eigenen bleibt dann noch schweigend behütet, was er wirklich liebt. Seine künstlerische Entgegnung aber erfolgt in dem gleichen Räume, in dem der Anruf erging. Es gibt überhaupt nur den einen. Der Dynamik des Annehmens entspricht die des Schaffens. Und hatte die aufnehmende 46
Loercke: Von der unermüdlichen Freude Durchdringung nicht schon schöpferische Grade? War die hitzige Reinigung des Seelenplans von fremder Störung, von Schnauzerei, Näselei, Frömmelei, Kriecherei, Revoluzzerei, Schulmeisterei nicht schon Vorbereitung zur Erfüllung aus Eigenem, und sei manche Mühe daran für die Blinden draußen noch so unscheinbar und demütig? Tapeten und Teppiche von seiner Hand hängen und liegen ja nicht in den Häusern der Geldleute, wofern diese über nichts Weiteres verfügen als Geld, sie haben ihre Stätte nicht im Lemurenloche, sondern in dem einzigen Reiche, das von dieser Welt ist, dem Reiche des Schönen und Wohlgetanen. Dort auch sind die Körper daheim, die ihn entzücken, Körper von Frauen, Pferden und Bäumen, die es ihn dringt wieder und wieder zu malen, und Antlitze der äonischen Wesen, Gesichter der ihres Namens werten Lenker und Weisen der Menschen wohnen da, ganz oben Dulderantlitze, geneigt in Wissen und Leid. In das Heldentum dieser Trauernden einzugehen, mit dem Pinsel des Malers, mit Radiernadel und lithographischem Stift – das ist das schwermütige Fest, das die Qualen und Schmerzen des Malers sein Leben lang begehen, damit auch sie in das Wunder der unaufhörlichen Freude aufgenommen werden. Hilflos vor dem vielen Unverstand, gefoltert von dem einem hohen Menschen unfaßbaren Bösen und Teuflischen in der Welt, aß sein Geist wohl zeitweilig wie der prometheische Adler von der Leber seines Leibes. Aber manchmal ist das Sichverzehren der letzte mögliche Widerstand! Das Fieber der verwundeten Natur heilt, und es wühlt unversehens die Kraft zum neuen Werke zusammen. Das Werk widerstrebt nicht mehr dem Übel: das Fleischliche nur klagt, das Geistige trauert. Trauer ist jedoch in ihrer Tiefe immer grundlos. Denn das sie Erregende ist kleiner oder größer als sie. Und die Gebärde, die Gestalt, die sie annimmt, stammt nicht aus der widrigen Wirklichkeit, sondern ist neuer Ursprung und vermehrt den Bestand der Erde. Selbst Mangel, selbst Krankheit kann einmal fruchtbar werden, wiewohl die leichtfertige Behauptung ihres Nutzens für den Künstler meist ein Schleichhandel der Schadenfreude mit der Mißgunst ist. Darum kümmern sich die Trauernden von E. R. Weiß um kein Gezücht unter ihnen, nicht der Schluchzende mit dem Trostengel von 1905, nicht das von der Apokalypse des Krieges gebeugte ›Gesicht aus der Zeit‹, nicht die lastbar Aufgestützten aus dem letzten Jahrzehnt in all ihrer Melancholie. In seinem frühen Gedichtbuch ›Der Wanderer‹ sagt Weiß: »Getürmt der Felsweg! Ich lieb ihn und frage nicht: Wann steig ich nieder für immer? Ich singe die Öde, die ewige Heimat der immerwährenden Wanderer!« 47
Loercke: Von der unermüdlichen Freude Wo solche Klänge erlauscht wurden, da ist nicht mehr Öde, und die droben Einsamen schauen herab auf die geschmückten freundlicheren Breiten. Nichts ist wichtiger an der hohen Trauer, als daß sie in der Welt sei. Und nur, was unvollbracht und halbgelungen dahinwest, ist nicht in der Welt, möchte man aus Weißens Sinnesart lesen. Der gelehrte Maulwurf wäre ihm ein Greuel, aber die drei oder vier Mönche in Gebirgsklöstern, die etwa die altgriechische Musik durch und durch wissen wie niemand sonst auf dem Planeten, zählen ihm unter den Verehrungswürdigen der Völker. Kein Scheinen blendet ihn. Er erglüht am Sein. Die Wirkung jedes Werkes wird stattfinden, es muß nur vorhanden sein. Sie wird stattfinden, nach dem Maße der Vorhandenheit und der Menge der Verständnisfähigen, die es sucht. Es sucht sie, wiewohl oft umsonst, durch Erziehung ebenso wie durch Selbsterziehung. Allein von diesem erhabenen Standpunkt aus ist es erlaubt, bei Weiß von Geschmack zu reden. Wer auf dem Markt oder im Salon davon spricht, den wird der Blitz seines Zorns treffen. Zu dem reinen Aufmerken, das den Beschenkten verwandelt durch Gabe und Dank, ist niemand, wohnt ihm Trägheit in Auge, Hirn und Herz, zu schleifen. Darum ist des trefflichen Lehrers E. R. Weiß beste Lehre die schweigende Einladung seiner tausendfältigen hilfreichen Tat. In dem für die Kunstfremden und Laien vielleicht zu opfervollen, in Wahrheit adligen und stolzen Bemühn um die Gestaltung des Buches hat er täglich Bresche gelegt in die Gewalthaufen der Stumpfen und Faulen, in die wortlose Verschwörung des Häßlichen in der Welt. Um nur der Initialen zu gedenken – welche Magie des Mythischen und Märchenhaften, des Ritterlichen und Eisernen, des Faustischen und Bürgerlichen, des Einfachen und Kühlen! Für sein jüngstes Hauptwerk der Buchgestaltung ›The four Gospels‹ allein zeichnete er fünfzig verschiedene Initialen, darunter die erstaunlichen Variationenreihen der A und T. Und die Bildtitel, und die herrlich funktionellen Holzschnittlinien über und unter dem Satzspiegel! Zu solcher gebietenden Pracht stieg er durch die Jahrzehnte auf, indem er, von früh auf ein Bücherfreund und Büchernarr, wie er bekennt, die Texte als geradeaus an ihn gerichtete Botschaften las und verschlang, so feurig beteiligt, daß er Vossens Odysseeübertragung nach dem Sprachstande unserer Zeit wiederdichtete; und da er zuerst und zuletzt bildender Künstler war, entlockten die Bücher auch diesem den ihnen rechtens gehörigen Teil. – Das umfassende Meisterstück aus dem Zusammenspiel zahlreicher Gaben wurde denn das gewichtige Werk ›Drei Monate in Spanien‹; er hat es ge48
Loercke: Von der unermüdlichen Freude schrieben, ein funkelndes Abbild aller Züge seines musischen Geistes, er hat es illustriert – ein zweites Abbild in anderer Sprache, er hat die Buchgestalt erschaffen – ein drittes. Und er hat die Dreiheit schwer errungen, in zwei Jahrzehnten fast; denn die Ungunst der äußeren Verhältnisse vor und nach der Reise verzögerte das Erscheinen des Buches bis zum Herbst 1931. Als Nachtrag folgte Weihnachten 1932 eine in 60 Exemplaren gedruckte Sammlung von 24 kleinen Lithos mit Ausdrucksstudien aus ganz Spanien. Dagegen sind 32 große Lithographien außerhalb des Werkes durch eine Verkettung herber Umstände von den Steinen abgeschliffen worden, Ansichten von Madrid, vier von Toledo, von Avila, und weitere. Hoffentlich lassen sich wenigstens Lichtdrucke danach veranstalten. ›Müll‹ trachtet uns zu übermannen, möchte man, eingedenk eines der entscheidenden Bilder des Malers, seufzen. Dieser Maler aber hat den höchsten Beweis jeder Künstlerschaft erbracht: zu werden und zu bleiben, der er ist, allen Nöten zum Trotz. Nie entlassen und nie sich fortstehlend aus der Gemeinschaft der Reingewillten und Blankgewappneten, beschwört er in seinen Gebilden das Leben, wie es sein sollte und selten ist. Jüngst malte er, in mehreren, die schlackenfreie Lauterkeit und nicht mehr verrückbare Gültigkeit des Ausdrucks erstrebenden Fassungen, eine sich tief in ihre Schönheit versinnende Komposition ›Das Dasein‹: Elemente der menschlichen und landschaftlichen Natur; das ruhende Weib, die junge Körperseele; der dichterisch erblühende Mann, die Geistseele; Wasser, Gebirge, Wolken; alle auf Erden, alle im Himmel.
Die hier zusammengetragenen Äußerungen von E. R. Weiß über Schrift und Buchgestaltung und der Aufsatz von Oskar Loerke für E. R. Weiß sind folgenden Veröffentlichungen entnommen: E. R. Weiß über sich selbst. Das Graphische Jahr Fritz Gurlitt. Fritz Gurlitt Verlag Berlin 1921. E. R. Weiß: Das Buch als Gegenstand. Ein Brief. S. F. V. Das XXVte Jahr. S. Fischer Verlag Berlin 1911. E. R. Weiß: Begleitwort zur Probe der Weiß-Fraktur. Als selbständiges Heft der Probe Weiß-Fraktur, Bauersche Gießerei, Frankfurt am Main 1914, beigelegt. Das Begleitwort war schon 1913 geschrieben und gedruckt. E. R. Weiß: Begleitwort zu einer Probe der Weiß-Antiqua. Vorwort zur Probe Weiß-Schriften im schönen Buch. Bauersche Gießerei, Frankfurt am Main 1931. E. R. Weiß: Künstler und Buchkünstler gestern, heute und morgen. Ein Vortrag, gehalten von E. R. Weiß vor der Mannheimer Bibliophilen-Gesellschaft zur Eröffnung der Ausstellung seiner Gemälde, Zeichnungen, graphischen Arbeiten und seines buchgewerblichen Werkes in der Städtischen Kunsthalle in Mannheim am 22. März 1931. Oskar Loerke: Von der unermüdlichen Freude. Imprimatur. Gesellschaft der Bücherfreunde zu Hamburg 1934. Wir danken der Bauerschen Gießerei und dem S. Fischer Verlag für die freundliche Erlaubnis, diese Texte hier abdrucken zu dürfen. Rechtschreibung und Interpunktion der Texte kommen von den Autoren. Die Umschlag-Vignette ist dem von E. R. Weiß 1913 für die MaximilianGesellschaft gestalteten Buch ›Prinz Friedrich von Homburg‹ entnommen. Der Satz aus der Weiß-Antiqua und der Druck wurden in der Druckerei Hans Christians ausgeführt, die Klischees in der Klischeeanstalt Gries KG und die Bindearbeit in der Verlagsbuchbinderei Ladstetter. Alle in Hamburg. Das Papier stellte die Papierfabrik Zerkall, Renker & Söhne. Auflage 800 Exemplare, davon 200 für die Mitglieder des Bundes deutscher Buchkünstler. Fünfte Veröffentlichung einer von Kurt Christians und Richard von Sichowsky herausgegebenen Folge von Aufsätzen über Buchgestaltung, Illustration und Schrift. Hamburg, Januar 1969.