Fred McMason Strandräuber 1. 28. Februar 1580. An Bord der ›Isabella V.‹ herrschte Spannung. Am Wetter lag es nicht, obw...
21 downloads
571 Views
544KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Fred McMason Strandräuber 1. 28. Februar 1580. An Bord der ›Isabella V.‹ herrschte Spannung. Am Wetter lag es nicht, obwohl der Tag in der Bucht des Bude River nicht gerade ein Erlebnis zu werden versprach. Es lag an den Männern selbst, an dieser eigentümlichen Stimmung, wie sie immer herrschte, wenn die rauhbeinigen Gesellen nicht rechtzeitig an Land gekommen waren, um sich auf ganz natürliche Art abzureagieren. So regte jeder jeden auf. Die kleinste Kleinigkeit wurde aufgebauscht und zum Anlaß für Stunk und Ärger genommen. Ben Brighton, der den Seewolf Philip Hasard Killigrew vertrat, der immer noch in Plymouth bei Sir Freemont lag, sah dem Treiben schon eine ganze Weile vom Achterkastell aus zu. Neben ihm stand Batuti, der riesige Gambia-Neger. Seine schwarze Stirn hatte sich umwölkt, verstohlen blickte er Brighton von der Seite an. Dann wanderte sein Blick wieder zu Luke Morgan und Nils Larsen, die auf der Kuhl hockten und mißmutig an einem Tampen spleißten. Da ging Buck Buchanan vorbei, der jetzt anstelle des Kutschers die Kombüse übernommen hatte - unwillig zwar, aber einer mußte ja der Hanswurst für die anderen sein. Morgan hielt den Tampen leicht hoch, als Buck heran war. Larsen war emsig mit dem anderen Ende beschäftigt. Unauffällig grinsten sich die beiden zu. Buck sah aus, als hätte er sich an diesem Tag über die Essigvorräte des Schiffes hergemacht. Sein Gesicht war mißmutig, die Augen blickten verdrießlich, seine Mundwinkel
hatten sich gekrümmt. Der breite Kerl bot ein Bild des Jammers, als er über das jetzt an Deck liegende Tau stieg. Morgan und Larsen hoben es in genau dem Augenblick hoch, als Buck mit dem ersten Bein darüber gestiegen war. Buck riß entsetzt die Augen auf. Das schwere Tau geriet ihm zwischen die Beine. Die beiden Kerle hoben noch höher. Der Koch schwankte und wußte nicht, nach welcher Seite er gleich fallen würde. Zu fassen kriegte er auch keinen von den beiden verdammten Kerlen, denn die waren weit genug weg und grinsten infam. Ihre nervigen Fäuste packten noch fester zu, hoben noch mehr an. Für die anderen Zuschauer war die Prozedur belustigend, für Buck, der ohnehin wenig Spaß verstand, war sie schmerzhaft. Sein wütender Schrei flog über Deck. Er sprang auf einem Bein herum, wollte von dem verdammten Tau herunter und schaffte es doch nicht, weil die beiden grinsenden Kerle es immer höher hoben, je mehr Buck tanzte. »Und da sag noch einer, unser Köchlein versteht keinen Spaß!« brüllte Larsen. »Hei, wie das Köchlein grinst und freudig nach dem Tampen linst!« schrie Morgan begeistert. Buck Buchanan griff nach dem Tau, verlor das Gleichgewicht, ein allerletzter straffer Ruck, und er flog in hohem Bogen auf die Decksplanken. Schadenfrohe Gesichter grinsten ihn an. »Das war für deine Bohnen«, erklärte Morgan. »Und das für den fehlenden Speck«, sagte Larsen, griff das Tauende und zog Buck Buchanan eins über den Achtersteven, als der sich gerade erheben wollte. Der Schlag brannte höllisch und Buck war mit einem Satz auf den Beinen. Aus seinem Blick verschwand schlagartig alle Griesgrämigkeit. Er blickte wild und grimmig. Und dann gab es eine Überraschung an Bord. Sie erfolgte wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Buck sprang zur Bordwand, riß einen Koffeenagel aus der Nagelbank und drosch damit wild und gezielt auf die beiden total verblüfften Männer los. Morgan erhielt einen Schlag ins Kreuz und krümmte sich zusammen. Der verblüffte Larsen sah nur einen total tobsüchtigen Schatten auf sich zufegen und hob abwehrend die Arme. Vergebens. Der Schlag landete schmerzhaft auf seiner rechten Schulter. Ben Brighton sah der Sache gelassen zu. Nur neben ihm schnaufte Batuti hörbar. »Immer Kerle müssen prügeln, immer prügeln«, sagte er kopfschüttelnd. »Wenn zulange nicht an Land, dann Mord und Totschlag!« »Ja, da hast du allerdings recht, Batuti. Wird Zeit, daß diese wilde Horde endlich an Land kommt und sich austoben kann.« Brighton sah keine Veranlassung zum Eingreifen. Die beiden Kerle hatten den Koch wieder einmal gehänselt, und wenn er sich jetzt energisch zur Wehr setzte, war das sein gutes Recht. Und wie Buck jetzt auf der Kuhl herumtobte! Mit dem Koffeenagel hieb er nach links und rechts, fing sich selbst mal einen Brocken ein und schlug wieder zurück. Er wußte sich gut gegen seine Plagegeister zu wehren. Hoffentlich kühlte sich dadurch ihr Mütchen ein wenig ab. Doch etwas später begann die harmlose Plänkelei sich zuzuspitzen und in eine Schlägerei auszuarten. Das war dann, als Morgan ernstlich in Bedrängnis geriet und der Belegnagel hart an seinem Schädel vorbeipfiff. Er schnappte sich den tobenden Buck, verpaßte ihm zwei harte Brocken und schleuderte ihn auf Larsen zu. Der knallte Buck eine, gab ihm einen Stoß und schickte ihn zurück zu Morgan, der ihn mit dampfenden Fäusten empfing. Das Spiel hätten sie einige Male wiederholt, wäre nicht unversehens Carberry, der Profos, aufgetaucht. Und hinter ihm erschien noch einer, angelockt von dem Lärm und Radau, den die Männer
verursachten. Arwenack! Der Affe hatte die Zähne gebleckt, keckerte und versuchte in den Kampf einzugreifen. Hüpfend umkreiste er die Männer, die immer wilder auf Buck eindroschen, und sprang schließlich Luke Morgan ins Kreuz, der mit einem erschreckten Ruf herumfuhr. Er sah plötzlich das haarige Gesicht vor sich, als er herumsprang, entdeckte die gebleckten Zähne und spürte die runzeligen, haarigen Hände, die sich über seine Augen legten. »Hau ab, du Mistvieh!« brüllte er, und versuchte vergebens, den sich sträubenden Affen loszuwerden. »Schluß jetzt!« brüllte der Profos. Seine Stimme donnerte über die Kuhl wie die Nachwehen eines Gewitters. Buck Buchanan nutzte den Augenblick der Stille, um Luke Morgan noch einen harten Tritt in die Kehrseite zu verpassen. Augenblicklich fuhr Morgan herum und griff nach dem Koch. Da waren Carberrys riesige Fäuste dazwischen. Eine schnappte den Koch, die andere griff nach Luke Morgan. »Schluß jetzt, ihr Rübenschweine, hab ich gesagt! Oder spreche ich etwa zu leise, was, wie? Los, an die Arbeit, ihr beiden! Und du, Buck, verschwindest dahin, wo du hingehörst. Was hast du überhaupt hier herumzu schleichen!« »Die beiden Pfeffersäcke haben schließlich angefangen«, brüllte Buck lautstark zurück. »Ich hab denen nur zurückgezahlt, was sie noch offen haben.« »Verzieh dich!« grollte der Profos. Buck Buchanan verschwand zähneknirschend nach vorn. Bevor er in die Kombüse ging, drehte er sich noch einmal um und ballte die Hände zu Fäusten. »Wartet nur, ihr verdammten Hurensöhne!« schrie er. »Euch werde ich den Fraß morgen versalzen, daß ihr glaubt, der Atlantik wäre das reinste Zuckerwasser!« Nach dieser fürchterlichen Drohung verschwand er. Noch auf der Treppe zog er gekränkt den Kopf ein, als er das harte
Poltern vernahm. Ein Koffeenagel donnerte an die Tür. Wer ihn geworfen hatte, blieb für Buck Buchanan allezeit ein Rätsel. Carberry zog sich grollend zurück, als der Streit beigelegt war. Er rollte mit den Schultern und ging zu Brighton und Batuti, die ihn beide angrinsten. »Es geht wieder mal los«, sagte der Profos. »So wie jetzt fängt es immer an. Kaum sehen diese Rübenschweine Land und riechen eine Kneipe, schon ist ihr Verstand in der Pütz.« »Und du nichts Kneipe, nichts Weiber?« Batuti lachte. »Du nur denken an Arbeit, he?« »Ach, laß mich doch in Ruhe. Die Kerle sind nun einmal so, daran läßt sich nichts ändern«, sagte der Profos, der im Grunde genommen ja genauso dachte. Ihm erging es nicht anders, nur hatte er sich besser in der Gewalt. Brightons Gestalt straffte sich. Er war zu einem Entschluß gelangt, der ihm nicht gerade leicht fiel, weil er seine Männer kannte. Die mußten sich wieder einmal richtig austoben, sonst war hier an Bord der Teufel los. Sonst ging wieder alles drunter und drüber. »Gut«, sagte er. »Die Männer sollen ihr Vergnügen haben. Natürlich nur ein Teil, alle können nicht an Land. Wir halten es so wie das letzte Mal. Eine kleine Truppe zieht los, die anderen bleiben an Bord. Morgen verfahren wir umgekehrt.« Carberry grinste plötzlich über sein ganzes zernarbtes Gesicht. »Landgang«, sagte er andächtig. »Das ist schon eine feine Angelegenheit.« »Eben du noch geschimpft auf andere«, sagte der Neger. »Du auch Kneipe gehen, Verstand weg. In Pütz.« Bedenken, daß man sie hier in der versteckt liegenden Bucht fand, hatte Brighton nicht. Es war ziemlich unwahrscheinlich, denn von See aus war nur ein Teil der Bucht einzusehen, und sie waren ja noch ein Stückchen weiter hinaufgesegelt und
hatten sich in der Mündung des Bude River versteckt. »Wer geht alles mit?« forschte Carberry, der sich selbst schon an erster Stelle sah. Saufen, Weiber, eine handfeste Prügelei, dachte er, das würde die Kerle wieder aufmuntern, die eine ganze Weile wie die Mönche gelebt hatten. »Du führst den Trupp, Ed. Wie steht’s mit dir, Batuti? Willst du auch an Land gehen?« Der riesige Gambia-Neger schüttelte den Kopf. »Batuti bleiben an Bord. Land nicht gut für Batuti. An Land immer sagen verdammtes Nigger.« »Das sollte ich mal hören«, grollte der Profos. »Dem würde ich die Haut in Streifen von seinem Affenarsch ...« »Schon gut«, sagte Ben. »Wenn Batuti an Bord bleiben will, dann soll er. An Land wird er doch nur immer herausfordernd angestarrt. Er hat schon ganz recht mit seinen Bedenken. Die Leute hier sind kleinkariert. Du nimmst also Smoky, Luke Morgan, Nils Larsen, Sven Nyborg, Sam Roscill und Pete Ballie mit. Insgesamt seid ihr dann sieben Mann. Und noch etwas, Ed: Sieh zu, daß die englische Küste heil bleibt. Vielleicht geht es auch einmal ohne Prügelei ab. Wir haben uns verstanden? Aufsehen schadet uns nur. Es ist besser, wir halten uns still und unauffällig im Hintergrund, bis wir Hasard wieder an Bord haben.« »Aye, aye, alles klar. Dann können wir heute abend also abziehen?« »Bei Anbruch der Dunkelheit. Ruf die Leute nach dem Essen zusammen, sie erhalten etwas von mir, wenn es soweit ist.« Carberrys mächtiger Brustkorb blähte sich noch mehr auf, als er zur Kuhl hinunterging. Seine Gedanken waren schon ein paar Stunden der Zeit vorausgeeilt. Er nahm sich die Leute vor, die an dem Landgang teilnehmen durften, und bereitete sie darauf vor. Bald umringte ihn eine ausgelassene Horde. Die anderen, die nicht mitkonnten und erst für den anderen Tag vorgesehen waren, konnten diese Freude
verständlicherweise nicht teilen, obwohl es unter ihnen keinen direkten Neid gab. Aber die Kerle arbeiteten plötzlich alle wie besessen, obwohl es im Augenblick nicht viel zu tun gab, wie Carberry verwundert feststellte. Sie heizten sich schon für den Abend vor. Und dann war es endlich soweit. Carberry erschien mit seiner Horde verwegen aussehender Gestalten auf der Kuhl, wo Ben Brighton sie bereits erwartete. »Keinen unnötigen Ärger, Männer«, schärfte er ihnen nochmals ein. »Benehmt euch so, wie es sich für anständige Freibeuter gehört. Hier, Ed, sind zehn Pfund in Gold für dich. Die anderen Männer erhalten ebenfalls jeder die gleiche Summe in Gold. Damit könnt ihr sämtliche Kneipen leersaufen und die Puppen tanzen lassen.« Carberry starrte die Münzen an, die Brighton ihm reichte. Sein Gesicht war eitel Freude und Sonnenschein. Sein Rammkinn war noch weiter vorgeschoben als sonst. Auch Smoky, Morgan und die anderen starrten fassungslos auf das Geld. Zehn Pfund waren ein Vermögen! Mit zehn englischen Pfund konnte man die halbe Welt kaufen, das waren ihre Überlegungen. »Nehmt es nur«, sagte Brighton, als die Männer nur zögernd nach dem Geldsegen griffen. »Ihr alle habt es euch ehrlich verdient. Und außerdem stammt das Geld aus dem Verkauf der Tabakballen, die wir dem fetten Mitchell in Penzance angedreht haben.« Ja, daran erinnerten sie sich noch genau. Auf der ›Isabella‹ hatte es ein Gelächter gegeben wie selten zuvor. Der Held des Tages war damals Jean Ribault gewesen, der so meisterhaft den französischen Kauffahrer gespielt hatte. »Auf, ihr Rübenschweine!« brüllte Carberry. »Was steht ihr noch herum und glotzt. Oder soll ich den Landgang wieder abblasen?«
Er hatte noch nicht fertig gesprochen, als die sechs Männer wie die Affen von Bord flitzten und sich in Sekundenschnelle vor dem Schiff versammelten. Vom Hauptdeck aus blickten ihnen die anderen nach, darauf hoffend, daß auch sie bald an der Reihe waren. * Es dunkelte bereits, als sie in Bude eintrafen. In dem kleinen Fischerhafen lagen die Boote ruhig auf dem schwarzen Wasser. Krabbenfischer, Heringsfischer und Gammelboote, die alles mitnahmen, was in ihre Netze gelangte. Am Hafen selbst brannte kein Licht. Es roch nach Teer, Seewasser, Tran und verfaultem Fisch. »Die Kneipe ist genau richtig!« Der Profos zeigte mit der ausgestreckten Hand auf die Schenke zur linken Seite. Hinter den halbblinden Scheiben flackerte Licht, vor der Bohlentür hing eine Ölfunzel, die ein Schild beleuchtete. »Bude Bay« stand darauf, in eine schwere Holzplanke geschnitzt. »Scheint mir verdammt ruhig zu sein, der Laden«, meinte Smoky. »Aber wir werden schon für Lärm sorgen!« Auf dem staubigen Bürgersteig vor der Kneipe lag ein betrunkener Penner in abgewrackter Kleidung. Er rülpste laut, als die Männer vorbeigingen, drehte sich halb zur Seite und schnarchte weiter. »Keine Sorge«, sagte Carberry, »der Laden sieht nur so ruhig aus. Da wird gewürfelt, gespielt, gesoffen - und Weiber gibt’s auch. Hier verkehren fast nur Fischer, Knechte und solche Pennbrüder wie der hier.« Der Penner raffte sich gerade auf, torkelte hinter ihnen her und klammerte sich an dem bulligen Pete Ballie fest. Eine Ausdünstung von saurem Wein schlug Ballie ins Gesicht. Torkelnd stand der Pennbruder vor ihm. »He, Kumpel«, grölte er, »ich kenn da ein Mädchen, äh, ein
Mädchen, sage ich dir ...« Ballie spürte, wie zwei Finger in seine Jackentasche glitten und nach den Goldstücken griffen. Der Kerl tat es geschickt, er berührte nicht den Körper dabei. Vermutlich hatte er auf diese Art und Weise schon so manchen Seemann ausgemistet. Ballie ließ ihn ein Goldstück ziehen, dann packte seine harte Hand zu und quetschte dem anderen schmerzhaft die Finger zusammen. »Nun seht euch diesen kleinen Klauer an«, knurrte er. Er nahm ihm das Geld ab und holte einmal kurz aus. »Penn weiter in der Gosse!« Ein Schlag, der dem Pennbruder fast den Hals brach, fegte ihn ein paar Schritte zurück. Wie von der Culverine abgefeuert, segelte er weiter und landete ein paar Yards neben der Stelle, an der er sich schon einmal hingelegt hatte, nur, daß er jetzt vorläufig nicht mehr ans Aufstehen denken konnte. »Paßt gut auf euer Geld auf«, sagte Carberry, bevor sie die Kneipe betraten. »Hier gibt es die übelsten Halsabschneider, Schnapphähne und Hafenhaie. Ihr seid euer Geld sonst schneller los, als ihr es versaufen könnt.« Er stieß die Tür auf. Die Männer folgten ihm grinsend. In der Kneipe, in der ohnehin nicht viel Lärm herrschte, wurde es so still wie in einem Grab. Köpfe ruckten herum, um die Neuankömmlinge zu betrachten. Scheele Blicke streiften die Männer, die sich nicht daran störten. Sam Roscill sah eine dunkle Schöne auf dem Schoß eines Mannes sitzen, die ihm gerade den Arm um den Hals gelegt hatte. Jetzt wanderte der Blick ihrer Augen zu Roscill hin, gegen den der andere Kerl wie ein grobbehauenes Stück Treibholz aussah, aus dem man ein Gesicht hatte formen wollen. Irgendwann aber hatte den Former dann die Lust verlassen und aufgehört. Carberry marschierte grinsend zur Theke und baute sich
davor auf. Seine mächtigen Pranken legte er breit auf das Holz. Der Wirt hinter der Theke, ein mittelgroßer Kerl mit einer Halbglatze und erwartungsvoll blickenden Augen, musterte die Männer wohlwollend. Seelords brachten für gewöhnlich Geld, anders als diese einfachen Knechte und Penner, die bei einem Humpen stundenlang herumhockten und große Sprüche klopften. Neben dem Wirt stand ein Kerl in einem dunklen Wams und schweren Holzschuhen. Er wirkte wie ein Büffel, und seine Pranken standen denen Carberrys nicht viel nach. »Ho, Männer«, fing der Wirt an. »Seid ihr von der Galeone, die im River liegt?« Mittlerweile waren auch die anderen an die Theke getreten. Roscill sah sich immer wieder nach der Schwarzhaarigen um, die ihm verstohlen zuzwinkerte. Der Profos hämmerte seine Pranke auf die Holztheke, daß der ganze Laden zitterte. »Wollen wir hier dämliche Fragen beantworten oder saufen, Jungs?« fragte er. »Saufen natürlich«, fiel der ganze Chor ein. »Na also, dann laß mal den Branntwein antanzen, Mann!« »Sehr wohl, Sir«, sagte der Wirt und gab dem Büffel neben sich ein Zeichen, damit der gleich mit dem Einschenken begann. Jetzt erst sahen sich die Männer richtig um. Die Schenke war schmuddelig, aber das waren fast alle Hafenkneipen. Mächtige Eichenbalken trugen die verräucherte nachtschwarze Decke, von der ein paar Ölfunzeln herabhingen. Links und rechts an den langen Holztischen kam nur noch schwach das Licht hin. Dort hockten Männer und Frauen, die Männer zum größten Teil Fischer, die Frauen ausnahmslos Hafenhuren. Ein paar würfelten. Andere hockten nur da und stierten in die Humpen. Ein bärtiger Kerl fummelte einer kichernden Hure ständig
unter dem Rock herum. Der Bärtige hatte Schlagseite, was ihn jedoch nicht davon abhielt, gründliche Forschungen anzustellen. »Cheers«, sagte der Profos und hob das Glas. »Cheers!« brüllten die anderen. Der scharfe Branntwein gluckerte durch durstige, ausgedörrte Kehlen. Eine der Ladies löste sich aus dem Halbdunkel der linken Tischreihe und stöckelte an den Tresen. Sie hatte lange, hellblonde Haare, einen grell geschminkten Mund und große helle Augen. Ihre Stimme klang wie der Wind, wenn er durch die Pardunen fuhr und sie grell singen ließ. »He, Freunde! Und ich? Kriege ich nichts?« Sie hatte selten so viele Bewunderer auf einmal gehabt und badete förmlich in den Blicken, die sie schon auszogen. Sven Nyberg legte ihr den Arm um die Hüfte. »Du kriegst auch was«, versprach er, »wenn du noch ein paar Freundinnen herbringst.« Die Freundinnen tanzten schon unaufgefordert an. Der Einladung hatte es gar nicht mehr bedurft. Und als Carberry das erste Goldstück auf die Theke knallte, kannte die Freude der leichten Mädchen keine Grenzen mehr. Das waren Kerle! Die sahen nicht nur verwegen wie die Höllenhunde aus und rissen die Mäuler auf - die hatten auch noch was zu bieten! Und das war ja immerhin ein gewichtiges Argument. Nur der dunkelhaarige Sam Roscill hielt sich zurück. Eine der Schönen lungerte vor ihm an der Theke herum. Ihre Hand strich immer wieder leicht über seinen Oberarm. Doch Roscill hatte nur Augen für die Schwarze, die bei dem verdammten Klotz von Knecht hockte. Auch sie warf ihm immer wieder heiße Blicke zu. Ihr schwarzes Haar war schulterlang, an den Ohren ringelten sich Löckchen empor, und das regte Roscill mächtig auf. Und Brüste hatte die Kleine!
Die mußte er haben. Er drehte sich von der Theke weg und suchte wieder ihren Blick. Carberry knuffte ihm in die Rippen. »He! Was ist denn mit dir los, Mann! Die Kleine da will was von dir. Greif zu, oder ich schnapp sie dir weg!« »Nimm sie ruhig«, sagte Roscill. »Ich hab schon was anderes im Spektiv. Die Schwarze da!« Carberry angelte sich die Kleine neben Roscill und schüttelte den mächtigen Schädel. »Weib ist Weib«, dröhnte er. »Egal, ob schwarz, blond oder rot!« »Ich kenne da Unterschiede, Ed.« »Mach, was du willst«, grollte der Profos. »Aber der Holzkopf da drüben wird das Mädchen wohl nicht so leicht hergeben. Der bringt dich ja schon mit seinen Blicken um!« Das stimmte allerdings, wie Roscill feststellte. Der ungeschlachte Lümmel stierte wütend herüber, verzog die Lippen zu einem lautlosen Knurren und fletschte die Zähne wie Arwenack, der Affe. Nur sah Arwenack wesentlich besser aus. Roscill amüsierte sich heimlich. Das Mädchen saß da wie auf glühenden Holzkohlen, sie drängte von dem Burschen weg, aber der zog sie immer wieder mit einem Knurren an sich heran. Sie traute sich nicht, einfach aufzustehen, denn wo der Knecht einmal hinlangte, da wuchs nichts mehr, und es sah ganz so aus, als würde er dem hübschen schwarzen Kerl jetzt gleich irgendwo hinlangen. Roscill entschloß sich zum Frontalangriff. Er stieß sich von der Theke ab und ignorierte die Blicke, die ihm von allen Seiten zuflogen. Es waren düstere Blicke, die an ihm klebten, und neidische waren auch darunter. Das lag an dem Gold, das die Männer an der Theke gerade versoffen. Schon lange vorher, als Carberry die erste Münze auf die Theke geknallt hatte, waren diese schiefen Blicke
aufgekommen. »Hallo«, sagte Roscill mit seiner dunklen, einschmeichelnden Stimme und schenkte der Schwarzen einen feurigen Blick. »Haben wir uns nicht schon mal gesehen?« Die Schwarze konnte tatsächlich noch rot werden, dachte er belustigt. Und der grobe Johann neben ihr, der konnte sogar stinkwütend werden. Kaum hatte Roscill seine banale Frage gestellt, als der Klotz sich langsam erhob. Er tat es wirklich langsam, und es sah verdammt überlegen aus, zumal er Roscill auch noch um eine gute Kopflänge überragte. Roscill sah auf die baumelnden Hände, Dinger so groß wie eine Pfanne, schwielig, hart. Gleich würden sie sich ballen und versuchen ihn ungespitzt in den Boden zu rammen. Sein Grinsen verstärkte sich noch mehr. Herausfordernd sah er dem Kerl in die wäßrigen Augen. »Ist was?« Dem Grobian blieb buchstäblich die Spucke weg. Sprachlos starrte er Roscill an. Der drehte sich gerade nach der Schwarzen um, faßte sie am Arm und grinste wieder. »Es ist nichts«, sagte er beruhigend. »Komm mit zu meinen Freunden, der Bursche braucht noch ‘ne Weile, bis er meine Frage beantwortet hat.« Der Knecht, ein heller Kopf hauptsächlich seiner blonden Haare wegen, stand dümmlich da und kapierte die Frechheit einfach nicht. Es dauerte lange, bis sich zwischen dem Stroh in seinem Schädel und den paar Gehirnwindungen etwas rührte. Er stieß ein gurgelndes Grunzen aus und rückte näher. »Ho«, sagte er wütend, denn er dachte nicht im Traum daran, dem schwarzhaarigen Kerl das Feld zu überlassen. Am Tresen amüsierten sich inzwischen die Männer über das kleine Zwischenspiel. Der vierschrötige Bulle bot ein Bild des Jammers, aber auch gleichzeitig einer grenzenlosen Wut, wie
er so dastand und das eben Geschehene zu verdauen suchte. »Bin mal gespannt, was er jetzt tut«, sagte Carberry und schob sein Rammkinn in die andere Richtung. Pete Ballie sagte gar nichts. Er hatte sich die blonde Sirene geschnappt, war an den Nebentisch im Dämmerlicht abgehauen und untersuchte sie jetzt gründlich. Er erklärte ihr, daß es gar nicht gut sei, ständig in Höschen herumzulaufen. Was sich da zwischen Roscill und dem ungehobelten Patron anbahnte, juckte ihn nicht im geringsten. Lediglich Carberry, Morgan und Smoky blickten immer noch interessiert herüber. Jetzt begann der bullige Knecht zu reagieren. Seine Augen funkelten, einer seiner mächtigen schlenkernden Arme hob sich, um nach der Schwarzen zu greifen. »Ho«, grollte es dumpf aus seiner Brust. »Das hast du schon einmal gesagt«, erinnerte ihn Roscill. »Aber wie geht’s weiter?« Mit der rechten Hand drückte er die Schwarze sanft hinter seinen Rücken, als die mächtigen Pranken vorschossen. Sie griffen ins Leere, und das löste bei dem Ungehobelten eine Wut aus, die ihn rasend werden ließ. Jetzt mußte Roscill aufpassen, denn auf der anderen Seite der Bankreihe wuchs ebenfalls das Interesse. Es sah allerdings so aus, als stünden die Fischer und Knechte ausnahmslos auf der Seite des wütenden Bullen. Der Knecht hatte jetzt endlich begriffen. Vorher war ihm das einfach nicht runtergegangen. Da stand so ein Wicht vor ihm, lachte ihn aus, schnappte ihm das Vollblutweib weg und verulkte ihn noch dazu. Ein Kerl, den er zwischen zwei Fingern seiner Faust zermatschen konnte, wenn er zugriff. Na, der sollte sein blaues Wunder erleben, dachte er. Und wenn er den Kerl in die Erde gerammt hatte, dann kehrte die Schwarze, dieses Luder, wieder von ganz allein zu ihm zurück. Er schlug zu. Seine Faust ballerte los wie eine Drehbasse und zielte genau auf den Schädel des schlanken Mannes. Der würde
jetzt platzen wie eine reife Frucht. Danach, das nahm der Knecht sich ernsthaft vor, würde er mit dem Rest, der von dem Kerl noch übrig war, das Blut vom Boden aufwischen und die einzelnen Teile aus dem Fenster werfen. Zu seiner grenzenlosen Verwunderung traf er nicht. Da, wo er eben noch deutlich den Schädel gesehen hatte, befand sich jetzt nur noch Luft, in die er ein mächtiges Loch schlug. Der eigene Schwung riß ihn fast von den Beinen. »Mann, hast du einen Schlag«, sagte Roscill trocken. »Damit hättest du mich glatt umgebracht, wenn ich nicht zufällig einen Schritt zur Seite gerückt wäre.« Der Riese begriff nicht gleich. Dafür hörte er Carberrys brüllendes Gelächter von der Theke her. Ein paar andere grölten mit. Wieder sah er rot. Er konnte nichts für seinen Gesichtsausdruck, den er dabei aufsetzte, aber für jeden Polizisten hätte es gereicht, den Kerl drei Wochen lang einzusperren. Seine Faust schoß auf das Gesicht des verfluchten Grinsers zu. Die andere drosch er gleich hinterher. Roscill stand seitlich neben ihm und brachte ihn mit seinen Bemerkungen an den Rand des Wahnsinns. »Nicht schlecht«, höhnte er, »aber du mußt schneller schlagen, verstehst du? Nicht so lahmarschig. Bis deine Fäuste auf dem Marsch sind, bin ich schon am Hafen und hab vorher noch die Hübsche vernascht.« Ein uriger Schrei dröhnte durch das Lokal. Roscill wollte es diesmal wohl ganz genau wissen. Er war wieselflink und wendig, aber Carberry dachte auch daran, daß er mal einen von diesen Schlägen einfangen konnte. Und dann war selbst für den knallharten Karibik-Piraten das Feuer aus. Er brauchte dann nicht einmal ärztliche Behandlung. Der Klotz wurde noch einmal gestoppt, als sich die Tür der Kneipe öffnete und zwei weitere Kerle eintraten. Roscill schenkte ihnen nur einen flüchtigen Blick. Die beiden
Kerle waren weder Fischer noch Knechte oder Handwerker. Man sah ihnen die Galgenvögel meilenweit an. Ihre Visagen drückten genau das aus, was sie waren: Lumpengesindel, Pack, Pennbrüder, die klauten und sich durchsoffen und stahlen. Der Riese hatte sie ebenfalls nur kurz gemustert, dann wandte er sich wieder Roscill zu, der blitzschnell zur Seite sprang. Roscill hatte noch kein einziges Mal zugeschlagen. Es bereitete ihm einen unbändigen Spaß, diesen Klotz zu ärgern, indem er immer schnell zur Seite sprang, sowie der in seiner grenzenlosen Weißglut loslegte und immer wieder Löcher in die Luft schlug. Aber jetzt hätte es ihn beinahe doch erwischt. Eine Faust sauste haarscharf an seinem Schädel vorbei. Er hörte die Luft pfeifen. Seine eigenen Leute feuerten ihn an - und versetzten den Knecht dadurch in immer größere Wut und Rage. Wie ein wilder Bulle stürmte er vor, mit wirbelnden Fäusten, einen markigen Schrei auf den Lippen und mächtig hervorgewölbtem Brustkasten, unter dem Roscill sich ohne weiteres verstecken konnte. Roscill duckte ab, trat einen Schritt zurück und ließ die mächtigen Schwinger wirkungslos verpuffen. Noch bevor der rasende Bulle Luft holen konnte, war der Karibik-Pirat heran. Schnell und hart schlug er zweimal hintereinander zu. Die Schläge kamen aus dem Schultergelenk, es war eine Menge Dampf dahinter. Alle beide trafen in den Magen. Augenblicklich blieb der Knecht stocksteif stehen, als sei er gegen eine Wand gerannt. Roscill ließ ihm keine weitere Zeit zum Staunen. Kaum knickte die bullige Figur durch den rasenden Schmerz etwas ein, als ihm zwei knallharte Brocken haargenau unter das ungeschlachte Kinn donnerten. Der Knecht riß die Arme hoch, ruderte, kriegte glasige Augen und verlor dann das Gleichgewicht.
In seiner ganzen Länge schlug er krachend auf den Bretterboden und ließ die Kneipe in allen Bohlen erbeben. Sekundenlang herrschte eine Stille, als wäre die Schenke leer. Die Fischer sahen sich an, als trauten sie ihren Augen nicht. Ein paar Huren kreischten entsetzt, zwei andere Knechte sprangen auf und starrten den Mann am Boden an, der jetzt die Augen geschlossen hatte und sich nicht bewegte. Wie tot lag er da. Auch der Schankwirt riß den Mund auf. Der grobe Johann neben ihm schüttelte immer wieder seinen dicken Schädel. Auch er kapierte nicht, was da vor seinen Augen reglos am Boden lag. Sein ungläubiger Blick wanderte zu Roscill, der ihn ironisch anlächelte. Die Männer der ›Isabella‹ grinsten still in sich hinein, bis auf Pete Ballie. Der hockte jetzt mit der Blonden unter dem langen Tisch im Halbdunkel und ging zum Großangriff über. Die verzückten Schreie der Blonden heizten den anderen ganz schön ein und ließen darauf schließen, daß Ballie im Heimathafen angelangt war. Carberry, auf dessen Schoß die Kleine wie eine zerbrechliche Puppe aussah, lachte dröhnend und überlaut. Er warf einen abfälligen Blick auf die gefällte Eiche am Boden. »Möchte wissen, was dieser quergestreifte Affenarsch sich erhofft hat«, sagte er, »Der will gegen einen von uns anstinken? Ho, Männer, darauf die nächste Lage. Stell das Faß am besten gleich auf die Theke, Wirt!« »Wenn Sie meinen, Sir.« Der Wirt dienerte. Diese Gäste schienen Geld wie Heu zu haben, und daher war ihm alles recht. Solange sie gut zahlten, konnten sie tun und lassen, was sie wollten. Sie brachten an diesem Abend jedenfalls mehr Geld rein als die gesamten anderen Fischer in einem ganzen Monat. Zusammen mit seinem Gehilfen hob er das Eichenfaß auf die Theke, als Carberry ihn noch einmal unmißverständlich dazu
aufforderte. »Das Faß ist gekauft, Wirt«, erklärte der Profos. »Sag deinen Preis, aber versuch nicht, uns zu bescheißen. Sonst landest du selbst in dem Faß, wenn es leer ist. Klar?« »Völlig klar, Sir«, sagte der Wirt. Sie durften ihn beleidigen, soviel sie wollten, denn das Gold wusch alles wieder von ihm ab. »Deinen ›Sir‹ kannst du dir an den Hut stecken«, empfahl Carberry, doch der Wirt war nicht zu bremsen. »Wie Sie wünschen, Sir!« Der Profos winkte ab. Gerade kamen wieder zwei Männer herein, Fischer wie es den Anschein hatte. Die Kneipe wurde immer voller. Sie setzten sich zu den anderen, nachdem sie einen schiefen Blick auf den gefällten Baum am Boden geworfen hatten. Carberry hörte sie erregt miteinander tuscheln. Roscill legte einen Arm um seine neue Errungenschaft, die sich eng an ihn schmiegte. »Wie heißt denn unser schönes Kind?« fragte er. »Rose«, hauchte die Schwarzhaarige. »Rose«, wiederholte Roscill. »Wird Zeit, daß die Rose gepflückt wird, was meinst du?« Roscill langte ungeniert in ihren Ausschnitt. Carberry und Smoky sahen interessiert zu, obwohl sie selbst Weiber auf dem Schoß sitzen hatten. Aber diese Rose war wohl das schönste Mädchen, das es in Bude Bay gab. Die stach alle anderen aus. »Jetzt sucht er die Dornen bei der Rose«, sagte Nyberg. Roscill kümmerte sich nicht um ihn. Sollten sie doch lästern, wenn sie Spaß daran hatten, dachte er. Er wandte sich an den Wirt. »Wie steht’s mit einem Zimmerchen, Wirt. Für den Fall, daß ich müde werden sollte?« »Oben, Sir«, sagte der Wirt. »An der Balustrade entlang und dann rechts. Die Zimmer sind alle frei.«
Roscill klatschte der Schwarzhaarigen seine Pranke leicht auf das runde Hinterteil. Rose griff ihm um die Hüfte und kicherte. »Wenn du im Bett auch so stark bist wie hier in der Schenke, dann wird es bestimmt eine wilde Nacht.« »Darauf kannst du dich verlassen. Hinterher wirst du glauben, eine unter vollen Segeln laufende Galeone habe dich gerammt!« Sie kicherte wieder, wurde dann aber schlagartig ernst. Roscill sah ihr Gesicht und fuhr herum. Da stand er, der Knecht. Er schwankte noch leicht, und seine Augen blickten rotunterlaufen und etwas glasig. Er hatte offensichtlich noch nicht genug und wollte seine Scharte wieder auswetzen. In der Schenke hielten alle Männer den Atem an, als der Koloß tief Luft holte. Nur die Crew grinste sich eins. »Komm her, du verdammter Hund!« brüllte der Knecht. »Ich werde dich ...« Roscill stieß sich leicht von der Theke ab. »Erzähl nicht, was du alles willst«, sagte er, »sondern zeig’s lieber. Und halt mich nicht so lange auf, meine Rose wartet!« Das Mädchen! Das löste in dem Knecht einen Schrei aus. Grunzend rückte er näher und schwang die enormen Fäuste. Er hatte sie noch nicht halb erhoben, als Roscill mit zwei blitzschnellen Sätzen heranfegte. Noch bevor der Knecht reagieren konnte, schlug Roscill ihm eine Doppelserie harter Treffer auf die Nieren, die den Knecht von oben bis unten durchschüttelte. Benommen schwankte er hin und her. Kraftlos fielen seine Fäuste herab. Roscill hatte jetzt genug. Dieser große Esel würde doch keine Ruhe geben und immer wieder Stunk anfangen. Deshalb schlug er noch zweimal erbarmungslos zu. Dem Riesen flog der Kopf in den Nacken, als die harten Fäuste rasend schnell unter sein Kinn flogen und ihn regelrecht von den Beinen hoben. Zum zweiten Male hörte es sich so an, als
würde ein schwerer Baum gefällt, der krachend zu Boden stürzte. Einen Tisch nahm der Riese bei seinem Abtritt noch mit. Er ging total in Trümmer, als er ihn streifte. Den Männern bot sich gleich darauf wieder das altvertraute Bild. Reglos lag der Knecht in den Holztrümmern, während Roscill über seine Knöchel blies und an die Theke zurückkehrte. In Roses Blick lag ein grenzenloses Staunen. Die Männer der Crew brüllten vor Vergnügen. Nur die Fischer und anderen Knechte waren merkwürdig still. Feindselige Blicke flogen zur Theke hin, wo die Goldstücke tanzten. Dann wurde weitergetuschelt. »Komm, meine Süße«, sagte Roscill, den es jetzt danach drängte, endlich mal mit seiner Rose allein zu sein. »Wir gehen nach oben.« Er schnappte sich eine Flasche Rotwein von der Theke, nickte dem Wirt freundlich zu und spazierte mit Rose engumschlungen nach oben. Grinsend zog er die Tür ins Schloß. 2. An der Theke wurde gesoffen, gegrölt und wieder gesoffen. Die angetrunkenen Huren kreischten, wenn derbe Seemannsfäuste an ihnen zerrten oder zupackten. Hinter ihnen im Schankraum nahm das Getuschel kein Ende. Die Fischer hatten die Tische zusammengeschoben, steckten die Köpfe zusammen und redeten. Drehte sich Carberry einmal nach ihnen um, dann schwiegen sie plötzlich. Die Blicke wurden immer scheeler, immer feindseliger. Es lag etwas in der Luft. Die zweite Runde vielleicht, dachte der Profos. Den Knecht hatten sie mittlerweile hinausgetragen. Er hockte vor der Tür auf den Steinstufen mit einem Blick, der in weite Fernen gerichtet war. In seinem Schädel tobten sich ganze
Bienenschwärme aus, er war völlig durcheinander. Da standen zwei der Fischer auf und marschierten mit schweren Schritten langsam zur Theke. Neben dem Profos bauten sie sich auf. Mit gerunzelter Stirn starrten sie auf das Goldstück, das der Profos gerade dem Wirt zuwarf. Einer der beiden starrte Carberry herausfordernd an. Auf seinem Gesicht erschien ein eigentümliches Grinsen. Carberrys Lippen kniffen sich zusammen. Als er einen Blick über die Schulter warf, sah er die geschlossene Meute der Fischer und Knechte herüberstarren. Es waren mehr als zwanzig Männer. Er stieß Smoky an, der gerade sein Glas absetzte. »Achtung!« raunte er. »Sieht so aus, als führten diese Kerle was im Schilde.« »Wegen dem Affenarsch von Knecht? Das hätten sie sich früher überlegen sollen.« »Nein, verdammt, es ist noch etwas anderes. Paß jedenfalls auf und sag den anderen Bescheid.« Die beiden Fischer bestellten sich große Humpen Wein. Der eine, der Carberrys Gestalt hatte, lächelte den Profos übertrieben freundlich an, als er seinen Rotwein-Humpen in Empfang nahm. »Es ist doch gestattet, Sir, hier neben Ihnen zu stehen, Sir? Oder dürfen wir das nicht, Sir?« Carberry liebte es geradezu, so schräg angequatscht zu werden. Vor allem, wenn er nicht begriff, was dahintersteckte. Er maß den Fischer mit einem grimmigen Blick. Sein Rammkinn wurde immer größer, wenn er sich ärgerte. Hell zeichneten sich die Narben in seinem kantigen Gesicht ab. »Steh doch, wo du willst, Sir! Meinetwegen auf dem Kopf!« »Danke, Sir.« Der Fischer grinste wieder übertrieben freundlich. »Sind das echte Goldstücke, Sir?« fragte er, mit seinem Quadratschädel auf die Münze deutend, die auf der Theke lag.
Noch beherrschte sich der Profos. Er dachte an Ben Brightons Worte. Wenn es ging, dann nicht schon wieder eine Schlägerei. Die kleine Sache mit dem Knecht zählte natürlich nicht. Davon machte niemand großes Aufheben. Sehr freundlich wandte sich der Profos ihm jetzt zu, nahm das Goldstück in die Hand und zeigte es dem Fischer. »Nein, kein Gold«, sagte er. »Das ist Scheiße, Sir. Die backen wir so täuschend ähnlich, daß sie aussieht wie Gold.« »Sehr interessant«, höhnte der Fischer, der von den anderen vorgeschickt war, um zu stänkern. »Dann seid ihr wohl alle große Scheißer, wie?« Dem Profos stieg die Galle hoch. Anfangs hatten seine Männer gelacht, aber jetzt verfinsterten sich ihre Gesichter. Smoky ließ das Mädchen auf seinem Schoß abrutschen und stand auf. Doch der Profos gebot mit einer Handbewegung Schweigen. »Richtig«, grollte er. »Wir alle sind große Scheißer. Merkt ihr das nicht, wenn ihr eure Netze hochzieht? Da ist mehr Scheiße als Fisch drin!« Der Fischer schluckte seinen Ärger hinunter, trank einen tiefen Zug aus seinem Humpen und drehte Carberry den Rücken zu. Um das Gelächter der Crew kümmerte er sich nicht. Carberry juckte es mächtig in den Fäusten. Am liebsten hätte er diesen Burschen zu sich rangeholt und ihm mal die Fäuste ins Gesicht gedrückt - trotz der erdrückend großen Übermacht, die in der Kneipe herrschte. Zornbebend trank er sein Glas leer und lauerte darauf, daß der Kerl noch mal sein Maul aufriß. Dann würde er es ihm stopfen, egal wie immer die Sache ausgehen mochte. Egal auch, was Ben Brighton später dazu sagte. Er ließ sich nicht beleidigen, und sie selbst hatten ja keinen Stunk angefangen. Er fand, daß sie sich schon lange nicht mehr so gesittet benommen hatten wie heute abend. Geradezu ekelhaft war das schon. Wie eine
Herde frommer Pilger hockten sie an der Theke. Verdammt! Da hätten sie gleich an Bord bleiben und Wasser saufen können! Solche Gedanken ließen den Profos nicht mehr los. Wenn er den Kerl jetzt aus Versehen mal hart anstieß, mal sehen, was der dann tat. Wenn er zuschlug, und bei diesem Gedanken huschte regelrechte Erleichterung über des Profos harte Züge, ja dann dann konnte er natürlich zurückschlagen. Das war sein gutes Recht. Schließlich ließ er sich doch nicht zuerst ... Mit dem linken Ellenbogen holte er aus, aber ausgerechnet in diesem Augenblick trat der Fischer etwas zurück, weil von der Theke eine undefinierbare dunkle Brühe herunterfloß. Carberrys Ellbogen erwischte den Humpen, der sich sofort auf die Reise begab und den Inhalt nach hinten verspritzte. Der Fischer kriegte sogar noch etwas von der roten Brühe ab. »Verzeihung.« Der Profos lächelte erwartungsvoll. Seine Hände waren schon, geballt, doch er erlebte eine herbe Enttäuschung. »Macht nichts, Sir, ich bestelle mir einen neuen«, erwiderte der Kerl mit der allergrößten Unverfrorenheit. Da blieb Carberry glatt die Luft weg. Sein Gesicht versteinte, der mächtige Unterkiefer fiel herab. Als er ihn schloß, gab es ein hörbares Geräusch. Morgan, Smoky, Nyberg und Larsen standen bereit. Nur Pete Ballie störte sich immer noch nicht an der ganzen Geschichte. Er hatte sich mit seiner Lady noch weiter ins Dunkle zurückgezogen, wo seine Finger so emsig auf der Lady herumstrichen, daß die nur noch entzückte Schreie von sich gab. Im Teeren und Kalfatern war er längst nicht so schnell, stellte der Profos mißbilligend fest. Plötzlich gefiel ihm der ganze Laden nicht mehr so richtig. Es wollte einfach keine Stimmung aufkommen. Nur über ihren Köpfen ging es wesentlich lustiger zu. Da war Roscill an der
Arbeit. Zu Roses spitzen, hellen Schreien bewegte sich die am Eichenträger aufgehängte Ölfunzel. Fast alle Blicke richteten sich auf die hin und her pendelnde Lampe, und jeder malte sich aus, was jetzt wohl da oben vorging, obwohl dazu sicherlich nicht viel Phantasie gehörte. So war es einen Moment ziemlich ruhig in der Kneipe, bis der Profos plötzlich die Ohren spitzte. Die beiden Fischer neben ihm unterhielten sich plötzlich laut und ungeniert. Was der Profos da hörte, trieb ihm erneut die Galle nach oben. Das war doch der Gipfel! Atemlos lauschte er dem ungeniert geführten Gespräch. »Diese dreimal verfluchten Strandräuber«, hörte er den Fischer laut und deutlich sagen, »die treiben es immer schlimmer. Diese elende Satansbrut. Aufhängen sollte man sie!« »Du sagst es«, hieb der andere in die gleiche Kerbe. »Aufhängen, erwürgen. Jetzt überfallen sie schon harmlose Kutschen, rauben die Passagiere aus, erschlagen sie. Es wird immer schlimmer mit diesem Pack.« »Und was das Schlimmste ist«, erregte sich der andere, »sie scheuen sich nicht einmal, das geraubte Geld unter den Augen anständiger Leute zu versaufen.« »Und zu verhuren! Schmeißen mit Goldstücken rum, die sie harmlosen Menschen geklaut haben ...« »Nachdem sie sie ermordet haben, wohlgemerkt.« Carberry starrte von einem zum anderen. Die Männer seiner Crew starrten ebenfalls. Noch bezogen sie die Worte nicht auf sich, aber so langsam ging einem nach dem anderen ein Licht auf! Carberry schnaufte hörbar. In der ganzen Kneipe war es nun mucksmäuschenstill geworden. Nur die beiden waren zu hören, die so provozierend von den Strandräubern sprachen. Carberry räusperte sich laut. Seine Finger begannen auf der
Theke zu trommeln. Sein Gesicht war zu einem eisenharten Block geworden, als die Fischer jetzt zu ihm herüberblickten und abfällig grinsten. Es war ein böses, gemeines Grinsen, das nichts Gutes verhieß. »Leider sind diese Schweinehunde immer maskiert, so daß man ihre Visagen nicht sehen kann«, fuhr der andere fort. »Sonst wüßte man ja, um wen es sich handelt.« Der, der neben Carberry stand, führte nachdenklich seinen Humpen an die Lippen. »Nicht mehr lange, dann räubern sie uns auch noch aus«, sagte er. »Und versaufen unser eigenes Geld vor unseren Augen. Nur gut, daß wir wenigstens den einen von der Gestalt her kennen.« »Ja, das ist wenigstens etwas. Zum Glück gibt’s ja nicht viele, die so aussehen wie der Anführer der Bande.« Jetzt betrachtete er angelegentlich den Profos. »Wie man hört, soll es ja ein Ochse von Mann sein, mit einem großen Schädel und einem harten Kinn. Was würdest du sagen, wie sieht er ungefähr aus?« Der Fischer drehte sich halb zur Seite, ließ seine Blicke durch die Kneipe schweifen und krempelte langsam die Ärmel seiner Jacke nach oben. Provozierend blieb sein Blick an Carberry hängen. »Ich sehe keinen, der ihm ähnelt, jedenfalls von unseren Leuten nicht. Das sind alles anständige und grundehrliche Leute.« Er zeigte mit dem Daumen abfällig auf Carberry, der sich nur noch mühsam beherrschte. »So wie der sieht er aus, genauso. Eine Figur wie ein Bulle, ein paar Pranken, die ...« Das war entschieden zuviel für den Profos. Sie als ehrliche Freibeuter mußten sich solche Anschuldigungen gefallen lassen? Offenbar wußte außer dem Wirt keiner, daß sie Seefahrer waren. Woher der seine
Weisheit hatte, das mochte der Teufel wissen. Zornesröte stieg Carberry ins Gesicht. Die vier Männer an seiner Seite schlossen auf und stellten sich neben den Profos. Carberrys mächtige Fäuste zitterten vor unterdrückter Wut. Mit einem Schritt stand er vor dem Fischer und baute sich drohend vor ihm auf. Seine Augen blitzten. Der Kerl war genauso groß wie er, hatte auch einen kantigen Schädel und mächtige behaarte Arme. Er wich keinen Deut vor dem kochenden Profos zurück. »Hör zu, du Rübenschwein«, brüllte der Profos mit einer Stimme, die das ganze Haus erbeben ließ. »Wenn du deine verdammten Beleidigungen nicht auf der Stelle zurücknimmst, dann reiß ich dir deinen Affenarsch bis zum Kragen auf!« »Hoho«, lachte der Fischer. »Hört ihr, wie der getretene Hund bellt? Ich denke nicht daran!« »Wir sind keine verdammten Strandräuber!« brüllte Carberry. »Und wir haben auch noch nie eine Kutsche überfallen. Das ist eine gottverdammte Beleidigung. Wir sind ehrliche Freibeuter Ihrer Majestät der königlichen Lissy!« Wenn der Kerl jetzt seine Beleidigungen nicht zurücknahm, dann gab es hier drin mit Sicherheit Kleinholz. »Ehrliche Freibeuter?« schrie der Fischer zurück. »Ihr versauft und verhurt hier das Geld, das ihr den Leuten abgenommen habt. Strandräuber seid ihr, eine miese Bande von dreckigen, feigen Ratten, die im Hinterhalt lauern!« »Du verfluchter Bastard!« Carberry wollte zuschlagen, doch der Fischer hatte diese Reaktion erwartet und war entsprechend vorbereitet. Sein schwerer Humpen, den er in der Hand hielt, sauste wie ein Hammer nach oben, wie ein Hammer der auf einen Amboß schlägt. Das schwere Ding krachte dem Profos unter das Kinn - mit einem Krach, als würde ihm die Kinnlade in zwei Teile gespalten.
Eine Sekunde stand der Profos wie erstarrt da. Und für diese eine Sekunde lag etwas in seinem Blick, was keiner der Männer zu deuten wußte. Ein leichter Schleier lag über seinen Augen, und der Fischer wartete darauf, daß der Klotz jetzt umfallen würde. Sein Handgelenk schmerzte von der Wucht, mit der er dem Großen den Humpen ans Kinn geknallt hatte. Das hielt kein Mann aus! Dann war die Sekunde vorbei. Carberrys Rammkinn hatte schon andere Brocken verdaut. Und diesen harten Brocken hatte er nach der einen Sekunde fast mühelos verkraftet. Der Fischer kam nicht mehr dazu, sich zu wundern, denn jetzt holte der Profos aus. Mit einer Wucht, die unvorstellbar schien, setzte er dem Fischer seine mächtige Faust genau auf die Nase. Die Nase verformte sich augenblicklich zu einer unglaublich flachen Delle. Das Nasenbein brach, Blut schoß hervor. Durch die Wucht des Schlages wurde der Fischer bis an die Wand zurückkatapultiert. Ein tiefes Stöhnen drang aus seiner Brust. Wasser schoß ihm in die Augen. Aber er war einer von der harten und zähen Sorte. Er landete krachend an der Wand, von der er sich sofort wieder abstieß. Der Schmerz ließ ihn fast wahnsinnig werden. Aufgebracht bis zur Weißglut stürzte er vor. Carberry, der eisenharte und in hundert Schlachten bewährte Faustkämpfer, erwartete ihn. Ringsum herrschte gespenstische Stille, nur das flache Atmen der Männer war zu hören. Da waren sich zwei mächtige Kolosse in die Haare geraten, und der Ausgang dieses Kampfes war noch völlig ungewiß, weil beide unglaublich hart im Nehmen und Austeilen waren. Der Fischer lief in einen Schlag hinein, der ihm den Kopf hart in den Nacken riß. Augenblicklich wurde sein Mund schief, und er stieß einen brüllenden Schrei aus. Der Kiefer war ausgerenkt und stand unnatürlich schief in seinem Gesicht. Bevor er langsam zur Seite kippte, hämmerte Carberry ihm noch einmal seine gewaltige Faust von oben auf den Schädel.
Das war das Zeichen zum Aus für den Fischer. Aber es war auch gleichzeitig das Zeichen zur nächsten Runde. Jetzt ging es los in der »Bude Bay«, daß die Wände wackelten. Pete Ballie kroch unter dem Tisch hervor, ließ die Blonde sausen und stürmte heran. Die anderen hatten Kampfstellung bezogen, als die ganze Meute der Fischer sich wie ein Mann erhob. Dirnen kreischten, eine Flasche flog durch die Kneipe und zerschellte dicht neben dem Wirt an der Wand. Zehn, zwölf Kerle waren plötzlich da, stürzten sich auf die Männer der ›Isabella‹ und griffen von allen Seiten an. Es waren alles harte Burschen, muskulöse Gestalten, sehnige Figuren, die ihr ganzes Leben lang hart geschuftet hatten. Und sie konnten entsprechend hart zuschlagen. Doch die Männer um Carberry waren aus Eisen, zähe Kämpfer, erbarmungslose Schläger, wenn es darum ging, ihre Ehre zu verteidigen. In unzähligen Gefechten hatten sie sich bewährt, waren durch die harte Schule des Seewolfes gegangen. Sie waren von der härtesten Sorte, die es gab. Eine härtere hatte in dieser Kneipe noch nicht gewütet. Einer konnte sich felsenfest auf den anderen verlassen, sie waren eine zusammengeschmiedete Crew, die nicht so schnell unterging. Carberrys mächtige Pranken langten zum Tresen, um das Branntweinfaß hochzuheben. Er schwang es herum und ließ es kreisen. Das Eichenholz krachte auf Schädel und mähte gleich drei, vier Angreifer von den Beinen. Ein Knecht stürmte seitlich auf Carberry zu. Er schwang eine Flasche, die er dem Profos auf den Schädel schlagen wollte. Carberry wich dem Schlag geschickt aus, in den Händen das schwere Faß balancierend. Krachend landete es auf dem Kopf des Knechtes und zerbrach. Die Dauben flogen nach allen Seiten davon. Eine davon hielt der Profos noch in der Hand und schlug gezielt auf die Köpfe, die immer mehr wurden, die
sie immer härter bedrängten. Jetzt stürmten auch die restlichen Fischer vor. Mit lautem Gebrüll stürzten sie zum Tresen, wo der Kampf tobte. Nyberg und Larsen kämpften Schulter an Schulter und hielten sich die tobende Meute mit harten Schwingern vom Leib. Smoky erwischte eine eisenharte Faust. Er hielt die Luft an, drehte sich herum, packte den Fischer um die Hüften und knallte ihm den Schädel ins Gesicht. Pete Ballie, eben noch intensiv mit der Lady beschäftigt, wurde von einem kleinen drahtigen Burschen attackiert, der ihm keine Ruhe ließ. Mit einem Haken kämpfte er sich frei, erwischte den kleinen, lästigen Burschen und drehte ihn in der Luft einfach um. Seinen Schädel benutzte er als Rammbock für die Theke. Er stieß ihn mit aller Kraft auf die schwere Platte, dann warf er ihn nach hinten, wo der Bursche regungslos liegen blieb. Dauben wurden geschwungen, die sich die Männer von dem zerborstenen Faß geholt hatten. Mitten in die brüllende, tobende Horde krachte eine Bank, die sofort zertrümmert wurde. Sie kämpften wie die Teufel, diese eisenharten Burschen des Seewolfs. Mit Tricks, Finten und Raffinessen schickten sie einen nach dem anderen auf die Bretter, doch soviel sie auch schlugen und prügelten, es schienen immer mehr Fischer zu werden. Carberry kriegte einen Moment lang Luft und sah sich nach einer anderen Daube um. Seine bestand nur noch aus einem abgebrochenen Holzsplitter. Da sah er die beiden Galgenvögel, die nach ihnen die Kneipe betreten hatten. Einsam hockten sie ganz hinten am Tisch und sahen interessiert der Schlägerei zu. Carberry wunderte sich noch, daß sie nicht ebenfalls mitmischten. Schon vorhin hatten sie die Ohren gespitzt, als er sagte sie wären ehrliche Freibeuter ...
Eine Faust streifte sein Rammkinn, ein anderer Kerl schlug ihm hart in den Magen, und wollte dann seitlich abdrehen. Carberry holte ihn ein und packte seinen rechten Arm. Mit einem Ruck riß er den Kerl zu sich heran, schnappte gleichzeitig nach dem anderen und stieß ihre beiden Schädel zusammen. Benommen wankten sie, doch der Profos breitete beide Arme aus und schlug dann zu. Noch einmal knallten die beiden Dickschädel zusammen, und nun hatten sie endlich genug. Sie verschwanden lautlos auf dem Boden. Die anderen trampelten auf ihnen herum. Der Kampf nahm an Härte zu. Von beiden Seiten wurde er unerbittlich geführt. * Sam Roscill war längst zur zweiten Runde angetreten. Sollten seine Kameraden saufen, wie sie wollten, das hier ging erst einmal vor. Prügeln und saufen konnte man immer, aber Weiber waren sehr viel schlechter zu kriegen. Seine Hose hing über dem Eichenbett am unteren Ende. Seine Stiefel hatte er gegen die Wand gefeuert, und die anderen Klamotten lagen wahllos verstreut herum. Diese Rose war einfach eine Wucht. Und sie wurde noch wuchtiger und wilder, als Roscill ihr das erste Goldstück zwischen die festen Brüste geklemmt hatte. »Du mußt jetzt aufstehen, ohne daß es herunterfällt«, erklärte er ihr gerade. »Bleibt es zwischen deinen Brüsten stecken, dann kannst du es behalten.« Sie ließ sich das nicht zweimal sagen. Vorsichtig schwang sie die strammen Beinchen aus dem Bett, setzte sich auf die Kante und erhob sich. Das Goldstück klemmte fest! Auch als sie sich einmal um ihre eigene Achse drehte, fiel es nicht herab. »Verdammt!« Roscill staunte. »Die sind ja so stramm wie
Marssegel bei achterlichem Wind!« Sie kam auf ihn zu und küßte ihn heiß und leidenschaftlich. Roscill packte sie um die Hüften, hob sie an und warf sie aufs Bett. Er grinste, als das Goldstück sich nicht rührte. »Los«, lockte sie heiser. »Du bist ein ganz verdammter Teufel, bei dir macht es mir richtig Spaß! Und du stinkst auch nicht so wie diese vergammelten Fischer! Mit dem Knecht wäre ich sowieso nicht ins Bett gegangen.« »Der hat jetzt auch bestimmt andere Sorgen.« Roscill griff nach der Flasche und nahm einen kräftigen Zug. Dann reichte er ihr die Buddel. Das hier war so ganz nach seinem Geschmack. Bis morgen hatten sie Zeit, und vor morgen früh würde Rose nicht zur Ruhe gelangen, das schwor er sich. Sie wollte auch von Ruhe gar nichts wissen, denn sie war unheimlich aktiv bei der Sache und feuerte Roscill immer wieder an, obwohl es ihrer Anfeuerung nicht bedurft hätte. Wie die Irren tobten sie in dem Bett herum, das jeden Augenblick aus den Fugen zu brechen drohte. Roscill tobte sich einmal gründlich aus, denn wer wußte schon, wann er wieder einmal Gelegenheit dazu hatte! Seine Hose lag jetzt irgendwo auf dem Boden, die Decken bildeten ein wirres Knäuel, der Strohsack war zerfetzt und aufgerissen, und das Zeug flog nach allen Seiten in der Bude herum. Plötzlich zuckte Roscill zusammen. Er richtete sich im Bett auf und lauschte angestrengt. Von unten drang wüstes Gebrüll herauf. »Hört sich ganz nach Carberrys verdammtem Organ an«, murmelte er. Das Gebrüll steigerte sich. Rose zog ihn wieder auf das Bett zurück. »Laß ihn doch brüllen«, sagte sie. »Wahrscheinlich hat er zuviel gesoffen.« »Oh, der verträgt eine ganze Menge! Hör mal, da geht doch
anscheinend jetzt ein Tänzchen los!« Ein oder zwei Sekunden herrschte Stille, dann polterte etwas hart zu Boden. Wieder ein wüster Fluch! »Vielleicht prügeln die Kerle sich«, sagte Rose. »Was geht uns das an? Komm!« »Was uns das angeht, Mädchen? Mich geht es jedenfalls eine ganz verdammte Menge an.« Noch konnte Roscill sich nicht entschließen, das Bett und das Mädchen zu verlassen. Aber er war nicht mehr bei der Sache. Sie sah es und ließ sich schmollend in das zerfetzte Stroh zurückgleiten. Jetzt klang Geschrei herauf, und dann erzitterte die ganze Kneipe unter einem mächtigen Schlag. »Verdammt!« brüllte Roscill. Jetzt begann es zu rumoren und zu poltern. Das Brüllen verstärkte sich. Rose unternahm noch einen letzten Versuch. »Deine Kameraden werden auch ohne dich fertig, Sammylein. Sie haben bestimmt Verständnis für uns ...« »Den Teufel haben sie! Ich kann sie doch nicht im Stich lassen! Wo ist denn meine verdammte Hose?« In der Bude sah es so aus, als hätte eine Horde übermütiger Affen darin getobt. Das Stroh lag teilweise auf dem Boden. Rose griff nach seiner Hose und schob sie unter ihren Körper. Nackt wie sie war, legte sie sich darauf. Roscill griff nach ihren Brüsten, zwischen denen sie immer noch die Goldmünze balancierte. Mit einem Ruck zog er sie hervor, nahm sie in die Hand und versteckte sie in dem zerfledderten Strohsack. Mit einem Satz war Rose draußen. »Damit du was zu tun hast, bis ich wieder zurück bin«, sagte Roscill. »Jetzt muß ich los!« Er schnappte seine Hose, zog sie an, sein Hemd, die Jacke, die Stiefel. Unterdessen nahm die schwarzhaarige Schöne den Strohsack
kurzerhand auseinander, riß Stroh heraus und warf es in die Luft. Es regnete Stroh. Roscill war noch nicht ganz fertig angezogen, da war der kleine Raum nicht mehr zu erkennen. Roses Kopf steckte zwischen dem Stroh, nur ihr wohlgerundeter nackter Hintern schaute noch heraus, als sie emsig nach der Münze suchte, die für sie einen enormen Wert darstellte. Dazwischen hörte er sie fluchen. Er nahm noch schnell einen großen Schluck aus der Flasche. Mit der rechten Hand gab er ihr einen herzhaften Klaps auf den Hintern. Sie fiel ganz in die Überreste des Strohsackes, zappelte, kreischte und schrie. Dabei schleuderte sie das Stroh bündelweise über ihren Körper. »Mit der Zeit findest du die Münze.« Roscill grinste. Er marschierte auf die Tür zu und riß sie auf. Der Lärm war unerträglich geworden. Gebrüll, das Gekreische von Dirnen und die wüsten Flüche der Männer drangen herauf. Roscill stürmte den Gang entlang, bis er an die Balustrade gelangte, von wo aus die Treppe hinunterführte. Er brauchte eine ganze Weile, um sich zu orientieren. Die Kneipe war überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen. Ein wilder Haufen Männer balgte sich darin herum. Ein paar lagen am Boden, einige erhoben sich lädiert, ein anderer erhielt gerade ein mächtiges Stück Holz auf den Schädel. Carberry stach besonders heraus. Der Profos wütete wie ein Taifun unter den Kerlen. Er und die anderen hatten sich links an die Theke zurückgezogen, wo sie einen aussichtslos scheinenden Kampf gegen eine gewaltige Übermacht führten. Roscill rieb sich vergnügt die Hände. Heute kriegten sie aber auch wirklich alles geboten. Frauen, Schnaps und eine handfeste Schlägerei. Da mußte er mitmischen. Mit einem Satz enterte er die Balustrade. Die Treppe hinunterzulaufen wäre reine Zeitverschwendung gewesen. Von
hier oben konnte er mitten ins volle Leben springen. Er nahm sich einen Kerl aufs Korn, der mit seiner abgebrochenen Latte immer wieder nach dem Profos langte, ihn aber nicht so richtig erreichen konnte. Roscill sprang. Seine Stiefel krachten dem Kerl ins Kreuz, der mit einem lauten Schrei zusammenbrach. Roscill entriß ihm die Latte. Links und rechts schlug er ihm den Prügel um die Ohren, bis der Kerl reglos am Boden liegenblieb. Ein anderer wollte sich auf ihn stürzen. Roscill ließ ihn auflaufen, dann holte er aus. Die Latte hob sich, und als der Mann danach greifen wollte, ließ Roscill sie los und hieb ihm dafür beide Fäuste über den Schädel. Anschließend nahm er ihm die Latte wieder ab. Zwei weniger! Ein dritter rannte mit gesenktem Schädel auf ihn zu wie ein wildgewordener Bulle. Er hatte nur Roscill und den Profos im Weg. Elegant ließ Roscill ihn vorbeilaufen, indem er schnell zur Seite trat. Da warteten schon Carberrys mächtige Fäuste. Der Bulle bekam zuerst ein Knie gegen den Schädel gerammt, danach schlug der Profos zu. Der Schlag war so hart, daß gleich ein anderer Fischer mit zu Boden gerissen wurde. Dennoch - obwohl sie wie die Verrückten um sich hieben, schlugen und traten, wurden sie von der Übermacht bald erdrückt. Sven Nyberg war am Ende. Jemand hatte ihm von hinten ein Ding auf den Kopf geknallt, daß er nur noch Sterne sah. Ein anderer Fischer nutzte die Gelegenheit, indem er Nyberg mit dem Stiefel hart in den Unterleib trat. Da ging der dunkelblonde Däne endgültig zu Boden. Der einzige außer den beiden Galgenvögeln, der sich zurückhielt, war der Wirt selbst. Schlotternd lehnte er hinter zwei Weinfässern an der Wand, verzog das Gesicht, wenn etwas herumflog, und ging hastig in Deckung. Jetzt blitzte das erste Messer aut. Ein breitschultriger Fischer
hielt es in der Hand, vorgestreckt, zum Stich leicht erhoben. »Ed!« brüllte Roscill, der an den Kerl nicht herankam. Carberry reagierte sofort. »Du verdammter Affenarsch!« brüllte er. »So haben wir nicht gewettet. Leg das Messer weg!« »Komm doch her, du Großmaul! Du Strandräuber, du verdammter!« Carberry hatte auch etwas abgekriegt. Sein linkes Auge war dunkel angelaufen. Das versetzte ihn nur noch mehr in Rage. Langsam rückte der Messerheld näher, den Arm unruhig pendelnd nach vorn gestreckt. »Dich schlitz ich auf, du Ochse«, sagte er heiser. Andere Fischer drängten sich um ihn, so daß er größere Bewegungsfreiheit hatte. Carberry sah in blutende, zerschlagene Gesichter. Einige hatten Zähne gespuckt, andere hatten angeschwollene Schädel mit mächtigen Beulen. Soweit war alles in Ordnung. Sie selbst hatten ja auch ganz gehörig ihr Teil abgekriegt. Aber daß dieser Kerl jetzt mit dem Messer anfing, stieß dem Profos sauer auf. Er wartete ab und ließ den Kerl heran. Die Gelegenheit nutzte einer der anderen Kerle, Carberry die Faust seitlich an den Hals zu setzen. Der Schlag war machtvoll geführt und erreichte genau die Wirkung, die er erzielen sollte, nämlich den Profos ins Wanken zu bringen, damit er einen Moment unaufmerksam wurde. Carberry schwankte auch tatsächlich. Da sprang der Messerheld vor. Die Klinge sauste durch die Luft und zielte auf Carberrys breite Brust. Zuerst sah es so aus, als griffe Carberry direkt in das Messer hinein, als sein Arm vorschnellte. Haarscharf über seinem Handgelenk wurde die Klinge abgeblockt. Der Messerstecher schaffte es nicht mehr, ein zweites Mal gegen den Profos vorzugehen. Der griff nach seiner Hand, erwischte drei Finger und drehte sie mit einem Ruck nach
hinten, bis sie brachen. Ein gellender Schrei. Der Fischer ging in die Knie, brach vor Schmerz zusammen und krümmte sich. Carberry kannte kein Erbarmen, so wie der andere es auch nicht gekannt hätte, wäre er zum Zug gekommen. Der hätte ihm das Messer glatt und sauber zwischen die Rippen gesetzt. Deshalb trat er noch einmal mit dem Stiefel zu, bis der Bursche endgültig am Boden lag. Durch den Zwischenfall war der Kampf für eine kurze Zeit ins Stocken geraten. Blut wurde aus den Gesichtern gewischt. Carberry sah sich wild nach allen Seiten um. »Sind wir immer noch Strandräuber?« fragte er drohend. »Überfallen wir Kutschen, was, wie?« »Drauf!« brüllten die Fischer. »Schlagt sie tot, diese Diebe und Mörder. Dieses Strandräubergesindel!« »Gut«, keuchte der Profos. »Ihr wollt es nicht anders.« Er schwang seine mächtigen Fäuste. Smoky, Pete Ballie, Morgan Roscill und Larsen beendeten ihre kurze Verschnaufpause. Der Wirt hinterm Tresen hatte sich bereits zu früh gefreut. Jetzt würde der Rest der Kneipe auch noch in Trümmer gehen. Wie die Wilden griffen sie an. Schlugen sie einen von den Beinen, dann standen gleich zwei andere wieder da. Smoky kriegte einen zu fassen, den er mit einem Ruck hochstemmte. Er warf ihn mitten in die brüllende Horde. Der Profos und Luke Morgan verständigten sich mit einem Blick. »Faß an!« knurrte der Profos und deutete auf die vier Yards lange Sitzbank aus schwerem Holz. Morgan kapierte sofort. Er packte das eine Ende, der Profos das andere. Dann rannten sie los, mitten in die Meute hinein. Die schwere Bank riß gleichzeitig acht Leute von den Beinen. Sie traf auf Köpfe, Arme, Rücken, und sie raste mit der Urgewalt einer donnernden Meereswoge heran.
Carberry und Morgan drehten sich einmal im Kreis. Köpfe knallten schmerzhaft gegen das Holz, in einem wüsten Splitterregen ging die Bank vollständig in Trümmer. Es war die einzige in der Kneipe, die noch heil gewesen war. Jetzt steigerte sich der brüllende Lärm zu einem Inferno. Offenbar hatte man draußen den Krach und Rabatz gehört, denn vier neue Männer stürmten herein, Fischer, die ihre Kumpane in Not sahen und sofort in die Schlägerei eingriffen. »Hierher, Jungs!« brüllte ein vierschrötiger Kerl mit knallrotem Gesicht und weißblonden Haaren. »Das sind die Teufel persönlich, die sind nicht kleinzukriegen! So was habe ich noch nicht erlebt, auaaaa ...«, stöhnte er, denn Nils Larsen hatte die Gelegenheit zu einem wilden Schwinger genutzt, der den Weißblonden genau auf den Mund traf. Fluchend spie er zwei Zähne auf den Boden und spuckte Blut hinterher. Larsen setzte nach, die vier Neuen gingen sofort auf ihn los, und Larsen kassierte ein paar schmerzhafte Treffer. Nur mühsam setzte er sich gegen die fünf Kerle zur Wehr. Helfen konnte ihm niemand, denn die anderen waren genauso beschäftigt wie er selbst. Obwohl er ein knallharter Kämpfer war, ein Pirat aus der Karibischen See, der sich aufs Kämpfen verstand wie die anderen auch, er schaffte die fünf tobenden Männer nicht. Unter den pausenlosen Schlägen sackte er in die Knie, ein Stiefel krachte in sein Genick und raubte ihm das Bewußtsein. Angeschlagen richtete er sich noch einmal auf. Er lief in sechs Fäuste, die ihn hart empfingen. Larsen sah rote Ringe und feurige Nebel. Vor seinen Augen explodierte eine grelle Sonne. Er feuerte einen letzten Schlag ab, der einen der Neuen von den Beinen riß. Dann war es aus, um ihn herum wurde alles dunkel, der Lärm verebbte. Vorerst schied er aus dem Kampf aus. Für den Rest der Crew sah es lange nicht mehr so gut aus wie am Anfang, dazu war die Übermacht zu stark. Sie kämpften
gegen mehr als zweiundzwanzig tobsüchtige Kerle, und ab und zu kam immer mal wieder jemand herein, um mitzuprügeln. Carberry teilte aus, steckte ein, unermüdlich. Auf seinem großen Schädel wuchsen die Beulen, ein Auge war geschwollen, das linke Ohr blutete, seine Fäuste waren zerschunden und zerkratzt. Ein Kerl sprang ihm ins Kreuz, ein zweiter attackierte ihn von vorn mit den Fäusten, ein dritter zielte mit einem Holzstück nach seinem Kopf, und ein vierter versuchte, ihm die Beine unterm Körper wegzuziehen. Jetzt hätten noch Batuti und Ferris Tucker gefehlt, dachte er. Dann wären die Fischer und Knechte sang- und klanglos untergegangen. Die beiden wogen allein zehn Mann auf. Carberry spann seinen Gedanken nicht weiter, er hatte auch keine Zeit mehr dazu. Mit einem Satz sprang er zurück und quetschte den Kerl, der ihm im Kreuz hing, so hart an die Wand, daß dem augenblicklich die Luft ausging und er wie ein nasser Sack zu Boden fiel. Die beiden Galgenvogelgesichter hatten sich ganz ans Fenster zurückgezogen und beobachteten immer noch den Kampf. Es bereitete ihnen Spaß, zuzusehen, wie die eisenharten Kerle sich kloppten, wie aus der Kneipe immer mehr ein Trümmerhaufen wurde und wie die kreischenden Dirnen sich halbnackt in Sicherheit brachten: Die eine hockte nackt hinter den Trümmern eines Tisches und traute sich nicht hervor, aus Angst, daß sie etwas abkriegte. Vor ihr auf dem Boden hatte sich eine Pfütze gebildet. »Die hat sich vor Angst in die Höschen gepißt«, sagte der eine und lachte laut. »Die hat doch gar keine mehr an«, sagte der andere. »Verflucht und zugenäht, jetzt wird’s aber lebensgefährlich!« Ein Kerl, von irgend jemandem als Wurfgeschoß benutzt, landete vor den beiden und sprang brüllend und fluchend auf die Beine. Er torkelte wie besoffen quer durch die Schenke.
Mit beiden Händen hielt er sich den schmerzenden Schädel. Er hatte das Schlachtfeld noch nicht ganz erreicht, als ihn ein dunkelhaariger Bursche unterlief, ihn hochhob und wieder als Wurfgeschoß benutzte. Diesmal verschwand er endgültig hinter der Theke und tauchte nicht mehr auf. Die Schlacht näherte sich jetzt ihrem Höhepunkt. Wer als Sieger daraus hervorgehen würde, war noch ungewiß. Für die Männer der ›Isabella‹ sah es jedoch nicht besonders rosig aus. 3. Donegal Daniel O’Flynn, das Bürschchen, das sich längst zum Mann gemausert hatte, ritt weiter durch die Nacht. Vor Stunden hatte er in einer winzigen Kaschemme etwas gegessen und getrunken und sich ein wenig ausgeruht. Seit dem vierzehnten Februar war er unterwegs, genau vierzehn Tage jetzt, um die ›Isabella‹ zu suchen und den Auftrag des Seewolfes zu erfüllen. Dan O’Flynn hockte niedergeschlagen auf seinem Pferd, seinem einzigen Begleiter seit zwei Wochen, der ihn brav bis hierher getragen hatte. Niedergeschlagen war Dan, weil er immer noch keine Spur der ›Isabella‹ gefunden hatte. Es war zum Verzweifeln. Er hatte die Küste abgeklappert, war an den Buchten entlang geritten, immer in der Hoffnung, gleich würde das Schiff in seiner ganzen Pracht vor seinen Augen auftauchen. Mehr als hundert Male hatte er sich diese Szene vorgestellt und in seiner Phantasie ausgemalt. Und mehr als hundert Male war er enttäuscht worden. Immer waren die Buchten leer gewesen, und wenn er wirklich mal ein Schiff entdeckte, dann war es ein unbekanntes. Vor ihm lag ein kleinen Kaff. Bude stand auf dem hölzernen Wegweiser, und ein Pfeil war darunter, damit man auch ja nicht an dem Nest vorbeirannte.
Dan hatte schon wieder Hunger, und der Durst plagte ihn auch. Wenn er eine gute Kneipe fand, wollte er heute hier übernachten und die Reise morgen früh, frisch ausgeruht, fortsetzen. Vielleicht fand er morgen eine Spur von der ›Isabella‹. Er ritt weiter in das Kaff hinein. Die Straßen waren ausgestorben und dunkel. Ganz selten brannte mal ein Licht hinter den Fenstern der geduckt stehenden Häuser. Das Pferd schnaubte und schüttelte den Kopf, als wollte es sagen, daß es für heute ebenfalls genug hätte. Dan tätschelte den Hals des Tieres, mit dem er in den vierzehn Tagen gut vertraut geworden war. »Ja, ja, mein Alter«, sagte er beruhigend, »für dich finden wir auch noch einen Stall heute nacht.« Als hätte der Gaul ihn verstanden, hob er den Kopf und verfiel in einen leichten Trab. Dan hielt nach einer Kneipe Ausschau, einer Lagerstatt, wo er sein müdes Haupt für einige Stunden betten konnte. Ein kräftiges Nachtessen, einen Trunk, mehr wollte er nicht. Natürlich noch, daß der Gaul versorgt wurde und seine Ruhe kriegte. In Bude gab es tatsächlich eine Herberge, aber die sah so verkommen aus, daß er beschloß, weiter zu suchen. Außerdem brannte in der Herberge kein Licht. Da sprangen jetzt sicher die Flöhe lustig herum, denn genauso sah der Laden aus. Er hob den Kopf und lauschte. Von weit vorn drangen Geräusche, und da fiel auch Lichtschein auf die Straße. Eine trübe Funzel schaukelte im Wind. Sie warf groteske Schatten nach allen Seiten, die sich immer wieder verzerrten und andere Gestalten annahmen. Lärm! Eine Kneipe! Da schien ganz schön was los zu sein, dachte Dan. Da waren noch ein paar wackere Burschen am Werk, die sich die Nacht mit Saufen und Grölen um die Ohren schlugen.
Je näher er ritt, um so lauter wurde der Krach. »Ich freß meinen Gaul auf, wenn da keine Schlägerei im Gange ist«, murmelte er vor sich hin. Immer wüster wurde der Krach. Dan ritt bis dicht an eins der halbblinden Fenster heran. Unwillkürlich mußte er grinsen, denn was da drinnen vorging, war so ganz nach seinem Geschmack. Eine Horde wüst brüllender Kerle balgte und tobte darin. Die Schenke hatten sie bereits in einen Trümmerhaufen verwandelt. Nicht mehr lange und selbst die Wände würden von dem Spektakel bersten. Dan beugte den Kopf noch weiter vor und versuchte, mit seinen Blicken das Halbdämmer zu durchdringen. So leicht war Dan durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Und er mußte gleich noch einmal hinsehen, um es glauben zu können. Fassungslos starrte er auf die Szene, die mit unverminderter Heftigkeit vor seinen Augen ablief und sich noch steigerte. Das war doch Carberry, zum Teufel, durchfuhr es ihm. Und gleich neben ihm Smoky und Roscill, die von einer tobenden Meute großer Kerle eingekeilt waren. Dan fühlte, wie sich seine Haare im Nacken sträubten. Ein Schauer, den er selbst nicht beschreiben konnte, rann ihm übers Kreuz. Er hatte sie gefunden! Die Männer von der ›Isabella‹. Gewaltsam mußte er sich beherrschen, um nicht in einen lauten Jubelschrei auszubrechen. Die Überraschung war so groß, daß Dan vor Aufregung fast in das Fenster der Kneipe gefallen wäre. Gleichzeitig registrierte er aber auch noch etwas anderes, das sich in seine grenzenlose Freude mischte: Die Männer standen auf schlechtem Posten. Ihre Lage war verteufelt ernst. Roscill wurde schwer bedrängt, Morgan und Ballie hatten auch nur noch eingeschränkten Bewegungsraum. Fischer und Knechte stürmten auf sie los, und versuchten die kleine Meute mit aller Gewalt zu zerschlagen.
Dan O’Flynn fackelte nicht lange. Hier mußte sofort Hilfe geleistet werden. Es ging ihm gegen den Strich, daß seine Freunde hier so erbittert kämpften, ohne große Aussicht, diesen Kampf noch zu gewinnen. Er spannte die Muskeln und ließ das Pferd ein paar Yards zurücktänzeln. Ja, das Fenster war groß genug. Hart hieb er die Hand auf die rechte Flanke des Pferdes. »Los, mein Alter, hopp!« Wie ein Taifun brach das Pferd mit seinem Reiter durch das Fenster. Der Rahmen wurde herausgerissen, die Scheiben splitterten, als Roß und Reiter mit einem kraftvollen Satz hindurchbrachen. Das Bürschchen lag wie hingeduckt auf dem Pferd. Ihm folgte eine Geschoßserie von Holzteilen und Glas. Die Kämpfer erstarrten, als das Ungewitter mitten unter sie brach. Für Begrüßungen war keine Zeit, dazu war die Lage zu ernst. Das Bürschchen kniff die Lippen zusammen, gab dem Pferd den Absatz in die Flanken und ließ es blitzschnell im Kreis herumpreschen. Gleichzeitig holte Dan den Knüppel hervor, mit dem er sich schon seit Tagen bewaffnet hatte. In der Kneipe schien ein Taifun zu wüten - oder eine Seehose, das kam auf das gleiche heraus. Ein rasender Teufel bewegte sich im Kreis, auf einem schnaubenden Gaul, der um sich trat, keilte und wie verrückt ausschlug. Mit dem Holzknüppel drosch O’Flynn auf Fischerschädel, auf Schultern, Rücken, Beine. Die Fischer kamen nicht dazu, sich neu zu formieren. Das rasende Ungeheuer, das hier so unvermittelt aufgetaucht war, lähmte ihren Verstand und ihre Fäuste. Und dann setzte sich dieser hagere Teufel hoch im Sattel auf, starrte mit wilden Blicken um sich und brüllte: »Arwenack!« Der alte Schlachtruf ließ die Kneipe bis in die allerletzte Bohle erzittern. Unheilverkündend wurde er durch den Raum gebrüllt.
Jetzt geriet Leben in die erstarrten Männer des Seewolfs, die ihren Augen nicht trauen wollten. Dans plötzliches Erscheinen, noch dazu auf eine fast unheimliche Art, wirkte stimulierend. Die Seewolf-Männer fühlten neue Kräfte in sich aufsteigen. Das Blatt hatte sich gewendet. »Arwenack!« brüllten sie. »Arwenack!« Und dann ging es erst richtig los. Vorher hatte der Wirt nur einen kleinen Vorgeschmack erhalten. Was ihn und seine Kneipe jetzt erwartete, war die Hölle selbst, die sich aufgetan hatte, seit dieser schlanke Teufel unter ihnen wütete. Carberry, lädiert und angeschlagen, grinste übers ganze Gesicht. Er holte aus und ließ einen Schwinger los, der einen Fischer einen halben Yard über den Boden hob, ehe er davonsegelte. Dan ließ das Pferd weiter bolzen, immer wieder bewegte er es im Kreis, und die Schmerzenschreie, die ertönten, bewiesen ihm, was er alles getroffen hatte. Er selbst war so gut wie unangreifbar. Aus seiner Höhe knüppelte er drauflos, beugte sich im Sattel vor, holte aus, hievte einen Mann hoch und ließ ihn wieder fallen. Noch setzten sich die Fischer und Knechte zur Wehr. Sie hatten jedoch keine Chance mehr, den rasenden Kerlen zu entkommen, die jetzt erst richtig loslegten. Und wie sie loslegten! Im Nu war die Meute dezimiert, war die Theke nur noch ein wüster Holzhaufen, waren auch die restlichen Fenster zerschlagen, als ein Fischer nach dem anderen seinen Weg unfreiwillig nach draußen nahm. Was O’Flynn nicht schaffte, fertigten seine Freunde unbarmherzig ab. Carberry sammelte die Kerle ein und warf sie durch die Fenster, nachdem er sie noch ordentlich weichgeklopft hatte. Aber Dans Erscheinen und Mitwirken hatte den eigentlichen Ausschlag gegeben. Überall lagen stöhnende Männer herum.
Einige versuchten, sich kriechend auf den Ausgang zuzubewegen, obwohl die Kaschemme jetzt nur noch aus Ausgängen bestand, denn überall pfiff der Wind durch. Damit sie schneller hinausgelangten, halfen die Männer nach, indem sie die Kerle packten und hinausbeförderten, mit Tritten, harten Fäusten und Hieben, wie sie sie noch nie in ihrem Leben eingesteckt hatten. Ihr Kampfgeist war gebrochen, der Rest nur noch ein kläglicher Haufen, besiegt, ausgepumpt, total erledigt und hoffnungslos demoralisiert. Dan sprang vom Pferd, erwischte noch einen der ziemlich gut aussah, verpaßte ihm eine knallharte Faust zwischen die Augen und hob ihn hoch, um ihn durch das Fenster zu werfen. Der Mann jammerte und schrie, als er draußen unsanft landete. Auf allen vieren kroch er wieder herein. »Hat die Welt so eine Frechheit schon gesehen«, empörte sich das Bürschchen. Gerade packte er den Mann, um ihn wieder hinauszubefördern; als Carberrys lachendes Organ erscholl. »Laß ihn, Dan! Er ist der Wirt, ihm gehört die Kneipe!« Das war stark übertrieben, denn die Kneipe bestand nur noch aus zerfetztem Holz. Seemännisch betrachtet war sie ein Wrack, auseinandergebrochen und dem Untergang geweiht. Und mitten in dem Trümmerhaufen stand Dans Gaul und wieherte laut! Draußen verzogen sich humpelnde und fluchende Gestalten. Ein paar von ihnen würden morgen an Krücken gehen, und ein paar andere konnten mit Sicherheit ihren Beruf für die nächste Zeit nicht mehr ausüben, so lädiert waren sie. Jedenfalls war die Kneipe restlos geräumt. Donegal Daniel O’Flynn wurde eingekreist, hochgehoben, hoch über die Köpfe und von Carberrys mächtigen Fäusten immer wieder freundlich durchgeschüttelt. Der Jubel kannte keine Grenzen. Dan kam nicht einmal dazu, die hundert auf ihn einschwirrenden Fragen zu beantworten. Immer wieder schlug man ihm auf die Schulter, haute ihm ins Kreuz, daß es für
einen Fremden so aussah, als würden sich fünf ausgewachsene rauhe Kerle an einem Jüngeren vergreifen und ihn nach allen Regeln der Kunst verprügeln. Endlich ließen sie von ihm ab und stellten ihn auf die Beine. Dan sah sich um und grinste stolz. Die Kneipe war ausgeräumt. Sämtliche Fischer waren verschwunden. An dem Rest der Theke stand der Wirt, dicke Nase, blutunterlaufene Augen, die nichtbegreifend das anstarrten, was vormals sein Lokal gewesen sein sollte. Dieser Trümmerhaufen? Da war nichts mehr zu retten. Höchstens das Fundament konnte er noch brauchen und das Schild vor seiner Tür. Tür? Die lag auch irgendwo da draußen, gleich hinter dem Gaul, der so aussah, als grinse er. Carberry wischte sich das Blut aus dem Gesicht. »Wirt!« brüllte er. »Was stehst du da herum und glotzt in die Welt! Gib uns was zu trinken. Wir müssen unseren Sieg endlich feiern. Außerdem hat unser Freund Durst! Na los, und hol die Weiber runter, wir machen weiter!« Der Wirt wankte benommen auf die Treppe zu. Zwei andere schlichen auch benommen weiter, aber das hatte in dem allgemeinen Trubel niemand zur Kenntnis genommen. Als Dan mit dem Pferd in die Schenke einbrach, war das Signal zum Rückzug für die beiden Galgenvögel gegeben. Wie von Furien gehetzt, flitzten sie durch die Trümmer ins Freie. »Haben wir das eben nur geträumt, oder war das Wirklichkeit?« fragte der ältere der beiden fassungslos. »Diese Kerle sind ja schlimmer als Teufel.« »Und dann dieser Bursche auf dem Pferd. Ich dachte, mir fällt der Himmel auf den Kopf.« Sie stiegen vorsichtig an den Männern vorbei, die saft- und kraftlos in der Gosse lagen. Zwei bewegten sich nur noch kriechend vorwärts, ein anderer lag wie erschlagen mitten auf der Straße. Die beiden hasteten weiter. Mit diesen wahnsinnigen Teufeln,
die immer noch in der Kneipe hockten, wollten sie vorerst jeden näheren Kontakt vermeiden. Sie stellten sich in einen Hauseingang, verbargen sich in der Dunkelheit und warteten ab, wie es weiterging. In die »Bude Bay« trauten sie sich nicht mehr hinein. * Die Männer der ›Isabella‹ selbst hatten tatkräftig hingelangt, um die Kneipe wenigstens einigermaßen wieder herzurichten, denn jetzt sollte die eigentliche Feier steigen, die vorhin unterbrochen worden war. Die Tür hing wieder in den Angeln, etwas schief zwar, die Theke stand provisorisch, und die zusammengeschlagenen Männer der Crew waren ebenfalls auf den Beinen. Der Wirt hatte ein paar Fässer geholt, als provisorische Stühle und Tische. Nach und nach waren auch die verängstigten Ladies erschienen, und die Stimmung kletterte weiter. Nur der Wirt schnitt ein Gesicht, als müßte er persönlich seine besten Freunde beerdigen. Bei jedem seiner Rundblicke krampfte sich ihm das Herz in der Brust zusammen. Dans Pferd hatte Hafer und einen Eimer Wasser erhalten. Es stand am Fenster, fraß und soff geräuschvoll. »Keine Angst, Mann«, beruhigte Carberry den verstörten Wirt, der mit zitternden Händen einschenkte. »Wir bezahlen jeden Schaden, den wir angerichtet haben. Wenn wir genug gesoffen haben, legen wir alle zusammen, und da bleibt für dich ein hübscher Batzen übrig.« »Wenn Sie meinen, Sir!« »Hör bloß mit diesem verfluchten ›Sir‹ auf«, grollte der Profos, »ich kann das nicht mehr hören.« Er wandte sich Dan zu und schlug ihm auf den Rücken. »Los, Dan, jetzt erzähl mal, wie’s dem Seewolf geht!« Für ein paar Minuten waren die Frauen vergessen. Die Blicke
der Männer hingen an Dans Lippen, als er berichtete, daß der Seewolf auf dem Weg der Besserung wäre. Sie wollten alles wissen, jede noch so kleine Einzelheit. Immer wieder mußte er von Sir Freemont erzählen, vom Seewolf, wie der aus seiner tiefen Bewußtlosigkeit das erste Mal erwachte und was weiter geschah. »Darauf trinken wir jetzt einen, Männer!« brüllte Carberry, und seine Stimme klang merkwürdig rostig und belegt, weil er seine Rührung nicht zeigen wollte. Auch die anderen hatten mehr oder minder merkwürdig starre Gesichter. Hinter allen aber stand die große Erleichterung geschrieben, das Aufatmen, die Hoffnung, daß die Crew bald wieder vollzählig sein würde und es dann losging. Sie hoben ihre Humpen, brüllten vor Freude und tranken auf den Seewolf. Die Stimmung steigerte sich zu einem regelrechten Begeisterungstaumel. Nicht mehr lange, und der schwarzhaarige Teufel würde wieder mitten unter ihnen sitzen, mit seinen blitzenden Zähnen lachen und neue Pläne schmieden. Jetzt, da sie hoffen konnten, kümmerten sie sich auch wieder um die Ladies. Roscill marschierte mit seiner Rose nach oben. Das Goldstück hatte sie inzwischen wiedergefunden. Aber wie sah die Bude aus? Roscill glaubte zuerst, er hätte sich in der Zimmertür geirrt, und das hier wäre der Stall für Dans Pferd geworden. Er hängte seine Hose über das Bett, nahm die Flasche und trank. Er lag kaum mit seiner Rose im Bett, als die Tür aufging. Smoky und eine Blonde erschienen. Die Blonde kicherte, ihr Busen hing im Freien. Smoky hatte Schlagseite und wollte auf das Bett los. »Siehst du Idiot denn nicht, daß da schon welche drinliegen?« fauchte Roscill. »Verschwinde und mach die Tür zu!« Smoky wankte verblüfft weiter und Roscill wollte sich gerade wieder dem Mädchen zuwenden, als Pete Ballie übergangslos
in der Tür erschien. Auch er war stark angetrunken. Seine Begleiterin kicherte belustigt. »Das ist der Stall für die Pferde, Pete!« »Ha - hast du, hick, schon mal ‘nen Gaul gesehen, der seine Hose über die Tränke hängt?« gluckste Pete Ballie. »Raus, verflucht noch mal!« schrie Sam Roscill. Er packte die Flasche und schleuderte sie nach Pete, traf aber nur noch die Tür, weil der sich bereits verzogen hatte. »Eine Mistbude ist das hier, eine verdammte.« Roscill legte sich wieder hin und riß das Stroh aus seinen Haaren. »Jeder Idiot meint, er müßte gleich in die erste Tür rein!« Er fand keine Ruhe. Seine Kameraden, stark angetrunken und jetzt das nachholend, was sie die ganze Zeit über versäumt hatten, sahen die erste Tür, rissen sie auf und brachten Sam Roscill an den Rand des Wahnsinns. Der nächste war Luke Morgan, der gleich mit zwei Ladies hereinstürmte. »In die Betten!« grölte er. »Euch beiden wird ich mal zeigen, was los ...« »Dir zeig ich’s auch gleich«, knirschte Roscill sauer. »Nimm deine Weiber und verzieh dich!« »Was treibst du denn hier?« wollte Luke Morgan wissen. »Das gleiche, was du auch vorhast!« schrie Sarn Roscill. »Na, dann laß dich nicht stören«, sagte Luke Morgan. Laut lachend verschwand er. »Den nächsten bringe ich um«, schwor Roscill. »Da gibt es überhaupt nichts zu lachen, verstehst du?« »Laß sie doch«, sagte Rose. »Die haben sich nur in der Tür geirrt. Jetzt kommt bestimmt keiner mehr!« Aber es erschien doch noch jemand. Sven Nyberg war der nächste. Sein Gesicht war so verquollen, daß er kaum etwas sah. Er tastete sich zum Bett vor und griff nach Rose. Die Lady, die er dabei hatte, ließ sich gleich ins Bett fallen. Sam Roscill aber war wie der Blitz draußen, ergriff seinen
Kumpan im Genick, raste mit ihm über den Gang und warf ihn die Holztreppe hinunter, begleitet von pausenlosen Flüchen. Die restlichen Männer lachten und grölten, als an der Balustrade der nackte, mit Stroh behangene Sam Roscill auftauchte und Sven Nyberg mit einem Affenzahn vor der Theke landete. Er rappelte sich verdattert auf. »Mann, hat die Kleine einen Griff«, sagte er staunend. »Na, dann nicht, dann sauf ich eben weiter!« Oben ging Roscill zähneknirschend zum vierten Male ins Bett, fand gleich zwei Ladies vor und haute sich mitten dazwischen. »Wenn du schon da bist, kannst du auch bleiben«, schnauzte er die Lady an, die sich aus dem Stroh herauswühlte. »Na, du hast dir ja ganz schön was vorgenommen«, sagte sie. »Hab ich auch. Nach dem langweiligen Abend werden wir mal die Puppen tanzen lassen, aber richtig! Und jetzt erkläre ich euch mal, wie ich mir das vorstelle!« Das tat er dann auch ausgiebig. Etwas später war in der »Bude Bay« schon wieder der Teufel los. Aber diesmal wurde nicht viel kaputtgemacht. 4. Über Bude graute der Morgen. Ein fahles Dämmerlicht herrschte. Es war kühl, denn der Wind blies durch die Fenster der zertrümmerten Kneipe. Vor der Theke lagen die beiden Dänen, Sven Nyberg und Nils Larsen, alle beide so voll, daß sie sich nicht mehr rührten. Dan O’Flynn hatte sich ebenfalls verzogen, und Carberry segelte hart über Backbordbug durch die Kaschemme, um seine total abgeschlaffte Mannschaft einzusammeln. Das war leichter gesagt als getan. Die Burschen waren bis an die
Halskrause voll und nur noch teilweise bei Besinnung. Sie hatten mal wieder so richtig nach Herzenslust einen draufgehauen. Jetzt begann für sie im wahrsten Sinne des Wortes der graue Alltag. Raus aus den warmen Betten, raus aus den weichen Armen der Ladies, voll von Alkohol, mit aufgequollenen Gesichtern, so standen sie im Schankraum um Carberry herum. Die einzig Nüchternen waren Donegal Daniel O’Flynn und sein Pferd. Die Schlacht in »Bude Bay« war nach allen Regeln seemännischer Kunst geschlagen. Jetzt hieß es wieder zurück an Bord. Der Wirt besah sich seine Ruine, sah die Männer an und zuckte hilflos mit den Schultern. Sein Gesicht war grau und eingefallen. So etwas hatte es in seiner Kneipe noch nie gegeben. »Besorgt mir einen handfesten Strick, Männer«, sagte er zu Carberry, »damit ich mich aufhängen kann. Mein Leben ist ruiniert, meine Kneipe hinüber. Und kommt erst in ein paar Jahren wieder, bis hier alles aufgebaut ist.« Carberry hielt grinsend die Hand auf. Reihum kassierte er bei seinen Männern die übrigen Goldstücke ab. Es sammelte sich noch ein ganz ansehnlicher Batzen an. »Du gießt uns jetzt allen noch einen Absacker ein, Wirt, und inzwischen stellst du deine Rechnung auf. Wir begleichen sie auf den alllerletzten Cent.« »Was ist ein Absacker?« fragte der Wirt, in dessen übermüdeten Augen jetzt wieder ein kleiner Hoffnungsschimmer auftauchte. »Der allerletzte Drink«, erklärte Carberry, »der unwiderruflich letzte. Also mach schon!« Der Absacker wurde eingegossen, und während der Wirt seine Unkosten überschlug und die Rechnung zusammenstellte, versuchte die Seewolf-Crew, sich mit dem letzten Absacker
einigermaßen nüchtern zu trinken. Die beiden einzigen, die der Absacker noch einmal von den Beinen holte, waren die Dänen, die ohnehin schon mehr gesoffen hatten, als eine ganze Kompanie Soldaten vertragen konnte. Sie kippten einfach um, nachdem die Humpen leer waren. »Hier ist die Rechnung, Sir«, sagte der Wirt. »Ich habe nicht alles draufgesetzt, schließlich haben die anderen Kerle ja auch genügend Schaden angerichtet. Die werden mir den restlichen Schaden ersetzen.« Carberry nickte zum Einverständnis, schüttelte dann aber den Kopf, als er sah, daß noch neun Goldstücke übrig waren. »Wir haben die Schlägerei ausgegeben und bezahlen sie auch. Hier, nimm den Rest, es wird reichen. Dann haben wir bei den Fischern noch eine Schlägerei gut, wenn wir wiederkommen.« »Das ist zuviel, Sir, soviel Unkosten habe ich nicht.« Dieser Wirt war wenigstens einer von der ehrlichen Sorte, fand der Profos, nicht so ein alter, durchtriebener Gauner wie Plymson, dem sie auch schon mehrmals den Laden zertrümmert hatten. »Behalt es trotzdem. Das war uns der Spaß wert. Und nun«, der Profos hob die Stimme, »an Bord, ihr quergestreiften Affenärsche, der Tag beginnt!« Sie zogen ab aus Bude, im Bewußtsein, wieder eine Schlacht geschlagen zu haben. Nur die beiden Dänen konnten nicht mehr laufen. Dan und der Profos hoben sie aufs Pferd, dann trottete der Gaul los. Die beiden Dänen lagen bäuchlings auf dem Pferderücken wie zwei nasse Säcke. Ihre ohnehin kaputten Knochen wurden noch mehr durchgeschüttelt. Ein paar der Männer sangen und grölten noch, der Rest blieb ruhig und schweigsam. Niemand merkte, daß ihnen zwei Typen heimlich folgten. Es waren die beiden Galgenvögel aus der Kneipe, die sich zuvor
so klammheimlich verdrückt hatten. In sicherem Abstand schlichen sie den Männern hinterher. * Ben Brighton, der an diesem Morgen schon zeitig auf war, traute seinen Augen nicht, als das Häuflein anrückte. Voran der Profos, dann der klägliche Rest. Sogar einen Gaul hatten sie aufgetrieben, und Brighton fragte sich verzweifelt, wer wohl auf diese Schnapsidee verfallen sein mochte. Er schüttelte den Kopf, als er die beiden abgeschlafften Säcke auf dem Gaul erkannte, die im Takt der Pferdehufe hin und her geschüttelt wurden. Über ihm im Mast begann es plötzlich zu kreischen. Mit einer Geschwindigkeit, die sogar Brighton erstaunte, flitzte Arwenack, der Affe, die Wanten hinunter. Er trug wegen der kühlen Nächte und Tage immer noch seine Segeltuchhosen und die Leinenjacke. Der Affe sprang auf die Kuhl, raufte sich die Haare und keckerte wie ein Irrer. Schreiend und kreischend umsprang er Brighton, lief auf den Hinterbeinen, ließ sich dann wieder auf alle viere nieder und drehte sich im Kreis. Die Truppe rückte näher. Wie Schemen marschierten sie durch die morgendliche Dämmerung und den leichten Nebel. Noch konnte Brighton nur die beiden Dänen und Carberry unterscheiden. Die anderen stützten sich gegenseitig, um Halt zu finden. Da spielte der Affe verrückt. Brighton versuchte ihn zu halten, doch Arwenack war nicht mehr ansprechbar. Er benahm sich, als wäre er in ein Hornissennest gefallen. Wie ein Blitz fegte er über die Kuhl aufs Achterdeck, machte einen gewaltigen Satz, so daß Ben glaubte, er wäre direkt ins Wasser gesprungen, tauchte aber an der Achtertrosse wieder auf, mit der die ›Isabella‹ an Land vertäut war.
Arwenack hangelte sich an dem dicken Tau an Land, sprang hinunter und fegte los, der Horde entgegen, die da grölend anmarschierte. Immer noch war Ben nicht in der Lage, sich einen vernünftigen Reim auf Arwenacks Benehmen zu bilden. Der Affe konnte doch nicht so außer Rand und Band geraten, nur weil ein paar besoffene Kerle von der Crew wieder zurück an Bord marschierten. Das gab es doch einfach nicht! Er zog das Spektiv aus der Tasche, verlängerte es und blickte hindurch, um die Männer besser erkennen zu können. Und dann traf ihn fast der Schlag! Das Bürschchen! Inmitten der Horde marschierte, ebenfalls etwas wackelig, Donegal Daniel O’Flynn. Ben Brighton holte erst einmal tief Luft. Er wußte, daß er nichts getrunken hatte, und er sah auch keine Trugbilder. Jetzt bemächtigte sich seiner eine verständliche Aufregung. Wie kam Dan hierher? Hatte der Seewolf ihn geschickt? Hatte er sie durch Zufall gefunden? Weiter vorn erfolgte in diesem Augenblick der Anprall. Der Affe raste auf Dan, seinen ausgesuchten Liebling, zu und sprang ihn an. Sein Gekreische schallte durchdringend und grell durch den Morgen. Und Dan fiel um, als das haarige Biest so unvermittelt aus dem diesigen Licht auftauchte. Er kriegte einen Schreck, weil er nichts gesehen und gehört hatte und setzte sich daher prompt auf den Boden. Der Affe schmatzte ihn ab, zerrte an seinen Kleidern und wollte ihn nicht mehr loslassen. Es war eine Begrüßung, wie sie stürmischer nicht mal zwischen zwei Liebenden ausfallen konnte, wie Carberry tiefsinnig bemerkte. »Arwenack!« Das Bürschchen schloß den haarigen, grinsenden und kreischenden Affen gerührt in die Arme. »So sieht das aus, wenn sich zwei Affen begegnen«, brüllte Smoky, der sich über Arwenacks Veitstanz nicht beruhigen konnte.
Die Wiedersehensfreude war groß, voller Rührung, und beinahe hätte der Affe noch geflennt, so verzog er das Gesicht. »Arwenack«, murmelte Dan noch einmal gerührt. Sven Nyberg erwachte, reckte sich - und fiel vom Pferd. »Arwenack!« brüllte er. »Geht’s wieder los? Wo sind die verdammten Bastarde?« Es dauerte eine Weile, bis er kapierte, daß diesmal nicht der allgemeine Schlachtruf gemeint war, sondern der Affe selbst, der jetzt auf Dans Schulter sprang und dort hocken blieb. Carberry verfrachtete seine Kerle ins Beiboot und pullte zur ›Isabella‹ hinüber, die vor dem Buganker lag und an Land nur durch die eine Trosse verbunden war. Das Bürschchen, mit dem Affen auf der Schulter, der dort wie festgeleimt hockte, ging grinsend auf Brighton zu, der seinen Augen immer noch nicht so richtig traute. »Dan!« rief er. »Wie kommst du hierher?« Brightons Augen strahlten, bedeutete Dans Erscheinen doch zumindest eine Nachricht vom Seewolf. Und darauf hatten sie schon seit Ewigkeiten gewartet. »Ich bin seit zwei Wochen unterwegs«, erzählte Dan. »Den Gaul da habe ich mir in Plymouth gekauft. Ich sollte euch suchen und den Kontakt ...« »Wie geht es Hasard?« fragte Brighton gespannt. »Oh, dem Seewolf geht’s verdammt gut. Als ich ihn verließ, konnte er schon wieder aufstehen. Das ist jetzt vierzehn Tage her. In der Zwischenzeit muß er sich ganz und gar erholt haben. Ich habe die ganze Küste abgeklappert und heute nacht habe ich euch zufällig gefunden, als ich durch Bude kam.« Brighton war über die Nachricht so erfreut, daß er gar nicht auf seine Männer geachtet hatte, die jetzt immer noch auf der Kuhl standen. Erst jetzt sah er Carberry an, dann wanderte sein Blick langsam weiter, streifte einen nach dem anderen. »Was ist passiert?« fragte er rauh. Der Profos kratzte sich verlegen den Schädel.
»Ach, eigentlich nichts weiter, wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit mit ein paar Fischern, und beim gemütlichen Erzählen konnten wir uns nicht so richtig einigen.« »Und wie habt ihr euch dann doch geeinigt?« fragte Ben mit eisiger Stimme. Carberry wand sich. Er stellte sich so, daß Brighton nicht gleich die zerschlagenen Gesichter seiner Männer sah. »Nun, wir vertraten unseren Standpunkt. Schließlich gaben die Burschen uns doch recht.« »Sie gaben euch recht«, höhnte Ben. »Konnten sie das denn noch?« »Einer, glaube ich, schon«, stotterte der Profos. »Er wackelte jedenfalls mit dem Kopf!« »Seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen? Ich habe doch ausdrücklich gesagt: Keine Schlägerei! Aber ihr Hornochsen haltet euch natürlich nicht daran. Und jetzt untertreibe nicht ständig. Wie war es wirklich?« Carberry erzählte den Vorfall etwas genauer. Als er geendet hatte, schüttelte Brighton entsetzt den Kopf. »Ich werde mir wirklich ernsthaft überlegen, ob ich einen weiteren Landgang verantworten kann. Ihr könnt euch jetzt in die Kojen hauen, Ed. Bis Mittag seid ihr wieder klar, verstanden?« »Aye, aye! Alles abtreten!« wandte Carberry sich an die Männer, die ihn mit hängenden Köpfen umstanden. Sie waren kaum unter Deck verschwunden, als der riesige Gambia-Neger Batuti auftauchte. Er reckte seine mächtigen Schultern, gähnte laut und behielt den Mund gleich auf, als er Dan sah, der ihn angrinste. »Batuti werden gleich verrückt!« schrie er. Mit einem Satz war er bei Dan und drückte ihn vor Freude. »Kleines Dan ist wieder da!« Er konnte sich kaum beruhigen, war »kleines Dan« doch sein
ganz spezieller Freund, den er überall in Schutz nahm und der sein uneingeschränktes Wohlwollen besaß. Immer wieder schlug er ihm auf die Schulter. Arwenack hüpfte bei jedem Schlag auf und ab. »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Batuti. Ich habe dich wirklich vermißt.« »Kommt mit nach achtern, alle beide«, sagte Ben. »Du hast sicher eine Menge zu erzählen, Dan. Und ich habe mindestens tausend Fragen an dich!« »Wie geht Seewolf?« fragte Batuti. »Wieder auf zwei Beinen«, sagte Dan, und dabei hockte in seinen hellen Augen schon wieder der Schalk. »Du kaum an Bord und sagen Batuti schon wieder Quatsch«, grollte der Neger und knuffte Dan freundschaftlich in die Rippen. »Es geht ihm wirklich gut. Nicht mehr lange, und wir werden alle wieder zusammen sein.« In Hasards Kammer nahmen sie Platz. Dann mußte das Bürschchen erzählen, denn pausenlos hagelten die Fragen auf ihn ein. »Sir John wird uns keinen Kummer mehr bereiten«, berichtete Dan. »Er hätte Ärger mit Sullivan, der die ganze Bande Sir Johns ein paar Meilen vor Tintagel an Land gesetzt hat.« »Und du hast das gesehen?« »Ja. Ich bin an der Nordküste Cornwalls entlanggeritten auf der Suche nach euch. Da kam die ganze Bande an Land, Sir John, Llewellyn und die anderen Kerle. Die ›War Song‹ drehte auf See hinaus und verschwand. Ich habe den Kerlen ordentlich eingeheizt und sie in Angst und Schrecken versetzt. Der alte Killigrew wurde bald wahnsinnig.« Das Bürschchen lachte in Erinnerung daran. »Nicht mehr kleines Dan, großes Dan«, lobte Batuti. »Dan machen Sir John viel Ärger, ja?«
»Und wie!« Brighton beugte sich gespannt vor. Sir John, der ihnen mit der Kriegskaravelle ständig auf den Fersen war, mußte eine ziemliche Schlappe eingesteckt haben, nach allem, was Dan erzählte. »Wo steckt Sir John jetzt?« wollte er wissen. Er sah das belustigte Funkeln in Dans Augen und die bewundernden Blicke, die Batuti dem Bürschchen zuwarf. »Wo sie jetzt sind, weiß ich nicht. In Tintagel jedenfalls hat der alte Gauner eine Einmastschaluppe requiriert, wie es seine Art ist. Damit wollte er wahrscheinlich die ›Isabella‹ suchen, und sich unsere Beute unter den Nagel reißen. Ich habe ihm nachts die Wanten und das Vorstag ein bißchen angesäbelt.« Jetzt lachte auch Brighton. Was das Bürschchen sich da geleistet hatte, war wirklich Spitzenklasse. Er schüttelte den Kopf, lachte dabei und konnte es kaum fassen. Was hätten sie nur ohne Dan getan? Der Kerl war einfach unersetzlich. »Das heißt«, fuhr Dan fort, »er konnte natürlich auslaufen, nur erlebte er dann eine große Pleite. Der Wind war hart und auflandig. Draußen auf See brach der Mast. Die Schaluppe wurde auf die Küste zugetrieben. Er hat vor Wut geheult, als sie zwischen den Riffen landete. So hilflos habe ich den alten Sir John noch nie gesehen. Die Schaluppe brach auseinander, Sir John, Llewellyn und fünf andere Männer konnten sich an Land retten und überlebten den Schiffbruch. Ich habe ihnen noch eine Weile zugesehen. Die fünf hatten eine Stinkwut auf Sir John. Ihre Klamotten waren noch nicht trocken, als sie den Alten und seinen Sohn fürchterlich verprügelten. Dann verschwanden sie und ließen die beiden am Strand zurück.« Batuti begann dröhnend zu lachen. Seine mächtigen Hände klatschten auf seine Schenkel. Er konnte sich kaum beruhigen. »Gutes Dan«, lobte er immer wieder. »Dan ein richtiger Mann. Macht Sir John viel Kummer, haha!« »Das kannst du singen. Von dem Alten haben wir bestimmt
nichts mehr zu befürchten, der hat die Schnauze jetzt endgültig voll. Alles, was er anpackt, geht schief.« »Ich glaube auch nicht, daß die beiden uns noch viel Ärger bereiten werden. Was wollen sie allein schon unternehmen? Die können froh sein, wenn sie überhaupt noch nach Arwenack zurückkommen.« Brighton erhob sich, um Dan etwas einzuschenken. Ein kleiner Rum konnte an diesem kühlen Morgen nicht schaden. »Hast du Hunger, Dan?« »Und wie, ich hab immer Hunger!« »Batuti! Buck soll für Dan ein kräftiges Frühstück bereiten. Und er soll sich beeilen!« »Oh«, protestierte Batuti. »Buck nicht. Batuti machen für Freund Dan selber Essen. Das sein viel besser!« Damit verschwand der Neger, um für Dans Wohl persönlich zu sorgen. Brighton ließ sich weitere Einzelheiten berichten. Als Dan mit seinem Bericht geendet hatte, kehrte Batuti mit dem Frühstück zurück. Normalerweise wären davon drei ausgewachsene Männer satt geworden. Dan stürzte darüber her, unterstützt von Batutis beifälligem Nicken, der besorgt zusah, damit Dan auch nichts übrig ließ. Brighton war nachdenklich geworden. Er stützte den Kopf in die rechte Hand und überlegte, bis er zu einem Entschluß gelangt war. »Wir bleiben hier in Bude liegen«, sagte er. »Von See her sind wir nicht zu sehen, unsere Position ist also gut. Sir John kann uns nicht mehr gefährlich werden, deshalb warten wir ab, bis Hasard die ›Isabella‹ übernehmen und entscheiden kann, wie wir die Schatzbeute zur königlichen Lissy bringen. Wie war das mit der Kriegskaravelle, Dan?« Dan mampfte und kaute wie ein ausgehungerter Wolf. »Ich habe sie nicht mehr gesehen. Vermutlich ist sie nach Plymouth zurückgelaufen.« »Sir John an Land gesetzt«, überlegte Brighton laut. »Dann
könnte also dieser Bootsmann Sullivan jetzt das Kommando über die ›War Song‹ haben.« »Das ist anzunehmen«, sagte Dan. »Sullivan hat durch sein Verhalten gezeigt, daß er kein übler Kerl ist, im Gegenteil, vermutlich hält er sogar zu uns und ist so etwas wie ein Freund. Demnach besteht auch von ihm keine unmittelbare Gefahr für uns.« »Glaube ich auch nicht. Sullivan scheint ein prächtiger Bursche zu sein, wenn er den Alten gefeuert hat. Das ist jedenfalls meine Meinung, Ben.« »Meine auch. Folglich bleiben wir hier liegen, wo wir vorläufig sicher sind. Alles weitere wird dann Hasard entscheiden.« »Ich weiß schon, wie es weitergeht«, meinte Dan vorwitzig. »Ich kenne den Weg, habe ein gutes Pferd und werde also wieder nach Plymouth zurückreiten. Hast du das geplant?« Brighton nickte. »Ja, genau das hatte ich vor. Du hast dich bis jetzt so prächtig durchgeschlagen, daß es auch ein zweites Mal klappen wird. Selbstverständlich sollst du nicht gleich und sofort losreiten. Erst ruhst du dich gründlich aus. Anschließend will dich sicher die ganze Mannschaft begrüßen und du sie ebenfalls.« »Klar«, strahlte das Bürschchen. »Ich freu mich schon auf die Gesichter dieser Kerle, wenn sie hören, wie es dem Seewolf geht.« Er tätschelte Arwenack, der auf seiner rechten Schulter hockte und in seinen Haaren herumwühlte. Oben vom Achterkastell drang Gebrüll herunter. Schritte waren zu hören, die Schritte mehrerer Männer, die lautstark nach Dan brüllten. Brighton nickte O’Flynn zu. »Ich glaube, du mußt hinauf, zur Begrüßung. Es hat sich mittlerweile herumgesprochen.« Dan eilte nach oben. An Deck sah er in grinsende Gesichter.
Ferris Tucker hob das Bürschchen mit seinen mächtigen Pranken einfach hoch und schüttelte Dan zur Begrüßung. Erst dann ließ er ihn wieder auf die Planken zurück. O’Flynn hatte eine Menge Hände zu schütteln und ewig die gleiche Frage zu beantworten, wie es dem Seewolf und seiner Frau ginge. Sogar der schwerfällige Buck Buchanan war an Deck erschienen, schüttelte Dan die Hand fast aus dem Gelenk und überraschte die gesamte Crew dadurch, daß er auf einmal grinste, so daß man seine gelben Zahnstummel sah. »Das schreiben wir ins Logbuch«, schlug Ferris Tucker unter dem allgemeinen Gelächter vor. »Buck Buchanan hat heute, am ersten März 1580, frühmorgens gegrinst! Hoffentlich ist das kein Zeichen von beginnendem Wahnsinn!« Daraufhin verschloß sich Buck Buchanans Gesicht sofort wieder und der übliche Ausdruck erschien, etwas dümmlich glotzend und brummig. »Hört zu, Männer!« rief Brighton. »Ihr habt alle gehört, wie es unserem Seewolf geht! Er ist wieder auf den Beinen, und es wird nicht mehr lange dauern, bis ich ihm das Kommando über unser Schiff zurückgeben kann. Dieser Tag wird der schönste in meinem Leben.« »In unserem auch«, sagte Tucker, »womit natürlich nichts gegen dich gesagt sein soll, Ben!« »Ich weiß, ich weiß! Ihr habt mich in allem unterstützt, aber davon wollen wir jetzt nicht reden. Dan wird später zurückreiten und dem Seewolf berichten, daß mit der ›Isabella‹ alles in bester Ordnung ist. Die Mannschaft ist wohlauf. Sollten wir aus irgendwelchen Gründen gezwungen sein, unser Versteck in Bude aufzugeben, dann werde ich beim Wirt in der Bude Bay eine Nachricht hinterlassen. Geht da auch etwas schief, dann schicken wir einen Boten, irgendeinen von uns, nach Plymouth zu Sir Freemont, der unseren Seewolf so aufopfernd gepflegt hat.« Er drehte sich zu Dan um, den der Affe Arwenack am Hals
umklammert hielt, als wollte er ihn nie mehr loslassen. »Ich denke aber, Dan wird es schaffen, den Seewolf direkt hierherzubringen! Unser Bürschchen hat bisher schon Unmögliches möglich gemacht, und ich kann mir keinen besseren für diese Aufgabe denken!« »Ein Hoch auf Dan O’Flynn!« brüllten ein paar Stimmen. Der Rest fiel mit der gewohnten Lautstärke ein. Dann folgte das Hoch auf den Seewolf, das Ferris Tucker anstimmte. »Und zum Schluß«, rief er, »ein Hoch auf Ben Brighton, trotz der trockenen englischen Luft!« Brighton verstand. Natürlich konnten diese wilden Kerle nur dann ein Hoch ausbringen, wenn sie eine Buddel in der Hand hielten. Er drehte sich um, ging in die Achterkammer und kehrte mit einer Flasche Rum aus der Karibischen See zurück. Jeder nahm einen Zug, obwohl es noch früher Morgen war. Und jeder entschuldigte sich damit, daß es auch verdammt Kuhl sei. Und außerdem konnte man die Männer ja nicht so trocken hochleben lassen. Ed Carberry erschien an Deck. Er zog sich eine Lederpütz voll Seewasser hoch, hob sie an und leerte sie über seinen kantigen Schädel. Danach zog er sich das Hemd an. Auf diese Art sparte er das Abtrocknen. Ben Brighton schmunzelte. Der Profos war nicht kleinzukriegen, er hatte nach dieser wilden Nacht höchstens eine Stunde geschlafen, und jetzt, nach dem kalten Guß, war er wieder munter. Ein Kerl aus gehärtetem Eisen, dieser Profos. Gemeinsam beratschlagten sie ihr weiteres Vorgehen. Brighton wollte, daß alle zu seinem Vorschlag etwas beisteuerten, denn sie waren eine feste Einheit, eine durch Feuer und Schwefel zusammengeschmiedete Crew, und das Wohl des Seewolfes lag schließlich in jedermanns Interesse. »Hat der Seewolf überhaupt genügend Geld?« fragte Tucker. »Es ist doch ein verdammt langer Weg von Plymouth bis hierher. Und seine Frau nimmt er ja schließlich auch mit,
oder?« »Auch darauf kommen wir jetzt zu sprechen, Ferris. Ob er Gwen mitnimmt, weiß ich nicht. Aber sie braucht schließlich auch etwas zum Leben. Ich schlage vor, daß Dan einen Beutel voller Perlen mitnimmt, das wird für alle Fälle reichen. Dann ist da noch etwas: Sir Freemont, dieser Mann, dem wir das Leben Hasards zu verdanken haben, wird kein Geld annehmen. Das wäre für ihn eine Beleidigung. Wir wollen ihm daher etwas schenken, denn seine aufopfernde Mühe und Arbeit muß belohnt werden. Was schenken wir ihm?« »Perlen!« »Das sieht nach Bezahlung aus«, widersprach Ben Brighton. »Nein, etwas Originelles muß es schon sein.« Es wurde hin und her gerätselt, bis Batuti den rettenden Einfall hatte. »Schenken Sir Freemont goldenes Tukan!« Die Idee mit dem goldenen Tukan fand sofort allgemeinen Anklang. »Sehr gut«, sagte auch Brighton sofort. »Das ist eine angemessene Anerkennung. Und Sir Freemont wird sich darüber freuen. Hol den Tukan mal her, Batuti!« Batutis Augen glänzten, als er aus der Achterkammer, die Hasard sonst bewohnte, den goldenen Tukan holte. Vorsichtig, als könne er zerbrechen, hielt er ihn in seinen großen Händen und stellte ihn vorsichtig auf Deck. Alle Blicke konzentrierten sich auf das einmalig schöne Stück, das sie bei einem verrückten Schiffbrüchigen vor der peruanischen Küste gefunden hatten, als der Mann treibend auf einer Gräting entdeckt worden war. Das Prachtstück war etwa faustgroß und stellte einen Vogel dar, einen Pfefferfresser, der aus massivem Gold war, mit Augen aus Edelsteinen. Die Crew vermutete, daß die Nachbildung des Tukans aus den Schätzen der Inkas stammte. Brighton nahm ihn in die Hand. Der Goldvogel hatte ein
beachtliches Gewicht. Sein Wert war nicht abzuschätzen. Er übergab ihn Dan, nachdem die anderen das seltene Exemplar genügend bestaunt hatten. »Den nimmst du mit, Dan, und überreichst ihn in Hasards und der ganzen Crew Namen. Oder noch besser: Gib ihn Hasard, er soll ihn Sir Freemont ... ach was, der Seewolf soll selbst entscheiden. Er wird schon das richtige tun!« Dan wickelte die Kostbarkeit vorsichtig ein und steckte sie in die Tasche. Das war der sicherste Aufbewahrungsort, denn an seine Taschen kam so leicht niemand heran, ohne daß Dan es merkte. Den Beutel mit Perlen besorgte Brighton selbst, damit der Seewolf völlig unabhängig war. Perlen hatte die ›Isabella‹ genügend in ihrem Bauch, sie stellten ebenfalls ein unschätzbares Vermögen dar. Man konnte überall mit ihnen bezahlen. Danach haute Dan sich aufs Ohr, um frisch und ausgeruht zu sein, wenn er weiterritt. Die Männer grinsten, als das Bürschchen, an dem die Nacht auch nicht spurlos vorbeigegangen war, selig in der Koje lag und schlief. Im Arm hielt er Arwenack. So lagen die beiden da, engumschlungen und der Affe wachte eifersüchtig darüber, daß niemand Dans Ruhe störte. Auf der Kuhl knöpfte sich Ed Carberry inzwischen Buck Buchanan vor. Er packte seinen Arm und sah ihm ins Gesicht. »Wenn du heute nicht das Allerbeste kochst, was wir an Bord haben, dann werde ich dir deinen Affenarsch in ...« »Laß mich, los, du Klotzkopf«, schrie Buck. »Glaubst du etwa, ich weiß nicht, was ich Donegal Daniel O’Flynn schuldig bin, du Mastochse. Für den koche ich heute nur das Beste. Schließlich ist er wer, und du bist nur der Profos!« »Das will ich dir auch geraten haben! Und wenn du nicht gleich in deiner verdammten Kombüse aufklarst, dann, dann ...«
Carberry brach hilflos ab, als er die feixenden Gesichter sah. Es gab niemanden an Bord, der nicht seine nächsten Worte auswendig gekannte hätte. »Los, und jetzt an die Arbeit!« befahl er. »Das Schiff wird heute mal geschrubbt und nicht wieder so lahmarschig. Man meint gerade, ihr hättet die ganze Nacht durchgesoffen!« So war er, der Profos Carberry. Saufen, prügeln, rumhuren, aber sofort wieder da, auch nach der wildesten Nacht. Kein Wunder, daß ihm jeder widerspruchslos gehorchte. 5. Das Mittagessen fiel derart aufwendig aus, daß der Profos sich ernsthaft vornahm, Buck Buchanan mal zu fragen, weshalb er nicht jeden Tag so etwas auf die Beine brachte. O’Flynn haute rein, was reinging. Und die anderen hielten mit. Buck Buchanan wurde mit Lob überschüttet. Carberry schlug ihm auf die Schulter, daß es nur so krachte. »Gut so, Mann«, lobte er. »Ich kann nur zu deinem Besten hoffen, daß es jetzt so bleibt. Deshalb verstehe ich auch nicht, warum du sonst immer so ein mieses Zeug kochst!« »Heute ist ja auch ein besonderer Tag. Und glaube ja nicht, daß ich wegen dir gekocht habe. Du bist nur ein Mitfresser. Morgen kriegst du wieder ...« »Sprich nicht weiter«, bat der Profos. »In den kalten Gewässern Cornwalls kielgeholt zu werden, ist kein reines Vergnügen.« »Wart’s nur ab«, sagte Buck wütend. »Und so was hat sich heute morgen zu einem Grinsen durchgerungen«, meinte Ferris Tucker kopfschüttelnd. Nach dem Mittagessen wurde es dann kritisch. Nicht für die Männer, dafür um so mehr für Arwenack, den Schimpansenjungen. Immer wieder umschlich er Dan, sprang
ihm auf die Schulter und keckerte, als wüßte er, was jetzt folgte. Dan hatte sein Pferd versorgt, das jetzt angepflockt an Land stand. Er verabschiedete sich von jedem einzelnen mit Handschlag. Arwenack schrie und tobte an Deck. Keckernd umsprang er die Männer, die sich von Dan verabschiedeten, dann hüpfte er seinem Liebling auf die Schulter und blieb dort sitzen. Dan versuchte, ihm begütigend zuzureden, hob Arwenack wieder auf Deck zurück, vergebens. Der Affe spielte verrückt, als Dan in das Beiboot stieg. Mit einem riesigen Satz war er ebenfalls im Boot. »Du kannst nicht mit, Arwenack«, sagte Dan gerührt über die Anhänglichkeit des Tieres. Er sprach zu ihm wie zu einem Kind, das man überreden muß. Es half alles nichts. Arwenack klammerte sich nur noch fester. Von Bord der ›Isabella‹ aus sahen die Männer zu. Sie wußten nicht, was sie tun sollten. Alles Rufen half nicht. Dan stand im Boot, den Affen auf der Schulter. Schließlich packte er ihn und reichte ihn Batuti hinüber, der ihn festhielt. An Land hob Dan noch einmal grüßend die Hand und bestieg sein Pferd. Ohne sich noch einmal umzudrehen, ritt er davon. Batuti schrie plötzlich auf. Arwenack hatte ihn in den Finger gebissen. Der Neger schlenkerte die Hand. »Verdammtes Arwenack!« brüllte er. Arwenack gebärdete sich wie rasend. Er stieß spitze Schreie aus, wie die Männer sie noch nie bei ihm gehört hatten. Wie ein Schatten fegte er über das Deck, turnte dann zum Achterkastell hoch und sprang mit einem wilden Satz auf den Tampen, der zum Land führte. An Deck begann eine regelrechte Affenjagd. Männer brüllten durcheinander und versuchten den Affen zu fassen, der immer wieder ausbrach. Jetzt hatte er den Festmacher erreicht und wollte an Land, seinem Liebling hinterher.
Batuti erwischte ihn am Genick, hob ihn hoch und zog ihn zurück. Arwenack fletschte sein furchterregendes Gebiß. »Nicht wieder Batuti beißen!« schrie der Neger. Da hatte Arwenack schon wieder seinen Finger zwischen den Zähnen. Mit einem wilden Fluch ließ Batuti den Affen sausen, der sich schon wieder daran machte, auf dem dicken Tau entlangzuhangeln. »Arwenack bleiben hier! Verdammtes Arwenack!« schrie Batuti. Carberry stieß den Neger beiseite. Mit einem raschen Griff packte er zu, bis er das vor Wut zitternde Bündel in den Fäusten hielt. Arwenack schlug mit den Händen nach Carberrys Gesicht. Der Profos hielt ihn solange fest, bis Dan außer Sichtweite war. Erst dann ließ er den sich wie toll gebärdenden Affen los und stellte sich so aufs Achterkastell, daß Arwenack an ihm vorbei mußte, wenn er wieder auf den Festmacher springen wollte. Dann erlebten die Männer ein Schauspiel an Bord, wie sie es noch nie gesehen hatten. Ein gereizter, fauchender, tobender Affe mit gebleckten Zähnen raste herum wie eine Furie. Was er in die Hände kriegte, benutzte er als Wurfgeschoß; einen Belegnagel, der hart an Carberry vorbeipfiff, ein Stück Tau, das er nach Tucker warf und schließlich die Lederpütz, die Batuti ins Kreuz pfiff. Die Männer waren perplex vor Staunen. Da stand er jetzt auf der Kuhl, der wildgewordene Arwenack, in seinen Hosen und der etwas zu großen Jacke, und fletschte die scharfen Zähne. Keiner traute sich in seine Nähe, Batuti schon gar nicht, der immer noch die Finger schlenkerte und pausenlos fluchte. Schließlich gab Arwenack auf. Sein Gesicht verzog sich so menschlich, daß es aussah, als würde er resignieren. Auf allen vieren schlich er betrübt über Deck, blieb stehen, keckerte die Männer an. Dann stieß er ein heiseres Fauchen aus und enterte
die Wanten hoch, ergrimmt und erbost über alles und jedes. Im Großmars blieb er schließlich hocken, mit einem Gesicht, das so aussah, als wäre ihm die größte Schmach widerfahren. Total beleidigt starrte er in die Richtung, in die sein Liebling Dan verschwunden war. Alles Locken half nicht. Arwenack dachte nicht daran, den Großmars zu verlassen. Er war restlos verstimmt, wie ein kleines Kind, dem man sein Lieblingsspielzeug genommen hat. 6. Der Schrecken von Cornwalls Küsten hieß Crocker. In der Statur ähnelte er Carberry, er hatte auch fast das gleiche Rammkinn, nur sein Gesicht war brutaler, und seine wasserhellen Augen blitzten eiskalt. Crocker und seine fünfunddreißig Mann starke Bande lebten von Strandpiraterie, Morden, Plünderungen und von Raubüberfällen auf Kutschen. Crocker überfiel die Kutschen, raubte sie aus, vergewaltigte die Frauen, steckte die Kutschen in Brand und ermordete die Männer anschließend, die er überfallen hatte. An diesem Nachmittag lag er südlich von Bude mit fünfzehn brutalen Kerlen auf der Lauer, seit die beiden Galgenvögel aus »Bude Bay« ihm gesteckt hatten, daß jemand unterwegs sei. Wo die spanische Schatzgaleone lag, hatten sie bereits einen Tag vorher ausgekundschaftet. Mit einem Spektiv hatten sie beobachtet, was da an Bord von sich ging. Da war ein dicker Fisch zu fangen. Als Hinterhalt hatten sie einen Hohlweg gewählt. Crocker lag mit sieben Mann auf der Lauer. Ihm gegenüber hatten sich ebenfalls sieben rüde Burschen hinter Felsen versteckt. Sie grinsten sich gegenseitig an, als sich das Hufgetrappel näherte. Einer der Kerle war auf einen
Felsbrocken geklettert und meldete die Ankunft eines Reiters, der den Hohlweg passieren mußte. »Runter!« befahl Crocker. »Ihr laßt ihn passieren, dann tauchen wir von vorn auf. Hörst du überhaupt zu, du Hurenbock!« fauchte er einen dunkelhaarigen Mann an, der sich umgedreht hatte. Noch bevor der Kerl eine Antwort gab, stieß Crocker ihm den Schädel an einen Felsen, daß der Kerl glasige Augen kriegte. Das war bei Crocker an der Tagesordnung. So brutal wie er selbst war, so brutal behandelte er auch seine Leute. Er regierte mit eiserner Fuchtel, und wer sich ihm widersetzte, hatte nichts mehr zu lachen. Lauter wurde das Geklapper der Pferdehufe, als sie auf steinigem Untergrund liefen. Crocker winkte seinen Kerlen ein letztes Mal zu, augenblicklich verschwanden alle in Deckung. Dan O’Flynn ritt jetzt in südlicher Richtung weiter, nachdem er Bude verlassen hatte. Die Landschaft nahm eintönigen Charakter an. Er hielt den Kopf gesenkt, dachte gerührt an Arwenack und drehte sich ab und zu einmal um, um zu sehen, ob der Affe ihm auch nicht heimlich folgte. Weit und breit kein Mensch. Über ihm kreisten ein paar Seevögel, längst lag das Meer hinter ihm. Er lenkte das Pferd über einen steinigen Pfad, der in einen Hohlweg führte. Rechts und links hatte er Felsbrocken vor sich und hohe Wände. O’Flynn glaubte, hinter sich einen Schatten gesehen zu ftaben. Die Bewegung hatte er mehr aus den Augenwinkeln wahrgenommen. Schnell drehte er sich um. Hinter ihm, keine zwanzig Yards entfernt, tauchten sechs oder sieben wüst aussehende Kerle auf. Abenteuerlich gekleidete Gestalten, bewaffnet mit Knüppeln, Pistolen und Messern. Er sah das dreckige Grinsen in ihren Gesichtern. Dan handelte augenblicklich. Er war sich klar, daß er in eine
wohlvorbereitete Falle gelaufen war, aus der es nur noch mit etwas Glück ein Entwischen geben würde. Den einen der Kerle glaubte er schon einmal gesehen zu haben. Klar, das war die Visage von diesem Galgenvogel, der in der »Bude Bay« dicht am Fenster gesessen hatte, als er mit dem Gaul durch die Scheiben preschte. Eine Pistole wurde auf ihn angelegt. Das trichterförmige Ausschußrohr wackelte etwas, zielte aber auf ihn. Da gab es für Dan nur noch die Flucht nach vorn. Wer weiß, wie viele Kerle in diesem Hinterhalt lauerten! Schnaubend stieg das Pferd hoch, als Dan hart am Zügel riß und ihm mit einem lauten Ruf die flache Hand auf das Hinterteil klatschte. Wie ein Windstoß schoß es nach vorn. Dan beugte sich im Sattel ganz vor, bis er fast auf dem Hals des Pferdes lag. Schon einmal war er im Boodwin Moor in eine Falle geraten. Hier schien sich fast genau das gleiche zu wiederholen, nur unter etwas anderen Umständen. Hier gab es wesentlich mehr Kerle. Und da waren sie auch schon da. Vor ihm sprangen bunte Gestalten hinter den Felsen hervor. Ein Seil wurde hochgehalten. Starke Knüppel in nervigen Fäusten geschwungen. Einer, der fast so aussah wie Ed Carberry, sprang dem rasenden Pferd tollkühn in die Zügel und riß es herum. Dan schlug zu, hart und rücksichtslos. Sein rechter Stiefel erwischte den Burschen mit dem Rammkinn und fegte ihn zur Seite. Dann krachte irgend etwas in sein Kreuz, und ein wahnsinniger Schmerz durchtobte seinen Körper. Noch einen erwischte er, indem er mit der Faust nach unten schlug. Mit einem halben Salto landete der Mann vor den Pferdehufen. Die anderen Kerle waren jetzt ebenfalls heran. Ein Knüppel traf Dan seitlich am Hinterkopf. Er sah tanzende Lichter vor
seinen Augen, hörte wüstes Geschrei. Halb im Unterbewußtsein spürte er, daß wieder etwas auf ihn zuraste, ein Schatten, den er nur ganz verzerrt sah. Instinktiv riß er den rechten Arm hoch und vergaß, daß die Banditen auch noch von der linken Seite angriffen. Das Pferd konnte nicht mehr weiter. Ein blitzschnell um die Vorderhufe geschlungenes Tau ließ es straucheln. Dann schlug einer dieser Mistkerle dem Pferd brutal mit einem Knüppel in die Seite. Wiehernd ging es hoch und brach seitlich aus. Dan wurde aus dem Sattel katapultiert. Er landete hart auf der steinigen Erde, rollte aber blitzschnell ab und stieß dem ersten, der sich ihm näherte, die Faust zwischen die Augen. Fünfzehn Kerle schätzte er. Die Chancen, gegen sie etwas auszurichten, waren gleich Null. Eine wilde Horde stürzte schnaubend von allen Seiten auf ihn zu. Im Nu war er eingeschlossen und wurde mit Tritten, Hieben und harten Schlägen traktiert. Sie rissen ihm die Arme auf den Rücken, ein anderer schlug hart zu. Dan trat zurück. Er war hart im Nehmen, und er konnte eine ganze Menge einstecken, aber hexen konnte er auch nicht. Die Übermacht war zu groß. Seine Stiefel erwischten einen weiteren Kerl, der mit lautem Schrei zur Seite kippte. »Schlagt diese Ratte doch endlich nieder!« brüllte Crocker. »Der Kerl muß doch kleinzukriegen sein!« Er schob einen Mann zur Seite, entriß ihm den Holzprügel, betastete mit der linken Hand wütend sein Gesicht und zog den Knüppel voller Wut über Dans Schädel. Schadenfrohes Gelächter begleitete den Schlag, dem Dan O’Flynn nicht mehr ausweichen konnte. Der Knüppel traf ihn voll. In seinem Schädel fand eine Explosion statt, als ginge die ganze Welt unter. Langsam sackte er zur Seite. »Rauf aufs Pferd mit dem Vogel«, befahl Crocker. »Mal sehen, was er uns für ein Liedchen zu singen hat.«
Dan wurde wie ein nasser Sack auf das Pferd geworfen. Crocker selbst führte es am Zügel. Der Weg verzweigte sich, die Kerle gingen nach links in Richtung Küste, wo der Bandenchef Crocker und seine zahlreichen Männer Höhlen und Verstecke hatten, wo sie niemand aufstöberte. 7. Als Dan wieder zu sich kam, spürte er zunächst nur einen hämmernden Schmerz im Kopf. Mühsam öffnete er die Augen und sah sich um. Über ihm war es dunkel, ein seltsam geriffeltes Muster ließ sich an der Decke erkennen. Decke? O’Flynn blinzelte, er wollte sich umdrehen, es ging nicht. Sie hatten seine Hände und Füße gefesselt, so daß er sich kaum rühren konnte. Er versuchte, den Kopf leicht zur Seite zu schieben. Die Erinnerung war schlagartig da. Der Hohlweg, die Horde wüst aussehender Kerle, der unheimliche Schlag auf den Kopf. Aber wo war er? Was bedeutete diese dunkle, geriffelte Decke? Seine gefesselte Hand schurrte leicht über den Boden. Sand! Eine Höhle, schoß es ihm durch den Kopf. Jetzt hörte er auch das gleichmäßige und monotone Rauschen der Brandung, wenn Wellen pausenlos an den Strand liefen. Es gab kein anderes Gefühl, das so ähnlich klang, es war unverwechselbar. Er befand sich in einer Höhle an der Küste. Es schien eine geräumige Höhle zu sein, wie er schätzte. Weit vorn erkannte er den Ausgang, einen regelrechten Tunnel. Tief darunter befand sich das Meer. »Hoffentlich siehst du wieder klar«, tönte eine Stimme, die seine Überlegungen durchbrach. Ein unrasiertes Gesicht tauchte in seinem Blickfeld auf, eiskalt blickende Augen musterten ihn. Das wüste, von Narben
zerfressene Gesicht Crockers war wie ein Alptraum. Eine riesige Pranke packte zu, riß Dan in halb sitzende Stellung hoch und warf ihn an die Wand. Jetzt konnte er sich wesentlich besser orientieren. Ja, er war in einer großen Höhle, die schwer zugänglich war. Der kühle Luftzug bewies ihm, daß sie nach mehreren Seiten Ausgänge haben mußte. Dan gab keine Antwort. Nur seine Lippen verkniffen sich ärgerlich, als er sah, womit Crocker sich beschäftigte. Er spielte mit dem goldenen Tukan, wog ihn abschätzend in der Hand und stieß ein heiseres Lachen aus. Neben ihm hockten zwei andere Kerle, einer aus der »Bude Bay«, der andere Galgenvogel hatte mit Dans Stiefel Bekanntschaft geschlossen. Die Burschen sahen aus, als wären sie den finsteren Höllenschlünden entsprungen. Dreckig, unrasiert, stinkend, wie vom Teufel persönlich gezeugt und von seiner Großmutter geboren, so hockten sie da und grinsten ihn dreckig an. Die Faust, die den goldenen Tukan hielt, flog durch die Luft. Hart landete sie in Dans Gesicht. Sein Kopf krachte an den Felsen. »Ich hab gefragt, ob du wieder klar siehst«, sagte Crocker. »Und ich hab dir keine Antwort gegeben, du Drecksack!« fauchte Dan. Hilfloser Zorn wallte in ihm hoch. Der zweite Schlag war äußerst schmerzhaft. Wieder schrammte sein Kopf an der Wand entlang. Er glaubte es knirschen zu hören. Crocker lachte gemein. »Du kennst mich noch nicht, Freundchen! Du wirst mich aber noch gründlich kennenlernen.« »Darauf scheiß ich«, knurrte O’Flynn. »Nun hört euch das an«, sagte Crocker und lachte dröhnend. »Reißt hier die Schnauze auf, was? Du wirst dir vor Angst noch in die Hosen scheißen, darauf hast du Crockers Wort.« Er
zeigte auf den Tukan in seiner Hand. »Schönes Ding! Wo der herkommt, gibt es bestimmt noch mehr, oder? Woher hast du es?« »Geklaut!« »Wo geklaut?« »Irgendwo. Überall gibt’s was zu klauen!« Crocker ließ das zu Dans Verwunderung auf sich beruhen. Dafür rückte er näher an ihn heran. »Du stinkst wie die Pest!« stellte Dan naserümpfend fest. Ein harter Schlag ins Gesicht war die Antwort. »Mein Vater hat härter zugeschlagen«, sagte Dan frech. Er spuckte etwas Blut zielsicher auf Crockers Stiefelspitzen. Crocker drohte jeden Augenblick, die Galle überzulaufen. Sein Gesicht lief rötlich an, er atmete schwer. Dan hatte das Empfinden, daß ihm von diesem stinkenden Teufel noch eine ganze Menge Ärger bevorstand. Der Kerl ging über Leichen, das stand deutlich in seiner hinterhältigen Visage geschrieben. »Ich werde dir jetzt ein paar Fragen stellen, Freundchen. Und du wirst immer schön antworten, sonst bringe ich dich stückweise um, darauf verstehe ich mich. Zur ersten Frage: Was heißt das, wir sind ehrliche Freibeuter Ihrer Majestät der Königlichen Lissy?« »Versteh kein Wort«, erwiderte Dan. Crocker winkte den anderen Galgenvogel herbei, der grinsend auf Dans gefesselte Hände trat und darauf stehenblieb. »Wiederhol mal, was dieser große Kerl gesagt hat, Bill!« Der mit Bill Angesprochene kramte seinen letzten Rest Verstand zusammen und überlegte sich den Wortlaut. »Also - äh - dieser große Kerl sagte, als der Stunk losging: ›Wir sind keine verdammten Strandräuber, und wir haben auch noch keine Kutschen überfallen. Wir sind ehrliche Freibeuter Ihrer Majestät der Königlichen Lissy.‹ Genau so sagte er, Crocker. Donald hat es auch gehört. Dann ging’s los. Der eine
haute ...« »Halt jetzt die Schnauze! Das langt! So, Freundchen, was haben die Worte zu bedeuten?« fragte er lauernd. Dan O’Flynn überlegte. Das mußte ganz am Anfang gewesen sein, er selbst hatte die Worte nicht gehört. Sie hatten die Crew mit den Strandräubern verwechselt und daraufhin mußte Carberry die Worte gesagt haben. Bill trat einen Schritt zurück, holte mit dem Fuß aus und setzte Dan die Stiefelspitze in den Magen, daß es das Bürschchen nur so schüttelte. »Wird’s bald mit der Antwort?« »Na klar«, japste Dan, »wenn du noch ein paar Jahre Zeit hast, du stinkende Ratte. Und jetzt kannst du mich mal!« Crocker war mit einem Satz hoch. Er ließ den Tukan auf den Boden fallen und sprang jähzornig vor. Seine großen Pratzen schlossen sich um Dans Hals und drückten zu. Er schüttelte den Gefesselten hin und her, schlug seinen Kopf an die Wand und fluchte dabei pausenlos. »Dich mach ich fertig!« brüllte er. »Stück für Stück mach ich dich fertig, du Hund!« Als Dan zusammensackte, ließ er los. Dann setzte er sich neben Bill auf den Boden und überlegte laut. »Dieser Kerl hat ein ganzes Säckchen Perlen dabei und dazu diesen wertvollen Vogel. Was will er nur damit?« Gierig wühlte er in den Perlen und ließ sie durch seine schmutzigen Finger gleiten. »Das Zeug stammt von der verdammten Galeone, dafür laß ich mich hängen. Ich begreife nur die Zusammenhänge nicht. Jedenfalls muß dort noch viel mehr zu holen sein. Ehrliche Freibeuter! Ha, die Kerle haben andere Schiffe geplündert und in ihren Laderäumen unvorstellbare Reichtümer angehäuft. Sieh dir mal diese Perlen an! Die sind doch bestimmt echt. Die alte Lady, die wir letzte Woche erleichtert haben, hatte auch so ähnliche Dinger! Die sind ein Vermögen wert, sage ich dir!«
»Glaub ich auch, Crocker. Der Kerl hier gehört bestimmt zur Besatzung, sonst hätte er denen doch nicht geholfen.« »Wer weiß! Ihr beide werdet jetzt mal ein bißchen die Antworten aus ihm herausprügeln. Ich muß das wissen! Ehrliche Freibeuter Ihrer Majestät! Komisch. Los, fangt an!« Für Dan O’Flynn war alles klar. Diese hinterhältigen Strandpiraten hatten vor, die ›Isabella‹ zu überfallen, weil sie dort ganz richtig mächtige Reichtümer vermuteten. Er tat so, als wäre er immer noch bewußtlos. Leider half ihm das nicht viel. Bill und der andere packten ihn, rissen ihn hoch und lehnten ihn an die kühle Felswand. Während Bill seitlich seine gefesselten Arme festhielt, schlug der andere zu. Es schien ihm sadistische Freude zu bereiten, den jungen Mann nach übler Manier zusammenzuschlagen. Dan spürte, wie sich die harten Fäuste in seinen Körper wühlten, wie sie pausenlos in ihn hineinhämmerten. Er spürte, wie die Luft keuchend seinen Lungen entwich, wie die Bauchmuskeln langsam nachgaben. Übelkeit breitete sich in seinem Körper aus. Er konnte sich nicht zur Wehr setzen, dazu war er zu gefesselt. Er krümmte sich unter den Schlägen zusammen, soweit seine Fesselung das zuließ. Als er mit dem Kopf tiefer nach unten ging, stand Crocker da, dessen mächtige Faust den goldenen Tukan umschloß. Damit hieb er einmal hart und trocken zu. Dan merkte, wie er davonflog. Sogar den einen Schläger, der ihn festhielt, riß es von den Beinen. Dans Gesicht schmerzte, als würde es in einem Schmiedefeuer liegen und pausenlos bearbeitet werden. Schwarze Schleier durchzogen die Höhle, eine schwarze Wolke schwebte auf ihn zu, um ihn davonzutragen. Er versuchte, auf die Beine zu kommen. Es ging nicht, er taumelte, stieß sich an den Wänden, bis er den Ausgang erreichte, wo es ein paar Yards nach unten zum Meer hin abfiel.
Das pausenlose Rauschen der Brandung schwoll zu einem fürchterlichen Getöse an. Halb gebückt stand er da. Eine Hand legte sich um seinen Hals und riß ihn hart zurück. Ein zweiter Schlag, ein dritter. Dan fühlte die Schläge kaum noch, die einen anderen Mann längst zermürbt hätten. Ein unbändiger Haß auf diese Strandpiraten hielt ihn immer noch aufrecht. Er sah ein unrasiertes Gesicht vor sich, legte den Kopf zurück und schlug mit der Stirn auf die breite, eingedrückte Nase. »Wir werden ihm Pulver in die Stiefel schütten und ihn dann anstecken«, hörte er Crockers Stimme wie durch einen dichten Nebel sagen. »Dann lernt er fliegen wie ein Vogel.« Der andere schrie und stöhnte. Aus seiner Nase schoß Blut heraus. In einem Anfall von rasender Wut stürzte er sich auf Dan, trat, boxte und haute mit den Ellenbogen. »Du bist uns noch die Antwort schuldig!« brüllte Crocker. Dan schwieg eisern. Selbst wenn er hätte reden wollen, in diesem Moment brachte er keinen Ton über die Lippen. »Den kriegen wir noch zum Reden, Crocker. Der wird mit Freuden alles singen, was wir wissen wollen. Soll ich noch mal?« »Warte mal, bis er wieder zu sich kommt. Sonst hat er ja gar nichts davon. Hol lieber Wasser!« Gleich darauf traf ein Schwall eisigen Wassers Dans Gesicht. Eiskalt rann es ihm über den Körper bis in die Stiefel. Er kam schlagartig zu sich und stand halb auf. Die Beinfesseln ließen ihm etwas Bewegungsfreiheit. Aus verschwollenen Augen sah er Crockers gierige Augen, die immer wieder die Perlen anstarrten und hin und her huschten zwischen dem Tukan, Dan und den beiden anderen. Nein, von ihm würden sie kein Wort mehr erfahren, das schwor er sich. Und wenn sie ihn totschlugen. So war Dan nicht kleinzukriegen, nicht mit Schlägen und dem Knüppel. Er verbiß sich sogar das Stöhnen, das in seiner Kehle stand.
Wenn er nur die Hände oder die Füße frei hätte. »Redest du jetzt endlich, du Ratte!« brüllte Crocker mit einer Stimme, die durch die ganze Höhle schallte. »Oder willst du lieber elend krepieren, he? Antworte gefälligst!« Das Wasser perlte aus Dans Gesicht. Der eiskalte Guß hatte auf sein geschwollenes Gesicht direkt erfrischend gewirkt. Er bewegte schwach die Lippen. »Was sagst du?« fragte Crocker. Sein stinkender Atem streifte Dans Gesicht. Ihm wurde fast übel. Gegen diesen Kerl war jedes ausgewachsene Schwein ein Luxustierchen. Er holte tief Luft - und spuckte Crocker direkt in die dreckige Visage. »Da hast du meine Antwort, du verlauste, dreckige Kakerlake, du Sohn einer vergammelten Wanderhure!« Crocker blieb buchstäblich die Luft weg. Er, der mehr als dreißig hartgesottene Banditen nach Belieben kommandierte und brutal behandelte, mußte sich das von einem jungen Kerl gefallen lassen. Etwas brach in Crockers schwarzer Seele zusammen, als er sich den Speichel aus dem drei Tage alten Bart wischte. Das hatte noch nie ein Mann gewagt, noch keiner! Angespuckt und Sohn einer vergammelten Wanderhure genannt! Sein Gesicht war jetzt ganz bleich. Die wasserhellen Augen blickten wie Polareis, schienen Dan zu durchbohren, der eine heftige Reaktion erwartet hatte. Crocker griff ganz langsam in seinen Gürtel, wo die schwere Pistole steckte. Er zog sie hervor. »Das ist dein Ende, du Wanze«, sagte er. »Das ist nur mit Blut abzuwaschen.« Er ging um Dan herum und setzte ihm den Lauf ins Genick. »Ich wette, dein Gehirn fliegt bis zum Ausgang da vorn«, sagte er seltsam kalt und leidenschaftslos. Dan spürte, daß er zu weit gegangen war. Crocker würde ihn mit einem heißen Grinsen auf den Lippen zur Hölle befördern.
Dan brach der Schweiß aus allen Poren. Wenn einem so ein Bleibrocken in den Schädel fuhr, dann half kein Arzt mehr. Dann war da nur noch ein Loch, so groß, daß man die ganze Faust hineinstecken konnte. Er merkte wie sich seine Haare im Nacken aufrichteten, als der Lauf ein Stückchen zurückgezogen wurde. Gleich, gleich würde dieser schmierige Höllenhund abdrücken. Und er konnte nichts zu seiner Rettung tun, konnte sich nicht wehren. Hilflos mußte er sterben, ohne noch einmal diese miese Visage mit den Fäusten bearbeiten zu können. Er hörte, wie Crocker hinter ihm scharf die Luft einsog. Dann brüllte ein Schuß auf, so wahnsinnig laut, so durchdringend und hallend, daß es ein Wunder war, wenn die ganze Höhle nicht auseinanderflog. Unwillkürlich schrie Dan leise auf. Etwas raste mit irrsinniger Geschwindigkeit an seinem Ohr vorbei. Eine beißende, schwarzgraue Wolke aus Pulverqualm hüllte ihn ein. So sah der Tod aus, dachte er noch - und wunderte sich, daß er nicht aufs Gesicht fiel. Er stand immer noch, als Crockers überlautes Lachen an seine fast tauben Ohren drang. »Hoho!« brüllte der Riese. »Ich wette, jetzt hat er die Hose gestrichen voll. Muß doch ein schönes Gefühl sein, was?« Er schlug sich auf die Schenkel und konnte sich kaum beruhigen, so amüsierte ihn das. Dicht am Kopf des Opfers vorbeischießen! Und dann die Todesangst, die jeder dabei ausstand, jeden Moment von der Kugel getroffen zu werden. Das war ganz nach Crockers Geschmack. Das Bürschchen sagte gar nichts, aber auf seinem Lebensweg war das nur eine weitere harte Prüfung, die ihn stählte, die ihn immer härter werden ließ, bis er einmal so war wie der Seewolf. Seine Knie waren weich, die ungeheure Anspannung wich nur sehr langsam von ihm. Er sah Crockers erwartungsvolles Gesicht. Die wasserhellen
Augen forschten hämisch nach Zeichen der Angst. Da drehte sich Dan O’Flynn etwas zur Seite und lachte verächtlich. »Ich wußte, daß du ein Arschloch bist, Crocker«, sagte er kalt und verletzend. »Nicht mal richtig schießen kannst du!« Crocker nahm die Pistole und hieb sie Dan über den Schädel. Mit einem Schrei der Wut begleitete er seine Tat. Wie vom Blitz gefällt brach Dan zusammen. 8. Für den Schimpansenjungen Arwenack war heute der schwärzeste Tag in seinem beben. Die rührenden Bemühungen der Männer hatte er mit beleidigtem Gesicht quittiert. Bis zur Dämmerung hockte er im Großmars und war durch nichts herunterzulocken. Batuti hatte den Affen mit einer Banane gelockt und war selbst in den Großmars geentert. Die zermatschte Banane klebte jetzt noch teilweise auf seinem Kraushaarschädel. Der Rest war in seinem Gesicht und auf seinem Hemd verteilt. Die schon braune Schale hatte Arwenack an Deck geschmissen, auf der auch prompt Buck Buchanan fluchend und tobend ausgerutscht war. Jetzt herrschte Ruhe an Bord. Die Mannschaft war unter Deck, bis auf Smoky, der Wache hielt. Und Arwenack natürlich, der im Großmars saß und argwöhnisch jeden Schritt Smokys belauerte. Als Smoky über die Schmuckbalustrade des Achterdecks zur Kuhl hinabflankte, verließ der Affe den Großmars. Blitzschnell hangelte er sich an den Wanten hinab, lief an Deck auf allen vieren weiter und erklomm das Achterkastell. Dort verharrte er lauernd wie ein Mensch, sah sich nach allen Seiten um, ehe er ebenso lautlos die Trosse packte. Geschickt hangelte er sich daran entlang, bis er an Land war.
Etwas ratlos blieb er zunächst stehen, genau an der Stelle, wo Dans Pferd gestanden hatte. Der Geruch des Tieres schien dem Affen etwas zu bedeuten, obwohl die Spur nicht mehr ganz frisch war. Ein paarmal drehte er sich im Kreis. Schließlich bückte er sich, um etwas von der Erde aufzuklauben. Daß er dabei in die Äpfel griff, störte ihn nicht. Er schnupperte an dem Zeug und warf es dann fort. Gleich darauf marschierte er in dieselbe Richtung, die auch Dans Pferd genommen hatte. Anscheinend irritierte es Arwenack, daß es hier keine Bäume gab, an denen er sich von Ast zu Ast schwingen konnte. Daher blieb er immer wieder stehen, die Hände leicht auf den Boden gesetzt, als würde er etwas suchen. Er behielt die Spur und verlor sie nicht mehr. Mittlerweile war es dunkel geworden. Arwenack gelangte in den Hohlweg. Die schwachen Spuren vieler Menschen verwirrten ihn zunächst. Dazwischen lag immer wieder der Geruch des Pferdes. Er kletterte hin und her, sprang auf die Felsen, keckerte, bis er plötzlich die Fährte wieder hatte. Aufgeregt lief er weiter und bog nach links in Richtung zur Küste ab. Er rannte nun schneller, auf allen vieren jagte er wie ein zottiger Schemen dahin. Sein Instinkt führte ihn weiter, seinem über alles geliebten Kameraden zu, den er aufgeregt suchte, obwohl ihn der so schnell verlassen hatte. Die Spur führte weiter zum Strand hinunter, bis fast ans Wasser. Arwenack schüttelte sich, fletschte die Zähne. Es war kalt, eine kühle Nacht wie diese war er nicht gewohnt. Trotz der Leinenhose und der Jacke fraß die Kälte an ihm. Er lernte, daß man sich dagegen kaum wehren konnte. Das war etwas, was man nicht berühren oder sehen konnte. Es war überall, und es war unangenehm. Dann entdeckte er das Pferd zwischen kleineren Felsblöcken,
das er sofort mit seinem großen Freund in Verbindung brachte. Er schlich sich heran, schnupperte, umkreiste den Gaul, der unruhig wurde und zu tänzeln begann. Etwas weiter roch es nach den großen Zweibeinern, ein Geruch der ihm mehr als vertraut war. Er lief auf die Felswand zu und entdeckte eine Höhle, in der es wärmer war als draußen und in der auch ein schwaches Licht brannte. Blitzschnell huschte er hinein, bewegte sich lautlos weiter und entdeckte dann seinen Freund, den Zweibeiner, der ihm sooft das Fell gekrault hatte. Neben ihm lagen noch zwei weitere Zweibeiner, und dort wo die Höhle einen leichten Knick machte, lag noch einer und schlief. Arwenack begann leise zu keckern, ganz dicht an Dans Ohr. Er fand es merkwürdig, daß der Freund nicht reagierte. Er schlief einfach weiter, ohne sich um ihn zu kümmern. Nach einer Weile wurde es dem Schimpansen zuviel. Seine Finger griffen zu und zwickten Dans Oberarm. Dann fuhr seine Hand durch Dans Haare, und als der Freund immer noch nicht reagierte, begann Arwenack kräftiger zu zerren. Für den Schimpansen war es einfach unerklärlich, daß Dan sich nicht rührte. Sonst war der schlafende Dan immer gleich aufgewacht, wenn er gekeckert hatte. Aber jetzt erwachte der andere, der neben ihm lag. Auf den Ellenbogen richtete er sich auf und starrte fassungslos den Affen an. Arwenacks Instinkt sagte ihm, daß dieser Zweibeiner nicht gut war. Der würde ihn ärgern oder verscheuchen. Und als der Kerl grimmig das Gesicht verzerrte, warf Arwenack ihm eine Handvoll Sand in das wüste Gesicht. Auf allen vieren huschte der Affe hinaus, als der Mann laut zu brüllen begann. Er turnte am Felsen hinunter, verschmolz mit der Dunkelheit und war verschwunden. In der Höhle begann ein entsetzlicher Lärm. Bill, der Bandit, der neben Dan geschlafen hatte, glaubte, nicht richtig zu sehen.
Im Schein der Fackel an der Wand, die ein trübes Licht warf und die Konturen verzerrte, erkannte er eine Fratze mit geblecktem Gebiß. Das ganze Gesicht war haarig, die Gestalt hatte wulstige, breite Lippen. Auf allen vieren hockte sie dicht neben ihm. Der Strandräuber wollte hoch. Da erhob sich der unheimliche Kerl zu voller Größe. Mit einer schnellen Bewegung griff er in den sandigen Höhlenboden. Er stieß seltsame Laute aus, als er seine Hand ausstreckte. Bill flog der pulverige Sand ins Gesicht. Er schrie und brüllte, als der Unheimliche verschwand. Zitternd richtete er sich auf, lehnte sich an die Wand und schüttelte den Kopf. Angst kroch in ihm hoch. Was war das eben für ein zottiger Bursche gewesen. Es war kein Mensch und auch kein Tier. Es war eine Gestalt aus einem wüsten Traum, ein Monstrum wie er noch nie in seinem Leben eins gesehen hatte. Zitternd blieb er an der Wand stehen. Er konnte nichts für seinen nächsten Schrei, der ihm unwillkürlich über die Lippen brach. Wenn das Biest wiederkehrte! Er griff nach einer Muskete, die zwischen Kisten, Fässern und anderen Waffen lag, die sich in der Höhle türmten. Aber er war nicht in der Lage, sie zu laden, so zitterten seine Hände. Durch das Geschrei war Crocker wach geworden, der etwas weiter hinten in der Höhle geschlafen hatte. Seine Augen waren noch rot vom Schlaf, sein wüstes Gesicht verquollen, seine strähnigen Haare standen bolzengerade vom Schädel hoch. Mit zwei schnellen Sätzen war er bei Bill, dem die Zähne klapperten. »Was, zum Teufel, brüllst du Idiot hier so laut herum!« fauchte er den Wächter an. Seine mächtige Hand war schon zur Faust geballt und wollte ausholen, als Bill kreischend zurückwich.
Aus den Nebenhöhlen krochen verschlafene Gestalten hervor. Das weitverzweigte Höhlensystem bot Unterschlupf für viele Leute. Manche Höhlen an der Küste waren nur bei Ebbe zugänglich, die meisten anderen hatten Ausgänge nach oben und einige liefen ein paar Meilen unter der Küste entlang bis ins Hinterland. Und überall pennten die Schnapphähne, die von dem Gebrüll jetzt wach wurden und zur Haupthöhle kamen. »Hör zu«, sagte Bill hastig. »Ich hab Wache gehalten, Crocker, und mit einmal stand ein komischer Kerl vor mir.« »Komischer Kerl? Spinnst du?« fragte Crocker. »Leg die Muskete hin, du Idiot. Wie soll hier ein komischer Kerl plötzlich in die Höhle eindringen, eh?« »Ich weiß nicht«, jammerte Bill, immer noch kreideweiß im Gesicht, »ich weiß es wirklich nicht. Er stand einfach da und stieß so seltsame Laute aus. Dann bückte er sich und warf mir eine Handvoll Sand ins Gesicht.« Crocker zog den schlotternden Mann dicht zu sich heran. Dann stieß er ihn mit einem gewaltigen Schwung von sich, so daß Bill an die gegenüberliegende Wand der Höhle krachte. Ohne ein Wort zu sagen, ging Crocker bis zum Ausgang der Höhle. Er bückte sich und versuchte, mit seinen Augen die Dunkelheit zu durchdringen. Natürlich sah er von dem Affen keine Spur, der hatte sich längst aus dem Staub gemacht, als der große Krach begann. Drohend kehrte er zurück und ging auf Bill zu, der sich von der Wand erhoben hatte. Noch immer war die Angst und der Schreck nicht aus seinen Zügen gewichen. Die anderen Galgenvögel umstanden ihn. Sie sahen ratlos von einem zum anderen. »Du Idiot«, sagte Crocker leise. »Weckst mit deinem Gebrüll alle auf. Vielleicht hast du gepennt, statt auf den Kerl da aufzupassen.« »Glaub mir doch, Crocker, ich hab nicht gepennt«, log Bill.
»Und das Ungeheuer hab ich ganz deutlich gesehen. Ich hab doch Augen im Schädel.« »Stroh hast du im Schädel, du Spinner!« Crocker, der realistisch genug war, um nicht an Geister zu glauben, klebte dem Mann eine, daß er mitten in den Haufen palavernder Männer gefegt wurde. Doch Bill gab noch nicht auf. Was er gesehen hatte, das hatte er gesehen, davon ließ er sich nicht abbringen. Er erhob sich wieder, rieb sich das Gesicht, ging zur Wand hinüber und holte die Fackel, mit der er sorgfältig den Boden absuchte. Im Sand waren deutlich die Spuren zu sehen, Spuren, wie sie noch keiner der abergläubischen Kerle in seinem Leben gesehen hatte. »Verdammt«, sagte nun auch Crocker, der sich niederließ und ebensowenig eine Erklärung fand wie die anderen. »Solche Spuren gibt es ganz einfach nicht. Vielleicht hat ...« »Hier stimmt was nicht«, sagten ein paar andere. »Hier lauern Geister, oder Meermänner gehen um. Oder es sind die Seelen von den Leuten, die wir erschlagen haben!« »Ihr seid ja verrückt, ihr Ochsen! Wann hat denn jemals eine Seele solche Abdrücke hinterlassen, eh?« »Hinterher verwandeln die sich alle«, wollte ein bärtiger Kerl mit langer spitzer Nase wissen. »Das hab ich mal gehört!« »Quatsch«, erwiderte Crocker unsicher. »Haut euch wieder hin. Für alles gibt es eine Erklärung. Na los, auf was wartet ihr noch?« Murrend verzogen sich die Männer, nachdem sie einen unsicheren Blick auf den immer noch gefesselten und bewußtlosen Dan geworfen hatten. Schließlich waren sie alle verschwunden, bis auf Bill und Crocker selbst. Crocker holte sich noch einmal die Fackel, mit der er den Boden ableuchtete. Auf den Knien rutschte er durch die halbe Höhle, betrachtete die merkwürdigen Abdrücke und schüttelte immer wieder den kantigen Schädel.
»Der Satan soll mich holen, wenn ich weiß, was das ist«, knurrte er vor sich hin. »Sieht verdammt nach vier langen Fingern und einem ganz komischen Daumen aus. Die Seelen Erschlagener - pah!« Obwohl er nicht an Geister glaubte, die nachts in Höhlen herumschlichen, fand er keine Erklärung. Schließlich war er genauso verunsichert wie seine Leute auch. Völlig mit sich unzufrieden steckte er die Fackel wieder in die Halterung an der Felswand. Morgen, bei Tageslicht, gab es sicher eine Erklärung, beruhigte er sich selbst. Bei Tag sah immer alles anders aus als in der Nacht. 9. Arwenack kannte den Weg jetzt. Außerdem lief er in seiner eigenen Spur zurück. Im Gehirn des Schimpansen wirbelten bunte Gedanken. Sein Instinkt verriet ihm Gefahren, und er verriet ihm auch, daß seine Freunde vom Schiff helfen konnten. Er mußte sie nur auf die Gefahr hinweisen. Arwenack hatte unzählige Seeschlachten aus dem Großmars beobachtet, er war dabei, wenn Schiffe gekapert wurden, er hatte Seegefechte und harte Kämpfe miterlebt. Und immer hatten seine Freunde vom Schiff ihn beschützt, wenn es hart auf hart ging. Diesmal würden sie auch helfen, das war sicher. Er flitzte durch die Nacht wie ein schwarzer Geist. Immer schneller rannte er, bis er das Schiff erreichte. Ein Satz, und er sprang auf die Trosse, hangelte sich daran entlang, bis er aufs Achterkastell plumpste. Er sah niemanden, auch dann nicht, als der Mond einmal kurz zwischen den Wolken hervorsah und die ›Isabella‹ mit geisterhaftem Licht überschüttete. Sein zweitbester Freund war Batuti, der riesige schwarze Zweibeiner, den er heute gebissen hatte. Der mußte helfen, der
würde verstehen, was er wollte, auch ohne, daß er diese komischen Laute ausstieß, wie sie den Zweibeinern eigen waren. Er flitzte über die Kuhl zum Vorschiff und rannte unter Deck zu der Koje, in der Batuti schlief und schnarchte. Batuti wurde aus tiefem Schlummer gerissen, als etwas an seinen Haaren zerrte. Keckernde Laute drangen an sein Ohr. Mit einem Ruck richtete sich der Neger auf und starrte auf den Schatten, der im kaum erkennbaren Licht der Ölfunzel auf und ab hüpfte. »Was haben verdammtes Arwenack«, schimpfte der Neger. »Wollen wieder Batuti beißen, weil kleines Dan fort?« Batuti rieb sich den Schlaf aus den Augen. Seltsam, wie der Affe sich heute benahm. Jetzt begann er schon, mitten in der Nacht, tobsüchtig zu werden. Kein Wunder, an Deck hatte er sich noch viel schlimmer aufgeführt, und das alles nur, weil Dan fort war und ihn nicht mitgenommen hatte. Fasziniert beobachtete der Neger, wie Arwenack vor seiner Koje einen wilden Tanz aufführte. Er sprang hoch, zeigte dann auf Batuti, dann wieder zum Niedergang hoch und fletschte die Zähne, als wollte er Batuti jeden Augenblick anspringen. »Ah, Batuti wissen«, sagte der Gambia-Neger. »Arwenack wollen in Koje liegen, kleines Arwenack nicht mehr beleidigt, weil in Großmars zu kalt.« Gutmütig wie der Riese war, griff er den Schimpansen und legte ihn kurzerhand in die Koje. Danach wunderte er sich nur noch mehr. Wie der Blitz war Arwenack draußen, kreischte wie ein Irrer, führte wieder seinen Tanz auf, jammerte laut und raste an Deck, wobei er immer wieder auf Batuti zeigte. »Jetzt Batuti verstehen nichts mehr. Verstehen nur, daß Arwenack brauchen Frau. Arwenackin. Spinnen wie andere Männer!« Der Affe kam heruntergefegt, zerrte an Batutis Armen und
schrie so laut, daß Buck Buchanan, Morgan und Roscill erwachten. »Verflucht, was ist denn hier los?« brüllte Morgan. »Kleines Arwenack spinnen«, erklärte der Neger. Buck dachte an die Bananenschale, die Arwenack ihm vor die Füße geworfen hatte. Sein Achtersteven brannte immer noch höllisch, seit er auf dem glitschigen Ding ausgerutscht war. »Klar, der spinnt«, sagte er. »Der hat ja heute schon den ganzen Tag gesponnen.« »Batuti glauben nicht richtig!« »Ach was«, sagte Buck wütend. »Dir hat er doch die ganze Banane auf dem Schädel zerrieben. Vielleicht ist er krank. Warum soll ein Affe nicht auch mal krank werden?« Arwenack hüpfte von einem zum anderen. Sein Gesicht drückte Kummer aus, er schrie und jammerte, zeigte immer wieder nach oben zum Deck, zerrte an Batutis Händen. Endlich ging dem Neger ein Licht auf. Seine weißen Zähne blitzten. »Batuti wissen jetzt. Sollen Arwenack folgen! Arwenack wollen an Land.« »Vielleicht will er mit dir im Mondschein Arm in Arm spazieren gehen«, sagte Luke MorganJ »Du sein Idiot. Nicht Arwenack verstehen!« Roscill machte dem Gezeter kurzerhand ein Ende, indem er nach achtern ging und Ben Brighton weckte. »Der Affe spielt verrückt, Ben, Batuti meint, daß er etwas an Land entdeckt hat und daß ihm jemand folgen soll. Wir wissen nicht so recht, was wir davon halten sollen.« »Ich komme gleich und sehe mir das selber mal an«, sagte Ben und kletterte aus der Koje. Zwei Minuten später war er im Vorschiff. Staunend sah er zu, wie Arwenack sich gebärdete. Das war nicht normal! Daß er den ganzen Tag beleidigt im Großmars hockte, nahm Ben noch als ganz natürlich hin, aber nicht, daß er sich mitten in der
Nacht so aufführte. Das hatte etwas zu bedeuten, und Batuti hatte wahrscheinlich recht mit seiner Vermutung. »Vermutlich ist er Dan nachgelaufen«, meinte Brighton. »Er hat sich zu irgendeiner Zeit von Bord geschlichen. Dan könnte etwas passiert sein, das Pferd kann sich ein Bein gebrochen haben, er selbst ist vielleicht verletzt. Ich denke, wir sollten das Gezeter ernst nehmen. Da, er flitzt schon wieder los!« Arwenack gab sich so verzweifelt wie ein Mensch. Begriffen diese Zweibeiner denn nicht, was er wollte? Er mußte es ihnen noch deutlicher zeigen. Er raste an Deck, gefolgt von der ganzen Meute und nahm wieder den Weg zum Achterkastell, wo er sich an der Trosse gekonnt an Land hangelte. »Batuti, du wirst ihm folgen. Mit dir versteht er sich am besten, wenn Dan nicht da ist.« »Gut«, sagte der Neger. »Arwenack laufen an Küste lang.« »Dann nimm das Beiboot und folge ihm!« »Batuti viel Sorge um kleines Dan. Batuti werden suchen.« Die Sorge um seinen Freund Dan trieb Batuti zur Eile. Fast so schnell wie der Affe war er draußen, sprang ins Boot, löste die Leine und begann zu pullen. Seine mächtigen Arme zogen die Riemen hart durchs Wasser. Schnell glitt das Beiboot vorwärts. Arwenack lief am Strand entlang, ohne den Umweg durch den Hohlweg zu machen, von dem Batuti nichts wußte. Was den Affen jetzt direkt am Strand entlangtrieb, eine Abkürzung, die er überhaupt nicht kannte, wußte er selbst nicht. Er schien es irgendwie zu spüren. Er rannte so schnell, daß Batuti ihn aus den Augen verlor. Aber kaum war er außer Sicht, kehrte er schon wieder zurück, lief dicht am Wasser entlang und wartete dann, wenn Batuti nicht rasch genug folgen konnte. Der schwarze Riese pullte aus Leibeskräften. Ab und zu schien der Mond auf die Wasseroberfläche und zauberte silbrige Reflexe hervor, so daß sie aussah wie flüssiges Blei. Dann zogen wieder Wolken auf und verdunkelten alles.
Ein heimlicher Beobachter hätte das Boot für leer gehalten, so sehr verschmolz der Neger mit der Nacht. Für den Beobachter wären nur die rasend schnell ins Wasser getauchten Riemen sichtbar gewesen. Am Strand sprang Arwenack in wilden Sätzen hoch, er rannte noch ein paar hundert Yards weiter und kehrte wieder zurück. Eine halbe Stunde war vergangen. Batuti hatte das Gefühl, fast am Ziel zu sein, als der Affe ein paarmal im Kreis rannte. Er zog die Riemen an, das Boot glitt nur noch mit schwacher Fahrt durch das bleierne Wasser. Da vernahm Batuti einen Laut. Es hörte sich an, als hätte ein Mann gerufen. Und es schien direkt aus der felsigen Küste zu kommen. Sehr vorsichtig zog Batuti das Boot auf den Strand hinauf. Arwenack war seltsam still geworden, langsam lief er vor ihm her. Erneut tauchte der Mond hinter Wolken auf. Sein fahles Licht schien in Löcher, die wie die Augen eines Totenschädels aussahen. Höhlen! Batuti schlich geduckt weiter und nahm den Affen an die Hand. Da sah er auf dem Vorsprung einer Höhle einen Mann stehen. Sofort verharrte der Neger. Der Kerl hatte ihn nicht entdeckt, denn jetzt verschwand der Mond hinter Wolken, und es wurde schlagartig finster. Lautlos pirschte sich Batuti den schmalen, künstlich geglätteten Weg zu der Höhle hoch, aus der schwacher Lichtschein drang. Er gelangte ungesehen bis dicht hinter den Mann, als der sich umdrehte. Er wollte einen erschreckten Schrei ausstoßen, denn in der Finsternis sah er nur zwei wild rollende Augen und ein weißes Gebiß, das mitten in der Luft zu hängen schien. Batuti packte den zappelnden Kerl am Hals und drückte ein bißchen. Dann ließ er die eine Hand los und hieb sie dem Wächter hart auf den Schädel. Vorsichtig ließ er ihn zu Boden gleiten. Der Mann gab keinen Ton mehr von sich, denn wo Batuti einmal hinschlug, wurden selbst die Felsen mürbe und
zerbröckelten. Den Affen dicht hinter sich, betrat er die Höhle. Sie führte zwanzig Yards in die Küste hinein und beschrieb dann einen Knick. Dahinter wurde sie geräumiger. An den Wänden waren Kisten und Fässer gestapelt, eine blakende Fackel verbreitete tanzendes Licht. Der Untergrund war sandig. Batuti schlich weiter. Rechts vor ihm gähnte ein Loch im Felsen - der Eingang zu einer weiteren Höhle. Er geriet in ein regelrechtes Labyrinth. Überall zweigten Gänge ab. Einige führten in die Tiefe, anderen sah man nicht an wie lang und breit sie waren, weil sich ihr Ende irgendwo in der Dunkelheit verlor, die von den Fackeln nicht mehr erhellt wurde. Von weiter hinten ertönten Stimmen, Gemurmel, undeutliches Palaver. Batuti schlich immer weiter. In einer Nebenkammer lagen Männer auf dem Boden, schlafend, schnarchend. Er zählte elf Mann, alles Galgenvögel mit Visagen, an denen jeder Henker seine Freude gehabt hätte. Überall lagen Waffen und Kisten herum. Musketen, Pistolen, Pulverflaschen, Kisten mit Bleikugeln. Ein ganzes Waffenlager war hier zusammengetragen worden. Aber Batuti sah auch noch etwas anderes. Beuteware, Lebensmittel, sogar einen Tabakballen fand er. Der Höhlengang machte wieder einen Knick. Batuti spähte um die Ecke und zog sofort seinen Kopf zurück. Der Affe, der ihm unermüdlich folgte, gab keinen Ton von sich. Da hockten fünf Kerle friedlich beim Schein einer Fackel zusammen und palaverten eifrig. Was sie redeten, verstand Batuti erst nach und nach, weil sie ziemlich schnell sprachen. Für ihn stand fest, daß die Kerle Dan überfallen und dann hierher in die Höhle geschleppt hatten, in eine der Höhlen. Aber in welcher mochte er sich befinden? Schade, daß der Affe nicht reden konnte, dachte der Neger, dann wäre es ein
Leichtes gewesen, hier so richtig aufzuräumen. Er lauschte mit vorgestrecktem Kopf. Die Kerle konnten ihn nicht sehen, wenn er den Schädel um die Ecke schob, denn sie blickten vom Hellen ins Dunkle, waren also im Nachteil. Er hörte Wortfetzen. Etwas von Geistern, die nachts umgingen und durch die Höhlen schlichen. Seine Haare sträubten sich leicht, und in seinem Nacken war so ein merkwürdiges Gefühl. Batuti glaubte nicht so richtig an Geister, aber möglich war schließlich alles. Wenn man noch keine gesehen hatte, war das lange kein Beweis dafür, daß es keine gab. Und in diesen Höhlen ... Batuti keine Angst, redete er sich ein. Wenn Geist erscheinen, Batuti drehen Hals rum. Konnte man Geistern überhaupt den Hals rumdrehen? fragte sich der Neger. Egal, es würden bestimmt keine auftauchen. »... müssen wir uns noch besser sichern«, hörte er einen der Kerle sagen. »Die Spuren hab ich selbst gesehen. Ich sage euch, so etwas Unheimliches gibt es nicht.« Die anderen starrten den Sprecher unsicher an. Einer fragte: »Und was hat Crocker dazu gesagt?« »Er wollte es nicht glauben, aber später hat er die Fackel genommen und den Boden noch einmal abgeleuchtet. Ich sage euch, Crocker war schneeweiß im Gesicht und hat immer nur den Kopf geschüttelt. Bill hat er eins in die Schnauze gehauen, weil der dauernd von einem zottigen Ungeheuer faselte.« Batuti grinste. Also war Arwenack hier durch die Höhlen geschlichen und hatte die Männer in Angst und Schrecken versetzt. Vielleicht hatte ihn nur ein einziger gesehen, und der zog das jetzt in die Länge und übertrieb dazu, um sich aufzuspielen. Die anderen redeten jetzt von Geistern und davon, daß es in Höhlen am Meer sowieso nie ganz geheuer sei. Jeder spann eine Geschichte dazu, und im Handumdrehen erfuhr Batuti
grauenhafte Sachen von toten Seeleuten, die nachts aus dem Meer stiegen und grünlich leuchteten. Er machte, daß er davonkam, den Affen dicht auf den Fersen. Schon glaubte er, sich in dem Höhlensystem verirrt zu haben, als er wieder schwaches Licht sah. Der Weg, sandig mit ein paar Steinen durchsetzt, stieg etwas an. Er befand sich in einem Quergang. In einer Nische des Querganges lagen wiederum ein paar schlafende Kerle. Jetzt waren es schon mehr als zwanzig, die Batuti entdeckt hatte. Er verursachte nicht das geringste Geräusch, als er weiterging, bis dahin wo der Quergang zu Ende war und in die andere, noch größere Höhle mündete. Das erste was Batuti erblickte, war der gefesselte Mann am Boden. Er erkannte ihn trotz des schlechten Lichtes sofort. Dort lag sein Freund Dan, hilflos eingeschnürt, das Gesicht zur Wand gedreht. Um ihn herum lagen Kerle, weiter hinten noch welche. Einer von ihnen drehte sich unruhig hin und her. Da stieß Arwenack ein heiseres Keckem aus. Mit einem Satz wollte er zu Dan springen. Batuti erschrak. Im allerletzten Augenblick bekam er den Schimpansenjungen zu fassen und legte ihm die schwere Hand auf die Wulstlippen. Einer der Kerle wurde wach, wälzte sich herum und öffnete die Augen. Sein Blick ruhte einige Sekunden genau auf Batuti, der wie zu Stein erstarrt war. Aber er sah ihn nicht, weil auch er vom Hellen ins Dunkle blickte. Endlich drehte er sich in seine alte Lage zurück. Schnarchtöne verrieten, daß er wieder ins Land der Träume gegangen war. In Batutis Händen zuckte es unruhig. Am liebsten wäre er hinübergegangen, um Dan zu befreien. Er überlegte lange, wie er es anstellen sollte. Dan einfach aufheben und mit ihm abhauen?
Nein, das ging nicht, ohne Geräusche lief das nicht ab. Die Kerle, die hier überall in den Verstecken pennten, sahen auch nicht so aus, als würden sie freundliche Nasenlöcher machen, wenn sie ihn entdeckten. Lange rang Batuti mit sich selbst. Es wäre unklug gewesen, Dan aus dieser Höhle zu befreien, die Übermacht war zu groß. Es gab mindestens dreißig wüst aussehende Burschen hier. Schweren Herzens entschloß Batuti sich zum Rückzug. Er packte Arwenacks Hand, warf noch einen bedauernden Blick auf den bewußtlosen Dan und ging ganz dicht an ihm vorbei zu dem Ausgang, den auch Arwenack beim ersten Mal benutzt hatte. Niemand erwachte, niemand sah ihn. Nur aus dem Hintergrund drang unaufhörlich das Gemurmel der Banditen, die sich Geistergeschichten erzählten und vor Angst nicht mehr schlafen konnten. Die einzige Sorge bereitete Batuti der Wächter. Wenn der wieder zu sich kam, würde er die ganze Bande alarmieren, dann waren sie gewarnt. Der Kerl lag in seltsam verrenkter Stellung unten im Sand. Er war kurz aufgewacht und mußte sich dann herumgedreht haben. Daraufhin war er abgestürzt, auf einen Stein gefallen und hatte sich das Genick gebrochen. Batuti hob ihn hoch und schleppte ihn hundert Yards weiter, wo Strandhafer und scharfes Gras wuchsen. Dort legte er ihn hin. So schnell fand man ihn jetzt nicht mehr. Arwenack hockte im Boot, als der Neger zurückkehrte. Er sah ihn kaum, so dunkel war es jetzt. Schnell schob Batuti das Boot ins Wasser zurück. Die Riemen tauchten unhörbar ein, als er dicht am Strand den Weg zurückpullte. Auf der ›Isabella‹ war die ganze Mannschaft auf den Beinen, als das Boot anlegte. Batuti wurde neugierig umringt. Fragen schwirrten ihm entgegen.
»Was ist, Batuti, hast du Dan gefunden?« »Ist ihm was passiert?« »Batuti haben kleines Dan gefunden. In Höhle. Viel Höhlen an Strand. Haben mehr als dreißig Schnarchmänner. Einer jetzt tot.« »Und Dan?« fragte Brighton. »Dan liegen gefesselt in Höhle, bewacht von Schnarchmann. Batuti nicht allein können holen ihn«, radebrechte er weiter. »Mehr als dreißig Kerle?« Ben Brighton staunte. »Das kann nur die Bande sein, mit denen ihr in der Kaschemme verwechselt worden seid. Strandpiraten! Sind sie schwer bewaffnet, Batuti?« »Viel Waffen in Höhle. Viel Pulver, Kisten, Fässer. Ein ganz dickes Schnarchmann dabei, vielleicht Boß. Sehen aus wie Carberry!« Carberry schob sein Rammkinn noch weiter vor. Seine Augen blitzten in der Dunkelheit. »Die Hunde räuchern wir aus«, sagte er. »Das muß der Kerl sein, für den sie mich hielten. Kein Wunder, daß die Fischer so erbost waren, als sie sahen, wie wir die Goldstücke versoffen.« »Wachen vor den Höhlen?« fragte Ben. »Nur eine Wache. Batuti schlagen auf Kopf. Mann tot.« Brighton fluchte leise. »Dann werden sie ihn sicher auch finden.« »Nix finden«, widersprach der Riese, der neben Ferris Tucker und Ed Carberry stand. Diese drei großen, harten Klötze sahen aus wie Felsen aus Granit, wenn sie nebeneinanderstanden. »Batuti Mann verstecken, nix finden.« Brighton überlegte, bis er zu einem Entschluß gelangte. »Dan war auf dem Rückweg«, sagte er mehr zu sich selbst, »diese Banditen haben ihn überfallen. Der Tukan, den Sir Freemont erhalten sollte, ist weg, den haben sie ihm abgenommen, das ist sicher. Und die Perlen sind diesen Piraten ebenfalls in die schmierigen Pfoten gefallen. Das heißt also,
Dan hätte dem Seewolf nicht einmal die Perlen übergeben können, vielleicht hätten sie ihn sogar noch erschlagen. Und wegen dieser lausigen Bande wäre alle Mühe umsonst gewesen.« Die Männer murrten drohend. Diese Schande konnten sie nicht auf sich sitzen lassen. Das mußte mit Blut abgewaschen werden. »Dann brechen wir auf und holen uns diese Höllenbrut«, grollte der Profos. »Richtig, Ed. Das werden wir jetzt besprechen. Dan wird befreit, der Tukan und die Perlen zurückgeholt. Nehmen wir an, es sind ungefähr dreißig Mann. Siebzehn oder achtzehn Männer können wir losschicken, ein paar müssen an Bord bleiben. Du, Ferris, und du, Ed, ihr werdet das Unternehmen leiten. In einer Stunde brecht ihr auf, dann ist es immer noch dunkel, und es ist nicht mehr lange bis zur Dämmerung. Batuti wird euch führen. Ihr bewaffnet euch mit Musketen und Pistolen.« Zustimmendes Gemurmel erklang. Es gab keinen an Bord, der nicht von Rachegedanken erfüllt war. Tuckers rechte Hand ruhte auf dem Stiel der riesigen Axt, die er vorsorglich gleich dabei hatte. Wenn er einmal in Aktion trat, gab es nicht nur Kleinholz, dann blieben nur noch Splitter und Späne übrig. Es wurde beschlossen, am Strand entlangzugehen, bis die Höhlen erreicht waren. Von See her war das Unternehmen zu schwierig, zu schnell konnte ein Boot gesehen oder gehört werden. Die Männer, die die Kerle ausräuchern sollten, wurden ausgesucht. Musketen wurden verteilt und geladen. Tucker verzichtete auf einen Schießprügel. Er verließ sich lieber auf seine Axt, mit der er umzugehen verstand wie kein anderer. Eine knappe Stunde später brach die Gruppe auf. Insgesamt waren es achtzehn wilde, zu allem entschlossene Männer.
10.
Batuti hob die Hand. Hinter ihm blieben die Männer bewegungslos stehen, Schatten im schwachen Schein des Mondes, die sich nicht rührten. Sie sahen Batutis riesige Hand, die schräg nach oben deutete. Der Neger witterte wie ein Jagdhund auf frischer Fährte. Jetzt sahen es auch die anderen. In den Felsen gähnten große, schwarze Löcher, und in einem davon befand sich Dan, ihr Dan, der sich so tapfer geschlagen hatte, der unheimliche Strapazen auf sich genommen hatte, um die Crew und ihren Seewolf wieder zusammenzuführen. Wenn sie daran dachten, schwoll ihnen der Kamm, und ihre Gesichter verhärteten sich. Sie würden es diesen verlausten Kerlen zeigen, diesen miesen Kakerlaken, und wenn sie auch nur achtzehn Mann waren, gegen eine doppelte Übermacht. Aber ihr Zorn, ihre grenzenlose Wut und ihre kämpferischen Qualitäten glichen das alles aus. Batuti beriet sich mit Tucker und Carberry. Er erklärte ihnen, wie es in den Höhlen aussah, wo die Schnarchmänner lagen, wo sich Dan befand und wie man am besten vorging. »Wenn wir klettern hier«, sagte Batuti, »dann wir können Höhlen besetzen von drei Seiten. Schnarchmänner dann nix mehr können raus. Und wir schlagen alle tot. Aber passen mächtig auf, weil kleines Dan gleich liegen an Wand.« »Darauf kannst du dich verlassen«, flüsterte der Profos. Er hatte seine Stimme gedämpft, aber trotzdem hörte sie sich noch an wie entferntes Donnergrollen. Tucker teilte ein paar Leute in eine Gruppe, die zweite Gruppe nahm Carberry, die gleich in die erste Höhle eindringen sollten, die letzte Gruppe führte Batuti. Der Neger sollte mit drei Männern die Quergänge sperren und niemanden
herauslassen. Morgan und Pete Ballie übernahmen die Fluchtwege. Sie sollten so tief wie möglich in das Labyrinth eindringen und die Flüchtenden am Rückzug hindern. Allerdings waren die Männer sich darüber im klaren, daß sie es nicht mit einer Schar Feiglinge zu tun hatten. Die Strandräuber waren hartgesottene Burschen, die so schnell nicht aufgaben. Kämpfen war genauso ihre Devise, wie sie auch bei der Crew galt. Ohne das geringste Geräusch zu verursachen, stieg der erste Trupp nach oben. Dicht vor dem Höhleneingang warteten sie, bis auch die zweite Gruppe heran war und sich vor der anderen Höhle postierte. Carberry blickte hinein, Ferris Tucker, die mächtige Axt in der harten Faust, starrte in die andere Höhle. Damit hatten sie den ersten Überblick. Die letzte Gruppe kam ebenso lautlos hinterher. Wieder hob Batuti die Hand. Außer dem gleichmäßigen Rauschen der Brandung war kein anderes Geräusch zu hören. Selbst das Gemurmel und Palaver im hinteren Teil der einen Höhle war verstummt. Tucker trat ein, gefolgt von seinen Leuten. Der letzte wartete auf das Handzeichen von Batuti. Die zweite Gruppe verschwand. Und dann ging es los! »Arwenack!« Sie konnten es nicht lassen. Der alte Schlachtruf hallte durch die Höhle, daß es von allen Seiten tausendfach zurückschallte. Im Nu war der Teufel los. Wie eine Horde Wilder stürmten die Männer vor. Die ersten Schnarchmänner fuhren hoch. Sie glaubten, der Weltuntergang stünde direkt bevor. Dieses fürchterliche Gebrüll riß sie unsanft aus ihren Träumen. Verschlafen und mit verquollenen Gesichtern taumelten die ersten hoch.
Da war Ferris Tucker heran. Ein entsetztes Gesicht starrte ihn an. Zwei abgefledderte Kerle sprangen auf die Beine und griffen nach ihren Waffen. »Was ist los?« fragte der eine entsetzt. »Das wirst du gleich merken!« brüllte Tucker. Die Axt blitzte im Licht der Fackeln, die Schneide hieb durch die Luft. Ein Angstschrei erscholl, ein grauenhafter langgezogener Schrei gellte durch das Höhlensystem. Mit gespaltenem Schädel fiel der erste Bandit unter Tuckers wildem Streich zu Boden. Wieder erscholl das »Arwenack«. Das Echo rollte durch den Gang, verstärkte sich, kehrte zurück, ertönte aus anderen Gängen. Männer sprangen auf, denen das Entsetzen nur so aus den Augen sah. Niemand wußte, was hier los war, woher das wilde Brüllen stammte, wieso plötzlich und überall wie aus dem Boden gewachsen, harte, verwegene Burschen auftauchten, die kurzen Prozeß machten. Die ersten flüchteten verängstigt zu den geheimen Ausgängen. Pete Ballie und Morgan hatten sich noch nicht zurechtgefunden, sie kannten sich in dem weitverzweigten System nicht aus, und so gingen ihnen die ersten Burschen durch die Lappen. Mit allen Anzeichen des Entsetzens jagten sie davon. Ein unheimlicher, dröhnender Knall ertönte. Pulverrauch zog durch die große Höhle. Sven Nyberg hatte eine Muskete abgefeuert und einen der Banditen von den Beinen geholt. Crocker selbst war so verdattert, daß er gar nichts begriff. Er sah zwei Kerle hereinstürmen, die rücksichtslos alles überrannten, was ihnen im Weg war. Er packte seine erbeutete Pistole und feuerte sie auf den ersten Eindringling ab. Der Schuß ging daneben, wie er zu seinem Entsetzen feststellte. Nachladen konnte er nicht mehr, ihm blieb dazu keine Zeit, denn schon stürzte sich jemand auf
ihn. Crocker zog sein Messer. Verbissen wehrte er sich gegen den Kerl, aber der war so wendig und geschickt, daß er nicht zustechen konnte. Unter normalen Umständen hätte Crocker gekämpft wie der Satan selbst. Aber das waren keine normalen Umstände mehr. Hier war eine Horde wilder Teufel eingedrungen, die sich aufs Kämpfen verstand. Er versuchte einen Stich nach seinem Gegner zu führen, der ins Leere ging. Er schrie vor Wut. Da traf ihn eine knochenharte Faust an den Schädel. Ihm war, als explodiere die ganze Höhle. Er schüttelte sich, taumelte und griff an. Doch immer wieder griff er daneben. »Verfluchter Hund!« brüllte er in ohnmächtiger Wut. Mit einem schnellen Ruck zog er eine der aufgestapelten Kisten von der Wand und warf sie seinem Gegner vor die Beine. Smoky, gegen den Crocker kämpfte, stürzte über das Hindernis. Geschickt rollte er auf dem Boden ab. Da war sein Gegner so plötzlich verschwunden, als hätte ihn der Erdboden verschluckt. Smoky blickte sich verblüfft um. Hinter den Kisten gähnte eine Öffnung, so groß, daß ein Mann gerade noch hindurchschlüpfen konnte. Er ahnte, wen er eben vor sich gehabt hatte, Crocker selbst, von dem Batuti berichtet und der figürlich starke Ähnlichkeit mit Carberry hatte. Smoky stürmte hinterher. Er stieß sich den Schädel an dem niedrigen Gang und fluchte. Tiefe Finsternis umgab ihn, hierher drang kein Licht, und Fackeln brannten auch nicht. Er tastete sich noch weiter vor, bis der Gang höher wurde und er aufrecht gehen konnte. Vergeblich, den Kerl fand er nicht mehr. Der Gang teilte sich, Schritte waren nicht zu hören. Crocker mußte sich hier auskennen wie ein Fuchs in seinem Bau. Smoky kehrte wieder um. Es war sinnlos, dem Kerl nachzujagen, viel besser war es, seinen Kameraden zu helfen.
Er lief zurück, wo das Gebrüll und Geheule der überraschten Kerle zu hören waren. Jetzt wehrten sie sich verbissen. Einer sprang Batuti an, der mit einem riesigen Holzprügel um sich schlug. Drei Kerle waren es. Und vor innen lag Donegal Daniel O’Flynn auf dem Boden wie ein verschnürtes Paket. Er konnte sich um Dan nicht kümmern. Er stieß einem Kerl seine eisenharte Faust ins Kreuz, der mit einem Affenzahn auf Batuti zuraste. Der Neger empfing ihn auf seine Art. Mit dem mächtigen Holzprügel holte er aus. Es hörte sich an, als würde ein altes morsches Ruderboot kaputtgeschlagen. Der Galgenvogel streckte sich auf dem sandigen Boden aus, er würde nie wieder Menschen ausplündern. Noch zwei waren es jetzt. Beide hatten Messer und gingen auf den Neger los. Der wehrte sie mit seinem hölzernen Prügel ab, schlug dem einen hart auf die Schulter, packte dann den anderen und warf ihn voller Wut an die Felswand. Noch einer, der jetzt schrie und geiferte. Vor dem riesigen Neger hatte er eine Höllenangst, der zermatschte alles, was ihm unter die mächtigen Pranken geriet. Sein Schultergelenk war zertrümmert von dem wuchtigen Hieb, er trat wütend nach dem gefesselten Dan - und stürmte in Smokys Messer. Damit zählte er nicht mehr zu den Kämpfenden. Auch er würde nie mehr dazuzählen. Batuti kümmerte sich jetzt um Dan, als die Banditen in der ersten Höhle nicht mehr am Leben waren. Besorgt löste er ihm die Fesseln. Dan war schon seit einer ganzen Weile zu sich gekommen, von da ab, als das wilde Arwenack-Gebrüll erscholl und die Flüche und Schreie sich mit dem Angstgejammer der Piraten mischten. »Alles gut, kleines Dan?« fragte der Neger besorgt. Dan massierte seine Handgelenke. Unendlich langsam kam er vom Boden hoch und sah Batuti grinsend an. »Alles gut, Batuti, alter Freund. Nur meine Knochen sind ein
bißchen durcheinander.« »Batuti werden Knochen von Schnarchmänner auch durcheinander machen«, grollte er. Seine Augen rollten wild hin und her. In dem Moment wachte der eine, den Batuti an die Wand geworfen hatte, wieder auf. »Schnarchmann dich geschlagen?« fragte er drohend. Dan nickte. Das Sprechen fiel ihm noch schwer. Sein Schädel tat weh, sein geschundener Körper war mit Wunden übersät. »Dann Batuti ihn zerbrechen!« Der Kerl starrte den Neger aus blutunterlaufenen Augen an. Trotz seiner Verletzungen wollte er noch einmal auf ihn los. Batuti verstand keinen Spaß, wenn es um Dan ging. Dann wurde er zum Urmenschen mit jähen Reflexen. »Nicht mehr werden kleines Dan ärgern«, sagte er. Liebevoll besorgt legte er das Bürschchen auf den Boden. »Bleiben hier, kleines Dan«, redete er auf ihn ein. »Batuti werden dich später tragen an Bord. Jetzt Batuti erst andere Schnarchmänner kaputt machen.« Zusammen mit Smoky stürmte er los. In den anderen Höhlen tobte unterdessen ein erbarmungsloser Kampf. Tucker schwang seine riesige Axt. Er schlug sich buchstäblich durch die Banditen durch. Ed Carberry schwang die Fäuste, die mindestens drei erwachsene Männer ersetzten. Morgan war an der Schulter verletzt. Ein Messer hatte ihn leicht gestreift. Weiter hinten, wo der Gang niedriger wurde, hatte sich eine Gruppe der Strandräuber formiert. Sie riegelten den Gang ab, hatten auch die Nebengänge besetzt und waren bis in die Höhlen zurückgegangen, die nur bei Ebbe erreichbar waren. Sie hatten Musketen und machten tüchtig Gebrauch davon. Da sie sich hier besser auskannten, als die Männer von der ›Isabella‹, hatten sie vorerst noch einen Vorteil auf ihrer Seite. Einer hatte ein Pulverfaß aufgeschlagen und streute das schwärzliche Zeug auf den Boden, während er sich gleichzeitig
zurückzog. Drei Kumpane deckten seinen Rückzug. Abwechselnd feuerten sie ihre Musketen in den Gang ab. Tucker und Carberry mußten zurückweichen, denn immer wieder heulten dicke Bleibrocken durch den Gang, prallten an den Felsen ab und sausten ziellos als plattgedrückte Querschläger den Männern um die Ohren. Die Pulverspur sah Carberry nicht, dazu war es zu dunkel. Er und Ferris Tucker standen da, wo der Gang abknickte. »Die sind verschwunden«, sagte Tucker, als das Schießen aufhörte. Carberry hatte eine Muskete aus dem Waffenhort genommen und feuerte sie in den Gang. Kein Schrei ertönte, bis auf das rollende Echo blieb alles still. »Hinterher!« brüllte Tucker. »Die Burschen laufen Morgan und Pete Ballie in die Arme. Dann haben wir sie in der Zange.« Er stürmte los, gefolgt von dem Profos. Ein greller, blendender Blitz flammte auf. Er kam näher und raste mit irrsinnigem Tempo auf die beiden Männer zu. Eine Flammenwand, bösartig zischend und fauchend hüllte die beiden Männer ein. Schlagartig stieg die Hitze an. Tucker ließ die Axt fallen, Carberry schlug die Hände blitzschnell vor die Augen. Er hatte das Gefühl, bei lebendigem Leib geröstet zu werden. So schnell wie das höllische Inferno ausbrach, so schlagartig hörte es wieder auf. In Carberrys Haaren knisterte es noch leicht. Tucker stand in totaler Finsternis. Der Blitz aus Schießpulver hatte ihn total geblendet. Weit vor ihnen, kaum noch hörbar, erklang hämisches Lachen. Es trieb den Männern die Galle hoch. »Diese Schweinehunde«, ächzte Tucker und tastete nach seiner großen Axt. »Beinahe wären wir noch weiter vorgelaufen.« »Das werden sie büßen! Mir hat’s die Haare versengt, und sehen kann ich auch nichts mehr.«
Als das Gelächter verstummte, liefen sie weiter und stießen sich ab und zu die Köpfe an dem Gang. Nach hundert Yards ertönte ein grauenhafter Schrei. Gleich darauf ein zweiter. Sie hasteten weiter und rissen im Laufen aus einem Quergang eine Fackel von der Wand. Tucker schwang voller Zorn die Axt und wollte zuschlagen. »Brauchst du nicht mehr, Ferris«, sagte Luke Morgan. »Sieh dir diese beiden Kerle nur einmal richtig an!« Das tat Tucker. Er sah in gebrochene Augen. Und die beiden Banditen standen nur deshalb aufrecht, weil Ballies und Morgans Messer noch in ihrer Brust steckten und sie festhielten. »Die wollten euch gerade ein Feuerchen anzünden«, sagte Pete Ballie. »Das haben wir gerade hinter uns«, sagte Carberry wütend. »Es sollte noch ein zweites geben, Ed. Die Decke wäre euch auf den Schädel gefallen.« Mit einem Ruck zog er sein Messer zurück. Der Strandräuber wankte, obwohl er längst tot war, und konnte sich nicht entschließen, nach welcher Seite er fallen sollte. Schließlich kippte er nach rechts. Als auch Pete Ballie das Messer herausriß, fiel der andere Kerl ebenfalls um und stürzte leblos über seinen Kumpan. »Die beiden anderen sind uns durchgegangen. Sie verschwanden in einem Seitengang.« Carberry winkte ab. »Laß sie, die werden die Schnauze voll haben. Und an ihren Höhlen haben sie auch keinen Spaß mehr, wenn wir erst aufgeräumt haben.« Sie gingen den Weg zurück, bis sie auf die anderen stießen. Der Kampf hatte ein Ende, das Gebrüll war vorbei. Batuti kam mit dem verletzten Bürschchen auf dem Arm in die große Haupthöhle marschiert. Vorsichtig setzte er Dan ab. »Alles kaputt«, versicherte er mit rollenden Augen.
»Schnarchmänner verschwunden, andere tot.« Zehn Leichen wurden gefunden. Etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Männer hatten sich demnach abgesetzt und versteckten sich in dem unterirdischen Labyrinth. Oder sie hatten Ausgänge benutzt, die im Landesinnern wieder ins Freie führten. Die Crew der ›Isabella‹ war nur leicht angeschrammt. Die paar Wunden waren für die eisernen Kerle nicht der Rede wert, darüber verlor man kein unnötiges Wort. Das Bürschchen war am schwersten verletzt. Dan hatte innere Quetschungen, Blutergüsse und Prellungen. Die Halunken mußten ihm ganz schön zugesetzt haben. Das hatten sie jetzt teuer bezahlt. Carberry reckte seine mächtige Gestalt. »Die Vorstellung ist beendet«, sagte er. »Tragt jetzt alles hinaus, was wir noch brauchen können. Ich denke da hauptsächlich an Pistolen und Wertsachen, die ...« Roscill tauchte auf, das Gesicht blutverschmiert. »Weil du gerade von Wertsachen redest, Ed. Hier habe ich was gefunden, seht mal her!« In seiner Hand schimmerte der goldene Tukan mit den Augen aus Edelsteinen, das einmalig schöne Prachtstück, das bald Sir Freemont für seine aufopfernde Dienste erhalten sollte. Und in der anderen Hand hielt der grinsende Roscill den Beutel mit den Perlen. Einer der Kerle hatte ihn in seiner Hosentasche gehabt. Batuti trug Dan aus der Höhle zum Strand hinunter. Über dem Meer spazierten gerade die ersten schwachen Strahlen der Dämmerung. Dans Pferd stand ein paar hundert Yards entfernt zwischen Felsen. »Laß mich doch endlich runter, verdammt!« schrie das Bürschchen. »Ich kann allein laufen.« »Du nicht können! Batuti dich tragen. Du krank!« »Ach, mach doch, was du willst, du Dickschädel. Du bist ja
doch der beste Kerl, den ich kenne. Du hast mich gefunden, eh?« »Arwenack dich haben gefunden, dann ich hinterher«, berichtigte der Neger stolz. »Arwenack dir sein nachgelaufen, dann er zurück an Bord. Viel Geschrei, alle denken, Arwenack spinnen. Arwenack nix spinnen, er sehr gut.« »Ja, ich weiß«, murmelte Dan, den plötzlich eine große Müdigkeit überfiel. »Ihr seid alle sehr gut!« Ferris Tucker ließ die Pulverfässer, die reichlich vorhanden waren, verteilen und verband sie mit Lunten untereinander. »So«, sagte er zufrieden. »Wer jetzt von den Halunken noch in irgendeinem Gang steckt, dem wird es ganz schön heiß werden. Dafür garantiere ich!« Er drehte sich zu den anderen um. »Was steht ihr da und glotzt! Gleich wird uns dieser verdammte Felsen um die Ohren fliegen, daß es nur so raucht. Verschwindet, lauft den Strand hinunter!« »Aber noch schneller!« brüllte Carberry dazwischen. »Sonst zieh ich euch die Haut in Streifen ...« Die Lunten brannten ab. Männer rannten am Strand entlang. Und dann schien das Ende der Welt zu kommen. Aus den Höhlen stieg ein dumpfes Grollen und Poltern auf, das kein Ende nahm. Gelbweiße Blitze zuckten aus den schwarzen Löchern, zerrissen sie, schütteten sie zu, und alles fiel in einem rauchenden, brüllenden und grollenden Trümmerhaufen in sich zusammen. Die ganze Crew marschierte geschlossen an Bord zurück. Dort sollten zuerst einmal Dans Wunden versorgt werden. Außerdem mußten sie die nächtlichen Wachen verstärken. Voran lief der riesige Batuti, in seinen Armen das Bürschchen, das sich so sanft wie in einer Wiege fühlte und schlief. Er würde bald wieder auf der Höhe sein, dafür würde die Crew geschlossen sorgen, einschließlich Arwenack, der das alles in Szene gesetzt hatte.
Nur etwas war den Männern entgangen. Das war Crocker, der Häuptling der Strandräuber. Er hatte mitangesehen, wie die Felsen gesprengt wurden, wie Blitze aus den Höhlen zuckten und alles zusammenfiel. Und er mußte in hilfloser Wut zuschauen. Da lief der Gaul gerade wie ein Geschenk des Himmels auf ihn zu. Crocker, der einen geheimen Ausgang gewählt hatte, den keiner der Männer kannte, fiel dem Pferd in die hängenden Zügel. Mit einem Satz schwang er sich auf den Pferderücken. Dann raste er davon, als wäre der Teufel hinter ihm her. Vorerst hatte er gründlich die Schnauze voll von diesen wilden Kerlen. ENDE
Roy Palmer Der Seewolf kehrt zurück An Bord der ›Isabella‹ wartet die Crew sehnsüchtig auf die Rückkehr des Seewolfs. Hasard fehlt den Männern an allen Ecken und Enden. Und ganz besonders jetzt, da die Lage der »Isabella-Crew« von Stunde zu Stunde bedrohlicher wird. Nicht nur Burton und der intrigante Keymis wollen verhindern, daß die ›Isabella‹ ihre Schätze der Krone abliefert ausgenommen den Anteil, den der Seewolf jedem seiner Männer versprochen hat - nein, außer Burton und Keymis ist auch ein ganzes Rudel von gefährlichen Strandräubern scharf auf die Ladung der Galeone. Das Netz um die Männer der ›Isabella‹ zieht sich langsam, aber sicher zu. Und sie wissen immer noch nicht, von welcher
Seite der tödliche Angriff erfolgen wird. Und dann ist es plötzlich soweit. Von allen Seiten zugleich greift Crocker, der Strandräuber, mit seinen Leuten an. Wie ein Heer von Ameisen wimmeln sie auf die Galeone zu. Aber in diesem Augenblick dröhnt ein wilder Kampfruf über Cornwalls Küste. »Arwenack! Arwenack!« zerreißt eine gewaltige Stimme die Nacht. Gleich darauf sehen es die Männer der ›Isabella‹ - der Seewolf ist zurückgekehrt! Die Crew beantwortet seinen wilden Schlachtruf - und dann fliegen auch schon die Fetzen ...