Campus Einführungen Herausgegeben von Thorsten Bonacker (Marburg) Hans-Martin Lohmann (Heidelberg)
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Campus Einführungen Herausgegeben von Thorsten Bonacker (Marburg) Hans-Martin Lohmann (Heidelberg)
Herfried Münkler, lehrt Politikwissenschaft an der HumboldtUniversität zu Berlin. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zur politischen Ideengeschichte der Neuzeit u. a. zu Machiavelli, zu politischen Mythen sowie zur Theorie des Krieges; zuletzt erschien von ihm »Lexikon der Renaissance« (2000) zusammen mit Marina Münkler.
Herfried Münkler
Thomas Hobbes
Campus Verlag Frankfurt/New York
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN 3-593-36831-5 2., vollständig überarbeitete Auflage 2001 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 1993 – 2001 Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln Umschlagmotiv: © AKG, Berlin Satz: TypoForum GmbH, Nassau Druck und Bindung: Druckhaus Beltz, Hemsbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany
Inhalt
Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
2 Erfahrungen und Konsequenzen . . . . . . . . . . . . 23 2.1 Hobbes’ Vita und Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Der Bürgerkrieg in England . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Hobbes’ Bruch mit der klassischen politischen Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Sprachkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 51 56 72
3 Die Grundelemente der politischen Theorie . . 80 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
Hobbes’ Menschenbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Der Naturzustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Der Vertrag und die Einsetzung des Souveräns . . 107 Die Rechte und Pflichten des Souveräns . . . . . . . 122 Politische Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
4 Rezeptionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 5
Siglen
Bei Einzelausgaben wird zunächst der Originaltitel angeführt, dann die dt. Ausgabe, nach der zitiert wird. OL
EW
EI.
Corp.
Horn.
Thomas Hobbes Malmesburiensis opera philosophica quae latine scripsit omnia, hrsg. von William Molesworth, 5 Bde., London 1839 – 1845 (J. Bohn), Nachdrucke Aalen 1961 sowie Darmstadt 1966. The English Works of Thomas Hobbes of Malmesbury, hrsg. von William Molesworth, 11 Bde., London 1839 – 1845 (J. Bohn), Nachdrucke Aalen 1962 und Darmstadt 1966. The Elements of Law (1640) – Naturrecht und allgemeines Staatsrecht in den Anfangsgründen, übersetzt und mit einer Einführung von Ferdinand Tönnies, Essen 1926; Neudruck mit einem Vorwort von Arthur Kaufmann, Darmstadt 1983. Elementorum Philosophiae sectio prima de Corpore (1655) – Elemente der Philosophie. Erste Abteilung. Der Körper, übersetzt u. hrsg. von Karl Schuhmann, Hamburg 1996. Elementorum Philosophiae sectio secunda de Homine (1658) – Vom Menschen. Vom Bürger. Elemente der Philosophie II/III, eingeleitet und herausgegeben von 7
Günter Gawlick, 3., verbesserte Auflage, Hamburg 1994, S. 1 – 56 (enth. Kap. 1, 10 – 15). Civ. Elementorum Philosphiae sectio tertia de Cive (1642) Vom Menschen. Vom Bürger. Elemente der Philosophie II/III, eingeleitet und herausgegeben von Günter Gawlick, 3., verbesserte Auflage, Hamburg 1994, S.57 – 327. CivLib. Hobbes über die Freiheit. Widmungsschreiben, Vorwort an die Leser und Kapitel I-III aus »De Cive« (lat.dt.), eingeleitet und mit Schollien herausgegeben von Georg Geismann und Karlfriedrich Herb, Würzburg 1988. Lev. Leviathan or The Matter, Forme and Power of a Commonwealth, Ecclesiasticall and Civill (1651) – Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, herausgegeben und eingeleitet von Iring Fetscher, übersetzt von Walter Euchner, Neuwied/Berlin 1966; Neudruck mit Nachträgen zur Einleitung und zur Bibliographie, Frankfurt/M. 1984. Beh. Behemoth or The Long Parliament (1679) – Behemoth oder Das Lange Parlament, herausgegeben und mit einem Essay von Herfried Münkler, Frankfurt/M. 1991. Dial. A Dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Laws of England (1681) – Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Recht, herausgegeben und kommentiert von Bernard Willms, Weinheim 1992.
8
1 Einleitung *
Von der Grundlegung bis in die Einzelheiten hinein hat Hobbes seine politische Theorie in Auseinandersetzung mit den Überlegungen von Platon und Aristoteles entwickelt – auch und gerade dort, wo er sich von ihnen grundlegend absetzt. Hobbes’ theoretisch-methodischer Ansatz kann daher tatsächlich als Bruch mit einer zweitausendjährigen Tradition politischen Denkens beschrieben werden, als den er ihn selbst empfunden und propagiert hat. Manifest wird dieser Bruch nicht nur in der von ihm vollzogenen Abkehr von der aristotelischen Tugendlehre, sondern auch in einer Überführung der Grundsätze des politischen Denkens aus dem Feld der praktischen in das der theoretischen Philosophie. Auch wenn Hobbes’ diesbezügliche systematische Überlegungen sich nicht in seiner politischen Theorie erschöpfen, so bildet sie doch unverkennbar das Kernstück, auf das hin seine gesamte Philosophie bezogen werden kann.
Leo Strauss hat Thomas Hobbes als einen »unklugen, koboldhaften und bilderstürmerischen Extremisten« bezeichnet. Da* Meiner Mitarbeiterin Skadi Krause, M.A., danke ich für zahlreiche Hinweise und Anregungen bei der Überarbeitung der Fassung von 1993.
9
mít wollte er ihn keineswegs denunzieren und herabsetzen, denn er fährt in seiner Charakterisierung fort, Hobbes sei »wegen seiner fast jungenhaften Offenheit, seiner nie versagenden Menschlichkeit und seiner wunderbaren Klarheit und Nachdrücklichkeit ein [. . .] genußreicher Schriftsteller«.1 Was Strauss offenkundig zum Ausdruck bringen wollte, ist die frappante Gleichzeitigkeit von Radikalität und Ambivalenz in Hobbes’ politischer Theorie, die sich gemeinhin ausschließen: Die Ambivalenz einer Theorie wird als Folge fehlender Radikalität begriffen, so wie umgekehrt die radikale Durchdringung eines Problems beansprucht, dessen ambivalente, mehrdeutige Erscheinungsweise in ihren Ursachen aufzuklären und eindeutig zu machen. Bei Hobbes ist dies anders: Der Mann, der in der Literatur übereinstimmend als revolutionärer Mitbegründer der politischen Philosophie der Neuzeit bezeichnet wird, wird zugleich von den einen als erster liberaler Politiktheoretiker angesehen,2 während andere ihn als denjenigen begreifen, der wie kaum ein anderer in dieser Eindeutigkeit das Erfordernis des starken, autoritären Staates zwingend nachgewiesen habe.3 Bemerkenswert an diesen widersprüchlichen Lesarten der Hobbesschen Theorie ist, dass beide gute Gründe für die Richtigkeit ihrer jeweiligen Sichtweise geltend machen können. Im Falle der Hobbesschen Theorie scheint Ambivalenz durch Radikalität nicht getilgt, sondern gerade erst hervorgebracht worden zu sein. Insofern um dieses Problem des Nebeneinanders und der Gleichzeitigkeit von argumentativer Klarheit und politischer Mehrdeutigkeit nahezu alle Interpretationen der Hobbesschen Theorie kreisen, ist es naheliegend, dieses Problem zum Ausgangspunkt der Darstellung zu nehmen. Hobbes hat sich mehrfach und dezidiert von allen Traditionen des politischen Denkens abgesetzt und seine Theorie als revolutionären Neubeginn, ja als Beginn des politischen Denkens überhaupt bezeichnet. In dem an den Earl of Devonshire gerichteten Widmungsbrief zu De cive schreibt er: 10
»Wenn die Moralphilosophen ihre Aufgabe mit gleichem Geschick [wie die Geometer] gelöst hätten, so wüßte ich nicht, was der menschliche Fleiß darüber hinaus noch zum Glück der Menschen in diesem Leben beitragen könnte. Denn wenn die Verhältnisse der menschlichen Handlungen mit der gleichen Gewißheit erkannt worden wären, wie es mit den Größenverhältnissen der Figuren geschehen ist, so würden Ehrgeiz und Habgier gefahrlos werden, da ihre Macht sich nur auf die falschen Ansichten der Menge über Recht und Unrecht stützt, und das Menschengeschlecht würde eines beständigen Friedens genießen [. . .]. Wenn dagegen jetzt der Krieg mit den Schwertern und der Krieg mit den Federn kein Ende nimmt; wenn die Kenntnis des Rechts und der natürlichen Gesetze heute nicht größer ist als in alten Zeiten; wenn jede Partei ihr Recht mit Aussprüchen der Philosophen unterstützt; wenn dieselbe Handlung von dem einen gelobt und von dem andem getadelt wird, wenn derselbe Mensch heute das billigt, was er morgen verdammt, und wenn er die eigenen Taten anders beurteilt, sofern sie andere tun: so sind dies überaus deutliche Zeichen, daß die bisherigen Schriften der Moralphilosophen zur Erkenntnis der Wahrheit nichts beigetragen haben« (Civ. 61f.).
Hobbes ist also der Auffassung, dass der Bürgerkrieg, der während der Niederschrift von De Cive in England offen ausgebrochen war und der auf dem Kontinent seit einem Jahrhundert die Länder und Staaten zerrüttete, vermeidbar gewesen wäre, wenn Moralphilosophie und politische Wissenschaft jene Fortschritte gemacht hätten, wie sie im Bereich der Naturwissenschaften zu verzeichnen waren. Was ihnen dazu jedoch gefehlt hat, war, so Hobbes, ein »geeigneter Ausgangspunkt« (commodum principium), und den glaubte er, wie er eingangs der zitierten Passage andeutet, darin gefunden zu haben, dass er »die Verhältnisse der menschlichen Handlungen« in derselben Weise zueinander in Beziehung setzte, wie dies die Geometrie mit den »Größenverhältnissen der Figuren« tat. Eine more geometrico verfahrende politische Theorie würde danach die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Bürgerkrieg beendet und eine stabile politische Ordnung begründet werden könnte. Dies aber sei nur möglich, wenn mit den überkommenen Formen 11
politischen Denkens gebrochen werde, denn sie hätten sich als unfähig erwiesen, die Gesetze des Friedens zu entdecken. Was Hobbes damit verlangte, war die Abkehr von der aristotelischen Tugendlehre wie überhaupt die Abkehr des politischen Denkens von der praktischen Philosophie und seine Überführung in die theoretische Philosophie. Aristoteles hatte die Einordnung der Politik – neben Ethik und Ökonomik – in den Bereich der praktischen Philosophie damit begründet, dass sie es mit veränderlichen, von Zeitraum und äußeren Gegebenheiten abhängigen Problemen zu tun habe und es in ihr darum neben dem richtigen Erkennen auf das rechte Handeln ankomme. Es ist die wissensystematische Zuordnung politischer Theorie zur praktischen Philosophie, gegen die Hobbes an der oben zitierten Stelle mit dem Argument angeht, sie habe dazu geführt, dass es im politischen Denken seit der Antike keinen Fortschritt gegeben habe, denn diese Art des Denkens sei aufgrund des fehlenden systematischen Ausgangspunktes nicht in der Lage, die Ordnung der Gesellschaft rational zu konstruieren und diesbezügliches Wissen zu akkumulieren. Was Hobbes vorschlägt, ist ein fundamentaler Bruch mit einer zweitausendjährigen Tradition politischen Denkens. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass Hobbes in dem knapp ein Jahrzehnt später verfassten Widmungsbrief zu De corpore die Behauptung aufgestellt hat, politische Philosophie im exakten Sinne sei »nicht älter als das Buch, welches ich selbst unter dem Titel De cive verfaßt habe« (OL 12). Es dürften diese und ähnliche, die wissenschaftliche wie die politische Gelehrsamkeit vor den Kopf stoßenden Äußerungen gewesen sein, die Leo Strauss dazu veranlasst haben, Hobbes als »unklug« zu bezeichnen. So hat Hobbes seine Überzeugungen und Grundsätze in einer Schärfe und Unversöhnlichkeit vorgetragen, dass sie zum Ausgangspunkt immer neuer Kontroversen und Auseinandersetzungen werden mussten, und tatsächlich war Hobbes, seitdem er 1640 seine Elements of Law als roya12
listische Parteischrift verfasst hatte – er war damals immerhin schon über fünfzig Jahre alt –, bis zu seinem Lebensende in immer neue Polemiken verwickelt: über die Freiheit des Willens, über die Quadratur des Kreises, über Organisation und Lehrinhalte der Universitäten und vor allem natürlich über seine politische Theorie, die nicht nur bei seinen politischen Gegnern, sondern auch bei seinen politischen Freunden auf heftigen Widerspruch und strikte Ablehnung stieß.4 Dabei hatte Hobbes offensichtlich erwartet, er könne durch die schlagende Klarheit der Argumente seine Leser überzeugen und dazu bringen, seinen Hinweisen und Ratschlägen aus Einsicht zu folgen. So erklärte er in dem De cive vorangestellten »Vorwort an die Leser«: »Wenn Sie die von mir aufgestellte Lehre erfaßt und begriffen haben werden, so hoffe ich, daß Sie lieber einige Unbequemlichkeiten im Privatleben, da die menschlichen Dinge nicht frei von aller Unbequemlichkeit sein können, mit Geduld ertragen werden, als daß Sie den Staat in Verwirrung bringen; daß Sie die Gerechtigkeit Ihrer Unternehmungen nicht nach den Reden und dem Rate einzelner Bürger, sondern nach den Gesetzen des Staates bemessen werden und daß Sie nicht mehr von ehrgeizigen Menschen sich werden mißbrauchen lassen, um mit Ihrem Blute diesen zur Macht zu verhelfen. Ich hoffe, daß Sie es vielmehr vorziehen werden, den gegenwärtigen Zustand, auch wenn er nicht der beste ist, selbst zu genießen, als Krieg zu beginnen, damit, nachdem Sie selbst getötet worden oder das Alter Sie verzehrt hat, andere in einem späteren Jahrhundert eine verbesserte Verfassung besitzen« (Civ., 72).
Hobbes hat seine Leser davon überzeugen wollen, dass Gehorsam gegenüber dem Souverän, wer auch immer er sei, die geeignetste Form ist, die eigenen Interessen zu verfolgen. Dabei hat er nicht an den Altruismus und die Opferbereitschaft der Bürger appelliert, sondern im Gegenteil auf deren wohlverstandenes Eigeninteresse gesetzt, von dem er erwartete, es werde ein hinreichendes Gegengewicht gegen politische Visionen sein, die 13
eine bessere Zukunft versprachen, von denen Hobbes aber nichts anderes als unmittelbare Konfliktintensivierung erwartete. In diesem Sinne hat er seine Theorie als eine Belehrung zur Orientierung am Eigeninteresse verstanden. Ganz offensichtlich hat er bei der Niederschrift der zitierten Passagen geglaubt, dies könne und werde ihm mit der Veröffentlichung von De cive gelingen. Er dürfte kaum vorausgesehen haben, dass seine auf die Herstellung eines dauerhaften Friedens ausgerichtete Lehre zum Ausgangspunkt heftiger Auseinandersetzungen werden würde, zumal er doch, wie er versicherte, »nicht im Interesse einer Partei, sondern des Friedens« schrieb (Civ., 74). Solche Erwartungen in einer ideologisch hochgradig aufgeladenen Bürgerkriegssituation zu hegen, war naiv oder, wie Leo Strauss es nannte, »unklug«. Denn gerade in einer solchen Situation wurde, wie Hobbes sehr bald erfahren musste, jede theoretische Intervention zur Parteinahme. Hatte er eine solche Parteinahme noch intendiert, als er auf Vorschlag des Earl of Newcastle die Elements of Law verfasste und Abschriften unter den Abgeordneten des Kurzen Parlaments zirkulieren ließ, so hat er De cive wie das große Werk Leviathan als jedem Parteistandpunkt überhobene theoretische Reflexionen in praktischer Absicht verstanden. Für die von Hobbes mit so großer Eindringlichkeit analysierte Bürgerkriegssituation ist jedoch gerade charakteristisch, dass es in ihr einen von den Konfliktparteien unabhängigen Standpunkt der politischen Vernunft nicht mehr gibt. Was dem »Krieg der Federn«, wie Hobbes die Schriften der Parteiintellektuellen später genannt hat, überhoben sein sollte, wurde von den Zeitgenossen als Teilnahme daran wahrgenommen.5 So wurde die Lehre von der Unterwerfung unter die de-facto-Macht, wie sie Hobbes im Leviathan entwickelt, in royalistischen Kreisen sogleich (und mit Grund) als Aufforderung zur Unterwerfung unter die Republik bzw. die Militärdiktatur Oliver Cromwells verstanden, und Hobbes, der nach der Niederschrift der Elements of Law nach Frankreich hatte 14
fliehen müssen, kam zu dem Ergebnis, er müsse nun vom Exilhof Karls II. in Frankreich wieder nach England fliehen. Das macht, um Leo Strauss’ dritte Charakterisierung des Thomas Hobbes aufzugreifen, das Koboldhafte an Hobbes aus: Die konsequente Orientierung an der Herstellung des Friedens und die Logik seiner eigenen Theorie, der er sich aus kurzfristigen taktischen Erwägungen auch nicht zu entziehen bereit war, haben ihn, der durchweg ein überzeugter Anhänger der Monarchie war, dazu veranlasst, eine faktisch prorepublikanische und antiroyalistische Position einzunehmen – was sein alter Kontrahent und Gegenspieler Edward Hyde, Earl of Clarendon, ihm nach der Restauration der Stuarts mehrfach zum Vorwurf gemacht hat: Ein Monarch, so Clarendon, sei gut beraten, seine und seines Staates Sicherheit nicht auf die Theorie eines Thomas Hobbes zu gründen, denn sie sei kaum geeignet, ihm die Loyalität und Treue seiner Untertanen zu erhalten. Nun kann eine Theorie, die in ihrem Kerngehalt während eines Zeitraums von etwa zehn Jahren, zwischen der Abfassung der Elements of Law und der Niederschrift des Leviathan, erarbeitet worden ist, und dies unter dem Eindruck eines Bürgerkrieges, schwerlich völlig aus einem Guss sein. Fraglos gibt es eine Entwicklung der Hobbesschen Theorie, auch wenn diese in Anbetracht der dramatischen Umstände, unter denen sie entstanden ist, bemerkenswert wenig Risse aufweist. Akzentverschiebungen und Gewichtsverlagerungen freilich sind bei genauerer Betrachtung nicht zu übersehen: Zunächst ist eine deutliche Entnormativierung der Rolle des Souveräns festzustellen, dessen Aufgaben und Pflichten in den Elements of Law noch viel deutlicher und klarer bestimmt werden, als dies später der Fall ist. So ist die Absolutheit der obersten Gewalt im Leviathan erheblich ausgeprägter als in den vorangegangenen Schriften.6 Andererseits sind die Elements eher eine politische Tendenzschrift, während es sich beim Leviathan um eine systematisch-staatstheoretische Abhandlung handelt. 15
Gleichzeitig wird Hobbes’ Sprache im Exil leidenschaftlicher und polemischer, er wirbt nicht mehr um die Zustimmung derer, die nicht seiner Meinung sind, sondern sucht seine Gegner mit klaren Beweisketten zu widerlegen. Unübersehbar ist auch die im Verlaufe der Zeit wachsende Bedeutung, die er der Religion für die kohärente und überzeugende Darlegung seiner Theorie beimisst: Spielte sie in den Elements noch eine eher beiläufige Rolle, weswegen er ihr auch bloß die Kap. VI und VII des zweiten Teils widmet, in denen er die Bedeutung privater Urteile in Religionsstreitigkeiten sowie die Superiorität der souveränen Gewalt auch in Glaubensfragen nachzuweisen sucht, so hat er der Religion in De cive bereits einen von insgesamt drei Abschnitten gewidmet. Offenkundig hat Hobbes die Notwendigkeit gesehen, parallel zur Entnormativierung der Rolle des Souveräns den Nachweis zu führen, dass die Absolutheit der ihm zugesprochenen Macht nicht in Widerspruch steht zu den Geboten und Gesetzen, die Gott den Menschen gegeben hat. Ähnlich wie nach ihm Spinoza ist Hobbes dabei immer mehr zum Bibelinterpreten bzw. zum Begründer der historischen Bibelkritik geworden. Ihren Abschluss fand diese Entwicklung schließlich im Leviathan, worin er mit zwei von vier Büchern (»Vom christlichen Staat«; »Vom Reich der Finsternis«) die Hälfte des gesamten Werkes Fragen der Religion gewidmet hat. Es ist in der Forschungsliteratur üblich geworden, Hobbes’ Auseinandersetzung mit Religionsfragen als den Zeitumständen geschuldet zu behandeln, um sich fast ausschließlich auf die für die gegenwärtige politikwissenschaftliche wie sozialphilosophische Diskussion anschlussfähigen Teile der Begründung einer politischen Gemeinschaft qua Vertrag sowie dessen Voraussetzungen und Folgen zu konzentrieren. Nun ist zweifellos richtig, dass Hobbes’ politische Theorie in vielfältigen Frontstellungen gegen unterschiedliche Gegner und Kontrahenten entstanden ist, beginnend bei der aristotelischen Schulphilosophie über die Common-Law-Juristen und Anhänger einer 16
Mischverfassung bis zu den zahllosen Gruppen der Theologen, von den Papisten bis zu den Millenariern, die damit beginnen wollten, Gottes Reich auf Erden zu errichten, und manche Überlegung von Hobbes ist insofern heute tatsächlich eher von historischem als von politiktheoretischem Interesse. Aber es ist doch augenfällig, dass Hobbes, je prägnanter er das kontraktualistische Argument und, damit verbunden, die Idee der Absolutheit souveräner Macht entwickelte, das Erfordernis einer theologisch-moralischen Unterfütterung seiner kalkülrationalen Staatskonstruktion gespürt hat. Der wachsende Umfang der religiösen Fragen gewidmeten Teile seiner Schriften ist nicht (nur) seinem Bestreben zu überzeugen geschuldet, sondern auch dem freilich niemals explitzit eingestandenen Empfinden, dass ein bloß auf der Kalkülrationalität individueller Nutzenmaximierer errichteter Staat trotz der Konzentration absoluter Macht beim Souverän auf längere Sicht eine fragile Angelegenheit wäre und er darum einiger zusätzlicher Begründungen bedurfte, die nicht in die interessengesteuerte Verfügung der staatsbildenden Individuen gestellt waren. Carl Schmitts vielzitierter Einwand gegen Hobbes, dieser habe durch die Trennung von confessio und fides, öffentlichem Bekenntnis und privatem Glauben, eine Lücke geöffnet, die den Bürgern eine zunehmende Distanzierung von staatlichen Festlegungen ermöglicht habe,7 weist darauf als Problem hin, während Klaus-Michael Kodalle, von Schmitt herkommend, aber dessen Kritik an Hobbes affirmativ wendend, die Auffassung vertreten hat, Hobbes habe den religiösen Bereich ganz bewusst als eine dem rationalen Zugriff der Einzelnen überhobene transzendente Wahrheitsebene eingeführt, um derart der politischen Ordnung erst den entscheidenden Halt zu verleihen.8 Unverkennbar ist dies keine Diskussion, bei der es bloß um die Frage eines richtigen und adäquaten Verständnisses der Hobbesschen Theorie geht. Was hier am Material der Hobbesschen Theorie verhandelt wird, ist vielmehr die Frage, ob eine 17
politische Gemeinschaft zureichend qua Gesellschaftsvertrag begründet werden kann oder aber die kontraktualistische Legitimation eines zivilreligiösen Unterbaus bedarf, der für die Gesellschaftsmitglieder eine höhere Verpflichtung darstellt, als dies ihr wohlverstandenes Eigeninteresse ist. Aber nicht nur Intensität und Umfang der Beschäftigung mit Fragen der Religion haben sich im Entstehungsverlauf der Hobbesschen Theorie verändert, sondern auch die Geschichtsschreibung erfährt durch ihn eine deutlich unterschiedliche Behandlung: In der Zeit, in der Hobbes am sozialphilosophischen Kerngehalt seiner Theorie arbeitete, also von der Abfassung der Elements bis zur Niederschrift des Leviathan, hat er der Geschichtsschreibung eine bestenfalls marginale Bedeutung für die Herstellung einer politisch stabilen Ordnung beigemessen; je mehr er nämlich auf eine more geometrico verfahrende Begründung der politischen Ordnung setzte, desto weniger Gewicht kam der Geschichte zu, stand diese doch für das historisch Kontingente, während es ihm darum ging, eine von zeitlichem wie räumlichem Kontext unabhängige Begründung des Gemeinwesens zu entwerfen. Hobbes setzte dabei auf das Verfahren historischer wie geographischer Dekontextualisierung, um im Bereich der Moralphilosophie und Politiktheorie allgemeingültige Aussagen machen zu können. Demgemäß hat er vor der Lektüre nicht nur der Philosophen, sondern auch der Historiker der Antike eindringlich gewarnt:
»Was die Rebellion gegen die Monarchie im besonderen betrifft, so ist eine ihrer häufigsten Ursachen die Lektüre der politischen und historischen Schriften der alten Griechen und Römer [. . .]. Die Lektüre dieser Bücher, meine ich, brachte die Menschen dazu, ihre Könige zu töten, weil die griechischen und römischen Schriftsteller in ihren Büchern und Abhandlungen über Politik dies zu einer rechtmäßigen und lobenswerten Handlung für jedermann machten, vorausgesetzt, er nenne ihn vor der Tat einen Tyrannen« (Lev., 249).
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Und an anderer Stelle schreibt er: »Durch Lektüre dieser griechischen und römischen Schriftsteller wurde es den Menschen von Kindheit an unter dem Einfluß eines falschen Freiheitsbildes zur Gewohnheit, Aufruhr gutzuheißen und die Handlungen ihres Souveräns sowie die Kritik der Kritiker zu kritisieren, was mit soviel Blutvergießen verbunden ist, daß ich wohl recht habe, wenn ich sage, daß niemals etwas so teuer erkauft wurde wie das Erlernen der griechischen und lateinischen Sprache von der westlichen Welt« (Lev., 167).
Hobbes hat hier ganz entschieden bezweifelt, dass aus der Lektüre historischer Schriften etwas für die Herstellung einer stabilen politischen Ordnung Fruchtbares gelernt werden könne. Im Gegenteil: Die Beschäftigung mit der Geschichte hatte politisch eher destabilisierende Wirkung – jedenfalls bei all denen, die sich zuvor nicht durch die Kenntnis der wahren Konstruktionsprinzipien einer politischen Ordnung gegen die Verführungskünste der Geschichte immunisiert hatten. Andererseits hat Hobbes aber selbst, und zwar sowohl vor als auch nach jenem Jahrzehnt, in dem er seine politisch-philosophische Theorie ausarbeitete, sich intensiv mit der Geschichte beschäftigt und dazu beigetragen, dass diese einem größeren Publikum bekannt wurde. Zu nennen ist zunächst seine 1628 veröffentlichte englische Übersetzung des Thukydides, dessen Werk ob seines Inhalts, der Analyse der Entstehung eines Krieges und des Zerfalls eines Gemeinwesens, wie auch ob seines nüchternen, unpathetischen Realismus für ihn stets von großer Bedeutung geblieben ist; sodann aber auch sein eigenes Spätwerk Behemoth, in dem Hobbes die Geschichte des Englischen Bürgerkriegs einer scharfsinnigen Analyse unterzogen hat.9 In diesem in der Forschung lange und in vieler Hinsicht immer noch unterschätzten Werk erklärt Hobbes in seinem an Sir Henry Bennet gerichteten Widmungsschreiben: »Es gibt nichts Belehrenderes in bezug auf Untertanentreue und Gerechtigkeit als die Erinnerung an diesen Krieg, so lange sie dauert« (Beh., 11). 19
Hier nimmt Hobbes die vordem so stark akzentuierte skeptische Distanz gegenüber der Historiographie deutlich zurück, mehr noch: Er weist der Geschichte einen veränderten Stellenwert für die politische Theorie zu: Ging es in den Elements in De cive und im Leviathan darum, das Wissen um die richtigen Konstitutionsprinzipien der politischen Ordnung kontextunabhängig zu entwickeln, um so ohne Rücksicht auf räumliche wie zeitliche Gegebenheiten wahre Aussagen über die Ordnung eines politischen Gemeinwesens machen zu können, so lässt Hobbes nun den die Erläuterungen liefernden Teilnehmer des Dialogs, den Gesprächspartner A, erklären: »Wenn es ebenso wie im Raume auch in der Zeit Höhe und Tiefe gäbe, so möchte ich wahrhaft glauben, daß der Höhepunkt der Zeit zwischen 1640 und 1660 liegt. Denn wer damals wie vom Berge der Versuchung aus die Welt betrachtete und die Handlungsweise der Menschen besonders in England beobachtete, würde einen Überblick über alle Arten von Ungerechtigkeiten und Torheiten, die die Welt sich je leisten konnte, bekommen haben. Er würde genau gesehen haben, wie diese Ungerechtigkeiten und Torheiten von den Müttern Heuchelei und Dünkel geboren wurden, deren eine die doppelte Ungerechtigkeit, die andere die zweifache Torheit verkörpert« (Beh., 12).
Nun lässt sich der erkennbare Wechsel in Hobbes methodischer Generierung von Wissen sicherlich dadurch entschärfen, dass man darauf verweist, Hobbes sei, als er den Behemoth verfasste, bald achtzig Jahre alt gewesen und habe sich womöglich nicht mehr auf der Höhe seines eigenen Systems befunden. Auch wenn dies dezidiert nur selten erklärt worden ist, hat man doch den Behemoth zumeist so behandelt: Man hat die Darstellung der Hobbesschen politischen Theorie auf die Bücher De cive und Leviathan beschränkt, die Elements of Law vielleicht als ersten, noch etwas ungelenken Versuch des Systementwurfs einbezogen und dabei den Behemoth ebenso vernachlässigt wie den Dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Laws of England. Dabei hätten schon die von Hobbes 20
gewählten Titel seiner Bücher, der unverkennbare Bezug der Bürgerkriegsanalyse auf die Staatskonstruktion durch die Komplementarität der mythischen Ungeheuer aus dem Buch Hiob, des Seeungeheuers Leviathan und des Landungeheuers Behemoth, als Hinweis deutlich genug sein müssen, dass Hobbes selbst die Bürgerkriegsanalyse im Behemoth seinem Hauptwerk Leviathan zur Seite gestellt wissen wollte. Aber es gibt noch weitere Gründe, den im Behemoth gewählten methodischen Ausgangspunkt der Wissensgenerierung ernster zu nehmen, als dies eine die geometrische Methode zum Dogma der Hobbesschen Theorie erhebende Sichtweise tut. Ist nämlich der von Hobbes mehrfach beschriebene Naturzustand der notwendige systematische Ausgangspunkt seiner Vertragskonstruktion, so kommt diesem Naturzustand gerade dann, wenn er nicht als historischer Zustand, sondern als intellektuelle Fiktion begriffen wird, eine erkenntnistheoretisch privilegierte Position zu, insofern erst von ihm aus das Erfordernis von Staatlichkeit und Machtkonzentration beim Souverän erkennbar wird. Begreift man diesen Naturzustand als »Idealtypus des Ausnahmezustandes«,10 so liegt die Verbindung zum Bürgerkrieg nahe, und die in der oben zitierten Stelle von Hobbes vorgenommene erkenntnistheoretische Privilegierung des Bürgerkriegs, seine Apostrophierung als Berg oder Höhe, von der aus man einen besseren Überblick habe, steht ganz in der von Hobbes entwickelten Systematik politischen Denkens. In gewisser Hinsicht ist die Frage nach der Bedeutung des Spätwerks mit einer immer wieder kontrovers diskutierten Frage der Hobbes-Interpretation verbunden, der Frage nämlich, ob das Hobbessche System zwingend und kohärent aus seinen methodologischen Grundvoraussetzungen entwickelt werden kann,11 oder aber »die universale Bedeutung von Hobbes’ politischer Wissenschaft so lange verkannt bleiben (muß), als man, im Einklang mit wichtigen Äußerungen von Hobbes selbst, die Methode für entscheidend hält«.12 Die Konsequenz 21
der jeweiligen Zugangsweise für die Umfangsbestimmung des Hobbesschen Werkes ist klar: Wer Hobbes’ politische Theorie wesentlich als durch die geometrische Methode generiert begreift, kann mit dem Spätwerk wenig anfangen, zumal Hobbes darin die rational-deduktive Darstellungsweise, deren er sich von den Elements bis zum Leviathan bediente, aufgegeben und wieder auf die in den moralphilosophischen Schriften der Humanisten gepflegte Dialogform zurückgegriffen hat. Dagegen kann eine Hobbes-Interpretation, die sein Werk wesentlich durch eine neue Wahrnehmung des politischen Materials charakterisiert sieht, das Spätwerk, das sich wohl methodisch, nicht jedoch »gesinnungsmäßig« von den zwischen 1640 und 1651 verfassten Büchern abhebt, ohne weiteres in den Kerngehalt der Hobbesschen Theorie einbeziehen. Gerade weil Hobbes unter die wichtigsten Klassiker des politischen Denkens zu zählen ist, gibt es eine verbreitete Neigung, aus seinem umfänglichen Werk nicht nur einen Kerngehalt herauszuschälen, sondern diesen dann auch als Hobbes’ eigentliche Theorie zu bezeichnen. Sowohl die Konzentration auf das kontraktualistische Argument als auch auf die geometrische Methode haben in dem beschriebenen Sinn theorieverkürzend gewirkt. Die Folge solcher Verkürzungen ist jedoch nur ein zeitweiliger Gewinn an theoretischer Prägnanz, der beglichen werden muss mit einem langfristigen Verlust an Reflexionspotenzialen, die eine Theorie besitzt. Auch aus diesem Grund, sicherlich aber auch, um die oben geforderte Widerständigkeit einer Theorie gegen einen interpretativ willkürlichen Zugriff zu wahren, soll nachfolgend versucht werden, die Hobbessche Theorie so umfänglich wie möglich darzustellen, d. h. neben den die jüngere sozialphilosophischen, juristischen wie politikwissenschaftlichen Diskussionen befruchtenden Teilen auch jene zu berücksichtigen, die einem ersten Anschein nach von eher historischem Interesse sind.
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2 Erfahrungen und Konsequenzen
2.1 Hobbes’ Vita und Werk Hobbes’ Motivation und sein Ehrgeiz, für die politische Theorie ein alle bisherigen Ansätze vergessen machendes Grundlagenwerk zu schreiben, das die Wiederherstellung und Sicherung des inneren Friedens auf allgemeine Prinzipien gründet, denen jeder in seinem wohlverstandenen eigenen Interesse zustimmen können muss, speist sich aus drei Quellen: Der Nähe zu den politischen Entscheidungsträgern seiner Zeit, den persönlichen Erfahrungen aus dem englischen Bürgerkrieg und der festen Überzeugung, in der Geometrie Euklids einen zuverlässigen neuen Ansatz der politischen Wissenschaft gefunden zu haben. Seinem theoretischen Selbstverständnis entsprechend entwickelt Hobbes die allgemeinen Prinzipien seiner Theorie denn auch nicht unter Rekurs auf die in England vorgefundene, historisch entstandene Ordnung, die ihm selbst viel zu bürgerkriegsträchtig scheint, sondern leitet sie aus allgemeinen Prämissen hinsichtlich der fundamental verschiedenen Existenzbedingungen des Menschen im Natur- und im Gesellschaftszustand ab.
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Biographisches Material, das über Hobbes’ langes Leben – immerhin wurde er über 90 Jahre alt – genaueren Aufschluss geben könnte, ist spärlich. Gäbe es nicht die Aufzeichnungen der Familie Cavendish und John Aubreys Lebensbeschreibungen, in denen er sich neben Isaak Newton, Robert Boyle, John Dryden und anderen auch Thomas Hobbes zuwendet,13 würde die Person des Thomas Hobbes gänzlich hinter dem Werk verschwinden. Zweifellos kann dieses Werk auch ohne Rückgriff auf die Person des Verfassers begriffen und interpretiert werden, aber die eine oder andere Wendung in Hobbes’ Leben, ein Zusammentreffen oder eine Auseinandersetzung mit berühmten oder weniger berühmten Zeitgenossen lassen doch bestimmte Aspekte und Zuspitzungen seiner Theorie deutlicher hervortreten. Die Beschäftigung mit Hobbes’ Vita ist nicht unerlässlich, aber doch bedeutsam für das Verständnis seines Werks. Von herausgehobener Bedeutung ist dabei sicherlich die Erfahrung des englischen Bürgerkriegs, auf den hier in einem eigenen Kapitel gesondert eingegangen werden soll. Hobbes war ein vielgereister Mann: Dreimal hatte er als Tutor eines adligen Zöglings den Kontinent bereist – diese oft mehrere Jahre dauernden Bildungsreisen junger Adliger, »Grand Tour« genannt, bildeten den Abschluss ihrer Erziehung zum Gentleman –, und dabei hatte er die führenden Gelehrten seiner Zeit kennengelernt: in Paris den Abbe´ Marin Mersenne, Pierre Gassendi und Rene´ Descartes, in Florenz Galileo Galilei, und in England hatte er mit Francis Bacon (dessen Privatsekretär Hobbes vermutlich zeitweise war) und William Harvey engen Kontakt. Hobbes hat also in einem mehr oder minder intensiven Gedankenaustausch – und das hieß bei ihm auch: in scharfen Auseinandersetzungen – mit den großen Denkern seiner Zeit gestanden. Ermöglicht wurde dies nicht zuletzt dadurch, dass er nach Beendigung seines mit dem Baccalaureat abgeschlossenen Universitätsstudiums in die Dienste einer der führenden adligen Familien Englands eingetreten war; so konnte 24
er ein weltoffeneres und Neuerungen aufgeschlosseneres intellektuelles Leben führen, als ihm dies etwa in einem Anstellungsverhältnis an der Universität möglich gewesen wäre. Hobbes’ formelle wie faktische Stellung als Hauslehrer und Hofmeister (die Gewichte verschoben sich hier von Zeit zu Zeit), was vielleicht als eines großen Gelehrten unwürdig erscheinen mag,14 war die beste Voraussetzung dafür, dass Hobbes jene Werke schreiben konnte, die ihn zu einem der herausragenden Köpfe in der Geschichte des politischen Denkens haben werden lassen. Dabei ist bemerkenswert, dass er, der sich zeitlebens in der Umgebung des Adels bewegt hat, seiner politischen Theorie ein Menschenbild zugrunde legte, in dem adlige Ideale und Lebensentwürfe überhaupt keine Rolle spielen, sondern alle Werte in einer als bürgerlich zu bezeichnenden Kalkülrationalität verschwinden. Zu Hobbes’ Bildungsreisen durch Europa, vor allem durch Frankreich und Italien, kommt noch das zehnjährige Exil hinzu, in das er nach Einberufung des Langen Parlaments als einer der ersten gegangen ist. Während dieser Zeit hat er sich überwiegend in Paris aufgehalten, zumeist am Exilhof der Gemahlin Karls I., Maria Henrietta von Frankreich, einer Schwester Ludwigs XIII. Hier wurde ihm schließlich auch die ehrenvolle Aufgabe zuteil, dem Thronfolger, dem nachmaligen König Karl II., Unterricht in Mathematik zu erteilen. Hobbes hat sich also seit Ende seines Universitätsstudiums ständig im Umkreis politischer Macht bewegt, wurde dort in entsprechende Diskussionen involviert und hat so ein umfassendes politisches Wissen entwickeln können. Er hat demgemäß schon früh einen durch die Nähe zur Macht geschärften Blick auf das politische Geschehen ausgebildet, was für den Sohn eines einfachen Landgeistlichen eher ungewöhnlich gewesen sein dürfte. Aber er hat an der Ausübung der politischen Macht nie partizipiert, blieb stets ein Beobachter, und selbst als er mit dem Unterricht für den Prince of Wales betraut wurde, betraf dies eben 25
Fragen der Mathematik und nicht der Politik. Es dürfte nicht zuletzt diese Stellung in der Nähe politischer Macht, aber ohne jeden – und sei es auch nur beratenden – Einfluss auf sie gewesen sein, die neben anderem, etwa der Erfahrung des Bürgerkrieges oder der Überzeugung, einen methodisch neuen Ansatz gefunden zu haben, Hobbes dazu prädestiniert hat, sich intensiv mit Fragen der Politik auseinanderzusetzen und schließlich eine neue politische Theorie zu entwerfen. Offensichtlich hat er darin einen Teil jener Probleme zu kompensieren vermocht, die für ihn aus der erzwungenen Untätigkeit und der – in seinen Augen evidenten – Unfähigkeit der Akteure resultierten. Der in seinen Widmungsschreiben und Vorworten immer wieder herausgestellte Anspruch, die Errichtung einer stabilen politischen Ordnung sei möglich, wenn man nur den Vorgaben seiner Theorie folge, bringt dies zum Ausdruck. Wie sehr es Hobbes freilich auch darum ging, nicht nur die Grundlagen der stabilen Ordnung zu begreifen, sondern darüber hinaus in den Gang der Dinge einzugreifen – vorderhand dadurch, dass er seine Leser überzeugte –, zeigt folgende Stelle, in der er sich direkt an seine Leser wendet: »Aber ich muß noch deutlicher sprechen. Wenn irgendein Volksredner, Bekenner oder Spitzfindiger behauptet, die Lehre, daß der Herrscher eines Landes, ja jeder Mensch, ohne Befehl des Herrschers mit Recht von einem Bürger getötet werden dürfe oder daß die Bürger Aufruhr, Verschwörungen und Bündnisse gegen den Staat mit Recht unternehmen dürften, stehe mit dem Worte Gottes in Übereinstimmung, so glauben Sie, meine Leser ihm nicht, sondern zeigen Sie seinen Namen der Obrigkeit an. Wer mir hierin beistimmt, der wird auch meine Absicht bei der Abfassung dieses Buches billigen« (Civ., 73).
So unruhig, wie Hobbes’ mittlere Lebensphase verlief, als er zunächst viel reiste und sich dann während seines sechsten Lebensjahrzehnts im aufgewühlten Pariser Exil der Stuarts aufhielt, so still und ruhig war sein Alter – sieht man von den fortwährenden Auseinandersetzungen mit anderen Gelehrten ab, 26
in denen es um mathematische, theologische und schließlich auch um politisch-philosophische Fragen ging. Hobbes zog sich immer stärker aufs Land zurück und widmete sich ganz der Wissenschaft und Philosophie. So recht glücklich scheint er mit diesem Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben jedoch nicht gewesen zu sein, wie ein Hinweis John Aubreys zeigt: »Ich habe ihn sagen hören, daß im Hause seines Lords auf dem Lande eine gute Bibliothek sei und Bücher genug für ihn, und daß seine Lordschaft die Bibliothek mit allen Büchern versehe, die zu kaufen er für angebracht hielt; aber er sagte, das Fehlen gelehrter Konversation sei eine große Unannehmlichkeit, und obwohl er der Überzeugung war, daß er seine Gedanken so gut ordnen könne wie irgendjemand sonst, fand er einen großen Mangel darin. Ich glaube, auf dem Land wird das Denken aus Mangel an guter Konversation schimmelig.«15
Einer der Gründe für den gesellschaftlichen Rückzug dürfte Hobbes’ mit zunehmendem Alter immer stärker werdende paralytische Schüttellähmung gewesen sein, die schließlich, wie Aubrey berichtet, so stark wurde, dass er ohne Hilfe eines Sekretärs nichts mehr schreiben konnte. Doch trotz aller damit verbundenen Beeinträchtigungen scheinen Lebensmut und Lebenslust Hobbes nie verlassen zu haben: Bis ins hohe Alter hinein spielte er Tennis bzw. unternahm, wo ein entsprechender Platz fehlte, lange Dauerläufe, um seine Konstitution zu kräftigen. Außerdem sang er nachts bei geschlossenen Türen und Fenstern, um seine Lunge zu stärken und so sein Leben zu verlängern. Der Philosoph, der die Furcht vor dem Tode zum Grundmotiv seiner Philosophie gemacht hat, hat sein eigenes Leben weitgehend in Übereinstimmung mit diesem von ihm so stark herausgestellten Grundantrieb geführt. Das beginnt mit der vielzitierten Selbststilisierung der Geburt in seiner im Alter abgefassten Lebensbeschreibung, als er, auf die während seines Geburtsjahres in England verbreitete Furcht vor der spanischen Armada anspielend, davon sprach, seine Mutter habe Zwillinge zur Welt gebracht, ihn und die Furcht.16 Tatsächlich hat in 27
Hobbes’ Handeln die Furcht immer eine richtungsweisende Rolle gespielt: So gehörte er zu den ersten, die noch vor dem offiziellen Ausbruch des Bürgerkrieges aus Furcht, gefangen genommen und angeklagt zu werden, England verließen und sich nach Frankreich in Sicherheit brachten,17 und nachdem sich zehn Jahre später die Anzeichen dafür mehrten, dass die Gunst, in der er am Exilhof gestanden hatte, im Schwinden war und er ob seiner Auffassung, dass nur dem Herrscher Gehorsam zu leisten sei, der die Sicherheit des Lebens seiner Untertanen auch zuverlässig gewährleisten könne – was die Gehorsamverpflichtung der Engländer gegenüber den Stuarts weitgehend suspendierte –, bei Hofe als Verräter angesehen wurde, floh er erneut: diesmal nach England, wo er sich dem Parlament und Oliver Cromwell unterwarf. Was jedoch die Streitbarkeit in wissenschaftlichen Fragen anbetrifft, war Hobbes alles andere als ein Feigling: In den Polemiken, die er mit unnachsichtiger – verschiedentlich möchte man meinen: unvorsichtiger – Schärfe ausfocht, hat er sich eine Reihe gefährlicher Feinde geschaffen. Offenkundig war Hobbes’ Verhältnis zur Furcht kalkülrational an dem erforderlichen Einsatz und dem zu erzielenden Gewinn orientiert, wobei die Kalkülrationalität neben der Furcht das zweite auszuzeichnende Merkmal des Menschen in seiner Theorie bildet: Der Furcht nachzugeben und zu fliehen, war nichts Ehrenrühriges, sondern klug und angemessen, aber das hieß nicht, dass man den Antrieben der Furcht immer und überall zu folgen hatte. Hobbes hat aus diesen Überlegungen für die interne Ausgestaltung seiner politischen Theorie die Konsequenz gezogen, dass niemand verpflichtet sei, für die Verteidigung des Staates, in dem er lebt, im Rahmen von Kriegshandlungen sein Leben zu riskieren, aber für die Richtigkeit seiner wissenschaftlichen Überzeugungen hat er selbst mehrfach Ruhe und Sicherheit, wenn nicht noch mehr, riskiert. Thomas Hobbes wurde am 5. April 1588, einem Karfreitag, 28
in dem Dörfchen Westport bei Malmesbury geboren. Der Mann, der später den politischen Einfluss der Geistlichen als eine der Ursachen des Bürgerkriegs bezeichnet hat, war selber Sohn eines Pfarrers, freilich eines von jener Sorte, die Hobbes für eher ungefährlich hielt: Er »konnte nur die Gebete der Kirche lesen und die Predigten«, so Aubrey, »und achtete das Lernen gering [. . .], da er das Köstliche daran nicht kannte.«18 Hobbes’ Vater, ein Mann, der dem Spiel ebenso zugeneigt war wie dem Alkohol, kümmerte sich wenig um theologische Fragen, politisierte nicht und war auch sonst intellektuell kaum ambitioniert. Aber er neigte zu cholerischen Ausbrüchen, und einer davon wurde ihm zum Verhängnis: Er schlug einen Amtsbruder, der ihn offenbar provoziert hatte, musste fliehen und starb bald darauf in seinem Versteck unweit Londons. Die Sorge für die Familie, insbesondere für die Ausbildung des jungen Thomas, übernahm ein Onkel, der es zu Wohlstand und Ansehen gebracht hatte. Er war es auch, der dafür Sorge trug, dass der Junge alte Sprachen lernte, die ihm den Zugang zur Universität ermöglichten. Obwohl Hobbes das Studium der sieben freien Künste mit dem Baccalaureus Artium abschließen konnte, scheint er daran wenig Freude gehabt und für sich nur geringen Gewinn daraus gezogen zu haben. Jedenfalls hat er später die Studienzeit für seine intellektuelle Entwicklung eher niedrig veranschlagt und sich über die Frage- und Problemstellungen der aristotelisch-scholastischen Philosophie, die das Studium in Oxford bestimmte, lustig gemacht. »Aus Logik machte er sich nicht viel, aber er studierte sie und hielt sich für einen guten Disputanten«, bemerkt Aubrey über diese Zeit, und fügt hinzu, Hobbes habe sich damals mehr für Fragen der Optik und der Geographie interessiert, mit denen er sich außerhalb des Studiums beschäftigt habe.19 Die politischen Dimensionen des Universitätsstudiums, die von Hobbes im Behemoth dann in der Art einer großen Verschwörungstheorie aufgeschlüsselt werden, dürften dem jun29
gen Studenten kaum klar gewesen sein; sie waren die Frucht späterer Jahre und gehen im Wesentlichen auf die Erfahrungen des konfessionellen Bürgerkriegs in Europa zurück, mit dem Hobbes im Verlauf seiner ersten Bildungsreise nach Frankreich erstmals in Berührung gekommen ist. Aber es ist doch gut erkennbar, wie er hier in Erinnerung an sein eigenes Studium Studieninhalte, formale Strukturen und Lehrbefugnis zu einer Theorie der Subversion staatlicher Ordnung zusammensetzt. Dies macht auch verständlich, warum er der Reform der Universitäten, und zwar sowohl ihrer Säkularisierung, d. h. ihrer Unterstellung unter die Gewalt des Souveräns, wie sie im Titelkupfer zum Leviathan symbolisch sichtbar wird, als auch der Reform der Studieninhalte, bei der er auf den Ausbau des Mathematik- und Geometrieunterrichts setzte, in seinen politischen Überlegungen eine so große Bedeutung beigemessen hat. Mit einer Reform der Institutionen war es nicht getan, wenn die politische Ordnung stabilisiert und gesichert werden sollte; es musste eine Reform des Wissens selbst hinzukommen, in deren Verlauf die aristotelisch-scholastische Philosophie durch mathematisch-naturwissenschaftliche Formen der Wissensgenerierung ersetzt werden sollte. Noch bevor der Bürgerkrieg in England ausgebrochen war, ist Hobbes ihm bereits begegnet: in der unmittelbaren Erfahrung wie in der historisch-literarischen Vermittlung. Als Hobbes 1610 in Frankreich eintraf, um mit William Cavendish den Kontinent zu bereisen, war der französische König Heinrich IV. gerade von dem katholischen Fanatiker Fran¸cois Ravaillac ermordet worden. Das Ereignis löste Entsetzen und Erschütterung aus, erfolgte die Tat doch nicht, wie die vorangegangenen Attentate in Frankreich, in einer Situation allgemeiner Unruhe und offener konfessioneller Konflikte; vielmehr wurde hier ein König getötet, der nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg Ruhe und Sicherheit wiederhergestellt hatte.20 Es spricht vieles dafür, dass gerade dieses Ereignis bei Hobbes einen bleibenden Ein30
druck hinterlassen hat: Wenn er im »Vorwort an die Leser« von De cive dazu aufforderte, man solle alle, die unter Berufung auf das Wort Gottes von einem Recht, den Souverän zu töten, sprächen, der Obrigkeit anzeigen, so bezog sich dies weniger auf Ereignisse, die in England dem Bürgerkrieg vorangegangen waren, als vielmehr auf die in Frankreich während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstandenen Theorien und Pamphlete, auf die sich auch Ravaillac berufen hat.21 Aber der Bürgerkrieg blieb nicht auf Frankreich beschränkt: 1618 begann im Deutschen Reich der Große Krieg, zunächst noch als begrenzter Konflikt um die böhmische Krone, in den England insofern mit verwickelt war, als der gescheiterte »Winterkönig« Friedrich von der Pfalz ein Schwiegersohn des englischen Königs Jakob I. war. Die Finanzkrise, in die England im Verlauf der nachfolgenden zwei Jahrzehnte immer tiefer hineingeriet und die bei den Auseinandersetzungen zwischen König und Parlament von entscheidender Bedeutung war, ist durch die englischen Subsidien für die Bürgerkriegsparteien auf dem Kontinent zumindest verschärft, wenn nicht gar ausgelöst worden. Und schließlich hatten sich die Niederlande gerade erst in einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg von der Oberhoheit der spanischen Krone befreit, und die wirtschaftliche Prosperität, die dort nun einsetzte, übte auf englische Kaufleute und Bankiers eine erhebliche Anziehungskraft aus. Es ist anzunehmen, dass Hobbes sich bereits damals eingehend mit den Argumentationen der Kriegsparteien wie dem Verlauf des Krieges beschäftigt hat. In der Mitte der zwanziger Jahre ist er im Rahmen seiner humanistischen Studien, die dazu dienen sollten, seine Kenntnisse der alten Sprachen nicht verfallen zu lassen, auf ein Werk gestoßen, das ihn tief beeindruckt hat: Thukydides’ Geschichte des Peloponnesischen Krieges.22 In der Einleitung zu seiner 1628 veröffentlichten Übersetzung23 nennt er Thukydides »the most politic historiographer that ever writ«. Zeitlebens hat er neben Diodorus Siculus, dem Ver31
fasser einer auf vierzig Bände angelegten Weltgeschichte (Bibliotheke), Thukydides und seine Analyse des Zerfalls der griechischen Stadtstaaten für das bedeutendste Werk der Geschichtsschreibung gehalten. Was er darin fand, war die Offenlegung jener Faktoren, aus der auch in seiner Gegenwart Unruhen und Konflikte erwuchsen, darunter vor allem der Ehrgeiz der Demagogen, der zu Fraktionskämpfen im Innern und riskanten Kriegszügen nach außen führte. Für Hobbes war Thukydides zugleich ein Stück pragmatische Geschichtsschreibung, wie sie die Humanisten schätzten, denn in seiner Widmung an William Cavendish schreibt er, Thukydides enthalte viele wertvolle Hinweise für alle, die mit großen und bedeutsamen politischen Aufgaben befasst seien. Wenn er Thukydides später als einen Gegner der Demokratie und Anhänger der Monarchie reklamierte, so hat er dessen politische Position sicherlich überzogen (tatsächlich sah Thukydides darin, dass sie Perikles an die Spitze des Staates gebracht hatte, eine Rechtfertigung der athenischen Demokratie), aber er hat von ihm in seinem unpathetischen Realismus, seiner Analyse des Bürgerkrieges bis hin zu dem Verfall gemeinsamer Semantiken (d. h. dem Verlust der sprachlichen Voraussetzungen, sich über Kompromisse verständigen zu können), schließlich in der Art der Verknüpfung politischer Fehlentscheidungen mit danach unaufhaltsam ablaufenden Ereignisfolgen viel gelernt.24 Bei der etwa vierzig Jahre nach der Thukydides-Übersetzung erfolgenden Arbeit am Behemoth hat Hobbes an diese Form reflektierter Geschichtsschreibung wieder angeknüpft. Mit der Übersetzung des Thukydides geht Hobbes’ humanistische Periode, in der er sich am aristokratischen Ideal des Gentleman orientiert hat, ihrem Ende entgegen. 1630 nämlich entdeckt er in Paris für sich die Elementa des Euklid. Bei der Bewertung dieser Entdeckung für die Entstehung der Hobbesschen Theorie trennen sich allerdings die Interpretationen: Während der überwiegende Teil der Hobbes-Literatur dies zu 32
einem »Damaskus-Erlebnis« stilisiert und auf ihn den Beginn von Hobbes’ politischer Theorie datiert, hat Leo Strauss stärker auf Hobbes’ »Gesinnung« als Grundlage seines Werkes abgehoben. Zweifellos muss es bei Hobbes eine tiefe Unzufriedenheit mit der methodischen Basis politischer Philosophie bereits zuvor gegeben haben, sonst wäre dieser abrupte Wechsel zur geometrischen Methode kaum verständlich. Als Hobbes sein erstes eigenständiges politisches Werk Elements of Law, Natural and Politic betitelte, war dies auch eine Reverenz an die Elementa des Euklid, zugleich aber der für einen – wenn auch inzwischen schon 52-jährigen – auf dem Felde der politischen Theorie noch unausgewiesenen Autor nicht gerade unbescheidene Anspruch, nunmehr für die Politik das zu leisten, was Euklid für die Geometrie geleistet hatte: ein alle bisherigen Arbeiten vergessen machendes Grundlagenwerk zu schreiben.25 Zweifellos hat Hobbes die kleine Schrift als Parteischrift verfasst, zu der ihn der Earl of Newcastle aufgefordert hatte. Dabei hatte er jeden Versuch, zwischen Parlament und König zu vermitteln und einen Kompromiss zwischen den gegensätzlichen Rechtsauffassungen zu finden, von vornherein verworfen und sich bedingungslos auf die Seite der royalistischen Partei gegen das Parlament gestellt. Kompromisse in Fragen der Machtverteilung, so eine der grundlegenden Überzeugungen, auf denen Hobbes sein theoretisches Gebäude errichtete, seien kaum in der Lage, den Frieden dauerhaft zu sichern, sondern könnten bestenfalls den offenen Konflikt bis zur nächsten Krise hinausschieben. Gleichwohl war das, was Hobbes vorlegte und in der Form von Abschriften unter den Parlamentariern zirkulieren ließ, mehr als ein bloßes Parteipamphlet. Das wird schon auf der ersten Seite des Widmungsbriefs deutlich, auf der Hobbes den Anspruch erhebt, die politische Wissenschaft, die bislang eine dogmatische Wissenschaft gewesen sei, als mathematische Wissenschaft neu zu begründen. Voraussetzung dafür 33
sei, die Natur des Menschen und die Forderungen der Vernunft miteinander zur Deckung zu bringen. Gerade dies sei bei der dogmatischen Wissenschaft nicht der Fall, weswegen für sie gelte: »Sooft als Vernunft wider den Menschen ist, sooft wird der Mensch wider die Vernunft sein. Daher kommt es dann, daß unter denjenigen, welche über Gerechtigkeit und im allgemeinen über das Staatswesen geschrieben haben, jeder sich selber und einer dem anderen widerspricht. Um nun diese Doktrin auf unfehlbare Vernunftsregeln zurückzuführen, gibt es keinen anderen Weg als diesen: erstens muß man Prinzipien zu Fundamenten nehmen, die der Egoismus sich arglos gefallen läßt und nicht von vornherein zu zerstören trachtet; ferner gilt es dann, auf diesem Fundament Sätze in betreff der Einzelfälle – welche bislang in die Luft gebaut wurden – nunmehr in das Gesetz der Natur hineinzubauen, bis das ganze als eine uneinnehmbare Festung sich darstellt« (El., 38).
Nicht durch die Betrachtung und Gewichtung von Einzelfällen, wie sie im Common Law vorgesehen und von dem großen Juristen Edward Coke als Grundlage der rechtsstaatlichen, gemeinwohlorientierten Ordnung Englands gegen die Souveränitätsansprüche des Königs verteidigt worden waren, will Hobbes die zwischen Parlament und König strittigen Fragen entscheiden, sondern durch deren Rückführung auf allgemeine Prinzipien, denen jeder einzelne zustimmen können muss. Vor allem aber: Nicht gegen den Egoismus, sondern auf dem Egoismus der Individuen soll die Gemeinschaft errichtet werden. Das war der Bruch mit der Tradition des Aristotelismus in der politischen Theorie, in der die Kontrastierung von Eigeninteresse und Gemeinwohl die zentrale normative Distinktion darstellte. Hobbes hat seine Schrift in zwei Teile gegliedert, von denen der erste die Menschen »als natürliche Personen«, der zweite sie »als einen politischen Körper« betrifft. Über die Untersuchung des Erkennens und der Bewegung kommt er dabei im 34
ersten Teil zur »Lage des Menschen in bloßer Natur«, womit das gemeint ist, was er bald darauf Naturzustand nennen wird; daran schließt sich ein Abschnitt über die natürlichen Gesetze an. Der zweite Teil der Schrift ist in zwei Abschnitte untergliedert, von denen der eine »Über die Erzeugung und die Arten der Regierung« überschrieben ist und der andere, »daß Entscheidung von Streitigkeiten in der Religion von der souveränen Gewalt abhängt«. Es ist also durchaus zutreffend, dass die Elements das später in De corpore, De homine und De cive sowie dem Leviathan ausformulierte politisch-philosophische Programm in nuce enthalten, wenngleich in noch unsicherer Form. So hat Hobbes, was die staatsrechtlich entscheidende Differenz zu De cive und insbesondere zum Leviathan darstellt, in den Elements den gesellschaftsbegründenden Kontrakt noch nicht als Einheit, sondern als Sukzession von Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag konzipiert (vgl. unten, S. 113 ff.). Was die entscheidende Pointe seiner politischen Theorie sein wird, ist ihm hier noch nicht klar geworden, und noch ist die Lücke offen, durch die der konstituierte body politic sich seines jeweiligen Souveräns entledigen und ihn durch einen anderen ersetzen kann – ein Umstand, der in Hobbes’ Sicht für innere Wirren und Bürgerkriege mitursächlich ist. Hobbes’ theoretische Anstrengungen der nächsten Jahre werden darauf gerichtet sein, diese Lücke zu schließen: Die Absetzung des Souveräns, so seine spätere Antwort, ist gleichbedeutend mit dem Rückfall in den Naturzustand. Bekanntlich haben Hobbes’ Elements die Parlamentspartei nicht zu einer Revision ihrer Position veranlassen können. Als sich der König nach der Entlassung des Kurzen Parlaments im Herbst desselben Jahres infolge der sich verschärfenden Finanzkrise genötigt sah, ein neues Parlament einzuberufen, war dies für Hobbes das Signal, England zu verlassen und nach Frankreich zu fliehen. Dort hat er sich zunächst in der Umge35
bung des Abbe´ Mersenne mit optischen Studien befasst, um sich schließlich stärker am Exilhof zu Paris zu engagieren. In dieser Zeit hat er sich seinem großen Vorhaben gewidmet, ein kohärentes philosophisches System zu entwickeln, beginnend mit den Grundvoraussetzungen materiellen Seins bis hin zu den Prinzipien menschlichen Zusammenlebens und endend, wie das 18. Kapitel von De cive überschrieben ist, mit »dem zum Eintritt in das himmlische Reich Erforderlichen«. Hobbes’ philosophisches System geht also nicht in der politischen Philosophie auf, aber diese ist doch unverkennbar das Kernstück, auf das alles andere hingeordnet ist. Elementa philosophiae hat Hobbes sein systematisch angelegtes Hauptwerk genannt. Auch hier ist der Bezug auf Euklid unüberhörbar; es ist in drei Teile gegliedert, von denen der erste, gleichsam die materialistische Grundlegung, vom Körper handelt, der zweite in wachsender Komplexität vom Menschen und der dritte schließlich vom Bürger. Aber die äußeren Umstände waren einer sukzessiven Entfaltung des Systems nicht günstig: Hobbes sah sich genötigt, den Schlussteil der Elementa, die Schrift De cive, als erstes zu veröffentlichen, 1642 zunächst als Privatdruck und 1647 dann bei Elzevir in Amsterdam eine gegenüber dem Privatdruck leicht veränderte endgültige Fassung.26 Hobbes hat die insgesamt 18 Kapitel des Buches zu drei Abschnitten zusammengefasst, die »Freiheit«, »Staatsgewalt« und »Religion« (libertas, imperium, religio) überschrieben sind. Im Titelkupfer der Ausgabe von 1642 ist die Dreigliederung des Textes aufgenommen: Der obere, durch einen breiten Balken mit der Aufschrift religio abgesetzte Bildteil zeigt die Scheidung der Erlösten und Verdammten während des Jüngsten Gerichts – ein Aspekt, der auf dem Titelkupfer des Leviathan gänzlich zurücktreten wird, wo Hobbes der Religion keinen eigenen Bereich mehr zugesteht, sondern sie, zumindest als confessio, der Macht des Souveräns restlos unterordnet.27 Aber bereits im Titelkupfer von De cive steht die Religion 36
nicht im Mittelpunkt der Darstellung; den nämlich bilden, durch die Titelvignette getrennt, libertas und imperium, Naturund Gesellschaftszustand, wie Hobbes sie später nennen wird. Libertas wird dargestellt durch eine mit Speer und Bogen bewaffnete, nur mit einem Blätterrock bekleidete Frauengestalt, in die offenkundig Anspielungen auf die Wilden Amerikas eingegangen sind. Ihr steht imperium gegenüber, eine gekrönte, reich gewandete Frau mit dem erhobenen Schwert in der Linken und der Waage, dem Symbol der iustitia, in der Rechten. Der Gegensatz beider Figuren wird durch den jeweiligen Bildhintergrund pointiert: Im Falle der libertas sind es Kampfhandlungen, die das Geschehen bestimmen, während hinter imperium wohlbestellte Felder abgeerntet werden. Die Gegenüberstellung von libertas und imperium nimmt ein konventionelles Motiv der politischen lkonographie auf, um es modifiziert zu wiederholen: die Kontrastierung von gerechter und ungerechter Herrschaft. Doch die Position, die in der traditionellen lkonographie die ungerechte Herrschaft, die Tyrannis, innehatte, wird hier von der libertas, in Hobbes’ Auslegung der Herrschaftslosigkeit bzw. Anarchie, eingenommen. Die ikonographische Veränderung verweist auf einen Traditionsbruch der politischen Theorie, deren herkömmliches Opponentenpaar von gerechter und tyrannischer, gemeinwohlorientierter und am Interesse der Machthaber ausgerichteter Herrschaft überlagert wird durch die Opposition von Herrschaft und Herrschaftslosigkeit. Nicht auf die ethische Qualifikation der Herrschaft, sondern auf ihren puren Bestand kommt es an. Im »Vorwort an die Leser« hat Hobbes dies knapp so zusammengefasst: »Darauf zeige ich nun, daß der Zustand der Menschen außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft (den ich den Naturzustand zu nennen mir erlaube) nur der Krieg aller gegen alle ist, und daß in diesen Kriegen alle ein Recht auf alles haben. Ferner, daß alle Menschen aus diesem elenden und abscheulichen Zustande, von ihrer Natur genötigt, her-
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auskommen wollen, sobald sie dessen Elend einsehen, daß dies aber nur möglich ist, wenn sie durch Eingehung von Verträgen von ihrem Recht auf alles absehen« (Civ., 70).
Die Einsicht in das Elend des Naturzustands bedeutet für das praktische Verhalten der Menschen im politischen Alltag, dass sie auf die herkömmliche Unterscheidung zwischen gerechter und tyrannischer Herrschaft, die im Zentrum der aristotelischen Theorie stand, als Orientierungsmaßstab verzichten sollen. Hobbes’ Konzentration auf die Elementa Philosophiae kann also keineswegs als Rückzug aus dem politischen Geschehen betrachtet werden, wie dies etwa Platon bei seiner Wendung zur Philosophie für sich reklamiert hat, sondern es handelt sich für ihn um eine politische Intervention mit den Mitteln philosophischer Reflexion, also in einem ganz nachdrücklichen Sinne um »eingreifendes Denken«. 1647 erkrankte Hobbes so schwer, dass man mit seinem Tod rechnete. Auch er selbst scheint sich aufs Sterben eingestellt zu haben, denn er übergab seine Manuskripte einem Freund; freilich hat er, wenn man Aubreys Bericht glauben darf, auch und gerade in dieser Lage seinen grimmigen Humor behalten: »Als Mr. T. Hobbes in Frankreich krank war, kamen die Geistlichen zu ihm und setzten ihm zu (sowohl römisch-katholische wie von der Kirche von England und der Genfer). Sagte er zu ihnen: Laßt mich in Ruhe oder sonst decke ich all euren Trug auf von Aaron bis zu euch selbst.«28 Solche und andere Episoden, gleich, ob sie nun tatsächliche Begebenheiten berichteten oder bloße Gerüchte waren, haben dazu beigetragen, Hobbes in den Ruch zu bringen, er sei ein Atheist – ein Verdacht, der ihm schon bald sehr zu schaffen machte und ihm zahllose Anfeindungen eintrug. Mit der sich abzeichnenden Niederlage der royalistischen Partei in England hat Hobbes auf eine sich weniger an traditionellen Verpflichtungen als an aktuellen Interessen orientie38
rende Politik der Krone gedrängt.29 Sein Widerpart war dabei abermals Edward Hyde, mit dem er sich bereits 1640 auseinandergesetzt hatte, als Hyde noch einer der Wortführer der gemäßigten Parlamentsfraktion war, die auf der Bewahrung des für die politische Ordnung Englands konstitutiven Verfassungsdualismus von König und Parlament, Court und Country bestand, während Hobbes in den Elements für die uneingeschränkte Souveränität des Königs stritt. Nachdem die Mehrheit im Parlament sich dahingehend radikalisiert hatte, die Souveränität für sich selbst zu reklamieren, war Hyde dann zusammen mit Lord Falkland, Sir John Colepepper und anderen auf die Seite des Königs übergegangen.30 Dabei haben er und die anderen keineswegs ihre Überzeugungen gewechselt, sondern geglaubt, diese nunmehr auf Seiten der royalistischen Partei eher zur Geltung bringen zu können als auf Seiten des Parlaments. Genau dieses Festhalten an einer Position des Ausgleichs, der Mäßigung und der Verteilung der Macht hat Hobbes Hyde zum Vorwurf gemacht. Während dieser politisch auf traditionelle sittliche Bindungen setzte bzw. zu einer Politik riet, die auf solche Bindungen Rücksicht nahm, propagierte Hobbes eine Politik kompromissloser Zuspitzung und empfahl, politische Entscheidungen ohne Rücksicht auf ältere Verpflichtungen allein an den gegenwärtigen Interessen des Königs zu orientieren. Am Schluss hat Hyde sich durchgesetzt; Hobbes wurde am Hofe immer stärker isoliert, 1651 verließ er Paris und kehrte nach England zurück, wo er sich der Republik unterwarf und in London ein ganz seinen wissenschaftlichen Arbeiten gewidmetes Leben führte. Zweifellos ist der Leviathan Hobbes’ Hauptwerk. In ihm hat er seine politische Theorie am klarsten und geschlossensten vorgetragen; haftet den Elements noch etwas Suchendes an und ist De cive stark geprägt durch die Auseinandersetzung mit Aristoteles und der klassischen Politik, so sind diese Frontstellungen im Leviathan überwunden: In vier Büchern, die 39
»Vom Menschen«, »Vom Staat«, »Vom christlichen Staat« und schließlich »Vom Reich der Finsternis« überschrieben sind, hat Hobbes seine Theorie unter dem Anspruch entwickelt, die Wiederherstellung und dauerhafte Sicherung des (inneren) Friedens auf Wahrheit zu gründen. Auch wenn er dies nicht offen bekannt und herausgestellt hat, hat er sich dabei offenkundig an Platons Politeia orientiert31 und wie dieser den Anspruch erhoben, eine definitive theoretische Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit des Friedens im Innern der Staaten zu geben. Bei Platon hatte sie in der Philosophenherrschaft bestanden; für Hobbes lief sie darauf hinaus, alle Macht auf den Souverän zu übertragen und keinerlei Gruppierungen und Vereinigungen zu dulden, die mit der souveränen Macht konkurrieren konnten, gemäß dem als Motto auf dem Titelkupfer des Leviathan gewählten Satz aus Hiob 41, 24: »Non est potestas super terram quae comparetur ei.« Dabei hat Hobbes, ähnlich wie Platon, für sich in Anspruch genommen, zu diesem Ergebnis nicht auf der Grundlage allseits anerkannter Meinungen, sondern durch Rekurs auf die Grundsätze der Wahrheit gelangt zu sein (Lev., 535): Die politische Ordnung wird nicht vorgefunden oder historisch entwickelt, sondern sie wird aus allgemeinen Grundsätzen konstruiert. Platons Politeia wie Hobbes’ Leviathan entwerfen das Modell, an dem die Staaten sich zu orientieren haben. Und wenn der platonische Sokrates erklärt, um erkennen zu können, was Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit eines Menschen seien, müsse man sie, wie bei der Großschreibung für Kurzsichtige, am »großen Menschen« (makros anthropos), an der politischen Gemeinschaft zeigen,32 so bezeichnet auch Hobbes den Staat als einen »künstlichen Menschen, wenn auch von größerer Gestalt und Stärke als der natürliche, zu dessen Schutz und Verteidigung er ersonnen wurde« (Lev., 5). Diesen künstlichen Menschen hat jener Kupferstecher – ob nun Wenceslaus Hollar oder ein anderer – dargestellt, der in 40
offensichtlich enger Absprache mit Hobbes das berühmte Titelbild des Leviathan geschaffen hat: Es zeigt einen sich über einer Hügellandschaft erhebenden riesigen Mann mit einem Schwert in der Rechten und einem Bischofsstab in der Linken, dessen Oberkörper und Arme aus vielen kleinen Menschen gebildet werden, die allesamt in andächtiger Verehrung auf das gekrönte Haupt des Mannes (oder vielleicht auch auf dessen Herz als angenommenen Sitz der Seele) gerichtet sind.33 In seiner »Einleitung« zum Leviathan hat Hobbes, in Anknüpfung an die organologische Staatsmetaphorik, diesen großen Menschen so beschrieben: »Die Souveränität stellt darin eine künstliche Seele dar, die dem ganzen Körper Leben und Bewegung gibt, die Beamten und anderen Bediensteten der Jurisdiktion und Exekutive künstliche Gelenke, Belohnung und Strafe, die mit dem Sitz der Souveränität verknüpft sind und durch die jedes Gelenk und Glied zur Verrichtung seines Dienstes veranlaßt wird, sind die Nerven, die in dem natürlichen Körper die gleiche Aufgabe erfüllen. Wohlstand und Reichtum aller einzelnen Glieder stellen die Stärke dar, salus populi (die Sicherheit des Volkes) seine Aufgabe; die Ratgeber, die ihm alle Dinge vortragen, die er unbedingt wissen muß, sind das Gedächtnis, Billigkeit und Gesetze künstliche Vernunft und künstlicher Wille; Eintracht ist Gesundheit, Aufruhr, Krankheit und Bürgerkrieg Tod. Endlich aber gleichen die Verträge und Übereinkommen, durch welche die Teile dieses politischen Körpers zuerst geschaffen, zusammengesetzt und vereint werden, jenem ›Fiat‹ oder ›Laßt uns Menschen machen‹, das Gott bei der Schöpfung aussprach« (Lev., 5).
Der Titelkupfer führt die Darstellung der Hobbesschen Staatstheorie aber über die symbolisch-expressive Ebene der oberen Bildhälfte hinaus, indem er, sicherlich auch hier an Hobbes’ Vorgaben orientiert, in der unteren Bildhälfte erläutert, was unter den Symbolen der weltlichen und geistlichen Macht, dem Schwert und dem Bischofsstab, an konkreten Machtmitteln zu verstehen sei:34 Burg, Krone und Kanone, Lanzen und Gewehre, Feldzeichen und Trommeln in der Kolumne unterhalb 41
des Schwertes stehen für die der weltlichen Macht zugehörenden Instrumente. Ihnen entsprechen in der Kolumne unterhalb des Bischofsstabes Kirche und Bischofshut, Bannstrahlen sowie Syllogismen, Dilemmata und Distinktionen, also Schlüsse und Beweisverfahren der scholastischen Philosophie, spirituale und temporale, direkte und indirekte, reale und intentionale. An der Innenseite beider Kolumnen befindet sich ein Vorhang, der von Carl Schmitt als Sinnbild der arcana imperii gedeutet worden ist, des Erfordernisses, über Machtmittel Stillschweigen zu wahren, sie zu verbergen und zu verhüllen.35 Den Einsatz dieser Machtmittel, der weltlichen wie der geistlichen, zeigt dann jeweils das unterste Bildsegment der Kolumnen: eine offene Feldschlacht nach Art des Dreißigjährigen Krieges, im Hintergrund rennt Lanzen tragende Infanterie gegeneinander an, während im Vordergrund gepanzerte Berittene einander mit Schwertern und Pistolen angreifen. Dem korrespondiert im geistlichen Bereich eine theologische Disputation, in der zwei einander gegenübersitzende Parteien vor einem Entscheidungsgremium über Glaubensfragen streiten – ein im Zeitalter der konfessionellen Konflikte durchaus vertrauter Vorgang. Was erforderlich ist, damit das in den jeweils untersten Bildsegmenten Dargestellte nicht eintritt, zeigt wiederum der obere Bildteil: die Konzentration weltlicher wie geistlicher Machtmittel in den Händen des Souveräns. Schützend hält dieser Schwert und Bischofsstab über das Land: eine von starken Mauern umgebene Stadt in der Bildmitte, friedliche Schifffahrt auf dem Meer in der äußersten Bildrechten, Gehöfte und Kapellen im hügeligen Umland der Stadt. Alles deutet darauf hin, dass hier Wohlstand und Sicherheit herrschen. Aber diese Sicherheit hat ihren Preis, und den hat Hobbes in dem berühmt-berüchtigten Namen ausgedrückt, den er dem mächtigen Staat gegeben hat: Leviathan. Dieser Name, zugleich Titel des Buches, ist von dem Kupferstecher in die Mitte des Titelbildes platziert worden. Der Satz, dass es keine Macht 42
auf Erden gebe, die der seinen vergleichbar sei, welchen Hobbes als Motto über das Bild hat setzen lassen, ist im Buch Hiob eben auf den Leviathan bezogen, auf jenes mythische Tier, von dem es dort heißt: »Sein Herz ist so hart wie Stein und so fest wie ein Stück vom untersten Mühlstein. Wenn er sich erhebt, so entsetzen sich die Starken, und wenn er hereinbricht, so ist keine Gnade da. Wenn man zu ihm will mit dem Schwert, so reget er sich nicht, oder mit Spieß, Geschoß und Panzer. Er achtet Eisen wie Stroh und Erz wie faules Holz. Kein Pfeil kann ihn verjagen, und die Schleudersteine sind ihm wie Stoppeln.« Sowie: »Auf Erden ist ihm niemand zu gleichen. Er ist gemacht, ohne Furcht zu sein. Er verachtete alles, was hoch ist. Er ist ein König über die Stolzen« (Hiob. 41; dt. nach Martin Luther).
Das war sicherlich ein treffendes Bild dafür, wie Hobbes sich den Staat und die Macht des Souveräns vorstellte. Aber hatte er deswegen ein mythisches Ungeheuer, das in der frühen Neuzeit noch als Inbegriff der Mächte des Chaos und der Zerstörung galt,36 zum Namenspatron seines friedenssichernden Souveräns machen müssen? Carl Schmitt hat Hobbes vorgehalten, er habe sich in der Wahl der mythischen Bilder vergriffen, als er in der konkreten Situation des englischen Bürgerkriegs die Kräfte der Ordnung als Leviathan und die des Aufruhrs und des politischen Chaos als Behemoth bezeichnete, denn die Kräfte, die sich schließlich durchsetzten, waren die des Handels und der überseeischen Expansion, die von Schmitt mit der Revolution verbunden werden. So sei das Bild des Leviathan von seinen Adressaten entweder gar nicht verstanden oder aber als Schreckensbild perhorresziert worden. Und auf dem Kontinent, wo eher ein Staat im Sinne des Hobbesschen Entwurfs Gestalt annahm, fand das Bild eines Seeungeheuers als Symbol territorialisierter Macht ebenfalls kein rechtes Verständnis.37 Aber warum ist Hobbes zu der Auffassung gelangt, dass es eines solchen Mythos bedarf, um seiner politischen Theorie Einfluss und Bedeutung zu verschaffen? Hat dazu die glasklare 43
rationale Ableitung aus philosophischen Prinzipien nicht genügt, von der Hobbes doch so überzeugt war, dass er in ihrer Anwendung einen Neubeginn der politischen Theorie gesehen hat? Immerhin gehört Carl Schmitt zu den wenigen, die überhaupt als ein Problem wahrgenommen haben, dass Hobbes sein Hauptwerk, in dem er eine Herleitung der politischen Ordnung in Analogie zum Beweisverfahren der Geometrie vorzunehmen beanspruchte, mit dem Namen eines mythischen Seeungeheuers betitelt hat. Was könnte ihn dazu veranlasst haben? Auch in dem Anspruch, politische Mythen als Transporteure einer gegen die landläufige Meinung entwickelten philosophischen Wahrheit zu gebrauchen, steht Hobbes in der Nähe Platons, der Mythen als notwendige und edle Täuschungen einzusetzen vorgesehen hat.38 Hobbes wollte freilich weniger täuschen als vielmehr die Grundlagen der staatlichen Ordnung jeder Diskussion entziehen, wie er dies im »Vorwort an die Leser« zu De cive knapp skizziert hat. Dort weist er die von Platon bis Cicero, schließlich Augustinus das politische Denken der Antike beherrschende Vorstellung zurück, eine stabile politische Ordnung müsse auf der Vorstellung der Gerechtigkeit gegründet sein: »Denn ehe man noch Fragen dieser Art zu erörtern begann, beanspruchten die Fürsten ihre Macht nicht bloß, sondern übten sie bereits. Sie schützten ihre Herrschaft nicht durch Beweisgründe, sondern durch Strafen an den Verbrechern und Verteidigung der Rechtschaffenen; umgekehrt bemaßen die Bürger die Gerechtigkeit nicht nach den Reden von Privatpersonen, sondern nach den Gesetzen des Staates; der Friede wurde nicht durch Disputationen, sondern durch die Kraft der Staatsgewalt gewahrt. Ja man verehrte diese höchste Staatsgewalt [. . .] wie eine sichtbare Gottheit« (Civ., 66).
Tatsächlich hat Hobbes den von ihm konstruierten Staat nicht nur als »Leviathan«, als »großen Menschen« und »große Maschine«, sondern auch als »sterblichen Gott« apostrophiert. »Dies ist«, schreibt er im Anschluss an die Entwicklung der Ver44
tragsformel, die den Staat konstituiert, »die Erzeugung jenes großen Leviathan oder besser, um es ehrerbietiger auszudrücken, jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unseren Frieden und Schutz verdanken« (Lev., 134). Eine dieser Leistung entsprechende Ehrerbietung hat Hobbes für den Staat erwartet, und die feierliche Haltung der Menschen, welche Oberkörper und Arme des »großen Menschen« auf dem Titelbild bilden, weist in diese Richtung. Dennoch war es ein gewagtes Spiel, auf das sich Hobbes eingelassen hat, als er ein biblisches Seeungeheuer zum Namensgeber dieses zu verehrenden, weil Leben erhaltenden sterblichen Gottes wählte, um jenseits des Vernunftkalküls eine zweite – mythische – Ebene der Gehorsamsbereitschaft zu schaffen. Die Reaktion der Gegenseite hat nicht lange auf sich warten lassen, und sie fand ihren vorläufigen Höhepunkt in der 1668 veröffentlichten Streitschrift des Bischofs Bramhall mit dem pointierten Titel The Catching of the Leviathan.39 Die Heftigkeit der Polemiken, die sich gerade am Leviathan entzündeten, hatte ihren Grund natürlich in Hobbes’ Theorie der absoluten Souveränität, die mit den überkommenen Verfassungstraditionen Englands brach, in denen sich eine Verteilung der Macht auf mehrere Institutionen durchgesetzt hatte – aber darin stellt der Leviathan nur den Endpunkt einer Linie dar, die mit den Elements ihren Anfang genommen hat und in De cive fortgesetzt worden ist. Worin der Leviathan sich von Hobbes’ früheren Schriften unterscheidet, ist das deutlich größere Gewicht, das darin der politischen Theologie beigemessen wird. Einer der Gründe für diese Gewichtsverlagerung ist wohl im Verlauf des Bürgerkrieges zu suchen, in dem parallel zur Zerstörung der alten institutionellen Ordnung immer stärker politisch ambitionierte Theologien in den Vordergrund traten. Der nach der Restauration der Stuarts mehrfach gegen Hobbes erhobene Vorwurf, er habe den Leviathan als politischen Ratschlag an Oliver Cromwell gerichtet,40 besitzt darin eine ge45
wisse Plausibilität, daß die Passagen, in denen Fragen der politischen Theologie behandelt werden, eher auf Probleme Cromwells bezogen sind, als dass sie einen wiedereingesetzten Stuartkönig beschäftigt hätten: Die Probleme der Stuart-Könige waren stärker noch als politisch-theologische Fragen die Vorstellungen vom Mixed Governement, vom Common Law und der Ancient Constitution, während Cromwells machtpolitisches Problem darin bestand, die Revolution zu beenden und eine Reihe religiöser Verbündeter unter den Revolutionären in ihre politischen Schranken zu weisen. Wenn Hobbes sich vornehmlich mit Stellen des Alten Testaments, dazu mit der Frage der Gottesauserwähltheit der Juden und dem Verhältnis zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt bei den Juden beschäftigte, so reagierte er damit vor allem auf die politisch-theologischen Auseinandersetzungen im England der vierziger Jahre.41 Seit seiner Rückkehr nach England hatte sich Hobbes wieder ganz philosphischen Fragen zugewandt und an der Vollendung seiner Elementa philosophiae (deren Schlussteil unter dem Titel De cive ja bereits vorlag) gearbeitet. 1655 konnte er den ersten Teil, De corpore betitelt, 1658 den zweiten Teil, De homine, veröffentlichen.42 Hobbes, der inzwischen das siebente Lebensjahrzehnt vollendet hatte, hatte damit ein stattliches Werk vorgelegt. Über seinen Tagesablauf und seine Lebensweise berichtet Aubrey: »Er hatte einen ein Zoll dicken Tisch mit etwa sechzehn Zoll langen Seiten, auf den Papier geklebt war. Auf diesem Tisch zeichnete er seine Gedanken (Einfälle) auf. Wenn ihm eine Wendung durch den Kopf ging, während er spazierenging, machte er eine flüchtige Aufzeichnung davon, um sie im Gedächtnis zu bewahren, bis er in sein Zimmer kam. Er war niemals müßig, seine Gedanken arbeiteten ständig. [. . .] Am Nachmittag schrieb er seine Gedanken vom Morgen nieder: Neben seinen täglichen Spaziergängen spielte er zweimal oder dreimal im Jahr Tennis (mit 75 Jahren tat er es noch), dann ging er dort zu Bett und wurde kräftig abgerieben. Dies, glaubte er, würde ihn zwei oder drei Jahre länger leben lassen.«43
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Mit der Restauration im Jahre 1660 kam Hobbes zunächst in eine prekäre Lage, denn er hatte sich von denen, die nunmehr an die Macht kamen, im Streit getrennt, und der Vorwurf, er habe mit der Lehre vom Gehorsam gegenüber der De-factoMacht den König verraten, stand nach wie vor im Raum. Es gelang Hobbes jedoch, ein Zusammentreffen mit dem König, seinem einstigen Schüler, zu arrangieren und die ehedem gute Beziehung zu erneuern. Weniger die jährlich auszuzahlende Leibrente, die ihm der König bei diesem Zusammentreffen aussetzte, sondern sein faktischer Schutz gegen die Anklagen und Intrigen seiner wissenschaftlichen, politischen und persönlichen Gegner war für Hobbes von großer Bedeutung, zumal sein alter Kontrahent Edward Hyde, inzwischen zum Earl of Clarendon erhoben, leitender Minister wurde und damit der Gruppe seiner Gegner politischen Rückhalt verschaffte. Hobbes’ Befürchtungen waren nicht ohne Grund, denn der gegen ihn schon in Frankreich geäußerte Atheismusverdacht wurde 1666 im Parlament erneut vorgebracht. Hobbes fürchtete (was wahrscheinlich übertrieben war),44 als Häretiker verbrannt zu werden. Er vernichtete einen Teil seiner Papiere, um bei einem eventuellen Verfahren möglichst wenig Anhaltspunkte für den gegen ihn gerichteten Verdacht zu liefern. Unter den verbrannten Papieren befand sich auch, wie Aubrey zu berichten weiß, ein lateinisches Gedicht, in dem die Übergriffe des Klerus in den Bereich der bürgerlichen Macht behandelt wurden.45 Hobbes hat sich durch die Fülle der Kontroversen und Polemiken, in die er nunmehr verwickelt wurde, nicht davon abhalten lassen, weiter an seinem Werk zu arbeiten, wenngleich dessen systematischer Teil mit dem politischen Hauptwerk Leviathan und der Fertigstellung der Elementa philosophiae abgeschlossen vorlag. Zwei Schriften, an denen er in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre gearbeitet hat, die zu seinen Lebzeiten jedoch nicht mehr veröffentlicht wurden (u. a. auch deswegen, weil Hobbes für sie keine Druckgenehmigung erhielt), sind 47
hier zu nennen: zunächst der Behemoth, seine komplementär zum Leviathan benannte Analyse des Bürgerkriegs, und sodann die systematische Auseinandersetzung mit dem englischen Rechtssystem des Common Law, die Schrift A Dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Laws of England. Dass Hobbes diese Schriften verfasst hat, ist nicht zuletzt auch darum bemerkenswert, weil er seinem eigenen Anspruch nach in den Elementa philosophiae und im Leviathan eigentlich alles gesagt hatte, was nach seinem Dafürhalten zu sagen war. Was also drängte Hobbes dazu, sich weiterhin in die Debatten einzumischen und zur Feder zu greifen? Zweifellos ist er mit der politischen Entwicklung Englands nach 1660 keineswegs einverstanden gewesen. Nicht gegen die Restauration der Stuarts selbst hatte er Einwände, im Gegenteil, aber was ihn mit Skepsis und Sorge erfüllte, war die Art und Weise, in der insbesondere Edward Hyde die Restauration betrieb. In Hobbes’ Augen wurden nun alle Fehler wiederholt, die 1640 zum Bürgerkrieg geführt und davor bereits den Stuart-Königen das Regieren schwer gemacht hatten. In dieser Situation hielt Hobbes es für angezeigt, den Bürgerkrieg noch einmal einer analytischen Betrachtung zu unterziehen und im einzelnen die Elemente herauszustellen, die zu seinem Ausbruch geführt hatten. Ergebnis dieser Bemühungen war die Schrift Behemoth or the Long Parliament,46 die in vier Teile untergliedert ist: Im ersten geht es um verschiedene politische Theorien und theologische Sätze, die von Hobbes als »Aussaat« des Krieges begriffen werden; der zweite behandelt die in den zwischen Parlament und König ausgetauschten Schriften erfolgende untergründige Vorbereitung des Krieges, dessen »Wachstum«; im dritten und vierten Teil wird dann der Verlauf des Krieges selbst behandelt, den Hobbes als eine politische Kreislaufbewegung dechiffriert: »Ich habe in dieser Revolution eine Kreisbewegung der obersten Gewalt über zwei Thronräuber, Vater und Sohn [Oliver und Richard
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Cromwell], vom hingeschiedenen König an bis zu diesem seinen Sohn beobachtet. Denn (wenn man die Macht des Offiziersrates ausläßt, die nur vorübergehend und ihnen nur zu treuen Händen übertragen war) sie bewegte sich von König Karl I. über das Lange Parlament zum Rumpfparlament, vom Rumpfparlament zu Oliver Cromwell, und dann von Richard Cromwell zum Rumpf zurück, von da aus zu dem Langen Parlament und von da zu König Karl II., wo sie lange bleiben möge« (Beh., 201).
Diese Kreisbewegung, durch die in Hobbes’ Sicht nichts dauerhaft Neues hervorgebracht worden ist,47 war mit unsäglichem Leid, Zerstörungen und Kosten verbunden, und die Lehre des Behemoth besteht darin, dass die Kosten-Nutzen-Bilanz, die den einzelnen veranlassen soll, aus dem Natur- in den Gesellschaftszustand hinüberzutreten, angesichts der damit verbundenen Gefahren auch von jeder Renitenz gegenüber dem Souverän abrät. Hobbes hat diese Lehre rhetorisiert und in Dialogform vorgetragen. Der Dialogform hat sich Hobbes auch in der um 1670 im Anschluß an den Behemoth entstandenen Schrift A Dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Laws of England bedient.48 In der teilweise fragmentarischen Schrift hat er seine Souveränitätstheorie auf das englische Recht angewandt und sich dabei vor allem mit Edward Coke auseinandergesetzt, aus dessen Schriften das Parlament im Vorfeld und in den Anfangsmonaten des Bürgerkrieges seine Argumente bezogen hat. Coke zufolge stellt das Common Law die aufgespeicherte Rechtsvernunft des englischen Volkes dar, und diese stehe nicht zur Disposition des Königs. Das aber hieß, dass der König dem Recht unterstand und seinen Entscheidungsmöglichkeiten klare Grenzen gezogen waren. Dagegen hat Thomas Hobbes noch einmal seine Souveränitätstheorie vorgetragen, wonach nichts Recht sein kann, was nicht durch den Souverän erlassen oder zumindest stillschweigend gebilligt worden ist. Deswegen auch stehe der Souverän stets über und niemals 49
unter dem Recht. Das war abermals eine scharfe Absage an die englische Verfassungstradition, in die der Gedanke der Souveränität nie vergleichbaren Eingang gefunden hatte wie auf dem europäischen Kontinent und in der anstelle der rechtsetzenden Souveränität die Idee vom Common Law als einem durch die Gemeinschaft Hervorgebrachten und in der Zeit Bewährten im Mittelpunkt stand. Nach einem wahrhaft erfüllten Leben ist Thomas Hobbes 91-jährig am 4. Dezember 1679 gestorben. Aubrey versichert in Abwehr der weiterhin kursierenden Beschuldigungen des Atheismus, er sei als Christ gestorben, habe das Sakrament empfangen und auf dem Sterbebett erklärt, »daß ihm die Religion der Kirche von England am meisten von allen zusage«.49 Was seinen Charakter anbetrifft, betont Aubrey mehrfach Hobbes’ Mildtätigkeit und sein tiefempfundenes Mitleid mit den Menschen. Bei einem Mann, dessen theoretisches Werk durchweg und vehement die Stärkung der staatlichen Gewalt und deren unnachsichtiges Vorgehen gegen alle potentiellen Aufrührer zum Ziel hatte, sollte dies nicht unerwähnt bleiben.
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2.2 Der Bürgerkrieg in England Hobbes’ politische Theorie ist, wie nahezu alle politischen Schriften im England des 17. Jahrhunderts, auch eine Reaktion auf das wichtigste politische Ereignis dieser Epoche: den Bürgerkrieg. Während Hobbes’ eigene, im Behemoth durchgeführte Analyse der Ursachen des Bürgerkriegs vor allem auf den starken ideologischen Einfluss der Gelehrten und der religiösen Sekten abhebt, betont die moderne historische Forschung die Bedeutung der tief greifenden sozio-ökonomischen Umstrukturierungsprozesse sowie die daraus resultierenden Veränderungen der Lebensbedingungen und -perspektiven eines Großteils der Bevölkerung, die letztendlich zu einem schleichenden Vertrauensverlust in die politischen Institutionen des Landes geführt haben. Dass die Wahrnehmung dieser Einflüsse und Probleme Hobbes’ Zeitgenossen keineswegs verborgen geblieben ist, wird deutlich, wenn man sich dem unterschiedlichen Selbstverständnis der politischen Akteure zuwendet.
Unübersehbar steht der Bürgerkrieg im Mittelpunkt der Hobbesschen Theorie: Er ist für ihn der Anlass, seine Überlegungen, die er zuvor wohl schon im Freundes- und Bekanntenkreis geäußert hatte, zu systematisieren und niederzuschreiben, und er ist und bleibt bis zuletzt das große Thema, um das sein Denken kreist. Es bietet sich deshalb an, ohne jede Gewichtung einige Vorbedingungen des Bürgerkrieges bzw. der Revolution anzuführen.50 Da ist zunächst die relative Instabilität des Tudor-Staates, als dessen Repräsentanten Heinrich VIII. und seine Tochter Elisabeth I. zu nennen sind. Ihnen ist es, im Unterschied zur Entwicklung auf dem Kontinent, nicht gelungen, ein stehendes Heer, eine entwickelte Bürokratie sowie eine regelmä51
ßige Besteuerung durchzusetzen, was auch auf die insulare Lage Englands zurückzuführen ist. Wohl hatte es Bestrebungen in diese Richtung gegeben, aber spätestens 1558 hatte Elisabeth allen diesbezüglichen Plänen eine Absage erteilt. Dieser »englische Sonderweg« wurde von der politischen Opposition schließlich als Ancient Constitution gefeiert und glorifiziert,51 um als politischer Oppositionsbegriff gegen die Politik der Stuartkönige, der Thronfolge Jakobs I. nach dem Tod der kinderlosen Elisabeth, dienen zu können. Da ist sodann, zweitens, die Verdopplung der englischen Bevölkerung zwischen 1520 und 1640, die zur Folge hatte, dass der durchschnittliche Lebensstandard der Menschen relativ sank. Eine Ernährung dieser Bevölkerung war nur auf der Basis tiefgreifender Umstrukturierungen in der Landwirtschaft möglich: Die Allmende wurde durch Großbauern überweidet, und Zehntausende von Kleinpächtern wurden vertrieben. Parallel zum Wachstum der Städte wurden die gesellschaftlichen Beziehungen durch den immer neue und größere Bereiche erfassenden Markt neu organisiert; die Folge dessen waren tiefgreifende Verschiebungen des Wohlstands und damit verbundene Veränderungen in den Lebensperspektiven der meisten, die eine deutliche Schwächung ihrer Gehorsams- und Folgebereitschaft gegenüber dem Herrscher nach sich zogen. Dazu kam, drittens, ein schleichender Vertrauensverlust in den Hof und die politischen Institutionen des Landes, die sich den infolge des gesellschaftlichen Wandels veränderten Anforderungen nicht gewachsen zeigten. Statt dessen griff die Korruption immer stärker um sich, und das Bekanntwerden von Finanz- und Sexualskandalen am Hof trugen erheblich zu dessen moralischer Diskreditierung bei. Dem stand, viertens, eine weitreichende Verbesserung der Bildung gegenüber, insbesondere der Fähigkeit, die Bibel zu lesen. Der Puritanismus, der für den Verlauf des Bürgerkriegs von herausragender Bedeutung war, lässt sich vielleicht am besten definieren als die auf einem individuellen Gewissen und regelmäßiger 52
Bibellektüre beruhende Idee einer dem Rechtssystem und der politischen Ordnung gegenüber unabhängigen Gerechtigkeit. Schließlich hatte, fünftens, die calvinistische Prädestinationslehre auch den einfachen Leuten ein gewachsenes Selbstbewußtsein gegeben, denn welche Stellung sie vor Gott innehatten, hing allein an dessen unergründlichem Ratschluss und hatte nichts zu tun mit ihrer sozialen Stellung. Das verlieh ihnen den Mut, ihrem König, dem Gesalbten des Herrn, gegenüberzutreten und ihm die Stirn zu bieten. Als Karl dann auch noch unter dem Einfluss von Erzbischof Laud für den Arminianismus optierte, eine in den Niederlanden entstandene Theologie, in der die Bedeutung der Prädestination relativiert und die diesseitiger Werke gestärkt wurde, begannen sie immer mehr daran zu zweifeln, dass ihr König tatsächlich die lebendige Verkörperung des göttlichen Willens, der Godly Prince, sei. Vom jeweiligen Zusammenwirken der aufgeführten Faktoren nun hing ab, ob die Revolutionäre ihr Tun als Beschleunigung einer ohnedies ablaufenden Entwicklung begriffen oder ob sie darin vielmehr eine Rückbewegung zu einem als besser erinnerten Früheren sahen. Tatsächlich ist die Dynamik der Revolution nur zu erklären aufgrund des zeitweiligen Zusammenwirkens radikaler Konservativer und radikaler Millenaristen, die im Sturz des Königs den Beginn der Wiederkehr Christi sahen. Als Beispiel für einen radikalen Konservativen ist William Prynne zu nennen: Er hoffte auf eine kulturelle Gegenrevolution, die der vom Hof ausgehenden moralischen Korruption, der Zerstörung der alten Sitten ein Ende bereiten, in ihrem weiteren Verlauf die Sitten wieder erneuern und zu einem Verbot aller Formen der Unzucht, des Aufführens von Theaterstücken und des Tragens langer Haare führen werde.52 Prynne, der 1637 für seine Schrift Breviate of the Prelates’ Intolerable Usurpations brutal bestraft worden war – ihm wurden die Ohren abgeschnitten –, war also aus konservativen Idealen heraus Revolutionär geworden. Ihm steht als Beispiel für einen radika53
len Millenaristen John Milton gegenüber, der die Hinrichtung des Königs, die Prynne übrigens ablehnte, in seinen Schriften Tenure of Kings and Magistrates (1649) und Defense of the People of England (1651) rechtfertigte, weil er darin das Ende der Mediatisierung des Volkes gegenüber Gott durch die Könige und den möglichen Beginn des Tausendjährigen Reichs sah. Hält man sich diese widersprüchlichen Erwartungen vor Augen, so ist klar, dass Hobbes in seiner Zeit keineswegs ein Konservativer war, wofür ihn Spätere gehalten haben, und dass er in Anbetracht der Sarkasmen, mit denen er sich über Puritaner wie Kryptokatholiken lustig machte, von vielen Zeitgenossen als ein Atheist angesehen werden mußte, auch wenn er dies nach heutigem Verständnis nicht gewesen ist. Es wird, beachtet man die Unübersichtlichkeit der Fronten und Bündnisse, aber auch verständlich, warum Hobbes glaubte, durch Rückgriff auf das vereinzelte Individuum und seine ganz eigenen Interessen – und nur so – die politische Ordnung neu konstituieren zu können. Das von Hobbes präferierte Verfahren der Dekontextualisierung seiner Argumente war für ihn schon darum naheliegend, weil ihm der gesamte Kontext hochgradig ideologisiert und insofern selbst bürgerkriegsträchtig zu sein schien. Zwar hat Hobbes in seiner Analyse der Ursachen des Bürgerkriegs die in der modernen Forschung stark herausgestellten sozio-ökonomischen Faktoren keineswegs gänzlich übersehen, aber er hat sie nicht so sehr als objektiv destabilisierende Entwicklungen in Betracht gezogen, sondern sich vor allem auf die Folgen konzentriert, die sie für die Einstellungen und Erwartungen gesellschaftlich relevanter Schichten und Gruppen gehabt haben. So schreibt er gleich zu Beginn des Behemoth, die Kaufleute und Bankiers in London und anderen großen Handelsstädten hätten voll Bewunderung auf die wirtschaftliche Prosperität der Niederlande nach deren Abfall von der spanischen Krone geschaut, und es habe sich in diesen Kreisen die Auffas54
sung verbreitet, »daß der gleiche Wechsel in der Regierung [der Sturz der Monarchie und die Errichtung einer Republik] ihnen auch das gleiche Aufblühen bringen würde« (Beh., 14). Nachdem aber, so fügt Hobbes an anderer Stelle hinzu, ihre unersättliche Profitgier die Kaufleute veranlaßt hat, die Revolutionäre mit Geldmitteln zu unterstützen und diesen das arme Volk in die Arme zu treiben, so reute sie dies schon bald nach Ausbruch der Revolution, als sie der Verluste und Kosten gewahr wurden, die im Gefolge der Revolution entstanden (Beh., 127f.). Es ist die berufsbedingte Orientierung am augenblicklichen Ertrag und Nutzen, die auch die reichen Leute gelegentlich prorevolutionär werden lässt, sie aber schon bald wieder ins Lager der Konterrevolution zurücktreibt. Des weiteren gesteht Hobbes zu, dass es neben denen, die ihr Vermögen vergeudet hatten und durch den Umsturz zu einem neuen kommen wollten – ein Topos der Revolutionskritik seit Sallust –, es Viele gegeben habe, die, wiewohl gesund und arbeitswillig, keinen Weg gesehen hätten, auf ehrliche Weise ihr Brot zu verdienen, was im Ansatz auf eine Kritik der vorrevolutionären Sozialverhältnisse hinausläuft. Aber das ist für Hobbes einer der letzten und in ihrer Relevanz eher untergeordneten Punkte seiner Revolutionsanalyse. Entscheidend für Ausbruch und Verlauf des Bürgerkriegs war hingegen die weit verbreitete – in seiner Sicht falsche – Meinung, wonach der König ohne Zustimmung des Parlaments keine Steuern erheben könne, was dazu geführt habe, dass er nicht genug Truppen aufstellen konnte, um den Aufstand im Keim zu ersticken oder rechtzeitig niederzuschlagen. Des Weiteren hätten die falschen Auffassungen von Papisten und Presbyterianern nicht bloß in theologischen Fragen, sondern auch und gerade in politischen Angelegenheiten einen verhängnisvollen Einfluss gehabt: Die einen hätten gegen den Souverän Herrschaftsansprüche des Papstes reklamiert, während die anderen das Land nach Art einer religiösen Gemeinschaft hätten regieren wollen. Vor al55
lem die verbreitete Vorstellung, die Auslegung der Bibel sei jedermanns eigene Angelegenheit, habe verheerende Folgen gehabt. Und schließlich sei da noch der unglückselige Einfluss gewesen, den die Schriften antiker Autoren gehabt hätten, indem sie durch Worte wie ›Tyrannei‹ und ›Despotie‹ die Vorstellungen verwirrt und die bestehende Ordnung entlegitimiert hätten. Es ist die defizitäre Kontrolle der Wissensordnungen und der diese verwaltenden Intellektuellen durch den Souverän, die in Hobbes’ Sicht die entscheidende Ursache für Ausbruch und Erfolg der Revolution bzw. des Bürgerkriegs gewesen ist, und dementsprechend ist eine zuverlässige Kontrolle der Intellektuellen für ihn der Schlüssel einer jeden erfolgreichen Revolutionsprävention. »Der Herd der Empörung [. . .] sind die Universitäten, die trotzdem nicht abgeschafft, sondern besser diszipliniert werden sollen, d.h., daß die dort gelehrte Poitik (so wie wahre Politik es sollte) in solche Bahnen geleitet werden sollte, daß die Menschen erkennen lernen, daß es ihre Pflicht ist, allen Gesetzen zu gehorchen, welche auch immer von des Königs Autorität Gesetzeskraft bekommen haben [. . .]« (Beh., 64).
2.3 Hobbes’ Bruch mit der klassischen politischen Philosophie Die Grundfrage der klassischen politischen Philosophie ist die Frage nach dem Wesen der Gerechtigkeit und den Bedingungen ihrer Realisierung. Auch Hobbes greift diese Frage auf, doch schlägt er zu ihrer Beantwortung einen neuen Weg ein. So ist für ihn der Versuch einer präzisen Begriffsbestimmung durch Rekurs auf gesellschaftlich ver-
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breitete Vorstellungen zum Scheitern verurteilt, weil die unterschiedlichen sozialen und politischen Gruppierungen je Verschiedenes unter Gerechtigkeit verstehen. Die einzige Möglichkeit, diese im gesellschaftlichen Leben permanent wirksamen Interessengegensätze zu schlichten, besteht für ihn daher in der Dezision des Souveräns, dessen alleinige Entscheidungskompetenz er in Fragen des Rechts und der Moral rückhaltlos bejaht. Indem Hobbes die vom Souverän erlassenen Gesetze somit zum einzig legitimen normativen Maßstab erhebt, ersetzt er den konfliktträchtigen Begriff der Gerechtigkeit durch den des unbedingten Gesetzesgehorsams. Gerecht zu handeln bedeutet für Hobbes somit nicht mehr und nicht weniger, als sich an die bestehenden Gesetze zu halten.
Die Grundfrage der klassischen politischen Philosophie war die Frage nach der Gerechtigkeit – was sie sei und wie sie verwirklicht werden könne. Die Gerechtigkeit steht im Mittelpunkt jenes Dialogs, den der platonische Sokrates im 1. Buch der Politeia mit verschiedenen, sozial wie intellektuell die Hauptgruppierungen der athenischen Gesellschaft charakterisierenden Gesprächspartnern führt, und sie ist das Band, das die aristotelische Politik mit der Ökonomik und der Ethik zu dem Gesamtkorpus der praktischen Philosophie verbindet. Auch Thomas Hobbes hat der Frage nach Wesen und Funktion der Gerechtigkeit in seiner politischen Theorie eine gewisse Beachtung geschenkt, aber er ist zu ihrer Beantwortung gänzlich andere Wege gegangen als die klassische politische Philosophie. Die unterschiedliche Behandlung der Gerechtigkeitsfrage bei Hobbes und Aristoteles soll nachfolgend als Ausgangspunkt dienen, um Hobbes’ fundamentalen Bruch mit der Tradition der politischen Philosophie nachzuzeichnen.53 57
Gleich zu Beginn des zweiten Buches seines Dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Laws of England läßt Hobbes den Juristen (J.) und den Philosophen (P.) auf die Gerechtigkeit als eines von drei Staatszielen zu sprechen kommen: »J.: Dazu sage ich, daß das Ziel allen menschlichen Rechts Friede und Gerechtigkeit in jeder Nation nach innen und Verteidigung gegen Feinde von außen ist. P.: Aber was ist Gerechtigkeit? J.: Gerechtigkeit ist es, jedem Menschen das Seine zu geben. P.: Diese Definition ist gut, aber es ist ja die von Aristoteles; was ist die als Grundsatz anerkannte Definition in der Wissenschaft des gemeinen Rechts? J.: Dieselbe wie die des Aristoteles« (Dial., 47).
Worauf Hobbes hier offenkundig anspielt, ist eine knappe Formulierung in Aristoteles’ Rhetorik (1, 9; 1366 b 9ff.), die lautet: »Die Gerechtigkeit aber ist eine Tugend, durch die Jeder das Seine erhält.« Der Sache nach findet sich diese Bestimmung bereits in Platons Politeia, wo sie gleich zu Beginn in der verkürzten Form auftaucht, gerecht sei, »jedem seine Schuld zu bezahlen« (I, 6; 331 e).54 Was aber schulden wir einander? Im weiteren Verlauf des Gesprächs zwischen Sokrates und seinen Schülern zeigt sich, dass das untereinander Geschuldete ungleich sein muss, um gerecht zu sein, weil die das Geschuldete Empfangenden ungleich sind. So ist auch der Aufbau des gerechten Staates im weiteren Verlauf des platonischen Dialogs dadurch gekennzeichnet, dass politische Aufgaben und Rechte gemäß der Einsichtsfähigkeit und nach Maßgabe einer entsprechenden Erziehung sehr unterschiedlich verteilt werden. Nach dieser Differenzierung kann von Platon als vorläufiges Ergebnis des Gesprächs festgehalten werden, »daß es Gerechtigkeit ist, wenn man das Seine tut und nicht mancherlei Dinge treibt« (IV, 10; 433 a/b). Aristoteles hat die starke Differenzierung und Spezifizierung 58
der Rechte und Pflichten bei Platon zurückgenommen. In seinen Überlegungen zur Gerechtigkeit hat er aber durch die Unterscheidung zwischen einer zuteilenden und einer ausgleichenden Dimension, zwischen iustitia distributiva und iustitia commutativa, wie die üblich gewordenen lateinischen Begriffe lauten, den Aspekt der Ungleichheit der Menschen hinsichtlich der gerechten Verteilung von Gütern und Ehren aufrechterhalten.55 Dabei wird im Fall der ausgleichenden Gerechtigkeit die Gleichheit aller Menschen unterstellt, so dass Ungerechtigkeit in einem Verstoß gegen diese Gleichheit besteht, während im Falle der austeilenden Gerechtigkeit die tatsächliche Ungleichheit der Menschen das Problem für gerechtes Tun darstellt, insofern hier die Gleichbehandlung von Ungleichen die Ursache der Ungerechtigkeit ist. So schreibt Aristoteles in der Nikomachischen Ethik (V, 6; 1131 a 18ff.): »Das Gerechte setzt also mindestens vier Elemente voraus: die Menschen, für die es gerecht ist, sind zwei, und die Sachen, auf die es sich bezieht, sind ebenfalls zwei. Und zwar ist die Gleichheit dieselbe, für die und in was sie vorhanden ist. Wie sich die Sachen verhalten, so werden sich auch die Menschen verhalten. Sind sie nicht gleich, so werden sie auch nicht Gleiches erhalten. Daher kommen die Streitigkeiten und Prozesse, daß entweder Gleiche Ungleiches oder Ungleiche Gleiches haben und zugeteilt erhalten. Dies ergibt sich auch aus dem Moment der Würdigkeit. Denn alle stimmen darin überein, daß das Gerechte im Zuteilen auf einer bestimmten Würdigkeit beruhen müsse. Doch diese Würdigkeit gilt nicht für alle als dieselbe, sondern die Demokraten sehen sie in der Freiheit, die Oligarchen im Reichtum, andere in der Adligkeit, und die Aristokraten in der Tugend.«
Dieser politische Dissens bezüglich der Würdigkeit der Menschen nun ist exakt der Punkt, an dem Hobbes ansetzt, um die Fundierung der klassischen Politik auf der Wesensbestimmung der Gerechtigkeit aus den Angeln zu heben. Was nämlich nützen alle noch so elaborierten Bemühungen um eine präzise Begriffsbestimmung, wenn anschließend die unterschiedlichen 59
sozio-politischen Gruppierungen darunter verschiedenes verstehen und die Auslegung der Definition durch andere Schichten und Gruppen nicht akzeptieren.56 Darum hält Hobbes alle Versuche, durch Präzisierung des unter Gerechtigkeit zu Verstehenden eine Grundlage für das friedliche Zusammenleben der Menschen zu schaffen, für zum Scheitern verurteilt und setzt statt dessen auf die souveräne Dezision, die in Gesetzesform vorschreibt, was zu tun und was zu unterlassen ist. Gerecht zu handeln, heißt dann nicht mehr und nicht weniger, als das zu tun, was das Gesetz vorschreibt, und zu unterlassen, was es verbietet. Um diese Konsequenz als zwingend zu erweisen, greift Hobbes an der oben zitierten Stelle des Dialogue aus der aristotelischen Definition den Begriff »das Seine« heraus und befragt ihn bezüglich seiner Bedeutung: »P.: Wenn du sagst, daß Gerechtigkeit jedem Menschen das Seine gibt, was meinst du mit dem ›Seinen‹? Wie kann mir das erst gegeben werden, was schon meines ist oder wenn es nicht meines ist, wie kann Gerechtigkeit es dazu machen? J.: Ohne Gesetz gehört jedes Ding insofern jedem Menschen, als er, ohne einem anderen Menschen Unrecht zu tun, jedes Ding, Land, Tiere, Früchte und sogar die Körper anderer Menschen nehmen, besitzen und sich daran erfreuen mag, wenn ihm seine Vernunft sagt, daß er anders nicht sicher leben kann« (Dial., 47).
Hierbei ist zunächst weniger Hobbes’ – im 13. Kapitel des Leviathan ausführlich dargelegte – Vorstellung vom ursprünglichen Recht aller auf alles von Bedeutung, aus der dann der Krieg eines jeden gegen jeden erwächst, sondern die entschlossene Restriktion des bei Aristoteles deutlich weiteren und tieferen Begriffsverständnisses dessen, was mit dem »Seinen« gemeint ist, auf das Eigentum an etwas. Hobbes hat damit den platonischen Argumentationsweg in umgekehrter Richtung zurückgelegt. Beginnt die Erörterung der Frage nach dem Wesen der Gerechtigkeit in der Politeia mit dem Verweis auf das Eigentum, der sich aber bald als unzureichend erweist und durch 60
komplexere Überlegungen ersetzt wird, so führt sie bei Hobbes nach einem kritischen Blick auf den klassischen Argumentationsgang zum Eigentum zurück.57 Was für Aristoteles das komplizierte Problem der unterschiedlichen Würdigkeit der Menschen war, wird für Hobbes zu der einfachen Frage, wie Eigentum entsteht oder, genauer noch, wie ein bestimmter Gegenstand zum Eigentum eines bestimmten Menschen wird. Für Hobbes ist dies eine Frage der gesetzlichen Festlegung, und so lässt er den Juristen fortfahren: »Indem wir also sehen, daß ohne menschliches Gesetz alle Dinge Gemeingut wären und daß diese Gemeinsamkeit ein Anlaß für Übergriffe, Neid, Totschlag und dauernden Krieg untereinander sein würde, befiehlt dasselbe Recht der Vernunft der Menschheit, (zu ihrer eigenen Erhaltung) Land und Güter so zu verteilen, daß jeder Mensch wissen kann, was sein eigen ist, und daß kein anderer ein Recht beanspruchen oder ihn an der Benutzung derselben hindern kann. Diese Festlegung bedeutet erst Gerechtigkeit, und dies ist genaugenommen gemeint, wenn wir sagen, daß jeder ›das Seine‹ haben soll. Daraus wird deutlich, daß es zur Erhaltung der Menschheit von großer Notwendigkeit ist, Gesetzesrecht zu haben« (Dial., 48).
Doch die Ankopplung der Gesetze an die Gerechtigkeit, die vordem (und auch nach Hobbes wieder) dahingehend unterschieden waren, dass die Gerechtigkeit den kritischen Maßstab bei der Formulierung neuer Gesetze bzw. bei der Kritik der bestehenden abgab,58 ist für Hobbes keine Lösung des Problems, denn dieses besteht in seiner Sicht nicht in einer normativ anspruchsvolleren Fundierung der Gesetze, sondern in ihrer effektiven Durchsetzung: »Wenn also eine Nation einen Mann oder eine Gemeinschaft von Männern erwählt, die sie durch Gesetz regieren sollen, so muß sie ihn mit bewaffneten Männern, Geld und allen Dingen, die für sein Amt notwendig sind, ausstatten, oder aber seine Gesetze werden von keiner Wirkung sein und die Nation verbleibt in Verwirrung, so wie es vorher der Fall war. Daher ist es nicht der Buchstabe des Gesetzes, was die
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Gesetze wirksam macht, sondern die Macht eines Menschen, der die Stärke der ganzen Nation in sich vereinigt« (Dial., 48f.).
Hobbes’ Argumentation wurde hier so ausführlich zitiert, um die Art seiner Auseinandersetzung mit Aristoteles, der stellvertretend für die gesamte klassische politische Philosophie steht, in ihren einzelnen Schritten nachzuzeichnen: Der Versuch, eine den positiv-rechtlichen Bestimmungen vorangehende und ihnen als Maßstab übergeordnete Vorstellung von Gerechtigkeit durch philosophische Reflexion zu entwickeln, wird von Hobbes abgelehnt, da der diskursiven Vernunft keine verpflichtende Macht oder gar Zwangsgewalt zukomme. Mehr noch: Der so geführte philosophische Diskurs stehe immer in der Gefahr, zum intellektuellen Vorspiel des anschließenden Bürgerkriegs zu werden. Der Krieg der Schriften und Bücher, so Hobbes, ist die Vorbereitung des Kriegs der Waffen. Hobbes schlußfolgert daraus, dass die Reflexion auf eine vom positiven Recht unabhängige Konzeption von Gerechtigkeit nicht nur unergiebig, sondern darüber hinaus auch dysfunktional ist, insofern sie den Rekurs auf eine der bestehenden Rechtsordnung kritisch gegenüberstehende normative Ordnungsvorstellung erst möglich mache. Gerechtigkeit wird von Hobbes darum bestimmt als Gehorsam gegenüber dem Gesetz.59 Nun ist die Inversion von Gesetz und Gerechtigkeit, zu der Hobbes sich genötigt sieht, aber keineswegs eine der klassischen politischen Philosophie gegenüber beliebige Annahme, sondern folgt aus einer Grundvoraussetzung der Hobbesschen Theorie, die weder Platon noch Aristoteles teilen, ja, die als mögliche Grundlage des Gebäudes der politischen Theorie zu vermeiden beide große Anstrengungen unternommen haben: die Gleichheit der Menschen. So heißt es bei Hobbes: »Die Natur hat die Menschen hinsichtlich ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten so gleich geschaffen, daß trotz der Tatsache, daß bisweilen der eine einen offensichtlich stärkeren Körper oder gewandte-
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ren Geist als der andere besitzt, der Unterschied zwischen den Menschen alles in allem doch nicht so beträchtlich ist, daß der eine aufgrund dessen einen Vorteil beanspruchen könnte, den ein anderer nicht ebenso gut für sich beanspruchen dürfte« (Lev., 94).
Demgegenüber hat Platon ab dem 2. Buch der Politeia zu begründen versucht, dass eine Gemeinschaft nur dann gerecht eingerichtet sei, wenn sie den großen intellektuellen und moralischen Unterschieden zwischen den Menschen Rechnung trage, und der von Sokrates entworfene Idealstaat ist in seiner Dreigliederung in den Stand der Philospohen, der Wächter sowie der Bauern und Handwerker die institutionelle Konsequenz der Annahme menschlicher Ungleichheit. Aristoteles hat diesen Gedanken radikalisiert, wenn es in seiner Politik (I, 5, 6) zunächst die unterschiedlichen Vorstellungen von der Sklaverei referiert, und zwar als einer durch Gesetz erzwungenen und einer von Natur bestehenden, und ist nach Abwägen der verschiedenen Argumente zu dem Ergebnis gelangt: »Denn man muß sagen, daß es Menschen gibt, die unter allen Umständen Sklaven sind, und solche, die es niemals sind« (Pol. I, 6; 1255 a 31f.). Diese Vorstellung von der Ungleichheit der Menschen wird für Aristoteles zur Basis seines Entwurfs politischer Ordnung: »Wer es sich also leisten kann«, so Pol. I, 7; 1255 b 36ff., »sich nicht selbst abzumühen, bei dem übernimmt ein Verwalter dieses Amt, und die Herren selbst treiben Politik oder Philosophie.« Dagegen hat Hobbes – polemisch zugespitzt – im Leviathan eingewandt:60 »Die gegenwärtig bestehende Ungleichheit wurde durch die bürgerlichen Gesetze eingeführt. Ich weiß, daß Aristoteles im ersten Buch seiner Politik zu einer Grundlage seiner Lehre macht, einige Menschen seien von Natur aus zum Befehlen geeigneter, womit er die klügere Sorte meint, nämlich die, zu der er sich auf Grund seiner Philosophie selbst zählt, und andere zum Dienen, womit er Leute meinte, die starke Körper besaßen, aber keine Philosophen waren wie er. Als ob die Einteilung in Herr und Knecht nicht durch Übereinstimmung der Men-
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schen, sondern auf Grund ihres unterschiedlichen Verstandes eingeführt worden wäre! Dies widerspricht nicht nur der Vernunft, sondern auch der Erfahrung. Denn es sind nur wenige so dumm, daß sie sich nicht lieber selbst regieren als von anderen regieren lassen würden. Ebensowenig fällt denienigen, die sich selbst für klug halten, immer oder oft oder meistens der Sieg zu, wenn sie mit denen kämpfen, die ihrer eigenen Klugheit mißtrauen. Und wenn deshalb die Natur die Menschen gleich geschaffen hat, so muß diese Gleichheit anerkannt, oder aber, wenn die Natur die Menschen ungleich geschaffen hat, die Menschen sich jedoch für gleich halten und nur zu gleichen Bedingungen in den Friedenszustand eintreten wollen, diese Gleichheit eingeräumt werden. Deshalb stelle ich dieses neunte Gesetz der Natur auf: Jedermann soll den anderen für Seinesgleichen von Natur aus ansehen. Der Bruch dieser Vorschrift ist Hochmut« (Lev., 118).
Man würde Hobbes freilich gründlich missverstehen, wenn man seine Kritik an Aristoteles als ein egalitäres Credo lesen würde. Nichts liegt Hobbes ferner, als eine auf der Gleichheit der Menschen begründete Gesellschaft zu entwerfen, denn diese endet seiner Auffassung nach notwendig im Krieg eines jeden gegen jeden. Worin Hobbes und Aristoteles dissentieren, ist die Art der Begründung der Ungleichheit: Während Aristoteles meint, die Ungleichheit der Menschen lasse sich aus der Natur ableiten, ist Hobbes der Auffassung, sie könne allein durch souveräne Dezision zwingend begründet werden. Dagegen ist es gerade das unaufhebbar Willkürliche solcher Dezisionen, das Aristoteles gegenüber einer solchen Begründung der Ungleichheit auf Distanz hält und ihn in der Natur nach Elementen suchen lässt, die einer solchen Willkür überhoben sind. Hierzu gehört nicht nur sein Versuch, Sklaverei aus der Natur der Menschen heraus zu begründen, sondern vor allem auch die für seine politische Theorie fundamentale Unterscheidung zwischen Haus und Stadt, oikos und polis. Ist letztere als der eigentliche Ort des Politischen der Bereich, in dem die Freien und Gleichen, eben die Bürger, miteinander verkehren, so ist das Haus in dem Sinne ein vorpolitischer Bereich, als es durch 64
(unpolitische) Herrschaftsbeziehungen gekennzeichnet ist, in denen entweder die Freiheit oder die Gleichheit oder beides zwischen Herrschenden und Beherrschten fehlen: Es sind dies die drei im Hausherrn zusammenlaufenden Beziehungen des Vaters zu den Kindern (Söhnen), des Mannes zu seiner Frau61 und des Herrn zum Gesinde bzw. den Sklaven. Das Politische ist für Aristoteles also ein genau abgesteckter Bereich; er ist keineswegs identisch mit allen Formen der Herrschaft, sondern er ist der spezifische Ort der Herrschaftsausübung der Freien und Gleichen. Wie aber ist Herrschaft möglich, ohne dass Freiheit und Gleichheit der diese Herrschaft nicht nur Ausübenden, sondern ihr auch Unterworfenen gefährdet werden? Aristoteles’ Lösung besteht in der Einheit von Herrschen und Beherrscht-Werden, von archein ´ und archesthai. ´ Die politische Herrschaft ist für ihn also ein aus der Fülle der Herrschaftsbeziehungen herausgehobener Bereich, der sorgsam gegen alle anderen Formen von Herrschaft abgegrenzt werden muss. Der Gegensatz zwischen Aristoteles und Hobbes könnte nicht schärfer sein als in dieser Frage: Aristoteles beginnt mit der Ungleichheit, um zur Gleichheit als Element der politischen Ordnung zu gelangen; Hobbes hingegen beginnt mit der Gleichheit, um zur Ungleichheit als einer ordnungskonstituierenden Leistung von Herrschaft zu kommen. Was für Aristoteles nämlich die normativ höchste und wertvollste Form der Herrschaft ist, die Herrschaft der Freien und Gleichen, die durch die Ausund Abgrenzung aller vor- und unpolitischen Herrschaftsformen aus der Fülle der Herrschaftsbeziehungen separiert wird, ist für Hobbes nichts anderes als der Naturzustand, dessen entscheidendes Charakteristikum das Fehlen jeder stabilen Ordnung ist. Wenn nämlich alle frei und gleich sind, so Hobbes, dann sind Streit und Krieg die Folge. Im Anschluss an die bereits zitierte Passage aus dem Leviathan, in der er die Gleichheit auch in Anbetracht einer gewissen Ungleichheit der Kräfte als das die Menschen auszeichnende Charakteristikum heraus65
gestellt hat, spitzt er diese Überlegungen zu der These von der gleichen Tötungsfähigkeit aller Menschen zu, die zur tragenden Stütze seiner Grundannahme der menschlichen Gleichheit wird: »Denn was die Körperstärke betrifft, so ist der Schwächste stark genug, den Stärksten zu töten – entweder durch Hinterlist oder durch ein Bündnis mit anderen, die sich in derselben Gefahr wie er selbst befinden« (Lev., 94). Gleichheit ist für Hobbes somit – im Unterschied zu Aristoteles – ein instabiler, höchst prekärer Zustand. Das zeigt sich spätestens dort, wo Hobbes aus den allgemeinen Überlegungen politische Konsequenzen zieht: »Aus dieser Gleichheit der Fähigkeiten entsteht eine Gleichheit der Hoffnungen, unsere Absichten erreichen zu können. Und wenn daher zwei Menschen nach demselben Gegenstand streben, den sie jedoch nicht zusammen genießen können, so werden sie Feinde und sind in Verfolgung ihrer Absicht, die grundsätzlich Selbsterhaltung und bisweilen nur Genuß ist, bestrebt, sich gegenseitig zu vernichten oder zu unterwerfen« (Lev., 94f.).
Fügt man zu dieser Aussage über die Gleichheit noch die Hobbessche Definition der Freiheit als »Abwesenheit äußerer Hindernisse« (Lev., 99) hinzu, so ist klar, dass ein Zustand der Freiheit und Gleichheit für ihn mitnichten als erstrebenswert gelten kann. Hobbes hat die Geltungsbereiche von Freiheit und Gleichheit also mit der Folge für generell gültig erklärt, dass er sie sogleich grundsätzlich einschränken muß. Der Zustand der Freiheit, der libertas, wie die Gegenüberstellung in De cive noch lautet, muss in den der Herrschaft, des imperium, überführt werden, damit die Menschen ruhig und in Sicherheit miteinander leben können, und bei der Einschränkung der Freiheit sowie der souveränen Herstellung von Ungleichheit handelt es sich durchaus um die Erfüllung eines tiefen Wunsches der Meisten. Hobbes schreibt: »Ferner empfinden die Menschen am Zusammenleben kein Vergnügen, sondern im Gegenteil großen 66
Verdruß, wenn es keine Macht gibt, die dazu in der Lage ist, sie alle einzuschüchtern.« Einmal mehr wird hier die tiefe Kluft sichtbar, die Hobbes von Aristoteles trennt. Für diesen nämlich war das Zusammenleben der Freien und Gleichen, eben die Politik, nach der Philosophie die höchste und am meisten befriedigende Beschäftigung, die ein Mensch finden konnte (Nik. Eth. X, 7; 1177 a 11ff.). Deutlicher noch: Sie war die Erfüllung des menschlichen Lebens, das auf diesen Zustand hin angelegt war. Für Hobbes hingegen zeichnet sich dieser Zustand dadurch aus, dass in ihm »das menschliche Leben [. . .] einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz« ist (Lev., 96). Was diesem Gegensatz zugrundeliegt, ist eine fundamental unterschiedliche Sicht des Menschen bei Hobbes und Aristoteles. Aristoteles begreift den Menschen, wie die berühmte Formel lautet, als zoon ˆ physei ´ politikon, ´ als »ein von Natur staatenbildendes Lebewesen« (Pol. I, 2; 1253 a 2) oder, genauer noch, als ein Lebenwesen, das auf die Gemeinschaft hin angelegt ist und sich in dieser Gemeinschaft verwirklicht. Der Mensch ist demnach auf die Gemeinschaft angewiesen, und das unterscheidet ihn von Tier und Gott. Aber diese Gemeinschaft ist für Aristoteles keine der individuellen Entfaltung des Menschen repressiv gegenübertretende Macht, sondern umgekehrt der Ort, an dem der Mensch erst zu dem wird, was er seiner Natur nach sein kann und sein soll. Aristoteles’ Konzeption der menschlichen Physis zeichnet sich also dadurch aus, dass sie zugleich ausdrückt, was der Mensch ist und was er sein soll bzw. werden kann. Die Norm ist hier kein von außen an die Fähigkeit herangetragenes Postulat, sondern sie ist in die Faktizität der Welt selbst eingeschlossen. Sein und Sollen, Faktum und Norm, sind in der teleologischen Naturbetrachtung des Aristoteles untrennbar eines.62 Im mechanistischen Naturverständnis des 17. Jahrhunderts, das auch von Hobbes geteilt wurde, war dieser Gedanke nur noch schwer nachvollziehbar, und für Hobbes hatte Aristoteles 67
Sein und Sollen unzulässig miteinander vermischt. Dementsprechend scharf attackierte er das aristotelische Menschenbild: »Die meisten, welche über den Staat geschrieben haben, setzen voraus oder erbitten oder fordern von uns den Glauben, daß der Mensch von Natur ein zur Gesellschaft geeignetes Wesen sei, also das, was die Griechen zoon ˆ politikon ´ nennen. [. . .] Dieses Axiom ist jedoch trotz seiner weitverbreiteten Geltung falsch; es ist ein Irrtum, der aus einer allzu oberflächlichen Betrachtung der menschlichen Natur herrührt. Denn untersucht man genauer die Gründe, warum die Menschen zusammenkommen und sich gegenseitig an ihrer Gesellschaft erfreuen, so findet man leicht, daß dies nicht naturnotwendig, sondern nur zufälligerweise geschieht. Denn wenn die Menschen einander von Natur, d. h. bloß weil sie Menschen sind, liebten, wäre es unerklärlich, weshalb nicht jeder einen jeden in gleichem Maße liebte, da sie ja alle in gleichem Maße Menschen sind; oder weshalb der Mensch lieber die Gesellschaft derer aufsucht, die ihm mehr als den übrigen Ehre und Vorteil erweisen« (Civ., 75f.).
Erneut wird hier das Verfahren sichtbar, mit dem Hobbes immer wieder gearbeitet hat: die Reduktion von komplexen Motiven auf pure Interessen, durch die hinter idealen Ansprüchen überaus egoistische Beweggründe sichtbar gemacht werden. Auch wenn Aristoteles’ Menschenbild mit diesem Verfahren nicht wirklich getroffen werden kann, so wird der Gegensatz zwischen den anthropologischen Grundlagen der aristotelischen und der Hobbesschen Politiktheorie doch prägnant fassbar. Während in Aristoteles’ teleologischer Sicht das einzelne Element und der Gesamtzusammenhang durchgängig miteinander verbunden, Polis und Polites, Stadtstaat und Bürger untrennbar miteinander verkettet sind, hat sich Hobbes für ein Verfahren entschieden, in dem der aparte Nutzenmaximierer den Ausgangspunkt der Überlegung bildet und der gesellschaftliche Zusammenhang nicht, wie in Aristoteles’ Polis-Vorstellung, immer schon gegeben ist, sondern durch den Zusammen68
tritt der Einzelnen und durchaus unter Verfolgung ihrer egoistischen Interessen erst hergestellt werden muss. Nun hat Aristoteles, und damit leitet die Untersuchung schon zu dem nächsten Abschnitt über, in dem es um Hobbes’ Nominalismus geht, den Menschen nicht nur als Staaten bildendes, sondern auch als sprach- und vernunftbegabtes Lebewesen (zoon ˆ logon ´ e´ chon) gekennzeichnet. Die spezifische Form des menschlichen Zusammenschlusses von dem der Bienen und Herdentiere abhebend, schreibt er: »Daß ferner der Mensch in höherem Grade ein staatenbildendes Lebewesen ist als jede Biene oder irgendein Herdentier, ist klar. Denn die Natur macht, wie wir behaupten, nichts vergebens. Der Mensch ist aber das einzige Lebewesen, das Sprache besitzt. Die Stimme zeigt Schmerz und Lust an und ist darum auch den andern Lebewesen eigen (denn bis zu diesem Punkt ist ihre Natur gelangt, daß sie Schmerz und Lust wahrnehmen und dies einander anzeigen können); die Sprache dagegen dient dazu, das Nützliche und Schädliche mitzuteilen und so auch das Gerechte und Ungerechte. Dies ist nämlich im Gegensatz zu den anderen Lebewesen dem Menschen eigentümlich, daß er allein die Wahrnehmung des Guten und Schlechten, des Gerechten und Ungerechten und so weiter besitzt. Die Gemeinschaft in diesen Dingen schafft das Haus und den Staat« (Pol. I, 2; 1253 a 7ff.).
Dass der Besitz der Sprache, wie Aristoteles hier behauptet, die Bildung der häuslichen und der politischen Gemeinschaft ermöglicht und begünstigt, dass also in der Sprache des Menschen seine Fähigkeit zu gemeinschaftlichem Leben begründet ist, hat Hobbes mit Entschiedenheit bestritten. Tatsächlich liegt in der differenten Beurteilung der Sprache die Basis für das unterschiedliche Menschenbild bei Hobbes und Aristoteles: Hätte Hobbes nämlich Aristoteles’ Überzeugung geteilt, wonach in der Sprachfähigkeit des Menschen auch seine Vernünftigkeit und sogar seine Gemeinschaftsbezogenheit begründet ist, so hätte es keinen Grund gegeben, warum er den Menschen dann nicht auch als »ein staatenbildendes Lebewesen«, 69
als zoon ˆ physei ´ politikon, ´ hätte bezeichnen sollen. Hobbes hat dieses Problem sehr genau gesehen und ist sowohl in den Elements (1. Teil, XIX, S. 128) als auch in De Cive (II, 5, S. 127) sowie im Leviathan (II, 17, S. 133) darauf eingegangen. Dabei verkehrt er Aristoteles’ Beschreibung der Sprachlichkeit kurzerhand ins Gegenteil, indem er sie nicht nur als Ermöglichungsbedingung friedlichen Zusammenlebens, sondern auch als Beschleunigungsfaktor des Krieges begreift. Die Menschen gegen die Tiere abhebend, schreibt er: Es »können die vernunftlosen Tiere zwar einen gewissen Gebrauch von ihrer Stimme machen, um einander sich ihre Begierden kenntlich zu machen, aber es geht ihnen die Kunst der Sprache ab, deren man notwendig bedarf, um die Leidenschaften zu erregen, und durch die ein Gut als besser und ein Übel als schlimmer dargestellt werden kann, als es wirklich ist. Die Zunge des Menschen aber ist gleichsam die Trompete des Krieges und Aufruhrs, und von Perikles erzählt man, daß er durch seine Volksreden gedonnert, Blitze geschleudert und ganz Griechenland in Verwirrung gebracht habe« (Civ., 127).63
Doch Hobbes geht es um mehr, als bloß Aristoteles’ Behauptung zu widerlegen, der Mensch sei in höherem Maße ein staatenbildendes Lebewesen als Ameisen und Bienen; er bemüht sich um den Nachweis, dass alle Analogieschlüsse vom Zusammenleben der Bienen und Ameisen auf das der Menschen verfehlt sind. Die Plausibilität dieses Nachweises ist für ihn identisch mit der Verabschiedung der politischen Theorie des Aristoteles sowie aller an sie anknüpfenden Entwürfe. So schreibt er im Leviathan. »Es ist richtig, daß gewisse Lebewesen wie Bienen und Ameisen gesellig zusammenleben, weshalb sie von Aristoteles zu den politischen Lebewesen gerechnet werden, und daß sie doch keine andere Führung haben als ihre eignen Urteile und Neigungen, auch keine Sprache, wodurch der eine dem anderen zu erkennen geben könnte, was seiner Meinung nach dem Gemeinwohl zuträglich ist. Und deshalb möchten
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manche vielleicht wissen, weshalb sich die Menschheit nicht ebenso verhalten kann. Darauf gebe ich zur Antwort: Erstens. Die Menschen liegen in einem ständigen Wettkampf um Ehre und Würde, diese Lebewesen aber nicht; folglich entsteht zwischen den Menschen aus diesem Grund Neid und Haß und letztlich Krieg, zwischen diesen Lebewesen aber nicht. Zweitens. Bei diesen Lebewesen unterscheidet sich das Gemeinwohl nicht vom Privatwohl, und da sie von Natur aus ihr privates Wohl anstreben, fördern sie dadurch das Gemeinwohl. Der Mensch dagegen, der es liebt, sich mit anderen Menschen zu vergleichen, kann nur an Außerordentlichem Geschmack finden. Drittens. Da diese Lebewesen nicht wie die Menschen über Vernunft verfügen, sehen sie keine Mängel in der Verwaltung ihrer allgemeinen Angelegenheiten und meinen auch nicht, solche zu sehen, während es bei den Menschen sehr viele gibt, die sich für klüger und zur Regierung der Öffentlichkeit fähiger halten als der Rest. Und diese Leute streben nach Reformen und Neuerungen, die einen auf diesem, die anderen auf jenem Weg und stürzen die Öffentlichkeit dadurch in Wirren und Bürgerkrieg. [. . .] Fünftens. Unvernünftige Lebewesen können nicht zwischen Beleidigung und Verletzung unterscheiden. Deshalb sind sie mit ihren Artgenossen nicht verfeindet, solange sie ungestört sind, während der Mensch dann am unleidlichsten ist, wenn er am meisten Muße hat. Denn dann liebt er es, seine Weisheit zu zeigen und die Handlungen derer, die den Staat regieren, zu kritisieren. Letztlich. Die Übereinstimmung dieser Lebewesen ist natürlich, die der Menschen beruht nur auf Vertrag, der künstlich ist. Und deshalb ist es kein Wunder, daß außer dem Vertrag noch etwas erforderlich ist, um ihre Übereinstimmung beständig und dauerhaft zu machen, nämlich eine allgemeine Gewalt, die sie im Zaum halten und ihre Handlungen auf das Gemeinwohl hinlenken soll« (Lev., 133f.).
Im Zusammenhang der Hobbesschen Aristoteles-Kritik ist das grundlegend veränderte Verständnis von Sprache und Vernunft bzw. Verstand von Bedeutung. Sind für Aristoteles Sprache und Vernunft, im griechischen Wort logos ´ miteinander verbunden, Gemeinschaftsbildung ermöglichende und befördernde Faktoren, so haben sie bei Hobbes in ihrer unmittelbaren Wirkung 71
eine genau entgegengesetzte Wirkung: Sie steigern Konkurrenz und Gegensätze, ermöglichen die Separierung des Eigeninteresses vom Allgemeinwohl und führen dazu, dass viele mit der Regierung unzufrieden sind. Nur eines ermöglichen Sprache und Verstand, und darin sind sie auch bei Hobbes die entscheidende Ermöglichungsbedingung der Staatenbildung: den Abschluss jenes Vertrags, durch den der die Einheit des Gesellschaftsverbandes garantierende Souverän eingesetzt wird. Aber der Verstand, auf den Hobbes dabei rekurriert, ist der des rationalen Nutzenkalküls, nicht die sinnorientierende Vernünftigkeit des Aristoteles, und die Sprache, die Hobbes meint, ist die Fähigkeit zur präzisen Benennung von Sachverhalten, nicht aber, wie bei Aristoteles, ein Medium der Welterschließung. Unter diesen Umständen ist es nur folgerichtig, wenn Hobbes auf die für Aristoteles’ Politiktheorie fundamentale Unterscheidung zwischen guten und schlechten Verfassungsformen verzichtet und darin denunziatorische Kampfbegriffe des Bürgerkriegs sieht. Zugleich gibt er das aristotelische mesotes-Ideal auf, die Vorstellung von dem sozial wie intellektuell auf die Mitte zwischen den Extremen orientierten Bürger,64 den er durch den zu Gehorsam verpflichteten Untertanen ersetzt. »Der einzelne Bürger sowie jede andere untergeordnete Rechtsperson heißt Untertan des Inhabers der höchsten Staatsgewalt« (Civ., 129).
2.4 Sprachkritik Auch mit Blick auf die Sprache vertritt Hobbes eine im Verhältnis zur klassischen Philosophie reduktionistische Position. Die Fähigkeit des sprachlich vermittelten Weltbezugs, in dem sowohl die Philosophie der Antike als auch der an
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sie anknüpfende neuzeitliche Humanismus das Wesensmerkmal des Menschen erblickt hatten, verkürzt sich für Hobbes auf die Fähigkeit, Befehle zu geben und Befehle verstehen zu können. Anders ausgedrückt: Der Mensch ist für Hobbes das Tier, das Ordnungsstrukturen ausbilden und sich in diese einfügen kann. Folglich ist es ihm in seiner Auseinandersetzung mit der Sprache auch weniger um sprachphilosophische Einsichten zu tun als vielmehr um die Klärung begründungstheoretischer Fragen im Rahmen seiner politischen Theorie. So hängt die Bedeutung von Begriffen wie »Freiheit«, »Gleichheit« und »Gerechtigkeit« für Hobbes allein davon ab, was der Souverän als deren Bedeutung festlegt. Die Definitionskompetenz des Souveräns umfasst für Hobbes also nicht nur Gesetze, Werte und Normen, sondern auch die ihnen systematisch vorgelagerte semantische Dimension des Sprachgebrauchs.
Die Sprache hat die Menschen im Vergleich mit den Tieren nicht nur wissender, sondern auch irrtumsanfälliger gemacht. Diese Ambivalenz der Sprache ist ein Hobbes’ politische Philosophie von Anfang bis Ende durchziehendes Thema. Sie hat, wie Hobbes in den Elements (54) feststellt, den Menschen ermöglicht, vermittels Begriffsbildungen gegenwärtige Vorstellungen mit solchen der Erinnerung zu verbinden und dadurch eine Unwissenheit zu überwinden, die das Ergebnis der Beschränkung des Bewusstseins auf ein bloß präsentisches Wissen ist. Aber die Überschreitung präsentischen Wissens in die Tiefe der Erinnerung ist ein prekärer Vorgang, insofern sie untrennbar mit der Möglichkeit von Irrtum und Täuschung verbunden ist. »So wird der Mensch durch die Sprache nicht besser, sondern nur mächtiger« (Hom., 18). Indem Hobbes die Sprache auf ihre instrumentellen Dimensionen verkürzt und sie bloß als 73
ein sorgfältig zu benutzendes Werkzeug der Weltbeherrschung betrachtet, nimmt er eine klar konturierte Gegenposition zur Philosophie des Humanismus ein, der – in Teilen zumindest – in der Sprache das wesentliche Medium humaner Welterschließung gesehen hatte.65 Durch und in der Sprache versichert sich der Mensch seines Menschseins, bringt er jenen eigentümlichen Weltbezug hervor, der seine herausgehobene Stellung in der Welt ausmacht. Gänzlich anders angelegt ist dagegen die Sprachtheorie des Thomas Hobbes. Unter den drei Vorteilen, die den Menschen aus der Sprache erwachsen, hebt er neben der Fähigkeit zu zählen und der Möglichkeit, andere zu belehren, Wissen mitzuteilen sowie um Rat zu fragen, als dritten Vorzug besonders hervor: »Die größte Wohltat der Sprache ist, daß wir befehlen und Befehle verstehen können. Denn ohne diese gäbe es keine Gemeinschaft zwischen den Menschen, keinen Frieden und folglich auch keine Zucht, sondern erstens Wildheit, zweitens Einsamkeit und anstelle von Wohnstätten Schlupfwinkel. [. . .] Denn so gewiß Schwerter und Spieße, die Waffen des Menschen, Hörner, Zähne und Stacheln, die Waffen der Tiere, übertreffen, so gewiß ist auch der Mensch, den sogar der künftige Hunger hungrig macht, raublustiger und grausamer als Wölfe, Bären und Schlangen, deren Raubgier nicht länger dauert als ihr Hunger und die nur grausam sind, wenn sie gereizt sind. Hiernach ist leicht einzusehen, wieviel wir der Sprache verdanken, durch die wir gesellig und in Verträgen geeint, sorglos, glücklich und behaglich leben – oder doch leben können, wenn wir wollen« (Hom., 17).
Ausdrücklich also ist es die Fähigkeit, zu befehlen und Befehle verstehen zu können, die den Menschen ein sorgloses, glückliches und behagliches Leben ermöglicht. An die Stelle des sprachlich vermittelten Weltbezugs, wie ihn der Humanismus herausgestellt hatte, tritt hier die Fähigkeit zur Errichtung eines certus ordo in iubendo et parendo, wie Justus Lipsius am Beginn des 17. Jahrhunderts den Staat definiert hat,66 die Begründung einer klaren Ordnung von Befehl und Gehorsam, in der 74
nicht das Sich-Entwerfen des Menschen in eine sprachlich strukturierte Welt, sondern seine Fähigkeit, Ordnungsstrukturen auszubilden und sich in diese einzufügen, die bedeutsamste Leistung der Sprache darstellt. Diese Leistung aber kommt der Sprache nicht selbstverständlich und durchgängig zu, sondern ist davon abhängig, dass die Begriffe klar definiert und auf tatsächlich Existierendes bezogen sind. Hobbes’ Auseinandersetzung mit der Sprache ist keine im engeren Sinne sprachphilosophische Bemühung, sondern steht in unmittelbarem Bezug zu seiner politischen Theorie, in welcher der Sprachtheorie neben der Anthropologie eine begründungstheoretische Stellung zukommt. Demagogie, von Hobbes verstanden als Anstachelung zu Aufruhr und Empörung, ist in seiner Sicht wesentlich unrichtiger Gebrauch von Begriffen. Es kommt demnach nicht von ungefähr, wenn fast jede von Hobbes’ größeren Schriften ein sprachtheoretisches Kapitel enthält,67 in dem von den zuträglichen Folgen exakter Benennungen und von den abträglichen Wirkungen schwankender Bedeutungen gehandelt wird. Selten ist der Einfluss des Thukydides auf Hobbes so klar und deutlich zu greifen, wie in dieser von beiden hergestellten Verbindung zwischen semantischer und politischer Ordnung. So hat Thukydides in seiner Analyse der Bürgerkriegswirren in Kerkyra festgehalten: »Und den bislang gültigen Gebrauch der Namen für die Dinge vertauschten sie nach ihrer Willkür: unbedachtes Losstürmen galt nun als Tapferkeit und gute Kameradschaft, aber vordenkendes Zögern als aufgeschminkte Feigheit, Sittlichkeit als Deckmantel einer ängstlichen Natur, Klugsein bei jedem Ding als Schlaffheit zu jeder Tat; tolle Hitze rechnete man zu des Mannes Art, aber bedeutsames Weiterberaten nahm man als ein schönes Wort zur Verbrämung der Abkehr.«68
Hobbes radikalisiert diese im Zusammenhang eines Bürgerkriegs gemachten Beobachtungen durch Generalisierung, indem er die Herstellung semantischer Klarheit zur Vorausset75
zung einer funktionstüchtigen politischen Ordnung erhebt. Er verschärft damit die Problemkonstellation gegenüber Thukydides, insofern er das, was bei diesem als Verlust und Zerfall einer zuvor gegebenen Ordnung begriffen wird, in eine zunächst zu erbringende Ordnungsleistung verwandelt. Es gibt in der Welt, so Hobbes, weder eine semantische noch eine politische Ordnung außer der, die von den Menschen artifiziell hervorgebracht wird und die darum der unausgesetzten Kontrolle und Überprüfung bedarf: »Deshalb muß man beim Denken auf Wörter achten, die nicht nur die Vorstellung bezeichnen, die wir von ihrer Natur haben, sondern auch Natur, Neigung und Interessen dessen, der sie ausspricht, wie z. B. die Namen von Tugenden und Lastern. Denn der eine nennt Weisheit, was der andere Furcht nennt, der eine Grausamkeit, was der andere als Gerechtigkeit, der eine Verschwendung, was der andere als Großzügigkeit, der eine Würde, was der andere als Albernheit bezeichnet, usw. Und deshalb können solche Namen niemals wahre Grundlage des Denkens sein. Das gilt auch für Metaphern und bildhafte Redewendungen. Diese sind aber weniger gefährlich, da ihre schwankende Bedeutung offenkundig ist, was bei den andern Namen nicht der Fall ist« (Lev., 31).
Für Hobbes resultieren hieraus zwei Konsequenzen, von denen die eine die Möglichkeit der theoretischen Fundierung politischer Theorie betrifft, während die andere auf politisch-praktische Konsequenzen aus der semantischen Unschärfe von Allgemeinbegriffen abzielt. Erstere ist für Hobbes ein weiteres Argument gegen die klassische politische Philosophie, die Begriffe wie Weisheit, Gerechtigkeit und Großzügigkeit zur Grundlage ihrer Überlegungen gemacht hat. Gerade dadurch habe sie sich in privatsprachlichen Bedeutungsvarianten verheddert, die unter bestimmten Umständen potenziell bürgerkriegsträchtig sein können. Dies sei nur durch eine präzise Definition dieser allgemeinen Begriffe und eine daran anschließende generelle Verbindlichmachung der Definition durch den Souverän zu verhindern. 76
Was Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit jeweils bedeuten sollen, hängt also davon ab, was seitens des jeweiligen Souveräns als deren Bedeutung festgelegt wird. Die Definitionskompetenz des Souveräns bezieht sich also nicht bloß auf Gesetze, Werte und Normen, sondern bereits auf das, was diesen systematisch vorangeht, auf Begriffe. Nur deswegen kann Hobbes erklären, »wer das Gesetz erfüllt, ist gerecht« (Lev., 121), denn solange Gerechtigkeit als eigenständiger Allgemeinbegriff aufgefasst wird, ist, in bestimmten Fällen, immer auch die gegenteilige Aussage möglich, nämlich dass nur, wer sich nicht am Gesetz orientiert, gerecht handelt. Die Inversion von Gerechtigkeit und Gesetzlichkeit ist danach nur möglich, wenn dem Gesetzgeber auch die Verfügung über den semantischen Gehalt der Begriffe übertragen wird. Hobbes ist vor dieser Konsequenz nicht zurückgeschreckt. Damit ist auch klar, warum die Begrifflichkeit der klassischen Philosophie nicht in der Lage ist, die modernen Verhältnisse zu erfassen: »In unserer westlichen Welt entnehmen wir gewöhnlich unsere Ansichten über die Einsetzung und Rechte von Staaten aus Aristoteles, Cicero und anderen Griechen und Römern, die in Demokratien lebten und deshalb diese Rechte nicht aus den natürlichen Prinzipien ableiteten, sondern aus der Praxis ihrer eignen demokratischen Staaten in ihre Bücher übertrugen, wie die Grammatiker die Regeln der Sprache nach der Zeitgewohnheit beschreiben oder die Regeln der Poetik nach den Gedichten Homers und Vergils. Und da man den Athenern lehrte, um den Wunsch nach einer Änderung der Regierungsform nicht aufkommen zu lassen, sie seien frei und alle, die unter einer Monarchie lebten, Sklaven, schrieb Aristoteles in seiner Politik (6. Buch, 2. Kap.), in einer Demokratie müsse Freiheit vorausgesetzt werden, denn allgemein werde die Ansicht vertreten, daß unter einer anderen Regierung niemand frei sein könne. Und wie Aristoteles, so gründeten auch Cicero und andere Schriftsteller ihre Staatslehre auf die Ansichten der Römer, denen zuerst von solchen Leuten gelehrt wurde, die Monarchie zu hassen, die nach Absetzung ihres Souveräns die römische Souveränität unter sich aufteilten, und später von ihren Nachfolgern. Und
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durch die Lektüre dieser griechischen und römischen Schriftsteller wurde es den Menschen von Kindheit an unter dem Einfluß eines falschen Freiheitsbildes zur Gewohnheit, Aufruhr gutzuheißen und die Handlungen ihres Souveräns sowie die Kritik der Kritiker zu kritisieren, was mit soviel Blutvergießen verbunden ist, daß ich wohl recht habe, wenn ich sage, daß niemals etwas so teuer erkauft wurde wie das Erlernen der griechischen und lateinischen Sprache von der westlichen Welt« (Lev., 167).
Der Souverän im Sinne des Thomas Hobbes muss also darauf bedacht sein, mit den Ideologien und Weltbildern auch den Gebrauch zentraler politischer Begriffe zu kontrollieren. In Paraphrase einer Formel Carl Schmitts kann man Hobbes’ Auffassung dahingehend pointieren: Souverän ist (auf Dauer), wer über den semantischen Gehalt der politischen Begriffe entscheidet.69 Gleichwohl hat Hobbes seine Vorstellung von der Notwendigkeit souveräner Letztentscheidung über allgemeine Begriffe keineswegs nur aus den Erfordernissen einer dauerhaft stabilen politischen Ordnung hergeleitet, sondern sie von den Grundlagen seiner Philosophie her zu entwickeln versucht. Hobbes’ Philosophie kann insofern als materialistisch bezeichnet werden, als ihr Ausgangspunkt nicht ein Begriff oder eine Idee, sondern die Materie und deren Bewegung, matter in motion, ist. Was existiert, ist die Bewegung von Körpern, vital motion, animal motion und schließlich, nur dem Menschen eigen, voluntary motion, und aus ihr sind alle anderen Phänomene herzuleiten. Das heißt umgekehrt aber auch, dass alle Phänomene der Welt, psychische und moralische eingeschlossen, auf die Bewegung von Körpern zurückzuführen sind, was Hobbes im Grundlegungsabschnitt des I. Systemteils von De corpore getan hat. Auf der Grundlage seiner Überzeugung, die mentalen Aktivitäten der Menschen seien mit Hilfe des physikalischen Bewegungsbegriffs vollständig explizierbar – eine Überzeugung, die Hobbes in dieser Form wohl von Mersenne übernommen hat –, meldet er Zweifel gegen jeden moralischen 78
Grundsatz an, der nicht auf Eigeninteresse als psychische Repräsentanz von Materie in Bewegung zurückführbar ist. Was die vitale Bewegung fördere, so Hobbes’ materialistische Grundlegung der Moralphilosophie (El., 59f.), werde Liebe genannt, was sie lindere oder schwäche, nenne man Schmerz. Was gefalle und Vergnügen bereite, bezeichne man als gut, was dagegen missfalle und Missvergnügen bereite, als übel und schlecht. Was zum Ziel führe, heiße nützlich, und was keinen Nutzen bringe, werde als eitel und nichtig bezeichnet. Folgt man diesen Reduktionen, so verweisen die Begriffe der Moral nicht länger auf eine eigenständige Sphäre, sondern formulieren bloß Werturteile der Menschen bezüglich ihrer jeweiligen Befindlichkeit als Materie in Bewegung. Damit glaubt Hobbes der klassischen Moralphilosophie den Boden entzogen zu haben, auf dem sie durch reflexive Bearbeitung allgemeiner Begriffe, wie Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit, Normen und Forderungen der Moral zu entwickeln versuchte. Hobbes beraubt diese Begriffe ihrer Verbindlichkeit, indem er sie der wertenden Selbstbezüglichkeit einer in Bewegung befindlichen Materie überführt und zeigt, dass diese Selbstbezüglichkeit in ihrer Unfähigkeit, andere Selbstbezüglichkeiten mitzureflektieren, selbstdestruktiv ist. Die Konsequenz dessen ist das Erfordernis des Souveräns und seiner Dezisionen, von der Festlegung des semantischen Gehalts der Begriffe bis zur Definition von gut und böse.
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3 Die Grundelemente der politischen Theorie
3.1 Hobbes’ Menschenbild
Den Ausgangspunkt für Hobbes’ Verständnis der Natur und der Verhaltensdispositionen des Menschen bilden nicht die tatsächlich beobachtbaren Handlungen einzelner Menschen, sondern die im Umgang mit anderen gemachten Erfahrungen und Unterstellungen. Demnach ist für Hobbes schon die bloße Annahme der Existenz einiger böser Menschen ausreichend, um alle Menschen zu einem Handeln zu zwingen, das grundsätzlich von der Schlechtigkeit aller anderen ausgeht und ein entsprechendes Verhalten antizipiert. Hobbes’ ebenso berühmte wie berüchtigte Formel, dass der Mensch des Menschen Wolf sei, meint denn auch nicht, dass die Menschen einander tatsächlich zerfleischen; vielmehr will sie besagen, dass sie einander belauern, als ob sie einander jederzeit zerfleischen würden. Den Grund für diese das soziale Leben lähmende Eskalation des Misstrauens sieht Hobbes in dem alles beherrschenden Trieb des Menschen nach Selbsterhaltung, der seiner Auffassung nach auch die Bereitschaft einschließt, alle zur Verwirklichung dieses Ziels erforderlichen oder
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förderlichen Mittel zu erlangen und zu gebrauchen. Damit rückt für Hobbes das menschliche Streben nach Macht ins Zentrum der politischen Theorie. Die Frage der Gestaltung politischer Ordnung wird ihm in erster Linie zu einer Frage der richtigen Ausübung von Macht.
In der Literatur zu Hobbes ist immer wieder von dem extremen Individualismus seiner Theorie die Rede. Gemeint ist damit deren Fundierung auf einem Bild des Menschen, das diesen als egoistischen Nutzenmaximierer entwirft, dessen gesamtes Handeln an der Verfolgung seiner Eigeninteressen orientiert ist. Aber Hobbes’ Aussagen sind nicht immer klar und eindeutig: Mitunter hat es den Anschein, als habe er gemeint, die Menschen würden sich, zumindest in ihrer überwiegenden Mehrzahl, tatsächlich so verhalten, wie er dies in seiner Theorie unterstellt hat, und dann wieder lesen sich größere Passagen so, als handele es sich bei seinem Bild des Menschen keineswegs um eine Aussage der politischen Anthropologie, sondern um eine heuristische Annahme, die bloß dazu dient, die zahllosen Möglichkeiten menschlicher Handlungsorientierung mit Hilfe der Kategorie des Interesses zu reduzieren, wobei Hobbes dann unterstellt, dass menschliches Handeln plausibel und angemessen als interessengeleitetes Handeln analysiert werden kann.70 So stellt Hobbes im »Vorwort an die Leser« von De Cive zunächst fest, um die Rechte des Staates und die Pflichten des Bürgers festlegen zu können, müsse der Staat »gleichsam als aufgelöst betrachtet werden«, was nahelegt, es handele sich bei dem unter dieser Voraussetzung entworfenen Bild des Menschen um eine heuristische Unterstellung ohne Anspruch auf empirische Validität. Aber Hobbes präzisiert die zitierte Stelle sogleich durch die Feststellung, es müsse als »richtig erkannt werden, wie die menschliche Natur geartet ist« (Civ., 67), und 81
dies ist durchaus so zu verstehen, als wolle er seine politische Theorie auf einer empiriegesättigten Anthropologie begründen. Es bleibt also unklar, was Hobbes genau meint, wenn er fortfährt: »Nach dieser Methode bin ich verfahren, an erster Stelle setze ich deshalb den allen durch Erfahrung bekannten und von jedermann anerkannten Grundsatz, daß der Sinn der Menschen von Natur so beschaffen ist, daß, wenn die Furcht vor einer über alle bestehenden Macht sie nicht zurückhielte, sie einander mißtrauen und einander fürchten würden und daß jeder durch seine Kräfte sich mit Recht schützen könne und notwendigerweise auch wolle« (Civ., 68).
Hobbes’ Verweis auf die Erfahrung legt auf den ersten Blick die Vermutung nahe, er wolle sagen, Menschen handelten tatsächlich böse, weil aggressiv und ungerecht, wenn sie nicht durch eine unwiderstehliche Macht daran gehindert würden, aber der weitere Verlauf seiner Argumentation macht deutlich, dass er hier bloß sagen will, Menschen benähmen sich in ihrem tagtäglichen Verhalten so, als ob andere, wenn keine wie auch immer geartete Macht sie daran hindert, böse handeln würden. Der empirische Gehalt seiner Aussage bezieht sich also nicht unmittelbar auf das Verhalten der Menschen, sondern auf die bezüglich des Verhaltens anderer beobachtbaren Erwartungen und Unterstellungen. Insofern aus dieser Verhaltensantizipation aber selbst ein Verhalten resultiert, macht Hobbes sehr wohl eine empirisch gehaltvolle Aussage, nur dass er sie nicht unmittelbar auf der menschlichen Natur selbst, sondern vermittelt auf den Unterstellungen und Annahmen bezüglich dieser Natur begründet. »Wir sehen, daß alle Staaten, selbst wenn sie mit ihren Nachbarn Frieden haben, ihre Grenzen durch militärische Besatzungen oder ihre Städte durch Mauern, Tore und Wächter sichern. Wozu geschähe dies, wenn sie die Nachbarn nicht fürchteten? Selbst in den einzelnen Staaten, wo Gesetze bestehen und gegen die Übeltäter Strafen bestimmt sind, gehen die einzelnen Bürger nicht ohne Waffe zu ihrer Verteidi-
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gung auf Reisen und nicht zur Ruhe, bevor die Türen gegen ihre Mitbürger und Kisten und Kasten gegen die Hausgenossen verschlossen sind. Können wohl die Menschen deutlicher zeigen, daß sie einander und alle allen nicht trauen? [. . .] Nur im Wortstreit wird es geleugnet, d. h. aus Eifer, anderen zu widersprechen, widerspricht man sich selbst« (Civ., 68).71
Mit diesem Selbstwiderspruch seiner Kritiker meint Hobbes offenbar, dass sie in ihren öffentlichen Bekundungen leugneten, was sie in ihrem tagtäglichen Verhalten doch als Leitlinie ihres Handelns zu erkennen gäben. Er sucht die Kritiker seiner Annahme, der Mensch sei wesentlich ein egoistischer Nutzenmaximierer, dadurch zu widerlegen, dass er Inkonsistenzen zwischen ihren expliziten Aussagen über menschliches Verhalten und den ihrem eignen Verhalten impliziten Verhaltensunterstellungen aufzeigt. Hobbes argumentiert dabei unverkennbar defensiv, zurückhaltend und vorsichtig, denn er bewegt sich auf gefährlichem Terrain. Aussagen über die Natur des Menschen hatten nämlich eine theologische Dimension, insofern sie das Wesen der Schöpfung betrafen, und in diesem Bereich lag der Verdacht des Atheismus leicht auf der Hand. Hobbes dürfte sich dessen bewusst gewesen zu sein, denn er schreibt: »Man hat mir ferner eingewendet, daß nach diesem Grundsatz die Menschen alle nicht bloß böse (was, obzwar es hart klingt, dennoch eingeräumt werden muß, da es in der Heiligen Schrift deutlich ausgesprochen ist), sondern von Natur notwendig böse sein müßten (was man ohne Gottlosigkeit nicht zugestehen kann). Indes folgt aus diesem Grundsatze nicht, daß die Menschen von Natur böse sind. Denn wenn es auch weniger böse als gute Menschen gäbe, so kann man doch die Guten von den Bösen nicht unterscheiden, und deshalb müssen auch die Guten und Bescheidenen fortwährend Mißtrauen hegen, sich vorsehen, anderen zuvorkommen, sie unterjochen und auf alle Weise sich verteidigen. Noch weniger aber folgt, daß die, welche böse sind, von Natur böse geschaffen sind« (Civ., 68f.).
Hobbes entschärft den theologisch brisanten Gehalt seiner 83
Argumentation dadurch, dass ihm die Annahme der Existenz einiger böser Menschen genügt, um die anderen zu einem Verhalten zu nötigen, das so aussieht, als ob auch sie böse wären. Danach ist es nicht der Grundantrieb des Menschen, über den Hobbes hier Aussagen zu machen beansprucht, sondern die Art der Beziehungen der Menschen zueinander, die sie nötigt, sich in einer Weise zu verhalten, als ob sie tatsächlich böse wären. Dies wird dadurch noch verschärft, dass Hobbes den Menschen als ein Vorsorge treffendes Lebewesen fasst, das aufgrund seiner Antizipationsfähigkeit zukünftige Knappheit und zukünftige Konkurrenz in seine aktuellen Dispositionen einbezieht. Hierauf bezieht sich die in der Literatur zu Hobbes verschiedentlich vertretene These, der Hobbesschen Theorie liege gar keine systematische Anthropologie zugrunde, sondern sie könne allein aus den Grundannahmen über den Naturzustand entfaltet werden. Dabei ist freilich wiederum zu fragen, inwieweit in die Konstruktion dieses Naturzustands nicht doch implizit anthropologische Annahmen eingegangen sind. Vielleicht kann hier zunächst ein Blick auf die politischen Rahmenbedingungen der Argumentation weiterhelfen. Die Aussage, einige Menschen seien böse, weil aggressiv und ungerecht, und andere seien dies nicht, war ein im republikanischen Kontext geläufiges Argument, um der Macht des Königs und seiner Beamten Schranken aufzuerlegen bzw. diese Macht zu brechen. Hobbes konnte es in dieser Form nicht stehenlassen, wollte er nicht durch die Logik seiner eigenen Argumente zu antiroyalistischen oder antioligarchischen Konsequenzen getrieben werden. Dass er sich über dieses Problem im klaren gewesen ist, zeigt der Anfang des an den Earl of Devonshire gerichteten Widmungsschreibens von De cive: »Nach einer Äußerung des Zensors Marcus Cato herrschte beim römischen Volke, welches in Erinnerung an die Tarquinier und infolge seiner Staatsverfassung den Königen nicht wohlwollte, die Ansicht, daß alle Könige zum Geschlecht der Raubtiere gehörten. Aber war
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nicht das römische Volk selbst ein reißendes Tier? Hatte es nicht durch seine Bürger, welche nach den beraubten Völkern die Beinamen Africanus, Asiaticus, Macedonicus, Achaicus oder andere erhalten hatte, beinahe den ganzen Erdkreis geplündert? Nicht minder weise als dieser Ausspruch des Cato war daher der des Pontius Telesinus, welcher in der Schlacht an dem Collinischen Tore gegen Sulla, als er die Reihen seines Heeres durcheilte, ausrief, Rom selbst müsse verwüstet und zerstört werden, denn die Wölfe, die Räuber der italienischen Freiheit, würden immer wieder zurückkehren, solange nicht dieser Wald, ihr Zufluchtsort, gefällt sei« (Civ., 59).
Hobbes musste die Attribuierung des Raubtiercharakters also sozial und politisch entgrenzen, um den eindeutig antiroyalistischen, prorepublikanischen Konsequenzen einer Verbindung des Königs und des höfischen Adels mit den Charaktermerkmalen von Wölfen entgehen zu können. Sein Bemühen, das Wölfische sozial und politisch zu entorten, führt zu der vor allem durch ihn bekannt gewordenen, jedoch bereits von Plautus und anderen geprägten Formel homo homini lupus est, der Mensch ist des Menschen Wolf. Durch Generalisierung der wölfischen Eigenschaften auf alle Menschen hat Hobbes der Äußerung Catos die antiroyalistische Spitze genommen. Aber indem nunmehr nicht nur Könige und höfischer Adel als Wölfe galten, sondern alle Menschen, stand Hobbes erneut an dem Punkt, um den es oben schon gegangen war: dass er damit nämlich Aussagen machte, die seitens der Theologie unter keinen Umständen akzeptiert werden konnten. Der gegen Hobbes seit der Veröffentlichung seiner politischen Schriften immer wieder erhobene Vorwurf des Atheismus hat hier eine seiner Wurzeln. Hobbes hat die Attribution des Wolfscharakters auf alle Menschen dadurch relativiert, dass er ihnen damit gleichzeitig auch die Attribute der Göttlichkeit zuerkannte. Welche Eigenschaft je zentral war, das Wölfische oder das Göttliche, hing von der politischen Organisation der Verhältnisse ab, unter denen die Menschen jeweils zueinander in Beziehung traten. 85
Kehren wir aber zunächst noch einmal zu der Annahme zurück, Hobbes’ Menschenbild sei stärker heuristischer Art als dass es empirisch gehaltvolle Aussagen über das Verhalten der Menschen enthalte. Was dabei hervorsticht, ist ein durchgängiger Interessenreduktionismus, der menschliches Handeln grundsätzlich als interessengesteuert begreift und es danach zu entschlüsseln sucht. Folgt man der Hypothese vom heuristischen Charakter des Hobbesschen Menschenbildes, so besagt Hobbes’ interessenreduktionistischer Ansatz keineswegs, dass alle Menschen tatsächlich ausschließlich gemäß ihren Interessen handeln, sondern nur, dass die Reduktion von Handlungsmotiven auf Interessen die Fülle der Motive und Motivbündel menschlichen Handelns durchsichtig und für die politische Theorie handhabbar macht und dass obendrein das Problem der friedlichen Koexistenz unfriedlicher Nutzenmaximierer leichter zu lösen wäre, wenn sie alle rational agieren würden.72 Hobbes’ interessenreduktionistische Handlungsanalytik, mit der er im politischen und ökonomischen Denken der Zeit keineswegs allein dastand,73 war die Voraussetzung für seine Abkehr von der praktischen Philosophie, in der immer wieder die Urteilskraft eines jeden einzelnen gefordert wurde, um unter den verschiedenen Handlungsoptionen entscheiden zu können.74 Sein interessenreduktionistisches Konzept, das den Einzelnen solcher Entscheidungserfordernisse enthebt, insofern es ihn auf die möglichst kalkülrationale Verfolgung seiner Eigeninteressen festlegt – Vernunft, so Hobbes (Lev., 32), »ist nichts anderes als Rechnen, das heißt Addieren und Subtrahieren« –, ist somit zugleich ein Modell der Optionsreduktion.75 Mit Hilfe dieser Optionsreduktion, die in der einzigen großen Alternative gipfelt, den Naturzustand zu verlassen und in den Gesellschaftszustand einzutreten oder aber dies nicht zu tun, hat Hobbes versucht, menschliches Handeln und Entscheiden rational und berechenbar zu machen. Ist der Eintritt in den Gesellschaftszustand nämlich erst einmal erfolgt, gibt es keine 86
Optionen mehr, sondern nur noch Gehorsam als Ermöglichungsbedingung der Nutzenmaximierung. In Hobbes’ berühmter Tauschformel pro protectione oboedientia, für Schutz Gehorsam, ist dies auf den Begriff gebracht. Aber Hobbes geht noch einen entscheidenden Schnitt weiter, indem er auch die Entscheidung, den Naturzustand zu verlassen und in den Gesellschaftszustand einzutreten, nicht wirklich als eine Option fasst, sondern sie ebenfalls nach dem Kalkülmodell der Nutzenmaximierung entwickelt. Dies gilt natürlich auch, gleichsam als konkret politische Applikation der Vertragsentscheidung, für die Frage, ob man einen Bürgerkrieg beginnt oder sich in Gehorsam gegenüber dem bisherigen Souverän übt. Hobbes hat diese Frage mehrfach auf der Folie des Nutzenmaximierungsmodells diskutiert, und er hat dies nicht zuletzt darum getan, weil er selbst die Entscheidung der Londoner Großkaufleute, das Parlament und nicht den König zu unterstützen, als eine an deren (freilich kurzfristigen) Eigeninteressen orientierte Entscheidung dargestellt hat. Zweifellos hat dabei auch der alte Disput mit Edward Hyde eine Rolle gespielt, ob eine Monarchie eher durch moralische Pflichten und alte Werte, wie Hyde meinte, oder durch kalkülrationale Verhaltensorientierung gesichert werde, wie Hobbes behauptete (vgl. oben, S. 39). Nun konzediert Hobbes durchaus eine Verbindung von Bereicherungsstreben und Revolutionsneigung, die er paradigmatisch in der Orientierung der Londoner Kaufleute am politischen Vorbild der Niederlande zu erkennen glaubt: »Und ich zweifle nicht daran, daß viele Leute die neulichen Wirren in England gern sahen, weil sie die Niederlande nachahmen wollten, in der Annahme, um reich zu werden, brauche man nur wie die Niederländer die Regierungsform zu ändern« (Lev., 249). Und: »Fünftens blickten London und andere große Handelsstädte mit Bewunderung auf das starke Aufblühen der Niederlande nach dem Abfall von ihrem Herrscher, dem König von Spanien, und neigten
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zu der Ansicht, daß der gleiche Wechsel in der Regierung ihnen auch hier das gleiche Aufblühen bringen würde« (Beh., 14).
Aber, so Hobbes’ Einwand, die Kaufleute haben, wenn sie sich aus Gründen egoistischer Nutzenmaximierung auf die Seite der Revolution geschlagen haben, nur ihr kurzfristiges Interesse im Auge gehabt und das langfristige sträflich missachtet, denn die Steuern, Kontributionen und Sonderabgaben, die ihnen von den Revolutionären auferlegt wurden, übertrafen die des Königs, derentwegen sie die Rebellion angezettelt hatten, bald um ein Vielfaches: »Und wie sie, die Kaufleute, häufig, indem sie sich auf ihre eigene Macht verlassen, die ersten Anstifter der Revolution sind, so sind sie auch meistenfalls die ersten, die bereuen, indem sie von denen, die über ihre Mittel verfügen, betrogen werden« (Beh., 128). Auch in seinen späteren Arbeiten hält Hobbes an der Konzeption der interessenreduktionistischen Begründbarkeit einer stabilen politischen Ordnung fest, nur dass er nunmehr stärker den Aspekt eines langfristig orientierten Kalküls betont und sich die Aufklärung der Menschen über ihre eigentlichen Interessen zum Ziel setzt. Hat man in den früheren Schriften eher den Eindruck, Hobbes vertraue auf die moralische Freigabe des Eigeninteresses als einem gleichsam selbstätig zum Vertragsabschluss führenden Mechanismus, so tritt im Behemoth stärker der Gedanke hervor, es sei erforderlich, die Menschen zunächst – und zwar nicht nur mit argumentativen, sondern auch mit rhetorisch-persuasiven Mitteln – über ihr wirkliches Eigeninteresse aufzuklären. Das freilich ist insgesamt doch mehr als eine bloße Nuancenverschiebung im Aufbau der Theorie, denn in gewisser Hinsicht gesteht Hobbes damit ein, dass sein Interessenreduktionismus nur sehr bedingt unmittelbar aus der menschlichen Natur abgelesen, also anthropologisch fundiert werden kann, sondern dass es sich dabei stärker um eine über seine Idee der 88
politischen Ordnung vermittelte Konzeption handelt, die normativ an die Menschen herangetragen wird: Sie sollen sich in ihrem Handeln an ihren langfristigen Interessen orientieren, und insofern sie dies tun, werden sie eine Ordnung begründen und sichern, die auf längere Sicht die Gewähr dafür bietet, dass langfristiges Interesse und kurzfristiger Nutzen zusammenfallen.76 Demgegenüber hat Hobbes in seiner ursprünglichen Konzeption offenbar geglaubt, auf alle normativen Elemente verzichten und die stabile politische Ordnung aus der analytischen Aufdeckung der menschliches Handeln tatsächlich bestimmenden Interessen ableiten zu können. Auf diesem Wege hat er eine Inversion von Eigeninteresse und moralischem Postulat erreichen wollen, die zur Folge hat, dass er, im Unterschied zu Aristoteles, der Politik keine Ethik voranstellen muss, sondern sie unmittelbar auf der Anthropologie begründen kann. Der Schlüssel dieser Konzeption ist für Hobbes der Gedanke der Selbsterhaltung,77 den er dem menschlichen Handeln als Hauptmotiv zugrundelegt. »Das erste Gut ist für jeden die Selbsterhaltung. Denn die Natur hat es so eingerichtet, daß alle ihr eigenes Wohlergehen wünschen. Um das erlangen zu können, müssen sie Leben und Gesundheit wünschen und für beide, soweit es möglich ist, Gewähr für die Zukunft. Auf der anderen Seite steht unter allen Übeln an erster Stelle der Tod, besonders der Tod unter Qualen; denn die Leiden des Lebens können so groß werden, daß sie, wenn nicht ihr nahes Ende abzusehen ist, uns den Tod als ein Gut erscheinen lassen« (Hom., 24).
In diesem Sinne gibt es für Hobbes nur zwei Bewegungsformen, auf die alle menschlichen Regungen zurückgeführt werden können, nämlich Erstreben und Vermeiden. Auf diese beiden Bewegungsformen, die appetitiven und die aversiven, können auch sämtliche ökonomischen, ethischen und ästhetischen sowie selbstverständlich auch politischen Urteile zurückgeführt werden: Als nützlich, gut und schön wird bezeichnet, was zum Erstrebten, als unnütz, schlecht und hässlich hingegen, 89
was zum zu Vermeidenden hinführt. Entscheidend an dieser Bestimmung des Strebens ist zunächst die Relativität des erreichten Ziels, das niemals einen Endpunkt darstellt, sondern sich stets bloß durch ein relatives Mehr vom Ausgangspunkt unterscheidet, und sodann die Konkurrenz mit allen anderen ebenfalls um Vorwärtskommen bemühten Menschen, deren Scheitern zu beobachten uns Befriedigung verschafft, insofern damit ein Konkurrent aus dem Wettkampf um knappe Güter ausgeschieden ist. Dementsprechend kann Hobbes auch nicht, wie etwa Aristoteles, einen End- und Zielpunkt des Strebens angeben, an dem die Bewegung zur Ruhe gelangt. Für Aristoteles war dies die Glückseligkeit, eudaimon´ıa, die nur um ihrer selbst willen und nicht als Mittel zum Zweck angestrebt wird. Für Hobbes hingegen ist Glückseligkeit nichts anderes als das komparative Durchschreiten einer prinzipiell endlosen Bahn. Mit Recht ist gerade an diesem Punkt immer wieder darauf hingewiesen worden, dass in Hobbes’ Menschenbild die Weltsicht der Kaufleute bzw. die Dynamik des Kapitalismus, in der es ebenfalls kein feststehendes Ziel als End- und Ruhepunkt gibt, Eingang gefunden habe; nichts habe hier mehr seinen natürlichen Ort, es gebe nur noch ein Mehr oder Weniger. Hobbes schreibt: »Hierbei haben wir zu beachten, daß die Glückseligkeit dieses Lebens nicht in der zufriedenen Seelenruhe besteht. Denn es gibt kein finis ultimus, d. h. letztes Ziel, oder summum bonum, d. h. höchstes Gut, von welchen in den Schriften der alten Moralphilosophen die Rede ist. Auch kann ein Mensch, der keine Wünsche mehr hat, so wenig weiterleben wie einer, dessen Empfindungen und Vorstellungen zum Stillstand gekommen sind. Glückseligkeit ist ein ständiges Fortschreiten des Verlangens von einem Gegenstand zu einem anderen, wobei jedoch das Erlangen des einen Gegenstandes nur der Weg ist, der zum nächsten Gegenstand führt. Der Grund hierfür liegt darin, daß es Gegenstand menschlichen Verlangens ist, nicht nur einmal und zu einem bestimmten Zeitpunkt zu genießen, sondern sicherzustellen, daß seinem zukünftigen Verlangen nichts im Wege steht« (Lev., 75).
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Oder pointiert: »Stets den nächsten vor uns besiegen ist Glück; und das Rennen aufgeben heißt Sterben« (El., 77).
Eine deutlichere Abkehr von der klassischen Moralphilosophie, in der die Pleonexie, der Drang zum Mehr-Haben-Wollen, die Habgier, als die ärgste Leidenschaft, als Widerpart aller Tugenden angesehen wurde, hätte Hobbes kaum vornehmen können. Was bislang als Wurzel nahezu allen gesellschaftlichen Übels gegolten hat und wogegen sich die Ermahnungen der Moral und die Vorkehrungen der politischen Ordnung gerichtet haben, wird hier entdramatisiert und als Grundlage der politischen Ordnung akzeptiert.78 Nicht um die Zurückdrängung oder gar Unterdrückung der Pleonexie geht es Hobbes, sondern um deren Einbau in eine Konstruktion, durch die ihre negativen Folgen begrenzt und ihre zerstörerischen Potenziale gebändigt werden. Diese Konstruktion ist der qua Vertrag hergestellte Gesellschaftszustand, in dem der mit absoluter Macht ausgestattete Souverän die friedliche Koexistenz unfriedlicher Nutzenmaximierer sicherstellt. Nun ist schwerlich zu übersehen, wie sich in Hobbes’ Menschenbild die Unrast und Ziellosigkeit der frühkapitalistischen Gesellschaft reproduziert, in der es kein abschließendes Ziel, keinen End- und Ruhepunkt mehr gibt, sondern gemäß der Logik der Kapitalverwertung jedes gerade erfolgreich abgeschlossene Geschäft zum Ausgangspunkt eines neuen Projekts wird.79 Aber Hobbes hat diese externen Rahmenbedingungen seiner Theoriebildung nicht als solche expliziert, sondern sie, indem er sie in sein Menschenbild integrierte und dieses als generellen Ausgangspunkt eines jeden politischen Ordnungsentwurfs setzte, unsichtbar gemacht. Er hat, dem rationalistischen Verfahren der Dekontextualisierung entsprechend, seiner Theorie dadurch universelle Geltung zu verschaffen versucht, dass er alle Externalität radikal intrinsisch entworfen hat 91
und das, was ein Element der sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen seiner Theorie war, als anthropologisches Axiom integriert hat. Er hat dies freilich mit einer solchen Radikalität getan, dass die Internalisierung theorieexterner Faktoren doch immer wieder sichtbar wird, wie etwa in jener berühmten Passage, in der Hobbes vom Wert eines Menschen handelt: »Die Geltung oder der Wert eines Menschen ist wie der aller anderen Dinge sein Preis. Das heißt, er richtet sich danach, wieviel man für die Benutzung seiner Macht [Fähigkeiten] bezahlen würde und ist deshalb nicht absolut, sondern von dem Bedarf und der Einschätzung eines anderen abhängig. Ein fähiger Heerführer ist zur Zeit eines herrschenden oder drohenden Krieges sehr teuer, im Frieden jedoch nicht. Ein gelehrter und unbestechlicher Richter ist in Friedenszeiten von hohem Wert, dagegen nicht im Krieg. Und wie bei anderen Dingen, so bestimmt auch bei den Menschen nicht der Verkäufer den Preis, sondern der Käufer. Denn mag jemand, wie es die meisten Leute tun, sich selbst den höchsten Wert beimessen, so ist doch sein wahrer Wert nicht höher, als er von anderen geschätzt wird« (Lev., 67).
Analog zu der Vorstellung von der Glückseligkeit als Ziel aller Bewegung und Ort der Ruhe gibt Hobbes auch die Idee des gerechten Preises auf und setzt an ihre Stelle den Markt als ausschließlichen Ort der Bestimmung von Preisen und Werten, die für ihn offenbar identisch sind. Unter diesen Umständen wird die Sorge um die Macht, verstanden als die Fähigkeit zur Erlangung der begehrten Mittel, zur wesentlichen Eigenschaft des Menschen, und das menschliche Streben nach Macht tritt ins Zentrum der politischen Theorie: »So halte ich an erster Stelle ein fortwährendes und rastloses Verlangen nach immer neuer Macht für einen allgemeinen Trieb der gesamten Menschheit, der nur mit dem Tode endet. Und der Grund hierfür liegt nicht immer darin, daß sich ein Mensch einen größeren Genuß erhofft als den bereits erlangten, oder daß er mit einer bescheidenen Macht nicht zufrieden sein kann, sondern darin, daß er die gegenwärtige Macht und die Mittel zu einem angenehmen Leben ohne den Erwerb von zusätzlicher Macht nicht sicherstellen kann« (Lev., 75).
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Es sind die Wechselfälle und Unwägbarkeiten einer marktvermittelten Gesellschaft, in der es keine dauerhaften Sicherheiten und stabilen Erwartungen mehr gibt,80 die jene präventive Machtakkumulation zur Folge haben, wie sie im Zentrum von Hobbes’ Theorie steht. Aber was Folge gesellschaftlichen Wandels ist, die Verankerung der gesellschaftlichen Synthesis in den Mechanismen des Marktes, die an die Stelle persönlicher Bindungen und einer bedarfsorientierten Produktion treten, wird von Hobbes als Produkt der menschlichen Natur dargestellt: Die Dynamik des Machtkampfs ist in seiner Darstellung das Resultat dessen, was den Menschen vom Tier unterscheidet: Zukunftsangst. In diesem Sinne hat er in De homine (17) festgestellt, der Mensch sei »raublustiger und grausamer als Wölfe, Bären und Schlangen, deren Raubgier nicht länger dauert als ihr Hunger«, denn es sei ein Wesen, das »sogar der künftige Hunger hungrig macht«. Komplementär zu dem oben beschriebenen Interessenreduktionismus findet sich bei Hobbes ein Machtreduktionismus, durch den, so wie zuvor alle Motive und Motivbündel der Menschen auf Interessen zurückgeführt wurden, alle Werte und Normen als Ressourcen der Macht im Kampf um Macht dechiffriert werden. Die von Hobbes gegen die klassische politische Philosophie behauptete Gleichheit der Menschen wird darin radikal zu Ende gedacht, dass er nunmehr die restlose Vergleichbarmachung der Motive und Wertorientierungen vornimmt, und dies wird ihm möglich, indem er erstere auf Interessen und letztere auf Machtquanten zurückführt. Hobbes’ Abkehr von der Ethik als Grundlegung der Politik und ihre Ersetzung durch die Anthropologie findet ihren Abschluss in einer radikalen Destruktion der klassischen Tugendlehre, die von Hobbes ebenfalls als Sigle der Macht entziffert wird. »Herrschaft und Sieg sind ehrenhaft, da durch Macht erworben, und Knechtschaft aus Not oder Furcht ist unehrenhaft. Reichtum ist
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ehrenhaft, denn er ist Macht. Armut ist unehrenhaft. Großmut, Freigebigkeit, Hoffnung, Mut und Vertrauen sind ehrenhaft, da sie aus dem Bewußtsein von Macht entstehen« (Lev., 70). »Stolz oder inneres Frohlocken oder Triumph des Geistes ist der Affekt, der von der Vorstellung oder dem Begriff unserer eignen Macht herrührt, die der Macht dessen, der mit uns kämpft, überlegen ist« (El., 67). »Hochherzigkeit ist nichts anderes als Stolz, aber ein Stolz, der sich auf das bestimmte Bewußtsein einer Macht gründet, die uns befähigt, unser Ziel mit offenen Karten zu erreichen. [. . .] Ebenso sind Listen und Täuschungen Kleinmut, denn sie stützen sich nicht auf unsere eigene Macht, sondern auf die Unwissenheit der anderen« (El., 76).
Affekte und Tugenden miteinander vermischend und auf eine Stufe stellend, zieht Hobbes hier die letzten Konsequenzen seines Egalisierungsmodells: Wenn alle Menschen gleich sind, so haben auch alle gleiche Ansprüche auf die Gegenstände und Güter der Welt. Welche Ansprüche sich unter den Bedingungen einer entfesselten Konkurrenz schließlich durchsetzen, hängt von den Ressourcen ab, die im Kampf um diese Gegenstände und Güter mobilisiert werden können.
3.2 Der Naturzustand Dem Naturzustand kommt im Rahmen von Hobbes’ politischer Theorie die Rolle eines idealtypisch konstruierten Gegensatzes zu dem durch die Macht des Souveräns geordneten Gesellschaftszustand zu. Ist der Gesellschaftszustand für Hobbes in erster Linie bestimmt durch die Fähigkeit des Souveräns, die Menschen zu zwingen, ihre Interessen nur mit sozialverträglichen Mitteln zu verfolgen, so besteht das
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entscheidende Merkmal des Naturzustands gerade im vollständigen Fehlen einer solchen Ordnungsmacht. Den anarchischen Charakter des Naturzustands herausstreichend, charakterisiert Hobbes ihn als einen bellum omnium in omnes, als Krieg eines Jeden gegen Jeden. Verstanden als Ausbruch blind und willkürlich wütender Gewalt, bildet der Rückfall in den Naturzustand für Hobbes eine omnipräsente Bedrohung des sozialen Friedens, die jederzeit Wirklichkeit werden kann, sobald die Autorität des Souveräns in Frage gestellt oder untergraben wird.
Die Verhältnisse, in denen die Menschen zueinander stehen, wenn sie keiner weltlichen Macht unterworfen sind, die ihnen bei der Verfolgung ihrer Interessen wie beim Ausleben ihrer Leidenschaften Grenzen setzt und Zügel anlegt, werden von Hobbes als Kriegszustand begriffen, und zwar als eine ganz besonders intensive Art des Krieges, insofern er permanent ist und jede klare Frontbildung fehlt, da jeder eines jeden potentieller Feind ist. Hobbes spricht darum von einem bellum omnium in omnes, vom Krieg eines Jeden gegen Jeden. »Denn Krieg besteht nicht nur in Schlachten oder Kampfhandlungen, sondern in einem Zeitraum, in dem der Wille zum Kampf genügend bekannt ist. Und deshalb gehört zum Wesen des Krieges der Begriff Zeit, wie zum Wesen des Wetters. Denn wie das Wesen des schlechten Wetters nicht in ein oder zwei Regenschauern liegt, sondern in einer Neigung hierzu während mehrerer Tage, so besteht das Wesen des Kriegs nicht in tatsächlichen Kampfhandlungen, sondern in der bekannten Bereitschaft dazu während der ganzen Zeit, in der man sich des Gegenteils nicht sicher sein kann« (Lev., 96).
Offenbar ist Hobbes zunächst der Auffassung gewesen, dass es sich bei diesem Natur- bzw. ursprünglichen Kriegszustand um eine frühe Phase der Menschheitsgeschichte gehandelt habe, in 95
die zurückzufallen die Menschen gleichwohl in steter Gefahr stehen, denn in den Elements fügt er zu der Feststellung, im Kriegszustand zerstöre sich die Natur selbst und die Menschen töteten einander, in Klammern hinzu: »Wie wir sowohl aus der Erfahrung mit wilden, heute lebenden Völkern feststellen können wie auch durch die Erzählung unserer Vorfahren, der alten Bewohner Deutschlands und anderer jetzt zivilisierter Länder, wo wir die Bevölkerungen dünn und kurzlebig finden und alle Annehmlichkeiten des Daseins, die durch den Frieden und die Gesellschaft gewöhnlich erfunden und vermittelt werden, entbehrend« (El., 99).
Hobbes hat den Naturzustand also zunächst in Anlehnung an jene Kulturentwicklungstheorien entworfen, die sich in der Antike sowohl bei den Epikuräern als auch bei den Stoikern finden lassen und die dann in Renaissance und Humanismus in unterschiedlicher Intensität rezipiert und weiter ausgearbeitet worden sind. Auch dort waren die Anfänge der Menschheit als ein Zustand der Bedrohung, des ständigen Konflikts und der Unsicherheit des Lebens gefasst worden, aus dem sich die Menschheit im Verlauf ihrer Geschichte Schritt für Schritt herausgearbeitet hat.81 Aber während hier das Verlassen des Anfangszustandes als evolutiver Geschichtsprozess begriffen wird, zerschneidet Hobbes das geschichtliche Band, indem er sich eines kontrastierenden Verfahrens bedient und Natur- und Gesellschaftszustand ohne jede geschichtliche Vermittlung einander schroff gegenüberstellt: Entweder die Menschen befinden sich im Natur- oder aber im Gesellschaftszustand, ein Drittes gibt es nicht. Was es damit für Hobbes auch nicht gibt, sind Übergangs- und Entwicklungsphasen, die mit Bezeichnungen wie »nicht mehr« oder »noch nicht« belegt werden, um ihren Übergangs- und Entwicklungscharakter zum Ausdruck zu bringen. Die schroffe Kontrastierung von Krieg und Frieden, von Natur- und Gesellschaftszustand lässt die geschichtlichen 96
Konnotationen, die für Hobbes in den Elements noch mitgeschwungen haben, in den Hintergrund treten, so dass schon in De cive und erst recht im Leviathan Natur- und Gesellschaftszustand als idealtypische Konstrukte behandelt werden,82 auf die geschichtliche Entwicklungen wohl immer bezogen werden können, mit denen sie aber niemals identisch sind.83 So ist das erste Kapitel von De cive »status hominum extra societatem civilem« überschrieben, womit der historische Bezug zumindest relativiert und eine evolutive Geschichtsperspektive definitiv zurückgewiesen wird. Damit stellt sich der Naturzustand, der bei Hobbes zunächst durchaus historische Dimensionen aufgewiesen hatte, tatsächlich als ein bloßes Konstrukt der resolutiv-kompositiven Methode dar, jenes wissenschaftlichen Rekonstruktionsverfahrens, mit dem komplexe Formationen in ihre Einzelbestandteile zerlegt und dann neu zusammengesetzt werden, um ihre Funktionsvoraussetzungen Schritt für Schritt zu isolieren. Danach ist der Naturzustand nicht als eine historische Entwicklungsphase der Menschheit zu begreifen, sondern als ›Gesellschaftszustand abzüglich souveräner Macht’, die ansonst die Menschen dazu zwingt, ihre Interessen nur mit sozialverträglichen Mitteln zu verfolgen. Die geschichtsneutrale Dichotomisierung von Natur- und Gesellschaftszustand ermöglicht es Hobbes nun aber auch, den Rückfall in den Naturzustand, die in einem evolutiven Geschichtsmodell in dieser Form, wenn auch nicht ausgeschlossen, so doch nur schwer vorstellbar ist, als stets präsente Drohung auch und gerade im Gesellschaftszustand aufrechtzuerhalten. Der Naturzustand ist nunmehr nicht eine geschichtlich überwundene Etappe aus den Anfangsgründen der Menschheit, sondern die Alternative zu dem durch die Macht und Gewalt des Souveräns gesicherten Gesellschaftszustand, die bei Infragestellung dieser Macht und Gewalt jederzeit Wirklichkeit werden kann. Die Enthistorisierung des Naturzustands bei Hobbes erfolgt parallel zu seiner Repolitisierung. 97
Die wohl eindringlichste Schilderung des Naturzustands findet sich im Leviathan, während er in den Elements und in De cive nur kurz als selbstwidersprüchlich skizziert wird, weswegen die Menschen in ihrem eigenen Interesse bestrebt sind, diesen Zustand zu verlassen. Im Leviathan hingegen hat Hobbes den Versuch unternommen, den Naturzustand als einen permanenten Kriegszustand genauer auszumalen: »Deshalb trifft alles, was Kriegszeiten mit sich bringen, in denen jeder eines jeden Feind ist, auch für die Zeit zu, während der die Menschen keine andere Sicherheit als diejenige haben, die ihnen ihre eigene Stärke und Erfindungskraft bietet. In einer solchen Lage ist für Fleiß kein Raum, da man sich seiner Früchte nicht sicher sein kann; und folglich gibt es keinen Ackerbau, keine Schiffahrt, keine Waren, die auf dem Seeweg eingeführt werden können, keine bequemen Gebäude, keine Geräte, keine Dinge, deren Fortbewegung viel Kraft erfordert, hin- und herzubewegen, keine Kenntnis von der Erdoberfläche, keine Zeitrechnung, keine Künste, keine Literatur, keine gesellschaftlichen Beziehungen, und es herrscht, was das Schlimmste von allem ist, beständige Furcht und Gefahr eines gewaltsamen Todes – das menschliche Leben ist einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz« (Lev., 96).
Unverkennbar ist in diese Passagen auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Paradiesmythe eingeschrieben, die gut einhundertfünfzig Jahre zuvor mit der Entdeckung der Neuen Welt politische Virulenz erlangt hatte: Dadurch, dass Thomas Morus in seiner Utopia eine Bemerkung des platonischen Sokrates, in fernen Ländern oder späteren Zeiten könne der von ihm gesprächsweise entwickelte ideale Staat durchaus realisiert werden,84 mit den Lebensformen in der neuen Welt in Verbindung brachte und so ein neues literarisches Genre schuf, das zur bevorzugten Darstellungsform des Wunsches nach einer – politisch wie sozial – besseren Welt wurde. Platons Idealstaatsentwurf ebenso wie die Berichte über die Völker der neuen Welt hoben einen Aspekt hervor, den Morus in den Mittelpunkt sei98
ner Utopie gestellt hat: die Eigentumslosigkeit, die bei ihm nicht mehr nur, wie noch bei Platon, als ein Charakteristikum der politisch-intellektuellen Elite firmierte, sondern zum entscheidenden Novum der Gesellschaftsordnung wurde.85 So lässt Morus den Weltreisenden Raphael Hythlodäus sagen: »Denn das hat dieser tiefe Denker [gemeint ist Platon] ohne weiteres gesehen, daß nur ein einziger Weg zum Wohle des Staates führe: die Verkündigung der Gleichheit des Besitzes, die doch wohl niemals durchgeführt werden kann, wo die einzelnen noch Privateigentum besitzen. Denn solange jeder auf Grund gewisser Rechtsansprüche, soviel er nur kann, an sich zieht, mag die Menge der vorhandenen Güter noch so groß sein, sie wird doch nur unter wenige aufgeteilt, und für die übrigen bleibt Not und Entbehrung. [. . .] So bin ich denn fest überzeugt, daß der Besitz durchaus nicht auf irgendeine billige oder gerechte Weise verteilt und überhaupt das Glück der Sterblichen nicht begründet werden kann, so lange nicht vorher das Eigentum aufgehoben ist; solange es bestehen bleibt, wird vielmehr auf dem weitaus größten und weitaus besten Teil der Menschheit Armut, Plackerei und Sorgen als eine unentrinnbare Bürde weiter lasten; sie mag – das gebe ich zu – ein wenig erleichtert werden können; sie gänzlich zu beseitigen – behaupte ich – ist unmöglich.«86
Armut, Plackerei und Sorgen fungieren bei Morus als Charakteristika eines durch klar definiertes Eigentum charakterisierten Gesellschaftszustandes – Einsamkeit, Armseligkeit sowie ein kurzes, ekelhaftes, tierisches Leben hingegen bei Hobbes als Merkmale eines Zustands, in dem es kein sicheres Eigentum gibt. Diese Frontstellung wird noch deutlicher, wenn Hobbes unmittelbar aus der stoischen Formel, die Natur habe allen alles gegeben (natura dedit omnia omnibus) bzw. aus der sozialrevolutionären Zuspitzung dieses Gedankens in der Parole, alle Güter der Natur sollten gemeinsam genutzt werden (omnia sunt/sint communia), den Gedanken ableitet, eben deswegen sei der Naturzustand der Krieg eines jeden gegen jeden (bellum omnium in omnes). Hobbes kehrt den Sinn der Formeln um, indem er sie, die auf eine ursprüngliche Harmonie der Men99
schen verweisen sollten, als juridische Fixierung von Eigentumsrechten versteht, mit der Folge, dass an die Stelle der Harmonie die Belligerenz tritt. Hobbes tut dies, indem er den Plural omnes bzw. omnia logisch als Singular gebraucht, also das Alle/ Alles in ein Jeder/Jedes verwandelt, wodurch die kompetitive Dimension scharf hervortritt. Demgemäß ist die Formel des bellum omnium in omnes im Deutschen sinnvollerweise nicht als ›Krieg Aller gegen Alle‹ wiederzugeben, was logisch unsinnig wäre, sondern als ›Krieg eines Jeden gegen Jeden‹. Am prägnantesten hat Hobbes diesen Gedanken in De cive vorgetragen: »Die Natur hat jedem ein Recht auf alles gegeben [lat. Original: Natura dedit unicuiusque ius in omnia]; d. h. in dem reinen Naturzustande oder ehe noch die Menschen durch irgendwelche Verträge sich gegenseitig gebunden hatten, war es jedem erlaubt zu tun, was er wollte und gegen wen er es wollte, und alles in Besitz zu nehmen, zu gebrauchen und genießen, was er wollte und konnte. Da nun alles, was jemand will, ihm gut erscheint, weil er es will, und dies entweder wirklich zu seiner Erhaltung dient oder ihm wenigstens so scheint [. . .] so folgt, daß in dem Naturzustande jeder alles haben und tun darf. Und das ist der Sinn des bekannten Satzes: Die Natur hat allen alles gegeben [lat. Original: natura dedit omnia omnibus]. Daraus ersieht man auch, daß im Naturzustand der Nutzen der Maßstab des Rechts ist. Es brachte den Menschen durchaus keinen Nutzen, in dieser Weise ein gemeinsames Recht auf alles zu haben. Denn die Wirkung eines solchen Rechts ist so ziemlich dieselbe, als wenn überhaupt kein Recht bestände. Wenn auch jeder von jeder Sache sagen konnte: diese ist mein, so konnte er doch seines Nachbars wegen sie nicht genießen, da dieser mit gleichem Rechte und mit gleicher Macht behauptete, daß sie sein sei. Nimmt man nun zu der natürlichen Neigung der Menschen, sich gegenseitig Schaden zuzufügen, [. . .] dies Recht aller auf alles hinzu [besser: das Recht eines jeden auf jedes/alles] nach welchem der eine mit Recht angreift und der andere mit Recht Widerstand leistet, und aus welchem stetes Mißtrauen und Verdacht nach allen Seiten hin hervorgeht, und erwägt man, wie schwer es ist, gegen Feinde, selbst von geringer Zahl und Macht, die mit der Absicht, uns zu unterdrücken
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und zu vernichten, uns angreifen, sich zu schützen: so kann man nicht leugnen, daß der natürliche Zustand der Menschen, bevor sie zur Gesellschaft zusammentraten, der Krieg gewesen ist, und zwar nicht der Krieg schlechthin, sondern der Krieg aller gegen alle [lat. Original: bellum omnium in omnes]« (Civ., 82 f; Civlib., 122 – 129).
Diese Argumentation wurde nicht nur darum so ausführlich zitiert, weil in ihr die unmittelbare Ableitung des Krieges eines Jeden gegen Jeden aus dem Recht eines Jeden auf Alles vorgenommen wird, sondern weil sie auch geeignet ist, die in der Literatur zu Hobbes umstrittene Frage zu klären, inwieweit die Konzeption des Naturzustandes bei Hobbes eine Folge seines Menschenbildes ist oder gänzlich unabhängig davon entwickelt werden kann. In Auseinandersetzung mit den Überlegungen von Strauss, Taylor, Warrender und Oakeshott, die Hobbes’ mechanistische Psychologie für die Begründung seiner im engeren Sinne politischen Theorie als entbehrlich ansehen, vertreten Geismann und Herb die These, die Widersprüchlichkeit des von Hobbes entworfenen Naturzustands resultiere nicht aus dem Selbsterhaltungstrieb der Menschen, sondern aus dem privaten Modus der Rechtsbestimmung, eben dem ius in omnia. Deshalb sei auch der Rekurs auf Hobbes’ Anthropologie nicht vonnöten, um den Naturzustand zu entwickeln, sondern hierzu genüge vollauf Hobbes’ Rechtstheorie.87 Nun sagt Hobbes an der zitierten Stelle aber ausdrücklich, dass die rechtstheoretisch aporetische Situation des Naturzustands zu den zuvor angestellten Überlegungen bezüglich der Neigungen und Leidenschaften der Menschen noch hinzukommt; die Neigungen und Leidenschaften aber sind das erste, und sie betreffend stellt Hobbes fest: »Am häufigsten wollen die Menschen einander verletzen, weil sie denselben Gegenstand zugleich begehren, der sehr oft weder gemeinsam genossen noch geteilt werden kann. Deshalb muß der Stärkste ihn haben; und wer der Stärkste ist, das muß durch das Schwert entschieden werden« (Civ., 81).
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Nun könnte es sich hier ja immerhin um ein unproduktives Selbstmissverständnis handeln, das Hobbes dazu verführt hat, die Konflikthaftigkeit des Naturzustands überdeterminiert vorzutragen. Insofern soll die Hobbessche Argumentation noch einmal hinsichtlich ihrer Implikationen untersucht werden: Der Konflikt beginnt, folgt man dem Argumentationsgang von De cive, zunächst als Kampf um knappe Güter, wobei Hobbes offenlässt, ob diese Güterknappheit Folge eines tatsächlichen Mangels oder der menschlichen Pleonexie ist, der beständigen Neigung zum Mehrhabenwollen, die sich als Habgier wie Ehrgeiz äußern kann. Sicherlich hätte Hobbes die begrifflichanalytische Unterscheidbarkeit von Mangel und Pleonexie als unterschiedliche Ursachen von Güterknappheit zugestehen können, aber er hätte wohl bezweifelt, dass auf der Grundlage dieser Unterscheidung empirisch gehaltvolle Aussagen möglich seien. Im Unterschied zur klassischen politischen Philosophie kann er nämlich nicht auf Maßstäbe zurückgreifen, mit deren Hilfe das Begehren im einen Fall als angemessen und im andem als übertrieben gekennzeichnet werden kann, insofern im Naturzustand, wie er ihn entwirft, ein Jeder selbst der Richter über die Legitimität seiner Bedürfnisse ist. Erst der Souverän vermag kraft seiner Dezisionskompetenz festzulegen, was einem Jeden mit Recht zusteht und wo die Pleonexie beginnt – aber damit wird dem Gang der Reflexion vorgegriffen. Bedeutsam für die hier behandelte Frage nach den Ursachen der Konflikthaftigkeit des Naturzustandes ist, dass Hobbes seine (bürgerliche) Insistenz auf der Gleichheit aller Menschen mit der Annahme verbindet, die Natur bringe von sich aus nie genug Nahrung hervor, um alle Menschen gleichermaßen zu befriedigen, und die Menschen seien obendrein von Natur so begierig, dass sie sich mit dem Vorhandenen nicht zufrieden geben. Durch die Verbindung beider Annahmen wird die Konflikthaftigkeit der Güterknappheit dramatisch verschärft. Die rechtliche Annahme, derzufolge alle Gegenstände Ge102
meingut seien (omnia sunt communia), ist unter diesen Umständen eine zusätzliche Zuspitzung der Konflikthaftigkeit des Naturzustandes, die dazu geeignet ist, seine innere Widersprüchlichkeit weiter zu steigern. Durch die einerseits anthropologischen und andererseits rechtstheoretischen Annahmen des Thomas Hobbes ist die Konflikthaftigkeit des Naturzustands also keineswegs überdeterminiert, insofern keine dieser Annahmen für sich allein genommen hinreichen würde, um zwingend zu demselben Ergebnis zu kommen: Unter der Voraussetzung von Mangel (freilich ohne Pleonexie) hätte eine den Mangel gerecht verteilende Rechtsordnung zu einer deutlichen Herabsetzung der Konflikthaftigkeit des Naturzustands führen können (wie dies ja bei Locke in der Begründung von Eigentum auf Arbeit der Fall ist), und auch unter der rechtstheoretischen Voraussetzung des Gemeinbesitzes der Güter hätte bei einer entsprechenden Gratuität der Natur oder/und einer ausgeprägten Fähigkeit der Menschen zur Selbstbescheidung der Naturzustand nicht zwingend als Krieg eines jeden gegen jeden begriffen werden müssen. Es ist das Zusammentreffen beider Elemente, das den Konflikt zwingend notwendig macht und dazu führt, dass im Naturzustand auch grundsätzlich friedliche Menschen, eingefleischte Pazifisten gleichsam, gezwungen sind, aggressive Handlungen zu begehen, wenn sie überleben wollen. Es ist die Gemengelage von Leidenschaft und Gier einerseits sowie rationaler Vorsorge andererseits, welche das Erfordernis aggressiven Handelns strukturell werden lässt. Hobbes’ Konzipierung des Naturzustands ist als »Arbeit der Zuspitzung« zu begreifen, bei der es darum geht, alle Denkmöglichkeiten des Verharrens in einem herrschaftsfreien Zustand abzuschneiden.88 In diesem Sinne ist Hobbes’ Naturzustand tatsächlich ein Konstrukt. Bei dem von Hobbes gezeichneten Naturzustand handelt es sich also um einen polemischen Gegenentwurf zu jenem Naturzustand, wie ihn die klassische Naturrechtstheorie gezeichnet 103
hat. Hatte in letzterem die stoische Formel natura dedit omnia omnibus die Wohlversorgtheit Aller angezeigt, so steht sie bei Hobbes für die qua Konkurrenz einen Jeden betreffende Güterknappheit. Der Perspektivwechsel resultiert dabei nicht zuletzt aus der Singularisierung des Kollektivbegriffs, dem Verständnis von »alle« als »jeder«, womit bereits auf der begrifflichen Ebene die Konkurrenz ins Spiel gebracht wird. Die Zerfällung der Gemeinschaft in die ihr angehörenden Einzelnen aber ist eine Konsequenz aus Hobbes’ nominalistischem Ansatz. Hans Blumenberg hat in diesem Perspektivwechsel von der Wohlversorgtheit zur Güterknappheit den Ausgangspunkt für den kometenhaften Aufstieg der Kategorie der Selbsterhaltung sowohl in der neuzeitlichen Physik als auch in der modernen Sozialphilosophie gesehen. In beiden Fällen ist Ordnung nicht länger vorgegeben, um aus der Natur nur noch abgelesen zu werden, sondern sie ist das Resultat menschlicher Konstruktionen. Insofern »der Mittelpunkt des Ordnungsschwundes und der Ansatzpunkt der Ordnungsbildung« identisch sind, wird aus dem »Minimum an ontologischer Disposition« schließlich »das Maximum an konstruktiver Potentialität«.89 Was der Welt an teleologischer Ordnung genommen wird, wird den Menschen an zu erbringender Ordnungsleistung aufgebürdet. Die Selbstdestruktivität des Naturzustands bei Hobbes ist die systematische Voraussetzung der Ordnungshervorbringung durch die Menschen selbst. Aber der Anspruch, Ordnung sei nur dort zu finden, wo sie durch den Vertrag eines Jeden mit Jedem geschaffen worden ist, hat den Nachweis zur Voraussetzung, dass im unmittelbaren Naturzustand nichts anderes zu finden ist als Unordnung. Diesen Nachweis sucht Hobbes’ Beschreibung des Naturzustands als reine Selbstdestruktivität zu erbringen. Sie ist insofern eine Ermöglichungsbedingung menschlicher Selbstermächtigung in Fragen der politischen Ordnung. Für Blumenberg ist dieser Wechsel vor allem die Folge des Übergangs von einer gegenwärtig-unmittelbaren zu einer antizipativen Weltsicht: 104
»Die Menschheit hat zu allen Zeiten die Not einer bedrängenden Natur und den Mangel gekannt; aber die Verallgemeinerung solcher Erfahrungen als Bewertung der Gesamtwirklichkeit hat zusätzliche Voraussetzungen, die mit jenen Erfahrungen nicht schon selbst gegeben sind. Wie die Ordnungsschwäche der Welt, ihr konstruktiver Mangel gegenüber den Bedürfnissen des Menschen, wahrgenommen und gedeutet werden, ist also nicht auf die Feststellbarkeit bestimmter physischer, ökonomischer und sozialer Zustände zurückzuführen, sondern eine Sache der mit der Erfahrung sich verbindenden Antizipationen.«90
Hobbes hat dieses Element der Antizipation dort ins Spiel gebracht, wo er den Menschen als das Tier bezeichnet, das »sogar der künftige Hunger hungrig macht« (Hom., 17), aber er hat damit das, was in der Interpretation Blumenbergs das historisch Neue an der Wahrnehmung von Not und Mangel ist, historisch entgrenzt und generalisiert. Er hat als Wesenselement der menschlichen Natur gefasst und ausgezeichnet, was doch bestimmten soziopolitischen Verhältnissen geschuldet ist. Eine historisch belehrte Anthropologie weiß durchaus, in welchem Maße Not und Mangel in der menschlichen Erfahrung bedrängender werden, wenn sie nicht nur auf den je gegenwärtigen Augenblick bezogen, sondern obendrein mit der Sorge für die Zukunft verbunden werden. Dies aber ist um so mehr der Fall, je stärker die Wirtschaftsweise einer Gesellschaft über einen anonymen Markt vermittelt ist, wodurch verwandtschaftliche Bindungen und moralische Verpflichtungen als Element der Integration der Gemeinschaft und der persönlichen Absicherung zunehmend relativiert und zum Verschwinden gebracht werden.91 In diesem Übergang von einer »moral economy« zur »market economy« liegen die sozialhistorischen Grundlagen dafür, dass Hobbes glaubte, die alte Naturrechtsformel, derzufolge die Natur allen alles gegeben habe, in ihr Gegenteil verkehren zu müssen, indem er an die Stelle der mit »alle« apostrophierten Gemeinschaft den mit »jeden« bezeich105
neten Einzelnen setzte. Damit hat er den Zusammenhang der zu Solidarität verpflichteten Gemeinschaftsbildner durch die Gesellschaft der interessefixierten Nutzenmaximierer ersetzt. Die These Macphersons, Hobbes’ Theorie sei nur konsistent vor dem Hintergrund eines Besitzindividualismus, der sich im Rahmen einer Eigentumsmarktgesellschaft herausgebildet habe, hat zumindest darin ihre Berechtigung, dass zentrale Umbesetzungen des semantischen Feldes, die von Hobbes vorgenommen werden, in bemerkenswerter Form mit Veränderungen im sozio-ökonomischen Feld korrespondieren und aus dieser Korrespondenz ihre Plausibilität beziehen.92 Neben der polemischen Frontstellung gegen die klassische Naturrechtstradition steht Hobbes’ Konzeption des Naturzustands aber noch in einer zweiten Frontstellung, die freilich nicht polemisch und weithin verdeckt ist: Es wurde bereits mehrfach darauf hingwiesen, wie stark sich Hobbes bei der Konzipierung und Ausformulierung seiner Theorie offensichtlich an Platons Politeia orientiert hat. In ihr nun kommt es im Verlauf der diskursiven Entwicklung des gerechten Staates zur Kontrastierung zweier Modelle gesellschaftlich-politischer Ordnung, die in manchem dem Hobbesschen Oppositionspaar von Natur- und Gesellschaftszustand entspricht: dem Gegensatz zwischen der üppigen oder auch entzündeten Stadt auf der einen und der gereinigten oder gesunden Stadt auf der anderen Seite. Erstere ist das Ergebnis der naturwüchsigen Entwicklung, in deren Verlauf es zu einer immer stärkeren Teilung der Arbeit, daraus resultierend immer größerem Wohlstand und im Gefolge dessen zu zunehmenden Konflikten kommt,93 während in letzterer die politisch-intellektuelle Elite der Philosophen und Wächter dieser Entwicklung zu Luxus und Reichtum Limitierungen auferlegt und dadurch den sich anbahnenden Konflikten gegensteuert. Hat in der Auseinandersetzung mit der klassischen Naturrechtslehre die Frage der Friedlichkeit oder Konflikthaftigkeit des Naturzustands die entscheidende 106
Rolle gespielt, so geht es in der Entgegensetzung von Hobbes und Platon um die Frage von Reichtum und Luxus bzw. Not und Mangel. Hat Hobbes letzteres als Charakteristikum des Naturzustands angesehen und die Staatsmacht als Vorbedingung der Entwicklung gesellschaftlichen Reichtums begriffen, so ist von Platon dieser Staatsmacht im Gegenteil die Aufgabe zugewiesen worden, mit Zwangsmaßnahmen für eine gewisse Einfachheit und Frugalität der Lebensführung zu sorgen, um so die korrumpierenden Folgen von Luxus und Reichtum zu begrenzen, die aus einer ungehemmt naturwüchsigen Entwicklung der Gesellschaft erwachsen. Dementsprechend gegensätzlich fällt auch die Kriegsursachenanalytik bei Platon und Hobbes aus: Für Hobbes – und damit steht und fällt seine Konzeption des Naturzustands – resultiert der Krieg aus Not und Mangel, während Platon Reichtum und Luxus und die damit einsetzende Expansionspolitik für die Verbreitung von Kriegen verantwortlich macht.94 Was für Hobbes eine durch den Staat erst ermöglichte Entwicklung ist, ist für Platon das, was der (gerechte) Staat zu verhindern hat; und was für Hobbes eine Folge des Mangels ist, der Krieg, ist für Platon das Ergebnis von Luxus und Überfluss. Bis in die Einzelheiten hinein scheint sich Hobbes bei Entwurf und Ausarbeitung seiner politischen Theorie mit den Überlegungen Platons auseinander gesetzt zu haben – dort, wo er sich von ihnen abgesetzt hat, ebenso sehr wie da, wo er ihnen gefolgt ist.
3.3 Der Vertrag und die Einsetzung des Souveräns Anders als in der klassischen politischen Theorie beruht der vertraglich geregelte Zusammenschluss der Menschen zu einem politischen Gemeinwesen für Hobbes nicht auf
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einem Vermögen oder einer Eigenschaft des Menschen, wie der Vernunft oder der Geselligkeit, sondern auf dem von der Furcht gelenkten rationalen Nutzenkalkül. Die Furcht und der alles überragende Trieb zur Selbsterhaltung lassen die Menschen, Hobbes zufolge, notwendig zu der Einsicht gelangen, dass ein geordneter Zustand, in dem Alle der Gewalt eines Einzelnen unterworfen sind und ein Minimum an Rechtssicherheit genießen, einem ungeordneten Zustand unbedingt vorzuziehen ist, in dem Jeder befürchten muss, ein Opfer des Misstrauens oder der Habgier seines Nächsten zu werden. Demnach ist es im wohlverstandenen Interesse jedes Einzelnen, qua Vertrag auf die ungehinderte Ausübung seiner natürlichen Rechte zugunsten des Souveräns zu verzichten und diesen zum alleinigen Garanten der allgemeinen Sicherheit und Wohlfahrt Aller zu erklären.
Die Begründung der politischen Ordnung auf einem Vertrag ist keineswegs erst für das politische Denken der Neuzeit charakteristisch. Die Vorstellung, die menschliche Gesellschaft sei nicht naturwüchsig, sondern durch eine vertragliche Übereinkunft der Menschen entstanden, findet sich bereits im politischen Denken der Antike, etwa bei Epikur und Lukrez.95 Selbst in Ciceros berühmter, auf das Volk rekurrierender Definition des Gemeinwesens (res publica) heißt es, das Volk (populus) sei »nicht jede Ansammlung von Menschen, die sich irgendwie zu einer Herde zusammengefunden haben, sondern der bewußte Zusammenschluß einer Vielzahl, der auf Übereinstimmung bezüglich des Rechts (iuris consensu) und gemeinsamem Nutzen (utilitatis communione) beruht.«96 Indem Cicero in unmittelbarem Anschluß an diese Stelle die Vereinigung jedoch weniger aus der Schwäche der Menschen als vielmehr aus einer in 108
ihrer Natur liegenden Geselligkeit hervorgehen lässt, hat er die Bedeutung des Vertragsmotivs sogleich wieder abgeschwächt. Der Vertrag unterstützt und reguliert danach bloß, was in der menschlichen Natur als Neigung ohnehin angelegt ist. Genau darin nun unterscheidet sich Hobbes von allen, die vor ihm bereits auf das Motiv des Vertrags als konstitutives Element der politischen Ordnung zurückgegriffen haben. Bei Hobbes nämlich unterstützt und verstärkt der Vertrag nicht etwas in der menschlichen Natur angelegtes, sondern ist gegen diese Natur gerichtet, die ihrer Tendenz nach immer wieder diese qua Vertrag hergestellte Ordnung untergräbt und ins Wanken bringt. So heißt es bereits in den Elements: »Die natürliche Eintracht, wie sie unter jenen Geschöpfen [den Bienen als animalia politica] besteht, ist Gottes Werk, vermittelt durch die Natur; aber die Eintracht unter den Menschen ist künstlich und wird durch Verträge vermittelt. Es ist daher kein Wunder, daß jene unvernünftigen Tiere, welche große Völker bilden und sich regieren, dies mit weit größerer Beständigkeit tun als die Menschen, die es kraft willkürlicher Einrichtung tun« (El., 128).
Ausschlaggebend für die bei Hobbes gegenüber seinen kontraktualistischen Vorläufern deutlich gesteigerte Bedeutung des Vertrags ist der Verlust der bei diesen vorherrschenden Gleichsinnigkeit von Natur und Vernunft. Wurden beide zuvor als ordnungsermöglichende und ordnungsbefördernde Faktoren gefasst, so setzt Hobbes sie in ein ambivalentes Verhältnis zur politischen Ordnung, indem er sie diese ebensowohl befördern und konstitutieren wie untergraben und zerstören lässt. Damit wird das zuvor einsinnige Verhältnis von Natur und Vernunft der Menschen widersprüchlich und komplex: Die Vernunft, nunmehr gefasst als instrumentelle Rationalität, ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit des Vertragsabschlusses wie sie als Mittel des individuellen Nutzenkalküls immer auch darauf bedacht ist, diesen Vertrag zugunsten partikularer Vorteile zu 109
unterlaufen, wenn diese größer zu sein versprechen als der individuelle Ertragsanteil am kollektiven Nutzen allgemeiner Vertragssicherheit. Und ebenso ambivalent ist auch die Natur des Menschen in Bezug auf die politische Ordnung: Untergräbt sie diese einerseits durch die immer wieder durchbrechenden Eigenschaften der Habgier und des Ehrgeizes, die sich jeder auf Dauer gestellten Ordnung gegenüber als destruktiv erweisen, so ermöglicht sie andererseits diese Ordnung doch durch die Eigenschaft der Furcht, die in Hobbes’ Sicht das eigentlich treibende Motiv beim Abschluss des Vertrages und beim Übertritt vom Natur- in den Gesellschaftszustand ist. Und diese Furcht ist es auch, welche die Menschen daran hindert, bei nächstbester Gelegenheit den Vertrag zu brechen, den Gesellschaftszustand zu verlassen und wieder in den Naturzustand zurückzukehren. So schreibt Hobbes über die Worte und Handlungen, durch die der Vertrag geschlossen wird: »Und sie stellen die Bande dar, durch welche die Menschen gebunden und verpflichtet werden, Bande, deren Stärke nicht auf ihrer eigenen Natur beruht – denn nichts wird leichter gebrochen als das Wort eines Menschen –, sondern auf der Furcht vor einer üblen Folge des Wortbruchs.« (Lev., 101) Deshalb »ist es kein Wunder, daß außer dem Vertrag noch etwas erforderlich ist, um ihre Übereinstimmung beständig und dauerhaft zu machen, nämlich eine allgemeine Gewalt, die sie im Zaum halten und ihre Handlungen auf das Gemeinwohl hinlenken soll« (Lev., 134).
Die Furcht, die das mithin entscheidende Motiv beim Übergang vom Natur- in den Gesellschaftszustand gewesen ist, muss also künstlich perpetuiert werden, um die vertraglich geschaffene Ordnung nicht verfallen zu lassen. Es ist der Souverän, der in der Hobbesschen Konstruktion als Garant der perpetuierten Furcht, d. h. der Vertragseinhaltung, fungiert. Auf die Folgen, die dies für die spezifische Konstruktion des Vertrages hat, ist sogleich zurückzukommen. Zunächst soll noch einmal zusammenfassend festgehalten werden: Natur und Vernunft der 110
Menschen werden von Hobbes in einem komplex-ambivalenten Verhältnis gefasst, und zwar so, dass sie durch ihre je eigenen Potentiale nicht in der Lage sind, eine politische Ordnung hervorzubringen. Kalkülrationalität ohne Furcht ist zu antriebsschwach, um diesen Schritt erzwingen zu können, und Furcht ohne Rationalität ist politisch blind und verstärkt nur das Chaos. Beide müssen durch artifizielle Leistungen der Menschen so zueinander in Beziehung gesetzt werden, dass sie sich ordnungskonstitutiv stabilisieren. Medium dieses Vorgangs ist der Vertrag, in dem die Kalkülrationalität der Individuen wechselseitig so in Beziehung gesetzt wird, dass daraus der aus Nachteilminimierung resultierende Vorteil eines Jeden folgt, wobei die Furcht Garant des Abschlusses wie der Einhaltung des Vertrages ist. Sie nämlich stellt sicher, dass die Menschen ihren Vorteil stärker als Nachteilminimierung denn als Vorteilsmaximierung verstehen. Aber sind Verträge, die auf Furcht begründet sind, überhaupt bindend? Ist es nicht vielmehr so, dass Jeder, der gezwungenermaßen in einen Vertrag eingewilligt hat, berechtigt ist, sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit davon zu befreien und den Vertrag zu brechen? Tatsächlich hängt Hobbes’ ganze Konstruktion an der Beantwortung dieser Frage. Demgemäß hat er sich eingehend mit diesem Problem auseinandergesetzt, das im weiteren Sinn unter die Frage der Willensfreiheit sowie ihrer Voraussetzungen und Folgewirkungen fällt. Das in den Elements am ausführlichsten entwickelte Argument für die verpflichtende Kraft des aus Furcht eingegangenen Vertrags im Übergang vom Natur- in den Gesellschaftszustand lautet: »Es ist eine häufig besprochene Frage, ob Verträge, die den Menschen durch Furcht aufgezwungen werden, bindend sind. Ob zum Beispiel, wenn ein Mensch aus Todesangst versprochen hat, einem Diebe am nächsten Morgen hundert Pfund zu geben und ihn nicht zu verraten, eine solche Verpflichtung bindend ist oder nicht. Und obwohl in einigen Fällen derartige Versprechungen nichtig sein können, sind sie doch
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darum nicht nichtig, weil sie durch Furcht erpreßt sind. Denn es scheint kein Grund dafür vorzuliegen, daß das, was wir aus Furcht tun, weniger beständig ist als das, was wir aus Habsucht tun. Denn sowohl das eine wie das andere macht die Handlung zu einer willkürlichen. Und wenn kein Vertrag, der aus der Todesfurcht entsteht, gut wäre, so könnten keine Friedensbedingungen unter Feinden oder irgendwelche Gesetze durch Gewalt festgesetzt werden; denn alle diese nimmt man nur auf Grund jener Furcht an. Denn wer würde sich der Freiheit, die ihm die Natur gegeben hat, kraft seines eigenen Willens und seiner eigenen Macht sich zu regieren, entäußern, wenn er nicht den Tod fürchtete, für den Fall, daß er sie behielte? Welchem Kriegsgefangenen würde man das Vertrauen schenken, sein Lösegeld zu suchen, anstatt daß man ihn lieber tötete, wenn er nicht durch Verpfändung seines Lebens an die Erfüllung seines Versprechens gebunden wäre? Jedoch nach Einführung der Staatskunst und Gesetze [d. h. nach Eintritt in den Gesellschaftszustand] kann sich dies ändern; denn wenn die Vollziehung eines solchen Vertrages gesetzlich verboten ist, dann kann der, welcher einem Diebe irgend etwas verspricht, sich nicht nur weigern, es zu erfüllen, sondern muß es sogar. Wenn jedoch das Gesetz die Erfüllung nicht verbietet, sondern sie dem Willen des Versprechenden überläßt, dann ist dieselbe noch gesetzlich: und Schuldversprechen über gesetzlich Erlaubtes ist auch einem Diebe gegenüber bindend« (El., 105f.).97
Die Pointe des Hobbesschen Arguments steht gänzlich in Übereinstimmung mit der Konstruktion der gesamten Theorie: Gibt es einen Dispens von der Furcht und dem unter ihrem Einfluss Versprochenen, so ist dies nur von Staats wegen der Fall. Es ist der durch Übereinkunft eines Jeden mit Jedem eingesetzte Souverän, der durch Gesetz von dem in Angst und Furcht Versprochenen zu befreien mag, weil und insofern er, um Max Weber zu variieren, der Monopolist legitimer Furchterzeugung im Gesellschaftszustand ist. So ist in Hobbes’ Theorie der Rückfall in den Naturzustand auch beschreibbar als Zerfall des souveränen Furchtmonopols; Naturzustand herrscht da, wo sich Jeder vor Jedem fürchten muss. Damit ist aber auch klar, dass der Gesellschaftszustand in 112
Hobbes’ Konstruktion ohne die gleichzeitige und gleichursprüngliche Einsetzung eines Souveräns keinen Bestand haben kann und es sich bei einem Vertrag ohne souveräne Garantie um ein leeres Versprechen handelt, an das sich schon bald keiner mehr gebunden fühlt. Hobbes hat darum auf einen zweiten Strang des Vertragdenkens zurückgegriffen, indem er Gesellschaftsvertrag und Herrschaftsvertrag, pactum associationis und pactum subjectionis, miteinander verbunden hat. Die Rechtsfigur des Herrschaftsvertrages ist bereits in der politischen Wirklichkeit des Mittelalters und der frühen Neuzeit in zahlreichen Varianten anzutreffen: Im Prinzip handelt es sich dabei um ein wechselseitiges Treuegelöbnis zwischen Volk und Herrscher, das dem Modell des Lehnsvertrags nachgebildet ist und schließlich in den ständestaatlichen Dualismus einmündet, der die europäische Verfassungsgeschichte über Jahrhunderte hinweg geprägt hat. Aber wie die Konzeption eines Gesellschaftsvertrags ohne Souverän für Hobbes nicht anschlussfähig war, insofern ihr die Garantieinstanz des Gesellschaftszustands ermangelte, so war dieser zumeist mit den Krönungszeremonien verbundene, also als politisch-rechtliches Ereignis fassbare Herrschaftsvertrag für ihn noch weniger geeignet, eine gültige Antwort auf die Frage nach der Überwindung des Naturzustands und der Bändigung der Bürgerkriegsgefahr zu geben. Indem nämlich, so Hobbes’ Befürchtung, der Souverän dem Volk gegenüber sich in einem Vertrag auf die Respektierung gewisser Rechte und den Verzicht auf den Gebrauch bestimmter Mittel festlegte, band er sich selbst so sehr, dass er schwerlich in der Lage war, in Krisen- und Gefahrensituationen die erforderlichen Ressourcen verfügbar und die nötigen Eingriffsbefugnisse zur Hand zu haben. Im Behemoth hat er sich mit diesem Problem ausführlich auseinandergesetzt: »A: Ich glaube bestimmt, daß der König genug Soldaten in England gehabt hätte, wenn er nur Geld besessen hätte. Denn es gab sehr wenige aus dem gemeinen Volk, die sich viel um die eine oder die
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andere Sache kümmerten; sie hätten gegen Bezahlung oder die Erlaubnis zu plündern jede Partei ergriffen. Des Königs Schatzkammern aber waren erschöpft, und seine Feinde, die das Volk von Steuern zu befreien versprachen und andere schöne Dinge vorgaben, hatten die Verfügung über die Finanzen der Stadt London, der meisten Städte und größeren Landstädte von England, und außerdem vieler Privatpersonen [. . .]. Endlich kannte das Volk im allgemeinen seine Pflichten so wenig, daß vielleicht unter 10 000 kaum einer wußte, welches Recht irgend jemand habe, ihm zu befehlen, oder welche Notwendigkeit vorhanden sei für König oder Gemeinwesen, für die er sich von seinem Gelde gegen seinen Willen trennen sollte; sie glaubten, sie selbst seien Herren über alles, was auch immer sie besäßen, und meinten, daß es ohne ihre eigene Einwilligung nur unter dem Vorwand des gemeinen Wohls von ihnen genommen werden könne. Sie glaubten, König sei nur ein Titel der höchsten Ehre, zu der Adel, Ritter, Barone, Grafen, Herzöge nur die Sprossen zum Aufstieg durch das Mittel des Reichtums wären. Sie hatten keine Regel der Billigkeit außer Präzedenzfälle und Gewohnheitsrecht. Als der Klügste und Geeignetste für das Parlament wurde der angesehen, der sich am meisten abgeneigt zeigte, Subsidien oder andere öffentliche Gelder zu gewähren« (Beh., 13ff.).
Für Hobbes war dies die Folge einer Vorstellung von Herrschaft, derzufolge ein bereits konstitutierter body politic an einen herausgehobenen Einzelnen Rechte übertrug, durch die dieser als Herrscher eingesetzt wurde, sich dafür aber Pflichten unterwarf, die er dem Volk gegenüber zu erfüllen hatte und in denen er garantierte, gewisse Rechte und Vorrechte zu achten und zu bewahren. Kernelement dessen war die Frage des Besteuerungsrechts: Konnte der König aus eigener Machtvollkommenheit im Notfall neue Steuern einführen bzw. bestehende Steuern erhöhen, oder war er dazu auf die Zustimmung des Parlaments als Repräsentativversammlung der Eigentümer angewiesen? Mehrfach ist Hobbes gegen die Konstruktion der Bindung des Souveräns an umfassende Verpflichtungen gegenüber dem Volk mit dem Argument der Selbstwidersprüchlichkeit angegangen. Die Einhaltung der zentralen Verpflichtung, 114
der Sicherung des Lebens der Untertanen, so sein Argument, ist nur möglich bei Zugriff auf entsprechende Ressourcen, von denen der König jedoch durch seine Einwilligung in weitere Verpflichtungen fern gehalten wird. Dies mag in Zeiten allgemeinen Friedens und der Folgebereitschaft der Bürger kein Problem sein, wirkt sich in Krisen- und Ausnahmesituationen aber katastrophal aus. Dann nämlich zeigt sich, dass die Verpflichtung a (Sicherung des Lebens der Untertanen) nur gehalten werden kann, wenn Verpflichtung b (absolute Respektierung ihres Eigentums) missachtet wird, und dass bei Respektierung von Verpflichtung b es unmöglich ist, die zur Einhaltung von Verpflichtung a erforderlichen Leistungen zu erbringen. Im Dialogue hat Hobbes darum den Philosophen, jenen Gesprächspartner, dessen Überlegungen am ehesten seine eigene Position wiedergeben, feststellen lassen: »Aber sollte der König feststellen, daß er durch ein solches Zugeständnis daran gehindert wird, seine Untertanen zu beschützen, tut er Unrecht, wenn er sich daran hält; er kann und sollte daher einem solchen Zugeständnis keine Beachtung schenken; denn Zugeständnisse, die man durch Irrtum oder falsche Vorschläge von ihm erhalten hat, sind, wie die Juristen zugeben, rechtsungültig und ohne Wirkung und müssen rückgängig gemacht werden. Der König trägt (wie allgemein anerkannt wird) die Verantwortung, sein Volk gegen ausländische Feinde zu schützen und den Frieden innerhalb des Reiches zu wahren. Wenn er nicht sein Äußerstes tut, um diese Verpflichtung zu erfüllen, tut er Unrecht, was weder ein König noch ein Parlament darf « (Dial., 55).
Hobbes nutzt die konstatierte Widersprüchlichkeit verschiedener Verpflichtungen und die daraus erwachsende Selbstblockade souveräner Handlungsmöglichkeiten dazu, eine Hierarchie souveräner Verpflichtungen einzuführen, in der die zum Schutz der Untertanen an erster und oberster Stelle steht. Begrifflich findet dies unter anderem darin seinen Ausdruck, dass Hobbes zwischen Verpflichtungen (obligations) und Zugeständnissen (concessions) des Souveräns unterscheidet: Ver115
pflichtet ist der Souverän freilich nur zur Wahrung des Friedens im Innern und zum Schutz gegen Angriffe von außen. Alles andere sind Zugeständnisse, aus denen jedoch keine verbindliche Selbstbindung souveräner Macht resultiert. Diese Überlegungen sind die politisch-pragmatische Konsequenz dessen, was Hobbes in legitimatorischer Hinsicht durch die Inversion von Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag bewirken wollte: die Verpflichtung des Souveräns allein und ausschließlich auf die Herstellung von Frieden im Innern und die Gewährleistung von Schutz nach außen. Welcher Ressourcen er bedarf und welcher Mittel er sich bedient, um dieser Verpflichtung nachzukommen, ist allein seiner souveränen Entscheidung anheimgestellt. Um dieses Ziel zu erreichen, muss jeder, der dem nachmaligen body politic angehören will, seine gesamte Macht und Stärke auf einen Einzelnen oder eine Versammlung übertragen, die dadurch als Souverän eingesetzt sind und zum Garanten der durch diese Übertragung (und erst durch sie) geschaffenen politischen Gemeinschaft werden. »Dies ist mehr als Zustimmung oder Übereinstimmung: Es ist eine wirkliche Einheit aller in ein und derselben Person, die durch Vertrag eines jeden mit jedem zustande kam, als hätte jeder zu jedem gesagt: Ich autorisiere diesen Menschen oder diese Versammlung von Menschen und übertrage ihnen mein Recht, mich zu regieren, unter der Bedingung, daß du ihnen ebenso dein Recht überträgst und alle ihre Handlungen autorisierst. Ist dies geschehen, so nennt man diese zu einer Person vereinigte Menge Staat, auf lateinisch civitas. Dies ist die Erzeugung jenes großen Leviathan oder besser, um es ehrerbietiger auszudrücken, jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unseren Frieden und Schutz verdanken. Denn durch diese ihm von jedem einzelnen verliehene Autorität steht ihm so viel Macht und Stärke zur Verfügung, die auf ihn übertragen worden sind, daß er durch den dadurch erzeugten Schrecken in die Lage versetzt wird, den Willen aller auf den innerstaatlichen Frieden hinzulenken. Hierin liegt das Wesen des Staates, der, um eine Definition zu geben, eine Person ist, bei der sich jeder einzelne einer großen Menge durch gegenseitigen
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Vertrag eines jeden mit jedem zum Autor ihrer Handlungen gemacht hat, zu dem Zweck, daß sie die Stärke und Hilfsmittel aller so, wie sie es für zweckmäßig hält, für den Frieden und die gemeinsame Verteidigung einsetzt. Wer diese Person verkörpert, wird Souverän genannt und besitzt, wie man sagt, höchste Gewalt, und jeder andere daneben ist sein Untertan« (Lev., 134f.).
Insofern Hobbes dort, wo er die Vertragsformel einführt, eine konjunktivische Formulierung gewählt hat (»als hätte jeder zu jedem gesagt«),98 legt er nahe, diesen Vertrag nicht als ein tatsächliches Ereignis, sondern vielmehr als eine legitimatorische Konstruktion zu verstehen.99 Nach den Geltungsbedingungen dieses Vertrages ist zu verfahren, auch wenn er so nie abgeschlossen worden ist, sondern der Staat faktisch durch Eroberung oder Ausweitung patrimonialer Macht entstanden ist.100 Das erweist den Vertrag als legitimationstheoretische Konstruktion, die keineswegs als faktischer Gründungsakt verstanden werden muß, wenngleich Hobbes nicht ausschließt, dass es derlei geben könne. Die Pointe der Hobbesschen Vertragskonstruktion liegt darin, dass durch sie ein Zustand friedlicher Ordnung konstituiert werden kann, ohne dass an die moralischen Verpflichtungen der Menschen appelliert werden muss, sondern jeder einzelne Akteur sich gänzlich der Idee der strategischen Konsequenz hingeben kann. Diese ohne moralischen Rekurs zum Ziele führende strategische Konsequenz kommt jedoch nur unter drei Bedingungen zum Tragen: dass – erstens – der Vertrag von jedem mit jedem geschlossen wird, mithin keiner für sich in Anspruch nehmen kann, auf sein Recht, sich selbst zu regieren, nicht verzichtet zu haben, dass – zweitens – der durch Vertrag eingesetzte Souverän selbst nicht als vertragschließende Partei, sondern vielmehr als der durch den Vertrag begünstigte Dritte aufgefasst wird, er mithin selbst durch den Vertrag nicht gebunden ist, seine Handlungsoptionen also nicht eingeschränkt sind, und schließlich – drittens –, dass beides gleich117
zeitig, also in einem einzigen Vorgang erfolgt, dass also der body politic nur gleichzeitig und gleichursprünglich mit der Einsetzung des Souveräns entsteht. Da der body politic nur durch den Souverän handlungsfähig ist, kann er – als body politic – den Souverän auch nicht abberufen; allenfalls kann dieser aus eigener Entscheidung die ihm übertragene souveräne Gewalt an einen oder mehrere andere weitergeben. Während nun die ersten beiden Bedingungen bereits in den Elements zu finden sind, kommt die dritte, die Gleichursprünglichkeit der Institution des politischen Körpers und der Einsetzung des Souveräns bzw., rechtlich formuliert, die Inversion von pactum associationis und pactum subjectionis, erst später hinzu. Sie kann gleichsam als die erst im Verlaufe der Theorieentwicklung gefundene entscheidende Pointe der Hobbesschen Theorie begriffen werden. So hat Hobbes in den Elements noch die Urform des politischen Körpers als Demokratie gefasst, von der dann in einem zweiten Vertrag die Macht an eine kleine Anzahl von Personen übertragen wird (El., 142f.). Hobbes hat diese Konstruktion der Elements, die auch in De Cive, und zwar in elaborierter Form, wieder auftaucht,101 im Leviathan dezidiert verworfen, und das zweifellos nicht nur deswegen, weil er hierin der Demokratie, die in dieser Form im Leviathan nicht mehr vorkommt, eine kontraktualistische Begründung verschafft, sondern weil er sie obendrein den beiden anderen Verfassungsformen, die er anerkennt, der Aristokratie und der Monarchie, zeitlich wie systematisch vorgeordnet hatte.102 Nun hat Hobbes weder in De Cive noch in den Elements aus der gegenüber Aristokratie und Monarchie zeitlichen wie systematischen Vorgängigkeit der Demokratie geschlussfolgert, das Volk könne die einer Versammlung oder einem Einzelnen übertragenen Befugnisse auch wieder zurücknehmen und also in rechtlich einwandfreier Form Monarchie oder Aristokratie aufheben und die Demokratie erneuern oder einen anderen Monarchen oder einen anderen Adel als Herr118
schaftsausübende einsetzen. Ausdrücklich hat er die Einrichtung von Monarchie wie Aristokratie nicht als Übertragung einer magistratischen, sondern der souveränen Gewalt verstanden, was heißt, dass es, ist erst einmal eine Monarchie oder Aristokratie installiert, keinen rechtlichen Rückweg zur Demokratie mehr geben kann. Das Volk hat sich, aus Gründen der Bequemlichkeit oder aber aus Utilitätserwägungen, wie Hobbes annimmt,103 ein für allemal selbst entmündigt. Aber Hobbes mochte noch so eindringlich versichern, dass mit der Übertragung der souveränen Gewalt an eine Versammlung oder einen Einzelnen alle ursprünglichen Rechte und Kompetenzen der Volksversammlung erlöschen würden – es blieben doch gewisse Zweifel, ob dem tatsächlich so sei. Waren mit dem Akt der Übertragung tatsächlich die souveränen Rechte auf den König übertragen worden oder aber hatte, wie ein radikaler Vertreter des Parlaments etwa argumentieren mochte, das Volk seine Souveränitätsrechte behalten und auf den König nur die magistratische Gewalt übertragen, die auch wieder zurückgezogen und auf andere übertragen werden konnte?104 Hobbes ist gegen diese Überlegung nur insofern geschützt, als er behauptet, das Volk habe seine souveränen Rechte übertragen, aber ob dies tatsächlich der Fall ist oder nicht, ob es womöglich doch nur die magistratische Gewalt ist, die es übertragen hat, kann aus seiner Theorie bis zur Ausformulierung in De cive selbst nicht entschieden werden, sondern bedarf der Rückfrage bei Historiographie und Verfassungsgeschichte. Das aber heißt, dass das, was Hobbes als zwingend dartun wollte, die absolute Souveränität des Königs, sich seiner eigenen Konstruktion zufolge als kontingent erweist. Formuliert man es hart, so genügt die Hobbessche Theorie, wie sie in den Elements und in De cive vorliegt, den Intentionen ihres Verfassers nicht und ist insofern gescheitert. Andererseits ist dieser Teil der Hobbesschen Theorie von großer Bedeutung für die politische Ideengeschichte, werden hier doch sehr viel stärker als im Leviathan 119
jene Überlegungen entwickelt, die sich in der Geschichte des Kontraktualismus als anschlußfähig erwiesen haben.105 Betrachtet man Hobbes’ Begründung der absoluten Monarchie vor der im Leviathan vollzogenen Inversion von Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag genauer, so wird das Misstrauen verständlich, das Edward Hyde ihr gegenüber hatte, als er die Sicherheit der Monarchie eher durch Geschichte und Tradition als durch Hobbes’ rationale Konstruktion gewährleistet sah. Andererseits hat Hobbes mit dem Vertragsgedanken eine die politische Vorstellungswelt seiner Zeitgenossen prägende Vorstellung – man denke an die Idee des Bundes mit Gott bei den Schotten – aufgegriffen, um sie zum Zwecke der Festigung souveräner Macht zu nutzen. Der Gedanke der Volkssouveränität, wie ihn Hobbes in den Elements und in De cive, wenn auch bloß als prekäre Übergangssituation, entworfen hat, besaß freilich eine Durchschlagskraft, die sich schwerlich durch die Idee der notwendigen Weitergabe der Souveränitätsrechte vom Volk auf eine Versammlung oder einen Einzelnen domestizieren ließ. Keiner hat dies genauer gesehen als Hobbes selbst. Die Lösung, die er dafür vorgeschlagen hat, besteht in der Ineinssetzung von pactum associationis und pactum subjectionis, wie er sie im Leviathan vorgenommen hat. Nunmehr wird die aggregierte Menge erst dann zu einem politisch-rechtlich handlungsfähigen Körper, wenn jeder einzelne, der dieser Menge angehört, durch vertragliche Vereinbarung mit einem jeden anderen, dass auch er dasselbe tue, seine Rechte an einen in den Vertrag nicht eingeschlossenen, sondern durch ihn begünstigten Dritten überträgt. Jeder Versuch, diesem Dritten die einmal übertragenen Souveränitätsrechte wieder zu entziehen, ist insofern gleichbedeutend mit der Auflösung des body politic, d. h. er ist als Rechtsakt nicht möglich. Damit will Hobbes nicht ausschließen, dass es zu Veränderungen in der Verfügung über souveräne Macht gekommen ist und immer wieder kommen kann, aber er bestreitet, dass solche Veränderungen, wo es 120
sich tatsächlich um souveräne Macht handelt, als Übertragungen und Rückübertragungen, d. h. als Rechtsakte, stattfinden, außer sie werden vom Inhaber der souveränen Macht selbst vorgenommen. So schreibt er nunmehr, implizit die vordem vertretene Position modifizierend, im Leviathan: »Da von den Vertragsschließenden das Recht, ihre Person zu verkörpern, demjenigen, den sie zum Soverän ernennen, nur durch einen untereinander und nicht zwischen ihm und jedem einzelnen von ihnen abgeschlossenen Vertrag übertragen wurde, kann seitens des Souveräns der Vertrag nicht gebrochen werden, und folglich kann sich keiner seiner Untertanen von seiner Unterwerfung befreien, indem er sich auf Verwirkung beruft. Daß der zum Souverän Ernannte keinen vorherigen Vertrag mit seinen Untertanen abschließt, ist offensichtlich, denn sonst mußte er ihn entweder mit der ganzen Menge als einer Vertragspartei abschließen, oder er müßte verschiedene Verträge mit jedermann abschließen. Ein Vertragsschluß mit der ganzen Menge als einer Partei ist unmöglich, denn zu diesem Zeitpunkt stellen sie noch nicht eine Person dar, und wenn er so viele verschiedene Verträge abschließt, wie Menschen vorhanden sind, so sind diese Verträge nach Erlangung der Souveränität unwirksam, denn jede Handlung, die von einem der Vertragsschließenden als Grund eines Vertragsbruches vorgegeben werden kann, ist sowohl seine Handlung als auch die aller übrigen, denn sie geschah im Namen der Person und auf Grund des Rechts eines jeden einzelnen von ihnen« (Lev., 137).
Ein Problem freilich, das in der doppelten Vertragskonstruktion der Elements und in De cive, der Konstitution des body politic als Demokratie und der durch diese erfolgenden anschließenden Errichtung der Aristokratie oder der Monarchie,106 bereits zufriedenstellend gelöst war, ist jetzt wieder offen: die Verpflichtung eines jeden einzelnen, sich der Majorität zu unterwerfen und das durch sie Beschlossene als etwas zu akzeptieren, worin er kraft eigener Entscheidung eingewilligt habe. Hobbes glaubt, dieses Problem lösen zu können, indem er die bloße Teilnahme an der Abstimmung als stillschweigende Einwilligung in die Geltung des Mehrheitsprinzips interpre121
tiert. Per Implikationenexplikation will er zeigen, dass der vordem separat geschlossene Vertrag hinsichtlich seiner Bindewirkung in den nunmehr in einem Akt geschlossenen Vertrag der Gesellung qua Rechtsübertragung eingeschlossen ist: »Da die Mehrzahl übereinstimmend einen Souverän ernannte, hat derjenige, welcher dagegen stimmte, nunmehr mit den übrigen übereinzustimmen, das heißt, sich mit der Anerkennung aller zukünftigen Handlungen des Souveräns zufriedenzugeben, oder aber er wird rechtmäßig von den übrigen vernichtet. Denn trat er der Versammlung willentlich bei, so erklärte er dadurch ausreichend seinen Willen und schloß deshalb stillschweigend einen Vertrag, zu den künftigen Beschlüssen der Mehrzahl zu stehen. Und weigert er sich, dazu zu stehen, oder protestiert er gegen einen ihrer Beschlüsse, so handelt er seinem Vertrag zuwider und deshalb unrechtmäßig« (Lev., 138).
Dieses Argument mag vielleicht unter den Bedingungen eingeübter Versammlungsroutine eine gewisse Triftigkeit besitzen; die aber ist kaum gegeben für den von Hobbes unterstellten Fall, wonach es sich um die erste Versammlung einer zuvor nicht konstituierten Aggregation von Menschen handelt. In diesem Fall kommt das Verfahren der Implikationenexplikation einer Überrumpelung gleich, zumal ungeklärt bleibt, was unter welchen Umständen als Mehrheit gelten soll und welcher Quoren es bedarf, damit eine Versammlungsmehrheit für Alle bindende Beschlüsse fassen kann.
3.4 Die Rechte und Pflichten des Souveräns Mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrages und der Unterwerfung der Einzelnen unter seine Macht, erhält der Souverän nicht nur das legitime Gewaltmonopol, sondern
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auch das uneingeschränkte Recht, alle zur Durchsetzung und Aufrechterhaltung des inneren Friedens erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen und umzusetzen. Gleichwohl ist auch seine Autorität an die Erfüllung bestimmter Bedingungen geknüpft. So obliegen dem Souverän die Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit und der Schutz des Lebens der Untertanen. Kann oder will der Souverän seinen Schutzverpflichtungen nicht nachkommen, so erlischt auch die Gehorsamspflicht der Untertanen, und die Gesellschaft sinkt zurück in den Naturzustand, in dem jeder sein eigener Herr und für die Wahrung seiner natürlichen Rechte, auf die er zeitweilig verzichtet hat, wieder selbst verantwortlich ist.
Wodurch gelingt dem Vertrag das »Wunder«, aus dem politischen Chaos des Naturzustands in die Ordnung des Gesellschaftszustands hinüberzuführen? Indem er an die Stelle der vielen Willen, die miteinander konkurrieren und sich gegeneinander geltend machen, einen einzigen Willen treten lässt, der von allen der Gemeinschaft Angehörenden als der eigene Wille akzeptiert wird. Diese Willensvereinheitlichung findet für Hobbes darin ihren konkreten Niederschlag, dass Jeder auf sein ihm von Natur aus zukommendes Widerstandsrecht verzichtet und sich so in einen Untertanen des Souveräns verwandelt. Hobbes schreibt: »In jedem Staat gilt der Mensch oder die Versammlung, deren Willen die einzelnen ihren Willen (wie ich dargelegt habe) unterworfen haben, als der Urheber der höchsten Gewalt oder der höchsten Herrschaft oder der Souveränität. Diese Macht und dieses Recht zu herrschen besteht darin, daß jeder einzelne Bürger alle seine Kraft und Macht auf jenen Menschen oder jene Versammlung übertragen hat. Dies kann, weil niemand seine Kraft in wörtlichem Sinne auf andere übertragen kann, nur dadurch geschehen, daß jeder sein Recht des
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Widerstandes aufgegeben hat. Der einzelne Bürger sowie jede andere untergeordnete Rechtsperson heißt Untertan des Inhabers der höchsten Staatsgewalt« (Civ., 129).
Die ordnungsstiftende Leistung des Vertrags, wie Hobbes ihn vorsieht, besteht also darin, dass er die zuvor egalitäre Aggregation differenziert, aber nicht in Form einer mehrfach gestuften Hierarchie, sondern nach einem binären Ordnungsmodell: auf der einen Seite die Untertanen, auf der anderen der Souverän, der, wenn es sich um eine Aristokratie handelt, auch aus mehreren Personen bestehen kann. Die Untertanen sind Untertanen, weil und insofern sie qua Vertrag auf ihr Recht des Widerstands verzichtet haben, und der Souverän ist Souverän, weil und insofern er der einzige ist, der als Vertragsbegünstigter letzter Inhaber dieses Rechts auf alles ist. Ist der Souverän darum der aus dem Naturzustand übrig gebliebene letzte Wolf, der nunmehr durch keinen Konkurrrenten mehr daran gehindert wird, seine Interessen zu verfolgen? Würde man Hobbes’ Konstruktion so verstehen, würde man sie mißverstehen, denn der Souverän ist, wenn auch nicht vertraglich gebunden, doch auf den Zweck der Rechtsübertragung, die Gewährleistung der Sicherheit des Volkes, verpflichtet, und wenn er, sei es aufgrund seiner Schwäche, sei es aufgrund seiner fortbestehenden Wolfshaftigkeit, nicht in der Lage ist, diesem Zweck zu genügen, so verliert der Vertrag seine bindende Kraft und der body politic zerfällt, d.h. die Gesellschaft sinkt in den Naturzustand zurück. »Die Verpflichtung der Untertanen gegen den Souverän dauert nur so lange, wie er sie auf Grund seiner Macht schützen kann, und nicht länger. Denn das natürliche Recht der Menschen [das nicht mit dem Recht im Naturzustand zu verwechseln ist], sich selbst zu schützen, wenn niemand anderes dazu in der Lage ist, kann durch keinen Vertrag aufgegeben werden« (Lev., 171).
In den Elements und auch in De cive hatte Hobbes die Pflichten des Souveräns noch deutlicher und vor allem ausführlicher dar124
gelegt, als dies später im Leviathan der Fall ist. Offenkundig hat er sich durch die Logik seiner eigenen Argumentation genötigt gesehen, die Normierung der souveränen Macht, auch wenn diese nicht aus dem Vertrag, sondern aus dem Naturrecht entspringt, immer stärker zurückzunehmen und der souveränen Entscheidungskompetenz anheim zu stellen. Danach besteht die Obliegenheit eines Souveräns »in der guten Regierung des Volkes«. Darunter versteht Hobbes nicht nur »die bloße Erhaltung des Lebens der Untertanen«, sondern ebenso »ihre Wohlfahrt und ihr Bestes im allgemeinen« (El., 200f.). Letztendlich geht es also nicht nur um die Ruhe im Innern und die Verteidigung nach außen, sondern darüber hinaus auch um eine an der Mehrung der Bevölkerung und den Annehmlichkeiten des Lebens orientierte Politik. »Die Annehmlichkeit des Lebens besteht in Freiheit und Wohlstand. Unter Freiheit verstehe ich, daß keinem Menschen irgend etwas unnötigerweise gesetzlich verboten sei, was ihm nach dem Naturgesetz erlaubt war, das heißt, daß die natürliche Freiheit nicht eingeschränkt werde, außer wenn es für das Wohl des Gemeinwesens nötig ist, und daß wohlmeinende Männer nicht in die Schlingen des Gesetzes fallen wie in einen Fallstrick, ehe sie sich dessen versehen. Zu dieser Freiheit gehört auch, daß ein Mann leicht von einem Ort zum andern gelangen kann, daß er nicht eingekerkert und nicht aufgehalten werde durch unwegsame Straßen und durch den Mangel an Mitteln zum Befördern der nötigen Sachen. Und was den Volkswohlstand betrifft, so besteht er aus drei Stücken: wohlgeordnetem Handelsverkehr, Arbeitsgelegenheit und Verbot des überflüssigen Verbrauchs von Nahrungsmitteln und Hausrat. Alle diejenigen also, welche die souveräne Gewalt besitzen und die Regierung des Volkes auf sich genommen haben, sind nach dem Naturgesetz verpflichtet, Verfügungen zu erlassen, um die berührten Übelstände abzustellen, denn es ist dem Naturgesetz zuwider, unnötigerweise, sei es aus eigenem Belieben die Menschen zu versklaven oder sie so zu binden, daß sie sich nicht ohne Gefahr bewegen können; oder zu dulden, daß die, deren Erhaltung zu unserem Wohle geschieht, etwa entbehren, was für sie vonnöten ist, durch unsere Vernachlässigung« (El., 201f.).
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Wozu Hobbes den Souverän in den Elements, zugestandenermaßen nicht durch Vertrag, aber doch durch die vertragsunabhängige Geltung des Naturrechts, verpflichtet sieht, ist eine weitreichende Garantie persönlicher Freiheit und Freizügigkeit sowie eine umfassende Verpflichtung des Staates zu handelsund arbeitsmarktpolitischen Initiativen – ja man möchte fast von einer wohlfahrtsstaatlichen Staatszielbestimmung sprechen. Dies wird auch dort deutlich, wo Hobbes auf die dritte Aufgabe des Souveräns, die Aufrechterhaltung des Friedens im Innern, eingeht, die er nicht, wie später im Leviathan, durch die Monopolisierung aller Machtressourcen und Entscheidungskompetenzen beim Souverän gewährleistet sieht, sondern zu deren Sicherung er eine angemessene Verteilung des Eigentums und eine gerechte Lastenverteilung für erforderlich hält. Was im Leviathan als Recht des Souveräns, in das Eigentum einzugreifen und den Untertanen Steuern aufzuerlegen, gefasst wird, wird in den Elements als souveräne Pflicht dargelegt: Es sei nötig, »jedem Untertan sein Eigentum und seine bestimmten Güter und Ländereien zuzuweisen, damit er seine eigene Betriebsamkeit entfalten und den Segen derselben genießen kann« (El., 202), denn ohne eine solche verbindliche Festlegung würden die Menschen in Streit geraten, wodurch zuletzt auch der Staat in Mitleidenschaft gezogen werde. Weiterhin entwickelt Hobbes sehr genaue Vorstellungen bezüglich einer sozial gerechten Steuerpolitik, zumal er in Verstößen gegen sie eine der schwerwiegendsten Bedrohungen des inneren Friedens sieht. »Denn nichts reizt so sehr den Ärger, Geld für die Öffentlichkeit herzugeben, als der Gedanke, daß man zu hoch eingeschätzt ist und daß die Nachbarn, die man beneidet, sich darüber ins Fäustchen lachen; und dies reizt die Leute zum Widerstand, und nachdem solcher Widerstand Unheil angerichtet hat, zur Empörung« (El., 203).
Eine weitere Quelle des Widerstands sieht Hobbes in einer ungerechten und korrumpierten Rechtsprechung; während er im 126
Leviathan dieses Problem durch die letztinstanzliche Entscheidungskompetenz des Souveräns gelöst sieht, hat er in den Elements Vorstellungen entwickelt, wie solchen Fehlentwicklungen am effektivsten gegengesteuert werden kann: »Es ist daher nötig, daß eine außerordentliche Behörde vorhanden sei, weil von Zeit zu Zeit Veranlassung sein wird, Richter und andere richterliche Beamte, die ihre Gewalt mißbrauchen und das Volk ungerecht behandeln und unzufrieden machen, zu richten, und ein freier und offener Weg, um Beschwerden vorzubringen bei demjenigen oder denen, welche die souveräne Gewalt haben« (ebd.).
Erst im Anschluß an diese sozial-, steuer- und rechtspolitischen Überlegungen spricht Hobbes über die Ressourcen und Kompetenzen, über die der Souverän verfügen muss, um aufkommende Unzufriedenheiten und Widerstand zu unterdrücken. Im Verlauf der Theorieentwicklung tritt dieser Repressionsaspekt freilich immer stärker in den Mittelpunkt der Überlegungen, bis er schließlich als das alleinige Mittel der Aufruhrprävention herauskristallisiert worden ist. Dieser Prozeß der sukzessiven Entnormativierung der souveränen Aufgaben und Pflichten ist bereits in De cive zu beobachten, wo Hobbes zwar noch in fast aristotelischem Duktus festhält, unter dem Wohl des Volkes sei »nicht bloß die dürftige Erhaltung des Lebens irgendwie, sondern ein möglichst glückliches Leben zu verstehen« (Civ., 205). Zwar werden erneut einige der in den Elements entfalteten Vorgaben zur Sozial-, Steuer- und Rechtspolitik vorgetragen, aber sie treten im 13. Kapitel, welches »von den Pflichten der Urheber der Staatsgewalt« handelt, umfangmäßig deutlich zurück. Unter der Hand verschiebt Hobbes die Analyse der Bürgerkriegsursachen von den potentiellen Fehlern und Versäumnissen der souveränen Gewalt, wie sie in den Elements noch im Vordergrund standen, zu den Bestrebungen und Absichten der Untertanen, deren Habgier und Ehrgeiz, Parteisucht und mangelnde Kalkülrationalität nunmehr als Hauptur127
sachen eines Bürgerkriegs analysiert werden. Bei dieser Verschiebung dürften die im Verlauf des Bürgerkriegs gemachten Erfahrungen eine erhebliche Rolle gespielt haben, daneben aber auch theorieimmanente Faktoren, unter denen die Befürchtung, eine weitergehende normative Aufgabenbestimmung des Souveräns werde ihn schwächen und zu Widerspruch wie Widerstand beitragen, der wichtigste gewesen ist. Es kommt also nicht von ungefähr, dass Hobbes im 30. Kapitel des Leviathan, das dem Kapitel 11, 9 der Elements bzw. Kapitel 13 von De cive systematisch vergleichbar ist, unter der Überschrift »Von der Aufgabe der souveränen Vertretung« auf gleichmäßige Besteuerung und die richtige Anwendung von Strafen und Belohnungen erst zu sprechen kommt, nachdem er einen umfassenden Katalog jener Lehren vorgeschaltet hat, die dem Volk beizubringen sind, damit es über seine Pflichten recht unterrichtet ist. Die erste Pflicht des Souveräns, die Hobbes hierbei aufführt, besteht darin, das Volk seine Pflichten zu lehren. Genaugenommen ist dies freilich erst die zweite Pflicht, denn die erste Pflicht des Souveräns besteht darin, keines der Rechte aufzugeben, die geeignet und vonnöten sind, die Sicherheit des Volkes zu gewährleisten. »Denn wer die Mittel aufgibt, gibt auch das Ziel auf, und das Mittel gibt derjenige auf, der als Souverän anerkennt, daß er den bürgerlichen Gesetzen unterworfen ist und folgende Gewalten aufgibt: die Gewalt der obersten Gerichtsbarkeit, Krieg und Frieden kraft eigener Autorität zu erklären, die Beurteilung, was staatspolitisch notwendig ist, Steuern und Soldaten einzuziehen, wenn und soweit er es nach seinem eigenen Gewissen für notwendig hält, Beamte und Staatsdiener für Krieg und Frieden zu ernennen und Lehrer zu bestimmen und zu prüfen, welche Lehren mit der Verteidigung, dem Frieden und dem Wohl des Volkes vereinbar sind oder ihnen widersprechen. Zweitens läuft es seiner Pflicht zuwider, das Volk über die Ursachen und Gründe dieser wesentlichen Rechte in Unkenntnis zu lassen oder eine falsche Unterrichtung zu dulden, da auf Grund dessen die Menschen leicht zu verführen und dazu zu bringen sind, ihm Widerstand zu leisten, wenn
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Anwendung und Ausübung dieser Rechte im Interesse des Staates notwendig sind« (Lev., 255).
Bürgerkriegsprävention besteht für Hobbes nunmehr wesentlich in der Sicherung souveräner Eingriffs- und Durchgriffsrechte sowie in einer diesen Befugnissen komplementären Belehrung, um nicht zu sagen, Indoktrinierung des Volkes. Zwecks Bürgerkriegsprävention setzt Hobbes’ auf die Zentralisierung und Monopolisierung aller Kompetenzen, Rechte und Ressourcen beim Souverän. Nur wo sie konsequent vollzogen worden ist, gilt, was die Überschrift des Titelkupfers programmatisch angekündigt hat: »Nulla potestas super terram quae comparetur ei«, es gibt keine Gewalt auf Erden, die der seinen vergleichbar wäre. Diese Forderung bildet gleichsam die Marge der Gewaltkonzentration beim Souverän. Diese Überlegenheitsmarge ist für Hobbes der Indikator dafür, dass es sich bei der Herrschaft um absolute Herrschaft handelt, um eine Form des Machtgebrauchs also, die durch keinerlei institutionelle oder rechtliche Hindernisse limitiert und begrenzt ist. In diesem Sinne ist für ihn auch der Absolutismus die einzige konsequente Umsetzung einer Theorie der Souveränität. »Endlich folgt daraus, daß jeder Bürger seinen Willen dem Willen jenes unterworfen hat, der die höchste Staatsgewalt innehat und er mithin sich seiner Kräfte gegen ihn nicht bedienen kann, ganz klar, daß alles, was von letzterem getan wird, straflos sein muß. Denn da niemand da ist, der die genügende Kraft dazu hat, ihn natürlicherweise zu strafen, so kann auch niemand, der diese Kraft nicht hat, ihn rechtlich strafen. Aus dem Bisherigen wird völlig klar, daß in jedem vollkommenen Staate, d. h. wo keinem Bürger das Recht zusteht, bei seiner Erhaltung von seinen Kräften nach seinem Ermessen Gebrauch zu machen, oder wo das Recht des Schwertes dem einzelnen Bürger nicht zusteht, einer die höchste Gewalt besitzen muß, und daß die Menschen eine höhere als diese rechtlich nicht übertragen können, daß auch ein Sterblicher keine größere Macht gegen sich selbst als diese besitzen kann. Eine solche Herrschaft, welche die größte ist, welche Menschen auf einen Menschen übertragen können, heißt absolut« (Civ., 137f.).
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Hobbes weiß freilich, dass diese Konzeption der Souveränität bei den meisten Menschen eher auf Ablehnung denn auf Zustimmung stoßen wird. Dass dazu die Mächtigen durch wiederkehrenden Machtmißbrauch beigetragen haben, hat er in De cive noch offen eingestanden: »Den meisten Menschen erscheint diese höchste Staatsgewalt und diese absolute Macht so hart, daß sie selbst die Ausdrücke dafür hassen. Dies kommt hauptsächlich von der Unkenntnis der menschlichen Natur und der natürlichen Gesetze; zum Teil aber tragen auch jene die Schuld, welche mit solcher Macht begabt worden sind und sie dann zu ihren eigenen Lüsten mißbrauchen« (Civ., 144).
Dieses Zugeständnis hat Hobbes später vermieden. Statt dessen hat er das Problem wegdefiniert: »Der Haupteinwand [. . .] entsteht aus einer unnötigen Furcht, die von einigen geschürt wurde, die beabsichtigten, ihre Macht zum eigenen Vorteil auszunutzen. Sie sagten, wenn der König trotz der Gesetze tun könne, was ihm beliebe, und ihn nichts als die Furcht einer Bestrafung in der kommenden Welt davon abhalte, dann könne, gesetzt der Fall, es komme ein König, der solche Strafe nicht fürchte, dieser uns nicht nur unsere Ländereien, Güter und Freiheiten nehmen, sondern auch unser Leben, wenn er wolle. Und damit haben sie allerdings recht, aber es gibt eben keinen Grund zu der Annahme, es sei denn, jener König rechne dabei auf seinen eigenen Vorteil, was jedoch nicht sein kann; denn der König hängt ja an seiner eigenen Macht, und was wird aus dieser, wenn seine Untertanen [. . .] vernichtet oder geschwächt werden?« (Dial., 75f.).
Hobbes setzt hier auf die Verschränkung der Kalkülrationalitäten der Untertanen wie des Souveräns, die, in der konsequenten Verfolgung des je eigenen Nutzens, sich gegenseitig abstützen und tragen. Aber immerhin hatte derselbe Hobbes gegenüber der Kalkülrationalität der Untertanen so großes Misstrauen, dass er sie durch die absolute Gewalt des Souveräns gesichert wissen wollte – und eine analoge Sicherung fehlt beim Souverän. Wer oder was schützt die Untertanen vor einem Souverän, 130
der der Grausamkeit, dem Wahnsinn oder der Mordlust verfällt. Immerhin hat sich Hobbes an einer Stelle seines Werkes mit dem heimtückischen Handeln Davids gegenüber Uria beschäftigt: David hatte mit Urias Frau Bathseba geschlafen, mit ihr ein Kind gezeugt und daraufhin den als Soldaten des Königs auf einem Kriegszug befindlichen Uria zum Rapport nach Jerusalem bestellt. David hoffte, Uria werde mit Bathseba schlafen, so dass ihm das vom König gezeugte Kind als sein eigenes untergeschoben werden könne. Doch Uria besuchte nicht seine Frau, sondern erstattete nur dem König Bericht über den Stand der militärischen Lage und nächtigte anschließend unter Verweis auf seine im Feld stehenden Kameraden bei der Palastwache. Daraufhin gab David ihm einen Brief an seinen Feldhauptmann mit, in dem er diesen aufforderte, dafür zu sorgen, dass Uria in eine Situation gerate, in der er mit Sicherheit fallen werde. Und so kam es: David hat Uria in den Tod geschickt, um den Ehebruch mit dessen Frau zu verheimlichen.107 Dazu bemerkt Hobbes, es könne vorkommen, »daß ein Untertan auf Befehl des Souveräns getötet wird und doch keiner dem andern ein Unrecht zufügt [. . .]. Das gilt auch für einen souveränen Fürsten, der einen unschuldigen Untertanen tötet. Denn selbst wenn die Handlung gegen das natürliche Gesetz verstößt, da sie der Billigkeit widerspricht, wie die Tötung Urias durch David, so war dies doch kein Unrecht an Uria, sondern an Gott. An Uria nicht, weil das Recht, nach Belieben alles zu tun, von Uria selbst übertragen worden war, aber doch an Gott, weil David Gottes Untertan war und weil Gott alle Unbilligkeiten durch das natürliche Gesetz verboten hatte. Diese Unterscheidung bekräftigte David offensichtlich selbst, als er die Tat mit den Worten bereute: ›An dir allein habe ich gesündigt‹« (Lev., 165f.).
Dieses Argument des Thomas Hobbes ist freilich eher dazu angetan, das Misstrauen seiner Kritiker zu bestärken als es zu entkräften. 131
3.5 Politische Theologie Hobbes’ Rückgriff auf Überlegungen der politischen Theologie steht in einem Spannungsverhältnis zur kontraktualistischen Basis seiner Theorie; dieser Rückgriff, der im Leviathan am intensivsten und umfangreichsten ist, ist durch die theologischen Kontroversen seiner Zeit und deren bürgerkriegsträchtige Wirkungen bedingt. In Reaktion darauf entwickelt Hobbes eine spezifische Variante der Ziviltheologie, die im Wesentlichen darin besteht, dass die Untertanen über ihre Pflichten gegenüber dem Souverän belehrt werden. Um die politische Sprengkraft des Alten Testaments zu entschärfen, entwickelt Hobbes eine frühe Form der Bibelkritik sowie eine eingehende Darlegung der Kirchengeschichte. Seine Überlegungen zur politischen Theologie zeigen aber auch, dass er, zumindest im Leviathan, eine Reihe der sozialemanzipativen Konsequenzen des Gesellschaftsvertrags und der ihm zugrundeliegenden Annahmen blockieren wollte. Den inneren Glauben der Menschen (faith) will Hobbes aber weitestgehend unkontrolliert lassen; das äußerliche Bekenntnis (confession) erschöpft sich in der Bekundung, dass der historische Jesus der verheißene Christus sei.
Es steht in einem frappanten Spannungsverhältnis zur kontraktualistischen Grundlegung seiner Theorie, wenn Hobbes immer wieder auf Elemente der politischen Theologie zurückgreift und damit verbundenen Problemen eine Bedeutung zumisst, die ihnen in einem konsequent vertragstheoretischen Rahmen gar nicht zukommen dürften.108 So legt er etwa das Erste Gebot, die Angehörigen des Volkes Gottes sollten keine anderen Götter verehren als allein Gott ihren Herren, dahinge132
hend aus, dass damit auch gemeint sei, man solle die Regierungsformen der Nachbarn nicht den eigenen vorziehen und keinen Wechsel wünschen (Lev., 258f.). Weiterhin dürfe sich das Volk nach Gottes Gebot nicht dazu verleiten lassen, einem Mituntertanen die Ehre und den Gehorsam zuteil werden zu lassen, die allein dem Souverän zustehen; diese Bestimmung vergleicht Hobbes mit dem zweiten Gebot, das dazu auffordert, den Namen Gottes nicht unnütz zu führen und zu missbrauchen. In diesem Zusammenhang sei dem Volk beizubringen, es solle vom Souverän nicht schlecht reden, gegen seine Entscheidungen keine Einwände erheben oder auf andere Weise dessen Namen »unehrerbietig [. . .] gebrauchen«. Im Zusammenhang mit dem dritten Gebot sieht Hobbes vor, öffentliche Versammlungen abzuhalten, »in denen das Volk nach Gebeten und Lobpreisungen Gottes, des Souveräns aller Souveräne, Vorträge über seine Pflichten anhören kann, die jeden betreffenden, allgemeine Gesetze vorgelesen und ausgelegt erhält und über die Autorität, die sie zu Gesetzen macht, belehrt wird. Zu diesem Zweck hatten die Juden an jedem siebten Tag einen Sabbath, an dem das Gesetz gelesen und ausgelegt wurde, und in dieser Zeremonie wurde ihnen gezeigt, daß Gott ihr König sei, der nach der Erschaffung der Welt in sechs Tagen am siebten Tage ruhte. Und indem sie am siebten Tage ausruhten, lernten sie, daß der Gott ihr König sei, der sie aus ihrer harten Sklavenarbeit in Ägypten erlöste und ihnen eine Zeit anwies, in der sie sich durch gesetzlich erlaubte Vergnügungen an sich selbst erfreuen konnten, nachdem sie sich an Gott erfreut hatten« (Lev., 259).
Die Einführung solcher Staatsfeiertage zeigt, dass Hobbes sich auf die Kalkülrationalität der Individuen allein nicht verlassen wollte und dass ihm die bloßen Machtmittel der souveränen Gewalt bei der Sicherung des Gesellschaftszustands ebensowenig genügten wie das Vertrauen in die Rationalität der Untertanen: Worauf er hier abhob, war die öffentliche Zelebrierung der durch den Souverän geschaffenen Ordnung und ihre da133
durch erfolgende Sakralisierung. Sie sollte die Untertanen in einer Weise an die bestehende Ordnung binden, wie dies die Kalkülrationalität niemals vermochte. Die neuzeitliche Geschichte der Zivilreligion, die hier freilich eher Untertanenreligion heißen müsste, nimmt nicht erst bei Rousseau bzw. mit der Unabhängigkeit der USA ihren Anfang. Die Bezeichnung des Souveräns als »sterblicher Gott« ist für Hobbes keinesfalls eine begriffliche Spielerei gewesen. Mit der Parallelisierung von Dekalog und politischer Untertanenkunde hat Hobbes den Souverän keineswegs an die Stelle Gottes rücken wollen, aber den Platz unmittelbar darunter hat er ihm als »sterblichem Gott« sehr wohl angewiesen. Dies zeigt sich auch in den Erläuterungen, die er zur politischen Funktion Gottes für das Volk der Juden vor der Königswahl Sauls gibt: »So beinhaltet also die gesamte erste Tafel der Gebote die Summe von Gottes absoluter Macht, nicht nur in seiner Eigenschaft als Gott, sondern auch als besonderer König der Juden kraft Vertrags. Und deshalb mag sie auch diejenigen erleuchten, denen die souveräne Gewalt durch Übereinstimmung der Menschen übertragen wurde, damit sie sehen, in welcher Lehre sie ihre Untertanen zu unterrichten haben« (Ebd.).
Diese Stelle ist zugleich aber auch eine Polemik gegen die Revolutionäre in England, von denen die Geschichte der Juden vor der Wahl Sauls zum König als eine Geschichte der Freiheit verstanden wurde, an die mit der Hinrichtung Karls und der Beendigung der Königsherrschaft wieder anzuknüpfen sei – so die Zuspitzung eines seit der elisabethanischen Zeit kursierenden Gedankens, der die Engländer als Gottes neues auserwähltes Volk, als people elect oder elect nation, feierte.109 Gegen diese Vorstellung macht Hobbes Front, wenn er auf der Grundlage einer frühen Form historischer Bibelkritik behauptet, vor der Wahl Sauls zum König sei Gott selbst der König der Juden gewesen, und dabei versteht er Königtum wörtlich, zumal sonst die Juden vor Saul ein Beleg dafür wären, dass ein body politic 134
durchaus auch ohne ausdifferenzierten monarchischen oder aristokratischen Souverän, sondern bloß in Form einer Identität von Herrschenden und Beherrschten existieren kann. Im Rahmen seiner Parallelisierung von Dekalog und Untertanenpflichten macht Hobbes auch deutlich, dass er den durch den Vertrag eines Jeden mit Jedem bewirkten politischen Individualisierungsschub und die damit einhergehende Entpatriarchalisierung der Sozialverhältnisse in Grenzen halten will. Dazu dient ihm der Verweis auf die im Vierten Gebot formulierte Aufforderung, Vater und Mutter zu ehren. »Und da die erste Unterrichtung der Kinder von der Fürsorge ihrer Eltern abhängt, ist es notwendig, daß sie ihnen gehorsam sind, solange sie von ihnen unterrichtet werden. Und nicht nur das – sie müssen sich auch später, wie es die Dankbarkeit fordert, für die genossene Erziehung durch äußere Zeichen der Ehrerbietung erkenntlich zeigen. Zu diesem Zweck muß Ihnen gelehrt werden, ursprünglich sei der Vater jedes Menschen zugleich ein souveräner Herr gewesen, der Gewalt über Leben und Tod über ihn besaß, und daß, wenngleich die Familienväter bei der Errichtung eines Staates diese absolute Gewalt aufgaben, damit jedoch niemals beabsichtigt war, daß sie damit die ihnen für ihre Erziehung geschuldete Ehre verlieren sollten. Denn es war nicht nötig, dieses Recht zur Errichtung eines Staates aufzugeben, und außerdem gäbe es keinen Grund, weshalb sich jemand Kinder wünschen oder die Mühe machen sollte, sie zu ernähren und zu unterrichten, wenn sie später keinen anderen Nutzen von ihnen haben sollten als von anderen Menschen« (Lev., 259f.).
Wohl an keiner anderen Stelle seines Werkes wird so deutlich wie hier, dass Hobbes die individualistischen, gemeinschaftsatomisierenden Konsequenzen seiner Vertragskonzeption gesehen, deren Folgen aber in Grenzen zu halten versucht hat.110 So greift er auf etwas zurück, wovon bislang noch nie die Rede gewesen ist: eine Ordnung vor der Ordnung, eine legitime Machtstruktur mit souveränen Herrschern vor der Genese der staatlichen Ordnung durch den Vertrag. Das Mindeste, was man hier gegen Hobbes einwenden muss, ist der Vorwurf theo135
retischer Inkonsequenz. Er setzt politisch auf eine durch den Vertrag eines Jeden mit Jedem konstituierte Ordnung, aber die sozialen Implikationen, die dieser Vertrag hat, sollen durch den Souverän blockiert werden. Der politischen Theologie kommt bei Hobbes die Funktion zu, eine Reihe liberaler Konsequenzen aus der Vertragskonstruktion und den ihr zugrundeliegenden Annahmen zurückzunehmen bzw. ihre Wirkungen zu dämpfen. Aus der Parallelisierung des Dekalogs mit den Untertanenpflichten entwickelt Hobbes eine allgemeine Lehrbefugnis des Souveräns, durch die der Staat weit in den Bereich dessen eingreift, was nach Hobbes’ theoretischem Ansatz die Sphäre der persönlichen Überzeugungen und des individuellen Glaubens ausmacht und dementsprechend von staatlichen Eingriffen und Einflüssen frei bleiben sollte. So legt er großen Wert darauf, dass die Predigten der Geistlichkeit mit dem für die Sicherung der souveränen Gewalt Zuträglichen und Förderlichen in Übereinstimmung stehen. In den Predigten soll unter anderem verbreitet werden, dass die Menschen über Gesetzlichkeit und Ungesetzlichkeit nicht auf Grund ihres persönlichen Gewissens, sondern nur auf Grund des Gesetzes richten; dass diejenigen, die den Befehlen des Souveräns folgen, nicht sündigen, auch wenn die Folgsamkeit ihrem Gewissen entgegensteht; dass der Souverän das Recht hat, zur Erfüllung seiner Aufgaben auch qua Besteuerung in Eigentumsrechte einzugreifen usw. Desweiteren sieht Hobbes eine Reform der Universitäten als die Hauptaufgabe eines Souveräns an, der auf die Sicherheit des von ihm regierten Staates bedacht ist. Diese Universitätsreform soll sich auch auf die Inhalte der Lehre erstrecken, und sie hat zum Ziel, bei den an den Universitäten ausgebildeten Gelehrten, Juristen und Pfarrern die Überzeugung zu festigen, »daß die Religion, die sie lehren, ein ruhiges Warten auf das Wiederkommen unseres gesegneten Heilands ist und bis dahin allen Gesetzen des Königs – welches auch Gottes Gesetze sind – zu gehorchen ist; keine Menschen zu beleidigen, mildtätig gegen alle Menschen zu sein,
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die Armen und Kranken zu pflegen; nüchtern und frei von Schande zu leben, ohne unsere Religion mit Fragen der Naturphilosophie zu vermengen, wie Freiheit des Willens, körperlose Substanz, das immerwährende Jetzt, Ubiquitäten und Hypostasen, die das Volk nicht versteht und um die es sich auch niemals kümmern wird« (Beh., 64).
Was Hobbes in diesem Punkt ausführlich und eingehend erläutert, ist jene Verbindung von weltlicher und geistlicher Gewalt, wie sie im Titelkupfer zum Leviathan zusammenfassend visualisiert worden ist: die Forderung, dass die beiden Symbole der herrscherlichen Gewalt, das Schwert und der Bischofsstab, in einer Hand vereint sein müssen. Dabei verändert sich das, was im Mittelpunkt des Hobbesschen Interesses steht, im Verlaufe der Theoriebildung, und diese Veränderung wirft einmal mehr ein Licht auf die Zuspitzung, die das Hobbessche Denken im Verlauf des Bürgerkriegs erfahren hat. So ist in den Elements wie in De cive mehrfach von zwei Schwertern die Rede, die als Symbole kriegerischer Machtentfaltung nach außen und der Rechtsprechung im Innern fungieren: »Dieses Recht, das man das Schwert des Krieges nennen kann, muß demselben Menschen oder derselben Versammlung zustehen, der das Schwert der Gerechtigkeit gebührt. Denn nur der kann die Bürger mit Recht zu den Waffen und den Kosten des Krieges zwingen, der auch die Ungehorsamen mit Recht bestrafen kann. Sonach kommt der höchsten Staatsgewalt das Schwert sowohl des Krieges wie der Gerechtigkeit nach der Verfassung des Staates selbst und wesentlich zu« (Civ., 134).
Im Leviathan hingegen wird, am prägnantesten sicherlich im Titelkupfer, zur Frage der Kriegserklärung und der Rechtsprechung noch die der geistlichen Gewalt hinzugefügt; dabei wird das Schwert des Souveräns als eines gefasst, das als das des Krieges nach außen und als das der Gerechtigkeit nach innen weist; zu diesem Schwert tritt nunmehr der Bischofsstab als Zeichen souveräner Macht in geistlichen Fragen hinzu. Hobbes bezieht damit Position sowohl gegen die Ansprüche der römi137
schen Kirche als auch gegen die Auflösung aller geistlichen Fragen in solche des Gewissens, wie sie am linken Flügel des Protestantismus erfolgte. Um hier argumentativen Bewegungsraum zu erhalten, steigt Hobbes tief in Fragen der Kirchengeschichte ein. So unterscheidet er die Zeit nach der Himmelfahrt Christi in zwei Perioden: eine bis zur Bekehrung derer, die mit der souveränen Gewalt ausgestattet sind, und eine nach dieser Bekehrung. Hobbes hat also der Bekehrung Kaiser Konstantins eine staatsrechtlich überragende Bedeutung beigemessen. Lag bis zu ihr die kirchliche Gewalt bei den Aposteln, die sie durch Handauflegen weitergaben, so gilt für die Zeit danach: »Da also in jedem christlichen Staat der bürgerliche Souverän oberster Priester ist, dessen Obhut die gesamte Herde seiner Untertanen anvertraut ist und kraft dessen Autorität folglich alle anderen Priester eingesetzt werden und die Gewalt haben, zu lehren und alle anderen priesterlichen Ämter auszuüben, so folgt auch daraus, daß alle anderen Priester ihr Recht zu lehren, zu predigen und alle anderen zu diesem Amt gehörenden Verrichtungen auszuüben, von dem bürgerlichen Souverän ableiten und daß sie nur seine Diener sind, ebenso wie die Obrigkeit der Städte, die Richter der Gerichtshöfe und die Befehlshaber der Armeen nur Diener dessen sind, der die Obrigkeit des gesamten Staates, Richter aller Fälle und Befehlshaber des gesamten Militärs ist: dies ist immer der bürgerliche Souverän« (Lev., 413).
Im Unterschied zu diesem an Kaiser Konstantin anschließenden Souverän hatten die Apostel und die von ihnen durch Handauflegen Eingesetzten keinerlei Zwangsgewalt, sondern nur den Auftrag, das Reich Gottes zu verkünden und die Menschen dazu zu bringen, sich ihm zu unterwerfen. Da die Apostel und andere demnach »unsere Lehrmeister, nicht aber unsere Befehlshaber sind und ihre Regeln keine Gesetze, sondern gesunde Ratschläge« (Lev., 379), kann auch keine sich von den Aposteln herleitende Institution eine wie auch immer geartete Zwangsgewalt beanspruchen. Hierin wendet sich Hobbes vor allem gegen die päpstlichen Suprematieansprüche. Damit hebt 138
er jedoch keineswegs auf eine klare Trennung der Zuständigkeitsbereiche ab, derzufolge die weltliche Gewalt Aufgaben hat, in welche die geistliche Gewalt nicht intervenieren darf, und die geistliche Gewalt Aufgaben, von denen sich die weltliche Gewalt fernzuhalten hat, wie sie sich etwa in den mit Hobbes’ Theorie in vieler Hinsicht vergleichbaren Schriften Martin Luthers findet.111 Im Gegenteil: »Ist aber jeder christliche Souverän der oberste Priester seiner eigenen Untertanen, so scheint er auch die Gewalt zu haben, nicht nur zu predigen, was vielleicht niemand bestreiten wird, sondern auch zu taufen, das Sakrament des Abendmahls zu spenden und Kirchen und Priester für den Gottesdienst zu weihen« (Lev., 414). Und: »Aus dieser Vereinigung des politischen und kirchlichen Rechts in der Hand der christlichen Souveräne ergibt sich klar, daß sie alle Arten von Gewalt über ihre Untertanen innehaben, die einem Menschen gegeben werden können, um über die äußeren Handlungen der Menschen in Politik und Religion zu herrschen, und daß sie solche Gesetze erlassen können, die sie selbst für die geeignetsten halten, um damit über ihre Untertanen zu herrschen, soweit diese den Staat und soweit sie die Kirche bilden. Staat und Kirche bestehen nämlich aus denselben Menschen« (Lev., 418).
Ist Hobbes damit hinter die in Frankreich, vor allem in den Niederlanden zu seiner Zeit bereits praktizierte Politik konfessioneller Toleranz zurückgefallen? Die Identifikation von politischem und kirchlichem Körper mag diesen Eindruck erwecken. Aber Hobbes hat gleichzeitig mit dieser Gleichsetzung die Bekenntnisanforderungen seines Staatskirchentums sehr stark zurückgenommen, indem er sie auf die Formel brachte, dass der historische Jesus der verheißene Messias und also Christus sei: »That Jesus is the Christ«. Alles andere ist für Hobbes eine Frage des persönlichen Glaubens (faith), der durch den Souverän nicht normiert wird, solange der Untertan dem offiziellen Bekenntnis (confession) zu folgen bereit ist.112 Mit dieser Reduktionsform des Bekenntnisses, in der etwa 139
die Abendmahlsfrage ausgespart ist, an der sich doch seit Beginn der Reformation die Spaltung der Christenheit in verschiedene Konfessionen entzündet hat, sucht Hobbes die politische Sprengkraft der religiösen Auseinandersetzungen seiner Zeit zu entschärfen. Er verweist dadurch die konfligierenden Elemente in die Sphäre des privaten Glaubens113 und macht nur das zum Gegenstand des öffentlichen Bekenntnisses, worin alle christlichen Konfessionen sich einig sind. Oder anders formuliert: Der Staat wird in Glaubensfragen neutral, indem er ein öffentliches Minimalbekenntnis festlegt und alles andere dem privaten Glauben überlässt. Die politischen Konsequenzen dessen hat Hobbes sehr deutlich ausgesprochen: »Wer sich den Gesetzen und der Gewalt des bürgerlichen Staates widersetzt, um irgendeine Lehre zu verfechten, die er selbst der Geschichte des Lebens unseres Heilands oder den Taten oder Briefen der Apostel entnimmt, oder die er auf Grund der Autorität eines Privatmannes glaubt, ist sehr weit davon entfernt, ein Märtyrer Christi oder ein Märtyrer seiner Märtyrer zu sein. Nur der Tod für einen einzigen Glaubensartikel, nämlich Jesus ist der Christus, verdient den Ehrennamen eines Märtyrertodes, und dieser Glaubensartikel bedeutet: Der uns errettet hat und wiederkommen wird, um uns Seligkeit und ewiges Leben in seinem herrlichen Reich zu schenken« (Lev., 383).114
Damit, so hofft Hobbes, sind den Kräften der politischen Veränderung, des Umsturzes und des Aufruhrs die religiösen Antriebe und Verheißungen entzogen: keiner, der sich gegen einen Souverän auflehnt, welcher sich selbst an das Minimalbekenntnis hält, kann und darf für sich in Anspruch nehmen, dies in Übereinstimmung oder gar in Verfolgung christlicher Glaubensüberzeugungen zu tun.
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4 Rezeptionsgeschichte
An Hobbes scheiden sich bis heute die Geister, und eine einheitliche Deutung seines Werkes ist auch in Zukunft nicht zu erwarten. Gleichwohl lassen sich in der Vielzahl der unterschiedlichen Bewertungen und Interpretationen der Hobbesschen politischen Philosophie zwei dominierende Hauptstränge unterscheiden. Die Vertreter des ersten Interpretationsansatzes rücken die Bedeutung der Erfahrung des Bürgerkriegs und des mit ihm einhergehenden Zerfalls der staatlichen Autorität in den Mittelpunkt und sehen in Hobbes vor allem einen Theoretiker des neuzeitlichen Souveränitätsgedankens. Demgegenüber heben die Vertreter des zweiten Ansatzes stärker auf die tiefgreifenden sozio-ökonomischen Veränderungen im England des 17. Jahrhunderts ab und interpretieren Hobbes’ Theorie zuvörderst als eine Reaktion auf die Ausbildung einer marktvermittelten Gesellschaft individueller Produzenten und Konsumenten. Vor diesem Hintergrund betonen sie den radikal egalitären Charakter des Vertragsschlusses und das mit ihm einhergehende Moment der Sicherung minimaler bürgerlicher Freiheiten, das hinreichend sei, um Hobbes einen Platz in der weitverzweigten Ahnengalerie des Liberalismus einzuräumen.
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Wiewohl Hobbes auf die politische Praxis der Restauration in England nach 1660 so gut wie keinen Einfluss zu erlangen vermochte und seine Überlegungen gerade von den Vertretern royalistischer Positionen zurückgewiesen und bekämpft wurden,115 hat er doch schon bald großen Einfluss auf die Geschichte des politischen Denkens gewonnen. »Es ist richtig«, schreibt sein republikanischer Kontrahent James Harrington, »daß ich der politischen Theorie von Herrn Hobbs [sic!] widerspreche. [. . .] Trotzdem bin ich fest überzeugt, daß Herr Hobbs heute und für alle zukünftigen Zeiten als der beste Schriftsteller anerkannt werden wird, den diese Welt in diesen unseren Tagen hat.«116 Aber Harringtons Mut und Aufrichtigkeit in seiner Würdigung des ›verfemten Autors‹ Thomas Hobbes waren zunächst eher eine Ausnahme als die Regel; dementsprechend wurde Hobbes’ politische Theorie am Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts eher verdeckt rezipiert, und zahlreiche Autoren, deren Theorie ohne die Auseinandersetzung mit Hobbes so nicht entstanden wäre, haben ihn namentlich kaum oder überhaupt nicht erwähnt. Das gilt auch für Baruch de Spinoza, der in seiner sozio-politischen Begrifflichkeit mehrfach an Hobbes anschließt und ihn in seiner rationalistischen Bibelkritik weiterführt und überbietet. Mindestens ebenso gilt dies für John Locke, der von Hobbes die Theorie des Naturzustands sowie des Gesellschaftsvertrags übernommen hat, um sie zu modifizieren und stärker den Bedürfnissen einer liberalen Martkgesellschaft anzupassen. Dazu gehört an zentraler Stelle, dass Locke Eigentum nicht mehr, wie Hobbes, erst im Gesellschaftszustand entstehen lässt, weil es ohne die Existenz eines rechtsverbürgenden Souveräns wohl Besitz, aber kein Eigentum gibt, sondern der das Eigentum bereits im Naturzustand aus der Arbeit erwachsen lässt, was dann weitreichende Folgen für das Besteuerungsrecht und die Mitwirkung des Parlaments an der Steuerbewilligung hat.117 Dagegen hat Samuel Pufendorf eine offene und sachliche 142
Auseinandersetzung mit Hobbes geführt, in der es ihm darum ging, dessen Theorie juristisch-systematisch weiterzuführen. Über Pufendorf hat Hobbes in die deutsche Frühaufklärung Eingang gefunden und ist darin zu einem der wichtigsten Referenzautoren geworden.118 Die intensive Auseinandersetzung mit Thomas Hobbes gerade in Deutschland, die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein die in anderen europäischen Ländern, auch und gerade in England, weit übertroffen hat, hat darin eine ihrer wesentlichen Grundlagen. Dass Hobbes gerade in der englischen Sozialphilosophie und Politiktheorie lange in den Hintergrund getreten ist, hat neben der dominierenden Position Lockes vor allem mit dem Einfluss David Humes zu tun, der gegen Hobbes die Auffassung vertrat (und im englischen Diskurs durchsetzte), dass menschliches Handeln auch in einem fiktiven Naturzustand neben dem Interesse an physischer Selbsterhaltung durch eine Reihe sozialer Tugenden bestimmt werde, die im Ergebnis dazu führten, dass die selbstdestruktive Konkurrenzsituation, wie sie Hobbes in der Naturzustandskonzeption seiner Theorie zugrunde gelegt hatte, theoretisch nicht zwingend und empirisch unplausibel sei. Einen ähnlichen Ansatz hat Jean-Jacques Rousseau zu einer frontalen Zurückweisung der Hobbesschen Theorie fortentwickelt, die in der zentralen Überzeugung gipfelt, dass keineswegs jeder Gesellschaftszustand, wie Hobbes angenommen hatte, dem Naturzustand überlegen und darum vorzuziehen sei. Indem Rousseau den Naturzustand, dabei über Locke deutlich hinausgehend, als eine über lange Zeiträume sich selbst genügende und stabile Sozialordnung beschrieben hat, in der sich erst infolge zivilisatorischer Entwicklungen Gegensätze ausbildeten, die mit ihren Mitteln nicht mehr zu schlichten waren, vermochte er aus dem Naturzustand heraus normative Maßstäbe zu entwickeln, an denen sich der Gesellschaftszustand messen lassen musste. Das ist in Hobbes’ an der Vermeidung von Aufruhr, Revolution und Bürgerkrieg orientierter Theorie 143
nicht der Fall, ja, Hobbes hat gerade darin das Grundübel aller politischen Theorie gesehen. In der Hobbes-Forschung des 20. Jahrhunderts lassen sich zwei Hauptstränge herausfiltern. Sie unterscheiden sich darin, die Historizität der Hobbesschen Theorie auf unterschiedliche Weise zu bestimmen: Der eine stellt den Bürgerkrieg, und zwar begriffen als Verfall der zentralen Macht nach vorangegangenem Werteverlust, ins Zentrum und macht ihn zum prägenden Hintergrund der Hobbesschen Theoriebildung; der andere hebt stärker auf die sozio-ökonomischen Veränderungen in England seit Mitte des 16. Jahrhunderts ab und stellt den Bürgerkrieg, begriffen als eine sozio-ökonomisch verursachte Revolution, in die Kontinuität dieses gesellschaftlichen Wandels, in dessen Verlauf eine zuvor über persönliche Beziehungen organisierte Gesellschaft sich in eine über einen anonymen Markt vermittelte Gesellschaft verwandelt hat. Für den ersten Strang der Hobbes-Rezeption steht die Macht- und Souveränitätsfrage im Mittelpunkt des Interesses, und daher begreift er Hobbes als einen Theoretiker, der unter dem Eindruck des Bürgerkrieges die Notwendigkeit von staatlicher Ordnung und souveräner Macht überzeugend nachgewiesen hat; diesem Strang sind u.a. die Arbeiten von Carl Schmitt, Helmut Schelsky, Roman Schnur und Bernard Willms zuzurechnen. Der andere Strang geht dagegen aus von der für Hobbes’ Theorie zentralen Voraussetzung, dass jeder Mensch der Eigentümer seiner selbst ist und dass aus diesem Eigentum eines Jeden an sich selbst eine Reihe von Konsequenzen erwächst, die eine gesteigerte Konflikthaftigkeit der Menschen untereinander erwarten lasse, so dass es notwendig werde, qua Übereinkunft eine ordnungsstiftende Macht zu konstituieren; für diesen Strang, in dessen Mittelpunkt die Analyse des Naturzustands und der Vertragskonstruktion mit ihren systematischen Implikationen steht, sind stellvertretend die Arbeiten von Ferdinand Tönnies und Crawford B. Macpherson zu nennen. 144
Diese beiden Hauptstränge der jüngeren Hobbes-Rezeption können noch einmal entlang der Frage des Verhältnisses von Genesis und Geltung differenziert werden: Der erste Strang kann die Geltung so strikt auf die Genese beziehen, dass Hobbes’ Theorie zuletzt eine historisch überholte Reaktion auf das Zeitalter des konfessionellen Bürgerkriegs darstellt, für die sich sinnvollerweise nur noch die Historiker interessieren; sie kann aber auch in Hobbes’ Nachweis des Erfordernisses einer umfassenden Verstaatlichung gesellschaftlicher Machtressourcen und ihrer Konzentration beim Souverän ein zwar aus der konkreten historischen Erfahrung des englischen Bürgerkriegs entstandenes, in seiner Geltung jedoch den Umständen seiner Genese überhobenes Argument sehen, das die Frage nach der Möglichkeit sozio-politischer Ordnung definitiv beantwortet hat – Hobbes’ Denken stellt dann, wie Willms schreibt, »bis heute eine gültige Antwort« dar.119 Eine mittlere Position zwischen der restlosen Historisierung und einer weitreichenden Generalisierung der Hobbesschen Naturzustandskonzeption bilden jene Auffassungen, die den in jüngster Zeit in einigen Weltregionen zu beobachtenden Staatsverfall und die vermehrt anzutreffenden Bürgerkriege in Hobbesschen Termini analysieren und von »neohobbesschen Kriegen« sprechen.120 Der zweite Strang differenziert sich in eine Variante, welche die Historizität der Hobbesschen Konstruktion stark im Auge hat und nicht bereit ist, die Geltung dieser Konstruktion von den Umständen ihrer Genese abzuheben: Unter den Bedingungen einer Gesellschaft marktvermittelter Privateigentümer ist deren friedliche Koexistenz nur durch Ausdifferenzierung einer mit überlegenen Machtressourcen ausgestatteten souveränen Gewalt sicherzustellen, aber es gibt keinen zwingenden Grund zu der Annahme, dass diese marktvermittelte Gesellschaft und der ihr entsprechende Sozialtyp des Menschen, der geschichtlich entstanden ist, mit dem Fortgang der Geschichte nicht auch wieder verschwinden kann, wie C.B. Macpherson und die an 145
ihn Anschließenden offenbar meinen. Dagegen sucht die andere Variante dieses Strangs die marktvermittelte Historizität des kontraktualistischen Arguments transzendentalphilosophisch aufzulösen, indem sie Hobbes’ Überlegungen nach Maßgabe einer die Freiheit des Individuums voraussetzenden Gesellschaft als generell gültig begreift, weil darin die Bedingung der Möglichkeit, unter denen autonome Wesen friedlich koexistieren können, grundsätzlich geklärt worden sei, wie Wolfgang Kersting und andere hervorheben. Beide Stränge, der an den Konstitutionsbedingungen der Gesellschaft orientierte ebenso wie der auf die Funktionsvoraussetzungen souveräner Macht konzentrierte, weisen also eine stärker historisierende und eine stärker generalisierende Variante auf, wobei die generalisierenden Varianten die Hobbes-Debatte der letzten Jahrzehnte beherrscht haben.121 Beide Stränge der Hobbes-Rezeption sind in den letzten Jahren intensiver und engagierter diskutiert worden als in den Jahren zuvor. Da ist zunächst, bezogen auf den die Frage der Staatsmacht akzentuierenden Rezeptionsstrang, die Diskussion, inwieweit unter den Bedingungen einer ökologisch verursachten Güterknappheit, deren Folge für die politische Ordnung nicht länger durch perspektivisches Wirtschaftswachstum abgemildert werden kann, der staatlichen Macht als repressivem Friedenserzwinger im Sinn des Thomas Hobbes wieder eine erhöhte Bedeutung zuwächst.122 Dem steht eine vor allem in der jüngeren Politikwissenschaft Platz greifende Sicht gegenüber, wonach eine am Souveränitätsmodell orientierte Staatlichkeit mit fortschreitender Diversifizierung der Staatsaufgaben zunehmend obsolet und durch Vernetzungszusammenhänge abgelöst werde, die der mittelalterlichen Ordnung ähnlicher seien als dem Staat der Neuzeit, dem Hobbes den Namen Leviathan gegeben hat.123 Nicht weniger bedeutsam wurde Hobbes’ Theorie für die sozialphilosophische Diskussion, seitdem John Rawls, Robert 146
Nozick und James Buchanan (letzter am klarsten) mehr oder weniger explizit an Hobbes’ kontraktualistisches Modell angeknüpft haben, um auf dieser Grundlage die Prinzipien einer gerechten und freien Ordnung zu entwerfen.124 Was sie faszinierte, war Hobbes’ Versuch, ohne normative Voraussetzungen und ohne Rekurs auf die spezifischen sozio-kulturellen Bedingungen einer bestimmten Gesellschaft, allein auf dem kalkülrationalen Interesse der einzelnen begründet, den body politic entwerfen zu können. Daß dies kohärent möglich sei, ist seitens der kommunitaristischen Sozialphilosophen, deren Ausgangspunkt nicht das vereinzelte Individuum, sondern die Gemeinschaft ist, energisch bestritten worden.125 Was dabei kontrovers diskutiert wird, ist die Grundthese der Hobbesschen Theorie, dass der auf dem kalkülrationalen Interesse der Individuen begründete Vertrag eines Jeden mit Jedem hinreichend sei, einen sozio-politischen Verband zu stabilisieren, ohne dass er – was für Hobbes selbst freilich außer Frage stand – durch die permanente Gewaltandrohung der ausdifferenzierten Souveränität zusammengehalten werden muss. Diese Instanz glauben diejenigen, die an einer allein auf dem Interesse fundierten Synthesis der Gesellschaft zweifeln, in Moral, Religion oder Tradition finden zu können. In gewisser Hinsicht haben also beide Positionen Hobbes’ Überzeugung, richtige Politik sei nichts anderes als die gewaltsame Nötigung zur Verfolgung des wohlverstandenen Eigeninteresses, aufgelöst: die einen, indem sie glauben, auf das wohlverstandene Eigeninteresse auch ohne gewaltsame Nötigung vertrauen zu können, die andern, indem sie die ausdifferenzierte Gewalt in eine durch traditionsvermittelte Normen stabilisierte Gesellschaft zurücknehmen zu können meinen. Beide wollen auf den mit absoluter Macht ausgestatteten Souverän, zweifellos die Pointe der Hobbesschen Theorie, verzichten, doch während die Kontraktualisten ihn glauben ersatzlos streichen zu können, sind die Kommunitaristen der Auffassung, ihn im Vorfeld seines Erforderlichwerdens 147
durch einen umfassenden Wertekonsens der Gesellschaft überflüssig machen zu können. In beiden Fällen aber ist die Hobbessche Theorie, implizit wie explizit, einer der Brennpunkte der Debatte.
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Anmerkungen
1 Strauss 1956, S. 172. 2 Beispiele hierfür sind Kavka 1986, Höffe 1981, Kersting 1992, sowie Herz 1999, 78ff. 3 Zu nennen ist hier vor allem die Schmitt-Schule, beginnend bei Schmitt 1938 über Koselleck 1959, S. 18ff., sowie Schnur 1963 bis zu Willms 1970 bzw. 1987. 4 Vgl. hierzu die bei Bowle 1969 zusammengestellten Texte sowie insbes. Metzger 1991. 5 Zu erkennen, dass die Hobbessche Theorie mehr war als bloß eine Parteinahme in den Konfliktlinien des Bürgerkriegs, dass sie vielmehr eine systematische Analyse der den Bürgerkrieg verursachenden Faktoren mit dem Ziel ihrer Stillstellung war, war erst lange nach dem Bürgerkrieg möglich. Dies ist bei einer Darstellung der Hobbesschen Rezeptionsgeschichte zu berücksichtigen; sie ist gleichbedeutend mit der Verwandlung eines Parteimannes der intellektuellen Bürgerkriegskontroversen in einen Klassiker des politischen Denkens. 6 So auch Strauss 1965 (1936), S. 73. 7 Schmitt notiert zum »Vorbehalt der inneren, privaten Gedankenund Glaubensfreiheit« in Hobbes’ Theorie, sie habe den »Todeskeim« gebildet, »der den mächtigen Leviathan von innen her zerstört und den sterblichen Gott zur Strecke gebracht hat« (1938, S.86). 8 Kodalle 1972, S. 309ff. 9 Vgl. MacGillivray 1979 sowie Münkler 1991, S. 215ff. 10 So Nonnenmacher 1989, S. 35ff.
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11 Die wichtigste deutschsprachige Arbeit dieses Ansatzes ist Weiß 1980, insbes. S. 33ff. 12 Strauss 1965 (1936), S. 12. 13 Aubrey’s Brief Lives, hrsg. von Oliver Lawson Dick, London 1949; nachfolgend wird zitiert nach: John Aubrey, Thomas Hobbes, hrsg. und übers. von Henning Ritter, Berlin 1984. Zu Aubrey und seiner Sicht des Thomas Hobbes vgl. Oliver Lawson Dick, Das Leben: ein Versuch. John Aubrey und sein Jahrhundert, Berlin 1988, passim, insbes. S. 128ff. 14 Ein Vergleich mit der Hauslehrerexistenz, die Kant und Fichte, Hegel, Hölderlin und viele andere in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts führen mussten, bevor sie auf eine entsprechende Stelle an der Universität berufen wurden (oder auch nicht!), ist durchaus aufschlussreich: War die Hauslehrerexistenz für sie eine mehr oder minder starke Behinderung, das zu tun, wozu sie sich berufen fühlten, so eröffnete sie für Hobbes gerade die Möglichkeit, seinen Interessen nachzugehen. Diese Unterschiede in der Erfahrung der Hauslehrerstelle resultieren unter anderem auch aus der unterschiedlichen geistigen Weite des niederen Adels bzw. höheren Bürgertums in Deutschland einerseits und der englischen Hocharistokratie andererseits. 15 Aubrey 1984 (1949), S. 9. 16 Hobbes, The Life of Mr. Thomas Hobbes of Malmesbury, London 1680, S. 2. 17 In der Literatur wird immer wieder angezweifelt, dass Hobbes’ Leben zum fraglichen Zeitpunkt wirklich bedroht gewesen sei; dagegen hat Hans-Dieter Metzger (1991, S. 51ff.) jetzt zeigen können, dass es für Hobbes selbst gute Gründe gab, sich für bedroht zu halten. 18 Aubrey 1984 (1949), S. 4. 19 Ebd., S. 6. 20 Stephen Toulmin (Kosmopolis. Die unerkannten Aufgaben der Moderne, Frankfurt/M. 1991, S.98ff.) hat zu zeigen versucht, dass das rationalistische Forschungsprogramm Rene´ Descartes’ nicht zuletzt unter dem Eindruck der Nachricht von der Ermordung Heinrichs IV. formuliert worden ist. Ähnliches gilt auch – und sicherlich mit noch besseren Gründen – für die politische Philosophie des Thomas Hobbes. 21 Sowohl in den Reihen des Protestantismus als auch in denen des
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Katholizismus waren Theorien des Widerstandsrechts gegen eine tyrannische Obrigkeit formuliert worden. Für Ravaillac war Heinrich ein »Tyrann«, denn er hatte mit dem Erlass des Edikts von Nantes das Loi fondamentale der unabdingbaren Katholizität Frankreichs gebrochen. Diese Debatte hatte schließlich auch England erreicht, als Jakob I. nach der »Pulververschwörung« von 1605 von seinen katholischen Untertanen den Treueeid forderte und der Jesuit Robert Bellarmin dagegen ein Recht des Widerstandes formulierte, das auch die Möglichkeit des Tyrannenmords einschloss. Vgl. hierzu Udo Bermbach 1985, S. 107 ff. sowie S. 151 f. Hobbes ist auf Bellarmins Argumente an mehreren Stellen seines Werkes kritisch eingegangen. Dazu Reik 1977, S. 37f., sowie Kraynak 1990, S. 22f. Hobbes’ Übersetzung ist neben EW VIII u. IX auch als separate Ausgabe verfügbar: Hobbes’ Thucydides, hrsg. von Richard Schlatter, New Brunswick 1975. Hobbes war nicht der einzige politische Theoretiker, der sich in den Konfliktlagen der frühen Neuzeit intensiv auf Thukydides bezogen hat; zu nennen ist auch Machiavelli, der Thukydides eingehend rezipiert hat. Der Text wurde 1650 in zwei getrennten Teilen, Human Nature und De corpore politico betitelt, gedruckt; eine zuverlässige Textausgabe wurde 1889 erstmals von Ferdinand Tönnies erstellt. Tönnies, der Begründer der deutschen Hobbes-Forschung, hat auch die deutsche Übersetzung unter dem Titel Naturrecht und allgemeines Staatsrecht in den Anfangsgründen veranlasst und zur Veröffentlichung überarbeitet. Der Erstdruck von 1642 trägt den Titel Elementorum Philosophiae Sectio tertia de cive; in der Elzevir-Ausgabe wurde aus verlegerischen Gründen der Hinweis auf den dritten Teil entfernt; der Titel lautete nunmehr Elementa philosophica de Cive. Unter dem Titel Philosophical Rudiments ist 1651 eine englische Übersetzung erschienen; die lateinische Version findet sich in OL II, S. 133 – 432, die englische in EW 11, S. 1 – 319. Textkritische Ausgaben sowohl der lateinischen als auch der englischen Fassung sind 1983 von Howard Warrender in der Clarendon-Edition der Hobbesschen Werke erschienen. Da Hobbes auf den ikonographischen Aufbau der Titelkupfer stets großen Einfluss genommen hat, zeigt sich in der gegenüber
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dem Titelblatt von De cive vorgenommenen Veränderung auch die – stenogrammartig zusammengefasste – Modifikation der Theorie. In der Literatur ist fast ausschließlich auf den berühmten Titelkupfer des Leviathan abgehoben worden (vgl. Reinhard Brandt, »Das Titelblatt des Leviathan und Goyas El Gigante«, in: Bermbach/Kodalle 1982, S. 201 – 231); ein systematischer Vergleich der Titelkupfer von De cive und Leviathan findet sich bei Bredekamp 1999, S. 144ff. Aubrey 1984 (1949), S. 13. Dazu Metzger 1991, S. 97 ff. Vgl. Goldie 1985, S. 305ff., sowie Coltman 1986, S. 31 – 146. Auf die vielfältigen Bezüge und Nähen zwischen Hobbes und Platon hat vor allem Leo Strauss hingewiesen, 1965 (1936), passim, insbes. S. 146ff., 154ff. Platon, Politeia, II, 268 c-d. Dazu ausführlich Bredekamp 1999, S. 12 – 31. Einer der wenigen, der einer genauen Beschreibung des Titelkupfers für die Interpretation der Hobbesschen Theorie größere Bedeutung beigemessen hat, ist Carl Schmitt 1938, S. 25ff. Carl Schmitt, »Die vollendete Reformation«; in: Der Staat Nr. 4, 1965; zu Verbergen und Täuschen vgl. auch Münkler, Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison, Frankfurt/M. 1987, S. 306ff. Dazu eingehend Jürgen Ebach: Leviathan und Behemoth, Paderborn 1984. Schmitt 1938, S. 122. So etwa Politeia, III, 414 b – 415 c, S. 204ff. Hobbes soll auf diesen Titel repliziert haben: »His Lordship has catched nothing.« Aubrey 1984 (1949), S.8) hat diese Vorwürfe aufgenommen, als er festhielt: »Er schrieb und veröffentlichte den Leviathan ohne jede Absicht, seiner Majestät zu schaden oder Oliver zu schmeicheln (der erst drei oder vier Jahre später Protektor wurde), aber mit dem Zweck, seine Rückkehr zu erleichtern; denn es ist kaum eine Seite darin, wo er ihm nicht Vorwürfe macht.« Dazu ausführlich Herfried Münkler, »Moses, David und Ahab. Biblische Gestalten in der politischen Theorie der frühen Neuzeit«, in: Bibel und Literatur, hrsg. von Jürgen Ebach und Richard Faber, München 1995, S. 113 – 136.
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42 Der 1655 vorgelegten lateinischen Version von De corpore folgte im darauffolgenden Jahr eine erweiterte und veränderte englische Fassung unter dem Titel Elements of Philosophy. The First Section Concerning Body. Die lateinische Version ist verfügbar in OL I, 1 – 143, die englische Version in EW I, 1 – 532. Die 1658 veröffentlichte Elementorum Philosophiae Sectio Secunda De Homine fand deutlich weniger Resonanz als die beiden anderen Teile der Elementa. Demgemäß hat Hobbes auch keine englische Übersetzung vorgenommen. Die lateinische Version ist greifbar in OL II, 1 – 132. 43 Aubrey 1984 (1949), S. 12. 44 Offensichtlich haben sich einige über Hobbes’ Furchtsamkeit lustig gemacht. Aubrey (ebd., S. 13) berichtet, es sei das Gerücht umgegangen, Hobbes habe Angst, »nachts allein in seinem Zimmer zu liegen«. Aubrey weist diesen Verdacht zurück: »Ich habe ihn oft sagen hören, daß er sich nicht vor Gespenstern fürchtete, aber er fürchtete, einen Schlag auf den Kopf zu kriegen für fünf oder zehn Pfund, die Diebe in seinem Zimmer vermuten mochten.« 45 Ebd. 46 Die Schrift, die enthalten ist in EW VI, 161 – 418, ist von Ferdinand Tönnies 1889 erstmals als separate Ausgabe veröffentlicht worden; ein Nachdruck dieser Ausgabe mit einer neuen Einleitung von M.M. Goldsmith ist 1969 in London erschienen. 47 Hobbes’ bereits angesprochene Rückbesinnung auf die politischen Theorien der Antike zeigt sich auch in der Beschreibung des Revolutionsverlaufs als Kreislauf der Verfassungsformen, eine an Polybios orientierte Überlegung, die in der frühen Neuzeit vor allem von Machiavelli aufgegriffen worden ist; vgl. dazu Heinrich Ryffel, Metabol`e Polition. Der Wandel der Staatsverfassungen, Bern 1949 sowie Herfried Münkler, Machiavelli, Frankfurt/M. 1982, S. 374ff. 48 Der Dialogue ist enthalten in EW VI, 1 – 160, außerdem ist er in einer von Joseph Cropsey herausgegebenen und eingeleiteten Separatausgaben verfügbar. 49 Aubrey 1984 (1949), S. 13. 50 Vgl. hierzu insbes. Lawrence Stone, Ursachen der englischen Revolution 1529 – 1642, Frankfurt/M. u. a. 1983; zum Revolutionsverlauf selbst Hans-Christoph Schröder, Die Revolutionen Englands im 17. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1980 sowie Perez Zagorin, The Court and the Country, London 1969.
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51 Vgl. hierzu die Arbeit von Pocock, The Ancient Constitution and the Feudal Law. A Study of English Historical Thought in the Seventeenth Century, Cambridge 1957. 52 Es war in Mode gekommen, dass die bei Hofe verkehrenden Kavaliere lange Haare trugen, weswegen sie allgemein als Longheads bezeichnet wurden. Dagegen war es in den Armeen des Parlaments, insbes. in der New Model Army, üblich, die Haare kurz schneiden zu lassen, weswegen diese Soldaten auch Roundheads genannt wurden. 53 Die Hobbessche Kritik an Aristoteles ist jetzt zusammenfassend behandelt bei Wolfers 1991. 54 Vgl. hierzu und zum folgenden Olof Gigon, Gegenwärtigkeit und Utopie. Eine Interpretation von Platons »Staat«, Zürich u. München 1976, S. 34ff. 55 Günther Bien (Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles, Freiburg/Br. und München 1973, S. 280ff.) hat die Differenz zwischen der platonischen und der aristotelischen Bestimmung der Gerechtigkeit dahingehend zusammengefasst, dass sich für Platon Gerechtigkeit darin zeige, wenn »jeder das Seinige tut und leistet, nicht aber – wie nach Aristoteles (1132 b 17) –, daß jeder das Seinige hat und bekommt«. 56 So hatte Hobbes bereits in den Elements gegen die aristotelische Unterscheidung zwischen der kommutativen und der distributiven Gerechtigkeit eingewandt: »Diese Unterscheidung ist nicht wohl getroffen, da das Unrecht, welches die Ungerechtigkeit im Handeln ist, nicht in dem Mißverhältnis der ausgetauschten oder verteilten Dinge besteht, sondern in der Ungleichheit, welche einige Menschen (gegen Natur und Vernunft) sich über ihre Mitmenschen anmaßen.« (S. 109) 57 Dies bestätigt Macphersons These, wonach der Hobbesschen Theorie ein possessive individualism zugrundeliege, in dem sich der Einfluss des aufsteigenden Kapitalismus reflektiere. Macpherson selbst freilich hat bei der Entwicklung seiner Thesen der Hobbesschen Kritik an der klassischen politischen Philosophie keine Aufmerksamkeit geschenkt. 58 Vgl. hierzu die ideengeschichtlichen Beiträge in dem Band Konzeptionen der Gerechtigkeit, hrsg. von Herfried Münkler und Marcus Llanque, Baden-Baden 1999. 59 Diese Bestimmung findet sich auch in Platons Politeia, und zwar
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am Ende der ersten Gesprächsrunde zwischen Thrasymachos und Sokrates (338 c-d); vgl. Gigon, Gegenwärtigkeit und Utopie [Anm. 54], S. 52. Ganz ähnliche, zum Teil bis in den Wortlaut identische Überlegungen finden sich bereits in den Elements (XVII; 113f.) sowie in De cive (I, 3; 105). Hobbes bleibt in dieser Frage ambivalent. So schreibt er zur Frage des Eigentums an den Kindern: »Deshalb wird im Naturzustand jede Frau, welche ein Kind gebärt, zugleich Mutter und Eigentümerin desselben. Wenn aber andere meinen, daß in diesem Falle nicht die Mutter, sondern der Überlegenheit des Geschlechts wegen der Vater der Eigentümer werde, so ist dies unbegründet. Die Vernunft erweist vielmehr das Gegenteil: denn die Ungleichheit der natürlichen Kräfte ist nicht so groß, daß der Mann ohne Krieg die Gewalt über die Frau erlangen könnte. [. . .] Das ursprüngliche Eigentumsrecht über die Kinder gebührt daher der Mutter; und bei den Menschen ebenso wie bei den übrigen lebenden Geschöpfen folgt das Erzeugte der Erzeugerin« (Civ., 167). Aber dies gilt nur für den Natur-, nicht für den Gesellschaftszustand: »Dagegen gehören im Staate, wenn ein Übereinkommen zwischen Mann und Frau im bezug auf das Zusammenleben besteht, die Kinder dem Vater; weil in allen Staaten, die ja von den Vätern, nicht von den Müttern begründet worden sind, das häusliche Regiment dem Manne gebührt; ein solches Übereinkommen heißt, wenn es nach den bürgerlichen Gesetzen vollzogen wird, die Ehe« (Civ., 168). Die jüngere sozialphilosophische und politiktheoretische Diskussion nähert sich wieder der aristotelischen Sichtweise, wenn etwa die geforderte Trennung von Fakten und Werten zurückgewiesen und auf deren Einheit bestanden wird, so etwa Melvin Richter (Hg.), Political Theory and Political Education, Princeton 1980, S. 4. Richter resümiert dabei u. a. die Auffassungen von Charles Taylor, Allan Bloom, John G.A. Pocock, Michael Walzer und Sheldon Wolin. In den Elements hat Hobbes knapp bemerkt: »Sie [die Tiere] entbehren der Sprache und können daher einander nicht aufreizen zu Tumult und Zwietracht; die Menschen aber wohl« (128). Im Leviathan werden die Akzente etwas anders gesetzt, wenn Hobbes von der Sprache sagt, durch sie verstünden einige Menschen es,
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»anderen gut als böse und böse als gut hinzustellen und die offensichtliche Größe eines Guts oder Übels zu vergrößern oder zu verringern« (133). Dazu Moses Finley, Das politische Leben in der antiken Welt, München 1986, S. 21f. Die rhetorisch-sprachphilosophische Seite des Humanismus wird vor allem betont von Ernesto Grassi und seinen Schülern; vgl. als Überblick Grassi, Einführung in philosophische Probleme des Humanismus, Darmstadt 1986. Die Nähen und Differenzen zwischen Justus Lipsius und Thomas Hobbes zu untersuchen, ist nach wie vor ein Desiderat der Forschung. Zu Lipsius’ politischer Theorie vgl. Gerhard Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547 – 1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung, Göttingen 1990. Elements, 1. Teil, Kap. V, 50 – 55; De Homine, 10. Kap., 14 – 20; Leviathan, 1. Buch, 4. Kap., 24 – 31. Thukydides, Geschichte des Peloponnesischen Krieges, Ill, 82, dt. von Georg Peter Landmann, Zürich und München 1976, S. 250. Schmitts Formel lautet: »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.« (Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, Berlin 1985, S. 11) Zu Hobbes’ Sozialanthropologie vgl. Ottmann 1992, S. 68ff., sowie Weiß 1980, S.77 – 133; zur für Hobbes’ Theorie grundlegenden Kategorie des Interesses vgl. Neuendorff 1973, S. 32 – 72. Hobbes hat hier die Ausgangsüberlegung des 1. Buchs von Platons Politeia aufgegriffen und modifiziert. Dort wird im Zusammenhang mit dem Mythos vom Aufstieg des Hirtenjungen Gyges zum König von Lydien mit Hilfe eines unsichtbar machenden Rings Sokrates mit der Idee konfrontiert, das schlechteste Leben führe der, der tatsächlich gerecht sei, aber im Rufe stehe, ungerecht zu sein, während derjenige, der wirklich ungerecht sei, aber allenthalben als gerecht erscheine, das beste Leben führe. Im Prinzip gehen sämtliche als individualistisch zu bezeichnenden Ansätze der neueren Vertragstheorien ebenfalls von dieser Unterstellung aus, ebenso wie die verschiedenen Theorien des rational choice. Die kritische Auseinandersetzung mit Hobbes’ methodischem Individualismus und seinen Implikationen entbehrt insofern nicht der Aktualität.
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73 Albert O. Hirschman hat in Leidenschaften und Interessen. Politische Begründungen des Kapitalismus vor seinem Sieg, Frankfurt/ M. 1980 gezeigt, wie mit Hilfe der Begründung des politisch-ökonomischen Denkens auf der Kategorie des Interesses die mittelalterliche Morallehre, in deren Mittelpunkt die Vereitelung von Habgier und Ehrsucht stand, zunehmend zurückgedrängt werden konnte (zu Hobbes S. 19ff.). Die Staatsraisontheorie, mit deren Hilfe seit Ausgang des 16. Jahrhunderts die inneren und äußeren Verhältnisse der Staaten »rationalisiert« wurden, folgte einem vergleichbaren Konzept des Interessenreduktionismus, vgl. Münkler, Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/M. 1987, S. 270ff. 74 Zu Hobbes’ Abwendung von der praktischen Philosophie und deren Folgen vgl. Wilhelm Hennis, Politik und praktische Philosophie. Schriften zur Politischen Theorie, Stuttgart 1981, S. 42ff. 75 Ernst Vollrath hat in seiner Grundlegung einer philosophischen Theorie des Politischen (Würzburg 1987, insbes. S. 298ff.) Optionalität als das Grundelement des Politischen vorgestellt. Von hier aus ist Hobbes’ interessenreduktionistisches Verfahren als eine Strategie der Entpolitisierung zu begreifen. Es zielt darauf ab, Optionalität beim Souverän zu konzentrieren und ihn so zum Monopolisten des Politischen zu machen. Optionalität heißt hier Entscheidung zur Entscheidung als Bedingung der Möglichkeit von Freiheit, die dort nicht wirklich besteht, wo Entscheidungen bloß Exekutionen des Nutzenkalküls sind. In diesem Sinne knüpfen Vollraths Überlegungen an die Traditionen der praktischen Philosophie an. 76 In der Literatur zu Hobbes werden zumeist nur Markt und Souverän als die Institutionen genannt, welche die rationale Interessenorientierung der Menschen gewährleisten: Der Markt, insofern er die interessenreduzierten Individuen gesellschaftlich vermittelt, der Souverän, insofern er gewährleistet, daß sich die einzelnen Marktteilnehmer an die Regeln des Marktes halten (vgl. Steinvorth 1981, S. 24f.). Ein Blick auf den späten Hobbes zeigt jedoch, dass unter dem Eindruck einer nochmaligen Analyse der Bürgerkriegsereignisse sein ursprüngliches Vertrauen in eine mechanistische Problemlösung schwindet und er auf gewisse Elemente der praktischen Philosophie, insbesondere auf den Gedanken der Erziehung, den er im ursprünglichen Interessenreduktionismus glaubte vernachlässigen zu können, zurückgreifen muss.
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77 Im Hintergrund dieser Überlegung steht offenkundig der Wandel der theoretischen Physik, in dem die Vorstellung von dem natürlichen Ort der Ruhe, zu dem alle Gegenstände hinstreben, ersetzt wird durch die Konzeption einer konstanten Gleichförmigkeit, mit der sie sich im Raum bewegen; vgl. hierzu Tuck 1999, S. 68 – 83. 78 Es ist bemerkenswert, wenn Hobbes in De Homine, also nach der Abfassung des Leviathan, in fast aristotelischer Manier Habsucht und Ehrgeiz verurteilt: »Liebe zum Geld wird, wenn sie das Maß überschreitet, zur Habsucht, Liebe zur politischen Macht wird, wenn sie unmäßig ist, Ehrgeiz genannt. Sie verwirren und zerstören den Geist.« (Hom., 34) Offensichtlich sieht Hobbes in Habgier und Ehrgeiz Verhaltensweisen, die sein Konzept der rationalen Nutzenmaximierung stören, insofern sie irrationale Formen der Interessenverfolgung darstellen. 79 Darauf heben vor allem die Hobbes-Interpretationen von Franz Borkenau, Crawford B. Macpherson sowie Iring Fetscher ab; vgl. Fetscher 1976, S. 61ff. 80 Auch diese sozio-ökonomischen Faktoren hat Hobbes in die menschliche Natur eingeschrieben: »Und weil die Verfassung des menschlichen Körpers sich fortwährend ändert, ist es unmöglich, daß alle Dinge in ihm immer die gleichen Neigungen oder Abneigungen verursachen. Noch viel weniger können alle Menschen in dem Verlangen nach ein und demselben Objekt übereinstimmen« (Lev., 40). 81 Die Nähen der Hobbesschen Theorie zu der Epikurs gehen freilich weit über die Beschreibung des Naturzustandes bzw. der Anfänge der Menschheitsgeschichte hinaus, insofern Epikur, wie später dann auch Hobbes, die These von der Vertragsförmigkeit allen Rechts vertritt. So heißt es im Lehrsatz XXXII: »Für all jene Lebewesen, die keine Verträge darüber abzuschließen vermochten, einander nicht zu schädigen und sich nicht schädigen zu lassen, gab es kein Recht oder Unrecht. Genauso verhält es sich auch mit jenen Völkern, die es nicht vermochten oder nicht bereit waren, Verträge darüber abzuschließen, einander nicht zu schädigen und sich nicht schädigen zu lassen.« Und Lehrsatz XXXIII definiert: »Gerechtigkeit ist nicht etwas an und für sich Seiendes, sondern ein im Umgang miteinander an jeweils beliebigen Orten abgeschlossener Vertrag, einander nicht zu schädigen und sich nicht schädigen zu
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lassen« (Epikur, Briefe, Sprüche, Werkfragmente, übers. und hrsg. von Hans-Wolfgang Krautz, Stuttgart 1985, S. 77). Den Begriff des Idealtypus für den Ausnahme- resp. Naturzustand verwendet Nonnenmacher 1989, S. 35ff. Noch im Leviathan hat Hobbes freilich darauf bestanden, dass es sich beim Naturzustand keineswegs um ein bloßes Gedankenkonstrukt handelt, sondern dass dieser durchaus auch historisch veranschaulicht werden kann. »Vielleicht kann man die Ansicht vertreten, daß es eine solche Zeit und einen Kriegszustand wie den beschriebenen niemals gab, und ich glaube, daß er so niemals allgemein auf der ganzen Welt bestand. Aber es gibt viele Gebiete, wo man jetzt noch so lebt. Denn die wilden Völker verschiedener Gebiete Amerikas besitzen überhaupt keine Regierung, ausgenommen die Regierung über kleine Familien, deren Eintracht von der natürlichen Lust abhängt und die bis zum heutigen Tag auf jene tierische Weise leben, die ich oben beschrieben habe. Wie dem auch sei – man kann die Lebensweise, die dort, wo keine allgemeine Gewalt zu fürchten ist, herrschen würde, aus der Lebensweise ersehen, in die solche Menschen, die früher unter einer friedlichen Regierung gelebt hatten, in einem Bürgerkrieg abzusinken pflegen« (Lev., 97). Platon, Politeia, 499 c-d. Man verzeichnet die politische Stoßrichtung der Hobbesschen Theorie sicherlich, würde man unter Bezug auf die Naturzustandskonzeption sozialrevolutionäre Gruppierungen als ihre Hauptgegner ausmachen. Nur die Diggers sind soweit gegangen, die Beseitigung des Privateigentums an Grund und Boden zum Schlüssel ihrer Gesellschaftsreformvorstellungen zu machen, aber sie sind erst im Verlauf der Revolution aufgetaucht und haben auf deren Fortgang keinen nennenswerten Einfluss nehmen können (vgl. Saage, Herrschaft, Toleranz, Widerstand. Studien zur politischen Theorie der Niederländischen und der Englischen Revolution, Frankfurt/M. 1981, S. 225ff., insbes. S. 229). Es sollte jedoch auch nicht übersehen werden, dass in Hobbes’ Naturzustandskonzeption eine antiutopische Pointe enthalten ist, die sich gegen die sozialrevolutionären Perspektiven wendet, wie sie in der Englischen Revolution zutage getreten sind. Thomas Morus, Utopia, übersetzt von G. Ritter, Darmstadt 1979, S.38f.
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87 Geismann/Herb, Einleitung zu Hobbes über die Freiheit (CivLib.), S. 20ff. 88 Eine gewisse Inkonsistenz der Hobbesschen Konzeption des Naturzustands als Bürgerkrieg liegt in der Einbeziehung der Ideologie als eines konfliktverschärfenden Faktors, die sich mehrfach findet. 89 Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt/M. 1966, S. 192. 90 Ebd., S. 193. 91 Der Umstand, dass eine Reihe politischer Theoretiker nach Hobbes an die vorhobbesianische Tradition des Naturzustandes angeknüpft haben, etwa Cumberland (De legibus naturae I, 22), Locke (Second Treatise, passim), Montesquieu (Esprit des lois I, 2) und Pufendorf (De jure naturae et gentium, II, 2 § 9), spricht keineswegs gegen diese Interpretation: Entweder haben sie damit begonnen, immanente Ordnungsprinzipien des Marktes aufzuspüren, oder sie haben die Entwicklungstendenzen zur Marktgesellschaft ignoriert (vgl. Stefan Breuer, Sozialgeschichte des Naturrechts, Opladen 1983, S. 187ff., 326ff.; Nonnenmacher 1989, S. 71ff.). 92 Damit wird auch die von Steinvorth (1981, S. 41) vorgenommene Unterscheidung, wonach Macphersons Interpretation durch Kap. 13 des Leviathan gedeckt sei, während Kap. 17, das den Konflikt aus Vernunft und Sprache herleite, über eine sozio-ökonomische Interpretation hinausführe, hinfällig. 93 Platon, Politeia II, 372 eff., 138ff. 94 Ebd. 372 d-e, 140; vgl. hierzu Ulrike Kleemeier, Stationen einer philosophischen Theorie des Krieges. Platon, Hobbes, Clausewitz, unveröff. Habil.-Schrift, Münster 2001. 95 Eine Zusammenstellung antiker und mittelalterlicher Textstellen mit Vertragsmotiven findet sich in dem von Alfred Voigt herausgegebenen Band Der Herrschaftsvertrag, Neuwied 1965, S. 37 – 81. Die Zusammenstellung leidet freilich darunter, dass in ihr nicht exakt zwischen Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag unterschieden wird. 96 Cicero, De re publica I, 25, § 39. 97 Hobbes hat diese Passagen fast wörtlich in De cive (94) wiederholt, wobei er nunmehr die Verpflichtungswirkung des in Furcht Versprochenen auf dem Erhalt einer Gegenleistung, also unter Rekurs auf die Tauschgerechtigkeit, begründet.
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98 In De cive (147f.) hatte Hobbes durch den Gebrauch des Indikativs dagegen den Vertrag stärker in die Nähe eines tatsächlich stattgehabten Abschlusses gerückt. 99 So auch Leo Strauss 1965 (1936), S. 72; ebenso Fetscher 1976, S.42. 100 Während Hobbes im Leviathan nur noch zwischen dem »Staat durch Einsetzung« (by institution) und dem »Staat durch Aneignung« (by acquisition) unterscheidet (Lev., 135), kennt er in den Elements daneben (Hobbes spricht in El., 150 von »freiwilliger Unterwerfung« und »Ergebung in Zwang«) noch als eigenständige Herrschaftsgenese das patrimoniale Königtum, von dem es heißt: »Wenn nun diese Familie durch die Vermehrung der Kinder (erzeugter oder adoptierter) oder durch die Vermehrung der Leibeigenen (entweder durch Fortpflanzung, Eroberung oder freiwillige Unterwerfung) wächst und so groß und zahlreich wird, daß sie, aller Wahrscheinlichkeit nach, imstande ist, sich selbst zu schützen, so nennt man diese Familie ein patrimoniales Königtum oder eine Monarchie durch Erwerb« (El., 157). Eine ähnliche Überlegung findet sich auch in De cive: »Der Familienvater, seine Kinder und seine Sklaven werden durch die väterliche Herrschaft zu einer bürgerlichen Person geeint, welche die Familie heißt. Ist diese durch Vermehrung der Nachkommenschaft und Erwerb von Sklaven so zahlreich geworden, daß sie ohne das Wagstück des Krieges nicht unterjocht werden kann, so heißt sie ein patrimoniales Königtum« (Civ., 171). Später hat Hobbes die hier noch in Eroberung und Wachstum differenzierten Typen von Herrschaft in einem einzigen, dem »Staat durch Aneignung«, zusammengefasst. 101 »Wenn mehrere in der Absicht der Errichtung eines Staates zusammentreten, so entsteht beinahe schon durch dieses Zusammenkommen eine Demokratie. Denn indem sie freiwillig zusammentreten, gelten sie als an das gebunden, was durch Übereinstimmung der Mehrheit beschlossen wird« (Civ., 151). Die Verträge, welche die Bürger hierbei untereinander schließen, konstituieren den body politic durch wechselseitige Verpflichtung auf das Mehrheitsprinzip. Die Vertragsformel, die Hobbes als demokratiekonstitutiv einführt, ist der den Souverän einsetzenden Formel im Leviathan überraschend ähnlich, und sie lautet: »Ich übertrage dir zuliebe mein Recht auf das Volk unter der Bedingung,
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daß du das deine mir zuliebe ebenfalls auf das Volk überträgst« (Civ., 153). So heißt es über die Aristokratie: »Eine Aristokratie oder die Versammlung der Vornehmsten, welche die höchste Staatsgewalt innehat, nimmt ihren Ursprung von einer Demokratie, die ihre Rechte auf jene überträgt« (Civ., 153). Und anschließend von der Monarchie: »Eine Monarchie leitet sich ebenso wie eine Aristokratie aus der Gewalt des Volkes ab, das sein Recht, d. h. die höchste Gewalt, auf einen Menschen überträgt« (Civ., 154). Hobbes ist hier noch eng an der antiken Vorstellung von der Sukzession der Verfassungsformen orientiert, die er in Rechtsformeln überführt. Unübersehbar folgt Hobbes hier jenen Überlegungen, die Aristoteles in der Politik hinsichtlich des Wandels der Verfassungsformen angestellt hat; während jedoch in Aristoteles’ politischsoziologischer Analyse der Wandel auch in umgekehrter Richtung erfolgen kann, hat Hobbes ihn – als rechtliche Transformation – auf einen einsinnigen Entwicklungsgang fixieren wollen. Dabei sind die Argumente der Bequemlichkeit und der Utilitätserwägung jedoch zu schwach, um derart weitreichende Festlegungen befriedigend legitimieren zu können. Aus Kontingentem will Hobbes irreversible Konsequenzen gezogen wissen! Diese Variante der kontraktualistischen Theorie ist dann von Rousseau ausgearbeitet worden, während John Locke, wie Hobbes dies im Leviathan getan hat, an der Konstruktion eines einzigen Vertrages festhält, durch den der body politic konstituiert wird. Zu Locke vgl. Walter Euchner, Naturrecht und Politik bei John Locke, Frankfurt/M. 1969, S. 195ff., zu Rousseau vgl. Fetscher, Rousseaus politische Philosophie. Zur Geschichte des demokratischen Freiheitsbegriffs, Frankfurt/M. 31975, S. 151ff. Zur Geschichte des Kontraktualismus im Anschluss an Hobbes bis zu den jüngsten Debatten in Sozialphilosophie und Politiktheorie vgl. Wolfgang Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrags, Darmstadt 1999. Auch wenn Hobbes selbst die Demokratie formaliter aus einem Herrschafts- und nicht einem Gesellschaftsvertrag hervorgehen lässt, insofern Gegenstand der Vertragsformel Herrschaft und nicht Gesellung ist, ist dieser Vertrag doch materialiter ein Gesellschaftsvertrag, indem er die Bedingungen festlegt, unter denen
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die aggregierten Einzelnen hinfort als Gemeinschaft zusammenleben wollen. Tatsächlich gilt hier, was Hobbes in der spezifischen Konstruktion des Leviathan zu wiederholen versucht hat: die Einheit von Herrschafts- und Gesellschaftsvertrag. Dazu Münkler, »Moses, David und Ahab«, in: Bibel und Literatur, hrsg. von Jürgen Ebach und Richard Faber, München 1995, S.113 – 136. In die Fragen politischer Theologie bei Hobbes und Schmitt einführend sind die Beiträge von Jacob Taubes, Ernst-Wolfgang Böckenförde und Hermann Lübbe in dem Band Der Fürst dieser Welt. Carl Schmitt und die Folgen (= Religionstheorie und Politische Theologie, Bd. 1), hrsg. von Jacob Taubes, München u. a. 1983, sowie zuletzt Jan Assmann, Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa, München/Wien 2000. Vgl. Herbert Grabes, »Elect Nation. Der Fundierungsmythos englischer Identität in der Frühen Neuzeit«; in: Mythos und Nation. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, Bd. 3, hrsg. von Helmut Berding, Frankfurt/M. 1996, S. 84 – 103. Hier taucht zugleich die Frage auf, ob der Vertrag tatsächlich von einem Jeden mit Jedem geschlossen wird oder ob bloß die Familienväter, die patres familiae, für ihren Sozialverband als Vertragsschließende auftreten. Die Formulierung, dass sie und nur sie bei Vertragsabschluss die absolute Gewalt über Leben und Tod der Kinder abtreten, scheint letzteres nahezulegen. Nun könnte freilich die Hobbessche Formulierung auch bloß bedeuten, dass bei Vertragsschluss sie – im Unterschied zu allen anderen Vertragsschließenden, die nicht Familienoberhäupter sind – dieses Recht zusätzlich abtreten. Das hieße dann, dass im Naturzustand wohl jeder die Möglichkeit hat, jeden zu töten, aber nur einige haben das Recht dazu, was zur Folge hat, dass die von Hobbes modelltheoretisch behauptete Egalität der Vertragsschließenden gar nicht gegeben ist. Die Forschungsliteratur zu Luthers politischen Auffassungen ist inzwischen kaum noch zu überschauen; als knappe Zusammenfassung vgl. Herfried Münkler, »Politisches Denken in der Zeit der Reformation«; in: Pipers Handbuch der Politischen Ideen, hrsg. von I. Fetscher und H. Münkler, Bd. 2, München 1993, S. 635ff.
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112 So verweist Hobbes darauf, dass die Festlegung des Glaubensbekenntnisses auf dem Konzil von Nicäa eher politischen als theologischen Vorgaben folgte: »Der Kaiser bestand nämlich auf diesem Glaubensbekenntnis nicht, weil es ihm um die Wahrheit der Lehre ging, sondern um die Wahrung des Friedens, insbesondere unter seinen christlichen Soldaten, denn durch deren geschlossene Tapferkeit hatte er sein Reich gewonnen und allein durch sie konnte er es bewahren« (Dial., 143). Zur Unterscheidung von faith und confession vgl. Civ., 313f. u. 318. 113 Selbst Ketzerei ist für Hobbes »eine persönliche Überzeugung« (Dial., 145) und kein Vergehen, bei dem die souveräne Gewalt tätig werden müsste. 114 Die Formel findet sich auch in El., 170ff., sowie in Civ., 316. 115 Dazu ausführlich Mintz 1962. 116 Harrington, Works, ND 1963, S. 241; zit. nach Willms 1987, S.218. 117 Vgl. hierzu Reinhard Brandt, Eigentumstheorien von Grotius bis Kant, Stuttgart-Bad Cannstatt 1974, S. 69ff., sowie Manfred Brocker, Arbeit und Eigentum. Der Paradigmenwechsel in der neuzeitlichen Eigentumstheorie, Darmstadt 1992, S. 98ff. und 127ff. 118 Dazu ausführlich Horst Dreitzel, »Hobbes-Rezeptionen. Zur politischen Philosophie der frühen Aufklärung«; in: Jahrbuch Politisches Denken 2001, Stuttgart 2001, S. 134 – 174. 119 Willms 1987, S. 256. 120 So etwa Trutz von Trotha, »Formen des Krieges«, in: Ordnungen der Gewalt, hrsg. von Neckel/Schwab-Trapp, Opladen 1999, S.71 – 95. 121 Paeschke (1989, S. 76ff., 116ff.) hat diesbezüglich zwischen staatstheoretischen und gesellschaftstheoretischen Interpretationen der Hobbesschen Theorie unterschieden; begrifflich ist diese Differenzierung insofern problematisch, als Hobbes die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft nicht gekannt und in der Spezifik seiner Vertragskonstruktion implizit sogar abgelehnt hat. Kersting (1992, S. 187ff.) hat der Sache nach diese Unterscheidung übernommen, sie jedoch vorsichtiger als ›schwarze‹ und ›weiße‹ Hobbes-Rezeption bezeichnet. 122 Vgl. Nonnenmacher 1989, S. 31, mit Literaturhinweisen. 123 So u. a. Fritz Scharpf »Die Handlungsfähigkeit des Staates am
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Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts«, in: Staat und Demokratie in Europa. 18. Wiss. Kongreß der DVPW, Opladen 1992, S.93ff. 124 John Rawls, A Theory of Justice, Harvard 1971, dt. Frankfurt/ M. 1975; James M. Buchanan, The Limits of Liberty. Between Anarchy and Leviathan, Chicago/London 1975, dt. Tübingen 1984; Robert Nozick, Anarchy, State, and Utopia, Oxford 1974, dt. München 1978. 125 Zusammenfassend dazu Herfried Münkler, »Politische Tugend. Bedarf die Demokratie einer sozio-moralischen Grundlegung?«, in: Die Chancen der Freiheit. Festschrift für Iring Fetscher, München 1992, S. 25ff.
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Literatur
A. Erstveröffentlichungen der Werke Hobbes’ in chronologischer Reihenfolge (1629)
(1637) (1641) (1642) (1644) (1647) (1650) (1650) (1650)
(1651) (1651) (1655)
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(1656) (1656) (1657)
(1658) (1658)
(1660) (1661) (1662) (1662) (1666) (1668)
(1669) (1671) (1672) (1674) (1678) (1679)
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(1680) (1681) (1682)
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(1682) (1682) (1688)
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Zeittafel
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Thomas Hobbes wird am 5. April in Westport bei Malmesbury in der Grafschaft Wiltshire geboren. Sein Vater ist ein wenig gebildeter Landgeistlicher, die Mutter entstammt einer Bauernfamilie. Anfang August siegt die englische Flotte über die spanische Armada, was von vielen Protestanten als Zeichen für die Gotterwähltheit der englischen Nation verstanden wird. 1596 Nach Besuch der Elementarschule in Westport wechselt Hobbes auf die Schule nach Malmesbury, wo er Unterricht in den klassischen Sprachen erhält, die er schließlich vorzüglich beherrscht. Die Sorge für die Ausbildung hat nach der im Gefolge einer Schlägerei mit einem Amtsbruder erfolgten Flucht des Vaters ein Onkel, Francis Hobbes, Handschuhmacher in Malmesbury, übernommen. 1603 Hobbes nimmt das Studium in Oxford auf. Magdalen Hall, das College, in das er eintritt, ist stark puritanisch geprägt. Das Studium ist an der Logik und der Physik des Aristoteles orientiert. 1607/08 Hobbes schließt das Studium mit dem Grad eines Baccalaureus Artium ab. Er tritt in den Dienst von Sir William Cavendish (ab 1618 1. Earl of Devonshire) und wird Tutor und später Privatsekretär von dessen mit Hobbes etwa gleichaltrigem Sohn, des späteren 2. Earl of Devonshire. Hobbes bleibt der Familie Cavendish ein Leben lang verbunden. 1610 Hobbes begleitet seinen Schüler auf der für junge Adlige
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obligaten Bildungsreise auf den Kontinent (»Grand Tour«); die Reise dauert drei Jahre (oder länger) und führt Hobbes nach Frankreich und Italien. Nach seiner Rückkehr verbleibt Hobbes im Haushalt der Cavendishs, betreibt intensiv humanistische Studien und lernt hier Edward Lord Herbert of Cherbury, dessen Hauptwerk De veritate (1624) von Hobbes hochgeschätzt wird, und Francis Bacon kennen, dem Hobbes womöglich – die Frage kann quellenmäßig nicht eindeutig beantwortet werden – als Sekretär und bei der Übersetzung seiner Essays ins Lateinische assistiert hat. Hobbes beendet seine Übersetzung des Thukydides, die im darauffolgenden Jahr unter dem Titel The History of the Grecian War by Thucydides erscheint. In diesem Jahr tritt Hobbes die Stelle als Erzieher des Sohnes von Sir Gervase Clifton, eines schottischen Adligen, an und begibt sich mit diesem zum zweitenmal auf die »Grand Tour«, die sich diesmal freilich, von einem Aufenthalt in Genf abgesehen, auf einen längeren Parisaufenthalt beschränkt. Hobbes lernt hier Euklids Elementa kennen, die ihm, seiner eigenen Darstellung zufolge, eine neue wissenschaftliche Methode eröffnen und zum Wendepunkt seines Denkens werden. Hobbes, inzwischen wieder in Diensten der Cavendishs, bricht mit seinem Zögling William Cavendish, 3. Earl of Devonshire, zu seiner dritten Europareise auf, in deren Verlauf er in Paris Abbe Marin Mersenne, Pierre Gassendi, Samuel Sorbiere und vermutlich auch Rene´ Descartes sowie in Florenz (1636) Galileo Galilei kennenlernt. Im Winter 1636 kehrt er nach London zurück. Thomas Hobbes lässt Abschriften seiner auf Anregung des Earl of Newcastle verfassten Schrift Elements of Law unter den Abgeordneten zirkulieren, um sie in royalistischem Sinne zu beeinflussen; am 5. Mai wird das Kurze Parlament aufgelöst. Nach militärischen Erfolgen der Schotten im Norden Englands kommt es zu einer erneuten Einberufung eines Parlaments, das vom König am 3. November eröffnet wird und als das Lange Parlament in die Geschichte eingeht. Hobbes fühlt sich, als das Parlament die Vertreter der absolutistischen Politik des Königs unter Anklage stellen will, bedroht und flieht nach Frankreich, wo er sich in Paris niederlässt
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und optische Studien betreibt, die von Mersenne teilweise in die Cogitata physico-mathematica (1644) aufgenommen werden. Hobbes’ De Cive erscheint in Paris als Privatdruck, ermöglicht durch die großzügige Unterstützung von Sir Keneth Digby. Thomas Hobbes diskutiert mit Bischof John Bramhall über die Frage der Willensfreiheit. Die weder von Hobbes noch von Bramhall genehmigte spätere Veröffentlichung einer Niederschrift des Streitgesprächs wird zum Ausgangspunkt langer Kontroversen zwischen Hobbes und Bramhall. Hobbes erkrankt schwer; da man seinen Tod befürchtet, werden ihm die Sterbesakramente verabreicht. Als Folge der Krankheit bleibt eine paralytische Schüttellähmung zurück, die Hobbes fortan zur Beschäftigung eines Schreibers zwingt. In Amsterdam veröffentlicht Elzevir eine erweiterte (endgültige) Fassung von De Cive. Die große Nachfrage macht noch in demselben Jahr eine zweite Auflage erforderlich. Ende des Jahres erscheint der erste Teil der Elements of Law als Raubdruck unter dem Titel Human Nature; ihm folgt zu Beginn des darauffolgenden Jahres der zweite Teil unter dem Titel De Corpore Politico. Hobbes arbeitet am Leviathan, von dem er bis Jahresende die ersten 37 Kapitel fertiggestellt hat. Aus einem Diskussionszirkel mit den Dichtern Abraham Cowley, William Davenant und Edmund Waller heraus entsteht Hobbes’ Answer to Davenant’s Preface before ›Gondibert‹, in der Hobbes die Grundzüge einer Poetik entwirft, die an seinen philosophischen Prinzipien orientiert ist. In London werden eine englische Übersetzung von De Cive und der Leviathan veröffentlicht. Karl II., von Cromwell erneut besiegt, verlässt England und kehrt nach Paris zurück. Hobbes, dem eine Audienz bei seinem früheren Schüler verweigert wird, sieht sich am Exilhof zunehmend isoliert; er wird des Atheismus und des Verrats bezichtigt; sein alter Kontrahent Edward Hyde betreibt seine Verbannung vom Hof. Unter diesen Umständen entschließt sich Hobbes zur Rückkehr nach England und unterwirft sich dem Staats-
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rat der Republik. Nach zeitweiligem Aufenthalt in London folgt er einer Einladung des Earl of Devonshire nach Derbyshire, wo er, von regelmäßigen Aufenthalten in London unterbrochen, den Rest seines Lebens verbringt. Hobbes unterhält freundschaftliche Kontakte mit William Harvey, John Selden und Abraham Cowley. Zugleich beginnt eine sich über Jahre hinziehende Kontroverse um den Leviathan, von Robert Filmers Observations [. . .] upon Mr. Hobs’s his Leviathan (1652) über Alexander Ross’ Leviathan drown out with a hook (1653) bis zu John Bramhalls The Catching of the Leviathan (1658). Hobbes tritt für eine Reform der Universitäten ein und fordert deren Säkularisierung. Hobbes veröffentlicht den ersten Teil seiner Elementa philosophiae, die Schrift De corpore, zu der er seit 1638 Vorstudien unternommen hat. Beginn der Kontroverse mit dem Mathematiker Johan Wallis über mathematische Grundprobleme und Fortsetzung der Kontroverse mit Bischof Bramhall über die Willensfreiheit. Hobbes veröffentlicht die Schrift De Homine, den zweiten Teil seiner Elementa philosophiae, die nun vollständig vorliegen. Derweilen geht die Kontroverse um Hobbes’ mathematische Fähigkeiten und theologische Aussagen mit der Publikation neuerlicher Pamphlete weiter. Hobbes wird im Parlament des Atheismus bezichtigt und fürchtet, als Häretiker verurteilt zu werden. Er vernichtet einen Teil seiner Papiere. Das Verfahren wird jedoch niedergeschlagen. Hobbes arbeitet an der Schrift A Dialogue between a Philosopher and a Student of the Common Laws of England, der jedoch unvollendet bleibt und erst posthum (1681) veröffentlicht wird, ebenso wie An Historical Narration Concerning Heresy (1680). Hobbes schließt seine Behemoth or The Long Parliament betitelte Darstellung und Analyse des Bürgerkriegs ab, erhält dafür vom König aber keine Druckerlaubnis. In Amsterdam erscheint eine Ausgabe der lateinischen Schriften von Hobbes, die Opera philosophica quae latine scripsit omnia, die auch eine lateinische, in einigen Punkten geänderte und erweiterte Fassung des Leviathan enthalten.
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Spinoza veröffentlicht den Tractatus theologico-politicus, der unverkennbar durch Hobbes beeinflusst ist. In einem Brief an Hobbes bekennt sich der junge Leibniz zu dem von vielen Seiten attackierten Philosophen. Hobbes verfasst eine Autobiographie in lateinischen Versen, die Vita carmine expressa, die jedoch erst posthum (1680) veröffentlicht wird. Samuel Freiherr von Pufendorfs voluminöses Naturrechtskompendium De jure naturae et gentium erscheint in Lund; bei aller expliziten Kritik an Hobbes erweist es sich stark durch diesen beeinflusst. Hobbes beginnt mit der Übersetzung Homers; als Frucht dieser Arbeit erscheinen 1675 die Odyssee und 1676 die Ilias. Edward Hyde schließt seine im darauffolgenden Jahr veröffentlichte umfangreiche Kritik an Hobbes’ Leviathan ab. Hobbes stirbt am 4. Dezember und wird in der Gemeindekirche von Hault Hucknall, nahe Hardvich Hall/Derbyshire begraben. Hobbes’ politische Schriften werden von der Universität Oxford verurteilt und öffentlich verbrannt. Jakob II., der seinem Bruder Karl II. 1685 auf den Thron gefolgt war, flieht ins französische Exil, und das Parlament überträgt seinem Schwiegersohn Wilhelm von Oranien (verheiratet mit Jakobs Tochter Maria) die englische Königswürde. Mit der Glorious Revolution ist in England jedwede Form absolutistischer Politik beendet.