Teufelsjagd der Raumschiffe Von Axel Nord
Ein Name beherrschte sie: Sira. Ein Name war es nur, den alle Lichtdruckzeit...
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Teufelsjagd der Raumschiffe Von Axel Nord
Ein Name beherrschte sie: Sira. Ein Name war es nur, den alle Lichtdruckzeitungen und alle Nachrichtensendungen der Television hämmerten: Sira. Es waren vier Monate nach irdischer Zeiteinteilung vergangen, seit die „Hope“ wieder auf Transpluto gelandet war, und zehn Stunden seit der Ankunft der Expeditionsteilnehmer auf der irdischen Außenstation „Luna nova“. Es war im Januar, und Schnee fiel auf Orion-City. Was würde der junge Sirianer sagen, wenn er die große Stadt der Forscher und Raumflieger unter der weichen Hülle der weißen Kristalle aus der Erdatmosphäre sah? Sie warteten auf den Sohn des Sirius. * Doch Generaldirektor Cunningham hatte andere Sorgen. So gewaltig es war, was in den nächsten Stunden geschehen würde – ein Mensch aus einer Welt, die neun Lichtjahre von der Erde entfernt war, sollte Orion-City betreten –, er zerkaute wütend seine kostbare Havanna und verzog übelgelaunt sein Bulldoggengesicht. „Und daran sollen wir uns beteiligen, Sir?“ Vor ihm stand ein TV-Telefon. Auf dem kleinen Quadrat3
schirm war ein eleganter dunkelhaariger Mann zu sehen – es war niemand anders als Herk Bryland, der Sekretär des neugeschaffenen Weltamtes für Astronautik. Cunningham gehörte nicht zu seinen Freunden. „Es ist schon erbärmlich genug, daß Sie uns Uranus einfach so weggenommen haben“, grollte er weiter, und dann in einem unvermittelten Ausbruch: „Wer hat den siebenten Planeten zuerst angeflogen, wer hat ihn vor Vernichtung bewahrt? – S.A.T.-Männer waren es, Sir.“ Der Mann in Tanger wehrte wesentlich freundlicher ab. „Aber ich bitte Sie, Mister Cunningham – das sind doch Tatsachen, die kein vernünftiger Mensch bestreiten wird.“ „Trotzdem …?“ „Der große Run muß kommen!“ * Der große Run ..: Nur wenige Meter von dem Generaldirektor entfernt schlugen mit sanftem Geklapper die eleganten Schreibmaschinen an und beugten sich Sekretärinnen über die Papiere – sie wußten sonst alles. Ab und zu warfen sie einen Blick in den winterlichen Central Park. Der große Run – davon wußten sie noch nicht. Sie zählten die Stunden, die bis zum Eintreffen des „Sternenmenschen“ noch vergehen würden, und malten sich den fremden Gast von einer fernen Sonne aus. Und doch strahlte insgeheim wieder ein magisches Wort aus fernen Tagen auf. Der große Run. Hämmerte sich den Verantwortlichen der vier großen Raum-
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fahrtorganisationen der Erde ein, nicht nur hier in den USA, auch in Paris, in Sydney, in Tokio … Run! Zauberwort der Starken! Unerbittliches Wort! * Der Schnee fiel. Aus der grauen Wolkendecke stieß ein flammendes Phantom herab und jagte gegen die künstlich erwärmte Betonfläche der Landebahn, hob sich noch einmal, kurvte und kam wieder zurück. Raumtaxe 87 landete. Die schnittige Doppelrakete kam von der Außenstation. Sie raste in eine Woge der Begeisterung, wie sie Orion-City seit vielen Jahren nicht mehr erlebt hatte. Die Doppelrakete hatte zwei weite Schleifen um die Erde geflogen, und wie eine großflächige Reliefkarte war die Oberfläche des Planeten an Sira vorbeigeglitten. Er ahnte noch nichts von der geradezu wilden Erregung, die die Nachricht von der Existenz seines sirianischen Volkes unter der Erdenmenschheit ausgelöst hatte. Wie ein Wunder war es doch. Wie die Verwirklichung eines Märchens, das sie alle als kleine Kinder in vielfältigen Varianten gehört hatten, wenn die weiche Dämmerung früher Winterabende sie dafür aufnahmebereit machte: ein Mensch kam aus den Sternen. Und es war eigentlich ganz selbstverständlich, daß ein Teufelskerl wie Jim Parker ihn zur Erde holte. Raumtaxe 87 berührte den glasartigen Kunststoff der Landebahn. Es geschah täglich mehrere Male, daß diese kleinen Flitzer von der Außenstation hier eintrafen. Kein Mensch nahm
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sonst noch Notiz davon. Heute drängten sich Hunderttausende gegen die breiten Schultern der Polizisten, die in Sperrkette standen. Kaum, daß der Generaldirektor durchkommen konnte. Sein dunkelblauer, schwerer Straßenkreuzer schob sich fast zentimeterweise in die Gasse, die zwei Kradfahrer ihm öffneten. Hinter ihm schloß sich dann gleich wieder die wogende Menge, die nicht auf die schneidende Kälte achtete. Auf dem weiten Feld vor ihnen erstarb schlagartig das Getöse der vorderen Bremsdüsen. Verging in einer Stille, die wie ein großes Atemanhalten war, bevor das ovale Hermetikluk ausschwenkte. Sira würde die Erde betreten. Cunningham dachte in diesen Minuten nicht daran, daß die Menschheit einen ihrer großen Augenblicke erlebte – er hielt ein Mikrophon seines Radiotelefons in seiner Rechten und sprach bereits mit Jim Parker. Der Kommodore war über diesen „voreiligen“ Willkommensgruß etwas erstaunt. „Hallo, Boß! Wie geht’s? Es ist ja verdammt nett, daß die Ungeduld Ihres Herzens Sie zu dieser fernmündlichen Begrüßung treibt“, grinste er und sah auf den jungen Siraner, der neben ihm in der Schleuse stand, „aber ich will hoffen, daß Sie uns gleich dabei einen mehrmonatigen Urlaub verkünden.“ „Von einem Urlaub können Sie heute nacht mal träumen.“ „Sie sind zu liebenswürdig, Cunningham! Vielleicht denken Sie, wir sind nur eben mal um den Mond gerutscht und nicht neun kleine nette Lichtjahre von der Erde entfernt gewesen.“ „Es ist nicht meine Schuld, Jim.“ „Verschonen Sie mich noch mit einem neuen Auftrag.“ „Sie müssen nachher gleich nach Tanger rüber.“ „Ich denke nicht daran.“
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„Bryland ist bereits von Ihrem Kommen unterrichtet.“ „Bryland?“ „Sekretär des Weltamtes für Astronautik.“ „Boß, Sie sind ein Menschenschinder!“ * Dann stiegen sie aus. Die Stille lastete noch immer. Für Minuten schwieg der Jubel. Es waren Minuten, in denen sich Welten trafen und die darum bedeutungsvoller waren als manche Jahre im Ablauf der Zeiten. Feierlich war allen zumute, die jetzt auf das Hermetikluk starrten, das langsam ausschwenkte. Von den drei Bühnen aus nahmen die TV-Kameras die Szene auf. Die Millionen, die in allen Kontinenten an den Empfängern saßen, waren nicht abzusehen. Viele von ihnen sahen wohl den Schnee auf Orion-City rieseln und die Winterkleidung der Wartenden, und um sie war es warm und sonnig. Auch auf der Henderson-Hazienda in der Nähe von Valencia in Venezuela. Eva Henderson rauchte ihre Zigarette und beugte sich gespannt vor. Neben ihr wuchtete „Pa“ Henderson seine ganze Gewichtigkeit in einen der tiefen Sessel. Vor den großen Wandfenstern sah man den Garten in seiner ganzen exotischen und kostbaren Pracht terrassenförmig absteigen zur Privatstraße, die den Landsitz des weltbekannten Kaufherrn mit dem Atlantikstrand verband. Ein braunhäutiger Diener ging gerade den Mittelweg zur Straße hinunter und sang vor sich hin. Auf dem Bildschirm aber fiel Schnee.
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Und drei Männer gingen eine breite, angefahrene Treppe herab auf die künstlich erwärmte Landebahn. Den einen kannten Eva und ihr Vater persönlich: die breitschultrige Gestalt des jungen Kommodores, dessen scharfes Gesicht mit den großen Jungenaugen etwas schmaler geworden war. Auch mit dem zweiten hatten sie schon manchen Spaß und manches Glas gekostet: Commander Fritz Wernicke. Aber der dritte – feiner gebaut als die Erdenmenschen, ein gutgeformtes Gesicht unter langem braunem Haar, das auf dem Rücken des grünen Gewandes von einer Schnalle zusammengehalten wurde. Zögernd blieb er auf der Treppe stehen – man spürte förmlich, wie ihm angesichts der fremden Sonnenwelt der Atem stockte. Eva zitterte – so packte sie der Anblick. „Das ist der Sirianer, Pa.“ „Ich sehe.“ „Der arme Mensch! Wie weit seine Heimat jetzt hinter ihm liegt!“ „Oh, bitte – keine Sentimentalitäten.“ Die Zigarette wurde von einer schlanken, aber festen und sogar etwas rissigen Mädchenhand über den gelben Ascher geschwenkt und fallen gelassen. Ganz leise verzischte sie im Wasser. Pa Henderson – P.A. Henderson hieß er wirklich – musterte verstohlen seine Jüngste. Eva war sonst ein toller Bursche. Aber jetzt hingen ihre guten Augen voller Mitgefühl an dem Sirianer. „Er wagt sich nicht weiter.“ „Jim nimmt seinen Arm, und jetzt – damned! – jetzt brüllt die Bande wieder los.“ Brausende Cheers donnerten Sira entgegen. Die Kameras der südamerikanischen TV schwenkten etwas aus. Sie sahen jetzt Siras Gesicht. Deutlich und in Großaufnahme.
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Sahen seine Hilflosigkeit und Ergriffenheit und bemerkten gleichzeitig an ihm etwas sehr Menschliches: er war neugierig … Jetzt ging er weiter. „Eva!“ Pa Henderson berührte ihre Schulter. „Was hast du?“ „Ein hübscher Junge.“ „Na ja …“ * „Freut mich, Kommodore …“ Sekretär Herk Bryland hatte den Empfang des Sirianers auch nur am Fernsehschirm verfolgen können, obwohl es eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre, Sira die Hand zu reichen. Aber Bryland kam in diesen Stunden nicht zur Ruhe. Jim Parker, der in Orion-City nur eine kurze Verschnaufpause eingelegt hatte, sah gleich, daß dieser hohe Beamte nicht viel Schlaf bekam. Sie begrüßten sich. „Sie sind in eine andere Welt vorgestoßen“, sagte Bryland bedächtig und vergaß für Sekunden den Run auf Uranus, „reichen die Sinne und das Gefühlsempfinden des Menschen aus, um ein solches Erlebnis in seiner ganzen Bedeutung erfassen zu können?“ „Nein!“ „Das – Sie sind sehr offen, Kommodore …“ „Mister Bryland, was hinter uns liegt, erscheint uns von der ‚Hope’ wie ein Traum“, sagte Jim ruhig. „Wir sahen eine Welt, in der es wohl ein Oben und ein Unten gab, die sich von der unseren aber so grundlegend unterschied, daß wir sie einfach nicht deuten konnten – wir sahen Zwillingsplaneten, hörten von fliegenden Riesen, erfuhren von einer Kraft, die größer ist als alle Kräfte, die wir mit unseren Apparaten erzeugen, wir –“, er
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unterbrach sich, und eine kurze Handbewegung wischte die versonnene Stimmung weg. „Ich bin eigentlich nicht gekommen, um Ihnen eine solche Schilderung zu geben, Mister Bryland.“ Bryland deutete seine Worte falsch. „Es war mir wirklich nicht möglich, an der Begrüßung teilzunehmen“, erwiderte er etwas betroffen, „die Vorbereitungen für diese große sportliche Jagd durch das Weltall …“ „Generaldirektor Cunningham berichtete mir darüber, Mister Bryland.“ Sie setzten sich an einen flachen, runden Tisch. „Ihr Generaldirektor gehört leider nicht zu den Freunden meines Vorhabens, Kommodore.“ „Rechnen Sie mich bitte auch nicht zu ihnen.“ „Warum nicht?“ Ein Flämmchen tanzte aus Brylands geschlossener Hand hoch und setzte die Zigaretten in Brand. „Weil das, was Sie planen, mit Sport nichts zu tun hat – oder nur sehr wenig …“ Bryland antwortete nicht gleich. Der Rauch der guten Zigarette trieb als weißer Schleier an ihm vorbei. Bryland war für seinen hohen Posten noch erstaunlich jung, kaum einige Jahre über Jim hinaus. Jim wußte, daß er von der europäischen E.F.U. kam und als sehr ehrgeizig galt. Dabei war ihm der Junge nicht einmal unsympathisch, nur schien er reichlich viel Selbstvertrauen zu haben. „Dann hätten Autorennen auch nichts mit Sport gemein.“ „Der Vergleich zieht nicht, Mister Bryland.“ „Entscheidend ist immer die Tat der Ausführenden, nicht die Interessen, die dahinterstecken.“ „Eben – und das ist in diesem Falle das Traurige“, sagte Jim heftig. „Die Situation ist, wie mir sie Generaldirektor Cunningham darstellte, kurz folgende: die Raumschiffe einer Raum-
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fahrtorganisation – daß es das S.A.T. war, ist in diesem Zusammenhang nicht von großer Bedeutung – landeten vor drei Jahren auf Uranus. Die Besatzung setzte sich auf dem Planeten fest und entdeckte große Lager eines kobaltähnlichen Metalls. Nach den Bestimmungen des „Weltbundes der freien Nationen“ dürfen solche Lager nur sechs Monate lang von ihren Entdeckern allein ausgebeutet werden und gehen dann in die Verfügungsgewalt des Weltbundes und seiner Organe über. Das ist geschehen. Praktisch bedeutet das, daß durch diesen etwas dehnbaren Erlaß des Weltbundes der Planet Uranus wieder so einsam und verlassen seine Bahn zieht wie vor der Landung meiner Kameraden – andererseits aber auch, daß nun das Weltamt von sich aus Maßnahmen zum Abbau der wertvollen Funde einleiten muß …“ „Das geschieht bereits …“ „Wieder auf eine höchst anfechtbare Art, Mister Bryland, denn Sie wollen Wild-West-Methoden in den bisher so fair verlaufenen Konkurrenzkampf der vier irdischen Raumfahrtorganisationen einführen …“ „Kommodore, ich muß doch bitten.“ „Ich bin noch nicht fertig.“ Jim drückte seine Zigarette aus. Seine Stimme wurde schärfer. „Wenn ich jetzt in dieser Angelegenheit zu entscheiden hätte, würde ich eine Kommission zum Uranus entsenden, die aus Angehörigen Ihres Amtes, aus neutralen Geologen und Vertretern der vier Raumfahrtorganisationen besteht, um das Fundgebiet gerecht aufzuteilen. Sie aber wollen ein gnadenloses Wettrennen zum Uranus veranstalten – einen Run wie in alten Goldgräberzeiten – Mister Bryland, das geht nicht.“ „Ihre Befürchtungen sind übertrieben, Kommodore.“ „Meinen Sie! Ich kann aber nicht einsehen, warum in die Raumfahrt ein so hartes Ausleseverfahren eingeführt werden
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soll, das noch dazu allen möglichen Zufällen und menschlichen Schwächen Tür und Tor öffnet.“ „Es wundert mich, daß ausgerechnet ein S.A.T.-Vertreter so etwas sagt.“ „Das S.A.T. ist auf ein solches Rennen um die besten Anteile nicht angewiesen“, lächelte der Kommodore und lehnte sich zurück. „Ich will nicht überheblich sein, doch fürchte ich, daß die Raumschiffe unserer Konkurrenten nur auf den Plätzen liegen werden.“ „Warten wir ab.“ „Mister Bryland, noch einmal: ich warne vor einem solchen Rennen.“ Aber Bryland lächelte nur. * Wie gesagt: er war sehr ehrgeizig. Vielleicht wurmte es ihn auch, daß der noch etwas jüngere Jim Parker wieder einmal der Mann für die ganze Menschheit war – jedenfalls beharrte er auf seinem Plan. Und die zuständigen Weltbehörden sagten unverständlicherweise ja. Jim Parker begnügte sich vorerst mit einem Achselzucken. Er hätte vielleicht das Rennen noch verhindern können, wenn er einige Wochen früher zur Erde zurückgekehrt wäre, nun aber waren die Vorbereitungen zu weit gediehen, sie hatten ihre eigene Schwerkraft bekommen. Am 7. März sollten die Schiffe starten. Schon wurden sie in Tag- und Nachtschichten klargemacht: auf den Raketenfeldern vor der Atomstadt die zweite „Star of the S.A.T.“ – die erste alte „Star“, mit der Jim vor Jahren zum erstenmal zur Venus vorgestoßen war (er hatte den Astronomen
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Hoover an Bord, dessen Schicksal sich auf dem Nachbarplaneten erfüllte), tat noch treu und brav ihren Dienst im Linienverkehr zwischen den inneren Planeten. In der Großen Sandwüste das Raumschiff „Trans-Australia“ der „Australian Industrial Company“ (A.I.C.). Auf Island die „Thule“ der „Europäischen ForschungsUnion“. Bei Tokio die „N III“ der erst vor kurzem gegründeten japanischen Gesellschaft „N.A.C.“, die allerdings nur als Außenseiter mitfliegen würde. Noch hatte die Öffentlichkeit nichts davon erfahren. In Orion-City feierten sie Sira. * Sie hatten ihn nur kurz gesehen. Aber diese Minuten genügten, um eine weltweite Woge herzlicher Zuneigung über ihn hereinbrechen zu lassen. Sira fuhr in Cunninghams Dunkelblauem zur Hauptverwaltung. Zum erstenmal in seinem jungen Leben saß er in einem Wagen. Bisher hatte er nur die offenen Flugboote seiner sirianischen Heimat kennengelernt. Doch er genoß es wie ein Kind einen unwirklichen, doch nicht erschreckenden Traum, der es in ein Märchenland führt. Dann hatte Jim Parker bereits weiterreisen müssen. Wernicke und der vierzehnjährige Rolf Bornemann blieben bei dem Sirianer, als der offizielle Empfang in der Hauptverwaltung vorüber war. Vertreter des „Weltbundes“ und der amerikanischen Bundesregierung waren anwesend gewesen, und für Jim Parkers Geschmack ging alles zu steif her und wurde der Situation nicht gerecht.
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Sie hielten feierliche Ansprachen, deren Sinn der Sirianer kaum begreifen konnte. Nur, daß die Erde ihm und seinem Volk helfen wollte, verstand er, als es ihm Jim in der altmarsianischen Sprache übersetzte. Wein wurde gereicht. Sira trank, und zum größten Erstaunen der Anwesenden zeigte er sich nicht einmal sonderlich überrascht. Er schien sogar den Wein mit der Zunge zu prüfen. Ob es auf den Planeten des Sirius auch Wein gab? Fritz Wernicke versprach, sich bei der nächsten Expedition mit dieser Frage zu befassen. * Gegen zwanzig Uhr fuhren sie zu Jims Haus hinaus. Die grellen Balken der Scheinwerfer glitten über den glitzernden Schnee, der unter den Pneus frosthart knirschte. Sira trug einen dicken Mantel, da er mit Gesten zu verstehen gegeben hatte, daß ihn fror. Cunningham und Parker hatten noch für diese Nacht eine gründliche ärztliche Untersuchung ihres sirianischen Gastes angesetzt, die in Jims Haus stattfinden sollte, um Sira vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren. Die Planeten des Sirius schienen wesentlich wärmer zu sein als die Erde. Wernicke lenkte den Wagen aus dem Central Park hinaus auf den großen Platz und in die Europa-Allee, die mit dem zuckenden Zauber des tanzenden Lichts über Sira herfiel. Rolfs Jungenaugen ließen ihn nicht los. Der Vierzehnjährige hatte unterwegs mit verbissener Energie Altmarsianisch gelernt, obwohl es ihm schmeckte wie Lebertran. Die große Stadt vor den Wasatch Mountains fieberte wie noch nie in ihrer Geschichte. Hunderttausende wogten über Plätze und
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durch Straßen, auf die es immer noch lautlos und weiß herabrieselte. Viele Fremde, die noch in der Nacht nach Europa oder Südamerika zurückfliegen wollten. Sie feierten die Ankunft des jungen Sirianers – sie feierten ausgiebig, und das Ausmaß ihrer Freude und Begeisterung würde man noch in späteren Zeiten an dem Schnapsumsatz dieser Nacht ablesen können. Den großen Dunkelblauen beachteten sie kaum. In ihm aber saß Sira und nahm das Wunder einer irdischen Großstadt in sich auf, die mit einem nie versiegenden Strom von leuchtenden Strichen, grellen, gespenstisch zerfliegenden Reflexen und der ganzen spürbaren Unruhe dieser Stunden aus der Dunkelheit heranglitt. Rolf saß neben ihm. Der berühmte Rolf, der jetzt wußte, was er wert war, seit er mit Parker und Sira und Wernicke vor den TV-Kameras gestanden hatte. Es war nur gut, daß die Schwere des Erlebens, das hinter ihm lag, ihn davor bewahrte, jetzt den Angeber zu spielen. Als Wernicke schließlich vor ihrem Haus am Stadtrand bremste und Kawa, der herrliche Wolfshund, seine Wiedersehensfreude durch den verschneiten Garten heulte, stand bereits ein Kradfahrer da und überreichte ihm ein Telegramm. Es stammte von Pa Henderson und enthielt eine Einladung. Wernicke schmunzelte. Er liebte solche Einladungen, die von dem guten, alten Pa Henderson stammten. Hoffentlich sagte Jim nicht nein. * „Sydney!“ Herk Bryland nahm dem Angestellten den Hörer aus der Hand und meldete sich. Eine wohltönende Männerstimme spru-
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delte ihm aufgeregt entgegen. Bryland führte mit der Linken seine Zigarette zum Mund und rauchte hastig, während er angespannt zuhörte. Dann schüttelte er den Kopf. „No, Mister Frank – Kommodore Parker wird das Rennen nicht mitfliegen.“ „Das beruhigt mich.“ Bryland grübelte flüchtig dem Sinn der Worte nach, die ihn gar nicht beruhigten – er verzog nervös die Stirnhaut. „Sie hätten allerdings kaum eine Möglichkeit, eine Teilnahme Kommodore Parkers an dem Rennen zum Uranus zu verhindern – jede der beteiligten Organisationen kann sich ihre Besatzungen nach eigenem Ermessen zusammenstellen.“ Er erhielt keine Antwort. In Sydney wurde aufgelegt. Herk Bryland hörte das ferne Knacken und ließ auch seinen Hörer hart auf die Gabel fallen. Immer wieder diese Leute von der australischen A.I.C. Was hatten die nur? Sie waren die nervösesten aller Teilnehmer und belästigten ihn jeden Tag mit Anfragen, die kaum noch als sachlich zu bezeichnen waren. Australien mußte großen Wert darauf legen, erster zu werden. Frank war ein brutaler Kerl. Er kannte ihn gut. Brutal und durchtrieben war der Generaldirektor der A.I.C. Bryland stand auf und trat ans Fenster, öffnete es. Zum erstenmal beschlich ihn ein Unbehagen. Das kam natürlich von Parkers Warnung. Bryland warf wütend die Zigarette fort. Parker war auch so ein überheblicher Bursche. * Pa Henderson fand das allerdings nicht. Er strahlte, als er vier Tage später die Raumflieger begrüßen konnte. Jim, Wernicke, Sira und Rolf Bornemann. Sie waren
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eben aus dem Hubschrauber geklettert, der mit rotierenden Flügeln auf dem Mittelweg des Gartens stand. Sira trug jetzt einen weißen Anzug, der dem Klima an der venezolanischen Küste angepaßt war. Er trug ihn mit erstaunlicher Selbstsicherheit. Auffallend an ihm war eigentlich nur sein langes braunes Haar, das er auch jetzt wieder auf dem Rücken mit einer Schnalle zusammenhielt. Er hatte sich auch schon an die Gesten der Erdenmenschen gewöhnt. Als Pa Henderson ihm die Rechte reichte – mit einer kaum unterdrückten Spannung in seinem vollen, fleischigen Gesicht –, ergriff er sie ohne weiteres und verneigte sich höflich. „Ich – freuen – –“, sagte er langsam auf amerikanisch. „Mein Freund Sira freut sich gewiß“, lachte Jim und schüttelte Eva die Hand, während Wernicke freudig erregt zum Haus hinaufschielte, auf ein Fenster, hinter dem gerade ein braunhäutiger Diener Flaschen neben einem Tisch aufbaute. „Es ist wirklich nett, daß Sie uns eingeladen haben, Henderson – meinem Freund setzte die Winterkälte in Orion-City ganz schön zu.“ „Der arme Mensch …“ „Die Qualen eines Verdurstenden sind erschütternder“, murmelte Wernicke vor sich hin. Henderson wandte sich ihm grinsend zu. Eva begrüßte nun auch den Sirianer. Jim beobachtete ihn verstohlen. Zum erstenmal stand Sira einem weiblichen Erdenmenschen gegenüber. Sira verneigte sich abermals. „Ich – freuen – –“ „O Sira – ich mich auch“, rief sie impulsiv aus, wie nur ein unbeschwertes Menschenkind wie Eva Henderson es konnte. Pa Henderson klatschte in die Hände.
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„An die Waffen, Kameraden! Ich kann die stumme Sehnsucht in den Augen unseres guten Fritz nicht länger ertragen – –“ Sie gingen den Mittelweg hinauf, vorbei an den Terrassen des Gartens. Evas Selbstbewußtsein war bewunderungswert – wenn auch die Millionen ihres Vaters es verständlicher machten –; sie hielt sich neben dem Sirianer und nahm einfach seinen Arm. Sira spürte die Berührung. Er lächelte und sah sie an. * Der erste Jubel war verrauscht. In Orion-City ging der Puls des Lebens wieder wie an allen anderen Tagen: in den Werken und Instituten löste eine Schicht die andere ab, und aus dem grauen Zwielicht des frostigen Wintertages peitschte gegen Abend der Rhythmus der Vergnügungen auf … Es ging auf 23 Uhr. Die Nachrichtendienste gaben gerade bekannt, daß im März vier Raumschiffe der Erde zum Uranus rasen würden. Im „Hauptinstitut für Strahlenantriebe“ meldete sich ein Mann an. Er schien hier bekannt zu sein, denn man nahm ihm ohne weiteres seinen Ausweis ab, reichte ihm eine gelochte Kontrollkarte und ließ ihn passieren. Der Mann ging durch zwei Säle, grüßte nach links und nach rechts, warf einem Physiker, der gerade eine Zigarettenpause eingelegt hatte, bissige Bemerkungen über das Wetter zu und kam schließlich auf einen Korridor, auf dem nur ein jüngerer Mann auf und ab ging, in dem er einen Angehörigen des Sicherheitsdienstes erkannte. Auch mit ihm sprach er kurz über das Wetter.
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Dann sauste er in einem Lift fünf Stockwerke hoch. Wieder kamen Säle, die er durchquerte, Sicherheitsmänner, mit denen er sprach und die ihn ohne jeden Argwohn passieren ließen. Dann ein Gang mit gläsernen Wänden, durch die man in schmale Boxen sehen konnte, in denen Männer vor Reißbrettern standen. Der Mann ging jetzt sehr langsam, und als er den Gang hinter sich hatte, kehrte er noch einmal um und ging wieder zurück. Er wußte, daß gerade dieses Stockwerk des Instituts unter besonders scharfer Kontrolle stand, aber er konnte ja auf einen Bekannten warten. Auch jetzt achtete keiner auf ihn. Bei seinem Dahinschlendern wurde er Zeuge eines kleinen Vorfalls, der sich jeden Tag x-mal ereignen mochte: in einer der Boxen – „42“ stand über der Tür – leuchtete ein Signallicht auf. Der Mann am Reißbrett legte seinen Zeichenstift hin und nahm einen Hörer von der Gabel. Er schien einen Befehl entgegenzunehmen, der ihn überraschte, denn er stand einen Augenblick regungslos, als er wieder aufgelegt hatte, und starrte vor sich hin. Dann hob er die Zeichnung aus dem Brett heraus und rollte sie zusammen. Gleich darauf verließ er die Box. Er sah den neugierigen Mann nicht. * 27. Januar. Die teilnehmenden Raumfahrtorganisationen meldeten ihre Besatzungen. Das Raumschiff „Star of the S.A.T.“ sollte von dem Deutschamerikaner Tim Westphal geführt werden und eine Besatzung von nur vier Mann erhalten. Der Navigator hieß Dr. Arnullf Watson. Er war vom „Hauptinstitut für Strahlenantriebe“ für dieses Unternehmen abgestellt worden.
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An diesem Tage fällte das Weltamt für Astronautik eine Entscheidung, die Bryland weitere Unruhe einbringen sollte, obwohl sie ganz vernünftig war: jede der vier Organisationen konnte ein Beobachtungsschiff entsenden, das sich aber in einem Abstand von mindestens 800 000 Meilen von dem letzten Teilnehmer halten mußte. Gleichzeitig richtete das Weltamt an die Organisationen folgenden Vorschlag: „Die Raumschiffe starten von der Außenstation ‚Luna nova’ aus, die für diesen Zweck und für die Dauer der Startoperationen von der dem Amt unterstellten ‚Internationalen Weltraum-Kontrolle’ übernommen wird.“ Drei Stunden später willigte bereits das S.A.T. ein. Dann rief wieder Australien an. * „Frank.“ Wieder der Generaldirektor der A.I.C., den Bryland persönlich gut kannte und doch nicht zu den Menschen zählte, denen er großes Wohlwollen entgegenbrachte. Wieder hielt er seine Zigarette in der Linken, und an der Falte über der Nase konnten seine Mitarbeiter erkennen, daß ihm diese Anrufe langsam auf die Nerven gingen. „Bryland“, meldete er sich kurz. „Ich habe von Ihren letzten Vorschlägen Kenntnis genommen – ich bin ermächtigt, das grundsätzliche Einverständnis meiner Gesellschaft zu übermitteln.“ Der Sekretär atmete auf. „Das – geht ja erfreulich schnell, Sir! Sie können versichert sein, daß es die beste Startmöglichkeit ist.“ „Davon bin ich überzeugt, nur …“ „Nur?“
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„Ich bin nicht einverstanden damit, daß die teilnehmenden Organisationen Beobachtungsschiffe hinter dem Feld herfliegen lassen können.“ „Das liegt doch nur im Interesse aller, Sir.“ „Ich bin trotzdem dagegen.“ „Ich nehme es zur Kenntnis, Sir.“ Die Japaner flogen bereits wenige Tage später nach „Luna nova“. Auf der Außenstation, die gut 1 000 Meilen über der Erde schwebte, hatte man den gigantischen Raumhafen von allen Schiffen des S.A.T., die nichts mit der großen Jagd zum Uranus zu tun hatten, entblößt. Orion-City war wirklich großzügig – das mußten auch Cunninghams Konkurrenten zugeben. Einen kleinen Seitenhieb konnte er sich allerdings nicht verkneifen. Er ernannte Jim Parker zum offiziellen Beobachter des S.A.T. * Die Jacht legte an. Vorn am Bug stand Sira. Mit leuchtenden Augen. Diese ferne Welt war schon, das hatte er nun schon ausgiebig feststellen können. Und das Mädchen Eva – „Ev – a“, sagte er immer mit zusammengepreßten Lippen – war wie ein leuchtender, lustiger Punkt auf dieser Erde … Natürlich stand sie jetzt auch neben ihm. Rolf Bornemann war eigentlich der einzige an Bord, der unzufrieden war. Er hatte erleben müssen, daß Sira sich immer mehr für die aufgeblasene „Pute“ Eva interessierte. Er kam mit Wernicke aus dem Gesellschaftsraum der großen Jacht, in dem sie Tischtennis gespielt hatten. Von der Brücke herunter kletterten Jim und Pa Henderson.
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Jim lächelte – etwas untergründig und nicht ganz so harmlos wie in der letzten Zeit. Pa Henderson hatte ebenfalls einiges von der Fröhlichkeit eines trinkfesten Weltmannes verloren – er machte mit der Hand, die eine Depesche hielt, eine Geste des Bedauerns. „Sie müssen das verstehen, Jim – man würde es mir übelnehmen, wenn ich Franks Bitte abgeschlagen hätte.“ Jim zündete sich eine Maza Blend an. „Aber warum sollten Sie es auch, Henderson! Sie führen doch ein gastfreies Haus und haben weltweite Beziehungen! Ich habe nichts gegen Robert Frank!“ Pa zog automatisch sein Feuerzeug und hielt es dem Kommodore hin. „Gott sei Dank“, atmete er auf. „Ich fürchtete schon, es wäre Ihnen unangenehm, mit dem A.I.C.Generaldirektor in Berührung zu kommen, da die Beziehungen zwischen den Australiern und dem S.A.T. in der letzten Zeit wieder recht gespannt zu sein scheinen.“ „So etwas dürfen Sie nicht überschätzen. Die A.I.C. ist nur etwas übererregt. Frank kenne ich übrigens gut.“ „Das beruhigt mich. Kennen Sie auch seine Schwester? Sie ist überdies schön, kann ich Ihnen verraten und …“ Jim sah an ihm vorbei. „Gewiß – Gloria Frank kenne ich auch.“ * „Auch die Japaner, Sir?“ „Auch dafür!“ beantwortete der große, elastische Mann mit den blasierten Zügen des überlegenen Vernunftmenschen die verwunderte Frage seines Privatsekretärs. Die schwere Reisemaschine stand über dem Südatlantik und näherte sich bereits der Küste von Venezuela. In einer mit
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Schreibtisch und Klubsesseln ausgestatteten Kabine standen sie sich gegenüber. Generaldirektor Robert Frank wischte mit einer wütenden Handbewegung die Papiere zur Seite. „Verdammte Schweinerei – wir sind allein.“ Über seinem rechten Auge zuckte die Stirnhaut. Der Privatsekretär kannte das Sturmzeichen und schwieg lieber. „3:1 für die Teilnahme von Raumschiffen, die das Rennen beobachten sollen. Natürlich setzt Cunningham wieder sein bestes Paradepferd ein. Jim Parker! Das ist doch klar! Aber …“ Er wandte sich schroff ab und betrat eine andere luxuriös ausgestattete Kabine, in der Gloria Frank saß und durch das große Fenster auf den Ozean herabsah, der von Norden heranrollte und streifig unter der Maschine wegwogte. Gloria Frank war schön. Das sagte nicht viel, wenn man nicht gleich hinzufügte, daß sie außerdem eine „große Dame“ und „ein netter Kerl“ war. Ihr schönes, klares Gesicht war oft in den Sportzeitungen der ganzen Welt zu sehen, denn sie war nicht nur Weltmeisterin im 80-mHürdenlauf und im Speewerfen, sondern auch eine anerkannte Schwimmerin. Robert Frank – er war allerdings fast fünfzehn Jahre älter als seine Schwester – fiel erheblich bei ihrer frischen Natürlichkeit ab. In diesem Augenblick besonders stark. „Du kennst doch Parker gut?“ fragte er und zwang sich zur Ruhe. Seine Schwester liebte keine nervenschwachen Männer. Gloria sah ihn denn auch ziemlich spöttisch an. „Von unserem internationalen Sportklub her – gewiß …“ „Du hast dich vor einem Jahr bei diesem Ball im ‚Universal’ ganz nett mit ihm unterhalten“, grinste er. „Und?“ „Ich hoffe, daß du auch in den nächsten Tagen so freundlich zu ihm sein wirst, vielleicht noch etwas …“
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Gloria stand auf und verließ schweigend die Kabine. Frank biß sich wütend auf die Unterlippe. * Auch diese Maschine landete kurz darauf bei der HendersonHazienda. In dieser Stunde, da aus dem hellerleuchteten weißen Herrenhaus des luxuriösen Landsitzes eines millionenschweren Mannes unbeschwerte Klänge in den sinkenden Abend drangen, geschah an zwei anderen Punkten der Erde etwas, was sich meilenweit von diesem scheinbar sorglosen Wohlleben unterschied. Auf der Außenstation hatten die Startvorbereitungen die „Phase II“ erreicht. Bei „I“ würden die Raumschiffe losrasen. Zum siebenten Planeten. * Der Mann ging wieder den Gang entlang. Hinter den gläsernen Wänden arbeiteten wieder die schweigenden Männer an ihren komplizierten Zeichnungen. In der Box 42 ein neues Gesicht. Dr. Arnullf Watson war bereits zur Außenstation abgeflogen. Der Mann ging auch diesmal langsam, aber das fiel nicht weiter auf. In der Tasche trug er wieder statt eines Ausweises die gelochte Kontrollkarte der Institutsangehörigen. Jeder, den er traf, kannte ihn. Auch hier auf dem Gang mit den gläsernen Wänden grüßten ihn zwei vom Sicherheitsdienst. Der Mann interessierte sich für Box 42. Zwischen zwei Fingern der rechten Hand trug er ein kleines, rundes Etwas.
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* „Hallo, Jim!“ Fritz Wernicke trat in das sogenannte Cocktailzimmer des guten Pa Henderson. Es war wenige Stunden nach der Ankunft des A.I.C.-Generaldirektors und seiner Schwester. Draußen rundete ein romantischer Vollmond das malerische Bild der spätabendlichen Hazienda ab. Eine Gitarre klimperte wehmutsvoll. „Prost, alter Junge!“ Der Kommodore schenkte sich einen doppelten Brandy ein. Wernicke ließ den Drehtisch mit den Flaschenbatterien herumkreiseln und suchte sich die richtige Mischung für seine augenblickliche Stimmung aus. „Gloria ist nett, wie?“ „Nett? Das ist gar kein Ausdruck, Wernicke! Amüsiere dich gut!“ Er kippte den Brandy hinunter und ging hinaus auf den Flur. Von der Bibliothek her schollen laute und etwas harte Männerstimmen. Pa Henderson und Robert Frank saßen zusammen und besprachen wirtschaftliche Fragen. Aber aus dem weißen Zwielicht, das der Vollmond durch die geschwungenen Fenster über die kostbaren Fliesen zauberte, trat ihm eine Frau in perlgrauem Kleid entgegen. Gloria Frank. Der Kommodore zerkaute heftig eine Pfefferminztablette. „Sie gehen doch nicht unter die Trinker, Jim?“ lachte sie kameradschaftlich. „Ich habe was nachzuholen“, grinste er, „oder glauben Sie, daß uns die Siriusgespenster mit Wein, Gesang und – äh, Verzeihung – empfangen haben?“ Ihr Blick prüfte aufmerksam.
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„Jim, machen Sie mir doch nichts vor. Ich glaube, es wäre besser gewesen, wenn wir nicht hierhergekommen wären. Aber mein Bruder wollte es. Er sagte, er habe mit Henderson über einen großen Abschluß zu verhandeln. Sie scheinen sich in unserer Gesellschaft nicht wohl zu fühlen.“ „Oh, doch“, sagte er ironisch. „Ihr Bruder ist außerordentlich liebenswürdig! Ich möchte nur mal wissen, was ihn zu seiner scharfen Haltung gegen das S.A.T. veranlaßt. – Schließlich haben wir einmal gemeinsam die Venus erobert.“ „Er hat Angst, daß Australien bei der Raumfahrt ins Hintertreffen gerät.“ „Unsinn“, knurrte er und nahm ihre Hand. „Wir haben nichts gegen die Australier und werden ihnen niemals vorenthalten, was sie zu Recht beanspruchen können. Ihr Bruder scheint sich selbst in eine Art Haßpsychose hineinzupeitschen, die nicht ungefährlich ist – für ihn selber.“ „Ach, lassen wir das doch, Jim! Was haben Sie vor?“ Er antwortete nicht, ließ aber ihre Hand nicht los, als sie weitergingen und das Herrenhaus verließen. Die Gitarre klimperte noch immer den großen Vollmond an, der in den Zweigen schwamm. Jim erkundigte sich bei seiner schönen Sportkameradin zuerst nach den neuesten Ereignissen in ihrem internationalen Sportklub. Als sie den Mittelweg des Terrassengartens hinter sich hatten, wechselte er das Thema. Immer konnten sie nicht über den Sport reden. Einer der braunhäutigen Diener sah sie auf die Privatstraße verschwinden … * In der A.I.C.-Zentrale mitten in Sydney stand ein Mann am TVTelefon. Er sprach mit einem, der in New York in einem der
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teuersten Hotels wohnte. Die Quadratscheiben hatten sie nicht eingeschaltet. Sie brauchten sich nicht zu sehen, um sich zu verstehen. „Wie weit ist M 7?“ „Er hat mir die Aufnahmen zukommen lassen. Ich weiß aber nicht, ob sie vollständig sind.“ „Was heißt das?“ „Ich müßte die Materie kennen, um mir davon ein Bild machen zu können.“ „Ist gar nicht notwendig, Fuller“, sagte der Mann in Sydney scharf. „Ich schicke Ihnen M 3 – er wird sich ausweisen.“ „Warum läßt sich M 7 nicht sehen?“ „Ihm steht ein besonderes Erlebnis bevor.“ „Was denn?“ „Er soll gegen uns am Rennen teilnehmen.“ * „Aus!“ „Ich habe das bald satt“, schimpfte Rolf Bornemann und sammelte mißmutig die kleinen weißen Bälle auf. Die Sonne brannte aus einem klarblauen Himmel auf die HendersonHazienda herab. Vom nahen Meer dröhnte gedämpft das gleichmäßige Rollen der Brandung. „Ich wollte Sira beibringen, wie man Tischtennis spielt, und nun seifen Sie mich jeden Tag ein.“ „Wohl dem, der den rechten Lehrmeister gefunden hat“, sagte der kleine Commander mit Würde. „Du wirst auch noch einsehen, mein Sohn, daß die schicksalhafte Zuneigung der Liebenden vor der sogenannten sportlichen Geselligkeit kommt.“ „Ich wollte, wir wären hier erst wieder raus.“ „Das kann demnächst geschehen“, grinste Wernicke. „Wenn
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wir wieder mal für Ruhe und Ordnung zwischen den Sternen sorgen müssen und du auf dem Heimflug nach Old-Europa bist.“ Aber das wollte Rolf nicht. „Ausgeschlossen, Commander! Wird von vornherein abgelehnt – und wenn ich zweimal am Tag sehen muß, wie die sich abknutschen …“ „Was ist das für eine Ausdrucksweise?“ verwies ihn der kleine Commander streng. „Na ja! Das stimmt doch! Sira und Miß Henderson und demnächst noch …“ „Schweig, Knabe! Wenn du noch zu packen hast, erledige es gefälligst bis heute abend! Wir fliegen ab!“ „Nach Orion-City?“ jubelte der Junge los. Er sollte in den nächsten Tagen eine große Enttäuschung erleben. * „Sie fliegen heute abend?“ Gloria Frank hatte sich bei Jim Parker untergehakt. Sie waren mit dem schnittigen Rennboot aufs Meer hinausgefahren und mit einem Schrauber auf dem Mittelweg gelandet. Sie zeigte offen, wie sie sehr traf, was Jim ihr eben gesagt hatte. „Schade, Jim …“ „Einen alten Raumbanditen kann man nicht an die Kette legen“, lächelte er etwas wehmütig. „Man soll sich in dieser Beziehung nichts vormachen, Gloria.“ Sie gingen den Mittelweg hinauf, dem Herrenhaus entgegen. Zwei junge Menschen, die zusammengehörten. Das mußte jeder erkennen, der sie in ihren kurzen Sporthosen und den weißen, weiten Jacken sah. Die Liebe zu einer Sportart hatte sie schon einmal zusammengeführt, und Jim sollte eigentlich dafür dank-
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bar sein, daß sich nun ihre Wege in dieser paradiesischen Umgebung wieder kreuzten. „Man sollte sich da nichts vormachen“, wiederholte er jedoch. Gloria verstand ihn, aber sie schüttelte den Kopf. „Bitte, werden Sie nicht sentimental, Jim – das liegt Ihnen nicht.“ „Das ist doch nicht sentimental“, lachte er rauh, „das ist ganz einfach so, Gloria – wenn – ahem – das ist also – –“ „Ja?“ sagte sie, und ihre weißen Zähne perlten in einem verheißungsvoll geöffneten Mund. Vielleicht war es keine Absicht, daß sie unter dem rotblütigen, herb duftenden Gestrüpp stehenblieben, vielleicht war es doch Absicht, so etwas ließ sich schwer feststellen – Tatsache war jedoch, daß sie hier vor neugierigen Blicken geschützt waren. Jim wünschte sich jetzt Tod und Teufe! und alle Weltraumgangster auf einmal herbei, gegen die er jemals gekämpft hatte, und das Mädchen Gloria Frank wünschte er weit von sich, denn – bei allen Planeten und obwohl es niederträchtig war, es sich eingestehen zu müssen – er liebte sie. Jim liebte die Schwester des großen A.I.C.-Frank! Wenn Wernicke das erfährt, dachte er hilflos – mein Gott, wie wird er grinsen und saufen – „Das ist nämlich so, Gloria“, setzte er wieder an und spürte, wie trocken es ihm in der Kehle war, „wenn ich nicht so schrecklich viel Spaß daran hätte, mich zwischen den Sternen herumzutreiben, würde ich – also, wie sagt man so etwas …?“ In ihren Augen leuchtete eine lockende Verheißung. „Was, Jim?“ Der große Kommodore wurde rot wie ein hilfloser Junge, und wahrscheinlich hätte sogar der Schlingel Rolf Bornemann seinen Spaß daran gehabt. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und zog sie an sich.
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„Wenn man einer Frau etwas sagen will – etwas – –“ Glorias Hand strich über sein zerwehtes Haar. „Du brauchst nichts mehr zu sagen, Jim …“ * Am Abend flogen sie zurück. Gloria strahlte, aber sie war klug genug, jetzt keine große Szene zu machen. Der Kommodore hatte sich bereits von ihr verabschiedet. Robert Frank kam an den Hubschrauber, der mit rotierenden Flügeln auf dem Mittelweg stand. „Leben Sie wohl, Kommodore – ich hätte mich gern noch länger mit Ihnen unterhalten.“ „Wir werden es nachholen“, lachte Jim in bester Stimmung. „Mit einem so liebenswürdigen Menschen unterhalte ich mich immer gern.“ Robert Frank zerkaute einen Fluch. Er ahnte nichts Gutes, und das würgte ihn. „Wer vom S.A.T. soll das Rennen beobachten?“ fragte er möglichst gleichgültig. „Ich“, sagte Jim trocken. Dann erhob sich der Schrauber. Robert Frank ballte die Faust in der Tasche. Das würde seine Pläne durchkreuzen, aber … * Vier Raumschiffe … Der 7. März war gekommen, und die Besatzungen der Schiffe waren auf ihren Stationen. In der großen Kommandohalle der Außenstation, in der sonst der Chef vom Dienst den Verkehr im Raumhafen kontrollierte, saß Sekretär Herk Bryland vor der Signaltafel.
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Die Menschheit hatte eine neue Sensation. Wieder hatten sich hier TV-Kameras aufgebaut und fingen das großartige Bild ein. Vier Raumschiffe. „Star of the S.A.T.“ – sehr schlank und rassig, scheinbar zu zerbrechlich für einen Rennflug von drei Monaten –, „TransAustralia“ – nicht so groß, dafür aber mit einem stärkeren Heck, – „Thule“ – eine Doppelrakete mit den Kabinen zwischen zwei Schubgleitern –, und die „N III“ – ein klobiger, unschöner, Renner. Diese vier in der Weite des Raumhafens vor der Gloriole des ewig sternen-übersäten Firmaments. Es war 17.03 Uhr allgemeiner Raumzeit. Noch zehn Minuten. * „Kapitän.“ Ein schmales, finsteres Gesicht unter dem Helmabzeichen der A.I.C. wandte sich um. Der Bordfunker der „TransAustralia“ trat in diesen Minuten, in denen es auf alles ankam, mit einer Funkmeldung in die Bugkanzel. „Zum Teufel, was soll das?“ „Soeben eingegangen! Unter B 3! Vom Chef!“ Der Chef war der Generaldirektor Frank, „Öffnen!“ befahl der Schiffsführer – Ching hieß er und stammte aus Winton in Queensland –. „Vorlesen!“ Noch fünf Minuten. Seine Gedanken waren nicht bei dem, was der Funker etwas zu hastig herunterstotterte – in der Aufregung, die auch ihn gepackt hatte. Noch vier Minuten.
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„Sie haben mit äußerster Rücksichtslosigkeit gegen die ‚Star of the S.A.T.’ vorzugehen. Frank.“ Kapitän Ching lachte böse. * Ted S. Cunningham rauchte. Das war immer ein gutes Zeichen, aber er kaute auf seiner dicken Havanna nur herum, weil sie alle wieder um ihn saßen. Jim, Wernicke, Sira und dieser Lausejunge Rolf, dem er mal die nassen Ohren langziehen wollte, es bisher aber unterlassen hatte und nun nicht mehr daran dachte. Noch drei Minuten. Auf dem großen Halbrundschirm, der eine ganze Wand in der Raumkontrolle zu Füßen des Großsenders Orion-City einnahm, sahen sie vorn die Brüstung einer Laufbahn im Raumhafen, an der fünf, sechs Männer in Wulstpanzern lehnten, und weiter zurück die mächtigen Leiber der Raumschiffe. Es war wie immer unmittelbar vor dem Beginn eines großen Unternehmens, und doch lag eine eigenartige, zerrissene Stimmung über der kleinen Gruppe. Wernicke machte ein Gesicht, als würde er noch das große Heulen kriegen. Er ahnte, wie es um seinen alten Freund und Kameraden stand, um den Mann, mit dem er schon die Sterne vom Himmel geholt hatte – er wünschte ihm das größte Glück, das es nur für einen Menschen geben konnte, und doch … Da war so ein ganz komisches Gefühl, gegen das man auch mit der größten Schnoddrigkeit und der stärksten Flasche Gin nicht ankam! Wenn Jim wenigstens etwas sagen würde! Aber in seinen grauen Augen war nur ein Schimmer, den Fritz einmal bei einem seiner eigenen Brüder bemerkt hatte, als dieser – wie der kleine Commander es düster nannte – „dem Weibe verfallen war“.
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Fritz Wernicke seufzte und trank den elften Whisky pur. Die anderen merkten, daß zwischen den beiden irgendwie eine Spannung herrschte, und das bedrückte sie. Es war gut, daß sich plötzlich die elegante, hagere Gestalt des S.A.T.Sicherheitshäuptlings Oberst Mortimer – billige „Selbstgedrehte“ rauchend – hereinschob und neben den Generaldirektor trat. Als Cunningham ihn gespannt ansah, legte er die Rechte auf den Mund und zeigte auf den Bildschirm. Noch zwei Minuten. Sie vertickten unsagbar langsam. Die Männer in den Wulstpanzern, die sich mit den Griffklauen an der Brüstung aufstützten, rührten sich nicht. Noch immer lagen die Ungeheuer unbeweglich vor ihnen. Doch als die letzte Startminute anbrach, tobte die Hölle los: ein Meer von Feuer warfen riesige Flammen in die Weite des Raumhafens, die aus den Heckdüsen der Raumschiffe drangen. Jetzt legte Herk Bryland vor seiner Signaltafel einen Hebel um, der das ausgemachte Summzeichen in den vier Raumschiffen ertönen ließ. Die Bahn war frei. * Das größte Rennen aller Zeiten begann … Das Ziel: Uranus. Die Gruppe vor dem Halbrundschirm in der Raumkontrolle von Orion-City starrte schweigend auf die startenden Raumschiffe, die sich jetzt Seite an Seite den beiden riesigen Leuchtkugeln zuschoben, die den „Hafeneingang“ markierten. Dann wandte sich Oberst Mortimer unvermittelt an den Kommodore. „Wann werden Sie hinterherfliegen?“
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„Ich habe noch zwei Tage Zeit“, erwiderte Jim gelassen und steckte sich eine Maza Blend an. „Ahem – ich würde mich beeilen.“ „Warum?“ „Ich traue den Australiern nicht.“ Cunningham hatte für die Australier noch nie viel übrig gehabt. Er konnte ihnen nicht vergessen, daß sie die ersten waren, die dem S.A.T. Konkurrenz gemacht hatten. Er riß sich von dem Anblick der in der Tiefe des Alls untertauchenden Raumschiffe los und trat neben den Oberst. „Natürlich die Australier! Was haben die schon wieder ausgefressen?“ „Vorläufig ist noch gar nichts“, hob Mortimer die Schultern, „es kann alles eine harmlose Erklärung finden – nur ein vager Verdacht.“ „Was denn?“ fragte Jim kurz. „Mir wurde eben von meinem V-Mann in der Station gemeldet, daß für die ‚Trans-Australia’ noch während der Startperiode eine geheime Depesche von Generaldirektor Frank einging – mehr nicht – –“ „Das kann allerdings eine recht harmlose Erklärung finden“, sagte Jim etwas befremdet. „Vielleicht eine letzte Direktive an Kapitän Ching …“ „Immerhin, ich würde die Augen offenhalten …“ Dann holte er wieder seinen billigen Tabak hervor. * Nach 300 000 Meilen schob sich der Japaner vor. Das Feld lag in den ersten Stunden noch beieinander, als urplötzlich die bullige „N III“ nach vorn schoß und sich einige Hundert Meilen vor die anderen setzte.
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Ausgerechnet die Gelben, die man nur mitgenommen hatte, weil es unanständig gewesen wäre, sie zu übergehen. Aber nun hatte man die Schweinerei. So ein Vorsprung konnte sich rasch vergrößern, wenn der Kapitän der „N III“ einigermaßen auf Zack war. Mit dem Vorpreschen des Japaners lockerte sich das Feld schlagartig auf. Der Führer der „Star of the S.A.T.“, Kapitän Tim Westphal, zeigte, daß er nicht umsonst zu der Organisation gehörte, die die erfahrensten Raumflieger in ihren Reihen hatte – er verzog seinen breiten Mund, lächelte mit seinen etwas vorstehenden Zähnen und ließ auch dem Australier höflich den Vortritt. Er selbst blieb mit dem Europäer an letzter Stelle. Sollten die vor ihm sich gegenseitig nervenschwach machen, er, Tim Westphal, würde davon schon profitieren. Der Japaner aber hatte sich was vorgenommen – so leicht würde der seinen Vorsprung nicht aufgeben. Und die Beobachter der Außenstation konnten nicht wissen, warum Kapitän Westphal so tat, als ginge es bei diesem Wettrennen nicht um Milliardenwerte – verschiedene regten sich sogar über seine Lethargie auf. Die Reaktion auf der Erde war entsprechend. Mister Miller schmunzelte. * Er war nicht der einzige, der schmunzelte. Aber er hatte allen Grund dazu, denn sein Kiosk an einer der belebtesten Straßen von Chicago trug das nagelneue Leuchtschild „Uranus-Wett-Companie“. Diese vornehme Gesellschaft – von edlen Menschenfreunden gegründet, versteht sich – hatte es sich zur Aufgabe gemacht, mit allen möglichen Leuten Wetten abzuschließen.
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Die erste Sensation war da. Die Japaner führten! Einer schob sich heran, nahm unschlüssig die Hände aus der zerbeulten Hosentasche und verlangte von Mister Miller einen Wettschein. Ein armer Teufel. Die stinkende Zigarette in seiner Rechten legte träge Schwaden über das noch druckfeuchte Merkblatt, das er gleich miterhielt. Dann kamen andere – viele – – „Die Japaner führen, Gentlemen – es ist alles drin.“ Die Wetteinnahmen kletterten … * Drei Tage später raste Jim Parker los. Noch immer lag der Japaner vorn, und sein Vorsprung vergrößerte sich von Stunde zu Stunde. Wernicke mußte daran denken, wie sehr der dicke Ted S. Cunningham jetzt schwitzen und stöhnen und beten würde. „Der Japaner hat Schneid, Jim.“ Jim lachte und setzte sich in seinem Führersitz zurecht Die großen Leuchtkugeln der Hafeneinfahrt glitten an den Sichtscheiben vorbei. Das Raumschiff – „S.A.T. X 8“ stand an seinem Bug – gehörte, ebenso wie die „Star of the S.A.T.“, zu der neuen Klasse der mittleren, mit Varras-Antrieb ausgestatteten aerodynamischen Raumschiffe, bei denen man mehr auf Schnelligkeit als auf Fassungsvermögen geachtet hatte. Es hatte neben Jim, Wernicke und Sira – Rolf Bornemann hatte in Orion-City bleiben müssen – nur weitere vier Mann an Bord: Fisher war der Navigator, als Bordarzt fungierte der immer gut aufgelegte Dr. Arron, dann waren da noch die Techniker Boll und Varderholm. Jim und Wernicke waren allein in der Bugkanzel.
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„Der hat schon ’n schönes Ende weg.“ „Hm.“ „Aber, wenn Westphal klug ist, läßt er den Australier auch erst einmal sausen, dann laufen sie sich vielleicht gegenseitig die Nerven mürbe – das ist aber gefährlich …“ „Hm.“ Fritz Wernicke hatte in diesen Tagen noch mehr Durst als sonst. Er sah auf den Bildschirm, der für diesen Flug oberhalb der Armaturentafeln angebracht worden war. Von einem Sender der Außenstation wurde die wilde Jagd der Raumschiffe aufgenommen und herübergeworfen. Noch war das technisch durchführbar, aber schon nach einigen Tagen mußte das TVSystem des Mars diese Aufgabe übernehmen, denn der vierte Planet geriet langsam in die Fahrtrichtung der vier Raumschiffe. Der kleine Wernicke schielte zu Jim hin. „Hm? Du scheinst deinen Mund für andere Aufgaben schonen zu wollen, mein Lieber. Natürlich – Gloria Frank würde bitterlich weinen, wenn ihre ‚Trans-Australia’ unterwegs sauer werden sollte.“ Jim horchte flüchtig auf das gleichmäßige, vorwärtsstürmende Vibrieren des Raumschiffes und lächelte. „Schon gut, Fritz – wir müssen doch mal darüber sprechen.“ „Tja, das müssen wir wohl“, seufzte Wernicke teilnahmsvoll. „Armer Junge – ich hätte es dir gern erspart.“ „Zu gütig! Aber vielleicht hat es an meinem Horoskop gelegen, daß ich mich dagegen nicht wehren konnte?“ „Der Witz ist nicht schlecht, aber er ist doch nur eine faule Ausrede: wie kann ein Kerl wie du den Tücken eines Weibes erliegen.“ Jim grinste. „Du weißt eben nicht, wie schön das ist!“ „Also – Ernst, Jim?“
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„Nach menschlichem Ermessen – ja!“ „Schön gesagt! Und nun?“ „Wieso?“ „Na – willst du deinen Abschied von der Flotte nehmen, einen Verwaltungsposten übernehmen und Rosen züchten?“ „Heilige Mondscheibe! Wie kommst du nur auf so etwas? Es bleibt alles beim alten! Auch zwischen uns. Wir haben noch allerhand vor, Knabe!“ „Und was sagt Gloria dazu?“ „Gloria ist kein dummes Gänschen! Sie weiß, daß ich Raumflieger bin und immer einer sein werde!“ Gloria Frank tat dem kleinen Commander plötzlich leid. Wie kann man sich auch in einen Jim Parker verlieben, dachte er bei sich. „Ihr müßt es wissen, Jim.“ * Der Japaner hielt sich ausgezeichnet. Er wußte, was er wollte, und drückte auf die Tube, was sein etwas schwerfälliger Kasten nur aushielt. Auf 3 000 Meilen vergrößerte sich der Abstand zwischen ihm und der „Trans-Australia“, die den zweiten Platz hielt. Auf der Außenstation wurden die S.A.T.-Leute nervös. Doch Kapitän Tim Westphal lachte nur. * Die edlen Menschenfreunde der „Uranus-Wett-Companie“ lachten auch. Sie rieben sich sogar die Hände, und sie konnten es auch, denn ihre einzige Beschäftigung in den glorreichen Tagen, die
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nun begannen, war praktisch nur das Addieren der Tageseinnahmen. Die Wettbeteiligung stieg ins Unermeßliche. Die letzten Cents waren es oft, die aus den Taschen armer Teufel in die Kassetten der Annahme-Kioske rollten. Aber diese armen Teufel sahen eben ihre letzte Chance. Wenn die Japaner es schafften, mußte die Wett-Companie nach ihren eigenen Bedingungen mindestens 30 Millionen Dollar auswerfen, und die wurden an nicht mehr als 30 ausgeloste Wetter verteilt – das gab 30 neue Millionäre – – Jungen, das war der letzte Cent wert. Dafür konnte man schon auf eine Nachmittagsration Zigaretten und einen Kuß von Mary verzichten. Mister Miller sah hoffnungsvoll in die Zukunft. * Die Behörden waren weit weniger freundlich gestimmt. Sie versuchten den Geldstrom in die Kassen der Jobber abzuschwächen oder ganz zu stoppen – es gelang nicht. Mister Miller durfte weiter schmunzeln. Tage noch und Wochen – denn am 17. März lag die „N III“ immer noch an erster Stelle. Befehle jagten durch das Weltall. Aus Orion-City und Paris. Aufholen!! * Nur die europäische „Thule“ versuchte es. Sie erhöhte ihre Geschwindigkeit und wollte sich von der „Star of the S.A.T.“ lösen.
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Kapitän Westphal tat ihr den Gefallen. Die neutralen Beobachter im mitfliegenden I.W.K.Raumschiff registrierten es eiskalt. „‚Star of the S.A.T.’ auf den letzten Platz zurückgefallen.“ Die Einnahmen der „Uranus-Wett-Companie“ stiegen munter weiter … * „Wie lange will Westphal das noch mitmachen?“ Sogar Commander Wernicke begann in sich eine Unruhe zu spüren, die sich von Stunde zu Stunde steigerte. Er saß in der Bugkanzel und starrte auf den Bildschirm. „Die Japaner sind mindestens 5000 Meilen vorn.“ „5600 genau“, lächelte der Kommodore gelassen und sah zu dem Mann auf, der eben vom Kontrollraum her durch die Schottür eintrat. „Werden Sie auch schon unruhig, Varderholm?“ Der zweite Bordtechniker – ein mittelgroßer, kräftiger Mann mit klugen Gesichtszügen – schloß sorgfältig die Sicherung und sah an dem Kommodore vorbei auf den Bildschirm, schüttelte dann aber den Kopf. „Warum? Das ist noch aufzuholen.“ „Hört euch das junge Gemüse an“, meckerte Wernicke los. „Glauben Sie vielleicht, Darling, die Gelben legen sich zur Ruhe und lassen die anderen mit frommen Segenswünschen passieren? Varderholm, Sie haben doch mal eine Schule besucht! So etwas gibt es doch gar nicht!“ „Da haben Sie recht, Commander!“ „Na also“, schnappte Wernicke, „dann erklären Sie mir mal, wie das dort vorn weitergehen soll.“ „Es kommt eben darauf an, ob Westphal bessere Nerven hat
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als du“, warf Jim trocken ein. „Die besseren Nerven entscheiden.“ „Bei uns?“ „Bei denen dort vorn.“ Er zeigte auf den Bildschirm. „Übrigens, Varderholm, ich habe vorhin die Mannschaftsliste der ‚Star’ durchgesehen. Seit wann habt ihr Strahlbummser sportlichen Ehrgeiz?“ Er sah den Techniker von der Seite an und wunderte sich, als Varderholm zusammenzuckte. „Na, ich meine, Varderholm – auf der ‚Star’ Dr. Watson und Sie hier bei uns – und beide vom ‚Hauptinstitut für Strahlenantriebe’ …“ „Yes“, stammelte der Techniker etwas verwirrt, „ein – ein eigenartiges Zusammentreffen, gewiß – wir wurden beide für diese Flüge abgestellt …“ „Um praktische Erfahrungen zu sammeln, was?“ „Yes, Kommodore.“ * Gloria Frank spielte mit Eva Henderson eine Partie. Sie ließ ihren Schläger sinken, als Robert Frank durch den Terrassengarten auf die Mädchen zukam. Sie waren immer noch Gäste von Pa Henderson, denn einmal mußte Robert Frank gründlich ausspannen, und zum anderen beriet er sich mit „Pa“ über wichtige Abschlüsse. Jetzt trug er Papiere in der Hand und winkte Gloria verstohlen zu. „Ich glaube, wir schaffen es!“ „Hat Ching den Japaner überholt?“ „Noch nicht, aber er meldet mir hier, daß er zum Überholen ansetzt.“
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„Ich kann mir nicht denken, daß das S.A.T.-Schiff sich einfach geschlagen gibt.“ „Das würdest du wohl bedauern, wie?“ grinste er hämisch. „Daß dir immer noch der schneidige Jim im Kopf herumspukt.“ „Daran wird sich nichts ändern, Robert“, sagte sie ruhig. „Ah bah! Was du nur hast!“ Er steckte sich eine Zigarette an, und dabei fielen ihm die Papiere aus der Hand. Und es war seltsam – während in der gleichen Minute im Weltall ein S.A.T.Angehöriger zusammenzuckte, als der Kommodore ihn ansprach, lief auch über Robert Franks Gesicht ein deutliches Erschrecken – er bückte sich rasch, aber Gloria konnte doch noch die Worte „Markano“ und „Orion-City“ auf einem schmalen Streifen sehen. Ihre Rechte faßte zu. Er hielt die Papiere fest. Seine Augen waren kalt. „So neugierig, Schwesterlein?“ „Was hat Markano mit dem S.A.T. vor?“ sagte sie leise und heftig. Sie war sehr blaß geworden. Markano hatte eine ziemlich anrüchige Vergangenheit, und sein hochbezahlter Dienst für die A.I.C. bestand darin, für sie Aufgaben durchzuführen, die nicht viel sauberer waren. Robert Frank schwieg eine Weile, dann sagte er langsam: „Du brauchst dich nicht zu entrüsten, Schwesterlein – das S.A.T. spioniert auch bei uns, wenn es kann.“ „Was soll Markano?“ „Du bist sehr neugierig.“ „Wenn du mich brauchst, bist du vertrauensseliger.“ „Ich nehme nicht an, daß du heute noch mit Markano gemeinsame Sache machen würdest.“ „Das habe ich nie getan“, lächelte sie freundlich, besonders freundlich, denn sie wollte wissen, was los war. Und sie atmete auf, als er mißmutig sagte:
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„Es handelt sich um Entwürfe für Strahlenantriebe …“ „Also nicht um Parker?“ „Du kannst beruhigt sein.“ * Robert Frank ging weiter. Seine Gedanken waren wieder weit weg von diesem paradiesischen Fleckchen Erde, auf dem zwei junge Mädchen verrückten Liebesträumen – wie er es nannte – nachhingen. Er setzte sich in der Bibliothek in einen Sessel und dachte an sein Raumschiff. Deutlich sah er, wie Ching in plötzlichem Entschluß die Hebel herumlegte, eine kurze Berechnung anstellte und kurz darauf Klingelzeichen durch die Kabinen riefen. Ching lachte – jetzt war sein Gesicht nicht mehr so finster, es war gut, hart und sehr männlich. Die „Trans-Australia“ schoß los. Die Heckdüsen flammten in wildem Chaos auf. Sechs Männer hielten vor Spannung den Atem an. Tüchtige Jungen waren es und fest entschlossen, den Angebern von dem S.A.T. und den anscheinend größenwahnsinnig gewordenen Japanern zu zeigen, was sie konnten. Chings Rechte lag lose auf der Tastatur der Steuersäule. Hinter ihm standen zwei seiner Männer, hielten sich in den Griffen der Rückenlehnen fest und sahen gebannt nach vorn in den von den tobenden Heckdüsen des nur noch als kleines Etwas sichtbaren Japaners aufgewühlten Raum. Von rechts kreiste langsam die rötlich leuchtende Kugel eines Planeten vor dem Sternenfirmament in das Sichtfeld der Australier. Der Mars.
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Sie waren guter Dinge. „Wir können ihn noch vorher überholen.“ „Natürlich – den Mars erreichen wir als erste.“ „Ich verstehe nicht, daß die ‚Star’ keine Anstalten macht …“ „Ach, die Schlafmützen …“ * Wernicke stöhnte das auch vor sich hin. „Die Schlafmützen …“ Jim wurde gerade abgelöst. Boll nahm seinen Platz hinter der Steueranlage ein. Der Kommodore erhob sich, nahm aus einem Fach am Armaturenbrett einige Kalopastillen und steckte sie in den Mund. Er reckte sich und winkte Wernicke zu. „Wetten, daß …?“ „Wetten, daß er es nicht schafft?“ fiel ihm der Commander aufgeregt ins Wort. „Dein genialer Taktiker Westphal scheint sich gründlich verkalkuliert zu haben.“ Jim grinste verstohlen und ging aus der Bugkanzel in den Kontrollraum, in dem er sich am großen Kontrolltisch davon überzeugte, daß die „S.A.T. X 8“ automatisch den errechneten Abstand von dem Beobachtungsschiff der I.W.K. und den drei anderen Raumschiffen hielt, die ungefähr auf gleicher Höhe mit ihm lagen. Dann ging er langsam und sich entspannend den Mittelgang entlang zur großen Mannschaftskabine. Irgendwie war Jim unzufrieden. Diese Jagd zum Uranus mochte für einen, der sie von der Erde aus verfolgte, ganz spannend sein. Für die tüchtigen Burschen der „Uranus-Wett-Companie“ war sie wahrscheinlich mehr als spannend. Für den Beobachter, der sozusagen als „Kampfrichter“ mitflog, gab es allerdings interessantere Aufgaben.
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Daß Cunningham ausgerechnet ihn damit beauftragen mußte! Gewiß, es standen milliardenschwere Anteile an dem kobaltähnlichen Vorkommen auf Uranus auf dem Spiel, aber Jims persönliche Meinung über dieses seltsame Wettrennen änderte sich darum nicht. Als er langsam in die Kabine trat, dröhnte ihm das Lachen eines handfesten gewaltigen Basses entgegen. Dr. Arron saß mit Sira an einem aufgeklappten Spind und bemühte sich, den Sirianer in die Geheimnisse des Schachs einzuführen. Sira sah nicht gerade glücklich aus. „Das wird nichts, Parker“, dröhnte der Baß, und Dr. Arron schlug Sira, der verlegen lächelte, auf die Schulter. „Diese Sirianer scheinen nicht die Gabe des logischen Denkens von ihren Göttern erhalten zu haben. Der Gute ist geradezu abwesend.“ Jim kannte das immer etwas gespreizte Gehabe des alten Raumflugarztes, den er aber gut leiden konnte – er konnte sich allerdings auch denken, warum Sira so abwesend war. Er dachte an Eva. Vielleicht bahnte sich da wirklich etwas an? Was bedeuteten schon Lichtjahre, wenn es um den Gleichklang zweier Herzen ging? Jim ging auf die beiden zu. „Doktor, wir sind jetzt drei Wochen unterwegs – wie ist der Gesundheitszustand unserer Leute?“ „Unserer Leute?“ wunderte sich Dr. Arron flüchtig und nahm seine Brille ab. Sein breitflächiges, markantes Akademikergesicht richtete sich voll auf Jim. „Warum, Parker? Die mit uns in diesem Kasten sitzen, haben schon aufregendere Raumflüge gemacht, ganz abgesehen davon, daß alle raumtauglich sind. Oder haben Sie einen bestimmten Grund für Ihre Frage?“ „Nur in einem Fall.“
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„Nämlich …?“ „Kümmern Sie sich bitte etwas um Varderholm. Ich möchte gern ein psychologisches Situationsbild von ihm haben.“ Die Brille wurde wieder aufgesetzt. „Wird geschehen …“ * Die Australier jubelten. Sie schafften es! Nach den Berechnungen, die Kapitän Ching einige Stunden, nachdem er sein Schiff auf „Vollgeschwindigkeit A“ riß, anstellte, lag die „Thule“ bereits 270 und die „Star of the S.A.T.“ sogar 800 Meilen zurück. Vorn wurde die „N III“ größer. Der Japaner wehrte sich verzweifelt. * Aber die Australier waren unerbittlich. Sie holten Meile um Meile auf. Wo blieb Westphal? Warum hielt er sich so zurück? * Auf dem Mars sahen sie die wilde Jagd heranbrausen. Die großen Radarschirme in den Kontrollsälen der irdischen Verwaltung projektierten mit einer eigenartigen Unruhe, die auch die abgebrühtesten Überwachungsspezialisten irgendwie beunruhigte, die näherkommenden vier Raumschiffe. Der Abstand zwischen den ersten verringerte sich immer mehr.
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„Die in Sydney können sich beglückwünschen.“ „Noch nicht …“ „Doch! So ein Zwischenspurt kostet Nerven für den, der sich überspurten lassen muß! Und die Japaner verlieren schon ihre Nerven! Sieh mal!“ Nun sahen es auch die anderen. Der Japaner machte bereits den ersten Fehler. Deutlich konnten es die aufmerksamen ernsten Männer an den Kreisschirmen wahrnehmen. Er versuchte, durch Steuermanöver Raum zu gewinnen. Wahrhaftig, die Japaner waren eben noch Anfänger. Die Männer auf dem Mars gaben seinem Vorsprung nun keine vierundzwanzig Stunden mehr. „Wer viel kurvt, fliegt spazieren“, lautete eine alte Weisheit beim S.A.T., und das hieß soviel wie: solche Steuermanöver konnten vielleicht einigen Raum gewinnen lassen, gingen aber immer auf Kosten des rationellen und zweckmäßigen Fliegens – so etwas konnte sich nur ein Raumflieger leisten, der viel Zeit hatte. Und die Japaner hatten es verdammt nötig! Aber nach einigen Stunden sahen sie noch mehr, und das ließ sie aufjubeln, denn schließlich waren sie ja Angehörige des S.A.T. Die „Star of the S.A.T.“ schoß vor. * „Hallo, Doc!“ Dr. Arnullf Watson schob sich neben Kapitän Westphal, gerade in dem Augenblick, als dieser das Angriffssignal durch die Kabinen der „Star of the S.A.T.“ ertönen ließ. „Es kann losgehen, Kapitän!“ „Hm – was Besonderes, Doc?“ Westphal mochte diesen Navigator nicht besonders, den man
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ihm da mitgegeben hatte, niemand an Bord mochte ihn gern – Watson war ein vollendeter Angeber, dem man wüste Frauengeschichten nachsagte. „Nichts, Westphal! Ich habe dem Kasten die richtige Schnauze gegeben. Ching soll die Hosen vollmachen.“ „Danke, Doc!“ „Er wird uns aber nicht einfach so vorbeilassen.“ „Ihm wird nichts anderes übrigbleiben.“ Dr. Watson sah auf die kraftvollen, ruhigen Hände des Kapitäns, die das Raumschiff in diesen entscheidenden Minuten auf dem von ihm selber berechneten Kurs hielten. „Ich habe mal was gehört, Westphal.“ Tim Westphal mußte sich jetzt ganz auf sein Schiff konzentrieren. Der 1. Bordingenieur Stegermann, der einige Meter von ihm vor seinen Geräten saß, runzelte die Stirn. Wenn dieser Watson nicht gleich aus der rasend vibrierenden Bugkanzel verschwand, warf er ihn raus. „Was haben Sie gehört?“ „Ching hat Anweisung, uns nicht vorbeizulassen.“ „Quatsch.“ „Ich hörte es, als …“ „Danke, Doc!“ Watson hob die Schultern und ging hinaus. * Hatte Dr. Watson wirklich etwas gehört? Tim Westphal hatte jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken: die „Star of the S.A.T.“ stürmte los wie ein abgelassener Jagdhund, der sein Wild wittert – und das hieß: „Trans-Australia“. Die Australier sahen, was heranbrauste. Ching fluchte laut auf, als er in seinem Bildschirm sah, daß
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ein strahlender, glühender Pfeil gespenstisch und lautlos von achtern heranschoß, näherkam, wie die Sichtscheibe eines schlanken Raumschiffes winzig klein und doch immer deutlicher werdend aus diesem Flammenstrahl herausglühte. „Das nicht – nur das nicht – –“ „Kurven, Kapitän – kurven – –“ Aber so dumm war Ching nicht. Er hielt stur seinen Kurs. Noch war der Amerikaner weit hinter ihm. Stunden würde er sich noch halten – zehn oder fünfzehn – – Vorn kam aus der Schwärze eine Halbkugel heran. Der Mars. Ching war totenblaß, aber er hielt sich ausgezeichnet. Nach zwei Stunden überholte er die „N III“. Was half es noch … * „Ich habe mir Varderholm mal vorgenommen.“ Die fünf Beobachterschiffe hielten ihren verabredeten Abstand von dem Feld, das sich nun immer mehr auseinanderzog. Jim ging mit Dr. Arron den Mittelgang entlang. „Und, Doktor?“ „Eine Frage, Kommodore: Hat Varderholm sich für diesen Flug freiwillig gemeldet?“ „So wenig wie wir alle“, antwortete Jim und sah flüchtig zu einem Bullauge hinaus und zu dem europäischen Beobachtungsschiff hinüber, das sich in einigen Meilen Abstand von dem Sternenfirmament abzeichnete. „Irgendwie ist da ein Fehler gemacht worden. Man hätte Freiwillige nehmen sollen und sie auch bekommen! Ich habe versucht, Cunningham das einzureden, aber er sagte nur, er
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wolle nicht erst ein großes Tamtam wegen dieser Sache machen und lieber einigen jungen Leuten Gelegenheit geben, unter der Führung eines erfahrenen Kapitäns – und das ist Westphal – sich den Wind um die Ohren pfeifen zu lassen.“ „Mit anderen Worten – es wurde improvisiert.“ „Das kann man wohl sagen“, nickte der Kommodore. „Aber daß man ausgerechnet zwei von den Strahlbummsern genommen hat.“ „Improvisation, Doktor!“ grinste Jim und spielte mit seiner Maza-Blend-Packung, die er aus der Brusttasche zog. Jetzt müßte man auf Transpluto sein können und mit seinen engsten Mitarbeitern von der „Organisation Andromeda“ den nächsten interstellaren Raumflug besprechen – das wäre besser als dieser Wettflug zwischen den Planeten. „Was ist nun mit Varderholm?“ „Der Mann fühlt sich hier nicht wohl.“ „An Bord dieses Schiffes nicht – oder im Weltall …?“ „Varderholm hat Raumflugerfahrung! Er sagte mir, er sei bereits auf Mars und Venus gewesen, und das wird wohl stimmen. Nein, Kommodore, er fühlt sich hier bei uns nicht wohl.“ „Den Eindruck hatte ich auch. Er zuckte regelrecht zusammen, als ich Dr. Watson erwähnte, der ja auch aus dem Strahlinstitut kommt.“ „Das kann eine rein gefühlsmäßige Reaktion gewesen sein.“ „Natürlich.“ „Achten Sie bitte weiter auf ihn, Doktor! Ich liebe keine Schwierigkeiten in der Mannschaft, die durch die Labilität eines einzelnen entstehen.“ „Das tue ich gern, Parker.“ *
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Die Jobber schalteten. Für ihre glorreiche „Uranus-Wett-Companie“ wäre es besser gewesen, wenn der Japaner vorn geblieben wäre, doch jetzt mußten sie auch der neuen Situation gerecht werden. Die Australier griffen an. Aber auch ihre Position war in größter Gefahr, denn die neuesten Funkmeldungen, die die Wett-Companie sich von der Außenstation übermitteln ließ, sprachen von dem Vorstoß des S.A.T.-Raumschiffes. Mister Miller erwartete jeden Augenblick von der Wettzentrale neue Direktiven. Solange sie noch nicht da waren, schwadronierte er seinen chancehungrigen Kunden was vor, daß der Himmel zu schluchzen begonnen hätte, wenn nicht schon ein feiner Regen die verkehrsumtobte Straßenecke eingehüllt hätte. Aus dem TV-Empfänger, der nur auf Tonempfang eingestellt war, drangen heiße Rhythmen Der Straßenarbeiter, der gerade seine Geldbörse aus der zerdrückten Kombination zog, sah mißmutig auf die erleuchtete Tafel, die den neuesten Stand des Rennens zeigte. „Was wird denn, wenn die Gelben zurückfallen?“ „Das Rennen geht ja weiter, Sir“, grinste Mister Miller mit der Miene des guten Onkels. „Schon – aber wenn nun doch die S.A.T.-Heinis durchkommen, wird die Beute unter einigen Tausend geteilt, die zwei richtig gesetzt haben – und dann – he?“ „Ich kann Ihnen was verraten!“ Mister Millers Vollmondgesicht, das unwillkürlich an das eines wohlhabenden Großhändlers erinnerte und nicht an einen kleinen Allerweltscowboy, kam auf den Arbeiter zu, der mit seinem klobigen Zeigefinger den Tabak in der Shagpfeife nachstopfte. „Was denn?“ knurrte er unfreundlich. „Die ‚Star of the S.A.T.’ wird nicht …“
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Er kam nicht dazu, dem pfeiferauchenden Straßenarbeiter ein Märchen aufzutischen, um den Dollar weiter rollen zu lassen, er wurde allerdings auch in letzter Sekunde vor einer Dummheit bewahrt, die ihm todsicher die schönsten Scherereien eingebracht hätte. Das Telefon summte auf. Mister Miller brach mitten im Satz ab, murmelte eine Entschuldigung. Dann beugte sich sein Vollmondgesicht über den Apparat. Der Straßenarbeiter hob die Schultern und wandte sich ab. Mister Miller sah, wie er zwischen einem Postbeamten und einer jungen Frau im Regen untertauchte, aber es wurde ihm nicht mehr bewußt. Die Wettzentrale meldete sich. „Machen Sie vorläufig weiter“, rief ihm eine vertraute Stimme entgegen, aber sie flatterte, und es hörte sich ganz jämmerlich an. Mister Miller wurde es denn auch gleich weich in den Knien. „Beim Himmel! Ist was geschehen?“ „Das kann man wohl sagen, Miller! Haben Sie denn noch nichts gehört?“ „Boß – ich bin – ich weiß wirklich nichts.“ „Also hat der Rundfunk es noch nicht gemeldet – aber sie werden es nicht geheimhalten können …“ Um Mister Miller führten die knalligen Plakate einen schrecklichen Tanz auf – er mußte sich festhalten. „Was – werden sie nicht geheimhalten können?“ fragte er leise. Die Stimme in der Zentrale flatterte nicht mehr so. „Also, Miller, ich glaube, wir müssen abbauen – ebenso wie die Idioten, die sich das Rennen ausgedacht hatten – die ‚Star of the S.A.T.’ ist hinüber …“ „Hin – ü – ber –?“
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„In tausend Fetzen sollen die Australier den Kasten gerissen haben, als der sie überholen wollte! Fürchte, das gibt noch ein böses Theater.“ „Oh – Oh“, stöhnte Mister Miller auf. Ihm war gar nicht gut. * Die Alarmgeber heulten. Jim ließ Dr. Arron stehen und stürzte nach vorn. Kam aber zu spät, um die Katastrophe noch mit ansehen zu können. Was er noch sah, genügte allerdings. Die „Star of the S.A.T,“ war nicht gerade in tausend Fetzen zerrissen worden, wie wenig später ein Wettjobber behaupten sollte, aber das schöne Schiff trieb in drei großen Teilen durch das Weltall – und mittendrin die „Trans-Australia“. Wernicke saß hinter der Steuersäule – er war weiß im Gesicht. „Diese Schufte“, fluchte er, „diese Schufte …“ „Wernicke, wie konnte das geschehen?“ „Westphal hatte überholt und machte ein ziemlich blödsinniges Manöver – er wollte vor dem Australier auf die andere Seite – na, und da geschah es denn …“ „Einfach hineingerast?“ „Mit Vollgeschwindigkeit! Da ist kein Auge mehr trocken! Die sind geliefert, Jim!“ „Die Australier …“ „Sie stoppen – die Japaner auch – –“ Wernicke drehte am Quadratverstärker der TV-Anlage, aber alles, was sie heranholen konnten, war die Bugkanzel, oder das, was von ihr noch übriggeblieben war, denn sie war nichts als ein zerbeulter Kunststoffhaufen.
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Jims Stirn hatte tiefe Falten. „Wie ist denn das möglich?“ „Das verstehe ich auch nicht“, schüttelte Wernicke den Kopf. „Der Australier ist ihm von achtern über den Kopf gerast und hat ihn oben aufgeschlitzt – so habe ich es jedenfalls gesehen.“ „Ich muß raus, Fritz!“ „Wir beide!“ „Gut, Boll soll das Schiff übernehmen!“ * Boll kam nach vorn. Über den Lautsprecher meldete sich der Bordfunker, der in pausenloser Verbindung mit der „Trans-Australia“ und der „N III“ stand. Die beiden Raumschiffe „booteten“ gerade aus. Die „S.A.T. X 8“ würde erst in einigen Stunden heran sein. Jim und Fritz gingen nach achtern in die Startbasis der beiden Raumgleiter, die unter der Mannschaftskabine lag. Sira folgte ihnen, aber sie konnten ihn nicht mitnehmen. Der Sirianer war aufgewühlt – er dachte daran, wie er selber einmal hilflos den Schrecken des Alls preisgegeben war. Und noch einer kam auf sie zu. Varderholm, der 2. Bordtechniker. Er trat mit finsterem Gesicht vor Jim hin. „Können Sie mich mitnehmen, Kommodore?“ „Warum?“ „Ich habe einmal mit Dr. Watson zusammengearbeitet und …“ „Danke, Varderholm! Das ist anständig! Aber ein Raumgleiter faßt nur einen Mann!“ Varderholm sah vor sich nieder.
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* Nach genau vierzig Minuten fingen sie auf dem Mars einen Funkspruch auf. „Das Rennen wird abgebrochen. Die beteiligten Schiffe haben nach Beendigung der Hilfsaktion den Mars anzulaufen. Bryland.“ Bryland gab auf. Er wußte, daß nun die Hölle über ihn hereinbrechen würde. Nach drei Stunden war auch die „S.A.T. X 8“ heran. * Zuerst fanden sie Westphal. Er trieb in verkrümmter Haltung auf seinem Führersitz, an dem er sich mit seinem Raumanzug festgeklemmt hatte, als die Japaner ihn an Bord nahmen. Dann fischten sie zwei seiner Männer auf. Die drei lebten. Dann traf die „S.A.T. X 8“ an der Unglücksstätte ein. Es war noch ein Glück, daß die Teile des geborstenen Raumschiffes auf verhältnismäßig engem Raum trieben, so daß die Raumgleiter der ganzen internationalen Armada, die sich jetzt um das Gebiet formierte, sich auf diesen Raum konzentrieren konnte – daß er immerhin noch einen Durchmesser von gut 30 Meilen hatte, war nur für den ungewöhnlich, der die Verhältnisse im Weltall nicht kannte. Vom Mars eilten ebenfalls Raumschiffe heran, aber sie würden kaum noch zum Einsatz gelangen. Jim sah eine Gestalt treiben. Sie verschwand gleich wieder in den schwarzen Weiten des
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Alls, aber Jim preßte bereits seinen Mund gegen den grünen Kunststoff des Mikrophons. „Taststrahlen in den Raum zwischen Bugkanzel und rechter Hand davon treibendem Wrackstück.“ Die „N III“ war dieser Position am nächsten; ihre Taststrahlen – für das menschliche Auge unsichtbar – strichen durch das von Jim angegebene Gebiet. Wie schlagartig sich eine Situation ändern konnte. Wer von den Kapitänen der 8 Raumschiffe, die hier jetzt mit andauernden „Richtschüssen“ in fast ruhendem Zustand gehalten wurden, dachte noch an den Uranus, der Millionen weit von ihnen seine Bahn zog. Das alles lag so weit zurück – und war noch vor einigen Stunden erregende Wirklichkeit gewesen. Der japanische Kapitän hob die Schultern und sagte ein paar Worte zu seinem Dolmetscher. Gleich darauf wurde Jim angerufen. „Wir haben mit einem Taststrahl von 37-II-Durchmesser das Gebiet abgesucht – ohne Erfolg – –“ „Aber da war doch was!“ „Da …“, schrie einer an Bord des Japaners und deutete auf einen winzigen Punkt, der scheinbar auf die geisterhaft glosende rote Halbkugel zuglitt. Jim sah es auch. Es war ein Raumflieger, dessen gelber Wulstpanzer jetzt hell aufleuchtete. Jetzt glitt ein anderer Gleiter heran und fing den Hilflosen auf. Aber das war weit weg … „Es muß in meiner Nähe sein“, schrie Jim zurück, „bitte noch einmal abtasten …“ Wieder glitt der Taststrahl. Dann wieder die singende Stimme des Asiaten. Diesmal in einer jähen Erregung. „Wir haben Ausschlag, Herr! Drei Meilen links von Ihnen!“
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Jim warf den Gleiter herum und sah auch gleich den armen Teufel, der in seinem wulstigen Panzer scheinbar aus wesenloser Tiefe aufstieg. Jim peilte ihn mit seinem Rettungsgerät an, da er selber nicht aussteigen konnte. Noch eine gute Meile. An ihm vorbei trieb das gewaltige Heckstück der unglücklichen „Star“. Gespenstischer Anblick. Grausig und phantastisch zugleich. Aber Jim achtete nicht auf das Gebilde, das schräg nach oben an ihm vorbeitrieb. Er zählte die Sekunden ab – dann schoß er … Eine kleine Rakete zog rote Leuchtspur vom Gleiter weg und in ihr eine Spezialleine mit drei Griffhaken zu der treibenden Gestalt hin, überflog sie und löste sich dann von der Leine. Die Rakete verschwand irgendwo im All. Die Griffhaken aber faßten den Mann. Zogen an, und dann spulte sich die Leine automatisch und langsam wieder zum Gleiter hin auf. Der Kommodore ließ den Gleiter langsam dahinfliegen. Dann war es geschafft … Die regungslose Gestalt wurde von den Griffklauen vor der seitlichen Sichtscheibe gehalten. Jim steuerte wieder sein Raumschiff an, in dessen offener Schleuse Fisher bereitstand, um ihm zu helfen. Er hätte sich seine Vorsicht gern sparen können. Als sie den Mann in der Schleuse hatten, diese schlossen und ihm den Wulstpanzer abnahmen, sahen sie es. Es war Dr. Arnullf Watson. Aber er war tot. * Die anderen lebten. Kapitän Tim Watson und vier Mann.
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Ted S. Cunningham wurde sehr still, als er das erfuhr. Er hatte bereits seinen ersten Zorn ausgetobt, daß sich keiner mehr zu ihm ins Arbeitszimmer wagte, aber nun wurde er ganz ruhig, und seine Stimme klang leise, als er zu Oberst Mortimer sagte: „Das ist Mord!“ „Es sieht so aus“, nickte der Sicherheitschef und sah auf das seltsame Gewürm seiner selbstgedrehten Zigarette, das er eben fabriziert hatte. „Es sieht so aus – ja – –“ „Das soll Frank mir büßen!“ Mortimer sah ruckartig auf, und in seinen eben noch etwas müden Augen leuchtete es scharf. „Wer?“ „Frank von der A.I.C.“ „Ja“, nickte Mortimer und zündete sich die seltsame Zigarette an. Dann begann er hin und her zu gehen. Unter ihnen im Pressesaal wurden Reporter aller Schattierungen von einem hohen S.A.T.-Beamten abgespeist; denn nun meldeten alle Rundfunkstationen die Katastrophe im Weltall. Mortimer blieb stehen, und sein Blick richtete sich auf den ganz erschüttert in seinem Sessel hockenden Generaldirektor. „Nach den uns vorliegenden ersten Augenzeugenberichten sieht es allerdings nach Absicht aus. Das Weitere aber müssen die Recherchen ergeben, die die I.W.K. auf Mars anstellen wird.“ „Sollen wir so lange warten?“ grollte der Generaldirektor, und dann änderte sich abermals blitzartig seine Stimmung – er sprang auf und hieb die Faust auf den Tisch. „Mortimer!“ „Sie haben etwas gegen die Australier“, fiel ihm der Oberst scharf ins Wort, „und gerade darum sollten wir doppelt vorsichtig sein! Kein voreiliges Wort, mein Lieber! Wenn sich nachher herausstellt, daß alles ein Unfall ohne vorsätzliches menschliches Verschulden war, sitzen wir drin – und ganz bös …“ „Mortimer!“
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„Wir prüfen schon mehr, was nach meinem werten Kollegen Markano riecht, als Sie annehmen“, lächelte Mortimer etwas überheblich, „und das nicht erst seit einigen Stunden.“ „Wollen Sie mir das nicht genauer erklären?“ „Später, Cunningham! Im Augenblick ist es uninteressant.“ „Und was im Augenblick von Interesse ist, wollen Sie nicht anfassen, wie?“ regte sich Cunningham weiter auf. „Wollen Sie vielleicht noch ein Freundschaftstelegramm an diesen – diesen Mister Frank senden?“ „Warum sollte ich es? Ich rechne sogar damit, daß Frank sehr unangenehme Stunden bevorstehen.“ „Ah …“ „Ich versuche, den Wortlaut des Befehls zu beschaffen, den er kurz vor dem Start an seinen Kapitän Ching sandte.“ „Das wäre schon was, Mortimer.“ * Der Telefonhörer … Er wurde neben den Apparat geworfen, von einer Hand, die vor Entsetzen bebte. Robert Frank starrte einen Augenblick verwundert auf seine eigene Hand. Er atmete tief durch und horchte mit bewußter Anspannung auf den harmlosen Singsang eines braunen Burschen, der vor dem Fenster zwischen den kostbaren Gewächsen arbeitete. Dann sah er wieder auf die Hand. Sie zitterte nicht mehr. Robert Franks zusammengepreßter Mund lächelte. Die Hand war sogar so ruhig, daß das Flämmchen des Feuerzeugs steil in der warmen Luft stand, als er sich eine Zigarette ansteckte. Nur sehr blaß war Robert Frank, und er sah mißmutig auf, als leichte Schritte neben ihn kamen.
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Gloria sah den Telefonhörer liegen. Sie hob ihn auf und blickte ihren Bruder fragend an. Er nickte. Die Gabel klickte ein. Nach einer Weile begann er. „Eine böse Geschichte, Gloria – Ching hat die ‚Star of the S.A.T.’ gerammt.“ „Mein Gott“, stammelte sie, „und die Amerikaner?“ „Das Raumschiff wurde in drei Teile zerrissen – von der Besatzung ist ein Mann tot.“ „Robert – das ist fürchterlich.“ „Pech“, sagte er kalt – der Zigarettenrauch strich über sein Gesicht. Seine Zigarette störte sie – sie wußte selber nicht, warum. „Und was soll nun geschehen, Robert?“ „Wir werden unsere allertiefste Anteilnahme aussprechen, einen Kranz nach Orion-City schicken und das Rennen als ungelaufen verbuchen.“ „Du bist zynisch.“ „Erwartest du nun von mir ein stilles Gebet?“ hob er die Schultern, und sie sah, daß das Lachen aus seinem Gesicht gewichen war. „Ein solches Risiko muß jeder Raumflieger eingehen, Schwesterlein. Cunningham wird mich jetzt hetzen, das sehe ich kommen – aber er kann mir nichts nachweisen.“ „Und Markano?“ fragte sie beklommen. „Eure Schnüffeleien in Orion-City, die …“ Ein Gong hallte durch das Herrenhaus. Dumpf. Lange ausschwingend. Dreimal. Robert Frank machte eine scharfe Handbewegung. „Kein Wort mehr! Das ist tabu für dich, verstanden? In solche Dinge mische dich bitte niemals ein! Geh jetzt – ich komme gleich nach …“ Sie ging. Auf dem Flur blieb sie stehen und rieb sich Kölnisch Wasser
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über die Handgelenke. Das tat gut. Trotzdem war sie noch ganz verstört, als sie in das Speisezimmer trat. Pa Henderson und Eva hatten es schon durch den Nachrichtendienst erfahren. Eva kam ihr entgegen. „Wir hörten es eben im Rundfunk, Gloria – das ist furchtbar.“ Gloria packte ihre Schultern. „Ich habe Angst, Eva.“ * Sie liefen den Mars an. Eine große, traurige Armada: die drei Raumschiffe, die nicht mehr vorwärtsstürmen durften, die Beobachtungsschiffe. Nur Jim nicht mit seiner „S.A.T. X 8“. Er gab den Toten an die „N III“ ab und setzte gleich zum Rückflug an. Über Funk rief er den Mars an, der zur S.A.T.Organisation gehörte. „Ermöglichen Sie bitte den Herren von der I.W.K. eine einwandfreie Untersuchung der Angelegenheit, Dr. Hegemann – berichten Sie mir aber bitte, sowie etwas Positives vorliegt.“ Nach einer Weile die Antwort vom nahen Planeten, der riesengroß vor dem Sternenfirmament schwebte. „Warum wollen Sie nicht persönlich an der Untersuchung teilnehmen?“ „Ich halte mich absichtlich von ihr fern, um mich nicht irgendwelchen Vorwürfen auszusetzen und die Neutralität der Untersuchung zu sichern – verstanden?“ Nach einigen Minuten kam die Antwort: „Verstanden!“ *
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Auch die Wrackteile schleppten sie ein. Sie wurden von Spezialschiffen, die von der Marsoberfläche aufgestiegen waren, durch die Atmosphäre geschleppt und auf den Ebenen des Mare Cimmerium gelandet, das sich vor dem Verwaltungsplateau dehnte. In einen kühlen Sommertag hinein. Von den übrigen Raumschiffen landeten nur die „TransAustralia“ und das I.W.K.-Raumschiff direkt auf dem Mars – die anderen verhielten außerhalb der Atmosphäre, und ihre Besatzung wurde mit Landungsraketen heruntergeholt. Bryland betrat als erster den mächtigen Bau der irdischen Marsverwaltung. Dr. Hegemann trat ihm entgegen – er war erschüttert, zumal er ihn kannte. „Mensch, Bryland.“ „Ich mache mir die schwersten Vorwürfe, Hegemann.“ „Damit kommen wir jetzt nicht weiter.“ Sie sahen aus einem der hohen Fenster auf die Ebene. Die tiefstehende Sonne warf eine kühle, klare Helligkeit über den gewellten, braunen Sand, der nur von der neuen Kunststraße unterbrochen wurde, die zu der ersten marsianischen Siedlung führte. Sie gingen hinaus. Aus einer der aufsetzenden Landungsraketen stiegen zwei Männer, und es war seltsam, sie – ausgerechnet sie – jetzt nebeneinander zu sehen. Die Zigaretten, die sie rauchten, ließen unwillkürlich den Gedanken an Aussprache und Versöhnung aufkommen – aber das täuschte … Es war nur eine kühle Korrektheit zwischen den Kapitänen Ching und Westphal. Dr. Hegemann schüttelte ihnen die Hände. Dann gingen sie auf das Wrack der Bugkanzel zu, das vor ihnen gespenstisch aufragte, Kapitän Ching, ohne Wulstpanzer
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und Kugelhelm, das Haar zerzaust und unordentlich in die Stirn hängend, zeigte auf den Trümmerhaufen. „Ihr Schiff kann niemals durch meinen Kasten allein zerstört worden sein – das sieht mir vielmehr nach einer Explosion aus.“ „Gewiß“, nickte Westphal kühl, „und zwar erfolgte die Explosion in dem Augenblick der Kollision.“ „Das zu klären wird unsere erste Aufgabe sein“, warf Bryland ein. „Sie werden doch wohl nicht abstreiten, daß Sie meinen Kasten von hinten rammten, Ching?“ Chings Augen wurden schmal. „Hätten Sie noch ausweichen können, wenn einer unmittelbar vor Ihrer Schnauze mit einem völlig konfusen Manöver die Seite wechselte?“ „Doch – ich hätte ausweichen können.“ „Warum manövrierten Sie so ausgesprochen blödsinnig?“ „Mensch, Ching – das ist doch meine Sache …“ Ching warf seine Zigarette in den Sand. * Die erste Untersuchung des Wracks begann. Auf der Erde aber war Oberst Mortimer den technischen und raumfahrttechnischen Sachverständigen im Mare Cimmerium voraus; als er in diesen Minuten das Arbeitszimmer des Generaldirektors betrat, konnte er den Beweis für die Qualität seines Sicherheitsdienstes liefern. Er legte Cunningham einige Papiere vor. „Das ist der Wortlaut.“ „Der Befehl, den Frank seinem Kapitän gab?“ fragte Cunningham hastig. Mortimer nickte. Der Generaldirektor überflog die Zeilen, las dann noch einmal halblaut und schweratmend:
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„Sie haben mit äußerster Rücksichtslosigkeit gegen die ‚Star of the S.AT.’ vorzugehen. Frank“ und sagte dann nur: „Na also!“ „Das dürfte Frank einige Kopfschmerzen bereiten.“ „Die Weltpolizei …“ „Ist bereits unterrichtet.“ * „Dr. Arron?“ Jim Parker kam gerade aus dem Kontrollraum, als er vor sich den Doktor aus der Mannschaftskabine treten sah. „Kommodore …“ Jim sah dem Vierschrötigen an, daß etwas geschehen sein mußte, und war mit wenigen Schritten neben ihm. „Varderholm ist zusammengebrochen.“ „Zusammengebrochen?“ „Yes! Nervengeschichte! Er liegt auf seiner Koje und döst vor sich hin.“ Als Jim die Kabine betreten wollte, hielt Dr. Arron ihn zurück. „Vielleicht besprechen wir das erst einmal unter vier Augen?“ Jim blickte ihn verwundert an. Dr. Arron nickte. „Als er zusammenbrach – ich war gerade bei ihm, weil er mir bereits seit Stunden nicht gefiel –, sagte er auf einmal aufschluchzend, er habe den Tod von Watson nicht gewollt – vielleicht …“ „Kommen Sie!“ Sie gingen den Gang zurück, und in seiner Privatkabine stellte Jim eine Flasche Schottischen auf den Tisch. Dann schenkte er ein. „Das ist ja interessant, Doktor!“ „Ich will ihn in keiner Weise verdächtigen – es wäre vielleicht unfair und sicher auch unsachlich, denn als Ursache des
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Unglücks kommt wohl doch nur der Zusammenstoß in Frage. Doch mir fällt ein, daß Varderholm kurz vor dem Start im Raumhafen, vielleicht eine Stunde vorher, sich in der Nähe der ‚Star’ aufhielt.“ „Berichten Sie bitte.“ „Wie Sie wissen, Kommodore, habe ich gerade während der Startvorbereitungen meinen Kollegen Dr. Schneider auf der Außenstation vertreten, der plötzlich erkrankte. Bei einem leichten Unfall, der sich während der vorletzten Startphase auf einer Laufbahn im Raumhafen ereignete, mußte ich einspringen. Dabei sah ich, daß Varderholm aus dem Kontrollsaal B kam, von dem aus bis zuletzt Verbindung mit der ‚Star’ bestand.“ „Aber in die Kontrollsäle kamen doch keine Unbefugten.“ „In diesem Falle ist es eben doch geschehen.“ „Das ist ja …“ „Ich möchte nicht, daß meine Aussagen einen Verdacht auf Varderholm werfen, der vielleicht ganz unbegründet ist …“ „Ich bin Ihnen sehr dankbar, Doktor.“ „Werden Sie bereits gegen Varderholm etwas unternehmen?“ fragte Dr. Arron besorgt. „Durchaus nicht – nur die Leute von der Außenstation werden mir Rede und Antwort stehen müssen.“ * Varderholm lag apathisch auf seiner Koje. Er ahnte nicht, daß einige Meter von ihm entfernt über ihn gesprochen wurde. Seine Gedanken waren noch lebhafter, als man es ihm ansehen konnte. Sie konzentrierten sich auf einen fernen Mann, sie krallten sich geradezu an ihn, sie prüften ihn. Der Mann hieß Markano.
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Varderholm sah aus halbgeöffneten Augen auf die schmale Gestalt des jungen Sirianers, der an seinem Spind saß und sich noch immer bemühte, mit den Geheimnissen des Schachs fertig zu werden. Eine trübe, trostlose Stimmung lastete an Bord während des Rückfluges. Markano. Wenn er mich betrogen hat, bin ich geliefert … Dann war alles umsonst. * Die „S.A.T. X 8“ rief die Außenstation. Der Bordfunker erhielt bereits nach wenigen Minuten eine Antwort aus der verlorenen Weite des Raums, und als er darauf den Text mit der scharfen Anfrage Jim Parkers durchgab, wurde ihm geantwortet, man werde mit dem zuständigen Abteilungschef Rücksprache nehmen. „Wir sollen auf die Auskunft warten, Kommodore.“ Jim ging vor der Box im Kontrollraum auf und ab. Vorn in der Schiffsschnauze saß Wernicke. Der Planet Mars wich immer mehr zurück, und vor ihnen stieg wie aus einem klaren Abgrund die Kugel der Erde auf – der Erdmond war von hier aus im Augenblick nicht zu sehen. Der Funker winkte Jim heran. „Die Erde, Kommodore“, sagte er, und dann gleich darauf der Text. „Weltpolizei verhaftet Frank unter dringendem Verdacht. Cunningham.“ Jim starrte auf die Zeile. *
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Sie holten Frank ab. Zwei weißrote Hubschrauber der Weltpolizei gingen überraschend auf dem Mittelweg vor dem Herrenhaus Hendersons nieder. Zwei Offiziere und zehn luftig uniformierte Weltpolizisten standen gleich darauf auf dem roten Kies und sahen sich um. Dann betraten sie das Herrenhaus. Gloria, die mit einem braunhäutigen Diener im Garten arbeitete, sprang erschrocken auf und eilte hinter ihnen her. Vier Mann blieben bei den Hubschraubern. Gloria stieß buchstäblich gegen die breiten Schultern zweier Weltpolizisten, die höflich lächelten und ihr den Eintritt verwehren wollten. Sie zwängte sich an ihnen vorbei und wollte die Halle durchqueren, doch sie kamen schon vor ihnen die breite Treppe herunter. Robert Frank und einer der WP-Offiziere, gefolgt von Mannschaften, während der andere Offizier neben dem aufgebrachten Pa Henderson ging und mit ihm plötzlich mitten auf der Treppe wieder umkehrte. Robert Frank war weiß vor Zorn. „Captain, das hat man noch nie gewagt.“ „Ich habe nur den Befehl, Sie zu verhaften und ins Hauptquartier nach London zu bringen“, erwiderte der Captain mit knapper Höflichkeit. „Ich bitte Sie, sich selber und mir keine Schwierigkeiten zu bereiten.“ „Ich komme artig mit, Captain“, lächelte Frank ironisch. „Theatervorstellungen können Sie von mir nicht erwarten.“ Und als er seine Schwester sah, die unwillkürlich die Arme nach ihm ausstreckte: „Du kannst dich bei deinen vielgepriesenen S.A.T.-Helden dafür bedanken, daß die Welt eine neue Sensation hat.“ „Robert …“
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„Das werden Cunningham und Parker mir büßen, Schwesterlein! Verlasse dich darauf!“ „Bitte, Sir!“ Der Captain zeigte verstohlen auf die hohe Glastür am Eingang, als Robert Frank stehenbleiben wollte. „Robert, was bedeutet das?“ „Orion-City will meinen Kopf rollen sehen.“ „Aber man kann doch nicht einfach …“ „Bitte“, sagte der Captain wieder, und es hörte sich verdammt kurz und befehlsgewohnt an. Robert Frank ging mit ihm weiter. Er nickte seiner Schwester noch einmal zu. * Die Hubschrauber brummten in den Abendhimmel. Sie waren noch nicht über dem Atlantik, als die TVNachrichtendienste in breiten Buchstaben die Sensation über alle Kontinente schrien. „A.I.C.-Generaldirektor unter schwerem Verdacht verhaftet.“ „Fiel die ‚Star of the S.A.T.’ einem Verbrechen zum Opfer?“ „Weltpolizei schlägt zu! Die seltsamen Befehle eines Generaldirektors!“ „Was ist mit Generaldirektor Frank?“ * „Vom Mars, Kommodore.“ Der Bordfunker reichte Jim, der gerade durch den Kontrollraum nach Mittschiff ging, den Eingangsstreifen hin. Jim riß ihn an der noch feuchten Klebestelle auf. „… folgendes vorläufiges Ergebnis: Es läßt sich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit feststellen, auf welche Einwir-
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kung die Explosion in der Bugkanzel zurückzuführen ist, jedoch kann angenommen werden, daß diese nicht von dem Aufprall des australischen Raumschiffes herrührt …“ Und an einer anderen Stelle: „… die ‚Star of the S.A.T.’ wurde im Augenblick des Zusammenstoßes von Kapitän Westphal und dem Navigator Dr. Watson gesteuert …“ Weiter: „… die Obduktion des Toten hat ergeben, daß seine Lunge im Augenblick der Explosion durch einen enormen Druck in seiner unmittelbaren Nähe zerfetzt wurde …“ Jim nickte dem Funker zu und ging in die Mannschaftskabine. Varderholm starrte ihm von seiner Koje aus entgegen, als er einen Hocket an dem danebenstehenden Spind befestigte und sich darauf setzte. „Sie machen Geschichten, Varderholm“, sagte er kameradschaftlich. „Wie geht es Ihnen?“ „Danke, Kommodore – es geht wieder …“ „Sie – sind sehr feinfühlig, Varderholm?“ Der 2. Bordfunker horchte dem Klang nach, der in diesen Worten mitschwang – war es echte Anteilnahme oder versteckte Ironie? –, aber so etwas lag dem Kommodore doch gar nicht … „Ich weiß selber nicht, wie es kam, Kommodore.“ „Sicher das niederträchtige Gefühl, daß Ihr ehemaliger Mitarbeiter nicht gerettet werden konnte.“ „Ist anzunehmen.“ „Kannten Sie Dr. Watson gut?“ Schweigen. Minutenlang. Nur ein flüchtiges Geräusch, als Varderholm sich etwas aufsetzte und seine Hand über den Schaumgummi strich. Dann:
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„So – wie man einen Kollegen kennt …“ „Arbeiteten Sie mit ihm zusammen in einer Abteilung?“ „Nur für einige Wochen.“ „Was machen Sie denn so im Institut?“ „Kontrollberechnungen für Startbahnen.“ „Hm. Nicht schlecht. Darüber müssen Sie mir mal mehr erzählen. Einen kleinen Kognak, Varderholm – Dr. Arron hat es erlaubt …“ Varderholm sah, wie Jim eine Flasche aus der Tasche zog und nickte. „Könnte ich haben, Kommodore.“ * „Mylord, ich protestiere …“ Der Präsident der Weltpolizei, Lord Clifford, ließ sich in höchsteigener Person herab, diese Vernehmung – er selber sprach höflich von einer „vertrauensvollen Unterhaltung“ – zu führen, aber schließlich saß ihm auch einer gegenüber, der zu der ersten Klasse der Weltwirtschaftsführer gehörte. Leider war Robert Frank durchaus nicht geneigt, auf die behutsame Art des WP-Präsidenten einzugehen, der das Peinliche der Situation abschwächen wollte. Lord Clifford lächelte bedauernd, als er die hingehaltene Zigarettendose wieder zurücknehmen mußte, ohne daß sich Frank bedient hatte – der Bursche war ja wie ein Eisberg. Das sprach durchaus nicht für seine Unschuld – Lord Clifford kannte sich da aus. „Sie können der Weltpolizei keinen Vorwurf machen, Mister Frank – sie konnte nicht anders handeln, nachdem sie die vorliegenden Tatsachen geprüft hatte.“ „Vielleicht sagen Sie mir einmal, auf Grund welcher Ver-
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dachtsmomente Sie mich von der Hazienda eines Geschäftsfreundes abholen ließen?“ sagte der Generaldirektor hochmütig. „Ihr Raumschiff hat den Konkurrenten eines interplanetarischen Rennens gerammt …“ „Wenn Sie …“ Lord Clifford steckte sich selber eine seiner schweren duftenden Zigaretten an und begann jetzt – der alte Fuchs verstand sich auf solche Spiele – ganz allmählich die Schraube anzudrehen. Zum erstenmal ließ er den Untersuchungsgefangenen nicht ausreden. „Sie haben kurz vor dem Start an Ihren Kapitän Ching einen Befehl gerichtet?“ „Möglich.“ „Ich bitte Sie, diese Frage ernst zu nehmen.“ Robert Frank sah ihn etwas konsterniert an und stützte sich mit den Unterarmen breit auf die Sessellehnen. „Meine Kapitäne erhalten von mir laufend Meldungen und Befehle – dabei ist nichts Außergewöhnliches …“ „Der Text der Meldung, die ich meine, scheint mir doch etwas außergewöhnlich zu sein“, sagte Lord Clifford leise, hob einen maschinenbeschriebenen Zettel vom Schreibtisch, ohne Frank zu zeigen, um was es sich handelte. „Mylord – vielleicht lesen Sie mir diesen außergewöhnlichen Text einmal vor?“ grinste der Australier mit offener Ironie. Lord Clifford las vor. Langsam und fast gleichgültig. Dabei ließ sein Blick den Generaldirektor nicht los. Robert Frank grinste nicht mehr. Er preßte die Lippen aufeinander. *
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Er blieb in Untersuchungshaft. Nach einer weiteren Woche landete die „S.A.T. X 8“ wieder vor Orion-City. Jim fuhr gleich zu Ted S. Cunningham. „Gut, daß Sie wieder da sind“, schnauzte der immer noch bis zum Platzen geladene S.A.T.-Boß los, als habe Jim einen unerlaubten Ausflug gemacht „Wir wissen hier bald nicht mehr ein noch aus …“ Der Kommodore ging auf den Ton gar nicht erst ein. Er hatte selber allerhand auf dem Herzen und nahm denn auch kein Blatt vor den Mund, als er Cunningham gegenübersaß. „Ich fürchte, Sie haben uns da was Schönes eingebrockt, Boß.“ Cunningham starrte seinen besten Raumflieger an, kaute mechanisch, sagte aber nichts. „Die Verhaftung von Frank geht doch auf Ihre Initiative zurück?“ „Initiative?“ schnappte der Atomboß. „Wieso? Wir haben der Weltpolizei gesagt, was wir über die Machenschaften der A.I.C. wußten, und es ihr überlassen, die Folgerungen daraus zu ziehen.“ Und dann wollte er wieder wild werden, doch Jim winkte energisch ab. „Es ist möglich, daß die A.I.C. ihre Hand im Spiele hat, aber es wäre besser gewesen, wir wären von uns aus hübsch still und leise vorgegangen.“ Nun donnerte die Faust doch auf die Schreibtischplatte. „Die Welt soll ruhig erfahren, was für Gangster in Sydney sitzen.“ „Und die Blamage, Boß, wenn es sich herausstellt, daß diese sogenannten Gangster unschuldig sind?“ „Unsinn!“ „Man sollte niemals eine solche Gelegenheit nutzen, um einem Gegner eins auszuwischen.“
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Cunningham kaute an dieser Zigarre und wunderte sich, daß ihn nicht der Schlag traf. „Mortimer …“ „Mortimer sprach ich bereits draußen auf den Feldern – er kommt nach.“ Cunningham wischte sich mit einem Seidentuch das Gesicht ab und sah den Kommodore bitterböse an. „Sie haben eine Art, die einen normalen Menschen wild machen kann“, knurrte er. „Damit Sie aber beruhigt sind – Lord Clifford hat Frank persönlich vernommen.“ „Mit welchem Resultat?“ „Einer wie Frank ist kein kleiner Gauner – der fällt nicht auf den ersten Hieb.“ „Mit anderen Worten – Frank streitet alles ab.“ „Streitet alles ab? Der Bursche ist so hochnäsig, daß er es ablehnt, auf Fragen der Weltpolizei zu antworten. Aber er steckt dahinter, Parker, darauf können Sie Gift in rauhen Mengen nehmen! Er und Markano, dieser schleimige Unterweltler. Mortimer hat Wind davon bekommen, daß diese Wüstenbanditen auch hier in Orion-City herumschnüffeln …“ Jim unterdrückte ein Lächeln. „Boß, Sie tun so, als ob Spionage für Sie etwas Neues wäre, in diesem Falle aber …“ Cunningham beugte sich vor und nahm den Hörer vom TVApparat. Der Quadratschirm leuchtete auf, und das erregte Gesicht eines bekannten Beamten des Sicherheitsdienstes wurde sichtbar … „Sir, ich spreche im Auftrage von Oberst Mortimer.“ „Was ist?“ fragte Cunningham ahnungsschwer. „Wir haben den Ambulanzwagen überwacht, der den Bordtechniker Varderholm von den Raketenfeldern zum St.Franziskus-Hospital bringen sollte, und …“ „Und …?“
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„Als der Wagen beim Hospital ankam, war Varderholm verschwunden.“ „Ver…?“ „Sir, wir können es uns auch nicht erklären!“ Cunningham blickte Jim an und prallte ordentlich zurück. „Und – Mensch – Sie – Sie lachen?“ Jim stand auf. „Entschuldigen Sie mich bitte, Boß.“ * Minuten später telefonierte er mit Wernicke. „Der Bursche ist glatt auf den alten Dreh hereingefallen“, berichtete der kleine Commander, der sich in bester Laune befand, weil seine neue Aufgabe ihn an verschiedenen Lokalen vorbeiführte. „Der Ambulanzwagen hielt nur ganz kurz am Eingang zum Union-Park. Ich konnte sehen, wie er aus dem Wagen sprang und im Park verschwand …“ „Der Sicherheitsdienst?“ „Die Kradstaffel hatte Leutnant Behrend verabredungsgemäß so plaziert, daß die Rückwand des Wagens unbeobachtet blieb. Er muß sich jetzt von seinen Kameraden allerhand Boshaftes sagen lassen, aber Mortimer wird ihn schon decken.“ „Weiter, Fritz.“ „Varderholm hat das Stadtgebiet bereits in einem Privatwagen verlassen.“ „Richtung?“ „New Salina.“ „Wir dürfen ihn jetzt nicht aus den Augen verlieren.“ „Mortimers Elite beobachtet ihn gut. Ich nehme an, daß er nach Australien will.“ „Ich auch.“
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* Immer dasselbe. Wenn Gloria Frank London anrief, antwortete ihr eine sehr höfliche und sehr freundliche Männerstimme, die aber nie eine konkrete und klare Auskunft gab. Gloria fing an, diese Stimme zu hassen. Sie ließ den Hörer müde auf die Gabel fallen. Wenn jetzt wenigstens Jim bei ihr gewesen wäre, denn er würde sich um die jetzt mehr als frostige Atmosphäre zwischen A.I.C. und S.A.T. nicht kümmern. Die Sonne warf breite Lichtbalken durch das halbgeschlossene Filterfenster. Gloria war jämmerlich zumute. Sie dachte daran, daß noch vor vierzehn Tagen an diesem Apparat Rudolf gestanden und die ersten schicksalsschweren Nachrichten entgegengenommen hatte – dann war die Hölle über sie gekommen. Sicher war Robert hart und rücksichtslos. Aber ein Mörder war er nicht. Gloria ging langsam in die Halle, in der Eva auf sie wartete. Mutlos hob sie die Schultern. „Nichts, Eva – immer dasselbe: ‚Sie müssen abwarten! Wir können Ihnen nicht sagen, wann Mister Frank entlassen wird! Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen! Weitere Auskünfte erteilen wir nicht! – Es ist zum Verzweifeln.“ „Einmal müssen sie ihn doch wieder freigeben“, versuchte Eva, ihr Mut zu machen, „gegen Kaution oder so …“ „Das gibt es bei der Weltpolizei nicht“, schüttelte Gloria wieder den Kopf. „Ich habe mich selbstverständlich bereits erkundigt. Aber man soll meinen Bruder nicht länger festhalten, Eva – Ich lasse es nicht zu …“ „Was läßt die Dame nicht zu?“ unterbrach sie eine Männer-
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stimme von der hohen Glastür her. Sie hatten nicht gehört, daß eine Maschine vor dem Herrenhaus niedergegangen war. Jim, Fritz Wernicke und Sira standen vor ihnen. Gloria hatte wie ein ganz einfaches, verliebtes junges Mädchen die Tage gezählt, die es dauern würde, bis sie Jim wiedersehen konnte – damals, als die große Jagd gerade begonnen hatte, und eben auch noch –, aber nun war doch alles anders. Sie wußte, wo die Männer saßen, die Roberts Verhaftung veranlaßt hatten – sie konnte doch nicht so tun, als wüßte sie es nicht, obwohl ihr in diesem Augenblick erst recht und sehr schmerzhaft bewußt wurde, wie sehr sie diesen Kommodore Jim Parker liebte. „Guten Tag, Jim“, sagte sie etwas unbeholfen und trat ihm nur zögernd entgegen – vielleicht kam es auch, weil der kleine Commander Wernicke ein ausgesprochen unfreundliches Gesicht machte und stur auf seiner qualmenden Pfeife herumkaute, obwohl das gegen alle Form und allen Anstand war. Eva hatte es in diesen Minuten nicht so schwer – sie begrüßte den Sirianer sehr herzlich und mit einem Strahlen, das nicht erst Zweifel an ihren Gefühlen aufkommen ließ. „Gloria, es tut mir leid, daß inzwischen so etwas geschehen ist.“ Er nahm ihre Hände und hob sie gegen sein Gesicht. „Die A.I.C. ist keine Gangsterorganisation“, sagte sie kühl. „Nein – aber eines eurer Schiffe hat ein S.A.T.-Schiff gerammt, und dein Herr Bruder hat sich durch einen sehr unfreundlichen Befehl verdächtig gemacht“, parierte er sofort. Ihre Blicke trafen sich – und dann mußten sie beide lachen. „Jim – das muß doch geklärt werden.“ „Gloria“, sagte er ruhig, „ich hätte vielleicht nicht kommen sollen, aber ich mußte dich sprechen und wiedersehen! Kann ich dir etwas anvertrauen?“
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„Das ist doch selbstverständlich.“ „Ich habe eine Spur aufgenommen, und die führt nach Sydney.“ Sie zuckte zusammen, und er fügte rasch hinzu: „Damit ist noch nicht gesagt, daß dein Bruder hinter dem Unglück steckt.“ „Robert ist ein harter Mensch, aber er ist kein Mörder“, sagte sie heftig. „Wir werden es bald wissen, Gloria.“ * Dr. Arron stieg aus. Er war mit seinem kleinen, nicht mehr ganz neuen Wagen, wie es seine Art war, langsam durch den sinkenden Abend gefahren, bis er das in einer ruhigen Straße gelegene Appartement erreichte, in dem er seine Wohnung hatte. Er ließ den Wagen vor dem Gartenzaun stehen. Der Hausdiener würde gleich kommen und ihn in die unterirdische Garage fahren. Das hatte sich so im Laufe von bald dreißig Jahren eingespielt. Dr. Arron war Junggeselle, und wenn er in seiner Freizeit nicht über dem Schachbrett brütete, bastelte er kleine altertümliche Schiffsmodelle. Heute war er besonders gut gelaunt. In der Rechten trug er eine längliche Tasche, die Material für ein historisch besonders bedeutsames Kriegsschiff enthielt. Der Flur zu seiner Wohnung war leer. Die Schritte klangen gedämpft über den grünen Läufer, und aus den hübschen Leuchtröhren an den Wänden floß weich eine sanfte Helligkeit über die Wohnungstür – alles atmete die Geborgenheit einer abgelegenen Junggesellenwohnung. Dr. Arron betrat sein Wohnzimmer. Gleich darauf bellte es hinter der Tür dreimal dumpf auf.
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Dann öffnete sich die Tür und ließ einen älteren Mann durch, der hier unbekannt war und der nun rasch das Appartement verließ – keiner kümmerte sich um ihn. Erst nach zwei Stunden fand man Dr. Arron. Er hatte zwei Schulterschüsse und einen Steckschuß in der Brust davongetragen und hockte verkrümmt und bewußtlos in einem Sessel, zu dem er noch gekrochen war. Die Basteltasche lag in einer Blutlache. * Der Atem ging schwerer. Wahrscheinlich kam es von diesem geradezu brutalen Klimawechsel – die Lungen hatten sich an die mörderische, trockene Hitze der „Großen Sandwüste“ noch nicht gewöhnt. Aber die Lungen durften nicht versagen. Der Mann mußte den Sandstreifen durchqueren, der sich meilenlang bis an das erste weiße Gebäude des mächtigen Komplexes der Motorenwerke IV der A.I.C. entlangzog. Er trug die hier übliche zerdrückte Arbeitshose und sah nicht anders aus als einer der dreitausend Männer, die hier in diesem Werk arbeiteten. Und doch atmete er auf, als er den Sandstreifen passiert hatte. In seiner Brusttasche trug er wohl den Werkausweis, aber er wollte es lieber nicht auf eine Probe ankommen lassen. Als er erst einmal im Werkgelände war, wußte er sich sicher. Er blieb stehen, steckte sich eine Zigarette an und gab sogar einem schwarzen Arbeiter Feuer, der gerade an ihm vorbeischlenderte. Dann schloß er sich einem Trupp von Männern an, die gerade auf einen Zug der Werkbahn zugingen. Die Kontrolle ließ ihn ohne weiteres mit passieren. Die Luft über der Wüste war von einer rissigen Bläue, die
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gnadenlos war und verrückte Wunschträume von Kälte und geruhsamem Atemholen gar nicht erst aufkommen ließ. Der Zug fuhr über einen Viadukt in einen grandiosen Komplex von Hochhäusern hinein, die unter der Wucht der überschweren Flugmotoren, die in einem von ihnen erprobt wurden, ständig leise vibrierten. Jetzt war der Mann endgültig von der Masse verschlungen worden. Er wurde erst wieder ein Einzelwesen, als er etwa eine Viertelstunde später in die freie Wüste marschierte, die wieder jenseits der Hochhäuser zwischen zwei Hallenreihen sichtbar wurde. In der Ferne, schon halb verschluckt von einem flimmernden Horizont, der verschwimmend auf der Einsamkeit lastete, waren weitere Hallen. Der Mann pfiff vor sich hin. So guten Mutes war er plötzlich, obwohl er davon überzeugt war, daß er das große Werkgelände kaum lebend oder doch wenigstens nicht als freier Mann verlassen würde. Aber sie hatten ihn betrogen und – er ließ sich nicht betrügen. Aus einer der Hallen, die nun langsam Gestalt annahmen, trat ein Mann, der sich aber nicht um ihn kümmerte. Er grüßte sogar, als sie sich begegneten. Dann ging der Mann, der gar nicht hierher gehörte, einfach auf die Halle X II zu, deren Tore weit offenstanden. Es war geradezu unwahrscheinlich, daß er überhaupt an sie herankam – aber die Wachen mußten schlafen. Doch als er die Laufschienen der Tore überschritten hatte, verließ ihn sein Glück. Drei Männer standen in der Gasse zwischen neuartigen Jägertypen – er erkannte sie auf Anhieb, und was es zu bedeuten hatte, daß einer von ihnen eine Strahlenpistole auf ihn richtete, erkannte er auch.
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Es war Jim Parker. „Nehmen Sie die Hände hoch, Varderholm“, sagte er ruhig, und Fritz Wernicke fügte hinzu: „Wir lieben keine Männer, die so impulsiv handeln.“ * „Bitte, Sir!“ Robert Frank biß die Zähne zusammen, als er in das elegante Arbeitszimmer des WP-Präsidenten trat, denn auch er erkannte den schlanken Mann, der neben Lord Clifford stand. „Guten Tag, Mister Frank.“ „Parker – ich beglückwünsche Sie zu dem billigen Spaß, aber ich bin ein schlechter Schauspieler.“ Lord Clifford schüttelte den Kopf. „Mister Frank, Sie sind kein Untersuchungsgefangener mehr; Sie sind frei und können ab sofort gehen, wohin Sie wollen.“ Frank reckte sich. Ein hartes Leuchten war in seinen Augen. „Dann hat es sich also herausgestellt, wie unsinnig die Behauptungen gewisser Leute waren?“ „Kommodore Parker möchte Ihnen etwas sagen.“ Robert Frank sah ostentativ an Jim Parker vorbei, hörte aber doch, was er sagte. „An dem folgenschweren Zusammenstoß tragen nach dem endgültigen Untersuchungsergebnis beide Raumschiffe die Schuld.“ „Bitte, erklären Sie mir das.“ „Ihr Raumschiff flog sehr rücksichtslos und die ‚Star’ wurde kurz vor dem Zusammenstoß von einem untergeordneten Besatzungsmitglied gesteuert und manövrierte sehr unvorsichtig – Kapitän Westphal wollte eine Korrektur vornehmen, doch es war bereits zu spät.“ „Die Explosion in der Bugkanzel?“
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„Ist von einer winzigen Höllenmaschine ausgelöst worden, die ein Mann vor dem Start in eins der vielen Fächer in der Kanzel legte.“ „Also – doch Mord?“ „Ja!“ „Dann haben Sie bitte die Güte …“ „Nach Ihnen“, lachte Jim und hielt dem Überraschten einen Stoß Zeichnungen hin, die er aus seiner Konferenzmappe zog. Frank bemühte sich, weiter so überlegen zu bleiben. „Wissen Sie, was das ist, Mister Frank?“ „Ich bin leider kein Hellseher.“ „Das sind Zeichnungen, die in Ihrem Auftrage im Hauptinstitut für Strahlantriebe gemacht wurden. Ihr Interesse an diesem Antrieb ist verständlich, doch muß ich hinzufügen, daß das Institut nicht in Sydney, sondern in Orion-City liegt. Sie haben die falsche Tür geöffnet, Mister Frank. Das wäre vielleicht so rasch nicht herausgekommen, wenn nicht Ihr Spionagechef Markano so darauf erpicht wäre, in seine eigene Tasche zu wirtschaften. Er unterließ es in diesem Falle, seinen Agenten – Varderholm heißt er – in der abgesprochenen Höhe zu entlohnen. Nun ist Varderholm ein sehr impulsiver Mensch, der zudem noch das Pech hatte, mitten aus seiner Tätigkeit heraus zu einem längeren Raumflug abkommandiert zu werden. Als er zurückkam, stellte er fest, daß man ihn betrügen wollte, und ging gleich zum Gegenangriff über. In Sydney nahm er Markano die Zeichnungen wieder ab, und dann versuchte er, eine Ihrer wichtigsten Flugzeughallen in die Luft zu sprengen. Sie können sich bei meinen Kameraden und mir bedanken, daß es nicht gelang.“ Frank hob die Schultern. „Wir brauchen uns da nichts vorzumachen – das S.A.T. hat auch schon in Australien herumgeschnüffelt.“
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Jim trat auf ihn zu. „Ich bin der letzte, der es Ihnen übelnimmt.“ Etwas zögernd noch ergriff der Australier die dargebotene Rechte. „Wir sind also quitt! Nur noch einige Fragen, Mister Parker: Wer hat den Anschlag auf die ‚Star’ verübt?“ „Das werden Sie in einigen Tagen erfahren – es war aber keiner von Ihren Leuten.“ „Und wer hat Ihnen geholfen, in die Sandwüste einzudringen? – Das beunruhigt mich doch etwas.“ „Ich will ganz offen sein – Ihre Schwester.“ „Natürlich!“ * „Miß Frank?“ Der gute Ted S. Cunningham war seine Abneigung gegen alles, was aus Australien kam, immer noch nicht ganz aus seinem Herzen los, aber inzwischen hatte man sich fernmündlich mit Sydney geeinigt, daß keine der beiden Organisationen der anderen Vorwürfe oder irgendwelche Schwierigkeiten machen wollte. Robert Frank hatte recht: sie waren quitt. Und als Jim Ted S. einige Tage später die bildschöne Schwester seines angeblichen Erzfeindes vorstellte, gab er sich endgültig geschlagen. Er verneigte sich mit einer Eleganz, die zeigte, daß er ein vollendeter Weltmann sein konnte. „Daß Australien so etwas Wunderbares aufzuweisen hat, ist für mich allerdings eine der angenehmsten Überraschungen! Herzlichen Glückwunsch, Jim!“ „Danke“, sagte Jim trocken. Gloria wurde rot und ließ sich von dem Atomboß zu einem Sessel führen. Es war ein Tag, an dem die erste Ahnung des Vor-
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frühlings eine zuversichtliche und heitere Stimmung über OrionCity zauberte. Das Aufklatschen der Konferenzmappe, die Jim auf den kleinen Tisch fallen ließ, war wie ein scharfer Schuß. Cunningham blickte etwas verwirrt auf. „Ahem – ich denke, wir sollen eine nette kleine Plauderstunde verleben, und nun werfen Sie hier schon wieder mit Ihren Papieren herum.“ Jim Parker setzte sich mit einer bedauernden Handbewegung. „Wir können es nachher nachholen! Ich war vorhin wieder mit Mortimer unterwegs, und ich nehme an, daß es Sie interessiert, wer den Anschlag auf die ‚Star’ verübte.“ Cunningham beugte sich jäh vor. „Ach – hat Varderholm gestanden?“ „Cunningham, der Anschlag wurde von einem anderen verübt.“ „Jetzt wollen Sie mich auf die Folter spannen.“ „Er wurde von einem Menschen verübt, der aus rein persönlichen Motiven handelte, weil der Haß in ihm stärker war als die Vernunft. Ich hatte ihn schon an Bord der ‚S.A.T. X 8’ in Verdacht, aber ich mußte erst der anderen Sache nachgehen, weil schließlich auch das Geheimnis der Strahlantriebe für uns auf dem Spiel stand.“ „Und ich denke, Varderholm hat die ‚Star’ auseinandergejagt, weil er schließlich Pläne fotografiert hatte, die Dr. Watson bearbeitete.“ „Der Verdacht lag nahe.“ „Und wer ist es nun?“ „Hören Sie zu, Boß: Dr. Watson war ein unsauberer Geselle, der – verzeih mir, Gloria – sozusagen an jedem Finger zehn hatte. Die meisten Frauen, mit denen er was zu tun hatte, gehörten einer Klasse an, die seinem Niveau entsprach, es gab allerdings auch andere. Und zu diesen anderen gehörte eine junge Medizinstudentin, die das Unglück hatte, vor einigen Jahren Dr.
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Watson kennen und lieben zu lernen. Es muß ein sehr empfindsames Menschenkind gewesen sein, denn als das Mädchen erfuhr, wer der Mann war, den sie liebte, fuhr sie mit voller Absicht und mit 120 Meilen gegen eine Betonmauer. Sie war sofort tot.“ „So etwas gibt es noch?“ „So seltsam es klingen mag, ja! Nun, das Mädchen hatte einen Onkel, dem sie alles bedeutete. Es ist verständlich, daß dieser Onkel rot sah, wenn er mit Watson in Berührung kam. Er haßte ihn. Das wurde ihm allerdings erst bewußt, als er mit Dr. Watson an demselben Unternehmen teilnehmen sollte: an dem Uranus-Rennen. Und damit begann für ihn eine seltsame Verquickung von Schuld und Unlogik. Logisch wäre es gewesen – wenn auch verwerflich –, hätte er Dr. Watson aufgesucht und ihn über den Haufen geschossen oder etwas Ähnliches mit ihm gemacht. Nein, der gute Mann legte in das Raumschiff, in dem Dr. Watson das Rennen mitmachen sollte, eine Höllenmaschine und gefährdete damit auch Männer, die völlig unschuldig waren. Ich glaube zwar, er handelte im Unterbewußtsein, doch das mindert kaum die Schwere seiner Handlungsweise.“ „Verdammt – gewiß nicht …“ „Er versuchte, nach der Tat den Verdacht auf einen Mann zu lenken, der uns wegen seines seltsamen Benehmens aufgefallen war und den er schon vor dem Flug mit voller Absicht beobachtet hatte. Dabei waren ihm Dinge bekannt geworden, die dazu führten, daß er nach seiner Rückkehr beinahe selber das Opfer eines Revolveranschlages geworden wäre.“ Sie wechselten einen kurzen Blick. Markano. Cunningham war aber taktvoll genug, es in Glorias Gegenwart nicht auszusprechen – er sagte nur leise: „Dr. Arron?“ Jim nickte ernst.
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„Wie geht es ihm?“ „Den Umständen nach gut! Er wird mit dem Leben davonkommen, obwohl es für ihn vielleicht besser wäre – na ja – ahem – ich nehme an, daß das Krankenlager ihn zum Nachdenken gebracht hat, denn er hat ein Geständnis abgelegt …“ Jim nahm ein Aktenstück aus seiner Mappe und reichte es über den Tisch. Es war mit Tinte beschrieben und begann: „Ich gestehe …“ * Gloria hat das kurze Schweigen bemerkt. „Markano?“ sagte sie erschüttert, als sie später in Jims grünweißem Sportflitzer durch den noch verschneiten, aber von Vorfrühlingsstimmung verzauberten Central Park fuhren. „Hat er – den Anschlag auf diesen Dr. Arron verübt?“ „Einer seiner Männer. Der Revolverheld wurde inzwischen festgenommen. Er hat es sicher nicht im Auftrage der A.I.C. getan – du weißt ja, euer Spionagechef betrieb seine eigenen Geschäfte.“ „Mein Bruder hat sich vorgestern von ihm getrennt.“ „Dann ist es ja gut.“ * Tanger. Es war sicher nicht eine neue Sensation, die sich im Juni in der tollen Stadt der hundert Sprachen ereignete, aber es reichte doch aus, um gebührend vermerkt zu werden. Der Sekretär des Weltamtes für Astronautik eröffnete die internationale Uranus-Konferenz. Unter den Teilnehmern sah man gleich zwei Generaldirekto-
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ren, und das war allerdings für die Eingeweihten eine handfeste Sensation, denn es handelte sich um Cunningham und Frank. Der Umstand, daß sie nebeneinander saßen, ließ verschiedene Konferenzteilnehmer unruhig werden, denn inzwischen hatte sich auch herumgesprochen, daß in „absehbarer Zeit“ mit Jim Parkers und Gloria Franks Verlobung zu rechnen war. „Das ist so gut, als wenn früher zwischen zwei mächtigen Monarchien eine solche Verbindung zustande kam“, flüsterte ein Südamerikaner seinem europäischen Kollegen zu. „Allerdings“, gab der ebenso vorsichtig zurück, „das wird sich auswirken.“ „Ich sehe eine neue Weltmacht aufmarschieren.“ „Meine Herren …“ Sekretär Herk Bryland erhob sich, und man konnte ihm ansehen, daß er eine schlimme Sorge los war. Er hatte harte Monate hinter sich, und der Vorschlag, den er hier zur Abstimmung unterbreitet hatte, war so ziemlich seine letzte Chance. „Ich stelle fest, mein Antrag auf Bildung einer „Internationalen Uranus-Union“ ist einstimmig angenommen. Damit dürfte der Weg zu einer planmäßigen und ruhigen Erschließung des siebenten Planeten frei sein. Ein Raumschiff, das Vertreter aller in dieser neuen Union zusammengeschlossenen Organisationen und Gruppen an Bord hat, soll in einem Monat starten, um den Uranus offiziell in Besitz zu nehmen.“ Ted S. Cunningham reichte Robert Frank Feuer. „Hat Jim Parker gleich gesagt, daß es so am besten geht“, knurrte er. „Danke, Mister Cunningham! Gewiß – Parker sagte es …“ Sie waren noch sehr steif und förmlich, wenn sie miteinander sprachen. Aber das würde sich geben. Ende
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Satellit Uranus III von Clark Darlton Der Raketeningenieur Ray Hamilton erhält einen Brief seines alten Studienfreundes Franz Hellwege aus Deutschland, in dem dieser ihn bittet, sofort zu ihm zu kommen, da er einen besonderen Auftrag für ihn hätte. Hamilton leistet dem Ruf Folge und nimmt seine Bekannte, eine tüchtige Biochemikerin, mit. In Deutschland erwartet ihn eine Überraschung:. Franz Hellwege ist es gelungen, aus dem All den Funkspruch der seit 1970 verschollenen Mondexpedition des Professors Hunter aufzufangen, die wegen Antriebsschaden auf dem dritten Satellit des Uranus, Titania, notlanden mußte. Die Lebensmittel reichen nur noch für begrenzte Zeit. Hellwege hat heimlich ein getreues Abbild der damaligen Mondrakete gebaut, und will mit dieser zum Uranus, um Hunter und seine Leute zu retten. Ray Hamilton ist bereit, mit ihm zu fliegen. Ebenfalls Vera Mill, seine Freundin. In der Lüneburger Heide startet die TERRA II und eilt durch den Weltraum dem Uranus entgegen. Im zweiten Teil des Romans befinden wir uns auf der leblosen Eiswüste des Uranusmondes. Hier liegt das gestrandete Raumschiff mit seinen vier Insassen, die den sicheren und langsamen Tod vor Augen haben. Bei einer Erkundigungsreise von Professor Hunter und Brown, dem Funker, werden beide Raumfahrer voneinander getrennt. Hunter hat ein seltsames Erlebnis: Er findet mitten in einem trichterähnlichen Tal ein turmartiges Gebilde und einen endlos in die Tiefe führenden Schacht. Durch Unachtsamkeit stürzt Hunter in diesen Schacht, schwebt jedoch der geringen Schwerkraft wegen sanft bis zu dessen Sohle. Wenn wir die spannenden Abenteuer hier verlassen, so wissen Sie, daß Sie diese weiterverfolgen können im UTOPIA-Kleinband 65
UTOPIA-Kleinbände erscheinen vierzehntäglich Science Fiction-Zukunftsromane, 48 Seiten, Preis –,50 DM.
UTOPIA-Großbände erscheinen monatlich Science Fiction in deutscher Sprache, 100 Seiten, Preis 1,– DM Wissenschaftliche Zukunftsromane des XX. Jahrhunderts
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