Stygias Angriff von Susanne Picard
Der Traum war dunkel. Die Landschaft war nicht deutlich zu erkennen. Feuer brannten...
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Stygias Angriff von Susanne Picard
Der Traum war dunkel. Die Landschaft war nicht deutlich zu erkennen. Feuer brannten überall. Häuser waren zerstört. Aber da hinten … war das nicht eine Brücke? Doch warum sah es so aus, als sei dort eine Bombe herunter gekommen? Der Fluss war ausgetrocknet, kein Wasser floss mehr in seinem Bett. Die Ufer waren vertrocknet, die Schiffe darauf gestrandet. Das hier schien nicht die Welt zu sein, in der er sonst lebte. Was war nur los? Er wusste es nicht. Aber das Schlimmste war, er fühlte sich wohl in diesem Chaos. Es war gut so. So hatte die Welt schon immer sein sollen. Es war das Richtige. Er wandte sich seinem Gefährten zu. »Lass uns aufbrechen. Wir haben noch viel zu erledigen.« Die Welt musste in diesem Zustand gehalten werden. Denn es war der richtige Zustand der Welt.
Rhett Saris ap Llewellyn saß im Gras und starrte auf einen Baum. Früher war ihm nie aufgefallen, was für ein Wunderwerk ein solcher Baum war, der Stamm, die Äste, die in Zweige übergingen, und die Millionen sattgrüner Blätter, die sich jetzt im Sommerwind leise bewegten und raschelten. Die Rinde des Stammes war knorrig, zerfurcht und wies darauf hin, dass der Baum alt war. Alt genug, um wirklich weise zu sein, dachte sich der 15-jährige junge Mann, der den Baumstamm vor sich anstarrte, als würden sich auf der graubraunen, gesprungenen Haut des Stamms gleich Runen bilden, die Antworten auf die Fragen gaben, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen wollten. Was ist los mit Fooly? Ich bin sicher, Baum, dass du das weißt. Gerade du. Fooly behauptet immer, es sei leicht, dich zu verstehen. Aber ich sitze schon ewig hier und du antwortest nicht. Warum redest du mit Fooly, aber nicht mit mir? Doch der Baum schwieg weiter. Rhett hatte das Gefühl, die große Pflanze habe nicht wirklich etwas zu sagen. Na ja, vielleicht war das ja auch so, wenn man ein so hohes Alter erreicht hatte wie dieser Baum. Rhett seufzte. Fooly war mit ihm zusammen im Château Montagne aufgewachsen und der Teenager musste zugeben, dass er in der letzten Zeit diese Tatsache reichlich albern gefunden hatte. Mit einem Drachen als bestem Freund kam man sich vor wie in einem kindischen Comicstrip, irgendwie passte das nicht zum Erwachsensein. Aber jetzt, wo Fooly vom Amulett des Professors getroffen ins Koma gefallen war, fehlte in Rhetts Leben etwas. Wäre der Drache doch bloß geblieben, wo er war! Etwas, das Rhett selbst bei allem altersbedingtem Bedürfnis, sich zu beweisen, nie getan hätte, war, sich in die Kämpfe des Professors einzumischen. Er hatte Rhett und die anderen vor dem Dämon Krychnak retten wollen, doch der war geflohen. Die Energie des Amuletts hatte sich, statt ins Leere zu gehen, ein neues Ziel gesucht – und da war Fooly gerade recht gekommen.
Er hatte die volle Wucht der silbernen Energiestrahlen von Merlins Stern abbekommen, die eigentlich Krychnak hätten treffen sollen. Rhett spürte einen Kloß im Hals, als er an diese schrecklichen Ereignisse zurückdachte. Hätte man Rhett noch vor einigen Wochen gesagt, dass er den tollpatschigen, viel zu dicken Drachen von etwas über einem Meter Größe vermissen würde, hätte er denjenigen wohl ausgelacht, mit der neu entdeckten Würde als beinahe Erwachsener vertrug sich das Herumalbern mit einem sprechenden und manchmal recht angeberischen Fabelwesen nicht mehr. Mit schlechtem Gewissen starrte Rhett den Baum an, den Fooly immer als Freund bezeichnet hatte. Er dachte an all die Gelegenheiten, bei denen er wissentlich unfreundlich zu Fooly gewesen war – Rhett hatte gedacht, er würde zu alt, um mit einem Wesen zu spielen, von dem böse Zungen behaupteten, dass es aussehe wie ein Spielzeugdrache. Wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, dann schämte er sich jetzt für sein Benehmen. Und da half es auch nicht, sich selber zu sagen, dass er als magisches Wesen, als Erbfolger, gerade erwachte, und es verwirrend war, sich an so viele vergangene Leben zu erinnern, wie der Erbfolger sie nun einmal hatte – einem Freund gegenüber verhielt man sich einfach nicht so. Aber Rhett fragte sich, ob es wirklich nur das schlechte Gewissen war, das ihn hierher getrieben hatte. Zugegeben, es war still geworden im Schloss. Fooly maß zwar nur ungefähr ein Meter zwanzig in der Höhe, aber in der Länge einiges mehr, da er einen langen und dicken Drachenschwanz besaß, mit dem er gern Dinge umwarf oder von Simsen und Borden herunterriss. Rhett musste daran denken, wie oft im Schloss in den letzten Jahren etwas heruntergefallen war, woraufhin sich in der Regel eine Diskussion darüber anschloss, ob Fooly es gewesen war, ob Butler William es jetzt wirklich aufräumen musste und was wohl das nächste Mal passieren würde, wenn das noch einmal geschah. Doch, auch das vermisste er. Und er wusste, die anderen im
Schloss taten es auch. Der Professor und Nicole hatten sich deshalb auch seit ein oder zwei Tagen in ihr Arbeitszimmer zurückgezogen, denn sie wollten recherchieren, ob es vielleicht ein Heilmittel gab. Wahrscheinlich gibt es niemanden auf der Welt, der mehr über Drachen weiß, als Zamorra. Oder Butler William, versuchte Rhett sich zu trösten. Es wird schon alles gut werden. »Auch wenn es vielleicht besser wäre, wenn du mir etwas mehr über Drachen erzählen könntest«, meinte er vorwurfsvoll zum Baum vor ihm. »Besonders über Fooly.« Der Baum raschelte mit den Blättern und Rhett fand, dass es sich wie ein leises Lachen anhörte. Doch es beruhigte ihn nicht.
* Zamorra rieb sich die Nasenwurzel. Dann starrte er wieder auf den Bildschirm des Computerterminals. Doch die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Ich sitze schon zu lange hier vor diesem Ding, dachte er und wandte sich seufzend zum Fenster. Der Drache Fooly, der schon lange gewissermaßen zur Familie des Professors gehörte, lag jetzt schon seit einigen Wochen im Koma, doch nichts konnte ihn aufwecken. Seit ihn die Magie von Zamorras Amulett getroffen hatte, lag der kleine Drache auf seinem Lager und war nicht mehr ansprechbar. Genaugenommen wusste Zamorra nicht einmal, ob es sich überhaupt um ein Koma handelte. Es sah eigentlich eher aus, als schlafe Fooly. Seine Augäpfel schienen sich zu bewegen, seine Muskeln in Armen und Beinen zuckten. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen, er träumt dabei, dachte Zamorra, während er aus dem Fenster über den Park sah, der Château Montagne umgab. Es war ein wunderbarer Sommertag mitten im Juni und eigentlich hatte er vorgehabt, den Abend bei Mostache in der Kneipe »Zum Teufel«, bei einem schönen Glas Wein zu verbringen. Aber er hatte bei sei-
nen Recherchen über die Pflege von Fabelwesen und Drachen nicht das Geringste gefunden und in dieser Stimmung war ihm einfach nicht mehr nach Entspannung. Nach dem Tod seines Elters hatte Butler William Foolys Erziehung übernommen, da er so lange aus dem Drachenland ausgestoßen war, bis er erwachsen war. Ein Risiko war es immer gewesen, den Drachen hier auf dem Schloss zu behalten. Davon abgesehen, dass jeder, der ihn hier sah, wahrscheinlich an seinem Verstand zweifelte, wussten weder Zamorra noch William wirklich etwas über die Aufzucht und Pflege von Drachen. Wir haben uns das alles im Do-it-yourself-Verfahren angeeignet. Uns war klar, dass wir damit vielleicht auch baden gehen. Sieht so aus, als wäre es nun so weit. Auf der anderen Seite war es ja kein Fehler im Umgang mit Drachen gewesen, der Fooly in diesen Zustand gebracht hatte. Im Grunde hätte er tot sein müssen. Eigentlich hätte der Strahl für Krychnak tödlich sein müssen. Und Fooly ist es eindeutig nicht. Dennoch hatte Zamorra über das offensichtliche Ergebnis hinaus keine Ahnung, wie die Amulett-Magie mit der Magie eines Drachen zusammenwirkte. Offensichtlich so, dass ein Drache ins Koma fällt, dachte Zamorra sarkastisch. Drachenmagie war neutral, er hatte schon mehr als einmal die Erfahrung gemacht, dass sich Foolys Drachenmagie von der »normalen«, schwarzen oder weißen Magie, mit der Zamorra und Nicole es beim Kampf gegen die Mächte der Finsternis immer wieder zu tun bekamen, erheblich unterschied. Es war etwas völlig anderes. Hätte man Zamorra vor diesem Unfall gefragt, was passieren würde, wenn Drachenmagie und Amulettmagie aufeinanderprallten, hätte er zunächst vermutet, dass gar nichts passiert wäre. Und trotzdem schaltet die Amulettmagie anscheinend nicht nur die Drachenmagie ab, sondern den ganzen Drachen gleich mit. Zamorra zog die handtellergroße Silberscheibe aus seinem Hemd und starrte darauf, als könne sie ihm das das Geheimnis verraten. Vielleicht ist es das ja, schoss es ihm dann durch den Kopf. Vielleicht
weiß Taran, was passiert ist. Er versuchte, das Amulettbewusstsein zu kontaktieren und konzentrierte sich mit geschlossenen Augen darauf, dass etwas passierte. Doch nichts geschah. Es wäre ja auch zu schön gewesen, dachte Zamorra düster, wenn Taran mal getan hätte, was ich will. In diesem Moment öffnete sich die Tür und Nicole und William betraten das Arbeitszimmer. Nicole trug auf einem Tablett einen kleinen Snack herein, ein paar belegte Brote und auch zwei kleine Tassen mit einer heißen Bouillon, die Madame Claire offenbar gerade erst zubereitet hatte. Der Duft der Suppe stieg Zamorra in die Nase und erinnerte ihn daran, dass er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Er seufzte und steckte das Amulett wieder unter sein Hemd. »Nici, du kannst Gedanken lesen! Woher wusstest du, dass ich Hunger habe?« Er ging auf seine Gefährtin zu, küsste sie kurz auf den Mund und nahm sich eines der Käsebrote, die neben den Suppentassen lagen. »William, was kann ich für Sie tun, Sie stehen ein wenig hilflos hier herum.« Der sonst immer so würdige Butler des Châteaus zwinkerte nur kurz bei dieser Anrede. »Monsieur, ich … ich hatte gehofft, Sie wären bei Ihrer Suche nach einem Heilmittel für Mr. MacFool zu einem Ergebnis gekommen.« Zamorra, der gerade schlucken wollte, spürte, wie ihm sein Käsebrot im Hals stecken blieb. »Tut mir Leid, William«, sagte er dann. »Bis jetzt konnte ich nichts finden. Es scheint, als wären Drachen und das World Wide Web nicht kompatibel.« William nahm die Antwort zur Kenntnis, ohne mit der Wimper zu zucken. »Nun, ich gestehe, dass ich zumindest ein paar Einträge über Drachen erwartet habe.« Er räusperte sich. »In diesem Falle würde ich gern selbst in der Bibliothek noch einmal nach etwas suchen, wenn Sie gestatten.« Für einen Moment stutzte der Professor. Doch dann erkannte er
das Angebot als das, was es war: William misstraute ihm nicht, sondern er wollte einfach selbst etwas tun. Verständlich, war er doch immerhin so etwas wie der »Ersatzpapa« für Fooly gewesen. »Aber natürlich, William, tun Sie das. Ich habe gestern Abend zwar schon einiges durchgesehen, aber vier Augen sehen in jedem Fall mehr als zwei!« Der Butler nickte dankbar und zog sich leise zurück. Nicole hatte derweil die Zutaten zu Madame Claires kleinem Imbiss auf das Tischchen in der Sitzecke des Arbeitszimmers gestellt – immerhin wollte sie nicht Gefahr laufen, dass sich die Suppe über die Tastaturen und Unterlagen ergoss. Erschöpft ließ sich Zamorra in einen der Sessel fallen. »William schleicht schon den ganzen Morgen hier durch diese Etage«, meinte Nicole und nahm ihm gegenüber Platz. »Er hoffte, du kommst mal heraus und er kann dich fragen, ob du schon etwas weißt. Er staubte gerade zum zehnten Mal in den letzten beiden Tagen die große Mingvase neben der Tür ab, als ich mit dem Tablett hier vorbeikam. Ich fand, das war selbst für ihn zu viel.« Sie goss Tee aus einer Kanne in einen Becher und reichte ihn ihrem Gefährten. »Er tut mir wirklich Leid«, meinte der Meister des Übersinnlichen. »Er scheint unter Foolys Krankheit mehr zu leiden als selbst Rhett. Und sogar der schleicht mit einer Leichenbittermiene durchs Haus, dass es einer Sau graust. Aber mir fällt partout nicht ein, wo ich noch suchen sollte. Sämtlichen Querverweisen bin ich nachgegangen, aber außer ein paar obskuren Seiten habe ich nichts auftreiben können. Die ernsthaftesten Seiten waren noch die, die versicherten, dass man aus Drachenschuppen eine Art Viagra-Ersatz machen kann und dass Drachen mit den Komodowaranen auf den Galapagosinseln verwandt sein könnten. Aber genauso könnte es auch sein, dass Däniken sie aus seinen UFOs mitgebracht hat.« »Cherie, etwas anderes hast du doch auch nicht ernsthaft erwartet, oder?«, meinte Nicole und lehnte sich zurück.
»Erwartet vielleicht nicht«, gab Zamorra zu. »Aber gehofft, um ehrlich zu sein.« Nicole nickte seufzend. »Ist ja nicht so, als könnte ich das nicht verstehen. – Aber wie sagtest du vorhin so schön? Vier Augen sehen mehr als zwei. Vielleicht sollten wir auch nach bestimmten Formen von Magie suchen und nicht nur nach dem Stichwort ›Drachen‹.« »Der Gedanke ist mir vorhin auch gekommen. Ich hätte nämlich nie vermutet, dass sich die Magie des Amuletts so verheerend auf die neutrale Drachenmagie auswirkt.« Nicole schloss kurz die Augen und Zamorra spürte, wie Merlins Stern von der Kette um seinen Hals verschwand. Den Bruchteil einer Sekunde später erschien die Silberscheibe in Nicoles Hand. »Man müsste Merlin fragen, was es mit diesem magischen Unfall auf sich hat«, meinte Nicole nachdenklich. »Aber den gibt es ja nicht mehr. – Na gut, ist ja auch nicht so, als hätte er uns in den letzten Jahren ernsthaft bei etwas helfen können – mal davon abgesehen, dass er uns vom Spiegelwelt-Lucifuge befreit hat.« »Kurz bevor ihr reingekommen seid, habe ich versucht, mit Taran Kontakt aufzunehmen. Natürlich vergeblich«, fügte er hinzu, als er Nicoles hochgezogene Augenbrauen sah. »Alles andere hätte überrascht«, meinte die Französin sarkastisch. Zamorra erwiderte nichts, sondern starrte die Silberscheibe, die Nicole in ihren schlanken Fingern hin und her drehte, weiter nachdenklich an. »Ich frage mich …« »Was fragst du dich?«, meinte Nicole misstrauisch und pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Passend zur eher gedrückten Stimmung im Schloss trug sie die Haare heute schwarz. »Ach nichts«, meinte Zamorra hastig. Er wollte seiner Gefährtin nicht verraten, dass ihm eine mögliche Lösung durch den Kopf gegangen war. »Na, komm. Ich reiße dir schon nicht den Kopf ab«, neckte sie. »Das Amulett funktioniert schon länger nicht mehr richtig, das
weißt du ja. Eigentlich ist es sogar gefährlich geworden, es zu benutzen«, meinte er zögernd. »Genaugenommen funktioniert es nicht mehr so richtig, seit Merlin nicht mehr da ist.« »Ja, und deshalb können wir nichts daran ändern. Das ist nicht gut, aber es ist nun einmal so. Vielleicht kommt Taran ja eines Tages doch mal wieder zum Vorschein und teilt uns mit, was zu tun ist.« Nicole schnappte sich ein Schinkenbrot, und biss hinein. »Wenn ihm danach ist, meine ich natürlich.« »Das wäre eine Möglichkeit«, meinte Zamorra und rief Merlins Stern wieder zu sich zurück. »Merlin hat die Amulette geschaffen. Er ist für die Magie darin verantwortlich, aber was genau das für eine Magie ist, wissen wir nicht. Vielleicht hatte sie eher etwas mit seinem … naja, Posten zu tun als mit seiner Magie selbst. Das hat er jedenfalls nie gesagt.« »Hätte ich an seiner Stelle auch nicht«, mampfte Nicole. »Oder was willst du sagen?« »Nichts weiter«, sagte Zamorra wieder und lächelte Nicole an. »Es hat nicht unbedingt etwas mit Fooly zu tun, und der ist jetzt wichtiger. Na los. Lass uns im Internet noch einmal suchen. Vielleicht finden wir ja doch irgendetwas.« Er wollte seiner Gefährtin nicht sagen, dass ihm ein Gedanke gekommen war, der es ihm vielleicht ermöglichte, doch noch herauszufinden, was mit dem Amulett los war. Das Kleinod selbst war magisch neutral, weder weiß-, noch schwarzmagisch. Es richtete seine Magie nach dem Träger aus. Auch Merlin war seinerzeit ein schwarzmagisches Geschöpf gewesen, das auf die weißmagische Seite gewechselt war, bevor er die Amulette, Zamorras und die sechs anderen, geschaffen hatte. Vielleicht gar nicht nur mit weißmagischer Energie? Es gab nur einen, der diese Frage auch jetzt, nach Merlins Tod, hätte beantworten können – Asmodis. Und Zamorra konnte sich Nicoles Reaktion auf diesen Vorschlag
lebhaft vorstellen. Aber er wusste auch, sie hatten jetzt andere Dinge im Kopf. Zum Beispiel Fooly. Um den hatten sie sich jetzt einige Wochen nicht kümmern können, da ihnen die Ereignisse rund um die weißen Städte und das Weltennetz einen Strich durch diese Rechnung gemacht hatten. Zamorra wollte Fooly und eine Lösung dieses Problems nicht schon wieder aufschieben. Vielleicht konnten er und die anderen wirklich nichts tun, aber versuchen mussten sie es. Die Geschichte wiederholt sich immer, dachte Zamorra mit einem Seitenblick auf Nicole, die es sich jetzt vor einem der Computerterminals auf dem riesigen, hufeisenförmigen Schreibtisch bequem gemacht hatte. Und genau diese Geschichte, von dem schwarzmagischen Höllenwesen, das auf die Lichtseite gewechselt ist, hat mit Asmodis ja schon wieder stattgefunden … Und vielleicht ist genau das die Lösung für das Amulett.
* Klack. Zwei schmale Stäbchen aus Bambus fingen geschickt mitten aus der Luft einen der gelbschwarz gemusterten Schmetterlinge. Das Tier flatterte hektisch, doch es half ihm nichts – im nächsten Moment wurde es in ein Schüsselchen mit Blut getunkt. Und dann verfüttert, an den schönen Jüngling in ihrem Schoß. Stygia sah die Agonie des Schmetterlings, doch kein Mitleid regte sich in ihr. Das war etwas für Menschen, nicht für Dämonen wie sie einer war. Es entzückte sie jedes Mal wieder von Neuem, den Todesqualen eines Wesens zuzusehen, es bedeutete Macht. Macht über Leben und Tod, und Macht war für die schöne Ministerpräsidentin der Hölle der ultimative Kick. Und auch, wenn sie dabei größere und auch intelligentere Wesen bevorzugte – immerhin war es spannender, den Tod zu beobachten, wenn dem Sterbenden das nahe
Ende genauso bewusst war wie die Tatsache, dass sie, Stygia, es war, die es bewirkte – manchmal reichte es auch, so kleine Wesen dabei zu beobachten. Man sollte sich auch mit kleinen Freuden zufriedengeben, dachte sie mit einem Blick auf den Jüngling in ihrem Schoß. Nicht nur der Tod bringt Macht, manchmal muss es auch anders gehen, sonst wäre es ja langweilig, dachte sie und fing für ihren Gespielen einen weiteren Schmetterling aus der Luft. Ja, spürte sie auf einmal unwillkürlich einen Gedanken in sich. Dos Leben kann ebenfalls interessant sein, nicht wahr? Besonders, wenn man es nicht töten kann und du deine Macht mit ihm messen musst. Die Ministerpräsidentin LUZIFERs spürte, wie bei diesem Gedanken ein Großteil ihrer bisher guten Laune verschwand. Der Gedanke, der ihr gerade durch den Kopf geschossen war, hatte ihr wieder bewusst gemacht, dass sie ihren Körper nicht mehr für sich allein besaß. Sie war schwanger. Wann war ihr das eigentlich das erste Mal bewusst geworden? Genau konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, aber es musste irgendwann zu dem Zeitpunkt gewesen sein, als sie das erste Mal auf ihrem neuen Thron gesessen hatte und hatte genießen wollen, dass sie jetzt dort war, wo sie seit Jahrzehnten hinwollte. Alles hatte sie versucht, alles, um dieses … Ding in ihr wieder loszuwerden, doch nichts hatte geholfen. Und nicht nur das, es war nicht nur da, sondern es schien auch von Anfang an ein eigenes Bewusstsein zu haben und damit auch nicht hinterm Berg zu halten. Es war beinahe so, als hätte sich in ihr ein zweites Bewusstsein eingenistet, denn an allen passenden und unpassenden Stellen teilten sich ihr Gedankenfetzen mit, von denen sie mit Sicherheit wusste, dass sie nicht von ihr selbst stammen konnten. Wie dieser Gedanke gerade. Ich würde es nicht darauf ankommen lassen!, ließ sie das »Andere« in ihr gereizt wissen. Wenn wir unsere Macht miteinander messen, würde
ich an deiner Stelle nicht darauf wetten, dass ich mit dem Leben davon komme. Ich bin mächtiger als du, das wirst du schon merken. Kein Gedanke, sondern ein Gefühl antwortete ihr: Spott und Häme. So deutlich, als spüre sie es selbst. Und doch kam das nicht aus ihr selbst. Sie hasste diesen Zustand und versuchte sich von dieser unwürdigen Situation abzulenken, indem sie erneut einen Schmetterling fing und ihn an den Vampir bei ihr verfütterte. Du denkst also, du kannst dich so ablenken?, erklang es wieder boshaft in ihr. Du solltest mittlerweile wissen, dass das nicht funktioniert. Und ich sage dir noch etwas: Das ist der Grund, warum Dämonen wie Zarkahr oder Astaroth dich nicht ernst nehmen. Nicht einmal jetzt. Du kannst dich nicht durchsetzen, du kannst nur die Karriereleiter hinauffallen. Sie stehen schon Schlange, um zu sehen, was du als Nächstes tust – ob du das kannst, was du automatisch versprochen hast, als du diesen Platz als Ministerpräsidentin okkupiert hast: Herrschen. Stygia schwieg. Am liebsten hätte sie getobt, ein Messer genommen und das, was da in ihr war, herausgeschnitten, doch sie wusste nicht einmal, ob das möglich war. Wahrscheinlich hatte dieses Balg, das da in ihr war und sich so wichtig machte, entsprechende Schutzmechanismen. Es war möglich, dass sie sich nur selbst mit so einer Maßnahme verletzte, ohne etwas Entscheidendes zu bewirken. Sie dachte über das nach, was das »Andere« in ihr gesagt hatte. Es war etwas Wahres daran. Sie konnte sich eigentlich nicht leisten, hier zu sitzen, nichts zu tun und sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Sie musste unter Beweis stellen, dass sie verdientermaßen auf dem Ministerthron saß. Stygia wusste sehr wohl, was die anderen Erzdämonen über sie dachten, dass sie sich den Platz erschlichen und eigentlich nur der Entscheidung dieses unerträglichen chinesischen Vampirs zu verdanken hatte. Es war klar, sie musste unter Beweis stellen, dass sie völlig zu Recht auf dieser Position saß. Das fehlte noch, dass sich in der Hölle
die Ansicht festsetzte, dass sie nur Ministerpräsidentin war, weil Fu Long es nicht anders gewollt hatte! Klack. Ein weiterer Schmetterling wand sich zwischen ihren Stäbchen. Beinahe glaubte sie die Todesangst in seinen Facettenaugen zu sehen. Das ist das Gefühl, das ich auch in Zarkahrs oder Astaroths Augen sehen will. Die Frage ist nur, wie kann ich das bewirken? Sieh einer an. So gefällst du mir, klang es in ihrem Kopf. Ich werde dir helfen, dir etwas auszudenken. Etwas, mit dem du beweisen kannst, wie mächtig du wirklich bist. Du solltest Zamorra schaden. Nicht ihm selbst, du hast dich, wenn ich das richtig sehe, schon zu oft an einem Kampf mit ihm verhoben. Versuch, einem seiner Familie zu schaden, der nicht so mächtig ist. Stygia antwortete nicht. Sie tunkte den Falter in die Schüssel mit dem Menschenblut, die neben ihr stand. Sie wurde langsam leer. Sie schnippte mit den Fingern und schon kam ein Dämon gerannt, der dem halb bewusstlosen Menschen neben ihr erneut die Adern aufschnitt. Frisches Blut ergoss sich wieder in die Schale. Zamorras Familie also. Wer ist der Schwächste unter denen? Und wer gehört zurzeit überhaupt dazu? Nachdenklich hielt sie ihrem Gespielen den Schmetterling hin. »Man hole mir die teuflischen Archivare!«, rief sie.
* Am liebsten hätte Butler William den dicken Folianten in die nächste Ecke geworfen, doch seine sonst so selbstverständliche Disziplin half ihm, genau das dem kostbaren Buch nicht anzutun. Der Schotte wusste nicht mehr weiter. Er hatte in der letzten Nacht so gut wie jedes Buch in der umfangreichen Bibliothek des Professors durchgesehen – uralte Verzeichnisse von Zaubertränken, Lexika über Fabelwesen, sogar die mittelalterliche Übersetzung eines
Buchs hatte er gefunden, das im fünften Jahrhundert in Indien verfasst worden war und angeblich »Von den Drachen und Tatzelwürmern« handelte. Genau dieses las er jetzt schon seit einigen Stunden, doch bisher ohne Erfolg. Außer ein wenig tumben Aussagen, wie man sie im Mittelalter eben gemacht hatte – der Wurm sei wie alle Drachen vom Teufel geschickt und in jedem Fall dämonisch, das hätte der heilige Georg doch allwirksam bewiesen – hatte sich auch in diesem vielversprechendsten Folianten der Bibliothek nichts weiter gefunden. William klappte die Seiten zu. Es hatte offenbar wirklich keinen Sinn. Es war bereits vier Uhr morgens, und er musste früh wieder aufstehen und zusammen mit Madame Claire für ein Frühstück sorgen. Er stellte das Buch wieder dorthin, wo er es aus dem Regal genommen hatte und machte sich auf in sein Zimmer, um sich für den neuen Tag umzuziehen. Während er sich ein frisches Hemd überstreifte und dann in die Küche ging, um die Dinge zu tun, die Madame Claire beim Frühstück für unter ihrer Würde hielt, dachte er über das zuletzt gelesene Buch nach. Er ärgerte sich – auch wenn er wusste, dass es unvernünftig war. Drachen, die das Aussehen hatten, das Fooly höchstwahrscheinlich annehmen würde, wenn er erwachsen wäre, waren in der Regel böse Wesen. So hieß es zumindest. Selbst im asiatischen Kulturkreis, wo sie häufig mit Glück und Fruchtbarkeit assoziiert wurden, tat man gut daran, sich tunlichst mit ihnen gut zu stellen. Jahrhundertelang waren sie vernichtet, zerstört und bekämpft worden – und sie hatten sich bei der Menschheit revanchiert. Die Geschichten strotzten nur so von der Falschheit der Drachen, der Zerstörung, die sie angeblich brachten, der Goldgier und der Tatsache, dass sie Menschen entführten – und sogar fraßen. William sah sich vorsichtig um. Als er niemanden sah – es war ja immerhin erst fünf Uhr morgens –, schlug er mit der Faust gegen die Wand und stöhnte auf. Er wusste kaum, wohin mit seiner Wut.
Von denen, die dieses Buch geschrieben haben, hat wahrscheinlich niemand – niemand!! – jemals auch nur eine einzige Schuppe eines Drachen zu Gesicht bekommen. Für die waren Drachen einfach immer nur schwarzmagische und höllische Wesen, dachte William und schöpfte das Kaffeepulver so heftig in die Maschine, dass die Hälfte danebenging. Er bemerkte es gar nicht, so zornig war er. Doch dann hielt er auf einmal inne. Augenblick mal. Schwarzmagisch. Höllisch. Wesen, geschickt aus den Schwefelklüften. Für einen langen Moment schwebte der Kaffeelöffel reglos über dem halb vollen Filter. Vielleicht war das die Lösung …
* Zamorra lag noch in tiefem Schlaf, als es an seiner Schlafzimmertür klopfte. Er versuchte, es zu ignorieren. Jeder hier im Schloss kannte seine und Nicoles Angewohnheit, lange auszuschlafen, wenn es sich einrichten ließ. Doch das Klopfen, zuerst noch zaghaft, wurde stärker. Zamorra knurrte und versuchte, sich die Decke über den Kopf zu ziehen. Er konnte selten genug lange im Bett bleiben, das wusste doch jeder hier – warum also diese Störung? Er tastete nach dem Wecker und sah auf das Zifferblatt. Acht Uhr morgens. Eine der unchristlichsten Zeiten überhaupt. Für eine Sekunde beschloss er, das Klopfen zu ignorieren, doch dann besann er sich eines Besseren. Wer wusste, ob es nicht wichtig war. Er befreite sich aus seinem Bettzeug und stolperte, wie Gott ihn geschaffen hatte, zur Tür. Mit den Worten »Wer stört?«, riss er sie auf. William stand mit einem Kaffeetablett davor und zuckte bei sei-
nem Anblick nicht mit der Wimper. »Monsieur, ich hoffe, Sie verzeihen mir meine Aufdringlichkeit.« Der Professor warf ihm einen ungnädigen Blick zu, schnappte sich einen Becher und die Kaffeekanne und goss sich eine gehörige Portion ein. »Ich denke in Ihrem Interesse, dass es wichtig ist.« »In der Tat«, meinte William halblaut. Er hatte gesehen, dass Nicole noch schlief. Oder zumindest so tat. Zamorra nahm einen Schluck Kaffee aus seinem Becher und betrachtete William, der angelegentlich mit dem Geschirr auf dem Tablett herumhantierte. »Also los, William, raus mit der Sprache. Was haben Sie auf dem Herzen?« »Monsieur, ich habe … mir kam heute Nacht ein Gedanke.« »Ein Gedanke«, meinte Zamorra sarkastisch. Seine Lebensgeister waren noch nicht wieder ganz erwacht. »Und was war das für ein Gedanke?« Erstaunt sah der Professor, wie der Butler bei diesen Worten Farbe auf die hageren Wangen bekam. Auf der Stelle taten ihm seine Worte Leid. William war sicher derjenige, dem Foolys Schicksal am meisten zu Herzen ging. »Entschuldigen Sie, William. Geben Sie sich einen Ruck und schieben Sie meinen Ton darauf, dass ich noch nicht genug Kaffee getrunken habe.« »Nun, Monsieur, ich habe in der Bibliothek ein Buch gefunden, dass aus dem späten Mittelalter stammt. Fünfzehntes Jahrhundert. Eine Art zoologische Abhandlung über die verschiedenen Formen von Drachen, die man damals zu kennen glaubte. Der Autor war offenbar der Ansicht, diese Wesen gebe es wirklich, besonders da man sie in allen Kulturkreisen kenne. Doch er ordnete sie samt und sonders in die Kategorie schwarzmagischer Geschöpfe ein.« William schwieg und Zamorra fragte sich warum. Doch er fragte nicht weiter. Er sah, wie schwer William ein Weitersprechen fiel. Und der Butler fing sich auch bald schon wieder. »Monsieur, ich habe mir überlegt, dass wir hier in Reichweite keine Informationen über den Drachen finden. Was in unserem Kulturkreis nicht weiter wundert, wenn man Drachen für schwarzmagi-
sche Wesen hielt. Für höllische Wesen«, fügte er bedeutungsvoll hinzu und sah Zamorra erwartungsvoll an. »Was …« Zamorra ließ den Becher sinken und starrte William verblüfft an. Er ahnte, worauf der Schotte hinauswollte. »Sie meinen, Informationen gibt es hier auf der Erde, in unserer Dimension des Multiversums nicht – aber wir sollten uns die Informationen von woanders holen?« »Korrekt, Monsieur. Warum holen wir uns die Informationen nicht aus der Hölle?« Zamorra setzte sich in einen Sessel und nippte erneut an seinem Becher. »Tja, warum nicht. Der Tipp ist gar nicht so schlecht, bis auf eine Sache: Wo sollen wir da anfangen zu suchen?« »Monsieur, gibt es da nicht das Archiv der Hölle? Wenn es Informationen über irgendetwas gibt, das im Allgemeinen hier auf der Erde für schwarzmagisch gehalten wird, dann doch sicher ein solch einem höllischen Archiv, nicht wahr?« Zamorra grübelte. Von diesem Archiv hatte er auch schon gehört, aber wie kam man dort hin? Und würde es überhaupt Sinn machen, dort nach Informationen über Drachen zu suchen? Immerhin war der Drache von einer ganz bestimmten Energie aus einer ganz bestimmten Waffe getroffen worden. Na ja, vielleicht würde uns auch ein Buch über Drachenmagie helfen. Vielleicht kommen wir damit schon einen Schritt weiter – wir könnten zumindest analysieren, was da so gründlich schief gegangen ist, als Fooly getroffen wurde. Fooly zuliebe war er der Ansicht, dass man es versuchen sollte. »Ich verstehe, was Sie meinen, William. Der Tipp scheint mir gar nicht so schlecht, nur muss ich mir wirklich überlegen, wie man da am Besten hinkommt und was man dann macht, wenn man da ist.« William nickte. »Ich weiß, Monsieur, und ich wollte sie auch nicht drängen. Ich bin mir natürlich klar darüber, dass es nicht leicht werden wird. Wenn ich mir aber eine Bemerkung erlauben darf, wenn
es jemand schafft, dann Sie.« Zamorra lächelte. »Danke für Ihr Vertrauen. So, dann gehe ich mir mal was überziehen und werde mir die Mühe machen, Mademoiselle zu wecken.« »Nicht nötig«, kam es aus den Tiefen des Federbetts. »Ihr seid ja nicht zu überhören. So was Unhöfliches. Hättet ihr nicht rausgehen können? Deppen.« Hätte Zamorra nicht gerade entzückt auf Nicoles verschlafenes Gesicht gesehen, das aus den Kissen auftauchte, hätte er etwas sehr Seltenes sehen können: dass es um Williams Mundwinkel herum amüsiert zuckte.
* »Das ist doch nicht zu fassen! Wer hat hier das Sagen, hm?« Die höllischen Archivare drückten sich furchtsam aneinander, so als könnte sie das vor dem Sturm der dämonischen Wut schützen, der in diesem Moment über sie hinwegfegte. Stygia sprang von ihrem steinernen Thron auf. Sie hatte sich an das neue Sitzmöbel noch nicht so richtig gewöhnt. Den Knochenthron des Fürsten der Finsternis hatte sie bevorzugt, denn es knackte so schön, wenn sie sich heftig darauf bewegte. Der Thron des Ministerpräsidenten, der aus Stein bestand, war ihr eigentlich zu hart und zu kalt. Doch jetzt verschwendete sie keinen Gedanken daran. Sie konzentrierte sich voll auf die Wesen vor ihr. »Ihr werdet doch wohl eine Liste von denen haben, mit denen dieser zehnmal verfluchte Zamorra zu tun hat, oder etwa nicht? Na los!« Eine der wolfsähnlichen Gestalten trat zitternd vor und warf sich in den Staub. Die anderen blieben furchtsam zurück und bereuten offenbar jede Sekunde, die sie hier verbringen mussten. »Eur … Eure Furchtbarkeit, wir wissen natürlich von denen, die
mit dem Dämonenjäger zusammenarbeiten«, meinte er mit zitternder Stimme. »Doch diejenigen, die ihm am meisten bedeuten, sind leider auch meist jene, die Zauberkräfte besitzen.« Stygia ging auf den Archivar zu und blieb kurz vor ihm stehen. Als Drohgebärde entfaltete sie ihre ledrigen Schwingen. Das leise Knattern, das dadurch entstand, schien die empfindlichen Ohren der wolfsähnlichen Gestalten zu schmerzen. Sie schlug einmal damit und prompt pressten die Archivare ihre Hände auf die Ohren. »Ob sich unter den Menschen in Zamorras Umgebung Wesen mit magischer Kraft befinden und ob diese Kräfte hoch sind, das kann euch egal sein. Überlasst das getrost mir, habt ihr verstanden? Ihr sagt mir jetzt, was ich wissen will, ihr winselnden Köter!« Die Archivare nickten hastig und wollten sich schon zurückziehen. »Ich habe euch noch nicht entlassen!« Auf der Stelle blieben die drei wolfsähnlichen Wesen stehen, jedoch ohne sich umzudrehen. Stygia spürte, wie ihr Zorn über die Renitenz der Archivare explodierte. Sie streckte die Hand aus und der Archivar ganz links schrie auf einmal überrascht auf. Von innen begann ihn eine grüne Flamme aufzufressen. Sie wurde heller und heller, bis schließlich das komplette Skelett des Wolfs zu sehen war, doch auch das verwehte nur einen Sekundenbruchteil später mit einem verebbenden Heulen zu einer Handvoll Staub. Augenblicklich drehten sich die beiden übrigen Archivare um und verneigten sich so tief, dass ihre Schnauzen den Boden berührten. »Vergib uns, majestätisch Abscheuliche.« Stygia winkte mit der Hand. »Verschwindet. Ich erwarte euch in einer Stunde zurück. Dann mit dem, was ich haben will.«
* »Okay«, meinte Zamorra nachdenklich. »Wir müssen also herausfinden, wie man in dieses Höllenarchiv kommt.«
Er hatte sich mit einem Becher Kaffee aufs Bett gesetzt, nachdem William respektvoll das Zimmer verlassen hatte, und sah auf die vollkommen verschlafene Nicole herunter. Nicole rekelte sich lasziv auf ihrem Laken, bevor sie sich schließlich dazu entschloss, nach vorn zu krabbeln, um Zamorra den Kaffeebecher aus der Hand zu nehmen. Sie nahm selbst einen großen Schluck und seufzte. »Schon besser. Meine Gehirnzellen fangen an zu arbeiten.« Sie drückte Zamorra einen Morgenkuss auf den Mund und stand auf, um sich selbst eine Tasse des schwarzen und extrem starken Kaffees einzugießen. »In die Hölle kommt man doch am besten noch mit einem Weltentor, oder?« »Bei dem muss man aber, soweit ich weiß, erst einmal eine bestimmte Vorstellung vom Ziel haben. So ähnlich wie bei den Regenbogenblumen. Wenn wir uns nur die Hölle vorstellen, können wir genauso gut in irgendeiner Wüste landen, oder im Seelenfeuer oder auf Stygias Schoß.« Nicole wärmte sich die Hände an ihrem Becher. »Stimmt. Aber soweit ich das immer absehen konnte, musste die Vorstellung nicht sonderlich präzise sein.« Zamorra stand nachdenklich auf, um sich eine Jeans und ein TShirt aus dem Schrank zu holen. »Na ja, präzise vielleicht nicht. Aber es hat sich auch nicht als besonders sinnvoll erwiesen, einfach hin und her zu springen. Das mag klasse sein, wenn diese komischen Riesen aus dem Weltall hinter uns her sind, denn dann wissen sie nicht, wo wir hingesprungen sind. Aber wir wussten es genauso wenig, das darfst du nicht vergessen.« »Stimmt«, meinte Nicole nachdenklich. »Du könntest durchaus recht haben, wenn du sagst, dass es nicht ausreicht, sich eine düstere Höhle mit Haufen von Schriftrollen vorzustellen.« »Das befürchte ich. Und weil ich nicht weiß, wen ich sonst fragen soll, werde ich einfach Vassago fragen. Der kann uns dabei wohl noch am ehesten helfen.«
Nicole kicherte. »Und diesmal wäre es nicht einmal sonderlich anstrengend für ihn – ein paar Details, und er kann wieder gehen. – Und was das Beste ist: Weil er nur als Spiegelbild in deiner Kaffeetasse zu sehen sein wird, muss ich mir keine stundenlangen Beschimpfungen darüber anhören, wie sehr es schmerzt, durch unsere M-Abwehr zu gelangen.« »Wohl wahr«, meinte Zamorra lächelnd. »Aber ich muss dir sagen, meine Liebe, dass ich immer den Eindruck habe, dass du diese Schlagabtausche mit Asmodis besonders zu genießen scheinst.« Nicole starrte ihn einen Moment lang verblüfft an. »Ich muss zugeben, auch wenn ich nie und nimmer daran glauben werde, dass er auf unserer Seite ist – und da mag er Caermardhin bewohnen oder nicht –, er ist wirklich ein intelligenter Gesprächspartner«, gab sie nach einer Sekunde des Nachdenkens offen zu. »Und vielleicht mag ich gerade das nicht: dass er immer so verzärtelt tut, aber es ganz und gar nicht ist.« Zamorra, der Nicoles Misstrauen dem ehemaligen Erzdämon gegenüber kannte, aber nicht in der Heftigkeit teilte, in der sie es vertrat, lenkte ab. »Also gut, dann wollen wir Vassago mal fragen, was er so zu sagen hat über dieses seltsame Archiv. Und wollen wir hoffen, dass das alles nicht umsonst ist!« Er nahm seine Tasse in die Hand und konzentrierte sich. Schon bald erschien auf der glänzend schwarzen Oberfläche des Bechers ein ziemlich hässliches Gesicht. Es verzog sich zu einer noch hässlicheren Fratze, als Vassago sah, wer ihn gerufen hatte. »Sieh einer an, der Meister des Übersinnlichen«, presste der Dämon hervor. »Man hat wirklich keinen Moment Ruhe vor dir!« »Hab dich nicht so! Das letzte Mal ist doch auch schon wieder ein paar Wochen her«, konterte Zamorra. »Lass mich wissen, wenn du keine Lust mehr hast, an deinem weißen Punktekonto zu arbeiten. Ich bin sicher, ich erfahre das, was ich wissen will, auch von jemand anderem.«
Vassago ließ ein verächtliches Schnauben hören. »Du musst mich nicht an meine eigenen Absichten erinnern, Weißmagier. Meist verlangst du Dinge von mir, die ich dir nicht geben kann, so wie dieses Mädchen da vor einem Jahr! Und ich wüsste nicht, warum es diesmal anders sein sollte!« Zamorra legte den Kopf auf die Seite. »Ich würde sagen, wir versuchen es. Was weißt du über das teuflische Archiv?« Vassago zog die Brauen zusammen. »Was hast du denn mit dem Archiv zu schaffen?« »Das soll deine Sorge nicht sein. Sag mir einfach, wie es aussieht und, wenn du es weißt, wo es sich befindet. Das reicht mir schon.« Bevor Vassago antworten konnte, fügte der Professor noch einen Hinweis hinzu. »Und versuch nicht, mich reinzulegen. Du weißt genau, ich würde dir auf die Schliche kommen. Und das könnte dein Konto ganz schnell ins Minus reißen!« Vassago knurrte. »Keine Sorge, das ist ja nun eine Auskunft, die gar nicht so kompliziert ist. Und die mir auch nicht allzu viel Ärger bringen sollte, denn ihr werdet mit diesen Informationen sowieso nichts anfangen können.« »Auch das kannst du getrost uns überlassen«, mischte Nicole sich ein. »Könnt ihr mich vielleicht ausreden lassen?«, brüllte Vassago so laut, dass die Oberfläche des Kaffees zu zittern begann und er selbst beinahe verschwand. »Das Archiv ist eine Höhle! Hat keinen Eingang, damit sich das Klima darin nicht ändert. Das würde den Schriftrollen und den alten Büchern darin schaden. Etwas, das die Archivare darin niemals zulassen würden. Wie man reinkommt, das wissen nur die wenigsten, es gibt jedenfalls keinen offenen, physischen Zugang. Innen drin soll es dunkel sein, Katakomben eben, nur magisches Licht, das nicht offen brennt. Und Bücher. Manuskripte. Folianten, Schriftrollen und Pergamente. Gestapelt und sortiert nach einem System, das nur die Archivare selbst kennen. Mehr weiß ich
auch nicht. Ich brauche dieses Archiv nicht. – Und jetzt verschwindet und lasst mich in Ruhe!«, fügte er gereizt hinzu. Die Oberfläche des Kaffees begann zu brodeln und zerstörte so das Bild der hässlichen Fratze, die bis dahin darin zu sehen gewesen war. Als sich die dunkle Flüssigkeit darin wieder beruhigte, war das Gesicht des Dämons darin verschwunden. Unzufrieden starrte der Meister des Übersinnlichen in den teerartigen Kaffee. »Hilft uns das jetzt weiter?«, fragte er nach ein paar Sekunden. Nicole warf sich grinsend aufs Bett. »Skurril ist es in jedem Fall. Die Beschreibung, die Vassago da geliefert hat, hätte ich dir auch schon vorher geben können.« Zamorra warf ihr einen halb verärgerten, halb belustigten Blick zu. »Aha? Na, dann zieh dir mal ein paar Klamotten über, damit wir losziehen können. Oder soll ich allein gehen?« Nicole schoss in die Höhe. »Anziehen? In der Hölle? Es ist noch gar nicht so lange her, da hättest du mich ganz schön fertig gemacht, wenn ich das von alleine gesagt hätte!« »Ich darf dich daran erinnern: Das letzte Mal, dass du nur in Unterwäsche in die Hölle gekommen bist, hast du mir die Ohren vollgeheult«, meinte Zamorra ungerührt. »Also los. Im Ernst, Cherie, William und Fooly warten darauf.« Nicole wurde ebenfalls ernst. »Recht hast du. Gib mir fünf Minuten, dann bin ich so weit.«
* Die Archivare, Grtak und Sovel, hatten den Thronsaal der Ministerpräsidentin so schnell verlassen, wie sie nur konnten, und waren in ihr Archiv zurückgekehrt. Für eine Weile sprach keiner von ihnen ein Wort. Stattdessen verkrochen sie sich an ihre jeweiligen Lieblingsplätze, an einen Ort, den sie in Höhlenform irgendwo in die Bü-
cher, Folianten und Schriftrollen gegraben hatten, und erholten sich ein wenig in der Umgebung dessen, was sie am liebsten hatten: alte Bücher. Der Duft nach alt gewordener Tinte und vergilbtem Pergament war etwas, das sich auf ihre Gemüter beruhigend niederschlug und sie dem Leben außerhalb des höllischen Archivs wieder etwas gefasster gegenübertreten ließ. Doch Besuche bei Stygia, so selten sie auch sein mochten, waren dabei immer besonders beunruhigend. Erst nach einigen Stunden wagten die anderen Archivare, die furchtsam die Rückkehr der Abgesandten zur Ministerpräsidentin der Hölle abgewartet hatten, Grtak und Sovel aus ihren Verstecken zu locken. Es war mühsam, aber so sehr die Furcht vor Stygia in diesen Katakomben auch regierte, die Neugier der höllischen Verwalter des Archivs war größer. Einer der Wölfischen traute sich als Erster, sich dem aus Foliantenstapeln und Regalen voller Schriftrollen gebauten Versteck Grtaks zu nähern. »Grtak?«, rief er leise, doch nichts rührte sich zur Antwort. »Grtak!« Fortnar hob eine Schriftrolle und drehte sie vorsichtig zwischen den Fingern, so dass es ganz leise raschelte und doch dem kostbaren Schriftstück nichts geschah. »Grtak, komm heraus und sieh dieses Manuskript hier. Einer unserer Leute hat es gefunden. – Na los komm schon, trau dich!« Fortnars Stimme klang weich und sanft – sofern man von einem teuflischen Archivar überhaupt sagen konnte, dass er eine einschmeichelnde Stimme besaß. Seine Kollegen drängten sich hinter Fortnar zusammen und spähten interessiert über seine Schulter in Richtung des Baus, in dem Grtak hauste. Jeder der teuflischen Archivare hauste in der Bibliothek selbst und hatte die Regale und Bücher aufs Vorsichtigste so zusammengeschoben und – gestellt, dass er, unbeobachtet von den anderen, eine eigene Nische besaß. Meist bestanden diese Behausungen aus den Lieblingsschriftstücken des jeweiligen Archivars. Sie
um sich und immer in ihrer Nähe zu haben, war für das Wohlbefinden der Wolfsähnlichen eine Grundbedingung, auf die keiner verzichten mochte. Archivaren auf der Erde hätte es wahrscheinlich den Magen schon beim Gedanken daran umgedreht, jemand könnte in einem Gebäude aus Büchern und einzigartigen Manuskripten wohnen, und sei es auch noch so klein. Aber den Archivaren gelang es mit der ihnen eigenen Magie – der einzigen, die sie besaßen – jedes einzelne Pergament und Buch ordentlich und unversehrt zu erhalten. Grtaks kleine »Höhle«, bestand hauptsächlich aus Schriftstücken, die aus dem Mittelalter des Planeten Erde stammten. Da die Höllenoberen – fast die Einzigen, die die Archivare des Teufels regelmäßig besuchten oder zu sich riefen – größtenteils Informationen von diesem Planeten forderten (andere schienen sie seltsamerweise nur selten zu interessieren), war es meist Grtak, der in den sauren Apfel beißen und den Dämonen Bericht erstatten musste. Er selbst hätte vielleicht mit dieser Redensart wenig anfangen können – wer brauchte schon Obst, wenn er sich am Staub eines alten Folianten laben konnte? – aber dem Sinn nach entsprach es nicht nur seiner Situation, sondern auch seinen Gefühlen. Er war es leid, so missbraucht zu werden. Immer war er es, der geschickt wurde, um Stygia, Lucifuge Rofocale oder sonst irgendeinem Dämon, dem es gefiel, Rede und Antwort zu stehen und dabei seinen Kopf zu riskieren. Nicht, dass Grtak den Tod selbst oder eines der Höllenfeuer gefürchtet hätte. Das Fürchterlichste an dem Gedanken war die Vorstellung, auf ewige Zeiten von seinen Manuskripten und Erstdrucken getrennt zu sein. Heute hatte es – wie hieß er doch gleich, Bezon? Oder Beznor? Naja, so ähnlich eben – getroffen, der war von Stygia ermordet worden. Aber wer garantierte schon, dass es das nächste Mal nicht doch Grtak sein würde! Er schnaufte und blieb, wo er war. Fortnar sollte sich nur wieder trollen, er würde ihm nicht auf den Bindeleim gehen, so weit kam es noch. Das Rascheln der Schriftrolle (zehntes Jahrhundert vermutlich,
dem Ton nach zu urteilen) würde diesmal nicht ziehen. Nein, diesmal nicht. »Grtak …« Das Rascheln klang verlockend. Ja, zehntes Jahrhundert. »Lass mich in Ruhe!« Ziemlich dick. Ziemlich eng mit schwarzer Tinte beschrieben, denn das Knistern klang dumpf. »Grtak, du musst uns sagen, was die abscheulichste aller schönen Erzdämoninnen von uns wollte.« Feines Ziegenlederpergament, von einem noch ungeborenen Zicklein. Mit einem Aufschrei kam Grtak aus seinem Bau geschossen und wollte Fortnar die Rolle aus der Hand reißen. »Her damit. Eine Rolle aus der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts!« Doch Fortnar brachte die Rolle schnell in Sicherheit. »Du hast recht, Grtak«, meinte er hochnäsig. »Es handelt sich um die Krönungsurkunde von Kaiser Otto dem Ersten. Du kriegst sie, wenn du uns alles erzählst. Wo ist Beznor?« »Gib sie mir!« Grtak knurrte grollend und sprang hoch, um Fortnar die Rolle aus der Hand zu reißen. Vergeblich. Wieder ließ er aus tiefster Kehle ein Knurren ertönen. »Die Scheußliche wollte wissen, wer zu Zamorras Familie gehört.« Durch die Archivare ging ein erschrecktes Quieken. »Zur Familie dieses elenden Weißmagiers? Und? Hast du es ihr gesagt?« »Das gehört nicht zu meiner Kernkompetenz!«, schrie Grtak erbost, weil Fortnar ihm immer noch nicht die Rolle geben wollte. Fortnar zog die Lefzen hoch. »Nicht deine Kernkompetenz! Es gehört zum Wissen, das man als guter Archivar haben sollte, wer das ist und wer in diesem Zusammenhang gefürchtet werden sollte! Jeder hier kann die wichtigsten Weißmagier neben dem Verbannten, dem Bruder des Verräters Asmodis, nennen!« »Wir waren viel zu erschrocken, um etwas sagen zu können!«, ließ sich jetzt dumpf eine Stimme aus einem anderen Bücherstapel hören.
»Du bist später auch noch dran, Sovel!«, schrie Fortnar. »Ihr habt uns mit eurem Schweigen vor der Ekligen in allerhöchste Gefahr gebracht – und nicht nur uns, viel schlimmer, unsere Schutzbefohlenen! Was, wenn es der Grässlichen einfällt, diese Katakomben hier zu vernichten? Was, wenn sie die Bücher angreift?« »Was hätten wir ihr sagen sollen, deiner Meinung nach?« »Hört auf, euch zu streiten«, erklang auf einmal eine vornehme, leise Stimme. Die Archivare fuhren alle herum. Grtak nutzte die Gelegenheit und riss dem abgelenkten Fortnar das kostbare Pergament aus der Hand. Mit leuchtenden Augen strich er sanft mit seinen Krallen über die Urkunde. Die Buchstaben glühten kurz orange auf und waren damit konserviert. Hier in den Katakomben der höllischen Archivare würde dieser Schriftrolle nichts mehr passieren. Grtak huschte, seinen Schatz vorsichtig an sich gedrückt, in seinen Bau. »Nun, will mir nicht jemand sagen, was hier los ist?« Die Wölfischen fingen sich und verbeugten sich hastig vor der relativ kleinen Gestalt, die in einem schwarzseidenen, langen Gewand im chinesischen Stil vor ihnen stand. Schon bevor Fu Long zum Fürsten der Finsternis geworden war, hatte er sich dank einiger wirklich wertvoller Schriftrollen der absoluten Loyalität der höllischen Archivare versichert. »Meister der Finsternis!«, wagte Fortnar, der Mutigste unter ihnen, das Wort zu ergreifen, als er merkte, dass kein anderer dem Vampir zu antworten wagte. »Stygia, die Ministerpräsidentin des Kaisers LUZIFER, bat uns zu sich und wollte wissen, wer zu den engsten Vertrauten des verdammenswerten Weißmagiers Zamorra gehört.« »Und ich bin sicher, ihr habt es sie wissen lassen. Ihr wisst so gut wie ich, dass der Drache, der im Schloss des Professors lebt, krank ist.« Die Wölfischen schwiegen wieder. Grtak lauschte in seiner Behausung auf die Stille, die sich bedrohlich in den Reihen der Bücher
breitmachte. Wie den anderen war es auch ihm unheimlich, dass der Fürst der Finsternis immer über alle Entwicklungen der Hölle und auch der Erde – soweit es die magischen Menschen darauf betraf –, Bescheid wusste. Das hatte er gerade wieder unter Beweis gestellt. Die teuflischen Archivare und besonders Fortnar, dessen Lieblingsthema die Entwicklung der magischen Menschen auf der Erde war, wussten allerdings nicht, ob das ein gutes Zeichen war oder nicht. Aber dann schob Grtak, wie wohl auch die anderen, den Gedanken weit von sich fort. Die Schriften, die Fu Long ihnen immer wieder brachte, waren zu wertvoll und wogen jedes Risiko auf. »Meister«, sagte er schließlich und trat hinter einem Stapel Manuskriptrollen hervor. Die Krönungsurkunde Ottos des Ersten hatte er da versteckt, wo selbst Fortnar sie nicht wiederfinden konnte. Seine Kollegen machten ihm eilig Platz, so als fürchteten sie, dass der Zorn des Fürsten der Finsternis sie zerschmettern würde, wenn sie nicht schnell genug auswichen. Grtak trat zögernd ein paar Schritte vor und sank in die Knie. »Meister, wir wagten es nicht.« »Ich schlage vor, dass einer von euch losgeht und Stygia mitteilt, was sie wissen will«, meinte Fu Long. »Ich bin sicher, sie wird zornig, wenn sie noch lange warten muss.« Die Wolfsähnlichen sahen sich betreten an und starrten dann auf Grtak. »Nein!«, schrie der, als er das bemerkte. »Ich werde das nicht schon wieder tun. Kommt überhaupt nicht in Frage!« »Ich denke, es sollte der Mutigste unter euch sein, einer, der beim letzten Mal nicht bei der Präsidentin war. Damit sie nicht auf den Gedanken kommt, dass ihr dumm seid oder ihr Informationen vorenthalten wollt. Denn das wollt ihr doch nicht, oder?« Wieder herrschte betretenes Schweigen. Fortnar wand sich. »Mein Fachgebiet ist etwas ganz anderes! Auf keinen Fall die Weiße Magie!«, quetschte er mühsam hervor. Fu Long nickte, ohne eine Miene zu verziehen, und Grtak, der vor-
sichtig aufzublicken wagte, konnte nicht erkennen, ob der Fürst der Finsternis Fortnars Lüge durchschaute oder nicht. »Ich verstehe. Du willst sicher sagen, es sei nicht deine Kernkompetenz. Aber ich bin sicher, dass es Stygia nicht darum geht. Du wirst ihr die Wahrheit sagen. Wer derzeit zum engsten Kreis der Menschen rund um diesen Weißmagier gehört. Das ist nicht gerade Herrschaftswissen.« Dass es für die Ministerpräsidentin LUZIFERs nicht gerade ein Ruhmesblatt war, dass sie diese Personen nicht aus dem Effeff aufzählen konnte, sondern erst langwierig die teuflischen Archivare mit der Recherche nach diesen Leuten beauftragen musste, erwähnte der Fürst der Finsternis nicht. Er durchbohrte Fortnar mit seinem Blick, der keine Zweifel daran aufkommen ließ, dass es sich nicht um eine Bitte, sondern um einen Befehl handelte. »Du wirst gehen. Ich werde dich hier mit den anderen erwarten.« Fortnar sah noch einmal auf und hoffte, in den Gesichtszügen des chinesischen Vampirs ein Anzeichen dafür zu finden, dass dieser es nicht ernst meinte. Vergeblich. Er stand auf. Es war klar, er würde gehen müssen.
* Zamorra. Nicole Duval. Doch, eine umfangreiche Liste, die ihr dieses wolfsähnliche und äußerst abscheuliche Wesen, dieser Biblo-, Biobet- … na, dieser Archivar eben, da gebracht hatte. Sehr umfangreich. Sie beschloss, dieses Archiv im Auge zu behalten. Bisher hatte sie diese Wesen und ihren Daseinszweck ignoriert – eine Dämonin wie sie hatte Besseres zu tun, als in alten Büchern zu wühlen. Aber sie konnte nicht leugnen, dass diese Höhlen voller Bücher durchaus ihren Sinn hatten. Das konnte ihr als Ministerpräsidentin durchaus nützlich sein.
Der Butler, die Köchin, der Erbfolger. Beim letzten Namen blieben die dunklen Augen Stygias kurz hängen. Der Erbfolger. Ein junges Bürschchen, das gerade erst seine Magie entdeckte und noch gar nicht imstande war, abzusehen, was das für ihn bringen mochte. Dieser Rhett irgendwas würde ein einfaches Opfer sein. Es würde Zamorra sicher empfindlich treffen, wenn er feststellen musste, dass der Erbfolger keinen Auserwählten mehr zur Quelle des Lebens geleiten konnte! Ein harter Schlag, besonders nach dem Tod des abtrünnigen Merlin. Nein, erklang da auf einmal eine Stimme in ihre Zufriedenheit hinein. Das ist doch kein Gegner. Bist du schon so tief gesunken, dass du es mit einem Kind aufnehmen musst, um dich zu beweisen? Stygia erstarrte. Schon wieder dieses Andere in ihr, das ihr so missfiel und das sich jedem Versuch widersetzte, es aus ihr zu entfernen, es zum Schweigen zu bringen oder sonst irgendwie zu beeinflussen. Jetzt pfuschte es ihr auch noch in ihre Pläne! Das hatte es noch nie getan. Wie schon so oft spürte sie irrationale Wut in sich aufsteigen. Sie hatte das Gefühl, den ganzen riesigen Thronsaal in Stücke reißen zu müssen, so wütend war sie. Ach, und was schlägst du vor? Sie musste sich beherrschen, um die Frage nicht laut zu stellen. Hinterher hätte man ihr noch nachsagen können, dass sie mit sich selbst redete. So weit kam es noch. Doch das Andere in ihr – sie weigerte sich, dieses Wesen, das sich in ihr eingenistet hatte, als Kind zu bezeichnen –, das sich gnadenlos in alles einmischte, was sie in letzter Zeit zu entscheiden geruhte, tat ihr nicht den Gefallen, sich noch einmal zu äußern. Es schwieg. »Was auch immer Ihr vorhabt, Herrin«, erklang auf einmal eine träge Stimme neben Stygia, »es wird sicher Erfolg versprechend sein.« Sie schreckte auf. War ihr ihr innerer Kampf so stark anzusehen? Sie warf einen misstrauischen Blick auf die Gestalt neben ihr. Der schöne Vampir, der Gespiele ihrer letzten Tage, warf ihr einen laszi-
ven Blick zu. Stygia überlegte kurz. Es war gefährlich, auf den Ratschlag anderer zu hören, das wusste sie. Und ob es sonderlich schlau war, sich ausgerechnet auf diesen Kerl hier zu verlassen? Wusste sie überhaupt, wo er herkam? Er war eines Tages einfach hier aufgetaucht. Weil er schön war und sich ihr demütigst angeboten hatte, hatte sie ihn in ihre Dienste genommen – und es hatte sich gelohnt. Bisher. Aber vielleicht war es andererseits ja auch gar nicht so dumm, sich erst einmal anzuhören, was er zu sagen hatte. »Warum sollte ich das tun? Und warum sollte ich auf das hören, was du sagst?« »Bedenke, Herrin, du willst jemanden angreifen, um dir Ehre zu verschaffen. Das ist lobenswert.« Stygia zog die Brauen zusammen. Das klang genauso wie dieses vermaledeite Ding in ihr. Das ärgerte sie nur noch mehr. »Du solltest zusehen, dass du dich nicht um Kopf und Kragen redest! Raus mit der Sprache, was willst du mir damit sagen?« »Ehrwürdige, ich will nichts weiter sagen, außer dass du recht mit allem hast, was du tust.« Siehst du, selbst dieser dumme Vampir rät dir zu tun, was ich dir vorschlage. Du solltest auf ihn hören, wenn schon nicht auf mich. Stygia knüllte die Liste zu einem Ball zusammen und schleuderte ihn in eine Ecke. Sie stand auf und ging ein paar Schritte hin und her, bevor sie vor dem Jüngling stehen blieb. »Warum sagst du mir das? Wer hat dir gesagt, dass du mir schmeicheln sollst?« Der Vampirjüngling rekelte sich. Ein maliziöses Lächeln spielte um seine Lippen. »Herrin, du musst nichts tun, was ich dir sage. Woher sollte wohl einer deiner Gegner so schnell wissen, was du zu tun wünschst?« Stygia starrte auf den jungen Mann herunter. Hatte er nicht recht? Sie hatte sich erst vor einigen Stunden dazu durchringen können, etwas gegen Zamorra und seine Familie zu unternehmen. Aber was,
wenn einer der rivalisierenden Erzdämonen hinter seinem Ratschlag stand? Ärgerlich warf sie sich in ihren Thron und beschloss, den Vampir Vampir sein zu lassen. Er hat dennoch recht. Schon wieder du! Stygia musste sich zusammennehmen, um nicht sofort im wahrsten Sinne des Wortes Gift und Galle zu spucken. Es kann dir doch egal sein, wer dir hier etwas rät. Hauptsache, du tust am Ende das Richtige. Stygia hielt kurz inne. So wenig ihr das passte, aber da hatte das Andere in ihr recht. Sie beschloss, dem Rat zu folgen. Der Vampir konnte von ihrem … nun ja, Innenleben nichts wissen. Und wenn er von allein darauf kam, dann war es vielleicht gar keine so dumme Idee. Sie verdrängte den Gedanken daran, dass sie nicht von allein auf diese Idee gekommen war, und beschloss, nach vorn zu sehen. Es versprach eine Menge Spaß, Zamorra nicht selbst anzugreifen, sondern doch lieber ein Mitglied seiner Bande. Man könnte sie alle in einen Sack stecken und drauf herumtrampeln, dachte Stygia. Man würde trotzdem immer den Richtigen treffen. Und davon abgesehen, dass ich etwas in dieser Richtung tun muss, um meine Position zu festigen, würde es sicher auch Spaß machen, Zamorra einmal ordentlich leiden zu sehen. Sie warf sich lachend in ihren Thron. Dieser Drache lag laut den Informationen der Archivare im Koma. Woher die so etwas überhaupt wissen?, fragte sie sich unwillkürlich. Aber sie beschloss, das nicht weiter zu hinterfragen. Die Antwort darauf war zu kompliziert. Darum würde sie sich ein anderes Mal kümmern. »Schleppt diesen Wolf wieder herein!«, schrie sie schließlich. Fortnar wurde von unzähligen Irrwischen hereingezerrt, die sich in seinem spärlichen Fell festgekrallt hatten und nach Leibeskräften an dem widerstrebenden Archivar zu ziehen schienen. Schließlich waren sie vor dem Thron Stygias angekommen und drückten Fortnar mit vereinten Kräften auf die Knie.
»Diese Liste hat mir bereits geholfen«, schnurrte Stygia wie eine Katze und sah entzückt, dass dem Archivar ein Schauder über den Rücken lief. Sie ließ noch einmal ein kehliges Schnurren erklingen und sorgte auf der Stelle dafür, dass ihre Augen ebenfalls Katzenform annahmen. Auch ihre Körperpheromone wurden auf einmal »kätzisch«. Der Wolf vor ihr quiekte vor Furcht, und zu ihrer Freude wand er sich auf einmal. Er schien ihre Nähe nicht mehr ertragen zu können, aber er wagte auch nicht, aufzustehen und zu gehen. »Nun, mein Lieber«, schnurrte Stygia weiter, trat vor und ließ einen Fingernagel hinter dem spitzen Ohr des Archivars entlanggleiten. Seine Panik übertrug sich auf sie und ließ sie vor Wonne schaudern. »Und jetzt verrate ich dir, was du und deine Freunde als Nächstes zu tun haben …«
* »Sind wir so weit?« Zamorra tastete die Tasche ab. Ein paar Sachen aus seinem magischen Einsatzkoffer hatte er in die Tasche gesteckt, Dinge, die Magie bewirken oder neutralisieren konnten. Einen Blaster der Ewigen trug der Meister des Übersinnlichen am Gürtel. Nicole hatte sich in ihren Kampfanzug gezwängt. Sie zog den hautengen, schwarzen Lederoverall immer dann an, wenn sie und Zamorra sich im Einsatz auf fremden Welten oder in anderen Dimensionen befanden. An der Hüfte hatte sie den Blaster an die Magnetplatte geheftet. Den Dhyarra hatte Zamorra in der Hosentasche, im Anzug war nicht wirklich viel Platz für so etwas. »Ja«, meinte sie knapp. »Dann lass Taran mal das Weltentor erschaffen.« Zamorra verschob einige Hieroglyphen am Rand der Silberscheibe von Merlins Stern und konzentrierte sich. Die Luft vor den beiden Dämonenjägern begann zu wabern und formte ein … ja, ein Loch von rund zwei Meter Durchmesser im Raum. Dahinter war es nur
spärlich beleuchtet. Nicole sah zu Zamorra hinüber. Der erwiderte den Blick und zuckte mit den Achseln. Natürlich wussten sie nicht, wo genau das Tor hinführte und ob sie danach wieder imstande sein würden, es erneut zu öffnen. Aber das mussten sie jetzt riskieren. Und zwar bald, denn Weltentore zu schaffen, kostete Kraft. Zamorra würde dieses hier nicht lange aufrecht erhalten können. Beide schritten kurz nacheinander durch das Loch im Raumzeitkontinuum. Beinahe sofort schloss der Professor das Tor hinter sich wieder. Er atmete kurz durch. Das Weltentor hatte spürbar Kraft gekostet, aber jetzt konnte er sich keine Schwäche leisten. Er hatte hier etwas zu erledigen. Die Höhle – denn offensichtlich war es eine – war düster und nur von phosphorartigen Adern an der Wand beleuchtet. Keine Fackeln. Auf dem Boden, vor den grob aus dem Fels geschlagenen Wänden lagen Steine. Soweit hatte Vassago wohl offenbar die Wahrheit gesagt. »Diese Dinger da sehen aus wie diese geschmacklosen, beleuchteten Salzsteine, die immer wieder modern und nicht totzukriegen sind«, meinte Nicole halblaut. »Na, ein Fashion-Junkie wie du muss es ja wissen«, murmelte Zamorra und ging vorsichtig ein paar Schritte nach vorn. Leise Stimmen und Geraschel waren zu hören, doch man konnte nicht sehen, wo der Gang endete. Nicole folgte ihm. Kurz bevor der Gang eine Kurve machte, blieb der Meister des Übersinnlichen stehen und drückte sich an die Wand. Nicole fragte nicht lange, sondern machte es ihm nach. Beide lauschten, konnten jedoch nichts hören. Plötzlich ertönte ein lautes Heulen und Knurren.
* Zarkahr sah sich verstohlen im Thronsaal der Ministerpräsidentin
um. Eine Menge der obersten Erzdämonen waren hier versammelt, wahrscheinlich waren sie wie er von der Linken Hand LUZIFERs hierher zitiert worden. Er ärgerte sich wie schon so oft darüber, dass er einer so dummen Person wie dieser Stygia gehorchen musste. Ich würde wirklich gern wissen, wie sie es geschafft hat, ohne unsere Hilfe so weit zu kommen. Jetzt ist sie da, wo wir sie eigentlich nie haben wollten. Und alle gehorchen ihr und sind tatsächlich gekommen. So viel Autorität hat sie also schon über uns. Selbst Astaroth und Grohmhyrxxa, der Fliegendämon, waren hierher bestellt worden und waren in der Menge der anderen Dämonen zu erkennen, die jetzt die Thronhalle füllten. Doch es fiel auf, dass nicht alle obersten Dämonen erschienen waren. Nur einige der Erzdämonen. Handverlesen wahrscheinlich, so dass man ihnen verkünden konnte, was hier vor sich ging, ohne sich allzu großer Gefahr auszusetzen. Für einen Moment erlaubte Zarkahr sich den Gedanken, wie angenehm es gewesen wäre, nicht zu erscheinen. Er stellte sich Stygias Wut und ihre Demütigung vor. Doch der Gedanke, was dann wohl mit ihm passiert wäre, folgte diesen behaglichen Vorstellungen auf dem Fuß. Und Zarkahr verdrängte ihn schnell, zusammen mit den ketzerischen Vorstellungen über eine blamierte Stygia – wer in diesem Thronsaal auch nur die geringsten Anzeichen dafür zeigte, dass seine Loyalität anzweifelbar war, dem konnte es schlecht ergehen. Also gut, hören wir uns an, was sie zu sagen hat, dachte der Dämon, der sich auch DER CRER nannte. Auch wenn er sich schon denken konnte, worum es hier gehen würde: Höchstwahrscheinlich wollte Stygia eine Machtdemonstration vorführen. DER CORR hatte das eigentlich schon viel früher erwartet und war gespannt, was sich diese Schlampe auf dem Höllenthron ausgedacht hatte. Man kann nur hoffen, dass sie nicht glaubt, es sei mit ein wenig Feuerwerk getan. »Meine Untertanen!«, donnerte es mit einem Mal magisch verstärkt durch die Halle und Zarkahr musste an sich halten, um nicht
ärgerlich zu schnauben. Untertanen! Er war niemandes Untertan, LUZIFER den Kaiser einmal ausgenommen. Ansonsten war er ganz sicher, nicht der Untertan dieser … Er kam nicht dazu, den Gedanken weiter zu spinnen. Stygia hatte sich erhoben, die Flügel entfaltet und ging jetzt, ihren Körper und ihre elegant geschwungenen Kopfhörner stolz präsentierend und eine lange rot glühende Peitsche in der Hand, langsam vor der Reihe der Versammelten auf und ab. »Ich habe euch hier zusammengerufen, weil ich der Ansicht bin, dass es an der Zeit ist, meine Macht zu demonstrieren.« Sie blieb stehen und betrachtete die Dämonen, die vor ihr knieten. Nur einige wenige standen noch und beobachteten sie aus den Augenwinkeln. Sie betrachtete sie, als wolle sie sich die Namen derer merken, die ihr mit so wenig Respekt begegneten. Doch niemand machte den Fehler, diese Ankündigung zu kommentieren. Stygia ließ die Peitsche leicht hin und her schwingen und sprach weiter. »Ich werde euch nicht sagen wie. Das ist meine Sache und ich werde nicht den Fehler machen, euch davon zu erzählen. Aber ich wollte dafür sorgen, dass ihr wisst – was ihr in nächster Zeit hören werdet, kommt von mir.« Aha, sie scheint dazuzulernen, dachte Zarkahr und warf der Ministerpräsidentin einen spöttischen Blick zu. Doch diese sah nicht zu ihm hin – ein anderer der Höllenoberen verlangte nach ihrer Aufmerksamkeit. Fu Long, der Vampir, der jetzt wohl Fürst der Finsternis geworden war. Er war der Einzige, der ihr das Gesicht zugewandt hatte. Seine Miene war undurchdringlich und Zarkahr bemerkte erstaunt, dass seine Züge so entspannt waren, dass man hätte meinen können, er lächle. Aber natürlich war das unmöglich – in Gegenwart der Ministerpräsidentin LUZIFERs lächelte niemand. Oder? Stygia schien sich die gleiche Frage zu stellen, doch Fu Longs Ge-
sichtsausdruck änderte sich nicht. Irritiert schien Stygia sich erst wieder sammeln zu müssen, bevor sie weitersprach. »Ich weiß … ich weiß genau, dass die meisten von euch denken, ich sei für diesen Posten nicht geeignet. Nun, ihr werdet schon bald eines Besseren belehrt sein. Ihr seid entlassen.« Sie winkte kurz mit ihrer glühenden Peitsche – wohl nur LUZIFER selbst wusste, wo sie die her hatte – und sie alle konnten gehen. Zarkahr mischte sich unter die Dämonen, die nun respektvoll den Thronsaal verließen und überlegte, was als Nächstes zu tun sei. Dieser elenden Nachgeburt Shub-Nigguraths musste Einhalt geboten werden, so viel stand fest. Stygia hatte zwar nicht sagen wollen, was sie plante, aber Zarkahr konnte sich nicht vorstellen, dass es etwas wirklich Eindrucksvolles war. Doch eines war mindestens ebenso sicher: Alleine würde er nichts gegen Stygia ausrichten. Er würde sich der Hilfe der anderen Erzdämonen versichern müssen.
* Zamorra drückte sich eng an die Höhlenwand. Nicole stand neben ihm. Was auch immer diese Geräusche verursachte, es klang, als sei in der Höhle, in die dieser Gang mündete, ein wild gewordenes Wolfsrudel unterwegs. Von der Stille, die man in Bibliotheken und Archiven auf der Erde erwartete, war nichts zu spüren. Die beiden Dämonenjäger sahen sich an. Was auch immer nebenan zugange war, es klang nicht so, als gehöre es hier hin. Aber dennoch: Zamorra und Nicole wussten, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als jetzt dorthin zu gehen. Nicole umfasste den Blaster, der an der Magnetplatte an ihrem Gürtel hing, und Zamorra berührte leicht das silberne Amulett, das er um den Hals trug. Es war nicht gerade glühend heiß, aber doch beinahe schon zu warm, um es anzufassen und das weckte in Za-
morra die Hoffnung, dass es – falls sich Dämonen nebenan befanden – doch noch eingreifen würde. Als Nicole und der Professor den rundlichen Raum vor ihnen betraten, staunten sie nicht schlecht. In der Mitte der niedrigen, halbrunden Wände, deren Ende nicht absehbar war, standen endlose Reihen von Regalen. In diese waren in scheinbarer Unordnung unzählige Papiere, Pergamente, uralte Folianten, Bücher und andere Schriftstücke gestopft. Zamorra schauderte beim Anblick und konnte nur hoffen, dass sich hier ein Genie befand, das das Chaos beherrschte. Doch ein unterdrücktes Kichern neben ihm lenkte seine Aufmerksamkeit auf das seltsame Rudel Lebewesen hier vor ihm und beraubte ihn sehr schnell dieser Hoffnung. Nicole grinste, und Zamorra konnte sich schon denken, warum. Vor den beiden Dämonenjägern standen rund zehn bis fünfzehn aufrecht gehende Wölfe. Oder jedenfalls ähnelten diese Wesen Wölfen. Auf der anderen Seite sahen sie aus wie zu klein geratene Werwölfe aus einem billigen Horrorstreifen. Eitrige Pusteln bedeckten ihre schlaksigen und viel zu mageren Körper. Die meisten dieser Wesen, die Zamorra gerade mal bis zur Brust reichten, standen um zwei andere herum, die sich wie zwei Schulkinder zu prügeln schienen, und hatten, davon völlig in Beschlag genommen, noch keine Notiz von den beiden Dämonenjägern genommen. Zamorra räusperte sich, doch erst als Nicole laut durch die Zähne pfiff, fuhren die Wolfswesen auseinander. Stille breitete sich aus. Die Wesen krabbelten und wichen zurück, als sie der beiden Eindringlinge gewahr wurden. Einer der beiden Kämpfenden, die sich immer noch in den Fängen hatten, jaulte leise auf. Zamorra überlegte noch, ob das vielleicht eine Frage gewesen war, da hörte er schon so eine Art Übersetzung. »Was wollt ihr hier?«
Es war Nicole, die antwortete. »Wir suchen hier jemanden, der zuständig ist.« »Das sind wir.« – »Was wollt ihr?« – »Wir kennen euch!« Als würde ein Hund sprechen, fuhr es dem Meister des Übersinnlichen durch den Kopf. Die Fragen wurden in einem Tonfall gestellt, der Verachtung deutlich werden ließ. »Ihr kennt uns?«, meinte er schließlich überrascht. »Das tun wir«, meinte einer der Wölfischen, von denen Zamorra kaum glauben konnte, dass es wirklich die … ja, die Archivare waren. »Jeder hier in diesem Archiv kennt euch. Ihr seid dieser Weißmagier, der gegen die Hölle kämpft. Was wollt ihr hier?« »Jetzt muss man sich schon von einem Hund blöd anmachen lassen«, murmelte Nicole und Zamorra musste ein Grinsen unterdrücken. Sein Amulett hatte sich zwar nicht abgekühlt, aber wärmer war es auch nicht geworden. Viel Gefahr schien hier nicht zu bestehen. Immerhin war das »Frühwarnsystem«, eines der Amulettsysteme, die nach wie vor zu funktionieren schienen. »Wir wollen etwas von euch. Wir brauchen einen Rat.« »Und was veranlasst euch, bei uns nach einem solchen nachzusuchen?«, knurrte eines der Wesen feindselig. »Wir suchen nach einem Schriftstück, das uns Aufschluss über die magische Krankheit unseres Freundes geben kann. Er ist ein Drache. Er lebt bei uns.« Eines der Wesen knurrte und zog die Lefzen hoch. Zamorra spürte, wie seine Anspannung sich erhöhte. »Ich frage euch noch einmal: Warum fragt ausgerechnet ihr bei uns danach? Und was veranlasst euch, zu glauben, wir würden eurem Wunsch entsprechen?« Zamorra wechselte einen kurzen Blick mit Nicole. Damit hatte er ja nun nicht gerechnet. Ganz schön blöd war ich da wohl, dachte er und hätte sich für einen Moment ohrfeigen können. An Bestechung hätte ich auch eher denken können. Doch dann kam ihm blitzartig ein Gedanke. Doch bevor er seine Idee ausführen konnte, hatte Nicole be-
reits ein altes Pergament aus einem Stapel im Regal neben ihr gerissen und hielt es mit zwei Händen fest. Beinahe sah es so aus, als würde sie es einen Moment später zerreißen wollen. Einer der Archivare quiekte entsetzt auf – es klang wie ein getretener Hund, schoss es Zamorra durch den Kopf – und sprang nach vorn, offenbar wollte er Nicole das Schriftstück entwenden. Doch sie entzog es ihm mit einem ärgerlichen Zungenschnalzen. »Ts, das solltest du nicht tun. Ich würde es zerreißen – und nicht nur das, mit meinem Blaster hier könnte ich die ganze Bude in Brand stecken.« »Neiin«, heulte der Wolf auf. »Na los!«, schrie er seine stocksteif dastehenden Kollegen an. »Los, gebt diesen Teufeln in Menschengestalt schon, was sie wollen, damit sie hier verschwinden.« Mit einem lauten Bellen stoben die Archivare auseinander und verschwanden irgendwo in den Tiefen des Raums zwischen den Regalen. Es raschelte und knisterte hektisch zwischen den Papieren, Folianten und Büchern, so dass Zamorra halblaut zu Nicole sagte: »Guter Trick. Scheint zu funktionieren. – Ich brauchte Informationen darüber, wie man Drachenkrankheiten pflegen und am besten heilen kann!«, rief er in die Regale hinein. Doch es dauerte noch ein paar unendlich lange Minuten, in denen der Archivar vor Nicole sie nicht eine Sekunde aus den Augen ließ. »Chef«, murmelte sie schließlich. »Meine Arme werden langsam steif!« »Hey!«, schrie Zamorra noch einmal in die Schränke und Bücherstapel. Er ging ein paar Schritte weiter vor, um zu sehen, was die Wolfsähnlichen da wohl taten. In einem der Regale direkt vor ihm ertönte ein erschrockenes Quieken. Es raschelte noch hektischer als vorher und Zamorra tat der Archivar vor ihm fast Leid. Es gab wohl wirklich, nichts Schlimmeres als Büchervernichtung für diese … ja, was genau waren sie eigentlich? Dämonen war wohl, der Wärme des Amuletts nach zu urteilen, nicht unbedingt die richtige Kategorie. Archivare eben, dachte er. Und eigentlich sind sie in ihrer Sorge über
ihre Bücher, Urkunden und Manuskripte schon wieder irgendwo … menschlich. Schließlich kam doch einer der Archivare angelaufen. Auf allen vieren, weil es so wohl schneller ging, wie Zamorra irritiert bemerkte, hatte er bisher die Wölfischen doch immer aufrecht gehend erlebt. Der Archivar bremste und schlitterte noch ein Stück, bevor er einen verhältnismäßig dünnen Folianten vor Zamorras Füße fallen ließ. Er hatte ihn vorsichtig, um keinen Abdruck zu hinterlassen, zwischen den Zähnen herangetragen. »Fabelwesen sind mein … mein Spezialgebiet«, fiepte er leise und beinahe erschöpft. »Dies sollte Euch helfen können. Es gibt ein Kapitel darin, das sich mit dem magischen Koma wie das Eures Drachen befasst.« Er schien zu zittern und zuckte noch einmal zusammen, als Zamorra das Buch vorsichtig aufhob. Er ließ den Archivar dabei nicht aus den Augen. Das Wesen schien noch mehr zu leiden als bisher, als er das kostbare Buch in den Händen des verhassten Weißmagiers sah. Ein leises Winseln konnte er offenbar nicht unterdrücken. Zamorra wurde von Mitleid erfasst, ebenso wie Nicole, die das Pergament jetzt wieder sinken ließ und einen Blick mit Zamorra tauschte. Sie hielt dem Archivar, der sie nicht aus den Augen gelassen hatte, das Schriftstück hin. Er grapschte es sofort und huschte mit seinem Schatz davon. »Ich biete euch an, dieses Buch wieder zurückzubringen«, sagte Zamorra auf einmal und spürte auf der Stelle, wie ihn Nicoles Blicke von der Seite durchbohrten. Er ignorierte sie. »Ich werde es allerdings kopieren, wenn es euch recht ist. Aber es soll nicht zu Schaden kommen.« Der Archivar, der vor ihm winselte, sah ungläubig hoch. Auch die anderen Wölfischen konnten soviel Großmut nicht fassen und sahen misstrauisch zu Zamorra hin. »Ich verspreche es«, wiederholte Zamorra. »Ich werde es einige
Tage meiner Zeit behalten, aber dann bringe ich es wieder zurück.« Er wollte schon sagen, dass das Buch keinen besonderen Wert für ihn habe, doch er konnte sich im letzten Moment zurückhalten. Das war hier wohl nicht angebracht, wenn er wenigstens einen Rest Achtung dieser Kreaturen behalten wollte. »Es geht mir um die Informationen darin, nicht um das Buch an sich«, sagte er also. Die Archivare wagten kaum, an ihr unerhörtes Glück zu glauben. »Ihr versprecht, es zurückzubringen?« »Ja. Wenn ihr niemandem sagt, dass wir hier waren.« Nicole sah Zamorra verblüfft an. Er erwiderte den Blick achselzuckend und wandte sich zum Gehen. Sie folgte ihm, als er schnell das Weltentor ins Schloss öffnete und mit ihr darin verschwand, bevor die Archivare es sich anders überlegen konnten.
* »Ich möchte wirklich wissen, was du dir dabei gedacht hast, Chef!«, sagte Nicole, als sie durch das Weltentor wieder ins Arbeitszimmer des Châteaus getreten waren. Der leuchtende Lichtwirbel verschwand und Zamorra atmete wieder tief durch. Er sah auf das schwere, ledergebundene Buch in seiner Hand. Es war für die Zeit, in der es entstanden war, nicht sonderlich groß, es war das, was man gemeinhin als Quartband bezeichnete und entsprach damit in etwa dem DIN-A4-Format. Es war schwer, aber nicht unhandlich. »Ich muss sagen, das war eine Entscheidung aus dem Bauch heraus«, murmelte Zamorra und ging mit dem Buch zu seinem hufeisenförmigen Schreibtisch. Dort legte er es in der Nähe des Scanners ab. »Du willst also ernsthaft noch mal in die Hölle zurück, um ein Buch zurückzugeben?« Nicole war fassungslos. »Besuchen Sie die Leihbücherei der Hölle. Geöffnet täglich zwischen Geisterstunde und nach Schließung der Folterkammern. Ermäßigungen für über-
korrekte Weißmagier.« Zamorra ging nicht auf ihre sarkastischen Scherze ein. »Nici, hast du das Wesen da vor mir gesehen? Ich kam mir unglaublich schäbig vor. Es scheint für diese Archivare nichts Schlimmeres zu geben, als eins ihrer Bücher hergeben zu müssen. Und wir können’s doch kopieren. Wir scannen es ein, dann werden wir es nicht vermissen. – Obwohl …«, fügte er seufzend hinzu, »ich zugeben muss, dass ich so ein kostbares Stück doch gern behielte.« »Na, jetzt hast du’s versprochen«, meinte Nicole sarkastisch. »Ich geh mich umziehen.« Diesmal verfehlte diese Ansage bei Zamorra die sattsam bekannte Wirkung. Er war schon damit beschäftigt, das Buch vorsichtig einzuscannen, denn nur so konnte man hinterher eine Suche nach dem Heilmittel starten, ohne erst mühsam Seite für Seite das mittelalterliche Dämonenlatein übersetzen zu müssen. Nicole zog eine Grimasse, lächelte dann aber. So kenne – und so habe ich ihn immer geliebt, dachte sie und ging, um sich aus ihrem Lederanzug zu schälen.
* Fu Long kehrte nachdenklich von der Versammlung bei Stygia nach Choquai zurück. Er kam wie immer, wenn er sich in der Hölle aufgehalten hatte, an einer unauffälligen Stelle hinter der Mauer seines Hauses an. Noch immer hielt er sich statt auf diesem düsteren unappetitlichen Knochenthron lieber in seiner Stadt auf, auch wenn diese unangenehme Erinnerungen bot. Und offensichtlich immer noch nicht ganz sicher vor dem Zutritt von Höllenwesen und damit den üblichen Intrigen in den Schwefelklüften ist, dachte er stirnrunzelnd, als sein alter Haushofmeister Liang ihm bestürzt entgegengeeilt kam, kaum dass Fu Long den Gartenhof mit den Pfingstrosen durch die kleine Tür in der Mauer betreten hatte. »Herr, Herr, du hast … hast Besuch!«,
sprudelte es aus dem alten Liang hervor. Er war im Gegensatz zu Fu Long kein Vampir, sondern »nur« ein Mensch. Jedoch war er einer, der als Diener schon seit Jahrhunderten in Choquai lebte und daher den Anblick von Dämonen, Vampiren und anderen magischen Wesen gewohnt war. Fu Long konnte sich kaum vorstellen, was den alten Liang so aufregen konnte. »Beruhige dich«, meinte er. »Du bekommst ja kaum Luft.« Liang rang um Atem. »Herr, deine Bibliothek ist verpestet! Dieser Gestank ist nicht auszuhalten! Zwei dieser fürchterlichen Dämonen aus der Hölle sind aufgetaucht und wollen unbedingt mit dir sprechen. Ich weiß wirklich nicht, was das soll!« Nach einem stirnrunzelnden Blick Fu Longs verneigte sich der Alte hastig und stürmte in unziemlicher Eile, die Hände in seine weiten Ärmel gesteckt, und mit fliegendem Zopf in Richtung Bibliothek davon. Fu Long stutzte kurz und folgte dem alten Liang in sein Arbeitszimmer, dessen Front auf diesen Hof ging. Schon bevor er über die fußhohe Schwelle trat, die die Erdgeister vom Eindringen abhalten sollte, stieg ihm ein äußert unangenehmer Schwefelgeruch in die Nase. Hier waren Dämonen, wie er es sich nach Liangs ungewöhnlichem Benehmen auch schon gedacht hatte. Kurz dachte Fu Long daran, dass es sich vielleicht um Asmodis, den ehemaligen Herrn der Hölle handeln konnte – einen der wenigen Dämonen, die er durchaus schätzte. Wären sie alle so, könnte ich an meiner neuen Aufgabe durchaus Gefallen finden und sie als Herausforderung sehen, dachte er. Doch als er das Zimmer betrat, blieb er für einen Moment stocksteif stehen. Eine der beiden Gestalten, die ungeduldig auf und ab gingen … war Lucifuge Rofocale denn nicht tot? Fu Long spürte, wie das Adrenalin in seinen Adern stieg, doch dann fiel ihm ein, wer das sein musste. Das war Zarkahr, DER CORR, und nicht der ehemalige Ministerpräsident der Hölle, den er selbst umgebracht hatte. Der Vampir spürte Widerwillen gegen diesen Dämon, noch bevor er ihn näher kennengelernt hatte.
Er musste sich selbst daran erinnern, dass er immerhin Fürst der Finsternis war. Ob ich mich je daran gewöhnen werde, das Oberhaupt der Hölle zu sein? Am liebsten würde ich hier in Choquai für den Rest meines ewigen Lebens bleiben und von allen in Ruhe gelassen werden. Aber der Wächter der Schicksalswaage wird sich schon etwas dabei gedacht haben, dass ich an dieser Stelle wirken soll. Er wusste, er sollte eine Art Gegengewicht zu Asmodis bilden, der nach dem Tod des Zauberers Merlin wiederum dessen Stelle hatte einnehmen sollen. Nun gut, er würde tun, was er konnte, bis er einen Weg gefunden hatte, das lästige Amt wieder los zu werden. Ruhig stieg er über die hohe Schwelle zur Bibliothek – die böse Geister eigentlich hätte abhalten sollen, diesen Raum zu betreten, dachte Fu Long amüsiert – und verneigte sich kurz vor den Gästen. »Willkommen«, sagte er höflich. Dass die beiden im Grunde seine Untergebenen waren, würde ihn nicht daran hindern, sie so zu behandeln, wie er es mit jedem Besucher in Choquai gewohnt war. Doch seine Gäste waren ihrerseits offenbar diese Höflichkeit nicht gewohnt. Sie erwiderten den Gruß nicht und sahen aus, als könnten sie nichts damit anfangen. Fu Long kümmerte sich nicht darum. »Liang, sei so freundlich und bringe uns Tee.« Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und wies auf die beiden Stühle, die davor standen. »Ihr habt mich aufgesucht. Was wünscht ihr?« Der CORR und der andere Dämon, der sich immer einen halben Schritt hinter Zarkahr hielt, reagierten beide zuerst nicht auf diese Aufforderung. Doch schließlich war es Astaroth, der nach einigen Sekunden verblüfften Schweigens auf einem der beiden kunstvoll geschnitzten Stühle Platz nahm. »Wir sind gekommen, um über Stygia zu sprechen, Fürst«, begann er, ohne noch einen Blick auf Zarkahr zu werfen. Es schien ihm egal zu sein, was dieser tat. »Stygia«, wiederholte Fu Long mit hochgezogenen Brauen. »Bevor ihr weitersprecht, solltet ihr wissen, dass ich mich an Intrigen gegen
sie nicht beteiligen werde. Ich bin schon unfreiwillig Fürst der Finsternis, ich habe kein wie auch immer geartetes Interesse daran, wer den Thron des Ministerpräsidenten der Hölle einnimmt.« »Ich habe dir gleich gesagt, dass wir Zeit verschwenden!«, grollte Zarkahr zornig. »Na los. lass uns gehen, Astaroth! Ich hätte überhaupt nicht erst auf dich hören sollen. Was soll dieses Weichei von einem Vampir auch schon ausrichten!« Zarkahr wandte sich zum Gehen, doch Fu Long machte eine kleine Handbewegung und der Dämon blieb wie angewurzelt stehen. Es dauerte einige Sekunden, aber dann war den beiden Dämonen bewusst, dass Fu Long Zarkahr gebannt hatte. Und offenbar war keinem von beiden klar gewesen, dass Fu Long das überhaupt konnte. DER CORR bemühte sich, sich aus dem Bannspruch zu befreien, aber es wollte ihm nicht gelingen. Astaroth wurde auf seinem Sitz unruhig und warf dem Fürsten der Finsternis schiefe Blicke zu. »Du solltest auch wissen, dass ich Respektlosigkeit in meinen vier Wänden nicht dulde.« Fu Long hatte seine Stimme kaum erhoben, aber dennoch klang sie hart und hatte etwas an sich, dass Zarkahr und Astaroth offenbar Furcht einjagte. »Die Ministerpräsidentin mag tun, was sie will. Wenn sie etwas plant, um ihre Herrschaft zu festigen, sei ihr das gegönnt – solange es mich und meine Stadt nicht betrifft.« »Das ist das Problem – jedenfalls meistens, großer Fürst«, beeilte Astaroth sich zu sagen. Es war klar, den Fürsten der Finsternis wollte er sich nicht zum Feind machen. »Jedes Mal, wenn sie in den letzten Jahren so geheimnisvoll getan hat, brütete sie etwas aus, das nicht nur Menschen, sondern auch in vielen Fällen der Hölle geschadet hat. Wir sind nicht einmal sicher, dass die weiße Stadt nicht überhaupt erst in die Hölle gekommen ist, weil sie in ihrem Kampf gegen Lucifuge Rofocale jegliches Maß verloren hat.« Fu Long starrte Astaroth kurz an, bevor er begriff, dass der Erzdämon einfach nur schamlos übertrieb, um ihn von seiner Meinung zu überzeugen. Die weißen Städte hatten nichts mit Stygia oder ihrem
Kampf gegen Lucifuge Rofocale zu tun gehabt, allerdings hatten sie aufgezeigt, dass auch den Mächten der Finsternis offenbar Grenzen gesetzt waren. Zarkahr wand sich immer noch, um sich aus dem Bannspruch zu befreien – zumindest versuchte er es. Es gelang ihm nicht. Astaroth schien das zu beunruhigen, wie Fu Long zufrieden feststellte. Es genügen doch wirklich oft kleine Dinge, um eine große Wirkung zu erzielen. »Was erwartet ihr also von mir?«, fragte er laut. »Wir hatten gehofft, oh Großmächtiger, dass Ihr herausfinden könntet, was sie vorhat. Wenn es etwas ist, das die Hölle in ihrer Existenz gefährdet, dann …« »Gequirlte Flugaffenscheiße!«, brüllte DER CORR, der sich immer noch nicht befreien konnte. »Stygia ist einfach ein Dorn im Auge jedes Dämons in der Hölle, der etwas auf sich hält! Sie spielt sich nur auf, das ist alles!« »Nicht ganz«, meinte Astaroth. »Ich gebe zu, ihre letzten gefährlichen Schachzüge hat sie in der Tat unternommen, um Lucifuge Rofocale loszuwerden. Und da habt Ihr ja durchaus ein gemeinsames Ziel gehabt, Fürst. Nur – wenn sie jetzt noch einen draufsetzen will, dann habe ich die Befürchtung, dass sie alles andere als nur ein einfaches Kunststückchen plant.« »Als ob diese Nachgeburt einer räudigen Ziege des großen YogSototh das könnte!«, grollte DER CORR. »Nun, sie hat es bereits ein- oder zweimal geschafft, Zarkahr! Es ist wohl kaum dienlich, wenn du das klein redest, auch wenn du Stygia für die dümmste Dämonin aller Zeiten hältst.« Zarkahr protestierte und wurde immer wütender, nicht zuletzt, weil Fu Long ihn immer noch nicht freigegeben hatte. Doch Astaroth blieb ihm nichts schuldig und schon bald war der schönste Streit im Gange. Der chinesische Vampir lauschte dem Schlagabtausch der beiden Erzdämonen und überlegte dabei. Vielleicht hatte Astaroth recht. Fu Long hielt Stygia nicht für wirklich intelligent, aber doch für so klug
und umsichtig, dass er nicht den Fehler begehen wollte, sie zu unterschätzen. Als er sich jetzt die Szene vor kurzem in Stygias Domizil wieder ins Gedächtnis rief, musste er Astaroth recht geben. Da war eine Selbstzufriedenheit in Stygias Ansprache gewesen, die ein wenig beunruhigend war. Fu Long hatte dank seiner Quellen eine gewisse Ahnung, was sie plante, aber hatte sich deshalb keine weiteren Gedanken gemacht – für zu vermessen hielt er die Idee, die die Ministerpräsidentin da vorhatte. Er glaubte wie Zarkahr nicht, dass sie das wirklich tun würde. Er hatte eigentlich nicht vorgehabt, sich einzumischen, aber das Auftauchen von Zarkahr, DEM CORR, und Astaroth rief ihm auch wieder ins Gedächtnis, dass er eine Aufgabe hatte: Die Hölle vor Unbill zu bewahren. Er konnte sich nicht mehr heraushalten – und dass er wusste, was Stygia vorhatte, verbesserte seine Lage nicht. Im Gegenteil. Er musste wider Willen lächeln. Ein schönes Paradoxon, in das ich da geraten bin. Widersinniger geht es nicht mehr. Um die zu schützen, die ich nie schützen wollte, muss ich jetzt vielleicht den warnen, der aufgrund meiner Position eigentlich mein größter Feind sein sollte. »Es ist genug«, unterbrach er schließlich die Streitereien, die immer lauter geworden waren und den alten Liang, der furchtsam das Teetablett auf einen kleinen Seitentisch gestellt hatte, so verschreckt hatten, dass er aus dem Arbeitszimmer seines Herrn förmlich geflohen war. Während Astaroth auf der Stelle schwieg, brüllte Zarkahr: »Ich tanze nicht nach deiner Pfeife, Vampir, auch wenn du zehnmal der Fürst der Finsternis bist.« Fu Long erlaubte sich ein kurzes Lächeln. »Das musst du nicht. Jedenfalls jetzt nicht. Du und Astaroth, ihr könnt gehen. Ihr werdet dabei meinem Haus und meiner Stadt nicht schaden, sonst wird es euch schlecht ergehen. Ich werde mich um die Sache kümmern.« Mit einer leichten Handbewegung löste er den Bann über Zarkahr.
Den traf die plötzlich wieder erlangte Bewegungsfreiheit so unversehens, dass er durch den plötzlichen Schwung seines Arms beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Wütend starrte er Fu Long an und hätte ihm wahrscheinlich liebend gern den Hals umgedreht, doch er wagte nicht mehr, sich gegen den Fürsten der Finsternis zu stellen. Astaroth starrte Fu Long verblüfft an. »Woher dieser Sinneswandel, Meister?« »Woher willst du wissen, dass ein Sinneswandel notwendig war?«, fragte Fu Long immer noch lächelnd. Dann beugte er sich wieder über seine neue Schriftrolle und achtete nicht mehr auf den Abgang der beiden Erzdämonen.
* Zamorra hätte das Klopfen an der Zimmertür beinahe überhört. Der Ausflug ins höllische Archiv hatte sich gelohnt. Der Quartband war schwierig zu lesen, Zamorra hatte ihn als Erstes eingescannt, damit er gleich auch ein Translatorprogramm, das in seinem Computer standardmäßig enthalten war, darüber laufen lassen konnte. Die Sprache, in der es verfasst war, war eine dämonische und Zamorra als eine der wenigen nicht bekannt. Das ließ darauf schließen, dass Drachen auch in der Hölle nicht sonderlich bekannt waren. Aber das Translatorprogramm, das Olaf Hawk seinerzeit in den Computer programmiert hatte, war verlässlich. Es hatte aus den seltsamen Zeichen, mit denen die Seiten bedeckt waren, schon bald eine Struktur extrahiert und so hatte es kaum eine Stunde gedauert, bis Zamorra anfangen konnte, das Buch zu lesen. Der wölfische Archivar hatte nicht gelogen. Es war in der Tat ein Buch darüber, wie man Drachen aufzog – und wie man sie erzog und unterwarf und ihre neutrale Energie auf die höllische Seite zog, so dass sie wirkte wie die rabenschwärzeste Magie der Hölle. Auch wenn Zamorra Letzteres natürlich nicht beabsichtigte, das Buch
schien nichtsdestotrotz Drachen auch als eine überaus kostbare Spezies zu werten, die es galt, gut zu pflegen. »Jedenfalls, was man in der Hölle darunter versteht«, murmelte Zamorra in seinen nicht vorhandenen Bart und betrachtete fasziniert ein detailverliebtes Bild von einem ausgewachsenen Drachen auf einer der Seiten aus Pergament. Jedenfalls glaube ich, dass es Pergament ist, fiel ihm auf einmal auf. Er runzelte die Stirn und strich mit dem Zeigefinger der rechten Hand über den Rand der Seite, die weder beschrieben noch bemalt war. Aber vielleicht will ich auch gar nicht genau wissen, was es eigentlich ist. Plötzlich spürte er jemanden hinter sich. Er drehte sich um und sah Nicole, die sich eine Jeans und T-Shirt angezogen hatte. »William ist bei Fooly. Ich habe ihm gesagt, was wir aus dem Archiv mitgebracht haben. Er ist gleich hier. – Hast du schon was gefunden?« »Ja«, meinte Zamorra und rollte seinen Schreibtischstuhl ein wenig zur Seite, damit Nicole sich neben ihn setzen konnte. »Sieh mal hier, es gibt ein ganzes Kapitel mit Heilmitteln, die angeblich die Magie eines Drachen bei der Heilung von Krankheiten nicht beeinflussen. Es ist sogar ein Heilmittel aufgeführt, dass einen Drachen nach einem weißmagischen Angriff wieder heilen soll, das scheint mir am vielversprechendsten zu sein. Allerdings wird dabei wohl vorausgesetzt, dass der Drache schwarzmagisch ist, was auf Fooly ja gar nicht zutrifft.« Nicole strich sich ihre schwarzen, langen Haare hinters Ohr und las aufmerksam das Rezept für das Kräutermittel. »Man zolte neman eine Prise Kranewitt und mizhe es dero Giftwurze, demo Anthoskrawutt, fioren Ounzen, und dreyen Blaten der Bluotbluomo bey … hey, was ist das für ein Mist?«, unterbrach sie sich selbst und sah ihren Gefährten stirnrunzelnd an. »Das ist die Computerentsprechung der mittelalterlichen Sprache. Wahrscheinlich konnte das Translatorprogramm mit dem Dämoni-
schen nichts anfangen und fand, dass eine Übersetzung ins Mittelalterliche dem Text wohl am besten entsprach. Aber auch das trifft irgendwie nicht zu, dazu sind zu viele Fehler im Text.« »Kannst du das lesen? Oder sollen wir es noch einmal in irgendeine moderne Sprache übersetzen lassen?« Zamorra grinste. »Ich rate mal ganz frech und meine, es heißt folgendes: Man nehme – kein Wunder, ist ja auch ein Rezept! – eine Prise Kranewitt und mische es mit Giftwurz, vier Unzen Anthoskraut und drei Blättern der Blutblume. Der Text behauptet, dass man diese Pflanzen nur bei Neumond ernten darf, um Mitternacht. Dabei soll man den Teufel persönlich anrufen.« »Steht dabei, ob es Stygia, Asmodis oder LUZIFER selbst sein soll?«, warf Nicole ironisch ein. Doch Zamorra ließ sich nicht unterbrechen. »Dann soll man noch eine Unze geriebenen Rhodochrosit und zwei Prisen gestoßenen Lepidolith – das sind Halbedelsteine – hinzufügen. Anzumischen ist das Ganze mit dem Blut desjenigen, der den weißmagischen Zauber verursacht hat und bei einem Gewitter dem Drachen zu verabreichen. Vorzugsweise bei einem Blitz. Dann kommen noch ein paar Anweisungen, wie man diese Mixtur nun letztendlich mischt und was man alles damit anstellen soll, damit sie überhaupt erst wirksam wird.« Nicole starrte Zamorra an. »Na, das wird ja ganz doll hilfreich sein.« »In der Tat, Mademoiselle Nicole, ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das ein Heilmittel gegen komatöse Zustände sein soll«, erklang auf einmal eine Stimme hinter den beiden. »Abgesehen davon vielleicht, dass das Blut des Professors dazu offenbar benötigt wird.« Nicole fuhr herum. William war hereingekommen. »Wie geht es Fooly?«, fragte Nicole sofort. »Wäre ich Arzt, dann würde ich wohl sagen, den Umständen entsprechend«, meinte William mit unbewegter Miene. Nicole tat der
Butler Leid. Sie wusste genau, wie sehr William an dem kleinen Tollpatsch hing – da mochte er noch so sehr schimpfen, wenn wieder einmal eine Vase zerbrochen oder an einer Buttercremetorte von Madame Claire allzu deutlich Spuren von Drachenkrallen erkennbar waren. »Ja, Mademoiselle«, deutete der Schotte Nicoles Gesichtsausdruck richtig. »Ich wünschte, ich könnte mehr tun. Was mir jedoch am meisten Sorgen macht, ist Master Rhett. Er schleicht nur noch schweigsam durchs Haus und ich habe fast den Verdacht, er gibt sich die Schuld an dem ganzen Unglück.« »Wieso das? Er kann ja wohl am Allerwenigsten dafür«, meinte Zamorra verständnislos. »Dennoch. Es scheint eine Art Überlebensschuld zu sein«, meinte William nachdenklich. »Ich kann mir sonst seinen schweigsamen und düsteren Zustand nicht erklären. Er spricht zu niemandem, als beschäftige ihn irgendetwas.« »Also, William, soll Rhett hier fröhlich durch die Gegend springen, weil sein bester Freund halb tot im Bett liegt?«, meinte Nicole stirnrunzelnd. »Ich glaube, ich weiß, was William meint, Nici. Rhett wäre natürlich in jedem Fall traurig, aber er wäre nicht so … ja, düster ist wirklich treffend. Er wäre offen für Ansprache, aber das ist der Junge nicht.« Für einen Moment schwiegen die drei, doch dann versuchte Zamorra sich in Optimismus. »Na ja, es ist ja zu hoffen, dass es Rhett in dem Moment wieder besser geht, in dem wir unseren Mister MacFool wieder auf die Beine bekommen haben – auch wenn ich das bei diesem Rezept hier bezweifle. Sie meinten gerade, Sie würden das Rezept für plausibel halten, William. Darf man fragen, warum?« »Zumindest die letzte … nun, Zutat … ist ein altbekannter Heilstein gegen Kopfschmerzen und verwirrte Zustände.« Nicole staunte. »Woher wissen Sie das?«
William räusperte sich und war offenbar nicht wirklich bereit, zu antworten. »Schon gut«, meinte Zamorra hastig, der sah, wie unangenehm diese Frage dem Butler war. »Sie wissen’s, das reicht. Damit haben wir wenigstens schon mal eine der ominösen Zutaten. Ich dachte immerhin auch immer, dass ich mich in Kräuterkunde ein bisschen auskenne, aber ich muss zugeben, dass mir Blutblume oder Giftwurz nicht wirklich bekannt sind.« »Wir könnten Madame Claire fragen.« »Madame Claire? Cherie, du bist doch immer für eine Überraschung gut, wie kommst du denn auf die gute Madame?« »Sie ist Köchin«, meinte Nicole einfach. »Frag sie mal nach Kräuterumschlägen oder Hausmittelchen, sie weiß immer etwas. – Na, jetzt guckt mich doch beide nicht so an. Fragen kostet doch nichts!« »Wir könnten aber auch einfach mal im Internet recherchieren, was das heißen soll, bevor wir bis morgen früh warten«, meinte Zamorra bestimmt und öffnete ein Fenster auf dem Monitor. »Übermorgen ist Neumond. Da würde ich gern wenigstens die Pflanzen schon mal haben. Vielleicht sollten wir uns nur im Notfall auf Vorträge über die richtige Zubereitung von Schweinefilet einlassen.« »Die Heilsteine habe ich oben in meiner Wohnung. Ich hole Sie ihnen sofort«, meinte William bereitwillig und handelte sich damit wieder einen argwöhnischen Blick von Nicole ein. Doch den sah er nicht mehr, da er bereits aus der Tür gegangen war.
* Der gestaltlose Dämon war unruhig. Die Umgebung war nicht gut. Er war aus seiner schützenden Hülle geschlüpft, die ihn hierher gebracht hatte, und in die ihm schreckliche Umgebung entwichen, wie es seinem Auftrag entsprach. Irgen-
detwas ihm Fremdes war hier zugange, wirkte, und wirkte vor allem hindernd auf ihn. Seine Aufgabe war es, sich auszubreiten. Zu arbeiten, dem Dunkel Genüge zu tun. Er musste sich ausbreiten, wirken, das grässlich grelle Licht, das hier auf allen Bewusstseinsebenen zu spüren war, zurückdrängen und für Dunkelheit sorgen. Das war der richtige Weg, Finsternis der richtige Zustand. Alles musste dafür getan werden. Und diese Umgebung hier war genau das Gegenteil. Es war hell, fremd, unnatürlich, nicht nur auf der sichtbaren Ebene – die spielte ja keine Rolle, das wusste er, auch und besonders auf der magischen Ebene war es viel zu hell. Weiße Magie überall. Bisher war das nicht so gewesen. Es war angenehm dunkel gewesen, und das war auf jeden Fall der richtige Zustand. Er hatte sich von seinem letzten Auftrag dort gut erholen können. Das Etwas erinnerte sich an den Moment, an dem es den Auftrag bekommen hatte. Richtig, sie war es gewesen, die Herrin, die Höchste, die Verdammenswerteste, sie hatte den widerlichen, den gefährlichen Auftrag gegeben, in die grelle Weiße zu gehen und dort dafür zu sorgen, dass der richtige Zustand wiederhergestellt wurde: Dunkelheit und Finsternis, durchzogen von sicheren, festen Bahnen schwarzer Magie, mit der das grelle, zerstörende, silbrige Licht im Zaum gehalten wurde. Nun, Wesen wie er waren dafür da, genau diesen Zustand an so unnatürlichen Orten herzustellen, wie dem, an dem er sich jetzt befand, dessen war es sich durchaus bewusst. Der Auftrag lautete: dafür zu sorgen, dass das Neutrale hier in diesem unerträglichen Ort auf die richtige Seite in die dunkle Finsternis, den richtigen Zustand gebracht wurde, damit dieser Ort sein übergrelles Licht verlor. Ein Zustand, in dem sich die ganze Welt, das ganze Multiversum hätte befinden sollen: Wenn es schon Licht geben musste, dann zumindest durchzogen von der Finsternis und dem Dunkel. Das Übel musste überall sein, alles andere war nicht akzeptabel. Dass es das hier an diesem Ort nicht tat, war dem geheimnisvollen Etwas ein Dorn im Auge. Aber dazu war es hierher
geschickt worden, das war schon immer seine Aufgabe gewesen: Einiges konnte getan werden, um zumindest die meisten Orte auf diese richtige Seite zu ziehen. Und es zweifelte nicht daran, dass es das konnte. Es würde bei dem Neutralen, das sich hier innerhalb dieser Mauern befand, anfangen. Und vielleicht war es möglich, dass sich das Übel, die Finsternis, dann auch hier ausbreiten konnte. Doch dieser Ort, da hatte die Fürchterliche recht, war wohl so oder so auf ewig verloren. Dieser Ort, an dem es sich jetzt befand, war vollkommen unnatürlich, denn es spürte genau, alle Einflüsse, die der Finsternis und der Dunkelheit dienen konnten, diesen Urzuständen all dessen, was seine Welt ausmachte, waren hier ausgesperrt. Sie konnten nicht herein. Bannsprüche kompliziertester Art hielten alles, was richtig und schwarzmagisch war, also die Dinge wieder in die richtige und natürliche Bahn gelenkt hätte, davon ab, an diesem Ort das natürliche Gleichgewicht herzustellen. Und der gestaltlose Dämon selbst würde dank dieser Beschwörungen auch fürs Erste nur an das Neutrale herankommen. Aber dann hatte die Zerstörerin dafür gesorgt, dass er sein Werk tun konnte. Ehrfürchtig gedachte der gestaltlose Dämon seiner Herrin. Ihre Weisheit war wirklich allmächtig. Es war wunderbar zu wissen, dass er in ihrem Auftrag unterwegs war, und er nahm sich vor, dass er seine Aufgabe in jedem Fall zu ihrer vollsten Zufriedenheit erledigen wollte. Und vielleicht schaffte er das noch über seine ihm gestellte Aufgabe hinaus: Vielleicht gelang es ihm ja nicht nur, die neutrale Magiequelle an diesem Ort in die Finsternis zu ziehen, sondern auch, dieses unerträgliche Licht abzumildern und somit wieder etwas dazu beizutragen, dass der natürliche Zustand wiederhergestellt wurde. Das wäre zumindest die richtige Vorgehensweise gewesen – das Verderben der neutralen Energiequelle allein hätte nur dazu geführt, dass sie sich von der unerträglichen und widerlichen Weiße getrennt hätte. An der grausigen Reinheit des weißmagischen Zustands hätte das zunächst einmal nichts geändert. Seine eigentliche Aufgabe jedoch war es in der Regel, genau diesen grauenvollen
Zustand zu ändern, und das Weiße abzuschwächen und an den normalen, den dunklen Zustand heranzuführen. Und jetzt machte sich der gestaltlose Diener daran, genau diese Aufgabe zu erfüllen. Er bewegte sich in der grellen Weiße, die ihn umgab und die an ihm zerrte wie ein schriller, unerträglich durchdringender Ton am menschlichen Gehör, hin zu der neutralen Quelle. Sie war schwach, das spürte er, extrem schwach. Kein Wunder an so einem Ort. War er erst dort, würde er ausharren und warten. Die Quelle stärken, damit sie auch ihm wiederum Energie zuführen konnte. Die Grauenvolle, die Herrin, hatte gesagt, es wäre einige Vorarbeit notwendig, um die neutrale Energiequelle zu beeinflussen. Sie konnte es dank der komplizierten Beschwörungsformeln, die offenbar mit geweihter Kreide um dieses Gebäude herum gezeichnet waren, nicht direkt wirken, aber der gestaltlose Dämon wusste, was zu tun war, wenn er erst einmal die neutrale Energiequelle, die er spürte, erreicht hatte. Diese Energiequelle war der Ausgangspunkt, an dem man beginnen musste. Die Wesen, die hier wohnten und die ihn mit seinem magischen Vehikel hier hin gebracht hatten – anders hätte er diesen unheiligen Ort nie betreten können –, würden ihm unwissentlich selbst den Weg ebnen. Das gestaltlose Wesen der Finsternis machte sich auf den Weg. Die schwachen Schwingungen der neutralen Energie wiesen ihm die Richtung. Als er sie gefunden hatte, fand er sie tief schlafend vor. Das erschwerte die Sache, auch wenn es in dieser grellen und beinahe unerträglich reinen Umgebung kaum anders zu erwarten gewesen war. Er würde in der Quelle darauf warten müssen, dass geschah, was die grausame Herrin versprochen hatte. Doch wenn die Quelle schlief, dann würde es für den Dämon selbst ebenfalls schwieriger werden, selbst wach und aufmerksam zu bleiben. Er tastete sie ab mit seinen Sinnen und versuchte, einen Weg in diese Quelle hinein zu finden. Schließlich gelang es ihm, durch den harten Panzer in das
Herz dieses Wesens einzudringen. Es nistete sich ein und versuchte, trotz des tiefen Schlafes der Quelle eine Verbindung herzustellen. Ich verstehe, dachte der Dämon schließlich. Es handelt sich um einen Drachen. Daher die neutrale Magie. Jetzt verstehe ich. Die Herrin hat es richtig vorhergesagt, sie meinte, ich solle diese neutrale Quelle nutzen, um dieses widerwärtige Nest der Reinheit zu verschmutzen. Das ist gut und ich bin gerne das willige Werkzeug dafür. Dank ihrer Hilfe werde ich es fertig bringen, nicht nur diesen Drachen hier auf die richtige und natürliche Seite der Dinge zu ziehen. Am Ende werde ich nicht nur ihn wieder verdüstern. Auch diesen unheiligen Ort werde ich wieder dem natürlichen Gang der Dinge zuführen. So wie die Herrin es will.
* Butler William sah besorgt auf seinen Schützling hinunter. Fooly lag auf seinem Bett und rührte sich nicht. In den letzten drei Tagen hatte William bereits mehr als einmal gehofft, dass sich der Zustand des Drachen noch bessern würde – schon allein, damit sein Dienstherr sich nicht an diesem seltsamen Ritual zur Herstellung des Drachenmedikaments versuchte. Mit Hilfe von William und auch Nicole hatte der Dämonenjäger das altertümliche Rezept mitsamt den Arbeitsanweisungen entschlüsselt. Mittlerweile wusste William nicht mehr genau, ob er sich wirklich darüber freuen sollte, dass es dem Professor offenbar gelungen war, ein Heilmittel gegen die in Fooly offenbar falsch wirkende Magie gefunden zu haben – zu gefährlich, zu schwarzmagisch war das Ritual. Da war von Herzblut die Rede, von Beschwörungen, von der Anrufung des Teufels, die Kräutermixtur zu »segnen«, beziehungsweise zu verfluchen, damit sie auch in der gewünschten Weise funktionierte und wirkte. William fragte sich bereits seit einigen Tagen, was Zamorra überhaupt über so eine Opti-
on nachdenken ließ: schwarze Magie zu nutzen, um Fooly zu heilen. Er versuchte sich einzureden, dass es wahrscheinlich einfach nur die Sorge um ein »Familienmitglied«, war, die Zamorra so handeln ließ, aber dennoch – verscheuchen ließen sich die düsteren Vorahnungen nicht. Und so hatte William beinahe noch mehr Zeit an Foolys Bett verbracht, als er das vorher getan hatte, in der Hoffnung, dass dieser vielleicht doch noch die schädliche weiße Magie mit seiner eigenen überwand. Doch es schien vergeblich zu sein. Hätte Fooly geschlafen, das wusste William, hätte er sich bewegt, geschnaubt, mit den Augäpfeln gerollt – ähnlich wie ein Hund es tat, wenn er schlief. Die Menschen behaupteten immer wieder, in so einem Fall träume auch ein Hund. William wusste, dass auch Fooly träumte. Und vielleicht war es auch die Bewegungslosigkeit des Drachen, die ihn jetzt derart beunruhigte. Fooly hätte genauso gut tot sein können, der Unterschied war sicher für die Augen eines Laien nicht zu erkennen. Das Fooly überhaupt noch lebte, war nur an dem ganz schwachen Atem zu erkennen, der ab und an seiner Krokodilschnauze entwich – und auch der war eigentlich nur zu sehen, wenn man nach guter alter Manier einen Spiegel davor hielt. Der Spiegel beschlug, insofern waren William und die anderen Bewohner von Château Montagne sicher, dass Fooly eben doch von dem Strahl der Weißen Magie aus dem Amulett nicht getötet worden war. Vorsichtig wischte William mit einem feuchten Tuch über die Schnauze des Drachen. Ob es half, war genauso wenig sicher wie alles andere, aber es half dem Butler und Ziehvater des Drachen, sich ein bisschen weniger hilflos zu fühlen. Aber jetzt gab es ja vielleicht ein Heilmittel. Homöopathie! Dass ich nicht selbst darauf gekommen bin, dachte William grimmig. Theoretisch sollte das wirklich funktionieren. Und ich sollte das eigentlich am besten wissen.
William warf noch einen Blick auf Fooly und stand auf. Er wollte in seine Wohnung, um dem Professor die beiden Steine zu holen, die Zamorra laut dem höllischen Buch für die Herstellung des Medikaments brauchte, einen Lepidolith und einen Rhodochrosit. Auf dem Weg in seine Wohnung im dritten Stock des Châteaus dachte William darüber nach, wie sich wohl das seltsame Medikament auf den Körper des Drachen auswirken konnte. Eigentlich war es klar: Der magische Strahl aus dem Amulett, der eigentlich den Dämon Krychnak hätte treffen sollen, war weißmagisch gewesen und hätte verlässlich jeden Dämon töten müssen. Doch Krychnak hatte sich in Sekundenbruchteilen ein Dimensionstor geöffnet und war in diesem Riss in der Luft einfach verschwunden. Der Strahl war durch die Stelle, an der Krychnak eben noch gestanden hatte, hindurch gefahren und hatte den Drachen getroffen. An Zamorra, Nicole und anderen weißmagischen Personen wäre die Energie sicher einfach abgeprallt, beziehungsweise sie hätte nicht wirklich geschadet, aber es war eigentlich logisch, dass das bei dem kleinen Drachen etwas anderes war. Drachen waren Wesen von neutraler Magie, die sich nicht eindeutig der schwarzen oder der weißen Seite zuordnen ließ. So gesehen hatte Fooly wahrscheinlich noch Glück gehabt. Immerhin war er nicht an der ultimativen Waffe des Professors gestorben. Nun, jetzt ist das Kind im wahrsten Sinne des Wortes in den Brunnen gefallen, dachte William und öffnete seine Wohnungstür. Er ging an eine Vitrine, die in seinem geräumigen Wohnzimmer stand und nahm nach einigem Kramen zwei kleine durchsichtige Döschen heraus. In einem befand sich ein Stein, der mit seinen dunkelroten Einschlüssen an Rosenquarz erinnerte, nur viel dunkler war. Der andere Stein erinnerte an Lapislazuli. William dachte nicht daran, dass dies seine beinahe vollständige Glimmersammlung auseinander riss. Im Moment ging es nur darum, seinem Schützling zu helfen. Er steckte die beiden Döschen in seine Westentasche und hastete wieder in Richtung Arbeitszimmer
des Professors. Es war Zeit, dass sich an der Situation des kleinen Drachen etwas änderte und heute Nacht war es hoffentlich so weit.
* Als William wieder in das geräumige Arbeitszimmer Zamorras kam, brütete der Dämonenjäger gerade über einem Ausdruck des Rezepts. William fiel sofort die ablehnende Haltung Mademoiselle Nicoles auf: Sie lehnte mit verschränkten Armen an der Schreibtischkante und starrte mit wütend funkelnden Augen vor sich hin. Der Professor selbst sah ebenfalls nachdenklich aus, so als wäre er sich nicht mehr wirklich sicher, ob die seltsame Kräutermixtur wirksam sein könnte. Es dauerte ein paar Sekunden für beide, ihren Butler zu bemerken. Nicole war die Erste, die ihn sah und die Gelegenheit beim Schopf ergriff. »William, vielleicht sind Sie so gut und sagen dem Herrn Professor hier, dass dieses Medikament, dieser Zaubertrank oder was immer es auch sein mag, eine ganz dumme Idee ist!« Der Butler blinzelte überrascht. Doch bevor er antworten konnte, meldete sich schon der Hausherr zu Wort. »William, Sie können Mademoiselle Duval ausrichten, dass sie gerne mit einer besseren Idee ankommen kann, um unseren kleinen Hausfreund zu heilen.« Nicole schnaubte ärgerlich und wandte sich jetzt direkt an ihren Gefährten. »Du weißt ganz genau, dass ich keine bessere Idee habe. Aber hier innerhalb der Mauern mit deinem eigenen Blut etwas Schwarzmagisches anzurühren – und dann noch unter Anrufung des Teufels selbst!! – halte ich für eine ausgesprochen dumme Idee!« Zamorra runzelte die Stirn und winkte ab. »Nicole, du weißt genauso gut wie ich, dass man die schwarzmagischen Auswirkungen, die so etwas haben kann, mit entsprechenden Zeichen und Schutz-
mechanismen eindämmen kann. Die gängigsten Mittel dazu haben wir schon in unserem Einsatzkoffer, hier im Schloss dürfte so was so gut wie auszuschließen sein.« »Wenn das alles so einfach ist, warum haben wir dann LUZIFER selbst noch nicht besiegt?«, entgegnete Nicole ohne zu zögern. »Keine Probleme mehr, die Welt ist in Ordnung. Der Wächter der Schicksalswaage dürfte sich freuen, die Menschheit auch, alle sind glücklich. Was hindert dich daran?« »Nici, ich glaube, es hat keinen Sinn, das jetzt auszudiskutieren! Ich finde, etwas Vertrauen ist schon angebracht!« Nicole schnaubte wütend und ging zornig zum Fenster. Sie starrte hinaus, machte aber nicht den Eindruck, als schweige sie, weil ihr die Argumente fehlten. Eher hatte William den Eindruck, als wolle sie einfach nichts mehr zu etwas sagen, was sie zutiefst zu missbilligen schien. Die beiden bemerkten gar nicht, dass es ihm überaus unangenehm war, Zeuge dieses Streits zu werden. Er räusperte sich und ging zu Zamorra hinüber, um ihm die Steine in den Plexiglasdöschen zu geben. Zamorra bedankte sich geistesabwesend und mit einem letzten Blick auf Nicole. Dann wandte er sich wieder an William. »William, da Mademoiselle so sehr dagegen ist, nehme ich an, sie möchte nicht gerne Zeuge des Rituals sein, das wir jetzt durchführen müssen. Wir haben Neumond heute Nacht und ich möchte das ausnutzen.« William sah nachdenklich zu Nicole hinüber, die am Fenster stand, ohne sich zu rühren, immer noch mit verschränkten Armen. Der Butler hatte schon in den vergangenen Tagen mitbekommen, dass Mademoiselle Nicole nicht mit der Durchführung des Rituals einverstanden war. Er selbst war nach wie vor hin- und hergerissen. Einerseits konnte er Mademoiselle verstehen, andererseits war aber auch der Wunsch, Fooly wieder einige Vasen zerdeppern zu sehen, größer als die Vorsicht, die ihn eigentlich – so sagte zumindest sein Verstand – davon hätte abhalten müssen.
Als der Professor hinter ihm die Tür zum Arbeitszimmer schloss, sagte er leise, wie zur Entschuldigung: »William, ich hoffe, Sie nehmen Nici das alles nicht übel. Sie ist einfach nur wirklich nicht damit einverstanden, dass wir dieses Ritual durchführen.« William wand sich. Er war schon mehr als einmal Zeuge durchaus intimer Momente der beiden Dämonenjäger gewesen, aber er hatte eigentlich noch nie das Gefühl gehabt, selbst daran schuld zu sein. Immerhin war es seine Idee gewesen, in der Hölle nach einem Heilmittel für seinen Schützling zu suchen. Von seinem eigenen Anteil abgesehen, schien dieser Streit hier tiefer zu gehen als sonst – und ein Beweis dafür war, dass Nicole Zamorra jetzt nicht nachkam. William konnte sich an keine Situation erinnern, in denen Mademoiselle Nicole Zamorra bei so etwas allein gelassen hätte. Und er befand sich mit dem Professor bereits auf dem Treppenabsatz. William schwieg, bis er und der Professor am Fuß der Treppe angekommen waren. Dem Butler entging der Blick, den der Dämonenjäger nach oben warf und der von einem verhaltenen Seufzer begleitet war, nicht – und Zamorra tat ihm Leid. »Monsieur, ich … ich weiß nicht, sind Sie wirklich sicher, dass wir diese Zeremonie oder Beschwörung, oder wie auch immer Sie es nennen wollen, abhalten sollen?« »Ja«, meinte Zamorra entschlossen. »Wenn auch nur die geringste Gefahr bestehen würde, würde ich das nicht tun. Aber Sie und ich, wir haben den Hof abgesichert, ich habe das Amulett – und auch wenn es immer wieder herumzickt, bei Dämonenangriffen war es bislang eigentlich immer sehr verlässlich. Zusätzlich haben wir den Blaster und den Dhyarra.« »Ich fände trotzdem sinnvoller, wenn Mademoiselle Nicole an Ihrer Seite stünde.« Zamorra zögerte unmerklich. »Das fände ich auch schöner. Es ist, als fehlte mir etwas. Aber da sie nun einmal nicht möchte …« »Aber ich möchte dafür dabei sein!«, erklang eine Stimme hinter
dem Butler und Zamorra. Der Dämonenjäger fuhr herum, als er die nur allzu bekannte Stimme hörte …
* »Meister, wir haben Euch wirklich alles gesagt und nichts ausgelassen!« Zitternd lag der Wolfsähnliche zwischen Pergamentstapeln und riesigen Folianten und hoffte, dass der Fürst der Finsternis ihn nicht auf der Stelle vernichtete. Oder noch schlimmer, seine Bücher. Doch Fu Long achtete nicht auf ihn. In Gedanken versunken ging er ein paar Schritte hin und her. Eigentlich hatte er nach dem Besuch von Astaroth und Zarkahr eher pro forma etwas gegen Stygia unternehmen wollen – akuten Handlungsbedarf hatte er nicht unbedingt gesehen. Dank seiner eigens für diesen Zweck bei der Ministerpräsidentin platzierten Quelle hatte er zwar geahnt, dass es gegen Zamorra ging, aber der Dämonenjäger war sehr wohl in der Lage, auf sich selbst aufzupassen, das hatte er mehr als einmal unter Beweis gestellt. Das allein hätte Fu Long nicht dazu animiert, tätig zu werden. Fu Long bezweifelte, dass Stygia das Format hatte, Zamorra ernsthaft zu schaden, wie auch immer ihr Plan aussehen mochte. Andererseits bin ich jetzt eine Person von Bedeutung in der Hölle, was auch immer das bedeuten mag, dachte Fu Long belustigt und hatte sich auf den Weg ins höllische Archiv gemacht. Die Archivare dort würden ihm nichts verschweigen. Wenigstens pro forma musste er etwas unternehmen, denn er wusste genau, dass Zarkahr und Astaroth ihn beobachten ließen. Und jetzt sieht es beinahe so aus, als habe Stygia mit ihrem neuen Höllenstatus auch eine neue Ebene der Intelligenz erreicht, dachte Fu Long halb sarkastisch, halb beunruhigt. Seine Quelle, die er direkt neben der Präsidentin hatte platzieren können, hatte ihm bereits den Hinweis darauf gegeben, dass Stygia wieder einmal etwas gegen Za-
morra unternehmen wollte – oder doch zumindest gegen einen aus seiner Familie. Leider hatte die Ministerpräsidentin nicht laut ausgesprochen, gegen wen genau es gehen sollte, aber Fu Long hoffte sehr, dass die Archivare hier etwas Genaueres wussten. Und sie hatten mehr gewusst, allerdings auf andere Art, als der frischgebackene Fürst der Finsternis sich das gedacht hatte. »Ihr habt dieses Werk über Drachen also wirklich auf Befehl der Fürstin an den Weißmagier weitergegeben?« »Meister, wir wussten doch nicht, dass es nicht in Eurem Sinne ist!«, jaulte der Wolfsähnliche und rollte sich nun auf dem Boden so herum, dass er seinen haarlosen und mit Eiterbeulen übersäten Bauch dem Vampir zuwandte. Fu Long wünschte sich wieder einmal – zum wievielten Mal eigentlich? –, er hätte nichts mit der Hölle zu tun. Doch er nahm sich zusammen. »Schon gut, mein treuer Diener«, sagte er besänftigend. Der Archivar, der sich vor ihm auf dem Boden wälzte, konnte sein Glück nicht fassen und sah misstrauisch zu ihm auf. Fu Long sah sich durch den starren Blick zu einer Erklärung genötigt. »Nun, entweder hätte der Weißmagier dich getötet oder du hättest Stygias Zorn auf dich geladen, und sie hätte dich vernichtet. Beide Varianten hätten mich jetzt ohne Informationen dastehen lassen.« Der Archivar blinzelte, sagte aber nichts. Fu Long fuhr fort. »Ihr könnt auch weiterhin tun, was die Ministerpräsidentin oder wer auch immer etwas von Euch will, befiehlt. Ich verlange nur eines: dass ihr mir Rechenschaft darüber ablegt. Wenn ich es wünsche, will ich Auskunft darüber haben, was Besucher von euch ausleihen und welche Informationen ihr gebt. Habt ihr das verstanden?« Ein kurzes Aufheulen machte klar, dass die Wolfsähnlichen sehr wohl verstanden hatten und mit den Bedingungen einverstanden waren. »Also. Sagt mir, was der Weißmagier hier wollte.«
»Er wollte ein Buch über Drachen haben. Der Drache, den er bei sich auf seinem Schloss aufgenommen hat, liegt seit einigen Wochen im Koma«, beeilte sich Sovell zu sagen. »Das war es auch, was wir der überaus Fürchterlichen mitgeteilt haben. Sie befahl uns daraufhin, dafür zu sorgen, dem Weißmagier eine ganz bestimmte Information zukommen zu lassen.« »Und da traf es sich natürlich sehr gut, dass er bereits kurze Zeit später bei euch auftauchte und um Hilfe bat. War das auch das Werk von Stygia?« »Das wissen wir nicht, Meister!«, sagte Sovell hastig und warf einen begehrlichen Blick auf das Manuskript, das Fu Long nach wie vor in der Hand hielt. Fu Long dachte kurz nach. Der Zufall war groß, ja, aber Drachen waren in der Regel wirklich eher auf der Seite der Hölle zu finden. Es lag nahe, selbst für einen Weißmagier wie Zamorra, auch im höllischen Archiv nachzufragen, ob es dort eine Art Drachenratgeber gab. »Aber ihr wisst doch ganz sicher, was das für eine Information war, von der die Ministerpräsidentin wollte, dass sie den Weißmagier erreicht?« Sovells Wolfsschnauze verzog sich zu einer Grimasse, die ihn noch ekelerregender aussehen ließ. »Die Schänderin aller schönen Dinge wollte, dass wir eines unserer kostbarsten Manuskripte fälschen und dem Weißmagier in die Hände spielen. Wenn er nicht selbst gekommen wäre, dann hätte einer von uns die menschliche Welt betreten müssen, um ihm das Buch zukommen zu lassen!« Die Stimme des Archivars überschlug sich fast vor Verachtung. Seine Kollegen ließen ein zustimmendes Knurren hören. »Fälschung! Sie ist wirklich die Zerstörung in Person!« »Komm zum Punkt«, sagte Fu Long kalt. Sovell zuckte zusammen. »Die Zerstörung alles Angenehmen wollte, dass der Weißmagier ein Rezept in die Hände bekommt, dass angeblich die Heilung seines Hausdrachen verursacht. Doch
natürlich ist es kein Heilmittel, sondern genau das Gegenteil.« Fu Long runzelte die Stirn. Das klang in der Tat nicht nach einem kleinen Streich, den man einander unter Freunden spielte. Auf der anderen Seite – was habe ich denn auch erwartet. Natürlich versucht Stygia, größtmöglichen Schaden anzurichten, dachte Fu Long. »Das Gegenteil? Sie wollte den Drachen töten?« Der Archivar legte den Kopf auf die Seite und sah Fu Long prüfend an. »Na los!«, meinte der Vampir ärgerlich. »Ich habe nicht ewig Zeit!« »Wir waren sehr schlau, Herr«, meinte jetzt einer der Wölfe. »Es war ein Medikament, das tödlich gewirkt hätte. Doch wir haben eine Zutat geändert, so dass es wirkungslos wird.« Fu Long sah die Archivare verblüfft an. »Warum habt ihr das getan?« »Niemand fälscht ungestraft unsere Bücher!«, knurrte Sovell. Fu Long brach in helles Gelächter aus. Es schien, als bliebe ihm wirklich nichts anderes zu tun übrig, als sich zurückzulehnen und das Schauspiel zu genießen, in dem Stygia erneut gegen Professor Zamorra unterlag …
* »Master Rhett!«, rief William, der nach dem unerwarteten Auftritt des Erbfolgers als Erster die Sprache wiedergefunden hatte. »Das ist viel zu gefährlich für Sie!« Verletzt in seiner Ehre als Teenager runzelte Rhett die Stirn. »Ich weiß, dass ich nichts weiter tun kann. Aber es ist mein Freund, der da oben liegt! Und ich will dabei sein, wenn ihr ihm helft.« Für einen Moment war Zamorra versucht, nachzugeben. Der Junge hatte nicht unrecht, Fooly war sein bester Freund. Und nach allem, was Zamorra wusste, war ein Teil der Llewellyn-Magie in Rhett schon erwacht. Irgendwann würde sich der Junge damit auseinan-
dersetzen. Was, wenn er das unkontrolliert tut, weil wir ihn ständig davon fernhalten wollen? Das kann es ja auch nicht sein. Doch der Professor zögerte. Was er vorhatte, war nicht irgendeine Beschwörung, er wollte ein Pulver herstellen, das eigentlich nur unter Anrufung schwarzmagischer Kräfte seine Wirkung entfalten sollte. Zamorra hatte zwar bereits einen Plan, wie er die schwarze Magie vom Schloss und dem Patienten fernhalten konnte – die magische Kreide in seiner Tasche war ein Teil davon –, aber es war etwas anderes, einen Jugendlichen dabei zusehen zu lassen. »Nein«, sagte er schließlich. »Rhett, sei vernünftig. Wir haben an Fooly gesehen, wie schief es gehen kann. Ich dachte, das Amulett sei zuverlässig. Und genau genommen war es das auch. Trotzdem liegt Fooly jetzt da oben.« »Ich bin auch ein magischer Mensch!«, rief Rhett erbost. »Ihr könnt mich nicht immer behandeln wie einen, der keine Ahnung von Magie hat! Ich will auch etwas tun, damit es meinem besten Freund besser geht!« »Ich weiß. Und du hast schon viel getan, indem du William geholfen hast. Aber das hier ist, so blöd es sich auch anhören mag, einfach zu gefährlich für dich. Wenn das hier vorbei ist, dann finden wir sicher einen Weg, wie wir dich in die weiße Magie einführen können. Sprich mich darauf an. Aber jetzt nicht.« Zamorra hatte versucht, seiner Stimme einen endgültigen Klang zu geben. Es schien angekommen zu sein: Rhett warf ihm noch einen wütenden Blick zu. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging wieder ins Haus. Die große Eingangstür fiel donnernd hinter ihm ins Schloss. Zamorra sah zu seinem Hausfaktotum hinüber. »Ich glaube, heute schaffe ich es, alle zu verärgern, die mit mir zu tun haben. Sie sollten sich also von mir fernhalten, William!« William verbeugte sich kurz und förmlich. »Fühlen Sie sich frei, das zu tun, Monsieur! Ich werde wie immer Ihr ergebener Diener sein.«
Zamorra musste schmunzeln, obwohl ihm eigentlich nicht zum Lachen zumute war. »Danke, es baut mich auf, dass wenigstens Sie der Alte geblieben sind«, meinte er. »Aber lassen Sie uns loslegen.«
* Nicole stand oben im Arbeitszimmer am Fenster und sah in den Burghof hinab. Sie war immer noch wütend. Wie konnte ihr Gefährte denn nur so dumm sein? Hier, inmitten einer weißmagischen Schutzkuppel ein Ritual durchzuführen, das unter anderem beinhaltete, Satan selbst anzurufen! Sie hatte natürlich mit dem Gedanken gespielt, dass Zamorra vielleicht versuchen würde, die schwarze Magie in diesem Ritual zu überlisten. Ja, einerseits war sie sich ganz sicher, dass er genau das vorhatte. Immerhin, das Wissen und die Erfahrung dazu hatte er, das wusste niemand besser als Nicole selbst. Aber andererseits war es auch genau das, was sie so ärgerte: dass er es ihr nicht gesagt hatte. Er hatte nur um ihr Vertrauen gebeten und hatte sich, was seine Pläne anging, in geheimnisvolles Schweigen gehüllt. Ich kann Rhett gut verstehen, dachte sie zornig, nachdem sie heimliche Zeugin des kurzen Gesprächs zwischen dem Erbfolger und Zamorra gewesen war. Ich hätte ihn auch weggeschickt. Aber an Zammys Stelle würde ich mich nicht wundern, wenn mich in meinem eigenen Schloss keiner mehr mit dem Hintern anguckt. Sie wandte sich um und wollte sich schon in ihre Räume zurückziehen (am liebsten hätte sie ein paar Klamotten eingepackt und wäre in eines der Gästezimmer gezogen), als sie doch neugierig wurde. Was hatte Zamorra nur vor? Nicole konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Zamorra, der berühmt-berüchtigte Dämonenjäger, ernsthaft plante, den Satan anzurufen. Auch wenn der Zweck die Mittel noch so sehr heiligen mochte.
Sie ging wieder zum Fenster und starrte in den Hof hinab. Zamorra war konzentriert dabei, einen komplizierten Kreidekreis auf den Boden zu malen. William, der immer noch eine Tasche umgehängt hatte, in der sich, wie sie wusste, die Kräuter und Steine befanden, die für das Medikament benötigt wurden, stellte in regelmäßigen Abständen um den Kreidekreis Kerzen auf. Als er damit fertig war, begann er, die einzelnen Zutaten, Wacholder, Angelikakraut und Arnika – denn nichts anderes als diese profanen Kräuter hatten sich hinter den geheimnisvollen Namen des Rezepts verborgen – in einem Mörser zu zerstoßen. Nicole runzelte die Stirn. Hatte Ihr Gefährte überhaupt einen Plan? Das hier sah ganz so aus, als habe der Professor nichts anderes im Sinn als die Arbeitsanweisungen, die er in dem Ratgeber für Drachen gefunden hatte. Geduldig wartete Nicole, bis Zamorra mit dem Kreidekreis fertig war. Es war ein kompliziertes Muster, das er dort auf das relativ glatte Pflaster des Hofs gemalt hatte. Nicole kannte es nicht. Es sah aus wie ein Sigill, mit dem man normalerweise Dämonen rief, aber auf der anderen Seite ähnelte es keinem Sigill, das sie oder Zamorra je gesehen hatten – und das waren nicht wenige. Beide Dämonenjäger hatten im Laufe der Jahre immer wieder Dämonen beschworen und wussten sehr genau, was sie dabei zu tun und zu lassen hatten, und auch, welches Muster welchen Dämon rief. Doch diese Zeichen waren Nicole unbekannt. Ein oder zwei Ecken schienen ihr bekannt vorzukommen – die beiden Schnörkel rechts oben haben entfernte Ähnlichkeit mit dem Sigill Stygias, dachte sie –, doch letztendlich war es ein Siegel, von dem sie keinen blassen Schimmer hatte, zu welchem Dämon es gehören mochte. Und Zamorra will es wirklich darauf ankommen lassen! Na, soll dieser Holzkopf doch allein herausfinden, wer dahintersteckt!, sagte sie sich erbost und hatte für einen Moment diebischen Spaß daran, sich vorzustellen, wie die Fürstin selbst aus ihrem Thronsaal auf einmal hierher zitiert wurde. Aber halt, sie ist ja mittlerweile Ministerpräsidentin.
Man stelle sich vor, wie angefressen sie da wäre. Sie würde knapp außerhalb der Schutzkuppel materialisieren, denn sie käme ja nicht hindurch. Aber der Höllenzwang, unter dem sie dann stünde, würde durch die Beschwörung nicht aufgehoben. Es wäre schon amüsant zu sehen, wie sich diese widerliche Dämonin in diesem Zwiespalt windet. Nicole musste bei der Vorstellung einer von höheren Mächten gefangenen Stygia kichern. Doch als es einen Moment später plötzlich blitzte und donnerte, verging ihr das Lachen.
* Es war an der Zeit. Das war genau zu spüren. Zwar schien etwas die Beschwörung, den Zauber noch zu stören, aber das spielte für den gestaltlosen Dämon keine große Rolle. Die Störungen würden abklingen, außerdem gehörte er nicht zu denen, die sich von so etwas beeinflussen ließen. Und darüber hinaus hatte seine Herrin, die wunderbar Grausame, auch das angekündigt. Es war Teil ihres Plans. Der Gestaltlose wusste, er würde dadurch gestärkt. Was dort draußen geschah, schien nicht ganz richtig. Doch der Dämon überlegte ruhig und sog die neu entstandene Kraft in sich auf. Er spürte, wie er an Stärke zunahm. Hier, mitten in der neutralmagischen Quelle, hatte er sich bis jetzt gegen die vielen verderblichen Einflüsse der weißen Magie dieses Ortes gut verstecken können und das Beste war, dass er genau hier erreichen konnte, dass die weiße Magie, die alles durchdrang und die Umgebung außerhalb dieser Quelle so unerträglich für seinesgleichen machte, gestört wurde. Das war das Wichtigste, so hatte die Schmerzensbringerin gesagt, diesen unheiligen Tempel der weißen Magie zu verderben und den Einflüssen der Hölle preiszugeben. Der Dämon atmete ruhig und spürte seine Kraft wachsen. Er würde es schaffen, das wusste er. Je weiter dieses Ritual da unten fort-
schritt, desto sicherer wurde er, dass er seine Aufgabe würde erfüllen können: diesen Ort zu verderben und ihn der ewigen Verdammnis preiszugeben.
* Entsetzt starrte Nicole nach unten auf den Schlosshof. Wo war der Blitz hergekommen? Und der Donner? Zwar schien heute kein Mond, aber dennoch – der Himmel war sternklar gewesen. Ja, wirklich: gewesen. Denn jetzt breitete sich von unten, aus der Mitte des mit Kreide gemalten Siegels, Dunkelheit aus. Da läuft irgendetwas gewaltig schief!, schoss es der Gefährtin des Professors durch den Kopf. Sie wollte schon nach unten stürzen, doch im letzten Moment überlegte sie es sich anders. Von hier oben hatte sie den besseren Überblick, auch wenn die Dunkelheit, die jetzt aus der Mitte des gemusterten Kreidekreises aufstieg, dichter wurde. Dunkelheit, hier auf dem Schlosshof von Château Montagne, das war keine gute Sache. Nicole hastete zum Fenster zurück, während ihre Hand in die Hosentasche fuhr. Erleichtert umfassten ihre Finger die beruhigend kantigen Konturen des zweiten Dhyarra-Kristalls. Ja, sie blieb lieber hier oben, wo sie den Überblick hatte. Selbst wenn die Dunkelheit, die sich aus der Mitte des sorgsam gemalten Kreises auszubreiten schien, zunahm, würde sie mit dem zweiten Dhyarra eher für Helligkeit sorgen können. Die Tatsache, dass sie eben nicht unten bei William und Zamorra stand und auch nicht die Absicht hatte, zu ihnen zu stoßen, konnte sich hier möglicherweise als Glücksfall erweisen. Sie stellte sich an den Fensterrahmen und versuchte, die Situation auf dem Schlosshof zu erspähen. Die große Gestalt, das war Zamorra. Ihren Gefährten hätte sie immer erkannt, da gab es keinen Zweifel. Trotz des einfachen schwarzen T-Shirts, das er an diesem Abend trug, war er für sie in der
Schwärze da unten gut zu erkennen. Dann war da William, etwa so groß wie der Professor, aber schlanker gebaut und nicht so breitschultrig, hagerer. Die beiden riefen einander etwas zu, das Nicole nicht verstand. Es klang überrascht, beunruhigt, aber nicht so aufgeregt, wie es wohl gewesen wäre, wenn sich vor ihnen ein leibhaftiger Dämon materialisiert hätte. Etwas beruhigt, sah Nicole genauer hin. Die beiden waren offenbar nicht allein. Ja, jetzt sah sie es. Dort war auch noch eine dritte Gestalt. Kleiner und in fließende Gewänder gekleidet. Nicoles Augen verengten sich in dem Bemühen, besser sehen zu können. Doch vergeblich. Das Einzige, was sie erkennen konnte, war die Tatsache, dass diese Gestalt offenbar in der Mitte des Kreidemusters gefangen war. Sie konnte nicht daraus hervortreten, obwohl sie sich bemühte. Also war es doch ein Sigill? Aber von wem? Ich dachte wirklich, ich würde alle Sigille der höheren Dämonen kennen. Aber dieses hier … Zeit für den Dhyarra, dachte sie sich. Sie zog den Sternenstein aus ihrer Tasche und umfasste ihn mit beiden Händen. Das sanfte, kaum wahrnehmbare Leuchten, das von dem Stein ausging, wirkte beruhigend auf Nicole. Sie konzentrierte sich und ließ die gerade erst beobachtete Szenerie vor ihrem inneren Auge lebendig werden. Der Reihe nach entstanden die Mauern des Schlosses, der gepflasterte Hof, die Wagen darauf, das sorgfältig gemalte Siegel mit Zamorra und William davor. Alles war in die seltsam dichte Finsternis gehüllt, die sich seit ungefähr einer Minute auf dem Burghof breitmachte. Nicole dachte sich noch die unbestimmbare dritte Gestalt dazu und stellte sich dann vor, wie sich ein bläuliches Leuchten langsam ausbreitete. Überall da, wo es schien, wich die Dunkelheit zurück, als würde ein Film rückwärts laufen. Die wolkige Finsternis zog sich wieder zurück.
*
Der gestaltlose Dämon fluchte. Wieder eine Störung! Und noch dazu eine ernstzunehmende. Das war nicht das, was die Grausame versprochen und angekündigt hatte. Das war etwas anderes, Giftigeres. Der Dämon begann das erste Mal, sich zu fürchten. Er wollte nicht gegen diese geballte weißmagische Kraft angehen, da mochte seine Herrin es noch so sehr wollen und er ihr noch so sehr ergeben sein. So sehr ich die Schöne Schmerzensbringerin auch dafür bewundere, dass sie sich meine Ergebenheit immer wieder zu sichern gewusst hat – ob ich gegen diese weißmagische Kraft angehen kann, das weiß ich nicht. Für eine kurze Weile gestattete er sich den Gedanken daran, wie sicher und wie schön es gewesen wäre, wenn er wirklich hätte hierbleiben können. Hier, in dieser sicheren, magisch neutralen Quelle. Es würde länger dauern, länger, als die Herrin geplant hatte, diesen Ort zu verderben, aber es wäre der sichere Weg gewesen. Der namenlose Dämon war sicher, dass abzuwarten und wenig, aber dafür konstant auf diese magisch neutrale Quelle einzuwirken, genau den Effekt gebracht hätte, den seine Herrin hatte sehen wollen. Neutralmagische Wesen wie dieser Drache waren schon oft zu Zwecken der Hölle missbraucht worden, auch von ihm selbst. Es war nicht schwierig, sie dazu zu bringen, nicht der weißen Lichtmagie, sondern der schwarzen, der richtigen, der Höllenmagie zu dienen. Immerhin war das der Zweck, zu dem LUZIFER sie alle geschaffen hatte. Die Lichtmagie war da nur störend im Plan der großen Schöpfung. Der gestaltlose Dämon, dessen einziger Daseinszweck darin bestand, auch die letzten Reste von weißer Magie zu vernichten oder zumindest einzudämmen, hatte immer mit Befriedigung an seine Aufgabe gedacht. Auch dieses Mal war er sicher gewesen, dem Auftrag gewachsen zu sein. Doch diese Macht, die immer stärker wurde und die höllische Finsternis, die sich ganz nach dem Plan der Herrin schon ausgebreitet hatte und in der er sich hätte manifestieren sollen, wurde jetzt
zurückgedrängt. Er selbst sah sich genötigt, sich in die tiefsten Tiefen des Drachenbewusstseins zurückzuziehen. Er konnte nur hoffen, dass die schwarze Magie, die begonnen hatte, sich hier festzusetzen, nicht ebenfalls völlig vertrieben wurde. Der Dämon beschloss, dass er ein wenig abwarten musste. Er verfluchte seine Selbstsicherheit bei allen Erzengeln, deren unheilige Namen ihm einfielen, weil er sich darauf konzentriert hatte, eine Hülle zu bauen, die ihn aus dieser magischen Quelle hatte hinausbringen sollen. Doch jetzt war er zu schwach. Er musste wieder zu Kräften kommen, damit er wenigstens nachsehen konnte, was da draußen los war. Doch durch diese weißmagische Umgebung zu kommen, würde Kraft kosten. Nun gut. Diesen Rückschlag musste er hinnehmen. Doch er hatte keinesfalls vor, aufzugeben.
* Verwirrt sah Zamorra sich um. Woher kam auf einmal das Licht? Eher neugierig als beunruhigt hatte er zur Kenntnis genommen, dass die Formeln, die er laut der Arbeitsanweisung des Quartbandes zu murmeln hatte, in gesprochenem Zustand irgendwie dem Rhythmus einer Dämonenbeschwörung glichen. Parallel dazu hatte William die Kräutermixtur hergestellt. Je weiter er die Formeln aufsagte, desto finsterer schien die Umgebung zu werden – ein Effekt, den Zamorra eher als Begleiterscheinung zu seinem Wirken hier auffasste. Das Siegel, das er gemalt hatte, schien ihm kein wirkliches Sigill zu sein – zumindest hatten er und Nicole es trotz intensiver Recherche keinem Dämon zuordnen können. Überhaupt war es zu untypisch für ein Sigill gewesen, auch wenn es – glaubte man dem Ratgeber zur Drachenzucht und -pflege – nach ähnlichen Prinzipien funktionierte. Zamorra hatte deshalb
nicht ernsthaft mit einem Dämon, sondern eher mit etwas Unkörperlichem gerechnet. Er hatte sich so etwas schon gedacht, im Mittelalter war Satan nur ein anderes Wort für Dämon gewesen; wahrscheinlich sollte bei diesem Ritual gar kein Dämon beschworen werden. Ja, es war schwarzmagisch, aber das diffuse Böse konnte sich hier, unter der Schutzkuppel des Châteaus, wahrscheinlich überhaupt nicht manifestieren. Und selbst wenn hier ein Dämon Gestalt angenommen hätte, er traute sich durchaus zu, mit Williams Hilfe mit so etwas fertig zu werden. Zumal es wohl kaum einen Erzdämon brauchte, um einen Drachen aus dem Koma zu wecken. Warum sich Nici also so aufgeregt hatte, war ihm unverständlich, auch wenn es ihn natürlich bedrückte. Er versuchte sich abzulenken, indem er schmunzelnd wieder daran dachte, Asmodis – der zu der Zeit, als man diesen Ratgeber geschrieben hatte, Fürst der Finsternis gewesen war – habe sich jedes Mal persönlich und freiwillig unter den Höllenzwang begeben, wenn es einem Drachen schlecht ging. Ausgerechnet Assi. Der gute Sid hat ja alles Mögliche im Kopf gehabt zu dieser Zeit, lachte Zamorra ein wenig boshaft in sich hinein und dachte an seinen Freund Rob Tendyke. Aber ich könnte wetten, dass Drachenheilkunde nicht dazu gehörte. Es sei denn, eine schöne Frau habe ihm dafür ihre Seele verkauft. Er wollte fortfahren, seine Formel zu murmeln, als er auf einmal in der dunklen Wolke über dem Siegel eine Gestalt erkannte. Zamorra erschrak. Wer trieb sich hier bloß bei so einem Ritual auf dem Schlosshof herum? Für einen Moment spürte er, wie Wut in ihm aufwallte. Rhett! Hatte dieser Lausebengel – und nichts anderes war er in diesem Moment – sich doch im Schutz der Finsternis herangeschlichen? Auf den Gedanken, dass Rhett es doch besser hätte wissen müssen, folgte sofort das schlechte Gewissen. Er hatte Rhett einfach weggeschickt, ohne eine weitere, tiefer gehende Erklärung. Es war sehr lange her, aber Zamorra war auch einmal fünfzehn gewesen. Er
nahm sich vor, sich in den kommenden Tagen näher mit Rhett und dessen Magie zu befassen. Der Junge hatte ja recht. Trotzdem wollte Zamorra ihn jetzt nicht hier haben. Er hob schon an, um Rhett anzusprechen, da wurde es auf einmal heller. Die Finsternis, die mittlerweile schon so dick geworden war, dass Zamorra geschworen hätte, sie sei mit dem Messer zu schneiden, wich zurück. Die Wolken undurchdringlicher Dunkelheit, die sich auch auf Zamorras Gemüt hatten legen wollen, wichen immer weiter zurück, verdrängt von einem bläulichen Leuchten, das trotz aller Sanftheit stärker wurde, je mehr die Finsternis verschwand. Aus dem Dunkel schälte sich jetzt eine Gestalt. Eine kleine, zierliche Gestalt. Eine mit Zopf und einem fließenden, dunkelgrünen Gewand. Fu Long. Zamorra fehlten die Worte. In diesem Moment wurde es wieder dunkel. »Es wäre wirklich schön, wenn ich dich zur Begrüßung ansehen könnte, Zamorra«, tönte es aus der so plötzlich wiedergekehrten Dunkelheit. »Dann könnte ich dich nämlich auch fragen, was du dir dabei gedacht hast, mich auf diese erniedrigende Art und Weise zu rufen.« Nach einigen Sekunden rang sich Zamorra eine Antwort ab. »Ich hatte keine Ahnung.« Mit einem Mal nahm die Helligkeit wieder zu. »Es werde Licht«, meinte Fu Long spöttisch. »Hat euer Gott das nicht einmal gesagt? Es scheint in der Tat, dass er auf deiner Seite ist. Und ich fürchte, das hast du auch nötig, Zamorra …«
* So schnell sie konnte, war Nicole jetzt über die Hintertreppe in den Hof des Schlosses gerannt. Wenn sie sich die Zeit genommen hätte,
nachzudenken, dann wäre sie sicher froh gewesen, dass sie den Weg so gut kannte. So hatte sie die Möglichkeit, sich trotz des Laufs auf die Szenerie im Burghof zu konzentrieren und dafür zu sorgen, dass ihr Gefährte nicht wieder im Dunkeln tappte. Im wahrsten Sinne des Wortes, dachte sie ironisch und stieß die Seitentür auf. Mit nur wenigen Schritten war sie bei der Gruppe und erfasste die Situation mit einem Blick. William hielt sich wie immer vornehm an der Seite, er trug den Mörser, in dem er die beiden Steine und auch die Kräuter zerstoßen hatte. Nach wie vor im Sigill gefangen stand der neue Fürst der Finsternis. Er versuchte gar nicht erst, daraus hervorzutreten. Recht hat er, Sinn würde das keinen machen, dachte Nicole und blieb in angemessener Entfernung neben Zamorra stehen. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich wieder auf das Bild des Lichts, das die Finsternis verdrängte. Jetzt war der chinesische Vampir gut zu erkennen. »Mademoiselle Nicole, ich danke Ihnen«, sagte er mit einer artigen Verbeugung in ihre Richtung. »Zamorra, ich will nicht unhöflich oder unwillig erscheinen, aber ich würde mich wirklich freuen, wenn du mir den Grund meines Hierseins nennen könntest.« Zamorra schüttelte immer noch völlig verwirrt den Kopf. »Ich bin mir nicht einmal bewusst, dich gerufen zu haben«, sagte er verblüfft. »Doch, ich kann es mir vorstellen«, sagte Nicole und war gleichzeitig bemüht, die Konzentration nicht komplett von der Vorstellung eines Flutlichts in ihrer Hand abweichen zu lassen. »Ich habe dich von oben beobachtet, Chef. Ein oder zwei Schnörkel in diesem Sigill, denn es ist ja wohl eins, erinnerten mich an Stygia. Aber das war wohl eine falsche Assoziation. Es erinnerte mich wahrscheinlich einfach nur an das Amt des Fürsten der Finsternis. Deshalb konnten wir es auch keinem bestimmten Dämon zuordnen.« »Ich musste auch an Asmodis denken«, meinte Zamorra. »Könnte es sein, dass dieses Sigill einfach den jeweiligen Fürsten der Finsternis ruft, wenn man es beschwört?«
Fu Long seufzte auf. »Wie auch immer ich hierher kam, ich bitte euch, befreit mich aus dieser Position. Ich kann mich kaum einen Zentimeter rühren! Das ist einfach unwürdig.« Zamorra sah ihn entschuldigend an. »William, was sagen Sie? Haben wir unser Elixier denn schon fertig?« Der Butler verneigte sich kurz. »Die Mixtur ist fertig. Nun soll sie noch mit reinem Wasser aufgegossen werden, damit sich die Inhaltsstoffe auflösen.« Zamorra nickte. »Dann können wir dich jetzt befreien, denke ich.« Nicole schnaubte ärgerlich. »Einen Vampir hier im Château loszulassen, halte ich überhaupt nicht für eine gute Idee, Chef!« Der Professor überging ihre Anrede. »Chef«, nannte sie ihn nur, wenn sie mit dem, was er tat, nicht einverstanden war. »Es ist doch nur Fu Long«, versuchte Zamorra den Chinesen zu verteidigen, doch Nicole widersprach sofort. Die ganze Wut, die sie schon seit Tagen mit sich herumtrug, brach sich Bahn. »Er ist nicht einfach Fu Long, er ist der Fürst der Finsternis! Aber was red ich da«, unterbrach sie sich selbst. »Fürsten der Finsternis sind in letzter Zeit ja öfter willkommen. Immer herein spaziert, Meister Fu Manchu, der Herr Professor hat heute Tag der Offenen Tür. Wenn man mich fragte, was ja keiner tut, dann würde ich dich rauswerfen, und zwar umgehend. Wenn dieses Beispiel, dass sich hier im Château die Fürsten der Finsternis die Klinke in die Hand geben, Schule macht, dann gute Nacht, schöne Gegend!« Wütend drehte sie sich um und stampfte davon. Zamorra musste ein wenig lächeln bei ihrem malerischen Wutausbruch. Wie immer konnte er nicht ganz ernst bleiben bei ihren lockeren Sprüchen. Doch es half nichts. Fu Long war wider Erwarten hier. »Fu Long, ich lade dich hiermit offiziell für heute Abend ins Château ein.« Der Vampir verneigte sich und versuchte, aus dem Kreis auszusteigen. Doch er verzog schmerzlich das Gesicht. »Ich
fürchte, ich muss dich bitten, mir einen Ausgang aus diesem Kreis zu bauen.« »Verzeihung«, sagte Zamorra und wischte mit einem Besen, den er extra mitgebracht hatte, falls er beim Zeichnen des Siegels einen Fehler gemacht hätte, einen Teil des Sigills vom Boden. Fu Long atmete hörbar auf und trat aus dem Kreis heraus. »Wenn du mir jetzt noch eine Tasse heißen Tee besorgst, dann können wir uns gern überlegen, wie ich hierher kam. Ich glaube, ich habe die Puzzleteile bereits zusammen, auch wenn sie noch kein Bild ergeben …«
* Fu Long sah sich in der Bibliothek des Professors um und lehnte sich, eine Tasse mit feinem Oolong-Tee in der Hand, behaglich im Sessel, den man ihm angeboten hatte, zurück. Er erwiderte Zamorras verwirrten und fragenden Blick unerschrocken. »Fu Long, sei mir nicht böse, aber ich finde, Nicole hat zumindest ansatzweise recht. Wirkliche Freunde waren wir nie, das wirst du zugeben, aber dass ich hier mit dem Fürsten der Finsternis sitze und Tee trinke, das gehört schon wirklich zu den skurrilen Erfahrungen meines Lebens!« Fu Long schmunzelte nur und Zamorra spürte, wie sich Ungeduld in ihm breit machte. Er sah genervt zu dem Vampir hinüber. Der nippte noch einmal an der Tasse und setzte sie dann ab. »Du hast recht, Zamorra. Ich habe eine ungefähre Ahnung, wieso ich hier sitze, aber vielleicht solltest du dich jetzt als Erstes deinem kleinen Freund widmen statt mir.« »Und den Fürsten der Finsternis hier in der Bibliothek eines Weißmagiers allein lassen? Ganz miese Idee.« Zamorra war langsam ungehalten. Er hatte keine Idee, was hier vor sich gegangen war und was das
alles zu bedeuten hatte. Das Ganze war eindeutig ausgeufert. Es war nur darum gegangen, ein Heilmittel für Fooly zu finden – und jetzt hatte er sich selbst bei einer Beschwörung des Fürsten der Finsternis auf dem Schlosshof wiedergefunden! Zamorra war für einen Moment fassungslos über seine eigene Naivität. Einen dunklen Zauber auf seinem eigenen Hof zu zelebrieren! Für einen Moment erschien Nicole vor seinem inneren Auge. Sie sah missbilligender drein als je. Zu Recht!, dachte er, zornig über sich selbst. »Fu Long, bitte! Ich habe wirklich andere Sachen im Kopf, als mit dir darüber zu philosophieren, was schief gegangen ist. Wir wollten nichts weiter erreichen, als einem Freund von mir helfen, und das werden wir jetzt auch tun!« Fu Long hob nur die Brauen und stellte seine Teetasse auf den Tisch. »Auf die Idee, dass beides ursächlich zusammenhängt, kommst du nicht? Wenn ich du wäre, würde ich mich hüten, dieses Mittel meinem Freund zu verabreichen.« Zamorra seufzte ärgerlich auf und ging zur Tür. »Fang du jetzt nicht auch noch an! Die Kräuter und das Steinmehl selbst werden Fooly kaum schaden. Wahrscheinlich war das Rezept wirklich nur wirksam, indem man den jeweiligen Fürsten der Finsternis darum bat, den Drachen per schwarzer Magie zu heilen. Und darum bitte ich dich nun wirklich nicht! Aber zumindest muss ich jetzt nach ihm sehen und du wirst mitkommen! William wird bei ihm sein.« Zamorra sah stirnrunzelnd auf den ungebetenen Gast herab. »Na los!«, knurrte er, als er sah, dass Fu Long sich nicht rührte. Der Vampir hob die Brauen. In der nächsten Sekunde stand er neben dem Dämonenjäger, der bei dieser Darbietung nur kurz zusammenzuckte. »Soll mich das jetzt beeindrucken?« »Ich dachte, eine kleine Demonstration kann nicht schaden«, meinte Fu Long ungerührt. »Du bist der Herr in diesem Hause. Aber mit diesem Ritual hast du Kräfte beschworen, die weder du noch ich im Moment absehen können.
Aber lass uns gehen und nach dem Drachen sehen. Unser ›Philosophiegespräch‹, wie du es nennst, ist nur aufgeschoben.«
* Der gestaltlose Dämon konnte sein Glück nicht fassen. Er hatte nicht mehr daran geglaubt, dass er seinen Auftrag zur Zufriedenheit seiner grausamen Herrin ausführen könnte. Doch jetzt spürte er, dass das Ende nahe war. Ein triumphales Ende. Der törichte alte Mann, der in den letzten Tagen schon immer neben dem Lager des Drachen gesessen hatte, hatte diesem ein Mittel eingeflößt, das jetzt durch die Adern des neutralmagischen Wesens floss. Es breitete sich aus, erreichte die letzten Kapillaren und durchdrang den Körper des Drachen in einer für den gestaltlosen Dämon wohltuenden Weise. Er spürte, wie die magische Kraft, die die Herrin ihm zur Erfüllung seines Auftrags zusätzlich gegeben hatte, zu wirken begann. Der Dämon, der sich nach seinem ersten Fehlschlag im geschütztesten Winkel des Drachengehirns verkrochen hatte – wo ihn die schädliche Magie dieses Ortes und auch die zusätzliche Energie, die sich mitten im Ritual ausgebreitet hatte, nicht erreichen konnte –, begann wieder, sich auszudehnen. Noch nicht so weit, wie es möglich gewesen wäre, das Optimum konnte erst dann erreicht werden, wenn die Tinktur, die gerade hergestellt wurde, in den Körper des Drachen und damit auch in ihn selbst floss. Aber allein, dass es sie gab, dass sie gebraut wurde, das erfüllte das Sein bereits mit Energie und … Leben. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie sehr er darunter gelitten hatte, auf so engen Raum beschränkt gewesen zu sein. Wie ein Gefängnis war es gewesen, ein Gefängnis, in dem er selbst in Ketten gebunden war. Aber jetzt war er frei. Nein, noch nicht ganz frei, aber er war nahe daran. Der Triumph war nah. Er wusste, er würde es schaffen. War er erst
frei und wurde weiter gestärkt, wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis er diesen unheiligen Ort des Lichts in ein Loch finsterster Schwärze verwandelt hatte. Und dann würde die Herrin hier wandeln können. Auf der Stätte ihres größten Sieges.
* Na los, wach schon auf. Nachdem William den beiden Herren hastig Tee in die Bibliothek gebracht hatte, war er selbst mit Zamorras Einverständnis sofort hinauf zu seinem Schützling gegangen. Was sein Dienstherr mit diesem chinesischen Vampir zu besprechen hatte, war nicht seine Sache. Er hatte es kaum abwarten können, die ersten Wirkungen zu sehen, die das Mittel vielleicht haben konnte, immerhin waren die Schritte, die zu seiner Zubereitung notwendig waren, weitgehend abgeschlossen. Er sah auf die Dose hinunter, in der er die zerstoßenen Kräuter und Steine untergebracht hatte. Jetzt noch mit reinem Wasser mischen und aufkochen, damit sich die Stoffe auflösen. William machte sich an dem kleinen Gaskocher, den er schon nachmittags hier im Zimmer installiert hatte, zu schaffen, um die Zutaten den Anweisungen gemäß noch einmal aufzukochen und dann abzuseihen. Als das Wasser siedete, ließ er die Bestandteile des Medikaments hineinrieseln. Beinahe sofort breitete sich ein intensiver Kräutergeruch im Zimmer aus. Riecht gesund, dachte William und starrte in die wallende, dunkle Flüssigkeit. Er hörte kaum, dass sich die Tür leise öffnete und wieder schloss. Nicole trat neben ihn. »Nun, William, was macht die Kunst?«, fragte sie. »Mademoiselle Nicole!« William sah erschrocken auf. »Ich habe nicht mit Ihnen gerechnet. Sie waren das vorhin mit dem Licht, nicht
wahr? Ich glaube, der Professor und ich haben Ihnen da zu danken.« »Schön, dass es wenigstens einer erkennt!«, meinte Nicole grimmig. »Und? Hat sich die ganze Mühe und der Ärger wenigstens gelohnt?« William sah auf die kleine Eieruhr, die er sich gestellt hatte. Das Gebräu musste genau 666 Pulsschläge lang durchkochen, also etwa 8 Minuten bei normalem Puls, wie er ausgerechnet hatte. »Das werden wir hoffentlich bald wissen, Mademoiselle. Ich muss mich übrigens auch noch bei Ihnen für den verursachten Ärger entschuldigen, Mademoiselle Nicole.« Nicole starrte ihn verblüfft an. »Wieso Sie? Sie haben den ganzen Zores doch nicht verursacht!« »Doch, das Gefühl habe ich. Es war immerhin meine Idee, Sie und der Professor sollten in der Hölle nach einem Weg suchen, unseren Mister MacFool hier wieder aufzuwecken.« »Aber es war nicht Ihre Idee, so einen Quatsch wie diese Beschwörungszeremonie zu veranstalten. So einen Budenzauber hier im Schloss abzuziehen, war eine derart dumme Idee, dass ich mich frage, ob Zamorra nicht vielleicht doch zu lange in der Gesellschaft von Schwarzblütigen verbracht hat!«, schimpfte Nicole. »Und er setzt immer noch einen drauf: Jetzt hockt er in der Bibliothek und trinkt mit dem Fürsten der Finsternis Tee, statt sich hier mit Ihnen um …« »… du meinst, um Fooly zu kümmern? Meine Liebe, hier sind wir«, wurde ihre Tirade jetzt unterbrochen. Der Professor kam herein, mit Fu Long im Schlepptau. Nicole warf mit einer gereizten Handbewegung ihr schulterlanges schwarzes Haar zurück. »Ach! Sieh an, der Chef. Und was hat er hier zu suchen?« Wie immer, wenn Nicole sich so über seine Anwesenheit aufregte, zuckte es um Fu Longs Mundwinkel amüsiert. »Mademoiselle Nicole, Ihr Lebens- und Kampfgefährte zog es vor, mich in der Bibliothek nicht allein zu lassen. Und Sie sollten mich mittlerweile doch so gut
kennen, um zu wissen, dass ich nicht die Absicht habe, Ihnen oder Ihren Freunden zu schaden.« Nicole schnaubte nur. Zamorra achtete nicht weiter auf sie, denn William hatte jetzt den Sud von der Kochplatte genommen und füllte ein wenig davon in eine Pipette ab, mit der er die Mixtur Fooly verabreichen wollte. Fu Long trat einen Schritt zurück, doch William beachtete die Bewegung nicht. Jetzt war nur noch der Drache wichtig. Unendlich vorsichtig träufelte William jetzt die immer noch intensiv nach Kräutern und Erde riechende Essenz in das krokodilartige Maul des Drachen, das Zamorra kurz vorher ein wenig aufgeschoben hatte. Zamorra und Nicole hielten den Atem in der Erwartung dessen an, was als Nächstes passieren würde. Es wurde so still, dass man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können. Doch es geschah … nichts.
* Da! Das war es, was die Herrin beabsichtigt hatte – und was er beinahe schon aufgegeben hatte zu hoffen. Die Tinktur, die ihn stärken würde, drang in den Körper des Drachen ein. Es fühlte sich wunderbar an. Die kurze Zeit, die er hier im Körper dieses Wesens hatte verbringen müssen, hatte schon gereicht. Er hatte mit der neutralen Magie, die den Drachen durchdrang, beinahe völlig eins werden müssen, um nicht aufzufallen, und jetzt war es, als breitete sich die Hitze der Tinktur nicht im Körper seines Wirtes, sondern in seinem eigenen aus. Für einen Moment gab der gestaltlose Dämon dem ekstatischen Gefühl nach. Er hatte vergessen, wie es war, einen materiellen Körper zu besitzen, doch jetzt erinnerte er sich: Sie, die Herrin der Schmerzen, hatte seine materielle Hülle vor Äonen unsagbar ge-
quält. Sein Körper war ihr zum Vergnügen über einen so unvorstellbar langen Zeitraum gefoltert worden, dass er sich am Ende nichts Schöneres hatte vorstellen können, als seiner Herrin in einer gestaltlosen Form weiter zu dienen. Er hatte sich nie gefragt, ob das ihre Absicht gewesen war. Er konnte sich nicht mehr an seinen Körper erinnern oder wie er ausgesehen hatte. Selbst an die Schmerzen und die Agonien, die Stygia, die Folterin, bei ihm in Regionen seines Körpers verursacht hatte, die er selbst nicht gekannt oder vergessen hatte, konnte er sich nicht mehr erinnern. Er wusste nur, dass er kein Verlangen nach so einer materiellen Hülle hatte, einer Hülle, die das eigentliche Wesen so zu unterdrücken vermochte und anderen einen offenen Weg überließ, sich dieses Wesens zu bemächtigen. Nur einer durfte über ihn herrschen. Die, die ihn von dieser schwächlichen Hülle, an die ein Wesen doch meist gebunden war, befreit und ihn zu einem Dasein verholten hatte, das nur ein Ziel kannte: sie, die ihm dieses Geschenk gemacht hatte, zufriedenzustellen. Und jetzt war es so weit. Er würde stark werden, stark genug, um diese unheilige Stätte des Lichts im Namen der Einzigen, die von endloser Todesqual befreien konnte, der Herrin, der Göttin über Leben und Tod, reinigen zu können. Er begann, sich vom Körper des Drachen zu lösen. Nicht, ohne einen Funken seiner eigenen, von der Königin über das Leben selbst verliehenen Macht in dem Wesen zurückzulassen. Das Wesen schlief, nur deshalb hatte er sich seiner bemächtigen können. Auch das hatte die Herrscherin über den Tod gewusst, dachte er andächtig. Sie hat alles vorhergesehen. Auch, dass mich, sobald ich diesen Drachen verlassen habe, in dieser Hölle aus Licht einer meinesgleichen erwarten wird. Der Moment der Vorfreude war so groß, dass er für einen Augenblick darüber nachdachte, dieses körperliche Gefängnis sofort zu verlassen. Doch dann sagte er sich, dass er noch ein oder zwei Mo-
mente ausharren wollte. Es konnte ihn nur noch stärker machen. Für eine oder zwei Minuten gönnte sich der gestaltlose Dämon die völlige Hingabe an das Gefühl des Sieges, des Sieges für seine Königin. Aber schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er wusste, jetzt war er stark genug, die Finsternis in das Licht zu bringen, es zurückzudrängen. Und der Dunkle, der jetzt ganz in der Nähe lag, der würde ihn unterstützen. Die Herrin der Verzweiflung und des Todes unterstützen. Das Licht würde dunkel werden und erlöschen. Jetzt – und für immer. Damit trennte der gestaltlose Dämon auch die letzte Verbindung zu seinem Wirtskörper.
* William starrte so konzentriert auf Fooly hinab, dass er kaum mitbekam, dass Zamorra schließlich die Stille brach und heftig die angehaltene Luft ausstieß. »Na, das sieht ja ganz so aus, als wäre alles umsonst gewesen!« Nicole sah verdrossen auf den grünen Drachen. »Typisch Fooly. Wenn er wach ist, gibt es auch immer viel Lärm um nichts. Das scheint nicht anders zu sein, wenn er schläft. Na, einige Dinge bleiben wohl immer gleich.« William schwieg, doch die Enttäuschung über den Fehlschlag war seinem sonst so beherrschten, hageren Gesicht anzusehen. Er hatte seinem Schützling beinahe die gesamte Tinktur verabreicht. Einoder zweimal hatte er sogar den Eindruck gehabt, dass Foolys Augenlider flatterten, doch das war wohl eine Täuschung gewesen. Nun, kein Wunder, dass hier der Wunsch der Vater des Gedankens ist … Doch dann nahm er sich zusammen. Beherrschung war das A und O in seinem Job. Und selbst hier durfte er sich nicht vergessen.
»Monsieur, ich glaube, ich habe ein paar Mal ein paar Muskeln zucken sehen«, sagte er dann aber doch. Seine Stimme klang zu seiner eigenen Erleichterung ganz normal und nicht aufgeregt. Der Professor trat neben ihn und betrachtete Fooly genauer. »Wann war das, jetzt gerade?« »Ich weiß nicht, Monsieur, aber …« »Was ist denn das?« Nicoles erschrockener Ausruf ließ beide herumfahren. »Was ist los, Nici?« William war aufgesprungen und folgte jetzt Nicoles entsetztem Blick. Jetzt sah er es auch: Über dem plumpen, um nicht zu sagen, fetten Drachenkörper bildete sich eine dunkle Wolke. Gestaltlos wirbelten undurchdringliche Ströme, die immer finsterer und schwärzer wurden, durcheinander. Sie bildeten keine Form, sondern schienen sich selbst zu nähren und von ganz allein zu wachsen. Ihr Ursprung war kaum noch erkennbar, denn die Schlieren der puren Schwärze schienen aus jeder Pore, unter jeder Schuppe des Drachen hervorzuquellen und sich über Fooly zu einem düster aussehenden Konglomerat zu vereinigen. Völlig sprachlos starrten Nicole und Zamorra auf das Schauspiel. Nach ein paar Sekunden schließlich hatte zumindest Zamorra die Geistesgegenwart, William und Nicole am Arm zu packen und von Foolys Lager wegzuziehen. Am liebsten hätte er sie aus der Tür des großen Raumes hinausgeschoben, doch die beiden wehrten das erfolgreich ab. Der Einzige, der stehen blieb, wo er war, ja, der sogar einen Schritt auf das Geschehen zuging, war Fu Long. »Ich dachte mir, dass so etwas wie du hier erscheinen würde«, sagte er mit milder Belustigung.
* Der chinesische Vampir hatte das Schauspiel mit hochgezogenen
Brauen beobachtet. Jetzt trat er interessiert auf die dunkle Wolke zu. Sie schien schneller zu wirbeln und den Fürsten der Finsternis förmlich in sich aufsaugen zu wollen. Fu Long wehrte sich zum Erstaunen des Professors und der anderen nicht. Aber er selbst sah keinen Grund dazu. Wenn seine Theorie richtig war – und seine Theorien waren meistens richtig –, dann würde ihm diese Wolke nichts weiter tun. Sie würde es nicht wagen. Er blieb still stehen, bis ihn die Wolke komplett eingehüllt hatte. Für einen Moment wunderte sich Fu Long über sich selbst, doch die vollständige Dunkelheit, die ihn eigentlich hätte stören müssen, war kein Hindernis. Er sah – aber er sah anders, als erwartet. Er konnte seine Umgebung durchaus erkennen. Und auch wenn er nicht wusste, um was für einen Dämon oder was für ein Wesen es sich handelte, war es ihm gleichgültig. Er wusste, wer es geschickt hatte. Das reichte aus. Ich habe dich erwartet, Meister, erklang es in seinem Kopf. Ich weiß, dass sie, meine Herrin, die einzige würdige Herrscherin auf der Welt, dich geschickt hat. Fu Long schwieg überrascht. Er dachte nach. Ja, das war das fehlende Puzzleteil. Also steckte wirklich Stygia hinter all dem: Dass sie einen Plan schmiedete, um sich bei den Erzdämonen als Ministerpräsidentin LUZIFERs zu profilieren, hatte er dank seines vampirischen Sohnes gewusst. Bestätigt hatte sie es selbst durch das Herbeizitieren sämtlicher Erzdämonen, und dass es kein einfacher Dämonenstreich war, hatten zumindest Astaroth und Zarkahr gefürchtet. Und die Tatsache, dass sie nicht nur dafür gesorgt hatte, dass ein Dämon Zutritt zu Château Montagne bekommen hatte – durch den Einzigen, der dafür sorgen konnte, nämlich Zamorra selbst. Sie hatte also wirklich nicht nur vorgehabt, Zamorra zu schaden. Stygia hatte sich selbst schadlos halten wollen, daher hatte sie ihn, den Fürsten der Finsternis, dazu benutzt.
Und in diesem Moment ging Fu Long ein Licht auf: Sie war schon zu oft von Zamorra besiegt worden, als dass sie diese Möglichkeit bei diesem Angriff auf den Dämonenjäger nicht in Betracht gezogen hätte. Aber was schadete das – sie hatte mit diesem Plan auch Fu Long in Bedrängnis gebracht. Der Vampir wusste genau: Wenn er jetzt etwas Falsches sagte oder tat, dann würde das in der Hölle nicht nur einfach seine Position schwächen. Es konnte im schlimmsten Fall seinen Kopf kosten. Für einen Moment war Fu Long wirklich verwirrt. War das nicht genau, was er wollte? Befreit sein von dieser seltsamen Aufgabe, die so gar nicht zu ihm zu passen schien … Ein Ende seines Lebens. Ein neuer Anfang im ewigen Kreislauf der Wiedergeburt, an die diese Buddhisten zu glauben schienen, deren Lehre Fu Long immer sympathischer wurde … Doch dann nahm er sich zusammen. Er musste zugeben, die Aufgabe, die ihm das Schicksal – respektive der Wächter der Schicksalswaage – gegeben hatte, war noch nicht ausgereizt. Ich werde sehen, was ich damit noch anfangen kann. Ich kann noch nicht gehen. Ich habe nicht das Gefühl, ich sei schon fertig damit. »Deine Herrin hat mich also geschickt, sagst du?«, fragte er den Dämon laut. Er würde sich diesem Plan nicht fügen und deshalb mit dem Dämon auch nicht in Gedanken kommunizieren. Stygia sollte sehen, dass es besser war, sich nicht mit ihm anzulegen, dachte er amüsiert. Da will ich ihr doch einmal zeigen, dass sie als Ministerpräsidentin nicht viel taugt. Er bemühte sich, seinen Geist gegen das Dunkelwesen abzuschirmen, so dass es keinen Zugang dazu hatte. Zamorra sollte wissen, dass er hier wieder einmal in die Intrigen der Hölle hineingezogen wurde. Das kann für die Zukunft nicht schaden und wird dazu führen, dass ich vielleicht beim nächsten Zusammentreffen einen Feind weniger habe. »Wer ist deine Herrin, Dämon?« Die Herrin aller Schmerzen, die Herrscherin über Leben und Tod. Meine Königin. Sie hat mich geschickt, diesen unheiligen Ort des Lichts wieder dem natürlichen Kreislauf zu überantworten.
»Sprich laut zu mir. Ich bin in diesem Hause Gast und werde mit dir nicht so verkehren, dass mein Gastgeber es nicht versteht.« Fu Long hätte gerne Zamorras Gesicht bei diesen Worten gesehen, doch er stand nach wie vor in der Dunkelwolke und konnte nicht einmal die Hand vor Augen erkennen. Doch mit seinem sechsten Sinn, der sehr wohl erkennen konnte, was das Wesen war, spürte er jetzt dessen Verwirrung angesichts seiner Antwort. »Mit Klängen kommunizieren? Das bin ich nicht gewohnt.« »Das ist mir gleichgültig. Offensichtlich kannst du es, und so wirst du dich meinem Wunsch beugen, denn ich bin der Fürst der Finsternis, wie du ja sehr wohl zu wissen scheinst. Nun, ich kenne deine Herrin nur flüchtig. Ich bin erstaunt, dass sie nun so sehr über mich verfügt und dir auch mitteilt, dass ich von ihr gesandt sei.« »Meine Herrin ist die absolute Herrscherin der Schwefelklüfte. Du bist der Fürst, aber gerade deshalb nur der Diener meiner grausamen Königin«, erklang es prompt. »Das sehe ich anders. Du wirst diesen Ort verlassen, ohne das zu tun, was sie dir befohlen hat.« Ein dumpfes Grollen wie von fernem Donner erfüllte den Raum. Fu Long erkannte, dass es der Dämon war. Er war zornig. »Ich werde dem Befehl meiner Herrin Folge leisten und auch du wirst mich nicht davon abhalten!« Damit wurde die Finsternis, die Fu Long umgab, noch absoluter. »Du hast die Wahl. Die Herrscherin, die mir meinen materiellen Körper einst nahm und mir die Gabe verlieh, diese Gestalt anzunehmen, sagte mir auch das voraus.« »Was sagte sie?«, fragte Fu Long, jetzt ehrlich neugierig. »Sie sagte, dass die Möglichkeit bestünde, dass du dich gegen sie und ihre Wünsche stellst. Sie hat mir gesagt, dass ich dich in diesem Fall vernichten soll.« »Und?« »Glaube nicht, dass ich das nicht tun könnte! Meine Königin der Schmerzen hat mich dazu geschaffen, das Licht zu vernichten, wo
immer ich es finde. Und ich werde es vernichten. Wenn du ihm dienst und nicht ihr, die deine Herrin ebenso ist wie meine, dann wird dich ihr voller Zorn treffen. Selbst wenn ich es nicht vermag, gegen den Fürsten der Schwefelklüfte zu bestehen!« Fu Long nickte langsam. »Ich verstehe. Im Moment sieht es wirklich aus wie das, was man eine Win-Win-Situation für Stygia nennen könnte, nicht wahr?« »So ist es«, dröhnte die Wolke. »Entweder du hilfst mir gegen diesen verfluchten Weißmagier, der immer wieder die Ordnung der Dinge stört. Dann ist er vernichtet, vernichtet durch einen Plan meiner Herrin. Oder du hilfst ihm. Dann entkommt er zwar vielleicht, doch die Herrin wird auch dann einen Vorteil haben: Kein Dämon wird mehr deine Autorität anerkennen. Dein Platz in der Hölle wird frei. Sie wird ihn mit einem ihrer Diener besetzen können. – Meine Herrin ist weise«, fügte die Wolke leiser hinzu und Fu Long hörte in der Stimme auf einmal erstaunt echte Ehrfurcht. »Sie hat alles bedacht. Es liegt nun an dir …«
* »… wie wirst du dich entscheiden, Fürst?« Zamorra lief es bei diesem Satz kalt den Rücken herunter. Macht korrumpiert, hieß es immer. Auch wenn er Fu Long für eine Person hielt, auf die das nicht zutraf – wer konnte das genau wissen? Er schüttelte den Gedanken, dass Fu Long ihn jederzeit mit Hilfe der Wolke angreifen konnte, ärgerlich ab. Er hatte anderes zu tun. Die Mitbewohner seines Domizils zu schützen, zum Beispiel. Obwohl es dank der Wolke, die sich immer weiter ausgebreitet hatte, immer dunkler im Zimmer geworden war, wusste er doch noch, wo Nicole stand. Er griff nach ihrem Arm und zog sie näher an sich heran. »Nicole, das Amulett ist nur warm. Manchmal wird es heiß, aber es scheint mit der Situation nicht fertig zu werden, dass
sich ein Dämon hier im Schloss befindet. Wir müssen mit dem Dhyarra versuchen anzugreifen.« Nicole schnaubte wieder kurz. »Fu Long ist der Fürst der Finsternis – soll er doch selbst versuchen, mit dieser Wolke fertig zu werden! Müssen wir jetzt auch noch den Fürsten der Finsternis retten?« »Wir müssen uns retten, Nici!«, flüsterte Zamorra genervt. So viel Egoismus kannte er gar nicht von seiner Gefährtin. »Und Fooly, dieses Wesen kam aus ihm heraus, schon vergessen?« Nicole öffnete den Mund, um Zamorra darauf hinzuweisen, dass das wohl unter anderem ihm zu verdanken war, aber dann schloss sie ihn wieder und nahm wortlos ihren Dhyarra in die Hand. Sie machte es wie vorhin: Sie konzentrierte sich darauf, die Wolke zurückzudrängen. Doch sie tat noch mehr: Sie stellte sich darüber hinaus vor, dass sie die Wolke einschloss. In ein blaues Energiefeld, das immer stärker wurde. »Sieh, was ich tue und mach es mir nach, Chef«, murmelte sie und schloss die Augen. Sie hob den Stein, damit er seine Energie voll auf die dunkle Wolke entfalten konnte …
* Schmerz! Dieses Licht, diese unerträglich grelle, bläuliche Licht! Damit hatte er nicht gerechnet! Diese Wesen griffen an! Aber dazu waren sie doch viel zu schwach … Der gestaltlose Dämon versuchte, das vergessene Gefühl des Schmerzes zu unterdrücken und der Quelle des Lichts auszuweichen. Er versuchte, wieder in den Körper des Drachen einzufahren und sich dort zurückzuziehen und beglückwünschte sich kurz zu der Vorsichtsmaßnahme, einen Anker im Körper der Kreatur zurückgelassen zu haben. Das würde ihm jetzt die Rückkehr ermöglichen …
Umso entsetzter war er, als er spürte, dass ihm der Rückweg versperrt war! Versperrt von dieser Energie, die ihn dank der Schmerzen, die sie seinem Astralkörper verursachte, so sehr an die endlosen, ewigen Folterqualen im Thronsaal der Herrin erinnerten … Das ganze Entsetzen, das ihn damals umfangen hatte und aus dem es kein Entrinnen gegeben hatte, erfasste ihn wieder. Er war der unsagbaren Pein ausgeliefert! Auf Gedeih und Verderb war er wieder an die Qualen gebunden, die jemand anderes ihm zufügen konnte. Nein! Das hatte er nie wieder erleben wollen, es war das Schrecklichste, was er sich vorstellen konnte. Es ging über jedes Maß des Erträglichen hinaus, nichts konnte ihn dazu bringen, das wieder zu erleben. Und der Fürst der Finsternis schien es zuzulassen! Der gestaltlose Dämon konnte es nicht fassen. Der Fürst zog es vor, sich auf die Seite der Weißmagier zu stellen … er verriet die Herrin! Er konnte nicht mehr an sich halten und schrie auf. Der Raum war erfüllt mit seinem Geschrei, bis die Agonie urplötzlich stoppte.
* Das Dunkel war gewichen. Zwar gab es noch einen Fleck undurchdringlicher Schwärze, doch er war wesentlich kleiner geworden und hing nach wie vor über dem kleinen Drachen. Die Verwirbelungen und Strömungen in der Wolke hatten aufgehört, und doch schien das Gespinst von absoluter Dunkelheit noch schwach zu wabern. Und es wurde nach wie vor kleiner, je mehr Nicole sich darauf konzentrierte. Doch plötzlich hob Fu Long die Hand. »Halt, Zamorra! Lass es mich noch einmal versuchen.« Zamorra legte Nici wieder die Hand auf den Arm und versuchte, sie aus ihrer selbst gewählten Trance zu wecken. Sie taumelte, als sie
»erwachte«, und lehnte sich erschöpft an ihn. Er strich über ihre Wange. »Schon gut, Süße. Lass mal sehen, ob unsere Argumente angekommen sind.« Er nickte Fu Long zu, der jetzt wieder das Wort ergriff. »Siehst du, was wir mit dir machen können? Sag mir, ob du es begreifst.« »Was … was ich begreife«, wisperte eine Stimme, die im ganzen Raum widerhallte, »ist die Tatsache, dass du mit den Feinden meiner Herrin kooperierst. Nur sie ist die Herrin über meine Schmerzen! Niemand sonst!« »Dieser Dämon ist wirklich ein klassischer Fall von StockholmSyndrom, Chef!«, murmelte Nicole. Zamorra konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Aber er antwortete nicht. Er wollte wissen, was Fu Long als Nächstes tat. »Ich kooperiere nicht. Mit niemandem. Ich habe dich geschützt, denn die beiden Weißmagier könnten dich mit einem Wimpernschlag vernichten.« »Ich weiß nur, dass du meiner Herrin nicht hilfst, der Herrscherin über alle Verdorbenheit!« »Warum sollte ich deiner Herrin helfen?«, fragte Fu Long mit einem unnachahmlich hochmütigen Tonfall, der Zamorra dazu zwang, ein Kichern zu unterdrücken. »Weil sie es war, die dir die Gelegenheit gegeben hat, dich für sie zu beweisen!« »Und wieder frage ich, warum ich in diesem Fall deiner Herrin gehorchen sollte. Ihr Angriffsplan hatte nämlich einen Haken: Sie hat die Beschwörung, die ihr dienen sollte, nicht selbst ausgesprochen.« Für einen Moment herrschte absolute Stille. »Es war der Weißmagier, den sie vernichten wollte, der das getan hat. Deine Herrin weiß sehr wohl, dass ein solcher Höllenzwang von niemandem aufgehoben werden kann, nicht einmal von ihr selbst.« Nicole richtete sich bei diesen Worten auf. Natürlich. Das hatte sie
doch wahrhaftig völlig vergessen! Sie fuhr zu Zamorra und William herum, die neben ihr standen. Die Überraschung war beiden vom Gesicht abzulesen. Offenbar hatte sogar der Professor dieses Detail vergessen. Fu Long sah sich kurz um und stellte zufrieden fest, dass er mit seinen Worten die Wirkung hervorgerufen hatte, die er beabsichtigt hatte. »Aber ich werde dir und deiner Herrin zeigen, dass ich nichts gegen sie habe und auch nichts gegen die Hölle unternehmen werde. Ich ergreife nicht Partei! Ich werde dich gehen lassen und dafür sorgen, dass dir der Weißmagier nicht weiter schadet. Ebenso jedoch werde ich dem Weißmagier nicht zu Willen sein. Es war ein Irrtum, der mich hierher geführt hat. Ein Irrtum deiner Herrin. Ich bin mein eigener Herr, das mag sie sich merken.« Nach einer weiteren Sekunde Stille ergriff der gestaltlose Dämon erneut das Wort. »Ich muss ihr dienen, der Königin der Schmerzen. Sie ist die unumschränkte Herrscherin über mich. Dank ihr bin ich, was ich bin. Ihr Wille geschehe!« Damit stürzte die Dunkelwolke mit einem durchdringenden Heulen auf Zamorra, Nicole und William zu. Im gleichen Moment hatte Nicole wieder ihren Dhyarra erhoben und einen blau leuchtenden Schild errichtet. Zamorra bemerkte besorgt, dass das Amulett nur geringfügig wärmer wurde, obwohl es mindestens so schnell einen grünlich wabernden Schutzschirm um sie drei hätte bilden müssen. Doch der Dämonenjäger verdrängte den Gedanken schnell wieder. Jetzt hatte er keine Zeit dafür. Er umfasste den Dhyarra, der in seiner Tasche lag, und stellte sich vor, wie die Dunkelwolke lautlos explodierte. Auf einmal herrschte wieder Stille. Die Wolke der Finsternis, der gestaltlose Dämon war nicht mehr.
*
»Wer, sagst du, ist da und will mich sprechen?«, fragte Stygia ungehalten. Verärgert sah sie den Schmetterling aus ihren Stäbchen entkommen. Sie warf das Besteck ungehalten zur Seite und richtete ihren zornigen Blick auf den Boten, einen ihrer geflügelten Affen. Dieser fletschte die Zähne und neigte den Kopf. »Es ist der Fürst der Finsternis, der Euch sprechen will, Grausamste!« »Na los, herein mit ihm!«, schrie Stygia und stand auf, ohne auf den Vampir in ihrem Schoß zu achten. Als er mit einem leisen Schreckensschrei mit dem Kopf auf den Boden prallte, lächelte sie boshaft. Ihre Laune besserte sich ein wenig. Doch sie sank wieder, als Fu Long die Halle betrat. Sein Gewand war prächtig, es bestand aus glattem, dunkelblauem und dickem Seidentaft, der nur am Saum mit goldenen Fäden bestickt war. Auf dem Kopf trug er ein Käppchen aus dem gleichen Material. Er trat herein, ohne gebeten worden zu sein, wie Stygia ärgerlich registrierte. Am liebsten hätte sie diesen dreisten Blutsauger sofort vernichtet. Er trug ebenso eine runde Brille, was die Ministerpräsidentin veranlasste, sich sofort zu fragen, ob dieser seltsame Dämon es wirklich nicht fertigbrachte, sich die Kurzsichtigkeit wegzuhexen. »Was willst du?«, fragte sie unwirsch, als er sich ihrem Thron bis auf zehn Schritte genähert hatte. Fu Long neigte respektvoll den Kopf. Stygias Augen verengten sich. »Normalerweise fällt in diesem Raum jeder auf die Knie, aus Respekt vor mir!« Fu Long neigte erneut den Kopf. »Herrin, ich unterstehe natürlich als Fürst der Finsternis Eurem Befehl. Aber ich wollte derjenige sein, der Euch meine Botschaft überbringt.« Stygia warf sich in ihrem steinernen Thron zurück und verzog das Gesicht. Der Thron war entschieden zu hart. Am liebsten hätte sie wieder ihren Knochenthron gehabt – aber dann erinnerte sie sich daran, dass sie es war, die in den Schwefelklüften die Herrscherin
war. Das war eben der Preis, den sie zu zahlen hatte. »Also, dann raus damit, Blutsauger!« Fu Long verzog keine Miene ob dieser Anrede und berichtete, was sich in Château Montagne zugetragen hatte. Stygias Gesichtsausdruck wurde von Satz zu Satz wütender, bis sie ihren Zorn kaum noch verbergen konnte. Als Fu Long bei der Vernichtung ihres Dieners angekommen war, unterbrach sie ihn. »Schweig! Willst du damit sagen, dass du dich auf die Seite dieses Weißmagiers gestellt hast?« Sie sprang auf und ging ein paar Schritte hin und her. »Nein, Herrin. Aber ich konnte mich nicht gegen ihn stellen, ich unterlag einem Zwang, der größer und mächtiger ist als der Fürst der Finsternis und selbst die Ministerpräsidentin LUZIFERs«, meinte Fu Long demütig. Doch Stygia war sicher, dass die Unterwürfigkeit des chinesischen Vampirs nur gespielt war. Sie wollte nicht zugeben, dass sie diese nicht unwichtige Kleinigkeit wirklich übersehen hatte. Du weißt, dass du verloren hast!, hörte sie eine Stimme in sich. Ihre Wut stieg noch, sie konnte nicht antworten. Du hättest wirklich daran denken können, dachte das verhasste Wesen in ihr. Du bist schuld! Du allein hast mir das eingebrockt!, erwiderte sie wild. Das Einzige, was ihr antwortete, war ein spöttisches Lachen. Es hallte in ihrem Kopf wider und schien sogar ein Echo in ihrem Thronsaal zu werfen. Stygia sah sich nicht um. Sie wollte nicht sehen, dass die Anwesenden wussten, was sich in ihr breitmachte. »Raus mit dir!«, schrie sie Fu Long an. »Raus! Alle raus aus meinem Thronsaal!« Fu Long verneigte sich erneut und ging rückwärts bis zur Tür. Stygia starrte ohnmächtig vor Zorn hinter ihm her.
* Schmerz.
Unendlicher Schmerz. Kaum noch etwas von mir ist übrig. Ich wollte das nie wieder erleben. Es ist wie seinerzeit in den Folterkammern der Herrin der unendlichen Schmerzen. Meine Welt bestand nur noch aus den Räumen, den Henkern, die immer neue Foltern an mir ausprobierten. Ich wusste bis dahin nicht, was ein Dämon alles ertragen kann – mehr als ein Mensch, denn ich sah unzählige von diesen schwachen Wesen die Kammern durch den Tod verlassen, nach Bruchteilen dessen, was mir die Königin zu ertragen auflud. Und jetzt ist es wieder so weit. Aber ein Teil von mir lebt noch. Auch das ist wie damals. Niemand konnte mich erlösen von diesem Leid. Niemand außer der Herrscherin der absoluten Qual. Und jetzt – ich weiß nicht einmal, ob sie weiß, dass ich überlebt habe. Ich werde lange brauchen, bis ich mich erholt habe. Lange. Wenn ich ihr nur wieder dienen kann. Ich werde den Auftrag ausführen … Vernichte das Licht! Wenn nur diese Schmerzen enden würden … Aber für meine Herrin werde ich auch diese Tortur auf mich nehmen. Egal, wie lange sie andauert. Ich werde hier überwintern, bis ich wieder stark genug bin. ENDE
Die Rückkehr des Schrecklichen von Christian Schwarz Zamorra und Nicole schätzen sich glücklich – immerhin wurde Stygia ein weiteres Mal daran gehindert, größeres Unheil im Château anzurichten. Doch Nicole versucht gerade, sich zu entspannen, da sieht sie einen alten Bekannten auf dem Söller des Südturms. Sie traut ihren Augen nicht, denn bei diesem Herrn glaubte sie ganz sicher sein zu dürfen, er sei ein für allemal mausetot …!