E R N S T
F.
L Ö H N D O R F F
T R O M M LE, P I E T ! Deutsche
Landsknechte
im
Urwald
ROMAN
ex libris KAPTAIN ...
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E R N S T
F.
L Ö H N D O R F F
T R O M M LE, P I E T ! Deutsche
Landsknechte
im
Urwald
ROMAN
ex libris KAPTAIN STELZBEIN 2010
CARL
S C H Ü N E M A N N / VERLAG / B R E M E N
Anlage 1: Schutzumschlag (Doppelklick auf das Buch)
Ernst
F. Löhndorff
TROMMLE, PIET! Deutsche Landsknechte im Urwald Das Buch ist eines der reizvollsten, die Löhndorff bisher geschrieben hat. Zum ersten Male behandelt der Dichter einen historischen Stoff, aber da die Eroberung der ersten deutschen Kolonie, der Zug deutscher Soldaten in den Urwald Mexikos, dort spielt, wo Löhndorff selbst als revolutionärer Bandit und später als mexikanischer Offizier gekämpft hat, besitzt auch dieses Buch die Farbe und den heißen Rhythmus persönlichen Erlebens. Wir nehmen teil an dem Zug des deutschen Expeditionskorps von Augsburg über Hamburg und den Ozean bis zur amerikanischen Küste und von dort tief ins Innere, bis in die Städte des Inkalandes. Wir erleben den furchtbaren Zusammenprall der eingeborenen und der westlichen Zivilisation, der mit dem Sieg der weißen Rasse endet. Wir erleben aber auch, wie die deutschen Landsknechte von spanischen Händlern und Diplomaten um die Früchte ihres heldenhaften Kampfes gebracht werden. Zwei Liebesgeschichten werfen in dieses Drama ein bald helles, bald düsteres Licht. Die Schicksale der deutschen Kolonie Velsaria-Venezuela, wie Löhndorff sie hier schildert, wirken als Parallele zu den Vorgängen von 1918. Beide Male wurden großes Wollen und heldenhafter Einsatz von Gut und Blut durch Verrat zunichte gemacht. Und nur eines blieb: der Ruhm.
Carl Berlin
Schünemann, /
Leipzig
/
Olten
Verlag, (Schweiz)
Bremen /
Wien
ELFTES
BIS
ZWANZIGSTES
TAUSEND
BUCHAUSSTATTUNG VON PROFESSOR EDMUND SCHAEFER, BERLIN SÄMTLICHE RECHTE, AUCH DAS DER ÜBERSETZUNG, VORBEHALTEN COPYRIGHT 1934 BY CARL SCHÜNEMANN, B R E M E N / P R I N T E D IN G E R M A N Y / D R U C K V O N CARL S C H Ü N E M A N N I N
BREMEN
VORWORT Der berühmte Welserzug, der von 1531, bzw. von 1541 bis 1546 währte, obwohl das Haus Welser erst 1555 formell auf seine Rechte an der Kolonie Venezuela verzichtete, ist im deutschen Volk viel zu wenig bekannt! Interessant ist es, daß schon damals, im 16. Jahrhundert, deutscher Tatkraft in Übersee durch ein dem Versailler Vertrag ähnliches Schmachurteil ein trauriges Ende bereitet wurde. Der von der Insel Hispaniola (das heutige San Domingo) herbeigeeilte Statthalter Don Juan de Carvajal verurteilte den jungen Bartholomäus Welser und den Ritter Philipp von Hutten, als Führer des Welserzuges, wegen bewaffneten Aufruhrs und Hochverrats zum Tode durch das Schwert. Dieses Lügenurteil wurde vollzogen, und damit schlug dem deutschen Unternehmen in der Neuen Welt die letzte Stunde. — Es ist nicht ausgeschlossen, daß jene geheimnisvollen „weißen Indianer" im Innern Südamerikas, von denen die Presse zeitweilig berichtet, von den während des Welserzuges nach dem Eldorado verschollenen deutschen Landsknechten abstammen. — Ich setzte es mir zur Aufgabe, diese heroischen Begebnisse in Form eines, breiten Leserkreisen verständlichen, farbenbunten Romans zu schildern. Anspruch auf historische Genauigkeit ist nicht gemacht, wohl aber auf innere Wahrheit. Die einzige Quelle, der ich mich bediente, war außer meinen geschichtlichen Kenntnissen ein fast zerstörtes Manuskript, das sich lange in meiner Familie befand und von meinem Vorfahren Jan Detlef Löhndorff geschrieben worden sein soll. Porto Ronco, 1934, im Frühjahr.
E. F. Löhndorff
INHALT I. A U F B R U C H D E R K N E C H T E
7
Die Domina / Der Ausmarsch / Das Hexlein von Fulda / Der Tanz im Zünftehaus zu Hamburg / Was sich auf dem Meere zugetragen / Was der Moncada erzählte IL D E R D O R A D O
101
Die Trommel in der Nacht / Die heilige Jungfrau von den sieben Schwertern / Die Heidenschlacht / Absonderliche Begebnisse / Wie die Landsknechte nach dem Golde marschieren
III. D E R W E L S E R Z U G
221
Blut und Feuer / Spanische Klugheit / Wie der Hort verteilt ward / Der Magdalenenstrom / Der Brief des Moncada / Die Amazonen IV. F Ü R S T E N W O R T I S T N I C H T G Ü L D E N W O R T 339 Das Tollkräutlein / Im Namen des Kaisers / Richtschwert und Scheiterhaufen / Die summenden Pfeile
I
AUFBRUCH
DER
KNECHTE
Die Domina / Der Ausmarsch / Das Hexlein von Fulda / Der Tanz im Zünftehaus zu Hamburg / Was sich auf dem Meere zugetragen / Was der Moncada erzählte
Die D o m i n a . . . „Schlag die Trommel, Pieterken! Laß deine zween Stöcklein aus hartem Eichenholz lustig über die Kalbshaut wirbeln. Und schreite tüchtig mit deinen in zwiefarbenem Wollstoff behäuseten Beinen aus. Schritt für Schritt, ehrbar und gewichtig, kühn und sonder Zagens, wie es unter braven deutschen Landsknechten Sitte!" Der Mann, der auf einer Lichtung mitten im Urwald sitzt, murmelt müde diese Worte vor sich hin, und seine Augen ruhen liebevoll auf dem mit krausen Buchstaben bedeckten Pergament, das er eben mit gespaltener bunter Papageienfeder sorgfältig beschrieben hat. Jetzo irrt sein teilnahmsloser Blick über die runden Hütten, vor denen die indianischen Amazonenweiber kauern. Ein schwüler Windstoß fährt, von der Lagune kommend, durch die Zwergpalmen und stülpt sein stark mit Grau durchsetztes Blondhaar gleich einem schimmernden Helm empor. Seine graublauen Augen haften schon wieder auf dem Geschriebenen, und während die Lippen unhörbare Worte formen, spiegeln sich bald leuchtende Freude, bald finstere Trauer und Schwermut auf seinen hagern Zügen. In mannigfachen Bildern zieht die Vergangenheit seines Daseins — ein deutsches Landsknechtleben — an seinem Geiste vorüber. Ein schwerer Seufzer entfährt ihm abermals. Denn ach! es ist ihm, als wäre dies längst versunkene Damals wieder zum farbigen, greifbaren Heute geworden. Jener Tag stieg so rosenrot die 9
alten Dächer und schnörkelig geschwungenen Giebel der Stadt Augsburg empor, die Carolus Quintus, des Kaisers allgeheiligte Majestät und Herr der Christenheit, soeben durch seine Anwesenheit beehrt hatte. Dieweilen ihm sein Säckel schlaff geworden war und er ihn aus den schweren Truhen der Welser mit klingenden Talern und güldenen Münzen, welche sein eigen Konterfei trugen, füllen mußte. Von neuem seufzt der alte Kriegshauptmann, auf dessen von der Eisenhaube entblößtem Scheitel die heiße Sonne der Neuen Welt herabbrennt. Zart wie der scheue Schoß eines Heckenrösleins erhob sich das Traumbild eines längst vergangenen Morgens über der guten Stadt Augsburg. Nur an einer Stelle des Himmels hingen ein paar Wölklein, die, von den ersten Strahlen der noch hinter Hügeln versteckten Sonne erfaßt, bedrohlich glühten. Ihre Farbe glich rotem Blute, und obendrein waren sie gar absonderlich gestaltet. Und der Hauptmann Mon-ada, mit dem er just einen Frühtrunk von kräftigem Würzwein in seinem Losament getan, meinte: „Die eine Wolke gleicht wohl einem durchbohrten Männerleib, der schweißend auf verlassener Walstatt liegt und der Krähen harret!" Wie wohl entsinnt er sich dieser Worte! Aber der Mon-ada, der wegen seiner scharlachenen und gelben spanischen Montur selber wie ein verwundeter, durch reife Kornähren schreitender Sensenmann aussah, lief hinüber zum Hause des Hänslein Bannholzer, wo die Dirnen einquartiert waren, und ließ darob den Deutschen allein. Der freute sich des Tages, der einer langsam erwachenden Welt sein mildes versöhnliches Licht in üppiger Fülle schenkte. Um den Turm schwebten Tauben. Fleckiges Gold glänzte auf den Dächern, deren Schornsteine nun hurtig zu rauchen anfingen. Der Nachtwächter, welcher mit dem krummen Spieß 10
zwischen den Beinen im Torbogen des Burgomeisters geträumt hatte, rappelte sich auf und hob seine schlaftrunkene Gestalt von hinnen. Etliche Türen schlugen. Sänftiglich plätscherte der Brunnenstrahl. Aus der langen Gasse kam ein Kerl in Lederhosen, rauhem Wams und Barchentjäcklein auf den Markt. Hinter des Bannholzers Tor, wo der Moncada verschwunden war, ertönte lustiges Gekreisch, und zween gewappnete Knechte torkelten ins Freie. Denn die Dirnen erlitten männiglich großen Zulauf von der spanischen Soldateska, wurden arg zerstrobelt und kamen nie vor hellem Vormittag in die Federn. Jetzo funkelte der Feuerball des Tageslichtes vom blauen Himmel. Schier wie durch Zauberei waren jene drohenden Wölklein zerflossen, und es lag eitel Friede und Glück auf den Häuserdächern. Dies alles erblickt der Flensburger, der soeben den Mon-ada verabschiedet hatte — während er doch in Wirklichkeit weit überm Meer im feuchten Urwald sitzt — und er staunt gewaltig ob der wunderbaren Schnelligkeit, mit der seine Gedanken ihm jene längst verschwundenen Bilder von neuem vor Augen zaubern! Eben war der Kerl mit den Lederbuxen, die nach damaliger Sitte ein gewölbter Hosenlatz zierte, auf den Markt gebogen. Zur gleichen Zeit hörte er das Scheppern von des Moncada Rüstung und auch das spitze Lachen der Dirnen. Er fing an, vor sich hin zu philosophieren über das Luderleben dieser geputzten Weibsbilder, deren Ende nicht anders ist als das des größten Kaisers. Weil wider Gevatter Tod noch kein Kräutlein gewachsen! Und er ergötzte sich ob des Sonnenscheines, der milde auf die Stadt herablächelte. Und nun sah er, daß jener Kerl die Deichsel eines Wägleins zog, worin große Krüge, die die Milch für das Morgensüpplein der Bürgerfrauen enthielten, standen. Ein schwar11
zer Hund, ein riesengroßes Tier mit grünen Augen und feurig bleckender Zunge, trappelte neben dem in Lederhosen einher und half ihm die Last über das holperige Pflaster zu bewegen. Ach, gar rosig stand der Tag über Augsburg! „Trommle, Piet! Hau mit den Schlögeln auf das zitternde Kalbfell, daß es dröhnend verkünde des Kaisers allmächtige Gewalt. — Ach, Pieterken, wirst du auch dereinst trommeln vom schnöden Dank des Hauses Habsburg, dem deutsche Ritter und deutsche Knechte glaubten und vertrauten, auf daß sie übers wilde Meer in seltsame heiße Länder reisten, um dort Undank und Tod zu ernten? O Bartholomäus Welser, du kernig gerader Bürgerssohn! O Philipp von Hutten, du Blume der Ritterschaft und Weisheit, der du mein lieber Herr warest! Wo seid ihr? Habt ihr nicht auch auf Kaiser Carolus' Wort gebauet? — Unter heißer Sonne, bei plärrender Pfaffenlitanei, ließ euch der falsche Spaniole die stolzen Häupter abschlagen. Und braunes Volk stand und glotzte zu, wie edles rotes Blut verströmte, indes die spanischen Knechte gegen ihre Rundtartschen schlugen. Die Zündschnüre der Musketen glosten, die großen Trommeln rasselten, und der Marktplatz, wo viel Hunderte Volkes hielt, war hernach so bleiern ruhig wie ein Gottesacker. Sieh nur, wie still und unheimlich der Urwald da wuchtet! Wie die bunten Blumen so närrisch von den Lianen hin und her nicken. Und das Indiomädchen, wie ist es doch schön! Zierlich gleich dem Reh ist ihr Leib, und wenn sie gehet, so ist's derart, wie die Feien und Elflein, die in deutschen Wäldern beim Mondschein ihr Wesen treiben, sich bewegen müssen. Und ihre Brüste sind gleich knospenden Rosen. Wenn sie den Mund öffnet, so blitzen Zähnlein daraus herfür, die dem Schmelz und Glanz jener Perlen nicht nachstehen, die wir damals, als wir mit dem Federmann, 12
dem Jimenez de Quesada und dem Gonzalo Pizarro zusammentrafen und gemeinsam in Rauch und Blut die Schatzkammer des Chibchaherrschers plünderten, fanden. Aber ach, ist all diese Schönheit etwa mit der meiner Domina zu vergleichen? Der Domina, so Greteken hieß und ins Kloster zu Flensburg ging, um eine Himmelsbraut zu werden, weil ich im wüsten Zwist den Bruder ihr mit dem Schwert erschlug! Und wie hatte sie mich lieb, die Domina. Schön war sie wie keine zweite mit ihren rosigen Wangen, den Blauäugelein und dem Haare, so gesponnenem Golde glich. Schöner war sie als die Himmelsmutter selbst — und möge mir diese die Sünde verzeihen, falls es eine solche ist. Domina, ich komme. Sieh, schon morgen will ich in die Siedlung marschieren, dem gestrengen Statthalter einen Fußfall tun und ihn bitten, mir zu verzeihen und mich auf der nächsten Karavelle der Heimat zuzusenden. Über das blaue Meer, das nur grau gegen die Farbe deiner Augen ist. Dessen blendender Schaum trübe gegen den Schnee deiner Arme erscheint. Domina!... Aber du hast mich belogen. Und da nahm ich die Bonita. Die war am allerschönsten! Ihr kam keine gleich!..." Verdammter Teufelsspuk! Schweigend und gewaltig steht der Urwald, auf den die Sonne des Südens herabbrennt. Das schlanke Indiomädchen schreitet lässig zur Quelle, um ihm den Trunk zu holen. Der bunte Papagei, der auf ihrer nackten Schulter hockt, plustert sein Gefieder, öffnet den Schnabel und ruft die Worte, die er ihn in langer Einsamkeit, als er sein Herz schier in den zween Fäusten zerdrückte vor Weh, gelehrt hatte. „Philipp von Hutten, du stolzer deutscher Ritter!" Und wieder ist's ihm, als sehe er den Glanz des Frühlingsmorgens über Augsburg und um die Türme die sanf13
ten Tauben flattern. Der Moncada verschwand drüben hinter der Mauer des Bannholzer. Der Kerl mit dem Milchkarren ist samt seinem treuen Hunde gegangen. Der Duft der Brenn- und Biersüpplein, die von roten Armen draller Bürgersmägde unter rauchenden Essen gerührt werden, senkt sich vom Himmel und kitzelt ihn in der Nas. Wie ein eherner Fels, der zum Leben erwachend, zwiefarbene weite Pluderhosen, ein Lederkoller und die Eisenhaube trägt, ist der Piet anzusehen. Er hat ihn begleitet von Flensburg her, über die Heide, die Moore, Wälder und Berge in diese Stadt. Der Treue! Er ist ihm, als die Domina ins Kloster ging, hierher in diese Gegend gefolgt, wo an klaren Tagen manchmal das Sonnenlicht auf fernen unwirklichen Bergriesen spielt. Wo ein knorrig urwüchsig Geschlecht hauset, das weder Aalsuppe mit fünferlei Kräutern gewürzt, noch den lieblich in Butter gebräunten Butt, den strengduftenden Stint oder den rogenschweren Fetthering kennt, sondern geräuchert Ochsenfleisch und gewaltige Mehlkugeln, die man Knödel nennt, zum kräftigen Biertrunk verspeist. „Trommle, Piet! Trommle, denn unser wartet Gloria. Des Kaisers Güldenpräger ist sein Arm verdorret, darob ward der Staatssäckel leer, und er kam gen Nürnberg und von dort nach Augsburg, um klingende Carolustaler für fürstlichen Verspruch zu erhalten. Trommle jetzt prächtig, Pieterken, denn aus des Kaisers Not erwuchs uns Ehr und ihm die Schand. Fürstenwort, gülden Wort, hieß es!" Der Knecht mit dem braunen, windgegerbten Gesicht, dessen lustige Fältlein er ob der Würde seiner Verkündigung in ernste Falten zwängte, schreitet gewichtig einher. Gassenbuben folgen lärmend und maulaufsperrend. Mägde mit großen Hauben rennen vorbei. Zunftleute, denen die ledernen Schürzen gen stämmige Knie schlappen, folgen. Ehrsame 14
Schreiber in braunem Tuch, weißer gefältelter Krause, am schmalen Gürtel Tintenfaß und in zinnener Hülse geborgene Gänsekiele schlenkernd, stecken die magern, neugierdelüsternen Nasen in das Gewimmel. Einem behäbigen Ratsherrn, der sein mit spitzer Schleierhaube und hochgezwängtem Mieder geschmücktes, apfelwangiges Ehegesponst am Arme führet, wird ehrerbietig Platz gemacht. Denn es ist nunmehr heller Vormittag geworden, die inzwischen erkalteten Essen fangen schon von neuem an zu prusten, und ihre lustigen Rauchfahnen erzählen dem Kundigen von manchem Kapaunen und feisten Hahn oder blanken Spiegelkarpfen am langsam sich drehenden Spieße und in glänzender Kupferpfanne. Der Marktplatz der guten Stadt Augsburg ist ein Gewimmel von Menschen, durch das sich kräftig und unbeirrt, wie eine hanseatische Kogge im Wellengeschnalz der Westersee, der treue Knecht mit der großen Trommel Bahn bricht. Alle dreißig oder vierzig Schritt hält er inne, läßt die Stöcklein über das Kalbfell hüpfen, daß es wie ferner Donner durch das Murmeln des Stadtvolkes grollt. Dann blasen die zween Herolde, deren Brust mit dem Augsburger Wappen geschmückt ist, in ihre wie eitel Silber glitzernden Posaunen, und nachher ruft der Stadtwaibel mit einer Stimme, die von Bier und Weißwürsten schwer ist: „Im Namen des Kaisers geheiligter Majestät sei dem Volk von Augsburg kundgetan : In unserer Huld ziemt es uns, daß wir das Haus Welser, so zu unseren treuesten Dienern im Reiche zählet, nach Glaub und Gewissen belohnen. So sei denn verkündet, daß wir in unserer kaiserlichen Gnade es für gutheißen, daß unser Land Venezuela, so in der Neuen Welt liegt, die durch des allerhöchsten Gottes Gnade der Admiral Christopherus Columbus entdeckt hat und welches wir den deutschen Kaufherren Heinerich Ehinger und Hieronymus Sailer bis dato 15
verliehen haben, nunmehro und anitzo als Lehensbesitz des Hauses Welser unserer guten und treuen Stadt Augsburg gehöret. Und fügen wir in kaiserlicher Huld und Wohlwollen noch hinzu: Fünfhundert Wegemeilen nach Osten, Westen, Norden und Süden dieses Gebietes über Land und Meer hinaus. Dies ist unser Wille. Gegeben und kundgetan im Jahre der Gnade eintausendfünfhunderteinunddreißig nach der Geburt Christo, unseres Herrn." Der Waibel schweigt. Wiederum schmettern Drommetenstöße, und der Trommelpiet haut auf das Kalbfell los, als sollte die Welt untergehen. Das Volk schreit Vivat und jubelt. Einzelne stecken die Köpfe zusammen und reden über Venezuela, dieses Land, das gleich neben dem Monde liegen soll. Ein dicker Ratsherr, dem der Wanst wie ein Gebirg über den Gürtel hängt, zieht sein Gesicht in krauses Gefält, und der Flensburger hört ihn sagen: „Narrenspossen! Unser Herr Kaiser Carole braucht Gülden und hat die Welsertruhen geplündert. Dafür gibt er irgendein phantastisches Nirgendsland in Tausch. Pah!" Einer, der eng neben ihm steht und seiner Kleidung nach der Zunftmeister der Weberinnung sein mag, flüstert scharf: „Gott bewahr! Ist es doch Tatsache, daß jene Länder, wo Gold auf der Straße lieget und wo, wie mir ein span'scher Arkebusier erzählet hat, die braunen Weiber, so man sie am Halse kitzelt, eitel Perlen und Edelgestein kotzen, schon lange entdeckt sind. Die span'schen Karavellen bringen jeden Monat Gold und Schätze aus Zipangu und wie jene reichen Erdteile heißen, für die Schatzkammern des Kaisers." Der Dicke brummelt: „Narretei! Wohl ist's wahr, was Ihr, Meister Geschwandner, über jene Länder meldet, und sie sollen auch reich sein. Aber sagt, wie reimt es sich, daß des Kaisers Majestät nicht davor scheuet, unten in den Nieder16
landen und hier oben bei uns den Bürgern die Geldkatze zu erleichtern? Übel ist's wahrlich für uns, einem Kaiser zu gehorchen, der nur spanisch und lateinisch redet und in einem fernen Lande hauset, das unter der Geißel der Pfaffen stöhnet!"... Wahrlich, der Mann gefällt dem Flensburger! Trotz seinem Wanste und dem blauroten Gesicht, das schier ein Aushängeschild für Doppelbier und Martinsgänse ist! Ein ehrlicher Mann, der so spricht wie er denkt! Horch, was der Webermeister, der so bleiche Säcklein unter seinen wässerigen Augen hat, dazu antwortet: „Um Gottes Willen, schweigt still, Herr Poggner. Das ist ja Majestätsbeleidigung, und sie haben schon manchen draußen auf dem Galgenfelde für ein Geringeres das Haupt auf den Block legen lassen. — Und sehet, da steht der Flensburger, der Löhndorff, dem sie das Amt als Stadthauptmann in seiner Heimat entzogen haben, um üblen Totschlags willen, wie man raunt. Der ist seit kurzem hier, und man sagt, er würde mit nach Venezuela gehen!" Dieser tut, als ob er nichts höre, und schaut dabei lächelnd nach einer andern Richtung, als der Ratsherr entgegnet: „Ja, der. Und der junge Welser, und der Hauptmann Federmann, und sogar der tapfere Philipp von Hutten! Sie alle werden in jenes Land fahren und dem Wahngespinst nachjagen, das der schlaue Carole als Pfand für die Welserschen Gülden hingab!" Das Gedränge, in das die beiden eingekeilt waren, entwirrt sich, und der Menschenstrom schiebt sie stracks weiter. Wieder blasen die Posaunen, die schwere Stimme des Waibels gluckst gleich Malvasierwein durch eine durstige Kehle, und dann wirbelt die große Landsknechttrommel, die der Piet mitgebracht, als er ihm folgte von Flensburg. Wo die 17
Domina ihre Seele im Kloster verzehrt, und wo auf dem Kirchhof ihr schlanker Bruder ruht, weil er ihm im Trunk für etliche schnöde Wort das Schwert in die Gedärme stieß. Der Flensburger sprach vor sich hin: „So will ich denn durch das Gedräng hinüber zur Mauer und durch jene Pforte schreiten, über der die bunte Butzenscheibenlaterne baumelt, worunter vorhin der Moncada passierte. Will versuchen, auf andere Gedanken zu kommen als jene, auf die mich das erlauschte Gespräch zwischen Weberzunftobmann und Ratsherrn gebracht hat. Fürwahr, er hatte recht, jener Schmeerwanst. Des Kaisers Majestät spielt üble Würfel aus gegen deutsche Städte, deutsche Fürsten, Ritter und Völker. Da hockt er in seinem Palast Aranjuez oder wie das Gemäuer heißt, zwischen Hofdamen und grausamen Ratgebern, die weder um Seele noch Brauch deutscher Stämme Bescheid wissen. Nur Gold pressen sie aus uns heraus. Quetschen uns aus, wie jene welschen Früchte, die man Zitronen und Pomeranzen nennt! Wenn er Gülden braucht, so sind wir seiner huldvollen Gnade und Besuche stets gewiß! Trommle, Piet! Trommle, damit die Gedanken vergehen, die mich vor der Zukunft warnen. Hab ich nicht geschworen, am runden Tisch gestern nacht, zu reiten über Land und zu fahren über die See, bis in jenes ferne Land, wo es so warm sein soll, daß einem das Eisenkleid lästig wird? — Wohlan, den Schwur will ich halten. Aber trommle jetzt, Piet, schlag auf das Fell los, daß ich lustig werde und Mut kriege, Doppelbier zu schlürfen, Tauben vom Spieß zu verschlingen und dralle Dirnen in die roten Backen zu kneipen. Sieh, schon ist die bunte Laterne über mir. Und so will ich denn eintreten!" Während er die Pforte hinter sich schließt, ist plötzlich der Lärm des volkreichen Marktplatzes zum fernen, kaum hörbaren Summen geworden. Das Gemach ist blau 18
ausgeschlagen. Mit blauer, schimmernder Seide aus Venezia, Das beruhigt ihn, denn die Farbe gemahnt ihn an die Küste der fernen heimatlichen See. Meist ist sie grau oder grünlich, aber es gibt Tage, an denen die ganze Natur prangende Hochzeit zu halten scheint, und dann ist sie wie blaues Seidentuch. „Ho, Herr Bruder! Tut einen Trunk mit mir. Jene dort in blauem Sammetspenser und der güldenen Flügelhaube mag Euch den Humpen kredenzen!" schreit der Moncada ihm entgegen. Er hat die eiserne Brustwehr und den Helm abgelegt, sein kurzgeschorenes Haar sticht wunderlich von dem gelben Gesicht ab. Und die roten, in Stulpstiefeln steckenden Hosen, das gelbe Wams, das geschlitzte, mit Scharlachtuch ausgeschlagene Ärmel hat, machen aus dem ganzen Mann eine Flamme. Fast dünkt es dem Flensburger, als ob die blonden deutschen Dirnen, deren ihm je eine in den Armen liegt, davon angesengt und schmählich gebraten wären, obwohl ihre breiten Gesichter gar fröhlich lachen. Hinter der schwereichenen Theke hantiert der Küper mit Krügen und bauchigen Flaschen. Ein bräunlich knusperiges Ferkel steckt am Spieß über dem Kaminfeuer, vor dem ein graugekleidetes, zusammengeducktes Mönchlein kauert und lüstern schnüffelt. „Trink, Herr Bruder!" Der Moncada schwenkt den Krug, und seine beiden Liebsten girren wie brünstige kalekutische Hennen. Die mit dem blauen Spenser und der gleißenden Haube, unter der die schwarzen Locken gleich Rabenflügeln flattern, kommt ganz langsam auf den Norddeutschen zugerauscht. Jetzo schließt sie die Augen, die braun wie Levkojen sind, neigt das Haupt hintenüber, daß sich der rosige Ansatz ihrer Schultern aus dem Gewand schiebt, und hält ihm ihren Mund hin. Er ist schön geformt, duftet lieblich und seine Granatfarbe ist durch geheime Kunst, die aus 19
Italia zu deutschen Weibsen kam, noch röter und prangender geworden. Und perlengleich schimmern die Zähne. „Trink, Bruderherz. Nie bot sich schönerer Kelch einem wakkern Feldhauptmann dar!" schreit der Spaniole. Ach, gerade wollte er sich bücken und diesen Lippen minniglich Bescheid tun, da tat sich das feine, blond umrahmte Antlitz der Domina zwischen jenen Pokal und seinen dürstenden Mund. Und er stand wie zu Eis erstarret, daß ihn der Moncada verwundert anglotzte. Die mit dem Rabenhaar tat die Augen auf, und ein spöttisch Lächeln umschürzte ihren Mund. Stracks drehte sie sich auf den hohen Hacken herum und rauschte nach dem Kamin hin, um dort dem hungrig herumschnuppernden Kuttenträgerlein die schmale Hand auf die schmutzige Schulter zu legen. „Der Hauptmann, der die weiße Falkenschwinge und die zackige Mauerkron trägt, ist ein grindiger Mauskopf!" kam ihre Stimme höhnend, und er betrachtet darauf sein eigenes Wams, in das er das Wappen seines Stammes auf rotem Grunde einwirken ließ, als er zu Flandern weilte. „Caramba und Sankt Jago, Bruderherz, du bist ein unbeholfener Tölpel. Die Schönste bot sich dir an, und du verschmähst sie wie eine gewöhnliche Trulle aus der Vorstadt!" schilt der Spaniole, und seine beiden Metzen brechen in ein helles Kichern aus. Auch der mit den Krügen hantierende Küper lacht, daß ihm der Bauch unter der Lederschürze bewwert wie ein flensburgisch Grützemus, und die im blauen Spenser erhebt ein Fröhlichtun, das wie Silberglöcklein läutet; indes das Mönchlein mißtönend dazwischen hustet. Alles lacht. Lacht den grobschlächtigen norddeutschen Stadthauptmann, der gesonnen ist, das Glück, das er verlor, in fernen Landen wiederzufinden, ob seiner Sturheit aus. Da bricht etwas in ihm entzwei, er weiß nicht was. Es 20
dünkt ihm, als höre er den Pieterken trommeln. Und nun schmeißt er sich hin neben die drei auf den Pfühlen, daß die Dirnen vor Schreck aufkreischen und der Spaniol seinen halben Humpen auf den Fliesen verschüttet. Und ruft: „Schafft Wein! Bringt mir zu zechen, denn beim Papst und des Kaisers Majestät! ich will nunmehro saufen, bis ich das Westermeer in den Ohren rauschen höre!" Es war anfangs ganz stille geworden in dem blauen Gemach. Sie staunten ihn mit offenen Mäulern an, bis der Küper wieder zu lachen begann. Da kam wie ein Schlänglein mit güldenem Krönlein die im Sammetspenser und der gleißenden Haube auf ihn zuscharwenzelt, denn jetzo, dacht sie wohl, ist die Wolle des Schafs zur Schur bereit! Doch schaute er sie nur an, und vor seinem Blick schlug sie die frechen braunen Augen nieder und trippelte zurück, wo dem lüsternen Klosterbruder die Kapuze vom kahlen Schädel gesunken war. Der Flensburger sah, wie sie mit den schlanken Fingerlein auf jener rosigen, blanken Glatze trommelte. Da brüllte er vor Belustigung, so laut er vermochte. Mehr sah er nicht. Und kann, wenn seine Seligkeit davon abhängt, nicht sagen, ob die im Spenser noch fürderhin auf dem Mönchsschädel trommelte. Sintemalen er sich auch nicht entsinnt, ob die zween Dirnen, die der spanische Hauptmann in seinen Armen hielt, darin verweilten oder ob er sie verjagte. Denn er hat, nachdem er den mächtigen Humpen, den der Küper herbeischleppte, an die Gurgel kippte, gesagt: „Bruderherz, du warst mit Franziskus Pizarro in Peru! Erzähl davon, ich will dir auch den Falben dafür schenken, den ich aus der Heimat mitgebracht und der wiehernd im Stalle steht." Der Welsche schüttelt den borstigen Kopf und wollt erst nicht, doch ließ der andere ihm vom Küper einen riesigen Pokal voll heißen Zimmetweines bereiten, und wie er 21
daraus geschleckt hatte, da fingen seine schwarzen, unruhigen Augen an zu glühn und herumzubullern, wie wahrhaftige Feuerkugeln. Und plötzlich begann sein schmaler Mund Worte zu belfern und zu spucken. Immer schneller, bis endlich eine ununterbrochene Kette draus ward, die sich dem Lauscher eng und würgend um den Hals schmiegte. Indes vor seinem Blick das flackernde, blutdampfende, goldgleißende und geschmeideschimmernde Gemälde einer Welt aufstieg, vor der ihm bangte und die ihn dennoch in ihren greulichen Bann zog. Der Mund des Spaniolen redete und redete und des andern Augen hingen daran wie festgeschweißt und sahen die zum Himmel rauchenden Taten der Conquistadores so deutlich, als sei er dabei. Konnte er doch förmlich die kostbaren Gefäße der geplünderten Schatzkammern klirren hören, roch auch das im Marterfeuer brennende Fleisch der armen Indios und vernahm das trunkene Grölen der eisenumpanzerten Knechte, welche die zweenhandigen Schwerter, die man Flamberge nennt, in sehnigen Fäusten schwangen. Der Moncada sprach, und die Stunden verrannen wie Sand im Glase. Erschreckt sah der Deutsche durch die hohen Scheiben dunkelroten Abend hereinfunkeln, als er wie aus bösem Traum erwachte und in die Runde stierte. Da saß der Küper auf der Tonbank. Sein Gesicht hatte den Ausdruck eines schnuppernden Rüden, und der Bauch wackelte ihm noch ob der Erregung. Die blonden Dirnen lagen rechts und links von ihnen, und der rosige Flaum ihrer Wangen war erblaßt und zu kaltem Marmor geworden. Das Kaminfeuer gloste nur noch schwach, und der Braten war verbrannt und schwarz wie das Wrack eines geplünderten Hansefahrers im Wattenmeer. Die im blauen Spenser mit den Rabenhaaren lächelte in 22
greulicher Verzückung vor sich hin. Ihre Finger spielten mit der güldenen, an ihrem Busen hängenden Schaumünze, und die letzte Glut des erlöschenden Feuers lag darauf. Es sah aus wie Blut! Neben ihr hockte der Mönch, und der Flensburger erschrak schier vor Grausen, als er dessen Gesicht betrachtete. So muß der böse Feind aussehen, wenn er eine arme Seel in seinen Krallen hat! Der ganze Zauber, der in dem Gemache lag, durch dessen Fenster der sterbende Tag hereinlugte, zerbrach in einem tiefen Stöhnen des Spaniolen: „Ja, Bruderherz, so ist's bei Gott und allen Heiligen gewesen. Gold und Blut und Weiber." ... Lauernd schaut er ihn jetzt an. „Sag, Bruder, bist du gefeit gegen Kartaunen und Musketenkugel und Indianerpfeil? Gibst du mir der Goldstücke sieben, so will ich dich heut nacht fest machen!" Der andere schüttelte sein Haupt, und voll scheuer Gier lugten die zween Blonden auf den Mann, in dessen Armen sie geruht hatten. Die mit der güldenen Flügelhaube aber hat aufgehört, mit der Schaumünze zu spielen. Aus ihren Augen schießen spitze Gedanken, die dem Flensburger wehetun. Der dicke Küper ist eingeschlafen. Das Kuttenträgerlein hebt den Kopf und saugt die Luft durch die Nüstern. „Das ist ein unchristlich Beginnen, Bruder!" antwortet der Gefragte dem Spanier. Der lacht so hell und klirrend: „Und haben wir nicht gesengt und gebrannt dort drüben in der Neuen Welt? Und haben's die Obrigen nicht für gottgefällig Werk estimiert?" Einen gar wilden Blick umherwerfend, richtet er sich halb empor und legt die Hand an den Schwertknauf. „Sankt Jago, und wenn ihr Hasenfuß mich beim Prälaten wegen Lästerung verklatschen wollt, so renn ich euch die Klinge in die Bäuche!" Der erwachte Küper ruft, verdattert umherspähend: „Zim23
metwein oder Doppelbier, gestrenger Herr Fähnleinführer? Die mit den Rabenlocken am Kamin spielt wieder mit der Schaumünze und flötet ganz leise: „Alles kann man mit Gold bezahlen. Seligkeit, Heiligsprechung und Frauengunst." Das Mönchlein aber schmatzt laut, und seine Finger, die viereckig plump wie Totengräberscheite aussehen, machen raffende Bewegungen. Das Abendrot ist verklungen hinter den Häusermassen, deren wuchtige Schatten durchs Fenstergetäfel verschwommen zu sehen sind. Dunkelheit sinkt. Frühlingsnacht! Draußen wird es nach Flieder und Machangel duften! Im Garten des Burgomeisters schluchzt sicher die Nachtigall, die vor Tagen zu vernehmen war. „Bruderherz, heut ist Mondenschein und für den Zauber geeignet! Sieben güldene Caroli kostet's dich nur, und Kugeln sowie Indianerpfeile können dir nichts mehr anhaben!" lockt der Spaniole den Deutschen wieder. Der schaut ihn an, während die andern, die nun wissen, daß er den Welserzug ins ferne Land mitmachen wird, scheu näherschleichen. Die Glut in des Moncadas Augen ist erloschen wie Lagerfeuer, auf die die Pranke des Sturms niederhieb und nur etliche glasig schimmernde Pünktlein übrigließ. Trunken stiert er ihn an. Den graust's. Doch gleich Trost legt sich's auf seine Seele, als Piets Trommel ganz leis durch die dicken Mauern dringt. „Sie rufen des Kaisers Geheiß wieder aus!" murmelt der Küper und greift an das speckige Käpplein. Die im Sammetspenser steht auf einmal vor Jan Detlef. „Nimm mich, Mann!" schreit sie gierig, und neben ihr ist der Mönch, der mit den Kinnladen klappert, als ob er etwas sagen will, und doch kein Sterbenswörtlein aus dem Gatter seiner Zahnstummel herfürbringt. Wieder schiebt sich die milde Erinnerung an die Domina als ein gütig verzeihend 24
Bildnis dazwischen. Da langt er ins Wams und schmeißt den vollen Beutel klirrend auf die Fliesen, schreitet mit gellendem Auflachen der Türe zu. Und hinter ihm balgen sich die andern. Der Moncada im gelb- und rotgeflammten Gewand; die blonden Trullen; der Küper mit der Lederschürze und auch das graue Mönchlein. Nur die Schlanke mit der gleißenden Haube steht noch da und starrt dem Fortgehenden nach. Plötzlich stößt sie einen schrillen Schrei aus, und wie ein geschmeidiger Lachs taucht ihr Körper zwischen die anderen auf die blanken Fliesen, wo die güldenen Münzen aus dem geplatzten Säckel umherrollen. Draußen ist die Luft weich. Streichelnd wie unsichtbare Frauenhände! Und die Lindenblüten duften. Der Marktplatz ist fast leer. Vor den Torgängen der Häuser, die einigen großen Herren zum Losament dienen, flackert düsterroter Fackelschein. Rosse wiehern. Aus den Gassen, deren schwarze Mäuler auf den Markt münden, kommt dumpfes Tosen. Und es ist ihm, als ob der Trommlerpiet dort durch die Dunkelheit schreitet. Denn einmal dringt jenes rasselnde Dröhnen, das er so gut kennt, an sein Ohr. Er hat einen Geschmack im Halse wie eine ganze verqualmte Landsknechtstube. Da baut sich eine dunkle Gestalt vor ihm auf. „Platz da!" raunzt er grob, und die freundliche Stimme des Stadtschreibers tönt zurück: „Seid Ihr's, Herr Jan Detlef Löhndorff? Man sucht Euch schon überall. Ihr werdet zum Rate geboten in des Welsers Haus. Laßt Euch von mir geleiten!" Selbander schreiten sie durch die Dunkelheit dem Hause des reichen Patriziers zu. Als sie am Garten des Burgomeisters vorbeikommen, hören sie den Sang der Nachtigall. Und er löscht alles aus, läßt nur eine tiefe milde Traurigkeit in des Flensburgers Seele zurück. 25
Der Ausmarsch Wie er vom Estrich in das von Kerzen erleuchtete Gemach mit der hohen Decke und der geschnitzten Holztäfelung eintrat, saßen die Herren schon um den runden Eichentisch. Der alte Herr Welser, der die stattliche Tracht der reichen Kaufleute trug, erkundete grad den Boden seines irdenen Trinkhumpens. Jemand mochte ein lustig Stücklein erzählet haben, denn die übrigen hielten sich die Bäuche und lachten weidlich. Da waren: der Ritter Philipp von Hutten, gar hochgewachsen, mit braunen klugen Augen im schmalen Gesicht, um das braunes Gelock wehte. Dann der junge Bartholomäus Welser, dem die Lebensfreude aus hellem Blick herfürlachte. Ihm zur Seiten war der Nikolaus Federmann, ein Feldhauptmann von ernstem Gebaren, der den Bart viereckig gestutzt trug. Herr Federmann hatte sich in welschen Kriegen großen Ruhm erworben und liebte sein Gewand auf spanische Art mit geschlitzten und bunt gefütterten Puffärmeln. Eine güldene Kette, woran die Denkmünze mit des Kaisers Konterfei hing, lag in schwerer Wucht auf seiner breiten Brust. Sodann war noch ein Fähnleinführer von den gepanzerten Reutern, die der von Hutten mitgebracht, am Tische, und neben ihm war ein Fremder zu sehen, welcher die Tonsur hatte und in geistliches Tuch gehüllet, seine starken Glieder reckte, als ob er besser zum Dreinschlagen als zum Predigen tauge. Dies war der Pater Chrysostomus aus dem kalten Ireland im Westermeer, der von männiglich ob seines christlichen Tuns und seiner Herzensgüte gelobt wurde. Allen war auch kund, daß er auf des Kaisers Befehl den Zug in die Neue Welt begleiten sollte. Der von Hutten sagte es dem Flensburger vor etlichen Tagen und hatte noch hinzugefügt, daß er den Pater weidlich schätze. An seine 26
Seite setzte er sich nun und tat ihm guten Bescheid aus dem Humpen, den die Dienstmagd ihm hinstellte. Sie kamen in Bälde ins Gespräch, und es erwies sich, daß der Pater ein weiser und achtbarer Mann sei, dem eine Eisenhaube wohl gestanden hätte. Die andern Herren sprachen durcheinander, und der von Hutten deutete manchmal auf ein großmächtiges Pergament, worauf krause Küstensäume und zackige Inseln in bunten Farben zu sehen waren. Endlich fragte der alte Welser den Letzterschienenen, nachdem er ihm Willkomm zugetrunken, ob er wüßt, wo der Moncada sei. Und entgegnete jener, daß er ihn im blauen Gemach bei den Weibsen gelassen. Worauf die übrigen Herren wieder ein Gelächter anhuben. Doch dünkte es ihm, als ob dies Fröhlichtun erzwungen klang. Da schlug der alte Welser mit dem Zirkel auf den Tisch und sagte, daß sie nunmehr nicht länger warten wollten. Wenn der Moncada keine Zeit hätte, so möge er getrost bei seinen Trullen verweilen. Er erklärte ihnen jetzo des Kaisers Geschenk an das Augsburger Haus, und manch einer wäre schier vor innerm Lachen erstickt, als er die saure Miene sah, die der Welser zog. Grad als habe die Magd ihm schnöden Essig in den Krug getan! Und alle schmunzelten ein weniges, da sie genau Kunde besaßen, wie es in Wirklichkeit mit des Kaisers Gabe bestellt war. „Gut ist's, daß der Moncada fortblieb. Denn er ist euch durch des Kaisers Ratgeber als Aufpasser zugeteilt, wie ich aus Briefen, die mir zugingen, erfuhr. Ich bitt euch daher, ihr Herren, pfleget, so er es zu hören vermag, niemals ketzerische noch aufrührerische Gespräche, denn er hat die Macht, eure Hälse auf des Scharfrichters Block zu bringen!" sagte der Alte. Und der feurige Hutten platzt' heraus: „Dacht ich's doch. Des Kaisers Majestät teilt mit der einen Hand 27
Zuckerbrötlein aus, in der andern schwingt er die Geißel. Sagt an, Herr Welser, ist der Kerl, der uns insgeheim behüten soll, denn einer vom Adel?" Chrysostomus, der kriegerisch blickende Pater, erteilte die Antwort: „Ja, er ist's. Hat einen Namen, der so lang reicht wie die Kette, die von des Herrn Federmann Brust herniederhangt. Er soll sogar ein Bastardkind des Kaisers sein. Doch schätz ich, er wird uns nicht im Wege stehen. Sein Sinn sieht mehr auf Weiberfleisch, Würfel und tolles Gelage." Wieder hieb der Welser auf den Tisch, daß die Humpen hüpften, erhob sich und verlas eine Pergamentrolle. „Ihr, Herr Ritter, seid der oberste Anführer der Knechte und Reisigen. Auch haben Euch die Bergleute, welche ich aus dem Lande Sachsen erwarte, in allen Stücken zu gehorchen!" Sprach's und gab die Rolle dem von Hutten, der sich zierlich im Kreise verneigte und dann dem Welser mit kräftigem Handdruck dankte. Der ergriff ein neues Pergament vom Tische, das die Bestallung als zweiten, dem Hutten zugeteilten Führer in Handelsdingen, für den jungen Bartholomäus Welser enthielt. Und kam nachher der Nikolaus Federmann an die Reihe, nach ihm der Löhndorff und zum Schluß der Pater Chrysostomus. Alle bargen sie die Schreiben, welche mit schönen Schnörkelbuchstaben unterzeichnet waren und das Sigill der Welser trugen, im Brustlatz. Dann hob ein lustiges Zechen an, und sie bauten Luftschlösser vor sich hin, worin es von Perlen, eitel Geschmeid und köstlichen Schätzen wimmelte. Pater Chrysostomus tat allen wacker Bescheid, und die Magd hatte tüchtig zu laufen, ihre Humpen voll zu halten. Die Traurigkeit, die den Flensburger vor seinem Eintritt besessen hatte, war davongeflogen, und er fühlte sich gar wohliglich und munter, obwohl er sich schon zween Nächte um die Ohren geschlagen hatte. 28
Der Federmann hub an zu erzählen von blutigen Sträußen unterm Himmel Italias und beschrieb die Wunder der Prozession unsrer lieben Fraue in der span'schen Hauptstadt. Auch von Flandern und den Niederlanden wußt er zu sprechen. Von den flachsblonden Rundköpfen und strammen Dirnen, die am Ufer der Schelde die bunten Kühe über fette Wiesen treiben. Und wie die Rundköpfe aufmuckten und des Kaisers Majestät die blanken Zähne wiesen, als er ihnen die Privilegien rauben wollt. Da seufzte der von Hutten und meinte gar leis: „Das tut wohl, zu hören! — Diese Niederländer sind Fleisch von unserm Fleische und Blut unseres Blutes." Der alte Welser ballerte von neuem die Faust auf die Eichenplatte, und der Federmann schrie: „Was ist des Kaisers Majestät? Ein Popanz, der in fernen Ländern hauset und über unsere deutsche Sprache lacht. Haben wir keinen Mann in unsern eigenen Grenzen, den wir mit Purpurmantel und Kron schmücken können? Was brauchen wir die Welschen, zum Donnerwetter. Daß sie der Blitz erschlag!" Und plötzlich schauten aller Augen auf den Pater. Fäuste stahlen sich sacht an die Schwert- und Dolchknäufe, denn alle wußten wohl, daß ihnen diese hastige Rede des Hauptmanns Kopf und Kragen kosten konnte, falls sie ins falsche Ohr klang. Der Irische reckte die Arme, daß sie in den Schulterblättern knackten, leerte ruhig seinen Humpen und klopfte an das metallene Becken, um die Magd zu rufen. Als diese ihm neue Labung gebracht und sich verzogen hatte, da trank er erst den Herren zu und sprach: „Es war eine gute Red, aber eine unkluge Red, die der Herr Federmann soeben gehalten. Möchte auch etliches sagen dazu: Und mein ich den römischen Stuhl! Obrige Gewalt und kirchliche Fürsorg müssen die Völker haben, sollen sie nicht außer Randes und 29
Bandes geraten. Und was der Hauptmann vom Kaiser sprach, wend ich auf den Papst an. Ich hör ein ketzerisch Windlein pfeifen, das sich zum Sturm anwachsen mag, um das morsche Gebälk, so den Stuhl Petri verunzieret, wegzublasen, daß der Kirche Thron wieder schön blank und sauber dastehe. Darauf stoß ich an mit euch, ihr Herren!" Und ein lustiger Schalk lugte aus seinen Augen, als er fortfuhr: „Sitzen wir doch im gleichen Karren und ziehen am selben Strang. Und mitnichten dürft ihr glauben, daß ich eilige Red, aber gute Red, zu euerm Bösen auslenken möcht. Wir sind gesonnen, in ferne Lande zu fahren und von dorten wiederum zurückzukehren. Als Freunde. Das walte Gott!" Da schüttelten sie dem wackern Prädikanten die Hände, gelobten einander treue Freundschaft in Glück und Not. Und sagten auch dem Welser, sie wollten seine Sach getreulich wahren und fechten für ihn bis zum Tod, wenn es so sein müßt. Alsdann tranken sie wacker, jedoch mit Maß. Und der fröhliche Hausherr ließ die Krüge vertauschen, auf daß ihnen die mutwilligen Weingespenster nicht zu Kopfe stiegen. Die Magd brachte nunmehr warmes Eierbier, Gerstenbrotfladen und runde wonniglichmilde Käslein. Nach einer Weil meldete sich ein Rottenführer von den Huttenschen und sagte, daß die zweenhundert sächsischen Bergleute, die das Gold drüben aufklauben sollten in der Neuen Welt, soeben eingetroffen wären und Losamente aufschlügen. Drauf hielten alle noch einen Umspruch und verzogen sich, um in die Federn zu kriechen. Allein wanderte der Flensburger durch die Straßen fürbaß. Die Häuser lagen still und dunkel, und aus der Ferne drang das verworrene Getöse, mit dem die Sachsen ihr Gezelt aufschlugen. Ein heller Mond schwebte über der Stadt, und dachte er an des Moncada Anerbieten, ihn für sieben 30
güldene Caroli festzumachen gegen Kugel und Bolzen. Die Nachtigall in des Burgomeisters Garten trillerte nicht mehr. Wohl aber dufteten die Linden süß, und es war ihm, als ob er sich auf dem Flensburger Walle erginge mit dem Greteken, welche sie Domina im Kloster tauften, an seiner grünen Seite. Schier wollte er wieder Trübsal zu blasen anfangen, als er zum Glück an der Treppe zu seiner Kammer anhielt und drüben den Moncada aus der Mäuerleinpforte herfürtreten sah. Dieser war arg betrunken und torkelte hin und her wie ein von Mühlknechten geschleuderter Sack Kleie, doch erkannte er den andern und fiel ihm um den Hals. Und sagte schluchzend, wie sehr er ihn für die güldenen Taler estimiere, und daher wolle er ihn jetzo ganz umsonst fest machen. Keinen Kupferdreier solle es kosten! Daraus entnahm Jan Detlef, daß jener den meisten Inhalt seiner Börse, die er in das blaue Gemach geschmissen hatte, selbst erschnappte. Da ging ihm auch die Warnung des Welser durchs Gehirn, er dachte daher, sich den Spaniolen noch geneigter zu machen, und fing wieder davon an, daß der Falbe, der im Stalle stand, jetzo ihm gehöre. Der brüllte vor Freude und schwur, den Finger zum Mond reckend und mannhaft grade Haltung annehmend, er wolle ihm's gedenken und ihm allezeit sein Leben lang Freund sein. Den Schwur hat der Moncada gehalten bis an seinen Tod! Was Torts er auch dem Hutten und den andern antat, als sie im Eldorado waren, dem Flensburger erwies er sich immer aufrecht und liebreich. Und dieser konnte daher manch Ungemach von den Seinen ablenken. Jetzo aber in der Gasse zu Augsburg, wo die Brunnen bei der Kirche plätscherten, hing der Moncada wie ein Sack an seinem Halse, rülpste, fluchte und lachte toll durcheinander, und es bereitete dem andern erkleckliche Mühsal, 31
ihn in die Kammer, die neben der seinen lag, zu ziehen. Dort überließ er ihn dem schwarzbärtigen Diego, welcher die Stelle eines Knechts bei dem Hauptmann versah, und ging in sein eigenes Losament. Fast erschrak er, als die Tür ins Schloß gefallen war und er die gewaltige Gestalt wie einen Roland am Fenster dräuen sah. Pieterken, der neben seiner Trommel saß! Er wollte aufspringen und ihm Ehrerbietung erweisen, doch hatten sie manches Stücklein zusammen gesehen und ausgefochten, weshalb sie gute Freunde geworden waren. Daher drückte der Hauptmann den treuen Riesenkerl in seinen Sitz zurück. „Ach, Herr!" seufzte dieser, wie er ihm die Stulpenstiefel mitsamt den schönen Sporen, die ihm ein Welscher einst vermachte, von den Beinen abzog. Er warf sich auf die ächzende Lagerstatt und schaute dem Piet in das bärtige, zerfurchte Gesicht. Der hub an: „Ach Herr, uns wird's schlecht ergehen in dem Zipangu oder wie das heidnische Land heißet, das wir erobern sollen. Ein altes Zigeunerweib hat mir's aus der Hand geweissagt, heut abend, als die Stare pfiffen. Wir werden alle zugrund gehen." Da setzte sich der andre aufrecht hin und sah, daß des treuen Trommlers Gesicht bänglich dreinschaute, weshalb ihm die Worte entfuhren: „Hast du Angst, Pieterken, so bleib, geh nach Flensburg zurück. Ich will dir silberne Taler und Caroli geben, daß du dein Amt als Stadttrommler, das sie dir entzogen, wie du mich begleitetest, wieder zurückzukaufen vermagst." Der sah ihn an, und seine Augen waren wie die eines getretenen Hündleins. „Der Tüffel gesegn es ihnen! Wohl möcht ich lieber ein dralles Flensburger Mägdlein fein züchtiglich am Arme führen, als mit den Indiotrullen, die gar wunderbar gestaltet und braun wie Buttertunke sein sollen, 32
allerlei heidnischen Liebeszauber treiben. Aber ich gehe mit Euch Herr, darob ist kein Quentlein zu verlieren. Wohl aber denk ich an die Trommel. Ach, guter Herr, was soll aus der Trommel werden!" Wehmütig schwieg er, und jener beschaute abwechselnd den Mond durchs Fenster und den großen Kerl, der die Trommel liebte wie je ein Mann sein Eheweib. „Die nimmst du doch mit, Pieterken!" sagte er verwundert. Da hub der wiederum an: „Auf dem Walle hab ich sie geschlagen, daß die Möwen davonflogen. Und hab des gestrengen Rates Beschluß durch die alten Gassen ausgetrommelt, daß Kinder und Hündlein vor Lust sprangen. Auch dröhnte sie, als wir die Dänen jagten, daß ihrer viele mit schweißenden Köpfen in den zerwühlten Sand hinsanken. Ach Herr, und wenn wir alle drüben umkommen, wie ich gewiß bin, soll ich da die alte süße Trommel den braunen Indios oder den spöttischen Welschen überlassen ?" Der Flensburger war jetzo so müde, daß er Spreizhölzer zwischen die Augendeckel hätte schieben mögen, um sie aufzuhalten. Er brummte deshalb unwirsch: „So zerschell sie in der letzten Schlacht, die wir schlagen werden, an irgendeines Feindes Kopf!" Der Pieterken packte seine Hand und drückte sie gewaltig. „Dank, lieber Herr. Steineslast ist mir durch Euren Rat vom Herzen gesunken. Ja, so werd ich tun. Im letzten Kampf zerhau ich sie am Schädel eines Feindes, und was dann von beiden überbleibt, in das mögen sich Heiden und Welsche ehrlich teilen!" Er schüttelte ihm nochmals die Hand, und dann ging der alte, treuherzige, einfältige Knecht, der Amt und Brot in Flensburg aufgegeben, um dem Herrn in dunkle Zukunft zu folgen. — „Weil ich den schlanken Bruder der Domina erschlug, haben sie mich friedlos ge33
macht. Ach, Domina, wie tut mein Herze mir weh!'' seufzte der. Es war hoher Tag geworden, als er aufstand; er fühlte sich kreuzvergnügt. Denn nun, da die Sachsen gekommen waren, sollte es wirklich losgehen. Und er freute sich auf das ferne Land, das sie dem Welser erobern und halten sollten. Er liebte zwar die Hügel mit den Tannenbäumen, wo die roten Eichkater hin und her huschen. Auch hing er an der Heide, wo die Bienen summen und die weißen Schnucken das würzige Gras abweiden. Und die alten, trutzig von Mauern umgürteten Städte an den breiten Flüssen erfreuten sein Gemüt. Auch das Meer, das grau gegen die Dünen des Westerstrandes schlägt! Und die deutsche Sprache liebte er, denn es war doch die Sprache, in der ihn seine holde Mutter selig die ersten stammelnden Wörtlein lehrte. Jetzo aber hatten sie ihn friedlos gemacht, die Domina saß im Kloster, und alles, wohin er auch schaute, tat ihm weh. Tat weh ob der großen Liebe, die er zu den deutschen Gauen hatte. Deretwegen wollte er nunmehr fort übers Meer in heiße Länder fahren und Buße tun, damit er einst in Fried und Ehren heimwallen konnte. — Er ging also durch die Gassen der Stadt Augsburg, wo gar viele Brunnen rauschten, und betrachtete sich das Gezelte der sächsischen Bergleute. Unterwegs gesellte sich der Moncada, der seinen Rausch ausgeschlafen, zu ihm und schwur aufs neue Freundschaft. Nachher verzog er sich, um den Falben auszuprobieren. Wunderliches Getue und Geschrei herrschte im Lager der Sachsen, durch das die staunende Burgerschaft hin und her spazierte. Sie redeten eine gar spaßige Sprache, diese Sachsen, schierer Gesang schien es fast, doch wenn man länger lauschte, war es wohl verständlich. Sie trugen enganliegende Hosen und Wämser aus erdfarbener Wolle, 34
mit breitem Lederriemen umgürtet, dazu derbes Schuhzeug und runde Lederkäpplein auf dem Haupte. Auch waren sie mit Dolchen gewappnet, und vor den Zelten sah man ihre Schaufeln und Spaten liegen. Es waren kräftige junge Kerle, und der Hauptmann dachte, daß man aus den zweenhundert, falls es in der Neuen Welt nottun sollte, ein trefflich Fußvolk einexerzieren könne. Er sprach eine Weile mit ihren Oberhäuptern, von denen der eine Matthias Jäcklein benamst war, während der andere sich Fürchtegott Preisendanz nannte. Ihr Gebaren war ehrfurchtsvoll, doch offen und heiter. Da ging er zufrieden in die Gassen zurück, zum Stall, um ein Weilchen auf seinem Rappen spazierenzureiten. Lieblich pfiffen die Vöglein im Waldesgeäst, und auf den grünen Wiesen standen Schlüsselblumen und duftende Veigelein. Auch einen Specht hörte er klopfen am hohlen Stamm. Doch kehrte er bald um, denn er hatte sein Schwert an der Bettlade hängen lassen, und es war nicht geheuer im Walde für einen ungewappneten Mann. Es verstrichen noch vier Tage, während der Augsburgs Volk, das allen Vorbereitungen half oder zusah, wie von einem Fieber der Fröhlichkeit umfangen war. Und manch schmucker Reitersmann küßte seine Liebste wieder und wieder. Manch Tränlein kugelte aus blauem Aug herfür und barst auf zierlich gefälteltem Busentuch. Auch der alte Herr Welser schritt ernst von Stelle zu Stelle. Er gab den Hauptleuten noch ein Festmahl, wo sie köstliche Gerichte aßen und feuriges Rebenblut schlürften. Auch die reisigen Knechte erhielten viele Tonnen Doppelbieres, und dem Volk wurden auf dem Marktplatz zween prächtige Ochsen gebraten, indes eines der plätschernden Brünnlein drei Stunden lang roten Wein aus seinen Röhrlein herfürspie und das andere weißen Wein. Auch ließ Herr Welser Zuckerkringel und 35
Milchgebäck an die alten bresthaften Weiblein im Armenhause verteilen. Es herrschte eitel Freude sowohl als lautes Vivatgeschrei in ganz Augsburg, und das Volk stand Spalier, als am nächsten Morgen der Ausmarsch angetreten wurde. Voran zog der Pieterken und wirbelte auf der Trommel. Ihm zur Seite, aber ein weniges zurück, kamen sechs Sackpfeifenbläser, die ihren Instrumenten schrille Töne entlockten. Nach einigem Abstand ritten der von Hutten und der junge Welser einher, denen die andern Hauptleute und auch Pater Chrysostomus auf starken Gäulen folgten. Dann marschierten die Bergleute zu Rotten geordnet. Sie hatten Schalmeienspieler, die lustig in das Volksgekreisch bliesen. Darauf folgte ein Fähnlein Reisiger, hinter denen man einige Stücke Schlachtvieh sowie Troßwagen führte. Auch eine schöne Sänfte, von Maultieren getragen, schwankte einher, und der Moncada hielt sich auf dem Falben dicht daran. Manchmal schlug ein schlanker Arm den Vorhang zurück, und drinnen sah man auf seidenem Faulbett die im blauen Spenser und der güldenen Haube sitzen, wie sie unter stolzen Brauen gar hoffärtig das gaffende Volk musterte. Der Moncada wollte sie mitnehmen übers Meer, und der von Hutten hatte nur mit den Schultern gezuckt und gesagt: „Tut was Ihr wollt, Herr Ritter. Wohl weiß ich, daß dies unter den Spaniern Sitte ist, ihre duftbesprengten Kebsen mit übers Meer zu nehmen." Nach der Sänfte, um die der Moncada herumgaloppierte, schritten die Knechte des Herrn Federmann einher. In zwiefarbig Tuch gekleidet, mit breiten Bundschuhen, ungeheuren Kniewülsten, Lederwämsern und Puffärmeln boten die bärtigen Gesellen ein Bild, das wohl eines Kriegers Herz zu erfreuen vermochte. Etliche schleppten Spieße, die sieben 36
Schuh lang waren. Andre hatten gewaltige Schwerter, die sie Flamberge oder Bidehander nannten. Auch waren Armbrustschützen sowie Donnerbüchsenträger dabei. Alle hatten das Haupt durch eiserne Sturmhauben geschirmt. So bewegte sich der stattliche Zug, welcher — die Hammel und Ochsen, die man zur Atzung nachtrieb, ungerechnet — an dreihundert Köpfe zählte, durch Augsburg und auf die Säumerstraße hinaus, die sich in staubigen Windungen über Berg und Tal schlängelte. Bald verließen ihn auch die letzten, die noch Geleite gegeben, und kehrten um. Herzzerreißend war der Abschied des jungen Welser von den zween Alten und dem zarten Schwesterlein. Das Wasser stieg in des alten Herrn gestrenge Augen, und die Welserin gab dem Bartholomäus immer von neuem Küßlein, wobei sie ihn umhalsete. Endlich riß sie sich los. Die Roßhufe klapperten, Lederzeug knarrte, die plumpen Wagenräder polterten, und wie gleichmäßiges Rauschen schwoll der Tritt des Fußvolkes. Über allem aber schwebte der Klang der Trommel.
Das H e x l e i n von F u l d a Wie sie nach Würzburg und über die Säumerpfade ohne sonderliche Mühe gen das Kloster der Mönche von Fulda zogen, davon ist nicht viel zu berichten. Denn sie hatten kaiserliche Geleitbriefe sowie schwerwiegende, zu Papier gebrachte Worte des Welsers empfahen, und deshalb tat man ihnen überall Gastlichkeit und Ehre an. Die grindigen Schnapphähne, welche in den dichten Wäldern hausten, um auf reisende Kaufleute zu fahnden, verzogen sich eiligst vor der Macht des Kriegsvolkes. Zuweilen sah man sie 37
aus der Ferne spähen oder in ihren blanken Harnischen, auf starkknochigen Gäulen, gleich Blitzen um die Waldecken fahren. In Fulda trug sich jedoch ein Begeben zu, das der Aufzeichnung wohl wert ist! Der Flensburger hatte sich schon die ganze Reise an den irländischen Pater gehalten, denn der war ein liebwerter und trutziger Herr. Auf des Kaisers Befehl sollte er alle Begebnisse, die dem Zuge durch Deutschland, während der Meerfahrt und im Heidenlande zustießen, niederschreiben zu einer Chronika. Dies tat er gewissenhaft Abend für Abend in seinem Zelt bei Kerzenschein, und dabei pflegte ihm der norddeutsche Hauptmann über die Schulter zu lugen. Wohl hatte er die Kunst der Buchstaben erlernt, doch war's ihm im rauhen Kriegerhandwerk ziemlich entfallen. Er studierte es aber flugs wieder! Das war ein lieber Mann, der Herr Chrysostomus, und glich er einem jener streitbaren Mönche, die das Christentum zu unsern Vorvätern brachten. Hoch zu Roß saß er, hatte das Käpplein mit einer feinziselierten venezianischen Stahlhaube vertauscht. Auch hing ihm ein gewaltiger Eichenknüppel am Sattel. Der war sechs Schuh lang, unten dick wie ein Schweizer Morgenstern und oben am handlichen Griffe war ein Schlinglein befestigt, das man übers Gelenk stülpen konnte, damit der Prügel nicht fortflog, wenn man damit auf Köpfe drosch. Der Pater liebte den Knüppel gar sehr, nannte ihn „Schellallah" und erzählte, daß in seiner Heimat kein Mensch sonder einem guten Eichenhieber ausgehe. Und sie pflogen lange Gespräch miteinander, und auch der von Hutten, der Horoskope stellen konnte und von seiner Frau Mutter die Gabe der Weissagung aus den Handlinien ererbt hatte, tat sich hinzu. Der Pater und der von Hutten wußten gar viel von den fernen Ländern, die der Columbus gefun38
den, wie auch von den Abenteuern des Marco Polo am Hofe des Groß-Chans zu erzählen. Manchmal gesellte sich der Moncada zu ihnen, wenn er die Obhut der Buhle seinem Diego überlassen hatte. Und sprach gewaltig grausame Worte von den Schätzen der Inkas und prahlte von blutigen Taten, die wie Brandfackeln durch des Flensburgers Seele flammten. Meist aber war jener an der Seite der Sänfte und scherzte mit der im blauen Spenser, welche sich zierlich zu gebärden wußte, und die der Ritter seine liebe Gloria hieß. Deshalb nannten die andern Herren sie auch so und behandelten sie in Züchten und Ehrfurcht. Männiglich aber wußte, daß sie eine Buhldirne war, und der sächsische Jäcklein hatte erkundet, daß sie in Wahrheit Mareiken hieß und aus Magdeburg stammte, wo ihr Vater als Totengräber in Amt und Brot stand. In Fulda empfingen die Mönche den reisigen Zug mit lautem Gebimmel ihrer Glocken, und die Hörigen standen in zween Reihen mit entblößten Häuptern und machten Kratzfüße. Alsbald hob ein lustiges Schmausen an. Die Knechte wurden im weiten Hofe und den Wirtschaftsgebäuden untergebracht, indes die Herren gar treffliche Losamente erhielten. Und sie sahen, daß es ein reiches Kloster war, denn die Mönchlein waren sonder Ausnahme wohl genährt, und ihre Augen schauten zufrieden drein. Den Flensburger bestaunten sie sehr, denn er war ein langer stattlicher Kerl, der alle andern um Haupteslänge überragte. Da wies er ihnen den Pieterken, der breit und mächtig wie ein Turm einherschritt und seinen Scheitel noch um die Dicke von drei Händen übertrumpfte. Und sie hörten die Metten, um sich hernach zu Tisch zu setzen. Die Planken, an denen die Schmausenden saßen, bo39
gen sich unter der Last der köstlichen Gerichte, und es schleppten die Gehilfen des Bruder Kellermeisters dickes, süßes Bier und nachher holde, blumige Weine in Massen herbei. Es gab Rehziemer mit Sahnentunke übergossen; Kälberleingehirn mit Ei und Pillen angerühret. Auch Ferkel und Saubraten; Zunge vom Rind und viele fürtreffliche mönchische Gerichte. Der Löhndorff vernahm auch zum ersten Male in seinem Leben und mußte darob schrecklich lachen, als sie einen lecker bereiteten Biberschwanz auftrugen, wie der listige Küchenmeister sagte: Biberfleisch sei Fastenspeise! Denn dies Getier besäße schuppige Schwänze und lebe überdies im Wasser. Es sei also keine Sünde, es am Freitag zu essen. Da lachte auch der Moncada, der die deutsche Sprach wohl verstand, und riet den Mönchen, sie möchten, falls ihnen zur Fastenzeit der Gaumen nach Fleisch jucke, eine Sau oder auch Gänse im Wasser ersäufen, dann wären's auch Fische! Jetzo kicherten die wackern Klosterbrüder weidlich, und einer sagte, sie würden sich's merken. Hernach sprach der Abt einen Lobgesang auf des Kaisers Carolus Magnus Angedenken, denn er sei es, der die Gans in Deutschland zu einem angesehenen Vogel gemacht habe, weil er wohl wußte, daß gute Atzung des Magens auch zufriedene Menschen schafft. Dann fing der Pater Beichtiger, der ein saures, verkniffenes Gesicht besaß, davon an, daß morgen im Klosterteich eine Hexenprob abgehalten würde. Er lud alle drauf ein, das anmutige Hexlein, so zur Stund im Turme bei Ratten und Spinnen sitze, morgigen Tags schwimmen oder sinken zu sehen. Sinke sie, so sei ihre Unschuld erwiesen, trage jedoch das Wasser ihren weißen Leib, so sei's, weil sie eine Hexe war, die man mit Zangen kneipen und alsdann brennen müßte. — Ob dieser grausamen Rede legte sich eine 40
Weile arge Stille über die Tafel. Der von Hutten hatte die Stirn in krause Falten gekniffen, auch den andern wurmte es im Herzen, weil man wußte, daß diese Proben nicht immer gerecht abgingen und auf solche Weise manch armes, verleumdetes Mägdlein zu Tode getan ward. Deshalb wollte der Nachtisch, der aus Nüssen, Winteräpfeln und kleinen Fischlein in Olivenöl bestand, dem Flensburger nicht recht schmecken. Er verließ die Zechenden und trat hinaus in den Wandelgang. Zuvor sah er noch, daß des Magdeburger Totengräbers Buhltöchterlein, die Gloria, schön geschmückt, mit güldenen Kettlein und bunten Fingerringen und einem prächtigen Kleide angetan, bei der Tafel saß. Sie glich fürwahr einer Königin und wußte sich auch derart zu benehmen! Man konnte es daher dem Moncada nicht groß verdenken, daß er sie mitnahm, obwohl es wider Sitte und Zucht ging. Der von Hutten und die andern hätten es auch nicht gelitten, wenn sie nicht an des Kaisers langen Arm dächten. Und der Abt, der ein weiser Herr war, benahm sich huldreich gegen die Dirne, weswegen die andern Mönche, die wohl wußten, was die Glock geschlagen, es ihm nachtaten. Nur der Beichtiger betrachtete sie böse, und sie zuckte zusammen, als er sich über den Tisch bog und ihr zurief, daß es ein reizendes Hexlein wäre, so sie morgen schwimmen lassen und brennen würden. Der Moncada aber knuffte ihn flugs in die Rippen, daß er vor Wut noch mehr erblaßte. Im Wandelgang war keine Seele. Von fern vernahm der Einsame das Gebrüll und Gejohl der saufenden Knechte und sah einen Scheiterhaufen flammen, um den die Weibsen und Töchter der Klosterdiener sich an den Händen fassend herumhüpften. Auch erblickte er den Pieterken mit Reisigen um eine Trommel hocken. Sie benützten das Kalbfell als Würfeltisch. 41
Vor dem dicken Turm, der in der Ecke der Hofmauer wuchtete, fläzte sich ein Kerl mit brutalem Gesicht, der in fleckiges Leder gekleidet war. Der Hauptmann erkannte an seiner Tracht den Folterknecht. Er war besoffen wie ein Stier, doch vermochte er noch auf die Füße zu wanken und ihm die schuldige Ehre erweisen. Drauf zeigt er ihm zween prall aufgeblasene Schweinsblasen und lachte dumm dazu. Auf die Frage, was die Blasen bedeuteten, sagte er, daß er diese auf Geheiß des Beichtigers morgen dem Hexlein unter die Arme binden sollte, eh sie zur Wasserprobe schritten. Dann würde sie schwimmen und könnten sie das Hexlein hernach schön brennen! Den Flensburger schüttelte das Grausen, und er hätte dem Kerl am liebsten mit dem Eisenhandschuh, welchen er in Gedanken nach dem Gelage wieder übergestülpt hatte, eine Maulschelle hingehauen. Doch bezwang er sein Gelüst und fragte jenen, einen Silbertaler vor seine Füße schmeißend, ob er die Verdammte wohl betrachten könnte. Gierig raffte der die Münze auf, biß drauf, ob sie echt sei, und lugte dann fürsichtig nach allen Seiten. Doch lag der Turm im dichten Schatten, und es war kein Mond, der ihr Tun verraten konnte. Also drückten sie sich zur Tür hinein, die der Knecht spaltesbreit öffnete, und sie standen in feuchter, kalter Dunkelheit. Es dauerte lange, eh der Trunkene Feuer geschlagen und die Fackel entzündet hatte, die roten Schein in das Quadergemach schleuderte. Es war da ein viereckiges Loch im Fußboden, in das die Sprossen einer Leiter hinabführten. Der Kerl mit der Fackel stieg voran, und es war verwunderlich, daß er im Rausch nicht fiel und sich unten sein Gehirn zerschellte. Denn es ging tief, und die Kälte ward immer gröber! Endlich standen sie unten. Es war ein rundes Steingemach und so kalt, daß ihnen 42
die Zähne schepperten. In der Mitte gähnte wieder ein kleines Löchlein, und hörte man Wasser rauschen. Auch hüpften große Ratten hinab, weil sie Bange hatten vor der Fackel. In der Ecke lag auf einer Schütte faulenden Strohs ein nacktes Weib. Und obwohl ihr Körper von den Folterknechten arg zerschunden war, sah man doch, daß sie einen lieblichen Wuchs besaß und güldenfarbenes Gelock, welches ihr weit über die Schultern hing und ihren Busen wie mit einem prächtigen Mantel zudeckte. Und wie der Hauptmann nähertrat, fuhr er zurück, als sie emporschaute und der Knecht albern dazu lachte. Denn sie hatte dasselbige kühnlich schöne Gesicht der Gloria! Bänglich, aber auch zornig, wartete sie auf die Anrede. Er wandte sich dem Knechte zu, doch dem bereitete das genossene Braunbier eben arge Beschwerde. Er hatte die Fackel in den eisernen Wandring gesteckt, stand mit käsbleichem Gesicht über dem Rattenloch und rülpste, daß es sich anhörte, als wenn Frösche geprellt werden. — Da beugte er sich zu ihr und fragte mild, ob sie des Totengräbers zu Magdeburgs Töchterlein sei und eine Schwester hätte? Darauf nickte sie heftig und hub dann an zu erzählen, woraus er entnahm, daß man schändliches Spiel mit ihr getrieben, weil sie dem Vogt nicht zu Willen gewesen. Der hatte sie flugs angeschwärzt und als Hexe verklagt. Und sie schluchzte, während der Trunkenbold tüchtig rülpste, daß sie, falls sie davonkäme, nicht mehr ehrbar bleiben, sondern eine große Buhldirne wie ihre Schwester in Augsburg werden wollte. Da erzählte er ihr von den zween Schweinsbladern, welche ihr morgen in die Achselhöhlen gebunden werden sollten, damit sie als Hexe auf dem Wasser schwimme. Sie schlug verzweifelt die feinen Händlein vors Gesicht. Doch sprach er ihr Trost zu und schwur, obwohl er nicht wußte, wie 43
er's halten sollte, daß er sie befreien werde. Tat ihr auch Kunde von ihrer Schwester, so die Liebste des Hauptmanns Moncada und bei ihnen im Kloster wäre. Da weinte sie heftiglich, und raunte er ihr noch ins Ohr, sie möge getrost und ruhig sein, aber auch seine Absichten nicht verraten. Drauf wandte er sich dem Folterknechte zu und konnte ihn grad noch haschen, sonst wäre dieser durch das Loch hinab zu den Ratten ins unterirdische Wasser gestürzt. Es wäre ihm zwar mitnichten leid gewesen, doch konnte er den Kerl wohl brauchen, um später wieder in den Turm zu kommen. Der war, was man in Flensburg eine Braunbierleiche nennet! Er kümmerte sich auch nicht drum, als der Hauptmann dem Mägdlein sein eigenes Wams, das er abgezogen hatte und auf das er große Stücke hielt, weil flandrische Kunst sein Familienwappen darein eingewirket hatte, über die schneeige Blöße warf. Mit vieler Müh und Not brachte er Fackel und Kerl wieder zur Leiter hinauf, verlöschte die Flamme und geleitete ihn ins Freie, wo er stöhnend auf ein Fell an der Mauer hinsank. Da ließ er ihn liegen, nachdem er ihm den Turmschlüssel weggenommen. Tief in Sinnen schritt er über den Hof in den Wandelgang und hielt vor der Tür an, hinter der die Zechenden saßen und lustig lachten. Zu seinem Glück kam der Chrysostomus ins Freie, um ein Maulvoll Luft zu schnappen, und er erzählte ihm ohne Umschweife von den zween Schweinsblasen, dem Hexlein, das die Schwester der Buhle des Moncada sei, und daß er ihr versprochen habe, sie zu befreien. Der Gute hörte ihm zu, schlug erst die Falten seines Mantels zusammen, damit niemand das Fehlen des Wamses merken sollte, und sagte dann, daß er wohlgetan 44
und daß er ihm helfen wollte, denn es sei ein gottgefällig Werk, dies unschuldige Blut den teuflischen Wichten zu entreißen. Darauf meinte er noch, daß man wohl am besten den Moncada und die Gloria einweihen sollte, damit beim morgigen Aufbruch das Mägdlein in der Sänfte ihrer Schwester verborgen hinausgetragen werden konnte. Denn wenn es auch gelänge, sie zu befreien, zum Kloster hinaus würden sie sie nicht kriegen, sintemalen das Tor von nüchternen Knechten bewacht ward und man nicht über die hohen Zakkenmauern zu fliegen vermochte. Der Hauptmann dachte sich, daß der Rat des Peters gut wäre und der Moncada ihnen wohl seine Hand leihen würde. Denn dieser war gar weltlich gesinnt und wußte man, daß er die Gloria gewaltig liebte. Sie schritten also wieder in den Hof, wo die Troßwagen standen. Denn der Pater erzählte, daß der Moncada im Unmut von der Tafel sich erhoben und die Gloria zu ihrer Sänfte begleitet hatte, weil ihr die Mönche als einer Frauensperson das Losament in ihrem Hause verweigerten. Deshalb wollte der Spaniole auch kein Dach überm Kopf haben, und er hatte dazu geschworen, er werde den Kahlschädeln noch vor dem Ausritt einen gewaltigen Tort antun. Dies kam nun den beiden sicher zupaß, und sie begaben sich nach der Sänfte. Die zween saßen selbander auf den weichen Pfühlen beim Kosen und waren arg erbost, daß ihr Tun unterbrochen wurde. Der Moncada schwieg aber sofort, als der Löhndorff zu sprechen anhub, und wie er beschrieb, daß ihre Schwester im dicken Klosterturm bei Ratten und Spinnen sitze und ihre Blöße mit seinem Wams verhüllte, da gab ihm auch die Gloria gar freundlichen Blick und reichte ihm ihre weiße Hand. Die er, um den Moncada zum nächtlichen Tun geneigt zu machen, an seine Lippen führte. 45
Der Spaniole wollte auch gleich mit Mordio und Zetergeschrei losbrechen, aber der kluge Pater hielt ihn zurück und gab listigen Rat. Da lachte der Moncada baß, als er begriffen hatte. Und der Flensburger eilte flugs in seine Kammer, öffnete den Schnappsack und holte Tobak und Pfeife herfür. Einfältige Leute hielten's zwar für Teufelei, wenn man wie der Satan Rauch und Flammen aus Nas und Mund schnob, als die Kunst des Tobakrauchens, die der Columbus mitgebracht, zum erstenmal in deutschen Landen ausgeübet ward. Doch brach sich das Laster Bahn. Ihm hatte ein Spaniole, den er zu Bremen getroffen, Tobak und Pfeiflein geschenkt, und er konnte seither davon nicht lassen. Denn wunderbar ist es, wie der duftende Rauch zornig oder traurig Gemüt beruhigt und lenkt und köstliche Brücklein baut zwischen Gedanken, welche man nicht aussprechen kann, weil erst eine neue Sprache dafür erfunden werden müßte. Er kam zur Sänfte zurück, wo auch eben der Pater eintraf, der sein Gepäck geprüft hatte, und sowohl den Mon-ada wie auch ihn mit langen Kutten und Kapuzen versah, die sie überwarfen und nun alle Gespenstern glichen. Die Gloria duckte sich in die Kissen und schaute ihnen bang nach, wie sie im Schatten der Mauer, um dem fröhlichen Treiben der Knechte und Hörigen nicht zu nahe zu kommen, nach dem Turm schlichen. Da lag noch der Kerl auf dem Fell, besudelt von seinem eignen Dreck, und wie ihn einer mit dem Fuß in die Rippen stieß, öffnete er Augen und Maul und stöhnte: „Der Melchior ist drin. Fragt den Melchior!" Schon schnarchte er weiter. Darob entnahmen sie, daß ein Knecht, welcher Melchior hieß, in den Turm gegangen sei. Der Norddeutsche schlug Feuer im Schutze der Kutte und paffte lustig an seinem Pfeiflein. Sodann zogen sie die Ka46
puzen ins Gesicht und traten in den Turm. Der Pater, der als letzter ging, schmiß aber hurtig die Tür hinter sich zu, denn es brannte eine Fackel drin, und auf hölzernem Schragen lag ein Knecht, der ihnen verwundert entgegenblinzelte. Er sperrte das Maul auf, um Zeter zu schreien, doch verschlug ihm der Schrecken die Sprache und konnt er nur lallen, als sich der Löhndorff vor ihm aufstellte, gewaltigen Dampf aus Nas und Mund stieß und ab und zu in die Pfeife blies, daß helle Funken stoben. Er sprang auf, wollte nach der Tür entwischen, doch holte jener aus und verpaßte ihm eine derbe Maulschelle. Da er vergessen hatte, daß der Eisenhandschuh noch an seiner Rechten saß, war die Wucht des Armes gar stark, und der Kerl flog wie ein Sack in die Ecke. Er beugte sich über ihn und sah, daß ihm die Kinnlade wohl zerschmettert und etliche Zähne entfallen waren. Er blutete wie ein gemetzgertes Schwein, tat aber sonst keinen Muckser. Der wundenkundige Pater sagte auch, daß er vor etlichen Stunden nicht erwachen würde. Ob seiner Blessur würde er aber nicht draufgehen! Darob beruhigt, steckten sie den Schlüssel ins Schloß und drehten ihn herum, damit niemand sie überraschen konnte. Hernach stiegen sie die Leiter nach unten und fanden das Mägdlein auf der Streu liegen, wie der Flensburger es verlassen hatte. Der Moncada knirschte mit den Zähnen und gab ihr seine Kutte, worauf sie alle sonder Verweilen zurückklimmten. Niemand sah sie der Sänfte zuschreiten, allwo zwischen den zween Weibsen ein lang Erzählen und Kosen anhub. Auch gab das befreite Hexlein dem Hauptmann sein Wams zurück, da ihr die Schwester flugs viele Kleider schenkte. Der Moncada zerbiß eine Rührzähre und schüttelte ihm eins übers andere die Hand. Auch der Pater war froh, und die Gloria gab ihm hold47
selige Worte, aus denen er entnahm, daß sie keinen Groll mehr gegen ihn hegte. Es ward ihm schier wunderlich zumute, und er konnte gar nicht recht an die Domina denken, als ihm das befreite Mägdlein seine rauhe Hand küßte. Hierauf beschlossen sie, daß jene sie begleiten solle bis Hamburg. Und der Moncada sagte, ehe sie sich zur Nachtruhe verzogen, daß seine Liebste Gloria heiße. Das sei ein stolzer Name! Er fragte hierauf das Hexlein, wie es heiße, und schüttelte ob der Antwort „Eve" das Haupt. „Die Bonita sollst du heißen!" sprach er, und alle stimmten bei. Denn Bonita ist ein spanisches Wort und bedeutet die Schöne! Großes Getöse erhob sich andern Morgens, als die Kunde kam, daß das Hexlein verschwunden wäre. Und der Knecht, den sie trunken vor dem Turme verließen, sagte aus, daß er nichts wüßte. Der andere aber, dem der Eisenhandschuh den Kinnbacken entzweigehauen hatte, konnte kaum sprechen. Entnahmen aber die Mönche seinem Gestammel und Getue, daß drei schwarze Teufel in den Turm gekommen wären, Schwefel und Feuer aus den Mäulern gebleckt und hernach mit dem Hexlein in den Krallen durch die Mauer davongefahren wären. Vorher hätt' ihm einer der Teufel mit dem Pferdefuß gen den Backen gehauen. Viel höriges Volk umstand den Turm und sah zu, wie der Abt mit Wedel und Weihwasser dreimal um das Gemäuer schritt und es mit dem heiligen Naß betunkte. So tat er auch den Wänden drinnen. Das Hexlein mit dem güldenen Haar aber saß in der Sänfte, vor der der schwarzbärtige Diego und der Moncada grimmig Wache hielten. Und die Schwestern herzten sich auf den seidenen Pfühlen. Der Flensburger hatte das Geschehnis seinem Herrn, dem von Hutten, sonder Zagens berichtet, und sagte der, daß 48
er recht getan habe. Hernachen brachen sie auf. Es trug sich aber zu, wie die Maultiere eben die Sänfte zum Tore hinausschleppen wollten, daß der bleiche Pater Beichtiger Einhalt gebot und im Namen des Papstes ihr Inneres zu untersuchen verlangte. Schon fingen die Knechte an zu murren, und der Löhndorff legte die Hand an das Erbstück seines Vaters, den Flamberg, der prächtig vom Sattel hing. Da trat der Moncada vor, und das Sonnenlicht spielte auf seinem Brustharnisch. Er griff an die Seite und holte ein Wachstuchpäcklein herfür, dem er ein Pergament entnahm und es dem Abte reichte. Der verbeugte sich flugs, als er das kaiserliche Sigill erblickte und nunmehr vorlas, daß dem Moncada in allen Stücken Aufschub und Gehorsam zu leisten sei. Er gab ihm das Schriftstück zurück und machte abermals Bücklinge sonder Zahl. Stolz stieg der Spaniole zu Roß, und der Beichtiger verzog sich mit wutgrünem Antlitz. Worauf die Glocken bimmelten, die Hörigen Vivat schrien und die Reiter zum Tore hinauszogen. Schon nach wenigen Tagen wußte männiglich, daß die Sänfte zween Weibsen barg, und sagten sie, die mit dem Goldgelock wäre des Flensburgers Buhle. Denn er war auch gar oft nebst dem Moncada um die Sänfte herum, und pflogen sie liebliche Zwiegespräche mit den Schwestern. Die Blonde war ein gutes Kind und unverdorben, und ihm wurde oft das Herz recht schwer, wenn er daran dachte, daß sie zu Hamburg in den Schifferstuben untergehen sollte. Das Küßlein, welches sie ihm in der Nacht ihrer Befreiung gegeben hatte, brannte auf seiner Hand und erfüllte ihn mit wunderlicher Scham und tollem Verlangen. Die andern Herren hänselten und plagten ihn weidlich, doch der von Hutten, der genau um die Sache wußte, trat vor ihn, und hernach ließen sie's. 49
So kamen sie in Tagrasten nach Hildesheim, wo es ihm gelang, eine Sänfte mit kohlschwarzen Saumtieren zu erstehen, in welcher er die Bonita einquartierte. Er gab ihr Pieterken, den treuen Trommler, zum Schutze bei, weil er oft an die Spitze des Zuges mußte, um mit den andern Herren zu schwatzen. Und bald kamen sie auf die weitmächtige Lüneburger Heide, wo die Bienlein summten, weiße Schnucken das Gras fraßen und stumpige Weiden sich in den schwarzen Fluten der Kolke spiegelten. Dem Flensburger ging das Herze auf in dieser Landschaft, denn er ward unweit davon großgezogen. Eines Morgens, als der Zug gleich einer Raupe sich durch ein dürftiges Wäldlein bewegte, erscholl Geschrei von hinten. Die übrigen trabten weiter, auch die Rotten der Sachsen schritten fürbaß, doch preschte er sorgenvoll zurück, und es folgte ihm auch eine Handvoll Reuter des von Hutten. Alle kamen sie grad zur rechten Zeit, um einem halben Schock Buschklepper, die sich über den Troß und die Sänften hergemacht hatten, das Mahl zu versalzen. Ein paar Kerle führten eben die Tragstühle mit den schreienden Weibsen beiseite. Doch sah er voller Freude, wie die Bonita gleich einem güldenen Fischlein aus dem Fenster schnellte und sich einem der Räuber in den roten Bart verkrallte. Und der Pieterken hatte schwer zu tun, sich der Mannen in rostigen Harnischen, die ihn angriffen, zu erwehren. Der Moncada sank eben, von einem Schwerthieb gestreift, rasselnd von dem Falben. Dem Löhndorff aber kullerte das Herze im Leibe, wie er den Pater Chrysostomus erblickte, der vorhin zurückgeblieben war, um sein Notdurft zu verrichten. Der saß jetzt gewaltig auf dem Rößlein, brüllte lustig mit starker Baßstimme und drosch den eichenen Schellallah jenen Schelmen auf Köpfe und Schul50
tern, daß sie nach allen Seiten taumelten. Drauf hieben die Reisigen auch nach Kräften drein, daß die Buschklepper sich flugs ins Wäldlein verdufteten. Sie ließen aber viere auf dem Heidekraut liegen, von denen zween sich nicht mehr rührten. Der Moncada rappelte sich auf und hinkte nach den Sänften hin. Die Bonita schlüpfte eben wieder hinein, nachdem sie sich der Gewalt des Rotbarts entzogen. Nunmehr begann die Trommel Pieterkens alle andern zurückzurufen, und es schloß sich alsdann ein Wall von Pferdeleibern, Eisenkleidern und Lederkollern um die zween sich verdutzt aufrichtenden Buschhähne. Es waren wilde Kerle und trutzig in ihrer Art, denn als der von Hutten ihnen verkündete, daß sie am Halse aufgeknüpft werden sollten, sagten sie kein Wörtlein, sondern lachten nur. Sie baten aber darauf, man sollten ihnen einen Trunk Braunbier kredenzen, so man welches hätte, und dann wollten sie gern Reu und Leid machen. Ihrem Verlangen wurde willfahrt, denn es waren noch etliche Fäßlein Bier da aus dem Kloster in Fulda. Daher soffen die Gefangenen guten Trunk, und sprach sie alsdann der Pater Chrysostomus allen bösen Tuns ledig. Worauf ihnen die Schlingen um die Hälse gelegt und sie auf Gäule gesetzt wurden. Auf zween Peitschenhiebe hin schossen die Rößlein zwischen ihren Beinen herfür und die armen Schelme tanzten etliche Augenblicke unter den Bäumen in der Luft, bis ihre Hälse lang wurden, die Zungen herauskamen und ihre Glieder schlaff herniederbaumelten. Hernach ritten sie weiter, und nachdem der Flensburger der Bonita Zusprache getan, verfügte er sich zu den übrigen Hauptleuten, die gerade dem irischen Pater groß Lob zollten. Und jener sagte, daß der so dreingeschlagen hätte wie Herr Waltari, der Held vom Wasgensteine, von dem männiglich weiß, wie er sich in alten Tagen ins Kloster zurückzog und 51
eines Mittags Räuber und Brandschätzer mit hölzernem Knüppel mutterseelenallein in die Flucht geprügelt hat. Unter solcherlei Gesprächen näherten sie sich in langsamen Tagmärschen dem Elbstrome, der sie wie ein wonniger Fisch in seinem Bette plätschernd empfing. Es waren Ewer und breite Schuten da, die sie übersetzten mit viel Geschrei und Gefluche. Sie sahen die Stadt Hamburg machtvoll vor sich liegen; ihre Türme, Wälle und Fleete. Und auch das Mastengewirr der Koggen und Hulke, die auf dem Strome schaukelten. Die Gewalt des Wassers aber setzte unversehens abwärts, so daß sie dran vorbeitrieben und trotz Geschreis der Ewerführer auf dem Brooke landen mußten. So kam es, daß sie den Fuß auf das grüne Gras setzten und am Richtplatz vorbeimußten. Vielen dünkte dies ein übles Zeichen! Doch als sie durch das Brooktor zogen, schlug der Pieterken die Trommel, ihre Schalmeienbläser und Sackpfeifer spielten lustig auf, und viel Volks stand da und begrüßte sie. Es waren auch etliche Ratsherren mit weißen Halskrausen da, die den Hauptleuten einen Willkommenstrunk aus silbernen Humpen boten. Hernach glotzte das Volk auf die Sänften, deren Vorhänge sich zurücktaten und die rabenschwarze Lockenpracht sowie das güldenschimmernde Haupt der Gloria und der Bonita enthüllten. Und die Kurrendeknaben sangen lieblich dazu.
Der T a n z i m Z ü n f t e h a u s z u H a m b u r g Die Hamburger gaben ihnen prächtige Losamente und boten auch den Knechten ein gut Dach über dem Haupte; sowie Fressen und Saufen zur Genüge. Anfangs erhob sich 52
zwar groß Murmelns voller übler Weissagung, da man über die Wiese, so der Brook genannt, allwo den armen Sündern die Köpfe verkürzt wurden, geschritten war. Aber der Senat und auch das Volk taten ihnen viel Liebes. Sie ließen ihnen köstliche Atzung bereiten, welche ihrem Magen guttat. Die aus Bayern, der von Hutten und die andern zogen zwar scheele Gesichter auf, als sie Aalsuppe mit Klüten und Speckscheiben, welche mit süßen Birnen und Pflaumen zusammengekocht waren, kriegten. Doch waren da noch viele Dinge, wie: gebratene Tauben, Fasanen und Hasen; auch Sauohren in Erbsmus, worin sie ihre Schnäbel sonder Grausen tunken konnten. Es geschah viel Gerenn und Gelauf über die Reeperbahn, wo Seile und Taue auf grüner Wiese gedreht wurden, zum Hafen hinab. Denn dort lagen die Schiffe, welche sie übers Meer tragen sollten. Es waren zween stattliche Hulke mit hohen Kastellen und drei Masten. Auch schauten auf jeder Seite acht Kartaunen gar drohend herfür. Und eine hübsche Kogge mit breitgebälktem Hinterschiff war dabei. Diese hieß die „Schwarze Kuh", während die Hulke „Wasserfey" und der „Rummelpott" benamst waren. Das Schiffsvolk war schon an Bord und tummelte sich in den Galerien und Gängen. Starke Hanseatenkapitäne mit viereckigen Bärten und etliche spanische Piloten, die der Kaiser gesandt, weil sie den Kurs weisen sollten ab Kap Finisterre, standen auf den Kastellen. Säcke voll Korn und Salz, Eisenstangen, Pulver und Stückkugeln wurden eingeladen. Auch gewaltige Käse, so rund wie Wagenräder, viele Tonnen Braunbier und gebrannte Goldwässerlein aus Danzig wurden herbeigeschleppt. Denn die Hamburger hatten Kreditbriefe vom Welser empfahen und taten als ehrliche Kaufleute ihr Bestes, die Schiffe mit allem, was not ist, zu versehen. Und rannte der junge Bar53
tholomäus Welser bald hiehin, bald dorthin; hatte alleweil Stift und Schreibtäfelein handlich, worauf er alles vermerkte und redlich zusammenaddierte, wie ein braver Superkargo es tun muß. So herrschte denn eitel Freude und Sonnenschein! Doch vernahm der Flensburger, als er unerkannt zwischen den Buden und Gewölben lustwandelte, daß ob ihrem Vorhaben männiglich Kopfschütteln herrschte und daß man den Kaiser einen listigen Fuchs schalt. Er kaufte, da er noch immer mit Goldgülden wohl versehen war, etliche Schmuckkettlein für die Bonita. Denn es war ihm gänzlich abhanden gekommen, daß er sie eigentlich zu Hamburg lassen wollt. Es sagte auch kein andrer ein Sterbenswörtlein, und war sie darum samt ihrer Schwester und dem Moncada, der die Hamburger nicht sonderlich liebte, an Bord gegangen, und hatten sie alle Losamente im Hinterkastell des „Rummelpott" bezogen. Der Moncada war bös mit den Hansen, weil sie seiner Liebsten und ihm ein gemeinsam Kämmerlein in der Stadt verweigerten. Denn es verstieße gegen die Zucht! Erst wollte er aufbrausen, doch bezähmte er sich und schnitt ein lachendes Gesicht, sagte auch, er wolle gern auf dem „Rummelpott" bleiben, sintemalen er mit etlichen Hamburger Herren Geschäfte hätte, so er in Freiheit und mit Ellbogenraum abzumachen gedenke. Deshalb käme ihm das Losament auf dem „Rummelpott" trefflich zupaß, denn dorten könne er gehen und kommen, wann es ihm beliebe. Keiner von den andern wußte, was der Moncada damit besagen wollte, und die Ratsherren zogen mit scheelen Lippen ab. Dem Flensburger aber hatte er verraten, daß er zu Hamburg gute Geschäfte machen konnte, unter den reichen Patriziersöhnen, welche er mit höllischem Zauber festmachen wollte gegen Kugel, Bolz und Schwert. Auch entlieh er zehn 54
Gülden von ihm, um, wie er meinte, die Zutaten für sein Werk zu kaufen. Denn, war er auch des Kaisers Bastardsohn, so hatte doch der Moncada nie einen Batzen im Säckel. Und glaubte männiglich grad deshalb, daß er des Kaisers Sprößling in Wahrheit sei. Weil auch jener nie Geld besaß, obwohl er große Kriege focht und Herr der Christenheit genannt ward! Es vergingen etliche Tage, während der die Hansen sie mit trefflichen Würsten, Schinken aus Westphalia, rotem Räucherlachs aus Bergen, gebratenen Gänsen und Doppelbier vollpfropften. Des Abends gab es Lustbarkeiten und stattlichen Umtrunk aus prächtigen Humpen, in die Nürnberger Kunst wunderlieb gefügte Gestalten ziseliert hatte. So Sankt Georgen, wie er dem Drachen seinen Spieß zwischen die Weichen rennt. Und trutzige Kriegsknechte mit Federbaretten. Auch liebliche Frauen, Städte und springende Hündlein. Alles das war rund um die silbernen Humpen zu sehen. Dem Löhndorff aber zeigte der Tellerbewahrer im Reventer ein artiges Krüglein, auf dessen Außenseite aus Silber getriebene heidnische Göttinnen in dürftiger Bekleidung wandelten. Aber der Brave verschloß das Gefäß alsbald, denn die Hamburger, als grade und ehrbare Kaufleute, liebten nicht solch leichtsinnig Werk. Nunmehr waren alle Vorbereitungen zu löblichem Abschluß gediehen, und der Senat gab ein großes Festmahl mit drauffolgendem Reigen im Zünftehaus. Den Moncada hatten sie auch geladen, wohl aber seine Liebste nicht. Er lachte darob und hielt den Ratsherren einen starken Beutel unter die Nasen, worin es vom Golde lustig klang. Und sagte er, daß er es ihren Söhnen abgenommen, worauf sie scheltend von dannen zogen. Sich aber doch nicht getrauten, etwas gegen ihn zu unternehmen, weil männiglich wußte, 55
daß er des Kaisers Brief und Siegel unterm Wams trug. Dem Hauptmann aber gab er seine Gülden zurück und wollte noch zwanzig dazu legen, was dieser aber nicht annahm. Da zwang er ihn im Scherz, ein winziges silbernes Küglein zu verschlucken, und als der's sonder Müh runterhatte, verkündete er triumphierend, daß er nun fest sei. Gegen gewöhnliche Kugel, Bolz oder Schwert! Nur Holz vom Ölbaum oder Silber vermöge ihm den Garaus zu machen. Und er lachte weiter, als er beschrieb, daß er den Zauber auf dem Kirchhof um Mitternacht vollbracht und die jungen Hamburger Söhne, welche der Mut kitzelte, sich an den Dänen zu versuchen, ihm großen Zulauf bescherten. Da sagte der andre, er solle mit dem erworbenen Gelde etzlichen Kram für seine Gloria erstehen. Denn die Reise sei lang und gewiß sonder Bequemlichkeit. Dies schwur er zu tun, denn er liebte die Gloria wahrhaftig. Und er versicherte jenem auch, daß die Kebse ihm nicht mehr gram sei, sondern voll Dank erfüllt wegen seines Tuns gegen ihr Schwesterlein. Und der freute sich darob! Freute sich auch, daß der von Hutten, seit er ihm erzählt, wie die drei Teufel das Hexlein aus dem Klosterturm befreiten, dem Spaniolen gar wohl gewogen ward. Der fragte listig schäkernd, ob er nicht selber ein Krämlein für die Bonita, die ihm sehr hold sei, kaufen wollt. Da wandte er sich ab, und jener lachte im Fortgehen, denn der Flensburger war über und über rot geworden. Nunmehr schritt er in die Gewölbe der Kaufleute und erstand ein blaues Frauengewand, eine weiße Haube, blaue Schnabelschühlein und ein Kettlein von blauen Steinen. Denn das war seine Lieblingsfarb. Ansonsten auch grün, doch schätzte er das Blaue noch mehr! Begann dann zu stammeln, und der Kaufmann holte sein Eheweib, die verstehend zu lächeln 56
anhub und noch allerlei geheime Frauendinge wie: zarte Hemdlein und Strümpfe einpackte. Sie sollten alles an die Jungfrau Eve Donnerbock, die auf dem Hulk „Rummelpott" wohne, senden. Er schritt dann hinaus und verwunderte sich ob seiner Tat. Es war unterdessen Abend geworden, und er mußte noch zu einem Vortrunk in den Reventer, wo der Senat die Anführer freihielt. Der Wein mundete ihm nicht hold, und deshalb spazierte er, die andern am Tische sitzen lassend, an den Wänden dahin, um die zur Schau gestellten Bilder zu betrachten. Da sahen der Kersten Miles und der Admiral Hoyer aus güldenen Rahmen auf ihn herab! Auch den Störtebeker sah er, wie er auf dem Brooke seinen Nacken dem rotgekleideten Henker bot. Und viel Hulke und Koggen; auch schwerbeladene Ewer waren in bunten Farben abkonterfeiet. Sowie ein Bildnis des Carolus Magnus, der Hamburg gegründet hat. Er sah weise und stark aus! Daneben hing ein Bildnis von einer Frauensperson mit nachtschwarzen Locken, stolzem Blick, kühner Nas, festem Mund und blauem Aug. Auf dem Haupte saß ihr ein Krönlein und vor ihr auf einem Tisch lagen: ein güldener Apfel, Zepter und ein scharfes Schwert. Unter ihr verweilte er lange, bis einer von den Zechenden rief: „Ho, Herr Hauptmann, habt Ihr Euer Herze verloren an jenes Weibsbild, das schon geraum tot ist und nur noch im Rahmen lebet?" Da erkannte er sie, denn er hatte ein ander Konterfei von ihr zu Flensburg gesehen! Und er setzte sich abseits an einen Tisch, wohin ihm der Küper den Trunk brachte. Seine Gedanken aber wanderten zurück in ferne Zeit, als sein Ahn gegen die Dänen zu Felde zog, die den Danebrog in deutsches Land tragen wollten. Und es hatte ihm sein Großvater selig versichert, daß die Dronning Margret ob ihrer 57
bösen Taten verdammt und nicht in den Himmel gekommen wäre. Allnächtlich müsse sie im Gefolge von Frau Holle und des wilden Jägers über die Geeste und Deiche reiten, mit „Hussah und Hoiho!" Er nahm einen Schluck, und es war ihm, als hörte er den Pieterken trommeln, weit draußen im Volksgewühl. Er schüttelte deshalb sein Traumgesicht ab und kehrte in die Wirklichkeit zurück. Hinter den bleigefaßten Scheiben des Reventer vernahm er dann auch die Trommel, mit welcher der treue Knecht durch die Straßen schob. Da erinnerte er sich, daß jener ihm gesagt, er wolle heute zum letzten Male die süße Trommel in deutschen Landen schlagen. Denn morgen ginge es ja zu Schiffe. Er lugte durch die Butzenscheiben und sah das Bild des Volkes verzerrt dahinter. Der Trommlerpiet war in einer Nebengasse entschwunden, aber etliche Rummelpötte, welche die Buben in Händen hielten, machten großes und seltsames Getöse. Es fragte deshalb der von Hutten, wes Lärmes das sei, und beschrieb ihm ein Ratsherr, der Miles hieß und ein Urenkel des Kersten war, was ein Rummelpott ist. Ein irden Töpflein, über das eine Schweinsblas prall gespannt ist, mit einem Loch in der Mitten, woraus ein hölzernes Stäblein ragt. Quirlt man dieses artig hin und her, so fängt der Topf an zu dröhnen und bullern. Und je größer das Gefäß, desto mächtiger der Lärm! Also ist der Rummelpott gestaltet! — Und ihr Schiff hieß so, weil der Wind des Westermeeres, als es von der Helling gelaufen war und gen die Kontore der Hansen nach Bergen fuhr, lustig um die Taue und Wanten gebrummt hatte! Draußen war's stockdunkel geworden, und sie standen auf, um sich zum Schmause und Tanz ins Zünftehaus zu 58
begeben. Stadtknechte mit lodernden Fackeln geleiteten sie durch das Gewühl des Vivat schreienden Volkes über die Gasse. Über den Dächern lag eine sanfte Rauchschicht, die den Essen entströmte. Die Luft roch nach Fischen, Teer und Pfannkuchen. Und als er mit den andern eben einschreiten wollte in den Saal des Zunfthauses, da hielt einer den Flensburger am Ärmel zurück. Auch der Pieterken war plötzlich da, und so überragten die zween alle Leute um gut Haupteslänge. Es erhob sich ein Flüstern, während von drinnen das Geklapper der Schüsseln und Humpen erklang. Da erkannte er in dem, der ihn am Ärmel erfaßt, den Hinrich Dankwartsen, einen braven Kaufmann aus der Stadt Flensburg. Er erschrak, denn ihm schwante üble Kunde. Der Dankwartsen sprach, und alles Volk sperrte Nas, Maul und Ohren auf, um zu lauschen. „Der Flensburger Rat hat Euch friedlos gemacht, trotz Eurer Verdienste, Herr Hauptmann!" Der schüttelte die fremde Hand ab. „Um der Domina willen, der ich den Bruder erschlug!" stieß er heraus und reckte sich noch höher, denn was er getan, war wohlgetan, wenn auch im trunkenen Zwist! Das feine schlanke Brüderlein war ein Tunichtgut gewesen und hatte Hochverrat an der Stadt verübt! Der Dankwartsen redete weiter, und das Volk lauschte mäuschenstill. „Der Rat hat Euch ausschreien lassen und läßt Euch suchen, überall. Auch nach Hamburg ist heut die Kund gekommen! Ihr sollt Euer Amt wieder antreten und tausend Gulden Entschädigung empfahen für die erlittene Unbill!" Der Pieterken tat einen lauten Schnaufer, und einer aus der Menge rief: „Dusend Gülden! Gottvadori!" Und da keuchte der Löhndorff: „Die Domina?" Der Dankwartsen 59
legte wieder die Hand auf seinen Arm und sagte leise: „Die hat Euch Schand gemacht. Ist eine wilde Dirne geworden!" Laut schrie er auf und packte den Mann an der Gurgel, indes etliche Weibsen kreischten. Der entwand sich, und da sanken des andern Finger kraftlos herab. „Sie ist mit einem Dänen davongegangen und hinterließ ein Schreiben, worin sie Euch einen blöden Teufel heißet, der Fischblut in den Adern habe. Auch schalt sie gar arg auf Rat und Stadt dazu." Er starrte den Dankwartsen an, und der Pieterken seufzte, als wüßt er seines Herrn Gedanken. Dieser brüllte nun heraus: „Übers Meer wollt ich fahren, um dereinst wiederzukommen und in Frieden zu leben. Übers Meer will ich jetzo fahren, um wilde Taten zu verüben und nie zurückzukehren. Was soll ich hier, nun, da mein Herze zerbrochen und mein Seel zu einem Eiszapfen worden ist?" So schrie er sonder Scham, daß alle es hörten, riß sich dann los und taumelte in den Saal. Voll Freude sah er, daß der Pater Chrysostomus einen Sitz für ihn freigehalten hatte, und ließ sich drauffallen. Riß einem Aufwärter den Humpen aus der Hand und soff, bis ihm der Odem wegblieb. Brach dann in ein gellendes Lachen aus und zerraufte sich den Bart. Es merkte aber niemand auf, denn männiglich war beschäftigt, sich Bauch und Blase zu füllen. Nur der treffliche Pater lugte und ließ ihm keine Ruh, bis er ihm alles, so gut er's vermochte, berichtet hatte. Da hub der brave Pfaffe an, ihn zu trösten und ihm liebreich zuzusprechen. Es war ihm aber bitter weh! Verzweifelt kippte er vier Kannen Weines, jede zu zween Maß, die Gurgel hinab. Drauf ward er ruhig, vermochte auch das Getümmel um sich zu schauen und sah, daß der gedielte Fußboden des Saales, in dem sie rings 60
auf Erhöhungen saßen, mit geschabtem Speckstein bestreut war. Dies geschah für den späteren Reigen, damit man lustig schweben und gleiten konnte! Vorerst aber ward gezecht und gespeist. Hernach räumten die Aufwärter Teller und Brotfladen weg, stellten aber Krüglein voll süßen Welschweines, Nüsse und allerlei Gebäck hin. Denn nunmehr waren die Senatorgesponsen, die Patrizierfrauen und deren Töchter gekommen. Es waren bleiche und breite Gesichter dabei, aber auch solche von wunderbarer Schönheit; mit feurigen Blicken. Den Leib hatten sie prächtig behängt mit Sammet und Seide, trugen hohe Hauben, von denen duftige Schleierlein ihnen bis über den Hintern flatterten. Und es glitzerten ihre Kettlein, Ringe und Geschmeide im Kerzenschein. Da erhub sich ein Kratzen und Scharren unter den Männern, und alle standen auf, um mit Bücklingen und Barettschwenken den Holden ihren Gruß zu bieten. Die Musikanten stimmten die Instrumente, und dann legten sie los, um ein lustiges Stücklein zu spielen. Es waren der Fiedler dreie, welche emsig mit dem Bogen auf und nieder sägten. Auch zween Schalmeienkünstler, die ihre Backen wie Chorengelein aufbliesen. Und der Brummbaß. Alsbald begann ein zierlich Tanzen. Und des Flensburgers Freunde und Herren legten, obwohl sie trefflich gezecht und viel Wein im Leibe hatten, Ehre ein bei den Hamburger Frauen. Das merkte man an deren lächelnder Miene. Auch schmunzelten die Eheherren weidlich, denn es tat ihnen wohl, der süßen Last der Gesponsin, die recht oft bitter werden kann, für eine Weil enthoben zu sein! Der von Hutten tat es am besten von allen! Gar zierlich umschwenzelte er seine Dame, machte überaus kunstvolle Bücklinge, umhüpfte sie und tat wunderbare Sprünge mit 61
gespreizten Beinen in der Luft, daß sich ein Jubeln und Beifallsgeklatsche um ihn erhub. Und man sah den jungen Welser sich gar inniglich mit einem süßen Mägdlein drehen. Der Federmann aber saß ernst am Tisch und erzählte einem Senator von seinen Zügen jenseits der Alpen. Chrysostomus tanzte auch nicht, weil er als geistlicher Herr nicht durfte. Jedoch merkte man ihm an, daß er es gerne getan hätte. Und es tanzten die Fähnleinführer, und sogar die Obern der sächsischen Bergleute, welche nach einigem Erwägen eingeladen waren, hüpften mit derben Bäckers- und Metzgersfrauen im Saale herum. Da stieß der Pater den Grübelnden an und meinte, er solle sich Gram und Leid aus den Poren schwitzen. Er erhob sich auch, weil jener ihm keine Ruhe ließ, und schritt spähend an den Tischen dahin, um eine Partnerin zu erkiesen. In der Ecke saß ein junges zierliches Weib mit roten Bäcklein und Blauveigeleinblicken. Sie trug eine Haube, an der er ersah, daß sie eine Wittib sein mußte. Diese schien ihm lieblich! Darob ging er hin, schwenkte sein Barett, brachte einen passablen Kratzfuß zuwege, und sie lächelte gar holdselig, erhob sich auch und nahm seinen Arm. Grad schrillten die Fiedler und brummelte der Baß einen Rundtanz. Paarweise zogen Männlein und Weiblein um den Saal, trennten sich auf ein Zeichen des Tanzmeisters, um am andern Ende mit etlichen Sprüngen wieder zusammenzukommen. Hernach drehte sich alles selbander. Der Wein war ihm wunderlich zu Kopfe gestiegen, und er empfand wilde ruchlose Fröhlichkeit in sich. Er scharmuzierte und drückte darob die Wittib mehr als schicklich, und ihre Augen wurden schwimmend vor bacchantischer Wolllust. Sie flüsterte ihm auch viele Worte zu, auf die er anfangs nicht lauschte, denn es war viel Lärms und Lachen 62
überall. Auch waren die Paare dicht zusammengedrängt. Er hörte dann aber doch zu und erschrak ob der Schamlosigkeit des Weibleins! Denn sie sagte ihm, daß sie eine mannbare Wittib war und klingende Gülden im Kasten, wie auch ein schönes Haus hinter der Rolandbrücke besäße. Er wäre ein stattlicher Kerl mit strammem Hosenlatz und stünde ihrem Bette wohl an! Ihm graute vor solch schamloser Verruchtheit, und er sagte ihr, sie könne Gott preisen, daß er sie nicht ausschreie. Denn dann müßte sie wohl am Pranger stehen! Sie warf ihm einen bitterbösen Blick zu, entschlüpfte seinem Griff und tat sich einem Fähnleinführer anbieten. Weshalb er zurückging und einen fünften Humpen leerte. Denn er war wieder traurig geworden, weil er der Kunde gedachte, die ihm der Dankwartsen gebracht hatte. Auch kreuzten sich wunderliche Pläne in seinem Hirn. Sonderbarerweise konnte er der Domina gar nicht mehr so recht gedenken, fühlte nur Zorn und Verachtung. Wohl aber spukte ihm das Hexlein von Fulda, das jetzo sicher und trocken im Losament auf dem „Rummelpott" saß, im Kopf herum. Er beschloß daher auch, sich ihrer mehr anzunehmen. Wie aber, das wußte er jetzo noch nicht! Langsam ging der Tanz zur Neige. Fackelträger und Geharnischte schritten ihnen zur Seite, die vom Senat begleitet wurden. Das Tor war geöffnet, denn sie wollten sich gleich zu Schiffe begeben, weil nach Mitternacht mit der Flut die Anker gelichtet werden sollten. Und es war hoch an der Zeit! Also wandelten sie über den kühlen Grund und setzten sich dann in die Boote. Alles war schon am Tage vorher zu Schiff gebracht worden. Ihre Gäule, die Bergleute, Waffen und Gerät; auch zween Feldschlangen, die ihnen auf des Kaisers Geheiß für den Landkrieg ausgehändigt wurden. 63
Langsam erstieg der Flensburger die Leiter, welche über den dicken Bauch des Hulks herniederhing. Warf noch einen Blick ans Ufer und sah die Ratsherren mit ihren Fackeln gleich leuchtenden Pünktlein der Stadt zuziehen. Dann begab er sich in die Kammer, wo er sich aufs Bette warf. Er stand auch nicht auf, als das Geschrei der Schiffsknechte erschallte, Getrampel ob seinem Haupte erdröhnte und der „Rummelpott" sich langsam die Elbe abwärts in Bewegung setzte. Denn er war traurig, weil er wußte, was er verloren hatte und nicht ahnen konnte, was ihm bevorstand. Also entschlief er.
Was sich auf dem M e e r e z u g e t r a g e n Heller Sonnenschein lachte über dem Strom, als der Jan Detlef aufstand und sich am Kastell erging. Scheckige Kühlein standen auf den Wiesen, wo die Kirschenbäume blühten wie eitel Schnee. Und es zog ein Duft über das Wasser hin, wo die drei Schiffe im Abstand einander folgten, daß er darob froh ward. Kleine Wölklein, wie Schnucken anzuschauen, hingen am blauen Himmelsgezelt. Da blickte er nach allen Seiten und bannte, was er erschaute, in Herze und Hirn. Denn wohl wußt er, daß für lange Zeiten das schöne deutsche Land seinem Aug entschwinden würde, wenn sie das Meer erreichten. Auf dem „Rummelpott" herrschte noch arges Gedränge und Unruhe. Die Schiffsleute rannten hin und her, lugten nach den breiten Segeln und taten auch wohl eines weg und wieder hinan. Stark und sicher aber schritt der Hansekapitän auf und ab. Mählich kamen die andern Herren nach oben gegangen. 64
Und es befanden sich auf dem „Rummelpott" der von Hutten, wie auch der Pater. Der Spanier mit den zween Mägdlein, sowie reisige Knechte und etliche Rotten der Sachsen. Der Pieterken saß auf dem Vorderkastell und schlug die Trommel in seltsamer Weise, wie man noch nie zuvor vernommen. Auf der „Wasserfey" aber, die ihnen folgte, war der Welser mit andern tapfern Kriegsleuten, welche ihm von Augsburg nachgezogen. Der Federmann befand sich auf der „Schwarzen Kuh", und der Löhndorff erspähte ihn im eifrigen Gespräch mit dem Hanseführer. Drauf gesellte sich der Moncada zu ihm und erzählte, daß er den Patriziersöhnlein groß Geldes abgenommen und dafür ein seidenes Zelt für die Weibsen, das man bei gut Wetter am Kastell aufschlagen konnt, erstanden habe. Auch ein artig Mohrenknäblein zu ihrer Bedienung! Den Heiden hätte er billig bekommen von einem Ratsherrn, der zum Wittiber geworden und keine Verwendung mehr dafür fand. — Da sagte er dem Spanier, daß er recht getan. Und er merkt voller Freude, daß jener sein früheres wüstes Getue ein wenig abgelegt und jetzo gesetzt wie auch ehrbar aussah. Darob verwunderte er sich, was die Lieb an jenem getan. Und die Gloria war doch nur eine Dirne! So fuhren sie ins Westermeer hinaus, und als die Sandküste hinter diesigem Schimmer versunken war, schlug der Pieterken die Trommel so derbe, daß es wie Donner übers Wasser grollte. Da kamen die Mägdlein nach oben und taten sich um. Das Mohrenknäblein, das einem kaum bis ans Wehrgehenk reichte, trug ihnen die Schleppen. Die Gloria sah kühn und stolz aus. Ob der süßen Schönheit des Hexleins aber verwundert sich männiglich. Es standen die sturen Schiffskerle ob des lieblichen Anblicks mit offenen Mäulern herum! Die Herren aber genehmigten sich einen fröh65
lichen Umtrunk und stießen auf Frau Fortüne an, damit sie ihnen hold und gewogen bleibe. Ob des Schaukelns wurde dem von Hutten ein weniges übel, denn er war noch nie zu Schiff gewesen. Auch die Weibsen verloren sachte die prangenden Röslein, welche ihnen auf den Wangen blüheten. Drauf sagte der Kapitän, sie sollten ein gutes Danziger Goldwasser schlucken, das sei heilsam und wärme den Magen. Unter solchem Getue zog der Abend auf, und es glänzte das Westermeer grün, indes der Himmel gülden überlasiert ward. Da erschraken die reisigen Knechte aus Augsburg schier ob solcher Pracht. Lustig aber brummelten die gespannten Taue wie Seile im Winde, und die Segel blähten sich. Hernach sah man die ragende Insel Helgoland auf dem Meere liegen, und der Anblick war wunderbar schön. Der Löhndorff dachte, daß wohl mächtige Götter und Riesen das blutrote Gestein ins grüne Gewässer geschmissen und zur herrlichen Trutzburg getürmt hatten! Der weiße, stiebende Schaum aber lag wie ein blitzend Geschmeid davor. Hernach stiegen alle hinab ins Kastell, pflogen der Atzung und gingen in die Losamente. Das seine war ein Kämmerlein und besaß auch ein Fensterlein, welches aus dem Hintergebälk aufs wirbelnde Kielwasser wies. Unten sah er der Sterne Bildnis sich lustig im Wogengewühl spiegeln. Neben der seinen, auf der gleichen Galerie, war die große Kammer, welche die zween Weibsen mit dem Möhrlein teilten. Daran stieß des Moncadas Gemach. Der von Hutten, der Pater und die Piloten wohnten jedoch auf der andern Seite. Sacht schlug er Feuer, rauchte ein Pfeiflein Tobak und schlief alsdann guten Mutes und sonder Beschwerde ein. Und es wußte am andern Tage schon jeder, wohin er gehörte, so daß Ordnung auf dem „Rummelpott" herrschte. 66
Es entspannen sich Freundschaften, aber auch Fehden, wie immer, wo viele Menschen zu Hauf hausen. Schon lag Engelland wie ein brodelnder Wolkenklumpen auf dem Wasser, das tiefgrün geworden und salzigen Ruch ausströmte, wodurch männiglich gewaltigen Hunger verspürte. Der Lugaus hatte vor 'ner Weil ausgesungen, daß zween Hulke auf sie zuhielten, und deshalb signalisierte der Kapitän flugs mit denen von der „Wasserfey" und der „Schwarzen Kuh", welche immer dem Kielstreif folgten. Es wurden die Stückpforten aufgeklappt, daß die Kartaunen ihre bronzenen Schlünder in den Wind schoben. Auch wurde gepfiffen, getrommelt und die Mannen stellten sich an ihre Posten, nachdem sie Beile und Piken empfahen. Die Geschützmeister spuckten in die Hände und sorgten, daß hölzerne Bütten mit Essigwasser zum Reinigen der Feuerschlünde, sowie die Wischer bereit waren. Etliche aber stiegen ins Want hinauf, um die Segel zu benetzen, damit Brandkugeln und Pechkränz sie nicht in Flammen aufgehen lassen konnten. Die „Wasserfey" und die „Schwarze Kuh" stellten die Steuer seitwärts, daß sie den „Rummelpott" einholten; worauf alle drei Schiffe in einer Reihe den Fremden entgegenfuhren. Von den Masten wehte die Hamburger Flagge, wie auch das Banner der Welser. Drauf zogen die drüben buntes Getuche auf, und sah man, daß es der Danebrog war. Wiederum spuckten die Rohrmeister in ihre Schwielenhände, denn sie freuten sich des lustigen Straußes, weil die Hamburger den Dänen spinnefeind waren. Es mußten diese aber dumme Kerle sein, denn es waren drei gegen zween Schiffe der ihren. Johannes Holk, der Kapitän, sagte jedoch, daß sie nicht wissen konnten, daß man viele gewappnete Leut besäße, sondern es mit hansischen Kreuzfahrern zu tun haben glaubte, die Wolle zu holen gen Engelland führen. Unterdessen kam 67
man nah aneinander, und die Dänen gaben etliche Breitseiten ab, die über die Köpfe der Hanseaten pfiffen. Pieterken hub an zu trommeln wie damals, als die Flensburger den Danskes ihre Eisenhauben zerhieben. Und alle Mannen lachten gar lustig. Jetzo aber traf der Feind besser, seine Stückkugeln schlugen in das Gebälk, rissen große Splitter heraus, welche etlichen Hamburgern in die Leiber fuhren und sie grausam verletzten. Der Pater Chrysostomus hub an, sie mit Heilsalben und Linnen zu verbinden. Die Donnerrohre brüllten los, und es zitterte der „Rummelpott", während der Dampf alles umhüllte. Man sah nun Gestalten huschen im gelben Zwielicht, hörte auch Stöhnen, Gefluche und Geläster. Als sich die Pulverwolken verzogen, erblickte man den einen Dänen, ob des heißen Empfanges erstaunt und entsetzt, mit vollem Winde von dannen brausen. Der von Hutten ließ der „Wasserfey" und der „Schwarzen Kuh" durch Wimpel sagen, sie sollten ihn fliehen lassen. Sie segelten alsdann sänftiglich auf den andern Dänen los, der mit zerbrochenen Masten und weggerissenem Steuer wie ein waidwundes Wild auf dem grünen Wasser schwalkte. Sie fuhren schier im Kreis darum herum, gaben ihm bald diese, bald jene Breitseite und die zween andern Schiffe taten desgleichen. Doch wehrten sich die Feinde tapfer und taten ihnen manchen Schaden, weshalb der von Hutten befahl, man sollte ein End machen. Da wurden die Grappelhaken fertig gemacht, der „Rummelpott" hielt auf den aus Rauch und Feuer ragenden Dänen zu, tat dann einen kühnen Schwung, und wie er an dessen Seite entlang wischte, flogen die Grappelhaken krachend in sein Holz und die Schiffe waren fest miteinander verbunden! Da nahm der Hauptmann aus Flensburg den Flamberg in beide Hände und schwang sich den Knechten nach, die schon 68
brüllend über das Deck und in die Galerien des andern trampelten. Ein Kerl, der ein Gesicht wie ein Teufel hatte, so sehr war er mit Pulverschleim und Dreck beschmiert, wollte ihm mit blutigem Beil zuleibe, doch pfiff der Flamberg und nahm ihm das Haupt glatt von den Schultern, daß es über die Reling ins Meer flog. Darob entsetzten sich etliche andere, die ihn umzingelt hatten, schmissen ihr Gewaffen hin und baten um Pardon. Den gewährte er ihnen. Des Mordens und Schlagens war nun Genüge getan; alle Dänen ergaben sich auf Gnade oder Ungnade. Es sprang auch der von Hutten dazwischen, als seine erbosten Knechte die Kerle insgesamt abtun wollten. Drauf beschaute man das erbeutete Hulk, das arg zerschossen, mit Blut bespritzt war und auch Wasser im Raume zog, wie ein Sieb. Sie fanden nur etliche Käslaibe, Korn und stinkende Häute. Auch machten sie sechzig Gefangene. Die andern, und mit ihnen ihre Anführer, waren gefallen. Es erhub sich ein gewaltig Gelächter unter den Hamburgern, als zween Mannen Smuttje, den Schiffskoch der Dänen, anbrachten. Sie hatten Handspaken unter ihn gesteckt und rollten ihn so durch Leichen und Graus über die Planken, allwo die Hauptleute standen. Sie erzählten bei lauter Fröhlichkeit, daß sie ihn in der Kombüse sitzen gefunden und er ihnen zu Füßen fiel, um Pardon zu erbitten. Drauf konnt er nicht mehr auf die Beine kommen, denn der Kerl war so unmenschlich dick und schwer, auch hilflos und unbeholfen wie ein gemästetes Preisschwein! Mit Müh und Not hatten sie ihn mittels der Spaken herbeigerollt. Jetzo stemmten sie ihm diese von neuem unter, zween andre Knecht halfen an jedem Arm ziehen und endlich stand der Kerl aufrecht. Er war so lustig aber auch grausig anzusehen, daß es allen die Sprache verschlug. Denn er war dick wie 69
Lollus, alles war Fett und Fleisch und hing und quabbelte an ihm. Seine Äuglein, die in Wülsten ruhten, vermochte man kaum erkennen, und um seinen Hals hatte der lebende Speck vier stattliche Ringe gezogen. Nur seine Händlein waren zierlich und rosig, wie bei einem Frauenzimmer. Er schnaufte wie ein Walfisch oder Sprützkopp und fing an, auf die Sieger zu lästern und zu schimpfen. Einer der Dänen aber, welcher abseit stand, sagte in gutem Hamburgisch, sie möchten den Kerl metzgen und ins Meer schmeißen, da er sie alle arm und an den Tod gebracht. Denn als der Anführer und Kapitän von Kugeln gefallen, hätte jener Dicke das Schiffsvolk zum Ausharren gestachelt, weil er meinte, in den hansischen Hulken wären gutes Braunbier wie auch Würste und Schinken zu finden. Männiglich ergötzte sich darob und traten drauf zu Rat. Es wurde viel hin und her geredet, die „Schwarze Kuh" und die „Wasserfey" schaukelten etliche Schiffslängen entfernt und die Knechte schlugen mit Axthieben die Grappelhaken aus des Dänen Kastell, weil dieser beträchtlich gesackt und man schon das Wasser im Raum kluckern hörte. Da sagte Johannes Holk, der Kapitän vom „Rummelpott", daß man die Gefangenen henken oder sie über eine Planke ins Meer zum Ersaufen stoßen solle. Denn es wären windige Schelme, die einen arglistig überfallen hätten. Der von Hutten, der Pater und der Flensburger waren aber dagegen. Doch drängte die Zeit, denn das Hulk bewegte sich schwerfällig unter ihren Füßen, weil es wohl nahe am Absacken stand. Gefangene vermochten sie keine zu gebrauchen. Es tat also der von Hutten jenen kund, sie möchten sich selber helfen, da er seine Seele mitnichten mit ihrem Blut beschweren wollte. Nunmehr geschah hastig Getümmel. Die Dänen schmissen Gebälk, Spieren, auch Lukendeckel und zusammengebundene 70
Bretter über die Seite, sprangen wie Fischlein nach und hingen sich dran, setzten sich rittlings drauf oder knüpften sich fest. Ihre Boote waren nämlich alle zu Kleinholz zerschossen! So paddelten sie mit Arm und Fuß, um dem Strudel des sinkenden Schiffes zu entgehen. Etliche, denen der Kamm wieder geschwollen, drohten und schalten. Da schoß dem ärgsten Schreier ein Arkebusier einen Bolzen ins Hirn, daß der Kerl in den Wellen verschwand. Flugs wurden die andern ruhig und baten um gut Wetter. Das ihnen auch gewährt ward! Die Hansen und Bayern aber taten sich einen guten Spaß mit dem dicken Koch, welcher allein zurückgeblieben war, weil er vor eigner Schwere kaum zu gehen vermochte. Sie zimmerten in Eile ein Floß zusammen; aus Rudern, Brettern und Bälklein. Das ließen sie zu Wasser. Und es war eine gewaltige Tonne drauf befestigt, die keinen Boden mehr besaß. Nunmehr ward der Dicke unter lautem Zetergeschrei an Stricken, die sechs Männer hielten, fein säuberlich hinab und in die Tonne gelassen, worin er eingezwängt bis zu einer Handbreite über dem Nabel saß. Das schwimmende Gerüst versackte zwar ein weniges, aber die Tonne schwankte stolz auf und nieder. Der Dicke war vor Wut und Angst bläulich im Gesicht geworden. Sie gaben ihm noch einen großen Kochlöffel in die Hand, hängten um sein Faß ein Kränzlein, welches aus auf Schiemannsgarn aufgereihten Kässtücken bestand, und ließen ihn fahren. Hurtig liefen nun alle auf den „Rummelpott" hinüber, denn das zerschossene Hulk begann zu sinken. Es fuhr auch im Hui auf den Meeresgrund hinab! Eine schöne Blase, wie ein grünes Auge, wölbte sich aus dem Wasser und zerplatzte. Die auf den Schiffen aber standen in den Galerien wie auf der Reling und lachten schier Tränen. Denn die See war bedeckt mit Trümmern und Gebälk, worauf die 71
Dänen ritten. Alle winkten sie und erhuben großes Gelächter. In ihrer Mitte saß, im erhöhten Fassesthron eingezwängt, der dicke Koch und drohte mit dem Löffel. Er schimpfte auch, bis er nicht mehr konnte. Da schmiß er den Löffel weg, griff am Fasse, welches seine Hüften umklammerte, hinab und zog das Käskränzlein herauf. Ruhig und bedächtig begann er zu essen. Jetzo flogen die Schiffe wiederum mit gutem Wind gen Westen, und es tauchte gar bald die steile Küste Engellands mit schneeweißem Kreidegestein und grünen Triften aus dem Gewölk. Aus einer Bucht schoß ein kartaunengespicktes Hulk hervor und verlegte ihnen den Kurs. Der Johannes Holk aber beruhigte alle, indem er sagte, daß die Hansen zur Zeit mit den Engelländern Verträge hätten. Sie ließen daher den Wind aus den Segeln prallen und warteten auf das Boot, das der Fremde ausgesetzt hatte. Bärtige blauäugige Leute in Pluderhosen, Schnallenschuhen, die güldene Ringlein in den Ohren baumeln hatten, erstiegen das Kastell und begannen zu sprechen. Der Johannes Holk und der Flensburger verdolmetschten dem von Hutten die Rede der Inselleute. Diese wunderten sich baß, daß der Welser aus Augsburg eine Kolonia im Heidenland erhalten habe und wünschten treuherzig Glück. Ihr Anführer aber wechselte giftige Blicke mit dem Moncada, denn Engelländer und Spaniolen sind einander nicht grün! Man bewirtete jene mit allerlei Getränk, und nachher verließen sie den „Rummelpott". Sie warnten, man sollte gut Auslug halten nach französischen Korsaren, und falls man mit diesen ins Handgemenge käme, ihnen tüchtig Pulver und Stückkugeln zu schlucken geben. Und es vergingen der Tage und Nächte viele. Sturm und güldener Sonnenschein wechselten ab. Gern aber saß der 72
Löhndorff des Nachts auf seinem Lager, rauchte Pfeife und schaute aus dem Fensterlein auf den kochenden Gischt, der sich wie eine Schlittenbahn nachzog. In der Ferne sah er die Lichtlein der andern Schiffe auf und ab hüpfen. Er lauschte auch dem Gespräch, daß die Mägdlein im Nachbargemach pflogen, doch konnte er die Worte nicht verstehen, weil die Holzwand zu dick war. Wenn die Bonita allein weilte, vernahm er sie oft stöhnen und schluchzen, was ihn baß wundernahm. Der Moncada hatte ihn zwar schon oft ausgescholten, er sei ein Tölpel, welcher blind wäre. Doch wenn er das Hexlein betrachtete und ihm ein leises Rühren ob ihrer Schönheit ins Herze stieg, da schaute sie stets weg. Sie redete auch kein Sterbenswörtlein mit ihm. Der Spaniol sagte, dies wär Weiberart, so sie jemand arg lieb hätten, und auch die Gloria tat viel Kopfnicken zu dieser Aussage. Aber der Einsame verstand sie nicht! Oft besuchte er den Pater in seinem Losament. Der hatte noch zu tun mit den Verwundeten, wovon ihm viere unter den Fingern gestorben waren, doch fand er Zeit, die Begebnisse aufzuzeichnen. Da schaute der Flensburger oft zu. Und es war die Geschichte von den schwimmenden Dänen, wie auch dem Smuttje im Fasse spaßhaft zu lesen und zu sehen. Denn der kluge Pater hatte in seinem Kloster die Kunst des Kolorierens erlernt und malte daher viele artige Bildlein mit Schaumgold, blauer und roter Farbe in die Chronika. Da sah man das Gastmahl zu Fulda und den Abt mit Weihwasser und Wedel um den Hexenturm schreiten. Auch den Tanz zu Hamburg. Dann die Schiffe vor Helgoland. Und viele seltsame Fische und Meeresungeheuer malte er zur Kurzweil zwischen die schwarzen, krausen Buchstaben. So kamen sie in die Biscaya, wo das Meer so toll wogt, daß 73
vielen schmachvoll übel ward und sie dachten, der Magen würde ihnen zur Gurgel herausgepreßt. Anhier traten die spanischen Piloten ihr Amt an. Es war aber kaum wieder ruhiges Wetter, als ein gewaltiges Schiff gesichtet wurde. Die Piloten lugten lang hin und taten endlich kund, es wäre ein Mohrenkaper aus der Berberei, welcher sich zum Mittelmeer hinaus verirrte. Und sollte man ihn berennen, denn es sei Ehre vor Gott und Menschen damit einzulegen. Der Pieterken trommelte, und die Pfeifen bliesen zum Gefecht. Der Mohr versuchte erst zu entkommen, weil aber der Wind gegen ihn schralte, wendete er und wies die Zähne. Kriegerisches Geschrei ertönte, Zinken und Pauken lärmten und brüllende Mohren mit Turbanen und krummen Schwertern hüpften drüben auf den Decken herum, als der Kampf anhub. Hin und her fuhren der „Rummelpott", die „Wasserfey" und auch die „Schwarze Kuh". Jedesmal gaben sie Breitseiten ab, daß bald Himmel, Luft und Wasser ein einziges qualmiges Gewölk ward. Die Korsaren wehrten sich wie Teufel, und daher dauerte das Schießen viele Stunden, bis man endlich merkte, daß die drüben gar nicht mehr antworteten, keine Seele mehr zu sehen war und alles still blieb. Da lavierten sie an das Schiff an, das einem zerhauenen, durchlöcherten Sarge glich. Die Toten lagen zu Hauf. Die Knechte fanden aber noch etliche Mohren, die sich verborgen hatten. Und sie ließen sie die Schärfe des Schwertes schmekken, daß ihre Seelen denen ihrer Brüder in die feurige Hölle nacheilten. Auf einmal erhub sich großes Geschrei, als zween Mohrenweibsen, welche sich hinter Fässern versteckt hatten, aufgescheucht wurden. Sie waren gar kostbar gekleidet! Trugen rote Schnabelschühlein, rote wallende Schleierhosen, güldene Gürtel und schneeige Hemdlein unter blauen Jäck74
lein. Auf Fingern wie Armen, im Ohr und Haaren, sowie auch an den Füßen, hing ihnen allerlei silbernes und gleißendes Geschmeid. Ihre Hände hatten sie innen mit Henna rot gefärbt. Da wollten die Kriegsknechte sich an ihnen gütlich tun, rissen ihnen auch schon die glitzernden Kettlein vom Busen, doch entkamen die Weibsen und sprangen schreiend ins Wasser. Wo sie auch wie Steine hinabgesunken sind! Allerlei Schätze wurden als Beute geborgen. Spezereien, schöne damaszierte Dolche und Krummsäbel, wie auch schneeige Reiheragraffen. Dazu Korn und getrocknete Fische in Fülle. Der Flensburger stieg hinab in der Anführer Gemach und schleppte ein halb Dutzend mohrischer Teppiche, deren Grundfarbe schön blau war, in sein Losament. Entlieh sich drauf Hammer und Nägel von den Zimmerleuten und schlug seine Kammer mit den Teppichen aus, so daß sie prächtig und wonnesam wie eine Meeresgrott anzusehen war. Hernach waren sie viele Wochen unterwegs. Das Wetter ward immer milder, und es blies ein guter Wind dazu, daß ihre Schiffsleute kein Segel zu rücken brauchten. Etlichemal kamen ihnen die zween andern Schiffe außer Gesicht, doch fanden sie sich wieder und wieder zusammen. Einmal überfiel sie sieben Tage lang Windstille. Das Meer hatte die Farbe von Veigelein, war ganz glatt wie ein Teich dabei, und man konnte die Hundsfische mit ihren fünfreihigen Zahngebissen in der Tiefe dräuen sehen. Viel Möwenvolk tummelte sich in der Höhe. Auch erspähten sie eine Schildkrotten auf dem Wasser schlafen, die war so groß wie der runde Tisch in des von Hutten Losament! Der Federmann und der Welser ruderten im Nachen zum „Rummelpott", und tat man dann selbander lustigen Umtrunk. Sie schauten auch auf die Karten und rieten, wie 75
lang sie wohl noch fahren müßten. Es erhob sich aber eines Tages ein machtvolles Jammern und Klagen unter den Schiffsknechten. Sie schauten gar wild und verwirrt nach allen Seiten und schrien ohn Unterlaß, man sollte das Steuer herumlegen und nach Haus fahren. Nun war seit einiger Zeit das Braunbier versiegt, und auch die Ochsen und Hammel hatte man geschlachtet. Es gab zwar für die Schiffsleut noch weidliche Atzung, aber diese war einfacher geworden. Deshalb fragte der von Hutten jetzo fürsichtig, warum man umdrehen sollte. Trat drauf einer vor, welcher Hinnerk hieß und ein rotes Vollmondgesicht besaß, und fing an, daß man dem Verderben zusegelte. Denn wahrhaftig, der Teer beginne schon aus den Nähten der Planken zu kochen, und wenn sie noch weiter segelten, so würden die Schiffe auseinanderfallen oder in Flammen aufgehen! Das Wasser würde von Stund zu Stund dicker, würde sicherlich zu einem brennenden Brei geraten, und das sei das Ende. Sie verlangten also, man sollte nach Hamburg zurückfahren. Wie er gesprochen hatte, so schwiegen seine Kumpane und harrten der Antwort. Da ging der Moncada sachte die Treppe hinab zu ihnen, und er hatte an einem Seile ein Eimerlein in der Rechten. Dies schmiß er ins Wasser, zog's gefüllt herauf und goß es dem Vollmondgesicht über Kopf und Wams. Fragte ihn hierauf, ob etwa das Naß heiß wäre? Da stotterte der Kerl: „Nein, es könnt aber noch werden! Zur Stund sei's nur lau, jedoch kühler als die Luft!" Der Moncada lachte ihn aus und verkündete, daß das Wasser nunmehr immer die gleiche Temperatur bis Venezuela behalten werde. Drum sei es ein gut Ding, hitzige Schädel damit abzudämpfen! — Dies Argument wirkte, und es fingen alle die Schiffsknechte, die eben noch gejammert oder 76
drohende Fratzen geschnitten, an zu kichern. Der mit dem Vollmondgesicht gab seine Sache aber noch nicht verloren! Und er schrie, er wollt es dem Ritter glauben, was der über das Wasser gesagt. Wenn aber das Wasser kühler als die Luft sei, so würden bald die Segel in Flammen aufgehen, falls einem nicht vorher die Lungen verbrannten! Beifälliges Murmeln geschah ob diesen Worten. Wieder fing der Spanier an zu argumentieren, überzeugte auch halb und halb den Kerl. Dann flüsterte er ihm leise zu, er würde ihm einen Gülden schenken, wenn er sein querulierendes Maul halte. Täte er dies aber nicht, so wollt er ihn am Hals aufknüpfen lassen, im Namen des Kaisers geheiligter Majestät! — Der Kerl tat verschmitzt mit den Augen blinzeln, warf sich dann in die Brust und verkündete seinen Kumpanen, daß der Ritter ein weiser Herr sei und sie getrost weiter gen Westen fahren wollten. Stolz stieg der Spanier wiederum die Treppe nach oben und umfing seine Buhle. Die andern aber lobten und zollten ihm Preis! Drauf ward auf des von Hutten Befehl ein Fäßlein Danziger Goldwasser unter den Schiffsmannen verteilt. Das Wetter blieb immer warm und wonnevoll. Wenn die Sonne untersank, so sah's aus, als ob Wasser und Himmel aus brodelndem Gold mit Feuer bestünden. Auch tummelten sich wunderbar gestaltete Wolken darin. Burgen, Riesen und allerlei Drachengewürm! Beim Mondenschein war die ganze Natur eitel Silber auf dunkelblauem Grund. Und der Flensburger hatte noch nie solche Herrlichkeit erschaut! Saß daher halbe Nächte auf dem Kastell — in seinem Losament herrschte zu arge Hitz —, rauchte sein Pfeiflein und sah zu, wie die Sternschnuppen sprühend ins Meer plumpsten. Langes, ruhiges Gewoge wanderte in der ganzen Breite des Horizonts. Es dünkte ihm, als wären's Kriegsleut in 77
dunkelblauen Brünnen, so die Silberschilde geduckt über den Köpfen haltend, auf das Schiff zurannten. Je näher sie kamen, desto geringer ward ihre Eile, bis sie endlich ganz leise mit den silbernen Schilden gen das Schiff klirrten und in Schaum zerstoben. Indes von vorn schon wieder neue heranbrausten. Es kamen aber auch manchmal böse Stürme über sie, die Schiffe wie Menschen grausam hin und her schmissen. Doch ist darüber mitnichten viel zu berichten. Stürme sind Stürme, genau wie solche sich auch oft in der Menschen Herzen zutragen. Man schweigt aber am besten über derartige Dinge! Es tat jedoch der Pater aufzeichnen, wie drei Bergleut von den Sachsen ins Meer gewirbelt wurden, wo sie jammervoll ersaufen mußten. Sie hatten sich grad auf das Brett gesetzt, um ihre Sache zu verrichten. Denn die Schiffsleut besaßen keine Abtritte wie die Herren! Es war da in der Mitten des Hulks, wo das Deck niedrig und die Wände bauchig stunden, eine lange Planke außerhalb über dem Wasser angebracht. Drauf hockten sich die, welche ihre Notdurft abmachen wollten, ließen die Hosen herunter und hielten sich mit der Rechten an einem gespannten Tau fest. So auch die drei Sachsen! Es herrschte ein böses Wogengetümmel, und niemand saß außer ihnen über dem schnalzenden Meere. Sie hatten sich aber wohl am Mittag mit Hamburgisch Labskaus überfressen, weshalb sie's dennoch wagen mußten. Eine große Woge kam brüllend heran, riß sie weg, und sie wurden nicht mehr gesehen! Als man noch länger unterwegs war, kam auch Wassernot, bis sie in die Regengezeiten gerieten und das kostbare Naß auffangen, sowie alle ihre Tonnen wiederum füllen konnten. Hernach spannten sie ein Segel quer übers Mitteldeck, warteten, bis es sich füllte, und männiglich hüpfte 78
splitternackt kopfheister hinein, um sich fröhlich zu tummeln. Die zween Mägdlein aber lagen in ihrem Seidengezelt und jammerten, daß sie nicht mittun konnten und daß sie vor Hitze schier am Verschmachten seien. Es wäre aber gen alle Zucht und Wohlanständigkeit gewesen! Es vergingen nach dieser Lustbarkeit etliche Wochen, und verkündete der Pilot, daß sie bald ankommen würden, so's Gott und den Heiligen genehm. Nun herrschte wieder eine grausame Hitze, als eines Tages lautes Geschrei erschallte und den Flensburger nach der Schiffsmitte lockte. Die Natur war ganz still geworden, kein Lüftlein kräuselte das Meer. Es lachten und brüllten die Menschen aber um so lauter! Da sah er, sich durchdrängend und über die Seite lugend, den Pieterken lustig im blauen Wasser herumtummeln. Denn der war ein prächtiger Schwimmer! Er verhieß ihm sein Tun, schalt ihn derb zusammen und warnte ihn auch vor der Gier der Hundsfische. Der Pieterken jedoch rief zurück, er sollte nicht bös sein, denn es wäre wahrhaft köstlich und erfrischend. Ihm sei so wohl zumut, wie noch nie im Leben! Er wollte aber nunmehr wieder zu Schiff steigen! Nun plätscherte er auch langsam dem Stricke zu, als vom Auslug der Ruf ertönte: „Es kommt ein großmächtiger Hundsfisch von der andern Seite herumgeschwommen!" Da tummelte sich das erschreckte Volk durcheinander und schrie dem Trommler viele dumme Ratschläge hinab. Der aber eilte dem Hulk zu, denn eben kam wirklich der teuflische Fisch, dessen Rückenfinne spitz übers Meer ragte, herangestrichen. Es war ein gewaltiges Untier und gut um die Hälfte des Leibes länger als der Pieterken! Bei ihm angelangt, der mit den Händen spritzte und dröhnende Zornesworte rief, um den Menschenfresser zu erschrecken, 79
tauchte dieser. Und man konnte nicht sehen, ob er sich unter Wasser herumgedreht, um etwa den Trommler zu greifen. Denn es schien die Sonne wie ein Feuer und das Meer glitzerte darob so schmerzhaft, daß man blinzeln mußte. Da riß der Hauptmann das Schwertgehenk ab, warf auch sein Federbarett fort, gürtete sich ein Seil um die Rippen und sprang, den Dolch zwischen den Zähnen, ins aufspritzende Meer. Denn mitnichten wollte er es geschehen lassen, daß ihm der gierige Fisch den Trommler, welchen er mehr als einen Freund denn als Knecht estimierte, weghole. Er sah aber noch, eh er sprang, auf dem Hinterkastell die Bonita stehen und wie der Sonnenschein gülden auf ihrem blonden Scheitel sprühte. Sie tat die Arme über den Kopf und stürzte jammernd ans Geländer. Jetzo schloß sich das Wasser über ihm, und kräftig stieß er sich nach oben, kriegte auch den Pieterken grad zu fassen, als der wie ein Ochse zu brüllen anhub. Da packte er ihn eisern mit beiden Armen um die breite Brust und selbander versanken sie. Und er spürte, wie ihm das Meer salzig ins Maul quoll und daß jene, welche seinen Strick hielten, machtvoll dran zogen. Aber auch der Hundsfisch wollte den Trommler nicht fahren lassen! Plötzlich krümmte sich der Pieterken und mit einem Ruck schnellten beide, sich eng umklammernd, in die Luft; schlugen dumpf gen das Gebälk und wurden von hurtigen Händen geborgen. Dem Pieterken aber war das linke Bein unterm Knie abgebissen, und das Blut sprudelte wie ein Brünnlein aus dem Stumpen. Der arme Knecht sah käsweiß aus, und es klapperten ihm die Zähne, doch brachte er herfür: „Herr! Lieber Herr!" Der Flensburger setzte sich auf die Planken und tat wakker schnaufen, denn ob des verschluckten Meerwassers war ihm sterbensübel geworden. Und er sah nur wie ein ver80
schwommenes Bild das Hexlein vor ihm knien. Ihr güldenes Gelock rieselte wie ein Zaubermantel über seine Füße. Daneben war der Pater Chrysostomus emsig beschäftigt, die Blutung zu stillen, zerrissene Sehnen und Adern abzukneipen, zu verbinden und umwickeln. Es geschah viel Gerennes mit gebrannten Wässerlein, und hörte er den Mon-ada laut sagen, er sei ein braver Herr, der seinen Knecht nicht verlassen wollte. Der von Hutten aber legte ihm huldreich die Hand auf die Schulter. Sie baten drauf alle, er sollte sich zu Bette legen. Dies tat er aber erst, nachdem der Pater versicherte, daß er alles vollzogen habe, was er vermochte; und wenn kein Brand dazu käme, so würde der Trommler, welcher ein starker Kerl sei, der einen derben Puff vertragen könnte, am Leben bleiben. Er wartete noch, bis der Pieterken aus seiner Ohnmacht wieder zu sich kam und mit vernehmlicher Stimme sagte, er sollte ruhig sein. Es vergingen zehen Tage, während der Pater und der Löhndorff nicht von des Trommlers Seite wichen. Hernach war's ersichtlich, daß die Wunde große Fortschritte im Heilen machte! Unterdes waren große Stürme gekommen und hatten sie weit nach Osten verschlagen. Immer noch aber waren die drei Schiffe in Sicht voneinander, und der Mon-ada meinte, solches habe er noch nie erlebt! Er zog den Hauptmann auch beiseite und flüsterte ihm ins Ohr, daß die Bonita ihm gar hold sei und den ganzen Tag seufze und stöhne, weil er sie nicht beachte. Ob er etwan nicht gesehen hätte, wie sie ihm schier in die Wogen nachgesprungen wäre, wenn man sie nicht gehascht hätte. Solches tat ihm auch die Gloria zu wissen, und er suchte am selbigen Abend in wunderlicher Stimmung sein Losament auf. Es war ein silbern, feenhaft Funkeln und Glänzen, als er 81
durchs Fenster lugte. Denn der Mond schien droben am Himmel. Sein Gemach, das mit den blauen Sarazenenteppichen ausgeschlagen war, sah aus wie die Zaubergrotte der Frau Venus. Doch schämt' er sich solch heidnischer Gedanken und wollte eben sein Pfeiflein anzünden, um erbaulich zu spintisieren, als die Tür leis aufging und das blaugekleidete Hexlein hereintrat. All die Kettlein und Geschmeide, welche er ihr in Hamburg erstanden, schmückten ihren Leib. Und ihr feines Gesicht mit dem blonden Haar glich einem Madonnenbilde, welches aus güldenem Rahmen herfürschaut. Sacht kam sie auf ihn zu und betrachtete ihn so lieb und süß, daß er vor Seligkeit erschauerte und ihre weichen Händlein behutsam zwischen seine Tatzen nahm. „Bist allweilen blind und taub wesen, du stolzer Hauptmann? Ach, ich bin dir so gut und bin kommen, um dir's zu verkünden, denn sonst zerspringt mir das Herze im Leib!" flüsterte sie und ward wie mit Blut übergossen. Da ging etwas auf in ihm, wie ein Tor, durch das er in einen Himmel taumelte, wie er ihn nie erträumte! Gleich Harfengetöse erklang's in ihm, und er sprang empor, hub das Mägdlein, das sich verschämt an seine Brust schmiegte, vom Boden und trug sie zum Lager, wo der Sarazenenteppich leuchtete. Und er küßte ihre Hände, auch ihre Füßlein, worauf er sein Gesicht in ihrem Gewand verhüllte. Konnt's aber dort nicht lang aushalten, sondern mußte sich über sie beugen und ihr in die Augen schauen, in denen er sein eigenes Bild erblickte. Tat drauf seinen Mund auf ihre Lippen legen und trank wonniglich ihren Odem. Ihre Herzen pochten, bis ein taktmäßiges Schlagen draus ward. Ums Hulk murmelten und kicherten die Wellen in schalkhafter Verborgenheit, und das Mondenlicht strömte als breiter Silberquell zum Fensterlein 82
herein. In jener Nacht geschah es, daß sie Mann und Weib wurden. Am andern Morgen, nachdem er den Pieterken besucht und ihn besser befunden, schritt der Flensburger zum Pater, ließ auch den von Hutten erbitten und sagte ihnen stracks, daß er mit der Bonita verkopuliert werden wollte. Da freuten sich die Herren baß, versprachen ihm auch flugs zu willfahren. Der von Hutten sagte noch, daß es zwar gen die Ordnung wäre, aber da sie in ein fremdes, unbewohntes Land führen, wo jeder seine Meriten erst erweisen müßte, so gratuliere er ihm von Herzen; wenn sein Gespons auch nur eines Totengräbers Töchterlein wär! So sich aber böse Mäuler auftäten, so sollte er den Panzerhandschuh anziehen und ihnen die Zähne in die Gurgel hinabhauen, daß sie zu Rotten und Fähnlein geordnet wieder zum Hintern herfürkämen. Sie lachten alle drei weidlich ob dieses Spaßes, welchen der Hauptmann aber in Ernst umzusetzen gedachte, wenn es not täte! Drauf erhub sich ein Geraune und Geflüster durch den „Rummelpott", und es kamen auch der Moncada und seine Buhle gelaufen, um ihn zu fragen, ob's wahr sei, was man erzähle. Darob bejahte er, und die Gloria gab ihm vor Freuden ein Küßlein auf die Wange. Der Moncada aber umarmte ihn und schrie nach dem Pater und dem von Hutten, so laut er konnte. Diese kamen in Eil angestürzt, weil sie dachten, es sei ein Unglück geschehen. Da schwur der Spanier, daß, wenn sein Freund die Bonita zum Weibe nehme, er es ihm gleichtun wollte, und so sollte denn eine Doppelhochzeit sein, morgigen Tages! Weislich warf der von Hutten ein, was wohl der Kaiser dazu sagen werde, wenn ein spanischer Ritter eine Unadlige nahm. Doch lachte der Moneada und meinte, den Carole sollte der Böse holen, er könnte ihnen im fernen Land nichts anhaben. Worauf sie sich nun 83
alle die Hände schüttelten und ein Beglückwünschen anhub. Die Gloria eilte mit frohen Augen davon. Die Herren setzten sich zusammen, ließen auch den Holk holen und taten dann einen guten Trunk. Eifrige Vorbereitungen begannen. Der Smuttje in der Kombüse begann zu backen und braten. Bunte Wimpel riefen den Federmann und den Welser zur Hochzeitsfeier. Und als der Morgen lieblich aufging, erschallten Schalmeien, Flöten und Sackpfeifen auf den Kastellen. Der Pieterken, welcher auf seinem Schragen herbeigetragen ward, damit er alles sehen konnte, hatte die Trommel neben sich stehen und schlug sie sänftiglich. Drauf erhub sich lautes Vivatgeschrei, als die zween Bräute ins Freie traten. Köstlich gewandet, frohen Antlitzes, trippelten sie herfür, und das Mohrenknäblein brach schier zusammen unter der Last der Schleppen, von denen es je eine in den Händen trug. War die Gloria rot gekleidet, so glich die Bonita einem süßen Traum, so in Blau und Gold gehüllt. Der von Hutten und der Federmann machten die Brautführer. Sie hatten auch ihre Feiertagswämser an, und der Hauptmann trug die güldene Ehrenkette. Abermals dröhnte die Luft von Gejubel, und der Pieterken trommelte wie toll, als der Moncada und der Flensburger herfürtraten. Auf dem Kastelle wartete der Pater im geistlichen Ornat auf sie, und er hatte ein Kreuz vor sich hingestellt. Die zween Bräute traten hinzu und knieten nieder, worauf die Mannsen sich an ihre Seite verfügten. Drauf tat er sie feierlich im Namen Gottes zusammen, ermahnte sie, treue Eheleute zu sein, und hub sie der Reihe nach liebreich auf. Hernach begann auf allen drei Schiffen ein Schmausen, Zechen, Tanzen und Springen, das bis tief in die warme Nacht währte. Also geschah's, daß der gute irische Pater den spanischen 84
Ritter Juan de Moncada y Xeres sowie den Jan Detlef Löhndorff, weiland Stadthauptmann zu Flensburg im Lande Schleswik, mit zween Mägdlein im blauen Weltmeer verkopulierte. Und es waren die Ehegesponsinnen Schwestern, eines Totengräbers zu Magdeburg leibliche Töchter, die Mareiken und Eve Donnerbock hießen! — Als die Nacht gar tiefblau mit silbernen Sternlein geschmückt auf Wasser, Schiff und Menschen herabschaute, verschwand der Mon-ada mit seiner Liebsten. Die andern sangen und zechten redlich weiter. Der Flensburger hob sein holdes Frauenbild auf die Arme und machte sich samt der süßen Last sachte von hinnen, in sein blaues Grottengemach, welches zur Ehekammer geworden. Und sie küßten und herzeten sich allda. Ihre guten Schiffe trugen sie weiter. Es herrschte Zucht und Ordnung drauf, und war solches dem von Hutten und dem starken Hansekapitän Johannes Holk zu verdanken. Es hatten zwar die Knecht auf der „Schwarzen Kuh" einmal versucht, die Milchkühe zu schlachten, doch war ihnen der Federmann mit nacktem Schwert entgegengetreten, worauf sie um Gnade baten und auch fürder treu blieben. Pieterkens Bein besserte sich von Stund zu Stund, bald würde er sich erheben. Da machte auch der Zimmerer schon auf des Paters Geheiß eine Krücken sowie ein künstliches Bein zurecht für den Trommler. — Ansonsten hatte der Pater viel zu tun! Es waren eine Menge der Sachsen krank geworden, die Zähne fielen ihnen aus, auch ward der Gaumen ihnen schwarz. Chrysostomus sagte, dies geschähe aus Mangel an frischem Fleisch und Gemüs. Denn sie aßen nur noch Saubohnen, Salzspeck und Kullererbsen. Die paar Fische und Schildkrotten, welche sie bei still Wetter haschten, langten nicht zur Genüge. Der Löhndorff lebte aber heiter und zufrieden mit seiner 85
Bonita. Und dankte auch seinem Schöpfer täglich, daß er sie geheuratet. Denn sie war gar süß, wußte holden Liebeszauber und blieb doch ehrbar und zuchtvoll dabei. Solches gedieh ihm an Leib und Seele! Auch der Moncada ließ sich's mit der Gloria wohlsein. Eines Tages, der Pilot hatte eben den Jakobsstab gegen die Sonne visiert, um zu erkunden, wo sie wären, ließ er den Blick von der geometrischen Einteilung des arabischen Dreiecks fahren und deutete meerwärts. Dorten herrschte plötzlich ein machtvolles Getümmel! Wogen huben sich aus dem ruhigen Wasser, rannten klatschend zusammen. Auch sprühte Schaum und Gischt mit lautem Geblase schier turmhoch zum Himmel. Und zehen gewaltige Sprützköpp, so man auch Walfische heißet, zogen am Schiff vorbei. Sie waren schwarz und glanzvoll, besaßen Schwänze wie dreieckige Segel, und aus häutigen Röhren, welche ihnen aus der Nas wuchsen, stießen sie Dampf und Wasser gen Himmel. Jedweder war gut die Länge der Kogge des Federmann! Man begriff es wohl, wie der Pater erzählte, daß Schiffsleute oft solche Ungetüme schlafend auf dem Wasser gefunden und sie für Land gehalten. Darob hinabgegangen und ein Feuerlein auf dem Rücken des Walfisches angezündet, um sich ein Süpplein zu kochen. War dann aber der Fisch mit Mann und Maus auf den Meeresgrund getaucht. Sonder Ausnahm staunten alle den Sprützköppen nach, bis sie unterm Horizont verschwanden. Wenige Stunden drauf erhub sich ein kräftiger Wind, den Herden spielender Delphin oder Schwinsfisch ihnen bescherten. Denn es ist Tatsache, daß der Schwinsfisch immer Wind im Gefolge hat! Später erhob sich wie ein wunderbares Kastell eine spanische Karavelle aus der dunstigen Fern. Mehr und mehr wuchs sie ihnen entgegen, und sahen sie, daß es ein Drei86
decker war, der auch gut dreimal die Größe des „Rummelpott" überschritt. An die fünfhundert Soldaten drängten sich auf den Decken und in den Galerien. Es war ein gutes Ding, daß sie des Kaisers Flagge aufziehen konnten, wie auch der Moncada sein adlig Familienwimpel wies und im Vorbeifahren einige Worte rüberschrie. Es ließen sie auch die Spaniolen zufrieden, rauschten winkend und trommelnd dahin, und alle staunten ob solch kriegerischer Pracht. Die Karavelle war blutrot von der Wasserlinie bis zu den Mastknöpfen angestrichen. Ihre Segel gleißten gelb, mit großen schwarzen Kreuzen darauf. Viele Kartaunen reckten die Schlünder aus den Pforten. Auf dem Vorderkastell aber war ein großes, wunderbar geschnitztes Marienbild zu sehen. Im blauen und roten Gewande, hielt sie das Jesusknäblein im Arm, und um ihren Scheitel zog sich ein güldener Kranz, von dem eitel Blitzen und Glosen ausging. Am breiten Heckgebälk aber war der stolze Name zu lesen: „Nuestra Señora de las nubes." — Unsere liebe Fraue von den Wolken! — Und es war ein guter Name, weil die Karavelle wie eine rote Wolke ihrem Blick entschwand! Alle freuten sich, denn jetzo sollten sie bald die fremde Küste betreten. Schon trieben manchmal seltsame Sträucher, und zuweilen ein geschnitztes Speerlein vorüber. Auch Landvögel besuchten sie. Dem Pieterken aber ging's trefflich, und seine grause Wunde war verharscht und geheilt. Es brachte ihm nunmehr der Zimmerer den künstlich gefügten, lederbeschlagenen Holzstumpen, welchen er an Stelle des fehlenden Beines anschnallen sollte. Auch eine feste, treffliche Krucken mit einem Pölsterlein, wo sie in die Achsel eingestemmet ward. Es zog aber der Pieterken ein schiefes Maul und fing an zu greinen, worob der Pater und der Löhndorff sehr betrübt wurden. Endlich schrie der Pieter87
ken, solches ginge mitnichten! Ob sie etwan meinten, wenn' s zum Krieg gegen die Heiden ging, ihn auf der Bärenhaut zurückzulassen? Er beschrieb darauf, daß ein hölzernes Bein ihm im unwirtlichen Land nicht lange halten könnte, es werde am Gestein und Gewurzel in Bälde zersplittern und zerschellen. Und es sei nicht grad immer der Zimmerer handlich, einen neuen Stumpen zu schnitzen! Deshalb verlangte der Pieterken, daß ihm der Büchsenschmied ein eisernes Bein machen müßte. Ein solches würd wohl bis zu seinem Tode halten! Und das könnt er als Waffe benutzen und den Feinden damit gegen die Kaldaunen treten. Solches leuchtete dem Pater und auch dem Flensburger nicht übel ein. Aber die andern lachten gewaltig, bis der Trommler das hölzerne Bein ergriff und es nach ihnen schmiß. Jetzo war der Büchsenschmied, der als Gesell bei einem kunstreichen Nürnberger Meister in Brot gestanden, herbeigeschlendert und hörte sich des Pieterkens Verlangen an. Er schürzte die Brauen, kniff auch die Augen zusammen und strich mit berußter Hand über die Lederschürze. Drauf hub er an: er vermöge wohl ein eisernes Bein, so in einem wehrhaften Spieken auslaufe, herzustellen. Es wäre aber für gewöhnliche Mannsleut zu schwer! Er warf noch einen wägenden Blick auf den Pieterken und verkündete, daß der es wohl vertragen könnte, denn er war ein starker Gesell! Dem Trommler lachte das ganze Gesicht, und er bat den Schmied, hurtig das Werk zu beginnen. Der schritt, nachdem er Maß genommen, von dannen, der Hauptmann rief ihm aber nach, wenn er die Arbeit fördere, so solle er einen güldenen Carolus erhalten. Viel Schwatzens und Lärmens wurde ob des Trommlers seltsamer Idee getan. Richtig aber war das Eisenbein, das der Schmied auf der Schulter herbeischleppte, nach drei 88
Tagen fertig, und es geschah ein Rennen durch die Galerien, weil jedermann zusehen wollte, wie der Pieterken sein neues Glied anlegte. Das Bein sah absonderlich aus! Ein eiserner, schön gerundeter Stab von der Dicke eines Edelfrauenarmes endete unten in einer scharfen Spitze. Oben aber lief er aus in einer fein ausgehöhlten Halbkugel, an der Schnallen und Riemen saßen. Mit freudigem Geschrei zog der Pieterken das eiserne Bein an, befestigte die Riemen, schob die Krucken unter die Achsel und stand mit einem Ruck auf. Hurtig hub er an hin und her zu schreiten, und das Schiffsvolk schrie Vivat, denn der Pieterken machte es wirklich gut und ohne sonderliche Müh. Es splitterten und krachten aber unter jedem Tritt die eichenen Planken, da sich der Spieker in sie hineinbohrte. Und der Johannes Holk kam herbei, um arg zu schelten. Er sagte, es stünde nicht in seinen Kontrakten, daß ihm sein Schiff mutwillig verschandelt werden sollte! Gen feindliche Stückkugeln und Grappelhaken, welche das Holzwerk zu Spänen zerrissen, habe er nichts einzuwenden, wohl aber gen dreisten Tort! — Der Pieterken ließ die Unterlippe hangen, da versprach der Schmied, ihm eine eiserne Hülse zu machen, die über den Spieker zu schieben war, wenn er über kostbaren Grund zu schreiten habe. — Er tat dies auch in Eil, und nun gab sich der Johannes Holk zufrieden. Der Hauptmann aber verabreichte dem braven Nürnberger statt des versprochenen Güldens deren zween! Jetzo hub der Pieterken an zu proben. Er lief mit Krucken und Eisenbein wieselschnell auf und ab, bis er's raushatte und ohne Beschwerden tun konnte. Dies genügte ihm jedoch mitnichten! Er hing sich die große Trommel auf die eine Seite, weil auf der andern die Krucken war, und 89
lernte mit einem Schlegel zu trommeln, dabei aber auch zu schreiten. Bis er's raushatte und samt Eisenbein wie Krucken trommelnd marschieren, auch laufen und springen konnte, so lang es ihm behagte. Es war ihm jedoch noch nicht genug! Er hing sich deshalb ein Kurzschwert um den Hals, auch übte er sich, also ausgerüstet, trommelnd über die Balken zu setzen, dabei den Dolch, welchen er sehr gut zu schmeißen verstand, zwischen die Zähne geklammert. Als er dies alles tun konnte, ließ er seinen Herrn rufen, um ihm seine Kunst vorzumachen. Des ward dieser heilfroh, denn er hatte sich schon Sorge gemacht, was aus dem Pieterken wohl werden sollte, da es im fremden Land keine Bequemlichkeit gab. Nunmehr hatte der ihm die Last von der Seele genommen, und er ging deshalb zu seinem Weibe, um sich zu verlustieren. Tags drauf schrie der Ausluger: „Land ho!", und jetzo erhub sich gleich einer Wolke, aus der Berge und Wälder tauchten, die Insel Santa Trinidad aus dem Meere. Sie fuhren an ihr entlang und schnüffelten dabei wonnesam süßen Ruch ein, den das Eiland ausschwitzte. Sie starrten sich auch die Augen aus, als das Land wieder versank. Plötzlich erschien eine neue Küste, und das Meer ward gelb und trüb von dem Gewässer des großen Flusses Orinoko. Dies sagte der kundige Moncada! Drauf sahen sie grünen Wald von spaßiger Form, auch zween mächtige Berge dahinter. Und an einzelnen Stellen der Küste kamen seltsame Gewächse aus dem Wasser. Zwergenhaft krüpplige Bäumlein von qualvoller Gestalt, die auf nassen, schleimigen, hoch in die Luft ragenden Wurzeln saßen. Dies waren Mangroven! — Jetzo deutete der von Hutten auf das Ufer, wo eine Anzahl Häuser, auch ein Blockhaus, von Palisaden umgeben, standen, und rief: „Welsaria!" — Denn das Land war nach dem 90
Welser benamset. Der spanische Pilot aber konnte es nicht nachsprechen und nannt es, wie es auch im Schuldbrief des Kaisers stand, „Venezuela", und dies ist die verdorbene Bezeichnung des von Hutten. Drüben über dem Blockhaus wurde die Fahne beider Kastilien und von Leon aufgezogen. Merkwürdigerweise aber zeigte sich keine Menschenseele, und männiglich schüttelte den Kopf. Man hißte die Banner der Welser und der Hamburger, ließ auch die Spielleute lärmen, aber drüben rührte sich nichts. Und das Land sah giftig grün aus, die Luft war recht heiß, stank auch ein weniges nach Fäulnis. Vogelscharen schwirrten lärmend empor und setzten sich wieder zur Ruh. Auf den zauberhäßlichen Mangroven hockten welche, die einen gewaltig langen Schnabel besaßen, worunter ein rosiges Säcklein gespannt war, in dem man die geschluckten Fische zappeln sah. Nunmehr warteten sie, bis die „Wasserfey" und die „Schwarze Kuh" herangekommen waren, zogen die Segel ein und ließen die Anker fallen. Lärmend flogen die Vögel auf, dann war's wieder totenstill. Dem Schiffsvolk hatte seltsame Ahnung das Gemüt bedrückt, sie blieben daher mäusleinstill. Der von Hutten, der Moncada, der Pieterken, etliche Reisige und der Flensburger Hauptmann gingen zu Boote. Von den andern Schiffen lösten sich die Nachen mit dem Federmann und dem Welser drin. Selbander scharrten ihre Kiele eine Sandzunge empor, die der Moncada „Punta Mocomoco" nannte, und schritten tapfer den Gebäuden zu. Es war eine unbeschreibliche Wonne, wieder über Gras und Erd zu hüpfen! Bei den Häusern angelangt, sahen sie, daß diese in arg beschädigtem Zustand waren. Die Türen hingen schief in den Angeln, waren wohl auch ganz herausgefallen. Drinnen wa91
ren etliche Hängematten, aus zierlichem Grase geflochten, aufgespannt. Berge von Kehricht lagen in den Ecken, über die grüne Echsen und schleimiges Gewürm krochen. Auch eine verrostete spanische Sturmhaube, wie ein zerbrochenes Schwert, war da zu erblicken. Kopfschüttelnd traten sie ins Freie zurück und gingen nach der Palisade zu, die aber nirgends ein Tor besaß. Drüber, in der Mitte, ragte das Blockhaus, daneben ein großmächtiges, rohgezimmert Kreuz und die Stange, mit dem in der Windstille wie ein Galgenkerl niederhangenden Banner. Es sah schier wie verhext aus. Dröhnend schlug der Pieterken nach des von Hutten Befehl auf das Kalbfell los und tat etliche Wirbel. Die Vögel kreischten, aus dem Walde kam schwaches Echo zurück. Da sprang der Löhndorff, da er außer dem Trommler der Längste war, an der Palisade hoch und haschte auch den Rand, woran er sich emporzog. Drinnen sah er grasbewachsenen Grund, etliche Erdhaufen und eine umgestürzte Feldschlange. Vor dem Tore des Blockhauses aber war eine Muskete in die Zielgabel gelegt, eine Lunte gloste und ein eisgraues Knechtlein, mit Zickleinbart und in spanischer Tracht, visierte, wie er dacht, justament auf seinen Kopf. „Pardauz!" ging die Donnerbüchse los, und etwas pfiff an ihm vorbei. Emsig, ohne ein Wort zu verlieren, machte sich das Knechtlein dran, das Rohr neu zu laden. Schnell half er dem Moncada auf das Staket, und der hub jetzo zu brüllen an und wunderliche „Sacramentos" und „Carambas" zu schimpfen. Alsdann tat das Knechtlein aufschauen, Freudenzähren liefen aus seinen Augen, er machte viele Bücklinge und rief etwas, worauf der Ritter lachte, alles wäre in Ordnung. Der Kerl, welcher alleine sei, habe sie der fremden Banner wegen für ketzerische Feinde angesehen und sich verteidigt. Sie halfen nun auch 92
den andern hinauf und hinüber, denn eine Leiter war nicht da. Der Pieterken kam auch samt Trommel, von der Brust hangendem Kurzschwert, Dolch im Gebiß und eisernem Bein. Er war schrecklich anzusehen, und der alte Spaniol machte Miene, als wollte er vor Angst seine Hos besudeln. Nun tat ihm der Moncada kund, daß die Kolonia eine deutsche sei und dem Welser zu Augsburg gehöre. Er hielt ihm auch Verbriefung und Kaisersigill vor, und der Kerl machte Bückling über Bückling, schielte aber dabei nach dem Pieterken hin, der den Dolch aus dem Maul genommen und ein manierlich breites flensburgisch Stadttrommlergesicht schnitt. Nunmehr hub ein Reden an, und sie erfuhren baß erstaunt, daß das Knechtlein allein in der Festung seit vielen Monaten hause, weshalb er die Leiter verbrannte, damit die Indios ihm nicht unversehens auf den Pelz kämen. Die Besatzung aber, welche aus zween Hauptleuten und sechzig Knechten aus Castilia bestanden habe, wäre in den Wäldern verschollen. Anfangs seien nämlich die Indios gekommen, hätten auch ihre güldenen Ohrgeschmeide und Kettlein gegen Nägel und blanke Spiegelein, so sie sehr schätzten, eingetauscht. Sie hätten aber auch ihre Weibsen und Töchter mitgebracht, welche zierlich und wundersam wie schlanke Hindinnen gewachsen seien. War darob groß Buhlens zwischen Spaniolen und Indioweibsen entstanden, denn diese waren sonder Zucht und Ehrbarkeit, und die Mannsen gaben gern ihre Sponsen an die Weißen ab. Es entstand ein grauslich Sodom und Gomorrha! Die Hauptleute gingen mit bösem Beispiel voran, und die Knechte vergaßen ihre Waffen zu putzen, hielten auch keine Ordnung mehr, da ihnen nur der Sinn auf Buhlerei stand. Insbesondere, da die Weibsen der Indios ihnen geheime Tränklein brauten, welche die 93
Manneskraft und die Sünd erhöhten, so daß Knechte und Hauptleute schließlich mit den Indios in den Wald zogen und seither nicht mehr zurückgekommen waren. Ihn aber hätten sie verlacht, da er zu alt für die Liebe sei. Dies vernahmen sie mit großem Erstaunen. Bänglich schüttelten sie die Köpfe und beschlossen, die Indios, falls sie kommen und ihre Leut behexen würden, mit dem Schwerte zu erschlagen. Jetzo stellte sich der Moncada nach kurzer Rücksprache mit dem von Hutten an den Fahnenmast, zückte auch sein Schwert, das in der Sonne blitzte und schaute ernst drein. Dem Löhndorff aber ward die Ehre, das spanische Banner vom Maste herabzulassen und das welsersche, so sie mitgebracht hatten, in die Luft zu hissen. Als dies geschehen, zogen alle blank und schrien Vivat! Von den Schiffen aber brüllten sämtliche Donnerschlünde los und weckten das Echo. Auch spielten die Flöten, Schalmeien, Trompeten, und der Pieterken schlug die Trommel gar dröhnend. Also hatten sie Besitz ergriffen von der Kolonia. Sie begaben sich drauf zu Schiffe, um das Weitere zu leiten, welches morgigen Tages stattfinden sollte. Denn es war mittlerweile Abend geworden, und im Wald wie im Strom ertönten die Stimmen viel seltsamen Getiers. Das eisgraue Knechtlein aber nahmen sie mit. Nur der Pieterken blieb zurück, weil er drum gebeten. Groß Jubelns herrschte auf den Schiffen. Es ward ein Festmahl angerichtet und viel guten Getränks dazu vertilgt. Die Knechte aber fraßen die letzten Schinken und Käslaibe hinab, daß ihnen schier der Schnabel schäumte! Wie der Flensburger neben der Botina im blauen Gemach lag und ihrem leisen Atemzug lauschte, hörte er dazwischen auch das fremdartige Getier drüben lärmen und den Pieterken gedämpft trommeln. 94
Was d e r M o n c a d a e r z ä h l t e Zween Wochen waren verstrichen. All ihre Sachen, die Tonnen mit Korn, Salz und Fleisch, auch die Gäule, Milchkühe, Gezelt und Waffen, waren an Land gebracht. Dazu die Feldschlangen, die Bergleute und Knechte und vielerlei Gerätschaften, die man von Hamburg mitgebracht hatte. Die Häuser waren gereinigt und in Ordnung gebracht. Eine großmächtige Treppe ward über die Palisaden erbaut. Und nach herzlichem Abschied waren ihre treuen Schiffe in See gestochen. Sie hatten aber kaiserliche Briefe, mit denen sie erst die Insel Hispanolia ansteuern und sich mit Speis und Trank versehen durften. Die Zurückbleibenden hörten auch später, daß jene sonder Gefahr wieder nach Hamburg gekommen wären. Es war seltsam anzusehen, wie die sächsischen Bergknappen herumliefen, bald hier einen Stein aufhuben, bald dort ein Schäuflein Erde umbrachen. Und sie hielten sich ihre Funde unter die Nas, diskutierten auch eifrig dazu. Endlich entnahmen sie aus des alten spanischen Knechtleins Gebärdenspiel, daß mitnichten etwan Gold hier gefunden ward. Das sei viel weiter drinnen im Lande. Darob waren's die Sachsen zufrieden, schürften fürder kein Gestein mehr, sondern halfen den andern, die Stadt zu erbauen. Der Moncada sagte dem Flensburger, daß Goldes nur in den Schatzkammern der Indiokönige zu finden wäre. Da schwante dem viel Mühsal und Not! Der von Hutten hatte, als alles einigermaßen gerichtet, eine große Parade angesagt. Und es schritten die Rotten der Sachsen mit ihren Schalmeienkerlen einher! Hernach des Federmanns starke Knechte, die ihre Musketen lösten. Dann das Häuflein Berittener, welche in ihren Eisenkleidern arg 95
schwitzten. Und es standen die Herren beiseit, um den Vorbeimarsch abzunehmen. Die Gloria und die Bonita lugten vom flachen Dach des Blockhauses herab. Neben seinem Herrn hielt der Pieterken, hatte sein eisern Bein in den Grund gebohrt und ließ die Trommel kriegerische Wirbel dröhnen. Drauf wurde die Mannschaft von neuem für den Welser in Eid genommen. Zum Abschluß sollten die zween Feldschlangen losgeschossen werden, um den Indios in ihren Wäldern zu weisen, daß wieder Zucht und Ordnung eingezogen sei. Auf der Meerfahrt hatten die Knechte oft gestritten, wie die Donnerrohre wohl zu benennen wären. Sie tauften dann das kurze dicke auf „Carolus", das lange dünne bekam den Namen „Höllenbauch"! Die knallten jetzo los, und es schmiß auch der „Höllenbauch" seine Vollkugel weit hinaus. „Carolus" jedoch zerplatzte, und seine Stücke zerrissen drei Leut, darunter den Preisendanz, dessen Kopf dem Mon-ada gen die Brust flog, daß er taumelte. Großes Trauern und Verzagtheit hub an. Vielen aber dünkte es ein schlechtes Zeichen! Deren etliche waren nun passiert! So die Landung auf dem Richtplatz zu Hamburg, alsdann das Unglück des treuen Pieterken und nunmehr dies! Der Löhndorff saß daher, als es Nacht ward, allein auf dem Dache und spintisierte. Frösch und Unkenchor klagten, vom Meere her geschah ein Patschen und Schnaufen. Große Seekühe tummelten sich darin im Mondenscheine. Tausendfaches Grillen- und Zikadengesäge durchzirpte die Luft. Aus dem Walde drang Fauchen und Brüllen. Ein sonderbares Getös fürwahr! Und er schaute auf die blanke Bai, wo die Schiffe verschwunden waren, gleichsam als seien nun alle Brücken hinter ihnen abgebrochen. Die Knechte, die ein kurzsinnig Volk waren, hatten das 96
Unglück des Nachmittags schon vergessen, saßen lustig um die Feuer, lachten und schwatzten oder würfelten. Er hörte die Bonita rufen, doch bezwang er sich, der lieblichen Stimme zu folgen, und blieb hocken. Langsam kam der Mon-ada heraufgestiegen und setzte sich sonder Worte an seine Seite. Des Spaniers Augen glühten stark. Wie zu Augsburg, als er vom Pizarro erzählte. Plötzlich hub er auch wiederum an. Begann zu sprechen vom Lande Peru, und wie sie's mit Schwert und Arglist zu Boden gezwungen. Viel schöne Häuser seien da, aus Stein, mit Gärten und lustigen Brünnlein. Und ein braunes Volk, dessen Große in Federmänteln und Gold gekleidet waren, wohnte darin. Auch wären da Straßen aus mächtigem Gestein, aber wohlgeglättet wie Tische, die über Berg und Tal führten. Und kühne kunstvolle Brücken über Schluchten und Abgründe. Ordnung war allenthalben gewesen, und Nahrung wie Obdach für alle. In den Wäldern aber stünden viele riesenhafte Steine, welche mit Bildwerken geschmückt wären, die Menschen wie auch Getier in unsittlicher Paarung zeigten. Auch Goldbergwerke wären da. Drauf kam eine Anzahl eisengepanzerter Kerle, die der bärtige Pizarro führte. Hatten auch ein falsch Priesterlein dabei und machten Bünde und Verträge mit den Inkas, erschlugen ihrer aber viele Tausende mit dem Schwert. Da bot ihnen der Herrscher der Atahuallpa, welcher mit Kron und dem Federmantel angetan, zu Cuzco saß, neue Verträge an. Drauf gingen die Spanier ein, und der Indio gab ihnen Gold die Fülle, daß Hunderte von Saumtieren es zu schleppen hatten. Gefäße und Geschmeide, auch eine goldene Sonnenscheibe war dabei, die groß wie ein Wagenrad, von dreißig Inkas getragen werden mußte. Es wollte aber der Pizarro noch mehr, und der Atahuallpa, um ihn los zu 97
werden, ließ neuen Goldes herbeitragen. Es gab da einen großen Saal, worin der Pizarro in Schulterhöh einen Strich an den Wänden zog. So hoch sollte der Boden mit Gold bedeckt werden! Die Inkas kamen aus allen Plätzen des Reiches und schafften auch das Gold heran. Der Atahuallpa fügte noch dreißig Kebsen, von den schönsten Mägdlein erwählt, dazu und dachte, jetzo sei er die eisengepanzerten Fremdlinge im Guten los. In des Pizarros Ohr aber flüsterte das Paterlein bösen Rat. Drauf ließ er dem Indio sagen: er sollt sich auf seinen Sessel setzen, und dann sollte sein Volk Gold bringen, bis es ihm an die Stirn reiche. Geschah dies, so würden die Spanier wahrhaftigen Gottes abziehen. Und sie schwuren's beim Kreuze! Der Indio rief sein Volk, und da es ihn liebte, kratzten sie alles zusammen, was sie hatten, schichteten auch einen güldenen Berg um den im Sessel auf dem Marktplatz thronenden Herrscher. Es war aber nicht mehr genug da, denn das meiste hatten die Spanier schon empfahen! Eine halbe Handbreit fehlte am festgesetzten Maße! Da schalt der Pizarro den Atahuallpa einen eidbrüchigen Schelm und ließ ihn in Ketten schmeißen, auch mit glühenden Zangen kneipen. Es war aber der Indio ein tapferer Mann und verzog keine Miene! Jetzo begannen die Spanier in der Stadt zu brennen und zu plündern, schossen mit Musketen in die wehrlosen Massen und schlitzten den Indiofrauen, welche gesegneten Leibes waren, die Bäuche auf. Mord und Rauch stanken zum Himmel. Der Atahuallpa erbarmte sich seines Volkes und bat den Pizarro um Gnade. Dieser entgegnete auf des Paters Geheiß, daß er dem Töten ein Ende bereiten wollte, wenn der Herrscher sich zum Christengott bekenne. Solches tat 98
auch der Indio flugs, ließ sich unterweisen und taufen, wie auch viele seiner Getreuen. Doch hörten die Kriegsknechte nicht auf, gleich bösen Teufeln zu hausen. Stracks schwur daher der Atahuallpa der neuen Religion wieder ab. — Der Moncada seufzte und wischte sich den Schweiß von der Stirn, fuhr drauf fort: „Da huben wir an, den Indio von neuem zu foltern und zu kneipen, und unsere Leute erschlugen Tausende der Heiden, welche gegen Flamberg, Harnisch, Arkebus und Muskete schier wehrlos waren. Von neuem ließ sich der Atahuallpa taufen; dachte, nun könne er gehen, denn wir hatten seine Hauptstadt arg verwüstet. Überall lagen die Erschlagenen zu Hauf; das geronnene Blut stand in den Rinnsteinen und stank zum Himmel. Die Geier aber hielten eitel Bankett. Doch der Pizarro ließ ihm verkünden, er müßte nun am Scheiterhaufen brennen, denn zu groß wären seine und seiner Indios Sünden gewesen! Darob wunderte sich der Herrscher baß. Und am Morgen wurde er zum Scheiterhaufen geführt. Wir hatten alles Volk zusammengetrieben, und mußt es bänglich zusehen. Voran schritt der Pater mit der Monstranz und klingelndem Glöcklein. Der Indio ward mit eiserner Kette an den Pfahl gefesselt und die Scheiter entzündet, daß bald Flammen und Rauch sich grausig paarten. Das Volk aber seufzte gewaltig. Drauf ließ der Pizarro dem Atahuallpa zurufen, wenn er bereue, so solle seinen Leuten nichts Arges mehr zugefügt, er selbsten aber barmherzig erdrosselt werden, eh die Flamme seinen Leib fresse. Dies erfüllte der Indio, und der Henker würgte ihn drauf, überließ dann seinen Leib dem lodernden Feuer. Das Glöcklein des Paters bimmelte, und er sang viel lateinische Litaneien ab. Mäusleinstill aber war das Volk. 99
Also haben wir den Atahuallpa zu Tode getan und das Reich der Inkas vernichtet!" Wieder seufzte der Moncada, erhob sich und wies nach dem Strom: „Dorten, in weiter Ferne, auf hohem Gebirg, liegt das Reich der Chibchas, welche den Inkas verwandt. Und es sollen jene Goldes in erstaunlicher Fülle besitzen. Des Kaisers Wille aber ist es, daß wir nach dorten ziehen und viel Ehr wie Beute zurückbringen. Der Teufel soll des Welsers Kolonia holen, wenn er sie mag. Denn Gold birgt sie wahrhaftig mitnichten!" Sprach's und stieg schwer nach unten. Der Flensburger sah in die Nacht hinaus, in der die Sternlein silbrig funkelten. Da hörte er des Hexleins Stimme rufen und eilte hinab, um in ihren holden Armen Trostes und Zuspruch zu finden.
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Anlage 2: Musik (Doppelklick auf das Trommelfell - Player erforderlich)
II
DER D O R A D O
Die Trommel in der Nacht von den sieben Schwertern Absonderliche Begebnisse / nach dem Golde
/ Die heilige Jungfrau / Die Heidenschlacht / Wie die Landsknechte marschieren
Die T r o m m e l i n d e r N a c h t Es waren viele Wochen seit der Nacht vergangen, als der Flensburger Hauptmann auf dem Blockhausdach gehockt hatte und ihm der Moncada des Kaisers Carolus schwarze Gedanken offenbarte. Geraume Zeit ging er mit sich zu Rate, ob er die üble Kunde, die der goldeshungrige Spaniole ihm getan, etwa dem von Hutten und seinen andern Kumpanen mitteilen sollte. Endlich kam er überein, dies mitnichten zu tun, denn ihm schwante schon des Unglücks genug; weil er wohl wußte, daß ein Unheil selten allein kommt sondern fast immer Begleitung hat! Deshalb wollte er die andern jeteo nicht kopfscheu machen und schwieg daher fein stille. Es gab auch erklecklich viel zu tun und anzuordnen. Dies half ihm, seiner trüben Ahnungen Herr zu werden. Auch besaß er ja sein liebliches Eheweib, die güldenlockige Bonita, an deren Busen er stets Erleichterung und Vergessen fand! Die beiden waren sich gar hold und während des Hauptmanns Freizeit schier unzertrennlich. Der von Hutten ließ die Leute nicht feiern, sondern gab ihnen flugs zu tun, die Stadt — wie die Siedlung stolz genannt ward — aufzubauen und herzurichten. Es waren der reisigen Knechte und Kriegsmänner weit über dreihundert Seelen, denn in Hamburg kam nebst den Piloten noch ein Schub Spaniolen an Bord. Deshalb bedurfte es neuer Losamente, weil der von Hutten nicht allzuviel davon hielt, die Kerle in Gezeiten hausen zu lassen. Denn das Klima setzte 103
allen bösartig zu! Jedweder sputete sich daher, Häuser zu errichten. Außer den Christenmenschen waren auch noch die Rößlein und Milchkühe, sowie ein schwarzweißer glanzvoller Bulle aus Holstein vorhanden. Alle hatten sonder Beschwerd und Ungemach die lange Reise überstanden. Männiglich legte Hand an, die Unterkünfte zu erbauen, und auch die Hauptleute schämten sich mitnichten, selber dabei zuzugreifen. Weil der von Hutten in einer überaus fürtrefflichen Rede gesagt hatte, daß nur derjenige befehlen könne, der sich selber anordnen lasse und auch folglich wisse, wie harte Arbeit schmecke! Darob waren alle Kriegsknechte und sächsischen Bergleute voller Freude und Vertrauen. Weshalb auch das Werk in Bälde gedieh, auf daß es eine schiere Augenweid war. Alle Hütten, die man vorfand, waren gereinigt und instand gesetzt worden. Auch ein Bächlein hatte man schön eingedämmt und durch die Welserstadt geleitet. Und die Häuser standen wie die Strahlen der Sonne um die Palisadenfestung herum, denn letztere sollte im Notfalle als Zufluchtsort und Punktum strategum gelten. Vor den Häusern aber lagen wohlabgesteckte Äcker, die von den Sachsen gepflügt und mit Türkenkorn, Hirse, Gerste, auch Klee und Kohl besät wurden. Diese Arbeit beschäftigte alle Leute viele Monate. Nur der Moncada scherzte ohne Unterlaß mit seiner Gloria und sah dem Tun der andern scheelen Blickes zu. Auch brummte er, wenn er mit dem Flensburger freundschaftliche Zwiesprache pflog, wohl ein übers andre Mal über die verfluchte Narretei, wie er ihr Beginnen nannte. Der gute Pater Chrysostomus schrieb voll behenden Fleißes an seiner Chronika und fügte auch viele artige Bildlein mit feinen Pinselstrichen hinzu. Allabendlich wies er 104
dem Löhndorff, den er ans Herze geschlossen, seine kunstvolle Sach. Unterdessen herrschte eine grausame Hitze, und es war große Mühsal für die Mannen, ihre Eisenhauben und Panzer zu tragen. Die wenigsten ließen aber davon ab, und selbst wenn sie auf den Äckern schufteten, wollten sie viel lieber unmenschlich schwitzen, als daß sie sich ein weniges erleichtert hätten. Denn der Moncada raunte männiglich zu, daß blankes Eisen der beste Schutz gegen die vergifteten Bolzen der Indios war! Nur der Flensburger legte seine Rüstung ab, und alsbald betrachteten ihn alle mit scheuen Blicken, und man flüsterte geheimnisvoll, daß der ernstblickende, riesengroße Hauptmann fest sei. Dies bestätigte auch der Spaniole und sagte, es war ein gut Ding, denn der Flensburger sei ein braver Herr, der nicht nur derb dreinschlagen könne, sondern auch ein Herz für seine Knechte hätte. Wie er bei der Rettung des Pieterken bewiesen! Also würden die, welche unter seinem Fähnlein stünden, trefflich dabei fahren. Fürder ließ der listige Welsche auch hie und da ein Wörtlein fallen von Gold, blitzendem Gestein und Perlenschnüren, die im Reiche der Chibchas zu finden seien. Auf diese Weise wußte bald alles, daß die Obrigen etwan in Bälde geneigt wären, einen Beutezug ins Innere zu tun. Dem von Hutten war's grad recht, daß solches Gerede aufkam, weil es ihm half, die Zügel über die vielen Leut fest und ordentlich in den Händen zu halten, ohne durch zu straffes Anziehen Unzufriedenheit zu säen. Trefflich hielten sich die Sachsen, die sich damit abgefunden, daß vorläufig kein Gold aufzuklauben wäre, und sich deshalb willig zu einer wehrhaften Kumpanei aufstellen ließen, mit denen wohl jeder Kriegsherr Staat machen konnte. Sie wurden zur Hälfte mit Spießen, welche zween Mannslängen ma105
ßen, und zur andern Hälfte mit gewaltigen Flambergen ausgerüstet. Beides Gewappen fertigte der kunstreiche Schmied vom „Rummelpott" an, der weiland den eisernen Beinspieker so zur Zufriedenheit des Pieterkens hergestellt hatte. Jener Wackere lernte sich einen Gehilfen an, und es dauerte nicht lange, so waren unter ihren Hämmern aus Stangen und Eisenstücken die prächtigen Waffen der Sachsen geworden. Diese standen nach wie vor unter des Matthias Jäcklein Aufsicht; sintemalen der Fürchtegott Preisendanz ja Kopf und Leben lassen mußte, als man zur Feier der Ankunft in der Neuen Welt die Feldschlange „Carolus" gelöst hatte. Der Jäcklein bekam seine Befehle vom Nikolaus Federmann. Selbander schufen die zween aus den sächsischen Rotten ein wehrhaftes Fußvolk. Der Moncada lobte sehr die langen Spieße, weil er meinte, sie wären gut im Kampf gegen die Indios. Don Juan del Monte, einer der in Hamburg an Bord gekommenen Spaniolen, sagte jedoch, im Urwalde täten die ungefügen Spieße nur hindern. Am besten sei ein Fußvolk mit Rundtartsche und Degen oder kurzem Schwert, wie man bei der Eroberung des Aztekenreiches und auch des Inkalandes erfahren und bewiesen habe. Von den zweenhandigen Flambergen aber hielten die Welschen nicht viel, bis ihnen der Federmann eines Tages die einexerzierten Sachsen vorführte. Da staunten die Dons gewaltig, als sie sahen, mit welch spielender Leichtigkeit jene starken Kerle ihre ungefügen Klingen schwangen. Die ganze Zeit aber ließ sich weder einer der mit zauberhaften Indioweibsen im Walde verschollenen Spaniolen der früheren Fortbesatzung erblicken noch die Indios selber. Krankheit ging um in der Siedlung. Böse Fieber schüttelten die Leute, und der Pater hatte alle Hände voll, Tränklein 106
zu brauen und heilkräftige Einreibungen mit Igelfett zu perskribieren. Laut aber klang das Lob der Bonita und auch das der Gloria! Denn diese zween durchschritten das Lager gleich barmherzigen Engeln, halfen dem Pater, seinen zähneklappernden Kranken die Tränklein einzuflößen, sprachen ihnen auch Mut zu und scheuten sich mitnichten, auch nachts, wenn die großen Fledermäuse herumflogen und Jaguare im Walde schrecklich grollten, aufzustehen, um einen armen Teufel zu besuchen oder bei ihm durchzuwachen. Gar oft war die eine Seite von des Flensburgers Lager kalt und leer, weil die Bonita einen Bresthaften zu pflegen gegangen war. Und es war keiner unter all den rauhen, oft fürwitzigen Kriegsknechten, der es gewagt hätte, die zween Frauen zu beleidigen. Den Flensburger aber nahm es Wunder, daß der Spaniole nicht unwirsch ward, wenn sein Weib nachts aus dem Ehebette schlüpfte, um mit Lämplein und kühlendem Getränke versehen, irgendeinen Fiebernden zu revidieren. Seine Landsleute spotteten zwar anfangs, aber er forderte drei der Lästerer zum Degenkampf und rannte einem nach dem andern die biegsame Toledanerklinge durch Arm oder Hüfte. Die also Blessierten, die dann von dem Weibe ihres Gegners mit den andern Kranken gepflegt wurden, waren nachher die lautesten, welche schwuren, sie würden jedem, der des Ritters Gespons beleidige, ihr blankes Eisen zu schlukken geben. Und als sie wieder gesund geworden, taten sie sich flugs zu einer Leibgarde der Gloria zusammen, die jedes ihrer Schrittlein bewachte. Der Moncada sah's, lächelte und ließ sie gewähren. Jeden Sonntag hielt der Pater eine Predigt. Und in das dünne Gebimmel des Glöckleins drang das Grunzen der Affen aus dem Walde und das schnaubende Geblase der 107
Seekühe vom Meere. Von den Fieberkranken starben zween Arkebusiere, ein Spießträger und auch zween der schwergewappneten Reitersmänner. Ein Rößlein, das sich losgerissen, wurde vom Jaguar geschlagen. Das Getreide, welches man auf den Acker gepflanzt hatte, sprießte lustig und versprach schweren Erntesegen. Am besten aber gedieh das Türkenkorn. Yams oder süße Bataten hatte man von den Spaniern vorgefunden, und die Deutschen estimierten dies ihnen vorher unbekannte Gemüs als schmackhaft und gesund. Gar nicht wollte der Kohl, dessen Samen sie aus Deutschland mitgebracht hatten, fortkommen. Er trieb nur magere, wunderlich lange Stengel. Um frisches Fleisch zu haben, machten sie oft Jagdzüge. Diese führte stets der Flensburger an, der sich geschmeidig und leicht im üppigen Pflanzen- und Baumparadies bewegte, weil er im Gegensatz zu den andern, die sich vor giftigen Pfeilen fürchteten und deshalb Küraß und Tartsche wie auch Eisenhut mitschleppten, sich leicht trug. An den Füßen saßen ihm hohe, aber weiche lederne Reiterstiefel, in welche die enganliegende Hose gestopft war. Seinen Oberleib schützte ein Wams aus feiner Wolle, das auf der Brust sein Wappen vorwies: auf rotem Grunde eine Falkenschwinge und darüber die fünffachgezackte Mauerkrone. Auf dem blonden Haar saß ihm ein leichtes Barett ohne Feder. Er wußte trefflich mit aller Art von Gewaffen umzugehen. Sein Armbrustbolz holte den Affen vom höchsten Zweig herab; mit dem Dolch gab er dem wildesten Eber, schnell vor dessen Ansturm beiseit springend, den Fang, und mit dem Flamberg tötete er auf einen Hieb einen ihn anfallenden Jaguar. Auch schmiß er den Spieß sonder Fehlens. Den „Höllenbauch" aber, jene Feldschlange, die so klein und zierlich war, daß sie ein starker Mann ohne große Be108
schwerd tragen konnte, visierte er auf die an der Küste beim Vollmondschein sich tummelnden Seekühe, und die Stückkugel traf einmal eines der gewaltigen Tiere zu Tode. Und die Menschen hatten Schinken, Speck und auch Gesottenes von diesem wunderbaren Schuß. Oft saß der Flensburger nächtens auf dem flachen Dache des Blockhauses und stierte nach dem Walde, vor dessen dunklem Zackenbild Tausende von Glühkäfern gleich Gespensterfackeln schwebten. Und er lauschte dem Gedröhn der Tierstimmen, die aus dem Innern kamen. Manchmal seufzte er schwer, wenn er an des Spaniers Erzählung dachte. Dieser besuchte ihn eines Abends und warf listige Worte hin von Gold und köstlichem Plunder, sagte ihm auch, je eher er seinen Einfluß bei dem von Hutten und den andern Herren gelten machte, daß der Zug nach dem Lande der Chibchas angetreten ward, desto schneller könne er übers Meer und in seine Heimat zurückfahren. Mitnichten jedoch als armer Feldhauptmann sondern als großer Herr, in dessen Truhen und Kasten eitel Gold glänze, wunderbares Edelgestein bunt blitze und Perlenschnüre sanft schimmerten ! Bedächtig nickte der riesige Blonde mit dem Haupte, krampfte die Finger zur Faust und sprach keinen Ton. Wunderlich war ihm bei des Spaniers Lockrede zumute! In seinen Augen gloste ein verborgenes Feuer, das dem Welschen jedoch mitnichten entging. „Gold und Ehr ist wohl zu gewinnen, ansonsten aber auch der Tod!" sprach endlich der Deutsche, und der Schwarzbärtige lachte klingend. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, Bruderherz. Und denkst du etwa, daß eine Kolonia nicht des Goldes bedarf? Der Kaiser hat dies Land um etliche Tonnen Goldes verpfän109
det. — Damit nun der Welser wieder zu seinen Schätzen komme, hat er euch hierher geschickt. Der Kaiser aber schlägt zween Fliegen mit einer Klappen. Denn über kurz oder lang werdet ihr den Zug zu den Chibchas antreten. Eure Knechte gehorchen zwar noch, aber schon beginnen sie zu murmeln. Denn Gold ist der Leitstern des Menschen. — Wohlan, wir werden das Reich der Chibchas erobern, wie Pizarro es mit den Inkas getan. Nur müssen wir uns sputen, sonst kommt uns ein andrer zuvor. Des Pizarros Bruder und auch der Quesada, sagt man, haben denselben Plan. Und wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Das heißt, in seinen Säckel fallen die eroberten Schätze! Wohlgemerkt, nach Abzug des Fünften, welcher laut Gesetz des Kaisers Anteil ist." Der andere lachte bitter: „Des Kaisers geheiligte Majestät wird es also egal sein, wer es ist, der ihm den klingenden Fünfteil bringt. Die Hauptsach gilt ihm, wenn jener nur gebracht wird. Ob vom Pizarro, ob vom Quesada oder vom Welser! Kaiser Carole ist ein windiger Schelm!" Der Moncada sah sich um. Es war alles still bis auf die Tierstimmen im Walde. Da hub er an: „Begreifst du also, daß die Kolonia des Welser mit dem Chibchagolde fällt oder steht, Bruderherz? — Kaiser und Papst ist mitnichten daran gelegen, eine deutsche Kolonia zu errichten. Alles Neuland soll spanisch sein und bleiben, und euch benutzt man nur, um ohne Kosten hier einen Stützpunkt zu errichten. Je eher wir oder vielmehr ihr, haha! euch rüstet und die Chibchaschätze erobert, desto größer ist eure Gelegenheit, reich wie die Fürsten heimzukehren. Denn heim müßt ihr nach noch unbestimmter Frist sowieso, wenn alles im Guten abläuft. Reich oder arm! Der Kaiser will keine Fremden, besonders solche nicht, die, wie man von euch sagt, der Ketzerei wenig abhold sind, — in seinen Landen!" 110
Wieder sprach der Flensburger und hieb die Faust dabei aufs Knie: „Der Kaiser ist ein wortbrüchiger, arglistiger Gauch, wie alle aus dem Hause Habsburg. Und mir ist gar übel zumut. Denn wenn ich in die Zukunft schaue, so seh ich nur Tod und Not. Mir deucht, es wäre am besten, wenn ich nun dem von Hutten reinen Wein einschenke. Ach, wären doch noch die Schiffe da, so könnten wir flugs nach Hause fahren!" „Um dort den Hals auf Meister Hämmerleins Block zu legen, am Galgenfeld. Denn Carole ist Herr der Christenheit, vergiß das nicht, Bruderherz! Und, Sankt Jago! es würde euch allen die Hälse kosten wegen Verhöhnung der kaiserlichen Majestät." So eiferte der Moncada und fuhr fort: „Du bist mein Freund und auch nicht der Dümmsten einer. In dieser schwerfällig geraden deutschen Art steckt Schlauheit. Sonst hätt ich dir jetzo nicht Dinge erzählt, deren vorzeitige Verkündung auch mich Kopf und Kragen kosten könnt. Siehst du nun ein, daß es euer Vorteil ist, rasch gen das Chibchareich zu fahren und dorten . . ." Der Blonde unterbrach ihn wild: „. . . dorten die güldenen Kastanien für Carole aus dem Feuer zu holen." Der andere lachte: „Es liegt an euch, wenn der größte Teil dieser schönen Früchte an euern Fingern kleben bleibt!" Unwirsch erwiderte der Flensburger: „Wir Deutsche sind ehrlich. Und wenn der Kaiser wie ein Schelm an uns handelt, so wollen wir an ihm nicht das gleiche tun. — Aber du hast recht, Kumpan, unsern Ausweg, vielleicht unsre Rettung — kann uns nur das Gold bringen. Gold, das wir in des Kaisers unersättliche Truhen schütten." Er wischte sich die Stirn, stand langsam auf und betrachtete die fremdartig schöne Tropenlandschaft mit zornigen Blicken. 111
Der zierliche Spanier trat neben ihn: „Also ist es abgemacht, daß du den Aufbruch förderst!" Der Flensburger nickte: „Noch mag ich dies nicht offen tun, denn der Sinn des von Hutten und des Welser stehen auf Urbarmachung der Kolonia. Aber wo ich ein Wort einwerfen kann, so will ich's tun. Und mich dünkt, daß der Federmann das Ackern und Pflügen schon lang aus scheelem Aug betrachtet." Der Spanier reichte ihm die Hand. „Und so verspreche ich dir bei Sankt Jago und meiner Familienehr, daß ich dir als Freund gewogen bin. Trotz deiner schweren, steifen Art gefielst du mir schon zu Augsburg. Daher will ich dich warnen, wenn stets es not tut, und dir ein getreuer Waffenbruder sein. Im Namen der Jungfrau Maria! — Die andern, der von Hutten und wie sie alle heißen, kümmern mich mitnichten. Es sind plumpe, unholde, barbarische Wichte. Doch magst du ihrethalben tun, was du für recht hältst. Mit Maß und Vorsicht!" Die beiden schüttelten sich die Hände und stiegen dann nach unten. Die Siedlung gedieh wohl. Schon konnte es keinem Feinde mehr so leicht fallen, in sie einzudringen, denn der unermüdliche Eifer der Knechte hatte einen Erdwall nebst tiefem Graben um die Häuser aufgeführt. Das Wasser, das man aus dem Bache hineinleitete, versickerte zwar hurtig, aber man half sich, indem man Wolfsgruben errichtete, worin zugespitzte Pfähle lauerten. An zween Ecken der Stadt, die nach dem Urwald wiesen, baute man Aussichtstürme, auf denen Tag und Nacht die Wächter saßen. Und in die Stadt hinein gab es nur einen Eingang. Dieser war zwar bequem und breit, doch lagen daneben die niedern Wachtgebäude, in denen dreißig gewappnete Knechte hockten und würfelten. Stets glosten ihre Lunten für die Musketen 112
und auch der „Höllenbauch" stand bereit, eiserne Traubenladung zu speien. Alle diese Dinge zum Schutze der Stadt hatte der Jan Detlef Löhndorff weislich ausgedacht, denn das war auch sein Amt in Flensburg gewesen! Mit zunehmender Zeit aber — besonders als das frische Fleisch knapp ward, weil das Wild in der Runde erlegt oder verscheucht war, begannen die Mannen leise zu murren. Und der Moncada ließ von neuem allenthalben seine Wörtlein fallen. Eines Tags kam einer von den Reutern daher gegangen, als grad die Herren beim Mahle saßen und fein züchtiglich mit den zween Weibsen scherzten. Es wär übel, daß die Befehlshaber zechten, während geringere Kriegsleut nur Bataten, Kullererbsen und zähes Papageienfleisch zur Atzung bekämen! Also hub der Kerl an, und männiglich schaute erstaunt auf, denn auch hier im Saale hatte man nichts andres zu essen als die Sachen, welche die Knechte bekamen. Mild tat der gute Pater Einspruch und verwies dem Reuter seine unstatthafte Rede. Doch der nannte ihn einen wanstigen Pfaffen, der nichts könne als fressen, saufen und Gebete plärren! Eh sich der von Hutten einmischen konnte, verwandelte sich der Pater in einen ergrimmten Löwen. Er stand auf und schmiß dem Kerl ein großmächtiges Stück gesalzenes Schweinefleisch, das noch aus Hamburg stammte und vom Küchenmeister nur zur Zierde aufgetragen wurde, weil es sonst gänzlich ungenießbar war, an den Kopf. Der Pater führte eine starke Hand, das hatten damals schon die Buschklepper auf der Lüneburger Heide zu ihrem Schaden erfahren. Der steinharte, salzbekrustete Fleischbrocken traf den Aufsässigen denn auch so wuchtig, daß er hintenüber taumelte und sich schier überschlug. Jetzo eilte der Pater, dem sein Jähzorn nun wieder leid tat, in christlicher Be113
sorgnis hin und wollt dem Schelm auf die Beine helfen. Doch der sputete sich und sprang behende hoch. Er riß auch sein grobes Maul von neuem auf und schalt alle Anwesenden derbe aus. Als er geendet, bückte er sich, raffte des Paters Wurfgeschoß vom Boden und schmiß es zornentbrannt mitten auf die Tafel, daß eine Schüssel barst und die heißen Kullererbsen den zween Weibsen in den Halsausschnitt hüpften. Hohnlachend wollt er gehen, da griff ihn der lange Flensburger am Kragen und schmiß ihn gen die Wand, daß der Eisenküraß rasselte. Er hätte den Kerl auch wohl umgebracht, denn er sah sein Weib ob der heißen Erbsen, die ihre zarte Haut verbrannten, bitterlich weinen, und solches machte ihn einem reißenden Tiere gleich. Jedoch sprangen die andern dazwischen, und der Hauptmann kam wieder zu sich, blickte wild umher, als ob er aus wüstem Traum erwachte, und pfiff dann der Wache, die den Bewußtlosen wegschleppte. Schon am andern Tag war Gericht. Im Viereck geordnet, mußte die ganze Besatzung gewappnet um den Richtertisch, der im Schatten eines Ceibabaumes stand, aufmarschieren. Die Trompeten, Schalmeien und Sackpfeifen machten viel hellen Lärm, dazwischen rasselten die großen Landsknechtstrommeln, und am dumpfesten klang das Kalbfell des Pieterken, der stumm und riesengroß, sein eisern Bein schräg vom Leibe gespreizt, neben dem Banner hielt. Jetzo brachten die Wachen den Angeklagten. Das Gesicht war ihm arg verschwollen vom Wurfe des Paters, aber sonst schien er wohlauf. Sein Auge suchte in stummer Bitte das des Flensburgers, zu dessen Rotten er gehörte. Es war ihm wohl bang um seinen Hals, denn nach den Satzungen, zu denen sich jeder in Hamburg bekannt hatte, stand Todesstrafe auf: Gotteslästerung, Ungebührlichkeit gegen die Weibsen 114
in eroberten Gebieten und aufrührerische Tat gegen die Obrigkeit. Letzteres Delikt hatte der Kerl auf dem Gewissen! Es war ganz still, als der von Hutten, nachdem die Herren sich leise besprochen, mit dem Dolch auf den Tisch schlug und den Missetäter fragte: „Du bist der Zacharias Pfannenstiel, gebürtig aus Berchtesgaden. Soldknecht unter den Reutern, die dem Hauptmann Jan Detlef Löhndorff unterstehen?" Der arme Schelm nickte und brachte ein „Wohl, wohl! Gestrenger Herr Ritter!" herfür. Der Adelige fuhr fort: „Du hast dich, wie alle diese Herren und der Küchenmeister sowie die Speisenträger bezeugen können, bösartiger Rede und teuflischen Hohnes gegen die von Gott und den Menschen vorgesetzte Obrigkeit schuldig gemacht!" Der Pfannenstiel antwortete: „Und wenn ich's getan, was ich mitnichten abstreite, so war ich von der Hitz und bösen Geistern behext und konnt mitnichten dafür!" Der Ritter setzte eisig die Anklage fort. „Auch hast du dich bubenhaft gegen den Pater Chrysostomus benommen, ihn arg gescholten und gelästert, trotzdem er dich einst im Fieber pflegte und dein Leben rettete!" Da rief der Soldknecht bittend: „Gestrenger Herr, es waren Teufel und Zauberer, die in mich fuhren und aus meinem Munde sprachen. Wohl weiß ich, daß der Herr Pater mein armseliges Leben rettete. Drum bitt ich ihn jetzo, er möge mir verzeihen und in Gnaden gewogen bleiben!" Der von Hutten war noch nicht fertig, obwohl allenthalben Beifallsgeraun hörbar ward, als der Pater rief: „Ich vergebe dir, Zacharias Pfannenstiel, und will auch bei Gericht für dich ernsthaft bitten." Der Ritter aber sprach weiter, und alles lauschte: „Du hast in toller Wut und böser, teuflischer Freude die Tafel 115
in Aufruhr und Zerstörung gebracht und darob die zarten Hälslein der Damen mit verschütteter Speis angesenget, daß sie große Schmerzen litten. — Also tu ich den Spruch, daß du wegen all dieser Verbrechen zu Tode getan wirst, indem du am Halse so lange aufgehängt werden sollst, bis dir die Seele aus dem Munde entschlüpft ist!" „Erbarmen! Tut mich nicht zu Tode, um böser Teufel willen, die aus mir sprachen. Es war die Hitz und auch die Untätigkeit!" rief der Verurteilte und endete, plötzlich kühn werdend: „Denn wir haben als Kriegsknechte Verspruch getan und nicht als Steinmetzen und Ackerbauer. Und man hat uns auch Goldes versprochen!" „So ist's!" schrie jemand aus den bewaffneten Reihen, und Murmeln ging wie ein Windstoß durch die Glieder. Der von Hutten machte große Augen, aber der Moncada lächelte und winkte dem Flensburger zu. Dieser trat vor und schaute dem Ritter warnend ins Auge, während er laut zu den andern sprach: „Der Pater hat verziehen. Auch ich und mein Eheweib wollen Milde walten lassen, weil der Pfannenstiel wahrhaftig vom Teufel besessen war. Ansonsten stell ich ihm das beste Zeugnis aus und bin jetzo gewillt, ihn zu meinem Waffenträger zu ernennen!" Dem Pfannenstiel liefen die Freudenzähren aus den Augen. Alles aber war still, man hörte die Blätter des Ceibabaumes sacht rascheln. Der von Huen rief nach banger Weile, sich erhebend: „So sei's. Der Angeklagte sei ab dieser Minute frei und ledig. Und ich ermahn ihn fürder, treu und brav zu bleiben! Amen!" Der Pfannenstiel sagte nichts mehr, aber seine Augen riefen dem Flensburger so deutlich zu, als hätten's die Lippen getan: „Bis in den Tod!" Ein brausender Ruf stieg von den Reisigen auf. Dreimal 116
zitterte die Luft, als sie Vivat schrien und den von Hutten leben ließen. Die Herren aber erhoben sich und beglückwünschten einander, taten auch einen Umtrunk, während die Gewappneten, von ihren Rottmeistern geleitet, abmarschierten. Aus den letzten Reihen aber rief einer halblaut: „Auf nach Gold und Perlen zu den Schatzkammern der Chibchas!" Betroffen sahen sich die Herren an, ließen auch die Rotte Halt machen, konnten aber nicht herauskriegen, wer der Rufer gewesen. Der Moncada und der del Monte lächelten gar fein, als der von Hutten nachher öffentlich des Flensburgers Rechte schüttelte und ihm dankte dafür, daß er den Richtspruch zu aller Gutem gelenkt habe. Denn es lag auf der Hand, daß die Knechte zu meutern gewillt waren, hätte man den Pfannenstiel baumeln lassen! Am Abend fand der Moncada den blonden Hauptmann auf dem Dache der Festung sitzen und zum feenhaften Sternenhimmel emporstarren. Eben hatte ihn die Bonita verlassen und war ins teppichgeschmückte Ehegemach hinab gegangen, wo sie mit der Schwester bei mildem Kerzenschein allabendlich am Spinnrocken zu sitzen pflegte. Der Flensburger hatte das Barett abgenommen, und sein dichtes Haar glänzte wie Weißgold. Als der Spaniol, welcher unhörbaren Schrittes gegangen kam, nun plötzlich in seiner schwefelgelben und scharlachenen Tracht und mit wippender Hahnenfeder vor dem Deutschen stand, schreckte dieser zusammen. „Weich von hinnen, Versucher. Meine arme Seel kriegst du nicht!" stieß er hervor, und wie er den andern erkannte, versuchte er zu lachen: „Ich habe geträumt!" Dieser ließ sich an seiner Seite nieder, und die dunklen Augen glitzerten ihm wie die eines Katers. „Vom Golde hast du spintisiert. Gesteh's, Bruderherz!" flüsterte er. Mehrmals neigte jener das Haupt, und in seiner Stimme schwan117
gen unausgesprochene Wünsche mit, als er entgegnete: „Gold und Perlen! Edelgestein und köstliche Gewandung sah ich im Traum. Und einen braunhäutigen Jüngling im leuchtendbunten Mantel, aus unzähligen Federchen zusammengesetzt, eine schwere Kron über den Brauen, der auf vergoldetem Floß über einen silberklaren See fuhr. Die Berge spiegelten sich darin. Und alles war friedlich und schön; Tausende Indios warteten singend auf die Sonne. Aber als sie kam, da fiel Feuer vom Berg und Himmel, und eisengepanzerte Knechte wateten mit rotem Schwert durch Blut und Rauch erfüllte Gassen. In der einen Faust hielten sie ihre besudelten Waffen, mit der andern aber schwangen sie gleißende Ketten und Geschmeide, an denen Blutstropfen hingen. Und ihre Füße schritten über die Körper der Gemordeten. Einer aber trug ein Kreuz den andern voran, und als dies der prächtige Schiffer im Federmantel sah, sprang er mit lautem Klageruf in die Tiefe des Sees. Rauch und Feuer schlugen zum Himmel, und ich sah mich selber vor einer Truhe knien und mit rotbespritzten Händen im Golde wühlen. Nachher war das Traumgesicht weg, und mich dünkte, als ob der Böse mit der Hahnenfeder am Barett auf mich zuhinkte und mir einen Vertrag hinreichte. Gierig griff ich danach, um ihn zu unterzeichnen. Er wollte mir eine Ader öffnen, um die Tinte zu kriegen. Und in mir frohlockten tausend Stimmen. „Gold! Gold! Reich! Reich!" schrien sie. Über meine Lippen jedoch kamen ungewollt Worte, die dem mit der Hahnenfeder schnöde sagten, er solle sich wegheben. Auf einmal standest du vor mir, und was ich für Gold, Blut und lodernde Flamme gehalten, war die Farbe deiner spanischen Montur!" Der Flensburger schwieg und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Von unten kamen die perlenden Töne einer Laute herauf118
geschwebt, und eine liebliche Frauenstimme sang aus dem Verborgenen: „Mein Schatz ist ein blonder Reitersmann Und sitzt auf weißem Roß! Er trabet über Heid und wohl durch grünen Tann, Zu mir aufs Wünschelschloß!" Wie Sonnenschein flog es über das düstere Gesicht des Hauptmanns, als er an der Weise sein Weib erkannte. Er hob den Kopf und lauschte. Aber es blieb fürder stille. Nur im finstern Urwald röhrte und brüllte das auf Raub ausziehende Nachtgetier. Da sprach der Moncada: „Dein Traum war ein gutes Gesicht, Bruder. Soll ich ihn deuten?" Der andere nickte, und jener sprach geschmeidig: „Wir werden das Chibchareich erobern und du sollst vielen Goldes gewinnen!" „Wie deutest du aber jenes Pergament, das der Böse mir zur Unterschrift vorhielt?" Listig fuhr der Moncada fort: „Da du's im Traum nicht unterzeichnet hast, so wirst du auch in Wahrheit nichts Arges tun. Gold und Reichtum aber warten auf dich. — Hörtest du, wie lieblich dein Weib eben sang? Verlangst du noch ein besseres Zeichen als Abschluß deines Traumes?" Sprach's und eilte lachend die Treppe ins Innere hinab. Der Flensburger erhob sich und reckte die Glieder. Was der Spanier ihm gesagt, schien nicht übel. Und in seiner Seele fühlte er die Begierde nach Reichtum plötzlich nagen wie ein hartnäckiges Tier. Er hatte noch nie dergleichen empfunden, und es dünkte ihm so wunderbar und seltsam, daß er die Arme über den Kopf hebend, gleich einer gewaltigen Figur auf dem mondumflossenen Dache stand und rollend lachte. Etliche Knechte, die mit dem Pieterken an 119
dessen Trommel neben einem Feuerlein im Hofe saßen und um Zinken und Daus spielten, fuhren mit den Köpfen hoch. Eben ging der Moncada leise an ihnen vorbei. Verschwand in der Nacht. Der Pieterken sah seinen Herrn auf dem Dache in grausiger Verzückung stehen und eilte, so rasch er auf seinem eisernen Bein fortkommen konnte, ins Haus. Scheu um sich blickend, ließen die Knechte ihre Karten auf dem Kalbfell liegen und verzogen sich. Langsam sanken dem Flensburger die Arme herab, und nun hörte er die hölzerne Treppe unter dem eisernen Spieker des Pieterken ächzen und splittern. Dann stand dieser vor ihm und schaute ihm besorglich in die Augen: „Ach Herr, liebster Herr, was ist in Euch gefahren?" fragte er, aber der Hauptmann schüttelte unwirsch den Kopf. „Nichts! Was willst du?" Sprach's und schaute hinüber, wo das Türkenkorn im Mondsilber seine Büschel reckte. „Ach Herr, wir hörten Euch fürchterlich lachen, und dann sahen wir Euch wunderlich auf dem Dache ragen und die Fäuste zum Himmel ballen. Da verzogen sich die andern bang nach ihren Losamenten. Ich aber klimmte zu Euch empor, wo mein Platz ist, falls Ihr in Not!" sagte der Knecht und schaute gar treuherzig drein. Der Flensburger setzte sich wieder auf die Brüstung: „Höre, Trommler, was hältst du von der Sach hier ?" fragte er, und der andere stampfte derb auf, daß sein eisernes, spitzes Bein zween Hände tief ins Dach drang. „Das hab ich Euch schon damals verkündet zu Augsburg, nachdem Ihr den trunkenen Spaniolen in sein Gemach verbrachtet. Ein runzlig Zigeunerweib hat mir's aus der Hand geweissagt, und lustig pfiffen die Stare dazu. Zugrund werden wir gehen, samt und sonders! Und die Trommel zerschell ich an der Feinde Schädel. — Unsre Heimat werden wir nicht wiedersehen. 120
Und zuvor — das sagte auch die Fahrende — werden wir noch schier bis zum Halse im Blute und Golde waten!" Der Hauptmann fuhr hoch. „Mein Traum!" stieß er hervor. Lange herrschte dann Schweigen zwischen Herr und Knecht. Bis jener begann: „Was reden die Gewappneten untereinander?" „O Herr! Denen ist das Dasein zu Leid. Sie wollen marschieren und kämpfen! Dafür seien sie geworben, und der Spaniol samt Kumpanen gibt ihnen recht und erzählt flammende Geschichten von Gold und Schätzen, die auf uns warteten. Auch die Sachsen schelten schon arg. Beinah wär's zum Aufruhr gekommen heut wegen des Pfannenstiel! Und es ist wohl keiner unter all den Mannen, der sich nicht für Euch, Herr, in Stücke hauen ließe! Aber auch auf den Moncada hören sie!" Der Trommler schwieg. Jan Detlef lachte plötzlich: „Sag deinen Kumpanen heimlich, wir würden bald marschieren. Sie sollten aber das Maul noch halten. Und es wird Goldes in Fülle geben für die, welche dann noch leben. Und eines Tags wirst du die brave Trommel zerschellen, Pieterken. — Vorher aber spielst du mir eine neue Weise. Eine Weise von Mannestreu und Fürstenwort. Und laß das eine mächtig und gewaltig dröhnen. Doch die Mär vom Fürstenwort soll auf deiner Trommel klingen, als ob ein bresthafter Knab zween Totenknöchlein zu rühren versucht. Und laß die Weis gar jäh und schmählich abbrechen. Solches sollst du dir in Bälde einüben!" Staunend stand der Pieterken und blieb allein mit seinem Spieken eingebohrt auf dem Dache, als sein Herr ins Haus hinabstieg. Im Schlafgemach, das mit den blauen Sarazenenteppichen des Mohrenschiffes wohnlich ausgeschlagen war, saß die Bonita und zupfte am Rocken, indes ihr Fuß das schnur121
rende Rädlein trat. Sie erhob sich, als ihr Mann hereinkam, eilte ihm entgegen und barg das güldenlockige Haupt an seiner breiten Brust. „Seit Tagen sinnierst du, redest wenig und deine Miene ist düster, mein lieber Herr!" schmeichelte sie und zog ihn neben sich auf den mit einem Jaguarfell bedeckten Holzklotz. Er streichelte ihren Scheitel. „Es sind der Gedanken und Ahnungen gar viele, die manchmal über einen Kriegsmann herstürmen, Bonita!" Seine Stimme veränderte sich, daß sie ihn erstaunt anblickte. „Gold und Reichtümer werd ich erobern im Lande der Chibchas. Der listige Kaiser Carole will's, sagte der Moncada. Und nachher steigen wir zu Schiffe und fahren in die Heimat. — Ich seh einen mauerumgürteten Erbhof liegen auf grüner Wiese! Und feiste Kühe friedlich zum Bache wandeln! Die Schwalben bauen ihr Nest unterm Gebälk, und auf dem Dache klappert der Storch!" Sie schmiegte sich erbebend an ihn. „Oh, schrecklich ist dies Land hier und rauh der andern Männer Gebaren. Ich habe Heimweh!" „Bald werden wir dem Golde nachmarschieren!" murmelte er. Mit leisem Schrei umklammerte sie da seine Brust. „Marschieren? In den Urwald! Wie die Knechte seit geraumer Zeit munkeln?" Er nickte, und leidenschaftlich bat sie: „So gehe ich mit. Ich bleibe nicht allein hier, es wäre mein Tod. Du nimmst mich mit dir. Gemeinsam ziehen wir aus, gemeinsam kehren wir — will's Gott — in die Heimat zurück. Versprich mir, daß ich mit darf, wenn ihr ausmarschiert!" Der Hauptmann schwieg, und sein Gesicht spiegelte harten Kampf. Endlich nickte er. „Es sei. Obwohl die andern lachen werden! — So Gott will? sagtest du. — Ha, mich dünkt eher, daß der Teufel die Hand im Spiel hat. — Blut und 122
Gold. Und nachher wird der Pieterken die Trommel am Haupte der Feinde zerschellen. Und mir schwant, daß diese Feinde spanische Montur und Toledanerklingen haben werden !" Entsetzt hörte sie der wirren Rede zu. „Der Moncada?" flüsterte sie. Der Hauptmann lachte bitter. „Jener? Nein, der ist treu. Ist mir treu! — Aber der Kaiser ist ein Schelm!" Er beugte sich über sie und warnte: „Schweig still über alles, was du in dieser Stunde hörtest. Denn noch ist's nicht so weit. Alles mag sich auch ändern, und vielleicht sind meine trüben Ahnungen nur Hirngespinste!" Stumm ließ sie's geschehen, daß er sie auf die Arme hob und in die Ecke nach beider gemeinsamem Lager trug. Die ausgeblasene Kerze stank, und durch die Baumstämmewand hörten sie den Moncada und seine Gloria murmeln. Sie waren anscheinend guter Laune, denn einmal lachte die Gloria silberhell, und nachher hub der Spanier an zu singen und klingend die Laute zu schlagen. Bis der von Hutten, der im Oberstock hauste, mit kräftiger Stimme um Nachtruh bat. Nachher war alles still. Draußen aber erzitterte die Luft vom Gezirpe viel tausendfacher Zikaden. Der Flensburger wollt es der in seinen Armen entschlummerten Gattin soeben gleichtun und die Augen schließen, als er plötzlich wieder ganz wach ward. Unten im Hof knirschten die Muscheln, mit denen sie den Boden beworfen hatten. Er kannte diesen Schritt, der sich so seltsam unregelmäßig und doch kräftig anhörte. Es war der Pieterken mit dem Eisenbein! Jetzo wurde ein Gegenstand niedergesetzt, und die Zikaden in der nächsten Nachbarschaft stellten ihr Zirpen ein. Und dann dröhnte ein Trommel durch die Nacht. Als ob wehrhafte Rotten sonder Zahl über ein Blachfeld stampften! 123
Als ob Reiter einhergaloppierten! Und als ob Schilde zusammenschmetterten, Lanzen brachen, Bolzen schwirrten und Schwerter gen Helme klirrten. Und manchmal toste die Trommel gleich dumpfen Kartaunenschlägen! So dröhnte und tobte sie, und obwohl sicher die meisten Leut in der Runde dadurch erweckt wurden, gebot doch kein einziger Einhalt. Gar prächtig und männlich spielte der Pieterken auf der Trommel! Der Flensburger aber lag steif im Bette, sein Herz klopfte, und eine Trän brannt ihm im Auge. Der Pieterken hörte mit einem mächtigen Tusch auf, welcher die Nacht dröhnend erfüllte. Jan Detlef aber wußte: was er jetzo gehört, war die erste Strophe von der Weise, um die er den Trommler gebeten. Dieser sagte auch soeben mit tönender Baßstimme: „Mannestreu!" Wieder war's ruhig, sacht huben die Grillen an, und dem Flensburger krampfte sich das Herz in Bangheit zusammen, weil er das nicht hören wollte, was nun kommen würde. Er beneidete die Bonita, die friedlich schlafend neben ihm lag. Und er versuchte zween Finger in die Ohren zu stopfen, aber die Hände sanken ihm herab, und er mußte lauschen. Mit einem kühnen Quirlen ließ der Pieterken jetzo die Schlögel rasseln. Und es hörte sich gut an! Der Flensburger staunte, doch als der Trommler drunten plötzlich seine Stöcklein in verrückten Varianten rasseln und schier angstvolle Pausen dazwischen ließ, begann der Lauscher in der Dunkelheit bitter zu lächeln. Die Trommel hörte sich an wie dumpfes Gestöhn, und manchmal kicherten höhnische Teufel dazwischen. Immer leiser und kläglicher wurde sie, und es war wirklich, als ob ein Knäblein sie mit kraftlosem Knöchel anrühre. Und mit einem erbärmlichen Wirbel brach sie ab. 124
Der Flensburger vernahm den von Hutten im Oberstock erleichtert aufatmen. Die tiefe Stimme des Nikolaus Federmann brüllte durch die Nacht: „Was ficht dich an, Trommler? Reiten dich tolle Fieberhunde, daß du so gewaltig schön und kriegerisch anhubst und dann dein Instrument wie ein krepierendes Bettlerkind enden ließest?" Und der Pieterken rief im Fortgehen, daß alle es hörten: „Das zweite, das war die Weis vom Fürstenwort, gestrenger Herr Hauptmann!" Im Nebengemache lachte der Moncada einmal laut und gellend. Alsdann schritt die Nacht weiter.
Die h e i l i g e J u n g f r a u von d e n s i e b e n Schwertern Der Zacharias Pfannenstiel nahm sein neues Amt als Waffenträger des Flensburger Hauptmanns gar ernst. Tag für Tag putzte er mit wollenem Lappen Helm und Brünne. Auch den gewaltigen Flamberg, in welchen ein nordischer Schmied geheimnisvolle Runen eingelegt hatte, die beim Schwingen der Waffe gleich Feuer blitzten! Und er bekam viel zu säubern, denn nachts ist es im Lande Venezuela sehr feucht und schadhaft für Stahl und Eisen. Jeden Abend trommelte der Pieterken die neue Weise, die er auf des Flensburgers Rede hin erlernt hatte. Männiglich hörte ihm gerne und unermüdlich zu, denn der Knecht mit dem eisernen Bein war wirklich ein Virtuos auf dem Kalbfell. Wohl aber trommelte er sein neues Stücklein nur zur einen Hälfte. Die andere, welche so kläglich und schnöd klang, ließ er nicht hören. Damit hätte es Zeit! Wenn es aber so weit wäre, wollt er trommeln, daß es bis in einem 125
spanischen Palast in der Provinz Castilia zu hören sei! Dieses sagte der Pieterken seinem Herrn, und der trug ihm auf, weislich zu handeln, auch sein Maul zu hüten, damit keine fürwitzigen Worte ihm daraus entschlüpften. Er solle aber unauffällig die Knechte belauschen und ihm behende erzählen, falls sie etwa gedächten, dem von Hutten und dem Welser die Treue zu brechen. Der Trommler tat nach den Worten des Herrn und konnte ihm bald mitteilen, daß die Knechte nicht im Sinne führten, ihr Manneswort zu verletzen, wohl aber hätten sie es satt, fortwährend zu säen und zu jäten. Ihm aber, dem Flensburger, würden sie — wie sie schon mal gesagt! — für das, was er an einem der ihren getan, samt und sonders in die feurigste Hölle folgen, wenn es not täte. Des freute sich der Jan Detlef Löhndorff. Nachdem er mit sich zu Rate gegangen, sagte er den andern Herren, als sie allein beim Mahle saßen — weil die zween Weibsen mit einem Süpplein zu einem Kranken gegangen waren — daß die Knechte treu wären. Und auch treu bleiben wollten, wenn man ihren Schwertern und Marschbeinen Arbeit gebe. Denn mitnichten gedächten sie Ackerbauern zu bleiben. Der Federmann nickte kräftig und strich sich den Stutzbart; auch der junge blauäugige Welser, den der Jugendmut in den Gliedern zucken mochte, rief fröhlich, es wär an der Zeit, einmal einen Erkundigungsmarsch durch den Urwald anzutreten. Denn bis jetzo sei man noch nicht tief eingedrungen und wisse daher nicht, was es darin oder dahinter gäbe. Der Moncada freute sich der ungestümen Rede des Bartholomäus und wollte eben etwas sagen, als der von Hutten mit bedenklichem Kopfschütteln einwarf: „Wohl wär alles gut, was wir vorhätten, aber in erster Linie müßten wir die Kolonia des Welser halten und ausbauen!" 126
Spöttisch grinste der Spaniole und hub an, wie ein Sturzbach zu reden von dem Reiche der Chibchas, das im Gebirge läge, und welches zu erobern nur einen Handstreich koste. Und dort sei Goldes die Fülle! — Sie müßten sich aber beeilen, damit ihnen der Bruder des Pizarro von Peru aus oder der Quesada nicht den Rang ablaufe. — Der Mon-ada ließ beim Erzählen die Augen umherschweifen und sah, daß der Federmann, auch der Welser und ein paar Fähnleinführer beifällig nickten. Nur der von Huten zog die Stirn in Falten. Dem Pater aber konnte man nicht anmerken, was er dachte! Der Flensburger stand am Fenster und sah hinaus auf den Hof. Dort hockte der Pieterken auf der Feldschlange und trommelte die Weise vom „Manneswort". Jetzo ließ der Moncada fürsichtig durchblicken, daß es dem Kaiser wohl genehm wär und sehr am Herzen liege, wenn die Deutschen erst die Chibchas unterjochten, damit ihm der Fünfte ihrer gewaltigen Schätze in den Kasten falle. Nachher sollten und dürften sie gerne kolonisieren. Geschickt und listig, wie sich der Moneada ausdrückte, so sahen die Herren doch plötzlich das verborgene Horn und spürten die versteckte Kralle seiner allerchristlichsten Majestät, und es ging ihnen auf einmal ein Lichtlein auf, wie es um des Kaisers Wort und um sie, die darauf gebaut hatten, in Wirklichkeit bestellt war. Der Flensburger aber war froh, daß er es ihnen nunmehr nicht zu sagen brauchte. Bartholomäus Welser war ganz blaß geworden, als ahnte er, daß er nie wieder Vater und Mutter, sowie das traute Schwesterlein Philippine im schönen Augsburg sehen werde. Der Federmann schlug hart auf den Tisch und sagte: „Es ist besser, mit offenem Visier zu fechten!" Pater Chrysostomus bekreuzigte sich. Drunten aber im Hof schlug der Trommler aufs neue die Weise vom „Man127
neswort". Da sprach der von Hutten und schien plötzlich ein alter Mann geworden: „Wir haben einst geschworen am runden Tisch, des Welsers Sach zu halten. Drum schlag ich vor, mit dem nächsten Schiff, welches eintrifft, Briefe an das Haus und auch an den Kaiser zu senden. Denn ich glaube mitnichten, daß die Majestät es übel mit uns vor hat. Und bis die Antwort kommt, wollen wir weiter in unserm Beginnen fortfahren, das Land urbar zu machen!" Dem Flensburger gab es einen Stich im Herzen, und doch war er erstaunt über die Kühnheit seiner Worte, als sie schon raus waren und durchs Fenster hallten: „Pieterken, das andre Halb! Spiel die andre Hälfte. Hurtig!" Der Knecht schaute herauf, nahm die Schlögel und begann sie zu rühren. Als er fertig war, brummte der Federmann: „Was für eine gottserbärmliche Weise. Schier schlecht wird einem dabei!" Und der Flensburger sagte, den von Hutten ansehend: „Der Pieterken hat's gemacht auf mein Geheiß. Und die Weise nenn ich ,Fürstenwort'!" Da war es ruhig, und alle schauten sich betreten an. Bis der Bartholomäus Welser rief: „Wenn die Sach derart steht, so wollen wir uns auf das nächste spanische Schiff setzen und die Piloten zwingen, uns nach Haus zu fahren!" Etliche lächelten. Der Federmann tat nun den Mund auf: „Der Rat ist nur zur Hälfte gut. Wohl wollen wir nach Haus fahren, aber erst das Chibchareich erobern und sein Gold unter uns verteilen. Und wenn's genug davon gibt, so soll's wahrhaftig nicht drauf ankommen, dem schnöden Herrn der Christenheit seinen Fünften in den Säckel zu schmeißen!" „Ho!" lachte der Moncada. „Herr Federmann hat den Nagel aufs Haupt getroffen. Neulich nachts, als ich die Sach meinem Kumpan, dem Flensburger, anvertraute und ihm sein ehrliches deutsches Gemüt verdüsterte, hätt ich 128
nicht gedacht, daß wir zu einem solch raschen vernünftigen Plan kämen. — Doch hütet Euch fein, Herr Federmann, schmäht nicht den Kaiser, wenn der Juan del Monte und meine andern Landsleute zugegen sind. Die haben nämlich in Deutschland und Flandern gefochten und könnten Euch verstehn!" Alle schauten nun den von Hutten an. Der hatte sich wieder in der Gewalt, und seine Miene war glatt, als er antwortete: ,„Der Plan ist nicht übel, aber ehe ich selber zustimme, muß ich auf die Antwort des Welser, dem ich mit nächstem Schiffe Briefe sende, warten!" Der Spanier staunte: „Sankt Jago! Wißt Ihr, Herr Ritter, daß dies noch über ein Jahr dauern kann?" Der von Hutten hob die Hand. „Gemach, gemach. Ich will warten, sagte ich. Das tue ich auch! Wer aber will mir wehren, unterdessen die Hälfte meiner Leute zur Schatzsuche auszusenden? Und wenn Schätze gefunden werden, so diene ich damit am besten meinem Herrn!" Beifällig nickte der Federmann, der Spanier aber verneigte sich auf höfische Art und sagte dem Ritter, daß er ein kluger Herr wäre. Drauf schüttelten sich alle die Hände, und der Küchenmeister schenkte Danziger Goldwasser aus. Nachher kamen die Frauen von ihrem Krankenbesuch zurück, und man hielt fröhliche Gespräche. Seit langer Zeit war alles wieder heiter und erfreut. Auf des von Hutten Geheiß ging der Flensburger vor die Losamente der Knechte. Hinter ihm humpelte der Pieterken, daß Kies und Muscheln unter seinem eisernen Spieker knirschten, und schlug dröhnend auf die Landsknechtstrommel. Da kamen die reisigen Knechte und ihre Unterführer zu Haufen, und wie sie den langen Hauptmann sahen, schrien sie eins übers andre Mal Vivat. Er wartete, bis sie ruhig waren, und tat ihnen 120
dann kund, daß binnen Zween Monaten die Hälfte von ihnen zu einem Zug ins Innere ausgemustert würden. Die Zurückbleibenden würden durch das Los entschieden, und niemand habe deshalb Grund, ein scheel Gesicht zu ziehen. Auch wolle man alle erbeuteten Schätze derart verteilen, daß von den Zurückgebliebenen keiner klagen könne. — Im übrigen handle es sich nicht um einen Spaziergang, sondern es würde ein gefährliches Wagnis durch Urwald, Sumpf und andre böse Hindernisse. Von den Giftpfeilen der Wilden ganz zu schweigen. Er hielt inne, und die Knechte brachen in betäubendes Jubelgeschrei aus. Der Zacharias Pfannenstiel und etliche andre, die vom Brüllen krebsrot im Gesichte geworden, bemächtigten sich des Flensburgers, luden ihn auf ihre Achseln und trugen ihn dreimal um den Wallgraben. Alle Trommler, Schalmeienspieler und Sackpfeifenbläser liefen unter Vortritt des Pieterken, der vor Freude lachte, mit und vollführten solch gewaltigen Lärm, daß die andern Herren gelaufen kamen. Als sie nachgesehen hatten, um was es sich handelte, gingen sie fröhlich zurück. Den Flensburger hatten die Knechte endlich losgelassen, und nach Luft ringend, schritt er lachend neben dem Spanier einher. Dieser stellte sich einmal auf die Zehenspitzen und raunte dem Langen ins Ohr: „Ritter von Hutten oder Kaufmann Welser — mich dünkt, die Knechte sind nicht in ihrer sondern in deiner Hand. Und wenn ich an deiner Stelle wär, so würd ich im Guten oder mit Gewalt den Oberbefehl ergreifen. Beim Kaiser wollt ich's wohl verantworten !" Ernst breitete sich über das Gesicht des Blonden aus, als er erwiderte: „Und wie sollt ich's mit meinem Gewissen verantworten, wo ich dem Welser die Treue geschworen hab ?" 130
Der Moncada lachte. „Du bist ein Bär. Und weil du einer bist, deswegen hab ich dich gern! — Komm, laß uns das indianische Kraut Tobago, das die frühere Besatzung für uns angebaut hat, rauchen und spintisieren!" Sie gingen ins Haus, wo die andern schon saßen, jeder mit einem qualmenden braunen Röhrlein im Munde. Und duftende Wolken zogen unter der Decke hin und her. Im Kämmerlein saßen die zween Frauen an ihren schnurrenden Spinnrädern, die vorm Fenster standen, so daß die Aussicht auf die Küste und einen weit draußen im blauen Wasser sich tummelnden Sprützkopp frei lag. Das heiße Klima hatte die Schwestern etwas mitgenommen. Ihre Wänglein waren schmäler geworden und die Augen vom heimlichen Wachen und Sorgen umschattet. Denn beide bangten um ihre Gesponsen, von denen jeder, wie die Weibsen wohl wußten, auf seine Art einen gar harten Schädel auf den Schultern trug. Der Moncada hatte seiner Gloria, mit der er sich oft heimlich beriet — denn sie war schlau und einfallreich — von den großen Plänen verraten. Und obwohl sie gar hoffärtig war und wußte, daß man sich ein bequemes Leben durch Reichtümer erkaufen kann, fuhr sie doch manchesmal im eisigen Schreck zusammen, wenn sie nachts erwachte und den Platz an ihrer Seite leer fand. Weil der Spanier in den Losamenten der Knechte bei nächtlicher Weile herumstrich, hier ein Wörtlein fallen ließ, dorten eines aufschnappte, um sein Werk, den baldigen Aufbruch, zu fördern. Und in solchen einsamen Stunden zitterte die Gloria, und ihre herrischen Traumgelüste vom Wohlleben im Lande Italia oder Castilia, von Sammet, Seide und Spitzen, von köstlichen Geschmeiden und Diamantenkettlein, verwandelten sich jählings zu Bildern von Not und Tod, in deren Hintergrund Meister Hämmerlein und der Richtblock auf den Moncada 131
warteten. Auch gedachte sie der Schwester, die sie, obwohl jene gänzlich anderer Art und viel weicher von Gemüt war, sehr lieb hatte. Und sie gönnte ihr das Glück mit dem Flensburger. Aber manchmal zog sie Vergleiche zwischen ihrem zierlichen, schwarzbärtigen Ritter und dem gewaltig großen deutschen Feldhauptmann, der so ruhig und besonnen schien wie eine Klippe im Dünensand. Jener Stunde im Hause des Hänslein Bannholzer gedenkend, als der Abend rot durch die Butzenscheiben glomm und das graue Mönchlein hungrig den Spießbraten umschnuppert hatte, fuhr sie mit der weißen Hand über die Augen und konnte dem Flensburger fast gram darum sein, daß er sie damals verschmähte. Sie schämte sich dann wieder solcher Gedanken! Tief in ihrer Seele aber saß eines Tags ein unbestimmtes Gefühl. Noch wußte sie nicht, war's Haß oder Zuneigung, die sie für den Jan Detlef empfand. „Vielleicht ist's beides!" seufzte sie, und als ihr das Glück der blonden Schwester zu Sinne kam, wurde sie weich und beschloß, jene nicht zu stören. Immer aber, wenn sie den Flensburger sah oder seiner gedachte — und das geschah oft, weil der Moncada ihn wohl litt und deshalb viel von ihm sprach — da gab es der Gloria einen winzigen neidvollen Stich durchs Herze. Jetzo aber saß sie mit der Bonita hinterm Rocken, und draußen funkelte die Sonne, bläute das Meer, und der Sprützkopp stieß milchweiße Brünnlein aus seinem schwarzen Haupte. „Die Mannen gedenken in Bälde zu marschieren!" sagte die Schwarzhaarige nach geraumer Zeit. „Ja!" nickte die Blonde. „Und der Jan Detlef hat versprochen, mich mitzunehmen. Erst schalt er's Narretei, doch ließ ich ihm keine Ruh, bis er's erlaubte!" 132
Die Gloria schaute das hellockige Schwesterlein groß an. „In den Urwald willst du mit?" fragte sie staunend, und wiederum spürte sie Unruh in ihrem Herzen nagen. Plötzlich lachte sie wie ein Glöcklein. „Glaubst du etwan, daß ich zu Haus bleiben will, wenn der Moncada auszieht?" Immer heller lachte sie, um der Schwester die plötzlich aufschießende, schwarze Eifersucht zu verbergen. Lachend sprang sie auf und rauschte zur Tür hinaus. Die Bonita hörte sie draußen den Moncada rufen, vernahm auch seine Antwort und wie die Schritte der zween sich entfernten. Das Spinnrädlein schnurrte wie ein zufriedener Maushund, und sie saß, schaute aufs Meer hinaus, wo eben der riesige Sprützefisch blitzend unterm Horizont versank. Mit den Händen preßte sie den Busen, denn ihr war auf einmal unbeschreiblich weh geworden. So fand sie der Hauptmann, und er war schier erstaunt über die Leidenschaft, mit der sie sich lachend und weinend an seine Brust warf und ihn mit den Armen umstrickte, als wollte sie nimmer loslassen. Im Ehegemach stand der Moncada vor seiner Liebsten und strich sich den Schnauzbart, wie er gerne tat, wenn er über etwas nicht gleich Rates wußte: „'s ist kein Unternehmen für ein Frauenzimmer!" verkündete er endlich und ließ die Hand sinken. Da schmiegte sie sich dicht an ihn, schlug die stolzen Wimpern hoch und schaute ihm mit brennenden Blick ins dunkle Aug. Es wurde ihm wunderlich zumute. Betörend stiegen die Gerüche der Wässerlein und Salben, die auf dem Mohrenschiff erbeutet wurden und deren Gebrauch die Gloria liebte, zu ihm empor und gossen heißes Verlangen durch seine Adern. Er wollte ihre schmalen Hüften umfangen, doch behende entschlüpfte sie dem Griff und sagte: „Erst ver133
sprich mir, daß auch ich mitdarf. Eher gewähr ich dir keine Minne!" Der Moncada fluchte ein halb ärgerliches, halb bewunderndes „Caramba!" durch die Zähne und haschte nach ihr. Doch sie wehrte sich so geschickt, wobei sie ihn laut auslachte, daß er endlich rief: „Wohlan, so sei's. Aber du wirst's bereuen!" Die Gloria war, obwohl sie ihr Ziel erreicht hatte, nicht so erfreut, wie sie sich den Anschein gab. Und innerlich war sie mit ihrem Ritter unzufrieden. Dabei dachte sie, daß der Flensburger wohl anders gehandelt hätte. Der würde entweder Ja oder Nein gesagt haben, ohne erst ein töricht Zwischenspiel aufzuführen. Die Gloria seufzte. Und während sie den Spanier umhalste, dachte sie an den Jan Detlef. Ihr Leib schauerte zusammen, und der Moncada freute sich dieser Glut, denn er nahm an, es wär für ihn gemeint. Langsam wurde es wieder Abend, und im Hof tanzten die Glühwürmer wie toll um das dichte Blätterdach des Ceibabaumes. Die Bewohner der Welserstadt begaben sich zur Ruh und wurden erst am hellen Morgen durch eine vom Wachtturm dröhnende Baßstimme aufgeschreckt, die dreimal rief: „Segel ho!" Da tummelten sich die Knechte aus den Hütten und lärmten vor Freude, als sie das schöne, stolze Schiff erblickten, welches mit geblähten Segeln auf die Küste zuhielt. Und die Hauptleute standen nebst den Weibsen in den Fenstern, reichten sich das Fernrohr von Hand zu Hand und redeten eifrig. Unterdessen kam die Caravelle näher und fing an, nach und nach ihre zitronengelben Segel, auf welche große, rote Kreuze gemalt waren, einzuziehen. Es war ein großer Dreidecker mit weißgestrichenem Gebälk, aus dem 134
die Stückpforten dunkel dräuten. Viele Banner wehten, und man sah geputzte Leut und hörte kriegerische Musik übers Wasser tönen. Der Moncada aber schrie lustig, es sei die „Virgen de las siete espadas", so genannt nach einer wundertätigen Marienstatue, die in einer Kirche zu Arragonien läge und in derem Herze sieben Schwerter steckten. Und kündete sodann baß erstaunt, er sehe jetzo ein reich geputztes Frauenzimmer auf dem Hinterdeck wandeln. Und daneben ein Mohrenknäblein. Dieses wolle er flugs kaufen, als Ersatz für das zu Hamburg erstandene, das neulich am Schüttelfieber eingegangen war. Inzwischen sanken drüben zween Boote nieder und ruderten heran. Man sah außer den Schiffsknechten spanische Söldner und einige reichgekleidete Herren drin sitzen. Der Moncada und seine Landsleute fingen an, Vivat zu schreien, und die aus den Booten antworteten fröhlich. Als die Kiele an den Sand scharrten und die Ankömmlinge terra firma betraten, begannen sich die Herren in spanischer wie auch lateinischer Rede zu begrüßen. Der Anführer des Schiffes war einer von arragonischem Adel, ein schlanker, knebelbärtiger Mann, dem ein kostbarer Spitzenkragen über die Brünne fiel. Auch seine gelben Hände ragten aus Spitzenmanschetten hervor, und er gestikulierte damit langsam und eindrucksvoll. Die einfachen Kriegsleut aber bewillkommneten sich herzlicher. Selbander zog alles in die Siedlung zurück, wo dem Arragonier der Willkommenstrunk kredenzt ward. Sein Blick ruhte mit Wohlgefallen auf den Frauenzimmern, und er sagte, daß er auch eine Freundin, eine hübsche Dame aus Estremadura, drüben auf dem Schiffe habe. Kurz wie er nur herzubleiben gedenke, denn er habe auf kaiserlichen Befehl nur einige Briefe und Waren für die Kolonia auszu135
schiffen, hoffe er doch, daß die drei Frauen aneinander Gefallen fänden. Die Gloria schier mit den Augen verschlingend, sagte er, daß, falls sie die Neue Welt satt habe, er sie gern nach Europa mitnehmen würde. Und er wollte sie halten wie eine Fürstin! — Einen Kratzfuß machend, schwenkte er zierlich das Barett vom Kopfe und wartete auf Antwort. Die ward ihm durch den Pater, der vortrat und sanft vermeldete, daß die zween Weibsen vor Kirche und Menschen rechtschaffene Ehegesponsinnen wären und nicht dran dächten, ihre angetrauten Männer zu verlassen. Da schürzte der Arragonier bedauernd die schmalen Lippen und lenkte geschickt die Rede auf andre Dinge. Vorher aber wechselte er Blicke mit dem Moncada, und beide lächelten verstohlen. Dies aber sah nur der Flensburger. Auf einmal erhob sich ein lautes Zanken und Geschrei im Hofe. Man eilte an die Fenster und blickte hinunter. Dort stand die Besatzung im Kreise und männiglich hielt sich vor Lachen die Bäuche. In ihrer Mitte ragte der Pieterken, der die Trommel abgelegt hatte und wie ein schiefer Turm anzusehen war. Denn sein Spieker war bis an die Hälfte der eisernen Wade in den Boden gedrungen. Mit jeder Hand hielt er einen der fremden Soldknechte am Kragen und stieß ihre behelmten Köpfe zusammen, daß es laut klirrte. Da gebot der von Hutten Frieden und verlangte alsbald eine Erklärung. Der Pieterken rief, daß ihn die Fremden wegen seines Eisenbeines weidlich gehänselt hätten, und dies tät er sich verbitten. Alles lachte. Der Ritter verwies dem Trommler sein ungefüges Tun, und der Arragonier schickte seine Knechte, die arg hin und her taumelten, nach dem Strand. Nun packte er seine Briefschaften aus. Und es erwies sich, daß diese kurz nach der Welserleute eigener Abfahrt 136
aus Hamburg, ihnen von dem spanischen Hafen Palos — den der Columbus zu Ruhm gebracht — nachgesandt waren. Der von Hutten und der Welser erhielten Botschaften von ihren Lieben, auch ein Schreiben des Kaisers, das voller Huld war. Der Moncada jedoch bekam einen ganzen Packen Briefe, die das Siegel der kaiserlichen Geheimkanzlei trugen. Die Deutschen bissen sich auf die Lippen, als der Spaniol, sich entschuldigend, in seine Kammer ging. Der Arragonier tat, als merke er nichts, und fing von neuem an, der Gloria Komplimente zu machen und über die neueste Mode am Kaiserhof, den er vor sieben Monaten verlassen habe, zu sprechen. Dann holte er ein wohlriechendes Tüchlein aus dem Ärmel und putzte sich umständlich die Nase. Die andern Herren, die mit ihm gekommen waren, unterhielten sich auch so gut es ging mit ihren Gastgebern. Nach einer Weile kam der Moncada wieder und war von toller Fröhlichkeit erfüllt. Des öfteren knuffte er den Flensburger zwischen die Rippen und lachte. Auch schien er es mit großem Wohlgefallen zu bemerken, wie der Arragonier mit seinem Weibe nach Kräften scharmuzierte, was diese auch mitnichten blöde hinnahm. Der Pater führte den Jan Detlef beiseit und flüsterte ihm ins Ohr, daß die zween Spanier gewiß im Sinn hätten, ihre Damen untereinander auszutauschen, wenn sie nicht Angst vor der Macht der Kirche besäßen. Der Flensburger nickte grimmig, denn eben hatte der Arragonier der Gloria gesagt, sie besitze die schönsten Augen in der Welt, indes der Moncada sich eingehend nach dem Aussehen und Gehaben der Dame auf der Caravelle erkundigte. Auch der von Hutten merkte, daß sich ungebührliche Dinge zu entspinnen drohten, hob daher das Gelage auf, und man stieg hinab, um einen Rundgang durch die Welserstadt zu tun. 137
Die Fremden zollten allem, was sie sahen, höchstes Lob und schwuren, sie würden's dem Kaiser kundtun lassen, wie prächtig die Kolonia der Deutschen in seinem Gebiete gedeihe. Worauf der Federmann eine saure Miene machte. Alsdann ging der Arragonier mit den Seinen zu Boote, nachdem er noch alle Herren und Damen zu einem Feste, das am Abend stattfinden solle, eingeladen. Diese blickten den Fahrzeugen kurz nach, eilten alsbald in ihre Losamente, um die Feiertagsgewänder anzulegen. Denn unter all dem Schwatzen und Getu war es Spätnachmittag geworden. Nachher schickten die Spanier ihnen ihre Boote, um sie abzuholen. Jeder hatte sein Bestes getan, um sich zu schmükken! Auf des Herrn Federmanns Brust lag die güldene Ehrenkette. Die andern hatten ihre schönsten Wämser und hirschlederne Stulpenstiefel angezogen; auch die Weibsen gingen lieblich einher in Sammet und Seide, mit Ringen und Spänglein wohl geschmückt. Die Gloria strömte einen Ruch aus wie ein Blumengarten! Der Moncada, der neben ihr schritt, hatte eine brandneue Montur an und sah stattlich und geschmeidig aus. Seine Gedanken eilten ihm voraus, denn er war arg neugierig auf die Freundin des Arragoniers! Die Gloria merkte gar nicht, daß er sie kaum beachtete, weil ihr Blick heimlich an der gewaltigen Gestalt des Flensburgers hing. Der trug ein neues Wams, worin auch sein Familienwappen blühete. Um des Leibes Mitte hatte er das Erbstück des Vaters, den Flamberg geschnallt. Das in Leder gehäusete Zweihandschwert schleifte mit der Spitze am Boden, während der Griff dem Flensburger bis ans Kinn reichte. Er sah aus wie der Kriegsgott, und die an seinem Arme hängende, blaugekleidete Bonita glich einem deutschen Frühlingsmorgen. 138
Die welschen Ruderer rissen die Augen auf, als der Zug sich einbootete. Auf der Caravelle wurden sie mit Trompetenschall und Trommelwirbel empfangen, und der Arragonier führte sie ins Innere des geräumigen Hinterkastells, wo man das Meer durch die hohen Fenster erblicken konnte. Alles glänzte im Lichte der Kerzen. Auf der weißgedeckten Tafel schimmerten edle Weine aus Kristallkaraffen und spanische Süßigkeiten lagen in goldenen Dosen. Die Buhle des Arragoniers, die ihnen lächelnd entgegentrat, war eine stolze, schneeweiße Spanierin mit blauschwarzem Haar. Der Moncada machte sich sofort an sie heran, und er gefiel ihr auch, denn man sah beide sich eifrig unterhalten, und ein paarmal schlug die lachende Schöne mit dem Fächer nach ihm. Die Deutschen taten guten Trunk, und der Mohrenknab steckte ihnen zusammengerollte Tobakröllchen zwischen die Zähne, worauf ein lustig Paffen begann. Der Arragonier widmete sich, nachdem er als Gastherr der Pflichten Genüge getan und alles mit Rauchen und Saufen beschäftigt sah, der Gloria. Diese hörte ihm zu, lächelte gewährend, sah dabei ihren Gatten mit der Spanierin kosen und wunderte sich, daß sie gar nichts empfand. Wenn ihr Auge aber den Flensburger streifte, geriet ihr Herz in Wallung. Da erschrak sie innerlich, denn sie war klug genug, um zu wissen, daß aus solchen Dingen, so man ihnen freien Lauf läßt, nur großes Unheil kommt! Aber sie vermochte die Gedanken, die sich mählich zu Wünschen und Verlangen zusammenspannen, nicht verjagen. Deshalb saß sie, gab dem Spanier holde Worte und lächelte ob seiner faden Schmeichelreden, indes ihr fürsichtiger Blick liebevoll an dem Flensburger hing, der aufrecht und grade, den Flamberg zwischen den Knien, neben seinem Weibe saß. Nachher zeigten einige Jünglinge von den Spaniern auf 139
dem Verdecke bei Laternenschein einen Schärpentanz. Worauf der von Hutten ihren Befehlshabern den altgermanischen Schwerterreigen beschrieb. Doch die Welschen hörten nicht hin. Spät in der Nacht stiegen die Gäste zu Boote und wurden über das tropfensprühende Wasser an den gnomenhaft verzerrten Mangrovenwurzeln vorbei an den Strand gefahren. Wie sie der Palisade zuschritten, wurden sie inne, daß der Moncada nicht mitgekommen war. Und der Federmann brummte dem Pater ins Ohr: „Der windige Schelm schäkert mit der aus Estremadura!" Um aber die Gloria nicht zu verletzen, sagte er dröhnend: „Der ist an Bord geblieben. Weiß Gott, was Unheils die Dons für uns ausbrüten!" Die Gloria aber lachte leicht: „Nennt ihr das Unheil, Herr Federmann, wenn der Ritter mit der spanischen Dame liebreiche Gespräche führt?" Drauf wunderten sich alle und suchten schweigend ihre Kammern auf. Der von Hutten, der Federmann und der Flensburger stahlen sich jedoch, als alles schlief, in den ebenerdigen Saal hinab und berieten dort lange. Der Hahn, der samt seinem Hennenvolk die Reise auf dem „Rummelpott" mitgemacht hatte, begann schon zum dritten Male zu krähen. Etliche Sternschnuppen sanken rötlich ins Meer, und feuchte Luft drang merklich zum Fenster herein. Da erhoben sich die Herren. Die ganze Zeit hatte die Gloria im Feststaat am Fenster gesessen und in die Dunkelheit geschaut. Sie rührte sich nicht. Auch nicht als der Nachtwind mit ihren Rabenlöcklein spielte und kühl ihren Nacken umwehte. Ganz stille saß sie, aber um so emsiger tummelten sich ihre Gedanken. Sie hatte den Moncada der andern schöntun gesehen und sich schier darüber gefreut. Jetzo gedachte sie des Flensburgers, und sie sehnte sich danach, an dessen Brust zu 140
ruhen. Plötzlich fiel ihr die Schwester ein. Unmutig stampfte sie auf, und ein böses Wort sprang ihr von den Lippen. Im selben Augenblick erschrak sie ob ihrer sündhaften Wünsche, und sie nahm das goldene Kreuzlein, das ihr vom Halse hing und führte es an die heißen Lippen. Doch während diese Gebete murmelten, drängten die Gedanken ganz wo anders hin. Entmutigt ließ sie die Reliquie sinken. Auf einmal schien es ihr, als höre sie Ruder knirschen. Und dann nahte eine Gestalt durch das grau werdende Dunkel. Der Hahn krähte abermals. Sie erschauerte und stand langsam auf. Der Moncada trat ein. Erstaunt, sein Weib noch wach zu finden, umfing er sie mit den Armen, und sie legte ihre kalte Wange an die seine. „Wir haben zu Rate gesessen!" sagte er, sie loslassend. Müde kam ihre Stimme: „Und war die Doña Carmen auch dabei?" Er betrachtete sie im Kerzenschimmer. Gleichgültig wie ihr Gesicht waren auch ihre Augen. Er wurde inne, daß sie sich verändert habe. Nicht zu ihrem Besten! dachte er und zog Vergleiche zwischen ihr und der Carmen. Die war wirklich schön, Sankt Jago! Und wenigstens eine Dame, wenn auch das durchgegangene Töchterlein eines Corregidors. Ein Corregidor oder Richter ist in Spanien ein großes Tier! Und der Gloria Vater war ein schnöder deutscher Totengräber. Wie hatten der Arragonier und die Carmen gelacht! Tränen waren ihnen aus den Augen gekugelt vor Fröhlichkeit, als sie seine Ehegeschichte stückweise aus ihm herausholten. Der Arragonier sagte dann, daß sie jeder spanische Priester als ungültig erklären würde. Verheißungsvoll hatte die Carmen dabei tief in des Moncadas Augen geblickt, und ihm war siedendheiß dabei geworden. Caramba, das was ein Weib! — 141
Erschrocken erwachte er aus seinem Spintisieren und sah die Gloria kalt lächelnd vor sich stehen. „Hast du an die spanische Buhle gedacht? Verbirg es nicht. Und laß dir sagen, an mir soll es nicht liegen, ich will dir nicht im Wege sein, denn ich bin deiner reichlich satt!" sagte sie. Der Moncada war in Weibersachen wohlgeschult, und auf einmal merkte er, daß da etwas anderes als nur Ärger im Spiele sein mußte. Und wild schrie er sie an: „Wer ist's? Sag's, oder ich bohr dir den Dolch in die Gurgel!" Sie erschrak nicht. Ruhig klangen ihre Worte: „Er weiß noch selbst nichts davon. — Den Flensburger mein ich!" Der Spanier wich zurück, auf seinem Gesicht spiegelten sich alle möglichen Gedanken ab, dann fing er an herzlich zu lachen. „Der? Der brave, biedere Hauptmann, der dein blondes Schwesterlein liebt ? Ich wünsch ihm Glück. Und dir auch, doch schwant mir, als ob du bei ihm gen eine eiserne Mauer rennen wirst. Der Jan Detlef hält gar viel von Manneswort und Ehr." Wieder lachte er. „Toll sind doch der Weiber Launen! Haha, der Flensburger! Jeden andern, den du genannt, hätte ich massakriert, der Ordnung halber; doch jenen mitnichten!" Er wurde ernst: „Der Mann ist mein Freund! Fast möchte ich ihn warnen vor dir!" Die Gloria fragte: „Wirst du nun zu der Carmen gehen und mit ihr absegeln?" Er dachte nach. — Die Carmen war eine bildhübsche Person. Und voller Feuer. Caramba! — Es wäre so übel nicht, mit der Caravelle durch das Caraibenmeer im Mondenschein zu fahren und der Schönen angenehme Dinge zu sagen, wie auch Angenehmes von ihr zu empfangen! Der Arragonier würde zur Seite schauen, denn er war ihrer überdrüssig. — Aber die Briefe des Kaisers und das Gold ? — Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er sämtliche Weiber für 142
die Schätze des Chibchareiches gern hingeben würde. Denn — hier lächelte er listig — er konnte sie ja dann, wenn er des Goldes besaß, wieder dafür kaufen. Alles ist feil, wenn man Gold hat! Schallend schlug sich der Spanier auf die Schenkel, und die Gloria sah die vielgefaltete Seele des Mannes, von der sie bisher nur einen Zipfel erblickt hatte, in seinem teuflisch frohlockenden Gesicht, als er sagte: „Mach dir keine Bange, Täubchen, ich störe dich nicht. Zu der dummen Pute auf der ,Virgen de las siete espadas' geh ich jedoch mitnichten. Die ist mir ebenso gleichgültig wie du mir seit einiger Zeit wurdest. Mein Sinn steht auf Gold. Die Chibchas sollen's hergeben. Dir aber wünsch ich Erfolg. Es macht mich neugierig, welche Künste du bei dem Flensburger anwenden willst. Dirnenzauber ? Der wird an der biedern Schwarte des Hauptmanns abprallen. Doch stürz mir den Mann nicht ins Unglück! Denn wie ich dir schon sagte, ich schätze ihn wirklich als Freund!" Sie nickte zu allem. Freute sich, daß er keinen Wutausbruch bekam, und war andernteils arg enttäuscht, daß er sie so leicht gehen ließ. Denn solches gefällt keiner Frau! Er hub wieder an: „Den andern aber wollen wir nichts merken lassen, sie sollen unsern Gesichtern nichts ansehen. — Nun laß uns ruhen. Du magst die Lagerstatt nehmen, ich begnüge mich mit den Fellen in der Ecke!" Er beschnitt den Kerzendocht mit dem Schnepper, doch besann er sich und blies das Licht aus. Während sie die Gewänder abwarf, hörte sie den Moncada drüben in seinem Winkel mit den Fellen rascheln. Ein paarmal kicherte er lustig. Lange lag es ihr wie Alp auf der Brust, doch schließlich entschlief sie. Grad als die Sonne hochstieg und ihre Strahlen die weiße Caravelle auf dem blauen Wasser liebkosend umfingen! 143
Knechte und Herrn hatten viel zu tun denselbigen Tag. Von der bauchigen Seitenwand der Caravelle stießen die mit Sämereien, Eisen und Lebensmitteln beladenen Boote ab, und alles mußte bestätigt und dann in den Warenhäusern geborgen sein. Der Arragonier kam des Mittags an Land und führte am Arme die schön aufgeputzte Dame Carmen. Diese warf dem Moncada viele aufmunternde Blicke zu, und er scharmuzierte mit ihr auch, wie es der Anstand erlaubte. Auf einige leise Fragen ihrerseits aber schüttelte er stets spöttisch den Kopf. Da schmollte sie. Der Arragonier hatte sich unterdessen der Gloria genähert, die ihn auch wohl aufnahm. Doch schenkte sie seiner Rede wenig Ohr. Nun führte der Spanier seinen Landsmann beiseit und sprach eifrig mit unterdrückter Stimme auf ihn ein. Dieser zuckte die Achseln, er raunte dem Edelmann zu, wie die Sachen stünden, daß er für sein Teil erst Gold haben wolle. Die Gloria sei ihm nicht mehr zugetan, und wenn sie auf die Caravelle wolle, so habe er nichts dagegen. Doch wäre da nichts zu machen, sie liebte einen andern. Und er wies heimlich lachend auf den Flensburger. Da blitzte der im Spitzenkragen böse nach dem Hauptmann hin. Dieser schaute grad auf und sah den Blick des Spaniers, der ihm Mord und Tod zu drohen schien. Ward drauf baß verwundert! Der Moncada, der alles beobachtete, wollte schier vor innerem Lachen bersten. Die von der Caravelle empfahlen sich in Bälde, und der Abschied war zur Verwunderung der Deutschen recht trokken. Sie standen alle auf dem Dache der Festung und sahen zu, wie die mächtigen Segel hochgezogen wurden und Wind faßten. Das Bugwasser hob sich in schäumender Welle. Einen silberhellen Kielwasserstreifen zurücklassend, eilte das Schiff 144
in die blaue Ferne und war bald nur noch als ein leichtes Wölklein zu sehen. Die Knechte, denen man vom selbstgebrauten Biere einige Tonnen gespendet hatte, tanzten und johlten herum. Jene auf dem Dache aber standen noch lange und starrten nach der Richtung, wo die „Jungfrau von den sieben Schwertern" unter den Horizont getaucht war. Die H e i d e n s c h l a c h t Das Beste, was von der „Jungfrau mit den sieben Schwertern" außer toten Gegenständen zurückgeblieben, seien die drei gewaltigen, zur Menschenjagd abgerichteten Bluthunde! Dies sagte der Moncada und gab sich damit ab, jene Untiere an sich zu gewöhnen und sie sich geneigt zu machen. Und er erzählte, daß solche Hunde dem Pizarro bei der Eroberung von Peru große Dienste geleistet hätten. Unterdessen gediehen die Vorbereitungen für den Zug ins Landesinnere. Musketenkugeln wurden gegossen, die Schwerter geschliffen und nachgesehen, ob das Pulver in den eisernen Flaschen, welche die Schützen am Bandolier zu tragen pflegten, fein trocken geblieben war. Tagtäglich führte der Flensburger seine freiwilligen Jägersleute in den Urwald, und sie bemühten sich, recht viele Papageien zu erlegen, weil deren Federn am besten für die Armbrustbolzen geeignet waren. Auch wurden Eber, die in Herden durch Gestrüpp brachen und tollwütig alles angriffen, was sich ihnen in den Weg stellte, getötet und das Fleisch nach des Moncadas Weisung in Streifen zerschnitten und mit Salz bestreut an der Sonne getrocknet. Dies gab nahrhaften Dauerproviant. Der Jan Detlef haschte einen bunten Papagei 145
lebendig, trug ihn heim und legte ihm ein Kettlein an den Fuß, daß er nicht mehr fortfliegen konnte. Der Pieterken unternahm es, dem farbenfreudigen Krächzer die christliche Sprache beizubringen, doch war der Vogel arg störrisch und wollte nichts behalten. Erbost rief ihm endlich der Trommler ein derbes „Blitz und Donner" zu, und wunderbarerweise lernte dies der Vogel im Nu. Bei jeder Gelegenheit schrie er mit gellender Stimme sein Sprüchlein und war bald in der ganzen Siedlung als „Blitz und Donner" bekannt. Schließlich pfiff er jedoch nächtens so toll und hackte wütend nach jedem ihm hingehaltenen Finger, daß man ihm das Todesurteil sprach. Dies verwandelte jedoch der Flensburger in den Spruch; man sollte ihn fliegen lassen! Solches geschah. Wie der Vogel spürte, daß sein Bein von dem Kettlein befreit wurde, schwang er sich behende in die Luft und flatterte dem Walde zu. Sie hörten ihn, als er zwischen den lianenbehängten Bäumen verschwand, noch schrill sein „Blitz und Donner" lästern. Einer der Knechte meinte, jener würde nun gewiß ein Sprachenkollegio unter seinesgleichen in der Wildnis errichten. Tagtäglich zankte sich die Gloria mit ihrem Gesponsen, benahm sich kalt gegen die Schwester und äugelte, wo sich Gelegenheit bot, mit dem Flensburger. Dieser merkte nichts und konnte nicht begreifen, warum der Spaniol ihn so oft auslachte. Es wurde von Tag zu Tag heißer. Eines Morgens hatte der Jan Detlef seine Jagdgenossen in den Wald geführt und sie sich dorten zu zerstreuen geheißen, damit man Wildsäue, die mit Vorliebe sich in kleinen morastigen Tümpeln siehlten, aufscheuche. Wartend saß er allein auf einem gestürzten Baumriesen. Um ihn glitzerten und prangten tau-ende bunter Blumen, die an den Lianenseilen schmarotzend 146
baumelten. Große, wundersame Falter schwebten majestätisch von Blüte zu Blüte. Käfer krabbelten und summten; im Ästegewirr über seinem Kopfe trappelte das Volk der Affen leis einher, um den Fremdling zu bespähen, ihn wohl auch mit fauler Frucht zu treffen. Über die Lichtung, welche ein Wirbelsturm in den Wald geschlagen hatte, schwirrten gleich grünen, roten und blauen Geschossen die Scharen der Papageien. Tief im Herzen der Wildnis erklang dumpfes Röhren und Klappern. Der Hauptmann hob den Kopf, denn es kam ihm beinah wie merkwürdiges Trommeln vor. Auch rückte es gemach näher, brach schließlich an verschiedenen Orten aus. Langsam erhob er sich, nahm die Armbrust am Stil und drängte durch die Büsche. Da erscholl ein Rauschen in dichter Nähe, und jemand kam keuchend daher gerannt. Plötzlich trommelte und klapperte es überall. Hilferufe erschallten, gräßliches Tuten quoll durch die Luft, und dann folgte vielstimmiges, fremdartiges Geschrei. Der Pfannenstiel sprang jetzo aus einem mit feurigen Blüten überrieselten Busch. Sein Gesicht war rot und schweißüberströmt. Außer Atem stieß er hervor: „Fliehet Herr! Die Wilden sind über uns. Hört ihr sie nicht tuten und brüllen? Auf!" Er ergriff den Flensburger am Arm, versuchte ihn mitzureißen, während in dichter Nähe ein teufliches Schreien und Jauchzen losging. „Vor einem Häuflein nackter Indios renn ich mitnichten!" erwiderte der Hauptmann stolz. Doch der andre zog ihn unwiderstehlich fort und keuchte dabei: „Häuflein? Oh, es sind Tausende! Mehr als Blätter im Walde! Mit einmal waren sie über uns, und zur gleichen Zeit ging das Trommeln und schandbare Tuten los. Dem Hauser und dem Pfundmaier haben sie's bereits gesegnet. Ich sah beide mit buntbefiederten Pfeilen, die ihnen aus der Gurgel ragten, zwi147
schen die Blümlein hinsinken. Und dem Truchtbrecht brauste ein runder Schleuderstein gen den Schädel, daß dieser wohl ohne die schützende Eisenhaube aus dem Leim gegangen wär!" Also sprach der Zacharias und zog den Hauptmann nach dem Waldessaum. Kaum waren sie draußen auf den Äckern, über die allenthalben Flüchtlinge der Siedlung zuliefen, als mit betäubendem Gebrüll auf der ganzen Linie dichte Haufen brauner Krieger hervorbrachen und ihnen einen summenden Pfeilhagel um die Ohren fahren ließen. Da rannte der Flensburger ums liebe Leben und erreichte knapp hinter dem Letzten den Eingang zur Stadt, wo jedoch die dreißig Wächter bereitstanden. Ihre Beine hatten sie gegrätscht, die Musketen ruhten, gen die Schultern gestemmt, auf den Zielgabeln und die Lunten glosten. Von hinten kamen nun die andern Reisigen mit ihren Waffen gelaufen und lugten über die Erdwälle auf's Feld hinaus, wo Tausende brüllender Indios gleich Teufelshorden herumtanzten und ihre Speere und Keulen schwangen. Ein Stöhnen ging durch die Reihen der Knechte, als sie zusehen mußten, wie vier der ihren, die nicht mehr den Verfolgern zu entwischen vermochten, von hellen Haufen herbeigeführt und dann mit Speeren durchbohrt wurden. Rollend gingen die Donnerbüchsen los, schmissen auch eine Anzahl der Indios hin, aber die meisten Kugeln fuhren zu hoch, denn es war schlecht zielen mit den ungefügen Eisenrohren. Die Wilden entsetzten sich auch nicht sehr über Blitz und Knall — sie mochten keinen großen Unterschied mit einem Gewitter darin finden — und stürmten jetzo schreiend heran. Angepeitscht wurden sie von etlichen, die Muscheln an den Mund setzten und diesen greuliche, weithallende Töne entlockten. Aus dem Walde kam klapperndes Trommeln, und immer neue Wilde stürzten heraus. 148
Den dreißig Wächtern wäre es übel ergangen, ehe sie ihr schwerfälliges Schießzeug wieder geladen hatten. Als aber gerade die enggedrängten Leiber der Angreifer gleich einer braunen Woge heranrollten und sie so nah waren, daß man das Gelbe ihrer Augäpfel sah, gelang es dem Stückmeister, den „Höllenbauch" zu lösen, dessen eiserne Graupelladung eine blutige Gasse durch die Stürmenden schmetterte. Entsetzlich schreiend und mit wutverzerrten Gesichtern schlossen diese alsdann die Lücke und kamen wieder heran. Die Musketiere ließen ihre Donnerrohre, die sie doch nicht mehr laden konnten, sinken, zogen die Stoßdegen, und etliche klemmten sich ihre entblößten Dolche zwischen die Zähne. Es blieb ersichtlich, daß die tapfern Kerle ihr Leben teuer zu verkaufen gesinnt waren. Zur rechten Zeit erschien der von Hutten an der Spitze der Arkebusiere, die sogleich einen Hagel von eichenen, mit eisernen Spitzen versehenen Bolzen gen die Glieder der Feinde schickten. Das half. Ihr Ansturm zerschellte. Aber sie dachten nicht daran, die Flucht zu ergreifen! Vielmehr breiteten sie sich aus und versuchten, an einzelnen Orten den halbmondförmigen Wall zu erobern. Dort hielt aber jetzt die ganze Besatzung und wehrte sie kräftig ab. Auch die Weibsen und die Küchenmeister waren erschienen, standen gedeckt im Schutz von Faschinen und waren emsig beschäftigt, auf schnell entfachten Feuerlein überm Dreifuß Pech und Blei zu schmelzen, auch Wasser zu sieden; um damit, falls es not täte, den Heiden das braune Fell zu taufen. Der Flensburger stand zwischen dem von Hutten und dem Federmann und war gleich ihnen beschäftigt, ununterbrochen Bolzen in die Menge zu senden und die Sehne der Arkebuse zu spannen. Soweit das Auge reichte, war alles ein Gewimmel von Indianern. Es waren welche darunter, die behende her149
umhüpften und aus Schleudern blanke Kiesel den Weißen gen die Köpfe warfen. Mancher Helm fing plötzlich an hell zu klingen, und der darin steckende Kopf schlotterte wie ein Mandelkern in der Schale, ehe der ganze lange Leib des Landsknechtes rasselnd zu Boden sank. Auch Pfeile kamen zeitweilig angeschwirrt. Gleich bunten Wolken, die schier die Sonne verdunkelten! Die Hauptleute schrien den ihren zu, besser Deckung zu nehmen, denn es waren schon etliche durch Bogenschüsse blessiert, und der Moncada warnte, die Pfeile könnten etwa vergiftet sein! Hölzerne, zierlich geschnitzte Speere kamen geflogen, um plumpsend hinterm Walle in den Boden zu fahren. Im Zwinger heulten die Hunde. Das Heer der braunen Schleuderer, Bogenschützen, Speerwerfer und Keulenschwinger ließ nicht locker, seine Versuche, die Siedlung zu erstürmen, fortzusetzen. Dichte Staubwolken erhoben sich, und es herrschte Geschrei, Gestöhn, Wimmern und greuliches Fluchen. Der Stückmeister, der den „Höllenbauch" bedient hatte, saß bald mit einem Speer, der ihm quer durch die Wade ragte, trübseligen Gesichts neben dem Geschütz. Da sprang einer von den abgesessenen Reutern in schimmernder Rüstung an dessen Platz, handhabte emsig den in Essig geschwenkten Wischer und rammte das Rohr voll. Eben wollte er die glosende Lunte an das Zündloch halten, da kamen von drei Seiten faustgroße Bachkiesel gen seinen durch den Helm geschirmten Schädel gekracht. Mit laut hörbarem Gerassel stürzte der Loderhansl aus Nürnberg in seiner blanken Rüstung wie ein silberner Turm zu Boden, und die Indios frohlockten hell. Doch der Pater Chrysostomus, der bisher vergeblich gewartet hatte, daß sein Knüppel „Schellallah" Arbeit bekäme, eilte herbei, blies die Lunte an und löste den Schuß. Lautes Wehgeschrei antwortete von Seiten der Hei150
den. Und flugs versah der grimme Pater den „Höllenbauch" mit neuer Ladung. Heiß wogte der Kampf. Die Indios, die außer Lendenschürzen und etlichen Armbändern aus bunten Federn keine Kleidung trugen, ermüdeten nicht, sondern griffen in wilder Wut wieder und wieder an. Der Federmann, der sich auf das Abschätzen von Kriegshaufen verstand, sagte, daß es der Heiden wohl an dreitausend wären. Davon waren durch die Ladungen des „Höllenbauch" und von den treffsichern Bolzen der Arkebusiere gut an die zweenhundert bereits vor die Hunde gegangen. Denn die Wilden rannten stets in dichten Haufen heran, und schon dauerte der Kampf Stunden. Männiglich schrie nach Wasser, und der von Hutten ordnete einige der bisher mit ihren Spießen und Flambergen untätig gebliebenen Sachsen ab, um auf schnell erbautem Reiserschlitten ein Tönnlein Wasser herumzufahren. Viele der Gepanzerten wurden in ihren unsinnig schweren Eisenkleidern, worin die Körper wie in glühendem Backofen steckten, ohnmächtig. Von denjenigen, welche durch Schleudersteine umgeschmissen waren, erhoben sich etliche wieder und hielten ihre Stirn. Unentwegt krachte der „Höllenbauch". In den Pausen donnerten die Schlünder der rauchgeschwärzten Musketiere, und die Sehnen der Arkebusen sangen hell. Umsichtig ging der von Hutten von Mann zu Mann und ermahnte zum Ausharren. Der Moncada und seine Welschen brüllten „Sankt Jago", und die Deutschen schrien „Welser! Welser!" Unbeschreiblich aber hallte das Kreischen, Heulen und Toben der Indios. Die Bonita mußte sich hinsetzen, denn ihr war vom Geschrei allein, das gen ihre armen Ohren hämmerte, schlecht geworden. Dröhnend schlug der Pieterken seine Trommel. Die Indios schleppten immer sofort ihre Ver151
wundeten und Toten zurück in den Wald, aus dessen Schatten neue Scharen mit Muschelgebläs und Kriegsruf stürmten. Der Flensburger wunderte sich über solche Hartnäckigkeit von seiten der Heiden, und fast gab er dem Nikolaus Federmann Recht, der eben dem neben ihm knienden Welser zugeschrien hatte, die Indios müßten einen Strategen bei sich haben, und er wollt sich gleich vom Teufel holen lassen, wenn jener nicht einer der verluderten Spaniolen von der alten Fortbesatzung war! Eine Weile stand es arg um die Welserschen. Ein zierlicher, behender Krieger, der einen hohen Federputz trug, spornte seine Haufen immer von neuem an, den Wall anzugreifen. Da dies an andern Stellen von andern Kaziken ebenso gemacht ward, gerieten die Christen in arge Bedrängnis. Jetzo begann man sich des geschmolzenen Bleis, Pechs und siedenden Wassers zu bedienen, das mittels langstieliger Kellen den Feinden entgegengeschleudert wurde. Gräßliches Wehgeschrei ausstoßend, wälzten sich die Versengten und Verbrühten unter den Füßen derer über sie wegstürmenden. Der „Höllenbauch" verstummte, weil sein Rohr glühend heiß ward und eine neue Ladung mehr den Belagerten als den Heiden geschadet hätte. Auch die Musketen konnten nicht mehr ihre lötigen Kugeln versenden, weil sie der Pulverschleim schier verstopft hatte. Jetzo traten die zweenmannslangen Spieße der Sachsen in Aktion, allzu kühnliche Stürmer vom Walle zu stoßen. Der Moncada rief seinem Landsmann del Monte zu, daß er noch nie solche Hartnäckigkeit und Tapferkeit von Seiten der Wilden erlebt habe. Weder unter dem Cortez noch dem Pizarro! Der von Hutten aber lief herum, schänkte eigenhändig Danziger Goldwasser an die Mannen aus und bat sie, treu zu sein und bis zum letzten Odemzuge dreinzuhauen, wie es deutschen christlichen 152
Landsknechten gezieme. Innerlich aber segnete er die Tatsache, daß sie schon vor Wochen angefangen hatten, Armbrustbolzen sonder Zahl herzustellen. Denn die Arkebusen allein waren es, welche den Heiden Schach boten! Inzwischen verrann Stunde um Stunde. Die Angriffe wurden seltener, jedoch immer von gleicher Wucht. Der Staub, der in braunen und rötlich schimmernden Wolken hin und her, auf und nieder brandete, kam gar nicht mehr zur Ruh. Es wollt schon Abend werden und der von Hutten fürchtete die plötzlich einbrechende Dunkelheit. Er ließ daher an verschiedentlichen Orten Reisig und Scheiter schichten, die zur geeigneten Zeit in Brand gesteckt und das Kampfgetümmel beleuchten sollten. Aber endlich gebrach's den Indios an Mut. Immer mehr Horden von ihnen verschwanden wutbrüllend im Walde. Die Muschelhörner und Schlangenhauttrommeln schwiegen, und auf den Äckern standen nur noch einzelne hartnäckige Haufen, inmitten der grausigen Leichensaat. Jetzo gab der von Hutten Befehl, man sollte sich fertig machen zum Ausfall. Der Pfannenstiel lief behende von dannen und brachte dem Flensburger die Eisenhaube und den Flamberg. Der Sachsen Rotten ordneten sich, ihre langen Spieße vorgestreckt. Und diejenigen mit den zweenhändigen Schwertern spuckten und räusperten sich erwartungsvoll. Während die Arkebusiere noch immer ihre Bolzen aussandten und die Sehnen tönend schwirrten, brachte man die Rößlein der Geharnischten. Auch der Loderhansl, der unter dem Helm drei gewaltige Beulen spürte und darob vor Wut laut durch die Nase schnaubte, schwang sich in den Sattel. Und mit lautem Vivat! stürmten die Sachsen ins freie Feld; galoppierten die Reuter ihnen dröhnend nach und auf die zerstreuten Haufen der Indios los. Hinterdrein aber hum153
pelte der Pieterken so rasch er vermochte, hielt den Dolch im Maul, fuchtelte mit dem Kurzschwert herum und seine freie Hand bearbeitete das Kalbfell. Die übrig gebliebenen Heiden hielten tapfer Stand, offenbar wollten sie sterben. Sie sammelten sich zuhauf, und in ihrer Mitt stand der Kazike mit dem Federkopfputz. Der Flensburger sah erstaunt, daß der nackte Mann einen spanischen Degen führte, mit dem er geschickt Terzen und Quarten schlug. Laut singend kam der Pieterken angestolpert, schmiß den Dolch blitzend ins braune Gewühl und drang, ohne zu verschnaufen, mit Schwert und Trommel in den Aufruhr. Gleich einem eisernen Rechen furchten die spießstarrenden Sachsen ihm nach, und die schnaubenden Rösser der Reuter drehten sich gleich furchtbaren Kreiseln im Gewühl. Da schrien die Indios Weh! Sie wehrten sich aber dabei mit Waffe, Zahn und Faust. Es wurden ihrer immer weniger, und als der Moncada dem Kaziken die Gurgel mittels geschickter Finte durchbohrte, rissen die letzten aus und eilten nach dem Walde. Jetzo aber sank die Nacht mit plötzlicher Dunkelheit. Feuerlein und Fackeln wurden entzündet und Heerschau gehalten. Es stellte sich heraus, daß außer denen, die von den Heiden vor dem Angriff massakriert wurden, noch acht Spanier und zwanzig Deutsche ins Gras gebissen hatten. Die meisten wurden von Schleudersteinen getötet, etliche aber auch durch Pfeilschüsse. Der Pater indessen, der sich die vielen Blessierten besah, konstatierte voller Freude, daß die Pfeile mitnichten vergiftet seien! Grausig sah das Schlachtfeld aus! Überall lagen blutige Leichen zu wirren Haufen. Es waren der toten Indianer verschiedene Hunderte. — Emsig begannen die Landsknechte, bei Fackelschein ihnen die güldenen Armspangen, mit denen viele geschmückt waren, abzunehmen; auch die verschosse154
nen Armbrustbolzen einzusammeln und die Blessierten mit Dolchstößen schnell und gnädig abzutun. Einige, die nur leichte Wunden hatten, befahl der von Hutten, in sichern Gewahrsam zu nehmen. Der Moncada, der sich den von ihm erlegten Kaziken inzwischen angesehen, fing auf einmal an zu fluchen, und behauptete stracks, der Kerl sei ein Spaniol, der nur von der Sonne so braun gebrannt war! Und er ließ das alte eisgraue Knechtlein rufen, das sie beim Betreten des Landes vorgefunden. Der alte Mann mit dem Zickleinbart war recht knickerig in den Beinen geworden, weshalb er vom Kriegsdienst befreit und zum Hundemeister ernannt wurde. Eilends kam er angehumpelt. Man sagte ihm, er solle sich den Toten genau ansehen, ob er ihn etwa kenne! Eine tiefgehaltene Fackel beleuchtete das starre, blutbekrustete Antlitz, um dessen Mund ein spöttisches Lächeln saß. Der Alte fuhr jäh zurück, dann rief er, sich bekreuzigend: „Bei der heiligen Guadalupe! Das ist ja der Hauptmann Leones, der mit den Indiotrullen im Walde verschollen ging!" Männiglich trat näher, und der Federmann brummte: „Wußt ich's doch, daß die Heiden von jemand gelenkt wurden, der etwas von der Kriegskunst verstand!" Und alle schmähten den Toten, der zum Heiden wurde und mit ihnen gen seine Brüder anging. Nun machte man sich fertig, in die Stadt zurückzukehren. Am andern Tag sollte eine Strafexpedition gen die Heiden gemacht werden, um sie für ihre Sünde zu züchtigen. Jemand rief: „Trommle Piet, denn wir kehren als Sieger heim!" Alles schaute sich um, als die Antwort ausblieb, und da war kein Pieterken zu entdecken. Der Flensburger rief in großer Angst, die Heiden hätten ihn weggeschleppt zu ihren Opferfeiern, und er wollte stehenden Fußes in den finstern 155
Wald laufen, wo die Jaguare jetzo grollten. Der Moncada aber meinte, der riesige Trommler mit dem eisernen Bein sei zu schwer und ungefüge, um unversehens fortgetragen zu werden. „Gewiß liegt er erschlagen auf der Walstatt. Ist er doch wie ein blindwütiger Leu ins Getümmel gegangen!" schloß er. Mit lodernden Fackeln eilten sie nun hin und her. Überall lagen die Toten und schauten ihnen aus gebrochenen Augen stumm ins Gesicht. Aber der Trommler war nirgends zu sehen, auch sein Instrument fehlte. Und traurig ließ der Flensburger das Kinn auf die Brust hängen. Da rief einer der Bayern, man sollte sich sputen und den Pater rufen, daß er mit Weihwasser und Monstranz käme. Denn hier wäre etwas nicht richtig! Die Toten stünden auf und bleckten mit den Zähnen! Alles eilte hin und blieb vor dem Leichenhaufen stehen, auf den der zitternde Knecht wies. „Du bist verrückt!" raunzte der Federmann, doch der ander ließ sich nicht beirren. „Dort, seht doch! Sie bewegen sich!" schrie er. Und wahrhaftig, der ganze Leichenhaufen hob und senkte sich in sachten Rucken. Männiglich wich zurück vor solchem Anblick. Aber der Flensburger sprang hin und faßte mit beiden Händen zu, daß die Toten wie leichte Püpplein nach allen Seiten kollerten. Alsbald kam zuerst der Kopf des Pieterken zum Vorschein, dann der übrige Leib und auch die Trommel. „Puh!" sagte er, die Augen öffnend. „Ich hab wacker um mich gehauen und dreingestochen, aber es waren ihrer zu viele, sie erdrückten mich schier!" Er sah an sich entlang und fing plötzlich an zu jauchzen: „Ein Vivat dem braven Büchsenschmied, der mir das Eisenbein schmiedete! — Hab ich nicht prophezeit damals, daß ich's noch gebrauchen würd?" 156
Voll Grausen blickten sie auf ihn herab und sahen, daß er mit dem eisernen Beinspieker einen ungeschlachten Indio durch und durch aufgespießt hatte. Sie mußten ihm erst seine gräßliche Bürde abstreifen, ehe der Piet aufstehen konnte. Unter Trommelschlag zogen sie hernach alle hinter den Wall zurück, Wachen wurden aufgestellt, und nun begann ein Schmausen, Verbinden und Erzählen, das bis in die tiefe Nacht währte. In ernster Beratung aber saßen die Hauptleute im Saale und erwogen noch immer, als es schon wieder strahlender Tag war und man die toten Indios auf plumpen Schlitten, vor welche Rösser gespannt wurden, zum Orinocoflusse schleift und sie dort im Röhricht für die haufenweise aus dem Wasser kriechenden Krokodile und die mit rauschendem Gefieder aus der Luft herabrudernden Geier hinlegte. Nachher wurde Totenmesse gehalten für die gefallenen Knechte, und der Pater sprach gar schöne Worte. Tags drauf zogen sechzig mit Schwertern, Spießen und Arkebusen verschiedentlich bewaffnete Fußknechte unter der Führung des Löhndorff und des Moncada über den Blutacker in den Urwald. Sie hatten einen der Hunde mit sich, und als Führer hinkte ein blessierter Indio, den ein Schnürlein, das an seinem Halse befestigt war, mit einem Landsknechte verband. Vorsichtig drangen sie in den dämmernden Urwald, wo nur stellenweise Sonnenstrahlen hereinfielen. Es war ein beschwerliches Wandern, denn keiner hatte den Rat des Flensburgers befolgt, es sich gleich ihm leicht zu machen und die Eisenkleider zuhaus zu lassen. Große Strekken mußten sie sich mit dem Schwerte Bahn hauen, so dicht sprießten Lianen und Dornenranken. Glitzernde Schlänglein ringelten vor ihren Füßen davon. Sie wunderten sich, daß hier die Haufen der Indianer durchgekommen wären. 157
Daß dem aber so sei, wies der stumme Führer und bestätigte die schnuppernde Nase des Bluthundes. Am beschwerlichsten hatte es der Pieterken, doch war er nicht zu bewegen gewesen, seinen Herrn allein marschieren zu lassen! Langsam ging es weiter. Längst waren sie der Gegend fern, wo sie immer zu jagen pflegten. Herden grauborstiger Schweine brachen bei ihrer Annäherung durch die Büsche davon. Einmal huschte wie ein bunter Schatten ein Jaguar ins Röhricht. Oft hemmten Sümpfe, worin schnarchende Krokodile am Rande lagen, ihren Fuß. Oder Strekken, wo alles aus Mangrovewurzeln bestand, zwischen denen schwarzschillerndes, stinkendes Wasser kluckerte. Fremdartige Pflanzen bedeckten ihnen Hände und Gesichter mit abscheulich brennenden Blasen. Blutegel, die am hohen Grase saßen, hängten sich ihnen traubengleich an jeden Körperteil, der aus den Gewändern ragte. Endlich machte der Gefangene Zeichen, daß man sich seinen Kumpanen nähere. Und auf einmal brachen sie auf eine Lichtung hinaus, am Ufer einer blauen Lagune. Da stand ein Dutzend leichter kegelförmiger Hütten. Aber es war kein Mensch zu sehen. Nur eine halbverfaulte Hängematte fanden sie und etlichen Vorrat an Tobak. Der Blessierte tat den Hauptleuten durch vielerlei närrische Bewegungen kund, daß es weiter drin im Urwald noch mehr solcher Dörfer gäbe. Die Bewohner seien natürlich geflohen. Da machte der Moncada den Vorschlag, Feuer in die Hütten zu schmeißen und umzukehren. Also taten sie und ließen sich von dem Gefangenen den beschwerlichen Weg zurückführen. Es war schon Nacht, als sie aufatmend aus der Wildnis kamen und die Welserstadt vor sich liegen sahen. Der Moncada wollte den Führer niederhauen, aber der Flensburger litt es nicht, zerschnitt seine 158
Fesseln, und behende wie ein Reh entschlüpfte jener ins Waldesdunkel. Der Pieterken schlug leis die Trommel, und so zogen sie müde und verdrossen ein. Sie wurden aber fröhlich empfangen, und der Küchenmeister sagte ihnen schmunzelnd, es gäbe was ganz Besonderes für Gurgel und Magensack. Vor dem Statthalterpalast — so nannte der Spaniol spöttisch das Blockhaus — standen die zween Frauen. Und der Flensburger war baß erstaunt, als nach der Begrüßung mit seinem Weibe die Gloria auf ihn zusprang, ihn ihren lieben Schwäher nannte, ihn umhalste und viel heiße Küßlein gab. Der Moncada stieg die Treppe schon hinan und pfiff ein lustiges Stücklein über die Schulter, als endlich die Gloria aus ihrer Vergessenheit erwachte und errötend den Hauptmann losließ. — Nun schritt man zum Mahle.
Absonderliche Begebnisse Nach der Heidenschlacht waren die Bewohner der Welserstadt Tag und Nacht auf der Hut. Die Indios ließen sich aber nicht mehr blicken, und so ging man unbesorgt daran, die Ernte an Türkenkorn und Bataten einzubringen. Auch zeigte der Moncada den Deutschen, wie man die langen Blätter der Pflanze Tobago säuberlich trocknen und fürder zu behandeln habe, um sie später als qualmendes Narkotikum genießen zu können. Der Pieterken, der mit andern an den Fluß gegangen war, kam zurück und erzählte, daß von den toten Heiden kein einzig Knöchlein übrig sei. Alles hätten die grünen Panzerechsen, die im Wasser wohnten, gefressen und fortgeschleppt. Der Pieterken brachte auch ein winziges, kaum spannenlanges Krokodil mit, das er 159
gehascht und als merkwürdigen Haushund zähmen und aufziehen wollte. Das junge Untier biß ihn aber derbe mit den nadelspitzen, weißen Zähnlein, und unmutig schmiß er's den Bluthunden vor. Der größte, welcher Cäsar geheißen, verschluckte es auf einen Happen und war nachher zween Tage arg krank. Später machte der Moncada den Vorschlag, man sollte mit den wohlabgerichteten Hunden auf die Menschenjagd gehen. Man könnte auf diese Art gewiß etliche Heiden erwischen, welche als Sklaven gute Dienste auf den Feldern tun würden. Auch benötige man der Träger, wenn es gen die Chibchas losginge! — Der von Hutten zog die Stirn in krauses Gefält, wie immer, wenn er mißmutig war, und sprach sich unhold über solch geplantes Beginnen aus. Doch erklärten ihm die Spaniolen, daß die Hunde dafür da wären und solche Menschenhascherei überall, wo die Spanier Neuland entdeckten, der Brauch sei. Die Heiden könnte man auch nicht richtig als ebenbürtig bezeichnen, sondern müsse sie auf die gleiche Stufe wie Ochs und Sau stellen. Auch hätte der Papst es extra erlaubt und für gut geheißen! — Solches redete der Moncada samt Kumpanei, und weil der von Hutten den Indios noch gram über den tückischen Überfall war, wo sie ihm eine Anzahl braver Knechte erschlagen hatten, gab er seine Genehmigung. Der Moncada frohlockte und wollte den Flensburger zur Heidenhatz mithaben. Dieser jedoch verwahrte sich ernstlich dagegen. Es ging auch keiner von den andern Deutschen mit, denn solches Tun war ihnen ungewöhnt, obwohl sie zu Haus des öftern angesehen hatten, wie ein arm Bäuerlein, das die Schätzung des hartherzigen Grundherrn nicht zahlen konnte, von Hinz und Kunz aus Haus und Hof verjagt und in die Wälder gehetzt wurde. 160
Es tat sich aber unter den welschen eine Kumpanei auf, die unter dem Moncada und dem schlanken del Monte auf die Indiosuche gingen. Männiglich lief zusammen, als sie endlich nach manch vergeblichem Versuch eines Nachmittags mit lautem Triumphgeschrei aus dem Walde drängten. Sie führten sieben gebundene nackte Heiden mit sich. Diese marschierten mit gebeugten Schultern einher und lugten furchtsam aus ihren braunen Augen nach allen Seiten. Am Halse und sonstwo wiesen sie blutige Kratzer nebst Löchlein auf, wo die Hunde sie gestellt hatten. Es waren gutgewachsene, glatthäutige Kerle sonder Haaren auf Gesicht und Brust, und von weitem konnte man vermeinen, es wären braune Mägdelein. Der von Hutten redete ernsthaft mit ihnen, und sie warfen sich vor ihm platt auf den Boden. Doch verstanden sie keine Silbe, und man wurde aus ihrem Gefasel auch nicht klug. Man gab ihnen zu essen, verehrte ihnen auch bunte Tücher und Spiegelein, worüber sie sich höchlichst erfreuten und etwas ihre Scheu verloren. Sie wurden aber trotzdem in gutem Gewahrsam gehalten. Der Pater Chrysostomus taufte sie alle sieben der Reihe nach in feierlicher Handlung, und die Hauptleute standen Paten. Der Moncada schenkte seinen Indio, der den Namen Hieronymus erhielt, der Gloria, auf daß er ihr die Schleppe tragen und sonstige Handreichungen tun sollte. Den andern sechsen aber wurde aufgetragen, in den Feldern zu schaffen, und als Wache teilte man ihnen den Loderhansl und einen schwarzweißen Bluthund zu. Die getauften Heiden arbeiteten auch etliche Tage ganz rüstig, nachdem sie erst sonder Ausnahme alle sehr krank gewesen, weil ihnen die Speise der Weißen nicht zusagte. Des öftern, wenn ihnen der Schweiß in Bächlein die braunen Rücken herabrieselte, schmissen sie die Spaten und Hacken 161
hin, setzten sich daneben, um Tobak zu rauchen, unterhielten sich auch lebhaft dabei. Der gutmütige Loderhansl ließ sie gewähren. Es kam aber unversehens der Moncada einhergegangen, als jene grad feierten, und wütend gab er ihnen die Peitsche zu kosten, daß es laut klatschte. Drauf arbeiteten sie gar toll drauf los, und der Spaniol lachte arg. Nächsten Tag aber, als die Sonne im Zenith wie ein bleckendes Feuermaul stand, näherten sich die Sechse während der Arbeit dem Waldeszipfel. Der Loderhansl hatte sich's bequem gemacht, lag mit dem Kopf auf einer Schütte Stroh und stülpte die Mütze übers Gesicht, damit ihm die grellen Strahlen keinen Schaden am Auge taten. Auch Cäsar, der gewaltige Bluthund, dehnte sich röchelnd mit lallender Zunge und hielt die Lider zugekniffen. Solches paßten die Indios ab und verzogen sich behende in den Wald. Als der Loderhansl nach getanem Schlaf auf die Füße sprang, das Feld leer und die Sonne tiefstehen fand, dachte er, seine Schutzbefohlenen seien schon vorausgegangen, und deshalb trottete er gähnend über den Wall. Der Cäsar aber begann schnüffelnd im Kreise herum zu rasen. Plötzlich gab er Laut und schoß wie ein Pfeil in den Wald. Da schlug der saumselige Wächter Lärm. Auch hatten die Posten inzwischen gemerkt, daß etwas nicht stimmte. Es stellte sich heraus, daß die Indios alle verschwunden waren. Auch der Schleppenträger der Gloria hatte sein Stündlein abgepaßt und es den andern gleichgetan. Ein Schwarm Verfolger lief in den Urwald und allen voran der wütende Moncada mit der Hetzpeitsche. In Bälde hörten sie auch den Cäsar aus tiefer Stimme Standlaut geben, und sie fanden ihn im dichten Pflanzengewirr an einem mächtigen Baumriesen, dessen üppige Kron mit vielen andern zusammen einen endlosen Baldachin bildete, bellend hoch162
springen. Der Moncada schickte einige Bolzen hinauf, aber nichts regte sich in der Blättermasse. Anscheinend waren die Indios gleich Affen von Zweig zu Zweig hüpfend davongegangen und mochten jetzo schon weit sein. Da es auch auf einmal stockdunkel ward, weil die Nacht kam, befahl der fluchende Welsche den Rückzug. Also mußten die Kriegsknechte wieder allein die Äcker bestellen, und es erhob sich allenthalben Gemurmel. In den Losamenten der Leut redete man allabendlich von Schätzen und fernen Städten. Hie und da, wie versehentlich, kam der Moncada gegangen und erzählte einige Stücklein von Peru und Mexiko, vergaß auch nicht, das was er gesagt, fein säuberlich mit phantasievollen Perlenketten und gewichtigen Goldklumpen zu verzieren. Auf solche Art geschah es, daß die Knechte zu murren begannen, und der von Hutten nun wirklich dran denken mußte, die Leut für Kriegszug und Garnisondienst auszumustern. Flugs ging man dran, die Rotten für die große Aventüre aufzustellen. Von vornherein wurden die Reuter ausgeschlossen. Denn es war unmöglich, mit den Rößlein durch Urwald und Sumpf zu kommen, zumal man nicht wußte, ob dahinter nicht weiterer Urwald und Sumpf liege. Deß murrten die Berittenen arg, aber sie sahen's ein und gaben sich zufrieden, zumal ihnen nochmals hoch und teuer versprochen ward, daß auch die Zurückbleibenden ihr ehrlich Teil an Schätzen empfangen würden. Nun dachten die Sachsen, sie als Bergleut und Erzschürfer wären unentbehrlich. Auch sie maulten, als nur ein Teil ihrer Mannen aufgerufen wurde, und der Moncada lachend erklärte, die Schätze, die man suche, wären in Truhen, Säcken und Beuteln zu finden, wohl auch um Hälse, Arme und Beine der Heiden in Form von güldenen Reifen. Und zu all dem bedürfe es keiner be163
sonderen Kenntnisse, sondern nur ein waches Aug und eine harte Hand. Da trat der Matthias Jäcklein vor, spreizte die Beine, lüpfte den Hosenbund und rückte sein Käppiein zurecht, ehe er anfing: „So soll denn der Donner dreinschlagen siebenmal hintereinand! Erst hat man uns im Lande Sachsen angeworben, weil man Bergleut brauche. Dann, nachdem wir uns mit Müh und bittern Zähren von Weib und Eltern losgerissen und übers wilde Meer in dies Glutland kamen, sagte man, wir müßten Ackerbauer werden, denn Goldes läge mitnichten an der Küste. Wohlan! Wir haben auch dies getan, obwohl von solcher ungewohnten Fron in unsern Kontrakten keine Rede war. Endlich aber gab man uns Spieße, Piken und Schwerter, um diese zu zücken und zu schwingen. Sonder Murren erlernten wir's, und es fiel uns leicht, denn es ist Mannesart, die Waffen zu gebrauchen. Nun aber, da wir's können, sollen wir hierbleiben. — Solches dünkt mich übel und schnöd. Mitnichten haben wir dies um unserer Treue willen verdient!" Wie der Jäcklein endete, rasselten seine Leut beifällig mit den Spießen und stampften auf. Der Federmann schob sich vor und hielt eine lange Rede, die mit wohlerwogenen Gründen trefflich durchspickt war, und solcher Einsicht konnten sich weder der Jäcklein noch seine Sachsen entziehen. Zumal der Federmann sagte, daß ja ein Teil von ihnen mitkäme. Alle könnten nicht mit, denn schließlich hätten auch die Bayern und Welschen ein Recht, am Zuge teilzuhaben! Deß gaben sich die Sachsen zufrieden, und es wurden fünfundvierzig der ihren durch das Los erkoren. Die andern mußten zurücktreten. Jetzo trafen die Hauptleute die fernere Wahl unter den Arkebusieren, Musketenschützen, Schwert- und Degenleuten. 164
Um sie nicht zu verletzen, bediente man sich auch hier des Loses und erkor ebenfalls fünfundvierzig Mannen aller Waffenarten. Und als die Reuter nicht das Maulen ließen, wählte man noch Fünfe der Behendesten davon aus! Doch sollten sie nicht auf ihren Rößlein und in schweren Rüstungen mitziehen, sondern als Fußleute und Schwertschwinger. Das Küren war nun getan, und die Fünfundneunzig, die unter den Oberbefehl des Nikolaus Federmann gestellt wurden, welch letzterem der Flensburger und der Moncada zugesellt waren, standen beiseit. Die übrigen zweenhundertundzwanzig aber schauten neidvoll drein. Jetzo rührte man die Trommeln. Schalmeien und Sackpfeifen schrillten. Wiederum herrschte Ruh, und der Flensburger trat hervor, um zu vermelden, daß sein Weib die Absicht habe, den Zug an der Seite ihres Eheherrn zu begleiten, und daß er gesonnen sei, sie auch mitzunehmen. Es bedürfe also keiner weiteren Abstimmung drüber, und er tue es hiermit nur kund, damit sich hernach niemand groß wundere. Übrigens sei er im Glauben, daß auch den spanischen Ritter seine Gesponsin begleiten wolle! Männiglich schaute staunend die Gloria an, die an der Seite der Schwester dem kriegerischen Aufmarsch beigewohnt hatte. Der Moncada schnitt ein frohlockendes Gesicht, als er auf einmal vom Munde seines Weibes die Worte vernahm, daß sie mitnichten den Beutezug nach dem heidnischen Königreich mitmachen werde. Sie sei sich vergangener schwerer Sünde und neuer gottloser Wünsche bewußt und wolle daher Buße tun. Deshalb werde sie morgigen Tags ein düsteres, nonnenhaftes Gewand anlegen, sich einen Strick um den Leib schnüren und Sandalen auf die Füße ziehen. Den Pater aber bitte sie, ihr schweres Bußwerk aufzuerlegen. 165
Dazu gedenke sie, morgigen Tags in das kleine steinerne Häuslein am Walle überzusiedeln. Und sie wolle nichts mitnehmen, als das, was sie am Leibe trage, sowie ein irden Schüsselein, ein zinnern Löffelein und ein Krüglein. Und man sollte flugs beginnen, wenn sie drinnen wäre, die Türe zu vermauern, auch das Fenster derart mit Stein und Mörtel blockieren, daß nur ein schmal Löchlein übrig bleibe, durch das man ihr Speis und Trank schieben könne. Denn mitnichten gedenke sie zu verhungern. Jedoch verlange sie nur das Kärgste. Und falls der Pater, der ein weich Herze habe, ihr keine andre Buße auferlege, so würde sie sieben Jahre eingemauert bleiben. So arg wäre ihre Sündenlast! Der Moncada riß die Augen auf, wie er sein Weib so reden hörte, und die andern Herren schauten sich staunend an, versuchten auch gleich, der Gloria ihr unsinniges Vorhaben auszureden. Sie drehte aber jedem, der ihr so kam, einfach den Rücken. Die Bonita weinte bitterlich, und durch die Reihen der Mannen ging ein bedauerndes Murmeln. Jetzo schaute der Spaniol den Flensburger an, und dem war es, als ob die Augen des andern spöttisch funkelten. Da überlief es ihn siedend heiß, und er wußte nicht warum! Als er aber einmal unversehens den Blick der Gloria auffing und die darin verborgene Glut plötzlich aufflammen sah, da gedachte er jener Rückkehr nach der Heidenschlacht und der heißen Küßlein, die ihm die schwarzlockige Schwäherin gegeben. Nun wußte er Bescheid, und es ward ihm bänglich zumut, weshalb er sich umdrehte und sinnierend von dannen schritt. Dem Pater waren die heimlichen Blicke der Gloria nicht entgangen, auch wußte er sie weislich zu deuten. Weshalb er auf sie zuging und sie in Christo bat, ihren Sinn zu ändern. Wohl sei es preislich, wenn stolze Menschen in sich 166
gingen und Asche auf ihr Haupt streuten, doch rate er ihr, damit noch zu warten, bis sich alles zum Rechten gewendet oder die Kolonia zu größerer Blüte gelangt sei. Unwillig schüttelte sie das stolze Haupt und bat den Pater, sich um seine eigenen Sachen zu kümmern. Worauf er sich betrübt von ihr abwandte. Unterdessen hatte der von Hutten die Auflösung der Rotten befohlen, und die Knechte, von denen der eine Teil traurig war, weil sie hier bleiben mußten, während der Rest frohlockte, waren schon in ihre Losamente geeilt. Nun wollte die Bonita ihre Schwester umarmen, doch litt es diese nicht, sondern schob die Tröstende sanft aber unwiderstehlich fort. Der Flensburger saß schon auf dem Dache und schaute aufs Meer, das wie ein lebender Teppich dort draußen wogte. Er hörte die andern heimkommen, vernahm auch Hornstoß und Trommelwirbel, die zum Essen gemahnten. Es ward dunkel um ihn. Sternlein blitzten vom Himmel, und er sah die großen, ungefügen Flattermäuse, die sie Vampire nannten, weil sie sich Kühen und Rößlein auf den Rükken setzten, um deren Blut zu trinken, aus dem Walde kommen und nach den offenen Ställen fliegen. Schritte ließen ihn aufschauen. Er erschrak schier, als er die Gloria im blauen Sammetspenser vor sich stehen sah. Langsam erhob er sich zu seiner ganzen Größe, und nun standen die zween und schauten sich geraume Zeit an, ohne ein Wörtlein zu sprechen. Endlich begann der Flensburger: „Es sind üble Zeiten, Schwäherin. Und ich würd zehen Jahre drum geben; ja, wie auch mit Wonnen die Schwerthand mir abhauen lassen, um das, was bisher geschah, rückgängig zu machen!" „Ich sah nichts geschehen, heut!" erwiderte sie leis. Er aber rief: „Das lügst du, Schwäherin! Wenn die andern nichts merkten — so mag es angehen — aber mir kannst du 167
nichts weismachen. Der Willkommen, den du mir neulich botest, hätte mir dorten schon die Augen öffnen sollen. Aber ich bin ein ehrlicher, derber Kriegsmann, und alles Ränkespiel ist mir in tiefster Seele leid! Auch hab ich's mitnichten verdient!" Sie trat einen Schritt vor, öffnete die Arme, doch er packte sie hart am Handgelenk, daß sie leis aufschrie. „Willst du mich verführen, meinem Weibe untreu zu werden? Soll ich Unzucht treiben mit der Bettgenossin eines andern, der noch dazu mein Freund ist ?" „Mitnichten wird er's scheelen Auges betrachten. Er ist meiner überdrüssig!" lachte sie bitter, sich seinem harten Griff entwindend. „Ha! Und nun soll ich für ihn einspringen. Weib, für wen hältst du mich ?" raunte der Hauptmann drohend. „Als ich dich zu Augsburg ersten Males sah, war ich dir schon hold und wollte dir Minne geben wie keinem zuvor." Er unterbrach sie: „Weil du damals eine Buhlerin warst!" Sie fuhr ruhig fort: „Als du mir das Schwesterlein aus dem Hexenverlies errettetest, wär ich am liebsten vor dir niedergekniet. Und als du ins Meer sprangst, um deinen Knecht dem dräuenden Gebiß des Hundsfisches zu entreißen, wollt ich dir nach!" Wieder warf er ein: „Auch die Bonita wollte dies tun, hat man mir erzählt!" Verächtlich rief sie: „Die Blonde ? Sie ist weich und nachgiebig. Bei jeder Gelegenheit fängt sie an zu flennen! — Solches ist kein Weib für dich, Flensburger! Du brauchst eine, die hoch und stolz ist und keine Furcht hegt!" „Die Bonita gleicht einem Blümlein, das an der starken Eiche Schutz suchet. Und ich lieb sie von ganzem Herzen. Des sei der Himmel Zeuge!" sagte er innig, und ein böses 168
Leuchten gloste in den Augen der Schwarzhaarigen auf. „Flensburger, ich will dir 's Paradies geben!" flehte sie. Doch er rief: „Den Höllen- und Sündenpfuhl meinst du! Denn das Paradies genieß ich bereits an der Seite meiner mir vor Gott und Menschen gegebenen Trautliebsten!" Wut verzerrte das schöne Gesicht der Gloria. „Verflucht soll sie sein, die blonde Hexe! Ach, hätten die Mönche zu Fulda doch ihren Leib ins Feuer geworfen. Verflucht soll ihr Schoß sein und die Milch in ihrer Brust zu Gift gerinnen. Schwarz sollen ihre roten Lippen werden und ihre blauen Äuglein erlöschen!" Er packte und schüttelte sie in kaltem Grimm. „Bist du bald fertig, Metze? — Nun ist die Reih an mir. Sag dein Sprüchlein zu End, in Teufels Namen!" keuchte er. Sie stieß heraus: „Dir wünsch ich alles erdenklich Gute. Und es sei dir kund, daß ich auf dich warte!" Sich seiner Faust entwindend, stürzte sie die Treppe hinab ins Innere. Der Flensburger schlug die Hände vors Gesicht. Plötzlich schrie er, den Dolch zückend: „Heraus dort, du Schattengespenst!" und schritt auf die Gestalt zu, die sich aus dem Dunkel der Brüstung löste. „Fürwahr!" sprach er weiter. „Stets erscheinst du zu einer Zeit wie der Böse in der Mär!" Ein helles Lachen klirrte, und der Moncada trat auf ihn zu. „Mein Weib besitzet ein feurig Temperament. Bei der würdest du nicht viel der Ruhe genießen, 's war ein toller Einfall von mir, sie von Augsburg mitzunehmen." Sich niedersetzend und den Riesen an seine Seite ziehend, endete er: „Und bei Sankt Jago! noch blöder war's von mir, sie zu ehelichen. — Ein span'scher Ritter mit des Totengräbers Kind, haha!" Der Flensburger murmelte: „Das hättest du vorher bedenken sollen, Bruder! Jetzo ist die Sach nicht mit Reu 169
aus der Welt geschafft. — Hast du alles vernommen, was sie mir sagte?" Der Spanier nickte: „Alles. Und bei Sankt Jago, sie hat fürwahr eine Art an sich, wie die stolzeste Hofdame am Hofe des Kaisers. Und auf dich ist sie versessen. Mit Zahn und Kralle — um so zu sprechen. Und daß dir mitnichten daran gelegen ist, mit ihr zu scharmuzieren, das merk ich. Ansonsten wär's sehr einfach! Du würdest ihr den Willen tun, und da wir doch in Bälde abmarschieren, so wärst du sie bis auf weiteres los. Und mit der Zeit käm auch Rat!" Der andere grollte entrüstet: „Das könnt ich nicht. Ist nicht meine Art! Auch keine deutsche Art! — Es käm auch nichts Gutes dabei raus!" Der Moncada nickte und sprach sinnend: „Nein, es schaut nichts Gescheites heraus, bei solcher Sach! — Es war da einer unter uns, als ich mit dem Cortez gen Tenochtitlan zog. Ein blutjunges Bürschlein aus Italia. Der fischte einem Ritter die Buhle weg. Auf Cuba war's! Dieser andre war herzlich froh, er mochte schon längst auf eine Gelegenheit sinnen, die Kebse auf gute Weis loszuwerden. Die aber merkte es, und da sie, wie alle Weibsen, der Launen voll war, begann sie den Jüngling plötzlich zu hassen und wollte ihrem ersten Anbeter wieder Minne geben. Der lachte sie aus. Da gab sie ihm ein Tränklein ein, worauf er alle viere von sich streckte, die Augen schloß und seinen letzten Seufzer von sich gab. Dem Jüngling schickte sie einen verrufenen Kerl nach, der sich unter dem Narvaez anwerben ließ, und wie dieser vom Cortez bei Vera Cruz aufs Haupt geschlagen ward, nahm der Kerl Handgeld unter dem Sieger. In Tenochtitlan aber ersah er die Gelegenheit und stieß dem Jüngling den Dolch ins Gekröse, daß er jammervoll starb. Die Dirne ward nachher, da alles rauskam, auf dem 170
Marktplatz zu Santo Domingo öffentlich gestäupt, dann mit glühenden Zänglein arg gekneipt und endlich dem Scheiterhaufen überantwortet." Der Flensburger hatte verwundert der Erzählung gelauscht. Jetzo rief er: „Guten Rates ist in deiner Mär nicht vorhanden!" Da lachte der Ritter: „Ich wollte dir nur kundtun, daß Kerle wie du und ich am besten unbeweibt fahren. Laß uns Schätze erbeuten, und wenn dich dann nach Minne gelüstet, so kannst du dir kaufen, soviel du magst. Jetzo aber schlag ich ernstlich vor, daß, wenn die Gloria sich einmauern lässet, du dies der Bonita auch ans Herze legen solltest. Der Papst wird sich freuen, zween neue Heilige zu ergattern!" Finster sah der Flensburger den Spanier an: „Wenn mir ein anderer, als du dies sagte, so würd ich ihn töten wie einen Tollhund! Schweig mir davon, und wenn du ansonsten nichts Rechtes weißt, so laß mich allein. Ich will hier sitzen, bis die Sterne blaß werden und die Sonne wiederkommt!" Er stützte den Kopf in die Hand. Der andre lachte: „Und das wird dich einen schmählichen Schnupfen, vielleicht gar das Fieber kosten. Niemand sitzt hierzuland ungestraft im rieselnden Nachttau. Sei vernünftig und begib dich zu Bette!" Murrend erhob sich der Flensburger und stieg nach unten. Er suchte aber nicht das blaue Kämmerlein auf, wo die Bonita friedlich schlief, sondern schlich an den Türen vorbei — hinter deren einer ein Weib stand, das mit brennenden Augen und pochendem Herzen seinen wohlbekannten Schritten lauschte. Über den Hof ging er und suchte das Losament auf, wo der Pieterken mit einigen Knechten um die Trommel hockte und den Würfelbecher schwang. Die Reisigen wollten sich erheben, aber der Hauptmann drückte sie zurück und begann, mit 171
ihnen zu würfeln, daß das Kalbfell erbebte. Jene aber freuten sich über die Leutseligkeit des Hauptmanns, und der Zacharias Pfannenstiel schlich fort und holte seine Kumpane. Es kam auch der Küchenmeister und brachte auf des Flensburgers Geheiß eine Flasche Branntewein. Große Fröhlichkeit erhob sich, und der Lustigsten einer war der Flensburger! Sie spielten um Gold und Edelgestein, welches sie in Bälde zu erobern gedachten. Voller Eifer waren sie dabei und merkten gar nicht, daß mählich die Fackeln überflüssig wurden, weil der Tag schön und strahlend aufging. Endlich stellte der Hauptmann seufzend den Würfelbecher beiseit, und allen war's, als ob sie aus tollem Traum erwachten. Verdutzt schauten sie sich in die verschlafenen Gesichter, und diejenigen, die an den Hauptmann von ihren zukünftigen Schätzen ganze Maultierladungen verloren hatten, weil die Würfel ihm hold waren, zogen böse Mäuler. Doch schrien sie Vivat, als er verkündete, daß er mitnichten das nächtliche Spiel als ernst ansehe. Er hätte also nichts gewonnen und keiner etwas verloren! Nun erhoben sie sich und wurden verhöhnt von den andern, die ihnen wohlausgeruht mit frischen Gesichtern und blanken Augen entgegenkamen. Der Flensburger aber schlug sich in die Wälder, wo er zween Tage und Nächte unter wildem Getier blieb. Als er müde und düster heimkehrte, merkte er, daß im Speisesaale, der auch als Kirche diente, etwas Besonderes im Gange sei. Grad wollt er eintreten, als ihm zu Häupten das Glöcklein zu bimmeln anfing. Und er mußte beiseitestehen, weil ein wunderlicher Zug langsam aus der Türe quoll. Zuerst schritt der Pater einher und hatte sein Meßgewand an, trug auch die kirchlichen Insignia. Hinter ihm kam die Gloria und hatte ein graues Gewand mit Kapuze an und einen Rosenkranz in der Hand. 172
Um ihre schlanken Hüften war ein derber Strick geschnürt, und die weißen Füßlein steckten in Sandalen. Unter der Kapuze hervor schauten ihre Augen den Flensburger an, schauten ihm durch und durch, daß er den Blick niederschlug. Jetzo war sie vorbei, und es kamen der von Hutten und der Federmann, auch der Moncada und etliche andere. Alle machten gar ernste Gesichter. Hinter den Herrn schritten zween Handwerker mit Kelle und Spatel versehen. Also begab sich der Zug, dem sich bald die Landsknechte, die zuhauf gerannt kamen, schwatzend und verwundert anschlossen, nach dem Walle, wo ein Häuslein aus Lehmziegeln stand. Stracks ging die Gloria hinein, und die Handwerksleut machten sich dran, behende die Tür zu vermauern, auch das Fensterlein kunstreich auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Die ganze Zeit sprach der Pater lateinische Gebete, schlug, als die Maurer fertig waren, ein großes Kreuz in der Luft und wandelte mit trüber Miene von dannen. Unter den Knechten aber sprach's sich herum, daß zur Gloria die heilige Jungfrau im Traume gekommen war und ihr befohlen habe, eine Einsiedlerin zu werden. Etliche lachten, aber die meisten freuten sich, daß man nun eine Heilige habe, und viele hielten es als ein gutes Zeichen für das Gedeihen der Kolonia. Dem Flensburger wollte an dem Tage das Essen nicht schmecken, und er hielt sich still und zurückgezogen. Also war's geschehen, daß die Gloria sich als Einsiedlerin einmauern ließ. Und die Tage drauf rannte männiglich von den Landsknechten an ihr Fensterlein, weil sie in ihrer Einfalt dachten, die Heilige würd ihnen guten Rates geben. Es waren etliche, die sie baten, ihnen die Zukunft zu künden und ob sie gesund, mit Schätzen beladen in die Hei173
mat zurückfahren würden. Andere wollten Amulette gen Hieb und Stich gesegnet haben. Und es geschah großen Gerennes, und die Knechte, die sich vor dem Fensterlein drängten, gerieten sich schier in die Haare, weil jeder zuerst sein Sprüchlein vorbringen wollte. Die Gloria, die drinnen saß und von der man nicht viel zu sehen vermochte, wenn man hineinlugte, weil das Gemach arg dunkel war, bat mit milder Stimme, man möge sie in Frieden lassen. Sie sei keine aus dem fahrenden Volk, um Weissagungen zu tun. Man solle in sich gehen und beten. Und wer ein gut Gewissen habe, dem würde es Wohlergehen, im Himmel und auf Erden. Jetzo aber wolle sie für sich beten, und man möge sie nicht stören, denn sie sei eine arge Sünderin! Scheu verzogen sich die Knechte und murmelten untereinander, die Gloria sei wahrhaftig eine Heilige, denn nur eine solche könne sich derart gehaben. Der Moncada ging eines Abends an ihr Fensterlein und pflog kurzer Zwiesprache mit ihr. Da hörte man die Gloria gleich einer Trulle schelten, der Spanier lief behende weg und sagte dem Flensburger halb schreckvoll und halb lachend, er solle sich in acht nehmen, denn die „Heilige" führe sicher Übles im Sinne. Denn wenn ein Weib verschmäht wird, so verwandelt sich ihre süße Minne in gallebittern Haß, und er solle daher auslugen ! — Der Flensburger schüttelte den Kopf und sagte nur, er wolle Gott danken, wenn der Aufbruch in Bälde geschähe, sein Weib sei ganz schwermütig und kopfscheu geworden. Die andern Herrn, die nicht wußten, wo der Has im Pfeffer lag, bedauerten zwar den Moncada, daß er seiner ehelichen Kurzweil verlustig gegangen sei, doch hielten sie das Tun der Gloria für preislich und zollten ihr hohes Lob. Der von Hutten erzählte viele Beispiele von büßenden Heiligen, so von einem, der zu Rom auf einer Säule viele Jahre 174
im Wind und Regen, Hitze wie Kälte gestanden habe. Und von heiligen Weibern, die auf den Höhen des Schwarzwaldes eingemauert in Höhlen hausten. Der junge Welser schüttelte das Haupt ob solch düsterer Tat und meinte, es sei sicher nicht vonnöten, solche Dummheiten zu begehen, um der Gnade Gottes teilhaft zu werden. Dieser mutigen Rede stimmte schließlich auch der Federmann bei. Er sagte, er habe im ehrlichen Kampfe manchen Feind gefällt, manchen Humpen geleert, wie auch zahllose Braten und Tunken verspeist. Nie sei ihm beigekommen, ein extra Bußwerk zu tun, und er glaube dennoch mitnichten, einst in die Hölle zu kommen. Ehrlich gelebt und ehrlich gestorben, das sei sein Wahlspruch! — Um die Gloria aber wär's schad, denn sie sei ein stattliches Frauenzimmer. Aber jeder müßte am besten wissen, was ihm fromme! Alles schaute auf den Pater, doch der nahm Zuflucht zu einer Eberkeule und sagte kein Wörtlein, schaute aber verstohlen den Flensburger an. Da quoll diesem der Bissen im Munde, er stand darob auf und verließ die Tafel. Von nun an trieb er sich often allein im Urwalde umher, vergaß auch in Gedanken seine Waffen, und der Pfannenstiel mußte scharf lugen, um seinem wie im Traume fortschreitenden Herrn die Arkebus und das Schwert aufzudrängen. Nun geschah es eines Abends, daß die drei spanischen Unterführer, die der Moncada einst mit dem Degen gezeichnet, weil sie ihn wegen der Gloria gehänselt hatten, an ihr Fensterlein gingen und lange mit ihr flüsterten. Der Moncada erspähte es, schlich sich von hinten an das Häuslein, um zu lauschen. Er vernahm aber nur etliche Wörtlein. Diese gaben ihm zu denken. Flugs suchte er den Flensburger auf und warnte ihn, vor bös Wetter auszulugen! Tags drauf, als alles beim Tafeln saß und den Flensburger 175
lobte, weil er eine Partie schmackhafter Bratenvögel aus der Wildnis mitgebracht, erhoben sich die drei welschen Unterführer und stellten sich vor ihm auf. Sie hießen Esteván Caracas, José Diaz und Domingo Sant' Ana. Alle drei lachten höhnisch auf den Hauptmann herab. Verwundert schaute er auf. Da gab ihm der Caracas flugs einen derben Backenstreich; der Diaz bückte sich und spie ihm auf die das Messer zur Tranchierung der Speise haltende Rechte. Der Sant' Ana, welcher der Jüngste war, schmiß ihm den Handschuh ins Gesicht und schalt ihn einen tölpelhaften Mauskopf. Männiglich war ob dieser Ruhestörung erstaunt. Der Flensburger sprang brüllend auf, daß die Tafel schwankte, und wollte den Dreien zu Leibe. Der Moncada, der ihm zur Seite saß, raunte ihm aber ein Wörtlein ins Ohr, und da blieb er wie erstarrt stehen, bis ein finsteres Lächeln über sein Gesicht glitt und er sagte: „Die Herren wissen wohl, was drauf folgt?" Der Diaz machte einen Bückling und erwiderte: „Es wird uns eine Ehr und Vergnügen sein, der Reihe nach euch mit Stahl aus Toledo zu zeichnen. Ihr wisset wohl, warum!" Grimmig lachte der Hauptmann: „Wohl kann ich mir's denken. Und ich nenn euch daher blöde Knaben. Glaubt aber mitnichten, daß ich euch Gewürm die Ehr antu, einzeln mit euch zu fechten. Alle drei auf einmal nehm ich an, und ich rat euch wohl, von der Person, die euch beauftragt, vorher Abschied zu nehmen und auch beim Pater Reu und Leid zu machen!" Da verwunderten sich alle. Der Sant' Ana aber warf ein, das ginge nicht an, es sei gegen die Kavaliersgesetze, drei gegen einen zu fechten. Der Flensburger setzte sich wieder hin und höhnte: „Auch daß ihr drei mich gefordert habt, in der Art, wie ihr's getan, war gegen die Gesetze!" Und der 176
Federmann rief dazwischen: „Recht so und wohlgetan. Die drei Welschen haben gegen den Flensburger zu stehen, wie er's will. Denn er ist der Beleidigte. Und wer jetzo noch ein Wörtlein dawider hat, dem zerhau ich Kinnlad und Backen!" sprach's und begann gewaltig zu essen. Nach der Tafel wurde ausgemacht, daß der Kampf am frühen Morgen vor sich gehen sollte. Der Flensburger wählte den Flamberg als Waffe, den Spaniolen ward der Degen zugestanden. Und alle Gegner sollten auf Hieb oder Stoß fechten dürfen. Die Bonita fing an zu flennen, aber sie beruhigte sich, als der Flensburger und der Federmann ihr etliche Stücklein von deutscher Fechtkunst erzählten. Zweifelnd schüttelte der Moncada das Haupt, und als der Jan Detlef zuversichtlich lachte, fing er an zu fluchen und ihn einen echten dickköpfigen Deutschen zu nennen. Denn nur ein solcher brächte es fertig, sich unnötig in Leibesgefahr zu begeben, wo er's doch bequem haben und die drei Lästerer einen nach dem andern wie fürwitzige Hähne abtun könne! Den Mannschaften ward kundgetan, was befürstehe, und alle sagten dem Flensburger Lob, auch die welschen Fähnlein, weil sie den drei Unterführern nicht grün waren. Siegesgewiß spazierten diese umher und spotteten, als sie den Löhndorff zum Pater gehen sahen. Der empfing den Riesen mit den Worten: „Das ist eine böse Geschichte!" „Meinet ihr die drei Schelme?" fragte dieser verwundert, doch der Pater lächelte trübe: „Mitnichten. Ich meine die Gloria!" Zornig begehrte der Flensburger auf: „Sie ist vom Teufel besessen! Vernehmt, was sie mir zumutete!' Und in langer Rede erzählte er dem guten Pater alles, worauf dieser am Schluß nickte und meinte, es sei eben das Dirnenblut, 177
das könne auf die Dauer kein Gutes stiften. Und es wär preislich, daß das Weib gesonnen sei, als Büßerin zu verharren. Obwohl sie auch selbst im eingemauerten Zustand noch Unheil stifte, denn es läge auf der Hand, daß sie die drei Kampfhähne aufgehetzt habe. „So wird sie von morgen an zu tun haben, für die Seelen der drei zu beten!" brummte der Hauptmann. Drauf gab ihm der Chrysostomus ein bittres Tränklein, das einem im Kampf ruhig Blut bewahre, und dann ergötzten sich die zween an der Chronika des Paters. Da sagte der Flensburger, jener möge ihm Pergament und Tusche geben, damit auch er alles, was geschehen würde, aufzeichnen könne. Er habe große Lust zu solchem Tun. Der Pater gab ihm das Verlangte, und nachher sagten sie einander gute Nacht. Lange aber noch saß der Flensburger zum Kummer seines Weibes beim Kerzenschein und fügte Buchstaben an Buchstaben. Bis er ihr das Geschriebene wies und vorlas, worüber sie höchlichst erstaunt und erfreut war, denn sie vernahm die Geschichte vom Ausmarsch der Reisigen aus Augsburg — und nicht das Testament ihres Gesponsen, wie sie erst vermeint hatte. Guten Mutes erhob sich der Hauptmann am frühen Morgen, küßte seinem Weibe die Zähren aus den blauen Äugelein und begab sich an den Wall, wo schon alles auf ihn harrte. Wie er am Häuslein der Büßerin vorbeikam, vernahm er drinnen ein Kratzen und Flattern, wohl auch ein unterdrücktes Wimmern. Und der Moncada nahm ihn beiseit und flüsterte ihm ins Ohr, die Gloria habe den von Hutten gebeten, er solle den Kampfplatz vor ihrem Fensterlein abstecken lassen, damit sie den Streit sehen und für die Mannen beten könne. Doch der Oberbefehlshaber schlug dies Ansinnen ab, indem er sagte, solch grauses Geschehen sei nicht für die Augen einer Fraue. Worauf die Gloria wü178
tend geworden und in ihrem Gelaß herumspringe, auch an den Wänden kratze! Der Flensburger trat in den Kreis, und hundertstimmig schrien ihm die Knechte Beifall zu. Die drei Spanier aber neigten spöttisch ihre Degen vor ihm. Jetzo brachte der Zacharias Pfannenstiel das gewaltige Erbschwert auf der Schulter angeschleppt und entblößte die schimmernde, runenverzierte Klinge, die von der Spitze bis zum Knauf genau sechs Schuh in der Länge maß. Die drei Spanier lachten, doch verging ihnen das Fröhlichtun, als sie merkten, wie der Flensburger probeweis behende herumsprang und dabei den Flamberg bald mit einer Hand, bald mit zween, voll spielender Leichtigkeit durch die Luft pfeifen ließ. Der von Hutten gebot Ruhe und sagte den Kämpen, sie sollten erst beten und dann in Gottes Nam beginnen. Alle viere beugten die Knie und murmelten. Die Zuschauer waren mäusleinstill. Dann sagte der Federmann den Spaniern, sie dürften kämpfen, wie es ihnen gut dünke, auch von drei Seiten könnten sie angreifen. Denjenigen aber, der sich beifallen ließe, an den Hauptmann von hinten anzuschleichen, würde er eigenhändig niederhauen! Jetzo erscholl ein Trompetenstoß als Zeichen zum Beginn. Dies hatte der Flensburger abgepaßt, er griff sofort an wie ein Wetterstrahl, und ehe sich die drei Spaniolen trennen konnten, pfiff der Flamberg und schor dem Diaz durch Halsberge, Fleisch und Wirbel, daß ihm der Kopf von den Schultern tanzte. Aus der Schnittfläche quoll ein grausiges, rotes Brünnlein, der Rumpf machte noch zween Schrittlein auf zitternden Beinen und stürzte dann vornüber. Ein Atemzug ging durch die Rotten. Einmal schrien sie Vivat, und wieder war alles still. Aus dem Häuslein der Büßerin aber tönte es plötzlich dumpf: „Um Jesu Willen, ich 179
hörte ihn fallen. Wer war's? Übt Barmherzigkeit und kündet mir, wer es war!" Jemand schrie: „Der Diaz hat seinen Kopf verlieren müssen!" Wieder kam die Stimme der Gloria: „Der Diaz war's? — So sei denn Dank allen Heiligen und der Güte Gottes!" Die beiden übergebliebenen Spaniolen waren blaß geworden. Sie trennten sich und drangen von zween Seiten auf den Hauptmann ein. Der lachte nur und ließ den Flamberg kreisen, das er wie von einem blitzenden Dach umsponnen war. Und sie konnten nicht an ihn heran! Wie sie aber ihre Degen sinken ließen, um zu warten, bis er ermüde, griff er sie an, und nur mit äußerster Not, durch Ducken und in die Kniekehlensinken, entging der Caracas dem furchtbaren Flamberg. Als aber der Sant' Ana von seitlich kommen wollte und einen raschen Stoß riskierte, schmiß ihm die Runenklinge den Toledanerstahl aus der Rechten, daß er sausend davonschwirrte und in einem Baum steckenblieb. „Holt die Waffe und gebt sie ihm wieder!" rief der Hauptmann über die Schulter und drang ungestüm auf den andern Spanier ein. Dieser sah sein letztes Stündlein vor Augen. „Die Gloria ist schuld!" keuchte er, aber niemand außer dem Flensburger erriet die Worte, weil der Flamberg jetzo tönend durch die sonnige Luft sang. Tränen der Wut und der Angst traten in des Welschen Augen, als es ihm immer schwerer fiel, dem furchtbaren Kreise zu entrinnen. Auf einmal warf er sich verzweifelt vor, den Zuschauern entfuhr ein jäher Seufzer, denn es sah aus, als ob er sich freiwillig in den Weg des Flensburgers warf. Wohl fegte ihm dieser den Kopf vom Halse, aber auch der Toledostahl hatte in Fleisch und Blut gebissen. Während der Leib des Caracas quer über den seines toten Freundes fiel, wechselte der Hauptmann die 180
Schwerthand, ließ fortan die Rechte hängen. Die Toledoklinge hatte ihm nämlich den Oberarm blessiert. Wieder tönte die Stimme der Gloria: „Um der Barmherzigkeit willen, sagt an, wer fiel dieses Mal ?" Und auf die Antwort, daß es der zweite Spanier sei, hörte man sie schluchzen: „Lob und Dank sei dem Gekreuzigten!" Der Sant' Ana hatte wieder seinen Degen empfangen, und man sah es seiner bleichen, entschlossenen Miene an, daß er wohl wußte, was ihm bevorstand, er aber sein Leben teuer verkaufen wollte. Der Flensburger, ihn umkreisend, rief ihm zu: „Ergib dich, leiste Abbitte und ich will dich schonen!" Höhnisch lachte der Welsche: „Niemals ergeb ich mich dir ungefügem Barbaren! Und nicht nur hab ich eine Dame, der du üblen Tort angetan, sondern auch zween Kumpane zu rächen!" Da schnaufte der Jan Detlef, sagte aber fürder kein Wörtlein mehr. Männiglich sah's ihm an, daß er der Sache ein End bereiten wollte. Schrecklich schritt er auf den Spanier zu, und der hüpfte behende im Kreise herum. Einmal stolperte er über den grinsenden Kopf des Diaz, und der Flensburger ließ ihm Zeit, das Gleichgewicht wiederzufinden. Höhnend schrie der Welsche, es sei gar leicht für einen solchen Riesenkerl, dessen Schwert so lang als er selbst sei, gen kurzen Arm und dünne Klinge anzukommen! Stumm schmiß der Jan Detlef den Flamberg weg und winkte nach einem Degen. Hellauf frohlockte der Welsche, denn nun hatte er den andern ohne Waffe und tänzelte auf ihn zu, ihm den Garaus zu machen. Er vollführte in seiner Siegerstimmung solche tollen Sprünge, daß ihm der Helm vom Kopf rollte. Mit gewaltigem „Ho!" wollte der Federmann ihn niederhauen, weil er auf den wehrlosen Mann losging. Doch dieser winkte ab und kam dem Angreifer entgegen, 181
ohne sich Zeit zu nehmen, den Degen aus des Pfannenstiels Hand zu nehmen. Raschelnd fuhr ihm die Toledoklinge zwischen Arm und Hüfte hindurch, und dann traf seine geballte Faust den Schädel des Sant' Ana. Da er zum Streite den Eisenhandschuh angezogen, nahm es niemand wunder, daß die Hirnschale des Welschen wie ein irdener Topf geborsten war! Stier um sich blickend, ging der große Hauptmann nach dem Regierungshaus. Sein Weg führte ihn versehentlich am Fensterlein der Gloria vorüber, und die eingemauerte Büßerin sah ihn schreiten. Da faltete sie die Hände und dankte Gott. Die drei Spanier aber wurden zur selben Stunde auf dem Kirchacker begraben, wo die in der Heidenschlacht Gefallenen lagen. Der Pater murmelte Gebete, und das Glöcklein bimmelte. Denselbigen Tag ging ein Gewitter über das Land, wie es noch keiner der Deutschen in solch stundenwährender schrecklicher Wut erlebt hatte! Und als nachher leises Rollen am Meere draußen erstarb und der durchweichte Boden in der Wärme zu dampfen begann, rotteten sich die Knechte zusammen und murmelten, ein solches Unwetter sei wahrhaftig ein böses Zeichen! Der Moncada schalt und lachte sie aus und sagte, sie würden noch mehr solcher Gewitter erleben wie dieses. Denn in Bälde käme die Regenzeit, und da würde es Tage, auch Wochen hindurch vom Himmel schütten, was Zeugs hielte. Und man sollte sich beeilen und den Zug nach den Chibchas antreten, damit man aufs Hochland käme, ehe die Gezeiten der Unwetter anfingen. Denn sonsten würd's zu spät für dies Jahr und wohl auch für immer, weil andre ihnen zuvorkämen und ihnen die Schätze vor der Nas weghaschen würden. Da vergaßen die Knechte ihre Angst vor Blitz und Don182
ner, zollten dem Moncada Lobes und zogen vor das Blockhaus, um in hellen Haufen zu schreien, man wollte aufbrechen. Der von Hutten und der Federmann kamen heraus und gelobten, es sollte innert acht Tagen losgehen, wenn der Moncada mit seinen Bluthunden vorher noch etliche Heiden fange. Ansonsten müßten sie ihr Gepäck selber schleppen. Drauf zogen sie ab. Und es vergingen etliche Tage mit Vorbereitungen. Die Sklavenjäger kehrten aber mit leeren Händen heim. Eines Morgens schrien sämtliche Posten fast gleichzeitig: „Zu den Waffen! Hoiho! Die Heiden kommen!" Alles rannte auf den Wall, und da sah man drüben am Waldessaum eine Anzahl der Indios stehen und mit grünen Zweigen winken. Einer aus ihrer Mitt schrie in fließendem Spanisch, man solle nicht schießen, sondern ihn heranlassen, denn er habe Gutes zu berichten! Das eisgraue Knechtlein riß die Augen auf und sagte, die Stimme des Heiden klinge fürwahr wie die seines Hauptmanns Costa, der damals im Walde verschwand! — Besser hinlugend, schrie er, jener sei's wahrhaftigen Gottes, man sollt sich fürsehen vor Verrat und Überfall! Der Kerl mit dem grünen Zweig kam unterdes unbesorgt näher, und da seine Kumpane am Waldrand verweilten, wurde ihm keine Musketenkugel auf den Pelz gebrannt, sondern er durfte ruhig in die Welserstadt herein. Männiglich sah alsbald, daß es wirklich ein Spaniole sei, und er weinte Freudenzähren, wie der Moncada ihm zuredete. Die Herrn begaben sich mit diesem zum Heiden gewordenen Christenmenschen in den Saal. Den Reisigen hatte man aufgetragen, fein Obacht zu geben. Auch begab sich der Federmann noch zu ihnen, damit keinerlei Unsinn gemacht werde. Im Saale aber nahm man den spanischen Hauptmann Costa 183
vor, der braungebrannt und nackt bis auf einen schmalen Bastschurz dastand und sofort zu reden begann. Eifrig erzählte er, wie der Leones, der neulich die Heiden in die Schlacht geführt und dafür ins Gras beißen gemußt, ihn und die Soldaten erst mit schöner Red, wobei ihm die Indiotrullen und deren Zaubertränklein weidlich geholfen — hernachen aber mit übler Drohung gezwungen habe, mit in den Wald zu gehen. Dorten hätten sie ein heidnisches Leben geführt, doch sei einer nach dem andern eingegangen. Von der Pranke des Jaguars, den Fängen der Giftschlangen und am tückischen Fieber! Viele hätten sich auch gegenseitig im Streit um die braunen Trullen umgebracht. Ihn aber, den Costa, gab der Leones, weil er sich aufsässig erwies und ihr Tun für unchristlich schalt, an einen andern untergebenen Stamm in Sklaverei. Dorten hätt er's aber gut gehabt, denn die Indios wären brave Leute, die gerne den Christengott, von dem er ihnen erzählte, kennenlernen und ihm dienen wollten. Bis dato aber lebten sie in Angst vor dem Volke, bei dem der Leones weilte. Und sie mußten diesem Tribut zahlen. Jetzo aber hätten sie von der großen Schlacht erfahren, die den Leones und viele Indios das Leben gekostet hatte. Da machten sie sich flugs auf, fielen über die Dörfer jener her und erschlugen, was sich ihnen in den Weg stellte. Und nun seien sie gekommen, um ihn an seine weißen Brüder zurückzugeben und diesen Treue und Dankbarkeit zu schwören. Je länger der Costa sprach, desto aufmerksamer hörten die Herrn zu, stellten auch einige Fragen und nickten befriedigt nach der Antwort. Sie merkten, daß der Spaniol die lautere Wahrheit sprach, auch verbürgte sich der Mon-ada für ihn. „Ob er die Sprache der Indios rede?" wollte der Flens184
burger wissen, und der Mann mit der Bastschürze nickte. Da wandte sich der Fragende an den von Hutten und meinte, einen bessern Dolmetsch für den reisigen Zug ins Innere könnten sie gar nicht kriegen. Und sicher würden auf dessen Geheiß auch eine Anzahl der Heiden, die man der Ordnung halber vorher taufen müsse, als Träger mitgehen. Eifrig nickte der Costa und sagte, für etliche Spieglein und glitzernden Tand würden sie viele kriegen. Darob ward männiglich erfreut. Der Moncada stellte noch die Frage, ob die Indios Gold besäßen, worauf sein Landsmann betrübt verneinte. Man gab ihm rasch ein christlich Gewand, dann schickte man ihn hinaus, er sollte den Heiden sagen, sie dürften kommen, aber ohne Waffen! Auch ohne Weibsen! Lachend und sich freuend, hüpften die braunen Mannen heran und ergossen sich in solcher Anzahl in die Welserstadt, daß den Weißen schier bang ward. Doch erwiesen sich jene so harmlos und fröhlich wie die Kinder. Alsbald begann ein lustiger Tauschhandel, denn die Indios, welche sich Kumanas nannten, hatten viele Früchte und Gemüs mitgebracht. Es waren ihrer nahezu zweitausend Seelen, und die meisten mußten draußen vor dem Wall bleiben, weil kein Platz war und man auch immer noch wegen Verrats auslugte. Von fern sah man ihre Weiber sich am Waldrand ergehen und winken. Es waren wohlgebaute, schlanke Geschöpfe, und etliche Landsknechte wollten sich lüstern hinüberschleichen. Doch der von Hutten fuhr mit derben Worten dazwischen und verwehrte es ihnen, und sie traten zurück, um nach Einbruch der Dunkelheit möglichst einen neuen Versuch zu wagen. Es herrschte Getümmel und Gejauchz vor und hinter den Wällen. Der Pater, der einige der Kaziken durch den Dol185
metsch befragte, fand sie sonnigen und ehrlichen Gemüts, sowie auch voller Erwartung, der Lehre des Christengottes teilhaft zu werden. Da nahm er eilends Rücksprache mit dem von Hutten und dem Welser, und es wurde beschlossen, daß der Pater die Heiden schnellstens durch den Dolmetsch notdürftig mit dem Glauben bekanntmachen solle, damit er sie binnen wenigen Tagen taufen könne. Denn der von Hutten drängte jetzo auf baldigen Abmarsch der Schatzsucher, sonst würde alles außer Rand und Band geraten. Als Träger dürften aber nur solche Indios mit, die zuvor die heilige Taufe empfangen hätten! Am Abend saß der Costa mit an der Tafel und erzählte den Aufhorchenden viele Abenteuer aus dem Urwalde. Denn er war lange in der Wildnis gewesen und der Kleider so entwöhnt, daß er sich allerorts jucken mußte, weil sie ihm unbehaglich waren. Schon nach drei Tagen konnte der Pater die Kumanas allesamt taufen. Und er schwitzte arg, der Brave! In langen Reihen knieten die Heiden im Meere, wo es nicht tief war, und er ging an ihnen vorbei, duckte jeden einzelnen unter und sprach die vorgeschriebenen Worte. War eine Reihe fertig, so trat sie Zurück, um einer neuen Platz zu machen. Dies dauerte lang! Auch die Weibsen und Kinder der Indios durften kommen. Nach vollzogener Taufe aber mußten sie stracks an den Waldessaum zurück, weil die Befehlshaber sonst ein allgemeines Buhlen befürchteten. Jeder Täufling erhielt etlichen Tand als Geschenk, und die harmlosen Leut freuten sich sehr. Scheu aber umschlichen sie das Häuslein der Büßerin, nachdem einige hineingespäht und die Gloria drin auf dem Betschemel knien sahen. Den Flensburger aber hatte eine fieberhafte Unruh ge186
packt, er eilte hin und her, half dem Moncada und dem Dolmetsch, die Träger zu erkiesen, und war wie vom Teufel besessen, indem er zum Aufbruch drängte. Er freute sich, und nachher vertraute er dem Moncada an, ein Stein sei ihm vom Herzen gefallen, weil die Bonita nachträglich erklärt hatte, nun, da ihre Schwester eingemauert büße, denke sie mitnichten dran, in den Urwald zu gehen. Sie habe nachgesonnen und gefunden, daß sie dem Gatten nur eine Last sein werde. Auch wolle sie die Schwester, die im feuchten Gemäuer sicher bald erkranken werde, pflegen. Beglückwünschend drückte der Spaniol dem Freunde die Hand. Und männiglich sputete sich, auf daß in Bälde alles wohl gedieh und die Rotten eines Abends zum letzten Festmahl vereint zusammensaßen.
Wie d i e L a n d s k n e c h t e nach dem G o l d e marschieren Als die Sonne noch nicht aufgegangen war, traten die Fähnlein und Rotten vor dem Ceibabaume an. Die drei Hauptleute schritten schon lange ungestüm hin und her, denn jetzo, da es losgehen sollte, waren sie auf einmal die Ungeduldigsten! Und es stellten sich die Spießträger, Schwertfechter und Schützen zu je dreien auf. Vierzig als Träger angeworbene Indios, welche alle die Taufe empfangen hatten, kamen in die Mitte. Vorne und hinten waren Landsknechte, auch seitwärts in einigem Abstande sollten welche marschieren und als Ausluger dienen. Diesen gab man etliche Indios bei. Auch der Costa war mit. Gern hätte ihn zwar der von Hutten behalten, doch ließ er sich überzeugen, daß die Indios flugs die spanische Sprache erlernen 187
konnten, und somit würde es ihm in Bälde an keinem Dolmetsch mangeln. Von den Spielleuten waren zween Schalmeienkerle, zween Sackpfeifer und drei Trommler bei den Ausziehenden. Einer dieser war der Pieterken, der sich eng an seines Herrn Seite hielt. Und er marschierte gut, weil der kunstreiche Schmied ihm sowohl eine neue Hülse für Bein wie auch Krucken angefertigt hatte. Die waren unten rund und platt wie Schüsselein und verhüteten, daß er mit dem eisernen Spieker im weichen Boden versinken konnte. Der Hahn krähte ohn Unterlaß, und das kurze Frührot vergüldete bereits das ruhige Meer, als sich unterm Lärm der Instrumente und dem tosenden Geschrei der zurückbleibenden Knechte und Kumanas die Eroberer in Marsch setzten. Eilig, ohne sich umzusehen, drangen sie in den Wald ein. Das große Schweigen der nur langsam aus nächtlichem Schlummer erwachenden Natur umfing sie alsbald, und hinter ihnen erstarb das Geschrei aus der Welserstadt. Ihre kriegerische Ordnung löste sich rasch auf, weil überall Bäume und Büsche die Rotten der Marschierenden trennten oder Sumpf und Wässerlein sie zum Ausbiegen zwangen. Doch hatte man vorher geprobt, wie man's machen sollte, falls „Feindio!" geschrien werde, und jedweder wußte genauen Bescheid, wie er sich in solchem Falle zu benehmen habe. Vorerst aber war an Überfall und Kampf nicht zu denken, denn das Land, daß sie durchzogen, war den Kumanas zu eigen. Der Federmann führte die Spitze, und ging ihm der Costa nebst zween speertragenden Kaziken zur Seit. Der Moncada befehligte die Mitt und der Flensburger die Nachhut des Zuges, der sich auf verschiedentliche hundert Ellen auseinanderdehnte. Der Hauptmann war ernst, denn der Ab188
schied von der Bonita war ihm sehr nah gegangen, auch hatte er's wohl gehört, wie ihm die Gloria durch ihr Klausenfensterlein Glück auf den Weg nachrief. Neben ihm humpelte der treue Trommler, und es war ein großes Wunder, wie geschickt und ausdauernd der durch den Urwald drang. Es nahm aber auch alle seine Kräfte in Anspruch! Zu schwatzen, wie die andern es taten, vermochte er mitnichten, weil er seinen Odem nötiger brauchte. Der grüne Urwald, in dem es wunderlich heiß roch, nahm sie immer tiefer in seine Arme. Es wuchsen der Blumen sonder Zahl, schön bunt und herrlich gestaltet wie in einem Märlein von Wundern und Feien. Die wenigsten jedoch strömten Düfte aus, und der Jäcklein schalt arg, als er eine pflückte, um dran zu riechen und ihm sofort Hände wie Nas von bladernbildendem, übel brennendem Anlauf überzogen wurden. Er meinte, ein bescheiden deutsches Veigelein oder ein Tausendgüldenkraut seien ihm lieber. Die wären zwar klein und unscheinbar, doch röchen sie behaglich oder verbrennten wenigstens harmlosen Wanderern nicht die Pfoten. Der Boden war ganz weich und mit faulendem Laube bedeckt. Oft lagen gestürzte Baumriesen kreuz und quer, und diese mußten mühevoll umgangen werden. Zuerst waren die Landsknechte zwar derbe darübergestrampelt, um sich Weges zu ersparen, als aber etliche durch das pergamentdünne Holz einbrachen und niesend bis zum Wehrgehenk im stäubenden Moder standen, ließen sie's. Zumal die Indios durch Zeichen sagten, auf solche Weise könne man arglos auf eine giftige Schlange treten und grausen Todes gewiß sein! Papageien und Affenvölker, die auf den Bäumen hausten, machten großen Lärm. Eine Herde von zween Dutzend Wildschweinen mit vielen streitbaren Ebern darunter, kam 189
quer aus dem Walde auf die Nachhut losgestürmt. Man empfing sie mit Schwert und Spießstoß, auch wohlgezielten Bolzen, bis sie alle maustot waren. Denn derart ist das Wesen dieser Peccaris genannten Wildsauen, daß sie in toller Wut anstürmen bis zum letzten Huf. Es war dies bedauerlich, denn man konnte nicht viel von den feisten Braten mitnehmen, weil man unterwegs war und Proviant genug schleppte. So mußte man das meiste Fleisch für andres Getier liegen lassen. Am Abend erreichte man jene Lichtung an der blauen Lagune, wo einst die Hütten der Heiden gestanden, die der rächende Feuerbrand vertilgte. Jetzo war großes Getümmel dorten, und es brannten Feuerlein in Menge. Etliche Sippen der Kumanas, die hier Lager bezogen, warteten bereits auf die Weißen, und es war Fleisch, Gemüs und Obst zur Genüge für alle hungrigen Mäuler gerichtet. Nachher, als der Vollmond kam und allmählich das Geschrei und Gelächter der Landsknechte, die tagsüber arg unter ihren Brustpanzern und Eisenhauben geschwitzt hatten, verstummte, ging der Flensburger lustwandeln. Mit Mühe mußte er's dem Pieterken untersagen, hinter ihm dreinzulaufen! Es war ein fremdartig schönes Bild, das sich den Augen des Hauptmanns bot. Um ein großes Feuer saßen der Federmann und der Moncada mit dem Costa und etlichen Kaziken beisammen. Alle rauchten Tobakröllchen, und der Dolmetsch redete gewaltig, gestikulierte mit den von Feuersglut und Mondsilber bald blutrot, bald oalen beschienenen Händen. Und durch das Lager bewegten sich die Kumanas wie schlanke, braune Hirsche. Die Brustpanzer der Landsknechte blitzten, und auch die zusammengelehnten Waffen glitzerten gleich bläulichen Flämmlein. Prächtig anzuschauen waren die auf und ab stapfenden gewappneten Schildwachen, 190
über deren Köpfe Vampire und andre Flattermäuse lautlos hin und her schossen. Die Lagune lag da wie eine Silberplatte, in der sich der zackige Rand des Urwaldes tintenschwarz spiegelte. Manchmal sprühten Tröpflein auf, und schimmernde Furchen schossen über die Oberfläche, wenn Krokodilenechsen einherschwammen. Machtvoll schrie und brüllte das Affengelichter in des Waldes Schwärze. Die meisten der Knechte gingen zur Ruhe. Und auf des von Hutten Geheiß, der deswegen vorher mit den kundigen Spaniern Rücksprache genommen, schritt der Profos alsbald mit seinen zween Stockmeistern von Gruppe zu Gruppe. Und wo er einen im Grase liegen fand, stellte er ihn behende zur Red, drohte ihm auch, falls er sich widerspenstig zeigte, derbe Stockprügel und Spießrutenlauf an. Denn es durfte laut Befehl keiner des Nächtens auf blankem Boden schlafen, falls es nicht nötig. Der Costa hatte gewarnt, daß in solchen Fällen böse Fieber in die Knochen und Muskeln der Arglosen aus dem tückischen Boden hineinschleichen würden, und sie wären dann weder für Marsch noch Kampf zu gebrauchen, sondern nur eine arge Plag für die Gesunden. Deshalb hatten die Kumanas für männiglich geflochtene Hängematten geliefert. Sie selber schliefen auch in solchen. Erst im Hochlande dürfe man auf blankem Boden nächtigen; mitnichten aber im feuchten Urwald! Diese Hängematten waren gar zierlich gestaltet, und die Stricke zum Aufhängen bestanden aus menschlichen Haaren, die man Frauenköpfen feindlicher Stämme abgeschnitten hatte. Man lag in einer solchen schwanken Lagerstatt krumm wie eine Bologneserwurst, und männiglich mußte sich erst daran gewöhnen. Weshalb auch der Profos mit seinen Stockmeistern die ersten Nächte die Runde machen sollte, damit niemand seine Hängematte verschmähe. Tagsüber dienten diese seltsamen 191
Betten als Koffer, denn der Proviant ließ sich darin säuberlich verschnüren und den indianischen Trägern auf die Köpfe laden. Die Weißen hatten fürwahr übergenug an ihren Waffen und Harnischen zu schleppen! Jetzo lag alles zu Bette, und der Flensburger stand still und einsam am Rande des Wassers. Unwirsch schlug er mit der Faust nach den Glühwürmlein, die ihn grünleuchtend umgaukelten und seine Gedanken störten. Lange starrte er auf die spiegelnde Glut und begab sich nachher zu den zween Bäumlein, wo die eigens für seine Körperlänge angefertigte Lagerstatt schaukelte. Und bald mischte sich das Gezeter der Affen, der schlaftrunkende Flügelschlag erwachter Vögel und das Grollen des Jaguars mit dem kräftigen Schnarchton der Landsknechte. Dies war die erste Nacht, und es kamen noch viele, die alle gleich blieben darin, daß die vorhergehenden Stunden des Tages voller unsäglicher Mühsale durch grausen Wald, Dornengestrüpp und stinkenden Morast waren. Und durch die heiße Wildnis, in der je nach Art der Üppigkeit des Pflanzenwuchses bald greller Sonnenschein oder grünes Dämmerlicht herrschte, dröhnten die Flüche, welche die Landsknechte auf Schritt und Tritt ausstießen. Es sprach aber, - so übermenschlich auch ihre Anstrengungen waren und so greulich sie von Zecken, Ameisen, Hornissen und anderm Geziefer geplagt wurden — keiner etwa davon, daß man umkehren sollte! Vorwärts liefen, marschierten, krochen, hüpften, schlichen und schleppten sie sich! Vorwärts durch Plag und Müh; gepeinigt von Durst und Hunger oder angeekelt von der üblen, von mißgestalteten Tierlein wimmelnden Brühe, die sie oft trinken mußten; von Grausen gepackt, weil sie die menschenähnlichen Körper der Affen zu verzehren gezwungen waren. Vorwärts! 192
Und oft, wenn greuliche Flüche aus aller Münder quollen und es den Mannen in hilfloser Wut rot vor Augen ward, da fingen die Schalmeienkerle und Sackpfeifenbläser im wilden Übermut an loszududeln und zu pfeifen. Die Trommler — vor allem der Pieterken — schlugen im Trotz auf ihre Kalbfelle los, und gewaltige Schreie peitschten durch die heiße Wildnis. „Vorwärts! Zum Golde der Chibchas! Vorwärts, und wenn der Teufel sich selber vor uns aufpflanzt, wir lachen seiner. Vorwärts!" — Und die Spaniolen brüllten in ihrer Sprache: „Adelante!" Der Bannerträger schwang die Welserfahne, und weiter gings durch Gestrüpp, wo sie mit dem Schwert den Pfad aushauen mußten oder durch Morast, der ihnen bis an die Hälse reichte. An solchen Orten nahm der Flensburger den Trommler mit dem Eisenbein auf seine starken Schultern und trug ihn Huckepack; während dieser mit dem Schwerte herumfuchtelte, um allzu dreiste Krokodile abzuhalten. Die Indios wunderten sich über die verbissene Hartnäckigkeit und den wilden Galgenfrohsinn der Weißen. Wußten sie doch zu ihrem Besten noch nicht, daß da ein Ding in der Welt ist, welches stärker als alle Schwüre, als alle Schrecken; milder als alle Schönheit und mächtiger als Papst und Kaiser zusammen sind. Gold! Gold! Gold! Also zog man weiter und nährte sich, so gut es ging, vom Ertrag der Armbrust und den Früchten, welche die indianischen Träger, die ein gutwilliges und sanftes Volk waren, herbeitrugen. Mit ihren Speeren und Pfeilen erwiesen sie sich als sehr geschickt! Tagtäglich lernten die Welserleute neue Strapazen und Gefahren, aber auch Wunder kennen. Die sturen Söldner sperrten die Mäuler auf vor Erstaunen, als eines Mittags ein allgemeines Gebrumm herrschte, weil kein Wasser auf193
zutreiben war! Denn der Costa und die zween Kaziken suchten lange, bis sie an eine Stelle kamen, wo viele rotgefleckte Lianen von riesigen Bäumen hingen. Der Costa schlug eine solche mit dem Dolche entzwei und hielt das baumelnde Ende ohne weiteres grinsend dem Pfannenstiel, der ihm am nächsten stand, ans Maul. Der fing an zu schlucken und schlürfen, während Staunen sein breites Gesicht überzog, bis er Atem holen mußte und alsdann freudig brüllte: „Beim Probst von Bamberg! Das ist das köstlichste Getränk, das meine Gurgel je verspürt hat. — Sauft wacker, Kumpane!" Und alle taten es ihm nach, tranken und lobten die wunderbaren Lianen. Tags drauf erlegten sie einige schuppige Tiere, die grün wie Eidechsen, aber fünf Schuh lang waren. Diese schmeckten lecker! Fröhlich zog man durch den Wald und schimpfte nur noch halben Herzens über Hitze und Ungemach. Es entstand aber böse Stimmung, und ohne die Machtworte der Hauptleute, die mit Profos und Hangstrick drohten, hätten sich Spaniolen und Deutsche arg verprügelt, weil folgendes sich zutrug: man drängte sich grad durch lichtstehende Büsche, die von lieblichen, runden Blütenbäumlein überragt waren. Die Vorhut hatten etwa zwanzig deutsche Knechte. Plötzlich fingen diese an zu brüllen und zu toben, entsprangen der Nähe jener Bäumlein, kratzten und juckten sich wunderlich und klagten dabei ohn Unterlaß. Es waren ihnen nämlich beim Anstreifen an jene Baumstämme viele Hunderttausende winziger Zecken von oben auf den Pelz geregnet, die behende überall unter die Kleider drangen und sich in die Haut eingruben. Vor diesem Pestgetier hatten die Indianer bereits gewarnt — doch jetzo war's geschehen. Die Knechte hatten gedacht, daß ihre Eisenkleider genügend Schutz bieten würden, doch fanden die Tierlein trotz194
dem Einlaß. Und es sah so possierlich aus, wie die Betroffenen hüpften und sich krümmten, daß männiglich lachen mußte. Die Welschen waren diejenigen, deren Fröhlichkeit am lautesten klang, und sie hielten sich die Bäuche. Auf der Indios Geheiß zogen die von den Zecken Überfallenen schleunigst ihre Sachen vom Leibe und wurden mit Holzasche von Kopf bis zu den Füßen eingerieben, worauf die Tierlein von ihnen abließen. Während nun ihre Kleider ausgeschüttelt wurden, gingen jene Kerle, die sich wohl die lautesten Fröhlichmacher gemerkt hatten, splitternackt auf die Welschen los, um ihnen die Fäuste schmecken zu lassen. Da traten die Anführer dazwischen, stifteten Frieden, und murrend zog man weiter. Als bald nach diesem Geschehnis ein Spanier von einer grausen Schlange gebissen wurde, die ein aufgestülptes Maul am dicken Leibe besaß und so schnell wie ein Blitz war — sagten die Deutschen, das wäre die Strafe. Denn jener arme Tropf mußte nach einem Viertelstündlein an jämmerlichen Schmerzen sterben. Die Gegend änderte sich gemach. In den sumpfigen Urwald schoben sich lange Riegel von Hügelketten, an deren Abhängen sonderbare Stachelgewächse standen. In den Tälern und Falten aber wuchsen üppige Palmen, und es gab viel Wildes. Die Hügel wurden zeitweilig von Bergen abgelöst, die schwitzend erklommen werden mußten; aber dahinter kam immer wieder Wald. Einmal nach Übergehung einer Bergkette, welche die Indios „Imataca" nannten, wurde ein ansehnlicher Fluß überschritten, und als man am jenseitigen Ufer war, machte man Halt, denn die Kumanas wußten nicht weiter, weil sie selber nie so fern gedrungen. Es wurde lange beraten, und Wachen umschritten indes das Lager, weil die Kaziken warnten, es gäbe gewiß feindliche 195
Stämme in der Nähe. Unter großer Vorsicht zog man hernach weiter, und plötzlich prasselte aus nächtlich dunkler Lianenwildnis ein Schauer von Pfeilen. Aufschreie ertönten, und Verwundete fluchten. Als die zweite Pfeilsendung einhersummte, war man darauf gefaßt und hielt die runden Tartschen vor, an deren Eisenblech die zierlichen Geschosse harmlos abprallten. Die Arkebusiere sandten viele Bolzen in den Urwald, denn man konnte die versteckten Wilden nicht entdecken. Als aber die Musketiere Feuer geschlagen und ihre Lunten entzündet hatten, schossen sie eine krachende Salve ab, und darauf hörte man die erschreckten Wilden mit üblem Geschrei die Flucht ergreifen. Auf des Federmanns Befehl verließ man hurtig den düstern Ort und drang ins Sonnenlicht auf eine Lichtung hinaus. Jetzo erwies es sich, daß es sechs Blessierte gab. Fünfe waren Sachsen und hatten Pfeile in die Arme gekriegt. Dem Flensburger aber saß ein kleines buntgefiedertes Pfeillein in der rechten Ferse, war nur ganz leicht durch den Stiefel ins Fleisch gedrungen. Der Costa und die Kaziken steckten die Köpfe zusammen, nachdem sie Wunden und Pfeile untersucht. Und der Spaniol verkündete alsdann bänglich, die Geschosse wären vergiftet mit Curare, und es sei kein Kräutlein dagegen gewachsen. Zum Glück säßen die Wunden aber an Armen oder Füßen, und die Blessierten sollten sich daher flugs die betreffenden Glieder abhauen lassen, sonst müßten sie elend sterben. Man müsse aber behende zu Werke gehen, denn ehe dreimal der Sand im Stundenglase abgelaufen wäre, sei es zu spät. — Da fluchten und schalten die Blessierten, weigerten sich auch, daß man ihnen die Arme abschlage, denn dann würden sie ohnehin verbluten. Sie schmähten auch den von Hutten, daß er den wundkundigen Pater nicht mitgehen gelassen. Indessen hatte sich der Flensburger seines Stiefels ent196
ledigt und begann mit dem Dolche in der Wunde herumzubohren, daß es einem grausen konnte. Hellrot sprudelte das Blut! Und er ließ sich von einem Musketier die eiserne Pulverflasche geben und schüttete eine gute Portion daraus auf die Wunde. Mit der dargereichten Lunte brannte er's zischend ab. Er wurde bleich, malmte mit den Zähnen, und der Schmerz jagte ihm das Wasser in die Augen. Doch tat er noch dreimal Pulver auf die Stelle, lobte mit lauter Stimme den Mönch Berthold Schwarz und brannte es ab. Geruch von gebratenem Fleisch hing in der Luft, und seine Ferse sah aus wie die Kante eines Spießbrätleins. Erschöpft lehnte er sich zurück, hieß den Pieterken ihn verbinden und sagte vernehmlich zu den ihn Anstarrenden, daß er gedenke, binnen drei Tagen wieder zu marschieren, denn nun er einmal sich der Sache angeschlossen habe, denke er mitnichten dran, den Chibchas ihr Gold zu lassen. Und die andern, die blessiert wären, sollten sich beeilen, es ihm gleichzutun, ehe es zu spät sei. Alles schrie Vivat, und die verletzten Sachsen zogen ihre Wämser ab, baten ihre Freunde, mit dem Dolche ans Werk zu gehen und die Wunden schön großzumachen, damit wohl ein Becherlein Pulvers hineinginge. Flugs taten die Geheißenen so, und andere hielten die armen Kerle fest, denn es ist nicht jedermanns Sach, sich mit spitzem Dolch im Fleisch herumwühlen zu lassen und sodann Pulver drauf abzubrennen. Man machte Lager, stellte Wachen auf und lugte wohl aus, aber die tückischen Schützen ließen sich nicht mehr blicken. Am Abend lagen die Blessierten im Wundfieber. Männiglich blieb die Nacht wach und lauschte dem Brüllen des Getiers, das durch die Dunkelheit schlich. Einmal schlugen die Posten Alarm, aber es erwies sich nachher, daß man 197
eine Herde Peccaris für schleichende Heiden genommen hatte. Am hellen Morgen war einer der Sachsen maustot, grün im Antlitz, geschwollen und sehr übel anzusehen. Die andern aber fühlten sich weidlich besser und lobten den Flensburger, der still sein Pfeiflein rauchte. Am dritten Tag waren alle wieder wohlauf, doch lagerte man zween Tage mehr, mit Rücksichten auf die Ferse des Flensburgers. Alsdann brach man auf, und auf Anraten der Kumanas zog man gen Norden und erreichte den mächtigen Orinoko. Ein Schrei des Staunens und der Freude dröhnte aus aller Munde, als sie aus dem Gestrüpp brachen und vor sich den Strom durch eine breite, unendlich lange Wiese, auf der allenthalben sich Wild bewegte, fließen sahen. Eilends ordneten sich die Rotten, und unter dem Gerassel der Trommel des Pieterken, der sie gar laut schlug, marschierten sie dem Lauf des Wassers entgegen. In Bälde aber war die heiße, flimmernde Luft wieder von Flüchen erfüllt. Denn es stellte sich heraus, daß man vielen Ortes nur mühsam die Füße voreinander setzen konnte, weil das Gras gar zäh war und zween Mannslängen in die Höhe schoß. Raschelnd drangen die Knechte weiter und schwitzten unter ihren eisernen Hauben. Es war geboten, wieder Avanguardia wie auch Vedetten aufzustellen, denn falls man solches nicht tat, konnte jeden Augenblick ein Überfall erfolgen. Das Gras war so hoch und dicht, daß man keine zehen Schritte weit zu sehen vermochte! Etliche Kumanas schlichen wie die Jaguare davon und kehrten mit saftigem Wildbret in Fülle zurück. Darüber ward männiglich guter Laune, und sie marschierten weiter, sagten auch von neuem: selbst Teufel und Höll würden sie mitnichten davon abhalten, sich den güldenen 198
Städten und Bergen der Chibchas zu nähern und diese abzubrechen! Der Orinoko floß stolz dahin. Oft blieb sein Ufer wegen Röhrichts und Gesümpfes nicht zu erreichen. Wo es derart war, da wimmelte es von Wassersäuen, Tapiren und anderm schmackhaften Getier, das sich sonder Müh erlegen ließ. Ein paarmal wurde die Frage aufgeworfen, ob man nicht Bäume am Waldrande fällen und mit Hilfe der Kumanas lange Boote mit Axt und Feuer aushöhlen solle, um stromauf zu rudern. Der Moncada sagte jedoch, daß viele Monate nötig wären, um solche „Periaguas" für die vielen Leut herzustellen. Auch könne man sicher nicht immer dem Strome folgen. Überdies würde während der langen Arbeit die Regenzeit über sie kommen, und das sei übel. Denn es würde derart schütten, daß ihnen die Harnische vom Leibe rosteten und die Kleider abfaulten! Es wäre also gut, so schnell wie möglich das Hochland, wo der Regen minder fühlbar sei, zu erreichen. Dorten könne man dann gemächlich zu den Chibchas weitermarschieren. Auf des Federmanns Frage, wo eigentlich das Goldland läge, zuckte der Welsche die Achseln und sagte, alles was er wisse, sei, daß die Chibchas im Norden der Inkas hausten. Wo aber dort, das wisse er nicht, denn es sei noch kein Weißer dagewesen. Daher schlage er vor, in der ungefähren Richtung zu marschieren. Von Zeit zu Zeit müßte man versuchen, irgendeinen Indio zu erhaschen, der dann durch Geschenke geneigt gemacht werden müßte, sie ein Stück Weges zu führen. Auf diese Art käme man gewiß zum Ziel, denn so hätten's die Spanier seit Entdeckung der Neuen Welt immer gehalten und wären dabei gutgefahren! Solchen Rates, den der Moncada gab, war man zufrieden und tat danach. Und man war seit dem Abmarsch aus 199
der Welserstadt schon neun Wochen unterwegs! Manchmal marschierte man langsam, manchmal schneller, je nach Beschaffenheit der Gegend, auch mußten sie oft Rücksicht auf die vielen Fieberkranken nehmen, die sich bald besser, bald schlimmer fühlten. Ja, es geschah mehrmals, daß sämtliche Mannen, von Nikolaus Federmann bis zum letzten Pikenier, an Schüttelfrost litten. Ohne die braven Kumanas war es ihnen übelgegangen, und sie hätten oft schmählich hungern müssen. Aber der Gedanke an die märchenhaften Schätze der Chibchas hielt sie aufrecht, scheuchte sie wieder auf die Füße, wenn das schleichende Fieber sie hinwerfen wollte, und trieb sie weiter. Auch tröstete sie der Moncada, der selbst am Fieber litt und so dünn und gelb geworden war wie ein Stück Rauchspeck — indem er sagte, die bösen Fieber würden im Hochlande sofort vergehen. Es starben aber doch drei der Knechte, und sie wurden in der großen Grasebene, welche die Welschen „Llanos" nannten, beerdigt. Einmal schlugen sie Lager auf für acht Tage, und es wurden viele Rehe, Tapire und Wassersäue getötet. Die Kumanas zeigten ihnen, wie man das Fleisch in lange Streifen schnitt, dieses auf Gerüste legte, worunter kleine Feuer brannten. Da trocknete das Fleisch halb durch die Feuersglut, halb durch die Sonnenhitz, und es wurde schön rot, war schmackhaft und von schier unbegrenzter Dauerhaftigkeit. Die Kumanas nannten dies Fleisch Bukan. Der Loderhansl sagte, es sei besser als Gselchtes, und der Pfannenstiel stritt sich darüber mit dem Pieterken, ob es wie Schinken aus Westfalia oder Hamburger Rauchfleisch munde. Abends am Feuer, während die Frösche quakten und Zehntausende Zikaden zirpten, erzählte der Moncada von 200
den Landpiraten auf der Insel Hispaniola,* die auch Bukan herstellten, und nach denen schließlich alle Freibeuter und Seeräuber der Caraibenmeere, die den Spaniern durch ihre Frechheit arg zu schaffen machten, Bukanier genannt werden. Er sprach auch davon, daß es auf Hispaniola viele Zehntausende indianischer Heiden gegeben habe. Doch hatte man dieselben gefangen und als Sklaven woanders hingeschickt. Diejenigen, die in die Wälder geflüchtet waren, jagte man mittels großer Hunde mit Hussa und Heisa! gleich Wild zu Tode und rottete sie aus. Den Deutschen graute vor der Erzählung des Welschen, doch dieser schwor, daß dem so Sitte wär und von Papst und Kaiser angeordnet sei, weil die Heiden keine Menschen wären, und selbst wenn sie sich taufen ließen, höchstens als Sklaven zu gebrauchen seien. Es wurde still, und man vernahm nur das Lärmen des Getiers und die gleichmäßigen, durch die Halme rauschenden Schritte der Wächter. In diesem Lager blieben die Abenteurer so lange, bis genügend Bukan gemacht war und die am ärgsten vom Fieber Befallenen sich besser fühlten. Hernach verließ man die Llanos und drang wieder in den Urwald und die Hügelketten ein. Und gleich am ersten Tag gelang es dem Pieterken, der um einer Verrichtung willen seitwärts in die Büsche getreten war, einen Wilden zu fangen, der spähend am Boden gelegen hatte. Er brachte den Zappelnden herangeschleppt und ließ ihn vor den Anführern los. Der schlanke, braune Bursche fiel platt auf die Erde und schrie gewaltig. Da gaben sie ihm ein Stück Bukan in die Finger und hängten ein glitzerndes Glasperlenkettlein um seinen Hals. Nun fing er an zu jauchzen und schien überaus froh. Mit Hilfe der Kaziken und dem Costa ward * Heute San Domingo.
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er vernommen. Er sagte aus, daß sein Stamm zu Familien zerstreut in der Wildnis lebe. Weiter drinnen aber gäbe es andere, die den Seinen feindlich wären. Und hinter diesen wieder andere, und schließlich kämen die Berge, und was dort sei, das wisse er nicht. Man sage nur, daß es dort ein streitbares Volk gäbe, das in steinernen Häusern wohne und sich mit schweren, gelben, weichen Steinen schmücke. Da glänzten aller Augen, und der Moncada schrie: „Die Chibchas! Und was der Wilde weiche, gelbe Steine nennt, mit denen sich die Chibchas behängen, so meint er damit güldenen Schmuck!" Jetzo brüllte alles Vivat. Der Gefangene bekam es mit der Angst und wollte in die Büsche entwischen. Der Pieterken aber, der ihn nicht aus den Augen gelassen, schmiß, sowie jener den ersten Sprung tat, die Krucken nach ihm und traf so gut zwischen seine Beine, daß er hinstürzte und gehascht wurde. Drauf legten sie ihm ein Schlinglein um den Hals, dessen Ende der Pieterken an seinen Dolchknauf knüpfte. Aber sie versprachen ihm, wenn er sie ein gut Stück Weges geleiten würde, noch ein Kettlein, sowie ein blankes Messer. Da nickte er fröhlich und schüttelte die Tränen aus seinen großen Tieraugen. Sie trauten ihm aber nicht ganz und hielten ihn scharf in Sicht. So geschah es, daß der Pieterken mit dem Eisenbein, der den Indio an der Leine hatte wie ein Hündlein, den Zug der Welserschen nunmehr anführte. Und sie behielten den indianischen Jungen zween Wochen, bis er eines Tags auf die Knie fiel, die Füße des Pieterken küßte und dem Dolmetsch sagte, er weise nicht weiter, denn sie seien in dichter Nähe eines Dorfes, das den Seinen feindlich gesinnt wäre. Also erhielt er sein Kettlein und das Messer, und eh man sich's versah, war er in die Wildnis geschlüpft. 202
Gar vorsichtig drang man weiter, bis die zur Kundschaft ausgesandten Kumanas zurückkehrten und meldeten, daß drei Pfeilschüsse entfernt die Hütten stünden. Und etwa dreißig Bewohner säßen um zween Peccaris, die am Spieße steckten und süßen Ruch ausströmten! Da gebot der Federmann Ruhe, und leise berieten die Hauptleute. Man wußte nicht, was zu beginnen sei, und ob die Wilden feindlich oder freundlich gesinnt wären. Der Moncada riet, es wäre am gescheitesten, die Siedlung zu umzingeln. Auf ein gegebenes Zeichen sollten dann die Arkebusiere so lange schießen, bis alle Wilden des Todes seien, nachdem man einen von ihnen gefangen habe. Dieses vorher durch List zu bewerkstelligen, sei das Amt der Kumanas. Und der Kerl solle dann als Führer dienen. „Solches Tun wäre eine Schmach fürwahr und deutscher Ritter wie Landsknechte unwürdig. Mitnichten schließ ich mich solcher Tat an!" sagte der Flensburger mit tiefer Stimme. Der Moncada schlug ihm lachend die Hand auf die Schulter und rief: „So du andern Rat weißt, dann laß ihn vernehmen. Vergiß aber nicht, daß jene Wilden Giftpfeile haben können, und mit solchen ist schwer zu unterhandeln!" Der Federmann meinte, der Flensburger habe gewiß recht, es sei Schmach und Sünde, harmlose nackte Leute gleich wilden Entlein abzutun. Er wolle also einen Unterhändler von den Kumanas aussenden! Es fand sich auch einer, der gegen eine halbe Elle Scharlachtuch das Wagnis unternahm. Die Anführer trugen ihm auf, den Wilden zu sagen, sie sollten gen Geschenke einen Führer bis an die Grenze ihres Gebietes stellen. Weigerten sie sich aber, so würde man sie unbarmherzig austilgen. Und er solle ihnen erzählen, wie's den zweentausend Heiden in der Schlacht auf den Türkenkornäckern ergangen sei. Der In203
dio nickte, nahm ein Spieglein mit und verschwand. Die Landsknechte aber bildeten einen Kreis, und männiglich machte sich auf tückischen Pfeilschuß gefaßt. Und auf einmal wehte ein klapperndes Trommeln durch den Wald. Der Costa biß die Zähne zusammen und sagte, das wären Signale. Und in Bälde wisse der ganze Urwald auf dreihundert Meilen in der Runde, wo und wer sie seien. Als das unheimliche Geräusch schon erstorben war, traten der Sendbote und drei Wilde aus den Büschen. Sie waren schlank und rank, sahen aber aus, als ob sie bös am Fieber litten. Und sie erwiesen sich freundlich, zeigten auch eine Art Stolz, der ihnen nicht übel stand. Sie taten kund, daß sie einen Führer stellen wollten gen Entlöhnung eines Spiegleins. Doch könnten sie mitnichten Proviant liefern, denn ihre Waffen erlegten nur grade genug, um ihre und ihrer Weiber und Kinder Schlünde zu stopfen. Der Federmann ließ ihnen antworten, sie sollten sich darob keine grauen Haare wachsen lassen. Er wollte auch wissen, ob sie und die andern Stämme, deren Gebiet man zu passieren habe, mit vergifteten Pfeilen schössen. Verächtlich kräuselten die braunen Mannen die Lippen und sagten, daß solches nur die Sumpfbewohner täten, sie selber aber mitnichten. Drauf rückte man langsam vor und traf bei den Hütten ein. Die waren sehr hoch und bestanden nur aus Dach und Pfählen. Bis ans Dach hinauf schaukelten die Hängematten. Darunter rauchte ein großes Feuer, das mit grünem Holze genährt war, um die teuflischen Moskitos, unter denen die Welserschen auch unsagbar litten, zu verjagen, wenn man schlief. Die Sippe der Heiden bewillkommnete den reisigen Zug, und die Leute staunten die Weißen an, betupften auch ihre Eisenpanzer und lachten gleich Kindlein. Vom Costa aber vernahmen die Welserschen, daß ihr 204
Kommen schon lang durch den Urwald ausgetrommelt ward. Man lagerte und kochte ab; andern Morgens zogen sie mit einem Führer, der einen blanken Papageienknochen als Zierrat durch die Nas gebohrt hatte, weiter. Und nach einer Woche grausamer Beschwerden, während der sie manchmal nur kleine Strecken zurücklegten, weil erst Bahn mit den Schwertern gehauen werden mußte, kamen sie an einen Fluß, den der Wilde Atabapo nannte. Majestätisch rauschte das hellblaue Gewässer zwischen seinen Ufern dahin, die aus Palmen und dichtem Buschwerk bestanden. Kam aus geheimnisvollem Urwald, floß in solchem und verschwand wieder im Urwald! Scheu betrachteten die Landsknechte die schimmernde Fläche des Atabapo. Sie folgten seinem Lauf, doch mußten sie sich meist fern vom Ufer halten, weil dieses von einem dichten Gürtel wuchernder Pflanzen eingefaßt war. Auch bestanden sie Kämpfe mit Jaguaren, doch waren sie nun schon so sehr an die seltsamen Tiere dieser üppigen Welt gewöhnt, daß sie nichts mehr fürchteten. Wenn die Jaguare nicht Fersengeld geben wollten, so nahmen sie ihre Schwerter und schlugen sie tot, nachdem sie sich an den vorgehaltenen Spießen verletzt hatten. Den Loderhansl packte eines Tags eine Schlange, ringelte sich um seine Hüften und drückte ihn so, daß er kaum noch um Hilfe plärren konnte. Etliche vernahmen ihn aber, und alsdann stürzte eine ganze Kumpanei herbei. Wie sie das riesige, ekelhaft aus dem Rachen stinkende Untier aber sahen, wären sie gerne wieder umgekehrt, denn die Schlange dünkte ihnen schier eine Meile lang und fassesdick zu sein! Da aber der Loderhansl stöhnend in ihren schuppigen Leibesringen sich abquälte, zogen sie blank und griffen tapfer 205
an. Die Schlange fauchte, riß den Rachen noch weiter auf und ließ die gespaltene Zunge spielen. Mit dem Kopfe fuhr sie so rasch wie ein Ballistengeschoß hin und her, und diejenigen, die davon getroffen wurden, überkugelten sich oft, ehe sie wieder auf die Füße kamen. Es kamen aber noch mehr Knechte herbeigestürzt, und gemeinsam erlegten sie das Untier. Einer, der klug war, hatte ihm mit mehreren Schwerthieben Rückgrat und Schwanz zerhauen; da verströmte die Kraft des grausen Wurms, und sie konnten den halberstickten Loderhansl leicht aus den schuppigen Ringen nehmen. Schrecklich war's anzusehen, wie das seiner Kraft beraubte Vieh zitternd auf der Erde lag und sie haßvoll anstarrte. Drauf bohrten sie ihm eine Pike durchs Hirn und töteten es vollends, aber das Zittern hielt noch lange an. Sie maßen es in der Länge und fanden, daß es um ein geringes kürzer als fünfundzwanzig Schuh war. Um die Mitte des Leibes war es genau so dick wie der ansehnliche Hüftumfang des Loderhansl. Der indianische Führer erzählte, daß es am Atabapo viele solcher Riesenschlangen gäbe, und sie wären sehr gefährlich, falls sie Hunger litten. Hätten sie aber eine Sau oder Hindin verschluckt, so sei es leicht, sie zu töten, weil sie dann nicht imstande wären, sich zu rühren. Dem Loderhansl war's noch arg schlecht, und man vermeinte erst, er habe etliche Rippen entzwei. Erst am nächsten Tag war er wieder marschfähig. Nach zween weiteren Wochen, die sie mühselig den Atabapo entlangzogen, erreichten sie ein großes Heidendorf, worin es von Menschen wimmelte, die sehr freundlich und liebenswert waren. Hier ruhten sie aus. Es war grade die Zeit, als viele Tausende von Schildkrotten — von der Größe 206
einer gepanzerten Faust — den Fluß belebten. Scharenweise kamen die Kopf an Kopf, Schale gen Schale schwimmenden Tiere auf die eine Seite des Ufers gekrochen, wo es sandig war. Und man konnte zusehen — sie ließen sich mitnichten dabei stören —, wie sie mit den Vorderbeinen emsig gruben, sich dabei langsam im Kreise drehten und ein flaches Loch herstellten. Darein legten sie ihre Eier in großer Zahl und krochen wieder ins Wasser. Die Indianer sammelten aber die Eier, taten sie in große irdene Krüge und machten ein gutes Öl draus, das sie zu allen möglichen Zwecken brauchten. Auch die Schildkrotten schmeckten delikat, wie sich die Welserschen überzeugen konnten. Sie hatten noch nie ein so großes Wunder gesehen wie die eine Vollmondnacht, als der ganze Fluß aus Schildkrotten zu bestehen schien, weil sie in solcher Zahl ankamen. Und dazu heulten und tobten im Walde wie zehntausend Teufel jene Affen, die Aluates geheißen werden. Sie haben eine Knochentrommel im Halse, wodurch sie imstande sind, gleich Leuen zu brüllen oder wie die Adler zu pfeifen und alles Getön, was dazwischen liegt, mühelos hervorzubringen. Der Costa ging mit den Hauptleuten ein Stück in den Wald hinein, um ihnen, wie er sagte, etwas Absonderliches, so sie noch nie gesehen hätten, zu weisen. Und es lebte die Wildnis vom Getobe der Aluates! Die viere schlichen vorsichtig an eine kleine Lichtung, die der grelle Mond in einen Silbersee verwandelte. Ringsum auf den Bäumen verteilt, saßen an die fünfzig Affen, reckten den Kopf zum Himmel und brüllten ununterbrochen. Es war gar possierlich und seltsam zu schauen, und die Herrn lachten schier Tränen vor Kurzweil. Sie benahmen sich wohl dabei zu unvorsichtig, und die Wächter der Affen merkten's. Auf einen schrillen Pfiff hin stob und trappelte die ganze Bande zeternd davon. 207
Man ruhte sich gut aus in dieser freundlichen Gegend. Die Heiden waren gar liebwerte Leute, und es wurmte den Moncada, daß man sie nicht taufen könne. Er erzählte, daß seine Landsleute bei ihren Konquistas immer ein Pfäfflein bei sich hätten, um die vielen armen Seelen zu retten. Solche jedoch, die sich nicht bekehren lassen wollten, seien als Freiwild mit des Schwertes Schärfe zu vertilgen. Drauf fragte der Flensburger, der in letzter Zeit einsilbig und mürrisch geworden: „Also wär's angebracht, wenn wir diese braunen Leut hier, die uns nur Gutes tun, mit dem Schwerte erschlügen, falls sie nicht Jesum anbeten wollen ? — Mich dünkt aber, es würde uns übel bekommen, denn ihrer sind zweifelsohne viele Tausende!" Der Welsche grinste unhold und sprach: „Nur der Deutsche rennt gern mit dem Kopf gen die Wand und verwundert sich dann, wenn sie zu hart ist! — Man brauchte den Heiden nicht gleich verkünden, daß man gesonnen sei, sie umzubringen. Kommt Zeit, kommt Rat — man muß die Gelegenheit abpassen!" ... Den andern Tag brachen sie auf, und ihre Gastgeber führten die Welserschen ein großes Stück in Periaguas den plätschernden Atabapo aufwärts, bis Schlammbänke, wo grause Krokodile lagen und ins Wasser gestürzte Bäume das Fortkommen zu sehr erschwerten. Die Ufer waren mit Lianen eingefaßt und Büschen voller wunderbar schöner Blumen in Farben aus brennendem Scharlachrot, Blau und Karmin, auch Purpur und güldenem Gelb! Als alles ausgebootet war, zogen die Landsknechte mit neuen Führern weiter. Und diese erzählten, daß alles Volk, das in der Gegend wohne, welche man jetzo durchwandern werde, den Chibchas Tribut an Früchten und Sklaven zahle und deshalb diese argen Zwingherrn hasse. Drauf fragten 208
die Herrn die Führer durch den Dolmetsch weidlich aus und vernahmen, daß die Chibchas ein schlankes, helles Volk seien, das in steinernen Häusern wohne, sich in Baumwolltücher kleide und Arme wie Beine, auch Hals und Ohren bei beiden Geschlechtern mit güldenem Zierat und bunten Steinen schmücke. Da schmunzelten die Herrn, als sie solches hörten, und ließen es flugs austrommeln und verkünden, denn die Landsknechte, die gute Tage in der Stadt am Atabapo erlebt hatten, pflegten wegen der neuen grausamen Strapazen zu murren. Einige hatten auch wiederholt ihre schweren Waffen hingeschmissen und erklärt, sie wollten zu den Indios zurück, sich dorten mollige Weibsen erkiesen und behaglich und in Frieden leben. Der Profos und die Stockmeister hatten zu tun bekommen, doch wurden die Aufsässigen nur geprügelt. Man konnte keinen zum Strang verurteilen, weil sonst die ganze Mannschaft seine Partei ergriffen hätte. Wie aber die Mär von den Chibchas und deren Schätzen als wahrhaftig ausgetrommelt ward, da glänzten die Augen der Knechte, und sie schrien, man solle sie führen und sich dabei sputen, denn ihnen gelüste nach güldenem Kram! Auch diejenigen, welche Prügel empfangen hatten, gelobten von neuem folgsam und brav zu sein. Der Moncada ließ die Führer weiter ausforschen, ob die Chibchas Krieger hätten und wie sie bewaffnet wären. Und ob es ein großes Volk sei! Die Führer entgegneten, daß es an die zwanzigtausend Seelen wären, davon einige Tausend Krieger. Ihr Gewaffen bestehe aus Pfeil und Bogen, Keulen und Schwertern. Als Schutz trügen sie Schilde aus Rohrgeflecht. Doch hätten sie lange keine Kriege geführt, denn jene umliegenden Stämme, die ihnen Tribut zahlten, hätten sie vor Zeiten besiegt und in alle Winde zersprengt, so daß nur noch spärliche Familien 209
im Gebirge ihr elendes Leben fristeten. Das Reich sei von steilen Bergen umgeben, die Täler aber durch hohe, dicke Mauern gesperrt. Ob sie einen König hätten, fragte der Spaniol, und es wurde ihm zur Antwort, daß die Kaste der Priester das Volk regiere. Und sie beteten die Sonne an, wählten auch alle zwölf Monde einen schönen Jüngling als Sonnengott, der am Jahrestag geopfert wurde, um einem Nachfolger Platz zu machen. Da ließ der Federmann von jeder Waffenart einen Mann rufen und befahl ihnen, ihre ganze Geschicklichkeit und Kraft zu zeigen. Jetzo holte der Arkebusier mit schwirrendem Bolzen aus einem hoch über ihre Köpfe fliegenden Reiherschwarm einen schönen, stolzen Vogel herab. Der Musketier schoß gen einen dicken Baum, daß die Kugel tief hineindrang. Der mit dem Kurzschwert warf Bataten in die Luft und traf sie mit der Klinge, daß sie als zween Hälften zu Boden fielen. Der mit dem Flamberg packte die gewaltige Waffe mit beiden Händen, schwang sie und hieb ein armdickes Bäumlein entzwei, als ob's ein Grashalm wär. Und der Sachse mit dem Spieß schmiß diesen hoch und fing ihn, als er niedersauste, geschickt wieder auf. Nun rief der Flensburger den Pieterken und bat ihn, er möge kriegerisch einherschreiten. Da kam der Trommler auf der Krucken gewaltig angehumpelt, hielt den bloßen Dolch zwischen seinen kräftigen Zähnen, ließ das Kurzschwert schlenkern und schlug dröhnend aufs Kalbfell. Jetzo ließ der Federmann die Führer fragen, was sie davon hielten, und ob man mit solchen Kerlen wohl die Macht der Chibchas brechen könne ? Die Indios hatten staunend den Vorführungen zugesehen und erwiderten eifrig, daß die Chibchas nicht dagegen ankämen. Da freute sich alles, und man marschierte guten Mu210
tes weiter. Die Landsknechte aber beredeten sich schon untereinander, wie sie's mit den erworbenen Schätzen halten wollten. Und gemach kam man in eine höhere Gegend. Es wurde kühler des Nachts, auch änderte sich der Pflanzenwuchs. Und statt der wilden Sauen und Tapire gab es Hirsche und Hindinnen. Adler und gewaltige Kondorgeier zeigten sich. Das Marschieren ging jetzo besser, denn wenn auch fortwährend bergauf gestiegen werden mußte, so konnte man doch meist den Längs- und Quertälern folgen und dorten hatte die Natura für Wege gesorgt. Sie trafen aber keine Menschen! Die Gebirge wurden immer höher und kahler. Nur in den Tälern und Falten gedieh üppiger Pflanzenwuchs. Manchmal mußten sie arg suchen, ehe sie Wasser fanden. Auch trafen sie Tümpel, die von weißen Salzkristallen umlagert waren und deren Naß man nicht genießen konnte. Täler wurden durchzogen, wo ihnen der glitzernde Sand bis an die Waden reichte und wo kein Hälmlein gedieh. Die Führer litten arg an der Temperatur und der für sie unzuträglichen Luft. Wie's der Moncada aber gesagt hatte, so geschah's: keiner der Knechte und Herrn spürte mehr was vom Fieber, seit sie die Sierra erreichten. Es war wie weggeblasen! Und wieder vergingen etliche Wochen. Man kam zuletzt nur langsam weiter, weil es am Wilde mangelte. Die Schützen mußten oft halbe Tage auf halsbrecherischen Pfaden herumkriechen, ehe es ihnen gelang, Fleisch für den Kochtopf ins Lager zu bringen. Der Marsch wurde jetzo für einige Zeit in der Nähe eines Flüßleins fortgesetzt. Da stieß man unversehens auf ein von Röhricht umgebenes Seelein, wo es von allerlei schmackhaftem Luft- und Landgetier wimmelte. Hier ruhten sie aus und schlugen sich die Mägen voll leckerer Entlein und Rehziemer. Es wurden aber auch Krähen und 211
murmeltierähnliche Geschöpfe verspeist, denn man war nicht mehr sonderlich wählerisch nach den monatelangen Strapazen. An jenem Seelein fielen ihnen zween Indianer in die Hände. Diese waren heller und auch größer gewachsen als die der Urwälder und Llanos, waren auch mit Fellen wärmer gekleidet. Sie hatten Schleudern als Waffen. Zuerst erwiesen sie sich arg ängstlich, doch fingen sie an zu frohlocken, als die Atabapoleute ihnen erzählten, daß die weißen Mannen gekommen waren, um die Chibchas zu züchtigen, wie auch zu unterwerfen. Da ließen sie flugs den Anführern sagen, daß sie den Marsch geleiten würden, und man wäre grad zur rechten Zeit gekommen. Denn die Chibchas würden in fünf Tagen ihren jährlichen Sonnengott erkiesen und dem Volke zeigen. An diesem Feste, bei dem die Priesterschaft jeden bewirte, müßten alle Chibchas teilnehmen, es sei bei Todesstrafe verboten, sich davon auszunehmen. Nur Argkranke dürften zurückbleiben, doch sonder Pfleger, weil diese zum Feste eilen müßten. Die Sklaven aber sperre man solange in die Bergwerke ein, nachdem man ihnen Lebensmittel für etliche Tage hineingeworfen. Dem Federmann leuchtete ein, was die zween Indios erzählten, und er strich sich zufrieden den Bart, als sie ferner sagten, sie würden die Landsknechte derart über Schleichpfade und verborgene Pässe führen, daß sie am Morgen der Krönung des Sonnengottes von der Flanke des Berges, der die Chibchastadt schirme, hinabstürmen könnten. Hei! Da lachten und freuten sich die Herrn baß und ließen auch die gute Mär den Knechten mitteilen, daß diese an der Freude teilhaben konnten. Die Atabapoführer empfahlen sich und eilten nach Haus. Treu aber erwiesen sich die Kumanas. Es waren nur etliche an Fieber und Entbehrun212
gen gestorben, der Rest jedoch war immer fröhlich, und sie waren gar stolz, Christen zu sein. Seit man in die Berge eingedrungen war, hatte auch der Federmann Befehl erlassen, ihnen alle Felle der getöteten Tiere zu überlassen, damit sie sich vor nächtlicher Kühle schirmen könnten. Die Herrn überlegten noch, ob man sich erst zu den Bergwerken hinführen lassen sollte, um die Sklaven zu befreien, damit sie als Hilfsvölker zu verwenden wären. Doch kam man davon ab, weil die zween indianischen Führer zur Eile trieben, und auch der Flensburger riet, die Sklaven vorläufig dort zu lassen, wo sie seien. Sie könnten sich zwar als hilfreich erweisen, aber auch zum Hemmschuh werden, denn Menschen, die lange der Freiheit beraubt waren, seien oft wunderlich und unberechenbar. Es wäre daher gescheiter, sich auf die eigene Schlauheit, das Schwert und - nicht zuletzt — auf Gott zu verlassen! Also wurde in Eile aufgebrochen, und binnen zween Tagen erreichten sie ein unendliches zerklüftetes, von einzelnen Bergkuppen überragtes Hochland, in dessen grünen Falten es blühte und sproßte, während oben Geröll lag und kahle Kämme sich vom fleckenlosen, hellblauen Himmel mit ihren braunen und rötlichen Farben wie geronnenes Blut abhoben. Und plötzlich hielt man vor einer dreimännerhohen Mauer, die aus riesigen, behauenen Blöcken bestand, welche so gut aufeinanderlagen, daß kaum die Fugen zu sehen waren. Die Führer wiesen dorthin, wo eine Öffnung gähnte, und als sie alle durchzogen, konnten sie sehen, daß die Mauer bei zwölf Schuh dick war. Dahinter standen einige niedere Häuser mit flachen Dächern und Fenstern, die mit dünngeschabten Häuten statt des Glases versehen waren. Das seien die Behausungen der Wächter, sagten die Führer, und neugierig besah sich männiglich die Unterkünfte. Die waren sauber und luf213
tig und unterschieden sich von christlichen nur darin, daß außer Matten, Fellen und Korbgeflechten keine Möbel drin waren. Emsig wurde weitermarschiert, und gen Mittag kam man in ein Tal, das mit wohlbestellten Feldern grünte, sorgfältige Bewässerungsanlagen, Obstgärten und etliche Häuslein hatte. In einem wurde ein kranker Chibcha gefunden, der zu siech gewesen war, um zum Feste zu ziehen. Der Moncada sagte, er sei in Aussehen und Kleidung den Inkas aus dem Lande Peru arg ähnlich. Es wurde beraten, ob man den Alten liegenlassen sollte, doch kam man überein, solches wäre leichtsinnig und könne den ganzen Kram verderben. Weshalb ihm ein Knecht, als er nicht schaute, rasch den Dolch ins Herze stieß. Nun kamen sie noch durch mehrere Täler mit Feldern und Häusern, die alle die hohe Stufe, auf der die Chibchas stehen mußten, verkündeten. Nirgends war eine Menschenseele anzutreffen. Drauf führten die zween Indianer sie über Berge und Schluchten, die an Beschwerlichkeiten so reich waren, daß den Abenteurern die Zungen zum Halse heraushingen. In Klüften, wo keine Sonne hindrang und eisiger Wind ihr dünngewordenes Blut gerinnen machte, schlugen sie die Nachtlager auf, durften aber kein Feuerlein zum Wärmen anstecken. Und in der sausenden Dunkelheit hörten sie fremdes Getier rören und ächzen. Die Nacht, die dem fünften Morgen voranging, wurde marschiert, und zwar erreichten sie den Kamm eines Berges, und wie sie hinabschauten, unterdrückten sie voller Mühe den Triumphschrei, der allen entfahren wollte. Denn dort unten erstreckte sich eine gewaltige Ebene, auf der sich die dunklen und hellen Vierecke von Feldern abzeichneten, Baumgruppen gleich schwarzen Klumpen lagen und Bewässerungskanäle hell schimmerten. Am 214
Fuße des Berges, auf dem sie hielten und der in breiter, sanfter Flanke einem runden, blitzenden See endete, dehnte sich die Stadt der Chibchas aus. Haus an Haus stand da, und überall auf den flachen Dächern, in den Gassen brannten Feuerlein sonder Zahl. Ein Summen wie von Immenschwärmen wehte manchmal herauf. Es war nicht mehr lang bis zum Sonnenaufgang, und der Federmann traf flugs seine Anordnungen. Sodann marschierte der Zug in Reihen zu zehen Mann geordnet, die Träger hinterdrein, die glatte Flanke des Berges hinab. Jeder machte so wenig Lärm wie möglich. Der Flensburger trug den Pieterken, wie er in den letzten Tagen oft getan, auf seinen breiten Schultern Huckepack. Neben ihm her hüpfte behende der mit den Waffen beladene Zacharias Pfannenstiel, den eine große Freundschaft mit dem Trommler Ver-and. Und so rutschten, liefen und sprangen die Welserschen zu Tal, und ihre Augen glitzerten, die Backen mahlten und die Nüstern zitterten. Denn dort unten vor ihren Füßen lag ja die Stadt, in deren Schatztruhen sie bei Sonnenaufgang zu wühlen gedachten! Schon begannen die Sternlein zu erblassen. Am Seeufer herrschte Getümmel. Fackeln glosten, und gleich schwarzen Schatten schossen Barken über die blanke Wasserfläche. Ein paarmal hatten die Führer argwöhnisch nach beiden Seiten gelauscht, die Köpfe geschüttelt und waren weitergegangen. Der Pieterken, der auf den Schultern seines Herrn im Hochsitz saß, bemerkte ihr Gebaren und spähte seinerseits. Und das Dunkel der Nacht war einem grauen Lichte gewichen, während die Felder und das jenseitige Ufer plötzlich unterm Kuß der Sonnenstrahlen rosig erglühten. Da raunte der Trommler dem Jan Detlef ins Ohr: „Herr, da drüben jenseits der Bodenrille ziehen Reisige zu Tal!" 215
„Bist du verrückt? Wir sind doch alle beisammen!" brummte der Flensburger, der durch die auf seinen Schultern drückende Last nicht grade bei trefflicher Laune sein mochte. Doch der Treue ließ sich nicht abhalten. Wieder spähte er und sagte: „Das Grau des kommenden Tages schimmert auf Piken und Helmen. Und auch ein Banner vermein ich zu sehen!" Er blickte nach der andern Seite und rief erregt: „Auch dort drüben seh ich das gleiche. Reisige auf dem Marsch!" Der Jan Detlef gebot leise Halt, und alles stand aufatmend still. Da sagte er ihnen, was der Trommler zu sehen vermeinte. Man lachte, aber etliche, die auf Felsblöcke gesprungen, kamen an und raunten heiser: „Der Pieterken hat recht, fürwahr. Rechts und links von uns marschieren Gewappnete. Noch ist's zu dunkel, um die Banner zu erkennen!" Wieder kam einer und rief: ,,Sie haben uns entdeckt, denn sie halten!" Der Moncada, der auf einen Stein geklettert, kam zurück und sagte, sich am Schnurrbart zerrend: „Sie haben uns wirklich gesehen, und es kommen etliche Abgesandte von beiden Seiten auf uns zu. Es kann niemand anders sein, als der Gonzalo Pizarro und der Quesada. Beides sind Rivalen, und ich will meine Seele verwetten, wenn sie sich ihrer eigenen Nähe bewußt sind! — Und nun sind wir auch plötzlich da! Das gibt fürwahr ein tolles Zusammentreffen. Aber die Chibchas müssen's bezahlen. Dem Sieger!" Er grinste wie ein Teufel, und dann kamen von zween Seiten Gewappnete in spanischer Montur angelaufen. Sie rissen die Augen auf, und jeder sprudelte heraus: „Wer seid ihr, in wessen Auftrag kommet ihr?" Und einer staunte: „Hol mich der Böse, wenn das nicht der Ritter Moncada ist!" Dieser verbeugte sich höflich. Nun sprach der Federmann gewichtig: ,,Wir sind 216
die Leute des Welser und sind in seinem Auftrag gekommen, um die Chibchas dem Kaiser zu unterwerfen!" Der Moncada nickte dazu, und jene bissen sich auf die Lippen. Plötzlich schienen die zween Abgesandten zu merken, daß sie sich selber nicht kannten. Sie staunten sich an: „Caramba, wer bist du?" rief der eine, und der Gefragte erwiderte stolz: „Leutenant Cruz Galvez, von den Rotten des Gonzalo Pizarro! Und du?" „Was ?" schrie der. „Der Pizarro ist dort drüben ? Hohoho, da wird mein Herr fluchen. Der hält jenseits mit achtzig Gewappneten und heißt Quesada." Sie maßen sich mit Blicken, bis der Moncada sprach: „Die Sonne geht in Bälde auf, und dann ist's zu spät, jene Heiden dort unten zu überraschen. Drum bitt ich euch, ihr Herrn, meldet dem Quesada und dem Pizarro unsere respektvollen Grüße. Jetzo, da unsere drei Heereshaufen unvermutet aufeinandergetroffen und dasselbe Ziel haben — nämlich für des Kaisers Majestät ein neues Reich zu erobern —, schlag ich vor, gemeinsam die Stadt dort unten zu berennen. Es wird Goldes für alle geben, denn die Chibchas sollen noch reicher als die Inkas sein! — Und wenn Meinungsverschiedenheiten auftreten sollten, so können wir diese später berichtigen." Er sah den Federmann an, und dieser nickte Gewährung. Jetzo trieb er die Boten fort, nachdem man ein Zeichen verabredet. Und die Sendboten rannten wie die Wiesel, denn gleich mußte die Scheibe der Sonne, die bereits die halbe Stadt beschien, über den Bergkamm gleiten. Gespannt schaute man nach beiden Seiten. Da wurde erst das Banner des Pizarro, sodann das des Quesada geschwungen, zum Zeichen, daß sie einverstanden. Und holterdiepolter nahmen die Knechte wieder ihre Waffen auf, formten die Glieder, und mit starken Schritten eilten sie bergab. 217
Während so auf drei verschiedenen Wegen die goldeslüsternen Abenteurer, welche hier der Zufall aufeinandertreffen ließ, der Stadt zuliefen, bot sich ihren staunenden Augen ein wunderbares Bild. Hell lag jetzo Sonnenschein auf den grünen Feldern und Hainen. Es schimmerten die schmalen Kanäle gleich blaßblauen Seidenbändlein. Es glänzte der See wie ein Auge! Die Häuser sahen aus wie Schneewürfel, und auf den Gassen, die sich braun hindurchzogen, wogte ein weißgekleidetes Menschengetümmel gleich lustigem Flockenstöbern. Am See auf Bänken vor einer runden Scheibe, deren Gleißen den Abenteurern das Herz in die Gurgel jagte, denn sie war gülden, standen Männer mit Mänteln aus Kolibrifedern. Rechts und links von diesen Bänken und das Volk abhaltend, das aus den Gassen gelaufen kam, ragte Reihe nach Reihe von Kriegern in dichten Gliedern. Sie hatten Halbpanzer an, die wie Gold glänzten, und hielten Speere in der Rechten. Etwas draußen aber, auf dem See, kam ein Floß langsam zum Ufer gerudert. Es lagen glitzernde Haufen drauf, in denen die gierigen Abenteurer Geschmeide und Edelgestein zu erkennen glaubten. Und es blieb ihnen während des Rennens und Laufens schier der Atem aus. Denn in der Mitte des Schatzfloßes stand, deutlich anzusehen, die Arme über dem Kopf erhoben, ein Mann. Er drehte den Priestern und Volk am Strande den Rücken zu, schaute nach der Höhe des Berges, über den soeben die glühende Sonnenscheibe stieg. Obwohl der Mann auf dem Floß sich manchmal bewegte, so glich er doch einer Statue. Einer aus purem Golde gegossenen Statue, von der ein grelles Leuchten und Blitzen ausging, als sei's ein Stück der Sonne selbst! Diese sandte jetzo ihre Strahlen den Berg hinab, beleuchtete scharf seine braune Flanke und das darauf verstreute Geröll. Der güldene Mann stieß plötzlich einen weithallen218
den Schrei aus. Das Summen der Menge verstummte auf einen Schlag. Nochmals schrie er auf. Denn sein Auge hatte die Banner und die Landsknechte erblickt, welche mit schimmernden Harnischen und krebsroten Gesichtern unter den Helmen, inmitten gelber Staubwolken, herabrannten. Gleich drei Lavaströmen ergossen sich die Heerscharen des Welser, des Pizarro und des Quesada über den braunen Hang! Jetzo erreichten ihre Spitzen die ersten Häuser. Da machte der güldene Mann eine verzweifelte Gebärde, griff nach dem Herzen, taumelte und schlug schwer über Bord. Spritzend schlossen sich die Wasser über ihm. Es prallte ein lauter, vieltausendstimmiger Klageruf zum Himmel. Und wieder war's ganz still. Nur die Steine polterten jetzo unter den Füßen der den Berg hinabrennenden Landsknechte. Priesterschaft und Volk glotzten in stummer Verwunderung und rührten sich nicht.
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III DER
WELSERZUG
Blut und Feuer / Spanische Klugheit / Wie der Hort verteilt ward / Der Magdalenenstrom / Der Brief des Moneada / Die Amazonen
Blut und F e u e r Es standen die Priester in ihren schillernden Kolibrifedermänteln, den mit schweren güldenen Spangen bedeckten hellbraunen Gliedern und starrten dorthin, wo Staubwolken über die Häuser wirbelten und Waffenlärm sowie der Stampfschritt der Reisigen vernehmbar war! So standen auch die gestaffelten Glieder der Krieger mit ihren straffen, blauschwarz auf den Halbpanzern liegenden Haaren, den goldverzierten Sandalen an den Füßen und den dünnen Speeren, die sie in geschmückten Fingern hielten! Auch das in weiße, wallende Gewänder gehüllte Volk war ruhig geworden nach dem ersten Schrei, als der güldene Mann in den Fluten des Sees verschwand. Die Männer standen wie vom Donner gerührt, ihre stattlichen, reichgeschmückten Frauen waren in die Knie gesunken. Andre drückten ihre Kinder an sich. Und es war, als wäre über Volk und Stadt der Chibchas ein unheimlicher, unsichtbarer Schatten gefallen, der den Menschen das Blut gefrieren und ihnen den Odem stocken ließ! Jetzo wälzten sich aus drei verschiedenen Gassen die Heereszüge der fremden Eroberer, quollen auf den Platz am See, den das scheu zurückweichende Volk ihnen räumte. Im Winde flatterten die prunkenden Banner. Die Knechte kamen zum Stillstand, nicht ohne jedoch vorher sich zu runden Haufen, die von Spießen und Schwertern gleich Igeln starrten, geordnet zu haben. Und es dräuten die Welserschen mit bösen, aber auch spöttischen Blicken nach den Leuten des Pi223
zarro und des Quesada hinüber. Diese taten desgleichen, und allgemein herrschte ein tödliches Schweigen. Das Volk der Chibchas sank vor Angst in die Knie, doch standen die Krieger aufrecht, und die Priester steckten flüsternd ihre Köpfe zusammen. Die Landsknechte umkrampften ihre Waffen, und es war nahe daran, daß die drei verschiedenen Haufen, ohne ihre Anführer zu fragen, wütend übereinander hergefallen wären — so groß war der Ärger des einzelnen, daß andere ihnen zuvorzukommen drohten und die Schätze allein gewinnen würden. Auch die Anführer musterten sich kalt, ohne den Chibchas nur einen Blick zu gönnen. Der Pizarro, ein mittelgroßer, bärtiger Mann in verbeultem und verrostetem Harnisch, gab seinem Herold einen herrischen Wink. Der stieß in die Posaune, daß das Echo vom Berge hallend zurückschmetterte, und der Pizarro rief alsdann laut, und sein Schwert zückend: „So tue ich kund, daß dies von mir eroberte Land nun meinem allergnädigsten Kaiser gehört. Und bin ich sein Statthalter!" Er schaute sich herausfordernd um, und seine Knechte, deren Zahl etwa vierzig betragen mochte, riefen Beifall. Doch schmetterte die Posaune der Welserschen behende dazwischen, und der Pieterken schob seine mächtige Gestalt aus dem Ring der Kumpane und donnerte auf die Landsknechttrommel los, daß es jeden andern Ton verschlang. Drauf schnitten die vom Pizarro scheele Mäuler, der Quesada jedoch und seine Leute frohlockten, als der Federmann mit starker Stimme schrie: „Dies Land, das ich und die Meinen eroberten, gehört von nun an des Kaisers Majestät, und will ich, der Nikolaus Federmann, es allezeit gegen bübische Glattzungen bewahren!" Er hatte spanisch gesprochen, daß es die andern verstanden. Der Pizarro schritt unmutig auf und ab, aber der Que224
sada lachte, daß ihm der schwarze Zickleinbart auf und nieder hüpfte. Er trat vor, ließ seinen Trompeter blasen und rief mit lauten Worten dasselbe aus, was seine zween Vorgänger getan hatten. Nämlich, daß er dies eroberte Land als Statthalter für den Kaiser halten wolle gen Feinde und neidhafte Nebenbuhler. Lachend schwieg er und hielt sich den Bauch. „Der Quesada scheint ein lustiger Herr zu sein!" raunte der Pieterken dem Flensburger ins Ohr, indes es um sie beide herum aussah, als wollten die Welserschen denen des Pizarro an die Gurgel fliegen und denen des Quesada desgleichen. Es wäre sicher zum Kampfe gekommen, die Chibchas hätten den Vorteil gehabt, und man hätte in diesem Falle wohl sagen können: wo sich drei streiten, freut sich der vierte! Die Chibchas hatten sich bisher still verhalten vor ungeheurer Verblüffung und Angst. Aber nun schienen sie zu merken, daß das Zünglein der Waage zu ihren Gunsten entscheiden wolle. Ein Raunen ging durch die Reihen der braunen Krieger mit den Goldbrünnen. Man sah, wie sie sich strafften. Etliche schauten sogar verächtlich drein. Sie wußten auch genau, wer die Fremdlinge seien und weshalb sie gekommen, denn das Schicksal der Inkas, mit denen sie in Verbindung gestanden, war ihnen mitnichten unbekannt geblieben. An dem Zauber, daß die weißen Männer etwa gute Götter wären, blieben sie nicht kleben, weil sie das Gegenteil von den entkommenen Inkas erfahren hatten! Langsam begann das Volk nach rückwärts in die Gassen zu strömen. Zweifelsohne, um gewappnet wiederzukehren! Etliche Muschelhörner gaben ungefüge Töne von sich, und aus einem am See liegenden Gebäude dröhnte plötzlich der dumpfe Schlag einer ungeheuren Pauke. Unterdessen war 225
der Moncada wie ein Besessener herumgesprungen, schalt den Pizarro und die andern Anführer derbe aus, nannte sie Tölpel und Verräter am Kaiser, die nur ihren eigenen Vorteil sähen. Und er wies seine Siegel und Schriften vor, die ihn als Bevollmächtigten der Majestät beglaubigten. Der Pizarro zog die Stirn in Zornesfalten, hub an davon zu reden, daß der Kaiser gar weit sei! Doch der Moncada beschwor die Herrn hoch und teuer, jetzo nicht zu hadern, sondern ihre Ansprüche aufzuschieben, bis das Reich auch wirklich erobert wäre. Denn solches könnte man jetzo mitnichten behaupten. Da nickten die drei Anführer und waren's zufrieden, stellten sich auch in Positur und schauten stolz den Priestern entgegen, von denen etliche erhobenen Hauptes in ihren schillernden Mänteln auf sie zukamen. Die Muschelhörner schwiegen stille, auch die Pauke hörte auf. Und mählich waren Weiber und Kinder verschwunden. Die zurückkehrenden Männer aber trugen sichtlich verborgene Gegenstände unter ihren weißen Gewändern. Da rief der Flensburger den Rotten zu, sie sollten ihre Spieße gut festhalten, auch wohl die Schwerter lockern. Und die Musketiere aller drei Heereshaufen schlugen Feuer und bliesen ihre Lunten an, ohne daß es sie jemand geheißen hätte. Jetzo waren die Priester heran. Grüßten stolz, indem sie ihre eng mit güldenen Reifen bedeckten Arme hoben und wieder senkten. Ein Spaniol aus der Rotte der Welserschen rief unter lautem Gelächter aller übrigen Waffenknechte: „Bei Sankt Jago und allen Bewohnern des Himmels! Diese Heiden sind fürwahr in güldenem Kram gehäuset. Und ich fang an zu glauben, daß die Müh und Not, die wir durchmachten, um dies Land zu erreichen, ein gutangelegtes Kapital waren. — Wohlan Kumpane, laßt uns den Kerlen ihren Schmuck abnehmen, und wenn sie's nicht gutwillig geben, so gebrauchen wir das Schwert!" 226
Der Flensburger verwies ihm seine Rede, und man schwieg, um die Sendlinge zu betrachten, die stracks zu reden begannen. An ihren Sandalen und den Fußgelenken, an Fingern und Armen, Ohren und Hälsen, selbst in Nas und Lippen, hatten sie güldenen Zierat. Und der Flensburger wunderte sich im stillen, wie sie's zu tragen vermochten, denn es wog gewiß schwer! Er trat aber näher hinzu, weil ihm auch der Federmann winkte. Jetzo schwiegen die Priester und schauten aus schwarzen Augen stumm auf die eisengepanzerten Mannen. Jene zween Indianer, die sich am Entleinsee zu den Welserschen gesellt und sie geführt hatten, verdolmetschten die Priesterrede den Kumanas und den Indios, die der Pizarro wie auch der Quesada mit sich führten. Und die Kumanas sagten's wiederum dem Costa, der's seinerseits ins Spanische übersetzte. Und es wollten die Priester folgendes: von den vertriebenen, dem Gemetzel des Franzisco Pizarro entronnenen Inkas hätten sie vernommen, daß die weißen Fremdlinge Schätze suchten. Man würde ihnen auch güldenen Staubes, Körner und Brocken, auch güldenen Schmuck und glitzernde Steine in Fülle geben, daß sie sich drin wälzen könnten, aber vorher müsse man den neuen güldenen Jüngling, der die Sonne verkörpere, küren und dem Volke zeigen. Der erste sei bereits gestorben und in den Fluten des Sees untergegangen. Entweder weil der Schreck, den Ansturm der Fremdlinge zu sehen, ihn getötet hätte oder weil er erstickt wäre! Denn letzteres geschähe öfters, dieweilen sie den Jüngling mit einer Salbe bestrichen und dick mit Gold übergoldeten. Das könne keiner lang aushalten, und wenn man ihn nicht, nachdem das Volk ihn bestaunt, flugs wieder abkratze, so müsse er elend ersticken. Auf solches sei man gefaßt und bedaure zwar den frühzeitigen Tod des einen Sonnenjünglings, doch habe man etliche andere bereit, welche die Rolle 227
weiterführten! — Solches solle auch jetzo geschehen. Denn noch nie sei es seit Menschengedenken bei den Chibchas vorgekommen, daß nicht alljährlich der güldene Jüngling über den See gerudert wäre. Sie bäten daher die Fremdlinge, das Fest nicht zu stören. Man wolle ihnen unterdessen Erfrischungen reichen lassen. Darauf fragten die Führer der drei Haufen, wie lange dies dauern sollte, und es wurde ihnen zur Antwort, keine Stunde, und hernach würde man ihnen Quartier weisen! Da einigten sich die Führer, obwohl jeder so offenkundig dem andern mißtraute, daß die schlauen Priester es merkten und Triumph in ihren dunklen Augen aufglomm. Man sagte ihnen ihr Begehren zu, und sich verbeugend, kehrten sie auf die Bänke und Plattformen zurück. Ein langtönender Muschelhornstoß erschallte, und die Krieger in den Goldbrünnen stellten den rechten Fuß in Ruhestellung vor. Die Hauptleute aber gingen zu ihren Haufen zurück, sagten männiglich, sie sollten gut aufpassen. So ihnen aber einer der Heiden zu nahe käme, und wenn er auch ein freundliches Gesicht mache, so sollten sie nicht zögern, ihn aufzuspießen oder mit dem Schwerte zu erschlagen. Denn es seien viele Tausende der Chibchas, und man müsse vor Verrat gut auf der Hut sein! Da murmelten die Landsknechte Beifall. Und starrten sich die Augen aus nach den güldenen Zieraten der Chibchas, die an deren braunen Gliedern und Hälsen in schwerer Fülle glänzten. Auch glänzte verlockend die wagenradgroße Scheibe auf der Plattform! Gemach kamen die Frauen und Kinder zurück, und die Landsknechte schmunzelten und stießen sich fröhlich an. Denn es trugen die Weibsen nicht nur güldenen Schmuck und rote wie auch grüne Edelsteine, sondern sie waren auch gar wohlgestaltet und gut anzusehen. 228
Es schienen aber die Chibchas die Fremden nicht sehr zu beachten, sondern schauten alle auf den See hinaus. Die Ruderknechte hatten indessen das geschmückte Floß, von dem der güldene Mann ins Wasser gestürzt war, emsig ans andre Ufer getrieben. Dort lag ein weißes Haus halb in einem Hain verborgen. Und ein Murmeln wehte durch das Volk, als das Floß von drüben wieder abstieß und herüberglitt. Leuchtend und glitzernd, vom Sonnenschein umschmolzen und ein solch Strahlengefunkel aussendend, daß es den Augen, die hinstarrten, schmerzte — stand eine güldene Mannesgestalt mit erhobenen Armen drauf. Die Landsknechte sperrten die Mäuler auf, und es ruckte und zuckte ihnen in den Gliedern vor Gier. Der oberste Priester, der Smaragdschmuck in Lippen und Nase trug, stimmte einen Gesang an, der sich wie Vogelzwitschern anhörte. Erst als das mit schwerer Goldes- und Edelsteinlast beladene Floß dicht am Ufer war und der Jüngling, der bisher den Rücken gewiesen, sich umdrehte und die ganze schimmernde Glorie seines fehlerfrei gewachsenen Leibes zeigte, schwieg jener. Der Güldene bückte sich jetzo, raffte Hände und Arme voll gleißender Kettlein, Gefäße wie Zieraten empor und schmiß sie mit opfernder Gebärde in den aufspritzenden See. Bedauerndes Geraune ging durch die Reihen der Landsknechte, und der Loderhansl schrie laut: „Tölpel, könntest du mir's nicht schenken ? Was hat der tiefe See davon ?" Jetzo stieg der güldene Jüngling an den Strand, die Priester warfen sich vor ihm nieder, und alles Volk, auch die Krieger, taten desgleichen. Der Güldene schritt mit segnenden Bewegungen von den Bänken herab, durch die Krieger und ins Volk, um einen großen Kreis zu beschreiben. Und der Flensburger sah, wie jenem bereits die Luft knapp ward, daß er taumelte, und merkte auch, daß er handhoch mit 229
Goldstaub, dem eine Salbe zum Haften beigefügt schien, bedeckt war. Nur die Augen blieben frei. Manchmal öffnete er auch den Mund und enthüllte die weißen Zähne. Und der Güldene, der aus der Ferne wie der Prinz aus einem Märlein ausgesehen hatte, war in dichter Nähe mit seinem maskenhaft starren Antlitz, in dem nur die Augäpfel herumkullerten, — wie ein arges, unheimliches Gespenst. Er näherte sich jetzo den Reisigen, als wollte er von diesen auch Anbetung einheimsen. Der Loderhansl, der mit dem Pieterken und dem Pfannenstiel hinter dem Jan Detlef stand, murmelte: „Saget an, Herr, warum taumelt und stöhnt der vergüldete Wicht gar so arg! Man sollte schier meinen, daß er am Ersticken sei!" „Ist er auch beinahe, falls er nicht in Bälde abgeschabt wird!" antwortete der Hauptmann und erklärte dem Biedern, daß mitnichten Nas und Maul genügen, um Luft zu schnappen. Auch die Haut täte atmen, und so man sie verstopfe, müsse man in Bälde jämmerlichen Erstickungstodes sterben. „Der arme Wicht ist demnach zu bedauern. Es wär ein gutes Werk, ihn von seiner güldenen Haut zu befreien!" murmelte der Knecht. Unterdes kam der, von dem sie gesprochen, dicht auf sie zu. Und männiglich sah, daß der Güldene in Bälde sterben würde, denn er holte Luft wie ein gelandeter Karpf, auch taumelte er hin und her. Die Priester hatten's schon gemerkt, und der Oberste stieß einen seltsamen Schrei aus. Man sah, wie der Güldene sich aufrichtete, als ob er die Ohren spitze. Zween Priester aber schlugen den Vorhang eines Zeltes zurück, und darin sah man Chibchas stehen, die Schabemesser in Händen hielten. Der Güldene wollte hingehen, doch waren ihm wohl etliche Goldkörnchen ins Auge gedrungen, auf daß er nicht mehr 230
lugen konnte. Und er fing an, sich gleich einem Kreisel zu drehen und gequält nach Luft zu ringen. Jetzo sprach der Loderhansl mit lauter Stimme: „Fürwahr, du dauerst mich, armer Tropf, denn du bist am Ersticken! Deswegen will ich deiner Qual ein End machen und dir gnädig von hinnen helfen. Als Dank magst du mir deinen güldenen Mummenschanz verehren. Und ich will sodann, obwohl du ein unwissender Heid bist, für deine arme Seel beten!" Sprach's, und ehe jemand dazwischenfahren konnte, holte der Biedere mit dem Flamberg aus und spaltete dem Güldenen das Haupt bis zur Kinnlade. Emsig machte er sich über den hingestürzten Leichnam her, der sich mählich mit blutigem Scharlach verbrämte, um ihm die gleißende Hülle mit dem Dolche abzukratzen. Ein Jammerschrei prallte aus dem Munde Tausender, dann war's wieder still, während Jan Detlef den Nürnberger am Kragen packte, ihn hochriß und ins Glied stellte. Man hörte die Atemzüge. Plötzlich hoben die glänzenden Krieger ihre lachhaften Speerlein, auch sah man solche mit Keulen und hölzernen Schwertern in den Vordergrund rennen. Ein Spanier schrie: „Man hätte nicht leiden sollen, daß der güldene Heide die Schätze vom Floß ins Wasser schmiß!" Die Priester begannen zu brüllen und zu drohen. Jeder hörte den Flensburger laut sagen: „Jetzo geht's los! Trommle, Piet!" Flugs schlossen die Rotten des Pizarro, des Quesada und des Federmann sich zusammen, um ein einziges waffenstarrendes Viereck zu bilden. Plötzlich war die Luft verdunkelt von Speerschwärmen und Steinen, die dann gen die Tartschen der Landsknechte klirrten. Und es erhob sich ein Geschrei, als ob Himmel und Erde am Bersten wären! Brüllend stürzten die Krieger in den Gold231
brünnen zu dichten Massen heran, und hinten tanzten die Priester in ihren schillernden Mänteln auf den Bänken. Muschelhörner stöhnten, der Pieterken drosch auf die Trommel los. Schrecklich war der Anprall der Chibchas gen die spieß- und schwerterstarrenden Landsknechte. Deren Linien wurden eingedrückt, sie wankten, und brüllend drangen die Heiden mit Schaum vor den Mäulern ein, wurden aber im letzten Augenblick von den Arkebusieren aufgehalten. Diese sandten ihnen einen Hagel schwirrender Bolzen entgegen, daß sie sterbend übereinanderstürzten. Den Pikenieren gelang es, die Lücke zu schließen. Innerhalb kurzer Zeit waren Spieße und Schwerter bis an die Griffe rot, und ein Wall von indianischen Leichen zog sich um die vierfache Front. Es blieb ihnen aber keine Zeit zum Ausruhen, denn über die Leiber der Toten stürmten die Lebenden mit unverminderter Wut und in so dichten Scharen, daß die Schwertschwinger Arbeit wie Ährenschnitter bekamen. Auch ließ der Hagel von Speeren und Schleudersteinen nicht nach. Die Chibchas waren mit ihren Rohrspeerlein und hölzernen Schwertern mit Steinschneiden arg im Nachteil, auch schützte sie das dünne güldene Blech ihrer Halbpanzer mitnichten gen die Streiche stählerner Klingen und Spieße. Sie hatten auch im Nu Hunderte Tote und Blessierte! Doch wäre es ihnen ein paarmal beinahe gelungen, die Abenteurer durch die schiere Wucht ihrer zu Tausenden anstürmender Leiber zu erdrücken. Mit großem Pardauz gingen jetzo die Musketen los und furchten blutige Gassen durch die Chibchas. Ununterbrochen kamen sie angestürzt, und ununterbrochen hieben und stachen die Landsknechte drauflos. Dabei drangen sie langsam vorwärts, bis sie das Seeufer erreichten, sich umkehrten und in langer, dreifacher Linie aufstellten. 232
Die Hauptleute fluchten gewaltig, als viele der Knechte sich hinwarfen und unter den Speeren und Schwertern ihrer Kumpane die gefällten Chibchas hereinschleiften, um ihnen sodann in aller Gemütsruhe und sich gegenseitig die Beute weisend, ihre güldenen Schmuckstücke abzuklauben. Sie mußten aber in Bälde davon abstehen, weil die Feinde heulend und tobend in solch dichten Schwärmen heranbrausten, daß jeder Arm gebraucht ward. Es blieben auch die Abenteurer mitnichten unversehrt, sondern gar mancher biß ins Gras, von Schleudersteinen erschlagen oder durch rächende Hände aus dem Gefüge der Seinen geholt und von einer brüllenden Menge buchstäblich zertrampelt oder zerrissen! Und es sah aus, als ob die Landsknechte nie Ruhe bekommen sollten, denn die Zahl der Angreifer verminderte sich ebensowenig wie ihr ungestümer Todesmut. Es war bereits hoher Mittag, und die Sonne brannte schmerzhaft herab. Scharen von Aasgeiern zirkelten dicht über den Köpfen der Streitenden. Die eisernen Rüstungen der Landsknechte waren mit schlüpfrigem, rotem Schleim überzogen, und der Sand, auf dem sie standen, wurde zum roten Morast. Gut war's, daß sie Wasser hatten, um zu trinken, wie auch die schmerzhaften Pfeil- und Speerwunden zu kühlen. Es galt aber immerfort dreinzuschlagen, weil die Chibchas gleich zornigen Immenschwärmen ankamen. Jetzo traten die Anführer hinter den Reihen ihrer kämpfenden Mannen am Seeufer zusammen, um kurzen Rates zu pflegen. Es herrschte aber solch furchtbares Getöse, daß sie sich gegenseitig in die Ohren brüllen mußten. Und der Pizarro bejammerte es, daß sie keine Panzerreuter hätten, denn vor den schnaubenden Rossen würden die Heiden gewiß nicht standhalten! Der Moncada aber machte den Vorschlag, man sollte den rechten Flügel, wo des Flensburgers 233
starke Bayernkerle ständen, plötzlich abschwenken und in der Keilformation, wie sie's gar oft erprobt, durch die Heiden dorthin rennen lassen, wo jene fanatischen Priester standen, die Volk und Krieger aufhetzten. Wenn es gelänge, etliche der in Vogelfedermäntel gekleideten, großmäuligen Götzenpfäfflein zu haschen und festzuhalten, so würde das wohl einem Waffenstillstand dienlich sein. Und ein solcher war arg vonnöten, weil die Arme der Knechte vom fortwährenden Dreinhauen und Stechen am Erlahmen seien! Der Federmann winkte dem Flensburger zu, und dieser eilte flugs an den Flügel, wo der Pieterken trommelte und auch der Trompeter stand. Und der Jan Detlef hatte seine Leute so gut gedrillet, daß er keine Bange um das geplante Manöver empfand. Er brüllte denn auch dem Trompeter hart ins Ohr, er solle zum Schwenken und Neuformieren blasen. Der schmetterte mit Macht in sein Instrument, und die klaren, hellen Töne stiegen über das Kampfgebrause, so daß männiglich — auch die Heiden — die Waffen sinken ließen und aufhorchten. Die Bayern schauten verwundert nach dem Flensburger, doch plötzlich hatten sie's begriffen und fielen samt und sonders nach rechts aus, stellten sich auch behende in Form eines langen Keils auf, dessen Spitze das vorgereckte Schwert des Hauptmanns bildete. Und auf ein zweites Signal setzten sie sich in Trab, um dem vorne laufenden Flensburger und seinem in keuchenden Sprüngen über Leichenhaufen setzenden Pieterken nachzueilen. Gleich einem ehernen Pfluge drangen sie durch die Haufen der Chibchas, stießen und hackten dabei flammenden Auges um sich. Im Nu waren sie zwischen den Bänken, und die in den leuchtenden Federmänteln stoben auseinander. Der Flensburger ließ aber flugs die Trompete schmettern, und seine Knechte rannten nun einer hinterm andern wie der Leib einer 234
Schlange einher, beschrieben etliche Schnörkel, und plötzlich war ein Geviert fertig, von dem nach allen Seiten die Waffen starrten und auf die genarrten, wieder wütend anstürmenden Chibchas dreinschlugen. In der Mitte der menschlichen Figur aber standen außer einigen drohend blickenden Knechten neben dem Trommler, dem Pfannenstiel und dem schwitzenden Hauptmann — die erhaschten Priester. Nicht alle waren's, aber der oberste mit dem Smaragdgeschmeide in den Lippen befand sich drunter. Aus dem Volke erschallte Stöhnen, als man das merkte. Der Federmann, der am See hielt, strich sich den Bart und lachte vor eitler Freude, denn diese Kunst, mit Gewappneten Figuren zu bilden, die sich wie durch Zauberei formen oder in andre auflösen konnten, war sein! Im Lande Italia hatte er's von andern berühmten Kondottieri erlernt und sich nicht der Mühe verdrießen lassen, es dem Flensburger und dessen Fähnlein in großer Geduld beizubringen. Daher stand es ihm jetzo wohl an, sich zu freuen, was er auch von Herzen tat, aber dabei nicht vergaß, den ihn anspringenden Heiden mit geschickten Schwertstößen den Willkomm zu segnen. Die Chibchas waren in große Unruhe geraten, als sie ihre Obern in den Händen der Abenteurer sahen. Viele wichen zurück, erhoben lautes Klagen. Nur die in den Goldbrünnen rannten tapfer an, versäumten auch nicht, ihre Toten und Blessierten, die knapp vor den Spießen der Feinde lagen, wegzuschleifen. Denn sonst wären ihnen diese grausigen Haufen beim Angreifen arg im Wege gewesen. Der Oberpriester und seine Kumpane mußten unterdessen in ihrer Gefangenschaft manches Ungemach über sich ergehen lassen, denn der Loderhansl, wie auch der Trommler und dessen Busenfreund, der derbe Zacharias Pfannenstiel, fingen behende und sonder Ziererei an, die Chibchas ihrer Schmuck235
stücke zu entledigen. Mit harten, blutbesudelten Fingern pflückten sie schwergüldene Spangen von Armen und Schenkeln, rissen die Kettlein, welche aus güldenen Taubeneiern bestanden, grob von braunen Hälsen. Auch zogen sie ihnen die verzierten Sandalen aus und jubelten erstaunt, als sie entdeckten, wie jene auch Ringlein an den Zehen trugen. Der Loderhansl bedeutete ihnen, sie sollten alles, auch ihre Ohrgehänge, schleunigst hergeben, und mit lüsterner Hand packte er den Oberpriester an der wie bei einem Eber vorstehenden Unterlippe, um den smaragdenen Kram herauszureißen. Doch wehrte ihm der Flensburger, indem er ihn mit der eisengepanzerten Hand zu Boden schlug. Also kam der Chibchapriester mit seinem barbarischen Schmuck gut weg, es bluteten ihm aber gewaltig die Lefzen. Jetzo begann der Jan Detlef durch die Hilfe des Costa und dem einen Indio vom Entleinsee mit den Priestern zu verhandeln. Die lachten erst höhnisch und deuteten auf ihre Krieger, die gleich einer blitzenden Flut nach jeder Abfuhr von neuem heranprallten. Der Flensburger ließ ihnen drauf verkünden, so sie nicht sofort klein beigäben und dem Volke Einhalt gebieten würden, so wollte man ihnen die Bäuche aufschlitzen, sie aber vorher mit glühendem Feuerbrand überall peinigen und anrösten. Und als er sah, daß seine Leute in großer Not waren und die Wurfspeere und Schleudersteine schockweise über seinen geduckten Kopf gebraust kamen, fletschte er grimmig die Zähne im blutbesudelten Gesicht und tat, als wolle er den Oberpriester mit dem Dolch ans Gekröse. Auf seinen Wink hatte auch der Pieterken die Marschierhülse vom Eisenbein gezogen und stand jetzo, indem er ihn ab und zu mit drohender Geste vorstieß, auf dem spitzen, verrosteten Spieker. Der Loderhansl, der sich wieder aufgerappelt hatte, und der Pfannenstiel 236
lachten greulich dazu. Nun bekamen s die Priester mit der Angst und warfen sich flehend zu Boden. Nur der mit den Smaragdklumpen blieb stehen, zeigte sich auch fürder stolz, doch sagt er dem Jan Detlef durch den Dolmetsch, er wolle sich fügen und Einhalt gebieten. Der Flensburger erwiderte, er solle sich beeilen, ansonsten würde er dem Trommler gebieten, ihn mit dem Spieker gen die Kaldaunen zu treten. Grinsend stellte sich der Pieterken in Positur und hob das rostige Bein. Da nahm der Oberpriester ein spaßiges, güldenes Pfeiflein, setzte es an das eine Nasenloch, hielt das andre zu, und ein schriller, weithallender Ton hob sich über das Gebrüll, Geklirr und Stöhnen des Kampfes. Da griffen die Chibchas nicht mehr an, sondern blieben in etwa zwanzig Ellen Abstand von den von Kopf bis zu den Füßen mit Blut überzogenen Landsknechten stehen. Diese ließen ihre Waffen sinken, und die hintern Reihen reichten den vornestehenden ihre im See gefüllten Eisenhauben, die sie wieder und wieder gierig leerten. Man hörte jetzo nur das ferne Klagen der Weiber in den Häusern und Höfen, das von einzelnen Schreien spitz unterbrochene Wimmern oder Fluchen der Verwundeten und das Schnaufen der müden Kämpfer. Der Moncada rief dem Flensburger über die Köpfe der Chibchas zu, er sollte mit seinen Leuten nebst den Gefangenen so manövrieren, daß er an die große güldene, von einem Baldachin überdachte Sonnenscheibe käme. Denn es wär schad drum, wenn die Heiden sie behalten sollten. Der Flensburger tat nach des Welschen Begehr und legte alsbald prüfend die Hand an das ungefüge Symbol, wobei er herausfand, daß es aus purem Golde war. Die Knechte machten sich auch gleich dran, mit Schwerthieben Stücke davon abzuhacken, doch wehrte ihnen der Hauptmann, indem er ihnen zurief, er würde sie dem Profosen und dessen Hangseilen 237
überantworten. Es brüllten auch die des Pizarro und vom Quesada laut, sie sollten ihre Pfoten vom Golde lassen, welches allen gehöre! Die Chibchas hatten haßvoll zugesehen. Während nun der Federmann die Bedingungen der verbündeten Hauptleute dem Flensburger überschrie und dieser sie durch die Dolmetscher dem Oberpriester sagte, kam aufs neue eine drohende Bewegung in die Heiden. Sie sahen nämlich, wie die Sachsen ihre langen Spieße vorstreckten und geschickt damit in die vor ihnen liegenden Leichenhaufen fuhren, einzelne tote Chibchas hervorangelten, sie zurückzogen und ihnen die güldenen Zierate abklaubten. Die taten sie dann in ihre Schnappsäcke, grinsten heiter und lachten jene andern aus, welche keine Langspieße besaßen und daher die einträgliche Fischerei nicht mitmachen konnten. Der Federmann schritt gewaltig dazwischen, teilte rechts und links Kopfnüsse mit eisernem Handschuh aus und befahl den murrenden Freibeutern, ihr Spiel einzustellen und sich lieber um ihre vielen blessierten Kumpane zu kümmern. Der Flensburger aber verlangte indessen vom Oberpriester, er solle flugs den Platz räumen lassen und Volk wie auch Kriegern anbefehlen, ihre Häuser aufzusuchen. Ihm und seinen Kumpanen jedoch sei ein gut Quartier, sowie Nahrung in Fülle zu stellen! Die andern Hauptleute riefen ihm zu, er solle die Verhandlungen beeilen, damit man unter Dach käme, ehe das Unwetter heran sei. Wie der streitmüde Flensburger aufschaute, sah er drohende Wolken über die Berge quillen und düster heraufziehen. Und der Moncada rief laut: „Sankt Jago, wir haben's geschafft, Kumpane. Just beizeiten! Denn dort über die Sierra kommt die Regenzeit herbei. Das bedeutet wüstes Wetter auf Wochen hinaus!" 238
Unterdes sprach der Flensburger weiter und ließ dem Oberpriester sagen, daß er nebst drei andern in Geiselhaft genommen werden müßte. Da richtete sich der mit dem Smaragdschmuck auf und verweigerte solches Ansinnen. Die in den Goldbrünnen aber hatten alles gehört, und einer, der eine Art Helm aus bunten Federn trug und ihr Anführer war, schlug mit dem Speer an sein Binsenschild und lachte höhnisch. Drauf riet der Moncada dem Jan Detlef, er solle flugs den Flamberg schwingen und einem der Priester — nicht grad dem mit dem Smaragdrüssel — das Haupt vor die Füße legen, damit die Heiden sähen, man meine es ernst. Der Flensburger zückte das Erbschwert, hielt die Spitze dem Oberpriester an die Gurgel und befahl ihm, er solle dafür sorgen, daß der Kerl im Federhelm sich sofort als Geisel stelle. Der Bedrohte wurde blaß unter seiner hellbraunen Haut, mit Mühe brachte er etliche Wörtlein herfür, und alsbald schmiß der im Helm Schild und Speer weg, riß sich allen Goldschmuck vom Leibe, warf's davon und kam furchtlos einhergegangen. Der Profos nahm die eisernen Fesseln aus seinem Schnappsack und legte sie ihm sorglich an. Jetzo schienen die Chibchas gewillt beizugeben, denn mit traurigem Gemurmel machten sie kehrt und begannen durch die Gassen abzuströmen. In Bälde waren nur noch ihre Toten auf dem Platz, und die Landsknechte kümmerten sich nicht mehr um die Drohungen ihrer Anführer, sondern rannten lustig aus Reih und Glied, um den Leichen ihr Gold abzuklauben. Verächtlich sahen die Priester dem wüsten Treiben zu. Der Loderhansl aber strich fortwährend um das Oberpfäfflein herum, sah ihn spöttisch an und sagte ein über das andre Mal: „Der Hauptmann leidet's nicht, daß ich dir die grünen Steine aus der Lippe plündere, Pfäfflein. 239
Doch mich dünkt's, als seh ich eine Zeit kommen, wo er mir's wohl verstatten wird. Ich rat dir daher, Pfäfflein, sei nit dumm und gib mir den Kram jetzo. Es könnt dir böses Ungemach und arge Schmerzen ersparen!" Der Chibcha verstand die Worte nicht, doch blieb ihm der Sinn kaum fremd. Er fauchte wie ein böser, auf der Mauer sitzender Maushund und schnitt dem Bayern tückische Gesichter. Der Flensburger verwarnte den Loderhansl, gebot auch bei Strafe an Leib und Leben, den Oberpfaffen in Ruh zu lassen. Doch wußte er als weiser Herr genau, wieweit er mit seinen Söldnern gehen durfte. Und er wehrte ihnen mitnichten, als sie drangingen, zween Priesterlein, die nocha unversehrt waren, die blitzenden Ringlein von ihren Zehen abzuschrauben. Etliche waren dafür, ihnen diese abzuhacken, denn es spare Mühe, doch sprach der Pieterken dagegen, und auf ihn hörten sie gerne. Am Seeufer standen immer noch die kampfbereiten Rotten, und nur ihre Anführer waren in den ehernen Kreis, der die Gefangenen umschloß, getreten. Und der Pizarro betastete gleich die güldene Sonne und fragte argwöhnisch, wie's mit den Schätzen gehalten werden solle. Und man einigte sich, daß, wenn man die Schätze, die das Reich zweifelsohne berge, beisammen hätte, so sollte alles redlich geteilt werden. Ein Fünftel für des Kaisers Majestät und doppelte Anteile für die Hauptleute. Des war man zufrieden. Doch blieb's ersichtlich, daß nicht alles beim Guten verbleiben würde, denn etliche Knechte zogen bereits scheele Mäuler. Da kamen sechs Chibchas in weißen Mänteln aus der breiten Gasse herausgegangen, schritten über den blutbesudelten Kies, und als die Reihe der Soldknechte sich vor ihnen öffnete, warfen sie sich vor dem Oberpriester nieder, sagten 240
etwas und erhoben sich wieder, um beiseitzutreten. Der mit dem Smaragdschmuck tat kund, daß die Quartiere warteten. Dabei warf er einen triumphierenden Blick auf die schwarze Wolkenwand, deren Schatten jetzo die Hälfte des Sees in eine schiefergraue Fläche verwandelten. Und grelle Blitze zuckten aus den Wolken. Ganz leise begann es in weiter Ferne zu grollen. Die Luft war kühl geworden. Ängstlich flatterten bunte Vögel in den Kronen der am Seeufer stehenden Bäume. Halb gutmütig, halb drohend, hatten der Loderhansl und seine Kumpane indessen die Gesandtschaft bewogen, ihnen ihren güldenen Schmuck abzutreten. Und wo sie's nicht schnell genug taten, da halfen behende Landsknechtfinger nach. Und der Loderhansl, der Pieterken, der Pfannenstiel und etliche andere hatten bereits keinen Platz mehr in ihren Schnappsäcken, weshalb sie sich die Kettlein mit den taubeneigroßen Goldkügelein um den Hals legten. Böse blickten die des Pizarro und des Quesada drein, aber ihre Gesichter verzogen sich zu breitem Schmunzeln, als ihnen der Pieterken bedeutete, im Quartier wolle er die Würfel springen lassen, und jeder könne probieren, ob Frau Fortüne ihm hold gewogen! Jetzo schmetterten Hornstöße, und Befehle schallten. Im Nu ordneten sich die Rotten im langen Zug. Voran schritten die Hauptleute mit den Bannern. Dann kamen die Knechte, in deren Mitte, von den Seiten wohlgeschirmt, die Träger und Musketenschützen schritten. Auch die Blessierten und die güldene Sonne wurden geschleppt. Die Geiseln waren wohlumzingelt, und jedem einzelnen schritt ein wohlgemuter Landsknecht zur Seite, der den Dolch gezückt hatte und auch Anordnung erhielt, was er bei Verrat zu tun habe. Dröhnenden Schrittes bewegte sich der reisige Zug 241
hinter den Führern her, und als sie in die breite, gepflasterte Gasse kamen, prallte das Echo von den Häusern zurück. Es war kein Mensch zu sehen, wohl aber hörte man Schreien und Murmeln aus Torgängen und hinter Hofmauern hervor. Lauter grollte das heranziehende Unwetter. Jetzo begannen die Knechte des Queseda ein fröhliches Lied. Und da die Deutschen dieses von den Leuten des Moncada oft gehört hatten, konnten sie's auch und brüllten machtvoll mit. Zum Marschschritt in den hallenden Gassen hoben sich die Strophen laut zum Himmel, der dunkelgrau geworden war und die ersten großen Regentropfen herabschüttete. „Wir küssen die Dirnen von Toledo! Und die heilige, die heilige Cäcilia, Denn dies ist so der Brauch in Castilia!" Ein paarmal verwiesen ihnen die Hauptleute das wüste gottlose Lied. Aber die Landsknechte waren siegestrunken und lachten gutmütig über ihre Führer. Drauf sangen sie weiter. Jetzo bog man in einen Hof, der von einer niedern Mauer umschlossen war. Drin standen lange steinerne Gebäude ringsum, die breite Toröffnungen hatten. Der Oberpriester ließ sich entschuldigen, indem er sagte, dies seien nur leere Vorratshäuser. Er könne zwar bequemere Quartiere bieten, aber seine Gäste zögen es sicher vor, nicht getrennt in verschiedenen Stadtteilen, sondern alle zusammen zu hausen. Auch hätte er Proviant, getrocknete Häute zum Schlafen und Kochfeuer richten lassen! Die Herrn zollten ihm Lob, und eilends drang man in die Gebäude ein. Sie waren erleuchtet durch steinerne Lampen, in denen Öl brannte. Holzkohlen glühten. Eine Menge Früchte und Lebensmittel waren daneben aufgestapelt. Felle 242
lagen längs der Wälle. Wasser gab es im Hofe, wo ein Quell, der in Stein gefaßt war, lebhaft sprudelte. Jetzo wurden rasch die Wachen eingeteilt. An jedes Tor stellte sich immer ein Musketier mit glosender Lunte. Dazu ein Arkebusier und zween Schwertfechter. Auch sollte eine Wachmannschaft in den Hof gehen, sobald das Wetter es erlaube. Die des Quesada, des Pizarro und des Federmann hatten sich alle voneinander getrennt, nachdem man übereingekommen war, daß jeder Heerhaufe einige Mannen zu einer gemeinsamen Rotte stellen müßte, um die Geiseln zu bewachen. Während draußen die ersten Donnerschläge krachten, grelle Blitze den Himmel mit flammenden Netzen überspannten und der Regen gleich einer Sündflut niederprasselte — waren drinnen die Eroberer fröhlich dabei, abzukochen und sich gegenseitig von Staub und Blut zu befreien. Auch die Blessierten wurden betreut. Zween, welche Speerstöße tief in die Achselhöhlen erhalten hatten, gaben den Geist gleich auf, den andern jedoch ging's besser, und sie beteiligten sich an der Fröhlichkeit, die durch die niedern steinernen Häuser tobte. Überall in den Ecken saßen Haufen um die Trommeln und würfelten mit lautem Geschrei. Andere spielten Karten, indem sie kreuzbeinig wie Mohren auf Fellen hockten. Und der Schein der Öllämplein glitzerte allenthalben auf güldenen Häuflein von Ringen, Spangen und Kettlein, welche fortwährend ihre Besitzer wechselten. Viele Knechte hatten bereits reiche Beute gemacht, und besonders die drei Kumpane — der Pieterken, der Loderhansl und der biedere Waffenträger des Flensburgers — starrten und glitzerten von Geschmeiden, mit denen sie sich behangen hatten. Der Pieterken meinte laut lachend, es sei die beste Art, sein Gold zu tragen, weil sich das Gewicht verteile! 243
Unterführer aber schritten unablässig von Wache zu Wache, damit diese die Türen nicht außer acht ließen. Denn wenn auch die Knechte dachten, nun wäre die Hauptarbeit geschehen und die Chibchas würden andern Tages kommen, um ihre Schätze abzuliefern, so waren die Hauptleute doch voller Sorge. Alle saßen sie beisammen, schauten über das argen Rauch verursachende Feuerlein und starrten, während sie sich unterhielten, auf den Hof hinaus. Doch war dieser hinter den dichten Vorhängen des rauschenden Regens unsichtbar. Es war auch pechschwarz draußen, obwohl es noch ein gutes Stücklein bis zum Abend sein mochte. Der Oberpriester, den sie gleich seinen Untergebenen derart an eingemauerte Ringe gebunden hatten, daß sie einige Schritte gehen und sich auch hinlegen konnten, hatte ihnen erklärt, daß das Volk der Chibchas beinahe zwanzigtausend Köpfe zähle, aber es bei weitem mehr Weiber als Mannen gebe. Rechnete man also etliche Hunderte ab, die heute erschlagen wurden, so blieben immer noch genug übrig, um die Eroberer zu erdrücken, falls es klug angefangen würde. Und daß die Kerle mitnichten feige waren, hatte man heute erfahren. Deshalb saßen jetzo die Hauptleute der drei Haufen beisammen und blickten sich einander manchmal sorgenvoll an, während die Geiseln sich unbemerkt triumphierende Blicke zuwarfen. Draußen nahm das Unwetter an Wucht und Schrecknis zu! Und es entsann sich keiner, je einen derartigen Aufruhr der Natur erlebt zu haben! Kühl drang es nun zu den Türen hinein und ließ die Menschen zusammenschauern. Leise murmelnd und klagend erhob sich der Wind und quoll durch das rasende Rauschen und Klatschen der Regenfluten, bis alles in betäubenden Donnerschlägen erstickte. Die Blitze folgten jetzo einander 244
ununterbrochen, und welche waren blau, andere gelb und rötlich. Jedesmal zuckte es blendend über die Rüstungen, Waffen und Gesichter der Landsknechte und ihre güldene Beute. Eine Gruppe nach der andern gab das Spiel auf, und sie saßen und glotzten stumm in die zuckend erhellte Finsternis. Die Öllampen waren eine nach der andern von wütend hereinprasselnden Windstößen erloschen, und niemand getraute sich aufzustehen und sie wieder zu entfachen. Als ob riesige Felsblöcke zu Tal stürzten, polternd von Klippe zu Klippe hüpfend, so klang jetzo der Donner. Das Echo war so furchtbar laut, daß mehr als einer der Menschen die Zeigefinger in die Ohren bohrte, aus Angst, das Trommelfell würde ihm zerreißen. In kurzen Stößen kam nun der Wind, setzte die Regenvorhänge draußen in wiegende Bewegung und schwoll zum heftigen Kreischen an, das schrill die Pausen des Donners ausfüllte. Manchmal, wenn die zusammenkrachenden Wolken schwiegen, verwandelte sich das Sausen des Sturmes in grelles Schreien, welches stieg und schwoll. Stieg und schwoll! Etliche der Landsknechte waren auf die Knie gerutscht und hatten ihre Hände gefaltet. Die Pizarrorotten hatten ein Priesterlein aus Segovia mit sich, der stand wie eine schwarze Flattermaus da, breitete die Arme aus, und manchmal drang seine Stimme wie dünnes Wimmern durch den Aufruhr: „Dominus vobiscum — In coelis — in coelis! Misericordia! Misericordia!" Gleich Wellengischt fegte der von der Windsbraut geschleuderte Regen zu den Toren herein. Es zuckten die Blitze wie Lanzen und Pfeile durch die Dunkelheit, daß die bleichen Gesichter der Eroberer unter ihren Sturmhauben gespensterhaft aufleuchteten. Und es wurde noch schlimmer! Das ganze All schien aus tausend schrillen Klagen zu bestehen. Es wuchs und wuchs. Die Landsknechte, die vorher 245
auf den Knien lagen, hatten sich auf die Gesichter geschmissen. Die andern aber blickten wild um sich. Einer rannte längs der Wand mit offnem Maul, gespreizten Händen, bis er über eine Lanze stolperte, rasselnd hinschlug und, die Hände vorm Gesicht, liegenblieb. Die gefangenen Priester schrien sich Worte zu, und der im Federhelm hüpfte, soweit es ihm die Fessel erlaubte, wie ein Teufel herum. Ihre Mienen aber waren frohlockend! Doch merkte es niemand, weil alles nach der Türöffnung stierte. Es schien, als ob der Sturm im Hofe gefangen sei und nicht herauskönnte. Schrill klagend, unheimlich winselnd und dann wieder zornig brüllend, jagte er hin und her. Dazwischen rauschte der Regen, polterte ohrenbetäubender Donner und zuckten Blitze. „Misericordia!" schrie ab und zu des Pizarros Pfäfflein. Es stand aufrecht, das Kreuz in beiden Fäusten. Das unbeschreibliche Tosen des Sturmes nahm an Macht zu, der Regen rauschte gleich Wasserfällen, als das Gewitter mit einem klirrenden Schlage aufhörte. Kein Blitz erhellte mehr die dunkle Nacht. Die Landsknechte begannen sich aufzurappeln. Eine harte Stimme schrie dem betenden Priesterlein zu: „Schweig flugs stille, Himmelspilot! Schweig und hilf mir lieber, mein Gold zu suchen. Denn, beim Propste von Bamberg, mir sind etliche Kettlein abhanden gekommen. Wo ist der diebische Wicht, damit ich ihm kalten Stahl in den Schlund ramme ?" Jemand rief in Spanisch, man solle Licht machen. Plötzlich vernahm man lautes Klirren, und ein anderer klagte, er sei zu Tode getroffen. Und mehrere brüllten laut auf. Dann vernahm man die Worte des Loderhansl: „Zu den Waffen, Kumpane! Zu den Waffen, die Heiden sind über uns! Haut drein!" 246
Ein Spanier kreischte: „Los Hereges — die Heiden!" Und nun war sich's jeder klar, daß es so sei, denn männiglich hörte das schrille Heulen der Chibchas mitten in der Dunkelheit. Der Flensburger aber überbrüllte alles: „Die Musketiere mit den glosenden Lunten an die Wand und suchet die Lämplein anzuzünden! Ansonsten sind wir alle verloren!" Getümmel erhob sich. Der Jan Detlef hatte um sich gegriffen, packte verschiedene Körper und merkte, daß es die von den Seinen waren, weshalb er sie losließ und weiter blindlings in der Nacht herumhaschte. Auf einmal fühlte er einen geschmeidigen Leib, drückte ihn wuchtig an sich und tastete ihn mit der Linken ab. Er fuhr über nackte, glatte Schultern, dann ein Kinn, und während scharfe Zähne seinen Finger bis zum Knochen durchbissen, merkte er, daß es der Oberpriester mit der geschmückten Lippe war. Da gab er ihm einen Schlag ins Gesicht, daß jener schlaff wurde, und hielt ihn fest. Jetzo flammte ein Lämplein auf, und flugs brüllte der Federmann aus der Dunkelheit: „Stellt euch vor, damit die Heiden es nicht wiederum ausblasen! Und zündet die andern an!" Waffen klirrten, nach und nach flammten noch mehrere Lämplein an der Wand auf und erhellten ein Gewoge von Landsknechten und Chibchas, die brüllend zu den Türen hereinquollen. Da schrien die Befehlshaber, die Arkebusiere sollten Bolzen gen die Öffnungen senden und die Spießträger ihre Waffen hinstrecken, damit nicht neue Heiden hereinkämen. Der Flensburger, der den leise sich regenden Oberpriester an sich gepreßt hielt, sah, wie die andern Priester ängstlich gen die Mauer gedrückt kauerten. Der im Federhelm aber war grad dabei, sich der Schnur, die ihn an den Ring fesselte, zu entledigen. Ringsum aber herrschte Ge247
tümmel. Erhobene Arme fuhren hin und her, Stahl blitzte, und Körper rangen miteinander. Da zog der Jan Detlef Löhndorff seinen Dolch mit der freien Hand, wog ihn hin und her und schleuderte ihn alsdann. Und die blanke Waffe bohrte sich in die Gurgel des Chibchas, daß er hintenüber fiel und ihm der seltsame Helm vom Haupte kollerte. Der Wind draußen schwieg, es rauschte nur noch der Regen. Und in den Häusern, die mit den Schmalseiten aneinanderlehnten und durch Öffnungen miteinander verbunden waren, klang Waffenlärm, Geschrei und Stöhnen. Jetzo schrien die Hauptleute wieder ihren Leuten machtvoll zu, sie sollten sich flugs mit dem Rücken gen die Rückwände stellen, wo die Lämplein brannten. Jene an den Toren aber sollten niemand reinlassen! Und die an der Wand sollten zusehen, daß sie die Chibchas vor sich in der Mitte halten. „Vorwärts, gebt ihnen das Schwert! Sankt Jago! — Welser!" brüllten die Befehlshaber wieder, und die Rotten stürzten sich mit blankem Stahl auf die Heiden, die keinen Nachschub mehr bekamen, weil die Tore bewacht wurden und deshalb, da sie sich wütend wehrten, binnen kurzem sämtlich niedergemetzelt wurden. Drauf ruhte man aus, und die Landsknechte lärmten, verlangten auch sofort gen die Heiden geführt zu werden, um solche Niedertracht zu rächen und ihre Häuser anzuzünden. Draußen hatte es aufgehört zu regnen. Klar funkelten die Sterne am Himmel. Eine Anzahl Knechte schmissen die toten Chibchas in den Hof, klaubten ihnen aber vorher in Eile die güldenen Zieraten ab. Und der Flensburger, der den Oberpriester betrachtete, fand zu seinem Bedauern, daß dieser tot war. Entweder hatte er ihm zu derbe die Gurgel zugedrückt, oder er war vor Angst gestorben. Da verkündete er flugs die Nachricht und ließ den toten Heiden zu Boden sin248
ken. Worauf der Loderhansl herantrollte und ihm den Smaragdschmuck fein säuberlich von der Lippe pflückte. Denn jetzo hab's jener nicht mehr nötig!, meinte er — ihm selber aber könne das Geschmeide zu Haus und Hof in der Heimat verhelfen! Sämtliche Landsknechte tobten und verlangten von ihren Führern, gen die Chibchas geleitet zu werden. Und so sie dies nicht täten, würden sie's wahrhaftig auf eigne Faust versuchen! Jetzo traten die Hauptleute eilig zu Rat, während um sie herum die erbosten Knechte brüllten. Also wurde beschlossen, dreißig Arkebusiere und Schwertfechter zur Bewachung der Blessierten und auch der Geiseln zurückzulassen. Sie sollten sich alle in ein Gebäude im Hofe, das allein stand, zurückziehen. Da schrien jene, die als Wächter bestimmt wurden, lästerlich, man wolle sie schmählich betrügen! Mit Müh und Not und großen Versprechungen gelang es, sie zu beruhigen. Indessen tobten die andern lärmend umher. Denn männiglich, vom Pikenier bis zum Hauptmann — auch der Flensburger spürte es in seinen Augen funkeln und in den Adern rasen — war besessen vom Goldteufel! Sie hüpften herum, schwangen die Waffen und drängten, nun solle es losgehen. Die Wächter aber maulten. Da sahen die Hauptleute ein, daß nichts zu machen sei, und gaben Befehl zum Aufbruch. Gleich wütenden Wölfen quollen die Rotten und Fähnlein hinaus in die Sternennacht und über den nassen Hof in die Straße, rannten auch, sich verteilend, behende in die einzelnen Häuser. Der Moncada fluchte gräßlich und schwur, daß ihnen diese Nacht allesamt das Leben kosten würde, und es wäre gescheiter gewesen, im Quartier zu bleiben! Aber die Landsknechte lachten ihn aus. In der Ferne stöhnten jetzo Muschelhörner, und Schlangenhaut249
trommeln begannen dumpf hinter den Mauern der finstern Höfe zu rasseln. Nochmals brüllte der Moncada, falls die Chibchas Kerle wären, so würden sämtliche Weiße in dieser Nacht des Todes sein. Und ob ihrer Dummheit geschähe ihnen recht! Er wurde aber verhöhnt, und der Pieterken, der drei güldene Ketten über den Brustharnisch baumeln hatte, begann die Trommel zu rühren. Drauf wirbelten sämtliche andern Kalbfelle, die Schalmeien, Sackpfeifen und Drommeten schmetterten los, alles ergoß sich in die Häuser und den Hauptleuten blieb nichts andres übrig, als stehenzubleiben oder nachzulaufen. Türen krachten, Fackeln loderten, Weiber kreischten schrill, Kinderlein wimmerten, und zorniges Mannesgebrüll drang zum Himmel. Bald saß der rote Hahn auf etlichen Dächern, breitete sich aus, bis die ganzen Gassen in hellen Flammen standen. Und ein dumpfes Getös drang durch die Stadt der Chibchas! Hausein, hausaus liefen die Landsknechte, jagten Frauen über die Höfe, schmissen Kindlein gen steinerne Mauern, spießten wütende, speerschwingende Männer auf und tanzten wie Wilde im Flammenschein herum, sich gegenseitig die erbeuteten Schätze weisend. Am ärgsten aber erwiesen sich die Spaniolen des Quesada und des Gonzalo Pizarro, die unter dem Bruder des letzteren, dem Franziskus Pizarro, bereits das Würgen und Morden im Lande Peru erlernt und getrieben hatten! Den Deutschen saß auch der Goldteufel in der Seele, doch schonten sie die Weiber und Kinder. Die Hauptleute aber schrien, man sollte etliche Gefangene machen, falls fürnehm aussehende Kerle erblickt würden. Männiglich nahm es wunder, daß die Krieger mit den güldenen Brünnen, von denen doch noch etliche Tausende übrig sein mußten, keinen ge250
meinsamen Widerstand versuchten. Denn wo sie solche antrafen, waren es nur kleine Häuflein, die bald in alle Winde zerstreut wurden. Wütend aber wehrte sich das Volk! Mit Speer, Schleuderstein, Holzschwert und Knüppeln! Und wo die Häuser brannten, da schmissen sie den Eroberern glühende Balken entgegen, bespritzten sie auch mit siedendem Wasser und machten so die Landsknechte immer erbitterter, auf daß sie stellenweise weder Weib noch Kind schonten. Wie sie aber in den Häusern der Reichen eindrangen, frohlockten sie. Denn dort wurden Truhen voll edlen Gesteins und Massen güldener Schmuckstücke gefunden! Wehgeschrei hing über der Stadt der Chibchas, Flammen loderten und hoch oben am Himmel wirbelten, zuckten und tanzten gleich Silbersonnen unzählige Sterne. In der Halle eines Hauses fand sich der Flensburger allein vor zween hölzernen Truhen knien. Er hatte wie im Traum die schweren Deckel mit seinen Händen, an denen der Lebenssaft getöteter Chibchakrieger klebte, zurückgeschlagen und starrte nun in die Haufen gleißenden Goldes. Da waren pure Klumpen, dann flache Muscheln mit Körnern und gelbem Staub gefüllt. Daneben Kettlein und breite Gürtel, in denen rotes und grünes plumpgeschliffenes Gestein glitzerte! Er tauchte mit den Händen hinein, wühlte darin herum wie ein Besessener, schmiß die Geschmeide hoch in die Luft, fing sie wieder und ließ funkelnde Körner durch seine Finger träufeln. Und seine Lippen murmelten: „Der Erbhof in der Heide! Wo der Ginster blüht, die Schnucken weiden und die Kolke schillern. — Mein! Alles mein!" Und er lachte wie ein Irrer dazu. Da sprang er plötzlich auf und schmetterte die Deckel der Truhen zu. An sich niederblickend, sah er, daß er mit 251
blitzenden Geschmeiden und Kettlein behängt war wie ein Hochzeiter. Er wollte alles abnehmen, doch sanken seine Finger machtlos herab. Jetzo dröhnten schwere Schritte über die Fliesen, und dazwischen klang ein schrilles Klirren, als ob Eisen auf Stein fiel. Er drehte sich jählings um und sah den Pieterken schwitzend eintreten, hinter ihm folgten der Pfannenstiel und ein Spaniol aus des Pizarros Rotten. Die drei starrten den Hauptmann an, der so wunderlich geschmückt sich auf den bloßen Flamberg lehnend, vor ihnen hielt. „Heilo!" rief der Trommler, und „Heilo!" grunzte auch der Waffenträger. Beide trugen Bündel, aus denen güldene Kettlein herfürbaumelten. Der Spaniol warf einen lüsternen Blick auf die Truhen, dann tat er etliche Schritte darauf zu. „Halt!" gebot der Jan Detlef. „Halt Bruder!" riefen die zween Deutschen wie aus einem Munde. Doch der Welsche lachte verächtlich und riß den Deckel der einen Truhe auf. Grad wollte er gierig in den flimmernden Inhalt reinlangen, da schmiß ihm der Pieterken einen irdenen Wasserkrug an die Stirn. Mit lautem Gerassel seines Panzers sank der Spaniol ohnmächtig hintenüber. Scheu um sich blickend, behängten sich die drei mit güldenen Ketten, rammten auch ihre Quersäcke voller Edelgestein. Der Flensburger aber murmelte eins übers andre: „Es ist für alle, denn es wird geteilt. Geteilt! Geteilt!" Nach Luft schnappend und mit den Augen plinkernd, kam der Welsche wieder zu sich, sprang auf die Füße und stierte umher. Der Flensburger rief: „Nimm! Es wird geteilt!" Da bückte sich jener kichernd und griff zu. Alle viere taumelten sie nachher unter schwerer Goldeslast ins Freie und trafen dorten auf den Federmann und viele deutsche Landsknechte, die wohlversehen mit Gold waren. Und plötzlich brüllte der 252
Federmann, man sollte nach Haus in die Quartiere gehen. Er hab sich geschlagen, so lange Krieger gen ihn aufstanden. Und ihnen dann ihr Gold abgenommen! Jetzo aber seien alle Mannsleut der Chibchas geflohen, nur Weibsen und Kindlein wären noch in den Häusern. Solche ermorden wolle er mitnichten! Und jeden Deutschen, der dawider sei, würde er erschlagen oder den Profosen übergeben, damit er gehänget werde. Herausfordernd sah sich der Federmann um. Obwohl etliche bedauernd die Häupter schüttelten, schrie doch männiglich Beifall. Und jetzo begann der Trompeter die Signale der Welserschen zu schmettern, und der Pieterken schlug seine Trommel, daß es dröhnte. Aus allen Türen stürzten die Bayern und Sachsen, rannten herbei und vernahmen, daß es zum Quartier zurückgehen sollte. Sie murrten und zankten, da schlug der Flensburger etliche mit der blanken Faust gen die Kinnladen, daß sie sich hinsetzten und mühsam mit blutendem Maul stotterten, sie wollten gern parieren. Die Mehrzahl aber schrie, es sei wohlgetan, sie wären keine Kinderschlächter, und wenn die Spaniolen morden wollten, so sei dies deren Sach. Also formierten sie sich und marschierten bei Trommelschlag — wohl sechzig an der Zahl — durch die hallenden, vom Feuerschein beleuchteten Gassen dem Quartier zu. Als sie sich's dorten bequem machten und alles Geschmeid auf einen Haufen warfen, damit es gerecht verteilt werden könne, jubelten die Wächter. Die Spaniolen aber, die dabei waren, ergriffen ihre Waffen und zogen in die Nacht hinaus, die vom Sausen der Flammen und vielfältigen Geschrei erfüllt war.
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Spanische Klugheit Es hatte während der Plünderung wieder stark geregnet, nachher waren die Sternlein gekommen, um durch die überall aufschlagenden und den Himmel rot färbenden Feuersbrünste schwach herabzufunkeln. Als dann die Welserschen ins Quartier zurückkehrten, begann es wieder sachte zu rieseln. Aber die Deutschen saßen gut trocken zu dichten Gruppen beisammen, in deren Mitte die Beute hügelgleich geschichtet wurde. Und es gleißte mit matter Lockung das Gold in vielgestalteter Form! Da waren Kettlein, deren einzelne wunderbar gehämmerte Glieder so dünn wie Pferdehaare schienen! Daneben solche in schwerer, massiger Wucht, in Gestalt auf Fäden aufgereihter Eilein, Würfeln und Kugeln. Spangen lagen daneben, die wie Schlänglein aussahen! Gürtel- und Sandalenschlösser aus purem Golde, mit Rubinen, Karfunkelsteinen, Smaragden und regenbogenfarbenen Opalen eingelegt. Auch gleißten rohe Klumpen und Stufen des gelben Metalls. Aus Sturmhauben und Schnappsäcken hatte man güldenen Staub und Körnlein geschüttet. Der Federmann schmiß ein Basttäschlein auf den Haufen, und daraus rollten herrliche Perlen wie gefrorene Tränen herfür. Daneben aber häuften sich kostbare Mäntel, aus den unbeschreiblich glitzernden, winzigen Federn des Kolibrivogels gefertigt. Und güldene Griffe von hölzernen Schwertern, die man einfach abgebrochen hatte. An der Wand, wo man den toten Oberpriester entfernt hatte, lehnte die güldene Sonnenscheibe, die des Flensburgers Rotten am See erbeuteten und von zwölf Kumanaleuten ins Quartier schleppen ließen. Dies sonderbare Kunstwerk war arg zerhauen und eingedellt. Die Wachen hatten erzählt, 254
daß die Spanier sich dranmachen wollten, das Symbol mit ihren Schwertern aufzuteilen, und man ihnen dieses mit Hieben hätte versalzen müssen! Es glitzerten die Schätze, und aller Augen hingen daran. Vielen aber keuchte der Atem, wenn sie, seltsam lachend, mit ihren noch vom männermordenden Streite besudelten Händen und Armen im Golde wühlten, — bis die Hauptleute ihnen solches Tun verwiesen. Der Pfannenstiel aber wurde von seinen besten Kumpanen mit derben Schlägen bedient, als ihm unversehens eine güldene Halskette wie ein fürwitziges Schlänglein aus dem Schnappsack glitt. Und sie schrien, er sei ein Betrüger, weil er noch heimlich Schätze am Leibe verborgen habe. Er gab jedoch die Hiebe, die von den erbosten Freunden auf sein Koller herabregneten, behende mit Zinsen zurück, teilte seinerseits schallende Maulschellen aus und schrie dabei, sie sollten vor ihrer eigenen Tür kehren, denn da sei Schmutzes genug. Und der Federmann befahl männiglich sich zu erheben, denn der Profos und seine Stockknechte würden nun jedweden bis auf die Haut untersuchen, ob er Goldes seinen Kameraden verbergen wolle, um so die ehrliche Teilung zu hintergehen. Auch die Hauptleute würden sich visitieren lassen! Drauf murrten etliche. Die meisten jedoch jubelten Beifall. Und als der Federmann abermals aufforderte, jeder, der noch Schätze verborgen habe, möge sie herausgeben und es würde ihm nichts geschehen — da flog noch manches Kettlein auf den Schatzhaufen. Einer zog sogar den Stiefel vom Fuß und schüttete daraus güldene Brocken, auf denen er bisher zur Qual seiner Sohlen gelaufen war. Und ein Bayer mit rotem Barte und Augen, die so blau und scharf wie Gletschereis blinkten, schüttelte sich und trat lachend vor, machte einen tiefen Bückling vor dem Scheiterhaufen 255
und nahm dabei die eiserne Sturmhaube vom Schädel. Gleich einem dichten Sprühregen hüpften die güldenen Erbsen und Eilein, die er unter dem Helm getragen, in Menge über sein Gesicht. Männiglich ergötzte sich, doch sorgten sie dafür, daß der Biedere sich splitternackt auszog. Und mißtrauische Hände schüttelten seine Hosen, das Wams und die groben Strümpfe aus, denn überall waren noch güldene Körnlein verborgen. Unterdessen durchsuchte der Profos Mann für Mann, ohne Ansehen der Person. Nachher befahl der Federmann Musterung, während der Flensburger vor dem Schatze stand, Kinn und Hände auf den schräg gestemmten Flamberg stützte und Wacht hielt. Aufs Dach rieselte der Regen, und man hörte verworrenes Getöse von draußen, wo die Spaniolen noch immer des Mordens und Plünderns oblagen. Die Namen wurden verlesen, und es fehlten viele, von denen man nicht wußte, ob sie tot seien oder draußen in der roten Regennacht herumtobten. Auch der Moncada und seine sämtlichen Spaniolen waren nicht da. Drauf ließen sich die Landsknechte wieder nieder. Viele aßen; andre würfelten oder raunten sich nächtliche Taten ins Ohr. Die Verwundeten stöhnten. An der Wand klirrten die gefesselten Heidenpfäfflein mit ihren Banden. Die Lämplein aber brannten gar trübe, und keiner vermochte zu schlafen. Und es schrien die Schwerblessierten, von denen etliche bereits mit einem Fuße im Grabe standen — daß man ihnen verstatten solle, dicht neben den Schätzen, an deren Erbeutung sie ihr redliches Teil geleistet hätten, zu liegen, damit sie Augenweide fühlten! Solches wurde ihnen erlaubt. Und es war grausig anzusehen, wie die Kerle mit ihren blutigen Verbänden, aus denen blasse Gesichter lugten, dicht neben dem gleißenden Haufen lagen, darin herumwühlten, mit 256
den Augen glotzten und Flüche, Verzweiflungsschreie oder Freudenrufe ausstießen. Und an der Wand, zwischen der verbeulten güldenen Sonnenscheibe und den flüsternden, gebundenen Priestern stand der Flensburger, auf das bloße Erbschwert gestützt, stierte vor sich hin und bewegte die Lippen in unhörbarer Rede. Plötzlich brüllte der Pieterken, da doch niemand schlafe, gedenke er zu trommeln. Zu trommeln wie noch nie zuvor! Und er würde von nun ab noch öfters trommeln. Aber es sei noch weit hin bis zu dem Tage, wo er das süße Instrument an Feindes Haupte zerschlagen würde! Männiglich hob die Köpfe, und der Flensburger runzelte unwillig die Stirn, doch kümmerte sich der Pieterken mitnichten drum, stand auf und begann auf die Trommel loszuschlagen, daß ihre Töne in dem langen, kahlen Gewölbe gewaltig hin und her schwirrten. Die Blessierten vergaßen ihr Wühlen im Golde; der Herr Federmann schaute traumverloren und beifällig nickend vor sich hin; die Chibchapriester jedoch duckten sich eng gen die Wand. „Als wir durch die Heimat zogen!" rief der Pieterken und wirbelte mit den Stöcklein gar langsam und fürsichtig los. Und es war wie das Rauschen der Eichen im Walde; wie das mutwillige Hüpfen der klaren Quellen! Als er stärker schlug, wurden Glockenklänge draus, die über trutzhafte Städte, blaue Flüsse und braune Äcker schwebten! Und als er noch stärker schlug, war's wie das Poltern von Rosseshufen und klirrender Schritt von Gewappneten. Jetzo brach der Pieterken ab, und ein Seufzer schwirrte durch die vom Gleißen der Schätze durchbohrte Dunkelheit. Einer der Verwundeten, ein Mann aus dem bayrischen Walde, hatte den Geist aufgegeben. Er lag auf dem Rücken, in jeder Hand 257
hielt er ein güldenes Kettlein, und lächelnd schaute er mit gebrochenen Augen gen die gewölbte Decke. „Der ist glücklich, denn er starb mit der Seele in der Heimat und voller guter Gedanken, welche die Trommel ihm zauberte!" sagte der mit dem Eisenbein und fuhr fort: „Das Meer!" Gar sänftiglich berührten die Schlögel das Kalbfell, und es war wie Wellenmurmeln. — Der Flensburger dachte, er sei auf schwankem Bretterboden, und vor ihm ruhe, schimmernd vom Gischt umspielt, die rote türmende Insel Helgoland, welche unsere Alten Forsetiland nannten. Jetzo aber brüllte die Trommel wie der Sturm bei den Canaren und wie das Dröhnen der wandernden Riesenwogen, die in unaufhörlichen Meuten, gleich Kriegern mit Silberschilden, gen dunkle Schiffswände anrennen! Und dann trommelte der Pieterken lieblich. Hauchfein! Es war wie das Flüstern der Tropenseen! Den Flensburger packte eine unwiderstehliche Sehnsucht, gradaus zu schreiten, über Berg und Grat, Llano und Sumpf, durch Urwald und Lianenwildnis bis an den gelben Streif der Küste, wo blanke Wellen spielend emporlecken. „Und was ich jetzo trommle, das mag jeder selbst erraten!" lachte der Pieterken wild, und er schlug in abgehackten Intervallen auf das Kalbfell los. Es schien, als ob eine tiefe Traurigkeit in das Quartier der Welserleute Einzug halte. Es war, wie wenn düstere Schatten sich über die glitzernden Schätze legten. Und die Zuhörer vergaßen schier das Atmen. Der Pieterken trommelte weiter. Da schrie eine zornige Stimme: „Willst du uns nun, nachdem wir Goldes in Fülle besitzen und reich nach Haus fahren werden, die Freude vergällen? Denn dein Getrommel klingt grad wie ein Trauermarsch!" 258
Der Pieterken ließ die Schlögel sinken, und es war ganz still, als er antwortete: „Ein Totenmarsch sollt's auch sein. Denn keiner von uns wird die Heimat wiedersehen. — Ein Wahrsagerweib hat mir's verkündet. Und lustig pfiffen die Stare dabei!" „Hol dich der Böse mit deinen üblen Weissagungen, Trommler!" schrie einer, griff mit zween Händen in die Goldkörner und schmiß sie gen die Decke, daß ein funkelnder Regen prasselnd zurückstob. „Hoho!" lachte ein anderer. „Hoho, der Pieterken hat jenen, der dort verendet neben den Schätzen ruht und so froh lächelt, als sei der Tod ein Geschenk — das letzte Geleit getrommelt. Uns aber mitnichten. Wir werden leben!" Worauf der mit dem Eisenbein sich den Schweiß von der Stirn wischte und murmelte: „Ja, so war's!" Seine Stimme gewann an Kraft, als er rief: „Schau einer auf den Hof hinaus. Mich dünkt's, es sei Morgen geworden. Und Getöse wie von kämpfenden Rotten wälzt sich auf uns zu!" Der dürre Profos war bei den ersten Worten an die Tür geeilt und lief jetzo brüllend zurück. „Tag ist's! Grau ist er, und es regnet. Und Kampfeslärm kommt näher!' Männiglich sprang empor und griff nach den Waffen. Da lagen nur noch die Blessierten mit den roten Fieberrosen auf den weißen Backen und der Tote, in dessen gespreizten Fingern die gelben Kettlein gleißten, neben dem Schatze. Die gefesselten Priester in ihren zerfetzten Federmänteln huben an, eifrig zu flüstern. Jetzo drang's mit Geklirr und Geschrei in den Hof, und die spanischen Rotten des Pizarro und des Quesada rannten durch den sacht rieselnden Regen. Sie waren aber derart mit güldenen Geschmeiden und Bündeln, aus denen Goldes quoll, beladen, daß sie hin und her wankten. Brüllend und fluchend drängten sie sich herein. 259
Schleudersteine und Chibchaspeere schwirrten über die Mauer und drangen in den ungepflasterten Boden. Und man hörte den Prall von Schwertern und Tartschen. „Stellt die Musketiere parat, denn die Heidenhunde folgen uns in großer Überzahl auf den Fersen! Beeilt euch doch, ihr deutschen Tölpel!" schrie der Pizarro, der nebst dem dürren Quesada und dem geschmeidigen Moncada heranlief. Der Federmann trat vor. „Und wenn es nicht Christenpflicht wär, euch beizustehen, so solltet ihr die deutschen Tölpel schwer im Magen spüren, Herr Ritter!" schrie er zornentbrannt, und der Moncada, der so mit güldenem Kram behängt war, daß er wie ein heidnischer Gott aussah, lachte gar lustig. Jetzo stellten sich die Musketiere auf, legten die Donnerschlünde in die Zielgabeln und harrten der Dinge. Neben ihnen standen etliche Schwertfechter, die aber die Eisenhauben abgenommen hatten und darin die glosenden Lunten ihrer Kumpane vor dem Regen hüteten. Mehr und mehr Spanier torkelten und quetschten sich zur Toröffnung herein, und es waren viele dabei, die zu vieren und zu Sechsen schwere Truhen über ihre Spieße gelegt schleppten. Aus den halbzugeklemmten Deckeln hingen die Geschmeide heraus. Und manchem Deutschen wurde neidvoll bewußt, daß die Welschen im Schätzeklauben und Plündern den Vogel abgeschossen hatten! Es mochte aber das unschuldige Blut vieler Frauen und Kindlein daran kleben! Jetzo kamen die Nachzügler, unter den Tartschen geduckt, weil Speere und Steine drauf niederprasselten. Draußen aber gellte furchtbares Wutgeschrei zum hellgewordenen Himmel. Und nun drangen die Chibchas durchs Tor. Es waren Bürger und Krieger kunterbunt durcheinander. Alle schwangen Waffen, und ihre Gesichter glichen Teufelsfratzen. Donnernd knallten die Musketenschlünde los, und da es ein gutes 260
Ziel war, trafen alle Geschosse und schmissen die Chibchas gleich Püpplein über den Haufen. Ein ungeheures Stöhnen kam von draußen, und neue wutentstellte Chibchas drangen wie der Sturmwind herein. Jetzo schwirrten und sangen die Sehnen der Arkebusen, und während sie tödliche Bolzen in die Leiber der Heiden sandten, luden die Musketiere mit fieberhafter Eile und erhielten auch Zuschub von den Welschen. Es waren aber viele unter den letzteren, die in zu großer Gier, schwere Schätze zu erraffen, ihr Gewaffen in den Häusern der Chibchas gelassen hatten, um dafür mehr Goldes schleppen zu können. Auf diese Schmachvollen schalten die Hauptleute zornig und gaben ihnen Maulschellen mit den Eisenhandschuhen, daß sie hin und her taumelten. Dem Jan Detlef aber schrie der Federmann zu: „Hüt mir die Beute vor den Klauen der Welschen!" Und groß und breit, den Flamberg über der Schulter, war jener zurück ins Haus gegangen, um sich vor dem gleißenden Haufen, wo der Gestorbene und die blutenden Blessierten lagen, drohend aufzustellen. Neben ihm hielt der Pieterken. Er hatte den Dolch ins Maul geklemmt, blitzte mit den Augen und bearbeitete die Trommel, um die Seinen draußen gegen den Ansturm der Heiden zu stärken. Die Hauptmasse der Spanier war ins Haus gelaufen, sie warfen ihre Schatzlast auf den Boden, blieben aber dabei stehen und betrachteten einander mißtrauisch wie Hunde, die um einen Knochen streiten möchten. Draußen knallte eine neue Musketensalve los. Gestöhn und Röcheln folgte. Durch das eingetretene kurze Schweigen klang die Stimme eines Spaniers, der außer den Kettlein und Gürteln, mit denen er seinen verbeulten Brustpanzer behangen, keine Beute mitgebracht hatte. „Santa Maria! Lugt Kameraden, was der lange Deutsche für Schätze bewacht! 261
Die güldene Sonnenscheibe ist allein fünf Meierhöfe in der Mancha wert! — Wohlan, der Kerl scheint taub zu sein und versteht unsere Sprache nicht — laßt uns ihm daher alles abnehmen. Adelante! Vorwärts!" Er machte einige Schritte auf den Flensburger zu; etliche seiner Kumpane folgten zögernd. Da rief ihnen der Hauptmann sacht entgegen: „Bleibet stehen und vergreift euch nicht an dem, was allen gehören soll!" Der Welsche lachte: „Allen? Mich dünkt, daß es dem gehört, der am stärksten ist. Wir sind unser achte!" — Er schaute sich um und zählte diejenigen, die ihm gefolgt waren. „Und ihr seid zween. Und der eine ist nur ein halber Mann, hoho!" Der Flensburger stand nach wie vor auf dem Flamberg gestützt, mit gespreizten Beinen, zwischen denen der lächelnde Tote lag. „Höre Piet! Der zwergenhafte Welsche nennt dich einen halben Mann und will unsere Schätze rauben !" sagte er dem Trommler. Der nahm den Dolch aus den Zähnen, stierte um sich und grunzte: „Wer? Etwa der Kleine dort mit der geknickten Hahnenfeder am Helm ? — Den will ich kurieren, mag's Gott!" Inzwischen war der Spanier auf den gleißenden Haufen zugeschritten, zog halb das Schwert aus der Lederscheide und stieß mit der Fußspitze eine Schildkrottenschale voller Goldkörner um. Plötzlich holte der Pieterken aus, und der Dolch schwirrte wie ein leuchtender Blitz in des Welschen Gurgel. Der griff mit den Händen herum, ungeheures Staunen drückte sich auf seinem Antlitz aus, dann brach er wie vom Blitze getroffen hintenüber zusammen, mitten in den Schatzhaufen, daß die güldenen Gefäße klirrten. „Sankt Jago!" brüllten die andern Spaniolen und zogen blank. Der Pieterken lachte unhold, schlug einen Wirbel auf 262
der Trommel, zog sein Kurzschwert und sah voller Freude zu, wie sein Herr den Flamberg lüpfte. „He, was Teufels geschieht hier?" fragte eine harte Stimme, und der Flensburger sah den Pizarro und alle die andern vor sich, weil sie den Angriff der Chibchas abgeschlagen und eine Wache am Tore zurückgelassen hatten. „Schelme!" antwortete der Jan Detlef und stützte sich wieder auf das Erbschwert. Jetzo sprudelte der Pieterken heraus, daß der Spaniol sich am Golde vergreifen wollte und er ihn deshalb getötet habe. Und was man meine — ob nicht allen Goldes, auch das der Spaniolen, zu Haufen geschüttet werden müßte, damit es ehrlich unter männiglich verteilt werde ? Denn so hab er's, der Pieterken aus Flensburg im Lande Schleswig, verstanden, als es am See der Chibchas ausgemacht wurde. Er kapiere Spanisch genug! Jubelnd zollten die Welserschen, die der halb spanisch, halb deutsch gehaltenen Red gefolgt waren, Beifall. Die Welschen aber brummten. Jetzo sprang der Moncada hervor, und er redete genau wie der Pieterken in beiden Sprachen, auf daß alle es verstünden. Man solle nicht dumm sein! Und das Fell teilen, ehe der Bär auch wirklich tot sei! Denn draußen, jenseits der Mauer, höre man sein Brüllen und Zähneknirschen! Im selben Augenblick donnerte im Hof eine Musketensalve los und Schleudersteine prasselten aufs Dach wie grober Hagel. „Seht ihr ? Hört ihr ?" schrie der listige Moncada und fuhr fort, man solle sich einig halten und dann würde man wirklich Schätze gewinnen, die der Teilung wert seien. Jetzo habe man nur Kinderkram erbeutet, und es sei für einen zu viel, aber für alle zu wenig. Man solle doch an die Bergwerke der Chibchas und die geheimen Schatzkammern denken! Denn bis jetzo habe man nur Leichen geplündert 263
und einige Köfferlein in leeren Häusern aufgeschlagen. Man solle sich nicht durch etlichen Goldes die Augen verblenden lassen. — Denn gewiß hätten die Chibchas Schätze in Fülle, so daß jeder Soldknecht zu schleppen habe nach der Verteilung! Der Moncada schwieg, und männiglich zollte ihm Beifall, während draußen die Schleudersteine niederprasselten. Und er winkte dem Costa, wie auch den Führern vom Entleinsee, näher an die Wand zu treten, wo die Chibchageiseln angekettet waren. Es war ein neuer Gefangener dabei, der einen stolzen Federhelm trug und ein großer Herr bei den Heiden sein mußte. Etliche Knechte hatten ihn in der Nacht gefangen! Der Moncada sagte mit vieldeutendem Augenzwinkern zu den Dolmetschern, sie möchten seine Rede dem Heiden mit dem Federhelm erklären. Drauf begannen die Dolmetscher, seine Worte gemach zu übertragen, und der im Federhelm fing sachte an zu schmunzeln, während die Priester böse Gesichter schnitten. Ein paarmal sagte einer von diesen etwas zu dem im Federhelm, dessen Name Kapanko war, doch zuckte der nur verächtlich die Achseln. Der Moncada aber tat ihm mit Beistimmung der verbündeten Hauptleute folgendes kund: man wolle ihm die Herrschaft über Volk und Priesterschaft geben, wenn er Sorge dafür trage, daß jedweder bewaffneter Widerstand aufhöre, das Volk seiner Arbeit nachginge und den Verbündeten täglich reichlich Feldfrüchte wie auch Fleisch zur Atzung liefere! Frohlockend sagte der Kapanko, er könne solches versprechen, denn sein Einfluß als Oberster der Krieger, die von jeher den Priestern nicht grün waren, sei groß genug. Er ließ aber die Unterlippe hangen, als der spanische Ritter ihm lächelnd erklären ließ, er freue sich über seine Willigkeit und gute Art, dennoch sei mitnichten Genüge geschehen. 264
Drum verlangten die Verbündeten, daß der Kapanko und eine Anzahl andrer Edler, die mit ihm das Regieren besorgen sollten, als Geiseln dablieben. Und jeder Erlaß, den sie dem Volke kundtäten, sei erst in allen Stücken von den Verbündeten zu prüfen. Falls Verrat vorkäme, würde man sich zuerst an den Kapanko und seine Freunde halten. Machten sie aber ihre Sache gut, und das Volk bliebe lenksam, so könne man in Erwägung ziehen, der Regierung etwas mehr Freiheit zu gewähren; jedoch immer unter der Oberhoheit eines Statthalters, der des Kaisers Majestät verkörpere! Der Chibcha wurde mißmutig, und die Priester, die gespannt gelauscht hatten, lachten höhnisch. Lauernd schaute der Moncada in die Runde. Es standen da der Federmann und der Flensburger, dann der Pizarro und der Quesada. Der eine strich sich den Bart; jener kratzte sich am Ohr; ein andrer wieder hatte die Arme verschränkt und runzelte die Stirn — jeder tat, was seine Eigenart war, wenn er scharf nachzudenken hatte. Der Schatzhaufen glitzerte im grau durch die Tür hereinquellenden Tageslicht, und im Hintergrunde standen oder hockten die Kriegsknechte, deren Augen begehrlich aus ihren roten Gesichtern funkelten. Jetzo neigte der Chibcha das Haupt zum Einverständnis. Der Pizarro aber rief vorwurfsvoll dem Moncada zu: „Und das Gold, Bruder ? Willst du den Heiden ihre Schätze lassen?" Da lächelte der andre und meinte: „Gemach, gemach, Gonzalo Pizarro! Ich habe unter dem Cortez und deinem Bruder, dem Franziskus, gelernt, man soll ein Ding nie zu plump anfassen. Hab keine Bange, die Chibchas werden bezahlen!" Und dem Kapanko ließ er sagen, daß die Bedingungen der Verbündeten erst dann gültig wären, wenn die Chibchas ihre gesamten Schätze an Gold und Edelgestein auslieferten. Und zwar solle alles im Hofe auf einen 265
Haufen zusammengetragen werden. Je schneller der Haufen beisammen wäre und je größer er ausfalle, desto geneigter wären die Eroberer dem besiegten Volke! Der Chibcha wollte aufbrausen, indem er stolz sagte, daß sein Volk mitnichten besiegt sei, wenn es auch gewaltige Verluste erlitten habe. Aber noch wären es Tausende und aber Tausende gegen die geringe Anzahl der Weißen! Lächelnd fragte der Moncada, ob jener etwa glaube, daß die Chibchas mit ihren kindlichen Waffen gen die Schwerter und Panzer der Eroberer ankämen? Und fragte weiter, ob er jemals etwas vom Reiche der Azteken und vom Reiche der Inkas gehört habe? Der Kapanko erwiderte, daß er die Azteken mitnichten kenne. Wohl aber die Inkas, denn mit denen hätten sie in Verbindung gestanden. Da sagte der Spanier: „Nun, da wisset ihr also darüber Bescheid, ob den Inkas ihre Abertausende geholfen haben, gen den Franziskus Pizarro und seine Eisenkerle aufzukommen! Wo ist der Atahuallpa? Wo die Sonnenpriester und wo die Leibwachen und Speerträger des Herrschers ? Tot sind alle. Oder in die vier Winde zerstreut, irren sie in der Sierra herum!" Der Federmann rief dem Moncada noch zu, er solle auch ausmachen, daß sämtliche Waffen abgeliefert und im Hofe geschichtet würden. Denn nur so könne man bei der großen Anzahl der Chibchas sicher gen Verrat und üble Tücke sein! Männiglich sagte, dies sei recht. Aber der Kapanko war sehr wütend und meinte, es wäre eine große Schmach, die er mitnichten seinem Volk antun wolle. Einer der Priester, der aufmerksam den Verhandlungen gefolgt war, meldete sich zu Worte, und der Dolmetscher tat seinen Wunsch kund. Er wolle, falls der Kapanko den Vertrag verschmähe, an dessen Stelle für Ruhe und all266
gemeine Entwaffnung sorgen, wenn man der Priesterschaft wieder die Oberhoheit anvertraue. Kaum hatte der Dolmetsch alles gesagt, da sprang aus den Reihen der Pizarroschen der schwarzgekleidete Feldkaplan herfür und zeterte, daß er solches mitnichten leiden könne. Man solle alle Baalspriester verbrennen oder Hauptes kürzer machen, das Chibchavolk aber insgesamt taufen und dem Schoße der alleinseligmachenden Kirche zuführen. Und die sich weigerten im heidnischen Stumpfsinn, solle man derbe stäupen, und falls das nicht helfe, jeden zehnten Mann unter ihnen in Ketten schmeißen. Auch solle das ganze Volk den Götzentempel niederreißen und aus den Steinen eine Kapelle zur Gloria der heiligen Mutter erbauen! Schnaufend schwieg der dürre Kuttenträger und reckte den Chibchapriestern sein Kruzifix entgegen. Der Pizarro aber packte den Mann hart an der schwarzen Kutte an und sagte ihm, er solle sich scheren und sein Sprüchlein aufbewahren, bis es an der Zeit wär. Jetzo gab der Kapanko, der seinen plötzlich aufgetauchten Rivalen haßvoll betrachtet hatte, zu verstehen, er beuge sich dem Spruche der Eroberer. Und sie sollten ihn vor die Türe lassen, damit er den Seinen zurufen könne, daß sie abzögen und ihm vorher bunte, gewachste Schnüre brächten, damit er einen Kippu knüpfe. Auf die Frage des Federmanns erklärte der Mon-ada, daß ein Kippu ein Brief sei, der aus lauter bunten Schnüren und Knoten zusammengesetzt wäre und worin jeder Knoten seine Bedeutung habe. Auch sagte er, daß es gewiß klüger wär, dem Volk den Willen der Eroberer auf solche Weise kundzutun, als ihn gröblich durch Dolmetscher ausschreien zu lassen. Und man solle sich beeilen, denn er habe nun fast vierundzwanzig Stunden ohne Unterbrechung gefochten und sei müde. Für sein Teil wolle er 267
jetzo lang liegen und schlafen. Sie sollten aber gut aufpassen und den Kapanko ja nicht seiner Fesseln entledigen! Die gefangenen Baalspfäfflein aber rate er totzuschlagen, denn sie wären zu nichts nütze, und durch solche Tat mache man sich wahrscheinlich die Kriegerkaste der Chibchas geneigt! Sprach's, sank rasselnd zu Boden, daß sein Kopf auf einem bunten Federmantel zu ruhen kam, und schlief ein, nachdem er noch seinem Diego befohlen hatte, er solle den güldenen Plunder bewachen. Es zog auch gleich einer der Spanier blank und ging auf die sich duckenden Priester zu, um sie zu metzgen, doch schmiß ihn ein Stoß des Federmann fünf Ellen weit gen die Wand. Grollend sagte der Hauptmann, daß er mitnichten den Götzendienern das Wort rede, doch ließe er's nicht zu, daß sie gleich Säulein abgestochen würden. Solches Tun sei mitnichten Kriegerart! Die Deutschen brummten Beifall, auch der Quesada neigte das Haupt. Der Pizarro aber schnitt eine höhnische Fratze und fragte laut, wieviel Goldes der Federmann von den Heiden für die Errettung ihrer Gurgel bekäme? Flugs sprang der Feldkaplan wieder aus den Reihen und schalt den deutschen Hauptmann einen Satansbastard; und alle Deutschen seien Ketzer und Majestätsverbrecher, denen die heilige Inquisition erst ein Feuerlein anzünden müsse, um sie brav zu machen! Der Pieterken, der gut Spanisch verstand, sagte seinen Kumpanen, wie der welsche Pfaffe ihren Hauptmann und sie selber heruntermachte. Murrend legten die ihre Fäuste an Dolch und Schwertknäufe. Der Federmann richtete sich empor und sagte dem Pizarro, er solle seine Worte zurücknehmen, sonst würde er sie ihm in die Gurgel zurückstoßen. Und was seinen Prediger anbelange, so gehöre er wohl zu der Meute der Bettel- und Ablaßmönche, wie sie in Deutschland die Säumer268
pfade unsicher machten. Denn er habe genau so wenig Lebensart wie diese! Der Pizarro rollte mit den Augen, indes sein Pfaffe vor Zorn hustete. Die Federmannschen und die Pizarroschen begannen schon blank zu ziehen, um aufeinander loszudreschen. Den Chibchas strahlte Schadenfreude aus den dunklen Augen, indes der Queseda laut lachend den Seinen befahl zurückzutreten und jene kämpfen zu lassen, denn um so größer sei die Aussicht für sie, wenn sie Zuschauer blieben, daß ihnen nachher die Schätze zufielen. Da sprang der Moncada, den alle im tiefen Erschöpfungsschlaf wähnten, wie der Blitz empor und begann so wütend und geschwind zu schelten und zu toben, daß aller Zorn verrauchte und diejenigen, die sich eben noch die Köpfe einschlagen wollten, sich jetzo breit und verlegen angrinsten. Der Pizarro reichte dem Federmann die Rechte, die dieser derb schüttelte. Der Moncada legte sich wieder hin und schnarchte, nachdem er noch männiglich gebeten, sie sollten mit dem Dreinschlagen warten, bis er ausgeschlafen habe. Jeden, der ihn vorher störe, lade er auf Stoß, Hieb und Stich ein. Jetzo ward der Kapanko, der eiserne Handschellen sowie eine große, rostige Kugel, die der Profos ihm angeschnallt, am Bein trug, in den Hof geführt. Aus einem Loch, das sich fröhlich im grauen Himmel öffnete, strahlte die Sonne herab, und der feuchte Hof begann zu dampfen. Vor dem Tor nach der Straße standen die Wachen mit Schwertern, Arkebusen, Donnerschlünden und Spießen in dreifacher Gliederung. Die Nässe der Nacht hatte ihre Brustpanzer und Sturmhauben mit einer frischen, roten Rostschicht bedeckt. Hinter der Mauer toste das Volk. Einzelne Schreie durchschnitten gellend den dumpfen Lärm. Ab und zu kam ein Speerlein oder eine Schleuderkeule im Bogen geflogen. 269
Steine zerbarsten krachend an den Hauswänden. Da stieß der Kapanko dreimal einen hallenden Ruf aus, und drüben wurde es still. Ein paar braune Gestalten lugten um die Ecke in den Hof hinein, und wie sie den im Federhelm sahen und er ihnen zurief, kam einer furchtlos und aufrecht einhergegangen. Drauf begannen sie zu parlieren, und die Dolmetscher spitzten ihre Ohren, falls Verrat beredet wurde. Mit tiefem Bückling verschwand der Sendbote, und man hörte ihn drüben hinter der Mauer reden und schreien, und die Chibchas stöhnten und jammerten. Etliche aber schienen erbost zu fluchen. Einer der wachhabenden Knechte sagte dem andern, daß die argen Heiden abzögen. Und richtig hörte man, wie sich die Massen durch die Straßen wälzten und entfernten. Schließlich war's ganz still, denn jene waren wirklich abgezogen. Nach einer Weile blies draußen ein Muschelhorn, und eine Prozession von sieben Chibchas, die alle der Kriegerkaste angehörten und ihre Waffen trugen, bewegte sich in den Hof. Der Kapanko sagte, dies wären seine Freunde, die an der Regierung teilhaben sollten, und sie brächten auch gleich Schnüre zum Knüpfen der Kippus mit. Zuerst warfen die sieben ihre Speere, Keulen und Holzschwerter in die Ecke des Hofes und ließen sich dann ins Quartier geleiten, wo die Götzenpriester sie mit düstern Mienen anstarrten. Der Kapanko hockte sich flugs hin und begann, vielerlei Knoten in die ihm mitgebrachten Schnüre zu knüpfen. Es waren solche von roter, grüner, gelber, blauer, schwarzer und auch weißer Farbe, und alle hatten sie eine Schicht Wachs als Überzug. Während die Hände des Chibchas den Kippu mit einer Botschaft ans Volk herstellten, redeten seine Lippen unentwegt. Die Gesichter der sieben wurden erst traurig, auch böse, doch dann blickten sie freu270
dig, und zum Schluß waren sie wie aus Stein gemeißelt, so glatt und ausdruckslos. Die Priester jedoch an der Wand schäumten vor Wut! Es war indessen hoher Mittag geworden, und jene Landsknechte, welche nicht schliefen, weil Golddurst oder Wachtdienst sie wach ließen, begannen zu brummen, daß ihnen der Hunger in den Gedärmen rumore. Bald drauf stellten sich Chibchafrauen und Jünglinge ein, die Körbe mit Lebensmitteln heranschleppten; auch ganze Ziegen und Lämmer, die in der Haut am Spieße gebraten waren. Etliche galante Landsknechte griffen den Weibsen unters Kinn und begannen ihnen schön zu tun, was sich auch viele sonder Abwehr gerne gefallen ließen. Etliche aber kratzten und bissen wie wilde Maushunde, fuhren den Knechten an Bart und Gurgel, bis die Hauptleute einschritten und dem Unfug ein Ende bereiteten. Jetzo kam eine der Torwachen gegangen und fragte, was zu tun sei. Draußen ständen Chibchas und brüllten unverständliche Worte! Da lief der Flensburger mit den Dolmetschern hinaus, um das Begehr der Heiden zu erfragen. Hinter ihm drein schritt der Trommlerpiet, und er hatte den Dolch im Maule und schaute kriegerisch aus, denn er wollte Eindruck bei den Chibchas erwecken, damit ihnen die Lust am Verrat vergehe. Vor dem Tore stellte sich der Flensburger mit bloßem Flamberg auf, und neben ihm hielt der Trommler. So standen sie gleich zween Türmen und harrten der Heiden, von denen jetzo dreie auf sie zukamen. Durch den Mund des Dolmetschers taten sie dem Hauptmann kund, daß das Volk auf den Kippu des Kapanko warte. Denn es sei bang, was noch geschehen solle. Im Notfall aber würden sie kämpfen bis zum letzten Knaben, der einen Speer lüpfen könne! Aus der dichten Volksmenge, die in einigem Abstand hielt, 271
schallten Schreie. Welche waren drohend, aus andern aber klang Fröhlichkeit. Und wie der Hauptmann die Dolmetscher fragte, was jene kundgäben, wurde ihm zur Antwort: ein Teil schreie, man solle den gefangenen Priestern kein Haar krümmen, sonst würde nicht ein einziger der Fremden lebend aus dem Chibchareiche entkommen. Die andern jedoch lachten jene aus und forderten, man solle die Priester im See ersäufen, denn lange genug hätten sie das Volk verdummt und zum Narren gehalten! Wie der Flensburger dies vernahm, freute er sich, weil er im Zwist der Chibchas Vorteil für die Seinen ersah. Und er ließ den Abgesandten sagen, sie sollten Geduld üben, der Kapanko sei in Bälde fertig, und dann würden sie den Kippu kriegen. Mit dieser Antwort zogen die Gesandten ab, und das Volk verschwand murmelnd in den Gassen. Am andern Morgen, nachdem auch die Wachen abgelöst und wohlausgeruht waren, übergab der Kapanko den fertigen Kippu, der aus einem ganzen Bündel bunter, knotenbedeckter Schnüre bestand. Drei von den sieben wurden damit betraut, die Botschaft dem Volke zu übermitteln und zu erklären. Flugs brachen diese auf, indes die andern, und mit ihnen der Kapanko, sich in eine Ecke hinter die Leiber trutziger Landsknechte zurückziehen mußten. Vor dem Schatzhaufen der Deutschen saßen alle Hauptleute beisammen und hielten guten Umtrunk. Die Chibchas hatten nämlich etliche große Tonamphoren gebracht, in welchen ein aus gegorenen Wurzeln hergestellter Wein schäumte. Ein paarmal hub der Federmann davon an, daß die Spaniolen doch nunmehr endlich ihre Beute auf den Schatzhaufen schmeißen sollten. Denn so wär's ausgemacht und beim Kreuze beschworen! Der freundliche, gern lachende Quesada sagte, er würde 272
es tun und auch seinen Leuten anbefehlen — falls der Gonzalo Pizarro mit gutem Beispiel voranginge! Der Pizarro jedoch strich seinen Bart und erwiderte ausweichend, man solle erst noch harren, bis mehr Schätze zusammen wären. Jetzo wollten er und die Seinen noch ein wenig ihren güldenen Plunder behalten, um ihn streicheln zu können. Denn es gebe nichts Schöneres, als gleißendes, kühles Gold mit den Fingern zu liebkosen. Für ihn sei selbst die Minne der lieblichsten Kebse nichts dagegen! — Während der Pizarro dies vorbrachte, glitzerten seine Augen, und mit den knochigen Händen fuhr er sachte über die schweren Kettlein, die er in der Nacht erbeutet und nun um den Hals gehängt hatte. Der Moncada fing an zu lachen: „Du willst wohl so often drüber streichen, bis alles Gold an deinen Pfoten haften bleibt, damit du's in Hose und Schnappsack stecken kannst zum Schaden deiner Verbündeten, die an ehrliche Teilung glauben!" Wütend schnaufte der Gonzalo: „Wenn du nicht der Mon-ada wärst, so würd ich dir Stahl zu kosten geben!" Der aber lachte zurück: „Und wenn ich nicht allen schuldigen Respekt vor deinem Bruder und meinem früheren Obristen Franziskus Pizarro, der ein Kerl war, hätte — so würde ich dir hinter die Löffel schlagen!" Drauf spie der Gonzalo dem Moncada ins Gesicht. Dieser sagte nur eiskalt: „Ihr wißt, was das bedeutet? —Findet Euch in einer Stunde von jetzo im Hofe bereit, ich werde auf Euch warten. Und nehmt die Stoßklinge mit!" Beide erhoben sich, verbeugten sich voreinander, machten Kratzfüße und gingen gleich stolzen Hähnen jeder nach einer andern Richtung ins Gewühl der Landsknechte. Der Federmann rang die Hände in stiller Verzweiflung, indes der Quesada von Herzen lachte. 273
Der Moncada hatte den Flensburger beiseit gewunken und raunte ihm zu: „Falls der grobe Wicht mich töten sollte — er ist ein geschickter Fechter —, so rufet alle Eure Knechte zusammen und haltet guten Lugaus, vermengt Euch auch mitnichten im Gewühl der andern. Denn jene würden gemeinsam über Euch herfallen, um zu versuchen, Euch umzubringen." Nach Ablauf einer bestimmten Zeit traten die beiden Kämpen im leichten Wams, mit den Stoßdegen gerüstet, im Hofe an. Der Federmann gab ein Zeichen, er werde den, der nicht ehrlich fechte, den Schädel spalten. Darauf fielen sie gegeneinander aus. Und es begann ein wundersames Fechten, daß männiglich mit Vergnügen zuschaute. Die beiden Gegner hüpften leichtfüßig hin und her, ihre Degenspitzen zuckten leuchtend auf und nieder, vor- und rückwärts, oder stießen klirrend zusammen. Die Wachen am Tor hatten sich umgedreht, um den behenden Kampf mit den Augen zu verfolgen. Alles schaute nur auf die Fechter. Der Moncada schwitzte stark. Sein Gesicht war der Toröffnung zugedreht. Und die Zuschauer merkten plötzlich, daß er zusammenzuckte. Mit geschicktem Querhieb drängte er die seine Kehle bedräuende Degenspitze beiseite und rief gleichzeitig: „Caballeros, habt ihr am Ende die Chibchas eingeladen ?" Ohne ein weiteres Wort lief er dem Tore zu, wo eben eine Schar von etwa fünfzig, stumm ihre Waffen schwingenden Chibchas eindrangen und über den Hof sprangen, während von draußen andere gleich einer Woge nachpreßten. Hoi! da griffen die saumseligen Wächter nach ihren Waffen, indes die Zuschauer ins Haus rannten, um ihre Schwerter zu holen. Der Moncada hatte schon mit leichten kurzen Stichen drei der Chibchas getötet, als ein ungefüges Holzschwert ihm die Klinge aus der Hand riß. Braune Hände 274
packten ihn, um ihn triumphierend der Gasse zuzuziehen, als ihm der Pizarro Luft machte und ihn herausholte. Der Ritter bückte sich, nahm seinen Degen auf und schüttelte dann die Rechte des Pizarro. Drauf umarmten sich die beiden Herrn im dichten Schleuderstein und Speerhagel. Die überlegenen Waffen der Landsknechte säuberten rasch den Hof. Diejenigen der Eingedrungenen, die nicht tot oder sterbend auf dem Sande lagen, waren ins Freie hinaus entkommen. Jetzo dröhnten die Donnerbüchsen und schwirrten die Arkebusensehnen. Der Angriff der Chibchas brach zusammen, und dann vernahm männiglich staunend, daß in den hintern Gassen Getümmel laut ward, Geschrei erschallte, und es schien, als ob unter den Heiden ein Kampf ausgebrochen wäre. Man sah auch die Angreifer eilends davonlaufen. Ein Priester, der sie geführt hatte, ergriff als erster das Hasenpanier. Immer näher kam das Getümmel. Bald vernahm man den Schrei: „Kapanko! Kapanko!", und nun wiegte der Moncada verständnisvoll das Haupt. „Die Chibchas sind unser! Sie können keinen Kampf mehr wagen, weil ihnen der Teufel einige Saatkörnlein, welche bereits aufgegangen sind, zwischen die eigenen Reihen gelegt hat. Jene, die uns eben angriffen, waren die Anhänger der Priester. Sie wurden zu Paaren getrieben von den Leuten des Kapanko. Nun, da die Chibchas sich selbst schon einander in der Wolle liegen, sind sie in unsrer Hand, wenn wir es nur verstehen, sie heimlich aufeinanderzuhetzen. Denn dann werden wir immer Spione in beiden Lagern haben, die uns unaufgefordert und freiwillig alles Wissenswerte erzählen. — Solches herbeizuführen und auszunutzen, nennt man die edle Kunst der Diplomatia, und ist sie am spanischen Hofe zu höchster Blüte gebracht worden!" Der Pizarro lachte: „Bruderherz, du bist ein Teufelskerl, 275
und ich bin froh, daß meine Degenspitze vorhin nicht den Weg zu deiner Gurgel fand!" Der Moncada verbeugte sich, dann verlangte er mit harter Stimme, daß die pflichtvergessenen Wächter sofort abgelöst und vom Profosen und dessen Gehilfen Stockprügel erhalten sollten. Solches geschah. Und der Profos schlug so derbe, daß die Bestraften schrien! Unterdessen wälzte sich Gebrause näher, und die Hauptleute ließen den Kapanko und seine fünf Freunde holen. Gleich drauf zog auch eine Abteilung Chibchas mit grünen Zweigen in den Händen zum Tore herein. Sie warfen sich platt vor dem Kapanko, dessen Federhelm arg zerzaust war, auf den Boden und stimmten eine Art Gesang an. Der Kapanko, der kein übel aussehender Bursche war, reckte sich höher, seine Augen blitzten, und er schien zu wachsen. Vom Himmel schüttete wieder Regen, und ein hohler Wind strich traurig summend durch die Gassen. Der Kapanko bedeutete den Chibchas, die ihm huldigten, sich zu erheben. Alles flüchtete nun vor dem herabstürzenden Wasser in die Häuser, wo die Landsknechte johlend beim Würfeln saßen, indes der Kaplan herumlief und ihnen solch sündhaftes Tun untersagte; denn es koste zehntausend Jahre Fegefeuer. Um den Kapanko und die Gesandten sammelten sich die Anführer und lauschten seiner verdolmetschten Rede. Das Volk wär's zum größten Teile zufrieden, und diejenigen, welche den Priestern anhingen, habe man soeben aus der Stadt gejagt, nachdem ihnen sämtliche Waffen abgenommen wurden. Morgen würden alle Chibchas kommen und ihre Waffen abliefern. Nachher würde das Gold gebracht. Boten seien schon nach den Bergwerken unterwegs. Man wolle alles tun, was die weißen Männer wünschten, denn man sei ihnen dankbar, daß sie das Joch der Priesterschaft gebrochen hätten! 276
Da schob sich Don Benito, der Kaplan, in den Kreis und befahl dem Dolmetscher, den Heiden zu sagen, daß sie sich alle zur Taufe bereithalten sollten! Finster überflog's das Gesicht des Kapanko, dem seine Getreuen einen neuen Federmantel und andere Kleidung mitgebracht hatten, worauf er stattlich dastand. Zufrieden aber lächelte er, als der Flensburger das Pfäfflein unsanft aus dem Kreis jagte und dabei brummte, er möge später Ablaßzettel an die Heiden verkaufen, jetzo aber nicht ernster Männer Rat durch sein Getöse stören! Und es wurde hin und her geredet, auch Chibchawein getrunken und alles mit Schwüren und Handschlag besiegelt. Drauf aß man zu Nacht und vermochte weidlich zu tafeln, weil die Chibchas viele gute Eßdinge gebracht hatten. Die Wachen zogen neu auf. Auch vor den Schatzhaufen wurde eine solche gestellt. Die freien Landsknechte würfelten und sangen mit lauten Stimmen endlose Kehrreime. Es herrschte eitel Frohsinn und Zufriedenheit, besonders als die Spanier endlich ihre Schätze auf den allgemeinen Haufen schmissen. Jeder Mann aber erhielt ein güldenes Kettlein als Anzahlung, damit sie würfeln und Karten spielen konnten. Der Moncada hatte es jedem einzelnen zugewogen, daß keiner ein Quentlein mehr oder weniger bekam. Dem großen, schimmernden Haufen sah man keine Abnahme an! Etliche der Söldner hatten ihr Gold schon verspielt, während andre kleine Gebirglein aus gleißendem Gewinn vor sich aufbauten und fröhlich mit den Händen drin wühlten. Die Profosen schritten hin und her, um ausbrechenden Streit im Keime zu ersticken. Die Lämplein brannten, und der Regen prasselte aufs Dach. Pater Benito schlich umher und verkaufte Ablaßzettel. Bei den Spaniern machte er gute Ge277
Schäfte, denn diese hatten während der nächtlichen Plünderung viele unschuldige Weiber und Kindlein erschlagen und kauften sich jetzo sündenfrei. Der Pater gab Ablaß auf zween Tage für drei güldene Eilein! Und er hatte bald ein Säcklein voll, das er von seinem indianischen Sklaven bewachen ließ, während er aufs neue auszog, um Ablaß zu verkaufen. Dem Flensburger dünkte solches Tun frevelhaft, und als das Pfäfflein sich mit gleisnerischen Worten an ihn wandte, da scheuchte er den Kuttenträger davon, indem er sagte, wenn Gott ihm einst seine Sünden verzeihen wolle, so sei es recht. Ein Mensch könne dies mitnichten! Flugs entschlüpfte der Kaplan und schalt den Hauptmann von weitem einen greulichen Ketzer, dem nie die Gnade des Fegefeuers offenstünde, denn er müßte im tiefsten Höllenpfuhl braten in alle Ewigkeit. Mählich ward's stille, nur die Schritte der Wachen unterbrachen das Schnarchen. Der Kapanko aber rasselte mit der eisernen Kette, und er war böse, daß ihn der höfliche Moncada bekomplimentiert hatte, sie sich anlegen zu lassen. Der Regen peitschte aufs Dach, und vom Goldhaufen ging ein Strahlen und Funkeln aus wie vom Nibelungenhort in der Fafnirshöhle! Am andern Morgen, während der Regen eine Pause machte, kamen die Chibchas immer zu zehen Mann gegangen, und jeder trug ein Bündel Speere, Keulen oder andere Waffen. Gen Mittag, als die eine Hofecke mit einem gewaltigen Waffenstapel ausgefüllt war, den man flugs in Brand setzte, ehe neue Regenschauer drohten, sagten die Chibchas, dies wär alles. Prüfend umschritten die Hauptleute vorsichtig den Scheiterhaufen, der eine böse Hitze ausströmte, und sie kamen zu dem Entscheid, daß es nach der brennenden Menge wohl stimmen möge, falls die Heiden nicht irgendwo 278
verborgene Arsenale hätten. Kaum hatte der Pizarro diesen Gedanken laut ausgesprochen, als eine Anzahl spanischer Knechte brüllend aus dem Hause liefen und verkündeten, die gefangenen Priester hätten ihnen verraten, wo noch mehr Waffen versteckt seien. Während durch die Dolmetscher die Chibchakrieger benachrichtigt wurden, damit sie jene Geheimverstecke entleerten, fragte der Pizarro seine Knechte, wie sie's denn angefangen hätten, die Baalspfäfflein so gefügig zu machen. „Oh, Herr!" lachte ein zigeunerhaft blickender Andalusier. „Oh, Herr, wir haben dran gedacht, wie wir's damals in Peru unter Eurem großen Bruder Franziskus mit den Inkas taten. Wir haben ihnen ein wenig mit brennenden Fakkeln die Fußsohlen gekitzelt. Drauf pfiffen sie gerne und erzählten, wo man suchen solle. Auch einen Schatz im Tempel wollen sie uns zeigen!" Zornig brach der Federmann los: „Donner und Doria, wenn ihr euch nochmals erdreistet, die Gefangenen, die der Flensburger gemacht hat, anzufassen, so soll euch dieser und jener!" Der Pieterken fletschte mit den Zähnen und sträubte den Bart. Und in des Jan Detlef grauen Augen brannten kalte Flammen. Haßvoll starrten sich Welsche und Deutsche an, dann brach der Moncada den Bann, indem er laut sagte: „Die Mannen haben's gut gemeint! Ist's doch ausgemacht, daß alle Schätze geteilt werden!" Halb beruhigt brummte der Federmann: „Wohlan! Aber wir sind keine Schinder, welche Leute lebendig sengen und braten! Und wenn euch die Baalspriester zuwider sind, so schlagt sie gut und einfach tot, daß ihr Ende ein schnelles sei!" Langsam gingen alle ins Haus. Die brennenden Chibchawaffen prasselten. Über den Berg, dessen braunen Hang sie 279
in die Stadt hinabgelaufen waren, erhob sich eine blauschwarze Wolkenwand. Ein ununterbrochenes Netzwerk flammender Blitze huschte darüber hin. Die Wachen im Tore standen mit gespreizten Beinen unter den Dächern, die aus Stangen und Matten im Laufe des Tages als Regenschutz errichtet wurden. Gleich roten Pünktlein glosten die Lunten. Der Flensburger, der sich ein Pfeiflein angezündet, schaute sich nochmals um. Da sah er den Widerschein der Blitze über die rostigen Harnische der Posten huschen. Jetzo ward es dunkel, weil die Wolken mit rasender Eile heranzogen. Ein betäubender Donnerschlag krachte, dem langgezogenes, helles Knattern folgte. Und mit schrecklichem Ungestüm raste ein Gewitter über die eroberte Chibchastadt. Der Kaplan ging hin und her, und manchmal hörten sie seine Stimme zwischen einzelnen Donnerschlägen wimmern: „Misericordia! Misericordia!"
Wie d e r H o r t v e r t e i l t w a r d Es vergingen Tage, Wochen und Monde. Schwer lag die eisengepanzerte Faust der verbündeten Eroberer auf dem unglücklichen Chibchareiche. Denn sie verlangten Gold, und es war bereits so viel aus den Bergwerken herbeigeschleppt worden, daß das Innere eines der als Quartier für die Landsknechte dienenden langen Gebäude ellenhoch mit güldenem Staube, Körnern und Stufen bedeckt wurde! Ein anderer Raum diente zum Aufstapeln der güldenen Kettlein und Geschmeide, von denen Tausende gehäuft lagen. Denn auf Befehl des Kapanko und seines Edlenrates, die alle unter der Fuchtel der Eroberer standen, hatte jeder einzelne Chibcha seinen Hals-, Knie- und Armschmuck hergeben müssen. Und 280
das Volk dachte, mit solcher Müh die Fremden loszuwerden. Deren Gier nach dem Golde konnten sie nicht begreifen, denn sie gebrauchten das gelbe Metall lediglich zum Schmuck und als Verzierung. Einen andern Wert hatte der gelbe Dämon bei ihnen nicht. Doch seufzten sie, weil etliche Hunderte Sklaven aus fremden Völkern, die jahraus, jahrein in den Bergwerken Gold aus dem Gestein kratzen mußten, von den Eroberern freigelassen und als Verbündete erkoren wurden. Und an ihrer Stelle mußten die Chibchas in den Gruben und Stollen fronen, während deren einstige Sklaven die Aufseherpeitsche schwangen. Der Pizarro hatte sich übel benommen, weil so wenig Smaragden und Rubine abgeliefert wurden. Vergeblich schwuren die Chibchas, daß solche bei ihnen nur selten gefunden würden! Der Pizarro glaubte es ihnen nicht und schleppte mit etlichen ihm ergebenen Kumpanen sieben Edle des Volkes an eine verborgene Stelle am See, wo sie ihnen so lange mit grauser Marter zusetzten, bis sie elend starben. Mit Steinen beschwert, wurden ihre Leichname in den See geworfen. Es kamen aber doch zween davon nach Tagen an die Oberfläche und waren grauslich anzusehen. Da erhob sich das Volk, griff zu Steinen und Knüppeln, um die Fremden zu verjagen. Es bekam ihnen aber schlecht, und viele Hunderte wurden von den wütenden Landsknechten erschlagen, daß ihr Blut durch die Rinnsteine in den See sickerte. Eines Tages, als die gefangenen Heidenpriester ein geheimes Gewölbe in ihrem Tempel verraten hatten, worin viele kostbare Gefäße und zween sieben Schuh lange Ketten aus prächtigen Perlen erbeutet wurden — fand man nachher die armen Schelme erdolcht in ihren Banden liegen. Keiner aber wußte, wer es getan, obwohl der Federmann offen die Spanier der ruchlosen Tat beschuldigte. 281
Der Feldkaplan des Pizarro taufte die Heiden zu Hunderten, aber er sagte, jene täten es nur aus Stumpfsinn und nicht aus Überzeugung. Und er ließ auf dem Markte drei Scheiterhaufen schichten, um etliche Saumselige zu verbrennen. Der Pizarro war auch geneigt, solches zu verstatten, jedoch schritten die Deutschen ein, und so unterblieb's. Täglich warnte der Moncada den Flensburger, er und die Seinen sollten auf der Hut bleiben, weil der Pizarro Übles sinne. Er bearbeite jetzo den Quesada, ihm mit seinen Rotten beizustehen, damit sie gemeinsam über die Deutschen herfallen und den güldenen Hort allein für sich bekämen. Der Quesada zögere nur noch, weil er ein Schlaukopf sei, der im stillen hoffe, den Schatz für sich zu erhalten, wenn die des Pizarro und die Welserschen sich gegenseitig totschlügen. Während der ganzen Zeit arbeiteten viele Hände daran, den Hof und die Quartiere zu einer uneinnehmbaren Festung zu gestalten. Die Chibchas mußten Hunderte von Mannen stellen, welche Steine und Baumstämme für die Wälle anschleppten. Ihre ehemaligen Sklaven gaben ihnen die Peitsche zu kosten, wenn sie sich zu saumselig erwiesen! Nachts zogen die Spanier haufenweise los, brachen in die Häuser ein, verjagten die Männer und taten sich gütlich an deren Schönen Weibsen und Töchtern. Der Jammer, die stille Wut und Verzweiflung gingen um in der Chibchastadt. Und das Volk fluchte dem Kapanko und seinen Edlen, die diese Not über das Reich verhängt hatten, als sie's den Fremden in die Klauen gaben. Schon längst liefen der Kapanko und seine Ratsherren frei in der Befestigung herum und hätten auch unbehindert in die Gassen gehen können. Sie hüteten sich aber sehr, solches zu wagen, denn das Volk haßte sie bereits derart, daß man sie ohne weiteres totgeschlagen hätte. Deshalb blieben sie fein bei den Eroberern, wo sie des Schutzes 282
sicher waren. Längst hatten sie nichts mehr zu sagen, und wenn sie sich stolz aufbäumten, so lachte man ihrer. Die wahren Herrscher des Chibchareiches bestanden aus dem nach altrömischem Muster gebildeten Triumvirat des Federmann, Pizarro und Quesada. Und der erstere tat viel dazu, daß die Spaniolen, die sich Tag für Tag vollsoffen, nicht das ganze Volk vors Schwert nahmen. Der Pater des Pizarro hatte sein Heidenbekehren ganz aufgegeben, weil er sagte, es sei ein Säen auf dürren Fels. Und am besten wär's, dieses Volk des Teufels mit Stumpf und Stiel zur Ehre Gottes zu vertilgen. Der Flensburger gab dem Pater, als er so blutgierig einherredete, eine Maulschelle, daß er umfiel. Drauf schwur dieser ihm Rache bis an den Jüngsten Tag und drüber hinaus. Auch rief er die Spanier auf, ihn zu rächen. Diese aber mochten den großen Hauptmann, der gut Freund mit dem Moncada war, trefflich leiden und lachten den Kuttenpelz derbe aus. Es war inzwischen die Regenzeit mit ihren Stürmen, Unwettern und Wasserschauern sachte vergangen. Die Felder standen im prächtigen Grün, und die Obstbäume blüheten lieblich. Eines Tags kam eine Gesandtschaft der Chibchas aus den Bergwerken in Begleitung ihrer hochmütig einherstolzierenden Aufseher. Sie warfen sich nieder und flehten, man solle sie jetzo zu Weib und Kind entlassen. Denn die Stollen und Gruben wären leergekratzt und Goldes mitnichten mehr zu finden. Die Aufseher bestätigten dieses, und die Kunde ging wie der Wind unter den Landsknechten um. Alsbald kamen sie alle gelaufen, und auch die Wachen am Tor schmissen trotz des Tobens ihrer Rottenmeister und Scharführer die Waffen hin. Wild durcheinander brüllend und mit den Händen ihren Obern unter der Nas herumfuchtelnd, schrien sie, jetzo wär es an der Zeit zu teilen. Sie 283
wollten nicht mehr abgespeist werden mit etlichen Kettlein, sondern ihr bar und ehrlich Teil vom Ganzen erhalten. Durch Tod und Graus wären sie geschritten, hätten gekämpft, gehungert und gedürstet, aber jetzo verlangten sie ihr Recht. Und wenn es ihnen nicht in Bälde gegeben werde, so wollten sie's — mit allem schuldigen Respekt ihren Hauptleuten gegenüber — selber holen! „Narren, Mausköpfe und undankbares, stierköpfiges Gezücht!" brüllte der Moncada. Und wie sie aufhorchten, sagte er, die Hauptleute wollten beraten, wann die Teilung geschehen möge. Nun aber sollten sich die Knechte davonscheren und die ehrvergessenen Wächter an ihre Posten eilen! Drauf lachten diese fröhlich, rührten sich aber nicht von der Stelle. Da tobte und schrie der Ritter dermaßen, daß er flugs heiser ward und nur noch ein Zischen und Krächzen über seine Lippen kam. Bieder trat einer der Andalusier vor und riet dem gestrengen Herrn Hauptmann, er solle ein heißes Tränklein aus Honigseim und Limonensaft schlucken, damit ihm besser würde. „Schuft grindiger!" brachte der Moncada mühselig hervor und wollte dem Andalusier mit dem nackten Degen zuleibe. Aber dessen Kumpane drängten sich dazwischen, und einer brüllte: „Nehmet Rat an, Herr Ritter, und ihr Herrn Hauptleute! — Sollen wir hier ewig bleiben und den Hort, den wir mit Blut und Schweiß eroberten, nur aus der Ferne wie schnödes Affengelichter anglotzen dürfen? — Wir verlangen Teilung. Und wenn dies geschehen ist, so wollen wir unser Ränzel schnüren, noch etliche Chibchas mit dem Schwerte zum Paradiese bekehren und ihnen auch den roten Hahn aufs Dach pflanzen, damit sie unser ewig gedenken!" „Ja! das wollen wir! Der Sebastian hat recht!" brüllten die Welschen, und die Deutschen, die's nicht verstanden 284
hatten, ließen's sich erklären. Der Lärm wurde immer größer, und schon lugten einzelne Chibchas mit schadenfrohen Gesichtern zum Hof herein, verschwanden, wie sie die Uneinigkeit ihrer Zwingherrn sahen, und kehrten mit mehreren zurück. Der Flensburger hatte dies wohl bemerkt und erhob jetzt mächtig seine Stimme. „Sehet die Chibchas, wie sie lugen. Gottesdonner, ihr seid eine Herde Ochsen ohne Hirn. Schon freuen sich die Heiden ob eurer Unbotmäßigkeit und sinnen drauf, wie sie uns alle samt und sonders ausrotten können. Und ich sage euch, gehet an eure Posten zurück, damit sich's zum Guten wende!" Einer der Knechte schrie zurück: „Und der Hort?" Der Flensburger verschränkte die Arme über der Brust, wo das verblichene Wappen sein durchlöchertes Wams zierte, und antwortete: „Der güldene Hort wird morgigen Tages verteilt. Das verspreche ich euch!" Jubelnd brüllten die Rotten Beifall und ließen den Jan Detlef hochleben. Wie sich das Getümmel beruhigt hatte und die Wächter mit beschämten Gesichtern ans Tor eilten, sagte der Pizarro schneidend: „Der deutsche Hauptmann nimmt sich viel heraus! Hat er nicht auch mich zu fragen, ob ich einverstanden sei, ehe er die Teilung des Schatzes verspricht?" Der Moncada zischte laut und gab sich alle Mühe zu reden. Aber niemand verstand ihm. Und der Federmann rief: „Was der Flensburger versprach, geschah zu unser aller Bestem. Oder wollet Ihr, Herr Pizarro — wollet Ihr den Soldknechten ihr sauer verdientes Anteil am Golde verweigern ?" Der Pizarro biß sich auf die Lippen, und einer seiner Rottmeister schrie: „Er soll's wagen! Wir stritten und litten für Kaiser, Gott und Ehre, aber mitnichten wollen wir unsern Säckel leer wissen. Der deutsche Hauptmann sprach 285
gute Worte. Beim Teufel und der heiligen Jungfrau von Guadalupe!" Alle tobten: „Vivat der Flensburger!" Dieser brüllte flugs zurück: „Vivat der Pizarro!" Männiglich stimmte ein, und und sie ließen alle Hauptleute leben, dann Papst und Kaiser und zum Schluß das Gold der Chibchas. Der Pizarro aber machte gute Miene zum bösen Spiel und zwang ein saures Lächeln über seine Lippen. Nachher im Quartier seufzte der Flensburger und stieß den Nikolaus Federmann sachte an. „Wollte Gott, der von Hutten, der fröhliche Welser und der streitbare Pater wären hier!" Der andre lächelte und fragte: „Und die Bonita auch?" Jähe Röte färbte die wettergegerbten Wangen des Jan Detlef dunkler. Er schüttelte das Haupt: „Mitnichten! Denn wenn ich auch gerne mein Weib bei mir hätte, so wär's eine üble Zeit, jetzo der Minne zu pflegen. Nein, ich dachte an die guten Schwerter der andern und den trefflichen irländischen Schellallah des Paters!" Ernst nickte der Federmann. „Du hast recht, Kumpan. Üble Zeiten werden über uns einherfallen. Schwer war's bisher schon, mit den wüsten Saufbrüdern und Weiberschändern der beiden Spaniolen auszukommen und alles zum Guten zu lenken. Wenn aber der Hort erst verteilt ist, so werden der Teufel und sämtliche Höllen los sein. Denn im Golde wohnt das Böse, Mord, Zwietracht und Heimtücke!" Er schaute sinnend vor sich hin, und der Flensburger spann seine Gedanken fort: „Wenn der Pizarro uns einen Tort aussinnt, der Quesada aber beiseit stünde, so wären unsre Landsknechte in der Überzahl! Wenn aber der Quesada — welcher ein stilles Wässerlein zu sein scheint — mit dem andern Kumpanei macht, so sind sie in der Übermacht!" 280
Der Federmann fragte: „Was ist's mit dem Moncada ? Der gehört doch zu uns! Ist ihm zu trauen?" Zweifelnd wiegte Jan Detlef den Kopf. „Mir ist er zugetan und hat mir viel Liebes erwiesen. Aber Euch ist er nicht sonderlich grün. Er verachtet unsere deutsche Schwere und Gradheit!" „So ist auf ihn nicht zu zählen!" sprach der andere, doch der Flensburger wehrte ab: „Er wird mir's immer kundtun, wenn sich Verrat über unsern Häuptern anspinnt." Stumm saßen sie sich eine Weile gegenüber und betrachteten die lärmenden Knechte ringsum. Scharfer Duft von Gebratenem kitzelte ihre Nasen. In der Ecke saßen die armen Chibchawichte mit ihrem Strohwischherrscher, dem Kapanko. Sie murmelten miteinander und schienen arg bedrückt, denn ihre Wangen waren eingefallen und die Augen tief unterschattet. „In der Haut dieser möcht ich mitnichten stecken!" meinte der Flensburger nach einer Weile, in die Ecke deutend, und der Federmann murmelte: „Kriegführen und Erobern ist ein herzloses Handwerk!" Wieder unterbrach Jan Detlef die eingetretene Pause mit den Worten: „Carolus Quintus, der sich Herr der Christenheit nennt, ist ein arger Schelm." „Komm!" forderte ihn der andre auf. „Komm, wir wollen den Hort betrachten, um unsere Sorgen zu verscheuchen!" Trüb sagte der riesige Hauptmann: „Jedesmal, wenn ich die ungeheuren Haufen Goldes anschaue, so ist mir's, als ob jeder Brocken, jedes Körnlein und Stäublein ein gelbes Auge wäre, das mich höhnisch anstarrt. — Eines ganzen Volkes Untergang klebt an dem teuflischen Metall! Denn wenn die Chibchas es nicht gehabt hätten, so hätten der Pizarro und der Quesada nie davon gehört, und sie wären im Lande der Inkas geblieben. Und uns hätte auch nie der listige Kaiser 287
mit seiner Kolonia genarrt, wenn er nicht in seinem Palast vom Chibchagolde gehört hätte. Und wir wären mitnichten übers Meer gezogen. Der brave Welser zu Augsburg wär nicht den Schlichen des geldesbedürftigen Kaisers aufgesessen und hätte die Tonnen ehrlichen Goldes, für die er Venezuela verpfändet erhielt — behalten und zu guten Zwecken in deutschen Landen verbraucht!" Beide waren aufgestanden, und sie schritten dem Schatzhause zu, wo eine Wache aller dreier Heerhaufen stand, die stündlich untersucht wurde, weil ihre Kameraden befürchteten, sie würden sich die Taschen mit Gold füllen. Unterwegs sagte der Federmann: „So gedenkst du nicht, daß wir mit unsern Schätzen je wieder die Heimat erreichen ?" Der Angeredete lachte: „Ich bin keiner vom Volke der Fahrenden, auf daß ich weissagen könnte. Aber dem Pieterken hat's eine alte Sibylle gesagt, daß wir alle umkommen werden. Wenn ich auch nicht an dergleichen Prophezeiungen glaube, so ahne ich dennoch Unheil!" „Nun!" sagte der Federmann. „So wollen wir tun und handeln, wie es deutschen Landsknechten geziemt. Ehrlich und grade bleiben, auf daß unsere Nachfahren, falls uns Übles zustoßen sollte, dereinst sagen können, wir hätten treu und recht gelebt und wären auch so gestorben!" Der Jan Detlef murmelte: „Amen!" und fügte hinzu: „Ich habe alles mit vieler Mühe niedergeschrieben auf das Pergament, das mir der Pater gab. Es ist da zu lesen vom Tage an, als wir auszogen, bis zum gestrigen Abend. Ich will auch in Zukunft alles niederschreiben. Wenn ich auch keine Bildlein wie der Chrysostomus zuwege bringe, so schätze ich doch, daß die Buchstaben in Ordnung sind. Und ich will fortfahren — vielleicht kriegt's mal ein Christenmensch zu lesen, wenn wir tot und verfault sind. Damit die Leute sagen 288
können, wir seien brave Mannen gewesen!" Sie waren auf dem Hof stehengeblieben, schritten jetzo weiter und traten ins Schatzhaus, vor dessen Tür ihnen die Wachen, die ein Kornett befehligte, ehrerbietig Platz machten. Und es ging ein solches Gleißen und Funkeln von dem Horte aus, daß die zween schier erschraken, obwohl sie's beinahe jeden Tag sahen! Es reichte ihnen aber der Kornett eine brennende Pechfackel herein, und wie der Flensburger sie schwang, stieß er einen wilden Schrei des Entzückens aus, als gelbe und blutrote Lichter über den schimmernden Haufen huschten, sich tausendfach brachen, um immer erneut Ioszufunkeln. Der Federmann atmete schwer. So standen sie und starrten reglos, bis sie sich ermannten und in den Nebenraum gingen, wo die Kettlein und bunten Steine wie auch die Federmäntel schillerten und bauchige Gefäße aus dünnem, getriebenem Golde gleich Spiegeln glänzten. Doch es zog sie wieder zurück in den ersten Saal, dessen Boden eine Elle hoch mit Rohgold angeschüttet war. Der Flensburger schwang seine Fackel wie ein Rad um den Kopf, und er stand anzusehen gleich dem Teufel in der rot und gelb blitzenden Hölle. Er konnt's nicht mehr aushalten, warf den sprühenden Feuerbrand gen die Wand und watete in einen Haufen Goldstaub hinein, wo bereits der Federmann bis zu den Knien stand und irr lachend, mit beiden Händen blitzende Körnlein hochschleuderte. Gemach kam eine Erschöpfung über die beiden, und langsam gingen sie an die Verbindungstür, setzten sich hin und zogen ihre Stiefel von den Füßen, denn der güldene Staub war in Menge die Schäfte herabgerieselt, und sie konnten kaum die Beine heben, so schwer war die nach unten ziehende Last. Also schütteten sie's raus und traten dann ins Freie und beschauten staunend ihre Gesichter, die ihnen 289
eingefallen und verändert vorkamen. Der Federmann aber schwur, er werde nie wieder die Schatzsäle bei Fackelschein betreten! Tageslicht sei ihm hell genug. Denn er wolle mitnichten seine Seele verlieren. Voller Achtung trat der Kornett auf sie zu und bat, sie möchten sich ihrer Gewandung entledigen, damit man etlichen Goldstaub, der sich vielleicht von ungefähr in die Öffnungen und Lätze verkrochen habe, herausschütteln könne. Da dies der Brauch des Heereslagers war, unterzogen sich die zween Herrn anstandslos der Untersuchung und gingen hernach stumm ins Quartier zurück. Am Abend herrschte große Fröhlichkeit im Hofe. Tausende Sternlein funkelten vom dunkelblauen Himmel herab, und es wehte weiche, linde Luft. Männiglich aß und soff wacker, dann verzogen sich die Würfler und Kartenspieler in ihre Ecken, wo sie um die Trommeln hockten. Bärtige Knechte lagen an flackernden Feuern und erzählten sich Abenteuer, die von kräftigen „Carambas!" und „bei unsrer lieben Fraue!" unterbrochen waren. Die Kumanas, die immer noch froren, saßen in ihre Felle gehüllt um einen prasselnden Scheiterhaufen und sahen aus wie Jaguare, Wildeber und andres Getier, dessen Pelze sie trugen. Etliche Lauten begannen zu klingen, aber die Saiten waren arg mitgenommen, und es hörte sich mitnichten gut an. Die jüngeren Mannen schwangen das Tanzbein und harten zu diesem Zwecke einige Chibchamädchen mit Erlaubnis der Befehlshaber hereingeholt, denen sie den Reigen schon früher beibrachten. Der Kapanko ließ den Moncada, dessen heisere Gurgel durch warmen Chibchawein schon viel besser geworden, fragen, wann die Eroberer abziehen und ihm das Reich überlassen wollten. Drauf zuckte der Ritter die Achseln, er290
widerte auch, ob der Kapanko keine Bange vor seinen Leuten hätte, die ihm doch übel wollten? Traurig schlich der im Federhelm ins Haus Zurück, wo seine Kumpane saßen und die Knöchlein eines hoch im Gebirge erlegten Vicuñas beknabberten. Die Hauptleute aber griffen die Idee des Kapanko auf, und manch einer sagte, es wäre wohlgetan, wenn sie nach Teilung des Hortes abmarschierten. Denn Schätze seien keine mehr vorhanden, und die Goldadern in den Bergen auszubeuten, würde gar lang dauern. Barsch fuhr der Pizarro dazwischen, indem er sagte: „Falls die andern Herrn abziehen wollen, so haben sie meinen Segen. Ich aber mit den Meinen will bleiben, um dies Land dem Kaiser zu hüten und die Goldadern durch Chibchasklaven ausbeuten zu lassen!" Betreten schauten sich die übrigen an. Es hatten aber einige Knechte des Pizarro dessen großmäulige Rede angehört, und sie machten sich an die Haufen der Ihren und flüsterten mit ihnen. Jäh schmissen die Spieler Würfel und Karten hin, kamen angelaufen und schrien drohend, daß, wenn ihr Hauptmann gesonnen sei, des Kaisers Wächter im Heidenlande zu machen, er dies allein tun solle. Sie würden mitnichten dergleichen tun! Und einer, der die Wange durch eine mächtige Narbe gespalten hatte, schrie im Dialekt der Biscayer: „Das Land hüten ? Den Satan werden wir tun! — Kennt man's doch zur Genüge, was draus wird! In Mexiko hat man's erlebt und unter dem Franziskus Pizarro desgleichen im Lande Peru. Die Schätze finden Einlaß in die Truhen der Offiziere und Anführer, die sich's bequem machen und bedienen lassen, während wir geringen Leut Wache stehen und fronen müssen. Und wenn wir nach Jahren noch leben, falls Fieber und Feinde uns verschonten, so ist eine dürftige Handvoll Goldkörner unser Lohn. Die Führer aber schmeißen mit 291
Klumpen herum, an denen unser Blut, unser Schweiß kleben! Wie war's in Mexiko? — Brüder, da wurden Schätze gefunden, daß viele Hunderte Maultiere dran zu schleppen hatten. Und was bekam der gemeine Mann ? — Kaum Goldes genug, um sich zu Cadix einen vernünftigen Rausch zu kaufen und eine Lakenreißerin zu umhalsen! — Wie war's im Lande der Inkas ? — Ho, Brüder, ich war mit und ihr alle waret dabei. Habt ihr etwa Goldes bekommen? Versprechungen, nichts als Versprechungen! Man hat uns auf die Schätze der Chibchas vertröstet und nun, da sie in unsern Händen liegen, wollen wir mitnichten zusehen, wie sie wieder verschwinden, und uns mit neuen Versprechungen zufrieden geben, derweil wir dem Kaiser das verdammte Land hüten! Das Gold ist unser. Morgen soll es geteilt werden, und dann wird abmarschiert. Sankt Jago!" Erschöpft schwieg der Biscayer, und seine Kumpane erhoben solches Beifallsgebrüll, daß das Echo im Hofe hin und her schmetterte und die schlanken Chibchamädchen eilends aus den Armen ihrer Galane in die Nacht hinaus flüchteten. Mit Müh und Not beschwichtigte der Gonzalo Pizarro seine erbosten Rotten. Ganz ruhig aber wurden sie erst, als der Moncada listig von den Schätzen erzählte, die seit Jahren in den See geschmissen wurden, wenn ein Sonnenjüngling gekürt ward. — Und er sei bereits mit einer Meßleine in einem Schifflein über die Wasserfläche gerudert und habe die Tiefe nirgends beträchtlich gefunden. Vielleicht könnte man also im Guten oder Bösen etliche Heiden abrichten und sie tauchen lassen. Dies würde allerdings eine Zeit dauern, und solang müsse man also schon das Land hüten! Lauernd schaute er umher, räusperte sich und nickte dem Flensburger zu. Laut aber schrie der Biscayer jetzo, der 292
Ritter wäre ein preislicher Herr, und was er vom Hort im See gesagt, klinge gut. Hätten sie doch alle gesehen, wie der Güldene Hände voller Kleinodien ins Wasser geworfen! Unter sotanen Umständen wollten sie gerne noch etwas länger verweilen, um auch der ersäuften Schätze teilhaftig zu werden! Freudig murmelnd zogen die Spanier nach ihren Würfelplätzen ab. Und die Tänzer schalten arg, als sie merkten, daß ihnen ihre Holden entschlüpft waren. Der Federmann und der Flensburger, denen sich auch der Quesada anschloß, sagten, auch sie wollten die versunkenen Schätze heben, denn das seien sie ihren Leuten schuldig. Der Pizarro brummte böse, schwieg aber, als der Moncada ihn derb knuffte. Langsam begab sich alles zur Ruh. Es wurde aber früh aufgestanden, weil die Teilung des Schatzes vorgenommen werden sollte. Fieberhaft liefen die vom Dienste freien Söldner hin und her. Der Kapanko aber hockte traurig in der Ecke. Zum Teilen des Horts wurden der Moncada und drei Knechte auserwählt. Sie mußten sich dazu bequemen, ihre Arbeit splitternackt zu tun! Also verlangten's die übrigen Knechte, welche bangten, daß etliche güldene Körnlein in den Taschen der Schiedsrichter Einlaß finden könnten. Da es arg warm war, ließen's sich jene gefallen, selbst der Moncada willigte lachend ein. Und es wurde Abend. Fluchend und gekrümmt von der schweren Arbeit kamen der Moncada und seine Gehilfen aus dem Schatzhaus und legten ihre Gewänder an. Dann brummten sie auf die vielen Fragen: es sei eine schier übermenschliche Arbeit und würde noch lange dauern. Und so kam's auch! Denn erst nach zwanzig Tagen war die ungeheure Arbeit getan und der Hort in viele Hunderte gleicher Teile geschieden, gewogen oder geschätzt. Rotten293
weise traten die Knechte an, schritten ins Haus und kamen wieder grinsend oder vor Freude lallend, zum Vorschein. Sie konnten aber ihr Teil kaum schleppen, soviel war auf den einzelnen gekommen! Der Moncada, der während der zwanzig Tage dünn und kurz angebunden geworden war, rief, er würde jedem, der ihn bezichtige, falsch gemessen zu haben, mit dem Degen ans Leben. Es klagte aber niemand, sondern man ließ den Ritter hochleben. Etliche beschauten den großen Haufen — es war ein Fünftel von allem —, der für den Kaiser beiseite getan ward. Und sie sagten, es sei schade drum, auch habe die allerchristlichste Majestät sicher Goldes genug und würde sich freuen, wenn der Haufe hier an brave Landsknechte verteilt werde! Die Hauptleute schalten diese Gierigen aus, und lachend zogen sie davon. In jener Nacht aber entspann sich ein wahrer Höllensabbat im Hofe. Kein Auge ward zugetan. Alles brüllte, sang oder fluchte, und Würfel rollten hin und her. Es entstanden auch böse Streite und Schlägereien, die durch die Profosen geschlichtet werden mußten. Viele der Knechte waren über Mauer und Wall verschwunden, um ihre heidnischen Freundinnen zu besuchen. Andere hockten stumm an der Mauer und stierten vor sich hin, weil sie bereits alles verspielt hatten. Die Gewinner aber saßen glücklich neben Maultierlasten von Gold. Die Trauernden begannen wieder zu frohlocken, als jemand rief, noch sei nicht aller Tage Abend, denn sie wären gar weit von der Heimat, und bis sie diese erreichten, würde mancher ins Gras beißen und auch das Gold noch oft seinen Herrn wechseln! Bis der Morgen graute, war viel Zwist geschehen ob des gelben Mammons. Es gab Viere, die sich in wilder Wut mit ihren Dolchen auf die glücklichen Gewinner gestürzt hatten, aber 294
so übel empfangen wurden, daß sie den Geist aufgaben. Auch zählte man über dreißig Leicht- und Schwerblessierte, darunter zween Rottenmeister. Am hellen Mittag wurde Gericht gehalten, drei von des Pizarros Knechten wurden des Mordes schuldig befunden. Der Profos vollzog das Urteil, indem er die armen Schelme — nachdem sie Reu und Leid gemacht und der Pater sie aller Sünde ledig gesprochen, weil sie ihm ihre Schätze vermachten — an den starken Ästen einer schönen Platane aufgeknüpft. Während sie in der Luft ihren letzten Tanz strampelten, rollten die Trommeln, und die ganze Besatzung war angetreten, um dem grausen Schauspiel beizuwohnen. Tags drauf bekamen die Hauptleute miteinander Streit, weil nun, nachdem der Hort verteilt war, festgestellt werden sollte, wer die größten Ansprüche als Statthalter habe. Wenn auch schließlich keiner ernstlich dran dachte, für den Kaiser über das ausgeplünderte Land zu herrschen, so war doch einer auf den andern eifersüchtig und gönnte ihm mitnichten diesen Ehrentitel. Der Federmann schwur, er hätte mit den Seinen zuerst das Land betreten und auch den Oberpriester haschen lassen, mit dessen Tod das Chibchareich zerfiel! Drauf schrien der Pizarro und der Quesada, daß sie gleichzeitig mit den Deutschen die Stadt berannten und es letzteren ohne ihre Schwerthilfe wohl schwerlich gelungen wäre, den Kerl mit dem Smaragdrüssel zu fangen. Solcher Einsicht konnte sich der Federmann nicht entziehen. Da riet der Mon-ada, die drei sollten es auswürfeln untereinander, und wer den höchsten Wurf aus dem Knobelbecher schüttle, der wäre Statthalter, bis es seiner allerchristlichsten Majestät beliebe, ihn abzusetzen. Die Oberführer waren nicht abgeneigt, sich solchem Spruch zu unterwerfen, und der Federmann schüttelte den ledernen 295
Becher und warf drei Augen. Der Quesada würfelte sieben Augen, doch der frohlockende Pizarro brachte es zu achtzehn und sagte stolz, nun wäre er des Kaisers Stellvertreter und alles müßte gehorchen. Mißtrauisch betrachtete der Quesada indessen die Würfel und fand heraus, daß der listige Bruder des Inkabesiegers drei Würfel mit Bleiplättlein beschwert eingeschmuggelt hatte, die alleweil sechs Augen wiesen, wenn sie fielen. Man schalt den Pizarro einen Betrüger! Wutschnaubend wollte er aufspringen und seine Knechte zu den Waffen rufen, aber der Moncada, dessen Heiserkeit vergangen war, hielt ihn fest. Und er sagte, daß die dreie es vor allem Volk miteinander ausfechten sollten, wer der bessere Mann wäre! Dies wollten sie aber nicht, und er dachte lange nach, ehe er rief: „Wenn Streit unter uns ausbricht, die wir nicht mehr allzu viele sind, so werden uns gewißlich die Heiden den Garaus machen. Hört drum zu: es soll einen Fluß geben etliche Tagesmärsche von hier, der streng nach Norden fließt. Ich hab mich erkundigt bei den Heiden, und sie sagen, daß er immer mächtiger werde. Also denk ich, daß es am Ende der Magdalenenstrom sei, der im Karaibenmeer mündet, oder einer seiner Zuflüsse. Unten am Karaibenmeer aber haben wir Siedlungen und auch vom Kaiser eingesetzte Statthalter!" Der Pizarro unterbrach ihn böse: „So sollen wir etwa diese Mausköpfe bitten, das Land, das wir eroberten, zu regieren?" Lächelnd fuhr der Moncada fort: „Mitnichten, Bruderherz! Aber ihr dreie sollt den Strom hinabfahren, bis ihr an die Häuser der Unsern kommt, und dorten einem gerechten Mann den Schiedsspruch anvertrauen. Oder wenn ihr keinen Gerechten findet — was mir wahrscheinlich dünkt —, so schreibet Briefe an des Kaisers Majestät und überlasset 296
ihm das Urteil. Nehmt auch etlichen Kram an buntem Gestein mit, das nicht schwer wiegt und vielleicht auch einige Goldpröblein. Ich aber will, bis ihr zurückkehret oder Wort sendet, über Chibchas und Landsknechte herrschen!" Er schwieg und sah die dreie der Reihe nach an. Erst nickte der Federmann bedächtig, und auch der Quesada stimmte zu. Endlich hieb der Pizarro den Dolch in die Erde, auf der sie saßen, und lachte: „Topp, es gilt, wenn's die andern einverstanden sind. Und lasset uns in Bälde aufbrechen." Nun besprachen sie's, wie die Reise anzutreten sei, und daß jeder von ihnen drei Kumpane mitnehmen solle. Und es herrschte eitel Freude und Einvernehmen unter den dreien, weil die Aussichten auf neue Abenteuer ihnen baß zusagte. Der Federmann meinte, er wolle hernach an der Karaibenküste entlangfahren, bis er die Welserstadt erreiche, um dort Bericht zu erstatten! Es erhob sich großes Staunen unter den Landsknechten, als ihnen ausgetrommelt ward, daß die Führer zur Küste hinabreisen wollten. Sie wurden auch flugs aufs neue in Eid genommen und versprachen, dem Moncada als „Statthalter in Provisorium" zu gehorchen und keinen Streit untereinander anzufangen. Wer solches tue, der sei des Profosen Hangstrick verfallen. Sie schrien, sie wollten ehrlich und gehorsam bleiben. Denn den Moncada mochten alle wohl leiden. Drauf hub ein Zanken an, wer die Hauptleute begleiten solle. Der Federmann wählte den Flensburger, den Pfannenstiel und den Pieterken, denn dieser wollte mitnichten ohne seinen Herrn bleiben. Als die Spaniolen warnten, sie würden sich nicht drum scheren, wenn der Federmann wegen des plumpen Eisenbeins des Pieterken auf der Fahrt etwa ins Hintertreffen ge297
rate und zurückbleibe, da lachte dieser laut. Und fing an, auf seinem Spieker herumzurennen und solch verwundersame Sprünge zu tun, daß männiglich vor Staunen schrie. Der Quesada meinte alsdann, daß der Federmann gewiß als erster am Ziel ankäme, wenn er solch tapferen Springer bei sich hätte. Nun wurde ein Umtrunk getan, und die Chibchaköchinnen bereiteten leckere Speisen, die Nas und Gaumen kitzelten. Gar früh begab man sich zur Ruh, und der Morgen graute erst, als die Herrn unter dem Geleit dreier Fähnlein aufbrachen. Jeder von ihnen hatte außer den drei Begleitern noch einen Indio als Packträger und Dolmetsch genommen. Der des Federmann war ein Kumana, mit dem er sich gut verständigen konnte. Die zween Heiden vom Entleinsee sollten die Führung bis an den Strom übernehmen und auch für Kanus sorgen.
Der M a g d a l e n e n s t r o m Es wirbelten die Trommeln und schmetterten die Drommeten, Schalmeien und Sackpfeifen durch die Straßen der schlafenden Chibchastadt, daß die Einwohner verwundert an die Tore gerannt kamen. Als die Sonne blitzend den See küßte, da waren die Abenteurer schon weit fort und marschierten stracks nach Norden. Das Land ward bald dürr und steinig. Wo die Hochebene aber von Spalten und Tälern zerrissen war, da grünte es üppig, und kühle Quellen rieselten munter von Fels zu Fels. Im Hintergrund standen hohe Berge mit braunen Kuppen. Am Abend machte man Lager in einem Sacktale, und während der Nacht wurden Tierstimmen vernommen, die so schrecklich klangen, daß der Pieterken aufstand und 298
forschte, ob auch die Wachen gut auslugten. Nach dem Frühimbiß marschierten die Geleitfähnlein mit lautem Abschiedsgeschrei nach der Stadt zurück. Und die andern wanderten schwitzend fürbaß, stracks nach Norden in die graue Wildnis hinein! Fußmarode und erbittert, erreichten sie nach viertägiger Kletterei an Abgründen und Steilhängen entlang einen Fluß. Das grüne Wasser wälzte sich brausend in einem tiefen Einschnitt gen Norden. Sie folgten seinem Laufe, mußten sich aber stets oben auf dem Schluchtenkamm halten und konnten nicht ans Wasser hinab, weil sie sich sonst den Hals gebrochen hätten. Ein paarmal zitterte dumpfes Grollen durch die stille Natur, kam stundenlang näher und schwoll an, bis es schließlich wie Donnergepolter aus der Schlucht heraufprasselte. Und da sahen sie den Fluß gleich einer silbernen Schlange sich über Felsen stürzen, in dunklen, hallenden Löchern verschwinden, dann wieder zum Vorschein kommen und in feenhaften Sprüngen weiterrasen. Funkelnder Wasserdampf schwebte zu ihnen herauf. Und die Katarakte erstreckten sich meilenweit, wobei der Fluß immer breiter und herrlicher wurde. Sie schalten aber die Führer vom Entleinsee aus und fragten, ob man etwa mit Kanus dieses Höllengewässer befahren solle? Die zween Heiden lachten und baten um Geduld, nachher würde man sehen, wie brav der Fluß noch werde! Sie erreichten auch, spärlich von einer Rattenart lebend, welche die Indios geschickt mit Steinwürfen töteten, nach tagelanger Müh einen Ort, wo die Welt jäh vor ihnen abbrach. Der Kamm des Hochlandes, auf dem sie standen, stürzte viele hundert Ellen jach hinab, und unten lag ein paradiesisch lachendes Tal mit grünen Triften und üppigen Wäldern, die sich unabsehbar erstreckten. Der Fluß aber, 299
an dessen Ufer zierliche Palmwedelhütten standen, schlängelte sich in wonniger Ruhe durch das schöne Land. Mit großen Nöten, sich gegenseitig unterstützend und wegen ihrer Schwerter, die ihnen oft zwischen die Beine gerieten, arg behindert, klimmten die Eroberer Fuß für Fuß nach unten. Gleich Zicklein waren die Indios vorausgesprungen und kehrten mit einem halben Schock freundlicher Wilder zurück, die die Wegmüden nach saubern Hütten geleiteten. Langhaarige Weiber bereiteten ihnen Atzung, und drauf bot man ihnen Hängematten an. Als sie ausgeruht, erstanden sie mit Hilfe der Entleinseemannen drei schöngeschnitzte Kanus mit Paddelrudern und erkundeten den Weg. Darüber wußten jedoch die Heiden nichts Genaues zu sagen. Sie warnten nur, man käme durch Gebiete vieler feindlicher Völkerschaften. Auch Stromschnellen gäbe es noch in Fülle, und da müsse man die Kanus auf den Schultern herumtragen. Ganz weit weg aber hause ein Stamm, der nur aus streitbaren Weibern bestehe, die Keule und Speer mit großer Geschicklichkeit zum Schaden ihrer Nachbarn zu führen verstünden ! Da waren die drei Hauptleute sehr neugierig, diese Amazonen zu sehen, und brachen auf. Jeder bestieg mit den Seinen ein Kanu, und es wurde ausgemacht, daß sie sich stets zusammenhalten sollten. Mit leichten Paddelschlägen schwammen die Fahrzeuge dem Gefälle nach, und die Insassen winkten den freundlichen Heiden wie auch den zween vom Entleinsee, die zurückgeblieben waren. Dann machte der Fluß eine Krümmung, und die schimmernde Wildnis mit ihren Riesenfarnkräutern, Zwergpalmen, Lianen und Blütenketten, an denen Tauperlen gleich köstlichen Geschmeiden glänzten, schob sich dazwischen. Die spielenden Wellen murmelten, Tiergekreisch schallte aus grünem Dickicht. Manch300
mal aber war es so ruhig, daß man die Atemzüge der Paddler hörte und auch das leise Geräusch, mit dem die Wassertröpflein von den breiten Ruderblättern abtroffen. Die Eroberer sprachen nicht viel, denn sie waren noch von der Kletterei arg mitgenommen. Besonders schien es allen ein Wunder, daß der Pieterken samt Trommel, Eisenbein und Kurzschwert unterwegs nicht liegengeblieben oder in einen Abgrund gestürzt war. Ein jeder beschäftigte sich mit seinen Gedanken, wenn er nicht grad rudern mußte. Denn es griffen alle zu, und die Kanus, in denen die Kräfte gut verteilt waren, glitten mit der Strömung gleich Pfeilen dahin. Immer aber lagen die Arkebusen bereit, und einer war stets zum Auslugen bestimmt. Weil die Ufer oft so dicht und einsam wurden, daß man feindliche Überfälle befürchtete! Es hemmten auch wieder Wasserfälle ihren Weg, und man mußte im brausenden Gischt über scharfe Felsen und schlüpferigen Kies laufen, die Kanus mit dem schweren Inhalt auf den Achseln. Viele Hunderte Ellen weit! Und wenn dann glattes Wasser erreicht wurde und man weiterfahren konnte, so mußte man nach kurzer Zeit flugs wieder raus, weil neue Katarakte brüllend den Weg hemmten. Die Arbeit war so grausam, daß die Männer sogar das Fluchen aufgaben, indem sie ihren Odem nötiger brauchten. Die Lästerungen aber, die in ihren zornigen Seelen widerhallten, hätten genügt, eine ganze Flotte Karavellen zum Sinken zu bringen! Und der Pieterken übertraf sich schier, so wunderbar waren seine Kraftleistungen. Weshalb auch keiner ihn verspottete, als er an einigen Stellen nicht weiterkonnte und der Flensburger ihn Huckepack durchs spritzende Wildwasser trug. Und sie aßen Wassersäue, Papageien und Fischlein. Manchmal nagten sie auch am Hungertuch und schmähten die satten Krokodile, welche an sumpfigen Stellen am Ufer 301
schnarchten. Sie priesen sich aber glücklich, von keinen feindlichen Wilden gesichtet zu werden. Einmal dünkte dem Flensburger, er sehe ein Kanu mit nackten Kerlen drin um eine Insel wischen, und flugs schlug er Alarm. Von ihren nervigen Armen getrieben, eilten die Fahrzeuge stromab; aber niemand ward gesehen, auch setzte keine Verfolgung ein. Breit und sumpfig wurden nun die Ufer, die Wasserfläche glich oft einer ununterbrochenen Kette von Seen, in welchen Inseln mit hohen, prächtigen Bäumen eingestreut lagen. Wundersame Blätter wuchsen aus dem Wasser, die rund und groß wie Wirtshaustische aussahen und kopfgroße, schneeige Blüten, die den deutschen Mummelrosen glichen, besaßen. Mancherlei seltsames Getier, das kreuchte, fleuchte oder schwamm, wurde erblickt. Und einmal spürten sie Rauch und glitten an einer Lichtung vorbei, auf der bienenkorbartige Hüttlein standen. Geschrei erschallte, und wohlgebaute Weiber von brauner Farbe und Federschürzen um die Leibesmitte, rannten ans Ufer, drohten kriegerisch und schmissen Keulen und Speere nach den Abenteurern. Weiter oben waren gegen dreißig dieser Amazonen beschäftigt, ein riesenlanges Kanu ins Wasser zu schieben. Da ruderten die Weißen mit Macht, schossen dran vorbei und verloren sich im Gewimmel der Seelein und Sümpfe, die den Strom bildeten. Nachts hörten sie das Wassergetier plätschern, auch den Jaguar im Walde brüllen. Glühkäfer funkelten gleich Feuerregen, und die grausamen Vampire zickzackten über ihren Köpfen hin und her. Einer nach dem andern bekam das Fieber und ward davon geschüttelt, daß ihm die Zähne im Maul aufeinandertrommelten. Die zween Träger des Pizarro und des Quesada aber bekamen's so arg, daß man sie eines Morgens tot 302
im Kanu fand. Denn sie waren Inkas aus dem Gebirge, und die feuchte Luft sagte ihnen nicht zu. Wohl aber gedieh der Kumana und war so fröhlich wie ein Säulein im Heimatspfuhl! Die Inkas wurden den Krokodilen übergeben, welche mit den Schwänzen schlugen und die dräuenden Rachen zuklappten, daß es schallte wie Bretter in der Sägemühle. Unermüdlich ruderte man weiter. Die Spaniolen schwitzten weidlich, legten aber die Brustpanzer nicht ab. Nur der Pizarro schmiß seinen ins Wasser, weil er ihm zu verrostet war, und er in den Siedlungen einen neuen kaufen wollte. Wochen verstrichen, und die Abenteurer wurden so vom Fieber mitgenommen, daß ihre Hände zeitweilig zitterten und das Weiße ihrer Augäpfel gelb unterlief. Es war ein großes Wunder, daß sie nicht im Kreise fuhren oder in Sumpf und Röhricht, wo Millionen blutgieriger Moskitos gleich Wolken über sie herfielen, steckenblieben. Stets fand der Kiel ihrer Fahrzeuge die Strömung, die sie stracks dem Meere zutragen mußte. Immer breiter wurde das mächtige Gewässer. Manchmal konnten sie gar nicht die hinter flimmernden Hitzewellen versunkenen Ufer mit den Palmenbüscheln erkennen. Einst erlegten sie eine Seekuh, welcher der Kumana „Manatí" nannte. Das gewaltige Tier hatte sich in ein Schilfdickicht verrannt, und ehe es rauskonnte, machte ihm ein geschickter Schwertstoß ein Ende. Drauf aßen sie frisches Fleisch, mußten es aber roh verzehren, weil man nirgends am Ufer einen Fußbreit trockenen Boden fand, um ein Feuerlein anzuzünden. Denn das Wasser stand zwischen Büschen und Bäumen. Der Kumana schmunzelte und sagte, das Meer sei unweit, weil solche Geschöpfe nie weit die Flüsse hinaufgingen. 303
Und tags drauf, als sie eine Landzunge umschifften, tat der Federmann einen großen Freudenschrei und wies nach vorn. Dort standen Häuser auf erhöhtem Ufer, und zween stattliche Karavellen — die eine rot, die andre schwarz gestrichen —, denen die Flagge beider Kastilien vom Maste aus wehte, ankerten im Flusse. Wild ruderten sie nun los und legten dann am Ufer an, das einen kleinen, steinigen Kai bildete, sprangen heraus und fielen auf die Knie, um Gott zu danken. Viel spanisches Volk in Kriegstracht kam angelaufen und bestaunte sie, schrie auch Vivat, als der Pizarro und der Quesada sich zu erkennen gaben und deren Kumpane gleich vom Chibchahorte zu erzählen begannen. Der Pieterken drängte sich durch die Welschen, die ihm kaum zur Schulter reichten, daß sie ihn baß bestaunten. Nachher, als man alle nach dem Hause des Statthalters, der Don Felipe de Nueva Alcantara hieß, führte, raunte der Trommler seinem Herrn ins Ohr: „Habt Ihr die Fratzen der Welschen gesehen, als sie vernahmen, wir wären die Welserschen ?" Der Flensburger nickte düster, hüllte sich enger in die Fetzen seines zerrissenen Wamses, und wie er dahinschritt, klirrte die Spitze des Flambergs übers Geröll. Eine große Anzahl Söldner und Matrosen gab ihnen das Geleit. Doch traten auch einige Kaufleute in die Türen, und aus einem der Häuser lachten spanische Trullen herfür und winkten schamlos. Viele Indios lungerten herum. Pieterken schlug einen lustigen Marsch, und so trat man in den Hof des Regierungshauses, das einem langen Schuppen glich. Das Volk blieb zurück, und ein sauber gekleideter Offizier trat den Abenteurern entgegen, begrüßte sie höflich und bat sie, in die Gegenwart des Statthalters und seiner Herrn zu kommen. Don Felipe de Nueva Alcantara war ein ausgemergeltes 304
Männlein, das in schwarzseidener, mit Silberlitzen verbrämter spanischer Tracht stolz auf einem erhöhten Sessel saß. Links und rechts standen Hauptleute, Schreiber und ein Korregidor im Richterornat. Auch ein Pater mit stattlichem Bäuchlein war dabei. Don Felipe sprang auf, blitzte freudig mit den schwarzen Äuglein und rief sogleich: „Ist vielen Goldes bei den Chibchas gefunden worden ?" Der Flensburger wunderte sich baß über diesen Willkommen, zumal allen die Zunge nach einem guten Trunk aus dem Halse hing! Don Felipe umarmte den Pizarro wie auch den Quesada. Dem Federmann aber gab er nur huldreich die Rechte, hieß sie alle niedersetzen und klatschte in die Hände, damit Erfrischungen gebracht würden. Nun hub ein Erzählen und Parlieren an, das nur von den erstaunten „Demonios" und „Carambas" des Statthalters unterbrochen ward. Wieder und wieder ließ sich Seine Exzellenz, die arg an der Gicht litt, den Chibchahort beschreiben, und die Augen der andern funkelten gierig. Der Pizarro führte das große Wort, blieb aber bei der Wahrheit. Der Quesada und auch der Federmann trugen stracks ihre Ansprüche vor, wiesen die Edelsteine und Goldkettlein vor, die sie zur Probe mitgenommen. Zweifelnd schüttelte Don Felipe das kleine Haupt, als er nun Schiedsspruch tun sollte. Es wäre eine verworrene Geschichte, sagte er, und er rate ihnen, bis man sich näher entschieden habe, ihm einstweilen alle Ansprüche zu übertragen. Der Kanzlist möge es gleich schwarz auf weiß niederschreiben. Nachher könne man weitersehen. Zuerst sollten die Herren sich gut ausruhen und auch neue Kleider, die er ihnen zur Verfügung stelle, anziehen. Da legte der Pizarro los und schalt den Statthalter un305
verzagt einen Neidhammel und windigen Wicht, der sie mit Schreiberkniffen um ihr Recht betrügen wolle! Don Felipe fauchte vor Wut, aber der dicke Pater im Hintergrund lachte hörbar, nickte auch den vier Deutschen, die mit ihrem Kumana von männiglich scheel angesehen wurden, fröhlich zu. Der Statthalter drohte dem Pizarro, er würde ihm das Haupt vor die Füße legen lassen! Worauf dieser höhnisch zurückbrüllte, ob jener wohl wisse, was ihm blühe, wenn er den Bruder des Franziskus Pizarro, des Eroberers von Peru, wie einen schnöden Knecht dem Scharfrichter überliefere! Ein Sklave, der ein Tablett mit spanischen Süßweinen brachte und männiglich bediente, goß Öl auf die Wogen der Erregung, denn alles soff guten Trank. Und der Statthalter sagte schließlich, er könne in der Sache nichts tun, sondern des Kaisers Majestät allein dürfe hier entscheiden. Und die dreie sollten ihre Ansprüche zu Papier bringen, die Schreiber wollte er ihnen geben, denn es sei Eile not, weil in der Nacht die Karavelle „El nombre de Dios" in See steche! Und sich verbeugend, wünschte er den Herrn gute Ruh, er werde sie beizeiten durch die Schreiber wecken lassen. Sklaven führten die Abenteurer in einen Teil des Hauses, wo allen zusammen drei Räume mit Hängematten und Deckenlagern angewiesen wurden. Bevor sie sich zu kurzem Schlaf hinlegten, vertilgten sie noch ein gewaltiges Mahl. Der Mond sandte schon seine Silberstrahlen auf Häuser und Fluß hinab, und die Kerzen brannten in den Gemächern, als die Deutschen jäh hochfuhren. Der lustige Pater mit dem von großer Seelenruhe zeugenden Bäuchlein stand vor ihnen und trug ein Schreibzeug in der Hand. Er setzte sich an den Tisch und sagte: „Nun erzählet mir, was ihr des Kaisers Majestät berichten wollt, damit ich's niederschreibe. 306
Und nachher will ich's einem Amtsbruder auf der Karavelle übergeben, damit er's getreulich besorge. Denn der Statthalter will euch nicht sonderlich wohl, weil er Streit mit den Welserschen gehabt hat!" Der Federmann bat ihn, um Gottes willen die Wahrheit zu reden, und der Pater schwur's beim Kruzifix! Er wußt aber nur zu sagen, daß der Statthalter ein Schiff zu den Welserschen gesandt hatte und daß der junge Bartholomäus den Anführer geohrfeigt habe, weil er sich ungebührlich gen das blonde Weib eines abwesenden Hauptmannes benahm. „Prachtjunge!" murmelte der Flensburger in seinen Bart. Der Pater fuhr fort, daß das Schiff in Unfrieden abgefahren sei, jener Befehlshaber jedoch eine Verbündete in einer heiligen Nonne, die in der Weiserstadt freiwillig eingemauert säße, gefunden habe. Denn sie hätte ihm viel Arges über die Welserstadt und deren Anführer erzählt! Die blonde Frau, welche ihre Schwester sei, und ihr Ehegemahl aber wären Ketzer, die den Satan anbeteten und Gott lästerten. Auf diese Nachricht hin hätte der Statthalter flugs Briefe nach Hispaniola gesandt. Mehr wüßte er nicht zu sagen — endete der Pater. „Wohl hast du recht gehabt, Pieterken, als du damals warntest!" rief der Jan Detlef, und der Knecht antwortete: „Es wär arg, wenn ich die Trommel an des Statthalters Köpflein zerschellen müßte, denn es würde wohl nur letzteres entzweigehen. Doch ist des Pizarros Hirnschale sicher härter und spaßhafter auszuprobieren!" Der Federmann dankte dem freundlichen Pater und begann, ihm das Dokument zu diktieren, und sie wurden nach zween Stunden grade fertig, als man sie zum Statthalter rief. Dort standen schon der Pizarro und der Quesada, und auf ein Zeichen las ein Schreiber alle drei Schriftstücke mit 307
lauter Stimme vor. Sie wurden für gerecht befunden und mit vielen Schnürlein und Petschaften versiegelt. Dann erhielt sie der Anführer der Karavelle; doch schnitt der Statthalter ein bitteres Gesicht, als der dicke Pater den Brief des Welsers nahm und seinem dunkelgesichtigen Amtsbruder von der „El nombre de Dios" überreichte. Don Felipe sagte aber kein Wörtlein, und männiglich begab sich an den Strand, um der Abfahrt der Karavelle zuzusehen. Nachher ging man schlafen. Am nächsten Tag lag der Federmann mit argem Fieber nieder, und der heilkundige Pater sagte, jener würde am Rande des Grabes vorbeischreiten und viele Wochen brauchen, ehe er wieder auf die Beine käme. Dies machte den Flensburger traurig, weil er zu Schiffe wollte. Er fragte auch den Statthalter, ob er ihm eine Periagua, wie die großen seetüchtigen Kähne genannt wurden, leihen könnte. Der verneinte es mit vielen Komplimenten und grinste dabei heimlich. Der Flensburger irrte wütend zwischen den Häusern herum und fand in einer Trullenstube einen verwegen aussehenden Spaniolen beim Branntewein sitzen und auf Gott und Regierung lästern. Der Kerl hatte ein kühnes Gesicht mit einer breiten, glühroten Narbe drin; an den Ohrläppchen baumelten ihm güldene Reifen, und seine Tracht war die eines Schiffers. An den machte er sich heran, kaufte ihm Branntewein, den jener schluckte wie ein Fisch, und vernahm, daß der Statthalter ihm verboten hätte, mit einer Ladung Indianersklaven nach der Insel Hispaniola zu segeln. Ob er denn ein Schiff hätte? fragte der Jan Detlef und erhielt zur Antwort: „Klein, aber schön ist's und hat drei Mann Besatzung, hat aber in seinem Bauche Platz für dreißig Sklaven und segelt so leicht wie eine Wolke." 308
Rasch wollte der Flensburger wissen, ob jener ihn nach der Welserstadt fahren wolle. Ins Wams langend, wies er ein Kettlein aus güldenen Eiern, und dem Welschen blitzten gierig die Augen. Sprach auch flugs, für ein solches Kettlein würde er den Teufel in den Schwanz kneifen, geschweige denn einem gichtbrüchigen, geizigen Statthalter einen Tort antun. Überdies habe jener ihm nur untersagt, nach Hispaniola zu fahren, mitnichten aber nach Welsaria. Und letzteres brauchte man ihm ja nicht vorzeitig zu verkünden! Da schloß der Flensburger eilends einen Vertrag mit dem Narbengesichtigen. Sie machten aus, wo man sich treffen sollte, und dann geleitete er den Halbtrunkenen aus dem Trullenhause, damit er sich nicht vollsoff und alles vergesse. Eilte drauf zum Pater, dem er sich anvertraute. Dieser hieß sein Vorhaben gut und versprach, den todkranken Federmann zu hüten, denn er würde eine Meeresfahrt jetzo nicht aushalten. Der Jan Detlef gab nun dem Trommler Bescheid und verabschiedete sich heimlich vom Pfannenstiel, der bittere Zähren weinte, weil er beim Federmann bleiben sollte. Es war dunkel, als die beiden zum Strande schlichen, wo auf ihren leisen Pfiff ein kleiner Nachen heranschoß und sie aufnahm. Hastig ruderte der Spanier sie stromab in eine kleine Bucht, wo ein schmuckes, gedecktes, einmastiges Schifflein am Ankerseil zerrte. Als der Mond in voller Pracht aufging, glitt das Fahrzeug mit gutem Winde und fördernder Strömung den mächtigen Magdalenenstrom, der wie Silber gleißte, hinab ins Meer. Dort wandte es und hielt die Küste entlang. Der Flensburger hatte dem Narbengesichtigen das Kettlein gegeben und saß jetzo an Deck, ruhelos ins blitzende Wasser starrend 309
und sein Pfeiflein schmauchend. Sonder Umstände ging die Fahrt vonstatten, und eines Morgens sahen sie das Wasser sich gelb färben, wo der Orinoko ins Meer floß, und dann lag die Welserstadt vor ihnen. Dem Flensburger griff eine eisige Hand ans Herz, als er zween Banner über der Palisadenfeste flattern sah, und der Pieterken rief: „Luget nur, Herr, was hat die spanische Fahne dort zu tun? Und sie hanget ja über der unsern!" Drauf stiegen sie ins Boot.
Der Brief des M o n c a d a Man hatte sie bemerkt, und kaum betraten die zween den Strand, da hing die blonde Bonita am Halse ihres Gesponsen. Der von Hutten, der Welser nebst dem Pater und viele andre kamen herbeigerannt, um ihnen die Hände zu schütteln und kräftigen Willkommen zu sagen. Es standen aber auch spanische Kriegsknechte und Fähnleinführer herum und lachten verstohlen. Drauf zogen alle der Palisadenfestung zu, und auf dem Wege dorthin hüpften ihnen Kumanas mit allen Zeichen der Freude entgegen. Das Schifflein, mit dem der Flensburger und sein Trommler gekommen, hielt mit schwellender Leinwand vom Lande ab. Beim Büßerhäuslein angekommen, zuckte der Jan Detlef zusammen, ging aber stumm weiter, während durch das Fensterlein ein dürrer Arm ragte und eine hohle Stimme rief: „Gott zum Gruß! Bist du zurückgekehrt, Flensburger? Ich heische Rede mit dir!" Von den fremden Spaniern blickten etliche zornig auf den Hauptmann, da er stumm weiterschritt. Und sie rannten eilfertig ans Fensterlein, um ehrerbietig mit der Gloria zu 310
reden. In der Feste angelangt, machte sich der Jan Detlef von der Umhalsung seines Weibes los und rief: „Nun erzählet, ihr Herrn, was sich zugetragen hat, denn ich sehe viele neue Gesichter hier. Auch triumphiert das spanische Banner über dem unsern! Ist Welsaria nicht mehr unser?" Sie ließen sich nieder, und der Küper brachte kühlen Trank. Da saß der junge Welser, dessen Gesicht ernster und mannhafter geworden, neben dem Ritter von Hutten und dem Pater Chrysostomus. Und es waren zween spanische Hauptleute dabei, die ihre spitzen Schnurrbärte zwirlten. Einer dieser ergriff auch flugs das Wort und sagte: „Üble Ketzerei gedeihet fürwahr in dieser Kolonia, und Ihr habt einen spanischen Flottenbefehlshaber beleidigt. Drauf schickte der Statthalter Don Felipe Briefe nach der Insel Hispaniola an den dortigen Gouverneur mit der ruchlosen Kunde. Und der sandte uns herbei! Da haben wir Euer Banner herabgehängt, bis die Bestätigung vom Kaiserhofe kommt, ob dies Land Euch weiter verbleiben mag oder nicht!" Der Bartholomäus Welser erhob sich und schrie: „Eitel Lug und Trug ist's, was Ihr da saget, Señor. Euer Befehlshaber hat sich tadelhaft benommen, und da schlug ich ihm hinter die Löffel, daß er Blut spie. Das ist die ganze Geschichte !" Der Spanier nickte höhnisch vor sich hin, dann erwiderte er: „Eure Erziehung läßt zu wünschen übrig, Herr Welser!" Drauf machte er männiglich einen Bückling und ging mit seinem Kumpan davon, hörte es auch nicht mehr, wie der Bartholomäus ihnen mit dunkelrotem Gesicht nachschrie: „Als ich für den Vater von Augsburg über die Alpen gen Venedig ritt, um edle Stoffe und köstliche Glaswaren zu holen, da wurde ich oft von Buschkleppern, wie Ihr seid, schnöden Raubes wegen überfallen. Und ich hab ihnen mit 311
dem Schwerte heimgezunden, wie ich's auch mit Euch tun will. Denn hier ist meines Vaters Grund und Boden. Des Kaisers Majestät hat's ihm selber überschrieben!" Man beruhigte den Patriziersohn, und nun hörte der Flensburger, daß die Spanier, die in der Überzahl wären, sich arg aufführten, indem sie die Deutschen verlachten und in den Wäldern mit Bluthunden herumhetzten, daß kein Indio mehr auf fünfzig Meilen hinaus zu sehen sei. Und auch den Kumanas taten sie jeglichen Tort an und verwendeten sie zu schwerer Fronarbeit. Und zwischen Deutschen und Welschen seien schon Mord und Totschlag vorgekommen. Die Schuldigen mußten, wann's Welsersche waren, ohne Gnad und Barmherzigkeit baumeln. Den Spaniolen aber half man heimlich aus dem Gefängnis und schickte sie über den Orinoko hinüber, wo sich eine Siedlung von Halsabschneidern und Indiotrullen aufgetan habe. Vor der Gloria aber hätten die Spaniolen große Achtung, huldigten ihr als einer Heiligen, weil sie alle Welserschen samt und sonders hasse und verleumde. Der Flensburger hörte zu, erzählte dann, was der gute Pater des Don Felipe gesagt hatte, und daß wohl kurz oder lang spanische Heeresmacht landen würde. Alle seufzten schwer und nickten, wie er weiterredete, daß auf des Kaisers Wort mitnichten zu bauen wär. Man sage zwar „Fürstenwort ist gülden Wort", doch träfe dies bei Carolus nicht zu, denn er sei ein arger Gleisner! Der Welser wollte nun wissen, was zu tun wäre, denn man könne doch die Kolonia nicht einfach aufgeben! Jetzo hub der Flensburger an, zu erzählen von der Chibchastadt und dem dortigen Golde. Von der Fahrt den Magdalenenstrom durch geheimnisvolles Land hinab zum Don Felipe de Nueva Alcantara. Und von den Briefen, die mit der Karavelle nach Spanien gesandt 312
wurden. Männiglich lauschte mäuschenstill, während der Flensburger dies vorbrachte und auch den Pieterken hereinrufen ließ, damit er die Mär bestätige. Als er geendet, schwiegen alle. Leise eilte der Küper hin und her, um die Humpen zu füllen. Vom Obergeschoß, wo die Bonita hauste, drang liebliches Getön. Die Botina sang mit ihrer hellen Stimme zur Laute. Plötzlich sprang der Welser, der mit dem von Hutten geflüstert hatte, auf den Tisch und rief mit leuchtenden Augen: „Wohlan, so lasset uns zur Chibchastadt marschieren, das Gold nehmen und auf des Kaisers Wort warten. Und wenn es sein sollte, daß der Pizarro oder der Quesada recht kriegen, so lasset uns weitermarschieren. Mich dünkt, es liegen noch der Reiche viele an dem geheimnisvollen Strom, den der Flensburger hinabgefahren ist. Ein solches wollen wir erobern und meinem Vater erhalten!" „Heil! Vivat der Welser!" schrien die Hauptleute und Kornette begeistert, und der Flensburger sagte, es sei männlich, was der Welser vorschlage und auch wohlerwogen. Und mit den Heiden in der Wildnis sei gewiß besser auszukommen als mit wortbrüchigen Welschen. Der Welser sprach weiter: „Die Kranken und Zagherzigen lassen wir hier, und zwar soll der Federmann den Befehl über sie erhalten. Der hat in Italia für den Kaiser gefochten, und die Welschen sind ihm hold. Er wird gut auskommen mit den Schorfköpfen hier und vielleicht gereicht's zu aller Vorteil. — Ich werde ihm Briefe schicken mit der spanischen Periagua, daß er Bescheid weiß, wenn er gesundet. Und seines Goldes wollen wir getreulich hüten!" Keuchend stieg der Bartholomäus vom Tisch herab. Der Flensburger wunderte sich, wie männlich der Jüngling geworden während seiner Abwesenheit. Und er war baß er313
staunt, als er vernahm, daß er fast zween Jahre weggewesen! Weise warf der von Hutten ein, ob man nicht zuwarten wolle, bis der Federmann ankäme. Drauf schwur der Welser, wenn sie harren wollten, so würde er allein losmarschieren. Darob lachten alle und kamen überein, sobald als möglich abzuziehen, ohne jedoch den Spaniern gegenüber formell auf die Kolonia zu verzichten. Wenn sie auch arg seien, so getrauten sie sich gewißlich nicht, ihres Kaisers Zorn zu erregen! Der junge Welser aber wollte alles vor seinem Vater verantworten und trug dem Pater auf, sogleich Dokumente aufzusetzen, worin dies festgelegt werde. Nachher ging der Flensburger ins Ehegemach, um mit seinem sehnsüchtig harrenden Weibe zu kosen. Wie er dabei erzählte, daß aufgebrochen werden sollte und sie mitdürfe, war sie's zufrieden und sagte, sie wolle lieber im finstern Urwalde von greulichen Heiden geraubt werden, als allein in der Hut der Spanier hier zurückbleiben. Denn ihre Schwester habe einen schrecklichen Haß auf sie! Bitterlich fing die Bonita an zu flennen. Er sprach ihr liebreich zu, streichelte ihr blondes Gelock und herzte sie, bis die Röslein von neuem auf ihren Wangen blühten und sie unter Zähren lächelte. Unter solchem Getändel verbrachten die zween Gatten die Zeit bis zum Abendimbiß, der gemeinsam im Saal eingenommen wurde. Man sprach dabei vom Chibchahort, und die Augen der Welschen barsten schier aus ihren Höhlen vor Gier. Wie sie vernahmen, daß die Hauptmacht der Welserschen ins Innere ziehen wollte, schienen sie froh, und der eine sagte, daß er vom Nikolaus Federmann gehört habe, als dieser in Italia focht. Und derselbe sei ein wackerer Herr, auch ketzerischem Einflusse abhold, und sie freuten sich auf seine Ankunft, versprachen auch gleich die Periagua zum Magdalenenstrom zu schicken. Die heilige Nonne aber, 314
die im Häuslein sitze, müsse hierbleiben. Sie könnten nicht gestatten, daß dies gottesfürchtige Weib in der Wildnis umkomme. „Wenn nur wir Deutschen im Urwalde verrecken, so ist's Euch recht. — Wollt Ihr übrigens wissen, wer dies gottesfürchtige Weib einst war und was für ein Handwerk sie getrieben ?" fing der Welser an, trotzdem ihm der von Hutten unterm Tisch auf die Zehen stampfte. Der welsche Hauptmann erwiderte: „Gewiß hat sie den Armen und Bedürftigen gegeben und gute Werke getan!" Da mußte der Welser so schrecklich lachen, daß ihm die Zähren aus den Augen kullerten, und sagte stöhnend: „Gewiß hat sie gegeben! Und zwar sich selber. Jedoch mitnichten umsonst an Bedürftige und Arme, sondern sie nahm güldene Carolustaler dafür. Eine Trulle und Lakenreißerin war's zu Augsburg, die der Moncada mitnahm, sie aus Komödia ehelichte und sie dann wieder verstieß. Und weil sie den Flensburger nicht kriegen konnte, der ein braver Mann ist und ihre Schwester nahm, welche ehrbar und treu war ihr ganzes Leben lang — wurde die Gloria verrückt. Ließ sich im Häuslein einmauern und sinnt Tag wie Nacht drüber nach, wo sie uns was antun könne — gleich einer üblen Kreuzspinne!" Der Welsche biß sich auf die Lippen und blitzte mit den Augen. Sein Kumpan sprang auf und wollte wissen, wer der Flensburger sei. Ob es der Hauptmann wär, der mit dem Schifflein ankam und den grausen Knecht mit dem Eisenbein und der Trommel hätte ? Das ginge nicht mit rechten Dingen zu, weil es bis dato unbekannt gewesen wäre, daß ein Christenmensch ein Bein aus Eisen besäße. Gewiß wäre der Kerl ein arger Hexenmeister! Langsam erhob sich der Jan Detlef und reckte sich, sah 315
den Spanier nur ernst an, ohne ein Wörtlein zu reden. Flugs hockte sich jener hin, und nun lenkte der kluge von Hutten aller Aufmerksamkeit ab, indem er das Edelgestein und die Goldklümplein aus dem Chibchahorte umherzeigte. Als es Nacht war, stieg der Jan Detlef aufs Dach hinauf und blickte übers Meer. Es glitzerte und sprühte als Spiegelbild der Sterne. Der Urwaldsaum hob sich zackig vom Himmel ab. Über den Feldern tanzten die Glühkäferlein. Es war genau so wie damals, als er mit dem Moncada hier saß. Nur hatte sich die Zahl der Häuser vergrößert und die Felder waren weitmächtiger geworden. Langsam ging er hinab und begab sich durch die Dunkelheit nach dem Büßerinhäuslein. Der Kies knirschte unter seinen Sohlen. Mit verschränkten Armen blieb er vor dem Fensterlein stehen. Drinnen bewegte sich etwas, dann sagte die Stimme der Gloria: „Bist du's, Flensburger? Man erzählte mir, ihr hättet viele Beute gemacht und Heiden zu Massen erschlagen. Das ist verdienstvoll, und ich will dir deshalb meinen Kummer verzeihen, wenn du mir flugs Abbitte leistest und auch solches morgen vor versammeltem Volk tust!" Er schüttelte das Haupt. — „Abbitte? Eher solltest du solche leisten und die schandbaren Lügen, welche du über mich und mein Weib ausstreust, zurücknehmen. Sie sind gar weit gedrungen. Bis in des lachhaften Männleins Ohren, das sich Don Felipe von Nueva Alcantara nennt!" Die Gloria kicherte: „'s wird noch weiter klingen und euch zween zu einem lustigen Scheiterhaufen verhelfen!" „Was hab ich dir getan, Weib, daß du so grause Worte sprichst ?" Von drinnen kam wieder das Kichern: „Weißt du noch, Mann, wie du in der Stube des Hänslein Bannholzer zu Augsburg standest und ich dir Minne bot ?" Er nickte in der 316
Dunkelheit, und seine Stimme war hart: „Ja, und das Abendrot glomm durch die Butzenscheiben. Und du buhltest mit dem Bettelmönchlein, als ich nichts von dir wissen wollte. Ist das alles, was du mir sagen willst?" „Mann!" kreischte sie wild. „Mann, damals war ich noch schön! Willst du mein Antlitz sehen jetzo, nachdem ich seit zween Jahren hier eingemauert bei Spinnen und Echsen im feuchten Häuslein sitze ?" Er fuhr zurück, als ein paar bloße Arme durchs Fensterlein kamen, denn sie glichen Totenbeinen, mit runzliger Haut überspannt. Und da grad der Mond aus dem Meere kam und lichten Schein verbreitete, sah der Flensburger, daß an jenen Armen die Hände wie Klauen saßen mit langen, krummen Fingernägeln. Da packte ihn das Grauen, und während die Irre schrill lachte, rannte er wie von Furien gehetzt nach seinem Losament. Die Bonita schlief schon, und leise, um sie nicht zu wecken, nahm er den Platz an ihrer Seite ein. Die nächsten Tage verstrichen unter den Vorbereitungen zum Abmarsch. Die wehrhaften Knechte hatten vor Begeisterung getobt, als sie hörten, daß es nun auf Abenteuer losgehen sollte. Diejenigen aber, die bresthaft waren, und die Mißmutigen waren's zufrieden, daß sie dableiben sollten. Die welschen Hauptleute beschworen es bei Kruzifix und Kerzenschein, daß sie den Federmann willkommen heißen würden; und der irische Pater, welcher den Eid abnahm, sagte nachher, jene würden's halten, denn die Spaniolen nähmen es von jeher mit religiösen Schwüren sehr genau! Es kam aber eine Mißstimmung auf, als der Flensburger raunte: „Wie sie's mit den Eiden halten, das haben die Azteken und Inkas erfahren. Und wir auch, die wir an Fürstenwort glaubten! — Mich dünkt, die strenggläubigen Welschen machen mit Schwüren bei Heiden und Deutschen, die sie insgesamt 317
Ketzer zu nennen belieben, gern eine Ausnahme. Vielleicht kriegen sie auch Ablaß dafür!" Der Welser meinte beschwichtigend: „Der Kaiser ist meinem Vater gar hold. Und ich bin sicher, daß die Ereignisse hier auf Mißverständnissen beruhen!" Jäh brauste der Jan Detlef auf: „Carole ist ein Schelm! Das hab ich stets gesagt!" „Still! Schweiget, daß die Spaniolen es nicht hören!" murmelte der von Hutten, und der Pater zog den Flensburger in sein Kämmerlein, wo er ihn die niedergeschriebene Chronika weisen ließ. Und lobte ihn sehr, worauf der Flensburger sich dran machte, auch jenen Teil von der Kanureise niederzuschreiben, damit's der Pater abkonterfeien konnte. Endlich war man zum Abmarsch bereit, und diejenigen der Kumanas, welche als Träger mitsollten, machten vor Freude ellenhohe Sprünge, weil sie nicht gern bei den Spaniern bleiben wollten, von denen ihnen Arges schwante. Jene zeigten sich anfangs entrüstet, als sie die Bonita in Wams, hirschledernen Hosen, hohen Stiefeln und mit dem Dolch an der Seite erblickten. Sie sagten, dies wäre ketzerisch oder zumindestens unsittlich! Doch schwiegen sie, als der Flensburger drohend herumging und ihm sein Trommler wie ein gewaltiger Wachhund nachhumpelte. Die spanischen Hauptleute machten auch artige Bücklinge und riefen alle Heiligen im Himmel an, um die Wegfahrer zu schützen. Da ward der Abmarsch geblasen, und der „Höllenbauch" gab einen Salutschuß ab. Es war aber eiserne Traubenladung im Rohre, welche den Welserschen dicht über die Köpfe brauste, daß sie den Luftzug spürten. Die Spanier entschuldigten sich vielmals, sie hätten mitnichten gewußt, daß scharfe Ladung drinsteckte — baten, jene möchten's nicht übel ansehen, und riefen nochmals der Heiligen Jungfrau Segen auf sie herab. Und ihre Sackpfeifen schrillten höhnisch dazu. 318
Jetzo schlug der Pieterken, dem sein Bart während der zween Jahre bis zum Gürtel gewachsen war, auf die Trommel. Und die Hauptleute machten zu, daß der Zug in den Wald kam, damit nicht im letzten Augenblick eine Schlacht zwischen Deutschen und Welschen ausbreche. Dann umfing sie die Wildnis, und die Rotten zerteilten sich, um besser vorwärtszukommen. Die Bonita hielt sich tapfer und freute sich ob der schönen Blümlein, der bunten Vögel und des possierlichen Getues der Affen. Also erreichten sie die Llanos und den stolzen Orinoko; kamen auch in die Heidenstadt am Atabapo und sahen zu, wie die Schildkrotten ihre Eilein in den Sand gruben. Die Knechte blieben rüstig, weil sie vom Chibchahorte wußten, und der Golddurst ihnen Leib wie Seele gen alles Ungemach stählte. Weiter ging's durch Urwald und über Hügel, bis das Hochland erstiegen wurde. Und die Mauer vor dem Chibchareiche stand noch, doch waren die Wächterhäuser leer und dienten Bergratten zur Unterkunft. Die Häuser in den Weilern waren zerfallen und von Feuersbrünsten angeschwärzt. Auf den Feldern wucherte üppiges Unkraut, und die Obstbäume waren teilweise umgehauen. Am Entleinsee, wo sie lagerten, wurden die ersten Chibchas erblickt, doch flohen sie, und man konnte keinen haschen. Da schwante den Hauptleuten Unheil, und ehe man weitermarschierte, traten sie zu Rate, und es wurde beschlossen, auf der Hut zu sein. Nach Tagen wurde der schöne See erreicht, in dem der Güldene, welchen die Spanier „Dorado" genannt hatten, ersoffen war. Längs der Straße fürbaß ziehend, kamen sie in Sicht der Stadt, und der Flensburger, der von sonderbarer Unruhe befallen voraneilte, blieb jäh stehen. Drauf kamen die andern heran, und sie sahen alle einen Haufen zerstörter, brandgeschwärzter Ruinen, traurig zerzauste Bäume und 319
Scharen von Aasgeiern auf den Mauern sitzend oder sausend vom blauen Himmel herabfallend. „Stoßt ins Horn! Pieterken, schlag die Trommel so laut wie noch nie!" keuchte der Flensburger. Jene gehorchten. Kaum war das Echo verklungen, als aus der zerstörten Stadt antwortende Töne klangen, und einer der Knechte rief: „Ich sehe das Welserbanner flattern!" Hastig marschierten sie weiter, und auf halbem Wege zu dem greulichen Trümmerhaufen, der einst die schöne, von Volksgetümmel lebende Chibchastadt gewesen war, kamen ihnen verwilderte Kerle in Lumpen, mit rostigem Brustpanzer und Sturmhauben entgegen, schrien vor Freude und fielen auf die Knie, als sie die Welserschen erkannten. Und es waren fünfundzwanzig Bayern nebst Sachsen, dazu zwanzig Kumanas, welche ebenfalls Eisenhauben und Schwerter trugen. Der von Hutten machte allem Geschrei und Erzählen ein Ende und befahl der Besatzung, bei denen noch ein Rottenmeister war, ihnen das Quartier zu zeigen. Sie zogen voran durch die Gassen, wo Schutt, geschwärzte Balken und schneeweiße Totengebeine in Menge lagen, und führten alle in den Hof, wo die Häuser standen, die der Flensburger kannte und wo auch das Weilerbanner flatterte. „Wo ist der Hort?" brüllten hundert Stimmen durcheinander, und die Landsknechte rannten gleich Narren herum, schauten überall nach und schrien aufs neue, man hätte sie betrogen und ins Elend geführt. Da gebot der Welser männiglich zu schweigen, sagte drauf dem Rottenmeister, er solle erzählen, was sich zugetragen habe. Die Landsknechte bildeten flugs einen Kreis, nötigten den zerlumpten, bärtigen Kerl, auf den erhöhten, steinernen Brunnentrog zu steigen, und schwiegen mäusleinstill. Der Mann räusperte sich und schluckte, ein paarmal ka320
men ihm auch blanke Tränen in die blauen Augen, aber schließlich geriet er in Feuer, und die Worte glitten wie Öl über seine Lippen. „Als die drei Oberführer mit ihren Kumpanen davongezogen waren" ... begann er, „da rief der Ritter Moncada uns alle Zusammen und befahl uns, wir sollten unser Gold wieder auf einen Haufen schmeißen, denn er wüßte noch neue Schätze, und dann sollte alles wieder geteilt werden. Großes Murren erhob sich, und während jene, welche ihr Anteil beim Würfeln verloren hatten, ihm Beifall zollten — schalten die Gewinner ihn aus und weigerten sich. Er lachte und drängte die Sache nicht weiter, machte sich aber heimlich unter uns Deutsche, deren Sprache er gut versteht, und fragte jeden geschickt aus, was er tun wollte, wenn die Rotten des Pizarro mit denen des Quesada plötzlich ernstlich Streit bekämen. Drauf antworteten wir, wir würden uns mitnichten rühren, denn die Spaniolen schafften uns Ungemach genug. Der Mon-ada lobte unser Vorhaben und sagte, wir wären brave Kerle, weshalb er uns auch unser Teil von den Schätzen, die noch im See lägen, geben würde! Es vergingen Monde, und die Spaniolen hausten wie die Teufel in der Stadt, zündeten allnächtlich viele Häuser an, hetzten die Weibsen umher und schlugen die Chibchas aus purem Spaß tot, wo sie sich ihnen in den Weg stellten. Eines Nachts aber ging die Hölle los! Der Moncada hatte mit den Leuten des Pizarro, die ihm alle ergeben waren und einem Teil der Quesadaschen, die zu ihm schwuren, den Rest dieser im Schlafe überfallen, und obwohl sie sich wütend wehrten, wurden sie erbarmungslos abgeschlachtet. Die Mörder teilten sich frohlockend in die Schätze ihrer Opfer. — Wir aber waren von da ab auf der Hut und stellten vierfache Wachen aus, damit uns nicht das Los der Quesada321
mannen blühe! Doch lachte der Ritter uns aus und sagte, die Kerle hätten's verdient; er schenkte uns auch zwanzig Traglasten güldener Kettlein. Den Chibchas aber ging's nach wie vor übel. Da ihre meiste Nahrung nur auf den bebauten Feldern gedieh, mußten sie dableiben. Nur einige Kühne entflohen ins Gebirge, wo sie bis heutigen Tages jedem auflauern, der allein lustwandelt. Die Städter aber wurden zu Hunderten erschlagen, und eines Tages kamen ungeheure Scharen von Aasgeiern und sind bis heute nicht wieder gegangen, obwohl an den Knöchlein der Getöteten schon lange kein Fleisch mehr sitzt! Eines Tages ließ der Moncada den Kapanko und seine Edlen mittels Flößen auf den See führen. Sie banden jedem ein langes Seil um die Lenden und schwere, runde Steine ans Bein. Gaben ihnen Körblein in die Hand und sagten, sie sollten auf dem Grunde des Sees flugs die Geschmeide, welche der Dorado jedes Jahr hinabgeschmissen, aufklauben. Man würde sie von Zeit zu Zeit emporziehen, um ihnen die Ladung abzunehmen. Sie sollten sich aber nicht unterstehen, ohne Kleinode ans Licht zu kommen, denn man würde sie unbarmherzig so oft tauchen, bis sie Beute brächten. — Ohne weiteres stieß man die Kerle dann auch ins Wasser, und die Gewichte rissen sie sofort in die Tiefe. Nach geraumer Zeit zog man sie hoch und fand sie ohnmächtig in den Stricken hangen. Die Körblein waren nicht mehr in ihren Händen. Wütend warfen die Spaniolen die armen Wichte wieder hinab, holten sie aufs neue hoch und wiederholten dies, bis es ersichtlich war, daß sie maustot waren. Da ließ man sie auf dem Grunde des Sees liegen, trank Chibchawein und kam grölend an Land. Selbige Nacht aber griffen uns die Spaniolen mit trunkenem Ungestüm an, und der Kampf währte lange. Von beiden Seiten bissen viele ins 322
Gras, aber die Welschen waren in der Übermacht, und wir wären alle des Todes gewesen, hätte nicht der Moncada Einhalt geboten. Denn er sagte, etliche von uns müßten schon übrigbleiben, damit die Stadt regiert werden könne! Wir verstanden ihn nicht, die Seinen lachten gewaltig, huben auch wieder an zu trinken. Wir wurden in eine Ecke des Hofes gedrängt und sahen zu, wie die Unholde sich unserer Schätze bemächtigten. Den andern Tag machten sich zu unserer Verwunderung die Welschen marschbereit, und sie riefen uns zu, jetzo gingen sie nach Haus, um dort als große Herrn zu leben. Und sie lachten, wir sollten einstweilen das zum Trümmerhaufen gewordene Reich regieren, bis die drei Statthalter wiederkämen ! Wir staunten, als die Spanier wirklich abzogen und um den Seezipfel herum verschwanden. Neunhundert Chibchas mußten den Hort auf ihren Schultern verteilt tragen. Andere Hunderte schleppten Nahrungsmittel. Vorne, hinten und seitlich verteilt gingen die Welschen und auch die befreiten Bergwerkssklaven, welche mit Peitschen auf die Chibchas losdroschen. So entschwand der ungeheuerliche Haufe unseren Augen. — Vorher aber hatte mir der Moncada ein Päcklein gegeben, das ich dem Flensburger Herrn Hauptmann überreichen sollte. Denn er käme sicher." Dem Jan Detlef ein schmieriges Päcklein aushändigend, endete der Rottenmeister seine Erzählung mit den Worten: „Wir blieben da, und obwohl's uns nicht an Nahrung gebrach, führten wir doch ein elendes Leben und waren oft schier am Verzweifeln vor lauter Trübsal. Die übriggebliebenen Chibchas aber waren eines Tages alle verschwunden." Eine Weile schwieg alles und starrte den Erschöpften an, bis wieder vereinzelte Schreie tobten: „Betrug! Eitler Lügen323
kram!" Der Flensburger, der das Päcklein geöffnet hatte, entnahm ein Pergament und gebot mit der Hand Schweigen. Jetzo las er vor und ein Lächeln umspielte seinen Mund. „Lieber Herzbruder und Kumpan! Mögen die andern regieren, ich halte mich an das Gold! — Deinen Teil überlaß ich dir unberührt. Im Hause, wo einst die Federmäntel lagen, ist er in der linken Ecke von der Tür eine halbe Elle tief vergraben. Und ich hab ihn verdoppelt. Die andern Barbaren mögen leer ausgehen und durch die Finger blasen. Wie ich dich kenne, wirst du tölpelhaft genug sein, deinen Schatz an sie zu verteilen. Behüt dich Gott und lebe lang. In aufrichtiger Treue und Freundschaft dein dir zugetaner Moncada!" Der Flensburger sprach sogleich weiter: „Der Schatz ist groß genug, um jedem von euch seinen Schnappsack zu füllen. Denn ich will ihn verteilen. Wohlan, grabet ihn aus!" Jubelnd rannten die Knechte in das bezeichnete Haus, um mit ihren Schwertern den Boden aufzugraben; kamen auch gleich mit güldenen Kettlein herausgetanzt, und der Welser befahl den Rottmeistern, alles ehrlich zu verteilen. Drauf speiste man, und im Rate wurde beschlossen, an den geheimnisvollen Strom des Flensburgers zu marschieren. Dort könne man weiter sehen. Todmüde begaben sich alle zur Ruhe. Durch die zerstörten Gassen klagte der Nachtwind, und ein paarmal schrillte bluterstarrendes Tiergeschrei wie das Heulen hungriger Winterwölfe durch die Stille.
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Die A m a z o n e n Aus dem Gebirge, welches an das alte Inkareich angrenzte, kam eine Anzahl Chibchas herab, und sie trieben eine Herde hochbeiniger, zierlicher Tiere mit langen Hälsen mit sich, denen sie ihr Gepäck aufgeladen hatten. Kumanische Späher hatten davon berichtet und gesagt, die Heiden würden in einer Entfernung von zween Tagen von der Chibchastadt einen Engpaß überschreiten. Flugs legte sich der von Hutten mit einem halben Fähnlein in Hinterhalt, und es gelang ihm, die Chibchas zu überfallen und ihnen die Tiere, welche zweenhundert zählten, abzunehmen. Sie waren Lamas geheißen und ließen sich sondern Müh von den Siegern forttreiben. Man staunte aber, als etliche dieser Lamas, denen man zuviel aufgebürdet hatte, sich einfach hinlegten und nicht eher auf die Füße zu kriegen waren, bis man auf Geheiß eines gefangenen Chibchas ihre Lasten verminderte. Im Quartier wurde die ganze Herde geschlachtet, und aus dem Fleische machte man Bukan. Sowie dies fertig war, wurde aufgebrochen, weil männiglich darauf brannte, der grausen Trümmerstadt zu entkommen. Es war ein stattlicher Zug! An die hundert Landsknechte, die schwer an ihren Waffen und Quersäcken, in denen dicke Klumpen Goldes wie auch funkelnde Kettlein steckten, zu schleppen hatten. Unter die Bewaffneten verteilt gingen die Kumanas, welche den Proviant trugen. Da der Flensburger den Weg einigermaßen kannte, mußte er führen. Die Bonita bekam bald wunde Füßlein und mußte von Kumanas in einer Hängematte geschleppt werden. Also zog man durch kühle Schluchten, über heiße, steinige Hochebenen und an Hängen entlang, die mit blütenflammendem Dorngebüsch bedeckt waren. Und 325
nirgends fand man Nahrung. Ohne den Bukan hätten alle Hungers sterben müssen, denn es dauerte drei Wochen — weil man sich verlaufen hatte —, bis jener Steilabsturz erreicht wurde, wo unten das lachende Tal und die Heidenhüttlein lagen. Beim Abstieg brach sich einer der Sachsen das Genick; ein anderer fiel so böse auf den Kopf, daß er die Vernunft verlor und fortan ein Narr blieb. Die Heiden wollten die Flucht ergreifen, als der reisige Haufen sich über ihr Tal ergoß, doch der Flensburger hatte dies geahnt und war vorausgelaufen, worauf sie ihn erkannten und blieben. Hier lagerten die Welserschen lange, denn die Heiden hatten nicht genug Kanus. Sie halfen wacker, solche aus Baumstämmen herzustellen, die man mit Feuer aushöhlte. Und da unter den Sachsen etliche Zimmerleute waren, welche die Axt wohl zu schwingen verstanden, ging die Arbeit flugs vonstatten. Binnen weniger Wochen lag eine stattliche Flotte von fünfundzwanzig backtrogähnlichen Kanus am Flußufer. Proviant wurde eingelegt. Da der blöde gewordene Sachse zu verstehen gab, er wolle hierbleiben, und weil er doch nur im Wege war, wurde es ihm verstattet. Die freundlichen Heiden wurden insgesamt vom Pater Chrysostomus getauft, und der Blöde erhielt ein schmuckes, braunes Mägdelein zum Weibe. Der Pieterken ging umher und sagte, daß jener es am besten von allen haben werde. Ein paradiesisch Stücklein Land, bratbares Getier im Walde, schmackhafte Fischlein im Strom und ein mollig Weiblein, um alles zuzubereiten! — Sie aber alle würde der Junker Georg mit der Hahnenfeder am Hut und dem Pferdefuß holen! Der Flensburger verwies ihm seine trübsinnige Rede, denn es würde die Knechte kopfhängerisch machen, und nun lachte der Pieterken wild, spielte auch ein dröhnendes Stücklein 326
auf der Trommel, daß die bunten Papageien flüchteten. Mit lautem Geschrei wurden die Kanus bestiegen, und sie glitten nun den fröhlichen Strom hinab in den Urwald, der sich gleich zween grünen Mauern auftat. Auf der Lichtung sahen sie den Blöden auf einem Steckenpferdlein, das er sich gemacht, über den grünen Rasen traben und hörten ihn „Hühott" plärren. Als die ersten Katarakte kamen, wurde ausgestiegen, und man lud sich die Kanus, in denen die Waffen lagen, ächzend auf die Schultern. Eine Sachsenkumpanei aus sechs Mann jedoch fuhr weiter, und als dies die andern erblickten, setzten sieben Bayern emsig ihr Fahrzeug ins Wasser, stiegen ein und ruderten jenen nach. Und Sachsen wie Bayern schrien den Zurückbleibenden fröhlich zu, sie wollten das Wildwasser bezwingen und mitnichten drum herum klettern! Denn mit dem Golde, das ihnen der Flensburger dedizieret, könnten sie Bauernhöfe in der Heimat kaufen. Deshalb wollten sie jetzo versuchen, diese schnellstmöglich zu erreichen! Laut brüllten die Hauptleute, sie sollten umkehren, denn in den Katarakten hause der Tod! Und mit gezogenen Schwertern hüpften sie hin und her, weil auch bereits andre Mannschaften sich bereit machten, jenen Tollkühnen zu folgen. Dann eilte alles keuchend an eine Stelle, wo sie den brausenden Strom eine weite Strecke übersehen konnten. — Und es gelang den zween Kanus wie durch ein Wunder, die Stelle zu passieren, wo das ganze Wasser im mächtigen, blitzenden Schwalle zehen Ellen hinabstürzte. Drunten aber waren Wirbel, und soweit das Auge reichte, starrten schwarze Felsenspitzen und Grate aus kochendem Gischt. Ein Seufzer ging durch die Reihen der Zuschauer, als das erste Boot plötzlich weg war. Und wie das zweite an die 327
Stelle kam, verschwand's auch im weißen Aufruhr, und erst eine Strecke dahinter sah man beide Fahrzeuge etliche Male gleich schwarzen Baumstämmen auftauchen, hin und her rollen und wieder untergehen. Die dreizehn Insassen aber waren ertrunken, und der Strom gab sie nicht wieder her. „Unglück! Unglück! Ach wären wir doch bei den Heiden verblieben!" schrien einige, denen das Herz bei dem grausen Anblick in die Hosen gesunken war. Andre murmelten, dreizehn sei eine böse Zahl, die würde allen noch Übles bringen. Der Tod der Fürwitzigen hatte jedoch sein Gutes! Fortan, wenn die brausenden Wasser neue Katarakte ankündigten, war ein jeder froh, die Kanus um die gefährlichen Stellen herumzuschleppen. In Bälde hielt das Schüttelfieber seinen Einzug unter den Welserschen und schonte weder hoch noch niedrig. Dem Flensburger dauerte sein armes Weib. Ihr schneeig Gesichtlein wurde ganz gelb, und oft klapperten ihre Zähnlein hart aufeinander, ohne daß sie's hindern konnte. Aber sie blieb tapfer und jammerte nicht. Nur des Nachts, wenn alles schlief, flennte sie sich aus. Ein Knecht sprang im Fieberwahn den Krokodilen in den Rachen, und die andern mußten zusehen, wie die grimmigen Panzerechsen den Armen, der arg schrie, zerrissen. Der Urwald stand rechts und links, und mittendurch eilte der Strom. Eines Tags fehlten plötzlich die letzten acht Kanus, worin achtundvierzig Knechte sowie zwölf Kumanas verteilt saßen. Sie waren zurückgeblieben und plötzlich verschwunden. Man merkte es erst am Abend, als auf einer sumpfigen, von blutsaugerischen Moskitos wimmelnden Erhöhung Lager gemacht wurde. Bei der Musterung durch die Rottenmeister fehlten die Sechzig, und schließlich trat einer der im letzten 328
Kanu gewesenen Bayern vor und meldete: die Vermißten hätten ihm und seiner Mannschaft zugerufen, sie wären der Schinderei auf dem Wasser und in den Sümpfen satt und gedächten, ihr Glück im Urwald zu versuchen. Schlimmer als die wochenlangen Qualen, die sie nun hinter sich hätten, könne es auch nicht sein. Er solle die Hauptleute grüßen und ihnen Respekt vermelden! Drauf wären jene Kanus zurückgeblieben und außer Sicht gekommen. Er und die Seinen hätten keinen Wert auf die Sache gelegt und gedacht, jene scherzten oder sie wären hinter einem Getier her für den Bratspieß. Nun aber müßte er's melden! Die Hauptleute gerieten ob der seltsamen Mär in Wut, und es bangte ihnen auch um die Tölpel, die sich bisher immer treu und brav erwiesen hatten. Und ohne sich auf das Murren der müden Rotten zu kümmern, befahl der Welser, die Feuerlein brennen zu lassen, aber alles Gepäck in die Fahrzeuge zu schmeißen, denn man müsse zurückkehren, um jene zu suchen! Dies wurde getan, und man paddelte zurück in die vom Schrei hungriger Jaguare erbebende Nacht. Das Wasser schillerte schwärzlich, wenn der Zackenschwanz eines Krokodils vorbeiruderte. Faulende Baumstrünke glosten gespensterhaft grün. Lautlos flatterten Vampire über den Wasserspiegel, und im Röhricht schnaubten die Tapire. „Ho!" rief der Flensburger nach einer Weile. „Mich däucht, wir sind bereits zu weit geraten!" Dem widersprachen die andern, und es wurde weitergepaddelt. Die Kumanas warnten, man solle warten, bis es Tag sei, denn in diesem Labyrinth von Sumpf, Wasserläufen und Inseln könne man mitnichten die Stelle finden, wo jene ihre Kanus verlassen hätten. Niemand aber hörte auf sie. 329
Und die Landsknechte schrien nach einer Weile, sie hätten Hunger! Und wo der Schlaf sei, der ihnen nach des Tages Strapazen redlich zustehe! Es blieb auch nichts weiter übrig, als die Sonne zu erwarten. Mittlerweile waren sie in einen Sumpf mit trübem, seimigem Wasser geraten, und nirgends gab es eine feste Stelle Landes. Deshalb mußten die Kanus an Rohrstengel angebunden werden. Es kamen aber die Moskitos in hellen Scharen und plagten die Welserschen weidlich, so daß niemand ein Auge zutat, bis die Sonne durch die Bäume glänzte. Diejenigen, welche noch Tobak besaßen, hatten's einigermaßen ausgehalten; wie auch der Jan Detlef sein Weib durch qualmende Pfeifenwölklein vor der Gier der summenden Pest beschützte. Die übrigen wurden arg mitgenommen, und ihre Gesichter waren dick verschwollen. Männiglich schalt und wünschte die Vermißten, um deren Schildbürgerstreich man so gelitten hatte — zum Teufel und seiner Großmutter. Alsdann wurde gerudert, und plötzlich wies einer der Kumanas, als das Urwaldufer erreicht war, auf eine Stelle. Dort waren Röhricht, Gras und Büsche niedergetreten, und eine breite Schleifspur führte mitten in die vier Ellen hohen Farnkräuter. Die Kanus legten an, man sprang auf das unter jedem Tritt nachgebende und greuliche Laute von sich gebende, schwammartige Gelände. Da wurden die Fahrzeuge der Ausreißer zwischen den Kräutern gefunden, und Fußspuren führten weiter in die Wildnis. Der von Hutten ließ die Mannen aussteigen und einen Imbiß nehmen, während der Welser mit dem Flensburger, etlichen Landsknechten und Kumanas der Spur nachgingen. Der Boden wurde besser und gangbarer, und die Fährte führte schnurgrade weiter. Ein verlorener Hosenknopf wurde gefunden, und der Welser 330
brach los: „Wolle Gott, daß die Schelme so arg in die Dornen geraten, daß sie umkehren. Und dem Wicht, welchem der Knopf von der Hose absprang, soll dieselbe in die Kniekehlen sinken!" Sie kehrten um und erstatteten Bericht. Die Hauptleute traten zu Rat, und nachher wurden die Knechte gefragt, ob man den Ausreißern nachziehen oder wieder den Strom hinabrudern solle bis in die Gegend, wo der Flensburger die kriegerischen Weiber sah. Und es stimmte die Mehrzahl für den Marsch in den Urwald! Es wurde also ergiebige Rast gehalten, nachher versteckte man die Kanus und schritt fürbaß. Überall ragten, krochen oder hingen die wunderbarsten Gewächse, worunter aber abgrundhäßliche waren, als ob der Teufel sie zu seinem Pläsier erschaffen habe! Es ging gut vorwärts, weil eine breite Fährte vorhanden war, und Gestrüpp, durch das man sich sonst Bahn mit dem Schwerte hätte hauen müssen, war bereits gelichtet. Deshalb hofften auch die Hauptleute, daß die Ausreißer bald gefunden würden. Doch traf man keine Seele, und es wurde Nacht. Große Feuer wurden angezunden, auch Posten ausgestellt, und man gab sich froh der Ruhe hin, weil man in der heißen, feuchten Luft bös geschwitzt hatte und müde war. Im dunklen Walde tobte die ganze Nacht seltsames Tiergeschrei, und erst gen Morgen, als milchige Dünste dem Boden entstiegen, herrschte Ruhe. Die Sonne ging auf, aber man sah sie nicht, nur ihre Strahlen erfüllten den grünen Dom des Urwaldes mit köstlich mildem Lichte. Die Welserschen drangen weiter und fanden einen toten Sachsen, der von wildem Getier schon halb aufgefressen war, doch erkannte man ihn, und es war der Heinrich Schnabel. Die Kumanas, die den Leichnam untersuchten, sagten, er wäre an giftigem Schlangenbiß verstorben. Es vergingen noch vier Tage, und der Urwald wurde 331
immer herrlicher. Solche Blütenpracht hatte noch keiner der Mannen erschaut, und die Bonita, die wieder rüstig marschieren konnte, schlug vor Lust die Händlein zusammen. Die Nächte aber waren arg, weil es so heiß war, die Moskitos männiglich peinigten und unbekanntes Getier scheußlichen Lärm vollführte. Am fünften Morgen kamen die Kumanaspäher zurückgelaufen und erzählten erregt, daß vorne eine Lichtung sei, auf der viele luftige Hütten ständen. Davor brannten Feuerlein, an denen von braunen, federgeschmückten Heidenkriegern die vermißten Bayern und Sachsen gebraten würden! Ihre Kleider und Waffen lehnten zuhauf. Da drängten sich die Landsknechte zusammen, schauten argwöhnisch über die Schulter in den Waldesschatten, lüpften die rostigen Schwerter und Spieße oder leierten die Sehnen der Arkebusen stramm. Die Musketiere aber, die längst ihre ungefügen Waffen weggeschmissen hatten, zogen die Dolche oder schwangen dicke Knüppel, welche sie nach dem Schellallah des Paters zurechtgeschnitzt hatten. Die Kumanas erzählten ferner, daß allem Anschein nach jene Unglücklichen mit Giftpfeilen aus dem Hinterhalt erlegt wurden, als sie sorglos dahinschritten. Auf des Welsers Frage, ob denn Fleisch, das mit Curare getötet wurde, eßbar sei, nickten sie oftmals und sagten, nur das frische Gift im Blute wirke fatal; so es aber geschluckt und von den Magensäften bearbeitet werde, täte es nichts! Man hielt Rat und schlich dann von drei Seiten, durch die Kumanas geführt, an das Kannibalendorf. Die vierte Seite bildete eine Laguna, worin Krokodile gesehen wurden. Und die Bonita hielt neben dem ihr schützend beigegebenen Pieterken, schob die Zweiglein beiseite und sah erschauernd an die Hundert fast nackter, brauner Männer, Weibsen und 332
Kindlein fröhlich herumtanzen oder gebratenen Menschenleibern und Gliedern zusprechen; diese mit Behagen abnagend und die Knöchlein ihren zahmen Affen, die mit langen Schnüren an die Hauspfosten gebunden waren, gen die Köpfiein schmeißend. Und die armen Vierhänder zeterten schrill, spielten auch ein wenig mit dem Schienbeine oder Armknochen eines deutschen Landsknechts, bevor sie's fallen ließen. Die Köpfe der Schlachtopfer lagen auf einem Gitter über einem Feuerlein, das ein häßlicher, verrunzelter Kerl emsig schürte. Hei! fuhren die üblen Menschenfresser von ihrem Mahl empor und griffen nach Pfeil und Bogen, als der Pieterken plötzlich einen rasselnden Wirbel schlug und die Arkebusenbolzen sich schwirrend in ihre braunen Leiber bohrten! Und der von Hutten schrie, männiglich solle sich in Deckung halten, indes die Arkebusiere tapfer schossen. Die Wilden sandten ihre buntbefiederten Pfeile ab, doch reichte ihr Flug nicht weit genug. Scharenweise fielen sie, denn die Welserschen waren gute Schützen! Und diese waren so erbittert über das greuliche Ende ihrer Kumpane, daß sie weder Mann, Weib noch Kind schonten. Nach einer halben Stunde waren nur noch sieben Kannibalen übrig, die flehend auf die Knie fielen. Da rannten die Welscherschen vor, töteten alle bis auf einen, der gebunden wurde. Und die Bonita wandte sich ab, als nachher die bratenden Reste, Knöchlein und schauerlich grinsenden Köpfe in mächtiger Lohe bestattet wurden, während der Pater einen Segen drüber sprach. Und er sagte nachher, es sei zwar nicht grad christlich, aber die Altvordern hätten's so getan. Die Knechte aber waren froh, daß sie die Reste ihrer Kameraden nicht anzufassen und einzusargen brauchten. Das Gold und die handlichen Waffen der Ermordeten 333
wurden verteilt und Rat gehalten, ob man zurück an den Strom oder weiter in den Urwald ziehen solle. Man entschloß sich für letzteres und marschierte flugs ab, um der grausen Stätte zu entfliehen. Der gefangene Kannibale wurde vorher erdolcht und in den Krokodilensee geschmissen, nachdem sich herausstellte, daß er als Dolmetsch und Pfadsucher nicht zu gebrauchen war, da sich niemand mit ihm verständigen konnte. Und nun begann eine Zeit für die Welserschen, die lange Wochen währte und voller Ungemach, Not und Hunger war. Längst bereuten sie's, nicht zum Strom zurückgekehrt zu sein, und suchten ihn jetzo, ohne ihn zu finden. Wohl traf man auf viele Flüßlein und Gewässer und folgte ihnen anfangs auch voller Hoffnung, bis sich herausstellte, daß sie stets in Sümpfen und Seelein endeten, wo kein Mensch durchkommen konnte. Drauf hielt man die Richtung nach Norden ein, so gut's ging. Über des Flensburgers Weib wunderte sich männiglich, denn sie hielt alles Ungemach aus. War nur arg mager geworden! Zween Mannen starben am Fieber, ein andrer ging in den Urwald, um einen Braten zu erjagen, und ward nicht mehr gesehen. Viermal wurden sie auf dem Marsche von Wilden überfallen, die mit vergifteten Pfeilen schossen, und man hatte Blessierte, die aber alle durch des Flensburgers brutale Arznei — ob sie sich sträubten oder nicht — gerettet wurden, weil er die Wunden vergrößerte und mit Schießpulver ausbrannte. Ein Heidendorf, das die Kumanas listig ausspürten, wurde umzingelt und sämtliche Insassen niedergemacht. Denn jene hätten's umgekehrt auch so getan, und es hieß: „Er oder ich!" Einmal versuchten die Knechte zu meutern, aber der 334
Pater hielt eine donnernde Predigt, worin er ihnen mit den gräßlichsten Höllenstrafen drohte. Worauf sie um Vergebung baten und in guter Ordnung weitergingen. Ein jeder war einsilbig geworden, sie sprachen wenig, marschierten, wo es ging, hieben sich Bahn durch's Dickicht, wo es nötig war, und aßen schweigend ihre oft spärlichen Mahlzeiten. So arg drückte der grüne Urwald mit seinen tausend Überraschungen, Schrecken, Enttäuschungen und spärlichen Freuden auf ihr Gemüt! Eines Tags zogen sie auf gutem Boden fürbaß, das Kinn auf der Brust, die Augen niedergeschlagen, den salzigen Schweiß, der ihnen in die Mundwinkel lief, schmeckend und sich auf die Kumanas verlassend, als der Welser plötzlich zusammenschreckte und stehen blieb. Drauf hielt der ganze Zug. Die schwermütigen Mannen standen still wie erschöpfte Ochsen in ihren Jochen, hielten die Köpfe gesenkt und wunderten sich in ihren müden Hirnen dumpf, ohne aufzuschauen — was wohl sei und warum es nicht weiterginge. Der Welser aber sah vor sich wie eine Erscheinung ein fremdartig schönes Frauenbild mit angenehmen Zügen, das Haar zu einem Knoten geschürzt, eine bunte Federnschürze um die Hüften und einen Köcher über der Schulter. In der Hand hielt sie einen schweren Bogen. Noch starrte der Welser die aus dem Grün herausgeglittene Erscheinung an, als endlich die andern etwas gemerkt hatten und sich mit staunenden Ausrufen herandrängten. „Solch Weib hab ich schon gesehen, nur entsinn ich mich jetzo nicht, wo's war!" sprach der Flensburger. Männiglich lauschte, als die Fremde den Mund auftat und etliche wohllautende Wörtlein sagte. Jetzo kamen in Eile die Kumanaspäher angelaufen und riefen angstvoll, sie seien auf ein großes Hüttendorf gestoßen, worin es von kriegerisch ge335
rüsteten Weibsen wimmle wie in einem Ameisenhaufen. Und da nirgends Männer noch Kinder zu erblicken wären, so sei dies ohne Zweifel das Amazonenvolk! Wieder sagte die Fremde etwas, brach einen grünen Zweig ab, deutete damit noch vorne und lächelte liebreich. Da rief der Welser laut: „Wohlan, wir wollen uns auf dieses Weib verlassen! In ihren Augen scheint Ehrlichkeit zu wohnen. — Doch ist's gleich, was unsrer harrt, denn wir sind am Ende unsrer Kräfte, und lange kann's so nicht weitergehen. — Haltet aber die Waffen parat, damit wir nicht gleich Gänsen abgestochen werden, falls die Amazonen uns übel wollen!" Und der von Hutten befahl, die Rotten zu formen und die Instrumente zu rühren. Drauf setzte sich der Zug in Bewegung, und die Fremde, die beim ersten Trommelwirbel und dem Schmettern der Blasinstrumente zusammengezuckt war, schritt lächelnd voraus. Jetzo trat man auf eine Lichtung, auf der viele Hütten vor einem breiten Wasserspiegel standen, und Hunderte von Weibern, die alle wie die Führerin ausgerüstet waren, kamen ihnen mit lautem Geschrei entgegengerannt, schwangen grüne Zweige und machten keinerlei feindselige Anstalten. Dröhnend bearbeitete der Pieterken sein Kalbfell und humpelte hinter seinem Herrn her, und die Amazonen lachten, als sie ihn sahen. Auf einen Wink des von Hutten schwieg der martialische Lärm, und man hörte nur das Geplapper der Weiber und die staunenden Ausrufe der Landsknechte. Es wurde Halt geboten. Die Führerin rief etwas, und sofort kamen Amazonen und luden die Hauptleute ein, die Hütten zu betreten. Die gleiche Einladung wurde den Knechten getan, und im Hintergrunde sah man schon eifrige Weiber, wie sie aus leichtem Rohr neue Hüttlein herstellten. Da schmiß sich der von Hutten lang hin und sagte tönend: „Hier ist Wohlsein, 336
und wir wollen uns tüchtig ausruhen. Denn jene seltsamen Weiber führen mitnichten Übles im Sinne. Lasset sie also unser pflegen, Kumpane. Doch stellt Wachen auf, sei's auch nur der Gewohnheit halber!" Dies wurde getan. Sonst aber gab sich männiglich der Ruhe hin. Und es wurde gegessen und Limonensaft getrunken, gelacht und gescherzt. Alles brachten die hurtigen Weiber dar. Auch wiesen sie den Kranken und Maroden weiche Lager, und zur Bonita waren sie besonders liebreich. Die Kumanas zeigten große Angst und warnten, aber man lachte sie aus und schalt sie, bis sie still wurden. Der Welser untersagte den Knechten strenge, mit den Weibsen zu tändeln, worauf der von Hutten lachend meinte, daß diese nicht danach aussähen, als ob sie mit sich spaßen ließen. Ein alter, graubärtiger Söldner sagte drauf: „Kriegerische Weiber sind mitnichten zum Buhlen angenehm. Drum laß ich meine Finger davon und gebe mich zufrieden mit der Atzung, die sie uns reichen!" Selbige Worte wurden von sämtlichen Knechten gutgeheißen, denn sie waren arg benommen von der Umgebung, und nicht wenige fürchteten sich heimlich vor den Amazonen. Sachte kam der Abend aufgezogen, und Feuerlein leuchteten rot zwischen den Hütten. Die Wachen wurden ausgelost, und nachher legte sich alles nieder, denn man war schändlich müde. Zum ersten Male aber seit langer Zeit sangen die Posten, während sie die ihnen vorgeschriebene Strecke abschritten, lustige Liedlein.
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IV
FÜRSTENWORT IST NICHT GÜLDEN WORT
Das Tollkräutlein / Im Namen des Kaisers / Richtschwert und Scheiterhaufen / Die summenden Pfeile
Das T o l l k r ä u t l e i n Es vergingen Wochen und Monde, während die Welserschen sich's Wohlsein ließen und ihre Bäuche füllten. Denn die Amazonen unter ihrer Führerin, welche einen schweraussprechlichen Namen besaß und daher von den Deutschen einfach „Königin" genannt wurde, zeigten sich überaus gastfreundlich und redlich. Die Welserschen hatten anfangs voll Staunen zugesehen, wie geschickt die Weiber ihren Staat aufgebaut hatten und im Gange hielten. Sie führten die Kriege und gingen auf die Jagd, ernteten auch die Früchte, während die Männer und Kinder sowie die alten Weiblein in einem Dorfe für sich bleiben mußten. Bei Todesstrafe war es ihnen verboten, die Grenze zu überschreiten! Einmal im Jahre kamen die Familien auf etliche Wochen zusammen, und einmal im Jahre wurden auch die kräftigen Mägdlein ausgesucht, um in den Amazonenstaat einzutreten, während gleichzeitig die unbrauchbaren Alten ausgeschieden wurden. Die Welserschen aber wurden für Götter gehalten, weshalb man ihnen auch nichts tat! Anfangs befürchteten die Hauptleute Ausschreitungen, oder daß ihre Knechte den Lockungen der Weiber aufsitzen würden, wodurch dann eine allgemeine unzüchtige Buhlerei ausbräche. Und der Welser hielt Rücksprache mit dem von Hutten, indes die Bonita in der Hütte saß und sich mit Blumenkettlein behängte, weil ihr solche lieber waren als die schweren güldenen. Ihr Gespons aber schritt mit dem Pater Chrysosto341
mus umher, und sie lugten scharf aus, damit nichts vorkäme. Der Zustand wäre aber in Bälde ein unhaltbarer geworden, weil mit dem guten Essen auch die Kräfte und die Aufsässigkeit der biedern Soldknechte zurückkehrten. Mit einem Schlage änderte sich dies, und Hauptleute wie Untergebene wurden flugs zu Träumern, welche mit offenen Augen lächelnd einherwankten und weder links noch rechts schauten. Sich auch mitnichten drum kümmerten, wenn die schönsten Amazonen sich verlockend vor ihnen aufstellten und sie süß anlachten. Dies geschah so: grad, als die Welserschen wieder anfingen rüstig zu werden und die Schmachtriemen weiterschnürten, begann die üble Regenzeit. Erde, Himmel und Strom dampften vor Nässe, obwohl often die Sonne herauskam und alles aufschluckte. Da fand der Pieterken heraus, daß die Amazonen in ihren Hütten saßen und, um die lange Zeit während der Regenschauer kurzweilig zu machen, ein graugrünes Kräutlein aßen, welches in Fülle am Waldrande wuchs. Die Weibsen wurden gar lustig und aufgeweckt nach dem Genuß. Wie's aber die Deutschen probierten, schmeckte es ihnen so gut, daß es einer dem andern sagte und schließlich die ganze Kumpanei mittat. Und was die Amazonen rüstig machte, das bewirkte bei den Deutschen das Gegenteil. Denn sie fingen an, wie Mondwandler herumzutorkeln, grinsten kindisch und träumten mit offnen Augen die wunderschönsten Sachen! Ein jeder Rausch währte einen halben Tag; dann kamen sie zu sich, aßen, was die Amazonen ihnen vorsetzten, kauten nachher, von unwiderstehlichem Drang getrieben, die geheimnisvollen Blättlein und sanken zurück ins Land der Träume. Sie wurden blaß, einige bekamen Bäuche und wurden arg hinfällig aus Mangel an Bewegung. Die Bonita, welche auch dem Laster des Kräutleins verfiel, saß fast den ganzen Tag vor sich hinlächelnd, 342
und man hätte manchmal meinen können, sie spiele mit einem unsichtbaren Kindlein. Die Amazonen schüttelten die Köpfe und wunderten sich baß über das sonderbare Gehaben ihrer Gäste. Und sie wurden schier böse, weil viele von ihnen geneigt waren, zu buhlen, worauf aber die geistesabwesenden Knechte mitnichten eingingen. Schließlich aber kamen die Amazonen mitsamt ihrer Königin darüber ein, daß jene wirklich und wahrhaftig Götter seien müßten, denn nur solche würden Fleischeslust verschmähen! Und sie gaben sich zufrieden, behandelten sie ehrfürchtig. Die Kumanas aber, die das Tollkräutlein nicht aßen, wurden bang, etliche liefen davon in den Urwald und man sah sie nie mehr. Es vergingen wieder viele Monde, auch eine zweite Regenzeit kam mit Wasser, Blitz und Donner und machte der Trockenheit Platz. Die Welserschen wurden wie Püpplein von den Amazonen betreut. Einmal machten die Mannen eines feindlichen Stammes, die mit vergifteten Pfeilen schossen, einen heftigen Überfall auf das Dorf, drangen auch zwischen die Hütten ein und sahen da die Welserschen in ihren verbeulten Harnischen, die rostigen Schwerter an der Seite, mit halbgeschlossenen Augen seltsam herumwandeln. Da packte die Wilden ein arger Schrecken, und sie flüchteten in schierer Hast. Die Amazonen bereiteten dankbar ihren unfreiwilligen Beschützern gute Bissen und hielten sie noch ehrfurchtsvoller als zuvor! Schließlich wären die Armen aber doch alle am Wahnsinn elend gestorben, wenn nicht folgendes sich zugetragen hätte: eine der Amazonen hatte vor dem Flensburger eine frischgeschlachtete Hindin liegen lassen und war dem Rufe ihrer Schwester gefolgt. Lächelnd, den Oberkörper hin und her wiegend, saß der riesige Mann am Stamme einer Palme. Ein paarmal verzog er den Mund, 343
sein Gesicht veränderte sich und die Augen blitzten in alter Frische und Kühnheit. Drauf sank er wieder in sich zusammen. Doch blieb die Unruhe in ihm, und der frische Blut- und Wildgeruch ließ ihn immer wieder aufschauen. Schließlich fiel er auf die Seite, und das noch warme Blut der Hindin netzte seine Lippen. Längstvergessene Triebe wurden in ihm wach, und plötzlich fing er mit wildem Knurren an, das Wildbret zu zerreißen und die rohen Bissen hinabzuschlingen. Jetzo fühlte er die Kraft langsam in seinen Körper zurückströmen, und er sah um sich. Er hatte Schmerzen in Magen und Gedärm, auch großen Durst. In langen Zügen trank er eine vor der Hütte stehende Kalebasse leer, und nun schämte er sich auf einmal, wie er an sich herabsah und merkte, daß er mit Blut besudelt war und gleich einem wilden Tier rohes Fleisch gefressen hatte! Aufrecht stand er da, und alles kam ihm zum Bewußtsein. „Das verdammte Kräutlein!" brüllte er zum Staunen der Amazonen und der Kumanas, die herbeieilten und ihn scheu umringten. Er aber sah sein Schwert liegen, zog den guten Flamberg aus der Scheide, schwang ihn erst mit zween, dann in einer Hand und brach in fröhliches Lachen aus. Da bemerkte er sein Weib, die lächelnd dasaß und Blümlein in ihre langen, korngelben Locken flocht, aber auf seinen Ruf nicht aufschaute. Und überall saßen, lagen oder torkelten die andern wie an Schnüren gezogene Püpplein. Welche hatten noch das Kräutlein zwischen den Lippen, und auf die sprang er zornig zu und würgte sie scheltend, bis sie's ausspuckten. Sein Blick fiel auf die zerrissene Hindin, und wie ein Blitz durchzuckte es ihm das Hirn, daß rohes Fleisch die rechte Arznei sei! Sogleich schrie er die Kumanas an und bedeutete den Amazonen, sie sollten viel mehr Wildbret bringen und niemand der Seinen an die Kräutlein lassen! 344
Flugs eilten sie, um dem Geheiß zu folgen! Er aber riß weitere blutige Brocken vom Wildbret und stopfte sie der Bonita ins Mündlein, worauf sie gleich zu kauen begann und ihr Blick immer heller ward. Schließlich ging's ihr wie ihm zuvor, indem sie wie aus langem Traum erwachend um sich sah und voller Ekel rief: „Oh, die unheilvollen Kräutlein! — Laßt uns fort von hier!" Er beruhigte sie und machte sich dran, dem Welser, der summend hin und her tanzte und dabei verzückte Mienen schnitt, vom Fleische ins Maul zu stopfen, worauf er zum nächsten eilte. Die Kumanas und Amazonen machten es ihm nach, und am Abend waren die Welserschen alle aus ihrem zauberhaften Rausch erwacht, wunderten sich groß und schüttelten die Köpfe. Es wurden aber alle am nächsten Tag arg krank, und ein Feldkornett starb mit jammervollem Geschrei. Die andern kamen nach und nach mit Hilfe kräftiger Fleischnahrung und guter Süpplein, welche die Amazonen in Ermanglung von Töpfen in Schildkrötenschalen kochten, wieder auf die Beine. Männiglich empfand einen grausen Ekel vor dem narkotischen Kräutlein, und es brauchten keine Wachen davorgestellt zu werden. Etliche mußten sogar elend kotzen, wenn sie nur ans Kräutlein dachten! Jetzo aber hielten die Hauptleute großen Rat, und die Knechte tummelten sich allabendlich im Waffenspiel, damit sie die alte Geschmeidigkeit wieder erlangten. Denn männiglich drängte zum Aufbruch, und es erhob sich Jubelgeschrei, als der Welser verkündete, man wolle marschieren und nachsehen, wie es in der Kolonia stünde. Und zwar wolle man versuchen, quer über Land gen Osten zu ziehen. Da müsse man schließlich nach Monden auf den Orinoko stoßen! In der Zwischenzeit gelänge es vielleicht, auf Heiden345
reiche mit Dorados zu stoßen, wo Ruhm und Gold zu ernten seien! Die Knechte lauschten, fingerten in ihren Schnappsäcken herum, und da sie fanden, daß darin neben den Chibchakettlein noch Raum war und sie auch wohlausgeruht gleich Füllen auf der Weide waren, schrien sie Vivat. Drauf geschahen große Vorbereitungen, und es wurde Bukan gemacht. Die Amazonen schnitten traurige Gesichter, doch sagten ihnen die Kumanas, die nicht dem Teufelskräutlein gefrönt und somit jener Sprache erlernt hatten — man würde wiederkommen. Einen Tag vor dem Aufbruch rannten Boten an die Grenze, wo das Männerdorf lag, die schrien, man hätte zween Götter, die sehr erschöpft wären, in einem Kanu treibend gefunden und sie gepflegt, bis ihnen wieder wohl wurde. Ob man sie bringen solle. Auf den Befehl der Königin tat man so, und die Welserschen brüllten laut, als sie im verrosteten Brustharnisch, mit einem Federnschurz an Stelle der Hosen, auf nacktem Füßen den Moncada daherkommen sahen, der fröhlich nach allen Seiten grüßte und der Bonita einen tiefen Bückling machte. Hinter ihm schritt, ähnlich gekleidet, der schwarzbärtige Diego einher, beide waren mit güldenen Kettlein behangen. „Wo hast du unser Gold, du Wicht? — Mörder! Spitzbube! Gaunerfürst!" schrien einige Landsknechte, die an den Streich dachten, den ihnen der Ritter in der zerstörten Stadt gespielt hatte. Er lachte heiter, machte eine Bewegung mit beiden Händen und entgegnete: „Das Gold ? — Das liegt in den Stromschnellen, Sümpfen und wilden Urwäldern versunken und vergraben. Etliches, so schätze ich, mag auch in die dunklen Abgründe des Hochlandes gestürzt sein, falls jene Chibchaträger, die damit flüchteten, sich unterwegs die 346
Hälse brachen. Ich gönn's ihnen, denn es waren verweichlichte Schelme, und eine Menge starb auch am Fieber!" „So ist der ungeheure Schatz verloren, um den Ihr uns betrogen habt?" staunte der Welser. Der nickte: „Ja! Es ist schade drum, denn meine Absicht war's, auch noch die andern drum zu bringen, so daß der ganze Hort bei mir allein verblieben wär. Obwohl ich noch nicht wußte, wie ich ihn dann fortbringen sollte. Es kam auch nicht dazu, mir je den Kopf drüber zu zerbrechen, denn wir hatten viel Ungemach und Meutereien unterwegs. Die tölpelhaften Mausköpfe brachten sich gegenseitig jede Nacht um, damit einer des andern Schätze gewinne. Deren Gewicht war dann so schwer, daß die Dummbärte zurückblieben. Nachher wurden sie von Wilden getötet. Oder sie sanken bei Sumpf- und Flußübergängen durch die Schwere hinab, und da sie nicht das ganze Wasser aussaufen konnten, so ersoffen sie. Tagtäglich liefen welche in die Wildnis, um auf eigne Faust weiter zu wandern. — Der Teufel segne es ihnen — doch schätze ich, er hat's inzwischen getan! Ein Kornett ging mit einer ganzen Abteilung davon. Auch diese werden inzwischen in der Hölle weilen; und da der Satan ein neckischer Herr sein soll, so wird ihre Strafe gewißlich darin bestehen, daß sie überall Gold sehen, es aber nicht klauben können! Hoho! Gebt mir zu trinken, mein Windschlauch ist mir durch das viele Reden ausgetrocknet. Bei Sankt Jago!" Jemand der atemlos Lauschenden gab ihm eine Kalebasse, der Spanier trank, verzog sein Gesicht, sagte: „Pfui Spinne, schnödes Wasser!" und fuhr fort: „Die Chibchas starben wie die Mücken, je tiefer wir ins Sumpfland kamen. Und der ganze Weg, den wir kreuz und quer, hin und her irrten, ist mit Goldes bestreut. Es schmerzte uns Überlebende in der 347
Seele, aber wir hatten bereits genug zu schleppen. — In einem Heidendorfe wurden wir freundlich aufgenommen, und dort blieben sieben Andalusier, die sich braune Mägdlein nahmen, uns ihr Gold an die Köpfe schmissen und sagten, wir sollten den Kaiser grüßen. Sie wollten paradiesisch leben! An einem Strome stahlen wir Kanus, aber die Wilden setzten uns nach und brachten alle um, bis auf den Diego und mich, die wir vorausgerudert waren. Nachher litten wir schmählich Hunger, weil unsre Waffen ins Wasser gefallen waren, und so wurden wir, in üblem Zustand herumtreibend, von diesen wackern Mägdelein, die so kriegerisch aussehen, hierher geführt. Und ich beglückwünsche euch, daß ihr noch am Leben seid! Eure Kolonia wird inzwischen sicher die allerchristlichste Majestät in seinen bodenlosen Magensack hinabgeschluckt haben. — Jetzo aber bin ich müde. Erlaubet daher, daß ich kurzen Schlafes pflege." Der Bonita einen Bückling machend, warf er sich hin, schloß die Augen, und der Diego setzte sich mit grimmiger Miene neben ihn. Die Hauptleute traten zu Rat, und viele Knechte schrien, man solle die Spaniolen bei den Amazonen lassen oder sie töten! Der Moncada öffnete die Augen, als er solches hörte, lächelte und blieb ruhig liegen. Da meinte der Flensburger, es sei übel, einen Christenmenschen in der Wildnis derart zu behandeln; sie sollten nicht vergessen, daß das Gold, welches sie in ihren Schnappsäcken trügen, eigentlich dem Moncada zu verdanken sei! Drauf beruhigten sich die Schmäher, und der Moneada sprang auf, reichte dem Flensburger die Hand und schwur, er würde mit ihnen halten durch dick und dünn! Und seine Kettlein vom Halse reißend, warf er sie den Knechten hin, befahl auch dem Diego ein solches zu tun. Da brachten ihm 348
diese ein Vivat dar, und die Herren schüttelten ihm die Hand und sagten, alles solle vergessen sein. Der Moncada lobte den Entschluß, quer über Land nach Welsaria zu ziehen, denn es könne zwar lange dauern, doch sei vielleicht unterwegs Goldes zu finden! — Nachher erhielten er und sein Diego die Waffen der Verstorbenen. Stiefel konnte man ihnen nicht geben, weil man außer der Bonita selber keine besaß! Es liefen auch die meisten gar wunderlich mit ellenlangen Bärten und halb in rostiges Eisen, halb in langhaarige oder buntscheckige Affen- und Jaguarpelze gekleidet herum. Denselbigen Abend ging es lustig her, und es wurde zum ersten Male seit langer Zeit der Frau Fortüne gehuldigt und gewürfelt. Und in Bälde hatte der listenreiche Spaniole nicht nur seine verteilten Kettlein, sondern auch eine gute Anzahl anderer gewonnen! Rot vom Feuerlein beleuchtet, saß er neben Pieterkens Trommel und schmunzelte. Bei Sonnenaufgang vollzog sich der Abmarsch mit Schalmeienklang und Kalbfellgedröhn. Die Amazonen gaben ihnen samt ihrer Königin das Geleit bis an die Grenze und blickten traurig den vielen stattlichen, im Walde verschwindenden Göttern nach.
Im N a m e n des K a i s e r s Und es begannen der Abenteuer viele! Mit Schlangen, Jaguaren, tückischen Heiden und Sumpf! Dornengestrüpp, Moskitos und auch anderm ekligen Getier! Nach Wochen erreichte man Llanos, wo der Wind das vier Ellen hoch stehende Gras wie rauschende Meereswogen bewegte. Drauf kamen Sümpfe, die durchwatet werden muß349
ten. Hier hausten das Fieber und arge stinkende Hitze, die einen Mann das Leben kostete. Die übrigen zählten samt den Kumanas noch einundsiebenzig, die, obwohl bunt und seltsam zerlumpt, guten Mutes waren und dem Welserbanner folgten. Schwer hatte es der Pieterken in den Sümpfen. Er besaß aber viele liebe Kumpane, die ihm halfen. Und wieder nahm der Urwald die Abenteurer auf, und sie trafen auf viele Wilde, die bald böse oder freundlich waren. Nie aber, so sehr sie auch suchten und ihre zeitweiligen Führer fragten, entdeckten sie ein Reich ähnlich dem der Chibchas und dem Dorado! Unverzagt zogen sie weiter und waren wieder schweigsam und ernst geworden. Die Bonita hielt wacker Schritt, und es wunderte sich schon keiner mehr über ihre Ausdauer. Nur der Flensburger merkte, daß ihr die Hitze schlecht bekam, und er betrachtete oft seufzend ihr schmäler werdendes Gesichtlein. Mählich begann das Land zu steigen, und eines Tags sahen sie staunend einen hohen Bergrücken aus üppigem Grün ragen und mit ewigem Schnee bedeckt in der Sonne glänzen. Sie hielten drauf zu, und waren in zween Wochen an seinem Hang. Und als sie einen schlimmen Paß überklettern mußten, wobei ihnen abwechselnd fror oder heiß war, fluchten sie auf Schnee und Eis, welches ihre teils bloßen Füße peinigte. Sie eilten, so schnell es ging, auf der andern Seite hinab, um in warme Regionen zu kommen. Wie sie unten waren, schalten sie abermals und meinten, oben wär es doch schöner gewesen! Der Moncada nannte jenes Schneegebirge die Sierra Nevada. In einem freundlichen Indiodorf ruhten sie etliche Monde aus, kamen drauf an den Apurefluß, und als er größer wurde, fuhren sie lustig drauf hinab, nachdem die Kumanas Boote ausgehöhlt hatten. Stromschnellen hielten 350
sie arg auf; aber endlich ward der Fluß ganz breit und mächtig, mündete von einem See in einen andern, und jeder war andersfarbig. Im Röhricht gelang es auch wieder, Wassersäue und langnasige Tapire in Menge zu erlegen. Der Strom trug sie wochenlang mit sich; man kam nur langsam weiter, weil man sich oft im Überschwemmungsgebiet verirrte und weder aus noch ein wußte. Eines Tags breiteten sich Llanos längs der Ufer aus, und die Kumanas schwuren mit Freudenzähren, daß man auf dem Orinoko sei und nun aussteigen müsse, um durch den Wald zur Welserstadt zu marschieren. Flugs wurde dies getan und fröhlich weitergelaufen. Die Bonita lag in einer Hängematte, fiebergeschüttelt, und verstand nichts, als ihr der Flensburger sagte, man nähere sich dem Ende der Reise. Da wurde er traurig, weil sie so arg krank war! Der von Hutten und der Welser stritten sich darüber, ob der Federmann wohl noch da sei, und der Moncada sagte: „Verlaßt euch drauf, daß die spanische Flagge über den Palisaden weht!" Ungeduldig marschierte man weiter. Und endlich war man ganz nah. Männiglich lobte den Fleiß der Siedler, als sie auf einen Holzplatz stießen, von dem eine gutangelegte Knüppelstraße aus dem Urwalde führte. Die Kumanas sahen sich scheu um. Der Pieterken begann in toller Freude seine Trommel zu wirbeln, doch brach er jäh ab, als der Welser ihn fragte, ob er verrückt sei und alles auf sie aufmerksam machen wolle, wo man doch noch gar nicht wisse, wie die Sache stehe! Jetzo rief der von Hutten, man hätte kumanische Kundschafter in den Ort senden sollen, wozu's nun zu spät sei! Männiglich sah ein, welche Dummheit sie begangen hatten, weil sie so begierig waren heimzukehren. Dann kam man aus dem Walde, und drüben lag die Sied351
lung, über der sowohl die spanische als auch die welsersche Flagge wehte. Und Leute winkten vom Walle. Jetzo lösten sich die Rotten der zerlumpten Heimkehrer, mit Freudenzähren in den Augen hüpften sie hin und her, schmissen ihre Waffen zu Boden, schrien Vivat oder fielen betend auf die Knie. „Vorwärts!" schrie der Welser, und sein Gesicht wurde plötzlich starr. Aus dem Walde kam der wohlbekannte Klang schwirrender Arkebusensehnen. Schon wälzten sich unter Todesschreien einige Welserknechte auf der Erde. Bolzen summten den übrigen um die Ohren oder prallten gen ihre brüchigen Harnische. Donnernd löste sich eine Musketensalve, und von den Häusern her brausten viele spanische Reiter mit geschwungenen Schwertern heran, während aus dem Wald Pikeniere rannten. „Sankt Jago!" schrien sie, und die mächtige Stimme des Flensburgers überbrüllte alles: „Verrat! Wehrt euch! Pieterken, dies ist der letzte Kampf, denk an die Trommel!" Jetzo waren die Spanier über ihnen. Stahl klirrte gen Stahl. Todesröcheln und Schreie schallten, denn die Deutschen wehrten sich mit wilder Verzweiflung. Ihre Schwerter waren jedoch arg vom Roste zerfressen, die meisten brachen nach den ersten Hieben in Stücke. Da wehrten sie sich mit rasch vom Boden aufgegriffenen Steinen und legten manchen Welschen um! — „Gebt euch im Namen des Kaisers!" brüllten die Spanier. Der Sieg neigte sich mehr und mehr der spanischen Übermacht zu. Wacker stritt der Moncada gegen seine eigenen Landsleute, weil ihm, wie er dem Flensburger zurief, doch kein gutes Los mehr von ihnen blühte. Und der Pieterken ließ die Trommel dröhnen, bis ihn die Spanier zu arg bedrängten. Drauf keuchte er: „Herr, lieber Herr, ich hab doch recht gehabt, und die Zigeunerin war ein 352
weises Weib. Jetzo aber will ich Euren Rat befolgen. Lebet wohl, lieber Herr!" Der Flensburger sah, wie sich der Riese mit dem Eisenbein einen Spanier in schimmernder Rüstung aussuchte, diesen vom Gaul riß, und auf den Schädel des Liegenden so oft mit dem Messinggehäuse der Trommel losdrosch, bis sie zerbarst und der Welsche sich nicht mehr rührte. Und dann sank der Treue, von vielen Pikenstichen durchbohrt, die brechenden Augen auf seinen Herrn und Freund gerichtet, über den erschlagenen Welschen. Und der Flensburger sah auch den Welser und den von Hutten entwaffnet fortgeführt werden, und die Hängematte mit der Bonita befand sich bei derselben Gruppe. Da brüllte er wie ein wunder Stier, daß männiglich die Waffen sinken ließ. Und er wollte mit dem Flamberg in der Hand durch die spanischen Haufen der Bonita nacheilen. Da blieb sein Fuß an einem Gefallenen hängen, er strauchelte und sank in die Knie. Im selben Augenblick schwang ein Spanier sein Schwert, um es auf den Nacken des Wehrlosen niedersausen zu lassen. Flugs warf sich der Ritter Moncada mit ausgebreiteten Armen halb über den Mann, dem er allein von allen Freundschaft und Wort gehalten! Der Hieb seines Landsmannes traf ihn an des Flensburgers Statt, und mit gespaltener Stirn fiel er entseelt nieder. Ein zweiter flacher Schlag streifte den Schädel des Jan Detlef. Er sah auf einmal viele bunte Sternlein vor Augen, ein donnerndes Geräusch tobte in seinen Ohren und mit einem Seufzer sank er langsam zu Boden.
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R i c h t s c h w e r t und S c h e i t e r h a u f e n Ein halbdunkles Gemach, dessen Wände aus braunen, steinhart gewordenen Lehmziegeln bestanden, darüber eine Decke aus festen, rohzubehauenen Baumstämmen, umschloß den Flensburger, als er erwachte. Erstaunt sah er sich auf einem hölzernen Schragen liegen. Gegenüber war ein Fensterlein, von drei dicken Eisenstäben verwahrt, und von seinem Sitze konnte er grad ein Stück des freien Platzes mit dem Ceibabaum erblicken. Der Schmerz einer dicken Beule lähmte seine Gedanken. Stöhnend schloß er die Augen und sank auf das harte Lager zurück. Nach einer Weile sprang er auf, um ans Fensterlein zu schreiten, und beinah wäre er hingestürzt. Da geschah lautes Rasseln. Und er sah, daß seine Fußknöchel mittels einer schweren Kette gefesselt waren, so daß er nur mühselig zu laufen vermochte. Und ein Endlein Kette war noch dran, das in einer kopfgroßen Eisenkugel aufhörte. Da lachte der Einsame bitter, denn nun erinnerte er sich an alles, was geschehen war, und plötzlich fühlte er sich krank und elend, weil er nicht wußte, was aus seinem Weibe geworden war. Er humpelte ans Fensterlein und brüllte mit Macht, man sollte kommen und ihm sagen, welchen Verbrechens er geziehen werde. Es nahte aber niemand. Ein paar spanische Kriegsknechte, deren Indiotrullen ihnen wie Hündlein nachliefen, schritten über den Platz und lachten höhnisch nach dem Flensburger hin. Traurig setzte er sich wieder auf die Pritsche und schaute dem Spiel der durchs Fensterlein hereinsinkenden Sonnenstrahlen zu. Als eine blauschimmernde Brummfliege sich in einem Spinnennetz fing, stand er auf und befreite sie. Langsam versiegte das Licht, und dann geschah Rasseln 354
vor der Tür, sie öffnete sich knarrend. Zween spanische Knechte traten ein. Der eine trug eine lodernde Fackel, indes sein Kumpan schweigend einen Krug und ein Körblein hinstellte, das voll von in der Schale gekochter Süßbataten war. „Wo sind meine Freunde und mein Weib?" fragte der Flensburger. Der eine Knecht brummte: „Bei Spinnen und Echsen wohlverwahrt, wie du es bist, windiger Ketzer!" Alles andre, was der Hauptmann wissen wollte, beantworteten sie nicht, sie schmissen die Tür zu, und er hörte ihre Schritte verklingen. Er trank vom Wasser, netzte auch damit seine Beule und verzehrte einige Bataten, worauf er sich wieder hinlegte. Er konnte aber nicht schlafen. Und als er endlich nahe dran war, die Augen zu schließen, fuhr er empor und fühlte, wie kalte Schauer seinen Rücken herabrieselten. Denn irgendwo drang eine schrille Frauenstimme entsetzlich durch die Nacht. Es war wie gellendes Weinen und Schluchzen, hörte sich ein paarmal an wie der Schrei hungriger Grauwölfe und erstarb in langgezogenem, klagendem: „Misericordia!" Drauf war's still, und die Grillen begannen wieder zaghaft ihr Konzert. Es gingen aber Schritte am Fensterlein vorbei, und der Flensburger hörte jemand auf spanisch sagen: „Heut nacht ist sie wieder vom heiligen Geist besessen, die treffliche Büßerin!" Jetzo wußte der Gefangene, wer so geschrien hatte. Er wurde fuchsteufelswild, und der Satan plagte ihn, so daß er ans Fensterlein hinkte und laut in die vom weichen Schimmer der Gestirne durchbohrte Nacht brüllte: „Weib, bist du noch nicht zufrieden mit dem, was du über uns heraufbeschworen hast, und willst uns sogar noch den Schlaf im Verließ stören?" 355
Schrill kam's zurück: „Hihi! Flensburgerlein, wie gefällt dir's bei Spinnen und Mäusen im feuchten Häuslein ? — Denk dran, daß ich bald sieben Jahr drin sitze und mir gelobte, noch weitere sieben hinzuzutun. — Alles nur, weil du's gewollt hast!" „Gleisnerin!" brüllte er wutbebend, und die Irre antwortete: „Deinen Kumpanen wird man die Köpfe abhauen, die Bonita muß brennen und du — du — Flensburgerlein, sei nicht bange, denn ich will für dich beim gestrengen Herrn Statthalter bitten, und er schlägt mir nichts ab, weil ich fromm bin. Hihi! Flensburgerlein, du wirst leben!" Drauf war sie still, und seufzend warf sich der Jan Detlef unter dem Gerassel der Ketten aufs Lager. Es vergingen viele Tage und Nächte, und der Flensburger mußte wie ein wilder Eber im Pfuhle hausen. Die Fellkleider faulten ihm bereits vom Leibe. Jede Abenddämmerung kamen die stummen Knechte und brachten ihm sein karges Mahl. Wasser, Bataten und manchmal auch ein Stücklein Fleisch oder etliche üble Fische. Auf alle Fragen antworteten die Schergen nicht. Er bat und flehte, aber die Welschen versiegelten ihre Lippen. Und als er sie bedrohte, da kamen fortan statt zween deren dreie. Einer mit der Atzung, der andre mit der Fackel und der dritte trug ein blankes Schwert. Die Gloria aber blieb stille und plagte ihn nicht mehr des Nachts mit schrillem Gefasel. Eines Tags merkte der Gefangene, daß was Besonderes im Gange war, denn er hörte viele Schritte und Stimmen seinem Kerker näherkommen. Dann barst grelles Sonnenlicht in die aufgerissene Tür, und jemand rief, er solle herauskommen. Mühsam tat er's, wäre aber draußen fast umgesunken, weil der langentbehrte Sonnenschein ihm gleich Dolchen ins Hirn fuhr. Er schlug die Hände vors Gesicht, und die Bewaffneten führten den rie356
sigen besudelten Mann gleich einem blinden Knäblein an einem um seine Lenden gebundenen Strick. Viele Indiotrullen und braune Sklaven liefen zuhauf und schmähten ihn, der, obwohl er arg gebückt ging, dennoch über alle Köpfe ragte. Kurz vor dem Palisadenhause, das jetzo größer und schöner war, ließ er die Hände sinken, und da sah er vor sich, von spanischen Schergen geführt, vier Gestalten. Eine davon war der Pater Chrysostomus, der schritt behende einher, hatte auch eine saubere Kutte an und ein frisches Tonsürlein. Die drei andern aber waren der Welser, der von Hutten und die Bonita. Alle wankten arg und wurden gestützt. Ihre Tracht war ebenso mitgenommen wie die des Flensburgers. Dieser schrie auf und strebte zu jenen hin, doch die Söldner rissen ihn grob am Strick zurück. Er ballte die Fäuste wie Simson und wünschte sich, er könnte das ganze Haus, das er jetzo betrat, mit allem was drin war, einreißen. Ihm hatte keine arge Delila die Kraft geraubt, sondern diese war ihm durch lange Kerkerhaft eingeschlummert. Es war kühl im Saale, und im abgedämpften Lichte glänzten Harnische und schimmerte die Seide kostbarer spanischer Gewänder. Die Gefangenen wurden in die Mitte geführt, und vor sich sahen sie einen langen, erhöhten Tisch. Zu beiden Seiten und hinter ihnen standen Offiziere und Kriegsknechte. Auf dem Tisch brannten Kerzen in silbernen Leuchtern. Ein Kruzifix stand daneben. Dahinter aber saßen mehrere Hauptleute, ein Korregidor im schwarzen Ornat, ein Pfaff mit ernster Miene und ein geschniegeltes Herrlein mit pomadisiertem Barte und roten Lippen. Das war der neue Statthalter der Welserkolonia, welche den Deutschen schnöde und wortbrüchig abgenommen wurde, weil sie nicht verstünden, in fremden Landen und mit Heiden gebührend umzugehen! Er war von Hispaniola hergesandt 357
worden, hatte den Federmann auf einen Kriegszug geschickt, der ihn forthielt, und hatte Besitz ergriffen von Welsaria. Sein Name war Don Juan de Carvajal, doch war er mitnichten verwandt mit dem großen Entdecker und Glücksritter gleichen Namens. Jetzo hub der Flensburger wiederum an zu brüllen und wollte zu seinem abgehärmten, zerzausten Weibe hin, die ihm die Arme entgegenreckte. Aber die Schergen rissen beide an den Stricken zurück, und einer wischte dem Flensburger eine Maulschelle. Ein Gerichtsdiener verkündete Ruhe. Drauf ergriff der Korregidor eine Rolle und las die Namen sämtlicher Gefangener ab, auch mit ihrer Geburtsstadt und Datum, worauf er sie fragte, ob es richtig sei. Sie nickten. Nur der Pater Chrysostomus ward nicht aufgerufen, der brauchte auch nicht zu stehen, sondern hatte ein Bänklein erhalten. Daraus war's ersichtlich, daß man wegen seines geistlichen Gewandes milde mit ihm zu verfahren gedachte. Und wieder las der Korregidor weiter. Die Welserschen wurden wegen des Chibchaschatzes gefragt, und ob sie sich schuldig bekennten, jene armen Heiden ermordet und ausgerottet zu haben. Da schrie der Bartholomäus Welser, das sei eine stinkende Lüge, und er wolle sie dem Ankläger ins Maul zurückschlagen ! Er wurde zur Ordnung gerufen. Der von Hutten tat nun in zierlicher Rede dar, daß man nur den Federmann zu fragen brauche, der wisse, wie die Spanischen gehaust hätten. Leider sei der Moncada tot, sonst könne er's noch besser bezeugen als jener. Der Korregidor fuhr fort: „Und das Gold, das ihr mit Arglist erbeutet habt, und das teils dem Kaiser, teils den Hauptleuten Pizarro und Quesada gehörte, habt ihr im 358
Urwalde vergraben, um es bei günstiger Gelegenheit zu holen?" Da lachten die drei Angeklagten, und der Flensburger ließ den Blick von seinem Weibe, um flugs zu antworten: „Im Sumpf liegt's vergraben und in den Stromschnellen. Und alles über eine Strecke von vielen Hunderten Meilen verstreut!" Nun schaute er wieder die Bonita an, und beide Augenpaare saugten sich aneinander fest. Wieder sprach der Ankläger: „Nachher seid ihr mit Heeresmacht auf diesen Ort losgezogen, über den der Don Juan de Carvajal als Statthalter seiner allerchristlichen Majestät herrscht. Und habt übel gehaust, Knechte erstochen, erschlagen und totgeschossen!" Der von Hutten erklärte, daß die Seinen überfallen wurden, aber man lachte ihn aus. Worauf er stolz sagte, wenn man das Recht sprechen hieße, so wolle er fortan schweigen. Denn er sei ein deutscher Ritter und sich keiner üblen Tat bewußt. Wer ihm aber Übles antue, über dessen Haupt kämen die Folgen vor Gott und Menschen! Einige der spanischen Hauptleute murmelten Beifall, doch schwiegen sie, als der Pfaff sie anblitzte und das geputzte Statthälterlein mißbilligend hustete. Der Welser fuhr wild hoch: „So gilt also des Kaisers Wort, gelten seine Verschreibungen nicht, die er meinem Vater für etliche Tonnen Goldes gab ? Und sind nicht die Kopien in euren Händen, ihr Herrn, woraus hervorgeht, daß der Kaiser uns den Ritter Moncada mitgab?" Salbungsvoll sprach der Statthalter: „Eure Zunge ist rasch und ungestüm, Herr Welser. Und was jene Abschriften anbetrifft, so sind sie sicher gefälscht. Der Ritter Moncada aber ist tot, und man soll nicht den Verirrten, der gewiß von Euch behext wurde, noch im Grabe schmähen. Der Pater Chrysostomus, der als Prediger auf fünf Jahre hier Buße 359
für seine Verirrungen tun muß, wird auch fünfhundert Messen für den Verblichenen lesen!" „Hoho!" rief der Welser. „Da ihr Herrn also anscheinend unser Urteil schon vorher beschlossen habt, so frag ich, wozu dient jetzo die verdammte Komödia? Wollt ihr uns umbringen, so tut's! Kein Wörtlein mehr will ich reden, denn ihr dreht's einem ja doch nur im Maul herum. Laßt euch aber sagen: auch euch wird man einst aus diesem Lande, das ihr uns stehlt, verjagen. Mit Feuer und Schwert! — Und aus deutschen Landen wird man euch Welsche ebenfalls herausschmeißen, daß ihr's Wiederkommen vergeßt!" Er holte Atem, und die Versammlung starrte ihn ob seiner Kühnheit an. Das Statthalterlein war blaß vor Wut geworden. Jetzo fuhr der Welser fort: „Doch schätz ich, daß eure Verräterei mitnichten euch selber zuzuschreiben ist, sondern eher dem Kaiser. Der ist ein Schelm, welcher auf dem Thron der Christenheit hockt wie ein kartagischer Moloch. — Und nun tut, was ihr wollt, ich schweige. Mich dauern nur die Eltern mein und die Philippine, das gute Schwesterlein, die ich wohl nicht mehr sehen werde, denn mich dünkt, daß ihr gesonnen seid, uns zu ermorden. Und das Fürstenwort eures Kaisers ist mitnichten gülden Wort!" Er verschränkte die Arme trotzig über der Brust, und die beiden andern klirrten mit ihren Ketten und sagten aus einem Munde: „Braver Junge!" Die Spaniolen waren entsetzt über die Majestätsbeleidigung. Der kleine Statthalter hüpfte auf seinem Polstersitz hin und her, und der Pater neben ihm verzerrte das Gesicht, worauf er ein großes Kreuz schlug. „Schon das genügt, um Euch dem Henker zu überliefern. Doch ist der Gerichtshof gnädig und will Euch Gelegenheit geben, Euer verwirktes Leben zu retten und als treue Untertanen in den allver360
zeihenden Schoß der Kirche zurückzukehren, den Ihr, wie ich befürchte, als üble Ketzer und Hexenmeister bereits verlassen habt!" „Spar deine Rede, Pfaff. Und euren Gerichtshof mag der Satan holen, obwohl ich denke, daß ihm ein solcher Bissen das saure Aufstoßen verursachen mag. Und nun will ich wirklich schweigen!" rief der Weiser. Der Statthalter ergriff das Wort: „Es liegen viele Anklagen des Verrats an der Krone gegen Euch vor. Und sind teils beschworen durch das gottesfürchtige Weib, welches in dieser Niederlassung eingemauert hauset." „Die Trulle ?" brach der Welser los und lachte, während die Bonita schmerzlich zusammenzuckte. „Um Vergebung, ihr Herrn, aber ich wollte ja nichts mehr sagen!" Der Pater flüsterte mit dem Statthalter und den übrigen Beisitzern, worauf der Korregidor wieder begann: „Euch, Jan Detlef Löhndorff, erachten wir als ein mißgeleitetes Lamm und wollen es mit einer Warnung bewenden lassen. Ihr wußtet nicht, was Ihr tatet, als Ihr Euch dem Zuge dieser Ruchlosen anschloßt. Ursach Eures Unglücks ist Euer ..." „Gottsdonner! Herr, seid Ihr besessen? Ich stehe bei den Welserschen bis zum bittern Ende, laßt Euch das gesagt sein!" Der Richter lächelte und sprach weiter: „Ursache Eures Unglücks ist Euer Weib, die Tochter des Totengräbers Donnerbock zu Magdeburg, die im Kloster Fulda bereits von weisen Mönchen zum Hexentode vorgeschlagen wurde. Worauf sie ihren Zauber über Euch warf, darob Ihr sie befreitet und später zur Ehefrau nahmt." Plötzlich donnerte der Pater die ohnmächtig gen die Wand taumelnde Bonita an: „Gesteh's, Verruchte, daß du den Hauptmann mit üblem Ketzertum und Hexenzauber betörtest!" 361
Der Korregidor wandte sich wieder an den Flensburger, der, Schaum vor dem Munde, von Söldnerfäusten gehalten, vergeblich zur Bonita wollte, und sagte ihm: „Und da jene Frau, die im Büßerhäuslein sitzt und einst eine große Heilige im Himmel werden wird, für Euch gebeten hat, so wird man Euch in Bälde die Freiheit geben. Es steht Euch dann offen, hierzubleiben oder mit der ersten Karavelle übers Meer zu reisen." Er räusperte sich und redete fort: „Um jener blonden Hexe willen aber noch mehr Zeit zu verlieren, zumal ihre Schuld durch glaubwürdiges, beschworenes Zeugnis erwiesen ist, dünkt mich Sünde, sowohl an Gott wie an uns selber. Drum wollen wir das Urteil verkünden!" Er steckte mit dem Juan de Carvajal und den übrigen den Kopf zusammen, dann stand er auf, küßte das Kruzifix und rief: „Im Namen unseres Herrn Gottes! Im Namen des Kaisers der Christenheit und im Namen des Statthalters Don Juan de Carvajal sei hiermit allen kundgetan. Herr Philipp von Hutten, deutscher Ritter und Bevollmächtigter des Kaufherrn Welser zu Augsburg in Deutschland, tretet vor!" Der Ritter wurde vorgestoßen, und der Richter rief jetzo: „Herr Bartholomäus Welser, Bevollmächtigter und Sohn des Kaufherrn gleichen Namens zu Augsburg, tretet vor!" Zwei weiße Stäblein mit scharfem Knacken zerbrechend, rief er laut: „Ihr seid beide vom Gericht der Majestätsbeleidigung, der Ketzerei und des bewaffneten Aufruhrs für schuldig befunden; euch soll binnen drei Tagen vor versammeltem Volk der Kopf durch Henkershand abgeschlagen werden!" Es war ganz still, man hörte einen der Verurteilten — war es der Welser oder der Ritter ? — mit den Zähnen knirschen. Der Richter aber begann wieder: „Jan Detlef Löhndorff, weiland Stadthauptmann zu Flensburg und später 362
Hauptmann des Kaufherrn Welser! Euch hat der Gerichtshof für unschuldig und als ein verführtes Lämmlein befunden. Drum sollt Ihr nach drei Tagen freigelassen und bekleidet werden und Eure Waffen erhalten, damit Ihr dem Statthalter als Kriegshauptmann gegen die Heiden dienet. Oder Ihr könnt nach Haus fahren!" „Ich will mit den andern sterben, vor denen ich nichts gemein habe!" fiel der Flensburger ein und zerrte wild an den Händen, die ihn hielten, denn die Bonita lag noch immer ohne Besinnung am Boden. Der Korregidor lächelte erst, schnitt drauf ein strenges Gesicht und endete: „Die Hexe spielet Komödia und tut, als ob ihr schlecht sei, mittlerweile ihre schwarze Seele mit ihrem Meister, dem Satan, Zwiesprache hält. — Eve Donnerbock, ich erkläre deine Ehe mit dem Hauptmann für ungültig. Du bist der Zauberei und des Hexentums schuldig, und deshalb, ohne daß eine weitere Probe an deinem Leibe gemacht werde, wirst du verurteilt, binnen drei Tagen auf dem Scheiterhaufen zu brennen, bis du zu Asche verzehrt bist!" Er setzte sich hin. Da geschah ein solch gräßlicher Schrei, daß alle zusammenzuckten. Und der Flensburger wälzte sich wie ein Besessener mit zehen Kriegsknechten am Boden, schrie und lästerte, bis er überwältigt und hinausgeschleppt wurde. Nachher rannte er in seinem Kerker mit dem Kopf gegen die Wand und vollführte grausen Lärm, daß die Knechte eilten und ihn banden. Nächsten Tag kamen sie, um nachzusehen; sie fanden ihn mit eiskalter Miene auf sie harren. Auf ihre Frage, ob er verspreche, ruhig zu sein, wenn sie ihn entfesselten, nickte er, ohne einen Muskel zu regen, und sie taten's. Langsam stand er auf, kümmerte sich nicht mehr um die Knechte und schritt ans Fensterlein, um hinauszuspähen. Vor dem 363
Ceibabaume waren die Zimmerer eifrig beschäftigt, das Hochgerüst aufzuschlagen. Sie hämmerten und sägten, sangen auch lustig dabei. Und als ein schwerer, oben ausgehöhlter Block herbeigeschleppt und aufgestellt wurde, sprang einer hinzu und legte seinen Kopf drüber. Hernach schlug ihm ein andrer mit einem Gertlein ins Genick und seine Mütze fiel in die Sägspäne. Unter solcher Kurzweil vollendeten sie ihr Werk. Stumm schaute der Flensburger zu. Und als am andern Mittag viel Volkes zusammenlief und die Kriegsknechte aufmarschierten, stand er wieder da, um hinauszuschauen. Unter martialischer Musik kam das geschniegelte Statthalterlein mit seinem Gerichtshof. Schalmeien schmetterten. Es war arg heiß. Nur die Herrn fanden Schatten unterm Ceibabaum. Alles schwieg, als der von Hutten und der Welser herbeigeführt wurden. Man hatte ihnen die Hände auf dem Rücken gebunden und den Nacken geschoren. Auch trugen sie noch die halbverfaulten Zeug- und Fellumpen des Urwaldmarsches. Aber sie schritten stolz einher, und als Halt geblasen wurde, standen sie mit erhobenen Köpfen da. Der Flensburger starrte schweigend durchs Gitterfensterlein. Jetzt verlas der Korregidor wieder das Urteil, zween weiße Stäblein wurden abermals geknickt, und er rief mit lauter Stimme: „Und so gehe denn das Gesetz seinen Lauf!" Der Pater Chrysostomus umarmte den als ersten die Stufen zum Schafott emporgeführten von Hutten und gab ihm das Kruzifix zum Küssen. Drauf fragte der Korregidor, ob er zum Volk reden wolle, doch zuckte der von Hutten verächtlich die Achseln und entgegnete, daß er mitnichten gesonnen sei, den Hanswurst für das hohe und niedere Pack zu machen! Er kniete hin und legte den Hals in die Höhlung des 364
Blocks. Flugs stand der Scharfrichter hinter ihm, lüpfte das breite Schwert mit den sehnigen, bis zum Ellbogen aufgekrempelten Armen. Ein Trommelwirbel erschallte, als die Waffe blitzend niedersauste. Der Kopf des von Hütten fiel in die Sägspäne, während der Rumpf polternd umsank und ein rotes Brünnlein sprudelte. Die Trommler hörten auf. Der Flensburger starrte schweigend durchs Gitterfensterlein. Jetzo betrat der Bartholomäus Welser das Gerüst, auch er wurde gefragt, ob er reden wolle. Er lachte und sagte, warum sie nicht das Schaffott abgespült hätten, da es ihm die Füße besudle? Doch mache es schließlich nichts, denn es sei gutes Blut. Besseres Blut, als alle die versammelten Trullensöhne hier hätten! Er lachte noch mehr, wurde aber plötzlich ernst, schaute nach dem Kerker des Flensburgers hin und rief: „Leb wohl, Jan Detlef, und bleibe tapfer! Dem von Hutten und mir ist wohl, aber dir steht Schlimmes bevor. Grüß mir die deutschen Gaue!" Er winkte mit der Hand. Laut antwortete der Flensburger: „Ich will's versuchen!" Jetzo rollten auf ein Zeichen des ungeduldigen Juan de Carvajal die Trommeln, und der Welser legte das Haupt über den Block. Wieder fuhr das breite Schwert blitzgleich herab, und auch diesmal war der Hieb ein guter, denn das blonde Haupt sprang ab und kollerte über die Planken, bis es mit dem Gesicht nach dem Statthalter liegenblieb. Der schlug die Hand vor die Augen und ging mit seinen Kumpanen unter dem Murmeln des glotzenden Volkes davon. Der Flensburger stand, schaute durch Gitterfensterlein und sah schweigend zu, wie Rumpf und Kopf seiner beiden Freunde in die Särge gelegt und fortgetragen wurden. Am andern Morgen, als er erwachte und hinauslugte, war das Hochgerüst weg, und an seiner Stelle stand ein gewal365
tiger Scheiterhaufen. Er hatte in der Mitten einen schmalen Eingang, darin ragte ein mit Ketten behangener Pflock. Der Jan Detlef knirschte mit den Zähnen. Da rief jemand: „Pst! Pst!" Und sah er einen Kumana vor dem Fensterlein. In ihm erkannte er denjenigen, der damals die Stromfahrt bis zum Don Felipe mitgemacht hatte und dann beim Federmann geblieben war. Der lispelte ihm im Vorbeigehen zu: „Sie werden eine Leiche brennen! Denn sie ist schon in ihrem Kerker verstorben!" Da faltete der Flensburger dankbar die Hände und schaute wieder still durchs Fensterlein. Und bald bimmelte das Glöcklein, der Pater Chrysostomus neben dem andern Geistlichen kam gegangen, und beide sangen eintönige lateinische Litaneien. Das Volk und die Knechte stellten sich wieder auf. Vier Indiosklaven brachten jetzo die Bonita auf einem Brettlein liegend. Ihr blasses Totengesichtlein war friedlich und schön. Doch hatte sie auf dem güldenen Gelock eine spitze Papiermütze, worauf züngelnde Flammen und allerlei bleckende Teufel gemalt waren. Und ihren Leib verhüllte der „San Benito", ein ebenso bemaltes Hemdlein. Der spanische Pater überantwortete sie mit vielen Sprüchen dem Henker, der das zarte Körperlein nahm, an den Pfahl band und den Scheiterhaufen in Brand setzte. Der Flensburger sah aus schwarzem Rauch und roten Flammen das weiße Gesichtlein seiner Eheliebsten ragen, bis Feuer darüber zusammenschlug. Er stand und schaute noch durchs Fensterlein, als sich das Volk schon verlaufen hatte und die Reste des zusammengesunkenen Scheiterhaufens rot in der anbrechenden Dunkelheit erglühten. Eine schattenhafte Gestalt glitt heran; es war wieder der Kumana. „Was macht die Büßerin ?" fragte ihn der Jan 366
Detlef. Zur Antwort kam: „Sie hockt im Häuslein und murmelt vor sich hin. Ihr Gesicht ist wie ein Totenkopf anzusehen !" „Lauf zum Aschenhaufen und bring mir flugs ein Häuflein davon!" flüsterte der Deutsche. Lautlos tauchte jener durch die Dunkelheit und kam wieder mit einer Handvoll warmer Asche. Der Hauptmann riß aus dem Rücken seines Wamses, das an dieser Stelle noch ziemlich heil war, ein Stücklein, tat die Asche hinein, und hängte sich das Ganze, zu einem Päcklein geformt, um den Hals. „Die soll brennen auf meiner Brust und mich stets an kaiserliches Schelmenwort erinnern!" sprach er ingrimmig und wandte sich an den Kumana, der staunend sein Tun verfolgt hatte. „Höre, magst du mit mir in die Wälder ziehen, wenn ich freigelassen bin, und wollen wir Spaniolen jagen?" Der Indio nickte freudig und flüsterte: „In der Wildnis hausen noch viele meines Stammes, die so denken und tun, was Ihr wollt, Herr. Und ich will Euch zu ihnen führen, denn hier hab ich's arg satt!" Drauf verabredeten sie sich, und der Kumana, der ihm erzählte, daß die übrigen Welserknechte solange in mildem Gewahrsam gehalten würden, bis ein Schiff komme, verschwand in der Nacht. Eine Weile noch stand der Flensburger, lugte durchs Fensterlein, sah die Glut am Ceibabaume schwach leuchten und die Feuerkäferlein ihren Reigen gaukeln. Seufzend legte er sich aufs harte Lager und griff an die Asche auf seiner Brust. Den andern Morgen ließen sie ihn frei, gaben ihm auch Kleider, seine Eisenhaube und das gute Erbschwert des Vaters zurück. Er ging zu den Zimmerleuten und lieh sich Feile nebst Schleifstein, womit er den Rost wegkriegte und die treue Waffe wieder blank und scharf machte. Drauf ließ 367
ihn der Pater Chrysostotnus rufen und war liebreich zu ihm. Und der Flensburger sagte auch, daß jener ein braver Mann wär und er ihn arg schätze; aber gewißlich sei die Macht der Kirche größer als er selber gedacht! Da schlug der Chrysostomus die Augen nieder und konnte nichts reden. Sie umarmten sich stumm, und nach einer Weile erzählte der Flensburger leise, was er vorhabe. Dabei berührte er die Asche auf seiner Brust. Das alte Feuer, wie es immer in des Paters Augen geglänzt hatte, als sie gemeinsam durch die Wildnis zogen, flammte kurz. Drauf fragt er, ob der andere seine Aufzeichnungen, die er gerettet habe, wiederhaben wolle und war baß erstaunt, als der Flensburger eifrig bejahte und sagte: „Gebt mir's. Und ein zinnern Dintenfäßlein dazu. Ich will, wenn ich im Walde hause, alles aufzeichnen. So ich aber mein Ende nahen fühle, so schick ich's durch einen getreuen Boten hieher, und wenn ihr noch da seid, so sollt ihr's an meinen Bruder, der auf einem Erbhof im Holsteinischen sitzt, weitersenden!" Dies versprach der Pater. Die beiden umarmten und trennten sich nun, weil schon ein paarmal argwöhnische Spanier vorbeikamen. Der Flensburger verbarg Manuskript und Dintenfäßlein und ging. Einige Wochen blieb er noch in der Siedlung und ward von männiglich als schwergeprüfter Mann wohlgelitten und scheu angesehen. Niemand getraute sich, mit ihm zu reden, und solches war ihm nur recht. Er ging oft mit dem getreuen Kumana in den Wald, wo er sich geheimnisvoller Übungen nach des Indios Anweisungen unterzog. Eines Tags lief Geschrei durch Welsaria, denn der Flensburger war weg. Man hatte ihn zuletzt mit dem Kumana fortgehen sehen. Man suchte, aber fand nichts. Schließlich 368
fiel dem Statthalter ein, daß der Flensburger ja ein gewaltiger Streiter und Urwaldläufer sei. Und ihm schwante Böses. Die mächtigen Bluthunde wurden ausgesandt und rannten bläffend in den Wald. Sprangen auch gierig durchs Dickicht, bis sie mit einmal stehenblieben und die Bäume anbellten. Und man mußte unverrichteter Sache abziehen. Denn der Flensburger, dessen Kräfte und Geschmeidigkeit nach seiner Befreiung wiedergekehrt waren, hatte sich von dem Kumana unterweisen lassen, wie man große Strecken im Geäst der Bäume zurücklegen kann. Den Spaniolen, die hernach zum Holzholen in den Wald geschickt wurden, war's immer gar unwohl in ihrer Haut.
Die s u m m e n d e n P f e i l e Weit drinnen im Urwalde hauste der Flensburger bei einem Schock geflüchteter Kumanas, die alle den Spaniern bittere Rache geschworen hatten. Oft zogen sie aus und überfielen deren Holzfällerkolonnen oder die Wildbretjäger. Der Flensburger ging immer mit und schlug jeden Welschen, der ihm zwischen die Finger kam, unbarmherzig tot. Bald merkten die Siedler, welch furchtbare Feinde in den Wäldern lauerten, und der Juan de Carvajal setzte eine Belohnung aus auf das Haupt des Jan Detlef. Der schrieb ihm flugs einen höhnischen Brief, welcher durch Pfeilschuß in die Stadt geschnellt wurde. Die Spanier ließen sich von Hispaniola grausige Bluthunde kommen, doch der Flensburger schlug eines Tages viere, die auf seiner Witterung waren und nacheinander auf ihn losstürzten, teils mit dem Flamberg tot, teils packte er 369
sie an den Hinterläufen, um ihre Köpfe gen Stämme zu schmettern. Wenn er im Lager weilte, so saß er ernst und traurig stundenlang auf einer Stelle, um vor sich hinzustarren. Die Kumanas behandelten ihn mit Achtung, gaben ihm auch ein junges, schlankes Mägdlein zum Weibe. Lächelnd ließ er sie gewähren, daß sie sein Essen bereitete und ihm die Hängematte aufschlug — ansonsten aber behandelte er sie als seine Tochter, denn ihm stand nicht der Sinn nach Minne. Vor allem nicht mit farbigem Blut! Seinem treuen Kumanaführer hatte er das Wort abgenommen, die Pergamente, an denen er oft schrieb, bei seinem Tode dem Pater Chrysostomus zu bringen. Wenn dieser aber nicht mehr da sei, so möge er sie verbrennen. Die Zeit schritt fort. Die Spanier hatten, da sie den Kumanas des Flensburgers, die schlau wie Füchse und wütend wie Jaguare geworden waren, nicht beikommen konnten, ihnen andre Stämme auf den Hals gehetzt. Die wagten oft Überfälle, schossen mit vergifteten Pfeilen, und es bissen viele ins Gras. Dem Flensburger geschah nie etwas. Sein blonder Bart, der erst spärlich mit Grau vermischt war, ging ihm schon bis an den Gürtel. Auch das Haar wallte üppig unter der Sturmhaube hervor. Er besaß einen zahmen Papageien, dem er einige deutsche Wörtlein und Sätze beigebracht hatte. Mit der Zeit sank er aber mehr und mehr in tiefe Schwermut. Und er ließ oft die andern kämpfen und blieb mitten im Pfeilregen sitzen. Doch traf ihn kein Geschoß. Schrieb daher noch an seiner Chronika und sandte seinen Getreuen damit fort. Und eines Tages, da sie weit in die Wildnis getrieben, neue Hüttlein auf einer Lichtung gebaut hatten und sich's Wohlsein ließen, erschallte Kriegslärm. Weiber kreischten, und 370
hastig rannten die Mannen mit ihren Waffen dem Waldrand zu. Dort tanzten braune, nackte Gestalten gleich brüllenden Dämonen herum, schwangen Speere und sandten Pfeilregen nach Pfeilregen auf die Überfallenen. Jene waren in der Übermacht, und langsam räumten die Kumanas den Platz, riefen auch dem Flensburger zu, er solle mitkommen. Doch der blieb sitzen. Erst als die letzten der Seinen vorbeigerannt waren, erhob er sich langsam und lächelte mild. Stülpte die Sturmhaube auf und umgürtete den Flamberg. Doch nahm er ihn wieder ab, betrachtete ihn lange, indes die ersten Pfeile schon neben ihn in den Boden fuhren. Und plötzlich schmiß er die entblößte Waffe weit hinaus über die Laguna, sah die Runen noch einmal zucken, und dann verschwand die Klinge im schimmernden Wasser. Brüllend rannten jetzo die Heiden heran. Der Flensburger drehte sich um, sah sie kommen. Bei seinem Anblick blieben sie stehen und legten neue Pfeile auf die Bogen. Er breitete die Arme aus und schritt ihnen lächelnd entgegen. Zärtlich summend, gleich vielen bunten Schmetterlingen, kamen die vergifteten Todesboten auf ihn zu.
ENDE