Sterben in Red Bluff � Ich kannte die Stadt noch nicht, doch ich hatte von ihr gehört. Ich kannte ihren Namen und wußte...
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Sterben in Red Bluff � Ich kannte die Stadt noch nicht, doch ich hatte von ihr gehört. Ich kannte ihren Namen und wußte, daß es dort einen Sheriff gab. Red Bluff lag im roten Licht der Abendsonne, und über die Anhöhe im Osten krochen schon die ersten Schatten der Dämmerung. Mac Garret, dessen Handgelenke ich ans Sattelhorn gebunden hatte, spuckte zur Seite und sagte dann mit einer Stimme, die von Hitze, Staub, Durst und einem bösen Haß heiser klang: »Tole Ketshum, du Hundesohn, überleg es dir lieber noch einmal. Mein großer Bruder wird kommen, um sich deinen Skalp zu holen. Aber wenn du jetzt aufhörst und mich reiten läßt, dann vergessen wir alles.« Ich sah ihn an. Mac Garret war einer von dieser bösen Sippe, und eigentlich war er nur ein zweitklassiger Strolch. Er selbst hatte mir auch nichts getan. Und dennoch war auf seinen Kopf eine Belohnung ausgesetzt. Wenn ich ihn zum nächsten Sheriff brachte, würde ich fünfhundert Dollar bekommen. Und Mac Garret würde man hängen … Der vorliegende Roman erschien in dieser Reihe schon als Band 710 und im Western-
Bestseller als Band 1425. �
Er war ein hübscher Bursche. Man mußte schon richtig hinsehen, um die Gemeinheit in seinen Augen und um seine Mundwinkel zu erkennen. Ich ritt weiter, und weil ich sein Pferd an der Leine hatte, lief es mit. Mac Garret begann mich zu verfluchen mitsamt meinen Vorfahren. Die Sonne versank, und der glühende Himmel wurde von den Schatten der Nacht aufgefressen. Als wir die ersten Häuser der kleinen Grenzstadt erreichten, brannten überall schon die Lampen. Die Stadt wirkte friedlich und still, freundlich und gut. Auf jeden Fremden schienen hier Herzlichkeit und Wärme zu warten. Aber ich wußte genau, daß es nicht so sein konnte. In diesem Land gab es kaum Herzlichkeit und Wärme. Hier galt zu sehr das Gesetz des Überlebens. Wir ritten still im Schritt die Fahrbahn entlang. Ich betrachtete die Häuser rechts und links. Es gab ein paar Läden, die alle noch geöffnet waren. Und es gab natürlich einen großen Saloon und einige kleine mexikanische Tequila-Höhlen. Neben der Posthalterei lag das Hotel mit dem Restaurant, und ein Stück weiter sah ich endlich das Sheriff's Office mit dem Gefängnis. Ich hielt an, saß ab, holte Mac Garret vom Gaul und stieß ihn vor mir her. Der Sheriff saß in einem bequemen Sessel, hatte die Füße auf dem narbigen Tisch liegen und hatte sich so weit zurückgelegt, daß ihm sein Bauch für das noch halbvolle Glas als Abstellmöglichkeit dienen konnte. Er hielt es zwischen zwei Fingern fest. Es war ein Wasserglas. Aber die Flüssigkeit war Tequila, und wenn dieser Sheriff dieses Zeug wie Wasser soff, dann war er entweder ein verdammter Narr und Trinker, oder er konnte soviel vertragen wie ein heißer Stein. Er sah mich eine Weile an, betrachtete dann Garret und nickte schließlich. »Sicher«, sagte er dann, »dies ist einer von der Garret-Sippe. Die sehen sich alle so ähnlich wie Berglöwen. Nur Old Man Garret und Raoul Garret sind dunkel und häßlich wie schwarze Wölfe. Mann, zuerst dachte ich, Sie wären Raoul Garret. Aber der hat schwarze Augen. Mann, Sie bringen mir doch wohl diesen Garret da nicht, um eine Belohnung zu kassieren?« Ich nickte, trat bis zum Schreibtisch, griff in die Innentasche meiner Lederweste und holte den Steckbrief hervor. Der Sheriff nahm ihn widerwillig und las ihn. Dann sah er mich an. »Kopfgeldjäger also«, brummte er. »Als ob ich nicht schon Ärger genug hätte. Warum kommen Sie denn ausgerechnet mit diesem Vogel nach Red Bluff?« »Es lag am nächsten, und es gibt einen Sheriff hier«, sagte ich. »Sie sind verpflichtet, ihn in eine Zelle zu sperren, bis es eine Möglichkeit zum Transport in die Hauptstadt gibt, oder?« Der Sheriff hatte einen sichelförmigen Bart. Er wirkte wie ein müdes, störrisches Maultier. Seine Augen waren rotgeädert, so als hätte er wenig Schlaf bekommen. Betrunken war er nicht, nur müde, ausgebrannt und müde. »Und jetzt wollen Sie eine Einlieferungsbestätigung von mir, für die man Ihnen in der Countystadt die ausgesetzte Belohnung auszahlen wird?« fragte er und hatte ein hinterlistiges Funkeln in den Augenwinkeln. Ich nickte zu seiner Frage. Und das gefiel ihm. Denn jetzt konnte er mir gewissermaßen gegen das Schienbein
treten. Er schüttelte seinen Kopf. »Ich denke nicht daran«, sagte er und hob die Hand, um meinen Einwand abzufangen. »In einer Woche etwa kommt der für dieses Gebiet zuständige Richter«, sagte er. »Warten Sie auf ihn. Es ist Richter David Cross. Ich habe nämlich auch einen Gefangenen hier, den man nach der Verhandlung wahrscheinlich hängen wird. Und so können wir das alles hier in einem Arbeitsgang erledigen. Sagen Sie, Hombre, wie war denn Ihr Name?« »Das ist Toledo Ketshum«, stieß da mein Gefangener aus. »Das ist Laredo-Tole, und er ist schon so gut wie tot. Jeder ist das, der es wagt, einem Garret etwas zu tun. Auch Ihnen, Sheriff, und dieser lausigen Stadt geht es dreckig, wenn …« Er kam nicht weiter. Denn der maultiergesichtige Sheriff beugte sich vor und goß ihm den scharfen Inhalt seines Glases ins Gesicht. »Du mußt nicht so vorlaut sein, Amigo«, knurrte er. »Mir geht es jetzt langsam auf die Nerven, immer wieder Drohungen zu hören. Das kenne ich jetzt schon bis zum Überdruß. Sperren Sie ihn in die rechte Zelle, Tole Ketshum, oder verschwinden Sie mit ihm. Letzteres wäre mir lieber. Also?« Ich grinste nur, und ich wußte, daß in meinem Grinsen keine Spur von Freundlichkeit war. Mac Garret verlor nun seine Beherrschung. Er kreischte los und versuchte, mich zu treten. Seine Fußspitze zielte nach meinem Unterleib. Vielleicht hätte mich dieser Tritt für mein ganzes Leben krank gemacht. Aber er war nicht flink genug. Er trat ins Leere, denn ich konnte schnell sein wie eine Katze. »Na, geh schon, Mac«, sagte ich zu meinem Gefangenen, der gegen die Wand prallte. »Verzweifle nicht, denn vielleicht holt dein großer Bruder dich wirklich hier heraus. Dem Sheriff wäre es gleich. Vorwärts!« Mac Garret ging nun friedlich. Nach seinem letzten Versuch, mir noch ein ›Andenken‹ zu verpassen, gab er nun auf. Ich sperrte ihn in die rechte der drei Gitterzellen. Er streckte mir stumm seine gefesselten Hände durch die Stäbe entgegen. Ich schnitt die Riemen auf. Und da ging er zur Schlafpritsche und legte sich wortlos hin. In der linken Zelle lag schon ein Mann auf der Pritsche, der sich inzwischen aufgesetzt und das Geschehen beobachtet hatte. Im Halbdunkel des Zellenraumes konnte ich erkennen, daß dieser andere Gefangene ein noch ziemlich junger Bursche war. Plötzlich sagte er mit heiserer Stimme, die nur mühsam ihre Wildheit unterdrücken konnte: »He, Hombre! He, Nachbar, mach dir nur keine Sorgen. Dieses lausige Gefängnis wird bald an allen vier Ecken eingerissen werden. Es dauert nicht mehr lange, gar nicht mehr.« Ich ging ins Office zurück. Der Sheriff schien zu schlafen. »Wer ist denn der andere?« fragte ich nicht sonderlich interessiert. Der Sheriff öffnete ein Auge. »Der liebe Early Cresswell, Duke Cresswells Augenstern. Setzen Sie sich mal, Tole Ketshum. Und dann will ich Ihnen klarmachen, wie sehr sich im Leben die Dinge doch manchmal ähnlich sind. Trinken Sie einen Schluck?« Ich nahm die Flasche. Es war nur noch ein Rest darin. Und deshalb leerte ich sie mit zwei Schlucken. Dann setzte ich mich.
Der Sheriff drehte seine Daumen über dem Bauch. Ich aber dachte nach, und natürlich wußte ich, wer Duke Cresswell war. Es gab auf fünfhundert Meilen in der Runde zu beiden Seiten der Grenze drei oder vier besonders große Rancher oder Hazienderos. Und er war einer von diesen drei oder vier Kings. Und dort drinnen in der Zelle saß sein einziger Sohn. Eigentlich hatte sich der Sheriff gewaltig viel mehr vor die Brust genommen als ich. Er hatte den Sohn und Erben eines Kings in der Zelle, ich nur einen der wilden Garrets. Aber dennoch befanden wir uns beide in einer sehr ähnlichen Situation. Wir hatten jeder einen Gefangenen, den seine Freunde mit Sicherheit herausholen wollten. In diesem Moment begriff ich, daß der Sheriff sich von mir Hilfe erhoffte. Er hatte meinen Namen gehört. Und es war kein kleiner Name. Er hatte sofort seine Chance erkannt. Nun sagte er: »Für fünfhundert Dollar Kopfgeld muß man schon etwas mehr tun, Amigo, als mir einen Gefangenen aufzuhalsen. Während wir hier auf den Richter warten, können Sie bei mir einen Job als Gehilfe bekommen. Ich zahle zwei Dollar pro Tag. Und Sie bekommen auch einen hübschen Blechstern. Dann könnte ich auch mal ein paar Stunden richtig schlafen. Mein Name ist Quade, Al Quade. Na?« Ich stand wieder auf. »Ich habe mit Duke Cresswell keinen Streit«, sagte ich. »Deshalb geht es mich nichts an, warum sein ganzer Stolz hier in der Zelle hockt. Ich werde mir im Hotel ein Zimmer nehmen. Also, bis morgen, Al Quade!« Ich ging zur Tür. Er rief mir nach: »Aber mit den Garrets haben Sie Verdruß, Ketshum, nicht wahr? Ich glaube nicht, daß Sie Mac Garret wegen der fünfhundert Dollar Belohnung herbrachten. Hey, Sie wollen Raoul Garret! Sie denken nicht daran, nach diesem Raoul zu suchen. Er soll kommen – zu Ihnen. Und deshalb brachten Sie seinen kleinen Bruder als Köder nach Red Bluff. Na schön, ich weiß nicht, was zwischen Ihnen und Raoul Garret ist, aber es muß eine Menge sein, keine Kleinigkeit. Doch was ist, wenn Raoul Garret und Duke Cresswells Beauftragte sich verbünden? Was ist dann? Denken Sie mal drüben im Hotel im Heia-Bettchen darüber nach, Tole Ketshum!« Ich kam spät ins Hotel, denn ich nahm mir Zeit beim Versorgen der Pferde, obwohl mir ein Stallbursche mexikanischer Abstammung dabei half. Ich wusch mich im Hof des Mietstalles beim Brunnen im Schein der Laterne und ging geradewegs zum Abendessen. Erst dann fragte ich im Hotel nach einem Zimmer. Und während ich fragte, riß ich vor Staunen und Bewunderung die Augen auf. Denn da stand nicht irgendein Mann hinter dem Anmeldepult, auch nicht irgendeine Frau. Oh, was ich da betrachten konnte, war schon was ganz Besonderes! Sie war kaum weniger als vier Jahre jünger als ich, also etwa sechsundzwanzig. Und sie hatte grüne Augen, die weit auseinanderstanden. Es war auch sonst eine Menge an ihr, was mir gefiel – die rotgoldenen Haare, ihr Mund und die Art, wie sie mich gerade und fest betrachtete. Sie war eine Frau, der nichts mehr fremd war auf dieser Welt. Das begriff ich schnell. »Sie haben schon drüben gegessen«, sagte sie. »Wollen Sie sich hier eintragen, Mister?« Ich sah auf das Buch, das sie herumgedreht hatte, griff schon nach dem Federhalter – und hielt inne.
Denn drei Zeilen weiter oben las ich einen Namen: Tom Key, Key-Ranch bei Red Bluff. Ich deutete mit dem Federhalter auf diesen Namen. Da sagte das Grünauge kehlig: »Ja, das ist er. Sie bekommen das Zimmer nebenan. Recht so?« Ich staunte. Dann trug ich mich ein. Als ich mit meinen Siebensachen zur Treppe ging, hielt ich auf der dritten Stufe an, blickte zurück und fragte: »Wieso wissen Sie, Ma'am, daß ich diesen Tom Key kenne? Hat er mich gesehen und es Ihnen gesagt, oder …?« In ihren grünen Augen erkannte ich eine leichte Verwirrung. Aber dann zuckte sie nur mit den geraden Schultern. »Der Sheriff sagte mir, ich solle Ihnen das Zimmer neben Tom Key geben«, sagte sie schließlich. »Ja, Ma'am«, grinste ich. »Und da Sie nun meinen Namen kennen, wäre es fair, wenn ich auch Ihren wüßte.« »Laura Hardcastel«, erwiderte sie. »Steht draußen neben der Tür zu lesen.« Ich nickte. »Das hätte auch Ihre Großmutter sein können«, sagte ich und ging nach oben. Ich warf nur meine Sachen in meinem Zimmer aufs Bett und ging dann hinüber, um zu sehen, was es mit jenem Tom Key für eine Bewandtnis hatte. Als ich klopfte, öffnete mir eine Frau. Und diese Frau konnte sich mit der grünäugigen Laura dort unten ohne weiteres messen, obwohl sie ganz anders war, etwas jünger, blauäugig, schwarzhaarig und mit ein paar Sommersprossen auf der Nase. Ich konnte das im Lampenschein erkennen. »Ich wollte zu Tom Key«, sagte ich. »Mein Name ist Tole Ketshum. Vielleicht ist Tom Key jener Tom Key, den ich kenne.« »Er ist es«, sagte eine Männerstimme. »Komm herein, Tole. Dich schickt mir der Himmel. Komm herein! Sally, dies ist Tole, von dem ich dir schon erzählte!« Ich ging hinein, denn es war jener Tom Key, den ich kannte, sehr gut kannte. Während des Krieges hatten wir Pferde gestohlen. Es war eine ganze Herde, die für die Unionstruppen bestimmt war. Wir gehörten zur Konföderierten Armee, und Tom Key war dann kurz vor Kriegsende verwundet und in ein Lazarett geschafft worden. Ich ging später in Gefangenschaft. Und seitdem hatten wir uns aus den Augen verloren. »Dich schickt der Himmel«, sagte er grinsend. »Nun ist mir verdammt wohler. Das hier ist Sally, meine Frau. Gefällt sie dir? Ich bin ein Glücksjunge, nicht wahr? Sally, dies ist Tole, von dem ich so oft erzählte.« Ich sah Sally an. Sie stand neben seinem Bett, so daß er sie am Handgelenk fassen konnte. Sie lächelte ernst, und ich konnte erkennen, daß sie ganz und gar zu Tom Key gehörte. Sie waren ein Paar, zwischen dem alles richtig war. Dann hörte ich ein anderes Geräusch. Ein kleines Kind sprach im Schlaf, bewegte sich und war wieder still. Ich sah in die Ecke des Zimmers, und dort im Halbdunkel erkannte ich das Kinderbettchen. Dort schlief ein Kind. Es mochte drei Jahre alt sein. »Das ist Little-Rosy«, sagte Tom. »Und ich brauche deine Hilfe, Laredo-Tole.« Ich sah von dem Kinderbett auf Tom und von diesem auf Sally. Ihre Augen blickten fest, waren prüfend. »Um was geht es?« fragte ich. Tom Key schluckte etwas mühsam.
»Wir haben eine kleine Farm vor der Stadt«, sagte er. »Auch eine kleine Herde wächst langsam heran. Aber weil alles noch im Aufbau ist, müssen wir jeden Dollar investieren. Ich verdiente manchmal etwas hinzu als Begleitmann der Postkutsche bei Geldtransporten. Der Postagent kennt mich aus dem Armeelazarett. Vorige Woche war ich wieder als Begleitmann drei Tage für die Postlinie unterwegs. Wir brachten Silberbarren nach El Paso und bekamen für den Rückweg eine Kiste mit Lohngeldern. Unterwegs überfielen uns drei Banditen. Wir kämpften, aber sie erschossen den Fahrer. Wir erledigten zwei, und der dritte ergriff die Flucht. Ich nahm eines der beiden reiterlosen Banditenpferde und folgte ihm. Ich brauchte nur immer dem Staub nachzureiten, den er mit seinem Pferd aufwirbelte. Nach zwei Meilen bekam ich ihn in Sicht. Mein Pferd war schneller. Vielleicht hatte seines sich auch verletzt oder war verwundet worden. Als er begriff, daß er nicht entkommen konnte, stellte er sich. Er traf mich in die Schulter. Doch ich schoß sein Pferd zusammen. Er stürzte unglücklich. Inzwischen hatten sich die beiden männlichen Fahrgäste ebenfalls mit Pferden versorgt und waren mir gefolgt. Einer hatte das Banditenpferd genommen, der andere ein Tier ausgespannt. Sie kamen gerade rechtzeitig, um mir zu helfen. Der Bandit war Early Cresswell, der Sohn des …« »Ich weiß schon«, sagte ich. »Man wird ihn hängen, wenn du bei deiner Aussage bleibst, daß nur er allein der flüchtige Bandit sein konnte und es bei der Verfolgung keinen Irrtum gab. Und ich kann mir nun denken, daß sein mächtiger Vater dir einzureden versucht, daß du dich geirrt haben mußt – etwa in dem Sinne, daß du die Fährte des flüchtigen Banditen verlorst und dir der völlig unbeteiligte Early Cresswell zufällig in die Quere kam. Er fühlte sich dann bedroht und …« »So soll es gedreht werden«, unterbrach Tom Key mich. »Aber der Sheriff ist auf meiner Seite. Ich werde meine Aussage auch vor Gericht wiederholen. Ich werde beschwören, daß kein Irrtum möglich war. Und deshalb brauche ich einen Freund, der auf meine Familie achtet. Wir können unsere kleine Farm-Ranch nicht länger mehr sich selbst überlassen. Wir haben Tiere zu versorgen und …« »Ich kann euch nicht helfen«, sagte ich und ging zur Tür. Dort hielt ich noch einmal an und blickte über die Schulter auf das Paar zurück. Sally stand immer noch dicht bei Tom am Bett. Sie hielten einander an den Händen. Und sie sagten nichts mehr, baten auch nicht. »Schon gut«, sagte Tom ruhig. »Viel Glück«, murmelte Sally, und sie sagte es nicht nur so, sondern meinte es von Herzen. Das spürte ich. Und dann ging ich hinaus und in mein Zimmer. Wenige Minuten später schlief ich wie ein Stein. * Als ich erwachte, steckte ich in einer ziemlichen Klemme. Die Lampe brannte in meinem Zimmer, und ich war auch nicht mehr allein. Zwei Hombres waren bei mir. Sie hatten auch schon meinen Colt. Nun gehöre ich nicht zu der Sorte, die sich vor zwei Hombres fürchtet. Aber diese – das begriff ich schnell – waren keine kleinen Nummern. Das waren richtig erfahrene Hombres, so richtig hart, gefährlich, schnell und wachsam. Sie trugen
Weidekleidung und geschmeidige Stiefel. Ihre Sporen hatten sie abgeschnallt. Irgendwie hatten sie den Türriegel aufbekommen. Sie hatten die Lampe angemacht und hielten mich mit ihren Revolvern in Schach. Einen Moment dachte ich, daß sie zu Raoul Garret gehörten, und da kam ich mir sehr dumm und ganz und gar wie ein Anfänger vor. Eine Panik wollte von mir Besitz ergreifen und fast schon in bitterste Resignation umschlagen. Doch endlich war ich wach genug. Mein Hirn begann zu arbeiten. Ich begriff, daß Raoul Garret mich und seinen kleinen Bruder noch nicht eingeholt haben konnte. Es sei denn, er wäre schon hier in Red Bluff gewesen. Ich gähnte, rieb mir die Augen und sagte dann: »Amigos, habt ihr euch vielleicht im Zimmer geirrt? Wolltet ihr wirklich zu mir?« Sie grinsten nur. Dann sagte einer: »Willst du in Unterhosen und Socken mitkommen oder …« Ich zog mich an, und weil ich mir den Gürtel mit dem leeren Colthalfter gar nicht erst umlegte, kam ich mir fast nackt vor. Das Gewicht des Colts fehlte mir. Natürlich lauerte ich auf eine Chance. Aber sie ließen mir keine. Als ich fertig war, sagte einer: »Gehen wir. Jemand will dich sprechen, Laredo-Tole. Und nach diesem Gespräch wirst du klüger sein, sehr viel klüger als jetzt. Vorwärts!« Wir gingen die Treppe hinunter. Ich war etwas neugierig, ob die schöne Hotelbesitzerin unten hinter dem Anmeldepult stehen würde. Aber es war wohl schon zu spät. Wir traten nacheinander hinaus auf die Straße. Hier wartete noch ein dritter Mann. »Na schön«, sagte er kehlig mit grimmiger Zufriedenheit. Er war groß und bullig und wog gewiß mehr als zweihundert Pfund. Er ging vor uns her. Wir folgten ihm. Die Stadt war schon zur Ruhe gegangen. Die Geschäfte waren längst geschlossen. Nur aus den Saloons oder Bodegas fiel noch Licht. Wir bogen in eine Gasse ein, folgten ihr und kamen hinter die Scheune des Mietstalles. Hier waren ein paar Sattelpferde angebunden, bei denen sich noch ein vierter Mann befand. Aber der bullige Bursche, der vor dem Hotel gewartet hatte, war der Boß. Er sagte nun: »Ich habe schon von dir gehört, Laredo-Tole Ketshum, und wenn es nach mir ginge, würde … Ach was, warum rede ich soviel? Gebt es ihm!« Sie fielen über mich her. Und ich gab ihnen, was ich nur konnte. Ich hatte keine Chance, obwohl es zuerst so aussah, als könnten mich die drei Schläger, denen sein Befehl galt, nicht umhauen. Er mußte schließlich selbst eingreifen. Aber als ich dann am Boden lag, waren sie über mir. Da hatten sie gewonnen. Ich bekam es schlimm. Irgendwann dann war die heiße Furcht in mir, daß sie mich totschlagen würden. Ich bäumte mich nochmals auf gegen die Übermacht. Ich gab nochmals zurück, was ich konnte. Doch dann konnte ich nicht mehr. Ich war erledigt. Die vier Kerle aber machten noch weiter. Sie bearbeiteten mich mit brutaler Verbissenheit. Das Erwachen war schlimm. Sie hatten mich wie einen räudigen Hund halbtot geschlagen und zuletzt, als ich schon wehrlos am Boden lag, mit den Füßen getreten. Warum? Mein Hirn wollte nicht arbeiten, wollte sich nicht anstrengen, diese Frage zu
beantworten. Und die Schmerzen waren die Hölle. Ich versuchte nicht, mich aufzusetzen oder herumzurollen. Ich blieb auf dem Rücken liegen. Die Nacht war nun schon weit vorgeschritten. Es war kalt geworden. Und immer noch bohrte die Frage in meinem Hirn: Warum? Allmählich wurde mein Verstand klarer und arbeitsfähiger. Und plötzlich war mir alles klar: Der Sheriff und mein alter Freund Tom Key brauchten Hilfe, und obwohl ich dem Sheriff diese Hilfe abschlug, sorgte er dafür, daß die Hotelbesitzerin Laura Hardcastel mir das Zimmer neben den Keys gab. Für die Leute aber, die Duke Cresswell damit beauftragt hatte, den Hauptbelastungszeugen ›umzubringen‹, mußte es so aussehen, als hätte ich als Gehilfe des Sheriffs Tom Keys Schutz übernommen. Und da hatten sie mich herausgeholt und wie einen räudigen Hund halbtot geschlagen. Wenn Tom Key dies erst erfuhr, würde er es sich gewiß zu überlegen beginnen, was auch ihm passieren konnte. Und er hatte Frau und Kind. So war das also. Erpresserische Zeugenbeeinflussung, Terror, rohe Gewalt, dies wurde hier ausgeübt. Aber was ging mich das an? Ich hatte ganz andere Ziele. Doch jetzt war alles anders geworden. Ich war ein kranker Mann. Und gegen einen Raoul Garret besaß ich nun nicht mehr die geringste Chance. Ich war hier in eine böse Auseinandersetzung hineingeraten und sah nun all meine eigenen Pläne zerstört. Raoul Garret würde mich töten. Ich war ihm nicht mehr gewachsen. Und wenn er seinen Bruder Mac aus dem Gefängnis holte, würde er auch den Sheriff töten. Es war mir ein schwacher Trost, daß dieser Sheriff in nicht geringem Maße selbst daran schuld war, weil er es arrangiert hatte, daß ich das Zimmer neben den Keys bewohnte. Ich konnte nun nicht länger mehr nachdenken, denn ich hörte jemanden kommen. Im ersten grauen, trüben Licht des aufdämmernden Tages erkannte ich durch meine geschwollenen Augenlider den Sheriff. Er kniete bei mir, fluchte fast lautlos und untersuchte mich. Ich sagte undeutlich: »Nimm deine Pfoten von mir, du blöder Hund«, aber er konnte mein Gemurmel wohl nicht verstehen, oder er wollte es nicht. Nach einer Weile ging er. Doch er kam mit einem Eimer voll Wasser wieder, wusch mein Gesicht und ließ mich auch trinken. »Das waren Duke Cresswells Vormann John Bugbee und drei andere Cresswell-Reiter und Revolverschwinger«, sagte er. »Ich glaubte, daß ein Laredo-Tole Ketshum, der sich überdies auch noch vorsehen muß, nicht von Raoul Garret überrumpelt zu werden, besser für sich sorgen könnte. Und nun liegst du hier, Tole, und kannst gar nichts mehr ausrichten, nicht gegen Raoul Garret und auch nicht gegen …« »Geh zur Hölle, du Schwein«, sagte ich nun etwas deutlicher, denn ich hatte mir eine Weile mein nasses Halstuch auf die zerschlagenen Lippen gedrückt. »Du hast mich reingelegt, Quade. Ich kam von dir und nahm das Zimmer neben den Keys. Das mußte für Duke Cresswells Leute so aussehen, als hättest du mich anwerben können, den Zeugen zu beschützen. Und da bekam ich es. Sie machen alles klein, was gegen Duke Cresswells Sohn Early ist. Ich hatte drei Tage und drei Nächte kein Auge schließen
können, als ich Mac Garret jagte und dann mit ihm nach Red Bluff kam. Ich war ein erledigter Mann. Das zahle ich dir noch zurück, Quade!« Er erhob sich. »Hau ab«, knirschte ich. »Schleich dich, du krummer Hund! Und sei sicher, daß ich dir auch ein paar Tricks zeige. Hoffentlich machen dich Cresswells Männer auch noch auf diese Art klein.« Erst nach einer Weile murmelte er: »Das war mein Fehler. Ich hielt dich noch nicht für so erledigt und ausgebrannt. Du konntest es gut verbergen. Ich glaubte, du würdest wie eine Wildkatze auf der Lauer liegen. Aber du mußtest dich erst ausschlafen. Das war mein Fehler. Es tut mir leid.« »Du wolltest mich mit einem Trick in eure Sache hineinziehen«, keuchte ich. »Du hofftest, daß Cresswells Leute es von mir bekommen würden …« »Ja«, sagte er, »das hoffte ich. Denn ich bin so verdammt allein. Ich kann nicht auf den Gefangenen aufpassen und zugleich Tom Key und dessen Familie schützen. Ich bin so verdammt allein und wollte dich auf meiner Seite haben. Ich hätte dir auch gegen Raoul Garret geholfen.« Nach diesen Worten ging er davon. Und ich lag noch eine Weile da. Dann kroch ich in die Scheune und legte mich drinnen ins Stroh. Nicht mal bis zum Hotel und in mein Zimmer hatte ich es geschafft. Die Schmerzen waren schlimm und wurden nur allmählich linder, während Stunde um Stunde verging. Vielleicht hätte ich es gegen Mittag geschafft, auf die Beine zu kommen und ins Hotel zu gehen, doch ich wollte nicht, daß die Leute mich sahen. Ich war froh, hier in der Scheune auf den Abend warten zu können. Hunger spürte ich nicht. In meinem Leib war alles wund. Nur der Durst begann mich am Nachmittag zu plagen. Doch ich hatte schon schlimmeren Durst gehabt. Ein kleiner Junge kam herein. Er war vielleicht zehn Jahre alt. Nun entdeckte er mich in der Ecke auf dem Stroh. Er kam näher und betrachtete mich. Er legte nach einer Weile seinen Zeigefinger gegen die Nase und sagte: »Sie sind verprügelt worden, nicht wahr? Sie sind kein Betrunkener, der hier seinen Rausch ausschläft. Man hat Sie fast in Stücke geschlagen.« »Richtig«, murmelte ich. »Duke Cresswells Männer waren das.« Er nickte. »Ich weiß schon Bescheid«, sagte er. »Sie sind der Mann, der einen der berüchtigten Garrets einlieferte und den der Sheriff dann neben den Keys einlogierte. Ich weiß schon. John Bugbee und einige Cresswell-Reiter sind immer noch in der Stadt. Sie passen auf, daß Early Cresswell im Gefängnis nichts passieren kann. Sie könnten Early glatt herausholen. Doch Duke Cresswell will einen einwandfreien Freispruch aus Mangel an Beweisen. Das habe ich alles aus den Unterhaltungen im Store gehört. Kann ich etwas für Sie tun, Mister?« »Wie heißt du?« fragte ich, und meine Stimme klang immer noch heiser und mühsam. »Ich bin Ty Cantrell«, erwiderte er bereitwillig. »Mein Vater führt hier den großen Store.« »Komm her, Ty«, sagte ich. »An meinem Halse hängt ein Beutel. Nimm dir Geld heraus, und kaufe für mich bei deinem Vater ein Hemd, eine Hose und Unterzeug. Ich bin genau sechs Fuß groß und wiege neunzig Kilo. Dein Vater wird dir gewiß die richtige
Größe geben. Und bevor du mir diese Sachen holst, schaffst du mir zwei Eimer Wasser und ein weiches Handtuch herbei. Kannst du das?« »Sicher«, sagte er. »Und die richtige Größe weiß ich selbst, was Hemden und Hosen betrifft. Wollen Sie ein grünes Hemd und eine braune Hose?« »Das ist mir gleichgültig«, knurrte ich. Er kam zu mir. Ohne Scheu griff er in mein offenes Hemd und fand den Lederbeutel, in dem ich etwa zweihundert Dollar bei mir trug. Er nahm zwanzig Dollar und betrachtete mich aufmerksam. »John Bugbee und seine drei Reiter sehen so aus, als hätten Sie gut gekämpft, Mister – gegen vier Mann«, sagte er dann. »Sogar John Bugbee hat zerschlagene Lippen.« Er eilte plötzlich davon. Und ich verfluchte meine üble Lage. Ich sah aus meinen schmalen Augenschlitzen auf meine Hände. Sie hatten mir mit ihren Absätzen auf die Finger gestampft und auch die Handrücken übel zertreten. Mit diesen Händen konnte ich nicht mal einen Löffel halten. Ich war erledigt. Und morgen, übermorgen oder in drei oder vier Tagen würde Raoul Garret kommen. Er würde es leicht haben mit mir, sehr leicht. Dieser verdammte Sheriff hier hatte mir einen üblen Streich gespielt, nur weil er Hilfe brauchte. Er glaubte, ich würde wegen Raoul Garret wachsam sein, und hoffte, daß Duke Cresswells Männer sich bei mir blutige Köpfe holten. Deshalb hatte er, während ich im Mietstall und beim Abendessen war, dafür gesorgt, daß ich das Zimmer neben den Keys erhielt. Und weil ihm dann auch noch der Zufall zu Hilfe kam, daß ich diesen Tom Key kannte und zu ihm und seiner Familie ins Zimmer ging, wurden John Bugbee und dessen Schläger, die alles beobachteten oder beobachten ließen, getäuscht. Sie nahmen an, daß der Sheriff in mir einen Verbündeten hatte. Und deshalb gaben sie es mir, damit den Keys klargemacht wurde, wie allein sie waren und wie wenig der Sheriff sie schützen konnte. Vielleicht konnte ich in zwei oder drei Tagen in den Sattel steigen und die Flucht ergreifen, wenn Raoul Garret lange genug auf sich warten ließ. Nur das war meine einzige Chance, meine ganze Hoffnung. Ich wurde aus meinen bitteren und sich ständig im Kreise drehenden Gedanken gerissen. Denn Ty Cantrell kam mit zwei vollen Wassereimern angekeucht und hatte ein Handtuch um den Hals hängen. Er stellte sie ab und sagte: »Das Handtuch hing auf der Leine im Hotel-Garten. Ich hole jetzt das Zeug aus dem Store. Ich wette, Sie wollen jetzt allein sein, nicht wahr?« Er lief davon. Und ich machte mich daran, mir das getrocknete Blut abzuwaschen, all die Beulen, Schürfungen, Risse, Blutergüsse und Platzwunden zu kühlen und meine Not zu lindern. Nach einer Weile spürte ich, daß ich nicht mehr allein war. Ich sah mich mühsam um. Einige meiner Rippen waren zumindest angeknickt. Die Magen- und Leberpartie schmerzte. Ich erkannte einen der beiden harten Hombres, die mich aus meinem Zimmer geholt und dann unter John Bugbees Führung hier an diesen Ort gebracht hatten. Er sagte, an einem Strohhalm kauend: »Na, so schlimm wird es schon nicht sein. Wir haben dich ja nicht totgeschlagen. Aber jetzt wird es Zeit, daß du dich mal den Keys zeigst. Wir legen großen Wert darauf, daß sie dich bewundern können. Hast du verstanden, Bruderherz?« »Genau«, sagte ich. »Ich habe überhaupt eine ganze Menge verstanden und weiß immer
besser Bescheid. Ihr habt mich vollkommen in der Klemme, und ich muß tun, was ihr wollt. In Ordnung, Meister.« Er grinste und trat etwas näher. »Warum bist du denn mit Mac Garret nach Red Bluff gekommen? Das war keine gute Idee, nicht wahr? Also, warum?« »Wegen fünfhundert Dollar Belohnung«, sagte ich. »Und der Sheriff sagte mir, daß bald der Bezirksrichter käme.« »Der Sheriff ist ein Narr«, sagte der Cresswell-Reiter und spuckte neben mir zu Boden. »Dieser Al Quade ist stur wie ein Maultier. Aber was bleibt ihm anderes übrig, solange Tom Key bei seiner Aussage bleibt? Letzteres wird sich wohl ändern, sobald die Keys sehen, wie es ihrem – ›Beschützer‹ erging. Hey!« Er ging davon. Ich aber versuchte weiter, mich wieder etwas in Ordnung zu bringen, so daß ich wenigstens bis in das Hotel und dort in mein Bett gelangen konnte. Auch sollten die Leute mir das, was man mir angetan hatte, nicht ansehen können. Es war ein heißer Stolz in mir. Denn ich war Toledo Ketshum, und ich hatte einen Namen hier zu beiden Seiten der Grenze. Ich war Laredo-Tole, ein Revolvermann, den man sich mieten konnte. Ich hatte mir Feinde gemacht, das war klar. Nicht nur Raoul Garret, sondern auch noch andere Männer würden mich zu jagen beginnen wie einen kranken Wolf, sobald sie nur erfuhren, daß es mir schlechtging und ich kampfunfähig war. Als dann endlich Ty Cantrell mit den Sachen kam, stand ich schon auf den Beinen und lehnte an einem Balken, der das Scheunendach stützte. Ty half mir, und er hatte auch eine Flasche Brandy mitgebracht. Ich nahm daraus zwei lange Schlucke und knurrte, weil das scharfe Zeug auf meinen zerschlagenen Lippen brannte. »Gil Crampus war hier, nicht wahr?« fragte der Junge. »So-o-o-o-o, Gil Crampus heißt er«, murmelte ich nur. »Weißt du denn auch die Namen der anderen beiden Hombres, die bei diesem bulligen John Bugbee sind?« »Larry Calhoun hat zerschlagene Lippen, eine neue Zahnlücke und ein blaues Auge. Und Jeremy Pecos' Nase trägt nun ein breites Pflaster.« Dann half mir der Junge beim Umziehen. Er mußte mir die Knöpfe zuknöpfen, denn dies konnte ich natürlich nicht. Meine Hände und Finger waren fast völlig steif. Ich nickte Ty zu, und als dieser mir zwei Dollar und einige Cents zurückgeben wollte, sagte ich, daß er das bleibenlassen solle. Ich bedankte mich bei ihm und machte mich auf den Weg. Ich ging Schritt für Schritt – und ich wußte, daß mir hier in Red Bluff noch eine Menge bevorstand. * Es war schon fast Abend, als ich das Hotel betrat. In der Halle stand Laura Hardcastel hinter dem Anmeldepult, als hätte sie auf mich gewartet. Aber sie mußte zweimal hinsehen, bis sie mich erkennen konnte. Das begriff ich schnell. Ich unterließ es, auch nur den Versuch zu einem Grinsen zu machen. Ich trat nur an das Pult und streckte meine Hand hin. Sie wollte wortlos den Schlüssel hineinlegen. Doch dann ergriff sie vorsichtig meine Hand, drehte sie um und besah sich
Handrücken und Finger. »Mit der Revolverkunst ist es für eine Weile aus«, sagte sie herb. »Der mehr oder weniger berühmt-berüchtigte Laredo-Tole Ketshum kann jetzt von einem drittklassigen Revolverschwinger erledigt werden.« »So ist es«, murmelte ich. »Und wenn ich allein in meinem Kämmerchen bin, werde ich verzweifelt weinen. Ich werde mir wünschen, ein Mäuserich zu werden, der in einem Loch verschwinden kann. Gut so?« In meiner Stimme war bitterster Sarkasmus. Ich ging die Treppe hinauf. Dann hielt ich vor der Tür der Keys. Sally Key öffnete mir, bevor ich mit der Stiefelspitze gegen die Tür stoßen konnte. Sie hatte mich gehört, und vielleicht hatte sie mich zuvor schon durch das Fenster auf der Straße gesehen. Wortlos ließ sie mich ein. Ich ging zu einem Sessel, setzte mich und schob meine Beine weit von mir. Dann sah ich zu meinem alten Sattelgefährten Tom Key hinüber, dem ich nicht helfen konnte. Er saß weit zurückgelehnt im Bett, und wahrscheinlich ging es ihm besser als mir. Die kleine Rosy stand am Fenster und hatte die Fensterbank gerade in Augenhöhe. Sie schob zwei bunte Schachteln hin und her; wahrscheinlich waren es für sie wunderschöne Wagen. Ich sagte: »Denke an deine kleine Tochter, Tom, und an deine reizvolle Frau. Sie haben mich halbtot geschlagen, damit du an mir sehen kannst, was dir zustoßen könnte. Sie dachten, der Sheriff hätte mich angeworben, euch zu schützen. Nun, ich gebe dir einen guten Rat, alter Junge. Sag dem Sheriff, daß du dich geirrt hast und die Anzeige nach reiflicher Überlegung zurücknehmen müßtest.« »Das sagst du mir, du, Toledo Ketshum, du, der niemals kuschte, nie aufgab und immer durchhielt, wenn andere aufgeben wollten? O Tole, ich war Zeuge eines Postüberfalles, bei dem es zwei Tote gab. Der Fahrer und ein Fahrgast wurden getötet, ich verwundet. Und der Anführer dieser Banditen war der Sohn jenes Mannes, in dessen Schatten hier alles leben muß. Wie kann ich …« »Du kannst«, sagte ich mühsam, »wenn du an deine Familie denkst. Überdies kommt es mir etwas merkwürdig vor, daß der Sohn eines so reichen und mächtigen Mannes insgeheim Postkutschen überfällt, um Lohngelder zu rauben.« »Weil er spielt«, sagte Tom Key. »Weil dieser Bastard in El Paso eine Menge Geld verspielt hat, das er eigentlich heimbringen sollte zu seinem Vater. Er hat mit seinen Kumpanen zwei gute Männer abgeknallt. Und ich weiß es und bin es diesen Männern, die meine Freunde waren, schuldig, daß ich ihren Mörder …« Er verstummte heiser. Ich kam endlich aus dem Sessel hoch und bewegte mich zur Tür. Sally öffnete sie mir. Sie sah zu mir empor und sagte: »Ich weiß nicht, Tole Ketshum, ob ich Ihnen danken soll. Denn Tom ist stolz. Und wenn er sich sein ganzes Leben lang wegen seiner Feigheit verachten muß, dann …« Sie verstummte ein wenig hilflos. Sie wollte mir sagen, daß für Tom das Leben dann eine Hölle sein würde und sie als seine Frau dann mit ihm leiden müßte. Sie kannte Toms Stolz. »Ihr müßt wählen«, sagte ich, »ob er stolz und tot oder feige und lebendig sein soll.
Was mich betrifft, so haben sie mich kleingemacht. Ich kusche.« Damit ging ich. Als ich drüben in mein Zimmer kam, war es noch hell genug, daß ich diesen John Bugbee sehen konnte, der die Befehle gegeben und mich auch selbst mehrmals hart geschlagen und getreten hatte. Er saß im Sessel und hatte die Füße auf dem Tisch. Ich ging zum Bett und streckte mich mühsam aus. »Ich habe alles gehört«, sagte John Bugbee. »Ich weiß ganz gut, wie dir zumute ist, Hombre. Wenn du dich wieder besser fühlst, will ich dir gerne Genugtuung von Mann zu Mann geben, mit den Fäusten oder mit dem Colt. Es war jedoch notwendig, daß wir dich auf diese Art kleinmachten. Sally Key mußte es sehen. Denn sie wird es letztlich sein, die ihren stolzen Tom beeinflußt. Und noch etwas, großer Mann aus Laredo! Hau ab, sobald du kannst.« Er ging und ließ die Tür offen. Aber ich stand nicht mehr auf, um sie zu schließen. Es war mir egal. Aber dann war jemand bei mir. Zuerst dachte ich, es wäre Sally. Doch dann öffnete ich die Augen. Draußen mußte es schon Nacht sein, denn die Lampe brannte. Laura Hardcastel war bei mir. Sie kümmerte sich um mich. Ich lag die ganze Nacht, den ganzen Tag und nochmals eine lange Nacht. Am zweiten Tag stand ich auf und bewegte mich vorsichtig durch das Zimmer. Und manchmal kaum Laura Hardcastel und brachte mir eine Schüssel mit einer Flüssigkeit, in der ich meine Hände badete. Wir sprachen nicht viel, aber es war dennoch so zwischen uns, als würden wir uns schon viele Jahre kennen und als redeten wir tausend Worte. Als die zweite Nacht anbrach, waren meine Hände wieder soweit, daß ich mir ziemlich mühsam, aber immerhin allein, die Knöpfe zuknöpfen konnte. Laura beobachtete mich. Dann fragte sie: »Und jetzt? Was tut ein in seinem Stolz so schlimm verletzter Revolvermann?« »Was willst du denn von mir hören?« fragte ich sie. »Drohungen? Schwüre, daß ich mich rächen werde? Was denn?« Sie betrachtete mich aus schmalen Augen. Dann kam sie plötzlich zu mir und küßte mich. Aber ich hielt sie nicht fest. Und so trat sie bald zurück. In ihrem Blick war nun eine Frage. »Du bist schon in Ordnung«, sagte ich. »Es ist alles richtig bei dir für mich. Es gefällt mir alles, und nicht nur äußerlich. Aber ich kann in einer Stunde schon tot sein. Deshalb fange erst gar nichts mit mir an, Honey. Es bringt dir nur Kummer ein.« Sie trat bis zur Tür zurück. Sie stellte keine Fragen. Auch versuchte sie nicht, auf mich einzuwirken. Sie sagte: »Viel Glück, Toledo Ketshum.« Dann wandte sie sich ab, öffnete die Tür und trat hinaus. Erst von draußen sagte sie über die Schulter: »Übrigens, Sally Key ist auf die FarmRanch hinaus. Mit dem Kind. Es gibt dort zuviel Arbeit. Aber daß sie hinaus ist, bedeutet wohl zugleich auch Tom Keys Aufgabe, nicht wahr?«
»Was blieb ihm übrig?« fragte ich zurück. Sie war nun ein wenig verwirrt. Aber dann schloß sie die Tür. Ich aber nahm den Colt, den ich damals hatte zurücklassen müssen, als John Bugbees Leute mich aus meinem Zimmer geholt und hinter die Scheune gebracht hatten. Ich konnte die Waffe kaum richtig halten. Als ich dann versuchte, sie schnell herauszuschnappen, entfiel sie mir und polterte zu Boden. Ich hob sie auf und steckte sie ein. Vielleicht, wenn ich Zeit hatte und sie in beide Hände nehmen konnte, dann würde es mir sicherlich möglich sein, damit zu schießen. Ich setzte mir meinen Hut auf und ging. Ich verließ das Hotel durch den Hinterausgang und blieb eine Weile im Hof an der Hauswand stehen, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Es gab eine Frage in mir, die immer stärker und heißer wurde: Raoul Garret! War er schon in Red Bluff? Ich mußte es herausfinden. Langsam setzte ich mich in Bewegung. Ich suchte mir meinen Weg in zumeist tiefster Dunkelheit durch Höfe, Gärten, Gassen, zwischen Corrals, einem Holzplatz und dem Wagenhof der Fracht- und Postlinie. Ich hielt überall dort an, wo die Dunkelheit besonders tief war, und dann verschnaufte ich, lauschte, witterte. Es war eine Unruhe in mir, ein Gefühl, daß etwas auf mich zukam. Es war mein ahnungsvoller Instinkt. Es dauerte lange, bis ich endlich die kleine Stadt Red Bluff umrundet hatte, fast zwei Stunden. Es war nun schon Mitternacht. Und nichts fand ich – kein verborgenes Pferd oder irgendwelche anderen Anhaltspunkte. Aber meine Ahnung von Gefahr war stärker, sicherer geworden. Oder bildete ich mir das nur ein? Ich überlegte, wie Raoul Garret es anstellen würde. Kam er allein oder mit einigen Begleitern? Würde er erst einen Spion in die Stadt schicken, den man nicht kannte und für einen wandernden Cowboy hielt? Oder würde er selbst offen hereingeritten kommen, um seinen Bruder aus dem Gefängnis zu holen und dann mit ihm zusammen nach mir zu suchen? Es gab viele Möglichkeiten. Bei Raoul Garret mußte man mit allem rechnen. Er war ein Mann, der sich auch vor einer ganzen Stadt nicht fürchtete. Ich ging weiter durch die Nacht und drang nun in jeder Gasse bis zur einzigen Hauptstraße von Red Bluff vor. Einige Wagen von den umliegenden Minen waren abgestellt, in denen Minenleute gekommen waren. Es gab Sattelpferde an den Haltestangen. Manche trugen den gleichen Brand, ein »C« im Stern, wahrscheinlich C-Star genannt. Das mußte der Cresswell-Brand sein. Ich hatte davon gehört. Doch es gab auch viele andere Brandzeichen. Und mit der Fähre waren viele Besucher aus Mexiko über den Rio Grande gekommen. Die Lokale der Stadt waren voll in Betrieb. Aus dem Red Bluff Saloon hämmerte ein Klavier. Und dann endlich hörte ich das erste Zeichen. Oh, verdammt noch einmal, das sah diesem Raoul Garret ähnlich! Zugleich auch mußte es sein kleiner Bruder im Gefängnis hören und wieder Mut bekommen.
Es war eine Trompete, die meisterhaft geblasen wurde. Dazu sangen zwei Männer, von denen einer noch Gitarre spielte. Diese drei Männer kamen langsam die Straße entlang. Es waren gewiß Musikanten aus einer der Bodegas. Und sie erfüllten offenbar einen Sonderwunsch. Sie spielten und sangen ein besonderes Lied. Und dieses Lied galt mir. Denn ich war Laredo-Tole Ketshum. Laredo, dies war das Stichwort. Das Lied war bekannt. Es war »The Cowboy's Lament«. Es handelte davon, daß der Geist eines Cowboys in den nächtlichen Straßen von Laredo spazierengeht, die tragischen Umstände seines Todes berichtet und Anordnungen trifft, wie man ihn beerdigen soll. Das Lied konnte nur mir gelten. Ich war Laredo-Tole, und Raoul Garret war gekommen und ließ mich wissen, daß ich schon so gut wie tot war. Ich grinste bitter. Das war Raoul Garrets Sinn für besonderen Stil. Er hatte längst schon begriffen, warum ich mir seinen kleinen giftigen Bruder geschnappt und hier ins Gefängnis eingeliefert hatte. Er wußte auch, daß er mir Genugtuung schuldig war und ich mir diesen Ort ausgesucht hatte, um ihn zu zwingen, mir diese Genugtuung zu geben. Er war gekommen. Vielleicht hatte er schon gehört, daß es mir jetzt sehr mies ging. Er freute sich gewiß, daß der Zufall ihm half und er es nur noch mit einem kranken Mann zu tun hatte. Wo mochte er sein? Ich verließ die Gasse und gelangte durch eine schmale Hauslücke in eine andere. Dabei nahm ich mir Zeit. Ich überstürzte nichts. Normalerweise würde ich kaum mehr als fünf Minuten benötigt haben. Doch jetzt nahm ich mir mehr als eine halbe Stunde Zeit. Und die ganze Zeit hörte ich das Lied. Aber warum schritt der Sheriff nicht ein? Es war längst nach Mitternacht. Was die drei Mexikaner taten, war Ruhestörung auf der Straße. Ich wußte plötzlich, daß Raoul Garret oder dessen Männer den Sheriff schon hatten – und deshalb auch Mac Garret nicht mehr in der Zelle saß. Oh, es lief alles schief. Ich hatte zu lange im Bett gelegen und in den Stunden, in denen es darauf ankam, nicht wachsam lauern können. Endlich hatte ich das Ende der neuen Gasse erreicht und konnte über die Straße zum Sheriff's Office hinübersehen. Dort brannte Licht. Ich sah hinter den Vorhängen manchmal den Schatten eines herumwandernden Mannes. War es der Sheriff? Oder Raoul Garret, der dort drinnen auf mich mit seinem inzwischen schon befreiten Bruder wartete? Und was war dann mit dem zweiten Gefangenen, diesem Early Cresswell, geschehen? Endlich dachte ich an John Bugbee und die anderen Männer der Cresswell-Ranch. Sie mußten noch hier sein, und sie würden nicht dulden, daß Early Cresswell etwas geschah oder daß er gar entwich und flüchtete. Sein Vater wollte einen Freispruch, keine Flucht. Ich grinste bei dem Gedanken, daß Raoul Garret vielleicht mit John Bugbee Ärger bekommen konnte. Bugbee wollte keinen Ärger im Sheriff's Office. Dort sollte alles
ruhig bleiben, bis der Richter kam und Tom Key seine Anzeige und bisherige Aussage zurücknahm. Nun endlich wußte ich Bescheid. Wo Raoul Garret auf mich auch lauern mochte, er hatte gar nicht viel Zeit. Er konnte nicht lange warten, nicht bei mir im Hotelzimmer, nicht im Mietstall, nicht irgendwo auf der Straße – und auch nicht dort drüben im Sheriff's Office oder wo er sonst noch stecken mochte. Ich überlegte, wo er und seine Begleiter die Pferde haben konnten. Und ich fragte mich auch, wo er über den Rio Grande gekommen war. Denn er war in Mexiko, als ich mir seinen Bruder geschnappt hatte. Das war sicher. Ich ging, und wieder nahm ich mir Zeit. Ich brauchte fast eine ganze Stunde, um aus der Gasse herauszukommen und dann um die Viertelstadt einen Bogen zum Fluß zu schlagen. In der Hütte des Fährmannes brannte noch Licht. Die Fähre war soeben von der Mexiko-Seite zurückgekommen und festgemacht worden. Die Fähre wurde nicht gerudert, sondern über eine Winde an einem Kabel gezogen, das hinter ihr wieder auf den Grund des Flusses fiel. Die Wassertiefe betrug kaum mehr als einen Yard. Doch man versank im tiefen Schlamm, wollte man versuchen, den Strom zu durchreiten. Man mußte hier weit und breit die Fähre nehmen, war man beritten oder mit einem Wagen unterwegs. Ich hörte den Fährmann, der noch einen jungen Mexikaner als Helfer hatte, zu jemandem sagen: »Jetzt kommt niemand mehr. Sie sind alle drüben. Ich gehe jetzt mit meinem Pedro schlafen.« »Ihr bleibt«, erwiderte eine harte Stimme. »Ihr bleibt auf der Fähre und haltet diese zum sofortigen Ablegen bereit. Ich werde dort vor eurer Hütte auf der Bank sitzen und euch ganz genau beobachten. Und wenn ihr noch mal ungefragt was sagt, dann zeige ich euch mal was!« Der Fährmann war schon alt und hatte ein Holzbein. Sein mexikanischer Gehilfe war jung und kräftig, doch wahrscheinlich sonst harmlos. Sie schwiegen. Im Mondlicht konnte ich sehen, wie sie es sich auf der Fähre bequem machten, um hier ein paar Augen voll Schlaf zu bekommen. Ich befand mich bald schon in guter Deckung der Hütte. Ich hielt mich im Schatten und sah dann auch das Sattelpferd. Es war vor der Hütte angebunden, aber mehr an der Ecke und unter einem Cottonwoodbaum. Der Mann saß vor der Hütte auf einer Bank. Er hatte ein Gewehr über den Knien. Im herausfallenden Lichtschein erkannte ich, daß es eine doppelläufige Schrotflinte war. Nun erkannte ich meine Chance. Der Mann trug mexikanische Tracht und einen besonders großen Hut, aber er war gewiß nur zur Hälfte ein Mexikaner. Er hatte wie ein Texaner zum Fährmann geredet. Ich schob mich um die Ecke ziemlich dicht an ihn heran. Er hatte die Schrotflinte ungünstig für sich auf den Knien liegen. Der Kolben zeigte in meine Richtung. Als er sich eine Zigarette anzündete und beide Hände vor seinem Gesicht hatte, sagte ich zu ihm: »Ich könnte dir den Kopf abschießen. Soll ich?« »Lieber nicht«, sagte er. »Und es wäre bei mir auch nichts zu holen. Ich habe nur ein paar Dollars in der Tasche.« »Hombre«, sagte ich, »du kannst mich nicht bluffen. Du hältst hier doch nur für den lieben Raoul den Fluchtweg offen. Er wartet drinnen in der Stadt auf mich mit seinem
lieben Brüderchen. Und das weißt du genau. Na, dann gib mir schon die Schrotflinte. Und paß auf, daß sie keinen Krach macht. Denn dann bekommst du was ab von mir. Also?« In meiner Stimme war zuletzt meine ganze kalte und grimmige Härte. Er gab mir sein Gewehr. Ich nahm es am Kolbenhals. Und dann bekam er den Doppellauf auf den Hut. Ich nahm das Lasso vom Pferd, wickelte den Burschen darin ein und zog ihn dann in den Schatten des Baumes. Es gab hier einen Stapel Treibholz. Hier lagerte ich den Bewußtlosen und band ihm noch das eigene Halstuch als Knebel um. Als ich mir seinen Hut aufsetzte und mich an seiner Stelle auf die Bank setzte, war ich schweißgebadet. Die beiden Fährleute hatten offenbar nichts gemerkt und gehört, oder sie wollten sich taub stellen. Der nahende Morgen schickte sein erstes Grau. Ich saß mit dem Gesicht nach Süden. Zu meiner Linken war Osten. Von dort mußte der Tag kommen. Und Raoul Garret mußte aus der Stadt, also von Norden her, zum Fluß und der Fähre kommen. Die Musikanten spielten und sangen schon lange nicht mehr das Lied von der Cowboyklage in Laredo. Raoul Garret und sein Bruder Mac – und wen sie sonst auch noch bei sich haben mochten – mußten es jetzt aufgeben, auf mich zu warten oder nach mir zu suchen. Sie mußten kommen. Und kaum hatte ich dies gedacht, hörte ich auch schon Hufschlag. Ich blieb sitzen, behielt die Schrotflinte über den Knien und senkte meinen Kopf so, als wäre ich eingeschlafen. Der große Hut verdeckte mit seiner breiten Krempe eine Menge von mir. Die Reiter kamen nun an der Hausecke vorbei in mein Blickfeld, denn ich schielte nach links. Auch der Doppellauf der Flinte zeigte nach links. Eine harte Stimme rief zu mir herüber: »Verdammt noch mal, Cass, bist du eingeschlafen?« Es war Raoul Garrets Stimme. Er hielt auch, während er rief, sein Pferd etwas zurück. Sein kleiner Bruder Mac, den er aus dem Gefängnis geholt hatte, ritt neben ihm und zügelte ebenfalls den Gaul. Irgendwo hatten sie ihre Pferde abgestellt, und diese waren mir nicht aufgefallen. Vielleicht hatten sie die Tiere sogar frech an die Haltestangen des Saloons gestellt. Es waren noch zwei weitere Reiter bei den Garrets. Mit jenem, den ich ins Lasso gewickelt hatte, war Raoul also mit drei Mann gekommen. Ich bewegte mich immer noch nicht. Und da hielten zuerst Raoul und dann auch Mac Garret an. Die beiden anderen Reiter ritten noch halbwegs bis zur Fähre hinunter. Raoul Garret fluchte nun laut: »Verdammt, Cass, du …« Er war einige Schritte näher herangeritten. Nun verstummte er, denn jetzt erst konnte er erkennen, daß unter dem großen Hut von jenem Cass ein anderer Mann verborgen war. Ich hob den Kopf. »Hey, Raoul«, sagte ich. Er verharrte still im Sattel.
Doch sein Bruder Mac schrie wild und böse: »Das ist er! Das ist der verdammte Bastard, der mich …« »Halt dein verdammtes Maul!« zischte Raoul Garret. Auch die beiden anderen Reiter hielten, allerdings ein Stück weiter. Sie wollten zurückreiten. Doch ich sagte: »Schick sie zur Fähre, Raoul!« Er rief auch sofort: »Schon gut, Santos, Johnny, schon gut! Bringt schon mal die Gäule auf die Fähre! Wir kommen gleich nach und bringen Cass und dessen Pferd mit!« Sie gehorchten. Ich wartete, bis sie unten am Ufer bei der Fähre waren. Dann sagte ich: »Wir waren wohl immer füreinander bestimmt, Raoul. Denn früher oder später mußten wir uns in die Quere kommen. Dich juckte es schon lange, nicht wahr?« »Ich konnte dich nie leiden«, sagte er. »Seitdem ich damals in River Bend beim Poker gegen dich verlor und du mir in Nogales die schöne Conchita ausspanntest, konnte ich dich noch weniger leiden. Eigentlich wartete ich schon lange auf eine Gelegenheit, dich mal abseifen zu können. Ich hörte jedoch, daß sie dich in Red Bluff wie einen räudigen Hund verprügelt haben«, sprach er weiter. »Du mußt doch krank und steif wie eine alte Kuh sein, Amigo. Willst du es nicht lieber aufschieben, bis du dich besser fühlst?« »Nein«, sagte ich. »Was zwischen uns ist, duldet keinen Aufschub. Mach dir das doch mal richtig klar. Ich war von den Burnett-Geschwistern angeworben, sie und die kleine Goldmine zu beschützen. Das war ein fester Vertrag. Dafür wurde ich bezahlt.« »Sicher«, grinste er im grauen Morgen. »Und überdies hattest du was mit Stella Burnett. Die gefiel dir sehr, nicht wahr? Deshalb nahm ich sie mir auch, nachdem ich ihren Bruder und die drei Arbeiter erledigt und auch das Gold gefunden hatte. Du warst zu weit weg, Hombre, viel zu weit. Du konntest sie nicht beschützen. Es war dumm von dir, zwei Tage fortzubleiben, um Proviant und Werkzeuge zu holen. Ich nahm dir Stella weg und revanchierte mich. Na, was jetzt? Ich hoffte, du würdest meiner Fährte nach Mexiko hinein folgen. Doch da lief dir mein kleiner Bruder über den Weg. Ich erfuhr schnell, was du mit ihm tatest. Na gut, das alles wurde in Ordnung gebracht. Und was jetzt?« »Du wirst nicht auf die Fähre kommen«, sagte ich. »Denn wenn ich auch ein krankgeschlagener Hund bin, der sonst keine Chance hätte – ich habe einen Freund gefunden. Hier!« Ich klopfte auf den Kolben des Parker-Schrotgewehres. »Das ist keine Vogelflinte«, sagte ich. »Das Ding gehört Cass. Wetten, daß ich euch damit aus den Sätteln hole?« Er gab keine Antwort. Aber er wußte nun endgültig, daß der Kampf unvermeidlich war. Er war ein Bandit und Mörder, der sich an Leuten vergriff, deren Schutz ich übernommen hatte. Ich konnte ihn nicht davonkommen lassen. Und so handelte er plötzlich. Er riß sein Pferd hoch, so daß es aufbäumte und ihn mit Hals und Kopf deckte. Auch sein Bruder tat es, nur etwas später. Aber ich ließ mich nicht irritieren. Ich schoß noch nicht. Obwohl ich wußte, daß es um winzige Sekundenbruchteile ging – denn wenn der Gaul mit der Vorderhand wieder herunterkam, würden die Colts krachen –, wartete ich. Und dann schoß ich doch noch rechtzeitig. Eine Kugel brannte wie ein Peitschenhieb über meine Brust. Aber dann fiel er mitsamt seinem Pferd. Auf zehn Schritte wirkte die grobe Ladung der
starken Schrotbüchse gnadenlos. Auch das aufbäumende Pferd seines Bruders Mac kam herunter. Doch Mac schoß nicht. Mac ließ seinen Revolver fallen, stieß einen schrillen Schrei aus und hob dann die Hände. »Das ist klug von dir, mein Bester«, knirschte ich. Aus der Stadt kamen Reiter. Stimmen brüllten. Und die beiden anderen Banditen bei der Fähre fluchten und sorgten dafür, daß die Fähre ablegte. Ich sah auf die Reiter. Sie wurden von diesem John Bugbee geführt. Er kam zu mir geritten und sah auf die Schrotflinte. »Diese Schufte haben den Sheriff eingesperrt und die Gefangenen freigelassen. Ketshum, es ist Ihre Schuld, daß dieser wilde Junge die Flucht ergriff, statt auf einen Freispruch zu warten. Ich hätte Lust …« »Lieber nicht«, unterbrach ich ihn. »Ich habe noch einen Lauf voll Indianerschrot in diesem Parker-Gewehr. Lieber nicht, Bugbee!« Er saß still im Sattel wie zuvor schon Raoul Garret, der jetzt tot war. Seine Männer hinter ihm warteten unruhig. »Wir werden uns schon noch besser kennenlernen«, sagte ich. »Noch etwas?« Er gab nicht gleich eine Antwort, sondern kämpfte mit seinem kalten Zorn. Er war der Erste Vormann einer Riesenranch, und er war mächtig. Jetzt mußte er kneifen. Der Sheriff kam herangeritten. Er starrte auf mich, dann auf Raoul Garret, der halb unter seinem toten Pferd lag. Mac Garret saß immer noch im Sattel und hielt die Hände hoch. Er zitterte am ganzen Körper. Ich sagte laut zu ihm: »Also los, Mac! Herunter vom Gaul und dann zu Fuß vor mir her ins Körbchen.« Ich sah kurz zu Bugbee hin. »Wollen Sie noch was, Bugbee?« Er zögerte. Dann lachte John Bugbee. »Wir werden sehen«, sagte er. »Wir werden sehen. Ich habe begriffen, daß Sie hier ganz eigene Angelegenheiten zu erledigen hatten, Laredo-Tole Ketshum. Dieser Sheriff hat uns beide reingelegt. Vergessen Sie lieber die erhaltenen Prügel.« Er ritt davon. Seine Männer folgten ihm. Ich hörte ihn rufen, daß sie nun alle höllisch schnell nach Early Cresswell suchen müßten, bevor dieser irgendwelche Dummheiten machen könne. Der Sheriff blieb noch und ritt dann neben mir her, als ich Mac Garret in die Stadt zurückmarschieren ließ. Den gefesselten Banditen ließ ich unter dem Cottonwoodbaum liegen. Auch das Pferd ließ ich stehen. Der Sheriff kümmerte sich ebenfalls nicht darum. Der Sheriff sagte: »Sie hatten mit Raoul Garret also eine Rechnung zu begleichen, wie ich richtig vermutete. Und für seinen kleinen Bruder wollen Sie dennoch die Belohnung kassieren?« »Die Garrets sind mir mehr schuldig als fünfhundert Dollar«, sagte ich. »Auf Raouls Kopf sind fünfzehnhundert ausgesetzt, nicht wahr? Aber selbst zweitausend reichen nicht. Er hat drüben in Mexiko meine Partner an einer Goldmine getötet. Er nahm sich meine Verlobte, schleppte sie mit und …«
Ich sprach nicht weiter. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Und was ging diesen Al Quade an, was zwischen mir und Raoul Garret war? Raoul Garret war nun tot. Ich hatte Vergeltung geübt. * Als ich ins Hotel kam, war ich ausgebrannt wie nie zuvor, und ich erlebte alles immer wieder noch einmal in meinen Gedanken. Auch die kreischende Stimme von Mac Garret, der mich wieder einmal verfluchte, klang mir noch in den Ohren. Warum hatte ich ihn in die Zelle zurückgebracht? Er hatte mir doch nur als Lockvogel gedient. Ich hatte nicht nach Raoul Garret suchen wollen. Denn ich wußte, er würde nur darauf warten, daß ich in seine Falle lief. Er sollte zu mir kommen. Aber warum brachte ich Mac Garret in die Zelle zurück? Wegen der Belohnung auf seine Ergreifung? Weil er ein Garret war? Weil der ganze Garret-Clan bald auf meiner Fährte sein würde und es gut war, diesen Clan zu schwächen und irgendwo aus einem Hinterhalt zu erledigen? Ich kannte die Garret-Sippe gut genug. Raoul war der schlimmste Vertreter dieses Clans gewesen. Aber es gab noch zwei oder drei Vettern von ihm, die waren nicht viel harmloser. Und das Oberhaupt der Garrets, Old Man Garret, würde sie alle auf mich ansetzen. Ich hatte Krieg mit den Garrets. Und so mußte ich sie schwächen. Nun, ich kam also im Hotel an und fühlte eine große innere Leere. Ich wollte hinauf in mein Zimmer gehen und mich dort ins Bett legen. Aber Laura Hardcastel wartete schon auf mich. Ich sah ihr an, daß sie nicht nur voller Unruhe war, sondern sich über irgendwelche Dinge höllische Sorgen machte. »Es ist ja alles vorbei«, sagte ich beruhigend. »Nichts ist vorbei«, sagte sie. Sie gab sich große Mühe, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten, und sie war ja auch eine Frau, die schon mehrere schwierige Situationen erlebt hatte. Aber jetzt hatte sie Angst. Dies erkannte ich endlich. Sie eilte vor mir her die Treppe hinauf. Wie leichtfüßig sie war! Wir waren oben. Ich glaubte, sie wollte mit mir in mein Zimmer kommen. Doch sie ging in das Zimmer der Keys. Ich erinnerte mich daran, daß Sally Key mit ihrem Kind auf die Farm-Ranch zurückgekehrt war, weil dort das Vieh versorgt werden mußte. Mein alter Sattelgefährte Tom Key, dem ich nicht hatte beistehen können, weil ich selbst genug auf dem Halse hatte, war allein. Laura Hardcastel schloß hinter uns die Tür. Tom Key saß im Bett mit zwei Kissen hinter dem Rücken. Er wirkte verstört und sah mir mit unruhig flackernden Augen entgegen. Und da sah ich endlich, worum es ging. Early Cresswell, der mit Mac Garret aus dem Gefängnis geflüchtet war – was Raoul Garret sicherlich grinsend geduldet hatte –, war mit im Zimmer. Man konnte ihn von der Tür aus nicht sofort entdecken. Denn er lag zwischen Fenster und Bett am Boden. Er war tot. Das erkannte ich schon an der Art, wie er am Boden lag. Early Cresswell, der einzige Sohn und Erbe eines großen und mächtigen Ranchers, war
tot. Er lag auf dem Rücken, und die Kugelwunde befand sich genau über dem Herzen. Ich sah zu Tom Key hinüber. Der sagte heiser: »Er kam zu mir, um mich umzubringen. Er sagte, daß ich es nun endlich von ihm bekommen würde. Und dann müßte ich ja wohl mein Maul halten und könnte nicht mehr gegen ihn aussagen. Er zielte mit dem Revolver auf mich, doch ich hatte meine Waffe unter der Decke. Ich schoß durch die Decke und traf ihn gleich richtig. Nun will Duke Cresswell meinen Skalp.« Ich nickte. »Das ist wohl klar«, murmelte ich und sah das Kugelloch in seiner Bettdecke. »Dieser wilde Early war ja irgendwie verrückt«, sagte er. »Der war wirklich verrückt. Wahrscheinlich fühlte er sich stets so klein im Schatten seines Vaters und mußte deshalb immer wieder verrückte Dinge tun und um jeden Preis gewinnen, mochte es ein Pokerspiel, ein Wettritt oder sonstwas sein. Der war ja richtig verrückt!« Laura Hardcastel mischte sich ein. »Ich habe noch zwei Gäste im Haus«, sagte sie. »Aber die kamen ziemlich berauscht gegen Ende der Nacht aus dem Saloon herüber. Die schliefen zu fest und hörten den Schuß nicht. Und draußen auf der Straße wird schon manchmal von betrunkenen Reitern in die Luft geschossen. Tole Ketshum, du mußt den Toten fortschaffen – irgendwohin. Begreifst du das? Wegen Tom Key, wegen mir und …« Sie verstummte und ließ mich selbst die ganzen Folgerungen ziehen. Man vermutete Early Cresswell gewiß nicht in der Stadt. Aber wenn man ihn hier fand, würde Duke Cresswell sich in einen rächenden Despoten verwandeln. Sein Vormann John Bugbee hatte Fehler gemacht und nicht gut genug auf Early geachtet. Wahrscheinlich würde er auch seinen Vormann strafen. Ich nickte. »Ja, ich muß ihn fortschaffen. Aber es ist schon Tag. Wir müssen damit warten, bis es wieder Nacht ist. Und wo lassen wir ihn bis dahin?« »Wenn du ihn mit meiner Hilfe die Treppe hinunter bekommst und ein kurzes Stück über den Hof in den Schuppen tragen kannst …«, sagte Laura. Ich nickte. »Das schaffe ich auch noch«, sagte ich. * Als ich am späten Nachmittag erwachte, fühlte ich mich körperlich wohler. Aber dann fiel mir alles wieder ein. Wir hatten den toten Early in den Getränkeschuppen gebracht, von dem nur Laura den Schlüssel hatte. Und dann war Laura mit mir auf mein Zimmer gekommen. Ich hatte ihr alles erzählt, auch von Stella Burnett, die Raoul Garret sich nahm wie ein Wilder und die er dann in der Wildnis zurückließ. Ich fand sie zu spät, als ich seiner Fährte folgte, und erkannte endlich, daß ich im Begriff war, in eine Falle zu reiten. Ich kehrte um, und eine Woche später traf ich auf Mac Garret. Dies alles erzählte ich ihr. Ich stand auf, und ich wußte, daß ich Early Cresswell heute nacht verschwinden lassen mußte, wenn ich Tom Keys Leben retten wollte. Es gab keine andere Möglichkeit.
Und dennoch war es wahrscheinlich falsch, so zu handeln. Warum konnte man in dieser lausigen Stadt nicht zum Sheriff gehen und die ganze Sache dem Gesetz überlassen? Aber auf diese Frage gab es auch schon eine Antwort. Duke Cresswell war hier in diesem Lande stärker als das Gesetz. Mochte dieser Sheriff Al Quade noch so furchtlos und unbestechlich sein, er war so verdammt allein. Und deshalb war das Gesetz hier nur so stark wie Al Quade. Plötzlich verstand ich ihn besser. Ich kleidete mich an und ging hinunter. Ich lief schräg über die Fahrbahn zum Red Bluff Saloon, denn dort konnte ich nicht nur ein Bier, sondern auch ein paar Happen vom kalten Frei-Imbiß bekommen. Es waren nur zwei oder drei Gäste da. Einer spielte allein Billard. Die beiden anderen saßen in den Ecken und dösten vor sich hin. Es war kühl hier. Fliegen summten. Hinter der narbigen Bar stand ein bulliger Mann, glatzköpfig und mit einem Bart wie ein englischer Colonel. Ich legte einen Dollar hin und trat an den Frei-Imbiß-Tisch. Ich begann zu essen und wurde zuerst dabei noch hungriger. Als der Wirt das Bier eingeschenkt hatte, trat ich kauend zu ihm, nahm es und trank es mit einem Zug. Dann legte ich noch einen Dollar hin. Denn ich war noch längst nicht satt und begriff, daß ich noch eine Menge verputzen mußte. Der Wirt betrachtete mich mit zurückhaltendem Wohlwollen. »Hat man Early Cresswell schon gefunden?« Dies fragte ich. Er schüttelte den Kopf. »Das ist nur noch eine Frage von kurzer Zeit«, sagte er. »So wie ich Duke Cresswell kenne, wird er inzwischen hundert Reiter in den Sätteln sitzen haben, die allesamt nach seinem Augenstern Early suchen. Die finden ihn schon. Und ich wette, daß er seinen Jungen dann ins Gefängnis zurückschicken wird, damit er ihn freigesprochen bekommt. Das macht was her.« »Werden Sie für die Garrets die Belohnung kassieren?« Dies fragte der Wirt und hatte ein Glitzern in seinen Augen. Der Billardspieler hielt inne, um meine Antwort nicht zu verpassen. Ich sagte: »Na und? Wer würde die Belohnungen schießen lassen?« »Niemand«, sagte der Wirt. »Doch es gibt noch mehr Garrets beiderseits der Grenze zwischen El Paso und Nogales. Aber was geht mich das an?« »Eben«, sagte ich und leerte das zweite Glas Bier. Als ich mich zum Gehen wenden wollte, klang draußen der Hufschlag einiger Reiter. Sie hielten vor dem Saloon und saßen ab. Eine präzise klingende Stimme sagte: »Also fangt an, Jungens! Er muß in der Stadt sein. Dreht Red Bluff um wie eine Tasche. Seht genau hin, was alles herausfällt.« Dann kam der Mann herein, aber nicht allein. Er hatte zwei Leibwächter bei sich. Das alles erkannte ich sofort. Denn es gab keinen Zweifel, daß Duke Cresswell gekommen war. Einen seiner beiden Leibwächter kannte ich von früher. Es war Edson Vansitter, ein Revolvermann wie ich. Den zweiten Leibwächter des Rinderkönigs kannte ich nicht. Aber er hatte zumindest zu einem Viertel Indianerblut in sich und war dunkel, kaum mittelgroß, doch sehr breit und kantig. Bemerkenswert war sein steifer Hut, den er ohne jeden Kniff oder irgendeine
Verformung der Krempe trug. Von Duke Cresswell war ich auf den ersten Blick etwas enttäuscht. Er war einer von diesen Männern, bei denen man zweimal hinsehen mußte. Auf den ersten Blick ließ er an einen alten Terrier denken. Er war kaum mittelgroß, doch sehr drahtig und gut proportioniert. Sein graues Haar machte ihn auch älter. Aber er war um die fünfundvierzig. Und wenn man ihn zum zweitenmal ansah, da spürte man es scharf. Was? Nun, dies war nicht so einfach zu beschreiben oder zu erklären. Denn da war viel. Da strömte eine Selbstsicherheit, eine Souveränität von ihm aus. Aber da war auch zwingende Willenskraft, unduldsame Härte, die sich gegen alles richtete, was sich nicht sofort unterwarf. Daß er zwei Leibwächter bei sich hatte, bedeutete nicht Furcht. Aber er war zu sehr ein Mann geworden, der nur noch Befehle gab und nicht mehr selbst kämpfte. Doch er war gewiß noch dazu in der Lage. Dies sah ich an der Art, wie er seinen Colt trug. Der Billardspieler sagte laut herüber: »Sir, das ist dieser Laredo-Tole Ketshum.« Duke Cresswell nickte kaum merklich. Er sah mich noch nicht an, sondern trat zum Schanktisch. Der Wirt schenkte ihm Bier ein. Während Duke Cresswell trank, nickte mir Ed Vansitter zu. »Seit wann bist du ein Kopfgeldjäger, Tole?« So fragte er, während er sein Bier nahm. »Bin ich nicht«, erwiderte ich. »Es juckte Raoul Garret schon lange. Und er tötete drüben in Mexiko meinen Partner und nahm sich meine Braut wie ein wilder Indianer. Das war der Grund, Ed.« Edson Vansitter nickte. »Ich war schon etwas irre an dir geworden«, murmelte er. »Nun verstehe ich dich.« Ed Vansitter setzte das Glas ab und deutete auf den anderen Leibwächter. »Das ist Otis Pytaja«, sagte er, aber der Name sagte mir nichts, gar nichts. Duke Cresswell wandte sich mir halb zu. Aber er sah mich nicht an. »Kommen Sie her«, sagte er knapp. Ich grinste nur und wartete. Da wandte er sich mir ganz zu, sah mich voll an und sah nun auch mein Grinsen. »Sie sind wohl sehr stolz, Laredo-Tole?« fragte er. »Nicht weniger als Sie, Cresswell«, erwiderte ich. »Und Sie vergessen nie etwas, Laredo-Tole?« »Nein.« »Auch die erhaltenen Prügel nicht, diese irrtümlich erhaltenen Prügel nicht?« »Nein, Cresswell. Ich weiß nur noch nicht, wem ich sie zurückgeben soll, Bugbee oder Ihnen. Denn Bugbee war ja auch nur ein Handlanger. Der Boß sind Sie. Im Grunde bekam ich die Prügel von Ihnen, nicht wahr?« »Vorsicht, Tole«, murmelte Ed Vansitter neben mir. »So kannst du nicht weitermachen.« Otis Pytaja aber fragte mit kehliger Stimme: »Sir, soll ich ihn kleinmachen, diesen Narren?« Ich trat zwei Schritte seitwärts von ihnen fort. Nun hatte ich sie alle drei vor mir. Aber mein Verhalten war nur ein Bluff. Mit meinen Händen konnte ich immer noch
nicht viel anfangen. Aber ich sagte: »Na schön, dann probiert mal, ob ich so leicht kleinzumachen bin. Probiert es mal aus!« Es war eine kalte Herausforderung, ich wußte es. Duke Cresswells Augen waren noch schmaler geworden. Aber dahinter glitzerte ein despotischer Zorn. Doch er war ein Mann, der sich beherrschen konnte. Er lächelte schmal. »Sie sollten die Prügel vergessen, Mr. Ketshum«, sagte er beherrscht und in seiner präzisen Art, die keinerlei Gefühl erkennen ließ. »Sie sollten sich besser zum Teufel scheren, Mister, bevor wir richtig miteinander zu tun bekommen. Ich suche meinen Sohn, und Sie sind wegen Ihrer Fehde mit den Garrets nicht ganz unschuldig an meinen Schwierigkeiten. Wenn Sie etwas auf dem Herzen haben gegen die Cresswells, nun, dann genügt John Bugbee, um das mit Ihnen zu erledigen. Sollte er das nicht schaffen, nun, dann nehme ich es in die Hand. Noch etwas, Mr. Ketshum?« Und ich wußte, daß ich die Dinge nicht noch weiter auf die Spitze treiben durfte. Ich war körperlich noch gar nicht dazu in der Lage. Ich wandte mich ab und ging hinaus. Und dabei fiel mir heiß ein, daß sie überall in der Stadt nach Early Cresswell suchten, den ich nach Anbruch der Dunkelheit aus der Stadt schaffen wollte. Letzteres würde nun höllisch schwer sein. Und dann würde Duke Cresswell blindlings sein Strafgericht beginnen. Sollte ich den Sheriff einweihen? Al Quade vertrat hier das Gesetz. Aber er konnte Tom Key nicht schützen. Ich ging die Straße entlang zum Fluß zu. Aus einer Gasse trat plötzlich John Bugbee. »He, Hombre!« So rief er mich an. In seinem Gesicht war Ungeduld. In seinen Augen erkannte ich Unruhe. »Wegen dir und den Garrets kam das alles«, sagte er, indes er auf mich zutrat und die Hände in die Hüften stützte. Er wippte auf den Sohlen und wartete nur darauf, daß ich was riskierte. »Wenn dem lieben Early etwas zugestoßen ist oder wenn er neue Dummheiten gemacht hat, die nicht mehr auszubügeln sind, nun, Bruderherz, dann macht dein eigener Boß dich klein, weil du hier in Red Bluff nur auf dem Hintern gesessen und nicht gut genug aufgepaßt hast. » Dies sagte ich ihm trocken. »Wegen dir und den Garrets kam das alles«, wiederholte er beharrlich. »Vielleicht weißt du sogar, wo Early Cresswell sein könnte. Die Garrets, durch die er aus dem Gefängnis entkommen konnte, gaben ihm vielleicht einen guten Rat. Dann sag es mir jetzt! War er am Ende sogar auf der Fähre? Haben uns die Fährleute angelogen, als sie es verneinten? Raus damit!« »Ich kann dir nicht helfen«, sagte ich, drehte ihm den Rücken zu und ging weiter. Ich war darauf gefaßt, daß er mir nachspringen und mich an der Schulter herumreißen würde. Doch er tat es nicht. Ich blickte nicht zurück, aber ich wußte, daß er still dastand und mir nachblickte. Und ich machte mir Sorgen, daß ihn eine Ahnung spüren ließ, wie viel ich doch noch mit Early Cresswell zu tun hatte. John Bugbee war ein Mann mit einem besonders ausgeprägten Instinkt.
Aber er ließ mich gehen. Seiner Meinung nach konnte ich ihm ja gar nicht entkommen. Ich hielt vor dem Sheriff's Office und trat dann ein. Al Quade saß hinter seinem narbigen Schreibtisch. Er trug ein Pflaster hoch über der Stirn und hatte gewiß auch noch etwas Schmerzen. »Die Garrets hätten es etwas härter machen sollen«, sagte ich. »Was ist schon solch eine Beule? Ich bekam mehr ab, weil Sie so listig sein wollten.« »Sonst noch etwas?« fragte er. Ich nickte. »Die Bescheinigung für die beiden Garrets«, sagte ich. »Wenn der Richter in ein paar Tagen kommt«, murmelte er. »Sie müssen schon warten. Für zweitausend Dollar kann man schon eine Weile warten, nicht wahr?« »Dann kommen noch mehr Garrets.« »Und wenn schon«, grinste er. »Ich mag Sie nicht, Tole Ketshum, gar nicht!« »Das beruht auf Gegenseitigkeit«, grinste ich und setzte mich ihm gegenüber in den Besuchersessel. »Eines möchte ich wissen«, sagte ich. »Sie tanzen nicht nach Duke Cresswells Pfeife. Aber Sie sind mehr oder weniger hilflos mit Ihrem Stern in seinem Machtbereich. Was würden Sie zum Beispiel tun, wenn seinem Early hier in dieser Stadt etwas zugestoßen ist und sein Vater blindwütig Rache nimmt – an der ganzen Stadt vielleicht oder an Unschuldigen? Na, was würden Sie tun?« Er starrte mich an. »Haben Sie eine Aussage oder eine Anzeige zu machen?« fragte er. Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich. »Aber herausfinden wollte ich, ob Sie es wagen würden, richtig gegen Duke Cresswell anzutreten.« »Das würde ich«, sagte er. »Wenn ich einwandfreie Gründe hätte. Ich bin das Gesetz. Was wissen Sie von Early Cresswell?« Ich schüttelte den Kopf. Dann ging ich. Obwohl ich schon halb entschlossen gewesen war, ihm alles zu erzählen, ließ ich es nun. Denn was konnte er schon tun? Er war allein. Gegen Duke Cresswells Interessen würde er im ganzen Land kein Aufgebot zusammenbekommen. Alles, was er tun konnte, war nur nachher möglich. Als ich auf die Straße trat, setzte die Dämmerung ein. Ich ging weiter zum Fluß und sah mir im letzten Schein des Abendrotes die örtlichen Verhältnisse an. Ein Stück unterhalb der Fähre waren ein paar kleine Boote am Ufer. Wenn ich Early Cresswells Leichnam bis dorthin bringen und dann in eines der kleinen Boote legen konnte, dann brauchte ich das Boot nur weit genug in den Strom zu stoßen. Es würde mit Early abwärts schwimmen – viele, viele Meilen gewiß. Und irgendwo würden Menschen das Boot an Land holen, den Toten finden und ihn bestatten. Ja, das war mein Plan. Ich kehrte zurück. Überall wurden nun die Lampen angezündet. Aber es war heute stiller als sonst. Man sah kaum Fahrzeuge und nur wenige Sattelpferde an den Haltestangen. Nur die Cresswell-Mannschaft suchte überall. Ich sah und hörte es bei meinem Rückweg. John Bugbees Stimme rief einmal scharfe Befehle. Ich fragte mich, wann sie wohl von Laura Hardcastel verlangen würden, den verschlossenen Schuppen zu öffnen.
Als ich vor das Hotel kam, war es für den Transport des Toten gewiß noch zu früh. Ich wollte ins Restaurant zum Essen gehen. Als ich noch wartete und zögerte, kam Tom Key aus dem Hotel. Er war aufgestanden und hatte sich angekleidet. Als er mich sah, schob er sich aus dem Lichtschein und blieb an der Hauswand stehen. Ich trat schnell zu ihm. »Irgendwie komme ich im Mietstall auf mein Pferd«, sagte Tom Key heiser. »Und dann reite ich zu Sally. Ich kann Sally nicht allein lassen. Tole, ich versuche, mich aus dem Staube zu machen. Denn sie werden Early Cresswell finden. Du hast gar keine Chance, ihn fortbringen zu können. Also versuche es nicht erst. Ich muß zu Sally. Vielleicht können wir in unserem leichten Wagen …« Er sprach nicht weiter, denn die Angst um seine Familie schnürte ihm die Kehle zu. Tom konnte kämpfen, durchhalten. Ich kannte ihn als einen sehr verwegenen Burschen, der sich durch Kühnheit behauptete. Daß er nun Familie hatte, mochte ihn wahrscheinlich besonnener gemacht haben, doch niemals feige. Ich legte meine Hand auf Tom Keys gesunde Schulter. »Ja, verschwinde aus der Stadt«, sagte ich. »Denn wenn sie Early finden, bevor ich ihn fortschaffen kann, so wird es gut sein, wenn Duke Cresswell dich nicht in der ersten Wut auszuquetschen beginnt. Geh schon, Amigo.« »Du versuchst es doch, ihn fortzuschaffen und verschwinden zu lassen?« So fragte er hastig. »Ich versuche es«, sagte ich. »Danke«, sagte er. »Danke, Toledo! Verdammt, die alten Zeiten, da ich noch alles wagen konnte, sind längst vorbei. Ich möchte nur noch gesund und am Leben bleiben.« Er ging davon und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Die kaum verharschte Schulterwunde war unter dem Verband vielleicht jetzt schon wieder aufgebrochen. Ich sah ihm nach. Dann blickte ich mich um. Die Stadt war still. Es gab auch da und dort Bewegung. Duke Cresswell hatte etwa zwei Dutzend Reiter mitgebracht. Ihre Pferde standen angebunden. Die Reiter selbst waren überall in kleinen Gruppen beim Suchen. Ich sah da und dort Laternen, die getragen wurden. Man durchsuchte jeden alten Schuppen, jeden Winkel. Irgendwie hatte Duke Cresswell herausgefunden, daß sein Sohn noch in der Stadt sein mußte. Ich zögerte immer noch. Sollte ich es jetzt schon versuchen? Aber es war ganz einfach noch zu früh. Doch auf was wartete ich noch? Die Zeit eilte. Ich mußte es riskieren. Zuvor mußte ich mir von Laura den Schlüssel holen. Also ging ich ins Restaurant. Dort mußte Laura jetzt sein. * Laura stand an der kleinen Anrichte. Hier machte sie sonst die Portionen fertig, aber heute hatte sie wenig zu tun. Ich sah im Lampenlicht, wie blaß sie unter ihrer sonst sehr gebräunten Haut war. Ich tat so, als gäbe ich ihr meine Bestellung auf. Aber zwischendurch flüsterte ich, indes ich sie mit meinem Körper gegen die Sicht der anderen Gäste abschirmte: »Schnell,
gib mir den Schlüssel zum Schuppen.« Sie griff wie zufällig in ihre Schürzentasche und gab ihn mir. Ich ließ ihn in meiner Hand verschwinden und sagte lauter: »Also dann komme ich gleich, nachdem ich im Mietstall nur noch mal nach meinem Pferd gesehen habe. Es geht ihm nicht besonders gut.« Ich ging hinaus und achtete nicht auf die anderen Gäste. Doch ich wußte genau, daß sie jedes Wort hörten. Diese Stadt und alle Leute in ihr waren voller Mißtrauen. Ich ging in Richtung zum Mietstall, denn vorne in das Hotel hinein und hinten wieder hinaus, dies erschien mir zu gefährlich. Aber ich bog schon in die nächste Gasse ein und kam so hinter das Hotel. Aber hier im Hinterhof war oder schien alles ruhig. Ich erreichte den Schuppen, schloß auf und glitt hinein. Das Schloß konnte man von innen nicht abschließen, aber es gab einen Riegel. Nun war ich drinnen. Aber da saß ich auch schon in der Falle. Draußen im Hof ertönte dreimal ein gellender Pfiff. Und dann brüllte eine scharfe Stimme: »Hooooiiiyaaa! Hier hinter dem Hotel! Kommt hinter das Hotel! Hier schlich sich jemand in den Schuppen und riegelte ab! Kommt her, Jungens! Kommt schon!« Nun hatte ich keine Zeit mehr, den Toten fortzuschaffen. Ich mußte jetzt sehen, wie ich meine Haut retten konnte. Denn wenn sie mich hier bei dem toten Early Cresswell fanden, dann, dann … Ich eilte durch den Schuppen und stieß an einige Kisten. Ich hoffte, daß es hinten noch eine Tür gab. Aber obwohl ich zwei Zündhölzer anzündete, sah ich keine Tür. Draußen pfiff und brüllte der Bursche. Ich sah nach oben und erkannte den helleren Nachthimmel durch Ritzen zwischen den Dachschindeln. Es waren Holzschindeln. Ich turnte auf ein paar Kisten, räumte einige Schindeln weg und zog mich auf das Dach. Ich schob mich der Länge nach zum Rand. Der brüllende Bursche im Hof mußte mich gehört haben. Denn er kam auf die Seite gelaufen, auf der ich hinunterspringen wollte. Doch weil er nicht genau wußte, wer ich war, und vielleicht sogar vermutete, daß ich Early Cresswell war, der sich vor der eigenen Mannschaft versteckte, weil er sich fürchtete, dem Vater gegenübertreten zu müssen, schoß er nicht. Als ich vor ihm landete, versuchte er, mich festzuhalten. Doch ich gab es ihm. Obwohl ich längst noch nicht wieder der alte Tole Ketshum war, schlug ich hart genug zu. Und dann machte ich mich auf den Weg zum Mietstall. Denn dorthin mußte ich, wollte ich meine Worte im Speiseraum glaubhaft untermauern. Hinter mir brach Lärm los. Stimmen brüllten durcheinander. Und dann fanden sie wohl auch den Bewußtlosen und begriffen, daß ihnen jemand entkommen war. Aber mit Sicherheit würden sie die Tür des Schuppens einschlagen. Und binnen weniger Minuten würden sie den toten Early Cresswell finden. Ich konnte nichts mehr dagegen tun. Die Sache lief jetzt völlig anders. Ich erreichte den Mietstallhof zwischen einigen Corrals hindurch. Niemand kam mir in den Weg oder versuchte, mich aufzuhalten. Es schrie auch niemand.
Vor dem offenen Mietstall hingen zwei Laternen. Sie beleuchteten den Hof nur unvollkommen. Ich sah Tom Key mit einem Pferd herauskommen. Er führte es, aber er mußte sich mehr an dem Tier festhalten. Er wartete einen Augenblick und lauschte auf den Lärm, der aus der Richtung des Hotels kam, auf die Pfiffe, welche unverkennbar Signale waren. Er begriff, daß etwas schiefgelaufen war. Wahrscheinlich glaubte er sogar, daß ich mich in einer Klemme befand. Er zögerte, und ich wußte, daß er jetzt mit sich selbst kämpfte. Sollte er zu mir eilen, mir zu Hilfe kommen, oder sollte er versuchen, zu entkommen und seine Familie zu erreichen? Als er endlich seinen Fuß in den Steigbügel schob und versuchte, sich mit möglichst wenig Anstrengung in den Sattel zu ziehen, da sagte eine harte Stimme aus der Dunkelheit eines der Wagenschatten: »Bleib hier, Tom Key! Bleib schön hier, Amigo!« Aber Tom Key saß dennoch auf. Mit einem wilden und verzweifelten Ruck zog er sich auf das Pferd. Und wenn unter seinem Verband die Wunde bis jetzt noch nicht aufgebrochen war, so bestimmt jetzt. »Ich reite heim zu meiner Familie!« Dies rief er rauh und ritt an. Aber der Mann im Wagenschatten schoß nun. Tom Keys Pferd fiel auf die Knie und legte sich auf die Seite. Tom Key hatte Mühe, rechtzeitig von seinem Tier fortzukommen. Er rollte sich durch den Staub und blieb dann eine Weile liegen. »Du verdammter Narr«, sagte der Mann, der geschossen hatte. »Wegen solch eines verdammten Narren muß man ein gutes Pferd erschießen. Warum konntest du nicht hören, Tom Key? Diese Pfiffe bedeuteten, daß niemand aus der Stadt herausgelassen werden darf. Und da mußte ich doch gehorchen.« Ich fluchte in Gedanken. Für Tom Key wurde es jetzt bitter. Das begriff ich sofort. Ich konnte ihm nun auch nicht helfen. Selbst wenn ich ihm jetzt sofort ein Pferd hätte beschaffen können, er hätte nicht mehr reiten können. Gewiß blutete seine Wunde nun heftig. Er lag immer noch im Staub. Wahrscheinlich hatte er starke Schmerzen, Der Cresswell-Reiter stand mit dem Colt in der Hand bei ihm und bewachte ihn. Einmal fragte er laut: »Warum wolltest du denn so plötzlich fort, Tom Key? Warum so eilig? Du bist doch krank, angeschossen und …« Ich hörte nicht weiter zu, denn ich glitt nun in den Stall hinein. Er bemerkte mich nicht, denn ich blieb so dicht an der Stallwand, daß ich den Lichtschein der Laternen nicht störte. Ich warf keinen Schatten. Drinnen im Stall lehnte der Stallmann an seinem Pfosten. Er sah mich seltsam an. »Ach, eigentlich bin ich schon eine Weile hier, um nach meinem Pferd zu sehen«, sagte ich, gab ihm zehn Dollar und ging an ihm vorbei in die Box zu meinem Red. Ich beschäftigte mich mit ihm und dachte an den Stallmann. Würde dieser für zehn Dollar zu mir halten? Aber daß dieser Stallmann im Vorraum des Stalles blieb, obwohl draußen geschossen wurde, machte mir Hoffnung. Dieser Mann wollte nichts mit den Dingen zu tun haben und stand gewiß nicht auf der Seite von Cresswell. Sonst wäre er hinausgelaufen.
Aber dann wurde es draußen vor dem Stall laut. John Bugbee kam herein. »Ist noch jemand hier, Bill Short?« So fragte er barsch den Stallmann. »Hinten in der Box bei seinem Pferd, da ist der Fremde, dieser Laredo-Tole Ketshum«, erwiderte der Stallmann. »Der sieht nach seinem Pferd.« John Bugbee knurrte und kam den Stallgang entlang. Ich trat aus meiner Box, dabei meinem Pferd noch einmal auf die Hinterhand klopfend. »Was soll's denn sein, Bugbee?« fragte ich. Er wippte auf den Sohlen und hatte seine Daumen in den Gürtel gehakt. Dann sah er, daß mein Pferd nicht gesattelt war. »Fortreiten wolltest du jedenfalls nicht«, sagte er. »Warum sollte ich?« fragte ich zurück. »Ich bin hier noch nicht fertig in Red Bluff. Und ich habe auch keine Familie auf einer einsamen Farm wie dieser Tom Key. Habt ihr ihn erschossen, nur weil er endlich heim wollte zu Frau und Kind?« John Bugbee wandte sich plötzlich ab und ging hinaus. Langsam folgte ich ihm, und auch der Stallmann schloß sich an. Ein paar Männer standen auf dem Hof. Sie bildeten einen Halbkreis um Tom Key, der am Boden saß und sich mit dem gesunden Arm den Arm der verletzten Schulter gegen den Leib preßte. Bugbee sagte rauh: »Bringt ihn zum Boß, los, bringt ihn hin!« Dann wandte er sich nach mir um. »Komm auch mit«, sagte er. »Wozu?« fragte ich knapp zurück. »Ich mache keine Fehler mehr«, murmelte er. »Wenn Duke Cresswell an dich Fragen haben sollte, dann will ich dich nicht erst suchen lassen müssen. Also, willst du mitkommen?« Seine Männer sahen zu mir her. Ich wußte, es hatte keinen Sinn fortzurennen. Und auch ein Kampf konnte mir nichts einbringen. Ich nickte. »Sicher komme ich mit. Aber warum seid ihr alle so wild? Nur weil ihr Duke Cresswells Augenstern nicht finden könnt? Der ist vielleicht schon längst drüben in Mexiko bei einer Schönen und erholt sich von all dem erlittenen Unbill. Der hat vielleicht auch Furcht vor seinem eigenen Vater.« »Early hat keine Furcht mehr«, murmelte John Bugbee. »Early ist nämlich tot. Der braucht sich nicht mehr anzustrengen, erwachsen zu werden. Aber vielleicht weißt du schon eine Weile, daß Early tot ist, Laredo-Tole. Komm, Hombre.« Er ging. Ich schloß mich an. Hinter uns folgten die Cresswell-Reiter. Sie hatten Tom Key in ihrer Mitte. Und ich wußte, ich würde Tom Key nicht helfen können. Wenn Duke Cresswell verrückt war vor Wut, würde ich auch Laura nicht helfen können – und auch nicht mir. Dann konnte es nur ein Sterben geben für uns alle. Ich ging mit John Bugbee um das Hotel herum und durch die daneben befindliche Einfahrt in den Hof. Der Hof war von vielen Laternen erleuchtet. Und der eilig herbeigeholte Sargmacher und Leichenbestatter war mit seinem Gehilfen dabei, Early Cresswell in einen Sarg zu betten.
Duke Cresswell lehnte neben dem Eingang im Innern des Schuppens an der Wand und sah zu. Auch Laura Hardcastel war da. Sie stand auf der anderen Seite. Ihr Gesicht war beherrscht und hielt alles unter der Oberfläche verborgen. John Bugbee sagte: »Wir bringen Tom Key. Er war dabei, die Flucht zu ergreifen. Charly mußte ihm das Pferd unter dem Hintern erschießen. Und hier ist auch LaredoTole. Er war im Mietstall. Aber er hatte sein Pferd nicht gesattelt, sondern hielt sich nur bei dem Tier in der Box auf. Das ist alles, Sir.« Duke Cresswell sah mich an. Ich erkannte in seinen flackernden Augen, wie verrückt ihn der Schmerz machte. Ich sah mich nach Duke Cresswells beiden Leibwächtern um. Aber ich konnte nur Otis Pytaja sehen. Er stand in der Ecke und beobachtete mich wachsam. Ich wußte, daß ich nicht die geringste Bewegung nach der Waffe machen durfte. Noch trug ich meinen Colt. Doch was nützte mir die Waffe? Ich war noch längst nicht wieder schnell genug. Und für einen Mann wie diesen Otis Pytaja würde ich wahrscheinlich so schnell wie noch niemals in meinem Leben sein müssen. Duke Cresswell bewegte sich plötzlich. Er sah Laura Hardcastel an und sagte mit scheinbar müder Stimme: »Also fangen wir an mit der Sache, Laura, er lag in Ihrem Schuppen. Und dieser Schuppen war verschlossen. Also, wie kam er dort hinein? Laura, wenn Sie mich jetzt anlügen, werden Sie das Ihr ganzes Leben lang bedauern. Und jetzt eine Antwort!« Alle blickten wir auf Laura. Und wir sahen, wie sie sich noch gerader aufrichtete. Sie hob ihr Kinn und sagte: »Cresswell, Sie können zur Hölle gehen. Gehen Sie zur Hölle! Denn was ich Ihnen sagen könnte, würden Sie nicht glauben. Sie würden es nicht glauben wollen. Also, wozu soll ich dann noch reden? Ja, Sie halten sich für einen großen Mann! Sie haben Macht! Sie geben Befehle! Und wir alle leben in Ihrem Schatten. Wer Ihnen in den Weg gerät, den zertreten Sie. Und dennoch sind Sie ein Narr. Ihr Sohn hatte kein Vertrauen zu Ihnen. Ihr Sohn fürchtete sich vor Ihnen. Als Early in El Paso eine Menge Geld verlor – Geld, das er für Sie kassiert hatte und heimbringen sollte –, da traute er sich nicht, seinem Vater diese Dummheit einzugestehen. Early zog es vor, einen Geldtransport zu überfallen. Und er wurde zum Mörder dabei.« »Das ist nicht wahr«, knirschte Duke Cresswell. »Das behauptet Tom Key, und der hatte etwas gegen Early, seitdem seine Frau meinem Jungen schöne Augen machte. Und …« »Sie verdammter Lügner«, mischte sich da Tom Key ein. »Early machte jeder Frau und jedem Mädchen stets unzweideutige Angebote. Er hielt sich dabei für einen ganz besonders großartigen Burschen.« Duke Cresswell erwiderte nichts darauf. Er sah mich an. »Laura wünschte mich in die Hölle«, sagte er knirschend. »Und Tom Key nannte mich einen Lügner, nicht wahr? Und was haben Sie mir zu sagen, Toledo Ketshum? Antwort!« »Warum ist der Sheriff nicht hier?« fragte ich. »Dies ist ein Job für den Sheriff. Ich denke, daß er nicht hier ist, weil Ihre Leute ihn daran hindern. Sie sollten ihm endlich diese Sache überlassen und abwarten, was dabei herauskommt. Das ist doch fair, oder?«
Da grinste er. Und in seine Augen trat wilde Wut. Ihm war eine Menge zerstört worden, nämlich die Hoffnung auf einen Erben und Nachfolger, auf ein Weiterbestehen der Cresswells. Er fühlte sich wie ein König, der eines Tages sein Reich dem Sohn übergeben wollte. Aber das alles war ihm zerstört worden. Nun wollte auch er zerstören, vernichten, strafen, sich rächen. Ed Vansitter kam von draußen herein. Er sah Duke Cresswell an und sagte: »Es ist alles klar, Sir. Die Bettdecke in Tom Keys Zimmer hat ein Loch. Sie wurde auch von der Innenseite her stark vom Feuerstrahl der Waffe angebrannt. Ich denke mir, daß Tom Key mit einem Revolver, den er unter der Bettdecke verborgen hielt, auf jemanden geschossen hat.« »Und in seiner Waffe fehlt ein Schuß«, mischte sich John Bugbee ein, trat vor und hielt seinem Boß Tom Keys Waffe hin, die er im Hof des Mietstalles an sich genommen hatte. Duke Cresswell blickte ihn und die Waffe nur flüchtig an. Dann sah er auf Tom Key. »Nun, was ist jetzt?« fragte er merkwürdig sanft. »Ich will dem Sheriff übergeben werden«, sagte Tom Key. »Ich werde beim Sheriff meine Aussage machen. Und auch Mrs. Laura Hardcastel wird …« »Schluß jetzt!« Nun überschlug sich Duke Cresswells Stimme. Es wurde still. Alles verharrte atemlos. »Vier Mann sollen hereinkommen, den Sarg hinaustragen, auf einen Wagen stellen und zur Ranch fahren. Wir bestatten Early neben seiner Mutter auf dem Hügel über der Ranch.« Duke Cresswells Stimme klang wieder sehr sanft. Ed Vansitter, der dem Eingang am nächsten stand, wandte sich um und rief einige Befehle. Vier von Cresswells Reitern kamen herein und trugen den Sarg hinaus. Der Leichenbestatter und dessen Gehilfe folgten. Nun waren wir allein, Duke Cresswell, Laura Hardcastel, Tom Key, John Bugbee, Otis Pytaja, Ed Vansitter – und ich. »Du hast ihn also erschossen«, sagte Duke Cresswell zu Tom Key. »Er war aus dem Gefängnis geflüchtet, als Raoul Garret dort seinen Bruder befreit hatte. Er war zu dir ins Hotel gekommen, wahrscheinlich, um dich unter vier Augen zu fragen, warum du ihn dieses Verbrechens beschuldigt hattest. Vielleicht wollte er dir auch sagen, daß deine Frau …« »Er kam, um mich zu töten!« rief Tom Key wild. Duke Cresswell nickte. »Hängt ihn auf«, sägte er schlicht. Wir alle standen reglos, und wir alle glaubten, daß wir uns verhört hätten. Aber er wiederholte: »Habt ihr nicht gehört? Ihr sollt ihn aufhängen. Dort an diesen Balken. Los, Bugbee! Hol ein Lasso rein! Nein! Jemand soll ein Lasso bringen.« Er rief es über die linke Schulter hinweg zur offenen Tür hinaus. Und er sah mich dabei an, weil ich in seiner Blickrichtung stand. In seinen Augen erkannte ich das irre Flackern. »Sie sind ja verrückt«, rief Laura schrill. »Das können Sie nicht machen. Sie sind nicht das Gesetz. Sie sind nicht Richter. Sie sind kein Gott, auch kein Halbgott. Sie können nicht aus eigener Machtvollkommenheit hier in Red Bluff das Sterben befehlen. Man wird Sie hängen, Mister, wenn Sie jetzt nicht aufhören.«
Er beachtete sie gar nicht. Sein Blick war auf John Bugbee gerichtet, dem ein Mann von draußen ein Lasso hereinbrachte. John Bugbee nahm es mechanisch und wie geistesabwesend. »Und warum ich?« So fragte Bugbee schließlich. »Weil du nicht gut genug auf Early aufgepaßt hast, Bugbee«, sprach Cresswell. »Als er mit diesem Mac Garret aus dem Gefängnis entwich, hättest du ihn draußen in Empfang nehmen müssen. Deshalb hatte ich dich in der Stadt gelassen und dir drei zuverlässige Männer mitgegeben. Doch du hast versagt. Nun häng ihn auf. Das ist deine letzte Schuldigkeit Early und mir gegenüber.« John Bugbees Augen wurden nun unruhig. Sein Blick irrte in die Runde. »Du kannst nicht für ihn zum Mörder werden«, sagte Laura Hardcastel. »Du hast ihm ohnehin stets gedient wie ein Hund. Und du kämpftest für ihn damals um die Wasserstelle gegen meinen Mann. Du machtest mich schon zur Witwe damals, als ich noch Jims Frau war und uns die Silverdollar-Ranch gehörte. Du hast für ihn schon immer die schmutzige Arbeit verrichtet. Aber werde nicht zum Henker an einem Unschuldigen.« Ich sah John Bugbee mühsam schlucken. Dann schüttelte er den Kopf. »Sir«, sagte er, »ich habe schon eine Menge für Sie und die Ranch getan, doch ich bin wirklich kein Henker. Nein, das mache ich nicht.« Ich sah ihn an wie die anderen, und ich spürte nun sogar Mitleid mit ihm. Aber dann bemerkte ich im Augenwinkel eine Bewegung. Otis Pytaja hatte seinen linken Colt herausgeholt. Es glich einer Zauberei. Er richtete die Waffe auf John Bugbee, aber auch ich war in seiner Schußrichtung. Dieser Otis Pytaja war gefährlich und hatte einen feinen Instinkt. Denn ich war drauf und dran gewesen, es mit meinem Colt zu versuchen. »Bugbee, du kannst gehen«, sagte Cresswell klirrend. »Setz dich auf dein Pferd, und halte erst an, wenn es nicht mehr laufen kann. Und komm nie wieder in mein Gebiet – nie wieder, Bugbee!« Dieser sagte nichts mehr. Er schluckte nur mühsam. Dann ging er wortlos. Und das Lasso hängte er an die Türklinke. Er war fertig mit der Cresswell-Ranch. Otis Pytaja fragte: »Soll ich es tun, Boß?« Der schüttelte den Kopf. »Geht raus«, sagte er. »Geht alle raus, und laßt mich mit dem Mörder meines Sohnes allein. Otis, ich möchte, daß dieses Red-Bluff-Hotel vom Erdboden vertilgt wird. Zündet es an! Und ihn da, diesen Laredo-Tole, den nehmt ihr euch noch mal vor. Er wurde mitschuldig am Tode meines Jungen durch seine Fehde mit den Garrets. Eigentlich gehört er ebenfalls am Halse aufgehängt. Gebt es ihm noch mal richtig. Bugbee ist zu sanft mit ihm umgegangen. Ich …« Weiter kam er nicht, denn ich sprang ihn nun an. Und ich überrumpelte ihn tatsächlich. Ich stieß meinen gesenkten Kopf unter sein Kinn und umschlang seinen Brustkorb. Aber als ich mit ihm herumwirbeln wollte, um ihn als Deckung zwischen mich und seine Männer zu bekommen, da waren Otis Pytaja und Ed Vansitter schon zur Stelle. Sie gaben es mir mit ihren Revolverkolben. Ich wußte nichts mehr, fiel in unendliche Tiefen.
Als ich erwachte, sah ich zuerst Duke Cresswells Maßstiefel. Er trat mich in die Seite und sagte immer wieder: »Wach auf, du Bastard aus Laredo! Wach auf!« Ich richtete mich auf. Und da trat er ein Stück zurück. Hinter ihm hing Tom Key. Ich konnte es nicht glauben. Ich hielt es zuerst für einen bösen Traum. Aber es gab keinen Zweifel daran. Dort hing Tom Key. Und nur Duke Cresswell konnte ihn aufgehängt haben. Er lehnte sich an die Wand und trank aus einer Flasche, die er hier aus den Vorräten nahm. Er hatte ihr den Hals abgeschlagen. Er war von Sinnen. »Dafür werden Sie eines Tages selbst hängen«, sagte ich heiser. Er lächelte. »Pah, in diesem Lande wurden schon viele Pferdediebe, Rinderdiebe, Mörder und Banditen gehängt«, sagte er. »Da kommt es auf einen mehr oder weniger nicht an. Er hat meinen Sohn getötet. Hast du gehört? Er hat Early erledigt. Meinen Sohn! In dieser verdammten Stadt wurde mein einziger Sohn umgebracht. Ja, wie hätte ich denn als Vater anders reagieren können?« Ich gab ihm keine Antwort darauf. Nun roch ich Rauch. Es war ein typischer Brandgeruch. Sie hatten also wahrhaftig das Hotel angezündet. Dieser wahnsinnig gewordene Despot suchte Befriedigung in Zerstörung, Mord und Gewalt. Und dabei gab es einen Sheriff in Red Bluff. Wo war er? Warum griff er nicht ein? »Los, holt ihn heraus, diesen Bastard aus Laredo!« rief er plötzlich und warf die Flasche zu Boden. Zwei Mann kamen herein. Otis Pytaja folgte ihnen. Er hatte eine Bullpeitsche am Handgelenk hängen. »Gebt es ihm«, sagte Cresswell. »Irgendwie ist er mitschuldig an Earlys Tod. Gebt es ihm, daß er es bis ans Lebensende nicht mehr vergißt!« Er ging hinaus und schwankte etwas. Ich hockte noch am Boden und betastete die Platzwunde an meinem Kopf. Otis Pytaja wartete. Die Bullpeitsche hing mit dem dicken Ende immer noch an seinem Handgelenk, ringelte sich zu seinen Füßen. »Dich mochte ich von Anfang an nicht«, sagte Otis Pytaja zu mir. »Weißt du, manchmal treffen sich Männer und werden sofort Feinde. Bei uns ist das so.« Ich sagte nichts. Ich wartete und fragte mich, ob es mir gelingen würde, schon bei Pytajas erstem Schlag mit der Peitsche deren Ende fassen zu können. Wenn er es mir um einen Arm schlug, wickelte es sich vielleicht darum. Ich tat so, als ginge es mir noch sehr schlecht. Otis Pytaja sah auf den hängenden Tom Key. »Er hat ihn tatsächlich eigenhändig aufgeknüpft«, murmelte er. »Nun, Tom Key konnte auch nicht viel Widerstand leisten. Ich hätte ihn auch hochgezogen, denn ich bin an John Bugbees Stelle getreten. Dafür mache ich eine Menge. Und nun steh auf, Hombre, damit ich es dir geben kann.« Ich erhob mich langsam.
Ed Vansitter kam von draußen herein. Er sah zu mir her und mußte schlucken. »Laß es sein«, sagte er zu Otis Pytaja. »Schlag ihn nicht. Denn wir waren einmal Sattelgefährten. Wir kämpften einmal mit einem Dorf gemeinsam gegen El Toro und dessen Bande. Schlag ihn nicht, Otis, mir zuliebe.« »Er ist zu gefährlich, um ihn heil davonkommen zu lassen«, sagte Pytaja eigensinnig. »Der gehört zu der Sorte, die man töten muß, wenn man sie nicht eines Tages auf der Fährte haben will.« Er wollte die Peitsche heben, doch da kam ein Mann herein. Er trug eine abgesägte Schrotflinte, und es war der Sheriff Al Quade. Er sagte: »Haut ab! Haut ab! Und in einer Woche haben wir Bürgermiliz aus El Paso hier oder gar die Armee. Haut ab!« Er stand neben der Tür an der Wand hinter Otis Pytaja und Ed Vansitter. Er zielte auf sie. Und da handelte Ed Vansitter. Er trat zu Pytaja und faßte diesen am Arm. »Gehen wir«, sagte er. »Es ist genug für heute. Gehen wir. He, Al Quade, wir hatten dich doch in deinem eigenen Gefängnis eingesperrt. Wer hat dich denn herausgelassen?« »John Bugbee«, erwiderte der Sheriff. »Der ist schon vernünftig geworden.« »Er ist uns in den Rücken gefallen«, sagte Otis Pytaja und sah auf die kurzen Läufe der Schrotflinte. Er ging hinaus. Vansitter folgte ihm und sagte über die Schulter zu mir: »Noch einmal kommst du nicht davon. Hau ab hier, Tole!« Ich erwiderte nichts. Al Quade blickte auf den immer noch hängenden Tom Key. Seine Unterlippe zuckte plötzlich. Er war ein harter Mann, doch nun sah es so aus, als müßte er schluchzen. Doch er sagte gepreßt: »Dafür muß er hängen, dafür muß Cresswell hängen, oder es gibt keine Gerechtigkeit mehr auf dieser Erde. Aber …« Er unterbrach sich und sah zu Tom Key empor. »Hilf mir, ihn herunterzunehmen«, verlangte er. »Ich bin so verdammt allein. Was soll ich denn gegen Duke Cresswell, dessen Revolvermänner und die starke Mannschaft unternehmen? Kannst du nun verstehen, warum ich dich bei deiner Ankunft gerne auf meine Seite gezogen oder zumindest gegen die Cresswell-Mannschaft eingesetzt hätte?« »Das ist dir ja geglückt«, sagte ich und half ihm, Tom Key abzunehmen. * Als wir den toten Tom Key dem Leichenbestatter übergeben hatten, gaben es die Bürger von Red Bluff auf, das brennende Hotel löschen zu wollen. Es brannte zu stark. Man konnte sich nur darauf beschränken, den Brand nicht auf die anderen Häuser der Stadt übergreifen zu lassen. Laura Hardcastel stand neben einem Berg von übereinandergeworfenen Dingen, die man aus dem brennenden Hotel geholt oder durch die Fenster geworfen hatte. Sie stand ruhig da und sah in die Flammen. Ich blickte auf Tom Key nieder, der zu ihren Füßen lag. Und wieder kam mir alles wie ein böser, wilder Traum vor. Duke Cresswell war verrückt geworden. Er kannte die Grenzen nicht mehr. Er hatte alle
Maßstäbe verloren. Ich dachte an Tom Keys Frau Sally und an die kleine Rosy, die nun keinen Vater mehr besaß. »Ich reite hinaus zu seiner Frau«, sagte ich. »Wie finde ich die Key-Farm oder – Ranch?« Der Sheriff zuckte zusammen, und er kam mit seinen Gedanken von irgendwoher zurück. »Ein paar Meilen den Fluß hinunter«, sagte er. »Der Uferweg führt am Haus der Keys vorbei. Es ist eine Mischung von Farm und Ranch. Die Keys haben Äcker und Felder und halten eine kleine Rinderherde. Sie fingen auch mit einer kleinen Maultierzucht an. Ja, Sally muß es wohl erfahren. Aber eigentlich müßte ich …« »Wir waren Sattelgefährten, früher während des Krieges«, sagte ich. Er staunte nur kurz. Ich ging davon. Einen Augenblick blieb ich bei Laura Hardcastel stehen. Sie sah mich nicht und starrte immer noch in die Flammen. Erst als ich sie am Arm berührte und ihren Namen sprach, sah sie mich an und begriff, wer ich war. »Warum bringt niemand diesen Schuft um?« fragte sie herb. »Warum kann ein Bursche wie er ungestraft Befehle erteilen, die den Tod von Menschen herbeiführen, die ein Hotel in Flammen aufgehen lassen und … Und überhaupt, wie ist es möglich, daß ein einziger Mann seinen Willen zum Gesetz macht? Warum wehrt sich die menschliche Gemeinschaft nicht?« »Er ist stärker«, sagte ich. »Wenn er will, dann sterben nicht nur Männer hier in Red Bluff, dann brennt nicht nur ein Hotel nieder, sondern dann stirbt ganz Red Bluff. Er hat die Macht!« »Dann muß man ihn vernichten!« Sie rief es schrill. Ich schüttelte ein wenig den Kopf. Und dann sagte ich: »Laura, ich weiß genau, was ich sage, denn ich bin ein Revolvermann. Ich fand auf meinen Wegen immer wieder heraus, daß Gewalt nur wieder neue Gewalt erzeugt. Es ist eine Kette ohne Ende. Der Sieger tritt oft an die Stelle des Besiegten, löst ihn also nur ab. Denn es gibt keine Gerechten, keine Heiligen. Nichts ist heil! Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, nämlich das Gesetz, das wirkliche unbestechliche Gesetz.« Sie starrte mich an, als wenn ich zwei Köpfe gehabt hätte, ungläubig, staunend. »Aber du hast doch selbst hier auf Raoul Garret gewartet, ihm eine Falle gestellt und seinen Bruder als Köder benutzt. Du hast doch selbst hier gewartet, um zu töten.« »Auch ich bin kein Gerechter und schon längst kein Heiliger«, sagte ich. »Ich bin nur ein Revolvermann. Und ich habe in meinem Leben auf meinen Wegen schon eine Menge falsch gemacht. Überdies gibt es zwischen einem streunenden Mörder wie Raoul Garret und einem Despoten wie Duke Cresswell, der auf seine Art ein System darstellt, einen großen Unterschied.« Sie schüttelte den Kopf. »Wenn keiner ihn tötet«, sagte sie, »dann werde ich ihn töten. Als er damals durch Bugbee meinen Mann töten ließ, um unsere Wasserstelle in den Silverdollar-Hills übernehmen zu können, da blieb ich in Red Bluff, um eines Tages seinen Niedergang erleben zu können. Ich wollte erleben, wie dieser Duke Cresswell eines Tages ein Opfer seines eigenen Systems wird, seiner von ihm selbst errichteten Ordnung, der
rücksichtslosen Macht. Es gibt nur einen einzigen Weg. Man muß ihn killen wie einen verrückten Wolf.« Ich wollte nicht länger mit ihr streiten. Ich sagte: »Ich muß hinaus zu Sally Key. Jemand muß es ihr sagen, nicht wahr? Aber dann komme ich wieder – zu dir, Laura. Ich komme wieder in diese Stadt zurück.« Ich drängte mich durch eine Gruppe von Bürgern. Der Ritt zur Key-Farm war nicht weit. Sie lag dicht am Rio Grande, dessen Ufer hier so hoch war, daß es keine Hochwassergefahr gab. Im Haus brannte Licht. Und als ich anhielt, sah ich Sallys kleine Gestalt auf der Bank an der Hauswand neben der Tür. Ich saß ab, ging zu ihr und blieb stehen. Sie weinte still. Also hatte sie es schon erfahren. Ich setzte mich neben sie und legte meinen Arm um ihre Schultern. »Es tut mir leid«, murmelte ich. »Wer hat es dir gesagt, Sally?« »Bugbee, John Bugbee kam hier vorbei«, flüsterte sie. »Er berichtete mir alles. Sogar John Bugbee konnte ihm nicht länger mehr dienen. Sogar Bugbee ist fertig mit ihm. Nun werden nur noch die schlimmsten Burschen für ihn reiten, richtige Killer. Bugbee sagte mir, daß Duke Cresswell verrückt geworden sein muß. Denn er hat meinen Tom eigenhändig …« Nun versagte ihr die Stimme. Sie konnte nicht aussprechen, was mit ihrem Mann geschehen war. Aber dann sagte auch sie, was schon Laura Hardcastel gesagt hatte. Auch sie sah keinen anderen Ausweg mehr. »Jemand muß ihn töten, Tole Ketshum. Jemand muß ihn umbringen, ganz gleich wie, nur umgebracht werden muß er, wie schon viele Despoten und Tyrannen umgebracht wurden. Jemand muß es tun! Dann erst wird es in Red Bluff kein Sterben mehr geben.« Ich sagte nichts dazu. Auch sie würde nach dem ersten Schmerz die Dinge wieder anders betrachten. Nach einer Weile fragte ich: »Was wirst du vorerst tun, Sally? Soll ich den Wagen anspannen und dich mit Rosy in die Stadt zurückbringen?« Sie zitterte wie eine Frierende. Dann schüttelte sie heftig den Kopf. »Ich bleibe hier«, sagte sie. »Es paßt Duke Cresswell nicht, daß wir hier eine FarmRanch aufgebaut haben. Ich will herausfinden, was er mit der Witwe und der Tochter des Mannes macht, den er selbst henkte. Er hat damals schon Lauras Mann umbringen lassen wegen einer wichtigen Wasserstelle. John Bugbee tat es, aber er gab Lauras Mann wenigstens eine Chance. Doch Cresswell …« Sie stand auf. Und auch ich erhob mich. Ihre Stimme klang nun rauh, und sie sprach, wie wenn ein Kind einen einstudierten Text spröde aufsagt: »Ich danke, daß du gekommen bist, Tole Ketshum. Aber ich komme schon allein zurecht. Ich habe einen alten Mexikaner als Helfer und werde ihn bitten, daß auch sein Sohn uns hilft und sich um unsere Rinder kümmert. Ich komme schon zurecht, und ich werde eines Tages Rache nehmen, wenn niemand sonst es fertigbringen kann. Ich schaffe es! Morgen komme ich zur Beerdigung in die Stadt. Ich möchte, daß Tom dort auf dem Friedhof beigesetzt wird. Willst du das für mich erledigen, Tole, ich meine, daß du zum Leichenbestatter gehst und ihm Anweisungen gibst, ja?«
»Sicher, das mache ich«, murmelte ich und stand ziemlich verwirrt und unsicher bei ihr. Ich spürte, wie sie sich innerlich zunehmend verhärtete. Sie weinte nicht mehr. In ihr richtete sich alles auf Rache aus. Ich fragte aus einem Instinkt heraus: »Bugbee, warum kam er hier vorbei? Warum brachte er dir die Nachricht?« »Es ergab sich wohl so«, erwiderte sie, und es klang irgendwie abweisend. Dann berührte sie leicht meinen Arm und ging hinein. Ich aber saß auf und ritt nachdenklich nach Red Bluff zurück. Ich spürte eine zunehmende Unruhe in mir. Es ging mir wie einem Mann, der genau weiß, daß er sich einer kaum lösbaren Aufgabe nicht wird entziehen können. Ich ritt in die Stadt hinein, sah im Sheriff's Office noch Licht und hielt an. Als ich eintrat, hob der Sheriff seinen Kopf und legte seine Hand auf den Revolver, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Als er mich erkannte, entspannte er sich und schrieb weiter an seinem Bericht. Er beendete ihn, während ich mich setzte, mir eine Zigarette drehte und sie anzündete. »Austin ist für uns hier am Ende der Welt«, sagte er. »Und nur der Gouverneur kann den Einsatz von Bürger-Miliz oder der regulären Truppe anordnen und das Kriegsrecht verhängen. Wenn ich nach El Paso schreibe, bringt der dortige County Sheriff vielleicht ein Aufgebot von hundert Mann in die Sättel. Doch das ist nicht genug. Hundert Reiter kann auch Duke Cresswell aufbringen. Die Reiter aus El Paso brauchen mehr als drei Tage, wenn sie wie irre reiten und vollkommen erledigt hier ankommen. Also sind es vier Tage. Selbst wenn sie dann nur zwei Tage hier zu tun haben, brauchen sie auch vier Tage wieder zurück. Es gibt in El Paso vielleicht zwei oder drei Dutzend Reiter, die zehn Tage lang fortbleiben können. Cresswell wird auch alle Postkutschen anhalten und die Postsäcke und überhaupt alles nach Briefen wie diesen hier durchsuchen lassen. Ich bezweifle also, daß dieser Bericht durchkommt. Es ist nicht so einfach, Cresswell zu schlagen.« »Nein«, sagte ich. »Aber du möchtest es versuchen, Al Quade?« »Hier gab es nie einen Sheriff«, sagte er langsam. »Erst vor einigen Wochen wurde ich von der Countybehörde hergesandt. Einige Bürger der Stadt, Klein-Rancher und neue Siedler, die vertrieben worden waren, hatten Briefe gesandt. Aber ich kam hier nicht weiter. Das Gesetz hier in diesem Lande ist jeweils nur so stark wie der Mann, der es vertritt. Und gegen Cresswells Macht stand ich allein. Hier bekäme ich niemals ein Aufgebot gegen Cresswell zusammen. Das weiß er. Und die Leute wissen alle, daß seine Rache schlimm sein würde. Er hat es vorhin demonstriert, nicht wahr? Und selbst wenn in einigen Tagen Richter David Cross kommen sollte, so ändert sich nichts an diesem Zustand hier. Cresswell kann den Richter abfangen lassen. Und wer weiß, vielleicht wird Richter David dann erschlagen, ertränkt oder sonstwas. Jetzt ist alles möglich. Wir haben hier einen Zustand, den Duke Cresswell noch recht lange so erhalten kann. Ich denke mir, daß mir schnell etwas zustoßen würde, wenn ich mich nur einmal ein kurzes Stück aus dieser Stadt entfernte.« »Das glaube ich auch«, nickte ich. »Red Bluff und viele Leute in diesem Land haben Angst. Von denen hat Cresswell nichts zu befürchten. Nur einige wenige Menschen können ihm Schwierigkeiten machen oder würden das zumindest versuchen. Sie, ich, Laura Hardcastel – und auch Sally Key. Uns muß er ausschalten. Al, wir müssen zweierlei Dinge tun.«
Er sah mich aufmerksam an. »Sag es«, grinste er plötzlich. »Ich ahne es schon, denn es ist auch mein Gedanke.« »Wir holen ihn uns – irgendwie! Wir schnappen uns Cresswell und schaffen ihn nach El Paso. Wenn er mit uns verschwunden ist, reisen Laura Hardcastel und Sally Key mit der Postkutsche ebenfalls nach El Paso. Sie erheben dort Anzeige wegen Brandstiftung, Mord und Landfriedensbruch. Ich kann als Augenzeuge aussagen und deinen Bericht unterstützen. Wenn Duke Cresswell im Gefängnis von El Paso sitzt – und bei Mordanklage kann er nicht gegen Kaution freikommen –, wird sich auch im Red-BluffLand niemand mehr fürchten. Dann kommen noch mehr Aussagen zusammen. Richtig?« »Richtig«, nickte er. Und er war ein furchtloser Mann, der schon eine Weile darunter gelitten hatte, machtlos zu sein. »Wir müssen es sofort beginnen!« sagte er. Ich nickte. Obwohl ich mich müde und recht ausgebrannt fühlte, sagte ich: »Mein Pferd steht draußen. Ich müßte nur zu Laura gehen, sie einweihen und sie bitten, morgen zu Sally zu reiten und auch diese zum Handeln zu bewegen. Sally wird bestimmt nach El Paso reisen, wenn sie weiß, daß wir mit Cresswell dorthin unterwegs sind.« Al Quade sah mich noch einmal an. »Daß wir noch mal Partner werden würden …«, begann er. »Ich mochte dich am Anfang wie zehn Pfund Schmierseife. Ich bin nur neugierig, ob die Bürger von Red Bluff nach meinem Verschwinden Mac Garret in der Zelle lassen oder ihm wieder die Freiheit geben. Es wäre schon ein Fortschritt für diese miese Stadt, wenn sie einen ehrenamtlichen Marschal wählten. Also, in zehn Minuten westlich von Red Bluff am Fluß. Da treffen wir uns. Ich muß mich mit meinem Pferd aus der Stadt schleichen. Cresswell hat gewiß Beobachter in Red Bluff gelassen. Seine beiden Revolvermänner Otis Pytaja und Ed Vansitter sind wahrscheinlich als Menschenjäger gefährlicher als John Bugbee. Also los!« Ich ging hinaus, nahm mein Pferd und führte es zum niedergebrannten Hotel hinüber, bei dem noch einige Bürger standen. Als ich mich umsah, erlosch im Sheriff's Office das Licht. Ich fragte einen der Männer, die hier darauf achteten, daß der Wind keinen Funkenflug von den noch schwelenden Resten des Hotels zu den benachbarten Häusern blasen konnte, nach Laura Hardcastel. »Die hat im Schuppen ein paar Möbel aufgestellt und wohnt nun dort«, sagte der Mann müde. Und so betrat ich bald darauf nochmals den Getränkeschuppen. Zwei Lampen brannten. Laura war noch dabei, sich einzurichten. Aber offensichtlich hatten ihr kräftige Männer geholfen, das Leergut auszuräumen und ihre geretteten Möbel und sonstige Dinge aus dem Hotel hereinzutragen und aufzustellen. Ich konnte den Raum nicht mehr voll übersehen. Es konnte jemand hinter Möbeln oder Kisten verborgen sein. Deshalb fragte ich: »Bist du allein, Laura?« Sie sah mich an und nickte. »Wie hat sie es aufgenommen?« fragte sie dann. »Sie haßt Cresswell.« »Das tue ich auch«, erwiderte Laura. »Deshalb bleibe ich hier in Red Bluff, wie Sally gewiß auf ihrer Farm aushalten wird. Wir wollen Cresswell sterben sehen. Hier in Red Bluff!«
Ich schüttelte den Kopf. »Vielleicht hängen sie ihn in El Paso nach Recht und Gesetz«, sagte ich und erklärte ihr, was Al Quade und ich vorhatten. Als ich endete, stand sie noch einen Moment still. Schließlich nickte sie. »Wir werden kommen, wenn ihr es fertigbringen könnt, einen King weit genug von seinem Machtgebiet zu entfernen, so daß er nichts anderes mehr ist als ein ganz gewöhnlicher Strolch, der keine Befehle mehr erteilen kann. Wir werden kommen, um ihn anzuzeigen. Und wir werden schwören, daß wir die reine Wahrheit sagen. Denn diese reine Wahrheit ist schlimm genug.« Sie machte eine kleine Pause, trat näher an mich heran und sah mich aus nächster Nähe an. »Du bist also doch nicht nur ein Revolvermann. Du machst Unterschiede. Du bist der Meinung, Duke Cresswell ist ein anderer Fall als Raoul Garret?« »Wegen Red Bluff«, murmelte ich. »Red Bluff würde sterben, bekäme es nicht endlich den Schutz des Gesetzes. Es ist nicht damit getan, Cresswell abzuschießen. Ja, es ist eine völlig andere Sache als mit Raoul Garret.« Sie nickte ernst. Aber dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen, küßte mich und sagte: »Wir kommen nach El Paso, sobald dies von hier aus mit einer Postkutsche möglich ist. Und es wird möglich sein, sobald ihr Duke Cresswell habt.« * Ich ritt nach Norden zu aus der Stadt und paßte auf, daß niemand mir folgte. Red Bluff war wie tot. Es roch überall nach Rauch und nassem, verkohltem Holz. Nur noch im Saloon brannte Licht. Es folgte mir niemand. Aber ich wußte, daß irgendwo in dieser Stadt Beobachter waren. Aber sie ließen mich reiten. Wahrscheinlich glaubten sie, daß ich endlich machte, daß ich fortkam. Ich bog dann weiter draußen auf der Weide nach Westen ein und kam im Halbkreis wieder zum Fluß. Al Quade ritt aus dem Schatten einiger Cottonwoodbäume. »Auf die beiden Frauen können wir uns verlassen«, sagte ich zu ihm. Er schlug mit der flachen Hand klatschend auf seinen Oberschenkel. »Wir holen ihn«, sagte er. »Bei Gott, wir holen ihn mitten aus seinem Hauptquartier heraus.« Wir ritten dann schweigend. Bald schon verließen wir den Fluß und wandten uns nach Nordwesten. Der Sheriff kannte dieses Land bereits gut genug. In den vergangenen Monaten hatte er es gewiß oft genug durchstreift, um sich überall zurechtfinden zu können. Wir folgten kaum erkennbaren Pfaden durch die Hügel, hielten uns stets in Deckung, überquerten niemals irgendwelche Kämme oder auch nur Bodenwellen, sondern suchten uns stets Lücken. Immer wieder hielten wir an, um zu lauschen. Al Quade war ein erfahrener Wolf. Das sah ich nun an der ganzen Art, wie er seinen Weg suchte und uns führte, daß es auch ein kampferprobter Indianer nicht hätte vollendeter tun können. Die Nacht wurde in der zweiten Hälfte noch strahlender. Aber deshalb warfen auch alle aufragenden Dinge tiefe Schatten. Wir mußten immer größere Umwege machen, um in
Deckung zu reiten. Die Zeit schritt nun – so glaubte man – immer schneller voran. Und als ich schon dachte, wir könnten es vor Morgengrauen gar nicht mehr schaffen, kamen wir um eine Waldzunge herum zu den Weidekoppeln und Corrals der Riesenranch. Zu Fuß näherten wir uns einem Sattel- und Vorratsschuppen. Natürlich mußte es hier irgendwo einen Wächter geben. Eine Ranch wie diese ließ die weitläufigen Weidekoppeln und Corrals nicht ohne Bewachung. Der Wächter saß auf der anderen Seite des nach den Corrals hin offenen Schuppens. Es war leicht, ihn herauszulocken. Ich nahm einen kleinen Stein vom Boden auf und warf ihn zwischen die Pferde. Als diese unruhig wurden, kam der Mann heraus, um zu sehen, was für einen Grund die Unruhe hatte. Al Quade gab es ihm mit dem Revolverlauf. Dann machten wir uns an die Arbeit. Wir wickelten den Mann nicht nur gut in Lassos ein, die wir im Sattelschuppen reichlich fanden, wir holten auch unsere Pferde, nahmen unsere Sättel und legten diese frischen Pferden auf, die ich aus dem Corral fing. Auch für Duke Cresswell machten wir ein Tier reitfertig. Denn wenn wir ihn erst hatten, würden wir vielleicht keine Zeit mehr haben, für ihn ein Tier zu satteln. Ich fing also die Tiere aus dem Corral. Al Quade sattelte sie. Als ich ihm beim letzten Tier half, schnaufte er: »Ich glaube, du warst mal ein erstklassiger Pferdedieb, Hombre, einer von der Sorte, die auch einem Apachen oder Comanchen das Pferd stehlen konnte. Hey?« »Ich habe alles gelernt«, sagte ich trocken. »Und weil ich ein solch guter Pferdestehler war, wurde ich während des Krieges, als ich mit Tom Key den Yanks eine große Herde stahl, zum Leutnant auf Kriegszeit befördert. Doch die andere Seite, die Yanks also, hätten mich aufgeknüpft, denn wir stahlen in Zivil. So ist das im Leben. Es kommt immer auf die Seite an, für die man stiehlt, nicht wahr?« Wir banden die drei Pferde hinter dem Schuppen an, ließen unsere beiden Tiere in dem Corral, sahen noch mal nach dem geknebelten und gefesselten Wächter und machten uns auf den Weg. Natürlich hatten Al Quade und ich in dieser sterbenden Nacht auch eine Menge Glück. Mit Sicherheit gab es irgendwo auf der Ranch noch zumindest einen zweiten Wächter, vielleicht dort, wo sich die Magazine, Werkstätten und Quartiere befanden. Aber wir begegneten diesem Wächter nicht auf unserem Wege von den Corrals zum Haupthaus. Al Quade kannte sich hier aus. Er hatte mir unterwegs gesagt, daß er schon einige Male auf der Ranch gewesen war und sich dann umgesehen hatte. Nun, was soll ich hier noch lang und breit erzählen, wir wir es bis zu Duke Cresswells Bett schafften. Es war lächerlich einfach. Niemand hielt uns auf. Niemand sah uns kommen oder hörte uns. Wahrscheinlich wäre auch niemand auf der großen und mächtigen Cresswell-Ranch überhaupt auf die Idee gekommen, daß jemand versuchen könnte, was wir hier wagen wollten. Und der Boß schlief ruhig in seinem breiten spanischen Bett. Wir gelangten über die Treppe von der großen Wohnhalle nach oben. Es gab keine verschlossenen Türen. Duke Cresswell war ganz allein in seinem großen Haus. Er hatte es gewiß einmal für eine große Familie gebaut, aber nachdem seine Frau gestorben war, lebte er hier nur mit seinem Sohn und hoffte vielleicht auf eine Schwiegertochter und Enkel.
Aber jetzt war er allein. Die mexikanische Wirtschafterin schlief nicht im Haus. Auch der chinesische Hausdiener schlief in irgendeinem Quartier außerhalb des Haupthauses. Al Quade wußte das alles. Und vielleicht hatte er auch immer schon instinktiv geahnt, daß es einmal sehr notwendig sein würde, sich hier auszukennen. Wir setzten uns rechts und links auf Duke Cresswells Bettrand. Dann hielt ich ihm die Nase zu. Durch das offene Fenster fiel noch blasses Mond- und Sternenlicht, als Cresswell erwachte. Al Quade hielt ihm das Bowiemesser an den Hals. »Das ist eine Verhaftung, Mister«, sagte er. »Sie findet in Anbetracht der Umstände vielleicht auf etwas außergewöhnliche Art statt, aber die Sachlage heiligt die Mittel. Mann, wenn Sie Ihr Maul aufmachen, wird es gewiß ziemlich schlimm für Tole Ketshum und mich. Aber zuerst wird es schlimm für Sie. Verstanden?« Duke Cresswell nickte, so gut es ihm bei dem Messer an der Kehle möglich war. Dann sagte er leise: »Ihr seid ja verrückt.« Nun rochen wir seinen Atem. Er hatte gewiß eine Menge Whisky getrunken. Deshalb hatte er nicht nur so fest, sondern überhaupt geschlafen. Dies gehörte gewiß auch zu unserem Glück. Er hatte sich betrinken müssen, um im Schlaf für ein paar Stunden Vergessen finden zu können. »Ihr seid wirklich verrückt«, wiederholte er. »Glaubt ihr denn wirklich, ihr könntet mich wie meinen armen Early in Red Bluff einsperren? Das hättet ihr schon mit Early nicht gekonnt, würde ich nicht gewollt haben, daß er von einem Richter freigesprochen wird. Aber bei mir …« »Sie reden zuviel, Cresswell«, mischte ich mich ein. »Und wir können nicht auf den Sonnenschein warten. Also hoch mit Ihnen! Oder wollen Sie in Unterhosen mitreiten? Wir geben Ihnen zwei Minuten. Den Colt, der unter Ihrem Kopfkissen lag, habe ich schon. Also …!« Er knirschte mit den Zähnen. Dann fragte er: »Quade, hat der was zu sagen? Ist der Ihr Gehilfe? Kann solch ein Strolch Vizesheriff sein?« Al Quade grinste. »Richtig«, sagte er, »ich habe ihn ja noch gar nicht als Vize vereidigt. Tole Ketshum, heb deine rechte Hand und schwöre, daß du als Vize das Gesetz, wie es die Verfassung vorschreibt, vertreten wirst nach bestem Können und Wissen. Schwöre!« »Ich schwöre«, sagte ich. »Und wenn er mich noch mal einen Strolch nennt, werde ich ihm auch als Vize eine reinhauen. Hoch jetzt, Cresswell!« Er gehorchte. Aber er glaubte noch, daß seine Zeit bald kommen würde. Er war der Meinung, daß wir ihn nach Red Bluff ins Gefängnis bringen würden. Wir gingen mit ihm aus dem Haus, als gehörte sich das so und als wäre alles in Ordnung. Natürlich waren wir innerlich nicht so ruhig, wie wir uns den Anschein gaben. Dort drüben lagen die Mannschaftsquartiere. Es gab deren fast ein halbes Dutzend in den verschiedensten Größen für Weidereiter, für die Revolvermannschaft, die Cresswell sich als kleine Privat-Armee hielt, für die Ranchhelfer, Handwerker und all die vielen anderen Beschäftigten. Und irgendwo in den kleinen Wohnhäusern der Vorleute befanden sich gewiß auch Otis Pytaja und Edson Vansitter.
Das waren die Männer, die bald schon die Meute unserer Verfolger einsetzen würden. Es waren erfahrene Menschenjäger, und sie besaßen Instinkt. Eigentlich mußte dieser Instinkt sie jetzt schon unruhig schlafen lassen. Und wenn einer von ihnen erwachte, sich erhob und zum Fenster ging … Vielleicht kam uns auch zu Hilfe, daß die Nacht dem Ende entgegenging. Nebel stiegen überall auf. Die Sicht wurde schlecht, und auch am Himmel war nun Dunst, der die bisher so strahlende Nacht trübe und farblos machte. Als wir schon die ersten Corrals erreicht hatten und uns immer noch niemand anrief, hielt Cresswell an. »Ihr solltet wahrhaftig jetzt aufhören«, sagte er. »Heute will ich meinen armen Early beerdigen. Ihr könnt mich doch wohl nicht einsperren, bevor ich meinen Sohn beerdigt habe. Ihr seid ja verrückt!« »Das hören wir schon eine Weile«, sagte ich. »Gehen Sie weiter, Cresswell!« Ich stieß ihn von hinten vorwärts. »Wenn Sie schreien, Cresswell, bekommen Sie was«, zischte Al Quade heftig und stieß ihm den Revolverlauf gegen die Seite. Wahrscheinlich hatte Cresswell einen Alarmruf ausstoßen wollen. Doch nun hielt er die Luft an und schnaufte sie dann durch die Nase aus. »Ihr Bastarde«, flüsterte er dann. »Ich werde euch die Haut abziehen lassen. Mit den Ohren lasse ich euch an die Scheunenwand nageln.« »Sicher«, sagte ich, »das würden Sie gerne tun. Doch vielleicht werden Sie aufgeknüpft wie Tom Key. Vom Gesetz. Diese Chance haben wir immerhin, nicht wahr?« Er ging wirklich weiter. Einen Moment glaubte ich, daß wir ihn bewußtlos schlagen und tragen mußten. Aber er war klug genug, um zu begreifen, daß wir entschlossen waren. Er wollte doch nichts riskieren, noch nicht. Er glaubte vorerst noch, daß es nur bis nach Red Bluff ging. »Ihr werdet in Red Bluff sterben«, sagte er. Wir erwiderten nichts. Ich aber dachte, während wir mit ihm das letzte Stück gingen: Sterben in Red Bluff? Nein, jetzt wohl nicht mehr. In Red Bluff waren genug Leute gestorben. Vielleicht würden wir unterwegs nach El Paso sterben. Das konnte sein. Wir kamen endlich hinter den Sattelschuppen zu den Pferden. Al Quade brachte ein Paar Handschellen zum Vorschein. »Also los, Cresswell«, sagte er. »Diese Armbänder hat schon Ihr Sohn getragen. Her mit den Handgelenken!« Da konnte Cresswell nichts mehr hinnehmen. Er stieß Al Quade die Faust ins Gesicht, trat mich, fast wie ein Gaul nach hinten ausfeuernd, gegen das Schienbein und wollte dann einen Alarmschrei ausstoßen. Es war dumm von ihm, nicht zuerst zu brüllen und dann zu explodieren. Aber es ging ohnehin nur um Sekundenbruchteile. Ich warf mich von hinten gegen ihn und umklammerte mit beiden Händen seinen Hals. Ich drückte noch rechtzeitig zu. Was aus seinem Mund kam, war nur noch ein Röcheln, kein Alarmruf mehr. Und dann gab Al Quade es ihm. Wir legten ihn quer über den Sattel des für ihn bestimmten Pferdes, stiegen selbst auf und machten, daß wir mit ihm fortkamen. Denn der kommende Tag war nun schon recht nahe.
Es war uns auch klar, daß wir eine sehr deutliche Fährte im taunassen Gras und auch im Staub hinterließen. Aber wir mußten erst einmal ein paar Meilen zurücklegen, bis wir das Spiel beginnen konnten. Ich verstand mich darauf, eine Fährte zu verwischen und Verfolgern eine Menge Rätsel aufzugeben. Al Quade – das glaubte ich auf Anhieb – war in dieser Hinsicht auch erfahren. Aber ich hatte dennoch kein gutes Gefühl, wenn ich an Ed Vansitter und Otis Pytaja dachte. * Als die Sonne über den Hügeln des Pecos-Landes im Osten aufstieg, hatten wir Duke Cresswell im Sattel sitzen. Er trug die Handschellen, und er hatte längst begriffen, daß es nicht nach Red Bluff ging. Er wußte jedoch noch nicht genau, wohin, denn wir ritten vorerst noch eine Zickzackfährte und wandten jeden Trick an, diese Fährte zu verwischen. El Paso lag im Westen, und es gab zwei Möglichkeiten, dorthin zu gelangen. Da gab es den Wagenweg am Rio Grande entlang oder zumindest in Sichtweite des Stromes, Und dann konnte man den Weg durch die Davis Mountains nehmen und später in den Vorhügeln des El Capitan Peaks durch die Guadalupe-Mountains etwas einschwenken und nach El Paso gelangen. Der letztere Weg war etwas kürzer. Wir mußten ihn nehmen. Und so ritten wir ihn schließlich direkt. Denn wir konnten nicht länger herumtändeln. Wir konnten nur hoffen, daß unsere Verfolger noch eine Weile brauchen würden, bis sie Bescheid wußten, wohin die Reise ging. Duke Cresswell sagte nicht mehr viel. Es gab auch nichts mehr zu sagen. Gegen Mittag erreichten wir die Vorberge der Davis Mountains und hatten einen guten Rückblick auf unsere Fährte. Das Land fiel abwärts zum Pecos hin. Zu unserer Rechten, also im Süden und schon recht weit, lag das große Knie des Rio Grande. Der Pecos floß etwa hundertfünfzig Meilen weiter östlich in den Rio Grande. Wir wollten schon weiter, da sahen wir die Verfolger kommen. Auf der anderen Seite der Ebene tauchten Punkte auf. Sie waren winzig, doch in der klaren Luft gut zu erkennen. Das war kein Wolfsrudel. Nein, es waren Reiter auf unserer Fährte. Die Entfernung betrug mehr als sieben Meilen, und das war recht beruhigend. Denn unsere Pferde waren nicht schlechter. Und wenn die Hombres hinter uns die sieben Meilen aufgeholt hatten, dann mußten unsere Tiere frischer sein, weil sie langsamer geritten wurden. Das alles war ein recht einfaches Einmaleins. Doch Duke Cresswell grinste. Er sagte: »Dort kommen meine Jungens schon. Morgen werden sie uns eingeholt haben. Und dann …« Ich sagte: »Meister, wir werden uns etwas einfallen lassen. Wir sind bestimmt nicht blöd geboren und auch während des lausigen Lebens nicht fest genug auf den Kopf gebummst.«
Da grinste er nicht mehr, sondern sah mich seltsam an. Plötzlich sagte er: »Vergessen wir alles. Tausend Dollar für jeden von euch! Ihr habt mir gezeigt, wie hart ihr seid, und ich respektiere das. Ich habe gerne harte Männer in meinen Diensten. Bei mir werdet ihr vielleicht nicht reich, doch aber wohlhabend. Also lauft über. Das Geld ist bei mir. Und letztlich habe ich auch die Macht. Letztlich erwischen euch Vansitter und Pytaja doch. Ich will mir nur das alles, was dazwischen liegt, ersparen. Also?« Al Quade grinste ihn an. Dann sagte er zu mir: »Dies ist ein großer Bursche. Und bevor wir mit ihm in El Paso sind, bietet er uns alles, was er besitzt, und liegt flehend auf den Knien. Solch ein großer Bursche ist das! Si, Señor, so groß, daß er Häuser abbrennen läßt und höchstpersönlich als Richter und Henker fungiert.« Ich sah scharf auf Al Quade. Nun spürte ich zum erstenmal Haß in ihm. »He, du haßt ihn?« fragte ich. Er zuckte zusammen. »Ich hasse seine Sorte«, sagte er schließlich langsam und schwer. »Das ist die Sorte, die immer schlimmer wird, je weiter sie kommt. Ich stamme aus Alabama, und meine Eltern mitsamt uns Jungens, wir alle haben uns krumm und schief gearbeitet. Und wir hatten keine Chance gegen die Großen, die sich reichlich Sklaven hielten. Reiten wir.« Wir ritten weiter und weiter und schlugen ein schnelleres Tempo ein, um den Vorsprung möglichst zu halten. Manchmal ließen wir unsere Pferde ein wenig verschnaufen. Einmal erreichten wir eine Wasserstelle und ließen den Pferden noch mehr Zeit. Wir wuschen den Tieren die Beine und die Brust. Und natürlich ließen wir sie mäßig trinken. Duke Cresswell sprach die ganze Zeit nicht mehr, aber man sah ihm an, daß er sich keine großen Sorgen mehr machte. Seiner Meinung nach mußten wir die ganze Sache verlieren. Später dann, als wir wieder kleine Ebenen hinter uns ließen und von den Hügeln zurückblickten, da sahen wir zweimal unsere Verfolger. Sie waren nun sehr viel näher. Die Entfernung betrug knapp vier Meilen. Der Tag ging allmählich dem Ende zu. Ich spürte all meine Knochen und war müde und ausgebrannt. Aber ich mußte durchhalten. Zu essen hatten wir nicht viel dabei. Al Quade hatte in seinem Office nur wenig Proviant einpacken können. Also gab es unterwegs nur ein paar Happen für jeden von uns. Als dann die Sonne sank, hielten wir in einem Canyon an. Es gab ein paar Querschluchten. Vor uns teilte sich der Canyon. Unsere Verfolger mußten sich hier ebenfalls teilen, oder sie mußten zumindest warten, bis die Nacht hell wurde und sie wieder einer Fährte folgen konnten. Ich saß ab und warf Al Quade die Zügelenden meines Pferdes zu. »Irgendwie schaffe ich es schon«, sagte ich. »Denn du sagtest ja selbst, daß ich ein erstklassiger Pferdedieb wäre. Na los, reite weiter mit ihm.« Ich brauchte Al Quade nicht zu erklären, was ich tun wollte. Er hatte gewiß selber diese Idee im Kopfe. Aber ich war ihm jetzt zuvorgekommen. Und überdies war er der Sheriff. Er würde in El Paso bei seinem Vorgesetzten gleich von Anfang an die volle Unterstützung bekommen. Ich würde eine Menge erklären müssen. Und so war es schon
besser, daß er durchkam. Al Quade zögerte noch. In der zunehmenden Dunkelheit sah er mich starr an. »Paß gut auf dich auf, Partner«, murmelte er dann. Sie ritten weiter. Al Quade nahm mein Pferd mit. Und der mit Handschellen gefesselte Duke Cresswell, der schnell begriffen hatte, was ich tun wollte, sagte heiser zu mir, während er vorbeiritt: »Wenn sie dich erwischen, Laredo-Tole, wird Otis Pytaja dafür sorgen, daß du am Leben bleibst. Denn er weiß genau, daß ich mir das wünsche, damit ich dir selbst zurückzahlen kann, was …« Ich hörte ihn nicht mehr, denn die Geräusche der Pferde übertönten seine Stimme. Er war schon zu weit entfernt. Aber er hatte gewiß sagen wollen: »… was ich dir schuldig bin.« Ich ging etwas zur Seite und erreichte die Deckung von einigen Felsen. Sie waren kaum brusthoch, und es wuchsen Büsche zwischen ihnen. Es waren Dornenbüsche. Ich hockte mich nieder und wartete. Es kam natürlich jetzt ganz darauf an, daß ich meinen Platz gut gewählt hatte. Wenn die Verfolger hier nicht anhielten, sondern sich teilten und in beide Canyon-Gabelungen ritten, dann saß ich hier ohne Pferd fest wie ein Schiffbrüchiger auf einer einsamen Insel. Doch ich setzte all meine Chips darauf, daß sie hier anhalten würden. Sie mußten es auch tun, um ihre Tiere verschnaufen zu lassen. Also konnten sie ebensogut hier warten, bis der Mond hoch genug stieg und die Sterne klar aus dem noch verschleierten Himmel leuchteten. Ich brauchte nicht lange zu warten. Sie kamen schnell, und sie hatten noch mehr aufgeholt. Sie kamen laut mit Hufgetrampel, schnaubenden und keuchenden Tieren. Und als sie anhielten, knarrten Sättel, klimperte allerlei Metallzeug, schnaubten die Pferde und stampften mit den Hufen. Ihre Anführer kannten jeden Fußbreit des Landes. Deshalb wußten sie auch genau, wo sie sich befanden und daß der Canyon sich hier gabelte. Als all die Geräusche langsam verklangen und es stiller wurde, der Staub sich senkte und sie alle warteten, wie ihre Anführer sich entscheiden würden, da erklang auch bald Otis Pytajas Stimme. Sie ließ keinen Zweifel daran, daß er die Führung übernommen hatte. Pytajas Stimme sagte: »Wir haben nicht genug aufgeholt. Der Staub hat sich schon wieder gelegt. Es ist nicht mehr zu wittern, in welche Canyon-Gabelung sie ritten. Wir rasten eine Weile. Inzwischen wird es heller werden. Ich möchte hier nicht auf einen Trick reinfallen. Die beiden Canyon-Gabelungen führen zu weit auseinander, nämlich nach links zum Rio Grande und nach rechts zum El Capitan Peak hinüber.« »Aber sie sind mit dem Boß doch wohl bestimmt nach El Paso unterwegs«, sagte Ed Vansitters Stimme. »Wir sollten zusehen, daß wir auf dem kürzesten Wege vorankommen, ob wir sie nun einholen oder nicht. Wir könnten sie so vielleicht überholen und ihnen den Weg verlegen. Wir haben genug Reiter bei uns, um ihnen mehr als drei Wege verlegen zu können. Also?« Nun bekam ich Furcht, daß sie doch noch ein Stück weiterreiten und ich zu Fuß hinter ihnen herstolpern mußte. Aber Pytaja sagte etwas barsch: »Wir können sie vielleicht noch vor Tagesanbruch
eingeholt haben, wenn die Nacht nur hell genug wird. Und das wird sie gewiß. Wir brauchen nicht ganz bis nach El Paso, um ihnen den Weg zu verlegen. Wir bekommen sie früher. Ich wette, daß der Boß sich etwas einfallen läßt und dafür sorgt, daß sein Pferd bald lahm ist. Also, sitzt ab. Wir rasten eine knappe Stunde. Kümmert euch gut um eure Pferde. Auf die Pferde kommt es an, Hombres!« Ich grinste, als ich ihn das rufen hörte. Ja, auf die Pferde kam es an. Und ich wollte ihnen die Pferde stehlen. Diese rauhe Mannschaft war den ganzen Tag geritten. Und sie mußte sich darauf einstellen, noch viele weitere Stunden zu reiten. Deshalb würden sie sich langlegen und entspannen, sobald sie ihre Pferde versorgt hatten. Und dann … Ich legte mich auch lang und entspannte mich, so gut ich konnte. Die ganze Mannschaft zog sich etwas zur nördlichen Seite des nach Westen führenden Canyons zurück. Offenbar gab es dort im steilen Canyonhang eine Falte mit einer Quelle. Ich hörte, wie eine Stimme sagte: »Am besten ist, wir spannen hier zwischen den Bäumen zwei Lassos aus. Dann haben wir kein Durcheinander mit den Pferden!« »Ach was, wir sind doch nicht bei der verdammten Armee«, sagte eine andere Stimme. »Wir reiten Rinderpferde, die sich nicht fortbewegen, solange die Zügelenden am Boden liegen. Oder reitet jemand von uns einen verdammten Gaul, auf den er sich nicht verlassen kann?« Der Sprecher bekam keine Antwort. Und da mischte sich Pytajas Stimme ein. »Also spannt die Lassos aus und bindet die Gäule an diese Leinen. Dann haben wir hier wenigstens kein Durcheinander, und jeder weiß, wo sein Gaul in dieser verdammten Finsternis steht. Aber zuerst versorgt ihr die Gäule. Gebt ihnen genug Wasser, massiert sie durch, und führt sie noch etwas herum. Keiner hat Zeit für sich selbst, bevor er nicht seinen Gaul gut versorgt hat.« Ich hörte noch mehr Worte und Unterhaltungen, doch sie waren nicht mehr wichtig. Was wichtig war, hatte ich schon gehört. Ich entspannte mich noch mehr und mußte gegen mein Einschlafen ankämpfen. Oh, das fehlte noch, daß ich hier vor Müdigkeit einschlief. Dann endlich erschien es mir an der Zeit, etwas zu unternehmen. Drüben war es still geworden. Die Reiter der Cresswell-Ranch hatten ihre Pferde versorgt. Sie hatten sich irgendwo hingehauen und alle Glieder ausgestreckt. Einige waren von einem Atemzug zum anderen eingeschlafen. Doch das war kein Zeichen von Erschöpfung, sondern nur Übung und weise Voraussicht. Diese harten Hombres schliefen überall auf Vorrat, und sie konnten es, wenn es nicht anders ging, sogar im Sattel. Ich sah die Pferde als eine dunkle Reihe in der noch recht finsteren Nacht. Und dennoch wurde es Zeit für mich, etwas zu unternehmen. Lange würden die Schnarcher unter der rauhen Mannschaft nicht mehr schnarchen. Die Sterne am Himmel waren schon klarer geworden. Der milchige Dunst ließ mehr und mehr unirdisches Licht zur Erde sickern. Über einigen fernen Hügeln war ein merkwürdiger Glanz. Ich wußte, daß dort bald der Mond zum Vorschein kommen würde. Und dann würde ich hier keine Chance mehr haben. Es ging dann schnell.
Ich erreichte die Doppelreihe der angebundenen Pferde. Sie scheuten nicht vor mir, denn ich roch wie all die anderen Reiter auch. Ich war kein Indianer. An diesem Ende der Doppelreihe war kein Wächter. Vielleicht gab es überhaupt keinen. Aber die Mannschaft lag ja auch ganz in der Nähe. Ich zerschnitt die Leinen rechts und links vom ausgespannten Lasso. Die Zügelenden ließ ich jeweils fallen. Das war wichtig, denn nur dann würden die Tiere stehen bleiben, obwohl sie nicht mehr angebunden waren. Das war nun einmal so mit richtigen Rinderpferden. Auf der Weide gab es oft genug keine Gelegenheit, ein Pferd anzubinden. Und jeder Reiter mußte einmal von seinem Pferd herunter, und sei es, um ganz menschliche Bedürfnisse zu erledigen. Dann mußte er sich darauf verlassen können, daß sein Tier auch dann nicht verrückt wurde und fortrannte, wenn ein Kaninchen aufsprang oder eine Klapperschlange zu rasseln begann. Das war lebenswichtig für jeden Reiter, Und deshalb lernten die Pferde in diesem Land zuerst, daß sie mit hängenden Zügeln nicht weglaufen durften. Ich mußte etwa zwei Dutzend Pferde losschneiden, und als ich die Hälfte hinter mir hatte, hörte ich vom anderen Ende eine Stimme sagen: »He?!« Einen flüchtigen Moment glaubte ich, der Wächter – es mußte ja einer dasein – hätte mich gehört. Aber das konnte nicht möglich sein. Denn selbst zwei Dutzend still verharrende und dösende Pferde machten immer noch mehr Geräusche als ein leise schleichender Mann. Und ich hörte auch schon bald Otis Pytajas unverwechselbare Stimme auf das ›He‹ des Wächters antworten. Pytaja sagte mit einem spürbaren Klang von Ungeduld in seiner Stimme: »Ich reite schon mal hinüber. Es wurde inzwischen etwas heller. Vielleicht kann ich die Spuren schon gut genug sehen, um herauszufinden, ob sie wirklich ohne Trick weitergeritten sind.« Er hatte sein Pferd am Ende der Reihe stehen. Ich hörte ihn aufsitzen und fortreiten. Ich atmete langsam aus, denn ich hatte meinen Atem unwillkürlich angehalten. Und dann machte ich weiter. Denn nun hatte ich nicht mehr lange Zeit. Es ging vielleicht um Minuten, wenn nicht gar um Sekunden. Und noch eines wußte ich: Selbst wenn ich die Pferde fortjagen und entkommen konnte in der Nacht – Otis Pytaja war beritten. Ihn mußte ich auch noch ausschalten. Das aber würde schwer sein, sehr schwer. Denn viel Zeit würde ich dabei nicht haben. Als ich bei den beiden vorletzten Pferden war und diese losschnitt, merkte der Wächter endlich etwas. Es war inzwischen noch heller geworden. Einige Tiere hatten sich gedreht oder waren ein wenig zurückgewichen. Das war unvermeidlich, weil die Tiere ja dann und wann ihre Standbeine wechselten oder die Köpfe drehten, um den Nachbarn zu beschnuppern. Der Wächter hatte endlich erkannt, daß die bisher so regelmäßige Reihe in Unordnung geraten war. Er rief: »He, was ist denn mit den verdammten Gäulen?« Ich zerschnitt nun das Lasso und versuchte nicht mehr, auch die beiden restlichen Tiere davon abzutrennen. Ich schwang mich auf das Pferd neben mir. Und als ich in den Sattel kam, hielt ich mich fest, so gut ich konnte. Ich umklammerte das Tier mit meinen langen Beinen, packte mit einer Hand das Sattelhorn und wickelte
die Zügelenden um meine rechte Hand. Das alles ging sekundenschnell. Und dann kam mein großer Zaubertrick, den ich von den Apachen gelernt hatte, als sie einmal einer Mannschaft, zu der ich gehörte, die Pferde stahlen. Ich stieß den wilden Schrei eines Pumaweibchens aus. Das war was! Ich glaube, es gibt kein Tier auf dieser Erde, das einen solch schrecklich und böse fauchend klingenden Schrei ausstoßen kann wie eine weibliche Pumakatze. Da sträuben sich einem die Haare, selbst wenn man in einem sicheren Blockhaus sitzt und es nur draußen kreischen hört. Für die Pferde in diesem Land aber war schon seit jener Zeit, da die ersten Tiere den spanischen Rittern weggelaufen und verwildert waren, der Puma der ärgste Feind. Sie spritzten auseinander, als hätte der Blitz zwischen ihnen eingeschlagen. Und ich wiederholte den Schrei noch mehrmals, obwohl mir das nun sehr viel mehr Mühe bereitete. Denn ich saß ja auf keinem normalen Gaul mehr. Ich saß auf einer Rakete, wie die alten Chinesen sie schon abfeuern konnten. Der Gaul wollte sich mit mir überschlagen. Wahrscheinlich hielt er mich zuerst wirklich für einen Puma, der auf seinem Rücken gelandet war. Aber was sollte ich tun? Dieses arme, erschrockene Tier war meine ganze Chance. Nur auf ihm konnte ich entkommen. Fiel ich herunter, erwischten sie mich wahrscheinlich. Ich konnte es nicht hören, weil ich viel zu sehr mit meiner eigenen Not beschäftigt war, aber mit Sicherheit brüllten sie nun alle im Camp hinter den durchgehenden Pferden her, liefen ihnen in alle Richtungen nach und schossen sogar in wilder Wut. Ich aber ritt mein wildestes Rodeo. Und erst als mein Gaul von mir die Faust zwischen die Ohren bekam, wobei ich glaubte, es brächen mir alle Knochen der Hand, wurde er vernünftiger. Wir rammten einen Mann um, der sich an mein Bein hängen wollte. Und wir entgingen ein paar Kugeln. Es war natürlich reiner Zufall, daß mein Gaul in die richtige Richtung lief. Vor uns rannten ein paar Tiere. Aber andere waren in entgegengesetzter Richtung ausgebrochen. Ich stieß schon einen wilden Triumphschrei aus, als es mich erwischte. Ein Reiter rammte mich, warf sich von seinem Pferd zu mir herüber, umfaßte mich, und dann flogen wir zu Boden. Wir rollten übereinander. Ich wußte, daß es Otis Pytaja war, mit dem ich nun kämpfte. Er hatte vom Moment des ersten Pumaschreies an die Sachlage genau richtig begriffen. Er wußte, daß ein Reiter kommen mußte. Und nun kämpften wir. Wir schlugen aufeinander ein. Ich bekam ihn eine Weile später unter mich, kniete über ihm und hielt mit der Linken seinen Hals fest. Mit der Rechten traf ich ihn – einmal, zweimal – und dann traf es mich. Es war ein Schlag von hinten. Pytaja hatte Hilfe bekommen. Ich aber fiel einmal wieder in scheinbar bodenlose Tiefen. Sie hatten mich. Meine Pechsträhne war noch nicht abgerissen. * Als ich erwachte, schien schon der Mond. Ja, sie hatten mich, und mein Kopf schien mir bei jedem Atemzug platzen zu wollen.
Etwa ein Dutzend Männer saß herum. Sie fluchten manchmal, und als sie merkten, daß ich wieder bei Besinnung war, fluchten sie auf mich. Einer sagte: »Wenn Pytaja nicht ausdrücklich befohlen hätte, daß wir ihn lebend aufbewahren sollten für den Boß, dann würde ich mir diesen Hundesohn vornehmen wie einen räudigen Indianerhund. Der läßt uns doch noch zu Fuß laufen, dieser verdammte …« Er unterbrach seinen Wutanfall, denn es kam nun ein Reiter, der ein paar ledige Pferde trieb. »Mehr konnte ich nicht finden«, sagte der Mann. »Aber wir lassen Shorty mit seinem Pferd hier. Der kann für euch den Rest der Tiere zusammensuchen. Er wird sie zumindest bei Tag finden. Und dann wartet ihr mit Tole Ketshum hier, wie Pytaja es euch befahl. Ihr wartet hier, hört ihr?« Sie gaben fluchend Antwort. Und dann sahen sie zu, wie fünf von ihnen den vorausgerittenen Reitern folgten. Ich begriff, daß sie mit Otis Pytajas und meinem Pferd ein paar Tiere eingefangen hatten. Und all diese Gruppen hatten dann immer einen Reiter bei den noch unberittenen Männern der Mannschaft zurückgelassen, der weiter nach den entlaufenen Tieren suchen mußte. Diesmal war es ein gewisser Shorty. Er ritt auch bald schon davon, um im Mondschein sein Glück zu versuchen. Vier Mann waren es noch, die bei mir blieben. Sie fluchten nicht mehr, sondern machten sich daran, ein Feuer zu entfachen, weil es jetzt kalt wurde und die Hitze des Tages aus dem Canyon floh. Einer von ihnen sagte, während sie um das Feuer hockten und die Wärme genossen: »Dieser Shorty findet unsere Gäule hoffentlich bald. Oh, dieser Laredo-Tole Ketshum war ja verrückt. Er hockte selbst auf einem Gaul und schrie wie eine Pumakatze in höchster Wut. Ich dachte wahrhaftig, solch ein verrückter Puma wäre zwischen unsere Pferde gesprungen.« »Und dann hat er Pytaja unter sich bekommen und ihm seine Zeichen ins Gesicht gestoßen«, sagte eine andere Stimme. Sie wandten sich nun am Feuer mir zu, starrten zu mir her. Ich setzte mich auf und hielt mir mit beiden Händen den schmerzenden Kopf. Man hatte mich noch nicht gefesselt. Wozu auch? Ich besaß keine Waffe mehr. Und wenn sie wollten, hätten sie mich immer wieder kleinmachen können. Ich erhob mich, machte ein paar Schritte und setzte mich zu ihnen ans Feuer. Und immer noch hielt ich mir den Kopf. »Das summt wohl noch prächtig?« fragte einer grimmig. »Eigentlich hast du schon eine Menge Prügel eingesteckt«, grinste ein anderer der Burschen. Ich nickte, obwohl mir das Kopfnicken neue Schmerzen bereitete. »Ihr seid mir halt über«, sagte ich. »Was kann ich schon gegen eine solch großartige Mannschaft ausrichten? Damals in Red Bluff hatte John Bugbee vier Mann bei sich. Und vorhin war Otis Pytaja auch nicht so ganz alleine, nicht wahr? Was kann also ein Kerlchen wie ich gegen einen ganzen Verein von Großen und Tapferen ausrichten?« »Jetzt wird er frech«, grollte eine Stimme. »Er ist immer noch nicht richtig kleingemacht worden. Er setzt sich hier zu uns an das feine Feuerchen und beginnt auch
schon freche Töne zu quaken. He, was glaubst du denn, wer du …« Er sprach nicht weiter, denn sein Nachbar zischte: »Still, da kommen Reiter! Ob das schon Shorty mit eingefangenen Pferden ist?« Wir lauschten nun alle, auch ich, und wir alle waren erfahren genug, um erkennen zu können, daß es nur zwei Pferde waren. Also konnten es im besten Falle Shorty und außer seinem Sattelpferd nur noch ein einziges eingefangenes Tier sein. Die Cresswell-Reiter erhoben sich nicht einmal. Einer knurrte: »Da kommt dieser blöde Hund doch mit einem einzigen Gaul zurück und meint, er hätte was Großartiges vollbracht.« Der Reiter war nun als Silhouette erkennbar. Er hatte auch wahrhaftig ein lediges Pferd bei sich. Aber er war nicht jener Shorty. Er war viel großer. Und dann erklang seine Stimme: »He, Jungens, ich bin es!« Da kam John Bugbee angeritten. Als er vor uns am Feuer anhielt, rief einer der Männer: »Dies ist ja Shortys Pferd. Seht, er hat Shortys Gaul bei sich!« »Warum nicht?« fragte John Bugbee trocken zurück. »Ich traf Shorty unterwegs. Er kam bei der Suche nach euren Pferden fast über mein Camp geritten. Er erklärte mir alles, und er hatte auch schon ein Pferd gefunden. Da er sein Tier nicht noch mehr müdereiten wollte, gab er es mir mit, als ich ihm sagte, daß ich euch besuchen würde.« Seine Erklärung leuchtete den Männern ein. Und irgendwie wirkte es in ihnen noch nach, daß er einmal ihr Vormann gewesen war und sie widerspruchslos seine Befehle befolgt hatten. Aber mir kam die Sache etwas seltsam vor. Ich war der Meinung, daß er Käse oder Blech redete. Shorty hätte gewiß nicht sein Pferd gewechselt. Aber den vier Cresswell-Reitern schien es nicht merkwürdig. Dafür kamen sie endlich darauf, daß er ihnen nichts mehr zu sagen hatte. Einer fragte: »Und was treibst du hier, Bugbee? Möchtest du dich einkaufen, weil Duke Cresswell jetzt selbst in Not geraten ist? Möchtest du ihm zeigen, daß er sich auf dich mehr verlassen kann als auf Pytaja und Vansitter? Aber da kommst du zu spät.« John Bugbee schüttelte ein wenig den Kopf. In seiner Stimme war ein deutlicher Klang von Nachsicht und fast schon Mitleid. »Jungens«, sagte er, »ihr werdet schon noch herausfinden, was auch ich endlich herausfinden mußte. Cresswell ist verrückt. Er ist ein Narr. Und sie werden ihn irgendwann und irgendwo hängen. Seht euch mal diesen Laredo-Tole Ketshum an. Der …« Sie wandten sich mir alle zu und erwarteten, etwas an mir zu sehen, was John Bugbee ihnen im gleichen Atemzug noch erklären würde. Nur ich sah Bugbee an – und ich sah, daß er seinen Revolver zog. Und als sie sich nun ihm wieder zuwandten, sahen sie den Colt in seiner Faust. Er bedrohte sie damit. »Jungens«, sagte er, »es sollte euch doch wohl schon gedämmert sein, daß ich nicht mehr auf Duke Cresswells Seite bin. Und an Laredo-Tole Ketshum habe ich noch etwas gutzumachen. He, Tole, nimm dir ihre Waffen!« Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich holte mir Revolver und Gewehre und warf sie weit genug in die Büsche. Und alle vier Cresswell-Reiter hielten still. Sie versuchten nichts. John Bugbee, das wußten sie, konnte zu gut schießen.
Als ich fertig war, lachte Bugbee und fragte mich: »Tole, sind wir quitt?« »Reichlich«, erwiderte ich. »Ich wünsche dir ein langes Leben, viel Spaß, viel Glück und hübsche Kinderchen.« Er grinste und wandte sein Pferd. Während ich auf Shortys Gaul kletterte, ritt er in die Nacht zurück, aus der er gekommen war. Ich aber hielt meinen Colt bereit für den Fall, daß es die vier Hombres jucken sollte. Und ich sagte zu ihnen: »Jetzt sucht schön nach Shorty!« Und dann ritt auch ich weiter. Vielleicht konnte ich Al Quade noch zu Hilfe kommen. Ich ritt die ganze Nacht, und ich dachte dabei immerzu an Al Quade, der es mit Duke Cresswell jetzt bestimmt nicht leicht haben würde. Die Fährten waren klar und deutlich. In der nun hellen Nacht konnte ich sie fast so gut wie bei Tag verfolgen. Aber wie sollte es nun weitergehen? Irgendwo dort weit vorne ritt Al Quade mit seinem Gefangenen. Dahinter ritten Otis Pytaja, Ed Vansitter und ein paar hartgesottene Hombres, die zuerst ihre Pferde wiederbekommen hatten. Hinter dieser Spitzengruppe der Verfolger kamen gewiß noch einige Gruppen, die erst später ihre Gäule eingefangen hatten. Und ich bildete den Schluß. Für mich sah es so aus, als hätte ich gar keine Chance, an all den Verfolgern vorbei bis zu Al Quade und dessen Gefangenem gelangen zu können. Ich mußte sogar damit rechnen, daß es allmählich Nachzügler gab, die wegen ihrer erschöpften Tiere angehalten hatten oder langsamer ritten. Es war schon eine unsichere und verzwickte Situation. Ich kannte das Land nicht und konnte mir deshalb auch nicht vorstellen, was Al Quade für Tricks aus dem Ärmel holen würde. Im trüben Morgengrauen sah ich einen kleinen Rancho rechts vom Wege. Alle Fährten führten hinüber zu diesem Rancho, dessen Corrals aus Dornengestrüpp bestanden und dessen Hütte aus Zweigen und Grasplatten errichtet war. Ich sah die Fährten von dem Weg zum Rancho und von diesem wieder hinweg zum Weg führen. Mir schien alles klar zu sein. Al Quade hatte dort versucht, für sich und seinen Gefangenen frische Pferde zu bekommen. Und auch seine Verfolger hatten das versucht oder zumindest herausfinden wollen, ob Al Quade frische Tiere erhalten hatte. Dann waren sie ihm gefolgt. Auch ich ritt nun hinüber. Denn vielleicht gab es dort ein Pferd für mich zum Tausch, welches schon mehr als eine gute Stunde hatte verschnaufen können. Ein krummbeiniger Bursche kam zum Vorschein. Er trug ein Büffelgewehr und sah nicht so aus, als ob er sich vor etwas auf dieser Welt fürchtete. Er war zumindest zu einer Hälfte ein Comanche, aber die andere Hälfte war auch nicht rein weiß. Hinter den Ohren hatte er zwei kleine Zöpfe. Er sah mich im ersten Morgenlicht schrägäugig an. Dann nickte er und sagte in einem unerwartet guten Texas-Englisch: »Du bist Laredo-
Tole, nicht wahr? Nicht anders hat er dich mir beschrieben.« Ich brauchte nicht erst zu fragen, wer mich ihm beschrieben hatte. Denn es konnte nur Al Quade gewesen sein. Der Ranchero sah in die Richtung, aus der ich gekommen war. Ich begriff seine Vorsicht und erwiderte: »Ich bin allein. Und ich bin Laredo-Tole. Wo ist Quade?« »Hier«, sagte dieser und kam hinter der Hütte zum Vorschein. »Verdammt«, sagte er, »du hast mich länger warten lassen als eine Jungfrau auf den ersten Kuß.« Ich grinste. »Wer wird dich schon küssen wollen, Quade«, sagte ich. »Wo ist denn unser Augenstern?« »Mich haben schon viele schöne Frauen geküßt«, sagte er. »Und Mr. Cresswell liegt hinter der Hütte in den Büschen. Ich habe ihn gut eingewickelt, denn ich wußte ja nicht, wieviel Cresswell-Reiter noch vorbeikommen würden, während ich hier auf dich wartete.« »Sie hatten mich erwischt«, sagte ich und berichtete meine Erlebnisse mit wenigen Worten. Ich schloß mit der Frage: »Und warum sitzt du hier herum? Wie kommt es, daß die ganze Meute fort ist? Ich denke, sie verfolgen dich?« »Mich nicht mehr«, sagte er. »Sie verfolgen Ciboleros Sohn, und dieser reitet auf zwei frischen und erstklassigen Pferden und zeigt ihnen eine Menge Tricks. Der führt sie dorthin, wo er sich besser auskennt als sie.« Ich staunte und sah mich nach dem krummbeinigen Ranchero um. »Und warum tut sein Sohn das für uns?« Meine Frage klang kühl, und in meiner Stimme war Mißtrauen. Al Quade grinste nicht. Er blieb ernst, als er auf Cibolero deutete und sagte: »Duke Cresswell hat viele Feinde im Land. Señor Cibolero würde ihn gerne in El Paso hängen sehen, und sein Sohn würde gerne seinen Bruder rächen, den Cresswell vor drei Jahren hängen ließ, obwohl Pedro Cibolero gewiß kein Pferdedieb war, sondern die entlaufenen Tiere der Cresswell-Ranch nur zufällig fand und sie mit Sicherheit zurückgebracht hätte, um eine Belohnung zu bekommen. Na?« Cibolero betrachtete mein Pferd und sagte dann: »Ich habe ein besseres und frischeres Tier. Denn Sie wollen doch jetzt gewiß sofort weiter?« Wir nickten. Oh, wir wollten uns wirklich nicht länger bei ihm aufhalten als nötig. Wenig später ritten wir, und wir hatten den verdrossenen Duke Cresswell zwischen uns. Cibolero rief hinter uns her: »Wenn er nicht hängt, sondern freikommen kann, wird er meinen Sohn und mich mit dem Tode bestrafen.« »Uns auch«, sagte ich über die Schulter zurück. Da grinste der sonst so ernste Ranchero. »Ihr habt mehr Glück als Verstand«, knirschte Duke Cresswell, nachdem wir eine Weile geritten waren. »Aber dazu mußte sich Al Quade erst mit einem Pferde- und Rinderdieb wie diesem Cibolero verbünden, einem Burschen, der nicht weiß und nicht rot ist, der in einem beständigen Haß gegen das Gesetz und die Menschen überhaupt lebt, wie ein Wolf, der am Rande der Herde umherschleicht und auf Beute aus ist.« »Ich hatte keine andere Wahl«, grinste Al Quade über die Schulter zu ihm herüber. Dann ritten wir schweigend eine Weile durch die Hügel. Ich wußte nicht, wohin Al Quade uns führte, aber er hatte eine völlig andere Richtung eingeschlagen. Wir ritten südlicher. Als ich ihn fragte, sagte er: »Wir müssen zum Wagenweg, der durch das Rio Grande
Valley führt. Wir müssen versuchen, eine der Postkutschen zu erwischen. Unser Vorsprung muß groß genug sein, wenn Ciboleros Sohn nur einen einzigen Tag durchhält oder bevor sie merken, daß sie uns gar nicht mehr verfolgen. Ich denke, daß wir in Silver warten können. Silver ist eine kleine Siedlung mit einer Pferdewechsel-Station. Es gibt ein paar Minen in der Nähe. Und wenn wir erst in der Expreßpost sitzen, haben wir schon fast gewonnen.« Er machte eine kleine Pause und lachte dann heiser. »Es könnte durchaus sein«, sagte er, »daß Laura Hardcastel und Sally Key in der Kutsche sitzen. So viele Kutschen fahren ja doch nicht. Es könnte sein …« Ich sagte nichts mehr. Es war ja auch alles klar. * Wir erreichten die Silver Station am späten Mittag. Ich holte mir einen Holzeimer voll Wasser aus dem Brunnen und steckte den Kopf mitsamt der aufgeplatzten Beule hinein. Der Stationsmann und ein paar andere Leute, die hier beim Store herumlungerten und wahrscheinlich zu den umliegenden Minen gehörten, sahen zu. Sie sahen auch Al Quades Stern und den mit Handschellen gefesselten Gefangenen. Einer fragte nach einer Weile: »Sheriff, ist das nicht Duke Cresswell, der große Boß im Red-Bluff-Distrikt?« »Ja, ich bin Cresswell!« rief dieser. »Und ich zahle zehntausend Dollar dafür, daß jemand diese beiden Narren umlegt und mir die Freiheit verschafft. Zehntausend Dollar, Leute!« Es waren ein paar harte Nummern darunter. Und für zehntausend Dollar mußte ein Minenarbeiter an die zehn Jahre arbeiten, denn sie verdienten um die vier Dollar pro Schicht. Aber es juckte keinen nach den zehntausend Dollar. Wir gaben dem Stationsmann unsere Gäule und setzten uns mit dem Gefangenen auf die Veranda. Eine Frau brachte uns bald schon das bestellte Essen. Vom Stationsmann wußten wir, daß die Expreßpost nach El Paso in etwa zwei Stunden kommen mußte, wenn sie nicht wieder Verspätung hatte wie fast immer. Ich war nur ein wenig eingenickt auf der schattigen Veranda des Stationshauses, als Quade sagte: »Da kommt sie!« Nun war ich wach. Und weil uns in der Runde immer noch die hartgesottenen Hombres beobachteten, rief Duke Cresswell plötzlich mit heiserer und sich überschlagender Stimme: »Zwanzigtausend Dollar, wenn ihr sie umlegt und ich dadurch freikommen kann!« Quade und ich, wir grinsten nur. Aber wir erhoben uns und rückten unsere Colts ein wenig zurecht. Wir waren bereit. Aber es wagte niemand, mit uns für zwanzigtausend Dollar um den Gefangenen zu kämpfen. Vielleicht trauten sie Cresswells Versprechungen auch gar nicht. Eine Stimme rief von der gegenüberliegenden Scheune herüber, an deren Wand drei Burschen auf den Absätzen hockten: »Cresswell, du kannst zur Hölle fahren! Von dir hörten wir schon eine Menge. Daß sie dich in Handschellen nach El Paso bringen, läßt
uns wieder an Gerechtigkeit glauben. Manchmal hängt man nicht nur die Kleinen und läßt die Großen laufen. Manchmal erwischt es auch einen noblen Cresswell.« Er sagte nichts mehr, unser Duke Cresswell. Aber er blickte der heranrollenden Kutsche auf eine Art entgegen, als erwarte er ein Wunder und Otis Pytaja und Ed Vansitter würden mit der Kutsche kommen, zumindest aber ein ganzes Rudel seiner Männer. Als die Kutsche hielt und der Wagenschlag geöffnet wurde, da sahen wir einige Gesichter der Fahrgäste. Ich hielt meinen Atem an, und auch Al Quade tat es gewiß. Denn Laura Hardcastel und Sally Key saßen tatsächlich in der Kutsche. Sally hatte ihre kleine Tochter auf dem Schoß. Laura lächelte nur, und in ihren Augen war ein Ausdruck von warmer Freude und großer Erleichterung. Sally nickte mir nur ernst zu und sah dann an mir vorbei auf Cresswell. »Sollen wir ihn oben auf dem Dach an das Geländer schließen?« fragte ich. Sally sagte: »Er soll mir gegenüber sitzen. Ich und Rosy wollen ihn ansehen, jawohl, ansehen – den ganzen Weg bis El Paso.« Als wir mit Cresswell nun endlich in die Kutsche zustiegen, sah die kleine Rosy die Handschellen an Cresswells Handgelenken. »Der Onkel trägt Armbänder«, sagte sie lachend. »Sieh, Mami, er trägt Armbänder an beiden Armen!« »Ja, Rosy, er trägt schöne Armbänder, dieser Onkel«, sagte Sally Key hart. »Und er wird gewiß bald auch noch eine schöne Halskrause tragen, eine wunderschöne Halskrause aus Hanf!« Al Quade und ich, wir sahen uns wieder an. Und jetzt erst begriffen wir richtig, wie sehr Sally Key litt, wie tief ihr Schmerz war und wie sehr sie innerlich verhärtet war. Die Kutsche fuhr an. Sie hatte ein frisches Sechsergespann bekommen. Wir waren mit Little-Rosy neun Fahrgäste. Jeder Platz in der Kutsche war also besetzt. Es handelte sich um eine Abbot-Kutsche mit drei Sitzbänken. Von den drei anderen Fahrgästen war einer ein typischer Handelsreisender; der zweite Mann schien ein Minen-Ingenieur zu sein. Und der dritte Mann war ein berufsmäßiger Spieler. Alle drei Männer waren sehr schweigsam. Und dennoch waren sie sehr aufmerksam und interessiert. Ich nickte Al Quade zu, und er wußte sofort, was ich meinte. Er nickte zurück. Und so lehnte ich mich mit dem Kopf gegen die Kutschenwand. Ich schlief sofort ein. Zwei- oder dreimal erwachte ich halb. Aber die Kutsche fuhr immer noch. Als wir anhielten, war es schon fast Abend. Aber wir hatten die nächste Pferdewechselstation erreicht und mehr als zwanzig Meilen zurückgelegt. Ich wurde nun richtig wach, sah Al Quade und Cresswell an und lächelte Laura und Sally zu. »Onkel, du hast geschnarcht«, sagte Little-Rosy zu mir. »Du kannst aber fein schnarchen.« Al Quade grinste, und ich sah auch Laura mit den Augen lächeln. Da bekam ich doch wahrhaftig einen dunklen Kopf. Ich spürte das. »Ich schnarche nur, wenn ich sitzend schlafen muß«, murmelte ich. Dann fuhr die Kutsche wieder an.
Und nun schlief Al Quade nach stillschweigendem Übereinkommen. Auch er begann zu schnarchen, und das machte mir Freude. Auch Rosy lauschte mit Begeisterung. »Der Onkel schnarcht ja noch schöner als du«, sagte sie nach einer Weile zu mir. Nun lachten sie in der Kutsche. Ich sah manchmal auf Duke Cresswell, der neben Al Quade saß und so tat, als schliefe er. Seinen Hut hatte er sich über das Gesicht gezogen. Wahrscheinlich konnte er Sally Key und der Kleinen doch nicht in die Augen sehen. Selbst für einen solch harten Mann wie ihn mußte es doch nicht so einfach sein, der Familie jenes Mannes gegenübersitzen zu müssen, den er aus eigener Machtvollkommenheit in einem wilden Anfall von Rache gehängt hatte. Ich dachte nun an viele Dinge, während die Kutsche der sinkenden Sonne nachrollte. Ich dachte an die Stadt Red Bluff und an die Garrets. Gewiß würden schon Reiter des Garret Clans unterwegs nach Red Bluff sein, und wäre ich dort geblieben, würde es bald schon wieder ein neues Sterben in Red Bluff gegeben haben. Und was würde sein, wenn ich mit Laura dorthin zurück … Hier unterbrach ich meine Gedanken. Ich wollte keine Pläne machen. Vielleicht würde ich von El Paso aus erst einmal meiner Wege reiten und in einem Jahr etwa nach Red Bluff zurückkehren. Meine Gedanken richteten sich jetzt immer konzentrierter auf Otis Pytaja und Ed Vansitter. Diese beiden Männer waren erfahrene Jäger. Sie gaben nicht so leicht auf. Und überdies kannte zumindest Otis Pytaja das Land wie das Innere seiner Hand mit allen Linien und Falten. Ich versuchte mir vorzustellen, wann diese beiden Menschenjäger merken würden, daß sie einem Lockvogel folgten, der sie auf frischen Pferden, die er überdies auch noch wechseln konnte, von der wirklichen Fährte fortlockte. Sie würden es irgendwann merken. Man konnte sie nicht lange täuschen. Und dann? Oh, mir wurde heiß bei dem Gedanken, was dann sein würde. Denn es war so einfach auszurechnen. Pytaja und Vansitter würden auf die gleiche Idee kommen wie wir und an eine Expreßpostkutsche nach El Paso denken. Aber konnten sie dieser Kutsche noch den Weg verlegen? Auch darüber dachte ich nach und kam zu der Erkenntnis, daß es von drei Dingen abhing: Sie mußten die Verfolgung des Lockvogels schon bald aufgegeben haben. Sie mußten auch ungefähr wissen, wann von Red Bluff eine Expreßpost abging und wann sie dann die Pferdewechsel-Station auf dem Wege nach El Paso erreichten. Und schließlich mußten sie gute Abkürzungswege durch die Guadalupe Mountains zum Rio-Grande-Wagenweg kennen. Wenn das alles klappte, konnten sie uns noch sehr wohl irgendwo in dieser Nacht abfangen. Als ich mit meinen Gedanken soweit war, erhob ich mich und steckte den Kopf durch das heruntergelassene Fenster des Wagenschlages. »He, Amigos!« rief ich hinauf. Der bewaffnete Begleitmann beugte sich von seinem hohen Sitz seitlich nieder. »Ist was?« rief er herunter.
»Wie weit ist es bis zur nächsten Relais-Station?« »Fünf Meilen noch, Mister!« »Sagt mir Bescheid. Ich springe eine Viertelmeile vorher raus und komme zu Fuß nach. Fahrt nur ohne mich weiter.« Er antwortete zustimmend. Denn sie begriffen schnell dort oben auf dem hohen Bock. Aber auch die drei uns fremden Fahrgäste begriffen schnell. Der Handelsreisende sagte böse: »Ist es überhaupt gestattet, einen gefährlichen Gefangenen inmitten von Zivilpersonen zu transportieren, wenn auch noch damit gerechnet werden muß, daß schon bei der nächsten Station seine Befreier auf uns warten? Wenn geschossen wird, was wird dann aus den Frauen und dem Kind?« »Da machen Sie sich nur keine Sorgen, Mister«, sagte Sally Key hart. »Wenn geschossen wird, dann legen Sie sich einfach auf den Boden. Ich decke dann meine Röcke über Sie.« »Er sollte sich aber lieber Sorgen machen. Ihr alle solltet euch Sorgen machen und mit dem Schlimmsten rechnen«, sagte Duke Cresswell heiser. »Was hat er denn eigentlich verbrochen?« fragte der berufsmäßige Spieler, und er hatte einen irgendwie hinterhältig klingenden Tonfall in seiner gewollt sanften und glatten Stimme. »Er hat den Mörder seines Sohnes aufgeknüpft«, sagte Cresswell schnell und hart. »Halt das Maul«, sagte Al Quade, der natürlich schon bei meinem Rufen aufgewacht war. »Cresswell, halt dein Maul. Du kannst den Geschworenen und dem Richter in El Paso alles haarklein erzählen, was du nur erzählen möchtest. Aber hier mußt du das Maul halten.« Er beugte sich vor. Die Kutsche hatte vorne rechts und links zwei Laternen, die auch etwas Schein zur Seite warfen. Es fiel ein wenig davon in die Kutsche. Ich konnte Al Quades Augen funkeln sehen. Er sah mich an. »Du reißt dich wohl immer um das schwerste Stück Arbeit?« fragte er grimmig. »Du mußt mir wohl immer um einen Gedanken voraus sein, Tole?« »Wenn das geschieht, was wir nun beide nicht für unmöglich halten und womit wir immerhin rechnen müssen, dann wirst auch du ganz schön ins Schwitzen kommen. Und dann sorge dafür, daß Mr. Cresswell wirklich sein Maul hält.« »Darauf kann ein altes Mütterchen den letzten Zahn wetten«, sagte er grimmig. Danach schwiegen wir. Auch der berufsmäßige Spieler verhielt sich still. Er wußte genau, was die Glocke geschlagen hatte. Wie immer wurde die Nacht am Anfang sehr dunkel. Die Kutsche fuhr langsam. Sie richtete sich nur nach dem hellen Band der Wagenstraße, auf das der Laternenschein kaum weiter vorausreichte als die Nasen der beiden Führungspferde. Wie schnell oder wie langsam brachte man fünf Meilen hinter sich? Oh, es konnte eine Ewigkeit dauern – und es konnte so schnell gehen. Jetzt dauerte es eine Ewigkeit. Aber irgendwann in dieser Ewigkeit wußte ich, daß ich mich bereit machen mußte. Und da verlangsamte die Kutsche auch schon ihre Fahrt. Der Begleitfahrer rief vom Bock herab: »Jetzt, großer Meister!« Ich öffnete den Schlag und sprang hinaus. Dann trabte ich hinter der Kutsche her und auf die Lichter der Station zu. Ich schlug mich jedoch schon bald in die Büsche und näherte mich der Station in einem kleinen
Bogen. Ich kam nicht viel später als die Kutsche an, denn diese ließ sich nun Zeit und fuhr kaum schneller, als ich lief. Und genauso hatte ich es gewollt. Die beiden Männer auf dem Bock waren erfahren und dachten mit. Ich kam zwischen Stall und Stationshaus zum Halteplatz bei den Corrals. Die Kutsche stand schon. Doch niemand machte Anstalten, ihr das Gespann auszutauschen. Ich hörte eine scharfe Stimme rufen: »Hört mal zu, Leute. Kommt raus. Alle. He, Quade. Du und Mr. Cresswell, ihr kommt zuerst raus. Oder wir schießen die Kutsche mit ein paar Büffelgewehren in Stücke.« Die Sache war klar. Es war Otis Pytajas Stimme. Er tat alles für seinen Boß. Ich sah auch Ed Vansitter. Er stand hinter der Kutsche, so daß er die Aussteigenden auf beiden Seiten beobachten konnte. Und vorne sah ich noch zwei Hombres der Cresswell-Mannschaft. Sie hatten offenbar den Befehl, auf das Gespann zu achten. Vielleicht waren noch ein oder zwei Mann in der Station und hielten die Leute dort unter Kontrolle. Ich hielt natürlich längst schon meinen Colt in der Hand. Pytaja und Vansitter waren ja auch schußbereit. Ich wußte, was ich zu tun hatte. Ich mußte mir zuerst Vansitter vornehmen. Al Quade konnte Otis Pytaja von der Kutsche aus gewiß durch das Fenster sehen. Er würde auf Pytaja schießen, sobald ich den Tanz begann. Aber es war schon eine verdammte Sache. Ed Vansitter und ich, wir hatten einmal gemeinsam auf einer Seite gegen mexikanische Banditen gekämpft. Wir hatten einem kleinen Grenzdorf für hundert Dollar Revolverlohn geholfen, weil wir wußten, daß die Leute dort nicht mehr Geld aufbringen konnten. Es war eine gute Partnerschaft zwischen uns gewesen. Ich hatte mich auf Vansitter verlassen können, so wie er sich auf mich. Aber jetzt waren wir Gegner. Ich trat einen Schritt vor und rief ihn an. Er wußte sofort Bescheid, wirbelte wie ein Wildkater herum und schoß auch schon. Seine Kugel verfehlte mich. Ich schoß etwas später. Und ich traf ihn besser. Otis Pytaja hatte einen wilden Schrei ausgestoßen und war ebenfalls herumgewirbelt. Er wollte auf mich schießen, doch Al Quade schoß tatsächlich aus dem Fenster der Postkutsche. Er traf ihn in die Seite. Und da brüllte Otis Pytaja abermals vor wilder Wut. Nun richtete er seinen Colt auf die Kutsche, wobei er schon auf die Knie fiel, weil er schlimm getroffen war. Er kämpfte jedoch noch gegen seine Schwäche an und brachte den Colt hoch. Als er abdrücken wollte, schrie drinnen in der Kutsche Little-Rosy. Sie war gewiß unterwegs eingeschlafen, und selbst die Rufe hier hatten sie nicht wecken können. Erst als Quades Colt in der Kutsche losdonnerte, begann die Kleine erschrocken zu brüllen wie am Spieß.
Und Otis Pytaja schoß nicht mehr. Konnte er nicht mehr? Oder tat er es nicht wegen des Kindes in der Kutsche? Darüber würde ich noch nachdenken müssen. Er fiel plötzlich zur Seite. Quade kam mit rauchendem Colt aus der Kutsche, und beide gingen wir gegen die beiden anderen Cresswell-Reiter vor, die vorne postiert waren, um das Gespann festzuhalten. Sie gaben auf. Einer rief: »Schon gut! Schon gut!« Ich sah, daß sie wirklich aufgaben. Und das war kein Wunder. Ed Vansitter und Otis Pytaja lagen am Boden. Ich trat an die Kutsche. Im Halbdunkel sah ich Laura, die einen kleinen Revolver auf Cresswells Bauch gerichtet hielt. Sally hatte mit der immer noch erschrocken weinenden Kleinen zu tun. »Alles in Ordnung?« fragte ich. »Verdammt noch mal, ihr macht vielleicht Sachen mit uns«, zürnte der Handelsreisende. »Es ist alles in Ordnung«, sagte Laura. Ich ging weiter zu Vansitter. Dieser lag auf dem Rücken, aber er lebte noch. Ich sah es im schwachen Schein der Lampen und dem Licht der Sterne. Er hatte seine Augen offen und sah hinauf. »Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich weiß«, murmelte er mühsam. »Aber eines Tages ist man an der Reihe. Einmal kommt der Moment, da man verliert. Und man erkennt zu spät, wieviel man falsch machte. Laredo-Tole, unsere Gilde stirbt aus. Wenn ich doch nur wüßte, ob es dort oben einen Platz für mich gibt.« Nach diesen Worten starb er. * Als ich erwachte, brauchte ich eine Weile, um zu begreifen, daß ich zwar in einem Hotelbett lag, doch alles, was in meiner Erinnerung war, kein böser Traum sein konnte. Ich erinnerte mich wieder daran, wie wir endlich nach El Paso gekommen waren und unseren schweigsamen Gefangenen zum County Sheriff gebracht hatten. Aber dann waren wir ins Hotel gegangen. Und wahrscheinlich hatte ich viele Stunden geschlafen. Ich lag noch eine Weile still. Draußen mußte es später Nachmittag sein, fast schon Abend. Und da wir an einem späten Nachmittag in El Paso angekommen waren, hatte ich tatsächlich etwa vierundzwanzig Stunden geschlafen. Wir hatten Cresswell im Gefängnis. Es würde ihm ein Prozeß gemacht werden, und im Red-Bluff-Bezirk würde sich eine Menge ändern. Ich dachte an Laura. Und deshalb stand ich endlich auf und steckte meinen Kopf aus dem Zimmer auf den Gang hinaus. Ich hatte auch Glück. Ein Hotelbursche brachte gerade Koffer auf das Zimmer gegenüber. Er kam dann zu mir, um meine Wünsche zu erfahren. Am Abend traf ich dann Laura. Sie hatte auf mich im Hotel-Restaurant an einem Ecktisch am Fenster gewartet, und sie empfing mich mit einem Lächeln und den Worten: »Ich wußte ungefähr, wann dich die hungrigen Wölfe schlimm genug in den Bauch
beißen und heruntertreiben würden. Und was Sally betrifft, so brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Al Quade hat eine Schwester hier in El Paso, die selbst zwei Kinder besitzt. Sally wohnt mit Rosy dort. Al Quades Schwester verlor ebenfalls ihren Mann. Und so wird Sally gleich sehen, wie man es schaffen kann, mit einem kleinen Kind ohne Mann zu leben, ohne Bitterkeit gegen die vermeintliche Ungerechtigkeit dieser Welt. Sally und Rosy sind in guten Händen Ich glaube, daß Al Quade sich immer um sie kümmern wird.« Es wurde ein schöner Abend mit Laura. Nach dem Abendessen schlenderten wir durch El Paso. Es gab viel zu sehen. In einer großen Scheune hatte sich ein Wandertheater etabliert. Wir gingen hinein und sahen »Romeo und Julia.« Als wir nach der Vorstellung hinausgingen, lächelte Laura versonnen. Ich fragte sie: »Warum lächelst du, Laura?« Sie sah mich an und sagte: »Mit uns, Toledo Ketshum, wird es bestimmt kein Trauerspiel, mit uns nicht. Kannst du daran glauben wie ich?« Ich dachte einige Atemzüge lang nach. Und mir fiel der wilde, böse und rachsüchtige Garret-Clan wieder ein. Aber ich schüttelte das ungute Gefühl ab und sagte: »Ja, ich kann auch daran glauben, Laura.« * Am nächsten Tag machte ich meine Aussage als letzter Zeuge. Und dann begann der Gerichtshof in El Paso zu arbeiten. Schon zwei Tage später hatte man die Geschworenen gewählt, und Duke Cresswell hatte den besten Anwalt genommen, der nur zu bekommen war. Ich traf mich manchmal mit Al Quade. Er machte wenig Worte, aber es war sicher, daß wir Freunde geworden waren und daß er sich um Sally und die Kleine kümmern würde. Es wurde mir klar, daß er Sally von Anfang an geliebt haben mußte. Oh, er würde warten können, ein Jahr, zwei Jahre, viele Jahre. Zwei Tage später war dann die Gerichtsverhandlung. Duke Cresswells Anwalt kämpfte mit allen Mitteln. Die Verhandlung wurde mehrmals vertagt, um neue Zeugen herbeischaffen zu können. Und die Tage vergingen, wurden zu Wochen. Duke Cresswell hatte nun noch einen zweiten Anwalt, und dieser arbeitete mit Cresswells Geld und bestach viele Zeugen. Aber es nützte nichts. Irgendwann endlich sprachen ihn die Geschworenen schuldig, den Tod eines Menschen durch Erhängen aus rachsüchtigen Motiven herbeigeführt zu haben. Und der Richter war David Cross, ein Mann, der keine Unterschiede machte zwischen groß und klein, reich und arm, bei dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich waren. Das Urteil wurde einen Tag später verkündet. Duke Cresswell würde hängen. Ich ging wieder mit Laura durch die Stadt. Morgen würden wir heimkehren nach Red Bluff, wir alle, also Laura, Sally, Rosy, Al Quade und ich. Ja, Red Bluff schien mir nun der Ort zu sein, in dem ich daheim sein wollte. Als mich Laura an diesem Abend zum Abschied küßte, da hielt ich sie fest. »Komm nicht mit nach Red Bluff«, sagte sie, »wenn du mich nicht haben willst. Wenn
es noch zu früh ist für dich, dann geh erst irgendwohin, und komm in einem Jahr oder in zehn Jahren. Hörst du?« »Ich komme nach Red Bluff«, sagte ich. Dann küßte ich Laura wieder. Und dabei dachte ich nur an die schöne Zeit, die vor uns lag. Ich würde endlich zur Ruhe kommen und einen festen Platz haben. Ich würde die alte Silverdollar-Ranch wieder aufbauen. Erst als ich dann später auf mein Zimmer ging und mich an den Tisch setzte, um das alles aufzuschreiben, wie ich zuvor schon alles aufgeschrieben hatte in jenen langen Tagen in El Paso, da dachte ich wieder an den Garret-Clan. Aber ich würde schon damit fertig werden. Al Quade würde mir dabei helfen. * Nun, mit diesen Worten endet alles, was Toledo-Ketshum, genannt Laredo-Tole Ketshum, aufschrieb. Ich, Laura Hardcastel, werde nun versuchen, das Geschehen bis zum Ende weiterzuschildern, so, wie sich alles abspielte und wie es in Red Bluff noch einmal zu einem bitteren Sterben kam, trotz Recht und Gesetz. Es war damals eine schöne Heimfahrt mit Toledo Ketshum. Auch Al Quade kehrte mit Sally und Rosy in der gleichen Kutsche zurück. Aber eigentlich möchte ich, Laura Hardcastel, von den Garrets erzählen. Denn es war nicht schwer für mich, alles nachträglich zu rekonstruieren, zumal einer der Garrets, jener, der überlebte, später Al Quade und mir alles erzählte. Es fing jenseits des Rio Grande in Chihuahua an, wo die Garrets eine Zuflucht gefunden hatten und Old Man Garret in seinem Hauptquartier lebte. Old Man Garret war nämlich schon zu alt, um selbst noch zu reiten. Aber er hatte seinem Clan ein schönes Heim geschaffen und hielt sehr darauf, daß sich keiner der Garrets in Chihuahua etwas zuschulden kommen ließ. Nun, Old Man Garret bekam also Nachricht, daß ein gewisser Laredo-Tole Ketshum nicht nur den jüngsten Garret, nämlich Mac, in Red Bluff eingeliefert, sondern damit auch den sehr viel gefährlicheren Raoul herbeigelockt hatte wie einen Wolf zum Köder – und daß Raoul dann auch dran glauben mußte. Old Man Garret bekam jede kleine Einzelheit von all den Dingen geschildert, die sich in Red Bluff abspielten. Und natürlich erfuhr er auch, daß die Leute in Red Bluff einen ehrenamtlichen Marschal wählten und Mac Garret immer noch im Gefängnis festhielten, aus dem er von Raoul nur für so kurze Zeit befreit werden konnte. Old Man Garret kannte nun keine Rast und keine Ruhe. Er sandte Reiter nach allen Richtungen aus und ließ durch sie seine anderen Söhne und auch zwei Neffen herbeirufen. Nach einer Woche etwa waren alle Garrets beisammen. Und auch Old Man Garrets jüngerer Bruder, Gilbert Garret, war zugegen. Es waren außer Old Man Garret fünf Männer des Clans. Und sie waren so gefährlich wie ein Sack voller Klapperschlangen, den jemand mitten in einem Saloon ausleert.
Es waren: Gilbert Garret und dessen beide Söhne Sean und Buster. Und es waren Old Man Garrets zwei Söhne Jack und Brett. Old Man Garret sagte zu ihnen: »Das können wir uns nicht bieten lassen, nicht wahr? Wenn wir uns das bieten lassen, hält man uns zu beiden Seiten des Rio Grande für traurige Nullen. Und dann kommen all die Feinde, die wir uns überall gemacht haben, und versuchen, uns kleinzumachen. Habt ihr verstanden? Wir müssen mal wieder demonstrieren, daß es Selbstmord ist, sich an einem Garret zu vergreifen. Also reitet nach Red Bluff. Holt Mac heraus. Dann zeigt ihr diesem lausigen Nest mal, was es einbringt, einen Garret eingesperrt zu halten. Und dann holt euch vor allen Dingen Laredo-Toles Skalp. Von Tole habe ich schon gehört. Er kam sogar mit Raoul zurecht. Denkt daran, wenn ihr ihn vor den Mündungen haben solltet. Vergeßt es nicht. Der schießt jeden von euch von den Beinen, wenn ihr ihm auch nur die geringste Chance gebt. Und jetzt reitet. Reitet! Ich werde es gewiß noch so lange machen, bis ich Nachricht von eurem Erfolg bekomme. Gil hat die Führung. Mir geht es nicht gut. Ich denke, daß ich eines Tages einfach umfalle oder am Morgen in meinem Bett nicht mehr aufwache. Also macht mir noch mal eine große Freude, und sorgt dafür, daß man uns Garrets in Zukunft noch mehr respektieren wird als bisher. Macht Raouls Niederlage zu einem Sieg für uns Garrets!« Er hatte nun alles gesagt, was er sagen wollte und auch konnte. Er hatte nun seine Energie erschöpft. Seine junge, mexikanische Frau – es war die fünfte, und sie hätte seine Enkelin sein können – faßte ihn unter und brachte ihn zu Bett. Sie alle glichen sich irgendwie. Und dann sagte Gilbert Garret: »Ja, er hat recht. Keiner von uns könnte sich allein in irgendeinen Ort wagen, wenn alle diese Hammel keine Furcht mehr vor uns hätten. Wir müssen Red Bluff wirklich kleinmachen und uns Laredo-Toles Skalp holen, wollen wir die Garrets bleiben. Also reiten wir!« * Sie kommen an einem schönen Abend nach Red Bluff. Mit der Fähre gelangen sie über den Rio Grande, beleuchtet von der roten Abendsonne. Man hält sie für fünf Reiter, die herüberkommen, weil sie mal wieder unter Menschen sein wollen und einige notwendige Einkäufe machen möchten. Aber dann lassen sie einen von sich bei der Fähre, um diese zu bewachen und sie ständig in Bereitschaft zu haben. Die anderen vier Garrets holen Mac aus dem Gefängnis. Sie sperren den ehrenamtlichen Marschal, einen Gehilfen des Postagenten, an Mac Garrets Stelle in die Zelle. Dann gehen sie mit Mac Garret erst einmal in den Saloon, um das Wiedersehen zu feiern. Doch sie feiern nicht zu sehr. Gilbert Garret sorgt dafür, daß sie nicht betrunken werden. Die Stadt Red Bluff ist wieder einmal wie ›tot‹. Auch ein paar Geschäfte und Läden wollen schließen. Doch das lassen die Garrets nicht zu. Mac Garret, der diese Stadt besonders haßt, hetzt und stachelt die anderen Garrets ständig an.
Sie ›kaufen‹ erst mal überall ein. Es macht ihnen Spaß, sich neu einzukleiden, und sie wählen nur das Beste. Sie rüsten in der Sattlerei auch ihre Pferde mit dem besten Sattelzeug aus und wählen besonders fachmännisch beim Waffenschmied, der wenige Tage zuvor eine ganze Frachtwagenladung der neuesten Modelle aller möglichen Gattungen aus dem Osten bekommen hatte. Und sie zahlen nirgendwo, sondern lassen ›anschreiben‹. Red Bluff ist in den Händen der sechs Garrets. Und als diese dann später auch noch durch alle Bodegas ziehen, sich schließlich im Red Bluff Saloon festsetzen und den Saloonbesitzer Pat Williams dazu auffordern, Frei-Drinks zu spendieren, weil sie doch alle auf den toten Raoul trinken müßten und auch die Befreiung des lieben Mac feiern wollten, da sträubt sich Pat Williams natürlich nicht. Inzwischen bekamen die sechs Garrets Gesellschaft. All die Reiter, die an den Abenden von irgendwoher hereingeritten kommen, aus verborgenen Camps, von fernen Siedlungen oder auch nur auf der Durchreise, sie ließen sich einladen. Für all diese Satteltramps, die sich alle mehr oder weniger als Außenseiter der menschlichen Gesellschaft betrachten, ist es ein Vergnügen, zu sehen, wie sechs Banditen eine Stadt demütigen. Während die Garrets im Red Bluff Saloon feiern und dabei eine lärmende Horde von Satteltramps, Schmugglern, Vieh- und Pferdedieben, entlassenen Minenarbeitern und Trunkenbolden auf ihrer Seite haben, versammeln sich im Lagerraum der Posthalterei ein paar Bürger der Stadt. Es sind die maßgebenden Bürger. Eigentlich gehörte Pat Williams auch dazu. Doch er kann den Saloon nicht verlassen. Die Garrets würden ihn daran hindern. Er muß die wilde Bande bedienen, die von seinem Feuerwasser in immer ausgelassenere Stimmung kommt. Der ganze Abschaum, der sich hier an der Grenze bei Red Bluff einfand, ist auf der Seite der Garrets. Die Männer im Packraum sind der Posthalter, der Storebesitzer, der Mietstallbesitzer, der Schmied, der Sattler, der Waffenschmied und der Barbier. Es fehlen noch ein paar andere Bürger, doch diese müssen wahrscheinlich in ihren verrammelten Häusern bei Frauen und Kindern bleiben. Der Posthalter ergreift nach einer Weile das Wort: »Die Garrets wollen Laredo-Tole Ketshums Skalp. Das ist doch wohl klar. Sie werden hier in Red Bluff warten, bis er aus El Paso zurückkommt. Und wenn das erst in zwei oder drei Wochen ist, dann haben wir die ganze Bande so lange hier. Es wird sogar so sein, daß sich hier mehr als hundert Streuner sammeln und auf unsere Kosten von den Garrets aushalten lassen. Versteht ihr? Die Garrets bestrafen diese Stadt dafür, daß hier Raoul Garret getötet wurde. Und niemand kann uns helfen, niemand! Duke Cresswell kann es nicht. Seine Mannschaft gibt es nicht mehr. Sie würde uns auch wohl kaum zu Hilfe kommen. Freunde und Mitbürger, wir haben wohl erlebt, daß Duke Cresswell hier gegen das Gesetz verlor, doch nun sind statt Cresswell die Garrets hier. Und sie sind noch schlimmer, viel schlimmer! Cresswell wollte nur ein König sein, in dessen Schatten wir lebten und zu dessen Reich wir gehörten. Aber jetzt haben Banditen unsere Stadt übernommen. Was können wir tun?« Über die letzte Frage denken sie alle nach. Aber wie sie es auch drehen und wenden mögen, es kommt immer wieder darauf hinaus, daß die Garrets nur mit Waffengewalt zu vertreiben wären. Sie müßten eine Bürgerwehr bilden und kämpfen.
Und das möchte keiner. Denn die Garrets könnten es mit zwei Dutzend Bürgern gewiß aufnehmen. Wahrscheinlich würden sie überdies noch von der wilden Horde, die sie um sich sammelten, unterstützt werden. Die versammelten Bürger von Red Bluff schweigen. Denn keiner von ihnen möchte sterben für Red Bluff. Und es würde ein Sterben geben, ein großes Sterben. Endlich sagt einer: »Das hat dieser Laredo-Tole Ketshum uns eingebrockt, als er mit Mac Garret herkam, ihn als Köder für Raoul Garret benutzte und diesen dann erschoß. Toledo Ketshum ist schuld an unserer Not. Es wäre seine Pflicht und Schuldigkeit, uns aus der Klemme zu helfen. Wir sollten …« * Nun, lieber Leser dieser Geschichte, so also standen die Dinge, als wir mit der Postkutsche von El Paso her die vorletzte Station erreichten. Bis nach Red Bluff waren es nun nur noch zwanzig Meilen. Toledo Ketshum und Sheriff Al Quade verließen uns, um etwas Kaffee zu besorgen. Ein Mann trat auf sie zu und überreichte Toledo Ketshum einen Brief. Dies konnte ich durch den offenen Wagenschlag im Lichtschein der Laternen deutlich erkennen. Toledo riß den Brief auf und las ihn. Es waren gewiß nur wenige Sätze, denn er war schnell fertig. Er reichte das Blatt Al Quade, und dieser las es ebenfalls rasch. Dann sahen sie sich an. Ich wußte, daß etwas passiert war. Sie hatten keine gute Nachricht bekommen. Ich stieg aus der Kutsche, trat zu ihnen und nahm Al Quade das Papier aus der Hand. Er wollte mir dies verwehren, doch Toledo sagte: »Gib es ihr, Al, sie muß wissen, was geschehen ist.« Ich las nun endlich die Nachricht. »Mr. Ketshum, wir teilen Ihnen durch diesen Boten mit, daß die Garrets Red Bluff besetzt haben und es uns bitter büßen lassen, daß ein Garret hier von Ihnen getötet wurde. Es sind sechs Garrets! Und es ist wohl Ihre Sache, uns nicht länger für Ihre Schießerei mit Raoul Garret büßen zu lassen. Die Bürger von Red Bluff.« Ich las diese wenigen Zeilen zweimal. Dann hörte ich Toledo Ketshum sagen: »Sie haben recht, diese Bürger von Red Bluff. Es ist meine Sache, ihnen die Garrets vom Halse zu schaffen. Denn …« »Nein, Toledo«, sagte ich da schnell. »Du kannst nicht gegen sechs Garrets antreten. Denn niemand wird dir helfen in Red Bluff.« »Laura, vergiß nicht, daß ich der Sheriff dort bin«, sagte Al Quade da trocken. »Er braucht nur mit drei Garrets zu kämpfen. Denn drei nehme ich mir vor die Brust. Abgemacht, Tole?« Sie sahen sich an. An mich dachten sie scheinbar gar nicht mehr. Ich war für sie gar nicht mehr vorhanden. Toledo nickte Al Quade zu. »Das packen wir auch noch«, sagte er.
* � Die nächsten zwanzig Meilen kamen mir nur wie zwei vor. Ich hatte ein ungutes Gefühl, und ich wollte es Toledo und Al gerne sagen. Ich wollte sie auch immerzu darum bitten, nicht nach Red Bluff zu fahren. Aber dann schwieg ich doch. Denn ich spürte zu klar, daß ich zumindest Toledo nicht davon abhalten konnte, nach Red Bluff zu den Garrets zu gehen. Toledo hatte seine Fehler längst erkannt. Und seine Verantwortung ließ ihm nun keine Ruhe mehr. Er hatte nicht nur Raoul Garret, sondern dessen ganze Sippe nach Red Bluff gelockt. Nun mußte er für diesen Fehler einstehen. Als die Kutsche dicht vor dem Stadteingang war, küßte Toledo mich auf den Mund. Dann streifte er meine Arme von sich, die ihn zurückhalten wollten, und sprang aus der Kutsche, als diese hielt. Auf der anderen Seite sprang Al Quade hinaus. Wir warteten, lauschten, hielten unseren Atem an. Auch ich wollte hinaus. Doch nun griff Sally ein. Sie beugte sich vor und legte ihre Hände auf meine Schultern. »Bleib«, sagte sie fest. »Wenn auch du dort herumläufst, wird Tole nicht so gut kämpfen können. Er wird um dich Angst haben. Aber er muß diesmal besonders gut kämpfen, wenn er überleben will. Hilf ihm, indem du ihm nicht vor die Füße stolperst wie ein Kind.« Ich entspannte mich. Denn sie sah es richtig. Toledo war ein Revolvermann, der genau wußte, in was er sich einließ. Ich konnte ihm nicht helfen. Und so wartete ich wie die anderen in der Kutsche, hielt meinen Atem an und lauschte auf die ersten Schüsse. Diese krachten schon bald. Der Kampf hatte begonnen. Das Sterben in Red Bluff ging weiter. * Das Ende der Geschichte: Es war ein langer Kampf. Er begann, wie wir an den Schüssen hörten, auf der Hauptstraße vor dem Saloon. Aber er setzte sich in den Gassen fort, und das bedeutete, daß die Gegner nun durch die Stadt schlichen und sich suchten. Und immer wieder krachten die Schüsse. Einige Male glaubten wir schon, es wäre beendet. Doch dann ging es immer wieder von neuem los in einem anderen Winkel von Red Bluff. Zwei Häuser begannen zu brennen, und auch der Mietstall fing Feuer. Nun endlich konnten die Bürger von Red Bluff, die sich in den Häusern verkrochen hatten, nicht länger in ihren ›Löchern‹ bleiben. Sie mußten raus, ihre Stadt retten. Vielleicht gab das den Ausschlag. Denn zum Schluß begannen einige Schrotflinten zu krachen. Es war nun sicher, daß einige Bürger von Red Bluff endlich begriffen hatten und mit gegen die Garrets kämpften.
Es wurde dann still, endgültig still. Nur der Feuerschein wurde stärker und erhellte die Stadt. Ich sprang aus der Kutsche. Nun ließ Sally mich laufen. Der erste Tote war ein Garret. Später erfuhr ich, daß es Buster Garret war. Ich lief weiter und fand den zweiten Garret – es war Brett – schräg gegenüber zwischen Sattlerei und Barbier. Gilbert Garret lag vor dem Red Bluff Saloon. Aber ihn hatten die Bürger mit Schrotflinten erwischt. Ich rief nun nach Toledo. Doch die Bürger von Red Bluff kümmerten sich nicht um mein Rufen. Sie, hatten von den Brunnen der Stadt her Eimerketten zu den Brandstätten gebildet. Man rief mich mehrmals an, daß jede Hand gebraucht würde. Aber ich lief weiter die Straße hinunter auf den Fluß zu. Dort lag noch, wie ich im Schein der beiden Laternen erkennen konnte, die Fähre. Aus einem Schuppen kam ein Mann gestolpert. Es war der Sheriff Al Quade. Er war schlimm angeschossen, blutete und hielt trotzdem seinen Colt noch in der Faust. »Dort drinnen liegt Jack Garret«, sagte er schwerfällig. »Toledo wollte dem letzten Garret den Weg zur Fähre verlegen. Aber er war schon schlimm getroffen worden.« Ich lief weiter. Und da fand ich ihn. Er saß auf einem kleinen Stapel Bretter und hielt den letzten Garret in Schach. »Wir wollen sie nicht alle totschießen«, sagte er schwer. »Laura, nimm mir den Colt ab, und bewache ihn. Ich muß mich etwas ausruhen.« Jack Garret war ebenfalls verwundet. Seinen Colt hatte er leergeschossen. Toledo legte sich etwas zur Seite, so daß er mit der Schulter an den Brettern lehnen konnte. Er sagte schwerfällig: »Du bist schon ein gutes Mädel, Laura. Und ich habe eine Menge falsch gemacht in meinem Leben.« »Das machen wir alle mehr oder weniger«, erwiderte ich und setzte mich neben ihn. Er schien langsam auszuatmen nach einem tiefen Atemzug. Zuerst glaubte ich, daß er bewußtlos geworden wäre. Aber als ich nach seinem Handgelenk faßte, spürte ich keinen Puls mehr. Ich wußte plötzlich, daß es sein letzter Atemzug war, den ich gehört hatte. Da saß ich nun und bewachte den letzten überlebenden Garret. Ich haßte ihn und wollte ihn töten. Aber dann ließ ich es. Ich wartete, daß jemand kam, und ich hörte meinen Gefangenen plötzlich flehen und bitten, daß ich ihn laufenlassen möge. Ich gab ihm gar keine Antwort. Ich zielte auf ihn und wartete. Endlich kamen ein paar Bürger der Stadt. Sie sprachen zu mir. Doch ich sagte, daß sie zum Teufel gehen sollten, daß Red Bluff ein verdammter Dreck sei und sie mich mit Toledo Ketshum allein lassen sollten. Sie nahmen den letzten Garret mit. Ich blieb bei Toledo. ENDE