OTTO ZIERER
BILD DER JAHRHUNDERTE EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
DIE GROSSE EMPÖRUNG Unter die...
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OTTO ZIERER
BILD DER JAHRHUNDERTE EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 12 DOPPELBÄNDEN
DIE GROSSE EMPÖRUNG Unter diesem Titel erscheint demnächst der Doppelband 27/28 der neuen Weltgeschichte. Der Doppelband behandelt das 16. Jahrhundert n. Chr. Die Einheit des Abendlandes und der Christenheit zerbricht. Der Riß verästelt sich über Europa und setzt sich bis in das kleinste Dorf, bis in die Familien fort. Die Gedanken der Gewissensfreiheit, der evangelischen Gleichheit der Menschen, die Loslösung der Wissenschaften von der Theologie. die Abwendung der meisten Fürsten von kirchlichen Einflüssen und die wachsende Rebellion der Massen gegen die bisherige, schwer erschütterte Ordnung bestimmen das Bild der Übergangszeit. Die „gläserne Kuppel" des Mittelalters ist niedergestürzt.
Auch dieser Doppelband ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthält wieder ausgezeichnete Kunstdrucktafeln und zuverlässige historische Karten. Er kostet in der herrlichen Ganzleinenausgabe mit Rot-und Goldprägung und farbigem Schutzumschlag DM6.60. Mit dem Bezug des Gesamtwerkes kann in bequemen Monatslieferungen jederzeit begonnen werden. Auf Wunsch werden auch die bereits erschienenen Bücher geschlossen oder in einzelnen Bänden nachgeliefert. (Einzelbände 1—18 je DM 3.60.) Prospekt kostenlos vom
VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAUMÜNCHEN
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
HEFTE
Werner Böckmann
Wie der Tonfilm entstand
VERLAG SEBASTIAN LUX * MURNAU / MÜNCHEN
In ein Schulheft mit „Rechenhäuschen" wurde die erste entscheidende Notiz und Skizze zum Tonfilm eingetragen. Sie weist bereits den Weg zur Lösung des Problems des tönenden Films
Mit dem Heideröslein fing es an 24. März 1921. Über dem Hause Babelsberger Straße 49 in BerlinWilmersdorf liegt die nervöse Spannung, die ein großes Ereignis erwarten läßt. Die Tür mit dem unscheinbaren Schild „Laboratorium für Kinematographie" ist weit zurückgeschlagen, um den Zustrom der Gäste einzulassen. Männer in weißen Kitteln eilen betriebsam, erregt umher und geben geheimnisvollen Apparaturen letzte Ausrichtung. Die Besucher schauen dem Treiben zu, teils erwartungsvoll, teils skeptisch. Man hat ihnen versprochen, daß sie den „sprechenden Film" sehen und hören werden. Das wäre eine Sensation! Vielleicht aber ist es ein dick aufgetragener Schwindel. Noch krächzen und kreischen die Lautsprecher sehr unharmonisch. Eine Stimme ruft: „Bitte Platz nehmen!" Stühle stehen in Reihen vor einer großen Leinwand. Die Gäste setzen sich. Das Licht blendet ab. Der Lärm der Stimmen verstummt. 2
Die plötzliche Stille steigert die Erwartung. Nur die Apparate surren und schnarren. Da erscheint auf der Leinwand eine festlich gekleidete Frau; die Rezitatorin FriedelHintze lächelt ins Publikum, und das Publikum lächelt zurück. Aber da öffnet das Bild der Friede! Hintze den Mund und spricht — spricht Goethes Gedicht „Das Heideröslein" klar und mit schöner Betonung. Mißtrauische Blicke suchen die Sprecherin irgendwo im Saal. Frau Hintze sitzt dort in der sechsten Reihe, mitten im Publikum. Aber sie spricht nicht, es ist ihr Bild, das eben die Worte rezitiert: „Röslein, Röslein, Röslein rot — Röslein auf der Heiden!" Nein es ist auch kein Grammophon im Raum! Zum ersten Male hat man die menschliche Stimme Photographien, wie man ein Antlitz, wie man eine Blüte photographisch abbildet. Zum ersten Male sind hier Wort und Bild zu einer wirklichen bewegten, lebensvollen Einheit zusammengefügt, auf einen Filmstreifen gebannt und wiedergegeben. — Ein Augenblick atemlosen Schweigens; dann bricht der Beifall der überraschten Zuhörer los, gilt dieses Mal nicht der Rezitatorin, sondern dem technischen Wunder. Ein technisches Wunder war das vor dreißig Jahren, was uns längst zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Heute gehört der Ton zum Film wie das Bild. Das war nicht immer so. Die Älteren erinnern sich noch sehr gut der Zeiten, als der Film stumm war, als sich nur Schatten auf der Leinwand bewegten, kein Gespräch, kein Geräusch das Ohr des Publikums erreichte. Von Zeit zu Zeit zerriß das Bild, und auf der Leinwand erschien ein gedruckter Text, der in möglichst knapper Form das mitteilte, was zum Verständnis der Filmhandlung notwendig war. Damit das Ohr nicht zu kurz kam, sorgte in den großen Kinos ein Orchester für musikalische „Untermalung", in den kleinen reichte es oft nur zu einem einzigen Klavierspieler. Von Beethoven über Bach, Grieg, Kollo und Paul Lincke mußte jede bekannte oder unbekannte Melodie herhalten, um für die gerade erforderliche Stimmung zu sorgen — 10 Meter Sonnenaufgang, 20 Meter Liebe, zwischendurch ein wenig Krach und dazwischen Meeresrauschen. In den großen Filmtheatern wurde die Melodienfolge sorgfältig vorbereitet. In den Vorstadtkinos improvisierten die Klavierspieler, ließen sich selbst von dem überraschen, was sie auf der Leinwand sahen, und paßten dann ihr Spiel der jeweiligen Filmstimmung so gut wie möglich an. Einige Kinos hielten auch an dem „Erklärer" fest, der aus der allerersten Zeit der Filmanfänge stammte, wo es noch keine Zwischentexte gab. Er hatte die Aufgabe, die Handlung zu erklären. Es gab 3
Sie sind so verschiedenartig, wie nur Menschen sein können, äußerlich, in ihrem Denken und in ihren Kenntnissen. Einig aber sind sie in ihrem Ziel, den Film aus seiner Stummheit zu erlösen, die Leinwand sprechen zu lehren. Von vornherein lehnen sie jede Kompromißlösung ab und wählen den steilsten Weg zum Ziel. Sie wollen keinen Film, der a u c h Töne von sich gibt, sondern ein vollkommenes, naturwahres Klangbild. Nur wenn es gelingt, den Ton wie das Bild zu photographieren und zusammen mit dem Bild auf dem gleichen Filmstreifen zu vereinen, kann man das Problem „Tönender Film" lösen. Alles andere ist Notbehelf. Die immer wieder unternommenen Versuche, dem Film mit Hilfe der Schallplatte die Sprache zu geben, scheiterten stets an der mangelhaften Synchronität. Gelegentlich kündigten findige Unternehmer mit möglichst großen Schlagzeilen den „Tönenden Film" als Sensation an. Das Publikum bekam dann einen der üblichen Stummfilme vorgesetzt; lediglich eine oder mehrere Gesangszenen wurden durch Schallplatten übertragen oder auch von einem lebenden Sänger in den Saal geschmettert. Solche „Gesangseinlagen" wirkten unnatürlich und zerrissen zudem meist die Filmhandlung. Das Publikum hatte keine rechte Freude daran. Auf ähnliche Weise versuchte auch der Stummfilm schon, sich das stets lohnende Gebiet der Operette zu erobern. Da wurden dann die zum Film gehörigen Noten, jedem sichtbar, unten auf den Bildstreifen kopiert und die Musiker spielten die Noten mit; oder ein gefilmter Kapellmeister im Eckchen des Zelluloidstreifens schlug den Takt für das lebende Orchester und die Gesangssolisten. In guten Filmtheatern kam auf diese Weise gelegentlich eine brauchbare Film-Operetten-Aufführung zustande, aber in den kleinen Theatern, die kein geschultes Orchester und erst recht keine guten Gesangssolisten zur Verfügung hatten, waren solche Film-Operetten alles andere als ein Genuß. Nein, die Ideallösung, überhaupt die einzige Lösung des Problems „Tönender Film" war und blieb der photographierte Ton, das heißt die Verwandlung von Ton in Filmschwärzung und von Filmschwärzung in Ton, verzerrungsfrei und möglichst naturwahr. Fachleute aus der Elektroakustik nannten das eine Unmöglichkeit, aber die Tri-Ergon-Männer hatten das Wort „unmöglich" aus ihrem Sprachschatz gestrichen. Daß der Ton sich photographieren läßt, ist in jener Zeit in der wissenschaftlichen Welt bekannt. Schon am 22. 10. 1880 hat der Amerikaner Charles Fritt ein Patent auf die Photographie von 6
Schallwellen angemeldet. Das Patent wurde erst 36 Jahre später erteilt; su sehr war Fritt seiner Zeil voraus. Dabei war sein Patent sehr einfach. Statt des an einer Membran befestigten Stichels, mit dem schon der Phonograph Schallwellen auf berußtes Papier schrieb oder auf eine Wachstrommel, brachte Fritt einen Spiegel an, der im Rhythmus der Schallwellen mitschwingt und einen auf ihn fallenden Lichtstrahl, entsprechend den Schwingungen, ablenkt. Die Bewegungen des Lichtstrahls nahm Fritt auf ein photographisches Band auf. Auch die Wiedergabemöglichkeiten hat der Erfinder mit genialem Blick erkannt, aber mit den damaligen Mitteln nicht verwirklichen können. Das Patent wurde am 31. Oktober 1916 unter der Nummer 1 203 190 erteilt. Der Franzose Eugen A. Lauste beschritt den gleichen Weg. Er ersetzte das Aufnahmegerät später durch ein Galvanometer und Mikrophon. Die Mikrophonströme wurden dem Magneten des Galvanometers zugeführt, und der Spiegel zwischen den Polschuhen bewegte sich im Rhythmus der Mikrophonströme. Lauste arbeitete mit dem Berliner Physiker Ernst Ruhmer zusammen, der ebenfalls schon 1901 wegweisende Arbeiten über die Tonphotographie in den „Annalen der Physik" veröffentlicht hatte. Ruhmer hatte die Entdeckung des Erlanger Professors Simons, daß die Bogenlampe in sie hineingesprochene Worte wiederzugeben vermag, genutzt und die Bogenlampe als Schwingungserzeuger genommen. Er nahm den Schall mit einem Mikrophon auf und überlagerte den die Bogenlampe speisenden Strom mit diesen Mikrophonströmen. Dadurch erhielt er Helligkeitsschwankungen der Lampe, die er durch eine Zylinderlinse auf einem vorbeigeführten Film abbildete. Für die Wiedergabe ließ er den Film von einer konstanten Lichtquelle durchleuchten und führte das durch die Filmaufzeichnungen sich ändernde Licht einer „Selenzelle" zu, die Helligkeitsschwankungen in Stromschwankungen überträgt. Die dadurch hervorgerufenen Stromänderungen in der Selenzelle wurden durch ein Telephon hörbar gemacht. Ruhmer hat seine Absicht, Bild und Ton auf einen Film aufzunehmen, infolge seines allzu frühen Todes nicht mehr durchführen können. So haben viele namhafte Wissenschaftler und Techniker schon vor dem ersten Wellkrieg das Tonfilm-Problem zu lösen versucht. Mehrfach ist es auch gelungen, den Ton aufzunehmen und wiederzugeben, ihn auch mit dem Bild zu koppeln, aber das Ergebnis war in allen Fällen unzulänglich. Es fehlte bei der Wiedergabe nicht nur an Lautstärke, sondern vor allem an Naturtreue. Während des 7
Krieges wurden die aussichtslos erscheinenden Bemühungen ganz aufgegeben. Die Tri-Ergon-Männer sind wohl Idealisten, aber keine Phantasten. Jeder von ihnen hat sich schon seinen Platz im Leben erkämpft. Vogt und Massolle kommen aus dem technischen Handwerk und haben sich bereits in der Funkentelegraphie und Elektroindustrie bewährt. Der Physiker Dr. Engl hat in Göttingen als Assistent von Prof. Debeye wertvolle Arbeit geleistet. Wenn drei solche Männer ihre sichere Existenz aufgeben und ihre Familien mit in den Strudel eines ungewissen Erfinderschicksals reißen, muß das Ziel sich lohnen. Und es lohnt sich! Die erste von Dr. Engl und Hans Vogt unterschriebene Tagebuchnotiz beschreibt bereits den einzuschlagenden Weg und löst theoretisch die Aufgabe. Sie trägt das Datum vom 30. Oktober 1918 und lautet: „Der Film bewegt sich vor einem sehr schmalen Schlitz einer mit undurchsichtigem Material umgebenen Quecksilberdampflampe (oder Glühlampe mit geringster Wärmeträgheit) vorbei. Diese Lampe liegt in einem Mikrophonstromkreis und ändert ihre Leuchtintensität entsprechend den Stromschwankungen, damit parallel geht eine Querbelichtung des Films von gleichfalls sich änderndem Stärkegrad. Die zum entsprechenden Bildvorgang gehörigen Lautzeichen sind damit auf den etwas breiter gehaltenen Film aufgeschrieben. — Zwecks Wiedergabe bewegt sich der Film vor einer Lichtquelle vorbei. Die an Intensität infolge der verschieden durchlässigen Bromsilberschichlen wechselnden Lichtstrahlen berühren eine lichtempfindliche, trägheitslose Zelle (Taliumhydrid in Argongas) und erzeugen dort durch Stoßionisation einen Strom wechselnder Stärke, der zu einer Verstärkeranordnung geführt wird und von dort zu entsprechenden Wiedergabeapparaten" (s. Abb. Seite 2). Das scheint einfach zu sein wie das „Ei des Kolumbus". Aber Kolumbus brauchte nur ein bißchen Witz, um das Ei auf die Spitze zu stellen. Der Tonfilm verlangte mehr. Er war keine Zufallserfindung, sondern eine physikalisch-technische Konstruktion, die sich aus einer großen Zahl von Einzelkonstruktionen zusammensetzte. Es gibt — trotz aller Vorarbeiten — fast nichts, an das sich unmittelbar anknüpfen läßt. Der Tonfilm muß sämtliche Geräusche des täglichen Lebes, das Säuseln des Windes so gut wie das Heulen des Sturmes, die menschliche Slimme und jedes einzelne Instrument eines Orchesters verzerrungsfrei und naturgetreu wiedergeben. 8
Das Tri-Ergon-Statophon — eine geniale Lösung des Lautsprecherproblems. Es ermöglichte erstmals die klang i eine Wiedergabe von tiefen, mittleren und hohen Tönen Dazu reichen das schon vorhandene Mikrophon und das Telephon nicht aus, ganz zu schweigen von den zahllosen Einzelteilen wie Aufzeichnungslampe, Photozelle und Verstärker. Jeder Klavierspieler weiß, daß ein Gegenstand, der auf dem Klavier steht, gelegentlich an ganz unpassender Stelle „mitzusingen" beginnt. Das kommt daher, daß jede Masse eine bestimmte Eigenschwingung hat. Wird nun auf dem Klavier eine Saite angeschlagen, deren Schwingung mit der Eigenschwingung des Gegenstandes auf dem Klavier übereinstimmt, so tritt das störende Scheppern auf. Keines der vorhandenen Mikrophone ist aber frei von schwingender Masse. Zunächst wurde also das bisher übliche Kohlekörnermikrophon durch ein ..Kathodoplion" ersetzt, in dem an Stelle der Kohlekörner ein gewichtsloser Tonentnehmer die Schallschwingungen in elektrische Spaiinnngsschwankungen umformte. Die Schwankungen wurden einem neu entwickeilen Verstärker zugeleitet. Die Verstärkung ist heute für den Flinkbastler kein Problem mehr. Damals mußten die Erfinder ihre Röhren aber selbst bauen, eine Glasbläserwerkstatt einrichten und hatten ihre Mühe mit der Erreichung des erforderlichen Vakuums und der Entgasung der Metallteile. Auch die heutigen verzerrungsfreien Niederfrequenztransformatoren gab es noch nicht. Deshalb mußte das Problem der Widerstandsverstärkung für den Tonfilm gelöst werden. Für die Umsetzung von Strom- in Lichtschwankungen schied das Glühlampenprinzip wegen der zu 9
hohen Wärmeträgheit der Glühfäden aus. Es wurde eine auf dem Glimmlichtentladungsprinzip beruhende Ultrafreqnenzlampe konstruiert. Die Argon- oder Stickstoffgasfiillung der Lampe leuchtete entsprechend den hindurchgehenden Sprechströmen auf und folgte praktisch trägheitslos allen Stromschwankungen, so daß die verzerrungsfreie Aufzeichnung seihst der höchsten Frequenzen gelöst war. Die Füllung mit Argon- oder Stickstoffgas wurde gewählt, weil das kathodische Glimmlicht dieser Gase im violetten Spektralbereich eine starke Ausstrahlung besitzt und daher photographisch besonders wirksam ist. Um die den Sehallwellen entsprechenden Wechselströme auf dem mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 cm/sec. vorbeigleitenden Film nacheinander aufzeichnen zu können, war ein haarfeiner Spalt nötig, der durch optische Verkleinerung auf eine Länge von 2 mm und eine Breite von 0.005 mm gebracht wurde. Bei der Wiedergabe wurde der konstante Lichtstrahl bei der Durchleuchtung des vorübergleitenden Films infolge der veränderten Filraschwärzung in seiner Helligkeit verändert und von einer — als Ersatz für die bisher bekannte Selenzelle ebenfalls neu konstruierten — lichtelektrischen Zelle in elektrische Spannungsschwankungen umgewandelt. Über einen Verstärker wurden dann die elektrischen Wechselströme einem elektrostatischen Lautsprecher zugeführt. Das Lautsprecherproblem war wohl am schwierigsten zu lösen. Erst nach Einführung des Rundfunks ist es der Elektroindustrie gelungen, einen für Saallautstärke ausreichenden dynamischen Lautsprecher herzustellen. Die Tri-Ergon-Männer lösten das Problem durch die Konstruktion ihres „Statophon", bei dem dünne versilberte Glimmermembranen verwendet wurden, die vor einer durchlochten, mit Rillen versehenen festen Elektrode schwangen. Statophone verschiedener Frequenzbereiche für hohe, mittlere und tiefe Töne wurden gleichzeitig verwendet, so daß eine verhältnismäßig gute Tonwiedergabe erreicht wurde. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine unverzerrte Tonwiedergabe ist der gleichmäßige Filmtransport. Das Filmbild muß ruckweise transportiert werden; dank der Trägheit des Auges entsteht trotzdem der Eindruck eines fortlaufenden Vorganges. Das Ohr aber läßt sich diese Täuschung nicht ohne weiteres gefallen. Ton und Bild werden deshalb zur gleichen Zeit, aber getrennt aufgenommen und erst beim Kopieren mit einer räumlichen Differenz von 20 Feldern auf einem Film vereinigt. Bei der Wiedergabe wird der Filmstreifen, nachdem er den Bildprojektor durchlaufen hat, 10
durch ein Rollensystem in einer Schlaufe zum Tonentnehmer geführt, an dem er mit Hilfe einer ausgleichenden Schwungmasse gleichmäßig vorbeigeleitet wird. Alle erforderlichen Einzelgeräte wurden von den Tri-ErgonMännern völlig neu konstruiert und sorgfältig erprobt, bevor sie zum ersten Tonfilmapparat zusammengebaut wurden. Er hieß wegen seiner eigenartigen Form „Der Galgen". 50 patentierte Einzelerfindungen waren notwendig, bis der Galgen das Wort „Milliampere" stammeln konnte. Als er schließlich noch „So spricht der sprechende Film" gesagt hatte, hatte er seine Schuldigkeit getan und wurde durch den nächsten ersetzt, der wegen seines strengen Aussehens „Die Kirche" hieß und schließlich wiederum der gewichtigen „Eisenkiste" weichen mußte. Jedes neue Gerät vereinigte die inzwischen gesammelten Erfahrungen zu immer größerer Vollkommenheit und gab den Erfindern die Gewißheit, auf dem richtigen Wege zu sein.
Wettlauf mit der Zeit Am 4. März 1919 haben die Erfinder ihr erstes allgemeines Tonfilm-Patent angemeldet, das die Tonaufzeichnung auf den Film mit Hilfe einer Aufzeichnungslampe schützt. Zwei Jahre sind seitdem vergangen. Das sind zwei Jahre angestrengtester Arbeit gewesen mit Erfolgen und Enttäuschungen, Verzweiflung und neuem Mut. Die drei Männer besaßen bei Beginn ihres Gemeinschaftswerkes nicht viel mehr als ihre felsenfeste Überzeugung von der Durchführbarkeit und den eisernen Willen, es bis zum erfolgreichen Ende zu vollenden. Eine verständnisvolle Geldgebergruppe hat ihnen 125 000 Mark zur Verfügung gestellt. Damit wird im Juli 1919 jenes „Laboratorium für Kinematographie" gegründet. Laut Vertrag wird die vorher geleistete Erfinderarbeit mit dem gleichen Betrag der Einlagen bewertet. Ein Jahr gibt man ihnen Zeit für sieht- und hörbare Erfolge, aber bisher hat die Leinwand nur gelegentlich unverständlich gestottert. Das Geld ist längst zusammengeschmolzen wie Butter an der warmen Sonne, obwohl die ersten Geldgeber noch eine weitere halbe Million geopfert haben. Jetzt wollen sie endlich Erfolge sehen. Die Inflation frißt das Kapital. Die Unkosten werden täglich höher. Die immer zahlreicher werdenden Patente verschlingen Un11
summen. Patente sind aber notwendig, damit nicht andere die Fruchte der Arbeit ernten. Ein erbitterter Wettlauf mit der Zeit beginnt. Tag und Nacht kommen die Erfinder nicht mehr aus ihren weißen Kitteln heraus und sind doch oftmals am Verzagen, wenn der Lautsprecher alle ihre Mühen immer nur mit einem unverständlichen Quäken beantwortet. Da entschließen sie sich zu jener ersten nichtöffentlichen Uraufführung, in der das „Heideröslein" gezeigt wurde. Ihnen war dabei zu Mute wie der jungen Choristin, die zum ersten Male in einer Solopartie an die Rampe treten soll. Sie wußten, daß ihre Apparate noch nicht sicher waren. Eine winzige Verschiebung, eine gelockerte Schraube, und die Geräte begannen zu kreischen wie ein ungezogenes Kind oder gaben überhaupt keinen Ton mehr von sich. Aber den Männern blieb keine andere Wahl. Die Mittel der ersten Geldgeber waren erschöpft. Es mußten neue Interessenten dazu gefunden werden. Deshalb die vielen Autos am 24. März 1921 vor dem Hause Babelsberger Straße 49. Ihnen entstiegen Menschen, die ihr Inflationsgeld mit allen möglichen Dingen verdient hatten, die aber bereit waren, ihre Brieftaschen zu öffnen, wenn es sich lohnte. Das „Heideröslein" tut seine Schuldigkeit. Die Erfinder atmen auf. Massolle hat selbst den Vorführapparat bedient. Er streicht zärtlich darüber, als wolle er sagen: „Braves Ding, hast uns nicht im Stich gelassen!" Die Phantasie der Gäste eilt der Zeit voraus. Sie sehen den Tonfilm schon in den großen Filmtheatern. Und — was die Hauptsache ist — das Geld wird locker. Die Weiterarbeit ist gesichert, auf ein halbes Jahr, auf ein Jahr vielleicht. Nur die Erfinder selber wissen* wie klein das bisher zurückgelegte Stückchen Weges ist im Verhältnis zu dem, was noch fehlt. Aber sie sehen, nachdem der Alp der letzten Wochen von ihnen genommen ist, die Zukunft rosiger. Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden. Im Laboratorium für Kinematographie wird die Arbeit mit Zuversicht fortgesetzt. Es geht nicht ohne Reibung ab, wenn drei Hitzköpfe an der Arbeit sind, denen ihr eigenes Leben nichts, ihr Werk alles bedeutet. Der Eifer der Erfinder steckt die Mitarbeiter an. Alle, die in den Zauberkreis von Tri-Ergon geraten sind, haben die Sache längst zu ihrer eigenen gemacht. Man ist offen und ehrlich in der Kritik an der eigenen Arbeit, an der des anderen. Aber aus dieser Kritik wächst das Werk. Sichtbare Erfolge m ü s s e n geschafft werden, bevor die Mittel, die im Verhältnis zur Aufgabe gering sind, sich wieder verflüchtigt 12
Das erste Tonfilmatelier, Berlin, Kartoffelsäcke verbessern die"Xkuttük 13
haben. In der Friedrichstraße wird ein Stummhlmatelier gemietet. An die 600 Kartoffelsäcke werden darin aufgehängt, um die Akustik zu verbessern. Man muß sich zu helfen wissen, um mit geringstem Aufwand größtmöglichen Erfolg zu erzielen. Ein Einakter „Der Brandstifter" wird gedreht und eine humoristische Szene aus der Biedermeierzeit. Am besten gelingt der „Prolog aus Bajazzo". Auch die zarten Töne der Flöte, des Cellos und der Violine werden auf den Filmstreifen gebannt. Das ehemalige Stummfilmatelier ist nicht schallsicher. Die Arbeit wird zu einem ständigen Kampf mit unerwünschten Geräuschen. Das fängt schon mit der Kamera an, die bei der Arbeit surrt. Ein Behälter aus Pappe, Holz und Sägespänen wird gebaut, dessen Oberteil mit einem Flaschenzug abgehoben werden kann. In der schalldichten Kammer bekommt die kombinierte Ton- und Bild-Apparatur ihren Platz. Die elektrischen Bedienungsschalter werden an die Außenwand des Gehäuses verlegt. Für das Bildobjektiv ist an der Vorderwand ein mit geschliffenem Glas abgedeckter Durchbruch. Aber auch die von der Straße heraufdringenden Geräusche sind oft störend. Es bleibt nichts weiter übrig, als den größten Krach abzuwarten. Das ist manchmal eine harte Geduldsprobe. Einmal baut sich ein Leierkastenmann mit Trommel, klingendem Helm, Zimbeln und Trompete ausgerechnet vor der Haustür auf, um dort mit viel Gelärm seine kärglichen Groschen zu verdienen. Als eine reichliche Geldspende ihn statt zum Gehen zu noch heftigerem „Musizieren" ermuntert, wird er kurz entschlossen ins Atelier geholt und zum „Tonfilm-Star" gemacht.
Ein Ruhmesblatt der Technik Am 17. September 1922 tritt das „Laboratorium für Kinematographie" zum ersten Male vor die breitere Öffentlichkeit. Audi dieses Wagnis ist nicht absolut freier Wille. Die Kasse zeigt wieder einmal Ebbe. Das Gespenst des Aufgebenmüssens steht erneut drohend vor den Erfindern. Der Sprung in die Öffentlichkeit soll die Rettung bringen. Das Programm ist sorgsam vorbereitet, für die Uraufführung ist die „Alhambra" am Kurfürsteudamm gemietet. Beim Einbau der Apparate stellt sich heraus, daß die Lautstärke für den großen Saal nicht ausreicht. Ein weiteres Verstärkerrohr ist nicht vorbanden, und kaufen kann man so etwas noch nicht. Da ist Holland wieder einmal in Not, aber schließlich 14
Das erste Ecfao der Presse zum „sprecüenaen hilm"
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ist man mit anderen Schwierigkeiten fertig geworden. Massolle baut zusammen mit seinen Mitarbeitern noch in der Nacht ein neues Verstärkerruhr. / Die Auodenspannung wird aus Taschenlampenbatterien bezogen; bei 1200 Volt Anodenspannung ist eine beachtliche Anzahl einzelner Batterien nötig, die mit Dralltanschlüssen verbunden sind und vor der Vorführung einzeln überprüft werden müssen. Die Vorbereitungen dauern bis unmittelbar vor Beginn der Vorstellung. Den Erlindern klopfen die Herzen. Viel hängt von dieser Stunde für sie ab. Wer zählt die Autos, die vor der „Alhambra" vorfahren? Vom „Laubfrosch" bis zum Maybach ist alles vertreten. Wer nennt die Namen der Menschen, die im Parkett Platz nehmen? Interessierte und Neugierige sitzen in bunter Reihe, dazwischen die „stumme" Konkurrenz, die ein leises Unbehagen nicht verbergen kann. Spannunggeladen ist der Raum, als der schwere Vorhang zur.Seite rauscht und die Leinwand sichtbar wird. Die „Träumerei von Schumann" erklingt, nicht von leiblichen Menschen gespielt, sondern von einem Bild auf der Leinwand. Die Menschen wagen kaum zu atmen. Orkanartiger Beifall bricht los, als der „Bajazzo" geendet hat. Auch die Spielszenen finden den Applaus des begeisterten und überraschten Publikums. Es wird ein Erfolg, wie die Alhambra kaum vorher einen erlebt hat. Die Sensation, die ganz große Sensation ist da! Berlin hat nur noch ein Gesprächsthema: „Der tönende Film". Die Zeitungen verkünden in Riesenschlagzeilen: „Die Photographie der Stimme gelungen! — Ein Ruhmesblatt deutscher Technik! — Der Film spricht, singt und musiziert. — Neue Methoden der modernen Physik." Die Kunde von dem tönenden Film durcheilt wie ein Lauffeuer ganz Deutschland und springt über die Grenzen hinweg. Der Telegraph trägt die Neuigkeit über die Ozeane. Besonders Amerika wird hellhörig und fragt nach Einzelheiten. Das Publikum glaubt nach diesem durchschlagenden Erfolg nichts anderes, als daß der Tonfilm jetzt schon Tatsache geworden sei. Die Erfinder aber wissen, daß noch viel Zeit dazu gehört, ihm den letzten Schliff zu geben. Und dazu fehlt das Geld. Es klingt wie ein Hohn, aber der bisher größte Erfolg bringt gleichzeitig den größten Tiefstand und sogar vorübergehende Mutlosigkeit. Wie die Klinkenputzer laufen die Erfinder von Firma zu Firma. Man bewundert ihren Erfolg, aber man bedauert. Agenten und Vermittler zucken mitleidig mit den Schultern. Es könnte ein 16
Millionengeschäft werden, aber wer weiß? E# ist zu unsicher! Wird der Tonfilm sich durchsetzen? Es ist fraglos eine hervorragende technische Leistung, oh sich aber etwas daraus machen läßt? Man muß abwarten. Die Erfiuder können aber nicht abwarten. Was nützt ihnen alle Anerkennung und Bewunderung? Ihre Erfindung ist noch anfällig für alle Kinderkrankheiten. Die Apparate funktionieren vorläufig nur in ihren damit vertrauten Händen; kein anderer würde ihnen einen einzigen Ton entlocken. Und das Ergebnis? Gewiß, es ist ein technisches Wunder, aber noch lange kein künstlerisches Mittel, noch nicht! Dazu haften ihm noch zu viele Fehler an, die ausgemerzt werden müssen. Und das kostet Zeit — und Geld. Immer wieder das leidige Geld, das nicht da ist.
Die „stumme"
Opposition
Man wundert sich heute, daß der Stummfilm, der doch BO reich war, keine Mittel für den tönenden Bruder zur Verfügung stellte. Heute erscheint es uns selbstverständlich, daß z. B. der Rundfunk das Fernsehen fördert und der Tonfilm den plastischen Film. Die Stummfilmleute aber dachten anders. Sie sahen im Tonfilm nicht eine natürliche Weiterentwicklung, sondern einen Rückschritt. Sie hatten sich an das Stummsein des Films gewöhnt, empfanden es als Tugend, sahen im Ton nur den aufdringlichen Störenfried. In die Opposition gegen den Tonfilm reihte sich die große Schar der unmittelbar Betroffenen ein, die der Entwicklung mit Beklommenheit entgegensahen. Im Stummfilm konnte — kraß gesagt — ein Stotterer als strahlender Held auftreten. Wenn der Tonfilm sich wirklich durchsetzte, mußten am Filmhimmel strahlende Sterne verblassen, weil ihre Sprache unvollkommen war oder für das Mikrophon ungeeignet. Asla Nielsen, eine der unbestritten größten Schauspielerinnen der Stummfilmzeit, nannte den Tonfilm einen „geschäfllichen und künstlerischen Nonsens". Die Entwicklung ist über sie hinweggegangen wie über viele andere, die im Kampf um ihre eigene Existenz dem Tonfilm feindlich gegenübertraten. Zu ihnen gehörte auch das Heer der Musiker, die in den Kinos ihr kärgliches Brot verdienten und das Gespenst der Arbeitslosigkeit vor sich sahen, wenn der Film plötzlich seine eigene Musik machte und sie nicht mehr gebraucht wurden. Ihnen ist gewiß kein Vorwurf daraus zu machen, daß sie den Tonfilm beargwöhnten und bekämpften. 17
Noch erbitterter und zudem gefährlicher für den Tonfilm war die Feindschaft der Filmindustrie mit den hinter ihr stehendes Finanzierungsgruppen, die sich wirtschaftlich bedroht sahen. Die Filmindustrie besaß große Mengen stummer Filme deutscher und ausländischer Herkunft, die sich noch nicht amortisiert hatten. Was sollte man damit anfangen? Und was sollte überhaupt aus dem Filmexport werden? Die deutsche Filmindustrie hatte sich mit Mühe den Auslandsmarkt erobert. Beim Stummfilm konnte man die Texte einfach in fremde Sprachen umkopieren. Der sprechende Film mußte zwangsläufig eine Einengung des Absatzes mit sich bringen. Über frühere Versuche, dem Film mit Hilfe der Schallplatte wenigstens in einzelnen Szenen die Sprache zu geben, hatte die Filmindustrie gelächelt, weil diese Versuche durch ihre Unvollkommenheit zur Aussichtslosigkeit verurteilt waren. Über die TriErgon-Erfinder lachte man nicht, weil man deren ernsthaft fundierte Arbeit und ihre Erfolge nicht übersehen konnte. Denen war wahrhaftig zuzutrauen, daß sie den Tonfilm zustande brachten. Das war eine gefährliche Konkurrenz, die man ernst nehmen mußte. Mit welcher Erbitterung der Stummfilm den tönenden Bruder verfolgte, geht aus einem Beitrag hervor, der im Jahrgang 1930 von Dr. A. Jasons „Handbuch der Filmwirtschaft" unter dem Titel „Lichtspieltheater und Tonfilm" veröffentlicht wurde, also acht Jahre nach der erfolgreichen Tri-Ergon-Uraufführung im Alhambratheater, zu einer Zeit, als der Tonfilm bereits ein gewichtiges Wort mitzureden hatte. „Wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben und den Kampf nicht einstellen um unser nationales Gut, das im Film für uns und alle Zeiten enthalten sein wird. Diesem kulturellen Gut gegenüber tritt der Tonfilm wie ein verbissener, grimmiger und unnachsichtiger Feind auf, getragen und belebt von einer einzigen Tendenz, einem einzigen Willen der Zerstörung und Vernichtung des bisher Errungenen. Sollte es ihm wirklich gelingen, die stählerne Fessel zu schließen, sollte es tatsächlich so weit kommen, daß die überfremdete Elektroindustrie um alles geistige und künstlerische Leben des Volkes und um die materielle Selbständigkeit des deutschen Films einengende Bande legt, dann sind die schweren, untragbaren Nachteile, die uns daraus erwachsen, gar nicht zu übersehen. Sie würden den Untergang des deutschen Films und des deutschen Kinos bedeuten. Dagegen müssen wir uns mit allen Kräften bis zum Letzten, bis zum Allerletzten wehren." 18
Weiß Gott, das haben sie getan! Aber es gab doch einen Mann, der Weitblick genug besaß, die Bedeutung der Erfindung zu erkennen. Als die Arbeit im Laboratorium für Kinematographie von der Aussichtslosigkeit gelähmt zu werden begann, flatterte überraschend ein Brief ins Haus. Der erste deutsche Reichspräsident Friedrich Ebert zollte den Erfindern Seine Anerkennung und forderte sie auf, ihr Uraufführungsprogramm in der Reichskanzlei vor geladenen Gästen zu wiederholen. Das war gleichsam der Silberstreifen am Horizont. Wenn das Staatsoberhaupt sich persönlich für die Erfindung einsetzte, konnte die Industrie dann noch ihre Türen verschließen? Die Erfinder waren gutgläubig genug, das nicht für möglich zu halten. Sie waren Techniker und Wissenschaftler, aber keine Kaufleute. Die Einladung des Reichspräsidenten goß Wasser auf ihre Mühlen, und im Laboratorium für Kinematographie rührten sich die Hände wieder.
Verkauft! In der Reichskanzlei sind die Tonfilmapparate aufgebaut. Reichspräsident Friedrich Ebert veranstaltet einen seiner zwanglosen Bierabende, auf denen er die Verbindung zwischen Gruppen herzustellen sucht, die sonst nicht zusammenkommen können. Er möchte vermitteln und ausgleichen. Der Reichspräsident hat die Bedeutung des Tonfilms für das Kulturleben und für die deutsche Wirtschaft erkannt, wenn die Industrie den Vorsprung der Technik nutzt. Es ist kein Geheimnis, daß auch in Amerika fieberhaft am Tonfilm gearbeitet wird. Lee de Forest und Case tasten sich auf den gleichen Wegen vorwärts wie die Tri-Ergon-Männer. Auch sie sehen die Lösung des Problems in der photographischen Methode und man weiß nicht, wie weit sie sind. Die Dänen Petersen und Paulsen arbeiten an einem Magnettonverfahren. Sie magnetisieren einen Stahldraht, der durch ein im Rhythmus der Tonströme verändertes Magnetfeld läuft und die Magnetisierung auch nach Verlassen des Magnetfeldes behält. Bei der Wiedergabe wird der von einer Spule ablaufende Stahldraht durch einen Hörkopf geführt, der den ursprünglichen Tonschwankungen entsprechende Ströme erzeugt, die — in Töne zurückverwandelt — einem Lautsprecher zugeführt werden. Der Franzose de Pineaud schließlich hält an dem Nadelton fest, aber er benutzt keine Schallplatte, sondern gräbt die Tonrille auf dem Filmband neben das Bild, so daß Synchronität»19
Schwierigkeiten ausgeschaltet werden. Man weiß noch nicht, welches Verfahren sich zuletzt durchsetzen wird. Zunächst haben die TriErgon-Leute einen erheblichen Vorsprung, und ihre Erfolge sprechen für ihre Methode. Der Reichspräsident hat keine Mittel für solche Zwecke zur Verfügung. Deshalb hat er Männer der Wirtschaft geladen, deren Förderung die Sache zu verdienen scheint. Er macht nicht viele überflüssige Worte. Nach einer kurzen Begrüßung klatscht er in die Hände und läßt die Dinge für sich sprechen. Die Lampen erlöschen in dem verdunkelten Raum, die Maschinen beginnen zu surren, das Uraufführungsprogramm rollt ab. Friedrich Ebert ist selbst der Ergriffendste. Nicht der „Bajazzo" hat ihn erschüttert, nicht der „Brandstifter", nicht die „Träumerei von Schumann". Er schaut in die Zukunft und ahnt die Möglichkeiten einer deutschen Tonfilm-Industrie. Man geht mit höflichem Händedruck auseinander und dankt für den interessanten Abend. Die Erfinder packen ihre Geräte zusammen und verlassen die Reichskanzlei mit dem Bewußtsein, in Friedrich Ebert einen verständnisvollen Freund gefunden zu haben. Auch Reichsaußenminister Stresemann interessiert sich brennend für die Erfindung. Im Garten der Reichskanzlei läßt er sich, selbst aufnehmen. Auf dem Bild sieht man seine vertraute Gestalt und die Bäume des Parkes, und man hört seine eindrucksvolle Stimme und das Rauschen der Blätter als diskrete Begleitmusik. Der praktische Erfolg bleibt trotzdem aus. Nichts geschieht. Die Kasse des Laboratoriums für Kinematographie bleibt leer. Die Erfinder helfen sich mit den Einnahmen aus öffentlichen Vorführungen über die Zeit hinweg. Sie veranstalten „Fernkonzerte". Dabei werden die Darbietungen aus einem anderen Raum durch Leitungen in den Publikumssaal übertragen. Welch eine Sensation, in dieser Zeit, in der es noch keinen Rundfunk gibt! Die Konzerte sind allabendlich ausverkauft. Die Kassen werden gestürmt. Aber am nächsten Tag sind die Einnahmen nur noch wertlose Papierhaufen. Die Geldentwertung der Inflation wächst lawinenartig. Da erscheint in allerhöchster Not ein Schweizer Rechtsanwalt auf dem Plan. Er interessiert sich seit langem für die Erfindung. Die Devisen locken. Aber die Erfinder sind Deutsche und möchten ihr Werk Deutschland erhallen. Sie laufen noch einmal von Pontius zu Pilatus. Sie klopfen noch einmal an alle Türen der Elektroindustrie und der Filmwirtschaft. Sie erinnern an den persönlichen Einsatz des Reichspräsidenten, aber vergeblich. Man ist zu der 20
Überzeugung gekommen, daß der Tonfilm eine technische Spielerei ist, aus der nie etwas werden kann. Es gibt genug Fachleute vom Film, die entsetzt abwinken, wenn die Rede auf den Tonfilm kommt. Schade um die Erfinder! Das sind sicher tüchtige Menschen. Aber warum sind sie solche Narren und verplempern ihre Zeit an ein aussichtsloses Unternehmen? Trotz der winkenden Devisen wird den Erfindern der Entschluß schwer, ihr Werk ins Ausland zu verkaufen. Sie stimmen schließlich zu, weil sie nicht ander* können. Täten sie es nicht, wäre alle bisher geleistete Arbeit umsonst gewesen, die Patente würden verfallen. Für 170 Patente sind Gebühren aufzubringen, zahlreiche Neuanmeldungen laufen im In- und Ausland. Und die Erfindung bedarf noch des letzten Schliffs, um publikumsreif zu werden. In Deutschland bezahlt man eine Schachtel Streichhölzer bereits mit Milliardenscheinen. Eine Million Schweizer Franken läßt sich überhaupt nicht in Inflationsmark ausdrücken. Nur Astronomen gehen mit solchen Zahlen um. Eine Million Schweizer Franken sind für die gesamten Erfindungen geboten; außerdem 10 Prozent von den zu erwartenden Bruttoeinnahmen. Der gesamte Betrieb soll in Deutschland bleiben. Das ist die Grundbedingung der Erfinder. In einer Feierstunde in dem inzwischen neuerrichteten Atelier im Schubertsaal geben die Erfinder noch einmal Rechenschaft von der geleisteten Arbeit. Unter den Gästen ist auch ein Interessent aus den USA, Mr. Rippley. Er ist mit dem Auftrag über den Ozean gekommen, die neuesten Forschungen auf dem Gebiete der Elektroindustrie in Deutschland zu studieren und interessiert sich besonders für Lautsprecher. Er erzählt beiläufig, daß mehrere Ingenieure seiner Firma mit ähnlichen Aufträgen in der Welt umherreisen. Wie arm erscheinen die deutschen Verhältnisse gegenüber solcher Großzügigkeit! In Deutschland müssen Idealisten, die mit sichtbarem Erfolg an einer umwälzenden Erfindung arbeiten, sich mühsam jeden Tag erkämpfen, um weiterarbeiten zu können. Der verlorene Weltkrieg wirft noch immer seine dunklen Schatten. Aber jetzt geht es voran. Die Million Schweizer Franken hat neuen Auftrieb gegeben. Man kann so etwas wie eine deutsche Tonfilm-Industrie aufbauen. Das Atelier verwandelt sich vorübergehend in einen zünftigen Bauernhof mit richtigem Misthaufen, gackernden Hühnern und grunzenden Schweinen. „Ein Tag auf dem Dorfe" heißt der erste Spielfilm, der von der Tri-Ergon gedreht wird. Dabei machen die Erfiuder die Erfahrung, daß nicht nur technische Apparate störrisch sein können, sondern auch lebende 21
Wesen. Der Hahn will mit Gewalt nicht krähen, wenn er soll, und dabei ist er als „Tonfilm-Star" engagiert und bekommt zusätzliche Futterration. Sie haben die Leinwand zum Sprechen gebracht, und dieses Federvieh, dem von der Natur eine prächtige Stimme verliehen ist, bleibt stumm? Aber einer der Mitarbeiter versteht sich auf Hühnerpsychologie. Der Hahn wird in einen verdunkelten Käfig gesperrt. Als er genügend Zeit zur Besinnung gehabt hat, holt man ihn heraus und setzt ihn auf den ordnungsmäßig gebauten Dunghaufen, der in der Mitte des Ateliers aufgeschichtet ist und von hellen Jupiterlampen angestrahlt wird. Der Hahn fälltauf den Betrug der Menschen herein, läßt schmetternd seinen Morgengruß erschallen, und Bild und Ton halten ihn fest. Die Erfinder arbeiten jetzt mit verteilten Rollen. Massolle schafft weiter an der Verbesserung der Apparate, Vogt hat die künstlerische Leitung übernommen, und Dr. Engl bemüht sich in der Hauptsache um die Ausarbeitung und Verwaltung der immer umfangreicher werdenden Patentsammlung. Mit einer Million Schweizer Franken läßt sich schon etwas anfangen. Aber diese Million bleibt leider im Monde liegen. Der Schweizer hat für die geleistete Anzahlung sein ganzes Vermögen hingegeben, für die laufenden Unkosten sein Haus in Zürich bis über den Schornstein belastet. Die Zahlungen stocken. Nun schlagen die Wogen der in Deutschland immer stürmischer werdenden Opposition über die schweizer Grenzen; es findet sich auch in der Schweiz niemand mehr, der weitere Kredite gewährt und in das Tonfilmgeschäft „einsteigt". Die Tri-Ergon-Erfindung steht abermals zum Verkauf. Um den Betrieb aufrecht erhalten zu können, greifen die Erfinder wieder einmal zur Selbsthilfe. Massolle zieht mit dem neu gedrehten Film „Ein Tag auf dem Dorfe" von Stadt zu Stadt durch Deutschland und das gesamte europäische Ausland. Die Zuschauer sind begeistert, die Presse übersteigert sich in Lobeshymnen und Zukunftsbildern, auch in der Schweiz. Die Sympathie des Publikums bereitet den Boden für eine neue Beteiligung schweizer Finanzkreise vor, die — aller Schwarzmalerei zum Trotz — jetzt im Tonfilm eine Gewinnchance errechnen. Die Tri-Ergon A.G. Zürich wird gegründet. Die Männer der TriErgon sind daran nur noch mit zwei Prozent des Aktienkapitals beteiligt. Dafür gehen die Ateliers, sämtliche Einrichtungen und die Patentrechte der ganzen Welt in den Besitz der Gesellschaft über. Die Erfinder haben sich verkauft, haben sich verkaufen 22
müssen, weil «ich ihnen in Deutschland keine helfende Hand zur Vollendung ihres Werkes entgegenstreckte. Zwei Millionen Schweizer Franken sind der Kaufpreis. Daraus werden alle bisherigen Geldgeber befriedigt. Keiner hat etwas verloren. Nur diese Männer der Tri-Ergon, sie sind das Werk ihres Lebens los und hahen keinen Einfluß mehr auf sein zukünftiges Geschick.
Das Mädchen mit den Schwefelhölzern In Deutschland ist es inzwischen keinesfalls ruhig um den Tonfilm geworden. Das Publikum verlangt ihn, und Zeitungsleute schüren das Feuer. Als die Inflation beendet ist, erwirbt die Ufa Linzenzen von der Tri-Ergon A.G. Zürich und dreht den ersten abendfüllenden Spielfilm „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern". Ende 1925 ist die Uraufführung im Ufa-Theater am Nollendorfplatz. Alles, was beim Film ein kleines Wörtchen mitzureden hat, ist da. Aber es ist ein Irrtum zu glauben, daß die Opposition sich mit dem Tonfilm ausgesöhnt hätte. ' Als die Tri-Ergoü-Leute zur Vorbereitung der Vorstellung ins Ufa-Theater kommen, finden sie ihr gesamtes technisches Personal in einem Zustand völliger Trunkenheit. Irgendwelche „Wohltäter" haben die vorhergehende Nacht benutzt, die Techniker auf diesem Wege „kampfunfähig" zu machen. Die Erfinder nehmen selbst die verwaisten Plätze ein. Als die Vorstellung dann beginnt, gibt es eine zweite Überraschung. Aus den Lautsprechern kommt nur ein schwacher und verzerrter Ton, der kaum die ersten Parkettreihen erreicht. Es stellt sich heraus, daß die Akkus leergelaufen sind. Es gibt noch keinen Netzanschluß. Man ist auf die Akkus angewiesen. Man kann das Publikum nicht warten lassen und beginnt. Während der Vorstellung werden neue Akkus beschafft, aber es nützt nichts mehr, daß der Ton jetzt voll und rein den Raum durchflutet. Das Urteil über den Tonfilm ist bereits gesprochen. Mit durchaus nicht traurigen Gesichtern klettern die Theaterbesucher in ihre Autos und fahren zu Kempinsky oder Horcher, um sich über die Niederlage des Tonfilms zu unterhalten und einen Schlußstrich unter dieses Kapitel zu ziehen. Man hat getan, was man konnte. Schließlich kann keiner verlangen, daß man sein Geld zum Fenster hinauswirft. Man hat gesehen, was dabei herauskommt, ein jämmerliches Gestammel, mit dem man keinen Menschen ins Theater locken kann, ihn höchstens hinaustreibt. 23
Der Tonfilm scheint nach diesem Mißerfolg in Deutschland erledigt, abgemeldet, tot. Die Erfinder fah r*in nicht zu Horcher. Sie sitzen in En w ls Wohnung zusammen und lassen die Kiipfe hängen. Sie klagen niemanden an, aber sie spüren, daß Kräfte gegen sie arbeiten, denen sie auf die Dauer nicht gewachsen sind. Was ist aus ihrem Werke geworden, für das sie seit sieben Jahren einen unermüdlichen Kampf führen? Was könnte dieses Werk sein, wenn sie nicht den grüßte» Teil ihrer Kraft gegen immer neu auftauchende Hindernisse verschwenden müßten! Was werden die schweizer Herren zu diesem neuen Fiasko sagen? Es ist ein Glück, daß zwei Millionen Franken investiert sind, die schreibt man nicht einfach ab. Sonst würden sie den Tonfilm auf den Müllhaufen werfen wie einen leckgewordenen Topf. In der Schweiz geht es turbulent zu. Nur wenige der Aktionäre sind dafür, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Die Mehrzahl hat sich damit abgefunden, auf ein technisches „Kuriosum" hereingefallen zu sein, das man auf jeden Fall abstoßen wird, sobald sich ein „Dummer" findet. Als von William Fox aus USA ein Angebot kommt, verkaufen sie ihm ein vollständiges Aufnahme- und Wiedergabegerät für 5000 Dollar und die gesamten amerikanischen Patentrechte für 60 000 Dollar. Fox wundert sich, wie billig das ist.
Amerika stellt sich um In Zürich hat man das Kapitel Tonfilm abgeschlossen. Die TriErgon A.G. schickt ihre Abgesandten nach England, Frankreich, Spanien, Italien, sogar nach Moskau und bietet Patente an. Keiner will sie haben. Die Schuld daran wird den Erlindern zugeschoben. An eine Weiterentwicklung ist nicht mehr zu denken. 10 Aufnahme- und 20 Wiedergabegeräte sind fertiggestelllt und so vereinfacht und verfeinert, daß sie einsatzbereit wären. Man könnte damit, wie die Erfahrung gelehrt hat, bei geschicktem Einsatz auf Wandervorführungen tägliche Einnahmen von 15 000 bis 20 000 Mark erzielen. Aber die Herren in Zürich haben ihr Urteil bereits gefällt. Sie verbieten schließlich die Wandervorführungen, die die Erfinder auf eigene Faust durchgeführt haben. Die Männer der Tri-Ergon sind brotlos. Inzwischen hat William Fox die amerikanischen Patentrechte in seinem Privattresor eingeschlossen, bis ihre Verwertung spruchreif 24
ist; denn die amerikanische Industrie ist nicht untätig gewesen. Sie ist dem Tonfilmgeheimnis längst auf der Spur. Auf manchen Teilgebieten sind die Amerikaner der Tri-Ergon sogar voraus. Ihre Lautsprechertechnik ist besser als die deutsche. Aber es gibt Dinge, bei denen Tri-Ergon nicht zu entbehren sein wird. Das ist vor allem die Schwungmasse und das Kopierverfahren. Das Problem, wie man den Ton verzerrungsfrei auf den Bildfilm kopiert, haben die Tri-Ergon-Männer gelöst und sich rechtzeitig patentieren lassen, auch in Amerika. Darauf fußt William Fox. Die Industrie m u ß eines Tages auf dieses Patent zurückgreifen und es in ihre eigenen Konstruktionen einbauen. Fox kann warten, ihn haben die Patente noch nicht einmal die Einnahmen eines Tages gekostet. Amerikanische Industriekreise bestreiten mit einem Male die Patentrechte. Dr. Engl reist über den Ozean, um die Ansprüche an Ort und Stelle klären zu helfen. Mit dem Dampfer „Hamburg" kommt er Ende 1926 in Newyork an. Er kommt nicht nur in einen anderen Erdteil, sondern in eine andere Welt. Was er und seine Freunde in ihren kühnsten Träumen nicht zu hoffen gewagt haben, ist hier weit übertroffen. Die Umstellung vom Stummfilm auf den Tonfilm ist in vollem Gange. Amerika ist in einem wahren Tonfilmfieber. Das Publikum will keine Stummfilme mehr sehen. Von den Theaterfassaden am Broadway schreien die Leuchtreklamen ihre neuesten Errungenschaften in die Nacht hinaus. Es werden einzelne Szenen gezeigt, die zu einem abendfüllenden Programm zusammengestellt sind, das Gleiche, was den Tri-Ergon-Leuten schon vor Jahren in Deulschland gelungen war. Das deutsche Publikum hatte den Tonfilm bewundert und ihm Beifall gezollt, war dann aber wieder in die Slummfilmlheater gegangen. Das amerikanische Publikum aber verlangte den Tonfilm. Die Industrie mußte dieser Forderung Rechnung tragen und tat es. Western Electric hat das alte System wieder aufgegriffen, und die Schallplatte mit dem Filmstreifen gekoppelt. Dazu wird eine Platte von einem Meter Durchmesser benutzt. Der Wechsel der Platten erfordert die größte Aufmerksamkeit eines geschulten Personals, weil sonst trotz aller Verfeinerung Pannen entstehen. Aber Western Electric verfügt über eine hervorragende Lautsprechertechnik und macht im Augenblick das Rennen. Trotzdem ist man sich in Amerika darüber klar, daß Western Electrics „Vitaphone" nur ein Notbehelf ist und die Zukunft allein dem photographischen System gehört. Im Gegensatz zu Deutschland stemmt sich die amerikanische Filmindustrie nicht gegen den Ton25
film, sondern fördert ihn mit allen Mitteln, weil sie in ihm die natürliche Weiterentwicklung des Stummfilms sieht. Mit Dr. Engls Hilfe werden die Erstrechte der Tri-ErgonPatente in Amerika einwandfrei erwiesen und in einer großen Zahl von Prozessen vor den höchsten amerikanischen Gerichtsinstanzen anerkannt. Der Wert der Patente steigt jäh in die Höhe. Zwei Jahre, nadidem Fox sie für 60 000 Dollar gekauft hat, werden zwanzig Millionen dafür geboten. Aber Fox denkt nicht daran zu verkaufen. Er wird Lizenzen vergeben. Er besitzt einen Anspruch auf die Weltrechte, die er zusammen mit den amerikanischen Patenten erworben hat. Fox hat auch die Patente anderer Erfinder gekauft und sucht in einem Freundschaftsabkommen mit Western Electric aus allen bekannten Systemen das Beste heraus, um es zusammen zu verwerten. Western Electric hat ein eigenes Aufzeichnungsgerät, gute Verstärker, Lautsprecher und Mikrophone. Von Tri-Ergon werden Entwicklungs- und Kopierverfahren, Schwungmasse, Photozelle und spaltabbildende Optik übernommen. Unter der amerikanischen Filmkrise leiden Warner Brothers besonders schwer. Sie wagen das Experiment und stellen nach dem Vitaphone-Verfahren Western Electrics den ersten abendfüllenden Spielfilm her. Er heißt „The Jazz-Singer" mit dem Varietesänger AI Jolsen, der durch diesen Film mit einem Schlage zum berühmtesten Darsteller der Welt wird und für seinen nächsten Film „The singing Fool" die Rekordgage von 600 000 Mark erhält. Die beiden ersten Platten-Tonfilme werden Erfolge, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Die Kinos sind täglich ausverkauft. Die Aktien der so schwer bedrängten Warner Brother steigen von 22 auf 140 Punkte und sind an der Börse überhaupt nicht mehr zu haben. Der Erfolg täuscht die Fachleute aber doch nicht darüber hinweg, daß das Schallplatten-Verfahren nur ein Notbehelf für die Übergangszeit ist. Jedoch die Frage, ob Stummfilm oder Tonfilm, ist endgültig entschieden. Als Dr. Engl nach Europa zurückfährt, ist sein Herz voll von dem Erlebnis Amerikas. Er wagt gar nicht auszudenken, was gewesen wäre, wenn er, Massolle und Vogt dort drüben gelebt hätten. Mitten auf dem Ozean begegnen sich zwei Schiffe. Sie dippen die Flaggen zum Gruß, wie es Sitte unter den Seefahrern ist. Die Passagiere stehen an der Reeling und winken einander zu. Dr. Engl weiß nicht, daß sich unter denen, die aus Europa kommen und nach Amerika fahren, eine Kommission deutscher Filmleute 26
befindet, die die amerikanischen Filmverhältnisse studieren will. Es sind alarmierende Nachrichten von der Entwicklung des Tonfilms über den Ozean gedrungen. Nun will man sich davon überzeugen, was Wahrheit, was Propaganda ist. Aber der Vorsprung ist nicht mehr aufzuholen.
Der erste Funkreporter In Deutschland gehen die Erfinder jetzt getrennte Wege. Aber keiner von ihnen kann sich ganz vom Tonfilm losreißen. Dr. Engl richtet in Berlin im Auftrage von William Fox ein neues Laboratorium ein, in dem er Zusatzgeräte entwickelt, die sich in die käuflichen amerikanischen Kinoapparate einbauen lassen. Diese Zusatzgeräte spielen zwei Jahre später bei der plötzlichen Umstellung auf den Lichtton eine bedeutende Rolle; denn der Bedarf steigt gewaltig an, als sämtliche Kinos die Umstellung so schnell wie möglich vornehmen wollen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dr. Engl konstruiert auch Schmalfilm-Kofferapparate, die für Kirche, Schule und Haus gedacht sind; sie sind ein besonderes Steckenpferd von William Fox. Hans Vogt beschäftigt sich in eigenen Räumen weiter mit akustischen Fragen und trägt erfolgreich dazu bei, der späteren deutschen Tonfilm-Industrie den Weg zu bereiten. Sie hängen ja alle drei immer noch an der Verwirklichung ihrer Idee, der sie ein Leben geopfert haben. Massolles Arbeitsplatz ist bei der Tri-Ergon-Musik A.G., einer Tochtergesellschaft der Tri-Ergon A.G. Zürich. Sie stellt hauptsächlich Schallplatten auf dem Umweg über den Lichtton her. Dieses Verfahren hat den Vorteil, daß die Aufnahme so langsam erfolgen kann, daß jede feinste Einzelheit von der Platte erfaßt wird. Außerdem dreht er in Mariendorf tönende Kulturfilme, denen man auch in Deutschland eine gewisse Bedeutung einzuräumen bereit ist, während man den Tonfilm als Kunst- und Unterhaltungsmittel nach wie vor ablehnt. Massolle betätigt sich auch als erster Funkreporter. Inzwischen hat sich der Rundfunk die Welt erobert, aber er ist noch nicht beweglich; er ist noch mit dem Mikrophon an die festen Sendestationen gebunden. Massolle startet im Februar 1928 die erste Radio-Filmpremiere. Beim Boxkampf Breitensträter gegen Domgörgen ist er dabei, nimmt ihn auf und leitet ihn dem Frankfurter Sender zu, 27
der ihn über seine Wellen ausstrahlt. Die Boxenthusiasten können zum ersten Male in ihrem Heim am Radiogerät ein solches Ereignis miterleben, und die Filmfreunde sehen es in den Kinos. Auch als Kohl und Hühnefeld, die ersten, die den Ozean in Ost-West-Richtung überfliegen, von ihrem berühmten Flug zurückkehren, ist Massolle mit seinem Aufnahmegerät auf dem Tempelhofer Feld, um den Rundfunkhörern und den Kinobesuchern den Jubel der Bevölkerung und die Größe des Ereignisses zu übermitteln. Wirklich, die ErgonMänner tun alles, um ihrem „Kinde" die Wege auch weiter zu ebnen. Als die Filmkommission aus Amerika zurückkommt, setzt der Tonfilm bereits zum Sprung über den Ozean an. Er wird Europa erobern, wie er Amerika erobert hat. Auch die deutschen Kinos werden Tonfilme spielen. Sie werden gar nicht anders können, trotz langen Zögerns.
Der verlorene Sohn kehrt heim Der Vorsprung des amerikanischen Tonfilms ist groß. Wird man ihn einholen? In dieser Stunde entsinnt man sich wieder der Erfinder. Einer von ihnen, Massolle, ist noch bei der Tri-Ergon-Musik A.G. Man geht zu ihm und fragt, ob er helfen wolle. Er kann und will, es geht um sein und seiner Freunde Lebenswerk, das ihnen wie ein leibliches Kind ans Herz gewachsen ist. Am 18. Juli 1928 wird im Hotel „Kaiserhof" in Berlin die Gründung eines Ton-Bild-Film-Syndikats beschlossen, das den Namen „Tobis" erhält. Es geht aus der Tri-Ergon-Musik A.G. hervor und übernimmt die Tri-Ergon-Patente. Als Gründungskapital stehen 12 Millionen Mark zur Verfügung. Sie kommen zum großen Teil aus Holland. Jedem der Erfinder bietet man 24 000 Schweizer Franken als letzte Ablösung aller Ansprüche. Es ist ein bescheidenes Trinkgeld im Verhältnis zu der geleisteten Arbeit. Die Tobis besitzt nun die Tri-Ergon-Patente und alle in Europa bekannten mit dem Tonfilm zusammenhängenden Erfindungen, auch das Magnettonverfahren Paulsens, und wertet sie aus. Die aus der Elektro-Industrie hervorgegangene „Klangfilm A.G." hat aber den Liebenschen Verstärker. Keiner kann aber ohne Lizenzen des anderen etwas anfangen. Als der amerikanische Tonfilm auf dem Marsch nach Europa ist, kommt es endlieh zu einer innerdeutschen Einigung. Die Tobis übernimmt die Filmherstellung und den Vertrieb der Aufnahmegeräte, die Klangfilm die Herstellung der Auf28
Pressebericht über die Auszeichnung der TRI-ERGON-Männer nähme- und Wiedergabegeräte. Das Aufnahmeverfahren wird „System Klangfilm-Tobis" genannt. Es sind noch Tri-Ergon-Apparate aus der gleichen Serie vorhanden, von denen einer — vor drei Jahren! — an William Fox verkauft worden ist. Das ist alles. Das alte Modell wird aus der Rumpelkammer geholt, aber es hat noch Mucken und Tücken, mit denen nur die Erfinder selbst fertig werden. Massolle kennt den Apparat jedoch wie sieh selbst und stellt sich dahinter. Er ist technischer Direktor, Tonmeister, Kameramann, alles in einer Person. Jetzt gilt es zu zeigen, was Tri-Ergon mindestens schon vor drei Jahren gekonnt hat. Inzwischen läuft der erste amerikanische Tonfilm in Deutschland an. Am 3. Juni 1929 findet die erste Vorstellung im Berliner GloriaPalast statt. Auf dem Programm steht „The singing Fool". Das Theater ist Tag für Tag mehrmals ausverkauft. Daß „The singing Fool" seinen Ton von der Schallplatte bezieht, merkt das Publikum nicht. Die Theaterbesitzer stellen sich auf das amerikanische Verfahren des Nadeltonfilms ein, aber es fristet nur ein ganz kurzes 29
Leben. Schon wenige Monate später ist der Lichtton da and löst das Schallplatten-Verfahren endgültig ab. Das Gerät, das Massolle herausbringt, ist eine Meisterleistung. Die deutschen Tonfilme nach dem Tri-Ergon-Verfahren werden eine neue Sensation. „Dich hab ich geliebt" und „Die Nacht gehört uns" sind die ersten, die Ende 1929 in vielen deutschen Städten mit Jubel aufgenommen werden. Zehn Jahre sind vergangen, seit die Erfinder im Laboratorium für Kinematographie ihre Arbeit begannen, zehn wertvolle Jahre, von denen mehr als die Hälfte leichtfertig verschenkt wurden. Der Tonfilm kam, wurde gehört und siegte. Fast über Nacht verschwand der stumme Bruder aus den Lichtspieltheatern. Ein kurzer, aber heftiger Sturm erschütterte die ganze Filmindustrie und die mit ihr zusammenhängenden Berufsgruppen. Viele Sterne stürzten vom Firmament des Filmhimmels, andere erstrahlten statt dessen in stärkerem Licht. Neue Berufe wurden geboren. Der „Tonmeister" hielt mit seinen Gehilfen Einzug in die Filmateliers, die „TonfilmCutter" in den Schneideraum. Neue Schauspieler fanden beim Film Beschäftigung. Komponisten wurden mit Aufträgen für filmeigene Musik überschüttet. Stimmbildner hatten Hochkonjunktur, um den „Gestürzten" neuen Anschluß an den Tonfilm zu ermöglichen. Die Erfinder aber waren überflüssig geworden. Ihr Werk war ihrer Fürsorge entwachsen und ging seine eigenen Wege. In Amerika entbrannte noch einmal ein Krieg um die Tri-ErgonPatente. Fox hielt sie nach wie vor in seinem Privatbesitz fest. Aber die Konkurrenz ging über ihn hinweg und kümmerte sich um keinen Patentschutz mehr. Gerichte wurden in Tätigkeit gesetzt. Der Streitwert wuchs in gigantische Höhen. Fox fühlte sich im Recht und forderte. Da die Industrie bezahlen mußte, gab es einen schwarzen Tag an der Börse. Doch in Amerika existierte seit 1887 ein Antitrustgesetz. Es ist nur selten einmal angewandt worden, wenn höchste Staatsinteressen auf dem Spiele standen. Die Industrie brachte es fertig, daß Präsident Hoover das Antitrustgesetz auf den Tonfilm anwandte. Die Tri-Ergon-Patente waren frei und wurden Allgemeingut in Amerika. In vielen Kulturländern ist der Tonfilm zu einem der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren geworden. In der amerikanischen Handelsbilanz nimmt er den zweiten Platz ein. Die Einnahmen aus den Filmtheatern betrugen 1948 in Amerika 1 386 000 000 Dollar. Deutschland stellte im letzten Jahre vor dem Kriege 111 Filme her und zählte 1942 eine Milliarde Kinobesucher mit einer Einnahme von 850 Millionen Mark. 30
In der ganzen Welt gab es 1950 90 000 Tonfilmtheater mit 50 Millionen Plätzen. D e r Tonfilm beruht in den Grundzügen und in vielen Einzelerfindungen noch heute auf der Arbeit der drei Deutschen Dr. Engl, Massolle und Vogt. Die Schwungmasse, das Entwicklungs- und K o p i e r v e r f a h r e n , die P h o t o z e l l e und die spaltabbildende Optik der Tri-Ergon sind noch heute Grundlagen des Tonfilms, während die Tri-Ergon-Ultrafrequenzlampe durch ein mechanisches Aufzeichnungsgerät ersetzt w o r d e n ist. Durch eine Reihe von V e r f e i n e r u n g e n wurde die grundlegende Tri-Ergon-Entwicklung von der Industrie bis zu ihrer heutigen, technisch kaum noch zu übertreffenden Vollk o m m e n h e i t weiterentwickelt. Die Deutsche Kinoteclmische Gesellschaft hat die drei deutschen Erfinder durch die Auszeichnung mit der Meßter-Medaille geehrt, die nach dem Altmeister und P i o n i e r der Filmtechnik Oskar Meßter benannt ist. D e m Kinn-Publikum sind die N a m e n der Erfinder kaum bekannt geworden, aber in Fachkreisen haben sie noch heute höchsten Klang.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Das Material zu diesem Lesebogen entstammt der von Frau Frieda Engl zusammengestellten Dokumentensammlung dei Tri-Ergon-Erfindergemeinschaft. Frau Engl, selbst Physikerin, erlebte an der Seite ihres Gatten, Dr. Jo Engl, die Tonfilm-Erfindung von ihren ersten Anfängen an mit und hat durch ihre persönlichen Aufzeichnungen und die lückenlose Bewahrung aller Dokumente das dramatische Geschehen um eine der größten Erfindungen der Neuzeit vor der Vergessenheit bewahrt. Alle in diesem Heft enthaltenen Angaben entsprechen den Tatsachen und sind durch Originale bzw. Photokopien aus der Dokumentensammlung belegbar. L u x - L e s e b o g e n 148 ( T e c h n i k ) - H e f t p r e i s 25 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte — Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, MurnauMünchen — Druck: Buchdruckerei Mühlberger, Augsburg 31
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