John Grey
Sonne des Todes Ronco Band Nr. 160/13
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 sti...
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John Grey
Sonne des Todes Ronco Band Nr. 160/13
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Wird zum Faustpfand eines skrupellosen Waffenhändlers und muß ihn aus dem Apachenland nach Arizona führen. Little Friend – Blutsbruder Roncos, weiß, daß die Apachen einen aussichtslosen Kampf führen. Cochise – Überfällt mit den Apachenkriegern eine Handelsstation und erbeutet die so notwendigen Gewehre. Jim Masterson – Schmuggelt mit Waffen und bedient sich Roncos, um seine eigene Haut zu retten. Noel Custer – Handelt selbst mit dem Teufel und weiß, wie man weiße Apachen verschachert.
Sonne des Todes 10. Januar 1879 Überall liegt Schnee. Mein Lagerplatz befindet sich oberhalb eines zugefrorenen Wasserlochs neben einigen kahlen Pecanbäumen. Ein Feuer brennt, und ich sitze dicht daneben. Trotzdem ist es saukalt. Die Luft ist wie Glas, und wenn man einatmet, hat man das Gefühl, innerlich zu vereisen. Im Moment bin ich allein. Lobo ist losgeritten, um sich umzuschauen, ob die Gegend, in der wir uns befinden, sicher ist, oder ob wieder Verfolger auf unserer Spur reiten. Ich hoffe nicht. Wir haben aufregende Tage hinter uns und können ein paar Stunden Ruhe gut brauchen. In diesem Moment bin ich meinem Ziel nicht um einen Schritt nähergerückt, aber ich fühle, daß bald etwas Entscheidendes passieren wird. Auf meinen Instinkt konnte ich mich bisher immer verlassen. Die Gefahr, in der ich mich in den letzten Tagen wieder einmal befunden habe, hat mir gezeigt, daß ich, solange meine Unschuld nicht erwiesen ist, nur auf Frist lebe. Morgen schon kann ich tot sein. Diese Aussicht regt mich längst nicht mehr auf. Sie zwingt mich vielmehr, die Zeit, die mir zum Leben noch bleibt, nicht zu vergeuden. Aus diesem Grund sitze ich trotz der Kälte schon wieder mit dem Schulheft auf den Knien da und schreibe mit steifen Fingern, während im Westen die Sonne untergeht und von Norden Wind aufkommt, der nach Schnee riecht. Die Nacht ist nah, und ich will das letzte Tageslicht noch nutzen, um meine Geschichte weiterzuschreiben.
1. Kurz bevor ich die Flußkrümmung erreichte, sah ich Little Friend am Westufer aus dem Dickicht auftauchen. Er winkte mir zu. Auf der linken Schulter trug er eine Springbockantilope, aus deren Hals noch
der gefiederte Schaft seines Pfeils ragte. Ich zog das flache Paddel aus dem Wasser und winkte zurück. Fast lautlos glitt mein Kanu auf dem Strom dahin. Vor mir sah ich bereits unser Lager auf einer zur Flußkrümmung hin offenen Lichtung. Im selben Moment hörte ich ein dumpfes Splittern und Krachen über mir. Ich warf meinen Kopf hoch. Am Ostufer des Flusses erhoben sich die zerklüfteten Felsen der Sierra Espuelas, deren schroff zum Himmel aufstrebende Gipfel von weißen Wolkenschiffchen umkränzt wurden. Auf einem der zum Fluß hin steil abfallenden Hänge hatte sich ein Schneebrett gelöst und rutschte herunter. Es geriet in immer raschere Fahrt, riß Geröll und mehr als kopfgroße Steine mit und raste direkt auf mich zu. Vom Ufer hörte ich Little Friend schreien. Ich verstand ihn nicht. Ich hörte nur das Bersten und Donnern der Lawine und tauchte mit der Kraft der Verzweiflung mein Paddel in die Wellen. Fast gleichzeitig klatschte die Lawine kaum drei Yards vor mir ins Wasser. Eine Wolke von granitgrauem Staub, Schnee und schäumender Gischt stieg aus dem Fluß auf. Ich schloß die Augen, das Kanu neigte sich leicht zur Seite. Ich verlor das Gleichgewicht, und im selben Moment traf mich ein faustgroßer Stein am Schädel. Ich sah und hörte nichts mehr und stürzte mit dem Gesicht voraus in das Kanu, das plötzlich wild zu schlingern begann und sich quer zur Strömung stellte. Das Paddel hatte ich verloren. Es trieb irgendwo auf den Wellen davon. Ich riß die Augen weit auf, trotzdem sah ich nur flimmernde Punkte auf einem tiefschwarzen Hintergrund. In meinem Kopf drehte sich alles. Nach und nach nur kehrte mein Bewußtsein zurück. Ein Rauschen und Dröhnen erfüllte meine Ohren. Hilflos tasteten meine Hände durch die Luft und krallten sich schließlich um die Oberkante der linken Bordwand. Mühsam stemmte ich mich hoch. Noch immer verschwammen die Konturen vor meinen Augen. Heftige Schmerzen hämmerten in meinen Schläfen. Das Kanu war in der Flußkrümmung in eine starke Strömung
geraten und abgedriftet. Es lag jetzt nicht mehr quer im Wasser, sondern schoß pfeilschnell dahin. Ich richtete mich auf die Knie auf. Um mich herum brodelte und schäumte das Wasser. Ich beugte mich nach vorn und versuchte, den Kurs des Kanus mit bloßen Händen zu ändern. Es klappte nicht. Die Schleier vor meinen Augen lösten sich langsam auf. Ich warf einen Blick zum Ufer und sah Little Friend dort laufen. Er folgte meinem Kanu, gelangte aber längst nicht so schnell voran. Ich schaute wieder nach vorn. Da sah ich die Stromschnellen. Der Fluß verengte sich knapp hundert Yards vor mir, sein Bett schien etwas zu verflachen. Gewaltige, schroffe Felsblöcke ragten aus dem Wasser, das sich zwischen ihnen in tosende, brodelnde Strudel verwandelte. Das Kanu jagte immer schneller darauf zu. Ich sah die kleinen Felsriffe neben den großen Gesteinsblöcken aus dem Fluß ragen, häßlich gezackt oder von der Strömung blankgeschliffen, wie Zahnstummel im gierig aufgerissenen Maul eines urweltlichen Untiers, zwischen denen mir die weiße Gischt wie Geifer entgegenspritzte. Ich klammerte mich krampfhaft im Kanu fest. Hilflos starrte ich den Stromschnellen entgegen, hinter denen ich nun einen kleinen Wasserfall entdeckte, der aber immer noch groß genug war, um mein steuerloses Kanu zu zerschmettern. Mein Kopf war wie ausgebrannt. Ich konnte nicht denken, konnte nicht handeln. Es wäre ohnehin alles sinnlos gewesen. Nichts konnte das Kanu jetzt noch bremsen. Ich zog instinktiv den Kopf ein und duckte mich, dann glitt das Kanu bereits in die Stromschnellen. Sofort wurde es am Bug hochgeworfen. Ich verlor den Halt und kippte nach hinten. Da stürzte es bereits in ein Wellental, schrammte mit dem Boden über ein Riff, wurde von seitlich heranbrodelnden Wellen erfaßt und wieder herumgeschleudert. Ich versuchte, mich wieder aufzurichten. Das Kanu füllte sich mit Wasser. Ich war tropfnaß, und das Wasser war eiskalt. Ich kam hoch und sah gerade noch, daß das Kanu auf einen schroffen Felsklotz zuschoß. Mit der Kraft der Verzweiflung warf ich mich zur Seite. Da kippte das Kanu um, riß mich unter Wasser
und schlug mit dem Heck hart an meinen Rücken. Das Wasser war so kalt, daß ich glaubte, mein Herz bliebe stehen. Schwindel stiegen in mir auf. Wasser drang in meinen Mund und meine Nase. Ich begann zu husten, rang nach Atem und schlug mit beiden Armen um mich, um an die Wasseroberfläche zu gelangen. Die Strudel des Stromes griffen wie mit tausend Schlingen nach mir. Ich tauchte auf. Das Kanu wirbelte im Wasser herum wie ein Spielzeug. Ich sah, wie die Wellen es hochwarfen und es dann plötzlich über die Kante des kleinen Wasserfalls hinunterstürzte und verschwand. Dann prallte ich bereits hart gegen ein Riff. Halbbetäubt ging ich unter, versuchte noch, mich festzuhalten, rutschte aber von dem glatten Gestein ab und sackte unter Wasser. Ich war unfähig, ein Glied zu rühren, wurde von der Strömung mitgerissen und trudelte wie leblos zwischen den Riffen herum. Hart schlug ich gegen die Felsen im Wasser. Mein Bewußtsein schwand mehr und mehr. Ich schluckte Wasser, kriegte keine Luft mehr und wurde von der Gewalt des Flusses auf den Wasserfall zugerissen. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich war schon so gut wie tot. * Little Friend streifte sein Wildlederhemd ab und sprang mit ausgebreiteten Armen in den Fluß. Er tauchte tief ein, berührte fast mit dem Gesicht den sandigen Grund und schwamm mit kräftigen Zügen auf die Stromschnellen zu. Die Strömung erfaßte ihn, noch bevor er die Mitte des Flusses erreicht hatte. Er ließ sich treiben, bis er den Riffen so nahe kam, daß er an ihnen zu zerschellen drohte. Die Strudel erfaßten ihn, er kämpfte mit ihnen, wurde gegen einen Felsbrocken gepreßt und klammerte sich daran fest, um Atem zu schöpfen. Ich lag eingeklemmt zwischen zwei Klippen. Das eisige Wasser hatte die Schleier der Bewußtlosigkeit in mir vertrieben. Die Kälte durchdrang meinen Körper. Ich war völlig steif und konnte mich nicht bewegen, aber selbst wenn ich es gekonnt hätte, hätte ich mich nicht gerührt. Ich hatte Glück gehabt. Die Strömung hatte mich zwischen zwei dicht nebeneinander aus dem Wasser ragende Riffe
geschleudert. Hier war ich hängengeblieben. Wenn ich versuchte, mich zu bewegen, würde die Strömung mich vermutlich wieder mitreißen und über die Kante den kleinen Wasserfall hinunterspülen. Ich sah Little Friend, der sich langsam und verbissen näher an mich heranarbeitete. Er kämpfte sich von Felsblock zu Felsblock vor. Sein Gesicht war vor Anstrengung verzerrt, die Muskelstränge an seinen Armen spannten sich wie Schiffstaue. Plötzlich war er bei mir. Ich streckte die Arme nach ihm aus und wurde im selben Augenblick von der Strömung mitgerissen. Ich versuchte, zu schreien, tauchte gurgelnd unter und fühlte den stahlharten Griff Little Friends, der meinen linken Oberarm umspannte und mich hochzerrte. Als ich aus dem Wasser auftauchte, schwanden mir wieder die Sinne. Little Friend zog mich mit. Er kämpfte sich zwischen den Riffen hindurch. Einmal rutschte er aus und verlor den Halt. Wir tauchten beide unter und wurden wieder ein Stück auf den Wasserfall zugerissen. Aber Little Friend fing sich. Er schaffte es, die brodelnden, tosenden Strudel hinter sich zu bringen. Er zerrte mich die Uferböschung hinauf, und als er mich oberhalb des Flusses ins Gras gleiten ließ, hockte er einen Moment lang mit zitternden Gliedern da, während ihm das nasse Haar wirr um den Kopf hing. Die Haut seines bloßen Oberkörpers schimmerte bläulich von der Kälte des Wassers. Ich konnte nicht anders aussehen, doch darüber dachte ich nicht nach. Sowie ich festen Boden unter mir fühlte, der noch die Feuchtigkeit des Schnees hatte, verließen mich meine Kräfte. Ich verlor das Bewußtsein. Das letzte, was ich sah, war, daß Little Friend sich erhob und mit unsicheren Schritten davonging. Dann versank ich in einem Meer von Schatten.
2. Little Friend stand im flachen Wasser unterhalb des Wasserfalls und barg das Kanu, das in einem von Bibern gebauten Damm steckengeblieben war. Der Fluß war an dieser Stelle fast so ruhig und glatt wie ein See. Little Friend watete mit dem Kanu auf den Schultern zum Ufer. Das
Wasser reichte ihm bis zu den Hüften. Ich richtete den Oberkörper langsam auf. Mein Magen zog sich fast augenblicklich krampfartig zusammen. Der Schmerz war schlimm, ich bäumte mich auf und übergab mich. Ich hatte das Gefühl, literweise Wasser auszuspeien. Ich kniete erst, kippte dann kraftlos vornüber, lag auf dem Bauch und hustete und rang nach Luft. Little Friend war auf einmal neben mir, hob mich hoch und legte mich mit dem Leib über sein rechtes Knie. Mein Kopf hing bis auf den Boden. Ich übergab mich noch einmal und sank dann schwach ins Gras. Groß wie ein Turm stand Little Friend neben mir und schaute besorgt auf mich herab. Vor meinen Blicken schwamm alles. Ich schloß die Augen und fühlte, daß er mich aufhob und davontrug. Das Rauschen und Dröhnen der Stromschnellen und des Wasserfalls wurde immer leiser. Die Schmerzen in meinem Körper wichen, ich fror noch etwas, aber nicht mehr so stark. Als Little Friend mich auf eine Decke legte, schlug ich die Augen wieder auf. Wir befanden uns auf unserem Lagerplatz auf der Lichtung neben der Flußkrümmung. Unweit der kalten Feuerstelle lag die Springbockantilope, die Little Friend geschossen hatte. »Bleib still liegen.« Ich hörte die Stimme Little Friends, der im kehligen Apachendialekt sprach, wie aus weiter Ferne. Stumm schaute ich ihm nach, als er davoneilte. Wenig später kehrte er zurück. Er trug das Kanu auf der Schulter. Dicht am Flußufer setzte er es ab und untersuchte es gründlich. Ich richtete mich langsam auf. Diesmal wurde mir nicht schlecht, aber ich knickte kraftlos in den Knien ein, als ich versuchte, mich auf die Beine zu stellen. Schließlich gelang es mir. Mit unsicheren Schritten ging ich zu Little Friend hinüber. Er schaute auf. Sein ebenmäßig geschnittenes Gesicht war ernst. Wäre sein nasses Haar nicht gewesen, niemand hätte ihm ansehen können, daß er vor kaum zwanzig Minuten noch im reißenden Strom um mein Leben gekämpft hatte. »Du solltest doch liegenbleiben«, sagte er. »Ich fühle mich gut.« Ich versuchte zu lächeln. »Chichasey –
danke, mein Bruder.« »Enju.« Er nickte und wandte sich wieder dem Kanu zu, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Er hatte mir das Leben gerettet, aber darüber wurde nicht geredet. Er war mein Blutsbruder, und ich hätte genauso gehandelt, wenn er in Gefahr gewesen wäre. »Ist das Kanu in Ordnung?« »Ein kleiner Riß vorn am Bug«, sagte er. »Wir haben viel Glück.« Ich schaute auf den Fluß. Sacht schlugen seine Wellen an die sandigen Ufer. Er schimmerte blaugrau, und die Frühlingssonne spiegelte sich in seinem Wasser. Er sah jetzt alles andere als gefährlich aus. Die Sonne stand hoch. Es war angenehm warm, die Luft war mild, auch wenn hier und da auf den zerklüfteten Felshängen der Sierra, die sich am Ostufer des Stromes erhoben, noch Schneereste lagen. Es war April. Man schrieb das Jahr 1859. Über ein halbes Jahr befand ich mich jetzt schon wieder bei den Apachen, bei meinem Stamm, den Chiricahuas. Ein für Mexiko ungewöhnlich langer und harter Winter lag hinter uns. Unser Winterlager, das sich in der Sierra Espuelas befand, war wochenlang verschneit gewesen. Es war eine schlimme Zeit gewesen. Wir hatten wenig jagen können, und das Wild hatte sich in weit entfernte Täler zurückgezogen. Ein paar Babies, die während dieser Zeit geboren worden waren, hatten nicht überlebt. Wir hatten ums nackte Dasein kämpfen müssen, und dabei hatte ich meine Erlebnisse, die ich gehabt hatte, nachdem ich zeitweise den Anschluß an meinen Stamm verloren hatte und allein durch Mexiko gezogen war, vergessen. Ich ging zur kalten Feuerstelle und hockte mich neben die Antilope. Während Little Friend den Riß im Kanu nähte und mit Harz verschloß, enthäutete ich die Antilope und zerlegte sie. Als ich damit fertig war, verließ ich die Lichtung, auf der sich unser Lager befand, und drang durch das dichte Unterholz in den Wald ein, der sich am Westufer des Flusses meilenweit hinzog. Ich sammelte halbwegs trockenes Reisig und kehrte zurück. Little Friend war mit dem Kanu fertig. Er hatte sein Wildlederhemd wieder übergestreift und schnitzte ein paar Bratspieße zurecht. Ich entfachte
das Feuer, während er einige Fleischstücke aufspießte und das Fleisch mit kalter Asche einrieb. Wir befanden uns seit einer Woche auf der Jagd, hatten bis jetzt aber wenig Glück gehabt. Die Springbockantilope war die erste nennenswerte Beute. Die Flammen züngelten hoch. Ich nahm den Spieß, den Little Friend mir reichte, und hielt das Fleisch über das Feuer. Während ich zusah, wie es sich langsam bräunte, sagte ich: »Es gibt wenig Wild.« »Es wird mehr werden«, sagte Little Friend. »Der Winter ist vorbei, das Wild wird aus den Tälern zurückkehren.« »Hoffentlich bald.« Ich dachte an die mageren Apachenkinder, an die hohlwangigen Gesichter der Squaws. »Es wird nicht mehr lange dauern.« Little Friend sog die Luft ein wie ein Jagdhund, der eine Witterung aufnimmt. »Es wird ein guter Sommer.« »Gehen wir wieder über die Grenze?« »Das wird der Rat des Stammes entscheiden.« Little Friend begann, an seinem Fleisch zu nagen. »Wahrscheinlich geht der Krieg weiter.« Sein Gesicht war düster. »Wenn wir nicht kämpfen, gehen wir unter«, sagte ich. »Solange wir in Ruhe leben können, sollten wir nicht kämpfen.« Little Friend schaute mich ernst an. »Erst wenn wir uns verteidigen müssen, sollten wir kämpfen. Aber wir sollten den Kampf nicht beginnen.« »Niemand läßt uns in Ruhe leben«, widersprach ich trotzig. Little Friend schwieg. Er verzehrte sein Fleisch und schaute ins Feuer, das langsam niederbrannte. Ich biß ebenfalls lustlos in mein Fleisch. Little Friend mahnte immer zum Frieden, obwohl er einer der tapfersten Krieger war. Er war erfahren und besonnen, und häufig genug hatte ich einsehen müssen, daß er recht hatte. Ich aber war jung und wollte meine Kräfte erproben. Ich war einer der jüngsten unter den Kriegern, aber auch einer der besten. Ich war dreizehn Jahre alt und schon fast so groß wie Little Friend. Das harte Leben hatte mich geprägt. Meine Schultern waren breit, und an meinen Armen hatten sich kräftige Muskeln entwickelt. Wer mich sah, konnte mich für siebzehn halten,
und außer meiner helleren Haut und meinem blonden Haar gab es nichts, was mich von einem echten Apachen unterschied. Ich hatte fast schon vergessen, daß ich ein Weißer war und bei Weißen aufgewachsen war. Seit ich gesehen hatte, wie sie gegen die Indianer vorgingen, fühlte ich mich nicht mehr ihnen zugehörig. Ich hatte gegen sie gekämpft, und ich hatte weiße Soldaten getötet. Der Kampf war mein Leben. Ich kannte nur den Krieg. Vom Frieden wußte ich nichts. Deshalb verstand ich Little Friend häufig nicht, und vielleicht war ich auch zu jung dazu. Aber was er sagte, fraß sich in mir fest, und später habe ich es verstanden. Damals aber zerbrach ich mir nicht den Kopf darüber. Kaum einer der jungen Krieger tat das. Sie lauschten lieber den Geschichten von Geronimo, einem jungen Apachen, der nur ein paar Jahre älter war als ich, der aber seine eigenen Krieger hatte und mit ihnen das Grenzland westlich von uns in Arizona in Angst und Schrecken versetzte. Ich konnte mich flüchtig an ihn erinnern. Er war ein Chiricahua wie ich und einige Zeit mit Cochise geritten. Aber er war kein besonders hervorragender Krieger gewesen. Jetzt war sein Name in aller Munde, seit einem Jahr ungefähr, und wir jungen Krieger dachten, daß das, was er tat, richtig war. Die Armee versuchte vergeblich, ihn zu fangen. Er war allen über, und es gab nicht wenige unter den jungen Kriegern, die gern zu seinen Leuten gehört hätten. Cochise hatte ihn ausgestoßen. Er duldete keine Privatkriege, und Cochise war unser unumstrittener Führer. Es gab nur wenige, die es wagten, sich seiner Autorität zu widersetzen. Ich aß mein Fleisch und warf den Spieß ins Feuer. Die Sonne hatte den Zenit überschritten. Als ich mich erhob, hatte ich wieder das Gefühl, meine Knie seien aus Gummi. Ich hatte mich noch längst nicht wieder völlig von dem Abenteuer im Fluß erholt. Ich nahm meinen Spencerkarabiner auf, der neben meinem Deckenbündel im Gras lag. »Ich geh noch mal los«, sagte ich. Little Friend nickte nur. Er aß noch ein zweites Stück Fleisch und schlug den Rest der Antilope in die frische Haut ein. Ich streifte mir den breiten Gurt mit den schweren Patronen in den
Schlaufen über den Oberkörper und schritt durch das Unterholz in den Wald. * Der Wildpfad lag im roten Abendschimmer vor mir. Der Himmel hatte die Farbe von glühendem Kupfer, die Schatten waren lang, und die Luft kühlte sich bereits rasch ab. Auf meiner linken Schulter hatte ich an einem Lederriemen zwei Fasane hängen. Eine magere Beute. Ich war müde und fühlte mich schwach und ausgebrannt. Weiter als bis zu dem Pfad wollte ich nicht gehen. Es hatte doch keinen Sinn mehr. Da sah ich einen Fasan durch den Abend schweben und riß den Karabiner an die Schulter. Im selben Moment hörte ich Hufschlag und Wagengeräusche. Der Fasan flog davon, und ich hockte mich hinter dichtem Gestrüpp auf den bemoosten Boden. Die Geräusche wurden lauter. Ich hörte Männerstimmen, jemand sang ein Lied, das ich nicht kannte. Wenig später tauchten aus dem Abendschatten Reiter auf dem Wildpfad auf. Ich duckte mich unwillkürlich noch etwas tiefer. Es waren Amerikaner. Sie waren einfach gekleidet, ihre Pferde waren gut, ihre Bewaffnung erstklassig. Zunächst sah ich fünf Mann, dann folgte ein hochbeladener Kastenwagen, auf dem ein lederhäutiger Kutscher saß, der laut sang. Hinter dem Wagen ritten noch einmal fünf Männer. Einer der Reiter hatte seinen Sattel mit zwei Skalpzöpfen verziert, die rechts und links herunterbaumelten. Als ich sie sah, preßte ich die Lippen zusammen und krampfte meine Fäuste fester um den Schaft meines Spencerkarabiners. Reglos blieb ich hocken und beobachtete, wie sie vorbeizogen. Sie kamen von der Grenze her und schienen sich auszukennen. Der Mann mit den Skalps am Sattel drehte sich plötzlich um und sagte: »Hör endlich auf zu grölen, Smoky, verdammt noch mal, ich kann's schon nicht mehr hören.« »Ich sing eben gern«, sagte der Mann auf dem Wagenbock.
»Hast du singen gesagt?« Der Reiter lachte, und die anderen lachten auch. Der Kutscher schwieg beleidigt. Ich sah, daß längliche Kisten auf dem Wagen standen und kleine Fässer, wie ich sie schon häufig gesehen hatte. Meistens wurde Schießpulver darin befördert. Wenn es so war, enthielten die Kisten vermutlich Gewehre. Ich fragte mich, was die Männer damit vorhatten. Indianerhändler waren sie nicht, das stand für mich fest. Weiter konnte ich nicht denken. Ein zischender Laut seitlich von mir ließ mich erschreckt herumfahren. Die Schlange war dicht neben mir. Sie war über einen Yard lang und hatte eine silbergraue, dunkel gemusterte Haut. Ihr Kopf war dick wie eine Faust und lief spitz nach vorn zu. Eine Hakennatter. Sie zischelte wieder, zwischen den Giftzähnen tauchte die schmale, gespaltene Zunge auf. Aus starren, farblos glitzernden Augen blickte sie mich an. Plötzlich richtete sie sich auf. Ich verlor die Nerven und schlug mit dem Kolben des Spencerkarabiners zu. Die eiserne Kolbenplatte traf die Schlange eine halbe Handbreit unterhalb des Kopfes und schleuderte sie ins Moos. Sofort richtete sie sich wieder auf und ging in Kampfstellung. Zuckend bewegte sich ihr silbriger Leib hin und her. Ich ließ sie nicht aus den Augen und schmeckte salzige Schweißtropfen auf meinen Lippen. Urplötzlich schoß der Kopf der Schlange auf mich zu. Ich ließ mich nach hinten fallen und sprang auf. Es ging nicht anders. Und im selben Moment entdeckten mich die Reiter auf dem Wildpfad. Ich hörte ihre Rufe, da stürmte ich bereits in den Wald. Daß die beiden Fasane, die ich geschossen hatte, von meiner Schulter rutschten, bemerkte ich nicht. Blindlings hetzte ich durch das Dickicht, blieb im dicht verwurzelten Unterholz hängen, stürzte hin, erhob mich und lief weiter. Als ich hinter mir Hufschlag hörte, der immer lauter wurde, drehte ich mich um. Da waren sie. Zwei Reiter. Sie trieben ihre Pferde rücksichtslos durch den Wald. Einer hielt eine Volcanic-Rifle in den Fäusten. Es war der Mann, dessen Sattel mit Skalpzöpfen verziert war. Er konnte mich sehen, und er schoß. Ich spürte den heißen Luftzug der Kugel,
die sich hinter mir in einen Baumstamm bohrte. Geduckt lief ich weiter. Es wurde immer dunkler, und das Dickicht wurde immer dichter, aber die Reiter hielten nicht an. Sie holten auf, und sie schossen nun beide. Haken schlagend wie ein Hase rannte ich über eine kleine Lichtung und warf mich mit einem Hechtsprung hinter einen umgestürzten, fast vermoderten Baumstamm. Die Holzsplitter flogen mir um die Ohren, als ein Hagel von Geschossen die morsche Rinde des Stammes zerfetzte. Ich sah dicht vor meinem Gesicht einen dicken Käfer mit schwarzem, glänzendem Panzer eilig unter altem Laub verschwinden und beneidete ihn für einen Sekundenbruchteil. Dann schob ich den Lauf des Spencerkarabiners über den Baumstamm und drückte ab, als der Mann mit der Volcanic-Rifle auf die Lichtung preschte. Er sah den orangeroten Mündungsblitz und riß in letzter Sekunde sein Pferd herum. Da traf mein Geschoß sein Tier in den Schädel. Es wieherte grell und knickte in den Vorderläufen ein. Der Reiter verlor den Halt im Sattel und stürzte über den Kopf des Pferdes, das seitlich zu Boden fiel. Im selben Augenblick galoppierte der zweite Reiter auf die Lichtung und konnte sein Pferd nicht mehr stoppen. Es strauchelte über das am Boden liegende Tier und krachte schwer auf die Seite. Ich hielt mich nicht auf, erhob mich und rannte davon, ohne abzuwarten, bis die beiden Männer wieder auf den Beinen standen, zumal ich am Knacken und Krachen im Unterholz hörte, daß die anderen Reiter ebenfalls die Verfolgung aufgenommen hatten. Meine Beine wurden von Schritt zu Schritt schwerer, meine Füße schienen sich in Bleiklumpen zu verwandeln. Die Anstrengungen von dem Kampf mit den Stromschnellen steckten mir noch in allen Knochen. Ich verfluchte mich in diesem Moment, daß ich mich so weit vom Lager fortgewagt hatte. Ich hatte mich überschätzt, nicht zum erstenmal, aber das war jetzt unwichtig. Ich durfte nicht schlappmachen. Ich mußte durchhalten. Schweißüberströmt lehnte ich mich mit wackligen Knien gegen einen Baum, um einige Sekunden auszuruhen. Da hörte ich wieder den Hufschlag hinter mir, und so rannte ich weiter. Vor meinen
Augen begann sich alles zu drehen, in meinen Schläfen hämmerte das Blut, mein eigener Herzschlag dröhnte wie ein Hammerwerk in meinen Ohren. Irgendwann durchzuckte mich der Gedanke, ich könnte mich verirrt haben. Ich versuchte ihn zu verdrängen, aber er kehrte immer wieder zurück. Doch ich hielt nicht an. Es war jetzt fast stockfinster um mich herum. Die Sonne schien untergegangen zu sein. Die Bäume standen so dicht, daß ich den Himmel nicht sehen konnte. Ich stieß immer wieder gegen Baumstämme, rannte gegen tiefhängende Äste. Zwei- oder dreimal stürzte ich und schrammte mir dabei das linke Knie auf. Aber ich lief. Irgendwann, ich war sicher, schon einmal um die Welt gelaufen zu sein, sah ich den Fluß vor mir. Das Unterholz lichtete sich, und auf dem Strom lag das letzte schwache Tageslicht. Das Feuer, dessen Schein ich nun entdeckte, leitete mich. Erschöpft, atemlos und abgekämpft taumelte ich auf die Lichtung. Little Friend stand breitbeinig neben dem Feuer. Er warf nur einen kurzen Blick auf mich und schien dann alles zu wissen, bevor ich den Mund auftun konnte. Meine Stimme versagte, ich sackte neben dem Feuer auf die Knie und rang nach Atem. Heftige Stiche tobten in meiner rechten Seite und in meiner Brust. Little Friend kümmerte sich nicht um mich. Er lief zum Flußufer hinunter und schob das Kanu ins Wasser. Er kehrte zurück, holte die Reste der Antilope, die er am Vormittag geschossen hatte, und unsere Waffen und Decken, und trug alles zum Kanu. »Komm!« rief er. Er blieb dicht am Ufer stehen. Die Wellen des Stromes überspülten seine Mokassins. Ich zwang mich, aufzustehen, und stolperte zum Fluß hinunter. Little Friend packte mich hart am rechten Oberarm und schob mich auf das Kanu zu. Ich stürzte fast hinein, da schob er es bereits ins Wasser. Er watete hinterher und schob es auf die Flußmitte zu, bis das Wasser ihm bis zu den Knien stand. Dann schwang er sich hinein und griff nach einem einfachen Paddel, das er am Nachmittag geschnitzt haben mußte, während ich auf der Jagd gewesen war. Er tauchte es in das dunkel glitzernde Wasser.
Aus dem Unterholz des Waldes sprengten jetzt die Reiter auf die Lichtung, wo noch immer unser Feuer brannte. Da befanden wir uns schon in der Mitte des Flusses, und das Kanu glitt rasch in die Dunkelheit davon, die sich wie ein fein gesponnenes Netz über das Land legte. Ich richtete mich im Kanu auf und wandte den Kopf. Da sah ich die Männer, die aus den Sätteln gesprungen waren und am Ufer standen. Sie hielten ihre Gewehre in den Fäusten. Ich zog den Kopf ein, und Little Friend tat es mir nach. Schüsse peitschten über den Fluß, zerfurchten die Wasseroberfläche und streiften unser Kanu. Dann hatten wir es geschafft und befanden uns außer Schußweite. Die Gestalten am Ufer verschwammen in der Dunkelheit. Little Friend paddelte jetzt wieder. Er kniete am Heck des Kanus und bewegte sich ruhig, ohne jede Hast, als sei nichts geschehen. Ich setzte mich und bemerkte, daß Wasser in das Kanu eindrang. Unterhalb der Wasserlinie war ein kleines, fingerdickes Loch in der Außenhaut. Little Friend nickte nur, als ich ihn darauf hinwies. Mit gleichmäßigen, kraftvollen Bewegungen tauchte er das Paddel abwechselnd rechts und links vom Kanu ins Wasser und schien von dem Loch wenig beeindruckt zu sein. Ich versuchte, mit den bloßen Händen das Wasser hinauszuschöpfen. Als es mir nur unzureichend gelang, versuchte ich, das Loch zuzuhalten. Das klappte besser. Während der ganzen Zeit sprachen Little Friend und ich kein Wort. Um uns herum wurde es Nacht. Ein paar Sterne glitzerten am Himmel, sonst war es so dunkel, daß ich nicht mal die Ufer des Flusses erkennen konnte. Little Friend schien das alles nicht zu beunruhigen. Er strahlte Ruhe und Zuversicht aus, die schließlich auch auf mich übergriff. Ich hörte auf, mir Gedanken zu machen, wo wir in der Finsternis landen würden. Erst als meine Hände im kalten Wasser zu vereisen schienen und ich es nicht mehr verhindern konnte, daß Wasser in das Kanu eindrang, wurde ich wieder etwas unruhig. Da stieß das Kanu plötzlich auf Land. Der Kiel schrammte über den sandigen Grund eines Ufers, dann lag es still. Little Friend warf das Paddel hinein, erhob sich und stieg hinaus.
Ich folgte ihm. Gemeinsam zogen wir das Kanu eine schräge Uferböschung hoch. Ich schaute mich um und staunte nicht schlecht. Trotz der Finsternis hatte Little Friend mit traumwandlerischer Sicherheit die Anlegestelle gefunden, von der aus ein schmaler Wildpfad in die Berge zu unserem Lager führte. Ich lud unsere Sachen aus, und Little Friend hob das Kanu aus dem Wasser und verbarg es in einer Felsnische unter einer Geröllhalde. Dann lud er sich die zerlegte Antilope auf den Rücken und ging voraus. Ich folgte ihm den schmalen Wildpfad entlang, der bald steil anstieg. Meine Beine schmerzten, und ich war hundemüde, aber ich wagte nicht, zu klagen. Plötzlich blieb Little Friend stehen. Ein kleines Plateau lag vor uns. Er drehte sich um, als die Sichel des Mondes hinter einer dunklen Wolke hervortrat. Das silbrige Licht, das die Nacht augenblicklich durchdrang, ließ die Sierra noch schroffer, noch gewaltiger und noch abweisender erscheinen. Selbst Little Friends Gesicht wirkte kantiger, schärfer konturiert und härter. »Wir sind gleich im Lager.« Ich schwieg. »Sag mir jetzt, was los war.« »Zehn Reiter und ein Wagen«, sagte ich. »Weißaugen. Sie zogen durch den Wald nach Süden. Auf dem Wagen befanden sich Gewehre und Pulver.« »Warum haben sie dich entdeckt?« Little Friends Gesicht hatte einen bedrückten Ausdruck angenommen. Ich ahnte, was er dachte. Wir würden die weißen Männer nicht ungeschoren durch unser Gebiet ziehen lassen. Wenn die Häuptlinge hörten, was ich gesehen hatte, würden wir ausziehen und die weißen Männer töten. Es ging um wertvolle Beute, und nach dem harten Winter konnten wir alles gebrauchen. »Da war eine Schlange«, sagte ich. »Sie rückte mir gerade auf den Pelz, als die Weißaugen an mir vorbeizogen.« »Du wirst den Häuptlingen alles erzählen«, sagte er. Ich nickte. »Der Krieg hat schon wieder begonnen, mein Bruder«, sagte er.
»Die Weißaugen sind unsere Feinde«, sagte ich. »Ja«, sagte er. »Und wir brauchen ihre Gewehre. Wenn sich morgen abend die Sonne rot färbt und nach Westen sinkt, werden sie schon nicht mehr leben.« »Der eine hatte Skalps am Sattel hängen«, sagte ich. »Morgen abend hängt sein Skalp am Gürtel eines Kriegers.« Little Friend drehte sich wieder um und ging weiter. Ich folgte ihm schwerfällig. »Sie morden uns, und wir morden sie. Es hört nie auf«, sagte er. »Wir werden uns ihre Gewehre holen und damit nach Norden ziehen. Aber es wird sich nichts ändern. Unsere Jagdgründe sind verloren.« Es war das erstemal, daß er das gesagt hatte. Es klang bitter, und ich wußte in diesem Moment, daß er recht hatte. Ich glaubte zwar in meiner Unerfahrenheit immer noch, daß der Krieg gegen die weißen Eindringlinge einen Sinn hatte, daß wir uns auf diese Weise wenigstens die Gebiete sichern konnten, in denen wir jetzt noch die Herren waren. Aber vertreiben konnten wir die Siedler nicht mehr, die sich auf dem Land niedergelassen hatten, in dem früher nur Büffel und Apachen gelebt hatten. Die alten Jagdgründe waren verloren, aber wir mußten um unser Lebensrecht kämpfen. Das Hochplateau tauchte vor uns auf, auf dem das Lager sich befand. Der Geruch von ranzigem Fett wehte uns durch die Kühle der Nacht entgegen. Viele Wickiups und einige Zelte standen auf dem Plateau. Ein Wachtposten stand plötzlich vor uns, und als er uns erkannte, ließ er uns vorbei. Wir trugen unsere Sachen zu unserem Wickiup, dann ging Little Friend, um Cochise zu wecken und mit ihm zu sprechen.
3. Wir ritten bei Tagesanbruch aus dem Lager. Cochise führte uns an. Wir waren dreißig Krieger. Little Friend und ich waren auch dabei. Ich ritt wieder meinen Braunen, den knochigen Armeehengst, den ich vor langer Zeit erbeutet hatte. Es war ein gutes Gefühl, wieder auf ihm zu sitzen. Er war zuverlässig, treu und zäh. Ich hätte ihn nicht gegen ein Dutzend der besten Apachenponys eingetauscht.
Wir ritten westwärts. Hinter uns ging gerade die Sonne auf. Wie eine vollfruchtige, saftige Orange erhob sie sich hinter den Bergspitzen. Die »Sonne des Lebens« nannten wir sie, und wenn der Tag starb, wenn sie im Westen versank, hieß sie die »Sonne des Todes«. Die Sonne des Todes. Noch heute abend würde sie den weißen Männern scheinen, auf ihrem langen Weg ins Reich der Schatten. Es war so, wie Little Friend vorausgesagt hatte. Noch in der Nacht hatte Cochise die Häuptlinge zusammengeholt. Auch Mangas Coloradas war dabei gewesen. Er sah noch etwas mager aus, schien aber die Folgen der schweren Verletzung endgültig überwunden zu haben. Er ritt nicht mit uns, dazu war er noch nicht stark genug. In wenigen Wochen aber würde er wieder im Sattel sitzen und uns vorausreiten, da war ich ganz sicher. Bis zum Morgen hatten sie beraten und dann beschlossen, die weißen Männer anzugreifen, die ich am vorigen Abend beobachtet hatte. Wir ritten auf den schmalen Wildpfaden, die außer uns niemand kannte, von unserem Lager in der Sierra zu Tal. Noch am Vormittag erreichten wir den Fluß. Ich kannte seinen Namen nicht, niemand kannte ihn. Wir nannten ihn so, wie die Berge hießen, an deren Fuß er sich entlangschlängelte, Rio Espuelas. Wir ritten zu einer Furt und durchquerten den Fluß, der hier so seicht war, daß das Wasser den Pferden nicht mal bis zum Leib reichte. Auf der anderen Seite des Stromes tauchten wir ins Waldland ein. Hier kannten wir uns aus. Das war unser Land, das Land der Apachen. Genauso wie die Wüste, die einige Meilen weiter östlich lag. Hier war das Land unwegsam und menschenfeindlich. Wir verstanden es, hier zu leben, deshalb waren wir hier stärker als jeder Gegner. Es war Mittag, als wir den Wald hinter uns ließen und die Spuren der Reiter und des Wagens fanden. Die Fährte zog sich in gerader Linie nach Süden auf eine hügelige, verkarstete Landschaft zu. Wir ahnten jetzt, wohin die weißen Männer sich bewegt hatten.
Zehn Meilen südlich von hier befand sich ein kleiner Handelsposten. Er mußte das Ziel der Reiter sein. Wir hatten uns nie um die Station gekümmert. Dort gab es nichts zu holen. Das schien jetzt anders zu werden. Wir rasteten kurz und gönnten auch unseren Pferden eine Ruhepause. Dann stiegen wir wieder in die Sättel und ritten nach Süden. * Die Reiter erreichten die Handels-Station am Spätnachmittag. Ein milder Wind fächelte von Süden heran. Die Männer stiegen vor dem Haupthaus der Station aus den Sätteln, während der Mann auf dem Wagenbock das Gefährt neben der Pferdetränke auf dem Stationshof zum Stehen brachte. Staub bedeckte sie und ihre Pferde. Sie hatten sich tagelang nicht rasiert und schienen nur wenig geschlafen zu haben. Schwerfällig schritten sie über die ausgetretenen Dielen des Vorbaus, ihre Sporen klirrten dabei leise. Zwei Männer blieben mit schußbereiten Gewehren im Hüftanschlag auf dem Hof neben dem Wagen stehen. Die anderen betraten das Haus. Drinnen herrschte Halbdunkel. Der vordere Raum des Blockhauses schien der größte zu sein. Er maß zehn mal fünf Yards, und wurde von einer wuchtigen, breiten Theke beherrscht, neben der sich zu beiden Seiten Kisten mit Konserven stapelten. An den Wänden hing Sattelzeug. Der Raum war erfüllt von dem intensiven Geruch von Tabak, Lederfett und Männerschweiß. Seitlich der Theke standen mehrere Tische auf einfachen Brettern, die über Holzböcke gelegt worden waren. Die Fenster des Raumes waren schmal wie Schießscharten, aber das Haus sah nicht so aus, als hätte es oft verteidigt werden müssen. Die Männer blieben einen Moment vor der Theke stehen. Sie waren neun, mit dem Kutscher, der sie hereinbegleitet hatte. Bis auf einen hockten sie sich auf die einfachen Bänke. Ihr Anführer blieb vor der Theke stehen. Er hatte eine Volcanic-Rifle in der linken Hand. Hinter der Theke öffnete sich knarrend eine Tür. Ein untersetzter
Mexikaner betrat den Raum. Er hatte ein Rattengesicht, war unrasiert und wirkte sehr nervös. Er trug eine schlechtsitzende Hose, die er statt mit einem Gürtel, mit einer zerschlissenen Kordel zusammenhielt. Fettiges Haar hing ihm über die Ohren bis fast auf die dicklichen Schultern. »Buenos tardes, Senor Masterson«, sagte er mit einer dünnen Stimme, die zu seinem Gesicht paßte. Der Marin mit der Volcanic-Rifle nickte nur. »Wir sind da, wie vereinbart, und die Ware ist auch da.« Er deutete mit dem Kopf zur Tür hin, die auf den Hof hinausführte. »Wir haben keine Lust, viel Zeit zu verlieren. Gestern abend sind wir auf Rothäute gestoßen. Wir wollen schnell wieder zurück über die Grenze.« »Nördlich von hier am Fluß beginnt das Apachenland, Senor Masterson.« Der Mexikaner zuckte mit den Schultern. »Es tauchen öfter mal Indianer in der Gegend auf. Kein Grund zur Besorgnis.« »Das ist mir egal. Ich will mit meinen Leuten keine Minute länger als nötig hier zubringen.« Er drehte sich um. »Wo sind die Männer, die die Gewehre haben wollen?« »Sie sind noch nicht da, Senor Masterson.« Der Mexikaner wieselte um die Theke herum. »Sie müssen noch heute kommen.« »Sicher müssen sie das.« Masterson ging zu seinen Leuten hinüber und setzte sich an einen der Tische. »Wir sind für heute verabredet. Wenn sie bis zum Sonnenuntergang nicht da sind, nehmen wir die Waffen wieder mit.« »Sie werden da sein, Senor Masterson.« Der Mexikaner lief aufgeregt im Raum hin und her. »Bestimmt werden sie da sein. Kann ich Ihnen vorher etwas anbieten, Senor Masterson, Ihnen und Ihren Leuten?« »Hast du Whisky?« Masterson zog einen Tabaksbeutel aus der Brusttasche des Hemdes. »Nicht, wie? Nur Tequila oder Pulque, wie?« »Feinsten Tequila, Senor Masterson.« »Bring uns Tequila, und ein paar Tortillas, falls du welche zustande bringst.« »Ein Steak wäre mir lieber«, sagte der lederhäutige Wagenlenker.
»Sei froh, daß du hier überhaupt einen Bissen zwischen die Zähne kriegst.« »Ich bin der beste Tortillabäcker in einem Umkreis von hundert Meilen, Senores«, sagte der Mexikaner. »Das ist kein Kunststück«, sagte Masterson. »Du bist ja auch der einzige. Und jetzt beeil dich.« Der Mexikaner hastete zur Theke, kehrte mit Gläsern und einer Flasche ohne Etikett zurück. Dann verschwand er durch die Tür hinter dem Tresen. »Kein Verlaß auf die Mexe«, sagte einer der Männer. »Womöglich haben wir das ganze Zeug umsonst hierhergeschleppt und müssen es auch noch wieder mitnehmen.« »Es gefällt mir hier nicht«, sagte ein anderer. »Ganz und gar nicht. Irgendwas stimmt hier nicht, aber wenn ich einen von diesen verdammten Greasern erwische, daß sie uns reinlegen wollen, geb ich ihm seine eigenen Zähne zu fressen.« Eine Hintertür ging plötzlich auf und Männer mit olivbrauner Haut traten ein. Sie trugen große Hüte auf den Köpfen und bunte Schärpen um die Hüften. In den Fäusten hielten sie Revolver. »Ihr seid nicht gerade freundlich, Amigos.« Einer der Mexikaner grinste breit. Er war mittelgroß und hatte breite Schultern. Die Enden eines mächtigen Schnauzbartes hingen über die Mundwinkel hinab bis zum Kinn. »Ihr könntet ruhig etwas netter über uns sprechen. Bevor man stirbt, sollte man keine bösen Reden mehr führen, sondern in sich gehen und bereuen, solange es noch Zeit ist.« Die Mexikaner verteilten sich rasch über den Raum. Sie hatten freies Schußfeld und sahen ganz so aus, als würden sie diesen Vorteil auch nutzen. Ein paar der Amerikaner sprangen auf. Auch Jim Masterson erhob sich von seinem Platz. »Sitzenbleiben, Hombres«, sagte der schnauzbärtige Mexikaner. Er lächelte dabei wie der Satan persönlich und winkte herrisch mit seinem Revolver. Im selben Moment ertönte ein gurgelnder Schrei vom Hof herein, dann fiel ein Schuß. Danach wurde es sehr still. Der schnauzbärtige Mexikaner lächelte
immer noch. Die Waffenschmuggler aber waren blaß geworden. * »Eine Warnung, Senores«, sagte der Mexikaner. »Nur eine Warnung. Verstehen Sie das nicht falsch. Die beiden Männer draußen auf dem Hof sind nur tot. Kein Grund zur Aufregung.« Jim Masterson sank schweigend auf die Bank zurück. Seine Leute setzten sich ebenfalls wieder. Masterson ließ die Mexikaner nicht aus den Augen. Unauffällig tastete seine Rechte unter dem Tisch nach der Volcanic-Rifle, die er neben sich stehen hatte. »Seid ihr die Männer, mit denen wir uns treffen sollten?« fragte er. Der rattengesichtige Stationer betrat jetzt wieder den Raum. Er rieb sich die Hände und huschte zwischen den Tischen auf und ab. »Das sind Ihre Geschäftspartner, Senor Masterson«, sagte er und kicherte. »Juan!« Die Stimme des schnauzbärtigen Mexikaners klang scharf, und der Stationer zuckte zusammen. »Verschwinde«, sagte der Mexikaner. Der andere ging sofort. »Juan hat mit Ihnen verhandelt, Senor Masterson«, sagte der Mexikaner. »Er hat alles vereinbart, auch den Preis.« »Ja«, sagte Jim Masterson. »Ich schlage vor, daß Sie jetzt bezahlen. Dann ziehen meine Leute und ich ab.« Der Mexikaner lachte leise und gehässig. »Wir brauchen Waffen, um das Land zurückzuholen, daß Ihr verfluchten Gringos uns gestohlen habt. Habt ihr im Ernst geglaubt, daß wir euch auch noch dafür bezahlen?« »Zehntausend in Gold«, sagte Masterson. Seine Stimme sollte fest klingen. »So war es vereinbart.« »Jeder verdammte Gringo, der von dieser Welt verschwindet, erleichtert uns unseren Kampf«, sagte der Mexikaner. »Die Gewehre gehören uns jetzt schon, Masterson. Nur ihr seid jetzt noch da, und ihr seid überflüssig.« »Wenn ihr eure Geschäfte immer so abschließt, werdet ihr bald keine Gewehre mehr erhalten«, sagte Masterson. »Die nächsten Waffen lassen wir uns nicht mehr bringen, die
holen wir uns«, sagte der Mexikaner. »Wir reiten von hier aus direkt zur Grenze.« Masterson schüttelte langsam den Kopf. »Ihr seid ja verrückt«, sagte er. Im selben Moment sprang einer seiner Leute am anderen Ende des Tisches auf und riß mit einem Fluch seinen Revolver aus der Halfter. Der Mexikaner fuhr augenblicklich herum und feuerte von der Hüfte aus. Die Mündungsflamme durchschnitt wie eine Feuerlanze den Raum. Der Mann neben dem Tisch wurde vom Aufschlag des Geschosses rücklings über die Bank geschleudert, auf der er gesessen hatte. Aufheulend ging er zu Boden, während das Blut aus einer Wunde im Leib zwischen seinen zusammengekrampften Händen hervorspritzte. Jim Masterson ließ sich fallen und riß seine Volcanic-Rifle mit. Auf dem Boden liegend repetierte er durch und feuerte. Seine Leute hatten sich ebenfalls zu Boden geworfen. Zwei nur waren aufgesprungen. Sie wurden als erste von den Kugeln der Mexikaner getroffen. Einer taumelte gegen die Theke und sackte daran hinunter, der andere wurde von zwei Kugeln gleichzeitig im Gesicht getroffen, und sein Kopf verwandelte sich in einen blutigen Klumpen. Jim Masterson schoß unter dem wackelnden Tisch hindurch. Der schnauzbärtige Mexikaner stand breitbeinig im Raum und lachte höhnisch, während er seinen Revolver leerschoß. Da grub sich Mastersons Kugel in seinen Unterleib, und er schnaufte wie ein sattes Schwein, als er rücklings auf den Boden fiel. Er brüllte wie am Spieß und krümmte sich zusammen. Schreiend wand er sich auf den staubigen Dielen. Masterson stieß den Tisch um, als einige Mexikaner durch den Raum stürmten, um ihren Führer zu retten. Die herunterrutschende Tischplatte schlug ihnen hart gegen die Fußknöchel. Sie stürzten sofort, und Masterson sprang auf und war mit einem Satz hinter der Theke. Hier ging er in Deckung, während die unverletzten Mexikaner durch die Hintertür ins Freie drängten. Der letzte wurde von zwei Kugeln eingeholt. Eine traf ihn ins Kreuz, die andere bohrte sich in seinen Hinterkopf, als er zu Boden stürzte. Dann war es vorbei. Durch die offene Hintertür strich ein Windstoß und wirbelte
die grauen Pulverdampfschleier im Raum hoch. Masterson erhob sich und schaute sich um. Von seinen acht Männern waren drei tot und einer leicht verletzt. Er selbst war ungeschoren davongekommen. Die Mexikaner hatten zwei Mann verloren, aber das bedeutete nicht viel, denn Masterson wußte ja nicht, wie stark sein Gegner war. Er warf einen Blick durch eins der schmalen Fenster, das auf den Hof hinausführte. Neben dem Wagen sah er die beiden Wachtposten liegen, die er zurückgelassen hatte. Um sie herum hatten sich dunkelrote Pfützen im Staub gebildet. Masterson preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und ging dann neben dem schnauzbärtigen Mexikaner, der sich wimmernd am Boden wand, in die Knie. Das Gesicht des Mannes wirkte eingefallen und knochig, es glänzte vor Schweiß, und in den Augen spiegelten sich die Schmerzen, die im Körper des Mannes tobten. Masterson schlug ihm die geballte Faust ins Gesicht. Der Mexikaner stöhnte, und sein Hinterkopf prallte auf den Fußboden. »Du Lump«, sagte Masterson. »Du verdammter dreckiger Lump.« Der Mexikaner starrte den Waffenschmuggler an und schien ihn doch nicht zu sehen. Seine Lippen zitterten. Wellen des Schmerzes durchfluteten seinen Körper und ließen ihn jedesmal krampfartig zusammenzucken. »Wie viele Leute hast du?« fragte Masterson. »Antworte, verdammt, sonst schlag ich dir mit bloßen Fäusten den Schädel ein.« »Acht«, flüsterte der Mexikaner. »Macht mit dir neun.« Masterson blickten einen Moment auf die Toten im Raum. »Zwei sind schon tot, also nur noch sieben, und du bist auch gleich dran, also sechs. Aber da ist noch Juan, diese Ratte, die uns hierhergelockt hat. Bleiben also sieben.« Masterson erhob sich. Seine Männer umstanden ihn abwartend. »Ich geh nicht raus«, sagte einer. »Die knallen uns draußen der Reihe nach ab.« Masterson antwortete nicht. Er ging zu dem schmalen Fenster neben der Tür. »Sie dürfen nicht an den Wagen ran«, sagte er. »Wenn sie erst die Pulverfässer haben, sprengen sie uns in die Luft.«
»Verfluchte Bande!« Der Kutscher lehnte an der Theke und griff mit zitternden Händen nach der angebrochenen Flasche Tequila. Hufschlag klang draußen plötzlich auf. Einer von Mastersons Männern lief zur Hintertür und schaute hinaus. Zwei Schüsse krachten und rissen lange Splitter aus dem Holz der Tür. Der Mann zuckte zurück und schlug die Tür zu. Er schob den Riegel vor und lehnte sich bleich gegen die Wand daneben. »Der Stationer ist weggeritten, diese Ratte, dieser Juan.« »Wir müssen raus«, sagte Masterson. »Er holt bestimmt Verstärkung.« »Sie nageln uns hier fest«, schrie der Driver. »Bis sie Verstärkung haben. Und dann sind wir alle dran.« Er hielt die Flasche Tequila mit beiden Händen fest und setzte sie an den Mund. Sein Gesicht war aschfahl. Masterson drehte sich um und schlug mit der Volcanic-Rifle zu. Der bauchige Körper der Flasche zerplatzte unter dem Schlag, und die Ränder des Flaschenhalses prallten heftig gegen die Zähne des Wagenlenkers. Als er den Flaschenhals fallen ließ, blutete er aus dem Mund und stierte Masterson haß- und angsterfüllt an. »Wir schaffen es«, sagte Masterson. »Aber wer noch einen Schluck säuft und sich nicht zusammenreißt, den erledige ich selbst.« Der Mexikaner bäumte sich wieder stöhnend auf. Er lag mittlerweile in einer Pfütze von Blut, sein Gesicht war unmenschlich verzerrt. Masterson repetierte seine Volcanic-Rifle durch und schoß dem Mann eine Kugel in den Kopf.
4. Der Klang von Karabinerschüssen wehte uns entgegen, als wir die kahlen Hügel erreichten. Ich zügelte den Braunen und drehte mich zu Little Friend und Schnelltöter um. Sie folgten mir und hielten ihre Pferde neben mir an. In gut dreihundert Yards Entfernung sahen wir den kleinen Handelsposten. Ein paar Pferde und ein Kastenwagen standen auf dem Hof. Männer hasteten jetzt über den Hof und verschwanden hinter einem Magazingebäude. Vom Haupthaus her zuckten
Mündungsfeuer. Neben dem Wagen lagen zwei Gestalten im Staub, Tote. »Die Weißaugen kämpfen untereinander«, sagte Schnelltöter. Seine Stimme klang verächtlich. »Sie machen es uns leicht.« »Es wird schwer genug werden«, sagte Little Friend. Er zog sein Pferd herum und ritt ostwärts. Wir folgten ihm und schlugen einen großen Bogen um den Handelsposten, bis wir seine Rückseite vor uns hatten und unübersichtliches Buschland erreichten. Von hier aus spähten wir wieder zur Station hinüber. Männer liefen herum und feuerten auf das Haupthaus. Von dort wurde das Feuer erwidert. Hinter einem Stall bestieg ein Mann ein Pferd und ritt davon. Er lenkte sein Pferd durch eine langgestreckte Bodenfurche und trieb es auf das Buschland zu, und dann direkt in unsere Richtung. Staub wirbelte unter den Hufen des Pferdes auf. Der Mexikaner war kein besonders geübter Reiter. Er hockte wie ein Affe im Sattel und klammerte sich mehr in der Mähne fest, als daß er den Zügel benutzte. Es würde eine Kleinigkeit sein, ihn zu fangen. Wir zogen uns noch tiefer in das Buschland zurück und warteten. Der Hufschlag wurde rasch lauter, dann sahen wir den Mexikaner wieder. Er trieb sein Pferd in das Buschland. Er war ein untersetzter, rattengesichtiger, schmieriger Bursche. Eine Waffe konnte ich nicht bei ihm entdecken. Little Friend ritt aus der Deckung und stellte sich dem Mexikaner in den Weg. Schnelltöter und ich folgten ihm. Der Mexikaner schnitt ein Gesicht wie vom Donner gerührt. In letzter Sekunde erst riß er brutal sein Pferd herum. Das Tier wieherte grell auf und strauchelte. Es stürzte beinahe, fing sich, und dann jagte es mit seinem Reiter auf ein Schlingpflanzengestrüpp zu. Das Pferd scheute und bäumte sich auf. Der Mexikaner verlor das Gleichgewicht und fiel aus dem Sattel. Schreiend vor Angst richtete er sich auf, versuchte, sein Pferd zu erreichen, das sich jedoch schnell abwandte und verschreckt in das Buschland floh, und rannte mit unsicheren, beinahe lächerlichen Bewegungen durch das Unterholz. Wir verfolgten ihn und holten ihn schnell ein. Little Friend schnitt
ihm den Weg ab. Da sprang der Mexikaner hoch, umkrallte Little Friends rechtes Bein und versuchte, ihn aus dem Sattel zu reißen. Little Friend gab ihm einen Tritt, und der Mexikaner fiel auf den Rücken. Brüllend sprang er wieder hoch. Ich war bei ihm und hieb ihm mit dem Lauf des Spencerkarabiners auf die Schulter. Er taumelte und versuchte dennoch, zu fliehen. »Bleib stehen, Hombre!« rief Little Friend ihn auf Spanisch an. »Wir wollen dich nicht töten.« Der Mexikaner hörte nicht. Little Friend warf sich aus dem Sattel auf ihn und riß ihn nieder. Der Mexikaner kämpfte wie ein Wilder. Er wand sich wie ein Aal. Es gelang ihm, freizukommen. Da war Schnelltöter bei ihm, und der Mexikaner bückte sich und entriß Little Friend das Messer. Schnelltöter schoß mit seiner alten Reiterpistole. Der Mexikaner schrie. Die Schußdetonation übertönte seine Stimme. Er verschwand hinter einer Wolke von Pulverrauch. Dann brach er zusammen. Blut pulste in dickem Strahl aus seiner Brust. Er röchelte nur noch, als er am Boden lag und beide Hände über der großen Wunde verkrampft hielt. Little Friend hatte sich erhoben und beugte sich über den Mann. »Du hast weder Kopf noch Herz«, sagte er im Dialekt der Apachen und auf Spanisch: »Was ist los auf der Station?« Der Mexikaner starrte ihn aus langsam glasig werdenden Augen an. »Waffenschmuggler …«, flüsterte er leise. »Wir – wollten – doch nur …« Dann war er tot und sagte nichts mehr. Little Friend richtete sich auf. Er warf Schnelltöter einen bösen Blick zu, ohne etwas zu sagen, und ging zu den Pferden zurück. Wir folgten ihm und ließen die Leiche des Mexikaners liegen. Gemeinsam ritten wir zum Rand des Buschgebiets zurück und schauten zur Station hinüber. Dort wurde noch immer gekämpft. »Wir reiten den anderen entgegen«, sagte Little Friend. »Wenn wir Glück haben, nehmen uns die Weißaugen wirklich die Arbeit ab.« Er sprach das Wort »Glück« bitter aus. Dann ritt er davon. Wir
folgten ihm. Wir waren den anderen Kriegern vorausgeritten und brachten ihnen nun keine schlechte Nachricht. Soviel zumindest war aus den letzten Worten des sterbenden Mexikaners hervorgegangen: Ich hatte mich nicht getäuscht, der Kastenwagen enthielt Waffen und Pulver. Wir ritten nordwärts. Die Sonne war weit nach Westen gerückt. Bald würde sie sich rot färben und mit ihren langen Schatten Kampf und Tod verdecken wie mit einem feingewebten Trauerflor. Die Sonne des Todes. Hinter uns verhallten die Detonationen der Schüsse. * Im Aufenthaltsraum des kleinen Handelspostens stauten sich die Pulverdampfwolken. Es stank nach Schweiß, nach Pulverrauch und Blut. Auf dem Boden lagen Hunderte von abgeschossenen, zerplatzten Zündhütchen. Die Gesichter der Männer, die an den schmalen Fenstern des Gebäudes hockten, wirkten verkniffen und waren schwarz vom Pulverrauch. Auf dem Hof neben den beiden toten Waffenschmugglern lagen jetzt auch zwei tote Mexikaner. Sie hatten versucht, unter dem Feuerschutz ihrer Compadres den Wagen mit den Waffen vom Hof zu fahren. Die Schüsse verstummten. Die Mexikaner hatten sich in ihre Deckungen zurückgezogen. Jim Masterson richtete sich mit steifen Gliedern auf. Er lehnte seine Volcanic-Rifle gegen die Wand neben dem Fenster, an dem er bis jetzt gehockt hatte. Er ging zur Theke hinüber, auf der inzwischen die Pulver- und Bleivorräte des Handelspostens aufgebaut lagen. Viel war es nicht. Masterson warf einen besorgten Blick darauf, dann entkorkte er eine der Tequilaflaschen ohne Etikett und trank einen Schluck. Er wischte sich ein paar Tröpfchen vom Mund und reichte die Flasche seinen Leuten. »Nur einen Schluck«, sagte er. »Wenn wir uns besaufen, können wir uns gleich selbst eine Kugel in den Schädel schießen.« »Das können wir sowieso«, sagte ein drahtiger, kleiner Mann, der
unweit der Hintertür am Boden hockte. »Wenn sie Verstärkung kriegen und wir sitzen noch immer hier, dann sind wir erledigt.« »Noch ist keine Verstärkung da«, sagte Masterson. »Und vielleicht erhalten die Greaser gar keine Verstärkung.« »Das glaubst du doch selber nicht.« Der Wagenlenker stierte Masterson aus flackernden Augen an. Seine Hände zitterten, als er sich neben dem Fenster gegen die Wand lehnte. »Wenn ich gewußt hätte, was für ein Schlappschwanz du bist, hätte ich dich niemals für diesen Job eingesetzt, Dewey«, sagte Masterson. »Darauf hätte ich auch gern verzichtet.« »Aber auf das Geld, das dabei herausspringt, darauf wolltest du nicht verzichten«, schrie Masterson. In seinen Augen funkelte die Wut. Hochaufgerichtet stand er mitten im Aufenthaltsraum der Handelsstation. Er war über sechs Fuß groß, hatte schmale Hüften und breite Schultern. »Viel Geld, großes Risiko. So ist das in diesem Geschäft. Jeder von euch hat das gewußt. Keiner von euch ist neu in dieser Branche. Niemand hat ahnen können, daß wir bei diesem Geschäft reingelegt werden sollten. Aber mit so etwas mußten wir jedesmal rechnen. Jetzt ist es passiert, und jetzt werden wir das durchstehen, das ist unser Job. Und wem das nicht paßt, der hätte es sich vorher überlegen müssen. Jetzt gibt es kein Kneifen mehr. Haben wir uns verstanden?« Sie nickten alle, bis auf Dewey, den Wagenlenker. Er spuckte auf den Boden, und seine Augen glänzten feucht. Er hatte Angst. Masterson beobachtete ihn scharf, sagte aber nichts mehr, da auch Dewey schwieg. Er zog statt dessen hartes Maisschrotbrot aus den Regalen hinter der Theke und schnitt große Scheiben davon ab. Er suchte und fand große Mengen Trockenfleisch und verteilte es unter seine Leute. Er öffnete auch eine Konservenbüchse mit Bohnen, die die Männer dann kalt aßen. Draußen blieb alles ruhig. Die Mexikaner schienen sich zurückzuhalten und auf Verstärkung zu warten, die der rattengesichtige Stationer bringen sollte. Sie wußten nicht, daß der Mann tot und steif in dem Buschgebiet nur wenige hundert Yards südlich der Station lag und die ersten Krähen auf ihm hockten.
Die Pferde der Amerikaner hatten sich, scheu geworden vom pausenlosen Peitschen der Schüsse, am Rande des Hofes dicht zusammengedrängt. Der Kastenwagen stand neben der Pferdetränke, daneben lagen die Toten. Die beiden Pferde im Geschirr des Wagens, hatten anfangs versucht, mit den anderen Tieren zu fliehen. Aber die Bremsen des Wagens waren angezogen. Sie hatten das schwerbeladene Gefährt nur unwesentlich von der Stelle bewegen können. Mit hängenden Köpfen standen sie da. Ihre Flanken zitterten. Jim Masterson blickte durch ein Fenster nach draußen. Die Luft draußen kühlte sich bereits ab. Es ging auf den Abend zu. »Die Greaser müssen hinter dem Stall und dem Magazin stecken«, sagte er. »Es kann nicht so schwer sein, sie zu erwischen.« »Dann geh doch raus«, sagte Dewey, der Wagenlenker. »Ich geh auch raus«, erwiderte Masterson. »Und du gehst mit mir.« »Da kann ich ja nur lachen. Haha! Ich denke gar nicht daran.« »Ob du daran denkst, interessiert mich auch nicht, Dewey.« Masterson blickte den lederhäutigen Mann kalt an. »Noch gebe ich hier den Ton an. Wer für mich arbeitet, hat mir zu gehorchen.« »Wenn du mir befiehlst, Selbstmord zu begehen, mach ich's noch lange nicht«, sagte Dewey. »Doch«, sagte Masterson. Seine riesige, muskulöse Gestalt strahlte Brutalität aus. Er nahm seine Volcanic-Rifle auf. Der Lauf zeigte wie zufällig auf den lederhäutigen Wagenlenker. »Da rauszugehen ist Selbstmord«, sagte Dewey. Seine Stimme klang jetzt schon erheblich unsicherer. »Du kannst mir nicht befehlen, Selbstmord zu begehen.« Masterson schien Dewey gar nicht zu hören. Er repetierte die Volcanic-Rifle durch. Noch immer zeigte der Lauf auf Dewey, und Masterson spielte mit dem Hahn des Gewehrs. Der Wagenlenker sprang fluchend auf. Sein Gesicht hatte sich zu einer Fratze der Angst und des Hasses verzerrt. Masterson zeigte unbeeindruckt auf zwei andere Männer, die sich widerspruchslos erhoben. Sie gingen hinter Masterson zur Hintertür des Raums. Dewey murmelte leise etwas Unverständliches vor sich
hin. Masterson öffnete die Tür und warf sich mit einem Hechtsprung auf den Hof hinaus. Er rollte blitzschnell durch den Staub und fand hinter einer alten Regentonne Deckung. Die anderen Männer folgten ihm. Im selben Moment krachten von der Ostecke des Stalles her Revolverschüsse. Dewey, der Wagenlenker, stürzte sich als letzter aus der Tür. Er wurde im Sprung von einer Kugel getroffen und fiel wie ein Sack zu Boden. Er wollte sich erheben, da trafen ihn weitere Geschosse. Sie stießen ihn wie ein Bündel Lumpen in den Staub. Blut spritzte, und Dewey stöhnte leise. Er schrie nicht, er wand sich auch nicht vor Schmerzen. Er lag nur da und stöhnte, und sein Stöhnen klang eher verwundert als schmerzvoll. Dann wurde es still. Langsam hob Dewey den Kopf. Aus brennenden Augen starrte er zu der Regentonne hinüber, hinter der Jim Masterson hockte. Seine Lippen bewegten sich, formten Worte, Sätze, lautlos. Plötzlich umkrallte Dewey mit der Rechten seinen Navy-Colt und zielte damit auf Masterson, den er gut hinter seiner Deckung sehen konnte. »Dich nehme ich mit«, flüsterte er. »Du bist schuld …« Er vermochte die schwere Waffe kaum zu halten. Er faßte auch mit der linken Hand zu und spannte den Hammer. Mastersons scharfgeschnittenes Gesicht blieb ausdruckslos. In seinen grauen Augen blitzte es nur einmal kurz auf. Dann schoß er mit der Volcanic-Rifle. Die Kugel drang Dewey unterhalb des linken Auges in den Kopf ein. Sie trat am Nacken wieder aus, und Dewey wurde herumgeschleudert. Er blieb auf dem Rücken liegen und rührte sich nicht mehr. In seinen Fäusten hielt er noch immer den schußbereiten Navy-Colt. Er würde ihn nie mehr abdrücken. Masterson nickte den anderen Männern zu, die hinter alten Kisten in Deckung lagen. Dann sprang er auf und hetzte im Zickzack auf den Stall zu. Schüsse peitschten auf, als er bereits die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte. Seine Leute fingen nun an zu schießen und zwangen die Mexikaner in Deckung. Masterson erreichte den Stall und preßte sich schweratmend gegen
die Außenwand. Er schob sich bis zur Ostecke vor, hörte Schritte und zögerte nicht, um die Ecke zu schauen. Da sah er zwei Mexikaner davonlaufen. Masterson schoß aus der Hüfte und traf einen der beiden Männer. Der Mexikaner zuckte zusammen, schrie, stolperte, stürzte fast und preßte die linke Hand gegen seine linke Seite. Doch er rannte weiter und verschwand aus Mastersons Blickfeld, der jetzt seinen Leuten winkte und die Verfolgung aufnahm. Vorn auf dem Hof krachten nun auch wieder Schüsse. Vom Haus aus wurde das Feuer erwidert. Masterson umrundete das Stallgebäude und spähte über den Hof, den er jetzt seitlich vor sich liegen hatte. Die Mexikaner hatten sich anscheinend alle hinter das Magazingebäude zurückgezogen. Masterson drehte sich zu seinen beiden Begleitern um. »Wir müssen zum Wagen«, sagte er. »Und den Wagen müssen wir vom Hof schaffen. Damit locken wir sie aus ihren Verstecken. Die Greaser wollen den Wagen. Sie müssen uns folgen, sonst kriegen sie ihn nicht.« Die Männer nickten. Masterson schaute einen schmalschultrigen und ungemein geschmeidig wirkenden Mann ernst an. »Lauf du«, sagte er. Der Mann sagte nichts. Er schob sich an Masterson vorbei, und während Masterson und der zweite Begleiter einen Kugelhagel zum Magazingebäude hinüberschickten, lief er geduckt auf den Hof. Er erreichte unbeschadet den Wagen und griff nach den Zügeln der Pferde. Ohne auf den Bock zu steigen, versuchte er, den Wagen in Bewegung zu setzen, die Pferde zu lenken und anzutreiben. Lange Schatten fielen auf den Hof. Der Himmel färbte sich nach und nach rötlich. Schüsse peitschten durch den Spätnachmittag. Der Wind von Süden trieb Pulverdampfschwaden über das Gelände des Handelspostens. Der Mann neben dem Wagen schrie plötzlich auf und strauchelte. Er klammerte sich an der linken Seitenbracke des Wagens fest. Sein rechtes Bein hing schlaff herab. Blut färbte den Stoff der Hose dunkel. Weitere Kugeln trafen seine Beine, denn der Wagen schützte nur seinen Oberkörper. Der Mann schrie immer lauter. Er zuckte unter den Geschoßeinschlägen zusammen und ließ schließlich die
Seitenbracke los, als der Schmerz ihn übermannte. Mit zerschossenen Knien und Schienbeinen wälzte er sich im Staub. Schüsse krachten vom Magazingebäude aus unter den Wagen und trafen den Körper des Mannes. Sie stießen seinen Körper durch den Sand. Als er reglos auf dem Bauch liegenblieb, war er tot. Jim Masterson fluchte. Er lehnte sich gegen die Stallwand. Schweiß perlte auf seiner Stirn. »Diese Schweine«, sagte er. Er blickte den anderen Mann hart an. »Und sie kriegen den Wagen nicht. Jim Masterson läßt sich nicht reinlegen. Wenn es einmal klappt, wird es immer wieder versucht.« »Wenn es ein nächstes Mal für uns gibt«, sagte der Mann. Er war blaß. Als Masterson ihn anschaute, senkte er seinen Blick. »Es wird«, sagte Masterson. »Ich lasse mich nicht von ein paar mexikanischen Strauchdieben aus dem Sattel heben. Wenn wir erst den Wagen haben, dann haben wir die Pulverfässer, und dann jage ich dieses Gesindel damit in die Luft.« Masterson atmete schwer. »Ich werde es selbst versuchen«, sagte er. Er stieß sich von der Hauswand ab und packte seine VolcanicRifle fester. Im selben Augenblick ertönte vom Magazingebäude her ein Schrei. Das Tor flog auf, und ein paar Mexikaner stürmten heraus. Masterson feuerte und traf einen der Mexikaner hoch in der linken Schulter. Der Mann stürzte, sprang jedoch wieder auf die Beine und lief weiter. Da erst sah Masterson die Staubwolke auf den Hügeln im Norden. Er ließ seine Volcanic-Rifle sinken. Aus dem Staub heraus schälten sich gescheckte Ponies mit bronzehäutigen Reitern. »Los, ins Haus!« schrie Masterson. Er stürmte an seinem Begleiter vorbei, um den Stall herum, zurück zur Hintertür des Haupthauses. Vorn auf dem Hof warfen sich die Mexikaner auf die Pferde der Waffenschmuggler und versuchten, zu fliehen.
5. Die Sonne stand tief im Westen. Sie glänzte rot wie ein Rubin. Ihr Schein hatte den Himmel in eine feurige Kuppel verwandelt. Die Sonne des Todes.
Wenn sie verglüht war, würde es kein Leben mehr auf dem kleinen Handelsposten geben. Wir ritten über die verkarsteten Hügel. Cochise hatte uns zu einer breiten Front ausschwärmen lassen. Wir ritten auf den Handelsposten zu, der klein und häßlich vor uns in der Ebene lag. Der Wagen mit den Gewehren und dem Pulver stand noch immer auf dem Hof. Wir sahen einige Mexikaner, die sich auf die Pferde am Hofrand schwangen und auf die Ebene hinausjagten. Wir eröffneten das Feuer. In lang auseinandergezogener Linie griffen wir an. Unsere kehligen Kriegsschreie hallten in den Abendhimmel. Vom Haupthaus der Station her krachten Schüsse. Sie trafen nicht. Wir trieben unsere Pferde an und holten die Mexikaner ein, die in ihrer Angst nicht wußten, wohin sie sich wenden sollten. Ich sah, wie Cochise seinen Tomahawk schwenkte und einen Mexikaner aus dem Sattel schlug. Mit gespaltenem Schädel stürzte der Mann zu Boden, während das Pferd weiter jagte. Ich schoß mit meinem Spencerkarabiner und traf das Pferd eines zweiten Mannes. Das Tier stürzte. Der Mann richtete sich auf und rannte brüllend weiter. Ein Krieger erwischte ihn vom Pferd herab mit seinem Schädelbrecher, während zur selben Zeit Schnelltöter einen dritten Mexikaner einholte und mit ihm zusammen zu Boden fiel. Ineinanderverkrallt rollten sie durch den Staub. Der Mexikaner kämpfte mit der Kraft der Verzweiflung. Aber Schnelltöter war stärker. Er stieß ihm sein Messer ins Herz und riß ihm den Skalp ab. Er schwenkte den handtellergroßen Hautfetzen mit dem schwarzen Haarbüschel und schwang sich wieder auf sein Pferd. Da gingen wir schon gegen die Station vor. Der letzte Mexikaner hatte in seiner Furcht sein Pferd herumgerissen und trieb es zum Handelsposten zurück. Alle anderen Fluchtwege waren ihm abgeschnitten, denn wir stießen in einer Zangenbewegung gegen die Station vor. Cochise und Little Friend waren uns anderen voraus. Little Friend hatte den Mexikaner, der auf die Station zufloh, beinahe eingeholt. Da zuckten uns aus dem Haupthaus wieder Mündungsblitze entgegen. Der Mexikaner schrie plötzlich auf und warf beide Arme hoch. Er wurde rücklings aus dem Sattel geschleudert. Fast im selben Moment
brach Little Friends Pferd zusammen. Mir war zumute, als hätte ich einen Faustschlag in den Magen erhalten, als ich ihn stürzen sah. Sein muskulöser Oberkörper war nackt, aber nicht mit Farben beschmiert. Er trug nur eine Wildlederhose, hochschäftige Mokassins und ein schmuckloses, einfaches Stirnband um den Kopf. Ich dachte erst, er sei selbst getroffen worden, als er in das bräunliche Gras stürzte und sich sekundenlang nicht rührte. Dann bewegte er sich schwerfällig, kroch durch das Gras und blieb hinter der Leiche des Mexikaners liegen, während Kugeln ihn umschwirrten. Er zog dem Toten den Revolver aus dem Gürtel, benutzte seinen Körper als Deckung und feuerte darüber hinweg auf die schmalen Fenster des Stationshauses. Wir jagten an ihm vorbei und erreichten den Stationshof. Zwei Krieger wurden neben mir aus den Sätteln geschossen. Ich selbst fühlte den heißen Luftzug eines Geschosses und wurde von einem Projektil am linken Oberarm gestreift. Der harte Schlag des Aufpralls warf mich fast vom Pferderücken. Der Schmerz war groß, aber die Wunde nur klein, und sie blutete kaum. Ich zog den Braunen herum und ritt quer über den Hof. Stinkende Pulverdampfschwaden hüllten mich ein. Meine Augen tränten, und ich hustete. Trotzdem schoß ich weiter mit meinem Spencerkarabiner. Neben dem Stallgebäude sprang ich aus dem Sattel. Ich sah, wie ein Krieger den Bock des Kastenwagens erklomm, die Bremsen löste und die angsterfüllt wiehernden Gespannpferde antrieb. Es gelang ihm, das Gefährt zu wenden. Dann traf ihn eine Kugel und stieß ihn vom Bock hinunter. Er fiel über das linke Vorderrad in den Staub, überschlug sich und wurde vom linken Hinterrad des Wagens, den die führerlos gewordenen, sofort zur Seite ausbrechenden Gespannpferde herumzerrten, überrollt. Die Krieger ritten zurück auf die Ebene, hin zu den kahlen Hügeln, während die rostroten Schatten der Abendsonne wie Finger des Todes über das Land krochen. Ich blieb auf der Station zurück, mit drei oder vier anderen. Unweit der Station sah ich noch immer Little Friend hinter dem toten Mexikaner liegen. Er hatte keine Möglichkeit, diesen Platz zu
verlassen. Er mußte auf die Dunkelheit warten. Ich konnte ihm auch nicht helfen. Die Schüsse aus dem Haupthaus der Station verstummten. Es wurde still. Nur das Singen des Windes war zu hören, der von Süden heranfächelte. Die Luft hatte sich abgekühlt. Die Dämmerung breitete sich langsam aus, und die rote Sonne im Westen schien einen schwarzen Trauerrand anzulegen. Ihr Glanz verblaßte. * Jim Masterson stieß die letzten Randfeuerpatronen in das Röhrenmagazin seiner Volcanic-Rifle. Aus schmalen Augen starrte er angestrengt hinaus in die Dämmerung. Schemenhaft sah er weit draußen in der Ebene, daß sich die Apachen neu formierten. Er stieß einen Fluch aus und preßte die heiße Stirn gegen das rauhe Holz der Wand. Als er sich dann umdrehte und seine Blicke über die Gesichter seiner Männer wandern ließ, spie er aus und erhob sich. Mit schweren Schritten durchquerte er den Raum und öffnete hinter der Theke eine neue Flasche Tequila. Er fühlte sich müde und zerschlagen, genau wie seine Leute. Er sah ihnen an, daß sie jede Hoffnung aufgegeben hatten, und er wußte nicht, was er hätte sagen sollen, um ihnen neuen Mut zu geben. Er wußte, sie würden kämpfen, weil sie leben wollten, und weil niemand sich ohne Not einfach aufgibt. Aber ihnen allen war klar, daß sie den Kampf nicht gewinnen konnten. Masterson trank einen Schluck Tequila, ging dann zu seinen Leuten und reichte die Flasche herum. Er dachte an den Tag, als der rattengesichtige Juan, dem diese Station gehört hatte, in seinem Frachtgeschäft in San Pedro, Arizona, erschienen war. Masterson hatte nie Skrupel gekannt. Er handelte mit allem, was Geld brachte. Er verkaufte Whisky und Waffen an die Indianer, er schmuggelte Waren über die Grenze, er transportierte auch Diebesgut, wenn es nur genügend Dollars brachte. Der Mexikaner, der sich Juan nannte, hatte mit einem guten Geschäft gewinkt. Er hatte von mexikanischen Nationalisten erzählt, die es sich in den Kopf gesetzt hatten, eine Armee aufzustellen. Mit ihr sollten die Gebiete zurückerobert
werden, die von den Vereinigten Staaten der Republik Mexiko in einigen Kriegen abgenommen worden waren. Juan hatte für die Nationalisten nur ein müdes Lächeln übrig. Was ihn interessierte, war das Geschäft, an dem er mitverdienen wollte. Er war beauftragt worden, Waffen zu besorgen. Masterson konnte Waffen besorgen, und er lieferte an jeden, der seine Preise bezahlte. Was mit den Waffen getan wurde, war ihm gleichgültig. Er hatte keine Angst vor ein paar Mexikanern, die Arizona, New Mexico, Texas und Kalifornien für Mexiko zurückerobern wollten. Sich mit solchen Gedanken zu beschäftigen, war in seinen Augen nur eine verrückte Spielerei, und warum sollte er nicht das Spielzeug dazu liefern? Er hatte zweihundert Gewehre besorgt, fünf Fäßchen mit Schwarzpulver und Stangenblei. Als er aus San Pedro aufgebrochen war, hatte er in keiner Weise daran gedacht, daß das Unternehmen so enden würde. Für ihn war das ein Job wie jeder andere gewesen. Aber die Mexikaner hatten ihn reinlegen wollen. Und jetzt waren die Apachen da. Masterson blickte mit gerunzelter Stirn auf seine Leute. In so einer verfahrenen Lage hatte er noch nie mit ihnen gesteckt. Riskant waren seine Geschäfte immer gewesen, aber nie wirklich lebensgefährlich. Und gelohnt hatten sie sich immer, für ihn und für seine Leute. Jim Masterson hatte nicht die Absicht, schon zu sterben. Er war fest entschlossen, sich zu retten. Irgendwie, auch auf Kosten seiner Leute, wenn es sein mußte. Wie er das anstellen sollte, wußte er selbst noch nicht. Groß war seine Chance nicht. »Es hat alles mit dieser kleinen Rothaut angefangen«, hörte er plötzlich einen seiner Leute sagen. »Er hatte blondes Haar«, sagte ein anderer. »Trotzdem war er ein Apache«, sagte der erste. »Und die ganze Scheiße hat damit angefangen. Ich wette, wir haben es ihm zu verdanken, daß uns jetzt die Apachen auf den Pelz rücken.« »Es hat keinen Sinn, darüber zu streiten«, sagte Masterson. »Es ändert nichts an der Situation. Spart lieber euren Atem.« »Warum? Wir gehen ohnehin drauf«, sagte ein pockennarbiger Mann.
Masterson sah ihn an und schwieg, da schwieg der Mann auch. Langsam wurde es dunkel im Raum. Nur die schweren Atemzüge der Männer waren zu hören, und ab und zu das Knacken eines Gewehrschlosses. »Sie greifen wieder an«, sagte einer plötzlich. Masterson hörte das dumpfe Hämmern der unbeschlagenen Pferdehufe. Es klang wie der Trommelwirbel eines Totenmarsches. Jetzt, dachte er, jetzt muß es klappen. Wenn es überhaupt eine Möglichkeit gibt, abzuhauen, dann nur jetzt. Wenn die Rothäute vorn angreifen, verschwinde ich hinten hinaus. Er nahm seine Volcanic-Rifle und durchquerte den Raum. Unweit der Hintertür hockte er sich neben ein Fenster und sah durch die Dämmerung die Apachen heranjagen. Sie stießen jetzt kollernde Schreie aus, kehlig und grell, die den Hufschlag übertönten. Und dann begannen wieder die Gewehre und Revolver zu krachen. Sie schienen aus der untergehenden Sonne herauszureiten. Ihre Silhouetten, die sich immer schärfer aus der einbrechenden Dunkelheit herausschälten, wurden von einem rötlichen Lichtschleier umrahmt. Die Sonne des Todes verwandelte sie in geisterhafte Schattenreiter, denen die Mündungsflämmchen ihrer Gewehre wie zuckende Irrwische voraustanzten. So griffen sie an, und wenn die Sonne des Todes verglühte, würde eine lange Nacht folgen, aus der viele nicht mehr erwachen würden. * Jim Masterson krampfte die Fäuste fester um den Schaft der Volcanic-Rifle. Für einen Moment schloß er die Augen. Dicht neben ihm schlugen Geschosse in den Fensterrahmen und rissen tiefe Furchen ins Holz. Er bemerkte es nicht. Als er die Augen wieder öffnete, war er ruhiger geworden. Seine Leute achteten nicht auf ihn. Sie knieten im Pulverdampf neben den Fenstern und feuerten auf die Angreifer. Masterson drehte sich um und kroch auf allen vieren zur Hintertür. Es waren höchstens drei Schritte, doch die Entfernung erschien dem
Mann plötzlich fast unüberbrückbar. Die rissigen Holzdielen unter ihm schienen sich in eine klebrige Masse zu verwandeln, die ihn festhielt. Masterson schwitzte. Ein eiserner Ring schien seinen Brustkorb langsam zu zerquetschen. Als er gegen die Hintertür stieß, blieb er sekundenlang wie versteinert am Boden hocken. Der Kampfeslärm um ihn herum versank für ihn. Er hörte nur noch das Rauschen seines eigenen Blutes in den Ohren. Er wußte, wenn ihn jetzt seine Leute entdeckten, würden sie ihm in den Rücken schießen. Im selben Moment schlug neben seinem Kopf ein Geschoß in die Hintertür. Jim Masterson sprang auf. Mit fliegenden Fingern riß er den Riegel zur Seite. Er öffnete die Tür und warf einen Blick auf den dunklen Hinterhof. Hier war alles still, ein paar hundert Yards entfernt lag dichtes Buschland. Masterson schob sich über die Schwelle. Da ertönte hinter ihm ein Schrei. Masterson wandte den Kopf und sah einen seiner Männer im Raum liegen, aus einer Wunde im Hals blutend. Gleichzeitig drehte sich ein zweiter um, um sich um den Verletzten zu kümmern. Er sah Masterson auf der Schwelle der offenen Tür stehen und starrte ihn mit offenem Mund an. Er flüsterte etwas, seine Lippen bewegten sich. Zu hören war nichts. Die Schußdetonationen übertönten alles. Aber Masterson sah, wie sich das Gesicht des Mannes verzerrte, und dann hob er seinen Revolver. Da schoß Masterson von der Tür aus und sah den Mann fallen. Von den anderen Männern an den Fenstern drehte sich keiner um. Es wurde soviel geschossen, drinnen und draußen, daß ein Schuß mehr oder weniger nicht auffiel. Masterson schloß die Tür und hastete durch die Dunkelheit zum Stall. Vorn auf dem Hof waren die Apachen. Sie ließen sich nicht mehr zurückschlagen. Sie waren wild entschlossen, das Haus zu nehmen, und sie würden es nehmen. Masterson wußte, daß er genau den richtigen Moment für seine Flucht gewählt hatte. Er lehnte sich einen Moment schwer atmend an die Stallwand und lauschte dem Kampfeslärm. Sein Herz schlug bis zum Hals. Die Pferde waren verloren, der Wagen mit den Waffen auch. Aber was
war das alles schon, wenn er sein Leben retten konnte! Masterson stieß sich von der Stallwand ab und lief über den Hinterhof der Station. Als er das harte, kurze Gras außerhalb des Hofes unter seinen Stiefeln spürte, fühlte er sich besser. Er atmete tiefer durch und sog die kühle, reine Luft des Abends in seine Lungen. Er verließ den Schatten des Stallgebäudes und lief in die Ebene hinaus. Aus den Augenwinkeln sah er plötzlich einen Schatten. Ein Schuß krachte, und Masterson spürte den sengend heißen Luftzug des Geschosses an seinem Hals. Er fühlte Panik in sich aufsteigen. Die Angst griff wie mit eisigen Fingern nach ihm und preßte ihm die Kehle zu. Er war entdeckt. Aber jetzt gab es kein zurück mehr. Masterson lief so schnell, wie noch nie vorher in seinem Leben. Verloren, hämmerte es in ihm, alles ist verloren. Er floh in die Finsternis. Die Sonne war im Westen untergegangen. Das letzte Tageslicht verblaßte. Einmal drehte er sich um, da sah er Flammen aus dem Haupthaus des Handelspostens aufzucken. Noch immer krachten Schüsse, aber der Kampf war sichtlich abgeebbt. Masterson lief weiter, bis vor ihm die ersten Büsche und Sträucher auftauchten. Nach Atem ringend taumelte Masterson in das Buschland.
6. Ich stand hinter dem Stall, als meine Brüder wieder angriffen, und bereitete mich darauf vor, in den Sattel des Braunen zu springen und mich in die Angriffsfront einzureihen. Die ersten Schüsse krachten. Da tauchte plötzlich seitlich des Stalls, hinter dem Handelsposten, ein Schatten auf. Er stürmte in die Dunkelheit. Ich feuerte fast instinktiv, ohne lange zu überlegen, und traf den Mann auch nicht. Der schoß nicht mal zurück, sondern lief nur um so schneller davon. Ich sah ihn davonhetzen und wie eine unwirkliche Erscheinung in der Dunkelheit verschwinden. Ratlos schaute ich ihm nach. Was ich tun sollte, wußte ich nicht. Vorn auf dem Hof tobte bereits der
Kampf. Ich stand allein hinter dem Stall. Die anderen Krieger, die zuvor noch bei mir gewesen waren, hatten sich bereits in Positionen begeben, von denen aus sie das Haus besser unter Beschuß nehmen konnten. Der Mann war zu Fuß geflohen, und sein Ziel schien das Buschland zu sein, in dem wir den rattengesichtigen Mexikaner getötet hatten. Er würde nicht weit gelangen. Ich beschloß, ihm später zu folgen. Ich drehte mich um und stieg in den Sattel des Braunen. Schreiend und schießend ritt ich auf den Hof, wo sich meine Brüder bereits befanden. Ich entdeckte jetzt auch Little Friend, der zu Fuß heranlief. Er hielt den Revolver des toten Mexikaners in der rechten Faust und sprang auf den Bock des Kastenwagens, der noch immer am Hofrand stand. Er nahm die Zügel hoch und trieb die Pferde an. Sie setzten sich sofort in Bewegung, und ich verlor Little Friend aus den Augen. Kugeln umschwirrten mich. Ich schoß selbst und schrie mir die Kehle heiser. Ich gelangte unbehelligt bis unmittelbar an das Haupthaus und konnte vom Sattel aus das Dach erreichen. Ich sprang sofort hoch. Der Braune lief weiter. Ich hing einen Moment in der Luft, zog mich dann hoch und erklomm das Dach. Überall waren jetzt Apachen. Die Männer im Haus kämpften noch, aber sie schienen eingesehen zu haben, daß sie keine Chance mehr hatten. Die Krieger hatten die Pferde verlassen und schlugen die Tür ein. Zwei oder drei wurden dabei niedergeschossen, aber diesmal ließen wir uns nicht zurücktreiben. Die dröhnende Stimme von Cochise trieb uns an. Fackeln flammten auf, gerade als ich versuchte, die Schindeln vom Dach zu reißen. Direkt vor mir durchschlug ein Geschoß das Hausdach. Ich erhob mich rasch und rutschte zurück. Unter mir sah ich einen Krieger mit einer Fackel laufen und rief ihm zu, er solle mir eine heraufwerfen. Er tat es. Ich fing die Fackel auf und setzte damit das Dach in Brand. Als ich mich über den Dachrand hinunterließ, griffen die Flammen bereits gierig um sich. Das knochentrockene, morsche Gebälk des Gebäudes brannte wie Zunder. Ich ließ mich fallen, prallte hart am
Boden auf und nahm den Spencerkarabiner, den ich während der ganzen Zeit mit dem Sattelring am Patronengurt festgehakt hatte, wieder in die Fäuste. Unmittelbar neben mir befand sich ein Fenster, durch das sich gerade der Lauf einer Springfield-Muskete schob. Ich zögerte nicht, packte den Lauf des Gewehrs und zerrte ihn nach draußen. Ein erschrockener Ruf ertönte. Ich sprang zum Fenster und schoß mit dem Spencerkarabiner ins Innere. Ein Mann taumelte im zuckenden Zwielicht des Mündungsfeuers. Ich ließ mich sofort fallen und entging so einem Kugelhagel, der einen Sekundenbruchteil später über mich hinwegraste. Auf dem Dach fraßen die Flammen, und an zwei Ecken des Gebäudes züngelte ebenfalls das Feuer in die Höhe. Die stinkenden Pulverdampfschwaden mischten sich mit dem Rauch des Feuers, den der Südwind in den Hof drückte. Teile des Dachs stürzten bereits brennend in das Haus. Vorn durchbrachen einige Krieger jetzt die Tür. Die Männer im Haus kämpften bis zum Schluß. Ich lief nach vorn auf den Hof und drang mit den anderen Kriegern in das brennende Haus ein. Aber hier gab es nichts mehr zu tun. Zwei Männer lebten noch. Sie wurden aus dem Haus geschleppt, das jetzt in hellen Flammen stand und den kleinen Handelsposten fast taghell erleuchtete. Die beiden weißen Männer schrien wie verrückt, und einer hatte vermutlich schon den Verstand verloren. Er sah ganz so aus. In seinen Augen flackerte eine irre Angst, und sein Schreien hatte nichts Menschliches mehr. Er konnte sich losreißen und torkelte über den Hof. Aber er sah nicht, wohin er lief. Er schien nicht mehr zu wissen, was er tat. Er stieß gegen ein Pferd, das sofort nervös herumsprang und auskeilte. Ein Huftritt traf den Mann an den Schädel. Er stürzte unter das Pferd und wurde von weiteren Huftritten getroffen. Als das Pferd von ihm abließ, hatte er kein Gesicht mehr und rührte sich nicht mehr. Den anderen Mann warfen zwei Krieger in die Pferdetränke. Er bäumte sich auf und wand sich wie ein Aal, aber sie hielten seine Arme mit eisernen Griffen gepackt, und so wurden seine Bewegungen nach und nach schwächer, kraftloser. Schließlich lag er
ganz still, und aus dem Wasser der Tränke stiegen keine Luftbläschen mehr auf. Ich wandte mich schnell ab. Ein paar Krieger liefen in das brennende Haupthaus der Station und versuchten, einige der darin aufgestapelten Vorräte zu retten. Aber es war nicht viel, was sie fanden. Sie brachten einen Sack Mehl, einen mit Zucker und ein paar Konserven, mit denen sie ohnehin nichts anzufangen wußten. Sonst hatte der Lagerraum des Gebäudes nur Ackergeräte enthalten. Auch im Magazin der Station war nicht viel zu holen. Es hatte schon seinen guten Grund gehabt, daß wir uns früher nie um diesen Handelsposten gekümmert hatten. Diesmal aber hatten wir Gewehre erbeutet, und Gewehre waren immer gut. Ich lief über den Hof und suchte nach Little Friend. Er war nirgends zu sehen. Ich vermutete, daß er mit dem Wagen zu den Hügeln gefahren war. Neben dem Brunnen hockte Schnelltöter am Boden und versorgte eine tiefe Fleischwunde am linken Oberschenkel. Es herrschte ein ziemliches Durcheinander, und auch Cochise konnte ich in diesem Moment nicht entdecken. Mir fiel der Mann ein, den ich bei Beginn unseres Angriffs hatte fortlaufen sehen. Einen Moment überlegte ich, dann suchte ich meinen Braunen. Ich fand ihn hinter dem Magazingebäude, und er schnaubte erfreut, als ich vor ihm auftauchte und ihm durch die Mähne strich. Ich schwang mich in den Sattel, ritt nach vorn auf den Hof und schaute noch einmal auf das Treiben hier. Krachend stürzte gerade das Haupthaus der Station zusammen. Die Flammen loderten hoch auf und fraßen ein Loch in die Finsternis. Noch immer entdeckte ich nirgends Little Friend. Da zog ich den Braunen herum und trieb ihn in die Dunkelheit. Langsam ritt ich durch die Nacht auf das Buschland zu. * Jim Masterson kauerte unter einem Palo-Verde-Strauch und spähte zur Station hinüber. Er sah die lodernden Flammen und wurde innerlich nach und nach ruhiger. Niemand folgte ihm. Grenzenlose
Erleichterung befiel ihn. Seine Haltung entspannte sich, und er dachte darüber nach, wie es weitergehen sollte. Er wollte bis zum Sonnenaufgang warten, und wenn die Apachen dann noch nicht abgezogen sein sollten, wollte er noch länger warten. Er hatte jetzt Zeit, viel Zeit, denn er hatte nichts mehr zu verlieren – außer seinem Leben. Er ärgerte sich jetzt, daß er sich nicht wenigstens ein Stück Brot unters Hemd gesteckt hatte, bevor er daran gegangen war, seinen Fluchtplan zu verwirklichen. Aber was machte es schon, daß er keinerlei Vorräte besaß! Es gab Beeren und Wurzeln. Später, wenn die Apachen fort waren, konnte er sich auch Wild schießen. Schwieriger war es schon, daß er kein Pferd besaß. Masterson dachte eine Weile darüber nach, ob er nicht zunächst weiter nach Süden ziehen sollte, um ein Rancho zu suchen und dort ein Pferd zu stehlen. Er verwarf diesen Gedanken wieder. Der Kampf auf dem Handelsposten würde sicherlich nicht geheim bleiben. Das Land war zwar kaum besiedelt, aber es hatte tausend Augen und Ohren. Der Feuerschein der brennenden Station würde meilenweit im Land zu sehen sein. Bestimmt würden irgendwann Rurales oder eine mexikanische Armeepatrouille auftauchen. Masterson hatte keine Lust, in die Arme eines solchen Suchtrupps zu laufen oder mit einem Pferdediebstahl die zahlreich im Grenzgebiet vertretenen Rurales auf seine Fährte zu locken. Es war schon besser und unauffälliger, sich zu Fuß nach Norden durchzuschlagen. Es waren höchstens sechzig Meilen bis zur Grenze, vielleicht sogar nur fünfzig. Nur fünfzig Meilen. Masterson war nie weiter als vielleicht zweihundert Yards zu Fuß gegangen. Aber das waren seine geringsten Sorgen. Die Hauptsache war, daß er lebte. Er sah im Feuerschein die Apachen herumlaufen. Das Peitschen der Schüsse war längst verstummt. Masterson richtete sich auf. Zum erstenmal fühlte er in diesen Stunden eine gewisse Schwäche. Er stützte sich auf die Volcanic-Rifle und drang tiefer in das Buschland ein. Er stieß häufig gegen tiefhängende Äste, stolperte und stürzte einmal in einen Dornenbusch. Dabei riß er sich beide Handrücken
auf und trug auch Kratzer im Gesicht davon, die sich zwar gleich wieder schlossen, aber dennoch höllisch brannten. Fluchend blieb Masterson stehen. Er schwitzte jetzt wieder, und in ihm war ein starkes Hungergefühl. Als er weiterging, hielt er seine Volcanic-Rifle in der ausgestreckten Rechten und tastete sich damit durch das finstere Gestrüpp. Er suchte einen Schlafplatz, der weit genug vom Rand des Buschgebiets weg lag, aber gleichzeitig die Möglichkeit bot, schnell zu fliehen. Der Boden aber war überall hart, mit trockenen Ästen, Blättern und Dornen übersät. Masterson fühlte nun auch Müdigkeit in sich. Stundenlang hatte sein Körper unter Hochspannung gestanden. Jetzt ließen seine Energien merklich nach. Mit unsicheren Schritten trottete er weiter. An seine Leute, die er im Stich gelassen hatte und die jetzt alle tot waren, verschwendete er keinen Gedanken. Als es vor ihm im Unterholz plötzlich raschelte, er sich bückte und den Schatten einer Schlange wahrnahm, die rasch davonkroch, blieb er wieder stehen und wagte minutenlang nicht, sich zu rühren. Die Angst kroch ihm durch die Glieder, und er hatte plötzlich keinerlei Lust mehr, sich irgendwo in diesem Buschgebiet niederzulegen und zu schlafen. Als er schließlich weiterging, bewegte er sich noch zögernder, noch langsamer und noch vorsichtiger. Er tappte herum, als liefe er auf rohen Eiern, während in seinen Schläfen das Blut immer heftiger hämmerte und nur die Angst seine Müdigkeit noch niederhielt. Plötzlich öffnete sich das Buschland wieder vor ihm, und er sah durch die Sträucher das Feuer auf der Station. Da wußte er, daß er im Kreis gelaufen war. Seine Hände zitterten jetzt, er lehnte sich erschöpft an einen Baum. Das Feuer auf dem Handelsposten loderte mit unverminderter Heftigkeit. Masterson stieß sich vom Baum ab und taumelte weiter. Er kriegte jetzt seine Füße kaum noch hoch. Und dann stieß er wieder gegen ein Hindernis und konnte sich nicht halten. Er stürzte nach vorn und stieß mit dem Kopf hart gegen einen anderen Baum. Benommen wälzte er sich herum. Das Hindernis, gegen das er gestoßen war, war weich gewesen. Ein kalter Schauer überlief ihn. Er tastete auf allen
vieren auf dem Boden herum und fühlte plötzlich Stoff unter seinen Händen, dann menschliche Haut. Ein Gesicht. Mastersons Hände zuckten zurück. Er langte in die Hosentasche, zog ein Zündholz hervor und riß es am Daumennagel an. Sekundenlang schaute er in das wachsbleiche Rattengesicht des mexikanischen Stationers. Jetzt wußte er, warum die Mexikaner keine Verstärkung erhalten hatten, aber das war nun auch egal. Das Streichholzflämmchen brannte nieder. Masterson blies es aus und hörte im selben Moment Hufschlag von der Ebene, der sich rasch näherte. Neben der Leiche kniend schaute er auf und sah eine schattenhafte Gestalt durch die Finsternis direkt auf das Buschgebiet zureiten. Plötzlich saß wieder ein Kloß in seiner Kehle. Er umkrampfte den Schaft des Gewehrs fester und blieb neben dem Toten sitzen. Seine Müdigkeit war wie weggewischt. Angestrengt starrte er durch die Finsternis auf den Reiter. * Ich sah das Buschland vor mir aus der Nacht auftauchen. Ich zügelte den Braunen etwas und ritt langsamer weiter. Sorgfältig suchte ich mit Blicken den Rand des Buschgebietes ab. Den Spencerkarabiner hielt ich schußbereit in den Fäusten. Einen Moment dachte ich daran, umzukehren, aber den Gedanken verdrängte ich rasch wieder. Ich wollte ja ohnehin nur einen Teil der Buschwildnis absuchen und nicht tiefer in sie eindringen. Der Duft der vielen verschiedenen Pflanzen, der in der Nacht viel intensiver zu sein schien als am Tage, schlug mir entgegen. Leise sang der Wind in den Zweigen der höchsten Sträucher. Es war kühl, und ich fröstelte etwas, aber es war zu ertragen, und so ließ ich die Decke hinter meinem Sattel zusammengerollt. Ein etwas merkwürdiges Gefühl erfüllte mich doch, als ich allein durch das dichte Unterholz ritt, in dem die Dunkelheit der Nacht viel undurchdringlicher, viel gefährlicher wirkte. Meine Sinne waren bis zum äußersten angespannt. Jedes Geräusch um mich herum erschien mir überlaut, und jede Bewegung eines Zweiges vor mir steigerte
meine Nervosität. Mir wurde jäh bewußt, wie groß die Gefahr war, in die ich mich begeben hatte. Ich hätte niemals allein auf die Suche nach dem geflüchteten weißen Mann gehen dürfen. Aber jetzt hatte ich keine Lust mehr, umzukehren. Ich wollte noch ein wenig den Buschrand absuchen und dann erst zurückreiten. Ich glaubte nicht, daß etwas passieren würde, ich glaubte auch nicht mehr, daß ich den Mann in dieser Nacht finden konnte. Es war eine Schnapsidee gewesen, einfach loszureiten und auf eigene Faust auf die Suche zu gehen. Aber so war ich nun mal: Ich besaß zwar in vielfacher Hinsicht Erfahrungen wie ein Erwachsener und galt bei den Apachen als vollwertiger Krieger. Aber ich war eben noch sehr jung und in vielen Dingen unbedacht und unbesonnen. Der Mann, den ich suchte, war vielleicht schlecht ausgerüstet, war abgekämpft und übermüdet, besaß kein Pferd und kannte das Land nicht, trotzdem war er gefährlich. Er hatte mit Sicherheit Angst. Er hatte gesehen, wie die anderen weißen Männer gestorben waren. Und er wollte sein Leben mit allen Mitteln retten. Die Todesangst würde ihn zum reißenden Tier verwandeln. Es würde ein schweres Stück Arbeit werden, ihn zu fassen, wenn es überhaupt gelang, ihn zu entdecken. Ich allein würde das bestimmt nicht schaffen. Der Braune schnaubte leise. Ich schreckte aus den Gedanken auf. Da blieb der Braune stehen, und ich sah eine Gestalt am Boden liegen. Mein Herz schlug heftig. Unwillkürlich hatte ich den Spencerkarabiner gehoben. Jetzt glitt ich aus dem Sattel und ging auf die Gestalt zu. Es war der rattengesichtige Mexikaner, den wir am Nachmittag getötet hatten. Ich schaute mich um und beschloß, nicht mehr weiterzusuchen, sondern sofort zurückzureiten. Als ich mich über den Toten bückte und meine Blicke über den laubbedeckten Boden schweifen ließ, hörte ich das Brechen eines morschen Astes im Unterholz. Ich richtete mich sofort auf, wandte mich ab und ging zu meinem Pferd zurück. Als ich es erreichte und aufsteigen wollte, hörte ich ein
Rascheln im Laub und wieder das Knacken eines Zweiges. Meine Nackenhärchen sträubten sich, meine Rückenmuskeln verkrampften sich unwillkürlich. Ich spürte die Nähe der Gefahr beinahe körperlich und wollte mich umdrehen. Da hörte ich das metallische Knirschen eines Gewehrschlosses. »Bleib ganz ruhig stehen, Kleiner«, hörte ich eine Stimme auf Spanisch sagen. Ich wußte, wann ich keine Chance mehr hatte und gehorchen mußte. Diese Stimme zitterte, eine ungeheure Nervosität schwang in ihr mit. Wenn ich mich jetzt falsch verhielt, war ich einen Atemzug später tot, darüber war ich mir im klaren. Ich saß in der Falle. »Laß das Gewehr fallen«, sagte der Mann hinter mir. Ich ließ den Karabiner ohne zu zögern los. Hinter mir raschelte es wieder im Laub, dann preßte sich die kalte Mündung eines Gewehrs gegen meinen nackten Rücken. Ich hatte das Gefühl, das Blut würde mir in den Adern gefrieren. Meine Haltung verkrampfte sich. Ich verfluchte mich für meinen Eigensinn. Ein paar hundert Yards entfernt sah ich das Feuer auf der Station, aber das schien in diesem Moment so weit weg zu sein wie der Mond. »Bist du allein?« Die Stimme hinter mir war noch immer erfüllt von Angst, von einer Angst, die den Mann gefährlich und unberechenbar machte. Ich nickte. Fast im selben Moment traf ein mörderischer Schlag meinen Hinterkopf. Eine Bombe schien direkt in meinem Gehirn zu explodieren. Ich fühlte Schmerzen und sah eine Flut von tanzenden Funken auf mich herniederprasseln. Dann wurde es schwarz um mich, und ich wußte nichts mehr.
7. Ich erwachte mit Kopfschmerzen. Als ich die Augen aufschlug, blendete mich die Sonne. Trotzdem fror ich. Meine Glieder waren steif vor Kälte. Erst nach und nach wurde mir bewußt, daß ich mich nicht nur deswegen nicht bewegen konnte. Ich war gefesselt, und als der Schmerz in meinem Kopf nachließ,
schlug ich die Augen wieder auf, blinzelte etwas in die Sonne und schaute mich um. Ich lag auf dem harten Boden des Buschgebietes dicht neben einem Pecan-Baum. Daneben hockte ein blasser, unrasierter Mann mit rotgeränderten Augen. Neben ihm lehnte eine Volcanic-Rifle am Baumstamm. Da erkannte ich ihn. Er war einer von denen gewesen, die mich im Wäldchen am Fluß verfolgt hatten. Ihm hatte ich das Pferd unter dem Sattel weggeschossen. Er sah, daß ich erwacht war, und erhob sich schwerfällig. Einen Moment stand er neben mir und schaute auf mich herab. Dann spähte er nach Süden. Ich bewegte meinen Kopf und folgte seinen Blicken. Im Licht der Morgensonne sah ich die Trümmer des Handelspostens. Menschliches Leben war nirgends mehr zu entdecken. Die Apachen waren abgezogen. Ich war allein und verloren. Der Mann schaute wieder auf mich herunter. Ich begegnete seinem Blick und erwiderte ihn, bemüht, keine Angst zu zeigen. Tatsächlich war ich innerlich ganz ruhig. Ich glaubte nicht, daß ich in akuter Gefahr war. Wenn der Mann mich hätte töten wollen, dann wäre ich schon in der Nacht von ihm umgebracht worden. »Du bist ein Weißer«, sagte er auf Spanisch. »Ich bin ein Apache«, sagte ich im Dialekt der Chiricahuas. »Hör auf wie einer dieser Wilden zu reden«, sagte der Mann. »In der Nacht hast du mir auf Spanisch geantwortet. Ich wette, du kannst auch Englisch. Wie lange warst du bei den Rothäuten?« Ich überlegte, ob ich antworten sollte, entschied dann, daß es keinen Sinn hatte, mich wegen ein paar Worten mißhandeln zu lassen. Ich würde meine Kräfte für wichtigere Dinge brauchen. »Zwei Sommer«, sagte ich auf Englisch. »Na also.« Der Mann ging um mich herum, packte mich an den Schultern und zerrte mich zu dem Pecan-Baum hinüber, wo er mich mit dem Rücken gegen den Stamm lehnte und die Volcanic-Rifle wegnahm. Prüfend betrachtete er mich. »Du bist doch das Früchtchen, das mir das Pferd erschossen hat, wie?« »Weiß ich nicht.«
»Du weißt sehr gut. Im Wald, südlich von hier, am Fluß. Du hast uns entdeckt. Ich wette, dir verdanke ich es, daß ich jetzt in dieser beschissenen Lage bin.« Ich sagte nichts. »Weißt du, warum du noch lebst?« Ich schwieg wieder. »Weil du blondes Haar hast und kein richtiger Apache bist«, sagte er. »Weil ich dich brauche.« Er kauerte sich vor mir hin. »Du verstehst mich und sprichst deine Muttersprache noch, und du kennst das Indianerland, du weißt, wie man unentdeckt bis zur Grenze gelangen kann. Eine Rothaut hätte ich in der Nacht totgeschlagen. Dir lasse ich die Wahl: Wenn du mir hilfst, bleibst du am Leben, wenn nicht, haben dich heute abend die Krähen zerhackt.« Ich sagte noch immer nichts. Er schrie mich an: »Rede endlich, oder soll ich nachhelfen?« »Ich kann Ihnen nicht helfen«, erwiderte ich. »Und wie du kannst«, sagte er. »Du zeigst mir den Weg zur Grenze und sorgst dafür, daß deine roten Brüder mich nicht schnappen.« »Das ist unmöglich«, sagte ich. Er griff nach der Volcanic-Rifle und repetierte sie durch. Ich schaute in seine Augen, und mir war klar, daß er seine Worte ernst meinte. »Ich kann's ja versuchen«, sagte ich. Er legte das Gewehr wieder zur Seite. »So ist das schon besser.« Er richtete sich auf. Seine Bewegungen waren schwerfällig und müde. Er sah aus, als habe er die ganze letzte Nacht nicht geschlafen. »Ich heiße Jim Masterson«, sagte er. »Wie ist dein Name?« »Ronco«, sagte ich. »Ronco?« Er blickte mich seltsam an. »Bei den Rothäuten. Aber wie ist dein richtiger Name.« »Ronco«, sagte ich. »Ich heiße Ronco.« Meine Stimme klang jetzt heftig. »Nichts weiter?« »Nichts weiter.«
»Komischer Name«, sagte er. Ich schwieg, und er sagte: »Wenn du mir die kleinsten Schwierigkeiten machst, Ronco, dann bringe ich dich um, verlaß dich drauf. Ich weiß nicht, wie alt du bist. Du siehst aus wie sechzehn oder siebzehn. Du bist mit den Kriegern geritten und daher auf jeden Fall alt genug, um zu verstehen, in welcher Lage ich bin und in welcher Lage du bist. Solange ich eine Überlebenschance habe, bleibst du auch am Leben. Wenn du mich reinlegst, bringe ich dich vorher um. Ich denke, das ist klar. Oder?« »Es ist klar«, sagte ich. »Dann reiten wir gegen Mittag«, sagte er. »Bis dahin werden sich deine Brüder wohl aus dieser Gegend verzogen haben.« Er kam zu mir herüber und wand mir das Lasso, das ich am Sattel des Braunen gehabt hatte, um den Leib. Er band mich am Baum fest, bestieg den Braunen und nahm meine Waffen mit, als er davonritt. Der Braune sträubte sich erst ein wenig. Aber er war ein altes Armeepferd. Er war es gewöhnt, verschiedene Reiter zu tragen. Ich schaute Masterson nach, der tiefer ins Buschland ritt. Sowie er aus meinem Blickfeld verschwunden war, versuchte ich, mich zu befreien. Aber er hatte ganze Arbeit geleistet. Die Fesseln saßen fest. Der Erfolg meiner Bemühungen war lediglich, daß ich mir die Handgelenke aufscheuerte. Es war sinnlos. Ich mußte mich vorläufig in mein Schicksal fügen. Der Weg bis zur Grenze war lang. Bestimmt würde sich eine Möglichkeit für mich ergeben, zu fliehen. Irgendwo im Buschland krachte ein Schuß. Dann wurde es wieder still. Die Sonne stieg höher am Firmament. Es wurde heißer. Ich schwitzte bald, hatte wieder Kopfschmerzen und versuchte das Hungergefühl, das in mir nagte, zu unterdrücken. Irgendwann hörte ich Hufschlag. Ein Reiter brach durch das Unterholz, Jim Masterson kehrte zurück. Er hatte einen Hasen geschossen. Aus trockenem Reisig entfachte er ein fast rauchloses Feuer. An seinen gierigen Blicken sah ich, daß auch er völlig ausgehungert war. Die Angst jedoch, die ich in der Nacht bei ihm wahrgenommen hatte, schien völlig verschwunden zu sein. Er schien sich sehr sicher zu fühlen, während er neben dem Feuer hockte und
den enthäuteten Hasen über den Flammen briet. Nachdem das Fleisch sich gebräunt hatte, fiel er mit Heißhunger darüber her. Er aß fast alles auf, zerschnitt dann den Rest in kleine Bissen, kam zu mir herüber und schob sie mir in den Mund. Ich wurde nicht satt von dieser kargen Mahlzeit, aber es war besser als gar nichts. Ich mußte zufrieden sein, daß ich überhaupt noch lebte. Masterson löschte das Feuer, trat die Glut auseinander und band mich vom Baum los. Er schleppte mich zu meinem Braunen und setzte mich vor den Sattel. Er stieg hinter mir auf, nahm die Zügel hoch und trieb den Braunen auf die Ebene hinaus. Schreie von Aasvögeln hallten uns entgegen, als wir auf die verkohlten Trümmer der Handelsstation zuritten. Krähen kreisten über der Ruine. Als wir die niedergebrannten Gebäude erreichten, erhoben sich mit wütendem Krächzen weitere Krähen, die auf den Leichen im Hof gesessen hatten. Es stank nach kalter Asche, nach Pulverdampf, Blut und Tod. Der Braune scheute, als wir neben den Trümmern anhielten. Auch ich hatte ein flaues Gefühl im Magen, aber ich sagte nichts. Jim Masterson sagte: »Eine solche Pleite habe ich noch nie erlebt, zum Teufel noch mal. Erst die gottverfluchten Greaser, und dann die Rothäute. Du warst dabei, Junge. Wie viele von meinen Leuten hast du abgemurkst?« Ich antwortete nicht. Er schien auch keine Antwort zu erwarten. Er sagte: »Die Waffen sind weg, das Pulver, die ganze Ladung. Meine Leute sind tot.« Seine Stimme klang so, als spräche er vom Wetter. Er trieb den Braunen wieder an und ritt über den Hof. Hier sah er eine Feldflasche liegen. Er stieg ab, hob sie auf und füllte sie am Brunnen. Sonst fand er nichts, und so schwang er sich wieder hinter mir in den Sattel und ritt rasch weiter. Wir ließen die Station hinter uns und ritten auf die Hügel zu. Die Spuren, die die Apachen hinterlassen hatten, waren leicht zu verfolgen. Ich versuchte, nicht an sie zu denken, aber ich dachte immer wieder an sie, an Little Friend, an Schnelltöter, an Cochise und an all die anderen. Auf einmal durchzuckte mich der Gedanke, ich könnte sie nicht mehr wiedersehen.
Ich fror plötzlich, obwohl die Sonne hoch im Mittag stand und es so heiß war wie in einem Ofen. Mein Herz schlug etwas schneller. Es war Unsinn. Natürlich würde ich sie wiedersehen. Ich würde wieder mit ihnen reiten, mit ihnen am Feuer sitzen, ihre Sprache sprechen, die auch meine Sprache war, und ihre Tänze tanzen. Ich würde wieder an ihrer Seite kämpfen und mit Little Friend zusammen in einem Wickiup leben. Ich war ein Apache und würde es bleiben. Oder nicht … Was sollte mich daran hindern? Der Tod vielleicht. Vielleicht würde Jim Masterson mich umbringen und wenn nicht, würde ich bestimmt eine Gelegenheit erhalten, ihm davonzulaufen. Zurück zu den Weißen? Das war unmöglich. Oder nicht? Es war unmöglich. Davon war ich überzeugt. Ich konnte mir ein Leben unter denen, gegen die ich zwei Jahre lang gekämpft hatte, obwohl ich die gleiche Hautfarbe hatte wie sie, nicht mehr vorstellen. Ich drängte diese Gedanken beiseite. Ich verstand mich selbst nicht. In den letzten Jahren war ich schon oft in Gefangenschaft gewesen, und häufig hatte ich in einer größeren Klemme gesteckt als jetzt. Da hatte ich mich nie mit solchen Gedanken herumgeschlagen. Ich war immer sicher gewesen, zu meinem Stamm zurückkehren zu können. Warum diesmal nicht auch? Ein einzelner weißer Mann hielt mich gefangen. Er befand sich in einem fremden Land, und vor ihm lag ein weiter Weg, der ihn quer durch ein von Apachen beherrschtes Gebiet führte. Wenn auch meine Lage nicht gerade rosig war, so mußte ich mir doch nicht unbedingt übermäßig große Sorgen machen. Die Chance, die Masterson hatte, zu überleben, war nicht sehr groß, meine Chance dagegen, mit heiler Haut davonzukommen, war erheblich größer. Obwohl ich mir das wieder und wieder vor Augen hielt, blieb die Unsicherheit in mir. Ich schaute das weite Land, das sich vor meinen Blicken dehnte, an, als sähe ich es zum letztenmal. Jim Masterson lenkte den Braunen nordwärts, und tief in meinem Innern entstand plötzlich der absurde Wunsch, er möge mich umbringen. *
Die Apachen tauchten aus einer Flußniederung auf und sprengten durch den Abend. Ich sah sie, und als ich noch überlegte, ob ich Masterson auf sie hinweisen sollte, entdeckte auch er sie. Er riß den Braunen sofort herum und drängte ihn hinter ein paar Palo-VerdeBäume, sprang aus dem Sattel und zerrte auch mich vom Pferderücken. »Du hast sie gesehen«, flüsterte er hinter mir. Sein heißer Atem traf meinen Nacken. »Du hast sie vor mir gesehen, und du hast nichts gesagt, du verdammtes, kleines Aas!« Da war wieder die Angst in seiner Stimme, die gleiche Angst, die ich in der Nacht bei ihm bemerkt hatte, als er mich geschnappt hatte. »Das nächste Mal drehe ich dir den Hals um«, flüsterte er. »Du kannst mich nicht reinlegen, glaub mir. Soviel Zeit bleibt mir immer, dich zu erledigen.« Ich schwieg und schaute starr nach vorn auf den Fluß, dessen Wasser im Schein der Abendsonne zu brennen schienen. Dort ritten die Apachen, meine Brüder. Es waren fünf Krieger. Ein Bussard schwebte plötzlich über uns hinweg. Er schien in einem der Bäume, unter denen wir standen, sein Nest zu haben. Als er uns bemerkte, stieg er jäh wieder auf und kreiste mit wütenden Schreien über uns am Abendhimmel. Die Apachen lenkten ihre Pferde auf eine Furt zu. Bevor sie das Ufer erreichten, drehten sie plötzlich ab. Sie zügelten ihre gescheckten Ponies. Es war zu dunkel, und so war nicht zu erkennen, was sie taten. Ich aber ahnte es. Die Schreie des Bussards hatten sie gewarnt. Wäre ich bei ihnen gewesen, wäre es mir nicht anders ergangen. Jeder, der in der Wildnis aufwuchs, lernte es, die Zeichen der Natur zu beobachten und zu deuten. Die Schreie des Bussards und sein Kreisen über der Palo-Verde-Baumgruppe ließen für den erfahrenen Krieger nur den Rückschluß zu, daß sich Menschen in der Nähe befanden. »Sie werden gleich herkommen«, sagte ich, ohne mich umzudrehen. Ich hatte überlegt, ob ich schweigen sollte, hatte dann aber daran gedacht, wie gefährlich der Mann hinter mir in seiner Nervosität werden konnte. Wenn ich überhaupt eine Chance hatte, zu
fliehen, jetzt war sie noch nicht da. Ich sagte: »Der Bussard zeigt ihnen, daß wir uns hier befinden.« Masterson fluchte leise. »Du lernst schnell«, sagte er dann. »Weiter so, dann werden wir uns gut vertragen.« Er versetzte mir einen heftigen Stoß, der mich mit dem Gesicht nach vorn ins Gras warf. Masterson selbst hockte sich hinter die wuchtigen Baumstämme und nahm seine Volcanic-Rifle an die Schulter. Meinen Spencerkarabiner legte er neben sich. »Wehe, du schreist«, sagte er, ohne mich anzusehen. »Dann trifft dich die erste Kugel.« Er kniete leicht zusammengekrümmt am Boden. Über uns zog der Bussard seine Kreise und ließ seine schrillen Schreie durch den Abend hallen. Dumpfer Hufschlag mischte sich in das Geräusch. Die Apachen ritten vom Fluß herauf. Masterson erwartete sie, um sie wie auf dem Schießstand abknallen zu können. Ich wollte auf einmal schreien, ich wollte sie warnen. Aber ich wagte es dann doch nicht, weiß der Teufel, warum. Vielleicht, weil sich meine Fluchtchance erhöhen würde, wenn Masterson jetzt schoß. Er würde damit sämtliche Apachen in diesem Landstrich auf sich ziehen und niemals bis zur Grenze gelangen. Meine Brüder würden ihn zu Tode hetzen. Der peitschende Knall riß mich aus den Gedanken. Die Schreie des Bussards verstummten. Mit raschen Flügelschlägen zog er in die Dämmerung davon. Masterson hatte wirklich geschossen. Ich richtete den Oberkörper auf, sah die Mündungsflamme und sah einen Krieger stürzen. Da feuerte Masterson schon wieder, und seine Schüsse wurden erwidert. Es war Wahnsinn. Er hatte jetzt immer noch vier Krieger gegen sich, zu viele Gegner für einen einzelnen Mann. Ich ließ mich wieder flach auf den Boden fallen und preßte mein heißes Gesicht ins kühle Gras. Vielleicht war in ein paar Minuten alles vorbei, vielleicht war Masterson dann tot, und ich war frei – Wunschträume. Kugeln schwirrten wie zornige Hornissen über mich hinweg. Hufschlag ließ den Boden erzittern, die Dämmerung wurde von den zuckenden Mündungsfeuern zerrissen. Masterson schien sich in ein
feuerspeiendes Ungeheuer zu verwandeln. Er schoß so schnell, daß es in der Dunkelheit aussah, als wüchsen Flammen aus seinen Händen. Ein scheckiges Apachenpony stürzte im vollen Galopp und überschlug sich. Der Reiter wirbelte durch die Luft und krachte gegen den Baum, hinter dem Masterson lag. Er rutschte kraftlos wie eine Stoffpuppe daran hinunter und blieb in völlig verrenkter Haltung liegen. Er hatte sich vermutlich das Rückgrat gebrochen, aber er lebte noch, und ich sah, daß Masterson ihm aus nächster Nähe eine Kugel in den Kopf schoß. Die drei überlebenden Apachen stoben davon. Sie schienen den Kampf nicht fortführen zu wollen, aber ich war sicher, daß sie zurückkehren würden, und dann würde Masterson nicht mehr soviel Glück haben wie jetzt. Die Apachen jagten mit ihren Pferden durch die Furt des Flusses. Weißgekrönte Gischt spritzte hoch unter den Hufen auf. Dann verschwanden die Reiter in der Dunkelheit. Masterson sprang auf. Er lachte in wildem Triumph und zitterte vor Aufregung. »Da laufen sie, deine Brüder«. Er lachte wieder, trat auf mich zu und riß mich auf die Beine. »Wie die Hasen sind sie abgehauen.« »Sie kehren zurück«, sagte ich. »Sicher.« Er stieß mich vor sich her auf den Braunen zu. »Aber sie werden mich nicht finden, weil ich dich habe.« Er hob mich auf den Rücken des Braunen und stieg hinter mir auf. »Du wirst mich jetzt so führen, daß keine Spuren zurückbleiben und die Rothäute uns nicht finden.« »Das geht nicht«, sagte ich. »Spuren bleiben immer zurück, und die Pfade, die ich kenne, kennen auch die anderen Apachen.« Masterson klopfte auf den Schaft seiner Volcanic-Rifle. »Überleg dir gut, was du tust, Junge.« Er blickte mich wild an. »Du bringst mich ungeschoren zur Grenze.« »Und dann?« fragte ich. »Was?« sagte er. »Was dann?« fragte ich. »Nun«, sagte er, »ich habe durch deine Schuld eine ganze Ladung
Gewehre verloren und meine besten Leute dazu. So ganz mit leeren Händen will ich nicht nach San Pedro zurückkehren. Ich denke, daß du noch nicht ganz verwildert bist und deine Angehörigen dich sicher zurückkaufen werden.« »Da haben Sie Pech, Mister«, sagte ich kalt. »Ich habe keine Verwandten. Ich bin Vollwaise.« »Es wird schon Leute geben, die einen weißen Jungen vor dem Schicksal, als Rothaut zu enden, retten wollen«, sagte Masterson. »Ich kenne mich aus, Junge, mit weißen Apachen sind immer Geschäfte zu machen. Ich habe nicht zum erstenmal weiße Jungen von den Rothäuten losgeeist.« »Sie haben mich nicht losgeeist«, sagte ich. »Sie haben mich gefangen, und ich bin ein Apache und werde mir Ihren Skalp an den Gürtel hängen, wenn meine Brüder mich befreit haben.« »Verlaß dich lieber nicht darauf«, sagte Masterson. »Und bereite mir lieber keine Schwierigkeiten, auch nicht, wenn wir erst auf der anderen Seite der Grenze sind.« Ich antwortete nicht. Masterson trieb den Braunen an und ritt in das Waldland westlich des Flusses. Er griff plötzlich um mich herum und faßte nach dem silbernen Medaillon, das an einer dünnen Kette um meinen Hals hing. Ich konnte ihn nicht daran hindern, da meine Hände gefesselt waren, und so zog er es nach hinten und betrachtete das zierliche Frauenbild, das in das Medaillon eingelegt war. »Du hast keine Verwandten, eh?« Er wirkte jetzt sogar gutgelaunt. Ich antwortete wieder nicht, und das legte er als Zeichen dafür aus, daß ich mich ertappt fühlte. »Lügen haben kurze Beine, Junge«, sagte er. Er ließ das Medaillon zurück auf meine Brust fallen. »Hübsch«, sagte er. »Sehr hübsch. Deine Mutter, wie?« »Ich weiß es nicht«, sagte ich. Mir wurde heiß. Dieses Thema gefiel mir nicht. Obwohl ich nach all dem, was ich im Laufe der Jahre bereits erlebt hatte, auch innerlich abgehärtet war, fühlte ich doch einen Stich in mir, als Masterson von meiner Mutter sprach. »Sie ist tot«, sagte ich. Meine Stimme klang spröde. »Alle sind tot. Das Medaillon ist alles, was ich von ihnen habe.« »Und wo bist du aufgewachsen?«
»In einer Mission«, sagte ich. Danach schwieg Masterson. Das schien ihm zu denken zu geben.
8. Es war gegen Mitternacht, als ich wach wurde. Tannennadeln stachen mir in Rücken und Nacken. Ich wälzte mich schwerfällig herum, soweit mir das der Strick gestattete, mit dem Masterson meine Füße an einen Baum gefesselt hatte. Jim Masterson stand mit meinem Spencerkarabiner in den Fäusten etwas abseits und lauschte in den Wald. Jetzt hörte ich auch das Knacken und Brechen im Unterholz. Die Geräusche waren weit entfernt, aber in der Stille der Nacht wirkten sie lauter, näher und bedrohlicher. Ein Schimmer des Mondlichts fiel durch das dichte Gezweig der Bäume direkt in das Gesicht von Jim Masterson. Es war bleich, und in seinen Augen flackerte Nervosität. Unvermittelt drehte er sich um und kam zu mir herüber. Ich schloß rasch die Augen, und er versetzte mir einen Tritt in die Seite. »Wach auf«, flüsterte er. Ich richtete den Oberkörper auf und lauschte kurz. »Ich habe Ihnen doch gesagt, daß die Apachen zurückkehren.« »Du solltest mich so führen, daß es unmöglich für sie ist, mich zu finden.« Er bückte sich und band mich vom Baum los. Ich erhob mich. »Wir müssen weiter vom Fluß weg«, sagte ich, während er mir die große Mündung des Spencerkarabiners direkt vor die Nase hielt. »Am Fluß suchen sie zuerst, weil sie annehmen, daß wir Wasser brauchen und uns am Lauf des Flusses orientieren müssen. Sie wissen ja nicht, daß ich dabei bin.« »Eben«, sagte Masterson. Er hatte tiefe Augenringe, sein Gesicht wirkte eingefallen, und seine ganze Haltung zeugte von starker Erschöpfung. Er zerrte mich unsanft zu dem Braunen hinüber. Wenig später ritten wir durch die Nacht. Wir ritten westwärts. Ich gab Masterson Hinweise, so gut ich konnte. Seine Nervosität ließ rasch nach, er fühlte sich bald wieder
sicherer. Nach gut zwei Stunden hielt er den Braunen an und glitt schwerfällig aus dem Sattel. Er hob mich herunter und schleppte mich zu einem Baum. Ich hätte an seiner Stelle nicht gerastet, aber je mehr Fehler er beging, um so besser für mich. Er lockerte die Sattelgurte des Braunen und legte sich dann selbst ins Moos. Ich lag noch wach, während er bereits schlief. Ich mußte immer wieder daran denken, was er mit mir vorhatte, wenn er es schaffen sollte, heil die Grenze zu überschreiten. Die ganze Zeit vorher war ich sehr sicher gewesen, daß ihm das nicht gelingen würde. Jetzt war ich nicht mehr so sicher. Je größer die Gefahr für ihn wurde, um so stärker konnte er mich zwingen, ihm zu helfen. Und ich mußte ihm helfen, denn ich wollte mich ja nicht erschießen lassen. Wenn ich ihm aber half, hatte er wirklich eine Chance, davonzukommen. Ich befand mich in einem Teufelskreis, aus dem es keinen Ausweg zu geben schien. Es gab nur eine Möglichkeit: Ich mußte versuchen, vor der Grenze zu fliehen. Bestimmt würde Mastersons Wachsamkeit mit der Zeit nachlassen. Ich mußte ihm das Gefühl vermitteln, daß ich mich mit meinem Schicksal abgefunden hatte und ihm keine Schwierigkeiten mehr bereitete. Anderenfalls würde er mich in Amerika verschachern wie irgendeine Ware. Ich hatte schon einmal meine Heimat verloren, damals, als mich ein verräterischer Armeescout aus der Mission am Pease-River verschleppt und an die Apachen verkauft hatte. Schließlich hatte ich mich mit meinem Schicksal abgefunden und war selbst zum Apachen geworden. Ich hatte eine neue Heimat gefunden. Wenn ich auch dieses Zuhause wieder verlieren sollte, dann … Ja, was dann? Dann war ich völlig heimatlos, entwurzelt und verlassen. Das durfte nicht geschehen. Da lag ich nun mit meinen vielen bitteren Erfahrungen, die mich frühzeitig zum Mann hatten werden lassen. Ein Krieger bei den Apachen, aber dennoch ein Kind, dreizehn Jahre alt. Ich hatte Angst, Angst wieder alles zu verlieren. Niemand konnte mir diese Angst abnehmen. Ich war allein, ganz auf mich gestellt, wie schon sooft. Diesmal
aber zweifelte ich, daß ich mit meinen Schwierigkeiten fertigwerden würde. Eine große Hoffnungslosigkeit befiel mich, bevor mich die Müdigkeit übermannte und ich doch noch einschlief. * Als der Morgen graute, waren die Apachen da. Sie glitten wie Nebelgeister heran. Ich war längst wach. Die Kälte des jungen Tages hatte mich geweckt, denn ich schlief ohne Decke. Jim Masterson war auch wach. Er schien auch einen sechsten Sinn für Gefahren zu besitzen. Er huschte zu mir herüber und band mich vom Baum los. Dann warf er sich hinter einen Strauch in Deckung und begann, auf die schemenhaft aus dem Frühnebel auftauchenden Gestalten zu schießen. Ich richtete mich frierend auf, da erklang bereits das kollernde Kampfgeheul der Chiricahuas. Es waren höchstens zehn Krieger, aber der Nebel verzerrte ihre Stimmen, und so klang es, als sei der Wald um uns herum von mindestens hundert Apachen besetzt. Schüsse peitschten aus dem Unterholz. Ich ließ mich sofort wieder fallen, denn Kugeln machen keine Unterschiede zwischen Freund und Feind, und meine Brüder wußten nicht, daß ich mich bei Masterson befand. Masterson kämpfte wie der Teufel. Er schoß auf alles, was sich bewegte, und ich befürchtete, daß er bald keine Munition mehr haben würde. Er achtete nicht auf mich, dazu blieb ihm keine Zeit. Das war meine Chance. Jetzt mußte ich versuchen zu fliehen. Die Hände waren mir zwar auf den Rücken gefesselt, aber ich hatte die Beine frei. Ich sprang auf und lief auf den Braunen zu, der im Schatten eines mächtigen Baumes stand und von dem wütenden Feuergefecht nicht im geringsten beeindruckt zu sein schien. Im selben Moment rissen die Schleier des Frühnebels auf. Grell flutete das Tageslicht auf die kleine Lichtung, auf der wir die Nacht verbracht hatten. Der Schußwechsel ebbte plötzlich ab. Das Frühlicht entriß die Krieger ihrer schattenhaften Unsichtbarkeit. Sie flohen ins Unterholz.
Masterson feuerte hinter ihnen her. Er traf einen in den Hinterkopf und dann auch noch einen zweiten, den das Geschoß in den Rücken traf. Der Aufprall der Kugel schleuderte ihn zwei oder drei Schritte nach vorn. Dann stürzte er mit ausgebreiteten Armen und dem Kopf voraus in ein kleines Rinnsal, das nur wenige Schritte weiter zwischen ein paar Felsbrocken entsprang. Das Wasser spritzte hoch auf, und der Oberkörper des Kriegers versank darin. Seine Fäuste krampften sich in den Schlamm des Bachbettes, dann rührte er sich nicht mehr, und das Wasser über ihm färbte sich rot. Ich sah es und begriff, daß ich keine Chance mehr hatte. Der Kampf war fürs erste vorbei, und gleich würde Masterson sich umdrehen. Trotzdem versuchte ich, den Braunen zu besteigen. Ich sprang hoch und versuchte, im Steigbügel Tritt zu finden. Aber Masterson hatte in der Nacht den Sattelgurt gelockert, und daran hatte ich nicht mehr gedacht. Der Sattel rutschte augenblicklich vom Rücken des Braunen herunter, und ich stürzte schwer auf die Seite, daß ich glaubte, meine linke Schulter würde brechen. Benommen vom Schmerz wälzte ich mich herum. Da stand bereits Jim Masterson neben mir und riß mich hoch. »Abhauen wolltest du!« schrie er. Sein Gesicht trug Pulverspuren, war schweißüberströmt und verzerrt vor Erregung. »Du wolltest mich reinlegen, du kleine Ratte! Du wolltest mir in den Rücken fallen.« Er stieß mir den Lauf des Gewehrs in den Leib, daß mir fast der Bauch aufplatzte. Ich sackte mit dem Oberkörper nach vorn und übergab mich. Da traf mich ein mächtiger Faustschlag auf das rechte Ohr. Meine Beine schienen plötzlich aus Butter zu bestehen. Ich taumelte zur Seite und fiel auf die Knie. Ein Hieb gegen die Stirn warf meinen Kopf in den Nacken, daß ich dachte, mir würde das Genick brechen. Flach auf dem Boden liegend hörte ich wie aus weiter Ferne die Stimme Jim Mastersons. »Ich möchte dich am liebsten totschlagen, du Miststück!« Ich hörte ihn, aber ich verstand ihn nicht. Die Schmerzen in meinem Körper schienen mich zu zerreißen. Ich wälzte mich
mühsam auf den Rücken und stützte meinen Oberkörper mit den Ellenbogen ab. Als ich mich benommen aufzurichten versuchte, schmeckte ich Blut im Mund. Eine harte Faust packte mich an der rechten Schulter und zerrte mich hoch. Ich hatte keine Möglichkeit, mich zu wehren, denn meine Hände waren ja gefesselt. Mein Blick wurde klarer. Das Gesicht Jim Mastersons war dicht vor meinem. »Du kommst nicht weg«, hörte ich ihn sagen. Er sprach jetzt leise, seine Stimme klang ruhiger und seine Augen glänzten so kalt wie ein gefrorener Bergsee. »Du bleibst bei mir, und du wirst entweder mit mir überleben oder zusammen mit mir verrecken. Versuch nie mehr wieder, abzuhauen, nie mehr, hörst du …« Im Unterholz knackte es. Masterson fuhr herum und feuerte zwei oder drei Schüsse in das Dickicht. Ein blutüberströmter Apache torkelte aus dem dichten Gesträuch. Er war nicht tödlich verletzt, aber er verlor das Bewußtsein und fiel ins Moos. Masterson zurrte den Sattelgurt des Braunen fest und hob mich hinauf. Wenig später ritten wir durch den Wald nach Nordwesten. Wir ritten schnell, denn es war klar, daß die Apachen uns verfolgen würden. Aber sie mußten erst ihre Pferde holen, und es war nicht so leicht, die Spur eines einzelnen Pferdes im Waldland zu finden und ihr zu folgen. Meine Schmerzen ließen nach. Ein taubes Ziehen im Magen blieb. Zudem brannte Durst in meiner Kehle, und ich verspürte Hunger. Aber bevor ich etwas zu Masterson sagen konnte, erhielt ich einen heftigen Stoß gegen den Hinterkopf. »Wohin?« raunzte Mastersons Stimme. »Sag schon was. Deine roten Brüder sind hinter uns her, wo sollen wir hinreiten?« »Sie holen uns ja doch ein«, sagte ich. »Jetzt sitzen sie erst mal auf unserer Spur. Daran läßt sich nichts ändern.« »Wir werden sie abschütteln«, sagte Masterson. »Du wirst sie abschütteln.« »Am besten ist es«, sagte ich, »wir reiten zurück zum Fluß.« »Wenn du mich reinlegen willst, Junge, dann schneid ich dir den Kopf ab«, sagte Masterson. »Du hast in der Nacht erklärt, wir
müssen soweit wie möglich vom Fluß weg, weil sie uns dort zuerst suchen.« »Das war in der Nacht«, sagte ich. »Da waren wir noch nicht entdeckt. Jetzt aber sind wir entdeckt, und jetzt suchen sie uns überall im Waldland, nur nicht am Fluß.« Masterson lachte plötzlich leise hinter mir, und ich spannte die Rückenmuskeln an, weil ich damit rechnete, wieder geschlagen zu werden. Aber Masterson schlug mich nicht. Er sagte: »Du bist raffinierter, als ich dachte. So was lernt man wohl nur bei den Rothäuten. Wie alt bist du?« »Dreizehn Sommer«, sagte ich. Masterson schwieg. Er schien zu staunen. Nach einer Weile erst sagte er: »Einen Jungen wie dich habe ich noch nie gesehen.« »Ich war nicht scharf darauf, daß Sie mich kennenlernen«, sagte ich. »Ich auch nicht«, sagte er. »Deswegen werde ich, sowie wir über die Grenze sind, zusehen, daß ich dich so schnell wie möglich wieder loswerde. Irgend jemand wird dich schon nehmen und mir ein paar Dollars für dich geben. Aber jetzt sind wir noch zusammen, und du wirst mir sagen, wie wir zurück an den Fluß gelangen, ohne entdeckt zu werden und ohne Spuren zu hinterlassen.« »Wenn wir den nächsten Wildpfad finden«, sagte ich, »können wir nach Nordosten reiten. Die Wildpfade führen alle auf den Fluß zu. Dort ist der Boden hart, und es gibt hundert andere Spuren.« »In Ordnung«, sagte Masterson. »So ist es richtig, Junge. Wenn du so weitermachst, bleiben wir Freunde.« Ich verkniff mir eine Antwort und schwieg. Mir war alles andere als wohl zumute, und das lag nicht nur an den Schmerzen, am Hunger und am Durst. Ich hatte Jim Masterson unterschätzt. Er hatte jetzt schon zweimal erfolgreich einen Apachenangriff abgeschlagen und hatte selbst nicht mal einen Kratzer davongetragen. Wenn das so weiterging, konnte ich alle Hoffnungen begraben. Dann würde er die Grenze erreichen und ich … Ich dachte nicht weiter. Es war unmöglich, daß Masterson es schaffte. Es war noch weit bis zur Grenze, und der Weg nach Norden hatte tausend Fallen. Ich war überzeugt, daß die Kugel für Jim
Masterson schon gegossen war. Eine Stunde später stießen wir auf einen Wildpfad, der nach Nordosten führte. Masterson folgte ihm, und hier verlor sich unsere Fährte. Sicher würden die Krieger, die uns folgten, früher oder später merken, wohin wir uns gewendet hatten. Aber das würde Zeit brauchen, und Masterson würde einen großen Vorsprung gewinnen. Das war mein Verdienst. Ich knüpfte mir selbst den Strick, aber was hätte ich sonst tun sollen? Ich war Jim Masterson auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
9. Der Fluß tauchte am Nachmittag vor uns auf. Während des ganzen Weges hatten wir weder gerastet, noch etwas gegessen. Jim Masterson schien über unerschöpfliche Energien zu verfügen. Er trank nur ab und zu einen Schluck des abgestandenen Wassers aus der Feldflasche. Jedesmal, wenn er trank, gab er auch mir einen Schluck. Ich forderte ihn weder dazu auf, noch dankte ich ihm, aber ich war doch froh, daß ich keinen Durst mehr zu leiden brauchte. Mit dem nagenden Hunger war leichter fertigzuwerden. Masterson zügelte den Braunen am Flußufer. Nachdem wir abgestiegen waren, ließ er ihn ins seichte Wasser waten und saufen. Masterson füllte die Feldflasche neu auf. Er schaute mich skeptisch an. »Hier scheint tatsächlich weit und breit keine Rothaut zu sein.« Er verschraubte die Feldflasche und hockte sich ans Ufer. Er fuhr mit der rechten Hand ins Wasser und wusch sich flüchtig das Gesicht. »Sieht aus, als ob du recht hättest, Ronco. Die Apachen sind alle westlich von uns im Wald.« Mit nassem Gesicht richtete er sich auf. »Du siehst aus, als hättest du Hunger?« Ich antwortete nicht. »Du bist der schweigsamste Junge, den ich je gesehen habe«, sagte Masterson. »Aber vermutlich wird man bei den Rothäuten so. Die reden ja alle nicht viel.« »Sie reden nur dann, wenn sie was zu sagen haben«, erwiderte ich,
ohne es eigentlich zu wollen. Es rutschte mir einfach so heraus. Masterson grinste mich an. »Es wird ohnehin viel zuviel dummes Zeug geredet. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wie die Apachen das machen. Trotzdem siehst du aus, als hättest du Hunger.« Er lachte böse. »Ich würde dich verhungern lassen, Junge, aber ich brauche dich noch ein bißchen, und dann sollst du mir noch was einbringen.« Er fesselte mich an einen Baum. »Soll ein anderer versuchen, dich zu zähmen.« Ich schaute ihn haßerfüllt an. »Eines Tages«, sagte ich, »wenn Sie durchkommen sollten, hole ich mir Ihre Kopfhaut.« Er wurde für einen Moment ernst und schien darüber nachzudenken, ob er mich schlagen sollte. Dann wandte er sich mit einem wütenden Grunzen ab. »Vielleicht lassen uns deine Brüder mal eine Nacht durchschlafen«, sagte er, »und vielleicht lassen sie uns überhaupt in Ruhe, wenn ich sie noch einmal mit blutigen Köpfen davongejagt habe. Aber vielleicht finden sie uns gar nicht mehr, vielleicht haben wir sie abgehängt, weil du so klug bist.« Er lachte wieder, während er davonging. Ich hätte ihm den Hals umdrehen können. Ich verlor ihn aus den Augen und schaute trübsinnig auf den Fluß. Hier hatte alles angefangen. Ob Little Friend mich suchte? Bestimmt suchte er mich, er konnte mich nicht für tot halten. Es gab ja keine Leiche von mir, und mein Pferd war auch verschwunden. Vielleicht suchte er mich aber auch nicht. Ich galt als vollwertiger Krieger, und alles, was ich tat, hatte ich allein zu verantworten. Ich mußte mich um mich selbst kümmern. Niemand war verpflichtet, nach mir zu suchen, auch Little Friend nicht, obwohl er mein Blutsbruder war. Ich hatte voreilig gehandelt und war unbesonnen gewesen. Jetzt mußte ich alles allein ausbaden. Die Krieger, die hinter uns her waren, waren nur auf Jim Masterson aus. Nein, ich mußte mich damit abfinden: Nach mir suchte keiner. Die Zeit verstrich träge, sie plätscherte dahin wie der Strom. Ich unternahm nicht erst den Versuch, mich von meinen Fesseln zu befreien. Aufs Fesseln verstand sich Masterson. Ich wollte ihm auch keine Möglichkeit geben, mich noch einmal zusammenzuschlagen.
Wenn ich noch einmal einen Fluchtversuch wagen sollte, dann mußten die Chancen besser sein. Der Braune stand in meiner Nähe. Er zupfte an den Spitzen des feuchten Grases auf einem schmalen Uferstreifen. Ab und zu hob er den häßlichen, knochigen Kopf und schaute mich an. Er schien nicht zu verstehen, daß ich gefesselt am Boden saß und mich nicht um ihn kümmern konnte. Ich lehnte den Kopf gegen den Baumstamm und schloß die Augen. Ich versuchte, innerlich ruhiger zu werden. Ein Krieger durfte nicht schwach werden. Ein Krieger durfte keine Schwäche zeigen. Ein Krieger mußte selbst dem Tod ins Auge schauen, ohne Furcht zu zeigen. Das hatte ich bei den Apachen gelernt. Was würde ich sein, wenn Masterson mich tatsächlich über die Grenze verschleppen und dort verkaufen konnte? Ein Entwurzelter, ein Mensch, der nirgends hingehörte, außen ein Weißer, innerlich ein Indianer. Ich weiß heute nicht mehr, ob ich damals dieses Problem in vollem Umfang bedachte. Dazu war ich wohl noch zu jung, aber geahnt habe ich die Konflikte sicher genau, auch wenn ich sie vielleicht nicht zu deuten wußte. Das Wiederauftauchen Jim Mastersons riß mich aus meinen Gedanken. Er kam vom Fluß herauf und hockte sich unweit von mir auf den Boden. In der Rechten hielt er sein Halstuch, das er zu einem kleinen Bündel geschnürt hatte. Als er den Knoten löste, sah ich, daß Masterson Wildbeeren darin transportiert hatte. Er aß davon und ließ nur einen kleinen Rest übrig. Damit fütterte er mich. Ich wurde nicht satt davon, aber ich hatte schon mit weniger auskommen müssen. Nachdem ich auch noch Wasser erhalten hatte, hatte ich für kurze Zeit das Gefühl, wieder einen gefüllten Magen zu haben. Masterson band mich vom Baum los. Ich mußte mich auf die Seite legen, dann fesselte er meine Füße wieder an den Baum. »Scheint wirklich niemand in der Nähe zu sein«, sagte er. Ich antwortete nicht, und er schien das auch gar nicht zu erwarten. Unweit vom Flußufer legte er sich selbst nieder. Die Abenddämmerung sank gerade über das Land, und Masterson schlief
neben seinem Gewehr ein, als befände er sich in seinem Bett zu Hause in Arizona. Widerwillig mußte ich mir eingestehen, daß sich in meinen Haß gegen diesen Mann ein gewisser Respekt mischte. Er war kaltblütig und zäh und gab nie auf. Wenn es kritisch wurde, zeigte er zwar Nervosität und sogar Angst, aber das war nur natürlich, denn er hatte nicht, wie ich, gelernt, seine Gefühle zu verbergen, und er kämpfte gut. Dieser Mann war nur schwer zu schlagen, vielleicht überhaupt nicht. Hoffnungslosigkeit erfüllte mich, während es Nacht wurde und ich frierend auf den Schlaf wartete, der mich für ein paar Stunden von meinen trüben Gedanken befreien würde. * Mir war schlecht, und mein Magen knurrte, als Masterson mich weckte. Es war noch Nacht, silbrig schimmerte das Wasser im Mondlicht. Masterson gab sich wortkarg. Er ließ mich aus der Feldflasche trinken, füllte sie dann am Fluß neu auf und zurrte den Sattelgurt des Braunen fest. Kurz darauf ritt er mit mir nordwärts, dem Verlauf des Flusses folgend. Ein schwacher Wind strich von den Hängen der Berge am Ostufer des Stromes und fing sich in den Wipfeln der Bäume am Westufer. Ab und zu knackte es im Unterholz, einmal strich mit leisem Flügelschlag ein Nachtvogel über uns hinweg, sonst geschah nichts. Wir ritten viele Meilen, bis sich die ersten Nebelschwaden grau und kalt aus dem Wasser erhoben, sich wie ein mehliger Brei zwischen den Bäumen festsetzten und einen dichten Schleier über den Fluß legten, der das leise Singen der Wellen erstickte. Masterson hielt nicht an. Er trieb den Braunen weiter, während sich der Nebel um uns noch mehr verdichtete und die Dunkelheit der Nacht mehr und mehr verdrängte. Ich weiß nicht, wie lange wir unterwegs waren, als plötzlich ein dumpfes, rhythmisches Hämmern zu hören war. Masterson zügelte den Braunen und lauschte in den Nebel. »Was ist das?« Er stieß mich von hinten an. »Sag schon was!« »Trommeln«, erwiderte ich. »Felltrommeln.«
Ich wollte mich zu Masterson umdrehen, da entdeckte ich auf der Ostseite des Flusses hoch über dem Wasser einen rötlich glühenden Punkt im milchigen Dunst. »Da ist ein Feuer«, sagte ich. »Wahrscheinlich auf einem Plateau.« Masterson schwieg eine Weile. Ich hörte ihn schwer atmen. Seine Fäuste hatten die Zügel des Braunen so fest umklammert, daß die Knöchel weißlich unter der Haut hervortraten. »Was wird dort gespielt?« »Keine Ahnung.« »Erzähl mir nichts. Du mußt doch wissen, was dort passiert. Du kennst dich doch aus.« »Vielleicht wird getanzt«, sagte ich. »Warum? Wozu? Was für ein Tanz?« »Woher soll ich das wissen?« Ich zuckte mit den Schultern. Ich wußte es wirklich nicht. »Es kann für alles mögliche getanzt werden. Wenn der Medizinmann meint, daß es gut für den Stamm sei, für den Großen Geist zu tanzen, dann wird eben getanzt.« »Quatsch.« Die Stimme Mastersons klang unsicher. Der monotone Trommelsang schien ihn nervös zu machen. »Es muß doch einen Grund haben.« »Der Winter war hart«, sagte ich. »Vielleicht danken sie dem Großen Geist für die Gewehre, die sie auf dem Handelsposten erbeutet haben. Vielleicht bitten sie auch um Jagdglück.« »Damit sie mich schneller kriegen, was?« Mastersons Stimme klang jetzt hell. Er war aufgeregt und lachte etwas gezwungen. »Da muß sich der Große Geist aber mächtig anstrengen. Bis jetzt scheint er nicht viel mit deinen roten Brüdern im Sinn gehabt zu haben. Es sieht eher so aus, als würde er mir helfen. Ich habe es geschafft, aus dem Handelsposten zu entwischen, obwohl du und deine Brüder sich alle Mühe gegeben haben, uns in tausend Stücke zu schießen. Weißt du, daß ich dabei einen meiner eigenen Leute abgeknallt habe, he? Da staunst du, was? Aber ich hab's geschafft, wegzukommen. Dann habe ich dich geschnappt, und das war ein ausgesprochener Glücksfall, denn ohne dich wäre ich vermutlich längst in eine Falle der Rothäute getappt. Und zweimal habe ich einen Angriff deiner Brüder abgewehrt. Wenn das keine Glückssträhne ist.«
»Alles geht mal vorbei«, sagte ich. »Weil sie dort oben in den Bergen tanzen und trommeln?« Masterson trieb den Braunen wieder an. Vor uns lichteten sich langsam die Schleier des Frühdunstes. »Vielleicht sollte ich auch ein Feuer anzünden, mir Farben ins Gesicht schmieren und singend herumhopsen. Glaubst du auch an diesen Zauber, Junge?« »Ich habe Medizin gemacht«, sagte ich. Ich kannte fast alle Rituale der Apachen, kannte die bösen und die guten Geister, war von Nochalo, unserem Schamanen, in die Glaubenswelt und Mythologie der Apachen eingeführt worden. Trotzdem konnte ich Mastersons Frage nicht beantworten. Glaubte ich daran, oder hatte ich nur damit gelebt? Ich hatte »Medizin gemacht« und meine Vision gehabt, ich hatte meinen Medizinbeutel erworben. Aber ich kannte auch die Religion der Weißen. Schließlich war ich in einer Mission aufgewachsen, unter Mönchen. Was glaubte ich eigentlich? Ich hatte nie näher darüber nachgedacht. War nicht beides gut und richtig, und paßte nicht beides irgendwie zusammen: die Religion der Apachen und die Religion des weißen Mannes? »Warum soll ich nicht daran glauben?« hörte ich mich sagen, während ich auf das Feuer im Nebel starrte. »Wir tanzen, statt zu beten. Im Grunde ist es das gleiche.« »Wo ist dein Medizinbeutel?« fragte Masterson. »Ein Mexikaner hat ihn mir weggenommen und verbrannt«, sagte ich. »Und was hast du getan?« »Ich habe ihn getötet«, erwiderte ich. Da schwieg Masterson. Ich vermutete, er dachte daran, daß ich auch ihm versprochen hatte, ihn zu töten. Hinter den Bergen ging jetzt die Sonne auf. Der Wind trieb die Nebelfetzen davon. Das Feuer in den Bergen schien erloschen zu sein. Die Trommeln verstummten. Masterson ließ den Braunen ins Wasser waten und saufen, bevor er ihn weitertrieb. Der Strom verbreiterte sich vor uns. Er wurde reißender, die Strömung kräftiger. Ich sah viele Strudel, und die Uferböschungen
wurden immer steiler. »Was denkst du, kann ich ein Stück Wild schießen, ohne mir damit deine Brüder auf den Hals zu locken?« fragte Masterson. »Das ist mir egal«, sagte ich. »Aber mir nicht. Also gib mir gefälligst eine Antwort.« »Schießen Sie, was Sie wollen«, sagte ich. »Die Grenze kann nicht mehr weit sein«, sagte Masterson. »Ich wette, morgen früh sind wir in Arizona, und vorher will ich wieder ein richtiges Stück Fleisch zwischen die Zähne kriegen.« Ich antwortete nicht, und Masterson begann, leise vor sich hin zu summen. Als auf der anderen Seite des Flusses plötzlich Krieger auftauchten, stieß er einen erschrockenen Ruf aus und riß jäh die Zügel herum. Der Braune wieherte schrill. Im selben Moment krachte ein Schuß. Der Braune taumelte auf einmal. Er stieß ein dumpfes Schnauben aus. Mir war, als presse sich mir eine Riesenfaust in den Leib. Eis schien mir durch die Adern zu rieseln, mein Herz schlug schnell und laut. Der Braune schnaubte wieder, sein Atem ging rasselnd. Schwankend blieb er stehen, blutiger Speichel tropfte aus seinem Maul. Dann brach er jäh zusammen. * Masterson sprang aus dem Sattel des stürzenden Pferdes, um nicht unter seinem Leib begraben zu werden, und riß mich mit. Ich war wie betäubt und lag minutenlang reglos am Boden, während Masterson hinter dem Leib des Braunen kniete und mit seiner langläufigen Volcanic-Rifle über den Fluß schoß. In meinen Schläfen hämmerte das Blut. Ich hörte kaum das peitschende Krachen der Schüsse. Wie in Trance schob ich mich durch das taufeuchte Gras, mit auf den Rücken gefesselten Händen, und blieb neben dem knochigen, narbigen Kopf des Braunen liegen. Die großen Augen schienen mich fragend anzuschauen. Sie schimmerten gläsern. Das ganze Maul war blutig. Der Braune war
tot. Ich zitterte am ganzen Körper und konnte es nicht fassen. Er war ein so häßliches Pferd gewesen, aber das beste, das ich mir denken konnte, klug, treu, zäh, schnell und stark. Meine Augen brannten. Ein paar Tränen rannen mir über die Wangen. Mich fröstelte, und dann bäumte ich mich auf und warf mich gegen den Leib des toten Pferdes. Ich konnte ihm nicht mal durch die Mähne streichen, und so preßte ich mein Gesicht in das langsam erkaltende Fell. Schüsse peitschten über den Fluß. Drei oder vier Apachen saßen am Ostufer hinter hohen Felsblöcken. Ich hatte sie nur kurz gesehen, bevor die Schießerei losgegangen war. Sie waren halbnackt, und ihre Oberkörper waren mit den Symbolen der Sonne und des Blitzes bemalt. Ihre Kugeln schlugen in den leblosen Leib des Pferdes, hinter dem Masterson und ich lagen. Aber ich registrierte nur am Rande, was in diesen Augenblicken geschah. Mein eigenes Schicksal war mir plötzlich gleichgültig. Der Braune war tot, nur das allein war im Moment für mich wichtig. Irgend etwas zerbrach in mir. Das bleiche, von Falten durchschnittene, unrasierte Gesicht Mastersons war plötzlich über mir. Seine Fäuste hatten mich gepackt und rüttelten mich. »Bist du eingeschlafen?« schrie er. Ich starrte ihn verständnislos an. Da zerrte er mich schon mit. Er kroch auf allen vieren zum Waldrand, ließ mich hier achtlos ins Moos fallen und nahm sein Gewehr wieder auf. Am anderen Ufer waren die Apachen aus ihrer Deckung gesprungen und hatten versucht, ihn zu treffen, als er fast deckungslos zum Wald gerobbt war. Jetzt schoß Masterson, und er schoß gut. Einer der Krieger wurde in den Bauch getroffen und stürzte kopfüber die steile Uferböschung hinunter. Er klatschte ins Wasser, ging unter, tauchte mit dem Gesicht nach unten wieder auf, wurde von der Strömung erfaßt und mitgerissen. Einen zweiten Krieger erwischte eine Kugel, bevor er sich in Deckung bringen konnte. Sie grub sich in seinen linken
Oberschenkel und schleuderte ihn zu Boden. Er robbte rasch hinter einen Felsblock. Dann verstummte das Gewehrfeuer. Masterson wandte sich mir zu. Teilnahmslos blickte ich ihn an. Mein Gesicht mußte einer Maske gleichen, in der Brust fühlte ich einen seltsamen ziehenden Schmerz, immer wenn ich einen Blick zu dem toten Pferd hinüberwarf. »Steh auf, Junge«, sagte Masterson. »Jetzt geht's aufs Ganze. Wir müssen zu Fuß weiter, und du wirst mir den Weg zeigen. Was ist denn? Was hast du denn? Du machst ein Gesicht, als hätten sie dir den Kopf abgeschlagen?« Ich antwortete nicht. Selbst, wenn ich es gewollt hätte, ich hätte es nicht gekonnt. Meine Kehle war wie zugeschnürt. »Was ist los, Junge? Ich denke, du bist so hart und zäh. Willst du um den alten Gaul flennen? Sollen wir hier eine Trauermesse abhalten?« Ich spuckte ihm ins Gesicht. Etwas anderes konnte ich nicht tun, und unterdrücken konnte ich meinen aufflammenden Haß auch nicht. Masterson starrte mich fassungslos an, während ihm der Speichel über die linke Wange rann. Als er die Rechte hob und sich mit dem Hemdsärmel die Wange trocknete, wirkte die Bewegung hölzern und wie mechanisch. Unvermittelt schlug er zu. Ich konnte ihm nicht ausweichen, und so traf mich seine Faust über dem linken Auge und riß mir die Augenbraue auf. Der Schmerz tat mir in diesem Moment sogar gut. Halb benommen registrierte ich, wie mir ein dünner Blutfaden über das Auge rann. »Hoch mit dir!« schrie Masterson. Seine Stimme zitterte vor Wut. »Das tust du nicht noch einmal.« Er zerrte mich hoch, klemmte sich die Volcanic-Rifle und den Spencerkarabiner unter den Arm, hängte sich die Feldflasche an den Gürtel und stieß mich unsanft vor sich her tiefer in den Wald. Hinter uns krachten noch ein paar Schüsse, dann wurde es still. Masterson aber drängte immer schneller vorwärts. Ich stolperte vor ihm her. Einmal stürzte ich und schrammte mir die linke Wange auf. Das kümmerte ihn nicht. Er jagte mich weiter.
10. Die Sonne war über den Zenit hinaus nach Westen gerückt. Vor uns lichtete sich der Wald. Ich taumelte durch das Unterholz ins Freie. Masterson folgte mir. Er war genauso erschöpft wie ich, wenn nicht stärker, denn ich war Strapazen gewöhnt, Masterson nicht. Vor uns lag wieder der Fluß. Er bog in einer scharfen Krümmung nach Westen und schnitt uns den Weg ab. Auf dem anderen Ufer begann ein ausgedehntes Steppengebiet. Masterson hätte sich unweigerlich im Wald verirrt, ich hatte ihn geführt, mir war nichts anderes übriggeblieben. Mein bloßer Oberkörper war zerkratzt von tiefhängenden Zweigen, die mich gestreift hatten, und Dornen, in die ich immer wieder gestürzt war. Die Knie meiner Hosen waren zerrissen. Ich fühlte mich ausgebrannt und müde. Hunger und Durst brannten in mir. Ich stolperte auf den Fluß zu. Masterson keuchte hinter mir. Er stützte sich schwer auf die Volcanic-Rifle. Sein Hemd wies zahlreiche Risse auf und hing ihm teilweise offen über den Gürtel, es trug große, dunkle Schweißflecke. »Bleib stehen«, hörte ich ihn sagen. Ich blieb stehen. Mir war alles egal. Immer wieder sah ich den Braunen vor mir, wie er zusammenbrach, wie er mit dem blutigen Maul am Boden lag. Nachdem ich schon meinen Medizinbeutel verloren hatte, war der Hengst für mich eine der äußerlichen Bindungen an die Apachen gewesen. Sein Tod erschien mir wie ein Trennungsstrich, den das Schicksal willkürlich und grausam zwischen mein bisheriges Leben und einer Ungewissen Zukunft gezogen hatte. Der Gedanke, den ich anfangs als unsinnig verworfen hatte, war stark und mächtig in mir. Ich war sicher, meine Brüder, die Apachen, Little Friend und all die anderen, nicht mehr wiederzusehen. Ich wehrte mich nicht mehr gegen den Gedanken, ich war plötzlich sicher, daß mein Instinkt mich nicht täuschte. Alles was hinter mir lag, war vorbei. Ich mußte mich damit abfinden. Und auf die Zukunft war ich nicht besonders neugierig. Sie konnte nicht schlimmer werden als das, was ich in den letzten Jahren erlebt hatte –
dachte ich. Ich würde mich noch wundern. Nur jetzt, jetzt war mir alles gleichgültig. Meine Füße schmerzten. Ich dachte an den Braunen, den ich nie mehr reiten würde, als ich am Flußufer in die Knie ging und mich in den Staub hockte. Jim Masterson setzte sich neben mich, legte die Gewehre hin und streifte die staubigen Stiefel ab. Er wickelte die löchrigen, verschwitzten Fußlappen auf und schob seine geschwollenen Füße, an denen sich Blasen gebildet hatten, in das seichte Uferwasser. Wortlos öffnete er dann die Feldflasche und trank mit großen Schlucken. Schwerfällig drehte er sich zu mir um, nachdem er seinen Durst gestillt hatte. »Maul auf«, sagte er. Ich öffnete den Mund und gab keinen Laut von mir, als der Waffenschmuggler mir den Hals der Feldflasche hart an die Zähne stieß. Ich schluckte dankbar die lauwarme Flüssigkeit, verschluckte mich und hustete heftig. Tausend glühende Nadeln schienen in meinen Lungen zu toben. Ich hatte wieder Kopfschmerzen, aber ich sagte nichts, ich klagte nicht, ich bat um nichts, ich schwieg. Masterson erhob sich und watete ins Wasser, ohne sich die Hosenbeine hochzukrempeln. Er bückte sich, als er bis zu den Knien im Fluß stand, füllte die Feldflasche erneut, hängte sie an seinen Gürtel und wusch sich dann den Schweiß vom Gesicht. Er war hager geworden, knochig fast, die Augen lagen tief in den Höhlen und hatten sich entzündet. Er kehrte zum Ufer zurück, kniete sich in den Sand und wusch die Fußlappen aus, um sie dann wieder anzulegen und in die Stiefel zu schlüpfen. »Der Fluß ist seicht hier«, sagte er. »Wir gehen weiter.« Er hob die Gewehre auf und erhob sich. Breitbeinig stand er neben mir. »Was ist los? Machst du schon schlapp?« Er stieß mich mit dem linken Fuß an. »Vorwärts, Junge. Du weißt, wie es weitergeht, du kennst deine Brüder. Was werden sie jetzt tun?« »Ich weiß es nicht.« Ich erhob mich. Meine Füße schmerzten noch immer, aber meine Mokassins aus weichem Leder waren besser für einen Fußmarsch geeignet als die hochhackigen Reitstiefel Mastersons. »Vielleicht geben sie auf. Es ist nicht mehr weit zur Grenze, und
dort sind die Rurales.« »Richtig.« Masterson blickte versonnen nach Norden über den Strom. »Vielleicht haben wir den Rücken frei, und mit den Rurales werde ich fertig, da bin ich Experte.« Masterson versetzte mir einen Stoß gegen die Schulter. »Los!« Ich setzte mich in Bewegung und trottete mit müden Schritten in die Furt. Das Wasser war kalt, es durchdrang den Stoff meiner Hose, bald reichte es mir bis zur Hüfte. Die Strömung wurde stärker. Ich befand mich nun schon fast in der Mitte des Flusses. Masterson war dicht hinter mir. Er hatte die Gewehre und den Munitionsvorrat hoch über den Kopf gehoben. Das Wasser bedeckte jetzt meinen Bauch. Je weiter ich schritt, um so tiefer wurde das Flußbett. Die Furt war nicht so seicht, wie Masterson geglaubt hatte. Ich hörte ihn hinter mir keuchen, auch er kämpfte mit der Strömung. Er aber hatte wenigstens die Hände frei, ich war gefesselt. Der Sand des Flußbetts unter mir wurde immer schlüpfriger. Das Wasser reichte mir jetzt bis zur Brust. Mir schwindelte, ich blieb stehen. »Geh weiter«, sagte Masterson mit gepreßt klingender Stimme. »Los, los! Ich habe keine Lust, hier Wurzeln zu schlagen.« Ich achtete kaum auf ihn und seine Worte. Ich schwankte. Die Strömung zerrte an mir. Wäre ich ausgeruht gewesen, hätte ich trotz meiner gefesselten Hände keine Schwierigkeiten gehabt. Aber ich war erschöpft, müde und hungrig. Ich hob vorsichtig den linken Fuß, schob ihn ein Stück nach vorn und beugte mich selbst vor, um dem Druck der Strömung zu begegnen. Da verlor ich das Gleichgewicht. Es geschah ganz langsam, zuerst kaum für mich selbst spürbar. Ich kämpfte noch, bekam aber den linken Fuß nicht mehr auf Grund, wurde langsam auf die Seite gedrückt und sackte schließlich unter Wasser. Ich hielt die Luft an, versuchte, die aufsteigende Verzweiflung in mir zu unterdrücken und verlor im reißenden Strom die Kontrolle über mich. Ich fühlte plötzlich Grund unter meinen Füßen, stieß mich mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, ab, und schoß zur Wasseroberfläche hoch.
Ich tauchte auf, vor meinen Augen drehte sich alles, gierig schnappte ich nach Luft. Dann versank ich bereits wieder. Wasser drang mir in die Nase und in die Ohren. Ich hatte das Gefühl, meine Lungen würden platzen. Mir schwanden die Sinne, und ich bemerkte kaum, daß die Strömung mich abtrieb. * Ich schlug die Augen auf und schaute direkt in die rote Sonne, die im Westen versank. Die Sonne des Todes. War ich etwa schon tot? Kaum. Die Ewigen Jagdgründe stellte ich mir anders vor, und ich glaubte kaum, daß ich Jim Masterson dort treffen würde, der jetzt vor mir kauerte und mich teilnahmslos anstarrte. Mein Magen hob sich, ich wälzte mich schwerfällig auf die Seite und übergab mich. Mein Magen schmerzte, er zog sich krampfartig zusammen. Nach Atem ringend rollte ich mich wieder auf den Rücken und merkte erst jetzt, daß meine Hände vor dem Leib zusammengebunden waren. »Ich hab dich rausgezogen«, sagte Masterson unvermittelt. »Vielleicht bringst du mir hundert Dollar ein, das ist besser als nichts. Wäre schade gewesen, wenn du ersoffen wärst. Hast du noch Durst?« Ich erwiderte nichts. Masterson erhob sich. »Du hast mich Zeit gekostet«, sagte er. »Du warst ganz schön lange bewußtlos.« Ich schaute ihn an. Er sagte kein Wort darüber, daß er daran Schuld war, daß ich beinahe ertrunken wäre. Haß stieg wieder in mir auf, aber ich ließ mir nichts anmerken. »Steh auf«, sagte Masterson. »Wir gehen weiter.« Er hielt mir ein Stück kaltes Fleisch hin. »Iß vorher.« Während ich bewußtlos gewesen war, war er anscheinend auf die Jagd gegangen, und er hatte Glück gehabt. Ich schlang das Fleisch in mich hinein, es schien von einem Wildkaninchen zu stammen. Nachdem ich gegessen hatte, richtete ich mich auf. Ich war noch etwas wacklig auf den Beinen, aber darauf nahm Jim Masterson
keine Rücksicht. Er trieb mich vor sich her. Zusammen marschierten wir nordwärts durch die Steppe. Es wurde Nacht, die Vegetation um uns her wurde immer spärlicher. Im kalten Mondlicht wirkte die kahle Landschaft noch unwirtlicher und abweisender. Hier und da lagen riesige Quaderfelsen wie Monumente des Todes in der verödeten Ebene. Gras wuchs nur noch in vereinzelten Büscheln, hier und da gab es Strauchgruppen, und gegen Mitternacht sichtete ich den ersten Säulenkaktus vor uns. Wir näherten uns einem Wüstenstreifen. Die Grenze war nicht mehr weit. Ich fragte mich, wie ich es schaffte, solange auf den Beinen zu bleiben. Wir waren nun seit Stunden ununterbrochen unterwegs und hatten wahrscheinlich, seit wir den Fluß verlassen hatten, etwa sechs Meilen zurückgelegt. Jetzt kriegte ich kaum noch die Füße hoch. Jim Masterson ging es nicht anders. Er war zwar körperlich nicht so sehr geschwächt wie ich, aber er mußte die größeren Schmerzen an den Füßen ertragen. Seine hochhackigen Reitstiefel, deren Leder nach der Flußdurchquerung wieder getrocknet und dabei brüchig und hart geworden war, machten ihm jeden Schritt zur Qual. Aber er hielt durch, er mußte durchhalten, er hatte einiges zu verlieren. Als ich im Schatten eines übermannsgroßen Granitblocks, der wie der vergessene, achtlos in den Sand geworfene Bauklotz eines Riesen vor uns auf dem Land aufgetaucht war, stehenblieb, verhielt auch Masterson im Schritt und ließ sich neben dem Stein zu Boden sinken. Ich wartete nicht, bis er mich dazu aufforderte, es ihm gleichzutun. Ich ließ mich fallen, wo ich gerade stand. Die ganze letzte Kraft, das bißchen Energie, das ich noch in mir gehabt und das mich in den letzten Stunden aufrecht gehalten hatte, wich sofort aus meinem geschundenen Körper und machte der Müdigkeit und der Erschöpfung Platz, die nun voll und ganz von mir Besitz ergriffen. Ich wünschte mir nichts weiter als Ruhe und ein paar Stunden Schlaf. Die Augen fielen mir fast von selber zu, und dann schlief ich ein, die Kälte des Sandes unter mir nicht spürend. *
Wind strich von Süden über das Land. Er führte feine Staubschleier mit sich. Als ich erwachte, schmeckte ich den Sand auf Lippen und Zunge. Er war in meine Nase eingedrungen und hatte sich in meinen Augenwinkeln festgesetzt. Es war noch immer dunkel und sehr kalt. Ich blieb reglos im Sand liegen und sah unweit von mir Jim Masterson. Der Waffenschmuggler lag auf dem Bauch und spähte nach Südwesten. Er hatte beide Gewehre neben sich liegen und schien den Atem anzuhalten. Ich bewegte den Kopf ein wenig und schaute ebenfalls nach Südwesten. Das Mondlicht lag wie ein weißlicher Glanz auf dem Land, die Luft war klar, und so konnte man trotz der Nacht weit sehen. Nach einiger Zeit entdeckte ich den Grund für Mastersons Aufmerksamkeit. In vielleicht ein oder zwei Meilen Entfernung bewegten sich Gestalten – Reiter. Vermutlich waren es Apachen, die nach Masterson suchten. Der beständig wehende Wind schien unsere Fährte schon weitgehend zerstört zu haben. Masterson setzte sich plötzlich in Bewegung und kroch, beide Gewehre vor sich herstoßend, hinter den Granitblock, in dessen Schatten ich lag. Ich richtete mich lautlos auf. Schmerzen durchzuckten sofort meinen Körper. Meine Glieder waren steif und schwer. Trotzdem erhob ich mich, und dann begann ich zu laufen. Es war ein wahnsinniger Versuch, er konnte nicht klappen, trotzdem rannte ich durch den Sand nach Südwesten durch die Nacht. Ich gelangte nicht weit. Ich war viel zu erschöpft, um so schnell zu laufen, wie ich eigentlich wollte. Daran hatten auch die paar Stunden Schlaf nichts geändert. Verzweifelt begann ich zu schreien. Ich wußte, in der Nacht klang jedes Geräusch weiter als am Tage, und so schrie ich, so laut ich konnte, obwohl auch das sinnlos war, denn die Reiter entfernten sich immer mehr, und sie waren viel zu weit weg, als daß sie mich hätten hören können. Ich hörte Masterson hinter mir. Er verfolgte mich, sein Keuchen
erschien mir fast lauter als meine eigene Stimme. »Bleib stehen«, hörte ich ihn rufen. Aber ich blieb nicht stehen. Ich baute darauf, daß er es nicht wagen würde, einen Schuß abzugeben, denn damit hätte er die Apachen alarmiert. Ich lief weiter, immer weiter, bis mich ein mörderischer Schlag in den Rücken traf, der mich von den Füßen riß und mit dem Gesicht nach vorn in den Sand schleuderte. Der Schmerz zerriß mich fast. Ich wälzte mich benommen über den Boden, und als ich versuchte, mich hochzustemmen, stieg mir das Wasser in die Augen. Dann war schon Jim Masterson neben mir. Er war völlig außer Atem und bückte sich schnaufend nach dem Spencerkarabiner, den er mir nachgeschleudert hatte. »Steh auf, du Kröte!« sagte er. Er stieß mir den Kolben des Karabiners in die rechte Seite. Ich krümmte mich zusammen und bäumte mich auf. Masterson schaute mich unbeeindruckt an. Er warf einen kurzen Blick nach Südwesten. Aber da waren die Apachen verschwunden. Wir waren wieder allein, und um uns war nur die Wüste und die Nacht. »Das war sehr dumm«, sagte Masterson. »Wenn die verfluchten Rothäute wegen dir auf mich aufmerksam geworden wären, hätte ich dich niedergeschossen.« Er schlug mir wieder den Karabinerkolben in die Seite, daß ich dachte, mir würden sämtliche Rippen zersplittern. »Sie können mich totschlagen«, sagte ich, und ich erkannte meine Stimme kaum wieder. »Ich werde immer wieder versuchen, wegzulaufen.« »Möglich«, sagte Masterson. »Aber nicht bei mir. Ich hab vergessen, dir in dieser Nacht die Beine zu fesseln. Dieser Fehler wird mir nicht mehr unterlaufen. Und wenn wir in Arizona sind, soll sich ein anderer mit dir herumärgern.« Er schlug noch einmal zu, und diesmal zwang ich mich, aufzustehen, um nicht weiter geprügelt zu werden, obwohl ich vor Schmerzen nicht aufrecht stehen konnte. »In spätestens einer Stunde geht die Sonne auf«, sagte Masterson.
»Wo wir schon mal wach sind, sollten wir die Stunde, bis es wieder heiß wird, ausnutzen. Ich hab's eilig, endlich nach Hause zu kommen.« Er schaute nach Süden und sagte dann: »Der Wind hat uns geholfen. Von unserer Fährte ist nichts übriggeblieben.« Ich sagte nichts darauf, ich kämpfte noch mit den Schmerzen in meinem Körper. Masterson drehte sich wieder zu mir um und nahm die Feldflasche vom Gürtel. »Trink einen Schluck.« Ich öffnete den Mund und trank, als er mir die Flasche an den Mund setzte. »Und jetzt vorwärts«, sagte er. Ich setzte mich wortlos in Bewegung. Jeder Schritt fiel mir schwer, und mit jedem Schritt durchzuckten stechende Schmerzen meinen Oberkörper, wo die Kolbenhiebe Mastersons mich getroffen hatten. Masterson schlurfte hinter mir her. Ich hörte, daß er seine Füße nicht mehr richtig heben konnte, so daß sie durch den Sand schleiften. Er war ziemlich fertig, aber nicht fertig genug, um sich von mir überrumpeln zu lassen. Nachdem wir fast eine halbe Stunde unterwegs waren, fühlte ich kaum noch Schmerzen, aber die Müdigkeit und der Hunger kehrten zurück. In den letzten Tagen hatte ich nur unregelmäßig, und wenn, dann nur sehr wenig, zu essen erhalten. Ich konnte Hunger ertragen, aber irgendwo war eine Grenze. Irgendwann würde ich nicht mehr laufen können, irgendwann würde ich mich nicht mehr aufrecht halten können. Ich versuchte, nicht daran zu denken und mich nur darauf zu konzentrieren, die Füße zu bewegen. Es hatte keinen Sinn, einfach aufzugeben. Masterson würde es nicht akzeptieren, er würde mich eher totprügeln, als mich lebend liegenlassen. Aber sterben wollte ich noch nicht. Es hatte Stunden gegeben, in denen mir klar geworden war, daß es kein Zurück mehr geben würde, in denen ich am liebsten tot gewesen wäre. Diese Phase aber war vorbei. Ich fürchtete mich vor dem Unbekannten, das auf mich wartete, vor der Zukunft, die ich mir ohne die Apachen nicht mehr vorstellen konnte, aber sterben wollte
ich nicht. Ich wollte leben wie jedes andere Wesen auf dieser Welt. So schleppte ich mich vorwärts, während die Luft feucht und dunstig wurde. Die Nacht ging zu Ende, aber der Wind wehte immer stärker. Er warf Sandbahnen gegen meinen Rücken und ließ kleine Staubteufel über die Ebene tanzen. Ein dumpfes Singen erfüllte die Luft, ein klagendes Wimmern, das von einem überirdischen Wesen zu stammen schien. Ein Sturm schien aufzukommen. Ich trottete weiter, und hinter mir lief Jim Masterson, dem es nicht viel besser ging. Ich verlor das Gefühl für Zeit und Entfernung. Irgendwann klarte es etwas auf, und die Sonne ging über der Wüste auf. Sie schien hinter einer Milchglasscheibe zu liegen und hatte keine Kraft. Der Himmel hatte eine verschwommene graublaue Farbe und wurde von Staubschleiern, die über die Wüste wirbelten, immer wieder verdunkelt. Einmal hob ich den Kopf. Da sah ich Vögel in der Luft, Geier. Sie flohen vor dem Sturm her, woanders tauchten vereinzelt Coyoten auf, die nach Norden trabten. »Es gibt einen Sturm«, versuchte ich über die Schulter zu Jim Masterson zu sagen. Der Wind riß mir die Worte von den Lippen. Also drehte ich mich um und wiederholte sie, so laut ich konnte. Dabei schluckte ich Sand und glaubte einen Moment, zu ersticken. »Wir müssen eine Deckung suchen!« schrie ich. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen. Masterson starrte mich aus eng zusammengekniffenen, entzündeten Augen an. Er sah aus wie sein eigenes Gespenst. Die Nase war schmal und spitz, genau wie das einst kantige, energische Kinn, die Wangenknochen standen deutlich hervor, darüber spannte sich die Haut wie dünnes Pergament. Er bewegte die Lippen, und ich verstand ihn erst nicht. Dann hörte ich seine Stimme ganz leise durch das Heulen des Windes: »Geh weiter«, sagte er. »Dreh dich um und geh weiter.« Ich drehte mich um und taumelte schweigend weiter.
11.
Der Himmel verdunkelte sich jäh. In der Ferne rollte der Donner. In der Luft war ein gewaltiges Tosen und Brausen. Das wilde Geheul des Sturms klang mir in den Ohren, und der Wind schien mit tausend Fäusten nach mir zu greifen und mich hin und her zu schütteln. Mein Körper war zu geschwächt, um ernsthaft Widerstand leisten zu können. Willenlos fast wurde ich hin und her getrieben. Masterson war plötzlich neben mir. Er hatte sich sein Halstuch vor das Gesicht gebunden, um sich vor dem Sand zu schützen, der uns in dichten Schwaden gleich einem gelblichen Nebel umgab. Ich war dem feinen Staub schutzlos ausgesetzt, der mir in Mund, Nase und Ohren eindrang, der sich mit dem Schweiß auf meinem bloßen Oberkörper vermischte und die Poren in meiner Haut verstopfte. Längst war mein Gaumen geschwollen, hatte sich meine Mundhöhle entzündet, aber ich hielt mich aufrecht, denn mir war klar, daß ich verloren war, wenn ich jetzt umkippte und liegenblieb. Der Sand würde mich zudecken und ersticken. Neben mir taumelte Jim Masterson wie ein Betrunkener. Er hatte seine Volcanic-Rifle nicht mehr, anscheinend hatte er sie fallen gelassen, zumal er wohl auch kaum noch Munition für sie hatte. Er trug nur noch meinen Spencerkarabiner und meinen Patronengurt bei sich. Plötzlich öffnete sich der Boden vor uns. Ich verlor den Halt und stolperte. Verzweifelt versuchte ich, mit den gefesselten Händen den Sturz abzufangen. Es gelang nicht. Ich rollte kraftlos eine steile Böschung hinunter, zerriß mir das rechte Hosenbein bis fast zum Bund hinauf und schlug hart am Grund eines Arroyos auf. Benommen versuchte ich, mich aufzustützen. Da stürzte bereits Jim Masterson über die Böschung und landete neben mir. Der heftige Druck des Sturmes lastete nicht mehr auf uns. In dichten Schleiern wehte zwar der feine Sand in das Arroyo, aber der Sturm fegte über uns hinweg. Wir hatten eine Deckung vor dem Wetter gefunden, wir konnten abwarten, bis es vorüber war. Das konnte unsere Rettung sein. Ich wälzte mich auf den Bauch und preßte mein Gesicht an den Boden. Ich versuchte, ruhiger zu atmen und meine verkrampften
Muskeln und Glieder zu entspannen. Über uns tobte ein Inferno. Der Himmel hatte eine giftgrüne Farbe angenommen, es donnerte ununterbrochen. Die Erde erbebte, und der Untergang der Welt schien nahe zu sein. Tonnenweise schien nun auch der Sand in den Arroyo zu stürzen und uns unter sich begraben zu wollen. Ab und zu zuckten Blitze durch die Staubschwaden, dann wieder sang der Sturm sein höllisches, brüllendes, dröhnendes Lied. Es dauerte Stunden, dann endlich ebbte das Unwetter ab, es klarte auf, das Donnergrollen verstummte. Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte gnadenlos auf das sturmgepeitschte Ödland hinunter. Noch immer strich von Süden der Wind über das Land, aber er verlor ständig an Kraft. Der Sturm war vorbei. Jim Masterson richtete sich als erster auf. Er schüttelte den Sand ab und kroch zum Rand des Arroyos hoch. Ich folgte ihm nach ein paar Minuten. Die Wüste ringsum schien sich durch den Sturm nicht verändert zu haben. Ein paar Dünen hatten sich vielleicht verschoben, woanders hatten sich neue gebildet, und andere waren abgetragen worden. Spuren hatte das Unwetter in dem öden Meer von Sand nicht hinterlassen. Masterson streckte plötzlich den rechten Arm aus und deutete nach Norden. Ein krächzendes Lachen drängte sich über seine Lippen. Ich suchte mit Blicken das Land ab und entdeckte in knapp hundert Yards Entfernung eine kleine Pyramide aus vulkanischem Gestein. Das war die Grenzmarkierung. Hinter dieser Pyramide begann Arizona. Masterson griff zur Feldflasche am Gürtel, entkorkte sie und trank mehrere Schlucke, dann hielt er sie mir hin. Ich nahm die Flasche mit den gefesselten Händen und trank ebenfalls. Ich spülte meine Mundhöhle und meine Kehle aus. Jeder Schluck bereitete mir Schmerzen, ich konnte meine Zunge kaum bewegen. Sie war völlig eingetrocknet und lag wie ein Stück pelzige tote Haut in meinem Mund.
»Los«, sagte Masterson schwach. »Weiter. Weiter jetzt!« Ich zog mich mühsam an der Arroyoböschung hoch und wollte gerade hinausklettern, als hinter einigen Tafelfelsen im Osten Reiter in grünen Uniformen auftauchten. »Runter!« Masterson griff nach mir und zerrte mich zurück. Er fluchte. Ich drehte mich um und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Arroyowand. Da entdeckte ich im Süden fünf Apachen. Sie ritten auf die Grenze zu und schienen die Rurales noch nicht bemerkt zu haben. Das änderte sich schnell, zumal die Rurales fast gleichzeitig die Krieger erspähten und ihre Pferde herumrissen. Die Apachen waren in der Minderheit. Ich entdeckte Schnelltöter unter ihnen, und mein Herz schlug schneller. Ich vergaß Masterson, vergaß für einen Moment meine Lage, und wollte aufspringen und zu den Kriegern hinüberlaufen. Jim Masterson schien meine Gedanken zu erraten. Die Mündung meines eigenen Spencerkarabiners war mit einemmal dicht vor meinem Gesicht, und Masterson blickte mich aus seinen entzündeten Augen hart an. »Bleib jetzt ganz ruhig, Junge«, sagte er. »Versuch nichts, unternimm nichts, sonst schieße ich dir den Kopf von den Schultern.« Ich antwortete nicht, lehnte nur den Kopf zurück und verhielt mich still. Der Hufschlag der Reiter wurde immer lauter. In kaum zweihundert Yards Entfernung überquerten die Rurales den Arroyo. Die Apachen hatten ihre Pferde gezügelt, sie schienen unentschieden zu sein, was sie tun sollten. Als sie dann endlich ihre Tiere herumzogen und fliehen wollten, war es zu spät. Sekunden später krachten die ersten Schüsse, dann holten die Rurales die Krieger ein. Ein heftiger Kampf Mann gegen Mann entspann sich. Apachen und Rurales stürzten aus den Sätteln und wälzten sich ineinanderverkrallt durch den Sand. Ich sah Schnelltöter, der einen Mexikaner tötete und dann selbst von einem Machetenhieb schwer getroffen wurde. Mein Herz krampfte sich zusammen. Schnelltöter kämpfte verbissen, obwohl er stark blutete. Er gab nicht auf, und doch konnte ich sehen, daß er kaum noch eine Chance hatte, den
Kampf durchzustehen und zu überleben. »Hoch jetzt, und raus!« hörte ich Mastersons Stimme auf einmal neben mir sagen. »Los, los! Bist du eingeschlafen?« Er stieß mich an, und ich taumelte hoch und sprang aus dem Arroyo. Masterson war dicht hinter mir. Er stieß mich vor sich her. Schwerfällig, sämtliche Kräfte, über die wir noch verfügten, einsetzend, liefen wir durch Sand und Hitze nach Norden auf die Grenzmarkierung zu. Wir drehten uns nicht um, hörten hinter uns nur das Krachen von Schüssen, das Wiehern von Pferden und das Schreien der Kämpfenden. Wir erreichten die kleine Pyramide, liefen an ihr vorbei und stürmten auf einige Quaderfelsen zu, die sich vor uns aus dem Sand erhoben. Atemlos zwang mich Masterson, als wir die Felsen erreicht hatten, stehenzubleiben. Ich ließ mich gegen die großen Quader sinken und schaute zurück über die Grenze. Da wurde ich Zeuge, wie Schnelltöter starb. Er kniete blutüberströmt am Boden, hielt seinen Tomahawk in der Rechten und kämpfte noch immer. Er hieb den Tomahawk einem Rurale tief in den rechten Oberschenkel, dann droschen die anderen Rurales mit ihren leergeschossenen Gewehren auf Schnelltöter ein. Der erste Kolbenhieb fällte ihn, aber er richtete sich wieder auf, und zwei weitere Schläge trafen ihn auf den Kopf. Er fiel aufs Gesicht, und die Rurales prügelten weiter auf ihn ein, bis er sich nicht mehr rührte. Ich wandte mich ab, ich hatte genug gesehen. Die Apachen waren alle tot, Schnelltöter war der letzte gewesen. Das Bild von den sterbenden Kriegern war das letzte, das ich für lange Zeit von meinen Brüdern sah. Meine Zeit als weißer Apache war vorbei – endgültig. Die Krieger, die mich vielleicht noch hätten aus Mastersons Händen befreien können, waren nicht mehr. Masterson hatte mich fester denn je in seiner Hand. Ich war ihm ausgeliefert. * Als neben mir Schüsse zu krachen begannen, wandte ich erstaunt den
Kopf. Ich hatte das Gefühl, aus einem Traum zu erwachen. Jim Masterson kniete neben mir und feuerte mit dem Spencerkarabiner über die Gesteinsbarriere weg. Ich hörte Hufschlag und zog unwillkürlich den Kopf ein, als unweit von mir Geschosse gegen den Fels prallten, tiefe Furchen in das Gestein fraßen und jaulend als Querschläger in die heiße Luft davonschwirrten. Rurales sprengten heran. Sie hatten die Grenze überquert und waren uns gefolgt. Unsere Flucht aus dem Arroyo war anscheinend trotz des Kampfes mit den Apachen nicht unbemerkt geblieben. Es waren noch fünf Rurales, die gegen unsere Deckung anritten. Masterson ließ ihnen keine Chance. Sie hatten das Unwetter hinter sich, genau wie wir, wobei ihre Deckung anscheinend nicht so gut gewesen war wie unsere, denn sie machten einen erheblich erschöpfteren Eindruck. Außerdem hatten sie gegen die Apachen gekämpft und ihre Kräfte verschlissen. Für diese abgekämpften Männer war Jim Mastersons Zustand noch immer gut genug. Er erschoß einen Reiter, tötete zwei Pferde und verletzte einen zweiten Mann. Dann flüchteten die Rurales zurück über die Grenze. Der Kampf war vorbei. Masterson lehnte den Spencerkarabiner gegen den Fels und stützte sich schwer atmend auf einen Gesteinsquader, um nicht vor Schwäche umzukippen. Im Patronengurt für den Karabiner steckten noch zwei Patronen. Ohne ein Wort zu sagen zog Masterson plötzlich sein Messer und torkelte aus seiner Deckung auf die toten Pferde der Rurales zu. Ich schaute ihm zunächst verwundert nach, dann folgte ich ihm mit unsicheren Schritten. Masterson erreichte vor mir die toten Pferde. Er warf sich neben einem in den Sand und stieß ihm das Messer in die Halsschlagader. Das herausspritzende Blut traf sein Gesicht, aber das störte ihn nicht. Er trank es gierig und ließ dann auch mich trinken. Dann schlitzte er die Haut des Pferdes über dem linken Hinterschenkel auf. Das helle Fleisch, das darunter erschien, schimmerte rötlich und dampfte in der Gluthitze der Wüste. Masterson schnitt kleine Stücke heraus, schob sie sich in den Mund und reichte auch mir welche. Das Fleisch war zäh und schmeckte nach nichts, aber ich kaute
darauf, bis es weich genug war, und dann schluckte ich es und fühlte mich gesättigt. Die Sonne stand weit im Westen, als Jim Masterson mich wieder auf die Beine jagte und vor sich her trieb. Satt und gestärkt zogen wir weiter nach Norden. Hinter uns kreisten bald die Geier am Himmel, nicht nur wegen der toten Pferde, auch wegen der toten Apachen. Von Schnelltöter würde bald nicht mehr viel übrig sein. Er war so tot wie die Jahre, die hinter mir lagen. In diesen Stunden hatte ich das Gefühl, mein Herz im Land der Apachen zurückzulassen. Drei Tage später taumelte ich mit zerfetzten Mokassins, schmerzenden Füßen, abgemagert und verdreckt auf den Hof einer kleinen Poststation. Hinter mir folgte Jim Masterson, der sich ebenfalls kaum noch auf den Beinen halten konnte. Die hohen Absätze an seinen Reitstiefeln waren abgebrochen, das Leder war aufgeplatzt. Der Stationer starrte uns an, als kämen wir direkt aus der Hölle, als Masterson und ich in das Haus traten. Er stand hinter einer langgestreckten Theke und linste nach einer Schrotflinte, die in einer Ecke lehnte, aber er wagte nicht, sich zu bewegen. »Hallo, Hank«, sagte Masterson. Der Stationer kriegte große Augen. Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Jim Masterson?« Langsam trat er hinter der Theke hervor. »Das – das ist doch nicht möglich …« »Brat mir ein halbes Dutzend Steaks und koch mir einen Topf Kaffee, so stark wie es nur möglich ist. Bereite auch dem Jungen was zu essen, Hank.« Der Stationer nickte, als hinge sein Kopf an Fäden. »Sicher, Jim, sicher, aber – mein Gott, wo kommst du her?« »Später, Hank. Laß Wasser heiß machen, damit ich mich baden kann. Und jetzt lauf, solange ich noch Kraft genug habe, selbst die Gabel zu halten, sonst mußt du mich füttern.« Masterson wankte zu einem Tisch und ließ sich krachend auf einen Stuhl fallen. Er stampfte mit dem Spencerkarabiner auf den Boden. »Hierher, Junge, hierher und setz dich.« Ich folgte ihm. Was hätte ich auch sonst tun sollen? Vorsichtig legte ich meine gefesselten Hände vor mir auf den Tisch. Meine
Handgelenke waren geschwollen, aufgescheuert und entzündet. Sie schmerzten mächtig, und ich konnte meine Finger kaum richtig bewegen. Der Stationer stand noch immer unschlüssig neben der Theke und starrte uns an. Als Masterson ihm einen wilden Blick zuwarf, drehte er sich um und rannte durch eine Hintertür hinaus. Es vergingen kaum zehn Minuten, dann kehrte der Mann mit einem riesigen Tablett zurück. Mehrere große Steaks lagen auf einem Teller, und eine große Kanne mit dampfendem tiefschwarzem Kaffee stand daneben. Dazu gab es noch Brot, und Masterson schnitt mir endlich die Fesseln durch, damit ich essen konnte. Ich hatte meine Schwierigkeiten, nach so langer Zeit wieder mit Messer und Gabel zu essen, aber ich schaffte es schließlich. Während der ganzen Zeit stand der Stationer neben uns am Tisch und redete auf Masterson ein. Und Masterson erzählte, während er aß. Er erzählte von dem geplatzten Waffenhandel, von dem Kampf mit den Mexikanern und den Apachen, von meiner Gefangennahme und von dem langen Marsch zurück nach Arizona. Wir aßen alles auf, und Masterson trank allein den Kaffee aus. Dann begab er sich in einen der hinteren Bäume der Station, wo bereits ein wohlgefüllter Badezuber für ihn bereitstand. Ich mußte ihn begleiten und wurde wieder gefesselt, nachdem ich mich in einem lächerlich kleinen Eimer gewaschen hatte. Währenddessen planschte Masterson in der Holzwanne und schwafelte weiter von seinen Heldentaten, denn der Stationer hockte auf einem Schemel neben dem Zuber. Ich lauschte schweigend und mit wachsendem Zorn den Geschichten des Waffenschmugglers, der genüßlich berichtete, wie er Apachen getötet und mir seinen Willen aufgezwungen hatte, was ja beileibe kein so großes Kunststück gewesen war. Mein Haß erwachte wieder, und ich erinnerte mich an das Versprechen, das ich Masterson gegeben hatte. Ich hatte ihm geschworen, ihn zu töten und ihm den Skalp zu nehmen. Genau das würde ich tun, auch wenn ich nicht wußte, wie ich es anfangen sollte, und wenn es mich das Leben kosten sollte, ich wollte Jim Masterson das große Maul stopfen. In der Nacht schlief Masterson in einem großen, weichen, sauber
bezogenen Bett. Ich schlief auf dem Fußboden daneben und hatte nur eine alte Decke, mit der ich mich zudecken konnte. Ein solider Strick fesselte mich an einen der unteren Bettfüße. Wäre ich nicht so müde gewesen, hätte ich gewiß nicht schlafen können. So aber schlief ich tief und fest. Die Erschöpfung wich, meine Energie kehrte zurück und mit ihr der Wille, mich nicht so einfach mit meinem Schicksal abzufinden.
12. Masterson schlief fast bis zum Mittag des nächsten Tages. Ich war schon lange vorher wach und mußte stundenlang auf dem harten Fußboden liegen, bis er sich endlich erhob und mich losband. Er trat an das Fenster der Kammer und schaute hinaus. Als er sich umdrehte, sagte er: »Jetzt bist du wieder in der Zivilisation, Junge. Bald denkst du nicht mehr an diese Wilden. Viel hätte nicht gefehlt, und sie hätten dich zu einem Steinzeitmenschen gemacht. Du kannst heilfroh sein, daß du an mich geraten bist.« »Ich glaube«, sagte ich, »daß Sie und Ihresgleichen viel eher Wilde sind. Ich glaube nicht, daß ich heilfroh bin, unter Leuten wie Ihnen gelandet zu sein.« »Du wirst mir noch vor Dankbarkeit die Füße küssen«, sagte Masterson. »Du brauchst nicht mehr in der Wildnis herumzukriechen, brauchst nicht mehr in schäbigen Hütten zu hausen, kein Hunde- und Schlangenfleisch mehr zu essen und nicht mehr diesem Götzenglauben nachzuhängen.« »Ich bin ein Krieger der Apachen«, sagte ich. »Ich lasse mich nicht gegen meinen Willen zu etwas zwingen.« »Du bist eine Rotznase, die von den Rothäuten zu einem Mörder erzogen wurde!« Die Stimme Mastersons hob sich. »Hier gibt es keine Apachenkrieger, und du bist keiner mehr. Du bist ein weißer Junge von dreizehn Jahren, und du hast zu gehorchen, auch wenn du hundertmal von den Rothäuten dazu abgerichtet worden bist, weiße Männer umzubringen.« Ich schwieg, aber mein Blick, der meinen ganzen Zorn und meinen Haß ausdrückte, schien Masterson bereits zu reizen. Er
durchquerte den Raum und versetzte mir eine Ohrfeige, daß mir der Kopf in den Nacken geworfen wurde. »Dich kriegen wir schon wieder hin«, hörte ich ihn sagen. »Nach ein paar Monaten bist du wieder ganz normal, da habe ich den ganzen Apachenhumbug aus dir rausgeprügelt.« Ich antwortete wieder nicht, und Masterson packte mich an der rechten Schulter und schob mich vor sich her. Wir verließen die Kammer und stiegen die Treppe hinunter in den Aufenthaltsraum. »Als erstes werden wir dir die Haare absäbeln«, sagte Masterson. »Und dann brauchst du was Richtiges zum Anziehen. Aber das kriegen wir alles schon, eins nach dem anderen.« Der Stationer befand sich wieder hinter der Theke, als wir erschienen. Er wieselte sofort auf uns zu, als Masterson Platz genommen hatte. Ich setzte mich auch. »Rühreier mit Speck, eine ganze Pfanne voll«, bestellte Masterson. »Und eine Kanne Kaffee, so wie gestern.« »Sofort, Jim.« Der Stationer zögerte noch. Er warf einen raschen Blick zur Tür. Seine Stimme senkte sich. »Ein – ein Freund von dir ist da, Jim. Vor zwei Stunden ist er angekommen.« »Ein Freund?« Masterson wirkte irritiert. »Noel Custer, Jim.« »Custer?« Masterson strich sich unruhig über das Kinn. »Ich wollte es dir nur gesagt haben, Jim.« Der Stationer wandte sich ab und ging eilig davon. Masterson starrte unsicher auf die Tischplatte vor sich. Plötzlich fluchte er leise. Mich schien er vergessen zu haben. Da flog die Tür zum Aufenthaltsraum auf. Ein Mann, einen halben Kopf kleiner als Jim Masterson, aber erheblich breiter, trat ein. Er trug eine abgewetzte Wildlederhose, ein Lederhemd mit langen Fransen an den Nähten und eine schwarze Stoffweste mit silbernen Conchos. Auf dem Kopf trug der seltsame Mann einen schwarzen Zylinder, unter dem langes, strähniges Haar hervorquoll. Ein struppiger Vollbart verdeckte sein halbes Gesicht. Er schloß die Tür hinter sich und blieb stehen, als er uns sah. Jim Masterson saß mit dem Rücken zur Tür, doch er schien zu ahnen, wer hereingekommen war. Langsam drehte er sich um.
»Hallo, Jim«, sagte der Mann an der Tür. »Custer.« Masterson nickte dem Mann zu. »Ich hab schon gehört, daß du hier bist.« »Ich hab auch von dir gehört.« Der Mann setzte sich in Bewegung und stiefelte steifbeinig auf den Tisch zu. »Erstaunlich, was für Heldentaten du vollbracht hast. Wo sind deine Leute?« »Wenn Hank dir ohnehin alles erzählt hat, dann weißt du ja Bescheid. Sie sind tot.« Masterson schien sich sichtlich unwohl in seiner Haut zu fühlen. »Richtig, Jim, aber du lebst.« Noel Custer stemmte die Fäuste in die Hüften. »Die Gewehre hast du auch verloren.« Masterson nickte nur. »Du hast mich ausbooten wollen, Jim.« Custers Stimme klang eisig. »Nicht doch, Custer.« Masterson schüttelte heftig den Kopf. »Es mußte nur alles plötzlich so schnell gehen, deshalb habe ich nicht auf dich gewartet.« »Klar, Jim. Ich versteh das.« Custer verzog keine Miene. »Trotzdem hatten wir vereinbart, daß ich euch begleite. Schließlich hatte ich die Gewehre besorgt, und du hast noch nicht einen Cent dafür bezahlt.« »Richtig, Custer. Das wird alles erledigt, wenn ich wieder in San Pedro bin.« »Ich habe die Gewehre besorgt«, sagte Noel Custer. »Dafür wolltest du mich am Geschäft beteiligen. Ich sollte mit nach Mexiko ziehen.« »Sei froh, daß du's nicht getan hast.« »Schweif nicht ab, Jim. Du hast meine Gewehre genommen, hast sie auf einen deiner Wagen geladen und gewartet, bis ich San Pedro für ein paar Tage verlassen mußte. Als ich zurückkehrte, warst du mitsamt der Ladung weg. Jetzt kehrst du aus Mexiko zurück und erklärst, das Geschäft sei geplatzt, die Gewehre seien futsch und wir müßten alle in die Röhre gucken.« »Du siehst das falsch, Custer, ich meine …«
»Ich sehe das genau richtig, Jim. Du hast mich reinlegen wollen und bist selber auf die Schnauze gefallen. Du wolltest den großen Schnitt allein machen, und hast überhaupt nichts gekriegt.« »Ich wollte dich nicht reinlegen, aber ich habe Pech gehabt, ja.« Masterson wurde es immer unbehaglicher zumute. Seine Hände zitterten bereits. »Du hast Pech gehabt, richtig, Jim. Ich habe nicht Pech gehabt. Ich denke, du wirst mir meinen Verlust ersetzen.« »Natürlich, Custer.« »Ich will den Anteil, den die Mexikaner mir gezahlt hätten.« Masterson warf den Kopf hoch. »Bist du verrückt? Ich wollte die Ladung für zwölftausend Dollar verkaufen, das heißt, du würdest sechstausend kriegen. Das ist alles, was ich an Bargeld besitze.« »Mir scheißegal.« »Aber mir nicht. Glaubst du, ich bin verrückt? Ich kann mein Geschäft schließen, wenn ich darauf einginge.« »Das kratzt mich nicht.« Die Stimme des seltsamen Noel Custer wurde schärfer und schneidender. »Du spinnst wohl? Was soll ich denn ohne das Geschäft tun? Sechstausend Dollar soll ich dir zahlen, für die lumpigen Gewehre, die du geliefert hast? Das war doch Ausschußware. Ich wette, du hast für kein Gewehr mehr als zehn Dollar bezahlt.« »Was spielt das für eine Rolle. Wenn du mich nicht betrogen hättest, hätten wir uns darüber einigen können. Aber du hast mich abgehängt und wolltest allein alles einstreichen. Jetzt verlange ich meinen vollen Anteil.« »Du kannst mich mal.« Masterson schrie jetzt. »Was bist du denn schon? Ein hergelaufener Trader, ein Zigeuner, der mit seinem Wagen herumzieht und einsamen Farmersfrauen alte Töpfe verkauft. Nur weil du mal dreihundert schrottreife Gewehre besorgt hast, solltest du dich nicht so aufspielen.« »Von mir aus kannst du schreien, Jim.« Der Trader drehte sich um. »Ich kriege mein Geld, und wenn du es mir nicht gibst, hole ich es mir, und dann werde ich dafür sorgen, daß du bankrott gehst. Du weißt, daß ich das kann. Ich habe viele Freunde. Kein Mensch wird dir noch einen Auftrag geben.«
Masterson ballte die Hände zu Fäusten. »Du Mistkerl«, flüsterte er. »Du verdammter Hurensohn.« Noel Custer drehte sich unbeeindruckt um und ging mit den schweren Schritten eines Mannes, der nicht viel zu Fuß geht, zur Tür. »In einer Woche bin ich in San Pedro«, sagte er über die Schulter. »Dann hole ich mein Geld.« Masterson starrte ihm aus brennenden Augen nach. Dann griff er unvermittelt nach dem Spencerkarabiner, der neben ihm am Tisch lehnte. Während er ihn hochschwang, wandte sich der Trader an der Tür wieder um. Seine Rechte bewegte sich sehr schnell. Ein schwerer Colt-Revolver lag in seiner Faust, und als Jim Masterson den Hammer des Karabiners zurückzog, feuerte der Trader. Masterson ließ den Karabiner fallen und krümmte sich zusammen, als die Kugel ihn traf. Ohne ein Wort oder einen Schmerzenslaut kippte er nach vorn um und blieb in verrenkter Haltung am Boden liegen. Ich sprang auf und starrte fassungslos auf die Leiche zu meinen Füßen, und plötzlich brach der ganze Haß und die aufgestaute Wut aus mir heraus. Ich warf mich neben die Leiche, zerrte dem Toten das Messer aus dem Gürtel und schnitt ihm den Skalp ab. Ich griff mit den gefesselten Händen zu und riß den Skalp ab. Wie in Trance richtete ich mich auf, die Haarsträhne mit der blutigen Kopfhaut daran in den Fäusten haltend. Ich hatte meinen Schwur gehalten, ich hatte Jim Masterson nicht töten können, aber ich hatte ihm den Skalp genommen. Ich hob ihn hoch über den Kopf und schleuderte ihn quer durch den Raum. Da stand der Trader, der Masterson erschossen hatte, vor mir. Sein Gesicht wirkte hart wie Stein, und er schlug mit dem Lauf seines Revolvers zu. Bewußtlos brach ich zusammen. * Als ich erwachte, war es dunkel um mich. Erst nach einigen Minuten begriff ich, daß ich im Innern eines Planwagens lag, gefesselt an Händen und Füßen. Die Luft war stickig, und ich konnte kaum
atmen. Nach einiger Zeit hörte ich von draußen die Stimme Noel Custers, und dann auch die des Stationers. »Masterson war ein Miststück«, sagte Custer. »Scharr ihn irgendwo ein und vergiß ihn. Kein Mensch wird ihm eine Träne nachweinen.« »Ich laß ihn verschwinden, Noel, keine Angst, den findet keiner mehr.« »Den Jungen nehm ich mit«, sagte Custer. »Masterson schuldete mir sechstausend Dollar. Für den Jungen kriege ich vielleicht hundert, wenn ich viel Glück habe. Besser als nichts. Wer weiß, wann ich ihn loswerde. Es gibt ein paar Stores, in denen billige Gehilfen gesucht werden. Vielleicht traut sich einer, den Jungen zu zähmen, wenn er nicht schon zu wild ist. Als er vorhin Masterson den Skalp abriß, dachte ich, einen waschechten Apachen vor mir zu haben, aber wer weiß, was Masterson mit ihm angestellt hat.« Ich hörte, wie jemand auf den Bock stieg. »In zwei Monaten bin ich wahrscheinlich wieder hier«, sagte der Trader. »Ich fahre jetzt rauf bis nach Colorado.« »Paß auf dich auf, Noel«, sagte die Stimme des Stationers. Dann knallte eine Peitsche, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Verzweiflung erfaßte mich. Der Trader fuhr bis nach Colorado, und irgendwo auf dieser Strecke wollte er mich an einen Storebesitzer verschachern. Colorado war weit, zu weit, um zurückzukehren. Ein neuer Lebensabschnitt hatte für mich begonnen, was er bringen würde, war ungewiß. Der Wagen, in dem ich lag, rollte nach Norden. Zurück blieben die Jagdgründe der Apachen, zurück blieb eine Zeit, die ich nie vergessen würde, zurück blieb meine Heimat. Leise, ganz leise stimmte ich den Klagegesang der Apachen an, den Nochalo, der Medizinmann, mich gelehrt hatte. Ganz leise sang ich die monotone Melodie, die gesungen wurde, wenn ein Krieger zu Grabe getragen wurde. Ich schloß die Augen, sang und sah mich zum letztenmal in der weiten Prärie von Südtexas inmitten von anderen Kriegern, die mit den Kriegsfarben bemalt waren. Ich sah mich in der Wüste Mexikos zusammen mit Little Friend, meinem Blutsbruder, und ich ritt
meinen Braunen. Ich tanzte mit anderen Kriegern um ein großes Feuer und flehte zum Großen Geist. Ich sang, und die Melodie versickerte im Knarren der Wagenräder und im Hufschlag der Gespannpferde …
ENDE
Vorschau Cassidy griff zum Revolver. Er wußte, daß er so schnell sein mußte, wie nie in seinem Leben. Er konzentrierte sich voll auf seine eigene Waffe. Daß Ronco einen raschen Schritt zur Seite glitt, registrierte er nicht. Dutch Cassidy war schnell. Sein Revolver brüllte bereits auf, als Ronco gerade die Mündung hochschwang. Doch Cassidy hatte nicht genau genug gezielt. Angst packte den Killer wie eine gewaltige Woge, als er sah, daß seine Kugel an dem verhaßten Todfeind vorbeiflog. Und bevor er seinen Fehler korrigieren konnte, traf ihn das Blei aus Roncos Fünfundvierziger … Die Jagd auf Ronco, den Geächteten, geht weiter. Lesen Sie nächste Woche Band 161 dieser großen deutschen WesternSerie:
Amok in Ysleta