R. P. Mielke
Band 18
Todestrip nach Teckan Ein dreiviertel Jahr ist seit dem Beginn der kosmischen Invasion verstrich...
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R. P. Mielke
Band 18
Todestrip nach Teckan Ein dreiviertel Jahr ist seit dem Beginn der kosmischen Invasion verstrichen. Der letzte Versuch der Orathonen, Einfluß auf die Erde zu nehmen, ist abgeschlagen worden. Kim und Velda Corda befinden sich wieder auf der Erde. Die Wissenschaftler bearbeiten das nunmehr den Terranern zugängliche Erbe Walter Becketts. Bald aber sieht Rex Corda ein, daß er sich der Hilfe der laktonischen Wissenschaftler versichern muß, um wirklich unseren Planeten zu einem bedeutenden Faktor innerhalb des galaktischen Machtgefüges werden zu lassen. Laktons Wissenschaftler werden genau und strengstens überwacht. Noch nie ist es jemandem gelungen, durch das Netz der Sicherheitsvorkehrungen zu schlüpfen. Trotz der vielfältigen todbringenden Gefahren ist Rex Corda entschlossen, alles zu riskieren . . .
Nur eine Hilfe hat er: Latak Decimo, der Führer der laktonischen Wissenschaftler. Decimo tritt mit einem überraschenden Vorschlag an Rex Corda heran. Er bittet um Asyl für eine Reihe von Wissenschaftlern und bietet der Erde ihren Dienst an. Voraussetzung ist allein die schrankenlose Freiheit der Wissenschaftler. Rex Corda erkennt die Chance, die sich der Erde bietet, sofort. Er sagt zu und verspricht der Geheimorganisation der iaktonischen Wissenschaftler seine Unterstützung. Selbstverständlich läßt der laktonische Geheimdienst so hochrangige Wissenschaftler wie Latak Decimo nicht einfach frei. Es kommt zu einer erbitterten Auseinandersetzung, bei der nur einer die Nerven behält und die entscheidende Wende im Kampf bringen kann: Rex Corda.
Die wichtigsten Personen: Rex Corda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Präsident der Erde Kim Corda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . eigenwilliger Bruder des Präsidenten Nukleon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . telepathischer Hund, der Freund Kims Wabash . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . telepathischer Delphin Ca Rango . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . orathonischer Wirtschaftsexperte
Der Materialfrachter tauchte in den Hyperraum ein. Das winselnde Kreischen des Antriebs jagte den fünf Wissenschaftlern eisige Schauer über den Rücken. Sie haßten dieses Geräusch beinahe ebenso, wie sie die grünhäutigen Orathonen haßten. Die Gesichter der Wissenschaftler nahmen eine aschgraue Farbe an. Sie hatten den Feind zu spät geortet. Die Featherheads holten auf, und sie ließen sich nicht bluffen. In Sekundenbruchteilen veränderte sich das Gesicht des Kybernetikers Toba Ex Hatan. Ein mörderisches Leuchten funkelte in seinen Augen, während seine fleischigen Finger über die Kontrollen hasteten. Da explodierten reihenweise die Kondensatoren im Antrieb des Materialfrachters. Toba Ex Hatan wendete den Frachter und bremste ihn ab. Fast gleichzeitig glitt er aus dem Hyperraum in das Einsteinuniversum zurück. Hatan handelte mit der Präzision einer gut geölten Maschine. Seine sonst charakteristischen Lachfalten in den Augenwinkeln waren verschwunden. Die Hantelraumer der Orathonen gingen breit gefächert zum Angriff über. Sie bildeten ein gleichseitiges Dreieck, in dessen Mittelpunkt der schutzlose Frachter der Laktonen ein verzweifeltes Manöver versuchte. Die dicken, fleischigen Finger von Toba Ex Hatan tanzten mit graziler Eleganz über die Kontrollen. Wieder tauchte der Frachter in den Hyperraum ein. Fast augenblicklich glitt er wieder in das normale Universum zurück. Immer schneller wiederholte Toba Ex Hatan das Manöver. Der Frachter raste schlingernd in den Hyperraum, tauchte wieder auf und verschwand erneut. Toba Ex Hatan war ganz in seinem Element. Er dachte daran, daß er das Frachtschiff wie einen Stein behandelte,
der flach über eine Wasserfläche geworfen wurde. Er grinste bei diesem Gedanken, obwohl er wußte, daß der Vergleich nicht ganz zutraf. Hier gab es eine Dimension mehr, die berücksichtigt werden mußte — eine Dimension, in der sich Laktonen und Orathonen bewegen konnten, ohne sie jemals ganz zu verstehen. Das Krachen und Bersten innerhalb des Frachtschiffes nahm zu. Metall schrie. Panzerplastverstrebungen knickten wie dürre Äste ein. Lange Fetzen der Wandverkleidung lösten sich und flogen scheppernd durch die Zentrale. Sie klatschten gegen Pneumosessel, während scharfe Kanten pfeifend durch die Luft schnitten und mit ungeheurem Krachen in die aufstöhnenden Kontrollgeräte rasten. Mit ohrenbetäubenden Detonationen flammten grelle Lichtblitze vor den fünf Wissenschaftlern auf. Die Kontrollkabine wurde in ein böses blauviolettes Licht getaucht. Hatan taumelte. Er torkelte vor den Kontrollgeräten hin und her und versuchte immer wieder, seinen massigen Körper gegen die Abdeckplatten zu stemmen. Da zerplatzten reihenweise Widerstände im Innern der Kontrollpulte. Die wütende Kanonade scharfer Knallgeräusche vermischte sich mit dem Prasseln der Flammen vor Toba Ex Hatan. Der Kybernetiker stand im Zentrum des Infernos und wich nicht einen Zentimeter zurück. Die Flammen leckten gierig an seiner Kleidung und versengten sein Haar. Dann stürzte sich Hatan mit einem urweltlichen Aufschrei über das Kontrollpult und riß das Raumschiff mit den letzten Energiereserven aus dem Hyperraum zurück. Seine Beine knickten ein. Dann rutschte er langsam an der rotglühenden Wand des Kontrollpultes zu Boden.
* Das Alarmsignal für die im TerraSonnensystem verbliebene laktonische Flotte kam, kurz nachdem Rex Corda den Kommandanten verlassen hatte. Sofort starteten zwanzig laktonische Trakon-Kreuzer, um einen Geleitschutz für den Materialfrachter unter der Leitung von Latak Decimo zu bilden. Noch während die großen, zweitausendeinhundertzechzig Meter langen Raumschiffe in den Raum hinausschössen, setzte sich der Kommandant des Schutzkommandos Terra mit Lakton in Verbindung. Die Holografen an Bord des Flaggschiffes leuchteten auf. Dann erschien das dreidimensionale Bild von Jakto Javan, dem Flottenkommandeur der in diesem Winkel der Milchstraße versammelten laktonischen Flotte. Der Schento Jakto Javan hob seine rechte Hand. Sie war erneuert worden, nachdem sie Jakto Javan nach einem Duell mit dem orathonischen Oberbefehlshaber Sigam Agelon abgetrennt worden war. Das Duell der beiden feindlichen Oberbefehlshaber auf einer von semibiotischen Kolonien überwucherten Insel würde für Jakto Javan immer unvergeßlich bleiben. Er wußte, daß er sein Leben dem Manne verdankte, der ihn vor den näherrückenden stachelarmigen Semibioten in allerletzter Sekunde gerettet hatte. Seine Achtung vor Rex Corda und seinem Freund John Haick brauchte Jakto Javan nicht mehr zu verbergen. Der Kommandant der laktonischen Schutzeinheiten für die Erde straffte sich und nahm Haltung an. Das dreidimensionale Bild seines Flottenkommandeurs war derartig plastisch, daß es aussah, als stände Jakto Javan direkt vor ihm.
„Es gibt Schwierigkeiten mit den Terranern", sagte der Kommandant. Jakto Javan runzelte die Brauen und beugte sich vor. „Schwierigkeiten welcher Art?" „Die Orathonen versuchen noch immer, Transporte zur Erde aufzuhalten, und zum anderen glaubt der Präsident von Terra, daß Lakton ihn mit zweitklassigem Material beliefert." Jakto Javan verzog kaum merklich die Mundwinkel. Dann nickte er und sagte: „Unser Freund Rex Corda besitzt die fatale Eigenschaft, über verschiedene Dinge nachdenken zu können. Wir werden geschickter vorgehen müssen. Sorgen Sie dafür, daß sein Verdacht zerstreut wird. Er muß davon überzeugt werden, daß Lakton alles tut, um der Erde beim Wiederaufbau zu helfen." „Ich fürchte, er läßt sich nicht täuschen!" „Unser Programm ist hundertfach erprobt. Wir werden auch die Erde täuschen können!" sagte Jakto Javan hart. „Die Terraner müssen das Gefühl haben, einen ungeheuren Aufschwung zu erleben. Das ist der Auftrag!" „Eines Tages werden sie begreifen, daß sie in eine kulturelle Sackgasse laufen . . ." Das Bild von Jakto Javan verblaßte. Sekundenlang starrte der Kommandant der laktonischen Schutzflotte für Terra auf den Holografen. Ihm wurde klar, daß er allein mit diesem Problem fertig werden mußte. Jakto Javan hatte andere Sorgen. Der Kommandant rief Bedienungsroboter und seine höchsten Offiziere zu sich. Er blickte auf die Holografen, die den Einsatz der Trakon-Kreuzer übertrugen. In direkter Linie stießen die Kreuzer auf einen Punkt der äußeren Galaxis zu, an dem Latak Decimo mit seinem Materialfrachter in die Falle der Ora-
thonen geflogen war. Große Chancen gab der Kommandant der Schutzflotte diesem ersten wichtigen Materialtransport nicht mehr. * Der Sonnengleiter des Terra-Präsidenten jagte auf die unterirdisch angelegte NORAD-Zentrale zu. Während der Fahrer des Gleiters einen vierzig Jahre alten Schlager vor sich hin pfiff, dachte Rex Corda nicht gerade freundlich an die Laktonen. Die Erde war durch die Invasion der beiden kriegführenden Rassen aus den Tiefen der Milchstraße ausgelaugt worden. Orathonen und Laktonen hatten das Terra-Sonnensystem mit ihren gewaltigen Kampfflotten überfallen, um neue Energiepotentiale zu gewinnen. Der gnadenlos geführte Krieg hatte auf beiden Seiten unermeßliche Verluste gebracht. Keine der beiden Rassen fühlte sich zunächst verantwortlich für die Schäden, die der Erde zugefügt worden waren. Nur durch die Tatsache, taß Rex Corda und eine kleine Gruppe verzweifelt kämpfender Menschen sich auf die Seite der Laktonen gestellt hatten, wurden diese vor der endgültigen Vernichtung des Terra-Sonnensystems bewahrt. Die Orathonen waren geschlagen. Wenn auch nur innerhalb dieses Sektors der Milchstraße. Rex Corda steckte sich eine Zigarette an, als der Sonnengleiter die Rocky Mountains erreichte. Er näherte sich dem ehemaligen Zentralgefechtsstand des nordamerikanischen Luftverteidigungskommandos. Die unterirdischen Anlagen hatten sowohl den großen Atomkrieg als auch die Invasion der beiden feindlichen Rassen überstanden. Selbst den Agenten der Orathonen war es nicht gelungen, ins Innere des Berges vorzustoßen.
Rex Corda gab seinem Fahrer ein Zeichen. Mit einer steilen Kurve schoß der Sonnengleiter auf den Berg zu. Er tauchte in das Schutzfeld am nördlichen Eingang zur NORAD-Zentrale ein. Wenige Minuten später verließ Rex Corda den Gleiter und gab seinem Fahrer den Befehl zu warten. John Haick, der achtunddreißigjährige Atomwissenschaftler, wartete bereits auf Corda. Sein schwarzes weiches Haar fiel ihm in die Stirn. Seine dunklen Augen blitzten, als er Corda sah. Sie schüttelten sich kurz die Hand, dann erstattete John Haick Bericht. „Es sieht so aus, als versuchten die Laktonen, uns hereinzulegen, Rex!" begann er ärgerlich. „Ich fürchte, Lakton liefert uns Material, das uns nicht wirklich weiterhilft." „Ich verstehe nicht ganz, John." „Ich kann noch nichts Bestimmtes sagen, Rex. Vielleicht werden wir es auch nie sagen können. Uns steht ein Gegner gegenüber, der vielleicht schon bei Tausenden von Völkern mit Erfolg eine ähnliche Aktion durchgeführt hat." „Kannst du nicht deutlicher werden?" John Haick schlug die Hände ineinander und zog die Schultern hoch an den Kopf. „Rex — ich halte es für möglich, daß Lakton uns wissenschaftliches Material liefert, das uns in eine kulturelle und wissenschaftliche Sackgasse führt. Ich kann nichts beweisen! Ich kann nur vermuten. Unser Wissen reicht nicht aus, um einen exakten Beweis führen zu können. Könnten wir das, dann hätten die laktonischen Wissenschaftler in unserem Fall völlig versagt. Ich habe nur einfach ein schlechtes Gefühl." Wieder machte John Haick eine Pause. Er suchte sichtlich nach Worten, um Corda besser erklären zu können, was er meinte. „Vielleicht haben die laktonischen Experten wirklich einen kleinen Fehler
gemacht. Schließlich kannten sie Walter Beckett nicht." Rex Corda ruckte auf. Seine Augen verengten sich. Er fühlte das Unheil, das auf die Erde zukam. Es wäre für die Laktonen keine große Schwierigkeit gewesen, eine Kultur, die der eigenen so weit unterlegen war wie die der Erde, in neue Bahnen zu lenken, die in einer Sackgasse enden mußten. Lakton konnte sehr wohl wissenschaftliche Lehren liefern, die für die terranischen Wissenschaftler von einzigartiger Faszination sein konnten. Die Terraner würden sich mit ganzer Energie auf die neuen Ideen stürzen und vielleicht erst nach Jahrzehnten entdecken, daß ihre Energie im Nichts verpuffte. Ein galaktisches Volk wie Lakton konnte aufgrund seiner Erfahrungen ganze Kulturen aus dem Nichts errichten und andere Kulturen aus der Galaxis wischen. Rex Corda hatte plötzlich das Gefühl, vor einem endlosen Abgrund zu stehen. Er sah die Entscheidung, die auf ihn zukam — und ahnte, daß sie über das Schicksal der Erde entscheiden würde. „Was war mit Walter Beckett?" „Walter war ein Genie, Rex. Auf chemischem Gebiet leistete er mindestens ebensoviel wie die Laktonen — nur kamen seine Entdeckungen erst in den letzten Tagen seines Lebens. Nur wenige Menschen wissen darüber Bescheid. Die Laktonen ahnen noch nichts davon. Das chemische Material, das sie uns lieferten, hält dem Werk Walter Becketts nicht stand." „Bist du ganz sicher?" fragte Corda. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. „Auf diesem Gebiet gibt es nur ganz geringe Zweifel, Rex. Beweisen kann ich jedoch in so kurzer Zeit überhaupt nichts. Ich kann aber schärfstes Mißtrauen gegenüber den laktonischen
Lieferungen empfehlen." Rex Corda nickte. Mechanisch zündete er sich eine neue Zigarette an. „Vielleicht klingt das alles sehr hochmütig, Rex", versetzte John Haick langsam, „aber ich glaube, Lakton hat Angst vor uns. Ich weiß nicht warum. Ich kann mir auch nicht vorstellen, weshalb ein Gigant wie Lakton sich vor einem Zwerg wie uns fürchten könnte." Corda lächelte dünn. „Ich glaube, das ist wirklich etwas hochmütig, John. Im Augenblick hat die Erde genügend zu tun, um zu überleben. Eben deshalb verstehe ich nicht, daß Latak Decimo dieses falsche Spiel mitmacht", wunderte sich Rex Corda. Er runzelte die Brauen und dachte an den besten Freund, den er unter den Laktonen besaß. Der junge Synoptiker Latak Decimo hatte in vielen Gesprächen zu erkennen gegeben, daß er im Grunde genommen auf Seiten der Erde stand. Die Wissenschaftler Laktons wurden in einem goldenen Käfig gefangengehalten. Sie lebten in Luxus und Überfluß, wurden aber strenger bewacht als Verbrecher. Fast alle großen Wissenschaftler Laktons waren auf dem Wissenschaftsplaneten Teckan angesiedelt worden und standen dort unter ständiger Kontrolle. Die politische Führung des laktonischen Reiches fürchtete nichts mehr als einen Aufstand der Wissenschaftler. Die Angst, daß die Wissenschaftler Laktons durch die Macht ihres Geistes stärker wurden als die politische Führung, hatte dazu geführt, daß den Wissenschaftlern alle Annehmlichkeiten eines sorgenfreien Lebens zugebilligt wurden. Nur in einem Punkt waren die Politiker Laktons hart und unnachgiebig: Sie duldeten keine Freiheit in Forschung und Lehre. John Haick berichtete so schnell wie möglich, in welchen Punkten Lakton
versuchte, die Erde zu betrügen. Da gellte plötzlich das Rufsignal durch die Gänge und Korridore der NORAD-Zentrale. Im Arbeitsraum von John Haick flammten drei rote Kontrollichter auf. „Tut mir leid, John, ich werde wieder irgendwo gebraucht", grinste Rex Corda. Der Präsident der Erde beugte sich über die Ruf anläge und meldete sich. „Der Kommandant der Schutzflotte wünscht Sie zu sprechen", erklärte der Nachrichtenoffizier, dessen Gesicht blaß auf den Bildschirmen leuchtete. Rex Corda legte die Stirn in Falten und stieß ein unwilliges Brummen aus. „Dieser Bursche glaubt auch, ich hätte meine Zeit beim Pferderennen gewonnen", sagte er und richtete sich auf. Das Gesicht des Navigationsoffiziers verschwand. Rex Corda drückte seine Zigarette aus und lehnte sich in seinem weichen Sessel zurück. Er wartete auf das Zustandekommen der Verbindung mit dem Laktonen. Er hatte sich bereits einige Dinge zurechtgelegt, die er diesem Burschen sagen wollte. „Du darfst jetzt das Kind nicht mit dem Bade ausschütten", warnte John Haick. Rex Corda machte eine abwehrende Handbewegung. „Manchmal muß man mit diesen Knaben ziemlich direkt reden, ehe sie begreifen, daß wir keine kleinen Kinder sind, mit denen sie machen können, was sie wollen", sagte er wütend. * Drei in allen Farben des Spektrums schimmernde Glutwolken markierten die Stellen, an denen die drei Hantelraumer der Orathonen zerrissen worden waren.
Der letzte der großen Hantelraumer verzichtete darauf, ein erneutes Risiko einzugehen und das Manöver des Laktonen nachzumachen. Er ergriff die Flucht. Das von der Erde gestartete Sonderkomrnando der Laktonen verfolgte den orathonischen Hantelraumer bis zu einer Entfernung von einundachtzig Lichtjahren. Dann brach der Führer des Sonderkommandos die Verfolgung ab. In der Zwischenzeit hatten sich bereits drei Trakon-Kreuzer um den stark angeschlagenen Frachter mit wissenschaftlichem Material für die Erde gekümmert. Mit flammenden Bremsdüsen stießen sie auf den Frachter zu, der bewegungslos und ohne Antrieb eineinhalb Lichtjahre jenseits von Barnards Pfeilstern im All hing. Riesige Magnetklammern knallten gegen die Außenhülle des zerstörten Frachters. Dann wurde ein Bergungskommando ausgeschleust, um zu retten, was noch zu retten war. Die grauenhaften Zerstörungen innerhalb des Frachters ließen die Männer des Bergungskommandos ahnen, daß sie von Glück reden konnten, wenn es ihnen gelang, auch nur ein einziges Besatzungsmitglied lebend zu bergen. * „Unsere Wissenschaftler sollen sich hinsetzen und ihre Eierköpfe etwas mehr anstrengen", brummte Rex Corda unwillig. „Stop, Rex! Du darfst nicht unfair werden. Unsere Wissenschaftler haben alles versucht, um die Funktionen der erbeuteten Geräte herauszufinden. Aber willst du von einem ganz normalen Farmer, der ein hervorragender Fachmann auf seinem Gebiet ist, verlangen, daß er seinen zerplatzten Fernsehschirm selbst repariert?" Schweigend starrte Rex Corda den
jungen Atomwissenschaftler an. Er verstand, was John Haick ihm mit diesem. Vergleich sagen wollte. Minutenlang sprach keiner der beiden Männer. Dann stieß Rex Corda ein grimmiges Lachen aus. „Und ich glaubte an die Großzügigkeit der Laktonen, als sie uns ohne Einspruch erlaubten, das überall herumliegende Gerät einzusammeln!" John Haick strich sich eine dunkle Locke aus der Stirn. „Es gab vor gut hundert Jahren in diesem Land einen Mann, der in China kostenlos Petroleumlampen verteilen ließ. Die Chinesen freuten sich natürlich über das neue Licht, bis sie eines Tages feststellten, daß der mitgelieferte Petroleumvorrat erneuert werden mußte. Verstehst du, was ich damit sagen will?" „Viel zu gut, John! Die Laktonen versuchen, uns durch ihre angebliche Großzügigkeit in ein Abhängigkeitsverhältnis zu bringen, aus dem wir uns allein nicht lösen können." Rex Corda stand auf und ging um den Schreibtisch herum. Immer wieder schlug er die geballte Rechte in die offene Fläche seiner linken Hand. „Was zum Teufel sollen wir jetzt tun? Der Materialtransport von Lakton ist bereits überfällig. Unser erstes Ziel muß es nach wie vor sein, die Wirtschaftsverhältnisse auf Terra zu festigen. Ich muß mit Bekoval sprechen! Außerdem haben wir noch einen Trumpf, der alle anderen Asse stechen dürfte . . ." John Haick setzte eine Verschwörermiene auf. „Du meinst das Vermächtnis Walter Becketts?" Rex Corda nickte. Dieses Vermächtnis des genialen Wissenschaftlers, der bei der Invasion ums Leben gekommen war, war das einzige Druckmittel, mit dem sie den Laktonen noch imponieren
konnten. * Der Gnom Beli eilte durch die Straßen der größten Handelsmetropole des laktonischen Reiches. Der gesamte Planet Szahan war ein einziger tosender Hexenkessel, in dem sich die gewaltigen Kapitalströme Laktons verschlangen. Hier wurde bis zum Exzeß gehandelt und gefeilscht. Warenmuster und ganze Schiffsladungen konnten durch einen Federstrich der entsprechenden Händler ihren Wert verhundertfachen. Die Jahresernten von fruchtbaren Agrarplaneten wurden innerhalb von Sekunden an Interessenten versteigert, während gleichzeitig die Kreditscheine für ein halbes Dutzend hervorragender Handelsschiffe fast umsonst zu haben waren. Auf Szahan gab es nur ein Gesetz: Der Schaden des anderen ist der Vorteil des Schnellsten. Zahlungsmittel bei allen geschäftlichen Transaktionen waren laktonische Kreditsymbole, die gleichzeitig als Recheneinheit und als Maßstab für den Wert aller Waren, Güter und Dienstleistungen verwendet wurden. Ständig veränderten sich das Angebot und die Nachfrage. Kein Elektronengehirn konnte diesen Prozeß regulieren. Deshalb war noch immer der Instinkt der einzelnen Händler, Makler und Agenten ausschlaggebend. Beli tauchte unter einem siebenfarbigen Leuchtband hindurch, auf dem mit hoher Geschwindigkeit TransportUnits in allen Richtungen entlangschossen. Er hatte ein ganz bestimmtes Ziel. Er vermied die Verkehrsstauungen der Mittagsstunden, die die großen Börsenversammlungen einleiteten. Die Zentralstadt von Szahan bedeckte fast ein Viertel des kleinen, aber außer-
ordentlich wichtigen fünften Planeten im System Sibiss. Die Spekulanten und Börsenjobber trieben sich im äußeren Kreis um die Börsen herum. Hier wurden die besten Geschäfte gemacht. Beli fiel durch seinen geringen Wuchs nicht auf. Auf Szahan gab es alle Arten von Lebensformen, die sich gegenseitig duldeten. Die meisten der auf Szahan ansässigen Händler und Agenten, Kommissionäre und Geldverleiher waren Sauerstoffatmer. Aber es gab auch Ausnahmen. Der Cryptoc Sudy war eine dieser Ausnahmen. Die Cryptocs gehörten zu den merkwürdigsten Lebensformen auf Szahan und waren als hervorragende, aber skrupellose Kaufleute bekannt. Cryptocs waren in den meisten Fällen Kommissionsagenten, die nach außen hin als Händler in eigener Sache auftraten, letzten Endes aber stets Vermittlungsagenten verschiedener wirtschaftlicher Machtgruppen waren. Der Gnom Beli war im Auftrag des Cryptoc Sudy unterwegs, um sich mit einem Wissenschaftler von Teckan zu treffen. Derartige Treffs waren nicht ungefährlich. Beli hatte seinen Herrn gewarnt. Als Antwort hatte der Cryptoc Sudy nur mit seinen beiden vorderen Flossen innerhalb des blaugrün schimmernden Hämocyanin-Bades geplätschert, das ständig in geringen Mengen durch die Poren seiner gesprenkelten, schwammigen Haut drang. Beli kannte sich sehr gut auf Szahan aus. Da die Cryptocs Hautatmer waren und sich ständig in einem Bad aus grünblauem Blut aufhielten, brauchten sie Partnerwesen, mit denen sie in Symbiose leben konnten. Beli jagte mit seinem kleinen, wendigen Fahrzeug an der Metallbörse vorbei. Er passierte die Ölbörse und glitt dann für mehrere Minuten an einem
langgestreckten Straßenblock, der einer großen Versicherung gehörte, vorbei. Am zwölfhundert Stockwerke hohen Börsengericht wechselte Beli die Fahrbahn. Die Kreuzung war wie ein großer Zylinder ausgebildet. Von Ebene zu Ebene ließ Beli sein Fahrzeug in immer höhere Flugebenen klettern. Am dreiundachtzigsten Level verließ er den Steigzylinder und nahm eine der purpurfarbenen Luftstraßen nach Süden. Er blickte auf das winzige Kontrollpult zwischen seinen Händen. Interessiert blickte er durch die schluchtartigen Straßen, die sich ohne Unterbrechung bis zum leicht gewölbten Horizont erstreckten. Er erreichte die nächste Kreuzung. Der matt schimmernde zylindrische Turm zum Wechseln der einzelnen Flugebenen lag zwischen den glatten Fassaden der riesigen Bauwerke. Da entdeckte Beli zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden den olivfarbenen Gleiter eines EDAPHOS. Beli zuckte zusammen. Sein kleiner zwergenhafter Körper brauchte viel zu lange, bis er die Schrecksekunde überwunden hatte. Bunte Lichtfunken knisterten in Belis Bart. Er gehörte zur Rasse der Belifex, deren besondere Eigenschaft es war, in Erregungszuständen ihre Körperelektrizität erhöhen zu können. Ohne auf das Stop-Zeichen innerhalb des Kreuzungszylinders zu achten, ließ Beli seinen Gleiter absacken. Er stieß senkrecht durch die verschiedenen Flugebenen, und nur durch ein Wunder entging er einem schweren Zusammenprall in der neunzehnten Flugebene. Der Robot-Gleiter der Szahan-Polizei nahm sofort die Verfolgung auf. Aber auch das Flugschiff des EDAPHOS jagte hinter Beli her. Der Gnom verzog sein Gesicht und legte den Kopf in verängstigte Falten. Alles an ihm bebte und zitterte. Er jagte
so schnell wie möglich auf den Boden zu und stieß dann in eine Querverbindung, ohne auf das Freigabezeichen innerhalb des Zylinders zu warten. Die beiden Verfolger holten auf. An der Frontseite der fünfundsechzigsten Effektenbörse leuchteten in farbigen Symbolen die Kurse der Nachtbörse auf. Beli schoß haarscharf an einer Gebäudefassade vorbei und tauchte dicht über dem Boden in einen der riesigen Parks ein. Hier wollte er sich mit dem Wissenschaftler von Teckan treffen. Kilometerlang erstreckten sich die dichten, mit blutrotem Laub bedeckten Bäume des rechteckig angelegten Parks zwischen den gigantischen Gebäuden. Blaßgrüne Seen und grellgelbe Vergnügungsflächen aus feinem Szahansand unterbrachen die Baumreihen des Parks. Es gab innerhalb dieses Parks mehr als achthundert mit besonderer Sorgfalt angelegte Rastplätze. Beli stieß seinen Gleiter mit starker Abbremsung direkt in das rote Gebüsch im ersten Drittel des Parks. Augenblicklich öffnete er die Kuppel seines Gleiters und sprang hinaus. Sein zwergenhafter Wuchs war jetzt seine einzige Chance. Er raste zwischen dem Gebüsch hindurch, während harte Zweige ihm seinen faltigen Kopf zerkratzten. Immer wieder blickte er sich hastig um, konnte aber im Gewirr der Zweige nichts erkennen. Doch dann hörte er den kreischenden Zehntausend-Hertz-Ton direkt über sich. Er mußte weiter! Er kämpfte sich durch das immer dichter werdende Buschwerk. Beli machte sich keine Illusionen. Er kannte die Technik Laktons ebenso gut wie ein gebürtiger Laktone. Auch er und sein Volk unterstanden dem Schenna und dem Rat der Sektoren.
Das laktonische Reich erstreckte sich in seiner Blütezeit über achttausend Sonnensysteme mit zwölftausendsechshundert Planeten. Im viertausend jährigen Krieg mit den Orathonen war der Einflußbereich Laktons auf dreitausend Systeme, zu denen nur noch siebentausend Planeten gehörten, zusammengeschrumpft. Beli blieb für eine kurze Sekunde stehen. Der Zwölftausend-Hertz-Ton wurde schwächer. Beli wagte den Durchbruch. Er raste mit kurzen schnellen Sprüngen durch das dichte Unterholz des Parks. Er erreichte einen Querweg. Dann sah er den Laktonen, mit dem er sich verabredet hatte. Er winkte ihm zu. Dann tauchten die beiden vollkommen unterschiedlichen Wesen in einem Fußgängertunnel unter. Schweratmend lehnte sich Beli an die kalte Wand des Tunnels. Der Laktone hob ihn auf den Arm und lächelte ihm zu. „Sind Sie Dräu Lebeck?" fragte Beli noch immer keuchend. Der Laktone nickte. Er hatte ein kluges, intelligentes Gesicht. Seine rötlichen Zähne schimmerten, als er seinen Mund zu einem breiten. Grinsen verzog. „Wie ist es Ihnen gelungen, von Teckan auszubrechen?" "Das bleibt unser Geheimnis", erklärte der laktonische Wissenschaftler. Er gehörte ebenso wie der Synoptiker Latak Decimo der Geheimorganisation der laktonischen Wissenschaftler auf Teckan an. Seit Jahren schwelte die Unzufriedenheit unter den Wissenschaftlern des Luxusgefängnisses, und erst jetzt war es gelungen, eine kleine Gruppe der Verschwörer von Teckan freizubekommen. Aber das war nicht genug. Die Wissenschaftler von Teckan wollten mehr . . . "Kannst du mich zum Cryptoc Sudy
führen?" fragte Lebeck. Beli blickte sich hastig um. Er flüsterte dem laktonischen Wissenschaftler die Koordinaten der Niederlassung des Cryptoc Sudy zu. Dann hörte er das pfeifende Geräusch des EDAPHOS. Er sprang von den Armen des Laktonen und verschwand im Gewühl des Fußgängertunnels. * Die Schmerzwelle begann in der Magengegend und raste in konzentrischen Schockwellen durch seinen Körper. Er wehrte sich gegen den Tod und versuchte krampfhaft, das Bewußtsein zurückzuerlangen. Mehr als fünfzehn Medikamente kämpften innerhalb seines Körpers darum, die letzten Lebensfunken zu konzentrieren und ihn zu retten. Er fühlte, wie sich sein Körper in konvulsivischen Zuckungen aufbäumte und auf die Lagerstatt zurückfiel. Dann öffnete er unter großen Anstrengungen die schmerzenden Augenlider. Zwei Medo-Robots standen direkt neben ihm. Sie prüften vollkommen automatisch Blutdruck, Herztätigkeit und die Gehirnströme des schwerverletzten Synoptikers Latak Decimo. Jemand schob ein Kissen unter seinen Kopf. Der Blickwinkel veränderte sich für Latak Decimo. Er stierte mit weit aufgerissenen, starr wirkenden Augen auf die Seitenwand der Kabine, in die man ihn gebracht hatte. Sein genialer analytischer Verstand erfaßte sofort die Situation. Obwohl sein Körper nach den überstandenen Belastungen noch immer schwer angeschlagen war, begann der Geist des Synoptikers wieder seine unermüdliche Tätigkeit. Latak Decimo stellte fest, daß er noch lebte. Als er diese Tatsache begriffen hatte, kehrte die Erinnerung zurück.
Aber er wollte nicht an das Grauen denken. Alles in ihm wehrte sich dagegen, die letzten verzweifelten Minuten in den Randzonen des Hyperraumes noch einmal zu erleben. Er bäumte sich auf. Sein Schrei gellte durch die weiträumige Kabine. Sofort berührten Hochdruckspritzen seine nackte Haut und jagten ein Beruhigungsmittel in seine Blutbahn. Latak Decimo fiel zurück. Er merkte nicht mehr, wie sich die besorgten Ärzte des Rettungskommandos über ihn beugten. * Rex Corda ließ sich tief in die unterirdischen Forschungsanstalten unterhalb der Rocky Mountains bringen. Die Kavernen, in denen jetzt irdische Wissenschaftler das erbeutete Material von Orathonen und Laktonen untersuchten, waren während der Besatzungszeit der Orathonen entstanden. Rex Corda fühlte jedesmal, wenn er die unterirdischen Katakomben betrat, wie wütender Grimm in ihm aufstieg. Die grünhäutigen Orathonen hatten mit Hilfe ihrer Transmitterstationen die Erde fast völlig ausgelaugt. Bodenschätze, wertvolle Mineralien und alles andere, was die Orathonen für ihren grausam geführten Krieg brauchen konnten, war aus den Tiefen der Erde abgesaugt worden. Die dadurcn entstandenen Hohlräume waren ein nicht zu übersehendes Symbol für die Schäden, die durch den Krieg zwischen den beiden feindlichen Rassen der unbeteiligten Erde zugefügt worden waren. Corda stampfte durch den Zentralgang der ausgebauten Forschungsstation. Zu beiden Seiten erhoben sich lange Gerüste, zwischen denen erbeutetes Material gestapelt war. Im Innern der großen Kaverne unterhalb der
NORAD-Zentrale arbeiteten mehr als achtzehntausend Wissenschaftler und Techniker. Ständig wurden von großen Elektronengehirnen die neuesten Forschungsergebnisse und Untersuchungsberichte koordiniert und ausgewertet. Das gleißende Licht der Kryptonscheinwerfer rief blitzende Reflexe auf den schimmernden Geräten hervor, deren Funktionen noch immer zum größten Teil unbekannt waren. Die Wissenschaftler der Erde kannten bei vielen Geräten die Anwendung, nicht aber die Prinzipien, nach denen sie funktionierten. Rex Corda traf auf Fatlo Bekoval und Percip. Fatlo Bekoval besaß eine für Laktonen ungewöhnlich stumpfe Nase, die seinen massigen Kopf klobig und ungehobelt aussehen ließ. Er wirkte fett, obwohl er nur ungewöhnlich kräftig war. Der laktonische Agent war ausgezeichnet über die Vorgänge in Rex Cordas Nähe informiert. Zusammen mit Percip, dem jungen, über zwei Meter großen Lithalonier mit der tiefrot auf seiner Oberlippe schimmernden Kerbe, begrüßte er den Präsidenten Terras, und sie schlossen sich ihm an. „Sehen Sie sich das an!" schnaufte Rex Corda ärgerlich. „Hier arbeiten die besten Wissenschaftler Terras und verschwenden im Grunde genommen nur ihre Zeit. Fünfzig oder hundert laktonische Wissenschaftler könnten ohne Schwierigkeiten in einigen Wochen unseren eigenen Wissenschaftlern die Funktionen der hier gelagerten Geräte erklären. Ich verstehe einfach nicht, warum Sie sich weigern, diese berechtigte Forderung zu erfüllen." Bekoval schwieg sekundenlang. Dann sagte er: „Es ist nicht alles so einfach, wie Sie es im Augenblick sehen, Mister Corda. Wir brauchen jeden einzelnen Wissen-
schaftler, um die Kriegsmaschinerie in Gang zu halten. Denken Sie an Ihre eigenen Kriege. Niemals wäre es Ihnen eingefallen, pädagogisch begabte Wissenschaftler während eines Krieges abzuziehen und irgendwo zu Lehrzwecken einzusetzen." Rex Corda schüttelte den Kopf. „Diese Erklärung hätte ich mir auch selbst geben können. Was ich meine, ist etwas anderes. Um es in aller Klarheit auszusprechen: Die von Lakton uns überlassenen Materialien sind größtenteils untauglich für eine Weiterentwicklung der irdischen Wissenschaft. Ich fürchte, daß Ihnen das bekannt war, Bekoval." Der Laktone antwortete nicht. Sowohl er als auch Percip hätten in diesem Augenblick viel darum gegeben, wenn sie offen mit Rex Corda hätten sprechen können. Aber das war im Augenblick nicht möglich. Für sie gab es jetzt noch keinen Ausweg aus dem Konflikt ihres Gewissens. Sie waren Lakton verbunden, sympathisierten aber trotzdem mit der Erde. „Vielleicht wird es Sie interessieren, daß wir das Vermächtnis Walter Becketts inzwischen entschlüsselt haben." Bekoval schwang herum. Er starrte Rex Corda an und zog dann ungläubig die Brauen hoch. „Wollen Sie behaupten, daß Ihnen etwas gelungen ist, was unsere eigenen Wissenschaftler nicht fertigbrachten?" „Ich wiederhole nur, daß wir inzwischen wissen, worum es bei der Erfindung von Walter Beckett ging. Deshalb verlange ich, daß Sie nach Lakton zurückkehren, um dort mitzuteilen, daß wir zumindest das chemische Material ablehnen. Mit dem, was wir bisher erhalten haben, werden wir bestenfalls geschädigt, aber niemals entschädigt." „Wir werden darüber nachdenken", sagte Bekoval und versank in Schwei-
gen. Rex Corda wußte, in welchem Zwiespalt sich die beiden Laktonen befanden, da sie sich im Grunde längst für Terra entschieden hatten. Sie standen auf Rex Cordas Seite und hatten mit ihm zusammen die ersten schweren Kämpfe gegen die orathonischen Invasoren durchgeführt. Trotzdem mußte Rex Corda ihnen Zeit lassen, wenn er etwas erreichen wollte. Er konnte sie nicht zwingen, das wußte er genau. Deshalb drehte er sich nach einer kurzen Diskussion mit mehreren terranischen Wissenschaftlern um und verließ die Kavernen. * Latak Decimo wartete bereits auf ihn und begrüßte ihn mit Handschlag. Er hatte Toba Ex Hatan mitgebracht, der Rex Corda mißtrauisch ansah. Der vier Zentner schwere laktonische Wissenschaftler war zum ersten Mal auf der Erde. Rex Corda streckte seine Beine aus und zündete sich eine Zigarette an. Decimo verzog die Nase. Er wandte sich mit einem leichten Grinsen an Hatan. „Das ist eine Angewohnheit der Terraner, an die wir uns wahrscheinlich nie gewöhnen werden", erklärte er. „Sie atmen den Rauch in ihre Lungen ein und glauben, daß diese Substanz beruhigend auf ihr Nervensystem wirkt." Toba Ex Hatan betrachtete den Präsidenten der Erde nicht besonders freundlich. Er hatte bereits eine Menge von diesem Mann gehört, hielt ihn aber nach wie vor für einen Eingeborenen, der den Laktonen oder, auch den Orathonen nicht das Wasser reichen konnte. „Wir sind hierher gekommen, um mit den Mitteln Laktons eine einigermaßen brauchbare Zivilisation auf der Erde zu
errichten'', sagte er. Die Mimik seines fleischigen Gesichtes konnte seine Abneigung nicht verbergen. Es gab nur einen einzigen Grund, der Toba Ex Hatan bewogen hatte, mit dem Materialtransport zur Erde zu kommen — Latak Decimo hatte ihm Freiheit in der Forschung versprochen . . . „Hatten Sie Verluste?" fragte Rex Corda. Latak Decimo nickte. „Einer unserer Wissenschaftler ist bei den ziemlich schwierigen Manövern — die übrigens Toba Ex Hatan durchgeführt hat — ums Leben gekommen. Uns haben die Medo-Robots wieder einigermaßen zusammengeflickt, wie Sie sehen." Rex Corda drückte sein Bedauern über den Tod eines der Besatzungsmitglieder aus. „Können wir ungestört sprechen?" fragte Latak Decimo plötzlich. Rex Corda nickte. „Wir haben uns bei meinem letzten Besuch auf der Erde über die Bedingungen unterhalten, unter denen die Wissenschaftler der Laktonen arbeiten müssen. Ich hoffe, Sie erinnern sich noch an dieses Gespräch." Wieder nickte Rex Corda. „Es geht jetzt darum, daß ich Ihnen einen Vorschlag zu machen habe, Mister President." „Bitte", sagte Rex Corda zuvorkommend. Er ahnte nicht, was Latak Decimo von ihm wollte. „Wir kennen uns lange genug, um uns gegenseitig vertrauen zu können. Als Wissenschaftler nehmen Sie ohnehin eine Sonderstellung unter den Angehörigen der Invasionsflotte ein." Latak Decimo holte tief Luft. Dann sagte er mit einer merkwürdig gespannten Stimme: „Es gibt eine Geheimorganisation." Er stockte und beobachtete, wie Rex Corda auf diese Mitteilung reagieren würde. Zunächst entdeckte er im
Mienenspiel von Corda nichts, was ihn daran hindern konnte weiterzusprechen. Aber nur zögernd fuhr er fort: „Diese Geheimorganisation der Wissenschaftler richtet sich gegen die Lebensbedingungen auf Teckan. Lakton hat Ihnen bisher ziemlich gefährliches Material geliefert. Sie würden spätestens in einigen Jahrzehnten in einer Sackgasse landen. Selbst wenn Sie jetzt noch glauben, mit den neuen Geräten einen bedeutenden wissenschaftlichen Fortschritt erreichen zu können." Rex Corda sprang auf. „Sie geben also offen zu, daß Lakton uns betrügt!" „Ja." Rex Corda stieß die Luft zwischen den Zähnen hindurch. Mit einem derartig freimütigen Bekenntnis hatte er nicht gerechnet. Mit einem einzigen Wort von Latak Decimo wurden jetzt die schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Rex Corda fühlte, wie das Blut in seine Schläfen stieg. Er ballte die Fäuste. Das also war die Vertragstreue der Laktonen. Sie hatten niemals daran gedacht, den Vertrag mit Terra auch zu erfüllen. Das ganze Vertragswerk war nur abgeschlossen worden, um Terra als möglichen späteren Machtfaktor auszuschalten. „Und Sie, Decimo, wagen es, mir das so frei und offen ins Gesicht zu sagen?" meinte Corda. Er ahnte, daß Decimo einen ganz bestimmten Zweck verfolgte. Der Synoptiker erhob sich ebenfalls aus seinem Sessel. Die beiden Männer standen sich gegenüber. Ihre Blicke trafen sich. Rex Corda fühlte, wie eine maßlose Enttäuschung ihn überkam. Das also war die Moral der Laktonen: Ein Papiervertrag, der nichts taugte! Und Geräte, die wie ein Strohfeuer einen kurzen trügerischen Zivilisationsaufschwung brachten . . .
„Mister President", sagte der Synoptiker mit fester Stimme, denn es gab jetzt kein Zurück mehr für ihn. „Ich weiß, daß es ein Schock für Sie ist. Vielleicht der schwerste in Ihrer Laufbahn. Aber es mußte sein. Sie müssen endlich erkennen, daß die Laktonen im Grunde genommen nicht viel besser sind als die Orathonen. Härte, Unnachgiebigkeit und eine maßlose Arroganz kennzeichnen unsere Rassen. Es gibt nur eine einzige Entschuldigung dafür: Seit mehr als viertausend Jahren führen wir Krieg. Erbarmungslos, grausam und mit dem Ziel der totalen Vernichtung des Feindes. Um dieses Ziel zu erreichen, muß jedes Mittel recht sein." „Das also ist Ihre Moral", stellte Rex Corda fest. „Der Zweck heiligt die Mittel. Gut ist, was Ihnen nützt und sonst nichts." „Sie verstehen sehr schnell", nickte Latak Decimo. „Wahrscheinlich deshalb, weil Ihre Rasse sich nur unwesentlich von unserer eigenen unterscheidet. Aus meinen Studien kenne ich die Vergangenheit der Erde genau. Ich weiß, daß Moral und Politik zwei Dinge sind, die sich in den seltensten Fällen vertragen. Aber ich will Lakton nicht mit diesen psychologischen Begründungen verteidigen. Es ist nicht nur der reine Selbsterhaltungstrieb. Denken Sie an sich selbst, Mister President, ehe Sie uns endgültig verurteilen!" Rex Corda schwieg. Er konnte zu diesem Punkt keine Stellung nehmen. Im Grunde genommen hatte Latak Decimo recht. Es war bitter, sich diese Tatsache eingestehen zu müssen. Aber nie zuvor war Rex Corda vom Handeln einer menschenähnlichen Rasse derartig enttäuscht worden. „Dieser Schock war nötig", sagte Latak Decimo plötzlich, „um Sie auf eine Bitte von mir vorzubereiten." „Eine Bitte?"
Latak Decimo nickte. „Ich bitte Sie hiermit offiziell um Asyl für eine Reihe von laktonischen Wissenschaftlern . . ." John Haick platzte los. Er lachte und schlug mit den geöffneten Handflächen immer wieder auf seine Schenkel. Es war absurd — vollkommen wahnwitzig! Dieser Mann — einer der besten Wissenschaftler des hoch zivilisierten Reiches — bat die in seinen Augen unterentwickelte Erde um Asyl. . . Corda schwang herum. Er starrte auf John Haick, dem vor Vergnügen Lachtränen über die Wangen kollerten. Dann erkannte auch Rex Corda die Ironie und das Unsinnige in der Bitte des laktonischen Wissenschaftlers. „Haben Sie das ernst gemeint, Latak?" „Ich spreche vollkommen ernst, Mister President. Ich bitte Sie hiermit in aller Form noch einmal um Asyl für Wissenschaftler von Teckan. Wir leben in einem ungeheuren Luxus, aber wir sind bereit, darauf zu verzichten." „Und der Preis?" bohrte Rex Corda. „Der Preis heißt Freiheit. Schrankenlose Freiheit für die Forschung. Wir sind bereit, diese Freiheit in der Forschung in den Dienst der Erde zu stellen. Allerdings verlange ich, daß die laktonischen Wissenschaftler sich mit den Problemen beschäftigen dürfen, die sie interessieren. Die Wissenschaftler müssen eine Garantie erhalten, daß sie die Erde jederzeit wieder verlassen dürfen, falls sie hier nicht das finden, was sie suchen." „Und die Arbeitszeiten — die Organisation? Wie stellen Sie sich das alles vor?" „Keine festen Arbeitszeiten, Mister President. Jede Arbeit der Wissenschaftler muß auf freiwilliger Basis erfolgen. Aber ich kann Ihnen garantieren, daß sie erfolgt." Rex Corda antwortete nicht. Er kannte Latak Decimo. Aber wußte er, ob er
dem Synoptiker wirklich trauen durfte? Decimo stammte von Lakton. Er war ausgebildet im Geist dieser Rasse. Noch vor wenigen Minuten hatte er zugegeben, daß der viertausend jähr ige Krieg die Moral der laktonischen Rasse untergraben hatte. Wie ernst konnte Corda dieses Angebot nehmen? Der Präsident von Terra wußte es nicht. Aber er erkannte die einmalige Chance für die Erde. In diesem Augenblick setzte er bewußt seine emphatischen Fähigkeiten ein. Er war es der Menschheit schuldig, herauszufinden, ob Latak Decimo die Wahrheit sprach . .. Er konzentrierte sich auf den Synoptiker und dessen Gefühle. Kalter Schweiß trat auf seine Stirn, während seine Augen starr wurden. Er drang in die Gefühlswelt von Latak Decimo ein und suchte nach Anzeichen für einen erneuten Verrat. Er entdeckte nichts. Latak Decimo war aufrichtig. In diesem Augenblick wußte Rex Corda, daß er eine Sternstunde der Menschheit durch seine Entscheidungen herbeiführen konnte. Für einige unendlich lange Sekunden sprach keiner der anwesenden Männer. Dann sagte Rex Corda: „Sie haben meine Unterstützung!" Latak Decimo richtete sich auf. „Ich danke Ihnen", sagte er mit einem kaum wahrnehmbaren, glücklichen Lächeln. „Ich werde alles daransetzen, um die wissenschaftliche Mannschaft so zusammenzustellen, daß sie trotz größter Individualität einen hohen Nutzeffekt für die Erde erzielen kann. Wir werden die Wissenschaftler der Erde schulen und ausbilden. Wir werden all das nachholen, was bisher versäumt wurde." „Und was sagt der laktonische Geheimdienst dazu?" gab Rex Corda zu
bedenken. „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, handelt es sich bei den Asylsuchenden um hochrangige Wissenschaftler. Man wird sie nicht unbewacht lassen." „Darauf sind wir vorbereitet. Wir haben auf Teckan eine eigene Geheimorganisation der Wissenschaftler gegründet. Es dürfte nicht schwerfallen, die normal ausgebildeten Agenten Laktons zu hintergehen. Offiziell werden wir natürlich das tun, was nach dem jahrtausendelang erprobten Schema vorgesehen ist. Wenn wir Ihnen aber dabei trotzdem Hinweise geben, die tatsächlich zu einer Weiterentwicklung Ihrer Zivilisation führen — kein Agent Laktons wird das merken." „Hoffen wir es", seufzte Rex Corda. Er hatte plötzlich das Gefühl, richtig gehandelt zu haben. Noch konnte sich sein Entschluß als Fehler erweisen, aber Rex Corda glaubte nicht mehr daran. „Sind irgendwelche Formalitäten erforderlich?" fragte er. Latak Decimo nickte. „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einen Brief aufsetzten, mit dem Sie unseren Wissenschaftlern eine Art geschützter Freiheit versprechen." „Wenn es weiter nichts ist!" lachte Rex Corda. Seit Monaten war er nicht mehr so glücklich gewesen wie in diesem Augenblick. „Wir werden das verwendbare Material aus dem Raumschiff, mit dem wir von Lakton gestartet sind, ausschlachten und sofort mit unserer Arbeit beginnen. Dank der Medo- Robots haben wir nur ein Besatzungsmitglied verloren. Die vier übrigen Wissenschaftler gehören alle zu unserer Geheimorganisation." „Noch etwas", meinte Rex Corda plötzlich, „wenn ich mich nicht irre, ist Teckan außerordentlich gut bewacht." Latak Decimo runzelte die Brauen. „Das ist der springende Punkt", sagte er ernst. „Sie haben keine Vorstellung, wie schwierig es ist, für Teckan Ein-
reisepapiere zu bekommen. Aber wir haben bereits Vorarbeiten geleistet. Es gibt nur einen einzigen Planeten innerhalb des laktonischen Reiches, wo wir diese Papiere erhalten können — Szahan." „Und wie wollen Sie dort hinkommen?" „Wir werden versuchen, ein Raumschiff aus Ihren Beutestücken flugfähig zu machen. Außerdem brauchen wir erstklassige Ortungsgeräte, eine große Menge laktonischer Kreditsymbole und verschiedene andere Dinge, mit denen wir die ungewöhnlich scharfen Sicherungen des Wissenschaftlerplaneten gegen Feindspionage durchdringen können." „Da haben Sie sich aber allerhand vorgenommen", murmelte John Haick. „Wir haben natürlich einige Raumschiffe laktonischer und orathonischer Bauart geborgen, aber leider sind diese Schiffe nicht flugfähig." „Wir werden sie reparieren." „Noch etwas", meinte Rex Corda, „die etwas weniger beschädigten Raumschiffe werden von laktonischen Agenten bewacht." Latak Decimo lächelte. „Ich habe bereits vor meinem Besuch bei Ihnen einen meiner Begleiter aufgefordert, ein Ablenkmanöver zu inszenieren." * Die beiden Wissenschaftler, Toba Ex Hatan und Bir Osgo, waren sich gegenseitig ausgesprochen unsympathisch. Trotzdem hockten sie den größten Teil ihrer Freizeit zusammen und bildeten durch die fünfundachtzig Zentimeter Unterschied in ihrer Körperlänge ein äußerst komisch wirkendes Paar. Gemeinsam bastelten sie an einem Gerät in einem entlegenen Winkel der unterirdischen Kavernen, das unter keinen Umständen in die Hände lak-
tonischer Agenten fallen durfte . . . „Ich lasse dich jetzt allein", grinste Toba Ex Hatan und wuchtete seine vier Zentner Lebendgewicht hoch. Bir Osgo blickte ihm mißtrauisch nach. Er kannte Hatan genau. Er war ein Könner auf seinem Gebiet, konnte aber trotz aller Gutmütigkeit eiskalt und hart reagieren. Von allen Besatzungsmitgliedern des zerstörten Frachtraumers von Lakton war Hatan derjenige, der noch nie in seinem Leben Furcht gezeigt hatte. Toba Ex Hatan war einer der profiliertesten Vertreter der geheimen Organisation laktonischer Wissenschaftler. Mehr als siebzig Prozent aller Wissenschaftler auf Teckan hatten sich dieser Organisation angeschlossen. Aber nur ein kleiner Teil der Verschwörer war wirklich aktiv. Zu ihnen gehörten Bir Osgo, Latak Decimo und Toba Ex Hatan. Aber auch jener Verbindungsmann, den Decimo vor dem Abflug des Materialfrachters nach Szahan geschickt hatte, um dort die nötigen Vorarbeiten zu leisten . . . Toba Ex Hatan ließ sich durch die Lagerhallen bringen und spazierte dann mit einem freundlich und gelangweilt wirkenden Gesichtsausdruck an den von der Erde geborgenen Raumschiffwracks der Orathonen und Laktonen vorbei. Er interessierte sich nicht für die Außenhüllen der Raumschiffe. Immer wieder grinste der Kybernetiker laktonischen Offizieren zu, die ihm mißtrauisch nachblickten. Hatan trug einen kleinen, rotgold schimmernden Koffer und ein biegsames, kirschrotes Stöckchen, das er unter seinen linken Oberarm gepreßt hatte. Wenn die laktonischen Agenten geahnt hätten, daß Toba Ex Hatan vor ihren Augen ein geeignetes Schiff für die Flucht von der Erde aussuchte — sie hätten ihn sofort verhaftet. Dann entdeckte Toba Ex Hatan die Corocon III. Das plumpe Wachboot mit
acht überlangen Heckflossen besaß Raketenform und eine ausgesprochen schlechte Bewaffnung. Der nur hundertfünfzig Meter lange grauschwarze Rumpf entlockte Toba Ex Hatan ein zufriedenes Grinsen. Er nickte kaum merklich. Dann fragte er einen der laktonischen Agenten: „Ist es gestattet, die Beutegüter einmal zu besichtigen?" Der Offizier war mißtrauisch. Dann gab er nach. Toba Ex Hatan begann seine Untersuchung nicht bei der Corocon III. Das wäre sofort aufgefallen. Bereits nach kurzer Zeit wußte er, daß er auf den ersten Blick eine gute Wahl getroffen hatte. Allerdings mußte der Antrieb des Wachbootes überholt werden. Toba Ex Hatan hatte bereits einenPlan, wie es ihm gelingen konnte, die laktonischen Agenten für längere Zeit aus den unterirdischen Kavernen wegzulocken. * Rex Corda diktierte in ein kleines tragbares Gerät den Brief an die laktonischen Wissenschaftler, der ihnen Freiheit in Forschung und Lehre auf der Erde garantieren sollte. Anschließend warf er den Tondraht in einen schmalen Schlitz, der die Verbindung zum Sekretariat des TerraPräsidenten herstellte. Dann trat er wieder zu Latak Decimo und lächelte ihm zu. „Soweit ist alles in Ordnung", sagte er. „Jetzt kommt es nur darauf an, daß wir schneller sind als die Agenten Laktons." „Unterschätzen Sie diese Männer nicht", meinte Latak Decimo. „Ich kenne die laktonischen Agenten. Sie sind hervorragend ausgebildet und nehmen keine Rücksicht, wenn unser
Verhalten Verdacht erregen sollte." „Wenn wir schon hier auf der Erde Schwierigkeiten haben, wie wird es dann erst auf Szahan aussehen?" fragte Rex Corda. Latak Decimo hob die Schultern. Er blickte abwechselnd John Haick und den Terra-Präsidenten an. Dann setzte er sich auf die Kante eines Sessels und blickte nachdenklich auf Rex Cordas Schreibtisch. „Innerhalb des laktonischen Reiches gilt Szahan als mächtigster Umschlagplatz für Handelsgüter aller Art. Der rote Planet ist der einzige Platz innerhalb des Reiches, wo wir mit viel Glück die Einreisepapiere für den Planeten der Wissenschaftler bekommen können." „Wird der Planet von laktonischen Agenten überwacht?" fragte Rex Corda. Latak Decimo nickte. Dann sagte er: „Aber das müssen wir in Kauf nehmen. Im allgemeinen kümmern sich die Behörden von Szahan nicht sehr um die geschäftlichen Vorgänge. Und schließlich ist es ein Geschäft, wenn wir einem der Händler eine Menge laktonischer Kreditsymbole für falsche Papiere anbieten . . ." Rex Corda war nach wie vor davon überzeugt, daß seine Entscheidung richtig gewesen war. Latak Decimo hatte ihm inzwischen erklärt, mit welchen Mitteln sie die Wissenschaftler von Teckan befreien wollten. Rex Corda mußte zugeben, daß die Geheimorganisation der Wissenschaftler aus hervorragenden Planern bestand. Aber damit war noch nichts gewonnen. Rex Corda begann zu ahnen, welche Schwierigkeiten ihnen noch bevorstanden. „Sie dürfen unser System nicht als homogene Einheit ansehen, Mister President. Das laktonische Reich besteht aus einer Unzahl verschiedener Rassen und Welten. So gesehen hat Lakton eher den Charakter einer Föde-
ration, einer Vereinigung, die zum gegenseitigen Nutzen errichtet wurde." „Welche Rechte haben die einzelnen Rassen?" fragte Rex Corda. „Die gleichen wie wir. Während bei den Orathonen alle Hilfsrassen untergeordnete Funktionen einnehmen, herrscht innerhalb des laktonischen Reiches eine verbriefte Gleichheit für alle intelligenten Rassen." „Das haben wir gemerkt!" meinte Rex Corda mit einem schiefen Lächeln. „Die Gleichheit hört dort auf, wo sie für Lakton gefährlich werden könnte. Immer nach dem alten Prinzip: Alle sind gleich, aber einige sind gleicher als die anderen . . ." Latak Decimo lachte. Es klang nicht sehr überzeugend. „Wir werden unseren Flug in mehrren Etappen durchführen müssen", erklärte Latak Decimo. „Zunächst müssen wir die Sperriegel innerhalb dieses Sonnensystems durchbrechen. Toba Ex Hatan beschäftigt sich bereits mit der Ablenkung der laktonischen Schutzmacht für die Erde. Dann passieren wir einen Raumsektor, in dem sich laktonische und orathonische Kampfeinheiten aufhalten. Wenn wir dieses Niemandsgebiet passiert haben, werden wir auf Szahan landen. Allerdings fängt dann unsere eigentliche Aufgabe erst an — die Beschaffung der Einreisepapiere." „Mir gefällt die ganze Sache nicht", meinte John Haick und steckte sich eine Zigarette an. Er lehnte am Schreibtisch des Präsidenten und beobachtete Latak Decimo. „Du kannst ja hierbleiben und Champignons züchten", meinte Rex Corda mit leichtem Spott. John Haick antwortete mit einer nicht gerade schmeichelhaften Entgegnung. Corda grinste. Er kannte seinen besten Freund gut genug, um zu wissen, daß die Bereitschaft mitzufliegen nach wie
vor bei John Haick vorhanden war. In diesem Augenblick tauchte das Gesicht eines Nachrichtenoffiziers auf dem Videofon vor Rex Cordas Schreibtisch auf. Sein Gesicht wirkte blaß und eingefallen. „Nachricht von den Laktonen. Fünfzig orathonische Hantelraumer greifen die Erde an . . ." Rex Corda zuckte zusammen. „Auch das noch!" stöhnte er gequält. * Kampfroboter der AA-2-Klasse stampften pausenlos durch die Gänge der großen laktonischen Trakon-Kreuzer. Sie bereiteten sich auf den Kampf vor. Sämtliche Angehörige des Schutzkommandos wurden alarmiert. Hastig schlüpften sie in ihre Dienstuniform und ließen sich bewaffnen wie im Ernstfall. Sie glaubten, daß wieder einmal ein Trainingsmanöver bevorstand. Nur eine kleine eingeweihte Gruppe laktonischer Offiziere wußte, daß es sich diesmal nicht um ein Manöver handelte. In größter Eile wurden die Kampfschiffe der Laktonen startklar gemacht. Die zweitausendeinhundertundsechzig Meter langen raketenförmigen Raumschiffe der Trakon-Klasse waren in der Lage, im Hyperflug zehntausendfache Lichtgeschwindigkeit zu erreichen. Die Gravitationsstützfelder wurden vorgewärmt. In den kuppelartigen Geschütztürmen der „Silent-Mary" arbeiteten laktonische Raumsoldaten an der Bereitstellung neuer Geschoßbatterien. Dann erhielten alle flugfähigen Einheiten des laktonischen Schutzkommandos den Startbefehl, während gleichzeitig die über die Erde verteilten Agenten zusammengetrommelt wurden. Auf glühenden Lichtbalken erhoben
sich die Kampfschiffe der Laktonen donnernd von ihren Landeplätzen. Die Schockwellen des Massenstarts waren selbst in der NORAD-Zentrale zu spüren. Nur wenige Minuten später befand sich kein einziges einsatzfähiges Raumschiff der Laktonen mehr auf der Erde. * Die beiden zur Besatzung des Frachtschiffes von Latak Decimo gehörenden Wissenschaftler von Lakton spielten mit einem schwarzen Gummiball. Sie warfen sich den Ball gegenseitig zu und amüsierten sich köstlich darüber, wenn einer von ihnen den Ball nicht richtig auffing und hinterherlaufen mußte. Wütend starrten die irdischen Wissenschaftler innerhalb der großen Kaverne auf die beiden verspielten Laktonen. Das war also die Hilfe, die ihnen Rex Corda angekündigt hatte . . . Mit derartigen Spielknaben konnten sie nichts anfangen. Sie hatten gehofft, endlich eine Anleitung zu bekommen, wie das von Terra erbeutete Material der Orathonen und der Laktonen auszuwerten sei. Und dann kamen diese beiden komischen Wissenschaftler und hatten nichts Besseres zu tun, als mit einem Gummiball zu spielen. Lachend schlugen sich die beiden Laktonen auf die Schultern, nahmen ihren Ball und hüpften über ein am Boden liegendes Kabel. Sie fühlten sich plötzlich frei und waren entschlossen, diese Freiheit in vollen Zügen zu genießen. Latak Decimo hatte ihnen garantiert, daß sie auf der Erde nicht zu Arbeiten an Waffen und Vernichtungsgeräten gezwungen würden. Irgendwie mußten die beiden laktonischen Wissenschaftler diese Garantie falsch verstanden haben. Sie glaubten jetzt, daß die neu gewonnene
Freiheit gleichbedeutend mit der Erlaubnis für kindliche Spiele war. Sie hatten noch nicht begriffen, daß es eine schranken- und grenzenlose Freiheit niemals geben konnte! Sie wußten noch nicht, daß es auch für in der Freiheit lebende Menschen gewisse Pflichten gab. Die Verbitterung in den Reihen der terranischen Wissenschaftler wuchs. Sie bemühten sich pausenlos darum, die vertrackten Prinzipien der fremden Geräte zu erforschen, und hatten jetzt als sogenannte Hilfe zwei Männer erhalten, die sich in einer Art Freudentaumel damit beschäftigten, Freiheit mit Freizeit zu verwechseln. Völlig unerwartet tauchte plötzlich Toba Ex Hatan auf. Kopfschüttelnd blieb er vor Bir Osgo stehen. Der kleine Laktone ließ den Gummiball fallen und rückte nervös an den Kraftfeldprojektoren für seine elektronische Brille in den Gehörgängen seiner Ohren. Die Mikrozellen produzierten ein luftverdichtendes Kraftfeld, das nur sichtbar wurde, wenn man Bir Osgo im Profil sah. „Mach dich fertig!" schnaufte Toba Ex Hatan. Bir Osgo zuckte zusammen. Immer wenn er in der Nähe von Toba Ex Hatan war, wurde er von Minderwertigkeitskomplexen geplagt. „Ist es bereits soweit?" fragte er. Hatan nickte. Plötzlich entwickelte Bir Osgo eine ungewohnte Hast. Er stolperte über das Kabel, mit dem er sich eben noch amüsiert hatte, und rannte durch die unterirdischen Kavernen zu den Aufzügen. Toba Ex Hatan blieb zurück und grinste die terranischen Wissenschaftler an, die die Auseinandersetzung gespannt beobachtet hatten. „Ich glaube, jetzt können wir mit der Arbeit beginnen", rief Toba Ex Hatan laut. „Ich bin Kybernetiker von Lakton
und habe den Auftrag erhalten, Ihnen zu helfen. In der nächsten Zeit werden Sie Ihren Präsidenten nicht sehen. Ich bitte jetzt, eine Konferenz einzuberufen, in der wir Ihre vordringlichsten Probleme besprechen werden." * „Kommen Sie!" sagte Latak Decimo hastig. „Hatan ist soweit . . ." Rex Corda starrte den Synoptiker sekundenlang an. Erst als Decimo an der Tür war, drehte er sich wieder um und grinste. „Glauben Sie wirklich, daß orathonische Raumschiffe die Erde angreifen? Das war ein Trick von uns, um unbemerkt starten zu können . . ." Rex Corda atmete erleichtert auf. Für lange Sekunden hatte er tatsächlich an die Alarmmeldung geglaubt. So schnell wie möglich rannten er, Latak Decimo und John Haick durch die weiträumigen Anlagen der NORAD-Zentrale. Kurze Zeit später erreichten sie die matt im Licht der Kryptonscheinwerfer glitzernde Corocon III. Schon beim Betreten der riesigen Halle sahen sie, daß orangefarbene Flammen aus den Heckdüsen schlugen. „Bir Osgo", sagte Latak Decimo schnell und rannte weiter. Rex Corda nickte. Dann erreichten sie das laktonische Wachboot und ließen sich ins Innere bringen. Toba Ex Hatan hatte ausgezeichnete Arbeit geleistet. Bir Osgo war bereits damit beschäftigt, die Startkontrollen zu aktivieren. Knapp drei Minuten später öffnete sich über der Corocon III der Berg. Dann schoß das Wachboot senkrecht nach oben. Mit ständig zunehmender Geschwindigkeit jagte es durch das Terra-Sonnensystem, während die Ortungsgeräte auf höchste Intensität ge-
schaltet blieben. Kein einziger Trakon-Kreuzer der laktonischen Schutzflotte für die Erde bemerkte den geheimen Start des Wachbootes. Kurze Zeit später tauchte die Corocon III in den Hyperraum ein. „Das war die erste Etappe", murmelte Latak Decimo zufrieden und richtete sich in seinem Pneumosessel auf. Rex Corda lächelte. Das war besser gegangen, als er angenommen hatte. Mit dem geglückten Start der Corocon III begann das phantastische Unternehmen, dessen Ziel es war, laktonische Wissenschaftler von einem Planeten zu befreien, der so hervorragend abgesichert war, daß nicht einmal die grünhäutigen Orathonen bis zu ihm hatten vorstoßen können. * Beli, der Gnom, kauerte sich hinter einem fast durchsichtigen Kristallpfeiler zusammen. Aber es war sinnlos. Der EDAPHOS hatte ihn bereits geortet. Er schoß aus dem Antigravschacht des Ferga-Hotels und blickte sich kurz suchend um. Dann raste er mitten durch eine Gruppe von großköpfigen Kynothern, die sich in der Mitte der Hotelhalle aufhielten. Die Kynother sprangen zur Seite und schimpften hinter dem EDAPHOS her. Beli wußte genau, was er tat. Sein Ablenkungsmanöver diente dem einzigen Zweck, weder den EDAPHOS noch die Szahan-Polizei auf die Spur des laktonischen Wissenschaftlers zu bringen. Er hatte dem Cryptoc Sudy versprochen, den Wissenschaftler mit den nötigen Ortsangaben zu versorgen und dann alles zu versuchen, damit das zu erwartende Geschäft zwischen dem laktonischen Wissenschaftler und dem Cryptoc Sudy reibungslos ablief.
Beli zeigte sich etwas mehr und wartete darauf, daß der EDAPHOS näher kam. Das Wesen war nicht humanoid. Es hatte die äußere Form eines Hohlzylinders und bewegte sich durch innerhalb seines Körpers komprimierte Luft nach dem Rückstoßprinzip voran. Die Außenseite der an beiden Seiten offenen Röhre war mit einem dichten seidigen Pelz bedeckt, auf dem sich die Lichter der Halle spiegelten. Die übrigen Gäste des Hotels kümmerten sich nicht um Beli und den EDAPHOS. Gelangweilt starrten ein paar Lithalonier auf den Gnom und wandten sich dann wieder ihren Speisen und Getränken zu. Beli hätte liebend gern einen Hilfeschrei ausgestoßen. Doch er wußte zu gut, daß man ihm weder Hilfe bringen konnte noch wollte. Der Gnom in den Diensten des Cryptocs holte tief Luft. Er gehörte zur Rasse der Belifex, die mit den schwammigen Cryptocs in einer Art Symbiose lebten. Der röhrenförmige EDAPHOS stammte von der Nachbarwert des Belifex. Er war mindestens dreimal so groß wie Beli. Mit einem einzigen schmatzenden Sauggeräusch konnte er Beli aus seinem Versteck ziehen und vernichten. Beli wußte, was er riskierte. Die Rasse der EDAPHOS und der Belifex befanden sich in einem ständigen Kleinkrieg. Sobald es einem Cryptoc gelang, EDAPHOS-Händler um Profite zu bringen, reagierten sie gewalttätig. Beli wußte vom Cryptoc Sudy, daß der laktonische Wissenschaftler zuerst Kontakt mit diesem EDAPHOS aufgenommen hatte. Das geheime Nachrichtensystem des Cryptoc Sudy war hervorragend ausgebaut. Nur deshalb war es ihm gelungen, den Wissenschaftler zu überzeugen, daß ein Geschäft mit einem Cryptoc mehr einbrachte als mit einem EDAPHOS . . .
Beli wagte einen erneuten Ausbruch. Der EDAPHOS hatte sich inzwischen so weit genähert, daß Beli nur noch die Chance hatte, um den Kristallpfeiler herumzulaufen. Beli rannte los. Seine kleinen Füße trommelten ein wildes Stakkato auf den glänzenden Fußboden. Beli rutschte aus und landete schlitternd direkt vor einem Tisch mit sechs weichen Pneumosesseln. Die Lithalonier in den Sesseln lachten, als der Gnom direkt vor die Füße von Ka-Foy kullerte. Genüßlich steckte sich der hochgewachsene Lithalonier einen neuen Kennistengel in den Mund und saugte den scharfen Pflanzensaft heraus. In diesem Augenblick erkannte Beli, daß er einen Schritt zu weit gegangen war. Der EDAPHOS mußte wütender sein, als er zunächst angenommen hatte. Beli verstellte seine Stimmbänder und versuchte, mit den Lithaloniern Kontakt aufzunehmen. Die großen, massigen Burschen blickten ihn mit einer Art gutmütigem Spott an. Für sie war die Verfolgung des Zwerges nur ein interessantes Schauspiel. „Ich biete euch Muscheln!" krähte der Gnom. Die Lithalonier lachten. Fauchend näherte sich der EDAPHOS. Er konnte seinen Sog jetzt nicht einstellen, da er in diesem Fall die Lithalonier gefährdet hätte. Dieses Risiko wollte er nicht eingehen, denn die Rasse der EDAPHOS machte auch mit Lithaloniern gute Geschäfte. Das ringförmige Auge des EDAPHOS glitzerte im Licht der Leuchtflächen an den Wänden. Bedienungs-Robots jagten lautlos zwischen den einzelnen Sitzgruppen hindurch. Innerhalb des Restaurants befanden sich augenblicklich mehr als zweihundert Gäste, die geschäftlich auf Szahan waren. Niemand außer der Gruppe der Li-
thalonier kümmerte sich um den EDAPHOS und den Belifex. „Ich biete euch Muscheln", krähte Beli noch einmal. „Herrliche Muscheln von Salador. Edelste Ware im Wert von hundert Kreditsymbolen." Die Lithalonier horchten auf. Sie starrten auf den Belifex, der sich jetzt zwischen den Fußstützen der Pneumosessel verkriechen wollte. Da erreichte der EDAPHOS den vorderen Sessel. „Muscheln, sagst du?" fragte einer der Lithalonier interessiert. Er stieß Ka-Foy an. Ka-Foy war der älteste der lithalonischen Händler. Er wandte sich an seine Begleiter. Dann schlug er mit der flachen Hand auf die Tischplatte. Wieder lachten sie und amüsierten sich über das unsinnige Angebot des Belifex. Sie wußten genau, daß Beli niemals als eigenständiger Händler auftreten konnte. In allen Fällen waren Belifex Sekretäre irgendeines schwammigen Cryptocs . . . „Hat ein Cryptoc dir gesagt, daß du uns Muscheln anbieten kannst?" fragte Ka-Foy. „Im Wert von zweihundert Kreditsymbolen", nickte Beli hastig. Er spürte den heißen schnaufenden Atem des EDAPHOS direkt vor sich. Er mußte es riskieren, auch wenn er vorher nicht mit dem Cryptoc Sudy gesprochen hatte. Er wußte, daß das Geschäft mit dem laktonischen Wissenschaftler eine Menge Profit einbringen konnte. Dieser Auftrag war wichtiger als der geringe Handelswert einer gewissen Menge Salador-Muscheln. Dann riskierte Beli ein noch höheres Angebot. „Salador-Muscheln im Wert von fünfhundert Kreditsymbolen, wenn ihr mich beschützt", piepste er mit sich überschlagender Stimme. Ka-Foy nickte seinen Begleitern zu. Grinsend schoben sie den EDAPHOS zur Seite. Aber das Wesen von der
Nachbarwelt der Belifex ließ sich nicht einfach verdrängen. Ihm war ein Geschäft entgangen, und er war nicht bereit, diese Tatsache ohne Protest hinzunehmen. Trotzdem wagte der EDAPHOS nicht, die Lithalonier anzugreifen. Beli hockte zitternd zwischen den Beinen von Ka-Foy. Er klammerte sich mit seinen rosigen Patschhänden an die Hosen des Lithaloniers und wartete verzweifelt auf den Entschluß des ältesten Händlers. In diesem Augenblick setzte der EDAPHOS alles auf eine Karte. Beli kam nicht mehr dazu, einen Entsetzensschrei auszustoßen. Das scharfe Geräusch aus der Ansaugöffnung des EDAPHOS sagte Beli genug. Der übervorteilte Händler wollte töten — töten um jeden Preis. * Die riesigen Verwaltungstürme der großen Handelsgesellschaften auf Szahan glitzerten im Licht der Abendbeleuchtung. Der Lichtdom über der gewaltigen Handelsmetropole des laktonischen Reiches machte die Nacht zum Tage. Jetzt begann das Leben auf Szahan erst richtig. Verschlagene Elemente, die das Licht des Tages scheuten, wurden wach und begannen in schummerigen Winkeln mit verbotenen Handelsgeschäften. In den Bars und den fast vierzigtausend Vergnügungsetablissements von Szahan wurden bei abgedunkeltem Licht ganze Schiffsladungen mit kriegswichtigem Material unter der Hand verkauft. Beuteschiffe der Orathonen und funkelnagelneue laktonische Waffen wechselten ebenso ihre Besitzer wie große Mengen seltener Metalle und Transporte kostbarer Delikatessen aus entfernten Winkeln des laktonischen Reiches.
Lithalonier, Laktonen, Kynother, Cryptocs, EDAPHOS' und eine Unzahl anderer Rassen begannen nach Börsenschluß, Geschäfte abzuwickeln, die niemals in den offiziellen Börsenberichten erwähnt wurden. Die rote Handelsmetropole des laktonischen Reiches war ein Babylon aus tausend fremden Sprachen, Rassen und Mentalitäten. Viele der Händler schreckten vor nichts zurück. Wer nach Szahan kam, mußte hart sein. Wer es nicht war, hatte keine Chance. Neben den großen Maklern und Agenten gab es eine unübersehbare Zahl kleiner Zuträger und Informationshyänen. Auf Szahan wurde mit allem gehandelt, was es im Raum zwischen den Sternen gab. Arbeitskräfte waren ebenso gefragt wie gefälschte Papiere, Nervengifte oder Rauschdrogen. Die Innenstadt von Szahan war in den Abendstunden so gut wie ausgestorben. Aber an der Peripherie brodelte es im Untergrund weiter. Die PolizeiRobots konnten nicht immer schnell genug eingreifen, wenn irgendwo das schrille Wimmern von Zupfgeigen und elektronischen Orgeln verstummte, um sekundenlang einer tödlichen Pause Platz zu machen. Sehr oft gelang es nicht einmal, die Identität eines auf Szahan gestorbenen Lebewesens festzustellen. Der Cryptoc Sudy wartete bis zum Ablauf der ersten Abendperiode. Dann wurde er unruhig. In immer kürzeren Zeitabständen tauchte der flache Kopf des Cryptoc aus dem grünblauen Hämocyanin-Bad auf, während das zentrale Auge unterhalb der breiten Mundöffnung des schwammigen Wesens unruhig durch den chromglitzernden Raum blickte. Der Sekretär des Cryptoc war längst überfällig. Beli hätte vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein müssen. Da er
nicht auftauchte, gab es für den Cryptoc Sudy nur eine Erklärung: Beli und der laktonische Wissenschaftler hatten sich verfehlt . . . Sudy tauchte in seinem HämocyaninBad unter. Dann sprach er mit glucksenden Gackerlauten eine wichtige Nachricht gegen die Membrane seines flüssigkeitsfesten Mikrofons dicht über dem Boden des Blutbehälters. Kurze Zeit später kannten die übrigen Cryptocs die Notlage von Sudy. Aufgrund einer ungeschriebenen Vereinbarung setzten sie alle Hebel in Bewegung, um Sudy zu helfen. Es kostete Sudy ein Vermögen, daß er die anderen Cryptocs eingeschaltet hatte. Er war bereit, jede Information über Beli und den laktonischen Wissenschaftler zu honorieren. Die Cryptocs waren die Drahtzieher und geheimen Hintermänner von vielen großen Geschäften. Niemals war es gelungen, ihnen auch nur einen einzigen Verstoß gegen die Gesetze nachzuweisen. Im Zweifelsfall wurde immer der Sekretär eines Cryptocs verurteilt . . . Die gut eingespielte Maschinerie begann zu laufen. Überall auf Szahan erschienen plötzlich Angehörige der unterschiedlichsten Rassen und tauschten flüsternd Informationen aus. Erstklassig abgeschirmte elektronische Verbindungen brachten ständig neue Nachrichten zu Sudy, Verschlüsselte Mitteilungen und kurze Impulse innerhalb des Kommunikationssystems von Szahan deuteten an, daß die Cryptocs seit langer Zeit wieder einmal gemeinsam etwas planten. Da schlugen die elektronischen Warngeräte Alarm. Der Cryptoc Sudy tauchte innerhalb seines Bades unter und beschäftigte sich mit einer massigen Kontrollplatte, die im Boden des Bades eingelassen war. Das schimmernde Plastikmaterial zeigte
Sudy, wer ihn besuchte. Es war der laktonische Wissenschaftler. Sudy betätigte einige Kontrollen. Dann ließ er den Wissenschaftler ein. Der Verbindungsmann von Latak Decimo sah sich suchend innerhalb des kreisrunden chromglitzernden Raumes um, in dessen Mitte das HämocyaninBad des Cryptocs stand. Sudy richtete sich auf. Dann kam der lange sehnige Hals aus dem Bad und bewegte sich mit weichen schwankenden Bewegungen auf den Plasmaphysiker Lebeck zu. Lebeck besaß ein schmales, vergeistigtes Gesicht mit einer scharfen Nase und einem spitz zulaufenden Kinn. Seine Augen lagen ungewöhnlich tief in ihren Höhlen. Mit seinen spitzen, ungelenken Gliedmaßen sah Lebeck wesentlich anders aus als die meisten Laktonen. Er war einer der wenigen Laktonen, dessen noch immer dichtes Haar eine silbergrau schimmernde Farbe angenommen hatte. Der Laktone trug nicht die üblichen weichen Gewänder. Er hatte die dunklen überaus korrekt wirkenden Kleidungsstücke eines Börsenjobbers auf Szahan angelegt. In diesem Aufzug deutete nichts mehr darauf hin, daß Lebeck ein hervorragender Wissenschaftler von Teckan war . . . Gackernd bewegte der Cryptoc Sudy seine Mundöffnung, während er die Blutzirkulation durch seinen schwammigen Körper erhöhte. „Sie haben lange auf sich warten lassen", sagte Sudy mit einer Stimme, die Lebeck ausgesprochen unangenehm war. Er nickte und ging einige Schritte auf den Cryptoc zu. In seiner Handfläche verborgen trug er eine kleine, aber wirksame Waffe, die auf Teckan entwickelt worden war. Er war auf viele Dinge vorbereitet. Aber er rechnete damit, daß der Cryptoc
Sudy mehr Wert auf ein Geschäft als auf Verrat legen würde. „Ich hatte Schwierigkeiten unterwegs", sagte Lebeck kurz. „Haben Sie mein Angebot erhalten?" Sudy stieß ein paar undefinierbare gackernde Geräusche aus. „Sie wollen Wertpapiere kaufen, habe ich gehört." Lebeck nickte. „Sie wissen, daß wir auf Teckan an verschiedenen Neuentwicklungen arbeiten. Sobald diese Neuentwicklungen zum Einsatz kommen, werden die Wertpapiere der Gruppe 91 sprunghaft in die Höhe schnellen." „Das brauchen Sie mir nicht zu sagen. Die Wertpapiere der Gruppe 91 bewegen sich im Augenblick bei einem Kurs von vierhundert. Wie viele Wertpapiere der Gruppe 91 besitzen Sie?" fragte Lebeck und bemühte sich, seine Erregung nicht zu zeigen. „Ich könnte Papiere im Wert von hunderttausend laktonischen Kreditsymbolen besorgen." „Ich nehme sie", sagte Lebeck kurz. Sudy tauchte vor Freude in seinem Hämocyanin-Bad unter, kam aber sofort wieder hoch. Sein flacher schmaler Kopf bewegte sich schlangenhaft hin und her. „Ich kaufe jetzt und bezahle in genau einer Woche den dann geltenden Kurswert." Es war unfaßbar! Sudy hatte ein derartiges Geschäft noch niemals in seiner Laufbahn erlebt. Die Wertpapiere der Gruppe 91 stiegen von Tag zu Tag. Wenn er jetzt verkaufte und dafür den Preis erhielt, den die Wertpapiere in einer Woche besaßen, machte er das Geschäft seines Lebens. Trotzdem versuchte er, Lebeck zu übervorteilen. „Und was geschieht, wenn die Kurse fallen?" gackerte er. Lebeck lachte kurz. „Machen Sie sich nichts vor, Sudy. Sie wissen genau, daß
die Papiere der Gruppe 91 einfach nicht fallen können. Das Projekt wird in spätestens zwei Tagen abgeschlossen. Es handelt sich um einen neuartigen Energieumwandler, der sofort in großer Auflage hergestellt wird." „Das ist mir bekannt", gackerte Sudy. Er wußte viel. Er wußte auch, daß er ein todsicheres Geschäft machte. „Wie kommen Sie zu diesem Angebot?" fragte Sudy plötzlich. Ein kreatürliches Mißtrauen hatte ihn stets vor empfindlichen Schlappen bewahrt. Dieser Laktone mußte eine ganz bestimmte Absicht verfolgen, wenn er á la Baisse kaufte . . . „Ich will ein Geschäft mit Ihnen machen, Sudy. Der Kauf der Wertpapiere der Gruppe 91 zu einem Kurs, den diese Papiere in sieben Tagen haben werden, bringt Ihnen einen hohen Gewinn — einen unverdient hohen Gewinn. Das wissen Sie selbst." Der Cryptoc Sudy bejahte diese Feststellung. „Sie werden nicht erwarten, daß ich aus reiner Gutmütigkeit ein derartig schlechtes Geschäft mache. Alle Banken auf Szahan werden Ihnen bestätigen, daß die Kurse für Wertpapiere der Gruppe 91 mit hundertprozentiger Garantie in spätestens einer Woche um das Doppelte gestiegen sind." „Aber die Bedingung — wo ist der Haken?" gackerte Sudy. Lebeck lächelte. Das war der entscheidende Moment. Aber der Sudy hatte den Köder bereits angenommen. Jetzt konnte Lebeck mit seinem eigentlichen Anliegen herausrücken . . . Er warf eine schmale Schatulle in ein elektronisches Tastergerät am Rande des Hämocyanin-Bades. „Das sind die Personaldaten eines Mannes, für den ich Einreisepapiere nach Teckan benötige . . ." Minutenlang bewegte der Cryptoc Sudy nur die vier Flossen an den Seiten
seines schwammigen Körpers. Dann fragte er: „Einreisepapiere nach Teckan?" Lebeck nickte. „In der Schatulle ist alles enthalten. Die Personaldaten, Fingerabdrücke, ein Hologramm, ein Stimmabdruck und die üblichen Kleinigkeiten." „Dadurch, daß ich Ihnen heute die Papiere der Gruppe 91 zu einem Kurs, wie er in sieben Tagen notiert wird, abnehme, verdienen Sie gut und gerne hunderttausend laktonische Kreditsymbole. Das ist das Fünffache einer Summe, wie sie sonst für gefälschte Einreisepapiere gezahlt wird." „Aber nicht für Einreisepapiere nach Teckan", gackerte Sudy. Lebeck ließ sich nicht einschüchtern. „Hunderttausend Kreditsymbole! Das ist mehr, als jemals für gefälschte Einreisepapiere innerhalb des laktonischen Reiches gezahlt wurde." „Ich werde darüber nachdenken", sagte Sudy. Lebeck schloß für einen kurzen Moment die Augen. Er wagte nicht, erleichtert aufzuatmen. Aber er vertraute auf die Macht des Geldes. Es mußte einfach möglich sein, für hunderttausend laktonische Kreditsymbole gefälschte Papiere für Latak Decimo zu bekommen. Es war ihre einzige Chance, den außerhalb von Teckan gebauten Transmitter für die Befreiung der Wissenschaftler nach Teckan zu bringen. * Die Corocon III raste mit unvorstellbarer Geschwindigkeit durch den Hyperraum. Hier galten völlig neue Maßstäbe, die alles bisher Bekannte in den Schatten stellten. Rex Corda blickte in tiefer Bewunderung auf die Holografen, die nichts anderes zeigten als eine verwaschene milchige Umgebung. Er hatte noch
immer nicht begriffen, wie die Laktonen es anstellten, sich im Hyperraum zu orientieren. Wahrscheinlich würde es noch Jahre dauern, bis der irdische Geist in der Lage war, die Wunder des Hyperraums zu begreifen. „Hoffentlich sind wir finanzstark genug, um all das zu besorgen, was wir brauchen, um nach Teckan einzureisen", meinte Rex Corda besorgt. Latak Decimo nickte. „Ich baue darauf, daß mein Verbindungsmann auf Szahan die nötigen Vorarbeiten geleistet hat. Sobald ich die gefälschten Papiere besitze, fliege ich in Umwegen nach Teckan." „Und was machen wir solange?" „Sie müssen die Stellung auf Szahan halten für den Fall, daß etwas schiefgeht. Bir Osgo wird bei Ihnen bleiben, da ich allein reise. Es geht nicht anders, Mister Corda." Rex Corda blickte zur Seite. Seit Stunden hantierte Bir Osgo mit verbissenem Eifer an dem kleinen transportablen Transmitter. Er befand sich innerhalb eines Koffers, den Latak Decimo von Szahan aus auf Umwegen nach Teckan bringen mußte. Dieser Transmitter war das kleinste Exemplar, das Rex Corda jemals gesehen hatte. Er erinnerte sich an die großen Geräte der Orathonen, die Ausmaße eines mehrstöckigen Hauses gehabt hatten. Ein Teil dieses tragbaren Transmitters stammte noch von jenem OrathonenTransmitter, den Rex Corda vom Mars mitgebracht hatte. Er wäre nie auf die Idee gekommen, daß diese Teile eines Tages dazu verwendet würden, Wissenschaftler von Teokan zur Erde zu bringen. „Glauben Sie, daß Toba Ex Hatan es schaffen kann, die auf der Erde zurückgebliebenen laktonischen Agenten so lange zu täuschen, bis die Entdeckung unserer überstürzten Flucht keinen Schaden mehr anrichtet?"
„Ich hoffe es", nickte Latak Decimo. „Hatan ist ein hervorragender Kopf. Ich habe mir die Besatzung des Materialfrachters noch vor dem Abflug auf Lakton besonders ausgesucht. Wenn es einen Mann gibt, der in der Lage ist, laktonische Agenten geschickt hinters Licht zu führen, dann heißt er Toba Ex Hatan.'" „Er hätte Offizier in der laktonischen Raumflotte werden sollen", grinste John Haick. „Bei einer derartigen Begabung wäre er sicherlich schnell befördert worden." „Wie kommen Sie darauf, daß die besten Leute Laktons in die Raumflotte gehören?" fragte Latak Decimo verblüfft. „Weil Sie sich seit mehr als viertausend Jahren im Krieg mit den Orathonen befinden. Auf der Erde war es bisher immer so, daß die hervorragenden Köpfe der Wissenschaft und der Industrie in Krisenzeiten militärische Aufgaben zu lösen hatten." „Vielleicht haben Sie recht", nickte Latak Decimo und blickte auf die Kontrollen. „In gewisser Weise arbeiten die Wissenschaftler auf Teckan auch nur für den Krieg. Gerade das ist es ja, was uns verbittert. Alles, was wir tun, dient dem Krieg, den wir nicht angefangen haben und den wir nie wollten." Rex Corda schwieg. Er hatte seine eigene Meinung über das Verhalten der Laktonen innerhalb dieses Krieges. Im Grunde genommen hatten sich die Laktonen auf der Erde nicht anders verhalten als die Orathonen. Von beiden Rassen aus den Tiefen der Milchstraße war die Erde wie ein unwichtiger Planet mit einer primitiven Zivilisation behandelt worden. Die Arroganz der Laktonen unterschied sich nicht wesentlich von der der Orathonen. Noch immer waren es bestenfalls ein Dutzend Laktonen, die die Erde anerkannten . . .
Latak Decimo blickte Rex Corda lange an. Er gehörte dieser kleinen Gruppe an, obwohl Corda noch immer das Gefühl hatte, daß Decimo hauptsächlich an seinen eigenen Problemen interessiert war. Natürlich hätte Corda es lieber gesehen, wenn Decimo der Erde nicht aus Eigennutz geholfen hätte. Aber die Motive mußten jetzt zurückstehen. Sie waren unwichtig! „In drei Minuten tauchen wir wieder in das normale Kontinuum", erklärte Latak Decimo. Rex Corda kam sich plötzlich dumm und unwissend vor, als er fragte: „In der Nähe von Szahan?" Latak Decimo grinste. „Wenn Sie eine Entfernung von fünfzehn Lichtjahren als nah bezeichnen — ja!" „Fünfzehn Lichtjahre?" „Wir müssen auftauchen, um unsere Position zu überprüfen. In dieser Gegend gibt es Featherheads . . ." „Das Niemandsland vor dem SzahanSystem!" murmelte Bir Osgo leise. Er wirkte unsicher und nervös. * Der Agent von Teckan lehnte sich an die graue Wand. Sein Kopf war angefüllt mit Informationen über Szahan, den roten Freihandelsplaneten. Ein Leben reichte nicht aus, um alles über Szahan zu erfahren. Dieser Planet war ein Hexenkessel, ein Mahlstrom, in dem sich gewaltige Kapitalströme verschlangen. Es gab nur einen Gott: Geld. Der Dienst an diesem Gott hieß Handel. Lebeck ließ seinen Blick über die roten Pflanzen gleiten. Sie standen in der Nähe der äußeren Stadt frei und ungepflegt überall zwischen den trostlosen Gebäuden. Hier war nichts mehr zu spüren, nichts mehr zu ahnen von
den Symbolen der Macht in der inneren Stadt. Glas, edle Metalle und einzigartige Verkehrssysteme gab es hier nicht. Nur Schmutz, Mißtrauen, Armut und Habgier . . . Gegensätze hätten nicht krasser sein können als auf Szahan. Lebeck befand sich in der „Toten Stadt" am Südrand der Handelsmetropole. Ein Luxusgleiter mit blaugoldenen Verzierungen an den Kanten schwebte langsam durch einen riesigen Torbogen. Er wirkte wie ein Fahrzeug aus einer anderen Welt. Lebeck preßte sich enger an die Mauer. Der Staub des Verfalls legte sich auf seine Zunge und verklebte seine Augen. Ohne Pause wirbelte ein leichter heißer Wind Schmutz und Staub an den zerfallenen Fassaden der Gebäude hinauf. Der Luxusgleiter kam direkt auf Lebeck zu. Dann landete er zwischen einem Berg Unrat. Ein schlanker, hochgewachsener Mann stieg aus. Hinter ihm verließ ein Dreiäugiger den Luxusgleiter. Er trug einen hellen Turban. Alles an ihm war schmuddelig und unsauber. Da entdeckte Lebeck den künstlichen Arm. Er war aus stahlblau glitzerndem Metall angefertigt und besaß keine Plastikverkleidung. Lebeck runzelte die Brauen. Der Mann, dem der Gleiter offensichtlich gehörte, blieb fünf Meter vor Lebeck stehen. Die wispernden Stimmen in ihrer unmittelbaren Umgebung verstummten. „Lebeck?" fragte der Schlanke. Er war einen Kopf größer als der Agent von Teckan und trug eine weiße Toga mit einem orangefarbenen Überwurf. Der Agent von Teckan beugte sich etwas vor. Er versuchte, unauffällig an seine Waffe zu kommen, die er unter seinem Umhang trug. „Sind Sie Lebeck?" fragte der Schlanke wieder. Der Teckan-Wissen-
schaftler, der sich im Auftrag von Latak Decimo auf Szahan befand, nickte. „Ich bin Goom 12340." Jetzt erst sah es Lebeck. Der Schlanke war nicht humanoid. Er stammte vom System Gesas Laxi — einem Kugelsternhaufen in der Nähe jenes Spiralarmes der Galaxis, der von Lakton beherrscht wurde. Goom 12340 war ein Android. Lebeck lächelte. Der künstlich hergestellte Körper des Laxianers bewegte sich mit einer faszinierenden Anmut und Behendigkeit auf Lebeck zu. Sie schüttelten sich kurz die Hand. Dann stellte Goom 12340 den Dreiäugigen vor. „Wir und unser Freund Vlassimos haben gehört, daß Sie Hilfe brauchen . . ." „Gehört? Von wem?" fragte Lebeck mißtrauisch. „Wollen Sie mitkommen?" „Wohin?" „Das tut nichts zur Sache. Wir sind bereit, Ihnen unter gewissen Umständen zu helfen. Nach unseren Informationen benötigen Sie gewisse Dinge, die wir Ihnen beschaffen können." „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen!" „Wie ist es Ihnen gelungen, Teckan zu verlassen?" fragte der Laxianer lächelnd. Lebeck wurde blaß. Das war ein Geheimnis, das nur er und Latak Decimo kannten! Was wußte der Laxianer? Und noch wichtiger — woher wußte er es? Lebeck dachte an den Cryptoc Sudy. Er dachte an Beli, den Gnom. Hatten sie geredet? Lebeck kaute auf seiner Unterlippe und starrte in das dritte Auge von Vlassimos. Es funkelte bösartig und kalt. Lebeck entschloß sich, ein Risiko einzugehen. Er hatte plötzlich das Bedürfnis, mit dem Halbroboter zu sprechen. Aus irgendeinem Grunde ver-
traute er ihm mehr als dem schwammigen Cryptoc in seinem HämocyaninBad. Bisher hatte sich Lebeck auf sein Gefühl verlassen. Aber durfte er das? Mußte er nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen, die es gab, um die Wissenschaftler von Teckan zu befreien? Lebeck nickte. Das Lächeln auf dem ebenmäßigen Gesicht des schlanken Androiden wurde breiter. Gemeinsam gingen sie durch den Schmutz auf den Luxusgleiter zu. Goom 12340 stieg zuerst ein. Vlassimos, der Dreiäugige, übernahm die Flugkontrollen. Der Luxusgleiter mit den blaugoldenen Verzierungen hob sich mit einem schrillen Startgeräusch vom Boden. Das Geräusch nahm ab, dann war nur noch ein leises Summen zu hören. Lebeck ließ sich in den hellblauen Polstern zurückfallen und blickte den Androiden an. Er roch nach seltenen Blüten, die an wuchernde Dschungel und Regenwälder erinnerten. Vlassimos steuerte den Gleiter nach Südosten. Szahan und die „Tote Stadt" blieben hinter ihnen zurück. „Wohin fliegen wir?" fragte Lebeck. „Wir machen einen Umweg, weil ich nicht gesehen werden will", erklärte Goom 12340 noch immer lächelnd. „Wir stoßen von Norden her ins Zentrum der Stadt zurück, sobald wir die Verfolger abgeschüttelt haben." Lebeck zuckte zusammen. Er beugte sich vor. Über die Schultern des Dreiäugigen hinweg blickte er auf den kleinen Holografen neben den Kontrollen. Der schnelle Gleiter hinter ihnen holte auf. * Die Bremsaggregate der Corocon III verstummten. Zur Überraschung von Latak Decimo hatten sich im Niemands-
land keine Hantelraumer der Featherheads gezeigt. Unangefochten gelangten sie bis nach Szahan. Sie passierten den Anflugsatelliten und stießen ohne Verzögerung zur Oberfläche des roten Planeten hinab. Selbst bei der Landung gab es nicht die geringsten Schwierigkeiten. „Das gefällt mir nicht!" brummte Latak Decimo. Er war jetzt mehr denn je daran interessiert, die Wissenschaftler von Teckan zu befreien. Er wußte jetzt, wohin er sie bringen konnte. Er hatte eine neue Heimat für sie gefunden, die Erde. Er blickte zu Rex Corda. Diesem Terraner konnte er Vertrauen schenken. Latak Decimo schärfte allen Teilnehmern der Expedition noch einmal die wichtigsten Verhaltensmaßregeln für Szahan ein. „Die Behörden werden uns nicht behindern, solange wir gut genug schauspielern. Natürlich werden sie sich für die Herkunft der Corocon III interessieren. Aber das ist meine Sache." Zusammen verließen sie das Schiff. Die Roboter am Zoll stellten nur belanglose Fragen. Latak Decimo antwortete schnell und sicher. Dann waren sie durch. Szahan nahm sie auf. Was aus der Höhe während der Landung wie ein unregelmäßiges Muster kleiner Bausteine gewirkt hatte, verschlug jetzt den beiden Terranern Corda und Haick fast den Atem. „Junge, Junge!" staunte der Atomwissenschaftler. „Das ist eine Stadt! Wer ist eigentlich für den reibungslosen Ablauf der Geschäfte verantwortlich?" Latak Decimo lachte, während sie auf einen freien Gleiter zugingen. „Niemand verlangt, daß die Geschäfte reibungslos ablaufen." „Aber dieser Verkehr — die Kanalisation — die Versorgung mit Elektrizität und Nahrungsmitteln . . ." „Die gesamte Versorgung von Sza-
han liegt in den Händen privater Unternehmen. Manchmal entstehen dadurch Schwierigkeiten, aber nicht sehr oft." Sie bestiegen den Gleiter, der sich sofort in den Verkehrsstrom aus Hunderten von Fahrzeugen eingliederte. Latak Decimo war ausgezeichnet über die Verhältnisse auf Szahan informiert. Er hatte die Kontrollen des Gleiters übernommen und lenkte das wendige Fahrzeug durch die weiträumigen Straßenschluchten, die den beiden Terranern bewundernde Blicke entlockten. Obwohl der Planet aus großer Höhe rot gewirkt hatte, war Szahan selbst eine hellblau schimmernde Stadt. Die meisten der großen Gebäude waren aus dem gleichen Material errichtet. Es sah milchigblau aus und wirkte wie ein riesiger geschliffener Glasberg. Latak Decimo schien genau zu wissen, wohin er wollte. Er steuerte den Gleiter durch das komplizierte System verschiedenfarbig markierter Flugflächen, durch die allein es möglich war, sich innerhalb des zwischen den Häuserschluchten brodelnden Verkehrs zurechtzufinden. Rex Corda begriff sehr schnell, daß das System der Flugflächen eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Flight level System des terranischen Luftverkehrs aufwies: Elektronische Markierungsstationen an den Kreuzungspunkten sendeten pausenlos nach allen Seiten Impulse aus, die auf den Kontrollen verschiedenfarbige Lampen aufleuchten ließen. So waren alle OstWest-Verbindungen mit einem Purpurrot gekennzeichnet, während alle NordSüd-Verbindungen grasgrüne Kontrollampen aufblinken ließen. Die zwischen diesen Hauptrichtungen liegenden Straßenverbindungen waren durch die übrigen Farben des Spektrums markiert. Rex Corda mußte zugeben, daß eine derartige Orientierungshilfe für Szahan außerordentlich nützlich war.
„Gibt es hier nur Sauerstoffatmer?" fragte er Latak Decimo. Der Synoptiker schüttelte den Kopf, während er an einem Kreuzungspunkt, der wie ein riesiger durchsichtiger Zylinder wirkte, den Gleiter in engen Spiralen senkrecht nach oben steigen ließ. „Natürlich sind die meisten Bewohner dieses Planeten Sauerstoffatmer, aber es gibt auch Lebewesen, die auf künstliche Umweltbedingungen angewiesen sind. Die Schwierigkeit auf Szahan bestand darin, Verständigungssysteme zu finden, die bei allen Lebewesen gleich sind. Hier gibt es Halbtelepathen und Lebewesen, die weder Augen noch Ohren oder eine Sprache besitzen. Dafür haben diese Rassen ausnahmslos andere Sinnesorgane, mit denen sie elektronische Schwingungen aufnehmen können. Nehmen Sie nur dieses Verkehrssystem. Es basiert auf den unterschiedlichen Wellenlängen des sichtbaren und unsichtbaren Lichtes. Fast alle laktonischen Großstädte besitzen das gleiche Verkehrssystem. Die Schwingungszahlen zwischen dreihundertfünfundachtzig Billionen Schwingungen können sehr leicht in Farbmarkierungen abgewandelt werden, da diese beiden Schwingungen den Grenzfarben Rot und Violett entsprechen." Rex Corda beugte sich vor. „Und wie regeln Sie die Höheneinteilung?" „Durch den Luftdruck. Hier ist der Höhenmesser des Gleiters, der auf den üblichen Standardluftdruck von Szahan eingestellt ist. Die einzelnen Flugflächen werden durch Sicherheitszonen separiert. Der Abstand zwischen den beiden Flugflächen beträgt knapp fünfzig Meter." Rex Corda grinste. Im Grunde bestand nicht der geringste Unterschied zwischen diesem Verkehrssystem und dem, was sie seit Jahrzehnten auf Terra besaßen. Allerdings funktionierte das
System auf Szahan vollkommen automatisch. Latak Decimo ließ den Gleiter in der vierhundertsten Flugfläche nach Süden schießen. Sie befanden sich in gut zweihundert Meter Höhe zwischen gigantischen Bauwerken mit unterschiedlich leuchtenden Fassaden. Rex Corda erinnerte sich noch gut an die Straßenschluchten des vor mehr als zwanzig Jahren zerstörten New York. Er hatte die Steinwüste um das Rockefeller Center und zu beiden Seiten des Broadway nie sonderlich sympathisch gefunden. Obwohl er eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Szahan und Manhattan feststellte, war ein Vergleich einfach nicht möglich. Hier leuchteten die Farben wie nach einem Frühlingsregen, und jdie endlosen Straßen führten schnurgerade bis in den milchigen rötlichen Dunst am Horizont. „Großartig!" murmelte John Haick, während seine Augen leuchteten. Er saugte das faszinierende Bild in sich auf und begriff plötzlich, in was sie sich eingelassen hatten. Erst jetzt verstanden die beiden Terraner, welche Schwierigkeiten ihnen bevorstanden. Städte von derartig gigantischen Ausmaßen waren nur ein kleiner Hinweis auf die Macht und die Größe des laktonischen Reiches. Rex Corda dachte an den Planeten der Wissenschaftler. Latak Decimo hatte ihnen von den Sicherungseinrichtungen dieser gigantischen Festung im All erzählt. Wenn Teckan ebenso gut organisiert war wie Szahan, mußte es aussichtslos sein, die elektronischen Sperren und Schutzanlagen gegen orathonische Spione zu durchdringen. Rex Corda seufzte leise. Er dachte an die viele hundert Lichtjahre entfernte Erde, und er dachte daran, daß sie sich nach Szahan begeben hatten, um für Terra die besten Wissenschaftler des
laktonischen Reiches von Teckan zu entführen . . . Für einige Augenblicke wurden Zweifel in Rex Corda wach. Selbst auf der Erde wäre es vor der Invasion der Laktonen und Orathonen vollkommen ausgeschlossen gewesen, als Fremder in die hervorragend bewachten und abgesicherten Forschungsanstalten der Vereinigten Staaten zu gelangen. Die Schwierigkeiten, denen sie jetzt gegenüberstanden, waren wesentlich größer. Rex Corda überlegte kalt und nüchtern. Bisher hatte er sich darauf verlassen, daß Latak Decimo einen Weg finden würde, nach Teckan zu gelangen. Aber jetzt erkannte er immer deutlicher, daß sie einer kaum zu lösenden Aufgabe gegenüberstanden. Latak Decimo tauchte in die rötlich schimmernde Dunstglocke im Innern der Stadt. Der Gleiter schoß innerhalb eines Kreuzungszylinders in steilen Spiralen nach unten. Mehrmals wechselte Decimo die farbig angezeigten Richtungen. Er stieß mit dem Gleiter zwischen Häuserschluchten hindurch, kletterte zwanzig bis dreißig Flugflachen nach oben, wählte eine Querverbindung, die eine orangerote Lampe aufleuchten ließ, und stieß dann erneut nach unten. Es waren komplizierte Manöver, mit denen Latak Decimo eventuelle Verfolger abschütteln wollte. Immer wieder blickte er auf die Holografen und vergewisserte sich, daß kein Gleiter ihnen folgte. Trotzdem konnten sie nie mit letzter Sicherheit sagen, ob es ihnen gelungen war, unbeobachtet ins Innere der Stadt zu gelangen. Das Sicherheitsrisiko blieb nach wie vor bestehen. Dann wählte Latak Decimo einen Landeplatz zwischen der kilometerlangen Fassade einer großen Versicherung und einem Häuserblock aus Vergnügungsetablissements aus. Seine Finger hasteten über die Kontrollen. Dann
brachte er den Gleiter auf den doppelten Landeleitstrahl. Eine blaue und eine gelbe Lampe leuchteten gleichzeitig auf. Latak Decimo lehnte sich zurück. Sobald die Elektronik des Gleiters den Landeleitstrahl erfaßt hatte, wurden sie automatisch in einem Winkel von elf Grad nach unten geführt. Höhe, Geschwindigkeit und Kurs des Gleiters paßten sich den elektronisch gegebenen Anweisungen des Leitsenders an. Als der Gleiter sanft aufsetzte, drehte sich Latak Decimo um: „Wir trennen uns jetzt", sagte er. „Mister Haick und Bir Osgo werden zusammen zum nächsten Treffpunkt weiterfliegen. Sie, Mister Corda, bitte ich, mit mir zu kommen." Rex Corda nickte. Zusammen mit Latak Decimo verließ er den Gleiter, der sofort wieder startete, nachdem Bir Osgo einen der beiden vorderen Sitze eingenommen hatte. Der Gleiter startete, während Rex Corda den Kopf in den Nacken legte und nach oben sah. Die gigantischen Bauwerke neben dem Landeplatz schienen ihn erdrücken zu wollen. Er hatte das Gefühl, daß sie jeden Augenblick über ihm zusammenstürzen konnten. Aber das war eine optische Täuschung, die durch die ungewohnte Höhe der glatten Fassaden hervorgerufen wurde. „Kommen Sie", sagte Latak Decimo. Erst jetzt stellte Rex Corda fest, daß Szahan ziemlich laut war. Er verzog sein Gesicht und versuchte, die Vielzahl der einzelnen Geräusche zu identifizieren. Es brodelte und summte um ihn herum. Die Luft war angefüllt von einem ständigen Rauschen. Sie bewegten sich zwischen schnell und zielstrebig über die breiten Fußgängerwege eilenden Passanten auf das riesige Gebäude mit den Vergnügungsetablissements zu. Vom Gleiter aus hatte Rex Corda nur einen Teil der
überdachten Fußgängerwege sehen können. Jetzt wurden sie aufgesogen vom Strom der Passanten, die sich wie gleichgeschaltete Roboter in bestimmten Richtungen bewegten. Sie sprangen auf farbig markierte Laufbänder und ließen sich schräg nach unten tragen. Ein Teil der Laufbänder verschwand unter der Straße. Latak Decimo und Rex Corda tauchten in den Tunnel ein und wurden an der gegenüberliegenden Seite nach Passieren einer unterirdisch angelegten Kreuzung wieder nach oben gebracht. Minuten später deutete Latak Decimo mit dem Kopf auf den Eingang einer Bar. Schrille Zwitschertöne kamen aus dem Spalt der kreisrunden halbgeöffneten Tür. Sie gingen auf den Eingang der Bar zu. Dann schoben sich die beiden Hälften des Eingangskreises automatisch zur Seite. Rex Corda prallte zurück und verzog das Gesicht. Mit einem derartigen Lärm hatte er nicht gerechnet. Hunderte von Stimmen vermischten sich mit dem Dudeln eines elektronischen Instrumentes, das Corda nicht sehen konnte. Sie drängten sich an kreisrunden Tischen und Pneumosesseln vorbei, die auf die Bedürfnisse von Szahan eingerichtet waren. Jeder Tisch und jeder Pneumosessel konnte in Form und Sitzhöhe verändert werden. Dann sah Rex Corda die ersten Fremdrassen. Er bemühte sich, nicht so auffällig zu diesen Lebewesen hinüberzusehen. Trotzdem konnte er nicht verhindern, daß ein leichtes Frösteln über seinen Rücken lief. Er hatte sich inzwischen daran gewöhnt, daß seit der Invasion der Laktonen und Orathonen einiges von seinem bisherigen Weltbild zusammengebrochen war. Er hatte gelernt, daß Äußerlichkeiten nicht immer ausschlaggebend waren. Die Körperform eines fremden Wesens durfte nie-
mals entscheidend bei der Beurteilung seiner Mentalität sein. Latak Decimo suchte zwei Plätze und lud Rex Corda zu einem Drink ein. Dann lehnte er sich zurück, während Rex Corda versuchte, sich eine Zigarette anzustecken. Aber sofort stieß Latak Decimo ihm den Ellenbogen in die Seite. Rex Corda kapierte. Er ließ die Zigarettenschachtel in der Innentasche seiner Kombination verschwinden. Er hatte vergessen, daß die Bewohner von Terra durch dieses kleine Laster sehr schnell identifiziert werden konnten. Bisher war noch kein Terraner auf Szahan gelandet. Rex Corda mußte dieser Tatsache Rechnung tragen, solange die Erde noch keine offizielle Vertretung auf Szahan besaß. Dann sah er den EDAPHOS. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf das röhrenförmige, mit schwarzem Pelz besetzte Wesen. Obwohl er versuchte, sich zusammenzureißen, konnte er den aufkommenden Widerwillen nicht unterdrücken. Er wußte, daß es falsch war. Aber er war machtlos gegen den plötzlich in ihm einsetzenden Sturm widerwilliger Gefühle. Latak Decimo merkte Sekundenbruchteile zu spät, daß der Terraner an seiner Seite drauf und dran war, das ganze Unternehmen zu gefährden . . . * Der Luxusgleiter jagte mit Höchstgeschwindigkeit dicht über den Boden eines wüstenähnlichen Gebietes dahin. Der Dreiäugige bediente mit seiner äußerst empfindlichen künstlichen Hand die Kontrollen, während seine gesunde Hand dicht neben dem Auslöseknopf der Bordwaffen ruhte. Vlassimos war ein hervorragender Pilot. Lebeck erkannte plötzlich, daß die beiden Burschen, die ihn mit ihrem
Luxusgleiter aus der Stadt gebracht hatten, keineswegs beabsichtigten, nach Szahan zurückzukehren. Er erkannte es, als Vlassimos immer weiter nach Süden flog. Der Verfolger blieb hinter ihnen, während sich der Abstand mehr und mehr verringerte. In diesem Augenblick griff der Roboter mit der menschlichen Gestalt ein. Goom 12340 kippte die Lehne des Pneumosessels nach vorn und schwang sich neben Vlassimos. Er stieß den Dreiäugigen zur Seite und übernahm die Kontrollen. Vlassimos öffnete sein drittes Auge, warf dem Androiden einen kurzen, gehässigen Blick zu, hob dann kurz die Schultern und schob sich nach hinten. Er ließ sich neben Lebeck in die Polster fallen und streckte die Beine aus. Sein Turban war verrutscht, und ein widerlicher säuerlicher Geruch ging von ihm aus. Lebeck rückte zur Seite. Der Gleiter stieg steil nach oben. Goom 12340 raste in den rötlich schimmernden Himmel — der Abenddämmerung entgegen. Aber auch der Verfolger reagierte sofort. Durch ein geschicktes Manöver gewann er an Raum. Jetzt betrug der Abstand zwischen den beiden Gleitern Uur noch eineinhalb Kilometer. In diesem Augenblick zischten scharf gebündelte violette Strahlenfinger dicht neben dem Kopf von Lebeck vorbei. Nur die durchsichtige Kuppel des Gleiters war zwischen seinem Gesicht und den tödlichen Strahlen. „Was soll das heißen?" keuchte Lebeck. Der Dreiäugige verzog die Mundwinkel zu einem verzerrten Grinsen. Sein breites, habgierig wirkendes Gesicht nahm eine gelbliche Färbung an. Lebeck wurde von einem plötzlichen Andruck in die Polster gedrückt. Dann drehte sich der Horizont unter ihnen weg. Der Gleiter flog unter den geschickten Fingern des Androiden einen
steilen Looping. Dann berührte Goom 12340 die Feuerknöpfe. Wie ein Raubvogel schoß er auf den Verfolger zu. Durch das Manöver war es ihm gelungen, in eine günstige Angriffsposition zu kommen. Ein halbes Dutzend rotviolett funkelnder Feuerstrahlen zischte aus den vorderen Bordwaffen des Luxusgleiters. Sie trafen den Verfolger und warfen ihn zur Seite. Taumelnd sackte der Gleiter des Verfolgers ab. Goom 12340 schoß senkrecht nach unten. Mit Höchstgeschwindigkeit stürzte der Luxusgleiter auf den angeschlagenen Verfolger zu. Pausenlos zischten die tödlichen Strahlen nach unten. Noch einmal versuchte der Verfolger ein Abwehrmanöver. Er ließ seinen Gleiter zur Seite kippen und richtete die eigenen Bordwaffen auf den Luxusgleiter. Goom 12340 erkannte die Gefahr und reagierte sofort. Er riß den Gleiter zur Seite und schoß nur wenige Meter über den Wüstenboden in eine steile Auffangkurve. Zitternde Lichtreflexe erhellten das Innere der Kabine. Lebeck drehte sich um. Aus den Augenwinkeln erkannte er den rotweißen Glutball des abgestürzten Verfolgers. Die wabernde Lohe breitete sich über dem pflanzenlosen Wüstenboden nach allen Seiten aus. In bunten Kaskaden schossen funkensprühende Einzelteile des Gleiters nach oben. Dann brach der Glutball in sich zusammen. Zurück blieb nur ein schwach leuchtender Haufen Schrott, für den sich weder der Dreiäugige noch Goom 12340 zu interessieren schienen. Der Android normalisierte die Fluglage des Luxusgleiters, warf einen kurzen Blick auf die Holografen und jagte dann weiter nach Süden. Nur wenige Minuten später erreichten sie ein schwarz-blau schimmerndes Felsmassiv, das sich senkrecht vor
ihnen aus der Wüste erhob. Goom 12340 nahm die Geschwindigkeit zurück und stieß dann mit einer flachen Kurve auf den Gipfel des Felsmassivs zu. Der Gleiter landete exakt auf einer Fläche, die genau den Außenmaßen des Fahrzeugs entsprach. Als der Antrieb verstummte, nickte der Dreiäugige Lebeck zu. „Wir sind da", sagte er mit einem kalten Grinsen. Lebeck runzelte die Brauen. „Was soll das heißen?" Der Android drehte sich um und starrte den Beauftragten des Synoptikers Latak Decimo an. „Wir möchten mit Ihnen sprechen, Lebeck — wir sagten Ihnen bereits, daß wir Ihnen helfen wollen. Dafür ist es jedoch nötig, daß Sie uns alles erzählen — alles, Lebeck!" Lebeck wagte einen verzweifelten Ausbruchsversuch. Mit der Handkante schlug er dem Dreiäugigen gegen die Nasenwurzel. Noch ehe er sich dem Androiden widmen konnte, fühlte er die überstarken Finger von Goom 12340 an seinen Oberarmen. Die Hände des Androiden preßten seine Arme nach hinten und ließen Lebeck nicht einen Millimeter Spielraum. Vlassimos raffte sich auf und schüttelte den Kopf. Sein drittes Auge glühte. Lebeck gab auf. Gegen die stahlharten Klauen des Androiden und die kleine blitzende Waffe in der metallischen Hand von Vlassimos hatte er nicht die geringste Chance. * Der laktonische Agent zeigte dem Zollroboter seinen Ausweis. Unangefochten gelangte er bis auf das Landefeld. Er interessierte sich für ein Wachboot laktonischer Bauart, das erst kürzlich auf Szahan gelandet war. Er
wollte Genaueres über die Herkunft dieses Bootes wissen. Wie zufällig schlenderte der Agent im Dienste Laktons auf die Corocon III zu. Er verzichtete auf die Benutzung eines schnellen Raumhafengleiters und ging zu Fuß bis zum Wachboot. Er hatte alle notwendigen Daten im Kopf. Es war im Grunde nur eine Kleinigkeit, die ihn bei der routinemäßigen Beobachtung aller ankommenden Schiffe auf diesem Raumhafen von Szahan irritierte: Nur vier Mann der Besatzung hatten das Wachboot verlassen. Normalerweise besaßen Raumschiffe dieser Bauart eine größere Besatzung. Der Agent im Dienste Laktons kannte die einschlägigen Bestimmungen während des Planetenaufenthaltes von Wachbooten. Obwohl die vier Laktonen, die nach der Landung das Raumschiff verlassen hatten, die Kleidung von laktonischen Offizieren getragen hatten, fühlte der Agent, daß hier etwas nicht stimmte. Er erreichte die Corocon III und ging einmal um die acht überlangen Heckflossen herum. Nichts rührte sich an Bord des Schiffes. Das hundertfünfzig Meter in den rötlichen Himmel ragende, raketenförmige Raumschiff wirkte tot und verlassen. Stirnrunzelnd betrachtete der laktonische Agent den geöffneten Einstieg. Dann konnte er der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick ins Innere des Wachbootes zu werfen. Er ließ sich nach oben bringen und betrat die Corocon III. Vorsichtshalber schaltete er den winzigen Sender ein, der sich oberhalb seines linken Hüftknochens befand. Er nahm Verbindung mit einem seiner Kontaktagenten auf. „Ich befinde mich an Bord der Corocon III zu einer routinemäßigen Überprüfung von Besatzung, Herkunft und Auftrag dieses Schiffes", sagte der lak-
tonische Agent leise. „Registriert", antwortete eine metallisch klingende Stimme. Jetzt konnte der Agent im Dienste Laktons weiter ins Innere des Bootes vordringen. Er passierte die Luftschleuse und orientierte sich kurz im Durchgang der Maschinenhallen. Die Antriebsaggregate wirkten merkwürdig ungepflegt. Nur die Notbeleuchtung an Bord des Wachbootes brannte. Allmählich spürte der Agent, daß hier tatsächlich etwas nicht stimmte. Er kannte die strikte Anweisung des Flottenkommandos, während eines Planetenaufenthaltes den Antrieb zu überholen. Offensichtlich wurde hier gegen diese Anweisung verstoßen. Der Agent bewegte sich weiter und gelangte in einen engen, schmalen Durchlaß, hinter dem sich die Mannschaftsräume befanden. Er schloß die Verbindungstür und drehte sich um. Er hörte das feine Zischen. Dann riß er die Arme hoch und taumelte zur Seite. Seine Beine versagten ihm den Dienst. Dann brach der Agent zusammen. Er schlug mit einem dumpfen Laut auf den gepolsterten Boden und bewegte sich nicht mehr. Er konnte nicht ahnen, daß diese Sicherung von Bir Osgo eingebaut worden war, um die Corocon III vor ungebetenen Besuchern zu schützen. Als der Kontaktmann des laktonischen Agenten routinemäßig über Funk nach den Ergebnissen der Überprüfung fragte, erhielt er keine Antwort. * Beli verlor das Gleichgewicht. Der Luftstrom aus der Ansaugöffnung des EDAPHOS riß ihn zur Seite. Verzweifelt versuchte er, sich an den Hosenbeinen des Lithaloniers festzuklam-
mern. Er schaffte es nicht. Ka-Foy drehte sich um und blickte über seine Schultern auf den schwarz schimmernden EDAPHOS. Sein breites Lachen erstarb. Er sprang auf und versuchte, Beli im letzten Augenblick zu retten. Trotz seiner blitzschnellen Reaktion gelang es ihm nicht, den Belifex aus dem Sog der Ansaugöffnung des EDAPHOS zu befreien. Seine Fingerkuppen berührten den Rücken des gnomartigen Wesens und glitten daran ab. Da warf sich Ka-Foy nach vorn. Er schlug lang auf den weichen Boden und erwischte den Belifex am Fuß. Der Sog aus der Ansaugöffnung des EDAPHOS verstärkte sich. Der Kennistengel in der linken Hand des Lithaloniers wurde nach vorn gerissen und verschwand in der großen rohrartigen Ansaugöffnung. Ein krachendes Geräusch ließ KaFoys Anstrengung stärker werden. Er zog den Belifex zurück und preßte ihn gegen seine Brust. Mit beiden Armen schützte er ihn. konnte aber nicht verhindern, daß er ziemlich hart anfassen mußte. Inzwischen waren auch die anderen Lithalonier aufgesprungen. Sie rannten auf den EDAPHOS zu und versetzten ihm von der Seite her kräftige Fußtritte. Aufheulend wich der mit schwarzem Pelz besetzte Zylinder zurück. Das Sauggeräusch erstarb. Einer der Lithalonier erkannte im letzten Moment das Identifikationsmuster an der Seite des Zylinders. In einer flachen Kurve raste der EDAPHOS durch das Restaurant und verschwand. Ka-Foy setzte den an allen Gliedern zitternden Belifex auf die Tischplatte und warf sich schwer atmend in seinen Pneumosessel. Mit einer Hand stützte er den Belifex, mit der anderen strich er seine Kleidung glatt. Beli war unfähig zu sprechen. In sei-
nen weit aufgerissenen, klug wirkenden Augen, stand noch immer der Schrecken des soeben Erlebten. Der kahle Kopf des Belifex hatte eine graugelbe Farbe angenommen. Sämtliche Barthaare des Gnoms knisterten. Kleine blaue Funken sprangen zwischen ihnen hin und her. Sie wurden durch die ungewöhnlich starke statische Elektizität des Belifexkörpers hervorgerufen. Die Lithalonier nahmen wieder ihre Plätze ein und beugten sich interessiert zu Beli hinüber. „Nun erzähl mal, Kleiner, womit du den EDAPHOS geärgert hast", meinte Ka-Foy und suchte sich einen neuen Kennistengel aus der Schale, die hinter Beli stand. Er saugte genüßlich den scharfen Saft des Pflanzenstengels in seinen Mund und lehnte sich zurück. Beli stieß ein piepsendes Geräusch aus und versuchte krampfhaft, seinen Schrecken zu überwinden. Nacheinander blickte er die einzelnen Lithalonier an. Dann faßte er wieder neuen Lebensmut. „Mein Herr — der Cryptoc Sudy — ist ein freier Händler mit einer offiziellen Zulassung für Szahan", erklärte er mit einer piepsigen Kinderstimme, die sich immer wieder überschlug. Die Lithalonier konnten ein Lächeln nicht unterdrücken. Auf sie wirkte der Gnom wie ein kleines lustiges Wesen, das man wie ein Kind behandeln mußte. Aber Beli war kein Kind. Er war ein voll ausgewachsenes Exemplar seiner Rasse. Schon der weiche flauschige Bart und das in komische Falten gelegte Gesicht bewiesen diese Tatsache. „Die Zulassung als freier Händler bedingt aber noch nicht, daß du von einem EDAPHOS verfolgt wurdest", meinte Ka-Foy. Beli schüttelte energisch den Kopf. Dabei fiel er fast von der Tischplatte, auf die Ka-Foy ihn gesetzt hatte. „Ich bin der Sekretär des Cryptoc
Sudy", meinte Beli stolz, während er versuchte, seine aufgeputschten Nerven zu beruhigen. „Wir machen Geschäfte. Mein Herr denkt und hat Ideen, während ich diese Ideen ausführe. Es ist für beide Teile eine ausgezeichnete Symbiose." Beli bekam langsam seine normale Hautfarbe zurück. Eifrig versuchte er, den Lithaloniern die Art der von ihm und dem Cryptoc Sudy getätigten Geschäfte zu erklären. Es war zu kompliziert für die Lithalonier, zu begreifen, nach welchen Grundsätzen die in Symbiose miteinander lebenden vollkommen unterschiedlichen Wesen arbeiteten. „Und was hat es damit zu tun, daß der EDAPHOS dich verfolgte?" fragte Ka-Foy. „Mein Herr hat eine Idee gehabt", erklärte Beli mit einem Gesichtsausdruck, der aussah, als schäme er sich. Die Lithalonier lachten. Das Mienenspiel des Belifex war derart komisch, daß sie einfach nicht anders konnten. Einen Augenblick lang war Beli beleidigt. Doch dann stimmte er mit seiner piepsigen Stimme in das Gelächter der humanoid aussehenden Lithalonier ein. Gemeinsam lachten sie über den eben überstandenen Schrecken. Belis Piepsstimme klang derartig erheiternd, daß die Lithalonier immer vergnügter wurden. Das wiederum war Anlaß für Beli, immer lauter sein Vergnügen in den Raum zu piepsen. Die übrigen Gäste des Restaurants wurden allmählich aufmerksam auf die Lithalonier, in deren Mitte der Belifex auf der Tischplatte saß. Und dann begann Beli zu tanzen . . . Er faßte mit seinen winzigen rosigen Fingern an seine weite, bauschige Toga und hob die Spitzen hoch. Dann stellte er sich auf ein Bein und winkelte das andere an. Die Lithalonier klatschten rhythmisch in die Hände. Sie summten
eine Melodie, die eine geringe Ähnlichkeit mit der Nationalhymne der Belifex hatte. Beli nahm den Lithaloniern die falschen Töne nicht übel. Er wippte auf den Zehenspitzen seines linken Fußes und verbeugte sich nacheinander vor den Gästen des Restaurants. Dann begann er in einem wilden Stakkato einen waschechten Belifextanz. Seine kleinen Füße trommelten auf die Tischplatte, während er die Arme immer wieder in die Luft warf und sich mit urkomischen Verrenkungen nach dem Takt des Händeklatschens der Lithalonier richtete. Belifex waren die wildesten und geschicktesten Tänzer der bewohnten Galaxis. Die statische Energie innerhalb von Belis Körper verstärkte sich immer mehr. Seine Barthaare knisterten, während er in wilden Pirouetten zwischen den Schalen mit Kennistengeln herumwirbelte. „Licht aus!" rief einer der Lithalonier. Kurze Zeit später wurde es vollkommen dunkel innerhalb des Restaurants. Sämtliche Gäste bildeten jetzt einen dichten Ring um den Tisch der Lithalonier, auf dem der Belifex tanzte. Es war ein einmaliges Schauspiel. Da zuckte Ka-Foy plötzlich zusammen. Seine Hände bewegten sich auf einmal, aber er klatschte nicht mehr. Das feine Kribbeln an seinem Handgelenk wurde stärker. Er sprang auf und verließ den Tisch mit dem tanzenden Belifex. Er drängte sich durch die bewundernd auf den Gnom starrende Menge. Die Angehörigen der verschiedenen Rassen nahmen kaum Notiz von ihm. Hastig bewegte sich Ka-Foy auf die Erfrischungsräume zu. Er stieß mit der Schulter gegen einen Mann, der bewegungslos neben dem. Eingang zu den Erfrischungsräumen an
der Wand lehnte. Für Sekundenbruchteile sah Ka-Foy das Glitzern in den Augen des anderen. Ka-Foy drehte sich hastig um und betrat die Erfrischungsräume. Aufatmend lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Tür, die sich sofort wieder hinter ihm geschlossen hatte. Er drehte eine Stellschraube an dem winzigen Empfänger, den er stets bei sich trug, und beugte sich über ihn. Dann wurde er blaß. Mit einem einzigen Blick erkannte er, daß der Sender seines Kontaktmannes auf Automatik geschaltet war. Dafür gab es nur eine einzige Erklärung: Der Android von Gesas Laxi und sein dreiäugiger Begleiter waren besser gewesen als der Kontaktmann, den Ka-Foy auf die beiden Sternenhändler angesetzt hatte. * Rex Corda krümmte sich zusammen. Seine emphatischen Fähigkeiten brachen wieder durch. Er spürte den Haß jenes röhrenförmigen Wesens, der ihn mit einer Wucht überfiel, wie er sie nie zuvor erlebt hatte. Dann verkrampfte sich plötzlich alles in Rex Corda. Er hatte einen Gefühlsimpuls von verblüffender Klarheit empfangen: Dieses häßliche, pelzbedeckte Röhrenwesen wußte, wer sie waren . . . Es kostete Rex Corda unsagbare Mühe, jetzt nicht aufzuspringen, sondern vollkommen ruhig und beherrscht sitzen zu bleiben. Er wandte sich an Latak Decimo. Dann flüsterte er auf englisch: „Der Bursche weiß, wer wir sind!" Latak Decimo konnte nicht wissen, daß Rex Corda bereits seit mehreren Sekunden einen unsichtbaren Kampf mit dem EDAPHOS austrug. Die Röhrenwesen waren Halbtelepathen, und nur Rex Corda besaß jene emphatischen Fähigkeiten, die ihn in die Lage ver-
setzten, Gefühle fremder Lebewesen aufnehmen zu können. Er konnte aber auch Gefühle in anderen Lebewesen erzeugen . . . Rex Corda erkannte schlagartig ihre große Chance. Er konzentrierte sich auf das unsympathische Wesen und versuchte, seine Abneigung zu verbergen. Der EDAPHOS war stark. Für eine unendlich lange Zeit fürchtete Corda, daß er es nicht schaffte. Er setzte seine gesamten Reserven ein und versuchte, dem Röhrenwesen ein sympathisches Bild von sich und Latak Decimo zu übermitteln. Er besaß keinerlei Zugang zu der Psyche des EDAPHOS! Er kannte die Mentalität dieses Wesens nicht und wußte nicht, wo er ansetzen mußte. Die Begriffe und Bilder, mit denen er arbeitete, unterschieden sich so sehr von der Gefühlswelt dieses Wesens, daß Rex Corda bereits aufgeben wollte, als er plötzlich einen winzigen Hoffnungsfunken entdeckte. Er konnte es nicht sagen, wie er es anstellte, aber er wußte plötzlich, daß noch nicht alles verloren war. Noch einmal riß er sich zusammen, während winzige Schweißperlen auf seine Stirn traten. Die Knöchel an seinen Fingergelenken schimmerten weiß, so sehr ballte Rex Corda die Hände zu Fäusten. „Wir sind deine Freunde", dachte Rex Corda verzweifelt. „Wir tun dir nichts, und wir haben auch nichts gegen dich . . ." Rex Corda keuchte. Dann empfing er die Impulse. Sie waren schwach und kaum verständlich. Rex Corda verstand nur einen Bruchteil von dem, was der Halbtelepath ihm übermittelte. Rex Corda war keineswegs telepathisch begabt. Bei ihm war es etwas anderes. Er konnte keine Gedanken, nur Gefühle verstehen. Plötzlich erkannte er, daß dieser Augenblick die Entscheidung bringen konnte. Er ahnte, daß Latak Decimo ihn
nicht umsonst mitgenommen hatte. Decimo konnte kein Interesse daran haben, Rex Corda als Touristen und überflüssigen Frager nach Szahan mitzunehmen. Nur — jetzt hatte der Präsident von Terra keine Zeit, sich über diesen Punkt klarzuwerden. Vielleicht war Latak Decimo nicht einmal bewußt davon ausgegangen, daß Rex Corda ihm eine Hilfe sein konnte. Trotzdem erkannte Corda jetzt seine Aufgabe. Er mußte den EDAPHOS überzeugen. Dieses Wesen hatte ihnen Gefühle entgegengebracht, die es niemals haben konnte, solange es nicht wußte, wer sie waren und woher sie kamen. Cordas Gesicht nahm eine wachsbleiche Farbe an. Jedesmal, wenn er seine emphatischen Fähigkeiten einsetzte, öffnete sich ein Abgrund in ihm. Nur ein Mann vom Format eines Rex Corda konnte den Ansturm der Gefühle aus dem plötzlich nicht mehr verborgenen Unterbewußtsein überstehen. Jeder andere wäre in der gleichen Situation wahnsinnig geworden. Rex Corda dachte nur noch an den EDAPHOS. Alles in ihm vibrierte. Sein Puls ging hastiger und begann zu flattern. Das war die höchste Stufe der Konzentration. Einen Schritt weiter, und Rex Corda hätte sich durch die Kraft der Emphase selbst getötet . . . Der EDAPHOS schwebte auf einem Luftkissen langsam auf Decimo und Corda zu. Mit einer tänzelnden Bewegung hob er sich vom Boden und schwebte jetzt in knapp einem Meter Höhe direkt vor Rex Corda. Das ringförmige Auge rund um die Ansaugöffnung war so weit wie möglich geöffnet. Rex Corda versuchte, eine Art Physiognomie zu erkennen, mußte aber zugeben, daß er kein Gesicht erkennen konnte. Doch da verengte sich die Ansaugöffnung, und Rex Corda glaubte mit
sehr viel Phantasie eine Art Lächeln zu erkennen. Vielleicht war es nur Einbildung oder eine bewußte Selbsttäuschung. Aber das genügte, den letzten entscheidenden Impuls zu geben. Der EDAPHOS gab seinen Widerstand auf. Das elektronische Gerät auf dem Rücken des röhrenartigen Wesens klickte. Dann kam eine verzerrte Stimme aus einem winzigen Lautsprecher, die Rex Corda nicht verstand. Er spürte nur, daß der Grundton dessen, was der EDAPHOS sagte, positiv war. Latak Decimo horchte auf. Er wurde erst jetzt in den Kampf zwischen den Gefühlskräften von Corda und dem EDAPHOS eingeschaltet. Der EDAPHOS benutzte die laktonische Sprache. Corda verstand nur Bruchstücke. Doch Latak Decimo beugte sich interessiert vor und lauschte gebannt den Erklärungen des Wesens. Sekundenlang blickte der EDAPHOS zu Rex Corda. Dann drehte er sich um seine Mittelachse und verschwand mit einem kurzen fauchenden Geräusch. Rex Corda sackte zusammen. Er zitterte am ganzen Körper. Kalter Schweiß stand auf seinem Gesicht. Sein Körper fühlte sich an wie von tausend Nadeln zerstochen. Die Erregung hatte sich bis in die letzten Nerven übertragen. Er spürte Hitze und Kälte gleichzeitig und merkte, daß er fieberte. „Mister Corda!" stieß Latak Decimo hastig hervor. Rex Corda schloß die Augen. Seine Lippen bebten, während er stoßartig die klimatisierte Luft in seine Lungen saugte. Die steile Falte auf seiner Stirn glättete sich, während Rex Corda mit dem Handrücken über seine schmerzenden Augen wischte. „Hat es sich gelohnt?" fragte er mit einem leisen Lächeln. Latak Decimo blickte den Präsidenten von Terra bewundernd an. Dann nickte er langsam und sagte: „Diese komische Röhre gehörte zu
unseren Gegnern. Sie haben erreicht, daß der EDAPHOS mir eine äußerst wichtige Information übermittelte." „Über Ihren Kontaktmann?" Latak Decimo nickte. „Wir müssen ein Wesen namens Beli finden. Es gehört zur Rasse der Belifex und lebt in Symbiose mit einem hochintelligenten Cryptoc. Das sind Wesen, die sich ständig in einem Bad aus HämocyaninBlut aufhalten müssen." „Keine Sauerstoffatmer?" fragte Rex Corda. „Doch. Aber sie stammen von einem Planeten, dessen Oberfläche ausschließlich mit einer kupferhaltigen Hämocyaninflüssigkeit bedeckt ist. Ihr Blutkreislauf funktioniert nur, wenn sie sich auf Szahan in einem Bad mit der gleichen Flüssigkeit befinden." „Und wie bewegen sie sich?" fragte Rex Corda mehr aus Höflichkeit und lehnte sich ermattet zurück. „Sie benutzen für ihre Geschäfte Sekretäre der Rasse Belifex. Eines dieser Wesen hat sich mit meinem Verbindungsmann vor wenigen Stunden getroffen . . ." Jetzt horchte Rex Corda auf. Das war tatsächlich eine Information, die ihnen weiterhalf. „Wo ist Ihr Kontaktmann jetzt?" Latak Decimo hob die Schultern. „Ich habe mehrmals versucht, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Er meldet sich nicht." „Das heißt, daß wir jetzt diesen Beli suchen müssen." Wieder nickte Latak Decimo. „Wenn Lebeck etwas zugestoßen ist, bleibt uns tatsächlich nur dieser Weg", sagte er leise. Noch immer empfand er Hochachtung vor der Leistung Rex Cordas. Der Terraner konnte nicht wissen, daß EDAPHOS eingeschworene Feinde der Cryptoc-Belifex-Symbiose waren. Rex Corda hatte mit seiner emphatischen Kraft ein Naturgesetz auf Szahan
durchbrochen. Gleichzeitig erkannte Latak Decimo, daß sie sich beeilen mußten. Wenn Lebeck mit einem Belifex oder einem Cryptoc Kontakt aufgenommen hatte und ein EDAPHOS davon wußte, gab es bereits zwei feindliche Gruppen, mit denen sie zu tun hatten. EDAPHOS waren sehr oft Verbindungsagenten zu den Androiden von Gesas Laxi . . . Rex Corda wußte nichts von den komplizierten Verhältnissen auf Szahan. Da Latak Decimo seinen Verbindungsmann Lebeck nicht mehr erreicht hatte, mußte er annehmen, daß noch eine dritte Gruppe im Spiel war. Außerdem zweifelte er keine Sekunde daran, daß die Agenten Laktons sich für die gelandete Corocon III interessierten. Latak Decimos analytischer Verstand erkannte, daß er es mit mindestens vier Gegnern zu tun hatte. Was das bedeutete, brauchte er Rex Corda nicht erst zu erklären. Aber es war gleichzeitig ihre einmalige Chance! Wenn es ihnen gelang, eine Gruppe gegen die andere auszuspielen, konnten sie eher Erfolg haben als erwartet. Latak Decimo erklärte Rex Corda in knappen Sätzen die Situation. Der Präsident von Terra war lange genug Politiker, um sehr schnell zu begreifen, in weiches Vabanquespiel sie sich eingelassen hatten. Die Chancen standen eins zu vier. Aber sie konnten vier zu eins stehen, wenn sie schnell genug waren . . . „Ich fürchte, man wird uns mit allen Hunden hetzen", sagte Latak Decimo mit ahnungsvoller Stimme. „Ein Geschäft, wie wir es anzubieten haben, ist auch auf Szahan nicht alltäglich." „Es fragt sich nur, wieviel Ihr Verbindungsmann auf Szahan bereits ausgeplaudert hat." „Wenn eine Gruppe ihn mit elektronischen Geräten auszupressen versucht, kann auch ein so hervorragender
Mann wie Lebeck sein Wissen nicht für sich behalten", meinte Latak Decimo ungewöhnlich ernst. „Sie brauchen auf mich keine Rücksicht zu nehmen. Ich bin wieder so weit, daß wir uns auf die Suche nach diesem Belifex begeben können." Latak Decimo lächelte und stand auf. Er warf eine Münze in den Schlitz an der Seite des Tisches, Dann sah er sich suchend um. „Es wird ein Rennen gegen die Zeit", meinte er und half Rex Corda aus dem Pneumosessel. „Ich habe das Gefühl, daß wir im Augenblick Jäger und Gejagte zugleich sind", grinste Rex Corda. Latak Decimo nickte. „Ehe ich mich jagen lasse, ergreife ich lieber selbst die Initiative", sagte er mit einem Augenzwinkern. So schnell wie möglich verließen die beiden Männer die Bar. Die Zusammenarbeit zwischen Lakton und Terra funktionierte bei ihnen wesentlich besser als auf der Erde. * Ein Vorhang aus reiner Energie trennte den großen kahlen Raum von der Nische, in der sie Lebeck untergebracht hatten. Durch den flimmernden Energievorhang konnte Lebeck nur undeutlich die Gestalten innerhalb des kargen Gewölbes sehen. Er wollte sich aufrichten, stellte aber schlagartig fest, daß er durch unsichtbare Gravitationsspulen festgehalten wurde. Vorsichtig bewegte er den Kopf, bis es ihm gelang, zur Seite zu blicken. Die Nische in der Wand des Gewölbes entsprach genau seinen Körpermaßen. Direkt über seinem Kopf begann die kalte graue Wand. Krampfhaft überlegte Dräu Lebeck, wann er einen Fehler gemacht hatte. Er
versuchte sich noch einmal ins Gedächtnis zurückzurufen, mit wem er Kontakt aufgenommen hatte. Außer dem Cryptoc Sudy und seinem Sekretär Beli hatte er nur mit dem dreiäu-gigen Vlassimos und dem Halbroboter Goom 12340 gesprochen. In diesem Augenblick fiel es dem alten laktonischen Wissenschaftler wie Schuppen von den Augen. Der EDAPHOS . . . Das Gesicht von Lebeck wurde um einiges schmaler und nahm eine ungesunde Farbe an. Jetzt wußte er, daß er verspielt hatte. Gegen den EDAPHOS hatte er nicht die geringste Chance, sobald dieses Lebewesen sich entschlossen hatte, gegen ihn zu arbeiten. Dunkel erinnerte er sich an Berichte, die von einer Zusammenarbeit zwischen EDAPHOS-Wesen und den Androiden von Gesas Laxi sprachen. Er hätte eher daran denken sollen! Jetzt war es zu spät. Er war ein Gefangener von Goom 12340 und seinem dreiäugigen Begleiter. Die Gestalten, die Lebeck undeutlich durch den Energievorhang sah, wirkten nicht gerade vertrauenerweckend. Dräu Lebeck, der hagere grauhaarige Lebeck, suchte krampfhaft nach einem Ausweg. Wenn er in die Hände einer Organisation gefallen war, die aus mindestens drei unterschiedlichen Rassen bestand, ließ diese Tatsache nur einen einzigen Schluß zu: Es handelte sich hierbei nicht um eine der üblichen Gilden oder Händlerzünfte, sondern um eine Organisation, die keinerlei Rassenschranken kannte. Durch die Tatsache, daß Goom 12340 offensichtlich die Führung der Gruppe auf Szahan übernommen hatte, verstärkte sich in Dräu Lebeck der Verdacht, daß es hier um mehr ging als um billige wirtschaftliche Profite. Während seiner Zeit auf Teckan war er nie auf den Gedanken gekommen,
daß es innerhalb des laktonischen Reiches mehrere Geheimorganisationen geben konnte. Er hatte in einem goldenen Käfig gelebt und war ebenso wie die anderen Wissenschaftler von Teckan von sämtlichen wichtigen politischen Informationen abgeschnitten. Dräu Lebeck hatte längst erkannt, daß es Dinge gab, von denen er nichts wußte — von denen auch Latak Decimo kaum etwas ahnen konnte . . . Lebeck war viel zu intelligent, um nicht sofort die Bedeutung dieser Erkenntnis zu überblicken. Latak Decimo mußte augenblicklich gewarnt werden! Sie hatten sich wie Kinder benommen. Sie waren von Teckan aufgebrochen und hatten jedem vertraut, der ihnen vertrauenswürdig aussah. Das war ein Fehler gewesen in einer Welt, die sich seit mehr als viertausend Jahren in einem grausamen Vernichtungskrieg befand. Dabei war der einzige Fehler, den Lebeck gemacht hatte, daß er nicht mißtrauisch genug gewesen war. Lebeck stöhnte gequält auf. War es unter diesen Umständen nicht besser, die Wissenschaftler blieben auf Teckan und arbeiteten dort sorgenfrei und zufrieden? Konnten es Latak Decimo, Osgo, Hatan und er verantworten, den genialen, aber leider viel zu naiven Wissenschaftlern von Teckan den Weg in eine skrupellose, mißtrauische und gefahrvolle Umwelt zu ebnen? Lebeck fand keine Antwort auf diese Frage mehr, da plötzlich der EnergieVorhang vor der Nische aufgehoben wurde. Ein übelriechender Bursche mit einem weich fallenden orangefarbenen Gewand und einem unsauberen Turban beugte sich über ihn. Er verzog den Mund und ließ zwei Reihen schwarzer karieszerfressener Zähne sehen. Der heiße stinkende Atem des Burschen schlug Lebeck ins Gesicht. Ein Gefühl der Übelkeit kam in ihm auf. Er mußte sich beherrschen, um sich nicht sofort
zu übergeben. Die Waffe in der Hand des Burschen, der zu einer undefinierbaren Rasse gehörte, deutete unmißverständlich an, daß Lebeck zu gehorchen hatte. Vorsichtig bewegte der wissenschaftliche Agent von Teckan seine Glieder. Er reckte sich. Dann stießen seine spitzen Gelenke gegen die Seitenwände der Nische, während er die langen dürren Beine nach draußen schwang. Er bückte sich und kroch ganz aus dem Verschlag, in den sie ihn gelegt hatten. Schwankend lehnte er sich gegen die Unterkante der Nische und versuchte, sich innerhalb des Gewölbes zu orientieren. Es war ungewöhnlich dunkel innerhalb des Raumes. Nur durch einen schmalen, senkrechten Fensterschlitz drang ein schwacher Lichtschimmer in das Verlies. Die Waffe des Turbantragenden stieß Lebeck in die Nieren. Der Agent von Teckan stolperte nach vorn und verfluchte in diesem Moment seinen Leichtsinn und seine Vertrauensseligkeit. Er hatte es als seine wichtigste Aufgabe angesehen, mit den Händlern von Szahan Geschäfte abzuschließen. Er war nie auf den Gedanken gekommen, daß er unter Umständen mit ziemlich brutalen Methoden bei diesen Geschäften zu rechnen hatte. Jetzt wußte er es. Aber er wußte gleichzeitig, daß es zu spät war. Er dachte an die Ausrüstung, die ihm Latak Decimo für Szahan mitgegeben hatte. Sie lag noch immer verpackt im Hotelzimmer von Dräu Lebeck. Er war leichtsinnig gewesen. Viel zu leichtsinnig! Er hatte das ganze Unternehmen aufs Spiel gesetzt, nur weil er etwas zu sehr an das Gute in der Seele von Angehörigen des laktonischen Völkergemisches glaubte. Er hatte von sich auf andere geschlossen und dabei vergessen, daß die Föderation des laktonischen Reiches als heterogene Einheit
ständig von unter der Oberfläche brodelndem Widerstand gegen die Macht des Schenna und des Sternenrates zu kämpfen hatte. Sein Bewacher stieß ein paar gutturale Laute aus. Verwundert drehte sich Lebeck um. Dann erkannte er, daß man dem Burschen mit dem Turban die Zunge herausgeschnitten hatte. Seine Hoffnung nahm noch mehr ab. Von der anderen Seite des Raumes näherte sich ein Bursche, der ein Zwillingsbruder jenes Stammes hätte sein können, von dem Lebeck gezwungen wurde, durch den Raum zu gehen. Die beiden Männer verständigten sich mit Gesten, während Lebeck ein Schauder über den Rücken lief. Auch der zweite Turbanträger besaß keine Zunge mehr. Er erkannte das Verbrechen, das hier begangen worden war: Diese beiden Männer wurden wie Sklaven behandelt. Er hätte niemals geglaubt, daß derartige Dinge innerhalb des laktonischen Reiches möglich waren. Derartige Dinge hatte er bisher nur von den olivfarbenen Orathonen gehört. In Dräu Lebeck brach mehr zusammen, als man ihm ansah. Sein ganzes Weltbild stürzte ein. Er verlor seinen Glauben an Lakton, während er gleichzeitig den unbändigen Wunsch hatte, Teckan und das laktonische Reich zu verlassen. Sie schnallten ihn auf einen flachen Metalltisch. Lebeck bäumte sich auf und versuchte, Widerstand zu leisten. Es war sinnlos. Schon einer der beiden Burschen besaß mehr Körperkräfte als sie Lebeck in seinen besten Tagen gehabt hatte. Verzweifelt versuchte er, über sein verstecktes Funkgerät einen Notruf abzuschicken. Die beiden Turbanträger entdeckten seine Absicht und vereitelten sie mit zwei kurzen brutalen Handgriffen. Dräu Lebeck fiel mit einem Aufschrei zurück und schlug mit
dem Hinterkopf auf die harte Metallplatte des Tisches. Harte Scharniere klappten über seinen Gelenken zusammen. Dann brannten sie ihm mit einem schwachen Strahler die grauen Haare vom Kopf, pinselten die versengte Haut mit einer ätzenden Flüssigkeit ein und schlossen die Kontaktplatten an. Das alles war das Werk weniger Sekunden. Während Dräu Lebeck verzweifelt nach einem Ausweg suchte, erkannte er immer deutlicher, daß mit seinem Versagen auch die Expedition zur Befreiung der Wissenschaftler von Teckan gescheitert war. Während der Beauftragte von Latak Decimo in eine Ohnmacht abglitt, tauchte neben einem an der Wand hängenden Tierkopf der EDAPHOS auf. Das scharfe Zischgeräusch der komprimierten Luft der Röhre erstarb. Sekunden später hob sich ein Stück des Fußbodens an, und eine komplett eingerichtete elektronische Anlage zum Befragen von Lebewesen unter Hypnose tauchte auf. Zusammen mit der Anlage erschien der Android Goom 12340. Er sprang mit einem eleganten Satz von der Plattform neben dem großen Lügendetektor und beugte sich zu Lebeck. Dann lächelte er kaum spürbar und gab den beiden zungenlosen Männern mit einer knappen Handbewegung den Befehl zum Beginn der Prozedur. * Der Gleiter der Händler von Lithalon landete in der schwach glühenden Wüste. Fluoreszierende Minerale verliehen der Wüste südlich von Szahan auch nachts ein merkwürdig schimmerndes Licht. Die tagsüber gespeicherte Energie der Sonne Sibiss wurde nachts von Wüstenmineralen abgestrahlt. Da es in dieser Gegend keinerlei
Leitlinien und Flugflächen gab, war eine Landung in der Wüste nicht einfach. Die fluoreszierende Schicht täuschte unerfahrene Piloten über den tatsächlichen Abstand zum Boden. Aber die lithalonischen Händler kannten Szahan genau. Sie wußten, wie gefährlich es war, nachts in die Wüste zu fliegen. Trotzdem hatte Ka-Foy angeordnet, keine Sekunde mit der Suche nach dem vermißten Kontaktmann zu warten. Gemeinsam untersuchten vier Lithalonier das abgestürzte Gleiterwrack. Von ihrem Kontaktmann fanden sie nur noch undefinierbare Spuren. Die Explosion des Antriebs ließ keinen Zweifel daran, daß der Gleiter nicht durch einen natürlich aufgetretenen Defekt abgestürzt war. Dann entdeckte Ka-Foy an einem winzigen Metallstück Spuren der Zerstörung, die nur von einem Energiestrahl kommen konnten. Ka-Foy fuhr sich mit der Zunge über die rote Kerbe auf seiner Oberlippe und nickte nachdenklich. Fast hatte er mit einem derartigen Untersuchungsergebnis gerechnet. Nur eins verstand er nicht: Warum hatte sein Kontaktmann keine Zeit mehr gefunden, einen verschlüsselten Funkspruch abzusenden? Ka-Foy merkte, daß die Angelegenheit, in die er seine Finger gesteckt hatte, sich langsam zuspitzte. Der mächtige Brustkorb von Ka-Foy hob sich, während er sich zu seiner ganzen Größe von mehr als zwei Metern aufrichtete. Ka-Foy hatte den Verbindungsmann auf den Dreiäugigen angesetzt. Es gab keinen Zweifel daran, daß Vlassimos und seine Turbanleute die Schuldigen am Tode des Händlers von Lithalon waren . . . Ka-Foy stieß einen kurzen Pfiff aus. Seine Leute kamen heran. Dann hielt der Lithalonier eine kurze Beratung neben dem abgestürzten Wrack in der
Wüste südlich von Szahan ab. „Perill war auf Vlassimos angesetzt. Es gibt keinen Zweifel daran, daß der Dreiäugige und sein Roboterherr Perill auf dem Gewissen haben", sagte KaFoy hart. Seine Stimme klang wie splitterndes Glas. Die drei übrigen Lithalonier schwiegen, weil sie wußten, welche Bedeutung diese Feststellung hatte. „Ab sofort nehmen wir keine Rücksicht mehr auf die Händlergruppe von Goom 12340", ordnete Ka-Foy an. Er blickte auf den verkohlten und verschmorten Trümmerhaufen in der fluoreszierenden Wüste, während sein Gesicht einen steinernen Ausdruck annahm. „Haben sie es allein getan?" fragte ein jüngerer Lithalonier. Ka-Foy schüttelte den Kopf. „Der EDAPHOS ist mit im Spiel", sagte er, obwohl es nur eine Vermutung von ihm war. Die Lithalonier besaßen wie alle erfolgreichen Händler hervorragende Informationsquellen auf Szahan. Sie wußten, wo sie Nachrichten und Mitteilungen bekommen konnten, und sie kannten den genauen Kurswert aller wichtigen Meldungen. Trotzdem paßte der Tod von Perill nicht in das Schema der üblichen Geschäfte. Der Tote war ein Fehler im Muster. „Für jede derartige Handlung gibt es ein Motiv", sagte Ka-Foy mit einer Stimme, die seine Erregung kaum verbarg. „Wenn Vlassimos Perill kaltblütig umgebracht hat, sehe ich eigentlich nur einen einzigen Grund dafür . . ." „Der Agent von Teckan." „Richtig", nickte Ka-Foy, „der Agent von Teckan. Perill hatte zwar nur Vlassimos zu beschatten, aber alles deutet darauf hin, daß der Dreiäugige sich aus irgendwelchen Gründen mit dem grauhaarigen Laktonen treffen wollte. Diese Gründe müssen wir herausfinden. Stellt
fest, wer der Grauhaarige war und was er wirklich auf Szahan wollte. Wenn ich mich nicht irre, hatte er einem EDAPHOS ein großes Gechäft angeboten. Leider habe ich mich zu wenig um diese Sache gekümmert." „Vielleicht weiß der Cryptoc Sudy mehr. Wenn wir ihm berichten, daß wir den Belifex vor dem EDAPHOS gerettet haben, ist er uns zu Dank verpflichtet", schlug einer der Lithalonier vor. Ka-Foy überlegte kurz, dann stimmte er zu. Er teilte seine Leute auf und schickte einen Mann zu Sudy, den nächsten auf die Suche nach dem EDAPHOS und den dritten in die Stadt zurück, um von dort aus Nachforschungen über den augenblicklichen Aufenthalt des Dreiäugigen anzustellen. „Ich selbst werde mich an die Laxanier wenden und herauszufinden versuchen, was Goom 12340 mit dem Verbrechen zu tun hat. Schließlich ist er der Herr des Dreiäugigen und somit verantwortlich für einen von Vlassimos begangenen Mord." „Wollen wir uns nicht an die Behörden wenden?" Ka-Foy lachte kurz auf. „Dafür dürften wir wohl kaum Zeit haben. Aber ich werde versuchen, irgend etwas von Teckan zu erfahren. Wir haben viele Fehler gemacht, als wir den grauhaarigen laktonischen Wissenschaftler unbeachtet ließen. Diese Fehler müssen wir so schnell wie möglich wiedergutmachen. Nur so kann es uns gelingen, die Ermordung von Perill entsprechend zu bestrafen." Ka-Foy wandte sich um und ging zu seinem Gleiter zurück. Dann fiel ihm plötzlich noch etwas ein. Er drehte sich um und sagte: „Wir müssen uns mehr um dieses laktonische Wachboot kümmern. Ich weiß nicht, was dahintersteckt, aber es sind gewisse Gerüchte aufgetaucht. Zwei der Besatzungsmitglieder sollen
ebenso von Teckan stammen wie der Grauhaarige. Wir werden diese Sache nachprüfen." * Rex Corda schüttelte ärgerlich den Kopf. Ein kurzer Spruch von Bir Osgo hatte sie ins Hotel zurückgerufen. Zusammen mit Latak Decimo war Rex Corda wieder auf John Haick und Bir Osgo gestoßen. Der kleine Organisationstechniker deutete auf einen Koffer, der geöffnet auf einem Pneumobett stand. „Das ist alles, was wir gefunden haben", sagte er. Latak Decimo trat einen Schritt vor und nahm einige Gegenstände aus dem Koffer. Er selbst war dabeigewesen, als dieser Koffer entworfen und zusammengebaut worden war. Deshalb kannte er genau die Einzelteile, die er jetzt stirnrunzelnd untersuchte. „Das verstehe ich nicht", murmelte er mehrmals. Dann richtete er sich auf und sah abwechselnd Bir Osgo und Rex Corda an. „Er hat keines der Geräte, die wir ihm gebaut haben, benutzt. Trotzdem wissen wir, daß er teilweise Erfolg gehabt haben muß. Die Frage ist nur, warum er sich bisher noch nicht gemeldet hat." „Auf Terra wäre derartiges nicht möglich gewesen", sagte Rex Corda mißbilligend. Er hatte inzwischen erfahren, wie Dräu Lebeck auf Szahan vorgegangen war. Nach einem komplizierten System hatte der Agent der laktonischen Wissenschaftler die ihm zur Verfügung stehenden Namen von Händlern verschlüsselt und entsprechend angehakt, sobald er mit ihnen Kontakt aufgenommen hatte. „Für einen Fachmann ist es keine Schwierigkeit, jeden Code zu entschlüsseln", erklärte Rex Corda. „Ich verstehe
einfach nicht, wie dieser Lebeck sich überhaupt mehrere Tage auf Szahan hat halten können." „Sie vergessen, daß wir keine Berufsagenten sind", sagte Latak Decimo hart. „Wir sind Wissenschaftler. Mister President. Wenn wir einen Fehler machen, so ist das nur verständlich und spricht im Grunde genommen für uns." „Das habe ich nicht bestritten. Trotzdem hätten Sie an einige Kleinigkeiten denken können. Eine Geheimorganisation von Wissenschaftlern sollte doch wohl in der Lage sein, mehr Vorsichtsmaßnahmen im voraus zu planen. So hätten wir Terraner den Fall ganz bestimmt nicht abgewickelt." „Sie scheinen eine gewisse Erfahrung mit Geheimdiensten zu haben", sagte Latak Decimo mit einem unwilligen Seitenblick. Rex Corda hob die Schultern, antwortete aber nicht. Dräu Lebeck war tatsächlich äußerst leichtsinnig gewesen. Nicht ein einziges der hervorragenden Abwehrgeräte hatte er mitgenommen. Corda bezweifelte, ob Lebeck überhaupt in der Lage war, eines dieser Geräte richtig zu bedienen. Natürlich war er nur Wissenschaftler, aber das bedeutete nicht, daß man sich leichtsinnig und fahrlässig durch die Gegend bewegte und nur darauf wartete, von gerissenen Agenten anderer Machtgruppen erwischt zu werden. „Hat er wenigstens sein Funkgerät mitgenommen?" fragte Rex Corda. Latak Decimo nickte. „Und er hat sich bisher noch nicht gemeldet?" „Nein", sagte Latak Decimo. „Oder haben Sie etwas gehört, Osgo?" Der Organisationsfachmann schüttelte den Kopf. „Dann gibt es nur eine Möglichkeit", meinte Rex Corda, „wir müssen versuchen, aufgrund der vorhandenen Ergebnisse die Gedankengänge und die
Schlußfolgerungen von Dräu Lebeck nachzuvollziehen. Das ist schwer, kann uns aber unter Umständen einige Schritte weiterbringen." „Also gut", sagte Latak Decimo, „Lebeck kam vor neun Tagen auf Szahan an. Er hatte Anweisungen, sich vier Tage lang ruhig zu verhalten und dabei mehrmals das Hotel zu wechseln. Er besaß ausgezeichnet gefälschte Papiere für eine Zulassung als Börsenmakler." „Wo sind die Fälschungen vorgenommen worden?" „Auf Teckan." „Und warum fälschen Sie die Einreisepapiere für sich selbst dann nicht auch auf Teckan?" „Das ist etwas anderes. Zwischen Szahan und Teckan besteht ein himmelweiter Unterschied. Diese beiden Welten lassen sich in bezug auf die Kontrollen überhaupt nicht vergleichen." Rex Corda nickte. Er hielt es durchaus für möglich, mit gefälschten Papieren auf einem Freihandelsplaneten wie Szahan für einige Zeit unterzutauchen. Trotzdem gefiel ihm die ganze Sache nicht. Er ließ sich in einen Pneumosessel fallen, streckte die Beine aus und zündete sich eine Zigarette an. Latak Decimo hob unwillig die Brauen, sagte aber nichts. Er wandte sich an Bir Osgo und gab ihm den Auftrag, sich um Corocon III zu kümmern. Mit einem Blick hatte er gesehen, daß Lebeck zumindest eins erreicht hatte: Ein genau ausgearbeiteter verschlüsselter Flugplan für den weiteren Flug von Szahan nach Teckan lag bereits vor . . . „Beginnen wir mit dem fünften Tag", sagte Latak Decimo und ließ sich ebenfalls in einen Sessel fallen, der neben dem von John Haick stand. Er stellte ein kleines Aufzeichnungsgerät neben sich auf den Tisch und schaltete dann eine Art elektronischen Besen ein. Die passive Hochleistungsortung mit einer quarzgesteuerten Solid-State-Abstim-
mung zeigte keinerlei Abhörgeräte innerhalb des Hotelzimmers an. Latak Decimo drehte die Störzeichenausblendung voll auf. Dann erst lehnte er sich beruhigt zurück und nahm ein zweites Gerät vor, mit dem er die Notizen von Dräu Lebeck entschlüsseln konnte. Er drehte an einer integral ausgeleuchteten Kontrollplatte und blickte dann durch entspiegelte Scheiben auf Zahlenkombinationen und Buchstabengruppen, die schwach im Licht aus einem eingebauten Energieblock aufleuchteten. „Fünfter Tag", sagte er dann. „Flugplan Szahan-Teckan: Abflug Szahan mit Passagierschiff D'GREELIT vom Raumhafen acht. Umsteigen auf dem vierten Planeten des Systems M4C-Lowina. Weiterflug mit Kombifrachter SWAR-ERAG bis zum Anflugsatelliten 21 in der Außenbahn von Rem IV. Dort umsteigen in ein Raumtaxi und Weiterflug nach Rem II. Dort eine Flugkarte nach Eciton 8 lösen, aber nur nach Eciton l fliegen. Auf Eciton l angeben, daß der Computer für Flugkarten sich geirrt hat und Rückerstattung von fünfundzwanzig Prozent des Flugpreises erbitten. Während der Überprüfung der Ansprüche muß die Möglichkeit bestehen, eine Flugkarte nach Teckan zu lochen. Anschließend planmäßiger Weiterflug mit Passagierschiff NOXILAI." Latak Decimo zog bewundernd die Brauen hoch. In diesem Punkt hatte Dräu Lebeck ausgezeichnete Vorarbeit geleistet. Er selbst hätte sich kein besseres Tarnprogramm für den Flug von Szahan nach Teckan ausdenken können. „Jetzt fehlen uns eigentlich nur noch die Einreisepapiere", lachte Rex Corda trocken. „Sagen Sie das nicht", meinte Latak Decimo kopfschüttelnd. „Wenn ich tatsächlich bis nach Teckan komme, ist
noch nichts gewonnen. Vergessen Sie nicht, daß ich den kleinen Transmitter mit mir herumschleppen muß. Die Kontrollen auf Teckan sind derartig scharf, daß ich ohne weiteres bei der Überprüfung des Gepäcks auffliegen kann. In diesem Augenblick ist unser ganzes Unternehmen gescheitert. Die Ankunft auf Teckan ist der neuralgische Punkt des gesamten Planes . . ." „Dann müssen die Papiere eben so ausgezeichnet sein, daß keinerlei Verdacht auf Sie fällt", meinte Rex Corda. „Haben Sie schon einmal versucht, Einreisepapiere nach Teckan zu bekommen?" „Wie sollte ich?" gab Rex Corda zurück. „Dann würden Sie nämlich wissen", erklärte Latak Decimo, „daß es wirklich so gut wie unmöglich ist, hundertprozentige Einreisepapiere für Teckan, zu bekommen. Ich glaube, Sie machen sich keine Vorstellungen von der Schärfe der Kontrollen bei der Einreise. Vergessen Sie nie, daß Teckan das Zentrum der militärwissenschaftlichen Forschung des gesamten laktonischen Reiches ist. Wenn auch nur ein einziges der nötigen Dokumente aus einem etwas abweichenden Papierrezept besteht, bin ich aufgeflogen. Während der Einreise wird einfach alles kontrolliert." „Hoffentlich zählen sie nicht Ihre Haare auf dem Kopf", wandte John Haick ein. Latak Decimo hatte kein Verständnis für derartige Spaße. Er wollte den beiden Terranern nur klarmachen, daß sie sich in ein Unternehmen eingelassen hatten, bei dem die Chancen tatsächlich denkbar schlecht aussahen. „Am sechsten Tag hat Dräu Lebeck keine Eintragungen gemacht", fuhr Latak Decimo mit einem Blick auf das Codegerät fort. „Erst am übernächsten Tag gelang es ihm, mit einem in Frage
kommenden Händler Kontakt aufzunehmen. Aus den Aufzeichnungen geht hervor, daß sich der EDAPHOS . . ." Latak Decimo sprang auf. Auch Rex Corda war zusammengezuckt. Nur John Haick wußte nicht, was dieser Name bedeutete. Decimo und Corda blickten sich in die Augen. Das war es — der EDAPHOS! „Weiter!" keuchte Rex Corda. Latak Decimo setzte sich bebend hinter das Gerät und las jetzt mit einer Stimme, die sich vor Hast fast überschlug: „EDAPHOS nicht grundsätzlich abgeneigt. Will erst noch Kontakt mit Verbindungsleuten jenes Planeten aufnehmen, auf dem die Einreisepapiere für Teckan registriert werden." „Was?" fragte Rex Corda verdutzt, „das auch noch?" Latak Decimo nickte nervös. „Achter Tag: Kontaktaufnahme mit dem Cryptoc Sudy. Treffen mit Beli, dem Sekretär des Cryptoc vereinbart. Stadtkoordinaten noch nicht bekannt." Latak Decimo stockte. Er wurde blaß „Was ist?" drängte Rex Corda. „Neunter Tag", las Latak Decimo tonlos. „Merke, daß ich beobachtet werde. Anscheinend handelt es sich um laktonische oder lithalonische Agenten. Noch keine Klarheit." Latak Decimo stockte. „Ist das alles?" fragte Rex Corda. Latak Decimo nickte schweigend. „Hier endet der Bericht. Am neunten Tag. Also heute! Wir kennen jetzt weder die Koordinaten des Cryptocs noch das Ergebnis der Besprechung mit dem Belifex. Wir wissen nur, daß sich zwei weitere Gruppen für Lebeck interessierten. Dabei ist nicht bekannt, ob es sich um Lithalonier oder Laktonen handelte." *
Schweigend starrte Rex Corda auf das winzige Gerät. Dann hatte er eine Idee: „Können wir nicht ein paar Fallen aufbauen? Ich meine — wenn wir Köder auslegen, müßte es uns doch gelingen herauszufinden, wer hinter Lebeck her war." „Und wenn die Fische zuschnappen?" meinte Latak Decimo kopfschüttelnd. „Dann sind die Köder verschwunden! Oder wollten Sie sich selbst als Köder hergeben?" Rex Corda blickte zu John Haick. In den Augen des Atomwissenschaftlers blitzte es kurz auf. Dann senkte Rex Corda den Kopf und nickte. „Wir werden mehrere Köder auslegen. Wichtig ist jetzt nur, daß Sie nach Teckan kommen. Sie brauchen dafür die Einreisepapiere. John Haick und ich werden die Köder sein, die Sie brauchen, um festzustellen, was mit Lebeck passiert ist." Latak Decimo schüttelte protestierend den Kopf. „Geht es Ihnen um die Erde oder um die Befreiung der Wissenschaftler von Teckan?" fragte Rex Corda. Decimo senkte den Kopf. Dann blickte er plötzlich auf und sah Rex Corda direkt an. „Ich will ehrlich sein", sagte er. Seine Stimme klang belegt. „Bis zu diesem Augenblick ging es mir hauptsächlich um die Befreiung der laktonischen Wissenschaftler von Teckan. Daß wir uns ausgerechnet die Erde ausgesucht haben, um dort Asyl zu finden, war mehr ein Zufall. Aber vielleicht hat sich meine Einstellung innerhalb der letzten Minuten geändert. Natürlich will ich nach wie vor die Wissenschaftler von Teckan befreien. Aber es geht nicht mehr nur darum. Wenn Sie als Präsident von Terra sich bereit erklären, sich in den Dienst unserer Sache zu stellen,
dann muß ich meine bisher ziemlich egoistischen Motive noch einmal überprüfen . . ." Rex Corda lächelte. „Schon gut, Decimo. Wenn Sie ehrlich sind, will ich es auch sein. Ich dachte bisher auch nur an die Erde. Ich war ebenfalls egoistisch. Ich wollte erreichen, daß Terra jenen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, der nur durch Ihre Wissenschaftler ermöglicht werden kann. Aber inzwischen stecken wir beide viel zu tief in dieser Sache. Kommt es da noch darauf an, aus welchen Gründen wir zusammenarbeiten? Denn schließlich haben wir doch ein gemeinsames Ziel. Wir brauchen uns nicht gegenseitig zu entschuldigen. Was wir vorhaben, ist vom moralischen Standpunkt aus vollkommen einwandfrei. Darauf, und nur darauf kommt es an!" Latak Decimo hatte bereits eine Entgegnung auf den Lippen, schwieg aber dann, als er Hex Corda in die Augen blickte. „Gut", sagte er entschlossen. „Mister Haick, kümmern Sie sich bitte um die Corocon III. Bir Osgo hätte sich nämlich in der Zwischenzeit einmal melden können. Mister President, ich denke, wir sollten unsere Nachforschungen bei dem EDAPHOS beginnen!" „Und wie wollen Sie den finden, wenn ich fragen darf?" „Lassen Sie sich überraschen", sagte Latak Decimo mit einem jungenhaften Grinsen. * Erschöpft, aber glücklich saß Beli vor einem Glas mit einem dunkelroten Getränk. Er hatte die statische Energie seines Körpers verbraucht und nahm jetzt eine leicht radioaktive Nährlösung in sich auf. Er wartete auf seine neuen Freunde, die plötzlich und ohne sich zu
verabschieden aus dem Raum gestürmt waren. Sie hatten ihm versprochen wiederzukommen. Beli war bereits beim dritten Glas, als Ka-Foy und einer seiner Begleiter wieder auftauchten. Sie sahen müde und abgekämpft aus. „Komm mit", sagte Ka-Foy zu Beli. Der Gnom sprang von seinem Sessel direkt in die Arme des Lithaloniers. KaFoy trug den Belifex zu seinem Gleiter und brachte ihn in sein Hotel. Innerhalb des Hotelzimmers sah sich Beli bewundernd die gesammelten Kostbarkeiten der Lithalonier an. Dann begann er mit einer piepsigen Stimme Anekdoten aus seinem Leben zu erzählen. Er berichtete von Transaktionen, die er und der Cryptoc Sudy zusammen durchgeführt hatten. Er merkte nicht, daß die beiden Lithalonier genau auf jedes seiner Worte achteten. Sie gaben sich sogar Mühe, über besonders komische Begebenheiten zu lachen. Allmählich wurde das Lachen echt und animierte Beli zu immer neuen Geschichten. Der Gnom hatte eine Art, vollkommen ernste Dinge so albern zu erzählen, daß den Lithaloniern sehr bald die Freudentränen über die Wangen kullerten. Schließlich konnten sie nicht mehr. „Aufhören!" wieherte Ka-Foy. Er brauchte sich keine große schauspielerische Mühe zu geben. Die Geschichten von Beli waren tatsächlich amüsant. Trotzdem ging es Ka-Foy einzig und allein darum, mehr über gewisse Dinge zu erfahren, die wie eine aufgeplatzte Wunde in ihm brannten. „Hör auf, Beli! Sonst bekommen wir noch Lachkrämpfe." „Ich wollte gerade noch erzählen, wie es uns erging, als unsere Gegner ein Schiff mit zwanzigtausend Tonnen Blütenhonig sabotierten." Die Lithalonier winkten lachend ab. „Das war wirklich eine sehr tragische Geschichte", meinte
Beli ernsthaft. „Mitten im Raum platzte urplötzlich der Tank mit dem Honig. Die gesamte Ladung ballte sich zu einem einzigen klebrigen Honigklumpen zusammen und schwebte frei im All. Als unsere Mannschaft diesen Honigball wieder einfangen wollte, geriet das Schiff immer tiefer in die nur außen gefrorene Masse . . ." Ka-Foy sprang auf und packte den Gnom. Er wieherte vor Lachen. Dann warf er ihn in die Luft und fing ihn wieder auf. Allein der Gedanke an die Gesichter der Frachterbesatzung inner-. halb der Kugel aus zwanzigtausend Tonnen Honig rissen ihn und den anderen Lithalonier zu vollkommen echt wirkenden Lachsalven hin. Dabei ahnten weder Ka-Foy noch sein Begleiter, daß auch der Belifex nur ein äußerst gerissenes Spiel inszenierte. „Diese Geschichte war sehr traurig", nickte Beli mit furchtbar ernstem Gesicht. „Viel lustiger erging es meinem Herrn und mir mit einem laktonischen Agenten, der mit uns ein phantastisches Geschäft machen wollte . . ." Beli hatte während der Abwesenheit der Lithalonier mit dem Cryptoc Sudy Kontakt aufgenommen. Er wußte jetzt, daß der Wissenschaftler von Teckan bei Sudy gewesen war, und kannte die Art des angebotenen Geschäftes. Urplötzlich verstummte das Lachen der Lithalonier. Ein paarmal kam noch ein glucksendes Geräusch aus Ka-Foys mächtigem Brustkorb. Dann wurde er schlagartig ernst. Er starrte den Belifex mit zusammengekniffenen Augen an. Seine Lippen wurden schmal. „Was weißt du von laktonischen Agenten, Beli?" keuchte er vollkommen perplex. Der Gnom hob die schmalen Schultern und zeigte Ka-Foy seine geöffneten Handflächen. „Die Geschichte ist im Grunde erst heute passiert", sagte er mit einem her-
vorragend gespielten Gesichtsausdruck. Beli beherrschte alle Register der Schauspielkunst. Er ging niemals den direkten Weg, wenn er Informationen brauchte. Er wußte, daß die meisten Händler auf Szahan, mit denen er zusammentraf, ihn nicht ernst nahmen. Er verstand es aber, gerade aus dieser Tatsache Kapital zu schlagen. „Wenn ihr die Geschichte nicht hören wollt, dann schweige ich und mache mich wieder an die Arbeit", sagte Beli mit einem beleidigten Gesichtsausdruck. Er zog die Mundwinkel herab und sah jetzt wirklich jammervoll aus. „Schon gut, Beli, es war nicht so gemeint", grinste Ka-Foy verzerrt. „Sag uns doch, was du über den Agenten weißt." „Nein!" „Und warum nicht?" „Geschäftsgeheimnis", sagte Beli, während ein geheimnisvolles Leuchten über sein faltiges Gesicht huschte. „Komm, Beli. Sag uns, was du weißt, dann geben wir dir auch ein paar Tips." „Erst eure Information, dann meine Informationen", nickte Beli heftig. „Ja, damit bin ich einverstanden." „Stopp mal", sagte Ka-Foy. Er drehte sich zu seinem Gefährten um. „Hast du gesagt, daß wir damit anfangen, Beli Informationen zu geben?" Der Lithalonier schüttelte den Kopf. Ka-Foy machte eine vielsagende Handbewegung. Aber Beli ließ sich nicht beirren. Er kannte nur das eine Ziel: Das Motiv des Wissenschaftlers Lebeck für das ungewöhnliche Geschäft mit Cryptoc Sudy herauszufinden. Er mußte wissen, was Lebeck wirklich plante. Dabei konnten ihm die Lithalonier helfen. „Dann nicht", murrte er, setzte sich auf die Hacken und sprang mit einem großen Satz von der Tischplatte. Er trippelte über den weichen Teppich zum Ausgang des Hotelzimmers. Die senkrechtstehende Verschlußleiste
war auch für ihn erreichbar. Alle Hotels auf Szahan besaßen kreisrunde Türen mit einer senkrechten Verschlußleiste in der Mitte. Es gab zu viele unterschiedliche Wesen und Rassen innerhalb des laktonischen Handelszentrums. Eine Norm schrieb vor, daß für alle auf Szahan tätigen Händler universell verwendbare Wohnungseinrichtungen, Speisen und Verkehrsbedingungen geschaffen wurden. Es bereitete Beli keinerlei Schwierigkeiten, die Tür zu öffnen. „Stop!" brüllte Ka-Foy. Beli verharrte mitten im Schritt. Dann drehte er sich mit einem leichten Schlenker und streckte Ka-Foy die Arme entgegen. „Ich wußte, daß ihr mich nicht enttäuschen würdet." Ka-Foy hätte den Gnom am liebsten an den Ohren aufgehängt. Aber dann stieß er nur die Luft zwischen den Zähnen hindurch und lachte. Man konnte dem gerissenen Kerl einfach nichts übelnehmen . . . Wenige Minuten später saßen die beiden Lithalonier wieder um Beli und berichteten dem Gnom vorsichtig Einzelheiten über das, was sie wußten. Dann kamen sie darauf zu sprechen, daß einer der Lithalonier in der Wüste südlich von Szahan abgeschossen worden war. Beli zitterte innerlich, schaffte es aber, seine Erregung zu verbergen. „Vlassimos, der Dreiäugige? Von dem habe ich schon gehört", meinte er gelangweilt. „Ja. Er gehört zur Gruppe der Androiden. Wenn uns nicht alles täuscht, ist Goom 12340 sein Herr." „Ja, ja", lächelte Beli selig, „die stummen Diener von Vlassimos besitzen Umhänge in einem herrlichen Orangeton. Nur ihre Turbane sollten sie öfter waschen . . ." Ka-Foy merkte plötzlich, daß Beli
ihn an der Nase herumgeführt hatte. Der Belifex wußte genau, wer der Goom 12340 und Vlassimos, der Dreiäugige, waren. Aber er hatte zugehört. Er hatte alles in sich aufgenommen, was die Lithalonier ihm erzählten, ohne mit seinem Mienenspiel zu verraten, daß er den größten Teil der angeblichen Neuigkeiten längst kannte. „Jetzt hör mal zu, Beli", sagte KaFoy und beherrschte sich mühsam. „Du hast uns also getäuscht. Du wußtest genau, worüber wir sprachen. Warum hast du das nicht gleich gesagt?" „Habt ihr mich gefragt?" meinte Beli und baumelte mit seinen kurzen Beinchen hin und her. Er saß am Rande der Tischplatte und blickte die beiden Lithalonier mit einem entschuldigenden Gesichtsausdruck an. „'raus mit der Sprache, Beli! Jetzt bist du dran", sagte Ka-Foy plötzlich mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck. „Meine Geduld ist zu Ende. Wenn du uns nicht alles erzählst, was du weißt, nageln wir dich mit den Ohren über der Tür an! Dort kannst du warten, bis dein Cryptoc angeschwommen kommt." Beli machte sich nichts aus dieser Drohung. Er hatte sie schon zu oft gehört. „Was soll ich denn sagen?" fragte er mit weinerlicher Stimme. Ka-Foy wurde langsam ungeduldig. „Ein Unbekannter befindet sich in Szahan und bietet ein phantastisches Geschäft an. Wir erfahren davon. Wir erfahren zum Beispiel, daß der Unbekannte mit einem EDAPHOS Kontakt aufgenommen hat und daß dieser EDAPHOS sich mit Vlassimos und mit Goom 12340 in Verbindung setzte. Während unser Mann Vlassimos beschattete, trafen sich der Dreiäugige und der Android mit dem Mann von Teckan. Gleichzeitig hast du Verbindung mit dem EDAPHOS aufgenom-
men. Das sind Tatsachen, Beli. Versuch jetzt nicht, alles abzustreiten, sonst mache ich meine Drohung wahr. Schließlich ist einer unserer besten Männer ermordet worden. Vergiß das nicht!" „Wie könnte ich das vergessen!" sagte Beli mit verdutztem Gesicht. Dann schüttelte er traurig den Kopf. „Ihr habt es mir eben erst erzählt. Das ist schon wieder eine von diesen traurigen Geschichten. Wenn ihr mir nichts erzählt hättet, würde ich nichts von all diesen Dingen wissen . . ." Ka-Foy sprang auf. Jetzt war endgültig Schluß. Er hatte es satt, sich von dem Belifex bluffen zu lassen. Er riß die vom Tisch baumelnden Beine des Gnoms an sich und hielt Beli mit einer Hand an den Beinen fest, so daß er mit dem Kopf nach unten hing. Beli zappelte wild hin und her, konnte aber gegen die Riesenkräfte des Lithaloniers nichts ausrichten. „Jetzt halte ich dich so lange, bis du uns sagst, wie die Koordinaten von deinem Cryptoc sind!" fauchte der Lithalonier. „Du kannst dich darauf verlassen, daß ich dich unter Strom setze, falls du nicht augenblicklich deinen Mund aufmachst." Weinerlich piepste Beli: „Ich will alles sagen, aber laßt mich nicht mit dem Kopf nach unten hängen. Das vertrage ich nicht." Ka-Foy setzte den Gnom hart auf den Tisch zurück. „Also gut, Beli. Spuck die Koordinaten aus. Dann werden wir dem Cryptoc einen Besuch abstatten, den er zeitlebens nicht vergessen wird." * Dräu Lebeck richtete sich mit schwerem Kopf auf. Er starrte in die spiegelnde Scheibe, die sich in zwei Metern Entfernung direkt vor ihm befand. Er
sah sein Gesicht und erkannte sich selbst kaum wieder. Sein linker Arm lag in einer entsetzlich stinkenden Pfütze, die sich neben einem umgekippten Glas ausgebreitet hatte. Verschwommen hörte er die Geräusche um sich herum, die nur langsam deutlicher wurden. Er preßte die Augen zusammen und mußte immer wieder auf sein Spiegelbild starren. Er wußte, daß etwas geschehen war. Unsicher blickte er auf das umgekippte Glas. Hinter der Bar befand sich nur der Bedienungsrobot. Dräu Lebeck sprach ihn an und wunderte sich über das Krächzen in seiner Stimme. „Ich will etwas zu trinken", sagte er, während er mit der linken Hand das Glas von der Barplatte wischte. Es polterte zu Boden, ohne zu zerspringen. Der Bedienungsrobot hob es auf und warf es in den Müllschlucker. Schweigend stellte er ein neues Getränk vor Dräu Lebeck hin. Dann sagte die metallisch klingende Stimme: „Einen Viertelkredit, bitte." Lebeck suchte in seinen Taschen nach einem Geldstück. Er fand nichts. Seine Taschen waren vollkommen leer. Hastig suchte er weiter. Er riß seine Kombination auf und tastete nach den Innentaschen. Aber die Taschen enthielten nichts, womit er den Bedienungsrobot bezahlen konnte. Er hob die Schultern und ließ sich von seinem Sitz gleiten. Schwankend ging er auf den Ausgang der Bar zu, die ihm vollkommen fremd vorkam. Draußen lehnte er sich sekundenlang gegen einen Pfeiler neben dem Eingang. Dann tappte er unsicher über den Fußgängerweg zu den Transportbändern. Seine Beine bewegten sich vollkommen automatisch. Dräu Lebeck hielt plötzlich an und wartete, bis ein Transportgleiter herankam.
Er warf sich in die Polster und sagte mit krächzender Stimme: „Zum Raumhafen acht — aber schnell!" Der Antrieb des Transportgleiters heulte auf. Der helle Ton steigerte sich, bis er im Ultraschallbereich verschwand. Der Gleiter löste sich vom Boden und jagte über eine hellgrüne Querverbindung zur nächsten Kreuzung. Innerhalb der zylinderförmigen Kreuzung stieg der Gleiter bis zum vierhundertsten Flug-Level an. Lebeck schloß die Augen und wischte mit dem Handrücken über sein ausgemergeltes Gesicht. Er fühlte sich nicht richtig krank, merkte aber, daß ein Teil seiner Erinnerung fehlte. Irgend etwas beherrschte ihn, gab ihm Vorschriften und Anweisungen. Ganz tief in seinem Innern versuchte etwas, sich gegen die Beeinflussung zu wehren. Es war sinnlos. Da erreichte die Kapsel die nächste Kreuzung und schaltete die Geschwindigkeit automatisch herab. In einer steilen Kurve fiel sie nach unten. In immer kürzeren Abständen passierte Lebeck in seiner Transportkapsel die einzelnen Flugflächen. Pfeifend rauschte die Luft an der Außenseite des Gleiters vorbei. Das Geräusch war derartig stark, daß Lebeck nicht hören konnte, wie der Antrieb plötzlich ausgeschaltet wurde. Dann sprang er wieder an, während der Gleiter über eine hellblaue Nebenverbindung zwischen enger stehenden Häuserblocks hindurchschoß. Die Straßen wurden wieder breiter, und unter dem Lichterdom von Szahan erkannte Lebeck den Raumhafen acht. Der Gleiter setzte härter auf, als Lebeck erwartet hatte. Er sprang nach draußen und lief hastig über den breit angelegten Fußgängerweg. Er tauchte im Gewirr der großen Empfangshalle unter, bewegte sich ziel-
strebig auf das Startfeld zu. Er mußte nachdenken — lange und intensiv nachdenken. Aber es gab nichts, worüber er nachdenken konnte. Es war alles in Ordnung. Er, Dräu Lebeck, hatte zuviel getrunken, das war alles . . . Er fragte sich, was er eigentlich auf diesem Planeten gewollt hatte. Er konnte sich nicht erinnern. Er verließ das Empfangsgebäude und nahm sich einen flachen Bodengleiter. „Zum Schiff", befahl er und deutete eine fahrige Handbewegung an. „Zu welchem Schiff?" fragte die Automatik des Bodengleiters. Dräu Lebeck stutzte. Ja, zu welchem Schiff? Warum überhaupt zu einem Schiff? Er besaß kein eigenes Schiff. Er war mit einem Linienraumer angekommen. Das wußte er noch. Aber er wußte nicht mehr, was vorher gewesen war. Dräu Lebeck überlegte krampfhaft, was er dem Bodengleiter sagen konnte. „Fahr an allen Schiffen vorbei." „Im Zickzack oder in einer Kurve?" „In einer Zickzackkurve", meinte Lebeck. Es rasselte im Innern der Automatik. Dann fragte der Gleiter erneut: „Zickzack oder Kurve?" „Zum Teufel noch mal! Kurve, wenn es sein muß." Der Bodengleiter setzte sich in Bewegung. Er fuhr mit mittlerem Tempo in einem großen Kreis das Landefeld des Flughafens ab. Dräu Lebeck sah sich die einzelnen Schiffe nicht an. Sie interessierten ihn nicht. Er mußte überlegen — nachdenken — Klarheit gewinnen. Lebeck hatte das Gefühl, ein Wort zu suchen, das ihm bereits auf der Zunge lag. Er wußte, daß es etwas gab, was ihm im Augenblick einfach nicht einfallen wollte. Aber es war — in seinem Innern. Es gab Hunderte von Raumschiffen
Verschiedener Typen und Klassen auf dem Landefeld. In einigen brannte die Beleuchtung, andere wirkten verlassen. Da begann Lebeck plötzlich zu schluchzen. Er wurde von einem Weinkrampf geschüttelt, während er das Gesicht in seine Hände legte und sein Körper sich in konvulsivischen Zuckungen aufbäumte. Er erkannte plötzlich, daß er etwas tat, das er nicht tun durfte. Aber er war nicht in der Lage, sich gegen den posthypnotischen Befehl zu wehren . . . * Latak Decimo hatte den EDAPHOS gefunden. Er brachte ihn zu Rex Corda und ließ die beiden allein. Er selbst hatte gewisse Dinge zu erledigen, die keinen Aufschub duldeten. Das röhrenartige, schwarz glänzende Wesen blickte Rex Corda freundlich an. Aus irgendeinem Grunde war der Terraner dem Wesen sympathisch. Das Wesen wußte nicht, daß diese Tatsache einzig und allein mit den emphatischen Fähigkeiten des Terra-Präsidenten begründet werden konnte. „Hör zu, EDAPHOS", sagte Rex Corda lächelnd, „wir beide wollen ein kleines Geschäft machen. Wenn du einverstanden bist, antworte mir bitte." „Ein Geschäft?" meinte der EDAPHOS und saugte zischend die Luft an der Vorderseite zwischen dem ringförmigen Auge ein. „Ein Geschäft, bei dem du hunderttausend laktonische Kreditsymbole verdienen kannst", nickte Rex Corda. Der EDAPHOS hob sich einen halben Meter vom Boden und führte einen wilden Tanz auf. Corda paßte genau auf. Er durfte keinen Schritt zu weit gehen. Er mußte den EDAPHOS täuschen, um weitere Informationen zu bekommen. Er hatte sich freiwillig als Köder gestellt und war bereit, seine
Rolle bis zur letzten Konsequenz durchzuhalten. „Du bekommst hunderttausend laktonische Kreditsymbole, wenn es dir gelingt, Spezialisten ausfindig zu machen, die in der Lage sind, Einreisepapiere für einen Planeten der Orathonen herzustellen." „Einreisepapiere für einen Planeten der Featherheads?" keuchte der EDAPHOS. „Das ist unmöglich." „Nichts ist unmöglich. Es gibt doch Spezialisten auf Szahan, die gefälschte Papiere verkaufen." „Natürlich gibt es die, aber nicht für einen Planeten der Orathonen. Die Grünhäutigen besitzen Sicherheitseinrichtungen, die ständig geändert werden." „Willst du es trotzdem versuchen? Du bekommst zehntausend Kreditsymbole als Anzahlung." Der EDAPHOS schwieg minutenlang. Dann sagte er: „Einverstanden." Der Terra-Präsident lehnte sich zufrieden in seinen Pneumosessel zurück. Seine emphatischen Fähigkeiten und der dadurch zustandegekommene Kontakt mit dem EDAPHOS hatten ihm fast ebensoviel geholfen wie der Einsatz des Vorausagenten Lebeck. Rex Corda ging zu einem seiner Koffer, öffnete ihn und löste dann einen geschickt angebrachten doppelten Boden, der elektronisch getarnt war. Latak Decimo hatte mit der E-Leiter-Paste ein neues System herausgefunden, wie man auch Kontrollcomputer durch ein bestimmtes mit dieser Paste aufgetragenes Muster irreführen konnte. Dann hob Rex Corda ein Bündel laktonischer Kreditsymbole aus dem Versteck und zeigte es dem EDAPHOS. Das seltsame Wesen wurde unruhig. Rex Corda runzelte die Brauen. „Das sind zehntausend", sagte er. Der EDAPHOS stieß ein schrilles
Pfeifen aus. Er nannte Rex Corda die Stadtkoordinaten von der Handelsniederlassung des Cryptoc Sudy. Dann fauchte der EDAPHOS plötzlich und schoß auf die laktonischen Kreditsymbole zu. „Verrat!" sagte er mit einer metallisch klingenden Stimme. Rex Corda schüttelte den Kopf. „Kein Verrat. Die Kreditsymbole sind echt. Wir erhielten sie als Entschädigung von den Laktonen." Etwas im Innern des EDAPHOS rumorte. Dann erhob er sich auf seinem Luftkissen und schoß mehrmals fauchend um Rex Corda herum. „Diese Kreditsymbole kann ich niemals einlösen, weil sie Registrierungsnummern besitzen, die auf Szahan nicht erscheinen dürfen." „Das verstehe ich nicht", meinte Rex Corda verblüfft. „Hat Ihre Rasse eine Handelsvertretung auf Szahan?" Jetzt begriff Rex Corda. Die numerierten Symbole durften nicht auf Szahan erscheinen, da offiziell noch keine Vertretung der Erde auf dem Freihandelsplaneten zugelassen war. Damit war das ganze Unternehmen so gut wie gescheitert . . . Rex Corda schloß sekundenlang die Augen. Sollte die Befreiung der Wissenschaftler von Teckan nur deshalb unmöglich werden, weil sie eine winzige Kleinigkeit übersehen hatten? „Die Kreditnoten sind auf diesem Planeten vollkommen wertlos", stellte der EDAPHOS fest. „Haben Sie kein anderes Geld?" Rex Corda schüttelte den Kopf. Eine heiße Welle stieg in ihm auf und überflutete sein Denken. „Tut mir leid — dann sind sie für mich wertlos . . ." Der EDAPHOS drehte sich um seine Hochachse und raste fauchend auf die kreisrunde Tür des Hotelzimmers zu.
Rex Corda starrte ihm nach. Dann ließ er sich in einen Pneumosessel fallen und starrte den Koffer mit den Kreditsymbolen feindselig an. So sehr Rex Corda auch überlegte, er sah nur eine einzige Möglichkeit, die teuren Einreisepapiere nach Teckan bezahlen zu können: Sie mußten die Corocon III zu einem Schleuderpreis an irgendeinen gerissenen Händler verkaufen. Damit konnten sie für Latak Decimo die Reise von Szahan nach Teckan finanzieren, aber nicht mehr! Sekundenlang zögerte Rex Corda. Dann nahm er Kontakt mit Latak Decimo auf. Der Synoptiker meldete sich. Dann sagte Rex Corda in das winzige, abgeschirmte Gerät: „Wir müssen umdisponieren, Decimo." „Was ist passiert?" „Die laktonischen Kreditsymbole, mit denen wir die Einreisepapiere bezahlen wollten, sind auf Szahan vollkommen wertlos, da die Erde noch keine Handelsvertretung hier hat." Das Gesicht von Latak Decimo verzerrte sich. Dann stieß er einen polternden Fluch aus, so daß Rex Corda keine Übersetzung erhielt. „Was nun?" fragte Rex Corda schließlich. „Haben Sie bei dem EDAPHOS etwas erreichen können?" „Nur die Koordinaten eines Cryptoc." „Gut. Das ist die einzige Chance, die wir noch haben. Nennen Sie mir die Koordinaten, dann treffen wir uns dort, um gemeinsam vorzugehen. Übrigens — an Bord der Corocon III befand sich ein toter Laktone. Wahrscheinlich ein Agent. Das bedeutet, daß man uns längst überwacht . . ." * Lebeck sah den Mann und wußte,
daß er ihn kannte. Er suchte in seiner Erinnerung nach Bruchstücken, die ihm helfen sollten. Er fand aber nichts. Er entschloß sich, dem Mann zu folgen, und bestieg hastig wieder den flachen Bodengleiter. Wie von einem unsichtbaren Zwang getrieben, folgte Lebeck dem Mann, der sich in der Nähe eines Wachbootes laktonischer Bauart aufgehalten hatte. Aber auch Lebeck wurde beobachtet. Verborgene Augenpaare und winzige Fernsehkameras folgten dem Wissenschaftler von Teckan und ließen ihn nicnt eine Sekunde unbewacht. Lebeck folgte dem Unbekannten vom Raumhafen in die Stadt. Auch die Fernsehkameras nahmen die Verfolgung auf. Als die Verbindungsleute des toten laktonischen Agenten auf dem Raumhafen erschienen, war Lebeck längst im tosenden Verkehrsgewühl von Szahan verschwunden. Um kein Aufsehen zu erregen, postierten sich die Verbindungsleute des vermißten Laktonen in der Nähe der Jorocon III. Sie hatten Zeit und konnten warten. Einmal mußte die Besatzung wieder auftauchen. Dann war es immer noch früh genug, die Herkunft des Wachbootes zu bestimmen. * Goom 12340 blickte den schwarz glänzenden EDAPHOS mit einem kalten Lächeln an. Sein schwarzer Körper lag entspannt auf einem weichen Pneumosessel, und nur seine Augen schienen zu leben. Goom 12340 hatte eine leichte, bequeme Kleidung angelegt, ohne auf seine blauen Edelpelzstiefel zu verzichten. Alle Gooms trugen diese Spezialstiefel, da sie äußerst empfindlich auf die Magnetfelder von Planeten reagierten. Die Androiden waren ursprünglich durch ein Experiment entstanden, das
laktonische Wissenschaftler kurz vor ihrer Zusammenfassung auf Teckan gestartet hatten. Im System Gesas Laxi errichteten sie eine Kolonie, um dort versuchsweise künstliche Menschen mit einem Positronengehirn zu züchten. Die Versuche waren abgebrochen worden, als der große galaktische Krieg zwischen den Orathonen und den Laktonen immer erbitterter wurde. Neue Aufgaben kamen auf die Wissenschaftler zu, so daß nach einigen Generationen die Versuchskolonie im System Gesas Laxi nahezu in Vergessenheit geriet ... Aber die Androiden waren nicht tot. Sie lebten weiter und waren in der Lage, sich zu erhalten. Abgeschnitten vom übrigen laktonischen Reich kämpften sie um ihre Existenz. Sie waren weder Menschen noch Roboter. Sie besaßen ein eigenes Ich-Gefühl und konnten alle Funktionen eines menschlichen Körpers erfüllen. Nur ihr Gehirn war anders. Deshalb waren die meisten Gooms auf den ersten Blick nicht von den humanoiden Lebensformen zu unterscheiden. Goom 12340 hatte sich immer wieder darüber gewundert, warum der Wissenschaftler Lebeck niemals über diese Tatsache nachgedacht hatte. Lebeck hatte den Goom gekannt. Er wußte genau, daß er kein Mensch, sondern ein Android war. Trotzdem hatte Lebeck nach dieser Entdeckung nicht reagiert. Es gab in seinem Unterbewußtsein eine Gedankensperre, die auch die Apparaturen des Gooms nicht durchdringen konnten. Nachdenklich blickte Goom 12340 auf den EDAPHOS. Sollten die laktonischen Wissenschaftler tatsächlich nicht mehr daran interessiert sein, was aus ihrer Kolonie im System Gesas Laxi geworden war? Goom 12340 konnte es kaum glauben. Jahrzehntelang waren alle Gooms gedrillt worden, sich
ständig neuer Masken und Tarnungen zu bedienen, um unter den Laktonen nicht aufzufallen. Sie besetzten einige Schlüsselpositionen im intergalaktischen Handel, ohne jedoch zu besonderem Einfluß gelangt zu sein. „Die laktonischen Kreditsymbole waren also für das sogenannte Terra-Sonnensystem ausgestellt", nickte der elegant wirkende Android. Der EDAPHOS fauchte zustimmend. „Es wäre interessant herauszufinden, in welcher Gegend der Galaxis sich dieses System befindet. Wenn die Laktonen als Wiedergutmachung größere Summen numerierter Kreditsymbole ausgeben, muß es sich bei den Terranern um eine intelligente Rasse handeln. Vielleicht sollten wir mit ihnen handeln. Selbst auf die Gefahr hin, daß wir die Kreditsymbole im Augenblick nicht einlösen können. Ein guter Kaufmann muß ab und zu investieren, um später Gewinn erzielen zu können . . ." Der Android blickte das röhrenförmige Wesen an, dankte dann mit einem Kopfnicken für die Information und entließ den EDAPHOS. Wenige Sekunden später trat der dreiäugige Mitarbeiter von Goom 12340 in das elegant eingerichtete Gemach. Vlassimos hatte seinen Turban abgelegt und sein mittleres Auge geschlossen. Er benutzte es nur in Krisensituationen, da dieses dritte Auge in der Mitte seiner Stirn auf elektromagnetische Wellen reagierte. „Hör zu, Vlassimos", sagte Goom 12340 nachdenklich. „Ich habe soeben erfahren, daß es eine Rasse gibt, von der wir bisher noch nichts wußten. Numerierte Kreditsymbole werden bereits auf Szahan angeboten. Wir wissen von Lebeck, wofür sie verwendet werden sollen. Da uns der Wissenschaftler von Teckan durch unsere Drogen und Geräte alles verraten hat, was er wußte, brauchen wir nur eins und eins zusam-
menzuzählen, um einen hübschen Profit einzustreichen . . ." Vlassimos versuchte, einen Zusammenhang zu finden. Dann kapierte er. Ein gieriges Leuchten huschte über sein Gesicht. Sein breiter Mund verzog sich, während sich die Metallfinger an seiner künstlichen Hand rhythmisch öffneten und schlössen. „Ein großes Geschäft würde uns guttun", grinste er. Goom 12340 nickte. „Sind die Stummen einsatzbereit?" „Sie können jederzeit geopfert werden." „Halt", sagte Goom 12340, „soweit ist es noch nicht. Wir werden diesmal vorsichtig arbeiten müssen. Ich will mir mit diesen sogenannten Terranern nichts verderben. Aber wir müssen die Konkurrenz ausschalten. Das ist im Augenblick unsere wichtigste Aufgabe." „Sudy, die Lithalonier und den Gnom", nickte Vlassimos zustimmend. „Einen der Lithalonier haben wir bereits ausgeschaltet", sagte Goom 12340. Er lehnte sich zurück und blickte den Dreiäugigen zufrieden an. „Jetzt nehmen wir uns den schwammigen Cryptoc und seinen Zwerg vor. Wir dürfen nicht zulassen, daß er die Profite einstreicht, für die wir uns interessieren. Lebeck hat uns erklärt, wie dieses Geschäft funktionieren sollte. Wir werden jetzt dem Cryptoc die gefälschten Einreisepapiere für Teckan abnehmen und die doppelte Summe von diesem Latak Decimo und seinen Begleitern verlangen." Der Dreiäugige stieß ein dröhnendes Lachen aus. Derartige Unternehmen waren ganz nach seinem Geschmack. „Schnell", sagte Goom 12340, „wo befindet sich Lebeck jetzt?" „Er verfolgt noch immer seinen Auftraggeber Decimo. Dieser Mann befindet sich in Begleitung eines Fremden, den ich nicht kenne."
„Du übernimmst die Aktion Cryptoc. Ich koordiniere von hier aus den Einsatz. Wir müssen damit rechnen, daß die Lithalonier auf den gleichen Gedanken kommen wie wir. Außerdem dürfen wir die Agenten Laktons nicht vergessen." „Ich bin schon unterwegs", nickte der Dreiäugige und schwang sich auf dem Absatz herum. Zufrieden sah ihm Goom 12340 nach. Er wußte, daß er sich auf Vlassimos verlassen konnte. * Der Cryptoc Sudy hob seinen flachen Kopf aus dem grünblau schillernden Hämocyanin-Bad. Er blickte über den Rand des Beckens hinweg auf Rex Corda und Latak Decimo. Die beiden Verbündeten hatten erreicht, was Lebeck nicht mehr gelungen war. „Rechnen Sie ruhig damit, daß Ihr Beauftragter tot ist", gackerte der Cryptoc Sudy. Er plätscherte in seinem Bad, während unangenehm schillernde Tropfen auf den weißen fugenlosen Boden spritzten. Beli, der Gnom, hockte vor den Kontrollgeräten und versuchte, die Temperatur im Innern des Bades konstant zu halten. Sobald der Cryptoc sich außergewöhnlich anstrengte, mußte das Bad nachgeheizt werden. „Wir wissen nicht, was Sie mit Lebeck vereinbart haben", sagte Latak Decimo, obwohl ihm klar war, daß er damit seine eigene Position preisgab. Aber er hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Sie mußten endlich Ergebnisse sehen, wenn es ihnen gelingen sollte, dem sich immer enger um sie schließenden Ring zu entkommen. Lange konnten sie die Agenten Laktons nicht an der Nase herumführen. Das Ausbleiben des neugierigen laktonischen Agenten, der sich zu sehr für
die Corocon III interessiert hatte, mußte über kurz oder lang auffallen. Weder Rex Corda noch Latak Decimo wußten, ob es dem Agenten noch gelungen war, einen Hilferuf abzusenden. Sie mußten aber damit rechnen. Das schränkte ihre Bewegungsfreiheit und die ihnen zur Verfügung stehende Zeit weiter ein. „Also gut", gackerte der Cryptoc Sudy, „spielen wir mit offenen Karten. Lebeck hat mir ein Geschäft angeboten, bei dem ich mindestens hunderttausend laktonische Kreditsymbole verdienen kann. Wie steht es damit. Halten Sie Ihr Angebot aufrecht?" „Natürlich", sagte Latak Decimo schnell, obwohl er nicht im Traum daran dachte, dem Cryptoc einen derartigen Gewinn, ohne zu handeln, zuzuspielen. „Ihr Mann wollte mir Aktien abkaufen. Sie wissen, worum es sich handelt, und ich bin einverstanden. Allerdings brauche ich eine handfeste Bürgschaft." „In welcher Art?" „Ich verlange, daß einer Ihrer Leute so lange hier bleibt, bis das Aktienpaket bezahlt ist." „Unmöglich!" sagte Latak Decimo kopfschüttelnd. „Warum nicht?" warf Rex Corda ein. „Ich wäre einverstanden, mich zur Verfügung zu stellen." „Wer sind Sie?" „Das tut nichts zur Sache. Ich gehöre auf jeden Fall dazu." „Da ich Sie nicht kenne, brauche ich mindestens zwei Geiseln. Sie sind kein Laktone." „Allerdings nicht", grinste Rex Corda. „Trotzdem sind wir einverstanden. Wenn Sie wollen, können Sie mich und einen weiteren Angehörigen meiner Rasse so lange hierbehalten, bis das Aktienpaket eingelöst ist. Allerdings verlange ich dann, daß sowohl die Aktien als auch die Kaufsumme bei einer offiziellen Bank deponiert werden."
„Das läßt sich machen", gackerte der Cryptoc Sudy. „Mit dieser Bedingung bin ich einverstanden. Ich schlage die lithalonische Kreditbank vor." Latak Decimo und Rex Corda nickten gleichzeitig, da es ihnen im Grunde vollkommen egal war, wo sie die Wertpapiere und die auf Szahan wertlosen Kreditsymbole deponierten. „Die Kreditsymbole werden im Augenblick von drei Beamten der Kynother-Verrechnungsbank gezählt, überprüft und dort in die Tresore genommen. Wir werden die Kynother-Bank anweisen, der lithalonischen Kreditbank eine Überweisung zuzustellen." „Wann könnte diese Überweisung hier sein?" „Wenn es sein muß innerhalb der nächsten halben Stunde." "Einverstanden", gackerte der Sudy. „Beli hol die Einreisepapiere." Der Gnom erhob sich und trippelte mit hastigen Schritten durch den sauber glänzenden Raum. Er verschwand in einer Öffnung der gegenüberliegenden Wand, während Latak Decimo den Cryptoc bat, seine Kommunikationsleitung benutzen zu dürfen. Er nahm sofort Kontakt mit Bir Osgo auf, der zusammen mit John Haick die numerierten Kreditsymbole zur Kynother-Bank gebracht hatte, um sie dort aufzubewahren. Es war ein gewagtes Spiel, aber sowohl Rex Corda als auch Latak Decimo hatten sich geeinigt, daß nach der Eröffnung des EDAPHOS nur dieser Weg möglich war. Sie durften keinem der Händler auf Szahan die numerierten Kreditsymbole zeigen, da diese Symbole zwar ihren Wert besaßen, auf Szahan aber nicht eingelöst werden konnten. Für das Geschäft mit dem Cryptoc brauchten sie das Geld nicht in bar. Beglaubigte Gutschriften von Banken genügten vollkommen. Das war das einzige, worauf man sich auf Szahan
verlassen konnte. Selbst den besten Fälscherzentralen war es bisher noch nicht gelungen, laktonische Kreditsymbole nachzuahmen. Der Cryptoc Sudy wußte es und akzeptierte die gestellten Bedingungen. Beli kam mit den Einreisepapieren für Teckan zurück. Latak Decimo bat um Prüfgeräte. Auch die besorgte ihm Beli während er mit einer Waffe in der Hand aufpaßte, daß es keine Zwischenfälle gab. Der Cryptoc hatte sämtliche Ausgänge verriegelt, um zu verhindern, daß die beiden Männer mit den gefälschten Einreisepapieren ohne Bezahlung die Handelsniederlassung verließen. Während Latak Decimo jedes einzelne Stück der dringend benötigten Unterlagen überprüfte, stellte der Cryptoc Sudy eine Direktverbindung mit der lithalonischen Kreditbank her. Ein halbes Dutzend elektronischer Prüfgeräte wurde zwischengeschaltet. Dann lehnte sich Latak Decimo zurück und blieb in der Nähe der Schatulle mit den Einreisepapieren für Teckan. Jetzt kam es nur noch darauf an, daß die lithalonische Kreditbank die Gutschrift und gleichzeitige Überweisung von der Kynother-Bank akzeptierte . . . Schweigend verrannen die Minuten. Der Cryptoc war wieder in seinem Hämocyanin-Bad untergetaucht, und nur Beli ließ die beiden Männer keine Sekunde aus den Augen. Aber diese Vorsicht war unbegründet. Weder Latak Decimo noch Rex Corda dachten im Traum daran, so kurz vor dem Erreichen ihres Zieles aufzugeben. Die Einreisepapiere waren das Beste, was Latak Decimo jemals gesehen hatte. Trotzdem blieb immer noch ein Unsicherheitsfaktor bestehen. Er kannte die neuen Kontrollen auf Teckan nicht, nahm aber an, daß sich während seiner Abwesenheit einiges geändert hatte.
Dieses Risiko mußte er in Kauf nehmen. Dann ertönte plötzlich ein helles Glockenzeichen. Beli trat einige Schritte zurück und richtete die Waffe auf beide Männer. Der Cryptoc tauchte aus seinem Hämocyanin-Bad auf. Gebannt starrten Corda und Decimo auf die großen Holografen. Ein leitender Beamter der Bank erschien überdimensional innerhalb des Holografen und gab den Akzept der Gutschrift bekannt. Rex Corda atmete auf. „Gewonnen!" flüsterte Latak Decimo glücklich. Jetzt strahlte auch Beli über das ganze Gesicht. Beide Geschäftspartner konnten zufrieden sein: Latak Decimo besaß hervorragend gefälschte Einreisepapiere für den Planeten der Wissenschaftler, und der Cryptoc Sudy hatte ein ausgezeichnetes Geschäft gemacht. Rex Corda dachte daran, daß nur eine einzige Information die Meinung des Cryptoc schlagartig geändert hätte: Wenn die Befreiung der Wissenschaftler gelang, waren die Wertpapiere für das neue Projekt der Wissenschaftler von Teckan bestenfalls die Hälfte wert. Trotzdem war der Cryptoc Sudy auch mit der Hälfte der geforderten Summe immer noch gut bezahlt. An der Beschaffung der Einreisepapiere für Latak Decimo hatte er dann absolut nichts verdient. Beli wurde von der guten Stimmung des Cryptoc Sudy angesteckt und schaltete bereitwillig die elektronischen Sperren rund um die Handelsniederlassung des Cryptoc aus. Weder er noch der Cryptoc ahnten, daß der zurückbleibende Rex Corda Präsident eines ganzen Planeten war. Latak Decimo verabschiedete sich hastig und flüsterte im Hinausgehen Rex Corda zu: „Ich sorge dafür, daß Bir Osgo Sie
hier herausholt. Es kann sich nur um ein paar Stunden handeln. Trotzdem — vielen Dank für Ihre Hilfe." Rex Corda wehrte lachend ab und sah Latak Decimo nach. Mit schnellen Schritten verschwand der Synoptiker, um das planmäßige Passagierraumschiff D'GREELIT noch zu erreichen. Er hatte kaum den Raum verlassen, als Beli plötzlich ein schrilles Piepsen hören ließ. Rex Corda schwang herum. Er starrte auf einen ausgemergelt wirkenden Mann, der genau auf die Beschreibung von Dräu Lebeck paßte . . . Mit weit geöffneten Augen taumelte Lebeck auf den Belifex zu. Beli wich Schritt für Schritt zurück. Dann erreichte er das Bassin mit dem Hämocyanin. In diesem Augenblick riß Lebeck auf einen posthypnotischen Befehl hin seine Waffe unter seinem Umhang hervor und schoß. Rex Corda warf sich augenblicklich auf den Boden. Er rollte sich ab und tauchte hinter einem großen vor der rückwärtigen Wand stehenden Computer unter. Damit hatte er nicht im Traum gerechnet. Nur ein einziger Gedanke beherrschte ihn jetzt: Würde Latak Decimo es schaffen, den Passagierraumer zu erreichen? In diesem Augenblick feuerte Lebeck erneut. Krachend zersprang die Oberkante des Hämocyanin-Bades. Der Cryptoc wälzte sich aufgeregt in den grünblauen Fluten zur Seite. Da tauchten hinter Lebeck turbantragende Gestalten mit orangefarbenen Umhängen auf. Rex Corda machte sich hinter dem Computer so klein wie möglich. Mit Hilfe der spiegelnden Flächen neben ihm konnte er die Turbangestalten und Lebeck deutlich sehen. Lebeck taumelte nach vorn, ohne zu wissen, was er tat. Seine Augen waren noch immer starr. Dann brannte ein Energiestrahl ein faustgroßes Loch in
seinen Rücken. Der Verbindungsmann von Latak Decimo warf die Arme hoch und stürzte direkt vor Rex Corda zu Boden. Die Strahlwaffe des Wissenschaftlers von Teckan rutschte über die blanke Fläche und blieb zwei Meter vor Corda liegen. In diesem Augenblick griff Rex Corda blitzschnell ein. Er spannte die Muskeln, stieß sich von der Rückwand des Raumes ab und hechtete mit einem gezielten Sprung auf die Strahlwaffe zu. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die beiden Turbanmänner herumschwangen und ihre Strahlwaffen hochrissen. Platschend schwappte das Hämocyanin-Bad des Cryptocs über die zerstörte Oberkante. In diesem Augenblick erkannte Rex Corda, daß sein Leben keinen Pfifferling mehr wert war. * In allerletzter Sekunde erreichte Latak Decimo das Passagierraumschiff. Die D'GREELIT war bereits startklar gemeldet, als Latak Decimo den Wert seiner Sonderausweise zum erstenmal überprüfen konnte. Es gab einen kleinen Aufruhr an der Zollabfertigung, dann durfte Latak Decimo passieren. Ein schneller Bodengleiter brachte ihn zu dem gewaltigen Passagierraumschiff. Die Zoll-Roboter hatten sogar darauf verzichtet, Decimos Gepäck zu kontrollieren . . . Die erste Hürde war genommen. Latak Decimo erreichte die D'GREELIT und wurde sofort ins Innere des großem Schiffes geschleust. Aufatmend und mit schweißnassem Gesicht ließ er sich in die Polster fallen. Antigravitationsautomaten dämpften die Erschütterungen beim Start bis auf ein leichtes Vibrieren. Das Passagierraumschiff stieß senkrecht in den glutroten Himmel über
Szahan, während Latak Decimo sich mit dem Handrücken über die Stirn wischte. Erst jetzt stellte er fest, daß der von Lebeck ausgearbeitete Zeitplan äußerst knapp angelegt worden war. Mit etwas mehr Sturheit auf der Seite des Cryptoc hätte Latak Decimo Szahan jetzt noch nicht verlassen können. Es war Decimo nicht mehr gelungen, Bir Osgo und John Haick zu sprechen. Er hatte von der Corocon III den Koffer mit dem kleinen auseinandergebauten Transmitter geholt und war dann unter Mißachtung sämtlicher Verkehrsregeln zum Raumhafen acht gefahren. Nicht einmal die Agenten Laktons, die Latak Decimo kurz vor dem Raumhafen identifizierten, hatten ihn aufhalten können. Er wußte aber, daß diese Agenten jetzt mit verstärkter Aufmerksamkeit die Corocon III überwachen würden. Er wartete, bis die D'GREELIT den Gravitationsbereich des Systems Sibiss verlassen hatte, und arbeitete sich dann in einen der Erfrischungsräume vor. Noch waren diese Räume vollkommen leer. Latak Decimo suchte sich eine ruhige Ecke und setzte dann eine verschlüsselte Nachricht an Bir Osgo ab. Er mußte den Organisationsfachmann über die Bedingung des Cryptoc informieren. Sein analytischer Verstand suchte nach einer Möglichkeit, Rex Corda aus dem Handelszentrum des schwammigen Wesens herauszuholen. Dann hatte er eine Idee. Er teilte sie Bir Osgo mit und wartete auf die Bestätigung seiner Meldung. Langsam füllte sich der Erfrischungsraum tief im Innern des großen Passagierschiffes, aber die Bestätigung kam nicht. Latak Decimo rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her, während er immer wieder versuchte, das vereinbarte Zeichen von Bir Osgo zu erhalten. Der kleine laktonische Wissenschaft-
ler, dessen besonderes Kennzeichen sein ausgeprägter Minderwertigkeitskomplex war, antwortete nicht. Das war eine Panne, mit der Latak Decimo nicht gerechnet hatte. * Als die Hoteltür aufsprang, waren John Haick und Bir Osgo einen Augenblick vollkommen überrascht. Sie starrten auf die hochgewachsenen Gestalten, die sich mit gezückten Waffen sofort innerhalb des Zimmers verteilten. „Wie wär's mit einem kleinen Geschäft, meine Herren?" fragte der Anführer der Eindringlinge. John Haick verstand ihn nicht. Bir Osgo war so verdutzt, daß er vergaß, für den Terraner zu übersetzen. Da erkannte John Haick, daß es sich bei der Gruppe nur um Lithalonier handeln konnte. Die tiefrot schimmernde Kerbe auf den Oberlippen der Männer war ein unübersehbares Zeichen für ihre Herkunft. John Haick stieß Bir Osgo an, der erschreckt zusammenfuhr und nervös mit seinen Fingerspitzen an seinem Ohrläppchen zupfte. Er rückte die Mikrozellen für die Kraftlinienprojektoren seiner Brille zurecht und starrte verständnislos auf die Lithalonier. „Wo sind die anderen?" fragte der Anführer. „Welche — was wollen Sie?" stotterte Bir Osgo. Der Lithalonier ging zu dem kleinen elektronischen Übersetzer und hob ihn neugierig an. Dann nickte er zufrieden und zeigte das Übersetzungsgerät den anderen. Nach ein paar Schaltungen verstand jetzt auch John Haick, was die Lithalonier wollten. „Geschäfte machen nur Leute, die etwas davon verstehen", meinte der älteste der Lithalonier. „Das müssen Sie schon uns überlas-
sen", antwortete John Haick unwillig. „Wer sind Sie überhaupt?" „Das ist zwar unwichtig, aber wenn Sie wollen, können Sie mich Ka-Foy nennen", sagte der Lithalonier mit einer angedeuteten Verbeugung. Ein spöttisches Grinsen spielte um seine Mundwinkel. John Haick richtete sich auf, obwohl er dann immer noch zwei Köpfe kleiner war als die Lithalonier. Die bulligen Szahanhändler blickten ihn von oben herab an und senkten langsam ihre Waffen. Offensichtlich waren sie der Meinung, daß ihnen von Bir Osgo und John Haick kein Widerstand entgegengesetzt würde. Mit einem harten Griff packte einer der Lithalonier Bir Osgo, hob ihn an und ließ ihn hart zu Boden fallen. Wimmernd krümmte sich der Organisationsfachmann auf dem Boden des Hotelzimmers zusammen. Die Lithalonier lachten. Eine kalte Wut stieg in John Haick auf. Was bildeten sich diese arroganten Kerle ein? Anscheinend glaubten sie, sich wie die Herren der Welt benehmen zu können. Aber das war nicht nach John Haicks Geschmack. Er war zu lange mit Rex Corda zusammengewesen, um sich in einer solchen Situation freiwillig geschlagen zu geben. Er musterte die drei Lithalonier mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck. Dann schlug er zu. Seine Fäuste knallten gegen zwei der Strahler in den Händen der arroganten Lithalonier. Dann wirbelte John Haick herum und griff nach der Waffe des Dritten. Jetzt war der lithalonische Händler an der Reihe, ein dummes Gesicht zu machen. John Haick riß ihm ohne große Schwierigkeit die Waffe aus der Hand, drehte sie um und sprang einen Schritt zurück. „Zur Wand!" sagte er scharf. „Arme ausstrecken, Beine spreizen!"
Die Lithalonier wußten nicht, was sie von der Sache halten sollten. Unschlüssig blickten sie auf die Waffe und in John Haicks Gesicht. Anscheinend erkannten sie, daß dem jungen Atomwissenschaftler nicht nach Spaß zumute war. Widerstrebend zogen sie sich zurück. Alles in John Haick vibrierte. Er rechnete jeden Augenblick damit, daß einer der Lithalonier einen Ausfall versuchen würde. Aber wenn auf Szahan auf diese Art gehandelt wurde, mußte er sich darauf einrichten. Er hatte geglaubt, daß die hochzivilisierten Rassen innerhalb des laktonischen Reiches derartige Methoden nicht mehr nötig hätten. Leider erwies sich eine derartig hohe Meinung als falsch. Angehörige des laktonischen Reiches waren in sehr vielen Dingen den Terranern überlegen. Sie verstanden mehr von Technik, aber in ihrer Mentalität unterschied sie nicht viel von den grünhäutigen Orathonen. Wenn derartig hochzivilisierte Rassen dazu imstande waren, jahrtausendelang Krieg zu führen, konnten sie vom ethischen Standpunkt aus nicht viel besser als die Menschen auf der Erde sein. John Haick wunderte sich, daß er in diesem Augenblick derartige Gedanken hatte. Im Grunde war es nur die immer wieder auftretende Enttäuschung darüber, daß es auch bei den Völkern in den Tiefen der Milchstraße Kampf, Gewalt. Haß, Mißgunst und Neid gab. „Was wollen Sie hier?" fragte John Haick scharf. Und seine Stimme ließ keinen Zweifel daran, daß er es ernst meinte. Ka-Foy versuchte, sich umzudrehen. Sofort stieß John Haick einen kurzen Zischlaut aus, der den Lithalonier auch ohne elektronische Übersetzung warnte. „Wir wollten ein Geschäft machen", meinte Ka-Foy mit einem gewissen arroganten Trotz in seiner Stimme.
„So macht man auf Szahan Geschäfte mit der Waffe in der Hand . . ." „Das war nur, um von vornherein klarzustellen, daß das Geschäft, das Sie beabsichtigen, genausogut mit uns gemacht werden kann." „Ich würde es Erpressung nennen", knurrte John Haick. „Sie wollen doch Aktien verkaufen. Wir könnten Ihnen derartige Aktien beschaffen. Zu einem ausgesprochen günstigen Preis." „Natürlich", sagte John Haick ironisch grinsend. „Leider sind wir an Ihrem Angebot überhaupt nicht interessiert." „Soll das heißen, daß Sie bereits mit dem Cryptoc abgeschlossen haben?" John Haick runzelte die Brauen. Was wußten diese Burschen? „Dazu wird es nicht kommen", meinte Ka-Foy. „Wir haben ausgezeichnete Informationen, daß die Handelsniederlassung des Cryptoc Sudy in allernächster Zeit ausgehoben werden soll." John Haick erstarrte. Ungewollt hatte der Lithalonier ihm damit etwas verraten, was von äußerster Wichtigkeit war. John Haick spürte, daß er handeln mußte. „Okay", sagte er schnell. „Wir machen das Geschäft. Nennen Sie mir die Koordinaten des Cryptoc. Ich muß meine Leute warnen " „Erst den Vertrag", sagte Ka-Foy mit unnachgiebiger Stimme. „Erst die Koordinaten", konterte John Haick. Ka-Foy zögerte einen Augenblick, dann nannte er John Haick die Koordinaten. Er merkte erst, daß er einen Fehler gemacht hatte, als John Haick mit einem kurzen Sprung zur Seite das Gepäck von Bir Osgo erreichte, die Verschlüsse öffnete und, ohne die Waffe nur einen Millimeter zu senken, eine Ampulle mit Betäubungsgas hervorhol-
te. Er gab Bir Osgo einen kurzen Wink, der hastig ihr Gepäck zusammensuchte und es keuchend zur Tür trug. John Haick bewegte sich langsam zur Tür. Dann warf er die Ampulle zu Boden. Ka-Foy wagte einen letzten verzweifelten Versuch. Aber da glitt die Tür des Hotelraums bereits hinter John Haick zu. Er hatte mit dem Absatz seines Stiefels die Selenzellen für die Automatik zerschlagen. Die Zeit, die die Lithalonier brauchten, um den Mechanismus der Zimmertür manuell zu betätigen, reichte aus, um das Betäubungsgas wirken zu lassen. John Haick lauschte kurz, dann hörte er dreimal hintereinander ein dumpfes Geräusch. Befriedigt grinsend steckte er die Waffe in seinen Gürtel und lief hinter Bir Osgo her. Er nahm ihm zwei der Gepäckstücke ab. Dann schwebten sie durch einen Antigravitationsschacht nach unten. Vor dem Hotel gab John Haick Bir Osgo den Auftrag, das Gepäck zu Corocon III zu bringen. Widerspruchslos fügte sich der laktonische Wissenschaftler. Im Grunde seines Herzens war er froh, daß er selbst nicht die Initiative zu übernehmen brauchte. John Haick hatte sich bereits so weit mit der Technik von Szahan vertraut gemacht, daß es ihm gelingen konnte, nach den angegebenen Koordinaten die Handelsniederlassung des Cryptoc Sudy zu finden. Er startete mit einem Gleiter Sekunden nachdem Bir Osgo verschwunden war. Es mußte ihm gelingen, Corda und Decimo zu warnen, ehe es zu spät war. * Rex Corda rutschte auf der glitschigen Hämocyanin-Flüssigkeit aus und schlidderte quer durch den Raum. Mit
dem Rücken stieß er gegen die Beine der beiden Turbanträger und griff sofort nach ihren orangefarbenen Umhängen. Dicht über seinem Kopf zischten die Energiestrahlen hinweg. Sie trafen den Computer, hinter dem sich Rex Corda Sekundenbruchteile vorher verborgen hatte. In diesem Augenblick griff Beli ein. Die Energiestrahlen aus seiner Waffe hüllten das Gesicht des einen Turbanträgers ein, dessen Körper sofort schlaff wurde und zu Boden sank. Corda stemmte den anderen hoch und schlug ihm die Waffe aus der Hand. Sie knallte gegen das Becken mit Hämocyanin und fiel zu Boden. Corda wollte sich bereits aufrichten, als er aus den Augenwinkeln einen Burschen sah, der ihn mit kalter Mordlust anblickte. Alles hätte Rex Corda erwartet, aber nicht einen derartigen Kampf um das nackte Leben. Er wußte nicht, daß es neben den offiziellen Geschäften auf Szahan genügend Gruppen gab, die sich mit eiskalter Skrupellosigkeit um ein paar billige Profite vernichteten. Rex Corda rammte mit der Schulter in den Leib des Turbanträgers, griff nach seinen Oberschenkeln, stemmte ihn hoch und schleuderte ihn wie ein Hammerwerfer gegen den Dreiäugigen. Ein breitgefächerter Strahl hüllte den Turbanträger ein. Vlassimos hatte seinen eigenen Mitarbeiter erschossen. Corda spürte das Sengen auf seiner Haut und schloß geblendet die Augen. Er taumelte zur Seite und versuchte, mit einem gewaltigen Satz den Ausgang zu erreichen. In diesem Augenblick entdeckte er John Haick. Er warf sich mit einem gewaltigen Sprung gegen den jungen Atomwissenschaftler und riß ihn zu Boden. Der vernichtende Strahl jagte über sie beide weg. Eng umschlungen kullerten die beiden Terraner über die schräge Ebene vor dem Saal, in dem sich das Gemetzel abgespielt hatte.
Blaugrünes Hämocyanin schoß wie eine Flutwelle hinter ihnen her. Der Gnom Beli wurde von der Flüssigkeit aus dem geplatzten Tank des Cryptoc hinter Corda und Haick die schräge Ebene hinuntergespült. Platschend erreichte das Hämocyanin die Wand neben dem Ausgang und bildete gurgelnd Strudel, deren Sog die beiden Terraner zur Seite spülte. Nur Beli wußte, daß der geplatzte Tank das Ende des Cryptoc Sudy bedeutete. Mit einem verzweifelten Aufstöhnen arbeitete sich Beli zu den beiden Terranern und betätigte ein paar nur von ihm bekannte Kontrollen. Der gesamte Vorraum unterhalb der schrägen Ebene war jetzt fast zwei Meter hoch mit blaugrün schillerndem Hämocyanin gefüllt. Rex Corda schwamm in der Blutflüssigkeit des Cryptoc, während er krampfhaft versuchte, einen Ausgang zu finden. Die stark kupferhaltige Flüssigkeit versperrte den Weg nach draußen. Außerdem ahnte Rex Corda nicht, wo die Kontrollen saßen. Er ließ John Haick los und arbeitete sich an der glatten Wand entlang. Da entdeckte er Beli. Der Gnom war kurz davor zu ertrinken. Kein Belifex konnte schwimmen. Rex Corda sah es und griff den Belifex an seiner Toga. In diesem Augenblick öffneten sich die Außentüren der Handelsniederlassung des Cryptoc Sudy. Das Hämocyanin rauschte in den Vorhof. John Haick und Rex Corda, der noch immer den Belifex fest im Griff hatte, wurden nach draußen gespült. Taumelnd kam Corda auf die Beine, während er mit der freien Hand nach John Haick griff. Vollkommen durchnäßt schüttelte Rex Corda die Hämocyanintropfen aus dem Haar. Dann setzte er Beli auf den glitschigen Boden und
kümmerte sich um John Haick Cordas Freund war von den Ereignissen derartig überrascht worden, daß er schon während des blitzschnellen Sprungs Rex Cordas hart mit dem Hinterkopf auf den Boden aufschlug und die Besinnung verlor. Erst jetzt kam er langsam wieder zu sich. Er richtete sich verblüfft auf und starrte abwechselnd auf Corda und den Belifex. Der Gnom wimmerte leise vor sich hin. Rex Corda grinste. Dann blickte er zu John Haick. „Alles okay?" „Ziemlich unfreundlicher Empfang", grinste John Haick und betastete die Beule an seinem Hinterkopf. Rex Corda wandte sich an den Belifex und klopfte ihm leicht auf die Schultern. „Na, mein Sohn", meinte er väterlich, „wie haben wir das gemacht?" Der Belifex stieß einen bewundernden Pfiff aus. „Laß den Kopf nicht hängen, Kleiner", meinte Rex Corda. „Du findest schon wieder einen neuen Cryptoc." In diesem Augenblick huschte ein Lächeln über das Gesicht des Gnoms. Er sprang auf und stürzte auf Rex Corda zu. Corda bückte sich. Dann nahm der Belifex vollkommen überraschend Cordas rechte Hand zwischen seine rosigen Finger und schüttelte sie kräftig. Rex Corda konnte nicht anders: Er lachte schallend über diese Geste, von der er nicht wußte, woher der Gnom sie hatte. Dann erinnerte er sich, daß ihnen nicht viel Zeit blieb. Wenn die Auftraggeber der Turbanmänner und des Dreiäugigen feststellten, daß irgend etwas schiefgegangen war, würden sie nachfassen. Rex Corda hatte keinen Zweifel daran, wie ein zweiter Überfall aussehen mußte . . . „Komm. John! So schnell wie möglich zur Corocon und dann nichts wie weg von diesem Planeten, auf dem es
anscheinend nur äußerst unfreundliche Piraten gibt." „Und Decimo? Was ist mit den Papieren?" „Er hat sie", sagte Rex Corda. „Allerdings weiß ich nicht, ob er den Passagierraumer noch erreichte." „Das können wir frühestens am Aufnahmegerät innerhalb der Corocon feststellen." Vollkommen durchnäßt liefen die beiden Terraner durch den Vorhof der Handelsniederlassung jenes Cryptoc, der jetzt nicht mehr lebte. Sie ließen einen einsamen, traurigen Belifex zurück. Am äußeren Einlaß drehte sich Rex Corda noch einmal um. „Auf Wiedersehen", brüllte er über den Hof. Beli stand mit hängenden Schultern mitten auf dem großen Platz und sah einsam und verloren aus. * Latak Decimo hatte bereits viermal seine Beförderungsmittel gewechselt. Im Zickzackkurs war er vom vierten Planeten des Sytems M4C-Lowina mit der ZWAR-ERAG zum Anflugsatelliten 21 und von dort aus nach Rem IV und mit einem Raumtaxi weiter nach Rem II geflogen. Immer wieder benutzte er andere Papiere. Der Cryptoc hatte ausgezeichnete Arbeit geleistet. Dann kam die entscheidende Station. Latak Decimo landete mit einem Passagierraumer auf Eciton l, obwohl er eine Flugkarte nach Eciton 8 gelöst hatte. Er ging zur Buchungsstelle und wies seine Flugkarte vor. „Ein Fehler bei der Ausstellung der Flugpapiere", erzählte er dem Roboter. Er reichte die Papiere zur Überprüfung ein. Eciton l war ein kleiner Planet in einem neuen Sonnensystem, der hauptsächlich als Umsteigestation benutzt wurde. Eciton 8 hingegen war eine eisige Welt, auf der kaum jemals ein
Passagierraumer landete. Der Roboter wandte sich ab und ließ die Anlage zum Ausstellen neuer Flugkarten unbewacht. Latak Decimo handelte sofort. Noch während der Roboter vom zentralen Raumhafen von Eciton l den Anspruch von Latak Decimo prüfte, lochte sich Latak Decimo blitzschnell eine Flugkarte nach Teckan. Als der Robot zurückkam, hatte Latak Decimo bereits einige Verbindungen an der Rückwand des Flugkartengebers gelöst. Bis der Fehler entdeckt wurde, war die NOXILAI längst gestartet. Latak Decimo überbrückte die dreißig Minuten Aufenthalt, indem er eine Mahlzeit zu sich nahm. Dann startete das kleine Passagierraumschiff NOXILAI von Eciton l nach Teckan. Außer Decimo befanden sich nur noch dreißig Angehörige einer Regierungsdelegation an Bord des Raumschiffes. Das war Latak Decimos große Chance. Als die NOXILAI startete, lehnte er sich zurück und bereitete sich auf die in acht Stunden erfolgende Ankunft auf Teckan vor. * Laktonische Agenten hatten die Corocon III umstellt. Trotzdem gelang es Rex Corda, die Absperrung zu durchbrechen. Er wartete nicht auf die Startfreigabe, sondern ließ Bir Osgo das laktonische Wachboot sofort abheben. Noch ehe die Agenten Laktons sich von der Verblüffung erholt hatten, daß ein offizielles Wachboot des laktonischen Reiches ohne Startfreigabe einen Planeten verließ, befand sich die Corocon III bereits in den äußeren Regionen des Systems Sibiss. Bir Osgo wartete mit einem Blick auf die Stoppuhr, bis sie die Minimumentfernung für den ersten Hypersprung erreicht hatten. Er war ein hervorra-
gender Pilot. Seine Minderwertigkeitskomplexe verschwanden, weil er jetzt plötzlich Verantwortung zu tragen hatte. Nach acht Sprüngen waren die Spuren der Corocon III so weit verwischt, daß sie sich ohne große Gefahr bis auf drei Lichtjahre dem Planeten der Wissenschaftler nähern konnten. Der Antrieb der Corocon III wurde ausgeschaltet, um jeder Ortung zu entgehen. Bir Osgo verließ zusammen mit Rex Corda in einem winzigen Spezialfahrzeug die Corocon III und näherte sich mit Schleichgeschwindigkeit, die aber immer noch oberhalb der Lichtgeschwindigkeit lag, bis auf eineinhalb Lichtjahre dem Planeten Teckan. Die Welt der Wissenschaftler war auf den Kontrollschirmen des ausgeschleusten Spezialfahrzeugs nur als unscheinbares Lichtpünktchen im All zu erkennen. Näher durften sie aber unter keinen Umständen an Teckan herankommen, wenn sie die Gefahr, von den Sicherheitsgeräten geortet zu werden, vermeiden wollten. Das Risiko lag darin, daß die Transmitter nur eine Reichweite von zwei Lichtjahren besaßen. Mit verbissenem Eifer arbeiteten die Männer an der Errichtung der Station im All. Endlich waren sie fertig. Sie flogen zur Corocon III zurück. Jetzt mußte sich zeigen, ob es sich gelohnt hatte. Corda übernahm die erste Wache auf der Corocon III. Er wartete auf das erlösende Signal von Latak Decimo. * Die NOXI-LAI landete mit flammenden Heckdüsen am Rande des einzigen Raumhafens von Teckan. Die Passagiere wurden ausgeschleust und begaben sich unter den Argusaugen von Spezialrobotern zum Abfertigungsgebäude.
Latak Decimo betrat hinter den Männern der Regierungskommission den langgestreckten Raum des Sicherheitskommandos von Teckan. Ein paar laktonische Agenten hielten sich innerhalb des Raumes auf. Sie waren zum Schutz der Delegation zum Raumhafen geschickt worden. Eine unheilschwangere Ruhe herrschte innerhalb der Abfertigungsgebäude. Hier gab es kein hektisches Hin- und Herlaufen wie auf Szahan. Alles funktionierte mit tödlicher Perfektion. Latak Decimo nahm sein Gepäck und schob sich auf den laktonischen Abfertigungsbeamten zu. Das Gepäck der Regierungsdelegation wurde in einem anderen Raum überprüft. Deshalb war Latak Decimo im Augenblick der einzige Besucher von Teckan, der für die Sicherheitsbehörden interessant war. „Ihre Einreisepapiere", sagte der scharfblickende Beamte. Ein quadratisches schrankhohes Gerät löste sich von einer Wand und rollte auf die beiden Männer zu. Röntgenaufnahmen wurden automatisch angefertigt. Decimos Gepäck landete auf einem breiten Untersuchungstisch. In der Zwischenzeit verglich der Beamte die Papiere des Synoptikers mit seiner Person. Er nahm einen Stimmabdruck auf, überprüfte die Fingerabdrücke und sämtliche anderen Personaldaten mit ungewöhnlicher Genauigkeit. Latak Decimo bebte innerlich. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Eine eiskalte Ruhe hatte ihn erfaßt. Er wartete mit einer Mischung aus Hoffnung und Angst auf das Ergebnis der Kontrolle. Da blickte der Sicherheitsbeamte ihn an. „Wozu dienen die Geräte in Ihrem Gepäck?" fragte der Beamte mißtrauisch. Latak Decimo schluckte. Er räusperte sich, hob die Schultern. Diese Ge-
ste hatte er stundenlang geprobt. „Die Geräte?" fragte er. „Sie sehen doch selbst, daß es sich dabei um Teile einer Transmitterstation handelt!" „Unsinn!" fauchte der Laktone. In diesem Augenblick gaben die elektronischen Prüfgeräte durch Lichtzeichen bekannt, daß die Papiere einwandfrei waren. Latak Decimo erkannte es und ging noch einen Schritt weiter: „Mit diesen Geräten will ich rund fünfzig Wissenschaftler von Teckan entführen, um sie auf einem fernen Planeten anzusiedeln." Der Laktone blickte wütend auf Latak Decimo. Dann fauchte er: „Sehen Sie zu, daß wir Sie nicht auf einem fernen Planeten ansiedeln!" Ein Teil der Regierungsdelegation erschien plötzlich innerhalb des Raumes, während ein Sicherheitsbeamter mit großartigen Worten die Schutzvorrichtungen für Teckan erklärte. „Verschwinden Sie!" knurrte der Sicherheitsbeamte vor Latak Decimo. „Und hüten Sie Ihre Zunge auf Teckan. Nicht jeder Beamte versteht so viel Spaß wie ich."
Decimo zwinkerte ihm gönnerhaft zu. Er atmete erleichtert auf, drehte sich um und marschierte an der Regierungsdelegation vorbei. Er ließ sich zu einem Hotel bringen, mietete sich ein Zimmer, dann schloß er die Tür hinter sich und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Er stellte das Gepäck ab und merkte, daß er am ganzen Körper zitterte. Ein zweites Mal würde er eine derartige Nervenprobe bestimmt nicht freiwillig über sich ergehen lassen . . . Er stieß sich von der Tür ab und begann, den Transmitter zusammenzusetzen. Die einzelnen Bauelemente waren so aufgeteilt, daß Decimo es innerhalb von zehn Minuten schaffte. Dann war er fertig. Er wischte sich feine Schweißperlen von der Stirn und beugte sich vor. Er streckte den Arm aus, um den Transmitter einzuschalten. Es war alles vorbereitet, um mit Rex Corda über die eineinhalb Lichtjahre entfernte Zwischenstation Kontakt aufzunehmen.
E NDE
Teuflische Überraschung
Band 15
Rex Corda ist auf der Suche nach seinen verschollenen Geschwistern. Es ist ungeheuer wichtig für die Erde, daß er sie findet. Kim und Velda Corda tragen das Geheimnis um eine Entdeckung von größter Tragweite in sich. Walter Beckett, der geniale Wissenschaftler, der bei der Landung der Laktonen auf der Erde getötet wurde, hat sein Vermächtnis auf Rex Corda und seine beiden Geschwister verteilt. Es ruht in Hypnoblocks in ihrem Unterbewußtsein. Die Laktonen sind auf der Jagd nach diesem Wissen. Sie wollen es an sich reißen, bevor Corda es für die Erde sichern kann. Deshalb beorderte Jakto Javan den „Zeitagenten" Ko-Mont an Bord der WALTER BECKETT! Die Spur des laktonischen Raumschiffes, das Kim und Velda Corda von der Erde entführte, endete im Doppelsonnen-System Gamma Virginis. Auf dem fünften Planeten dieses Systems erlebt Rex Corda eine herbe Enttäuschung. Seine Geschwister befinden sich nicht in dem Teil des abgestürzten Raumschiffes, das er dort vorfindet. Die WALTER BECKETT fliegt den 6. Planeten des Systems an. Niemand ahnt, was auf sie zukommt. Erst als es schon viel zu spät ist, kommt einigen von ihnen die Erkenntnis. Die gesamte Mannschaft gerät in den Bann der „Sirenen von Morgh". Nur zwei Männer können sich gegen den magischen Einfluß wehren - Rex Corda und der laktonische Agent Ko-Mont. Sie stehen allein im Kampf gegen einen Planeten, der nicht weniger teuflische Überraschungen zu bieten hat als der 5. Planet, die Welt der Ledervögel. Auf der Suche nach seinen Geschwistern taumelt Rex Corda in den Malstrom verzehrender Mächte, die alle Vorteile auf ihrer Seite haben. Den Kampf gegen diese Welt aufzunehmen, erscheint völlig aussichtslos.
Im Tempel der Sirenen
Band 16
Die Expedition der WALTER BECKETT ist auf Morgh, dem 6. Planeten des Doppelsonnen-Systems Gamma Virginis, gescheitert. Die Besatzung hat unter dem unheimlichen Bann der Sirenen von Morgh die WALTER BECKETT verlassen. Nur Rex Corda - auf Grund seiner paraphysischen Begabung - und Ko-Mont, der Zeitagent Laktons, unterliegen dem Bann nicht. Sie beide kämpfen gleichzeitig um Kim und Velda Corda. Gleichzeitig aber kämpfen sie auch gegeneinander, denn Ko-Mont will das Vermächtnis des genialen terranischen Wissenschaftlers Walter Beckett für Lakton reservieren. Jakto Javan, der laktonische Schento, hat diesen Agenten auf die WALTER BECKETT beordert, weil er das Vermächtnis Beckefts an sich reißen will. Er plant einen Verrat an Rex Corda, der ihm das Leben rettete. Doch Rex Corda weiß, daß er einen Gegenspieler hat. Er kann seinen Gegner nicht sehen. Ko-Mont ist auch nicht greifbar für ihn. Die Vorteile des laktonischen Agenten scheinen so groß zu sein, daß der Widerstand Rex Cordas aussichtslos erscheint. Vielleicht ist es gerade deshalb jetzt von Vorteil für Rex Corda, daß er ganz allein gegen alle auf dieser fremden, unheimlichen Welt steht? Corda gibt nicht auf. Er kämpft verbissen um seine Geschwister und gegen die unheilvolle Kraft, die allen Bewohnern dieser Welt die Lebenskraft absaugt wie ein unersättlicher Vampir. Und von Stunde zu Stunde wird die Macht der Sirenen von Morgh größer. Die Waffen Rex Cordas werden stumpf und wirkungslos. Rex Corda muß sich die Frage stellen, ob es in dieser Situation überhaupt noch Sinn hat weiterzukämpfen. Doch Corda stellt keine Fragen. Er kämpft bis zur bitteren Entscheidung.