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KAPITEL
Mit gequältem Lächeln legte Christina Lacey den Telefonhörer auf. Tante Paulines Reaktion auf die Entschei...
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1.
KAPITEL
Mit gequältem Lächeln legte Christina Lacey den Telefonhörer auf. Tante Paulines Reaktion auf die Entscheidung, die ihre Nichte nach dem Autounfall getroffen hatte, war eher ärgerlich als besorgt gewesen. Nun, Tante Pauline hatte wohl ein Recht dazu, entrüstet zu sein. Christina hatte sich tatsächlich in eine ganz dumme Lage gebracht. Der stechende Schmerz, der sie beim tiefen Einatmen durchzuckte, erinnerte sie unwillkürlich daran. Schwungvoll warf Christina die wohlgeformten Beine aus dem Bett, ging zum Spiegel hinüber und zwang sich, hineinzusehen. Behutsam berührte sie das geschwollene Etwas in ihrem Gesicht, das einmal eine schmale, kecke Nase gewesen war. Als man ihr vor einigen Tagen den Verband abgenommen hatte, wäre sie fast in Ohnmacht gefallen. Aber Dr. Mason hatte ihr versichert, dass die Wiederherstellung voll gelungen sei. Sie würde in einigen Wochen wie die frühere Christina Lacey aussehen, vielleicht um eine Winzigkeit verändert. Der Unterschied sollte aber kaum zu merken sein. Grauenhaft, dachte Christina, geradezu erschreckend sehe ich aus! Sofort stöhnte sie auf, als sie eine empfindliche Stelle berührte. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Christina" sagte sie leise zu ihrem Spiegelbild. „O Gott, nur nicht weinen, du kannst dir ja nicht einmal die Nase putzen", jammerte sie. Wann hatte sie eigentlich begonnen, mit sich selbst zu reden? Diese unerträgliche Ruhe im Zimmer! Die Stille hätte vermutlich sogar eine Holzpuppe zum Sprechen gebracht. So verlassen war sie sich noch nie vorgekommen. Zu Hause hatte immer jemand gerufen, gesprochen oder gesungen. Christina empfand ihre Einsamkeit wie einen körperlichen Schmerz. Tante Pauline hatte ihr mitgeteilt, dass das schöne weiße Holzhaus ihrer Eltern verkauft und die Möbel zur Versteigerung abtransportiert worden waren. Der Onkel hatte gute Abschlüsse für sie getätigt, wofür sie ihm natürlich von Herzen dankbar war. Aber nun, da diese Dinge geregelt waren, tat alles noch mehr weh als vorher. Das Fünf1
zimmerhaus war ihr Zuhause gewesen. Nur kein Selbstmitleid! rief sie sich im Stillen zur Ordnung. Vorsichtig rieb sie die Tränen aus den Augen und begann, ihr Haar zu bürsten. Das Zuschlagen einer Autotür ließ sie mitten in einem Bürstenstrich innehalten. Christina hörte Stimmen, ein Lachen. Sie kannte nur einen einzigen Mann mit einem solchen Lachen: tief, dunkel und perlend. Schnell legte sie die Bürste auf den Frisiertisch und warf das lange, schwarze Haar über die Schultern zurück. Ein Prickeln durchlief ihren Körper, als der Mann wieder lachte. Sie rannte zum Fenster und sah vorsichtig hinaus. Ein großer schwarzer Wagen stand auf dem Parkplatz vor dem Bungalow. Daniel Belmont war angekommen. Bei seinem Anblick begann Christinas Herz stärker zu klopfen. Er drehte ihr den Rücken zu, seine breiten Schultern waren halb von einem Jasminstrauch verdeckt. Er unterhielt sich mit der hübschen blonden Frau, die im Nebenhaus wohnte. Christina brannte vor Neugier. Sie hätte nur zu gern das Gespräch mitgehört, um mehr über diesen attraktiven Mann zu erfahren. Das Stimmengeräusch drang zu ihr hinauf, aber worüber die beiden redeten, konnte sie nicht verstehen. Die Entfernung war zu groß. Dieser Mann hatte den Unfall verursacht. Sein großer, luxuriöser Wagen hatte ihren kleinen Honda gerammt. Dabei war sie mit voller Wucht mit dem Gesicht auf das Lenkrad geprallt, da sie den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte. Außer der verletzten Nase hatte sie noch eine große Platzwunde an der Stirn davongetragen und sich eine Hand verrenkt. An die ersten Tage nach dem Unfall konnte Christina sich kaum erinnern. Daniel Belmont hatte einen weithin bekannten Schönheitschirurgen rufen lassen. Er war für die erschreckend hohe Arztrechnung aufgekommen und hatte Christina täglich Blumen geschickt. Viermal hatte er sie besucht, meistens am späten Nachmittag für höchstens fünf Minuten. Er wirkte lebhaft, ungeduldig und offensichtlich etwas belastet von der Verantwortung, die er auf sich genommen hatte. 2
Einmal allerdings, so glaubte Christina sich zu erinnern, hatte er sanft mit dem Finger über ihr bandagiertes Gesicht gestrichen. „Ich wette, dass unter diesem Verband eine richtige Schönheit verborgen ist", hatte er leise gesagt. Dann war sie aus dem Krankenhaus entlassen worden. Völlig unerwartet war er wieder zur Stelle gewesen, hatte den Klinikaufenthalt bezahlt, sie zu seinem Wagen geführt und zu diesem luxuriösen Landhaus gefahren. Als sie zu protestieren wagte, hatte er sie energisch gebeten, damit aufzuhören. Er hätte genug anderes im Kopf, als mit ihr über Maßnahmen zu diskutieren, die er nun einmal beschlossen habe. Christina war viel zu verwirrt und eingeschüchtert gewesen, um sich diesem kraftvollen Menschen zu widersetzen. Einige Tage später stand ihr Honda repariert und frisch lackiert auf dem Parkplatz vor dem Haus. Da versuchte sie noch einmal, sich gegen seine Großzügigkeit zu wehren. Er hatte nur abgewinkt und ihr erklärt, er wäre schuld an dem Unfall, und es sei seine Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie gesundheitlich wieder völlig hergestellt werden würde und keinen finanziellen Schaden erleiden dürfe. Da sie zurzeit wenig Geld habe - das hatte sie ihm auf seine Frage gestanden - werde sie in seinem Bungalow bleiben, bis Dr. Mason sie für geheilt hielte. In diesem Landhaus gäbe es ein Verwalterehepaar und ein Zimmermädchen. Alles, was Christina zu tun habe, sei auszuruhen und gesund zu werden. Es klang wie ein Befehl. Christina hatte das unbestimmte Gefühl, er würde sie einschließen und streng bewachen lassen, wenn sie nicht tat, was er angeordnet hatte. Also schonte sie sich. Sie unternahm ausgedehnte Spaziergänge am Strand, bummelte durch Corpus Christi, die kleine Stadt, die sie zu lieben begann. Sie fühlte sich wohl in der Wärme nach den kalten Temperaturen in Cleveland. Aber Christina war seit ihrem sechzehnten Lebensjahr gewöhnt zu arbeiten. Die aufgezwungene Untätigkeit und das Gefühl, von einem fremden Menschen abhängig zu sein, verletzten ihren Stolz. Zum Glück heilten die Wunden schnell. Die Fäden an der Stirnwunde waren gezogen, und die Hand schmerzte nicht mehr. Die 3
Schwellung rund um die Nase ging allerdings nur sehr langsam zurück. Auch die entstellenden blauen Flecken in ihrem Gesicht waren noch zu sehen, aber mit jedem Tag sah alles ein bisschen besser aus. Daniel Belmont hatte mehrere Male angerufen. Besucht hatte er sie nur einmal in den zehn Tagen, die sie nun in seinem Haus verbrachte. Er war in der Dämmerung gekommen und hatte sie auf der Terrasse getroffen. Geblieben war er nur wenige Minuten, hatte nach ihrem Befinden gefragt und erklärt, dass er einige Tage verreisen müsse. Das war die ganze Unterhaltung gewesen. Seltsamerweise fühlte sich Christina einsam und niedergeschlagen, als er gegangen war. Die Tatsache, dass er weder etwas von ihrer Vergangenheit wissen wollte, noch zur Kenntnis nahm, dass sie eine Frau war, verletzten Christina. Sie entdeckte, dass sie ungeduldig auf seine Rückkehr wartete. Als Daniel sich plötzlich umwandte und ins Haus ging, erschrak Christina, und sie trat rasch vom Fenster zurück. Zu spät wurde ihr bewusst, daß sie die ausgebleichten Jeans und einen alten beigen Pullover trug. Es blieb ihr kaum Zeit, sich auf die Couch zu legen und so zu tun, als hätte sie nichts gehört, als er bereits auf der Türschwelle stand. Verärgert sah sie auf. „Sie hätten ruhig anklopfen können. Ich hätte ja gerade nackt sein können", sagte sie kühl. „Das hätte mich nicht gestört", erwiderte Daniel freundlich. „Aber ich entschuldige mich trotzdem. Wie fühlen Sie sich?" „Viel besser. Danke." Es klang frostig. Er kam zur Couch und beugte sich über sie „Stehen Sie auf. Ich möchte genau wissen, welche Fortschritte die Heilung gemacht hat." Christinas Mund wurde schmal. Sie blieb sitzen. Daniel richtete sich auf und wartete. Böse stand sie auf und hob ihm unbewußt herausfordernd das Gesicht entgegen. Er umfasste zart ihr Kinn und wendete ihren Kopf von einer zur anderen Seite. Dann untersuchte er ihr Handgelenk, bewegte einzeln die Finger. „Man könnte meinen, Sie kaufen ein Pferd", sagte Christina ver4
drießlich. „Vielleicht wollen Sie meine Zähne auch noch untersuchen?" Sein Gesicht war ihrem so nahe, dass sie die feine weiße Linie einer Narbe auf der Wange erkennen konnte. Er duftete nach einem herben Gesichtswasser, das ihr sehr gefiel. Seine Finger fühlten sich angenehm warm auf ihrer Haut an. Erschrocken über ihre Reaktion auf seine Berührung, fuhr sie ihn an: „Sind Sie endlich fertig, Mr. Belmont?" Sein Mund verzog sich spöttisch. „Ja, ich glaube schon. Sie scheinen ganz in Ordnung zu sein. Nichts fehlt", meinte er leise und ließ ihr Handgelenk los. „Ihre Nase wird auch bald wieder besser aussehen. Darf ich Platz nehmen?" „Ich kann Sie nicht daran hindern. Es ist Ihr Haus." „Ja. Heute habe ich mit Dr. Mason gesprochen. Er sagte, es wird nur noch ein oder zwei Wochen dauern, bis man Sie wieder vorzeigen kann." Er setzte sich. „Ich könnte jetzt einen spritzigen Drink gebrauchen. Wissen Sie, wie man so etwas mixt?" „Nein." Er musterte sie und wusste nicht recht, was er von ihrem abweisenden Ton halten sollte. Dann erhob er sich langsam. „Nehmen Sie doch die Hand von Ihrem Gesicht", forderte er sie kurz auf und ging mit langen Schritten zu einer Hausbar, die in einen schönen alten Schrank eingebaut war. Schuldbewusst gehorchte Christina. Sie hatte schon selbst entdeckt, dass sie sich da eine ungute Angewohnheit zu eigen gemacht hatte. Immer glaubte sie, die Narbe auf der Stirn und die Nase vor fremden Augen verdecken zu müssen. „Sind Sie immer so herausfordernd, oder erfahre ich eine Sonderbehandlung?" fragte sie und bemühte sich dabei um Sanftheit." Und benehmen Sie sich immer so anmaßend, wenn Sie irgendwo zu Besuch sind?" „Ich benehme mich meistens so, wie es mir passt. Außerdem ist es mein Haus, erinnern Sie sich?" „Das leugne ich nicht. Aber da Sie es mir zur Verfügung gestellt 5
haben, sollten Sie mich im Moment als Ihre Gastgeberin betrachten." Im Augenblick, da sie es gesagt hatte, bereute sie ihre Worte. Sie konnte ihren Widerspruchsgeist, den dieser Mann in ihr hervorrief, nicht unterdrücken. Daniel lachte. „Eins zu null für Sie. Ich gratuliere." Er hob sein Glas und prostete ihr zu. „O Verzeihung", rief er nach einer Weile, „darf ich Ihnen auch einen Drink mixen, Miß Lacey?" „Nein, danke. Ich trinke nicht." „Eine Zigarette?" „Danke. Ich rauche auch nicht." Er ließ seine Blicke langsam über sie schweifen. „Haben Sie denn überhaupt kein Verlangen nach lasterhaften Vergnügungen, Miß Lacey?" „Ich lasse mich nicht herausfordern, Mr. Belmont." Er lächelte ihr amüsiert zu. „Das war auch nicht meine Absicht." Er nahm einen großen Schluck und lehnte sich an den Schrank, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Miß Christina Lacey", sagte er ruhig und hob andeutungsweise sein Glas. „Vielen Dank. Aber woher wissen Sie, dass ich heute Geburtstag habe?" „Aus Ihrem Führerschein. Darin steht auch, dass Sie aus Cleveland, Ohio, stammen. Sie sagten mir allerdings, sie kämen aus Harlingen." „Beides ist richtig. Ich sagte Ihnen ja nicht, ich stamme aus Harlingen. Ich kam nur von dort", korrigierte sie ihn. Sein plötzliches Interesse erstaunte sie. „Was haben Sie in Harlingen gemacht?" Die Frage traf sie unvorbereitet. Christina hatte gehofft, schmerzliche Einzelheiten aus ihrem Privatleben für sich behalten zu können. Leider gab es aber wohl keine Möglichkeit, alles zu erklären, ohne alte Wunden aufzureißen. Der Gedanke, dass er sie bemitleiden könnte, war ihr höchst unangenehm. Sie verschränkte die Hände in ihrem Schoß und sagte so fest wie möglich: „Meine Mutter ist dort beerdigt worden." 6
„Stammt Ihre Mutter aus dieser Gegend?" Sie sah zu ihm auf. Er wirkte sachlich und neutral. Erleichtert antwortete sie: „Nein. Mein Vater ist auf dem Friedhof beerdigt. Da sich meine Eltern sehr geliebt haben, wollte ich, dass meine Mutter meinem Vater nahe ist. Deshalb ließ ich sie hierher überführen." Daniel blickte nachdenklich in sein Glas. „Mein Beileid, Miß Lacey." „Danke, aber das ist nicht nötig. Mutter hatte seit Monaten unerträgliche Schmerzen. Ihr Tod war eine Erlösung, auch für mich." Sie hoffte sehr, dass er das Thema wechseln würde. „Ich verstehe. Etwas anderes ist mir noch nicht klar. Sind Sie den ganzen Weg von Ohio hierher gefahren?" „Nein, ich bin geflogen." „Aber Sie fuhren einen Wagen, als wir unglückseligerweise miteinander bekannt wurden." „Unglücklicherweise. Das ist richtig", wiederholte sie. Dann schämte sie sich und fuhr freundlicher fort: „Der Cousin meines Vaters hat ein Gebrauchtwagengeschäft in Harlingen. Der Honda war ein Ladenhüter. Er kostete wesentlich weniger, als ich für den Rückflug hätte bezahlen müssen. Außerdem hatte ich es nicht besonders eilig, also …" Sie brach ab. Eine Weile blieb es still. Dann klirrten die Eiswürfel in Daniels Glas. Christina beobachtete sein unbewegtes Gesicht. Sein strenger Mund und das energische Kinn zeigten ihr, dass es nicht ratsam war, mit ihm zu streiten. Als Daniel sich zu ihr umwandte, lief ein Schauer über ihren Rücken. Es war faszinierend, wie die Farbe seiner Augen ständig wechselte: vom hellsten Grün bis zu dunkelgrünen Schattierungen, je nach Stimmung. „Ach so ist das. Was werden Sie anfangen, wenn Sie wieder in Ohio sind?" „Ich bin mir noch nicht im Klaren über meine Zukunft. Ich glaube, ich habe mich in Corpus Christi verliebt. Es ist eine zauberhafte Stadt. In Ohio bindet mich nichts. Es gibt nur ein paar Verwandte. Meine Mutter und ich hatten wenig Beziehung zu ihnen. Und Dave ist…" 7
„Dave?" warf er ein, als sie zögerte. „Mein . . . ein Mann, den ich kenne." „Ah, ein verflossener Liebhaber", sagte er spöttisch. „Er hat Sie sitzen lassen, nicht wahr?" „Das geht Sie nichts an", rief Christina heftig und ärgerte sich über seine Taktlosigkeit. „Sie haben Recht. Es interessiert mich auch nicht." Daniel ging durch das Zimmer, blieb vor ihr stehen und sah sie fragend an. „Haben Sie überhaupt Geld?" wollte er wissen. Die Frage kam so unvermittelt, dass sie fassungslos die Augen niederschlug. „Ich komme zurecht", antwortete sie ausweichend. Sie wollte nicht über ihre finanziellen Verhältnisse sprechen. „Darüber könnte man diskutieren, aber es ist keine Antwort auf meine Frage. Haben Sie Geld?" „Das ist auch nicht Ihre Angelegenheit, Mr. Belmont." „Aber ich mache es zu meiner Angelegenheit, Miß Lacey", erwiderte er herablassend und setzte sich wieder. „Hören Sie, Mr. Belmont, sind Sie immer so besorgt um die Frauen, die Sie überfahren?" „Für gewöhnlich überfahre ich keine Frauen. Ich hasse es auch, die Verantwortung für naive kleine Mädchen zu übernehmen. Haben Sie feste Pläne, oder lassen Sie sich einfach nur so treiben in der Hoffnung, irgend jemand wird kommen, um Ihnen zu helfen?" Christina spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Ihre Pläne waren wirklich noch ganz unbestimmt. „Ich sagte doch, alles ist noch ganz offen für mich." Daniel sprang auf und ging wieder nachdenklich hin und her. Unter halb geschlossenen Lidern beobachtete sie seine kraftvolle Figur. Sie merkte förmlich, wie sich seine Rückenmuskeln strafften. Die gebändigte Kraft und die Grazie seiner Bewegungen erinnerten sie an einen Panther. Unsicher und ärgerlich, dass sein Anblick sie so stark berührte, schwankte sie zwischen dem Wunsch, er möge endlich gehen, und der Sehnsucht, er möge bleiben. Als Daniel sich wieder zu ihr umwandte, musterte er sie ungeniert. 8
Er registrierte ihre Rundungen unter dem knappen Oberteil und die langen Beine. Als Christina überrascht aufsprang, legte er den Kopf zurück und lachte. „Miß Lacey, erschrecken Sie nicht. Glauben Sie mir, ich habe keinerlei Absichten in Bezug auf Sie. Sie sind nicht mein Typ", murmelte er und ließ den Blick noch einmal über ihre Figur wandern. Er überhörte ihren Protest und fuhr ungerührt fort: „Mit persönlichen Pflichten meinte ich, dass Sie mich auf meinen Geschäftsreisen begleiten werden als Privatassistentin." „Ich verstehe nicht", unterbrach ihn Christina. „Haben Sie denn noch keine solche Mitarbeiterin?" „Doch, aber sie hat sich nicht bewährt. Und im Übrigen sind ihre Gespräche entsetzlich langweilig. Ich kann diese Dame nicht mehr länger ertragen." Er sah sie spöttisch an. „Ich bin zwar nicht sicher, ob mir Ihre Gesellschaft behagen wird, aber das macht nichts. Wenn wir uns nicht verstehen, werden Sie eben entlassen. Es ist ganz einfach." Christina war zu verwirrt, um seinen Spott zu bemerken. „Ich verstehe immer noch nicht ganz. Was hätte ich denn als Ihre Assistentin zu tun?" Wieder fuhr er sich mit der Hand durch das Haar. „Ich werde versuchen, es Ihnen genau zu erklären", sagte er seufzend. „Ich reise viel, Miß Lacey. Meine Aufgaben sind sehr umfangreich. Ich brauche jemanden, der meinen Kalender führt, Konferenzen und Unterredungen festmacht, ohne dass sich Termine überschneiden. Dieser Jemand muss an den Besprechungen teilnehmen und Protokolle anfertigen. Er muss mir Drinks mixen können und mir Kaffee servieren. Er muss sicherstellen, dass mein Flugzeug startklar ist, wenn ich komme. Während des Fluges soll er neben mir sitzen, Diktate aufnehmen, mir zuhören, mit mir reden oder sonst etwas tun. Begreifen Sie jetzt?" Daniel wartete nicht erst auf ihre Antwort. „Ich habe eine Chefsekretärin im Büro, aber ich möchte dazu noch eine besondere Assistentin. Es muss eine Mitarbeiterin sein, die allein für mich zuständig ist und zu mir gehört, Geschöpf meiner Launen, Mitstreiterin und 9
absolute Vertrauensperson." Er lachte kurz auf. „Ich gebe zu, es ist ein Luxus. Aber ich kann ihn mir leisten. Glauben Sie mir, es gibt Zeiten, in denen ich eine solche Assistentin bitter nötig habe. Können Sie das verstehen?" Er wartete gespannt auf ihre Reaktion. „Ich glaube, ja", sagte Christina noch etwas zögernd und verbarg ein Lachen. „Und Ihre bisherige Assistentin behagt Ihnen in letzter Zeit nicht mehr?" Sie wollte Näheres erfahren. „Nein. Die junge Dame hat sich unglücklicherweise falsche Hoffnungen gemacht. Die neben dem Gehalt bezahlten Zulagen schließen nicht die Kontrolle über mein Privatleben mit ein." Christina hob erstaunt den Kopf. „Zulagen? Was bedeutet das genau, Mr. Belmont?" „Was glauben Sie wohl, Miß Lacey?" fragte er unbestimmt. „Wollen Sie damit sagen, die Stellung umfasst noch mehr als die Aufgaben, Reisebegleiterin und Terminüberwacherin zu sein und ab und zu einen Drink oder Kaffee zu servieren?" „Das hängt natürlich ganz von Ihnen ab. Wenn Sie geeignet sind . . . nun, wir werden sehen", erwiderte er sorglos. „Im Augenblick sind Sie nicht allzu begehrenswert, aber vielleicht entwickeln Sie sich noch." „Glauben Sie wirklich, ich würde… ich könnte…" rief Christina wütend. Diese Arroganz war unerträglich. Daniel lachte laut. „Du liebe Güte! Sie kann man aber schnell aus der Fassung bringen. Dieses Temperament, wie interessant!" setzte er leise hinzu. „Wenn Sie glauben, Sie können verlangen, dass …" „Ich verlange niemals etwas von einer Frau. Das habe ich nicht nötig." Als sie den amüsierten Ton in seiner Stimme hörte, hob sie die Hände. „Entschuldigen Sie, dass ich an Ihren Worten zweifle, Mr. Belmont, aber ich kann wirklich nichts an Ihnen entdecken, was mich davon überzeugen könnte, dass Sie für Frauen unwiderstehlich sind." Sie sagte es mit beißender Verachtung. Er hob eine Augenbraue. „Miß Lacey, Sie kränken mich. Darf ich darauf hinweisen, dass Sie es waren, die voreilige Schlüsse zog? Ich 10
hatte nichts von persönlichen Beziehungen gesagt. Ich möchte einfach jemanden haben, der mir einen Teil der Lasten abnimmt, die auf meinen Schultern liegen. Was meine Unwiderstehlichkeit betrifft, so könnten wir ja einmal Ihre Empfänglichkeit dafür testen. Leider müssen wir das verschieben. Ich bin wirklich sehr in Eile." Seine spöttische Art brachte sie auf. Mühsam beherrschte sie ihr Temperament und sagte nur: „Mr. Belmont, ich glaube, ich habe noch nie einen so arroganten, eingebildeten anmaßenden Mann wie Sie kennen gelernt." „Miß Lacey, Ihre Meinung über mich ist nicht wichtig, und ich will sie nicht hören. Wenn ich die Umstände bedenke, ist es auch nicht sehr klug von Ihnen, so etwas zu sagen." Christina musste vor sich selbst zugeben, dass er leider Recht hatte. „Tut mir Leid." Sie fuhr sich über die Stirn. „Ich entschuldige mich und danke für Ihre Freundlichkeit." „Das will ich hoffen." „Vergessen Sie aber nicht, dass Sie es waren, der in meinen Wagen hineingefahren ist. Es ist Ihre Schuld, dass ich jetzt dieses grässlich verunstaltete Gesicht habe und hier festgehalten werde." Sie unterdrückte mühsam ein Schluchzen. „Bitte, ersparen Sie mir Tränen", seufzte er. „Ich verabscheue diese weibliche Neigung, bei der geringsten Kleinigkeit zu heulen." „Bei der geringsten Kleinigkeit?" Daniel blickte zur Decke und seufzte noch einmal. „Noch etwas", er wechselte schnell das Thema, „Sie brauchen unbedingt neue Kleider. Ich mag nachlässig gekleidete kleine Mädchen nicht." „Ich verbitte mir, ein nachlässig gekleidetes kleines Mädchen genannt zu werden." Daniel ging auf ihren Einwand nicht ein. „Zu den vorhin erwähnten Zulagen der Firma gehört ein monatlicher Betrag für Kleidung. Meine Sekretärin wird Ihnen Konten bei einschlägigen Modegeschäften eröffnen. Wenn Sie sich mit ihr in Verbindung setzen, sagen Sie, ich habe Sie persönlich engagiert. Gute Nacht, Miß Lacey." „Bleiben Sie hier", explodierte Christina, als er zur Tür ging. Mit der Hand auf der Türklinke blieb Daniel stehen. „Solche Töne missfallen mir auch, Miß Lacey. Es gibt doch gar keine Fragen 11
mehr." Christina sank auf die Couch und sah ihn unverwandt an. Seine Züge waren zu unregelmäßig, um edel genannt zu werden, dennoch musste man sagen, dass er sehr gut aussah. Ihr beschleunigter Puls bestätigte es ihr. Seine Ungeduld war unverkennbar, und das machte sie unsicher. Sie hatte sich wirklich wie ein ungezogenes Kind benommen. Ein schlechter Dank für seine Großzügigkeit. „Ich habe aber noch eine Frage, Mr. Belmont. Warum tun Sie das alles für mich?" Ihre veilchenblauen Augen waren weit geöffnet. Der Anflug eines Lächelns lag in seinen Mundwinkeln. Wieder fuhr er sich durch die Haare. „Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Möglicherweise weil ich mich immer noch verpflichtet fühle oder weil ich finde, dass Sie selbst die Verantwortung für sich noch nicht tragen können. Oder", er lachte, „vielleicht habe ich eine Schwäche für zugelaufene Kätzchen. Wir sehen uns in meinem Büro. Nochmals gute Nacht, Miß Lacey." Nimm dich zusammen, Christina, halte dich zurück! beschwor sie sich. Aber sie sprang auf, schüttelte energisch ihr Haar zurück und warf ihm einen bösen Blick zu. „Nein. Sie werden mich bestimmt nicht in Ihrem Büro sehen. Sie haben schon genug für mich getan. Alles andere wäre Wohltätigkeit. Und Ihre Wohltätigkeit möchte ich nicht, Mr. Belmont. Vielen Dank, aber ich finde schon einen anderen Job." Ungeniert sah er sie wieder von oben bis unten an. „Glauben Sie mir, es ist keine Wohltätigkeit. Sie werden jeden Pfennig Ihres Gehalts verdienen müssen. Wer weiß, vielleicht macht Ihnen die Arbeit sogar Spaß? Wir sehen uns in drei Wochen, Miß Lacey." Er neigte zum Abschied leicht den dunklen Kopf und ging aus der Tür. Als sie allein war, sank Christina auf die Couch zurück. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Noch nie hatte sie etwas von einer solchen Stellung gehört: Privatassistentin! Er konnte sich den Luxus leisten, hatte er gesagt. Er musste sehr reich sein. Und das schon mit Anfang Dreißig, wie sie ihn schätzte. 12
Welche Branche er vertrat, hatte er gar nicht erzählt. Und sie hatte natürlich vergessen, danach zu fragen. Sie nahm die Visitenkarte und las laut: „Daniel Belmont, Belmont Enterprises." Ein Wirtschaftsberater? Die Karte aus feinstem Büttenpapier gab wenig Aufschluss. Sollte sie die Stellung doch annehmen? Die Bedingungen waren verlockend. Außerdem war sie hoch verschuldet. Allein die Arztkosten, die für ihre Mutter zu bezahlen waren, wurden von der kleinen Lebensversicherung bei weitem nicht gedeckt. Überführung, Beerdigung und alles, was damit zusammenhing, hatten weitere Summen verschlungen. Onkel und Tante hatten Christina Geld geborgt. Sie würden sie zwar nicht zur Rückzahlung drängen, aber in absehbarer Zeit brauchten sie das Geld doch. Wenn sie Daniel Belmonts überraschendes Angebot annahm, bedeutete das keinesfalls, dass es eine friedliche Zusammenarbeit werden würde. Sie war nicht gerade sanftmütig, und an ihm hatte sie bisher wenig Duldsamkeit und Nachgiebigkeit entdeckt. Wir beide sind wie Flint und Stein, dachte sie amüsiert. Wenn wir aneinander geraten, sprühen Funken. Merkwürdigerweise missfiel ihr diese Vorstellung nicht. Sie fühlte sich wieder lebendig und tatkräftig. Um sie herum wurde es klar, so als käme sie aus der Dämmerung in leuchtendes Morgenlicht. Der ihr in Aussicht gestellte Job schien abwechslungsreich und interessant zu sein. Sicher konnte sie auch eine anspruchslosere, weniger anstrengende Tätigkeit finden, aber für Daniel Belmont zu arbeiten, wäre eine ganz neue Erfahrung. Sie war sich darüber im Klaren, dass er wirklich von ihr verlangte, für jeden Pfennig ihres Gehalts Überdurchschnittliches zu leisten. Er würde viel von ihr erwarten und sie zeitweise sogar bis zu den Grenzen ihrer Belastbarkeit beanspruchen, aber sie wollte sich der Herausforderung stellen. Zu beweisen, was in ihr steckte, musste doch befriedigend sein. „Ich will Daniel Belmonts Mitarbeiterin werden", sagte sie leise zu sich. „Ich werde ihm zeigen, dass ich das gebotene Gehalt wert bin. Und mehr als das. Und wer weiß, eines Tages …" Christina brach ab. Eines Tages, das war viel zu weit entfernt. Für heute genügte es, dass sie sich entschieden hatte, bei „Belmont En13
terprises" zu arbeiten.
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2.
KAPITEL
Drei Wochen später, an einem Montag, machte sich Christina fertig für den Besuch bei Daniel Belmonts Büro. Sie hatte sich sorgfältig angezogen und zurechtgemacht. Bevor sie den Job nicht angetreten hatte, wollte sie von dem großzügigen Angebot, sich neu einzukleiden, keinen Gebrauch machen. So hatte sie ein marineblaues sportliches Hemdblusenkleid mit weißem Kragen und weißen Manschetten aus ihrer Garderobe ausgewählt. Sie beugte sich nahe zum Spiegel und betrachtete ihr Gesicht. Die Partie um die Nase war völlig abgeschwollen. Die Nase selbst war gerade und ein klein wenig keck nach oben gebogen. Aus ihren violetten Augen strahlte Lebenslust. Sie war keine Schönheit, stellte sie fest, würde wohl auch nie eine werden, aber sie gefiel sich so. Sie war zweifellos attraktiv. Christina schlüpfte in die blauen Pumps, die sie etwas größer machten, dann nahm sie ihre Tasche und verließ die Wohnung. Vor einer Woche war sie aus Daniels Landhaus ausgezogen. In einer Familienpension hatte sie sich zwei möblierte Zimmer mit Bad und Küche gemietet. Das Haus lag an der lauten Verkehrsstraße, aber die Miete war niedrig. Sie wollte für ihren Lebensunterhalt so wenig wie möglich ausgeben, damit sie in Raten ihre Schulden abzahlen konnte. Daniel war noch einmal für fünf Minuten in seinen Bungalow gekommen. Natürlich war sie darauf nicht vorbereitet gewesen. Mit zerzausten Haaren und in denselben alten Jeans hatte er sie angetroffen. Sie war gerade vom Strand gekommen. Er hatte ihre Nase untersucht, sie gefragt, wie sie sich fühlte. Dann hatte er befriedigt genickt und gesagt, dass er sie in einer Woche wieder sehen würde. Mit einer winkenden Handbewegung war es schließlich gegangen. Wie schon so oft hatte er es fertig gebracht, dass sie sich wie ein Schulmädchen vorkam. Das musste jetzt aufhören. Sie würde - als ausgeglichene junge Dame mit Selbstvertrauen - kühl und zurückhaltend, auftreten. Sie würde sich von seiner Arroganz nicht erschüttern lassen und schon gar nicht seinem Charme erliegen. Der Belmont-Wolkenkratzer bestand aus Beton und Glas. Es gab 15
einen Parkplatz für die Angestellten, der nahezu gefüllt war. Einige Minuten musste Christina suchen, bis sie endlich eine Parklücke fand. Dann fuhr sie mit dem Fahrstuhl in den elften Stock. Vor der Glastür zur Chefetage blieb sie einen Moment stehen, um sich zu sammeln. Die Aufregung hätte sie sich sparen können, denn sie erfuhr von Mrs. Coyle, der Chefsekretärin, dass Mr. Belmont die ganze Woche über nicht in der Stadt sein würde. Als sie sich vorstellte, musste sie hören, dass sie nicht nur keinen Schreibtisch hatte, Mrs. Coyle hatte auch keine Ahnung, dass Christina eine neue Kollegin war. Enttäuscht sah sie sich erst einmal in dem hellen, modern und geschmackvoll eingerichteten Raum um. Hinter einer Glaswand saßen zwei schick gekleidete junge Stenotypistinnen an ihren elektrischen Schreibmaschinen. Es herrschte eine angenehme Atmosphäre, in der zu arbeiten schon eine Freude sein konnte. Abwartend stand Christina neben Mrs. Coyle, während sie mit der Personalabteilung telefonierte. Warum hatte Daniel denn nicht angekündigt, dass sie kommen würde? Sie hatte kaum gehofft, herzlich willkommen geheißen zu werden, aber zumindest hätte man doch mit ihr rechnen müssen. Vielleicht war es auch ihr eigener Fehler. Sie hatte zu lange gewartet. Erst am Freitag hatte sie sich, wie Daniel es geraten hatte, beim Personalbüro angemeldet. Wahrscheinlich hatte man von dort Mrs. Coyle noch nicht benachrichtigt. Wenige Minuten später begleitete Mrs. Coyle sie in Daniels Büro. Überrascht stellte Christina fest, wie sehr ihm dieser Raum entsprach. In einem unbeobachteten Moment strich sie über die blankpolierte Holzplatte eines mächtigen Schreibtischs, der das Zimmer beherrschte. Der einzige persönliche Gegenstand, den sie entdecken konnte, war ein kleiner, aus tiefrotem Holz geschnitzter Hirsch. Christina konnte es nicht lassen, die Figur in die Hand zu nehmen. Sie bewunderte einen Augenblick das zierliche Kunstwerk und stellte es dann auf seinen Platz zurück. Mrs. Coyle schlug vor, Christina sollte die freie Zeit benutzen, um sich neu einzukleiden. Es gab eine Liste von guten Modegeschäften, in denen die Firma „Belmont Enterprises" Konten hatte. Abschätzend 16
sah Christina an sich herunter und dann zu Mrs. Coyle. Der Unterschied in Material und Schnitt zwischen ihrem einfachen Kleidchen und dem eleganten Kostüm aus Rohseide, das die Chefsekretärin trug, war so groß, dass sie sofort zum Einkauf bereit war. Im Personalbüro händigte man ihr eine Plastikkarte mit ihren persönlichen Daten aus, die sie als Angestellte des Hauses auswies. Den ersten Tag mit der Auswahl von Kleidern und Zubehör zu verbringen, machte ihr ausgesprochen Spaß. In den nächsten Tagen machte sich Christina mit dem Haus und mit Daniels Geschäften bekannt. Seine Interessen waren verwirrend vielseitig, und sein Aufgabengebiet konnte man gar nicht überblicken. Mrs. Coyle beschrieb ihren Chef als ausgesprochenes Arbeitstier. Sie war bereits seit sechs Jahren für Daniel tätig und hegte eine Art mütterliche Bewunderung für ihn. Natürlich hielt sie ihn für den besten Vorgesetzten der Welt. Sie muß einen anderen Daniel Belmont kennen, dachte Christina säuerlich. Andererseits war es wohl ganz normal für die Damen des Büros, ihrem Chef zu Füßen zu liegen. Um Mr. Belmont besser kennenzulernen, gab ihr Mrs. Coyle einen Artikel in die Hand. „Hier, lesen Sie das. Es wird Ihnen helfen. Es ist ein aufschlußreicher Bericht über Mr. Belmont, den diese Wirtschaftszeitschrift vor zwei Jahren veröffentlicht hat." „Belmont Enterprises" war aus einem kleinen Konstruktionsbüro hervorgegangen, das Daniel von seinem Vater übernommen hatte. Als er herausfand, dass verschiedene Unternehmen seiner Firma beachtliche Summen schuldeten, aber nicht zahlen konnten, hatte er Anteile an diesen Gesellschaften übernommen. Innerhalb eines Jahres war er Besitzer oder Mitbesitzer eines Hotels, einer Textilfabrik und eines Bauunternehmens. Wie der Reporter schrieb, hat Daniel ein angeborenes Talent, den Kern der Dinge zu erfassen, und er war mutig und zielstrebig genug, um die verschiedenen Gesellschaften dahin zu bringen, mit Gewinn zu arbeiten. So hatte er es mit Geschick innerhalb von wenigen Jahren geschafft, einen kleinen Konzern aufzubauen, von dem „Belmont En17
terprises" die Muttergesellschaft war. Leider standen in dem Artikel kaum persönliche Dinge über Daniel, aber Christina sah ihre Stellung nun in einem neuen Licht. Alle diese Geschäfte erforderten viele und weite Reisen. Eine Assistentin, die mit ihm unterwegs war und ihm hilfreich zur Seite stand, war keineswegs ein Luxus. Ihre Stellung war weder unbedeutend noch fragwürdig. Sie würde eine wichtige Person bei „Belmont Enterprises" sein. Ihr Ehrgeiz war erwacht. Sie nahm weitere Akten aus den Regalen und studierte sie. Die beste Assistentin wollte sie werden, die Daniel jemals gehabt hatte. Die Woche war zu Ende, und Christina wollte am Freitagabend nach Hause gehen, da erschien Daniel. Sie stand in seinem Büro am Fenster. Als sie hörte, wie mit lautem Geräusch die Tür geöffnet wurde, drehte sie sich rasch um. Ihr Herz begann schneller zu klopfen. Unbewußt strich sie sich über ihr Kleid. Daniel blieb abrupt stehen. Überraschung lag in seinem Blick, aber auch noch etwas anderes. Es war, als leuchteten die hellen Augen kurz auf, während er sie stumm musterte. Die Stille im Raum füllte sich mit Spannung. Christina hatte das Gefühl, als studierte er jeden Zentimeter ihres Körpers. Geräuschvoll atmete sie aus. Dann trafen sich ihre Blicke. Er hob seine Augenbrauen, und der seltsam vertraute Augenblick war vorüber. „ Guten Abend, Miß Lacey. Ich freue mich, dass es Ihnen wieder gut geht. Sie sehen fabelhaft aus. Übrigens, dies ist mein Büro", sagte er ein wenig ungehalten. „Guten Abend, Mr. Belmont. Ich weiß, aber wo sollte ich bleiben? In irgendeiner Ecke? Ich habe nicht einmal einen Schreibtisch." „Ach ja? Das lässt sich schnell ändern." Er musste lachen. „Und Sie haben Mrs. Coyle nicht einmal gesagt, dass ich Ihre neue Assistentin bin. Haben Sie es vergessen?" „Ich muss zugeben, ich denke nicht immer an alles. Wie Sie wissen, bin ich ein sehr beschäftigter Mann, Miß Lacey. In diesem Fall möchte ich Sie aber daran erinnern, dass Sie mir mein Angebot nicht bestätigt haben. Ich wusste wirklich nicht, ob Sie kommen oder 18
nicht", protestierte er freundlich. Daniel hatte sich bei seinen Worten halb abgewandt. Christina merkte aber doch, wie er ein Lachen unterdrückte. „Als ich vor meiner Abreise in der Personalabteilung nachfragte", fuhr er fort, „hatten Sie sich noch nicht gemeldet." „Ich habe mich erst in letzter Minute entschlossen", gab sie, etwas unsicher geworden, zu. Dann erkannte sie plötzlich, dass er sie neckte. „Jedenfalls habe ich am vergangenen Freitag die Fragebogen ausgefüllt, wie Sie mir geraten hatten. Ich bin schon eine Woche hier." „Ich weiß. Mrs. Coyle versicherte mir, dass Sie die Zeit gut genutzt haben. Sie sind also bereit für Ihre Arbeit", er machte eine bedeutungsvolle Pause, „und für mich?" „Ich denke schon. Jedenfalls werde ich mein Bestes tun." Daniel drehte ihr den Rücken zu und murmelte: „Wir werden sehen. Es könnte sogar interessant werden." Christina stellte fest, dass sie am ersten Tag falsch gedacht hatte. Nicht der Schreibtisch war beherrschend in diesem Zimmer. Es war der Mann, der sich an seinen Arbeitstisch gesetzt hatte und alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Daniel trug einen hellgrauen Maßanzug mit Weste. Er war elegant und wirkte doch betont sachlich. Sein Haar war glatt gebürstet bis auf ein paar Strähnen, die ihm in die Stirn fielen. Während Christina ihn betrachtete, wurde ihr blitzartig klar, dass er ein gefährlich attraktiv aussehender Mann war, ein Mann, der sehr genau wusste, welche Wirkung er auf Frauen hatte. Und er würde diese Fähigkeit immer dann einsetzen, wenn es ihm Spaß machte. Daniel sah auf. Sein unpersönlicher Blick traf sie unvorbereitet. Dann stand er auf, steckte einige Unterlagen in seinen Aktenkoffer und ging zur Tür. Er verneigte sich knapp. „Ich wünsche Ihnen ein geruhsames Wochenende, Miß Lacey. Wir sehen uns dann Montag früh." „Vielen Dank, Mr. Belmont. Bis Montag." Sie sah ihm nach, wie er durch das Vorzimmer schritt und den Damen freundlich zuwinkte. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Ent19
täuscht und verletzt fühlte sie sich und wusste nicht einmal, warum. Gerade als Daniel die Glastür erreichte, kam eine große, schlanke Frau mit rotblonden Haaren herein. Daniel begrüßte sie mit einem Kuß, legte seinen Arm um ihre Schultern, und beide verließen das Büro. Christina hatte das Gesicht der Frau nicht sehen können. „Wer war die Dame?" fragte sie Mrs. Coyle, als sie ins Vorzimmer kam. Mrs. Coyle neigte den Kopf zur Seite. „Das kann wirklich nur ein Neuling in Corpus Christi fragen. Lisa Manning natürlich", verkündete sie lachend. „Sind sie . . . wird er sie heiraten?" „Sie glaubt es jedenfalls", erwiderte Mrs. Coyle trocken. Am Montagmorgen fand Christina zu ihrer großen Überraschung einen der Parkplätze für sich reserviert. Richtig froh machte es sie, dass der Parkwächter an seine Mütze tippte und sie freundlich mit ihrem Namen ansprach. Dann kam sie in das Vorzimmer und wurde zum dritten Mal überrascht. Mrs. Coyle begrüßte sie mit einem liebenswürdigen Lächeln. „Mr. Belmont bittet Sie, sofort zu ihm zu kommen." Das klang, als wäre es eine besondere Ehre. Die beiden anderen Bürodamen winkten ihr freundschaftlich zu. Was hatte ihre Haltung ihr gegenüber so verändert? Christina klopfte an die Tür des Chefzimmers und ging hinein, als Daniel gerufen hatte. Mit einem prüfenden Blick auf ihr Kleid aus lindgrünem Seidenjersey nickte er und reichte ihr ein Blatt Papier. „Das ist unser Programm für diese Woche. Sie erhalten künftig an jedem Freitag eine solche Aufstellung, damit Sie vorbereitet sind. Ich muss Sie bitten, stets einen Koffer gepackt zu haben, um auf Reisen gehen zu können. Und noch etwas: Während der Dienststunden möchte ich, dass Sie ihr Haar hochgesteckt tragen." Dabei zeigte er auf ihr Haar, das in weichen Wellen ihr Gesicht umrahmte und bis über die Schultern fiel. Christina nickte gehorsam. 20
„Sehen Sie sich den Dienstplan an. Dann fahren Sie schnell in Ihre Wohnung, packen einen Koffer und treffen mich hier in vierzig Minuten." „Ja, Mr. Belmont", antwortete Christina forsch. Daniel stand auf und blieb dicht vor ihr stehen. Ihre Augen weiteten sich, als er seine Hand ausstreckte und eine Strähne ihres Haares sanft zwischen den Fingern rieb. Es war, als wollte er Seide prüfen. Sein Blick lag auf ihrem Mund. „In vierzig Minuten, Miß Lacey", erinnerte er sie noch einmal, dann setzte er sich wieder. Christina blieb wie angewurzelt stehen und sah auf seinen geneigten Kopf. Es dauerte einige Sekunden, bis sie begriff, dass sie verabschiedet war. Genau achtunddreißig Minuten später war Christina zurück, und sie fuhr mit Daniel fort zum Flugplatz. Skeptisch betrachtete Christina das kleine, blau und silber lackierte Flugzeug. Sie wurde dem Piloten, einem drahtigen Mann, vorgestellt, der ihr viel zu jung erschien, als dass man ihm Erfahrung im Fliegen zutrauen konnte. Nervös fummelte sie an ihrem Sicherheitsgurt. Offensichtlich war der Fluggast vor ihr eine ziemlich dicke Person gewesen. Daniel sah, wie sie sich mühte, und griff hinüber, um den Gurt für sie einzustellen. „Werden Sie luftkrank?" fragte er. „Nein." Sie hoffte inständig, die Wahrheit gesagt zu haben. Wer konnte wissen, wie ihr Körper reagierte? Aber sie würde es überstehen. Als die Maschine dann mit starkem Motorengebrumm in die Luft stieg, hob sich ihr Magen, und sie atmete tief und hörbar. „Miß Lacey, Sie sagten doch, dass Sie schon geflogen sind." „Natürlich, aber noch nie in einem so kleinen Flugzeug", gestand Christina. „Das kann ja heiter werden", flüsterte Daniel. Er klappte einen kleinen Tisch von der Wand, legte seine Papiere darauf und vertiefte sich in seine Arbeit. Christina hatte sich wieder beruhigt. Sie genoss die Aussicht, fühlte sich aber allein gelassen. Als eine Wolke die Sicht versperrte, rückte 21
sie unruhig auf ihrem Sitz hin und her. Daniel sah auf. „Ist etwas, Miß Lacey?" Offenbar fühlte er sich gestört. „Nein, nichts Bestimmtes. Ich dachte nur, Sie erwarteten vielleicht eine Unterhaltung?" „Manchmal schon, aber im Augenblick bin ich dazu nicht in Stimmung. "Er griff hinter seinen Sitz und holte eine Thermosflasche und zwei Becher aus einem Korb. „Ich trinke sehr viel Kaffee. Schwarz mit zwei Stück Zucker. Lauwarmen Kaffee verabscheue ich. Bitte, sorgen Sie immer dafür, dass ich heißen Kaffee habe." „Ist das alles? Eine ständig gefüllte Tasse mit dampfendem Kaffee?" „Jetzt ja." Seine Blicke waren auf ihren Busen gerichtet, als sie ihm den Kaffee eingoss. „Mr. Belmont…" begann Christina entrüstet. Daniel schüttelte sich vor Lachen. „Miß Lacey, bitte lassen Sie mich meinen Bericht durchgehen. Ich verspreche, dass wir danach sofort über Ihre weiteren Aufgaben reden. Danke für den Kaffee." Mit einem letzten Zurechtzupfen ihres Haares sah Christina auf die Uhr. Sie war fertig angezogen und bereit zu gehen, aber Daniel hatte sich bisher nicht gemeldet. Sie nahm noch einen Schluck aus ihrer Teetasse und setzte sich auf einen Sessel am Fenster. Wieder einmal befand sie sich in einem anderen Hotel in einer anderen Stadt. Diese vergangenen drei Wochen waren voller Aufregung und prallvoll von neuen Eindrücken gewesen. Sie hatten ihr ganzes Leben grundlegend verändert. Schon lange hatte sich Christina abgewöhnt, über Daniel Belmont nachzudenken, hatte keinen Versuch mehr gemacht, ihn irgendwie einzuordnen. Er war immer anders und reagierte nie so, wie man es erwartete. Nur eines war sicher: Außer ihren beruflichen Qualitäten interessierte ihn nichts an ihr. Selbst Komplimente, die er ihr manchmal machte, klangen geschäftlich. Sie hatte zu jeder Zeit elegant gekleidet und sorgfältig frisiert ihre Arbeit anzutreten. Ihre Erscheinung war bisher, wenige Male ausgenommen, stets zu seiner Zufriedenheit gewesen. 22
Daniel erlaubte in ihrer Gegenwart keine frivolen Bemerkungen. Wenn der eine oder andere der Geschäftspartner einmal schlüpfrige Witze oder Skandalgeschichten erzählen wollte, ermahnte er ihn freundlich, aber bestimmt: „Mein Herr, denken Sie daran, dass Miß Lacey bei uns ist. Sie ist eine Dame." Daniel war ein unermüdlicher Arbeiter. Er führte seine Geschäfte in einer Art lässiger Überlegenheit, und er war, das hatte Christina mehrfach erleben können, fast übertrieben ehrlich. Sie hatte großen Respekt vor ihm. Einmal, während einer Sitzung mit Herren eines anderen Konzerns, den Daniel Belmont übernehmen wollte, hatte sie das starke Gefühl, dass der Geschäftsführer der anderen Seite nicht ganz aufrichtig war. Lange überlegte sie, ob sie es riskieren sollte, Daniel zu warnen. Schließlich trieb ihr Gewissen sie dazu, ihrem Arbeitgeber von ihrem Verdacht zu berichten. Als er einmal zu ihr hinüberblickte, gab sie ihm ein heimliches Zeichen, dass sie ihn sprechen müsste. Er reagierte sofort, wenn auch mit einer steilen Falte auf der Stirn, bat um eine Unterbrechung und verließ mit ihr das Zimmer. „Was ist, Miß Lacey?" fragte er, nachdem die Tür geschlossen war. „Mr. Belmont, etwas ist da nicht in Ordnung", stammelte sie.. „Dieser . . . dieser Mr. Powers ist nicht ganz ehrlich. Ich weiß, er wirkt überzeugend, aber da ist etwas, was er verheimlicht, etwas, worüber in dieser Konferenz auf keinen Fall gesprochen werden soll." „Womit begründen Sie Ihren Verdacht?" „Dave war Psychiater. Er hat mir beigebracht, die Körpersprache zu verstehen. Mr. Powers leidet sichtlich unter schweren inneren Spannungen, die nicht nur auf den Verkauf seiner Gesellschaft zurückzuführen sind." Daniel sah sie prüfend an. „Sind Sie ganz sicher?" „Sicher genug, dass ich wage, es Ihnen zu sagen." „Gut. Danke, Miß Lacey." Er drehte sich um, und beide gingen in das Konferenzzimmer zurück. Zu Christinas Überraschung vertagte er das Gespräch nach wenigen Minuten. 23
Zwei Tage später sagte Daniel eines Mittags wie nebenbei zu Christina: Miß Lacey, ich muss Ihnen wirklich danken, dass Sie mich vor Mr. Powers gewarnt haben. Es hat den Anschein, dass seine Gesellschaft in Kürze in einen Veruntreuungsprozeß verwickelt sein wird. „Belmont Enterprises" hätte bei einem Abschluss mit dieser Firma einen Verlust von einer halben Million Dollar hinnehmen müssen." Mehr wurde nicht gesagt, aber von nun an fragte Daniel bei jeder Verhandlung nach ihrer Meinung, nach ihren Eindrücken. Dass er ihr Urteil schätzte, freute sie über alles, aber noch glücklicher war sie, dass sie es geschafft hatte, ihm dadurch näher zu kommen. Da klingelte das Telefon und holte Christina aus ihren Gedanken. Die Stimme deines Herrn, dachte sie fröhlich. Ganz gleich, wie kurz oder ungeduldig seine Anordnungen waren, in ihren Ohren klang seine Stimme wie Musik. In zehn Minuten sollte sie Daniel in der Halle treffen, und da sie ein Baugelände besichtigen würden, schlug er vor, eine lange Hose und bequeme Schuhe anzuziehen. "Sie haben doch eine Hose dabei, oder?" Er machte eine Pause. Christina musste gestehen, dass sie keine mitgenommen hatte. Daniel seufzte resignierend. Er war verärgert, dass er warten musste, bis sie sich in der Ladenstraße des Hotels eine gekauft hatte. Hatte sie vorhin noch gedacht, seine Stimme klänge sanft wie Musik? Es musste ein Irrtum gewesen sein. Der Vergleich mit einem Schlagbohrer hätte eher gestimmt. Es wurde ein unerwartet schöner Tag für Christina. Nachdem sie das Bauprojekt besichtigt hatten, lud Daniel sie zum Mittagessen in eines der schönsten Strandcafes ein, das man sich vorstellen konnte. „Was möchten Sie essen?" fragte er. „Was Sie mir vorschlagen. Ich esse gern Meerestiere." „Dann nehmen wir Austern." „Nur Austern nicht!" Er lachte über ihre kraus gezogene Nase. Dann bestellte er zwei Krabbencocktails, einen gegrillten Seefisch für Christina und zwei Dutzend Austern für sich. Die Krabben wurden in einer delikaten Sauce serviert, und der Fisch, am Morgen erst gefangen, schmeckte 24
köstlich. Interessiert beobachtete sie Daniel, wie geschickt er seine Austern schlürfte. Dazu gab es in Folie gebackene Kartoffeln, Salat und jede Menge Knoblauchbrot. Obwohl Christina schon stöhnte, entschied Daniel, dass sie beide noch Platz für eine Käsecremetorte mit Ananas zum Nachtisch hatten. Beim Kaffee lehnten sie sich in ihren Stühlen zurück und entspannten sich. Ihre Unterhaltung plätscherte leicht dahin. Sie merkten gar nicht, wie die Zeit verging. Das war heute ein neuer, faszinierender Daniel Belmont, ein Mann, der Christinas Abneigung gegen Austern ohne Kommentar respektierte, der sie mit Köstlichkeiten verwöhnt und so charmant zu plaudern verstand, daß sie sich nicht genug wundern konnte. Als sie dann ihre Fahrt fortsetzten, bog Daniel in einen schmalen Weg ein, der durch einen märchenhaften Küstenstreifen führte. An einem besonders hübschen Platz hielt er an. Christina stieg aus und war überwältigt. Eine so schöne Landschaft hatte sie noch nie gesehen. Die Gegend war wildromantisch. Weiße Segelboote durchschnitten die Wellen des pulsierenden Atlantik. Auf dem Wasser glitzerte die Sonne. „Mögen Sie das?" fragte Daniel dicht hinter ihr. Sie drehte sich zu ihm um. Ihre glänzenden Augen sagten alles. „Ja, sehr", versicherte sie verhalten. Und das war noch untertrieben. Diese Zeit mit ihm löste eine tiefe Zufriedenheit in ihr aus. Daniel hatte sich das Jackett ausgezogen und die Krawatte abgelegt. Dieser lachende, scherzende Daniel mit dem windzerzausten Haar war unwiderstehlich. Christina zeigte auf die Segelboote. „Das muss Spaß machen. Können Sie segeln?" „Natürlich. Ich bin ein Fachmann." Sie sah ihn mit großen Augen an. Dann lachte sie. „Aber selbstverständlich. Wie konnte ich das vergessen." Er runzelte zum Spaß die Stirn. „Sie sind vorwitzig, Miß Lacey." Dann nahm er ihre Hand, verschränkte seine Finger mit ihren, und beide stiegen eine Sanddüne hinauf. Oben blieben sie stehen, um den Rundblick zu genießen. Weit draußen im Meer entdeckten sie eine 25
Insel. Der Wind preßte ihr die Bluse so eng an den Körper, dass sich ihre Brüste abzeichneten. Ihr Haar lag weich um die Schultern. Als sie merkte, dass Daniel sie betrachtete, richtete sie sich noch ein wenig mehr auf. Sie legte ihren Kopf zurück in der aufregenden Erkenntnis, dass sie eine Frau war und eine gewisse Macht über den Mann hatte. Als sie ihn unbewußt herausfordernd ansah, war mehr als nur ein Strahlen in seinen Augen zu bemerken. Das Rauschen der Wellen und der Wind machten eine Unterhaltung unmöglich. „Es ist wunderbar", schrie Christina trotzig gegen den Wind und breitete ihre Arme aus. Daniel neigte seinen Kopf dicht an ihr Ohr. „Kommen Sie, Miß Lacey, gehen wir, bevor Sie Flügel bekommen und mir davonfliegen." Beim Abstieg gab der weiche Sand der Düne unter Christinas Füßen nach. Sie fiel. Lachend und schreiend rollte sie die Düne hinunter. Wie sechzehn fühlte sie sich und unsagbar glücklich. Atemlos blieb sie am Fuß der Düne liegen. Daniel bemühte sich, mit etwas mehr Würde hinunterzukommen, und er schaffte das erstaunlich schnell. Er kniete neben ihr nieder und strich ihr den Sand aus Gesicht und Haaren. „Ist alles in Ordnung?" fragte er. „Ich fühle mich großartig", rief sie und lachte ihn mit der ganzen Freude an, die sie empfand. Daniel zog hörbar den Atem ein. Sein Gesicht war direkt über ihrem. Als sich ihre Blicke trafen, entstand eine seltsame Spannung zwischen ihnen. Christinas Lachen erstarb. Abwesend streichelte er noch immer über ihren Kopf. Dann erfasste er ihn, grub seine Finger in ihr Haar und küßte sie hart und fordernd. Obwohl ihr Herz vor Überraschung höher schlug, empfand sie bei seinem Kuß nichts Außergewöhnliches. Er war auch zu kurz. Daniel war schon wieder auf den Beinen, bevor sie recht begriff, was geschehen war. Er streckte die Hand aus und zog sie hoch. „Es wird Zeit, zu gehen", sagte er fest. 26
Sein Gesicht wirkte verschlossen. Er klopfte den Sand von seiner Hose und krempelte die Ärmel des Hemdes wieder hinunter, als wollte er damit ausdrücken, dass das Spiel vorüber sei. Christina stand mit gesenktem Kopf da. Noch kämpfte sie mit ihrer Verblüffung über den unerwarteten Kuß. Offensichtlich hatte er auch nichts Aufregendes dabei empfunden. Es war wohl eine plötzliche Regung gewesen, der er schnell nachgegeben und die er sofort bereut hatte. So jedenfalls erschien es ihr. Ein Ereignis, über das nicht diskutiert wurde, aber sicherlich eines, das nachdenklich machte. Daniel fuhr konzentriert, aber war gedanklich abwesend. Schweigend legten sie den Weg zum Flugplatz zurück. Jetzt eine Unterhaltung zu beginnen, war sinnlos. Kaum hatte er im Flugzeug seinen Sitz eingenommen, war er schon dabei, seine Papiere zu ordnen. Er war wieder ein Fremder, er war ihr Chef. Mit verhaltener Neugier beobachtete ihn Christina von der Seite. Es war, als wären dieser zauberhafte Nachmittag und der Kuß nicht gewesen. Sie schüttelte verwirrt den Kopf. Dann rollte sie sich ein wenig zusammen, lehnte sich zur Seite und schloss die Augen. „Wir landen in wenigen Minuten, Miß Lacey", rief Daniel und rüttelte sie wach. „Legen Sie den Sicherheitsgurt an, Träumerin!" Noch halb im Schlaf zerrte Christina ungeschickt an dem Verschluss des Gurtes. „Schon wieder", brummte Daniel, neigte sich über sie und ließ den Gurt einrasten. Seine Hände streiften dabei ihre Brust. Christina zuckte zusammen. Daniel hob sofort den Kopf. Sein Gesicht wirkte verschlossen. Ihr vom Schlaf rosiges Gesicht mit den noch ganz verträumten Augen war von der Fülle ihres durcheinander gewehten seidigen Haares umrahmt. In völliger Unkenntnis, wie begehrenswert sie auf den Mann wirkte, sah sie fasziniert, wie sich in seinen grünen Augen ein blitzendes Feuer entzündete. Seine Finger strichen sanft über ihre Wange. Er war so nahe über ihrem Gesicht, dass sie seinen Atem spürte. Für einen aufregenden Augenblick waren sie wieder eingehüllt in eine fast schmerzhafte Spannung. 27
Langsam richtete sich Daniel auf. Er sah sie immer noch an, aber er zog sich nun von ihr zurück. Ganz automatisch ließ er seinen Sicherheitsgurt einschnappen. „Wir gehen heute abend zu einer Party in San Antonio. Es steht nicht in Ihrem Plan, ich weiß. Haben Sie ein Abendkleid im Reisegepäck? Es ist sehr wichtig." Christina kämpfte noch gegen ihre Verwirrung. Sie schüttelte bedauernd den Kopf. „Fast habe ich es mir gedacht", sagte er resignierend. „Sie haben Zeit genug, sich eines zu besorgen. Ich kann nur hoffen, wir müssen in Zukunft nicht in jedem Hotel erst einkaufen. Sie sollten immer für alle Gelegenheiten gerüstet sein, Miß Lacey. Immer ein Abendkleid und auch immer eine lange Hose. Ich muss Sie wirklich bitten, nie mehr unvorbereitet zu sein." „Das ist unfair, Mr. Belmont", wehrte sie sich. „Ich war nicht darauf eingestellt, weil ich nicht informiert war. Und warum muss ich zu dieser Party überhaupt mitkommen?" Daniel schwieg einen Moment. Er sah aus dem Fenster. Es war das erste Mal, dass sie ihn ohne prompte Antwort erlebte. Fragend sah sie ihn an. Als er sich wieder zu ihr umdrehte, war in seinem Gesicht zwar keine Regung zu erkennen, aber sie hatte den Eindruck, dass er über sich selbst erstaunt war. Dachte er vielleicht doch an den Kuß? Aber nein, diesen Gedanken verwarf sie sofort. Er hatte den Kuß weggeschoben, wie er den Sand von seiner Hose geschüttelt hatte. „Weil ich möchte, dass Sie mitkommen", antwortete er langsam. „Das sollte genügen, oder?" Wenn er in diesem Ton mit ihr sprach, durfte sie nicht zu diskutieren beginnen. Zu leicht konnte er sie aus der Fassung bringen. „Ja, Sir", erwiderte sie freundlich. Das Flugzeug landete. Daniel stand auf und streckte sich. „Glauben Sie, dass drei Stunden ausreichen, um Sie vorzeigbar zu machen, Miß Lacey?", fragte er in seinem üblichen spöttischen Ton. Christina hob die Schultern. Sie wusste inzwischen genau, wann sie ihn ernst nehmen musste. „Ich werde mein Bestes tun, Mr. Belmont", 28
versicherte sie. „Was kann ein Mann mehr verlangen?" murmelte er. „Ach so, die Party findet übrigens in Lisa Mannings Haus statt", fuhr er beiläufig fort. "Um acht Uhr. Ich werde schon früher erwartet. Sie kommen im Taxi nach. Noch Fragen, Miß Lacey?" „Nein, keine Fragen", antwortete Christina.
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3.
KAPITEL
Im Gegensatz zu ihrer äußerlich kühlen Haltung stand Cristinas Neugier, die sie kaum zügeln konnte. Wozu brauchte Daniel sie auf Lisa Mannings Party? Nach hastigem aber erfolgreichem Einkauf eines Abendkleides in einem der Hotelläden wusch und fönte sie ihr Haar. In Gedanken beschäftigte sie sich weiter mit dem Abend. Daniel kannte ihr Talent, Menschen einzuschätzen. War es möglich, dass er sich dieser Veranlagung heute abend bedienen wollte? Aber die festliche Atmosphäre einer Party war kaum dafür geeignet, Geschäfte abzuwickeln. Daher ließ sie diesen Gedanken fallen. An einer Party von Lisa Manning teilzunehmen, war kein Vergnügen für sie. Aber Daniel wollte es so. Sie würde sich also zurückhaltend und wie im Dienst benehmen. Ein wenig Rouge noch, Lippenstift und ein paar Tropfen des kostbaren Parfüms, das sie sich geleistet hatte, und sie konnte sich anziehen. Das Kleid aus auffallend schönem veilchenblauem Seidenchiffon, genau zu ihren Augen passend, war sehr einfach gearbeitet. Es umspannte eng ihre schmale Figur, bedeckte eine Schulter und ließ die andere frei. Über diese nackte Schulter wollte sie ihr schwarzes Haar fallen lassen. Als sie fertig frisiert war, trat sie ein paar Schritte vom Spiegel zurück, um ihr Aussehen zu prüfen. Überrascht weiteten sich ihre Augen. Sie konnte kaum glauben, dass sie das war. Der Spiegel zeigte ihr eine äußerst reizvolle Frau. Würde Daniel der gleichen Ansicht sein? Mit Lisa Manning an seinem Arm? Je weiter das Taxi sie zum Haus von Lisa Manning brachte, desto mehr verließ sie ihre Selbstsicherheit. Ein vornehmer Diener führte Christina in einen hallenartigen Raum mit Fenstern, die bis zum Boden reichten. Davor lag eine riesige Terrasse. Überall sah man Blumen, bunte Laternen und elegant gekleidete Leute. Christina hielt den Atem an, als sie Daniel entdeckte. Lässig stand 30
er an die Wand zwischen zwei Fenstern gelehnt mit einem Glas in der Hand. Er sah herzbeklemmend gut aus in seinem Abendanzug. Ihn nur zu betrachten, war ein einziges Vergnügen. Schüchtern und beinahe unsicher ging Christina ein paar Schritte vorwärts. Daniel sah auf, und sie wusste, dass er sie bestaunte. Keine Frau konnte diese bewundernde männliche Reaktion falsch deuten, auch wenn sie sofort hinter einem nichts sagenden Lächeln versteckt wurde. Allerdings nahm ihr dann der Anblick von Lisa Manning die ganze gute Stimmung. Sie hatte besitzergreifend Daniels Arm genommen. Ihre grauen Augen strahlten ihn an. Mit Schwung warf sie ihr langes goldblondes Haar über die Schultern. Lisa war vollkommen. Mit einem solchen atemberaubenden Geschöpf konnte man sich nicht messen. Christina fühlte sich auf einmal unbedeutend. Als ihr bewusst wurde, dass sie hier nicht privat, sondern dienstlich eingeladen war, gab sie sich innerlich einen Stoß. Es lag doch auf der Hand, dass dieser Abend für sie kein Vergnügen sein würde. Mit Mühe bekam sie ein kühles Lächeln zustande. Sie streckte Lisa Manning ihre Hand entgegen. „Miß Manning, ich freue mich sehr, Sie kennen zu lernen." Was sie wirklich erwartet hatte, wusste sie nicht genau, aber sicherlich war sie nicht darauf gefasst gewesen, Daniel stundenlang am Arm einer anderen Frau zu sehen und ständig dieses schmerzliche Stechen in der Herzgegend zu fühlen. Ohne sich einzugestehen, dass es Eifersucht war, was sie empfand, redete und tanzte sie, lächelte und flirtete sie, bis sie der Erschöpfung nahe war. Die Herren um sie herum waren begeistert. Gegen Mitternacht entschied sie, dass sie genug hatte. Höflich bedankte sie sich bei Lisa für den zauberhaften Abend und für die Einladung. Zu ihrem Missvergnügen erklärte Daniel, dass er sie ins Hotel fahren würde. Sie wäre jetzt wirklich viel lieber allein gewesen. „Mr. Belmont, das ist doch nicht nötig. Ich kann mir ein Taxi nehmen", protestierte Christina, als Daniel sie mit zum Wagen zog. „Unsinn. Es ist nur eine kurze Fahrt, Miß Lacey." 31
Wieder einmal fiel ihr auf, mit welch seltsamer Betonung er ihren Namen aussprach. So, als bereite ihm das ein besonderes Vergnügen. Er bemerkte ihr leises Erschauern und stellte die Heizung an. „Hat Ihnen die Party gefallen?" fragte er freundlich. Christina schluckte. Er hatte ihr die Ehre eines einzigen Tanzes gegeben, und der war so unpersönlich gewesen, dass es ihr alles andere als Spaß gemacht hatte. Als die Musik verstummt war, bedankte er sich förmlich, geleitete sie an den Tisch zurück und beugte sich lachend zu Lisa, um mit ihr sogleich wieder zum Tanzparkett zu entschwinden. Beide saßen mit Christina am selben Tisch, wenn sie nicht Wange an Wange tanzten oder die überlegenen Gastgeber spielten. Christina musste sich räuspern, ehe sie Daniels Frage beantworten konnte. „Die Party war gelungen. Sie hat mir viel Spaß gemacht." „Wie fanden sie Gregory Stafford?" Sie warf ihm einen Blick zu. Sein Gesicht war unbeweglich, das Kinn hatte er vorgeschoben. Gregory Stafford war der gutaussehende Mann um die Vierzig, ein Freund von Lisa, der ihr für den heutigen Abend als Tischherr zugeteilt worden war. Christina hatte ihn recht nett gefunden, wenn auch nicht gerade aufregend. Gregory allerdings schien von ihr sehr angetan. „Meine charmante, wilde Rose" hatte er sie genannt. Sie verzog spöttisch den Mund. Was hatte er sich nur dabei gedacht? „Sehr nett und liebenswürdig." Sie schmunzelte. „Es war sehr aufmerksam von Miß Manning, ihn mir zuzuteilen. Damit hat sie mir einen großen Gefallen getan." „Ach, tatsächlich? Was ich Ihnen noch sagen wollte, Miß Lacey: Verabredungen mit Geschäftspartnern, die Sie während der Dienststunden kennenlernen, kann ich leider nicht gestatten", sagte er betont freundlich. Christina presste die Lippen zusammen. Gregory wohnte in Corpus Christi und hatte sie gefragt, ob er sie gelegentlich anrufen könnte. „Ich dachte, meine Dienststunden enden um fünf Uhr", erwiderte sie trotzig. „Ich bestimme, wann Ihr Dienst zu Ende ist." 32
Die scharfe Antwort nahm ihr jeden Wunsch, sich weiter mit ihm zu unterhalten. Verwirrt und den Tränen gefährlich nahe, richtete sie sich auf und starrte aus dem Fenster. Was hatte ihn nur so gegen sie aufgebracht? Dann standen Christina und Daniel im Hotel vor ihrer Tür, und Daniel streckte seine Hand nach dem Schlüssel aus. Er folgte ihr in das Zimmer. Müde sah sie zu ihm auf. „Mr. Belmont, ich denke, meine Arbeitsstunden sind für heute nun wirklich beendet", sagte sie leise. Er legte seine Hände auf ihre Schultern. „Noch nicht, Miß Lacey, noch nicht." Dann zog er sie an sich. Es ging so schnell, dass sie nicht protestieren konnte. Der kleine Aufschrei erstarb unter seinem Mund, der sich hart auf ihren drückte. Fast gewaltsam öffnete er ihre Lippen, um die Weichheit ihres Mundes zu spüren. Er umschlang ihren Körper, hielt sie gefangen und an sich gepresst. Die Wärme, die er ausstrahlte, machte sie fast schwindlig. Ihre Brüste schmerzten bei dem heftigen Druck seines muskulösen Körpers. Christina fühlte sein Herz ebenso stark schlagen wie ihres. Alle Versuche, sich zu befreien, scheiterten an der Kraft seiner Umarmung. Hilflos lag sie an seiner Brust. Da wurden seine Küsse drängender, denn für ihn war ihre Passivität wie ein Nachgeben. Wie sollte sie sich gegen die heißen Wellen, die in ihr aufstiegen, wehren? Seine Erregung teilte sich ihr mit. Zum ersten Mal in ihrem Leben wurde sie so geküßt. Niemals vorher hatte sie dieses Feuer gespürt, das sie ganz erfüllte und ihr die Knie weich werden ließ. Hätte Daniel sie jetzt losgelassen, sie wäre gefallen. Ihre Hände hoben sich wie von allein und vergruben sich in seinen Haaren. Mit seinen Lippen strich Daniel über ihr Gesicht. Sie wanderten hinunter zu ihrem Hals, über ihre nackte Schulter. Christinas Blut pulsierte, sie warf den Kopf zurück und wölbte ihren Körper ihm entgegen. „Wie Seide", flüsterte Daniel erregt und ließ seine Zunge über ihre Haut gleiten. Dann lockerte er seine Umarmung und umfasste mit einer Hand 33
ihre Hüfte, mit der anderen Hand streichelte er ihren Rücken, so dass ihr ein hingebungsvoller Seufzer entfuhr. Während er sie mit seinen Händen liebkoste, hatte er seinen Kopf in der Beuge ihres Halses vergraben. „Christina", wisperte er atemlos. Er nannte sie beim Vornamen. Es war das erste Mal, seit sie ihn kannte. Voller Verlangen suchte und fand er ihren Mund und nahm ihr den Atem in einem langen sinnlichen Kuß. Ein wildes, ungeduldiges Entzücken erfüllte sie und versetzte sie in einen Taumel, den sie noch nicht recht begriff. Inbrünstig erwiderte sie seinen Kuß und wusste gar nicht, wie sehr sie sich ihm damit auslieferte. Nur ihr Gefühl zählte. Plötzlich ließ Daniel sie los. Sie musste sich an ihn klammern, sonst hätte sie das Gleichgewicht verloren. Mit geweiteten Augen sah sie ihn fragend an. Er nahm ihre Hände und schob sie von sich, ein Glitzern war in seinen Augen. Er lachte leise. „Ihre Unempfänglichkeit scheint ein wenig angeschlagen zu sein, Miß Lacey", spottete er. Geschockt und gedemütigt stand Christina wie versteinert da, als Daniel sich verneigte und aus der Tür ging. Sie musste sich sehr zusammennehmen, um ihm keine Schimpfworte nachzurufen. Nein, er durfte nicht merken, wie betroffen und verwirrt sie war. Nachdem sie die Tür verriegelt hatte, schlüpfte sie vorsichtig aus ihrem Kleid. Sie schminkte sich ab, bürstete ihr Haar und zog ihr Nachthemd an. Erst als sie im Bett lag, fiel die Starre von ihr ab. Das Mondlicht schimmerte durch die Vorhänge. Mit weit offenen Augen lag sie da und verstand immer noch nicht, was geschehen war. Ihm hatten sie nichts bedeutet, während seine feurigen Küsse Christina überwältigt hatten. Noch immer bebte ihr Körper vor unerfülltem Verlangen. Und er? Er war sicher bereits wieder auf dem Weg zu Lisa Manning. Christina presste ihre Hand auf den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Sie würde nicht weinen, nein, ganz bestimmt würde sie nicht weinen. Nicht um Daniel. Trotz all der Aufregung des Vortags schlief Christina tief und lange. Daniel wahrscheinlich auch, dachte sie. Wer weiß, wann er ins 34
Hotel zurückgekommen war? Verärgert, dass sie schon beim Erwachen Daniel wieder im Kopf hatte, schwor sie sich, alle Gedanken an sein Privatleben zu verdrängen. Sie wollte nicht mehr nachdenken, nicht überlegen, nicht nach dem Wie und Warum fragen! Sie lehnte es ab, über jeden Augenblick des vergangenen Abends nachzugrübeln, um die Motive zu erkennen, warum er sie so geküßt und dann einfach stehengelassen hatte. Nach einem erfrischenden Bad zog sie eine gelbe Bluse, eine lange Hose und Sandalen an. Sie kämmte ihr Haar straff nach hinten und setzte sich ans Fenster, um auf Daniels Anruf zu warten. Der Arbeitsplan sah heute keine Besprechung vor, sie nahm also an, dass sie nach Corpus Christi zurückfliegen würden. Christina war zu unruhig, um still zu sitzen, und wanderte im Zimmer auf und ab. Trotz aller guten Vorsätze fragte sie sich: Warum hat er mich gestern so geküßt? Nur um meine Zurückhaltung zu erschüttern, meine Empfänglichkeit ihm gegenüber zu testen? Aber warum hat er sich dann plötzlich zurückgezogen? Warum hat er diese Probe nicht zu Ende geführt? Bei der Erinnerung an ihre leidenschaftliche Reaktion auf ihn schämte sie sich. Es war reiner Selbstbetrug gewesen, anzunehmen, der überwältigende Charme dieses Mannes würde sie nicht berühren. Aber nun, da sie erfahren hatte, wie stark er auf sie wirkte, würde sie in Zukunft auf der Hut sein. Würde es nützen, sich das vorzunehmen? Ahnte er etwa, wie anfällig sie war, und hatte er ihr das nur klarmachen wollen? Christina fuhr zusammen. Es hatte lautstark an die Tür geklopft. Schnell zauberte sie ein Lächeln auf ihr Gesicht und öffnete. „Guten Morgen. Haben Sie schon gefrühstückt?" fragte Daniel. „Nein. Bin gerade aufgestanden." Sie sah ihn fragend an. „Sie sehen müde aus, Mr. Belmont. War es spät gestern Nacht?" sie hatte sich nicht zurückhalten können, das zu bemerken. „Miß Lacey, ich bin in guter Stimmung. Verderben Sie mir die Laune nicht, und kommen sie mit zum Frühstück", forderte er sie auf. 35
Christina ignorierte seine Liebenswürdigkeit. „Wenn ich nicht dauernd aufpassen muss, dass ihre Kaffeetasse gefüllt ist, gern", erwiderte sie spottend. „In dieser gelben Bluse wirken Sie wie der Sonnenschein." Er lachte unbeeindruckt. Die gute Stimmung blieb während des ganzen umfangreichen Frühstücks, das er bestellt hatte. Während er es sich schmecken ließ, beobachtete ihn Christina. Auch als er sich hinter eine Zeitung zurückzog, ließ sie keinen Blick von ihm. Kein Wort hatte er über den vergangenen Abend gesagt. Nun, sie konnte warten. Aber sie wollte dafür sorgen, dass sie darüber diskutierten. „Warum sehen Sie mich so finster an, Miß Lacey?" fragte Daniel und ließ die Zeitung sinken. Christiana legte das Messer, das sie in der Hand gehalten hatte, auf den Tisch. „Mr. Belmont, ich möchte Ihnen etwas sagen, und dazu brauche ich Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Gewisse Spiele zwischen Arbeitgeber und Angestellten hasse ich", sagte sie nachdrücklich, obwohl sie nicht sicher war, ob sie das, was sie meinte, deutlich genug formuliert hatte. „Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer guten Einstellung", nickte Daniel „Möchten Sie ein Stück von der Zeitung?" Etwa eine Stunde später saßen Christina und Daniel im Flugzeug auf dem Weg nach Corpus Christi. Als er sich sofort nach dem Abflug hinter seinen Arbeitsunterlagen versteckte, stieg neuer Ärger in ihr auf. Einerseits war sie erleichtert, dass er sich weigerte, über die Ereignisse der letzten Nacht zu sprechen, andererseits machte es sie rasend, dass er alles überging. „Miß Lacey, langsam habe ich genug von Ihren stechenden Blikken. Ist irgendetwas?" Fragend sah er auf. „Ja, da ist etwas." „Darf ich wissen, was?" „Mr. Belmont, spielen Sie doch nicht den Unwissenden! " „Würde ich fragen, wenn ich es wüsste?" Christina atmete tief. „Ich denke an gestern abend." „Gestern abend? Ach ja, ich verstehe. Ich glaube, Miß Lacey, Sie 36
überbewerten da einiges. Es war doch nur ein Kuß." „Nur ein Kuß?" Er hob die Schultern. „Vielleicht haben Sie eine blühende Phantasie, Miß Lacey. Aber das ist Ihre Sache." Er neigte den Kopf wieder über seine Arbeit. Sollte er Recht haben? Hatte sie wirklich übertrieben? War ihre Phantasie mit ihr durchgegangen? Christina verschränkte ihre Hände. „Sie sind ein ganz gefühlloser Mensch", murmelte sie. „Wirklich? Als gefühllos hat mich eine Frau noch nie bezeichnet", reizte er sie. „Machen Sie sich denn gar nichts daraus, was ich von Ihnen denke? „Nein, nicht unbedingt." Er sah nicht auf. „Oder andere Leute?" Mit einem seiner üblichen resignierten Seufzer legte er seinen Füllhalter aus der Hand. „Miß Lacey …" „Wenn Sie noch einmal in diesem Ton meinen Namen aussprechen, vergesse ich mich", warnte Christina wütend. „Meine Güte", sagte Daniel leise. „Haben Sie doch Verständnis für mich." „Aber ich verstehe nicht, was …" „Was glauben Sie wohl, weshalb ich es so weit gebracht habe? Nicht weil ich mir etwas daraus mache, was andere von mir halten. Nicht durch Freundlichkeit und Rücksichtnahme oder Warmherzigkeit. Jedenfalls nicht in Geschäften ", fügte er schnell hinzu und lächelte sie liebenswürdig an. „Gut, Mr. Belmont, wie sind Sie denn so erfolgreich geworden?" fragte Christina und wünschte, es würde sie nicht so brennend interessieren. „Das ist einfach. Ich habe meinen Verstand gebraucht. Und das achtzehn Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, zweiundfünfzig Wochen im Jahr, zehn Jahre lang. Kurz gesagt, ich habe wie ein Verrückter gearbeitet, um dahin zu kommen, wo ich jetzt bin. Sie werden verstehen, dass ich mich weiter so intensiv mit meiner Arbeit befassen muss, um auch oben zu bleiben." Bei diesem Ausbruch sank Christinas Mut. „Ja, ich weiß, Mr. Bel37
mont. Sie arbeiten hart." „Vielen Dank." Daniel sah ihr verwirrtes Gesicht und seine Stimme wurde weich. „Gestern abend, Miß Lacey, das war nur ein Kuß. Wenn es Ihnen sehr unangenehm war, entschuldige ich mich. Es wird nicht mehr vorkommen. Es sei denn, ich werde auf die eine oder andere Weise herausgefordert." Er neigte den Kopf zur Seite. „Kann ich jetzt weiterarbeiten?" „Ja, natürlich.". Sichtbar betroffen lehnte Christina sich in ihrem Sitz zurück und sah aus dem Fenster. Warum hatte sie die ganze Angelegenheit nicht einfach fallenlassen? Schon jetzt schien es ihr, als habe sie tatsächlich die Situation überbewertet. Eine erfahrene Frau hätte alles mit einem Lächeln abgetan. Sie war wirklich noch ein unreifes Mädchen, sich so darüber aufzuregen. Endlich erwachte ihr Sinn für Humor wieder. Du hast deine Erfahrung gemacht, nimm es hin, sagte sie sich in Gedanken, es wird sicher nicht die letzte sein. Als sie aufsah, trafen sich ihre Blicke. Daniel hatte sie beobachtet. Er schlug die Mappe mit den Arbeitsunterlagen zu und massierte sich mit verzerrtem Gesicht die Schulter. „Steifes Genick?" fragte sie. „Ja", sagte er leise. Im Gesicht der Mutter hatte Christina oft die gleichen Anzeichen von Schmerz gesehen. Ohne lange Überlegung öffnete sie den Sicherheitsgurt und trat hinter seinen Sitz. „Meine Mutter hatte auch oft diese Verspannungen. Manchmal konnte ich ihre Beschwerden erleichtern. Darf ich?" Den überraschten Ausdruck in seinen Augen übersah sie einfach. „Lösen Sie die Krawatte, und öffnen Sie die obersten Knöpfe des Hemdes." „Ja, gnädiges Fräulein." Christina war über ihren Mut selbst erschrocken, wusste aber, daß sie geschickte Hände hatte. Auch das hatte ihr Dave beigebracht, wie vieles andere. Dieser Dave, dachte sie fröhlich, er war doch recht nützlich gewesen. Mit sanften Bewegungen strich sie über seine Schultermuskeln. 38
Gerade fest genug, um die Verspannungen zu lösen, ohne ihm weh zu tun. Über Daniels langen zufriedenen Seufzer freute sie sich. Einem inneren Antrieb folgend, den sie selbst nicht verstand, beugte Christina ihren Kopf und küßte zart sein dichtes Haar. Er spürte es nicht. Das Haar duftete frisch und sauber und war wie Seide unter ihren Lippen. Gleichmäßig setzte sie die Massage fort. Plötzlich wurde sie unsicher. Würde er ihren echten Wunsch, ihm zu helfen, missverstehen? Daniel hob sein Gesicht, lehnte seinen Kopf an ihr rechtes Handgelenk und sah zu ihr auf. „Fühlen Sie sich besser?" fragte sie. „Es ist wunderbar. Noch ein bisschen mehr an dieser Stelle, bitte." Sie legte ihre Daumen in die Mitte seines Nackens. „Neigen Sie jetzt den Kopf", forderte sie ihn auf. „Ziehen Sie sich langsam ein wenig nach vorn, und beugen Sie sich dann kräftig zurück. Dahin, wo Sie den Druck meiner Hände spüren. Ganz langsam." „Gut", seufzte er. „Von wem haben Sie das gelernt?" „Von Dave." „Ach ja, Dave. Wer ist dieser mysteriöse, vieltalentierte Herr eigentlich?" „Gar nicht so mysteriös. Dave ist ein älterer Mann, mit dem ich sehr viel zusammen war. Ein wirklich guter Freund. Während der Krankheit meiner Mutter war Dave immer da, wenn ich einen Menschen brauchte. Er war fürsorglich und so tröstend." „Wie lange war Ihre Mutter krank?" Christinas Finger bewegten sich rhythmisch über seinen Nacken und die Schultern. „Mama war nie sehr kräftig. Sie hatte eine Wirbelsäulenerkrankung, die sehr schmerzhaft war. Aber nur jemand, der sie gut kannte wie ich, wusste, dass sie litt. Sie war sehr tapfer", erzählte Christina nicht ohne Stolz. „Sie sagten, Sie waren erst sechzehn, als Ihre Mutter bettlägerig wurde. Wer hat sie versorgt? Wer hat sich um Sie gekümmert?" „Meine Tante und mein Onkel. Pauline ist Mutters ältere Schwe39
ster. Dann waren da Freunde, Nachbarn, die Kirche, Dave und ich natürlich. Wir kamen zurecht. Lebt Ihre Mutter noch?" „Nein. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich neun Jahre alt war. Danach lebte ich bei meinem Vater. Mutter hat bald wieder geheiratet und ist fortgezogen. Sie und Ihr Mann kamen zwei Jahre später bei einem Flugzeugunglück ums Leben. „Das muss alles schlimm gewesen sein." „Ich kann das gleiche sagen wie Sie: Wir kamen zurecht", erwiderte Daniel leise." Inzwischen ist mein Vater auch schon gestorben." Tief berührt, wurden ihre Finger für wenige Augenblicke zärtlich. Gestern abend hatte sie ihn gehasst, hätte sie ihm am liebsten wehgetan, und nun war ein unerklärliches Gefühl echter Zuneigung entstanden. „Was für ein Mann war ihr Vater?" erkundigte sich Christina weiter. An seinem tiefen Atemzug erkannte Christina, dass er sich entspannte. Auf einmal waren sie sich ganz nahe. Hier oben in den Wolken hatte es den Anschein, als gäbe es nur sie beide. Daniel legte seine Hände übereinander. „Vater war ein sehr ruhiger Mann mit sanfter Stimme. Natürlich hatte er geschäftlich viel zu tun. Aber für mich hatte er trotzdem immer Zeit." Er sah nachdenklich aus dem Fenster, an dem Wolkenfetzen vorüberflogen. „Im Frühling fuhren wir oft nach Kanada. Dort hatten wir eine Hütte an einem wilden, urwüchsigen Gewässer. Um uns war nur Wald. Ein Boot gehörte dazu. Manchmal war der Himmel morgens von tiefstem Blau, und die Luft war so beißend kalt, dass man meinte, die Ohren würden erfrieren." Daniel berichtete beschwingt. Christina hörte interessiert zu. Offenbar waren es seine schönsten und wichtigsten Erinnerungen aus der Jugend. Plötzlich hörte er zu reden auf. Er kreuzte seine Arme über der Brust. „Das ist schon so lange her", meinte er nach einer Weile. „Ich hoffe, die Massage hat Ihnen geholfen", sagte Christina und 40
ließ sich auf ihren Sitz fallen. Prüfend bewegte er seine Schultern. „Ja, sehr sogar. Vielen Dank, Miß Lacey." Die Augenblicke trauter Zweisamkeit waren vorüber. „Sollten Ihre geheimen Talente die deutlich sichtbaren noch übertreffen?" scherzte er und nahm ihre Hand. Er studierte ihre zartgliedrigen Finger, die im Gegensatz zu seiner kräftigen, männlichen Hand sehr zierlich und schmal wirkten. Seine Augenlider senkten sich. „Sehr talentierte Finger", murmelte er vor sich hin. Christina ahnte seine Gedanken und zog sofort ihre Hand zurück. Sie wandte sich zum Fenster. Unter ihnen lag Corpus Christi in der heißen Mittagssonne. Sie war froh, nach Hause zu kommen. Merkwürdig, dachte sie, es ist das erste Mal, dass ich an diese Stadt wie an meine Heimat denke. Im Büro angekommen, setzten sich Daniel und Christina sofort an ihre Schreibtische, um die Berge von Post zu sichten, die inzwischen eingetroffen waren. Sie arbeiteten schweigend. Nur dann und wann gab es eine Frage und eine prompte Antwort. In Zeiten wie diesen fühlte Christina sich eins mit Daniel, weil die stumme Übereinstimmung viel befriedigender war als jede Unterhaltung. Gegen drei Uhr sah Daniel auf die Uhr und dann hinüber zu Christina, die gerade einige schwere Aktenordner in ein Regal stellte. Sie wusste nicht, dass er sie beobachtete, und fuhr sich erschöpft über die Stirn. „Nehmen Sie den Nachmittag frei, ich schaffe es hier schon allein", schlug er vor. „Es war ein langer Tag." Es war schön, in die Wohnung zurückzukommen. Sie war zwar schäbig, aber hier wohnte und lebte sie. Christina ließ sich auf die Couch fallen, streifte die Schuhe ab und blieb ein paar Minuten liegen. Sie fühlte sich total übermüdet. Am Morgen nach ihrer Rückkehr nach Corpus Christi bereitete sich Christina ihr Frühstück, stellte alles auf ein Tablett, holte die Zeitung und krabbelte in ihr Bett zurück. Zufrieden mit sich und der ganzen Welt, sogar mit Daniel, durchblätterte sie die Zeitung und kam zu 41
den Gesellschaftsnachrichten in der Erwartung, ein Bild von Daniel und Lisa zu finden. Fast hätte sie die Kaffeetasse fallen lassen, als sie ihr eigenes Gesicht auf einem Foto erblickte. Nicht Daniel und Lisa, nein, da waren Daniel und Christina abgebildet. In Windchase, Lisa Mannings vornehmem Landsitz. Wann war an diesem Abend das Bild aufgenommen worden? Sie konnte sich daran nicht erinnern. Und warum, fragte sie sich ärgerlich, wurde es an so zentraler Stelle der Gesellschaftsnachrichten veröffentlicht? „Bezaubernde Sekretärin", las sie laut. Bestimmt waren Daniel Belmonts attraktive Sekretärinnen schon öfter in der Zeitung erschienen. Der Bericht klang zweideutig. Sie wurde als besonders begehrenswert hingestellt, und wenn man zwischen den Zeilen las, konnte man vermuten, dass sie mit Daniel ein Verhältnis hatte. Ach was, sie machte wieder einmal viel zuviel daraus. Sie hatte doch gewusst, dass diese Stellung mit Klatsch jeder Art verbunden war, als sie sie annahm. Schließlich hatte ihre Mutter sie gelehrt, dass Vermutungen und das Gerede von Leuten unwichtig waren, wenn man selbst unschuldig und sich seines richtigen Verhaltens sicher war. Es war nicht leicht, so zu denken und sich über die Dinge hinwegzusetzen. Sie war wütend bei dem Gedanken, dass man sie für die Geliebte Daniels hielt, nachdem er schon eine lange Reihe von Eroberungen hinter sich hatte. Ihr Ärger war natürlich deshalb so groß, weil es sich wirklich um eine bösartige Unterstellung handelte. Es war nicht so sehr ihr Stolz, der getroffen war, mehr noch war es ihre weibliche Eitelkeit. Jedenfalls war ihre gute Stimmung dahin. Sie wusste sehr gut, wie schnell ein guter Ruf zerstört war. Möglicherweise traf sie einmal einen Mann, der Wert darauf legte, dass sie ein einwandfreies Vorleben hatte. Was dann? Musste sie eine Entscheidung treffen? Sie konnte bei „Belmont Enterprises" aufhören, bevor das Gerede und die Gerüchte stärker wurden. Sie konnte aber auch ihre Stellung behalten und sich mit allem abfinden. Nicht um alles in der Welt wollte sie Daniel Belmont aufgeben we42
gen möglicher übler Nachreden. Schockiert über diesen Gedanken, sagte sie laut vor sich hin: „Ich meine natürlich meine Stellung bei "Belmont Enterprises'. Das hat nichts mit dem Firmeninhaber zu tun." Und da sie wirklich unschuldig war und die Gerüchte nicht stimmten, entschied sie sich, mit erhobenem Kopf allen möglichen Verdächtigungen entgegenzusehen. Am folgenden Montagmorgen war Christina wieder unsicher und wusste nicht wie sie sich verhalten sollte. Ob es doch besser wäre, zu kündigen? Daniel musste ein paar Tage nach Ägypten fliegen. Sein Flugzeug war schon startbereit, und er hatte wenig Zeit für private Dinge. Christina beobachtete ihn an seinem Schreibtisch. „Miß Lacey, warum fixieren Sie mich schon wieder auf diese besondere Weise?" fragte er, ohne aufzusehen. Hatte er überall seine Augen, oder konnte er Gedanken lesen? „Tut mir leid. Hier sind die Unterlagen für Ihre Reise nach Kairo." erwiderte sie kurz. „In Ordnung. Und was haben Sie sonst auf dem Herzen?" „Dieser Zeitungsartikel ärgert mich." Verdutzt sah er hoch. „Sie wissen doch, das Bild." „Welches Bild?" „Lesen Sie denn die Gesellschaftsnachrichten nicht?" „Niemals. Schon lange nicht mehr." Christina nahm die bewusste Seite aus der Tasche. „Dann tun Sie mir bitte den Gefallen und lesen Sie sie heute." Damit reichte sie ihm den Zeitungsteil. Interessiert schaute Daniel auf das Papier. „Nun?" fragte sie sofort. „Sehr schön. Sie sehen hübsch aus." „Christina hätte sich über diese Anerkennung normalerweise gefreut, aber in diesem Fall war ihr das nicht möglich. „Lesen Sie doch den Artikel", forderte sie ihn auf. So, als ob er einem eigensinnigen Kind einen Gefallen tun wollte, begann er zu lesen. 43
„Der Reporter berichtet, dass wir auf Lisas Party fotografiert wurden. Soll ich vielleicht den Übeltäter verklagen?" „Mr. Belmont, würden Sie bitten Ihren Spott einmal vergessen und versuchen, mit mir darüber sachlich zu reden?" Daniel sah auf seine Armbanduhr. „Ich hoffe, das Gespräch dauert nicht allzu lange. Mein Flugzeug geht nämlich in . . ." „Ich weiß, wann Ihr Flugzeug startet. Ich möchte …" Enttäuscht strich sie sich über die Stirn. Wie dumm von ihr, auf sein Verständnis zu hoffen. Was bedeutete ihm schon ihr guter Ruf? „Ach vergessen Sie es. Tut mir leid, dass ich überhaupt etwas gesagt habe." Sie richtete sich auf, nahm eine Mappe mit Unterlagen und wandte sich von ihm ab. Plötzlich stand er vor ihr, hob ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. „Miß Lacey, setzen Sie sich bitte", sagte er freundlich. „Es wird wohl wirklich Zeit, dass wir beide uns einmal unterhalten." Christina sank in den Stuhl vor Daniels Schreibtisch, während er sich auf die Schreibtischkante setzte. Wie immer, wenn ihn etwas sehr beschäftigte, fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. Die Ungeduld in seiner Stimme wurde durch seinen freundlichen Blick gemildert. „Wir haben nicht viel Zeit, jedenfalls nicht genug, um sie an Kleinigkeiten zu verschwenden. Ich denke, Sie nehmen alles zu ernst, Miß Lacey. Es ist doch nur ein Bild von Daniel Belmont und seiner Sekretärin." „Seiner bezaubernden Sekretärin", korrigierte sie ihn. „Nun gut, darauf kommt es nicht an. Dieser Bericht ist übertrieben wie alles, was Schreiberlinge von Klatschspalten zu Papier bringen", gab er zu. „Bei einem Job wie Ihrem darf man nicht überempfindlich sein. Sie mussten wissen, dass es Gerüchte geben würde. Ich hatte Ihnen gesagt, dass die Zeitungsleute ein ständiges Interesse an meinem Privatleben haben. Ihr Geschreibsel habe ich zu ignorieren gelernt, und das müssen Sie auch. Vermutungen und Unterstellungen muss man großzügig übersehen, das ist die einzige Möglichkeit, seine Missachtung auszudrücken." 44
„Darüber bin ich mir schon im Klaren, aber diese besondere Art von Verleumdung ist übel. Ihrem Ruf kommt man damit vielleicht entgegen, aber bei mir ist das anders. Man sagt mir ja förmlich nach, dass ich Ihre Geliebte bin. Dabei hatte ich überhaupt nicht das Vergnügen", erklärte Christina hitzig. Als sie sich der unglücklichen Formulierung Ihrer Worte bewusst wurde, erschrak sie so sehr, dass ihr Herz wie rasend zu klopfen begann. Das übermütige Aufblitzen in seinen Augen machte es noch schlimmer. Er lachte kurz auf. „Ist es das, was Sie so böse macht?" fragte er neckend. „Wie unhöflich, arrogant, wie rücksichtslos von mir, Ihnen dieses Vergnügen zu verwehren. Unglücklicherweise steht diese Reise bevor." Er hob bedauernd beide Hände. Dabei ließ er seine Blicke abschätzend über sie gleiten. „Sobald ich zurück bin …" „Schweigen Sie. Ich hätte wissen müssen, dass Sie so reagieren", rief sie enttäuscht. „Miß Lacey, jetzt hören Sie mal zu." Aller Spott war aus seinem Gesicht verschwunden. Er rutschte von der Schreibtischkante, stellte sich vor sie und zog sie zu sich hoch. „Es wird schlimmer werden und keinesfalls besser, denn wenn es einmal begonnen hat, hört es nicht mehr auf. Sie sind in die Öffentlichkeit gerückt, und nun wird man Ihnen weiter nachstellen. Mit dieser Tatsache werden Sie sich abfinden müssen. Am besten fangen Sie sofort damit an. Was andere denken, bedeutet nichts. Erinnern Sie sich stets daran, Miß Lacey. Trauen Sie nur Ihren eigenen Empfindungen. Alles andere ist belanglos", sagte er fest, als spräche er auch zu sich selbst. „So etwas Ähnliches hat auch meine Mutter einmal geäußert", gestand Christina. Daniel berührte mit seinen Lippen ihre Nasenspitze. „Ihre Mutter war eine kluge Frau. Können wir jetzt wieder an die Arbeit gehen?" Christina atmete tief. „Ja, ich glaube, Sie haben Recht. Ich werde mich bemühen, in Zukunft den Klatsch nicht zu beachten." „Übrigens, Sie können ein paar Tage freinehmen. Während ich verreist bin, brauchen Sie nicht hier zu sein. Mrs. Coyle schafft den 45
Bürobetrieb schon allein. Wo ist denn dieser Bericht aus Kairo? Und das Protokoll von der Londoner Sitzung? Ich kann die Unterlagen nirgends finden", sagte er unwillig und warf die Papiere auf seinem Schreibtisch durcheinander. Christina hätte ihn am liebsten in ihre Arme genommen und ihn an sich gedrückt, einfach aus lauter Freude. „Hier sind die Sachen, Mr. Belmont", sagte sie schnell, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken. „Danke. Ist das Treffen in Kairo bestätigt worden? He, wer hat das denn geschrieben? Gleich zwei Tippfehler im ersten Absatz! Habe ich denn nicht eine einzige zuverlässige Schreibkraft in diesem Haus? Und Sie, haben Sie nicht einmal daran gedacht, den Bericht durchzusehen und zu korrigieren, Miß Lacey?" sagte er ernst, aber doch freundlich. Christina war viel zu glücklich, um betroffen zu sein. Sie beeilte sich, die Fehler zu verbessern. Dann fuhr sie ihn zum Flugplatz. Bis zur letzten Minute sprachen Sie noch über die Firma und Planungen für die nächste Zukunft. Sie schüttelte amüsiert den Kopf über seine Aktivität. „Ist etwas?" fragte Daniel und hob die Brauen. „Nein nichts. Viel Erfolg in Ägypten, Mr. Belmont." „Das hoffe ich." Er sah auf die Uhr. „Trotz aller Schwierigkeiten haben wir es noch gut geschafft. Bekomme ich einen Abschiedskuß, Miß Lacey?" „Ganz bestimmt nicht. Das gehört nicht zu meinen Pflichten", wehrte sie sich. Daniel schmunzelte. „Ich könnte es zur Pflicht machen." Damit nahm er ihr Gesicht in seine Hände und küßte sie. Christina saß steif da. „He, Sie brauchen mal ein bisschen Übung", lachte er. „Auf Wiedersehen, Miß Lacey. Fahren Sie vorsichtig zurück." „Auf Wiedersehen. Ich hoffe, ein Kamel tritt Ihnen auf den Fuß, Mr. Belmont", rief sie ihm nach. Sein herzliches Lachen blieb ihr noch einige Tage im Ohr. Sie hatte sich nicht vorgestellt, wie sehr sie ihn vermissen würde. Es ist wie 46
Winter, dachte sie, alles grau, trübe und ohne jeden Sonnenstrahl.
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4.
KAPITEL
Nach Daniels Abreise verbrachte Christina einige Abende mit Gregory Stafford, aber seine Gesellschaft trug wenig dazu bei, ihre Stimmung zu heben. Die Tage vergingen ohne Höhepunkte, ohne Aufregungen und wurden ihr sehr lang. Eigentlich wartete sie jede Minute nur auf Daniel. Montagmittag kam sie von der Pause zurück und sah Daniel Belmont hinter seinem Schreibtisch sitzen. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, während er sie betrachtete. Er prüfte immer ihr Aussehen. Sie konnte ihre Freude nicht zurückhalten. „Guten Tag, Mr. Belmont", rief sie. „Ich freue mich, dass Sie wieder da sind." „Guten Tag, Miß Lacey." Das war es, dachte sie glücklich. Vier Tage lang hatte niemand ihren Namen in dieser Weise ausgesprochen. Daniel legte die Stirn in Falten. „Was ist? Wollen wir uns weiter anlächeln, oder können wir endlich arbeiten?" fragte er säuerlich. „Arbeiten natürlich." Daniel stand auf, zog sein Jackett aus, lockerte die Krawatte und schob sich die Ärmel hoch. Christina reichte ihm die vorsortierte Post mit einigen Privatbriefen obenauf. Die persönlichen Briefe, darunter einen von Lisa Manning, legte er desinteressiert auf die Seite. Schon bald waren sie intensiv bei der Sache. Wir sind ein gutes Team, dachte Christina stolz. Die Nachmittagsstunden vergingen wie im Flug. Es war schon nach sechs Uhr, als Daniel eine Pause einlegte, um Drinks zu mixen. Christina lehnte sich im Stuhl zurück und bewegte ihre verkrampften Finger. Dass ihre normale Arbeitszeit schon lange überschritten war, störte sie nicht. Hier fühlte sie sich wohl. Daniel sah sie über den Rand seines Glases an. „Sie haben Gregory Stafford einige Male getroffen, nicht wahr?" fragte er beiläufig. Als Christina nicht sofort antwortete, verzog er seine Mundwinkel. „Ich nehme die Frage zurück, wenn ich Unrecht habe." „Nein, nein. Es stimmt. Ich sehe ihn oft", gab sie zu. 48
„Niemand anders?" „Nein." „Warum nicht?" Von seinem scharfen Ton verblüfft, stammelte sie: „Warum sollte ich? Gregorys Gesellschaft ist. . . ausreichend." Beinahe ungläubig sah er sie an, dann lachte er. „Ausreichend! Also, wenn mich eine Frau als ausreichend bezeichnen würde …" Er brach ab, schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck aus seinem Glas. Ihre Blicke trafen sich. Einen spannungsgeladenen Augenblick lang waren sie nicht Chef und Angestellte, sondern Mann und Frau. Seine Nähe ließ ihren Puls schneller schlagen. Christina hatte eine unbändige Sehnsucht, ihn zu küssen. Wieder wurde ihr erschreckend bewusst, welche magische Anziehungskraft er auf sie hatte, wie mühelos er sie in seinen Bann ziehen konnte. Aber sie war gewarnt. Sie musste vorsichtig sein. Christina zwang sich, die Augen niederzuschlagen. Sein kurzes, triumphierendes Lachen wurde von ihr nicht beachtet, stattdessen schlug sie einen Ordner auf. „Ich denke, wir sollten weitermachen. Ich habe nicht vor, die ganze Nacht zu arbeiten", erklärte sie betont. „Die gewissenhafte Miß Lacey ", sagte Daniel leise mit hintergründigem Lächeln. Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. „Also geben Sie mir zuerst die Kostenaufstellung für das Bauprojekt." Damit waren sie wieder in die Arbeit vertieft. Die Tage vergingen. Alles lief gut. Einen Monat lang gab es keine Zwischenfälle. Christina fühlte sich sicher, persönlich und beruflich. Sie hatte sich bestens eingearbeitet und führte auch ein recht abwechslungsreiches Privatleben. Die Zukunft schien freundlich und rosig zu sein. In guter Stimmung durchquerte sie eines Morgens das Vorzimmer, wo sie Mrs. Coyle und die beiden Schreibdamen über eine Zeitung gebeugt fand. Christina wunderte sich zwar über die seltsamen Blikke, grüßte aber freundlich und ging in Richtung Chefbüro. 49
„Er ist noch nicht da", sagte Mrs. Coyle. „Haben Sie das gesehen?" fragte sie und wies auf die Zeitung. Nicht wieder ein Bild! hoffte Christina inständig. „Nein, ich habe heute Morgen verschlafen und konnte die Zeitung nicht mehr lesen. Was ist es denn?" Sie ging zu ihren Kolleginnen hinüber. Über eine Schulter hinweg las sie: „Die schöne Lisa Manning überraschte ihre Verehrer mit der Nachricht, dass sie in Kürze Daniel Belmont, einen der bekanntesten und begehrtesten Junggesellen von Corpus Christi heiraten wird. Auf die Frage, wann das sein werde, erklärte Miß Manning, ein Datum sei noch nicht festgelegt. Freunde des Paares glauben, dass die Hochzeit das gesellschaftliche Ereignis des Jahres werden wird. Dem kann sich der Reporter nur anschließen." Christina hatte das Gefühl, als bekäme sie einen Stoß in die Magengrube. Für kurze Zeit war sie wie gelähmt. Erschüttert über ihre Reaktion, und weil sie wusste, dass man sie beobachtete, versuchte sie, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen. „Das ist wirklich keine Überraschung. Sie wissen doch auch seit Monaten, dass sie … o guten Morgen, Mr. Belmont", unterbrach sie sich. Das Blut schoss ihr ins Gesicht, als Daniel in die Tür trat. „Guten Morgen, meine Damen", rief er mit kurzem Lächeln. „Miß Lacey, darf ich bitten?" Christina folgte ihm durch die Tür und schloss sie hinter sich. „Würden Sie bitte die Vorhänge zuziehen? Die Sonne ist entsetzlich grell heute Morgen", klagte er leise. „Haben Sie einen Kater, Mr. Belmont?" „Fordern Sie mich nicht heraus, Miß Lacey", warnte er sie. „Entschuldigung." Christina schloss die Vorhänge. Mit einem säuerlichen Blick auf Christina setzt sich Daniel hinter seinen Schreibtisch und vertiefte sich in die Post. Sie nahm ihm gegenüber Platz, kreuzte die Beine und ließ einen Fuß baumeln. „Sie wollen mir doch etwas sagen, nicht wahr?" fragte er. „Nein. Wie kommen Sie darauf? Sie haben mich doch zum Mitkommen aufgefordert. Aber bei dieser Gelegenheit kann ich meinen 50
Glückwunsch aussprechen." „Glückwunsch?" wiederholte er verblüfft. Ungerührt fuhr sie fort. „Zur kommenden Hochzeit mit Miß Manning." Daniel zuckte zusammen, dann lächelte er hintergründig. „Darüber scheinen Sie nicht allzu glücklich zu sein, Miß Lacey." „Ich? Unsinn. Mir scheint eher, Sie sind nicht besonders glücklich." „Mein Glück steht hier nicht zur Debatte." Sein Ton klang abweisend. „Ich verstehe nicht, weshalb Sie mir gleich den Kopf abreißen wollen, wenn ich Ihnen Glück wünsche." „Wenn man mir Glück wünschen soll, schicke ich eine Anzeige. Außerdem hatte ich Sie gewarnt, nichts auf Klatsch in der Zeitung zu geben." „Ja, das haben Sie. Aber eine solche Nachricht kann man wohl kaum als Gerücht abtun." „Miß Manning kann viel sagen. Es muss nicht unbedingt auch meine Ansicht sein", knurrte Daniel. Christina fand seine Reaktion sonderbar. Aber was bedeutete es schon, ob der Pressebericht nun stimmte oder nicht? Schließlich ging sie sein Privatleben nichts an. Sie zuckte mit den Schultern. „Was ist denn, Miß Lacey? Sind Sie beleidigt, dass ich Sie nicht als Trophäe in meine Sammlung eingereiht habe, bevor ich, sagen wir, aus dem Verkehr gezogen werde?" spottete er. „Also bitte, das ist doch zu albern", rief sie ungestüm. „Albern?" „Ja, albern. Ihr Erfolg ist Ihnen zu Kopf gestiegen, Mr. Belmont. Nicht jede Frau findet Sie unwiderstehlich." Christina war missmutig. Dass er sie doch immer wieder in diese unsinnigen Diskussionen hineinzog! Warum hatte sie sich schon wieder zu einem so lächerlichen Ausbruch hinreißen lassen? „Tatsächlich?" fragte Daniel überrascht. „Ja, tatsächlich. Ich zum Beispiel finde Sie jedenfalls ebenso anziehend wie jemanden, der an einer ansteckenden Krankheit leidet." 51
„Was Sie nicht sagen", erwiderte er gefährlich sanft und stand auf. Entsetzt über das, was sie gesagt hatte, trat Christina schnell einen Schritt zurück. Sie hatte es gewusst. Er war heute noch weniger als sonst in der Stimmung, Widerspruch zu ertragen. Warum hatte sie ihn nur herausgefordert? „Entschuldigen Sie, ich hole die Unterlagen", sagte sie unsicher. „Die Unterlagen können warten, Miß Lacey." Christina wandte sich um. Als er sie an sich zog, schrie sie leise auf. Er vergrub seine Hände in ihrem Haar und presste seinen Mund auf ihren. Sie stemmte ihre Fäuste gegen seine Schultern, um sich zu befreien. Es gelang ihr nicht. Seinen linken Arm hatte er fest um ihre Schultern gelegt, während die rechte Hand in zärtlichen Bewegungen über ihre Rücken strich. Noch näher zog er sie an sich heran. Sein Kuß wurde leidenschaftlicher, seine Hand kühner, bis die Wärme, die in ihnen beiden aufstieg, zur lodernden Flamme wurde. Christina wollte protestieren, als sie seine Hände an intimen Stellen spürte, aber sie verging vor Entzücken, an seiner Brust zu liegen, und so ließ sie ihn gewähren. Wieder küßte er sie eindringlich, als er ihre nachgebende Schwäche spürte. Ihr Körper hob sich ihm entgegen. Es war ihr bewusst, dass jede seiner Liebkosungen ein vorsätzlicher und wohlüberlegter Angriff auf ihre aufgewühlten Sinne war, aber das war ihr egal. Nichts zählte, als das Entzücken, das sein fordernder Mund in ihr auslöste. Nichts war wichtiger als die Freude, seine Hände überall an ihrem Körper zu spüren. Sie umschmeichelten ihre Hüften, umfassten sie heftig. Der dünne Stoff ihres Kleides war so gut wie keine Barriere zwischen ihrer Haut und seinen verführerischen Fingern. Christina erschauerte. Es war, als würde ein elektrischer Strom von seinem Körper auf ihren übergehen und wieder zu ihm zurück. Ihre Pulsschläge schienen sich ins Unermessliche zu steigern. Es war, als verschmolzen sie ineinander. Sie drängte sich noch enger an ihn. Wie Feuer brannten seine Hände durch den Kleiderstoff. Und wie ein Schock kam ihr die Erkenntnis, dass sie ihn begehrte, dass sie ihn ganz und gar fühlen wollte, 52
seine nackte Haut auf ihrer. Sein Mund hob sich von ihren Lippen, gerade so viel, dass er flüstern konnte: „Denken Sie an die ansteckende Krankheit, Miß Lacey." Sie hörte den Spott in seiner Stimme und konnte ihre Finger doch nicht aus seinem dichten Haarschopf lösen. Sehnsüchtig wartete sie auf einen nächsten Kuß, aber Daniel befreite sich langsam aus ihren Armen und betrachtete sie mit arroganter Befriedigung. Zuerst drehte sich alles um Christina. Sie suchte an der Schreibtischkante Halt. Soll er seinen Sieg haben, dachte sie. Die Tatsache, daß er sie ebenso wild begehrt hatte wie sie ihn, blieb. Der Unterschied war nur, dass sie ihr ganzes Gefühl eingesetzt hatte, während er sie wie ein Mann geküßt hatte, der nur verführen wollte. Das tat weh, aber es gab ihr ihre Haltung wieder. Zum Hohn trat bei ihm auch noch Vergnügen. Sie sah es deutlich in seinen Augen. Nach einigen tiefen Atemzügen kam sie wieder zu sich. Sie presste ihre Fingernägel in die Handflächen. O nein, er würde sie nicht in Tränen ausbrechen sehen. Da fiel ihr der Ausweg ein. Ihre Augen funkelten. „Triumphieren Sie nicht so, Mr. Belmont", sagte sie dunkel, „es ist doch ganz natürlich, dass eine Frau so auf einen attraktiven Mann reagiert. Ich gebe zu, Sie sind sehr anziehend. Aber das gilt auch für den hübschen Empfangschef in der zehnten Etage. Bei ihm wäre die Reaktion die gleiche gewesen, vielleicht sogar noch stärker. Er sieht wirklich fabelhaft aus, und er ist noch sündhaft jung." Christina ahnte nicht, was sie angerichtet hatte. Jedenfalls wurde seine Haltung bedrohlich. Aus Angst wich sie ein paar Schritte zurück, denn er kam langsam auf sie zu. Sein Lächeln war kalt. Hatte sie ihn mehr herausgefordert, als sie beabsichtigt hatte? „Eine bemerkenswerte Theorie, Miß Lacey. Ich kann Ihnen das nur nicht abnehmen", spottete er. Sie sah seine grünen Augen aufleuchten und versuchte zu fliehen. Aber es war zu spät. Sie wehrte sich und wollte ihn abschütteln, er hingegen hielt sie eisern fest, drehte sie zu sich herum und küßte sie wieder. Was konnte sie tun gegen diese Leidenschaftlichkeit, gegen einen 53
so verzehrenden Kuß? Daniel gelang es, ihre Lippen zu öffnen und mit seiner Zunge in ihren Mund einzudringen. Ihre Reaktion auf ihn war vielleicht instinktiv, aber deshalb nicht weniger temperamentvoll. Weder hatte sie die Kraft, gegen ihn noch gegen ihre eigenen Empfindungen anzukämpfen. Sie überließ sich der drängenden Sehnsucht ihres Körpers, die sie weich und geschmeidig in seinen Armen machte. Sie spürte, dass ihre Hingabe nicht ohne Wirkung auf ihn blieb. Mit einem verhaltenen Stöhnen presste er sie noch einmal an sich, dann straffte er sich ein wenig und ließ sie los. Außer ein paar tiefen Atemzügen merkte man ihm nicht an, dass er gerade eine Frau mit bedrängender Leidenschaft geküßt hatte. Das Telefon klingelte. Daniel hob ab und gab Mrs. Coyle perfekte und sachliche Anweisungen, als wäre nichts geschehen. Christina war wie angewurzelt stehen geblieben. Sie glaubte, zu keiner Bewegung fähig zu sein. Daniel legte den Hörer auf und sah sie mit jenem ungeduldigen Blick an, den Christina schon kannte. Anscheinend wunderte er sich über ihr stummes Verhalten. „Sie . . Sie haben versprochen, dass so etwas nicht mehr geschehen würde", flüsterte sie. „Es gab dabei einen Zusatz: nur wenn ich nicht herausgefordert werde, Miß Lacey. Und Sie haben mich herausgefordert. Holen Sie mir bitte jetzt die Hamilton-Unterlagen", forderte er sie auf. „Die Akte liegt im Archiv … im zehnten Stock", setzte er hinzu und betonte die letzten Worte. Christina senkte den Kopf, ihre Augen waren feucht geworden. Diese Küsse, die sie fast an den Rand ihrer Beherrschung gebracht hatten, waren für ihn nur ein weiterer Sieg seiner Männlichkeit gewesen. Sie hatte es gewagt, seinen Erfolg bei Frauen in Frage zu stellen, und er hatte nur wenige Minuten gebraucht, um die Zweifel vollständig zu zerstreuen. „Mr. Belmont, holen Sie sich die Unterlagen selbst. Ich kündige", sagte sie tonlos. „Unsinn. Beeilen Sie sich. Ich erwarte Mr. Hamiltons Anruf jeden 54
Augenblick und brauche die Akte." „Bitten Sie Mrs. Coyle. Sie ist Ihre Sekretärin." Christina verließ Daniels Büro und durchquerte das Vorzimmer, ohne nach rechts oder links zu sehen. Entfernt hörte sie ihren Namen. Sie achtete nicht darauf. Christina war im Fahrstuhl, saß in ihrem Auto, hielt vor ihrem Wohnhaus und konnte sich nicht erinnern, wie sie hierher gekommen war. Christina hatte bei „Belmont Enterprises" gekündigt. Der Gedanke kam ihr wie ein Schock und ließ ihr Herz bis zum Hals klopfen. Klugheit ist wohl wirklich nicht meine starke Seite, überlegte sie und stieg die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf. Aber sie konnte sich diese entwürdigende Behandlung nicht länger gefallen lassen. Alles, was sie zuletzt ertragen hatte, ging ihr durch den Kopf: Daniels ironische Bemerkungen, seine Grausamkeit, seine herrschsüchtige Art, seine Überheblichkeit. Tun Sie das, Miß Lacey, tun Sie jenes, Miß Lacey! Miß Lacey, meinen Kaffee! Wie hatte sie es mit diesem Unmenschen nur ausgehalten? Jetzt war endgültig Schluss. Sie war frei. Die Erfahrung mit Daniel Belmont lag hinter ihr. Gerade, als sie die Tür aufschloss, klingelte das Telefon. Sie ahnte, wer es war, und ihre Stimme klang eiskalt. „Christina Lacey", meldete sie sich. „Christina Lacey wird in zehn Minuten wieder im Büro sein", rief Daniel wütend. „Sie haben ein schlechtes Gedächtnis, Mr. Belmont. Ich habe gekündigt, erinnern Sie sich?" Sie warf den Hörer auf die Gabel. Der Mann war aufdringlich. In diesem Moment fuhr er sich sicher mit der Hand durchs Haar und schimpfte. Auch sie verwünschte ihn. Ein paar Schimpfwörter kamen ihr in den Sinn, aber sie war es nicht gewöhnt, so etwas auszusprechen. Was für eine verfahrene Sache, dachte sie, ich brauche Kartons zum Packen. Aber wohin wollte sie, wenn sie gepackt hatte? Christina stand am Fenster und sah hinunter auf die Straße. Als das 55
Telefon erneut läutete, fiel sie fast über einen Stuhl, um es schnell zu erreichen. Gregory Staffords Stimme zu hören, war eine Enttäuschung, dennoch nahm sie seine Einladung zum Abendessen an. Warum eigentlich nicht? Sie konnte auch morgen noch packen. Der Nachmittag war sonnig und warm. Christina beschloss, zum Strand zu fahren. Wieder war sie in Gedanken weit weg und merkte kaum, dass sie bereits am Ziel angekommen war. Schnell zog sie sich um und wanderte am Wasser entlang. Sie war so verbittert, dass sie die Schönheit der Landschaft gar nicht wahrnahm. Tiefe Traurigkeit kämpfte mit der Befriedigung, Daniel Belmont einen Schock versetzt zu haben. Wie sehr sie das auch freute, das dumpfe Gefühl in ihrem Herzen war wie ein körperlicher Schmerz. Warum hatte er sie immer wieder so leidenschaftlich geküßt? Weil er einer plötzlichen Begierde nicht widerstehen konnte? Wenn das so war, wie hatte sie dann so voller Sehnsucht auf einen Mann reagieren können, der sie nur als willkommene Abwechslung ansah? Sie fand keine Antwort auf diese Frage. Ihre Empfindungen waren völlig durcheinander, und ein nagendes Schuldgefühl breitete sich immer mehr aus. Sie hätte seine Küsse nicht herbeisehnen dürfen, sich nicht immer wieder zärtliche Augenblicke gefallen lassen sollen. Von Anfang an hätte sie das alles abwehren müssen. Aber es war nun einmal geschehen. Christina setzte sich an den Hang einer Düne, ließ den feinen Sand durch die Finger rieseln und sah im Geist Daniels Gesicht vor sich. Sie hatte immer ein starkes Gefühl für Zärtlichkeit bei ihm vermutet, aber inzwischen zweifelte sie. Konnte er wirklich herzlich sein? Oder schämte er sich nur, seine Zuneigung zu zeigen? Da kam ihr ein verblüffender Gedanke. War er vielleicht einmal von einer Frau betrogen und so verletzt worden, dass sich sein Herz verhärtet hatte aus Angst, es könnte ihm noch einmal passieren? Der Nachmittag verging mit nutzlosem Grübeln und brachte keine Lösung. So lief Christina zu ihrem Wagen zurück und fuhr nach 56
Hause, um sich zum Abendessen umzuziehen. Gregory hatte ein erstklassiges französisches Restaurant ausgewählt. Hier saß man gemütlich in mildem Licht, und das Essen war vorzüglich. Und dennoch hatte sich Christina noch nie so gelangweilt. Gregory war ein farbloser Mann mit sandfarbenem Haar und einem gepflegten Bart. Möglicherweise war er gar nicht so harmlos, wie er wirkte. Obwohl seine Fragen nach ihrer Arbeit immer mit freundlicher Anteilnahme gestellt waren, hatte Christina doch schon bemerkt, dass er gewisse Informationen sammelte. Ganz besonders interessierte er sich für das Verhältnis, das sie zu Daniel Belmont hatte. Christina war vorsichtig mit ihren Äußerungen, weil sie Klatsch befürchtete. Sie erzählte ihm nur wenig von ihrer Tätigkeit und vermied es, Daniel zu kritisieren. Einen Augenblick überlegte sie, ob sie Gregory von ihrer Kündigung berichten sollte, verwarf den Gedanken aber wieder. Sie hätte zu viel erklären und gestehen müssen. So nahe standen sie sich auch wieder nicht. Allerdings konnte sie die Stadt nicht ohne eine Erklärung verlassen. Was sollte sie sagen? „Ich bitte um Entschuldigung." Eine sehr bekannte männliche Stimme riss Christina aus ihren Überlegungen. Sie sah auf und blickte in funkelnde grüne Augen. Hastig zog sie ihre Hand aus der Gregorys und wusste gar nicht mehr, wie sie da hingekommen war. „Guten Abend, Gregory", sagte Daniel verhalten, bevor er sich wieder an Christina wandte. „Miß Lacey, Sie haben mit Erfolg meinen gesamten Arbeitsplan durcheinander gebracht. Sie haben mir den Tag verdorben und mir ein Rendezvous verpatzt, weil ich Sie suchen musste. Ich denke, das genügt." Mißtrauisch sah er auf Christinas Hand, die sich wieder wie hilfesuchend in die Gregorys gelegt hatte. „Ich sehe Sie morgen früh Punkt neun Uhr im Büro. Ist das klar? Ist das klar, Miß Lacey?" Es schien unmöglich, aber Christina hörte sich sagen: „Ja, Mr. Belmont." 57
„Sehr gut. Gregory, bitte entschuldigen Sie die Störung. Guten Abend, Miß Lacey." Er verneigte sich leicht und verließ das Lokal. „Was sollte das denn bedeuten?" fragte Gregory fassungslos. Christinas Augen folgten der hohen Gestalt, bis sie durch die Tür verschwand. „Ach Gregory, es ist nicht zu fassen", rief sie plötzlich erleichtert. Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und begann zu lachen. „Ist das gerade erst gekommen?" fragte Daniel irritiert. „Nein, es kam schon am Dienstag", antwortete Christina sachlich. „Warum habe ich es noch nicht gesehen?" „Weil Sie in London waren", erklärte sie geduldig. „Ich habe angerufen und gab der Bauleitung Ihren Kommentar über die Besprechung durch. Ein Mr. Jakes rief zurück. Er sagte, die Ausstattung könnte eingeschränkt werden, um im Kostenrahmen zu bleiben. Dann habe ich mir die neuen Zahlen durchsagen lassen und sie in den Voranschlag eingefügt." „Und wo ist der Voranschlag?" sagte Daniel mürrisch und blätterte den Berg von Papier auf seinem Schreibtisch durch. Um ihm zu helfen, ging Christina hinter den Schreibtisch, lehnte sich über seine Schulter und durchsuchte einen zweiten Stoß Papiere, bis sie das Schriftstück fand. Daniel war wenig umgänglich, seit sie wieder in die Firma zurückgekommen war. In stummer Übereinstimmung hatten sie nicht mehr über den Vorfall von ihrer Kündigung gesprochen. Aber er hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt. Manchmal gingen warme Wellen durch ihren Körper, wenn sie daran dachte. Unangenehm war ihr die Erinnerung nicht. Auch nach zwei Wochen war der Eispanzer, den er um sich gelegt hatte, noch nicht geschmolzen. Christina bemühte sich, eine zuverlässige, unpersönliche Assistentin zu sein. Hitzige Bemerkungen schluckte sie hinunter, ein Lächeln verbarg sie hinter der Hand. Sie widersprach ihm nicht und versuchte, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Manchmal hätte sie sich am liebsten das Band heruntergerissen, mit dem sie ihr Haar gebändigt hatte, um es wild um den Kopf zu schütteln, so wütend war sie innerlich über ihn. Ihre Geduld war allmählich stark strapaziert. Sie war nahe daran, bei der geringsten Kleinig58
keit zu explodieren. „Hier, das ist die Summe der Einsparungen". Sie zeigte mit ihrem rosa lackierten Fingernagel auf eine Zahl. "Und hier sehen Sie den Betrag der Gesamtkosten." Bei den Erklärungen berührte ihre Hüfte ungewollt seinen Arm. Die Berührung machte sie nervös. Vorsichtig versuchte sie, ihm auszuweichen. Aber der Kontakt blieb, so als wäre sein Arm dicker geworden. Ihre Stimme wurde unsicher. Durchdringend sah er sie an. "In Ordnung. Bringen sie den Kostenvoranschlag in unsere Datenverarbeitung, damit er in den Computer eingegeben wird", ordnete er an. „Gern, Mr. Belmont." Manchmal kam sie sich wie ein Lehrmädchen vor. Daniel hatte anscheinend Freude daran, sie im Haus herumzuschicken, statt eine der Schreibkräfte damit zu beauftragen. Ach was, dachte sie dann und zwang sich zur Gelassenheit, sein männlicher Stolz verlangt nach Genugtuung. Er will mich strafen, deshalb kehrt er den Vorgesetzten hervor. Als sie das Papier nehmen wollte, hielt er sie fest. „Sie können es auch Diana geben. Sie soll es weiterleiten." Der Hauch eines Lächelns war auf seinem Gesicht erschienen. Ein Mann im Widerspruch mit sich selbst, überlegte Christina, als sie den Kostenvoranschlag auf den Schreibtisch der Stenotypistin legte. Sollte er seine Zurückhaltung infolge ihrer seit zwei Wochen ständig gleichbleibenden Freundlichkeit doch langsam aufgeben? Vor dem Garderobenspiegel richtete sich Christina schnell die Bluse und fuhr sich über das Haar, ehe sie ins Chefbüro zurückging. Er sah sie auch zum ersten mal wieder prüfend an, als sie vor dem Schreibtisch stehen blieb, um auf seine weiteren Anordnungen und auf seine nächsten bissigen Bemerkungen zu warten. Ihr Gesicht verriet nichts. Um keinen Preis würde sie ihn noch einmal herausfordern. Er fixierte sie immer noch. Schließlich wurde sie doch etwas unsicher. Sie griff sich an den obersten Knopf der hellen Bluse, den sie aus Bequemlichkeit offen gelassen hatte. War irgendetwas nicht in Ordnung? Heute dauerte die Musterung besonders lange. „Miß Lacey ", begann er endlich. „Sie haben mir gesagt, dass Ihre 59
Eltern in der Nähe von Harlingen beerdigt sind." „Ja, das stimmt." Überraschung lag in ihrem Ton über die völlig unerwartete Frage. „Ich schicke das Flugzeug heute nach Brownsville, um Kunden abzuholen. Wenn Sie wollen, kann der Pilot etwas eher fliegen. Harlington ist ganz in der Nähe von Brownsville. Jetzt ist es elf. Wenn Sie in einer halben Stunde fliegen, hätten Sie genügend Zeit, um dort ein paar Stunden zu bleiben. Um vier Uhr fliegen sie dann planmäßig zurück." Würde er nie aufhören, Sie aus der Fassung zu bringen? Christina war so glücklich, daß sie nicht sachlich reagieren konnte. „O wie schön, Mr. Belmont. Das ist eine große Überraschung für mich." Dann nahm sie sich wieder zusammen. „Aber das bedeutet einen ganzen verlorenen Tag. Wir haben so viel zu tun. Wie können Sie . . . ich meine, können wir uns das leisten?" „Einen Tag kann ich gerade ohne Sie auskommen, Miß Lacey. Ich musste schließlich sehr oft allein arbeiten, bevor Sie in die Firma kamen." Zuckerbrot und Peitsche, dachte sie und versuchte, ihr Temperament zu zügeln. „Ja, natürlich." Christina verschränkte ihre Hände hinter dem Rücken, während Daniel mit dem Piloten telefonierte. Ihre unbändige Freude zurückzuhalten, kostete sie einige Mühe. Seit der Beerdigung ihrer Mutter war sie nicht mehr auf dem Friedhof gewesen. Diese plötzliche Großzügigkeit ihres Chefs war verwirrend. Er war wirklich ein Mann, der einen ganz schön durcheinander bringen konnte. „Es ist alles arrangiert. Rodney meint, wenn Sie gleich zum Flugplatz kommen, ist er bereit zu starten. Denken Sie daran, Rückflug ist Punkt vier Uhr. Ob Sie an Bord sind oder nicht", endete er schroff. „Vielen Dank, Mr. Belmont " „Bitte. Gern geschehen." Daniel stand so abrupt auf, dass Christina einen Schritt zurückwich. Er verzog seinen Mund. „Keine Angst, Miß Lacey. Ich werde Sie nicht überfallen", spottete er. Sie brachte kein Wort hervor und sah ihn nur verlegen an. Plötzlich 60
wurde ihr klar, dass ihre äußere kühle Zurückhaltung in den letzten zwei Wochen bei ihm gar nicht gewirkt hatte. Im Gegenteil, sie hatte ihn in seiner Eitelkeit noch bestärkt. Sein Gesicht blieb verschlossen trotz der Andeutung eines Lächelns. Er ging zu einem der Schränke, der eine Bar enthielt, und nahm ein Kristallglas heraus. Erstaunt bemerkte Christina, dass er sich einen Cognac eingoss und einen großen Schluck trank. Als er sich zu ihr umwandte, sah sie zwar schnell zum Fenster, aber es war ihr unmöglich, ruhig zu bleiben. Sollte er eine neue Angewohnheit angenommen haben? „Cognac vor dem Mittagessen?" fragte sie leise und fast vorwurfsvoll. Daniel senkte die Augenlieder. „Heute ist mein Geburtstag, Miß Lacey. Prost", antwortete er düster. „Das wusste ich nicht. Wie alt werden Sie, Mr. Belmont?" erkundigte sie sich. Natürlich wusste sie sein Alter, aber irgendetwas musste sie sagen, und etwas Besseres fiel ihr im Moment nicht ein. „Vierunddreißig, Miß Lacey. Ein betagter Vierunddreißiger." Christina betrachtete ihn. Sein Haar war wieder völlig durcheinander, als ob es vom Wind zerzaust worden wäre. Der bewusst kühle Ausdruck seines Gesichts stimmte nicht mehr. Ganz plötzlich sah er wie ein sehr verwundbarer Mensch aus, der sich nach Zärtlichkeit sehnt. „So alt ist das nun auch wieder nicht", tröstete sie ihn. „Herzlichen Glückwunsch." Ohne nachzudenken, ging sie die paar Schritte zu ihm, legte ihre Hände auf seine Schultern, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen leichten Kuß. „Hallo, Miß Lacey. Das ist ja geradezu eine Sensation, dass Sie mich küssen. Aber war das der glühendste Kuß, den Sie zu bieten haben?" setzte er leise hinzu und bemerkte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. „Natürlich nicht, aber zu einem anderen bin ich nicht bereit." „Ich werde mir Mühe geben, das zu glauben." Sie ging sofort in die Falle, legte ihre Hände um sein Gesicht und 61
versuchte, seinen Mund zu erreichen. Er blieb hoch aufgerichtet stehen, so dass sie nur bis zu seinem Kinn kam. Christina erwartete, dass er seine Arme um sie legte, aber er blieb weiterhin unbeteiligt stehen. Gereizt durch seine Gleichgültigkeit, trat sie so dicht an ihn heran, dass sie ihn mit dem Oberkörper berührte. Ihre Hände fuhren durch sein Haar, sanft umfasste sie die Rundung seines Hinterkopfes. Es ging nicht mehr nur um einen Gratulationskuß. Als er seinen Kopf neigte, strich sie spielerisch mit ihren Lippen über seinen Mund. Die Berührung löste eine solch heftige Sehnsucht in ihr aus, dass alle Fesseln zersprangen, die sie sich selbst angelegt hatte. Daniel atmete tief ein, nahm sie in seine Arme und vollendete den Kuß. Christina wusste nicht, was ihr mehr zu Kopf stieg, der Triumph oder die leidenschaftliche Liebkosung. Viel zu schnell hob Daniel seinen Kopf wieder. Sie sah zu ihm auf. Ihre veilchenblauen Augen waren halb hinter den dunklen Wimpern verborgen. Um ihren Mund lag ein wissendes Lächeln. Da zog er sie noch einmal mit aller Kraft an sich und küßte sie wild. Seine Sinnlichkeit übertrug sich auf sie und ließ ihr Blut schneller pulsieren. Voller Entzücken legte Christina ihre Hände auf seine Hüften, stellte sich auf die Zehenspitzen und erwiderte den Kuß mit einer unbeschreiblichen Inbrunst. Als er sie losließ, lächelte er verschmitzt. „Ich danke Ihnen, Miß Lacey, das war sehr schön. Sie machen sich ganz gut. Jetzt aber schnell, der Pilot wartet." Sie schämte sich innerlich über ihn unkontrolliertes Verhalten, blieb aber äußerlich ganz gelassen. „Vielen Dank, Mr. Belmont, ein solches Kompliment von Ihnen bedeutet eine Menge. Ich hoffe, der Rest des Geburtstags wird ebenso erfreulich für Sie." „Da bin ich ganz sicher. Sie haben doch Miß Manning die Blumen geschickt, wie ich es angeordnet hatte?" Christina zog gerade ihren weißen Blazer an. Warum stellte er gerade jetzt diese Frage? „Natürlich. Habe ich jemals eine Anordnung von Ihnen nicht be62
folgt? Auf Wiedersehen, Mr. Belmont." „Guten Flug, Miß Lacey. Ich sehe Sie dann morgen." „Daran brauchen Sie mich nicht zu erinnern", sagte sie leise und stürmte zur Tür. „Miß Lacey." Sie blieb stehen und blickte über die Schulter zurück. „Ja, bitte?" „Vielen Dank für dieses schöne Geburtstagsgeschenk." Eine Sekunde war sie verdutzt, dann wusste sie, dass er den Kuß meinte. Sie drehte sich ganz zu ihm um und sah ihm in die Augen. Aller Spott war verschwunden. „Ich habe es gern getan", sagte sie weich. Daniel lächelte und ging langsam zu seinem Schreibtisch. „Miß Lacey?" Wieder hielt seine Stimme sie fest. Ihr Herz schlug schneller. „Vierunddreißig Jahre alt zu werden, ist gar nicht so schlimm", sagte er nachdenklich. Um ihre Ergriffenheit nicht zu zeigen, gab sie sich burschikos: „Von hier sehen Sie auch gar nicht so vorgealtert aus. Sie haben sich bemerkenswert gut gehalten für einen Mann in diesen Jahren." Daniel senkte schnell den Kopf, suchte in den Papieren und reichte ihr dann eine Mappe mit Papieren. „Bitte geben Sie das Diana, wenn Sie hinausgehen. Ich brauche den Bericht in dreifacher Ausfertigung und, wenn möglich, ohne Fehler. Ach, und sagen Sie Rodney Bescheid, wenn Sie vielleicht eine Stunde länger bleiben wollen …" Er hob die Schultern. „Danke. Vielen Dank. Wo sind eigentlich Ihre Eltern begraben?" fragte Christina. „Vater hier, Mutter in Kalifornien." Er lachte kurz. „Ziemlich umständlich. Aber jetzt müssen Sie gehen. Bis morgen dann." „Ja. Bis morgen." Sie lächelten beide, weil diese Worte Gemeinsamkeit bedeuteten. Christina verließ das Büro. Wie schön dieser Tag für sie geworden war! Als die Stadt unter ihr in Wolken verschwand, schüttelte sie noch 63
einmal ungläubig den Kopf über den Mann, der ihr diesen Tag zum Geschenk gemacht hatte. Würde sie Daniel Belmont jemals richtig kennen lernen? Sie musste schmunzeln. Kannte Daniel Belmont sich selber richtig?
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5.
KAPITEL
Es fiel Christina nicht leicht, sich an die unglaubliche Hitze des texanischen Sommers zu gewöhnen. „In Ohio ist es in den Monaten Juli und August auch sehr heiß, aber ich hatte nie das Gefühl, in einer Sauna zu sein", erzählte sie Mrs. Coyle. „Nun, wir haben herrliche Herbsttage, angenehme Winter, und auch der Frühling ist schön. Was bedeuten da drei Monate Hitze", erklärte Mrs. Coyle begütigend. Im September blieb es noch heiß, aber im Oktober wurde das Wetter wunderbar. Der Herbst in Texas war tatsächlich wie vergoldet. Christina erfreute sich an der landschaftlichen Schönheit. Das einzige, was ihr fehlte, war ein Mensch, mit dem sie ihre Freude teilen konnte. Erst heute morgen hatte sie Daniel auf den köstlich frischen Duft der Herbstluft aufmerksam gemacht. Und was hatte sie als Antwort bekommen? Ein unwilliges Knurren und einen säuerlichen Blick. Christina warf den Bademantel ab und tauchte in das kühle Wasser des Swimmingpools. Sie schwamm schnell viermal von einer Seite des Beckens zur anderen, dann legte sie sich auf den Rücken und ließ sich treiben. Sie hatte den Pool ganz für sich allein. Wie schnell man sich doch an Luxus gewöhnen konnte! Bevor sie nach Texas gekommen war, hatte sie noch nie in einem großen Hotel gewohnt. Sie war nie in einem kleinen Flugzeug geflogen und hatte auch das Vergnügen nicht kennen gelernt, in einem Lokal eine Speise zu bestellen, ohne vorher nach dem Preis zu sehen. Was für ein trauriges, vereinsamtes und unerfahrenes Kind ich war, bevor Daniel Belmont in meinen Wagen fuhr, dachte sie erheitert. Nicht nur unwissend, auch streitsüchtig, gestand sie sich ein, wenn sie an den Abend dachte, an dem Daniel sie eingestellt hatte. Sie war schnell erwachsen geworden, war gelassen und sicher im Auftreten. Jedenfalls wirkte sie so nach außen. Wie es in ihrem Innern aussah, darüber wollte sie lieber nicht nachdenken. 65
Christina stieg aus dem Schwimmbecken, schlang ein Badetuch um sich und warf ihr langes Haar nach hinten. Mit den Händen strich sie es glatt. Sie fühlte sich wunderbar erfrischt und gestärkt genug, um dem festlichen Essen heute Abend gefasst entgegenzusehen. Den Bademantel legte sie sich um die Schultern und ging über den gepflegten Rasen zu den Umkleidekabinen. Die Stadt, in der sie sich gerade befanden, war so hübsch wie aus einem Bilderbuch. Es war ihre dritte Reise nach San Antonio. Als Christina ihre Zimmertür öffnete, blieb sie überrascht auf der Schwelle stehen. Auf dem Tisch stand ein herrlicher Strauß Orchideen. Hoffentlich sind sie nicht von Gregory, dachte sie, und ihre Freude verging ein bißchen. In letzter Zeit hatte er sich so benommen, als gehörte sie ihm. Für sie war Gregory nur ein angenehmer Gesellschafter auf Zeit, nicht mehr. Aber diese Blumen waren wunderschön. Christina berührte eine Blüte. Sie sah aus wie ein leuchtender exotischer Schmetterling. Da entdeckte sie die Karte. Schreck durchfuhr sie. Wie gut sie diese energische Handschrift kannte. Sie las laut, und die Freude kehrte zurück. „Meine besten Wünsche für diesen Tag und die weitere gemeinsame Zusammenarbeit, Miß Lacey. Die vergangenen sechs Monate waren sehr interessant. Daniel Belmont." Christina ließ Bademantel und Handtuch fallen und machte einen Freudensprung. Sechs Monate, überlegte sie, lief ins Badezimmer und ließ Wasser in die Wanne laufen. Sechs Monate mit den aufregendsten Tagen, die sie je erlebt hatte! Sie liebte ihre Arbeit. Natürlich hatte es Zeiten gegeben, in denen sie vor Wut geschäumt hatte, aber insgesamt führte sie ein Leben mit den köstlichsten Abwechslungen. Sie hatte mit interessanten Leuten zu tun, sah viel von der Welt und lernte, sich mit einem Chef auseinanderzusetzen, bei dem man nie weiß, was ihm in der nächsten Sekunde einfällt. Nie wieder würde sie in einem normalen Betrieb arbeiten können. Christina stieg in das duftende Badewasser und ließ ihre Gedanken weiterwandern. Zugegeben, diesen luxuriösen Lebensstil genoss sie 66
mit Freuden, aber in erster Linie war es doch der Mann, der für sie den Ausschlag gab. Das machte alles so wunderbar. Ihre ständig unter Spannung stehende Verbindung hatte sich nur wenig verändert. Er war noch derselbe spöttische, überhebliche Mann, der sie mit der geringsten Berührung in einen Rausch der Leidenschaft versetzen konnte und andererseits mit seiner ironischen Art zu Wut und Tränen reizte. Aber niemand anders hatte ihr vorher so zum Bewusstsein gebracht, dass sie eine Frau war. Durch ihn war sie auch zu einer wertvollen Mitarbeiterin von „Belmont Enterprises" geworden. Sie hatte Daniel, der ihre Fähigkeiten erkannt und entwickelt hatte, viel zu verdanken. Das Bewusstsein, gebraucht zu werden und gut zu sein, gab ihr Sicherheit. So war sie in der Lage, auch die gereizten Stimmungen Daniels zu ertragen. Schließlich hatte sie auch die Empfindlichkeit gegenüber Zeitungsberichten über die „bezaubernde Sekretärin" überwunden. Wenn sie mit Daniel in der Öffentlichkeit auftrat, war seine Haltung einwandfrei. Er benahm sich stets korrekt und wenn Skandalreporter aus seiner charmanten Liebenswürdigkeit ihre Schlüsse zogen, so war das nicht seine Schuld. Er beschützte sie, soweit er konnte, vor Verleumdungen, und sie wusste das zu schätzen. Trotz der Ankündigung einer bevorstehenden Verlobung hatte Miß Manning den begehrtesten Junggesellen der Stadt noch nicht für sich gewinnen können. Christina hatte sehr schnell erkannt, dass nichts und niemand Daniel Belmont zwingen konnte, etwas zu tun, was er nicht wollte. Sie konnte nicht anders, als für jede Frau Mitleid zu empfinden, die sich vergeblich darum bemühte, Daniels Frau zu werden. Noch immer traf sich Daniel mit Lisa, aber Christina brauchte nun keine Blumen mehr an sie zu schicken. Und wenn sie an Daniels Blick dachte, wenn Lisas Telefonanruf während der Bürostunden seine intensive Arbeit unterbrach, hatte sie das Gefühl, er hielt sie für lästig. Zum Glück nahm Christina auch Zeitungsfotos nicht ernst, auf denen Daniel mit anderen Frauen zu sehen war. Manchmal hatten sich zwei oder drei gleichzeitig an ihn gehängt. In der Mehrzahl waren sie 67
nicht gefährlich. Nur seine Einstellung Frauen gegenüber enttäuschte Christina. Er meinte, Frauen seien für ihn da, sich mit ihnen zu amüsieren, sie wie Trophäen zu sammeln und sie fallen zu lassen, wenn sie ihm langweilig geworden waren. Plötzlich fror sie. Das Badewasser war kalt geworden, und sie hatte mit ihren Träumereien kostbare Zeit vertrödelt. Schnell duschte sie noch einmal heiß, frottierte sich gründlich und trat vor ihren Frisiertisch. Über das Privatleben ihres Chefs wusste sie wenig, aber sie kannte seine Vorliebe für auffallende Farben. Besonders Rot in den verschiedensten Schattierungen liebte er. Das Modellkleid, das sie aus dem Karton nahm, war ein orangeroter Traum aus Seidentaft. Das Oberteil wurde durch zwei schmale Goldbänder gehalten, die im Nacken zu verknoten waren. Der Rücken war bis zur Taille frei. Glücklich betrachtete sie ihre erfreuliche Erscheinung. Heute Abend würde sie Daniel vielleicht einmal für sich allein haben. Wie sie wusste, sollte es bei dem Festessen keine geschäftlichen Gespräche geben. Dass er dennoch ihre Anwesenheit wünschte, hatte er ihr mit kurzen Worten erklärt: „Heute haben Sie nur eine gesellschaftliche Aufgabe, Miß Lacey, keinen Dienst. Sie sollen sich unterhalten." Ihre freudige Überraschung hatte sie zu verbergen versucht und ihn auch nicht weiter gefragt. Er konnte seltsam reagieren, wenn sie zu viel wissen wollte. Das Telefon läutete. Christina beeilte sich, den Hörer abzunehmen. Es konnte ja nur Daniel sein. Gregorys Stimme verwirrte sie etwas. Er berichtete, dass er an dem Essen teilnehmen würde und sich freute, sie dort zu sehen. Christina antwortete einsilbig, während Gregory redete und redete. Sie war in Gedanken völlig abwesend. In der vergangenen Woche hatte Gregory sie gefragt, ob sie ihn heiraten wollte. Sie hatte ihn zunächst hingehalten, aber er kam immer wieder darauf zurück und forderte eindringlich eine Antwort. Ihren Einwand, dass sie ihn nicht liebe, wollte er nicht anerkennen. Gregory meinte, er habe genug Liebe für sie beide. Als sie Gregorys Antrag gelegentlich Daniel gegenüber erwähnte, 68
hatte er in seiner üblichen spöttischen Art geantwortet: „Er ist eine ganz gute Partie. Wenn Sie wollen, ziehe ich Erkundigungen über sein Bankkonto ein, damit Sie wissen, womit Sie rechnen können." Als ob es ihr auf Geld angekommen wäre! Wütend wollte sie ihm antworten, aber sie sah an seinem Gesicht, dass es nicht zu empfehlen war. So nahm sie sich zusammen und sagte nichts. Im Grunde interessierte ihn das ja gar nicht. Er war nicht einmal eifersüchtig. Sofort nach Beendigung des Gesprächs mit Gregory läutete das Telefon wieder. Diesmal war es Daniel. „Miß Lacey, kommen Sie bitte gleich mal herüber." Damit legte er auf. Wenn er in diesem Ton sprach, erwartete er, dass sie sofort kam. Es war nicht geraten, ihn warten zu lassen. Seufzend ging Christina zur Seitentür und klopfte. Dass sie diese Verbindungstür niemals abschloss, war ein Zeichen des Vertrauens gegenüber dem Mann, der Wand an Wand mit ihr schlief. Nach seinem kurzen „Herein!" trat sie ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Wie schon so oft fühlte sie sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Er stand mit dem Rücken zu ihr am Fenster und hatte ein Schriftstück in der Hand. Abendhose, Hemd und Schuhe hatte er schon an, trug aber einen Morgenmantel darüber. Sein Haar war noch feucht vom Duschen. Christina roch den herben Duft seines Toilettenwassers. Er drehte sich um. „Miß Lacey, haben Sie …" Christina hatte das Gefühl, als schwebe sie zwischen Zeit und Raum, während er sie mit verzehrenden Blicken von oben bis unten ansah. Für Sekunden hatte er seine sonst so reservierte Haltung verloren. Unverhüllte Bewunderung sprach aus seinen Augen. „Miß Lacey, Sie sind wunderschön", sagte er mit angehaltenem Atem. Die seltsame Intensität seiner Musterung, die Erregung, die seine anerkennenden Worte in ihr auslösten, ließen sie zunächst wie erstarrt stehen bleiben. Er hatte sein Hemd noch nicht ganz zugeknöpft, so dass sie die schwarzen, lockigen Haare auf seiner Brust sah. Ihr Herz hämmerte. Stolz hob sie den Kopf. Ihr Haar war noch nicht fertig frisiert. Die schwere, seidige Masse umspielte ihre nackten 69
Schultern. „Kommen Sie zu mir." Daniels Stimme klang etwas heiser. Christina ging wie im Dämmerzustand auf ihn zu. Bei jedem Schritt knisterte das Taftkleid. „Drehen Sie sich langsam um", forderte er leise. Graziös hob sie die Arme über den Kopf und drehte sich mit schwingendem Rock um sich selbst, bis sie wieder so stand, dass sie ihm in die Augen sehen konnte. Würde er sie küssen? Sie sehnte sich so sehr danach. Es war lange her, dass sie seine Arme um sich gespürt hatte. In stummer Bewunderung ging Daniel um sie herum. Christina blieb unbeweglich stehen. In diesem orangeroten Kleid war sie eine einzige Verführung, ohne dass sie sich dessen bewusst war. Dann fühlte sie die leichte Berührung seiner Lippen auf ihrer Schulter. Sie brannten wie Feuer auf ihrer Haut. „Was für ein wundervolles Parfüm!" Er drehte Christina zu sich herum und betrachtete sie noch einmal. „Gratuliere. Prüfung bestanden", sagte er in seiner üblichen sachlichen Art, aber seine Augen drückten etwas ganz anderes aus. „Ich bin entzückt", antwortete sie trocken. „Und danke für die außergewöhnlichen Orchideen. Sie sind herrlich." „Keinen Dank, bitte. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß sich solche kleinen Aufmerksamkeiten reichlich lohnen. Bei Frauen wie bei Angestellten." „Da mögen Sie recht haben. Die Blumen sind so prachtvoll, da habe ich gedacht . . . warum mussten Sie alles verderben?" fragte Christina leise. „Ich hatte mich so gefreut." „Ich wollte nichts verderben, Miß Lacey." Seine unbedachte Äußerung tat ihm offensichtlich leid. „Ich habe sie speziell für Sie ausgesucht. Für gewöhnlich schenke ich meinen Mitarbeiterinnen keine Orchideen. Auch keiner anderen Frau." Hoffnungsvoll sah sie zu ihm auf. Da umschlang er sie plötzlich, zog sie an sich, und ihre Lippen fanden sich zu einem atemberaubenden Kuß. Christinas Hände glitten in den Ausschnitt seines Hemdes, strichen 70
zart über die weichen Haare seiner Brust bis nach oben und umfassten seine Schultern. Daniels Lippen wurden fordernder. Voller Leidenschaft presste er sie an sich. „Christina. Christina", flüsterte er an ihren Lippen, während seine Hände liebkosend über ihren nackten Rücken wanderten und sich dann um ihre Hüften legten. Nur vage nahm sie diese intime Berührung wahr. Sie befand sich in einem Taumel der Gefühle und umklammerte seine Schultern, hielt sich an ihnen fest. Das Glück, in seinen Armen zu liegen, seinen harten Körper dicht an ihrem zu spüren und mit solcher Inbrunst geküßt zu werden, raubten ihr fast den Verstand. Sie beugte ihren Kopf nach hinten, als Daniel ihr eine Reihe von zärtlichen kleinen Küssen auf den Hals bis hinunter zum Ansatz ihrer Brüste gab. Sie revanchierte sich mit Küssen in die Beuge seines Halses bis hinauf zu seinem Ohr. Spielerisch biss sie sanft in sein Ohrläppchen. Er zuckte zusammen und zog sie noch heftiger an sich. Die Glut der Leidenschaft war erneut entfacht und wuchs weiter, bis sie sich atemlos voneinander lösten, aber nur, um Luft zu holen. Christina konnte und wollte das warnende Signal in ihrem Innern nicht beachten. In diesen Augenblicken äußerst erregter Sinnlichkeit war sie sich nur dieses Gefühls bewusst. Daß dieser Mann sie begehrte, sie allein in diesem Augenblick, war ein überwältigendes Glück für sie. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, umfasste sein Gesicht mit den Händen und zog seinen Kopf zu sich herunter. Ihr Kuß war hungrig und wild. „Liebling, mein Liebling", flüsterte Daniel voller Verlangen. Die Worte klangen wie Musik in ihren Ohren, und sie küßte ihn wieder. Unerwartet und fast etwas grob schob er sie dann von sich, hielt sie noch einen Moment an den Schultern fest, dann ließ er sie los. Christina seufzte enttäuscht und sah ihn mit großen Augen an. Er konnte ihren Blick nicht ertragen und wandte sich zum Fenster um, so als müsse er gegen sich selbst ankämpfen. Eine Hand verkrampfte sich über dem Fensterriegel. Christina hatte sich Halt suchend an einen Tisch gelehnt. 71
Wieso hatte er das getan? Warum hatte er sie von sich geschoben? Er musste doch gespürt haben, wie bereit sie gewesen war, ihm zu gehören. Scham stieg in ihr auf. Mit inbrünstiger Leidenschaft hatte sie auf seine Zärtlichkeiten reagiert, wieder einmal. Als Daniel endlich sprach, sah sie wieder das altbekannte, spöttische Lächeln um seinen Mund. „Miß Lacey, Sie haben sich selbst übertroffen und können einen Mann ganz schön in Glut bringen, das muss ich zugeben." Dabei ließ er eine Strähne ihres seidigen Haares langsam durch seine Finger gleiten. „Haben Sie geübt? Mit Gregory vielleicht?" Das war ein verletzender Angriff. Hastig schob sie seine Hand fort und ging zur Tür. „Warum laufen Sie weg, Miß Lacey?" reizte er sie weiter. Sie drehte sich um. „Sie sind mit Abstand der bösartigste Mensch, den ich je getroffen habe", rief sie aufgebracht. „In zwanzig Minuten hole ich Sie ab, Miß Lacey. Bitte, seien Sie fertig", erwiderte er ungerührt. Unfähig zu sprechen, schlug Christina die Tür hinter sich zu. Seine Orchideen schimmerten rosafarben in der Dämmerung ihres Zimmers. Es lockte sie, die Vase mit den Blumen gegen die Wand zu schleudern, aber dann brachte sie das doch nicht zustande. Wütend umrundete sie ein paar Mal den Tisch, dann zwang sie sich zur Ruhe. „Sei vernünftig", sagte sie laut zu ihrem Spiegelbild." Er hat dich geküßt. Was bedeutet das schon? Und du warst es, die ihn dazu angeregt hat, erinnerst du dich?" Ihr Stolz überwand die Scham und die verletzten Gefühle. Als genau zwanzig Minuten später Daniels festes Klopfen ertönte, ging sie gefasst zur Tür und öffnete. „Ich hoffe, Sie sind bereit, Miß Lacey." Diese offizielle Anrede klang seltsam nach dem, was gerade geschehen war. Aber er machte ihr in diesem Moment eben wieder einmal klar, dass er ihr Chef war. „Wie Sie sehen", erwiderte sie freundlich, als wäre nichts geschehen. Daniel lächelte und strich ihr sanft über das Haar. „Sie sehen bezaubernd aus, Miß Lacey." Da begann ihr Herz wieder höher 72
zu schlagen. Warum hat Daniel so viel Macht über mich? überlegte Christina, als er sie zum Fahrstuhl des Hotels führte. Wie konnte er mit einer einzigen Geste oder einem einzigen sanften Wort dieses Begehren in ihr auslösen? Wie war es möglich, dass sie sich so sehnsüchtig wünschte, sein Gesicht in die Hände zu nehmen und ihn liebevoll zu küssen? Dabei hätte sie ihn in diesem Augenblick schlagen können. Erschrocken über die Kraft ihrer Gefühle sagte sie drohend: „Mr. Belmont…" „Bleiben Sie ganz ruhig. Da hinten sind schon wieder Fotografen", warnte er leise. Dann nahm er besitzergreifend ihren Arm und betrat mit ihr den Lift. Was war es nur? dachte sie weiter. Selbst in Augenblicken der Wut musste sie gegen ihr Gefühl ankämpfen, das sie für diesen Mann empfand. In dem mitternachtsblauen Smoking und dem weißen gefältelten Hemd mit brillantbesetzten Manschettenknöpfen sah er wieder unwahrscheinlich gut aus. Sie blickte so finster vor sich hin, dass er den Kopf zurückwarf und lachte. „O Miß Lacey, was würde ich ohne Ihre Temperamentsausbrüche anfangen, die mein langweiliges Leben so farbig machen", neckte er sie. In seinen Augen schienen Funken zu tanzen. Am liebsten hätte Christina mitgelacht. Zu ihrer Enttäuschung wurde sie bei dem Festessen neben Gregory Stafford gesetzt. Daniel begrüßte ihn, nickte Christina freundlich zu und ging quer durch den Saal. Wenige Minuten später kam er in Begleitung einer brünetten Schönheit mit gelbbraunen Augen zurück. Nachdem die Dame Christina und Gregory vorgestellt worden war, wandte sie sich ganz Daniel zu. Christina starrte auf Daniels breiten Rücken und ballte die Fäuste, als sie ihn über etwas, das die Frau mit dunkler Stimme gesagt hatte, lachen hörte. Von einer Tischdame hatte er ihr nichts erzählt. Im Gegenteil, er hatte sie in dem Glauben gelassen, dass sie diesen Abend mehr oder weniger allein verbringen würden. Plötzlich drehte sich Daniel um, beugte sich zu ihr hinunter und sagte dicht an ihrem Ohr: „Miß Lacey, ich fühle einen Dolch in mei73
nem Rücken." Wenn ich nur einen hätte, stöhnte sie innerlich. „Ruhig, ganz ruhig. Denken Sie daran, dass wir beobachtet werden", flüsterte er mit hämischem Lächeln. Schnell sah sie sich um. Daniel hatte recht. Schon wieder wimmelte es von Reportern. Sie versuchte, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen. „Schon gut, Mr. Belmont", flüsterte sie mit knirschenden Zähnen. „Und keine Wutanfälle in der Öffentlichkeit, wenn ich bitten darf. Kümmern Sie sich um Gregory. Er sieht beklagenswert vernachlässigt aus", schlug er sanft vor. Nur mit großer Mühe hielt sie sich zurück. Dass Daniel sie heute abend Gregory in die Hände gegeben hatte, würde sie ihm nie verzeihen. Immer wieder brachte er es fertig, ihr Blut in Wallung zu bringen. Daniel beobachtete mit Interesse Christinas Mienenspiel. „Amüsieren Sie sich gut, Miß Lacey", murmelte er, wandte sich um und begrüßte einen neuen Gast. Obwohl Gregory alles tat, um sie zu unterhalten, langweilte sie sich tödlich. Sobald es nur möglich war, entschuldigte sie sich bei ihrem Tischherrn. Sie brauchte frische Luft. Aber Gregory ließ sich nicht so leicht abschütteln. Er folgte ihr in den Garten. Christina und Gregory spazierten über den mondbeschienenen Rasen. Er ging ein wenig unsicher, weil er zu schnell zu viel getrunken hatte, und redete ununterbrochen auf sie ein. Die kühle Brise war angenehm. Christina blieb einen Moment stehen und hob ihr Gesicht dem Wind entgegen. Da riss Gregory sie in seine Arme und küßte sie mit feuchten Lippen. Wie in einer Reflexbewegung hob sie die Hand und versetzte ihm eine Ohrfeige. Dann befreite sie sich aus seiner Umklammerung und rannte erschrocken und beschämt zum Hotel zurück. Als sie um die Ecke bog, stieß sie unsanft mit Daniel zusammen. Er hielt sie fest, sah ihr entsetztes Gesicht. „Was ist passiert, Christina?" Er nahm ihren Arm. Sie holte tief Luft. „Nichts. Gar nichts", stammelte Christina. „Ich . 74
. . ich habe nur frische Luft gebraucht. Jetzt möchte ich in mein Zimmer gehen." Da entdeckte Daniel Gregory in einiger Entfernung. Noch einmal sah er in ihr aufgewühltes Gesicht, dann ließ er sie los. „Natürlich, ich verstehe. Gehen Sie, und schlafen Sie gut, Miß Lacey." Eine Spur von Verachtung lag in seiner Stimme. Christina hob den Kopf. Ihre großen Augen blickten ungläubig. „Gute Nacht", sagte sie kurz. Sie lief an Daniel vorbei in die Hotelhalle und weiter zum Fahrstuhl. Ihr Ärger verging allmählich, aber zurück blieb ein stechender Schmerz. In ihrem Zimmer angekommen, begann Christina zu zittern. Sie kreuzte die Arme über der Brust und lehnte sich an die Wand. Da klopfte es. Ihr Herz pochte bis zum Hals. Als sie öffnete, stand Gregory in der Tür. „Was willst du von mir?" fragte sie beherrscht. „Du glaubst wohl, ich bin ein Narr, Christina. Ein leichtgläubiger Idiot, der dir all deine Märchen glaubt", schrie er sie an. „Gregory, was soll das? Ich verstehe dich nicht." Er kam in ihr Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. „Du verstehst mich sehr gut", wütete er weiter. „Daniel Belmonts Geliebte." „Das ist doch Unsinn, Gregory", antwortete Christina sachlich. „Du irrst dich." „Du hinterhältige Lügnerin." Er fasste sie an den Schultern und schüttelte sie. Christinas erschrockener Aufschrei wurde durch seinen harten Kuß erstickt. Angeekelt versuchte sie, sich aus Gregorys Griff zu befreien. Mit halbem Ohr hörte sie, wie Daniel nebenan sein Zimmer betrat. Es war unmöglich, um Hilfe zu rufen. Wie würde er das wohl aufnehmen? Er musste diese peinliche Szene völlig falsch verstehen. Gregorys Umarmung wurde drängender. Er tat ihr weh. Trotz aller Bemühungen entrang sich ihr ein protestierender Laut. Da klopfte es scharf an ihre Tür. „Miß Lacey? Ist alles in Ordnung?" Daniel klopfte noch einmal. Gregory war viel zu beschäftigt, um den besorgten Ton in Daniels 75
Stimme zu erkennen. Erst als die Tür aufgerissen wurde und Daniel ins Zimmer stürmte, hob er den Kopf von Christinas Gesicht. Gregory ließ Christina nicht los. Es herrschte eine spannungsgeladene Stille. Christina war wie erstarrt. Sie konnte sich nicht bewegen und sah von einem zum anderen. Plötzlich wurde sie sich der Situation bewusst, befreite sich aus Gregorys Armen und fuhr sich mit den Händen über das Haar. Warum sagt denn niemand etwas? dachte sie. Daniels Blick lähmte sie. „Entschuldigen Sie, Miß Lacey", brachte Daniel hervor, als er langsam begriff. „Ich hörte Geräusche und habe sie wohl missverstanden. Pardon, Gregory, ich wollte nicht stören." Er öffnete mit einem Ruck die Tür und zog sie hinter sich zu. Endlich kam Christina wieder zu sich. „Hinaus, Gregory, geh. Sofort", rief sie ihm fast hysterisch zu. Die Verachtung, die sie in Daniels Blick gesehen hatte, machte sie elend. Gregory war erschrocken. Er erkannte plötzlich, was er angestellt hatte. „Christina, ich … ja, schon gut. Ich gehe", murmelte er, öffnete die Flurtür und verließ den Raum. Schluchzend warf sich Christina auf die Couch. Sie spürte Daniels Gegenwart förmlich durch die Wand. Sie wollte zu ihm gehen, sich in seine Arme werfen, sich an ihn klammern. Wie benommen stand sie auf. Erst an der Zwischentür zu Daniels Zimmer besann sie sich. Ein Blick in den Spiegel genügte, um ihr klarzumachen, dass sie in diesem Zustand Daniel nicht gegenübertreten konnte. Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen und weinte lautlos. Gregorys plötzlicher Ausbruch und seine Beschuldigung gingen ihr nicht aus dem Kopf. Ängstlich überdachte sie die Geschehnisse des Abends, aber nichts Verfängliches war geschehen. Daniel hatte sie praktisch nicht beachtet, und sie hatte genau das gleiche getan. Gregory wusste nichts, er konnte nichts wissen. Er war außer sich geraten und hatte Vermutungen geäußert, weiter nichts. Der Fall Daniel war viel schwieriger. Er hatte die Situation falsch verstanden und geglaubt, sie und Gregory hätten Zärtlichkeiten ausgetauscht und er habe dabei gestört. In ihrem Interesse musste sie das klären. Sie durfte nicht zulassen, dass Daniel annahm, zwischen ihr und Gregory 76
gäbe es eine Beziehung. Christina wusch ihr Gesicht, kämmte sich die Haare, dann klopfte sie beherzt an Daniels Tür. Als sie sein kurzes „Herein" hörte, öffnete sie, ging ins Zimmer und sah ihn verängstigt an. Er machte eine ungeduldige Bewegung. „Ja, Miß Lacey?" „Bitte, Mr. Belmont, Sie dürfen … ich möchte …" Dann verließ sie der Mut. Sein Gesichtsausdruck war ärgerlich. „Miß Lacey, Sie wollen doch wohl nicht gleich zwei Männer in einer Nacht verführen. Reicht Gregory Ihnen nicht?" fragte er ernst. „Bitte, ich möchte Ihnen alles erklären. Was Sie gesehen haben …" „War überzeugend, glauben Sie mir", unterbrach er sie leise. „Ich muß zugeben, es hat mich überrascht. Aber Sie sind eben auch nicht anders als die meisten Frauen: leichtfertig und flatterhaft." Dieses ungerechte Urteil traf sie hart. „Nein", rief Christina beschwörend. „Es war nicht das, was Sie annehmen. Er ist mir gefolgt und ist gewaltsam in mein Zimmer eingedrungen. Dann hat er mich überrumpelt, ich schwöre es." „Eingedrungen? Überrumpelt?" Christina hob verzweifelt die Arme. „Ich meine, er ist einfach hereingekommen, ohne zu fragen. Ich habe ihn nicht eingeladen." Daniels zornige Augen funkelten. „Zu dem, was ich gesehen habe, brauchte er auf eine Einladung nicht zu warten", erwiderte er hart. „Könnte das, was Sie gesehen haben, nicht ein Missverständnis sein?" „Vielleicht. Aber hatten Sie vorher nicht einen langen Spaziergang im Mondschein gemacht? Und was die Überrumpelung betrifft, ich hörte keine Protestschreie. Eher das Gegenteil", grollte er weiter. „Das ist nicht wahr, und Sie wissen es genau. Sie haben den Lärm gehört und kamen sofort…" Daniel trat zu ihr und umfasste ihre Schultern. „Die einzigen Geräusche, die ich hörte, waren kleine Ausrufe des Entzückens. Ich weiß, was ich gesehen habe. Sie haben ihn dazu veranlasst, Sie haben ihn herausgefordert. Ich kenne Sie, Miß Lacey." Seine Finger gruben sich schmerzhaft in ihre Schultern. 77
„Nein, bitte, Sie tun mir weh", schluchzte sie. „Tränen", sagte er bitter. „Diese wunderschönen Augen sind voller Tränen. Christina!" Er riss sie in seine Arme und küßte sie. Hilflos klammerte sie sich an ihn und erwiderte seinen harten Kuß mit aller Liebe und Inbrunst, die sie diesem Mann entgegenbrachte. Mit einem erstickten Fluch schob Daniel sie von sich. Hemmungslos drängte sie sich wieder an ihn. „Daniel, bitte. Bitte", flehte sie und wusste selbst nicht, worum sie ihn bat. Sie vergaß ihre ganze Selbstachtung. Er sah ihr in das verweinte Gesicht. „Ich möchte, dass Sie jetzt gehen, Miß Lacey. Ich bin müde und heute abend dafür nicht in Stimmung. Vielleicht ein anderes Mal." Christina war von seinen erbarmungslosen Worten zutiefst betroffen. Sie liebte ihn innig und unwiderruflich. Die verwirrende Erkenntnis machte sie doppelt schwach. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Wie ein Kind wischte sie die Tränen mit dem Handrücken fort und sah zu ihm auf. Es war ein neuer Schreck. Die Maske, die er wie ein zweites Gesicht trug, war verschwunden. Er sah jung und verletzlich aus. Seine Augen waren sehr dunkel und ohne jeden Spott. Ein Daniel Belmont sah sie an, der Schmerz empfinden konnte wie jeder andere Mensch. Ihr Herz schwoll an vor Liebe. Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Sie wollte ihn beruhigen, trösten, wollte ihm die Kraft zurückgeben, die sie an ihm kannte und schätzte. Bevor sie ihn erreicht hatte, hob Daniel abwehrend die Hände. Der Augenblick war vorbei. Sein Gesicht war wieder starr. „Miß Lacey, ich würde Ihnen raten, ihren nächtlichen Besuch zu beenden. Oder muss ich Sie mit Gewalt aus diesem Zimmer entfernen? Ihre Hände fielen schlaff herab. Ich hätte wissen müssen, wie er reagiert, dachte sie unglücklich. „Nein, das wird nicht nötig sein. Ich bin auch sehr müde und gehe schon." „Dass Sie müde sind, kann ich mir lebhaft vorstellen", stimmte er ihr zu. „Liebeserlebnisse können anstrengend sein." „Ich habe die Wahrheit gesagt", verteidigte sich Christina. Ihr Mut 78
kehrte zurück. „Gregory Stafford hat mich geküßt, ohne dass ich es wollte. Es geschah nicht das, was Sie annehmen. Wenn Sie mir nicht glauben wollen, dann …" „Miß Lacey, was Sie in Ihrer freien Zeit tun, geht mich nichts an", unterbrach sie Daniel. Er sah sie abweisend an. Dem war nichts mehr hinzuzufügen, und selbst wenn sie es gewollt hätte, die Tränen saßen so locker, dass Christina kein Wort riskieren konnte. Sie nickte und drehte sich um. „Schlafen Sie gut, Miß Lacey" Sein spöttischer Ton traf sie hart. Sie ging, schloss die Verbindungstür hinter sich und drehte dieses Mal den Schlüssel um.
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6.
KAPITEL
Völlig zerschlagen wachte Christina am nächsten Morgen auf. Die ganze Misere des vergangenen Abends kam ihr wieder zu Bewusstsein. Schnell schlug sie die Decke zurück, streckte sich und massierte eine schmerzende Schulter. Der Spiegel zeigte ihr die Folgen der tränenreichen Nacht. Ihr Gesicht erschien weiß, die Augenlider waren geschwollen. Eine heiße Dusche, dann anschließend eine kalte brachten einen Teil ihrer Kräfte zurück. Beim Abtrocknen fasste sie gute Vorsätze. Sie wollte an die Vorkommnisse von gestern nicht mehr denken. Schon viel zuviel Zeit hatte sie vertan, um immer wieder über ihr nächtliches Gespräch mit Daniel zu grübeln. Wenn er nicht wieder davon anfing, sollte es nicht mehr erwähnt werden. Sie musste ihre Gefühle zurückdrängen, wenn sie weiter bei ihm arbeiten wollte. Und aufgeben konnte sie die Stelle nicht. Ein Leben, das sein geliebtes Gesicht nicht beinhaltete, war undenkbar für sie. „Du musst verrückt sein, Christina", sagte sie laut und erinnerte sich an das „geliebte Gesicht" vom Abend zuvor. Verrückt oder nicht, sie konnte nicht anders. Ein Tag begann für sie erst dann, wenn er „Guten Morgen. Miß Lacey" gesagt hatte, ganz gleich, in welcher Stimmung er war. Das einzige, was ihr niemals passieren durfte, war, sich zu verraten, indem sie ihm ein Zeichen ihrer Liebe gab. Er würde das nur amüsant finden, dessen war sie sicher. Da sie heute nach Hause fliegen würden, konnte sie sich bequem anziehen. Sie wählte eine moosgrüne Flanellbluse, dazu einen dunkelgrünen, schwingenden Rock. Ein breiter schwarzer Ledergürtel betonte ihre schmale Taille. Das Haar bürstete sie glatt nach hinten und befestigte es mit einem Samtband. Schwarze halbhohe Sandaletten und eine kleine Umhängetasche vervollkommnten ihren Aufzug. Als sie sich prüfend im Spiegel betrachtete, nickte sie befriedigt. Sie sah genau so aus, wie sie es gehofft hatte: sehr jung und unschuldig. Es war ihre einzige Verteidigung gegen Daniels scharfe 80
Zunge. Gegen neun Uhr rief Daniel Christina telefonisch zu sich. Sie atmete tief und öffnete die Verbindungstür. Sein Wohnraum war übersät mit Zeitungen. Verschiedene Tassen standen auf dem Tisch und auf einer Anrichte. Auch Daniel schien schlecht geschlafen zu haben. Er wirkte erschöpft, hatte müde Züge. Gekleidet war er perfekt wie immer: in einer hellen Gabardinehose und einem mittelblauen Seidenhemd mit offenem Kragen. Christina hatte ihn nachts noch weggehen hören, und es war schon nach drei Uhr gewesen, als er zurückkehrte. Sie verdrängte die Überlegung, was er wohl gemacht haben könnte. Erst nach einer längeren Zeit hob er den Kopf, um ihre Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen. „Guten Morgen, Miß Lacey. Ich nehme an, Sie haben gut geschlafen", begrüßte er sie misslaunig. „Guten Morgen. Danke ja, ich hatte eine gute Nacht", log sie. Daniel murmelte etwas vor sich hin und betrachtete sie abschätzend. „Wollen Sie heute arbeiten oder tanzen gehen?" Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr er fort. „Ich habe das Frühstück für uns aufs Zimmer bestellt. So können wir diese Papiere noch durchgehen, bevor wir abreisen. Ihr Telefon klingelt", rief er und zeigte auf ihre Tür. „Es wird nichts Wichtiges sein, glaube ich", wehrte Christina ab. Sie hatte keine Lust, ihn herauszufordern. Seine Stimmung war gefährlich. „Hören Sie, Miß Lacey", sagte er hintergründig. „Etwas so Unwichtiges wie unsere Arbeit sollte Sie nicht von ihrem Liebesleben abhalten." „Mr. Belmont, wenn Sie mit mir über gestern abend diskutieren wollen, tun wir es gleich. Dann können Sie mit diesen Anspielungen aufhören", erwiderte sie leise. „Ich will nicht diskutieren, und am vergangenen Abend bin ich auch nicht interessiert. Ich will arbeiten. Glauben Sie, wir könnten das schaffen?" Sie wurde blass bei seinem Spott. Fast verlor sie ihre Haltung. Warum sieht er mich nur so voller Hass an? überlegte sie, den Tränen 81
schon wieder bedenklich nahe. Um irgendetwas zu tun, ordnete sie einige Unterlagen. Wie sollte sie nur mit ihm arbeiten, wenn das so weiterging? Es herrschte eine so feindselige Spannung, dass der geringste Funke zu einem nicht wieder gutzumachenden Streit führen musste. Zu ihrer großen Erleichterung fing sich Daniel allmählich wieder. Sie arbeiteten schweigend, besprachen das Programm für die kommenden Tage, fassten ein Protokoll anhand ihrer Aufzeichnungen ab, Persönliches wurde nicht mehr erwähnt. Gegen Mittag erhob sich Daniel und streckte seine Glieder. „Ich habe eine Verabredung zum Essen", teilte er ihr mit „Und ich möchte mich für mein Benehmen gestern abend entschuldigen. Auch für meine schlechte Laune heute früh. Ich gebe zu, ich habe mich nicht sehr gut gefühlt." Noch misstraute sie seinem entschuldigenden Lächeln. „Gut, ich nehme an unter der Bedingung, dass Sie mir glauben", erwiderte sie kühl. „Aber sicher." Er sah überrascht aus. „Ich dachte, das wäre längst klar?" Christina öffnete den Mund, schloss ihn aber sofort wieder. Es war besser, sie sagte dazu nichts. Erst nach einer Weile fragte sie: „Was habe ich heute nachmittag zu tun?" „Der Rest des Tages gehört Ihnen. Ich habe einen Wagen mit Chauffeur bestellt. Sie können sich die Sehenswürdigkeiten der Stadt ansehen und einen Bummel durch die Geschäfte machen. Bis sechs Uhr haben Sie Zeit. Um sechs Uhr dreißig reisen wir ab. Viel Spaß." Christinas Zurückhaltung schmolz schon wieder dahin bei der unerwarteten Freude, die er ihr machte. Sie lächelte, dass sich die Grübchen in ihren Wangen vertieften. Wirklich, dachte sie, Liebe macht einen Menschen halb wahnsinnig. Sie strahlte. „Vielen Dank, Mr. Belmont. Ich hoffe, Sie haben auch einen schönen Nachmittag." „Danke, ich werde mein möglichstes tun. Also, amüsieren Sie sich. Das ist ein Befehl." Christina gehorchte so gut es ging. Die Stadt war hübsch, hatte einige berühmte Gebäude und hübsche Straßen zum Umherschlendern. 82
Sie fand ein paar Geschäfte, in denen sie Einkäufe machte. Kurz vor sechs Uhr war sie wieder im Hotel. Der Himmel hatte sich verdunkelt, und es begann stark zu regnen. Fast erwartete sie Daniels Anruf mit der Nachricht, dass sich der Abflug verzögern würde. Dann zog ein Gewitter herauf. Der heftige Wind peitschte den Regen gegen die Scheiben. Erst gegen acht Uhr kam Daniels überfälliger Telefonanruf. „Ich habe mich entschlossen, erst morgen früh zu fliegen", informierte er Christina kurz. „Gute Nacht, Miß Lacey." „Gute Nacht, Mr. Belmont", antwortete sie unsicher. „Sie haben doch nicht etwa Angst vor dem Gewitter?" „Nein, nein. Ich finde es aufregend, wenn ich nicht gerade im Flugzeug sitze." Daniel lachte. „Also dann genießen Sie es vom Hotelzimmer aus." Christina legte den Hörer auf. Sie fühlte sich einsam. Um die innere Kälte zu überwinden, ließ sie sich Badewasser ein. Aber auch das warme Bad half wenig. Jemanden zu lieben, der diese Zuneigung nicht will, dachte sie traurig, ist eine schmerzliche Erfahrung. Aber sie konnte die Liebe zu ihm nicht abstellen, ob er sie nun wollte oder nicht. Eingehüllt in ein großes Badelaken, nahm sie einen Morgenmantel aus glänzendem Stoff in der Farbe wilder Veilchen aus dem Schrank. Sie befestigte die Bänder unter der Brust zu einer Schleife. Der weite, runde Ausschnitt ließ einen Teil ihrer Schultern und den Ansatz ihrer Brüste frei. Vorwitzige kleine Locken fielen ihr in die Stirn und über die Ohren. Sie hatte das lange Haar im Nacken zu einem losen Knoten geschlungen. Christina war sich nicht bewusst, wie mädchenhaft verführerisch sie aussah. Rastlos ging sie in ihrem Zimmer auf und ab, packte schon ein paar ihrer Sachen in den Koffer. Da klopfte es an der Außentür. Sie öffnete, ließ aber die Kette eingelegt. Es war Gregory. Entsetzlich verlegen beteuerte er immer wieder, wie leid ihm alles täte. Dieses inständige Bitten belästigte Christina, und sie unterbrach ihn. „Ist ja gut, Gregory. Ich weiß, es war der Alkohol." Trotz ihrer Abneigung wollte sie nicht grausam sein. Jeder tut ein83
mal Dinge, die er später bereut, dachte sie. So wünschte sie ihm freundlich eine gute Nacht und schloss die Tür. Gregorys Benehmen zeigte Christina deutlich, dass Liebe einen Menschen ganz schön vom Weg abbringen kann. Wenige Minuten später klopfte es wieder. Dieses Klopfen kannte Christina genau. Sie flog förmlich zur Tür und öffnete ohne Zögern. Das Jackett über die Schulter geworfen, lehnte Daniel lässig am Türrahmen. Auf seinem Haar glänzten Regentropfen. Er brachte frische, feuchte Luft mit. Christina wurde wieder einmal schwach bei seinem Anblick. „Guten Abend, Mr. Belmont", sagte sie mit belegter Stimme. „Miß Lacey? Darf ich hereinkommen?" fragte er und war schon im Zimmer. Die Tür drückte er hinter sich zu. „Waren Sie draußen im Regen?" Ihr Blick folgte seiner kräftigen Gestalt, die das Zimmer zu erhellen schien. Sie fragte sich, ob er Gregory wohl gesehen hatte, und hoffte, nicht. Daniel warf sein Jackett über eine Stuhllehne. „Ja, ich bin herumgelaufen. Scheußliches Wetter. Haben Sie schon gegessen?" „Ich habe mir etwas heraufbringen lassen." Es war, als flatterten Schmetterlinge in ihrem Magen. Daniel betrachtete sie in dem schimmernden Morgenmantel. „Sehr hübsch sehen Sie aus." Sie murmelte so etwas wie ein Danke, setzte sich auf die Couch und kreuzte die Beine. Daniel ging im Zimmer langsam auf und ab wie ein Tier im Käfig. Eine Strähne seines Haares hatte sich gelöst und war ihm in die Stirn gefallen. Christina verschlang ihre Hände ineinander. Wie gern hätte sie diese Strähne zurückgestrichen. Plötzlich blieb er vor ihr stehen. Sein Blick war unergründlich. „Ach, Miß Lacey", seufzte er. Als er seine Hände nach ihr ausstreckte, nahm sie sie, ohne nachzudenken. Er zog sie hoch. Mit den jetzt dunkel leuchtenden grünen Augen durchforschte er ihr Gesicht und musterte sie bis hinunter zu den gebräunten Schultern und dem Ansatz ihrer Brüste. „Ist Ihr Gesicht nach dem Unfall anders als vorher?" wollte er wis84
sen. Mit dem Zeigefinger tippte er auf ihre Nasenspitze, dann strich er über ihr Kinn. „Nein, so war es immer", erwiderte sie erstaunt. Sein Finger wanderte weiter über ihre Augenbrauen, dann über ihre geschwungenen Lippen, so als wollte er sich alle Merkmale ihres Gesichts durch die Berührung einprägen. „Kleine Miß Lacey", flüsterte er mit spröder Stimme. Dann neigte er den Kopf und küßte eine Ader in der Beuge ihres Halses. Christina stand steif vor ihm, die Hände hingen an beiden Seiten herunter. Sie zitterte innerlich, so sehr wünschte sie ihn anzufassen, ihn zu halten. Warnungen schossen ihr durch den Kopf. Leider waren sie zu schwach und zu schnell vorüber, als dass sie daraus Konsequenzen hätte ziehen können. Seiner Zärtlichkeit und seiner Ausstrahlung zu widerstehen, erforderte so viel Willenskraft, dass sie es nicht schaffte, ihm zu sagen, er möge sie loslassen. Als ob er ihre Abwehr gespürt hätte, nahm er ihr Gesicht in beide Hände und küßte sie leicht auf die Nasenspitze. Damit zauberte er ein erstes leises Lächeln in ihr Gesicht. „Ich habe es lieber, wenn Sie Ihr Haar offen tragen." Daniel löste den Knoten im Nacken und ließ ihr das Haar über die Schultern fallen. Sie wusste, wie das weitergehen würde, und sie musste ihn aufhalten. Sofort, bevor sie alle Widerstandskraft verlor. Dies waren die erfahrenen Hände eines in den Verführungskünsten bewanderten Mannes. Sein Blick hypnotisierte sie, und sie konnte sich nicht mehr von ihm lösen. Langsam wurde ihr Denken ausgeschaltet. Daniel vergrub sein Gesicht in der seidigen Fülle ihres Haares. Sein Mund strich über ihre Wange, streichelte ihre Lippen und bedeckte ihr ganzes Gesicht mit diesen federleichten Küssen, die sie schon so gut kannte. Noch immer stand Christina steif vor ihm. Die kleinen Küsse setzte er fort über ihren Hals, die Schultern, den Nacken. Jede Stelle ihrer nackten Haut, die er berührte, schien zu glühen. Eine heiße Welle ging durch ihren Körper. Wie sollte, wie konnte sie stark bleiben? 85
Sie wollte ihn ja lieben. Sie sehnte sich schmerzlich danach, sich an ihn zu schmiegen. Die ständige innere Spannung, die sie in seiner Gegenwart empfand, drängte zum Ausbruch. Funken der Erregung schienen von seinem Körper auf ihren überzuspringen. Sein Atem war wie eine Liebkosung auf ihrem Gesicht. Das Glitzern in seinen Augen schien eine sinnliche Herausforderung zu sein. Christina widerstand dieser Herausforderung nur schwach mit einem leisen Seufzer. Daniel war zu erfahren, um nicht zu erkennen, wie es um sie stand. „Lege deine Arme um mich, Christina." „Nein, ich möchte, dass du gehst." Es war ein letzter kläglicher Versuch, ihren Stolz zu bewahren. Sie wandte ihr Gesicht zur Seite. Dann ging sie zwei Schritte zurück, bis sie hinter sich in den Kniekehlen die Bettkante spürte. Daniel folgte ihr. Er streckte sehnsüchtig seine Hände nach ihr aus und legte sie um ihre Hüften. „Nein, das möchtest du nicht. Ich will dich haben, meine süße Christina. Ich begehre dich schon so lange" flüsterte er an ihrem Ohr. Wie konnte man da kühl und zurückhaltend bleiben? Christina lehnte sich an ihn, schlang ihre Arme um seinen Nacken und gab sich seinem leidenschaftlichen Kuß hin. „Ja, o ja", murmelte Daniel an ihren Lippen. Von draußen hörte Christina das Heulen des Windes, und von irgendwoher kam auch Musik. In ihrem Innern spürte sie so etwas wie ein Alarmgefühl, aber es war zu schwach, um wirksam zu werden. Zu gewaltig war der atemberaubende Zauber starker Arme, die sie umfangen hielten. Christina liebte diesen Mann. Deshalb war es für sie ganz natürlich, dass sie seine Hände gewähren ließ, dass ihre Küsse stürmischer wurden und seine Zunge tief in ihren Mund eindrang. Als Daniel ihr den Morgenmantel von den Schultern streifte und seine Hände ihre Brüste liebkosten, kam nur ein schwacher Protestlaut, den er mit einem Kuß auffing. Christina sank mit ihm auf das Bett. Nur verschwommen hörte sie in sich wieder die Stimme, die sie vor der Gefahr warnte. Aber seine 86
Hände waren so zärtlich und seine Küsse so innig, was sollte ihr schon passieren? Etwas erschrocken durch eine intime Berührung an ihrem Schoß, wehrte sie seine Hand ab. Er hielt ihre Finger fest und legte ihre Hand um seinen Hals. „Halte mich, Christina, halte mich, mein Liebling", flüsterte er voller Verlangen. Langsam schwand ihr ganzer Widerstand. In glühender Leidenschaft schlang sie beide Arme um ihn und drängte sich an seinen Körper. Ganz langsam legte Daniel sie auf den Rücken. Mit seinem Mund strich er über ihre Haut. Sie erschauerte, als seine heißen Lippen auf ihrer Brust lagen. Sie glaubte, vergehen zu müssen. Es war verrückt, ganz und gar wahnsinnig, aber es war zu spät, um sich zu wehren. Christina wusste plötzlich, dass Küsse ihrer beider Begehren nicht mehr befriedigen konnten, sie wollte ihn aber auch nicht auffordern, sie zu verlassen. Sein warmer Körper legte sich auf sie, dann spürte sie, wie er einen seiner Oberschenkel vorsichtig zwischen ihre Beine schob. Er sah sie mit glühenden Augen an. Christina verlor sich in diesem Blick. Daniel vergrub aufseufzend sein Gesicht in ihrem schimmernden schwarzen Haar. „Du bist hinreißend schön, meine Christina. Ich begehre dich so", stöhnte er. Als er sie erneut an sich presste, merkte sie, dass in ihm die gleiche glühende Sehnsucht nach einer Vereinigung brannte. Noch war er zärtlich und sanft, doch schon bald wurden seine Liebkosungen sinnlicher. Christina spürte jeden seiner Muskel, als er sich auf sie legte, und sie hob sich ihm entgegen. „Christina, komm, meine Liebste." Sie hörte den rauhen, ungeduldigen Ton und öffnete halb die Augen. Was sie sah, erschreckte sie so sehr, dass ein Ausruf in ihrer Kehle stecken blieb. Sein Gesicht war starr, seine Augen glasig von ungezähmter Leidenschaft. Sie drehte den Kopf auf die Seite, als die Erkenntnis sie traf, dass bei Daniel nicht liebevolle Zuneigung eine Rolle spielte, sondern nur fieberhafter Drang nach Befriedigung. Für ihn war diese Stunde nichts als das Vergnügen, mit einer Frau 87
im Bett zu liegen und sich mit ihr zu vereinigen. Ihr hingegen bedeutete diese Gemeinsamkeit alles. Sie war Ausdruck und Erfüllung ihrer Liebe. Und wenn sie sich ihm hingab, was kam danach? Was sollte aus ihr werden, wenn er ihr später in den Bürostunden arrogant und selbstsicher Anweisungen gab? Ein bitterer Geschmack lag auf ihrer Zunge. Daniel versuchte, ihre Lippen wieder zu öffnen. Fordernd und besitzergreifend umfasste er eine ihrer Brüste. War er ihrer schon so sicher? „Nein", schrie Christina verzweifelt und bäumte sich auf. Sie stemmte sich mit Macht gegen seine Schultern. „Nein?" Sein Gesicht wurde blass. Er hob den Kopf und sah sie ungläubig an. Sein Mund wurde schmal. „Du hattest Gregory Stafford. Warum nicht mich, Christina?" fragte er lauernd. „Nein, ich hatte nichts mit Gregory. Nein, Daniel" rief sie, bestürzt über seine Reaktion. „Ich traf Gregory in der Halle, Christina. Und ich erkenne am Lächeln eines Mannes, ob er gerade von einem Schäferstündchen kommt." Er rollte sich auf die Seite und stand auf. „Für gewöhnlich macht es mir nicht viel aus, wenn eine Frau ihre Meinung ändert, aber ich werde wütend, wenn man mich zum Narren hält", sagte er eisig, griff nach seinem Jackett und ging mit großen Schritten aus dem Zimmer. Hart schlug die Tür hinter ihm zu. Christina erhob sich langsam von ihrem Bett und glättete den Morgenmantel. Sie war wie leergebrannt. So als ob ihr Lebensnerv getötet worden wäre. Sie konnte nicht denken und nichts fühlen. Sie war nur müde. Mit automatischen Bewegungen schlug sie die Decke zurück, löschte das Licht und legte sich hin. Es war ein Tag wie in einem Alptraum gewesen, und sie wollte ihn durch Schlaf beenden. Obwohl ihre Wirtin sie darauf vorbereitet hatte, war Christina doch betroffen von der Fülle der Rosen, die sie in ihrer Wohnung vorfand. Alle waren von Gregory, und alle sollten ihr dasselbe sagen: Es tat 88
ihm alles unendlich leid, und er wollte sie unbedingt wiedersehen. Sie warf die Karten mit den Liebes- und Schuldbeteuerungen in den Papierkorb, öffnete die Fenster, um frische Luft hereinzulassen und begann, ihre Koffer auszupacken. Zwar hatte sie alle Gedanken an die letzten beiden Tage weitgehend verdrängt, aber sie fühlte sich trotzdem miserabel. Daniel war nicht mit ihr zusammen ins Flugzeug zurückgekehrt. Christina hatte keine Ahnung, wo er geblieben war. Irgendwie war sie erleichtert gewesen, ihm nicht gegenübertreten zu müssen. Nun hatte sie ein Wochenende vor sich, an dem sie weiteren Abstand von den Ereignissen gewinnen konnte, und sie war froh, in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung zu sein. Als das Telefon klingelte, wurde sie von Hoffnung und Angst hin und her gerissen. Es war die Portiersfrau aus ihrem Haus. Christina hatte sich mit ihr angefreundet und nahm, ohne zu zögern, die liebenswürdige Einladung an, mit ihr das Wochenende in ihrem Strandhaus in der Nähe von Padre Island zu verbringen. Schwimmen, segeln, sonnen, nette Gesellschaft: genau das, was ich jetzt brauche, dachte Christina. Schnell packte sie eine kleine Reisetasche für zwei Tage. Das Meer, der Wind und das Eintauchen in das herrlich erfrischende Wasser brachten sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Zwei Nächte traumloser Schlaf, keine Zeit zum Nachdenken, und ihre Vernunft hatte wieder die Oberhand. Am Montagmorgen machte Christina, einigermaßen gefestigt, ihre Morgentoilette. Sie kam wieder ins Grübeln. Was im Dunkel der Nacht wie eine Katastrophe gewirkt hatte, war am Tag lediglich eine etwas unangenehme Situation, die aber von erwachsenen Menschen doch gemeistert werden sollte. Was war denn gewesen? Daniel hatte vergeblich versucht, sie zu verführen. Das war alles. Aber warum hatte er so voller Hass reagiert? Das war ein Rätsel, für das sie keine Lösung wusste. Da Christina sich nicht vorstellen konnte, daß Daniel auf Gregory eifersüchtig war, konnte sie sein Verhalten nur als gekränkte Eitelkeit auslegen. 89
Etwas anderes konnte sie allerdings nicht recht einordnen: dass er sie mit zärtlicher Stimme Liebling genannt und als hinreißend schön bezeichnet hatte. Diese liebevollen Worte leuchteten wie Sonnenstrahlen in ihrem Unterbewusstsein. Seine feindliche Reaktion, nachdem sie ihn abgewiesen hatte, konnten die Freude darüber nicht mindern. Hoch aufgerichtet trat sie vor den Spiegel. „Du wirst ruhig, kühl und überlegen sein", sagte sie zu sich selbst. Sie wollte die Angelegenheit handhaben wie jede andere schwierige Situation des Lebens und dabei einen Schritt nach dem anderen tun. Ehe sie aus der Tür ging, sah sie sich noch einmal nach den voll erblühten Rosen um. Auch in Bezug auf Gregory Stafford musste sie einen Weg finden, aber noch nicht gleich. Daniel Belmont gegenüberzutreten, erforderte jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit. „Wir erwarten ihn erst gegen Mittag", informierte Mrs. Coyle Christina, als diese das Vorzimmer betrat. Es war etwa zwölf Uhr, als Daniel sie zu sprechen wünschte. Einen Moment zögerte Christina vor seiner Tür, dann klopfte sie entschlossen an und wartete auf seine Aufforderung zum Eintreten. „Guten Tag, Mr. Belmont", begrüßte sie ihn. Ihr Herz hämmerte. Ihn nur hinter seinem Schreibtisch sitzen zu sehen, genügte, um ihren Puls zu beschleunigen. Er wirkte weder unfreundlich noch liebenswürdig. Wie immer musterte er sie von Kopf bis Fuß. „Guten Tag, Miß Lacey. Hatten Sie ein angenehmes Wochenende?" „Danke ja. Und Sie?" fragte sie entgegenkommend. Lachend zeigte er seine weißen Zähne. „O ja, ich muss sagen, die beiden Tage waren sehr vergnüglich." Das ist Wahnsinn, dachte Christina. So konnten sie doch nicht miteinander reden nach allem, was passiert war? Aber es war nicht zu ändern. Konzentriert hörte sie ihm zu, als sie die Termine durchgingen. Schließlich schloss er den Kalender und stützte sich auf die Ellenbogen. Mit einem Finger zeichnete er die Konturen der kleinen Holzfigur nach, setzte die Skulptur wieder ab und begann mit dem Brief90
öffner zu spielen. Als er sie wieder ansah, erschreckte sie sein leerer, desinteressierter Blick noch mehr als sein untypisches Herumspielen mit den Dingen auf seinem Schreibtisch. Christina wappnete sich. Es würde etwas sehr Unangenehmes auf sie zukommen, das spürte sie. Die Spannung, die von ihm ausging, war beinahe greifbar. „Miß Lacey, ich werde Sie eine ganze Weile nicht brauchen, möchte aber Ihre wertvolle Arbeitskraft nicht verlieren. Die Sekretärin des Leiters unserer Rechnungsabteilung hat gerade ihren Schwangerschaftsurlaub angetreten. Ich bin sicher, er wird erfreut sein, wenn Sie sie während der Zeit ihrer Abwesenheit vertreten. Melden Sie sich doch nach der Mittagspause bei Paul Kinslow. Soviel ich weiß, beten ihn die Damen seiner Etage an. Es wird zweifellos Spaß machen, für ihn zu arbeiten", sagte Daniel lächelnd. Christina merkte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht strömte. Das dadurch entstehende Gefühl der Leere war so stark, saß sie sich entsetzt an eine Wange fasste. Sie konnte nicht sofort reagieren. Von irgendwoher in ihrem Innern kam dann die Kraft zurück, um zu antworten. „Ganz wie Sie wünschen, Mr. Belmont." Ihre Worte klangen beherrscht. „Also dann Adieu, Mr. Belmont." „Adieu? Wieso? Sie arbeiten doch nur eine Etage tiefer als bisher." „Ja, natürlich. Die Unterlagen für ihre nächste Konferenz sind bei Diana. Es waren einige Tippfehler enthalten, die sie ausbessert", sagte sie völlig sinnlos und setzte ebenso widersinnig hinzu: „Ich werde Gregory Stafford heiraten. Sie sollen der erste sein, der es weiß. Auf Wiedersehen." Christina drehte sich um und ging aus dem Büro, ohne auf seine Reaktion zu achten. Sie konnte sich nicht erklären, warum sie das gesagt hatte. Es war eine absolute Lüge, denn sie hatte ja beschlossen, Gregory nie wieder zu sehen. Eine Autohupe riss Christina unsanft aus ihren Gedanken. Sie war bei Rot über die Straße gegangen. Eigentlich hatte sie in einem Lokal etwas zu Mittag essen wollen, fand es dann aber doch besser, einen Spaziergang an der frischen Luft zu machen. Das klärt den Kopf, dachte sie. 91
Soeben hatte Daniel sie schändlich vor die Tür gesetzt, aber das war merkwürdigerweise unerheblich. Er brauchte sie nicht, das allein war es, was schmerzte. Sein Gesicht war völlig unbewegt gewesen, als er es ihr mitteilte. Er hatte sie einfach abgeschoben. Nach der Pause meldete sie sich in der Rechnungsabteilung. Mr. Kinslow war mittelgroß, untersetzt und hatte gewinnende braune Augen, die hinter Brillengläsern funkelten. Ein wilder Lockenschopf umrahmte seine halbe Glatze wie ein Heiligenschein. „Ich freue mich sehr, Miß Lacey", begrüßte er sie herzlich. „Seit meine Sekretärin fort ist, bin ich mit Papierkram so überhäuft, dass ich meinen Schreibtisch nicht mehr finden kann", klagte er mit fröhlichem Zwinkern. Es stimmt, dachte Christina, und sie fühlte wie ihre Lebensgeister wieder erwachten. Ob ich ihn in Kürze auch anbeten werde wie die anderen Damen dieser Etage? „Ich bin sehr gern gekommen, Mr. Kinslow, und verlorene Schreibtische wieder zu finden, ist meine Spezialität", erwiderte sie, auf seinen Scherz eingehend. Die neue Aufgabe war auch ihre Rettung. In der ersten Woche lebte und arbeitete sie wie in einem luftleeren Raum. Ihren angeschlagenen Stolz bekämpfte sie mit dem Allheilmittel Arbeit. Sie sah Daniel nicht, aber durch die taktvollen Berichte ihres jetzigen Vorgesetzten hörte sie, dass er angegeben hatte, sie selbst habe um eine Versetzung gebeten. Obwohl ihr das natürlich sehr gelegen kam, bezweifelte sie ernsthaft, dass jemand glaubte, sie zog eine Beschäftigung in der Rechnungsabteilung der Position einer persönlichen Assistentin des obersten Chefs vor. Da es ihr nun einmal nicht möglich war, von dem Mann, den sie liebte, etwas Schlechtes zu denken, hatte sie sich entschlossen, die Angelegenheit zu Daniels Gunsten auszulegen: Das was zwischen ihnen geschehen war, hatte ihn ebenso aus der Fassung gebracht wie sie. Die Tatsache, dass an ihrem Parkplatz nach wie vor ihr Name stand, war ihr eine weitere Stütze, und diesen liebenswerten, fröh92
lichen Mann, für den sie jetzt arbeitete, kennen gelernt zu haben, war eine besondere Freude. „Du bist in Ordnung" versicherte sie sich selbst, wenn Beklemmungen sie zu überfallen drohten. „Tu deine Arbeit, und denke nicht so viel nach, dann wirst du alles überstehen." Es half. Und sie war erfreut, wie gut ihr Stress und harte Arbeit taten. Gregory Stafford versuchte es immer wieder bei ihr. Weder höfliche Entschuldigungen noch handfeste Absagen, dass sie ihn nicht sehen wollte, machten Eindruck auf ihn. Allmählich wusste Christina nicht mehr, wie sie sich verhalten sollte. Außer diesem einen unerfreulichen und folgenschweren Besuch bei ihr war er stets liebenswürdig zu ihr gewesen. Sie hasste es, ihm weh zu tun, wollte aber auch die Verbindung nicht aufrechterhalten. Schließlich überwand sie ihre Zurückhaltung und nahm auf sein Drängen eine Einladung zum Essen an. Gregory holte sie ab. Gleich in den ersten Minuten wurde ihr klar, was ihre Lüge bei Daniel für Folgen gehabt hatte. Daniel hatte es sich nicht nehmen lassen, Gregory bei einem Mittagessen herzlich zur bevorstehenden Hochzeit mit Christina zu gratulieren. Gregory war glücklich über Christinas Entschluss. Die Neuigkeit ging im Bürohaus von Etage zu Etage, und sie hatte nicht den Mut, die Wahrheit zu sagen. Als Gregory ihr dann einen wertvollen Verlobungsring schenken wollte, widersetzte sie sich endlich. Sie wollte keinen Ring tragen und lehnte das Geschenk ab. In dieser Woche traf sie Gregory jeden Abend. Nicht weil sie es so wollte, nein, Gregory ließ ihr keine Ruhe. Jedes Mal, wenn er sie zärtlich in die Arme nahm, blieb sie steif und unbeweglich. Sie empfand nichts für ihn. Er schien das kaum zu bemerken, oder er wollte es nicht. Verzweifelt fragte sich Christina, wie das weitergehen sollte. Sie war bei seinen Annäherungsversuchen wie versteinert. An einem Freitagabend drei Wochen später trat Christina aus dem Bürohaus. Sie freute sich auf das Wochenende. Es war ein milder Herbsttag. Plötzlich wurde sie zornig. Sie wollte sich auf keinen Fall zu einer Heirat mit einem Mann treiben lassen, den sie nicht liebte. 93
Was hatte sie sich nur dabei gedacht, als sie Daniel belog? Warum wehrte sie sich nicht gegen alle die wohlmeinenden Wünsche ihrer Kollegen? Böse mit sich selbst, ging sie zu ihrem Auto und fädelte sich in den Verkehr ein. Ihr Mund wurde zu einem schmalen Strich, als sie überlegte, was gleich heute abend getan werden musste. Als Gregory pünktlich wie immer kam, bat sie ihn in die Wohnung und beendete mit freundlichen, aber festen Worten ihre Verbindung. Gregory war zu Tode beleidigt. Nachdem er davongestürmt war, weinte Christina ein wenig. Aber danach fühlte sie sich frei und empfand zum ersten Mal nach Wochen, dass sie etwas Richtiges getan hatte. In dieser Nacht schlief sie tief und fest. Voller Energie erwachte sie am Samstagmorgen. Sofort begann sie die ganze Wohnung zu säubern. Aber es war immer noch nicht genug. Sie beschloss, Einkäufe zu machen. Das warf die heikle Frage auf, ob sie weiterhin die Konten, die „Belmont Enterprises" ihr bei den Modegeschäften eingerichtet hatte, in Anspruch nehmen durfte. Ach was, dachte Christina, Daniel hat doch gesagt, die Beschäftigung bei Paul Kinslow sei nur vorübergehend. Sie wollte einkaufen, und sie tat es einfach. Es waren ein paar köstliche Stunden, in denen sie dieses und jenes probierte, einiges verwarf und anderes kaufte. Schließlich ging sie mit vielen Päckchen beladen zu ihrem Wagen zurück. Abends rief Gregory an. Auch am Sonntag meldete er sich, aber Christina blieb fest. Sie ließ sich nicht mehr von ihm überreden. In guter Stimmung zog sich Christina am Montag an. Sie schminkte sich sorgfältig und wählte eines der neuen Kleidungsstücke, die sie am Sonnabend gekauft hatte. Es war ein lavendelblaues Kostüm aus Wolljersey. Dazu gehörte eine pinkfarbene Seidenbluse, deren Stehkragen mit einer Schleife geschlossen wurde. Sie sah sehr elegant und damenhaft darin aus. Sie schlüpfte in die farblich genau passenden Wildlederpumps und legte sich als Krönung des Ganzen ein weiches Wolltuch mit Fransen um die Schultern. Die Wirkung war absolut perfekt. Aber wer würde sie schon beachten? 94
Ach, egal, dachte sie. Wenigstens Mr. Kinslow würde sich über die schicke junge Dame freuen, die fröhlich in sein Büro spazierte. Er freute sich nicht nur, er pfiff anerkennend durch die Zähne, als er Christina sah. Es war so komisch, dass beide laut lachten. Es tat gut, sich wieder einmal von Herzen über etwas freuen zu können. Am frühen Nachmittag öffnete sich die Tür zu Mr. Kinslows Büro, und Christina hörte eine tiefe männliche Stimme, die ihr den Atem verschlug. Die Tür zwischen ihrem und dem Chefzimmer war weit geöffnet. So konnte sie Daniel Belmont sehen, der auf Paul Kinslows Schreibtisch zuging. Die beiden Männer schüttelten einander die Hände. „Hallo Paul, tun Sie mir bitte einen Gefallen. Ich kenne Miß Laceys Fähigkeiten und bin sicher, sie hat inzwischen bei Ihnen alles aufgearbeitet. Kann ich sie mir für ein paar Tage ausleihen? Ich habe ein paar geschäftliche Dinge zu erledigen, bei denen ich unbedingt ihre Hilfe brauche." O Daniel! Christina wurde ganz warm ums Herz. Sie stand auf, trat in die Tür und sah ihm ins Gesicht. Wie sehr sie ihn vermisst hatte! „Miß Lacey?" Daniel neigte den Kopf. Er ließ sich Zeit, sie zu betrachten. Scherzhaft ahmte Christina seine Geste nach und sagte leise: „Mr. Belmont?" Ihre Stimme verriet nichts von dem Tumult in ihrem Herzen. Daniel wandte sich an Paul, der sich sofort über die Mitarbeit von Christina begeistert äußerte. Mit einem Lachen unterbrach Daniel die Lobeshymnen. Sein Gesicht wirkte jung und fröhlich. Christina hatte den sehnsüchtigen Wunsch, ihn zu streicheln. „Ich habe die gleichen Erfahrungen gemacht. Sie ist eine Perle", rief Daniel und sah Christina freundlich an. „Wenn nichts Wichtiges liegen bleibt, möchte ich Sie gern sofort mitnehmen. Ginge das, Paul?" fragte er. Christina wäre fähig gewesen, den liebenswerten Paul mit dem Brieföffner zu erstechen, wenn er sie nicht gehen lassen würde. Aber Paul entging diesem grausamen Schicksal, denn er nickte zustimmend. 95
„Und Sie, Miß Lacey? Einverstanden?" „Natürlich, Mr. Belmont. Sie wissen, ich bin eine treue Angestellte von ,Belmont Enterprises' und gehe dahin, wohin man mich ruft und wo man mich braucht - von neun bis fünf", antwortete sie sanft. Sie war froh, daß ihre Stimme nicht zitterte. Dabei hätte sie vor lauter Freude Purzelbäume durch das ganze Büro schlagen mögen. „Sehr gut. Wir starten um vier. Können Sie in einer Stunde alles für eine Reise nach Mexiko gepackt haben?" fragte Daniel. Mexiko! In einer Stunde! Das war wieder einmal typisch für ihn. „Ja, Mr. Belmont", erwiderte sie unterwürfig, konnte aber nicht anders, als spitz hinzuzufügen: „Allerdings müssten Sie mir erlauben, noch schnell meine Nase zu pudern, bevor das Flugzeug startet." Beide Männer lachten. Daniels Augen zeigten einen warmen Ausdruck, als er noch einmal seinen Blick auf sie richtete. Er sah das weich fallende Haar, die vollendete schlanke Figur, die sich unter dem Strickkostüm abzeichnete. „Wir werden sehen", murmelte er mit einem hintergründigen Lächeln, das ihr Herz erneut in Aufruhr versetzte. Paul Kinslow küßte Christina auf die Stirn, dann reichte er Daniel Christinas Wolltuch. Daniel legte es ihr um die Schultern, wobei seine Hände leicht ihren Nacken berührten. Sie schaute zu ihm auf. Hoffentlich sehe ich genau so beherrscht aus, wie er, dachte sie. Ob er hörte, wie mein Herz klopft? Sie liebte ihn. Nichts war daran zu ändern. Draußen war es feucht. Ein kalter Wind wehte. „Ich hole Sie in vierzig Minuten in Ihrer Wohnung ab", rief Daniel. „Sagen Sie mir noch die Adresse?" Sie nannte ihm Straße und Hausnummer. Warum er sie zu sich zurückgeholt hatte, fragte sie nicht. Sie war viel zu glücklich.
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7.
KAPITEL
Unschlüssig lief Christina in ihrer Wohnung hin und her. Daniel hatte nicht gesagt, wie lange sie unterwegs sein würden. Was sollte sie also mitnehmen? In Mexiko musste es warm sein. Mexiko! Sie war noch nie dort gewesen. Und nun würde sie dieses interessante Land mit Daniel erleben. Um in Gedanken nicht davonzuschweben, rief sie sich zur Ordnung. Jetzt hieß es erst einmal packen. Gerade war sie fertig geworden, da klopfte Daniel auch schon an die Tür. „Sind Sie soweit, Miß Lacey?" fragte er und kam mit großen Schritten ins Zimmer. Wie lange war es her, dass jemand so ihren Namen ausgesprochen hatte! „Ja, ich bin bereit." Es war ihr nicht möglich, das glückliche Lächeln zurückzuhalten, aber Daniel sah sie gar nicht an. Er schimpfte leise, als er sich im Zimmer umsah. „Wieso wohnen Sie in einer so schäbigen Wohnung?" fragte er rauh. „Das Gehalt, das ich Ihnen zahle, ist doch hoch genug für eine etwas hübschere Umgebung, oder?" Christina wurde blass. Jetzt sah sie das Zimmer mit seinen Augen. Ja, es stimmte, ihre Bemühungen, die Behausung wohnlich zu machen, waren wirklich lächerlich. „Ja, natürlich reicht das Gehalt aus. Aber verstehen Sie bitte, die Krankheit meiner Mutter war sehr kostspielig. Ich habe noch Schulden abzuzahlen", antwortete sie leise. „Ich begreife. Also, bringen wir das Gepäck hinunter. Du liebe Güte, was haben Sie denn alles eingepackt?" Daniel stöhnte, als er die beiden Koffer anhob. „Sie haben mir nicht gesagt, wie lange wir bleiben und was Sie alles geplant haben", sagte Christina gekränkt. „O je! Sind Sie sicher, dass Ihre Küche noch einen Herd hat?" 97
knurrte er scherzhaft. „Ja, hat sie. Ist es zuviel verlangt, wenn Sie mir jetzt sagen, wie lange wir bleiben und wohin wir in Mexiko fliegen?" „Ist es zuviel verlangt, Miß Lacey, wenn Sie jetzt die Tür für mich öffnen? Wir fliegen nach Cozumel und wohnen im Hotel ,E1 Presidente'. Warten Sie hier oben, ich bringe das hier zum Wagen und komme zurück, um den Rest zu holen." „Wo liegt Cozumel?" fragte sie und lief um ihn herum; als er mit dem ersten Teil des Gepäcks zur Wohnungstür ging. „Eine Insel, nicht weit von Yukatan. Hatten Sie keine Erdkunde in der Schule?" Christina sah ihm nach. Als sein schwarzhaariger Kopf um die Ekke verschwand, hatte sie das unbändige Gefühl, lachen zu müssen oder ihm Schimpfworte nachzurufen. Da sie beides nicht konnte, setzte sie sich auf die Couch und wartete. Wenige Minuten, nachdem Christina und Daniel an Bord gegangen waren, hob das silberblaue Flugzeug ab, durchbrach eine graue Wolkenwand und flog weiter im leuchtenden Nachmittagssonnenschein. Christina rutschte tief in ihren Sessel und beobachtete Daniel, der die Thermosflasche, Tassen und seinen Aktenkoffer hervorgeholt hatte. „Was amüsiert Sie so, Miß Lacey?" fragte er, nachdem er schon ein paarmal zu ihr hinübergesehen hatte. „Nichts, Mr. Belmont." Er gab ein paar unverständliche Worte von sich. Christina lächelte weiter. Den formellen dunklen Anzug hatte er gegen Blazer, helle Hose und Hemd ohne Krawatte vertauscht. Er studierte eine lange Zahlenreihe und fuhr sich dabei mit der Hand durch das Haar. Wie immer brachte er die gepflegte Frisur total durcheinander. „Miß Lacey, warum lachen Sie über mich?" fragte er, ohne aufzusehen. „Ist das nicht besser, als Sie mit Blicken zu durchbohren?" Er schaute nicht zu ihr, aber sie merkte ihm an, dass er verwirrt war. „Meinen Kaffee, Miß Lacey", forderte er. Christina brach in Lachen aus. Das sind die kleinen Dinge, aus de98
nen Liebe entsteht, dachte sie glücklich. Daniel schüttelte fassungslos den Kopf. Christina füllte die Tasse, und er berichtete ihr von den Plänen für den nächsten Tag. Es sollte zuerst eine langwierige Sitzung einschließlich Mittagessen geben und am Abend einen Ball zu seinen Ehren im Hause des sehr reichen Don Ramon Villines. „Was bedeutet ,Don'?" fragte Christina aufgeregt. „Es ist ein Höflichkeitstitel", erklärte Daniel. „Er legt großen Wert darauf, so genannt zu werden. Für mich ist es wichtig, den Herrn bei Laune zu halten. Und das werden Sie auch tun, Miß Lacey. Er hat eine Schwäche für zartgliedrige Frauen mit sehr schönen Augen." Christina stockte der Atem. Sie richtete sich auf. Daniel hob die Augenbrauen. „Also wirklich, Miß Lacey, ich versichere Ihnen, selbst ich habe mir Grenzen gesetzt bei der Befriedigung meiner Kunden." „Ach ja? Ich bin mir da nicht sicher", antwortete sie leise. Zuerst schien er nicht recht zu wissen, ob er lachen oder ärgerlich werden sollte. Dann gab er auf und vertiefte sich wieder in seine Arbeit. Christina hatte nichts dagegen, übersehen zu werden. Sie war das gewöhnt. Außerdem, überlegte sie glücklich, es genügt mir, neben ihm hoch über den Wolken zu sitzen und sein Gesicht anzusehen. Wo ist mein Stolz geblieben, fragte sie sich im stillen zum wiederholten Mal. Noch nie in ihrem Leben hatte sie ihre Selbstachtung vergessen. „Bitte, noch etwas Kaffee", unterbrach Daniel ihre Gedanken. Es klang so flehend, dass sie schmunzeln musste. Er warf seinen Füllhalter hin, setzte sich im Sessel zurück und sah ihr ins Gesicht. Dann bat er sie: „Versuchen Sie doch, ein wenig ernst zu sein, Miß Lacey. Die Konferenz morgen ist für mich äußerst wichtig. Sie werden noch ausreichend Zeit haben, sich zu vergnügen und Cozumel zu entdecken. Ich verspreche es. Man hat mir gesagt, es sei ein wunderschönes Fleckchen Erde." „ Ich werde mich zusammennehmen ", versprach sie gehorsam. Sie setzte sich bequem zurecht und sah ihn von der Seite an. 99
„Haben Sie auch gut auf sich achtgegeben, Mr. Belmont?" fragte sie plötzlich. Die sanfte Frage machte ihn deutlich unsicher. „Es war schwierig, aber ich kann sagen, ich habe es zustande gebracht." Röte stieg ihr in die Wangen. „Ich meinte nur, Sie sehen müde aus, das ist es", verteidigte sie sich. Durch eine Wolkenlücke sah man unten auf das sonnenbeschienene Land. Ein paar Sekunden genoss Daniel den Ausblick, bevor er die Unterhaltung fortsetzte. „Ja. Ich bin müde. Vielleicht brauche ich einen Urlaub. Seit ich ,Belmont Construction' übernommen habe, hatte ich keinen. Vielleicht habe ich auch nur zuviel getrunken. Gestern habe ich den ganzen Tag gebraucht, um meinen Kopf wieder zu finden", gestand er. Christina nahm das missbilligend zur Kenntnis. Er lachte. „Es ist nicht so, wie Sie denken, Miß Lacey. Ich habe einen Jahrestag gefeiert und auf eine große Dame einen Toast ausgebracht." „Ich verstehe." Sie sah auf ihre Hände. „Das bezweifle ich", spottete er. „Ich habe auf den zehnten Jahrestag von ,Belmont Enterprises' getrunken und auf die Frau, die diese Firma gründete." „Eine Frau hat die Firma gegründet?" „Ja, das heißt, eine Frau hat mir zumindest den Anstoß dazu gegeben. Sie hat mir sehr viel bedeutet, so dass es höllisch schmerzte, als sie einen anderen nahm, der bessere Zukunftsaussichten hatte als der Erbe eines kleinen Einmannbetriebes." Er sah zu ihr hinüber. „Sie brauchen kein mitfühlendes Gesicht zu machen, Miß Lacey. Es war das Beste, was mir passieren konnte. Wissen Sie, es stärkt das Selbstbewusstsein ungeheuer, wenn man klein anfängt und eines Tages ein großer Unternehmer ist. Ich habe meinen Kummer mit Arbeit verdrängt, und ich hatte Erfolg damit. So habe ich also auf das Wohl der käuflichen kleinen Seele dieser hoffentlich glücklich gewordenen Dame getrunken. Ich hatte einen ganz schönen Kater", beendete er seine Erzählung. Christina schwankte zwischen Lachen und Weinen. Die zynische 100
Auslegung einer verlorenen Liebe glaubte sie keine Minute. Sie überlegte, wie alt er damals wohl gewesen sein konnte. Einundzwanzig? Zweiundzwanzig? Jung und stolz und verliebt. Tausend Fragen wollte sie stellen und auf die Antworten liebevoll eingehen. Aber Daniels Gesicht war wieder so verschlossen wie vorher. Wahrscheinlich tat es ihm nun leid, dass er sich hatte hinreißen lassen, über diesen Abschnitt aus seinem Leben zu sprechen. Er blätterte in seinen Akten. „Also, kommen wir zur Arbeit zurück. Kann ich noch einen Kaffee bekommen, bevor wir landen?" Sie hatte ihm ihre Hand hinüberstrecken wollen, um die seine zu berühren. Nun hatte er sie auf ihren Platz verwiesen. Auch gut, dachte sie. Sie öffnete die Thermosflasche und bediente ihn mit Kaffee. Ihr Herz war so voller Liebe. Hier bei ihm zu sein, war unbeschreibliche Seligkeit. Sie setzte sich wieder und lehnte den Kopf an den Rücken des Sitzes. Kurz darauf setzte die Maschine zur Landung an. Nach dem beginnenden Winter in Corpus Christi war Cozumel eine sommerliche Überraschung. Eine warme Brise streichelte Christinas Gesicht, und sie atmete den Duft exotischer Blüten tief ein. Es war schon etwas dunstig geworden, als sie landeten, und sie nahmen ein Taxi, das so enorm groß war, wie sie noch nie eines gesehen hatte. Das Hotel „El Presidente" war von einem weitläufigen Palmengarten umgeben. Überall steckten Windlichter und brennende Fackeln in schmiedeeisernen Ständern. Der Wind ließ die Feuer tanzen. Es sah märchenhaft aus. Vor ihrem Zimmer angekommen, öffnete der kleine dunkelhäutige Mann, der die Koffer transportierte, die Tür. Der Raum war groß und luftig, ein erfrischendes Lüftchen kam durch die Fenster. „Oh, das ist schön", sagte Christina zu Daniel. „Kommen Sie, sehen Sie es sich an." Daniel kam zu ihr ans Fenster und betrachtete mit ihr den Sonnenuntergang im Meer. Christina erschauerte, wusste aber nicht, warum. Kam es von dem kühlen Wind, der ihr ins Gesicht wehte, oder von 101
der Wärme, die sein Körper ausstrahlte, als er dicht hinter sie getreten war? „Ist es nicht wunderschön?" fragte Christina noch einmal. „Ja, Miß Lacey, sehr schön", antwortete er leise und kam noch einen kleinen Schritt näher. Seine Spannung übertrug sich auf Christina. Eine Sekunde lang berührten seine Oberschenkel ihre Hüfte wie eine Liebkosung. Unbeabsichtigt, wie Christina feststellen konnte, denn erschrocken trat Daniel sofort ein wenig zurück. „Zehn Minuten zum Erfrischen", sagte er kurz. „Dann gehen wir essen." Und schon hatte er das Zimmer verlassen. Das Jerseykostüm war natürlich zu warm in diesem Klima. Christina wusch schnell Gesicht und Hände und schlüpfte in ein schwarz und weiß gestreiftes ärmelloses Kleid mit spitzem Ausschnitt. Es war weit gearbeitet, und die Stofffülle wurde mit einem weißen Lackgürtel zusammengehalten. Dazu zog sie sehr dünne schwarze Strümpfe und hochhackige schwarze Lacksandalen an. Ihr Haar ließ sie offen über die Schultern fallen. Als sie sich etwas Parfüm hinter die Ohren tupfte, klopfte Daniel bereits in der typischen ungeduldigen Manier. Nach dem Essen, das etwas einsilbig verlaufen war, brachte Daniel Christina zu ihrem Zimmer zurück. „Wie geht es Gregory Stafford?" fragte er beiläufig. „Danke, gut." Daniel nickte und verließ sie mit einem freundlichen Gutenachtgruß. Kurze Zeit las Christina noch im Bett, dann knipste sie das Licht aus und schlief schnell ein. Bei Sonnenaufgang erwachte Christina. Nach einem erfrischenden Duschbad zog sie ein einfaches gelbes Sommerkleid und flache Sandalen an und verließ ihr Zimmer. Langsam schlenderte sie über den langen Korridor. Sie fühlte sich glücklich wie ein Kind und hätte am liebsten zu einer Schlitterpartie über den glatten Fußboden angesetzt. Verrückt, dachte Christina. Aber nach den vergangenen trüben Wochen war dieser Morgen ein unendliches Vergnügen. Ursache dieser Freude war natürlich Daniel. Und er würde auch immer der 102
Auslöser zu allem sein, ob Glück oder Schmerz. Er war zum Mittelpunkt ihres Lebens geworden und hatte es leider, ohne dass er es wusste, in der Hand, ihre Reaktionen und Empfindungen zu bestimmen. Christina lief die Außentreppe hinunter und betrat den sonnendurchfluteten Park. Sie hätte beinahe einen kleinen Freudenschrei ausgestoßen, als sie den Weg hinunterging. Zu beiden Seiten wuchsen riesige Gummibäume. Ihre dicken Wurzeln hatten sich schlangengleich um die Stämme herumgelegt. Es war unglaublich. Gehörte die kleine fünfzig Zentimeter hohe Pflanze in ihrem Wohnzimmer tatsächlich zur selben Gattung? Da gab es dichte Hecken mit rot, gelb und rosa blühenden Hibiskusblüten. Von irgendwoher kam der aromatische Duft von Jasmin. Christina fand die Hecke, die über und über voller Blüten war. Sie strich mit den Händen darüber. Ein paar zarte Blütenblätter rieselten zu Boden. Plötzlich entdeckte sie Daniel. Er stand lässig gegen die Terrassenmauer gelehnt und beobachtete sie mit amüsiertem Lächeln. Sie winkte ihm grüßend zu. „Dieser Garten ist phantastisch." „Ja, wirklich schön", stimmte er zu. In den Jeans und dem sportlichen Strickhemd wirkte er noch größer als sonst. Er kam ihr entgegen und hatte einen so bekümmerten Blick, daß sie mitleidig wurde. „Wissen Sie, was ich gerade festgestellt habe, Miß Lacey? Der Speisesaal wird erst um sieben Uhr geöffnet. Ich kann nicht einmal eine Tasse Kaffee bekommen." „Wie entsetzlich", spottete sie, und die Sympathiewelle war vergangen. „Jetzt ist es zwanzig vor sieben. Diese paar Minuten werden Sie auch ohne Kaffee überleben." „Nehmen Sie das nicht so leicht", wehrte er sich missgelaunt. „Sie wissen doch, wie unausstehlich ich sein kann, bevor ich meinen Kaffee bekommen habe." Sie nickte ernsthaft, aber in ihren Augen tanzten Fünkchen. Natürlich hatte sie ihn in dieser Morgenlaune schon oft erlebt. Was für ein Vorzug, Daniel Belmont so gut zu kennen. Dann erstarb das Lachen. 103
So etwas Besonderes ist es nun auch wieder nicht, dachte sie bitter und drehte sich um. Wie viele Frauen haben ihn in dieser Stimmung morgens wohl schon erlebt? Sicher unzählige. Diese Feststellung brachte sie unsanft in die Wirklichkeit zurück. „Also, ich gehe noch zwanzig Minuten spazieren", sagte Christina. „Ich könnte ja mitkommen", meinte er seufzend. Als sie über eine Wurzel stolperte, sah er auf. „Geben Sie mir ihre Hand." Sie reichte sie ihm. Seine langen, schlanken Finger umschlossen warm ihre Hand. Ihr Herz begann wieder höher zu schlagen. Sein schwarzes Haar glänzte in der Sonne, und die Farbe seiner braunen Haut hob sich krass von seinem hautengen weißen Strickhemd ab. Wieder bewunderte sie seine breiten Schultern und die muskulöse Brust. Sie wanderten um das Hotel herum. Nur wenige Meter weiter begannen die Klippen, an denen sich sanft die Wellen brachen. Christina steuerte auf eine künstlich angelegte Sandbucht zu. „Ich bekomme Sand in die Schuhe", klagte Daniel mit schiefem Gesicht. „Ich auch", rief sie unbeeindruckt. Sie zog ihre Sandalen aus und lief barfuss über den herrlich warmen Sand. Als sie einen niedrig hängenden Palmwedel ergriff, schrie sie aufgeregt: „Kommen Sie, sehen Sie sich diese riesigen Früchte da oben an. Sind das Kokosnüsse?" „Ja. Sie sind noch grün." "Oh, könnten wir welche pflücken?" „Ich glaube nicht, dass man Kokosnüsse wie Äpfel pflücken kann. Sie hängen einige Meter hoch, und ich werde für Sie nicht die Palme hinaufklettern, Miß Lacey." „Dann eben nicht." Nach dem Frühstück und mehreren Tassen von einem Kaffee, den Daniel als unmögliche Brühe bezeichnete, stand er auf. „Zeit zum Arbeiten, Miß Lacey." Christina hatte auf die Grünanlage voller Farne und blühender Büsche gesehen und wäre nicht verwundert gewesen, wenn aus diesem 104
exotischen Garten ein Einhorn aufgetaucht wäre. Ihre verträumte Märchenstimmung verschwand erst, als sie beide zu ihren Zimmern gingen, um sich für die bevorstehende Konferenz umzuziehen. Das war auch gut so. Märchen waren unwirklich, und sie hatte den Tatsachen ins Auge zu sehen. Vor ihrem Zimmer blieb Daniel bei ihr stehen. „Ziehen Sie etwas Einfaches, aber sehr Attraktives an, Miß Lacey", sagte er und ließ seine Blicke über ihr gelbes Kleid und die vom Wind zerzausten Haare schweifen. „Allmählich weiß ich, wie ich mich zu kleiden habe", wehrte sie ab. „Verzeihung. Das ist die Macht der Gewohnheit." Er machte ein zerknirschtes Gesicht. „Mr. Belmont, Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wie lange wir hier bleiben", erinnerte ihn Christina. „Ich habe mich noch nicht entschieden. Warum? Haben Sie einen Grund, schnell nach Corpus Christi zurückzukehren?" fragte er. Christina schüttelte den Kopf. „Nein. Es war nur eine Frage." Sein Blick wurde dunkel. „Sind Sie sicher, Miß Lacey? Nach der Konferenz brauche ich ihre berufliche Hilfe nicht mehr. Wenn Sie zurückreisen wollen, müssen Sie es mir sagen, dann buche ich sofort die Abendmaschine." Voller Überraschung sah Christina in sein angespanntes Gesicht. Sie konnte sich seine Reaktion nicht erklären und befreite ihre Hand, die er impulsiv ergriffen hatte. „Ich will natürlich nicht früher zurück. Ich sagte doch, es war nur eine Frage. Wenn Sie hier alles erledigt haben und abfliegen, werde ich dabei sein. Jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich möchte mich umziehen." Sie öffnete ihre Zimmertür, lächelte ihm noch einmal über die Schulter zu und ging hinein. Was sollte das bedeuten? Warum reagierte er so seltsam? Seine Empfindlichkeit war unerträglich geworden. Ständig war er bereit aufzubrausen und stand wie unter einem inneren Zwang. War er nur überarbeitet, oder löste sie diese Stimmungen aus? Wenn das so war, 105
warum regte er sich dann so auf bei dem Gedanken, dass sie schnell nach Hause wollte? Christina war in wenigen Minuten fertig. Als letztes zog sie die eleganten Pumps an und setzte sich vor den Spiegel, um die Haare aufzustecken. Wenn ich von ihm doch nur einmal klare Antworten auf meine Fragen bekommen würde, dachte sie betrübt.
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8.
KAPITEL
Es schien Christina, als ob die Ereignisse in ihrem Leben in atemberaubender Geschwindigkeit aufeinander folgen würden. Gestern war sie noch in Texas gewesen, heute vormittag in Cozumel als Teilnehmerin einer wichtigen Konferenz. Am späten Nachmittag saß sie jetzt neben Daniel in einer Limousine mit Chauffeur in Mexico City und fuhr über eine breite Prachtstraße, die eine der längsten und faszinierendsten auf der ganzen Welt sein musste. „Paseo de la Reforma". Christina las langsam den Namen von einem Straßenschild ab. Daniel half ihr, die Worte richtig auszusprechen. Er hatte seinen Arm hinter ihr auf die Lehne gelegt, und sie spürte, wie er selbstvergessen mit ihren Haaren spielte, während er sie ab und zu auf etwas Sehenswertes aufmerksam machte. Schon die kleinste Berührung von Daniel ließ sie innerlich zusammenzucken, und sie musste sich zwingen, auf seine Erklärungen zu achten. Das war aber noch nicht einmal besonders schwierig. Was ihr wirklich Mühe machte, war, kühl zu bleiben. Daniel lachte und griff in ihr Haar, als sie wieder eine Aufschrift mit falscher Aussprache las. Über Gregory oder eine vorzeitige Abreise hatte er nicht mehr gesprochen. Eigentlich hätte sie ganz gern ausprobiert, ob er immer noch so scharf darauf reagierte, aber sie wagte es nicht. Nachdem die Konferenz gut verlaufen war, hatte er sich in einen charmanten Gesellschafter verwandelt. Dennoch spürte sie etwas unter seiner freundlichen Fassade, was sie unsicher machte. Vergiß es, Christina, ermunterte sie sich selbst, lebe nur für den Augenblick! Wenigstens war etwas von der vorherigen Anspannung vergangen. Offensichtlich machte es ihm Spaß, den Fremdenführer für sie zu spielen. Jedenfalls sah es so aus, als sie sich auf dem Weg vom Flugplatz zum Hotel und jetzt zum Haus der Villines befanden. Mit einem kleinen Seufzer lehnte sie sich in das Polster zurück. 107
„Was ist?" fragte Daniel und sah auf sie hinunter. „Ich dachte gerade an all die schönen Städte, in denen wir schon waren. Und jede habe ich nur vom Flugzeug oder von einem Taxi oder vom Hotelfenster aus gesehen." „Leider wird das auch hier so sein. Eines Tages vielleicht…" Was hatte er mit diesem unvollendeten Satz sagen wollen? Christina hätte gern Gedanken lesen können. Sie fuhren in die Einfahrt zu dem Landsitz der Familie Villines. Christina setzte sich auf. Begeistert nahm sie diese Pracht in sich auf, doch ihre Freude war etwas getrübt. Daniel hatte sie ein wenig über ihre Gastgeber informiert. Danach mussten Don Ramon und seine Frau etwas an sich haben, was Angst einflößte. Daniel hatte gesagt, er habe Senora Villines noch nicht persönlich kennen gelernt, aber man sprach darüber, sie sei wie eine Königin, und der Besitz sei eine einmalige Sehenswürdigkeit. Der Wagen durchfuhr ein parkartiges Gelände und bog dann in die Auffahrt zu einer palastartigen Residenz aus roten Ziegelsteinen ein. Ein Diener führte Christina und Daniel mit tiefen Verbeugungen ins Haus, wo sie von einem hochgewachsenen, vornehmen Herrn mit durchdringenden schwarzen Augen und vollem silberweißem Haar empfangen wurden. „Christina Lacey, darf ich Ihnen Don Ramon Villines vorstellen?" sagte Daniel, nachdem die Männer sich überschwänglich begrüßt hatten. Senor Villines verbeugte sich und küßte ihr die Hand. „Bienvenidos, willkommen, Senorita Lacey. Sie wissen, mein Haus ist Ihr Haus", sagte er hoheitsvoll. „Ah, da ist ja auch meine Frau." Christina hoffte inständig, dass man ihr ihr Erstaunen nicht allzu sehr ansah, aber die bildschöne Frau, die da durch die Halle schritt, war das eindrucksvollste Geschöpf, das sie jemals gesehen hatte. Die enormen Diamanten, die an ihren Ohren glitzerten, machten sie wahrhaftig zu einer majestätischen Erscheinung. „Da ist auch meine Tochter Isabella Elisa", fügte Don Ramon hinzu und streckte seine Hand einer großen, schlanken, jungen Frau entgegen, die durch eine Seitentür hereingekommen war. 108
Christina hatte das Gefühl, immer kleiner zu werden. Wenn die Mutter königlich war, so wirkte Isabella wie eine Prinzessin. Ihre ausdrucksvollen Augen leuchteten sofort noch intensiver, als sie Daniel entdeckte. Sie schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln, ihre Stimme hatte einen verführerischen Klang. Christina hätte etwas dafür gegeben, Daniel anzusehen, aber leider konnte sie sich nicht umdrehen. Sie hörte nur seine dunkle Stimme, mit der er die Tochter des Hauses begrüßte. Dann küßte er Isabellas Hand. Nachdem Vorstellung und Begrüßung beendet waren, bat die Senora ihre Gäste in ein wunderschönes, gemütlich eingerichtetes, kleineres Zimmer, das offenbar eines der privaten Wohnräume der Familie war. Alle setzten sich, und die Senora klatschte in die Hände. Zwei hübsche Mädchen erschienen und boten Getränke und Vorspeisen an. Daniel war völlig gelöst, während Christina sprachlos und beinahe misstrauisch den sehr freundschaftlichen Bemühungen der Villines gegenüber blieb. „Ihr Haus ist einfach wunderbar, Senora Villines", hatte sie zu Anfang begeistert gesagt. Dabei war es auch geblieben. Später schlug die Gastgeberin vor, Isabella sollte Christina das Haus zeigen. Weder Isabella noch Christina gefiel die Idee, doch beide gehorchten. Christina hatte in letzter Zeit die Häuser vieler reicher Leute gesehen, aber keines glich auch nur im entferntesten diesem Palast mit seinen Kostbarkeiten. Isabella erzählte temperamentvoll, erklärte und zeigte bereitwillig. Schließlich spazierten die beiden Frauen durch den Park voller seltener Blumen und Gewächse. Eine Anzahl von Gärtnern war damit beschäftigt, welke Blüten und Blätter zu entfernen. Isabellas Frage kam leise und traf Christina unvorbereitet. „Sie sind Mr. Belmonts Sekretärin, nicht wahr? Und in dieser Eigenschaft sind Sie auch hier?" „Ich bin eine Privatassistentin", verbesserte sie, „und in dieser Funktion bin ich hier." Christina sprach betont gleichmütig. 109
Sie sah das Lächeln von Isabella und wusste genau, wie der heutige Abend ablaufen würde. Isabella würde an Daniels Arm hängen, und sie war das fünfte Rad am Wagen. Wie hatte sie nur annehmen können, irgendetwas hätte sich geändert? Höflich lehnte sie die Einladung Isabellas ab, ihr den kleinen See im Park zu zeigen. Sie wollte zurück ins Haus. Allerdings bemerkte sie noch, wie Isabella befriedigt lächelte. Daniel saß mit dem Ehepaar Villines in einem der lauschigen Innenhöfe bei einem Drink. Nach einigen freundlichen Sätzen entschuldigte sich Christina. „Wegen des Balls heute abend gibt es nur ein kleines Abendessen. Möchten Sie, dass ich es Ihnen in Ihrem Zimmer servieren lasse?" fragte die Senora. Christina nahm den Vorschlag dankend an. Sie wurde zu ihrem nobel ausgestatteten Zimmer gebracht. Nach einem langen, entspannenden Bad zog sich Christina einen roten Hausmantel an und legte die drei Abendkleider, die sie mitgenommen hatte, auf ihr Bett. Sie ließ sich auf die Knie fallen, um die Auswahl zu treffen. War es nicht vollkommen egal, welches Kleid sie aussuchte? Neben Isabellas exotischer Schönheit musste jede noch so attraktive Frau verblassen. Zuerst die auffallende Lisa Manning, dann diese Brünette mit den gelbbraunen Augen und nun Isabella! Warum waren Daniels Frauen immer so aufregende Schönheiten? Christina stand auf, zögerte einen Moment vor dem Spiegel und schnitt eine Grimasse. Du bist ein Nichts, weißt du das? sagte sie in Gedanken zu sich. Diese Isabella hat er erst vor zwei Stunden kennen gelernt, und schon ist er Feuer und Flamme! Ich muss den Stolz haben, zurückzutreten. Da hörte sie Daniels Schritte auf dem Flur. Sie rannte zur Tür und rief ihn: „Mr. Belmont, bitte, ich möchte, dass Sie mich heute abend entschuldigen. Ich kann nicht an dem Fest teilnehmen. Meine Anwesenheit ist doch gar nicht gefragt", sagte sie steif. Sein Gesicht verdunkelte sich. „Was meinen Sie damit, daß Ihre Anwesenheit nicht gefragt ist?" 110
„Nun, ich denke, Sie werden Senorita Villines an Ihrem Arm haben. Muss ich denn noch an dem anderen hängen? Das wollen Sie doch nicht?" sagte sie kühl. „Ich bitte also, dass Sie mich . . ." „Sie werden um gar nichts bitten", explodierte Daniel. „Es ist nun einmal so, dass ich Sie heute neben mir an meinem Arm wünsche. Hören Sie, Miß Lacey, diese Veranstaltung habe ich extra für Sie arrangiert." Seine Augen funkelten böse. Er sah gefährlich aus, so dass sie nur atemlos fragen konnte: „Sie haben das arrangiert, für mich?" „Also, lassen Sie es mich so sagen: Ich habe Don Ramon nahe gelegt, dass meine Assistentin sich sehr freuen würde, seinen herrlichen Besitz kennenzulernen, und dass man das am besten mit einem größeren gesellschaftlichen Ereignis zu meinen Ehren verbinden könnte", erklärte er mit hintergründigem Lächeln. Das Lächeln verging sofort. Er hatte die kühle undurchdringliche Maske wieder angelegt. „Sie werden an dem Ball teilnehmen, Miß Lacey, als meine. . . Dame für den Abend. Da ich nicht wusste, daß Ramon eine Tochter hat, kann man kaum erwarten, dass ich Isabella geleite. Also, wenn Sie angezogen sind -und ich hoffe, Sie werden dem Ereignis entsprechend gekleidet sein - wird Sie jemand zu mir hinunterbringen. Ist das klar, Miß Lacey?" „Völlig klar, Mr. Belmont", fuhr sie ihn an. Dann schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu. Dem Ereignis entsprechend gekleidet! Das war wieder typisch. Tränen der Wut stiegen in ihr hoch. Energisch trocknete sie sich die Augen und ging zu ihrem Bett. Zwei von den Kleidern kannte Daniel schon. Das dritte Modell hatte sie aus einer Laune heraus gekauft. Es erforderte von der Trägerin eine besondere Note, um Erfolg zu haben. Es wirkte unschuldig und verführerisch zugleich, denn es war ein sehr romantisches Abendkleid aus weißem Chiffon und Spitzen. Im Augenblick fühlte sie sich völlig unfähig, in einem solchen Gewand in die Öffentlichkeit zu treten. Es klopfte, und Senora Villines trat gleich danach ein. Ihr folgte 111
eine madonnengesichtige Frau mit tiefschwarzen, glatten Haaren. „Das ist Juanita. Sie wird Ihnen beim Ankleiden behilflich sein, Senorita Lacey. Sie ist auch eine ausgezeichnete Friseuse. Haben Sie Probleme?" fragte sie liebenswürdig. In wenigen Sekunden hatte sie Christinas Zwangslage erkannt. „Das weiße Kleid natürlich", schlug sie sofort vor. „Niemand kann es besser tragen als Sie. Sie sind schlank und zierlich, und Sie haben das gewisse Etwas, meine Liebe. Denken Sie niemals gering von sich, Sie haben es nicht nötig." Warmherzig sah sie Christina an. „Senor Belmont würde auch das weiße Kleid wählen, denn so, wie sie darin wirken, so sieht er sie." Christina bekam große Augen, aber bevor sie noch etwas erwidern konnte, ging die Senora schon wieder zur Tür. Nachdem Senora Villines dem Mädchen noch einige Anweisungen in Spanisch gegeben hatte, wandte sie sich noch einmal an Christina: „Ich komme später wieder. Dann werden wir beide zusammen die Treppe hinuntergehen. Ich führe Sie in den Ballsaal, in Ordnung?" Verwirrt nickte Christina. Sie kam sich vor wie ein kleines Mädchen, aber es tat ganz gut. Sobald ihre Herrin aus der Tür war, wurde Juanita tätig. Das weiße Kleid wurde Christina übergezogen und der Reißverschluss geschlossen. Hier und dort zupften die geschickten Hände den Stoff zurecht. Dann kamen die weißen Satinpumps an die Reihe. Juanita bürstete Christinas Haar und steckte es dann gekonnt auf dem Kopf fest. Seitlich über einem Ohr platzierte sie eine herrliche weiße Orchidee als einzigen Schmuck. Vorsichtig zog sie noch hier und da am Haaransatz ein paar Strähnchen heraus, die sie zu kleinen Löckchen eindrehte. Dann bedeutete Juanita Christina, aufzustehen und sich langsam um sich selbst zu drehen. „Wie hübsch", rief das Mädchen begeistert. Der Rock fiel von einem knapp sitzenden Oberteil fließend über Christinas Figur und betonte leicht ihre schmalen Hüften. Der tiefe, runde Ausschnitt war mit wertvollen Spitzen besetzt und zeigte den Ansatz ihrer Brüste und die makellosen Schultern. 112
Nach einer halben Stunde kam die Senora wieder. Sie war ebenfalls fertig zum Ball angezogen und trug in der Hand eine Schmuckkassette. „Wunderbar. Genau, wie ich es mir vorgestellt hatte", sagte sie zufrieden. Dann nahm sie aus der Kassette eine schimmernde Halskette. „Ich dachte mir, dass Sie für ein so bezauberndes Kleid noch nicht den passenden Schmuck besitzen. Auf Ihrer Haut fehlt ein zarter Farbtupfer." Damit legte sie Christina die Kette aus Diamanten um. Ein ovaler grüner Edelstein lag direkt über ihrer Brust. „Senora, dieser Schmuck ist wunderbar", rief Christina überwältigt. „Und passt genau zu Ihnen und dem Kleid." „Darf ich Sie fragen, warum Sie so freundlich zu mir sind?" „Spanische Frauen haben eine große Vorliebe für kleine ängstliche Geschöpfe, und sie sind hoffnungslos romantisch." Sie lachte. „Ich will Sie damit nicht demütigen, verstehen Sie mich bitte richtig. Auch ich habe einmal dieses schreckliche Herzklopfen durchgemacht vor meinem ersten großen Auftreten in der Gesellschaft." „Sie hatten Angst?" „Ja. So wie Sie mich jetzt sehen, war ich nicht immer." Senora Villines plauderte weiter, leicht und amüsant, und dabei führte sie Christina die Treppe hinunter. Der Ballsaal war ein riesiger Raum mit glitzernden Kristalllüstern. Christina schlug das Herz bis zum Hals, als ein ihr bekannter dunkler Kopf sich in ihre Richtung drehte. Seine grünen Augen strahlten. Sie verlor sich fast in seinem Blick. „Miß Lacey. Sie sehen hinreißend aus." Daniel verbeugte sich und bot ihr seinen Arm. „Mr. Belmont", flüsterte sie und hängte sich bei ihm ein. Ihre Augen forschten in seinem Gesicht. „Das ist alles sehr, sehr aufregend." „Unsinn", sagte er forsch. „Sie sind schön, das wird Ihnen Sicherheit geben." Isabella schaute phantastisch aus in ihrem Kleid aus blauer venezianischer Seide. Als sie Christina und Daniel zusammen sah, richte113
te sie sich noch etwas mehr auf. Sie erkannte instinktiv die Rivalin. Daniel geleitete Christina zu Don Ramon, der nun seine beiden Hausgäste mit den anderen geladenen Besuchern bekannt machte. Es hatte sich eine Auslese von einflussreichen Leuten mit berühmten Namen eingefunden. „Woher haben Sie die Kette?" fragte Daniel leise an Christinas Ohr. „Senora Villines hat sie mir geliehen." „Sie ist sehr hübsch und steht Ihnen gut." Daniel streckte die Hand aus. „Wollen wir tanzen, Miß Lacey?" Die Musik machte Christina beschwingt. Errötend und lachend versuchte sie mit seinen schnellen Tanzschritten mitzuhalten, was auf Anhieb nicht ganz gelang. Die südamerikanischen Rhythmen, die die Kapelle spielte, waren ihr fremd. Sie war auch viel zu aufgeregt, um sich auf ihre Bewegungen zu konzentrieren. „Ich gebe auf!" rief sie schließlich und warf beide Arme in die Luft. Eine Gruppe junger Leute, die um sie herum tanzte, lachte und applaudierte Christina für den bezaubernden Temperamentsausbruch. Sie errötete und sah zu Daniel auf. „Aber Miß Lacey. Wir fangen ja gerade erst an. So schnell verlieren Sie den Mut? Sie verschenken einen großen Sieg", flüsterte er neckend. Sie richtete sich auf, löste sich von ihm und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Vielleicht nehme ich später einen neuen Anlauf", meinte sie verschwörerisch. „Aber jetzt bringen Sie mich bitte zum Tisch zurück, Mr. Belmont." Sie hatte sich gerade gesetzt, da stand Don Ramon vor ihr. „Bitte, geben Sie mir die Ehre, Senorita Lacey." „Aber ich tanze nach dieser Musik miserabel." „Das liegt nur daran, dass Sie einen schlechten Lehrmeister hatten", sagte Don Ramon und zwinkerte Daniel zu. Don Ramon machte es ihr ganz einfach, seiner Führung und seinen Schritten zu folgen. Christina lernte schnell und tanzte nun mit Begeisterung. Diesmal klatschten die Gäste, weil der Tanz mit dem 114
Hausherrn so elegant ausgesehen hatte. Christina strahlte. „Sie waren nur so gut, weil Don Ramon Sie nicht verwirrt hat. Bei ihm sind Sie ruhig geblieben", flüsterte Daniel ihr ins Ohr, als er sie zum nächsten Tanz aufforderte. Es war glücklicherweise ein langsames Stück. Daniel hielt sie leicht und in gebührendem Abstand. Aber gerade das machte den Tanz so verhalten sinnlich. In einem Anfall von Übermut strich Christina sanft mit ihren Fingerspitzen über seinen Nacken. Eine Sekunde lang spürte sie, wie seine Muskeln sich spannten. Er zog sie ein wenig näher zu sich heran. Erfreut über seine stumme Antwort, sah sie zu ihm auf. „Tun Sie das nicht noch einmal, Miß Lacey, ich bin sonst nicht mehr verantwortlich für die Folgen", drohte er leise. Die mit dunkler Stimme ausgesprochene Warnung klang wie eine Liebeserklärung. Er lachte, als er die feine Röte sah, die sich über ihre Wangen ausbreitete. Scheu schlug sie die Augen nieder. Daniel tanzte viel. Es machte Spaß, ihm zuzusehen, wenn er mit den anderen Damen tanzte, aber es war ausgesprochen schmerzlich, ihn mit der hübschen Isabella zu beobachten. Ihr Benehmen war absolut korrekt, dennoch sah man an ihren Blicken, dass Daniel ihr ausnehmend gut gefiel. Welche Frau fühlte sich nicht zu ihm hingezogen? Er war auch heute wieder der attraktivste Mann. Isabella wäre wohl keine Frau, wenn sie von seiner anziehenden Männlichkeit nicht berührt gewesen wäre. Es war gut und schön, das einzusehen, es half nur nicht gegen die Eifersucht. Gerade ging Daniel zu einer anderen Gruppe von Gästen, lachte und unterhielt sich mit ihnen. Man gab Christina keine Zeit, weiter nachzudenken. Ein Blick von der Senora, und Don Ramon stand schon neben ihr und forderte sie zum Tanzen auf. Danach nahm Christina ein weiteres Glas Sekt und trank es hastig aus. Unglücklich stellte sie fest, dass Daniel und Isabella sich an einen separaten Tisch gesetzt hatten, um sich allein zu unterhalten. Sie musste sich sehr zusammennehmen, um nicht aufzustehen und davonzustürmen. 115
Als sie wieder zu den beiden hinübersah, gingen sie gerade zum Tanzparkett. Die Musiker spielten diesmal einen mexikanischen Tanz. Isabella bewegte sich wie eine Gazelle, ihre schwarzen Augen glitzerten wie die Diamanten, die sie trug. Daniels Blick lag auf ihrem Mund, der rot und feucht schimmerte. Sie wirbelten beide über die Fläche und bewältigten die komplizierten Schritte und Figuren mit spielerischer Leichtigkeit. Christina musste einfach wie gebannt hinschauen, denn es war eine großartige Vorstellung. Man hörte Ausrufe und begeisterte Komplimente. Jeder fand, dass der gutaussehende Amerikaner und die schöne Isabella aus reichem Haus wie geschaffen füreinander waren. Daniel war keineswegs unempfänglich für die temperamentvolle Weiblichkeit Isabellas, das sah auch Christina. Sein Körper war gestrafft, das Leuchten in seinen Augen zeigte ihr, dass er dem Charme der hinreißenden Frau in seinem Arm voll aufgeschlossen war. Als der Tanz zu Ende war, wurde ringsum applaudiert. Von diesem Augenblick an blieb Christinas Gesichtsausdruck kühl und verschlossen, wann immer Daniel ihr einen Blick zuwarf. Kurz nach Mitternacht endlich fand Daniel wieder einmal zu Christina. Die Kapelle spielte gerade eine seelenvolle Melodie. Daniel schlug vor, ein wenig an die frische Luft zu gehen. Er führte Christina über die Terrasse in den Park. Es duftete nach den verschiedensten Blüten. Im Schatten einer Palme suchten seine Lippen ihren Mund. Christina schlang ihre Arme um ihn und beantwortete inbrünstig seinen Kuß. Wenn er überrascht war über ihre Bereitwilligkeit, so zeigte er es nicht. Er nahm sie entgegen und steigerte sie noch durch sein eigenes Verlangen. Sie war sich bewusst, dass er nicht viel Schwierigkeiten mit ihr haben würde, wenn er sie in dieser Nacht verführen wollte. Christina drängte sich an ihn und forderte ihn unbewußt zu Kühnheiten heraus, die sie sonst nicht erlaubt hätte. Daniel fand zuerst seine Haltung wieder. Mit einem tiefen Atemzug schob er sie ein Stückchen von sich. 116
„Wir sollten zum Ball zurückkehren, Miß Lacey, bevor ich Ihren wertvollen guten Ruf ruiniere", sagte er leise. In seiner Stimme hörte sie, dass er sich über sie lustig machte. Wütend sagte sie daher: „Warum finden Sie es so abwegig, wenn ich auf meinen Ruf achte? Es könnte doch sein, dass der Mann, den ich zu heiraten gedenke, wert auf diesen guten Ruf legt." „Ja, das ist durchaus möglich, wenn ich an Gregory Stafford denke", erwiderte er kühl. „Jedenfalls gehen wir jetzt zurück. Einverstanden?" Als sie zurückkamen, verabschiedeten sich die ersten Gäste. Christina wurde verlegen, als sie Senora Villines' wissendes Lächeln bemerkte. Die romantischen Gedanken um sie und Daniel waren so unzutreffend, das Christina am liebsten höhnisch aufgelacht hätte. Sobald es möglich war, entschuldigte sie sich bei der Gastgeberin, dankte für den schönen Abend und floh die Treppen hinauf in ihr Zimmer. Wenige Minuten später lag sie im Bett. Vor lauter unbeantworteten Fragen konnte sie nicht einschlafen. Warum hatte Daniel sie hierher gebracht? Warum hatte er zu Paul Kinslow gesagt, er brauche sie? Sie konnte sich das alles nicht erklären. Die beiden letzten Tage waren ein einziges Auf und Ab von Gefühlen gewesen. In einer Minute fühlte sie sich im Himmel, und schon in der nächsten landete sie hart auf der Erde. Dauernd schwankte sie zwischen Hoffnung, Schwäche und Glück. Schließlich hatte sie noch den Kampf gegen ihren Stolz auszufechten, denn es bestand ja die Möglichkeit, dass Daniel sie zurückgeholt hatte wie ein Spielzeug, das eigentlich schon abgelegt worden war. Oder noch einfacher: Er setzte seine Jagd nach einem Liebesabenteuer fort, weil er bei seinen sonstigen Erfolgen nicht ertragen konnte, von einer Frau abgewiesen zu werden. Mit solchen Gedanken landete sie wieder einmal auf dem Boden der Tatsachen. Er war so charmant heute abend gewesen. Die Tänze mit ihm würde sie ihr ganzes Leben lang nicht vergessen. Ihre Liebe zu diesem Mann hatte sie wieder einmal überwältigt. Sie brauchte 117
nur an die köstlichen Minuten im Park zu denken. Vielleicht hätte alles gut werden können, wenn nicht der Name Gregory Stafford gefallen wäre. Aber nein, an ein gutes Ende war in keinem Fall zu denken. Daniel Belmont konnte sich nicht an eine Frau binden. Warum sollte er auch? Er bekam alle, die er wollte. Von der Terrasse unter ihrem Fenster hörte sie sein dunkles Lachen und Isabellas klingende Stimme. Sie stellte sich vor, wie man da unten entspannt nach dem Ball noch bei einem Drink zusammen saß und über alles Mögliche redete. Auch über sie? Christina streckte sich und seufzte. Sie hatte zufällig gehört, wie Daniel zu Don Ramon gesagt hatte, am Freitag würden sie nach Texas zurückkehren. Sie hatte also noch zwei Tage mit ihm. Was kam dann? Der Mond war hinter einer Wolke verschwunden, und das Zimmer lag in völliger Dunkelheit. Ja, was kam danach? Alles war trübe und undeutlich.
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9.
KAPITEL
Am nächsten Morgen wurde Christina sehr früh geweckt. Verwirrt und noch schläfrig, verstand sie überhaupt nicht, was geschehen war. Während sie duschte und sich anzog, packte ein Zimmermädchen bereits ihren Koffer. Am Frühstückstisch, der auf der Terrasse gedeckt war, wurde sie von Daniel mit einem nachsichtigen Lächeln begrüßt. Sie erwiderte den Gruß mit einem zurückhaltenden Kopfnicken. Offensichtlich hatte er hervorragend geschlafen. Sie kaute an einem Brötchen und ließ die Unterhaltung zwischen Daniel und den Gastgebern an sich vorbeiplätschern, ohne sich daran zu beteiligen. Der Wind spielte mit ihrem Haar und brachte den Duft von Orangenblüten mit. Vögel flatterten am tiefblauen Himmel. Der Rasen vor dem Haus war trotz der Hitze grün und weich wie ein Teppich. Die Sprenganlagen waren bereits angestellt. Über die Kaffeetasse hinweg sah sie zu Daniel, dessen Augen sich auf einmal weiteten. Isabella war durch die Terrassentür herausgekommen. Sie trug einen spitzenbesetzten, blauen Morgenmantel. Ihre Haare fielen ihr wie ein Wasserfall über den Rücken. Daniel begrüßte sie herzlich. Es gab Christina einen Stich, aber sie konnte ihm nicht übel nehmen, dass er von Isabella so beeindruckt war, weil sie wirklich eine der schönsten Frauen war, die sie je gesehen hatte. Als der Wagen vor dem Haus hielt, standen alle auf und begleiteten Christina und Daniel zur Auffahrt. Mit einem warmen Lächeln nahm Senora Villines Christinas Hand. „Auf Wiedersehen, Christina", sagte sie warmherzig. „Gott mit Ihnen." „Sie werden uns Christina bald wieder einmal herbringen, nicht wahr, Daniel?" sagte Don Ramon und küßte ihr die Hand. „Wir werden sehen", meinte Daniel zurückhaltend. Christina verabschiedete sich kurz von Isabella und stieg schnell in das wartende Auto. Die Fahrt zum Flugplatz verlief schweigend. An Bord der Maschi119
ne stellte Daniel seinen Sitz nach hinten, machte die Augen zu und empfahl Christina, dasselbe zu tun. Christina kuschelte sich in ihren Sitz und beobachtete ihn durch die halbgeschlossenen Augen. Er sah aus wie ein kleiner Junge, wenn er schlief. Sehnsucht stieg in ihr auf. Dann wurden ihre Augen schwer, und sie schlief ein. „Aufwachen, Miß Lacey", rief Daniel, als das Flugzeug zur Landung ansetzte. Es war ihr, als seien erst Sekunden seit dem Einschlafen vergangen. Sie rieb sich die Augen und murrte: „Ich bin so entsetzlich müde. Warum mussten wir eigentlich schon beim Morgengrauen aufstehen?" Daniel lachte und half ihr aus dem Sitz. „Sehr einfach, weil wir sonst das Boot nicht bekommen hätten." „Das Boot? Was heißt das?" „Wir machen einen Schiffsausflug die Küste entlang. Aber wir schaffen es nur, wenn wir endlich hier herauskommen." Die Maschine war bereits zum Stillstand gekommen. Christina geriet in Bewegung und fragte andauernd etwas anderes. Daniel antwortete immer das gleiche. „Keine Fragen. Das ist eine Überraschung, und bei Überraschungen stellt man keine neugierigen Fragen." „Ich will aber einiges wissen." „Und ich antworte nicht." Im Hotel trennten sie sich. Daniel riet ihr, Badesachen einzupacken. In zehn Minuten sollte sie wieder unten in der Halle sein. Christina beeilte sich, in ihr Zimmer zu kommen. Sie war glücklich und freute sich auf den Tag. „Lebe für den Augenblick", rief sie ihrem Spiegelbild zu. Es funktionierte. Jedenfalls jetzt. Daniel kam bereits über den Flur, und Christina lief ihm entgegen. Er ergriff ihre Hand. Vom Hotel zur Bootsanlagestelle waren es nur ein paar Minuten. Atemlos kamen sie an, als das weiße Ausflugsboot gerade am Steg festmachte. Lachend und prustend gingen sie an Bord. Christina hätte vor Freude singen können. Abgesehen von 120
einigen fehlgeschlagenen Segelversuchen war sie noch nie mit einem Boot gefahren, und schon gar nicht mit einem größeren. Sie sicherte sich sofort einen Platz an der Reling, am Bootsgeländer. Sie fuhren an der Küste entlang. Man sah überfüllte Badebuchten, Felswände und steile Klippen, verlassene Strände, eingerahmt von windzerzausten Bäumen. Die Sonne zauberte Glanzlichter auf das Wasser, und im Wasserdunst der Schiffsschraube bildeten sich winzige Regenbögen. Es war ein unbeschreiblich schöner Tag. Der Himmel war von reinstem Blau. Der Wind fegte Christina ins Gesicht und zerwühlte ihr Haar. Sie lachte laut, weil sie sich so glücklich fühlte. Daniel hatte sich hinter sie gestellt. Seine auf die Reling gestützten Arme bildeten eine Stütze für ihren Körper. Ab und zu lehnte sich Christina ein wenig zurück, nur ein ganz klein wenig, um eine Wärme zu spüren. Er schmunzelte, als sie aufgeregt auf einen Schwarm Delphine zeigte, die ein paar Minuten, auf- und untertauchend, das Boot begleiteten und wieder verschwanden. Alles, was sie bisher von Cozumel gesehen hatte, war die Straße vom Flugplatz zum Hotel, und heute machte sie einen Ausflug um die Insel, noch dazu mit dem Mann, den sie liebte. Später gingen sie hinauf aufs Sonnendeck und fanden zwei freie Liegestühle etwas abseits von den anderen Leuten. Christinas einteiliger Badeanzug erregte sein Erstaunen. „Sind Sie nicht ein bisschen altmodisch, Miß Lacey?" bemerkte er und zeigte, mit den Augen zwinkernd, auf zwei wohlproportionierte junge Damen in Bikinis. Christina errötete, und Daniel lachte. Sie konnte ihm nicht böse sein, dazu war alles viel zu schön. Angeregt von seinem Spott, versuchte sie es ihm gleichzutun. Sie hob eine Augenbraue, zeigte auf seinen Strohhut und sagte mit tiefer Stimme: „Wo, um alles in der Welt, haben Sie diesen lächerlichen Strohhut her?" „Lächerlich?" „Lächerlich." „Ich habe ihn bei einem Händler vor dem Hotel gekauft. Er ver121
sicherte mir, es sei hochmodern, so etwas zu tragen. Sie sind ja nur neidisch, weil ich Ihnen keinen Hut gekauft habe", antwortete er neckend und schob sich die Krempe ins Gesicht. "Warum haben Sie keinen für mich gekauft?" fragte sie spielerisch. „ Diese Hüte sind nur für die Herren der Schöpfung gemacht, Miß Lacey. Wenn Sie brav sind, dürfen sie den Hut vielleicht einmal aufsetzen", versprach er großmütig. „ Eingebildet, arrogant. . . und geizig ", stellte sie fest und blickte anklagend zum Himmel. Das Schiff legte an einem Steg in einer kleinen Bucht an. An den Klippen wurden Feuer entzündet, und bald verbreitete sich aromatischer Bratenduft von großen Grillplatten. Christina und Daniel setzten sich zu den anderen Gästen an einen langen Holztisch. Wein, mexikanisches Bier und Fruchtsäfte wurden ausgeschenkt. Bald gab es verschiedene gegrillte Fischsorten und Krabben, riesige Steaks mit Salaten und Bohnen, dazu Safranreis. Danach wurden sehr dunkel gebratene, in Würfel geschnittene Fleischstücke mit frischem Gemüse und Knoblauchsauce serviert. Daniel empfahl sie Christina wärmstens. Sie versuchte und rief begeistert. „Köstlich. Danke. Dabei bleibe ich. Ich frage mich, was es ist. Es hat einen ganz besonderen Geschmack." Dabei nahm sie sich das dritte Stück. „Ich denke, es ist cabrito", erwiderte er fröhlich. „Und was ist cabrito?" „Ziege." Christinas Gesicht wurde lang. „Ach ja? Gut, aber ich werde lieber noch ein paar Krabben essen. Das sind doch ganz normale Krabben, wie sie jeder kennt, oder?" fragte sie vorsichtig. Daniel häufte einen Berg rosiger, ölglänzender Krabben auf ihren Teller. „Ganz normale Krabben, wie das andere eine ganz normale Ziege gewesen ist", versicherte er. Es war ein idyllischer Nachmittag. Hand in Hand wanderten Christina und Daniel nach dem reichhaltigen Essen am Wasser entlang bis zu einer Orangenplantage. Dort setzten sie sich unter den Bäumen 122
in den Schatten. Daniels nackter Oberkörper schimmerte wie Bronze. Das seidenweiche, lockige Haar auf seiner Brust und auf den Oberschenkeln lockte Christina zum Streicheln. Schnell wandte sie sich ab, um nicht in Versuchung zu geraten. Später schwammen sie ausgiebig im klaren Wasser und suchten Muscheln am Strand. Fröhlich und verspielt jagten sie sich wie Kinder, bis Daniel Christina ergriff. Er hob sie hoch und lief mit ihr ins Wasser. Die Erregung, die nackte Haut auf nackter Haut auslöst, war in seinen und ihren Augen deutlich zu erkennen. Beide hatten ihre übliche Zurückhaltung abgelegt. Wir könnten ein frisch verliebtes Paar sein, dachte Christina ein wenig schmerzlich. Unter halbgeschlossenen Lidern sah sie Daniel an, der neben ihr im Sand lag, den komischen Hut weit über das Gesicht geschoben. Wenn er ihr Ehemann wäre, wie würde das sein? Wie wäre es, wenn sie zu jeder Stunde seine Augen auf sich gerichtet fühlte, wenn er sie umarmte, wenn sie ihm ganz gehörte? Plötzlich rückte er sich den Hut aus der Stirn und sah sie blinzelnd an. „Wie wäre es mit einem Spaziergang, um dem lauten Festestreiben hinter uns zu entkommen?" schlug er vor. Christina stimmte sofort zu. Sie schlenderten weiter den Strand entlang. Er hatte sie an der Hand genommen und ließ ihren Arm vor und zurück pendeln. In dieser trauten Zweisamkeit bekam, durch die Augen der Liebe gesehen, alles eine durchsichtige Klarheit. Das Dünengras, die lavendelblauen Strohblumen, die kleinen verkrüppelten Bäume und das Knirschen zerbrechender Muscheln unter ihren Füßen kamen ihr vor wie in einer Traumwelt. Christina schwebte neben Daniel wie auf einer Wolke. Der Verstand sagte ihr, dass dies nur eine ganz normale Badebucht und die Sonne dieselbe wie in Texas war, aber ihr Herz verdrängte das logische Denken. Sie umfasste seine Finger fester und ging näher an ihn heran. Ihre Schultern berührten sich bei jedem Schritt. Ich liebe dich, Daniel, dachte sie innig, aber sie murmelte nur schwärme123
risch: „Ist es hier nicht wundervoll?" Daniel drehte sich einmal kurz um. „Sehen Sie doch, man geht schon wieder an Bord. Ich fürchte, wir müssen zurück", sagte er bedauernd. Als sie wieder auf dem Boot waren, sonderte sich Daniel ab. Christina nahm ihre Tasche und brachte ihm mit einem spöttischen Augenzwinkern seinen Strohhut. Er lächelte zwar, aber Christina spürte, dass er in Gedanken weit weg war. Er ließ sich in einen Liegestuhl fallen und legte die Füße auf die Reling. Stumm starrte er auf das Wasser. Christina konnte sich den plötzlichen Wechsel seiner Stimmung nicht erklären. Sie setzte sich in einiger Entfernung auf eine Bank und wurde von einem freundlichen jungen Paar, das auf der Hochzeitsreise war, in ein Gespräch einbezogen. Ab und zu sah sie zu Daniel hinüber und sehnte sich nach einem Zeichen von ihm. Er rührte sich aber nicht. Alle um sie herum lachten und redeten lustig durcheinander. Die Sonne setzte das Meer förmlich in Flammen, und Daniel saß da wie zu Tode gelangweilt. Langweilte er sich mit ihr? Das war schon möglich. In den letzten beiden Tagen hatten sie fast jede Minute miteinander verbracht. Für sie war es eine reine Freude gewesen, aber er war vielleicht ihrer Gesellschaft überdrüssig. Christina stand auf und ging an der Reling entlang zum Bug des Schiffes. Dort blieb sie stehen, bis das Boot an den Anlegesteg kam, an dem sie aussteigen mussten. Sobald es festgemacht hatte, war Daniel neben ihr und half ihr über die Schiffsplanke. Seine Schweigsamkeit hielt an, bis sie Christinas Zimmer im Hotel erreicht hatten. „Hat Ihnen der Tag gefallen, Miß Lacey?" fragte er mit verhangenen Augen. Du darfst jetzt nicht lügen, Christina, dachte sie. „Es war der schönste Tag meines Lebens. Vielen Dank", sagte sie leise, fast unhörbar. „Das freut mich." Es klang steif. „Also, dann werden wir uns jetzt 124
den Sand von der Haut waschen." Er winkte ihr zu und ging weiter den Korridor hinunter zu seinem Zimmer. Da Christina nicht wusste, wie der Abend aussehen würde, duschte sie ausgiebig, zog ein hübsches, weit ausgeschnittenes Sommerkleid und hochhackige Riemchenschuhe an und ging hinunter in die Hotelhalle. Sie wollte Daniel fragen, ob sie zusammen essen würden. Sie schlenderte auf die Terrasse hinaus und hörte hinter einem Blumenbeet seine Stimme und sein Lachen. Daniel saß bei einem Drink mit einer jungen Frau zusammen, die Christina schon auf dem Boot gesehen hatte. Es war eine attraktive Rothaarige mit wachen Augen. Das Herz tat ihr weh bei diesem Anblick. Die Frau hatte sich zu Daniel geneigt und sprach in vertrautem Ton auf ihn ein. Seine Antwort war ein vergnügtes Lachen. Dann stießen sie die Gläser aneinander und sahen sich tief in die Augen. Jetzt fühlt er sich nicht mehr gelangweilt, dachte Christina bitter. Nach einem letzten Blick auf sein angeregtes Gesicht kehrte sie in ihr Zimmer zurück. Mit energischen Schritten durchquerte sie den Raum und stellte sich vor den Spiegel. Seltsam, dass sie so blass war, dabei empfand sie doch eine hitzige Eifersucht. Sie ballte die Hände zu Fäusten. „Dummkopf, albernes Ding", beschimpfte sie sich selbst. „Willst du es noch schriftlich haben? Daniel bevorzugt dann und wann deine Gesellschaft. Er möchte auch mit dir ins Bett gehen. Wahrscheinlich schätzt er auch deine beruflichen Qualitäten. Aber das ist auch alles. Du unterscheidest dich nicht im geringsten von anderen Frauen, mit denen er sich vergnügt. Für ihn sind alle gleich. Du auch." Plötzlich musste sie über ihren Ausbruch lachen. Da befanden sie sich auf dieser zauberhaften Insel, die zur romantischen Zweisamkeit wie geschaffen schien, und Daniel saß unten mit dieser Rothaarigen, während sie hier oben allein in ihrem Zimmer hockte und sich selbst ein Drama vorspielte. Es war wirklich zu komisch. Sie hatte einen unangenehmen Geschmack im Mund. Wenn sie nicht ganz schnell etwas unternahm, würde das ein tränenreicher Abend werden. Also zog sie sich ihren Bikini an, warf den Bade125
mantel über, griff nach einem Frotteetuch und fuhr mit dem Fahrstuhl hinunter zum Swimmingpool. Sie musste ihre Enttäuschung loswerden, und das ging am besten durch hartes körperliches Training. Nach der zehnten Durchquerung des großen Beckens stieg sie atemlos und erschöpft aus dem Wasser. Morgen würde sie einen deftigen Muskelkater haben, aber das machte nichts. Christina trocknete sich ab, zog in einer Umkleidekabine den Bikini aus und hüllte sich in ihren Bademantel. Dann spazierte sich hinunter zum Meer und wanderte den Strand entlang. Am Himmel leuchtete ein Stern nach dem anderen auf. Eine herrliche klare Nacht brach langsam herein. Die Quelle ihres Unglücks waren Daniel und ihre Stellung in seiner Firma. Von beiden würde sie sich lösen müssen. Eine schnelle, saubere Trennung war die einzige Möglichkeit. Wenn sie blieb, musste es zu immer neuen Schwierigkeiten kommen. Früher oder später, dessen war sie gewiss, würde sie in seinem Bett landen, weil sie ihm eines Tages nicht mehr widerstehen konnte. Wahrscheinlich würde sie sogar um seine Liebe betteln und sich demütigen. Nein, so weit durfte es nicht kommen. Auf einmal fror sie und ging den Weg zurück zum Hotel, aber sie fühlte sich freier. Der Tumult in ihrem Herzen war zur Ruhe gekommen. Wenn sie wieder in Ohio war, würde ihr die Zeit mit Daniel Belmont nur noch wie ein bittersüßer Traum erscheinen. Daniel fand Christina am nächsten Morgen im Hotelgarten bei einem Orangensaft. Man merkte ihm an, dass er eine gewisse Unsicherheit zu überwinden versuchte, als er leise bat, sich zu ihr setzen zu dürfen. Christina sah ihn wie einen Fremden an, wie einen attraktiven Mann, den sie zufällig kannte. Ihr Herz würde sie ihm nicht mehr zu Füßen legen. „Bitte", sagte sie zurückhaltend. „Wo waren Sie gestern abend, Miß Lacey?" Da sie merkte, dass er nicht nur unsicher, sondern auch noch ärger126
lich war, blieb sie ganz beherrscht. „Ich bin eine Weile geschwommen, dann habe ich einen Spaziergang gemacht und bin ins Bett gegangen." „Sie sind allein spazierengegangen? In der Dunkelheit? War das nicht sehr unvorsichtig?" grollte er. „Das ist doch meine Angelegenheit, oder etwa nicht?" „Es ist Ihre Angelegenheit, solange nichts passiert. Man hätte Sie aber überfallen oder vergewaltigen können. Dann wäre es meine Angelegenheit gewesen, stimmt's? „Ich verstehe Sie nicht ganz", antwortete sie kühl. „Seit wann sind Sie verantwortlich für mein Wohlergehen?" „Haben Sie schon gefrühstückt?" Er wechselte das Thema und überhörte ihren abweisenden Ton. Dann betrachtete er sie ungeniert in ihrem knappen Bikini. Er sah das lange schwarze Haar, das sich von der Feuchtigkeit über der Stirn und an den Ohren kräuselte. „Ja. Ich bin früh aufgestanden, bin geschwommen und habe dann gefrühstückt. Und Sie?" „Noch nicht." Er sah zum Meer hinunter, wo entfernt einige Segelboote durch die Wellen glitten. Gern hätte sie seine Augen gesehen, aber er hatte eine Sonnenbrille aufgesetzt. Da er wieder seine übliche zurückweisende Haltung angenommen hatte, bemühte sie sich nicht weiter um eine Unterhaltung. Sollte er doch tun, was er wollte. Sie war fertig mit Daniel Belmont. Sobald sie wieder in Corpus Christi waren, würde sie kündigen und die Stadt verlassen. Die Entscheidung ließ sie seltsam kühl. Vielleicht war sie auch nur benommen von all den Ereignissen. Wie auch immer, es bedeutete ihr nichts mehr. Morgen verließen sie Cozumel, und es blieb nur noch dieser Tag, den sie überstehen musste. Sie warf einen Blick auf Daniel, der sich auf einer Liege ausgestreckt hatte und sich sonnte. Christina wollte nicht in Versuchung kommen, wieder weich zu werden. Leise stand sie auf und ließ ihn allein am Strand liegen. Wohin sollte sie gehen? Vielleicht ein Taxi nehmen und einen 127
Stadtbummel machen? Dazu war sie nicht in der Stimmung. Sie schlenderte durch den Garten zum Hotel zurück und traf in der Halle das nette junge Ehepaar von gestern. Man begrüßte sich freundlich, und die junge Frau erzählte, dass sie auf der anderen Seite der Insel Wasserski fahren wollten. Kurz entschlossen fragte Christina, ob sie mitkommen könnte. „ Natürlich gern ", sagte die junge Frau. „Haben Sie eine Ausrüstung? Es ist sagenhaft schön, über das Wasser zu gleiten." „Nein, die habe ich nicht. Aber ich würde mir gern ein weiteres Stück dieser Insel ansehen. Außerdem kann ich dieses Hotel nicht mehr ertragen!" „Das verstehe ich gut. Deshalb machen wir auch so viele Ausflüge. Also, holen Sie Ihre Sachen, und kommen Sie mit uns." „Vielen Dank, ich bin in fünf Minuten zurück." Als sich die Tür des Fahrstuhls schloss, sah Christina gerade noch Daniel in die Hotelhalle kommen, der mit bösem Gesicht in Richtung Frühstücksraum ging. Kurze Zeit später stieg Christina zu dem jungen Paar in den gemieteten Jeep. Die andere Seite der Insel war wildromantisch. Es gab hier mächtige Klippen und Felsen und kleine, natürliche Sandbuchten. An der Wasserskischule trennten sie sich. Man verabredete eine bestimmte Zeit, zu der man sich wiedertreffen würde, dann ging Christina auf Entdeckungsreisen. Wenn Daniel doch bei ihr sein könnte, dachte sie sehnsüchtig. Aber dann erinnerte sie sich an sein abweisendes Gesicht und verdrängte den Gedanken. Sie konnte auch sehr gut allein sein. Sie kam bei ihrer Wanderung an einen Felsen, den sie einigermaßen leicht erklettern konnte. Oben auf dem Plateau zog sie ihr Sonnenkleid aus und legte sich im Bikini in die Sonne. Hier oben wehte eine angenehme Brise, und sie hatte einen herrlichen Rundblick. Ab und zu brachen sich größere Wellen an dem Felsblock. Der Gischt spritzte bis zu ihr hinauf. Gegen zwei Uhr begann sie den Abstieg, um ihre neuen Bekannten zu treffen. Gemeinsam gingen sie in ein kleines Strandlokal zum 128
Mittagessen. Der Vorschlag, noch durch das nahe gelegene Städtchen zu bummeln, fand bei Christina ungeteilte Zustimmung. Je länger sie unterwegs war und Daniel nicht sehen musste, desto besser. Der Ort war voller Touristen, weil draußen vor kurzem ein Luxusdampfer angelegt hatte. Der Markt war leider enttäuschend bis auf wenige Stände. Es gab billige Souvenirs, handgefertigten Schmuck und einige Antiquitäten. In einer Seitenstraße fand Christina einen kleinen Juwelierladen, der sehr hübsche Emaillearbeiten ausgestellt hatte. Sie kaufte sich eine Kette aus viereckigen, buntgebrannten Emaillestücken, die mit Silberschlaufen verbunden waren. Für Daniel fand sie Manschettenknöpfe. Warum sie die für ihn kaufte, wusste sie selbst nicht. Wahrscheinlich würde sie niemals Gelegenheit haben, sie Daniel zu geben. Nach einiger Zeit traf sie das junge Paar wieder, man setzte sich in ein Straßencafe und erfrischte sich mit gekühlten Getränken. Anschließend bestellten sie noch riesige Eisbecher. Ringsum waren fröhliche Menschen, Musikanten spielten heiße Rhythmen, Hunde, Katzen und Kinder strichen ihnen um die Füße. Es war ein lautes, buntes Durcheinander. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich bin, dass Sie mich mitgenommen haben", sagte Christina zu dem Ehepaar, als sie wieder in den Jeep kletterten, um sich auf den Rückweg zu machen. Die Sonne schien schon sehr tief, als sie auf dem Parkplatz vor dem Hotel hielten. Christina verabschiedete sich mit einem weiteren herzlichen Dankeschön und fuhr in ihr Zimmer hinauf.
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10.
KAPITEL
Lange und ausgiebig badete Christina in duftendem Wasser. Nachdem sie sich abfrottiert und eingecremt hatte, fühlte sie sich seltsam leer, als wäre etwas in ihr zerbrochen. Morgen ist alles zu Ende, dachte sie, und Tränen brannten in ihren Augen. Sie fönte ihr Haar und nahm ein sarongartiges Gewand aus einem Karton. Es war nicht gerade die Art Kleid, die sie sonst bevorzugte, denn es war recht auffallend. Knöchellang und an beiden Seiten bis zu den Oberschenkeln geschlitzt, lag es sehr eng um ihre Hüften. Es hatte keine Ärmel. Der schmale Stehkragen wurde hinten am Hals mit einem Knopf geschlossen. Der Rücken war bis zur Taille offen. Daniel hätte es für sie möglicherweise nicht ausgewählt. Christina hatte das Kleid auf dem Markt gekauft. Wahrscheinlich würde es nach der ersten Wäsche bereits auseinander fallen, aber für heute abend fand sie es durchaus angebracht. Die leuchtenden Farben, Orange, Rot und ein zartes Grün, passten großartig zu ihrer gebräunten Haut und dem tiefschwarzen Haar. Sie wirkte exotisch, und das bereitete ihr Spaß. Der Lippenstift, mit dem sie ihren Mund noch attraktiver machte, war eigentlich völlig unnötig. Warum gab sie sich so viel Mühe mit ihrem Aussehen? War es ein letzter Versuch, Daniel zu gewinnen? Das war ein unangenehmer Gedanke. Sie verdrängte ihn, nahm die kleine rote Lacktasche und verließ ihr Zimmer. Nur noch dieser eine Abend lag vor ihr, dann hieß es: Lebewohl, du Trauminsel, Lebewohl, Daniel. Warum tat dieser bevorstehende Abschied nur so schrecklich weh? Die angenehme Luft und der zauberhafte Sonnenuntergang machten ihr das Herz doppelt schwer, als sie aus dem Hotel hinaustrat. Im Swimmingpool vergnügten sich noch einige Gäste. Schreie und Gelächter drangen zu ihr. Christina erkannte unter den Leuten auch die rothaarige Frau, die gestern mit Daniel zusammen gesessen hatte. Wo war Daniel überhaupt? Sie sah sich um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Dann schlenderte sie zur Bar neben dem Swim130
mingpool und bestellte sich einen der landesüblichen Drinks: eine halbe Kokosnuss, gefüllt mit einem Gemisch aus Ananassaft und Rum. Christina wollte sich gerade auf einen Barhocker setzen, als sie Daniels Stimme hinter sich hörte. „Vorsichtig mit dem Rum", rief er dem Kellner arrogant zu. Christina drehte sich um und sah ihm direkt in die Augen. Hatte er überhaupt eine Ahnung, was seine Stimme in ihr anrichtete? Sie fühlte sich unsicher und war verwirrt. Die Liebe zu ihm bedeutete Leben und Atmen, und es wurde ihr in diesem Augenblick klar, dass sie ihn immer lieben würde. Die guten Vorsätze von gestern hielten heute nicht mehr stand. Selbst Zeit und Entfernung würden sie von dieser Liebe nicht heilen können. Daniel hatte einen weißen Anzug an, in dem er möglicherweise noch eleganter als sonst aussah. Lässig beugte er sich über die Bartheke und zeichnete für Christina die Rechnung für ihr Getränk ab. Sie versuchte, wenigstens äußerlich so neutral wie möglich zu bleiben. „Vielen Dank für Ihre Fürsorge, Mr. Belmont. Ich wusste gar nicht, dass ein solcher Drink zu stark für mich ist." Dann nahm sie das Getränk, rutschte vom Barhocker und ging davon. Zu ihrer Überraschung schmeckte es frisch und angenehm. Davon könnte ich ein Dutzend trinken, dachte sie. Daniel folgte ihr und war mit wenigen Schritten an ihrer Seite. „Hatten Sie einen schönen Tag?" „Danke. Es war wunderbar." Trotz überkam sie, und sie ging beschwingt und herausfordernd neben ihm her. „Das freut mich", antwortete er knapp. „Was ich schon lange fragen wollte", fuhr er freundschaftlich fort. „Haben Sie und Gregory schon einen Termin für die Hochzeit festgesetzt? Ich habe noch keine Einladung erhalten und rechne fest damit, Ihr Gast zu sein." Abrupt war Christina stehen geblieben und sah ihn verdutzt an. „Das ist doch Unsinn", wehrte sie ab. „Sie wollen mich nicht einladen?" 131
„Das meinte ich nicht. Ihre Frage nach der Hochzeit war unsinnig." "Wieso? Es ist eine ganz nahe liegende Frage." Er meint es ernst, überlegte sie. Es war ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass Daniel annehmen konnte, sie sei wirklich mit Gregory verlobt. Einen Augenblick war es, als wollte Ihr Herz aussetzen. Konnte es sein .. . Dann wurde ihr bewusst, dass es gar keinen Unterschied bedeutete, ob ihn eine Hochzeit mit Gregory berührte oder nicht. „Sie mögen recht haben, aber ich werde Gregory Stafford nicht heiraten. Von Anfang an habe ich ihm gesagt, dass ich ihn nicht liebe und nicht seine Frau werden kann. Vorige Woche habe ich mich endgültig von ihm getrennt." Ihre Erklärung hatte eine seltsame Wirkung auf Daniel. Seine Augen wurden plötzlich dunkel, und sein Gesicht wirkte stark angespannt. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Da trat er vor sie. „Und Sie haben es nicht für nötig gehalten, mir diese Entscheidung mitzuteilen?" Seine Stimme klang sehr ernst. „Dafür gab es keinen Grund. Was geht Sie mein Privatleben an?" antwortete sie überlegen. Daniel nahm Christinas Arm. „Hören Sie, Miß Lacey, fahren wir in die Stadt zum Essen. Vielleicht gehen wir hinterher ein bisschen tanzen, bitte." Die merkwürdige Unsicherheit in seiner Haltung rührte sie. Aber ihr Stolz ließ nicht zu, dass sie sich sofort einverstanden erklärte. War sie denn verrückt? Sie musste ihre lächerliche Sehnsucht nach ihm endlich bekämpfen. Ein solcher Abend würde enden wie all die anderen. Natürlich konnte sie ihn haben, wenn sie wollte. Er war nur allzu bereit, ihr das zu geben, was er anderen Frauen auch gab. Vielleicht würde sie sogar damit leben können, dass er sie nicht liebte, aber sie würde ihn niemals mit anderen teilen wollen. „Tut mir leid, ich habe schon eine andere Verabredung", log sie. Er legte seine Hände auf ihre Schultern, „Dann werden Sie eben absagen." „Ist das ein Vorschlag, Mr. Belmont, oder ist es eine Anweisung?" Daniel ließ sie los und fuhr sich ungeduldig mit der Hand durch das 132
Haar. „Also gut, es ist eine dienstliche Anweisung", murrte er. Aber es war ein sanftes Murren. „Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass es lange nach fünf Uhr ist?" Eine Spur seiner üblichen Arroganz lag um seinen Mund. „Ich bin mir durchaus bewusst, wie spät es ist, Miß Lacey. Setzen Sie sich." Christinas Mund wurde schmal, als sie zu ihm aufsah. „Meinetwegen", gab sie nach. „Da es Ihre letzte Anordnung sein wird, die Sie mir geben, kann ich sie ruhig befolgen." Sie setzte sich in einen der bequemen Liegestühle und schlug die Beine herausfordernd "übereinander, ohne daran zu denken, dass der Seitenschlitz ihres Kleides ihre Beine bis zu den Oberschenkeln freigab. „Die letzte Anordnung?" wiederholte Daniel perplex und setzte sich neben sie. Christina atmete tief. Sie konnte ihm ihren Entschluss ebenso gut auch sofort verkünden. „Ja. Wenn wir morgen in Corpus Christi ankommen, werde ich mich nur noch von Mr. Kinslow verabschieden, dann fahre ich nach Ohio zurück. Ich bin fertig mit ,Belmont Enterprises'." Es war keine Anmaßung in ihrem Ton, nur mutige Entschlossenheit. „Das gibt es doch gar nicht, Miß Lacey. Sie wissen genau, dass ich ohne Sie nicht auskommen kann." „O doch, das können Sie. Sie haben es doch bewiesen. Drei Wochen sind Sie gut ohne mich ausgekommen", erinnerte sie ihn. „Es waren die entsetzlichsten drei Wochen in meinem ganzen Leben", sagte er leise. „Wie denn das? Das kann ich nicht ernst nehmen." „Ich denke, ich habe mich zu sehr daran gewöhnt, eine Assistentin zu haben." „Sie finden leicht eine andere", bemerkte Christina schnippisch. „Das kann schon sein." Daniel lehnte den Kopf zurück an das Kissen und schloss die Augen. Christina betrachtete ihn mit verhaltener Zärtlichkeit. „Müde, Mr. Belmont?" 133
„Wenn ich ehrlich bin, ja. Ich habe nur wenig geschlafen in der letzten Nacht." Er seufzte. „Es war eine sehr hübsche Frau", erwiderte sie sanft. Daniel riss die Augen auf. „Was reden Sie da?" „Hören Sie, Mr. Belmont, diese Empörung steht Ihnen nicht. Gesten abend bin ich heruntergekommen, um zu fragen, ob wir zusammen essen wollen. Da saßen Sie bei dieser Rothaarigen", antwortete sie eisig. Daniels erstaunter Blick verwandelte sich in amüsierte Erleichterung „Also deswegen", sagte er aufatmend. „Miß Lacey", fuhr er dann fort „Sie haben die ärgerliche Angewohnheit, voreilige Schlüsse zu ziehen. Gestern abend saß ich bei einem Drink, und die junge Dame kam vorbei und fragte, ob sie sich zu mir setzen könnte. Ich bin ein höflicher Mensch und sagte ja. Dann trank ich aus und hielt nach Ihnen Ausschau, weil ich fragen wollte, ob Sie mit mir essen wollen", erklärte er gekränkt. „Mir kann keiner übel nehmen, dass ich etwas ganz anderes dachte. So wie das aussah. . ", verteidigte sie sich. „Diese Frau war sehr hübsch, und das ist doch das einzige, was Sie verlangen." „Wie kommen Sie nur auf eine so dumme Idee?" warf ihr Daniel vor. „Wissen Sie denn nicht, dass ich eine große Schwäche für bezaubernde junge Damen in bunten Sarongs habe?" setzte er leise hinzu. Christina warf ihm einen wütenden Blick zu. „Sie spielen mit mir." „Das möchte ich gern, Miß Lacey, aber Sie lassen mich nicht." Oh, wie sie ihn hasste! Sie sprang so plötzlich auf, dass ihr Getränk überschwappte und sich über ihr Kleid ergoss. „Sie sind ein ganz und gar gefühlloser Mensch", fuhr sie ihn unfreundlich an. „Ah, das ist einmal etwas ganz originelles zur Abwechslung", meinte er und sah sehr zufrieden aus. Als sie mit großen Schritten davonlief, rief er ihr warnend nach: „Kommen Sie sofort zurück, Miß Lacey." „Wenn ich nicht so gut erzogen wäre, Mr. Belmont, ich würde . . . 134
oh", schrie Christina auf, als sie unsanft mit einem Herrn zusammenstieß. „Es tut mir leid, habe ich Sie bespritzt?" Der Mann lachte und wischte sich die Flüssigkeit von seinem Hemd. „Ein bisschen schon, aber man kann das auswaschen." „Entschuldigen Sie vielmals." Christina warf die leere Kokosnuss in einen Abfalleimer, dann drehte sie sich noch einmal zu Daniel um. „Und Sie. . .", begann Christina. Sie hatte die Hände aufreizend auf ihre Hüften gestützt. Ihre Augen sprühten Feuer. „Miß Lacey, ersparen Sie mir bitte eine große Szene, und gehen Sie mit mir essen", unterbrach sie Daniel. „Ich habe von einem Restaurant gehört, das nicht nur köstliche Ziege anbietet, sondern auch Seefische und Schalentiere. Sie brauchen sich nicht erst umzuziehen, ich finde dieses Kleid wirklich bezaubernd. Vor allem diese verführerischen Seitenschlitze", neckte er sie. „Mr. Belmont, mein Temperament wird jeden Augenblick mit mir durchgehen", zischte sie warnend durch die Zähne. Er sah so frech und so erfreut aus, dass sie ihm wirklich am liebsten eine Ohrfeige versetzt hätte. Da sprang er plötzlich auf, packte sie, hob sie hoch und drehte sich mit ihr im Kreis. Sein lautes, glückliches Lachen ließ die anderen Gäste aufsehen. Christina hielt den Atem an. „Miß Lacey, meine bezaubernde Miß Lacey. Wie habe ich das Leben bisher ohne dich nur ausgehalten", rief er und bedeckte Christinas fassungsloses Gesicht mit kleinen Küssen. Keine Stelle ließ er aus. „Mr. Belmont, lassen Sie mich gehen, sofort", rief sie verzweifelt und trommelte mit ihren Fäusten auf seine Brust. Die Welt war verrückt geworden, und er auch. Aber sie würde sich nicht mitreißen lassen, sie nicht. „Ich werde dich nie mehr gehen lassen, meine süße Miß Lacey", erklärte Daniel selbstsicher. „Weißt du es denn immer noch nicht? Weißt du nicht, weshalb die letzten drei Wochen so entsetzlich waren? Ich habe dich vermisst, mein Liebling. Dauernd habe ich deinen Namen gerufen, war nahe daran, Kaffeetassen an der Wand zu zer135
trümmern, bin mitten in der Nacht wie ein Tiger in meinem Schlafzimmer auf und ab gegangen und konnte nicht schlafen. Die Tage waren noch schlimmer. Ich konnte nicht denken und nicht arbeiten ohne dich." Ihre Augen waren riesengroß und ungläubig. Sprachlos starrte sie ihn an. Konnte es sein, dass sie etwas so ganz und gar Unmögliches aus seinem Mund gehört hatte? Strahlten seine Augen wirklich voller Liebe, oder irrte sie sich? Ihr wurde ganz schwach vor Unsicherheit. „Du hast mich vermisst?" fragte sie völlig verwirrt. „Nicht nur das, Miß Lacey. Mir ist klar geworden, dass ich dich liebe", erwiderte Daniel schlicht. „Das verstehe ich nicht", flüsterte sie, mehr erschrocken als erfreut. „O mein Liebling, natürlich nicht. Wie kannst du wissen, dass du für mich das lieblichste und begehrenswerteste Geschöpf auf der ganzen Welt bist. Du bringst es fertig, mein Herz wie wild klopfen zu lassen, du lässt mich alle meine Freundinnen vergessen, du machst mich wahnsinnig vor Eifersucht, wenn ich dich in den Armen eines anderen Mannes sehe." „Ich schwöre, da war niemals etwas, auch nicht mit Gregory", stammelte Christina überwältigt. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, weil ein solcher Tumult von Freude sie überflutete. Daniel nahm ihr Gesicht in seine Hände und küßte sie zärtlich. „Liebling, das weiß ich. Nachdem ich mich wieder etwas beruhigt hatte, wurde mir klar, dass meine außergewöhnliche Miß Lacey sich Männern nicht an den Hals wirft." Er zog eine Augenbraue hoch. „Nicht, nachdem sie meinen Verführungskünsten monatelang widerstanden hatte." „Du bist rätselhaft", sagte sie glücklich. „Ich bin rätselhaft? Du hast mich wahnsinnig gemacht, Miß Lacey. So wahnsinnig, dass ich mit dir bis nach Mexiko zu einer Konferenz gereist bin, die auch in Corpus Christi hätte stattfinden können. So völlig verrückt, dass ich dich in dieses wildromantische Land führte, weil ich hoffte, du würdest hier mit mir zusammen Gregory Stafford vergessen. So irrsinnig, dass ich sogar einen Freund bat, mir zu Ehren einen Ball zu geben, damit ich mit dir tanzen konnte." Christina legte ihren Mund auf seine Lippen, um ihn zum Schwei136
gen zu bringen. Sehnsüchtig nahm er sie in die Arme. Sie kuschelte sich mit einem glücklichen Seufzer an seine Brust. „O Mr. Belmont", flüsterte sie. „O Miß Lacey", machte er sie lachend nach und küßte sie innig, wieder und immer wieder. Christina umschlang ihn. Sie fühlte sein Herz an ihrer Wange klopfen. „Mein Kleines, ich liebe dich, ich liebe dich von ganzem Herzen", wisperte er. Niemals würde sie müde werden, das zu hören. Es war fast zu schön, um wahr zu sein, dass sein Gesicht glühte vor Liebe zu ihr, Christina Lacey. Sie war unendlich stolz. „Warum hast du mich fortgeschickt, Daniel?" wollte sie wissen. „Weil ich unbedingt allein sein musste, um klar denken zu können", sagte er ernst. „Liebling, es tut mir leid, dass ich dir damit weh getan habe, und ich weiß, dass es dir weh tat. Ich habe deine Augen gesehen." Er hob ihr Gesicht zu sich empor. „Hör zu, Christina. Was ich dir im Flugzeug über die Gründung von ,Belmont Enterprises' erzählt habe, stimmt nicht ganz. Als ich mein Ingenieurexamen bestanden hatte und Vaters Partner wurde, glaubte ich, der glücklichste Mensch zu sein. Ich war jung, voller Ideale und ich war verliebt…" Er seufzte. „Vielleicht war es Liebe, vielleicht auch nicht, ich weiß es nicht mehr. Aber was immer es auch war, das Ende war sehr schmerzlich, und ich habe mir geschworen, niemals wieder eine Frau so nahe an mich herankommen zu lassen." Die Sonne versank rot im Meer. Daniel zog Christina wieder eng an sich und legte die Wange an ihre. „Danach ging alles schief. Vater starb einen Monat später. Ich war so voller Trauer und Bitterkeit, dass ich manchmal dachte, ich schaffe es nicht. Aber es gab für mich eine Aufgabe: die kleine Firma, die er mir hinterlassen hatte. Ich habe meine ganze Kraft und Energie eingesetzt und machte daraus ,Belmont Enterprises'. Als ich endlich einmal zum Nachdenken kam, war ich inzwischen über dreißig und hatte nichts, woran mein Herz wirklich hing, außer meiner Firma 137
natürlich. Manchmal fühlte ich mich sehr einsam, aber ich war auch verhältnismäßig reich und abgesichert, nur mir selbst verantwortlich. Ich war zufrieden mit dem, was ich erreicht hatte, und es gefiel mir so. Jedenfalls habe ich das immer gedacht." Daniel sah in Christinas zärtliche Augen. „Und dann saß ich eines Abends in einem Krankenhaus am Bett einer jungen Frau, die durch meine Schuld dahin geraten war. Plötzlich sah sie mich mit ihren Märchenaugen an, die so schön waren, daß es mir einen Stich gab. Und sie sagte mit ganz kleiner Stimme: ,Es tut so weh, wissen Sie das?' Von diesem Augenblick an war mein ganzes Leben verändert." Christina musste sich ein Lachen verkneifen. „Da gibt es nichts zu lachen, Miß Lacey ", wies er sie zurecht. „Ich hatte mich überhaupt nicht mehr unter Kontrolle. Meistens habe ich nicht einmal mehr gewusst, was ich tat. Nur eines wusste ich genau: Dieses Mädchen darf nie mehr aus meinem Leben verschwinden. Sie soll ständig um mich herum sein. Manchmal war ich so überglücklich, dass ich dir böse Dinge sagen musste, um mein Gleichgewicht wieder zu finden" erklärte er mit einer Grimasse. Er küßte ihre Nasenspitze. „Ich war nicht besonders froh über das, was mit mir geschah. Immerhin hatte ich ,Belmont Enterprises' zehn Jahre lang allein geleitet. Warum glaubte ich, ohne Miß Lacey an meiner Seite nicht mehr weitermachen zu können?" „Weil du mich liebtest", antwortete sie auf seine Frage. Es war alles so unwahrscheinlich, dass sie es immer wieder bestätigt haben wollte. „Das ist richtig, aber ich wusste es zu der Zeit noch nicht. An dem Tag, an dem du gekündigt hattest und mich einfach sitzen ließest, dachte ich, mein Leben sei sinnlos. Die ganze Stadt habe ich nach dir abgesucht. Ich war besessen von dem Gedanken, du müsstest am nächsten Tag wieder in meinem Büro sitzen." Seine Stimme wurde dunkel. „Du solltest nur da sein und auf mich warten, denn erst mit deinem ,Guten Morgen, Mr. Belmont' begann für mich die Sonne zu scheinen. Das, mein Liebling, war deine Hauptaufgabe. Durch dich schien die Sonne." 138
„Da du gerade von der Arbeit sprichst, Daniel, soll ich weiter deine Assistentin sein?" fragte sie aufgeregt. „Das liegt an dir. Es wäre natürlich wunderbar, wenn alles so bleiben könnte, wie es ist. Außerdem wäre es schön für mich, zu wissen, dass die zauberhafte Mitarbeiterin, die da so eifrig alles notiert, auch am Abend bei mir ist, in meinen Armen, in meinem Bett…" Sein Kuß bestätigte ihr, wie sehr er sich nach ihr sehnte. Christina wurde steif in seinen Armen und wehrte ihn ab. Noch immer schwankte sie zwischen Traum und Wirklichkeit. Dabei legte sie seine Worte in der schlimmsten Weise aus. Alles sollte so bleiben wie es ist, nur sollte sie ihm auch privat zur Verfügung stehen. Nicht seine Frau, seine Geliebte sollte sie werden. Das war es, was er wollte. Wie hatte sie sich nur einbilden können, dass der Liebe automatisch die Heirat folgt? „O mein Liebes, ich begehre dich so sehr", flüsterte Daniel. Christina senkte den Kopf, damit er ihre Tränen nicht sah. „Es tut mir leid, Daniel", sagte sie tonlos, „ich möchte nicht weiter deine Assistentin sein und auch nichts anderes für dich werden." Allmählich überwand sie die Traurigkeit und wurde böse. „Ich habe nicht den Wunsch, dein Bett mit dir zu teilen oder deine Sonne zu sein. Lass mich los." Sie schob ihn von sich und rannte aus der Dunkelheit in Richtung Swimmingpool, wo inzwischen die Lampen brannten. „Christina! Christina, warte." Daniel hatte sie schnell eingeholt und hielt sie fest. Er schüttelte sie. „Was ist mit dir los?" „Mr. Belmont, warum springen Sie nicht in das Schwimmbecken, um sich abzukühlen?" rief sie hitzig. „Oder ins Meer, damit Sie endlich aufhören, heiße Liebesschwüre zu stammeln." „Hör zu, Christina, ich lasse mir von meiner Frau nicht sagen, ich soll ins Wasser springen, um mich abzukühlen. Und das vor allen Leuten", schrie er zurück. „Ich bin nicht deine Frau." Ihre Stimme überschlug sich. „Noch nicht, aber in Kürze wirst du es sein, und ich lasse mich von meiner Frau in der Öffentlichkeit nicht lächerlich machen", grollte er 139
und sah sich um. Sie hatten ein interessiertes Publikum. Die Leute amüsierten sich. Wieder fuhr er sich mit der Hand durchs Haar und verwünschte die ungebetenen Zuhörer. „Wir werden heiraten?" fragte Christina atemlos. „Natürlich werden wir heiraten, Miß Lacey. Du bist die merkwürdigste und aufregendste Frau, die mir je begegnet ist. Du behinderst mich in meiner Arbeit, nimmst mir den Seelenfrieden und machst mich total willensschwach. Miß Lacey, ich liebe dich, verstehst du? Wir werden heiraten, begreifst du mich? Hast du mich verstanden, Miß Lacey?" schrie er völlig außer sich. „Du ordnest es einfach an? Du fragst mich nicht?" murrte sie. „Jawohl, ich ordne es an." Daniel sah zu ihr hinunter, dann zu den jetzt offen lachenden Hotelgästen und dann wieder zu Christina, die über und über rot geworden war. „Nein, Liebling, ich bitte dich. Willst du mich heiraten, Christina?" „O Daniel! " Sie warf sich mit solchem Ungestüm an seine Brust, dass er stolperte und nur mit Mühe sein Gleichgewicht wieder fand. „Ich möchte es aber ganz genau hören", forderte er. „Ja. Ja, ich will dich heiraten." „Und?" „Ich liebe dich, ich habe dich immer geliebt und deshalb habe ich dich so gehasst, du unmöglicher, eingebildeter Tyrann", gestand Christina aus ehrlichem Herzen. Minuten später bemerkte Daniel, dass sie sich vor den Gästen küßten, die sich vor Begeisterung erhoben hatten und applaudierten. „Könnten wir das nicht an einem Ort fortsetzen, wo wir allein sind?" sagte er leise zu ihr. „Ja, Liebling", flüsterte Christina selbstvergessen und küßte ihn weiter. „Miß Lacey." Daniel seufzte. Er strich ihr über das glühende Gesicht und küßte ihre leuchtenden Augen. „Komm, lass uns hier weggehen." Daniel legte den Arm um ihre Schultern und führte sie zum Strand hinunter. Knapp vor dem Wasser blieben sie stehen. „Komm ganz dicht zu mir, Miß Lacey", flüsterte er und zog sie an sich. „Ja, Daniel, wirst du mich mein ganzes Leben lang Miß Lacey 140
nennen?" „So sehr ich den Namen liebe, so werde ich doch etwas Passenderes, wie zum Beispiel Mrs. Belmont, finden müssen." Er legte das Gesicht auf ihre Brust, und Christina küßte zärtlich seinen Nacken. Daniel stöhnte leise. „Christina, ich habe gehört, dass man in Mexiko sehr schnell heiraten kann. Ich weiß nicht, wie schnell, aber vielleicht rufe ich Don Ramon an und bitte ihn um seine Hilfe. Würdest du mit einer sehr kurzen Verlobungszeit einverstanden sein? Sagen wir, eine Nacht?" Christina liebkoste sein Ohr mit ihren Lippen und flüsterte: „Ach Daniel, eigentlich ist mir eine Nacht schon zu lang." „Ich verspreche dir, dass dich unsere Flitterwochen voll entschädigen werden", sagte Daniel. „Komm her, meine kleine Geliebte, ich möchte dich spüren." Er umschlang Christina mit seinen Armen, so dass ihre Umrisse miteinander verschmolzen. Sehnsüchtig suchte er ihre Lippen und küsste sie mit verzehrender Leidenschaft, an der sich Christina entzündete. Seine Sinnlichkeit ging ihr ins Blut, und sie hob sich ihm entgegen. Sie verlor ihre letzten Zweifel und alle Scheu und überließ sich ganz seiner sich immer mehr steigernden Lust. Seine Küsse waren Vorfreuden auf das, was sie erwartete, und sie wünschte sich nichts sehnlicher als die absolute Vereinigung mit ihm. Da wurden sie von Stimmen und Lachen unterbrochen. In der Dunkelheit schienen noch mehr Paare die Einsamkeit am Meer gesucht zu haben. „Hier sind wir auch nicht ungestört, Daniel", klagte Christina. Er lachte in sich hinein, und seine Augen glänzten im Mondlicht. „Miß Lacey, ich habe ein wunderschönes Zimmer mit Balkon zum Meer. Dort stört uns niemand", flüsterte er an ihren Lippen. -
ENDE –
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