Jan Herrmann Supply Chain Scheduling
GABLER RESEARCH
Jan Herrmann
Supply Chain Scheduling
Mit einem Geleitwort vo...
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Jan Herrmann Supply Chain Scheduling
GABLER RESEARCH
Jan Herrmann
Supply Chain Scheduling
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Hermann Jahnke
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation der Universität Bielefeld, 2009
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Hildegard Tischer Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2266-3
Geleitwort ¨ Gegenstand des Supply Chain Schedulings (SCS) sind Uberlegungen, durch eine mehrere Mitglieder einer Supply Chain einbeziehende Planung der Maschinenbelegung und der notwendigen Transporte zwischen den Partnern Effizienzgewinne zu realisieren. In der betriebswirtschaftlichen Theorie ist das SCS nach der anf¨anglichen Ver¨offentlichung von Hall und Potts (2003) zu einem Bereich noch verhaltenen, aber zunehmenden Engagements der wissenschaftlich gepr¨agten Community“ geworden. Sie folgt damit der Forderung von Thomas ” und Griffin (1996), den Fokus der wissenschaftlichen Bem¨ uhungen um das Supply Chain Management von der strategischen auf die operative Ebene zu verlagern. Jan Herrmanns Dissertation reiht sich in den Strang der Literatur zu diesem vergleichsweise neuen betriebswirtschaftlichen Thema ein. Jan Hermann setzt sich eingehend mit Begriff und Bedeutung des SCS sowie seiner Einordnung in die Literatur zum Supply Chain Management auseinander. Modellierung und numerische L¨osung eines SCS Problems erlauben es exemplarisch, das Kostensenkungspotenzial aus der Kooperation in einer Supply Chain auf der Ebene der gemeinsamen Maschinenbelegungsund Transportplanung zu quantifizieren. Das L¨osungsverfahren f¨ ur das SCS Problem basiert dabei auf einem neu entwickelten Algorithmus f¨ ur das einstufige Ablaufplanungsproblem mit mehreren identischen Maschinen unter der Zielsetzung der Minimierung der Abweichungen von den Due Dates. Diese Modellierung und das zugeh¨orige L¨osungsverfahren sind innovativ und stellen schon f¨ ur sich genommen einen wichtigen eigenst¨andigen Forschungsbeitrag dar. Ein numerischer Vergleich von L¨osungen, die mittels dieses Verfahrens berechnet wurden, mit optimalen L¨osungen oder mit L¨osungen von Heuristiken aus der Literatur zeigt eine gute Qualit¨ at des vorgeschlagenen Verfahrens. Die anschließend entwickelten Modelle f¨ ur die unternehmensindividuelle und die unternehmens¨ ubergreifende operative Maschinenbelegungs- und Transportplanung greifen auf das einstufige Ablaufplanungsproblem zur¨ uck. Sie sind die Basis f¨ ur eine numerische Analyse des Potenzials der Effizienzsteigerung durch das SCS. Es gelingt Jan Herrmann auf diesem Wege eindrucksvoll, die Potenziale, die im SCS liegen, belastbar herauszuarbeiten. Jan Herrmann betritt in seiner Dissertation mit dem SCS ein innovatives Gebiet des Operations Managements. Er leistet einen wichtigen Beitrag zur Einbettung des SCS in die Literatur zum Supply Chain Management und zur Fortentwicklung dieses Forschungsgebiets.
Geleitwort
VI
Die Arbeit sei daher allen zur Lekt¨ ure empfohlen, die sich in der Theorie oder in der betrieblichen Praxis mit dem Supply Chain Scheduling auseinandersetzen. Prof. Dr. Hermann Jahnke
Vorwort Worin besteht die Herausforderung, eine Doktorarbeit zu schreiben? Diese Frage haben mir viele Freunde und Kollegen w¨ahrend der Zeit meiner Promotion gestellt. Meine Antwort ba¨ sierte immer auf der gleichen Uberlegung: Die Schwierigkeit besteht darin, ein Themengebiet ” zu finden, mit dem man die Wissenschaft weiterentwickeln kann.“ Diese Herausforderung habe ich mit der Arbeit Supply Chain Scheduling angenommen. Die Schrift ist w¨ahrend meiner T¨atigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universit¨at Bielefeld am Lehrstuhl f¨ ur Betriebswirtschaftslehre, Controlling und Produktionswirtschaft entstanden. Daher gilt mein besonderer Dank in erster Linie meinem Doktorvater Prof. Dr. Hermann Jahnke, der mich w¨ahrend meines Studiums, meines Diploms und schließlich bei meiner Doktorarbeit begleitet hat. Dabei hat mich mein Doktorvater gelehrt, dass nicht unbedingt die abschließende Arbeit das Ziel einer Promotion ist, sondern der Weg bis zur Abgabe der Schrift der Grund daf¨ ur ist, sich pers¨onlich und fachlich weiterzuentwickeln, und jemanden dazu berechtigt, einen solchen Titel zu tragen. Prof. Dr. Hermann Jahnke f¨ uhrte mich dabei sicher u ¨ber Stolpersteine, zeigte mir Bereiche und Denkweisen, die ich vorher nicht kannte, und bereitete mir Hilfestellungen, aus Sackgassen herauszufinden. Diese Aufgabe erf¨ ullte er mit viel pers¨onlicher Hingabe und wissenschaftlichem Engagement. Doch Prof. Dr. Jahnke stand in den vielen Jahren nicht alleine, um mich durch die Labyrinthe der Wissenschaft zu f¨ uhren. Prof. Dr. Dirk Simons hat mich im Rahmen des Analyti” cal Research Accounting“-Workshops sowie als Zweitpr¨ ufer der Arbeit immer wieder darauf aufmerksam gemacht, nicht immer nur tief einzutauchen, sondern auch ab und zu mal wieder an die Oberfl¨ache zu kommen, um zu pr¨ ufen, ob ich noch im richtigen Gew¨asser bin. Dr. Dirk Biskup und Jatinder N. D. Gupta Ph.D. zeigten mir, wie man mit Hilfe schon bestehender Ideen und neuer Errungenschaften der Wissenschaft eine Symbiose erzeugt, die neue Wege begehbars machen und bis dahin existierende H¨ urden einreißen. F¨ ur die Hilfe und Unterst¨ utzung m¨ochten ich den Kollegen und Weggef¨ahrten danken. Einem besonderen Dank schulde ich auch Christian Ullrich, der mir im letzten Jahr meiner wissenschaftlicher T¨atigkeit am Lehrstuhl im hohen Maß zur Seite gestanden hat, um meine Ideen im Supply Chain Scheduling umzusetzen. Weitere fachliche und pers¨onliche Unterst¨ utzung habe ich von meinen Kollegen Dr. Jan Thomas Martini, Christian Block und Veronika Jensch erhalten. Es gilt daher auch diesen Personen meinen Dank auszusprechen, ohne die die Verwirklichung der Arbeit sicherlich nicht in diesem Maß m¨oglich gewesen w¨are.
VIII
Vorwort
Mein letzter Dank gilt der Person, die in all den Jahren der Promotion die Aufgabe u¨bernommen hat, meine Erfolge und Niederlagen mit mir zu teilen: Barbara Sch¨ urings. Dar¨ uber hinaus hat sie mit ihrem außerordentlichen sprachlichen Talent daf¨ ur gesorgt, dass auch schwierige Sachverhalte klar formuliert werden konnten. Dr. Jan Herrmann
Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis
XI
Tabellenverzeichnis
XIII
Abk¨ urzungsverzeichnis Symbolverzeichnis
XV XVII
1 Einleitung
1
2 Supply Chain Management
7
2.1
Begriff der Supply Chain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
2.2
Grundlagen des Supply Chain Management . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
2.3
2.4
2.2.1
Entwicklung des Begriffs Supply Chain Management . . . . . . . . .
14
2.2.2
Definition des Supply Chain Management . . . . . . . . . . . . . . .
33
2.2.3
Ziele und Aufgaben des Supply Chain Management . . . . . . . . . .
35
Transaktionskostentheorie und Supply Chain Management . . . . . . . . . .
45
2.3.1
Verkn¨ upfung der Transaktionskostentheorie mit dem Supply Chain Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
2.3.2
Transaktionseigenschaften und -kosten . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
2.3.3
Modell zur Bestimmung der optimalen Organisationsform . . . . . . .
54
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
3 Ablaufplanung
65
3.1
Grundlagen der Ablaufplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
3.2
Heuristik zur Ablaufplanung bei parallelen Maschinen . . . . . . . . . . . . .
73
3.2.1
3.3
Problemformulierung und L¨ osungsans¨atze . . . . . . . . . . . . . . . Ti -Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
3.2.2
Heuristik f¨ ur das IP/ /
85
3.2.3
Experimenteller Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
3.2.4
Schlussbemerkung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
Inhaltsverzeichnis
X 4 Supply Chain Scheduling 4.1
101
Grundlagen des Supply Chain Scheduling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1
Motivation und Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1.2 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Literatur¨ uberblick . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Optimierungsmodelle zum Supply Chain Scheduling 4.3 Grundlagen der numerischen Analyse . . . . . . . . 4.3.1 Modellierung der Planungen . . . . . . . . . 4.3.2 Generierung der Instanzen . . . . . . . . . . 4.4 Numerische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Fazit und Ausblick Literaturverzeichnis
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
. . . . . . . .
101 101 103 109 111 117 117 121 132 138 143
XXIII
Abbildungsverzeichnis 1.1
Gang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10 2.11 2.12 2.13
Supply Chain I f¨ ur Waschmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Supply Chain f¨ ur Verpackungsmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . Supply Chain II f¨ ur Waschmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Supply Chain III f¨ ur Waschmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Supply Chain IV f¨ ur Waschmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitlicher Ablauf bei einem Hold-up-Problem . . . . . . . . . . . . . . Lagerbest¨ande einer Supply Chain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . House of Supply Chain Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . Supply Chain Planning Matrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einflussgr¨oßen auf die Transaktionskosten . . . . . . . . . . . . . . . Zeitlicher Ablauf des Transaktionskostenmodells . . . . . . . . . . . . Vergleich zwischen Markt und Hierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich zwischen Markt, hybrider Organisationsform und Hierarchie
3.1
Entwicklung der Ver¨offentlichungen in der Ablaufplanung seit 2000
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . .
4
. . . . . . . . . . . . .
9 9 10 12 13 19 30 36 40 48 55 58 61
. . . . .
72
Struktur der Supply Chain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grafische Darstellung der unternehmensinternen Planungen . . . . . . . . . . Grafische Darstellung der unternehmens¨ ubergreifenden Planung . . . . . . . Zeitlicher Ablauf der Aktionen bei unternehmensinternen Planungen . . . . . Zeitlicher Ablauf der Aktionen bei der unternehmens¨ ubergreifenden Planung Beispiel einer Supply Chain . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gantt-Diagramm der unternehmensinternen Optimierung des Lieferanten . . Gantt-Diagramm der unternehmensinternen Optimierung des Herstellers . . Gantt-Diagramm einer unternehmens¨ ubergreifenden Optimierung . . . . . . Durchschnittliche Kosten bei Planung mit dem MT- beziehungsweise UMT-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.11 Durchschnittliche Kostenersparnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.12 Durchschnittliche Reduktion der Durchlaufzeiten . . . . . . . . . . . . . . .
103 105 108 117 120 128 130 130 131
4.13 Durchschnittliche Reduktion der Versp¨ atungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
135
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8 4.9 4.10
132 133 134
XII
Abbildungsverzeichnis 4.14 Durchschnittliche Lagerhaltungsdauern nach der Bearbeitung pro Fertigungsstufe und Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136
4.15 Durchschnittliche Abweichung der Anzahl an Transportbatches . . . . . . . .
138
4.16 Trade-off zwischen den Effekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139
Tabellenverzeichnis 2.1 L¨osungsans¨atze zur Informationsasymmetrie . . . . . . . . . 2.2 Gewinne bei Gelingen und bei Scheitern der Verhandlung . . 2.3 L¨osungsans¨atze zum Bullwhip-Effekt . . . . . . . . . . . . . 2.4 Verteilung der Supply Chain Management Definitionen . . . 2.5 Verhandlungsergebnisse am Markt . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Verhandlungsergebnisse bei der hybriden Organisationsform
. . . . . .
. . . . . .
3.1 Maschinencharakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Prozentuale Abweichung vom Optimum f¨ ur n = 10 . . . . . . . 3.3 Prozentuale Abweichung von der besten Heuristik f¨ ur pmax = 10 3.4 Prozentuale Abweichung von der besten Heuristik f¨ ur pmax = 99
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
18 21 31 33 56 59
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67 94 96
. . . . . . .
97
Abk¨ urzungsverzeichnis Allgemeine Abk¨ urzungen APS ATP BHG CPFR CTP DHL ECR EDD EDI EDLP EDV EOQ EPOS ERP JiS JiT KPM MDD MILP MRP NEH NP OEM PPS PSK
Advanced Planning System Available-to-Promise Biskup, Herrmann und Gupta Collaborative Planning, Forecasting, Replenishment Capable-to-Promise Dalesy, Hillblom und Lynn Efficient Consumer Response Earliest Due Date Electronic Data Interchange Every Day Low Prices Elektronische Datenverarbeitung Economic Order Quantity Electronic Point of Sale Enterprise Ressource Planning Just-in-Sequence Just-in-Time Koulamas Parallel Machines Modified-Due-Dates Mixed Integer Linear Programming Material Requirement Planning Nawaz, Enscore und Ham nicht-deterministisch polynomial Original Equipment Manufacturer Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme Panwalkar, Smith und Koulamas
P&G RFID SCM
Procter and Gamble Radio Frequency Identification Supply Chain Management
Abk¨ urzungsverzeichnis
XVI SCOR
Supply Chain Operations Reference
SCP
Supply Chain Planning
Sla
Minimum Slack
SPT TPI TQM VMI VMS
Shortest Processing Time Traffic-Priority-Index Total Quality Management Vendor-Managed Inventory Vendor-Managed Scheduling
Abk¨ urzungen f¨ ur die Three-Field-Notation F HP IP IC J UMT O P PSD UP MT TC Ti wi Ti
Flow-Shop heterogene parallele Maschinen identische parallele Maschinen Inventory Costs Job-Shop unternehmens¨ ubergreifende Maschinenbelegungs- und Transportplanung Open-Shop Penalties Past-Sequence-Dependent uniforme parallele Maschinen Maschinenbelegungs- und Transportplanung Transportation Costs Minimierung der gesamten Versp¨atung Minimierung der gesamten gewichteten Versp¨atung
Symbolverzeichnis Notation: Kapitel 2 Notation: Beispiel zur Informationsasymmetrie c e f GH i GLi GSC ˆ G H i I Iˆ k kH kL L p Pi s t
Lieferkostensenkungspotenzial Erl¨os faires Verhalten des Agenten Gewinn des Herstellers bei dem Verhalten i Gewinn des Lieferanten bei dem Verhalten i Gewinn der Supply Chain Gewinn des Unternehmens Hersteller Index f¨ ur das Verhalten i ∈ {k, f } des Agenten Investition des Lieferanten Investition des Unternehmens kulantes Verhalten des Agenten Kosten des Herstellers ohne kostensenkende Maßnahmen Kosten des Lieferanten ohne kostensenkende Maßnahmen Lieferant Wahrscheinlichkeit (0 ≤ p ≤ 1) verhandelter Preis bei dem Verhalten i spezifischer Anteil an einer Investition (0 ≤ s ≤ 1) Zeitpunkt
Notation: Beispiel zur Double Marginalization a, b GH GL ˆ G H
Parameter der Preis-Absatz-Funktion Gewinn des Herstellers Gewinn des Lieferanten Gewinn des Unternehmens Hersteller
Symbolverzeichnis
XVIII kH kL kfHix kfLix H
K KL L PH
PL XH X ˆ X
L
variable Kosten des Herstellers variable Kosten des Lieferanten fixe Kosten des Herstellers fixe Kosten des Lieferanten Gesamtkosten des Herstellers Gesamtkosten des Lieferanten Lieferant Preis des Lieferanten Preis des Herstellers Absatzmenge des Herstellers Absatzmenge des Lieferanten Absatzmenge des Unternehmens
Notation: Beispiel zum Bullwhip-Effekt di hi i Qi Q0 r t τi
Bedarf der vorherigen Supply-Chain-Stufe Lagerhaltungskostensatz der Supply-Chain-Stufe i Index f¨ ur die Stufe einer Supply Chain i = 1, ..., n Bestellmenge der Supply-Chain-Stufe i Konstanter Bedarf der Endverbraucher R¨ ustkosten Periode Bestellzyklus der Supply-Chain-Stufe i
Notation: Modell zur Transaktionskostentheorie b c e g G ˆ G GHO H HO I Iˆ IHO H
k kL
Kosten der B¨ urokratie Kostensenkungspotenzial Erl¨os Grad der Zusammenarbeit (0 ≤ g ≤ 1) Gewinn des Marktes Gewinn der Hierarchie Gewinn der hybriden Organisationsform Hersteller hybride Organisationsform Investition des Lieferanten am Markt Investition der Hierarchie Investition des Lieferanten in der hybriden Organisationsform Kosten des Herstellers ohne kostensenkende Maßnahmen Kosten des Lieferanten ohne kostensenkende Maßnahmen
Symbolverzeichnis L
Lieferant
m
fixe Markttransaktionskosten
P
verhandelter Preis
s t T Tˆ THO
spezifischer Anteil an einer Investition (0 ≤ s ≤ 1) Zeitpunkt Transaktionskosten des Marktes Transaktionskosten der Hierarchie Transaktionskosten der hybriden Organisationsform
XIX
Notation: Kapitel 3 Allgemeine Notation Ci Fertigstellungszeitpunkt des Auftrags i Due Date des Auftrags i di i, h Index der Auftr¨age i, h = 1, ..., n j, l Index der identischen Maschinen j, l = 1, ..., m M Menge aller identischen Maschinen M = {1, 2, ..., m} N Menge aller Auftr¨age N = {1, 2, ..., n} O(·) Aufwandsfunktion Bearbeitungszeit des Auftrags i pi S zul¨assiger Ablaufplan Sj zul¨assiger Ablaufplan der Maschine j Versp¨atung des Auftrags i Ti U Menge aller unzugewiesenen Auftr¨age
Notation: MILP R xhi
hinreichend große Zahl Bin¨arvariable, die den Wert Eins annimmt, wenn der Auftrag h vor Auftrag i auf derselben Maschine eingeplant wird (h, i = 1, ..., n, h = i)
xh,n+1
Bin¨arvariable, die den Wert Eins annimmt, wenn der Auftrag h der letzte Auftrag auf einer Maschine m ist (h = 1, ..., n)
yi
Bin¨arvariable, die den Wert Eins annimmt, wenn der Auftrag i der erste Auftrag auf einer der m Maschinen ist (i = 1, ..., n)
Notation: TPI d¯
durchschnittliches Due Date
Symbolverzeichnis
XX K Md Mp p¯ Ri T CR Wd Wp
konstanter Faktor maximales Due Date maximale Bearbeitungszeit durchschnittliche Bearbeitungsdauer Bewertung der Belastung des Auftrags i f¨ ur die gesamte Instanz Traffic-Congestion-Ratio, Kennzahl zur Bewertung der Belastung Gewichtungsparameter des TPI-Algorithmuses Gewichtungsparameter des TPI-Algorithmuses
Notation: MDD aj bj
Auftrag der Menge γj Auftrag der Menge λj
gj Uj1 , Uj2 γj
Ausgew¨ahlter Auftrag Teilmengen der Menge U (unzugewiesene Auftr¨age) Teilmenge der Menge Uj1
δ λj
Zielkriterium zur Bestimmung von gj Teilmenge der Menge Uj2
Notation: BHG A(m) Anzahl der Startzuweisungen bei m Maschinen k Index der Startzuweisungen k = 1, ..., A(m) sak Startzuweisung k
Notation: Experimenteller Vergleich OGH P GH TB TH TO α β π
Optimality Gap einer Heuristik H Performance Gap einer Heuristik H bestes heuristisches Ergebnis f¨ ur eine Instanz gesamte Versp¨atung einer Instanz bestimmt durch eine Heuristik H optimale gesamte Versp¨atung einer Instanz Parameter zur Bestimmung der unteren Intervallgrenze zur Generierung der Due Dates Parameter zur Bestimmung der oberen Intervallgrenze zur Generierung der Due Dates Zufallsvariable
Symbolverzeichnis
XXI
Notation: Kapitel 4 Notation: MT-Modell Die Erg¨anzung der folgenden Variablen und Parameter um den Index j = L, H ergibt die Notation f¨ ur das UMT-Modell. bc ¯b Ci di Ei gicq
¯i h hi pi R ri tf ix tvar tc Ti T Si ui wic
maximale Anzahl ben¨otigter Batches f¨ ur den Transport zum Kunden c (c = 1, ..., k mit bc = ni=1 wic , ∀ c = 1, ..., k) Kapazit¨at eines Batches (¯b ≥ maxi {ui }) Fertigstellungszeitpunkt des Auftrags i (i = 1, ..., n) Due Date des Auftrags i (i = 1, ..., n) Verfr¨ uhung des Auftrags i (i = 1, ..., n) Bin¨arvariable, die den Wert Eins annimmt, wenn der Auftrag i des Kunden c mit dem q-ten Batch transportiert wird (i = 1, ..., n, c = 1, ..., k, q = 1, ..., bc mit bc = ni=1 wjc , ∀ c = 1, ..., k) Lagerhaltungskostensatz des Auftrags i nach der Bearbeitung (i = 1, ..., n) Lagerhaltungskostensatz des Auftrags i vor der Bearbeitung (i = 1, ..., n) Bearbeitungsdauer des Auftrags i (i = 1, ..., n) hinreichend große Zahl Bereitstellungszeitpunkt des Auftrags i (i = 1, ..., n) fixe Transportkosten variable Transportkosten Fahrtdauer bis zum Kunden c (c = 1, ..., k) Versp¨atung des Auftrags i (i = 1, ..., n) Transportstarttermin des Auftrags i (i = 1, ..., n) physische Transportmenge des Auftrags i (i = 1, ..., n) Parameter, der den Wert Eins besitzt, wenn Auftrag i zum Kunden c geh¨ort (i = 1, ..., n, c = 1, ..., k mit kc=1 wic = 1, ∀ i = 1, ..., n)
xhi
Bin¨arvariable, die den Wert Eins annimmt, wenn der Auftrag h vor Auftrag i auf derselben Maschine eingeplant wird (h, i = 1, ..., n, h = i)
xh,n+1
Bin¨arvariable, die den Wert Eins annimmt, wenn der Auftrag h der letzte Auftrag auf einer Maschine j = 1, ..., m ist (h = 1, ..., n) Bin¨arvariable, die den Wert Eins annimmt, wenn Auftrag i auf einer der m parallelen Maschinen zuerst bearbeitet wird (i = 1, ..., n)
yi Zcq
Variable, die den Wert Eins annimmt, wenn Batch q f¨ ur den Transport zum Kunden c genutzt wird (c = 1, ..., k, q = 1, ..., bc )
αi
Verfr¨ uhungsstrafe des Auftrags i (i = 1, ..., n) Versp¨atungsstrafe des Auftrags i (i = 1, ..., n)
βi
Symbolverzeichnis
XXII
Notation: Generierung der Instanzen hmax pmax tmax βmax κ1 κ2 κ3 κ4 κ5 πλ∈{1,...,7}
maximaler Lagerhaltungskostensatz maximale Bearbeitungsdauer maximaler variabler Transportkostensatz maximale Versp¨atungsstrafe Parameter zur Variation der Transportdauer Parameter zur Variation der maximalen Transportbatchkapazit¨ at Parameter zur Variation der Due Dates Parameter zur Variation der Lagerhaltungskostens¨ atze beziehungsweise der Wertsteigerung Parameter zur Variation der fixen Transportkosten Zufallsvariablen
Kapitel 1 Einleitung Seit den ersten wissenschaftlichen Analysen von Materialfl¨ ussen in der Lieferkette von Forrester (1958) und Burbidge (1961) in den sp¨ aten f¨ unfziger und Anfang der sechziger Jahre sowie den ersten Erw¨ahnungen des Begriffs Supply Chain Management“ in den Arbeiten von ” Oliver und Webber (1982), Houlihan (1985) und Jones und Riley (1985) ist Supply Chain Management als Forschungsbereich der Wirtschaftswissenschaften von großer Bedeutung.1 Die praktische Relevanz des Supply Chain Management l¨asst sich anhand verschiedener Studien u ¨ber die zuk¨ unftige Entwicklung des Marktes belegen. Beispielsweise f¨ uhrt die schnelle technische Weiterentwicklung der Informationstechnologie, insbesondere der RFID-Chips2 , zu einer hohen Nachfrage an Software und Beratungst¨ atigkeiten. Frost & Sullivan (2007) zeigen, dass der weltweite Umsatz mit Supply Chain Management Software im Jahr 2006 6,5 Milliarden Dollar betrug und bis 2013 auf 11,6 Milliarden Dollar steigen wird. Brinkhoff und Thonemann (2007) stellen in ihrer Studie fest, dass bis zum Jahr 2010 97% der von ihnen befragten Manager ihre Partnerschaften im Sinne des Supply Chain Management mit anderen Unternehmen ausbauen m¨ochten. Die DHL3 Deutschland schreibt: Eine Entwicklung der ” letzten Jahre ist der Markt f¨ ur logistische Kontraktdienstleistung f¨ ur Industrie und Handel, dessen Potential [...] auf insgesamt u ¨ber 22 Milliarden Euro gesch¨atzt werden kann“ 4 . In der Theorie l¨asst sich die Relevanz des Supply Chain Management dadurch belegen, dass es kaum noch eine betriebswirtschaftlich renommierte Zeitschrift gibt, in der nicht Artikel aus dem Bereich des Supply Chain Management zu finden sind. Mentzer et al. (2007) schreiben treffend: The term supply chain management [...] becoming such a hot topic“ ” ” that it is difficult to pick up a periodical on manufacturing, distribution, marketing, customer management, or transportation without seeing an article about SCM-related topics“. Dar¨ uber hinaus zeigen Burgess et al. (2006) durch eine Analyse ausgew¨ahlter Datenbanken, dass von 1985 bis Mitte 2003 mehr als 10.000 Artikel u¨ber das Thema Supply Chain Manage1
Vgl. Corsten und Gabriel (2004), S. 6 und Stadtler (2005c), S. 25. Radio Frequency Identification. DHL steht f¨ ur die Begr¨ under (Dalesy, Hillblom und Lynn) der 1969 gegr¨ undeten Tochtergesellschaft der Deutschen Post AG. 4 DHL (2005), S. 43. 2 3
Kapitel 1. Einleitung
2
ment ver¨offentlicht wurden. Burgess et al. (2006) f¨ uhren eine umfangreiche Kategorisierung dieser Literatur durch. Ihre Ergebnisse weisen darauf hin, dass Supply Chain Management nicht nur ein Thema der Produktionsplanung oder der Logistik ist, sondern dass mittlerweile in jedem Bereich der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre diesem Forschungsgebiet eine große Aufmerksamkeit geschenkt wird. Aufgrund der erw¨ahnten und belegten praktischen und theoretischen Relevanz befasst sich diese Arbeit ebenfalls mit dem Thema Supply Chain Management. Insbesondere findet dabei eine Auseinandersetzung mit dem neuen Forschungsbereich des Supply Chain Scheduling statt, welches zum ersten Mal von Hall und Potts (2003) aufgegriffen wurde.5 F¨ unf Jahre nach der Einf¨ uhrung des Supply Chain Scheduling stellt diese Arbeit die erste deutschsprachige Ver¨offentlichung dar. Der Begriff Supply Chain Scheduling umfasst die Verkn¨ upfung der Ablaufplanung eines Unternehmens mit dem Supply Chain Management. Die Zusammenlegung dieser Aufgaben ¨ basiert auf der Uberlegung, die kurzfristige Planung der Maschinenbelegung mehrerer Unternehmen aufeinander abzustimmen, um die Wettbewerbsf¨ahigkeit der Supply Chain zu erh¨ohen. Thomas und Griffin (1996) weisen in ihrem Literatur¨ uberblick darauf hin, dass operative Ans¨atze des Supply Chain Management eine Seltenheit sind und dass die Ideen der strategischen Modelle zum Supply Chain Management haupts¨achlich auf komplizierten ganzzahligen Optimierungsmodellen basieren. Außerdem beziehen sie eine Vielzahl an stochastischen Faktoren ein,6 wodurch die Handhabung der Modelle in der Praxis und insbesondere auf der operativen Planungsebene erschwert wird. Neben anderen Autoren fordern Thomas und Griffin (1996) daher, anwenderorientierte, deterministische Modelle, die vor allem die operative Planungsebene ber¨ ucksichtigen, zu entwickeln. Die Forderung nach einem operativen Supply Chain Management in der Arbeit von Thomas und Griffin (1996) hat seitdem eine große Auswirkung auf die Entwicklung der betriebswirtschaftlichen Theorien zum Supply Chain Management.7 Das Supply Chain Scheduling f¨ uhrt zu einem erheblichen Kostensenkungspotenzial, welches sich auf die Verbesserung der Wettbewerbsf¨ahigkeit einer Supply Chain niederschlagen kann. Diese Erkenntnisse werden von Hall und Potts (2003) mit Hilfe kleiner numerischer Beispiele entwickelt. Dabei spielt insbesondere die Zuweisung von mehreren Auftr¨agen zu einer Transporteinheit, das sogenannte Batching, eine entscheidende Rolle. Die darauf aufbauenden Arbeiten erweiterten diese Ideen und betrachten Ablaufplanungsprobleme mit unterschiedlichen Charakteristika, wie zum Beispiel Lagerhaltungs- und Transportkosten.8 Dabei zeigen die bisherigen Ver¨offentlichungen nur einen kleinen Ausschnitt der M¨oglichkeiten eines Sup5
Vgl. Dawande et al. (2006), S. 244. Siehe beispielsweise Lee und Billington (1993), Ashayeri et al. (1994) und Bitran und Sarkar (1994). Vgl. Hall und Potts (2003), S. 566, Agnetis et al. (2006), S. 2044, Dawande et al. (2006), S. 243, Selvarajah und Steiner (2006), S. 226 und Chen und Hall (2007), S. 1088. 8 Siehe Agnetis et al. (2006), Dawande et al. (2006), Chen und Hall (2007) und Manoj et al. (2008). 6 7
1. Einleitung
3
ply Chain Scheduling. Dessen sind sich die Autoren bewusst und fordern daher folgende Weiterentwicklungen in diesem Forschungsbereich. 1. Hall und Potts (2003) weisen in ihrer Arbeit darauf hin, dass die Vorteile einer Kooperation beziehungsweise einer intensiven Zusammenarbeit unternehmens¨ ubergreifender Fertigungen erforscht werden m¨ ussen. Dabei beziehen sie sich auf die Notwendigkeit von Optimierungsmodellen und Heuristiken zur L¨osung dieser Problemstellung. Diese Forderung wird in anderen Ver¨offentlichungen, wie beispielsweise bei Chang und Lee (2004), Selvarajah und Steiner (2006) und Li et al. (2008), wiederholt. 2. Seit der ersten Ver¨offentlichung von Hall und Potts (2003) wird nach weiteren kundenbezogenen Zielsetzungen gefragt. Wie k¨onnen mit Hilfe des Supply Chain Scheduling die gesamte Versp¨atung oder die Versp¨atungsstrafen von mehreren Auftr¨agen einer Supply Chain minimiert werden? Die Forderung nach der Beantwortung dieser Frage l¨asst sich bei Agnetis et al. (2006) und Dawande et al. (2006) finden. 3. Die Autoren zeigen in ihren Ver¨ offentlichungen nur einen kleinen Ausschnitt einer Supply Chain. Beispielsweise betrachten sie nur zwei Prozesse in einem Unternehmen oder die Modelle bilden nur eine beschr¨ankte Konfiguration der Maschinen und Werkst¨ atten einer Supply Chain ab. Daher fordern Chang und Lee (2004) eine Analyse komplexerer Probleme, in denen mehr als ein Kunde bedient wird beziehungsweise in denen die Fertigungssysteme unterschiedliche Maschinencharakteristika besitzen. Insbesondere weisen sie darauf hin, dass gerade die Konfigurationen eines Flow-Shop-Problems im Kontext des Supply Chain Scheduling analysiert werden sollten. 4. Auf Basis der Forderungen Zwei und Drei ergibt sich wiederum die Fragestellung, die Hall und Potts (2003) betrachtet haben: Wie wirkt sich die Problematik des Batching auf die Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Lieferant unter den verschiedenen geforderten Charakteristika eines Ablaufplanungsproblems aus? Diese Hinweise finden sich beispielsweise in Selvarajah und Steiner (2006) und Li und Vairaktarakis (2007). 5. Von Hall und Potts (2003) sowie Chen und Hall (2007) wird darauf hingewiesen, dass Optimierungsmodelle vor allem dazu geeignet sind, Kostensenkungspotenziale in einer Supply Chain aufzudecken und damit die Entwicklung von Modellen f¨ ur ein effektives Supply Chain Scheduling voranzutreiben. Die tats¨achliche H¨ohe dieser Kostensenkungspotenziale kann eindeutig durch Optimierungsmodelle und nur bedingt durch N¨aherungsverfahren bestimmt werden. Um diesen Forderungen nachzukommen, werden in dieser Arbeit die Bestandteile des Supply Chain Scheduling, n¨amlich das Supply Chain Management und die Ablaufplanung, diskutiert. Daran schließt sich die Verkn¨ upfung der beiden Forschungsbereiche in Form des
Kapitel 1. Einleitung
4
Supply Chain Scheduling an. Der Gang der Arbeit sowie die dazugeh¨origen Kapitel werden in der folgenden Abbildung 1.1 dargestellt.
Abbildung 1.1: Gang der Arbeit
Das 2. Kapitel befasst sich mit dem Supply Chain Management, wobei der Abschnitt 2.1 den Begriff der Supply Chain definiert und die unterschiedlichen Begriffsverst¨andnisse herausarbeitet. Diese verschiedenen Perspektiven schlagen sich im weiteren Verlauf auch auf die Idee des Supply Chain Scheduling nieder. In 2.2 werden die Grundlagen wie Entwicklung, Definition, Aufgaben und Ziele des Supply Chain Management vorgestellt. Der Abschnitt 2.3 beschreibt einen neuen Ansatz zur sinnvollen Implementierung von Supply Chain Management Modellen. Dabei werden die Vorteile eines Supply Chain Management mit den sich dadurch ergebenden Transaktionskosten verglichen. Damit soll die Frage beantwortet werden, ob sich ein bestimmtes Supply Chain Management Modell f¨ ur eine ausgew¨ahlte Transaktion einer Supply Chain im Sinne der Verbesserung der Wettbewerbsf¨ahigkeit lohnt. Diese Frage stellt sich selbstverst¨andlich auch f¨ ur die Implementierung des Supply Chain Scheduling. Ziel des Kapitels 2 ist es, eine definitorische Grundlage f¨ ur das Supply Chain Scheduling zu schaffen. Dar¨ uber hinaus soll es im weiteren Verlauf dieser Arbeit m¨oglich sein, das Konzept des Supply Chain Scheduling in den Kontext der bisherigen Supply Chain Management Literatur einzubetten. Im 3. Kapitel wird der zweite Bestandteil des Supply Chain Scheduling eingef¨ uhrt: die Ablaufplanung. Dabei dient der Abschnitt 3.1 dazu, die Begriffe sowie die verschiedenen Eigenschaften von Ablaufplanungsproblemen zu beschreiben. Daran schließt sich eine neue Heuristik zur L¨osung des Problems der Minimierung der gesamten Versp¨atung bei parallelen Maschinen im Abschnitt 3.2 an. Die sogenannte BHG Heuristik ist eine der neuesten Entwicklungen in diesem Bereich und stellt einen L¨osungsansatz f¨ ur das Supply Chain Scheduling Modell des 4. Kapitels dar. Ziel dieses Kapitels ist es, auf der einen Seite die definitorische Basis f¨ ur das Supply Chain Scheduling zu bilden und andererseits die Ans¨atze der Ablaufplanung in Bezug auf die sp¨ateren Modelle des Supply Chain Scheduling zu verbessern. Im Kapitel 4 werden die Forschungsbereiche Supply Chain Management und Ablaufplanung miteinander verkn¨ upft. Das Ergebnis stellt das Supply Chain Scheduling dar, welches
1. Einleitung
5
in Abschnitt 4.1 genauer beschrieben wird. Insbesondere wird hier auch auf die verschiedenen Perspektiven, die sich bei der Definition der Supply Chain ergeben, eingegangen. Der Abschnitt 4.2 zeigt ein Optimierungsmodell zur Entwicklung optimaler unternehmens¨ ubergreifender Ablaufpl¨ane. Diese Modelle sind die Grundlage f¨ ur eine ausf¨ uhrliche Analyse der Einsparpotenziale des Supply Chain Scheduling anhand von Optimierungsprozeduren in den Abschnitten 4.3 und 4.4. Ziel des 4. Kapitels ist es, die Forderungen der Autoren zu erf¨ ullen, um somit das Supply Chain Scheduling weiterzuentwickeln und praktikabel zu gestalten. Das abschließende Fazit im Kapitel 5 fasst die Ergebnisse der Kapitel und den Grad der Erf¨ ullung der Forderungen zusammen.
Kapitel 2 Supply Chain Management Dieses Kapitel dient dazu, ein Fundament f¨ ur die in den sp¨ateren Abschnitten vorgestellten Modelle des Supply Chain Management zu schaffen. Da es bisher kein einheitliches und u ¨berschneidungsfreies Begriffsverst¨andnis gibt, wird in Abschnitt 2.1 der Begriff der Supply Chain definiert.1 Daran schließen sich die Grundlagen des Supply Chain Management in Abschnitt 2.2 an. Insbesondere wird hier auf die Entwicklung von Problemstellungen der Supply Chain eingegangen, die schließlich zu der Entstehung des Supply Chain Management ¨ f¨ uhrten. Im letzten Abschnitt 2.3 wird eine neue Uberlegung im Bereich des Supply Chain Management in Zusammenhang mit der Transaktionskostentheorie betrachtet.
2.1
Begriff der Supply Chain
Die Arbeiten von Shaw (1912, 1915) werden als die ersten Ver¨ offentlichungen bezeichnet, die das Thema der Supply Chain beziehungsweise des Supply Chain Management aufgreifen.2 Die damals beschriebenen Ideen mit dem prim¨aren Ziel einer schnellen und exakten Nachfragebefriedigung gilt heute als Vorl¨aufer des Supply Chain Management. Mitte des 20. Jahrhunderts f¨ uhrten die Arbeiten von Forrester (1958) und Burbidge (1961), die sich mit den Problemen der kosteng¨ unstigen Nachfragebefriedigung u ¨ber die Grenzen der Unternehmen hinaus auseinandersetzen, dazu, dass sich die Forschung mit dem gesamten Wertsch¨opfungsprozess eines Produktes befasste. Bereits zu dieser Zeit wurde in der angels¨achsischen Literatur der Begriff Supply Chain verwendet.3 Mit der ersten Erw¨ahnung des Begriffs Supply Chain Management in den Arbeiten von Oliver und Webber (1982), Houlihan (1985) und Jones und Riley (1985) wurden die Begriffe Liefer- beziehungsweise Wertsch¨opfungskette auch in der deutschsprachigen Literatur durch den Begriff Supply Chain abgel¨ ost. Seitdem wird der Name Supply Chain in der deutschsprachigen Literatur gerne diskutiert.4 Ein entscheidender Punkt dieser Diskussion ist, dass der Begriff Chain“ eine sequen” 1
Vgl. Sucky (2004), S. 7 und G¨ opfert (2006), S. 61. Vgl. Ross (2006), S. 1 und Smith (2006), S. 1. 3 Siehe Corwin (1965) und Shakin (1975). 2
Kapitel 2. Supply Chain Management
8
tielle Abfolge suggeriert, was bedeuten w¨ urde, dass auf einer Stufe der Supply Chain ein bestimmter Output erstellt wird, welcher der nachfolgenden Stufe als Input dient. Da ein einzelnes Kettenglied, beispielsweise ein Produktionsprozess oder ein bestimmtes Unternehmen, in der Regel vielf¨altige Beziehungen zu vor- und nachgelagerten Kettengliedern (Prozessen beziehungsweise Unternehmen) aufweist, ist der Begriff der Kette ungeeignet. Eine aussagekr¨aftigere Beschreibung der Struktur einer Supply Chain w¨are somit das Netzwerk, da s¨amtliche Strukturen der Wertsch¨opfung dargestellt werden k¨onnen. Die Definition des Netzwerks aus der Grafentheorie5 besagt, dass es aus mindestens zwei Knoten und einer bewerteten Kante besteht. Der Knoten kann in einer Supply Chain ein Prozess beziehungsweise ein Unternehmen sein. Eine Kante stellt die Beziehung zwischen den beiden Knoten her. Die Bewertung der Kante kann beispielsweise die Kosten eines Transports, die Dauer eines Vorgangs oder die Entfernung zweier Standorte darstellen.6 Allerdings hat sich in der Literatur der Begriff der Supply Chain auch f¨ ur komplexere Gebilde durchgesetzt und wird auch hier f¨ ur die umfangreicheren Beziehungen eines Netzwerks verwendet. Diese Entwicklung und die zahlreichen Diskussionen f¨ uhrten schließlich in den achtziger und neunziger Jahren zu der Frage, wie eine Supply Chain zu definieren ist. In den letzten Jahrzehnten haben sich dabei zwei Definitionsgruppen entwickelt: Die prozessorientierte und die institutionelle Perspektive.7 Auf diese beiden Gruppen und deren hybride Form wird im Folgenden genauer eingegangen. Definition aus der prozessorientierten Perspektive Die am meist zitierten und bekanntesten Definitionen der prozessorientierten Sichtweise einer Supply Chain sind von Handfield und Nichols (1999), The supply chain encompasses all ” activities associated with the flow and transformation of goods from the raw materials stage (extraction), through to the end user, as well as the associated information flows“8 sowie von Cox und Blackstone (2004), The process form the initial raw materials to the ultimate ” consumption of the finished product linking across supplier-user companies“ 9 . Diese Definitionen stellen die traditionelle Sichtweise der Supply Chain dar, wie sie auch schon Mitte des 20. Jahrhunderts verwendet wurde. Alle betrachteten Definitionen10 der prozessorientierten Sichtweise beinhalten drei wesentliche Eigenschaften, die eine Supply Chain ausmachen. 4
Die Frage, ob die Bezeichnung Supply Net, Supply Web oder a¨hnliches besser geeignet ist oder ob eine zus¨atzliche Differenzierung zwischen Demand Chain und Supply Chain vorgenommen werden muss, wird nicht weiter betrachtet. Vgl. Clendenin (1997), S. 80, Buscher (1999), S. 450, Vahrenkamp (1999), S.309, Busch und Dangelmaier (2002), S. 4 und Corsten und G¨ ossinger (2008), S. 98. 5 Vgl. Aigner (1993), S. 130, Biggs (2002), S. 227 und Sucky (2004), S. 9. 6 Vgl. Sucky (2004), S. 9. 7 Vgl. Sucky (2004), S. 7 und G¨ opfert (2006), S. 61. 8 Handfield und Nichols (1999), S. 2. 9 Cox und Blackstone (2004), S. 93. 10 Vgl. Huchzermeier (1999), S. 887, G¨ opfert (2006), S. 61, Chopra und Meindl (2007), S. 1 und Simchi-Levi et al. (2008), S. 1.
2.1. Begriff der Supply Chain
9
1. Die Struktur und Form einer Supply Chain entsteht aus der Nachfrage nach einem bestimmten Endprodukt. 2. Eine Supply Chain beinhaltet alle Aktivit¨ aten von der Urerzeugung der Rohstoffe bis ¨ zur Ubernahme des Produktes durch den Endkunden. 3. Alle Aktivit¨aten sind durch Geld-, G¨ uter- und Informationsfl¨ usse miteinander verbunden. Zur Verdeutlichung von Punkt Eins dient als Beispiel die Herstellung von und die Nachfrage des Endkunden nach einem Waschmittel.11 Die Abbildung 2.1 beschreibt die Erzeugung der n¨otigen Chemikalien sowie der Verpackungsmaterialien, die Herstellung des Waschmittels durch das Unternehmen P&G, den Vertrieb des Produktes u ¨ ber einen Großh¨andler und den Verkauf des Produktes von dem Einzelh¨andler (Wal-Mart) an den Endkunden.
Abbildung 2.1: Supply Chain I f¨ ur Waschmittel W¨ urde an dieser Stelle nicht das Waschmittel als Endprodukt nachgefragt sondern das Verpackungsmaterial, so w¨ urde die Supply Chain wie in Abbildung 2.2 aussehen:
Abbildung 2.2: Supply Chain f¨ ur Verpackungsmaterial Damit wird deutlich, dass die Definition des Endproduktes beziehungsweise -kunden einen elementaren Bestandteil f¨ ur die Struktur einer Supply Chain darstellt. Der Endkunde w¨ are 11
Vgl. Chopra und Meindl (2007), S. 4.
Kapitel 2. Supply Chain Management
10
dann P&G selbst und die Supply Chain verk¨ urzt sich entsprechend. Die Definition des Endproduktes ist allerdings noch nicht ausreichend, um eine Supply Chain vollst¨andig zu beschreiben. Der zweite elementare Bestandteil dieser Definitionsgruppe beinhaltet, dass alle Akti¨ vit¨aten von der Urerzeugung der Rohstoffe bis zur Ubergabe des Endproduktes an den Endkunden durch die Supply Chain abgebildet werden. Eine Aktivit¨at im Sinne der prozessorientierten Sichtweise wird nicht als eine Handbewegung in einem Produktionsprozess verstanden, sondern als Aktivit¨ at im Sinne von Porter (1985): Aktivit¨ aten sind demnach 12 physically and technologially“ unterscheidbare Funktionseinheiten eines Unternehmens. ” Beispielsweise kann darunter die Beschaffung, ein bestimmter Produktionsprozess oder der Vertrieb verstanden werden. Die Entscheidung, welche Aktivit¨aten durch eine spezifische Supply Chain abgebildet werden sollen, stellt eine schwierige Aufgabe dar. Daher wird der Ermittlung der notwendigen Aktivit¨ aten einer Supply Chain auch eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Beispielsweise wird im zweiten Teil des Buches von Chopra und Meindl (2007) Designing the Supply Chain Network“ ausf¨ uhrlich die sinnvolle Zusammenstellung ” von Herstellern, Lieferanten, Großh¨andlern, usw. beschrieben.13 In Abschnitt 2.2.3 wird kurz erl¨autert, welche Methoden zur Auswahl der Ausf¨ uhrungseinheiten existieren und wie diese Planung in das Aufgabenspektrum des Supply Chain Management integriert ist. Das dritte Element der prozessorientierten Sichtweise besteht aus den Verkn¨ upfungen der Aktivit¨aten in einer Supply Chain. Diese Verkettungen lassen sich durch Geld-, G¨ uterund Informationsfl¨ usse darstellen. Die Aktivit¨aten in der Waschmittel Supply Chain der Abbildungen 2.1 und 2.2 sind mit einem Pfeil verkn¨ upft. Der Pfeil beschreibt bisher nur die Richtung, in der der Wertsch¨opfungsprozess bis zur Befriedigung der Nachfrage nach Waschmittel verl¨auft. Die Abbildung 2.3 zeigt, dass sich dieser Pfeil in drei verschiedene Bestandteile aufspalten l¨asst.
Abbildung 2.3: Supply Chain II f¨ ur Waschmittel 12 13
Porter (1985), S. 38. Siehe Bowersox et al. (2007), S. 281 ff., Fawcett et al. (2007), S. 181 ff. und Simchi-Levi et al. (2008), S. 77 ff.
2.1. Begriff der Supply Chain
11
Die Pfeile stellen den Geld-, G¨ uter- und Informationsfluss dar. Eine Aktivit¨ at erh¨alt von seiner Vorg¨angerin ein bestimmtes Gut oder eine Dienstleistung, die wiederum durch ein Entgelt bezahlt wird. Die Informationen k¨onnen dabei in beide Richtungen fließen. Der Durchf¨ uhrende einer Aktivit¨at gibt beispielsweise eine Bestellung an seinen Vorg¨anger auf, der wiederum eine Lieferbest¨atigung an den Durchf¨ uhrenden der Aktivit¨at zur¨ uckleitet. Diese Darstellung wird heute zum gr¨ oßten Teil um ein sinnvolles Return Management14 erg¨anzt, so dass die G¨ uter- und Geldfl¨ usse ebenfalls in beide Richtungen verlaufen k¨onnen. Definition aus der institutionellen Perspektive Die institutionelle Perspektive wurde von verschiedenen Autoren eingenommen und l¨asst sich beispielsweise mit der Definition von Ross (1998) einleiten: The modern supply channel is ” composed of series of closely networked internal organizations and independent companies that extends form primary and secondary suppliers at the beginning of the channel to the customers and their customers that mark the furthest extensions of channel output“ 15 . Die Eigenschaften dieser Definitionsgruppe lassen sich ebenfalls in drei elementare Bestandteile aufteilen: 1. Die Struktur und Form einer Supply Chain entsteht aus der Nachfrage nach einem bestimmten Endprodukt, da Ross (1998) den Verlauf der Kette bis zum endg¨ ultigen channel output“ fordert. Ohne einer vorherigen Definition des Endproduktes kann die ” Supply Chain nicht abgebildet werden. 2. Eine Supply Chain beinhaltet alle eng zusammenarbeitenden Netzwerke, wie Konzerne ¨ und unabh¨angigen Unternehmen, die von der Urerzeugung der Rohstoffe bis zur Ubernahme des Produktes vom Endkunden an der Erstellung dieses Produktes beteiligt sind. 3. Alle Unternehmen stehen in unterschiedlichen institutionellen Beziehungen zueinander. Dabei fordern einige Autoren der institutionellen Perspektive, dass die Beziehungen zwischen den Unternehmen auch durch die Geld-, G¨ uter- und Informationsstr¨ome abgebildet werden. Die erste Eigenschaft stimmt mit der prozessorientierten Sichtweise u ¨ berein, so dass eine Supply Chain auf Basis dieser Definition nur durch die Existenz der Nachfrage nach einem vorher definierten Produkt existiert. Die zweite Eigenschaft stellt den wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Definitionsgruppen dar. Im Gegensatz zu der Abgrenzung der Aktivit¨at in einer Supply Chain der prozessorientierten Sichtweise werden hier die Stufen einer Supply Chain als unabh¨angige Unternehmen verstanden.16 Dabei definieren Bea 14
Vgl. Kapitel 2.2.3. Ross (1998), S. 152. Vgl. Tsay et al. (1999), S. 301, Mentzer et al. (2001), S. 4 und Zimmer (2001), S. 9. 16 Eine Stufe in einer Supply Chain der institutionellen Sichtweise wird im weiteren Verlauf auch als Supply Chain Partner bezeichnet. 15
Kapitel 2. Supply Chain Management
12
et al. (2004), dass ein unabh¨angiges Unternehmen eine ¨okonomische, technische, soziale und ” umweltbezogene Einheit mit der Aufgabe der Fremdbedarfsdeckung, selbstst¨andigen Entscheidungen und Risiken“ 17 ist. Die Darstellung einer Verkn¨ upfung dieser Form wird die Waschmittel Supply Chain der Abbildung 2.5 verdeutlichen.
Abbildung 2.4: Supply Chain III f¨ ur Waschmittel Die unabh¨angigen Unternehmen sind mit einem gestrichelten Rahmen dargestellt. Beispielsweise stellt der Papierproduzent zus¨atzlich die Verpackungen her, die er dann direkt an P&G liefert. P&G hat eigene Vertriebsgesellschaften, die die Aufgabe der Distribution u ¨ bernehmen. Das Beispiel zeigt auch, dass das Chemieunternehmen nicht nur die Rohstoffe f¨ ur die Plastikherstellung beschafft, sondern auch aus dem Polymergranulat die Plastikprodukte herstellt. Die Pfeile symbolisieren die institutionellen Beziehungen der Unternehmen zueinander. Diese Beziehung dr¨ uckt sich durch vertragliche Vereinbarungen aus, wie beispielsweise einfache Kaufvertr¨age, langfristige Lieferverpflichtungen, Informationsrechte oder -pflichten. Zusammengefasst definiert die prozessorientierte Perspektive die Supply Chain als eine Verkn¨ upfung von Aktivit¨ aten durch die entsprechenden G¨ uter-, Geld- und Informationsfl¨ usse. Die institutionelle Darstellungsweise betrachtet die Verkn¨ upfung der unabh¨angigen Unternehmen und deren Entscheidungstr¨ager, die zur Erstellung eines bestimmten Endproduktes notwendig sind. Dar¨ uber hinaus gibt es Definitionen, die beide Perspektiven ber¨ ucksichtigen. Definition aus der hybriden Perspektive Die am h¨aufigsten erw¨ahnten Definitionen zur hybriden Perspektive stellen die von Christopher (2005) und Shapiro (2007) dar, wobei die Autoren die m¨ ogliche Netzwerkstruktur einer Supply Chain besonders hervorheben. Christopher (2005) definiert: A network of connected ” and interdependent organisations mutually and co-operatively working together to control, manage and improve the flow of materials and information from suppliers to end users“ 18 und Shapiro (2007) formuliert: A [...] supply chain comprises geographically dispersed facilities ” where raw materials, intermediate products, or finished products are acquired, transformed, 17 18
Bea et al. (2004), S. 29. Christopher (2005), S. 6.
2.1. Begriff der Supply Chain
13
stored, or sold and transportation links that connect facilities along which products flows. The facilities may be operated by the company, third-party providers, or other firms with which the company has business arrangements“ 19 . Die Definitionen zur hybriden Perspektive ber¨ ucksichtigen den prozessorientierten Aspekt, der sich durch die Verkn¨ upfung der Aktivit¨aten widerspiegelt, und trennen gleichzeitig die Aktivit¨aten durch die Unternehmensgren¨ zen voneinander ab. Uber die Unternehmensgrenzen hinaus werden somit die Verbindungen durch Geld-, G¨ uter- und Informationsstr¨ ome sowie die Beziehungen der unabh¨angigen Unternehmen (institutionell) als auch die Beziehungen der Aktivit¨aten in und zwischen den Unternehmen betrachtet (prozessorientiert). Bezogen auf die Waschmittel Supply Chain stellt sich dies folgendermaßen dar.
Abbildung 2.5: Supply Chain IV f¨ ur Waschmittel In der Literatur h¨angt die jeweils verwendete Definition (prozessorientiert, institutionell oder hybrid) von dem Analysegegenstand ab. Beispielsweise verlangt die Betrachtung der Zwischenlagerbest¨ande eine Aufgliederung der Supply Chain im Sinne der prozessorientierten Sichtweise, um die Lager nach den einzelnen Fertigungsstufen abbilden zu k¨onnen. Hingegen ist bei einer Integration eines Vendor-Managed Inventory (VMI) sowohl eine Analyse der Lagerbest¨ande als auch der institutionellen Ebene notwendig, da strategische Vertragsverhandlungen zwischen den Entscheidungstr¨agern der Unternehmen durchgef¨ uhrt werden und sich damit die institutionelle Beziehung der Unternehmen einer Supply Chain ver¨andert. Dabei ist es auch aus der hybriden Perspektive m¨oglich, entweder die prozessorientierte oder die institutionelle Ebene der Supply Chain als Analysegegenstand heranzuziehen. In dieser Arbeit wird der hybriden Perspektive gefolgt, da sp¨ater die Aktivit¨aten einer Supply Chain bei gleichzeitiger Analyse der institutionellen Beziehungen betrachtet werden sollen. Daher kann die Definition aus der Arbeit von Sucky (2004) in abgewandelter Form u ¨bernommen werden: Die Supply Chain umfasst alle Aktivit¨aten und unabh¨angigen Unternehmen, die zur Erstellung eines vorher definierten Endproduktes notwendig sind. Dabei 19
Shapiro (2007), S. 5.
Kapitel 2. Supply Chain Management
14
werden die Geld-, G¨ uter- und Informationsstr¨ome sowie die institutionellen Zusammenh¨ange zwischen den Aktivit¨aten und den unabh¨angigen Unternehmen dargestellt. Auf Basis dieser Beschreibung einer Supply Chain werden nun die Grundlagen des Supply ¨ Chain Management vorgestellt. Der folgende Abschnitt enth¨alt dabei eine Ubersicht der Literatur, die zu der Einf¨ uhrung des Begriffs Supply Chain Management Mitte der achtziger Jahre gef¨ uhrt hat. Durch diese chronologische Herleitung werden sowohl die Probleme und die Definition als auch die sich daran anschließenden Aufgaben und Ziele des Supply Chain Management deutlich.
2.2
Grundlagen des Supply Chain Management
Zum Begriff des Supply Chain Management existieren in der Literatur unterschiedliche Definitionen. Die folgende Darstellung von der ersten Idee u ¨ber die Probleme und Effekte bis hin zum technischen Fortschritt der Informations- und Kommunikationstechnologien sowie der Entwicklung logistischer Strategien zeigt, welchen langen Weg die Betriebswirtschaftslehre gegangen ist, bevor das Supply Chain Management erstmals namentlich erw¨ ahnt wurde. Die Analyse erkl¨art die Vielzahl an m¨oglichen Blickwinkeln und Definitionen des Supply Chain Management. Die sich anschließende Zusammenfassung und Diskussion der Literatur gr¨ undet die Basis f¨ ur eine in dieser Arbeit g¨ ultige Definition des Supply Chain Management.
2.2.1
Entwicklung des Begriffs Supply Chain Management
Shaw (1912) schreibt: Industry is concerned with application of motion to matter to change ” its form and place. The change in form we term production; the change in place, distribution. The end in each case is the same: a better adjustment of matter to the wants of man“ 20 . Damit wies er schon damals auf eine Problematik hin, die erst 70 Jahre sp¨ater durch die Artikel von Oliver und Webber (1982), Houlihan (1985) und Jones und Riley (1985) als Supply Chain Management eines der meist beachteten Themen der Betriebswirtschaftslehre wurde. Allerdings gab es in dem Zeitraum zwischen der Ver¨offentlichung von Shaw (1915) und der ersten Erw¨ahnung des Supply Chain Management eine Vielzahl an Ver¨offentlichungen, die wichtige Teilaspekte beziehungsweise Probleme des heutigen Supply Chain Management aufwerfen. Diese Probleme und Effekte in einer Supply Chain stellen heute Motive zur Entwicklung des Supply Chain Management dar. Die drei existierenden Problematiken Informationsasymmetrie (Hayek (1945)), Double Marginalization (Spengler (1950)) und Bullwhip-Effekt (Forrester (1958)) werden im Folgenden vorgestellt und an einem allgemeinen Beispiel beschrieben. Informationsasymmetrie Vor u ¨ber sechzig Jahren betonte Hayek (1945) in seiner Arbeit, das Grundproblem der Koordination wirtschaftlichen Handelns liege darin, dass niemand u¨ber alle Informationen verf¨ ugt. 20
Shaw (1912), S. 764.
2.2. Grundlagen des Supply Chain Management
15
Seither ist eine F¨ ulle kaum noch u ¨berblickbarer informations¨ okonomischer Modellierungen entstanden, in der die Informationsbeschaffung Kosten verursacht, die kooperierenden Partner entweder als heterogen oder als unterschiedlich gut informiert betrachtet werden und die Frage des Wahrheitsgehalts bei der Kommunikation eine Rolle spielt.21 Eine besondere Teilklasse dieser informations¨okonomischen Ans¨atze behandelt die Situationen asymmetrischer Informationen, die sich wie folgt beschreiben lassen: Der Informati” onsstand von Vertragspartnern kann in dem Sinn asymmetrisch sein, dass eine Partei mehr als die andere u ¨ber den Zustand der Welt im allgemeinen oder u ¨ber ihre eigene Position, ¨ber die soweit diese vertragsrelevant ist, weiß“ 22 . Beispielsweise kann ein Verk¨aufer besser u Qualit¨at der in einer Transaktion angebotenen Ware informiert sein als der K¨ aufer. Oder ein Auftragnehmer kann u ¨ber das Ausmaß der Anstrengung Bescheid wissen, die er in Zukunft zu machen gedenkt. Bezieht man diese Situation auf eine Supply Chain, in der ein Hersteller sein Produkt an den Großh¨andler weitergibt, dann lassen sich die Informationsvorspr¨ unge u ¨ber die Qualit¨at des Produktes oder u ¨ber die vom Hersteller eingesetzte Anstrengung auch in einer Supply Chain finden.23 Um auf die Frage einzugehen, wann eine unterschiedliche Informationsverteilung in einer Supply Chain zu einem Problem f¨ uhren kann, soll die Beziehung zwischen zwei Vertragspartnern einer Supply Chain mit Hilfe des Agency Ansatzes genauer betrachtet werden. Die Agency-Beziehung erm¨oglicht es, die Zusammenh¨ange zwischen zwei Vertragspartnern in einer Supply Chain darzustellen. Jensen und Meckling (1976) definieren diese Beziehung [...] ” as a contract under which one or more persons (the principal(s)) engage another person (the agent) to perform some service on their behalf which involves delegating some decision maur sind: Der Prinzipal in einer Supply king authority to the agent“ 24 . M¨ogliche Beispiele daf¨ Chain ist der Hersteller, der von seinem Großh¨andler den Vertrieb seiner Produkte fordert. Oder er ist der Kunde gegen¨ uber dem Handwerker, von dem er eine bestimmte Dienstleistung erwartet. 25 Vor der Beschreibung der verschiedenen Probleme der Informationsasymmetrie werden die f¨ ur eine Agency-Beziehung charakteristischen Pr¨amissen vorgestellt:26 • Der Agent kann mit seinen Handlungen und Entscheidungen auf das Wohlergehen des Prinzipals sp¨ urbar positiv oder negativ einwirken (externer Effekt). • Prinzipal und Agent verhalten sich als rationale Nutzenmaximierer (Homo Oeconomicus). 21
Vgl. Spremann (1990), S. 562. Richter und Furubotn (2003), S. 100. Empirische Analysen zur Existenz von Informationsasymmetrien bei Kooperationen in einer Supply Chain finden sich beispielsweise in der Arbeit von Wolters (1995), S. 153. 24 Jensen und Meckling (1976), S. 308. 25 Eine Unterscheidung zwischen der prozessorientierten sowie der institutionellen Sichtweise ist nicht notwendig, da die Agency-Theorie auch die Beziehungen in Unternehmen erfasst, wie zum Beispiel die Eigent¨ umer-Manager-Beziehung, die in einer prozessorientierten Supply Chain eine Rolle spielt. 26 Vgl. Schenk-Mathes (1999), S. 37 und G¨ obel (2002), S. 100. 22 23
16
Kapitel 2. Supply Chain Management • Prinzipal und Agent haben jeweils unterschiedliche Nutzenvorstellungen, die aus ihren unterschiedlichen Verf¨ ugungsrechtspositionen erkl¨arbar sind. Beispiel: Der Verk¨aufer m¨ochte seine Verf¨ ugungsrechte bestm¨oglich nutzen, also ein bestimmtes Gut oder eine bestimmte Dienstleistung so teuer wie m¨oglich verkaufen. Beim K¨aufer ist die Interessenlage naturgem¨aß gerade umgekehrt (Zielkonflikt). • Zwischen Prinzipal und Agent herrscht Informationsasymmetrie. Der Agent hat einen Informationsvorsprung vor dem Prinzipal. Er kann seine F¨ ahigkeiten, seine Anstrengungen, seine Kenntnisse, seine Absichten und seine Motive besser beurteilen als der Prinzipal. Der Prinzipal kann die Aktionen und Informationen des Agenten weder perfekt noch kostenlos beobachten und beurteilen. Das verschafft dem Agenten Handlungsund Entscheidungsspielr¨aume.
Mit Hilfe dieser Pr¨amissen, die sich auf einfache Verkn¨ upfungen zwischen Aktivit¨aten beziehungsweise unabh¨angigen Unternehmen in einer Supply Chain beziehen, l¨asst sich die Gefahr f¨ ur den Prinzipal zeigen, wenn der Agent durch seine Nutzenmaximierung nicht mehr im besten Interesse des Prinzipals handelt. Dabei existieren vier Problemtypen: 1. Hidden Characteristics: Bevor der Prinzipal mit dem Agenten einen Vertrag abschließt, m¨ochte dieser die Eigenschaften des Agenten oder der von ihm angebotenen Leistung kennen, wobei er dies aber ex ante sehr h¨aufig nicht in Erfahrung bringen kann (zu kostspielig beziehungsweise eine vollst¨andige Transparenz ist nicht m¨oglich). Die Eigenschaften (Characteristics) bleiben mehr oder weniger verborgen (hidden) und es entsteht die Gefahr der Auswahl schlechter Vertragspartner (Adverse Selection).27 Neben der Informationsasymmetrie spielen Zieldivergenzen bei dieser Problematik eine Rolle. Jeder Agent m¨ochte sich m¨oglichst gut verkaufen und versucht deshalb, seine Eigenschaften in einem vorteilhaften Licht erscheinen zu lassen und Fehler und Schw¨achen zu verheimlichen. Ein solches Szenario l¨asst sich beispielsweise bei der Lieferantenauswahl feststellen. Ein Hersteller (Prinzipal) versucht, die Leistungen und Eigenschaften der Lieferanten (Agenten) zu ermitteln, um eine m¨oglichst hohe Qualit¨at der Materialien oder hohe Zuverl¨assigkeit der Lieferungen zu erhalten. An dieser Stelle sei darauf ¨ auch der Prinzipal sein kann, hingewiesen, dass der Lieferant (Intel, Microsoft o. A.) ¨ der einen Hersteller (IBM, Samsung o. A.) sucht, der sein Produkt geb¨ uhrend weitervertreibt. 2. Hidden Action: Der Fall Hidden Action tritt nach Vertragsabschluss auf. Der Prinzipal kann die Aktion des Agenten nicht l¨ uckenlos beobachten, zumindest w¨are das in den 27
Die ersten Beitr¨age zum Problem der Adverse Selection stammen unter anderem von Akerlof (1970), Spence (1973), Rothschild und Stiglitz (1976) und Stiglitz und Weiss (1981). Insbesondere sei auf das Buch von Macho-Stadler und Perez-Castrillo (2001) und dessen viertes Kapitel als vertiefende Literatur hingewiesen.
2.2. Grundlagen des Supply Chain Management
17
meisten F¨allen nur mit prohibitivem Aufwand verbunden. Wenn der Prinzipal nicht ohne weiteres vom Ergebnis auf das Anstrengungsniveau des Agenten schließen kann, etwa weil das Ergebnis schwer messbar ist oder weil es auch von exogenen Faktoren beeinflusst wird, dann kann der Agent die entstehende Informationsasymmetrie ausnutzen.28 Unter der Voraussetzung der Arbeitsleid-Hypothese29 ist zu erwarten, dass sich der Agent als Lieferant f¨ ur den Hersteller (Prinzipal) vor der Arbeit dr¨ uckt, zus¨atzliche Pausen einlegt, die wahren Leistungsm¨oglichkeiten verschleiert usw.30 Er reduziert damit sein Arbeitsleid, ohne eine Bestrafung aufgrund nicht erf¨ ullter Leistungen vom Prinzipal zu erhalten. Diese Dr¨ uckebergerei“ wird in der Agency-Theorie als Shirking“ ” ” bezeichnet.31 3. Hidden Information: Der Begriff Hidden Information erscheint auf den ersten Blick irref¨ uhrend, weil letztlich alle Agency-Probleme daraus erwachsen, dass der Prinzipal nicht alle Informationen (kostenlos und vollst¨ andig) erhalten kann. Hidden Information beschreibt dennoch ein spezielles Problem der Agency-Theorie, welches ebenfalls erst nach Vertragsabschluss auftritt. Insbesondere dann, wenn der Prinzipal die Aktivit¨aten des Agenten zwar beobachten, aber nicht beurteilen kann.32 Beispielsweise gibt ein K¨aufer (Prinzipal) einen Auftrag f¨ ur eine spezielle Maschine an einen Maschinenbauer (Agent) weiter. Selbst wenn der K¨aufer beim Konzipieren und Zusammenbauen der Maschine anwesend ist, kann der Prinzipal unter Umst¨anden nicht feststellen, ob bestimmte Arbeitsschritte notwendig sind oder ob die Maschine seinen qualitativen Anspr¨ uchen vollst¨andig entspricht. Diese Informationsasymmetrie tritt dann auf, wenn die Spezialkenntnisse des Agenten besonders ausgepr¨agt sind.33 Gerade im Kontext einer Supply Chain ist diese Art von Informationsasymmetrie h¨aufig anzutreffen, da die Spezialisierung ein Grund f¨ ur die Auslagerung von Aktivit¨ aten eines Unternehmens darstellt. 4. Hidden Intention: Das vierte Problem beschreibt einen Fall, in dem der Prinzipal ex ante die Absichten (Intention) des Agenten verborgen bleiben, etwa wie kulant, ehrlich oder fair er sich bei einem Interessenkonflikt verhalten w¨ urde. Prinzipiell ließen sich solche Unsicherheiten u ¨ ber die Eigenschaft des Agenten zu dem Problem der Hid¨ den Characteristic z¨ahlen. Diese Uberlegung ist aus modelltheoretischer Sicht sicherlich m¨oglich. Allerdings beschreibt diese Form der Informationsasymmetrie eine besondere Situation, in der sich der Prinzipal und der Agent befinden. Der Agent w¨ahlt hier sein Verhalten ex post, w¨ahrend bei der Hidden Characteristic die Eigenschaften des 28
Stellvertretend f¨ ur die allgemeine Modellformulierung seien hier genannt: Holmstr¨ om (1979), Harris und Raviv (1979) und Grossmann und Hart (1983). Vgl. G¨ obel (2002), S. 100. 30 Vgl. Arrow (1985), S. 38. 31 Vgl. Alchain und Demsetz (1972), S. 780. 32 Vgl. Macho-Stadler und Perez-Castrillo (2001), S. 51 und G¨ obel (2002), S. 102. 33 Daher wird dieser Fall auch als Hidden Knowledge bezeichnet. Vgl. Guesnerie (1992), S. 304. 29
Kapitel 2. Supply Chain Management
18
Agenten ex ante festgelegt sind. Weiter beschreibt der Fall der Hidden Intention eine gewisse Abh¨angigkeit des Prinzipals.34 Diese Abh¨angigkeit kann aufgrund spezifischer Besonderheiten in der Transaktion entstehen, wie zum Beispiel die Standortspezifit¨at, wodurch der Prinzipal ex post auf die Leistung von dem Agenten angewiesen ist. Dieses ¨ Problem wird als Hold-up (Uberfall) bezeichnet und spielt vor allem in der Transaktionskostentheorie eine entscheidende Rolle.35 Die Besonderheiten des Umfeldes einer solchen Agency Beziehung rechtfertigen es, einen Unterschied zwischen dem Fall der Hidden Characteristic und der Hidden Intention vorzunehmen. Der Begriff Moral Hazard bezeichnet traditionell das Problem der Hidden Action und Hidden Information.36 Im Grunde k¨onnte dieser Begriff aber auf jegliches Agency Problem ausgedehnt werden, denn unabh¨angig davon, ob ein Lieferant seine Eigenschaften bewusst falsch darstellt, seine Leistungsf¨ahigkeit verschleiert oder die Abh¨angigkeit des Prinzipals ausnutzt, spielt in allen F¨allen die Moral der Handelnden eine wichtige Rolle.37 Wenn die Agenten ihren Informationsvorsprung beziehungsweise ihre aus der Spezifit¨at erwachsene Macht nicht opportunistisch ausnutzen, w¨ urden auch die typischen Agency Probleme nicht entstehen. Es liegt daher nahe, zur L¨osung dieser Problematik die Moral zu heben“. Als ” ¨ Ansatzpunkt f¨ ur eine L¨osung der Agency Probleme spielt diese Uberlegung bisher nur eine geringe Rolle. Die bekanntesten L¨ osungsans¨atze stammen aus der oben zitierten Literatur und werden in der Tabelle 2.1 zusammengefasst, wobei die Modelle nach Vorvertrags- und Nachvertragsproblemen sowie nach ihren Ans¨ atzen strukturiert werden.38 Informationsasymmetrie senken
Ziele harmonisieren
Vertrauen bilden
Vorvertragsprobleme
Screening, Signaling
Vertr¨age zur Auswahl vorlegen, Self-Selection, Reputation
Screening in Bezug auf Vertrauensw¨ urdigkeit, Reputation signalisieren
Nachvertragsprobleme
Monitoring, Reporting
Anreizvertr¨age gestalten, Commitment/Bonding, Reputation
Vertrauensvorschuss, Extrapolation guter Erfahrungen, Sozialkapital aufbauen
Tabelle 2.1: L¨osungsans¨atze zur Informationsasymmetrie [Quelle: G¨obel (2002), S. 110] 34
Vgl. Schenk-Mathes (1999), S. 48 und G¨ obel (2002), S. 103. Siehe Goldberg (1976), Klein et al. (1978), Grossmann und Hart (1986), Hart und Moore (1988), Alchain und Woodward (1988) und Kapitel 2.3. 36 Vgl. Arrow (1985), S. 38. 37 Vgl. G¨ obel (2002), S. 103. 38 Andere Strukturen der Zusammenfassungen finden sich beispielsweise in Picot et al. (2005), S. 88 oder Kaluza et al. (2003), S. 62. 35
2.2. Grundlagen des Supply Chain Management
19
Zur weiteren Vertiefung dieser L¨osungsans¨atze sei auf die entsprechende Lehrbuchliteratur wie Milgrom und Roberts (1992), Dietl (1993), Macho-Stadler und Perez-Castrillo (2001) und Laux (2006) verwiesen. Um die Problematik f¨ ur das Supply Chain Management weiter zu verdeutlichen, soll ein Fall der Hidden Intention als Beispiel dienen.39 Ziel dieses Beispiels ist es, den Hold-up-Effekt in Zusammenhang mit der Informationsasymmetrie zu quantifizieren, da im weiteren Verlauf der Arbeit der Effekt des Hold-up eine Rolle spielen wird. Der Fall der Hidden Intention und das Problem des Hold-up bezeichnet die Situation, dass die exakten Intentionen des Agenten vor Vertragsschluss nicht bekannt sind. Diese Unsicherheit u ¨ ber das Verhalten des Agenten basiert darauf, dass das Umfeld einer Kooperation ungewiss und vage ist, wodurch es unm¨oglich wird, alle denkbaren Entwicklungen durch Fallunterscheidungen vorweg pr¨azise zu regeln.40 Zur genaueren Analyse dient folgendes Beispiel: Ein Lieferant m¨ochte durch eine engere Zusammenarbeit mit einem Hersteller seine Lieferkosten senken. Dabei kann es sich beispielsweise um die Implementierung eines besseren Informations- und Kommunikationssystems oder um die Einf¨ uhrung einer neuen Bestellund Lagerpolitik handeln. Diese Zusammenarbeit erfordert eine spezifische Investition beim Lieferanten. Es ist nicht m¨oglich, die Aufteilung der Vorteile aus der spezifischen Investition in einem Vertrag ex ante zu fixieren. Dies liegt entweder daran, dass die Ber¨ ucksichtigung aller m¨oglichen Umweltzust¨ande zu kostspielig ist oder dass die Vertragspartner nicht in der Lage sind, einen bestimmten Umweltzustand ex post als tats¨achlich eingetreten zu beurteilen. Die Gegenleistung des Herstellers, die sich in der Zahlung eines Preises f¨ ur die Lieferung widerspiegelt, ist daher nach der Realisierung des Umweltzustandes noch zu gestalten beziehungsweise zu verhandeln. Die Zeit- und Handlungssequenz sieht wie folgt aus:
Abbildung 2.6: Zeitlicher Ablauf bei einem Hold-up-Problem Der Lieferant stellt in diesem Beispiel den Prinzipal dar, da er den Hersteller dazu beauftragt, sein geliefertes Produkt zu veredeln. Der Hersteller beziehungsweise Agent kann durch sein Verhalten bei der Preisverhandlung Einfluss auf das Wohlergehen des Prinzipals nehmen. Je h¨oher der Preis ausf¨allt, desto geringer ist der Gewinn des Lieferanten und desto h¨oher ist der Gewinn des Herstellers. Es entsteht somit ein Zielkonflikt zwischen den beiden als risikoneutral angenommenen Akteuren. Da das Verhalten des Herstellers beziehungsweise des Agenten ex ante aufgrund der ungewissen Umweltzust¨ande f¨ ur den Lieferanten beziehungsweise f¨ ur den Prinzipal unsicher ist, liegt Informationsasymmetrie beziehungsweise der Fall der Hidden Intention vor. Die folgende quantitative Betrachtung dieser Agency Beziehung 39 40
Als Basis f¨ ur dieses Beispiel dient ein Modell zur Transaktionskostentheorie von Neus (2005), S. 130 ff. Vgl. Spremann (1990), S. 569.
Kapitel 2. Supply Chain Management
20
wird zeigen, dass durch das unsichere Verhalten des Herstellers und die sich durch die spezifische Investition ergebenden Abh¨angigkeiten des Lieferanten der Effekt des Hold-up entsteht. Dar¨ uber hinaus werden die Auswirkungen auf eine derartige Beziehung in einer Supply Chain verdeutlicht. Der Lieferant L steht in diesem Beispiel in t = 1 vor der Entscheidung, die H¨ohe einer spezifischen Investition I festzulegen. Dabei ist das Verhalten des Herstellers H ex ante unbekannt, wodurch der Lieferant gezwungen ist, Verhandlungen in t = 3 f¨ ur die Bestimmung der optimalen Investitionsh¨ohe I ∗ zu antizipieren. Dabei h¨angt die Art der Verhandlungen von den m¨oglichen Verhaltensweisen des Herstellers ab, die sich wiederum aus der Realisation des Umweltzustandes ergeben. Beispielsweise kann eine positive konjunkturelle Entwicklung den Hersteller gutm¨ utig stimmen und er wird sich kulant verhalten. Um dieses Beispiel so einfach wie m¨oglich zu halten, werden zwei Realisationen betrachtet, die jeweils ein bestimmtes Verhalten des Herstellers induzieren. Die realisierten Umweltzust¨ande k¨onnen somit zu einem fairen f oder einem kulanten k Verhalten des Herstellers f¨ uhren. Bei einem fairen Verhalten41 des Herstellers ist der Gewinnzuwachs zwischen der erfolglosen und der erfolgreichen Verhandlung f¨ ur H und L gleich. Aufgrund der spezifischen Investition des Lieferanten ist der Anteil am Gesamtgewinn f¨ ur den Hersteller gr¨oßer als f¨ ur den Lieferanten. Das Ergebnis einer erfolglosen Verhandlung wird als Drohpunkt bezeichnet, weil der Hersteller dem Lieferanten droht, nicht mit ihm zusammenzuarbeiten und dadurch die spezifische Investition des Lieferanten ungenutzt bleibt. Bei einem kulanten Verhalten42 des Herstellers ist der Gewinn bei einer erfolgreichen Verhandlung bei H und L gleich. Der Hersteller nutzt den Drohpunkt gegen¨ uber dem Lieferanten in der Verhandlung nicht aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass aus dem sich ergebenden Umweltzustand ein faires Verhalten des Herstellers hervorgeht, wird mit p bezeichnet, (0 ≤ p ≤ 1). Das kulante Verhalten tritt mit der entsprechenden Gegenwahrscheinlichkeit (1 − p) auf. Die Verteilung ist dem Lieferanten bekannt. Der Gewinn GLi des Lieferanten ergibt sich auf Basis des Verhaltens i ∈ {f, k} des Agenten wie folgt: √ GLi = Pi − k L − 2 · c · I − I, wobei k L die Kosten ohne kostensenkende Maßnahme und c das Kostensenkungspotenzial der Investition darstellt. Der Preis Pi ist das Ergebnis der Verhandlungen in t = 3, unter der Ber¨ ucksichtigung des sich realisierenden Umweltzustandes beziehungsweise des Verhaltens i. Der Gewinn GH i des Herstellers ergibt sich wie folgt: 41
Eine spieltheoretische Auseinandersetzung mit dem Fairnessgedanken im Sinne von Nash (1950, 1953) bieten Rosenm¨ uller (2000), S. 533 ff., Wiese (2005), S. 275 f., Holler und Illing (2006), S. 195, Rasmusen (2007), S. 359 und Martini (2007), S. 75 f. 42 Dieses Verhalten basiert auf den ersten Blick auf keiner axiomatischen Grundlage. Es ist aber unter Umst¨anden m¨ oglich, das kulante Verhalten mit Hilfe der asymmetrischen Nash-L¨ osung abzubilden.
2.2. Grundlagen des Supply Chain Management
21
H GH i = e − k − Pi ,
e stellt den Erl¨os am Endverbrauchermarkt und kH die Kosten der Weiterverarbeitung des Herstellers dar. Damit der Prinzipal seine Investitionsentscheidung optimal treffen kann, muss er das zuk¨ unftige Verhalten des Agenten in den Verhandlungen antizipieren. Dabei betrachtet er beide Verhaltensweisen und bildet mit Hilfe der Wahrscheinlichkeiten f¨ ur das Eintreten eines bestimmten Verhaltens eine Erwartung u ¨ber den Ausgang der Verhandlung. F¨ ur die Quantifizierung des Verhandlungsergebnisses im Fall des fairen Verhaltens des Herstellers sind die individuellen Gewinne bei Gelingen und bei Scheitern der Verhandlung (Drohpunkte) zu vergleichen.
Gewinn des Lieferanten Gewinn des Herstellers
Gelingen der Verhandlung √ Pf − k L − 2 · c · I − I
Scheitern der Verhandlung
e − k H − Pf
0
−s · I
Tabelle 2.2: Gewinne bei Gelingen und bei Scheitern der Verhandlung
Bei einem Scheitern der Verhandlungen w¨ urden dem Hersteller keine weiteren Kosten entstehen, da er keine Vorleistungen erbringen musste. Der Lieferant hingegen hat in eine kostensenkende Maßnahme investiert. Diese Investition ist in einem gewissen Grad s spezifisch (0 ≤ s ≤ 1). Das heißt, dass der Lieferant nur den Anteil 1 − s der gesamten Investition I f¨ ur eine andere Alternative verwenden kann. Beispielsweise kann der Agent die Investition nicht mehr zu den urspr¨ unglichen Anschaffungskosten verkaufen oder die Beziehung zu einem anderen Kunden ben¨otigt nur teilweise die Nutzung dieser Investition. Die Vorleistungen des Lieferanten werden durch den Term s · I quantifiziert. Diese Vorleistung gibt dem Hersteller die M¨oglichkeit, seinen individuellen Anteil am Gewinn auszuweiten, indem er in den Verhandlungen das Drohpotenzial des Scheiterns ausspielt. Diese M¨oglichkeit des Ausbeutens durch den Hersteller beziehungsweise Agenten wird treffend als Hold-up bezeichnet. Zur Ermittlung des fairen Preises und der damit verbundenen Gewinnverteilung m¨ ussen die Gewinnzuw¨achse gleichgesetzt werden, wobei insbesondere der Drohpunkt des Lieferanten L alt man in Abh¨angigkeit der zu ber¨ ucksichtigen ist, GH f − 0 = Gf − (−s · I). Dadurch erh¨ Investition folgenden verhandelten fairen Preis:
Pf (I) =
√ 1 (e − kH ) + k L − 2 · c · I + (1 − s) · I . 2
Kapitel 2. Supply Chain Management
22
F¨ ur den Fall, dass sich nach der Realisierung des Umweltzustandes der Hersteller kulant verh¨alt, wird unterstellt, dass der Lieferant ein Scheitern der Verhandlungen ausschließen kann und der Gewinn gleich verteilt wird.43 Die Bestimmung des kulanten Preises ergibt sich L dadurch, dass die Gewinne f¨ ur beide Akteure nach der Verhandlung gleich sind, GH k = Gk . Somit ergibt sich ein Preis in H¨ohe von
Pk (I) =
√ 1 (e − kH ) + k L − 2 · c · I + I . 2
¨ Der risikoneutrale Lieferant ermittelt auf Basis dieser Uberlegungen einen zu erwartenden Preis E[P (I)], um mit diesem ex ante, also zum Zeitpunkt t = 1, eine optimale Investitionsentscheidung treffen zu k¨onnen. E[P (I)] ergibt sich wie folgt:
E[P (I)] = p · Pf (I) + (1 − p) · Pk (I) √ 1 (e − k H ) + kL − 2 · c · I + (1 − p · s) · I . = 2 Antizipiert der Lieferant diesen erwarteten Preis, so w¨ahlt er die H¨ohe seiner Investition, indem er seinen Gewinn GL (I) wie folgt maximiert:
max
√ GL (I) = E[P (I)] − k L − 2 · c · I − I.
F¨ ur die optimale Investition gilt I ∗ = (c/(1 + p · s))2 . Ex ante ergeben sich somit folgende erwartete Gewinne f¨ ur den Lieferanten GL (I ∗ ) und den Hersteller GH (I ∗ ): 1 c2 GL (I ∗ ) = (e − kL − k H ) + , 2 2 · (1 + p · s) 1 (3 · p · s + 1) · c2 GH (I ∗ ) = (e − kL − k H ) + . 2 2 · (1 − p · s)2 Addiert man diese beiden Werte, so ergibt sich ein Gesamtgewinn f¨ ur die Supply Chain GSC in H¨ohe von
GSC = e − kL − k H + 43
(1 + 2 · p · s) · c2 . (1 + p · s)2
Diese L¨osung w¨ urde eine Verschiebung des Status quo der Nash-Verhandlungsl¨ osung bedeuten und verliert somit seine axiomatische Grundlage. Allerdings soll hier ein auf Vertrauen basierendes Verh¨ altnis abgestellt werden, so dass eine weitere Diskussion u ¨ ber die axiomatische Grundlage f¨ ur das kulante Verhalten nicht notwendig ist.
2.2. Grundlagen des Supply Chain Management
23
Um zu zeigen, wie sich die Informationsasymmetrie und der damit verbundene Holdup auf den Gesamtgewinn der Supply Chain auswirkt, soll die Informationsasymmetrie sowie die Zieldivergenz ausgeblendet werden. Stattdessen wird ein einheitliches Unternehmen betrachtet, in dem sich der Gewinn in Abh¨angigkeit der spezifischen Investition wie folgt zusammensetzt:
max
ˆ I) ˆ = e − kH − kL + 2 · c · G(
ˆ Iˆ − I,
ahlten Investitionen I ∗ wobei die optimale Investition Iˆ∗ = c2 betr¨agt. Vergleicht man die gew¨ ∗ ˆ und I , so wird deutlich, dass die Situation der Informationsasymmetrie beziehungsweise die M¨oglichkeit des Scheiterns der Verhandlungen dazu f¨ uhrt, dass der Prinzipal eine geringere Investition durchf¨ uhrt. Iˆ∗ − I ∗ = c2 −
c 1+p·s
2 =
c2 · p · s · (2 + p · s) ≥ 0. (1 + p · s)2
Solange keiner der Parameter p oder s den Wert Null annimmt, wird der Lieferant beziehungsweise Prinzipal aufgrund des drohenden Verlustes beim Scheitern der Verhandlungen vorsichtiger investieren. Dieses Ergebnis bezeichnet man auch als Unterinvestition. In zwei F¨allen hat der Hersteller keine M¨oglichkeit den Lieferanten auszubeuten: Falls p = 0 ist und der Hersteller damit definitiv kulant handelt beziehungsweise falls s = 0 ist und der Lieferant damit keine irreversiblen Investitionen get¨atigt hat. Der Vergleich der Gewinne belegt die Problematik der Unterinvestition f¨ ur dieses Beispiel: ˆ − GSC = G
c·p·s 1+p·s
2 .
In zwei F¨allen tritt eine Unterinvestition des Lieferanten auf, die zu einer geringeren Summe der Gewinne der Supply Chain f¨ uhrt: Bei einem positiven Spezifit¨atsgrad (s > 0), als auch beim Auftreten einer Informationsasymmetrie (p > 0). Diese Ausf¨ uhrungen basierend auf der Arbeit von Goldberg (1976) zeigen, dass die Situation der Informationsasymmetrie vor der Einf¨ uhrung des Begriffs Supply Chain Management Mitte der Achziger schon als Problem erkannt wurde und ein bedeutender Schritt f¨ ur die Entwicklung der unternehmens¨ ubergreifenden Koordination darstellt. Ein weiterer Effekt, der in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts beschrieben wurde und eine Problemstellung des sp¨ateren Supply Chain Management erl¨autert, ist die so genannte Double Marginalization.
Kapitel 2. Supply Chain Management
24 Double Marginalization
Spengler (1950) und Machlup und Taber (1960) erkennen, dass in einer Supply Chain, die aus einer Verkettung von Monopolen besteht, die individuelle Gewinnmaximierung zu einem schlechteren Gesamtergebnis f¨ uhrt als eine ganzheitliche Optimierung der Monopolkette.44 Um die Notwendigkeit des Supply Chain Management unter diesen Umst¨anden zu verdeutlichen, soll das folgende allgemeine Beispiel den Effekt erl¨autern und beschreiben. Eine zentrale Annahme in dem Modell ist die des sukzessiven Monopols. Das heißt, dass der Monopolist, der sich abw¨arts45 der Wertsch¨opfung befindet, als Nachfrager keine Marktmacht besitzt. Er muss den Preis des Aufw¨arts-Monopolisten akzeptieren. Da eine weitere Kommunikation ausgeschlossen wird, ist eine kooperative L¨osung nicht m¨oglich. Dar¨ uber hinaus wird eine gleiche Inputproportion unterstellt. Das heißt, dass das Abw¨ arts-Monopol zur Produktion einer Einheit des Produktes genau eine Einheit des Aufw¨arts-Monopols ben¨otigt. Durch die folgende Quantifizierung der Double Marginalization zeigt sich, dass die Gewinne der Monopolkette beziehungsweise der Supply Chain insgesamt kleiner sind als der Gewinn, der durch eine Integration der Monopolkette in ein Unternehmen erzielt werden k¨onnte. Es wird eine Beziehung zwischen einem Lieferanten L und einem Hersteller H betrachtet. Der Lieferant liefert dem Hersteller ein Produkt, welches nur dieser ihm zur Verf¨ ugung stellen kann. Der Hersteller verarbeitet dieses Vorprodukt und setzt es am Markt ab. Auch an diesem Markt ist der Hersteller der einzige Anbieter. Es ergibt sich eine Kette aus Angebotsmonopolen. Der Hersteller produziert eine bestimmte Menge X H seiner Produkte zu den folgenden Gesamtkosten:
K H (X H ) = (P L + kH ) · X H + kFHix , wobei k H die variablen Kosten, P L den Preis f¨ ur das Zwischenprodukt des Lieferanten und kFHix die fixen Kosten darstellen.46 Der Erl¨os ergibt sich aus der Preis-Absatz-Funktion P H (X H ) = b − a · X H , mit a, b > 0, multipliziert mit der Absatzmenge X H . Der Gewinn GH (X H ) lautet somit:
GH (X H ) = (b − a · X H ) · X H − (P L + kH ) · X H − kFHix . Zur Bestimmung der gewinnmaximalen Absatzmenge werden die Grenzerl¨ose gleich den Grenzkosten gesetzt, wodurch sich die optimale Absatzmenge X H∗ = (b − k H − P L )/(2 · a) ergibt. Der Lieferant kann eine Menge X L des Vorproduktes zu den Gesamtkosten von 44
Tirole (1988) bezeichnet diese Problematik als Double Marginalization. Aufw¨ arts“ der Supply Chain beschreibt die entgegengesetzte Richtung der Wertsch¨ opfung in einer Supply ” Chain. Abw¨ arts“ beschreibt die Richtung der Wertsch¨ opfung. ” 46 Die Darstellung dieser Problematik mittels anderer Formen der Kostenfunktion findet sich beispielsweise in Knieps (2005), S. 161 ff. und Motta (2004), S. 307 ff. 45
2.2. Grundlagen des Supply Chain Management
25
K L (X L ) = k L · X L + kFL ix liefern, wobei k L die variablen Kosten und kFL ix die fixen Kosten darstellen. Die Menge X H , die der Hersteller nachfragt, h¨angt von dem Preis P L des Lieferanten ab. Somit l¨ asst sich die Nachfrage des Herstellers nach dem Produkt des Lieferanten aus der Funktion der optimalen Absatzmenge X H∗ ableiten:
X H∗ (P L ) =
b − kH − P L = X L (P L ). 2·a
Der gewinnmaximale Preis und die gewinnmaximale Absatzmenge des Lieferanten ergibt sich somit wie folgt:
b − kL − kH , 2 L H b−k −k = . 4·a
P L∗ = X L∗
Da der Lieferant seine Produkte zu dem Preis P L∗ anbieten wird, f¨allt der Hersteller die Entscheidung, die Menge X H∗ (P L∗ ) = (b − k L − kH )/(4 · a) nachzufragen. Aufgrund der gleichen Inputproportionen entspricht diese Menge dem Absatz des Herstellers. Die Double Marginalization f¨ uhrt zu einem Preis des Lieferanten, der oberhalb der Grenzkosten (Preisaufschlag) liegt. Je h¨oher dabei der Preisaufschlag ist, desto geringer wird die Absatzmenge beziehungsweise die Nachfrage des Herstellers ausfallen, wie die folgende Ableitung zeigt.
1 ∂X H∗ (P L ) =− < 0, da a > 0. ∂P L 2·a Um diesen Effekt und die damit einhergehende geringere Summe aus den Gewinnen des Lieferanten und des Herstellers aufzuzeigen, wird zum Vergleich die Produktion des Produktes des Lieferanten und des Herstellers in einem Unternehmen (vertikale Integration) vorgenommen. Die Gewinnfunktion lautet dann:
ˆ − kH · X ˆ − kL − kH . ˆ X) ˆ = (b − a · X) ˆ ·X ˆ − kL · X G( F ix F ix ˆ ∗ = (b − k L − k H )/2 · a. Der Vergleich mit der Die optimale Absatzmenge betr¨agt somit X Absatzmenge des Herstellers in der Monopolkette zeigt, dass diese nur halb so groß ist. Die Differenz aus dem Gewinn der vertikalen Integration und der Monopolkette betr¨ agt:
26
Kapitel 2. Supply Chain Management
L H 2 L H ˆ X ˆ ∗ ) − GL (X L∗ ) − GH (H H∗ ) = (k + k ) + b · (b − 2 · (k + k )) . G( 16 · a
Durch den Vergleich der Gewinne wird ersichtlich, dass die Wertsch¨opfung in einer Supply Chain, die aus zwei Monopolen besteht, auf Gewinne verzichtet, solange der Prohibitivpreis b ≥ k L + k H ist. Ist b < k L + k H , so w¨ urde es keine Zusammenarbeit des Herstellers und des Lieferanten geben, da unter diesen Umst¨anden die Bedienung des Marktes zu negativen Deckungsbeitr¨agen f¨ uhrt. Es bleibt zusammenzufassen, dass bei einer vertikalen Integration des Herstellers und des Lieferanten ein h¨oherer Gewinn erzielt werden kann als in einer Supply Chain, die am Markt agiert. Der Effekt der Double Marginalization w¨ urde jedoch nicht entstehen, wenn das Aufw¨arts-Unternehmen auf einem Markt mit einem Polypol agieren w¨ urde. Der Lieferant w¨are gezwungen, seine Produkte zu Grenzkosten weiterzugeben, wodurch die Gewinnfunktion des Herstellers dieselbe Form annehmen w¨ urde, wie sie auch in der vertikalen Integration existiert. Diese Erkenntnisse zeigten schon in den f¨ unfziger und sechziger Jahren, dass eine engere Zusammenarbeit der Unternehmen zu einer m¨oglichen Reduktion dieses Effektes f¨ uhren kann. Auch heute lassen sich solche zweiseitigen Monopole finden. Ein Beispiel l¨asst sich in der metallverarbeitenden Konsumg¨ uterindustrie finden: Eine Komponente der durch das metallverarbeitende Unternehmen produzierten Kaffeevollautomaten stellt der Boiler dar, der das Wasser zum Aufbr¨ uhen des Kaffees unter einem hohen Druck erhitzt. Die Metallschalen, aus denen der Boiler besteht, werden aufgrund des spezifischen Materials beziehungsweise der hohen physikalischen Anforderungen durch die Druckbelastung sowie der Auslastung der eigenen Fertigung bei dem Metallverarbeiter hergestellt. Die Implementierung der Technik der Boiler, wie die Heizspirale oder die Anschl¨ usse an die Komponente selbst, sowie das Zusammenl¨oten der Metallschalen wird von einem externen Hersteller durchgef¨ uhrt. Eine solche Supply Chain kann zu einem zweiseitigen Monopol f¨ uhren: Aufgrund der Exklusivit¨at des Produktes durch spezifische Anschl¨ usse und Verkabelungen ist kein weiterer Abnehmer vorhanden und der Metallverarbeiter ist ein Nachfragemonopolist. Der externe Hersteller kann durch besondere Anspr¨ uche an das Produkt selbst sowie durch gemeinsame produktspezifische Weiterentwicklungen zu einem Angebotsmonopolist werden. Der Aufbau einer zweiten Bezugsquelle durch den Metallverarbeiter erfordert die Sicherstellung der hohen Anforderungen des Qualit¨ats- und des Produktmanagements. Die Erf¨ ullung dieser Anforderungen f¨ uhrt zu hohen Kosten (Suchkosten, Investitionskosten) und stellt daher eine Markteintrittsbarriere dar. Durch den Ansatz von Koordinationsmechanismen des Supply Chain Management ist es m¨oglich, den negativen Effekt der Double Marginalization zu reduzieren. Die Ans¨atze zur L¨osung dieser Problematik werden als Channel Coordination“ bezeichnet.47 Ein weiteres ”
2.2. Grundlagen des Supply Chain Management
27
Motiv zur Entwicklung des Supply Chain Management, das in der Mitte des letzten Jahrhunderts beschrieben wurde, ist der so genannte Bullwhip-Effekt. Bullwhip-Effekt Forrester (1958) zeigte bereits vor f¨ unfzig Jahren, dass sich die Nachfrage aufw¨arts der Supply Chain aufschaukelt. Das heißt, dass die Nachfrage des Endkunden eine niedrigere Volatilit¨ at aufweißt als beispielsweise die Nachfrage des Herstellers an den Rohstofflieferanten. Dieses Ph¨anomen wurde als Forrester-Effekt bezeichnet, bekam aber mit der Arbeit von Lee et al. (1997a, b) den Namen Bullwhip-Effekt. Seitdem ist der Bullwhip-Effekt einer der meist zitierten Gr¨ unde f¨ ur die Implementierung eines Supply Chain Management und der damit verbundenen Verbesserung der Gewinne der Unternehmen in einer Supply Chain.48 Mit dem Bullwhip-Effekt wird heute folgender Sachverhalt definiert: Bei begrenzten Informationen, Unsicherheiten und Entscheidungen einzelner Supply-Chain-Stufen f¨ uhren klei” nere Schwankungen der Kundenbedarfe auf jeder weiteren Stufe der Supply Chain zu imunde f¨ ur einen solchen Effekt sind mer gr¨oßeren Streuungen der Bedarfsmengen“ 49 . Die Gr¨ ¨ vielf¨altig und basieren auf verschiedenen Uberlegungen. Die Arbeit von Moyaux et al. (2007) liefert eine Zusammenfassung der Gr¨ unde f¨ ur den Bullwhip-Effekt. Die ersten vier Effekte stammen urspr¨ unglich aus der Arbeit von Lee et al. (1997b): 1. Demand Forecast Updating: Die Unternehmen einer Supply Chain geben die Auftr¨age an ihre Lieferanten auf Basis ihrer Planung beziehungsweise Vorhersagen weiter. Diese Vorhersagen basieren wiederum auf den Auftr¨agen, die sie selber erhalten. Dabei k¨onnen die Bestellungen des jeweiligen Unternehmens h¨oher oder niedriger sein, als zur direkten Nachfragebefriedigung ben¨ otigt werden. Lee et al. (1997b) f¨ uhren diese Probleme einerseits auf unterschiedliche Erfahrungs- und Erwartungswerte bez¨ uglich der Nachfrageschwankungen eines Unternehmens zur¨ uck und andererseits auf die fehlenden aktuellen Nachfrageinformationen aus der gesamten Supply Chain.50 2. Order Batching: In einer Supply Chain werden Auftr¨ age an die Lieferanten unter Ber¨ ucksichtigung der Lagerbest¨ ande und Lieferkosten weitergegeben. Dabei kann es vorkommen, dass der Eingang einer Bestellung nicht sofort zu einer Bestellung beim Lieferanten f¨ uhrt. Dies kann beispielsweise daran liegen, dass die Bestellung in Form von Losen oder Batches vorgenommen wird, die gr¨ oßer als die Nachfrage sind. Oder es muss erst ein gewisser Grad an Nachfrage existieren, bevor ein Auftrag an den Lieferanten ausgegeben wird. Außerdem k¨onnte die eingehende Nachfrage noch aus einem vorlie47
Siehe Zimmer (2001) und Barnes-Schuster et al. (2002). Experimentelle Ergebnisse der Arbeiten von Metters (1997) und McCullen und Towill (2002) zeigen, dass sich die Kosten um bis zu 30 % reduzieren lassen. 49 Corsten und G¨ ossinger (2008), S. 98. 50 Siehe Corsten und G¨ ossinger (2008), S. 100 f. und Z¨ apfel und Wasner (1999). 48
28
Kapitel 2. Supply Chain Management genden Lagerbestand befriedigt werden. Hier k¨onnen somit erhebliche Schwankungen in der Nachfrage aufw¨arts der Supply Chain auftreten. 3. Price Fluctuation: Ein Aufschaukeln der Nachfrage kann durch eine ver¨ anderte Preissituation auftreten. Beispielsweise k¨onnte ein Unternehmen in der Supply Chain seine Nachfrage steigern, um auf einen Mengen- oder Preisrabatt zu reagieren. Umgekehrt versucht ein Unternehmen bei einem zu erwartendem Preisanstieg, durch fr¨ uhzeitige Bestellungen Kosten zu vermeiden. 4. Rationing und Shortage Gaming: In dem Fall, dass die Nachfrage das Angebot u¨bersteigt, wird der Hersteller versuchen, seine Produkte so zu rationieren, dass die Nachfrage zumindest zum Teil befriedigt wird. Eine Antizipation dieser Knappheit durch die Nachfrager f¨ uhrt dazu, dass sie ihre Bestellungen u ¨ bertreiben werden. Der spie” lerische“ Ansatz findet sich beispielsweise in der Weitergabe von Informationen u ¨ ber die tats¨achliche Nachfrage des Kunden in einem fr¨ uheren Stadium der Verhandlung. Auf der Anbieterseite kann der Versuch unternommen werden, den Wert eines Produktes durch Knappheit zu steigern. Dieser Effekt f¨ uhrt somit zu einem Aufschaukeln der Bestellmengen aufw¨arts der Supply Chain. 5. Misperception of Feedback: Sterman (1989) beschreibt in seiner Arbeit das so genannte Beer Game“. In dieser Ver¨offentlichung beschreibt er, dass auch Fehleinsch¨atzungen ” der Entscheidungstr¨ager in einer Supply Chain einen Einfluss auf die Planung haben und damit zum Bullwhip-Effekt f¨ uhren k¨onnen. Die Fehleinsch¨atzungen basieren auf zwei Gr¨ unden. Erstens besitzen die Entscheidungstr¨ager nicht ausreichend Informationen u ¨ber die Nachfrageentwicklung entlang der gesamten Supply Chain. Diese Problematik findet sich bereits im Fall des Demand Forecast Updating. Der zweite Grund besteht in der Struktur der Bestellmenge. Die Bestellmenge des Vorg¨angers kann sich aus drei Komponenten zusammensetzen: Nachfragebefriedigung, Lagerauff¨ ullung und Aufrechterhaltung der Versorgung. Diese Komponenten f¨ uhren zu einer erschwerten Signaldeutung der Nachfolger in einer Supply Chain. Die dadurch auftretende Fehlinterpretation der zuk¨ unftigen Nachfrageentwicklung der Entscheidungstr¨ager ist daher mit ein Grund f¨ ur den Bullwhip-Effekt.51 6. Local Optimization without Global Vision: Die Arbeiten von Kahn (1987) und Naish (1994) halten mit Hilfe eines Optimierungsmodells der Lagerhaltung fest, dass die Unternehmen ohne Ber¨ ucksichtigung der restlichen Supply Chain ihre Gewinne maximieren (lokales Optimum). Diese dezentralisierte Betrachtung der verschiedenen Problemstellungen f¨ uhren zu Bestell- oder Lagerentscheidungen, die schnelle und kostenintensive
51
Vgl. Mosekilde et al. (1991), S. 199 ff., Keller (2004), S. 54 ff., Moyaux et al. (2007), S. 397 und Hwarng und Xie (2008), S. 1163 ff.
2.2. Grundlagen des Supply Chain Management
29
Reaktionen der nachfolgenden Unternehmen erfordern. Die Auswirkungen unterschiedlicher Lagerhaltungspolitiken auf die Supply Chain beziehungsweise auf den BullwhipEffekt werden beispielsweise von Chen et al. (2000) und Simchi-Levi et al. (2008) formal gezeigt. 7. Company Processes: Taylor (1999) beschreibt anhand einer Supply Chain der Automobilindustrie die Entstehung des Bullwhip-Effektes durch prozessbedingte St¨orungen. Er f¨ uhrt aus, dass sich die unterschiedlichen Zuverl¨assigkeiten und F¨ahigkeiten der Maschinen sowie die dadurch m¨oglicherweise entstehenden Unterschiede in der (Zwischen)Produktqualit¨at von Maschine zu Maschine verst¨arken. Diese unternehmensinternen Effekte verursachen Unsicherheiten, die das Bestell- und Lagerverhalten der Unternehmen beeinflussen und somit zum Bullwhip-Effekt f¨uhren k¨onnen. Keller (2004) beschreibt mit dem Begriff Zeitverzug einen zus¨atzlichen Grund f¨ ur die Entstehung des Bullwhip-Effektes. Dieser beinhaltet die zeitliche Verz¨ogerungen durch unternehmensinterne Prozesse, wie beispielsweise versp¨atete Eing¨ange in das Materialwirtschaftssystem durch Wareneingangspr¨ ufungen oder Transportzeiten zwischen den einzelnen Standorten in einem Unternehmen. Solche Effekte lassen sich den bereits existierenden Effekten zuordnen. Beispielsweise lassen sich Informationsverz¨ogerungen dem Demand Forecast Updating oder den Company Processes zuordnen, je nachdem, wo die zeitliche Diskrepanz auftritt. Um die Entstehung des Bullwhip-Effektes zu verdeutlichen, wird an dieser Stelle der Effekt des Order Batching an einem Beispiel von Alicke (2005) gezeigt. In diesem Beispiel wird angenommen, dass jeder Supply Chain Partner das EOQ-Modell52 zur Ermittlung seiner Bestellmenge verwendet. Die Bestimmung der optimalen Bestellmenge Q∗i f¨ uhrt jede Stufe, i = 1, ..., n, der Supply Chain individuell durch. Die Stufe i = 1 beschreibt dabei den Großh¨andler und i = n den Urerzeuger. Mit Hilfe der Formel Qi = 2 · r · di /hi l¨asst sich die optimale Bestellmenge f¨ ur jede Stufe bestimmen. Die R¨ ustkosten r sind f¨ ur jede Stufe konstant. Die Nachfrage di entspricht der Bestellmenge Qi−1 der vorherigen Stufe, wobei die ucksichtigt man Bestellmenge Q0 die konstante Nachfrage der Endverbraucher darstellt. Ber¨ in den Lagerhaltungskosten die Kapitalbindung des gelagerten Gutes, so wird angenommen, dass die Lagerhaltungskosten mit der zunehmenden Wertsch¨opfung auf jeder Stufe ansteigen. ur alle i = 1, ..., n−1 gilt. Durch den Anstieg der LagerFormal bedeutet dies, dass hi > hi+1 f¨ haltungskosten abw¨arts der Supply Chain beziehungsweise in Richtung der Wertsch¨opfung sinken die Bestellmengen und die Bestellzyklen τi auf den jeweiligen Stufen der Supply Chain. Um dies zu verdeutlichen, zeigt die Abbildung 2.7 die Lagerbest¨ande einer Supply Chain, die aus einem Urerzeuger, Lieferanten, Hersteller und Großh¨andler besteht. Die aus einem Zahlenbeispiel ermittelten Lagerbest¨ande am Ende jeder Periode t = 0, ..., 10 zeigen, dass aufw¨arts der Supply Chain die Anzahl der Zeitpunkte, in denen das Lager erneut aufgef¨ ullt wird, geringer sind. Dar¨ uber hinaus ist auch die H¨ohe der Bestellmengen 52
Economic Order Quantity. Siehe Jahnke und Biskup (1999), S. 94 ff.
30
Kapitel 2. Supply Chain Management
Abbildung 2.7: Lagerbest¨ ande einer Supply Chain
offensichtlich in Richtung der Urerzeugung zunehmend. Dieses Zahlenbeispiel verdeutlicht, dass sich die Bestellmengen trotz einer kontinuierlichen Nachfrage d1 des Endverbrauchers aufw¨arts der Supply Chain aufschaukeln k¨onnen. Zur Vermeidung des Bullwhip-Effektes aufgrund von Order Batching sowie der anderen ¨ Effekte gibt es eine Vielzahl an Strategien und Modellen in der Literatur. Einen Uberblick u ¨ber die entsprechende Basisliteratur, die zur L¨osung der sieben verschiedenen Effekte beitr¨agt, gibt die Tabelle 2.3. Eine ausf¨ uhrlichere Darstellung f¨ ur die hier genannten Effekte findet sich unter anderem in der Arbeit von Keller (2004). Die Problematiken der Informationsasymmetrie, Double Marginalization und des Bullwhip-Effekts sind nicht der einzige Grund f¨ ur die Entstehung des Supply Chain Management. Sicherlich sind diese Ph¨anomene ein Grund f¨ ur die Notwendigkeit einer unternehmens¨ ubergreifenden Analyse und der Implementierung bestimmter Methoden, aber auch die technische Weiterentwicklung der Informationstechnologien, steigende Automatisierung der Fertigung,53 St¨arkung der Verhandlungsmacht der Kunden54 sowie die Implementierung neuartiger logistischer Strategien, die Mitte der siebziger und Anfang der achtziger Jahre dazu beigetragen haben, dass das Supply Chain Management zu einer der wichtigsten Aufgaben in einem Unternehmen wurde, geh¨oren dazu.
53 54
Ein Beleg ist das Auseinanderklaffen der Gemeinkosten zu den Einzelkosten. Vgl. Miller und Vollmann (1985), S. 143. Ein Indiz f¨ ur eine steigende Kundenmacht ist der Anstieg der Variantenvielfalt eines Produktes. Vgl. Cox und Alm (1998), S. 4 und Kleinaltenkamp (2007), S. 48. Der Beleg liegt in der M¨ oglichkeit der Kunden, Einfluss auf die Strategie eines Unternehmens sowie auf dessen Wettbewerb zu nehmen.
2.2. Grundlagen des Supply Chain Management Effekt
L¨osungsans¨atze
Demand Fore- Koordinationsm¨oglichkeiten wie cast Updating zum Beispiel VMI, Informationsteilung mit Hilfe des CPFR55 Konzeptes, unterst¨ utzende Informations- und Kommunikationstechniken (EDI56 ) und alternative Prognosemethoden
31 Literatur Lee et al. (2000), Anderson und Lanen (2002), Dejonckheere et al. (2003), Tempelmeier (2005), Lee und Chu (2005) und Simchi-Levi et al. (2008)
Order Batching
Unterst¨ utzende Informations- und Ernst und Pyke (1993) Kommunikationstechniken, Verwen- und Guedehus (2001) dung bestimmter Bestellpolitiken, Third-Party-Logistics
Price Fluctuation
EDLP57
Rationing Shortage ming
and Zuteilungsverfahren Ga-
Raghunathan und Yeh (2001) Cachon und Lariviere (1999b) und Cachon und Lariviere (1999a)
Misperception of Verbesserung des Verst¨andnisses Forrester (1958) und DeFeedbacks u ¨ber die Dynamik in einer Supply jonckheere et al. (2002) Chain ucksichti- Dejonckheere Local Optimi- Optimierung unter Ber¨ et al. zation without gung externer Problemstellungen (2004) und Kapitel 4 (EPOS Data58 , VMS59 , VMI, usw.) Global Vision Company cesses
Pro- VMS
Taylor (1999)
Tabelle 2.3: L¨osungsans¨atze zum Bullwhip-Effekt
Der Grund f¨ ur einen solchen Fortschritt lag einerseits an den revolution¨aren Entwicklungen handhabbarer Computer Ende der siebziger Jahre60 und andererseits an der Ausweitung der Absatz- und Beschaffungsm¨arkte durch die Globalisierung61 und das Internet62 . Da es durch die Computer m¨oglich wurde, komplexere Auswertungen zeitnah auszuf¨ uhren, resultier55
Collaborative Planning, Forecasting, Replenishment. Electronic Data Interchange. 57 Every Day Low Pricing. 58 Electronic Point of Sales Data. 59 Vendor-Managed Scheduling. 60 1977 wurde von Apple der erste Computer am Markt angeboten. 1980 zog IBM mit dem ersten PersonalComputer nach. 61 Belege f¨ ur diese Behauptung bieten beispielsweise der exponentielle Anstieg des Exports (Vgl. S¨ ollner und Plinke (2007), S. 13) sowie die empirischen Ver¨ offentlichungen zur Bedeutung der Logistik in Unternehmen (Vgl. Baumgarten und Walter (2000), S. 1 ff.). 62 Der Wachstum des Internet l¨asst sich am Anstieg der Hosts zeigen (Siehe Internet Systems Consortium (2008)). 56
32
Kapitel 2. Supply Chain Management
te aus dieser Entwicklung eine intensivere Analyse der Kosten in den Bereichen der Logistik und Beschaffung. Die Unternehmen erkannten, dass die Abbildung der internen Funktionsbereiche nicht ausreichend ist, um auf den neuen M¨arkten wettbewerbsf¨ahig zu bleiben. Stattdessen war eine unternehmens¨ ubergreifende Betrachtung der Wertsch¨opfungskette sowie die Entwicklung neuer Strategien notwendig. Hanna und Newman (2007) beschreiben in ihrem Buch die Entwicklungsstufen des Operations Management, das die wesentlichen Schritte der Entwicklung von Produktions- und ¨ Logistiksystemen beinhaltet. Als signifikante Anderung in der Produktionsplanung sehen die Autoren die Einf¨ uhrung von EDV-Systemen Mitte der siebziger Jahre. Im Zuge dieses technischen Fortschritts ergaben sich die ersten umfassenden Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme (PPS) beziehungsweise Material Requirements Planning (MRP) Konzepte.63 Diese Konzepte erm¨oglichten die Ermittlung von detaillierten Vorgaben f¨ ur eine zeitliche und mengenm¨aßige Planung der Bestell- und Produktionsauftr¨ age, um die Planung der Materialien und Vorprodukte in einem komplexen Fertigungssystem zu koordinieren. Die Vorteile eines solchen Konzeptes sind unter anderem verringerte Lagerbest¨ande sowie schnellere Durchlaufund Reaktionszeiten. Die Entwicklung der unternehmens¨ ubergreifenden Strategien auf Basis der neuen Produktionsplanungs- und Logistiksysteme wurde in den sechziger und siebziger Jahren vorgenommen, wobei die theoretische Beschreibung dieser Konzepte auf sich warten ließ.64 Zu den meist verbreiteten Anwendungen z¨ahlen das Just-in-Time (JiT) Prinzip, Kanban und Total Quality Management (TQM). Das JiT sowie das Kanban System wurde erstmals von Sugimori et al. (1977) beschrieben und entstand auf Basis der Entwicklungen von Taiichi Ohno bei Toyota. Das JiT-Prinzip beinhaltet ein System, in dem jede Art von Verschwendung vermieden werden soll. Als Verschwendung gelten Verz¨ogerungen des Produktionsprozesses, die keinen Wertzuwachs am Produkt verursachen (R¨ ustzeiten, Lagerbest¨ande, usw.).65 Juran (1978) und Deming (1986) weisen darauf hin, dass beim JiT-Prinzip eine Verkn¨ upfung mit einem entsprechenden Qualit¨atsmanagement notwendig ist, um die Nachfrage nach hochwertigen aber auch preiswerten Produkten zu befriedigen. Diese Erkenntnis erm¨oglichte es den Japanern, der Konkurrenz aus den USA einen Schritt vorauszusein. Um diesem Effekt entgegenzusteuern, entwickelten die Amerikaner ihr eigenes System zur Verbesserung ihrer Prozesse: Das Total Quality Management.66
63
Siehe Orlicky (1975). Als Vorl¨ aufer der PPS und MRP Konzepte gelten die Hierarchische Produktionsplanung von Hax und Meal (1975) und das Collaboration and Coordination von Bowersox (1969). ¨ Einen sehr guten zeitlichen Uberblick u ¨ber die Entwicklung von Supply Chain bezogenen Strategien bieten Fawcett et al. (2007), S. 379. 65 Siehe Golhar und Stamm (1991), Gunasekaran et al. (1993), Ohno (1993) und Jahnke und Biskup (1999), S. 293 ff. 66 Siehe Redeker und Sprenger (2000). 64
2.2. Grundlagen des Supply Chain Management Aktivit¨aten Beschaffung Finanzwirtschaft Informatik Logistik Marketing Operations Research Soziologie Unternehmensf¨ uhrung Sonstige
33 Anteil 15 8 13 11 5 19 7 16 6
% % % % % % % % %
Tabelle 2.4: Verteilung der Supply Chain Management Definitionen [Quelle: Burgess et al. (2006), S. 711]
Die Weiterentwicklung der hier beschriebenen Systeme67 sowie die Aufdeckung der Informationsasymmetrie, der Double Marginalization und des Bullwhip-Effektes in Unternehmen f¨ uhrte zu der Entwicklung des Supply Chain Management. Die Einf¨ uhrung dieses Begriffs in die Literatur durch Oliver und Webber (1982), Houlihan (1985) und Jones und Riley (1985) brachte schließlich eine Vielzahl an Definitionen hervor. Der folgende Abschnitt gibt einen ¨ Uberblick u ¨ber die meist zitierten Definitionen und beinhaltet eine f¨ ur diese Arbeit g¨ ultige Definition des Supply Chain Management.
2.2.2
Definition des Supply Chain Management
Eine der ersten Definitionen stammt von Jones und Riley (1985): Supply Chain Management ” deals with the flow of materials from suppliers through end-users [...]“ 68 . An dieser Ansicht hat sich bis heute nichts ge¨andert. Allerdings sind in den letzten Jahrzehnten einige Aspekte hinzugekommen, die den Begriff des Supply Chain Management auf unterschiedliche Weise n¨aher beschreiben. Die Strukturierung dieses weiten Spektrums an Definitionen ist komplex und daher vielf¨altig. Bechtel und Jayaram (1997) haben die Ansichten und Begriffsverst¨ andnisse der Autoren in verschiedene Denkschulen eingeordnet. Ho et al. (2002), Giannakis und Croom (2004) und Chen und Paulraj (2004) nehmen eher eine strategische Perspektive in ¨ ihrer Ubersicht ein, indem sie die verschiedenen Definitionen und Ansichten des Supply Chain Management anhand der Entwicklung in den letzten Jahrzehnten strukturieren. Eine interessante Darstellung von Burgess et al. (2006) ist die Einordnung der Ver¨ offentlichungen mit einer neuen oder abgewandelten Definition nach den Funktionen beziehungsweise Aktivit¨aten, auf die sich das Supply Chain Management in einem Unternehmen bezieht. 67
Die Entwicklung des JiT-Prinzips bis zum Supply Chain Management zeigt die Arbeit von Wildemann (2000b). G¨ opfert (2006) beschreibt eher die allgemeine Entwicklung der Logistik zu dieser Zeit. 68 Jones und Riley (1985), S. 16.
34
Kapitel 2. Supply Chain Management Der Literatur¨ uberblick von Burgess et al. (2006) sowie Tabelle 2.4 zeigen, dass eine akti-
vit¨atsorientierte Zuordnung zwar m¨ oglich, aber die Erstellung beziehungsweise Entdeckung einer einheitlichen Definition umso schwieriger ist. Daher wird in Ver¨offentlichungen meist ¨ nur ein Uberblick u ¨ber die wichtigsten und meist zitierten Definitionen des Supply Chain Management gegeben. F¨ ur die Ver¨offentlichung selbst wird dann h¨aufig eine auf das Problem zugeschnittene Definition herangezogen. Es lassen sich sinnvolle Zusammenstellungen in den Arbeiten von Kotzab (2000), Mentzer et al. (2001) oder Tan (2001) f¨ ur den angels¨achsischen ¨ Raum finden. Einen Uberblick u ¨ber die deutschen Definitionen bietet Sucky (2004).69 Dar¨ uber hinaus gibt es Literatur¨ ubersichten, die sich ihren eigenen Themengebieten beziehungsweise Schwerpunkten widmen. Beispielsweise u ¨ berpr¨ uft Skjoett-Larsen (1999) die Ver¨ offentlichungen im Bereich der Logistik w¨ahrend sich die Arbeit von Larson und Halldorsson (2002) ausschließlich mit dem Bereich der Beschaffung besch¨aftigt. Mentzer et al. (2001) haben in ihrer Arbeit eine Definition entwickelt, die versucht, eine funktionsunabh¨angige Sichtweise einzunehmen und die Aufgaben und Zielsetzungen m¨oglichst allgemein zu beschreiben. Supply Chain Management wird definiert als the sy” stemic, strategic coordination of traditional business functions and the tactics across these business functions within a particular company and across business within the supply chain, for purposes of improving the long-term performance of the individual companies and the ur ihre ausf¨ uhrliche Anasupply chain as a whole“ 70 . Auch Burgess et al. (2006) verwenden f¨ lyse u ¨ber die verschiedenen Definitionen des Supply Chain Management die Ausf¨ uhrung von Mentzer et al. (2001) als Leitfaden. Da die Definition der Supply Chain in dieser Arbeit auf den Ausf¨ uhrungen von Sucky (2004) basieren,71 wird auch seine Definition des Supply Chain Management betrachtet. Sup” ply Chain Management als das Management unternehmens¨ ubergreifender Wertsch¨opfungssysteme umfasst die zielgerichtete Gestaltung der Supply Chain auf der institutionellen Ebene und der Prozess- und Ressourcenebene sowie die zielgerichtete Koordination der Prozesse sowohl auf der institutionellen Ebene als auch auf der Prozess- und Ressourcenebene“ 72 . Die von Sucky (2004) angesprochenen Ebenen umfassen die in Abschnitt 2.1 beschriebenen prozessorientierten und institutionellen Sichtweisen einer Supply Chain. Eine weitere sehr verbreitete Definition findet sich in dem Lehrbuch von Fawcett et al. (2007): Supply chain ” management is the design and management of seamless, value-added processes across organizational boundaries to meet the real needs of the end customer“ 73 . Hier wird die Ausrichtung des Management einer Supply Chain vorgegeben: Die Befriedigung der Endkundenbed¨ urfnisse. 69
Ein Vergleich der Definitionen aus beiden Sprachr¨ aumen bietet Eßig (2004), S. 44 ff. Mentzer et al. (2001), S. 18. Vgl. Kapitel 2.1, S. 13. 72 Sucky (2004), S. 21. 73 Fawcett et al. (2007), S. 8. 70 71
2.2. Grundlagen des Supply Chain Management
35
Aus diesen Ver¨offentlichungen wird die f¨ ur diese Arbeit geltende Definition des Begriffs Supply Chain Management abgeleitet: Das Supply Chain Management umfasst die endkundenorientierte Gestaltung und Koordination einer unternehmens¨ ubergreifenden Wertsch¨opfungskette auf der prozessorientierten und institutionellen Ebene zur Erhaltung oder Verbesserung der Wettbewerbsf¨ahigkeit. Diese Definition umfasst die verschiedenen Betrachtungsweisen (prozessorientierte und institutionelle Perspektive (Sucky (2004))) sowie die Ansatzpunkte und Aufgaben des Management (endkundenorientierte Gestaltung und Koordination (Fawcett et al. (2007))). Die Verbesserung der Wettbewerbsf¨ ahigkeit (Mentzer et al. (2001)) als Ziel der Supply Chain wird in Abschnitt 2.2.3 erl¨autert. Die gezeigte Entwicklung des Supply Chain Management beinhaltet bisher Motive und Effekte, die die Notwendigkeit des Supply Chain Management beschreiben. Der n¨achste Abschnitt verdeutlicht die Definition dahingehend, dass die Ansatzpunkte und Aufgaben des Managements und dessen Zielsetzung genauer beschrieben werden.
2.2.3
Ziele und Aufgaben des Supply Chain Management
Die zur Einf¨ uhrung des Supply Chain Management Mitte der achtziger Jahre klassischen logistischen Ziele wie • Reduzierung der Durchlaufzeiten, • Verringerung der Lagerbest¨ ande und • Erh¨ohung der Liefertreue stellen letztlich nichts anderes dar als • die Erh¨ohung des Serviceniveaus f¨ ur die Endverbraucher und • die Kostensenkung u ¨ber alle Wertsch¨opfungsstufen der Supply Chain.74 Dar¨ uber hinaus lassen sich durch die u ¨ bergeordnete Zielsetzung auch Ziele anderer Funktionen auf das Supply Chain Management abstimmen. Kostenreduktion im Marketing, Flexibilit¨atssteigerung im Vertrieb oder Verbesserung der Produktqualit¨at in der Beschaffung sind nur einige wenige Beispiele. Bei allen genannten Zielen geht es darum, die Differenz aus dem Wert des Endproduktes f¨ ur den Kunden und den gesamten Kosten einer Supply Chain, die zur Erstellung dieses Produktes notwendig sind zu erh¨ohen. Die Maximierung der Differenz f¨ uhrt aufgrund der M¨oglichkeiten von beispielsweise flexibler Preisanpassung, Investitionen in neue Technologien und Erschließung neuer M¨arkte zu einer Verbesserung der nachhaltigen strategischen Position gegen¨ uber dem Wettbewerb am Markt. Die St¨arkung der Position gegen¨ uber dem Wettbewerb wird in dieser Arbeit analog zu Stadtler (2005d) und Chopra und 74
Vgl. Corsten und G¨ ossinger (2008), S. 107 ff.
Kapitel 2. Supply Chain Management
36
Meindl (2007) als Steigerung der Wettbewerbsf¨ahigkeit bezeichnet und als u ¨bergeordnetes Ziel des Supply Chain Management verstanden. Stadtler (2005c) fasst die Aufgaben sowie Ziele des Supply Chain Management mit Hilfe des House of Supply Chain Management (Abbildung 2.8) zusammen. Dabei besteht das Dach aus dem u ¨bergeordneten Ziel der Wettbewerbsf¨ahigkeit und der Unterbau des Daches Kundenservice dient zur Erf¨ ullung des Ziels als Stoßrichtung.75
Abbildung 2.8: House of Supply Chain Management [Quelle: Stadtler (2005c), S. 12]
Das Ziel der Wettbewerbsf¨ahigkeit liegt auf zwei S¨aulen: Die S¨aule der Integration beinhaltet die Gestaltung der Supply Chain, w¨ahrend die zweite S¨aule die Koordination der G¨ uter-, Geld- und Informationsfl¨ usse beinhaltet. Das Fundament besteht aus den verschiedenen ausf¨ uhrenden Einheiten eines Unternehmens. Integrationss¨ aule Die S¨aule der Integration beinhaltet drei wesentliche Aufgaben (Wahl der Partner, Netzwerkorganisation und unternehmens¨ ubergreifende Zusammenarbeit und F¨ uhrerschaft), die im Folgenden erl¨autert werden. Die erste Aufgabe umfasst die Wahl der Supply Chain Partner76 , die in die Supply Chain und damit auch in Zielsetzungen und Aufgaben integriert werden sollen. Dabei wird auf die 75 76
Vgl. Stadtler (2005c), S. 11 und Chopra und Meindl (2007), S. 5 f. Es wird an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass der Supply Chain Partner ein Element der Supply Chain aus institutioneller Sicht darstellt. Die Unterteilung der Supply Chain in Funktionsbereiche ist f¨ ur die Darstellung der unternehmens¨ ubergreifenden Aufgaben des Supply Chain Management nicht notwendig.
2.2. Grundlagen des Supply Chain Management
37
Literatur aus dem Bereich der geeigneten Bezugsquellenplanung zur¨ uckgegriffen.77 Stadtler (2005c) schl¨agt eine dreistufige Auswahl der Partner anhand der Wichtigkeit f¨ ur das Endprodukt vor: Erstens werden die Partner hinzugef¨ ugt, deren Kernkompetenz der Aktivit¨ at entspricht, die zur Erstellung des Produktes oder der Dienstleistung in der Supply Chain notwendig ist. Zweitens werden die G¨ uter und Dienstleistungen, die vom Endkunden nicht differenziert werden k¨onnen und bei denen das Gut oder die Dienstleistung am Markt weit verbreitetet ist, von außerhalb der Supply Chain bezogen. Drittens wird die Entscheidung u ¨ber die Integration eines neuen Partners wie eine Make-or-Buy-Entscheidung getroffen.78 Andere Ans¨atze zur Bestimmung der Supply Chain Partner finden sich beispielsweise in dem Buch von Corsten und G¨ossinger (2008), die ein Optimierungsmodell vorstellen, in dem die Partner anhand ihrer Kapazit¨ aten und einer Mindestqualit¨at der G¨ uter festgelegt werden.79 Eine generelle Auflistung einer Vielzahl von Kriterien zur Bestimmung eines Supply Chain Partners bietet Ries (2001) in Form einer Checkliste. In Abschnitt 2.1 wurde bereits auf die Netzwerkorganisation einer Supply Chain (zweite Aufgabe) eingegangen. Diese Struktur ist eine Verbindung, die durch die jeweilige Aufgabe ¨ und die Zielsetzung der Supply Chain als Ganzes existiert.80 Bei einer Anderung der Aufgaben und Zielsetzungen muss die Struktur gegebenenfalls ge¨andert werden. Die unternehmens¨ ubergreifende Zusammenarbeit in diesem Netzwerk ist notwendig, um die oben beschriebenen Problemstellungen der Informationsasymmetrie, Double Marginalization und des BullwhipEffektes zu l¨osen beziehungsweise zu verhindern. Zur Optimierung der Netzwerkorganisation und der unternehmens¨ ubergreifenden Zusammenarbeit schlagen Corsten und G¨ossinger (2008) beispielsweise vor, einen Kundenauftragsentkopplungspunkt zu bestimmen.81 Dieser ¨ Punkt markiert den Ubergang zwischen einer prognosegetriebenen und kundenauftragsgetriebenen Produktion in der Supply Chain. Dies bedeutet, dass Varianten des Grundproduktes erst dann zu einem Endprodukt weiterverarbeitet werden, wenn ein konkreter Kundenwunsch vorliegt.82 Die dritte Aufgabe der Gestaltung der Supply Chain ist die F¨ uhrerschaft. Corsten und G¨ossinger (2008) unterscheiden zwischen der hierarchisch-pyramidalen Form, die ein fokales Unternehmen als strategisches F¨ uhrungselement besitzt und dem polyzentrischen Netzwerk, in dem die beteiligten Unternehmen gleichberechtigte Beziehungen unterhalten. W¨ahrend ein fokales Unternehmen bestimmte strategische Entscheidungen aufgrund seiner Marktmacht vorgeben kann, schl¨agt Stadtler (2005c) den Einsatz eines Lenkungskomitees (Steering Committee) f¨ ur eine polyzentrische Supply Chain vor. Dieses Lenkungskomitee besteht aus Ver77
Siehe Linn´e (1993), S. 176 ff. Siehe Schneider und Bauer (1994). Vgl. Corsten und G¨ ossinger (2008), S. 200 f. 80 Siehe Sydow (1992), S. 60 ff. und Corsten und G¨ ossinger (2008), S. 94 ff. 81 Corsten und G¨ ossinger (2008) stellen mit einem einfachen Optimierungsmodell von Lee und Tang (1997) eine M¨ oglichkeit zur Bestimmung des Kundenauftragsentkopplungspunktes vor. 82 Siehe Corsten und G¨ ossinger (2008), S. 202 ff. 78 79
Kapitel 2. Supply Chain Management
38
tretern der Supply Chain Partner und entscheidet beispielsweise durch Mehrheitsentscheidungen, welche Maßnahmen in der Supply Chain durchgef¨ uhrt werden sollen.83 Die beschriebenen drei Aufgaben der Integration stellen einen wichtigen Bestandteil der strategischen Ausrichtung des Supply Chain Management dar und werden teilweise auch unter den Begriffen Supply Chain Design84 oder Supply Chain Configuration85 zusammengefasst. Cooper et al. (1997) teilen die Aufgaben der Integrationss¨ aule dar¨ uber hinaus in Supply Chain Structure und Management Components auf.86 Koordinationss¨ aule Die S¨aule der Koordination beinhaltet ebenfalls drei Aufgaben (Informations- und Kommunikationstechnologie, Prozessausrichtung und Advanced Planning), wobei sich die erste Aufgabe mit der richtigen Auswahl und Implementierung der Informations- und Kommunikationstechnologien befasst. Die gezielte Verwendung dieser Technologien erm¨oglicht eine Erh¨ohung der informatorischen Basis sowie eine Verbesserung der F¨ahigkeiten der Unternehmen, auf ver¨anderte Marktanforderungen zu reagieren. Die Nutzung dieser Chancen f¨ uhrt vor allem zu einer Verringerung des Bullwhip-Effektes und damit zu einer Steigerung der Wettbewerbsf¨ahigkeit der Supply Chain.87 Gerade durch die Entwicklung des Internets in den letzten dreißig Jahren k¨onnen die Unternehmen vermehrt einen entsprechenden Datentransfer (zum Beispiel EDI) gew¨ahrleisten und somit Vorteile durch die Implementierung von Informations- und Kommunikationstechnologien erzielen.88 Die zweite Aufgabe der Koordinationss¨ aule stellt die Prozessausrichtung dar.89 Die Implementierung und Analyse eines Supply Chain Management erfordert eine Identifizierung und Modellierung der wichtigsten unternehmens¨ ubergreifenden Prozesse in einer Supply Chain. Dabei schlagen Croxton et al. (2001) vor, sich an acht Kernprozessen zu orientieren: 1. Customer Relationship Management: Die Kundenbetreuung dient der Bestimmung von Zielm¨arkten und der darauf aufbauenden Entwicklung, Erhaltung und Durchf¨ uhrung von kundenbezogenen Prozessen. 2. Customer Service Management: Der Kundenserviceprozess erm¨oglicht es dem Kunden, sich mit Hilfe von Informationssystemen entlang der Supply Chain u ¨ber Produkte, Ausf¨ uhrungsstand seines Auftrags, Liefertermine usw. zu informieren. 83
Vgl. Wildemann (2000a), S. 15 f. und Corsten und G¨ ossinger (2008), S. 18 f. Vgl. Piontek (2007), S. 7. 85 Vgl. Sucky (2004), S. 26. 86 Vgl. Cooper et al. (1997), S. 6 ff. und Corsten und G¨ ossinger (2008), S. 143 ff. 87 Vgl. Monse (1992), S. 305 und Kapitel 2.2.1, S. 27 ff. 88 Corsten und G¨ ossinger (2008) fassen die branchenindividuellen Normen des EDI auf S. 33 zusammen. Strukturelle Zusammenh¨ ange, Prinzipien und Anforderungen zur Vernetzung der Supply Chain finden sich in den Arbeiten von Speidel (2000) und Scheel (2000). 89 Diese Aufgabe bezieht die Elemente beziehungsweise Aktivit¨aten aus der prozessorientierten Perspektive einer Supply Chain explizit mit ein. 84
2.2. Grundlagen des Supply Chain Management
39
3. Demand Management: Die Bedarfsermittlung stellt die Verbindung zwischen der Kundennachfrage und dem G¨ uterfluss in der Supply Chain dar. Mit Hilfe von Prognosen und Maßnahmen zur Reduktion von Nachfrageschwankungen wird versucht, Angebot und Nachfrage auszubalancieren. 4. Order Fulfillment: Der Prozess der Auftragsabwicklung verfolgt das Ziel, die Kunden p¨ unktlich mit der gew¨ unschten Produktqualit¨at und -menge zu beliefern. 5. Manufacturing Flow Management: Bezugspunkt des Produktionsprozessmanagement ist die Produktion der nachgefragten G¨ uter, wobei Aufgabenschwerpunkte in der Flexibilisierung der Produktionsprozesse und in der Wahl eines geeigneten Produktprogramms gesehen werden. 6. Supplier Relationship Management: Die Lieferantenbetreuung hat die Aufgabe, das Produktionsprozessmanagement und den Produktentwicklungsprozess durch ein Beziehungsmanagement, das auf strategische Lieferanten ausgerichtet ist, zu unterst¨ utzen. 7. Product Development and Commercialization: Die Produktentwicklung und Produkteinf¨ uhrung erfolgt im Rahmen einer engen Zusammenarbeit mit den Schl¨ usselkunden und -lieferanten, um die Zeit bis zur Markteinf¨ uhrung zu verk¨ urzen. 8. Return Management: Der Prozess des R¨ ucklaufmanagement ist in den letzten Jahren durch den Begriff der Reverse Logistic in den Fokus der Forschung geraten.90 Ein effektives R¨ ucklaufmanagement erm¨oglicht es, Fehler im Produktionsprozess der Supply Chain zu identifizieren und Verbesserungen der Qualit¨at eines Produktes zu erzielen. Dar¨ uber hinaus f¨ uhrt eine kundenorientierte Ausf¨ uhrung dieses Prozesses zu einer entsprechenden Differenzierungsstrategie. Das Ziel der Prozessausrichtung ist es, einen entsprechenden Rahmen beziehungsweise Ansatzpunkte f¨ ur ein Supply Chain Management zu erzeugen. Die Prozesse zielen auf den Kundenservice und die damit verbundene nachhaltige verbesserte Wettbewerbsf¨ahigkeit der Supply Chain ab. Cooper et al. (1997) betonen dabei, dass zu erforschen sei, • ob die genannten Gesch¨aftsprozesse f¨ ur das Supply Chain Management relevant und im unternehmens¨ ubergreifenden Kontext konsistent sind, • in welchem Umfang die Relevanz und Konsistenz der Gesch¨aftsprozesse von der Strategie der Supply Chain beeinflusst wird und • u ¨ber wie viele und welche Wertsch¨opfungsstufen die Gesch¨aftsprozesse jeweils auszudehnen sind. 90
Siehe Rogers und Tibben-Lembke (2001), S. 129 ff.
40
Kapitel 2. Supply Chain Management Die dritte Aufgabe der Koordinationss¨ aule wird als Advanced Planning bezeichnet. Sie
teilt die Planungsaufgaben eines Supply Chain Partners in die Ebenen strategisch, taktisch und operativ sowie in die Aktivit¨ aten Beschaffung, Produktion, Distribution und Absatz ein und stellt damit einen Planungsansatz im Sinne einer hierarchischen Planung91 dar. Die individuelle Planung der Unternehmen in einer Supply Chain l¨asst sich mit Hilfe des Advanced Planning auf die Gesamtplanung ausrichten. Die Darstellung dieses umfangreichen Planungsmodells wird mit Hilfe der so genannten Supply Chain Planning Matrix (SCP-Matrix92 ) vorgenommen, die in der Abbildung 2.9 gezeigt wird.93
Abbildung 2.9: Supply Chain Planning Matrix [Quelle: Rohde (2005), S. 246]
Die Vierecke der Abbildung 2.9 zeigen die jeweiligen Planungsaufgaben beziehungsweise Planungsmodule eines Supply Chain Partners, w¨ahrend die Pfeile die zu u ¨ bermittelnden Daten zwischen den Modulen darstellen. Die Beschriftungen sind Beispiele f¨ur die weitergegebenen Informationen. Die Informationen k¨ onnen nach den verschiedenen Produktionsprozessen unterschiedlich ausfallen beziehungsweise zus¨atzliche Angaben beinhalten. Um eine Idee der jeweiligen Planungsaufgaben zu erhalten, sollen die einzelnen Module kurz vorgestellt werden. 91
Vgl. Kistner und Steven (2001), S. 209 ff. Vgl. Rohde et al. (2000), S. 10 und Meyr et al. (2005), S. 109. 93 Die Softwarel¨ osungen f¨ ur diese umfangreichen Planungsaufgaben werden als Advanced Planning System (APS) bezeichnet. 92
2.2. Grundlagen des Supply Chain Management
41
• Strategische Netzwerkplanung: Die Planung stellt das Design und die Konfiguration der unternehmensinternen Supply Chain beziehungsweise einen Teil der prozessorientierten Supply Chain dar. Diese Planung beinhaltet zum Beispiel Standortentscheidungen, Produktions- und Absatzprogramme, Distributionsstruktur usw.94 • Netzwerkbezogene Hauptproduktionsprogrammplanung95 : Diese unterst¨ utzt die mittelfristigen Entscheidungen einer kostenminimalen Nutzung der Kapazit¨aten der Beschaffung, Produktion und Distribution in Anlehnung an die Nachfrageplanung. In der Arbeit von Rohde und Wagner (2005) wird diese Planungsaufgabe auch als eine Synchronisation des Materialflusses beschrieben. • Nachfrageplanung: Dieses Modul dient vor allem der Prognose der nachgefragten Produktmengen und dar¨ uber hinaus der Berechnung erforderlicher Sicherheitsbest¨ande sowie der statischen Analyse der Auswirkungen unterschiedlicher Einflussgr¨oßen.96 Zur Nachfrageprognose stehen eine Vielzahl von Methoden zur Verf¨ ugung, die sich beispielsweise in ihrer Prognosegenauigkeit, Robustheit und Anwenderfreundlichkeit stark unterscheiden k¨onnen. Das entsprechende Prognoseverfahren sollte anhand der Entscheidungssituation ausgew¨ahlt werden.97 • Materialbedarfsplanung: Auf Basis der Informationen aus der Hauptproduktionsprogrammplanung werden in diesem Modul Planungen der Beschaffung durchgef¨ uhrt, wie etwa Bestellgr¨oßenplanung, Bestimmung von Materialsicherheitsbest¨anden, usw.98 Mit Hilfe verschiedener Vorgaben wie Beschaffungszeiten oder Beschaffungsmengen wird kurzfristig die Materialbedarfsplanung durchgef¨ uhrt.99 • Produktions- und Ablaufplanung: W¨ahrend die Aufgabe des Moduls Produktionsplanung in der Losgr¨oßenplanung besteht, f¨ uhrt die Ablaufplanung die Festlegung und Terminierung der Bearbeitungsreihenfolgen von Auftr¨ agen durch.100 Auf der Grundlage der Vorgaben aus der Hauptproduktionsprogrammplanung sowie situationsabh¨ angiger Daten aus den anderen Planungsmodulen werden unternehmensbezogene Produktionspl¨ane erstellt.101 • Distributionsplanung: Die Planung der Allokation von Endproduktmengen und damit die Koordination des Produktions- und Nachfrageplans wird durch die Distributionsplanung unterst¨ utzt. Aus der Planung gehen Informationen hervor, die Zeitfenster und 94
Siehe Goetschalckx und Fleischmann (2005), S. 117 ff. Hinweise zu Optimierungsmodellen finden sich in Z¨apfel (2000), S. 14 f. und G¨ unther und Tempelmeier (2007), S. 339 f. 95 Siehe Stadtler (1998), S. 174 ff. 96 Siehe Wagner (2005), S. 139 ff. 97 Siehe Wheelwright und Makridakis (1980), S. 6 ff. und Tempelmeier (2006), S. 31 ff. 98 Siehe Stadtler (2005a), S. 215 ff. 99 Siehe Jahnke und Biskup (1999), S. 160 ff. und Kurbel (2005), S. 369. 100 Auf die Aufgabenstellung der Ablaufplanung in der SCP-Matrix wird in Kapitel 3 ausf¨ uhrlich eingegangen. 101 Siehe Stadtler (2005b), S. 197 ff. und Corsten und G¨ ossinger (2008), S. 167 ff.
Kapitel 2. Supply Chain Management
42
Regionen beinhalten, f¨ ur die wiederum kostenminimale Transportstr¨ome und Lagermengen bestimmt werden.102 • Transportplanung: In diesem Modul werden die Vorgaben aus den Modulen der Materialbedarfs- und Distributionsplanung unter Ber¨ ucksichtigung der Liefertermine der Kundenauftr¨age und Fertigstellungstermine der Produktionsauftr¨ age herangezogen. Damit werden die Nutzung der Transportmittel, die Zusammenstellung der Ladung und die Routen der erforderlichen Transporte festlegt.103 • Kundenauftragsannahme: Die durch dieses Modul vorgeschlagenen Preise und Liefertermine f¨ ur Kundenauftr¨age haben einen wesentlichen Einfluss auf den finanziellen Erfolg, die Durchlaufzeit der Produktionsauftr¨age, die Termineinhaltung und somit auf die Glaubw¨ urdigkeit der Auftragsangebote. Aus diesem Grund bildet eine auf das gesamte System bezogene Verf¨ ugbarkeitsplanung (Available-to-Promise (ATP) und Capable-toPromise (CTP))104 das Kernst¨ uck dieses Moduls, mit dessen Hilfe die Zusicherung eines Liefertermins f¨ ur einen Kundenauftrag m¨oglich wird.105 Der Unterschied des Advanced Planning Systems (APS) zu den klassischen PPS- und ubergreifenden Sicht. Diese spiegelt sich ERP106 -Systemen ergibt sich aus der unternehmens¨ beispielsweise in der strategischen Netzwerkplanung wider, nach der die Distributionslager an der Nachfrageplanung ausgerichtet werden. Weiterhin f¨ uhrt der Einsatz von APS in den Unternehmen einer Supply Chain dazu, dass es einen einheitlichen Datenbestand bei den Supply Chain Partnern gibt. Durch diese Gemeinsamkeiten ist wiederum ein verbesserter Datenaustausch und eine h¨ohere Transparenz in der Supply Chain gew¨ahrleistet.107 Mit der Darstellung der einzelnen Planungsmodule des APS ist die letzte Aufgabe der Koordinationss¨aule erl¨autert, die im Supply Chain Management auch als Supply Chain Planning bezeichnet wird. Schließlich bleibt das Fundament des House of Supply Chain Management, das sich mit der tats¨achlichen Ausf¨ uhrung des Supply Chain Management besch¨aftigt. In der Literatur wird dieser Bereich als Supply Chain Execution bezeichnet.108 Das heißt, Beschaffung von Materialien, Auftragsabwicklung der Bestellung, Transport-, Bestands- und Lagersteuerung usw. Das Ziel der oben beschriebenen Aufgabenstellungen ist es, die Wettbewerbsf¨ahigkeit der Supply Chain zu optimieren. Jede Aufgabenstellung besitzt dabei ein individuelles Optimierungsproblem, das die Wettbewerbsf¨ahigkeit beeinflusst. Die Zusammenfassung der Teilpro102
Siehe Piontek (1995), S. 29 ff. und Fleischmann (2005), S. 230 ff. Siehe Fleischmann (2005), S. 233 ff. und G¨ unther und Tempelmeier (2007), S. 272 ff. Vgl. G¨ unther und Tempelmeier (2007), S. 343. 105 Siehe Kilger und Schneeweiss (2005), S. 179 ff. 106 Enterprise Ressource Planning. 107 Vgl. Corsten und G¨ ossinger (2008), S. 208. 108 Vgl. Sucky (2004), S. 27 und Piontek (2007), S. 8 103 104
2.2. Grundlagen des Supply Chain Management
43
bleme w¨ urde ein umfangreiches Totalmodell ergeben, wodurch s¨amtliche Aufgabenstellungen auf die Maximierung der Wettbewerbsf¨ahigkeit abzielen. Durch die Implementierung des Totalmodells w¨are es m¨oglich, auftretende Interdependenzen, die zu den Effekten Informationsasymmetrie, Double Marginalization und Bullwhip f¨ uhren, teilweise zu eliminieren. Dieses 109 monolithische Modell des Supply Chain Management ist jedoch aufgrund der Komplexit¨at nicht in angemessener Zeit zu l¨osen.110 Um die Aufgaben des Supply Chain Management dennoch zu erf¨ ullen, ist eine Dekomposition dieses Modells notwendig. Das heißt, die einzelnen Aufgaben, die in den S¨aulen und im Fundament verankert sind, m¨ ussen sequentiell beziehungsweise durch unterschiedliche Konzepte gel¨ost werden. Da eine Dekomposition des Totalmodells jedoch zu Interdependenzen und Zielkonkurrenz f¨ uhren kann, ist ein globales Optimum nur schwer zu finden. Die in der Theorie und Praxis existierenden Supply Chain Management Methoden zur Erreichung des u ¨bergeordneten Ziels der Maximierung der Wettbewerbsf¨ahigkeit fassen Teile der Aufgaben zusammen, um bestimmte Interdependenzen zu ber¨ ucksichtigen, die bei einer Dekomposition der L¨osungsans¨atze auftreten. Beispiel: Die Aufgabe der Prozessausrichtung sollte mit der Wahl der Supply Chain Partner gel¨ost werden, um die entsprechenden Partner zur Erf¨ ullung der Prozesse in die Supply Chain zu integrieren. W¨ urde die Aufgabe der Prozessausrichtung unabh¨angig von der Partnerwahl gel¨ ost werden, so kann unter Umst¨anden eine vergleichsweise bessere L¨osung u ¨bergangen werden. Die im Folgenden beschriebene Auswahl an Supply Chain Management Methoden kann durch eine B¨ undelung von Teilproblemen Interdependenzen in den einzelnen L¨osungskonzepten vermeiden. • Supply Chain Collaboration111 ist die Optimierung der gesamten Supply Chain durch einen gemeinschaftlichen, freiwilligen und auf Vertrauen basierenden Datenaustausch und durch kollaborativ initiierte Abstimmungsprozesse zwischen den Partnern. Die Kooperationsbreite oder -tiefe h¨angt dabei von dem Optimierungspotenzial der Supply Chain ab. Der Ansatz der Kollaboration kann in verschiedenen Aufgabenbereichen des Supply Chain Management auftreten. Kilger und Reuter (2005) beschreiben beispielsweise das Collaborative Planning, in dem einzelne Planungsans¨atze des Advanced Planning in angemessener Zeit optimiert werden k¨onnen. Daraus resultieren Ans¨atze wie Demand oder Inventory Collaboration.112 Einen umfassenden Ansatz bietet das CPFR, das schon als Konzept zur Reduzierung des Bullwhip-Effektes erw¨ahnt wurde. • Efficient Consumer Response (ECR) wird h¨aufig als ein spezielles Supply Chain Management betrachtet,113 da dieses strategische Konzept der unternehmens¨ ubergreifenden 109
In Anlehnung an den Begriff des monolithischen Modells der Produktionsplanung bei Kistner und Steven (2001), S. 191. Weitere Ausf¨ uhrungen zur Komplexit¨ atstheorie folgen in Kapitel 3. 111 Siehe Piontek (2007), S. 23 f. 112 Kilger und Reuter (2005), S. 260 ff. 113 Vgl. Corsten und G¨ ossinger (2008), S. 123. 110
44
Kapitel 2. Supply Chain Management Zusammenarbeit prim¨ar in der Konsumg¨ uterwirtschaft eingesetzt wird. Die integrierte Gestaltung der gesamten Versorgungskette soll die Reaktionsf¨ahigkeit auf marktliche Ver¨anderungen erh¨ohen sowie die Sortimentsgestaltung, die Bestandsf¨ uhrung und Werbemaßnahmen in der Supply Chain optimieren.114 Um dieses nachfrageorientierte Supply Chain Management zu strukturieren, setzt sich das ECR aus den Bausteinen Efficient Replenishment, Efficient Assortment, Efficient Promotion und Efficient Product Introduction zusammen.115 • Vom Supply Chain Council, einer 1996 gegr¨ undeten unabh¨angigen und gemeinn¨ utzigen Vereinigung mit mehr als 1.000 Unternehmen (Stand: 2007)116 , wurde das Supply Chain Operations Reference-Modell (SCOR-Modell) konzipiert. Dieses Modell stellt ein branchenunabh¨angiges Standard-Prozess-Referenzmodell zum Informationsaustausch zwischen Unternehmungen einer Supply Chain dar. Mit Hilfe des SCOR-Modells werden Supply Chain Prozesse definiert und mit Benchmarks und Best-Practice-Analysen auf Basis von Best-in-Class-Umsetzungen verglichen.117 Das SCOR-Modell stellt damit einen Ansatz dar, mit dessen Hilfe unternehmens¨ ubergreifende Prozessketten standardisiert werden, so dass ein gemeinsames Verst¨andnis der Abl¨aufe erreicht wird.118
Die hier beispielhaft erw¨ahnten umfangreichen Methoden des Supply Chain Management beinhalten wiederum einzelne Strategien, die bestimmte Teilprobleme l¨osen, die auf die eine oder andere Weise dazu beitragen, das Ziel der verbesserten Wettbewerbsf¨ahigkeit zu erf¨ ullen. Beispielsweise lassen sich Ans¨atze des Vendor-Managed Inventory119 oder des Cross Docking120 im ECR wiederfinden. Die einzelnen Methoden sind oftmals kleine Bausteine beziehungsweise L¨osungsans¨atze, die in die umfangreichen Strategien des Supply Chain Management integriert werden k¨onnen, um damit einen Beitrag zur L¨osung des Totalmodells zu leisten. Im n¨achsten Abschnitt gilt es die Frage zu beantworten, ob Anwendung einer Supply Chain Management Methode sinnvoll ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Nutzen aus der Anwendung dieser Methode gr¨oßer ist als die Kosten, die durch die Implementierung entstehen.
114
Vgl. Pfohl (1997), S. 23. Vgl. Dornier (1998), S 122 f. und Ester und Baumgart (2000), S. 146. Vgl. www.supply-chain.org. 117 Vgl. Z¨ apfel (2000), S. 9. 118 Siehe Bolstorff et al. (2007) und Corsten und G¨ ossinger (2008), S. 148 ff. 119 Siehe Simacek (1999) und Kilger und Reuter (2005). 120 Siehe Kotzab (1997) und Gleißner (2000). 115 116
2.3. Transaktionskostentheorie und Supply Chain Management
2.3
45
Transaktionskostentheorie und Supply Chain Management
Die Implementierung einer Methode des Supply Chain Management zur L¨osung eines Teilproblems kann nur dann sinnvoll sein, wenn die sich daraus ergebenen Vorteile die Nachteile u ¨berwiegen. Es stellt sich die Frage, wie sich die Vorteilhaftigkeit einer Methode bestimmen l¨asst. Bei der Implementierung der Methode entstehen nicht nur die Einsparungen und Gewinnzuw¨achse, sondern auch Transaktionskosten. Um diese Kosten einer Supply Chain Management Methode zu ber¨ ucksichtigen, soll eine Analyse mit Hilfe der Transaktionskostentheorie von Coase (1937) und Williamson (1975) vorgenommen werden.121 Dazu wird im ersten Abschnitt eine Verkn¨ upfung zwischen der Transaktionskostentheorie und dem Supply Chain Management hergestellt, um danach die sinnvolle Verwendung der Transaktionskostentheorie f¨ ur die Bewertung von Supply Chain Management Methoden darzulegen.
2.3.1
Verkn¨ upfung der Transaktionskostentheorie mit dem Supply Chain Management
Im Zentrum der Transaktionskostentheorie steht die Analyse organisatorischer L¨osungsm¨oglichkeiten zur Bestimmung einer f¨ ur die Transaktionspartner vorteilhaften Organisationsform f¨ ur eine ausgew¨ahlte Transaktion.122 Dieser Ansatz versucht zu verdeutlichen, wann eine bestimmte Transaktion in einer Unternehmung (Hierarchie, Eigenfertigung, vertikale Integration) erfolgen sollte, wann sie u ¨ber den Markt abgewickelt werden kann und wann sich Zwischenl¨osungen (hybride Organisationsformen) empfehlen.123 Diese Beschreibung der Transaktionskostentheorie wird im Folgenden mit den Aufgaben des Supply Chain Management sowie der Supply Chain selbst verkn¨ upft. Die kleinste Analyseeinheit der Transaktionskostentheorie stellt die Transaktion dar.124 Die gebr¨auchlichste und im Folgenden genutzte Definition ist die von Williamson (1985): Eine Transaktion findet statt, wenn ein Gut oder eine Leistung u ¨ber eine technisch trennbare Schnittstelle (Unternehmen oder Aktivit¨at) hinweg u ¨bertragen wird, was sowohl alle u ¨ber den Markt vermittelten Transaktionen umfasst als auch die, die im Unternehmen stattfinden. Wie l¨asst sich diese Definition mit dem Supply Chain Management verkn¨ upfen? Die Definition sowie die Beschreibung einer Supply Chain zeigen, dass die erw¨ahnten technisch separierbaren Schnittstellen auf Basis der prozessorientierten Sichtweise zwischen den einzelnen Aktivit¨aten 121
Eine ausf¨ uhrliche Begr¨ undung zur Verwendung des Ansatzes der Transaktionskostentheorie liefern G¨ obel (2002), S. 133 und Corsten und G¨ ossinger (2008), S. 2. Vgl. Williamson (1985), S. 25, G¨ obel (2002), S. 139 und Erlei et al. (2007), S. 199. 123 Diese drei L¨osungsm¨oglichkeiten werden im Weiteren als Organisationsformen beschrieben. Dabei soll an dieser Stelle auf eine Diskussion u ¨ ber die Definition der Begriffe Institution und Organisation verzichtet werden. Es wird dem definitorischen Unterschied zwischen Institution und Organisation von G¨ obel (2002), S. 4 und Richter und Furubotn (2003), S. 10 gefolgt. 124 Siehe Commons (1934), S. 4 f. und G¨ obel (2002), S. 129. 122
46
Kapitel 2. Supply Chain Management
und aus der institutionellen Perspektive zwischen den unabh¨angigen Unternehmen zu finden sind. Betrachtet man die hybride Perspektive einer Supply Chain, so schließt diese bereits ein, welche Transaktionen in einer hierarchischen Struktur und welche Schnittstellen u ¨ ber den Markt organisiert werden. Es bleibt also festzuhalten, dass im Supply Chain Management genauso wie in der Transaktionskostentheorie die kleinste Analyseeinheit die Transaktion darstellt.125 Eine weitere Verkn¨ upfung der Transaktionskostentheorie mit den Supply Chain Management l¨asst sich zwischen der Anwendung einer Supply Chain Management Methode und der hybriden Organisationsform finden. Dabei ist zun¨ achst zu kl¨aren, was unter einer hybriden Organisationsform zu verstehen ist. Zwischen den Extrempolen (Markt und Hierarchie) gibt es die hybriden Formen, welche die Merkmale eines Marktes und der Hierarchie vereinen.126 Dabei haben sich f¨ ur die hybriden Formen die Begriffe Kooperation“ 127 und insbesondere ” f¨ ur die vertikale Kooperation die Synonyme strategisches Netzwerk“ und Netzwerkorgani” ” sation“ 128 etabliert. Die hybriden Organisationsformen entwickelten sich, weil die jeweiligen Extrempole gewisse Nachteile aufweisen: Integriert man eine spezifische Leistung in das Unternehmen, verzichtet man m¨oglicherweise auf Gr¨oßen- und Verbundvorteile und muss die M¨angel der B¨ urokratie in Kauf nehmen. L¨asst man die Leistung am Markt ausf¨ uhren, so muss man sich gegebenenfalls mit einer geringeren Spezifit¨at begn¨ ugen oder die Gefahren der Abh¨angigkeit von Lieferanten und des Feilschens um die Quasi-Renten hinnehmen. Es liegt daher nahe, nach Zwischenformen zu suchen, um die Vorteile beider Formen zu kombinieren beziehungsweise die jeweiligen Nachteile vermeiden zu k¨onnen.129 Wie aber kann eine hybride Organisationsform entstehen? Im Folgenden wird gezeigt, dass dies durch die Implementierung einer Supply Chain Management Methode m¨oglich ist. Dazu m¨ ussen die Merkmale der Organisationsformen mit den Auswirkungen einer Methode des Supply Chain Management verglichen werden.130 • Enge und partnerschaftliche Zusammenarbeit: Die Implementierung einer Supply Chain Management Methode erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit den unternehmensinternen Prozessen der an dem Konzept beteiligten Supply Chain Partner. • Wechselseitiges Interesse am Erhalt der Beziehung: Entsteht durch die Implementierung einer Supply Chain Management Methode eine Win-Win-Situation beziehungsweise eine Erh¨ohung der Wettbewerbsf¨ahigkeit f¨ ur die gesamte Supply Chain, so wird das Interesse an dieser Partnerschaft bestehen bleiben. 125
Vgl. Ellram (1991), S. 14, Christy und Grout (1994), S. 233, Hobbs (1996), S. 19 und Williamson (2008), S. 5. Siehe Williamson (1991), S. 280. 127 Vgl. Backhaus und Meyer (1993), S. 331. 128 Vgl. Sydow (1992), S. 103 und Corsten und G¨ ossinger (2008), S. 4. 129 ¨ Eine Ubersicht u ¨ber die Ans¨ atze hybrider Organisationsformen gibt M´enard (2004). 130 Siehe G¨ obel (2002), S. 195 f. 126
2.3. Transaktionskostentheorie und Supply Chain Management
47
• Gegenseitige Kontrolle: Durch eine Supply Chain Management Methode besteht die M¨oglichkeit, bestimmte Prozesse der jeweiligen Unternehmen besser einzusehen, wodurch eine bessere Beobachtbarkeit und Kontrolle entsteht. • Interesse an außergerichtlicher Konfliktregelung: Dieses Kriterium besteht sicherlich immer zwischen zwei Partnern, da gerichtliche Auseinandersetzung zu hohen Belastungen des jeweiligen Partners f¨ uhren. Dar¨ uber hinaus gelten f¨ ur eine hybride Organisation sowie f¨ ur die Anwendung einer Supply Chain Management Methode folgende zwei Eigenschaften f¨ ur eine Transaktion: • Rechtliche Selbstst¨andigkeit der Kooperationspartner: Auf Basis der hybriden und institutionellen Perspektive der Supply Chain stellen gerade die Transaktionen zwischen zwei unabh¨angigen Unternehmen definitionsgem¨aß ein wichtiges Kriterium f¨ ur die Existenz einer Supply Chain dar. • Große Bedeutung von wechselseitigem Vertrauen: Die Vertrauensbasis ist h¨aufig eine Grundvoraussetzung f¨ ur die Implementierung einer Supply Chain Management Methode. Anhand dieser Betrachtung zeigt sich, dass die Anwendung einer Supply Chain Management Methode f¨ ur eine Transaktion zu einer hybriden Organisationsform f¨ uhrt.131 Der Aussage von Hobbs (1996) kann somit gefolgt werden: In between the two extremes of ” spot market transactions and vertically integrated firms lie a myriad alternative ways of co-ordinating economic activity, from strategic alliances and formal written contracts, to vertical integration. These represent different degrees of supply chain management - some more formal than others“ 132 . Verkn¨ upft man abschließend die Aufgabe der effizienten Organisationswahl der Transaktionskostentheorie mit den notwendigen Aufgaben des Supply Chain Management, so wird deutlich, dass die Frage nach der Organisationsform auch eine Fragestellung des Supply Chain Management ist. Beispielsweise kann im Sinne der Prozessausrichtung Customer Relationship Management eine Entscheidung f¨ ur ein VMI getroffen werden. Stellt sich diese Auswahl der Zusammenarbeit als effizient heraus, so ist f¨ ur die Transaktion eine hybride Organisationsform durch das Supply Chain Management bestimmt worden. Aufgrund der komplexen ¨ Struktur der Supply Chains gibt es bisher kaum Ver¨offentlichungen zu dieser Uberlegung. Die wegbereitenden Arbeiten stellen dabei die Artikel von Ellram (1991) und Hobbs (1996) dar. Die Verkn¨ upfung der Transaktionskostentheorie mit dem Supply Chain Management f¨ uhrt zu folgenden Ergebnissen: Erstens ist verdeutlicht worden, dass die Supply Chain mindestens 131 132
Vgl. M´enard (2004), S. 348. Hobbs (1996), S. 19.
Kapitel 2. Supply Chain Management
48
aus einer Transaktion im Sinne von Williamson (1985) besteht. Als Zweites hat die Analyse gezeigt, dass die Anwendung einer Supply Chain Management Methode zu einer hybriden Organisationsform f¨ uhrt. Die dritte Erkenntnis dieses Abschnitts ist, dass die Aufgabe des Supply Chain Management unter anderem auch darin besteht, im Sinne der Transaktionskostentheorie zu pr¨ ufen, welche Form der Zusammenarbeit zwischen zwei Supply Chain Partnern beziehungsweise f¨ ur eine Transaktion gew¨ahlt werden soll. Es bleibt die Frage, auf welcher Basis die Entscheidung f¨ ur eine bestimmte Organisationsform getroffen wird. Insbesondere spielen dabei die Transaktionskosten eine wichtige Rolle. Wie sich diese Kosten unter bestimmten Voraussetzungen einer Transaktion bestimmen lassen, zeigt der n¨achste Abschnitt.
2.3.2
Transaktionseigenschaften und -kosten
Die Transaktionskosten umfassen alle Opfer und Nachteile, die von den Tauschpartnern zur ” Verwirklichung des Leistungsaustausches zu tragen sind“ 133 . Die Bezeichnung Tauschpartner wird hier durch den Begriff Supply Chain Partner oder auch Vertragspartner ersetzt, da f¨ ur eine bestimmte Transaktion unabh¨angig von der Organisationsform ein Vertrag zwischen den Teilnehmern einer Supply Chain gebildet wird. Die H¨ohe der Transaktionskosten h¨ angt von den im Folgenden beschriebenen Bedingungskonstellationen sowie von der gew¨ahlten Organisationsform ab. Zur Verdeutlichung der Zusammenh¨ ange der Determinanten und der daraus resultierenden H¨ohe der Transaktionskosten hat Williamson (1975) das Organizational Failure Framework erstellt, welches in Abbildung 2.10 dargestellt ist.
Abbildung 2.10: Einflussgr¨ oßen auf die Transaktionskosten [Quelle: Picot et al. (2005), S. 67]
Die Konstellation der Bedingungen Verhaltensannahmen, Transaktionsatmosph¨ are und Umweltfaktoren beschreiben auf der einen Seite die Transaktion selbst, und andererseits bestimmen sie die H¨ohe der Transaktionskosten. Die nachfolgenden Beschreibungen der Be133
Picot et al. (2005), S. 66.
2.3. Transaktionskostentheorie und Supply Chain Management
49
dingungen zeigen, dass sich die daraus ergebenden Probleme mit denen des Supply Chain Management vergleichen lassen und dies die Aussage, dass die Transaktionskostentheorie und die Aufgaben des Supply Chain Management zu kombinieren sind, weiter unterst¨ utzt.
Verhaltensannahmen Die Verhaltensannahmen beinhalten die in Abschnitt 2.2.1 erw¨ahnten Eigenschaften der Agency-Beziehung. Allerdings wird hier auf zwei Verhaltensweisen beziehungsweise Eigenschaften eingegangen, die in Verbindung mit der Agency-Beziehung bisher nur am Rande erw¨ahnt wurden und f¨ ur die die Transaktionskostentheorie von besonderer Bedeutung sind: Begrenzte Rationalit¨at und Opportunismus. Die begrenzte Rationalit¨ at beschreibt laut Simon (1976), dass Wirtschaftssubjekte zwar den Willen haben, rational zu handeln, dass sie aber keine ausreichenden beziehungsweise nur eingeschr¨ankte Informationen besitzen, um dies umzusetzen. Beschr¨ankungen, denen ein Individuum unterliegt, werden differenziert in neurophysiologische und sprachliche.134 Dabei stellen die Individuen die an einer Transaktion teilnehmenden Entscheidungstr¨ager von unterschiedlichen Supply Chain Partnern dar. Neurophysiologische Beschr¨ankungen beziehen sich auf das Problem, dass ein Individuum nicht in der Lage ist, alle verf¨ ugbaren Informationen auszuwerten.135 Dies gilt insbesondere f¨ ur die Informationsgewinnungs-, -verarbeitungs-, -speicherungs- und -weitergabekapazit¨aten der Individuen. Mit sprachlichen Beschr¨ankungen sind die begrenzten M¨oglichkeiten der Verat mittlung von Wissen und F¨ahigkeiten durch Sprache gemeint.136 Die begrenzte Rationalit¨ bringt somit zum Ausdruck, dass sich die Individuen nur unter einem gegebenen Informationsstand effizient verhalten. Das aus globaler Sicht ineffiziente Verhalten der Supply Chain Partner unter der Pr¨amisse der begrenzten Rationalit¨at ist unabsichtlich. Dahingegen werden Handlungsweisen, bei denen das Individuum zur Durchsetzung eigener Interessen die m¨ogliche Sch¨adigung des anderen in Kauf nimmt, mit dem Begriff Opportunismus belegt.137 Der in dieser Arbeit in Zusammenhang mit dem Hold-up gebrachte Opportunismus ist lediglich eine andere Perspektive des allen ¨okonomischen Theorien zugrunde liegenden Konzeptes der individuellen Nutzenmaximierung. Das Beispiel zur Hidden Intention zeigte bereits, wie sich das opportunistische Verhalten auf eine Transaktion auswirken kann. Der dadurch entgangene Gewinn stellt einen Teil der Transaktionskosten dar.
Umweltfaktoren Die Umweltfaktoren einer Transaktion heißen: Spezifit¨ at, Unsicherheit und H¨aufigkeit.138 134
Vgl. M¨ uller (2005), S. 63. Vgl. Mummert (1995), S. 41. Vgl. Arrow (1980), S. 38. 137 Siehe Williamson (1975). 138 Picot et al. (2005) beschreiben noch ein viertes Merkmal: Die strategische Bedeutung. Dieses Merkmal wird hier nicht ber¨ ucksichtigt, da die strategische Bedeutung einer Transaktion schon durch die anderen Eigenschaften abgebildet wird. 135 136
Kapitel 2. Supply Chain Management
50
Die Spezifit¨at eines Faktors bedeutet, dass dieser Faktor nicht ohne weiteres austauschbar ist. Er weist Eigenschaften auf, die ihn f¨ ur einen bestimmten Zweck besonders geeignet erscheinen lassen. Es werden sechs Arten von Spezifit¨at unterscheiden: Standort-, Sachkapital-, Humankapitalspezifit¨at, abnehmerspezifische Investition139 sowie Zeit- und Markennamenspezifit¨at.140 Als Spezifit¨atsmerkmal kommen im Grunde alle Eigenschaften einer Leistung beziehungsweise eines Produktes in Frage: Design, Qualit¨at, Herkunft, usw. Je ausgepr¨agter die Spezifit¨at einer Transaktion ist, desto gr¨ oßer ist auch der Einfluss auf die Vor- und Nachteile einer Transaktion. Der Vorteil besteht zum Beispiel darin, dass r¨aumliche N¨ahe zwischen Lieferant und Hersteller zu einer Reduktion der Transportkosten und einer Steigerung der Flexibilit¨at f¨ uhren. Ein weiteres Beispiel ist die Investition des Lieferanten in eine Spezialmaschine, die beim Hersteller die Nachbearbeitung verringert. Auch die Einstellung qualifizierter Mitarbeiter kann beispielsweise den Ausschuss bestimmter Artikel reduzieren. Die Nachteile der Spezifit¨at sind darin zu sehen, dass die im Unternehmen implementierten Faktoren f¨ ur eine andere Verwendung weniger geeignet sind oder nur durch erhebliche Kosten anderen Verwendungen zugef¨ uhrt werden k¨onnen. So verliert die Spezialmaschine des Lieferanten ihren Wert, wenn der Hersteller seine Nachfrage einstellt. Oder die eingestellten Mitarbeiter sind nur zum Teil f¨ ur eine andere Aufgabe im Unternehmen geeignet, so dass Kosten bei der Entlassung der Mitarbeiter entstehen. G¨obel (2002) beschreibt dar¨ uber hinaus noch eine siebte Spezifit¨atsart, die gerade im Supply Chain Management eine wichtige Rolle spielt: Die Sozialkapitalspezifit¨at. Diese Spezifit¨at beschreibt die Investition in ein Vertrauensverh¨altnis zwischen dem Lieferanten und dem Hersteller. Der Aufbau von Vertrauen und die Entwicklung kulanter Verhaltensweisen, die von Williamson (1985) als fundamentale Transformation ” der Transaktion“ bezeichnet werden, verbessern das Ergebnis einer Transaktion beispielsweise durch die Reduzierung des Risikos eines Hold-up. Die fundamentale Transformation beschreibt somit die kontinuierliche Entwicklung eines Spezifit¨atsgrads durch Wiederholungen der Transaktionen. Die Bewertung dieser Vor- und Nachteile f¨ uhrt zu einer bestimmten H¨ohe an Transaktionskosten bei einem gegebenen Spezifit¨atsgrad. Ein weiteres wichtiges Merkmal einer Transaktion ist das erwartete Ausmaß an Unsicherheit, wobei zwei Arten zu unterscheiden sind: Umwelt- und Verhaltensunsicherheit. Durch die Umweltunsicherheiten k¨onnen exogene St¨orungen der Transaktion auftreten, die Anlass f¨ ur eine nachtr¨agliche Anpassung der Vertragsinhalte an die gegebenen Umst¨ ande geben. Die n¨otigen vertraglichen Anpassungen haben schon in Zusammenhang mit der Informationsasymmetrie gezeigt, dass dies eine Grundlage f¨ ur Verhaltensunsicherheiten darstellt. Verhaltensunsicherheiten beschreiben die ungewissen Verhaltensweisen eines Partners, beispielsweise bei einer Vertragsverhandlung. Hier spielen die Verhaltensannahmen der begrenzten Rationalit¨at und des Opportunismus eine entscheidende Rolle: Die begrenzte Rationalit¨ at verhindert es, im Voraus vollst¨andige Entscheidungsb¨aume mit allen denkbaren Umweltentwicklungen 139 140
Vgl. Beispiel zur Hidden Intention, S. 21. Vgl. Williamson (1991), S. 281 und G¨ obel (2002), S. 139 f.
2.3. Transaktionskostentheorie und Supply Chain Management
51
und daraus folgenden potentiellen Reaktionen und Gegenreaktionen der Supply Chain- beziehungsweise Vertragspartner aufzustellen und in Vertr¨agen zu verarbeiten. Mit zunehmender Unsicherheit sind die L¨ ucken in den Vertr¨agen gr¨oßer und die Anl¨asse f¨ ur sequentielle Anpassungen werden quantitativ und qualitativ h¨ oher, wodurch die Transaktionskosten steigen. Die Auswirkungen einer Kombination aus Spezifit¨ at und Verhaltens- beziehungsweise Umweltunsicherheit auf den Gewinn der Transaktionspartner zeigte bereits das Beispiel zur Hidden Intention, in dem der Hersteller die spezifische Abh¨angigkeit und die Unsicherheit zu seinen Gunsten ausnutzen konnte. Ein weiterer Einfluss auf die H¨ohe der Transaktionskosten unterschiedlicher Koordinationsformen geht von der H¨aufigkeit aus, mit der eine bestimmte Transaktion zwischen den Supply Chain Partnern wiederholt wird. Dieser Einfluss beruht darauf, dass die verschiedenen Koordinationsformen unterschiedlich hohe Anfangsinvestitionen erfordern. So setzt etwa eine unternehmensinterne Erweiterung der Produktionstiefe f¨ ur spezifische Vorprodukte betr¨achtliche Vorleistungen voraus, die sich erst bei gen¨ ugend hoher Wiederholungsh¨aufigkeit amortisieren. Hier spielen vor allem Lern-, Skalen- und Synergieeffekte eine entscheidende Rolle. G¨obel (2002) und Picot et al. (2005) weisen darauf hin, dass die Eigenschaft der Transaktionsh¨aufigkeit bei einem unspezifischen und sicheren Produkt, wie zum Beispiel Standardschrauben, nachrangig zu behandeln ist. Durch den hohen Bedarf bzw. die hohe Transaktionsh¨aufigkeit werden weder besondere Informationsprobleme noch opportunistisches Verhalten verursacht. Dadurch entstehen wiederum keine Transaktionskosten. Es gibt bei Standardprodukten immer mehrere potentielle Anbieter und Nachfrager, so dass jede Seite ihren Partner bei Bedarf ohne große Nachteile austauschen kann. Erst wenn Spezifit¨at oder Unsicherheit in der Transaktion auftritt, wird die H¨aufigkeit der Austauschvorg¨ange bei der Bestimmung der H¨ohe der Transaktionskosten beziehungsweise bei der Wahl der Organisationsform zu einem entscheidenden Parameter. Die Transaktionsatmosph¨ are beschreibt alle soziokulturellen und technischen Faktoren, die in einer gegebenen Situation Einfluss auf die Transaktionskosten verschiedener Orgaur diese Einfl¨ usse auf Transaktionskosten werden nisationsformen haben.141 Als Beispiel f¨ h¨aufig freundschaftliche Beziehungen, Vertrauen und Reputation angef¨ uhrt. Die Transaktionskosten k¨onnen beispielsweise durch Kommunikationserleichterungen gesenkt oder durch die Zerst¨orung einer Vertrauensbasis durch opportunistisches Verhalten erh¨oht werden. Die Transaktionskosten h¨angen, wie oben bereits erw¨ahnt, nicht nur von der Bedingungskonstellation sondern auch von der jeweiligen Organisationsform ab.142 Dabei ist zu beachten, dass die Transaktionskosten der hybriden Organisationsform eine Kombination der m¨ oglichen Kosten des Marktes und der Hierarchie darstellen.
141 142
Vgl. Picot et al. (2005), S. 71 f. Vgl. Richter und Furubotn (2003), S. 58 ff. und Neus (2005), S. 93 f.
52
Kapitel 2. Supply Chain Management
Markttransaktionskosten Die Markttransaktionskosten lassen sich nach Neus (2005) wie folgt unterscheiden: Informations-, Verhandlungs- und Entscheidungs- sowie Durchsetzungskosten. Die Informationskosten am Markt ergeben sich aus den Suchkosten f¨ ur geeignete Verhandlungspartner, die beispielsweise durch Werbung, Besuche der Lieferanten und Kommunikation entstehen. Je h¨oher dabei die Spezifit¨at der gesuchten Leistung ist, desto schwieriger und aufwendiger ist die Suche. Durch eine wachsende Umwelt- und Verhaltensunsicherheit k¨onnen die Markttransaktionskosten steigen, da die Suche und Absch¨atzung nach entscheidungsrelevanten Informationen unter der wachsenden Unsicherheit immer teurer und schwieriger wird. Die aufgrund der Kosten sinkende Anzahl an Informationen f¨ uhrt zu weiteren L¨ ucken im Vertrag und damit zu opportunistischen Verhaltensweisen. Weitere Kosten bilden sich durch das Sammeln und Dokumentieren der Informationen, beispielsweise durch Tests und Qualit¨atskontrollen. Allerdings kann auch eine Vielzahl an Informationen nicht f¨ ur eine richtige Interpretation des Marktes garantieren (begrenzte Rationalit¨ at) und somit zu Transaktionskosten f¨ uhren. Die Verhandlungs- und Entscheidungskosten am Markt beziehen sich auf die Aufwendungen, die anfallen, wenn ein Vertrag in Schriftform abgefasst wird und die Vertragsparteien dessen Bestimmungen aushandeln. Dieser Vorgang erfordert nicht nur Zeit, sondern es k¨onnen auch teure Rechtsberatungen und andere Maßnahmen n¨otig sein. Treten Informationsasymmetrien durch Unsicherheiten auf, so ergeben sich Gewinnschm¨alerungen aufgrund von Unterinvestitionen in spezifisches Kapital. Diese sind somit Kosten der Nach- und Neuverhandlungen im Rahmen eines Hold-up. Entscheidungskosten umfassen zum Beispiel die Kosten der Aufbereitung s¨amtlicher Informationen oder die Kosten der Entscheidungsfindung in Gruppen. Die Durchsetzungskosten ergeben sich aus der Notwendigkeit, vereinbarte Lieferfristen zu u ¨berwachen, Qualit¨at und Menge von Produkten zu messen, usw. Angesichts der Existenz des Opportunismus und der begrenzten Rationalit¨ at wird nicht ohne weiteres davon ausgegangen, dass alle Versprechen auch eingehalten werden. Ein Vertrag wird grunds¨atzlich nur dann erf¨ ullt, wenn die Vertragserf¨ ullung verglichen mit der Vertragsverletzung vorteilhaft erscheint. Damit Vertr¨age also eingehalten werden, muss die Nichterf¨ ullung mit Strafen verbunden sein. Die Vereinbarung und Kontrolle solcher Sanktionen wird ebenso mit Kosten verbunden sein, wie die Verh¨angung derselben. Beispiele sind Rechtsanwalts- und Gerichtskosten. Hierarchietransaktionskosten Die Transaktionskosten der Hierarchie bezeichnet Williamson (1985) auch als B¨ urokratiekosten. Sie beinhalten zum einen die fixen Transaktionskosten, die durch die Einrichtung, ¨ Erhaltung und Anderung der vorliegenden Organisationsstruktur entstehen und zum anderen die variablen Transaktionskosten, die sich laut Richter und Furubotn (2003) in In¨ formationskosten und Kosten, die in Zusammenhang mit der physischen Ubertragung von G¨ utern und Dienstleistungen stehen, aufteilen lassen. Erlei et al. (2007) beschreiben f¨ unf Gr¨ unde, die wiederum in die von Richter und Furubotn (2003) erw¨ ahnten fixen und varia-
2.3. Transaktionskostentheorie und Supply Chain Management
53
blen B¨ urokratiekosten klassifiziert werden k¨ onnen. Die B¨ urokratiekosten h¨angen genauso wie die Markttransaktionskosten von der jeweiligen Bedingungskonstellation ab. Dabei soll diese Beschreibung der Kosten nicht das Kriterium der Vollst¨andigkeit erf¨ ullen, sondern eher die Idee der Hierarchietransaktionskosten verdeutlichen. 1. Die Auswirkung der Instandhaltung des eingesetzten Kapitals ist im Allgemeinen nur schwer messbar und beeinflusst den Gewinn einer Aktivit¨at beziehungsweise eines Funktionsbereichs. Zum Beispiel verursacht eine von Anfang an regelm¨aßige Wartung einer Maschine zun¨achst Kosten in dem Funktionsbereich, langfristig spart diese Maßnahme jedoch Kosten ein. Unter Umst¨anden kann es jedoch sein, dass der am kurzfristigen Gewinn des Unternehmens partizipierende Leiter des Funktionsbereichs angereizt ist, weniger Faktorinput in die Wartung zu lenken. Die daraus resultierende Reduktion der langfristigen Gewinne und des Unternehmenswertes stellen dabei die Transaktionskosten dar. Hier spielen vor allem die Umwelt- und Verhaltensunsicherheit eine Rolle, die den Opportunismus des Abteilungsleiters erm¨oglichen (Informationsasymmetrie). 2. Aufgrund verschiedener Bewertungsspielr¨aume im Rahmen der Kosten- und Leistungsrechnung k¨onnte ein zentraler Funktionsbereich buchhalterische Manipulationen vornehmen, die dem Unternehmen zwar zugute kommen, aber dem Gewinn des Leiters schaden. Die dadurch auftretende Verzerrung der Gewinne in den Funktionsbereichen k¨onnte ineffiziente Ergebnisse hervorrufen. Selbst die Antizipation des Leiters w¨ urde bereits zur Abschw¨achung der Leistungsanreize in einem Unternehmen f¨ uhren. 3. Als dritten Punkt beschreiben Erlei et al. (2007) das Messproblem bei der Zurechenbarkeit innovatorischer Leistungen. Es ist noch relativ einfach, die Ursprungsidee f¨ ur die Innovation zu ermitteln. Bevor jedoch eine Neuerung die Marktreife erlangt, ist zumeist eine Vielzahl von Komplement¨arinnovationen erforderlich, in die andere Funktionsbereiche involviert sind. Durch die unzureichende Zurechenbarkeit der Leistungen wird der Anreiz f¨ ur Innovationen reduziert. Hier f¨ uhren Unsicherheiten ebenfalls dazu, diesen Effekt zu verst¨arken. 4. Ein auf Williamson (1985) zur¨ uckgehender Effekt beschreibt die u ¨berh¨ohte Eingriffsintensit¨at des zentralen Funktionsbereichs. Diese wird erst dadurch m¨oglich, dass es im Allgemeinen nicht unmittelbar f¨ ur alle Parteien eindeutig ist, wann ein Fall vorliegt, in dem eine Intervention durch den zentralen Funktionsbereich die Summe der Gesamtgewinne u ¨berhaupt erh¨oht. Dies gilt vor allem dann, wenn der Zielerreichungsgrad nicht einfach zu quantifizieren ist. Wenn jedoch nicht eindeutig gekl¨art werden kann, wann eine solche Situation vorliegt, verbleiben Bewertungs- und Missbrauchsspielr¨aume bei der Zentrale. Die Unsicherheit u ¨ber die Angemessenheit der Intervention f¨ uhrt auf der Seite des zentralen Funktionsbereichs zu fehlerhaften Eingriffen und auf der Seite
Kapitel 2. Supply Chain Management
54
der Abteilungsleiter zu Fehlinterpretationen und somit m¨oglicherweise zu ineffizienten Entscheidungen. 5. Die Integration verschiedener Transaktionen unter dem Dach eines gemeinsamen zentralen Funktionsbereichs erfolgt als auf lange Sicht angelegte Kooperation zwischen den beteiligten Aktivit¨aten. Der Gewinn eines Funktionsbereichs h¨angt somit von vielen Faktoren ab, die der Funktionsbereichsleiter unter Umst¨anden nicht kontrollieren und somit unverschuldet zu einem schlechten Ergebnis gelangen kann. Dieser Effekt wird zu einer Reduktion des kooperativen Umfeldes f¨ uhren, wodurch ein wachsender Opportunismus entsteht. Da der Vertragspartner nicht wie am Markt ohne weiteres gewechselt werden kann, sind ineffiziente Entscheidungen wahrscheinlich. Die beschriebenen Effekte in Verbindung mit der jeweiligen Organisationsform sind Beispiele, die zu Transaktionskosten f¨ uhren. Damit wird deutlich, dass die Nutzung einer Organisationsform nicht kostenlos m¨ oglich ist. Empirische Arbeiten belegen die hier beschriebenen Auswirkungen auf die Transaktionskosten.143 F¨ ur das Supply Chain Management bleibt die Frage entscheidend, unter welchen Bedingungskonstellationen die jeweilige Organisationsform sinnvoll ist. Aufgrund der Vielzahl an Einflussfaktoren gibt es sicherlich keine allgemeine Empfehlung. Jede Transaktion ist f¨ ur sich zu betrachten und zu bewerten. Um die Entschei¨ dungsrelevanz der Transaktionskosten dennoch f¨ ur derartige Uberlegungen zu verdeutlichen, wird das folgende Modell dienen.
2.3.3
Modell zur Bestimmung der optimalen Organisationsform
F¨ ur die Darstellung eines Modells zur Bestimmung der optimalen Organisationsform wird das bereits bei der Informationsasymmetrie verwendete Beispiel von Neus (2005) herangezogen. Die Supply Chain besteht aus den unabh¨angigen Unternehmen Lieferant L und Hersteller H, wobei die Transaktion aus dem Verkauf des Zwischenproduktes des Lieferanten an den Hersteller besteht. Durch eine Investition hat der Lieferant die M¨oglichkeit, die Herstellkosten des Zwischenproduktes zu reduzieren. Die Investition kann beispielsweise in der Anschaffung einer neuen Spezialmaschine bestehen, wodurch der Lieferant die M¨oglichkeit besitzt, kosteng¨ unstiger zu produzieren. Nachdem die Vorleistungen des Lieferanten in Form der Investition get¨atigt wurden und sich der Umweltzustand realisiert haben, muss u ¨ber den Preis f¨ ur das Zwischenprodukt verhandelt werden. Der Grund der Nachverhandlung liegt darin, dass zu Beginn der Transaktionsbeziehung kein Vertrag abgeschlossen werden kann, der die zuk¨ unftige Entwicklung aller Umweltzust¨ande vollst¨andig ber¨ ucksichtigt. Der zeitliche Ablauf dieses Modells wird in der Abbildung 2.11 noch einmal vorgestellt. 143
Eine ausf¨ uhrliche Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse bieten die Arbeiten von Wolters (1995), S. 135 ff., Grover und Malhotra (2003) und Geyskens et al. (2006).
2.3. Transaktionskostentheorie und Supply Chain Management
55
Abbildung 2.11: Zeitlicher Ablauf des Transaktionskostenmodells
Durch den im Folgenden beschriebenen Vergleich der Gewinne der jeweiligen Organisationsform ist es m¨oglich, im Zeitpunkt t = 0 eine Entscheidung f¨ ur eine Organisationsform der Supply Chain zu treffen. Hierarchie Wie im letzten Abschnitt beschrieben wurde, verursacht die Form der Hierarchie Transaktionskosten Tˆ, die hier durch Tˆ = b > 0 ber¨ ucksichtigt werden. Dabei wird in diesem Fall, wie auch schon bei Neus (2005), ein fixer Transaktionskostensatz unterstellt.144 Der Gewinn ˆ in Abh¨angigkeit von der spezifischen Investition Iˆ auf Basis der Wahl der Hierarchie als G Organisationsform setzt sich wie folgt zusammen:
ˆ I) ˆ = e − k L − kH + 2 · c · G(
Iˆ − Iˆ − b,
wobei die Parameter e den Erl¨os, kL und k H die konstanten Herstellkosten und c das Kostensenkungspotenzial der Investition darstellen. Die sich daraus ergebende H¨ohe der Investition uhrt zu einem Gewinn der Organisationsform Hierarchie in bel¨auft sich auf Iˆ∗ = c2 und f¨ ˆ Iˆ∗ ) = e − k L − k H + c2 − b. H¨ohe von G( Markt Die am Markt durchgef¨ uhrte Transaktion a¨hnelt dem Beispiel zur Informationsasymmetrie. ¨ Hier wird allerdings der Fall der Hidden Intention aus der Uberlegung eliminiert. Der Hersteller wird unabh¨angig vom Umweltzustand versuchen, einen m¨oglichst hohen Gewinn zu erzielen und daher das Drohpotenzial in der Nachverhandlung um den Preis P ausspielen. ¨ Die Uberlegungen des Supply Chain Management zur Bestimmung der Transaktionskosten im Fall des Marktes beinhalten somit vor allem die Gewinnschm¨ alerung durch den Holdup des Herstellers beziehungsweise die daraus resultierende Unterinvestition des Lieferanten, die sich im Nachhinein durch den Vergleich mit der hierarchischen L¨osung bestimmen l¨asst. Dar¨ uber hinaus fallen f¨ ur die Verhandlung in t = 3 Transaktionskosten an. Diese werden als fixe Transaktionskosten des Marktes in das Modell durch den Parameter m > 0 aufgenommen und fallen unabh¨angig vom Ausgang der Verhandlung bei beiden Vertragspartnern 144
Diese Einschr¨ankung beeinflusst die hier gezeigten Effekte nicht.
Kapitel 2. Supply Chain Management
56
an. Es wird vereinfachend angenommen, dass die fixen Markttransaktionskosten zu gleichen Teilen bei den Vertragspartnern entstehen. Das opportunistische Verhalten des Herstellers in der Nachverhandlung ist vom Lieferanten zu antizipieren. Um den verhandelten Preis zu bestimmen, wird hier die faire Verhandlungsl¨osung im engeren Sinne herangezogen. Somit gilt, wie bereits im Beispiel zur Informationsasymmetrie erl¨autert, dass der verhandelte Preis ex post zu gleichen Gewinnzuw¨achsen beim Lieferanten und beim Hersteller f¨ uhrt.145 Die Gewinnzuw¨achse werden wiederum unter Ber¨ ucksichtigung der Vorleistungen berechnet, die sich durch die Gewinne bei einer gescheiterten Verhandlung feststellen lassen. Der Lieferant ist aufgrund der Investition I in Vorleistungen getreten, wobei s · I wiederum den spezifischen Anteil der Investition beschreibt, den der Lieferant bei einem Scheitern der Verhandlungen nicht anderweitig verwenden kann.
Gewinn des Lieferanten Gewinn des Herstellers
Gelingen der Verhandlung √ P − k L + 2 · c · I − I − m2 e − kH − P −
Scheitern der Verhandlung −s · I −
m 2
− m2
m 2
Tabelle 2.5: Verhandlungsergebnisse am Markt
Der verhandelte Preis der Marktl¨osung in Abh¨angigkeit der Investition I des Lieferanten bel¨auft sich somit auf
P (I) =
√ 1 (e − k H ) + k L − 2 · c · I + (1 − s) · I . 2
Diesen Preis antizipiert der Lieferant und f¨ uhrt daher eine Investition in H¨ohe von I ∗ = 2 (c/(1 + s)) durch. Die Summe der Gewinne G der Unternehmen in der Supply Chain auf ¨ Basis der Organisationsform Markt bel¨ auft sich aufgrund dieser Uberlegungen auf
G(I ∗ ) = e − k L − k H − m +
(1 + 2 · s) · c2 . (1 + s)2
Die Transaktionskosten, die aufgrund des Hold-up u ¨ber den fixen Parameter m hinaus anfallen, lassen sich bestimmen, indem der Gewinn der Supply Chain am Markt unter der Voraussetzung betrachtet wird, dass es zu keiner Unterinvestition kommt. Dies kann nur dann geschehen, wenn der Hersteller das Drohpotenzial nicht ausnutzt und der gesamte Gewinn ur die gesamte gleich verteilt wird.146 Der Gewinn, der unter diesen idealen Bedingungen f¨ 145 146
Siehe Kapitel 2.2.1, S. 15 ff. Dieses Verhalten wurde im Beispiel zur Informationsasymmetrie als kulant bezeichnet.
2.3. Transaktionskostentheorie und Supply Chain Management
57
Supply Chain erzielt werden w¨ urde, entspricht dem Gewinn der Hierarchie ohne B¨ urokratiekosten.147 Die Transaktionskosten T des Marktes belaufen sich somit auf ˆ+b−G= T =G
c·s 1+s
2 + m.
Mit Hilfe eines Zahlenbeispiels l¨asst sich das Ergebnis weiter veranschaulichen. Die Abbildung 2.12 zeigt, dass der Gewinn am Markt mit steigendem Spezifit¨atsgrad abnimmt. Der Grund ist darin zu sehen, dass mit einer steigenden Spezifit¨at der Lieferant immer mehr in Vorleistung treten muss und damit das Drohpotenzial des Herstellers steigt. Der Lieferant antizipiert dieses Verhalten und entscheidet sich f¨ ur ein geringeres Investitionsvolumen. Die dadurch sinkenden Kostenersparnisse verringern den Gewinn. Der entgangene Gewinn beziehungsweise die Transaktionskosten des Marktes steigen an.148 Die Abbildung 2.12 zeigt auch, dass ein kritischer Spezifit¨ atsgrad existiert, bei dem die Transaktionskosten des Marktes die Transaktionskosten der Hierarchie u¨berschreiten und damit die Organisationsform der Hierarchie vorteilhaft ist. Allgemein l¨ asst sich zeigen, dass die Hierarchie dem Markt vorzuziehen ist, wenn gilt ˆ>G G
⇔
c·s 1+s
2 > b − m.
(2.1)
Die Ungleichung 2.1 zeigt, • dass mit steigender Spezifit¨at s und steigendem Kostensenkungspotenzial c die Vorteilhaftigkeit des Marktes abnimmt, • dass mit steigenden B¨ urokratiekosten b beziehungsweise sinkenden fixen Markttransaktionskosten m die Vorteilhaftigkeit der Hierarchie abnimmt, • dass die Hierarchie dem Markt immer dann vorzuziehen ist, wenn die fixen Markttransaktionskosten die B¨ urokratiekosten u ¨bersteigen. Hybride Organisationsform Die hybride Organisationsform beschreibt eine Kombination der Organisationsform des Marktes und der Hierarchie. Daher existieren hier die fixen Kosten der B¨ urokratie, die variablen Transaktionskosten des Marktes, die sich aus der Gewinnschm¨alerung aufgrund des opportunistischen Verhaltens des Herstellers ergeben, und die fixen Transaktionskosten des Marktes. 147 148
Vergleiche den Gewinn der Hierarchie mit dem Gewinn des kulanten Verhaltens im Beispiel zur Informationsasymmetrie. Die Maximierung der Summe der Gewinne der Supply Chain kann dazu f¨ uhren, dass sich Funktionsbereiche oder Unternehmen bei Betrachtung der jeweiligen Gewinne anders verhalten w¨ urden. Zur Vereinfachung wird dieses m¨ogliche Verhalten im Weiteren nicht betrachtet.
Kapitel 2. Supply Chain Management
58
Abbildung 2.12: Vergleich zwischen Markt und Hierarchie
Die hybride Organisationsform soll hier durch die Anwendung einer Supply Chain Management Methode erzeugt werden. Die engere Zusammenarbeit dr¨ uckt sich dadurch aus, dass der Hersteller bereit ist, einen Teil des Risikos des spezifischen Anteils an der Investition zu tragen. Diese Tatsache wird dadurch modelliert, dass der Hersteller einen Anteil des Verlustes im Fall des Scheiterns der Verhandlung u ¨bernimmt. Eine solche Absicherung vor einem opportunistischen Verhalten beziehungsweise die Verbesserung der Zusammenarbeit durch ein besonderes Vertrauensverh¨altnis wird in der Literatur zur Transaktionskostentheorie als Safeguarding bezeichnet.149 Wie l¨asst sich aber diese neue Form der Organisation in das vorliegende Modell integrieren? ¨ Die Ubernahme eines Teils der spezifischen Investition durch den Hersteller wird mit dem Parameter g ∈ [0, 1/2] dargestellt. Die Vorleistung des Lieferanten beziehungsweise das 149
Vgl. Christy und Grout (1994) und Williamson (2008).
2.3. Transaktionskostentheorie und Supply Chain Management
59
Drohpotenzial des Herstellers reduziert sich auf den Wert (1 − g) · s · IHO . Der Hersteller hat aufgrund der engen Zusammenarbeit bei einem Scheitern der Verhandlungen einen Teil der versunkenen Kosten in H¨ohe von g · s · I zu tragen. Nimmt g den Wert Null an, so wird der Grad der Zusammenarbeit, wie sie am Markt existiert, beibehalten, w¨ahrend ein Wert von 1/2 eine kulante Zusammenarbeit ausdr¨ uckt und der Hersteller damit die H¨alfte an dem spezifischen Teil der Investition auch im Fall des Scheiterns der Verhandlungen tr¨agt. W¨ urde der Hersteller einen Anteil gr¨oßer als 1/2 u ¨bernehmen, so w¨are das Verlustrisiko des Herstellers gr¨oßer als das des Lieferanten, wodurch der Lieferant die M¨oglichkeit erh¨alt, sich opportunistisch zu verhalten. Durch die weiterhin bestehende Unabh¨angigkeit der Unternehmen hat jeder Transaktionspartner einen Teil der B¨ urokratiekosten beziehungsweise der fixen Markttransaktionskosten zu tragen, wobei die Mischung dieser Kosten durch eine Konvexkombination dargestellt wird. Je h¨oher dabei der Grad der Zusammenarbeit g ist, desto gr¨oßer wird der Anteil der B¨ urokratiekosten an den fixen Transaktionskosten der hybriden Organisationsform. Es wird angenommen, dass die Transaktionskosten der B¨ urokratie b bei beiden Unternehmen in gleicher H¨ohe anfallen. Eine intensivere Zusammenarbeit f¨ uhrt somit zu B¨ urokratiekosten in H¨ohe von g · b in jedem Unternehmen der Supply Chain. Da die hybride Organisationsform auch Transaktionskosten des Marktes verursacht, sind diese ebenfalls zu ber¨ ucksichtigen. Je intensiver die Unternehmen zusammenarbeiten, desto geringer werden die entsprechenden fixen Markttransaktionskosten sein. Daher sind bei den Vertragspartnern Kosten in H¨ ohe von (1/2 − g) · m mit einzubeziehen. Die fixen Transaktionskosten der hybriden Organisationsform fallen in jedem Fall an und sind daher unabh¨angig vom Ausgang der Nachverhandlungen zu ber¨ ucksichtigen. Die f¨ ur die Nachverhandlungen relevanten Gewinnzuw¨achse lassen sich tabellarisch darstellen.
Gewinn des Lieferanten Gewinn des Herstellers
Gelingen der Verhandlung √ PHO − k L + 2 · c · IHO − IHO −g · b − (1/2 − g) · m e − k H − PHO −g · b − (1/2 − g) · m
Scheitern der Verhandlung −(1 − g) · s · IHO −g · b − (1/2 − g) · m −g · s · IHO −g · b − (1/2 − g) · m
Tabelle 2.6: Verhandlungsergebnisse bei der hybriden Organisationsform
Da trotz einer intensiveren Zusammenarbeit noch ein gewisses Drohpotenzial besteht, wird der Hersteller dieses auch zu seinem Vorteil nutzen. Unterstellt man wieder die faire Verhandlung, so verteilt der Preis PHO die Gewinnzuw¨achse gleich.
Kapitel 2. Supply Chain Management
60
PHO (IHO ) =
1 (e − k H ) + k L − 2 · c · IHO + (1 − s + 2 · g · s) · IHO . 2
¨ Der Vergleich der Preise P (I) und PHO (IHO ) zeigt, dass durch die Ubernahme eines Teils des Verlustrisikos durch den Hersteller auch ein Teil der Kosten f¨ ur den spezifischen Teil der Investition in H¨ohe von g ·s·IHO vom Hersteller getragen wird. Es verdeutlicht die intensivere Zusammenarbeit zwischen dem Hersteller und dem Lieferanten. Diesen Preis antizipiert der Lieferant wiederum f¨ ur seine Investitionsentscheidung, wo∗ durch sich eine Investition in H¨ohe von IHO = (c/(1 + s − 2 · g · s))2 ergibt. Der daraus resultierende Gewinn bel¨auft sich auf:
∗ GHO (IHO ) = e − k L − k H − 2 · g · b − (1 − 2 · g) · m +
(1 + 2 · s − 4 · s · g) · c2 . (1 + s − 2 · g · s)2
Anhand dieser Gewinnfunktion l¨asst sich die Kombination der beiden Organisationsformen Markt und Hierarchie verdeutlichen. Bei einem Grad der Zusammenarbeit von g = 0 ergibt sich die Situation beziehungsweise der Gewinn des Marktes, w¨ahrend ein Grad der Zusammenarbeit von g = 1/2 die Form der Hierarchie darstellt. Jeder Grad der Zusammenarbeit zwischen Null und 1/2 stellt somit eine Kombination aus dem Markt und der Hierarchie dar und l¨asst sich als hybride Organisationsform bezeichnen. Die Transaktionskosten dieser Organisationsform resultieren wiederum aus dem Vergleich zu dem Gewinn ohne Hold-up und setzen sich wie folgt zusammen: ˆ + b − GHO = 2 · g · b + (1 − 2 · g) · m + THO = G
(1 − 2 · g) · c · s 1+s−2·g·s
2 .
Betrachtet man wieder das Zahlenbeispiel, so ergeben sich folgende Funktionen des Gewinns und der Transaktionskosten in Abh¨angigkeit des Spezifit¨atsgrades. Aus der Abbildung 2.13 wird ersichtlich, dass unter Umst¨anden die hybride Organisationsform vorzuziehen ist. Erreicht die Transaktion einen kritischen Wert der Spezifit¨at, so ist eine intensivere Zusammenarbeit vorteilhaft. Aufgrund der allgemeinen Herleitung lassen sich folgende Vergleiche bez¨ uglich der Auswahl einer Organisationsform treffen. Dabei ist die Hierarchie der hybriden Organisationsform genau dann vorzuziehen, wenn gilt
ˆ > GHO G
⇔
(1 − 2 · g) · c2 · s2 > b − m. (1 + s − 2 · s · g)2
(2.2)
2.3. Transaktionskostentheorie und Supply Chain Management
61
Abbildung 2.13: Vergleich zwischen Markt, hybrider Organisationsform und Hierarchie
Die Ungleichung 2.2 zeigt, • dass mit steigendem Spezifit¨atsgrad s und steigendem Kostensenkungspotenzial c die Vorteilhaftigkeit der hybriden Organisationsform abnimmt, • dass mit steigenden B¨ urokratiekosten b die Vorteilhaftigkeit der Hierarchie abnimmt, • dass mit steigender Intensit¨at der Zusammenarbeit g die Vorteilhaftigkeit der hybriden Organisationsform zunimmt. Die hybride Organisationsform ist der Organisationsform des Marktes genau dann vorzuziehen, wenn gilt
Kapitel 2. Supply Chain Management
62
GHO > G
⇔
2 · g · c2 · s2 · (1 + s − g − 2 · g · s) > b − m. (1 + s − 2 · g · s)2 · (1 + s)2
(2.3)
Um hier eine Analyse der Parameter vorzunehmen, sind Ableitungen der linken Seite der Gleichung hilfreich. Die Ungleichung 2.3 zeigt, • dass mit steigendem Spezifit¨atsgrad s und steigendem Kostensenkungspotenzial c die Vorteilhaftigkeit des Marktes abnimmt, • dass mit steigenden B¨ urokratiekosten b die Vorteilhaftigkeit der hybriden Organisationsform abnimmt, • dass mit steigender Intensit¨at der Zusammenarbeit g die Vorteilhaftigkeit der hybriden Organisationsform zunimmt. Dieses Modell beziehungsweise die Analyse der Parametervariation zeigt, dass die Anwendung einer Supply Chain Management Methode zur L¨osung eines Teilproblems des Supply Chain Management nicht immer effizient ist. Die Entscheidung f¨ ur oder gegen eine Methode des Supply Chain Management sollte unter Ber¨ ucksichtigung der Transaktionskostentheorie durchgef¨ uhrt werden. Diese Erkenntnis hat sicherlich aufgrund des Messproblems von Transaktionskosten seine Grenzen.150 Sollte aber eine Absch¨atzung der Transaktionskosten m¨ oglich ¨ sein, m¨ ussen diese bei den Uberlegungen des Supply Chain Management einbezogen werden. Werden die Einfl¨ usse der Transaktionskosten nicht ber¨ ucksichtigt, so kann unter Umst¨anden ein Supply Chain Management zu einer Verschlechterung der Wettbewerbsf¨ahigkeit f¨ uhren.
2.4
Zusammenfassung
In diesem Kapitel sind die Grundlagen des Supply Chain Management ausf¨ uhrlich beschrieben und an Beispielen verdeutlicht worden. Dabei wird ein besonderer Schwerpunkt auf die Definition der Begriffe Supply Chain und Supply Chain Management gelegt. Anhand einer Beschreibung der Entwicklung dieses Forschungsbereichs von Anfang des letzten Jahrhunderts bis heute wurde deutlich, wie in den achtziger und neunziger Jahren das Themengebiet des Supply Chain Management zu einem der wichtigsten Forschungsbereiche der Betriebswirtschaft wurde. Die sich daran anschließende Betrachtung der Aufgaben und Ziele zeigt, dass aufgrund der Komplexit¨at des Totalmodells nur durch die L¨osung von Teilproblemen ein erfolgreiches Supply Chain Management durchgef¨ uhrt werden kann. Dieses Ergebnis f¨ uhrte zu ¨ den Uberlegungen des letzten Abschnitts dieses Kapitels, in dem festgestellt wurde, dass bei einer Anwendung einer Supply Chain Management Methode die Transaktionen einer Supply Chain eine hybride Organisationsform darstellen. Die Anwendung einer solchen Methode zur 150
Siehe Terberger (1994), S. 34 und G¨ obel (2002), S. 153 f.
2.4. Zusammenfassung
63
L¨osung eines Teilproblems des Supply Chain Management ist im Kontext der Transaktionskostentheorie zu betrachten. Diese Erkenntnis ist in der Supply Chain Management Literatur bisher kaum ber¨ ucksichtigt worden, obwohl das Modell zur Auswahl einer effizienten Organisationsform zeigt, dass unter der Ber¨ ucksichtigung von Transaktionskosten die Anwendung von Methoden des Supply Chain Management ineffizient sein kann. Im Weiteren werden die Aufgaben und Ziele des Supply Chain Management auf die Problemstellung der Ablaufplanung bezogen. Dieser Zusammenschluss wird zeigen, dass eine unternehmens¨ ubergreifende Koordination der Ablaufplanung Einsparungen erzielen kann, die die Wettbewerbsf¨ahigkeit einer Supply Chain verbessert. Bevor jedoch entsprechende Modelle vorgestellt werden, wird die Ablaufplanung und im speziellen die parallele Maschinenbelegungsplanung vorgestellt, um ein Fundament f¨ ur die Modelle im vierten Kapitel zu schaffen.
Kapitel 3 Ablaufplanung Die Ablaufplanung ist eine Teilaufgabe des Advanced Planning Systems und somit ein Baustein des House of Supply Chain Management. In der Ablaufplanung werden Probleme der ” zeitlichen Zuordnung von Aktivit¨ aten zu limitierten Ressourcen betrachtet, wobei unterschiedliche Nebenbedingungen [...] zu ber¨ ucksichtigen sind und bestimmte Ziele erreicht [...] 1 werden sollen“ . Im Gegensatz zu dieser recht allgemeinen Definition aus der Informatik wird die Ablaufplanung in der betriebswirtschaftlichen Literatur auch h¨aufig auf die Festle” gung von Bearbeitungsreihenfolgen von Auftr¨ agen und deren Terminierung“ 2 begrenzt. Die Reihenfolgeplanung und die Terminierung erfordern eine Ressourcen- beziehungsweise Maschinenbelegung, wodurch sich der Begriff der Maschinenbelegungsplanung f¨ ur die Ablaufplanung im Kontext der Produktion etabliert hat.3 Der im Weiteren noch verwendete Begriff ¨ des Scheduling“ wird h¨aufig als Ubersetzung f¨ ur die Ablaufplanung verwendet.4 Dabei ist ” dieser Begriff ebenfalls weit gefasst. Slack et al. (2007) schreiben Scheduling [is] a term used ” in planning and control to indicate the detailed timetable of what work should be done, when it should be done and where should be done“ 5 . Der Begriff Ablaufplanung beziehungsweise Scheduling umfasst somit ein großes Feld an Planungsaufgaben, wobei in diesem Kapitel die Maschinenbelegungsplanung im Vordergrund steht und daher die Begriffe synonym verwendet werden. Bevor sich der unternehmens¨ ubergreifenden Ablaufplanung, dem Supply Chain Scheduling, zugewendet wird, soll zun¨achst das Fundament f¨ ur die Modelle im vierten Kapitel mit Hilfe der Grundlagen der Ablaufplanung gefestigt werden. Insbesondere werden die neueren Entwicklungen der Ablaufplanung im Bereich der Parallel-Maschinen-Probleme vorgestellt.
1
Sauer (1997), S. 13. Jahnke und Biskup (1999), S. 228. Vgl. Domschke et al. (1997), S. 279 und Jahnke und Biskup (1999), S. 228. 4 Siehe Conway et al. (1967), French (1982) und Baker (1997). 5 Slack et al. (2007), S. 705. 2 3
Kapitel 3. Ablaufplanung
66
3.1
Grundlagen der Ablaufplanung
In der Regel lassen sich die Probleme der Ablaufplanung durch drei Merkmale beschreiben: Maschinencharakteristika, Auftragscharakteristika und die der Planung zugrunde liegende Zielsetzung. Zur Darstellung der Eigenschaften wird sich hier der Three-Field-Notation von Graham et al. (1979) bedient:
Maschinencharakteristika/Auftragscharakteristika/Zielsetzung Betrachtet man ein bestimmtes Problem der Ablaufplanung, so werden jedem Feld ein oder mehrere Abk¨ urzungen zugeordnet, die eine eindeutige Beschreibung des Problems m¨oglich machen. Im Folgenden werden einige wichtige Eigenschaften f¨ ur diese Arbeit angesprochen und definiert. Maschinencharakteristika Die Maschinenausstattung eines Unternehmens kann sich in der Art, Anordnung und Anzahl der zur Verf¨ ugung stehenden Maschinen unterscheiden. In Zusammenhang mit diesem Charakteristikum ist es wichtig, dass der Begriff der Maschine nicht zu eng gefasst wird. Beispielsweise k¨onnen ganze Werkst¨atten oder Produktionsstandorte als Maschinen betrachtet werden. Im Dienstleistungssektor kann die Maschine auch als eine Person oder Gruppe verstanden werden. Die Art der Maschinen l¨asst sich f¨ ur die jeweilige Fertigungsstufe definieren. Befindet sich nur eine Maschine auf der Stufe, spielt die Art der Maschine keine Rolle. Existiert dabei eine einstufige Fertigung, so wird das Problem als Ein-Maschinen-Problem, 1/ · /·, bezeichnet. Existieren mehrere Maschinen auf der einen Stufe, so wird es als Parallel-Maschinen-Problem definiert. Dabei werden drei Arten von parallelen Maschinen unterschieden: Identisch IP/·/·, uniform U P/ · /· und heterogen HP/ · /·. Identische parallele Maschinen sind gleichzeitig einsetzbar und besitzen u ¨bereinstimmende Fertigungszeiten. Uniforme parallele Maschinen sind ebenfalls gleichzeitig einsetzbar, besitzen aber maschinenabh¨angige Fertigungsgeschwindigkeiten. Heterogene parallele Maschinen k¨onnen wiederum gleichzeitig eingesetzt werden, besitzen aber maschinen- und auftragsabh¨angige Fertigungsgeschwindigkeiten. Das Charakteristikum Anordnung der Maschinen wird in der Literatur als Maschinenfolge bezeichnet. Existieren f¨ ur einen Auftrag mehrere Fertigungsstufen, so k¨onnen auf jeder Stufe die oben beschriebenen Arten der Maschinen auftreten. Besitzt jede Stufe nur eine Maschine, dann h¨angt die Bezeichnung der Maschinenfolge ausschließlich von der Reihenfolge der Bearbeitung der Auftr¨age ab. Die m¨oglichen Maschinenfolgen heißen Flow-Shop F/ · /·, Job-Shop J/ · /· und Open-Shop O/ · /·. Ist die Maschinenfolge f¨ ur alle Auftr¨age gleich, so liegt ein Flow-Shop-Problem vor. Ist sie unterschiedlich, so handelt es sich um ein Job-Shop-Problem. F¨ ur den Fall, dass keine Maschinenfolge vorliegt und daher lediglich feststeht, auf welchen
3.1. Grundlagen der Ablaufplanung
67
Maschinen ein Auftrag bearbeitet werden muss, spricht man von einem Open-Shop-Problem. F¨ ur den Fall, dass auf den jeweiligen Fertigungsstufen parallele Maschinen existieren, ist eine Beschreibung der umfangreichen Eigenschaften einer Maschinenfolge schwierig, da bei mehreren Stufen unterschiedliche Arten des Parallel-Maschinen-Problems auftreten k¨onnen. F¨ ur diesen Fall bietet sich eine ausf¨ uhrliche Beschreibung des Problems sowie eine problemspezifische Abk¨ urzung an. Abschließend bleibt die Eigenschaft Anzahl der Maschinen, wobei dieses Charakteristikum wiederum aufgeteilt wird. Bei Betrachtung eines einstufigen Problems mit parallelen Maschinen bezeichnet m die Anzahl der Maschinen, zum Beispiel IP m/ · /·. In einem mehrstufigen Problem mit jeweils einer Maschine pro Stufe bezeichnet m die Anzahl der Fertigungsstufen, zum Beispiel F m/ · /·. F¨ ur die Betrachtung von Problemen mit einer beliebigen Anzahl an Maschinen beziehungsweise Fertigungsstufen wird dieser Zusatz auch h¨aufig weggelassen, um die allgemeine G¨ ultigkeit eines Problems zu verdeutlichen. Die Tabelle 3.1 fasst die Maschinencharakteristika noch einmal zusammen. Einstufig
Mehrstufig mit einer Mehrstufig mit parallelen MaschiMaschine pro Stufe nen auf einer/mehreren Stufen
1/ · /·, IP/ · /·, U P/ · /·, HP/ · /·
F/ · /·, J/ · /·, O/ · /·
Eine qualitative Beschreibung einer solchen Eigenschaft ist notwendig. Zur k¨ urzeren Darstellung lassen sich problemspezifische Abk¨ urzungen verwenden.
Tabelle 3.1: Maschinencharakteristika
Auftragscharakteristika Die Auftragscharakteristika lassen sich hinsichtlich verschiedener Merkmale unterscheiden und werden an dieser Stelle nicht vollst¨andig aufgez¨ahlt.6 Allerdings haben sich in den letzten Jahrzehnten bestimmte Eigenschaften entwickelt, die als Standardeigenschaften anzusehen sind und nicht explizit in der Three-Field-Notation erw¨ahnt werden m¨ ussen. Folgende Merkmale werden als Standardeigenschaften gesehen:7 1. Die Anzahl der Auftr¨age ist beliebig. 2. Es sind keine Unterbrechungen von Auftr¨agen auf einer Fertigungsstufe erlaubt. 3. Es werden keine Reihenfolgebeziehungen betrachtet. Damit ist es irrelevant, ob ein bestimmter Auftrag vor oder nach einem anderen Auftrag fertiggestellt werden muss. 4. Alle Auftr¨age liegen zu Beginn des Planungszeitraumes vor und Nachlaufzeiten entfallen. 6 7
¨ Einen guten Uberblick u ¨ber die verschiedenen Auftragscharakteristika bietet Domschke et al. (1997). Vgl. Domschke et al. (1997), S. 287 ff.
Kapitel 3. Ablaufplanung
68
5. Die Bearbeitungszeiten sind beliebig, das heißt, dass diese jeden positiven, endlichen Wert annehmen k¨onnen. 6. Die Bearbeitungszeiten sind deterministisch. 7. Es werden keine reihenfolgeabh¨angigen R¨ ustzeiten oder Lerneffekte betrachtet. 8. Es werden keine Ressourcenbeschr¨ankungen betrachtet, die u ¨ber die zur Bearbeitung verf¨ ugbaren Maschinen hinaus gehen, wie beispielsweise einzusetzende Rohstoffe. 9. Es sind keine Fertigungstermine, so genannte Due Dates, gegeben beziehungsweise ihre Einhaltung ist nicht zwingend. 10. Jede Maschine besitzt ein Lager ohne Kapazit¨ atsbeschr¨ankungen zur Lagerung der auf ihr fertig gestellten Auftr¨age. Wenn diese Eigenschaften vorliegen, wird das zweite Feld der Three-Field-Notation nicht ausgef¨ ullt: ·//·. Wird allerdings in einer Problemstellung von diesen Eigenschaften abgewichen, so ist im zweiten Feld der Notation durch eine entsprechende Bezeichnung darauf hinzuweisen. In der Literatur zur Ablaufplanung werden teilweise besonders umfangreiche Konstellationen von Eigenschaften betrachtet. Um diese verk¨ urzt darzustellen, wird das Problem qualitativ beschrieben und dann durch problemspezifische Abk¨ urzungen definiert. Beispielsweise verwenden Biskup und Herrmann (2008) f¨ ur die Darstellung einer Form der reihenfolgeabh¨angigen R¨ ustkosten die Abk¨ urzung PSD8 als Auftragscharakteristikum in der Three-Field-Notation. Zielsetzungen Das dritte Charakteristikum der Ablaufplanungsprobleme sind die zugrunde liegenden Zielsetzungen.9 Da die Ablaufplanung im Kontext des Supply Chain Management und des Advanced Planning System betrachtet wird, gilt in diesem Zusammenhang die u ¨bergeordnete Zielsetzung der Maximierung der Wettbewerbsf¨ahigkeit. Diesem Ziel liegt f¨ ur gew¨ohnlich ein Katalog an untergeordneten Zielen zugrunde, wie zum Beispiel Kostenreduktion, Zufriedenheit der Kunden, Qualit¨at der Produkte usw. Die Wahl eines Zielkriteriums f¨ ur die Ablaufplanung unterliegt der Problematik, • dass es aufgrund von Zieldivergenzen unter Umst¨anden nicht m¨oglich ist, ein Ergebnis zu erhalten, welches im Sinne s¨amtlicher Unternehmensziele optimal ist, • dass bestimmte untergeordnete Ziele (wie zum Beispiel hohe Produktqualit¨at und Minimierung der Umweltbelastung) auf h¨oheren Hierarchiestufen (zum Beispiel durch die 8 9
Past-Sequence-Dependent. Die f¨ ur die Three-Field-Notation notwendigen Abk¨ urzungen werden f¨ ur dieses Charakteristikum nicht beigef¨ ugt, da es nicht immer eine einheitliche Notation gibt.
3.1. Grundlagen der Ablaufplanung
69
Wahl des Standortes und der Betriebsmittel) entschieden werden und durch die Ablaufplanung nicht oder nur unwesentlich beeinflussbar sind, • dass bestimmte Ziele, wie beispielsweise die Kundenzufriedenheit, nicht quantifizierbar sind.10 Am Ende bleibt die Frage nach einem sinnvollen Zielkriterium, um die Ablaufplanung als Baustein des dekomponierten Totalmodells im Sinne des Supply Chain Management durchzuf¨ uhren. Die Beschr¨ankung der Ablaufplanung auf das (intuitiv nahe liegende) Ziel der Kostenminimierung11 ist schwierig, da die prim¨are Aufgabe der Ablaufplanung definitionsgem¨ aß in der zielorientierten Terminierung der Auftr¨age liegt, so dass Zeitziele im Vordergrund stehen. Aufgrund der Tatsache, dass die Beziehungen zwischen den aus der Gestaltung des ” Produktionsprozesses resultierenden Zeitgr¨oßen und monet¨aren Zielkriterien [...] schwer zu begr¨ unden sind“ 12 , ist die Wahl eines zeitbezogenen Kostenziels ebenfalls problematisch. Die Diskussion u ¨ber die Wahl eines geeigneten Ziels f¨ ur die Optimierung der Ablaufplanung als Kern des gesamtbetrieblichen Planungsproblems beziehungsweise des Advanced Planning System wird unter dem von Gutenberg (1951) gepr¨ agten Begriff Dilemma der Ablaufplanung“ ” zusammengefasst. Als Konsequenz aus diesem Dilemma wird h¨aufig auf die Zurechnung von Kosten zu Ablaufpl¨anen verzichtet und Zeitziele als Ersatzgr¨oßen verwendet. Im Allgemeinen werden drei Zielsetzungen in der Ablaufplanung unterschieden: Auftrags-, maschinenund kundenbezogene Zielsetzungen.13 Die auftragsbezogenen Zielsetzungen lassen sich an Zeitgr¨oßen messen, wie Minimierung der Gesamtdurchlaufzeit, durchschnittliche Durchlaufzeit oder Wartezeit, Gesamtwartezeit und der Zykluszeit.14 Unter der Durchlaufzeit eines Auftrags versteht man die Summe der Warte- und Bearbeitungszeiten15 auf den Maschinen, also die Zeit, die vom Auftragseingang bis zur Fertigstellung vergeht. Die Zykluszeit bezeichnet die Zeitspanne, die ben¨otigt wird, um s¨amtliche Auftr¨age zu vollenden.16 Bei maschinenbezogenen Zielsetzungen handelt es sich gew¨ohnlich um die Maximierung der Kapazit¨atsauslastung der Maschinen und die Minimierung der Gesamtleerzeit beziehungsweise der durchschnittlichen Leer- und Belegungszeit. Die Kapazit¨atsauslastung bestimmt sich durch das Verh¨altnis zwischen der f¨ ur die Produktion genutzten Zeit und der zur Verf¨ ugung stehenden Gesamtzeit. Die Leerzeit einer Maschine stellt die Summe der Zeiten ” dar, w¨ahrend der die Maschine zur Verf¨ ugung steht aber nicht genutzt wird, da momentan 10
Vgl. Jahnke und Biskup (1999), S. 231. Vgl. Biskup (2001), S. 7 f. 12 Seelbach (1993), Sp. 6. 13 Vgl. Conway et al. (1967), S. 9 ff., Domschke et al. (1997), S. 291 ff. und Jahnke und Biskup (1999), S. 232 ff. 14 Vgl. zu den Durchlaufzeiten Rinnooy Kan (1976), S. 18 f. und Domschke et al. (1997), S. 291 f. und zu den Zykluszeiten Siegel (1974), S. 28 f. und Paulik (1984), S. 218. 15 Zeit, die ein Auftrag auf einer bestimmten Maschine beansprucht. Vgl. Biskup (2001), S. 8. 16 Vgl. Jahnke und Biskup (1999), S. 232. 11
Kapitel 3. Ablaufplanung
70
keine Auftr¨age vorhanden sind.“ 17 Die Belegungszeit bezeichnet die Zeitspanne, in der alle der Maschine zugewiesenen Auftr¨age bearbeitet werden.18 Der dritte und kundenbezogene Bereich der Zielkriterien stellt die Optimierung der Termintreue dar. Hierf¨ ur ist es notwendig, dass die Auftr¨age mit einem Due Date versehen werden. Typische Zielsetzungen sind die Minimierung der gesamten Versp¨atung einer gegebenen Anzahl von Auftr¨agen, der Summe aus Versp¨atungen und Verfr¨ uhungen, der maximalen Versp¨atung sowie der Anzahl an versp¨ateten Auftr¨agen. In Zusammenhang mit den hier gezeigten Zielkriterien werden h¨aufig Gewichtungen vorgenommen. Beispielsweise werden bei der Minimierung der gesamten Versp¨atung Verfr¨ uhungen schw¨acher bewertet als Versp¨atungen19 oder die Versp¨atung eines Auftrags wiegt mehr als die eines anderen.20 Die Intention des Planers, ein gewichtetes Kriterium zu verwenden, liegt darin, dass eine Versp¨atung eines bestimmten Auftrags mehr Kosten verursacht als andere oder die R¨ ustkosten durch die Produktion zweier Auftr¨age direkt hintereinander reduziert werden k¨onnen. Bei der Wahl eines Zielkriteriums, in dem alle Auftr¨age gleich wichtig sind und daher keine Unterschiede in der Verursachung von Kosten liegen, spielen die Kosten dennoch eine Rolle.21 Die oben erw¨ahnte Konsequenz aus dem Dilemma der Ablaufplanung, n¨amlich die Verwendung von Zeitgr¨ oßen, verhindert nicht, dass trotzdem eine Beziehung zwischen den Zeitgr¨oßen und den monet¨aren Aspekten durch den Planer vorgenommen wird. Dies bedeutet, dass zwar das Dilemma der Ablaufplanung existiert, dass der Ausweg u ¨ber die Verwendung von Zeitzielen aber nicht ausreicht, um die Problematik vollst¨andig zu eliminieren. Eine Verwendung von Kostengr¨oßen und das dadurch verwendete Ziel der Kostenminimierung ist somit nicht sofort auszuschließen. Dar¨ uber hinaus bleibt das Problem der Quantifizierbarkeit bestimmter Kosten und Ziele sowie die Schwierigkeit u ¨bergeordneter Kataloge an Zielsetzungen als Dilemma bestehen. Es bleibt die Frage, wie ein Ablaufplanungsproblem mit einer bestimmten Zielsetzung optimiert werden kann. Die L¨osung von Optimierungsmodellen der Ablaufplanung ist h¨ aufig aufgrund der langen Rechenzeiten nicht durchf¨ uhrbar. Das bedeutet, dass bisher bekannte L¨osungsverfahren beziehungsweise Algorithmen zur Optimierung der Modelle nicht in der Lage sind, eine optimale L¨osung in angemessener Zeit zu finden. Solche Modelle werden im Sinne der Komplexit¨atstheorie als NP-schwer bezeichnet. Diese Eigenschaft beinhaltet, dass bisher kein polynomialer Algorithmus existiert, der eine optimale L¨ osung des Modells ermitteln kann. Das Attribut NP-schwer oder die polynomiale L¨osbarkeit eines Modells werden in der Literatur mit Hilfe der Aufwandsfunktion O(·) beschrieben. Sie beschreibt den ur die L¨osung einer Instanz23 ben¨otigt wird. Rechenaufwand22 , der im schlechtesten Fall f¨ 17
Jahnke und Biskup (1999), S. 233. Vgl. Domschke et al. (1997), S. 292 f., Biskup (1999), S. 153 f. und Jahnke und Biskup (1999), S. 233. Siehe Biskup (2001). 20 Siehe Blazewicz et al. (1996), S. 123 ff. und Biskup und Herrmann (2008). 21 Siehe Kanet (1981). 22 Der Rechenaufwand umfasst die Anzahl elementarer Rechenoperationen. 23 Eine Instanz ist eine konkrete Problemrealisation. 18 19
3.1. Grundlagen der Ablaufplanung
71
Ein Algorithmus ist dann polynomial, wenn sein Rechenaufwand in der Problemgr¨ oße24 im ung¨ unstigsten Fall h¨ochstens so schnell steigt wie ein Polynom eines bestimmten Grades. Steigt der Rechenaufwand schneller, so steigt er im Sinne der Komplexit¨ atstheorie exponentiell, und das Problem wird als NP-schwer bezeichnet. Die Feststellung, ob ein Optimierungsproblem NP-schwer ist, l¨asst sich durch die Betrachtung des entsprechenden Entscheidungsproblems und dessen Transformation auf ein NP-vollst¨andiges Problem vornehmen. Die Vorgehensweise l¨asst sich aus einer Vielzahl von Lehrb¨ uchern entnehmen und wird hier nicht weiter aufgegriffen.25 Vielmehr soll darauf hingewiesen werden, dass ein NP-schweres Problem dadurch erkannt werden kann, dass ein betrachtetes Optimierungsproblem unter einer bestimmten Parameterkonstellation ein schon als NP-schwer erkanntes Problem beinhaltet und damit ebenfalls NP-schwer sein muss. Der Grund daf¨ ur besteht darin, dass das betrachtete neue Problem genauso wie das schon erkannte Problem in die entsprechende Entscheidungsversion polynomial transformiert und somit in gleicher Weise als NP-vollst¨andig betrachtet werden kann. Da eine NP-schwere Problemstellung zur Erstellung sinnvoller Ablaufpl¨ane dennoch gel¨ost werden muss, werden verschiedene Verfahren angewendet. Es gibt drei Ans¨atze zur Ermittlung einer L¨osung: Optimierungsprozeduren, Heuristiken und Metaheuristiken. Die bisher existierenden Optimierungsprozeduren lassen es nur zu, Instanzen mit einer geringen Anzahl an Auftr¨agen beziehungsweise Maschinen optimal und in einer angemessenen Zeit zu l¨osen. Aufgrund der komplizierten Implementierung einer solchen Prozedur, den langen Rechenzeiten (zum Beispiel Branch & Bound Verfahren) sowie der notwendigen schnellen und flexiblen Durchf¨ uhrung sind diese Ans¨atze nur schwer in ein Planungssystem eines Unternehmens zu integrieren. Dahingegen liefern metaheuristische Ans¨atze f¨ ur gew¨ohnlich gute und ann¨ahernd optimale L¨osungen auch f¨ ur große Probleme. Allerdings sind diese Verfahren aufgrund ihrer allgemeinen Methodik ebenfalls nur schwer in ein spezifisches praktisches Planungsumfeld eines Unternehmens zu implementieren. Die Heuristiken sind durch ihre problemspezifischen L¨osungsans¨atze am einfachsten in ein Planungssystem eines Unternehmens zu integrieren und l¨osen dabei auch große Probleme in relativ kurzer Zeit. Diese Vorteile bringen jedoch eine Reduktion der G¨ ute einer L¨osung gegen¨ uber den anderen Ans¨atzen mit sich.26 Es ist daher sinnvoll, f¨ ur die entsprechenden Problemstellungen individuell nach einem L¨osungsverfahren in Abh¨angigkeit der Rechenzeiten und der L¨osungsg¨ ute zu suchen. Die derzeit in der Literatur betrachteten Problemstellungen der Ablaufplanung gehen weit auseinander. Auf der einen Seite werden neue Problemstellungen betrachtet, die in der Praxis beobachtet werden. Auf der anderen Seite werden klassische Ablaufplanungsprobleme27 neu 24
Die Problemgr¨ oße definiert sich in der Ablaufplanung haupts¨ achlich durch die Anzahl an Auftr¨ agen und Maschinen. Siehe Garey und Johnson (1979), Br¨ uggemann (1995), Jahnke und Biskup (1999) und Blazewicz et al. (2007). 26 Die G¨ ute einer Heuristik definiert sich durch den Grad der Abweichung von der optimalen L¨ osung. Je kleiner diese Abweichung ist, desto h¨ oher ist die G¨ ute einer Heuristik. 27 Eine Auflistung klassischer Ablaufplanungsprobleme bietet Biskup (1999). 25
Kapitel 3. Ablaufplanung
72
aufgegriffen und verbessert oder um bestimmte Aspekte erweitert. Dabei ist in den letzten Jahren ein Anstieg an Ver¨offentlichungen in diesem Bereich zu beobachten. Die Abbildung 3.1 zeigt, dass sich seit dem Jahr 2000 die Anzahl der Artikel pro Jahr, die den Begriff Scheduling im Titel tragen, mehr als verdoppelt hat.
Abbildung 3.1: Entwicklung der Ver¨offentlichungen in der Ablaufplanung seit 2000 Die Gr¨ unde f¨ ur einen solchen Trend lassen sich nur erahnen. Einerseits spielen sicherlich die Entwicklungen im Bereich der Computerhardware und -software eine wichtige Rolle. Durch immer leistungsf¨ahigere Rechner und Programme sind Problemstellungen in k¨ urzerer Zeit zu l¨osen. Dar¨ uber hinaus werden die in den letzten Jahren entwickelten Metaheuristiken immer h¨aufiger in anwenderfreundlichen Softwarepaketen angeboten, so dass f¨ ur die Forschung die komplexen Programme leichter zug¨anglich sind. Diese Ver¨anderungen spielen vor allem bei der erneuten Betrachtung klassischer Probleme der Ablaufplanung eine Rolle. Ein weiterer Grund liegt im steigenden Interesse des Supply Chain Management am Operations Research. Die Nutzung von Optimierungsmodellen und Heuristiken zur Bestimmung von optimalen beziehungsweise ann¨ahernd optimalen L¨osungen der Teilprobleme des House of Supply Chain Management ist in den letzten Jahren in den Fokus der Forschung geraten.28 Dieser Entwicklung wird in der vorliegenden Arbeit Rechnung getragen. Bevor jedoch auf eine neue Entwicklung im Supply Chain Management in Kapitel 4 eingegangen wird, soll ein klassisches Problem der Ablaufplanung aufgegriffen werden. Auf der einen Seite zeigt sich damit, wie sich auch jetzt noch verbesserte Algorithmen finden lassen. Andererseits stellt der hier gezeigte L¨osungsansatz eine M¨oglichkeit zur L¨osung der umfangreichen Problemstellung des sp¨ater eingef¨ uhrten Modells des Supply Chain Scheduling dar. Dar¨ uber hinaus zeigt sich, dass durch die Entwicklung neuer Heuristiken der Schritt zur Anwendung auf andere Problemstellungen nahe liegt und somit eine Vielzahl neuer Ver¨offentlichungen in diesem Bereich m¨oglich sind. 28
Vgl. Kapitel 4.
3.2. Heuristik zur Ablaufplanung bei parallelen Maschinen
73
Die hier gezeigte Erneuerung basiert auf der Arbeit von Biskup, Herrmann und Gupta (2008) und befasst sich mit der Minimierung der gesamten Versp¨atung im Fall von parallelen Maschinen. Zur Erreichung dieser Zielsetzung wird eine Heuristik vorgestellt, die nach umfangreichen computergest¨ utzten Tests fast optimale Ergebnisse erzeugt. Der Grund f¨ ur die Betrachtung der Minimierung der gesamten Versp¨atung basiert auf der empirischen Arbeit von Panwalker et al. (1973). Die Autoren zeigen, dass diese Zielsetzung f¨ ur Unternehmen im Gegensatz zu den anderen klassischen Ablaufplanungsproblemen im Vordergrund steht.
3.2
Heuristik zur Ablaufplanung bei parallelen Maschinen
Das Parallel-Maschinen-Problem mit Ber¨ ucksichtigung von produktindividuellen Due Dates beschreibt einen allgemeinen Fall aus der Praxis. Es lassen sich Probleme dieser Art zum Beispiel im Brauereigewerbe finden, da dort die Auftr¨age auf mehreren Abf¨ ullanlagen eingeplant werden m¨ ussen. Die Auftr¨age w¨aren an dieser Stelle Bestellungen von Restaurants, Bars und Großh¨andlern. Das Einhalten der Due Dates hat hier aufgrund der hohen Anzahl an Substitutionsm¨oglichkeiten der Auftraggeber eine besondere Bedeutung, wobei sich diese Situation in der gesamten Lebensmittelindustrie zeigt. Ein anderes Beispiel stellt die kapitalintensive Druckbranche dar. Hier werden Druckauftr¨ age, wie zum Beispiel B¨ ucher und Zeitungen, auf mehreren Druckerpressen eingeplant. Der Auftraggeber, beispielsweise ein Zeitschriftenh¨andler, gibt die f¨ ur ihn existentiellen Due Dates an die Druckerei weiter. Erh¨alt er nicht zum richtigen Zeitpunkt die aktuelle Ausgabe einer Tageszeitung, so haben die Kunden die M¨oglichkeit, ein anderes Gesch¨aft aufzusuchen und er verliert einen großen Teil seines Umsatzes. Die pharmazeutische Industrie verwendet ebenfalls parallele Maschinen zur Produktion der Medikamente. Es ist verst¨andlich, dass die Industrie versucht, ihre aktuellen Produkte in den Apotheken immer vorr¨atig zu halten. In diesem Fall ergeben sich die Auftr¨age durch die B¨ undelung von Anfragen der Apotheken bei lokalen Verteilungszentren. Als ein weiteres Beispiel soll ein OEM29 dienen. Der Unternehmer muss seine Auftr¨age auf den parallelen Produktionslinien einplanen und die Due Dates der Großh¨ andler und Kunden ber¨ ucksichtigen. Die Parallel-Maschinen-Probleme lassen sich auch auf Dienstleistungen wie die Wirtschaftspr¨ ufung beziehen. Die Auftr¨age der Unternehmen, deren Abschl¨ usse gepr¨ uft werden m¨ ussen, werden von den Wirtschaftspr¨ ufungsgesellschaften auf die Mitarbeiter verteilt. Dies sind nur einige praktische Beispiele f¨ ur die im weiteren Verlauf dargestellte und gel¨oste Problemstellung. Generell scheint das Parallel-Maschinen-Problem schwieriger zu sein als das Ein-Maschinen-Problem, da zus¨atzlich zur Reihenfolgeplanung auf jeder Maschine die Maschinenbelegung als weitere Aufgabe hinzukommt. Du und Leung (1990) haben gezeigt, dass das Problem 29
Original Equipment Manufacturer.
Kapitel 3. Ablaufplanung
74
der Minimierung der gesamten Versp¨atung f¨ ur den Ein-Maschinen-Fall NP-schwer ist. Da das Ein-Maschinen-Problem ein m¨oglicher Fall des Parallel-Maschinen-Problems ist, muss der Fall der parallelen Maschinen ebenfalls NP-schwer sein.30 Konsequenterweise sind f¨ ur die L¨osung mittelgroßer bis großer Instanzen31 dieser Probleme heuristische Ans¨atze notwendig. Im weiteren Verlauf wird aufgrund der praktischen und theoretischen Relevanz eine neue verbesserte Heuristik zur L¨osung des Parallel-Maschinen-Problems aufgezeigt. Die G¨ ute der neuen Heuristik wird durch eine numerische Analyse mit den Ergebnissen der optimalen L¨osung sowie den besten bereits existierenden Heuristiken bestimmt. Daf¨ ur wird im folgenden Abschnitt 3.2.1 ein gemischt-ganzzahliges Optimierungsmodell (MILP) vorgestellt, mit dem kleine Probleme optimal zu l¨osen sind. Die bestehenden Heuristiken sowie der neue Algorithmus werden in Abschnitt 3.2.2 erl¨autert. Die numerische Analyse wird in Abschnitt 3.2.3 vorgenommen. Der Inhalt des Abschnitts 3.2.4 weist auf weitere m¨ogliche L¨osungsverfahren sowie zuk¨ unftige Entwicklungen hin.
3.2.1
Problemformulierung und L¨ osungsans¨ atze
Zur Darstellung des gemischt-ganzzahligen Optimierungsmodells (MILP) sowie der ausgew¨ahlten bestehenden Heuristiken wird zun¨achst das zugrunde liegende Ablaufplanungsproblem formal beschrieben. Es existiert eine Menge N = {1, 2, ..., n} mit n Auftr¨agen zum Zeitpunkt Null. Jeder Auftrag ben¨otigt exakt einen Bearbeitungsschritt und soll auf einer der m identischen Maschinen der Menge M = {1, 2, ..., m} bearbeitet werden. F¨ ur jeden Auftrag i ∈ N existiert genau eine deterministische Bearbeitungszeit pi und ein Due Date di . Weiterhin soll angenommen werden, dass es sich bei diesem Problem um das oben beschriebene Standardproblem mit Bezug auf die Auftragscharakteristika handelt. Die Versp¨ atung Ti eines Auftrags i eines m¨oglichen Ablaufplans S l¨asst sich errechnen durch Ti = max{0, Ci − di }, wobei Ci den Fertigstellungszeitpunkt32 des Auftrags i eines m¨oglichen Ablaufplans S symbolisiert. Weiter gilt, dass Sj die Auftragsfolge auf der Maschine j = 1, ..., m darstellt. Mit dieser formalen Definition der Problemstellung l¨asst sich das Parallel-MaschinenProblem mit der Zielsetzung Minimierung der Versp¨atung aller Auftr¨age wie folgt beschreiben: Es soll eine Zuweisung f¨ ur alle Auftr¨age auf die Maschinen gefunden werden, so dass die gesamte Versp¨atung aller Auftr¨age T = ni=1 Ti , die durch den Ablaufplan entstehen, minimiert wird. In Verbindung mit der Three-Field-Notation l¨asst sich dieses Ablaufpla nungsproblem wie folgt darstellen: IP/ / Ti . 30
Siehe Pfund et al. (2004). Die Instanzen werden hier unterschieden in kleine (≤ 10 Auftr¨ age), mittlere (≤ 50 Auftr¨ age) und große (> 50 Auftr¨ age). 32 Die Fertigstellungszeit stimmt mit der Durchlaufzeit u ¨ berein, wenn der Auftrag zum Zeitpunkt t = 0 zur Verf¨ ugung steht. Hier sind alle Auftr¨ age zum Zeitpunkt t = 0 vorhanden. 31
3.2. Heuristik zur Ablaufplanung bei parallelen Maschinen Das beschriebene Ablaufplanungproblem IP/ /
75
Ti impliziert, dass eine optimale L¨osung
ohne Leerzeiten auf den Maschinen existiert. Somit l¨asst sich die Suche nach einem optimalen Ablaufplan auf die so genannten aktiven Pl¨ane reduzieren. Ein aktiver Plan ist ein Plan, in dem kein Austausch von Auftr¨agen m¨oglich ist, ohne den Fertigstellungszeitpunkt mindestens eines Auftrags zu beeinflussen. Somit starten die auf der ersten Position der m Maschinen zugewiesenen Auftr¨age im Zeitpunkt Null. Jeder weitere Auftrag startet direkt im Anschluss der vollst¨andigen Bearbeitung des vorangegangenen Auftrags. MILP-Formulierung An dieser Stelle wird ein gemischt-ganzzahliges Optimierungsmodell vorgestellt, mit dessen Hilfe optimale Ergebnisse f¨ ur das IP/ / Ti -Problem gefunden werden k¨onnen. Das Besondere der hier gezeigten Formulierung eines Optimierungsmodells liegt darin, dass die Bin¨arvariablen keinen Maschinenindex besitzen. Die Bin¨arvariablen beschreiben nur die Vorg¨angerbeziehung zu einem Auftrag (reihenfolgebezogenes Modell), wodurch eine Bin¨arvariable f¨ ur die Maschinenposition unn¨otig wird. Dies ist ein entscheidender Vorteil zu dem positionsbezogenen Modell von Manne (1960) und der Grund f¨ ur die Vorstellung in dieser Arbeit. Durch die Reduktion der Anzahl an m¨oglichen Bin¨arvariablen l¨asst sich der Rechenaufwand des Modells unter Umst¨anden reduzieren. 33 Folgende Notation wird f¨ ur das gemischt-ganzzahlige Optimierungsmodell verwendet: Ci Ti yi xhi
xh,n+1 R
Fertigstellungszeitpunkt des Auftrags i (i = 1, ..., n) Versp¨atung des Auftrags i (i = 1, ..., n) Bin¨arvariable, die den Wert Eins annimmt, wenn der Auftrag i der erste Auftrag auf einer der m Maschinen ist (i = 1, ..., n) Bin¨arvariable, die den Wert Eins annimmt, wenn der Auftrag h vor Auftrag i auf derselben Maschine eingeplant wird (h, i = 1, ..., n, h = i) Bin¨arvariable, die den Wert Eins annimmt, wenn der Auftrag h der letzte Auftrag auf einer Maschine m ist (h = 1, ..., n) hinreichend große Zahl
Mit Hilfe dieser Notation l¨asst sich das vorgestellte Optimierungsmodell wie folgt beschreiben:
33
Zur Diskussion u ¨ber die sinnvolle Modellierung von Optimierungsmodellen bez¨ uglich ihrer Rechenzeiten sei auf die Arbeiten von Br¨ uggemann et al. (2003a, b) hingewiesen.
Kapitel 3. Ablaufplanung
76
min
Z(T1 , ..., Tn ) =
n
Ti
(3.1)
i=1
u. d. NB.: n
yi ≤ m
(3.2)
i=1 n
yi +
xhi = 1
∀ i = 1, ..., n
(3.3)
∀ i = 1, ..., n
(3.4)
∀ i = 1, ..., n
(3.5)
∀ h, i = 1, ..., n, h = i
(3.6)
h=1,h=i n+1
xih = 1
h=1,h=i
C i ≥ pi Ci ≥ Ch + pi − R · (1 − xhi ) Ti ≥ Ci − di xhi + xih ≤ 1 n
xhn+1 ≤ m
∀ i = 1, .., n
(3.7)
∀ h, i = 1, ..., n, h = i
(3.8) (3.9)
h=1 n+1
yh +
xhi ≤ 2
∀ h = 1, ..., n
(3.10)
i=1,h=i
xhi ∈ {0, 1}
∀ h = 1, ..., n, i = 1, ..., n + 1, h = i
yi ∈ {0, 1}
∀ i = 1, ..., n
Ti ≥ 0
∀ i = 1, ..., n
(3.11)
In dem Modell stellt die Gleichung 3.1 die Zielsetzung, Minimierung der gesamten Versp¨atung, dar. Die Bedingung 3.2 sichert, dass maximal m Auftr¨age die erste Position auf einer Maschine einnehmen k¨onnen. Durch die Bedingung 3.3 wird gew¨ahrleistet, dass ein Auftrag entweder auf einer Maschine als Erstes startet, oder dass dieser Auftrag genau einen Vorg¨anger besitzt. Die Nebenbedingung 3.4 sichert, dass ein Auftrag entweder einen Nachfolger besitzt oder den letzten Auftrag auf einer der Maschinen darstellt. Die Bedingung 3.5 garantiert, dass die Fertigstellungszeit des ersten Auftrags gr¨ oßer oder gleich der entsprechenden Bearbeitungszeit des Auftrags ist. F¨ ur alle nachfolgenden Auftr¨age h muss die Fertigstellungszeit Ch gr¨oßer oder gleich der Bearbeitungszeit ph plus der Fertigstellungszeit uhrt des vorangegangenen Auftrags Ci sein. Falls i nicht der direkte Vorg¨anger von h ist, so f¨ die Subtraktion von R dazu, dass die Nebenbedingung 3.6 zu einer nichtrestriktiven Bedingung wird. Die Versp¨atung wird durch die Bedingung 3.7 berechnet, indem das Due Date von der Fertigstellungszeit abgezogen wird. Die Bedingung 3.8 sichert, dass, wenn der Auftrag
3.2. Heuristik zur Ablaufplanung bei parallelen Maschinen
77
h der Vorg¨anger von i ist, der Auftrag i nicht mehr der Vorg¨anger von h sein kann. Die Nebenbedingung 3.9 gew¨ahrleistet, dass maximal m Auftr¨age auf den letzten Positionen der Maschinen sind. Durch die Bedingung 3.10 wird festgelegt, dass der erste Auftrag auf einer Maschine nur einen Nachfolger hat. Abschließend werden durch die Nebenbedingungen 3.11 die Variablen definiert. Weitere Optimierungsmodelle zur L¨ osung des IP/ /
Ti -Problems Ti -Problems. Lawler (1964) und Root (1965) beschreiben einen Optimierungsalgorithmus f¨ ur den Fall, dass die Auftr¨age die gleichen Bearbeitungsdauern beziehungsweise die gleichen Due Dates besitzen. Gupta und Maykut (1973) entwickelten ein dynamisches Optimierungsmodell, das es erm¨ oglicht, IP/ / Ti -Probleme mit bis zu zehn Auftr¨agen optimal zu l¨osen. Azizoglu und Kirca (1998) stellen vor, wie mit Hilfe eines Branch & Bound-Verfahrens Probleme mit bis zu 15 Auftr¨agen in angemessener Zeit optimal gel¨ost werden k¨onnen. Dies erreichen sie durch eine Begrenzung des Branch & Bound-Verfahrens und der Anwendung verschiedener Dominanzprinzipien. Es gibt nur wenige Optimierungsmodelle zur L¨osung des IP/ /
Chen und Powell (1999a, b), Akker et al. (1999) und Devpura et al. (2007) verwenden ein ganzzahliges Optimierungsmodell zur L¨ osung der Probleme IP/ / Ti und IP/ / wi Ti mit Hilfe der Column Generation. Yalaoui und Chu (2002) haben ein kompliziertes Branch & Bound-Verfahren entwickelt, mit dem es m¨oglich ist, IP/ / Ti -Probleme mit bis zu 20 Auftr¨agen in angemessener Zeit zu l¨osen. Ein relativ neuer, ebenfalls komplizierter Branch & Bound-Algorithmus von Shim und Kim (2007), erm¨ oglicht es, bis zu 30 Auftr¨age innerhalb einer Stunde zu l¨osen. Die Ver¨offentlichungen in der Literatur l¨osen Ablaufplanungsprobleme nur bis zu einer begrenzten Anzahl an Auftr¨agen. Zu Problemen mit mehr als 30 Auftr¨agen gibt es bisher keine Optimierungsmodelle, die die sich in angemessener Zeit l¨osen lassen. Daher wird im Folgenden eine Auswahl bestehender Heuristiken vorgestellt. Heuristische Ans¨ atze zur L¨ osung des IP/ /
Ti -Problems
ur das Parallel-Maschinen-Problem mit der Im Gegensatz zum Ein-Maschinen-Fall34 gibt es f¨ Zielsetzung Minimierung der Versp¨atung aller Auftr¨age nur wenige leistungsstarke Heuristiken. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse bieten Sen et al. (2003), Shim und Kim (2007) und Tanaka und Araki (2008). Die erste Heuristik zur L¨osung des Parallel-Maschinen-Problems mit der Zielsetzung Minimierung der Versp¨atung aller Auftr¨age ist von Wilkerson und Irwin (1971) entwickelt worden. Im ersten Schritt ordnet diese Heuristik die unzugewiesenen Auftr¨age anhand der Earliest 34
Im Ein-Maschinen-Fall wurden f¨ ur die Zielsetzung Minimierung der Versp¨ atung aller Auftr¨ age bereits zahlreiche leistungsf¨ ahige Heuristiken entwickelt. Siehe Baker und Bertrand (1982), Holsenback und Rus¨ sell (1992), Panwalkar et al. (1993) und Panneerselvam (2006). Einen Uberblick der Literatur in diesem Bereich liefert Koulamas (1994).
Kapitel 3. Ablaufplanung
78
Due Date Regel (EDD)35 . Im zweiten Schritt werden die Auftr¨age den Maschinen nach folgenden Regeln zugewiesen: • Kann der Auftrag auf einer oder mehreren Maschinen vor dem Due Date fertig gestellt werden, so ist der Auftrag der Maschine zuzuweisen, auf der er so zeitnah wie m¨oglich am Due Date fertig gestellt wird. • Kann der Auftrag auf einer oder mehreren Maschinen nicht vor dem Due Date fertig gestellt werden, so ist der Auftrag der Maschine mit der geringsten Besch¨ aftigung zuzuweisen. Dogramaci und Surkis (1979) verwenden in ihrer Heuristik drei verschiedene Regeln zur Bestimmung der Auftragsfolge, n¨amlich EDD, Shortest Processing Time (SPT)36 und die Minimum Slack37 . Im ersten Schritt ordnet diese Heuristik die unzugewiesenen Auftr¨age anhand dieser Regeln, und es ergeben sich drei verschiedene Startsequenzen der unzugewiesenen Auftr¨age. Im zweiten Schritt werden die Auftr¨age nacheinander den Maschinen mit der geringsten Besch¨aftigung zugewiesen. Es ergeben sich drei verschiedene Ablaufpl¨ane. F¨ ur jeden der drei Ablaufpl¨ane werden im letzten Schritt die Maschinen einzeln betrachtet und optimiert. Das heißt, es wird f¨ ur jede Maschine die individuelle optimale Auftragsfolge wie in einem Ein-Maschinen-Problem bestimmt. Wie schon erw¨ahnt ist das Ein-Maschinen-Problem mit der Zielsetzung Minimierung der Versp¨atung aller Auftr¨age NP-schwer, so dass hier nur relativ kleine Probleme gel¨ost werden k¨onnen.38 F¨ ur einen sinnvollen Vergleich mit der neuen Heuristik sollen die drei besten existierenden Heuristiken herangezogen werden. Diese sind von Ho und Chang (1991), Alidaee und Rosa (1997) und Koulamas (1997) und werden im weiteren Verlauf detailliert vorgestellt. Ho und Chang (1991) entwickelten den so genannten Traffic-Priority-Index (TPI), der die Besch¨aftigung einer Werkstatt, einer Betriebsst¨atte oder einer Fertigungsstufe zur Bestimmung der Startsequenzen zugrunde legt. Um den Algorithmus genauer zu beschreiben, wird folgende Notation eingef¨ uhrt: p¯ d¯ K
35
durchschnittliche Bearbeitungsdauer durchschnittliches Due Date konstanter Faktor (in der Arbeit von Ho und Chang (1991) wird f¨ ur K der Wert Drei vorgeschlagen).
Die Anordnung der Auftr¨ age wird nach nicht abnehmenden Due Dates vorgenommen. Die Anordnung der Auftr¨ age wird nach nicht abnehmenden Bearbeitungsdauern vorgenommen. Die Anordnung der Auftr¨ age wird nach nicht abnehmender Differenz aus Due Date und Bearbeitungsdauer vorgenommen. 38 Sen et al. (2003) fassen diese Heuristiken in ihrer Arbeit zusammen. 36 37
3.2. Heuristik zur Ablaufplanung bei parallelen Maschinen
79
Folgende Berechnungen sind vor der Anwendung des TPI Algorithmus notwendig: T CR = p¯ · n/d¯ · m. TCR (Traffic Congestion Ratio) ist eine Kennziffer, die den Andrang der Auftr¨ age auf den Maschinen bewertet. Die Auspr¨agung dieser Kennzahl bestimmt dar¨ uber, ob die EDD, SPT oder eine Mischung aus beiden Regeln zur Erstellung der Startsequenz angewendet werden soll. Md = max {di }, 1≤i≤n
Mp = max {pi }. 1≤i≤n
Md und Mp beschreiben das maximale Due Date und die maximale Bearbeitungsdauer einer Instanz. K − T CR ,1 ,0 , Wd = max min 0, 5 + T CR Wp = 1 − Wd , Wd Wp + pi · ∀ i = 1, ..., n. Ri = d i · Md Mp Wd und Wp gewichten den Einsatz der Regeln EDD und SPT. Ist Wd beispielsweise aufgrund der hohen Maschinenbelastung (TCR) Null, so wird die SPT Regel angewendet. Ri weist daraufhin jedem Auftrag einen Wert zu. Die durch aufsteigende Sortierung dieser Werte entstehende Auftragsreihenfolge ist die TPI Startsequenz. Damit l¨asst sich der Algorithmus f¨ ur ein Parallel-Maschinen-Problem wie folgt beschreiben: Algorithmus TPI Schritt 0:
Die Auftr¨age sind gem¨aß der TPI Reihenfolge sortiert, das heißt ur i = 1, ..., n − 1. U = {1, ..., n} ist die Menge aller Ri ≤ Ri+1 f¨ unzugewiesenen Auftr¨age. Schritt 1: Nehme den Auftrag mit dem kleinsten Index der Menge U und weise ihn der ersten verf¨ ugbaren Maschine zu. Entferne den Auftrag aus der Menge U . Schritt 2: Wiederhole Schritt 1, bis die Menge U leer ist.
Aufgrund der Ber¨ ucksichtigung der Maschinenauslastungen bei der Bestimmung einer Startsequenz stellt dieser Algorithmus eine gute Startsequenz f¨ ur die in Kapitel 3.2.2 entwickelte Heuristik dar. Auf der anderen Seite vernachl¨assigt sie die Einhaltung der auftrags-
Kapitel 3. Ablaufplanung
80
individuellen Due Dates, wodurch sich unter Umst¨anden unzureichende Ablaufpl¨ane ergeben. Das nachfolgende Beispiel verdeutlicht diese Problematik. Beispiel 1: m = 2, n = 3
i
1
2
3
pi di
3 8
4 9
10 10
T CR = p¯ · n/d¯ · m = 17/18 Md = max {di } = 10 1≤i≤n
Mp = max {pi } = 10 1≤i≤n
K=3
K − T CR , 1 ,0 Wd = max min 0, 5 + T CR = max {min {0, 5 + 2, 18, 1} , 0} = 1 Wp = 1 − W d = 0 3 4 10 R1 = , R2 = , R3 = 10 10 10 Die Startreihenfolge des TPI Algorithmus lautet (1, 2, 3). Somit werden auf Basis des TPI Algorithmus die Auftr¨age 1 und 3 auf der ersten Maschine und Auftrag 2 auf Maschine 2 eingelastet. Die gesamte Versp¨atung bel¨auft sich auf 3 Zeiteinheiten. Diese Heuristik u ¨bersieht, dass der zweite Auftrag besser auf der schon besch¨aftigten Maschine 1 eingelastet werden sollte. Die gesamte Versp¨atung w¨ urde damit 0 Zeiteinheiten betragen. Die Zuweisung der Auftr¨age auf die Maschinen in Abh¨angigkeit des Due Dates wird im Gegensatz zu der Heuristik von Alidaee und Rosa (1997) durch die Heuristik von Ho und Chang (1991) nicht betrachtet. Alidaee und Rosa (1997) verwenden zur L¨ osung dieser Problematik die ModifiedDue-Dates(MDD)-Regel von Baker und Bertrand (1982). Sie erweitern die MDD-Regel auf das IP/ / Ti -Problem und entwickeln damit den folgenden MDD-Algorithmus: Algorithmus MDD Schritt 0:
Erstelle eine beliebige Liste an unzugewiesenen Auftr¨agen U = {1, ..., n}.
3.2. Heuristik zur Ablaufplanung bei parallelen Maschinen
81
Schritt 1: Cj f¨ ur j = 1, ..., m ist die Summe der Bearbeitungszeiten, die schon auf der Maschine j eingelastet wurden. Teile U auf in Uj1 und Uj2 f¨ ur alle j = 1, ..., m, so dass Uj1 = {i ∈ U : Cj + pi > di } und Uj2 = U − Uj1 = {i ∈ U : Cj + pi ≤ di }.
Schritt 2:
F¨ ur jede Maschine j = 1, ..., m werden die Mengen γj und λj wie folgt ermittelt:
γj =
i∈
Uj1
: pi = min1 {pk } k∈Uj
λj =
i∈
Uj2
und
: di = min2 {dk } . k∈Uj
Schritt 3: aj ist ein beliebiger Auftrag der Menge γj , und bj ist ein beliebiger Auftrag der Menge λj . W¨ahle einen Auftrag gj ∈ {aj , bj }, so dass δgj = min{Cj + paj , dbj } ∀j = 1, ..., m. Plane den Auftrag gl auf der letzten Position der Maschine l so ein, dass δgl = min1≤j≤m {δgj }. Entferne den Auftrag aus der Menge U . Schritt 4: Wiederhole Schritt 1-3, bis die Menge U leer ist. Dieser Algorithmus ber¨ ucksichtigt f¨ ur das Beispiel 1 die M¨oglichkeit, dass der zweite Auftrag ebenfalls auf der Maschine 1 eingelastet werden kann. Schritt 0: U = {1, 2, 3}. ur alle j = 1, 2. Schritt 1: Uj1 = {∅}, Uj2 = {1, 2, 3} f¨ Schritt 2: γj = ∅, λj = 1 f¨ ur alle j = 1, 2. Schritt 3: δg1 = 8, δg2 = 8; δgl = {δg1 , δg2 } = {8, 8}, somit ist l = 1. Der erste Auftrag wird auf Maschine 1 an der ersten Position eingelastet. Schritt 1: U11 = {3}, U12 = {2}, U21 = {∅}, U22 = {2, 3}. Schritt 2: γ1 = 2, λ1 = 3, γ2 = {∅}, λ2 = 2. Schritt 3: δg1 = 7, δg2 = 9; δgl = {δg1 , δg2 } = {7, 9}, somit ist l = 1. Der zweite Auftrag wird ebenfalls auf Maschine 1 an der zweiten Position eingelastet. Schritt 1: U11 = {3}, U12 = {∅}, U21 = {∅}, U22 = {3}. Schritt 2: γ1 = 3, λ1 = {∅}, γ2 = {∅}, λ2 = 3.
Kapitel 3. Ablaufplanung
82
Schritt 3: δg1 = 17, δg2 = 10; δgl = {δg1 , δg2 } = {17, 10}, somit ist l = 2. Der dritte Auftrag wird auf Maschine 2 an der ersten Position eingelastet. Schritt 4:
Ende.
Der MDD-Algorithmus verursacht eine gesamte Versp¨ atung in H¨ohe von Null. Es wird erst die sinnvolle Implementierung des jeweiligen Auftrags auf jeder Maschine gepr¨ uft und dann auf Basis der sinnvollen Implementierung eine Entscheidung getroffen, die hier zu einer optimalen L¨osung f¨ uhrt. Im Gegensatz zum TPI-Algorithmus wird das Due Date bei der Zuweisung der Auftr¨age auf die Maschine ber¨ ucksichtigt. Koulamas (1997) entwickelte den KPM-Algorithmus zur L¨ osung des IP/ / Ti -Problems. Dabei verwendet er die schon f¨ ur das Ein-Maschinen-Problem bekannte Heuristik von Panwalkar et al. (1993). Der PSK-Algorithmus f¨ ur das 1/ / Ti -Problem l¨asst sich wie folgt beschreiben: Algorithmus PSK Erstelle eine Liste an unzugewiesenen Auftr¨agen U = {1, ..., n}, wobei die Auftr¨age nach der SPT-Reihenfolge indiziert werden. Das heißt pi ≤ pi+1 f¨ ur alle i = 1, ..., n − 1. Falls pi = pi+1 , dann gilt di ≤ di+1 . Schritt 1: Falls die Menge U nur einen Auftrag beinhalten sollte, laste ihn an der letzten Position der Auftragsfolge S ein. Ansonsten w¨ahle den Auftrag i, der an erster Position in der Menge U steht. Schritt 2: Falls C + pi ≥ di , gehe zu Schritt 8.
Schritt 0:
Schritt 3: Schritt 4: Schritt 5: Schritt 6:
Schritt 7: Schritt 8:
Schritt 9:
W¨ahle den rechten Nachbar des Auftrags i in U und bezeichne ihn als h. Falls di ≤ C + ph , gehe zu Schritt 8. Falls di ≤ dh , gehe zu Schritt 7. Auftrag h wird zum Auftrag i. Falls dieser den letzten Auftrag der Menge U darstellt, gehe zu Schritt 8. Ansonsten gehe zur¨ uck zu Schritt 2. Falls h der letzte Auftrag in U ist, so gehe zu Schritt 8, ansonsten gehe zur¨ uck zu Schritt 3. Entferne Auftrag i aus der Menge U und setze ihn an die letzte Position der Auftragsfolge S. Erh¨ohe C um den Wert der Bearbeiuck zu Schritt 1. tungszeit pi und kehre zur¨ Berechne die Versp¨atungen f¨ ur die Auftragsfolge S und beende das Verfahren.
3.2. Heuristik zur Ablaufplanung bei parallelen Maschinen Die Modifikation und Erweiterungen von Koulamas (1997) zur L¨ osung des IP/ /
83
Ti -
Problems werden in dem folgenden Algorithmus dargestellt. Algorithmus KPM Schritt 0:
Erstelle eine Liste an unzugewiesenen Auftr¨agen, wobei die Auftr¨age nach der SPT-Reihenfolge indiziert werden. Generiere m Kopien dieser Reihenfolge und speichere sie in den Mengen Uj =
{1, ..., n} f¨ ur alle j = 1, ..., m. Berechne die Summe der Bearbeitungszeiten der bisher auf der jeur alle j = 1, .., m. Beweiligen Maschine eingelasteten Auftr¨age Cj f¨ stimme f¨ ur jede Maschine den Auftrag j, der laut PSK-Algorithmus auf der jeweiligen Maschine eingeplant werden soll. Schritt 2: Implementiere nur einen der m Planungsentscheidungen, deren Auswahl wie folgt durchgef¨ uhrt wird: Falls mindestens ein Auftrag j ohne Versp¨atungen eingelastet werden kann, dann w¨ahle die Planung, die den Auftrag so nah wie m¨ oglich an dessen Due Date positioniert (aus gleichen Planungen kann beliebig ausgew¨ahlt werden). Ansonsten w¨ahle die Planung, die die kleinste Versp¨atung ur alle j = 1, ..., m. verursacht. Entferne den Auftrag aus Uj f¨ Schritt 3: Wiederhole Schritt 1 und 2, bis die Mengen Uj f¨ ur alle j = 1, ..., m Schritt 1:
leer sind. Berechne die gesamte Versp¨atung dieser Planung. Auch dieser Algorithmus pr¨ uft wieder die M¨oglichkeiten der Planung eines Auftrags auf jeder Maschine und trifft anschließend die Entscheidung, auf welcher Maschine die Implementierung sinnvoll ist. F¨ ur das Beispiel 1 funktioniert der KPM-Algorithmus wie folgt: Schritt 0: U1 = {1, 2, 3}, U2 = {1, 2, 3}. ur m = 1: Schritt 1: C1 = 0, PSK f¨ Schritt 0: U1 = {1, 2, 3}. Schritt Schritt Schritt Schritt Schritt Schritt Schritt Schritt Schritt
1: 2: 3: 4: 5: 7: 3: 4: 8:
i = 1. 3 8. h = 2. 8 4. 8 ≤ 9. Zur¨ uck zu Schritt 3. h = 3. 8 ≤ 10. U1 = {2, 3}, Auftrag 1 auf Maschine 1 an der ersten Position.
Kapitel 3. Ablaufplanung
84 C2 = 0, PSK f¨ ur m = 2: ...
Schritt 8: U2 = {2, 3}, Auftrag 1 auf Maschine 2 an der ersten Position. Schritt 2:
Auftrag 1 auf Maschine 1 an der ersten Position. Uj = {2, 3} f¨ ur
alle j = 1, 2. Schritt 1: C1 = 3, PSK f¨ ur m = 1: Schritt 0: U1 = {2, 3}. Schritt 1: i = 2. Schritt 2: 7 9. Schritt 3: h = 3. Schritt 4: 9 ≤ 13. Schritt 8: U1 = {3}, Auftrag 2 auf Maschine 1 an der zweiten Position. ur m = 2: C2 = 0, PSK f¨ Schritt 0: U2 = {2, 3}. i = 2. 4 9. h = 3. 4 ≤ 10. U2 = {3}, Auftrag 2 auf Maschine 2 an der ersten Position. Auftrag 2 auf Maschine 1 an der zweiten Position. Uj = {3} f¨ ur alle
Schritt Schritt Schritt Schritt Schritt Schritt 2:
1: 2: 3: 4: 8:
j = 1, 2. Schritt 1: C1 = 7, PSK f¨ ur m = 1: Schritt 0: U1 = {3}. Schritt 1: Auftrag 3 auf Maschine 1 an der dritten Position. Schritt 9: Die Versp¨atung bel¨auft sich auf 7 Zeiteinheiten. ur m = 1: C1 = 7, PSK f¨ Schritt 0: U1 = {3}. Schritt 1: Auftrag 3 auf Maschine 2 an der ersten Position. Schritt 9: Die Versp¨atung bel¨auft sich auf 0 Zeiteinheiten. ur alle Schritt 2: Auftrag 3 auf Maschine 2 an der ersten Position. Uj = (∅) f¨ j = 1, 2. Schritt 3: Die Versp¨atung dieser Planung bel¨auft sich auf 0 Zeiteinheiten. Ende.
Die Vorteile der Heuristiken von Alidaee und Rosa (1997) und Koulamas (1997) liegen somit in der Pr¨ ufung der jeweiligen Auftr¨age auf allen Maschinen in Abh¨angigkeit ihrer Due
3.2. Heuristik zur Ablaufplanung bei parallelen Maschinen
85
Dates. Verglichen mit dem Rechenaufwand O(n) des TPI-Algorithmus f¨ uhrt diese Form der Algorithmen zu einer Erh¨ohung des Rechenaufwands auf O(mn2 ). Allerdings rechtfertigt sich dieser zus¨atzliche Rechenaufwand aufgrund einer erheblichen Verbesserung der heuristischen L¨osungen. Dies wird in Kapitel 3.2.3 anhand einer Analyse der experimentellen Ergebnisse verdeutlicht.
3.2.2
Heuristik f¨ ur das IP/ /
Ti -Problem
Die hier vorgestellte neue Heuristik ber¨ ucksichtigt ebenfalls das Due Date bei der Zuweisung der Auftr¨age auf die parallelen Maschinen. Jeder Auftrag wird auf jeder Maschine eingelastet und auf seine Versp¨atung hin untersucht. Durch den Vergleich verschiedener Auftragsfolgen wird eine sinnvolle und auch h¨aufig optimale Zuweisung vorgenommen. Um diese Aufgaben entsprechend zu erf¨ ullen, werden die Ergebnisse von Karg und Thompson (1964) herangezogen, die in der so genannten NEH-Heuristik von Nawaz et al. (1983) f¨ ur Flow-Shop-Probleme schon angewendet wurden. Der erste Schritt sieht wie folgt aus: Die ersten m Auftr¨age einer Liste unzugewiesener Auftr¨age werden gleichzeitig auf die Maschinen eingelastet. Dabei wird jede Kombination dieser Auftr¨age als eine vordefinierte erste Zuweisung verwendet. F¨ ur zwei Maschinen m = 2 werden somit folgende Startzuweisungen betrachtet: • S1 = (1), S2 = (2) und • S1 = (1, 2), S2 = ( ). F¨ ur m = 3 werden folgende Startzuweisungen ber¨ ucksichtigt: • S1 = (1), S2 = (2), S3 = (3), • S1 = (1, 2), S2 = (3), S3 = ( ), • S1 = (1, 3), S2 = (2), S3 = ( ), • S1 = (2, 3), S2 = (1), S3 = ( ) und • S1 = (1, 2, 3), S2 = ( ), S3 = ( ). Und so weiter. Die Anzahl an Startzuweisungen, A(·), h¨angt von m ab:
A(m) = 1 +
m max{0,m−j−1}
m−i j=2
i=0
j
.
Behauptung 1: Die Anzahl m¨oglicher Startzuweisungen A(m) wird begrenzt durch (2m)m /m!.
Kapitel 3. Ablaufplanung
86 Beweis:
Die Beschr¨ankung der Anzahl der Startzuweisungen ist a¨hnlich der Anzahl der Kombinationen, in denen identische Kugeln auf identische Urnen verteilt werden. In dem hier gezeigten Fall stellen die Kombinationen S1 = (1, 2), S2 = ( ) and S1 = ( ), S2 = (1, 2) die gleiche Verteilung der Kugeln auf die Urnen beziehungsweise Maschinen dar. Unter der Annahme, dass die Urnen unterschiedlich sind, ergibt sich eine Anzahl an Kombinationen in H¨ohe von 2m−1 . Somit gilt, dass m−1
A(m) ≤
(2m)m 2m − 1 (2m − 1) · (2m − 2) · ... · (2m − m) ≤ . = m! m! m−1
Der Anstieg von A(m) l¨asst sich durch die folgenden Beispiele zeigen: A(2) = 2, A(3) = 5, A(4) = 15, A(5) = 40, ..., A(10) = 1974. F¨ ur die Experimente im n¨achsten Abschnitt stellen die Startzuweisungen keine erheblichen Erh¨ohungen der Rechenzeiten dar. F¨ ur jeden der A(m) Startzuweisungen wird eine vollst¨andige Planung mit Hilfe der Heuristik durchgef¨ uhrt. Dabei wird ein Auftrag nach dem anderen einer der m Maschinen zugewiesen. Der erste noch nicht zugewiesene Auftrag wird einer Position auf der Maschine zugeordnet, die die geringste bis dahin ermittelte gesamte Versp¨atung erzeugt. Dabei wird die bisherige Reihenfolge auf den Maschinen beibehalten. Ist zum Beispiel der Auftrag a vor dem Auftrag b eingelastet, so werden die folgenden Reihenfolgen f¨ ur den neu zuzuweisenden Auftrag i betrachtet: (a, b, i), (i, a, b) und (a, i, b). Auf Basis der bisher durchgef¨ uhrten Diskussion wird die grundlegende Form der BHG Heuristik vorgestellt: Algorithmus BHG Gegeben ist eine Liste mit n Auftr¨agen. Generiere alle m¨oglichen A(m) Startzuweisungen: sa1 , sa2 , ..., saA(m) . Setze k = 1. Schritt 1: Definiere U = {m + 1, ..., n} als die Menge aller unzugewiesenen Auftr¨age. sak ist die aktuelle Planung.
Schritt 0:
3.2. Heuristik zur Ablaufplanung bei parallelen Maschinen Schritt 2:
87
Nimm den Auftrag mit dem kleinsten Index der Menge U und laste ihn optimal in die aktuelle Planung ein, ohne dabei die bisherige Reihenfolge der Auftr¨age zu ver¨andern. Der neue Auftrag wird
zuerst an die letzte Position der Maschine 1, dann an die erste, zweite, ... und vorletzte Position der Maschine 1 eingelastet. Dieses Vorgehen gilt f¨ ur alle m Maschinen. Es wird die Reihenfolge mit der geringsten gesamten Versp¨atung als neuer aktueller Plan u ¨bernommen. Im Fall gleicher gesamter Versp¨atungen wird die erste berechnete Auftragsfolge verwendet. Entferne den Auftrag aus der Menge U . Schritt 3: Wiederhole Schritt 2, bis die Menge U leer ist. Schritt 4: Speicher die L¨osung (Planung und Versp¨atung) der Planung k. k = k + 1. Falls k < A(m), gehe zur¨ uck zu Schritt 1; andernfalls w¨ahle das beste Ergebnis aus den A(m) L¨osungen und beende den Algorithmus.
Der Rechenaufwand f¨ ur diesen Algorithmus l¨asst sich wie folgt herleiten: nj ist die Anzahl der Auftr¨age, die auf Maschine j eingelastet sind. Im zweiten Schritt wird jeder Auftrag folgenden Positionen auf der Maschine j zugewiesen. Die Anzahl der m¨oglichen Positionen l¨asst sich berechnen durch: (n1 + 1) + (n2 + 1) + ... + (nm + 1) = m + m j=1 nj . Damit ist in diesem Schritt die Heuristik durch die gesamte Anzahl an zu pr¨ ufenden Ablaufpl¨anen ur alle j = 1, ..., m ist der Auf(n − m)(m + m j=1 nj ) polynomial begrenzt. Mit nj < n f¨ wand f¨ ur die Berechnung in Schritt 2 im schlechtesten Fall durch O(mn2 ) begrenzt. Somit ergibt sich f¨ ur den gesamten Rechenaufwand des BHG-Algorithmus im schlechtesten Fall ur eine fixe Anzahl O(A(m)mn3 ) = O((2m)m n3 /m!). Der folgende Beweis wird zeigen, dass f¨ an Maschinen der BHG-Algorithmus polynomial begrenzt ist. Behauptung 2: F¨ ur eine fixe Anzahl an Maschinen ist die BHG Heuristik polynomial begrenzt. Beweis: Aus der Behauptung 1 ergibt sich eine obere Grenze f¨ ur die Anzahl an Startzuweisungen A(m), die nicht von der Anzahl der Auftr¨age abh¨angt. Somit l¨asst sich der Rechenaufwand bei einer fixen Anzahl an Maschinen auf O(n3 ) reduzieren. Diese Reduktion f¨ uhrt zu der Aussage, dass die BHG Heuristik f¨ ur eine gegebene Anzahl an Maschinen polynomial durch die Menge an Auftr¨agen begrenzt ist.
Kapitel 3. Ablaufplanung
88
Die Implementierung der BHG Heuristik erfordert eine Startliste, die als Initialisierung f¨ ur den Algorithmus notwendig ist. F¨ ur die hier vorgestellte Heuristik werden die folgenden drei Startlisten verwendet: 1. Die Auftr¨age werden nach der EDD Reihenfolge indiziert, das heißt, di ≤ di+1 f¨ ur i = 1, ..., n − 1. Falls di = di+1 , dann gilt pi ≥ pi+1 . 2. Die Auftr¨age werden nach der Minimum Slack Reihenfolge indiziert, das heißt, di −pi ≤ ur i = 1, ..., n − 1. Falls di − pi = di+1 − pi+1 , dann gilt di ≤ di+1 . Falls di+1 − pi+1 f¨ di = di+1 , dann gilt pi ≥ pi+1 . 3. Die Auftr¨age werden nach der TPI Reihenfolge indiziert, die im TPI-Algorithmus verwendet wurde. Das heißt, Ri ≤ Ri+1 f¨ ur i = 1, ..., n − 1. Ri = Ri+1 , dann gilt di ≤ di+1 . Falls di = di+1 , dann gilt pi ≥ pi+1 . Da jede dieser Listen mit dem BHG-Algorithmus verbunden wird, werden die Heuristiken wie folgt abgek¨ urzt: BHG-EDD, BHG-Sla und BHG-TPI. In den bisher vorgestellten BHG Heuristiken a¨ndert sich die Reihenfolge der noch nicht zugewiesenen Auftr¨age in keiner Iteration. Die Menge der unzugewiesenen Auftr¨age ber¨ ucksichtigt damit nicht die sich ver¨andernden Besch¨aftigungssituationen der Maschinen, nachdem ein Auftrag zugewiesen wurde. Diese Eigenschaft ist die St¨arke des MDD-Algorithmus, der in den zweiten Schritt des BHG-Algorithmus integriert wird. Dieser modifizierte Algorithmus wird im Weiteren mit BHG-MDD abgek¨ urzt. Algorithmus BHG-MDD Schritt 0:
Die Auftr¨age werden nach der EDD Reihenfolge indiziert, das heißt, ur i = 1, ..., n − 1. Falls di = di+1 , dann gilt pi ≥ pi+1 . di ≤ di+1 f¨ Generiere mit Hilfe dieser Liste alle A(m) m¨oglichen Startzuweisungen: sa1 , sa2 , ..., saA(m) . Setze k = 1. Schritt 1: Definiere U = {m + 1, ..., n} als die Menge aller unzugewiesenen Auftr¨age. sak ist die aktuelle Planung. Schritt 2:
F¨ uhre die Schritte 2.1 bis 2.4 wie folgt durch. Schritt 2.1: Cj f¨ ur j = 1, ..., m ist die Summe der Bearbeitungszeiten, die schon auf der Maschine j eingelastet wurur alle j = 1, ..., m, so den. Teile U auf in Uj1 und Uj2 f¨ dass Uj1 = {i ∈ U : Cj + pi > di } und Uj2 = U − Uj1 = {i ∈ U : Cj + pi ≤ di }.
3.2. Heuristik zur Ablaufplanung bei parallelen Maschinen Schritt 2.2:
89
F¨ ur jede Maschine j = 1, ..., m werden die Mengen γj und λj wie folgt ermittelt:
γj =
i ∈ Uj1 : pi = min1 {pk }
λj =
k∈Uj
und
i ∈ Uj2 : di = min2 {dk } . k∈Uj
Schritt 2.3: aj ist ein beliebiger Auftrag der Menge γj , und bj ist ein beliebiger Auftrag der Menge λj . W¨ahle einen Auftrag gj ∈ {aj , bj }, so dass δgj = min{Cj + paj , dbj } ∀j = 1, ..., m.
Schritt 2.4:
W¨ahle gl so, dass δgl = min1≤j≤m {δgj }. Nimm den Auftrag gl und laste ihn optimal in die aktuelle Auftragsfolge ein, ohne dabei die bisherige Reihenfolge der Auftr¨age zu ver¨andern. Der neue Auftrag wird zuerst an die letzte Position der Maschine 1, dann an die erste, zweite, ... und vorletzte Position der Maschine 1 eingelastet. Dieses Vorgehen gilt f¨ ur alle m Maschinen. Es wird die Reihenfolge mit der geringsten gesamten Versp¨atung als aktueller Plan u ¨bernommen. Im Fall gleicher gesamter Versp¨atungen wird die erste berechnete Planung verwendet. Entferne den Auftrag gl aus der Menge U .
Falls die Menge U leer ist, gehe zu Schritt 4; andernfalls gehe zur¨ uck zu Schritt 2. Schritt 4: Speicher die L¨osung (Planung und Versp¨atung) der Planung k. k = k + 1. Falls k < A(m), gehe zur¨ uck zu Schritt 1; andernfalls w¨ahle das beste Ergebnis aus den A(m) L¨osungen und beende den Algorithmus.
Schritt 3:
Da die Auswahl des Auftrags in Schritt 2 zu einem Rechenaufwand von O(m) f¨ uhrt, ist hier der Rechenaufwand f¨ ur den schlechtesten Fall gleich dem Aufwand des BHG-Algorithmus O(A(m)mn3 ) = O((2m)m n3 /m!). Das oben eingef¨ uhrte Beispiel 1 aus drei Auftr¨agen und zwei Maschinen l¨ost dieser Algorithmus ebenfalls optimal. Die Betrachtung einer solchen kleinen Instanz f¨ uhrt schon durch die Verwendung der Startzuweisungen zu sehr guten Ergebnissen. Um die Funktionsweise
Kapitel 3. Ablaufplanung
90
dieses Algorithmus zu verdeutlichen, wird an dieser Stelle das Beispiel 2 betrachtet. Beispiel 2: m = 2, n = 5
i
1
2
3
4
5
pi di
2 6
2 8
9 10
4 10
8 13
Schritt 0: A(2) = 2: sa1 : S1 = (1) und S2 = (2); sa2 : S1 = (1, 2) und S2 = ( ). k = 1. Schritt 1: U = {3, 4, 5}, sa1 ist die aktuelle Planung. Schritt 2.1: C1 = C2 = 2, U11 = {3}, U12 = {4, 5} und U21 = {3}, U22 = {4, 5}. Schritt 2.2: γ1 = 3, λ1 = 4 und γ2 = 3, λ2 = 4. Schritt 2.3: δg1 = min{11, 10} und δg2 = min{11, 10}, somit ist g1 = g2 = 4 und damit gl = g1 = 4. Schritt 2.4: Berechne die Versp¨atungen f¨ ur folgende Planungen: • S1 = (1, 4), S2 = (2) : • S1 = (4, 1), S2 = (2) : • S1 = (1), S2 = (2, 4) : • S1 = (1), S2 = (4, 2) :
Ti = 0.
i∈(S1 ,S2 )
Ti = 0.
i∈(S1 ,S2 )
Ti = 0.
i∈(S1 ,S2 )
Ti = 0.
i∈(S1 ,S2 )
Alle Kombinationen haben die geringste Versp¨ atung. Hier wird die erste Kombination als aktuelle Planung weiterverwendet. Schritt 3: Da U = {3, 5} = {}, wiederhole Schritt 2. Schritt 2.1: C1 = 6, C2 = 2, U11 = {3, 5}, U12 = {∅} und U21 = {3}, U22 = {5}. Schritt 2.2: γ1 = 5, λ1 = ∅ und γ2 = 3, λ2 = 5. Schritt 2.3: δg1 = min{14} und δg2 = min{11, 13}, somit ist g1 = 5 und g2 = 3, damit gl = g2 = 3.
3.2. Heuristik zur Ablaufplanung bei parallelen Maschinen Schritt 2.4:
91
Berechne die Versp¨atungen f¨ ur folgende Planungen: • S1 = (1, 4, 3), S2 = (2) : • S1 = (3, 1, 4), S2 = (2) : • S1 = (1, 3, 4), S2 = (2) : • S1 = (1, 4), S2 = (2, 3) : • S1 = (1, 4), S2 = (3, 2) :
Ti = 5.
i∈(S1 ,S2 )
Ti = 10.
i∈(S1 ,S2 )
Ti = 6.
i∈(S1 ,S2 )
Ti = 1.
i∈(S1 ,S2 )
Ti = 3.
i∈(S1 ,S2 )
Hier wird die vierte Kombination als aktuelle Planung weiter verwendet. Schritt 3: Da U = {5} = {}, wiederhole Schritt 2. Schritt 2.1: C1 = 6, C2 = 11, U11 = {5}, U12 = {∅} und U21 = {5}, U22 = {∅}. Schritt 2.2: γ1 = 5, λ1 = ∅ und γ2 = 5, λ2 = ∅. Schritt 2.3: δg1 = min{14} und δg2 = min{19}, somit ist g1 = g2 = 5 und damit gl = g1 = 5. Schritt 2.4:
Berechne die Versp¨atungen f¨ ur folgende Planungen: • S1 = (1, 4, 5), S2 = (2, 3) : • S1 = (5, 1, 4), S2 = (2, 3) : • S1 = (1, 5, 4), S2 = (2, 3) : • S1 = (1, 4), S2 = (2, 3, 5) : • S1 = (1, 4), S2 = (5, 2, 3) : • S1 = (1, 4), S2 = (2, 5, 3) :
Ti = 2.
i∈(S1 ,S2 )
Ti = 7.
i∈(S1 ,S2 )
Ti = 5.
i∈(S1 ,S2 )
Ti = 7.
i∈(S1 ,S2 )
Ti = 13.
i∈(S1 ,S2 )
Ti = 9.
i∈(S1 ,S2 )
Hier wird die erste Kombination als aktuelle Planung weiterverwendet. Schritt 3: Da U = {∅} = {}, gehe zu Schritt 4. Schritt 4: Speicher S1 = (1, 4, 5), S2 = (2, 3) mit ni=1 Ti = 2. Da k = 2 ≤ 2 = A(2), gehe zu Schritt 1. Schritt 1: U = {3, 4, 5}, sa2 ist die aktuelle Planung.
Kapitel 3. Ablaufplanung
92
Schritt 2.1: C1 = 4, C2 = 0, U11 = {3}, U12 = {4, 5} und U21 = {∅}, U22 = {3, 4, 5}. Schritt 2.2: Schritt 3: Schritt 4:
...
Da U = {∅} = {}, gehe zu Schritt 4. Speicher f¨ ur k=2: S1 = (1, 2, 4, 5), S2 = (3) mit i∈S1 ,S2 Ti = 3. Da k = 3 ≥ 2 = A(2), w¨ahle das beste Ergebnis der A(m) L¨osungen: k = 1 mit S1 = (1, 4, 5), S2 = (2, 3) und i∈(S1 ,S2 ) Ti = 2. Ende.
Die gefundene L¨osung der Heuristik entspricht der optimalen L¨osung dieser Instanz.
3.2.3
Experimenteller Vergleich
Zur weiteren Analyse wird auf Basis von Experimenten die hier eingef¨ uhrte BHG Heuristik mit den drei bisher besten Heuristiken verglichen. Dabei werden die Heuristiken untereinander f¨ ur kleine (≤ 10 Auftr¨age), mittlere (10 bis 50 Auftr¨ age) und große (> 50 Auftr¨age) Instanzen bewertet und dar¨ uber hinaus kleinen Instanzen der optimalen L¨osung gegen¨ ubergestellt. Die bisher besten bekannten Heuristiken sind von Ho und Chang (1991) (TPI), Alidaee und Rosa (1997) (MDD) und Koulamas (1997) (KPM), die in Abschnitt 3.2.1 ausf¨ uhrlich beschrieben wurden. Um diese Analyse zu verwirklichen, wurden die Algorithmen in Pascal programmiert und mit Hilfe eines Pentium Core 2 Duo Computers (1,7 GHz) mit 2048 MB Arbeitsspeicher angewendet. Zuerst wird erl¨autert, wie die Experimente durchgef¨ uhrt beziehungsweise wie die zum Vergleich herangezogenen Instanzen generiert wurden.
Generierung der Instanzen Zur Generierung der Instanzen wird der lineare kongruente Zufallszahlengenerator von Lehmer (1951) verwendet. Dieser Algorithmus basiert auf linearen Rechenoperationen, ausgehend von einem Startseed, der Zahlen eines bestimmten Intervalls ausgibt. Der Vorteil eines kongruenten Generators liegt darin, dass er f¨ ur bestimmte Parameter immer wieder dieselbe Instanz ausgibt. Dies f¨ uhrt zu einem sinnvollen Vergleich der Heuristiken. Zur Bestimmung der Instanzen werden zwei Startseeds verwendet: Einer f¨ ur die Ermittlung der Bearbeitungszeiten (3.794.612) und einer f¨ ur die Bestimmung der Due Dates (1.794.612). Die Startseeds werden je nach dem zu betrachteten Problem variiert. Beispielsweise lautet der Startseed bei der zweiten Probleminstanz mit 50 Auftr¨agen 3.794.612+2+50 und 1.794.612+2+50. Dabei sei darauf hingewiesen, dass die Startseeds nicht von der Anzahl der Maschinen abh¨angen. Diese Vorgehensweise f¨ uhrt zu einer besseren Vergleichbarkeit bei derselben Probleminstanz auf mehreren Maschinen (das Problem wird einfacher, je mehr Maschinen vorhanden sind). Die Schwierigkeit eines Problems h¨angt nicht nur von der Anzahl der Auftr¨ age und Maschinen ab, sondern auch vom Intervall der Bearbeitungszeit sowie der relativen Knappheit der Due Dates. Die Bearbeitungszeiten werden bei der Generierung der Daten aus dem Intervall
3.2. Heuristik zur Ablaufplanung bei parallelen Maschinen
93
[1, pmax ] mit pmax ∈ {10, 99} erzeugt. In Anlehnung an Hariri und Potts (1989) ergeben sich die Due Dates aus dem folgenden Intervall:
di = pi + π, mit π ∼ RD αP , βP und P =
n
pi /m ,
(3.12)
i=1
wobei x (x ) die niedrigste (h¨ochste) ganze Zahl gr¨oßer (kleiner) oder gleich x ist. Das Symbol π ∼ RD[1, x] bedeutet, dass alle ganzzahligen Werte dieses Intervalls [1, x] gleich wahrscheinlich sind. Um sicherzustellen, dass die Auftr¨age zu Beginn der Planungsphase rechtzeitig fertiggestellt werden k¨onnen, werden die Due Dates nicht kleiner als die Bearbeitungszeit eines Auftrags sein. Due Dates, die unm¨oglich erf¨ ullt werden k¨onnen, sind schwer zu rechtfertigen. F¨ ur gew¨ohnlich werden Key-Accounter oder sonstige Vertriebspersonen einem Kunden nur einen Termin versprechen, wenn dieser zu erreichen ist. Dies ist vor allem dann notwendig, wenn der Kunde die Bearbeitungszeit des Auftrags kennt oder ann¨ahernd absch¨atzen kann. Allerdings besch¨aftigen Unternehmen oft Teams aus mehreren Vertriebspersonen. Diese verhandeln bis zu einem gewissen Grad selbstst¨andig mit den Kunden. Falls die Kunden darauf dr¨angen, fr¨ uhere Due Dates zu erhalten, kann es zu der Situation kommen, dass jeder Auftrag zwar ein sinnvolles Due Date besitzt, aber alle Auftr¨age zusammen nur mit Versp¨atung produziert werden k¨ onnen. Die hier verwendete Gleichung (3.12) spiegelt die beschriebenen Aspekte wieder. Die Bildung des Intervalls erm¨oglicht es, u ¨ber die Parameter α und β bestimmte Situationen f¨ ur eine Ablaufplanung zu schaffen. Je kleiner α und β sind, desto st¨arker scheinen die Kunden auf fr¨ uhere Due Dates zu beharren. Oder die Verhandlungsposition der Unternehmen l¨asst es nicht zu, dass der Preis gesenkt wird und daher m¨ ussen andere Eingest¨andnisse gemacht werden. Zur Durchf¨ uhrung der verschiedenen experimentellen Analysen werden f¨ ur diese Parameter folgende Werte angenommen: α ∈ {0, 0.2, 0.4, 0.6} und β ∈ {0.2, 0.4, 0.6, 0.8}, wobei α < β. Effektivit¨ at der Heuristiken f¨ ur kleine Probleme Das in Abschnitt 3.2.1 gezeigte gemischt-ganzzahlige lineare Optimierungsmodell erm¨oglicht die L¨osung von Problemen mit bis zu 10 Auftr¨agen unter 15 Minuten. Um die Effek tivit¨at der Heuristiken zur L¨osung des IP/ / Ti -Problems zu analysieren und zu vergleichen, werden an dieser Stelle die kleinen Probleme verwendet. Da ein relativer Vergleich der einzelnen Instanzen bei einer optimalen Versp¨atung von Null zu einem ung¨ ultigen Wert f¨ uhren kann, werden zur Veranschaulichung der Abweichung von der optimalen L¨osung die Ergebnisse aller Instanzen v = (1, ..., n ¯ (n,m,pmax ) ) eines spezifischen Problems zusammengefasst. Ein spezifisches Problem wird hier durch die Auftrags-MaschinenPaarung n und m sowie durch pmax beschrieben.39 Die Effektivit¨at einer Heuristik H ∈ 39
Dar¨ uber hinaus w¨ are es auch m¨oglich, die Due-Date-Parameter-Konstellation (α, β) als ein spezifisches Problem zu betrachten.
Kapitel 3. Ablaufplanung
94
{BHG-Sla, BHG-TPI, BHG-EDD, BHG-MDD, MDD, KPM, TPI} f¨ ur ein spezifisches Problem (n, m, pmax ) l¨asst sich u ¨ ber die Abweichung zur optimalen L¨osung (Optimality Gap, OG) wie folgt berechnen:
n ¯ (n,m,pmax )
TvH
−
n ¯ (n,m,pmax )
v=1
OGH (n,m,pmax ) =
TvO
v=1 n ¯ (n,m,pmax )
· 100,
(3.13)
TvO
v=1
wobei TvH die gesamte Versp¨atung einer Instanz v, errechnet durch eine Heuristik H, und osung einer Instanz v darstellt. Die Terme TvO die gesamte Versp¨atung der optimalen L¨ n¯ (n,m,pmax ) O n¯ (n,m,pmax ) H Tv und v=1 Tv in Gleichung 3.13 stellen die Summe aller Versp¨atunv=1 gen der Instanzen eines spezifischen Problems dar. Die Ermittlung von TvO f¨ ur die jeweilige Instanz wird mit Hilfe des Optimierungsmodells MILP und der Software LINGO 10.0 durchgef¨ uhrt. Die Tabelle 3.2 zeigt s¨amtliche Werte von OGH (n,m,pmax ) einer Heuristik H. pmax
m
BHG-Sla
BHG-TPI
BHG-EDD
BHG-MDD
MDD
KPM
TPI
10
2 3 4 5 ∅
6.00 8.40 8.88 20.11 10.85
4.53 4.99 6.35 4.23 5.03
5.65 4.72 7.87 4.23 5.63
3.47 4.33 5.08 6.35 4.81
5.29 12.34 22.34 63.49 25.87
9.71 17.06 29.19 84.13 35.02
9.82 11.68 22.08 11.64 13.81
2 3 99 4 5 ∅ Gesamt-∅
5.76 8.83 13.06 8.04 8.92 9.89
3.69 4.93 9.80 11.41 7.46 6.24
4.20 4.67 9.68 11.75 7.58 6.60
2.87 4.97 10.16 12.03 7.51 6.16
5.04 12.58 24.39 53.29 23.83 24.85
11.40 21.61 31.37 74.82 34.80 34.91
8.30 12.42 23.45 18.49 15.67 14.74
Tabelle 3.2: Prozentuale Abweichung vom Optimum f¨ ur n = 10
Auf Basis der durchschnittlichen Abweichungen vom Optimum OGH (n,m,pmax ) lassen sich folgende Beobachtungen ableiten: • Bezogen auf die gesamten durchschnittlichen Versp¨atungen erzielt jede der neu eingef¨ uhrten Heuristiken bessere Ergebnisse als die drei besten bisher existierenden Heuristiken. Allerdings zeigt die Tabelle 3.2 auch, dass f¨ ur bestimmte spezifische Probleme die existierenden Heuristiken (MDD, KPM, TPI) besser als der BHG-Sla-Algorithmus sind. • Die Erh¨ohung der Intervalll¨ange bei den Bearbeitungszeiten f¨ uhrt zu keinen ungew¨ohnlichen Ver¨anderungen in den Vergleichen der Heuristiken.
3.2. Heuristik zur Ablaufplanung bei parallelen Maschinen
95
• Der BHG-MDD-Algorithmus zeigt eine h¨ohere Effektivit¨at in der Ermittlung einer optimalen L¨osung als die anderen sechs zum Vergleich herangezogenen Heuristiken. • Die neuen Heuristiken BHG-TPI und BHG-EDD sind ¨ahnlich leistungsstark. Dadurch, dass bei bestimmten spezifischen Problemen mal der eine oder andere Algorithmus besser ist, l¨asst sich keine Aussage u ¨ber den Vorzug einer der beiden Heuristiken vornehmen. • Die Effektivit¨at aller Heuristiken nimmt mit einer steigenden Anzahl an Maschinen ab. • Eine Rangfolge40 auf Basis der hier ermittelten Ergebnisse l¨asst sich wie folgt darstellen: BHG-MDD, (BHG-TPI, BHG-EDD), BHG-Sla, MDD, TPI und KPM. • Der KPM-Algorithmus ist somit der schlechteste Algorithmus zur Ermittlung einer optimalen L¨osung bei kleinen Instanzen. Effektivit¨ at der Heuristiken f¨ ur mittlere und große Probleme Da f¨ ur mittlere und große Algorithmen keine sinnvolle M¨ oglichkeit besteht, optimale Ergebnisse herzuleiten, werden die Heuristiken anhand der besten Ergebnisse aus den sieben vorhandenen Algorithmen verwendet. F¨ ur jedes spezifische Problem wird daher die Kennzahl (Performance Gap) wie folgt ermittelt: P GH (n,m,pmax )
n ¯ (n,m,pmax )
P GH (n,m,pmax ) =
TvH
−
n ¯ (n,m,pmax )
v=1
TvB
v=1 n ¯ (n,m,pmax )
· 100,
TvB
v=1
wobei TvH die ermittelte gesamte Versp¨atung durch Heuristik H darstellt und TvB = min{TvH n¯ (n,m,pmax ) H n¯ (n,m,pmax ) B ∀ H} symbolisiert. Die Summen v=1 Tv und v=1 Tv sind wiederum die addierten Versp¨atungen der Instanzen eines spezifischen Problems. Die Tabellen 3.3 und 3.4 bilden die durchschnittlichen Werte der Kennzahl P GH (n,m,pmax ) ab. Dabei werden in der Tabelle
3.3 die Ergebnisse der Instanzen basierend auf einem Bearbeitungsintervall von p ∈ [1, 10] und in Tabelle 3.4 die Werte des Intervalls p ∈ [1, 99] gezeigt.
Auf Basis der durchschnittlichen Abweichungen P GH (n,m,pmax ) lassen sich folgende Beobachtungen ableiten: • Im Durchschnitt erzielen die BHG Heuristiken bessere Ergebnisse als die drei bisher existierenden Algorithmen. Allerdings basieren diese Durchschnittswerte auf besonders 40
Vom besten bis zum schlechtesten durchschnittlichen OGH (n,m,pmax ) -Wert.
Kapitel 3. Ablaufplanung
96 m
n
BHG-Sla
BHG-TPI
BHG-EDD
BHG-MDD
MDD
KPM
TPI
2
10 25 50 100 150 200 ∅
4.65 3.20 1.89 1.13 0.95 0.80 2.10
3.19 1.71 1.87 2.41 2.46 2.71 2.39
4.30 2.40 1.53 0.90 0.79 0.65 1.76
2.15 0.59 0.62 0.41 0.50 0.41 0.78
3.95 0.97 0.74 0.49 0.55 0.44 1.19
8.30 2.11 1.20 1.41 1.60 1.35 2.66
8.42 10.29 11.64 14.80 15.22 15.42 12.63
3
10 25 50 100 150 200 ∅
7.27 4.14 2.44 1.61 1.38 0.99 2.97
3.90 1.99 1.62 2.03 2.01 2.15 2.28
3.64 2.44 1.83 1.23 1.14 0.79 1.85
3.25 0.39 0.35 0.41 0.53 0.39 0.89
11.17 1.06 0.57 0.50 0.61 0.44 2.39
15.84 2.48 1.14 1.29 1.85 1.58 4.03
10.52 8.81 10.40 13.87 14.48 14.80 12.15
4
10 25 50 100 150 200 ∅
5.93 4.82 2.61 1.76 1.67 1.27 3.01
3.46 2.86 1.57 1.78 1.82 1.93 2.24
4.94 4.02 2.54 1.54 1.37 1.09 2.58
2.22 0.78 0.27 0.30 0.46 0.41 0.74
19.01 2.25 0.75 0.55 0.64 0.53 3.96
25.68 3.78 1.28 1.32 1.75 1.57 5.90
18.77 8.44 9.44 12.81 13.84 14.30 12.93
5
10 25 50 100 150 200 ∅
18.23 4.39 3.15 2.11 1.79 1.48 5.19
2.60 2.41 1.82 1.75 1.68 1.73 2.00
2.60 3.92 3.04 1.76 1.64 1.26 2.37
4.69 1.07 0.22 0.21 0.44 0.40 1.17
60.94 3.58 0.88 0.57 0.63 0.57 11.20
81.25 5.67 1.07 1.16 1.58 1.57 15.39
9.90 8.26 8.73 12.21 13.15 13.84 11.02
Gesamt-∅
3.32
2.23
2.14
0.90
4.69
7.00
12.18
Tabelle 3.3: Prozentuale Abweichung von der besten Heuristik f¨ ur pmax = 10
guten Ergebnissen f¨ ur die Probleme mit 10 und 25 Auftr¨ agen. W¨ urden diese Ergebnisse nicht ber¨ ucksichtigt, so erzielt der MDD-Algorithmus bessere L¨osungen als die Heuristiken BHG-Sla, BHG-TPI und BHG-EDD. • Die Erh¨ohung der Intervalll¨ange bei den Bearbeitungszeiten f¨ uhrt zu keinen ungew¨ohnlichen Ver¨anderungen in den Vergleichen der Performance Gaps. • Die hier vorgestellte BHG-MDD Heuristik ist effektiver als die restlichen sechs Algorithmen. Ignoriert man die Ergebnisse aus den Problemen mit 10 Auftr¨agen, so ist der MDD-Algorithmus nicht weit von der Qualit¨ at des BHG-MDD entfernt. • Eine Rangfolge41 auf Basis der hier ermittelten Ergebnisse l¨asst sich wie folgt darstellen: BHG-MDD, BHG-EDD, BHG-TPI, BHG-Sla, MDD, KPM und TPI. Jedoch f¨uhrt eine 41
Vom besten bis zum schlechtesten durchschnittlichen P GH (n,m,pmax ) -Wert.
3.2. Heuristik zur Ablaufplanung bei parallelen Maschinen
97
m
n
BHG-Sla
BHG-TPI
BHG-EDD
BHG-MDD
MDD
KPM
TPI
2
10 25 50 100 150 200 ∅
4.55 2.85 2.12 1.19 1.09 0.84 2.11
2.51 1.99 1.93 2.48 2.66 2.88 2.41
3.01 2.15 1.33 0.86 0.83 0.63 1.47
1.69 0.49 0.44 0.33 0.43 0.36 0.62
3.84 0.88 0.59 0.37 0.48 0.40 1.09
10.13 2.39 1.34 1.12 1.55 1.31 2.97
7.07 10.29 11.78 15.24 15.87 16.11 12.73
3
10 25 50 100 150 200 ∅
7.28 3.80 2.46 1.54 1.42 1.07 2.93
3.43 2.10 1.68 2.04 2.16 2.35 2.30
3.18 2.49 1.66 1.14 1.08 0.89 1.74
3.47 0.63 0.28 0.23 0.43 0.36 0.90
10.97 1.42 0.69 0.40 0.55 0.44 2.41
19.87 2.88 1.46 1.32 1.63 1.36 4.75
10.82 8.88 10.15 13.96 14.97 15.36 12.36
4
10 25 50 100 150 200 ∅
9.70 4.39 2.75 1.87 1.72 1.30 3.62
6.53 2.94 1.73 1.76 1.84 1.92 2.79
6.42 3.07 2.09 1.31 1.32 1.08 2.55
6.89 0.74 0.22 0.20 0.45 0.39 1.48
20.69 2.94 0.77 0.45 0.65 0.55 4.34
27.47 4.61 1.20 1.26 1.74 1.43 6.28
19.78 8.50 9.08 12.95 14.13 14.72 13.19
5
10 25 50 100 150 200 ∅
5.49 4.36 2.64 1.83 1.72 1.42 2.91
8.78 2.70 1.82 1.74 1.68 1.74 3.08
9.11 2.84 2.45 1.52 1.43 1.21 3.09
9.39 1.04 0.09 0.13 0.36 0.34 1.89
49.67 4.35 1.09 0.57 0.64 0.54 9.48
70.69 6.79 1.32 1.17 1.54 1.40 13.82
15.70 8.74 8.69 11.99 13.37 14.03 12.09
Gesamt-∅
2.89
2.65
2.21
1.22
4.33
6.96
12.59
Tabelle 3.4: Prozentuale Abweichung von der besten Heuristik f¨ ur pmax = 99
Ignorierung der Ergebnisse aus den Problemen mit 10 und 25 Auftr¨agen dazu, dass der MDD-Algorithmus den zweiten Platz in der Rangfolge einnimmt. • Der TPI-Algorithmus ist somit der schlechteste Algorithmus zur Ermittlung einer relativ guten L¨osung bei mittleren und großen Instanzen. Eine weitere Erkenntnis, die nicht in den Tabellen 3.2, 3.3 und 3.4 zu erkennen ist, beruht auf der Betrachtung der spezifischen Probleme hinsichtlich der Due Date Parameter α und β. Die Leistung der Heuristiken nehmen bei den Konstellationen mit β = 0, 8 sowie f¨ ur die Kombinationen von (α, β) (0,2, 0,4) und (0,4, 0,6) ab. Dies zeigt, dass die Heuristiken schlechtere Ergebnisse liefern, wenn approximativ nur die H¨alfte aller Auftr¨age mit Versp¨atung fertig gestellt werden oder wenn das Intervall, aus dem die Due Dates ausgew¨ahlt werden, zu groß ist (triviale Probleme). Die oben beschriebenen Ergebnisse zeigen, dass die hier vorgestellten Heuristiken effektiv sind, um eine optimale beziehungsweise ann¨ahernd optimale L¨osung zu finden. Dar¨ uber
Kapitel 3. Ablaufplanung
98
hinaus zeigen diese umfangreichen Analysen, dass die Algorithmen KPM und TPI ineffektiv sind, um eine optimale oder ann¨ahernd optimale L¨osung einer Instanz zu finden.
Rechenzeiten der betrachteten Heuristiken Der Aufwand zur Ermittlung einer heuristischen L¨osung wurde bereits in den Abschnitten 3.2.1 und 3.2.3 erl¨autert. Die tats¨achlich ben¨otigten Rechenzeiten f¨ ur das schwierigste Problem (n = 200 und m = 5) liegt bei allen Algorithmen unter einer Minute. Da eine Rangfolge f¨ ur dieses Kriterium unn¨otig erscheint, werden die Rechenzeiten nicht weiter analysiert.
3.2.4
Schlussbemerkung und Ausblick
In Abschnitt 3.2 wurde aufgezeigt, wie sich die gesamte Versp¨atung im Fall der identisch parallelen Maschinen minimieren l¨asst. Dabei wurde zun¨achst das Optimierungsproblem for¨ muliert, die bisher existierenden Heuristiken beschrieben und in einer Ubersicht dargestellt. Die anschließend entwickelte neue Heuristik wurde mit Hilfe von zuf¨allig generierten Instanzen mit den optimalen L¨osungen f¨ ur kleine Probleme und mit den bisher existierenden Heuristiken f¨ ur mittlere und große Probleme verglichen. Die umfangreiche Analyse hat ergeben, dass die MDD Heuristik die bisher existierenden Heuristiken TPI und KPM u ¨bervorteilt. Weiterhin zeigt sich, dass die BHG-MDD Heuristik effektiver als die bekannten Heuristiken ist. Somit wird es in Zukunft also m¨oglich sein, bessere Ergebnisse mit Hilfe des BHG Ansatzes zu erreichen. Die Anwendung der BHG Heuristiken hat zwei Vorteile: Auf der einen Seite kann dieser Ansatz verwendet werden, um ann¨ahernd optimale L¨osungen mit nicht allzu großem Aufwand zu erzielen, und andererseits k¨onnen die erzielten Ergebnisse als Startl¨osungen f¨ ur Metaheuristiken wie Simulated Annealing, Tabu Search, GRASP und genetische Algorithmen verwendet werden. Die hier gezeigten Ergebnisse lassen eine ganze Reihe von Erweiterungen zu: • Ermittlung von oberen Schranken der in diesem Kapitel beschriebenen Heuristiken. • Verbesserung der Leistungsf¨ahigkeit durch die Implementierung metaheuristischer Ans¨atze. • Pr¨ ufung der geeigneten Startlisten und gegebenenfalls Herausarbeitung der besten, da die Anwendung der hier gezeigten Startlisten sehr umfangreich ist. • Verwendung der hier gezeigten Heuristiken zur L¨osung anderer klassischer Ablaufplanungsprobleme mit parallelen Maschinen.
3.3. Zusammenfassung
3.3
99
Zusammenfassung
Dieses Kapitel hat die Grundlagen der Ablaufplanung vorgestellt sowie eine neue Heuristik hervorgebracht, mit der sich eine Vielzahl an klassischen und neuen Ablaufplanungsproblemen l¨osen lassen. Die BHG Heuristik ist ein Ansatz, der die Diskrepanz zwischen der G¨ ute und der Rechenzeit einer Heuristik verringert und eine sinnvolle Alternative beziehungsweise Erg¨anzung zu Optimierungsprozeduren und Metaheuristiken darstellt. Durch die praktische Relevanz der Ablaufplanung sowie der Zielsetzung, Minimierung der gesamten Versp¨ atung, wird diese Heuristik in Zukunft als Benchmark f¨ ur andere L¨osungsans¨atze dienen. F¨ ur das Supply Chain Scheduling spielen solche Ans¨atze ebenfalls eine Rolle, wie das folgende Kapitel zeigen wird.
Kapitel 4 Supply Chain Scheduling Das Kapitel Supply Chain Scheduling verkn¨ upft das im zweiten Kapitel betrachtete Supply Chain Management mit der Ablaufplanung, die im dritten Kapitel erl¨autert wurde. Bisher gibt es nur wenige Ver¨offentlichungen im Bereich Supply Chain Scheduling beziehungsweise zur unternehmens¨ ubergreifenden Ablaufplanung. In dieser Arbeit wird deshalb mit Hilfe von Optimierungsmodellen eine Analyse der Potenziale des Supply Chain Scheduling zur Verbesserung der Wettbewerbsf¨ahigkeit durchgef¨ uhrt. Das Kapitel ist wie folgt untergliedert. In Abschnitt 4.1 werden die Grundlagen des Supply Chain Scheduling vorgestellt und auf die im Weiteren betrachtete Problemstellung eingegangen. Zus¨atzlich wird ein Literatur¨ uberblick zeigen, dass die hier entwickelten Ergebnisse zum Supply Chain Scheduling bisher in der Literatur unber¨ ucksichtigt geblieben sind. Der Abschnitt 4.2 beinhaltet die f¨ ur die numerische Analyse entwickelten Optimierungsmodelle. Die f¨ ur die Analyse notwendigen Rahmenbedingungen und Annahmen werden in Abschnitt 4.3 vorgestellt. Abschließend werden die Ergebnisse der numerischen Analyse in Abschnitt 4.4 und 4.5 erl¨autert.
4.1
Grundlagen des Supply Chain Scheduling
Dieser Abschnitt beinhaltet die Motivation und Definition des Supply Chain Scheduling. Daran kn¨ upfen sich die in dieser Arbeit betrachteten Problemstellungen an. Der Abschnitt wird mit einem Literatur¨ uberblick abgeschlossen.
4.1.1
Motivation und Definition
Der bereits im zweiten Kapitel erw¨ahnte zunehmende Wettbewerbsdruck auf komplexer werdenden M¨arkten zwingt die Unternehmen dazu, Kostensenkungspotenziale konsequent zu nutzen und somit wettbewerbsf¨ahig zu bleiben. Beschaffungsprozesse, die beispielsweise auf den Prinzipien JiT und Just-in-Sequence (JiS) basieren, stellen deshalb in der Praxis immer
102
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
h¨aufiger verwendete Ans¨atze dar, um Ineffizienzen in der Supply Chain zu vermeiden.1 Die Zuverl¨assigkeit der Einhaltung von zugesicherten beziehungsweise vertraglich geregelten Due Dates ist bei der Anwendung dieser unternehmens¨ ubergreifenden Beschaffungsprozesse ein Aspekt, der von besonderer Bedeutung ist. Versp¨atet sich ein Zulieferer, kann es aufgrund von knappen Zeitfenstern dazu kommen, dass der Abnehmer seine Due Dates ohne eigenes Verschulden nicht mehr einhalten kann. Bei einer Verfr¨ uhung des Zulieferers entstehen Lagerhaltungskosten, die es laut JiT-Prinzip ebenfalls zu vermeiden gilt. Gerade in der auftragsorientierten Einzelfertigung, in der sich die Produkte oft durch einen hohen Spezifit¨atsgrad auszeichnen und deshalb kurzfristig nicht substituierbar sind, ist man besonders auf zuverl¨assige Zulieferer angewiesen. So kann ein Spezialmaschinenbauer einen Auftrag erst dann montieren, wenn fremdbezogene kundenspezifische Module wie zum Beispiel Steuerungselemente, Motoren oder Geh¨ause bereitgestellt wurden.2 Es sind nicht nur die Maschinenbelegungsplanungen der Unternehmen einer Supply Chain, die einen Einfluss auf die Terminierungen und somit auf die Einhaltung von Due Dates haben. Die Transportplanung ist ein weiterer erheblicher Einflussfaktor. Durch einen gemeinsamen Transport mehrerer Auftr¨age k¨onnen die Transportkosten oft reduziert werden. Diese M¨oglichkeit der Kosteneinsparung kann den Zulieferer dazu bewegen, die Auslieferung eines Auftrags entweder fr¨ uher oder sp¨ater als zum vereinbarten Termin vorzunehmen. Negative Konsequenzen f¨ ur Abnehmer wie erh¨ohte Lagerhaltungskosten, terminliche Schwierigkeiten oder schlimmstenfalls ein Produktionsausfall interessieren Zulieferer in der Regel nur dann, wenn sie auch Auswirkungen auf sie selber haben, beispielsweise in Form von Vertragsstrafen oder Reputationssch¨aden. Die Implementierung von neuen Beschaffungsprozessen stellt die Maschinenbelegungsund Transportplanungen der Unternehmen einer Supply Chain daher vor hohe Anforderungen. Um die Kostensenkungspotenziale tats¨achlich quantifizieren und realisieren zu k¨onnen, m¨ ussen die Pl¨ane der einzelnen Unternehmen bestm¨oglich aufeinander abgestimmt werden. Wie es bereits Thomas und Griffin (1996) gefordert haben, muss sich der Fokus des Supply Chain Management von der strategischen auf die operative Planungsebene der Unternehmen verlagern. Aus diesen Gr¨ unden wird hier die Abstimmung der Maschinenbelegungs- und der Transportplanung in einem unternehmens¨ ubergreifenden Kontext betrachtet. Dieser Ansatz des Supply Chain Management wird als Supply Chain Scheduling bezeichnet.3 Die sp¨ater vorgestellte numerische Analyse der Potenziale des Supply Chain Scheduling vergleicht die Summe der Kosten, die aus der Zusammenf¨ uhrung der separaten unternehmensinternen Planungen eines Zulieferers und eines Abnehmers resultieren, mit den Kosten der gemeinsamen unternehmens¨ ubergreifenden Planung. Diese Kosteneinsparung abz¨ uglich der Transaktionskosten, wie es das Transaktionskostenmodell aus Kapitel 2.3 empfiehlt, zeigt die Verbesserung der Wettbewerbsf¨ahigkeit auf. 1
Siehe Chan und Chung (2005) und Vachon und Klassen (2002). Die Zielsetzung der Verbesserung der Wettbewerbsf¨ahigkeit im Kontext des Supply Chain Scheduling f¨ uhrt wiederum zum Dilemma der Ablaufplanung. Vgl. Kap. 3.1, S. 72. 3 Vgl. Agnetis et al. (2006), S. 2045. 2
4.1. Grundlagen des Supply Chain Scheduling
103
Der Begriff Supply Chain Scheduling besteht aus den Teilbegriffen Supply Chain und Scheduling. Die Definition des Supply Chain Scheduling kann deshalb auf diese Teilbegriffe zur¨ uckgef¨ uhrt werden. Eine prozessorientierte Perspektive der Supply Chain f¨ uhrt dazu, dass eine Verkn¨ upfung von Planungsaufgaben verschiedener interner Unternehmensbereiche beziehungsweise Aktivit¨aten im Sinne von Handfield und Nichols (1999) als Supply Chain Scheduling bezeichnet werden kann. Ein Beispiel w¨are die Verkn¨ upfung der Maschinenbelegungsplanung als Aufgabe der Produktion mit der Transportplanung als Aufgabe der Distribution. Die institutionelle Perspektive f¨ uhrt hingegen dazu, dass die Planungsprobleme verschiedener Unternehmen verkn¨ upft werden m¨ ussen, um es als Supply Chain Scheduling Problem zu bezeichnen. Das kann beispielsweise durch eine Abstimmung der Maschinenbelegungs- und Transportplanung zweier fertigender Unternehmen geschehen. Sowohl in diesem Kapitel als auch in der bisherigen Literatur, die den Begriff Supply Chain Scheduling verwendet, wird die institutionelle Perspektive der Supply Chain verfolgt.4 Wie sich bereits zu Beginn des dritten Kapitels herausgestellt hat, ist mit Scheduling beziehungsweise Ablaufplanung im betriebswirtschaftlichen Kontext meist die Maschinenbelegungsplanung gemeint. In Zusammenhang mit dem Supply Chain Scheduling wird jedoch neben der Maschinenbelegungsplanung h¨aufig auch die Transportplanung in die Ablaufplanung einbezogen. Daher wird im Weiteren der Begriff der Ablaufplanung durch die pr¨azisere Bezeichnung der Maschinenbelegungs- und Transportplanung abgel¨ost.
4.1.2
Problemstellung
Im Folgenden wird die in dieser Arbeit betrachtete Struktur der Supply Chain sowie die Problemstellungen der unternehmensinternen und der unternehmens¨ ubergreifenden Planung verdeutlicht.
Struktur der Supply Chain Um die Versorgungssicherheit zu erh¨ohen und den Wettbewerb zwischen den Zulieferern zu forcieren, f¨ uhren viele Unternehmen eine Zwei- beziehungsweise Mehrquellenversorgung ¨ durch. Diese Uberlegung spiegelt sich in der hier betrachteten Struktur der Supply Chain wider, die in der Abbildung 4.1 gezeigt wird.
Abbildung 4.1: Struktur der Supply Chain 4
Siehe Hall und Potts (2003) und Agnetis et al. (2006).
104
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
Der Fokus dieser Arbeit richtet sich auf die Beziehung zweier Unternehmen (Lieferant und Hersteller), die in einem gr¨oßeren Supply Chain Umfeld eingebettet sind. Der Lieferant kann eigene Vorprodukte beziehen und neben dem Hersteller weitere Abnehmer haben. Der Hersteller kann mehrere Kunden, die wiederum eine weiterverarbeitende Funktion besitzen k¨onnen, und neben dem Lieferanten weitere Zulieferer besitzen.5 Durch diese Modellstruktur k¨onnen zwischen dem Lieferanten und dem Hersteller unterschiedliche Intensit¨aten der Zusammenarbeit abgebildet werden. Eine unbedeutende Beziehung der beiden ergibt sich, wenn der Hersteller nur einer von vielen Abnehmern des Lieferanten und der Lieferant nur einer von vielen Zulieferern des Herstellers ist. Andersherum kann auch ein besonders intensives gegenseitiges Abh¨angigkeitsverh¨altnis abgebildet werden, wie es bei einer Monopolkette vorkommt. Die Pfeile der Abbildung 4.1 beschreiben die Richtung der Wertsch¨opfung beziehungsweise des G¨ uterflusses. Die Kunden vergeben Auftr¨age an den Hersteller. Jeder Auftrag f¨ uhrt zu der Notwendigkeit, ein Vorprodukt anzufordern. Somit gibt der Hersteller f¨ ur jeden Kundenauftrag einen Auftrag an einen Zulieferer weiter. Praktische Beispiele k¨onnen nicht nur wie eingangs beschrieben im Maschinenbau gefunden werden. In der chemischen Industrie und der Pharmazie beziehen Hersteller ihre Vorprodukte wie spezielle Kunstoffgranulate oder L¨osungsmittel h¨aufig von externen Zulieferern. Bestellt ein Kunde ein Auto, dann gibt der Automobilhersteller in der Regel automatisch einen Auftrag f¨ ur den Motor weiter. Unternehmensinternes Planungsproblem Die Abbildung 4.2 verdeutlicht die beiden unternehmensinternen Planungen des Lieferanten und des Herstellers. Dabei dr¨ ucken die gestrichelten Vierecke aus, dass die operativen Planungsmodule Maschinenbelegungs- und Transportplanung unabh¨angig voneinander simultan gel¨ost werden. Bleibt bei der Maschinenbelegungs- die Transportplanung unber¨ ucksichtigt, kann dies aufgrund unvorteilhafter Abstimmungen zu unn¨otig hohen Kosten beispielsweise aufgrund einer langen zwischenzeitlichen Lagerhaltung f¨ uhren. Anhand des APS6 des Lieferanten und des Herstellers wird zudem deutlich, wie die beiden simultanen Maschinenbelegungs- und Transportplanungen in die Gesamtplanungsprobleme der Unternehmen eingebettet sind. Der Lieferant und der Hersteller stehen jeweils einem Maschinenbelegungs- und Transportplanungsproblem gegen¨ uber. Beide m¨ ussen die Beziehungen zu vor- und nachgelagerten Unternehmen ber¨ ucksichtigen. Zur Bearbeitung der Auftr¨age stehen beiden jeweils eine bestimmte Anzahl identischer paralleler Maschinen zur Verf¨ ugung. Die Bearbeitung eines 5
Im Weiteren gelten somit folgende Bezeichnungen: Mit Lieferant wird ein spezieller Zulieferer des Herstellers und mit Hersteller ein spezieller Abnehmer des Lieferanten bezeichnet. Die Nachfrager des Herstellers werden als Kunden bezeichnet. Der Lieferant und der Hersteller sind die beiden im Fokus der Analyse stehenden Supply Chain Partner der Zulieferer- beziehungsweise Abnehmerstufe der Supply Chain. Anhand der noch folgenden Abbildung 4.6 in Abschnitt 4.3.2, die sich auf ein konkretes Beispiel bezieht, wird diese begriffliche Abgrenzung ebenfalls deutlich. 6 Siehe Kapitel 2.2.3.
4.1. Grundlagen des Supply Chain Scheduling
105
Abbildung 4.2: Grafische Darstellung der unternehmensinternen Planungen
Auftrags darf weder unterbrochen noch auf mehrere Maschinen verteilt werden. Die Transportplanung umfasst die Zusammenstellung von Auftr¨ agen zu Transportbatches7 , die das Fassungsverm¨ogen der Transporteinheit, wie zum Beispiel LKWs nicht u ¨berschreiten d¨ urfen, sowie die Bestimmung der Transportstartzeitpunkte der einzelnen Transporteinheiten. Zur Vereinfachung der Modelle werden folgende Annahmen getroffen:8 • Ein Auftrag darf nicht auf verschiedene Transportbatches verteilt werden. • Nur Auftr¨age eines Abnehmers (Nachfrager des Lieferanten) beziehungsweise eines Kunden (Nachfrager des Herstellers) d¨ urfen in einem Transportbatch zusammengefasst werden. Ansonsten m¨ usste zus¨atzlich eine Tourenplanung vorgenommen werden.9 • Es soll in jedem Zeitpunkt m¨oglich sein, Transportbatches von Spediteuren abholen und direkt zu ihren Bestimmungsorten liefern zu lassen. • Die Lagerkapazit¨ aten der Unternehmen stellen keinen Engpass dar. 7
Ein Transportbatch beinhaltet die gemeinsam zu transportierenden Auftr¨ age, wobei ein Transportbatch auch nur aus einem Auftrag bestehen kann. Die Annahmen schr¨anken die sp¨ ateren Ergebnisse zur Verbesserung der Wettbewerbsf¨ ahigkeit der Supply Chain mit Hilfe des Supply Chain Scheduling nicht ein. 9 Siehe Chang und Lee (2004). 8
106
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
Da die Planungsprobleme des Lieferanten und des Herstellers identisch sind, gilt dies auch f¨ ur die Notation der Parameter und Variablen, die zum Teil aus dem dritten Kapitel u¨bernommen ist. Es existiert eine Menge N = {1, 2, ..., n} mit n Auftr¨agen zum Zeitpunkt Null. Jeder Auftrag ben¨otigt exakt einen Bearbeitungsschritt und soll auf einer der m identischen Maschinen der Menge M = {1, 2, ..., m} bearbeitet werden. F¨ ur jeden Auftrag i ∈ N existiert eine deterministische Bearbeitungszeit pi , ein Due Date di , ein Bereitstellungszeitpunkt ri und eine physische Transportmenge ui . Die Auftr¨age k¨onnen erst bearbeitet werden, wenn ihre Vorprodukte bereitgestellt wurden. Entsteht bei einem Auftrag zwischen dem Bereitstellungszeitpunkt ri und dem Beginn der Bearbeitung Ci − pi beziehungsweise zwischen dem Fertigstellungszeitpunkt Ci und dem Transportstartzeitpunkt T Si eine zeitliche Diskrepanz, dann wird eine Lagerhaltung notwendig. Es gibt viele Beispiele f¨ ur Produkte, bei denen die Kosten einer Lagerhaltung ber¨ ucksichtigt werden sollten. Bei hochwertigen Produkten wie sie im Maschinen- und Anlagenbau zu finden sind, k¨onnen Lagerhaltungskosten zum Beispiel in Form von zwischenzeitlichen Versicherungskosten sowie kalkulatorischen Kosten f¨ ur gebundenes Kapital entstehen. Durch die Bearbeitung nimmt der Wert eines Produktes in der Regel zu. Aufgrund der h¨ oheren Kapitalbindung sollte der Lagerhaltungskostensatz [Geldeinheit /(Mengeneinheiten & Zeiteinheit)] nach der Bearbeitung ceteris paribus auch h¨oher bemessen werden als vor der Bearbeitung.10 Da Auftr¨age in der Praxis sehr heterogen sein k¨ onnen, ist es sinnvoll, Kostenparameter wie die Lagerhaltungskostens¨atze auftragsindividuell zu gestalten. Die Lagerhaltung pro Zeiteinheit des Auftrags i vor der Bearbeitung wird deshalb mit dem Lagerhaltungskostensatz hi und die Lagerhaltung pro Zeiteinheit nach der Bearbeitung mit dem Lagerhaltungskostensatz ¯ i bewertet.11 h Wie viele Auftr¨age in ein Transportbatch passen, h¨angt von der physischen Transportmenge ui der einzelnen Auftr¨age, wie zum Beispiel der Anzahl an ben¨otigten Paletten oder dem Gewicht, sowie dem begrenzten Fassungsverm¨ogen ¯b der Transporteinheiten ab. Die Kosten, die ein Transportbatch verursacht, sollen von der als deterministisch angenommenen Fahrtdauer12 tc zum Abnehmer beziehungsweise Kunden c, mit c = 1, ..., k, abh¨angen. Pro uhr tf ix Zeiteinheit werden Kosten in H¨ohe von tvar angesetzt. Außerdem f¨allt eine fixe Geb¨ an.13 Die Kosten f¨ ur die Lieferung eines Transportbatches zum Abnehmer beziehungsweise Kunden c belaufen sich somit auf tf ix + tvar · tc . Andere Transportkosten wie zum Beispiel 10
Es lassen sich auch F¨alle aufzeigen, in denen die Lagerhaltungskostens¨ atze bei einer zunehmenden Wertsch¨ opfung absteigen: Ist das Vorprodukt leicht verderblich oder besonders empfindlich, kann der Lagerhaltungskostensatz vor der Bearbeitung auch u ¨ber dem Satz nach der Bearbeitung (beispielsweise verpacken oder konservieren) liegen. 11 Der Lagerhaltungskostensatz ist damit die Geldeinheit, die die Lagerung eines Auftrags pro Zeiteinheit kostet. 12 Ein Bezug zur Entfernungsmessung wird hier nicht weiter verfolgt. 13 Eine a¨hnliche Beschreibung der Transportkosten findet man bei Chen und Vairaktarakis (2005) und Li und Vairaktarakis (2007).
4.1. Grundlagen des Supply Chain Scheduling
107
gewichtsabh¨angige Bestandteile sind nicht entscheidungsrelevant, da sie unabh¨angig von der Anzahl an Transportbatches anfallen. Die Zeitpunkte, zu denen die Auftr¨age bei ihren Bestimmungsorten eintreffen sollen, sind die Due Dates di . Die Bezeichnung Anlieferungszeitpunkt soll im Folgenden den Zeitpunkt beschreiben, zu dem ein Auftrag beziehungsweise das zugeh¨orige Transportbatch am Bestimmungsort eintrifft. Der Anlieferungszeitpunkt eines Auftrags i l¨asst sich berechnen, indem der Transportzeitpunkt T Si und die entsprechende Transportdauer tc addiert werden. Die Verkn¨ upfung eines Auftrags i zu seinem Abnehmer beziehungsweise Kunden c geschieht hier durch eine Hilfsvariable wic ∈ {0, 1}, die den Wert Eins annimmt, wenn der Auftrag i vom Abnehmer beziehungsweise Kunden c stammt.14 Somit l¨asst sich der Anlieferungszeitpunkt des Auftrags i im Modell durch T Si + kc=1 wic · tc bestimmen. Liegt der Anlieferungszeitpunkt eines Auftrags vor dem Due Date, dann kommt es zu unde f¨ ur Verfr¨ uhungsstrafen einer Verfr¨ uhung Ei = max{0, di − (T Si + kc=1 wic · tc )}. Die Gr¨ αi pro Zeiteinheit sind vielf¨altig. Werden Auftr¨age am Bestimmungsort nicht vor ihren Due Dates angenommen, m¨ ussen Transporteinheiten mit verfr¨ uhten Auftr¨agen vor der Warenannahme warten, wodurch Kosten entstehen. Wenn andererseits Auftr¨age fr¨ uhzeitig angenommen werden, m¨ ussen diese dort in der Regel bis zu ihren Due Dates, die die Zeitpunkte der geplanten Weiterverwendung darstellen, gelagert werden. Es kann sein, dass die Lagerhaltungskosten durch den Verursacher der Verfr¨ uhung getragen werden m¨ ussen und somit entscheidungsrelevant sind. Gerade h¨aufige und hohe Verfr¨ uhungen k¨onnen zudem auch zu Unzufriedenheit f¨ uhren, die sich in Reputationssch¨aden niederschl¨agt. Daraus resultierende negative Folgen f¨ ur die zuk¨ unftigen gesch¨aftlichen Beziehungen ziehen wiederum monet¨are Konsequenzen nach sich, die bei der Planung ebenfalls ber¨ ucksichtigt werden sollten. Liegt der Anlieferungszeitpunkt eines Auftrags nach seinem Due Date, dann kommt es zu einer ur Versp¨atungsstrafen βi pro ZeitVersp¨atung Ti = max{0, T Si + kc=1 wic · tc − di }. Auch f¨ einheit existieren viele Gr¨ unde. Versp¨atete Auftr¨age k¨onnen zu St¨orungen der Produktion beziehungsweise zu einer Unzul¨assigkeit der bisherigen Planung am Bestimmungsort f¨ uhren, wodurch Kosten entstehen.15 H¨aufig kommt es deshalb zu einer vertraglichen Regelung, die vorsieht, dass Versp¨atungen in Form von Preisnachl¨ assen oder mit direkten Zahlungen bestraft werden. Mittelbare Kosten aufgrund von Reputationssch¨aden sollten ebenfalls bei der Planung impliziert werden. Letztendlich gilt es f¨ ur individuell agierende Unternehmen in einer Supply Chain der beschriebenen Struktur, einen Maschinenbelegungs- und Transportplan zu finden, der die Summe der eigenen entscheidungsrelevanten Verfr¨ uhungs-, Versp¨atungs-, Lagerhaltungsko14 15
Die Vorteile dieser Hilfsvariablen zeigen sich im Optimierungsmodell. Die genauen Opportunit¨ atskosten, die aufgrund der Auswirkungen von Versp¨ atungen entstehen k¨ onnen, lassen sich nicht ohne Weiteres berechnen und einkalkulieren. Es tritt das bekannte Dilemma auf, dass ihre H¨ ohe erst bekannt ist, wenn die optimale L¨ osung bereits existiert. Vgl. Ewert und Wagenhofer (2005), S. 125 ff.
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
108
sten vor und nach der Bearbeitung sowie Transportkosten minimiert. Im kostenminimalen Plan kann es dabei zu Maschinenleerzeit kommen. Unternehmens¨ ubergreifendes Planungsproblem Das unternehmens¨ ubergreifende Planungsproblem des Lieferanten und des Herstellers besteht in der aggregierten Betrachtung der beiden unternehmensinternen Planungen. Die Abbildung 4.3 zeigt die unternehmens¨ ubergreifende Planung anhand des APS. Nachdem die operativen Planungsmodule der Maschinenbelegungs- und Transportplanungen beider Unternehmen simultan gel¨ost wurden, werden die relevanten Informationen des resultierenden Gesamtplans an das jeweilige APS zur¨ uckgegeben. Eine solche Maschinenbelegungs- und Transportplanung u ¨ber mehrere Stufen einer Supply Chain wird auch als Supply Chain Scheduling bezeichnet.
Abbildung 4.3: Grafische Darstellung der unternehmens¨ ubergreifenden Planung
Die Struktur der Supply Chain in Abbildung 4.1 und die Ausf¨ uhrungen zu den unternehmensinternen Planungsproblemen legen nahe, dass es sich bei dem unternehmens¨ ubergreifenden Problem um einen Flow-Shop mit parallelen Maschinen auf jeder Produktionsstufe handelt. Die Besonderheit besteht darin, dass Auftr¨age, die nicht f¨ ur den Hersteller sondern f¨ ur andere Abnehmer des Lieferanten bestimmt sind, bereits nach der ersten Stufe den FlowShop verlassen. Weiterhin gelangen Auftr¨age, die nicht vom Lieferanten sondern von anderen Zulieferern an den Hersteller geliefert werden, erst auf der zweiten Stufe in den Flow-Shop.
4.1. Grundlagen des Supply Chain Scheduling
109
Das Ziel ist es, die Summe aus den entscheidungsrelevanten Verfr¨ uhungs-, Versp¨atungs-, Lagerhaltungs- und Transportkosten u ¨ber beide Produktionsstufen beziehungsweise SupplyChain-Stufen zu minimieren, um die Wettbewerbsf¨ahigkeit der Supply Chain zu maximieren. Die Schnittstellen zwischen den unternehmensinternen Problemen des Lieferanten und des Herstellers m¨ ussen bei der unternehmens¨ ubergreifenden Planung besonders betrachtet werden. Die Anlieferungszeitpunkte der Auftr¨age, die vom Lieferanten an den Hersteller gehen, entsprechen den Bereitstellungszeitpunkten beim Hersteller. Im Gegensatz zu allen anderen Bereitstellungszeitpunkten sind sie Variablen des Planungsproblems und werden endogen bestimmt. Aufgrund des gemeinsamen Optimierungsansatzes und der Tatsache, dass es keine Abweichungen von den geplanten Due Dates einer gemeinsamen Optimierung geben kann, sind Verfr¨ uhungs- und Versp¨atungsstrafen zwischen dem Lieferanten und dem Hersteller nicht notwendig. Eine Aufteilung der auftretenden Strafen der gemeinsamen Auftr¨ age ist im Nachhinein vorzunehmen. Die Variablen und Parameter des Modells zur unternehmens¨ ubergreifenden Planung m¨ ussen im Vergleich zum Modell zur unternehmensinternen Planung lediglich um einen Index erg¨anzt werden. Dieser Index j = L, H beschreibt die Zugeh¨origkeit zur jeweiligen SupplyChain-Stufe beziehungsweise zum Lieferanten L oder zum Hersteller H.
4.1.3
Literatur¨ uberblick
Um eine sinnvolle Einbettung der beschriebenen Problemstellungen in die bisherige Literatur vorzunehmen, werden hier die wichtigsten Arbeiten vorgestellt. Dabei gilt wiederum die Einteilung in die Kategorien unternehmensinterne und unternehmens¨ ubergreifende Planung beziehungsweise Supply Chain Scheduling. Die unternehmensinterne Planung f¨allt unter den von Thomas und Griffin (1996) gepr¨agten Zweig der Produktions- und Distributionsplanung. F¨ ur diesen Bereich der operativen Planung bietet Chen (2004) einen ausf¨ uhrlichen Literatur¨ uberblick. Im weiteren Verlauf werden die f¨ ur diese Arbeit wichtigen Ver¨offentlichungen dieses Zweigs vorgestellt. Pundoor und Chen (2005) befassen sich mit der Koordination eines Ein-MaschinenProblems und dem Transport fertiggestellter Auftr¨age. Das Transportproblem a¨hnelt der hier betrachteten Problemstellung. Die Kapazit¨ at der Transportbatches ist allerdings durch eine bestimmte Anzahl an Auftr¨agen begrenzt. Das Ziel besteht darin, eine Konvexkombination aus den Transportkosten und der Gesamtversp¨atung zu minimieren. Hall und Potts (2005) betrachten sowohl den Ein-Maschinen-Fall als auch den Fall zweier identischer paralleler Maschinen jeweils in Verbindung mit einem Transportproblem, das zus¨atzlich die Beladungszeit der Transporteinheiten ber¨ ucksichtigt. Sie verfolgen mehrere Ziele, die in der Minimierung der Summe aus Transportkosten und Kosten, die auf den Anlieferungszeitpunkten der Auftr¨age basieren, bestehen. Li et al. (2008) besch¨aftigen sich mit identischen parallelen Maschinen und dem Transport per Flugzeug. Das Ziel ist es, die Lagerhaltungs-, Verfr¨ uhungs-, Versp¨atungs-
110
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
und Transportkosten zu minimieren. Die Maschinenbelegungsplanung und die Transportplanung, die in der optimalen Auslastung der gebuchten Flugzeugkapazit¨ at besteht, werden allerdings dekomponiert vorgenommen. Die Arbeit von Hall und Potts (2003) ist die erste Arbeit, die sich mit der Problematik einer unternehmens¨ ubergreifenden Planung befasst. Anhand von drei Beispielen zeigen sie den Vorteil einer unternehmens¨ ubergreifenden Planung gegen¨ uber der Zusammenf¨ uhrung von unternehmensinternen Planungen zweier Unternehmen. Diese Vorgehensweise spiegelt ¨ die Uberlegungen des Transaktionskostenmodells in Kapitel 2.3 wider. Die unternehmensinternen Planungen stellen die Organisationsform Markt dar. Die unternehmens¨ ubergreifende Planung kann aufgrund der engen Zusammenarbeit der Supply Chain Partner als hybride oder auch als die hierarchische Organisationsform interpretiert werden. Das Ziel der Arbeit von Hall und Potts (2003) ist es, die Summe aus Transportkosten und Kosten der Maschinenbelegungsplanung zu minimieren. Es werden zwei Supply Chain Partner, die jeweils eine Maschine besitzen, auf aufeinanderfolgenden Stufen betrachtet. Zwei Auftr¨age werden zun¨achst vom Lieferanten und dann vom Hersteller bearbeitet. Die drei aufgef¨ uhrten Beispiele unterscheiden sich in der Bemessung der Kosten f¨ ur die Maschinenbelegungsplanung. Diese ergeben sich im ersten Beispiel durch die Summe der Durchlaufzeiten, im Zweiten durch die maximale Versp¨atung und im Dritten durch die Anzahl versp¨ateter Auftr¨age. Die Summe der Kosten, die aus den unternehmensinternen Planungen folgt, ist um bis zu 20 %, 25 % beziehungsweise 100 % h¨oher als die Kosten der unternehmens¨ ubergreifenden Planung. Angeregt durch Hall und Potts (2003) entstanden einige weitere Arbeiten zum Supply Chain Scheduling, wie unter anderem die von Agnetis et al. (2006), Dawande et al. (2006), Chen und Hall (2007) und Manoj et al. (2008), wobei diese Arbeiten ebenfalls nicht auf einen Vergleich mit Transaktionskosten eingehen. Agnetis et al. (2006) betrachten dasselbe Supply Chain Umfeld wie Hall und Potts (2003). Auch sie besch¨ aftigen sich zun¨ achst mit der unternehmensinternen und anschließend mit der unternehmens¨ ubergreifenden Planung. Die Zielfunktionen, die den einzelnen Planungen zugrunde liegen, werden um Lagerhaltungskosten erg¨anzt. Manoj et al. (2008) gehen ebenfalls a¨hnlich vor wie Hall und Potts (2003). Die von ihnen betrachtete Supply Chain besteht allerdings aus einem Hersteller, einem Distributeur und mehreren Großh¨andlern. Dawande et al. (2006) und Chen und Hall (2007) erweitern die Betrachtungen auf die Konflikte und Verhandlungen, die daraus resultieren k¨ onnen, dass die verschiedenen Parteien einer Supply Chain versuchen, jeweils ihren optimalen unternehmensinternen Plan durchzusetzen. Die hier beschriebenen Ver¨offentlichungen lassen aufgrund stark vereinfachter Beispiele und der Vernachl¨assigung der Transaktionskosten f¨ ur die engere Zusammenarbeit der Supply Chain Partner kein endg¨ ultiges Ergebnis dahingehend zu, ob eine Supply Chain Scheduling durchgef¨ uhrt werden soll. Mit Hilfe der folgenden umfangreichen Optimierungsmodelle und einer darauf aufbauenden numerischen Analyse, ist es m¨oglich, die Potenziale des Supply Chain Scheduling aufzuzeigen. Erst nach dieser Analyse ist ein tats¨achlicher Vergleich mit
4.2. Optimierungsmodelle zum Supply Chain Scheduling
111
den entsprechenden Transaktionskosten durchf¨ uhrbar und damit eine Entscheidung f¨ ur eine bestimmte Organisationsform beziehungsweise f¨ ur ein Supply Chain Scheduling zu treffen.
4.2
Optimierungsmodelle zum Supply Chain Scheduling
Das im Folgenden erl¨auterte Optimierungsmodell zur unternehmensinternen Planung beschreibt das Problem der Maschinenbelegungs- und Transportplanung. Durch das anschließend vorgestellte Optimierungsmodell wird das Problem der unternehmens¨ ubergreifenden Maschinenbelegungs- und Transportplanung beziehungsweise des Supply Chain Scheduling formuliert. Trotz der hohen Komplexit¨ at k¨onnen kleine Instanzen der in Abschnitt 4.1.2 aufgeworfenen Problemstellungen in annehmbarer Zeit optimal gel¨ost werden. Es ist somit m¨oglich, die Potenziale des Supply Chain Scheduling mit Hilfe einer numerischen Analyse auf Grundlage dieser Optimierungsmodelle aufzuzeigen. W¨ urde man bei der Analyse auf Heuristiken zur¨ uckgreifen k¨onnten die approximativen L¨ osungen die Effekte m¨oglicherweise verf¨alschen. Unternehmensinterne Planung Das gemischt-ganzzahlige lineare Optimierungsmodell zur unternehmensinternen Planung ist an das Modell des im dritten Kapitel vorgestellten Parallel-Maschinen-Problems von Biskup, Herrmann und Gupta (2008) angelehnt. Es gilt wie bereits erl¨ autert sowohl f¨ ur den Lieferanten als auch f¨ ur den Hersteller. Folgende Parameter und Variablen sind gegeben. Indizes: c Abnehmer- beziehungsweise Kundenindex (c = 1, ..., k) h, i Auftragsindizes (h, i = 1, ..., n) q Batchindex (q = 1, ..., bc ) Parameter: bc
¯b di ¯i h hi pi
maximale Anzahl ben¨otigter Transportbatches f¨ ur den Transport zum n Abnehmer beziehungsweise Kunden c (c = 1, ..., k mit bc = i=1 wic , ∀ c = 1, ..., k) Kapazit¨at eines Transportbatches (¯b ≥ maxi {ui }) Due Date des Auftrags i (i = 1, ..., n) Lagerhaltungskostensatz des Auftrags i nach der Bearbeitung (i = 1, ..., n) Lagerhaltungskostensatz des Auftrags i vor der Bearbeitung (i = 1, ..., n) Bearbeitungsdauer des Auftrags i (i = 1, ..., n)
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
112 R ri tf ix tvar tc ui wic
αi βi
hinreichend große Zahl Bereitstellungszeitpunkt des Auftrags i (i = 1, ..., n) fixe Transportkosten variable Transportkosten Fahrtdauer bis zum Abnehmer beziehungsweise Kunden c (c = 1, ..., k) physische Transportmenge des Auftrags i (i = 1, ..., n) Parameter, der den Wert Eins besitzt, wenn Auftrag i zum Abnehmer beziehungsweise Kunden c geh¨ort (i = 1, ..., n, c = 1, ..., k mit k c=1 wic = 1, ∀ i = 1, ..., n) Verfr¨ uhungsstrafe des Auftrags i (i = 1, ..., n) Versp¨atungsstrafe des Auftrags i (i = 1, ..., n)
Variablen: Ci Ei gicq
Ti T Si xhi xh,n+1 yi Zcq
Fertigstellungszeitpunkt des Auftrags i (i = 1, ..., n) Verfr¨ uhung des Auftrags i (i = 1, ..., n) Bin¨arvariable, die den Wert Eins annimmt, wenn der Auftrag i mit dem q-ten Transportbatch zum Abnehmer beziehungsweise Kunden c trans portiert wird (i = 1, ..., n, c = 1, ..., k, q = 1, ..., bc mit bc = ni=1 wjc , ∀ c = 1, ..., k) Versp¨atung des Auftrags i (i = 1, ..., n) Transportstartzeitpunkt des Auftrags i (i = 1, ..., n) Bin¨arvariable, die den Wert Eins annimmt, wenn der Auftrag h vor Auftrag i auf derselben Maschine eingeplant wird (h, i = 1, ..., n, h = i) Bin¨arvariable, die den Wert Eins annimmt, wenn der Auftrag h der letzte Auftrag auf einer Maschine j = 1, ..., m ist (h = 1, ..., n) Bin¨arvariable, die den Wert Eins annimmt, wenn Auftrag i auf einer der m parallelen Maschinen zuerst bearbeitet wird (i = 1, ..., n) Variable, die im Optimum den Wert Eins annimmt, wenn mindestens ein Auftrag mit dem q-ten Transportbatch zum Abnehmer beziehungsweise Kunden c transportiert wird. Ist kein Auftrag in diesem Transportbatch enthalten, nimmt sie den Wert Null an (c = 1, ..., k, q = 1, ..., bc )
4.2. Optimierungsmodelle zum Supply Chain Scheduling
113
Das Ziel besteht in der Minimierung der Summe aus Verfr¨ uhungs-, Versp¨atungs-, Lagerhaltungskosten vor und nach der Bearbeitung sowie den Transportkosten. ZM T (E1 , ..., En ; T1 , ..., Tn ; C1 , ..., Cn ; T S1 , ..., T Sn ; Z11 , ..., Zkbk ) =
min
n
αi · Ei
i=1 bc k
¯ i (T Si − Ci ) + +βi · Ti + hi · (Ci − pi − ri ) + h Zcq · (tf ix + tvar · tc ) c=1 q=1
u. d. NB.: m≥
n
yi
i=1 n
yi +
(4.1) xhi = 1
∀ i = 1, ..., n
(4.2)
∀ i = 1, ..., n
(4.3)
∀ i = 1, ..., n
(4.4)
∀ h, i = 1, ..., n, h = i
(4.5)
h=1,h=i n+1
xhi = 1
h=1,h=i
Ci ≥ ri + pi Ci ≥ Ch + pi − R · (1 − xhi )
Die Nebenbedingungen 4.1 bis 4.5 sind zur Bestimmung der Reihenfolge der Auftr¨age auf den parallelen Maschinen notwendig und stammen aus dem Optimierungsmodell von Biskup, Herrmann und Gupta (2008). bc k
gicq · wic = 1
∀ i = 1, ..., n
(4.6)
c=1 q=1
Jeder Auftrag eines Abnehmers beziehungsweise Kunden wird genau einem der zu diesem geh¨orenden Transportbatch zugeordnet. ¯b ≥
n
ui · gicq · wic
∀ c = 1, ..., k, q = 1, ..., bc
(4.7)
i=1
Das maximale Fassungsverm¨ogen eines Transportbatches darf nicht u ¨berschritten werden. T Si ≥ Ch − R · (2 − ghcq − gicq )
∀ i, h = 1, ..., n, c = 1, ..., k, q = 1, ..., bc
(4.8)
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
114
Der Transportstartzeitpunkt eines jeden Auftrags muss mindestens so groß wie sein Fertigstellungszeitpunkt beziehungsweise wie der Fertigstellungszeitpunkt des zuletzt fertiggestellten Auftrags aus demselben Transportbatch sein. T Si ≥ T Sh − R · (2 − ghcq − gicq )
∀ i, h = 1, ..., n, i = h, c = 1, ..., k,
(4.9)
q = 1, ..., bc Alle Auftr¨age in einem Transportbatch m¨ ussen denselben Transportstartzeitpunkt haben. Ei ≥ di − T Si −
k
wic · tc
∀ i = 1, ..., n
(4.10)
wic · tc − di
∀ i = 1, ..., n
(4.11)
c=1
Ti ≥ T Si +
k
c=1
Ei , Ti ≥ 0
∀ i = 1, ..., n
Die Verfr¨ uhungen (Nebenbedingung 4.10) beziehungsweise Versp¨atungen (Nebenbedingung 4.11) der Auftr¨age ergeben sich aus den Abweichungen der Anlieferungszeitpunkte von den Due Dates. Zcq ≥ gicq
∀i = 1, ..., n, c = 1, ..., k, q = 1, ..., bc
(4.12)
Die Variable Zcq nimmt den Wert Eins an, wenn mindestens ein Auftrag mit diesem Transportbatch transportiert wird. Abschließend werden die Bin¨arvariablen definiert. xhi ∈ {0, 1}
yi ∈ {0, 1} gicq ∈ {0, 1}
∀ i, h = 1, ..., n, i = h
∀ i = 1, ..., n ∀ i = 1, ..., n, c = 1, ..., k, q = 1, ..., bc
Nach der Three-Field-Notation kann dieses Problem wie folgt beschrieben werden: IP/MT/ min (Pi +ICi +T Ci ). MT ist die Abk¨ urzung f¨ ur den Begriff Maschinenbelegungs- und Transur die Verfr¨ uhungs- und Versp¨atungsstrafen (Penalties), portplanung. Pi , ICi und T Ci stehen f¨ Lagerhaltungskosten (Inventory Costs) und Transportkosten (Transportation Costs) des jeweiligen Auftrags i. Mit dem MT-Modell k¨onnen durch bestimmte Parameterkonstellationen sowohl das 1/ / Ti als auch das IP/ / Ti -Problem abgebildet werden, die somit Spezialf¨alle des MT-Problems sind. Da Du und Leung (1990) sowie Pfund et al. (2004) gezeigt
4.2. Optimierungsmodelle zum Supply Chain Scheduling
115
haben, dass diese Spezialf¨alle NP-schwer sind, gilt dass das IP/MT/
(Pi + ICi + T Ci )-
Problem NP-schwer ist.
Unternehmens¨ ubergreifende Planung Die Notation des gemischt-ganzzahligen linearen Optimierungsmodells zur unternehmensu ¨bergreifenden Planung beziehungsweise zum Supply Chain Scheduling a¨ndert sich im Vergleich zum MT-Modell nur insofern, als dass mit dem zus¨atzlichen Index j = L, H die Parameter und die Variablen bez¨ uglich ihrer Zugeh¨origkeit zum Lieferanten oder zum Hersteller unterschieden werden. So beschreibt nL (nH ) beispielsweise die Anzahl an Auftr¨agen im Auftragsbestand des Lieferanten (Herstellers). Der erste Abnehmer der kL Abnehmer des Lieferanten ist der Hersteller, mit dem er eine unternehmens¨ ubergreifende Maschinenbelegungsund Transportplanung durchf¨ uhrt. Die Auftr¨age 1, ..., bL1 in beiden Auftragsbest¨anden sind die Auftr¨age, die von beiden Supply Chain Partnern bearbeitet werden. min ZU M T (EL1 , ..., ELn ; EH1 , ..., EHn ; TL1 , ..., TLn ; TH1 , ..., THn ; T SL1 , ..., T SLn ; T SH1 , ..., T SHn ; CL1 , ..., CLn ; CH1 , ..., CHn ; ZL11 , ..., ZLkbLk ; ZH11 , ..., ZHkbHk ) nL nH
= (αLi · ELi + βLi · TLi ) + (αHi · EHi + βHi · THi ) i=bL1 +1
+
+
i=1
nj
¯ ji · (T Sji − Cji ) hji · (Cji − pji − rji ) + h
j=H,L
i=1
kj bjc
Zjcq tf ixj + tvarj · tjc
c=1 q=1
u. d. NB.: nj
mj ≥
yji
∀ j = L, H
(4.13)
∀ j = L, H, i = 1, ..., nj
(4.14)
∀ j = L, H, i = 1, ..., nj
(4.15)
∀ j = L, H, i = 1, ..., nj
(4.16)
∀ j = L, H, h, i = 1, ..., nj , h = i
(4.17)
i=1 nj
yji +
xjhi = 1
h=1,h=i nj +1
xjhi = 1
h=1,h=i
Cji ≥ rji + pji Cji ≥ Cjh + pji − R · (1 − xjhi )
Die Nebenbedingungen 4.13 bis 4.17 bestimmen wiederum die Reihenfolge der Auftr¨age auf den parallelen Maschinen. rHi = T SLi + tL1
∀ i = 1, ..., bL1
(4.18)
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
116
Zur Ermittlung der Bereitstellungszeitpunkte rHi der Auftr¨age 1, ..., bL1 , die vom Lieferanten an den Hersteller gehen, dient die Gleichung 4.18. F¨ ur alle anderen Auftr¨age sind die Bereitstellungszeitpunkte exogen gegeben. kj bjc
gjicq · wjic = 1
∀ j = L, H, i = 1, ..., nj
(4.19)
∀ j = L, H, c = 1, ..., kj , q = 1, ..., bjc
(4.20)
∀ j = L, H, h, i = 1, ..., nj ,
(4.21)
c=1 q=1 nj
¯bj ≥
uji · gjicq · wjic
i=1
T Sji ≥ Cjh − R · (2 − gjhcq − gjicq )
c = 1, ..., kj , q = 1, ..., bjc T Sji ≥ T Sjh − R · (2 − gjhcq − gjicq )
∀ j = L, H, h, i = 1, ..., nj , h = i,
(4.22)
c = 1, ..., kj , q = 1, ..., bjc Die Nebenbedingungen 4.19 bis 4.22 ergeben sich analog zu den Restriktionen 4.6 bis 4.9, die bereits im MT-Modell erl¨autert wurden. ELi ≥ dLi − T SLi −
kL
(wLic · tLc )
∀ i = bL1 + 1, ..., nL
c=2
TLi ≥ T SLi +
kL
(wLic · tLc ) − dLi
∀ i = bL1 + 1, ..., nL
c=2
EHi ≥ dHi − T SHi −
kH
(wHic · tHc )
∀i = 1, ..., nH
(4.23)
(wHic · tHc ) − dHi
∀i = 1, ..., nH
(4.24)
c=1
THi ≥ T SHi +
kH
c=1
ELi , TLi ≥ 0 EHi , THi ≥ 0
∀j = bL1 + 1, ..., nL ∀j = 1, ..., nH
Die Berechnung der Verfr¨ uhung sowie der Versp¨atung der Auftr¨age, die vom Lieferanten an den Hersteller gehen, also die Auftr¨age 1, ..., bL1 , werden analog zum MT-Modell durch die Nebenbedingungen 4.23 und 4.24 vorgenommen. Abschließend wird die Hilfsvariable Zjcq berechnet und die Bin¨arvariablen definiert. Zjcq ≥ gjicq
∀ j = L, H, i = 1, ..., nj , c = 1, ..., kj , q = 1, ..., bjc
4.3. Grundlagen der numerischen Analyse xjhi ∈ {0, 1}
117 ∀ j = L, H, h, i = 1, ..., nj , h = i
yji ∈ {0, 1} gjicq ∈ {0, 1}
∀ j = L, H, i = 1, ..., nj ∀ j = L, H, i = 1, ..., nj , c = 1, ..., kj , q = 1, ..., bjc
Nach der Three-Field-Notation kann dieses Problem wie folgt beschrieben werden: IP / UMT/ min (Pi +ICi +T Ci ). Die Abk¨ urzung UMT steht f¨ ur den Begriff unternehmens¨ ubergreifende Maschinenbelegungs- und Transportplanung. Da das MT-Problem ein Spezialfall des UMT-Problems ist, ist auch das IP / UMT/ min (Pi + ICi + T Ci )-Problem NP-schwer.
4.3
Grundlagen der numerischen Analyse
Die im Folgenden vorgenommene numerische Analyse zeigt die Potenziale einer engeren Zusammenarbeit im Sinne des Supply Chain Scheduling gegen¨ uber einer unternehmensinternen Planung auf. Diese Ergebnisse k¨onnen abschließen zu einem Vergleich der Potenziale mit auftretenden Transaktionskosten im Sinne des Transkationskostenmodells aus Kapitel 2.3 herangezogen werden. Bevor jedoch die numerische Analyse durchgef¨ uhrt werden kann, sind einige Annahmen zu treffen und Rahmenbedingungen vorzugeben. Diese werden in Abschnitt 4.3.1 vorgestellt. Dar¨ uber hinaus werden zuf¨allig generierte Instanzen ben¨otigt. Dabei reicht es nicht aus, willk¨ urlich Zahlen zu erzeugen, sondern es m¨ ussen bestimmte Abh¨angigkeiten ber¨ ucksichtigt werden. So ist es beispielsweise nicht sinnvoll, ein Due Date des Herstellers vor dem Due Date des Lieferanten zu generieren. Die Besonderheiten bei der Generierung werden in Abschnitt 4.3.2 vorgestellt.
4.3.1
Modellierung der Planungen
Unternehmensinterne Planung Alle Optimierungen, die in Zusammenhang mit den unternehmensinternen Planungen des Lieferanten und des Herstellers durchgef¨ uhrt werden, beruhen auf dem in Abschnitt 4.2 beschriebenen MT-Modell. Einzig die Zielfunktionen weichen teilweise davon ab. Anhand des Zeitstrahls in Abbildung 4.4 wird der Ablauf der Aktionen des Lieferanten und des Herstellers im Falle der unternehmensinternen Planungen verdeutlicht.
Abbildung 4.4: Zeitlicher Ablauf der Aktionen bei unternehmensinternen Planungen
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
118
Nachdem der betrachtete Auftragsbestand vorliegt, nimmt der Hersteller eine Verteilung der Auftr¨age f¨ ur die Vorprodukte an seine Zulieferer vor. Dabei wird an dieser Stelle angenommen, dass der Hersteller bei einer drohenden Versp¨atung eines Auftrags diesen nicht kurzfristig an einen anderen Zulieferer umdisponieren kann. Die Gr¨ unde k¨onnen in der zu kurzen Reaktionszeit des Herstellers, in dem Spezifit¨atsgrad der Auftr¨age oder in der bereits zu hohen Kapazit¨atsauslastung der anderen Zulieferer liegen. Die Due Dates f¨ ur die Zulieferer ergeben sich aus einer ersten Optimierung des Herstellers, bei der die Lagerhaltungskosten vor der Bearbeitung aus dem folgenden Grund nicht ber¨ ucksichtigt werden m¨ ussen. Der Startzeitpunkt der Bearbeitung eines Auftrags in diesem vorl¨aufigen Plan soll gleichzeitig dem Due urden Date entsprechen, das der Hersteller an den entsprechenden Zulieferer weitergibt.16 W¨ anschließend alle Zulieferer die Vorprodukte p¨ unktlich beziehungsweise JiT anliefern, dann w¨ urde der vorl¨aufige Plan des Herstellers auch der endg¨ ultige sein, da es bei keinem Auftrag zu einer Lagerhaltung vor der Bearbeitung kommt. Die Zielfunktion des MT-Modells f¨ ur die erste Optimierung des Herstellers l¨asst sich wie folgt formulieren.
min
ZM TH1 (EH1 , ..., EHn ; TH1 , ..., THn ; CH1 , ..., CHn ; T SH1 , ..., T SHn ; ZH11 , ..., ZHkbk ) nH
¯ Hi · (T SHi − CHi ) = αHi · EHi + βHi · THi + h i=1
+
kH
bHc
ZHcq · (tf ixH + tvarH · tHc )
c=1 q=1
Der Hersteller hat bei dieser ersten Optimierung das Problem, Bereitstellungszeitpunkte der Vorprodukte, die eigentlich erst durch die Anlieferungszeitpunkte gegeben sind, zu sch¨atzen. W¨ urde der Hersteller unrealistische Bereitstellungszeitpunkte einkalkulieren, k¨onnte es zu hohen Abweichungen zwischen diesen und den sich sp¨ater ergebenden tats¨achlichen Bereitstellungszeitpunkten f¨ uhren. Bei der Auftragsweitergabe durch den Hersteller werden allen Zulieferern gewisse Informationen u ¨bermittelt. Dazu geh¨oren die Due Dates der einzelnen Auftr¨age sowie die zugeh¨origen Verfr¨ uhungs- und Versp¨atungsstrafen. Es wird angenommen, dass der Hersteller gegen¨ uber den Zulieferern dieselben Versp¨atungsstrafen durchsetzt, die er auch an seine Kunden im Fall einer Versp¨atung zahlen muss. Die Verfr¨ uhungsstrafen f¨ ur die Zulieferer sind so bemessen, dass sie gerade den Lagerhaltungskosten vor der Bearbeitung beim Hersteller entsprechen und diese im Fall einer Verfr¨ uhung decken. Die Qualit¨at der Ergebnisse der numerische Analyse ist unabh¨angig von der Annahme, ob die Due Dates und die Strafen vorgegeben oder miteinander verhandelt wurden. 16
Eine zus¨ atzliche Ber¨ ucksichtigung von Pufferzeiten w¨ urde zu steigenden Durchlaufzeiten f¨ uhren und verringert unter Umst¨ anden die Wettbewerbsf¨ ahigkeit der Supply Chain, was nicht im Interesse der Supply Chain Partner ist.
4.3. Grundlagen der numerischen Analyse
119
Im n¨achsten Schritt nimmt der Lieferant seine Planung unter Ber¨ ucksichtigung der vom Hersteller und den anderen Abnehmern erhaltenen Daten vor. W¨ urde er ebenfalls spezifische Vorprodukte beziehen, dann m¨ usste er mit Hilfe einer vorl¨aufigen Planung Due Dates f¨ ur seine Zulieferer bestimmen. Das Vorgehen w¨are analog zu dem des Herstellers im vorherigen Schritt. Es wird unterstellt, dass die Spezifit¨at der Vorprodukte aufw¨arts der Supply Chain abnimmt und keine besonderen Anforderungen an die ben¨otigten Vorprodukte gestellt werden. Aus diesem Grund kann ein vorhandener Lagerbestand angenommen werden, wodurch keine weiteren Beziehungen zu Zulieferern aufw¨arts der Supply Chain zu betrachten sind. Da bei Lagerentnahmen kurzfristig wieder aufgef¨ ullt wird, ist der Lagerbestand konstant und verursacht gleichbleibende, nicht entscheidungsrelevante Lagerhaltungskosten. Eine Reduktion von Lagerhaltungskosten durch ein fr¨ uhzeitiges Einlasten eines Auftrags ist in diesem Szenario nicht m¨oglich, daher wird auf die Lagerhaltungskostens¨ atze vor der Bearbeitung des Vorproduktes verzichtet. Der Zeitpunkt Null beschreibt den Zeitpunkt, ab dem die Maschinen des Lieferanten f¨ ur den betrachteten Auftragsbestand zur Verf¨ ugung stehen. Die Bereitstellungszeitpunkte f¨ ur die Vorprodukte beim Lieferanten betragen ebenfalls Null. Der Lieferant minimiert die Summe aus Verfr¨ uhungs-, Versp¨atungs-, Lagerhaltungskosten nach der Bearbeitung und Transportkosten.
min
ZM TL (EL1 , ..., ELn ; TL1 , ..., TLn ; CL1 , ..., CLn ; T SL1 , ..., T SLn ; ZL11 , ..., ZLkbk ) nL
¯ Li · (T SLi − CLi ) = αLi · ELi + βLi · TLi + h i=1
+
bLc kL
ZLcq · (tf ixL + tvarL · tLc )
c=1 q=1
Nachdem der Lieferant seine Optimierung durchgef¨ uhrt hat, u ¨bermittelt er die sich daraus ergebenden Anlieferungszeitpunkte, die den Bereitstellungszeitpunkten bei den Abnehmern entsprechen, an den Hersteller und die anderen Abnehmer. Diese k¨onnen unter Umst¨anden von den zuvor geforderten Due Dates des Herstellers abweichen. Der Hersteller kann deshalb erst jetzt seine endg¨ ultige Planung auf Grundlage dieser tats¨ achlichen Bereitstellungszeitpunkte vornehmen. Alle Auftr¨age, die an andere Zulieferer gegangen sind, werden p¨ unktlich zu den zuvor festgesetzten Due Dates an den Hersteller geliefert. Dadurch wird eine Verzerrung der Ergebnisse der numerischen Analyse verhindert. Bei der zweiten und endg¨ ultigen Optimierung des Herstellers m¨ ussen auch die Lagerhaltungskosten vor der Bearbeitung ber¨ ucksichtigt werden, da die Vorprodukte ab den Bereitstellungszeitpunkten vorhanden sind und unter Umst¨anden bis zu ihrer Weiterverarbeitung gelagert werden m¨ ussen.
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
120
min
ZM TH2 (EH1 , ..., EHn ; TH1 , ..., THn ; CH1 , ..., CHn ; T SH1 , ..., T SHn ; ZH11 , ..., ZHkbk ) nH
= αHi · EHi + βHi · THi i=1
¯ Hi · (T SHi − CHi ) + hHi · (CHi − pHi − rHi ) + h +
bHc kH
ZHcq · (tf ixH + tvarH · tHc )
c=1 q=1
Es wird angenommen, dass alle Strafzahlungen bei der numerischen Analyse ausschließlich aus vertraglich fixierten beziehungsweise tats¨achlich zu entrichtenden Kosten bestehen. Kosten aufgrund von Reputationsverlusten ließen sich nur durch eine mehrperiodige Betrachtung dieses Planungsszenarios einbeziehen. Opportunit¨atskosten aus der Notwendigkeit der Planungs¨anderung beim Hersteller sind aufgrund des Dilemmas der Opportunit¨atskosten ebenfalls nicht inbegriffen. Erst nachdem alle Planungen durchgef¨ uhrt wurden, kommt es zur eigentlichen Produktion, der Auslieferung und dem Geldtransfer. Die Strafzahlungen werden vom Lieferanten an den Hersteller und an seine anderen Abnehmer sowie vom Hersteller an dessen Kunden get¨atigt. Da alle anderen Zulieferer des Herstellers annahmegem¨aß p¨ unktlich liefern, m¨ ussen diese keine Strafen zahlen. Die Kosten, die dem Hersteller aus seiner endg¨ ultigen Planung entstehen, werden also um die Strafzahlungen des Lieferanten reduziert. Beim Lieferanten ergeben sich die Kosten direkt aus seiner ersten und endg¨ ultigen Optimierung. Unternehmens¨ ubergreifende Planung Der zeitliche Ablauf der Aktionen bei der unternehmens¨ ubergreifenden Planung ist in Abbildung 4.5 veranschaulicht.
Abbildung 4.5: Zeitlicher Ablauf der Aktionen bei der unternehmens¨ ubergreifenden Planung
Der Auftragsbestand des Herstellers sowie die Auftragsverteilung auf die Zulieferer liegt auch hier zu Beginn der Planung vor. Zus¨atzlich ist der Auftragsbestand bekannt, den der Lieferant u ¨ber die Auftr¨age des Herstellers hinaus von seinen anderen Abnehmern erh¨alt. Nach Bereitstellung dieser Informationen kann die unternehmens¨ ubergreifende Planung des Lieferanten und des Herstellers vorgenommen werden. Da dabei weiterhin die Annahme gilt,
4.3. Grundlagen der numerischen Analyse
121
dass die Rohstoffe und Vorprodukte des Lieferanten st¨ andig zur Verf¨ ugung stehen, sind Lagerhaltungskosten vor der Bearbeitung beim Lieferanten hier nicht entscheidungsrelevant. F¨ ur die Vorprodukte, die von anderen Zulieferern an den Hersteller geliefert werden, m¨ ussen wieder realistische Bereitstellungszeitpunkte gesch¨atzt werden, um Due Dates f¨ ur diese bestimmen zu k¨onnen. Bei der numerischen Analyse werden daf¨ ur jeweils dieselben Bereitstellungszeitpunkte verwendet, wie sie im Fall der unternehmensinternen Planungen genutzt werden. Auch die Auspr¨agungen anderer Parameter werden sich nicht unterscheiden, damit die Vergleichbarkeit der unternehmensinternen mit der unternehmens¨ ubergreifenden Planung gegeben ist. Da die anderen Zulieferer auch hier annahmegem¨aß p¨ unktlich an den Hersteller liefern, entsprechen die Due Dates, die diesen u ¨ bermittelt werden, auch den tats¨achlichen Bereitstellungszeitpunkten. Die erste unternehmens¨ ubergreifende Optimierung des Lieferanten und des Herstellers zur Bestimmung der Due Dates f¨ ur die anderen Zulieferer ist somit gleichzeitig die endg¨ ultige. Lagerhaltungskosten vor der Bearbeitung von Auftr¨ agen, die von den anderen Zulieferern kommen, m¨ ussen beim Hersteller nicht ber¨ ucksichtigt werden, da diese JiT eintreffen. F¨ ur Auftr¨age, die vom Lieferanten an den Hersteller geliefert werden, m¨ ussen sie allerdings ber¨ ucksichtigt werden, da sich die Bereitstellungszeitpunkte und die Startzeitpunkte zum Beispiel aufgrund einer Lieferung von mehreren Auftr¨agen mit einem Transportbatch unterscheiden k¨onnen. F¨ ur die Optimierung zur unternehmens¨ ubergreifenden Planung ergibt sich folgende im Vergleich zum UMT-Modell aus Abschnitt 4.2 modifizierte Zielfunktion. Die Nebenbedingungen des UMT-Modells gelten unver¨andert. min ZU M T (EL1 , ..., ELn ; EH1 , ..., EHn ; TL1 , ..., TLn ; TH1 , ..., THn ; T SL1 , ..., T SLn ; T SH1 , ..., T SHn ; CL1 , ..., CLn ; CH1 , ..., CHn ; ZL11 , ..., ZLkbLk ; ZH11 , ..., ZHkbHk ) nL nH
= (αLi · ELi + βLi · TLi ) + (αHi · EHi + βHi · THi ) i=bL1 +1
+
bL1
i=1
hHi · (CHi − pHi − rHi ) +
i=1
+
nj
kj bjc
j=H,L
Zjcq tf ixj + tvarj · tjc
¯ ji · (T Sji − Cji ) +h
i=1
c=1 q=1
4.3.2
Generierung der Instanzen
Der verwendete Instanzgenerator greift auf die Idee des kongruenten Zufallszahlengenerators von Lehmer (1951) zur¨ uck, der auch f¨ ur die Generierung der Instanzen im dritten Kapitel verwendet wurde. Eine detaillierte Beschreibung zur Wahl der Start-Seeds, der einzelnen Rechenoperationen und der Programmierung findet sich in der Arbeit von Biskup und Feld-
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
122
mann (2001). Die verschiedenen Variationsparameter des Instanzgenerators lassen sich wie folgt beschreiben: hmax pmax tmax βmax κ1 κ2 κ3 κ4 κ5 πλ∈{1,...,7}
maximaler Lagerhaltungskostensatz maximale Bearbeitungsdauer maximaler variabler Transportkostensatz maximale Versp¨atungsstrafe Parameter zur Variation der Transportdauer Parameter zur Variation der maximalen Transportbatchkapazit¨ at Parameter zur Variation der Due Dates Parameter zur Variation der Lagerhaltungskostens¨ atze beziehungsweise der Wertsteigerung Parameter zur Variation der fixen Transportkosten Zufallsvariablen
F¨ ur die Bearbeitungszeiten wird ein Intervall definiert, aus dem diese gezogen werden. pji ∼ RD[1, pmax ]
∀ j = L, H, i = 1, ..., nj
F¨ ur pmax wird der Wert 100 angenommen. Aufgrund der Beobachtung in der Arbeit von Biskup, Herrmann und Gupta (2008), dass die Wahl des Intervalls der Bearbeitungsdauern keinen signifikanten Einfluss auf die Ergebnisse einer numerischen Analyse besitzt, wird dieser Wert nicht weiter variiert. Dar¨ uber hinaus wird keine Abh¨angigkeit zwischen den Bearbeitungszeiten der Zulieferer- und Abnehmerstufe unterstellt. Das Intervall, aus dem die m¨oglichen Transportdauern ausgew¨ ahlt werden, h¨angt von der maximalen Bearbeitungsdauer ab. Dies dient dazu, ein sinnvolles Verh¨altnis zwischen der maximalen Bearbeitungszeit und der maximalen Transportdauer zu w¨ahlen. Durch den Parameter κ1 l¨asst sich dieses Verh¨altnis beliebig variieren. tjc ∼ RD [1, κ1 · pmax ]
∀ j = L, H, c = 1, ..., kj
Die Anzahl an Auftr¨agen bL1 , die vom Lieferanten an den Hersteller gehen, wird wie auch die Gr¨oße der beiden Auftragsbest¨ande nL und nH exogen vorgegeben. Dadurch kann die Intensit¨at der Zusammenarbeit variiert werden. Diese Intensit¨at l¨asst sich durch 2 · bL1 /(nL + nH ) bestimmen und gibt das Verh¨altnis zwischen der Anzahl gemeinsamer Auftr¨age und der Gesamtanzahl an Auftr¨ agen der beiden Supply Chain Partner wieder. Die Anzahl der Abnehmer kL und Kunden kH ist hingegen variabel. Es wird zuf¨allig bestimmt, an wie viele Abnehmer der Lieferant beziehungsweise an wie viele Kunden der Hersteller liefert. Dabei m¨ ussen bestimmte Bedingungen eingehalten werden.
4.3. Grundlagen der numerischen Analyse
kL = 1 + π1
123
mit π1 ∼ RD [min{1, nL − bL1 }, nL − bL1 ]
kH ∼ RD [1, nH ] Nachdem die jeweilige Anzahl an Abnehmern beziehungsweise Kunden ermittelt wurde, werden diesen Auftr¨age zugeordnet. Beim Lieferanten ist darauf zu achten, dass nur die Auftr¨age, die nicht an den Hersteller gehen, auf andere Abnehmer verteilt werden. Diesen Abnehmern wird, wie auch den Kunden des Herstellers, zun¨achst jeweils ein Auftrag zugeordnet. Alle u ¨brigen Auftr¨age werden zuf¨allig an diese verteilt, wodurch sich schließlich alle Auspr¨agungen des bin¨aren Parameters wjic ergeben. Dies soll anhand eines Beispiels erl¨autert werden. Der Lieferant und der Hersteller haben jeweils sechs Auftr¨age einzuplanen, also nL = nH = 6. Die Anzahl der Auftr¨age, die vom Lieferanten an den Hersteller gehen, betr¨ agt bL1 = 3, wodurch sich f¨ ur die Intensit¨at der Zusammenarbeit der Wert 0, 5 ergibt. Der Generator bestimmt, dass der Lieferant noch einen weiteren Abnehmer neben dem Hersteller (kL = 2) und dass der Hersteller insgesamt vier Kunden (kH = 4) besitzt. Nun folgt die Zuordnung der Auftr¨age auf die Abnehmer beziehungsweise Kunden nach dem zuvor erl¨auterten Prinzip. Die sich ergebenden bin¨aren Parameter wLic und wHic lassen sich als Matrizen darstellen, wobei die Auftr¨age i in den Zeilen und die zugeh¨origen Kunden in den Spalten abgebildet werden. ⎛
1 ⎜ ⎜1 ⎜ ⎜1 ⎜ (wLic ) = ⎜ ⎜1 ⎜ ⎜0 ⎝ 0
⎞ 0 ⎟ 0⎟ ⎟ 0⎟ ⎟ ⎟, 0⎟ ⎟ 1⎟ ⎠ 1
⎛
1 ⎜ ⎜0 ⎜ ⎜0 ⎜ (wHic ) = ⎜ ⎜0 ⎜ ⎜0 ⎝ 1
0 1 0 0 0 0
0 0 1 0 1 0
⎞ 0 ⎟ 0⎟ ⎟ 0⎟ ⎟ ⎟. 1⎟ ⎟ 0⎟ ⎠ 0
Auf der Zuliefererstufe ist die einzige sinnvolle Bezugsgr¨oße f¨ ur die physischen Transportmengen17 eines Auftrags seine Bearbeitungsdauer. Es soll auf der Herstellerstufe darauf verzichtet werden, die Transportmengen zus¨atzlich von den Transportmengen der Vorprodukte abh¨angig zu machen. Dies wird nicht nur aus Gr¨ unden der Vereinfachung angenommen, sondern auch weil es praxisnahe Beispiele f¨ ur die Unabh¨angigkeit der Transportmengen gibt. In der chemischen Industrie kann es dazu kommen, dass spezielle Granulate nach der Weiterverarbeitung zu einem Kunststoff nur noch einen Bruchteil der vorherigen physischen Gr¨oße ausmachen. Der umgekehrte Fall ist ebenso vorstellbar. Spezielle Steuerungsmodule, die sich 17
Aufgrund der Normen f¨ ur Transportbeh¨ alter wie beispielsweise Schiffscontainer oder Europaletten wird keine Unterscheidung zwischen den Einheiten, in denen die Transportmengen des Lieferanten und des Herstellers gemessen werden, vorgenommen. Ausnahmen wie bei einem Gefahrgut- oder Schwertransport werden hier nicht betrachtet.
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
124
ein Maschinenbauer liefern l¨asst, m¨ ussen ebenfalls in keinem Verh¨altnis zu der Gr¨oße der endmontierten Maschinen stehen.
uji ∼ RD [1, pji ]
∀ j = L, H, i = 1, ..., nj
Es gilt, dass die Kapazit¨at der Transportbatches ¯b mindestens so groß sein soll, dass auch der transportmengenmaximale Auftrag ausgeliefert werden kann. Dar¨ uber hinaus wird ein zuf¨alliger Wert aus dem Intervall Null und dem κ2 -fachen der Mindestkapazit¨at gezogen und auf die Mindestkapazit¨at addiert. Somit besteht die M¨oglichkeit die Instanzen im Bezug auf verschiedene Transportszenarien zu variieren. ¯bj = max{uji } + π2 i
mit π2 ∼ RD 0, κ2 · max{uji } i
∀ j = L, H
Die Vertriebsmitarbeiter eines Unternehmens lassen sich in der Regel nicht auf Due Dates ein, die sie nicht einhalten k¨onnen.18 Daher entspricht die Untergrenze des Intervalls, aus dem die Due Dates zuf¨allig gezogen werden, dem fr¨ uhestm¨oglichen Zeitpunkt, ab welchem ein Auftrag unter Ber¨ ucksichtigung der anfallenden Transport- und Bearbeitungszeiten am Bestimmungsort angeliefert werden kann. Je nachdem, ob es sich um einen Auftrag handelt, der nur vom Lieferanten (Gleichung 4.25), nur vom Hersteller (Gleichung 4.27) oder von beiden (Gleichung 4.26) bearbeitet wird, m¨ ussen unterschiedliche Parameter einbezogen werden, um sinnvolle Intervalle f¨ ur die Ermittlung der Due Dates zu erhalten.
dLi = pLi +
kL
c=1
wLic · tLc + π3
kL nL
κ3
mit π3 ∼ RD 0, wLic · tLc pLi + mL i=1 c=1 ⎛ ⎞ kj
⎝ wjic · tjc ⎠ + π4 pji + dHi = j=L,H
Vgl. Kapitel 3.2.3.
(4.25)
∀ i = 1, ..., bL1
(4.26)
c=1
nH kH
κ3
mit π4 ∼ RD 0, wHic · tHc pHi + mH i=1 c=1
18
∀ i = bL1 + 1, ..., nL
4.3. Grundlagen der numerischen Analyse
ˆLi dHi = pˆLi ˆ +t ˆ + pHi + mit π5 ∼ RD 0,
kH
125
wHic · tHc + π5
c=1
nH kH
κ3
wHic · tHc pHi + mH i=1 c=1
∀ i = bL1 + 1, ..., nH
(4.27)
Der Faktor κ3 beschreibt, wie knapp die Due Dates gesetzt werden beziehungsweise inwieweit es den Vertriebsmitarbeitern in den Verhandlungen m¨oglich ist, gegen¨ uber Nachfragern sp¨atere Due Dates als die fr¨ uhestm¨oglichen durchzusetzen. Da die Auftr¨age i = bL1 + 1, .., nH des Herstellers nicht vom Lieferanten geliefert werden und somit ihre Bearbeitungs- und Transportdauern auf der Zuliefererstufe bisher nicht ermittelt wurden, m¨ ussen fiktive Parameter eingef¨ uhrt und generiert werden. Die Parameter, die diesen Hilfestellungscharakter zur Bestimmung einer sinnvollen Instanz haben, werden mit einem Dach gekennzeichnet. ˆ stellt dabei die anderen Zulieferer des Herstellers dar, und H ˆ symbolisiert Der Parameter L die anderen Abnehmer des Lieferanten. Die Transportdauern werden in diesem Fall vereinfachend auftragsbezogen bestimmt, was keinen negativen Einfluss auf die Aussagekraft der numerischen Analyse hat. Die Bereitstellungszeitpunkte beim Lieferanten sind sowohl im Fall der unternehmensinternen als auch bei der unternehmens¨ ubergreifenden Planung, wie in Abschnitt 4.3.1 erl¨autert wurde, gleich Null. Der Hersteller f¨ uhrt im Fall der unternehmensinternen Planungen zwei Optimierungen mit jeweils verschiedenen Bereitstellungszeitpunkten durch. Bei seiner zweiten und endg¨ ultigen Optimierung verwendet er die tats¨achlichen Bereitstellungszeitpunkte, die er von seinen Zulieferern mitgeteilt bekommt. Diese m¨ ussen nicht generiert werden, da sie sich aus dem Planungsprozess ergeben. Bei der ersten Optimierung zur Bestimmung der Due Dates f¨ ur die Zulieferer muss er jedoch realistische Bereitstellungszeitpunkte sch¨atzen, die generiert werden m¨ ussen. Der Hersteller ist sich bewusst, dass die Vorprodukte zun¨achst hergestellt und zu ihm transportieren werden m¨ ussen und die Zulieferer aus Kapazit¨atsgr¨ unden nicht zu knappe Due Dates annehmen werden. Es wird deshalb angenommen, dass der Hersteller f¨ ur seine vorl¨aufige Planung Bereitstellungszeitpunkte benutzt, deren Sch¨atzung auf derselben Grundlage beruhen wie die obige Bestimmung der Due Dates von Auftr¨ agen des Lieferanten, die an andere Abnehmer gehen. Bei Vorprodukten, die von anderen Zulieferern an den Hersteller gehen, wird angenommen, dass die Zulieferer dieselben Kapazit¨atsauslastungen nL /mL wie der Lieferant haben. Darauf aufbauend wird mit fiktiven Bearbeitungsund Transportdauern die Sch¨atzung der Bereitstellungszeitpunkte vorgenommen. Die fiktiven Bearbeitungsdauern werden dabei als Durchschnittsbearbeitungsdauer der Auftr¨ age des jeweiligen Zulieferers betrachtet, da keine anderen Bearbeitungsdauern seines Auftragsbestandes bekannt sind. Im Fall der unternehmens¨ ubergreifenden Planung werden nur die
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
126
Bereitstellungszeitpunkte von Vorprodukten ben¨otigt, die von anderen Zulieferern an den Hersteller gehen.
rLi = 0 rHi = pLi + tL1 + π6 ˆLi rHi = pˆLi ˆ +t ˆ + π7
mit π6 ∼ RD 0,
κ3 mL
nL
(pLi + tL1 )
i=1 ! " #$ κ3 · nL ˆLi mit π7 ∼ RD 0, pˆLi ˆ +t ˆ mL
∀ i = 1, ..., nL ∀ i = 1, ..., bL1 ∀ i = bL1 + 1, .., nH
Ein Auftrag kann in vier Zeitintervallen gelagert werden. Das sind jeweils die Zeitintervalle vor und nach der Bearbeitung auf der Zuliefererstufe und auf der Abnehmerstufe. Die Lagerhaltungskostens¨atze nach der Bearbeitung im Warenausgangslager des Lieferanten k¨ onnen sich von denen des Herstellers vor der Bearbeitung im Wareneingangslager unterscheiden. Gr¨ unde daf¨ ur k¨onnen beispielsweise in einer unterschiedlichen Bewertung des Lagergutes19 beziehungsweise des Lagerplatzes oder in den mit verschiedenen Lagerhaltungstechniken einhergehenden Kosten liegen. Diese Aspekte werden durch die folgende Form der Generierung der auftragsindividuellen Lagerhaltungskostens¨ atze auf Grundlage der Bearbeitungsdauern, ucksichtigt. Die Lagerhalder physischen Gr¨oße eines Auftrags sowie dem Parameter hmax ber¨ tungskostens¨atze der Auftr¨age vor der Bearbeitung auf der Zuliefererstufe, die annahmegem¨aß nicht entscheidungsrelevant sind, werden nicht zuf¨allig aus einem Intervall gew¨ahlt. Sie bilden die Grundlage zur Bestimmung der weiteren Lagerhaltungskostens¨atze. Die Abh¨angigkeit der Lagerhaltungskosten von der Bearbeitungsdauer wird indirekt den Wert des Produktes und damit die Kapitalbindungskosten widerspiegeln. Die Ber¨ ucksichtigung der physischen Gr¨oße des Produktes wird f¨ ur die r¨aumliche Inanspruchnahme stehen und somit ebenfalls ein Kostenfaktor der Lagerhaltung darstellen.20 Durch den Parameter hmax wird eine Obergrenze f¨ ur die Lagerhaltungskostens¨atze festgelegt.
" # pLi + uLi hLi = max 1, · hmax 2 · pmax
19
∀ i = 1, ..., nL
Eine unterschiedliche Bewertung eines Lagergutes kann z.B. an den Bewertungsfaktoren liegen, die auf der jeweiligen Supply-Chain-Stufe Einfluss auf die Kapitalbindung haben. Beispielsweise die Herstellkosten, Transportkosten oder Einkaufspreise. 20 An dieser Stelle besteht zus¨atzlich die M¨ oglichkeit, die verschiedenen Kosten der Lagerhaltung unterschiedlich zu gewichten.
4.3. Grundlagen der numerischen Analyse
127
Die weiteren Lagerhaltungskostens¨ atze werden zuf¨allig aus den folgenden Intervallen gezogen. Die Untergrenze wird durch den vorherigen Lagerhaltungskostensatz eines Auftrags, multipliziert mit einem Wertsteigerungsparameter κ4 , der die zunehmende Wertsch¨opfung und die damit verbundene Kapitalbindung abw¨arts der Supply Chain ausdr¨ uckt, fixiert. '( % & ¯ ji ∼ RD max 1, κ4 · h , hmax h ji % & '( ¯ Li , hmax hHi ∼ RD max 1, κ4 · h +, ) * ˆ¯ , hmax hHj ∼ RD max 1, κ4 · h ˆ Lj
∀ j = L, H, i = 1, ..., nj ∀ i = 1, ..., bL1 ∀ i = bL1 + 1, ..., nH
Analog zum Abschnitt 4.3.1 wird vereinfachend angenommen, dass der Lieferant im Fall einer verfr¨ uhten Lieferung die Lagerhaltungskosten des Abnehmers in Form der Verfr¨ uhungsstrafe tr¨agt. αLi = hHi
∀ i = 1, ..., bL1
ˆˆ αLi = h Hi
∀ i = bL1 + 1, ..., nL
Da die Lagerhaltungskosten beim Kunden unbekannt sind, wird die Verfr¨ uhungsstrafe aus einem Intervall gezogen, das sich analog zu den Intervallen bei der Generierung der Lagerhaltungskosten ergibt. % ( ¯ Hi , hmax αHi ∼ RD max 1, κ4 · h
∀ i = 1, ..., nH
Der Hersteller setzt im Fall der unternehmensinternen Planungen annahmegem¨ aß die f¨ ur ihn geltenden Versp¨atungsstrafen auch bei seinen Lieferanten durch. Ansonsten gilt, dass die Versp¨atungsstrafen h¨oher als die Verfr¨ uhungsstrafen sein sollen. Dies ist darauf zur¨ uckzuf¨ uhren, dass bei der Versp¨atung eines Auftrags der urspr¨ ungliche Plan des Abnehmers beziehungsweise des Kunden oft nicht mehr durchgef¨ uhrt werden kann und es zu einer neuen Planung kommt. Der versp¨atete Auftrag muss in dem neuen Plan eventuell zun¨achst gelagert werden. Zus¨atzlich kann eine monet¨are Bestrafung der Versp¨atung vertraglich geregelt sein, so dass eine Versp¨atungsstrafe in der Regel gr¨ oßer oder gleich der Verfr¨ uhungsstrafe bemessen sein wird.
βLi = βLi βLi ∼ RD [αLi , βmax ]
∀ i = 1, ..., bL1 ∀i = bL1 + 1, ..., nL
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
128
βHi ∼ RD [αHi , βmax ]
∀i = 1, ..., nH
Da sich der Lieferant und der Hersteller den gleichen Transportbedingungen gegen¨ ubergestellt sehen, werden f¨ ur sie dieselben Transportkostenparameter gew¨ahlt. Dabei gibt κ5 an, in welchem Verh¨altnis die maximalen fixen Transportkosten zu den maximalen variablen Transportkosten stehen sollen. tvarL = tvarH ∼ RD [1, tmax ] tf ixL = tf ixH ∼ RD [1, κ5 · tmax ] Diese komplizierte Generierung ist notwendig, um realit¨atsnahe Instanzen f¨ ur die numerische Analyse zu erhalten. Anhand einer mit dem Generator erzeugten Beispielinstanz soll dies noch einmal verdeutlicht werden. Dabei werden auf jeder Stufe sechs Auftr¨age (nL = nH = 6) age auf zwei identischen parallelen Maschinen (mL = mH = 2) bearbeitet, wobei vier Auftr¨ von dem Lieferanten an den Hersteller geliefert werden (bL1 = 4). F¨ ur die Anzahl an Abnehmern beziehungsweise Kunden ergibt sich kL = 2 und kH = 4. Der Hersteller kann maximal zwei weitere Zulieferer besitzen.21 Die daraus resultierenden Auspr¨agungen des bin¨aren Parameters wjic sind auf Seite 123 dargestellt. Aus der bisher vorgestellten Konstellation ergibt sich die in Abbildung 4.6 dargestellte Supply Chain.
Abbildung 4.6: Beispiel einer Supply Chain 21
Da die weiteren Zulieferer nur durch ihre Bereitstellungszeitpunkte Einfluss auf den Plan des Herstellers haben und sie annahmegem¨ aß immer p¨ unktlich liefern, ist ihre Anzahl f¨ ur die Problemstellung unbedeutend und wird deshalb nicht generiert. In der Abbildung wurde die maximale Anzahl an m¨ oglichen weiteren Zulieferern ber¨ ucksichtigt.
4.3. Grundlagen der numerischen Analyse
129
Die Bearbeitungszeiten mit dem maximalen Wert in H¨ohe von pmax = 100, die physischen Transportmengen, die Due Dates auf Basis des Variationsparameters κ3 = 0, 4 und die Bereitstellungszeitpunkte lassen sich wie folgt als Vektoren darstellen. Anhand der Bearbeitungsdauern wird die Vektorschreibweise der generierten Daten deutlich: pL = (pL1 , pL2 , . . . , pL6 ).
pL = (48, 40, 54, 90, 96, 14)
pH = (44, 25, 52, 56, 84, 64)
uL = (5, 26, 32, 57, 64, 2)
uH = (36, 11, 19, 44, 55, 1)
dL = (94, 81, 138, 190, 143, 21)
dH = (175, 150, 173, 182, 186, 181)
rL = (0, 0, 0, 0, 0, 0)
rH = (94, 67, 132, 133, 102, 123).
Weiterhin sind die Strafen und Lagerhaltungskostens¨atze zu bestimmen. Die Variationsparameter lauten κ4 = 0, 5, hmax = 10 und βmax = 10, wodurch sich folgende Vektoren ergeben:
hL = (0, 0, 0, 0, 0, 0) ¯ L = (10, 7, 7, 9, 4, 2) h
hH = (9, 8, 3, 8, 6, 4) ¯ H = (5, 8, 6, 5, 10, 8) h
αL = (9, 8, 3, 8, 7, 7)
αH = (3, 6, 9, 6, 7, 6)
βL = (6, 8, 9, 7, 8, 8)
βH = (6, 8, 9, 7, 7, 8).
F¨ ur die Parameter, die sich auf die Transporteinheiten beziehen, gelten schließlich die Einstellungen κ1 = 0, 2, κ2 = 1, κ5 = 10 und tmax = 10. Daraus resultieren die Transportaten ¯bL = ¯bH = 114, dauern tL = (7, 4) und tH = (20, 8, 18, 1), die Transportbatchkapazit¨ die variablen Transportkostens¨ atze tvarL = tvarH = 2 sowie die fixen Transportkosten tf ixL = tf ixH = 61. In den folgenden Gantt-Diagrammen (Abbildungen 4.7 bis 4.9) sind zun¨ achst die Zusammenf¨ uhrung der unternehmensinternen Optimierungen und anschließend die unternehmens¨ ubergreifende Optimierung zu dieser Beispielinstanz dargestellt. Die Auftr¨age, die nur vom Lieferanten (Hersteller) und nicht vom Hersteller (Lieferanten) bearbeitet werden, sind mit dem Index L (H) gekennzeichnet. Bei den unternehmensinternen Planungen fallen in diesem Zahlenbeispiel insgesamt Kosten in H¨ohe von 3.247 an. Die unternehmens¨ ubergreifende Planung ergibt dagegen einen ur die Kostenabweichung von mehr als 20 Zielfunktionswert von ZU M T = 2.529. Der Grund f¨ Prozent basiert auf verschiedenen Effekten, die im folgenden Abschnitt vorgestellt und mit Hilfe der numerischen Analyse belegt werden.
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling 130
Abbildung 4.7: Gantt-Diagramm der unternehmensinternen Optimierung des Lieferanten
Abbildung 4.8: Gantt-Diagramm der unternehmensinternen Optimierung des Herstellers
Abbildung 4.9: Gantt-Diagramm einer unternehmens¨ ubergreifenden Optimierung
4.3. Grundlagen der numerischen Analyse 131
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
132
4.4
Numerische Analyse
Die Durchf¨ uhrung der numerischen Analyse fand auf der Grundlage von Instanzen des beschriebenen Generators statt. Dabei wurden die in der Beispielinstanz verwendeten sinnvollen Generatoreinstellungen verwendet. Die einzige Variation wurde bei der Intensit¨at der Zusammenarbeit vorgenommen, indem bL1 von Eins bis Sechs variierte. Die betrachteten Intensit¨aten der Zusammenarbeit ergeben sich dadurch mit 2 · 1/(6 + 6) = 1/6, 1/3, 1/2, 2/3, 5/6 und 1.22 F¨ ur jede Intensit¨at der Zusammenarbeit wurden 30 Instanzen mit der Software LINGO 11.0 und einem Pentium Core 2 Duo Computer (1,7 GHz) mit 2048 MB Arbeitsspeicher berechnet. Die Rechenzeiten bei den unternehmens¨ ubergreifenden Planungen betrugen teilweise mehrere Stunden pro Instanz, w¨ahrend die unternehmensinternen Planungen jeweils h¨ochstens Minuten in Anspruch nahmen. Die Kosten, die aufgrund der verl¨angerten Rechenzeiten bei einer engeren Zusammenarbeit in einer Supply Chain entstehen, sind ein Beispiel f¨ ur Transaktionskosten. Es muss gepr¨ uft werden, ob der durch die Zusammenarbeit entstehende Vorteil der unternehmens¨ ubergreifenden Planung die Transaktionskosten u ¨bersteigt und damit eine tats¨achliche Erh¨ohung der Wettbewerbsf¨ahigkeit erzielt wird. Die Abbildung 4.10 zeigt den Verlauf der durchschnittlichen Kosten bei einer unternehmens¨ ubergreifenden Planung mit dem UMT-Modell und bei den unternehmensinternen Planungen mit dem MT-Modell in Abh¨angigkeit von der Intensit¨ at der Zusammenarbeit.
Abbildung 4.10: Durchschnittliche Kosten bei Planung mit dem MT- beziehungsweise UMTModell
Der Verlauf der durchschnittlichen Kosten bei den unternehmensinternen Planungen ist zwischen 1/6 und 5/6 ann¨ahernd konstant und nimmt bei einer Intensit¨ at der Zusammenar22
Vgl. zur Bestimmung der Intensit¨ at der Zusammenarbeit Kapitel 4.3.2, S. 122.
4.4. Numerische Analyse
133
beit von 1 erheblich ab. Der Verlauf bei der unternehmens¨ ubergreifenden Planung ist monoton fallend, wobei er zwischen 1/3 und 2/3 relativ flach ist. Bei einer Zusammenarbeit von 1 ist ebenfalls eine erhebliche Kostenreduktion zu erkennen. Um die Differenz der Kosten zu veranschaulichen, zeigt die Abbildung 4.11 die durchschnittlichen prozentualen Kostenersparnisse durch die unternehmens¨ ubergreifende Planung f¨ ur die jeweilige Intensit¨at der Zusammenarbeit.
Abbildung 4.11: Durchschnittliche Kostenersparnisse
Der monoton wachsende Verlauf der Kostenersparnisse impliziert, dass mit einem Anstieg der Intensit¨at der Zusammenarbeit die Ersparnisse durch eine unternehmens¨ ubergreifende Planung zunehmen. W¨ahrend bei einer geringen Intensit¨at der Zusammenarbeit Kostenersparnisse von 3 % bis 12 % m¨oglich sind, ist das durchschnittliche Kostensenkungspotenzial bei einer hohen Intensit¨at bei u ¨ber 25 %. Teilweise wurden sogar Kosteneinsparungen von u ¨ber 50 % erreicht. Das enorme Kostensenkungspotenzial entsteht dadurch, dass bestimmte Ineffizienzen von unternehmensinternen Maschinenbelegungs- und Transportplanungen durch eine unternehmens¨ ubergreifende Planung beziehungsweise das Supply Chain Scheduling vermieden werden k¨onnen. Diese Ineffizienzen entstehen durch die drei im Folgenden erl¨auterten Effekte: Durchlaufzeit-, Lagerhaltungs- und Transportbatcheffekt. Durchlaufzeiteffekt Der Durchlaufzeiteffekt steht f¨ ur die h¨oheren Durchlaufzeiten einer unternehmensinternen im Gegensatz zu einer unternehmens¨ ubergreifenden Maschinenbelegungs- und Transportplauhren zu einer sinkenden Wettbewerbsf¨ahigkeit der Supply nung.23 H¨ohere Durchlaufzeiten f¨ 23
Die Durchlaufzeiten der hier durchgef¨ uhrten Planung entsprechen den Transportstartzeitpunkten beim Hersteller.
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
134
Chain, da eine Reaktion auf kurzfristige Markt¨ anderungen schwieriger ist, die Qualit¨at der Produkte abnimmt und es zu Versp¨atungen kommen kann. Der Durchlaufzeiteffekt l¨asst sich mit der numerischen Analyse belegen. Die Abbildung 4.12 zeigt die durchschnittlichen prozentualen Verk¨ urzungen der Durchlaufzeiten beziehungsweise Transportstartzeitpunkte durch die unternehmens¨ ubergreifende Planung in Abh¨angigkeit von der Intensit¨ at der Zusammenarbeit.
Abbildung 4.12: Durchschnittliche Reduktion der Durchlaufzeiten
Je intensiver die Zusammenarbeit ist, desto gr¨oßer ist das Potenzial, eine Reduktion der Durchlaufzeiten mit Hilfe des Supply Chain Scheduling zu erreichen. Durch die Reduzierung des Durchlaufzeiteffektes ist gleichzeitig eine Reduktion der Versp¨atungen m¨oglich. Die Abbildung 4.13 stellt das Potenzial der unternehmens¨ ubergreifenden Planung zur Reduzierung von Versp¨atungen in Abh¨angigkeit von der Intensit¨at der Zusammenarbeit dar. Bei einer Intensit¨at der Zusammenarbeit von Eins wird eine durchschnittliche Reduktion von fast 40 % erreicht. Warum f¨ uhren aber unternehmensinterne Planungen zu h¨oheren Durchlaufzeiten als eine unternehmens¨ ubergreifende Planung, obwohl die Bearbeitungs- und Transportdauern unver¨andert bleiben? Die Antwort liegt in den dekomponierten Betrachtungen und der damit fehlenden Abstimmung der Einzelpl¨ane. Der Lieferant konzentriert sich beispielsweise ausschließlich auf die Due Dates, die ihm vom Hersteller und den anderen Abnehmern vorgegeben werden und nicht auf die Due Dates, die die Kunden an die Abnehmerstufe weitergeben. Somit kann wie bei der Beispielinstanz Leerzeit auf der Stufe des Lieferanten entstehen, obwohl der Auftrag Vier beim Hersteller erhebliche Versp¨atungen verursacht.24 24
Siehe Abbildungen 4.7-4.9
4.4. Numerische Analyse
135
Abbildung 4.13: Durchschnittliche Reduktion der Versp¨ atungen
In einer anschließenden Analyse sollte untersucht werden, ob sich der Durchlaufzeiteffekt mit der Anzahl an betrachteten Fertigungsstufen, die jeweils ein MT-Problem zu l¨osen haben, ansteigt beziehungsweise ob es zu einem Aufschaukeln der Durchlaufzeiten abw¨arts der Supply Chain kommt.
Lagerhaltungseffekt Der Lieferant zieht meist die Lagerung eines verfr¨ uhten Auftrags gegen¨ uber einer verfr¨ uhten Lieferung zum Hersteller vor. Dieses Verhalten macht Sinn, wenn die Verfr¨ uhungsstrafe, die hier annahmegem¨aß den Lagerhaltungskosten vor der Bearbeitung beim Hersteller entspricht, h¨oher ist als der Lagerhaltungskostensatz nach der Bearbeitung beim Lieferanten. Die Lagerhaltungskostens¨atze m¨ ussen abw¨arts der Supply Chain zwar nicht zwangsl¨aufig zunehmen, jedoch wurden die Instanzen so generiert, dass sie dies in der Regel tun. Der Grund daf¨ ur liegt wie bereits in Abschnitt 4.3.2 erl¨autert in der steigenden Wertsch¨opfung und somit auch in der Kapitalbindung abw¨arts der Supply Chain. Die Entscheidung des Lieferanten f¨ ur eine Lagerung eines verfr¨ uht fertiggestellten Auftrags f¨ uhrt zu einem Bereitstellungszeitpunkt beim Hersteller, der dem vorab angegebenen Due Date entspricht. Das erscheint auf den ersten Blick unproblematisch oder sogar positiv. Zu Problemen kann diese Entscheidung jedoch dann f¨ uhren, wenn zumindest ein anderer Auftrag versp¨atet beim Hersteller angeliefert wird und dieser somit gezwungen ist, eine neue Planung durchzuf¨ uhren. Dadurch, dass der Lieferant den Auftrag nicht verfr¨ uht anliefert, sind bei der neuen Planung des Herstellers die Freiheitsgrade zur L¨osung des Maschinenbelegungs- und Transportplanungsproblems reduziert.
136
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
Die Abbildung 4.14 zeigt die durchschnittlichen Lagerhaltungsdauern pro Auftrag nach Bearbeitung beim Lieferanten und beim Hersteller u ¨ber alle 180 berechneten Instanzen.25 Dies ist sowohl f¨ ur die unternehmensinternen Planungen mit dem MT-Modell als auch f¨ ur die unternehmens¨ ubergreifende Planung mit dem UMT-Modell dargestellt.
Abbildung 4.14: Durchschnittliche Lagerhaltungsdauern nach der Bearbeitung pro Fertigungsstufe und Auftrag
Bei der unternehmens¨ ubergreifenden Planung, dem Optimum des aggregierten Problems beider Supply Chain Partner, ist die Aufteilung der durchschnittlichen Lagerhaltungsdauern zwischen Lieferant und Hersteller wesentlich ausgeglichener. Dadurch wird indirekt das Problem deutlich, dass bei den unternehmensinternen Planungen nach der Bearbeitung beim Lieferanten im Mittel zuviel gelagert wird. Ein zweites Lagerhaltungsproblem besteht darin, dass die M¨oglichkeit einer g¨ unstigeren Lagerhaltung auf einer vor- oder nachgelagerten Stufe der Supply Chain bei den unternehmensinternen Planungen nicht vollst¨andig gepr¨ uft wird. Der Lieferant hat beispielsweise keine Informationen u ¨ber die Lagerhaltungskostens¨atze nach der Bearbeitung beim Hersteller. Praktische Beispiele daf¨ ur, dass Lagerhaltungskostens¨ atze abw¨arts der Supply Chain in bestimmten F¨allen auch abnehmen k¨onnen, wurden in Abschnitt 4.3.2 angebracht. Es kann somit bei den unternehmensinternen Planungen aufgrund der eingeschr¨ankten Informationslagen dazu kommen, dass aus einer ganzheitlichen Supply Chain Sicht ineffizient gelagert wird. Ans¨atze zur L¨osung von Teilproblemen existieren bereits in der Praxis, wie beispielsweise das VMI.26 25
Die Lagerhaltungsdauern vor der Bearbeitung werden vernachl¨ assigt, da sie auf der Zuliefererstufe zu nicht entscheidungsrelevanten Kosten f¨ uhren und somit nicht sinnvoll mit denen auf der Abnehmerstufe verglichen werden k¨ onnen.
4.4. Numerische Analyse
137
Diese beiden Probleme, die Reduzierung der Freiheitsgrade beim Hersteller und die unterschiedlichen Lagerhaltungskostens¨atze entlang der Supply Chain, f¨ uhren zum Lagerhaltungseffekt, der f¨ ur eine ineffiziente Lagerhaltung von Auftr¨agen w¨ahrend ihres Verlaufs durch die Supply Chain steht.
Transportbatcheffekt Der Transportbatcheffekt beschreibt die fehlende, die u ¨berfl¨ ussige und/oder die falsche Zusammenlegung mehrerer Auftr¨age zu einem Transportbatch. Die Nachteile der fehlenden Zusammenlegung werden auch von Hall und Potts (2003) erl¨ autert. Durch einen gemeinsamen Transport von Auftr¨agen k¨onnen oft Transportkosten gespart werden. Eine u ¨berfl¨ ussige Zusammenlegung von Auftr¨agen liegt dann vor, wenn in den unternehmensinternen Planungen Zusammenlegungen von Auftr¨agen zu Transportbatches entstehen, die aus Sicht der ganzheitlichen Supply Chain nicht sinnvoll sind. Dieser Fall tritt in der Beispielinstanz auf. Der Transport der Auftr¨ age Drei und F¨ unf des Herstellers in einem Transportbatch ist bei der unternehmens¨ ubergreifenden Planung nicht vorgesehen. Eine falsche Zusammenlegung entsteht dann, wenn die unternehmensinternen Planungen zwar eine Zusammenlegung von Auftr¨agen zu einem Transportbatch vorsehen, dies aber eine andere Zusammensetzung ist als die der unternehmens¨ ubergreifenden Planung. Auch dieser Fall kommt in der Beispielinstanz mit dem Batching des Lieferanten der Auftr¨age Eins und Zwei bei der unternehmensinternen beziehungsweise Eins und Drei bei der unternehmens¨ ubergreifenden Planung vor. Die Abbildung 4.15 zeigt die durchschnittliche Abweichung der Anzahl an Transportbatches bei unternehmensinternen von den unternehmens¨ubergreifenden Planungen in Abh¨angigkeit von der Intensit¨at der Zusammenarbeit. Der Verlauf zeigt, dass bei einer Intensit¨at der Zusammenarbeit von 1/6 bis 2/3 die Abweichungen zwischen der Anzahl an Transportbatches um die Null Prozent liegen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass es keinen Unterschied zwischen den Kosten bei den unternehmensinternen Planungen und der unternehmens¨ ubergreifenden Planung gibt. Die Effekte der fehlenden, der u ¨ berfl¨ ussigen und/oder der falschen Zusammenlegung von Auftr¨agen heben sich gegenseitig auf. Bei einer Intensit¨at von 5/6 und 1 zeigt sich deutlich, dass der Transportbatcheffekt im Wesentlichen aus der fehlenden Zusammenlegung von Auftr¨agen besteht. Somit wird verdeutlicht, dass der Transportbatcheffekt von Hall und Potts (2003) erst bei einer hohen Intensit¨at der Zusammenarbeit zur Geltung kommt. Die fehlende Zusammenlegung von Auftr¨agen zu Transportbatches bei den unternehmensinternen Planungen f¨ ur eine hohe Intensit¨at der Zusammenarbeit kann belegt werden. 26
Da bei der Generierung der Instanzen die Annahme gilt, dass die Lagerhaltungskosten vor der Bearbeitung den Verfr¨ uhungsstrafen entsprechen, ist bei den unternehmensinternen Planungen eine Art indirektes VMI ber¨ ucksichtigt worden.
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
138
Abbildung 4.15: Durchschnittliche Abweichung der Anzahl an Transportbatches
4.5
Zusammenfassung
In Kapitel 4 wurden zwei Optimierungsmodelle zum Supply Chain Scheduling vorgestellt. Mit Hilfe dieser Modelle konnten drei Effekte herausgearbeitet werden, die bei unternehmensinternen Maschinenbelegungs- und Transportplanungen zu Ineffizienzen f¨ uhren. Durch eine unternehmens¨ ubergreifende Planung konnten diese drei Effekte reduziert werden. Dies f¨ uhrte dazu, dass je nach Intensit¨at der Zusammenarbeit im Mittel bis zu 25 % der Kosten eingespart werden konnten. Die drei Effekte k¨onnen nicht unabh¨angig voneinander behandelt werden, da die Reduzierung eines Effektes zur Verst¨arkung eines anderen f¨ uhren kann. Diese Interdependenz der Effekte wird durch die Abbildung 4.16 verdeutlicht. Wenn das Dreieck alle m¨oglichen Trade Offs zwischen den drei Effekten enth¨alt, dann gibt es eine Teilmenge, die zum Optimum aus einer ganzheitlichen Supply Chain Sicht f¨ uhrt. Im Folgenden werden die Auswirkungen auf die anderen beiden Effekte beschrieben, die durch eine alleinige Betrachtung eines Effektes entstehen k¨onnen. Versucht der Hersteller, den Durchlaufzeiteffekt unternehmensintern zu reduzieren, indem er knappere Due Dates an die Zulieferer weitergibt oder die Lagerhaltung nach der Bearbeitung reduziert beziehungsweise Auftr¨age direkt nach Fertigstellung ausliefert, hat dies folgende Auswirkungen f¨ ur ihn: • Knappe Due Dates f¨ uhren zu einer h¨oheren Wahrscheinlichkeit, dass die Zulieferer Auftr¨age versp¨atet anliefern, wodurch es zu einer starken Abweichung von der ersten Optimierung kommen kann. Die notwendig werdende neue Planung kann alle drei Effekte bewirken.
4.5. Zusammenfassung
139
Abbildung 4.16: Trade-off zwischen den Effekten
• Durch eine Reduktion der Lagerhaltung nach der Bearbeitung, beispielsweise durch eine rechtzeitige Auslieferung der Auftr¨age, kann der Durchlaufzeit- sowie der Lagerhaltungseffekt zwar reduziert werden, der Transportbatcheffekt erh¨oht sich jedoch, da die Vorteile einer Zusammenlegung von Auftr¨agen nicht mehr ber¨ ucksichtigt werden. Die beschriebenen Ans¨atze des Herstellers zur Reduzierung des Durchlaufzeiteffektes wirken sich wie folgt auf den Lieferanten aus: • Durch knappe Due Dates des Herstellers reduzieren sich die Freiheitsgrade bei der Planung des Lieferanten und damit die Leerzeit und die Lagerhaltung. Es kann zudem dazu kommen, dass mehr Transportbatches gebildet werden m¨ ussen. Dies f¨ uhrt zwar generell zu einer Senkung des Durchlaufzeiteffektes, kann jedoch eine Erh¨ohung des Transportbatcheffektes beim Lieferanten bewirken. Durch die Reduzierung der Lagerhaltung auf der Zuliefererstufe kann es zu einer Verschiebung der Lagerhaltung abw¨ arts der Supply Chain kommen, die bei steigenden Lagerhaltungskosten zu einem Anstieg des Lagerhaltungseffektes der Supply Chain f¨ uhrt. • Die Reduktion der Lagerhaltung nach der Bearbeitung sowie die fehlende Zusammenlegung von Auftr¨agen zu Transportbatches beim Hersteller haben keinen direkten Einfluss auf den Lieferanten Der Lieferant hat die M¨oglichkeit, durch eine Reduzierung der Lagerhaltung sowie eine sofortige Lieferung nach der Bearbeitung den Durchlaufzeiteffekt zu reduzieren. Diese Ans¨atze wirken sich auf den Hersteller und den Lieferanten wie folgt aus:
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
140
• Die Reduktion der Lagerhaltung auf der Zuliefererstufe kann unter der Pr¨amisse steigender Lagerhaltungskosten zu einer vermehrten Lagerhaltung abw¨ arts der Supply Chain und damit zu erh¨ohten Lagerhaltungskosten f¨ uhren. • Durch die Reduktion der Lagerhaltung sowie die sofortigen Lieferungen erh¨ alt der Hersteller mehr Freiheitsgrade bei seiner Planung, wodurch die Wahrscheinlichkeit der Durchf¨ uhrung seiner ersten Optimierung steigt oder durch unerwartet fr¨ uhe Lieferungen sogar verbessert werden kann. Dies h¨ atte positive Konsequenzen f¨ ur alle drei Effekte beim Hersteller. • Der Lieferant w¨ urde durch sofortige Transporte eine Verschlechterung des Transportbatcheffektes erzielen, aber auch eine Reduktion des Lagerhaltungs- und Durchlaufzeiteffektes erreichen. Der Versuch des Herstellers, den Lagerhaltungseffekt zu reduzieren, basiert auf der Verschiebung der Lagerhaltung vor die Bearbeitung, um die geringere Kapitalbindung zu nutzen, auf einer Lockerung der weitergegebenen Due Dates, um die Lagerhaltung auf die Zuliefererstufe zu verlagern sowie auf dem sofortigen Transport der fertiggestellten Auftr¨age. Die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die anderen Effekte sehen beim Hersteller und Lieferanten wie folgt aus: • Die Lagerung vor der Bearbeitung f¨ uhrt beim Hersteller zu einer Erh¨ohung der Durchlaufzeiten, da der Bearbeitungsbeginn verz¨ogert wird. F¨ ur den Lieferanten hat diese Maßnahme keine Auswirkungen. • Lockere Due Dates f¨ uhren zu einer Reduktion der Freiheitsgrade beim Hersteller, wodurch bei einer Versp¨atung der Zulieferer eine neue Planung negative Konsequenzen f¨ ur s¨amtliche Effekte des Herstellers zu Folge haben kann. Die steigenden Freiheitsgrade der Zulieferer k¨onnen zu einer Verbesserung des Lagerhaltungs- und Transportbatcheffektes f¨ uhren. Vor allem der Lagerhaltungseffekt kann durch die Lagerung der Auftr¨ age auf der Zuliefererstufe mit einer geringen Kapitalbindung f¨ ur die Supply Chain verbessert werden. Der Durchlaufzeiteffekt des Lieferanten verschlechtert sich durch die wachsenden Freiheitsgrade. • Sofortige Transporte beim Hersteller f¨ uhren zu einer Verschlechterung des Transportbatcheffektes. Diese Maßnahme hat keinen Einfluss auf die Effekte des Lieferanten. Der Lieferant kann mittels der Verschiebung der Lagerung vor die Bearbeitung und sofortigen Transporten seine Lagerhaltungskosten reduzieren. Die Konsequenzen sehen dabei wie folgt aus: • Die Lagerhaltung vor der Bearbeitung der Auftr¨ age des Lieferanten f¨ uhrt unter der Pr¨amisse steigender Lagerhaltungskostens¨atze zu einem Vorteil der gesamten Supply
4.5. Zusammenfassung
141
Chain. Allerdings sind die Konsequenzen der einzelnen Supply Chain Partner nicht nur positiv. Eine fr¨ uhzeitige Lagerung f¨ uhrt zu erh¨ohten Durchlaufzeiten beim Lieferanten, wodurch das Risiko einer Versp¨atung steigt. Daraus kann eine Verschlechterung des Transportbatch- und Durchlaufzeiteffektes resultieren. Beim Hersteller f¨ uhren Versp¨atungen zu einer Reduktion der Freiheitsgrade, die wiederum Auswirkungen auf s¨amtliche Effekte des Herstellers haben k¨onnen. • Sofortige Transporte f¨ uhren zu einer Verschlechterung des Transportbatcheffektes und verringern gleichzeitig die Durchlaufzeiten beim Lieferanten. Diese Auswirkungen haben einen positiven Einfluss auf die Freiheitsgrade des Herstellers. Allerdings ergibt sich aus wachsenden Freiheitsgraden unter Umst¨anden eine Erh¨ohung der Lagerhaltung beim Hersteller. Die Reduktion des Transportbatcheffektes kann beim Hersteller sowie beim Lieferanten dazu f¨ uhren, dass Auftr¨age zusammengelegt werden, die im unternehmens¨ ubergreifenden Kontext besser einzeln geliefert werden sollten. Dies f¨ uhrt zu einer Erh¨ohung des Durchlaufzeiteffektes durch die Verz¨ogerung von Transportzeitpunkten sowie des Lagerhaltungseffektes durch die Wartezeit eines Auftrags, der gleichzeitig mit anderen Auftr¨agen ausgeliefert wird. Der Versuch einer unternehmensinternen Reduktion des Transportbatcheffektes f¨ uhrt zu u ¨berfl¨ ussigen oder falschen Zusammenlegungen von Auftr¨agen, da die Informationslage der Supply Chain Partner eingeschr¨ankt ist. Das Ziel, einen der Effekte unternehmensintern unabh¨angig von den anderen Effekten zu l¨osen, f¨ uhrt somit meist zu einer Verschlechterung der anderen Effekte und damit zu einer Erh¨ohung der Kosten der gesamten Supply Chain. Erst durch die gleichzeitige unternehmens¨ ubergreifende Betrachtung des Durchlaufzeits-, Lagerhaltungs- und Transportbatcheffektes kann ein Trade Off und damit ein kostenminimaler Plan gefunden werden. Der Plan, der zu einem Optimum aus ganzheitlicher Supply Chain Sicht f¨ uhrt und damit die Wettbewerbsf¨ahigkeit erh¨oht, kann nur durch ein Supply Chain Scheduling erzielt werden. Dar¨ uber hinaus ist es erforderlich, die in Kapitel 2.3 erw¨ahnten und durch die unternehmens¨ ubergreifende Zusammenarbeit entstehenden Transaktionskosten mit den entstandenen Kostenreduktionen zu vergleichen. Die praktische Umsetzung des hier gezeigten UMT-Modells bedeutet, dass ein Unternehmen der Supply Chain (Lieferant oder Hersteller) oder ein Supply Chain Management die Aufgabe der unternehmens¨ ubergreifenden Maschinenbelegungs- und Transportplanung u ¨bernehmen muss. Die Implementierung eines Vendor-Managed Scheduling (VMS) oder Manufacturer-Managed Scheduling (MMS), je nachdem, wer die Aufgabe u ¨bernimmt, stellt einen neuen Ansatz des Supply Chain Management dar, der erhebliche Wettbewerbsvorteile erzielen kann. Die Ermittlung der Potenziale des VMS- oder MMS-Ansatzes ist nur der erste Schritt in die Richtung eines operativen Supply Chain Scheduling. Die weiteren Forschungen k¨onnen in
142
Kapitel 4. Supply Chain Scheduling
mehrere Richtungen gehen. Eine Weiterentwicklung der hier aufgezeigten Analyse w¨are durch eine Parametervariation m¨ oglich, wodurch die Auswirkungen der Effekte weiter analysiert und neue Erkenntnisse gewonnen werden k¨onnen. In Zusammenhang mit der Entwicklung eines N¨aherungsverfahrens f¨ ur das NP-schwere UMT-Modell k¨onnten weitere Erkenntnisse u ¨ber die Kostensenkungspotenziale aufgedeckt werden. Einen ersten Ansatz f¨ ur ein N¨aherungsverfahren bietet bereits das dritte Kapitel. Die BHG-Heuristik stellt eine effektive M¨oglichkeit dar, Parallel-Maschinen-Probleme zu l¨osen. Ein weiterer Ansatzpunkt zur Fortf¨ uhrung dieses neuen Ansatzes des Supply Chain Scheduling zielt auf das in Abschnitt 2.3 beschriebene Modell zur Ber¨ ucksichtigung von Transaktionskosten im Supply Chain Management ab. Durch die hier anhand der Intensit¨at der Zusammenarbeit vorgenommene Analyse stellt sich die Frage, ob die dazugeh¨orige Organisationsform und die damit verbundenen Transaktionskosten den positiven Effekt des Supply Chain Scheduling aufheben. Ein erster Ansatz der die Transaktionskosten aus den Modellen ableiten l¨asst, stellen die mit steigender Intensit¨at der Zusammenarbeit anwachsenden Rechenzeiten dar. Es zeigt sich, dass die hier entwickelten Modelle erst den Anfang einer neuen, vielversprechenden Methode des Supply Chain Management darstellen.
Kapitel 5 Fazit und Ausblick Der Abschluss dieser Arbeit fasst die Ergebnisse der einzelnen Kapitel zusammen und gibt einen Ausblick auf die zuk¨ unftige Forschung, die mit Hilfe der erarbeiteten Resultate m¨oglich ist. Um die Redundanzen in dieser Arbeit m¨oglichst gering zu halten, werden nur die elementaren Ergebnisse aufgezeigt. Kapitel 2 Die Ergebnisse des 2. Kapitels basieren auf der ausf¨ uhrlichen Ausarbeitung der Supply Chain Management Literatur, die bis ins Jahr 1912 zur¨ uckf¨ uhrt. Die elementaren Resultate dieser Analyse zeigen die Differenzierung der Supply Chain Perspektiven in die prozessorientierte, institutionelle und hybride Sichtweise. Daran schließt sich eine modelltheoretische Beschreibung der drei Probleme des Supply Chain Management an: Double Marginalization, Informationsasymmetrie und Bullwhip-Effekt. Die Betrachtung der Aufgaben und Zielsetzungen zeigt, dass die simultane L¨osung in Form eines Totalmodells einer Supply Chain aufgrund der Komplexit¨at nicht handhabbar ist und daher die Aufgabenstellungen dekomponiert betrachtet werden m¨ ussen. Abschließend wird das Supply Chain Management in den Kontext der Transaktionskostentheorie gesetzt. Die zuk¨ unftige Forschung wird auf Basis der erarbeiteten Ergebnisse dahingehend beeinflusst, dass die Sichtweise des Autors bei der Verwendung der Begriffe Supply Chain und Supply Chain Management pr¨ azise und deutlich ist. Dar¨ uber hinaus stellt vor allem das Modell zur Transaktionskostentheorie heraus, dass nicht jeder Ansatz f¨ ur jede Art der Transaktion in einer Supply Chain geeignet ist. F¨ ur die bisher existierenden Methoden wie zum Beispiel VMS oder MMS ist zu pr¨ ufen, ob die positiven Effekte des Supply Chain Management m¨oglicherweise durch die Transaktionskosten aufgehoben werden. Kapitel 3 Das 3. Kapitel zeigt die Ergebnisse einer Analyse des NP-schweren Ablaufplanungsproblems IP/ / Ti . Diese Analyse beinhaltet die Bewertung der bisher existierenden Heuristiken sowie die Entwicklung der BHG Heuristik, die sich als beste Heuristik zur L¨osung des
Kapitel 5. Fazit und Ausblick
144 IP/ /
Ti herausgestellt hat. Auf Basis der Ver¨offentlichung von Biskup, Herrmann und
Gupta (2008) besteht die M¨ oglichkeit, die BHG Heuristik auf eine Vielzahl von klassischen und neuen Parallel-Maschinen-Problemen anzuwenden. Beispielsweise k¨onnen andere Zielsetzungen und verschiedene Auftragscharakteristika wie Family-Setup-Times, Common-DueDates oder Fixed-Delivery-Dates betrachtet werden. Auch die Verwendung der BHG Heuristik als Startl¨osung verschiedener Metaheuristiken f¨ ur unterschiedliche Ablaufplanungsprobleme ist m¨oglich. Insbesondere stellt die BHG Heuristik einen sinnvollen ersten L¨osungsansatz f¨ ur das im vierten Kapitel beschriebene MT- und UMT-Modell dar. Kapitel 4 Die Ergebnisse des 4. Kapitels basieren auf der Erf¨ ullung der Forderungen der bisherigen Ver¨offentlichungen zum Supply Chain Scheduling, die bereits in der Einleitung vorgestellt wurden. ad 1. Die Forderung nach der Erforschung der Vorteilhaftigkeit des Supply Chain Scheduling wird durch die umfangreichen Analysen des 4. Kapitels und die sich daraus ergebenden Effekte des Kostensenkungspotenzials erf¨ ullt. ad 2. Die Betrachtung von auftragsindividuellen Due Dates sowie Verfr¨ uhungs- und Versp¨atungsstrafen erf¨ ullt die Forderung nach der Analyse von kundenbezogenen Zielsetzungen im Sinne des Supply Chain Scheduling. Insbesondere zeigt die Reduktion des Durchlaufzeiteffektes die M¨oglichkeit, die Bed¨ urfnisse der Kunden schneller zu befriedigen und damit eine verbesserte Wettbewerbsf¨ahigkeit zu erzielen. ad 3. Die dritte Forderung nach der Betrachtung von komplexeren Supply Chains ist durch die M¨oglichkeit des MT- und UMT-Modells, mehrere Zulieferer, Abnehmer und Kunden mit einzubeziehen, erf¨ ullt. Dar¨ uber hinaus l¨asst die Modellierung eine Erweiterung auf mehrere Stufen zu. Das UMT-Modell kann durch eine geringe Modifikation auf eine dreistufige Supply Chain erweitert werden. Die Verwendung des MT-Modells gilt bereits in dieser verwendeten Form f¨ ur eine mehrstufige Supply Chain. Die Begrenzung der gezeigten Modelle basiert auf angemessenen Rechenzeiten. ad 4. Die Forderung nach der Betrachtung des Batching in komplexeren Supply Chains beziehungsweise in Verbindung mit kundenorientierten Zielsetzungen wird in dieser Arbeit ebenfalls erf¨ ullt. Durch die Beschreibung des Transportbatcheffektes werden die entsprechenden Auswirkungen auf die Supply Chain deutlich. ad 5. Die Forderung nach Optimierungsmodellen zur Analyse des Supply Chain Scheduling wird durch die Anwendung des des MT- und UMT-Modells ber¨ ucksichtigt. Die numerische Analyse zur Aufdeckung der Potenziale eines Supply Chain Scheduling wird somit nicht durch ein N¨aherungsverfahren verf¨alscht. Allerdings steht am Ende
5. Fazit
145 dieser Arbeit die Forderung nach N¨aherungsverfahren zur L¨osung gr¨oßerer Probleme in Verbindung mit den drei Effekten.
Die in dieser Arbeit entwickelten Ergebnisse zum Supply Chain Scheduling stellen die Grundlage f¨ ur eine Vielzahl an neuen Ans¨atzen des operativen Supply Chain Management dar. Die Reduktion der Durchlaufzeit-, Lagerhaltungs- und Transportbatcheffekte sollte dabei die grundlegende Zielsetzung f¨ ur die Erforschung praxisorientierter L¨osungsverfahren sein. Der hier beschriebene Ansatz des VMS oder MMS ist ein erster Schritt zur unternehmens¨ ubergreifenden Ablaufplanung.
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