C. H. GUENTER
Straße
der Skorpione
Erich Pabel Verlag KG – Rastatt/Baden
1.
Bengasi Donnerstag, den 25. Septem...
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C. H. GUENTER
Straße
der Skorpione
Erich Pabel Verlag KG – Rastatt/Baden
1.
Bengasi Donnerstag, den 25. September Als sie losfuhren, war es 22 Uhr, die Luft klar, der Himmel voller Sterne. Der Dienstwagen, eine schwarze Fiatlimousine, brachte sie nicht in den Nachtclub, sondern hinaus in die Wü ste. „Skorpione und Sandflöhe statt Weiber“, sagte der General. „Mal etwas grundlegend Neues.“ „Die Luftwaffe hat Einsatzbereitschaft“, antwortete der Mann neben dem General, Geheimdienstchef des Landes. „Unser Freund kann die Basis nicht verlassen. Also müssen wir uns zu ihm begeben.“ „Hat die Unterredung nicht Zeit bis morgen?“ „Morgen besteht auch noch Einsatzbereitschaft. Sie kennen doch die politische Lage, Hassan.“ „Aber am Montag ist Stabskonferenz, da muß schließlich ei ner die Luftwaffe ve rtreten.“ „Montag kann schon zu spät sein“, fürchtete der Geheim dienstchef, ein für sein Alter reichlich beleibter Zivilist. „Die Entscheidung um weitere vier Tage zu verschleppen, das kö n nen wir uns nicht leisten.“ „Wann geht es denn los?“ erkundigte sich der Armeegeneral, der immer aussah, als habe er vor einer Stunde noch im Sattel eines Rennkamels gesessen. „Anfang Oktober“, äußerte der Geheimdienstchef vorsichtig, „um den zweiten herum.“ „Und wo?“ „In Kairo, hörte ich.“ „Wer wird dabeisein?“ „Alles, was sich zu extrahieren lohnt“ Der Geheimdienstchef benutzte das Wort extrahieren, he rausziehen also, im Sinne von aus dem Verkehr ziehen, oder einfacher umlegen, killen, ermo rden. 3
„Die Creme unserer Gegner wird sich einfinden?“ „Die Elite unserer Feinde.“ „Alles auf einem Punkt versammelt. Bei Allah, das wäre ein Ziel.“ Der elegante, nach französischem Parfüm duftende Zivilist seufzte geziert und hob die brillantengeschmückte Hand. „Als Ziel ist der Ort wunderbar, einmalig sogar. Aber leider nicht zu treffen. Mit keinem der bekannten Mittel.“ „Sie verfügen doch über alle Mittel, mein Lieber. Terroristen, Agenten, Bomben. Oder gibt es nicht mehr genug Männer, die sich begeistert als lebende Sprengladungen opfern, um dem Vaterland einen Dienst zu erweisen?“ Der Geheimdienstchef sackte müde in die linke Fondecke. „Wir haben wirklich alle Möglichkeiten geprüft. Auf dem Landweg gibt es kein Durchkommen. Polizei und Militär zie hen drei Sicherheitsgürtel um das Tagungszentrum. Die Maß nahmen werden noch durch Röntgengeräte und Magnetsonden verstärkt, sowie durch dressierte Hunde. Sie riechen Spreng stoffe selbst dann noch, wenn sie der Einzelkämpfer, versteckt im Magen- und Darmtrakt, einschmuggeln würde. Zusätzlich haben sie amerikanische Sicherheitsexperten angefordert. Nein, auf dem Landweg geht nichts.“ „Auf dem Luftwege wohl ebensowenig“, warf der Armeege neral ein. „Ihr Radarzaun ist lückenlos“, erklärte der Mann vom Ge heimdienst. „Flak- und Raketenbatterien sowie Abfangjäger stehen unter Alarm. Abgesehen davon, daß wir uns eine offizi elle Angriffsaktion gar nicht erlauben könnten. Soweit dürfen wir nicht gehen.“ Der General mußte sich festhalten. Die Straße durch den Salzsumpf zur Oase El Abiso war von Militärlastwagen zu schanden gefahren wo rden. „Müßte auch mal neu geteert werden“, äußerte der General ungehalten. „Oder man benutzt ein schwereres und besser gefedertes Fahrzeug.“ 4
„Ja, einen Mercedes“, sagte der General. „Ich werde meinem Mercedes ewig nachweinen. Aber was wollen Sie machen. Das Beschaffungsministerium schreibt uns die Marke Fiat vor.“ „Was ganz natürlich ist, seitdem der Präsident die Hälfte von Fiat in Turin geschluckt hat.“ „Apropos Präsident“, der General nahm das Stichwort auf. „Weiß der Präsident davon?“ „Wovon?“ „Von unseren Plänen.“ „Nicht offiziell. Es gibt nichts Schriftliches.“ „Nun, was weiß er nicht“, murmelte der General. Dieser Be merkung konnte man nicht entnehmen, ob er den Staatspräsi denten wegen seiner Allwissenheit bewunderte oder fürchtete. Nachdem sie die Salzsümpfe passiert hatten, wurde die Stra ße besser. Sand lieferte einen stabileren Untergrund als Morast, Seitlich der Straße zog eine Kamelkarawane küstenwärts. Die Tiere waren hochbeladen. Die Kamelführer trotteten, die Hän de an die Kamelschwänze gebunden, im Halbschlaf hinterher. Der Fiat fuhr jetzt schnell. Trotzdem vergingen noch 1 Stun de und 10 Minuten, ehe die Lichter der Oase auftauchten. Es gab noch Palmen und Brunnen in der El Albiso, vielleicht auch ein paar streunende Hunde, aber keinen einzigen Bedui nen. Die Menschen waren beim Bau der Luftbasis umgesiedelt worden. Hinter den Palmen war der Nachthimmel rosarot vom Reflex der Lampen, Scheinwerfer und Tiefstrahler, die die Pisten und Hangars, die Reparaturwerften, Depots, To wer, Casinos und Unterkünfte beleuchteten. Der Fiat bog zur Einfahrt ab. Vor dem eisernen Schlagbaum stoppte er. „General Hassan zu General Sydon!“ rief der General aus dem heruntergekurbelten Fenster. „Der Kommandeur erwartet Sie“, sagte der Offizier vom Dienst
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Oase El Abiso
Freitag, 26. September 01 Uhr.
Früher hätte es Champagner gegeben. Jetzt gab es Tee oder Kaffee. Denn auch der Staatspr äsident trank nur Tee, Kaffee oder die Milch von Kamelstuten. Der Luftwaffenchef, ein Sitzriese, thronte monumental im blauen Clubsessel. Die Tasse ve rschwand schier in seiner Pranke. Trotzdem verstand diese Hand den Steuerknüppel eines Düsenjägers so gefühlvoll zu führen wie die eines Gei gers den Bogen. „Wie bitte?“ fragte Sydon noch einmal, als habe er seine Be sucher schlecht verstanden. „Eine Boeing siebenhundertsieben.“ „So einfach vom Himmel putzen?“ „Genau.“ „Wie macht man das?“ erkundigte sich der Armeegeneral. „Kommt auf die Umstände an“, führte der Luftwaffenchef aus. „Ein moderner Abfangjäger ist doppelt so schnell wie jeder Düsenjet. Er erreicht zehntausend Meter Höhe in etwas weniger als drei Minuten. Eine Boeing konventionell abzu schießen, das schafft jeder Grünschnabel. Der Jüngste meiner Piloten macht das noch blind.“ „Und wenn die Umstände nicht so einfach liegen?“ schränkte Hassan ein. „Was meinen Sie mit nicht so einfach?“ „Zum Beispiel, wenn ein konventioneller Abschuß nicht in Frage kommt.“ Der Luftwaffenchef verstand. „Aus optischen Gründen.“ „Sagen wir aus politischen Rücksichten.“ „Aber herunter muß der Vogel?“ „Bevor er Kairo erreicht.“ „Wo kommt er her?“ Der Mann vom Geheimdienst versuchte diese Frage zu be antworten. 6
„Vom Mittelatlantik. Er dürfte auf einer US-Basis in Madeira zwischengetankt haben.“ General Sydon rührte sorgsam den Zucker vom Tassengrund. „Wer wäre Ihnen denn als Täter genehm? Internationale Terro risten, die PLO oder der sowjetische Geheimdienst?“ „Die Sache ist zu ernst, um darüber zu scherzen“, entgegnete der Geheimdienstchef. „Am besten wäre es, wenn es wie ein Unglücksfall aussähe, wie ein Absturz aus technischer Ursa che.“ „Oder wegen miserabler Wetterbedingungen“, ergänzte Has san. Der Luftwaffenchef zeigte einen Ansatz von Lächeln. „Wir leben ja nicht in der Gründerzeit der Fliegerei, meine Herren. Diese Regierungsflugzeuge werden stets bis zur letzten Schraube am Klodeckel gecheckt. Die fallen wegen technischer Pannen nicht vom Himmel. Und wegen schlechten Wetters erst recht nicht. Dafür gibt es heute meteorologische Warndienste. Wetterradar, Funk, Radiotelefonie. „Ein Saboteur an Bord, wie wäre es damit?“ „Die Besatzungen sind zehnmal gesiebt.“ „Was halten Sie von einer Bombe im Frachtraum?“ „Leichter schmuggelt ein Bettler eine Million auf eine Schweizer Bank, als irgend jemand eine Handgranate in ein solches Flugzeug.“ „Könnte nicht“, setzte der Geheimdienstchef an. Der baumlange Luftwaffengeneral war aufgestanden, um ei nes der Vanille-Plätzchen vom Teller zu nehmen. Er steckte es aber nicht in den Mund, sondern hielt es hoch. „Sehen Sie her, meine Freunde“, rief er. „Dieses Ding sieht zwar aus wie Konfekt, dürfte aber die Härte von Stein und den Geschmack von Seife haben. Eine Täuschung also.“ „Was hat das mit unserem Problem zu tun?“ fragte der Ge heimdienstchef offenbar unzufrieden über den Verlauf des Gesprächs. General Sydon erläuterte es ihm. 7
„Man muß etwas machen, etwas versuchen, das am Ende so aussieht, als habe eine Höllenmaschine die Boeing zerfetzt“ „Sie sind der Fachmann“, sagte der Armeegeneral. „Was mich betrifft, ich stelle alles bereit, was man von der Erde aus tun kann. Aber Sie sind für den Luftraum zuständig.“ „Lassen Sie mir einen Tag Zeit“, bat der Luftwaffenbefehls haber. „Zwölf Stunden“, gestand ihm der Geheimdienstchef zu. Tripolis
Freitag, 26. September.
Abends.
Im Kriegsministerium schrillte ein Te lefon. Die Zentrale ve r band. Auf abhörsicherer Leitung sprach der Chef des militäri schen Geheimdienstes mit der Luftbasis El Abiso. Der General kam gleich zur Sache: „Zwei Möglichkeiten ste hen zur Wahl.“ „Ich höre“, verkündete der Geheimdienstchef sein Interesse. „Möglichkeit Nummer eins – die Benzinwolke.“ „Meinen Sie das im genauen Wortsinn?“ Der Luftwaffengeneral erklärte es mit wenigen Sätzen. „Wir bringen auf den vorausberechneten Kurs der Boeing eine Wo l ke aus Benzin. Die Siebenhundertsieben fliegt hindurch. Statt reiner Luft komprimieren die Turbinenverdichter ein hochex plosives Luft-Benzingemisch. Schon vor Erreichen der Turbi nen-Brennkammern erfolgt eine innere Explosion der Trieb werke, die sie völlig zerstört. Schlagartig setzt der Schub aus. Absturz. Da bleibt nicht einmal genug Zeit für einen Notruf.“ „Und wie bringt man die Benzinwolke vor die Nase des Flugzeugs?“ „Dies ist in der Tat das Hauptproblem“, erklärte der Luftwaf fengeneral, „aber durchaus lösbar. Sobald wir Flugweg, Flug zeit und Höhe des Objektes haben, schicken wir einen Lufttan ker auf die entsprechende Position. Der Tanker läßt seine La dung, sagen wir fünfzig Tonnen Sprit ab. Das tankwarme abge 8
lassene Benzin versprüht infolge der Luftströmungen und kon densiert nebelartig zu winzigen Tröpfchen. Ein mehrere Kilo meter langer, vielleicht zweihundert Meter hoher Benzinschlei er breitet sich aus. Er hängt stundenlang am Himmel, ehe ihn Höhenwinde verwehen und er langsam zur Erde sinkt.“ „Und niemand sieht ihn?“ „Unter bestimmten Sonneneinfallwinkeln, bei genau defi nierbaren Licht-, Luftdruck- und Temperaturverhältnissen, ist er vielleicht als Dunst erkennbar. Dies aber nur von erfahrenen Piloten. Ehe man ihn richtig einschätzt, ist man meist schon mittendrin. Eine Siebenhundertsieben fliegt neunhundert Stun denkilometer schnell.“ „Es wird Nacht sein“, erwähnte der Geheimdienstchef. „Dann besteht die Gefahr der Sichterkennung überhaupt nicht.“ „Kann man die Wolke mit Radar orten?“ „Radar spricht nicht auf sie an.“ „Riecht man sie?“ „Bis die Klimaanlage eines herandonnernden Jets das Ge misch einsaugt und in die Kabine auf die Nasenschleimhäute der Besatzung bringt ist das Flugzeug langst explodiert“ „Woher weiß man das?“ „Durch Unfälle“, sagte der Fliegergeneral. „Die Zivilluftfahrt verlor schon mehrere Jets auf zunächst rätselhafte Weise. Schließlich fand man heraus, daß sie Wolken abgelassenen Treibstoffes durchquerten. Daß Flugzeuge Treibstoff ablassen, kommt aus verschiedenen Gründen hin und wi eder vor.“ Der Geheimdienstchef wollte nun den Haken an der Sache kennenlernen, sowie die Erfolgsaussichten. General Sydon zögerte mit Prognosen. „Das zu zerstörende Flugzeug muß durch den Spritvorhang hindurch. Schwierig ist das Timing. Der Vorhang muß zur richtigen Minute genau auf dem Kurs hängen. Ob das klappt, dafür gibt es keine Garantie. Angenommen die Siebenhundert sieben ändert den Kurs nur um ein Grad, dann fliegt sie daran vorbei.“ 9
„Und landet sicher am Ziel.“ „Mit Passagieren und Besatzung.“ Damit war Vorschlag Nummer eins für den Geheimdienst chef gestorben. „Zweite Möglichkeit?“ erkundigte er sich. „SAM-acht.“ Der Mann in der Hauptstadt hatte den in der Oase nicht deut lich verstanden. „Was ist das?“ „Die Nachfolgerin von SAM-sieben. Ein Flugkörper, genauer eine leichte transportable Flugzeugabwe hrrakete sowjetischen Ursprungs.“ Jetzt zeigte sich der Geheimdienstchef allerdings gut infor miert „Die besitzen wir nicht. Moskau verweigert bis heute die Ausfuhr.“ „Erinnern Sie sich an das Geschäft mit Jacques Brunelle?“ Jetzt fiel es dem Geheimdienstchef wieder ein. Ein französi scher Waffenhändler hatte ihnen zwei SAM-acht-Raketen besorgt. Woher sie kamen, ob aus Pakistan oder von sowjeti schen Depots im Jemen, danach hatte niemand gefragt. „Sind sie voll funktionsfähig?“ „In der Original-Geschenkkiste. Eine davon haben wir gete stet. Eine phantastische Waffe. Sie trifft zu achtundneunzig Prozent ins Schwarze. Das heißt, sie steuert von hinten den heißen Abgasstrahl der Düsentriebwerke an. Dabei holt sie sogar schallschnelle Jagdflugzeuge ein.“ „Bis zu welcher Höhe?“ Nun dämpfte der Luftwaffengeneral die Begeisterung ein wenig. „Maximal sechstausend.“ „Eine Boeing marschiert aber auf zehntausend Meter Höhe, vergessen Sie Ihre wundervolle SAM-acht, Sydon.“ „Es gibt da einen Trick“, sagte der Fliegergeneral, „um die Distanz zu verkürzen.“ „Und wie wollen Sie die US-Boeing dazu bringen auf sechs 10
tausend Meter herunterzugehen. Vielleicht durch gutes Zure den?“ „Ganz und gar nicht. Sie soll ihren Kurs und ihre Höhe ruhig beibehalten. Wir besorgen selbst das Nötige und schaffen die Rakete mit einem Flugzeug auf Höhe viertausend.“ „Das Flugzeug kann man orten.“ „Wir nehmen eine windige Sportmaschine aus Kunststoff und bemaltem Nylon.“ „Und die SAM-acht paßt da hinein?“ „Sie ist nicht viel länger und dicker als ein gutentwickeltes Ofenrohr.“ „Der Abschuß verursacht also keine Probleme?“ „Kaum“, versicherte der Fliegergeneral. Der Mann in Tripolis hatte feine Ohren. „Kaum ein Problem bedeutet nicht gar kein Problem. Was ist dabei noch kritisch?“ „Wir müssen den Kurs der Boeing sehr genau haben.“ „Den kriegen Sie.“ „Es ist notwendig, ihn schon Stunden vorher zu kennen“, lau tete Sydons Forderung. „Wie viele Stunden?“ „Mindestens drei, damit das relativ langsame Sportflugzeug in die Nähe des Objekts gebracht werden kann.“ „Ich setze meine besten Leute an“, versicherte der Geheim dienstchef. „Ist es dafür nicht schon ein bißchen spät?“ „Wir verfügen über erstklassige Verbindungen.“ „Kurs, Flugzeit, Höhe, sind die unabdingbaren Vorausset zungen.“ Der Geheimdienstchef fällte die Entscheidung. „Es bleibt bei Plan Nummer zwei. Er muß funktionieren. Der Präsident besteht darauf. Denn keine Front gegen uns, ohne die Konferenz. Keine Konferenz ohne die Amerikaner und Israelis. Keine Amerikaner ohne das Flugzeug. Kein Flugzeug ohne Bodenpersonal. Und ein Mann vom Bodenpersonal ist der unsere.“ 11
„Jeder Fluß“, fügte der Luftwaffengeneral hinzu, „beginnt mit einem Tropfen. Gebe Allah, daß dieser Regentropfen zu einem Fluß wird, der Nil, Euphrat und Tigris in den Schatten stellt.“ 2. Malta 29. September. Das King-George-III-Hotel war nicht das modernste aber das Beste von La Valetta. Es wurde noch im alten englischen Stil geführt, obwohl sich die Inselrepublik längst vom britischen Commonwealth verabschiedet hatte. Als bedeutendsten Schritt weg von England hatte sich die Di rektion des King-George-Hotels 1972 eine Neuerung ausge dacht. Zur traditionellen Teestunde wurde die Bar geöffnet. Es gab also nicht nur Tee, sondern auch etwas zu trinken. Diese schon revolutionär zu nennende Errungenschaft mach ten sich zwei Gentlemen zunutze. Sie fingen mit Martinis an, gingen aber rasch zu härteren Sachen über. Sie nannten sich beim Vornamen. „Du machst Urlaub hier?“ fragte Frank. „Meinst du U-r-1-a-u-b? Auf dieser Kartoffelinsel?’’ antwo r tete Bob. „Also, was mich betrifft, ich habe in diesem milden Winter, der ein Sommer sein soll, regelrecht Rost angesetzt“ „Na ja, in London.“ Frank bevorzugte Gin. Nicht pur, sondern mit einer Zitrone n scheibe. Der andere nahm Bourbon Whisky, auch nicht pur, sondern mit etwas Cinzano bianco. Nach diesem Rezept tranken sie weiter. Und sie verkohlten sich weiter. „Die Times endlich pleite?“ fragte Bob. „Ich schreibe nicht mehr für die Lords. Ich bin jetzt beim Sunday Mirror. Habe da eine Spalte. Wer schläft mit wem in 12
Schottlands alten Schlössern. – Und du, Bob, immer noch auf der Geheimdienstwelle?“ Der Gintrinker, der aus London kam, war dünn, eine hagere Bohnenstange mit blassem Gesicht, rotem Haar, rotem Schnurrbart und vielen Sommersprossen. Der andere war eins achtzig, athletisch gebaut, hatte viel Sonnenbräune, dunkles dichtes Haar und graue Augen. Er kam aus München. „Schau dir diese Hand an“, sagte Bob, „schau dir dieses Auge an.“ „Die Hand zittert“, spottete Frank, „das Auge ist rot umran det.“ Bob nickte. „Okay, und da soll ich meinen Job kündigen?“ „Er wird jeden Tag schwerer“, seufzte der englische Journa list, „besonders für Klatschkolumnisten. Aus Gründen der Energieersparnis findet bei uns die Liebe nur noch im Dunkeln statt. Und im Dunkeln sieht man wenig.“ Bob nickte in sein Glas. „Nichts ist mehr wie früher. Früher waren die Männer scharf darauf, fürs Vaterland zu sterben. Heute sind sie scharf darauf, das Vaterland zu verraten, wenn man ihnen Gelegenheit dazu läßt.“ „Auf heißer Spur?“ fragte der Engländer. Der Mann, der den Vornamen Bob führte, drehte sich auf dem Hocker um. Er hatte rechts im Augenwinkel etwas gese hen, eine Bewegung im Raum. Eine Kugel wie helles Gold bewegte sich hinter ihnen vorbei. Begleitet wurde sie vom Duft herben Parfüms. Ihre Blicke folgten der blonden Frau im hauchdünnen Som merkleid. „Das war die Turner“, bemerkte Frank, „Selina Turner.“ „Kollegin von dir?“ „Ja und nein. Wie man es nimmt“ „Jedenfalls schreibt und plaziert sie ihre Stories wie eine Spitzenjournalistin“, äußerte sich Bob. „Nichts dagegen einzuwenden.“ 13
„Wogegen dann?“ „Die Masche, wie sie recherchiert, wie sie sich die Informa tionen beschafft.“ „Jeder auf seine Art.“ „Und ihre Masche ist das Bett.“ „Dich, mein Junge“, sagte Bob, „im Bett zu haben, darauf legen nun mal Politiker, Militärs und Konzernchefs keinen allzu gesteigerten Wert“ „Ja, der Prozentsatz an Schwulen liegt bei diesen Berufs zweigen unter dem Durchschnitt.“ „Würdest du es notfalls für eine Spitzeninformation tun?“ „Du meinst ob ich meinen Frank hinhalten würde?“ Der Engländer wurde abgelenkt. Seine blonde schwedische Kollegin sprach mit einem Gentleman, der zwar einen Maßan zug trug, aber auf dem Kopf eine arabische Kaffije hatte. „Dieses verdammte Weib“, fluchte Frank, „schnappt mir und einer ganzen Generation hungriger Reporter lachend die besten Geschichten weg. Nun mache ich aus ihr eine Geschichte. Deshalb bin ich in Malta, um zu sehen, mit wem sie es hier wieder treibt.“ „Wir müssen zusammenhalten“, schlug Bob vor. „Warum?“ „Ich hin auch wegen der Turner in Malta. Sie hat in Bonn die Lenden eines als impotent geltenden hohen Regierungsbeamten belebt. Er kommt gleich nach dem Minister.“ „Der Verteidigung?“ fragte Frank und traf offenbar den Na gel auf den Kopf. „Nun sind die Herrschaften im Kanzleramt mächtig versessen darauf zu erfahren, was der Herr im Liebesrausch ausgeplau dert hat.“ „Bei Erfolg Halbe-Halbe“, schlug Frank vor. Zum Einschlagen kam es nicht, denn die Blondine aus Schweden steuerte jetzt die Bar an und erkannte Frank. „Ich mache dich mit ihr bekannt“, flüsterte, der Brite. „Aber wenn du mit einem Wort erwähnst, daß ich Geheim agent bin, breche ich dir das Kreuz.“ 14
Dann lächelten sie beide. Frank umarmte die Kollegin herzlich und küßte sie, obwohl er bereit gewesen wäre, ihr einen Dolch in den Rücken zu sto ßen. Dann sagte er: „Das ist ein alter Freund von mir. Robert Urban. Bundes nachrichten…“, Frank genoß den Versprecher, „Deutsche Nachrichtenagentur.“ „DNA-Presse“, sagte Urban. Diese Frau war ein Vollwe ib. Er spürte es bis in die Finger spitzen. La Valetta 30. September. 01 Uhr 25 Der BND-Agent Bob Urban verließ die Party beim spanischen Konsul unmittelbar nach Selina Turner, aber vor Frank Corbet. „Sie fährt mit diesem Nachthemdenfabrikanten los“, sagte Frank. „Solche Typen sind für meine Kolumne eine Nummer zu klein.“ Urban glaubte es anders zu wissen. „Sie fährt zwar mit ihm weg, aber sie trifft den Turbanheini aus Libyen.“ „Scheiks sind ihre Spezialität, doch heute nacht spioniert sie die neuen maltesischen Nachthemdenmodelle aus.“ „Ich sah sie mit dem Libyer flüstern. Ich sah die Blicke die sie tauschten.“ „Gib mir Bescheid“, lallte Frank. „Morgen. Solange es hier gratis zu saufen gibt, ist mir das konkreter.“ Deshalb folgte Urban dem Maserati-Sportwagen des Textil industriellen allein mit dem kleinen Mini. Einen besseren Leihwagen hatte er nicht. Der Maserati fuhr sehr schnell in die Belisar-Street hinein. Urban fürchtete schon den Kontakt zu verlieren. Doch am Hafen schaltete eine Ampel auf rot. Der Maserati stand mit 15
ungeduldig aufheulendem Motor an der Kreuzung. Die Brems lichter zuckten nervös aus und an. Der Chauffeur hatte ver dammt unruhige Füße. Kein Wunder mit so einer Katze neben sich. Aber aus seinem Traum wurde wohl nichts. In dem Augen blick, als die Ampel auf Gelb sprang, öffnete sich die Wagen tür an der Beifahrerseite. Zwei langen Beinen folgte ein Frau enkörper im geschlitzten Abendkleid, eine Stola, eine Fülle goldenen Haares. Nach kurzem Wortwechsel wurde die Tür zugeschlagen. Der Maserati startete mit wütend pfeifenden Gummiwalzen. Jetzt ist er sauer, dachte Urban und rollte links heran. Selina Turner schlenderte in den Kalypso-Park hinein, der den Namen jener Nymphe trug, deren Grotte man auf der Insel heute noch zeigte, und verschwand zwischen den riesigen Kak teen. Urban folgte der Schwedin. Diese Frau spazierte nicht durch nächtlich einsame Anlagen, um vor dem Schlafengehen Luft zu schnappen. Sie hatte gewiß ein Ziel. Bald darauf schimmerte etwas durch die Palmen. Ein langer weißer Wagen. – Rasch machte Urban kehrt. Als er seinen Mini erreichte, kam ihm der weiße Rolls Royce schon entgegen. Urban wendete den Mini auf dem Absatz und folgte dem Lu xuswagen ohne Licht. Deutlich sah er die Schwedin neben dem Fahrer des rechtsgesteuerten Cabrios. Der Rolls führte ein Kennzeichen mit arabischen Lettern. Ausländer brachten ihre Automobile selten auf die Insel. Es mußte sich also um einen ansässigen Diplomaten handeln. Nach Abzug der Briten waren die Malteser und die Libyer mächtig dicke Freunde geworden. Der Rolls wurde zügig bewegt. Er verließ die Stadt nach Sü den, blieb aber auf der Küstenstraße. Die Nacht war außergewöhnlich hell. Kühler Wind vertrieb die Hitze. Das Land wurde hügelig, Kalkfelsen tauchten auf. Verwittert standen sie da wie die Rümpfe einer gestrandeten Armada. 16
Nach zwanzig Minuten etwa bremste der Rolls ab und verließ die Küstenstraße auf einem schmalen Weg strandwärts. Unten am Wasser schwenkten seine Scheinwerfer ein schmales Stück Land zwischen Klippen und Grotten ab. Diesen verträumten Platz fand man nicht durch Zufall. Den mußte einer genau kennen. – Die Scheinwerfer gingen aus. Urban vernahm gedämpftes Summen. Es kam von den Elek tromotoren, die das Cabrioverdeck des Rolls Royce öffneten. Bald hörte man nur noch die Dünung rauschen. Urban ließ den Mini ohne Motor noch dreißig Meter rollen, klemmte ihn an den Straßenrand und steckte sich eine MC an. Er war nicht der Mann, der es amüsant fand, Liebespaare zu belauschen. Doch als er wenig später die Stimmen von Selina und dem Araber hörte, näherte er sich dem Konferenzort, oder was immer es war. In Deckung sturmschiefer Pinien blieb er stehen. Das Paar hatte auf dem Rücksitz Platz genommen. Die vorderen Lehnen waren Richtung Armaturentafel gekippt. Die Schwedin hatte die Beine über Kreuz auf die Türkante gelegt und lachte wie betrunkene Frauen gerne lachen, etwas grell. Während der Araber offensichtlich um eine ernsthafte Unterhaltung bemüht war, kicherte die Schwedin immer nur. Das ärgerte ihn. Viel leicht fühlte er sich ausgelacht. Man entnahm seiner Stimme, wie sein Unmut wuchs. „Was er gesagt hat, möchte ich wissen“, wiederholte er mehrmals mit zunehmender Schärfe, „was hat er gesagt?“ „Daß er Frauen über alles liebt, erzählte er mir, aber daß es infolge einer Kriegsverletzung bei der Theorie bleiben muß.“ „Was erzählte er dir über den geplanten NATOEinsatz am Persischen Golf ?“ drängte der Araber. Selina hingegen blieb beim Thema. „Der Ärmste holte sich das Malheur in Norwegen, als sein Zerstörer eine britische Korvette beschoß.“ „Das interessiert mich verdammt wenig, was er vor vierzig Jahren in Hitlers Krieg erlebt hat“ „Es war ein Granatsplitter.“ 17
Sie redeten aneinander vorbei. „Gehören auch deutsche Kontingente zu den AlarmEingreifsverbänden am Golf?“ Die Schwedin war nicht nur angeheitert, sondern ziemlich voll. Sie übertrieb das weibliche Spiel. „Hat dich auch ein Granatsplitterchen erwischt?“ fragte sie anzüglich. Entweder diese Frage, oder weil sie nicht auf seine Fragen einging, machte den Araber vollends wütend. „Im Moment reden wir über Admiral Thomas.“ „Über den reden wir später. Jetzt reden wir über Granatsplit ter.“ Selina schwenkte, die Beine vom Türrahmen, stand auf und riß sich das Kleid vom Leib. Da sie einen Busen hatte, der keinerlei Stütze bedurfte, trug sie nur ein winziges Höschen. Auch das flog aus dem Rolls zu den Sandkörnern. Dann warf sie sich lachend auf den Araber. Der hielt sein Programm offenbar für ernstlich gefährdet. Und da bei ihm wohl erst das Geschäft kam, packte er sie, und warf sie in die linke Ecke. Bob Urban sah, wie er den Arm hob und zuschlug. Er schlug ohne Pause auf sie ein. Unter seinen dumpfen Schlägen schrie die Turner und versuchte zu ent kommen. Erst über das Verdeck nach hinten, dann durch die Tür. Der Araber erwischte sie am Fuß, zerrte sie zurück, drosch erneut los. Sie befreite sich abermals, stürzte jedoch, kam hoch, fiel wieder in den Sand. Der Libyer schlug sie weiter. Er war wie von Sinnen. Mit ei nem Mal schrie die Schwedin nicht mehr, sondern wimmerte nur noch. Das war der Zeitpunkt für Bob Urban, um einzuschreiten.
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München 1.Oktober „Der Araber ergriff die Flucht“, beendete Bob Urban seinen Vortrag bei Oberst Sebastian, „und Madame Turner war kran kenhausreif. Sie bestand aber darauf, ins Hotel gebracht zu werden, was mir lieber war. Im Hospital hätte man Fragen gestellt.“ „Die zu beantworten Sie nicht geneigt waren“, ergänzte der Operationschef, „ebenso wenig wie Madame Turner.“ ‘ „Was ich erfuhr, dürfte genügen.“ Sebastian war aufgestanden, um die Sonnenblenden zu schließen. Um die Mittagszeit hatte der Lageraum volles Licht, trotz der hohen Bäume im BND-Gelände. Mit dem Rücken zum Fenster stehend, steckte er den Virginiastummel zum wiederholten Male an. „Der Staatssekretär ist also sauber.“ „Absolut clean. Er erwähnte den Granatsplitter, der ihn zum Eunuchen machte, aber von unserem Engagement kein Wort.“ „Darüber gab es auch kein Wort zu verlieren. Es findet nicht statt“, bemerkte der Oberst. „Im Augenblick“, schränkte Urban ein. „Niemand kennt un sere Entscheidung, wenn der Ölhahn wirklich zugedreht wird.“ „Hauptsache, die Libyer glauben an unsere Zurückhaltung. Immerhin beziehen wir dreißig Prozent unserer Öleinfuhren von dort“ „Jedenfalls werden die Nachrichten aus La Valetta unsere Ölgeschäfte mit Tripolis nicht beeinträchtigen.« Der Oberst war wieder zu seinem Schreibtischsessel zurück gekehrt und ließ seine 85 Kilo hineinfallen. Die Polster atmeten hörbar aus. „Dann wäre noch diese andere Sache zu klären. Stichwort: Geheimkonferenz.“ Urban hatte erwartet, daß der Alte diesen Punkt aufgreifen würde. Aber mehr als ein paar Worte, von der Schwedin in Todesangst geäußert, gab es nicht. 19
„Sie sprach von einer Geheimkonferenz, die verhindert we r den soll.“ „Geheimkonferenz zwischen wem?“ „Da kann man nur raten.“ Dann kombinierte Urban: „Wenn die Libyer sie verhindern wollen, dann findet sie wahrschein lich unter Libyengegnern statt. Und wer zählt dazu? Israel, Ägypten, die Amerikaner, die Saudis, mal mehr mal weniger.“ „Klingt ziemlich theoretisch.“ „Der Diplomat im Rolls war aus Tripolis, das steht fest. Und von ihm hat die Turner die Information.“ „Ist das sicher?“ Urban schüttelte den Kopf. „Ein Rest Unsicherheit bleibt sogar bei Gottes Wort.“ „Und mehr darüber war aus der Turner nicht herauszuholen?“ „Sie erlitt einen Schock.“ Sebastian äußerte Zweifel. „Ein abgebrühtes Weib wie dieses?“ „Nur im Schock geben Profis heiße Informationen, für die sie sonst hohe Summen kassieren, gratis ab.“ Der Alte schien nachzudenken, ob es sinnvoll sei, mit der Schwedin ins Geschäft zu kommen. Dann klemmte er das Mo nokel ins Auge und bekam den scharfen Blick. „Geheimkonferenz ja oder nein. Uns ist nichts davon be kannt, also ist es nicht unsere Konferenz und auch nicht unser Problem, ob sie nun stattfindet oder nicht.“ „Näheres hätten wir natürlich gerne in Erfahrung gebracht. Das ist unsere Aufgabe.“ „Aber nicht für zehntausend Dollar oder was diese Dame für Preise hat. Das kann man billiger haben. Ich rufe in Washing ton an.“ Obwohl Sebastian allgemein als Kotzbrocken galt, kam er mit den Amerikanern, die auch ziemlich geradeaus waren, gut zurecht. Die jeweiligen CIA-Direktoren nannten sich immer seine Freunde. Noch zur selben Stunde sprach er mit dem US-Geheimdienst. Am späten Nachmittag traf er mit Urban im Lift zusammen. 20
„Ihre Schwedin phantasiert“, erklärte Sebastian wortkarg wie immer. „Vielleicht“, sagte Urban. Allmählich gewann er Abstand von der Sache. „Keine Konferenz“, knurrte der Oberst. „Man hat mir versi chert, man wisse nichts von einem Geheimtreffen. Und wenn die CIA nichts von einer Geheimkonferenz weiß, müssen wir davon ausgehen, daß auch keine stattfindet. Basta!“ „Vielleicht“, sagte Bob Urban. 3. Washington DC 2. Oktober. Vormittags. Eine kugelfeste Lincoln-Limousine, schwarz, sieben Meter lang, mit Regierungsstander auf dem Kotflügel, verließ WhiteHouse. Obwohl einem Minister, der den Präsidenten In dienstlicher Eigenschaft besuchte, eine Motorradeskorte zustand, hatte Alf Bunch darauf verzichtet. Die Unterredung unter der US-Flagge im halbrunden Präsi dentenoffice war nur kurz gewesen. Der Präsident hatte seinem Sonderminister letzte Orders erteilt, wie er sich das Ergebnis der Konferenz vorstellte. Der Spielraum für den Minister war denkbar gering. Die Verhandlungstaktik wurde allerdings ihm überlassen. Das angestrebte Ergebnis bestand darin, eine möglichst starke Front von stabilen Mächten zwischen den Unruhestiftern west lich des Nils und östlich des Persischen Golfes aufzubauen. Mit Handschlag, einem Blick aus seinen verträumten Augen und den besten Wünschen hatte der Präsident den Sonderbeauf tragten verabschiedet. In der Tasche hatte der Minister ein Dokument mit allen Vollmachten. Und im Kopf hatte er das Konzept. 21
„Zum Statedepartement?“ fragte sein Assistent neben ihm im Fond, „oder zum Airport, Sir?“ „Geheimkonferenzen“, antwortete der Minister, „haben in erster Linie geheim zu bleiben. Deshalb machen wir es heute mal anders.“ „Das wirft aber alle Planungen über den Haufen, Sir.“ „Wie das bei einer plötzlichen Grippe die Regel zu sein pflegt Sie sind mein Zeuge, Ich erlitt soeben einen Grippean fall, hohes Fieber, Husten et cetera. Das entbindet mich davon, meine Termine wahrzunehmen. Sagen wir für mindestens fünf Tage. Bis dahin bin ich wieder in Washington. Offiziell hüte Ich das Bett.“ Und tatsächlich weile ich inkognito in Kairo, fügte der Mini ster in Gedanken hinzu. Falls später etwas durchsickert, dann war es eben diskrete Diplomatie und ein hoffentlich kluger Schachzug. Der Lincoln rollte auf dem superbreiten Wilson Boulevard Richtung Potomac. Obwohl der Minister Augen hatte wie ein junger Falke, setzte er eine Brille auf. Aus der Sitzecke zerrte er eine Golfmütze. „Wie sehe ich aus?“ fragte er seinen Assistenten. „Wie Mister Bunch, Sir“, bedauerte der Harvard-Absolvent „Aber nur, wenn man mich genau kennt“ „Ihre Erscheinung ist unübersehbar, Sir.“ „Sie fahren in meine Privatwohnung“, ordnete Bunch an, „schlüpfen in meinen Mantel, setzen meinen Hut auf, gehen hinein und halten sich eine Weile darin auf. Wir bleiben in Kontakt. Okay?“ „Alles klar, Sir.“ Der Minister zog das Telefon aus der Halterung und gab dem Fahrer vor der schalldichten Trennscheibe Anweisungen. „Dreißig Meter nach dem Zebrastreifen halten, James.“ „Neben dem Lieferwagen?“ „Neben dem Lieferwagen“, bestätigte der Minister. Der Lincoln rollte langsamer und wurde gestoppt. Der Mini ster sprang heraus. Die Lieferwagentür öffnete sich, der Mini 22
ster stieg drüben zu. Der Lincoln rollte davon. Das Umsteige manöver hatte etwa acht Sekunden gedauert Der weiße Lieferwagen gehörte einer Wäscherei. Der Inhaber hieß Samuel Rosengold und war vermutlich Jude. Auch der Mann am Lenkrad war Jude, obgleich er aussah wie ein Nachkomme des biblischen Goliath. Er war ein Mann, stark wie ein Schmied, mit dem Profil eines Habichts und Zähnen, um damit Nüsse zu knacken. Trotz des äußeren Unterschiedes harmonierten die beiden Männer prächtig miteinander. Was dem israelischen General stabschef Menachem Lewis fehlte, das hatte der Buchhaltertyp Bunch. Und umgekehrt. Der Israeli fuhr sofort los. „Ein Lieferwagen ist natürlich nicht ganz standesgemäß“, bemerkte der General süffisant „Bis zum Flughafen geht es. Jetzt kommt es auf andere Dinge an.“ „Wer weiß davon?“ erkundigte sich der Israeli. „Bei uns kein Dutzend Leute.“ „Schon zuviel.“ „Allein die Besatzung der Air-Force-two besteht aus vier Of fizieren und drei Mann Kabinenpersonal. „Wohin? Zum Dulles Airport?“ „Nein, Franklin in Luftbasis. Am internationalen Flughafen treiben sich zu viele Reporter herum.“ „Direktflug?“ fragte der Israeli. „Unterwegs picken wir noch einen auf.“ Der Israeli blickte verwundert, fragte aber nicht weiter. Die ganze Unternehmung war so top secret, daß es besser war, jeder Beteiligte beschränkte sich allein auf das, was er unbe dingt wissen mußte.
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Nassau, Bahama.
Am gleichen Tag. 13 Uhr Ortszeit
Das Thermometer zeigte 45 Grad. Die Luft flimmerte, das Gras
dörrte in der Sonne. Ebenso der Mann, der auf das Flugzeug
wartete.
Nur eine Meile entfernt, drüben in Nassau Airport, gab es Schatten, klimatisierte Aufenthaltsräume und kühle Bars. Aber dort hätte man ihn erkannt. Zwar war er klein, blaß und glatz köpfig, ein Mann, der nirgendwo auch nur die geringste Beach tung fand, sofern man nicht wußte, wer er war. Doch, daß die Welt es wußte, dafür sorgten seit Monaten Zeitungen und Ma gazine. Deshalb stand er am Ende der Landebahn und wartete auf das Flugzeug. Auf Grund einer Sondergenehmigung durfte die X 707 lan den, am Ende der Piste drehen und sofort wieder starten. Auf Gouverneursebene war das so ausgehandelt worden. Aber das Flugzeug kam nicht. Schon zehn Minuten über die vereinbarte Zeit. Der Zivilist warf das, was von seiner Zigarette übrig war, in den Sand, trat es hinein, steckte sich die nächste an. Als er aufblickte, sah er die Boeing anschweben. Wenig spä ter setzte sie am langen Ende der 2800-Meter-Piste auf. Ihre Konturen wurden von der heißen Luft gespenstisch verwischt. Einer riesigen eiszeitlichen Flugechse gleich, donnerte sie heran. Die Triebwerke heulten im Umkehrschub. Ihr Tempo wurde langsamer. Die Bremsen griffen. Ausrollen. Stillstand. Der vierdüsige Jet drehte wieder in Startrichtung. Hinter dem Cockpit schwang das Schott nach innen. Eine zerbrechlich scheinende Aluminiumleiter schob sich te leskopartig zu Boden. Der Mann am Pistenrand trat abermals seine Zigarette in den Sand, lief auf die Leiter zu und turnte außerordentlich flink nach oben. Hinter ihm wurde die Leiter eingezogen. Das Schott schloß sich wieder. 24
„Willkommen an Bord der Air-Force-Two“, begrüßte Ihn Alf Bunch. „Und verzeihen Sie die Verspätung, Exzellenz.“ Der Amerikaner führte den dritten Mann in den Salon der Air-Force-Two, wo sie Platz nahmen und sich anschnallten. Die Startbeschleunigung preßte sie in die Polster. „Kaffee, Saft, einen Whisky?“ Der Mohammedaner winkte entsetzt ab. „Eistee, wenn es geht.“ Nachdem die 707 den Steigflug beendet hatte, brachte der Steward das Gewünschte und verschwand sofort wieder. „Sie hatten eine umständliche Anreise bis Nassau“, begann der Amerikaner das Gespräch. „Nun, es war ein keineswegs alltägliches Verhalten, wie ich in Zivil schlüpfte und meine Reisebegleitung in Santo Domin go verließ, um mit einem winzigen Charterflugzeug übers Meer hierher zu hüpfen.“ „Nein, alltäglich war das nicht für einen Mann in Ihrer Posi tion“, bestätigte ihm der Amerikaner. „Aber wir hielten es für notwendig, Ihnen dies vorzuschlagen. Dadurch gewinnen wir zehn Stunden Zeit, um unser Verhalten bei der Konferenz ab zustimmen, Schwerpunkte zu bilden, und den Weg zu markie ren, auf dem wir sie erreichen.“ „Wir beide allein?“ fragte der neu zugestiegene Passagier mißtrauisch. „Die USA mögen die Macht haben und wir den Einfluß, aber bitte überschätzen Sie die Haltung Israels nicht.“ Die 707 flog jetzt Ostkurs, auf den Atlantik hinaus, Richtung Europa/Nahost. Das Licht der Sonne fiel so in die Kabine, daß sie das Gesicht des neuen Passagiers ausleuchtete. Alf Bunch hatte es weniger hohlwangig in Erinnerung. Diese dunklen intelligenten Augen hatte er schon einmal kennenge lernt, aber nicht das Bösartige in ihnen. „Glauben Sie denn“, fragte der Mann mit dem Teeglas, „daß die Israelis überhaupt kommen werden?“ „Man hat es uns versprochen.“ „Erfahrungsgemäß stellen sie in letzter Minute unerfüllbare Forderungen auf und machen einen Rückzieher. Das heißt, um 25
nicht verhandeln zu müssen, stellen sie Forderungen, von de nen sie wissen, daß sie für uns unannehmbar sind. Denn keine Verhandlung ist immer noch besser als ein schlechtes Ergeb nis.“ „Ich bin überzeugt, daß sie kommen werden“, erwiderte der Amerikaner. „Und was macht Sie so sicher?“ In diesem Moment ging die Tür am achteren Ende des Salons auf. Aus den Ruheräumen im Heck der 707 gesellte sich der dritte Mann zu der Runde. Der Amerikaner wurde förmlich. „Persönlich kennen sich die Gentlemen nicht. Darf ich also vorstellen: Menachem Levis, Staatschef der israelischen Armee und seine Exzellenz Nagib Tulun, Vizepräsident von Ägyp ten.“ Die Herren deuteten knappe Verbeugungen an, verzichteten jedoch auf Shakehands. Beide hatten sie vor wenigen Jahren 1973 im Sinai-Krieg noch gegeneinander gekämpft. Von beiden behauptete man, daß jeder von ihnen eigenhändig mehr Gegner umgebracht habe, als eine Bombe in einem vollbesetzten Fußballstadion. Aber jetzt, wo es um die Balance in Mittelost und damit um die Erhaltung des Weltfriedens ging, traten diese Dinge in den Hintergrund. Der Ägypter zeigte ein zynisches schiefes Grinsen, der Israeli reagierte mit einem tiefen rauhen Lachen. „Wo fangen wir an?“ fragte der Amerikaner. „Am Ende“, schlug der Jude vor.
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4.
Tripolis. 3. Oktober. Wenige Minuten nach Mitternacht. Den libyschen Geheimdienstchef erreichte die lange erwartete Nachricht in letzter Sekunde. Er hängte das Telefon ein und tupfte den Schweiß von der Stirn. „Unser Gewährsmann bekam keine Verbindung“, erklärte er den aufmerksam lauschenden Offizieren in seinem Büro. „Nun ist er ja durchgekommen.“ „Nicht auszudenken, wenn er es nicht geschafft hätte.“ „Die Telefonverbindung von Madeira läuft noch per Unter seekabel zum Kontinent Das Kabel hatte Störung und das Amt in Lissabon verstand die Nummer nicht gleich.“ „Von Madeira nach Tripolis wird ja auch nicht allzuoft tele foniert“, bemerkte General Hassan. Der Geheimdienstchef hatte nur zu begründen versucht, war um alles an einem Haar gehangen hatte. „Ein Funkgerät für unseren Informanten auf Madeira, das war wohl im Preis nicht mehr enthalten“, bemerkte Sydon in seiner eleganten Luftwaffenuniform. „Er besitzt eines“, erwiderte der Mann vom militärischen Ge heimdienst, „aber er ist Zivilangestellter auf der NATOLuftwaffenbasis. Seitdem von dort immer mehr Informationen an uns fließen, fühlt er sich überwacht und telefonierte lieber.“ „Telefone werden auch abgehört.“ „Er stieg in die Ferienvilla eines Fabrikanten aus Porto ein und benutzte dessen Apparat. Außerdem gab er die Meldung verschlüsselt durch. Wenn sie also einen Verräter schnappen, dann zuerst den Senhor vom Festland.“ „Und wie lautet die verschlüsselte Meldung?“ erkundigte sich Armeegeneral Hassan. Im gleichen Moment brachte einer der Offiziere aus der De chiffrierabteilung einen Aktendeckel aus Aluminiumblech, in 27
dem ein mit Maschine beschriebenes Blatt klemmte. Der Ge heimdienstchef quittierte den Empfang und überflog die Nach richt. „Kameraden!“ rief er entzückt, „es läuft wie am Schnürchen. Um 22 Uhr Ortszeit ist die Air-Force-Two, die Reservema schine des amerikanischen Präsidenten, auf der NATO-Airbase bei Funchal auf Madeira gelandet Der Tankvorgang nahm zwanzig Minuten in Anspruch. Unser Gewährsmann ist Fahrer des Tankwagens. Er glaubt zwei der Passagiere identifiziert zu haben, und zwar den Sonderminister aus Washington, Alf Bunch, und Menachem Levis, den wir ja alle zur Genüge ken nen. Beide verließen für wenige Minuten das Flugzeug, um sich die Beine zu vertreten.“ „Dann lohnt es sich schon“, bemerkte Sydon. „In Funchal läuft das Gerücht um, daß sich außerdem noch der ägyptische Staatspräsident an Bord befinde.“ „Dieses Verräterschwein“, knurrte der Armeegeneral. Der Fliegerchef blieb sachlich. „Von der Beute her betrachtet sieht alles sehr gut aus. Aber noch haben wir sie nicht. Wann erfolgte der Start?“ „Zweiundzwanzig Uhr fünfunddreißig.“ Der Luftwaffengeneral rechnete. „Der kürzeste Weg von M nach K ist auch hier die Gerade. Distanz Madeira-Kairo viertausendachthundert Kilometer. Eine Siebenhundertsieben marschiert mit rund neunhundert in der Stunde. Nettoflugzeit also fünf Stunden zwanzig Minuten.“ Der Experte schaute auf die Uhr, nahm seinen PilotenKreisrechenschieber zur Hand und hatte es dann ziemlich ge nau. „Die Air-Force-Two dürfte bis zu dieser Minute eintausend siebenhundert Kilometer seit Madeira zurückgelegt haben.“ Der Armeegeneral trat an die Lagekarte und legte den Maß stab an. „Dann fliegt sie im Augenblick von Marokko nach Algerien ein.“ „Wenn sie nicht die Mittelmeerroute nimmt“ 28
„Das wäre ein Umweg.“ „Wurden Überfluggenehmigungen beantragt?“ wollte Hassan wissen. „Das ist im Linienverkehr nicht üblich. Das wird pauschal durch Verträge geregelt.“ „Und die haben wir mit den Amerikanern?“ „Das ist international üblich.“ „Sie können also nach Belieben Libyen überfliegen.“ „Mit Passagierjets.“ „Auch mit Militärmaschinen?“ „Keineswegs.“ „Das dürfen wi r also verhindern.“ „In Extremfallen sind wir dazu berechtigt. Vorausgesetzt, wir merken den Unterschied.“ „Wozu haben wir die teuren Radarketten an den Grenzen er richtet.“ Der Luftwaffenchef klopfte mit dem Fingernagel auf seine Armbanduhr. „In hundert Minuten kann sie die Grenze unseres Landes er reicht haben.“ „Wo“, erkundigte sich der Geheimdienstchef, „ist die Sport maschine stationiert?“ „In El Adijazia.“ „Verdammt weit östlich.“ „Dadurch gewinnen wir Zeit. Aber spätestens in dreißig Mi nuten muß ich den Kurs der 707 haben, oder es klappt erst beim nächsten Mal.“ „Dann kann es zu spät sein.“ Der Nachrichtenchef hatte noch etwas auf seinem Papier. „Unser Mann in Madeira hörte den Sprechfunk zwischen dem Regierungsflugzeug und dem Tower ab. Der Pilot nannte seinen Kurs. Erst Funkfeuer Casablanca, dann 101 Grad.“ „Der führt genau nach Kairo. Dabei muß sie unser Hoheits gebiet berühren, geht gar nicht anders.“ Der Luftwaffenchef umriß mit einer Handbewegung den Kü stenbereich der Großen Syrte. 29
„Vermutlich hier. Danach überquert er die Cyreneika, und husch, schon ist er am Nil.“ Die Männer waren jetzt voll Zuversicht „Ich denke“, sagte General Hassan, „wir können dem Präsi denten morgen früh die Absturzmeldung auf den Tisch legen.“ Die Befehle gingen hinaus: Alarmstufe eins für die Radarstationen im West- und Nord abschnitt. Höchste Bereitschaft für die Pioniereinheiten im Küstenge biet östlich Bengasi zum Zwecke der Bergung von Flugzeug trümmern. Von Alarmierung der Sanitätshubschrauberstaffel wurde Ab stand genommen. „Was von der Siebenhundertsieben die Erde erreicht, sind ohnehin nur noch kleine Stückchen“, versicherte der Luftwaf fengeneral, „wenn nicht gar Asche.“ Fort El Adijazia 3. Oktober. 01 Uhr 15 Die zweimotorige Piper Aztek hatte schon zwanzig Jahre auf dem Buckel und nach Meilen gerechnet hundertmal die Erde umrundet. Bis vor kurzem hatte sie der libyschen Luftwaffe für Verbindungsaufgaben gedient. Vor einer Woche war sie zu einem Sondereinsatz abgestellt worden. Die besten Mechaniker der Luftwaffe hatten sie ge checkt, als gelte es, damit auf den Mond zu fliegen. Jetzt ließ der Pilot, ein erfahrener Nachtjagdspezialist, die zwei Boxermotoren an. Sie liefen warm. Ein Jeep kam von der Baracke herüber. Ein Mann und zwei Mechaniker mit einer Art Teppichrolle auf der Schulter stiegen aus. Während sich der Passagier über die Tragfläche des Tief deckers in die Kabine begab, klinkten die Mechaniker die Te p pichrolle in eine Halterung, die außerhalb der Propellerkreise nach vorn zeigte. 30
Vorsichtig führten sie ein Kabel nach innen. Nachdem die Cockpittür geschlossen war, machten sie das Zeichen. Daumen nach oben. Alles klar. Der Pilot gab Gas. Staub wirbelte auf. Sie rollten zur ölge tränkten Sandpiste, Startleistung, Beschleunigung, Abheben. Sie waren in der Luft. Die Teppichrolle draußen flatterte kein bißchen. Denn sie be stand aus Blech. Der Pilot stellte den Kompaß ein und ging auf Nordkurs. Unter ihnen verlosch die Befeuerung des Wüstenflugplatzes. Zunächst folgten sie der neuen Straße, die autobahngerade durch die Wüste zog. Die Scheinwerfer schwerer Sattelschlep per begleiteten sie gut 20 Minuten. Dann änderten sie den Kurs. Jetzt war die Kalanscho-Wüste unter ihnen, ein schwarzes Loch, ehe der Mond herauskam. In seinem fahlen Schein don nerten sie durch die Sandtäler bis in der Ferne Lichtpunkte auftauchten. Die Ölfelder. Es gab so viele Bohrstellen, daß man glaubte, der Sternenhimmel spiegle sich im Sand. Der Pilot umflog sie. Einmal begegneten sie einem Hubschrauber. Er brachte die Ablösung für eine Bohrstation. Da sie zweihundert Meter Überhöhung hatten und ohne Positionslichter flogen, blieben sie unbemerkt. Alle zehn Minuten meldete sich der Pilot über Funk. Um 02 Uhr bekam er Befehl den Kurs zu ändern. Er sollte den Straßenknotenpunkt Narada anfliegen und krei sen. Narada wurde vierzehn Minuten später erreicht. „Auf Maximalhöhe gehen!“ lautete der nächste Funkbefehl, Der Pilot führte alle für den Steigflug nötigen Handgriffe durch. Die Motore leisteten jetzt 85 Prozent. Derart gefordert erreichten sie Höhe 5000 um 02 Uhr 34. Der Pilot deutete auf die Sauerstoffmasken. „Geht es noch weiter hinauf?“ fragte der Raketenexperte. „So weit wie uns die Mühle trägt.“ 31
„Und wie hoch ist das?“ „Sechseinhalb. Wenn sie neu ist auch sechaacht bis sieben.“ Sie atmeten röchelnd Sauerstoff. Draußen wurde es so kalt, daß die Kabinenscheiben trotz eingeschalteter Heizung verei sten. Der Pilot gab dem Passagier einen mit klebriger Flüssigkeit getränkten wollenen Lappen. „Glyzerin“, erklärte er, „das hilft für Minuten, damit Sie zie len können.“ „Es genügt, wenn ich ungefähr in die Richtung halte.“ „Und die Kälte macht nichts aus?“ „Wie kalt ist es?“ Der Pilot las das Außenthermometer ab. „Minus achtzehn.“ Der andere zuckte mit der Schulter. Er hoffte, daß der Ab schuß glatt von statten ginge. Soweit er russische Waffen kann te, waren diese robust und unempfindlich. Die Russen testeten ihre Geräte sowohl in der Gluthitze der Mongolensteppe als auch in der Todeskälte Sibiriens. Von der Erde unter ihnen war nichts mehr zu sehen. Eine Dunstschicht nahm jede Sicht. Die Piper stieg nur noch unwi l lig. Die Motoren waren an der Grenze ihrer Atmungsfähigkeit angelangt. „Wie lange machen die das hier oben?“ „Bis die Vergaser zufrieren.“ Sie mußten noch einige Zeit kreisen und dabei die Position weiter nach Nordosten verlagern. Wenige Minuten vor 03 Uhr schien es endlich soweit zu sein. Dem Kauderwelsch auf der Militärfunkwelle, den sich über schlagenden Meldungen der Radarstationen, dem hektischen Gekrächze von Störgeneratoren verzerrt, entnahmen sie, daß es jeden Moment soweit sein konnte. „Wo sind wir?“ fragte der Mann am Abschußschalter. „Keine Ahnung.“ „Sie wissen nicht wo wir sind?“ „Es genügt, daß die Bodenstellen es wissen.“ 32
Von dort kam jetzt dl« endgültige Korrektur. „Kurs drei-fünf-null!“ „Liegt an.“ „Noch sechzig Sekunden.“ Auf dem Hauptradarschirm hatten sie jetzt wohl die zwei Punkte zusammengeführt. Den fernen Punkt, der sich rasch nähernden 707 und den nahezu fixierten Punkt der alten Piper auf Warteposition. Die Stimme des Leitoffiziers krächzte, „Fünfzig… vierzig…“ Bei Dreißig schon kam der letzte Befehl: „Schuß!“ Mit klammen Fingern druckte der Mann neben dem Piloten erst die weiße Taste. Dann, als das Kontrolllicht aufflammte, drückte er die rote. Ein harter Schlag, ein Zischen. Die rechte Tragfläche schien zu explodieren. Die Piper wurde wie auf einer rotierenden Drehscheibe nach links herumgeris sen. Das Inferno dauerte nur kurz. Wenige Sekunden später war alles vorbei. Die Piper lag wie der auf Kurs. Der Rückstoß der startenden SAM-8 war abge fangen. Die Rakete schraubte sich in Spiralen himmelwärts. Noch höher, auf siebentausend, auf achttausend. Für kurze Zeit sah man noch die Glut ihres Raketenmotors. Dann sahen sie nichts mehr. „Sie ist auf das Ziel eingeschwenkt“, sagte der Experte. Da hatte der Pilot schon Gas zurückgenommen und leitete den Sinkflug ein. Etwa zwei Minuten später vernahmen sie im Funk einen Ju belschrei. „Was hat er gesagt?“ fragte der Raketenschütze den Piloten. „Getroffen!“ glaubte der Pilot gehört zu haben.
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Harudschi el Asued.
03 Uhr 12 Minuten 33 Sekunden.
Auf dem Gipfel des Berges, 1180 Meter über dem Meer, lag die größte und modernste libysche Radarstation. Technisch betreut wurde sie von italienischen Spezialisten, aber gebaut hatten sie noch die Amerikaner, wie die übrigen libyschen Radarketten auf amerikanische Systeme zurückgingen. Vielleicht lag es daran, daß die Beobachter an den vier Schirmen von dem Objekt plötzlich nichts mehr sahen. „Black out!“ rief der Sergeant an Schirm zwei. Seine Kameraden bestätigten es synchron. Der Offizier der ersten Wache glaubte zunächst an einen Defekt. Nach rascher Überprüfung wurde jedoch festgestellt, daß die große Drehan tenne sowie die zwei kleinen Antennen, die Verstärker und Umsetzer, perfekt arbeiteten. „Wo ist sie hingekommen?“ „Zerpustet“, bemerkte einer der Soldaten. „Ich sah aber zwei Trümmer. Ein kleines Stück und ein gro ßes. Das große trudelte langsamer.“ „Und jetzt siehst du gar nichts mehr, weil beide explodierten. Staub kann unser Radar nicht messen.“ „Ja, sie zerfielen zu Staub“, meinte ein anderer und stand auf, um türkischen Mocca zu brauen. Der Offizier vom Dienst gab sich mit den Theorien seiner Untergebenen nicht zufrieden. Er forderte die Aufzeichnung an. Die über eine TV-Kamera auf Ampex gespeicherten Videosi gnale wurden über Schirm vier geschaltet. Noch einmal ver folgte die Mannschaft die Vorgänge der letzten Minuten. Sie sahen wie sich etwas im raschen Zickzack von Höhe sechsvier auf Höhe eintausend zu dem großen Punkt hinaufschraubte. Noch einmal umkreiste der kleine Stern den großen. Dann verschmolz er mit ihm. Im Augenblick der Verschmelzung nahmen beide ein Vielfaches ihrer Helligkeit und ihres Um ganges ah. 34
„Das war die Detonation.“ Der helle Punkt verlosch. Zwei blieben übrig. Einer davon fiel schneller als der andere. Dann waren auch diese Punkte nicht mehr zu sehen. „Keine Störung“, entschied der Radaroffizier. „Auch Störung durch Folienausstoß ist nicht möglich. Folien erregen ein Flimmern.“ Der Radaroffizier trat ans Telefon und sprach über Direktlei tung mit Tripolis. In einem Tonfall, als habe er den letzten Atemzug eines Me n schen zu melden, bestätigte er Volltreffer und Totalvernich tung. „Alle Aufzeichnungen“, befahl das Hauptquartier, „elektroni scher wie schriftlicher Art sind zu löschen!“ „Sind zu löschen“, bestätigte der Offizier auf dem Gipfel des Harudsch el Asued. 5. Brüssel 4. Oktober. Vormittags. Im NATO-Hauptquartier herrschte Krisenstimmung. Wenige Stunden nach Eingang der Katastrophenmeldung trat der Ve r teidigungsrat zusammen. In geheimer Sitzung beschlossen der Oberbefehlshaber und die Verteidigungsminister der Mitgliedstaaten nähere Einzel heiten abzuwarten. „Und wie kriegen wir Einzelheiten?“ erkundigte sich der Holländer, ein älterer Herr schon, der niemals im Leben Soldat gewesen war und der die neuen Techniken eher mit Skepsis betrachtete. „Zunächst einmal über die Satelliten“, wurde er aufgeklärt Der Holländer steckte sich eine Davidoff-Luxuszigarre an. Von Zigarren verstand er eine ganze Menge. Er wollte etwas antworten, da schlug sich der Belgier auf seine Seite. Dieser 35
war zwar bedeutend jünger und absolut modern eingestellt, aber nicht weniger skeptisch als sein Kollege aus den Nieder landen. „Mit Satelliten meinen Sie wieder einmal diese komischen tonnenförmigen Dinger hoch am Himmelszelt, die man mit Raketen hinaufschießt. Da oben haben sie nun ein scharfes Auge auf unser Wohlergehen auf Erden. Was sie sehen, funken sie auf mühsame Weise herunter. Viele tausend Pieptöne erge ben eine einzige Fotoseite. Man setzt sie zusammen und wertet sie aus. Vielleicht finden wir dadurch, was wir suchen. Wenn wir Glück haben.“ „Dazu brauchen wir kein Glück“, erwiderte der drahtige Bri te, immer ein wenig verzweifelt über derart defaitistische Ein wendungen. „Aber Zeit“, bemerkte der deutsche Teilnehmer mit erhobe nem Zeigefinger. „Der Satellit beobachtet den Planeten ja nur streifenweise. Wann ist denn Nordafrika wieder an der Reihe?“ „Noch in diesen Tagen.“ „Wie viele Überflugphasen müssen stattfinden, bis er das ganze in Frage kommende Gebiet erfaßt hat?“ Das vermochte keiner der Anwesenden zu sagen. „Ist das Auffinden des Objekts damit auch garantiert?“ warf der Norweger ein. Auch diese Frage konnte niemand beantworten. „Vergeht vielleicht eine Woche, ein halber Monat? Wie stellt man sich unsere Reaktion vor?“ Der Italiener, als Realist bekannt, fragte: „Wollen Sie etwa Alarm geben und losmarschieren, meine Herren?“ „Wer denkt schon gleich ans Äußerste.“ „Es ist und bleibt eine Katastrophe.“ „Denke, das dürfte jedem hier mittlerweile bekannt sein. Aber wir müssen Beschlüsse fassen, Gentlemen.“ Der Portugiese sagte nur ein einziges Wort. „Trawac!“ Er wiederholte es buchstabierend: „T-r-a-w-a-c-!“ Der Belgier, ein hagerer Bursche mit der am stärksten ausge 36
bildeten Nase aller Anwesenden und mit ebensoviel Spürsinn für gefährliche Entwicklungen, hatte an diesem Tag den Vo r sitz. „Schön, geben wir Trawac. Warum sollten wir nicht Trawac geben, wenn uns diese Möglichkeit offen steht.“ Der Deutsche nahm seinen Bleistift Marke ,Faber-Castell’ vom Papier. „Trawac bedeutet Trans-World-Action. Also weltweite Akti on. Trawac ist die höchste Einsatzstufe unserer Geheimdienste. Schießen wir damit nicht übers Ziel hinaus? Ich meine, wenn man nüchtern überlegt, was denn nun wirklich geschehen ist.“ Sofort erhob der Amerikaner Protest. „Sie haben gut reden. Ein Deutscher ist diesmal ja nicht in Mitleidenschaft gezogen. Ausnahmsweise. Aber warten Sie nur ab, mein Freund, morgen können Sie wieder dabei und auf meine Stimme angewiesen sein.“ Daraufhin legte der Deutsche seinen Bleistift wieder aufs Pa pier. „Von mir aus“, seufzte er. „Also, dann Trawac.“ „Wer ist noch dafür?“ fragte der Vorsitzende. So weit man sehen konnte, hoben sich alle Arme bis auf ei nen. „Gegenprobe.“ „Keine Gegenstimme.“ „Enthaltungen?“ Nur Kanada blieb ohne Meinung. „Trawac ist beschlossen“ , stellte der Vorsitzende fest, „wir bleiben in Dauerkontakt. Ich danke Ihnen Messieurs.“
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Sizilien. 4. Oktober. 11 Uhr 20 italienischer Winterzeit. „Das ist er wieder!“ rief der Sergente einer NATOKüstenfunkstelle, hoch über Marsala. Nicht nur bei der Mittagssiesta, auch beim Spaghettilöffeln hatte er den Kopfhörer auf. Sein Kollege griff nach der Frequenzfeinabstimmung. „Gib mehr Saft“, sagte der mit der Gabel voller Nudeln. „Was will er?“ „Ein Notruf. Aber verdammt schwach.“ „Geht ihm die Batterie zu Ende oder haben sie einen Spiel zeug-Sender?“ „Ziemlich weit weg.“ „Wir peilen ihn ein.“ Während der Mann von der Freiwache die Peilantenne dreh te, um das Signal bei irgendeiner Gradeinstellung lauter zu bekommen, notierte der vor den Nudeln, was er hörte. „Sie geben jetzt SOS – Save Our Souls.“ „Rettet unsere Seelen. Was haben sie heute Nacht gefunkt?“ „Mayday!“ „Das Notsignal von Flugzeugen. Mayday bedeutet eine ern ste, aber keine unbedingt aussichtslose Lage, so habe ich es gelernt.“ „Okay, aber jetzt geben sie SOS.“ „Dann befinden sie sich nicht mehr in der Luft.“ „Trotzdem muß sich ihre Situation verschlechtert haben und ziemlich belemmert sein. Jedenfalls drückt SOS eine weit mie sere Lage aus als Mayday.“ „SOS ist der Ausdruck für die beschissenste aller nur denkba ren Lagen, in die eine Gruppe von Menschen geraten kann, egal wo. Im Gebirge, in Eis und Schnee, auf dem Meer, im Sturm oder in der Flaute.“ Der Mann von der Freiwache nahm einen Schluck Rotwein. In dem Augenblick, als er das Glas zum Mund führte, Unter brach er diese Bewegung. Vielleicht dankte er mit einem stoß 38
gebetartigen Gedanken den himmlischen Heerscharen, daß er nicht in der Haut des SOS-Funkers steckte. Dann trank er. Danach schien er völlig eins zu werden mit seinem Empfänger. Gedankenverloren steckte er sich eine Zigarette an, rauchte, lauschte, war höchste Konzentration. „Besser kriege ich sie nicht.“ „Jetzt schweigt er.“ „Ja, Funkstille.“ Der von der Freiwache las am Peilrahmen die Zeigerstellung ab. „Eins-fünf-zwo. Einhundertzweiund fünfzig Grad.“ „Das führt übers Meer nach Afrika.“ „Also ein Schiff war es nicht.“ „Dieselbe Peilung wie heute nacht“, las der andere aus der Kladde. „Distanz?“ „Schwer zu schätzen. Zwischen hundert und tausend Meilen ist alles drin.“ „Wir melden es nach Neapel.“ „Mach du das. Ich habe bis vier Uhr frei“ Der Mann von der Freiwache setzte die Espressomaschine auf den Gaskocher und schlürfte, als die Maschine gesprudelt hatte, den Kaffee. Später ging er hinaus in den luftigen Schat ten vordem Bunker und warf sich in den Liegestuhl. Je stärker der Kaffee, desto besser schlief er. Belfort 4. Oktober 17 Uhr. Das Codewort Trawac war gegeben. Trawac rief die Operati onschefs der Geheimdienste und die Spitzenagenten zusam men. Wenn Trawac durchkam, mußte alles spritzen, dann half keine Ausrede, denn dann brannte es im Haus. Ein schlauer Kopf hatte ausgerechnet, daß sich der Mittel punkt für alle der NATO angeschlossenen oder mit ihr coope rierenden europäischen Länder, in der Nordwest-Ecke der Schweiz befand. Dies unter Berücksichtigung der Anmarsch 39
wege aus Oslo, London, Lissabon, Rom und Athen. Die Schweiz war aber kein Bündnismitglied. Also kam Basel nicht in Betracht. Dicht bei Basel lag das deutsche Lörrach, fast ebenso nah war das französische Belfort Der Ausgewogenheit halber traf man sich bei Trawac einmal am Rande des Schwarzwaldes und einmal am Fuße der Vogesen. An diesem Tag war Belfort an der Reihe. Die Franzosen kamen mit dem Hubschrauber, die Engländer mit einem Kurierflugzeug. Der Italiener kam mit dem Alpen express aus Mailand, die übrigen mit Linienmaschinen. Nur die Deutschen benutzten das Automobil. Sie hatten eine erstklassi ge Autobahnverbindung. Das Treffen, es war mehr als Befehlsausgabe zu verstehen, fand in einem abseits gelegenen Waldhotel statt. Dem Besitzer, einem gewissen Monsieur Chevall, gehörte das Luxushotel nur dem Namen nach. Er diente nach außen hin als Strohmann. Rechtmäßiger Eigentümer war der französische Staat, ganz genau dessen Geheimdienst SDECE. Für die Blitztagung war alles vorbereitet: Ein Imbiß, ein ab hörsicherer Raum, Telefon, Funk- und Telexverbindungen. Die CIA-Zentrale in Langley bei Washington hatte sich auf Konfe renz geschaltet. Der CIA-Direktor konnte alles mithören und sich auch zu Wort melden. Auch für die Sicherheit war gesorgt. In den Laubwäldern rings um das Hotel gingen Doppelposten mit Hunden. Mit nur drei Minuten Verzögerung begann die Sitzung. Sie dauerte eine Stunde und vierzig Minuten. Kernpunkt der Sitzung war der Lagevortrag des Koordinators aus Brüssel. Der Dreisterne-General faßte sich dabei militärisch kurz: „Gentlemen, Messieurs, meine Herren, Mijnheere, Signores, Senores“, begann er, „zum Zwecke der Entspannung der Lage in Nahost vereinbarten die USA, Israel, Saudi-Arabien, Ägyp ten, sowie, man höre und staune, auch der Irak und Jordanien eine Geheimkonferenz in Kairo. Speziell wegen des unge wöhnlichen Zusammentreffens von israelischen und arabischen 40
Vertretern sollte die Konferenz geheim gehalten werden. Dies war nur bedingt möglich. Die PLO erfuhr davon und leider auch die Perser und Libyer. Von wem der Entschluß, diese Konferenz zu verhindern, ausging, ist noch nicht bekannt und auch unwichtig. Kommen wir zu den Tatsachen. Gestern vo r mittag startete eine 707 der US-Regierung in Washington. An Bord Alf Bunch, und Stabschef Menachem Levis. Unterwegs pickte die Air-Force-Two noch einen dritten Mann auf.“ „Den Erzengel Gabriel“, brummte der Italiener, „denn den hatten sie dringend nötig.“ „Der dritte Mann war Nagib Tulun, der ägyptische Vize.“ Ein Raunen ging durch die Versammlung. „Diese drei zusammen in einem Flugzeug“, flüsterte der Eng länder seinem Nachbarn zu. „Absolut idiotisch war das.“ Der Offizier mit den drei Sternen fuhr fort: „Trotz strengster Geheimhaltung wurde die Air-Force-Two über Libyen beschossen.“ „Was tut sie auch dort“, kam es von links. „Und zwar durch eine russische Flugzeugabwehrrakete vom Typ SAM-sieben oder SAM-acht, wie wir annehmen.“ Die deutschen Vertreter, Oberst a.D. Sebastian und Robert Urban, wechselten Blicke. Kam da nicht etwas aus Malta, schien Urbans Miene auszudrücken, eine Warnung? Und hatte Washington nicht behauptet, es gebe keine Konferenz? „Die russischen SAM-Raketen“, machte der Dreisterneoffi zier weiter, „sind offenbar nicht ganz so brisant wie behauptet wird. Sie trafen die Boeing zwar, aber am linken äußeren Backbordtriebwerk. Es wurde mit einem Teil der Fläche we g gerissen. Jemand hielt wohl den Daumen dazwischen. Die Maschine stürzte nicht völlig ab. Sie konnte, wie durch ein Wunder, abgefangen werden und sich noch eine We ile In der Luft halten.“ „Wie lange?“ „Es reichte für eine Notlandung. Vermutlich in Zentralliby en.“ „In der Wüste oder im Hochland?“ 41
„Wenn wir das nur wüßten.“ Der General kam zum Schluß. „Noch ist Leben an Bord, wenn auch allmählich verglimme ndes. Den Funkspruchfragmenten nach zu urteilen, gab es Tote, fast alle sind verletzt, einige schwer.“ „Ein Kinderspiel für die Libyer, sie zu kriegen.“ Der vortragende General wirkte ein wenig ratlos. Was sollte er dazu sagen, durfte er überhaupt Vermutungen äußern? Wie sollte er kommentieren? „Zunächst einmal wird Libyen eisern schweigen, schon, um sich nicht als Täter zu entlarven.“ „Aber die Suchexpedition der libyschen Armee läuft garan tiert schon.“ „Vorausgesetzt, die Libyer betrachten die 707 nicht als in der Luft explodiert.“ „Dann suchen sie mindestens die Trümmer.“ „Und finden nur wenige. Ein Triebwerk, ein Stück Tragflä che.“ „Also werden sie weitersuchen.“ Ein Kenner Nordafrikas sagte: „Ihr Land ist riesig. Durch die Wüste führen nur wenige Stra ßen, durch das Gebirge gar keine.“ „Sie schicken Aufklärer los.“ „Weiß einer von den Gentlemen“, warf der Grieche ein, „wie lange es dauert, eine Fläche von einer Million und achthundert tausend Quadratkilometern abzusuchen? Fliegen die Fotoauf klärer zu niedrig, brauchen sie zu lange, fliegen sie zu hoch, kriegen sie nichts auf die Fotos.“ „In Libyen gibt es Gebirgszonen, zum Beispiel das TibestiMassiv, oder die ostnubischen Randgebirge, und sie sind von kaum vorstellbarer Wildheit und Unzugänglichkeit“, erinnerte sich ein Nordafrikaner. Daraus schöpften die Versammelten gewisse Hoffnungen. Alle weiteren Überlegungen liefen darauf hinaus, daß man versuchen mußte, den noch Lebenden so rasch und so diskret wie nur möglich zu helfen. 42
„Die Libyer dürfen sie nicht kriegen“, betonte der Referent aus Brüssel unnötigerweise. „Das bedeutet, daß wir schneller sein müssen als sie. Aber die Einheimischen haben den Ortsvorteil.“ „Wir den technischen.“ „Wenn Gaddafi die drei Passagiere lebend bekäme“, warf der SIFA-Chef ein, „nicht auszudenken wäre das.“ „Sie sind seine Todfeinde.“ „Erpressungen größten Stils wären Tür und Tor geöffnet.“ „Und wenn mit Erpressung nichts läuft, wird er es zu einem Tribunal kommen lassen, zu einem Schauprozeß, der seines gleichen sucht.“ Oberst Sebastian, Operationschef des BND schwieg. Bob Urban, Agent Nr. 18, schwieg auch. Autoroute Belfort-Lyon 4. Oktober. 22 Uhr. „Und was kann man wirklich tun?“ fragte Oberst Sebastian seinen Agenten. „Abgesehen vo n all dem Schwachsinn, der heute verzapft wurde.“ Bob Urban erhöhte das Tempo seines BMW eher noch. Er hatte dem Alten versprochen, daß er den Nachtexpress MadridWien in Lyon noch erreichen würde. Der Express hielt zwei Minuten, Noch knapp eine Stunde Zeit und reichlich hundert Kilometer zu fahren. „Jetzt könnten wir schon in Stuttgart sein“, sagte Sebastian. „In Ulm“, verbesserte Urban aufreizend ruhig. „Aber Sie müssen ja unbedingt nach Paris.“ „Um zu tun, was man nur tun kann.“ Der Alte qualmte seine bittere Virginia. Zum Glück verwehte die Lüftung den Rauch nach draußen in die Nacht. „Nicht unsere Schuld das Ganze.“ „Wir nahmen die Hilfe der Partner ebenfalls in Anspruch, wenn es eine Panne gab und alles unsere Schuld war.“ „Wann“, fragte Sebastian, „soll das bitte gewesen sein?“ 43
Es war wirklich so selten vorgekommen, daß Urban mit der Aufzählung Mühe hatte. „Auf dem einen Auge sind sie blind“, murmelte Sebastian, „und mit dem anderen ist auch nicht viel los. Geheimkonferen zen sind heutzutage doch Anachronismen. Ich dachte, Metter nich sei längst gestorben.“ „Alles kommt einmal wieder. Alles wiederholt sich.“ „In erster Linie das Fehlverhalten.“ In Belfort hatte sich Sebastian gehütet zu schulmeistern. Nun machte er seinem Ärger Luft: „Da hat man nun erstklassige Informationen, will die Freunde warnen, und sie lügen dir ins Gesicht daß der gefährliche Schritt, vor dem du sie warnst, gar nicht stattfindet. Schon achtundvierzig Stunden später liegen sie auf dem Bauch und bitten dich um Beistand. Ist das eine Art und Weise?“ „Die Menschen Bind nicht mehr lieb zueinander“, spottete Urban. „Daran liegt es.“ „Und Sie gehören auch dazu“, knurrte der Alte. „Wir könnten IL jetzt in Ulm sein.“ „Oder schon in Augsburg“, sagte Urban. „Fast so gut wie im Bett“ „Der Express hat Schlafwagen.“ „Der ist sicher belegt“, schimpfte Sebastian, „zum Teufel was suchen Sie denn in Paris?“ „Einen alten Freund“, erklärte Urban. „Nein, Freund wäre zuviel gesagt. Einen alten Spießgesellen.“ Sebastian kannte seinen Bestman. Wenn der sich in einer Ge sprächsrunde wie in Belfort auffallend zurückhielt, die aber witzigen Ideen und Vorschlage der anwesenden Experten höchstens belächelte, ohne sie zu kritisieren oder auf Normal maß zu bringen und auch keine eigenen Ideen beisteuerte, dann verfolgte er längst einen Plan. Und das wollte Sebastian als zuständiger Operationschef Urbans genauer wissen. „Doch nicht, um mit ihm einen Pigalle-Bummel zu veranstal ten, oder?“ 44
„Ich weiß gar nicht wo er wohnt. Ich weiß nicht einmal ge nau, ob er in Paris lebt, ja ob er überhaupt noch lebt“ „Was wissen Sie denn dann?“ „Daß er Jacques Brunelle heißt.“ Der Alte dachte halblaut nach. „Brunelle… Brunelle, nie gehört.“ „Ein ziemliches As in der Pariser Unterwelt.“ „Rauschgift?“ „Waffen“, präzisierte Urban. „Und so was nennen Sie einen alten Bekannten?“ „Sie wissen, auf welche Gauner man sich stützen muß, wie haarscharf man oft am Rande des Gesetzes vorbeimanövriert, um die wirklich großen Haie zu fangen.“ „Sie hatten schon zu tun mit diesem Brunelle?“ „Immerhin liefen durch seine Hände tausende von Tonnen überschüssiges Kriegsgerät. Er hat der Bundesregierung für hunderte Millionen Dollar ausgemusterte Kraftfahrzeuge, Feld lazarette, Pioniergeräte, Schiffe, Motore und Gasmasken abge kauft“ „Und wohin geliefert?“ „Überallhin. Das stand ihm frei. Leider war ab und zu auch mal eine Kiste Munition dabei, eine Haubitze, ein alter M-64 Panzer. Seitdem ist seine Geschäftsverbindung mit Bonn ge trübt.“ „Aber nicht Ihre Freundschaft mit ihm.“ „Zu mir war er immer korrekt und höflich. Die Kanonen, Maschinengewehre und Ami-Panzer, derentwegen man auf Brunelle in Bonn schlecht zu sprechen ist, wurden wenig später von den Belgiern übernommen und auf demselben Wege in afrikanische Spannungsgebiete exportiert. Wo bleibt da bitte die Moral?“ Der Alte drückte sich in die rechte Sitzecke und stemmte die Beine gegen das Bodenbrett. Er fuhr gerne schnell, aber so schnell auch wieder nicht „Und was wollen Sie von diesem Erzganoven?“ „Er ist Afrika-Spezialist“ 45
„Es gibt auch bei uns Afrikaspezialisten. Jeder Dienst hat seine Afrikaexperten.“ „Aber keinen, der Libyen so gut kennt wie Jacques Brunelle.“ „Und woher kennt er Libyen so gut?“ „Von seinen Waffengeschäften.“ „Nur daher?“ fragte der Alte mißtrauisch. „Er lernte Libyen schon vor vierzig Jahren kennen, als Nach schuboffizier in Rommels Afrikakorps.“ Der Alte stutzte. „Dann heißt der Mann vielleicht Jakob Brunner?“ Urban nickte. „Der legendäre Major Brunner.“ Sebastian pfiff gedehnt „Jahrgang neunzehn. Ganz schlimmer Jahrgang. Ich hörte schon von diesem Halunken, Na, dann viel Glück.“ „Die Zentrale versucht seine Adresse zu beschaffen. Falls er noch lebt.“ „Ich lebe ja auch“, sagte Sebastian. „Brunner war mindestens zehnmal so gerissen wie ich.“ „Gegen Krankheit oder widrige Umstände nützt auch Geris senheit wenig.“ Der Alte war anderer Meinung. „Falsch. Ob Sie es glauben oder nicht. Dumme Leute sterben schneller weg als schlaue. Woran das liegt, weiß ich nicht. Aber es war so, ist so, wird immer so sein. Das habe ich im Krieg beobachtet und es ist eine meiner wichtigsten Lebenser fahrungen. Ich wette etwas, daß Brunner noch lebt“ „Dann wäre er gewiß eine große Hilfe für uns. Bevor man einen Plan entwickelt, wie diesen armen Teufeln im Wrack zu helfen ist, muß man alles über das Land wissen, die Wüste, über das Gebirge Zentrallibyens im Oktober. Man muß wissen, wie die Straßen um diese Zeit sind. Sind sie frei oder von Sand überweht? Gibt es Sandstürme, wie kalt ist es in den Nächten, wie heiß am Tage? Wo stehen die libyschen Radarstationen, wie ist ihr technischer Zustand, wie sind sie besetzt? Wo trei ben sich libysche Wüstenspähtrupps herum, wie sind sie ausge 46
rüstet? Reiten sie auf Kamelen, benutzen sie Kettenfahrzeuge, Halbkettenfahrzeuge, Achtradfahrzeuge? Welche Hubschrau ber setzen sie ein, wie ist deren Zustand, wie das Können der Piloten? Wie qualifiziert ist die Luftaufklärung, wie das Ve r hältnis von Militär zu den einheimischen Beduinenstämmen, wie durchlässig sind die Grenzen, wie käuflich oder unbestech lich die Kommandeure der Grenzgarnisonen? Wer in Tripolis sind die entscheidenden Leute? Das alles ist ungeheuer wich tig.“ „Dachte Sie kennen Libyen“, wandte der Alte ein. „Ich war einige Male da.“ „Wozu brauchen Sie dann Brunner?“ „Weil ein Unterschied besteht zwischen einem Bauern, der seit vierzig Jahren sein Tal bewirtschaftet und einem Touristen, der ab und zu im Sommer dort vorbeischaut. Der Bauer weiß alles über Äcker, Wiesen und Wälder, über den Fluß, den Re gen im Sommer, den Schnee im Winter. Der Tourist weiß viel leicht welche Blende und welche Belichtungszeit man wählen muß, um dies oder jenes Motiv auf Farbfilm zu bannen. Was Libyen betrifft, bin ich nicht mehr als ein Tourist.“ „Und die anderen Experten bei der CIA und bei MI-6?“ „Alles nur Touristen.“ „Na schön, meinen Segen haben Sie.“ In der Bourgogne hatte es geregnet. Das letzte Autobahnstück von Chalon an der Saone entlang war naß. Hinzu kam noch der Nebel. Urban ging nicht einen Millimeter vom Gas. Der Chef wechselte das Thema. Dabei hob er warnend den Zeigefinger. „Was immer Sie vorhaben, Bob, bloß keinen Trubel mit Li byen. Das können wir uns nicht leisten. Sonst gehen die Lichter aus. Wir beziehen dreißig Prozent unserer Primärenergie von denen. Das Hemd sitzt uns näher als…“ „Unsere Ölkontrakte sind uns heilig“, schwor Urban. „Gewaltanwendung ist unmöglich. Diplomatische Schritte scheiden ebenfalls aus. Verstanden!“ Urban lächelte nur. 47
„Und fahren Sie gefälligst nicht wie ein Irrer“, fügte der Alte noch hinzu. „Dann müssen Sie in Lyon im Wartesaal dritter Klasse über nachten, Großmeister.“ „Widersprechen Sie mir nicht andauernd.“ „Ich bin alt genug, um es zu tun.“ „Meine letzte Handlung im BND wird sein, Sie zu feuern.“ „Das ist dann der schönste Tag meines Lebens“, sagte Urban. Sieben Minuten vor Eintreffen des Express’ im Hauptbahn hof von Lyon sahen sie erst die Lichter der Stadt in der Ferne. Zum Glück hatte der Zug Verspätung. Er hielt an, Türen auf. Sebastian stieg ein. Türen zu. Die Lok zog an. Durch das Fenster machte der Alte Churchills V-Zeichen. Er war schon eine komische Nummer. 6. Paris. 5. Oktober. 7 Uhr 30. Zwischen den Häusercanons der Seinestadt wurde Urbans Autotelefon zu einer nutzlosen Einrichtung, Es funktionierte auch nicht mit Nachbrenner. Nicht einmal wenn sie unerlaub terweise die Sendeenergie vervielfachten. Also verließ er die Stadtautobahn an der Pte. D’Orleans und fand vor einem Bistro in der Rue Vercingetorix einen Park platz. Der Laden wurde gerade geöffnet. Es duftete nach Kaffee und frischen Hörnchen. Nach acht Stunden Autofahrt hatte Urban jedes Bedürfnis, nur nicht das zu arbeiten. Trotzdem rief er in München-Pullach an. Dort hatten sie auch nicht geschlafen. „Gesuchter wohnt Avenue Foch 134 Strich sechs“, lautete die Auskunft „Telefon?“ 48
Urban bekam die Nummer mit folgendem Kommentar: „Telefon ist angeschlossen. Es geht aber keiner ran.“ Er versuchte es sogleich, ließ zehnmal durchlauten, verge bens. Zwischen der ersten und der zweiten Tasse Café au lait pro bierte er es wieder. Ohne Erfolg. Er beendete sein Frühstück, zahlte an der Kasse seinen Ve r zehr, ging hinaus. Die Sonne brach durch die Wolken, würde ein schöner Tag werden. Aber gleich bekam Urban eins drauf. Sein BMWCoupé war völlig zugeparkt. Da gab es kein Herausschaukeln, es sei denn er hätte es dünn gequetscht wie ein Fahrrad. Rings herum standen Citroëns, Renaults und Peugeots. Urban kannte die Verhältnisse in Paris. Vor 18 Uhr hatte er keine Chance sein Auto zu benutzen. Allerdings konnte es auch nicht gestohlen werden. Er stellte sich an die Trottoirkante und winkte. „Taxi!“ rief er. Paris Avenue Foch, 8 Uhr 10 Die Concierge in dem eleganten Appartement-Haus mit der Renaissance-Fassade war schon voll im Dienst. Kaum hallten Urbans Schritte durch das Marmorfoyer, stand sie in der Lo gentür. „Der Lift geht nur mit Schlüssel“, rief sie. „Dann geben Sie mir einen.“ „Nicht erlaubt. Aber ich kann Sie bringen. Wohin, Monsi eur?“ „Nach ganz oben.“ „Sechste Etage. Zu wem bitte?“ „Ist das wichtig?“ „Vorschrift, seitdem sich sogar hier diebisches Gelichter he rumtreibt. Nächsten Monat stellt die Hausverwaltung einen bewaffneten Wächter ein.“ 49
Wie in New York, dachte Urban. »Zu Monsieur Brunelle!“ Er sprach den Namen korrekt fran zösisch wie Brünell aus. „Der ist nicht da.“ „Das wissen Sie auswendig?“ „Ich kenne meine Leute.“ „Verreist?“ „Was weiß ich. Ich leere jede Woche den Briefkasten. Manchmal lüfte ich auch seine Wohnung durch, wenn es mal nicht regnet.“ „Er ist also schon länger fort?“ „’ne Ewigkeit Aber das ist ja nur seine Stadtwohnung.“ „Und wo hat er seinen Landsitz?“ Die Hausmeisterin lachte, was ihr schlecht stand. Sie hatte zuviel Gold im Mund. Ihr Gebiß war so kräftig wie ihre Figur und das Haar rot, roter ging es gar nicht. „In Poissy.“ Poissy war aber noch nicht auf dem Lande, das wußte Urban zufällig. Leute, die in der Avenue Foch wohnten, hatten ihre Güter meist in der Normandie, in der Bretagne oder im Ile de France. „Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?“ „Weiß ich nicht“, antwortete sie patzig. Urban gab ihr eine Tablette, die das Erinnerungsvermögen stärkte. Sie bestand aus Banknotenpapier und hatte den Auf druck Zwanzig Franc. Sie rieb den Schein, ob er auch echt war. Dann kam sie auf vertrauliche Distanz und senkte die Stim me. „Sie sind ein Freund von ihm, Monsieur?“ „Der beste.“ „Und wissen es nicht?“ „Ich komme aus Übersee“, log Urban. „Der reizende Monsieur Brunelle, also ich schätze ihn wirk lich über alles, für einen Mann wie ihn würde ich mich langle gen, nun, er hatte leider Pech.“ 50
Da fiel Urban ein, was in Poissy war. Nicht nur der Friedhof von Poissy fiel ihm ein. Die Hausmeisterin bestätigte seine Befürchtung. „Er sitzt. Eines Morgens kamen sie und holten ihn ab. Mit Handschellen. Im Schlafanzug. Nicht einmal ankleiden durfte er sich.“ In Poissy gab es auch noch ein Gefängnis, das war Urban eingefallen. „Wann?“ „Fünf Wochen mag es her sein.“ Dann gab es noch keinen Prozeß, rechnete Urban und er sitzt in U-Haft. Untersuchungshäftlinge konnte man leichter spre chen als reguläre. Oder auch gar nicht, wenn der Staatsanwalt Verdunklungsgefahr witterte. Das war meistens der Fall. „Schade“, sagte Urban. „Merci.“ Hatten sie dem schlauen Fuchs Brunelle auf seine alten Tage also doch noch ein Bein gestellt. Urban ließ seine Verbindungen spielen. Er fuhr stadteinwärts zum Quai des Orfevres. Sein Freund Boulanger, inzwischen Sûrete-Oberkommissar, war natürlich nicht im Büro. Kein Wunder. Es hatte schlecht angefangen und lief beknackt weiter. Auto zugeparkt, Brunelle verhaftet, Boulanger unterwegs. Plötzlich stand der dunkellockige Kommissar vor Urban. Zi garre im Mund, nahm er ihn bei der Schulter und bugsierte ihn in sein Büro. Das einzige was sich geändert hatte, war die Heizung. Sie heizten nicht mehr mit Öfen, sondern mit Warmwasser. Urban erklärte ohne Umstände, um was es ging. Boulanger telefonierte herum. Zwischen den Anrufen versicherten sie einander, wie blendend es ihnen ginge. Boulanger hätte sich das ersparen können. Seine Locken wurden grau und Magen geschwüre hatte er auch. Mindestens drei. Das sah man an seinen Falten. Urban bekam von den Gesprächen einiges mit. Nach dem letzten sagte der Kommissar: „Null Chancen.“ 51
„Hat Brunelle den Staatspräsidenten umgebracht?“ „Schlimmer. Er hat die französische Regierung beschissen. Um mindestens zwanzig Millionen Franc. Er war bei einem Waffengeschäft einfach schneller als die Armleuchter im Ely see-Palast, und das verzeihen die ihm niemals. Der Richter hat absolutes Sprechverbot erlassen, solange die Ermittlungen laufen. Nur sein Anwalt darf zu ihm. Und der Maître ist ein Mann der Anklagebehörde und nicht des Beschuldigten.“ „Schöne Bescherung“, äußerste Urban. Merde, hatte er ei gentlich sagen wollen, aber wie es aussah, war das erst der Anfang aller Schwierigkeiten. Also hob er sich den Fäkalien ausdruck für später auf. „Auf dieser Spur geht nichts“, versicherte Boulanger noch einmal. „Brauchst du jetzt einen Schnaps?“ „Ich brauche Jacques Brunelle.“ „Schlag dir das aus dem Kopf. Den kriegst du ebenso wenig wie sie dir die Krone Napoleons aufs Haupt setzen.“ „Früher“, bemerkte Urban, „hätte das ein SûreteOberkommissar locker mit links gemacht. Maigret würde sich im Grabe umdrehen.“ „Wenn er eines hätte“, spottete Boulanger. Urban verließ den Quai des Orfeuvres und quartierte sich wie immer im Hotel Commodore ein. Dort rief er Gil Quatembre an. Gil, den mittlerweile auch dreißigjährigen Konfirmanden typ vom französischen Geheimdienst. Urban mußte drei verschiedene Nummern wählen bis er Gil endlich hatte. Dann gab es eine Überraschung. Kaum hatte Urban angesetzt zu erklären, schnitt ihm Gil das Wort ab. „Danke, die Situation ist mir bekannt.“ „Ich suche hier den besten Libyenkenner außerhalb Libyens“, betonte Urban. „Jacques Brunelle“, sagte Gil „Ich habe einige Querverbin dungen in diesem Land und erfuhr, daß seit heute morgen acht Uhr versucht wird, an diesen Mann heranzukommen. Aber vergiß ihn.“ „Wer versucht an Brunelle heranzukommen?“ 52
„Der BND-Agent Bob Urban mit Hilfe seiner Kontakte zur Pariser Kriminalpolizei. Und ich sage dir noch einmal, auch wenn du ein Busenfreund vom Justizminister wärst, du würdest kein Wort mit Brunelle sprechen können. Sie halten ihn iso liert“ „Aber ich bin ein Busenfreund von dir“, erwähnte Urban. „Wie darf ich das verstehen?“ „Daß der SDECE, wenn er will, noch jeden Minister und Staatsanwalt Frankreichs in die Tasche gesteckt hat.“ Urban deutete Quatembres schweren Atem richtig. Gil hatte einen Verdacht. „Denkst du an etwas Illegales?“ „Das hast du gesagt“ „Du bist ja nicht normal, Mann“, stöhnte Gil. „Du vielleicht?“ fragte Bob Urban. Poissy 5. Oktober. Bei Dunkelheit Mit abgeblendeten Scheinwerfern rollte der Citroën CX-Pallas durch das sich öffnende Stahltor eines grauen fensterlosen Gebäudes. Das zweite Tor, das in den Innenhof der Haftanstalt führte, blieb geschlossen. In der Durchfahrt war genug Platz zum Wenden. Der Fahrer des Citroën reichte einen Umschlag hinaus. Ein Gefängnisbeamter öffnete ihn. „Vom Bezirksstaatsanwalt.“ „Ja, vom Bezirksstaatsanwalt.“ „Wir sind verständigt.“ „Ist der Häftling bereit?“ „Sind Sie Monsieur Quatembre?“ Der Fahrer reichte seinen Ausweis durch das Autofenster. Der Beamte prüfte ihn sorgfältig. „Der Gefangene wartet, Monsieur.“ Nun drückte der Beamte einen Knopf. Eine Gitterschleuse 53
öffnete sich. Begleitet von zwei Wächtern erschien ein Mann in der Durchfahrt. Trotz seiner sechzig Jahre und des grauen Haa res war er eine gewaltige Erscheinung, groß, kräftig, mit grob geschnittenen Zügen. Die Zivilkleidung, in den Farben sorgfäl tig von Braun bis Beige abgestimmt, war nach Maß gefertigt. Der Mann trug Handschellen. Einer der Gefängnisbeamten versuchte die hintere Tür des Citroën zu öffnen. „Nein“, rief der Fahrer, „vorne herein mit ihm! Rechts neben mich,“ Der Beamte musterte den eher schmächtigen Fahrer. „Er ist gefährlich, Monsieur.“ „Mit Fesseln?“ „So gefährlich wie andere ohne.“ „Dann hängen Sie ihn an den Haltegriff.“ Dem Häftling wurde die Polizeihandschelle abgenommen, mit einer Hälfte durch den Beifahrerhaltegriff an der Tür gezo gen und wieder ums Handgelenk geschlagen. Jetzt konnte er nicht einmal mehr beißen. Die unbequeme Fesselung ließ ihm keinerlei Bewegungsfreiheit. „Tut mir leid, Brunelle“, sagte der Fahrer des Citroën. „Wann kriegen wir ihn wieder?“ fragte der Oberaufseher. „Kommt darauf an, wie sich das Verhör hinzieht“ „Würden Sie die Übernahme bestätigen. Von jetzt ab sind Sie voll für ihn verantwortlich, Monsieur.“ „Weiß ich“, zischte der SDECE-Agent und quittierte. Das Tor schwang auf, der dunkelblaue Citroën rollte hinaus und Richtung Paris. Sie waren etwa zwei Kilometer gekommen, der Fahrer wollte gerade auf die Ringautobahn einbiegen, als er unerwartet an ders lautende Befehle erhielt »Geradeaus weiter, bitte!“ Der U-Häftling wirkte mindestens ebenso verblüfft wie der Chauffeur am Lenkrad. Aus dem Dunkel vor der Rücksitzbank war ein Mann aufge taucht. Er trug den Hut tief hereingesogen und vor den Augen 54
eine Sonnenbrille. Der Trenchcoatkragen machte die untere Partie seines Ge sichtes schwer erkennbar. Es war wie im Kino. „Von Anhalten hat keiner was gesagt“, zischte er. „Sie fahren korrekt nach der Verkehrsordnung, Monsieur. Sollten Sie ir gendeinen Trick versuchen, dann knallt es.“ Der Fahrer tastete zum Lichtschalter. Es war ein bewährtes Mittel die Polizei aufmerksam zu machen, wenn man ohne Licht fuhr. Dafür bekam er von hinten Druck mit dem Revolver. „Den Handschellenöffner, bitte!“ Der Fahrer kramte in den Taschen, fingerte endlich einen fla chen Sicherheitsschlüssel heraus. „Durch bis zur Innenstadt“, befahl der Mann, im Fond. Dann wandte er sich an den Häftling: „Du stinkst vielleicht nach Knast, alter Junge.“ „Für dich parfümiere ich mich das nächste Mal“, erwiderte Brunelle. „Wenigstens aus Dankbarkeit“ Der Häftling lachte bitter auf. „Dankbarkeit ist auch nur ein Geschäft Bezahlung für irgend etwas, das man bekommen hat oder zu bekommen hofft. Aber da täuscht ihr euch gewaltig. Alle beide täuscht ihr euch. Von mir hat niemand etwas zu erwarten, außer einem, außer Jaques Brunelle.“ Der Häftling, wie alle dynamischen Leute, die man einsperr te, hatte, er einen starken Drang zu reden, blickte sich um. „Kennen wir uns nicht?“ „Nein“, knurrte sein Befreier im Fond. „Und doch kennen wir uns. Mann, bist du nicht…“ „Vergiß es!“ Eine Bewegung der Waffe in Richtung auf den Fahrer brac h te den Häftling zum Schweigen. Er verstand, daß kein Name genannt werden sollte. „Zum Teufel, was wollt ihr von mir?“ fluchte er. „Gewisse Spezialkenntnisse“, sagte der Mann hinten. „Die hat der Staatsanwalt in den Akten.“ 55
„Nicht alle. Würde man dich sonst zum Verhör abholen?“ „Ihr seid ja doch nur auf mein Geld aus. Aber da kommt kei ner ran.“ Der Fahrer versuchte bei Rot die Kreuzung zu Überqueren. Ein Schlag mit der Waffe trieb es ihm aus. Später versuchte er wieder etwas. Doch der Bursche im Fond schien seine Aktionen im voraus zu ahnen. „Solltest du einen anderen Wagen rammen, nur damit diese Mühle kaputtgeht, dann gehst du auch kaputt D’accord?“ Nichts gelang ihm. Weder aus dem Wagen zu springen, noch in irgendeine Sackgasse abzubiegen. Der Mann hinten war der Bessere. Er hatte die Situation im Griff. An der Pte. de Neuilly dirigierte er ihn über die Seine durch den Bois de Boulogne, dann die Avenue Kléber hinauf. An der Place l’Etoile mußte der Fahrer den Triumphbogen umrunden und in der Rue Duret anhalten. Mit erstaunlicher Übung löste der Fondpassagier Brunelles Handschellen und hängte statt des Häftlings Monsieur Qua tembre an. Zusätzlich verklebte er ihm noch den Mund mit hautfarbenem Leukoplast. „Das wird für einen Vorsprung genügen“, meinte er. „Da drü ben parkt mein Wagen. Los komm, Brunelle!“ Daraufhin verließ er mit dem Häftling den Citroën. Sie gingen ohne Eile und bogen in eine Seltenstraße ab. We nig später hörte man einen Motor mit turbinenartigem Lauf anspringen. Gil Quatembre konnte das Fluchtfahrzeug nicht erkennen, was auch unnötig war. Er kannte Bob Urbans BMW. Nachdem er die Handschellen – Urban hatte sie nicht völlig einrasten lassen – abgelegt hatte, zog er das Heftpflaster vom Mund. An den Bartstoppeln haftete es auf unangenehme We i se. Dann rauchte er genüßlich eine Zigarette. Ab und zu schau te er auf die Uhr. Zwanzig Minuten Schonfrist hatten sie vereinbart Gil rauchte noch eine Gitane. Lieber gab er eine Zigarettenlänge zu. Ur bans Job war heikel genug. 56
Um 22 Uhr 40 hob er das Mikro des Sprechfunkgerätes aus der Halterung und meldete seiner Zentrale, daß er nach Über nahme des U-Häftlings Jacques Brunelle überfallen worden sei. Avenue Foch 22 Uhr 40 „Wann geht die Concierge zu Bett?“ fragte Bob Urban den Gefangenen aus Poissy. „Die ist langst besoffen und vor dem Fernseher eingeschla fen. Glaub mir.“ „Geht es nicht ohne die Unterlagen, erkundigte sich Urban mißtrauisch. „Natürlich geht es“, antwortete Brunelle, „aber nicht so gut wie du erwartest. Du hast mich doch herausgeholt, damit ich euch nützlich bin. Okay, ich will euer Mann sein, und ich will nichts dafür, als am Ende meine Freiheit.“ „Das hängt vom Erfolg ab“, äußerte Urban. „Was mich betrifft, so soll ein gutes Ergebnis angestrebt we r den. Ich tue was ich kann. Ich kenne Libyen besser als jeder Libyer. Doch mittlerweile bin ich sechzig. Da empfehlen sich nacheinander alle möglichen Ganglienzellen mit einem leisen Servus. In den Ganglien sind aber die Erinnerungen gespeichert und das logische Denkvermögen, diejenigen Sa chen also, auf die es ankommt. Ich möchte aber gern ein kluger verantwortungsvoller Ratgeber sein. Dazu brauche ich meine Aufzeichnungen.“ Urban hatte den Halunken längst durchschaut. „Und ein paar Kilo versteckter Diamanten“, fügte er deshalb hinzu. „Etwas Barrengold ist auch dabei und Bargeld. Ich hoffe, sie haben es nicht entdeckt“ „Deine Verstecke findet keiner, schätze ich.“ „Und schau mich an“, fuhr Brunelle fort, „beige Hose, Ka melhaarjacke, cremefarbenes Hemd, brauner Schlips, die Stie feletten, die Six-Pence-Mütze. Das ist doch wie ein Markenzei 57
chen, wie ein Fleischbeschaustempel. Das steht morgen auf allen Steckbriefen in ganz Europa. Ich werde mich umziehen müssen.“ „Als du hier weggingst, hattest du auch nur einen Schlafan zug. Für Kleidung haben wir gesorgt“ „Ja, Klamotten von der Stange. Ich fühle mich nicht wohl in Konfektionsanzügen.“ „Die gestreiften in Poissy, die mit der Nummer, sind auch nicht maßgeschneidert“, erinnerte ihn Urban. „Davor werde ich offenbar bewahrt“ Sie hielten 80 Meter vor dem Appartmenthaus mit der Re naissance-Fassade. Urban folgte Brunelle dichtauf. „Tu mir einen Gefallen, Jacques“, sagte Urban, „versuch kei ne faulen Tricks. Ich würde dich ungern niederschlagen. Schon wegen der Ganglienzellen. Leider bin ich voll für dich verant wortlich.“ „Ich bringe einen guten Freund nicht in Schwulitäten“, ve r sprach der ehemalige Rommel-Major. „Und wie kommen wir hinein in die Bude?“ Brunelle griff mit den Fingerspitzen das Revers ab, klappte es dann vor, riß das Futter ein Stück auf und hatte einen Sicher heitsschlüssel in der Hand. „Für Haustür, Lift und Wohnung.“ „Und den hat keiner gefunden?“ „Sie haben zu schlecht gesucht. Alles nur mittelmäßige Leu te.“ Brunelle hatte richtig prophezeit. In der Conciergewohnung lief das TV-Gerät. Die Hausmeisterin war eingenickt Auf dem Tisch stand eine Zweiliterflasche Rotwein, fast leer. Sie fuhren hinauf, schlichen über den dicken Teppich zum letzten Appartment im Flur, öffneten es lautlos. In der Wohnung sah es nicht präzise aufgeräumt, sondern nach einer Durchsuchung aus. „Verdammt, schau dir das wir fluchte Brunelle. „Polizisten sind Schweine.“ „Gangster auch“, ergänzte Urban. 58
Brunelle eilte durch den Wohnraum zum Heizkörper unter dem Fenster, packte die Marmorplatte und winkelte sie mit samt den verdorrten Blumen um neunzig Grad in den Raum hinein. Sie war an einem Ende drehbar gelagert. Mit der fla chen Hand griff er in einen schmalen Hohlraum, tastete ihn ab und förderte einen Lederbeutel sowie eine dicke Rolle Bankno ten von dollargrüner Farbe zutage. Dann ging er zur Bar und goß zwei Cognac ein. „Beeilung!“ drängte Urban und kippte rasch sein Glas. „Ich möchte rasch noch baden“, erklärte Brünette. „Du spinnst“, sagte Urban und öffnete im Schlafzimmer den Wandschrank. Brunelle wählte einen dunkelblauen Mohairanzug dazu ein weißes Hemd. Urban riet ihm, den dunkelblauen Rollkragen pullover zu nehmen. „Das sieht mehr nach Freizeit aus.“ „Aber auch mehr nach Flucht“ Jacques Brunelle brauchte keine zwei Minuten, bis er sein Äußeres völlig verändert hatte. „Und deine Aufzeichnungen?“ fragte Urban. „Im Bücherregal zwischen den Philosophen. Schau bei Sartre nach. Ich muß noch mal.“ Urban kümmerte sich darum und Brunelle ging auf s Klo. „Aber laß die Tür offen“, rief Urban. Er sah ihn grinsend verschwinden. Und dann sah Urban nichts mehr von Jacques Brunelle. Er hörte nur ein Schließge räusch. Sofort ahnte er was der Waffenhändler vorhatte. Dieser Hun desohn konnte es nicht lassen. Brunelle hatte die Tür zuge sperrt. Es war eine Luxuswohnung mit sehr massiven Türen. „Jacques!“ rief Urban, „sechster Stock, vergiß das nicht. Du brichst dir mindestens den Hals.“ Doch Brunelle antwortete nicht Urban hämmerte gegen die Tür. Dahinter klang es merkwür dig hohl. Er rannte gegen die Tür an. Sie gab nicht nach. Rasch bog er 59
ein Stück vom Kaminbesteck zurecht, hebelte es in die Fuge und konnte nach zwei Minuten das Schloß aufsprengen. Es war nicht das WC, es war die Küche. Sie hatte eine Tür zur Terrasse. Und von der Terrasse führte eine bequeme Feuer treppe nach unten. Urban hastete die Treppe abwärts, Draußen auf der Avenue Foch sah er Autos, aber nicht einen einzigen Menschen zu Fuß. Weder auf l’Etoile zu, noch in Richtung Boulogne lief einer. Brunelle war wie vom Erdboden verschluckt. Ach du guter Gott, dachte Bob Urban. 7. Washington 6. Oktober Der Präsident gab dem Pentagon, und das Verteidigungsmini sterium gab der CIA Druck. „Und ich gebe der NATO Druck“, sagte der CIADirektor anläßlich ihres morgendlichen Golfspieles zu seinem Kollegen vom Sicherheitsausschuß. „Sie sind am Schläger, Ben.“ Der große Golfplatz zog sich mit sanftgewellten, grünen, wie rasiert wirkenden, Grashügeln zum Potomac hinunter. Es war so früh am Morgen, daß noch alles von Tau glitzerte und die Sonne eben dabei war, die Potomac-Nebel aufzulösen. Aber einen Vorteil hatte diese Stunde. Man war fast allein. „Druck auf die NATO, ist das denn nötig?“ fragte der Senator vom Sicherheitsausschuß. „Leider.“ „Sitzen wir nicht in einem Boot?“ „Bei dieser Kahnpartie haben die Herrschaften in Europa of fenbar keine Lust zuzusteigen.“ „Nun, wen wundert das. Man hat sie nicht rechtzeitig einge laden.“ 60
„Jetzt sind sie verschnupft“, bemerkte der CIADirektor. „Aber wenn die Geheimkonferenz ein Erfolg wird, profitie ren sie davon. Sie sind die ersten, die davon profitieren, und wenn etwas schiefgeht, halten sie sich heraus.“ „Wie heute“, ergänzte der CIA-Direktor. „Deshalb müssen wir Druck machen.“ Der Senator zögerte noch bei der Eisenwahl. Der Ball lag un günstig in einem moosigen Loch. „Versuchen Sie es besser mit Diplomatie“, riet der Senator. „Es ist immer schwer, Leute, die nicht zu der Kahnpartie einge laden sind, später zu bitten, daß sie das Schiff flottmachen helfen, wenn es aufgelaufen ist“ Der CIA-Direktor hämmerte auf seinen Ball, sah ihn fliegen, war aber enttäuscht von Weite und Richtung. Seinen Ärger darüber ließ er am Senator aus. „Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich, Ben? Auf Seiten dieser verdammten europäischen Mischpoke etwa?“ Der Senator, ein erfahrener Politiker und Mann des Aus gleichs, erwiderte: „Daß Sie die Europaer nicht mögen, ist Ihr gutes Recht. Aber daß Sie sich verhalten wie ein Korporal einem Rekruten ge genüber, der die Schuhe seines Vorgesetzten nicht sauber putz te, das ist nicht Ihr gutes Recht. Vor allem, wenn der Korporal aus eigenem Verschulden Dreck an den Stiefel brachte.“ Der CIA-Direktor hatte sich mehr von dem Gespräch erhofft und reagierte heftig. „Unsere sogenannten Verbündeten ziehen einfach nicht mit“ Die Gentlemen folgten ihren Bällen und der Senator fragte: „Inwiefern sind die Europaer störrisch?“ „Sie behaupten immerzu, alles ginge nicht. Ein militärisches Eingreifen, um unsere Leute aus der Wüste zu holen, sei un möglich. Ein Kommandounternehmen aussichtslos. Flugzeuge könnten nicht landen, weil zu gebirgig, Hubschrauber seien nicht einsetzbar wegen zu großer Entfernung, und Fallschirmjäger bringe man nicht mehr lebend heraus. Ja, was, 61
zum Teufel, können wir noch tun, um diese armen Kerle zu retten?“ „Wie lange ist es jetzt her?“ erkundigte sich der Senator. „Ziemlich genau achtundsiebzig Stunden.“ „Seit dem Absturz?“ „Seit der ersten Funkmeldung.“ „Besteht noch Kontakt?“ „Ihre Senderbatterien werden schon schwach.“ „Wie sieht es an der Absturzstelle aus?“ „Wie am Boden eines Kessels, der ohne Wasser auf dem Feuer steht. Darin hocken eine Handvoll Männer, die meisten verletzt, einige schwer.“ „Medikamente?“ „Nur das Nötigste. Morphium geht zu Ende.“ „Lebensmittel?“ „Da, wo sie sind, hat man nur Durst, unsagbaren, nicht lösch baren Durst.“ Sie hatten jetzt die Sandkuhle erreicht. Sie war erst mit dem Rechen, dann mit der Walze glattgemacht worden. Der CIADirektor nahm den Driver und zeichnete eine Lageskizze in den Sand Erst zog er eine Linie. „Das Mittelmeer.“ Von der Küste aus malte er eine Art Nikolaussack. „Libyen.“ Ins Zentrum des Sackes kam ein Kreis. „Das Hochland.“ „Wie hoch?“ „Bis zwölfhundert Meter.“ „Und wo kam die Siebenhundertsieben herunter?“ fragte der Senator bohrend. „Irgendwo im Dschebel es Soda.“ „Was heißt das?“ „Montagna nera, Schwarzes Gebirge. Verdammt rauh und wild, glauben Sie mir.“ Der Schläger des CIA-Direktors wurde nun unschlüssig hin 62
und her bewegt. Der Geheimdienstchef wußte offenbar nicht, wo er das Kreuz anbringen sollte. Der Senator wunderte sich darüber. „Hat man das SOS denn nicht eingepeilt?“ „Die Libyer stören pausenlos alle Frequenzen.“ „Und peilen natürlich selbst“ „Schätze, sie haben schon eine Suchexpedition ausgerüstet Denn wenn sie die Air-Force-Two abschossen, wußten sie, warum sie das taten und wer an Bord ist“ „Für moderne Fahrzeuge ist das doch keine unüberwindbare Entfernung.“ „Nicht die Distanz von Tripolis oder Bengasi aus, aber die hundert Täler des Gebirges sind für die Libyer das Problem.“ „Keine Straßen?“ „Keine Pässe. Kaum Pfade für die Eingeborenen Jäger und Hirten.“ „Sie verfügen über Helikopter.“ „Unsere Leute werden sich hoffentlich gut getarnt haben.“ „Dann finden wir sie auch nicht“, befürchtete der Senator. „Wir befahlen ihnen, nicht mehr zu funken, sondern auf Empfang zu bleiben, bis wir etwas für sie tun können.“ „Was tun können?“ Der CIA-Direktor zerschlug mit wütenden Driverhieben die Sandskizze. „Ankämpfen gegen die Zeit und gegen die Widerstände!“, rief er. Der Senator entdeckte seinen verschlagenen Ball im Busch werk oberhalb der Sandkuhle, aber er schlug ihn nicht, sondern steckte ihn ein. Er hatte keine Lust mehr. Dann packte er seinen Golfwagen und zog ihn Richtung Clubhaus. Der CIA-Direktor folgte ihm. „Man muß nachdenken“, sagte der Senator. „Immer erst den ken, dann handeln. Denken kann nie falsch sein, handeln ist es meistens.“ „Wie lange noch?“ fragte der CIA-Direktor, „wollen Sie 63
nachdenken. In einer Stunde erwartet der Präsident meinen Bericht. Er fordert Aktivitäten.“ „Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken“, gestand der Sena tor, „nicht einen Zoll. Und wenn Sie das schönste Mädchen von Virginia waren, mein Freund.“ Tel Aviv. 6. Oktober. Zur selben Stunde, als in Washington der Sicherheitsausschuß tagte, kamen in Israel die besten Köpfe von Mossad zusam men. Der Geheimdienst; der auch das Auge Davids genannt wurde, bot alle verfügbaren Experten auf. Die lebenden und die toten. Wer je in Libyen eingesetzt war, wurde befragt. Zusätzlich wurden die Aufzeichnungen auf Berichte derjenigen Agenten ausgewertet, die nicht mehr vom Einsatz zurückgekehrt waren. Das Ergebnis befriedigte die Verantwortlichen wenig. „Schließlich geht es um General Menachem Levis“, bemerkte ein alter Oberst, der schon zu Zeiten der Haganah dabei gewe sen war. „Wenn sie ihn haben, dann haben sie ein Stück unse res Herzens. Wir müssen ihn da herausholen. Washington zö gert, und mit den europäischen NATO-Mitgliedern ist nicht zu rechnen. Also müssen wir es tun.“ „Fragt sich nur, auf welche Weise.“ Von den vielen Vorschlägen war kein einziger brauchbar. Schließlich meldete sich ein Veteran zu Wort. „Habt ihr Gabriel schon gefragt?“ Der Name dieses legendären Agenten ließ alle aufhorchen. „Gabriel? Lebt der denn noch?“ „Halb“, lautete die Antwort „Aber aktiv ist er nicht mehr.“ „Wie sollte er denn?“ Gabriels Aufenthaltsort wurde ermittelt. Er lag in einem ent legenen Armeehospital in Galiläa. Ein Experte der Afrika-Abteilung, er hatte früher schon mit 64
Gabriel zusammengearbeitet, wurde losgeschickt. Er fuhr auf der Autobahn nach Norden und erreichte am frühen Nachmit tag die Stadt Tiberias am Ufer des Sees von Genezareth. Nur weil er vom Ministerium angemeldet war, durfte er die geschlossene Abteilung betreten. In dem Zimmer, in das man ihn führte, stand ein Kinderbett. An der Decke hing ein Fern sehapparat, auf dem Kopfkissen lag ein Mikrofon und auf der Matratze, von einem Laken bedeckt, lag der Rest eines Me n schen, der einst ein Hüne gewesen war. Mit Entsetzen erkannte der Besucher, warum man die Exi stenz dieses Volkshelden totschwieg. Alles was von seinem letzten Einsatz noch übrig geblieben war, war ein Rumpf ohne Arme und Beine, ein Kopf ohne Gesicht, nur mit drei Öffnun gen versehen. Durch die eine wurde ihm breiartige Nahrung zugeführt, durch die Zweite atmete er und die dritte Öffnung war das linke Auge. Gabriel versuchte zu lächeln, als er den Besucher erkannte. Dann flüsterte Gabriel in das Mikrofon eine Bitte. Ohne Lautsprecherverstärkung war seine Stimme nicht hörbar. „Kein Wort über meinen Zustand. Ich muß damit leben. Okay. Warum bist du gekommen, Daniel?“ Der Besucher erklärte ihm die Situation. Gabriel stellte daraufhin Fragen, klar und gezielt. Dann schloß er das Auge und atmete tief. Endlich, rang er sich zu einem Kommentar durch. „Dann steht es schlecht aus für die Burschen, fürchte ich.“ „Aussichtslos?“ „Zumindest möchte ich meine eigene Lage im Vergleich zu der Ihren als glänzend bezeichnen.“ Selbstironie und Sarkasmus waren schon immer Gabriels Stärke gewesen. Er galt aber auch als bester Kenner Libyens innerhalb des Mossad. Unaufgefordert erzählte er dem Besucher, was er wußte. Das Tonbandgerät lief, damit keine der wertvollen Informationen verlorenging. „Vom Norden, vom Meer her, ist nichts zu machen“, begann 65
Gabriel „Die Küstenebene, die Dschefera ist dicht besiedelt. Überall wimmelt es von Polizei und Militär. Alle Häfen und Flugplätze stehen unter Kontrolle. Auch ein Überflug dieses Gebietes ist praktisch unmöglich. Ebenso wie ein Einflug aus Richtung Algerien oder Ägypten. Die Libyer haben an ihrer West- und Ostflanke mit ungeheurem Einsatz von Petrodollars das modernste Radarnetz errichtet. Es ist praktisch lückenlos. Glaube mir, ich habe es persönlich getestet. Sie registrieren jeden Aasgeier, der aus der Tiefe der Wüste heraus sich ihrem Territorium nähert und jedes Tier, das größer ist als eine Maus. Außerdem haben sie auf alle geeigneten Berge weitere Radarund Beobachtungsstationen gebaut.“ „Auch im Dschebel?“ „Auch in der Barka-Hochfläche.“ „Das Flugzeug mußte in den Schwarzen Bergen niedergehn.“ „Dort leben Berber und Tuaregs.“ Mühsam formte Gabriels lippenloser Mund jedes Wort „Wie stehen die Beduinen zum Regime?“ „Tripolis ist für sie praktisch nicht vorhanden. Man geht sich aus dem Wege. Mißtrauisch beäugen sie die Militärpatrouillen aus der Ferge. Zusammenarbeit gibt es keine.“ Jede der an ihn gerichteten Frage beantwortete Gabriel aus führlich und absolut kompetent. Er hatte jahrelang in diesen Gebieten operiert, hatte die Reorganisation der libyschen Wü stenstreitkräfte, die Modernisierung von Armee und Luftwaffe, den Ausbau der Straßen, die Erschließung der Erdöl- und Gas felder verfolgt Sein Besucher kam nun zum entscheidenden Punkt „Wir dachten an einen Einsatz, getarnt als Bohrkommando.“ Davon riet Gabriel ab. „Eine solche Lizenz zu bekommen, ist schwieriger als heut zutage einen österreichischen Grafentitel. Die libyschen Be hörden checken jeden Bewerber auf Herz und Nieren. Seine Bewegungen werden ständig überwacht. Keine Lkw-Kolonne durch die Wüste fährt ohne Militärbegleitung. Als Einzelfahrer wird man praktisch von Posten zu Posten weitergereicht“ 66
Dem Besucher war seine Enttäuschung anzumerken. „Aber, zum Teufel, es muß doch eine Möglichkeit geben, an das Wrack heranzukommen. Es gibt immer eine.“ „Wenn diese Chance existiert“, schränkte Gabriel ein, „dann nur von Süden her, zum Sudan, Tschad und Niger hin sind die Grenzen noch durchlässig.“ „Könnte man sich als Kamelkarawane tarnen, als Salzkara wane?“ Der lippenlose Mund verzog sich zur Grimasse. „Wo hast du das gelesen? Karawanen ziehen nur noch selten. Wenn überhaupt, dann meist im Winter, von November bis Februar. Eine Karawane zusammenzustellen, dauert Wochen. Und kennst du das Marschtempo einer Karawane? Vierzig Kilometer am Tag, Das macht ein Lkw in einer halben Stunde. Angesichts der Distanz von der Südgrenze zum Absturzgebiet wäre eine Karawane drei Wochen unterwegs. Das ist wirklich indiskutabel.“ „Hat ein Langstreckenhubschrauber, der dicht über der Wüste fliegt und die Nachtstunden nutzt, hätte der eine reelle Er folgsaussicht?“ Gabriel bat um etwas zu trinken. Eine Schwester kam und führte ihm ein Röhrchen ein durch das er Fruchtsaft zu sich nahm. „An welchen Typ von Langstreckenhubschrauber dachtet ihr?“ wollte Gabriel wissen. „Er müßte eintausendsiebenhun dert Kilometer schaffen, ohne nachzutanken. Er müßte außer dem in der Lage sein die noch Lebenden ärztlich zu versorgen, dann zurückzufliegen und sich dabei verhalten wie eine Sand viper. Das heißt, er muß sich unsichtbar machen und sich ande rerseits bis aufs Messer verteidigen können, wenn er angegrif fen wird.“ Der Besucher wurde allmählich verzweifelt „Dieser Heliko pter, fürchte ich, muß erst noch gebaut werden“, sagte er. „Wie sind die Straßen?“ „Befahrbar.“ „Wie gut?« 67
„Zum Teil autobahnähnlich. Aber sie führen durch die Hö lle. Wüste, Sand, Gluthitze, Skorpione, Skorpione. Natürlich we r den auch die Straßen luftüberwacht“ Es gab kaum einen Punkt, den sie nicht anschnitten. Am En de fragte der Besucher: „Gabriel, deine ehrliche Meinung. Was haben die Männer, was hat Menachem Levis da drinnen für Chancen?“ „Sie werden krepieren“, prophezeite der Exagent auf der Kindermatratze, „was für General Levis übrigens vorteilhafter ist, als den Libyern in die Hände zu fallen. Sein Ende wäre dem meinen wohl nicht ganz unähnlich.“ „Wie kann man sie herauskriegen?“ blieb der Besucher hart näckig. „Ganz einfach“, antwortete Gabriel. „Mit fünf lächerlichen Dingen.“ „Und die sind?“ Gabriel zählte sie auf. „Erstens ein Geschwader von Abfangjägern zum Schutz des Luftraums. Zweitens eine Division Fallschirmtruppen zur Er richtung von Stützpunkten und Depots. Drittens mehrere Staf feln schwerer Transporthubschrauber und viertens eine Panzer division zur Abwehr gegnerischer Landangriffe.“ „Und fünftens?“ „Etwas Glück“, fügte Gabriel noch hinzu. „Also krepieren lassen“, murmelte der Besucher. „Oder lohnt sich“, fragte Gabriel dagegen, „wegen der paar Männer ein Krieg? Krieg lohnt sich nie, in keinem Fall. Es sei denn, es geht um die Freiheit.“ Niedergeschlagen fuhr der Besucher wieder nach Tel-Aviv zurück, um im Mossad-Hauptquartier Bericht zu erstatten. Dort war mittlerweile eine neue Situation eingetreten. Aus Satellitenfotos und Agentenmeldungen zu schließen, ga ben sich die libyschen Behörden nicht mit den über der Al Quariah gefundenen Flugzeugtrümmern zufrieden. Jetzt gra sten sie systematisch das ganze Land ab. 68
Suchtrupps brachen in das zentrale Hochland auf. Und das Wetter war gut. 8. Paris. 6. Oktober. Der BND-Agent Robert Urban schüttelte die Niederlage ab wie ein Hund, der aus dem Regen kam, die Nässe des Fells. Bloß nicht daran denken, wie dieser Brunelle ihn verladen hatte. Das lähmte und machte niedergeschlagen. Noch einmal kehrte er in die Avenue Foch zurück, fuhr hin auf und betrat das Luxusappartement. Brunelle hatte von Unterlagen gesprochen, von Aufzeichnun gen, von Notizen. Wahrscheinlich gab es die überhaupt nicht. Vielleicht aber doch. Urban hatte gerade die Jalousien gezogen, um Licht hereinzu lassen, als das Telefon summte. „Schönen guten Morgen“, tönte Gils Pubertätsstimme. „Woher weißt du, daß ich hier bin?“ „Wie gehts?“ fragte der SDECE-Agent merkwürdig kühl. „Schlecht“ „Singt Brunelle nicht zu deiner Melodie? Dann bring ihn zu rück. Wann bringst du ihn wieder?“ „Hör zu, Gil“, setzte Urban an. „Ich höre“, antwortete Gil. „Aber du hast mir nichts zu sagen. Ich weiß fast alles.“ Urban goß sich von Brunelles Cognac ein. Die Flasche stand noch offen herum. Dann wartete er, bis Quatembre fortfuhr. Jedes Wort war ein neuer Tief schlag. „Er ist dir entwischt. Und du warst mir für ihn verantwort lich,“ „Statt sich zu verteidigen, was auf Grund der Tatsachen oh nehin sinnlos gewesen wäre, stellte Urban eine Gegenfrage: „Wo ist er?“ Der Franzose fluchte anhaltend. Er verfluchte seine Gutmü 69
tigkeit, seine Kooperationsbereitschaft und die Unzurechnungs fähigkeit aller Menschen außer ihm. Dann antwortete er in höhnischem Ton: „Jacques Brunelle dürfte zu dieser Stunde Frankreich bereits verlassen haben.“ „In welcher Richtung?“ fragte Urban zu allem Überfluß. „Und warum?“ „Aus Angst, weil er die Zelle satt hatte, weil er Sehnsucht hatte nach gutem Essen, seinem gewohnten Luxus, nach Kavi ar, Austern, Champagner, Davidoff-Zigarren, Frauen, was weiß ich. Aber würdest du mir bitte erzählen, wie das passieren konnte?“ „Er war hier zu Hause. Es gibt einen zweiten Ausgang. Er kannte sich aus.“ Gil hatte offenbar schon resigniert. Er dachte ebenso wenig an die ungeheuren Folgen wie Urban. Ganz ruhig erklärte er: „Sieh zu, daß du das Rennen machst. Dann übernehmen die sen Minussaldo vielleicht andere Leute. Dann steht die NATO dafür gerade. Aber wenn nicht…“ Gil zählte die Konsequenzen nicht näher auf. Urban kannte sie. „Merci“, sagte Urban und hängte ein. Dann fing er mit der Suche an. Er kam nicht weit. Wieder wurde er gestört. Die Tür zum Schlafzimmer öffnete sich. Im hellen Frühlicht stand eine jun ge Frau, Mitte zwanzig vielleicht, dunkelhaarig, schlank. Ihr Gesicht war nicht makellos, ihr Körper aber nicht übe l. Sie hatte eine starke erotische Aura, obwohl man ihren Zustand als reisefertig bezeichnen konnte. Sie war angekleidet, frisiert und geschminkt „Sie werden nichts finden“, sagte sie. „Überlassen Sie das ruhig mir.“ „Was immer Sie suchen, es existiert nicht. Falls er Ihnen von Aufzeichnungen oder Notizbüchern erzählt hat, dann war es pures Geschwätz.“ 70
Erst jetzt fiel Urban auf, daß sie deutsch mit kleinem franzö sischem Akzent sprach. „Sie kennen ihn?“ „Er rief mich an, um Ihnen dies ausrichten zu lassen.“ „Dann kennen Sie Ihn gut.“ „Wie eine Tochter ihren Vater. Ich bin Clemence Brunelle.“ Urban leerte das Glas. Dann brauchte er dringend eine Ziga rette. „Kommen Sie!“ forderte ihn das Mädchen auf. „Zu Jacques?“ Sie verneinte lächelnd. „Er sah sich gezwungen, seinen Aufenthaltsort zu ändern. Zu viele Leute haben zu viele unterschiedliche Interessen an ihm. Aber er ist nie undankbar. Immerhin schuldet er Ihnen seine Freiheit. Ich bin beauftragt, Ihre Probleme hinsichtlich Libyen zu lösen.“ „Da bin ich aber neugierig“, gestand Urban, verblüfft über die Sicherheit dieser Frau. „Haben Sie ein Automobil in der Nähe?“ „Allerdings.“ „Ist es gut für die Zurücklegung von mehreren Kilometern in kurzer Zeit?“ „Ich hoffe schon,“ „Dann bringen Sie mich“, sie verbesserte sich, „vielmehr uns, rasch mal nach Nizza.“ „Wenn es nicht mehr ist“, sagte Urban, „als die paar neun hundert Kilometer.“ Côte d’Azur. 6. Oktober. Abends. Clemence Brunelle erweckte Urbans sinnliche Neugier, wie das bei jedem gesunden Mann der Fall gewesen wäre. Ihre diesbezügliche Ausstrahlung entsprach der einer sehr attrakti ven Filmdiva. 71
Obwohl Urban weiß Gott andere Sorgen hatte, schlug sie voll bei Ihm durch. „Würden Sie freundlicherweise Ihre Knie bede cken“, forderte er sie mehrmals auf. „Sind sie so häßlich?“ „Sie wissen genau, wie hübsch sie sind. Aber wir reden jetzt von Jacques Brunelle und nicht von Ihren Beinen.“ „Fragen Sie!“ „Wo ist er? In Nizza?“ „Er rief mich heute morgen etwa um sechs Uhr an. Kümmere dich um einen gewissen Robert Urban, sagte er. Ich fuhr gleich von La Roche-Guyon…“ „Wo wir ein kleines Landgut besitzen“, unterbrach er sie. „Ich fuhr also nach Paris. Aber woher wissen Sie das mit dem Landgut?“ „La Roche-Guyon liegt in einer lieblichen Gegend, sehr ro mantisch am Seinebogen. Was sollte eine junge Frau wi e Sie dort anderes tun, als auf den Familienbesitz aufzupassen. – Von wo rief Jacques an?“ „Aus Genf“ „Dann war er so schnell wie in alten Zeiten.“ „Ja, er ist immer noch verdammt fix“, erklärte sie voller Stolz. „Er besitzt einen zweistrahligen Privatjet und fliegt ihn, wenn es sein muß, wie Lindbergh über den Atlantik.“ „Diesmal flog er in eine andere Richtung. Im Gebiet südlich von Europa machte er doch seine großen Geschäfte.“ „Bis Paris ihm kürzlich ein Bein stellte.“ „Lockte man ihn in eine Falle?“ „Wo denken Sie hin“, sagte Brunelles Tochter. „Jacques stellt man keine Fallen. Es handelte sich um ein reguläres Geschäft mit genehmigten Kontrakten, gestempelt und unterschrieben. Aber plötzlich fand man ein Haar in der Suppe. Genaues war bis heute nicht zu erfahren. Entweder änderte sich die politi sche Windrichtung, und Paris entdeckte plötzlich Zuneigung zu jenen afrikanischen Staaten, die man durch Waffenlieferung so 72
miteinander beschäftigen wollte, daß sie sich gegenseitig die Köpfe einschlagen, oder…“ „… man glaubte, anderswo für die Waffen einen besseren Preis zu erzielen. In Bagdad vielleicht“ Clemence blickte ihn erstaunt an. „Sie kennen das Geschäft, wie mir scheint – Aber alle Hin tergründe sind auch Jacques nicht ganz geläufig.“ „Mich interessieren nur seine Kontakte zu Libyen“, erwähnte Urban. „Das hinterließ er mir als Vermächtnis. Ich soll Sie einfüh ren.“ „In Nizza?“ „Bei Gaddafis Waffeneinkäufern. Und zwar als Nachwuchs mitarbeiter oder Junior-Partner, wie Sie wollen.“ Urban war gar nicht begeistert „Gnädigste“, sagte er, „ich will diesen Halunken nichts ve r kaufen, ich will ihnen eher etwas abkaufen. Informationen, Insiderwissen, wie eine ganz bestimmte, äußerst komplizierte Sache zu managen ist.“ „Die Rettung der Leute aus der abgestürzten Präsidentenma schine?“ fragte sie. Er ging vom Gas, obwohl die letzten Kilometer der Straße bis Nizza völlig frei waren. „Steht das schon in der Zeitung?“ „Jacques gab mir den Tip.“ Kopfschüttelnd erwiderte Urban: „Immer noch der Alte. Kaum zehn Stunden aus dem Knast und schon wieder top im Bilde.“ „Er ist das Geld wert, das man auf seinen Kopf gesetzt hat“, äußerte die Tochter über ihren Vater. Und dies in einem Ton, als habe sie keine Sekunde Angst um ihn. „Waffen also“, bemerkte Urban. »Waffen aus NA TO-Produktion für Libyen. Wofür interessieren sich die He r ren? Für Leopard-Panzer, den Tornado, Roland-Raketen oder darf es noch etwas Feineres sein. Ein U-Boot vielleicht?“ „Hören Sie sich ihre Wünsche an.“ 73
„Wie stehen denn die Preise?“ „Die Libyer sind gut bei Kasse. Ihr Land macht pro Jahr leicht zehn Milliarden Handelsüberschuß mit Öl.“ „Dann werden sie die Preise drücken“, befürchtete Urban. „Die Barzahler bestimmen meist die Konditionen.“ „Ja, sie sitzen schwer auf ihren Dollars“, deutete Cleme nce an. „Darf ich das“, fragte Urban, „so verstehen, daß ich ihnen ein Angebot unterbreite, das im moslemischen Sinne unkeusch ist. Waffen vielleicht gegen ein paar Männer?“ „Versuchen Sie es. Waffen gegen Alf Bunch, Menachem Le vis und Nagib Tulun. Warum nicht“ „Die Namen kennen Sie auch?“ „Jacques wußte sie.“ „Und Sie glauben, daß die Libyer darauf eingehen?“ „Das ist eine Frage des Backschisch, der Schmiergelder. Ve r sprechen Sie jedem von ihnen drei Prozent des gesamten Auf tragsvolumens in Dollar, falls das Geschäft auf diese Art zu standekommt. Deuten Sie außerdem an, daß sie für die drei Männer aus der Air-Force-Two alles bekommen, was das Herz begehrt“ „Ich weiß schon, was ich sagen muß“, entgegnete Urban. „Aber ich werde nicht mit der Tür ins Haus fallen. Ich decke die Karten erst auf, wenn gestochen wird.“ Sie kamen am Flugplatz vorbei, sahen die Stadt liegen, die leider immer häßlicher wurde. „Ins Negresco-Hotel“, schlug Clemence vor. „Ihr Name ist übrigens Chamberlain, französisch ausgesprochen. Die Herren Libyer speisen gerne exquisit. Anschließend lieben sie es, die Verhandlungen in einem Club zu führen, hautnah an nacktem Frauenfleisch.“ „Ich weiß, was Männer lieben“, konterte Urban. „Aber wür den Sie jetzt freundlicherweise Ihr Knie bedecken, Fräulein Brunner.“ „Verleihung“, spottete Clemence, „Sie haben eine schwere Nacht vor sich.“ 74
Nizza. Villa Estence 21 Uhr. Die Libyer wollten weder gepflegt essen noch Mä dchen sehen, die sich auszogen. Sie baten Urban, sie zu begleiten. In einem Mercedes 600 fuhren sie mit ihm Richtung Monte Carlo auf die Höhen und dort in einen der tausend Palmenparks. Gleich hinter dem Eingang der protzigen Villa begann ein Raum, weit und hoch wie eine Kirche, voll schwerer antiker Möbel. Der Kamin war der absolut größte, den Urban je zu Gesicht bekommen hatte. Man konnte darin Elefanten braten. Ein Libyer bereitete Kaffee, ein anderer reichte Zigarren her um, den dritten fror es. Er schob ein Buchenscheit, schwer wie eine Eisenbahnschwelle ins Feuer. „Ihre Offerte ist provinziell“, kommentierte der Wortführer der Libyer Urbans Waffenliste. „Für keine der genannten Par tien können wir uns erwärmen. Sagte Ihnen Brunelle nicht, auf was es wirklich ankommt?“ „Sie sind unsere beste Adresse“, beteuerte Urban. „Sie erhal ten stets das erste und aktuellste Angebot“ Die Libyer zeigten sich äußerst mißtrauisch. „Und mehr als Plunder gab Ihnen Brunelle nicht in die Hand?“ Urban überlegte fieberhaft, was er noch anbieten sollte. Viel leicht, Zerstörer, Kreuzer, einen ausgewachsenen Flugzeugträ ger, oder gar strategische Langstreckenbomber. Aber, zum Teufel, was sollten sie damit? Worauf also waren sie scharf? „Mein Angebot bewegt sich in dem mit Monsieur Brunelle abgesprochenen Rahmen. Nur diese Positionen sind sofort lieferbar.“ Der Verhandlungsführer, sie nannten ihn Murrar, winkte ab. „Die Hauptsache fehlt.“ „Wozu kommen wir überhaupt hier zusammen“, fragte der am Kamin und wärmte sich die klammen Hände. Und der mit der Zigarre rief: 75
„Ich habe das Gefühl, daß hier jemand verschaukelt werden soll. Ist dieser Bursche überhaupt Brunelles Bevollmächtigter? Brunelle überließ solche Geschäfte niemals anderen Leuten.“ „Das kommt mir auch komisch vor.“ „Seine Papiere sind in Ordnung.“ „Chamberlain kann sich jeder nennen. Und falsche Pässe gibt es überall.“ Die Verhandlung nahm eine Entwicklung, die Urban stark mißfiel. Doch ehe er dem Gespräch einen anderen Drall geben konnte, sagte der am Kamin: „Monsieur Chamberlain, Sie sind mir zu glatt, um echt zu sein.“ „Aber Gentlemen“, protestierte Urban. „Mich stören Ihre Bärte und Sonnenbrillen auch nicht“ Doch da war er schon eingekreist. Der hinter ihm drückte ihm eine Luger ins Kreuz. „Heraus mit der Sprache, wer setzt dich Laus in unseren Pelz?“ „Wer hat dich Köder an die Angel gehakt, he?“ „Drei Sekunden!“ „Gib ihm fünf“, riet der am Feuer, nahm einen Schürhaken des Kaminbestecks, stieß um ins Feuer, um ihn zu erhitzen, und zog ihn nach einer Weile heraus. Mit dem glühenden Eisen kam er nahe an Urbans Hals. „Bist du nur von der Konkurrenz“, sagte er, „oder gar ein Agent. Wo ist Brunelle? Warum kommt er nicht selbst? Es geht um zehn Millionen Dollar. Bei solchen Abschlüssen kam er immer persönlich. Wo habt ihr ihn? Du bemühst jetzt deinen Kehlkopf, oder dort wo er sitzt ist ein stinkendes Loch.“ Er ist imstande, dachte Urban, und tut es. Um dem glühenden Eisen fürs erste zu entgehen, reagierte er blitzartig. Er wußte, daß er gegen die drei keine echte Chance hatte, aber er wollte Zeit gewinnen, und vor allem wollte er, daß das Eisen abkühlte. Mit dem Ellbogen schlug er zu. Der hinter Ihm keuchte und krümmte sich zusammen. Dem mit dem heißen Zahnstocher versetzte er einen Schwinger in 76
den Magen. Doch als er Murrar anging, war schon die Steh lampe unterwegs. Urban konnte dem Treffer ausweichen, zumindest konnte er verhindern, daß ihm der Fuß den Schädel zerschmetterte. Aber was er abbekam, war noch völlig ausreichend. Er spürte kaum Schmerzen. Das waren die gemeinsten Treffer. Alles begann zu verschwimmen. Die Bilder, die Töne um ihn herum flossen davon, langsam wie das Wasser in einem trägen schlammigen Fluß. 9. Dschebel es Soda
In den Schwarzen Bergen.
Dienstag den 7. Oktober.
Ihre Gesichter waren eingefallen und von Staub überkrustet.
Vierzehn Stunden hatte der Ghibli geblasen und den Rumpf der
707 fast zugeweht. Es ging ihnen schlecht . Kein Wasser, keine
Medikamente, keine Hoffnung mehr.
„Das hält ja kein Tier aus“, stöhnte der Israeli mit gebroche nen Rippen. „Das hält, wenn überhaupt, nur ein Bororo Wadaba aus.“ „Nie gehört“, ließ sich der Amerikaner aus dem Rumpf inne ren vernehmen. „Was ist das?“ „Der härteste Menschenstamm, den diese Erde hervorge bracht hat.“ „Und wo leben sie?“ Der Ägypter lächelte fein. „Sie lebten einst hier. Aber sie haben dieses Gebiet verlassen, weil selbst für sie die Bedingungen unerträglich wurden.“ Mittags war es unter dem Rumpfblech wieder backofenheiß. Tagsüber die Gluthitze, nachts der Frost und das stetige Aus dörren dabei, das unaufhaltsame Eindicken des Blutes, bis es gerann, das war es, was sie allmählich um den Verstand brach te. 77
„Vier Liter Wasser braucht der normale Mensch hier am Tag.“ „Und die Bororo Wadabas?“ „Vielleicht einen.“ „Und was haben wir?“ „Gestern eine Tasse, heute eine halbe.“ Der erste Pilot des Regierungsjet, ein Air Force Colonel, ve r suchte die durchgeeiterten Verbände seines Copiloten zu er neuern, gab es aber auf. Der Flugingenieur stöhnte im Schmerzdelirium. Sein Wundbrand stank grauenhaft. „Erzählen Sie uns etwas über diese Bororo Wadaba“, bat der Funkoffizier. „Es lenkt ab. Vielleicht kann man aus dem Ve r halten dieses Stammes für unsere Situation Nutzen ziehen.“ „Das ist unmöglich“, befürchtete der Ägypter, „wenn man nicht von Jugend an trainiert wird.“ „Wie kann man die Hölle trainieren.“ „Im Alter von zwei Wochen werden die Babys der Wadaba täglich in 45 Grad heißem Wasser...“ „… gekocht“, ergänzte der Colonel. „Gebadet“, fuhr der Vizepräsident fort „Viele sterben daran. Aber diejenigen, die diese brutale Auslesetortur überstehen, sind für die Lebensbedingungen in dieser Mondlandschaft geeignet“ „Wadaba müßte man sein.“ Der Ägypter kaute ein Stück Leder. „Sie haben nicht einmal Hütten oder Zelte“, fuhr er fort. „Ihr einziger Schutz vor den Sandstürmen, vor Hitze und Kälte sind Reisighaufen sowie Ziegen- und Rinderfelle, unter die sie schlüpfen.“ Einer der Verletzten, er lag mit gebrochenem Becken auf zer fetzten Sesselpolstern, sagte: „Aber sie haben Wasser. Sie kennen irgendwo ein paar Was serlöcher. Ich würde verdammt alles in Kauf nehmen für einen Schluck Wasser.“ Der Israeli stand auf und opferte die letzten Tropfen seiner Ration, indem er die Lippen des Stewards befeuchtete. 78
„Dauert nicht mehr lange“, tröstete er ihn, „kann sich nur noch um Stunden handeln.“ Dschebel es Soda 16 Uhr Ortszeit. „Er ist wieder da!“ rief der Funker und rüttelte den Piloten wach. Der Colonel griff nach dem Gewehr. Jedes Passagierflugzeug der US-Air-Force war mit Notausrüstung versehen, zu der auch Gewehre und Munition gehörten. „Sie phantasieren“, sagte der Colonel. „Er ist heute ebenso wenig da wie gestern.“ Trotzdem krochen sie zu einem der scheibenlosen Rumpffen ster. Der Funker deutete nach Osten zu einem Einschnitt der Berge, die den Talkessel wie ein steinerner Ring umgaben. Die Sonne stand voll darauf. Man sah nichts. „Noch so eine Falschmeldung“, bemerkte der Colonel im grimmigen Sarkasmus, „und ich stelle Sie in Washington zum Rapport. Wegen Irreführung von Vorgesetzten.“ Kaum hatte er ausgeredet entstand oben am Grat etwa acht hundert Meter Luftlinie entfernt Bewegung. Der Colonel benutzte das Zielfernrohr der Jagdriffle. „Ein Reiter“, murmelte er. „Ich nehme alles zurück.“ „Wo ein Reiter ist sind auch andere Menschen. Wo Men schen sind, gibt es Wasser.“ „Ja, eine Oase“, ergänzte der Colonel, „und eine Straße und ein Telefon und Soldaten,“ „Besser Gefangener, als verdursten.“ „So denken Sie hier“, warf der Colonel ein. „Zu Hause de n ken sie anders.“ Der Colonel beschloß, sich dem Reiter zu nähern. Er wußte noch nicht, was er tun würde, wenn er auf Schußdi stanz heran war. Vermutlich würde er ihn töten müssen. Denn daß der Reiter das Wrack gefunden hatte, darüber be stand kein Zweifel. Und wenn erst ein Mann wußte, wo sie 79
heruntergekommen waren, dann wußte es bald auch die liby sche Armee. „Er trägt blaue Klamotten und ist auch sonst ganz blau. Ent weder liegt es am lacht oder es ist Farbe.“ „Ein Tuareg“, erklärte der Ägypter und spielte mit dem gol denen Ring in seinem Ohrläppchen. Oben am Grat stand der blaue Reiter reglos einer Statue gleich. Nur seine Gewänder flatterten im heißen Wind. „Die Tuaregs“, sagte der Ägypter, „nennt man die Räuber mit blauem Visier. Meist sind sie arm und froh, an den Töpfen anderer mitessen zu können. Der Tuareg wird uns verkaufen.“ „Ich versuche es“, entschied der Colone l. „Was?“ „Ich weiß nicht was. Irgendwas.“ „Laßt es ihn versuchen!“ riet ein anderer. „Er ist der Kräftig ste von uns. Und er hat das Kunststück fertiggebracht, das Flugzeug zu landen.“ „Zu landen“, höhnte der verletzte Steward. „Er brachte es herunter. Und wir leben noch. Ist das nichts?“ „Besser, wir wären alle krepiert“ Der Colonel ging los. So gut wie möglich Deckung nutzend, kletterte er bergauf. Die Hitze flimmerte vo n den Steinen. Für fünfhundert Meter brauchte er eine halbe Stunde. Noch immer stand der Reiter am Grat, als warte er auf etwas. Auf die Aasgeier vielleicht, die ihm anzeigten, daß in dem Wrack kein Leben mehr war. Auf dem letzten Stück arbeitete sich der Colonel nur noch kriechend näher. Bei zweihundert Metern Abstand sah er den Reiter deutlich. Seine einzige Waffe war ein altes Schwert. Der Reiter blickte genau zu ihm hin. Im Zielfernrohr wirkten seine Augen dunkel und leer. – Auch den wassergefüllten Ziegen balg links am Sattel sah der Colonel. Er enthielt mindestens zehn Liter. Eine Dreitagesration für alle. Ein Schuß, und er hatte beides. – Das Wasser und einen toten Tuareg, der sie nicht verraten konnte. Der Colonel suchte eine Auflage für das Gewehr, visierte 80
lange, entsicherte. Seine Hände zitterten. Nur mühsam behielt er den Turban des fahlen Mannes im Fadenkreuz. Dann zog er durch. Der Schuß bellte heraus, und warf ein vielfältiges Echo. Doch der Reiter war fort. – Getroffen? Oder hatte er ihn verfehlt. Der Colonel arbeitete sich noch achtzig Meter weiter. Der paßartige Einschnitt war leer. Nur Steine, Sand und eine Spur. O verdammt dachte er. Er saß da und blickte zum Wrack hinunter, das beim Aufset zen im Talkessel eine kilometerlange Furche gezogen hatte. Er hatte den Tuareg verfehlt, und er hatte auch die 707 nicht gut gelandet. Eigentlich hatte er sie überhaupt nicht gelandet. Sie hatte sich dieses steinerne Nest ohne sein Zutun gesucht. Kein Pilot der Welt wäre in der Lage gewesen, eine 707 auf unbestimmtem Kurs mit abgefetzter Fläche bei Nacht noch kontrolliert zu landen. Es war Zufall gewesen, Glück, Fügung. Was für ein Glück, dachte der Colonel, die Hölle statt des Todes vorzufinden. Bei Sonnenuntergang machte er sich auf den Rückweg. Als er unter die Aluminiumplanken des Rumpfes kroch, fühl te er fragende Augen auf sich, gerichtet. „Er ist tot“, log er. „Dann gibt es auch keine Rettung mehr.“ „Rettung kommt nur von unseren Leuten“, behauptete Al f Bunch. „Was wäre das für eine Rettung, in einem Verhörkeller in Tripolis zu enden.“ „Das stelle ich mir paradiesisch vor“, bemerkte der Funker. Der Israeli winkte müde ab. „Ich habe dieses Paradies gesehen“, sagte er, „mit eigenen Augen. Ein Sonderkommando holte einen unserer besten Agenten heraus. Sie haben ihn so gequält, daß wir ihm Beine und Arme amputieren mußten. Ein toller, ein großartiger Bur sche war das einst. Jetzt liegt er hilflos wie ein Neugeborener auf einer Babymatratze. Nein, dann lieber hier vor die Hunde gehen.“ 81
„Sind die Stiche der Skorpione nicht tödlich?“ fragte der Co lonel den Ägypter. Dschebel es Soda 23 Uhr Ortsze it, Der Funker saß am Notsender. Er quetschte den letzten Saft aus den Trockenzellen der Batterien. Er hatte die Hörer auf den Ohren und übersetzte simultan was er aufnahm. „Sie haben uns.“ „Na endlich.“ „Gradgenau eingepeilt.“ Der Colonel hatte die Karte vor sich auf den Knien, dazu Bleistift und Lineal. Er wartete darauf, daß sie die Position durchgaben, die sie selbst nur ungefähr kannten. Aber die Sta tion, vermutlich ein Sender von NATO-Süd, nannte die Positi on nicht. Wohl aus Furcht, die Libyer konnten Gebrauch davon machen. „Verdammt, wenn sie die Position haben, warum kommen sie nicht?“ fluchte Alf Bunch. Über diese Bemerkung konnte der israelische Stabschef nur lachen. „Wenigstens einen Container mit Lebensmitteln könnten sie abwerfen. Und Wasser, Wasser, Wasser“, keuchte der Flugin genieur. Es klang wie ein Aufschrei und endete in einem qualvollen trockenen Röcheln. Die Station sendete nur und verlangte keinerlei Ant wort auf irgendwelche Fragen. Das war so vereinbart, damit die liby schen Stationen keine Einpeilmöglichkeiten hatten. „Wir sollen ausharren“, übersetzte der Funker. „Wie lange noch?“ „Sie versuchen es mit allen Mitteln und auf allen Kanälen.“ „Zum Teufel, sie sollen losmarschieren“, jammerte der Flug ingenieur im Delirium. 82
Alf Bunch machte von dem wenigen Morphium, das sie noch hatten, eine Spritze für ihn fertig. „Wegen ein paar noch halb lebender Männer und drei Toten fangen die keine Rauferei an. Gerade das sollte durch unsere Mission vermieden werden.“ „Es ist schon ein makabrer Witz“, bemerkte der Ägypter, „das Ziel der Konferenz, nämlich den Krieg zu verhindern, wird durch unseren Unfall ins Gegenteil umgekehrt. Der Krieg wird möglicherweise ausgelöst“ „Falls man unsere Rettung gewaltsam versucht.“ „Das wird man nicht“, erklärte der Mann aus Tel Aviv. „Bedeutet das, daß man uns abgeschrieben hat?“ „Genau das ist die logische Konsequenz.“ Der Funker schaltete den Empfang ab, zog die Hörer vom Kopf und testete die Batteriespannung. „Für einmal reicht es noch“, schätzte er. „Für den Peilton.“ „Peilten, wozu?“ „Damit uns das Rettungskommando findet“ „Es wird kein Rettungskommando geben“, antwortete der Funker „Dann sag, warum! Sag uns, was sie gemorst haben.“ Der Funker blickte den Colonel an, der Colonel den Minister. Bunch nickte. „Sie schlagen vor“, der Funker zögerte, setzte neu an: „Wir sollen mit der Gewehrmunition sparen. Sie raten uns wenig stens zehn Patronen zu reservieren.“ Der Israeli war derjenige , den das am wenigsten erschütterte. Seine Nation stand seit dreißig Jahren im Krieg. Für ihn war das normal. Er faßte die Situation in vier Worte. „Für jeden eine Kugel“, sagte er. „Eine Kugel für jeden.“
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10.
Nizza. 7. Oktober. Bei Sonnenaufgang. Ein Taxi bog herein und hielt vor dem Eingang zur Villa Estence. Eine dunkelhaarige Frau stieg aus. „Bitte warten Sie!“ rief sie dem Taxifahrer zu. Ein arabisch aussehender Diener führte sie zur Terrasse. Dort saßen die drei Libyer beim Continental-Frühstück. Clemence Brunelle wunderte sich immer wieder, wie rasch sie es ge schafft hatten, sich vom Beduinenzelt auf westliche Gebräuche umzustellen. Der Sprecher der Libyer schnarrte, ohne sie anzusehen: „Was haben Sie uns da für ein Kuckucksei ins Nest gelegt Madame?“ „Monsieur Chamberlain ist mein Verlobter“, erklärte sie, „und absolut zuverlässig.“ Man forderte sie nicht auf, Platz zu nehmen, sondern behan delte sie wie eine Angeklagte vor Gericht. „Ihre privaten Beziehungen stehen hier nicht zur Diskussion. Dieser Mann hat keine Ahnung, um was es geht“ „Er ist der Vertraute meines Vaters.“ „Er ist ein Agent ein Spitzel“, erklärte der stets nervöse Bril lenträger aus der libyschen Gruppe und schlug mit dem Messer ein Ei mitten entzwei. „Warum kommt Ihr Vater nicht selbst?“ „Das wissen Sie, denke ich.“ „Ja, er wird verfolgt und die Haft hat ihn krank gemacht. Aber ein Mann kann nicht so krank sein, um dieses Geschäft des Jahrhunderts, ein Geschäft wie noch nie eines abgeschlos sen wurde, zu versäumen.“ „Wovon sprechen Sie?“ fragte Clemence, ihre Neugier über spielend. „Darüber verhandeln wir nicht mit Frauen.“ „Wir sind hier nicht in einem arabischen Harem“, erwiderte 84
Clemence scharf und ging jetzt aufs Ganze. „Dann wird das Geschäft eben scheitern.“ „Das wird Ihr Vater aber gar nicht gerne hören.“ Der dritte Libyer mischte sich ein. „Seit wann kennen Sie Monsieur Chamberlain? Seit ge stern?“ „Seit Jahren.“ „Ist es denkbar, daß ein anderer in seine Rolle schlüpfte?“ Clemence lachte etwas zu laut „Aber Monsieur, welche Frau würde ihren Verlobten nicht mehr erkennen.“ Die Blicke der Araber schienen sie zu entkleiden. „Wenn aber Monsieur Chamberlain das Vertrauen Ihres Va ters genießt, warum gelingt es ihm nicht, das unsere zu errin gen?“ Clemence ü berlegte fieberhaft „Gewiß hat er Anweisungen über den Punkt, den Sie me inen, ohne Aufforderung nicht zu sprechen.“ „Uns scheint eher, daß er nicht unterrichtet ist. Deshalb unser Verdacht, er könnte ein Spitzel sein. Und deshalb behandeln wir ihn zunächst wie einen Gefangenen. Safety first. Das ver stehen Sie doch, Madame, oder?“ Clemence war bestürzt. „Wo ist er?“ „Irgendwo in einem der Kellerraume.“ „Darf ich ihn sprechen?“ „Um weiter mit ihm zu konspirieren, Madame?“ sagte der bärtige Murrar. „Bitte, halten Sie uns nicht für Laien. Entweder Monsieur Chamberlain nennt uns das Kernstück der Verträge, oder wir sehen uns gezwungen, das Schlimmste anzunehmen, und müssen ihn liquidieren.“ Clemence überlegte so angestrengt, daß es ihr schwer fiel überhaupt etwas zu denken. Sie hatte da von einer ganz großen Sache gehört. Ihr Vater hatte nur Andeutungen gemacht, so brisant war das Geschäft. Vielleicht war es das. Sie mußte Urban eine Nachricht zukommen lassen, irgend etwas Ve r 85
schlüsseltes, mit dessen Hilfe er sich aus der gefährlichen Lage befreien konnte, falls er den Code verstand. Aber wie war das zu machen? „Ich bin sicher“, erklärte Clemence, „er hat für diesen Be reich keine Verhandlungsvollmacht. Deshalb schweigt er dar über.“ „Dann beschaffen Sie ihm die Vollmacht.“ „Wie denn, wenn Sie mich nicht zu ihm lassen,“ „Geben Sie etwas Schriftliches, Madame.“ Sie war einverstanden. Das verschaffte Zeitgewinn. Ein Sekretär brachte Papier und Kugelschreiber. Clemence setzte etwas auf, strich es durch, schrieb erneut zerknüllte das Papier. „Nichts Schriftliches!“ entschied sie. „Und zu ihm lassen wir Sie nicht.“ „Vielleicht würden Sie ihm etwas übermitteln.“ „Gerne. Und was bitte?“ „Sagen Sie Monsieur Paul Chamberlain“, setzte Clemence an, „mein Vater habe ihn hiermit von allen Geheimhaltungs auflagen entbunden. Er könnte Jetzt frei verhandeln.“ „Damit weiß er Bescheid?“ Clemence Brunelles Hände wurden feucht „Nein, bestellen Sie ihm noch, daß er ermächtigt sei, über je ne Lieferung zu verhandeln, die bei seinem letzten Zusammen treffen mit meinem Vater in Alamos besprochen wurde.“ „Wie heißt die Stadt?“ „Alamos“, wiederholte Clemence Brunelle. Der älteste der Araber beendete sein Frühstück und erhob sich. „Nun werden wir ja sehen. In wenigen Minuten wissen wir Bescheid. Bei unbefriedigendem Ausgang des Gespräches mit Monsieur Chamberlain sehe ich schwarz für Sie und ihn, Ma dame.“ Er ging ins Haus und rief seinen Sekretär. „Schicken Sie das Taxi weg.“ 86
Dann stieg er, begleitet von zwei bewaffneten Leibwächtern, in den Keller. Hinten wurde eine Tür aufgesperrt. Der Raum lag zur Nord seite zum Berg hin. Mit entsicherter Pistole trat er bis auf drei Schritte vor Urban hin. „Clemence Brunelle bürgt dafür“, schnarrte er, „daß Sie in Ordnung sind. Nun liegt es an Ihnen, die Maske abzunehmen. Vergessen Sie, was immer Ihnen Jacques Brunelle als Ver handlungstaktik auftrug. Kommen Sie heraus mit allem, was Sie wissen. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit. Uns geht es nicht um Panzer, Jagdbomber, Napalm, Raketen oder solchen Ki n derkram. Sie sind ab sofort berechtigt mit über jenes Projekt zu verhandeln, das Brunelle in… wie heißt doch dieser Ort schnell wieder?“ „Wo“, fragte Urban, einen versteckten Hinweis witternd, „wo war es?“ „Zum Teufel, ich vergaß den Namen“, fluchte Murrar. „Den müssen Sie mir schon nennen.“ Der Libyer bekam schmale Augen. „Sie treffen sich doch nicht täglich in einer anderen Stadt mit Brunelle, oder?“ »Wir sind beide transkontinental unterwegs“, entgegnete Ur ban, „um die Bedürfnisse unserer Klienten zu befriedigen.“ Der Araber mißtraute ihm offenbar immer mehr. „Ich glaube Alamos heißt die Stadt.“ Urban tat, als erinnere er sich. „Das war in Mexiko.“ Urban vermied jedoch anzudeuten, daß die Stadt Los Alamos hieß und eigentlich im Staate New Mexiko in den USA lag. Der Araber war höchstens dreißig Jahre alt. Vielleicht hatte er noch nie von Los Alamos und dem, was dort geschehen war, gehört. Kaum hatte er den Namen vernommen, wußte er alles. Der Name jener Stadt, wo vor vierzig Jahren die moderne Waffen technik ihren Ausgang genommen hatte, war ihm nicht ohne 87
Grund zugespielt worden. Er bewunderte Clemences Scharf sinn. Los Alamos hieß die Geburtsstätte der ersten Atombombe der Welt. Jetzt fiel es wie Schuppen von Urbans Augen. An nichts anderem waren die Libyer stärker interessiert, als an einer Atombombe. Um sie zu bekommen, hatten sie schon seit Jah ren alle Hebel in Bewegung gesetzt und Milliarden ausgege ben. Sie hatten sich auch an dem pakistanischen Reaktorprojekt beteiligt, aber das klappte nicht so recht mit dem Atomspreng stoff von dort. Urban gab sich äußerst kühl. „D’accord“, sagte er, „sprechen wir über die Atombombe, Messieurs.“ Monte Carlo 7. Oktober. Mittag. Es war, als hätten sich die Schleusen geöffnet. Vor kurzem noch sah es aus, als würde der Damm unter der Masse des aufgestauten Mißtrauens bersten, und plötzlich genügte ein einziges Wort, um den Druck abzuleiten. Die Araber wurden nicht freundlicher, aber sachlich. Sie ak zeptierten das hohe Maß der Geheimhaltung. Um so sicherer würde du Projekt endlich durchzuziehen sein. Urban, dem die taktischen Überlegungen der NA TO in Bezug auf die Rettungsaktion der 707-Leute bekannt waren, versuchte die Figuren richtig zu setzen. „Ja, wir haben die Bombe. Sie liegt in einem unserer De pots“, gab er bekannt. „Das hören wir gerne. Aber wenn Sie bluffen, bedeutet das Ihr Ende, das von Madame Clemence und das von Jacques.“ „Den lassen wir aus dem Spiel“, schlug Urban vor. „Er ist ein kranker gejagter Mann. Ich wickle alles für ihn ab.“ „Wo liegt die Bombe also?“ Urban deutete auf seinen Kopf. „Das wissen nur zwei Leute. Es ist hier oben gut verwahrt.“ 88
„Der Preis?“ „Wurde ausgehandelt, denke ich.“ „Und die Modalitäten?“ „Halber Preis, dann die Ware, dann der Kaufpreisrest“ Die Araber besprachen sich und kamen rasch zu einem Er gebnis. „Erst möchten wir das Objekt sehen. Wir sind leider sehr oft hinters Licht geführt worden.“ „Ich weiß“, sagte Urban, „aber das wird eine umständliche Reise.“ „Wo immer die Bombe liegt, wir fahren hin, um sie in Au genschein zu nehmen. Vorausgesetzt sie liegt nicht in den USA.“ „Nicht in den USA“, versicherte Urban und baute weiter an seinem Puzzle-Spiel, „aber das muß ich organisieren. Das heißt, ich muß weitere Orders einholen.“ Murrar deutete zum Schreibtisch. „Hier steht ein Telefon.“ „Danke, ich benutze lieber mein eigenes“, sagte Urban. Er durfte ohne weiteres gehen. Sie brachten ihn und Clemen ce nach Monaco. Jetzt saßen sie an Bord von Brunelles Yacht, und Urban starr te auf das Telefon. „Das mit der Atombombe“, sagte er, „war ein genialer Ein fall, Clemence. Ist er Ihre Idee oder gibt es wirklich derartige Pläne?“ „Es gibt immer Pläne“, wich sie aus. Urban hob das Telefon ab. Es war angeschlossen. Lächelnd wandte er sich an das Mädchen. „Sind Sie nicht müde?“ „Wovon? Ich habe die ganze Nacht geschlafen.“ „Gibt es nichts zu tun, in der Kombüse vielleicht?“ „Nicht, daß ich wüßte“, antwortete sie. „Aber warum sagen Sie nicht gleich, daß Sie ungestört telefonieren wollen.“ „Merci!“ Urban prüfte die Leitung. 89
„Es existiert noch ein Zweitanschluß auf der Brücke, aber er ist nicht gestöpselt.“ „Nur zu Ihrer Sicherheit“, äußerte Urban. „Danke, ich fühle mich sicher genug.“ „Je weniger Sie wissen, desto weniger sind Sie gefährdet. Denn wahrscheinlich geht das, was ich plane, schief. Die Chancen stehen eins zu hundert.“ „Dann viel Glück.“ Sie nahm eine Zigarette, ging hinaus und schloß die Tür. Urban rief München an. Der Oberst hatte seit drei Tagen nichts von ihm gehört und schon alle Hoffnungen aufgegeben. Urban setzte ihn so ausrei chend wie nötig ins Bild. Bevor er seine eigene Idee entwickel te, fragte er: „Wie sieht es in Libyen aus?“ „Die Situation verschlechtert sich von Stunde zu Stunde. Man sieht keine Möglichkeit, die Prominenz anders als durch eine militärische Operation zu retten. Man neigt nicht nur dazu, sondern bereitet sich schon vor.“ „Das muß vermieden werden“, wandte Urban ein. Wer sich mit der Geschichte befaßte, wußte wie solche übereilten Schrit te ausfielen. Im Trojanischen Krieg war es nur um eine schöne Frau gegangen. Er hatte sieben Jahre gedauert. Und zwei Tote in Sarajewo hatten den ersten Weltkrieg gezündet. „Dazu ist die NATO gerne bereit, wenn man eine Alternativ lösung anbietet“, räumte Sebastian ein. Nun entwickelte Urban seinen Plan. Verschlüsselt berichtete er dem Chef von seinem Kontakt zu libyschen Waffenkäufern und davon, was sie von Brunelle zu erwerben beabsichtigten. Der Alte schaute offenbar noch nicht durch, denn er reagierte entrüstet. „Dann saß Major Brunner ja zurecht im Zuchthaus.“ Urban verteidigte Brunelle nicht, erklärte aber folgendes: „Was Brunner plante und was er wirklich durchzieht, sind zweierlei Dinge. Jedenfalls nützen uns seine diesbezüglichen 90
Aktivitäten, und er will uns helfen. Deshalb hat er sich für eine Welle abgesetzt“ Sebastian schien allmählich zu begreifen was Urban vorhatte. „Also auf dem Weg über diese Bombe“, faßte er zusammen „wollen Sie das Knäuel abwickeln. Sie haben Leben schon viel versucht, mein Junge, und ist Ihnen gelungen, weil Sie Glück hatten. Aber hier brauchen Sie soviel Glück, wie es nicht auf Haufen gibt“ „Oder die präzise Zusammenarbeit aller drei Wehrmachtteile, wie man so schön sagt, als gelte es einen Blitzkrieg durchzu führen. Er kann klappen, wenn jeder vorbehaltlos mitmacht, wenn alle Beteiligten voll einsteigen.“ Das bedeutete soviel, wie den Aufmarsch einer Offensive binnen weniger Stunden durchzuführen. Urban gab Stichpunkte. Sebastian notierte. Der Alte geriet in sein Element. Er würde jetzt als verlängerter Arm Urbans funk tionieren, als säße Urban selbst in der Operationsabteilung in Pullach. Immerhin galt es, die Gefahr einer internationalen Verwicklung abzuwenden. „Ich tue was ich kann“, versprach der Oberst. „Binnen sechs Stunden muß alles stehen.“ „Sie hören von uns.“ „Nein, ich rufe an“, schlug Urban vor. „Kontakt über Madrid. Und vergessen Sie nicht ich verhalte mich hier, als sei der Plan genehmigt und laufe bereits an.“ Der Alte sah das Risiko. „Sie pokern um Ihr Leben.“ „Nicht nur um meines“, antwortete Urban. Er hatte noch nicht aufgelegt, da öffnete Clemence die Tür zum Salon. „Sie sind da“, rief sie. „Dann bringen Sie sie herein.“ Urban stand auf, goß Whisky ins Glas und steckte sich eine MC zwischen die Zähne. Er spielte den Lässigen, was ihm nur mühsam gelang. Die drei Libyer standen im Salon, wie die tripolitanischen Drillinge. Schwer vorstellbar; daß jemals einer ohne den ande ren auskam. 91
„Nun?“ fragte ihr Sprecher unhöflich, unfreundlich, lauernd. Urban unterstrich die Antwort mit einer lockeren Handbewe gung. „Das Objekt gehört Ihnen, Messieurs.“ Sie blickten sich an und verständigten sich durch Augenspra che. Murrar faßte das Ergebnis in Worte. „Vorher müssen wir die Bombe sehen, samt den Zutaten.“ Urban rauchte aus. „Ich bin bereit, mit Ihnen hinzufliegen.“ „Wo liegt sie?“ Jetzt winkte Urban ab. „Das erfahren Sie erst, wenn wir unterwegs sind.“ „Worauf warten wir noch?“ Sie hatten es überaus eilig. Sie wollten das Ding, um das sie seit zehn Jahren kämpften, endlich besitzen. „Verfügen Sie über ein Flugzeug?“ fragte Urban. „Unser Lear-Jet steht auf dem Flugplatz in Nizza.“ „Lassen Sie ihn startklar machen. Sagen wir für achtzehn Uhr.“ „Warum so spät? Da kommen wir ja in die Nacht.“ Urban lächelte auf seine schiefe Weise. „Ich hoffe doch, Ihre Piloten sind so perfekt, daß ihnen ein Nachtflug nichts ausmachen wird. Ich muß noch Vorbereitun gen treffen, damit wir nach dreitausend Kilometer langer Reise alles zur Zufriedenheit vorfinden.“ Die Libyer steckten die Köpfe zusammen. Dann erklärte ihr Sprecher: „Einverstanden. Unsere Bedenken gegen Sie, Monsieur Chamberlain, sind zwar nicht ausgeräumt, aber wir geben Ih nen eine Chance von zwölf Stunden.“ „Die genügen leicht.“ „Entweder wir sehen bis morgen früh dieses Ding, oder…“ „Für uns hängen ja auch einige Millionen Dollar in der Luft“, erwiderte Urban. „Auch wir leben vom Gewinnemachen und nicht von Verlusten, Messieurs.“ Die Libyer wollten ihn um 18 Uhr am Airport erwarten. 92
Damit zogen sie ab. Urban hörte ihre Schritte auf der Gang way zum Pier. Wenig später fuhr ihr langer Pullman-Mercedes hinauf Richtung Casino. Er saß da und starrte auf die länger werdende Asche seiner Zigarette. Jetzt gab es nur noch eines. Hoffen und warten. Das kostete Nerven. Ablenkung durch Alkohol wollte er vermeiden. Wenn ihn etwas voll beanspruchen würde, dann war es die kommende Nacht. Leichter Durchzug entstand. Die Salontür ging auf und zu. Clemence stand vor Ihm. „Das ist im großen und ganzen ganz schön genial“, äußerte sie anerkennend. „Es bot sich so an.“ „Ich weiß, was Sie vorhaben.“ „Unmöglich, ich durchblicke es nicht einmal selbst in allen Konsequenzen.“ Der gelangweilte Blick ihrer Augen paßte nicht zu ihrem son stigen Verhalten. Sie wirkte nervös und erregt. „Aber ich weiß“, antwortete sie leise, „in allen Konsequen zen, was ich vorhabe.“ „Darum beneide ich Sie, Clemence.“ Plötzlich verfiel sie in die vertrauliche Anrede: „Aber du hast keine Ahnung davon.“ „Vielleicht doch“, erwiderte er. „Und würde es in dein Konzept passen?“ „Diese Art von Ablenkung paßt immer. Sie kostet zwar einen gewissen Einsatz, aber sie führt auch neue Kräfte zu.“ Sie machte drei zögernde Schritte zum Niedergang hin, wo es unter Deck zu den Kabinen ging. Dann aber schloß sie nur die Tür nach achtern ab und betätigte einen Kippschalter. Ein Motor summte. Er stellte die Blätter der Aluminiumja lousien automatisch eng. Niemand konnte jetzt herein oder hinaussehen. Nur noch angenehmes Dämmerlicht drang durch die schrägen Lamellen. Nun störte es Urban nicht mehr, daß sie ihre Knie zeigte und Schenkel und noch mehr von den Sachen. Sie enthüllte sich 93
langsam, aber am Ende doch total. Ihre Erotik wirkte keines wegs wie eine geballte Faust, eher wie eine streichelnde Hand, aber mit der Wucht eines Orkans. Urban hatte es von Anfang an gewußt, diese Frau würde ihn mühelos herumkriegen. Sie warf alle erreichbaren Kissen auf den Boden und räkelte sich zwischen ihnen auf dem hochflorigen Spannteppich. „Bist du ein guter Liebhaber?“ fragte sie. „Ungefähr so gut wie ich französisch spreche. Je t’aime!“ „Dann liebe mich“, flüsterte sie, „heftig und sanft, ... schnell und langsam... aber lange, lange...“
Nizza.
Air Port 18 Uhr 15
Der Libyer schaute auf seine teure aber geschmacklose Digital-
Uhr und bemerkte vorwurfsvoll: „Wo bleiben Sie so lange?“ Urban benutzte einen Verkehrsstau als Ausrede. Murrar stand an der Klapptreppe des zweistrahligen Lear-Jet. Der Kopf seines bärtigen Piloten kam aus dem Cockpitfenster. „Kann es losgehen?“ Der Libyer reichte die Frage an Urban weiter. „Wir haben Startfreigabe für 18 Uhr 15. Jetzt ist es achtzehn Uhr fünfzehn. Wohin sollen wir uns abmelden?“ „Ich muß noch einmal telefonieren“, sagte Urban. „Das können Sie an Bord. Wir haben die nötigen Einrichtun gen.“ Urban hatte damit gerechnet. Ja, er hatte erwartet, daß sie so reagieren würden. Er tat als überlege er. Dann nickte er. „Garantieren Sie die Verbindung?“ „Wohin?“ „Madrid,“ „Natürlich.“ „Sonst müßten wir in Madrid zwischenlanden.14 „Wäre das ein Umweg?“ „Schon möglich.“ 94
Das einzige, was Urban nicht wußte, war der Ort, zu dem er den Lear-Jet dirigieren sollte. Den hatte der NATO-Sonderstab zu bestimmen. Urban hatte lediglich versprochen, ihnen soviel Zeit wie irgend möglich zu lassen. Deshalb hob er den ent scheidenden Anruf auch bis zuletzt auf. Nun hoffte er, daß sie alles organisiert haben würden. Vor Murrar betrat er die überhitzte nach Parfüm duftende Kabine. Der zweite Pilot zog die Gangwayklappen hoch und schloß das Schott Die Turbinen sprangen an. Die Piloten sprachen mit dem Tower. Der Lear-Jet mit Halbmond und Sternen auf rot schwarz-grünem Leitwerk rollte. Kaum hatte sich Urban im Sitz angeschnallt, summte neben ihm ein Telefon. „Welche Nummer in Madrid?“ Er nannte sie. Es war die Nummer des deutschen BNDResidenten. Er hatte den Auftrag, sich mit Brunelle zu melden. Der Lear-Jet hatte den Startpunkt an der Piste noch nicht er reicht, als die Verbindung stand. „Brunelle“, vernahm Urban eine ferne Stimme. „Hier Chamberlain“, meldete er sich. „Wir sind unterwegs.“ „Ich habe getan was ich konnte“, versicherte Madrid, „und hoffe, unsere Kunden werden zufrieden sein.“ „In welchem Depot liegt sie?“ fragte Urban. Im linken Augenwinkel sah Urban, daß Murrar mithörte. „Depot vier“, nannte der Mann in Madrid. „Okay, vier“, wiederholte Urban, ohne Ahnung, wo Depot vier lag. Er hoffte nur, daß es gelingen möge, das Depot so einzurichten, daß es den optimalen Ausgangspunkt für seine taktischen Pläne abgab. „Toummo“, fügte Madrid hinzu. „El Quar?“ fragte Urban. „Toummo“, wiederholte der falsche Brunelle, „an der Sü d grenze. Unser Mann erwartet euch an der Karawanserei. Sein Name ist Fezzano.“ „Fezzano“, bestätigte Urban. „Ich kenne ihn.“ 95
„Sie haben Vollmacht bis zum vereinbarten Limit, Paul.“ „Ich melde mich wieder“, sagte Urban. „Dann bis morgen. Et bonne chance!“ Madrid legte rasch auf, Urban langsam und nachdenklich. „Stimmt etwas nicht?“ fragte Murrar. „Alles d’accord.“ „Toummo“, bemerkte einer der Libyer, „liegt drüben im Tschad.“ „Nein, im Niger, im Tenere Distrikt“ „Kann man dort landen?“ „Das müssen Ihre Piloten feststellen. Ich bin schon einmal mit dem Flugzeug dort angekommen“, log Urban. Es fiel ihm leicht zu lügen. Da das ganze Gebäude aus Lügen bestand, kam es auf eine mehr oder weniger nicht an. Die Turbinen heulten auf. Der Lear- Jet startete. Die Post ging ab. Und sie war nicht mehr aufzuhalten. Eben so wenig wie ein Todesurteil, das unterschrieben und gestem pelt dem Henker übergeben war. Der Sprecher der Libyer hob das Bordtelefon, das ihn mit dem Cockpit verband, ab. Jetzt würde er den Piloten Flugorder geben. Urban kam ihm zuvor. „Nehmen Sie nicht den Kurs über Libyen.“ „Warum nicht?“ „Ich möchte, daß wir von Westen her einbiegen. Es gibt noch andere Interessenten für das Objekt. Sie halten alle ihre Augen offen. Wenn sie merken, daß ein Flugzeug aus Libyen herun terkommt, dann wissen sie gleich was läuft. Die Geheimhal tung ist auch in Ihrem Sinne, Messieurs.“ Murrar sah das nicht ganz ein, aber unlogisch klang es auch nicht. Also gab er Order über Tunesien zu fliegen, dann weiter längs der algerischen Grenze. Der Umweg, vierhundert Kilo meter, kostete sie mindestens eine halbe Stunde. Für Urban zählte jede Minute. Wenn sie ankamen, mußte es aussehen, als existiere das Depot schon lange Zeit und nicht erst wenige Stunden. Darauf kam es ebenso an wie auf Dut 96
zende anderer Kleinigkeiten. Genaugenommen, überlegte Ur ban, kann es gar nicht klappen. Genaugenommen muß es schiefgehen. 11. Tripolis 7. Oktober. 19 Uhr. Ein Rolls Royce Phantom-VI in feierlichem Schwarz näherte sich der Einfahrt des Präsidenten-Palais. Im Fond saß Sir Henry River-Batton, der Botschafter Ihrer britischen Majestät. Sein Auftrag war überaus heikel. Daß er die Interessen der USA und anderer in Tripolis nicht akkredi tierter Staaten zu vertreten hatte, war Routine, aber diese Mis sion heute abend stellte sogar an einen gereiften Diplomaten mit vierzigjähriger Erfahrung größte Anforderungen. Genaugenommen war der Auftrag unerfüllbar. Das wußte London ebenso gut wie Washington, Tel Aviv und Kairo. Trotzdem mußte es versucht werden. Und sei es aus Gründen der Ablenkung. Sir Henry River-Batton sollte die libysche Regierung um stimmen, etwas zu tun, das sie offiziell gar nicht tun wollte, weil auch der Grund dafür offiziell nicht gegeben war. Der Botschafter rief sich die Fakten ins Gedächtnis zurück, um auf dem Weg durch den Irrgarten diplomatischer Floskeln, der einzuschlagen notwendig sein würde, ans Ziel zu finden. Was also war geschehen? Ein Flugzeug, unterwegs zu einer Geheimkonferenz in Kairo, war über Libyen abgeschossen worden. Die Passagiere lebten, aber ihr Leben stand auf des Messers Schneide. Nun sollte er versuchen ihr Leben zu retten, obwohl niemand in Tripolis – so hoffte man – bis zur Stunde wußte, wo das Wrack lag, und auch niemand zugeben würde, daß es zu diesem Absturz gekommen war. Sonst hätte man sich damit der Wahrheit genähert. Und die Wahrheit war der Ab schuß durch eine Boden-Luft-Rakete. 97
Je mehr sich der Botschafter in die Sache vertiefte, desto ve r zweifelter wurde er. Er stellte sich vor, das tat er immer – dem jungen, aalglatten, fanatischen Führer Libyens gegenüberzustehen. Er kannte ihn. Dieser Mann hörte ohnehin nur solche Worte, die er auch hö ren wollte. Es würde ein Schauspiel werden, ein tragikkomi sches Theaterstück. Wieder einmal würden sich die westlichen Nationen erniedrigen und vor einem Diktator in den Staub werfen, um ein bißchen Menschlichkeit durchzusetzen. Der schwarze Phantom-VI rollte durch den Park, den schon die maltesischen Eroberer angelegt hatten, und hielt vor dem Prachtbau, in dem schon italienische Gouverneure residiert hatten. Ein Offizier in Galauniform riß den Schlag auf. Ein Offizier der Wache geleitete den Botschafter über die Treppe in den Palast, wo ihn ein Diplomat in arabischer Tracht in Empfang nahm und ins Obergeschoß zu den Räumen des Präsidenten brachte. Dort tat man dem Botschafter Ihrer britischen Majestät die erste Schande an. Obwohl der Besuch mit der Kanzlei abge stimmt war, mußte Sir Henry geschlagene fünfzig Minuten warten. Dann öffnete sich eine schwere, weißgoldene Flügeltür. Ein anderer Sekretär kam, führte den Botschafter in den Vorraum des Präsidenten-Arbeitszimmers. Dort ließ man ihn erneut zwanzig Minuten warten. Endlich ging die Tür zum Arbeitszimmer des Präsidenten auf. Ein Oberst in eleganter goldbetreßter Uniform eilte heraus und River-Batton entgegen. Aber es war nicht der Präsident. „Exzellenz“, rief der Oberst bedauernd, „es tut mir außeror dentlich leid, daß Sie warten mußten, aber der Präsident ist leider verhindert. Er flog vor zwei Stunden in die Oase Mizda. Ein Trauerfall in der Familie.“ Der Botschafter schluckte. Das war hart, eine schwere Belei digung und absolut unüblich. Erst vereinbarte man den Termin, 98
dann ließ man ihn warten, obwohl der Präsident irgendwo in der Wüste mit seinen Stammesbrüdern Kaffee trank. Der Botschafter lächelte mühsam und verbeugte sich. „Übermitteln Sie seiner Exzellenz mein und meiner Regie rung aufrichtiges Beileid.“ Der Oberst begleitete Sir Henry zur Tür. Dort geleitete ihn der Sekretär zur Treppe, wo ihn der Offizier der Wache über nahm. Der Botschafter Ihrer britischen Majestät ertrug die Schande, auf so unverschämte Weise abgeschmettert worden zu sein, erhobenen Hauptes. Als er im Rolls Royce saß, nahm er einen Schluck Skotch aus der Mahagonibar. Er sprach es nicht aus, aber er dachte es: Zeigt es ihnen, Jungens, gebt Ihnen Saures, diesen Kamelkanaken. Neapel 7. Oktober. 21 Uhr, NATO-Süd gab Voralarm. Der dicken Luft, erzeugt von einer Hundertschaft schwitzender Männer, die rauchten und permanent Espresso tranken, wurde die Klimaanlage der in eine Bergflanke eingebunkerten Kommandozentrale gerade noch Herr. Gegen den Lärm jedoch gab es kein Mittel. Obwohl durch Fels und Beton kein Laut der Außenwelt nach innen drang, waren die Geräusche von Telefonen, Fernschreibern und Funk geräten stärker als in einem mit Maximalgeschwindigkeit da hinpreschenden Leopard-Panzer. Den verantwortlichen Offizieren kostete es Mühe, sich zu konzentrieren. Doch das war nötig, denn jetzt wurde Phase zwei des Aufmarsches sichtbar. Die verschiedenen Projektio nen des mittelmeerischen Seeraumes zeigten, wie sich die Einheiten der 6. US-Flotte und die der Türkei, Griechenlands und Italiens aus den hintersten Ecken ihrer Schlupfwinkel her vorbewegten. Alle mit Zielrichtung Sizilien – Nordafrika. Um die Blockadevorbereitungen der Öffentlichkeit – sprich den 99
sowjetischen Spionageschiffen – gegenüber zu vertuschen, hatte NATO-Süd bekannt gegeben, daß die Herbstmanöver vorverlegt worden seien. Um 22 Uhr wurde der Aufmarsch von Flugzeugträgern, Te n dern, Zerstörern, Kreuzern, Korvetten und U-Booten zum er sten Mal deutlich. Die Armada zog sich zusammen und begann von 10 Grad Ost bis 25 Grad Ost eine Linie zu bilden. Noch bewegten sich die meisten Schiffe auf unverbindlichen Kursen. Im wesentlichen liefen sie in zwei Gruppen aufeinan der zu. Man konnte sagen, Gruppe Rot stand kurz davor, Grup pe Grün anzugreifen. Die Einheiten brauchten aber den Bug ihrer Schiffe nur um 45 Grad zu schwenken, und schon mar schierten sie in breiter Front auf Libyens Küsten zu. Nicht anders sah es bei den Alarmeinheiten aus. Spezialve r bände, ausnahmslos Luftlandedivisionen, standen in ihren Quartieren abrufbereit. Die Soldaten lagen angezogen auf ihren Pritschen. Proviant für eine Woche steckte im Sturmgepäck. Dazu Munition für 48 Kampfstunden. Die Fahrzeuge in den Kasernenhöfen waren betankt, um die Männer jederzeit zu den Flugzeugen zu bringen. Auf den Startbahnen der NATO-Flugplätze zwischen Brindi si und Koblenz erledigten die Mechaniker letzte Handgriffe an ihren Transall-Transportmaschinen. In den Häfen des nördlichen Mittelmeeres wurden militäri sche Transportschiffe mit Proviant-, Munition- und KraftstoffContainern beladen. In den hafennahen Kasernen machten sich Marineinfanterie einheiten fertig, um auf die Landungsschiffe zu gehen, die sie binnen 36 Stunden an die Invasionspunkte bringen konnte. Alles wartete auf das Signal Es roch nach Ernstfall Nur der Druck auf den roten Alarmschalter trennte die NATO noch vom Krieg.
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Sahara 7. Oktober. 22 Uhr. Nur wenige Eingeweihte wußten vom verzweifelten Kampf einer Handvoll Männer gegen die Uhr und für den Frieden. Ein C-5A-Galaxy-Langstreckentransporter der US-Air Force verließ seine Flughöhe von 27 000 Fuß und setzte zur Landung an. Die Wüstenpiste, wo in zwanzig Minuten das sechzehnrädri ge Fahrwerk des größten Jets der Welt aufsetzen würde, lag noch weit voraus im Dunkel der Nacht. Nur ein einsamer Peilton wies der nahezu dreihundert To n nen schweren Maschine den Weg. Die Ungewißheit, ob der Landeplatz einigermaßen eben und in der Länge ausreichend sein würde, peinigte den Komman danten. „Unser Agent versichert, daß es geht“, sagte der zweite Pilot. „Wenn seine Meinung darüber so klar ist wie sein Peilton, dann gnade uns der Himmel.“ Wenige Minuten vor der Landung entschloß sich der Kom mandant, das Team auszuwechseln. Die Besatzung Nummer eins flog seit sieben Stunden. Seine Männer waren fertig. Also rief er die zweite Besatzung aus den Kojen, behielt aber seinen Sessel links bei und auch das Oberkommando. „Übernehmen Sie, Colonel Wittacker“, rief er. „Gott mit uns!“ Der Piepton wurde präziser. Der Radarfühler gab Entfernung, Richtung und Höhe durch. Noch neunzig Meilen, noch siebzig. Die Galaxy war immerhin 920 Stundenkilometer schnell. Sie nahmen das Gas zurück, fuhren die Klappen aus. Sink flug, Fahrwerk raus. Höhe noch zwölf tausend Fuß, dann acht, dann fünftausend. In tausend Fuß Höhe donnerte der vierstrahlige Riesenjet über die für ihn vorgesehene Landepiste. Sie sahen ein paar statische Lichter. Die Oase. Dann sahen sie dynamische Lich ter, die der Lastwagen auf der Piste. 101
„Die Straße! Wie heißt sie?“ „Straße der Skorpione.“ „Warum?“ „Entweder man kommt durch, oder man kommt nicht durch. Dann bringt man sich besser um wie die Skorpione, die sich durch einen Stich mit dem eigenen Stachel töten.“ „Ein Legionärsmärchen.“ „Aber gut erzählt“, sagte der Colonel von der zweiten Besat zung und starrte nach draußen. Der 70 Meter breite und 75 Meter lange mehrstöckige Vogel flog eine Kurve. Die Fackeln der Landebahnbefeuerung waren wieder zu sehen. Endanflug. Hereinschweben an den Aufsetzpunkt. Bodenbe rührung sanft wie auf Sahne. Dann Aufsetzen, Schlingern im weichen Sand. Schubumkehr, bremsen. Die Galaxy brach aus, konnte gefangen werden. Verdammt, warum griffen die Brem sen nicht – Es dauerte endlos bis die Fahrt aus der Maschine kam. Dreihundert Tonnen entwickelten einen ungeheuren Vorwärtsdrang. Sie schoben einen bis zum Rand der Hölle. Die Piste war wellig. Die Galaxy schwankte. Die Flügelen den berührten den Boden. Hinter ihnen entstand eine mächtige Sand- und Staubwolke. Man sah die Sterne nicht mehr. Die Turbinen heulten. Endlich wurde das Ungetüm langsamer. Ein Schlag im Fahrwerk. Ein Felsbrocken oder etwas anderes. Dann ausrollen. Turbinen stop. „Rampen auf?“ fragte der Pilot der zweiten Besatzung. „Wir warten noch“, entschied der Kommandant. Es stank nach Kerosin und Abgasen, nach heißem und bitterem Staub. Aus dem Dunkel sahen sie einen Wagen heranrasen. Mit der Blinklampe gaben sie das vereinbarte Zeichen. Alles okay. Nur der Kommandant wußte, um was es ging. Wenn sie Glück hatten, brauchte der Oberbefehlshaber in Neapel den Alarmschalter nicht zu drücken. Aber nur, wenn sie weiterhin verdammtes Glück hatten.
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12. Niger. Oase El Quar.
Mittwoch den 8. Oktober. Zwei Stunden vor Sonnenaufgang.
An der Karawanserei, die jetzt eine Großtankstelle war, wartete Fezzano. Der dunkelhäutige Berber wirkte grau im Gesicht. Es mochte an den Leuchtstoffröhren der Tankstelle liegen. Ve r mutlich aber lag es an dem nerventötenden Job, den er hinter sich hatte. Urban kannte ihn. In Wirklichkeit hieß er James Joshua Pen nopky und war CIA-Agent in Zentralafrika. Ein guter Mann, auf den man sich verlassen konnte. Aber auch er war nur ein Mensch aus Fleisch und Blut. Fezzano ließ die vier Männer in dem großen Land-Rover Platz nehmen. Murrar wandte sich an ihn, versuchte ihn auszu horchen. „Wer sind Sie? Wohin bringen Sie uns?“ „Er ist unser Mann“, unterbrach ihn Urban sofort. „Sie spre chen nicht mit ihm und er nicht mit Ihnen. Okay?“ Die Libyer beherrschten außer Arabisch gut Französisch und einigermaßen Italienisch. Bei Englisch taten sie sich schwer. Also unterhielt sich Urban nur noch englisch mit Fezzano. „Fahr los“, sagte er, „und bring uns hin. Ich denke, du kennst den richtigen Weg.“ Ein rascher Blick aus des CIA-Agenten Augen traf ihn. Fez zano hatte verstanden. Er sollte den Geländewagen auf einer Straße bewegen, auf der sie möglichst alle verräterischen Spu ren mieden. Spuren der hektischen Arbeit, die vom Sonder kommando in den vergangenen Stunden hinterlassen worden waren. Schon nach wenigen Kilometern verließen sie die schnurge rade verlaufende Handelsstraße. Bevor der Libyer wieder Fra gen stellen konnte, wandte sich Urban zu ihm um. „Nordöstlich von hier liegt ein altes Berberdorf.“ „Die Karten verzeichnen es nicht“ 103
„Es ist verfallen und wurde bei den Kämpfen zwischen Niger und Tschad zerstört“, erklärte Urban. „Warum benutzen sie es dann?“ Urban stieß Fezzano den Ellbogen in die Seite. Der CIAAgent wußte eine passende Antwort. „Die Keller stehen noch und die Ringmauern.“ Urban übersetzte. Die Auskunft befriedigte Mur rar zunächst einmal. Fahrt verlief schweigend. Nach einer Stunde etwa, während der sie sich an Steinmarkierungen entlang quer durch die Wü ste bewegten, tauchte am Horizont eine Erhebung auf. Sie unterschied sich von den natürlichen Hügeln dadurch, daß eine Seite senkrecht abfiel. Im ersten Schimmer der aufgehenden Sonne konnte man die Reste zerschossener Türme erkennen und sogar die Farbe des gelben Ziegelmauerwerkes. Bald rollten sie durch einen torlosen Mauerbogen das Innere des Berberforts. „Nicht einmal Wachen gibt es“, brach der Libyer lautlose Stille. „Ein Posten würde die vorbeiziehenden Nomaden auf komi sche Ideen bringen. Wo ein Posten steht, wird etwas bewacht.“ „Es gibt doch etwas zu bewachen, oder nicht?“ „Ja und nein“, sagte Urban. „Eine Atombombe Typ B-39 sieht aus wie ein Wassertank. Ihre technische Handhabung würde einen Beduinen vor selbe Aufgabe stellen wie einen Steinzeitmenschen der eine moderne Nähmaschine in Betrieb soll. Er könnte das Ding vielleicht kaputt machen, aber niemals benutzen.“ „Sind Sie da so sicher, Monsieur Chamberlain?“ bemerkte der Libyer mit der Brille. Sie stiegen aus und überquerten den Hof in Richtung zu ei nem verfallenen Turm hin. Urban staunte, wie wenig Spuren das Transportkommando trotz der Dunkelheit hinterlassen hatte. Vermutlich war Bombe von außen in den Keller einge bracht worden. 104
Die Herren aus Libyen mußten durch eine Spalte des gebor stenen Mauerwerkes klettern, dann auf einem unsicheren Bal ken bis zu einer nach unten führenden Treppe balancieren. Es sah aus, als erreichten sie den Keller. In Wirklichkeit hatte dieser Keller das Niveau der Wüste östlich der Ringmauer. Fezzano betätigte den Handscheinwerfer. „Dort!“ rief er. Man sah aber nur einen Haufen Sand, der mit zerbrochenen Lehmziegeln, Scherben und Knochen durchsetzt war. „Ein bißchen getarnt haben wir sie schon“, erklärte Urban. Der CIA-Agent brachte einen Spaten zum Vorschein. Grin send deutete er auf die Brandmarkierung am Stiel. „US-Pioniere“, sagte er und begann zu schaufeln. Im Verlauf von etwa zehn Minuten legte er einen hellbraun lackierten zylindrischen Blechbehälter frei. Er hatte etwa die Abmessungen eines 3000-Liter Jauchefasses. Vorne lief er halbkugelförmig zu. Vor dem Deckel befand sich ein Ringnut. Hinten waren vier Stabilisationsflächen aufgenietet. „Ist sie das?“ fragte Murrar skeptisch. „Das ist sie“, bestätigte Urban und klopfte dagegen wie man einem alten Gaul den Hals tätschelt „Aber was enthält sie?“ „Das, woraus das Innenleben einer H-Bombe besteht, Mes sieurs.“ „Und das ist?“ Urban gab eine kurze Erklärung dazu. „Zuerst ein Zünder, eine gewöhnliche Atombombe etwa in der Größe derjenigen, die Hiroshima zerstörte, nur stark minia turisiert. Und dann das Fusionsmaterial.“ Murrar wollte es, nachdem er sein Staunen überwunden hatte, genauer wissen. „Wie funktioniert das?“ „Der gewaltige Druck und die Hitze der explodierenden Pri märbombe, hervorgerufen durch lichtschnelle Röntgen- und Gammastrahlung, wird von der Innenwand der Bombe zurück geworfen und mit ungeheurer Gewalt auf das Fusionsmaterial 105
gelenkt, was zu einer Verschmelzung der WasserstoffAtomkerne führt.“ Der mit der Brille wollte es noch etwas genauer hören. „Und in welches Material sind diese gebunden“ Urban geriet ins Schwimmen. „Nun, das Sekundärsystem, wie man es nennt, dürfte aus Li thium-6 und Deuterium bestehen. Es wird gemischt, zu kreide ähnlichen Kuchen gepreßt und maschinell in die gewünschte Form geschnitten. Leider ist es sehr instabil.“ „Was bedeutet instabil?“ Urban überging den Einwand absichtlich, um später den Ef fekt zu erhöhen. Der dritte Libyer fragte: „Und die Wirkung?“ „Das Primä rsystem, also der Zünder allein, entwickelt die Energie eines riesigen Atomkraftwerkes mit zwanzig Millionen Kilowattstunden thermischer Leistung, in Bruchteilen von Sekunden produziert. Das ist aber nur der Zünder. Was die eigentliche Bombe betrifft, nun, da bleibt kein Auge trocken, Messieurs.“ „Wie viele Augen?“ „Schätzungsweise die im Umkreis von hundertfünfzig Kilo metern um den Explosionspunkt. Allein die kleine Primärbom be kann schon eine Stadt wie Tripolis dem Erdboden gleich machen.“ Die Libyer schienen von der Bombe, die rein äußerlich einer normalen Wasserstoffbombe vom Typ B-39 entsprach, aber mit Zement und Kalk gefüllt war, fasziniert zu sein. „Gekauft“, entschied Murrar. „Eine Frage noch. Nein, zwei Fragen. Wie kommt diese Bombe hierher und warum ausge rechnet hierher?“ Urban hatte damit gerechnet und sich etwas zurechtgelegt. „Das ist eine lange Geschichte“, sagte er. „Sie hat mit dem Krieg in Angola und Äthiopien zu tun. Das USVerteidigungsministerium wollte ursprünglich Truppen einset zen, wurde aber vom Präsidenten daran gehindert. Nun dachte 106
man sich ein Druckmittel aus, um die kämpfenden Parteien zur Raison zu bringen. Man beschloß, mit dem Abwurf einer Atombombe zu drohen und brachte zwei Stück davon herüber. Vorsichtshalber deponierte man sie nicht im eigentlichen Kriegsgebiet. Der Präsident erfuhr jedoch von den Eigenmäch tigkeiten seiner Generale. Er ließ das Projekt sofort stoppen und setzte eine Sonderkommission ein, die die zwei H-Bomben wieder zurück in die USA schaffen ließ.“ „Das beantwortet meine Frage nicht“, schnarrte der Libyer. „Sie sprechen von zwei Bomben.“ Urban tat geheimnisvoll und senkte die Stimme. „Es waren aber drei. Unter den Augen der Kommission war es unmöglich, die dritte unbemerkt in die Depots von New Mexiko zurückzuschaffen. Die Entdeckung hätte einen Skandal ausgelöst. Deshalb versteckte man sie hier.“ Die Libyer blickten sich an. „Und das soll wahr sein?“ „So unglaublich es klingen mag. Aber bedenken Sie eines, Gentlemen. Wer täglich mit Atombomben umgeht, für den nehmen sie allmählich die Bedeutung ganz normaler Waffen an. Dies hier ist der Beweis. Oder?“ Murrar kam zur letzten Frage. „Sie sagten, die Bombe sei instabil.“ „Das betrifft nur den Transport“, schränkte Urban ein. „Ein überaus wichtiger Punkt“ „Dachte das sei Ihre Sache“, erwiderte Urban. Der Libyer fühlte sich überfahren und merkte nicht, wie Ur ban dabei war, ihn über den Tisch zu ziehen. Murrar erweiterte sofort seine Kaufbedingungen. „Lieferung frei Depot.“ Urban nahm Fezzano beiseite und sprach mit ihm. Nach einer Weile wandte er sich an die Gruppe der Käufer. „Wir liefern“, erklärte er. „Bedingung ist, fünfzig Prozent Vorauskasse.“ „Einverstanden. Übergabe der Bombe durch Sie persönlich in unserem Zentrallager.“ 107
Urban stellte noch eine weitere Bedingung. „Transport auf unserem eigenen Tieflader. Keine Probleme an der Grenze und während des Transportes.“ „Das garantiere ich“, versprach Murrar. „Wann können Sie liefern?“ Wieder flüsterte Urban mit dem Berber. „Die Tieflader sind verfügbar.“ „Wir bestehen aber auf Tarnung. Niemand soll wissen…“ „Das versteht sich von selbst“ Urban konnte nur mit Mühe seine Freude unterdrücken. „Wo kann ich telefonieren?“ fragte der Libyer. Straße der Skorpione 8. Oktober. Abends. Die 400-PS-Zugmaschine mit aufgesatteltem Tieflader und Vierachsanhänger donnerte nach Norden. Das Fahrzeug sah aus, als hätten sie es vom Schrottplatz geholt. Dies beschränkte sich aber auf sein äußeres Erscheinungsbild. In Wirklichkeit war der Schlepper fast fabrikneu, technisch wie vom Band, sorgfältig eingefahren und noch einmal durchgecheckt. Die 34 Reifen schmatzten auf der teerfeucht scheinenden schnurgeraden Wüstenpiste. „Straße der Skorpione“, murmelte Fezzano, neben dem Fah rer in der Ecke dösend. „Wer immer dieser Teufelsstrecke den Namen verpaßte, er wählte ihn gut“ Obwohl Urban ihn schon vor Stunden abgelöst hatte, zitterten die Hände des CIA-Agenten noch immer. Es lag an der wasch brettartigen Oberfläche der Straße. Man mußte mindestens 80 Stundenkilometer schnell fahren, um es auszuhalten. Blieb man darunter, schüttelte einen die Vibration kaputt. „Straße der Skorpione“, wiederholte Fezzano, den Muskel krampf aus den Armen massierend. „Ich sage dir, diese Route benutzen nicht einmal giftige Kriechtiere. Im Sand fährt es sich wie auf Butter.“ „Und du sackst weg wie auf Butter“, erwiderte Urban. „Wir 108
sind eben keine Profis. Daran liegt es. Einem Trucker macht das nichts aus.“ „Und ich dachte immer, ich sei Profi für alles.“ „Nicht mit deinen Nerven.“ „Ja, sie sind im Eimer. Seit der ve rgangenen Nacht“ „An der Grenze dachte ich, du drehst durch.“ „Ich war kurz davor, als der Grenzposten fragte, was wir ge laden hätten.“ „Defekte Hubschrauber.“ Urban hob die Schultern. „Oder sollte ich sagen eine Atombombe?“ „Lügen haben kurze Beine“, antwortete der Schwarze, der kein Berber war, sondern aus Memphis/Ohio stammte, grin send. Vor ihnen tauchten wieder die Rücklichter eines Persone n kraftwagens auf. Urban blinkte ihn an, woraufhin er seine Ge schwindigkeit erhöhte. „Wie willst du Murrar loswerden?“ fragte der CIA-Agent später. „Darüber mache ich mir erst Gedanken, wenn es soweit ist“ „In fünf Stunden mußt du es wissen. Noch vierhundert Kilo meter.“ „Du hast es eben angedeutet, wie wir sie abhängen.“ „Du machst mich neugierig.“ „Sie fahren einen alten Chevi. Stimmt’s?“ „Einen 76er Oldsmobil Cuttlas. Was Besseres war nicht auf zutreiben.“ „Wieviel faßt sein Tank?“ „Zwanzig Gallonen, schätze ich.“ „Und was braucht er?“ „Für fünfzehn Meilen eine Gallone.“ „Wie weit kommt er damit in Kilometern?“ Die Umrechnung dauerte eine Weile. „Sagen wir maximal fünfhundert“, schätzte Fezzano. „Wann hat er getankt?“ Der CIA-Agent wußte jetzt Bescheid. 109
„Er muß spätestens dreißig Kilometer vor unserem Ausscher punkt eine Zapfstelle aufsuchen.“ „Das ist es.“ Urban versuchte weiterhin das vibrierende Lenkrad zu bändigen, damit sein 48 Tonnen-Truck auf der Straße blieb. Wenn man glaubte, die Nacht sei schwarz genug, dann schaffte sie es, noch dunkler zu werden. Doch dann riß mit einem Mal die Dunstglocke über der Wüste auf, und die Sterne kamen heraus. „Wie“, fragte der CIA-Agent, „hat Murrar den Anhänger ge schluckt?“ „Ich fragte ihn, ob er auch die Aufhängevorrichtung haben will und das nötige technische Zusatzgerät.“ „Und er hat nicht unter die Plane geblickt?“ „Hat er.“ „Ist er blind?“ „Deine Leute haben ziemlich gut gearbeitet“ „Wenn man uns motiviert, haben wir immer unseren Spaß daran“, sagte Fezzano. Während einer Strecke von dreihundert Kilometern, die sie in libysches Gebiet eindrangen, verlief alles nach Absprache. Sie wurden nicht ein einziges Mal angehalten. Auch beim Durchfahren der Oase el Atrup sahen sie nur die üblichen Posten. Die Polizisten saßen in ihren Geländefahrzeu gen mit den überlangen Antennen und dösten. Nördlich der Oase machte die Wüstenpiste einen Knick nach Nordwesten. Jeder Kilometer, den sie jetzt hinter sich brachten, führte sie nur noch einen halben Kilometer näher an die Ab sturzstelle der 707 in den Schwarzen Bergen heran. Der CIA-Agent hatte die Karte auf den Knien. Ab und zu betätigte er das Leselicht. „Noch vierhundert Kilometer Distanz.“ „Zu weit“ „Wie nahe müssen wir heran?“ „Du mußt den Weg hin und dann hinüber bis zur Westgrenze rechnen.“ 110
„Und was schaffen sie?“ „Tausend Kilometer und nicht einen mehr, ohne jede Reser ve.“ „Die Übernahme der Verletzten kann einige Zeit dauern.“ „Erst müssen sie sie noch finden.“ „Und sie dürfen die Turbinen nicht abstellen.“ „Nicht eine Minute.“ „Na Mahlzeit.“ Urban lenkte den grübelnden CIA-Agenten dadurch ab, daß er nach links auf eine Reihe von Höckern deutete, die sich gegen den Himmel abhoben. „Schlafende Kamele?“ fragte der CIA-Agent „Nein, aber geparkte Panzer“, sagte Urban, „sowjetische T 72.“ „Wie viele schätzt du?“ „Mehr als ich fürchtete. Wußte nicht, daß die Libyer allein im Süddistrikt so viele Tanks stehen haben.“ 2Nehmen wir an, es seinen Attrappen. Okay?“ „Einverstanden“, sagte Urban, holte im Radio ein wenig Mu sik herein. Das Gedudel lenkte sie nicht von ihren Problemen ab. Auch nicht die Zigarette. Auch nicht der Kaffee aus der Thermoskanne und nicht der Schluck Bourbon aus der braunen Flasche. „Weißt du was“, sagte Fezzano, „alles ist Kacke.“ „Ja, große“, bestätigte Urban. Oase Duera 9. Oktober. 02 Uhr Ortszeit Der weiße Oldsmobiol-Cutlas vor ihnen schwenkte zur Tank stelle aus. Obwohl sie nur primitiv beleuchtet war, sah Urban genug. „Handpumpen“, frohlockte er. „Bis neunzig Liter durch sind, müssen sie achtzehnmal die Schaugläser füllen und umschal ten.“ „Zehn Minuten.“ 111
„Fünfzehn Kilometer Vorsprung für uns.“ „Wenn du Hundert schaffst“ Urban trat das bratpfannengroße Pedal bis zum Anschlag durch. Der schwere Caterpillar-Diesel tat was er konnte. Die kaum gefederten Achsen ratterten über die Bodenwellen und durch die Schlaglöcher. Fezzano maß die Distanz zum Flugzeugwrack. „Noch hundertachtzig Kilometer.“ Urban starrte mit einem Auge in die Lichtkegel seiner Scheinwerfer, mit dem anderen auf den Uhrzeiger. „Sie müssen hundertvierzig fahren, um uns zu kriegen.“ „Aber in Maradi fragen sie, ob wir durchgekommen sind.“ „Maradi ist weit“, bemerkte Urban. Immer wieder riskierte er einen Blick in den Außenspiegel. Als hinter ihnen und auch vor ihnen nichts zu sehen war und es sich machen ließ, ging er kurz vom Gas, schaltete in den sech sten Gang zurück, und riß den schweren Truck von der Piste hinein in die Wüste. Er mußte noch einen Gang weiter herunter, dann noch einen. Der schwere Lastzug wühlte sich durch Treibsand auf etwas festeren Untergrund. Der CIA-Agent bewegte seine Hände, als beten. Urban trieb das Ungetüm von Sattelschlepper vorwärts, knüppelte es er barmungslos über Stock und Stein. Und wenn alles in Fetzen ging, er mußte ein paar Meilen schaffen. Nur wegkommen von der Piste, hinter ein paar Hügel, dann war es geschafft. Er wußte nicht, wie lange er fuhr, aber plötzlich verringerte der Lastzug sein Tempo. Es war, als schiebe die Vorderachse weg, als pflüge die Motorhaube Sand. Die Räder drehten heu lend durch. Aus! Urban stellte den Motor ab. Sprang ins Freie atmete die kühle fast eisige Nachtluft in tiefen Zügen. Die Stille ringsum war gespenstisch. Aber sie würde nicht lange anhalten. Der CIA-Agent war schon dabei die Planen loszuschneiden. Er faßte unter eine der Planen, schlug mit der flachen Hand gegen etwas, das hohl klang, schrie Namen. 112
„Los, aufwachen! Kommt hoch! Der Zug fährt ab!“ Zwei Männer krochen unter der Plane hervor, noch einer. Sie halfen, den Stoff wegzureißen, lösten die Verzurrung, kletterten hinauf zu dem Ding, das sie geladen hatten und das aussah wie eine zusammengefaltete, sehr große Heuschrecke. Ohne Licht, bei Dunkelheit, machten sie den Transporthub schrauber startklar. Jeder Handgriff saß. Urban stand dabei und steckte sich eine MC an. Manchmal schaute er auf die Uhr, dann wieder nach Westen. „Jetzt dürften sie drüben an der Piste vorbeigekommen sein“, schätzte er. „Hoffentlich sehen sie unsere Spuren nicht“, rief einer von oben. „Und wenn schon. Wir sind nicht der einzige Lastzug, der unterwegs ist“ „Aber wenn sie uns nicht einholen, dann machen sie kehrt“ „Das dauert. Ich denke, dann seid ihr in der Luft“ „Noch zwei Minuten“, rief der Hubschraubermechaniker und machte letzte Checks, ob die Bolzen auch fest saßen, ob die Rotorblätter richtig ausgefahren und eingerastet waren. Im Cockpit glühten Lichter auf. Rot-grün-weißes Blinken. Etwas surrte. Die Rotorblätter wurden bewegt. Alles Okay. Der Anlasser sang. Die erste Turbine zündete, nahm Dreh zahlen auf. Die andere sprang an. Der Rotor drehte sich. Kur zer Warmlauf. Die zwei Piloten und der Mechaniker tippten einen letzten Gruß an die Mützenschirme. Dann brach das Ungewitter los. Die Turbinen heulten mit 35000 Umdrehungen. Heck- und Hauptrotor peitschten den Sand. Die Federn des Tiefladers ächzten befreit. Der Hubschrauber hüpfte, hob ab, entschwand in der Nacht ohne Positionslichter auf Nordostkurs. Urban betätigte den Sender, Auf der SOS-Welle der Air-Force-Nummer Two gab er das verabredete Signal durch. „Startzeit 02 Uhr 28. Gebt Peilton ab 03 Uhr 15. Viel Glück!“ 113
„Viel Glück“, sagte Fezzano, „hätten wir auch nötig, oder?“ Vorgesehen war, daß sie wieder auf die Piste zurückkehrten und die Fahrt fortsetzten, als wenn nichts gewesen wäre. Vo r gesehen war ferner, daß sie die Bombenattrappe ablieferten und sich irgendwie durchzuschlagen versuchten. Aber der Kenworth-Truck saß fest wie in hundert Tonnen Klebstoff. Den zog keine Kamelherde mehr frei. Urban rechnete. Wenn alles gutging, war der Hubschrauber in einer Stunde bei dem Wrack. Er war so angelegt, daß er alle Lebenden aufnehmen konnte und noch bis in die algerische Sahara kam. Dort stand schon ein weiterer Sikorsky HH-3E bereit. Sie konnten es bis Eintritt der Dämmerung schaffen, wenn nichts dazwischenkam. „Gib mir eine Zigarette“, bat der CIA-Agent „Dachte, du hast es dir endlich abgewöhnt.“ „Verzeihung“, sagte Fezzano, „aber ich habe es mir soeben wieder angewöhnt.“ Der CIA-Agent rauchte in wollüstigen Zügen. Dann sagte er: „Eines wollte ich nicht unerwähnt lassen. Wie kompetent du diesen Arabs die Bombe verkauft hast, das war schon Weltspit ze. Du hast eine Masse Ahnung davon, he?“ „Nicht die geringste“, gestand Bob Urban. Dann machten sie sich bereit zu einem langen Marsch durch die Wüste. 13. Sizilien 9. Oktober. 03 Uhr 45 Zulu-Zeit (NATO-Zeit) Die Funkstation an der Südküste hoch über Marsala war schon abonniert auf die Notsignale aus Afrika. Sie empfing den Funkspruch klar und deutlich, aus einem kleinen, aber intakten Gerät „Das ist nicht der SOS-Sender“, sagte der Funker vom Dienst „Er steht weiter westlich.“ 114
„Mobil?“ „Er verändert Lage und Stärke kaum.“ „Also stationär. Und war. sagt er?“ „Code Trawac. Warnung vor Feindverbänden. Dichter Ab wehrring zu Land und in der Luft aus Ost. Höchste Gefahren stufe.“ „Was bedeutet Trawac?“ murmelte der zweite Mann der Sta tion und blätterte im Codebuch. Er brauchte nicht lang. Trawac war ein Sondercode für Ge heimdienste im NATO-Einsatz und hatte die höchste Dring lichkeitsstufe. Sie telefonierten den Funkspruch sofort zur Unterzentrale in Syracusa durch. Die leiteten ihn weiter ins Hauptquartier. Schon sieben Minuten nach Eingang des Notrufes bekam der vor der nordafrikanischen Küste kreuzende US-Träger „Caroli ne“ Einsatzorder. Der Admiral rief im Lageraum den Ge schwaderchef und den Kommandanten des Trägers zusammen. „Meine Herren“, sagte er, „in der libyschen Wüste läuft zur Stunde folgende Aktion…“ Nachdem er sie ins Bild gesetzt hatte, fuhr er fort: „Soeben erhalten wir über Agentenfunk die brisante Nach richt, daß sich von Osten her umfangreiche libysche Panzer und Luftwaffenverbände in Richtung auf die Absturzstelle der 707 in den Schwarzen Bergen zusammenziehen. Der Luftraum wird total überwacht. Der Rettungshubschrauber sitzt praktisch in der Falle.“ „Von wem kommt die Information?“ fragte der Skipper. „Von einem Mann, der irgendwo da unten im Dreck liegt und über den in diesem Moment die libyschen Panzer und Spähwa gen hinwegrollen.“ Der Geschwaderchef, dem sämtliche Bordflugzeuge unter standen, schaute auf die Uhr. „Mit Flugzeugen ist da nichts zu retten, Sir.“ „Was schlagen Sie vor?“ fragte der Admiral Der Skipper blickte den Geschwaderchef an, der schaute wi e der auf die Uhr. 115
„Eine Wetterrakete, Sir.“ „Eine was?“ „Eine Wetterrakete, Sir, die ein wenig mehr kann als das Wetter melden. Eine Rakete, die beim Wettermachen mit mischt, Sir.“ „Sie meinen diese Aerosoldinger.“ „Ja, unsere fliegenden Spraydosen“, ergänzte der Commodo re. Der Skipper fügte hinzu: „Gefüllt mit ein bißchen Benzin und Kerosin und Napalm und flüchtigen Ölen, woraus die Rakete eine Wolke bildet. Eine schöne große, wenn auch dunkle und stinkende Wolke.“ „Und ihr kleiner Zünder zündet das Ganze?“ „Die Wirkung ist bekannt, denke ich.“ „Ja, der ungeheure Druck, den die Aerosolwolke erzeugt, setzt sich bis zum Erdboden fort und erzeugt Luftbewegungen erheblicher Stärke.“ „Sturmähnliche Winde, Sir. Und Jeder Wind von bestimmter Heftigkeit an nimmt in der Wüste Sand auf. Dadurch entstehen Sandstürme, sogenannte Ghiblis.“ „Die alles Leben auf Null bringen.“ „Zumindest jede Operation in der Luft und jede Bewegung am Boden.“ „Aber der verdammte Hubschrauber muß verdammt durch kommen.“ „Er hat Sandfilter, Sir.“ Der Admiral starrte auf die Karte. „Er fliegt nach Westen ab. Der Gegner kommt von Osten. Wir legen zwischen den Helikopter und den Gegnern unseren künstlichen Taifun.“ „Er geht auf zehn Meilen genau.“ Der Admiral bohrte die Hände in die Taschen. „Wetterrakete“, entschied er. „Okay, wann ist sie in der Luft?“ „Im äußersten Fall bei X plus achtzig Sekunden, Sir.“ Der Skipper griff zum Telefon. 116
„Feuerleitzentrale!“ verlangte er. „Blitzstart für Wetterrakete. Koordinaten zwanzig Meilen östlich Absturzpunkt, Dschebel es Soda. X-Zeit. Jetzt!“ Der Feuerleitoffizier bestätigte. Schon sechzig Sekunden später verließ die sieben Meter lan ge Wetterrakete zischend und fauchend ihr Abschußgestell. Ihr Feuerschweif pendelte sich auf Kurs ein. Sie flog im Über schallbereich. Bald war sie nur noch auf den Radarschirmen zu sehen. Hamada el Homra 04 Uhr 45 Der Sandsturm packte sie wie aus heiterem Himmel und zer trümmerte sie mit Millionen kleiner Hammer Zelle um Zelle. Sie lagen in eine Erdmulde gekrallt. An den Boden gepreßt versuchten sie, es zu überstehen, dieses heiße heulende Sand strahlgebläse, das die Haut zerfetzte bis aufs Fleisch, wo immer es Haut fand. Aber sie ertrugen es, weil sie wußten, daß ihr Funkspruch an gekommen war, und daß der künstliche Ghibli zwischen den Verfolgern und dem Rettungshubschrauber eine Wand aufbau te. Urban hoffte, daß das Timing stimmte, und der Wetterschuß gut lag. Tücher vor dem Gesicht, Rücken zum Sturm, verharrten sie in der Hölle aus Dreck und Staub. Nur so überstanden sie un geschützt in offener Wüste den Sandorkan, der nach einer hal ben Stunde seine Energie so rasch verpufft hatte, wie er in fünfzehntausend Meter Höhe entstanden war. Neben Urban bewegte sich der Sand. Der CIA-Agent hob den Kopf. „Stille wie an einem Sonntagmorgen. Verstehst du das?“ „Das ist moderne Chemie.“ „Ob sie herauskamen?“ Urban zog das Funkgerät am Riemen heran, klappte es auf, 117
setzte es in Betrieb. Die Schalter und Knöpfe knirschten von dem feinen Sand, der überall eingedrungen war. Urban steckte den Hörknopf ins Ohr, suchte die Frequenz auf, lauschte dann. – Sie tranken einen Schluck, kauten auf dem Notproviant herum, rauchten eine Zigarette, warteten. Plötzlich ging ein Zucken über Urbans Gesicht, als schieße ein Heroinflash in sein Blut. „Sie sind drüben“, sagte er erleichtert. „In Algerien.“ „Alle. Wohlbehalten.“ Der CIA-Agent tat einen Schrei, packte den Senund schleuderte ihn weit hinaus in die Wüste, als brauchten sie das verdammte Ding nicht mehr. Dann stand er auf. „Bist du verrückt?“ schrie Urban warnend. Er rief Fezzano zu, daß es hell würde, und er vorsichtig sein solle. „Muß mal pinkeln“, antwortete der Amerikaner. In diesem Moment fiel der Schuß. Der Amerikaner warf die Hände empor, als gelte es, ein Football-Tor zu bejubeln. Er taumelte und fluchte dabei. Er faßte sich an die Brust. Die Knie versagten ihm den Dienst. Noch einmal riß er sich zusammen, brachte drei, vier Schritte zustande und fiel dann vornüber in den Dreck. Er fiel so stangengerade und vierkant, als fälle man eine Do u glastanne. Keine fünf Meter von Urban entfernt. Da lag er dann und rötete den Sand mit seinem Blut. Er ve r suchte den Kopf zu drehen, dorthin wo Urban sich gegen die Erde preßte. „Mach’s gut, Mann“, keuchte er. „mach’s besser als ich.“ Urban bewegte sich nur um wenige Zentimeter. Sofort ratter ten Maschinenpistolen los. Von allen Seiten pfiffen die Kugeln über ihn hinweg. „Keine Chance“, fluchte Urban, „kann dich nicht reinholen, verdammt!“ „Ich war dafür“, sagte der sterbende CIA-Agent „daß sie für 118
uns einen Jeep mitbringen, oder wenigstens ein Motorrad. Damit hätten wir es geschafft.“ „Vielleicht.“ „Aber glaub mir, dafür war einfach kein Platz mehr in der Galaxy.“ „Ist schon okay“, erwiderte Urban. „Hauptsache die anderen sind raus.“ „Die waren schließlich nicht freiwillig hier.“ „Stimmt in diese Scheiße begeben sich nur Idioten wi e wir aus eigenen Stücken.“ Der Amerikaner versuchte zu lächeln, dann ein zustimme ndes Kopfnicken. Aber das Grinsen versteinerte zur Grimasse. Er war tot. Urban hatte genug erlebt, um zu wissen, daß er hier nicht mehr herauskam. Er drehte sich auf den Rücken, steckte sich eine MC an und wartete darauf, daß sie kamen. Er wollte wenig wie möglich tun, um die Kurzschlußreaktion eines libyischen Soldaten zu vermeiden. Die hatten doch alle Angst. Mindestens soviel wie er. Und Angst hatte einen sehr nervösen Abzugsfinger zur Folge. Der Rauch seiner Zigarette kräuselte in den kühlen Früh himmel. Er dachte nach. Wie lange kämpfte jetzt an diesem Fall. Wenn er sich recht erinnerte, ungefähr seit dem 3. Okto ber. Heute war der neunte. Also, sechs Tage. – Was stand in der Bibel: Am siebenten Tage sollst du ruh’n, sprach der Herr. Urban entspannte, streckte die Glieder. Der Sand warm, die Luft nach Durchzug des Ghibli frisch. Er schätzte, daß um ihn herum ein Regiment libyscher Wüstentruppen lag. Jeder Ve r such, den Ring zu durchbrechen war Wahnsinn, einfach aus sichtslos. Also genoß er das Nichtstun. Er legte die Verantwortung für seine Person in andere Hände. Er delegierte sein weiteres Schicksal an höhere Instanzen. Er wurde ganz sorglos, ganz leicht wurde ihm mit einem Mal. Wie an einem Sonntagmorgen zu Hause in der kleinen Stadt 119
in Franken, wo er herkam. Ihm war, als wenn, wie damals, die Kirchenglocken läuteten... 14. Fort El Tabunna 10. Oktober. Bob Urban lebte noch. Seine Verletzungen waren nicht schwe rer als die eines wilden Tieres, das Schafe, Ziegen und Schwe i ne gerissen hatte, und das zu fangen der ganze Stamm sich aufgemacht hatte. Als sie seiner schon sicher gewesen waren, als er dagestan den hatte mit erhobe nen Händen, hatten zwei der Jäger durch gedreht. Der eine hatte geschossen, ein anderer war auf ihn losgestürzt. Die Kugel hatte seinen Oberschenkel gestreift und eine Fleischwunde hinterlassen. Nicht tief. Der andere hatte ihn mit dem Kolben seines Sturmgewehrs niedergeschlagen. Hier, in dieser dunklen Zelle, war er wieder erwacht. Mit Kopfschmer zen zunächst, aber ohne Schädelbruch. Sein Schädel, das war ein eisenhartes Ding. Der Arzt war gekommen und hatte ihn versorgt. Klar, daß sie ihn wieder aufpäppelten. Nur ein rundum intakter Angeklagter taugte für einen Schauprozeß. Von seinem Eigentum hatten sie ihm nichts gelassen. Er trug verwaschene Khakisachen. Die Hose war ohne Gürtel, die Stiefel ohne Schnürsenkel. Vor ihm auf dem Blechteller lagen ein paar Gramm Tabak, Zigarettenpapier, fünf Streichhölzer. Damit gingen sie kein Risiko ein. An dieser Zelle war nichts brennbar. Die Wände bestanden aus Lehmziegeln, die Pritschen aus Stahlrohr mit Drahtfedern. Nur nachts bekam er zwei Decken. Aber vorher nahmen sie ihm die Streichhölzer weg. Die übrige Einrichtung bestand aus zwei Töpfen. Der eine war voll Wasser, der andere diente der Notdurft. 120
Durch die armdicken Gittereisen der Fensteröffnung konnte er in den Hof blicken. Draußen auf der zinnenbewehrten Mauer gingen Posten. In jeder Ecke des Forts gab es einen Wachturm, bestückt mit Scheinwerfer und Maschinengewehr. Im Hof war ein Brunnen. Unter einem Vordach reparierten sie an ihren Wüstenspä h wagen. Manchmal wehte Küchengeruch zu Urban herüber. Es stank nach fettem Hammelfleisch. Der Ekel kam ihm hoch. Gegen Mittag, rund neunundzwanzig Stunden nachdem sie ihn kassiert hatten, dröhnte es im Hof des Forts. Ein Fahrzeug rollte herein, daß die Erde zitterte. Es war der Kenworth-Satteltruck mit dem Tieflader und dem Dreiachsanhänger. Sie hatten ihn aus dem Flugsand geborgen und hergeschleppt. Unter der Plane konnte man die Umrisse der entmannten Atombombe erkennen. Und dafür hatten sie nun Millionen von Dollar berappt. Daß sie ihm das ankreiden würden, fürchtete Urban am meisten. Als die Dunkelheit kam, wurde er zum Verhör abgeführt. Der Vernehmungsraum unterschied sich von dieser Zelle da durch, daß er etwas größer war, über Holzboden verfügte und die Wände gekalkt waren. Die Fensteröffnungen hatten Gläser vor den Gittern. An der Wand hing ein Foto des Staatspräsi denten, gekleidet in der von ihm bevorzugten Beduinentracht, blau wie die Farbe der Treue mit zwei breiten goldenen Strei fen. Im übrigen gab es einen Tisch, dahinter einen Stuhl, davor einen Hocker und eine Lampe mit Reflektor auf einem Ständer. Vor jeder der zwei Türen waren Soldaten postiert, mittel schwer bewaffnet. Urban mußte stehenbleiben. Zunächst ging es um Angaben zur Person. Er wiederholte, was er schon gesagt hatte: Paul Chamberlain, geboren 1947 in Paris, katholisch, unverheiratet, Beruf Ma schinenbauingenieur, zur Zeit bei der Firma Armex beschäftigt, 121
einer Waffenausfuhrfirma, die einem gewissen Jacques Brunel le gehörte, Urban rasselte es nicht automatisch herunter, sondern auf ei ne Weise, daß es wie die Wahrheit klang, „Sie lügen“, antwortete der gepflegte Offizier hinter der Lampe und süffelte Tee. „Sie sind ein Agent. Auch der Mann, der bei Ihnen war und starb, wurde von uns als CIA-Agent identifiziert Sie arbeiteten zusammen wie zwei Partner. Kein CIA-Agent würde einem Fremden gegenüber so rasch Vertrau en zeigen. Also sind auch Sie ein Agent.“ „Logischerweise“, sagte Urban „Aber es gibt Ausnahmen.“ Dann ging es lange Zeit darum, ob er nun Geheimagent einer Großmacht sei und vor allem, welcher Großmacht. Aber auf jeden Fall, für wen auch immer er arbeitete, es müsse ein Feind Libyens sein. Urban mied diesen Fragenkomplex so gut er konnte. Er erin nerte sich an das Gespräch mit Sebastian auf der Nachtfahrt durch Frankreich. „Wir müssen uns da raushalten“, hatte der Alte gesagt „immerhin beziehen wir dreißig Prozent unseres Öls aus Libyen. Und es ist das derzeit beste erhaltbare, schwe felfreie Öl. Wenn das ausfällt schließt keiner die Lücke. Weder England noch die Saudis. Vom Iran gar nicht zu reden.“ Wenn es gar nicht anders ging, würde er sie bei dem Glauben lassen, daß er CIA-Agent sei. Das war besser als wenn sie erfuhren, daß er zum BND gehörte. Es ging hin und her. Er gab keinen Millimeter nach, behaup tete stur, er sei Waffenhändler, sonst nichts. Für die Güte der gelieferten Waffen könne er nicht einstehen. Jeden Zug parierte er mit einem Gegenzug. Plötzlich sprang die Tür auf. Der Posten wäre fast umgesto ßen worden. Murrar stürzte herein. Er hatte offenbar alles mit gehört Wutschnaubend fuhr er dem Verhöroffizier ins Wort. „Glauben Sie ihm nichts. Er ist die übelste Hyäne, mit der ich je zu tun hatte. Überlassen Sie mir diesen Mann. Ich weiß wie man mit solchen ungläubigen Hundesöhnen umgeht“ Der elegante Offizier drückte seine Zigarette aus und nahm 122
noch einen Schluck Tee. Dann machte er eine wegwerfende Handbewegung und sagte offenbar erleichtert: „Er gehört Ihnen, Oberst Murrar.“ Tripolis 10. Oktober. 22 Uhr. Im Büro des Geheimdienstchefs in der Mahmal-Kaserne brann te noch Licht. Bei den anwesenden Offizieren handelte es sich um den innersten Kreis der Eingeweihten. Der Luftwaffengeneral faßte alles in einem Satz zusammen: „Es war wie Kamelemelken. Aber wir molken die Hengste statt der Stuten.“ Und Armeegeneral Hassan fügte hinzu: „Sie benutzten das Geschäft mit der Bombe, um einen Spezi alhubschrauber nahe genug an den Absturzort heranzubrin gen.“ „Logistisch gesehen, eine Meisterleistung“, bemerkte der Geheimdienstchef sarkastisch. „Allerdings dürfte es sich bei der Bombe um ein hohlgeblasenes Riesenei handeln. Zwei Experten aus Palästina sind unterwegs, um sie zu überprüfen.“ „Millionen Dollar futsch“, zählte General Sydon zusammen, „drei Männer, die als Faustpfand unersetzlich waren, im We sten in Sicherheit.“ „Und Libyen unter Verdacht, ein Zivilflugzeug abgeschossen zu haben.“ „Wie konnte das passieren? Wir waren doch auf eine Reakti on vorbereitet.“ „Schuld war der Ghibli“, erklärte der Luftwaffenchef, „Unse re Meteorologen stehen vor einem Rätsel. Niemand weiß, wie der Sandsturm so rasch entstehen konnte, und dies ausgerech net an der für den Hubschrauber günstigsten Stelle. Wir vermu ten eine Manipulation.“ „Daß es Regenmacher gibt“, bemerkte der Geheimdienstchef, „habe ich gehört. Aber Sandsturmmacher, dieser Beruf ist mir neu.“ 123
„Man wird es überprüfen,“ Peinliche Stille trat ein, wie immer, wenn drei Verlierer bei sammensaßen. Endlich stellte Hassan eine Frage: „Weiß der Staatspräsident schon davon?“ Der Geheimdienstchef schüttelte den Kopf. „Wofür halten Sie mich, General. Aus Erfahrung wird man klug. Damals beim Aufmarsch gegen Ägypten gaben wir eine nicht ganz stimmige Lageanalyse ab. Wir nahmen an, die ägyp tischen Panzerverbände würden am Nil stehen. Sie standen aber schon bei Marsa Matruh. Damals behielt ich gerade noch meinen Rang. Seitdem liefere ich dem Staatspräsidenten ten nur Fakten, die auf Tatsachen beruhen.“ „Allah sei Dank“, murmelte der Luftwaffenchef. „Aber Ni e derlagen schmerzen. Gibt es denn keine Möglichkeit sie rück gängig zu machen?“ Der Geheimdienstchef deutete auf das Telefon. „Fort El Tabunna meldet, daß es sich vermutlich um zwei CIA-Agenten handelte, die alles einfädelten.“ „An die Wand mit ihnen!“ forderte Hassan. Sydon von der Luftwaffe hatte einen besseren Vorschlag. „Für den Fall, daß man uns unter Druck setzt, werden wir sie mit dem Leben dieser Männer unter Druck setzen.“ „Wer sollte schon querschießen?“ Wieder deutete der Geheimdienstchef auf das Tetefon. Dann schaute er auf die Uhr. Wenige Minuten später schrillte der schwarze Kasten. Der Geheimdienstchef hob ab. Seine Miene lockerte sich auf. Er schaltete auf Lautsprecher, damit seine Partner mithören konnten. „Hallo Brunelle!“ rief er. „Wie geht es, alter Halunke?“ Doch dem Anrufer stand der Sinn nicht nach einer kumpel haften Unterhaltung. „Sie haben meinen Mitarbeiter Chamberlain“, sagte Brunelle, „ich möchte, daß Sie ihn freilassen.“ „Er ist CIA-Agent“, antwortete der Geheimdienstchef. 124
„Ich gebe Ihnen mein Wort, daß er nichts ist als ein normaler Franzose, der Waffengeschäfte abwickelt.“ „Gaben Sie nicht auch Ihr Wort bezüglich der reellen Ab wicklung des Bombenhandels?“ Brunelle tat erstaunt „Sie haben Sie erst anbezahlt. Ich bekomme noch vier Mil lionen Dollar von Ihnen.“ Der Geheimchef lachte bitter. „Sind Sie nun so schamlos, oder tun Sie nur so, Brunelle? Welchen Knüppel uns die CIA damit zwischen die Beine schmiß, davon wissen Sie nichts, he?“ „Wenn irgend jemand über irgendwelche Vorgänge Bescheid weiß“, antwortete Brunelle. „dann bin ich das. Ich bin Waffen händler, mein Lieber, ein internationaler. Das heißt, ich arbeite weltweit. Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen, also existiert auch nicht, was Sie andeuten.“ Der Geheimdienstchef wechselte mit seinen Kollegen Blicke. Beide nickten ihm aufmunternd zu. „Können wir uns auf Ihre weitere Diskretion verlassen, Bru nelle?“ „In Bezug auf was?“ „Auf das letzte große Geschäft.“ „Absolut“ „Und Sie garantieren auch für Monsieur Chamberlains Ve r schwiegenheit?“ „Hundertprozentig“, versicherte Brunelle. Der Geheimdienstchef war sichtlich zufrieden. „Dann holen Sie ihn ab. Und das Geld.“ „Ich bin dafür, daß Sie mir meinen Mitarbeiter an der Grenze übergeben.“ „Sie können doch nicht von mir verlangen, Brunelle“, ant wortete der Geheimdienstchef schlagfertig, „daß ich mit vier Millionen Dollar im Koffer durch die Sahara gondle. Bedaure, Sie sich schon nach Tripolis bemühen.“ Es dauerte nur Minuten, dann hatte sich entschieden. „Ich bin in wenigen Stunden bei Ihnen. Sie alles vor.“ 125
„Das Gespräch war beendet „Können wir ihm vertrauen?“ fragte Hassan. „Mehr als er uns vertrauen kann.“ „Die NATO wird diese spektakulären Vorfälle also nicht an die große Glocke hängen.“ Der Geheimdienstchef zog das Unterlid herunter, daß man das Rote in seinem Auge sah. „Die haben es gerade nötig. Wenn sich je zwei verschonten, dann sind es Krähen. Niemals hackte eine Krähe der anderen ein Auge aus.“ „Wie kommt Brunelle herüber?“ fragte der Luftwaffenchef. „Meistens mit seinem Privatjet“, sagte der Chef vom Ge heimdienst. „Ich denke, wir bereiten ihm einen würdigen Emp fang.“ Fort El Tabunna 11. Oktober. Ein Flugzeug war außerhalb der Mauern gelandet. Kurierma schine, einmotorig, schätzte Urban. Dann holten sie ihn wieder. Diesmal waren es nicht Soldaten, sondern Zivilisten. Murrars Leute. Sie brachten ihn gleich in den Keller. Er wurde an einen Stuhl gefesselt. Vor ihm stand ein Tisch. Darauf brannten zwei Karbidlampen. Der Libyer kam herein, baute sich vor Urban auf. „Ich springe anders mit dir um“, drohte er. „Das ist mir bekannt“, sagte Urban. „Hätte das schon in Nizza beherzigen sollen.“ „Nicht mehr zu ändern.“ „Was ist in der Bombe?“ zischte Murrar. „Zement“, antwortete Urban, „und Ziegelsteine vielleicht. Aber das Gewicht stimmt“ Der Libyer schlug ihm die Faust ins Gesicht „Und wo ist das Geld aus der Vorkasse?“ Urban konnte nicht anders, als diesen Mann zu reizen. 126
„Es liegt drüben im Niger. Ich übergab es einem Mann unse rer Firma gegen Quittung.“ „Und was bekamen wir?“ schrie der Libyer wütend. „Einen nagelneuen Kenworth-Truck“, zählte Urban auf, „mit Tieflader und Hänger. Der kostet drüben leicht hunderttausend Dollar. Ferner haben Sie eine Attrappe der B-39: Als Ab schreckung ist die auch was wert. Der Rest wird gegen eine abgeschossene Boeing 707 angerechnet. Schätze, dabei kommt ihr sogar noch billig weg.“ Der Libyer hatte plötzlich ganz kalte Augen. Aber noch hielt er sich zurück, obwohl er vor Zorn zitterte. Urban nützte die Galgenfrist. Ganz ruhig machte er einen Vorschlag. „Mein Chef Brunelle“, sagte er, „ist über alles im Bilde. Er wußte jeden Augenblick, um was es ging. Sie haben eine Chance, sich und alle Beteiligten vor einer Riesenblamage zu bewahren. Hören Sie auf mit den Mätzchen, Murrar. Meine Freilassung gegen mein Schweigen,“ „Das wäre ein akzeptabler Vorschlag“, lenkte der Libyer scheinbar ein, „wenn ich Ihnen trauen könnte.“ „Was mich betrifft, ich bin Geschäftsmann und möchte wei terhin mit Ihnen Abschlüsse tätigen.“ Murrar grinste teuflisch. Noch wußte Urban nicht warum. „Aber wie steht es mit Brunelle? Brunelle weiß alles was Sie wissen, wenn nicht noch mehr.“ „Für ihn gilt das gleiche wie für mich.“ Urban redete mit Engelszungen. Er versuchte dem Araber klarzumachen, daß er in diesem Land ein Gejagter sein würde, daß er seine Ämter und sein Vermögen verlieren würde, wenn alles ans Licht käme. Der Versuch, eine Atombombe zu kau fen, der Abschuß der US-Präsidentenmaschine, und die törichte Art, wie sie zugelassen hatten, daß die Passagiere entkamen, das würde Köpfe zum Rollen bringen. „Wenn man gewinnt“, schloß Urban, „kann man sich alles erlauben. Aber Sie gehören zur Seite der Verlierer, Murrar, 127
ebenso wie ich. Am besten, wir helfen uns gegenseitig aus der Klemme.“ Der Libyer stand vor ihm und schien zu überlegen, wie er diesen Mann behandeln solle. Dann gab er sich einen Ruck, als sei er entschlossen, ihn wie einen Skorpion zu zertreten. „Sie begehen einen Fehler, lieber Chamberlain“, erwiderte er. „Verlieren ist schon Pech genug, aber es dem Verlierer auch noch zu sagen, das ist unklug.“ Murrar wandte sich um, winkte einen seiner Handlanger her an. „Abführen!“ sagte Murrar. „Erschießt ihn, wenn die Sonne aufgeht“ Sie banden Urban los. „Ihr letztes Wort?“ fragte er. „Mein letztes.“ „Dann wird Brunelle Sie in die Pfanne hauen“, versprach Ur ban. „Kaum“, antwortete der Libyer. Sie brachten Urban nach oben. Seine Zelle war die letzte auf dem Gang. Aber sie öffneten, die Tür zur vorletzten Zelle. Nicht um ihn zu verlegen, sondern um ihn hineinsehen zu las sen. Einer knipste die Lampe an. Die Birne am Draht flammte auf. In ihrem Schein sah Urban einen Mann auf der Pritsche hok ken. Er war übel zugerichtet. Nicht die Spur seiner ehemaligen Eleganz war noch an ihm. Jacques Brunelle drehte den Kopf zu Urban hin. Jede Bewe gung verursachte ihm Schmerzen. „Dich haben sie auch?“ fragte Urban. „Sie leisten ganze Arbeit.“ „Morgen früh?“ fragte Urban. „Bei Sonnenaufgang. Aber, zum Teufel, mit welchem Recht!“ schrie Brunelle verzweifelt. „Mit dem des Stärkeren“, sagte Urban. Dann stießen sie ihn weiter. 128
Fort El Tabunna 12. Oktober. Bei Sonnenaufgang. Sie holten sie, Hände auf den Rücken gefesselt, aus den Zellen. Jeder der Todeskandidaten wurde von vier Soldaten eskortiert. Je zwei marschierten vorweg, zwei hinterher. Sie führten sie hinaus, quer durch den Festungshof durch das Haupttor. In Richtung Morgen, etwa neunzig Meter von der Mauer ent fernt, waren zwei Pfähle in die Erde gerammt worden. Davor ein Dutzend Soldaten, Gewehr bei Fuß. Nahe bei dem linken Pfahl stand ein Hubschrauber. Vor dem Hubschrauber ein höherer General mit viel Gold auf Schulter stücken und Mützenschirm. Das einzige, was Urban noch interessierte, war das Zeremo niell. Man hatte ihn schon mehrmals richten wollen, in der hintersten Türkei, in Ostasien, in Südamerika. Überall war es sehr feierlich zugegangen, aber überall ein bißchen anders. Als sie eine Wimpelmarkierung passierten, setzte Trommel wirbel ein. Der Spielmann verstand Geschäft. Er hätte das Zeug zum Schlagzeuger in einer Rockgruppe gehabt Urban ging hinter Brunelle. Brunelle blickte sich um. Er sah schon ein bißchen wie gestorben aus. Urban hob die Schultern. Jetzt fällt mir auch nichts mehr ein, sollte es heißen. Bei der nächsten Markierung teilte sich der Zug. Die vier Mann um Brunelle steuerten den südlichen Pfosten an, Urbans Begleitschutz den weiter nördlichen. Kommandos schallten. Abteilung halt! Abteilung kehrt! Die Todeskandidaten fesseln! Sie wurden an die Pfähle gebunden. Ein Offizier kam. „Wünschen Sie geistlichen Zuspruch?“ „Einen Priester“, bat Brunelle. „Haben wir nicht. Sind Sie mit einem moslemischen Schrift gelehrten einverstanden?“ „Dann verzichte ich“, sagte Brunelle. „Augenbinden!“ befahl der Offizier. Urban lehnte sie ab. 129
Drüben beim Peleton kommandierte ein junger Leutnant. Er ließ die Waffen durchladen, gab nun die Kommandos bekannt. „Das Kommando wird lauten: Stillgestanden! Gewehr über! Gewehr legt an! Feuer!“ Dann verstrich eine Minute ohne daß etwas geschah. Viel leicht warteten sie die genaue Uhrzeit ab. Wenn zwei Verurteil te um 06 Uhr 45 erschossen werden sollten, dann durften sie nicht schon um 06 Uhr 44 erschossen werden. In diesem Falle wäre die Prozedur ungültig und anfechtbar gewesen. Der Offizier mit dem vielen Gold trat vor die Delinquenten. Der Aktentasche seines Adjutanten entnahm er einen Schrieb unterzeichnet und gestempelt. Das Todesurteil. Er verlas es pauschal. Es sei gültig für Jacques Brunelle, hieß es, und für Paul Chamberlain. Erst verlas er es in Libysch, dann in französischer Sprache. Das Urteil lautete auf Tod durch Erschießen wegen Spionage zum Nachteil der Republik. Das war kurz und bündig. Zum Teufel, warum haut er nicht ab, dachte Urban. Der Offizier stand immer noch da. Offenbar zogen sie es hin aus, um es besser genießen zu können. Doch dann verlas der Goldgeschmückte noch einen Nachsatz: „Obenstehendes Urteil“, sagte er, „wird mit sofortiger Wir kung aufgehoben. Die Verurteilten sind unverzüglich über die Grenzen der Republik Libyen abzuschieben.“ Vor Urban verschwamm alles. Das kann nicht wahr sein, dachte er, du träumst. Sie wurden losgebunden und zum Hubschrauber begleitet. Die Tür zum Cockpit ging auf. Jemand reichte Dokumente heraus. Urban vernahm dazu eine ihm bekannte sehr frauliche Stimme. „Mon Colonel, bei diesen Dokumenten befinden sich alle Fo tografien der an Libyen gelieferten B-39. Ferner alle Fotografi en der durch Ihre Luftwaffe abgeschossenen Regierungsma schine Air-Force-Number Two, soweit sie von Satelliten, von den Aufklärungsflugzeugen und von den Überlebenden aufge nommen wurden. Die US-Regierung erklärt in einem beigefüg 130
ten Dokument absolutes Stillschweigen über diese Vorgänge bewahren zu wollen. Die Übergabe der Negative erfolgt durch den Syndikus der Firma Armex nach unserer Landung in Rom.“ Der Colonel übernahm die Dokumente. Ohne Quittung. Dar aufhin übergab er die Gefangenen. Ebenfalls ohne Quittung. Der Colonel salutierte. Dann startete der Hubschrauber. „Meine Tochter“, strahlte Brunelle stolz. Mehr zu sagen war er nicht imstande. Urban nahm neben dem Mädchen, das nicht nur bedeutend mehr erotische Ausstrahlung als eine Kartäusernonne, sondern auch noch andere Fähigkeiten hatte, Platz. „Meine Gratulation“, sagte er. München, 12. Oktober. Drink-Time. Clemence Brunelle war nicht abzuschütteln. Komischerweise war Bob Urban das ganz angenehm. Er staunlich, wie man sich an sie gewöhnte. Von der Wüste hatte Bob Urban für eine Weile genug. Nie wieder wollte er dorthin zurückkehren. Eher noch machte er einen Trip zum Nordpol. Barfuß. Aber gegen Clemence war nichts einzuwenden. Vom Flugplatz brachte sie ein Taxi nach Schwabing. Mit dem Lift fuhren sie hinauf in die oberste Etage. Beide waren sie recht schweigsam. Sie gingen in Urbans Penthouse. Er sperrte die Tür hinter sich zu, legte die Kette vor und stöpselte das Telefon aus. Dann zog er noch alle Rollos herunter. Trotz der Dunkelheit glaubte er zu sehen, daß Cleroence er wartungsvoll lächelte. ENDE 131