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Atlan Das große SF-Abenteuer Nr. 786 Suchkommando Hypton-Zentrale Auf dem Planeten der ewigen Finsternis von Hans Kneifel
Auch wenn der Erleuchtete, Störenfried und Gewaltherrscher der Galaxis Manam-Turu, seit Anfang des Jahres 3820 nicht mehr existiert, so hat sich die Lage in diesem Sektor des Universums nicht entspannt. EVOLO, der vom Erleuchteten Erschaffene, ist im Juni 3820 bereits stärker, als der Erleuchtete es Jemals war. Allerdings gibt es laufend Verschiebungen in den Machtstrukturen von Manam-Turu. Da ist zum einen EVOLOS Instabilität. Da sind zum anderen hoffnungsvolle Anzeichen für eine künftige Koalition zwischen den Daila und anderen Völkern erkennbar. Und da kommt es zum Zerfall des Zweiten Konzils, als die Ligriden aus dem an ihnen verübten Betrug die Konsequenzen ziehen und Manam-Turu verlassen. Der Einsatz einer robotischen Armada führt die Hyptons noch einmal auf die Siegesstraße – doch EVOLOS Psi-Sturm bringt den Invasionsstreitkräften eine entscheidende Niederlage bei. Während sich all dies in der Nähe des Herrschaftsbereichs der Daila abspielt, sind zur gleichen Zeit Goman-Largo und Neithadl-Off, die beiden Zeltforscher, in einem abgelegenen Teil Manam-Turus zugange. Nach Alchadyr, dem Planeten der ewigen Finsternis, verschlagen, begegnen sie dem SUCHKOMMANDO HYPTON-ZENTRALE…
Die Hauptpersonen des Romans: Goman-Largo und Neithadl-Off – Die Zeitforscher im Bann des Planeten der ewigen Finsternis. Tchyrrh – Sprecher einer Hypton-Traube. Fartuloon – Der Calurier auf Hypton-Suche. Gero und Vox Vondohmen – Piloten der MASCAREN. Inua – Fartuloons »Ziehtochter«.
1. Lautlos und völlig überraschend erlosch die holografische Projektion des Einhorns. Nussel verschwand. Goman-Largo zuckte zusammen, und einige Sekundenbruchteile lang fühlte er die eisige Kälte aufsteigender Hoffnungslosigkeit. Leise und erbittert sagte er: »Zufalle oder nicht: die Rückschläge häufen sich. Ich glaube, wir kommen in ernsthafte Schwierigkeiten.« Die Transfer-Kapsel, die sie nach Alchadyr gebracht hatte, war verschwunden. Die Zeitgruft bot ihnen keine Möglichkeit einzudringen. Zwar hatten sie den Heiligen Kubus wieder finden können, und sie befanden sich auf dem Rückweg zur unwirtlichen Oberfläche. Es war schwer, wenn nicht unmöglich, den Weg hierher ohne Nussels Hilfe zu rekonstruieren. Goman-Largo verharrte nur kurz in seiner schreckhaften Erstarrung. Er gab sich nicht geschlagen. »Wir schaffen es, Neithadl!« sagte der Zeitspezialist. »Wir haben es bisher immer geschafft!« Vorsichtig stellte Goman-Largo den Heiligen Kubus auf einem Mauervorsprung ab. Der Würfel schien mit seiner schwarzen, glasartigen Oberfläche das wenige Licht des Raumes zu schlucken. Vierundvierzig Zentimeter Kantenlänge, nicht sonderlich schwer und im Augenblick scheinbar völlig stumm und nutzlos. »Aufwärts!« sagte Neithadl-Off. Ihre pfeifende Stimme erzeugte einen grellen Ton. »So schnell wie möglich.« »Gern, meine Teuerste«, erwiderte er, setzte sich auf ein kantiges Trümmerstück und streckte die Beine aus. »Wenn du mir ganz genau sagst, welchen Weg wir durch dieses subplanetare Chaos nehmen sollen, folge ich dir bedingungslos.« Die Eindringlinge befanden sich an einem toten Punkt. Der Auslöser ihres Schreckens und Zögerns war zweifellos der Schock gewesen – der holografische Führer durch die Planetenkruste konnte ihnen nicht mehr helfen. Daß etwas oder jemand eingegriffen hatte, daß es nicht die Absicht Nussels selbst gewesen war, verstand sich von selbst. »Die Stimme des Schwarzen Zwerges ist auch, da nicht zu hören, wenig hilfreich«, bemerkte die Vigpanderin. »Ich sagte es schon: wir haben es schwer«, stimmte Goman-Largo zu. Der Rückweg nach Jammatos, wenigstens auf gewohnte Art, war ihnen versperrt. Wie weit die Oberfläche von Alchadyr entfernt war, wußten sie nicht. Immerhin lag die Zeitgruft mittlerweile tief unter ihnen. Die Oberfläche selbst und die dort herrschenden Lebensbedingungen waren ebenfalls alles andere als verlockend. Goman-Largos Stimmung sank dem Tiefstpunkt entgegen. Zur Zeit steckten sie in einem Teil der ineinander verschränkten Anlagen. Zahllose Korridore und Räume hingen irgendwie zusammen und gingen teilweise ineinander über. Eine unsichtbare Automatik sorgte an diesen Stellen dafür, daß in den einzelnen Räumen nacheinander eine milde, gelbliche Beleuchtung ein und ausgeschaltet wurde. Am jenseitigen Ende einer riesigen Halle, deren Wände aus Metallplastik zu bestehen schienen, führte eine Rampe durch einen bogenförmigen Eingang schräg aufwärts. »Zumindest scheinen wir hier nicht in unmittelbarer Gefahr zu sein«, pfiff Neithadl. »Das wird sich spätestens an der Oberfläche ändern«, brummte Goman-Largo. Die Ausrüstung des kleinen Teams war reichhaltig und arbeitete bisher absolut zuverlässig. Dankbar genoß der Tigganoi die kurze Pause. Er verzichtete auch im Augenblick darauf, einige seiner Funktionseinheiten zu benutzen, denn er hatte den Eindruck, daß sie ihm jetzt nichts nützen konnten. Ein Blick auf ein Schutzanzug-Element zeigte ihm, daß es seit seinem letzten Check um mehr als vier Grad kälter geworden war. Bedeutete dieser Umstand, daß sie der Oberfläche nähergekommen waren? »Schon möglich«, murmelte er.
Sein Ziel, mögliche Überlebende vom Orden der Zeitchirurgen aufzuspüren, war vorübergehend in den Hintergrund getreten und von den Problemen des Überlebens verdrängt worden. In den letzten Stunden des Marsches zur Oberfläche hatte es keine mörderischen Fallen gegeben, obwohl die Strecke von Schwierigkeiten durchsetzt gewesen war. Aber sie stammten aus den Verfallserscheinungen der subplanetarischen Anlagen. Nach einer reichlichen halben Stunde, in der Goman-Largo etwas aß und trank und sich erholte, stand er auf und kontrollierte Scheinwerfer und Quintadimwerfer. »Überaus geschätzte kosmische Anhalter«, fragte er in weitaus besserer Laune, »es geht weiter. Bist du bereit?« »Mit dir zusammen stürze ich mich leidenschaftlich gern in die Nacht, Kälte und Trostlosigkeit der Oberwelt«, erwiderte sie keineswegs wahrheitsgetreu. Goman-Largo ging entschlossen auf den Anfang der Rampe zu. Neithadl-Off folgte ihm schweigend auf ihren sechs Insektenbeinen. Der Modulmann schickte einige Elemente aus und wich, während er ohne sonderliche Eile den trümmerübersäten Boden der Halle betrat, den Brocken und verrosteten Trägern aus. Vorsichtig suchte sich die Vigpanderin ihren Weg über den dunklen, staubbedeckten Belag. Die Module übermittelten Goman-Largo eine Serie interessanter Einzelheiten. Die Rampe führte zuerst geradeaus und in gleichbleibendem Winkel aufwärts. Dann ging sie in eine riesige Spirale über, von der zahllose Quergänge abzweigten. Verschiedene Schotte und Schleusen, kleiner und größer, sicherten den Schacht. Er schien tatsächlich an seinem Ende mit der Oberfläche in Verbindung zu stehen. »Die Trostlosigkeit und so weiter wirst du bald kennenlernen«, sagte der Modulmann zufrieden. »Ist es schlimm?« »Nicht schlimmer als andernorts«, gab er zurück. »Du kannst dir vorstellen, wie es nach unseren Informationen auf dem vierten, Sonnenfernen Planeten aussieht.« »Ohne viel an Phantasie zu verschwenden«, bestätigte Neithadl-Off. Schweigend und konzentriert stapften und tippelten sie weiter. * Die Oberfläche Alchadyrs, des vierten Planeten eines Schwarzen Zwerges, wartete nicht auf lebende Wesen. Sie erstreckte sich in nahezu absoluter Dunkelheit. Sie war kaum vorstellbar öde, aber nicht leer. Als vor einer kleinen Ewigkeit die Sonne Modar sich nach der restlosen Verbrennung des Wasserstoffvorrats zu einem explodierenden Roten Riesen aufgebläht hatte, war das Oberflächenwasser verdunstet. Wasser gab es nur noch in subplanetaren Kanälen, Hohlräumen und ehemaligen Vorratsbehältern – als Eis. Tief im Innern des Planeten herrschten noch Wärme und die Glut des Kerns, aber sie drangen kaum mehr zur Kruste vor: immerhin herrschten etwa minus siebzig Grad. Dunkelheit und Eiseskälte kennzeichneten den Planeten Alchadyr. Der Schwarze Zwerg Modar strahlte weder Licht noch Wärme ab. Alles Leben war bei der Katastrophe ausgelöscht worden. Wälder hatten sich in Ruß, Erdreich und Asche verwandelt. Nur ein grausiger Scherz des Zufalls hatte verhindert, daß Alchadyr zur Schlackenwelt wurde: der Rote Riese hatte seine kochende Korona nur bis über die Bahn des dritten Planeten ausgedehnt und vorangeschoben. Es existierte dennoch eine Lufthülle. Sie war, wie nicht anders zu erwarten, dünn und eiskalt. Sie enthielt in großer Verdünnung sowohl Sauerstoff als auch Kohlendioxid und Stickstoff. Für jedes Wesen, das es in Manam-Turu gab, war die Oberfläche dieses Planeten unbewohnbar, abgesehen von wenigen Bakterienarten. Aber… es gab noch Städte und Straßen, Brücken und andere Bauwerke auf Alchadyr. *
Stunde um Stunde verging, und schließlich war selbst der sehnige, zähe Tigganoi erschöpft. Seine genotronischen Kundschafter erleichterten Goman-Largos Gedanken. Er wandte sich an Neithadl-Off, nachdem er den Kubus wieder sorgfältig abgestellt hatte. »Hör zu, abenteuerlichste Freundin«, sagte er halblaut und packte einige Ausrüstungsgegenstände aus, »wir sind kurz vor einem Etappenziel. In etwa tausend Meter Entfernung betreten wir eine Art Turm. Von dort geht es über eine schlichte Treppe hinauf in Kälte und Dunkelheit.« »Die Stufen«, meinte Neithadl-Off bedächtig, »lassen uns eine unangenehme Umgebung gegen eine andere vertauschen.« »Genau so ist es«, gab er zu, entfaltete ein hängemattenähnliches Knüpfwerk und suchte nach zwei Punkten, an denen er die Leinen befestigen konnte. »Ich kann’s nicht ändern.« »Konntest du irgendwelche Gefahren erkennen?« »Keine, die über das zu Erwartende hinausgehen«, verneinte er. »Ich bin verdammt müde. Ich weiß zumindest, daß an der Oberfläche gewaltige Anstrengungen auf uns warten.« »Ein leichtes Leben hatten wir auch in den letzten Tagen nicht.« Neithadl-Off und der Tigganoi hatten das Ende der Rampenanlage erreicht und warteten jetzt in einer etwa zimmergroßen Einbuchtung, deren Wände mit einer weißen Eiskruste bedeckt waren. Die Temperatur lag weit unterhalb des Nullpunkts. »Wir werden zumindest nicht schwitzen, wenn wir schlafen«, erklärte der Modulmann lakonisch. Die Strecke bis zu diesem Punkt hatte aus einer fast ununterbrochenen Kette aus Hindernissen bestanden. Große Teile der unterplanetarischen Anlagen waren zerstört. Dir ursprünglicher Sinn war selbst für Goman-Largo, der jede Art der Technik gut kannte, kaum noch zu enträtseln. Es gab natürlich Fallen, aber sie waren harmlos gewesen. Dank seiner genotronischen Module hatte der Tigganoi keine Schwierigkeiten gehabt, sich die Hindernisse aufzuspüren. Er entzündete ein dickes Stück präpariertes Fett, das er auf Tessal hatte mitgehen lassen. Der Docht brannte mit einer fast handlangen, ruhigen Flamme. Die beiden Fremden schalteten die Scheinwerfer aus. Die Flamme spiegelte sich an den roten Sensorstäbchen Neithadl-Offs. Sie faltete die Beine unter dem kantigen Körper in Schlafstellung zusammen. Aus der schmalen Mundleiste kam pfeifend die Frage: »Wie lange bleiben wir in dieser Eishöhle?« »Fünf Stunden?« schlug Goman-Largo vor und beschäftigte sich mit den zu erwartenden Schwierigkeiten. Schließlich lag sein Ziel an anderer Stelle. Auf keinen Fall in der dunklen Eiseskälte auf Alchadyr, die ihn und seine Gefährtin zwang, Schutzhelme zu schließen und die Anzugsheizung einzuschalten. »Oder länger«, erwiderte die Vigpanderin. »Ich stelle fest, daß auch ich eine gute Runde Schlaf brauche.« Goman-Largo war fast dankbar, daß sie in der letzten Zeit keinen Grund gefunden hatte, ihm eine Serie ihrer wunderlichen Lügen aufzutischen. Er ließ sich in die Hängematte kippen, streckte sich aus und schloß den Helm bis auf einen schmalen Spalt. Er aktivierte einige Module und ließ sie ausschwärmen. Zwar rechnete er nicht mit lebensbedrohenden Überraschungen, aber auch hier gab es keine Sicherheit. Schließlich murmelte er: »Eine hypertemporale Ruhe. Ruhe wohl, schönste Freundin.« »Ich bemühe mich – wie immer«, gab sie zurück. Ihre Sensorstäbchen verschwanden bis auf einen winzigen Rest im rahmenförmigen Vorderteil ihres Körpers. Sekunden später herrschte tiefe Ruhe… und eisige Kälte, die aus der Atemluft dünne Dampfwolken machte.
2. Neun Stunden, nachdem Goman-Largos letzte Überlegungen in den Schlaf hineingeglitten waren, tauchten die Gefährten an der Oberfläche des leeren Planeten auf. Die Turmruine entließ sie durch einen ehemals imposanten Torbogen auf eine breite Straße. Sie führte schnurgerade auf die Silhouette einer riesigen Stadt zu. Goman-Largos Helmlampe warf das kreidige, harte Licht geradeaus; der Strahl aus Neithadl-Offs Scheinwerfer huschte über die Trümmer im Vordergrund. Langsam gingen sie weiter, und beide hatten sie das Gefühl, als würde der prunkvolle Bogen mitsamt den hochragenden Mauern jeden Moment über ihnen zusammenbrechen. »Sieht bekannt aus, nicht wahr?« fragte der Modulmann. Sie hatten die Druckhelme geschlossen und sahen sich einer gigantischen Ödnis gegenüber. »Auf Tessal haben sie die uralten Baustile kopiert. Hier stehen die Originale«, gab die Vigpanderin zurück. »Aber sie sind wirklich eindrucksvoll. Vorausgesetzt«, sagte der Modulmann nach einigen hundert weit ausgreifenden Schritten, »man erkennt überhaupt etwas.« Über einem dunklen Boden, der von schwarzem Staub bedeckt war, spannte sich ein tiefschwarzer Himmel, dessen Sterne überaus deutlich zu erkennen waren. Die Bauwerke, die auf den ersten Blick intakt wirkten, bildeten vor dem Sternenlicht undeutliche Silhouetten. GomanLargo und Neithadl-Off hatten nichts anderes erwartet. Der Tigganoi meinte nach einem weiteren halben Kilometer angestrengten Fußmarsches: »Ich glaube nicht, daß wir hier ein Raumschiff finden oder ein anderes Beförderungsmittel.« »Und ich glaube, daß nicht die winzigsten technischen Einrichtungen in dieser Stadt noch arbeiten. Oder in jeder anderen Stadt. Das wird übel, mein Freund.« »Beruhige dich, Kleines«, sagte der Tigganoi. Sie wandten sich nach rechts und unterzogen im Licht ihrer weit aufgeblendeten Scheinwerfer das erste Bauwerk nach der Brücke einer schnellen, aber gründlichen Untersuchung. Jeder ihrer Schritte hatte eine kleine Staubwolke träge aufwirbeln lassen. Das gesamte Mauerwerk war von einer dünnen Kruste überzogen. Goman-Largo prüfte sie mit einigen Hieben seiner Waffe. Die Verkrustung wirkte wie gesintertes Material, und das Mauerwerk darunter war brüchig und ausgetrocknet. Es glich einer Knochenstruktur, die kurz vor dem Zerbröseln war. »Die kalte Luft ist so gut wie ohne jeden Rest Feuchtigkeit«, analysierte der Modulmann bedächtig. »Es ist nicht erstaunlich.« Es war zurückzuführen auf die Hitzestrahlung des Roten Riesen und darauf, daß jegliches Wasser verdunstet oder fest gefroren war. Überall lag auch hier Staub. Das Dunkel war abgrundtief, und seit undenkbar langer Zeit gab es nichts mehr, das sich bewegte. »Weiter!« sagte der Zeitspezialist. »Ich weiß auch nicht, was wir suchen, aber es ist möglich, daß wir etwas finden. Etwas Unerwartetes.« Sie verließen die Ruine und sahen mit jedem weiteren Schritt mehr und deutlicher bestätigt, was sie ahnten: hier lebte nichts und niemand mehr. Es war ebenso beschwerlich, diese breite Hauptstraße zu benutzen, wie es das Fortkommen durch die subplanetaren Anlagen gewesen war. Überall lagen Trümmer, die Straße war voller Staub, und darunter versteckten sich Löcher, die aussahen wie die kleinen Krater von Meteoriteneinschlägen. Goman-Largo trug unter dem linken Arm den Heiligen Kubus und ging voraus. Die Mauern, ehemals glatt und prächtig, ragten auf beiden Seiten höher auf und schoben sich näher an die Straße heran. Der Tigganoi glaubte die Reste von gewaltigen Bäumen zu erkennen; Wurzelwerk und in Schulterhöhe abgesplitterte Stämme, die ebenso schwarz, zerbrochen, ausgeglüht und bestaubt aussahen wie der Rest dieser einstmals großen Siedlung. Etwa neunzig Minuten lang waren sie auf der trümmerübersäten Straße unterwegs.
Jede einzelne Beobachtung wiederholte sich. Neithadl-Off und Goman-Largo erkannten nicht verschiedene Stufen der Zerstörung und des Zerfalls, sondern nur einen gleichbleibenden Zustand. Die namenlose Stadt war ohne Leben, und es versteckte sich auch nichts darin, am allerwenigsten ein Raumschiff oder eine Transfer-Kapsel. Zur Trostlosigkeit kam die unheimliche Stille. Kein Windhauch wirbelte den Staub auf oder heulte durch die leeren Öffnungen der hochragenden Ruinen. Die einzigen Geräusche, die der Modulmann und die Vigpanderin wahrnahmen, waren ihre Fußtritte, die im Staub und Geröll knirschten, die Atemzüge und die leisen Laute, die von der Anzugversorgung kamen. Und ebenso plötzlich, wie Nussels holografisches Abbild verschwunden war, hörten beide eine andere Stimme. Der Heilige Kubus von Vinnidarad sprach. Die Außenmikrophone übertrugen trotz der dünnen Atmosphäre die Worte des schwarzen Würfels in nahezu einwandfreier Qualität. »Es ist notwendig, mit euch zu sprechen«, erklärte die fremdartige Stimme. »Wir begrüßen diesen Umstand«, sagte Goman-Largo. »Es war höchste Zeit, denn wir fingen an, den Mut zu verlieren.« »Die Stimme des Schwarzen Zwerges«, wiederholte der Würfel eine seiner früheren Bemerkungen, »wird von unbekannten fremden Kräften beeinflußt. Das ist euch bekannt.« »Wir haben einige Wirkungen dieser Schwierigkeiten miterlebt«, meinte die Vigpanderin aufmerksam. »Was kannst du uns über dein Verhältnis zur Stimme des Schwarzen Zwerges sagen?« Der ominöse Kubus schien sich in einer Phase der Gesprächigkeit zu befinden. Sofort »sprach« er weiter. Mitunter hatte Goman-Largo den Eindruck, daß diese Stimme nicht nur akustisch zu hören war, sondern auch in seinen Gedanken wisperte. »Dies aber ist eine lange Geschichte, deren Wurzel weit in die Vergangenheit zurückreichen.« Der Tigganoi bemerkte knapp: »Wir haben Zeit und hören dir gern zu. Sage uns, was du weißt.« Die Stimme des Schwarzen Zwerges war, wie ihnen schmerzlich bewußt gemacht worden war, eine riesige Biotronik tief im Innern des erkalteten Planeten. »In ferner Vergangenheit«, erklärte der Kubus, »bildeten die Stimme und ich ein zusammenhängendes System. Wir waren ein einziges synthetisches Gehirn, um den Tatbestand leichtfaßlich auszudrücken.« »Danke«, pfiff Neithadl-Off ironisch. Von der Wirkungsweise seiner vielen Module kannte Goman-Largo noch immer nur einen Bruchteil. Vermutlich, dachte er, als er die Worte des Würfels analysierte, hätte er schon längst weitaus wichtigere Zusammenhänge erfahren. Aber mit dieser Unvollkommenheit war er zu leben gezwungen. Von Tag zu Tag lernte er mehr. »In der riesigen Biotronik dominierte stets das abstrakte und logische Netzwerk. Du würdest diesen Bereich vielleicht als Neo-Kortex bezeichnen. Für mich selbst bedeutet es, daß der große, unbewegliche Partner logischer und sicherer arbeiten und denken kann, wenn es um Abstraktionen geht. Darin ist die Stimme des Schwarzen Zwerges geradezu meisterhaft.« Während er zuhörte, hob der Tigganoi seinen schmalen Schädel und blickte sich um. Drohend und schwarz reckten sich Mauern, Türme und andere wuchtige Formen in die Höhe. Nur direkt unter ihnen bildete ein schmales Band voller Sterne eine vage Illusion von Licht. Die Vigpanderin schien ähnliche Empfindungen zu haben, denn sie schaltete wieder einen ihrer kleinen Scheinwerfer ein. Er strahlte den Bereich zwischen Würfel, einem riesigen Steinbrocken und den staubbedeckten Stiefeln Goman-Largos an. »Ich hingegen, der kleinere und transportable Partner in diesem System«, erläuterte ungefragt der Kubus, »entwickle eine andere Version der Denkprozesse. Möglicherweise herrscht innerhalb meiner Strukturen die Fähigkeit vor, das limbische System schneller und tiefer zu verwenden. Ich rege bei anderen Wesen Wunschträume an.
Durch die emotionelle Selbsterregung werde ich zu präkognitiven Aussagen fähig. Es wäre übertrieben, sagte ich, daß ich mir aller Einzelheiten bereits bewußt bin.« »Dann geht es dir«, murmelte Goman-Largo und zuckte seine Schultern, »nicht anders als mir auch.« Der Kubus ging nicht auf diesen Einwand ein, sondern fuhr fort: »Wie zu erläutern war, bildeten wir einst eine Einheit. Wahrscheinlich lösten die Metagyrrus aus unerfindlichen Gründen diese Einheit auf.« »Ich verstehe!« stöhnte der Tigganoi auf. Wieder rückten ein paar Mosaiksteinchen an ihre eigentlichen Plätze, und das Bild wurde klarer und verständlicher. Daß Nussel und die Metagyrrus höchstwahrscheinlich einer Rasse entstammten, hatten sie bereits in den eisigen Katakomben der Planetenkruste erfahren. Daß andererseits die Stimme des Schwarzen Zwerges eine Holoprojektion Nussels schuf, erhielt neue Bedeutung, selbst jetzt, nachdem Nussel wieder verschwunden war. Wie Neithadl-Off und er allerdings zurück nach Tessal oder Jammatos kommen konnten, hatte bisher niemand erklären können. Alchadyr blieb vorläufig ein kaltes, nachtdunkles Gefängnis für sie – aber auch für den Heiligen Kubus. »Was du uns berichtet hast, schwärzester aller tragbaren Würfel«, meinte dazu der Modulmann skeptisch, »ist interessant und aufschlußreich, aber uns hilft es im Augenblick nicht weiter.« Der Kubus beachtete auch diese Einschränkung nicht und teilte sich weiter mit. »Lange Zeit fühlte ich einen Zustand der Verwandtschaft, ein inneres Band zur Stimme des Schwarzen Zwerges. Ein starkes, aber vages Gefühl. Jetzt sind mir alle Zusammenhänge voll zu Bewußtsein gekommen. Ich fühle mich wie die kleine Schwester der Biotronik oder, wenn man mich als Kubus bezeichnet, als kleiner, tragbarer Bruder. Das uralte, pseudogeistige Band ist wieder geknüpft! Auch dann, wenn die Biotronik mit meiner Anwesenheit und meinen neu erwachten Kräften, diesem wild vibrierenden Bündel von Kenntnissen, nichts anfangen kann. Ein vorübergehender Zustand! Bald wird er sich ändern. Und dann erst kann ich euch sagen, auf welche Weise lebendige Wesen wie ihr wieder in den Zustand der Sicherheit, wo immer er sich offenbart, zurückkehren können.« Der Würfel hörte zu sprechen auf. Verwirrt über die Aussage der letzten Sätze schüttelte Goman-Largo den Kopf. Er wandte sich an seine Gefährtin und fragte mit einem unsicheren Grinsen, das sie freilich nicht sehen konnte: »Eine schöne Rede, nicht wahr?« »Zutreffend«, pfiff sie, ebenso ratlos. »Wir wissen viel mehr.« »Aber nicht das Richtige.« »Das weiß der Würfel auch nicht.« »Und was tun wir jetzt?« wollte sie wissen. »Diesen sinnreichen Kubus unter den Arm nehmen, weitergehen und darauf warten, bis wir über ein Raumschiff stolpern.« »Ich habe dazu noch einige Überlegungen anzustellen«, versicherte Neithadl-Off. »Welche?« »Später«, vertröstete sie ihn. Es schien ihr ernst zu sein; vermutlich dachte sie daran, daß der größere Geschwisterteil des Würfels auch beeinflußbar war. Sie wußte nicht, von wem und in welchem Grad – aber es schien das Sinnvollste zu sein, noch eine Weile lang tiefer in die Stadt vorzudringen. Jeder Platz auf Alchadyr schien gleich schlecht zu sein. »Versuchen wir unser schwindendes Glück«, schlug Goman-Largo vor und fühlte sich alles andere als behaglich. Er schaltete seinen Breitstrahler ein und hob den Kubus auf. »Versuchen wir’s.« Neithadl-Off tippelte hinter ihm her, und sie überlegte fieberhaft. Wo würde das Ende ihrer Reise durch die Dunkelheit liegen, und wie sah es wirklich aus?
3. Das Jahr war älter als hundertfünfundsechzig Tage. Diese Angabe war statistisch möglicherweise eines Tages wichtig, aber für die Traube Die Neuen Wirbelsturm-Reiter gab es weitaus wichtigere Überlegungen. Sie waren auf der Flucht. Und sie suchten einen neuen und sicheren Stützpunkt. Der Kampf tobte in der Galaxis, und es sah aus, als ob die Hyptons nicht den Sieg davontragen würden. Ohne Ruhepunkt keine Konzentration! Ohne stabile Netze aus Gedanken, Kommunikation und eine klare, neu zu errichtende Befehlsstruktur keine Möglichkeit, die verheerende Schlappe zu vergessen, die einst hoffnungsfroh Neues Konzil genannt worden war. Das Fluchtschiff dieser verkleinerten Traube, die PZAN NYOR, befand sich in einer von vielen Linearetappen. Die Sturmreiter-Traube von Tobly-Skan hatte sich getrennt. Möglicherweise in drei etwa gleichgroße Untertrauben, aber das wußten die Hyptons der Neuen Wirbelsturm-Reiter nicht. Sie waren autark, ihre Ballung erreichte eine Größe, die für nahezu jeden Zweck ausreichte. Stahlmänner und hochspezialisierte, eingebaute Roboter steuerten die PZAN NYOR. Noch lagen die aktuellen Daten nicht vor; die Hyptons wußten noch nicht, wie groß die Distanz zwischen dem Planetenversteck im Licht der Roten Sonne und ihrem gegenwärtigen Flugbereich war. Siebzig von ehemals Zweihundert… sie suchten eine neue Heimat innerhalb der Galaxis Manam-Turu. Sie würden sich lange Zeit verbergen müssen, um neue Macht durch hypnotischen Einfluß aufbauen zu können. Der Suchflug verlief in wohlberechneten Linearetappen von einem erfolgversprechenden kosmischen Ziel zum anderen. Geduld! Tchyrrh, der Sprecher der Traube, befand sich in der Kommandozentrale des Schiffes. Er sicherte die lückenlose Kommunikation zwischen der robotischen Schiffsführung und dem Rest der Traube, die in den Netzen des dunklen Kühlraums hing. »Wo befinden wir uns gegenwärtig?« fragte der Hypton. Über der milchigweißen Haut Tchyrrhs wallten die schleierartigen Teile der Bekleidung. Das Fledermauswesen saß bequem in speziell konstruierten Halterung, umgeben von Bildschirmen, Mikrophonen und anderen Geräten. Die weit hervorquellenden Augen blickten starr auf die Frontbildschirme. »Im Sektor RC-112 des Hypton-Katalogs«, gab eine sanft modulierte Robotstimme zurück. »Projektion!« Auf einem holografischen Monitor bildete sich eine Konstellation nach und nach deutlich aus. Der Hypton erkannte eine vertraute, wenn auch ihm nicht sonderlich gut bekannte Form. Es handelte sich um einen Sternhaufen. Tchyrrh zählte neun auffallende Sterne unterschiedlicher Farbe. Sie bildeten eine Figur, die einer altertümlichen Stichwaffe glich. »Welchen Stern fliegen wir gegenwärtig an?« »Den normalgroßen Stern von heller bläulicher Färbung«, erklärte der Astrogatorrobot. »Wann erreichen wir die größte Annäherung?« »In etwa einer Stunde.« »Weitere Einzelheiten?« Die Speicher des Schiffes, die vor nicht allzu langer Zeit von Einheiten des Datenverbunds neu aufgefüllt worden waren, enthielten genügend Informationen, um sich ein grobes Bild vom vorläufigen Zielgebiet zu machen. Die Sonne wurde von zehn Planeten umkreist. Auffallend war eine stark strahlende Energiequelle auf der Umlaufbahn des sechsten Planeten. Die PZAN NYOR, ein schnelles, mittelstark bewaffnetes, aber dafür mit Pioniergerät hervorragend ausgestattetes Kugelschiff, schien das bestgeeignete Fahrzeug für diese Mission zu sein. Absichtlich fand seit der Trennung kein Hyperfunkverkehr mit anderen Hypton-Einheiten statt. Im gegenwärtigen Stadium war Schweigen die klügste Regung. »Informationsdarstellung beendet«, meldete sich der Robotspeicher.
Sonnen, Planetenbahnen, Entfernungen und wechselnde Geschwindigkeiten der einzelnen Elemente verschwanden nach einem weiteren Signal von den Monitoren. Zehn Planeten, das bedeutete zehn mögliche Welten, auf denen sich die Hyptons verstecken und an einen Neuaufbau denken konnten. »Wir beenden die Linearetappe und fangen die Suche am nächsten Planeten an«, entschied der Hypton. »Verstanden.« Die PZAN NYOR raste weiter, mit aktivierten Robotern an den Geschützen und eingeschalteten Schutzschirmen. Der Raumsektor, den das Schiff ansteuerte, war den Hyptons in der letzten Zeit nicht als gefährlich aufgefallen. Der einzelne Hypton in der Zentrale verständigte sich schnell mit den anderen Mitgliedern der Traube. Sie waren einer Meinung. Das Schiff vibrierte kurz, dann beendete es die Linearetappe. Der stechend hellblaue Stern schien sich auf das Schiff stürzen zu wollen. Dann wanderte er nach links aus dem Mittelpunkt der Bildschirme heraus, nachdem sich die Filtereinrichtungen selbst aktiviert hatten. Die Fernortung begann augenblicklich, Daten einzusammeln und auf Monitoren und Sichtgeräte zu projizieren. »Kürzeste Entfernung zum nächstgelegenen Planeten?« erkundigte sich der Hypton, nachdem das Raumschiff seine Geschwindigkeit geringfügig abgebremst hatte und die zehn Planetenbahnen eindeutig definiert waren. »Planet Nummer Sechs liegt geradeaus. Einundsiebzig Lichtminuten entfernt«, lautete die Auskunft des Stahlmanns. »Zurück in den Linearsprung. Bis auf zehn Lichtminuten an den Planeten heran«, entschied Tchyrrh. »Ausgeführt.« Der Vorgang dauerte nur wenige Sekunden. Dann kondensierte auf dem großen Ortungsschirm ein starkes, blinkendes Echo. Die PZAN NYOR glitt in den Normalraum zurück. Ein fremdes Raumschiff! dachte der Hypton. Er wußte nicht, was er von dem überraschenden Fund denken sollte. Ein Gegner? Die Hyptons waren gewohnt, in jedem anderen fliegenden Objekt zunächst den potentiellen Feind zu sehen. »Sofort die Annäherung und die Verfolgung des fremden Schiffes einleiten«, befahl Tchyrrh. »Wird ausgeführt.« Die Optiken und die Fernerfassungssysteme arbeiteten zusammen, wurden zusammengeschaltet und zeigten innerhalb kurzer Zeit mehr und deutlichere Einzelheiten. Die Außenhülle des zylindrisch geformten Schiffes schimmerte im Licht der Sonne stark bläulich. Es schien, abgesehen von einzelnen Reflexen, die Eigenfarbe des Metalls zu sein. Der Fremde, der sich dem Planeten näherte und so wenig schnell flog, daß sich bei Tchyrrh der Verdacht einstellte, auch der Gegner suche etwas, war rund sechshundert Meter lang; der Bug war halbkugelförmig und bestand aus sechzehn scharf abgegrenzten Elementen. »Das Fremdschiff wird verfolgt. Kurs ist angeglichen«, meldeten die Roboter. Fasziniert betrachtete der Hypton das Schiff und schaltete immer wieder zwischen seinem Platz und der Traube hin und her. Die anderen Angehörigen der neuformierten Traube kannten diesen Schiffstyp ebenfalls nicht. Die Meinung, es sei uralt, herrschte vor. Das riesige Schiff schwenkte in einen weiten Orbit um das starke Energieecho des Planeten ein. »Näher heran!« ordnete Tchyrrh an.
Die Triebwerksgeräusche in der PZAN NYOR wurden lauter, als das Schiff in unterlichtschnellem Flug beschleunigte. »Die Fremden scheinen etwas zu suchen. Was sie suchen, ist auch für uns interessant.« Die Verfolgung wurde hitziger und schneller. Das Heck des bemerkenswert großen, langgestreckten Schiffes war in starker Rundung nach außen gestülpt. Als es schneller wurde, veränderte sich die Färbung der Schiffshülle und nahm ein stärkeres Blau an. Tchyrrh wurde durch die ungewöhnliche Form an die Observatoriumsbauwerke verschiedener alter Sternenvölker erinnert, aber rasch verwarf er diesen Vergleich wieder. Jetzt verschwand das fremde Schiff hinter der Krümmung des Planeten. Die Welt war von energetisch aufgeladenen Wolken umhüllt, und das Untersuchungsprogramm nahm jetzt diese seltsame Wolkenhülle in Angriff. Schnell näherte sich das Hypton-Schiff dem Planeten, änderte die Flugrichtung und versuchte, den Planeten in entgegengesetzter Richtung zu umrunden und dort auf den Verfolgten zu stoßen. Tchyrrh vergewisserte sich, daß er im Einklang mit der Traube stand, und gab seine Befehle. Beide Schiffe jagten jetzt weit außerhalb der Wolkenmasse aufeinander zu. Der Hypton kümmerte sich nicht um das ungewohnte Aussehen des Planeten; gerade deswegen suchte das fremde Schiff dort und nicht an einem anderen Platz. »Schneller! Fangt ihn ab!« befahl er den Stahlmännern. Das zylindrisch-gerundete Raumschiff schoß in einer flachen Kurve hinter dem Planeten hervor und ging auf Kollisionskurs. Die Abwehrschirme der PZAN NYOR änderten ihre Färbung und ihre Stärke. Sämtliche Stahlmänner an den Energieprojektoren signalisierten Feuerbereitschaft. Der Hypton wartete ruhig. Er kannte die Leistungsfähigkeit des Schiffes. Es handelte sich um beste Ikuser-Arbeit. Einige Sekunden lang fegten beide Schiffe aufeinander zu. Warnsignale leuchteten auf den geschwungenen Pulten der NYOR auf. Dann drehte der Fremde in einer engen Kurve ab. Seine Außenhülle leuchtete in stechendem Blau auf, dann flirrten sowohl das Bild im normaloptischen Bereich als auch das Echo auf den Ortungsbildschirmen. Das fremde Schiff verschwand. Ein robotischer Analysator gab seine Meldung ab. »Überlichtschneller Antrieb eingeschaltet. Energieart des Sprungvorgangs unbekannt. Energieausstoß viel zu groß, berechnet auf geschätzte Masse des Objekts.« Tchyrrh dachte nach, beriet sich mit den Neuen Wirbelsturm-Reitern und hetzte die PZAN NYOR auf den Punkt zu, an dem der Fremde den Normalraum verlassen hatte. Der Stahlmann-Pilot warf warnend ein: »Unsere Anflugtangente führt zu nahe an den Planeten heran.« »Knappe Kursänderung.« »Verstanden.« Der sechste Planet zeigte auch aus dieser geringen Entfernung seine Oberfläche nicht. Weder der Name noch zuverlässige Daten über den sechsten Planeten waren den Hyptons bekannt, und daher waren sie auch nicht in den Speichern zu finden. Die Flugbahn krümmte sich um einen mit normalen Sinnen nicht mehr wahrnehmbaren Betrag. Die Anziehungskraft des Planeten war höher als errechnet. Der Pilot korrigierte den Kurs, setzte mehr Energie zu, steuerte mit den mächtigen Triebwerken und beachtete die gigantische Wand aus Energie nicht, die sich seitlich des Schiffes bewegungslos in alle Richtungen erstreckte. Das Schiff schüttelte sich kurz, dann ertönte die Meldung: »Gefährdung beendet. Das Schiff befindet sich nicht mehr im Einflußbereich der Massenanziehung.« Der Hypton nahm die Meldung mit Befriedigung zur Kenntnis. Die Höchstleistungsroboter arbeiteten mit der gewohnten Präzision und Sicherheit. Die PZAN NYOR schwang herum, wurde schneller, und dann griff der namenlose Planet nach dem vergleichsweise winzigen Objekt.
Es dauerte nicht länger als fünf Sekunden. Aus der mächtigen Energieballung, von der Planet Nummer Sechs umgeben war, löste sich blitzschnell eine kugelförmige Struktur. Sie schoß auf das Schiff zu, hüllte es ein, und augenblicklich herrschte absolute Schwärze auf den Schirmen. Sämtliche Anzeigen erloschen. Der Hypton spürte einen Schock, den er zu kennen glaubte – als ob er entstofflicht werden würde. Aber ehe er, die Traube oder ein Roboter richtig reagieren konnte, wich der Zustand einem neuen Chaos der Empfindungen. Entsetzen erfüllte Tchyrrhs Gedanken. Der Vorgang glich einem Transmittersprung. Plötzlich heulten sämtliche Bremskraftabsorber auf. Die Geschwindigkeit der PZAN NYOR wurde hart abgebremst. Warnsignale heulten, Lampen blinkten, und einige weitere Sekunden lang war nicht ein einziges Roboter-Gehirn in der Lage, die Situation klar zu durchschauen. Auf den Normalbildschirmen zeichneten sich Sterne ab. Die Nahortung ergab, daß eine riesige Fläche sich rechts vom Schiff erstreckte. Dann drehte sich das Raumschiff, und aus der rätselhaften Fläche wurde der Boden eines Planeten. Nacht. Schwärze. Finsternis! Es war doch ein Transmitterdurchgang! sagte sich der Hypton und gab seine Analyse zur Traube durch. Neunundsechzig Hyptons waren ebenso überrascht und entsetzt wie er. Das Raumschiff war abgefangen worden, aber es schlingerte wild hin und her. Die Dunkelheit war fast vollkommen. Scheinwerferbündel schalteten sich ein und schwenkten gesteuert in alle Richtungen. Große, dunkle Gebäude zeichneten sich auf den Nahortungs-Monitoren ab. »Wo sind wir?« fragte Tchyrrh. Unruhe, Schrecken und die langsam wachsende Erkenntnis, in eine vernichtende Falle einer unbekannten Macht geraten zu sein, erfüllten die Gedanken der Hyptons. »Landen! Setzt das Schiff in einer Zone ab, die als sicher zu identifizieren ist.« Sofort erfolgte die Bestätigung der Stahlmänner. Wo waren sie? Nachdem das Schiff gelandet war, nachdem eine grelle Lichtflut alles Erreichbare in der Nähe überschüttet hatte, konnten die Roboter den Hyptons der Traube eine vorläufige Analyse abgeben. Ein gigantischer Transmitter befand sich in den Resten einer noch größeren Halle. Energiefelder hatten die PZAN NYOR nach dem Erscheinen zwischen den Transmittersäulen gepackt und unter einem Gewölbe abgesetzt. Sämtliche Oberflächen sahen staubig aus, fast schwarz, porös und wie von einer Schlackenschicht überzogen. Die Umgebung wirkte verlassen, leblos und uralt. Über jedem Quadratzentimeter lag eine hoffnungslose Einöde. Aber dort, wo ein derart mächtiger Transmitter arbeitete, waren zumindest großtechnische Anlagen zu finden. Es war nur logisch, in der ausgestoßenen Energieballung des Planeten Nummer Sechs der hellblauen Sonne in RC-112 den anderen Pol der Transmitteranlage zu sehen. Wie groß war die Distanz zwischen beiden Punkten? Darüber gab es keine Informationen. Eine Berechnung war unmöglich. Aber aus logischen Gründen mußte die Entfernung so groß sein, daß sie von einem Raumschiff nicht in kurzer Zeit zurückgelegt werden konnte. Tchyrrh versenkte sich in tiefe Konzentration. Dann breitete er seine Schwingen aus und kehrte in die Geborgenheit der Traube zurück. Eine lange Diskussion erfolgte, bei der sämtliche Aspekte dieses Zwischenfalls in das Weltbild der Hyptons und in eine Kette von anschließenden Maßnahmen eingegliedert wurden. Soviel stand fest: Die Transmitter-Anordnung war zweifellos uralt und das Werk einer Gesellschaft, die Großtechnik souverän handhaben konnte. Es waren keine Namen, keine Bezeichnungen und kein einziges geschichtliches Datum bekannt.
Die unmittelbare Konsequenz: Eine Gruppe Stahlmänner mit entsprechender Ausrüstung sollte die Umgebung des Transmitters in den verbrannten Ruinen untersuchen. Sofort machten sich die Roboter daran, diesen Befehlen nachzukommen. Die Lage der Hyptons in Manam-Turu war verzweifelt. Nach dem Eingreifen EVOLOS gab es von den riesigen Flotten nur noch Reste. Es war, abgesehen vom persönlichen Überleben, von größter Wichtigkeit, jedes einzelne Schiff zu schützen. Der Transmitter war mit ihnen behutsam umgegangen, und langsam wurden die einzelnen Sicherheitsschaltungen wieder rückgängig gemacht. Ein erster Pioniertrupp verließ die PZAN NYOR im grellen Scheinwerferlicht. Ein Doppelposten analysierte außerhalb der Halle den Sternenhimmel, und als erstes erfolgte die beruhigende Meldung, daß das Schiff nicht aus der Galaxis Manam-Turu hinausgeschleudert worden war. Eine Stunde später meldeten die Pioniere, daß sie einen Transportschacht gefunden und den verschütteten Eingang freigeräumt hatten. Unter den Mitgliedern der Neuen Wirbelsturm-Reiter kam neue Hoffnung auf.
4. Vierundzwanzig Stahlmänner, unterschiedlich ausgerüstet und auf einen Vorstoß ins Unbekannte programmiert, trugen sechs Hyptons mit sich. Die Fledermauswesen hatten transparente Raumanzüge übergestreift. Zur Traube waren Bildfunkleitungen geschaltet und Relais ausgebracht worden. Stahlmänner bildeten einen weiten Kreis um den Standort des Schiffes und überprüften abwehrbereit das Gelände. Aber jede einzelne Meldung besagte dasselbe: Die geisterhafte Stadt war verlassen. Nichts rührte sich; die einzigen Bewegungen, die kleine Staubwolken aufwirbelten, kamen von den Maschinen und Geräten aus dem Raumschiff. Die ersten Messungen sagten aus, daß von einem Nebenraum der Transmitterhalle ein Schacht in einem Winkel von fünfundvierzig Grad schräg abwärts führte. Dort versperrte eine Metallmasse wie ein Korken das Ende. Die Stahlmänner drangen mit Antigravgeräten ein, der Schacht wurde von einer Lichtflut überschüttet, in der die reifbedeckten Wände aufleuchteten. Ununterbrochen wurden Messungen durchgeführt. Die wenigen Hohlräume, die jenseits von eisverkrusteten und von schwarzen Ablagerungen bedeckten Öffnungen lagen, waren energetisch ebenso unergiebig wie die weitere Umgebung. Meter um Meter drangen die Roboter tiefer vor. Jede Einzelheit, und schien sie noch so unwichtig, wurde in den Ruheraum der HyptonTraube übertragen. Befehle und Informationen gingen unablässig hin und her. Zwischen der Transmitterhalle und dem Endpunkt des Schachtes lag eine < schnell zu benutzende, direkte Verbindung. Das, was sich hinter den Metallschotten versteckte, hatte also eine große Bedeutung… gehabt? Der Transmitter funktionierte noch. Also würde auch das »Ding im Versteck« wichtig sein. Das war für die hochintelligenten Hyptons leicht zu erkennen. Das Vordringen in den Schacht, dessen tiefster Punkt etwa fünfhundert Meter unter dem Bodenniveau der Halle lag, bereitete keine Schwierigkeiten. Die Stahlmänner öffneten ohne viel Mühe die äußersten Portale einer Schleuse und erkannten, daß dieses Schleusensystem mittlerweile einen Kälteschutz für darunterliegende Einrichtungen darstellte. »Wir dringen ein. Waffen bereithalten!« Die Schwierigkeiten, in das logisch aufgebaute System der Schleusen einzudringen, waren gering. Selbsttätig schaltete sich Beleuchtung ein. Es wurde deutlich, daß noch zuverlässig arbeitende Schaltungen funktionierten. Durch Energieschirme wurden die Öffnungen wieder verschlossen, nachdem die Maschinen eingedrungen waren. Wieder glitten schwere Metallwände ächzend auf. Die Lager wurden erwärmt und mit neuen Schmierstoffen versehen. Blitzschnell verständigten sich die Hyptons. »Wir sind einer außerordentlich wichtigen Einrichtung auf der Spur. Ich vermute, daß wir in kurzer Zeit auf einen Rechner stoßen. Es würde zum Gesamtbild passen«, funkte Tchyrrh und verständigte die aufgeregt wartenden Hyptons der Traube. Das Eindringen war, wenn überhaupt, von dem Rechner bemerkt worden. Er wehrte sich nicht, obwohl die Roboter bisher einige Dutzend feuerbereiter Sicherheitseinrichtungen beseitigt hatten. Sonst schien es auf dem gesamten Planeten niemanden zu geben, der den Hyptons das Eindringen verwehrte. »Zögert nicht, auch die letzten Sperren zu beseitigen.« »Es dauert nicht lange. Weiter!« Die letzten Absperrungen wurden von den Stahlmännern ohne viel technischen Aufwand beseitigt. Dann schoben sich Maschinen und Gerätschaften in eine ausgedehnte Halle hinein. Die Temperatur lag mehr als zwanzig Grad über dem Gefrierpunkt.
Die Hyptons entschieden, daß sie sich in dieser geschützten Zone frei bewegen konnten, und verließen ihre transparenten Kokons. Der Rechner war gefunden. Jetzt gingen die Hyptons daran, die Anlage zu untersuchen – mit ihren eigenen Methoden und ihrer Fähigkeit, paralogische und psychonarkotische Beeinflussung auszuüben. * Tchyrrh war es, der die Funktion dieser riesigen Anlage zuerst erkannte. Die Hyptons flogen durch die Halle und ihre Nebenräume und registrierten jeden einzelnen Eindruck, sahen die langen Pulte und Behälter, die Verbindungen und die selbstregulierenden Einheiten, von denen bestimmte Wartungs- und Reparaturaufgaben wahrgenommen wurden. Die Kernzelle wurde gefunden und untersucht. Das Material war zweifellos synthetisch, aber von biologisch lebenden Makromolekülen durchsetzt. Hochmolekulare Zellen zeigten sich auf den Bildschirmen der robotischen Mikroskope. Der erste Versuch verlief bereits erfolgreich: die Makromoleküle von eigenartigem Riesenwuchs gehorchten der psionischen Beeinflussung durch die Hyptons. Dennoch dauerte es mehrere Stunden, bis die zentrale Einheit der Biotronik gefunden war, und bis die Hyptons über ein aufwendiges System von Leitungen und Mikrophonen sich in das Innere der Biotronik einschalten konnten, und begannen, ihre Fragen zu stellen. Die Psychonarkose fing an, Wirkung zu zeigen. »Wie nennst du dich?« Ich werde die STIMME DES SCHWARZEN ZWERGES genannt. »Erklärung für diesen Ausdruck?« Alchadyr, der vierte Planet des Schwarzen Zwerges, der Sonne Modar, besitzt mich. Ich wurde hergestellt, um Probleme zu lösen. »Du bist eine biologisch-positronisch denkende Maschine?« Eine Biotronik. »Du bewachst den Planeten?« Das, was davon noch übrig ist. »Gibt es eine Möglichkeit, mit dir direkt und im normalen akustischen Verfahren zu sprechen?« »Ich habe sie soeben geschaltet«, erklärte die Stimme. Sie schien gleichzeitig an jedem Punkt der subplanetaren Anlage zu sprechen. »Wir kamen durch einen Transmitter hierher. Wo befindet sich das Gegengerät?« »Das vermag ich nicht zu sagen.« Einige Bildschirme wurden von der Biotronik eingeschaltet. Noch zeigten sich keine Bilder. »Befinden wir uns in Manam-Turu? Wenn es so ist, in welchem Teil der Galaxis?« »Wir sind im Innern der Dunkelwelt Alchadyr«, antwortete die Biotronik. »Begründung?« »Meine Speicher müssen geschützt sein.« »Wo ist Alchadyr?« »Informationen, die Modar, Alchadyr und die Koordinaten dieses Systems betreffen, wurden mir seit dem Zeitpunkt meiner Konstruktion vorenthalten.« Tchyrrh verzichtete darauf, weitere Fragen in dieser Richtung zu stellen. Die Hyptons erfuhren weitere Einzelheiten: Bereitwillig, von der Psychonarkose der Hyptons beeinflußt, berichtete die Stimme des Schwarzen Zwerges, daß sich innerhalb des subplanetaren Bereiches der verlassenen Großsiedlung zwei Fremde bewegten, die sich gegenwärtig an einem Punkt befanden, der von den Sensoren der Biotronik nicht erfaßt werden konnte.
Der Transmitter, der die Hyptons empfangen hatte, wurde Pedotransmitter genannt – was sinngemäß auch für die planetare Energiestation des Sterns im RC-112-Sternhaufen galt. »So sehen die beiden fremden Eindringlinge aus. Informationen über ihre Herkunft befinden sich nicht in meinem Zugriff.« Schweigend sahen die Hyptons einen hochgewachsenen, viergliedrigen, offensichtlich männlichen Fremden. Er sah aus wie ein Ligride oder ein Daila, abgesehen von seinem scharfen, schmalen Gesicht mit der Hakennase und den braunroten, eng anliegenden Locken. Sie sahen ihn mit und ohne Druckhelm, und er bewegte sich mindestens ebenso geschickt wie ein Ligride. Sein Begleiter hingegen konnte selbst für die an reichlich Exotik gewohnten Hyptons als überraschend gelten. Er glich einem mehr als zwei Meter langen Metallrahmen, mehr als eineinhalb Meter breit und knapp einen Meter hoch, ausgestattet mit einer graugrünen Lederhaut, mit mehrfach geknickten Gliedmaßen, sechs Stück, die den Körper stützten und überraschend behende zu Werk gingen. »Wir erkennen diese Fremden«, bemerkte der Hypton und ließ seinen Blick nicht von den Darstellungen der großen Holobildschirme. »Goman-Largo. Neithadl-Off!« rief ein anderer mit hoher, schrill-erregter Stimme. »Gefährliche Fremdagenten!« »Saboteure!« Alle Hypton-Trauben hatten diese Informationen miteinander ausgetauscht. Die Kämpfe um die Hypton-Raumstation MANAM-PZAN! Entführung der Traube »Born der Ruhe« der Quellenplaner! Planet Polterzeit! – Jedesmal waren diese beiden Fremden als geschickte Feinde der Hyptons aufgefallen und niemals gefaßt worden. »Wir tun alles, um sie unschädlich zu machen«, entschied nach kurzer Beratung die HyptonTraube. »Befinden sich die beiden Fremden, die auf die Namen Neithadl-Off und Goman-Largo hören, noch unterhalb der Planetenoberfläche?« lautete die nächste Frage. Im Bann der Hypnose antwortete die Biotronik sofort. »Ich rechne damit, daß sie in wenigen Augenblicken wieder in einem von mir kontrollierbaren Abschnitt auftauchen.« »Kannst du sie auf Irrwege bringen und schließlich an einem bestimmten Punkt einschließen?« »Grundsätzlich ist es möglich. Ich benutze die Holoprojektion eines Führers durchs Labyrinth.« »Nähere Angaben.« Die Hyptons erfuhren von Nussel und von der Verbindung mit dem Heiligen Kubus. An die Stimme des Schwarzen Zwerges ergingen die Befehle, Nussel zu manipulieren und mit seiner Hilfe die Fremden in ausweglose Situationen zu bringen. Der Würfel sollte scheinbar keinerlei Verbindung mehr mit der Biotronik haben. »Nehme ich diesen Schweigebefehl allzu wörtlich«, erklärte die Biotronik nach kurzem Nachdenken, »dann werden die beiden Fremden mißtrauisch.« Natürlich erkannte das Gerät die Beeinflussung durch die Hyptons nicht. Es sprach für ihre unabhängige Leistungsfähigkeit, daß sie diesen Einwand brachte. »Eine gezielte Beeinflussung der holografischen Projektion wird dir überlassen. Der Würfel dient dazu, sie in die Irre und schließlich in eine ausweglose Lage zu führen.« »Ich sehe darin lösbare Probleme«, erklärte die Stimme des Schwarzen Zwerges. Die Hyptons vergewisserten sich, daß die Programmierung nachdrücklich genug war, dann ließen sie sich von einigen Stahlmännern ins Schiff zurückbringen. Dort versammelte sich die gesamte Traube und begann, die Ereignisse und Informationen der letzten Stunden einer genauen Analyse zu unterziehen. *
»Die Stadt ist riesengroß!« sagte Goman-Largo und nahm den Würfel unter seinem Arm hervor. Behutsam stellte er ihn auf einer Steinkonstruktion ab, die einer künstlerisch verzierten Sitzbank glich. Er setzte sich daneben und gähnte. »Schon wieder müde? Ich wäre viel motivierter«, entgegnete Neithadl-Off, »wenn ich wüßte, wohin wir gehen.« »Ich auch.« Vor wenigen Minuten hatte der Tigganoi zum letztenmal auf das Chronometer geschaut. Er war fast erschrocken, als er merkte, daß sie fast neun Stunden im Staub und im Dunkel der namenlosen Stadt unterwegs waren. »Hör zu, Freundin«, sagte Goman-Largo entschieden. »Wir machen eine Pause. So lange, wie es uns gefällt. Und, wenn es geht, in einer netten Umgebung.« »Sieh dich um. Vielleicht entdeckst du irgendwo ein Schild, das uns zu einem guten Hotel führt.« Ihre Unterhaltung war nur scheinbar ironisch oder fröhlich. Sie waren erschöpft, und die sinnlose Suche bisher deprimierte sie mehr, als sie wahrhaben wollten. Immer wieder blickten sie hinauf in den Sternenhimmel, als erwarteten sie von dort das hilfreiche Eingreifen von anderen Fremden. Noch hatten sie genügende Mengen an Nahrungsmitteln und Energie. »Wahrscheinlich nicht. Ich glaube, wir warten so lange, bis uns der Würfel einige brauchbare Tips gibt!« Zwischen den Trümmern und durch Bögen, Eingänge, Säulenhallen und ähnliche Bauelemente bewegten sie sich weiter bis zu einer Plattform, von der aus sie einen Teil ihres bisher zurückgelegten Weges überschauen konnten. Eine Treppe führte hier herauf; sie konnten auch einen großen Ausschnitt des schwarzen Himmels sehen. Der Platz bot eine scheinbare Sicherheit. Im Sichtschutz einiger Balustraden stabilisierte Goman-Largo das winzige Zelt mit den hauchfeinen Wänden aus molekular verändertem Gewebe. Er breitete die Unterlagen aus, füllte sie mit Luft aus dem Vorrat des Anzugs und aktivierte ein Dutzend Moleküle als genotronische Wachtposten. Eine winzige, wenig Energie verzehrende Lampe, einige selbsterhitzende Nahrungsmittelrationen, leise Musik aus dem Aufzeichnungsgerät der Vigpanderin und der Zustand der Erschöpfung machten aus dem fragilen Behältnis eine Zone der Gemütlichkeit. Goman-Largo öffnete seinen Druckhelm und lockerte die Säume seines Anzugs. Er streckte sich in der Längsrichtung des Zeltes aus und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Müdigkeit ließ seine Augen zufallen. Er murmelte: »Hoffentlich friert der Bursche nicht.« Er meinte den Würfel, der neben der Stirnöffnung des Zeltes stand. Schon nach wenigen Minuten wurde es warm, und die Luft war angenehm zu atmen. »Er kann sich laut äußern, wenn es ihm nicht gefällt«, erwiderte die Vigpanderin und knickte ihre Beine unter dem flachen Körper zusammen.
5. Wohlgefällig grinsend betrachtete er seine Auserwählten. Dann stieß er ein lautes Gelächter aus und deutete in die Richtung der Kombüse und der Messe des Schiffes. »Der Lohn folgt sozusagen auf dem Fuß. Dafür, daß ihr alle in einer halben Stunde die Früchte meiner dreivierteltägigen Schufterei in euch hineingeschlungen habt, dürft ihr jetzt euren Mut an anderer Stelle zeigen.« »Nach dem Genuß deines Bratens gehen wir für dich durchs Feuer«, bemerkte Inua. »Aber davon wird hier wenig zu sehen sein.« »Gleichgültig«, gab Fartuloon zurück. »Schließlich liegen viele Linearetappen von langweiliger Fadheit hinter uns.« »Laß es gut sein!« forderte Jox Vondohmen ihn auf. Die Speicher, Archive und Kühlzellen von Tichex hatten sich als reiche Fundgrube erwiesen. Auf dem langen Flug, der einzig und allein der Suche nach der Hypton-Befehlszentrale gegolten hatte, war die MASCAREN mehrmals gelandet. Der Bauchaufschneider hatte es sich nicht nehmen lassen, ein paar Stück Wild zu schießen, hatte sie aus der Decke geschlagen und entsprechend vorbehandelt. Und auf dem letzten Abschnitt des Fluges war es soweit gewesen: Fartuloon kochte und briet für eine Besatzung aus einer unechten Ligridin, einem Zgmahkonen, mehreren Ikusern, etlichen Daila und einem Calurier. Die Krönung war ein riesiger Wildbraten, mit feinen Speckscheiben umwickelt, in leckerer Soße, mit Salzen und Gewürzen von sieben verschiedenen Planeten perfekt und geradezu künstlerisch abgeschmeckt. Man aß in zwei Schichten, und es waren wirklich nur ein paar saubere Knochen übriggeblieben. Auch die eine oder andere Flasche Daila-Rotwein war geleert worden, obwohl Somso Alures laut protestiert und die Besatzung als Säufer bezeichnet hatte. Später erwischte ihn Klaspu, der Allroundtechniker der Ikuser, wie er heimlich eine halbvolle Flasche in seine Kabine holte. »Ich lasse es gut sein«, versprach der Bauchaufschneider. »Willst du wie immer an meiner Seite die Abenteuer des Kosmos miterleben, meine Kleine?« »Selbstverständlich«, sagte Inua und strahlte ihren Ziehvater an. Er warf ihr einen alles andere als väterlichen Blick zu und hob seine wuchtigen Schultern. Sein Team machte sich bereit, die ARIE auszuschleusen. »Neugierde bestimmt unser Vorgehen«, erklärte Klaspu und kontrollierte die Waffe und die Ausrüstungsgegenstände, die an der Außenseite des ikusischen Raumanzugs angebracht waren. »Neugierde ist ein hervorstechendes Merkmal aller wirklich geistig regen Personen!« wies ihn Fartuloon, noch immer grinsend, zurecht. In Wirklichkeit hatten einige Zufalle die MASCAREN und ihre Besatzung hierher gebracht, also deren Vorgehen bestimmt. Hinter sich das Wissen über die vernichtende Schlacht EVOLOS gegen die HyptonRoboter-Schiffe, suchte der Bauchaufschneider als Kommandant des Mittleren Daila-Aufklärers nicht direkt nach dem Hauptquartier der Invasoren, sondern mehr nach einer deutlichen Spur, die ihn oder andere dorthin führen sollte. Zufällig stießen sie auf Tichex, 3,53 Lichtjahre vom MuruthSonnensystem entfernt und daraufhin in auffallend gerader Linie auf ein System, dessen Namen sie später erfuhren: Tessal. Indem sie die Flugbahn eines unförmigen Werkstatt- und Tenderschiffes zurückverfolgten, stießen sie auf jene eiskalte, atmosphärelose Dunkelwelt, von nur knapp neun Zehntel NormAnziehungskraft und auf das unterplanetare Depot. Es war gerade groß genug, um ein einziges Raumfahrzeug einzuschleusen und zu reparieren. Es gab Materiallager, ein Nahrungsmitteldepot für Raumschiffer und eine Positronik, die zwar gesicherte Speicher und ein angeblich einbruchssicheres Schalt- und Terminalsystem hatte. Fartuloons Kenntnisse und ein wenig Hilfe des Skarg ließen die Speicher und die Rechner zu einer übersprudelnden Quelle von abgestandenen und brandaktuellen Neuigkeiten werden. Er wußte jetzt einiges über die Tessaler.
Behutsam hatte er das Notwendigste den Magazinen entnommen, unter anderem Essen, Grundnahrungsstoffe, Gewürze und ein Dutzend Behälter, deren Inhalt so schmeckte, wie gut abgelagerter Schnaps schmecken sollte. Er war wirklich gut abgelagert: siebzig Tessaler-Jahre! Sehr viel wichtiger waren die Daten über das geheimnisvolle Imperium der Tessaler, über den Kugelsternhaufen Simmian und die verschiedenen Koordinaten. Das alles befand sich, sorgfältig auf verschiedene Speicheradressen verteilt, im Bordrechner der MASCAREN. Mit diesem Gerät unterhielt der Bauchaufschneider seine Mannschaft, indem er die Informationen abrief und aufbereitete. Damit der Raumflug nicht in bloßer Unterweisung versank, hatte Fartuloon einen kulinarischen Höhepunkt eingeschaltet. Noch heute rochen die Filter innerhalb des Kombüsenbezirks nach Braten und Gewürzmischung. »Wann starten wir?« fragte Dennenhor. Auch er steckte bereits im Raumanzug. »Laßt euch Zeit«, gab der Bauchaufschneider zurück. »Neugierde ist gut, Vorsicht ist besser. Noch sind wir im Orbit und untersuchen diese wunderliche Welt.« Erst nach dem Start von der kleinen, unbedeutenden Depotwelt war seine Neugierde voll erwacht. Die Koordinaten von Simmian führten die MASCAREN in den Mittelpunkt von ManamTuru, genauer gesagt in den Halo, fast 69.000 Lichtjahre vom rechnerischen Zentrum in nordnordwestlicher Richtung. Natürlich würde auch den Hyptons ein solches Versteck auffallen, und die Möglichkeit, daß Fartuloon mit seinem gemischten Team tatsächlich ein Hypton-Versteck oder andere einschlägige Aktivitäten entdeckte, war groß. Vielleicht zogen sich die geschlagenen Reste der Hyptons erst einmal hierher zurück – es gab die unglaublichsten Dinge. Die MASCAREN hatte also Kurs ’ auf Simmian genommen. Fliedo, der Ortungsfachmann, hatte den weiteren Kurs mitbestimmt. Die MASCAREN untersuchte sämtliche Planeten und Raumbezirke, in denen der Ikuser irgend etwas Verdächtiges ortete. Bisher hatten sie für ihren Verdacht keine Bestätigung gefunden. Dann identifizierten die Astrogatoren einen Schwarzen Zwergstern; immerhin nicht gerade eine häufige astronomische Erscheinung. Noch während sie über den erloschenen Stern diskutierten, meldete sich aufgeregt Somso Alures, der eine Spur entdeckt zu haben glaubte. Zunächst blieb Fartuloon skeptisch: die Anfälligkeit des Daila war jedem an Bord bekannt. Aber schließlich bestätigte der Daila-Telepath definitiv, daß er typische und intensive psychonarkotische Impulse aus der Gegend des vierten Planeten spürte. »Die Ausstrahlung einer Hypton-Traube?« Der blaßgesichtige junge Mann mit den fahrigen Händen wiederholte stockend: »Eine nicht allzu große, aber aktive Traube. Irgendwo im Innern des Planeten.« »Du bist sicher?« fragte Fartuloon knapp. »Absolut sicher«, keuchte Somso auf, dann fing er zu zittern an und verlor das Bewußtsein. Der Kommandant schlug mit der flachen Hand gegen seinen abgewetzten Harnisch. Es gab ein schepperndes Geräusch. Dann nickte er Gero Vondohmen zu und sagte: »Neues Ziel, Gero. Der vierte Planet also. Wenn ich den Namen richtig aus den Informationen herausgelesen habe, wird er Alchadyr genannt.« Und jetzt kreiste die MASCAREN in einem weiten Orbit um eine der seltsamsten Welten, die der Bauchaufschneider in seinem ganzen langen Leben je gesehen hatte. Alchadyr… Seit mehr als einem halben Tag untersuchten Ikuser und Daila die Oberfläche des Planeten. Ewige Nacht und schwärzeste Dunkelheit zwangen die Mannschaft an den Pulten der Kommandozentrale, auf einfache optische Beobachtung zu verzichten. Aber auch im infraroten Bereich und in allen anderen Teilen des Spektrums war so gut wie nichts zu erkennen. Nur Unterschiede zwischen unbebautem Land und einzelnen Siedlungen zeichneten sich unscharf auf den Ortungsschirmen ab.
Es gab weder einen winzigen Lichtschein noch ein fließendes Gewässer, weder feuriges Magma in Vulkanen noch irgendeine Spur von Licht, einer Metallmasse, einer deutlichen Bewegung, und sei es nur ein Bergrutsch. Wann es auf Alchadyr zum letztenmal wirkliches Sonnenlicht gegeben hatte, fand Fartuloon nicht in den Informationen der kleinen Speicher von Tichex. Abermals beendete die MASCAREN eine Umkreisung. Die Randbezirke einer riesigen Stadt tauchten auf. Es war, selbst mit Hilfe der hervorragenden Geräte und der Fehlfarbenschaltungen, für die Spezialisten schwierig, klare Einzelheiten zu unterscheiden. Fartuloon meinte nachdenklich, und noch immer skeptisch: »Die Aussicht, zwischen den riesigen Ruinen wochenlang nach Hyptons zu suchen, stimmt mich nur begrenzt heiter.« »Mich auch. Es ist so dunkel. Unheimlich, Fartuloon«, meinte Inua und schüttelte ihren haarlosen Kopf. Immer wieder ruhte der Blick des Bauchaufschneiders mit stiller Freude auf seiner »Ziehtochter«. Inua, die Pseudo-Ligridin, war ein wenig älter, ein wenig reifer und viel hübscher geworden. Hatte man sich erst einmal an ihren haarlosen Kopf gewöhnt, stellte sich heraus, daß sie auch nach subjektiven Maßstäben eine große, schlanke und vielversprechende junge Frau zu werden versprach. Überdies lernte sie ununterbrochen, gewann täglich mehr Erfahrung und war, logischerweise, auf Fartuloon fixiert. Mittlerweile wußte selbst der alte Bauchaufschneider nicht mehr genau, ob sie ihn mit den Augen einer Tochter anschaute oder mit anderen, weniger ungefährlichen. »Wir haben genügend Energie und auch Scheinwerfer«, erklärte Dennenhor, »um die halbe Stadt auszuleuchten. Keine Furcht vor Dunkelheit, Schwester.« »Eine Geisterstadt«, murmelte Fliedo. »Daß sich die Hyptons gerade hier verstecken wollen?« Inua schüttelte den rassigen Kopf und widersprach. »Verstecken? Die Hyptons? Das kann ich nicht glauben. Sie sind hier, weil sie etwas suchen.« Fartuloon stemmte die Fäuste in die Hüften, schüttelte den Kopf und entgegnete voller Bewunderung: »Hervorragend, meine Kleine! Du hast den besten Gedanken der Saison. Ich muß sagen, daran dachte ich nicht. Du hast völlig recht, Inua.« Er sprang aus dem Kommandantensessel und war mit wenigen Schritten vor den Pulten und Monitoren der Nahortung und vieler anderer Beobachtungssysteme. »Eigentlich kein Wunder«, murmelte er in höchster Zufriedenheit und starrte auf die wenig scharfen Bilder. »Meine Schule!« Inuas Einwand war tatsächlich von großer Bedeutung. Die Crew diskutierte ihren Hinweis. Es schien, nach allem, was man über die Bedürfnisse und Vorlieben der Fledermauswesen wußte, undenkbar. In dieser lebensfeindlichen Finsternis würden sich die Hyptons auch dann nicht verstecken, wenn sie sich in wahrer Not befanden. Und dafür gab es für Hyptons jetzt und hier nicht den geringsten Grund. Sie suchten also etwas! Was suchten sie? Und noch etwas hatte Inuas Einwurf bewirkt: Fartuloon tippte Fliedo auf die Schulter und sagte: »Wenn Hyptons sich hier verstecken, dann haben sie auch ein Schiff mitgebracht. Jedermann weiß, daß sie ohne Stahlmänner und umfangreiche technische Einrichtungen nicht leben können. Also haben wir nach einem Raumschiff zu suchen. Es steht irgendwo dort, wo Somso die Aktivitäten der Hyptons in der Geisterstadt aufgespürt hat. Suche es!«
»Was, Kommandant, denkst du, tue ich, seit dieser Haufen schwarzer Mauern und Türme am äußersten Bildrand aufgetaucht ist?« gab Fliedo zurück. »Du suchst nach einem Raumschiff der Hyptons. Logisch!« sagte der Bauchaufschneider. »Richtig.« Das Beiboot ARIE war bereit. Fartuloon und acht Mitglieder des Teams hatten sich um die Ausrüstung und um genügend Vorräte und Waffen gekümmert. Während die MASCAREN langsam über die ausgedehnte Siedlung hinwegglitt und sämtliche Geräte nach unten ausgerichtet waren, versuchten mindestens vierzig Augen, einen noch so winzigen Impuls zu entdecken, der sie auf die Spur des Raumschiffs der Hyptons brachte. Schließlich, als das Schiff weit genug auf seinem Kurs entfernt war, sagte der Kommandant schroff: »Nach der nächsten halben Umkreisung schleusen wir aus. Wenn wir von Bord der MASCAREN aus nichts finden, dann werden wir vermutlich an Ort und Stelle mehr entdecken.« Jox Vondohmen nickte und meinte dazu: »Mehr? Dazu gehört nicht viel.« »Um so besser«, konterte Fartuloon. »Dies ist ein Befehl, meine lieben: in zwanzig Minuten mit aller Ausrüstung in der ARIE. Wenn es dort einen einzigen Hypton gibt – wir finden ihn.« »Ich helfe dir bei der Suche«, rief Inua und lächelte. * Es war eine gemischte Mannschaft, die sich am Ausgang der Hangarschleuse versammelt hatte. Fartuloon, Inua und Dennenhor, Klaspu und Fliedo, dazu als Pilot Jox Vondohmen. Den Rest bildeten ältere Daila, denen der Kommandant Besonnenheit und entschlossenes Vorgehen zubilligte. Das Beiboot war voll ausgerüstet, und im kleinen Innenraum wurde es eng, als sich endlich die Schleuse schloß. Normalerweise schätzte es Fartuloon, selbst zu steuern, aber jetzt überließ er freiwillig seinen Platz dem Daila Jox; die Leistungen der etwa dreißigjährigen Vondohmen-Brüder hatten ihn auf dem langen Flug überzeugen können. Als zwei Drittel des Orbits beendet waren, schleuste das Diskusschiff das kantige Beiboot aus, und die ARIE fiel in einer flachen Kurve hinunter in die Finsternis. Fartuloon meinte halblaut: »Wir werden uns normal bewegen können. Die Luft ist atembar, aber eiskalt. Helme und Anzüge schließen und die entsprechende Funkdisziplin wahren, ihr Raumfahrer.« »Verstanden.« Die neun Mitglieder der Crew machten sich nur wenig Illusionen. Es war kein normaler Planet, dessen Oberfläche sie erwartete. Die Hyptons suchten etwas oder jemanden. Beides konnte sich auch für die neuen Eindringlinge als Gefahr herausstellen. Vom wahren Frieden war nahezu jede Welt dieser Milchstraße weit entfernt. Und über die Art der Fledermauswesen, sich ihrer Gegner zu entledigen, machte sich keiner an Bord auch nur die geringsten Illusionen. Zwischen der ARIE und der MASCAREN gingen kurze Funksprüche hin und her. Nach einer Weile, in der man nur das Summen und Dröhnen der Triebwerke hörte, fragte Jox: »Fartuloon? Wo soll ich landen?« Der Bauchaufschneider hatte diese Frage erwartet. Auch er hatte sich über den Landeplatz Gedanken gemacht. »Ich weiß es nicht, Jox. Normalerweise sind die Außenbezirke einer alten Stadt nicht sonderlich wichtig oder interessant. Ich schlage vor…« Wieder meldete sich Inua.
»Ohne zu wissen, was uns erwartet«, sagte sie nachdenklich, »würde ich vorschlagen, im Zentrum zu landen. Dort war, als die Stadt lebte, der Mittelpunkt der Aktivitäten. Wir finden ohnehin nur schwarze Reste – aber alles Wichtige dürfte sich nach wie vor dort befinden.« »Oder dessen kaputte Reste«, meinte der Bauchaufschneider. »Sie hat verdammt recht. Suche einen Ländeplatz im Zentrum. Nach bewährten Gesichtspunkten, Jox.« »Alles klar«, antwortete der Pilot und sagte sich, daß die Lichterscheinung der Triebwerke über dieser Stadt so auffällig sein würden wie das Licht einer neuen, kleinen Sonne. »Ich finde schon etwas Passendes.« Dann schwiegen sie und konzentrierten sich auf die Bildschirme und die kaum wahrnehmbaren Echos der hochragenden Mauern. Ruinen! Die ARIE kreiste langsam in einer unregelmäßigen Spirale zunächst über den leeren Außenbezirken der Geisterstadt. Dann wurde die Spirale enger, und das Beiboot näherte sich dem Zentrum. Fartuloon verzichtete darauf, die starken Scheinwerfer einzuschalten. Vielleicht verrieten die Hyptons den Standort ihres Raumschiffs durch irgendeine Form der Beleuchtung oder anderer Aktivitäten, die in der nahezu absoluten Finsternis am besten aufzuspüren sein würden. Fliedo sagte leise: »Chef! Ich habe etwas. Eine Metallkonstruktion.« Fartuloon drehte den Kopf, blickte auf die Anzeigeinstrumente und erahnte mehr als er wirklich sehen konnte, links von der Flugbahn des Bootes eine riesige, wuchtige Masse aus Mauern, Pfeilern, Türmen und Verstrebungen. »Fliege einmal in größerer Höhe genau über diese Ansammlung von Ruinen«, ordnete er an. Schweigend änderte Jox den Kurs und die Flughöhe. »Wie kommt ein Raumschiff – wenn es das gesuchte Hypton-Schiff sein sollte – ins Zentrum von solchen Riesenruinen?« fragte Dennenhor halblaut. »Vielleicht von oben; eine gezielte Senkrecht-Landung. Für einen guten Piloten kein Problem«, entgegnete Jox. Fartuloon spürte, wie ihn die Erregung wieder packte. Sie hatten tatsächlich in dieser Wüstenei aus schwarzem Gestein etwas gefunden! Dreimal änderte der Pilot die Flugrichtung. Die Geräte schlugen jedesmal aus. Einmal schaltete Fliedo kurz den Landescheinwerfer ein, dessen kalkig weißer, weit gefächerter Strahl senkrecht abwärts zuckte. Die Crew erkannte eine kuppelartige, kaum zerstörte Riesenkuppel, die sich über dem Standort einer großen Metallmasse spannte. »Weg! Schnell! Sie dürfen uns nicht orten!« stieß Dennenhor hervor. Jox schob die Fahrthebel nach vorn und brachte die ARIE in sichere Entfernung. »Natürlich«, warf der Bauchaufschneider nach einer Weile grimmig ein, »kann es sich bei der Metallmasse mit all ihren schwer zu identifizierenden Energieströmen auch um etwas anderes als ein Schiff handeln.« »Hypton-Ausstrahlung plus unsere Beobachtungen eben«, widersprach ihm der Allroundtechniker, »ergeben ein Raumschiff.« »Mögest du recht behalten«, brummte der Kommandant und überlegte die nächsten Schritte ihres Vorgehens. Es war völlig unmöglich, im vagen Streulicht der harten Sterne mehr als unterschiedliche Schattierungen von Dunkelgrau und Schwarz zu erkennen. Schließlich, nach einem langsamen Zickzackflug, landete das Beiboot an der Seite einer freien Fläche. Es mochte früher einmal ein blühender Platz gewesen sein. Jetzt senkte sich das kantige Boot langsam hinter einer Treppe, die von u-förmigen Mauern umstellt war. Fartuloon entschied: »Klaspu! Mit philosophischer Unerschütterlichkeit wirst du im Boot bleiben und uns sichern, eventuell herausholen, kurzum: die Stellung halten. Einverstanden?« »Jedes gute Team braucht einen zuverlässigen Schlußmann«, sagte der Ikuser und nickte. Jox Vondohmen erklärte, er wolle zusammen mit dem alten Ikuser im Boot warten. Die Insassen schlossen die Raumanzüge, kontrollierten die Versorgung und verließen nacheinander die Kabine.
Helmscheinwerfer und Handlampen wurden eingeschaltet. Fartuloon deutete mit einem eng gebündelten Strahl in die Richtung der gigantischen Fundstelle. »Vorsichtig ausschwärmen. Fangt keinen Streit mit den Hyptons an, wenn ihr auf welche trefft. Noch etwas: wenig Funkverkehr.« Die kleine Crew bildete eine Linie und bewegte sich vorsichtig auf das Bauwerk zu, das alle anderen Teile dieses Stadtbezirks überragte. Unter den Stiefeln flogen kleine Staubwolken auf. Alles war schwarz in schwarz. Nur die Oberkanten der Bauwerke hoben sich gegen den Sternenhimmel ab. Es gab keine Spuren – außer denen, die Fartuloon mitsamt seinen Freunden hinterließen. Immer wieder leuchtete ein Scheinwerfer auf und beleuchtete einen Teil des Weges. Eine schnelle Prüfung ergab, daß sämtliche Flächen mit einer bröckeligen, glasartigen Sinterkruste bedeckt waren. Fartuloon reimte sich einiges über den Planeten und den längst zusammengebrochenen Stern zusammen; einst war die Sonne zu einer Nova aufgeflammt und hatte einige ihrer Welten verbrannt. Der mächtige Gebäudekomplex, hinter dessen Mauern sich das Schiff verbarg, war schätzungsweise dreitausend Meter vom Landeplatz der ARIE entfernt. Die kleine Gruppe aus der MASCAREN sah nicht den winzigsten Hinweis darauf, daß Stahlmänner oder Hyptons versuchten, die Stadt und ihre ausgedehnten Ruinenfelder zu durchsuchen. Der Bauchaufschneider hob den Arm, blinkte ein paarmal mit dem Handscheinwerfer und machte sein Team auf sich aufmerksam. Dann deutete er auf eine vergleichsweise schmale Straße, einen Durchgang, der anscheinend direkt auf eine Seite des Gebäudes zu führte, das der Bauchaufschneider und seine kleine Crew als Ziel bestimmt hatten.
6. Goman-Largo blieb ausgestreckt liegen und sprach seine Gedanken halblaut aus. »Ich mißtraue dem Schaltverbund zwischen Würfel und Biotronik«, sagte er. »Und du?« Die Vigpanderin pfiff zurück: »Ich bin und bleibe skeptisch. Warum haben wir den Eindruck gehabt, daß Nussels Projektion uns mehrere Male in die Irre hat führen wollen?« »Weil wir mißtrauische Reisende sind«, sagte der Tigganoi. »Und warum verschwand Nussel schließlich?« »Weil die Biotronik offensichtlich das Interesse an uns verloren hat. Um es genauer zu sagen: sie meinte entweder, wir schaffen es selbst, oder die Stimme des Schwarzen Zwerges arbeitet unzuverlässig.« Die beiden Fremden genossen die letzten Minuten vor dem Aufbruch. Die Luft in dem winzigen Zelt war warm, aber sie schien verbraucht zu sein. Jedenfalls roch sie nicht mehr gut. Goman-Largo packte die Rationen aus und sagte sich, daß sie sich immerhin gut erholt hatten. »Und warum sprach der Heilige Kubus plötzlich nicht mehr? Und warum hat er vor unserem Schlaf wieder einige vage Worte gefunden?« »Ich glaube wirklich, daß die Biotronik alles andere als zuverlässig ist. Es kann durchaus sein, daß sie altersschwach ist und Ausfallerscheinungen zeigt.« Vor dem Einschlafen und in der halben Stunde, die zwischen dem Aufwachen und seiner Bereitschaft lag, das Problem zu diskutieren, hatte Goman-Largo jede einzelne Beobachtung noch einmal vor seinem inneren Auge ablaufen lassen und über alles nachgedacht – übrig blieb, daß sich die Biotronik auffallend verhielt. »Das ist eine Möglichkeit. Wir sollten den kleinen Bruder oder die kleine Schwester fragen«, meinte Neithadl-Off und machte sich zum Aufbruch bereit. »Das tue ich, sobald das Zelt verstaut ist.« Es dauerte nur einige Minuten, dann waren sie wieder bereit, ihren Irrweg durch die geisterhafte Stadt fortzusetzen. Goman-Largo nahm den Kubus in die Höhe, setzte ihn auf einem Mauersockel ab und sprach ihn an. Er war sicher, wieder keine Antwort zu bekommen. »Was ist mit der Biotronik los?« fragte er scharf. »Hast du gut geschlafen?« Seine Überraschung war groß, als der Schwarze Kubus augenblicklich antwortete. »Schlaf oder ein anderer Zustand – das ist für den Heiligen Kubus unwichtig. Meine Verbindung mit der Stimme ist einwandfrei.« »Wie schön«, sagte Goman-Largo, der keineswegs den Kubus für heilig halten konnte. »Dann kannst du uns wohl einige Auskünfte geben.« »Selbstverständlich!« Neithadl-Off und Goman-Largo wechselten einen langen Blick. Plötzlich schien sich in der Beziehung zwischen der Biotronik und dem Kubus nicht nur einiges geändert zu haben. Der große biologisch-technische Rechner war wohl wieder zu geordneter Aktivität erwacht. Das Mißtrauen der beiden Forscher blieb bestehen; die Vigpanderin fragte pfeifend: »Warum führst du uns hier in der Ruinenstadt herum? Wohin bringst du uns?« »Ich habe die Anordnung erhalten, ein bestimmtes Gebiet der Stadt aufzusuchen.« »Das hat die Biotronik angeordnet?« »Nichts anderes. Der Heilige Kubus läßt sich nicht so leicht täuschen; die Biotronik ist auf eine noch nicht klar herauszufindende Weise von unbekannten Kräften beeinflußt worden.« »Und du hast das gemerkt?« »Der Heilige Kubus denkt stets selbständig. Trotz der erwähnten Einschränkung ist der Hinweis der Stimme des Schwarzen Zwerges richtig.« Von der staubbedeckten Rampe aus, in dessen hinterstem Teil sie eine ruhige »Nacht« verbracht hatten, war ein gutes Stück der breiten Straße zu überblicken, auf der Neithadl-Off und Goman-Largo weiter vorzustoßen gedachten. Der Tigganoi legte die Hand an den Griff seines Quintadimwerfers und schaute sich um. Natürlich gab es auch jetzt nichts anderes zu sehen als die Trostlosigkeit der Umgebung.
»Du weißt inzwischen, daß die Stimme des Schwarzen Zwerges manipuliert wird?« fragte er noch einmal. »Ich kann es spüren; denn, wie bereits ausgesagt, denke ich in anderen Kategorien. Die Große Schwester wies mich an, euch in das Zentrum zu bringen.« »Dir ist klar«, pfiff Neithadl-Off erregt, »daß wir mißtrauisch werden müssen, wenn wir solche Aussagen hören?« »Natürlich. Aber der Heilige Kubus weiß, daß unabhängig von allen Einschränkungen der Hinweis richtig ist. Wollt ihr aufbrechen?« Die zwei Eindringlinge waren ziemlich sicher, daß der Heilige Kubus sie in eine Falle führte. Ab jetzt wußten sie es definitiv. Der Modulmann warf seine Späher-Einheiten aus, hob den Kubus auf und sagte kurz: »Los!« Die Stimme des Schwarzen Zwerges war also beeinflußt worden! Jene unbekannte Macht, die dies bewerkstelligt hatte, wußte wohl genau, daß jede Übertreibung sowohl den Kubus als auch die zwei Fremden notwendigerweise mißtrauisch machen mußten. Nach einigen Dutzend Schritten meinte die Vigpanderin: »Jetzt wissen wir auch sicher, warum Nussel sich so seltsam verhalten hatte. Warum er uns in diesem Labyrinth in die unmöglichsten Winkel zu führen versuchte.« »Jetzt wissen wir’s«, bestätigte Goman-Largo. Noch signalisierten seine genotronischen Minisatelliten keine Gefahren. Sie gingen in der Mitte der Straße und versuchten womöglich, eher als Goman-Largos Module, irgendeine Gefahr zu erkennen. Wenn sie der Kubus ins Zentrum der geisterhaften Stadt führte, so hieß das, daß sie sich mehr oder weniger in den Außenbezirken befinden mußten. Die Unterschiede in der Bebauung waren gering; in diesem Fall mußten sie sich auf das verlassen, was der Heilige Kubus ausführte. Mit wenigen knappen Hinweisen führte der Kubus sie ins Innere der finsteren Stadt weiter. Der Tigganoi verarbeitete die letzten Informationen seiner Module. Zwei der Einheiten hatten etwas entdeckt. In den Ruinen und in den guterhaltenen Teilen unter Schlacke, Sinter und Staub öffneten sich kalte, dunkle Verkleidungen und gaben die Umrisse rostiger Maschinen frei. Die erwartete Falle öffnete sich langsam. Goman-Largo blieb stehen und wandte sich an seine Gefährtin. »Offensichtlich sind wir jetzt dort, wo uns die Große Schwester haben wollte.« »Oder die Beeinflusser der Biotronik. Gefahr?« »Ja. Warte noch etwas. Gleich weiß ich mehr.« Goman-Largo entsicherte seine Waffe. Ein weiterer Schwarm Module schwirrte davon und verbreitete sich über einen weiten Raum. Überall dort, wo sich selbst die winzigste Bewegung zeigte, notierten die Kundschafter die Veränderungen. Sie sahen winzige Lämpchen aufleuchten, vernahmen das Knarren von Gelenken, die seit einer Ewigkeit nicht mehr bewegt worden waren, und sie entdeckten die schwarzen Staubschleier, die überall dort entstanden, wo sich uralte Geräte drehten und wendeten. Einige Module kehrten zurück. Der Modulmann verarbeitete die Informationen und sagte nach einer Weile, noch zögernd: »Es ist eine Falle, Neithadl-Off. Wir befinden uns ziemlich genau am Rand einer annähernd halbkugeligen Zone. Zu beiden Seiten und in verschiedener Höhe über uns verlassen uralte Roboter ihre Bereitschaftsräume. Wahrscheinlich sollen wir getötet oder gefangengenommen werden – im Auftrag der unbekannten Manipulatoren.« »Das war zu erwarten.« »Wir sind von der Stelle, an der wir erwartet werden«, erklärte der Kubus ungefragt, »noch eine geringe Distanz entfernt.« »Wir beabsichtigen nicht, in eine Falle zu gehen, die uns gestellt wurde«, pfiff Neithadl-Off.
Goman-Largo drehte sich um und zeigte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Er hütete sich, seinen Scheinwerfer zu benutzen. »Zurück! Schnell.« Seine lautlosen Detektor-Module sagten ihm, daß sich mehr als neunzig Roboter in einer dreidimensionalen Anordnung breitmachten. Einige stechend gelbe Scheinwerfer flammten auf. Große Sehzellen erwärmten sich und begannen zu glühen. Der Tigganoi verließ die kaum sichtbare Spur, die sie hinterlassen hatten und führte Neithadl-Off hinüber zu den glatten Mauern, durch einen zerfallenen Bogen auf eine bizarrschwarze Trümmerlandschaft und ein System von winkeligen Gebäuderesten zu. »Gibt es bei der Großen Schwester Informationen darüber«, fragte Goman-Largo im fragwürdigen Schutz der Deckung, »wie alt die Roboter sind? Handelt es sich um Träger von Waffensystemen? Mit welchem Gegner haben wir es zu tun?« Sofort kam die Antwort des Würfels. »Es sind Maschinen, die vor der Zerstörung des Lebensraums als städtische Gardisten fungierten.« »Ich verstehe.« Wieder kamen einige Module zurück und überbrachten neue Einzelheiten. Die Roboter brauchten überraschend lange, um völlig über ihre Bewegungsmechanismen verfügen zu können. Offensichtlich gab es ein intaktes Energiesystem, an das sie angeschlossen waren. Über Mauerkanten hinweg und durch leere Fensteröffnungen geisterten die ersten starken Lichtstrahlen. »Bewaffnete Roboter also!« meinte Neithadl-Off. »Wie viele, Goman?« »Knapp hundert«, knurrte er. »Das ist zuviel für uns. Wohin ziehen wir uns zurück?« »Ich weiß es nicht«, bekannte er. »Heiliger Kubus! Hast du ein geschütztes Versteck für uns?« »Das Zentrum der Stadt ist voller Verstecke. Aber die Roboter kennen sie ebenso gut wie die Stimme des Schwarzen Zwerges.« »Das ist logisch.« Die Ruhe wurde förmlich zerfetzt, als ein Roboter einen Energiestrahl abfeuerte. Er heulte röhrend durch die Finsternis und schlug zwanzig Meter über den Eindringlingen in eine Fassade ein. Ein hellroter Blitz erhellte die Ruinen, aus dem weißglühenden Krater der Wand lösten sich flackernde Gase und Trümmer. »Es geht los«, stöhnte Goman-Largo und fügte einen Fluch hinzu. Der Würfel erklärte: »Die uralten Roboter werden mit einiger Sicherheit keine schnellen und gefährlichen Gegner sein. Die Stimme des Schwarzen Zwerges hat sich ihrer erinnert und sie reaktiviert.« »Man sieht es!« pfiff Neithadl-Off. In die meist noch unsichtbaren Roboter kam jetzt mehr Bewegung. Sie suchten nach einem Gegner, den sie angreifen konnten. Einige Maschinen walzten auf klirrenden Ketten durch die Straßen und schoben kleinere Trümmerbrocken zur Seite. Immer mehr Scheinwerferstrahlen schalteten sich ein und leuchteten Teile der Alptraumlandschaft an. Wieder röhrten einige Glutbalken durch die eisige Luft und erzeugten dort, wo sie auftrafen, im Staub aufleuchtende Zonen und Glutnester. Die Echos aufschlagender Trümmer hallten von den schwarzen Mauern wider. »Sie suchen uns«, stellte Goman-Largo fest und lief, ohne seinen Scheinwerfer zu benutzen, die schmale Gasse entlang. Die Vigpanderin hastete hinterher. Die Zieloptiken der Roboter schienen nicht in Ordnung zu sein, und erst zwei Maschinen schwebten durch die Dunkelheit, suchten mit ihren Scheinwerferbatterien das Gelände ab. Die Roboter – viel mehr konnten die Gefährten nicht erkennen – waren wuchtig und vergleichsweise riesengroß. Sie glichen nicht im mindesten den fast grazilen Stahlmännern der Hyptons. Mit blinkenden, stark farbigen Lichtern schwebten sie in geringer Höhe über die Dächer, tauchten hinunter in’ die breiten Schneisen der Straßen und ließen ihre Triebwerke aufheulen.
Noch hatten die Uralt-Roboter Goman-Largo und Neithadl-Off nicht entdeckt. Sämtliche Schüsse brachten nur den Staub zum Aufglühen und rissen Trümmer aus den Mauern. »Kannst du mir sagen«, wandte sich der Tigganoi an den Würfel, »ob die Biotronik uns gezielt verfolgen läßt?« Sie rannten hinter dem ineinander verschachtelten Gebäudekomplex nach links. Dort glaubte der Tigganoi ein besseres Versteck gefunden zu haben – das waren jedenfalls die Ergebnisse eines kleinen Schwarms seiner Module. »Es wird versucht«, lautete die Auskunft des Kubus, »die Roboter in die Richtung der unerwünschten Eindringlinge zu steuern.« Das Resultat von Goman-Largos Überlegungen war eindeutig. Für einen Versuch, sich zu wehren, war die Entfernung zwischen ihm und den Maschinen noch zu groß. Er entsicherte seine Waffe und schüttelte den Kopf. Mittlerweile kurvten mindestens ein Dutzend Roboter durch die Finsternis und verbreiteten an vielen Stellen gleißendes Licht. Stellenweise wurde die Ausdehnung der großen Bauwerke ebenso gut sichtbar wie die Zerstörungen, die durch die Hitze und den Zerfall hervorgerufen worden’ waren. Die Flüchtenden tauchten in einen Korridor ein, der sich wie ein Tunnel unter einer gezackten Pyramide erstreckte. Kaum hatte sich die Dunkelheit um die Flüchtenden geschlossen, aktivierte die Vigpanderin zwei Scheinwerfer. In deren Licht waren nur kahle Wände und ein staubbedeckter Boden sichtbar. Sechs Maschinen schwebten jetzt in einer dichten Kette über die Pyramide aus vielen einzelnen Spitzen hinweg. Die Roboter flogen mit funkensprühenden Triebwerken und voll aufgeblendeten Scheinwerfern. Sie feuerten in unregelmäßiger Folge schräg abwärts und zielten auf die vielen Zwischenräume der Mauern. Ein höllischer Lärm und das Aufglühen der getroffenen Stellen begleitete den Versuch der Gefährten, sich in Sicherheit zu bringen. Dröhnend zogen die Roboter über die schrägen Wände und die stumpfen Spitzen, schwebten abwärts und drehten mehrere Schleifen über dem freien Raum. »Halt! Sie haben uns noch nicht entdeckt!« rief der Tigganoi. Zehn Schritte vor dem Ausgang, der sich scharf in der flackernden Beleuchtung abzeichnete, blieben sie stehen. Dann aber zielte Goman-Largo auf einen Roboter, der draußen einige Meter über dem Boden schwebte und sich langsam drehte. Der Scheinwerferstrahl würde in wenigen Sekunden genau in den Tunnel hineinzucken und den Tigganoi blenden. Der erste Schuß aus dem Quintadimwerfer traf das Gerät in das Zentrum der Vorderfront. Sie bestand aus zahlreichen Leuchtfeldern, die unregelmäßig blinkten, und aus mehreren bläulich leuchtenden Sehzellen. Die Maschine detonierte in einem grellen Glutball, während der Rest spurlos verschwand. Trümmer und Fetzen wirbelten nach allen Seiten. Glühende Gase breiteten sich aus, und von den Vorsprüngen einiger umstehender Bauwerke sickerten breite Staubfahnen. Sie strahlten auf und verbrannten, als die nächsten Feuerstöße der Roboter sie trafen. Zwischen zwei Mauerteilen direkt gegenüber dem Tunnelausgang tauchte eine Gestalt auf. Sie hob einen Arm und schien auf die Roboter zu zeigen. Dann spie eine halb armlange Waffe einen zuckenden Strahl, der im Körper eines zweiten Roboters endete und die Maschine in eine detonierende Menge einzelner Fetzen verwandelte. Jetzt wurde es kritisch. Die Biotronik, sagte sich Goman-Largo, hatte andere Teams aktiviert. Die Falle, aus der sie zu fliehen versucht hatten, war zugeschlagen. Er handelte schnell und mit instinktiver Vorsicht. Wieder schickte er ein Dutzend Module aus und hoffte, sie würden bessere Informationen einholen. Er selbst stellte den Kubus auf Neithadl-Offs flachem Rücken ab und war mit fünf Sprüngen am Ausgang des steinernen Korridors. In der Lichtflut der kreisenden Roboter, der weißen Glut der verschmorenden Bruchstücke und der unzähligen Explosionsherde, die auf dem runden Platz im Staub lagen, sah er seine Gegner.
Sechs oder mehr unterschiedlich große Gestalten in dunklen Raumanzügen, stellenweise vom Staub der Ruinenstadt beschmutzt, aber schnell und behende, zeigten sich. Sie eröffneten das Feuer auf die Roboter, und die meisten Schüsse waren Wirkungstreffer. Zwei große Gestalten, von denen die anderen Fremden überragt wurden, entdeckten den Tigganoi. Goman-Largo löste zweimal seinen Quintadimwerfer aus und feuerte vor die Stiefel der beiden Gestalten. Dort lösten sich große Teile des Bodens spurlos auf. Über seinem Kopf schlugen die Projektorstrahlen aus den Waffen der Angreifer ein und sprengten aufglühende Steinblöcke auseinander. »Wir sind Gegner der Roboter!« schrie der Tigganoi wütend. Die schweren Maschinen torkelten durch die Luft, feuerten nach allem, das sich bewegte, leuchteten mit den Scheinwerfern durch die Wolken aus Staub und brennenden Gasen. Das Abwehrfeuer der Neuangekommenen war gründlich – eine Maschine nach der anderen wurde getroffen und stürzte ab. Meist detonierten die Energiezellen; einige Roboter glühten in lautloser Glut auf und zerfielen zu Asche. Die genotronischen Kundschafter kehrten zurück. Goman-Largo brauchte einige Zeit, um die Informationen richtig zu verarbeiten. Er lag im Schutz einer wuchtigen Mauer, und Neithadl-Off verbarg sich im Tunnel. Die letzte Explosion überschüttete den Platz mit gleißender Helligkeit und einem prasselnden Hagel aus Trümmern und weißglühenden Metallsplittern. Langsam stand Goman-Largo auf und zielte mit dem Strahl des Helmscheinwerfers auf die beiden hochgewachsenen Fremden, die sich rechts und links der freien Zone auf ihn zu bewegten. Er hob beide Arme und rief: »Freunde! Keine Gegner!« Die Fremden senkten ihre schweren Waffen und näherten sich vorsichtig. Aus dem Innern des dunklen Tunnels kam Neithadl-Off hervorgestelzt und hantierte mit ihrem Aufzeichnungsgerät. Sie drehte es herum und benutzte es als Übersetzungshilfe. »Wer bist du?« fragte der längere der beiden Raumfahrer. »Goman-Largo, der Spezialist der Zeit.« Der andere Raumfahrer zeigte auf die Vigpanderin, die sich ins Licht der Scheinwerfer hineinwagte. »Das ist meine Gefährtin«, antwortete der Tigganoi und erklärte, wer Neithadl-Off und der Schwarze Kubus waren. Die anderen Raumfahrer rannten im Zickzack zwischen den Glutnestern der schwellenden Maschinenteile herbei und stellten sich um Goman-Largo und Neithadl-Off im Halbkreis auf. »Ich kenne euch«, erklärte ein Humanoider mit breiten Schultern. »Atlan hat mir von euch erzählt.« »Richtig!« pfiff die Vigpanderin. »Atlan und die STERNSCHNUPPE!« Warnend sagte der Tigganoi: »Die Maschinen sind nur die erste Gruppe von fast hundert Einheiten. Sie suchen uns und sollen uns töten. Wenn ihr hier stehenbleibt, werdet ihr in den Kampf verwickelt.« »Ich bin Fartuloon, den man auch den Bauchaufschneider nennt«, kam es aus den Außenlautsprechern des Raumanzugs. »In den Kampf mit den langsamen Stahlmännern sind wir bereits eingestiegen.« »Auch gut. Warum seid ihr hier?« Ein Helmscheinwerfer nach dem anderen wurde abgeschaltet, während Fartuloon sein Team vorstellte und dem Zeitspezialisten und seiner Begleiterin erklärte, daß die bisher wenig erfolgreiche Suche nach Hyptons die MASCAREN-Mannschaft hierher geführt hatte. »Jeder sucht die Hyptons!« schrillte die Vigpanderin. »Und die Stimme des Schwarzen Zwerges wird uns alle mit ihren Uralt-Robotern vernichten.«
Der letzte Lärm der Explosionen und herunterpolterndem Gestein hatte aufgehört. Die erhitzte Luft stieg in dünnen Säulen aufwärts und riß den Rauch und Staub mit in die Höhe. Eine gespannte Ruhe breitete sich für wenige Augenblicke aus. Fartuloon berichtete kurz, daß er und einige seiner Mannschaft von Atlan über Neithadl-Off und Goman-Largo und einige gemeinsame Abenteuer informiert worden waren. Der Name Atlan genügte, um die zwei Gruppen zusammenzuführen und klare Verhältnisse zu schaffen. Sie waren in gewisser Hinsicht sofort zu Verbündeten geworden. * Einige Minuten vergingen, in denen sich die unterschiedlichen Wesen musterten, ein Gespräch versuchten, Informationen über die Geisterstadt austauschten und über die riesigen Roboter sprachen. Fartuloon zeigte nach kurzer Zeit in die Richtung, aus der sein Team und er gekommen waren. »Wahrscheinlich steht dort ein Raumschiff voller Hyptons«, sagte er auffordernd. »Dieses riesige Gebäude ist unser Ziel gewesen, als wir in euren Privatkrieg hineingerieten. Kommt ihr mit?« »Keine Frage, Bauchaufschneider«, antwortete Goman-Largo und wunderte sich über diesen Beinamen. »Über die unterschiedlichen Ziele unserer Missionen sprechen wir später.« Er griff nach dem Schwarzen Kubus und sah, als er sich umdrehte, wie über eine Säulenreihe hinweg die Lichtstrahlen weiterer Kampfmaschinen zuckten. »Sie kommen!« rief Goman-Largo. Fartuloon und seine Raumfahrer folgten dem Tigganoi in den Schutz des Durchgangs. Noch mehr Lichtstrahlen geisterten über die leere Fläche, auf der die Reste der Roboter schwelten. Sekunden später waren die Raumfahrer in dem Tunnel verschwunden und hasteten hinter GomanLargo her. Jeder hielt die schußbereite Waffe in der Hand. Der Tigganoi trug den Heiligen Kubus unter dem Arm und hörte, als er aus dem anderen Ende des Tunnels hervorrannte, das Heulen und Dröhnen der fliegenden Maschinen, aber in diese Geräusche mischte sich ein dunkles, brummendes Vibrieren. »Es müssen andere Roboter sein. Sie wollen uns umzingeln.« Wieder verwendete Goman-Largo seine winzigen Satelliten und rannte weiter. Er kannte die Straßen und Plätze immerhin so gut, daß er die Raumfahrer zu dem bezeichneten Gebäudeblock führen konnte. Diesmal stellten sich ihnen, aus drei Seiten heranfliegend und über die Staubschicht rasselnd und ratternd, mindestens fünfzig Roboter entgegen. »Denkt daran«, hörte der Tigganoi über Helmfunk – sie hatten untereinander die Frequenzen ausgetauscht und die Geräte neu eingepegelt – die unverkennbare Stimme des kleinen, massig gebauten Bauchaufschneiders, »sie scheinen noch nicht völlig intakt zu sein.« »Das haben wir schon gemerkt!« kam es zurück. Fartuloons Team faszinierte den hageren Modulmann. Die Raumfahrer schossen schnell, gezielt und mit erstaunlicher Sicherheit. Die Hochenergiestrahlen der Waffen richteten ebenso große Verwüstungen an wie der Quintadimwerfer des Tigganoi. Eine schwer gepanzerte Maschine rollte auf breiten Ketten aus einem Portal hervor. Fünf grelle Glutbündel heulten hinüber, und in fast telepathischer Übereinstimmung hatten die Fremden fünf unterschiedliche Teile des Roboters anvisiert. Die Scheinwerfer explodierten zuerst, dann schmolzen Teile des Antriebsmechanismus, und das Geschütz der Maschine erstarrte in der Bewegung und schickte die Energiestrahlen über den Flüchtenden in Wände und Mauern. »Dort hinüber!« rief Goman-Largo. In einzelnen Sprüngen, einander sichernd und pausenlos feuernd, überwanden die Raumfahrer die kleinen freien Flächen.
Zwei brennende Flugroboter fielen aus der nachtdunklen Höhe. Sie wurden, als sie aufschlugen, von ihren nachfolgenden Flugroboter-Kollegen unter Beschuß genommen. Nach einem wilden Feuergefecht, das einen Teil der schwarzen Ruinen in ein Trümmerfeld verwandelte, waren nur noch fünfzehn Roboter übrig. Die fahrenden Maschinen standen still, brannten aus und verwandelten sich in glühende Metallgerippe. Wieder rannten die Raumfahrer in eine schmale Gasse hinein. Sie war kaum breiter als drei Meter. Bögen und Verbindungselemente ragten aus den’ zwei endlos erscheinenden Mauern heraus. Schwach war der Gebäuderiese jenseits des anderen Endes zu sehen. Auch dort patrouillierten Roboter in der Luft und suchten mit starken Scheinwerfern die Umgebung ab. Goman-Largo beförderte die obere Hälfte eines heranrasenden Flugroboters mit dem projizierten Kugelfeld seiner Waffe in den Hyperraum und folgte Fartuloon, der die Führung übernommen hatte. »Ultramonotische Hindernisse!« brummte er und sagte sich, daß bisher die Roboter keinen Raumfahrer der beiden Gruppen wirklich gefährdet hatten. Dennoch machte die Übermacht der Maschinen den Raumfahrern schwer zu schaffen. Ihr Lauf verwandelte sich in ein Hindernisrennen zwischen Einschlagkratern, glühenden Strahlen, auseinanderbrechenden Robotern und einstürzenden Mauerteilen und Pfeilern. Aber jedes Dutzend weiterer Schritte kostete einen Roboter die technische Existenz. »Wir schaffen es!« rief Dennenhor und erledigte mit einer Serie schneller Schüsse einen Roboter, der in geringer Höhe heranraste. Ein zweiter verschwand, als der Modulmann seine Waffe einsetzte. »Wir sind schon fast am Ziel«, gab Goman-Largo zurück. Der Koloß des Bauwerks, das aus vielen einzelnen, kantigen Elementen zu bestehen schien, ragte unmittelbar vor ihnen auf. Ein steinernes Dach spannte sich über dem Eingang, der von einer glänzenden Metallfläche verschlossen war. Der Modulmann richtete den Lauf der Handwaffe auf die rechte obere Ecke und schloß die Finger um das Griffstück des Werfers. Mauerwerk und Metallplatte verschwanden in einem kugeligen Ausschnitt. Gleichzeitig feuerte die Hälfte der Raumfahrer auf die Schnittstellen zwischen Metallfläche und Mauerwerk. Teile der Tür schmolzen und zeigten klaffende Risse. Fünf der Eindringlinge hatten sich entlang der Vorderfront des Eingangs verteilt und sprangen hin und her. Ihre Waffen spien unaufhörlich Hochenergiestrahlen. Die Raumfahrer verständigten sich mit kurzen Zurufen und Kommandos. Die Roboter hatten keine wirkliche Chance, ihre seit Urzeiten gespeicherte und programmierte Aufgabe zu erfüllen. Das scharfe Wirkungsfeuer der Raumfahrer vernichtete in den folgenden Minuten jeden noch sichtbaren Roboter. Die Zone vor dem Gebäude verwandelte sich in einen brennenden und rauchenden Schrottplatz. Immer länger wurden die breiten Risse im Metallportal, das schließlich in sich zusammensackte und nach vorn kippte, mit furchtbarem Getöse. »Hinein! Und zwar schnell«, ordnete Fartuloon an und stürmte los. Er dachte, während er den Strahlen der Helmscheinwerfer und der tragbaren Einheiten folgte, an die furchtbare Raumschlacht, während der die Hypton-Flotte vernichtet worden war, an Questror, Bassad und Gway; dann rief er seine eigenen Gedanken zur Ordnung und versuchte, sich hinter dem Wirrwarr von Rampen, Treppen und offenen Durchgängen jene Riesenhalle vorzustellen, in der das Hypton-Raumschiff stand. Noch herrschte in diesem Teil des Gebäudes die gewohnte Finsternis. An den Wänden sahen die Eindringlinge die dünne Schicht aus Eiskristallen, die sich mehr und mehr auflöste, als die beiden Gruppen durch die Innenräume rannten und die Luft in Bewegung versetzten. Der Modulmann, dessen genetronische Späher versuchten, sämtliche Räume vor dem Trupp der Eindringlinge zu untersuchen, wandte sich an Fartuloon, der neben ihm vordrang. »Was hast du vor – mit deinen Leuten?«
»Wir suchen Hyptons und vertreiben sie, wenn wir es schaffen.« »Ausgerechnet hier, auf Alchadyr?« »Wir kamen zufällig hierher, wir flogen nach den Informationen aus einem Depot der Tessaler.« »Simmian ist voller Geheimnisse. Sie stammen aus alten Zeiten.« »Darüber kannst du mir später mehr erzählen. Wie können wir die Hyptons ausschalten?« »Vermutlich nicht, indem wir mit gezogenen Waffen die Halle stürmen«, erklärte der Modulmann. »Sondern?« »Ich weiß es auch nicht. Vielleicht kann ich mit dem Quintadimwerfer das Raumschiff unbrauchbar machen.« »Wenn es wirklich dort steht«, antwortete Fartuloon und lachte grimmig. »Es ist dort«, bestätigte der Modulmann. »Ich weiß das ganz genau.« Seine Module hatten ihn informiert. Drei Schritte später meldete sich unvermittelt der Schwarze Kubus. Er sagte laut und sehr gut verständlich: »Ich habe euren Wortwechsel gehört. Die Rückkoppelung zwischen mir und der Stimme des Schwarzen Zwerges ist in Ordnung, und so hat die Stimme des Schwarzen Zwerges alles mitangehört und zur Kenntnis genommen. Ich bin sicher, daß die Biotronik die Hyptons bereits von eurem Entschluß verständigt hat.« »Und auch darüber, wo wir sind?« fragte der Modulmann, während Fartuloon mit dem Handscheinwerfer den Heiligen Kubus anleuchtete. »Das müssen wir annehmen.« Fartuloon knurrte: »Auch darüber reden wir später. Ich habe verstanden. Eile tut offensichtlich not.« »Jawohl. Dorthin, die Rampe hinunter, Bauchaufschneider.« »Alles klar.« Die Raumfahrer folgten Goman-Largo. Am Schluß tippelte die Vigpanderin hinter ihnen her. Irgendwo vor ihnen, etwa dreihundert Schritte entfernt, erschütterten schwere Vibrationen die Bodenkonstruktion. Startete das Hypton-Raumschiff?
7. Die Eindringlinge bildeten eine Kette. Sie rannten von einem Raum in den anderen, über Treppen und Rampen, durch eine geisterhafte Schwärze und durch kleine Wolken schwarzen Staubes. Sie folgten, ohne viel nachzudenken, dem hochgewachsenen Fremden in seinem auffallenden Raumanzug. Er schien genau zu wissen, auf welchem Weg sie in die Halle eindringen konnten. Für jeden von ihnen galt, was sie von ihren Geräten und vom Telepathen erfahren hatten: ein riesiger Hohlraum und eine große Metallmasse und mehr als ein halbes Hundert Hyptons. Vor einem versperrten Raum mußten sie stehenbleiben. Der Modulmann wußte, daß einer seiner Späher einen winzigen Durchschlupf gefunden hatte. Er hob die Waffe und suchte den besten Punkt, an dem er den Werfer und dessen Hypereffekt anwenden konnte. Wieder fing der Würfel zu sprechen an. Der Tigganoi wartete. »Ich spreche nicht für mich«, sagte der Heilige Würfel. »Die Biotronik spricht. Ich habe gemerkt, daß ich beeinflußt wurde und nicht mehr klare Denkprozesse in der notwendigen Unabhängigkeit durchführen konnte. Jetzt fühle ich mich nicht mehr im Bann einer Beeinflussung.« »Laß hören«, forderte die Vigpanderin den Kubus auf. »Das Schiff jener Wesen, die von euch Hyptons genannt werden, steht in der Halle des Transmitters. Der Pedotransmitter hat sich vor kurzer Zeit eingeschaltet, und das Raumschiff wird auf den Abstrahlpunkt verbracht.« »Wie sind die Hyptons hierher gekommen?« wollte Dennenhor wissen. »Durch einen anderen Pedotransmitter. Der Standort dieses Geräts ist mir unbekannt – wie so vieles aus der Vergangenheit. Ihr befindet euch auf dem richtigen Weg.« Dreimal hintereinander setzte Goman-Largo den Quintadimwerfer ein und entstofflichte jeweils rund einen metergroßen Abschnitt der Wand. Grelles Licht in vielen, ständig wechselnden Farben zeichnete sich vor den Eindringlingen ab. Der Kubus redete unbeeindruckt weiter. »Ihr habt den richtigen Durchgang zum Raum des Alchadyr-Pedotransmitters gefunden. Zusätzlich kann ich die Information weitergeben, daß dieses Gerät eine handlungsfähige Gegenstation tief unter dem Tempel des Zwerges Modar hat.« »Ein Tempel auf dem Planeten Tessal, vierte Welt der Sonne Dordonn«, erklärte die Vigpanderin hastig. Wieder erweiterte der Modulmann mit der Waffe den Durchbruch. Das Licht wurde deutlicher, ebenso nahmen die Vibrationen zu. Jetzt beherrschte ein stechendes Rot den Raum vor ihnen. Dennenhor und zwei andere Raumfahrer drängten sich vor und schlüpften durch das Loch mit den gerundeten Rändern. Das Licht wechselte in ein klares Gelb. »Über diese Verbindung kamen in unregelmäßigen Abständen einzelne Hüter der Zwergentempel von Tessal hier an. Die Hüter hatten die jeweiligen Ersten Exekutoren bei sich und baten mich, die Stimme des Schwarzen Zwerges, um Ratschläge und Problemlösungen. Es ist naheliegend, euch zu erklären, daß diese Leute die Wirkungsweise von Pedotransmittern nicht kennen. Sie halten es für Magie.« Auch Goman-Largo drängte sich in die Halle. Einige andere folgten ihm. In einiger Entfernung hing eine riesige Kugel im Raum, die in allen Farben leuchtete und sich zu bewegen schien. Es mußte sich um n-dimensionale Mischenergie handeln, sagte sich der Tigganoi. Von links schwebte das kugelförmige Schiff der Hyptons mit geschlossener Schleuse auf die Kugel zu. Unsichtbare Kräfte hatten es aufgehoben und zogen es auf das Transmitterfeld zu. Die Halle war von einem dumpfen Dröhnen erfüllt, und die Farbschlieren bildeten auf der Kugeloberfläche sinnverwirrende Muster. »Zu spät!« fluchte Fartuloon. Das Schiff drang ohne zusätzliche Geräusche oder Leuchteffekte in die Energieballung ein. Kurz pulsierte das Mischenergiefeld, dann flammte es auf. Das Schiff verschwand völlig darin. Es wurde förmlich in das Pedofeld hineingerissen, das kurz zu zittern schien und dann langsam in seinem Glanz nachließ.
Es löste sich auf, die Geräusche wurden leiser, und schließlich blieben nur noch Hunderte halb versteckter Tiefstrahler und die Beleuchtungskörper der indirekten Lichtquellen übrig. Die Temperatur in der wahrhaft riesigen Halle war weitaus höher als draußen auf dem nachtschwarzen Planeten. Goman-Largo stellte den Schwarzen Kubus ab, setzte sich auf eine steinerne Bank und sagte: »Wir kamen zu spät, und eure Hyptons sind weg, Bauchaufschneider.« Der gesamte Trupp war erschöpft. Fartuloon gab einen knappen Bericht an die ARIE ab und bat, das Beiboot vor dem Eingang zu landen. Sorgfältig beobachtete er die Armbandindikatoren seines Anzugs und öffnete schließlich zögernd den Raumhelm. Die Luft war ’ frisch, kalt und atembar. »So!« meinte er. »Jetzt ist Zeit für ein vernünftiges Gespräch. Gehe ich recht in der Annahme, daß irgendeine Biotronik den Transmitter kontrolliert und auch die Roboter, die uns aufgehalten haben?« Der Heilige Kubus machte keinen Unterschied zwischen Fartuloon und dem Modulmann. Er fing wieder zu sprechen an. Er gab eine zusammenfassende Erklärung ab. Er schilderte, wie er in langen Schüben zum Schweigen verpflichtet wurde, weil die Biotronik von den fremden Wesen manipuliert wurde. Diese Lähmung hatte sich teilweise gelöst und war erneuert worden, in den letzten Stunden aber – nach dem Wiederaktivieren der Städtischen Gardistentruppe – ließ sie nach. Die riesige Biotronik setzte diesem vorübergehenden Defekt ihre selbstregulierenden Einrichtungen entgegen. »Woher kamen die Hyptons?« erkundigte sich Fartuloon. »Aus einem anderen Pedotransmitter, logischerweise, dessen Standort ich nicht kenne«, erwiderte die Stimme des Schwarzen Zwerges. »Und wohin gingen sie? Nach Tessal? Zum Zwergentempel etwa?« »Nein. Sie kamen nicht von Tessal, also wurden sie auch nicht dorthin abgestrahlt.« »Du kontrollierst den Transmitter also nicht völlig?« »Ich habe keinen Einfluß auf die Ziele und darauf, wann ein anderer Pedotransmitter in Tätigkeit gesetzt wird.« »Guter Rat, wie meist«, murmelte der Bauchaufschneider, »ist nicht nur teuer, sondern unbezahlbar.« Nachdem alle Raumanzüge geöffnet worden waren, hatten die beiden Gruppen endlich Gelegenheit, einander gründlich zu betrachten. Neithadl-Offs Aussehen war bei weitem am meisten exotisch. Aber Ikuser, Daila, eine Ligridin und ein Zgmahkone – der Umstand, daß sie sich mühelos miteinander verständigen konnten, trug zur Erleichterung und zum besseren Kontakt erheblich bei. Fartuloon meinte nach einiger Zeit: »Ich möchte jedenfalls nicht das Risiko eingehen, den Hyptons auf diesem Weg zu folgen. Logisch erscheint mir, daß sie nicht nach Tessal geschleudert wurden.« Inua stimmte zu und erklärte schulterzuckend: »Jedenfalls gibt es auf diesem schwarzen Planeten keine Hypton-Zentrale. Nicht einmal eine winzige Unterabteilung. Kein Versteck. Sie waren zufällig hier.« »Hier in der Halle.« Fliedo, der Ikuser, hatte seine Gruppe verlassen und untersuchte zusammen mit zwei Daila die Einrichtungen der Halle. Er blieb stehen und winkte. Über Funk war seine Stimme leichter zu verstehen. »Ein schräger Korridor führt in die Tiefe. Der Eingang ist vermutlich von den Stahlmännern der Hyptons freigemacht worden. Es gibt Beleuchtung und Stufen.« »Auf diese Weise sind sie offensichtlich bis zum Zentrum der Stimme des Zwerges gekommen«, versuchte Neithadl-Off eine Erklärung. »Den Rest können wir uns leicht vorstellen.« »Stimmt!« sagte der Schwarze Würfel. »Du hast recht.«
»Was planst du, Bauchaufschneider?« fragte der Modulmann. »Wir starten mit dem Beiboot, schleusen ein und suchen mit der großen MASCAREN weiterhin nach einer Hypton-Zentrale und prüfen alle anderen Aktivitäten der kleinen Invasoren. Wahrscheinlich werden wir dabei auch den einen oder anderen Bezirk des SimmianKugelsternhaufens erkunden und Aufzeichnungen machen. So helfen wir uns und der offiziellen Manam-Turu-Raumfahrt.« »Wollt ihr nicht mitkommen?« wandte sich Inua an den Modulmann und die ParazeitHistorikerin. »Nein«, bedankte sich Goman-Largo. »Wir haben eine andere Aufgabe gewählt. Aber ich bin sicher, daß sich unser Weg wieder kreuzen wird. Unser gemeinsamer Freund Atlan sorgt wohl dafür.« Fartuloon nickte und strich über seinen kahlen Schädel. »Sehr lange halten wir uns hier nicht mehr auf. Können wir für euch etwas tun? Braucht ihr Ausrüstung und Essen? Wir haben natürlich im Beiboot nicht gerade ein riesiges Warenlager.« Neithadl-Off und Inua kümmerten sich um die Kleinigkeiten. Aus der ARIE kam die Bestätigung, daß das Boot an der gewünschten Stelle startbereit stand. »Wir warten, bis ihr gestartet seid«, meinte Goman-Largo. »Einverstanden.« Die technische Einrichtung der Transmitterhalle war für beide Gruppen von mäßigem Interesse. Der Pedotransmitter und verschiedene Transporteinrichtungen, die mit Antigravprojektoren arbeiteten, wurden von einer kleinen Zelle der Biotronik aus gesteuert. Für das Erscheinen eines Schiffes oder eines anderen Körpers in der nächsten Zeit gab es keine Hinweise. Die Beleuchtung strahlte ruhig und störungsfrei. Fartuloons Gruppe sammelte sich und schloß die Raumanzüge. Ohne Eile traten Fartuloons Leute den Rückweg an. Neithadl-Off und Goman-Largo folgten ihnen und erhielten, nachdem sie die wartenden Raumfahrer im Boot begrüßt hatten, einige Vorräte und Nahrungsmittel, sowie Ausrüstungsgegenstände. Sie gingen einige Schritte zurück und warteten, bis das Boot inmitten des trümmerübersäten Feldes langsam startete und mit heftig blinkenden Scheinwerfern senkrecht hochstieg. Dann zog es einen Kreis über den Zurückbleibenden und jagte in steilem Flug schräg zu den Sternen hinauf. Neithadl-Offs Stimme klang traurig, als sie sagte: »Sie schweben zwischen den Sternen, und wir treten wieder den Weg in die Tiefe an.« »Diesmal wird er uns leichterfallen«, tröstete sie ihr Gefährte. »Wir sind von der Stimme des Schwarzen Zwerges als befreundet klassifiziert worden. Allerdings: was die Biotronik nicht weiß, das kann sie uns auch nicht sagen.« »Leider nicht.« Die beiden Gefährten kehrten langsam und in nachdenklichem Schweigen in die Halle zurück. Sie blieben in der Nähe des Heiligen Kubus stehen. »Wir werden also weiter versuchen, zusammen mit dem Würfel zu den Vinnidern zurückzukehren«, schlug der Modulmann vor. »Frieden zwischen den Tessalern und den Vinnidern ist eine vordringliche Aufgabe. Überdies entspricht eine Reise in diese Richtung ohnehin unserer Motivation.« Wenn sie auf einer rastlosen Suche nach etwas war, das sie erst dann erkannte, wenn sie es sah, so war jeder Punkt dieses Universums richtig oder falsch. Aber jeder konnte der richtige sein! »Machen wir eine Pause?« »Warum nicht? Hier sind wir geschützt. Kubus! Wird uns die Biotronik Schwierigkeiten machen?« »Ich bin sicher, daß es keine ernsthaften Probleme gibt«, antwortete er. »Gut. Schlagen wir wieder unser Nachtlager auf. Diesmal im hellen Licht der Raumbeleuchtung.«
Beide trauten sie diesem Pedotransmitter und der zugrundeliegenden Logistik nicht. Allzu deutlich erinnerten sie sich an Klingsor, von wo aus sie in die Sternenfalle von Askyschon-Nurgh geschleudert worden waren. Sie beachteten die Technik hier auch nicht weiter, als sie versuchten, es sich für die nächsten Stunden so gemütlich wie möglich zu machen. * Fartuloon betrachtete mißmutig den Zeigefinger seines Raumhandschuhs, roch an den Spuren des rußigschwarzen Staubes und sagte: »Das Zeug riecht selbst jetzt noch nach Feuer und Brand. Die wahre Freude war unser Ausflug nicht, wie?« Vor dem Schott, in den Kammern für sämtliche Schleusenaktivitäten, entledigten sie sich der Raumanzüge und steckten sie nacheinander in die Reinigungsautomaten. »Es lohnt sich auch nicht, irgendwelche Andenken mitzubringen«, fügte Inua hinzu. »Wohin fliegen wir jetzt, Fartuloon?« »In Schleifen geradeaus, meine Kleine«, entgegnete er mehrdeutig. »Man wird sehen. Oder hast du besondere Eile und ein Ziel, das sich lohnt?« »Nein.« Roboter versorgten die ARIE. Im Schutz der Energieschirme, die auf Viertelleistung geschaltet waren, verließ die MASCAREN den Orbit um Alchadyr und richtete ihre stumpfe Nase auf das Zentrum des Sonnensystems. Langsam nahm die Fluggeschwindigkeit zu. Einer nach dem anderen kehrte in die Kommandozentrale zurück und transferierte die wichtigsten Daten in die Bordpositronik. »Weitersuchen, Atlan anfunken und, wahrscheinlich, am Ende einer langen Reise nach Aklard zurückkehren. So stelle ich mir die nähere Zukunft vor«, seufzte der Bauchaufschneider und ließ sich in den Kommandantensessel fallen. Inua brachte ihm einen großen Becher voll von stark gesüßtem Aufmunterungstrunk. »Wir halten Kurs auf den Schwarzen Zwerg«, erklärte Gero Vondohmen. »Gut so. Nach kurzer Überlegung wählen wir ein neues Ziel. Oder hat Somso Alures etwa irgendwo neue Hyptons aufgespürt?« »Es tut mir leid, uns alle enttäuschen zu müssen«, antwortete Fliedo. »Wir sind von einem hyptonlosen Kosmos umgeben.« Die MASCAREN wurde schneller und ließ die Welt der Schwärze und Kälte hinter sich. Fartuloon fragte sich, während er die Beine ausstreckte und seine malträtierten Muskeln spürte, ob es sinnvoll sei, auch die anderen Planeten dieses toten Systems anzufliegen. Er sagte sich, daß sie einen klaren Auftrag hatten: Suche nach Hyptons. Hier gab es keine. Also sollten sie besser keine Zeit verlieren und an anderen Stellen suchen. Wohin? Manam-Turu war groß und barg noch unzählige unentdeckte Raumsektoren. Eine halbe Stunde später saß Fartuloon vor dem Astrogatorpult und spielte mit der Tastatur. Aus der Holoprojektion der Galaxis und den Pfaden, auf denen die einzelnen Flottenteile der Hyptons angegriffen hatten, versuchte er irgendeine Logik zu erkennen, eine wahrscheinliche Richtung, in die sich einige Hypton-Trauben zurückgezogen haben konnten. Schließlich suchte er ein Ziel heraus, übergab das Schiff dem Piloten und zog sich in seine Kabine zurück. Er brauchte dringend Schlaf. (Und in der letzten Zeit träumte er verdächtig oft von seinem einmaligen, sicheren CalurierZeitversteck. Die Bedeutung dieser Träume kannte er auch noch nicht. Träume dieser Art stimmten ihn immer sehr nachdenklich. Er spielte, während er einzuschlafen versuchte, mit einem kleinen Omirgos-Kristall.) *
Wieder waren sie unterwegs; auf ihrem seltsamen Weg durch die kalte Kruste des Planeten. Finsternis und schwarzer Staub schienen vorläufig hinter ihnen zu liegen. Das Licht in der Transmitterhalle hatte seine Intensität nicht verändert. Auch die Beleuchtungskörper im schrägen Transportschacht brannten. Einige davon waren von den Hypton-Stahlmännern instand gesetzt worden. Deutliche Spuren bewiesen, daß auch andere Teile repariert worden waren – der Weg hinunter zur Biotronik war fast angenehm. »Vielleicht hilft uns die Stimme des Schwarzen Zwerges, die Sperre der Zeitgruft zu beseitigen?« pfiff Neithadl-Off, nachdem die Gefährten etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten. »Vielleicht ja, möglicherweise nein«, antwortete philosophisch der Tigganoi. »Wir werden sehen. Wenn wir dazu eine spannende Geschichte oder Begründung brauchen, kannst du gern deine interpretatorische Wahrscheinlichkeitsextrapolation anwenden.« »Mit uneingeschränktem Vergnügen«, versicherte Neithadl-Off. Sie brauchten nicht mehr als eine Stunde, bis sie vor der komplizierten Schleusenanlage standen. Sämtliche Sperren und Sicherheitseinrichtungen waren von den Hochleistungsrobotern ausgeschaltet worden. Nacheinander glitten die Platten und Schotte zur Seite und schlossen sich ohne das erwartete Knirschen und Kreischen eingerosteter mechanischer Verbindungen. Von Stufe zu Stufe änderten sich die Beleuchtung und, deutlich spürbar, die Temperatur. Der Heilige Kubus erklärte sachlich: »Hinter dem nächsten Thermoschutzsystem fängt der Bereich der Stimme des Schwarzen Zwerges an.« »Ich weiß«, gab Goman-Largo zurück und sammelte die wenigen Module wieder ein. Fauchend zogen sich die massigen Türen zurück. Eine riesige Halle mit unzähligen Nischen lag vor ihnen. Sie gingen auf die ersten Anordnungen der langgestreckten Speicher zu. Hinter ihnen versiegelte sich der Raum wieder, und die Gefährten befanden sich an der Stelle, von der aus die Hyptons ihre erstaunlichen Fähigkeiten eingesetzt hatten. »Immerhin!« sagte Goman-Largo zufrieden. »Vor ein paar Tagen wurden wir weniger herzlich begrüßt. Und wo ist Nussel, unser Führer – beziehungsweise dessen Holoprojektion?« Der Kubus entgegnete: »Diese Projektion würde euch nichts nützen. Die Biotronik öffnet euch sämtliche Türen und führt euch ans Ziel. Aber sie ist gegen die Sperre der Zeitgruft machtlos. Es ist also überflüssig, den weiteren Weg des Suchens mit zusätzlicher Verwirrung zu speisen.« »Hmm«, machte der Modulmann. Es klang logisch. Während sich Goman-Largo in diesem wichtigen Raum umsah, fuhr Neithadl-Off die Sensorstäbchen aus und sprach neue Aufzeichnungen in ihr Gerät. Unschlüssig schob sie ihren kantigen Körper zwischen den endlos vielen Blöcken und Bänken hindurch und schien wieder einmal etwas zu suchen, wovon sie nicht wußte, wie es aussah. Die meisten Nischen waren von dicken Röhren ausgefüllt. Ihre Wandungen waren milchig, und darinnen schien sich ein Gemisch aus einer träge fließenden Flüssigkeit und einem gitterähnlichen festen Stoff zu befinden, der ununterbrochen und an sämtlichen einsehbaren Stellen winzigste funkelnde Entladungen erzeugte. Goman-Largo lehnte sich gegen die fugenlose Wand und aktivierte alle genotronischen Späher, deren Funktionen er begreifen konnte. Sie schwärmten aus und verteilten sich bis in den hintersten Winkel der riesigen Anlage. Wieder fing eine neue Phase einer beschwerlichen Suche an, deren Ende ganz anders sein konnte, als die Gefährten es sich vorstellten. Der Modulmann entdeckte insgesamt fünf Ausgänge aus diesem Raum, die er, nachdem die Module zurückgekehrt waren, nacheinander kurz kontrollierte. Dann ging er ohne sonderliche Hast zu der Stelle zurück, an der er den Kubus abgestellt hatte. »Ich habe fünf Ausgänge gesehen«, sagte er zum Heiligen Kubus. »Mit großer Sicherheit gibt es keinen sechsten. Welchen müssen wir benutzen, um dem Ziel näherzukommen?«
Einige Sekunden vergingen. Die Antwort müßte eigentlich ohne jede zeitliche Verzögerung kommen. Goman-Largos Mißtrauen war nie richtig eingeschlafen gewesen. Jetzt registrierte er wieder starke Zweifel am guten Willen, an der Wahrheitsliebe und den verwertbaren Informationen der Biotronik. »Es gibt mehrere Wege, die in die Zone nahe der Zeitgruft führen. Ich selbst kenne sie nicht. Aber die Stimme des Schwarzen Zwerges bestätigt, daß erstens alle Ausgänge miteinander verbunden sein müßten, und daß jeder dieser dreidimensionalen Zugänge nicht von der Biotronik überwacht und versorgt werden kann. Es fehlen sowohl gespeicherte Informationen als auch Kontrollmöglichkeiten. Aber die Biotronik verfügt über keine Hinweise, daß es sich dort um eine Ansammlung tödlicher Fallen handelt.« »Sehr tröstlich«, pfiff die Vigpanderin, »das zu wissen.« Goman-Largo hob den Schwarzen Kubus auf und suchte einen Weg durch die Ansammlung der seltsamen Bänke und Behälter. Die Schritte der Gefährten waren die einzigen Geräusche in diesem sichtbaren Teil der Biotronik. Goman-Largo und Neithadl-Off gingen auf den am weitesten entfernten Ausgang zu. Ihre Entscheidung, gerade dieses System zu benutzen, war willkürlich. Ihr Gefühl, weiteren ernsthaften Schwierigkeiten entgegenzugehen, nahm an Eindringlichkeit zu. Die Wände der Nische bestanden aus bearbeitetem Fels in feiner Körnung und verschiedenen Farben. Ein Stahlschott, etwas höher als zwei Meter, öffnete sich, nachdem der Tigganoi zwei Schalter aktiviert hatte. Sie befanden sich eine Handbreit über Kniehöhe GomanLargos. Vielleicht war diese Anordnung ein Hinweis auf die Größe der damaligen Erbauer dieser subplanetarischen Anlage. Eine geräumige Schleuse nahm die Gefährten auf. Licht schaltete sich ein, der Temperaturausgleich wurde durchgeführt. Kalte, stickige Luft schlug den beiden Eindringlingen entgegen. Unter ihnen bebte kurz der Boden; gerade in dem Moment, als sich das letzte Schott zuschob und Goman-Largo seine Module ausschicken wollte. Der Bezirk, den sie jetzt betraten, war dunkel und kalt. Aber die Luft blieb atembar, obwohl sie nach Nässe und uraltem Schmutz stank. Wieder erzitterte unter den Stiefeln der Gefährten eine größere Fläche. Es gab einen scharfen Ruck, dann bewegte sich dieser Teil des Bodens vorwärts, und der Tigganoi wurde von den Füßen gerissen. Der Heilige Kubus, der hart gegen eine Felswand schlug, sprach nicht, aber aus seinem Innern kamen knirschende Geräusche. Dann erhellte sich die unterplanetarische Welt. Die Vigpanderin und der Tigganoi erkannten, daß sie in einem offenen Kasten kauerten und sich damit durch eine riesige Höhle bewegten. Das Gerät folgte unsichtbaren Strahlen und schien zu schweben, ohne auf mechanische Art geführt zu werden. In weiten und engeren Kurven und in beträchtlicher Geschwindigkeit sauste die als Fels getarnte Plattform mit niedrigen Wänden durch eine chaotische Umgebung. »Wir waren nicht gut beraten«, pfiff Neithadl-Off erregt, »diesen Ausgang zu wählen.« »An einer anderen Stelle wären wir vielleicht in kochendes Öl oder in Lava getaucht worden«, widersprach Goman-Largo und richtete sich auf. Mit beiden Händen klammerte er sich an die hüfthohe Steinreling des dahingleitenden Transportmittels. »Was soll das, Heiliger Kubus?« pfiff die Vigpanderin. Der Würfel schwieg. Die Höhle wirkte, als sei sie Teil eines riesigen, natürlich entstandenen Systems. Von den bizarr gekrümmten Teilen der Decke hingen Stalaktiten herunter. Die Eindringlinge konnten nicht eine einzige wirkliche Lichtquelle entdecken; vielfarbiges Licht kam aus unzähligen Nischen und Vertiefungen im zerklüfteten Boden. Hin und wieder waren Projektoren zu erkennen, die ebenfalls uralt waren, staubbedeckt und von heruntergefallenen Steinbrocken zerbeult. Einige von ihnen arbeiteten fehlerhaft. Es gab knatternde Lichtbögen und flimmernde Energieüberschläge.
»Wohin bringt uns dieser häßliche Kasten?« pfiff Neithadl-Off in heller Aufregung. GomanLargo beschäftigte sich mit der Analyse seiner genotronischen Kundschafter und erfuhr nichts Wesentliches. Ihre Beobachtungen entsprachen seinen eigenen Eindrücken. »Keine Ahnung. Wir scheinen nicht gefährdet zu sein.« Der Schwebeflug führte sie in wenigen Metern Höhe über dem Felsboden dahin, immer tiefer, schräg in die Planetenkruste hinein. Die grellen Farben verwischten sich. Hinter ihnen wirbelte der Sog eine graue Staubwolke hoch, die sich ausbreitete und das Licht schluckte. »Die Zeitgruft erreichen wir wohl niemals mehr?« Der Tigganoi konnte diese skeptische Frage nicht beantworten. Er war versucht, in diesem rasenden Flug einen Sinn zu erkennen. War auch dafür die Stimme des Schwarzen Zwerges verantwortlich? Ihm schien es nicht so zu sein; es war mehr ein Ausdruck einer Fehlfunktion. Daß es im Umkreis der Biotronik unzählige schwer zu klärende Geheimnisse gab – das wußten sie definitiv aus ihren eigenen Erlebnissen in diesem subplanetaren Gewirr. Die Höhle verengte sich. Zwischen phantastisch geformten Steinsäulen in allen Größen und in ständig wechselnden Höhen schlängelte sich die Plattform dahin. Von allen Seiten schienen sich drohend die Felsformationen heranzuschieben. Das seltsame Transportmittel zitterte und schüttelte sich, das summende Fahrgeräusch wurde wieder lauter und dröhnte im Widerhall auf. Die Gefährten hielten sich krampfhaft fest, der Kubus rutschte langsam hin und her. Dann jagte die Plattform in den aufgerissenen Schlund eines gezackten Tunneleingangs hinein und tauchte in nachtschwarze Dunkelheit. Im letzten Augenblick ließ sich der Modulmann zu Boden fallen. Er spürte den Luftzug der hängenden Felsnadel, die ihn beinahe getroffen und zerschmettert hätte. Er blieb liegen und spürte die nasse Kälte der stinkenden Luft auf seiner Gesichtshaut. Er fluchte leise in sich hinein und wartete fünfzehn Sekunden lang. Dann hob er den Kopf und sah, daß ihr Gefährt aus der Felsspalte wieder aufgetaucht und in einen domartigen Felssaal hineingeglitten war. Das Rütteln und Vibrieren riß ab, die Plattform jagte auf den Mittelpunkt der Felshalle zu und wurde hart abgebremst. Der Kubus rutschte bis zum vorderen Rand und schlug hart gegen die Brüstung. Die Plattform begann herabzuschweben, dann gab es irgendwo einen harten Knall, und das Gerät fiel aus zwei Metern Höhe auf den Boden. Goman-Largo und die Vigpanderin wurden von den Füßen gerissen und purzelten übereinander. Langsam lösten sie sich vom Boden und holten tief Luft. »Etwas gebrochen?« fragte der Modulmann knapp. »Nein. Nur meine Würde ist beträchtlich verstaucht.« Sie kletterten über den Rand des Gefährts. Die Felswände der Halle waren glatt und mit einer Schicht versehen, die schwach aus sich heraus glühte. Wieder stellte sich die Frage, wer diese Energien kontrollierte. Goman-Largo half der Vigpanderin über den Rand und schaute sich um. Die Kette der Seltsamkeiten riß nicht ab. Nach einer Weile pfiff Neithadl-Off in mühsam erzwungener Ruhe, alle Sensorstäbchen weit ausgefahren und stark glänzend: »Ich versuche, zu einer vernünftigen Sicht unserer Erlebnisse zu finden, Gomännchen.« »Zu welchem Schluß bist du gekommen?« »Wir sind mittlerweile sehr weit herumgekommen, um es lässig auszudrücken. Wir sind nicht nur unserer persönlichen Identität auf der Spur, sondern auch großen Seltsamkeiten innerhalb der langen kosmischen Geschichte dieser Galaxis.« »Das sind große Worte«, murmelte der Modulmann. »Aber du hast wohl recht, schönste Freundin.« Ihre Stimmen verloren sich in der riesigen Felshalle. Sie war kreisrund, und der Bodendurchmesser betrug nicht viel weniger als zweihundert Meter. Das Licht war bernsteingelb und schattenlos.
Auf dem völlig ebenen Boden breitete sich eine Landschaft aus eigenartigen Möbeln aus, die nicht weniger phantastisch war als vieles andere, das sie auf der Dunkelwelt Alchadyr gesehen und erlebt hatten. »Wir haben wieder einen Teil einer Anlage betreten, die uralt ist. Ob sie von den Tessalern oder einer anderen raumfahrenden Rasse erbaut worden ist, werden wir vielleicht nie erfahren. Wir wissen ohnehin schon sehr viel. Meine Meinung ist, daß auch diese Halle mitsamt dem Transportsystem von anderen Wesen erbaut worden ist. Oder besser ausgehöhlt wurde.« »Zu welchem Zweck?« »Keiner wird es uns sagen können. Wahrscheinlich besitzt die Biotronik auch keine Daten darüber.« »Genau so verhält es sich«, meldete sich plötzlich und überraschend der Heilige Kubus. »Du hast deine Sprache also nicht verloren.« »Nein«, beantwortete der Würfel Goman-Largos Feststellung. »Aber wozu soll ich lange Reden halten, wenn ich selbst nicht weiß, was vor sich geht. Die Behandlung in der letzten halben Stunde indessen war reichlich roh und von wenig Zurückhaltung bestimmt.« »Beklage dich bei der Großen Schwester«, erwiderte Neithadl-Off. »Kontrolliert sie wenigstens einen Teil dieser fremdartigen Anlagen?« »Es gibt einen uralten Sektor, der unabhängig arbeitet und nur mit Energie versorgt wird. Die Biotronik hat hier keinerlei Sensoren, Linsen oder andere telemetrische Beobachter installiert.« »Das heißt, daß sie uns nicht helfen kann?« fragte der Modulmann, der die Antwort schon ahnte. »Sie kann nicht eingreifen. Und ich, um deiner nächsten Frage zuvorzukommen«, erläuterte der Würfel scheinbar sarkastisch, »kann euch weder mit Daten aus der Erinnerung noch mit irgendwelchen Hinweisen helfen.« Nach drei Sekunden Pause schloß er: »Am besten wird es sein, ich schweige in Zukunft.« »Ich hatte schon bessere Berater«, murmelte der Modulmann und ging auf die nächste Gruppe von Gegenständen zu, die je nach Phantasie Schaltpulte, Möbel oder Plastiken sein konnten. Vor einer annähernd kreisförmigen Anordnung von sesselartigen Gegenständen blieb er stehen und betrachtete sie voller Nachdenklichkeit. »Für Wesen wie mich sind sie nicht entworfen und gebaut worden«, erklärte er zögernd. »Es scheinen Riesen gewesen zu sein.« »Ich würde mich auch nicht sonderlich wohl darin fühlen«, gab die Vigpanderin zu. Der Kubus stand schweigsam auf einer Art Bank, die Goman-Largo bis zur Schulter reichte. Fast der gesamte Boden der Felsenhalle war von solchen Gegenständen ausgefüllt. Sie bildeten, in inselartigen Gruppen beieinanderstehend, ein verwirrendes System. Breite Gassen führten in Kurven und Schlangenlinien zwischen den Gruppierungen hindurch. Goman-Largo mußte sich eingestehen, daß ihn weder seine Überlegungen noch die Informationen der winzigen Module weiterbrachten. Der ehemalige Zweck dieser Einrichtung war für ihre Suche wahrscheinlich bedeutungslos. Über allem lag eine dicke Staubschicht, die eine kleine Ewigkeit alt war. Der Modulmann blickte auf die Sensorstäbchen seiner Gefährtin und sagte: »Gehen wir weiter.« »Du kennst die Richtung?« »Ja. Dorthin.« Er deutete auf eine Stelle, die dem Eingang gegenüberlag. Erneut fing der Fußmarsch an. Jeder Schritt hinterließ deutliche Spuren in der grauen Staubschicht. Goman-Largo trug den Kubus und zuckte immer wieder die Schultern – eine riesenhafte Landschaft aus leeren Möbeln für riesige Lebewesen blieb langsam hinter ihnen zurück. »Wir suchen die Zeitgruft und müssen deren Sperre beseitigen«, meinte die Vigpanderin nach einer Viertelstunde Marsch.
Sie standen unmittelbar vor einer bogenförmigen Aussparung der leuchtenden Kuppelwand. »Und jene Fremden, denen wir einen Teil der Ausrüstung verdanken, suchen nach Hyptons.« »Alle sind auf der Suche«, erwiderte Goman-Largo philosophisch und blickte die schräge Fläche an, die sich vor ihnen absolut gerade erstreckte. Sie führte stufenlos, ebenfalls mit Staub bedeckt, im flachen Winkel abwärts. Auch dieser Korridor, in dessen Mitte ein Lichtband in die Tiefe zog, war für Wesen von mindestens viereinhalb Metern Höhe gebaut worden. »Und es ist fraglich, ob wir finden, was wir suchen«, beendete er seinen Satz. Er nickte Neithadl-Off zu und setzte seinen Fuß auf das erste Stück der Schräge. Für ihn fing ein neues Kapitel ihres seltsamen, abenteuerlichen Weges durch die Kruste Alchadyrs an. Noch immer schwieg der Heilige Kubus der Vinnider.
8. Fartuloon kraulte seinen Bart. Er war unschlüssig, was er anordnen sollte. Der Kurs der MASCAREN richtete sich im Augenblick nach der Angabe, die von Jotta Konso stammte. Im Labilraum hatte sie in einer Entfernung von geschätzten einunddreißig Lichtjahren, etwa in der Richtung auf eine nördliche Randzone des Zentrums zu, ein größeres Objekt geortet. Mehr konnte die Labilraumspürerin nicht erklären; die junge Daila war selbst unsicher. Aber sie meinte, es sei ein Raumschiff – was sonst? Jox Vondohmen hatte sofort den Kurs geändert und eine Linearetappe eingeleitet. Eine Stunde später war man dem Objekt nähergekommen. Wieder brachte es Somso Alures fertig, Hypton-Ausstrahlungen aufzuspüren. Das Ziel war identisch mit der Metallmasse: die Folgerungen schienen klar zu sein. Ein Hypton-Schiff, das sich entweder nicht bewegte oder in antriebslosem Flug dahindriftete. Noch war es nicht möglich, genauere Messungen zu betreiben. »Ich glaube, ich riskiere es«, brummte der Bauchaufschneider im Selbstgespräch und schaltete sich dann vom Kommandantensitz aus in das Geschehen wieder ein. »Jox!« sagte er scharf. »Wir gehen in etwa zehn Lichtminuten Abstand vor dem Objekt in den Normalraum zurück. Ortung: Laut Sternenkarte dürften die nächsten Sonnen und möglicherweise Planeten nicht zu weit entfernt sein. Vielleicht wehrt sich das Schiff, vielleicht flüchtet es.« »Und vielleicht erleben wir auch etwas ganz anderes«, meinte der Bordingenieur zweifelnd. »Selbst das ist nicht ausgeschlossen. Auf die Plätze, Freunde!« Die Mannschaft der MASCAREN, rund ein halbes Hundert, war mittlerweile hervorragend aufeinander eingespielt. In den langen Tagen und Nächten einsamer und ereignisreicher Flüge in unberechenbaren Zufallskurven durch weite Teile Manam-Turus lernten sich die drei Dcuser und die Daila schätzen, und es war keine Spur von dem Gefühl der Fremdartigkeit der ersten Tage mehr vorhanden. Sämtliche Handgriffe wurden reibungslos und schnell ausgeführt; die Schutzschirme bauten sich auf, die Desintegratoren wurden aktiviert, jene schwachen Projektorwaffen, die mehr der psychologischen Beruhigung der Daila dienten. Das bewegungslose Ziel war auf dem Ortungsschirm als blinkendes Echo zu erkennen. »Funkverkehr?« fragte Fartuloon und sah hinüber zu Inua und Dennenhor, die leise miteinander sprachen. »Nichts, Fartuloon. Wir scheinen einige Sektoren durchflogen zu haben, in denen es so gut wie keinen Schiffsverkehr gibt. Oder aber der Hyperfunk wird wieder einmal blockiert.« Jaspara, die Hyperenergetikerin, deutete auf die Geräteanzeigen. »Warum sich die Hyptons ausgerechnet hier verstecken?« rätselte Klaspu und machte eine Geste der Ratlosigkeit. »Sie sind und bleiben gefährlich und undurchschaubar in ihren Absichten«, sagte der alte Ikuser. »Wer wüßte es inzwischen besser als einer von uns.« Die MASCAREN war seit dem Verlassen des Orbits um Alchadyr vier Tage lang im Zickzack durch das Gebiet des Kugelsternhaufens Simmian geflogen. Jeder Planet, jeder Mond, den sie untersuchten, war eine Enttäuschung gewesen – eine Enttäuschung für Hypton-Jäger. Aber unbeirrbar suchten sie weiter. Inzwischen hatten sie sich aus dem fraglichen Gebiet entfernt und vervollständigten die Informationen über Koordinaten und Sonnensysteme in einer anderen unbekannten Zone. Ausgerechnet hier hatten sie das schwache telepathische Echo aufgefangen. »Achtung.« Der mittelgroße Daila-Aufklärer verließ die Linearetappe und tauchte in den Normalraum zurück. Sämtliche Bildschirme flammten auf und zeigten die prachtvolle Kulisse vieler weißer und einer angedeuteten Spirale farbiger Sterne. Die Nahortung hatte das Raumschiff klar erfaßt, und in den Vergrößerungen zeigte sich eine ungewöhnliche Form.
»Auch nicht gerade häufig, diese Form«, knurrte Fartuloon. Das Schiff, das einem spitzen Geschoß mit abgeschnittenem Heck glich, bewegte sich unendlich langsam. Die kreisrunde Heckfläche bestand aus einer großen Menge kugelförmiger Elemente, aus denen drei lange, geschwungene Stacheln hervorragten. »Abbremsen!« ordnete Fartuloon an. »Wir beobachten.« »Verstanden.« Inua und Dennenhor, der Zgmahkone, der alles und jeden in diesem Schiff überragte, kamen heran und setzten sich neben Fartuloon. Die Geräte summten und klickten. Die MASCAREN verlor an Fahrt und schwebte langsamer auf den Fremden zu. Sekunden später waren die Bilder auf den Schirmen noch deutlicher und weitaus schärfer geworden. Mit weniger als halber Lichtgeschwindigkeit bewegte sich der bauchige Diskus auf das Hypton-Schiff zu. »Alures!« wandte sich der Bauchaufschneider an den dailanischen Telepathen. »Bist du sicher, daß sich in diesem Schiff Hyptons befinden?« »Sicher«, ächzte der Blaßgesichtige mit Schweißperlen auf Stirn und Oberlippe. »Eine kleine Traube. Ich schätze, daß es nicht mehr als fünfzehn, maximal zwanzig Stück sind.« »Und natürlich ein strammes Korps von Stahlmännern«, brummte Fartuloon und beugte sich vor. »Was willst du tun, Fartuloon?« erkundigte sich Inua. »Ich weiß es nicht. Abwarten – zunächst einmal«, entgegnete er. »Mir kommt das alles recht merkwürdig vor, um es milde auszudrücken.« Das Hypton-Schiff hatte sich ganz langsam gedreht und seinen Bug herumgeschwenkt. Hinter einigen winzigen Bullaugen strahlte kaltes, weißes Licht. Die Distanz zwischen den Objekten verringerte sich ständig. Klaspu, der unverwandt auf die Direktsichtschirme blickte, hob den pelzigen Arm und erklärte in seiner eigentümlichen Diktion: »Sie planen etwas. Nehmt euch in acht.« »Und was planen sie?« wollte Fartuloon wissen. »Wenn ich das wüßte, würde ich der Kommandant sein«, gab der Alte zurück. »Noch langsamer, Jox!« sagte der Bauchaufschneider. »Wir riskieren keinen Angriff.« »Geht klar«, entgegnete der Pilot. Das exotische Raumschiff vor ihnen schien plötzlich zu einer unerwarteten Art von Bewegung zu erwachen. Aus den vielen Kugeln strömten sekundenlang blutrote Blitze, dann nahm das Raumschiff Fahrt auf und entfernte sich im rechten Winkel zur Flugbahn der MASCAREN in ständig steigender Geschwindigkeit. »Es wird immer verwirrender«, stellte Inua fest. »Wäre ich ein Hypton, würde ich in meine Heimat zurückfliegen und mich verkriechen. Aber diese bizarren Geschöpfe finden sich selbst hier, in den abgelegensten Teilen von Manam-Turu.« »Denke daran«, wies Dennenhor sie zurecht, »daß sie wahrscheinlich noch immer an die Herrschaft denken, von einem Sieg träumen. Das erklärt vieles.« Die Geschwindigkeit des gegnerischen Schiffes nahm in atemberaubendem Tempo zu. Die MASCAREN schwang ein wenig schwerfälliger herum und nahm die Verfolgung auf. Die Ortungsschirme füllten sich mehr und mehr mit kleinen, runden Echos in unterschiedlichen Bedeutungsfärbungen. »Entweder flüchtet das Schiff, oder es will uns in eine Falle locken«, rief Fartuloon. Er merkte, wie binnen ganz kurzer Zeit sämtliche Frauen und Männer in der Kommandozentrale sich um die Schaltungen kümmerten, wie Spannung und Erregung erwachten. »Freunde«, sagte er über seine Kommunikationseinrichtungen, »wieder beginnt eine Jagd.« »Die wir ebenso wenig gewinnen wie die letzte.« Vor der MASCAREN und dem flüchtenden Schiff schob sich aus dem Hintergrund aus Schwärze eine Masse aus kosmischen Trümmern und Monden hervor.
Sie schienen alle auffallend gerundet zu sein; keine Felssplitter oder Asteroidentrümmer. Die Größenunterschiede stellten sich innerhalb weniger Sekunden als beträchtlich heraus. Von einigen Metern Durchmesser bis hinauf zu Brocken, die tausendmal größer waren. Eine grünlich leuchtende Sonne schob sich zwischen diese kosmische Trümmersammlung und die Schiffe und blendete einen Teil der Linsen. »Es wird schwierig«, kommentierte der Pilot. Es wurden immer mehr Monde. Zwischen riesigen Kugeln drehten sich kleinere Teile und bildeten Schwärme. Das Hypton-Schiff schien diese Formation durchfliegen zu wollen, denn es jagte direkt auf deren Mittelpunkt zu. »Mir scheint«, wandte sich Fliedo an den Kommandanten, »daß sie hier auf ein vorbeikommendes Schiff gelauert und es zur Verfolgung gereizt haben. Was meinst du?« »Sie scheinen offensichtlich jede Zeit dieses Universums zu haben. Ausgerechnet hier zu warten! Ich kann’s nicht glauben.« Von der Sonne und den Bahnen dreier Planeten, das ergaben die Analysen, erstreckte sich eine riesige, annähernd eiförmige Zone aus mehreren hundert Asteroiden. Ihr Durchmesser betrug mehr als drei Lichtminuten; eine gewaltige Zone voller Gesteinstrümmer. Sie drifteten in verschiedenen Geschwindigkeiten auf einer Kreisbahn um die ferne, helle Sonne. Das HyptonSchiff verschwand in der Außenzone der Geröllwolke und jagte mit aufflammenden Schutzschirmen durch einen Hagelschauer winziger Objekte hindurch. Die Flugbahn flammte als eine Art röhrenförmiger Korridor auf. »Hinterher, Fartuloon?« wollte der Pilot wissen. »Nein. Oben drüber. Oder seitlich vorbei. Sie müssen verrückt sein, um einen solchen Täuschungsversuch zu riskieren. Sie sperren sich selbst in dieser Trümmerwolke ein.« »Sie verstecken sich!« Das Verhalten der Stahlmänner war ebenso rätselhaft wie die Überlegungen der befehlsgebenden Fledermauswesen. Zwar konnte es denkbar sein, daß sich ein Schiff längere Zeit in der riesigen Wolke verstecken konnte, aber ein einzelner Bewacher konnte jeden Ausbruchsversuch anmessen und die Verfolgung wieder aufnehmen. Das Schiff verschwand zwischen den runden Körpern und wurde zu einem Echo unter zahllosen anderen, die sich langsam bewegten, umeinander drehten und gegenseitig überdeckten. »Ausgezeichnet«, kommentierte Fartuloon, als sich die MASCAREN, weitaus langsamer als der Flüchtende, hochschwang und weit außerhalb der Wolke über der Ekliptik einen weiten Kreis flog. »Ich weiß«, entgegnete der Pilot. »Und was jetzt? Warten? Endlos lange etwa, bis die Hyptons die Geduld verlieren und wegfliegen wollen? Das kann Jahre dauern.« Fartuloon winkte in einer schwungvollen Geste ab, grinste und erklärte: »Still! Du störst mich beim Überlegen.« Das Raumschiff verringerte seine Geschwindigkeit, beendete seinen Kreis und blieb so weit außerhalb der Trümmerwolken-Randzone stehen, daß eine Beobachtung der gesamten Zone möglich war. »Jetzt warten wir erst einmal«, entschied Fartuloon. »Gebt acht, daß unser Freund nicht an entgegengesetzten Ende der Wolke das Weite sucht.« »Das wird etwas komplizierter werden«, erwiderte Fliedo und justierte die Empfangsgeräte der Nahortung. Die Ortungsgeräte arbeiteten zusammen mit der normaloptischen Zielerfassung. Die driftenden und kreisenden Monde verwirrten die Automatik zusätzlich mit den ständig wechselnden Schatten und den Teilen der Kugelkörper, die wieder in das blendende Licht der Sonne eintraten. Aufmerksam studierten die Ikuser, Daila und besonders Fartuloon die unterschiedlichen Oberflächenstrukturen und die Färbungen der Steinkugeln. Der Allroundtechniker sagte zu Fartuloon:
»Ich bin im Gefolge der Hyptons weit herumgekommen, Bauchaufschneider, aber eine solche Versammlung von Monden und Möndchen habe ich noch nie gesehen, nicht einmal in astronomischen Spezialinformationen.« »Ich auch nicht«, bekannte Fartuloon und versuchte mit seinen gelben Augen das verwirrende Bild zu durchdringen. Dort versteckte sich jetzt das seltsame Schiff mit einer kleinen Anzahl der Invasoren von Manam-Turu. Hatten sie in diesem Versteck etwa eine Zentrale errichtet? »Schaltet alles ein, sucht alles ab«, sagte er schließlich. »Wir brauchen jeden einzelnen Impuls. Es ist durchaus denkbar, daß sich dort eine Zentrale verbirgt; vielleicht in einem ausgehöhlten Mond. Ich möchte die MASCAREN nicht einer unkalkulierbaren Gefahr aussetzen.« »Bis auf weiteres bleiben wir also außerhalb der Steinansammlung?« fragte der Pilot zur Sicherheit. »Genau das habe ich vor!« Fartuloon beriet sich mit Inua und Dennenhor. Sollten sie riskieren, mit dem Beiboot in den Wirrwarr einzufliegen und dort zu suchen? Unter mehr als zweihundertfünfzig größeren Asteroiden? Schließlich meinte die Pseudoligridin: »Ich habe von dir gelernt, daß sich viele Probleme und Fragen von selbst erledigen, wenn man auf kluge Weise wartet. Lassen wir doch einfach einige Stunden vergehen.« »Einverstanden.« Vom Pilotensitz kam eine zusätzliche Anregung. »Ich würde die MASCAREN langsam in einem Orbit um die Monde kreisen lassen. So bestreichen unsere Geräte ein größeres Gebiet.« Fartuloon nickte dem Piloten zustimmend zu und sagte sich, daß er die Wartezeit am besten mit einem kurzen, tiefen Schlaf verbringen konnte. Er zog sich in seine Kabine zurück und schlief sofort ein, ohne sich die Stiefel auszuziehen. * Winzige Gestalten schwebten auf die kleinen Felsbrocken zu. Impulstriebwerke gaben schwache, kaum meßbare Energiestöße von sich. Zylindrische Gegenstände wurden durch die langen Schlagschatten bugsiert. Aus dem Unterteil des Raumschiffs, das an einem zerklüfteten Boliden von Mondgröße festgemacht hatte, kamen einzelne Stahlmänner, die mit schweren Werkzeugen ausgerüstet waren. Das Schiff war mit äußerster Raffinesse versteckt worden. Es ruhte auf dem Grund einer tiefen Schlucht, die nicht viel breiter war als der spitze Rundkörper selbst. Die Eigendrehung des Mondes war fast von den Gezeitenkräften innerhalb dieses Multisystems aufgezehrt worden; zudem befand sich der felsige, kraterübersäte Koloß tief im Innern der lockeren Ballung. Drei Dutzend Roboter – oder einige mehr – schwirrten blitzschnell umher und gingen ihrer schwer zu durchschaubaren Arbeit nach. Sie hatten präzise Befehle von ihren Herren bekommen – obwohl einige der letzten Entschlüsse der robotischen Logik ernsthaft widersprachen. An kleineren Felsbrocken wurden die länglichen Torpedos in tiefen Aushöhlungen versenkt. Die Löcher waren mit Desintegratoren eingebrannt worden. Im Schutz der winzigen Partikel, die in Form von Schläuchen und Schlieren die Hohlräume zwischen den größeren Monden durchliefen, beschrieben die schlanken Robotkörper ihre Flugbahnen, kehrten wieder zum Raumschiff zurück und brachten neuen Nachschub aus den Laderäumen. Die Hypton-Traube hing in den Tragenetzen des Spezialaufenthaltsraums und kontrollierte die übermittelten Bilder und Funkimpulse. Die geringstmögliche Energie wurde eingesetzt. Die Hyptons waren sicher, daß der überraschend aufgetauchte Gegner sie bis ins Innere des Monde-Schwarms hinein verfolgen würde. Noch wartete er außerhalb der Ballung und tastete deren Randzonen mit seinen Instrumenten ab.
Der ausgesuchte Platz für einen Stützpunkt war entdeckt worden. Eine Flucht durch den Raum schien zu riskant. Eine andere Lösung mußte gefunden werden. Neue Befehle wisperten hinaus zu den Stahlmännern. Unendlich langsam fingen einige Felszacken und andere schwebende Steinbrocken ihre Richtung zu ändern an. Sie lösten sich aus dem Gefüge der Schwerkraft, Massenträgheit und Anziehungskräften, drehten sich um mehrere Achsen und suchten sich einen lautlosen Weg zwischen den großen Monden aus dem Zentrum heraus. Eine Gruppe Roboter schwebte von mehreren Seiten auf einen einzelnen Mond zu. Sein Durchmesser betrug nicht mehr als zweihundert Meter, und er schien völlig rund zu sein, wie eine mathematisch exakt gegossene Kugel. Seine Oberfläche bestand aus silbrig funkelndem Stein, in dem unendlich viele Metallpartikel eingeschlossen waren. Wieder trieben aus den Löchern in der glatten Kruste die rauchenden Gase der aufgelösten Materie heraus. Die Maschinen arbeiteten mit verblüffender Schnelligkeit und äußerster Zuverlässigkeit. Die Hyptons hofften, daß diese Tätigkeiten vom Verfolger nicht angemessen werden konnte. Zylindrische Metallteile, aus denen winzige Antennen hervorwippten, wurden in die Aussparungen eingepaßt. Selbst aus größerer Nähe vermochte man keinen Unterschied zwischen Stein und Metall zu erkennen. Einer der Roboter nach dem anderen zog sich zurück und schwebte in kühnen Spiralen, den treibenden Trümmern ausweichend, in den Spalt der Mondkruste zurück. Sie verschwanden im Schiff und nahmen ihre Plätze ein. Die Stunden vergingen in scheinbarer Ereignislosigkeit. Nur die verschiedenen Formen der Asteroiden zeigten eine veränderte Form von Bewegung und, von Stück zu Stück verschieden, eine neue, größere Geschwindigkeit. * In der Kommandozentrale der MASCAREN herrschte gespannte Ruhe. Das Schiff hatte das erste Dutzend seiner Kreisbahnen um die ausgedehnte Ballung der Asteroiden beendet. Von allen Seiten waren mögliche Aktivitäten in der rätselhaften Zone untersucht worden. Zahllose Fragen waren erörtert, Vermutungen waren geäußert und wieder verworfen worden. Was suchten die Hyptons dort? Versteckten sie sich, oder gab es noch mehr von ihnen? Der Telepath erklärte, daß ihre Anzahl seit seinem letzten Kontakt nicht größer geworden war. Fartuloon ging mit kleinen Schritten, die Hände tief in die Taschen der Kombination gerammt, die Schultern hochgezogen, in der Zentrale hin und her. Er spürte etwas, und bis zum heutigen Tag hatte er sich immer auf sein Mißtrauen verlassen können. Was immer daraus wurde – dort, wo er Ärger vermutete, steckte er auch. Fliedo streckte seine bepelzte Pranke nach ihm aus und hielt den Bauchaufschneider fest. Er arbeitete mit der Ortung und hatte den Bordrechner angeschlossen. Die Positronik projizierte Muster und Rechenergebnisse auf einen Schirm, und auf dem anderen bewegten sich die tatsächlich gemessenen Echos. »Was gibt’s?« erkundigte sich Fartuloon mit rauher Stimme. »Eine seltsame Angelegenheit, Kommandant Fartuloon. Die Meßergebnisse sind gespeichert. Rufe ich die Informationen ab, entsteht ein ›altes‹ Bild. Mit dem ›neuen‹ Bild verglichen, haben sie sich verändert – natürlich ist es der spätere Zustand, der mir Sorgen bereitet.« »Richtig ausgedrückt, haben sich Stellungen und Geschwindigkeiten verschiedener Objekte zueinander auffällig verändert.« »So verhält es sich, Kommandant.« »Zielt etwas in unsere Richtung? Wollen sie einen Asteroiden nach uns schleudern?«
Sie stellten gemeinsam fest, daß sich, in einer Hochrechnung projiziert, etwa im Zentrum der Ballung eine wiederum kugelförmige Zone zum Außenrand hin auszubreiten begann. »Also doch!« sagte der Bauchaufschneider grimmig. »Meine ganz speziellen Freunde. Sie geben nicht auf!« Also doch ein versteckter Stützpunkt? Jetzt bedauerte Fartuloon, daß sie keine schwere Bewaffnung hatten. Er tippte dem Kopiloten auf die Schulter und befahl: »Schutzschirme auf höchste Kapazität fahren.« »Wird ausgeführt.« »Soll ich näher herangehen?« fragte Gero Vondohmen. Fartuloon schüttelte den Kopf. Die Ikuser und Daila beobachteten weiter. Immer mehr verschoben sich die Gesteinstrümmer. Es waren nur winzige Veränderungen, aber der Rechner identifizierte sie schnell. Fartuloon fing plötzlich zu lachen an und sagte, als sei er von einer schweren Last befreit: »Sie wollen uns in diesen Wirrwarr hineinlocken! Das ist es! Und wir werden ihnen diesen Gefallen – irgendwie – schon bald tun.« Die Hyptons lauerten auf den Verfolger, die MASCAREN-Crew belauerte die Hyptons. Viele Ortungen ergaben schließlich, daß zwischen den treibenden Monden das Schiff als Metallmasse nicht existierte. Was hatten sie vor? Warum flüchteten sie nicht einfach auf der abgewandten Seite der Mondballung? Die MASCAREN hüllte sich in den Schutz ihrer starken Defensivschirme und schwebte auf ihrer Bahn weiter. Es gab keinen einzigen Funkspruch, geschweige denn Funkverkehr. Zwar waren Energieemissionen angemessen worden, aber sie blieben verschwindend gering. Die Bewegungen einzelner Monde und Steinbrocken geringerer Größe hielten noch länger als neunzig Minuten an. Und schließlich, nach dieser quälend langen Wartezeit, änderten sich die Umstände plötzlich und schlagartig. Ein greller Blitz zuckte, und mitten zwischen den treibenden Monden blähte sich lautlos eine Feuerkugel auf, ein gelbweißer Glutball entstand. Er brannte zitternd und mit mächtiger Energie, dann setzte er sich in Bewegung und schien auf die MASCAREN zuzuschießen. An anderer Stelle gab es eine zweite, eine dritte Detonation, Glutkerne, auseinanderstrebende Fronten glühender Gase, eine Flut von Helligkeit – noch während die Geräte mit den ersten Analysen beschäftigt waren, verwandelte sich in einer Serie wilder, gewaltiger Explosionen ein Teil des Innern in eine Gluthölle. Eine riesige Masse winziger Steinteilchen wurde verglüht. Größere Boliden wurden aus ihrer Bahn gedrängt und stießen gegeneinander. Die gesamte Zone, die erwartungsgemäß kugelförmig war, brannte und loderte. Ein wilder Ausbruch großer Energiemengen fand dort statt. Scharf hoben sich im Innern der Ballung einzelne große Monde ab. Die Energie vernichtete gewaltige Mengen des Staubes und der kleinen Teilchen. Die Oberflächen von Monden schmolzen an einigen, den Explosionszentren zugekehrten Seiten. »Die Meister der Beeinflussung haben zugeschlagen«, murmelte fasziniert der Bauchaufschneider. »Und abermals fragen wir uns alle, was das soll. Warum sprengen sie die Monde?« Die Glutbälle, deren Strahlung immer mehr abnahm, jagten von einem gemeinsamen Mittelpunkt aus in alle Richtungen. Einige von ihnen hatten die dünn besetzten Außenzonen der Ballung erreicht und rasten in den leeren Weltraum hinaus, wo sie zu zitternden, winzigen Lichterscheinungen ausbrannten. »Es gibt sicher einen Grund«, meinte Inua. »Auch wenn wir ihn jetzt noch nicht erkennen.« Auf den Ortungsschirmen wirbelten die winzigen Echos wild durcheinander. Energieausbrüche wurden durch Linien und Farbfelder kenntlich und zeigten dem Kommandanten, daß das Maximum der Explosion längst vorbei war.
An den Stellen, an denen sich die ersten Bomben in höllische Hitze verwandelt hatten, war der Raum zwischen den Monden und Asteroiden völlig leergefegt von den kleineren Partikeln. Dunkelrot glühten einige Boliden. »Ich schätze«, schaltete sich Fliedo wieder ein, »daß es eine Einladung für uns sein soll. Oder sie haben eingesehen, daß sie an einen strategisch schlechten Platz geflüchtet sind, und schaffen sich Platz für einen schnellen Start.« Fartuloon schwieg. Er umklammerte den Griff des Skarg und riß mit den Fingern der anderen Hand an seinem Kinnbart herum. Seine Blicke gingen von einem Bildschirm zum anderen. Dann grinste er zufrieden. »Kommandant an Pilot: Wir starten, fliegen ins Zentrum dieser großartigen Asteroidenansammlung hinein. Und zwar dorthin, Gero, wo sich der Punkt befindet…« »… von dem aus sich die Objekte in Bewegung gesetzt haben. Wird ausgeführt, Kommandant.« »Beim Erbe der Calurier!« sagte Fartuloon laut. »Bald werden wir viel klüger sein. Die Hyptons sind verzweifelt. Anders kann ich diesen Versuch nicht deuten.« Somso Alures, der in den vergangenen Stunden immer wieder versucht hatte, die Hyptons auszuspähen, hob schwach den Arm und flüsterte: »Sie sind aufgeregt, fast hysterisch. Es bringt mich fast um…« »Hör auf damit«, befahl ihm Fartuloon laut. »Schalte dich aus ihren Gedanken und Empfindungen aus. Wir brauchen dich noch.« »Es geht schon wieder…« flüsterte der Telepath. Jeden Kontakt mit Hyptons bezahlte er mit einem Schwächeanfall. Trotzdem half er, wo er konnte. »Ich glaube nicht, daß wir ein ernsthaftes Gefecht haben werden«, tröstete Klaspu den Kommandanten. »Aber die Stahlmänner dürfen wir nicht unterschätzen.« »Das käme mir nie in den Sinn.« Das Raumschiff der Hyptons war um etwa ein Drittel größer als die MASCAREN, und das ließ einige Schlüsse auf Schnelligkeit, Bewaffnung und mögliche Feuerkraft zu. Fartuloon hatte nichts zu befürchten – außer einer gefährlichen Überraschung. Die MASCAREN setzte sich in Bewegung. Die Helligkeit der künstlichen, winzigen Sonnen hatte wieder dem Licht der Sonne Platz gemacht. Zwischen vielen Monden und Asteroiden gab es kein Streulicht mehr, das sich in Staub und feinstverteilter Materie brach, sondern nur die gewohnte Schwärze des Alls. Das Daila-Schiff näherte sich keineswegs langsam, aber auf einer dreidimensional gewundenen Bahn. Der Pilot hielt die MASCAREN stets in der Deckung der größten Monde, kurvte um sie herum und huschte hinter einen Asteroiden. Das Ziel war klar definiert worden. Natürlich waren die Desintegratoren aktiviert, die Zielerfassung doppelt von Daila besetzt. »Denke daran«, mahnte Klaspu. »Denkt alle daran: sie sind voller List und Heimtücke.« »Ich denke ständig daran«, antwortete Fartuloon. »Ich vibriere innerlich.« Die MASCAREN schwebte von Mond zu Mond, von Asteroid zu Asteroid, immer tiefer in die Zusammenballung hinein. Die Geschwindigkeit des Schiffes war hoch, die Manövrierfähigkeit jedoch ausgezeichnet, und die Gefahr von Zusammenstößen bestand keine Sekunde lang. »Sie rühren sich nicht!« flüsterte jemand in der atemlosen Stille der Zentrale. »Sie warten auf uns.« Immer wieder drehten sich die zerklüfteten Rundungen der Monde auf den Schirmen. Licht und Schatten wechselten ab, die Färbungen und glänzenden Einschüsse irgendwelcher Mineralien bildeten verwirrende Muster. Ständig verschwand die ferne Sonne hinter phantastischen Zacken und Schroffen und tauchte an anderer Stelle wieder auf. Der Pilot bugsierte die MASCAREN mit äußerstem Geschick durch diesen dreidimensionalen Irrgarten.
»Bald haben wir sie«, sagte Fartuloon. Er hatte wieder im Kommandantensessel Platz genommen und wußte für dieses Geschehen noch immer keine Erklärung, die ihn restlos überzeugte. Zu viele Vermutungen, zu wenig konkrete Informationen, sagte er sich, aber er begann zu ahnen, daß die Hyptons innerhalb vernünftiger Zeit reagieren würden. Auch sie kannten die Gefühle der Ungeduld und der Panik. Sie mußten definitiv wissen, daß sie sich selbst in eine absolut aussichtslose Lage manövriert hatten. Und genau das macht sie gefährlich! dachte der Bauchaufschneider. Der Pilot meldete: »Fartuloon! Das Ziel. Es liegt direkt voraus.« Er bremste die MASCAREN stark ab und hielt sie hinter einem fünfhundert Meter dicken, unregelmäßigen Asteroiden an, der sich langsam drehte und ständig andere Vorsprünge und Kanten ins Bild schob. »Dieser gleichmäßig gerundete Mond also!« sagte Fartuloon. »Wir warten. Konzentriert eure Suche auf das Schiff, Freunde. Das bedeutet für dich, Gero, daß du unser tapferes Boot in einem weiten Kreis von Deckung zu Deckung springen läßt.« »Nichts anderes hätte ich vorgeschlagen«, gab der Pilot zurück und schwenkte den Bug herum. Niemandem an Bord fiel ein, wie die Auseinandersetzung oder die seltsame Suche schnell beendet werden konnte. Ein solches Verhalten von Hyptons war bislang unbekannt. In einer flachen Kurve schwang die MASCAREN sich auf den nächsten Großasteroiden zu, während sich sämtliche Antennen auf die Hemisphäre der Gestirnskrümmung richtete. Sämtliche Geräte summten, tickten und knisterten aufgeregt. Fartuloon, der sich nicht durch irgendeine Arbeit ablenken konnte, fühlte sich schwach und war sicher, daß er sein wahres Alter zu spüren begann. »Keine Ortungsergebnisse«, sagte Fliedo, der mit dem Ausruf auch einen Teil seiner Nervenanspannung loswerden wollte. Sie hatten mehrmals nachgerechnet, um einen Irrtum völlig auszuschließen: dieser Mond war innerhalb einer Zone von neun Lichtsekunden der einzige Ort, an dem sich ein Schiff verstecken konnte. Die Crew rechnete inzwischen sogar damit, daß sich die Hyptons in den namenlosen Mond eingegraben haben konnten. »Weitermachen!« ordnete der Bauchaufschneider mit gepreßter Stimme an. »Wir müssen sie finden.« »Wir finden sie!« schnarrte Klaspu. Der Mond wies eine nur geringe Eigendrehung auf. Von den zahlreichen Explosionen und Energieausbrüchen war er so weit entfernt gewesen, daß ihn noch die Schleier aus feinstverteilter Materie umgaben. Die Formationen und die Schatten seiner Oberfläche bildeten im seitlichen Licht der Sonne dasselbe verwirrende Muster wie jeder andere Mond im gesamten Universum. Sämtliche Augen derjenigen Raumfahrer, die nicht auf die Anzeigen ihrer Detektoren und die Spezialmonitoren starrten, hingen an den Bildschirmen der normaloptischen Beobachtung oder blickten durch die großen Scheiben hinaus. Auch dieser Teil der Mondoberfläche und jeder einzelne Spalt, in den die Detektorstrahlen und Ortungsimpulse mühelos eindrangen, zeigte keine Spuren eines Schiffes oder eines Verstecks. Ein Lautsprecher knackte kurz, dann sagte Inua leise und angespannt: »Inua aus dem Schiffslazarett. Somso hat einen neuen Kontakt mit den Hyptons gehabt. Sie sind rasend, aber er weiß nicht, ob vor Furcht oder aus anderen Gründen. Er ist außer sich, und wir haben ihn ruhigstellen müssen.« »Danke«, flüsterte Fartuloon in sein Mikrophon. »Sie sind also noch da. Sie scheinen zu erkennen, daß wir unaufhaltsam näherkommen.« »Vermutlich ist es so«, sagte Fliedo und räusperte sich. Auf einem Analogschirm waren die einzelnen Verstecke und die unregelmäßige Kreislinie des zurückgelegten Weges vom Computer gezeichnet worden. Nur noch wenig fehlte zu einem Halbkreis.
Bisher waren die Hyptons nicht gefunden worden; jetzt fing die zweite Phase an, die weitaus mehr Erfolg versprach. Aber da waren noch die beiden »Polgegenden« des riesigen dunklen Mondes. Die Hell-Dunkel-Grenze wanderte langsam nach links aus, als die MASCAREN weiterglitt und den freien Raum zwischen zwei Deckungsmöglichkeiten in gleichmäßiger Geschwindigkeit zurücklegte. Nichts. Nachdem sie auch diesen Punkt schräg hinter einem Boliden verlassen hatten und sich der Kreis zu schließen begann, murmelte Fliedo: »Da ist etwas… weiter in diese Richtung, Gero… sei bereit, das Schiff schnell abzubremsen.« »Verstanden.« Das eigene Raumschiff wurde langsamer. Auf dem großen Hauptschirm der Nahortung, die mit weit aufgezogenen Verstärkern und in höchster Vergrößerung arbeitete, erschien zuerst winzig klein ein Echo, wurde schärfer, begann zu blinken, und dann schrieb der Rechner daneben die Chiffre von Raumschiffshüllen-Metall. Schräg zu dieser Angabe erschienen die gezackten Ränder einer kleinen, aber tiefen Schlucht. Das fremde Schiffstand auf deren tiefstem Punkt, und die Wände der Schlucht reichten fast an die Außenhülle heran. Fartuloon lachte befreit auf. »Wir haben sie!« sagte er. »Ziele, wenn wir näher heran sind, mit einem Landescheinwerfer genau auf das Schiff.« Er fühlte sich im Schutz der Schirme plötzlich nicht mehr sonderlich sicher. Die Desintegratoren schwenkten herum und richteten sich auf das erkannte Ziel ein. Aufregung und Nervosität stiegen, aber zugleich waren die Crewmitglieder erleichtert. Einige Minuten vergingen ereignislos. Dann drehte der Pilot das Schiff herum und verließ die bisherige Kurslinie. Langsam schwebte die MASCAREN direkt auf die Schlucht und das Schiff zu. Diese Hemisphäre lag voll im Schatten. Nach einigen Sekunden sagte Fartuloon scharf: »Ein kurzer Feuerstoß, auf das Schiff gezielt. Wir wollen sie zu einer Reaktion herausfordern. Du bist fluchtbereit, Gero?« »Jawohl. Bei der geringsten Gefahr starte ich mit Höchstwerten.« Beide Desintegratoren schossen gleichzeitig. Die Wirkung der Felder konzentrierte sich auf die Spitze des Hypton-Schiffs, wurde abgelenkt und löste Teile der Schluchtwandungen auf. Schwache Entladungen und aufglimmende Gaswolken schlugen aus dem Spalt in den freien Raum hinaus. »Tut endlich etwas, verdammt«, schrie ein Daila unbeherrscht. »Soll das ewig so weitergehen?« Sie selbst konnten das fremde Schiff zwar angreifen, aber nicht beschädigen, es sei denn, man dränge ein und brächte eine Bombe zur Detonation. Wieder wurden die Desintegratoren ausgelöst, trafen ihr Ziel, verwüsteten Teile der Schlucht und erzeugten im wesentlichen nur ein Glimmen der vergasten Materie. Dann schlugen die Stahlmänner zurück. Aus dem Spalt schossen kalkweiße Energieblitze. Sie zuckten hinüber zur MASCAREN, schlugen in die Schirme ein und wurden reflektiert. Wild aufglühende Feuerzungen krochen über die gekrümmten Felder. Mindestens sieben Strahlprojektoren feuerten ununterbrochen und überschütteten das Schiff mit einem energiereichen Hagel aus Einschlägen. Die Bildschirme flimmerten, bis die MASCAREN schneller geworden war, dem Gegner das Heck zudrehte und im Zickzack davonraste. Die Einschläge wurden seltener, aber ungezügelt zuckte die Energieflut durch den Raum. Neun Zehntel aller Schüsse verfehlten das Schiff und verloren sich in der unendlichen Schwärze. Das Feuer ging weiter, aber das Hyptonschiff verließ seinen Standort nicht. Mit einem kühnen Manöver brachte Gero die MASCAREN hinter der Krümmung eines nahen Kleinmondes in Sicherheit.
»Sie müssen verrückt geworden sein!« bemerkte Fartuloon fassungslos. Sämtliche Projektoren des gegnerischen Raumschiffs feuerten seit der ersten Sekunde ununterbrochen weiter. Nur dem Zufall war es jetzt zu verdanken, daß der eine oder andere Fernschoß in die Mondoberfläche des Verstecks einschlug und dort kochende Krater erzeugte. Die Energieblitze zuckten nach allen Seiten, und nach einigen Minuten riß der Energiesturm plötzlich ab. Zuerst geschah nichts. Dann zeigte sich ein dunkelrotes Glühen in der Kruste des Mondes. Es wurde schnell feuerrot, glühte schließlich weiß, dann begann es zu zucken und zu flackern. Sekunden danach verwandelten sich das Schiff und der Spalt in eine wilde, grelle Detonation. Ein Glutball breitete sich aus, schleuderte seine Energie in den Raum hinaus, riß Teile der Mondoberfläche auseinander und verwandelte die gesamte Zone in Glut, Blitze, Feuer und Rauch. Trümmerstücke wirbelten weißglühend durch die Finsternis. Schweigend und erschüttert betrachteten die Raumfahrer dieses Inferno. »Aus«, murmelte schließlich der Bauchaufschneider. »Sie haben auf sehr aufwendige Weise Selbstmord begangen.« »Sollte das ein erstes Zeichen für das Ende aller Hyptons gewesen sein?« fragte Klaspu. »Ein Philosoph würde es für möglich halten.« »Ich würde es nicht glauben«, brummte Gero Vondohmen und programmierte, ohne die Anordnung abzuwarten, den richtigen Kurs aus der Monde-Ballung hinaus. Fartuloon spürte das dringende Bedürfnis, sich einen mächtigen Krug Wein einzuverleiben. Er stand auf und schüttelte sich. »Wir werden niemals erfahren«, schloß er seine vorläufigen Überlegungen ab, »was in den Angehörigen dieser Hypton-Traube vorgegangen ist. Vielleicht hat Klaspu recht. Ich vermag es nicht zu glauben.« »Heimatkurs, Kommandant?« erkundigte sich Gero. »Ohne Hast und Eile«, meinte Fartuloon, während er registrierte, wie die Desintegratoren abgeschaltet und die Leistung der Schirme wieder gedrosselt wurden. »Zunächst fliegen wir einmal hinaus aus diesem verlassenen Raumsektor. Dann werde ich versuchen, unsere aufregenden Erlebnisse an Atlan weiterzugeben.« Die MASCAREN bewegte sich zwischen den Monden und Asteroiden in die Richtung auf den offenen Weltraum, ließ alles hinter sich und ging schließlich in eine erste, lange Linearetappe. Die Gefahren hatten ihre Drohung verloren, aber kein Rätsel war wirklich der Lösung nähergerückt. Trotzdem erfüllten Erleichterung und Gelöstheit die Angehörigen der Crew. ENDE
Goman-Largo, dem Modulmann, und seiner exotischen Gefährtin ist es endlich gelungen, in die Zeitgruft von Alchadyr einzudringen. Ihrer sofortigen Rückkehr nach Jammatos sollte somit eigentlich nichts mehr im Wege stehen – meint man! Wie schon so oft, kommt es auch diesmal anders. Die Zeitforscher machen eine sensationelle Entdeckung in einer interstellaren Schatzkammer. Hüter der Schätze sind die Meisterdiebe von Manam-Turu… DIE MEISTERDIEBE VON MANAM-TURU – so lautet auch der Titel des Atlan-Bandes 787, der von H. G. Ewers verfaßt wurde.
ATLANS EXTRASINN Was wird aus den Hyptons? Die Hyptons, einstmals nur als Planer, Regulatoren und Umgestalter erkannt, haben in Manam-Turu ihren wahren Charakter gezeigt. Sie sind ein machthungriges Volk. Chmacy-Pzan, ihre Heimatgalaxis, so weiß man, haben sie sich zur Gänze unterworfen, ohne daß je ein Hypton eine Waffe in die Hand nahm. Ihre Waffe war und ist die Paralogik-Psychonarkose, eine eigentlich schwache Art der Narkose, die aber sehr nachhaltig wirkt. Damit gelang es den Fledermausähnlichen sogar, Teile des ehemaligen Konzilsvolks der Zgmahkonen unter Kontrolle zu bringen, Manipulationen anzustellen, aus denen die Ligriden entstanden, und sicher vieles andere mehr. Bei den Ligriden sorgten sie durch die Lehren des Gwyn und des Gward dafür, daß sich dieses Volk »in sich selbst anheizte«. Die Ligriden sind abgezogen. Sie gehen nun ihren eigenen Weg mit der bitteren Erkenntnis, nur teilweise natürlichen Ursprungs zu sein. Die Maßnahmen der Hyptons hatten letztlich keinen Erfolg. Durch ihre Drohungen den Ligriden gegenüber weckten sie deren Aufmerksamkeit. Nachforschungen in der Kleingalaxis Bennerton führten zur Selbsterkenntnis der Ligriden. Der Mißbrauch, der mit ihnen getrieben worden war, wurde offensichtlich. Sie sagten sich los und verschwanden. Die planerisch so starken Hyptons haben in diesem Punkt erstmals in den Auseinandersetzungen in Manam-Turu versagt. Die zweite Niederlage erlitten sie nur indirekt, denn es gelang ihnen nicht EVOLO in ihre Gewalt zu bringen. Selbstüberschätzung, aber auch die Entführung der Ikuser – eine friedliche Entführung nach Aklard! – durch das Eingreifen Atlans und letztlich auch die Vernichtung des Psionischen Tores, das waren die Ursache für diese Schlappe. Die entscheidende Niederlage jedoch erlitten sie in der offenen Schlacht ihrer Robotschiffe, einer Schlacht, die weite Teile Manam-Turus erfaßte und in deren Lenkung die Trauben der Flugwesen aus Chmacy-Pzan sorgfältig im Hintergrund blieben. Diese Schlacht ging verloren,’ weil EVOLO sich – nach Animas Meinung nicht ganz überraschend – auf die Seite der Völker von Manam-Turu stellt und mit seinen unbegreiflichen Möglichkeiten einen Psi-Sturm erzeugte, dessen Spuren noch jetzt zu sehen sind und der eine nachhaltige Wirkung hinterlassen hat. Die Hyptons zogen sich zurück. Die Reste der Sturmreiter-Traube, auf die Fartuloon nun gestoßen ist, ändern daran nichts. Die Resttraube führt eigentlich einen kümmerlichen Kampf. Vielleicht haben sich hier die hartnäckigsten Vertreter dieses Volkes unter der Idee zusammengefunden, das Blatt noch einmal zu wenden. Daß dies ein Wahnsinnsunterfangen ist, wurde deutlich. Diese kümmerliche Traube ist weniger als ein Relikt der ehemaligen Machtpräsenz in Manam-Turu. Ihr Schicksal wird die zukünftigen Ereignisse wohl nicht mehr beeinflussen. Gehen wir also davon aus, daß nach dieser Eskalation von Niederlagen die Hyptons das Feld endgültig geräumt haben. Das ist ein tröstlicher Gedanke und letztlich auch ein Sieg für Atlan. Diese Erkenntnis darf nicht über einen Punkt hinwegtäuschen. Auch nach der Niederlage des Konzils der Sieben in der Milchstraße haben die Hyptons nie aufgegeben oder gar eine Sinneswandlung vollzogen. Die Ereignisse von Manam-Turu beweisen das. Sie sind vielleicht sogar noch machthungriger geworden. Und als sie eine Chance sahen, die Schmach der Vergangenheit fortzuwaschen – und sich an den Völkern der Milchstraße zu rächen, haben sie sofort zugegriffen. Das bedeutet, daß sie auch nun nicht ihre innere Überzeugung und Einstellung ändern werden. Rückzug bedeutet für sie niemals Aufgabe. Die Niederlage in Manam-Turu mag die Hyptons geschwächt haben, aber aus der Sicht des Gesamtvolks, über dessen zahlenmäßige Größe nichts Konkretes bekannt ist, war Manam-Turu nur eine wenig erfolgreiche Episode. Die Hyptons existieren weiter. Und sie kennen eine Galaxis, Manam-Turu, die nun etwas mit der Milchstraße gemeinsam hat. Beide Sterneninseln sind Orte, an denen noch eine Rache zu vollstrecken ist.
Was werden die Hyptons als nächstes unternehmen? Eine sichere Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Man kann aber davon ausgehen, daß sie die Finger von Manam-Turu lassen werden, bis sie eine reale Chance zum erneuten Eingreifen sehen. Bis dieser Zeitpunkt gekommen ist, können 500 oder mehr Jahre vergehen. Die Völker von Manam-Turu wissen das. Atlan hat es ihnen sehr deutlich gesagt Sie werden sich, wenn sie das Problem EVOLO lösen können, auch auf diesen Punkt konzentrieren müssen, denn sie wissen, daß die Hyptons keine Schmach vergessen. Vielleicht werden die Paralogik-Psychonarkotiseure sich aber auf die Ligriden konzentrieren, um diese wieder unter ihre Fittiche zu bekommen. Und was dann geschieht, und wo dies geschieht, das ist sehr ungewiß. Es ist wohl eher davon auszugehen, daß die Hyptons ähnlich handeln werden wie nach der Niederlage des Konzils in der Milchstraße. Sie werden nach neuen Schauplätzen suchen, an denen sie ihre Macht entfalten können. Und wenn man bedenkt, daß sie trotz der Schlappe in Manam-Turu eine Menge durch diese Ereignisse gelernt haben, so werden sie vielleicht andernorts weiser handeln. Weg vom Fenster (wie Atlan sagt) sind sie jedenfalls nicht.