ARNO SCHMIDT
SITARA UND DER WEG DORTHIN
Eine Studie über Wesen, Werk & Wirkung KARL MAY’s
STAHLBERG © 1963 Stahlberg ...
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ARNO SCHMIDT
SITARA UND DER WEG DORTHIN
Eine Studie über Wesen, Werk & Wirkung KARL MAY’s
STAHLBERG © 1963 Stahlberg Verlag GmbH Karlsruhe Einband Gerhard M.Hotop Vorsatzblätter Arno Schmidt Herstellung Badendruck GmbH Karlsruhe
ARNO SCHMIDT • SITARA UND DER WEG DORTHIN
»Ich habe stets eine Hinneigung zum Symbolismus gehabt, und zwar nicht nur zum religiösen.« (KARL MAY, Mein Leben & Streben, I, S. 65) »How culious an epiphany!« (JAMES JOYCE, Finnegans Wake, S. 508)
VORWORT §1 »((Die meisten Biografen)) geben sich einer Idealisierungsarbeit hin, die bestrebt ist, den großen Mann in die Reihe ihrer infantilen Vorbilder einzutragen, etwa die kindliche Vorstellung des Vaters in ihm neu zu beleben. Sie löschen diesem Wunsche zuliebe die individuellen Züge seiner Fysiognomie aus, glätten die Spuren seines Lebenskampfes mit inneren & äußeren Widerständen, dulden an ihm keinen Rest von menschlicher Schwäche oder Unvollkommenheit, und geben uns dann wirklich eine kalte fremde Idealgestalt anstatt des Menschen, dem wir uns entfernt verwandt fühlen könnten. Es ist zu bedauern, daß sie dies tun, denn sie opfern damit die Wahrheit einer Illusion, und verzichten zugunsten ihrer infantilen Fantasien auf die Gelegenheit, in die reizvollsten Geheimnisse der menschlichen Natur einzudringen.« (S. FREUD, Lionardo da Vinci) Das befremdlichste aller literarischen Fänomene ist weder der Rappelerfolg des ›best-sellers‹ — der hält 2, 3 Jahre an; wenn man die Trommel sehr künstlich schlägt, vielleicht auch 5 ; dann klingt das Geld nicht mehr im Kasten, und das Produktlein verschwindet; (schon A. W. SCHLEGEL mußte feststellen, wie es das Kismet Deutscher Dichtung wäre, daß die wahrhaft guten Schriftsteller unpopulär, und die populären nicht gut seien) — noch ist es das tektonisch-langsame SichHeben des Großkunstwerks, das auch seine Millionenauflage erzielt — freilich vergehen einige Jahrhunderte darüber ; weder der erste Verleger noch der Verfasser, der dann langst unterm Hügel ruht, ›hat etwas davon‹; und das 9 Publikum ist auch ein erklecklich anderes denn im ersterwähnten Falle, nämlich die geistige Creme der Nationen; sondern das Allererstaunlichste dürfte immer sein, wenn ein gewaltiger Pfuscher wie KARL MAY, bei dessen Werk es sich (akademisch) einwandfrei um ein unerschöpfliches Chaos von Kitsch & Absurditäten handelt, seit nunmehr 3 Generationen Hunderte von Millionen deutscher Menschen mühelos zu Einwohnern seiner Welt wirbt. Der wunderliche Casus ist denn auch gebührend aufgefallen; ja, mehr noch, er ist (nicht selten unter Förderung durch den, bzw. im Auftrage des KMV — vgl. Liste der Abkürzungen, S. 21) untersucht worden. Die 3 bisher über MAY erschienenen Doktor-Dissertationen von STOLTE, KAINZ, BÖHM, haben sich ausgiebig mit dem ›Geheimnis seiner Wirkung‹ befaßt, und die befremdliche Massenbildung par distance, im stillen Lesekämmerlein & über 90 Jahre hinweg, ist erklärt worden, etwa durch die Volkstümlichkeit der Gedankengänge, oder die unkomplizierte Schlichtheit der Helden. , mit seinem bekannten Achtelstiefsinn, hat ihm »meißnische Geistigkeit« sowie »koloniale Seelenlage« vindiziert, und ihn den »leibhaftig gewordenen Massengeist des Zeitalters« geheißen. Auf das ›traumhafte‹ der MAY’schen NichtTechnik ist ebenso hingedeutet worden, wie man, nach der Melody der ›public
relations‹, den Einfluß von dicklicher Seitenzahl, buntem Deckelbild & ›schmuckem Renaissance-Rücken‹ gewürdigt hat. Und zuweilen sind gar nicht unfeine Kapitelchen zur Sprache gekommen, über Aufschneiderei & Meisterschaft der Selbstfeier; über Zauber der Ferne bei häuslichem Taedium; über Helden & Heldenverehrung & das Heldentümliche in den Geschichten — alles sehr jugendlichnett & rührend. Und alles sehr nicht-richtig. Einmal abgesehen davon, daß nahezu Allen, die bisher über MAY geschrieben haben, nie die kardinalste der Fragen gekommen zu sein scheint: ob denn die Texte, an denen sie dies 8t das oder auch jenes demonstrierten, gesichert seien; oder ob im Original (schweigen wir ganz vom ›Manu10 skript‹) nicht etwas anderes stehen könnte? Und auch selbst davon noch abgesehen, daß man stets die ganze Riesenmasse der frühen Hintertreppenromane eliminierte; ja, was noch wesentlich gravierender war, die bedeutend-krausen Spätwerke als ›Absinken‹ bezeichnete, als ›Bruch im Werk‹ — während eine andere Richtung händeringend schwor, daß doch höchstens diese beiden Altersprodukte, ARDISTAN & DSCHINNISTAN und die beiden letzten Bände des SILBERLÖWEN diskutabel seien!; (und das traurigste war noch, daß jede dieser beiden Richtungen die andre nicht bloß ignorierte, sondern, der Einfachheit halber, schlicht lächerlich machte) — man sah bisher jedenfalls nicht ein, daß, um eine derart ältliche & abgegriffene DenkMünze (es ›stimmt‹ ja nichts mehr an MAY’s Gestalten & Liegenden Gründen; vermutlich hat es sogar nie gestimmt) so lange in Kurs zu erhalten, es sich um eine ganz speziöse, nie veraltende Art von ›Währung‹ handeln müsse. Denn MAY’s Werk ist einer der schönsten Beweise dafür, welch umfassender & ausdauernder Verkennungen der menschliche Geist, und nicht nur der des einfachen Lesers fähig ist; beziehungsweise, weniger spöttlich, ist es für die Schwierigkeit von Literaturanalysen der vorliegenden Art bezeichnend, daß es möglich war, charakteristische Züge so viele Jahrzehnte lang einfach zu übersehen. Die persönliche Verhemmtheit & Unklarheit alter wie junger Literaturhistoriker wirkt, je länger man sich als Fachmann berufsmäßig mit ihrer anspruchsvollen Steif- oder Knickebeinigkeit befassen muß, immer betrüblicher & peinlicher, (und dürfte allmählich nur noch der von Generälen & Politikern zu vergleichen sein). Hinzutritt, daß die kunst- & kritiklose Naivität, mit der man MAY jederzeit gelesen hat, ihren letzten Faserwürzelchen nach nicht ›echt‹ ist, vielmehr als eine der ›Eisernen Rationen‹ des eigenen guten Gewissens emotionell krampfhaft festgehalten wird; da es sich eben um Sachen & Tatbestände handelt, zu deren vornehmem Übersehen, Verleumden, Verkennen, man den Leser von klein auf sorgfältig umschult und 11
anhält. Und da es dem Normalmenschen sowieso gewöhnlich dann am Unheimlichsten wird, wenn er sich über etwas klar werden soll, sei es auch nur über sich selbst, so kommt er freilich am kürzesten weg, wenn er sich auf ›Schlossers Standpunkt‹ stellt (TIECK, ›Gestiefelter Kater‹): »Ich kümmre mich nie um’s Ganze! Wenn ich wein’, dann wein’ ich, und damit ist’s gut: es war eine göttliche Stelle!« Nur muß der Betreffende alsdann — wie sich’s für Mikrokephale oder Solche, bei denen der Kopf noch im Wachsen begriffen ist, gebührt — nicht weiter mehr fragen, denken, urteilen, wohl aber wacker in filiströser Selbstverblendung machen. Wohlgemerkt, ich habe theoretisch fast nichts gegen Denjenigen, der mir a priori nicht glauben will, daß eine Lupe vergrößere; bleibt es ihm doch unbenommen, durch dergleichen Höllenwerk nicht hindurchzuschauen; unangenehm werde ich erst dann, wenn er auch Andere (und unter ihnen mich)
daran verhindern will, ihnen Knüppelähnliches vor die Füße wirft, oder sie gar darob verketzert. Zu meinen im Folgenden ausführlich dargelegten Ansichten & Ergebnissen bin ich durchaus selbstständig gelangt, und habe erst im Lauf der Jahre festgestellt, daß schon einmal vor mir kurz auf den Sachverhalt hingedeutet worden ist. Abgesehen von 1 flüchtig hingeworfenen & nicht näher begründeten Vermutung von FR. KRAUS, der im VIII. Bande seiner ›Anthropophyteia‹ in MAY nicht nur »den großen Kenner der Erotik« witterte, sondern ihm bereits eine »krankhaft gesteigerte Sexualität« zuschrieb, (allerdings nur aufgrund von ›Mein Leben & Streben I‹, und ohne auf das Werk selbst einzugehen), setzte mich ein älterer Kollege, Herr PAUL ELBOGEN, in einem Brief (Los Angeles, vom 13.1.1962) davon in Kenntnis, daß er schon »vor Jahrzehnten« die These aufgestellt habe, wie es sich bei MAY um einen »unterschichtigen Homosexuellen« handeln, und das große S-Objekt im Werk der ›Winnetou‹ sein müsse — ›wo genau?‹ wußte er leider nicht mehr anzugeben, und ich habe, so wichtig es wäre, (beginnt doch mit ihm vermutlich die eigentliche MAYForschung), seiner »mehreren 12
Aufsätze« ebenfalls noch nicht habhaft werden können. Obwohl ELBOGEN seinen damaligen Ausführungen hauptsächlich nur den Band 24, ›Weihnacht‹, zugrundegelegt hat, und ihm zu einer Groß-Analyse sein Material noch nicht ausgereicht zu haben scheint, (was, in allerletzter Instanz, auch heute noch fast der Fall ist: das Erbe ist um 1 unangenehme Spur zu gut gehütet worden), erfordert es immerhin die simple Gerechtigkeit, hier festzuhalten, daß die ›ELBOGENsche Hypothese‹ die Bahn gebrochen hat.
§2 »So entstand das folgende Bild der Gesammelten Werke.....« (ROLAND SCHMID, in Bd. 34, S. 335) Die Hauptklippenreihe für jedwede exakte Untersuchung im Zusammenhange mit KARL MAY ist die, selbst in schludrigen Deutschlands Mitten beispiellose Verwahrlosung der Texte! »Was nun den Widerspruch zwischen einigen Angaben des vorliegenden Werkes und meinen früheren Veröffentlichungen betrifft«, schrieb er-selbst einmal im Nachwort zu W III, S. 629 f., »so bin ich an ihm vollständig unschuldig. Meine Verteidigung besteht einzig in dem Ausrufe: ›O diese Herren Redakteure!‹ / Lieber Leser, hast Du eine Ahnung davon, wer & was diese Herren sind und in welcher Weise viele von ihnen mit den Manuskripten ihrer Mitarbeiter verfahren? Da verlängert einer dieser Herren eine meiner Reiseerzählungen um 2 volle Kapitel, damit seine Abonnenten nur recht viel von ›ihrem MAY‹ bekommen. Einem ändern geht der Raum aus, und flugs schiebt er, wie man Karten mischt, 2 Erzählungen zu 1 zusammen, läßt die Hälfte der Personen plötzlich sterben und bringt diese Mixtur dann zu einem Schlüsse, über den ich, wenn ich ihn später lese, die Hände ringen möchte. Ein dritter 13
will unbedingt Old Death oder W bringen und läßt wie ein Zauberkünstler diese nicht anwesende aber vielgewünschte Person wie aus der Luft erscheinen, wofür dann freilich eine oder mehrere sehr anwesende Gestalten verschwinden müssen. Es ist mir vorgekommen, daß der höchst pfiffige Besitzer einer Zeitung eine meiner chinesischen Erzählungen nach Nordamerika verlegte und den langen San-Fu einfach in Old Shatterhand, den dicken Ti-Pin aber in Winnetou verwandelte.« (Eine pathetischere Fassung des Protestes findet sich in SILBERLÖWE IV, S. 320). Und wenn MAY mit solchen öffentlichen Erklärungen auch nur die von ihm eigenhändig vorgenommenen Änderungen & Ausplättungen von Brüchen damals hat durchschmuggeln wollen, so waren diese doch eben immer von seiner eigenen Hand, und besitzen den vollen Wert unbewußter Mitteilungen. Man hätte also erwarten können, daß alle diese Varianten, vom Erstdruck bis zur Ausgabe letzter Hand, längst sorgfältig erfaßt, und dem Literaturhistoriker in einem Sammelbändchen leicht zugänglich gemacht worden wären. Daß eine verläßliche Bibliografie vorläge, die zumindest die fundamentalen Arbeiten über MAY erfaßte, so daß man etwa ELBOGEN mühelos & ohne Zeitverlust aufzufinden vermöchte. Daß eine umfassende Biografié vorhanden wäre, nicht minder als ein starker Briefband, und sei es nur in Regestenform, damit man, was ja erst die rechten Aufschlüsse ergäbe, dem Werk das Leben parallel schalten könnte — welch schöner Traum! Sicher, 1918-33 sind 16 Jahrgänge eines MAY-Jahrbuches erschienen; aber voller Beiträge von höchst ungleichem Wert — derber formuliert: die Nullität der meisten Sächelchen ist schlechthin unwahrscheinlich; (derjenige Teil der zeitgenössischen Presse, der sich dagegen verwahrte, daß der, ehrwürdigeren Publikationsreihen vorzubehaltende, Titel eines ›Jahrbuches‹ derart mißbräuchlich geführt werde, hatte nichts als Recht!); einigermaßen brauchbar davon sind mir höchstens 100 Seiten.
Und wohl gibt es seit 9 Lustra einen ›Band 34, ICH‹; aber auch er hat mit voraussetzungsloser Forschung so 14
wenig gemein, daß er vielmehr das Paradebeispiel einer aller Biologischen Elemente baaren Geisteshaltung liefern könnte: die Texte sind nicht zuverlässig; die Bibliografie ist die dreiste Karikatur einer wissenschaftlich ernstzunehmenden; ein Register fehlt ganz. Am dringendsten tut jedoch ein kräftig Wörtlein hinsichtlich der diversen Bandreihen und ihrer Wertrelation not; sowohl bezüglich der zur Zeit im Buchhandel erhältlichen, als jener Einzelexemplare, von denen unsere Antiquariate noch erfreulich wimmeln. Jeder, der sich mit MAY irgend ernstlich zu befassen gedenkt, muß seinen Untersuchungen die erste Gesamtausgabe, gleichzeitig die ›letzter Hand‹, die sogenannte ›Freiburger Ausgabe‹, Verlag Ernst Fehsenfeld, 1892-1912, zugrunde legen, die folgende 3 3 Bände umfaßt (ich gebe als Titel nur diejenige Abkürzung, die ich verwendet habe, sie ist erkennbar genug): 1 WÜSTE / 2 CURDISTAN / 3 STAMBUL / 4 BALKAN / 5 SKIPETAREN / 6 SCHUT / 7-9 WINNETOU I - III / 10 ORANGEN / 11 STILLER OZEAN / 12 RIO / 13 CORDILLEREN / 14, 15, 19 SUREHAND I-III / 16-18 MAHDI I-III / 20-22 SATAN I-III / 23 FREMDE PFADE / 24 WEIHNACHT / 25 JENSEITS / 26-29 SILBERLÖWE I-IV / 30 FRIEDE / 31-32 ARDISTAN & DSCHINNISTAN / 33 W’s ERBEN. Die Bände 1-30 sind übrigens auch, etwa 1906-12, in größerem Format als ›Illustrierte Ausgabe‹ erschienen (Vorsicht! Etwas andere Numerierung der Reihe); wobei zumeist der Umbruch der Normalausgabe verwendet und lediglich der Rand breiter gehalten wurde; da MAY, wie es heißt, den Zeichnern bedeutend ›hineingeredet‹ hat, mag es sein, daß hier eventuell einiges zu entnehmen wäre, obwohl man zur Zeit, mangels gesicherter Beziehungen, zu verzichten hat. — Hinzu kommen noch einige, in der Serie nicht mitgezählte, Sonderbände, wie etwa HIMMELS GEDANKEN, BABEL & BIBEL, MEIN LEBEN & STREBEN I. Allerdings treten schon in den höheren Auflagentausendern dieser fundamentalen Freiburger Ausgabe kleine Textvarianten auf, so daß man jederzeit gut daran tut, die, freilich rar gewordenen, 1. Tausende nachzuschlagen; be15
ziehungsweise die Zeitschriften-Vorabdrucke heranzuziehen, unter denen an erster Stelle die Jahrgänge 5-35 (gleich 1879 -1909) des ›Deutschen Hausschatzes‹ rangieren. Unerläßlich wird dies Verfahren bei A & D; (bei W’s ERBEN soll die ›Augsburger Postzeitung‹ ähnlich unentbehrlich sein; ich kann’s nicht beurteilen, glaube es aber nicht.) Als weiterhin voll gesichert dürfen noch die 8 Jugenderzählungen gelten, die MAY 1887-96 in der seinerzeit vielgeltenden Zeitschrift ›Der Gute Kamerad‹ des Verlages Spemann (Deutsche Union, Stuttgart) veröffentlicht hat. Es sind dies: DER SOHN DES BÄRENJÄGERS / DER GEIST DER LLANO ESTAKATA (sic!) / KONGKHEOU, DAS EHRENWORT / DlE SKLAVENKARAWANE / DER SCHATZ IM SILBERSEE / DAS VERMÄCHTNIS DES INKA / DER ÖLPRINZ / DER SCHWARZE MUSTANG ungefähr den jetzigen Bänden 35—41 entsprechend; (›ungefähr‹, weil ein Vergleich des GEIST mir die Wünschbarkeit eines diplomatisch-getreuen Abdrucks selbst dieser harmloseren Stücke dartat). Alles übrige Material ist zu Lebzeiten MAY’s nicht mehr zum Abdruck, bzw. zur Vereinigung in Sammelbänden, gelangt; obwohl sich auch unter den kurzen Stücken wichtige Titel genug finden, z.B. der ABDAHN EFFENDI oder MERHAMEH.
Die in den Jahren 1913-45 erschienene ›Radebeuler Ausgabe‹ umfaßt die jetzigen Bände 1-65. Sie ist, wenn auch nicht mehr für exakte wissenschaftliche Untersuchungen, bei denen es auf das einzelne Wort & dessen Schreibweise ankommt, so doch für eine erste Kenntnisnahme meist noch hinreichend; obwohl einzelne Bände (wie z. B. 30 und 33) schon stärkste Entstellungen erfahren haben. Die neueste, seit 1948 herausgekommene ›Bamberger Ausgabe‹ (Band 1 — 70) ist derart durchgreifend überarbeitet, daß sie zwar sehr wohl noch zur Belustigung der ewig-Halbwüchsigen, nicht mehr jedoch für einen ernsthaften Benutzer brauchbar erscheint: nicht nur die Verkürzungen, auch die zahllosen ›Verbesserungen‹ verhindern das verläßliche Nachmessen MAY’scher Irrgänge. 16
Unerläßlich zu einer Gesamtbeurteilung ist der Riesenkomplex Her Hintertreppenromane. Es sind deren zunächst 4 kleinere: das ziemlich apokryfe Gebilde der RITTER & REBELLEN (über das sich einige Andeutungen in Bd. 69 finden); SCHLOSS WILDAUEN, das wohl auch AUF SEE GEFANGEN hieß, (eine Abbreviatur in Bd. 19); WANDA, die ›wilde Polin‹, (nur 230 Ss.); am bedeutendsten scheinen die beiden zusammengehörigen Bände ZEPTER & HAMMER und DIE JUWELENINSEL zu sein (ungefähr Bd. 45 u. 46) — leider sind, wie bereits geklagt, alle 4 zu Lebzeiten MAY’s nicht in Buchform erschienen; sondern nur in, heute äußerst schwer erreichbaren, Zeitschriften; so daß man im Augenblick, in Anbetracht daß nur dubiose Bearbeitungen vorliegen — was man übrigens jederzeit ganz rüstig & heiter eingestanden hat; mit einer Unbefangenheit und einem so respektablen besten Gewissen, daß es fast schon wieder entwaffnend wirkt — leider auf diese Titel noch wird verzichten müssen. Besonders empfindlich dürfte das im Fall der Bände 45 u. 46 sein, wo ich bedeutende Frühmaterialien vermute; ich setze deshalb Namen & Jahrgang der Zeitschriften her, in denen einst die Originale erschienen: ›Alldeutschland‹ 1877, und ›Für alle Welt‹, 1878; hoffentlich findet sich noch das einoder andre Stück in einer unserer Großbibliotheken, oder auch in Privatbesitz, vor. Den Hauptertrag dieser Art MAY'scher Betätigung bilden jedoch die 5 ungeheuerlich umfangreichen Lieferungsromane, die er in den Jahren 1882-87 für den Verlag H. G. Münchmeyer in Dresden geschrieben hat ; jedweder ein ›Milesisches Märchen‹ von über 100 Heften, 3-4 Tausend Druckseiten, oder rund 10 Millionen Buchstaben. Es sind dies WALDRÖSCHEN I - VI / ULAN I-V / VERLORENE SOHN I-V / DEUTSCHE HELDEN I-V / WEG ZUM GLÜCK I-IV. Zusammengenommen ergeben diese 8 Schnülzchen + Schnulzen fast so viel Druckseiten wie das übrige Oeuvre auch; so daß man eigentlich nie & nimmer auf ihre Untersuchung verzichten dürfte, sie vielmehr grade heranziehen müßte, weil ihre besonders hastige Entstehung Material von großer Echtheit & 17
Durchsichtigkeit geliefert haben wird, (was allerdings, bei MAY’s, Korrekturen nicht nur nicht erlaubender, sondern sogar ausdrücklich verschmähender Art zu schreiben, sowieso stets der Fall war). Künstlerisch ernstzunehmen sind die Stücke freilich in keiner Hinsicht; die planlose Verworrenheit der wild durcheinander erfundenen Situationen, die völlig unzulängliche Charakterisierung selbst der Hauptfiguren, die niederschlagend lückenlos vorhandenen Klischeevorstellungen von Ständen, Berufen, Rassen, Nationen, werden nur noch von der, zuweilen ganz unglaubwürdigen, Plattheit der Schreibe übertroffen. Natürlich hat man selbst hier Unfug von verschiedener Dignität zu unterscheiden. So leiten die DEUTSCHEN HELDEN etwa bereits recht zwanglos zu den späteren
›Reiseerzählungen‹ über; und der VERLORENE SOHN ließe sich mit einigem guten Willen als Krimi, ja als Sozialroman lesen. Wie es denn überhaupt immer möglicher wird, daß dieser SOHN sich, (zumal wenn im Lauf der Jahrhunderte mehr VitaSpänchen & -Schnitzel noch anfallen sollten), als das relativ gewichtigste Stück der ganzen Gruppe herausstellen könnte. Denn obwohl es sich natürlich auch wieder nur um einen Pseudorealismus, as far as it goes, handelt, liegt hier doch das einzige ›frühe‹ Stück vor, in das MAY (nächst dem SUREHAND) eine beträchtliche Portion ›Vergangenheit‹ eingeblendet haben dürfte: Scheintote & Pockenkranke, bei denen der Arzt mit Schnitten nach dem Munde suchen muß (vgl. BIO, S. 19); kartoffelschalensuppiges Weberelend & Paschergehusche; Zigarrenmacher & Schmierenartisten; Ausbrechen aus Gefängnissen & Vorspiegelung von Dämmerzuständen. Denn ›Felsenburg‹ (späterhin ›Rollenburg‹) ist selbstredend das Zuchthaus Waldheim; und der allwissend-übermächtige ›Fürst von Befour‹, samt seinem heroischen Umspringen mit mittleren & niederen Behörden, ein typisches ›Gedankenspiel‹ jedes Sträflings. (Das Schriftstellerlexikon der DDR hat hiervon auch etwas gespürt; scheint allerdings insofern unzureichend unterrichtet, als es anstelle des 5-bändigen SOHN’s nur dessen bambergische Vari18
ante des ›BUSCHGESPENSTES‹ zu nennen weiß.) Insofern also, und da MAY die Bandschlangen auch späterhin entweder bewußt ausgewertet hat — SUREHAND II, S. 251 -424 ist so gut wie wörtlich WALDRÖSCHEN II entnommen — oder aber bei Behandlung ähnlicher Situationen immer wieder in die alten ausgefahrenen Gedankengeleise geraten ist, muß der Fachmann sie zur Kenntnis nehmen; was ohne dieses ganz spezielle, damit verknüpfte Interesse keine kleine Zumutung darstellte, und höchstens als Übung im Kopfschütteln zu rechtfertigen wäre. Wenn man Sätze erblickt à la ›Derselbe wußte, daß Dieselbe dasselbe bei sich trug‹, dann ahnt man das Geheimnis der Volksschriftstellerei: dergleichen Kunststücke teilt die Muse nur ihren vertrautesten Lieblingen mit! Leider ist bezüglich der Texte dieser Hintertreppenhistörchen ganz besondere Vorsicht am Platze. Am relativ verläßlichsten dürften die Erstdrucke des Verlages Münchmeyer aus dem vorigen Jahrhundert sein; freilich soll bereits bei ihnen eine ›Verfälschung‹ — kann man eigentlich von einem ›fehlerhaften Buckel‹ sprechen? — von 5 % vorliegen, die leider nur durch Heben der Schwurhand bewiesen wurden (was allenfalls dem Juristen, dem Filo- & Psychologen schon weniger genügt) und überhaupt nicht näher bezeichnet sind; wodurch sich natürlich prompt eine unangenehm breite Hintertür für Entschuldigungen & Änderungen auftat. Diese Erstdrucke sind so gut wie unzugänglich geworden, (der KMV soll komplette Exemplare besitzen); dennoch ist, bei Büchern, die Auflagen von weit über 20 000 erreicht haben, durchaus die Möglichkeit gegeben, immer wieder einmal, zumindest einzelne Lieferungen auftauchen zu sehen. (Ein korrekter Neudruck dieser alten Fassung wäre übrigens nicht nur ein auch heute noch glänzendes Geschäft, sondern vor allem für den MAY-Forscher ein köstlich Geschenk.) Da dem Verlag M. durch gerichtliches Urteil untersagt wurde, den Bänden ein ›von KARL MAY‹ vorzusetzen, veranstaltete sein Aufkäufer, A. FISCHER, eine ›illustrierte‹ Neuausgabe, deren 25 Bände auch heute noch mit Ausdauer (und ein klein bißchen Finderglück) zusammenzubringen 19
sind; nachdem die Texte z. T. zuvor von P. STABEROW (alias ›Eugen Bernard‹; in Kollegenkreisen, nach seinem bekanntesten Buch, auch der ›Patent-Lude‹ genannt)
überarbeitet worden waren. Ich besitze besagte FISCHER-Ausgabe, und habe mich, um ihre Brauchbarkeit festzustellen, der Mühe unterzogen, einige der echten-alten Münchmeyer-Hefte Wort für Wort mit ihr zu vergleichen. Das Ergebnis war, daß Substanz & Namen unverändert erhalten geblieben, nennenswerte Kürzungen praktisch nicht erfolgt, und die stilistischen Korrekturen so behutsam vorgenommen sind, daß die Bände wohl als der editio princeps annähernd noch ebenbürtig akzeptiert werden können — was bei jener unseligen 5 % Klausel ja schon alles mögliche ist. Um die Zeit des ersten Weltkrieges wurden die Münchmeyer-Rechte vom KMV aufgekauft, und die hergezählten 8 Kitschromane in den 21 Bänden 45, 46 und 51— 69 untergebracht, was, als erstes einmal, einem Zusammenstreichen von 30-40% entsprach, (im Vergleich womit die Münchmeyer’schen armen 5% ja ausgesprochen unschuldig wirken). Die einzelnen Episoden sind einmal mehr durcheinander gewürfelt, die MAY’sche Dürftigkeit des Stils durch eine andere ersetzt worden; und die Anzahl der veruntreuten Gestalten (sämtlich abgelöst durch Gesellen wie die den lieben Kleinen achsovertrauten ›alten Coons‹ der Reisepistolen) sowie die Art ihrer Beseitigung grenzt schon an Menschenraub! Das gilt für die, seit 1924 im ›Vaterhaus‹ erschienenen ersten Bearbeitungen ebenso, wie die der Radebeuler & Bamberger Reihen (und österreichische und DDR-Varianten gibt es auch noch!): so kritisch wirr geht es überall zu, so unglaublich verderbt & in sich variierend sind die Texte geworden, daß der Forscher den Fuß auf diesen filologischen Moorboden zur Zeit am besten noch gar nicht setzt. Mir jedenfalls hat sich der Eindruck bestätigt, daß nur die alten Ausgaben diskutabel, die neueren dagegen für Studienzwecke auszuscheiden sind. Was Wunders, daß — obschon seit dem Tode des Alten nunmehr über ein Halbjahrhundert verstrich — bei der geschil20
derten Unsicherheit der Wort-Laute, auch das Schrifttum über MAY unglaublich unbedeutend geblieben ist. Soweit ich in der betreffenden nicht-existierenden Fachliteratur nachkommen konnte, mußte mein Eindruck unveränderlich lauten: ebenso reichlich wie unkritisch. Gewiß, der KMV hat durch mächtiges Aufderstelletreten den Eindruck des Fortschritts zu erzeugen gesucht; aber da schier alle seine Veröffentlichungen, (frei nach HÖLDERLIN) ›datenarm & variantenreich‹ geraten sind, hat sich eben, Alles-in-Allem genommen, als JubiläumsZwischensumme nur eine negative Leistung ergeben, diese freilich ein rechtes Kunststück in ihrer Art; so daß es fast töricht erscheint, noch auf die gutwillige Bereitstellung von Material von dieser Seite her, zu hoffen. So übertrieben, wenn nicht gar unglaubwürdig, es dem Uneingeweihten auch klingen mag: eine MAYForschung im präzisen, wissenschaftlichen Sinne hat noch nicht begonnen; (genauer, noch nicht beginnen können) — hoffentlich ist es noch Zeit dazu. — *
*
* Abgesehen von den bereits angeführten Kurz-Titeln der einzelnen Bände, werden künftig folgende Abkürzungen verwendet werden: A & D = ARDISTAN & DSCHINNISTAN BIO = Mein Leben & Streben I BW = bewußt, Bewußtsein; (UBW = Unterbewußtsein) DL = ›Dankbarer Leser‹, 1902 H = Halef
KBN = Kara Ben Nemsi KMV == KARL MAY Verlag (Radebeul, bzw. Bamberg) L I = Lesemodell I, die ›Reiseerzählung‹ L II = Lesemodell II, MAY’s S-Anliegen L III = Lesemodell III, die ›Autobiografie‹ L IV = Lesemodell IV, der ›Spiritismus‹ LG = ›Längeres Gedankenspiel‹ 21
MD = Marah Durimeh OS = Old Shatterhand W = Winnetou; (›W I‹ also der erste Band) WE = Winnetou’s Erben X = Christ... (u. ä.) S = sexual..., sexuell... (u. Varianten) Ganz absichtlich ist dieses ›S‹ eingeführt worden, das für ›Sex‹ in allen Biegungen & Formen stehen wird; es ist dies angebracht, nicht nur um dem gewaltigen Tribe das Odiose zu nehmen, und ihm sachlich gerecht zu werden, sondern auch ganz allgemein zu empfehlen, um jene Gruppe von Regungen analytisch einwandfrei behandeln zu können. Wenn ich also künftig von S-Objekten, S-Symbolen, SLandschaften, usw. spreche, beabsichtige ich mit solcher Art der Notierung lediglich, einer schlichten, ja nüchternen Betrachtungsweise überaus wichtiger, und unser Leben bekanntlich ziemlich oft regulierender Gefühle & Handlungen zu Hülfe zu kommen — glaube ich es doch verantworten zu können, wenn ich beteure, von einfältigen All-Täglichkeiten zu berichten, die Jedermann schon x-mal gedacht, gesehen, getan hat. Also kennt.
I VOM NEUEN GESTIRN §3 »Then I felt like some watcher of the skies, when a new planet swims into his ken. — Da ward mir wie dem Himmelsspäher, dem neu ein Planet in das Gesichtsfeld schwimmt.« 805
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(JOHN KEATS, Ode an Homer) Zu Märdistan, im Walde von Kulub, liegt einsam, tief versteckt, die Geisterschmiede. — : Da schmieden Geister? — : Nein; man schmiedet sie! Der Sturm bringt sie geschleppt, um Mitternacht, wenn Wetter leuchten, Tränenfluten stürzen. Der Haß wirft sich in grimmer Lust auf sie. Der Neid schlägt tief ins Fleisch die Krallen ein. Die Reue schwitzt und jammert am Gebläse. Am Blocke steht der Schmerz, mit starrem Aug’ im rußigen Gesicht, die Hand am Hammer. Da, jetzt, o Scheik, ergreifen Dich die Zangen. Man stößt Dich in den Brand. Die Bälge knarren. Die Lohe zuckt empor zum Dach hinaus, und Alles, was Du hast und was Du bist, der Leib, der Geist, die Seele, alle Knochen, die Sehnen, Fibern, Fasern, Fleisch und Blut, Gedanken und Gefühle, Alles, Alles, wird Dir verbrannt, gepeinigt und gemartert bis in die weiße Glut — :Allah!-------: Allah! — : Schrei nicht, o Scheik! Ich sage Dir, schrei nicht! 23
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Denn wer da schreit, ist dieser Qual nicht wert; wird weggeworfen in den Brack und Plunder und muß dann wieder eingeschmolzen werden. Du aber willst zum Stahl, zur Klinge werden, die in der Faust des Parakleten funkelt, sei also still! — — — Man reißt Dich aus dem Feuer — — man wirft Dich auf den Amboß — — halt Dich fest, Es knallt und prasselt Dir aus jeder Pore. Der Schmerz beginnt sein Werk, der Schmied, der Meister. Er spuckt sich in die Hände, greift dann zu, hebt beiderhändig hoch den Riesenhammer und nun — — : Allah — — Allah! : Sei still, sei still! Willst Du ins alte Eisen? : Nein.
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: So schweig’! Die Schläge fallen. Jeder ist ein Mord, ein Mord an Dir. Du meinst, zermalmt zu werden. Die Fetzen fliegen heiß nach allen Seiten. Dein Ich wird dünner, kleiner, immer kleiner, und dennoch mußt Du wieder in das Feuer — — und wieder — — immer wieder, bis der Schmied den Geist erkennt, der aus der Höllenqual und aus dem Dunst von Ruß und Hammerschlag ihm ruhig, dankbar froh entgegenlächelt. Den schraubt er in den Stock und greift zur Feile. Die kreischt und knirscht und frißt von Dir hinweg was noch - : Halt ein! : Halt ein! : Es ist genug! 24
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: Es geht noch weiter, denn der Bohrer kommt, der schraubt sich tief — — Sei still! Um Gottes willen!
(Aus KARL MAY, ›Babel und Bibel‹, Arabische Fantasia; Freiburg i.Br. 1906; I.Akt) Bevor ich auf sich unvermeidlich einstellende & auch sehr berechtigte, verwunderte Erkundigungen eingehen kann, wird es notwendig, sämtliche weiteren Bestimmungen jener Lokalität kurz zusammenzutragen. Es handelt sich bei dem Zitat um die schönere der beiden ›schönen Stellen‹ in MAY’s einzigem Schauspiel, BABEL & BIBEL, einem, auf die ersten Blicke hin ziemlich zopfig anmutenden, schemenhaft allegorisierenden Gebilde. Die hier zwar hochdeklamatorisch, aber gar nicht unfein, beschriebene ›Geisterschmiede‹ — wer hätte dergleichen nach den sprachlichen Schreckenskammern der Kitschromane schon erwartet?! — ist nämlich nur 1 Örtlichkeit in einem größeren, übergeordneten ›Orplid‹. MAY hatte sich, seiner eigenen Angabe nach bereits als Kind (aber den ›eigenen Angaben‹ der Dichter ist bis auf weiteres immer erst einmal prinzipiell zu mißtrauen, wie zumindest jeder Dichter weiß; es wird vermutlich beträchtlich später geschehen sein) ein Längeres Gedankenspiel (= LG) von einem neuen mächtigen Gestirn, ›SITARA‹, zurecht gemacht; wahrscheinlich erfunden zu dem simplen Zweck des Überleben-Könnens in schwierigster Situation, nämlich während seiner rund 8jährigen Freiheitsstrafen, (vgl. BIO, 143 ff.). Die Hauptquelle hierfür ist der eben dort spielende, utopische 1200-Seiten-Roman von ARDISTAN & DSCHINNISTAN; zu dem noch eine Anzahl kleiner, andernorts auftauchender Stellen ergänzend hinzutreten. Ich ziehe von einschlägigen topografischen Beschreibungen die folgenden aus: A) BIO, 1910: »Seine ((des Gestirns SITARA)) Oberfläche besteht zu einem Teil aus Land, und zwei Teilen aus Wasser. Aber während man auf der Erde.....ist das Festland von Sitara in anderer, viel einfacherer Weise gegliedert. Es hängt 25
zusammen. Es bildet nicht mehrere Kontinente, sondern nur 1 einzigen, der in ein sehr tiefgelegenes, sümpfereiches Niederland, und ein der Sonne kühn
entgegenstrebendes Hochland zerfällt ((eben A & D)), welche beide durch einen schmäleren, steil aufwärtssteigenden Urwaldstreifen miteinander verbunden sind......Denn zwischen A und D liegt Märdistan, jener steil aufwärtssteigende Urwaldstreifen, durch dessen Baum- und Felslabyrinthe der unendlich gefahrvolle und beschwerliche Weg nach oben geht. ›Märd‹ ist ein persisches Wort; es bedeutet ›Mann‹. Märdistan ist das Zwischenland, in welches sich nur ›Männer‹ wagen dürfen; jeder Andere geht unbedingt zugrunde. Der gefährlichste Teil dieses fast noch ganz unbekannten Gebietes ist der Wald von ›Kulub‹ ((= des Herzens)).....und mitten in jenem Walde von Kulub ist jener Ort der Qual ((die ›Geisterschmiede‹)) zu suchen.« B) A & D, Bd. I, 1908: »Zu Sitara gehört auch das in meinem Buch ›Babel & Bibel‹ erwähnte, weit ausgestreckte Gebiet von Märdistan, mit dem geheimnisvollen Walde von Kulub, in dessen tiefster Schlucht, wie man sich heimlich erzählt, die Geisterschmiede liegt....... Ein späterer hochinteressanter Ritt wird uns Gelegenheit geben, diesen Wald und diese Schmiede kennen zu lernen.« — Nachdem sich das Erstaunen, wie ein alter literarischer Handwerksbursche urplötzlich »seinen Geist wie Salmanassar kleidet«, ein wenig gelegt hat, sei die Erinnerung vergönnt, wie der unschätzbare psychologische Wert von ›Utopien‹ nicht zuletzt darin begründet liegt, daß der Autor ›auf sich selber so ganz allein‹ dasteht, und diesmal nicht nur Gestalten & Handlungen, sondern auch Historic, Mythologie & Landschaften seines Binnenreiches aus sich selbst heraus zu spinnen hat: das (bewußt oder unbewußt) gelieferte Selbstporträt wird so noch weit ›reiner‹, d. h. unverfälschter ausfallen, als sonst. Denn was der Nacht der Traum, das ist dem Tag das LG: die via regia ins Menscheninnere. — Man lege sich nun, getreulich nach MAY’s Vorschrift, eine karto26
grafische Zeichnung an, eine mappa mundi der Sternscheibe seiner Neuen Welt: das ganz »einfach gegliederte« Festland; »es hängt zusammen«; 2 gewaltige Länder, getrennt-verbunden durch einen »steil aufwärts steigenden Urwaldstreifen«, einen »weit ausgestreckten«, durch dessen Baum- & Felslabyrinthe der »unendlich gefahrvolle & beschwerliche Weg« nach oben geht. In dem »gefährlichsten Teil« dieses »noch fast ganz unbekannten Gebietes«, ja recht eigentlich »inmitten« seiner »tiefsten Schlucht« liegt, »wie man sich heimlich erzählt«, der »Wald von Kulub« (d. h. ›Wald des Herzens‹ — die Rolle des ›Herzens‹, auch die der ›u‹-Laute, speziell des ›Doppel-u‹ bei MAY wird noch untersucht werden) mit der »Geisterschmiede« — — kurzum: schon jetzt, bei ganz einfältig-gehorsamer Anlage des Krokis (siehe vorderes Vorsatzblatt) scheint sich, in zunächst archaischer Vereinfachung, das Konterfei eines Hinterns zu ergeben; eine regelrechte Faustskizze a posteriori, wie sie mehrfach aus anderen Dichtungen bekannt ist; z. B. (hier freilich schalkhaft und dreifach-beabsichtigt) im ›Finnegans Wake‹ des JAMES JOYCE: 2 hemisfärengroße Hinterbacken mit der senkrecht aufsteigenden Analzone dazwischen: a monster, lovely in the Heavens! (W. BLAKE). Und nachdem das (vermutlich halb entrüstete halb unbehagliche) Gelächter des normalen MAY-Lesers verklungen ist, möchte ich für jetzt nur dies Eine zu bedenken geben: daß es sich hier um ein, den Modernen weitgehend abhanden gekommenes Verfahren von antiker Großartigkeit, ja von buchstäblich mythologischem Maß handelt, die Versetzung des menschlichen Hinterns unter die Gestirne! Ein schön-weiß-breiter Planet, schwebend in Nokturnitäten. MAY’s ›ARDSCH‹ — ein gewaltiger Laut, Mesenfants! — könnte, (und ich meine immer, ein reifer Mensch müßte sich das letzten Endes nicht ohne, meinethalben noch so stirnrunzelnde, Erschütterung vorstellen), durchaus sein
›rettender Stern‹ in endloser Gefängnisnacht gewesen sein. »This wild star — it is now 3 centuries since — with clasped hands, and with streaming eyes, at the 27
feet of my beloved — I spoke it — with a few passionate sentences — into birth: its brilliant flowers are the dearest of all unfulfilled dreams, and its raging volcanoes are the passions of the most turbulent and unhallowed of hearts.« (EDGAR POE, ›The Power of Words‹). Aber ehe ich, womöglich ›unnötig verständnisvoll tuend‹ gescholtene, Betrachtungen an einen Tatbestand knüpfe, muß dieser Tatbestand selbst noch weitergehend gesichert sein. Zurück also zu der Kernfrage: ›Po oder nicht Po‹.
§4 »›Was schmiedst Du, Schmied?‹ : ›Wir schmieden Ketten, Ketten!‹ ›Ach, in die Ketten seid Ihr selbst geschlagen.‹« (FR. RÜCKERT, Geharnischte Sonette, Nr. 3) HEINRICH HEINE freilich hätte sich die Beweisführung weitgehend dadurch erleichtert, daß er den Zeilen des Zitates abwechselnd ein ›von vorn‹ und ›von hinten‹ anhängte; ich dagegen möchte mit dem Hinweis beginnen: wie man gleich von der ersten, der 805. Zeile an, die in solchen Fällen charakteristischen, verräterrischen Buchstabeneinschleichlinge entdeckt, die fonetischen Karikaturen, die Wortnicht -wurzeln sondern -alräunchen unbeaufsichtigt vagabundierender Vorstellungen. Denn ›Märd‹ heißt ja nicht nur ›Mann‹ sondern es steckt eben auch ›merde‹ darin; (in dem frühen Band CURDISTAN schreibt MAY es noch mit ›e‹, ›Merd-es-Scheitan‹, ›Teufelsdrökh‹), In ›Kulub‹ hockt ein ›culus‹. ›SITARA‹ deutet sich selbst durch sein sitzflächenhaftes ›sit‹. Und erzählt wird die ganze Chose dem »Scheik der Anallah«, was ja nicht nur ›anal‹ birgt, sondern überhaupt (gemäß der bekannten BREN28
TANO’schen Verzerrung durch Akzentverlagerung; nicht ›dall-dall-dáll‹ sondern ›dalldáll-dall‹) schlicht einen ›Chef der Analer‹ bedeuten könnte: ›homo‹ sum. (Was knallt er auch so ausdauernd mit seiner Peitsche?). Alles, meiner derzeitigen Einsicht nach, nicht vollbewußt von MAY hineingearbeitet; sondern mehr jenes allgeläufige zwanghafte Traumgespiele mit Akusmata & Assoziationen, wie es sich andauernd unkontrolliert ›unterhalb der Schwelle‹ vollzieht — ihm grundsätzlich nahe gelegt, durch das endlos-berufsmäßige Benützen von Wörterbüchern, Sprachführern, Konversationslexica, (sein PIERER war ausgerechnet noch die Auflage mit der Hendeka-Glotte am Rande). Daß diese schwebelnden Sprachbilder speziell viel Contrebande an Gallicismen bergen, dürfte daran liegen, daß Französisch die Sprache scheint, die MAY noch am besten — beziehungsweise am wenigsten schlecht — beherrschte. Aber nehmen wir ihn weiter ›beim Wort‹: »Nur Männer« dürfen sich nach Märdistan hineinwagen! (SCHERNER, FFEUD, STEKEL, HAVELOCK ELLIS, die überhaupt zur Erkennung der hier vorgenommenen Verdichtungsarbeit empfohlen seien, entnehme man die zuständigen Transformationsgleichungen wie ›Wald = Schambehaarung‹ usw.). Für solche Weygande allerdings führt dieser eine Weg dann auch ›zur Seligkeit‹ (sprich DSCHINNISTAN), nachdem sie sich »um Mitternacht« in der »einsamen« (›einsamen‹), »tief versteckten« Schlucht anständig haben schmieden lassen — es handelt sich übrigens, laut Regieanweisung, um »vier möglichst herkulische« Gesellen mit »Schurzfellen«, auf den Köpfen »curdische Zackenmützen«; alles Bestimmungen, die man noch als ›Perseveranzen‹ durchs ganze Werk hindurch einsehen lernen wird, dies ›vier‹, ›Herr Cules‹ mit dem ›Fell am Schurz‹, und wieder ›Kurdistan‹: das sollte später mal ein »hochinteressanter Ritt« werden, auf dem MAY die Seinigen damit bekannt zu machen gedachte, was nun das eigentliche ›Schmieden‹ anbelangt, sei zur Diskussion gestellt: ob in dem vorliegenden Falle nicht sämtliche Handwerksredensarten eine heimliche Superfoetation mit der
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zweiten Bedeutung einer sublimierten Darstellung des zwischen Invertierten nicht seltenen Verkehrs per anum erfahren haben könnten. Man beachte nur einmal, wie beständig erotische Wendungen, zum Teil Vulgärformulierungen, ›durchschlagen‹. Der zunächst skurril anmutende Einfall, daß Geister ›geschmiedet‹ werden müßten, scheint sich MAY nicht nur vom ›Hammer‹ abgeleitet zu haben (z. B. Militärslang für das männliche Genitale; wie auch das prompt erscheinende ›feilen‹ für coitieren, das schon der alte ADELUNG kennt — MAY zweifellos von Kindesbeinen an durch belauschte Wirtshauszoten (BIO, 72) geläufig, sowie späterhin aus der, bekanntlich gerade hier überreichen Gaunersprache à la AVÉ-LALLEMANT); sondern die Primärzündung könnte auch von der Rhythmik gekommen sein, vom ›Hammerschlag‹ (die ›Jamben‹, in denen das Ganze verfertigt ist, sind in letzter welscher Instanz ja auch wieder noch ›Beine‹), entsprechend etwa dem, im schon zitierten ›Wake‹ mehrfach wiederkehrenden ›Uhrenschlagen‹, mit der Parallele in ZARATHUSTRA’s ›Trunkenem Lied‹. : »bringt sie geschleppt um Mitternacht« (»bei hohlem Wind & scheuem Regenfall«; ›Höhle der Winde‹ & ›reger Phall‹); »wirft sich in grimmer Lust auf sie«; »schlägt tief ins Fleisch die Krallen ein«; »schwitzt & jammert am Gebläse« (die Reue, die ›am Gebläse schwitzt‹, scheint ein schlechtes Gewissen zu haben). Der Schmiedende seinerseits hat schon »die Hand am Hammer«, am »Riesenhammer«, den er mit beiden Händen führen muß; er »stößt« und »feilt«. Den Geschmiedeten »wirft« man, »hält ihn fest«; »es knallt«, es prasselt ihm aus jeder »Pore« (›Po‹; vgl. S. 202); »Du meinst zermalmt zu werden«, so knüppeldick fallen die Schläge; mehr »Dunst« und »Hammerschlag«: »und dennoch mußt Du wieder in das Feuer, und wieder, immer wieder«.: »Halt! Halt!«. Neenee, es geht noch weiter, denn »der Bohrer kommt«, der »schraubt sich tief«; (man wird unwillkürlich an den alten Kalauer vom Unterschied zwischen dem Schutzmann und der Jungen Dame erinnert: Wenn der Schutzmann 30
›Halt!‹ sagt, dann meint er das auch). »Dein Ich wird duner kleiner, immer kleiner«, ja. (Das ›Du‹ der Anrede entspricht hier natürlich dem allgemeinen ›man‹, ›einer‹, ›jeder, den es angeht‹. Die in anderen Bänden auftretenden Schmiede, sämtlich das »starre Aug’ im rußigen Gesicht«, sind im späteren Statisten-Kapitel behandelt.) — Unter Heranziehung von MAY’s, freilich nur erst sehr kümmerlich bekanntem Lebenslauf, könnte ein erster Erklärungsversuch also lauten: es sind ihm notorischmehrfach S-Durst-strecken aufgenötigt worden, nämlich der jahrelange ausschließliche ›Umgang mit dem eigenen Geschlecht‹, so daß sich durchaus eine okkasionelle Invertiertheit ergeben haben könnte; eine Eigentümlichkeit, mit der er sich dann zeitlebens nie recht einig gefühlt, und die ihm, von der bewußten Erinnerung ganz ungern anerkannte, Erlebnisse gebracht hätte; obwohl ›es sehr schön gewesen‹ sein müßte, so daß mitsamt der Erinnerung auch der Wunsch nach Erneuerung solchen Genusses verdrängt wurde, und sich im UBW eine sehr starke Triebregung immerwach erhalten hätte. Und zwar scheint die Homosexualität — abgesehen von einer (oder gar 2?) noch zu erwähnenden Frühblüte(n) — zum vollen Durchbruch während seiner Internierung im Zuchthaus WALDHEIM gekommen zu sein. Dafür spricht nicht nur seine Ausdrucksweise BIO 137, wo er im Gefängnis um sich herum »nach Erlösung trachtende Märchen« erblickte: »In jeder Zelle eins und auf jedem Arbeitsschemel eins. Lauter schlafende Dornröschen, die darauf warteten, von der Barmherzigkeit & Liebe wachgeküßt zu werden« — eine wahrlich nicht gerade usuelle Metafer, (zumal wenn man sich den Typ illustriert vorstellt, »einen von
der Sorte, die von 6 Wachtmeistern vor dem Objektivglas gehalten werden muß«, RAABE). Dafür spricht auch, noch weit unüberhörbarer, die Zwanghaftigkeit, mit der sich in MAY’s Büchern ständig die Worte ›Wald‹ und ›Heim‹ zusammenfinden: der »geheimnisvolle Wald« von Kulub (›cul‹ + ›up‹) von dem man sich »heimlich« erzählt. Auch im »Wald« um Ortry (ULAN) gibt es viele »Geheimnisse«; man trifft 31
sich immer »heimlich« am »Waldloch«; und im SUREHAND III träumen hinter den »Waldkulissen« (›cul‹!) die wunderbaren »Geheimnisse« der Hochwelt — wenn man erst einmal darauf zu achten begonnen hat, wird es peinlich auffällig, wie oft sich da Beides so koppelt, jedenfalls weit häufiger, als die Wahrscheinlichkeitsrechnung es erlaubt; (und man braucht, um das zu merken, gar kein fahrender Raufbold der Psychoanalyse, oder Kipper & Wipper von Worten zu sein — wovon im Verlauf der Untersuchung noch ein Mehreres). Vorläufiges Resümee: es wäre theoretisch durchaus möglich, daß man sich damals in Wald-Heim, in der Schmiede, um Mitternacht, zu dergleichen Séancen zusammengefunden hat; (wenn nicht gar schon im Lehrer-Pro-Seminar zu Waldenburg, wo MAY-›Sappho‹ sich ebenfalls ›interniert‹ fand; vgl. S. 38 f.). Und die Erinnerung muß gewaltig gewölkt haben; schrieb MAY doch in den letzten Tagen seines Lebens noch, mit schon zittriger Hand, das sybillinische Geständnis auf ein Blättchen: »Ich habe Aviatiker sein und Märdistan mit seiner Geisterschmiede überfliegen wollen — und das war falsch!«; eine Konfession, die uns noch sehr beschäftigen wird (vgl. S. 325). Das einzelne ›Indiz‹ mag man nach Herzenslust bestreiten und anders deuten wollen; ihre Gesamtsumme jedoch scheint mir zu besagen, wie es sich hier um das unvergleichliche Paradebeispiel eines ›deklamatorisch überschrienen‹ Tatbestandes handeln, und dieses ganze ›Geschmied-Geschmeide‹ auch als hochkünstlerischverzerrte Abbildung eines Sexualaktes unter Männern gelesen werden könnte: rhythmisch überzeugend; gebührend ambivalent, wobei die masochistisch-passive Komponente zu überwiegen scheint; (»Grausamkeit & Sexualität gehören innigst zusammen«, FREUD). — Erhebt sich als nächstes die Frage: handelt es sich hier um 1 episodisches, im Werk isoliert stehendes Fänomen? Oder trifft man dergleichen öfters an? Oder handelt es sich etwa gar um die Central-Heizung des Ganzen?
II • WINNETOU §5 »Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen, wenn ich in Deiner Liebe ruh’!« (WOLFGANG DESSLER, um 1700) Das ist »eines unsrer schönsten Kirchenlieder« beteuert OS (SUREHAND I, 413). Schon früher hatte er es im WALDRÖSCHEN I, 450 f. getragen & vierstimmig blasen lassen, (in einem ›Forst-Haus‹ übrigens; was ja nur ein anderer Ausdruck für ›WaldHeim‹ ist); und wie sehr er es geschätzt hat, geht daraus hervor, daß er sein ›AVE MARIA‹ nicht nur in genau dem gleichen Versmaß anfertigte und sogar schier identische Wendungen nicht verschmähte — »da muß die Nacht des Trauerns scheiden« (DESSLER) wird bei MAY etwa zu »es will das Licht des Tages scheiden« — sondern er läßt es auch ausdrücklich beim Tode W’s, jenes mit Abstand besten seiner Freunde, absingen, selbstredend getragen & vierstimmig. Schalten wir zunächst einmal die diversen Prä-Winnetous aus — den ›Innuwoh‹, oder die ›Starke Hand‹ der DEUTSCHEN HELDEN: diese Einführung des Begriffs der ›Prä-Typen‹ ist nicht nur statthaft & fruchtbar, sondern gleich genetisch wichtig; es gibt genauso ›Prä-Halefs‹, ›Prä-Marah Durimehs‹ usw. — und beschränken wir uns jetzt speziell auf diesen 1 ›roten Gentleman‹. Konzipiert wurde er im Gefängnis: »da wurde auch der Gedanke W geboren. Wohlverstanden, nur der Gedanke, nicht aber er selbst, den ich erst später fand« (BIO, 136); und, zur Bestätigung, SUREHAND I, 321: »Mein Bruder W ist meiner Seele teuer, wie das Kind der Mutter, die es geboren hat.« (Wer dieser Ur-W, seine Heimat der Wald, in 33
Wirklichkeit gewesen ist, wird sich wohl, wie ich fürchte, niemals mehr ermitteln lassen. Obwohl man das nie hundertprozentig weiß: ich habe schließlich die ›Undine‹ FOUQUE’s auch noch nachweisen können.) Es war, ich zitierte es bereits, bei MAY angeblich so, daß er sich die Erde in 2 derbe Halbkugeln einteilte: »In Amerika sollte eine männliche und in Asien eine weibliche Gestalt das Ideal bilden, an dem meine Leser ihr ethisches Wollen emporzuranken hätten. Die eine ist mein W, die andere MD geworden.« (BIO 144). Und wenn es sich bei solcher Angabe auch um eine erst später zurechtgemachte Deutung handelt, so enthielt sie doch implicite die üblichen, unvermeidlichen Körnchen Wahrheit: warum für die ›dunklen & blutigen Gründe‹ W zuständig ist, wird sich im (unaufhaltsamen) Zuge dieser Analyse gleichsam von selbst ergeben. Bei Ventilierung der Frage, Wer W & Was seine Rolle sei, hat ELBOGEN trefflich vorgearbeitet; am einfachsten beginnt man bei der, unermüdlich wiederkehrenden, Beschreibung seiner Person. : eine »fehlerlose männliche Schönheit«, in der alle Vollkommenheiten »eine köstliche Verkörperung« gefunden hatten (WEIHNACHT, 276). »Königliche Haltung«; »freier, ungezwungener, elastischer und doch so stolzer Gang« (W II, 59 werden seine »kleinen Füße« gerühmt); ein Angesicht, dessen »Backenknochen kaum merklich vorstanden« (WEIHNACHT, 277). »Herrliches blauschimmerndes Haar«, »um das ihn gewiß manche Dame beneidet hätte« (W I, 110), so lang übrigens, daß
es, wenn er steht, bis zum Popo, wenn er sich bückt, bis zur Erde reicht, »welches er nie kürzen ließ und nie mit einem Hute bedeckte« (SATAN I, 254), das vielmehr »auf dem Kopf einen Helm bildete«. »Breite kräftige Schultern« nennt er ebenso sein eigen, wie eine »schmale elastische Taille«; und erst seine »Haut, ein mattes Hellbraun, mit einem leisen Bronzehauch übergössen«! Seine Augen, »diese dunklen, sammetartigen Augen, in denen, je nach der Veranlassung, eine ganze Welt der Liebe... liegen konnte«; wenn er von seinem großen guten Manitou spricht, sind es »fromme Madon34
nen-, wenn er freundlich zusprach, liebevolle Frauen-Augen« (alles aus jener WEiHNACHT-Stelle, S. 276 ff.). »Beredt auch waren die leicht beweglichen Flügel seiner sanftgebogenen, kräftigen... Nase, denn in ihren Vibrationen sprach sich jede Bewegung seiner Seele aus«; (wenn MAY an anderer Stelle von Lesbierinnen redet, beurteilt er diese Nüsterngestik freilich unfreundlicher: »Zwischen perversen Weibern herrscht ganz unbedingt eine gewisse Art seelischer Freimaurerei. Sie erkennen einander an den stets erregten Nasenflügeln, und an dem geilen Lächeln, welches niemals schwindet«). Dann seiner Rede Zauberfluß, »der süßesten Schmeicheltöne ebenso wieder furchterweckendsten Donnerlaute« fähig: »seine Stimme besaß, wenn er freundlich sprach, einen unvergleichlich ansprechenden, anlockenden gutturalen Timbre ((›u: u‹!)), den ich bei keinem anderen Menschen gefunden habe, und welche nur mit dem liebevollen, leisen, vor Zärtlichkeit vergehenden Glucksen einer Henne, die ihre Küchlein unter sich versammelt hat, verglichen werden kann; im Zorne hatte sie die Kraft eines« — na, was? — »eines Hammers«! (SUREHAND III, 126 kommt sie gar geschossen wie ein Strom, der »die auf ihn wartenden Kanäle füllt«.) Auf seinen Händedruck komme ich gleich noch zu sprechen; erst ›ach, sein Kuß!‹: »einen Bart trug er nicht; in dieser Beziehung war er ganz Indianer. Darum war der sanfte, liebreich milde und doch so energische Schwung seiner Lippen stets zu sehen, dieser halbvollen, ich möchte sagen, küßlichen Lippen.«: »Man nenne mir einen Schriftsteller, der seinen Lesern ein Ideal gegeben hat, wie diesen W!« (DL, 13). — What a man! Aber ich will mir & dem Leser wohlfeile Ironie ersparen, und mich lediglich auf die Frage beschränken: wenn Ihnen ein Bekannter, oder Junge, von seinem ›Freunde‹ in Wendungen der obigen Art vorschwärmte, was würden Sie dann denken? — —:!?! — —: Sehr richtig; einverstanden. — Was Wunders, wenn die ›Alte Schütterhand‹ — ich, den großen MURET-SANDERS zur Halblinken, erlaube mir, das ›OLD 35
SHATTERHAND‹ spasseshalber einmal so zu übersetzen — wenn OS also sich vor dem Wiedersehen umkleidet »wie ein Caballero, der gerade auf dem Wege ist, die Dame seines Herzens zu besuchen« (SATAN I, 242), und seinen Freund leidenschaftlich gern küßt? W »schnellt« sich ihm »in die ausgebreiteten Arme, um mich an sich zu drücken und wieder & wieder zu küssen. ... Als die Umarmungen vorüber waren, kamen wir aus dem Drücken & Schütteln der Hände nicht heraus.« (SATAN I, 255 u.ö.). »Der Apatsche schlief natürlich bei mir« (›Embrassez-moi pour l’amour du Grec‹ heißt das bei MOLIERE); bei dem Geschnäbel der beiden Inséparables — »Wo man W sieht, ist sicher auch OS zu finden« (SATAN I, 420) — handelt es sich übrigens grundsätzlich um durch Feinde leicht zu störende, selige Augenblicke. SUREHAND III, 81 weiß es denn auch: »Es ist eine ganz eigene Sache um Euch und W, Mr. Shatterhand«; und S. 24 vergleicht er die Beiden schlankweg
mit »großen Vögeln«. Nach längerer Trennung wird meist ein mächtiger Solitärbaum fürs nächste Rendezvous verabredet, etwa »die Lebenseiche, unter welcher wir damals des Nachts lagerten« (SUREHAND I, 2), ein Pflanzentyp, der auffällig häufig in diesem Zusammenhang erscheint; so nimmt z.B. auch in SATAN I, 218 »unser Zug eine sehr gut bekannte Richtung, nämlich diejenige nach dem Walde der Lebenseiche«: ›Leben‹ plus ›Eichel‹ (vgl. § 18). Und wieder ein Geflirte & Caressiren, das voll & ganz dem in solchen Fällen zu erwartenden Berührungszwang entspricht. Zu den geringeren (?) ›besonderen Kennzeichen‹ gehören etwa der »köstlich gestickte Medizinbeutel«, samt der roten, mit Kolibrifedern geschmückten, »außerordentlich künstlich geschnittenen Friedenspfeife«, (W III, 396 unterläuft MAY einmal der Ausdruck »Medizinsäcke«; to the wise 1 word is sufficient), der viel benützten, und, selbst wenn die Zeit drängt, fleißig zum Munde geführten: »dennoch zog er seine Friedenspfeife hervor, was auf die Zeremonie des Begrüßens deutete, welche stets eine umständliche ist und viel Zeit in Anspruch nimmt« (Satan I, 265). Wie symptomatisch es ist, daß 36
W ausgerechnet eine Silber-»Büchse« besitzt, wird, wie noch manch andres Lächerlich-Nachdenkliches mehr, bei Besprechung der Waffen deutlich werden; wie auch das ausgezeichnet gute Fernrohr, (›per Speck tief‹), das ausziehbare, das er stets bei sich führt. Geldsorgen kennt W nicht, und zahlt stets baar, ja in ›Nuggets‹; denn er weiß überall in den Bergen Goldene Adern und ›Finding Holes‹, die er nach Bedarf besucht und bloßlegt, (und der »völkerpsychologisch reichlich belegte Zusammenhang von Gold & Kot«, FREUD, ›Traumdeutung‹, 333, ist ja vielleicht auch MAY aus seiner Lektüre geläufig gewesen). Die übliche Verblendung des Liebenden hinsichtlich Vollkommenheit & Leistungen seines S-Objektes, drückt sich denn auch in der enthusiastischen Beschreibung von W’s Heldenthaten aus. Er ist Meister in allen Leibesübungen, unermüdlich im Ringen & Raufen: »So einen Sprung pflegt des Nachts nur W oder OS zu wagen!«, (SUREHAND III, 62); und darin, »einem Roten die Kopfhaut abzuziehen«, tut es ihm, sollte dies erforderlich werden, Niemand gleich, geschweige denn zuvor. Ein unglaublich ausdauernder Reiter — für seinen Busenfreund hat er stets das Roß »Hatatitla« (›Hat a Tittla‹?) zur Hand — und »Wäre ich ein Mann, ich würde stets nur mit ihm reiten!« ruft SATAN I, 401 eine feurige Kreolin aus. Er ist OS’ens Lehrer, nicht nur was Sprache und Umgangsformen der »Apachen« betrifft, (›Pariser Lude‹ stellt sich unaufgefordert ein; und obwohl mein Kaffeesächsisch nicht mehr das ist, was es früher war, dürfte darin ›ä Pascher‹ einen ›Schmuggler‹ bedeutet haben), nein, auch im Waffengebrauch auf Hieb & Stich, in allen Anschlagsarten, (und so ein »Knieschuß« muß natürlich ‘ne dolle Sache gewesen sein! vgl. S. 144 f.). Nicht minder signifikant werden, bei einmal darauf gerichteter Aufmerksamkeit, die Redensarten, die die Beiden so tauschen à la »Mein Bruder Shatterhand kommt wie der Tau in den Kelch der dürstenden Blume«, eine Wendung, die noch im größeren Zusammenhang sorgfältig gewürdigt werden wird; (vgl. S. 244 ff.; zur Zeit sei nur auf den nächsten Fleischer ver37
wiesen, der gern erklären wird, was er unter ›Blume‹ begreift). Oder: »Mein Bruder Scharlih kennt das große Loch?«, nämlich das des ›Alten Weibes‹, wo man sich demnächst wieder treffen will — aber das führt schon weit über den Rahmen dieses § hinaus.
§6 »Farben auch, den Leib zu malen, steckt ihm in die Hand, daß er rötlich möge strahlen in der Seelen Land.« (SCHILLER, Nadowessiers Totenlied) Bevor man zustimmt oder ablehnt, sei es erlaubt, dem Leitbild W noch 3 weitere Grüppchen von Verdachtsmomenten beizugesellen. Die erste hat wiederum ELBOGEN bereits erfaßt; es ist die »Carpio«-Episode des, allmählich immer mehr aussagenden Bd. 24, WEIHNACHT; er, meines Wissens, in besonders hitzigem Schwünge, binnen Tagen, niedergeschrieben. Abgesehen davon, daß ›Weihnachten‹ von MAY notorisch als ›schwierige Zeit‹ empfunden worden ist (BIO, 102 u. ö.), hat er das leitmotivische Gedicht »verbrochen« (S. 3), was vermutlich heißen wird, daß er es als ›Verbrecher‹, sprich ›im Gefängnis‹, geschrieben hat, weswegen es wohl auch, verräterisch genug, schon im VERLORENEN SOHN I, 612 ff. erscheint. ELBOGEN hat darauf hingewiesen, wie MAY selbst seinen Schüler-Spitznamen mit »Sappho« angibt, ein Begriff, in dem ja sogleich ›Dame Dichtkunst Invertiertheit‹ gebündelt werden, und daß jener Freund Carpio ›sehr feminin gezeichnet‹ ist. Ich möchte noch ergänzen, daß MAY die Verabredung zu ihrer gemeinsamen Ferienwanderung als »Rendezvous« bezeichnet; Carpio einen »prächtigen Jungen« nennt, der »alles womöglich beim Schwanz anstatt beim Kopfe anfaßte« (31); und dann mit 38
ihm gemeinsam in einer Stube schläft, deren Hauptreiz in folgendem besteht: »Noch entzückender war der Anblick des Himmels über uns. In diesen, nämlich in die hölzerne Zimmerdecke, waren zahlreiche Haken eingeschraubt, an denen Schinken, Räucherspeck, sonstiges Fleisch und alle möglichen Sorten von Würsten hingen. Diese Herrlichkeiten erfüllten die gute Stube mit einem kräftigen Dufte, dessen Wirkung sich nicht nur auf die Geruchs- sondern auch auf alle übrigen Nerven zu erstrecken schien, denn Carpio, der eben noch so hinfällige, richtete sich zu seiner vollen Länge empor, sog den Geruch mit Wohlbehagen ein« und spricht dann von »Elysium« und einem »Odem überirdischen Behagens« (72). Zuvor hat man noch tüchtig Cigarren geraucht, »wenn ich mich nicht irre, waren es Virginias, die man zuweilen auch mit dem hochpoetischen Namen ›Giftnudeln‹ zu bezeichnen pflegt. ... Leider aber ließ er seine ›Nudel‹ so oft ausgehen«, es wird ihm nämlich schlecht vom übertriebenen Rauchen: wenn es sich bei diesen Stumpen-Excessen, bei diesen ›duftenden Schinken & Würsten unter der Decke‹ um ein nur 1 Mal auftauchendes Motiv handelte, würde ich sehr wohl zu vermeiden wissen, es überzubewerten; da es jedoch immer wieder, in ähnlichen Situationen & genau dem gleichen Sinne, nachgewiesen werden wird (vgl. S. 52 u. 98), dürfte solch ›kapnophile Riechlust‹ zu den MAY’schen ›Liebesbedingungen‹ zu rechnen sein. — Als zweite hier unerläßlich einzufügende Bestimmung muß ich wiederum ein Stück eines anderen § vorwegnehmen; es ist die Beschreibung des ›Parks von San Luis‹ aus dem letzten Kapitel des SUREHAND III, der in einem Lieblingseckchen der MAY’-schen Muse liegt, auf der ›Grenze‹ (auch so ein Stichwort: er empfand es UBW sehr wohl, wenn
er die ›Grenze‹ wieder mal überschritt) von Colorado und New Mexico, es dürfen aber auch vikariierend Arizona oder Sonora sein. Der spanische Name ›Luis‹ verstellt sich MAY von vornherein konstant zu einem ›Louis‹, (ein ihm sehr geläufiges Apachenwort, man vgl. LEBIUS, S. 36); und bei der Schilderung der großen Wallebene wird Einem unwillkürlich leicht merdistanisch zu Sinn 39
— zur Beschleunigung der Verständigung will ich nur gleich jetzt schon sagen, daß es sich um einen der ›Hintern II. Ordnung‹ handelt, (ich unterscheide deren im ganzen IV Klassen) —: »Er lag in seiner ganzen Ausdehnung und Schönheit vor unseren Augen, viele viele Meilen breit und von dementsprechender Länge. Für den Jäger konnte es keinen schöneren Anblick geben, als diesen rund von himmelhohen Bergkolossen eingeschlossenen Park« (510). Da springt eine »Foam-cascade«; und »fast in der Mitte... W wird ihn kennen« (506) befindet sich der diesmalige Treffpunkt der Helden, ein »Puibakeh« (Pfui Backe!), das aber heißt, Sie werden lachen, auf Deutsch ›Der Wald des Herzens‹! Diesmal besonders apart durch die Anwesenheit eines extra »geheimnisvollen Roten«, des »Kolma Puschi« (das ist ›Dunkelauge‹); als OS den nämlich zusammen mit W zum ersten Male beschleicht, flüstern Beide mit Recht fast zu laut ihr ›Uff‹, denn da drüben sitzt — : »Winnetou, der Häuptling der Apatschen! Ja, gewiß, in etwas größerer Entfernung hätte man den Indianer da drin für W halten müssen......Alles in Allem war ich im ersten Augenblick erstaunt über die Ähnlichkeit mit W gewesen, und nun dies Erstaunen vorüber war, bemächtigte sich meiner ein Gefühl, welches ich nicht beschreiben kann. Ich befand mich vor etwas Rätselhaftem, vor einem verschleierten Bilde, dessen Schleier nicht zu sehen war......Hatte ich ihn schon gesehen? Entweder nirgends oder hundertmal! Er war mir ein Geheimnis.« (180 f.) Diese nichtsnutzige, von MAY an den langen schwarzen Haaren mutwillig herbeigezerrte Ähnlichkeit — ›mutwillig‹ deshalb, weil weder durch die Handlung erfordert, noch im weiteren Verlauf irgendwie ausgewertet oder sonst motiviert — ist aber deshalb allbedeutend, weil Freund Puschi sich auf S. 519 als Weib entpuppt! Eine unerwartete Wendung; die nun wohl kaum noch eine andere Deutung zuläßt, als daß MAY eben tatsächlich so empfunden hat, und es ihm ein ›Herzensbedürfnis‹ war, sich seinen W gelegentlich als ›Dame‹ vorzustellen. (Und Wer sich jetzt, beim Zündwort vom ›Walde des Herzens‹ immer noch nicht ergeben, respec40
tive vom ›Zufall‹ murmeln, oder sich gar nasenhaft-moquant erkundigen möchte: wo denn hier die ›Schmiede‹ bliebe, und die ›Hämmer‹? — auch ihm kann gedient werden; er greife vor auf S. 118). Die Naivität der bisherigen MAY- — ich sage nicht ›-Forschung‹ — drückt sich in dem von V. BÖHM (S. 124) ehrerbietig mitgeteilten Zitat nach L. PATSCH, eines Nestors der L I Richtung, aus: der große Häuptling der Apatschen sei »die verkörperte Sehnsucht KARL MAY’s nach einem leiblichen Bruder« — hätte er noch 1 Adjektiv der Temperatur zugegeben, wäre ‘s fast schon einer Teileinsicht nahe gekommen; in der angeführten Fassung ist es nur 1 Beleg mehr für die ebenso ehrsame wie steriltabuistische Behandlung des wichtigen Stoffes seit diversen Menschengedenken. Mit der entsprechenden Besonnenheit darf man sich psychoanalytischer Techniken ohne weiteres bedienen, um zu probieren, ob — und falls ›ja‹, wie große — Teile des Werkes dadurch erschlossen werden. Seit FREUD’s ›Lionardo‹ & seinen Studien über C. F. MEYER und JENSEN, seit G. COHEN’s ›Mignon‹ (als Herm-Afrodit), oder THOMAS MANN’s Nachweis, daß sich dem ›Zarathustra‹ -Kapitel von den ›Töchtern
der Wüste‹ zwanglos das Lesemodell einer Bordellszene zugrundelegen lasse, dürfte man wohl allgemein eingesehen haben, daß es sich bei solchem Verfahren um keinerlei Klatschsucht oder gar ›Beschimpfung‹ eines großen Mannes handelt; sondern um ein, in der Hand des gewissenhaften Forschers völlig legitimes, Mittel zu aufschlußreicher biografischer & Werksanalyse: mit geheuchelter Ratlosigkeit & akademischem ›g’schamig tun‹ wird man nie das überzeugend-volle Bild eines Künstlerdaseins liefern. Höchstens das eines Halb-Albino Halb-Kapauns! — Der dritte, in diesem Zusammenhang kurz zu streifende Komplex sind die Ereignisse um W’s Tod. MAY hatte nämlich seinen solennen, kaum einmal leise lächelnden, meist ziemlich brutal-flapsigen roten Freund relativ früh abgeschossen werden lassen; sei es, daß schnell, auf Drängen seines Verlegers hin, noch ein Band zu füllen war — eine wichtige Parallele hierzu bildet 41
›Rihs Tod‹ in Bd. 6, SCHUT — sei es, daß er einmal probieren wollte, wie es ohne Hülfskonstruktion ginge, (unter diesem Aspekt könnte dann wichtig erscheinen, daß er den Tod W’s in späteren Jahren, wohl UBW-weise, ziemlich genau an das Ende — richtiger das ›seelische Abklingen‹ — seiner Haftstrafen, in den Herbst 1874 zu projizieren pflegte). Es erwies sich ihm jedoch noch auf viele Jahre hinaus als unmöglich, ohne das Bild des schönen Freundes auszukommen, und er hat es immer wieder neu aufleben lassen, in stets längeren, stets liebevoller ausgemalten Döntjes, von SATAN & ISCHARIOT, OLD SUREHAND und den Stücken im ›Guten Kameraden‹. In LG’s ist dies Tändeln mit der Auferstehung, der Neu-Drapierung eines einmal zugelassen-Beteiligten, kein Anzeichen der Unsicherheit oder Willkür des ›Homo ludens‹, sondern vielmehr für ›Unentbehrlichkeit‹. Die Formel MAY’s hierfür war das ›Wiederausgraben der Silberbüchse‹ (SUREHAND III, 328 f.): »Kostbarer aber noch als sie ((= die eigenen ›Waffen‹)) ist mir W’s Silberbüchse, die ich, schon als er noch lebte, stets mit einer gewissen heiligen Scheu betrachtet oder in die Hand genommen habe. Als er erschossen worden war, haben wir ihn hoch zu Roß und mit allen seinen Waffen, also auch mit ihr, begraben«; (übrigens in den ›Gros Ventre‹-Bergen, den ›Hügeln des dicken Bauches‹; auch das könnte seine, sehr nachdenkliche, Bedeutung haben). Aber OS erfährt, daß böse Feinde das Grab öffnen und sich des schönen Stückes bemächtigen wollen; deshalb »nahm ich die Silberbüchse heraus und sorgte dafür, daß dies überall bekannt wurde......Jetzt hängt dieses herrliche Gewehr neben meinem Schreibtische; und während ich jetzt von ihm erzähle, habe ich es vor meinen Augen und gedenke in tiefer Wehmut Dessen, den es nicht ein einziges Mal im Stich gelassen hat und der mein bester, vielleicht mein einziger Freund gewesen ist, das Wort Freund in seiner wahrsten, edelsten und höchsten Bedeutung genommen!« MAY hat ihn also sehr bald wieder exhumiert, und ist dann noch viele Jahre lang mit dem Revenant zusammen herumgezogen; das letzte Mal im großen Stile 1897, im Bande WEIHNACHT. — 42
Ich betone schon jetzt eines: eben diese Möglichkeit des ziemlich mühelosen Wiederaufleben-Lassens, diese etwas frivole ›Oder‹-Relation, ist aber nicht nur eines der Charakteristika der LG; sondern verleitet den Spieler bei nur einiger Denkschwäche grundsätzlich zur Wertung auch des reellen Sterbens als eines ›nur so‹-Vorganges; d. h. verführt ihn fast immer zu ›Religion‹ aller Arten. Was unsern Herrn MAY betrifft, zu einem ganz verwaschenen, hastig-fummeligen X-entum; dann,
recht konsequent, zum Spiritismus und Seelenwanderungshypothesen; (vgl. etwa in A & D I, S. 372, die Inschriften auf der ›Insel der Heiden‹). Daß MAY sich bei solch fürwitzigem Umbringen W’s auch gar nicht behaglich gefühlt hat, ergibt sich dem Kenner von ›Fehlhandlungen‹ ganz deutlich: sobald er sich später mit dem Vorfall zu beschäftigen hat, wird er seltsam fahrig, und vergißt oder verwechselt alles mögliche. W I, 5 schreibt er, W sei »durch die Kugel eines Weißen« gefallen; W III, 470 f. u. 490 sind es einwandfrei Indianer gewesen; und SILBERLÖWE I, 1 bestätigt er wieder, Sioux hätten ihn erschossen, (ein Widerspruch auf den schon A. DROOP hingewiesen hat). In W I — III heißt der Mörder von W’s Vater & Schwester ›Santer‹ mit ›t‹; im IV. Bande (WE) immer wieder ›Sander‹ und er läßt dessen 2 psychopathische Söhne, die angeblich Spezialisten für die 3 ersten Bände sind, »jahrelang nach dem verschollenen Vater« suchen (WE, 42) — während doch aus W III, 620 ff. klar hervorgeht, daß Jener tot ist, und zwar gründlich; sprengt er sich doch, noch ehe OS den Bärentöter so recht auf ihn richten kann, unversehens-eigenhändig in die Luft, (bzw. ins Wasser). Diese örtlichkeit, wo W’s Testament (den sparsamen Andeutungen nach hieß die Hauptklausel darin ungefähr ›Kindlein, liebet Euch, wenn möglich untereinander‹) und Gold deponiert sind, trägt, so kurz die Beschreibung auch ist, begreiflicherweise ebenfalls J’anusZüge (W III, 620 ff.): »Da, wo wir uns jetzt befanden, machte die Natur eine Ausnahme. Es war ein Talkessel, ((die Bedeutung des überhäufigen ›tal‹ wird im nächsten Abschnitt verständlich werden)), welcher 43
mehrere Quellen besaß, die seinen Grund gefüllt und einen See gebildet hatten, dessen Wasser nach Westen ablief, ((›Westen‹ = ›links‹ auf der Karte)), während wir uns jetzt an dem östlichen Ufer befanden. Die dichtbewaldeten Wände des Tales stiegen hoch, hoch empor und gaben dem unergründlich tiefen See jene düstere Farbe, die uns veranlaßt hatte, ihn ›Dunkles Wasser‹ zu nennen......Die nördliche Talwand war die höchste. Aus ihr trat in Pfeilergestalt ein nackter Felsen hervor, der waagerecht aus dem Wasser stieg. Hinter ihm sammelte sich die Feuchtigkeit der viel höheren und bewaldeten Kuppe und hatte sich durch sein Gestein einen Abfluß gebohrt, durch den es wie aus dem Schlauche einer Gießkanne wohl 100 Fuß tief in den See stürzte. Das war das ›Fallende Wasser‹ ((›Wasser-Phall‹)) in W’s Testament ((›Testikel‹)). Grad über diesem Wasserfalle ((da ist er schon!)) sah man eine Höhle im Gestein ((da ist sie schon))......rechts von diesem Felsen und eng an ihn gelehnt, gab es einen zweiten, auf welchem wir damals einen Grizzly erlegt hatten« (›als er das Tier zu Phall gebracht‹: die ›Großtierjagden‹ werden noch erwähnt). In jene Höhle gelangte man auf geheimen Wegen, ja, zum Schluß mußte man einen Baum hinaufklettern (vgl. S. 96): »Wir bemerkten eine ziemlich starke & hohe Fichte, welche nahe am Felsen stand, schief nach demselben zu gewachsen war, und sich oben an eine Kante desselben legte. Das mußte es sein!«. Leider ist mit W’s Tod eben auch die, so große Reichtümer bergende, Höhle verschwunden; (ich kann nur empfehlen, sich alle-diese Details für später zu merken). In WE dann ist das Bild W’s weitgehend aufgelöst: ein ganzer ›Clan Winnetou‹, mit jungen sowohl männ- als weiblichen Mit-Gliedern, hat sich gebildet; was ja wohl zu bedeuten haben wird, daß die Geschlechtscharaktere sich, altersbedingt, zu verwischen begannen. Eine Annahme, die noch von anderer Seite her bestätigt wird; indem nämlich, vice versa, die bisher weibliche MD ein männliches Spiegelbild im ›Tatellah Satah‹ bekommen hat — die Bedeutung dieser, 1 Dutzend Jahre weiter hinaus liegenden Wandlung wird bei der Analyse des MAY’-
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sehen ›Orients‹ klar werden; einer Gegend, in der W sich nicht ansiedeln ließ: das 1 Mal, wo MAY es versucht hat, im II. Bande von SATAN & ISCHARIOT, wird W binnen kurzem schwer krank, und muß nur in allster Schnelle wieder nach seinem Wilden Westen überführt werden! — Schon an diesem Punkte der Untersuchung läßt sich sagen, daß ELBOGEN mit seiner vorsichtigen Definition MAY’s als eines ›unterschichtigen Homosexuellen‹ mindestens Recht haben dürfte: der lehmig-mulmige Klang und die ganz eigentümliche Starrheit der Personalbeschreibung W’s sind so auffällig, daß sie an die übliche ausbaufähige Rigidität formelhaft gewordener Kinäden- bzw. allgemeiner Onanie-Fantasien erinnern. Ebenso wird es richtig sein, daß ›Nscho-Tschi‹, W’s ihm sehr ähnliche Schwester, ein hochbeiniges missing-link, habe sterben müssen, damit die ent-scheidende ›Liebesüberschreibung‹ auf den Bruder ganz ›reinlich‹ stattfinden konnte. Ich ergänze: daß W nach 1897 auch schon deshalb wohl nicht mehr aufzutauchen brauchte, weil inzwischen eine weitere Rück-Überschreibung auf eine gewisse, ähnlich schwarz-langhaarige ›Schakara‹ (vgl. SILBERLÖWE III u. IV) stattgefunden hatte; wozu schon hier angemerkt sei a) daß allmählich ›längstes Haar‹ einer weiteren Liebesbedingung gleichkommen dürfte, ob Mann ob Roß ob Woman; und b) daß es sich auch bei Frau Klara-Schakara wieder nur um ein Interregnum gehandelt hat. Wovon demnächst ein Mehreres. Theoretisch bestünde die Möglichkeit, daß es sich bei jeglichem Vordrängen dieser ›im eigenen Herzen geborenen‹ Emanation um S-Wellentäler innerhalb von MAY’s erster, jahrzehntelangunglücklicher Ehe gehandelt haben könnte: nun rächte es sich, daß er sein Incubus-Idol gar so allround-befriedigend, so hautnah-nahtlosvollkommen ausgestattet hatte; ›Wo bleibt vor solchem Traum die Wirklichkeit?‹ (RÜCKERT, ›Columbus‹ I, 2). Im Vergleich mit W, der »Lichtgestalt, die bei Tage & bei Nacht hinter MAY stand«, (DL 13: ›er hatte die Gestalt eines Lichtes, und stand bei Nacht hinter MAY‹ — na, was hab’ ich gesagt?!), mußte jedwede Begegnung in der Realität, ob Mann oder Frau, enttäuschen; mußte die Ehe selbst ein unzulänglicher Ersatz für die mit Jenem durchlebten Eu-Pho-rien bleiben; ja, mußten MAY’s menschliche Beziehungenallgemein darunter leiden. — Folgen wir ihm jedoch erst einmal ›weiter‹, ›tiefer‹ in seine »dunklen & blutigen Gründe«.
III • DIE OASE IM KAKTUS §7 »The park is gracer than the hole« (J. JOYCE, Finnegans Wake, S. 512) Derart frei von Erotica scheint der manifeste L I-Inhalt aller MAY’schen Reiseerzählungen, daß es stets die Wonne jugendfürsorglich Tätiger gewesen ist, und an Empfehlungsworten von Pädagogen & Bischöfen besteht kein Mangel. Denn ›das weibliche Element‹ ist tatsächlich so gut wie eliminiert, ja, mehr noch, es wird eklatant lächerlich gemacht oder verleumdet, (vgl. S. 262 f.). Andererseits hat er viele & heftige Angriffe wegen ›Jugendgefährdung‹ erfahren; mit der Begründung, seine Sächelchen seien unrealistisch & brutal; wozu nur zu sagen wäre, daß man den Alten weder um seine bisherigen Freunde noch um seine Gegner beneiden kann. Dabei dürfte sich bereits jetzt abgezeichnet haben, daß der dem beliebten Verfasser auf seinen FREMDEN PFADEN rüstig ins MAY-Land Hinterdreinwandelnde gänzlich andere, um 1 bis 2 anthro-Po-logische Schichten tiefer liegende Probleme zu Gesichte bekommt; (und man erlaube mir die, lediglich im Interesse des Lesers, und um des Gewinnes an Übersicht vorgenommene starke Zerlegung & Abgrenzung in einzelne Themenkreise). Hier sind es MAY’s ›Landschaften‹, meist recht heroische Angelegenheiten. Immer wieder baut er sich unverdächtig-einladende Wüsten & Wildnisse zusammen, eine ›Sexische Schweiz‹ nach der anderen. Alles erscheint vergrößert, die Farben greller, die Aktionen weitgebärdiger, auch die Gerüche verstärkt, und die Helden haben Alle eine unvergleichliche Anlage zum Aufschneiden. Sei es zunächst einmal, ganz allgemein & objektiv, vergönnt, die Schilderungen eines Schrift47
stellers als Mitteilungen aufzufassen; ein Satz, den mir hoffentlich auch der Voreingenommenste wird passieren lassen. (Das nunmehr folgende erste Beispiel habe ich vor allem deswegen gewählt, weil sich bei ihm leidlich die Genesis verfolgen läßt, eine Proto-, Deutero- & Trito-Fassung; was, bei dem (Uneingeweihten unglaublich scheinenden) bibliografischen Wirr-Warr, ein dezidierter Glücksfall genannt werden muß! ›Fassung Nr. o‹, der PFAHLMANN, 1879, ist unergiebig.) In jenem bereits genanten südlichen Dreieck nämlich, wo außer den aufgeregteren Bundesstaaten der Nordamerikanischen Union auch sonst noch allerley zusammenstößt, wo der ›Mount W‹ ebenso liegt, wie die »riesigen nackten Bastionen« der »Sierra de los Organos« (W III, 144), dort befindet sich auch einer der ausgeprägtesten erotischen Wetterwinkel MAY’s, an dem sich sehr Vieles gleichzeitig demonstrieren läßt: der ›Llano Estacado‹, die ›Staked Plains‹. Das erste Mal figurieren sie in W III, Ss. 79-143 (1880), das zweite Mal im ›Geist DER LLANO ESTAKATA‹ (1888); und schließlich ist MAY noch einmal 1894 in ganz großem Stil im SUREHAND I dort eingekehrt. Die erste der genannten Stellen ist relativ einfältig. Obwohl eine unverkennbare ›Durststrecke‹, kommt man doch ziemlich unbeschädigt hindurch; und wenn auch bereits ein »Nigger Bob« hier auftaucht, so ist doch noch
von keiner geheimnisvollen ›Oase‹ im Innern des Ljano die Rede. Wohl bereisen ihn schon »Voyageurs« (was mit ›voyeurs‹ zusammenphallen könnte); wohl steckt man schon in »Büschen« oder schlendert auf »Blößen« hin & her; wohl existiert schon ein »hide-spot« — was ja ebensowohl ›Fell-Versteck‹ wie auch ›Haut-Fleck‹ bedeuten könnte — in dem sich gelegentlich ein »Prasseln & Knattern« erhebt; aber noch ist diese spezielle Vorstellung MAY unverkennbar nicht interessant genug: »Wenn ich da ((W III, S. 79 ff.)) sagte, daß kein Brunnen eine einsame ((ein-samen)) Oase hervorrufe, so wußte ich bei meinem damaligen Ritte durch die Staked Plains von der Ausnahme nichts, die ich dann später kennen lernte: es gab mitten in dieser Wüste doch eine Oase« (SUREHAND I. 150 f.). 48
Meist kehrt man zuvor noch in »Helmers Home« (›Homo‹) ein — auch so ein Name, dieses ›Helmers‹, der zu häufig bei MAY vorkommt, um sich leicht hinwegfilologisieren zu lassen; mögen uns die Biografen das ›Warum?‹ all dieser ›Latréaumonts‹ usw. mitteilen; ich kann es nicht wissen! — und begibt sich dann, »gazellenhäutige Wasserschläuche« hinten & vorn, in den »leichten weißgelben Sand« des Ljano, den ebenso »unfruchtbaren« wie pittoresken. Schon wird es »glühend heiß«; es weht ein »Backofenwind«; OS hat gar keinen leichten Stand, denn er ist »der Einzige, der den Weg kannte«, und er findet auch die allgemeine Richtung, obgleich ausgesprochen »dicke Luft« herrscht, die noch zusätzlich »mit Sand geschwängert« ist (SUREHAND I, 317). Störend sind natürlich auch »die Kaktusflächen«, frischer & trockener immer durcheinander; »wer ihre Lage, Ausdehnung & Beschaffenheit nicht kennt, der kann so in die Irre geraten, daß er sich nicht wieder herausfinden kann«, (SUREHAND I, 317; das 3.Kapitel heißt deswegen auch schlicht ›In der Kaktusfalle‹; ›Kaktus‹; ›Phalle‹): »Zuweilen erblickten sie links oder rechts von sich in der Ferne graubräunliche Streifen am Horizont; das waren dort liegende Kaktusstrecken, durch die Niemand reiten konnte« (GEIST, 606); aber »der Ortsinstinkt des Westmannes ist sicherer als die trügerische Magnetnadel«: OS findet schon den Pfad auch durch die ab-ortig wildesten Kacktusse; denn man verdankte »schon damals« einem solchen Felde »die Rettung vom Tode des Verschmachtens«. Man muß zwar etwas »langsamer reiten« (›lang‹: ›sanier‹: ›reiten‹), trifft dann aber »die Lücke« zum Eingang ins Paradies, zum »Home« (= ›homo‹ plus ›Heim‹) eines blutigen Fuckses. Das ist ein junger Mann ohne anderweitigen Namen, (höchstens daß Einem ›buschige rote Rute‹ oder ›Gestank‹ wie beiläufig noch einfällt), mit auffällig stark entwickelten »Kauwerkzeugen«, wie MAY mehrfach-aufdringlich betont (vielleicht handelte es sich um Eß-, oder auch um S-Werkzeuge?), in dem sich der ›Geist des Ljano‹ verkörpert hat. Er ist es, der das Durstgebiet von großen Vögeln, von ›Geiern‹ reinigt, 49
worunter man ›Stake-Men‹ versteht, tückische Professionisten, Männer mit Pfählen, die sie, um harmlose Reisende irre zu führen, immerfort herausziehen und anschließend anderswo, aufreizend ›falsch‹, wieder hineinstecken. Und Fox ist es auch, der die dadurch Erschöpften mit Schläuchen eigener Provenienz erquickt: ein »Avenging-Ghost« (was bei MAY’s kümmerlichem Englisch auch als ›Abend ging‹ zu lesen sein mag); ein Dämon mit Kapuze & Umhang (eine Tracht, woran z. B. die Antike ›phallische Viertelsgottheiten‹ erkannte); der, wenn es not tut, auch »verkehrt reitet«, nämlich als Vater Morgana, athwart the upper air. »Daß sein Heim von einem so ausgedehnten Kaktusœ^We umgeben sein konnte« ergibt wieder einmal ein dehnbares ›Waldheim‹; und dieses ›Heim‹ selbst ist natürlich was ganz köstliches:
Potz Steak & Phall! »Ein Paradies hier mitten in der glühenden Wüste!« (SUREHAND I, 325 f.). »Da stand ein von der Natur gebildetes kreisrundes Becken, dessen Durchmesser vielleicht 80 Schritte betragen mochte, bis an den Rand voll von hellem, köstlichem Wasser, über dessen Oberfläche die Sonne leuchtende Brilliantblitze warf.....An dem Ufer naschten unsere Pferde wie Feinschmecker von den außerordentlich saftigen Halmen des üppigen Delicacy-Grases.« Dickste Bäume ragen dort, »deren Samen, als noch kein Mensch eine Ahnung von dem Dasein dieser Wüstenoase hatte, von Vögeln hierhergetragen worden war«. Und getarnt und abgeschirmt wird dieser »schöne, von der Welt abgelegene Ort« durch einen »großen schützenden Ring« von »an der Erde hinkriechenden Kaktusarten«. Das Zentrum bildet »ein Häuschen«, nicht übermäßig groß, aber für die Erfordernis eines blutigen Fucks hat es Platz genug: »Alle vier Seiten wurden ebenso wie das ganze Dach vollständig eingehüllt von den dichten Ranken, Blättern & Blüten der weißen rotfädigen Passionsblume. An manchen in der Entwicklung vorgerückten Stellen sah man schon die gelben, süßen, dem Hühnerei gleichenden Früchte aus der Fülle der gelappten Blätter hervorleuchten. An anderen Stellen, wo die Blüten noch nicht verwelkt waren, schwirrten winzige 50
Kolibris von Blume zu Blume« (›Hier weht gar eine weiche Luft; es grunelt so, und mir behagt der Duft. — Das glaub’ ich allerliebster Junge! Und weiterhin wird’s vielbehäglicher ... der Dunstkreis noch unsäglicher!‹): — das ist auch so ein botanisches Leitfossil unseres Verfassers, die ›flower of passion‹, die ›Blume‹ der Leidenschaft, mit ihren beträchtlichen ›Androgynophoren‹ und der giftigen Wurzel, (wie MAY seinem MEYER entnommen haben wird), die besonders sinnschwer auch in WE herumrankt, (z. B. 476 u. ö.). »Wenn man durch die also umrahmte Tür eintrat, sah man, daß das Innere nur aus einem einzigen Räume bestand. Die 4 Wände waren aus Schilf errichtet; als Füll- und Bindemittel hatte der feine Schlamm des Sees gedient.« Ergo ein sehr schlichtes Gemach, eigentlich nur 1 un-unterteilte Wohnhöhle; auch der »Rauchfang« besteht aus »Schlamm«; die Bettstellen aus Pfählen & Riemen, über die Bärenfelle gebreitet sind, (zur Rolle speziell dieses ›Großen Tieres‹ vgl. §23). Und damit es dem Einkehrenden an platterdings gar nichts mangle, hängen »unter der Decke Stücke geräucherten Fleisches« (SUREHAND I, 327), und 1 Seite später werden Rauchwaren verteilt, Cigaretten, die die größte FREUDe auslösen. Daß sich für MAY ›Rauch‹ und ›Waldheimlichkeiten‹ derart manisch verkoppelt haben, dürfte noch nicht einmal so sehr daran liegen, daß er selber ein starker Raucher war, und eines der Delikte, für die er seine ersten 4 Jahre bekam, bestand darin, daß er in Leipzig »Rauchwaren gekauft« hatte und »mit ihnen verschwunden war, ohne zu bezahlen« (BIO 119) — das hätte ja weit eher zu einer Verdrängung & Abkapselung führen können. Aber eine seiner Beschäftigungen als Häftling bestand schon damals darin, daß er »feine Geld- und Cigarrentaschen« fertigen mußte (BIO 127); ja, in Waldheim dann teilte man ihn »derjenigen Beschäftigung zu, in der grad Arbeiter gebraucht wurden. Ich wurde Cigarrenmacher...... Auch die Arbeit wurde mir lieb. Sie war mir hochinteressant. Ich lernte alle Arten von Tabak kennen und alle Sorten von Cigarren fertigen, von der billigsten bis zur teuersten. Das 51
tägliche Pensum war nicht zu hoch gestellt. Es kam auf die Sorte, auf den guten Willen und auf die Geschicklichkeit an. Als ich einmal eingeübt war, brachte ich mein
Pensum spielend fertig und hatte auch noch stunden- und halbe Tage lang übrige Zeit.« (BIO 170). Dies also wird höchstwahrscheinlich der Grund für die so auffällig häufigen Nikotin-Zeremonien sein; für das Cigarren- & Cigarettendrehen, vom VERLORENEN SOHN I, 435 f. u. ö., über ZEPTER, bis zu OS’ Manufaktur in der Satteltasche (W III, 33 f.); auch für das typische Rauch-Erschnuppern, wenn man sich ›an einen Roten‹ heranschlängelt (vgl. § 17, auch das ›Nasen‹-Kapitel); überhaupt für die unlösbare Verlötung der Begriffe von ›Rauch & Fleisch‹: alles ihm erreichbare ›Fleisch‹ in der betreffenden Waldheimer »Riege« dürfte ja mehr oder minder nach Tabak, ›geräuchert‹, geschmeckt haben. Folglich taucht auch hier, bei einem der schönsten von OS’ Wüstenritten (›wüsten Ritten‹), der stellvertretend für so manchen zu stehen hat, das gute Geselchte prompt auf; »ein Geruch des Paradieses... so kräftig, würzig und einladend« (SKIPETAREN 577, wo es ebenfalls um, beinahe schwarz geräucherte, Schinken & Würste geht; eine letzte Sublimierung des Odeurs wird man im ›Orient‹ kennen lernen). Dort, im Passiflorenhäuschen, hängt auch der »größte Schmuck« des Stübchens, »das zottige Fell eines weißen Büffels, an welchem der Schädel gelassen worden war. Das war die ›Uniform‹ des Avenging-Ghost; Fox hatte es stets übergeworfen, wenn er ausgeritten war, um einen Stakeman zu bestrafen. Daher die Schilderungen von dem entsetzlichen Aussehen des ›Geistes des Llano Estacado‹!«. Ein kleiner logischer Bruch ergibt sich daraus, daß die einerseits angeblich einmalige Tracht andererseits als ›Uniform‹ bezeichnet wird — vielleicht hat sich’s ja bei dem ›Geist, der Abends ging‹ ursprünglich um ein umgehängtes Bettlaken gehandelt, auf jeden Fall um irgendein befördertes Nachthemd. Unter Foxens Lager gibt es noch eine »mit Fellen verdeckte Vertiefung«, wo er seine Munition aufbewahrt. OS trifft also mit einigen Begleitern hier ein. Die Tür des »klei52
nen allerliebsten Rankenhäuschens« (CORDILLEREN 218, dergleichen kommt eben öfter vor) öffnet sich, und heraus tritt »Einer, ... der trotzdem keine Miene verzog, und dessen Gesicht nicht das geringste Anzeichen von Überraschung zeigte. Er stand still und unbeweglich vor der Tür, das dunkle Auge leuchtend« — Wer wird’s schon sein?: nu, W natürlich; und sogleich folgt (SUREHAND I, 320) die unerläßliche 1 Seite des Verzeichnisses seiner Reize, ›aller manne schoene ein bluomen kränz‹: »Welch ein Glück, der Freund dieses Mannes zu sein!«. Dann dreht W sich um und erblickt OS: »keine Wimper zuckte. Aber sein Auge vergrößerte sich ((»das Auge des Apatschen steht immer offen«, W II, 452)) und ein leuchtender Glanz ((glans)) strahlte mir aus demselben entgegen. Ich stieg ab. Wir schlangen die Arme fest, fest umeinander und küßten uns wie Brüder, die einander lange nicht gesehen haben.« Man läßt die Blicke an einander »herniederschweifen«, ob alles noch am alten Platz ist, und tauscht reichlich Komplimente über gegenseitiges gutes Aussehen. Auch abends dann kommt man begreiflicherweise »nicht sofort zum Schlafen«, vor all den leisen Hör- & Fühlbarkeiten der Nacht: »Ich lag neben W und hörte seinen leisen Bericht über das, was er seit unserer Trennung erlebt hatte.... So ein Lagerabend hat einen ganz eigenartigen Reiz, den nur derjenige kennt, der ihn selbst empfunden hat.« Das mag immer sein. Der Hauptfeind ist diesmal ein sicherer »Vupa-Umugi«, was — abgesehen von dem dreifach- ›u‹: »Vupa-Vupa?«: »Umugi-Umugi!« tauscht man eine ›Losung‹ — der »Große Donner« heißt, der ›mien lüttje Paradies‹ (STORM) verstören möchte. Daß ihm sein Handwerk gelegt wird, ist ganz selbstverständlich; nicht ebenso selbstverständlich jedoch, wie es ihm gelegt wird. Zwar muß es Jemandem, der alldas hauptberuflich zu untersuchen Zeit mitbringt, überlassen bleiben, sämtliche Fi- &
Raffinessen restlos einzuernten; ich, der ich höchstens 5 % meiner Arbeitskraft auf MAY verwenden kann, liefere lediglich einen Querschnitt durch seine, meist ›heißen Zonen‹, von Pol zu Pol, und will hier also nur darauf ver53
weisen, wie alle ›Ereignisse‹ auch als Klein-Andeutungen zu lesen sind. Überall finden sich Spuren, daß fleißig »geritten« wird; immer wieder erscheinen ›Feuer im Kaktus‹; SUREHAND I, 212 ist das »Ziel eines Par-Force-Rittes« ein »Kleiner Wald«, darin ein Weiher, (die größte Dichte hat der karge Bewuchs übrigens von Süd nach Nord, genau wie in Merdistan), allerdings hat man in diesem speziellen Fall Pech, denn es stecken bereits Rote darin. Da jeder Hintern seine Grübchen hat, so erscheinen auch hier deren mindestens 2: einmal die »Hasenpfanne« (S. 248 f.), in deren Nähe OS ein Pferd durch Schenkeldruck zähmt (vgl. §19, die Bedeutung der ›Ritte‹; was auch für den 396 ff. geschilderten gilt). Und außerdem die »murding-bowl« des GEISTES; der unverfänglich scheinende Name dieses »Mordbeckens« (›Mords-Becken‹) wird sogleich suspekter werden, wenn man ihn, gemäß dem sich immer deutlicher abzeichnenden MAY-Code, von ›merde‹ plus ›bowel‹ ableitet. Sein unterirdischer Zusammenhang mit der großen Zentral-Oase wird durch folgende Beschreibung gesichert: »Es ((= das murding-bowl)) bestand aus einer schroffen und ziemlich tiefen Bodensenkung, deren Grund stets eine trübe Wasserlache trug. Vielleicht stammte diese Feuchtigkeit von dem nicht allzuweit entfernten See im ›Geisternest‹; wenn sie auch trübe war, so bildete sie hier inmitten der öden Llano eine große Kostbarkeit, so daß die ›Geier‹ diesen Ort als feste Station benutzen«. Es sei ausdrücklich daran erinnert, daß dergleichen Riesen-Strafanstalten wie Waldheim ›Welten für sich‹ sind, von denen sich, dem Leser leicht zugängliche, Exempel in FALLADA’s ›Blechnapf‹ oder KOGON’s ›SS-Staat‹ antreffen lassen: es könnte sich bei manchen dieser MAY’schen Kommantschen oder Stangen-Kerls um, deutlich diffamierte, ›Konkurrenzunternehmen‹ gehandelt haben; oder auch um ›Aufseher‹. Nicht umsonst könnte im GEIST so auffällig viel Sexisch parliert werden; nicht umsonst heißt das Schlußkapitel ›Die Maske fällt‹; nicht umsonst ist der ganze (Ll)ano weiblich ›estakata‹ = ekstatisch plus staccato — immer wieder ›ver54
kleiden‹ sich in den Büchern nicht nur die Helden, sondern vor allem »Löcher« werden ausdauernd »maskiert«, nachdem man sie zuvor geschickt benützt hat (vgl. S. 139 ff.): S-Regungen tendieren zur Maskierung, zumal zur UBW; das erlaubt es, die eigenen als ›verboten‹ empfundenen Vorstellungen nicht nur vor sich selbst als ›ganz natürlich‹ zu deklarieren, sondern ebenso die eifrigste Beschäftigung mit ihnen. Noch aber ist die Symbolwelt dieses Ljano nicht entfernt erschöpft; der Fall MAY ist weit intrikater, tiefsinniger, bedeutender, als man annimmt!
§8 »Be not a-feared. The isle is full of noises, sounds, and sweet airs, that give delight and hurt not. Sometimes a thousand twangling instruments will hum about mine ears; and sometime voices, that, if I then had wak’d after long sleep, will make me sleep again; and then, in dreaming, the clouds, methought, would open, and shew riches ready to drop upon me; that, when I wak’d, I cry’d to dream again.« (SHAKESPEARE, Der Sturm, III, 2) Schon im SiTARA-Kapitel wird es hoffentlich dem ein- oder ändern denkenden Leser ein klein bißchen schön-unheimlich geworden sein, vor der bilder-stürmenden Energie eines Schriftstellers, der es vermochte, ein im allgemeinen als ›unappetitlich‹ verschrienes Gebilde, den menschlichen Hintern — und das Exkrementelle ist da nun einmal mit dem Sexuellen ›verwachsen‹; (wer’s nicht glauben will, schaue kurz vorn & hinten an sich herunter) — in planetarische, astro-logisch seinssetzende Ausmaße zu vergrößern, »an archaic world of vast 55
emotions & imperfect thoughts« (HAVELOCK ELLIS). Und wie gleichzeitig plump & grandios der Mechanismus der MAY’-schen Projektionen ist, sei ein weiteres Mal an eben dieser ›Oase im Kaktus‹ demonstriert. (Daß er manche Einzelzüge & Beschreibungen wörtlich seiner ältlichen Lektüre entlehnt hat, ergibt keinen echten Einwand, denn auch Excerpte werden schließlich individuell gemacht; vor allem erfolgt die Neu-Gruppierung des so gewonnenen, angeeigneten Materials in recht persönlicher ›spielräumlicher‹ Weise, und das Meiste hat eben doch schwerlich eine andere Autorität als des Verfassers Fantasie. — Wer es ganz genau wissen möchte, woher manche meiner Zitate stammen, lege sich den Erstdruck im alten ›Guten Kameraden‹ von 1888 daneben; zuweilen zitiere ich auch aus Bd. 35, UNTER GEIERN, ab S. 512.) Da zeigt sich erst ein »Wetterloch«, »›Temb metan‹, der Mund des Blitzes«, ein leichtes Gewölk über der Sonne, »rötlichgrau gefärbt und eine Art Ring bildend, in dessen Mitte sich goldene Reflexe sammelten. Das sah gar nicht gefährlich aus.« (Ich kann, ich darf, aus Platzmangel, das Ganze nicht hersetzen.) Jedenfalls zunächst ein Sandsturm, bei dem Einem abwechselnd glutheiß und eiskalt wird. Dann beginnen Luftspiegelungen, die grundsätzlich Reiter aller Arten zeigen; am Tage zwar auch schon übermenschlich groß, aber immer noch in normaler aufrechter Stellung; als es jedoch gegen Mitternacht geht, werden die Fänomene aparter — sehr hübsch & zureichend dadurch motiviert, daß ja ›Geisterstunde‹ herrscht. Erst bildet sich dort, wo Himmel & Horizont »aufeinanderliegen«, »da unten im Süden«, eine hochinteressante, immer heller werdende Stelle, »es war, als ob dort die Scheibe eines mächtig großen Gestirnes aufgehe. Sie bildete jetzt beinahe einen Halbkreis, welcher im Innern einen blutigroten Kern hatte.... das Ganze gewährte einen schaurig-prachtvollen Anblick. ... ›Das sollte OS sehen!‹ sagte der Juggle-Fred. ›Leider kann er noch nicht zurück sein, denn es ist jetzt gerade Mitternacht.‹« (»wo Wetter leuchten, Tränenfluten stürzen«). Wieder eine Epifanie des ›Geistes‹,
»Herrjemersch56
nee!«; aber schon ertönt »weicher Hufschlag im Sande. Reiter kamen«; es ist der erwartete OS; und wenn der auch Alles euhemeristisch durch brennende Kaktusfelder & Luftspiegelungen darob zu erklären vermag, eines ist trotzdem typisch: ab nun beginnen die morganatischen (Ehe zur linken Hand) Geister prompt ›verkehrt‹ über die Soffitten zu reiten! »Frei schwebend im Luftraum entwickelte sich jetzt das verkehrte Bild einer ebenen, glühend rot erleuchteten Landschaft. Da, wo sie links begann« (die Bedeutung des ›links‹ ist eben genau die, schon von STEKEL in seinen Traumuntersuchungen erkannte, ›sinistre‹; liegt doch nicht nur der ›Westen‹, dem die Helden gern zusprengen, sondern auch der ›Wilde Westen‹, per se links auf der Landkarte) »kam ein Reiter aus dem Dunkel hervor, ganz genau derselbe, welchen die Männer vorhin gesehen hatten, mit einem Büffelfelle, aber eben in verkehrter Stellung, mit dem Kopf nach unten. ... Hinter ((ihm)) folgten jetzt noch 5 oder 6 Reiter, alle im Galopp, aber verkehrt.« OS erklärt auch dieses. Ab S. 541 beginnt eine neue Reihe sinnschwerer Bilder; diesmal um den, gleichfalls im Ljano, und auf die OS-Gruppe zureitenden W herumgestellt. Erst befindet man sich noch am Übergangsrand zur Wüste, den »Shears«, wie die Westmänner die betreffende Gegend angeblich nennen, »eine Bezeichnung, welche sehr zutreffend ist. Die Grenzlinien sind beweglich; sie öffnen & schließen sich wie Scheerenklingen, und derjenige, welcher zwischen sie gerät, kann sich seines Glücks rühmen, wenn er heiler Haut entkommt.«; (beim Ringkampf gibt es, glaub’ ich, eine ›Beinscheere‹?). 3 Yankees & 1 »Ben New Moon« — so bespitznamt, weil er, obwohl ein »guter Kerl«, durch eine Pulverexplosion fast schwarz im Gesicht ist; (auch dies ein mehrfach von MAY eingeschwärztes Detail; vielleicht den ›Masken‹ zuzurechnen) — werden von 2 als ›Schleppern‹ dienenden ›Geiern‹, (die interessanterweise im Original den Namen ›Cortejo‹ tragen, der Großschurken aus dem alten WALDRÖSCHEN — oh, bliebe doch nicht nur der GEIST, sondern der Geist ungeradebeult & ungebambergert!) 57
ins »Singende Thal« geführt; wo man allerdings unerwarteterweise auf 2 »Bärenjäger«, Vater & Sohn, trifft, und auf W obendrein. Dieses ›Singende Tal‹ nun verdient eingehendere Betrachtung; (ich unterstreiche ab & zu — nicht immer oder alle — Einschlägigkeiten). Man hält auf einen Höhenstrich zu, »dessen Fuß mit grünem Gebüsch bestanden war, während die Kuppen nackt & kahl erschienen. Dort öffnete sich eine enge Schlucht, in welcher ein schmales seichtes Wasser floß.« Beifuß-Arten gedeihen hier, (die man, wie sich z. B. aus SUREHAND I, 276 f. ergibt, zum Betören fremder Hengste, die man zum ersten Mal reiten möchte, verwenden kann), und der Rasen scheint schütter & dünn; aber: »Wartet es nur ab, Senor!... Weiter oben gibt es eine Stelle, welche sich vortrefflich zum Lagern eignet.« Schon wird« das Thal breiter und bildete einen beinahe kreisrunden Kessel, der einen Durchmesser von vielleicht 1000 Fuß hatte. Er war von steilen Felswänden umschlossen, welche keinen Ausgang offen zu lassen schienen. Bald aber sahen die Yankees, daß es gerade ihnen gegenüber eine schmale, tiefe Ritze gab, durch welche man wohl weiter gelangen konnte. / Hier in diesem Kessel entsprang der Bach.« Er bildet den von der Theorie geforderten »kleinen Weiher«; und »jenseits dieses Teiches, ganz in der Nähe des Felsenhintergrundes, erblickte man eine fremdartige Pflanzengruppe. Dort standen 2 bis 3 Meter hohe Gebilde, welche riesigen Kandelabern glichen. Einige derselben waren sogar noch einmal so hoch. Sie schienen weder Zweige noch Blätter zu
haben, und ihre gerade emporgerichteten Arme trugen zahlreiche feigenartige Knollen. Das war eine Ansiedelung des Säulenkaktus.«; ›die Säule im Kaktus‹; hier, ganz klarer Phall, lagert man sich. Und schon geht’s langsam-toll los. Luftbewegungen streichen durch das (geni) Tal; müssen natürlich an den steilen nackten Wänden emporsteigen, »und nur ein verschwindend kleiner Theil konnte durch die enge Spalte Abzug finden, welche die Neuangekommenen heute bemerkt hatten, und die in der That gegen die Llano hin den Ausgang 58
aus dem Thale bildete. Diese Luftströmung kam nicht stoßweise, sondern sie war gleichmäßig; sie wurde deutlich empfunden und wirkte doch nicht bewegend auf die Flamme des Feuers ein. Sie veranlaßte keinen hörbaren Ton, am allerwenigsten das Pfeifen und Heulen des Sturmes, und dennoch wurde sie vom Ohr vernommen. Dabei atmeten die Lungen ganz anders als vorher, ob schwerer oder leichter, das war eigentümlicherweise nicht zu sagen.«; es ist eben ›Yuavh-Kai‹, von dem »man erzählt, daß sich in diesem Thale nächtlicherweile oft überirdische, ganz unbegreifliche und unerklärliche Stimmen hören lassen.« Pause. (Damit’s spannender wird.) Dann will man noch einmal hin, sich Kaktusfeigen zum Nachtisch zu pflücken — aber schon ruft der SOHN DES BÄRENJÄGERS erstaunt: »Was ist das? Kommt einmal her, Mesch’schurs! So etwas habe ich noch nie gesehen!«. Man folgt »seiner Aufforderung. Als sie zwischen dem Wasser & dem Gebüsch hindurch waren, bot sich ihnen ein höchst überraschender Anblick dar. Der ganze Thalkessel lag in tiefem Dunkel... aber dort, wo die Kaktus standen, sah man zahlreiche Flammenbüschel, die in eigenthümlich bleichem, farblosem Lichte erglänzten. Jeder dieser Pflanzenkandelaber trug mehrere solcher Büschel; jeder Leuchterarm schien 1 solches Flämmchen auf seiner Spitze zu haben. Es war eine wunderbare, fast geisterhafte Erscheinung.« Die ungelehrten Westmenschen, obschon sämtlich von Beruf so unerschrocken wie Thedel von Wallmoden (bzw. ›Graf Richard von der Normandie‹), stutzen doch was weniges ob des niegesehenen Schauspiels: »Was mag das sein?« No fear; schon läßt sich »hinter ihnen eine tiefe, klare Stimme hören: ›Das ist Koharstesele-Yato, die Flämmchen des Großen Geistes, welche er anbrennt, wenn er seine Kinder warnen will.‹«. Man fährt, es ist zu verstehen, herum —: »und richtig, da hielt, gerade neben dem Feuer, ein Reiter. Wie hatte er, noch dazu zu Pferde, in das Innere des Gebüschkreises kommen können, ohne gehört zu werden? Er saß auf einem prachtvollen Rap59
pen, welcher auf indianische Weise aufgeschirrt und gesattelt war. Indianisch war auch der Anzug des Mannes, indianisch sein Gesicht, das keine Spur von Bart zeigte. ((›in die anische Weise‹: abgesehen von der ›Perseveranz‹ merke man sich für später die Verkuppelung mit ›Weise‹; das könnte dann, wenn auch keine FREUDe, so doch eine rechte Überraschung setzen)). Dafür aber hing ihm eine Fülle langen, schwarzen Haares weit über den Rücken herab; in der Hand hielt er eine zweiläufige Büchse, deren Holzteile mit silbernen Nägeln beschlagen waren.« Denn es ist, I told you so, »W, der Häuptling der Apachen«, der, als Gourmand, bei so kallipygischen Terraingestalten ja nicht fern bleiben kann; (und was das ›doublebarrelled‹ bedeutet, mag man im PARTRIDGE nachlesen). Man lagert erneut, »wohl über eine halbe Stunde«. Da beginnt, ab S. 747 des ›Guten Kameraden‹, ein weiteres, diesmal hoch-akustisches Fänomen: »Die Spannung, in welcher sich die Atmosfäre ((Dunstkugel)) befand, war fühlbar gewachsen. Es ging ein leises, kaum
hörbares Knistern durch die Büsche. Es hatte sich ein sanfter Wind erhoben, der nach & nach stärker wurde und die Zweige bewegte, so daß sie sich gegenseitig berührten. Es war, als ob dabei kleine, kaum sichtbare Fünkchen an den höchsten Spitzen der Äste übersprängen. ... Und jetzt richteten sich plötzlich alle auf; es war ein Ton erklungen, ein ganz eigenartiger Ton, wie von einer Glocke, welche hoch, hoch über ihnen angeschlagen worden sei. Er hielt wohl eine halbe Minute nach, senkte sich, immer mehr anschwellend, auf die Büsche nieder und war dann über dem Wasser verklungen. ›Was war das?‹ fragte Ben.« Alles staunt ob solch großer Nacht, wo GEOGRAFISCHE PREDIGTEN erschallen; die Landschaft nimmt immer gewaltiger den Charakter eines ›mystical space‹ (›mistische Spaße‹) an, sowohl für ›Fixierungen‹ wie für ›Verdrängungen‹ hervorragend geeignet. ›Säusel schweben wurzelauf‹; wieder ab; und verhauenen »in einem Diminuendo, das selbst ein Posaunenvirtuos nicht fertig gebracht hätte. ... ›Das ist Yalteh-yuavh-kai, die Stimme des Singenden Thales‹, erklärte der Häuptling 60
der Apachen. ›Das ists, also das!‹ sagte der Bärenjäger: ›Horch!‹«. »Es ging wie ein leiser Seufzer durch die Luft... Dieser Seufzer wurde zum bestimmten Tone von außerordentlicher Reinheit. Er hatte die Klangfarbe der 8füßigen Prinzipalpfeife einer Orgel, hielt eine Weile aus, und dann erklang über ihm ein zweiter, sanfterer Ton, welcher noch aushielt, als der erstere nicht mehr zu hören war. / Diese Schallerscheinung war ganz sonderbarer Art. Es konnte einem dabei grauen, und doch war sie von einer Erhabenheit, welche das Gemüt ergriff. Es war, als ob ein unsichtbarer, riesenhafter Bläser sein Instrument probiere, aber freilich ein Instrument, welches in keiner Orche-strologie verzeichnet ist. / Still lauschten die Männer, ob das Phänomen sich wiederholen werde. Und wirklich, es strich ein fühlbarer Luftzug über & durch das Buschwerk und brachte eine ganze Reihe von Tönen getragen, welche sich schnell folgten und in außerordentlicher Reinheit miteinander harmonierten. Sie waren von verschiedener Zeitdauer. Die tieferen hatten eine größere Länge und bildeten mit den höheren, schneller verklingenden eine Harmoniefolge, welche stets aus denselben Tönen der natürlichen Tonleiter bestand, aber in den verschiedensten Umkehrungen. ... Es gab nichts, was man mit diesen Klängen in einen Vergleich stellen konnte. Kein bekanntes Instrument konnte Töne von dieser erhabenen Majestät erzeugen, zu denen sich andere gesellten, die der zartesten Kehle, den sanftesten Lippen zu entstammen schienen.« MAY kann sich in der Schilderung der geheimnisvollen Resonanzerscheinungen gar nicht genug tun; 2 volle Seiten hindurch rühmt er diesen ›tune of our catch, played by the picture of No-body‹ (Ariel ist nichts dagegen): »Bald klang es im tiefsten Majestoso, wie aus einer 16- oder gar 32-füßigen Orgelpfeife ((die Pfeifen werden immer länger)), darüber hinweg schwebte es hoch, mild & klar wie eine Vox humana ((›Homo‹)) oder Aeoline, und zwischen diesen beiden wechselten in verschiedener Höhe und ergreifendem Ausdrucke die Stimmen des Kornett, der Posaune, der Gambe, des Akkordion ab. ((Also 61
›corno di caccia‹ = Wald-Hörnchen; ›Po‹ plus ›Sau‹; ›jambe‹ = Bein; und ›accordiren‹ = D’accord!. A.d.V.)). Bald klang es offen & hell, bald in leisem Gedacht, und doch sind alle diese Kunstbezeichnungen nicht imstande, einen Begriff von der Natur, Farbe und Wirkung dieser Töne zu geben, welche das ganze Thal erfüllten, und bald, wie zu einem tiefen, schmalen Strom vereint, hoch über demselben hinfluteten. / Die Lauschenden wagten nicht zu
sprechen. Selbst die beiden gewissenlosen Mexikaner fühlten sich gepackt. Sie befanden sich unter der mächtigen Domeskuppel des Himmels, welche die umstehenden, gerade aufragenden Felsen zu tragen schienen. Von einem unsichtbaren Orgelchore ((MAY hat, er gesteht es selbst, in Waldheim habituell ›georgelt‹; und das hat ja auch einen Slang-Sinn)) erklangen Töne, jetzt wie Donner-, dann wieder wie Engelsstimmen, hier wie der tiefe grollende Ruf der Brandung, dort wie Sphärentöne, in einer besseren und reineren Welt entstanden.« Der ältere, erfahrenere der beiden Bärenjäger weiß eine rationalistische Erklärung beizubringen: OS, die unbestrittene Autorität auf diesem Gebiet, hat ihm einmal »von dem bekannten Sackbut-Paß« erzählt, wo ebenfalls, in gleich-allerliebster Popografie, der Wind aus einer »tief eingeschnittenen Schlucht«, bläst & musi-ziert. Noch sind die Töne nicht recht verklungen, erfolgt schon wieder eine beträchtlich aufgeregte, optische Erscheinung — das geht hier, im ›Singenden Tal‹, Schlag auf Schlag mit den ›Knalleffekten‹ —: »Am Himmel, da wo er südwärts scheinbar auf dem Felsen ruhte, erschien jetzt plötzlich eine hellgelb strahlende Scheibe ((›Strahl‹, ja Scheibe)) von der Größe des Vollmondes. ... Sie schien aus der Sternenwelt hervorzubrechen ((Kunststück, bei einem ›Prä-Sitara‹!)) und in schnurgerader Richtung und immer größer werdender Geschwindigkeit gerade auf das Tal loszukommen.... desto deutlicher war zu sehen, daß es nicht eine flache Scheibe, sondern eine volle Kugel war. Die Umrisse derselben verloren an Schärfe;... und es bildete sich ein Schweif... dann that es einen Krach, als würden mehrere Kanonen zu gleicher Zeit 62
losgeschossen... der Schweif war noch einige Sekunden lang zu sehen; in dem kleinen Weiher tat es einen Schlag, und das Wasser desselben spritzte hoch auf... die Männer wurden mit Wasser überspritzt... doch ein voller, gewaltiger Ton, welcher aus mehreren übereinanderliegenden Oktaven bestand, brauste unisono über die Köpfe der erschrockenen Männer hin. Nur W hatte auch jetzt seine gewohnte Ruhe beibehalten; es gab eben kein Ereignis, welches ihm dieselbe rauben konnte.« Sehr nett also, wie das schwärzliche Gesicht des »Ben New Moon« durch den PseudoVollmond gewissermaßen austariert und in eine andere Fase überführt wird — bedeutet doch ›la lune‹ unter anderem, im französischen Scherz, auch den rundlichentblößten Popo. Dann wird noch ein kleiner Roter im Buschwerk entdeckt, der Vorläufer mehrerer großer Roter. Undsoweiter undsoweiter, etsitara. Und ich möchte, völlig ernst jetzt, mit literarisch-verantwortungsbewußtestem Nachdruck, betonen: Welch eine Allegorie, dies ›Singende Tal‹! Ein nackter Felsenkessel als Modellhintern. Der Harnblasen-Weiher. Säulen-Kakteen als Phallen, auf jeglichem sein bleichzüngelndes Sankt-Elms-Feuer. Die Hemisfärenmusik sublimierter Blähungen. Und zum Abschluß ›kommt es‹ noch wie ein SITARA-mäßiger Gestirn-Hintern I. Ordnung aus dem Himmelreich herangefegt. Die hier vollbrachte seelische Leistung der Umformung ist überaus erstaunlich: Verachtet mir den MAYster nicht! 63
§9 »Onzel grootvatter Lodewijk is onangonamed before the bridge of primrose. ... We think its a gorsedd shame, these godoms. ... A lurk of orangetawneymen!« (J. JOYCE, Finnegans Wake, S. 361) Ein beliebiges anderes Beispiel — ich werde im nächsten §, um dem Vorwurf zu begegnen, (möglich ist ja alles), ich hätte verzweifelt nach Exempeln stöbern müssen, ganze Serien andeutungsweise herzählen, die dann jeder Interessent zu stiller Stunde nach Herzenslust selbst anal-isieren kann — ist das »hide-spot« Old Firehands, in W II, etwa ab S. 463. Diese ganzen ›Hände‹ — ob nun Schütter-, Schür- bzw. Schurr-, oder eben auch die ›Alte Feuerhand‹ hier; ob ›juckl-Fred‹, ›Hobel-Frank‹ oder ›Dick-Hammerdull‹ — ernähren sich nicht nur von der Jagd, sondern sind zuweilen sogar berufsmäßige ›Pelz‹-Jäger. Werben eine Anzahl Kumpel an; setzen sich irgendwo im Zentrum eines vielversprechenden Jagdgebietes fest; und das digest eines solchen Standquartiers sei nun gegeben. (Die Genesis ist hier besonders undurchsichtig, da schon MAY selbst mehrere einzelne ›noch frühere‹ Stücke gemixt, und während des Mixens verändert hat: die Geschichte vom ÖLBRAND spielt mit hinein; und was gar die BOTH SHATTERS anbelangt, so scheint schlechthin alles möglich; wenn man die zur radebeuler Zeit kursierende zweite Erzählung von Bd. 38, HALBBLUT, liest, scheint die Lokalität praktisch die gleiche wie in W II; die Alte Feuerhand figuriert hier wie dort, (und der ›Rote‹ heißt sogar ›Po-kai-Po‹. — Aber sei’s drum: let’s take a turn in bushy park.) Die »Festung« der Jagdparty ist der Ort, wo die Herren ihre »Felle verstecken«: »Der Eingang zu unserer Ritterburg wird ja von einem Posten bewacht, der das seinige schon thun wird, unser Geheimnis zu bewahren. ... der Wald lief...«: da erscheint es auf S. 485 schon wieder beieinander; (und, wie’s der Teufel so will, Waldheim war ein ehemaliges kurfürstliches Jagdschloß!). Man »trabt munter« darauf zu; 64
aber »›Halt!‹ ertönte es da plötzlich aus den zur Seite stehenden Cottonsträuchern ((›Hurrah, the cotton down!‹)) hervor, und zu gleicher Zeit ward zwischen den Zweigen der Lauf einer auf uns gerichteten Büchse sichtbar« — im Exhibitionisten-§ wird man sehen, was dieses ›den Lauf der Büchse durchs Gebüsch zeigen‹ unter Brüdern zu bedeuten hat. Hier ist der Wachtposten Sam Hawkens, eine Art Menschenpilz, der den Eingang bewacht; und seine 2 Unzertrennlichen, Dick Stone & Will Parker, sind nicht fern. Obwohl Beide, ein Dicker der ›stöhn‹ & einer der ›parken will‹, nur vorübergehend abwesend sind, um »Fleisch zu machen«; und »der kleine Sir« ist auch wieder da. »›Gabs Rothäute?!‹ — ›Danke, Danke, Sir; könnte mich nicht besinnen, welche gesehen zu haben, obgleich‹, setzte er, auf sein Schießinstrument deutend, hinzu, ›Liddy Hochzeitsgedanken hat.‹ — ›Und die Fallen?‹ —: ›Haben gute Ernte gehabt.‹« Gerade bei diesem frühen & deshalb grobschlächtigeren Exempel wird die Notwendigkeit, die allerersten Freiburger Tausender heranzuziehen, besonders sichtbar; die seitdem erfolgte progressive Verschleierung der Texte hat die eingeflossenen Zweideutigkeiten selbst der Feinbeobachtung zu schwer erkennbar gemacht (schweigen wir ganz von blöderen
Augen); aber hier ist es an Hand der alten Originale noch relativ leicht zu verfolgen, wie alle diese im Irrgarten der S-Symbolik herumtaumelnden Kavaliere unbeachtet ihre kunterbunte Konterbande von Vulgarismen mit sich herumschleppen: ›Fleisch machen‹, jaja; der ›Kleine Sir‹; ›Gabs Rothäute?‹ erkundigt sich Feuerhand diskret, und Jener deutet auf sein ›Schießinstrument‹, das ›Hochzeitsgedanken‹ hat, und spricht ein bedauernd ›nein‹, obschon ›die Phallen gute Ernte‹ gehabt haben — ich bitte, die Possen (›Po-Szen’n‹) im Folgenden selbst zu merken; ich zeichne nur hie & da einiges noch ausdrücklich an. — »Die kleine Szene hatte mir gezeigt« erklärt OS, »daß wir in der Nähe der Festung angekommen seien... und mit Aufmerksamkeit musterte ich die Umgebung, um das Thor zu 65
entdecken. / Jetzt öffnete sich links eine enge Kluft, welche von so nahe aneinandertretendem und oben von Brombeerranken überdachtem Gestein gebildet wurde, daß man beide Seitenwände mit den ausgespreizten Händen erreichen konnte. Die ganze Breite des Bodens nahm ein Bach ein. ... Old Fire-hand bog hier ein, und wir folgten, langsam gegen den Lauf des Wassers reitend.« / »Kurze Zeit nur hatten wir diese Richtung eingeschlagen, als die Felsen zusammenrückten und uns in so geschlossener Masse entgegentraten, daß der Weg hier zu Ende zu sein schien. Aber zu meinem Erstaunen ritt Old Fire-hand immer zu und ich sah ihn mitten durch die Mauer verschwinden. W folgte, und als ich die rätselhafte Stelle erreichte, bemerkte ich nun allerdings, daß die dichten, von oben herabhängenden, wilden Epheuranken nicht eine Bekleidung des Steines, sondern einen Vorhang bildeten, hinter welchem die Öffnung tunnelartig fortlief und in dichte Finsternis führte.« Also W & OS reiten wieder mal hinter’nander; der Ausdruck »rätselhafte Stelle« zählt zu MAY’s eisernem Bestand (alle Kinder seiner Fantasie tragen solche Feuermale); und ›Efeu‹ ist das geläufige Sinnbild der ›Freundschaft‹; (auch 38, 317 reitet man in den Felsspalt hinein). »Lange, lange Zeit und in verschiedenen Krümmungen folgte ich den beiden Voranreitenden durch das Dunkel«, heißt es dann träumerisch weiter, »bis endlich wieder ein matter Tagesschein vor mir auftauchte und wir in eine ähnliche Kluft kamen wie diejenige, durch welche wir uns vorher gewunden hatten. Als dieselbe sich öffnete, hielt ich überrascht an«; denn jetzt kommt wieder, wie 100 Mal vor- & nachher im Werk, das Ziel jedweden heldischen Ritts, der unverMAYdliche Genitalkessel (S. 467f): »Wir befanden uns nämlich am Eingange eines mächtigen & weit ausgedehnten Thalkessels, welcher rings von ungangbaren Felswänden umschlossen war. Ein blätterreicher Saum von Büschen umrahmte die mit lockigem Grase bestandene, fast kreisrunde Fläche, ... ›Da habt Ihr meine Burg‹, wandte sich Old Firehand an uns, ›in welcher es sich noch sicherer wohnen läßt, als selbst in Abrahams Schöße.‹ / ›Giebt es eine Öffnung 66
dort in den Bergen?‹ fragte ich, nach dem entgegengesetzten Ende des Thales deutend. / ›»Nicht so viel, daß ein Stunk hindurchschlüpfen könnte... es ist wohl schon manche Rothaut da draußen vorüber geschlichen, ohne zu ahnen, daß diese schroffen Felsenzacken nicht eine kompakte Masse bilden, sondern ein so allerliebstes Thal umschließen.‹ / ›Aber wie habt Ihr diesen köstlichen Ort entdeckt?‹ / ›Ich verfolgte ein Raccoon ((›Waschbär‹)) bis in die Spalte, die damals noch nicht vom Epheu verdeckt wurde, und habe natürlich sofort Besitz von dem Platze ergriffen.‹ / ›Allein?‹ / ›Erst ja... Später aber habe ich meine ›Jungens‹ mit hergenommen, wo wir nun unsere Häute sammeln und den Schrecken des Winters
trotzen können.‹« Sie sind wieder einmal vollzählig versammelt, die unbewußten Sconcetti: das ›langsam in den Spalt reiten‹, ›gegen den Lauf des Wassers‹; die ›fast kreisrunde Fläche‹; Graslocken locken; nichts gegen ›Abrahams Schoß‹, der in seiner Art ganz gut gewesen sein mag, aber hier ist noch besser wohnen; der Druckfehler vom ›Stunk‹ ist unbezahlbar, (obwohl das beabsichtigte ›Skunk‹ ja letztlich das gleiche geleistet hätte); und daß der ›köstliche Ort‹, der allahwerteste, zu einer Zeit entdeckt wurde, da noch kein Freundschafts-Flaumkraut die junge Spalte deckte, könnte als Altersbestimmung bedeutsam sein, wie auch, daß die Alte Feuerhand einem brummenden Braunbärchen hinterdrein war; verständlich, daß er später auch andere, gleichgesinnte ›Jungens‹ mit hierher nahm, wo man sich in aller Ruhe mit seinen Häuten befassen kann. Ein »gellender Pfiff« ertönt »weit über den grünenden Plan«; »sofort öffneten sich an verschiedenen Stellen ringsum die Büsche, und es kamen eine Anzahl Gestalten zum Vorschein, denen man das Bürgerrecht des Westens auf mehrere tausend Schritte anzusehen vermochte«, vielleicht am Gang & an den Haaren? Die betreffenden ›Gestalten‹ machen ihrer FREUDe über die Ankunft so prominenter Reiter »in den kernigsten Ausdrücken« Luft. »Mitten in dem Lärmen, der allerdings nur in dieser vollständigen Abgeschlossenheit erlaubt sein konnte«, sattelt W ab und schreitet stolz davon, »ohne die 67
Umstehenden eines Blickes zu würdigen«, das ist so Reckenart, (diese brutalübermaskulinen Sächelchen, für die gewisse Leute arg anfällig sind). OS dagegen unternimmt eine »Rekognoszierung des Platzes. / Wie eine riesenhafte Seifenblase waren die Gesteinsmassen bei der Bildung des Gebirges von den plutonischen Gewalten emporgetrieben worden und hatten bei ihrem Zerplatzen eine bohle, nach oben offene und von außen unzugängliche Halbkugel gebildet, welche dem eingesunkenen Krater eines ungeheuren Vulkans glich... die angesammelten Wassermengen hatten sich nach und nach durch eine Seite der Felswand gebohrt und den Bach gebildet, der heute unser Führer gewesen war.« Es wimmelt von Vögeln aller Arten. OS schreitet die Felswand entlang, und »in derselben bemerkte ich zahlreiche mit Tierfellen verschlossene Öffnungen« — eine Klasse von Gebilden, die im nächsten Großkapitel behandelt werden wird. Hier nun gilt es etwas nachzuholen: Old Firehand hatt’ auch einen Sohn, Harry; der trotz seiner Jugend schon itzt voll seinen Mann steht im Anschleichen & Umlegen von ›Roten‹, eine Belustigung, wobei er sich prinzipiell seiner, freilich noch etwas kurzläufigen Lieblingswaffe bedient: »›Was sagt Ihr zu dieser Pistole hier?‹ / Er griff in die Satteltasche und zog ein altes, verrostetes Schießinstrument heraus, welches einem viel in Gebrauch gewesenen Prügel ähnlicher sah, als einer ordentlichen und zuverlässigen Feuerwaffe. / ›So! Das Ding stammt jedenfalls noch von Anno Pocahontas her; aber es kann für den damit Geübten doch ganz gut sein. Ich habe Indianer oft mit dem armseligsten Schießzeuge zum Verwundern umgehen sehen.‹« Ich verweise zur Rolle der Waffen auf § 18; und will hier nur die cynische Behendigkeit der S-Alfanzereien würdigen, das ›Piss‹ plus ›Tolette‹, das ›verrostete Schieß‹-instrument, den ›viel gebrauchten Prügel‹, das ›Anus + Po‹ in ›Anno Pocahontas‹, die ›Aner‹, die ›arm‹ aber ›selig‹ mit ihren ›Schieß-Zeugen‹ Wunderdinge verrichten. Und während in der ersten Fassung der Geschichte (1876?) OS noch mit einem Mädchen durch ölige Flammen reitete — 68
ich ziehe die rittmisch phollere Phorm in diesem allzu-knappen Phalle phor — so ist
es 1878 bezeichnenderweise eben schon Knabe Harry, »bräunlich & schön« (WII, 406): der nämlich ist der bereits erwähnte ›Kleine Sir‹; und OS, der sich »für ihn zu interessieren« begann und ihn »wiederzusehen hoffte«, (weshalb er sich sogar Kränkungen aller Art antun läßt), trifft das »jugendliche Wesen« nunmehr hier, einen Harry, »welcher, wie ich bald bemerkte, den Männern in jeder Beziehung gleichberechtigt war«, und der »mitten unter denselben Platz genommen« hat. Natürlich poussiert man entsprechend mit einander; denn Harry hat OS zunächst für einen Feigling, ja einen »Coyoten« gehalten, was begreiflicherweise zu den interessantesten Schmoll- & Versöhnungszenen führen muß. Aber, kein Wunder bei so vielen & großen Verdiensten auf beiden unwiderstehlichen Seiten, man einigt sich rasch: »Etwas höchst Erfreuliches: Harry hatte sich schon bei grauendem Tage um Swallow ((OS’ damaliges Leibroß; etymologisch wohl weniger von ›Schwalbe‹ als vielmehr von ›gähnender Schlund‹, ›Pfuhl‹, ›gieriges in sich hinein schlucken‹ abzuleiten)) bekümmert, ein Zeichen, daß er auch an seinen Herrn gedacht habe.« Abends läßt sich der lustvoll lüstelnde Allgemeinlust-Mitteiler dann von Harry zum Schlafen bugsieren: »Einige Minuten später standen wir vor einer der erwähnten Fallthüren ((wie sich da so züchtig ›Phall‹ an ›Fell‹ an ›Hosenthürl‹ schmiegt)) welche er zurückschlug, um mich in einen dunklen Raum zu führen, der indes bald durch eine primitive und mit Hülfe des ›Punks‹ entzündete Hirschtalgkerze ((die Bedeutung der ›Lichter‹ und sonstigen ›Kerzenersätze‹ à la St. Elmsfeuer ist ja jedem Schulmädchen bekannt)) erleuchtet wurde. ›Das Thal ist feucht —‹« flüstert Schön-Harry; und »›Vorsicht ist zu allen Dingen nütze, wie man drüben in der Heimat sagt. Schlaft wohl!‹ Er bot mir die Hand und schritt dann mit freundlichem Kopfnicken hinaus. Als ich allein war, blickte ich mich in der kleinen Klause um... den felsigen Fußboden hatte man mit gegerbten Häuten belegt; ebenso waren die Wände mit denselben behangen« — 69
›Und hier! — (Er hebt einen Bettvorhang auf) — Was faßt mich für ein Wonnegraus!‹ (FAUST): »an der hinteren Wand stand die Lagerstätte, bestehend aus einer allerdings nur aus glatten Kirschbaumstämmchen zusammengesetzten Bettstelle, über welche sich auf einer dicken Lage weißer Yutafelle eine sehr hinreichende Anzahl echter Navajodecken breiteten. Mehrere in den Ritzen eingeschlagene Holzpflöcke« geben ihm die letzte beglückende Gewißheit, »daß Harry mir sein eigenes Kabinett abgetreten habe« (474) — ›Nicht jedes Mädchen hält so rein‹; und ihn männert mächtig. Am nächsten Morgen weckt OS die FREUDige Mitteilung: »der Kleine Sir steht schon am hole!« und warte auf ihn. Wahrlich, die Konflikte der Freundschaft sind, (eine freilich auch nicht mehr gänzlich neue Bemerkung) mindestens ebenso spannend wie die der Liebe. Man tut selbdritt einen Gang, die Fallen zu kontrollieren, etwa »einen Dickschwanz herauf zu angeln«; aber Eile ist nötig: »Wir müssen die Beine auseinander nehmen, wenn wir zu rechter Zeit fertig sein wollen.« Dennoch trifft man bereits auf Feinde und muß en passant »zwei Rote auslöschen«; es hilft alles nichts, der beabsichtigte friedliche Ausflug verwandelt sich in ein Anschleichen, wobei OS Gelegenheit erhält, Harrys Gewandtheit zu bewundern, »es war nicht anders möglich, er mußte schon von Jugend auf mit dem Leben im ›Jagdlande‹ vertraut sein, mußte Eindrücke empfangen haben, welche seine Sinne geschärft, sein Gefühl gehärtet und dem Laufe seines Schicksales eine so ungewöhnliche Richtung gegeben hatten.« Man bewegt sich also lautlos voran, naht sich einer stark verkrauteten Einsenkung, und erschnuppert Rauch & Rüchlein von Roten — es sind Ponkas, und sie »könnten ihre Nasen auch zwischen deine Beine stecken wollen.« Folglich zurück, sonst »geraten
wir zwischen die Suchenden und werden vielleicht von den Unsrigen abgeschnitten. ... Ihr ändern aber rührt die Hände und deckt die Catches ((›Verstecke für Häute‹)) mit Rasen zu. Man kann nicht wissen, wie es geht, und wenn die Braunen ja zwischen unsere Felsen kom70
men, sollen sie wenigstens nichts von dem finden, was sie brauchen können.« Dann geht es erneut ans »Gutter« hinaus zum Spähen; ein Rencontre mit den Gegnern erfolgt; (und die Beschreibung samt Auswertung, wie OS mit dem feindlichen Häuptling — ein Diminutiv von ›Haupt‹ verbunden mit der wesensklassenbildenden Endsilbe ›ling‹, mit anderen Worten ein ›Herr Klein-Köpfle‹ — verfährt, findet man auf S. 171 f., einem schier noch echteren TAIL OF THE RUGGED MOUNTAINS.)
§10 »16: L’Année merveilleuse, ou les Hommes-Femmes. A Sibaris, chez Andro-Ginos, à l’enseigne de la Mollesse. / 1748. Kl.-8°. 28 Ss. (Nicht bei Barbier!).« (ANTIQUARIATSKATALOG, F. Schöningh, Osnabrück) Ich zähle im Folgenden flüchtig 1 Bäckerdutzend weiterer Beispiele dieser Gruppe her; sie strömen dem einmal aufmerksam Gewordenen derart reichlich zu, daß es ihn einer EntdeckerFREUDe berauben hieße, wollte ich hier mehr anstreben als ein flottes Durchschreiten der verbuhlten Landstriche, samt knappen methodologischen Hinweisen, 1 Wichtigstes sei allerdings vorbeugend betont: fast alle liegen sie zunächst im Wilden Westen! (Auf das naheliegende ›Warum?‹ wird später geantwortet werden.) — Schade, daß man dem Text von Bd. 69, RITTER & REBELLEN, insofern mit einigen Vorbehalten begegnen muß, als es sich zugestandenermaßen auch wieder um eine Bearbeitung handelt; ansonsten dürfte man Episoden wie die ab S. 94 schon einer Wi-Wi-Sektion unterziehen können: wie da mehrfache Kombinationen von ›Wald‹ & ›Heim‹ durch die Zeilen spuken, als es auf die ›verwachsene Spalte‹ zu geht; (das ›Leuchtfläschchen‹ von S. 95 ist evtl. das früheste Beispiel sei71
ner Art); 101 das gern geübte Eindringen in fremde Gänge; der ›Jagdhieb‹; 103 dann die ›2 künstlichen Ranken am Spalt‹, ›Rosen‹ sinds, zum Dranziehen, (vgl. S. 99). Vorsichtshalber sei zuerst, als vielleicht etwas besser gesichertes Exempel, das auch noch relativ frühe »Todesthal« der DEUTSCHEN HELDEN IV, Ss. 330ff. erwähnt, (Einzelbestimmungen ergeben sich zum Teil wesentlich ›weiter hinten‹, bis S. 500). Schon kommt Einem der, in einem späteren Bande reichlich ausgebaute SILBERSEE entgegen, (übrigens auch so ein Podex argenteus). Und nun unterhält sich Steinbach, der Hauptheld (ein Prä-OS, der sich eines besonders kuriosen, ausziehbaren Schießzeuges erfreut; vgl. S. 141 ff.) samt seinem Gefährten Günther mit dem Neben-Schurken Juanito, der die beiden reichen Ausländer behufs eines schlichten Doppel-Raubmords mit sich in besagtes ›Todestal‹ locken möchte: »Es ist ein Leben wie in der Hölle. Felsen, nichts als Felsen, Sonnenglut und Giftdunst. Der Teufel mag es holen. ((›Dunst‹ & ›hole‹)). Aber lassen wir das. Woher seid denn Ihr, Sennores?‹ ›Von jenseits der Grenze‹, antwortete Steinbach.«; (auch in ›Hölle‹ steckt noch das ›hole‹; und daß MAY das Gefühl, eine Grenze überschritten zu haben, nicht los wurde, tun unter anderem Kapitelüberschriften dar, wie W II Nr. 1, SILBERLÖWE III Nr. 2, A & D II Nr. 8, usw.). Mißtrauisch erkundigt Juanito sich, was sie eigentlich wollen: »›Hier in dem armseligen Loch sind doch keine Geschäfte zu machen!‹«; (›arm‹ plus ›selig‹ plus ›Arm‹, ja ›Armloch‹). Steinbach redet ihm ein, er wolle große Mengen Quecksilbers aufkaufen; seinen Reichtum motiviert er durch den Fund einer ›Bonanza‹; (›Bo‹ sexisch für ›Po‹, sowie die Gleichung Gold = Kot). Juanito, der Aufseher eines zuchthausmäßigen Quecksilberbergwerkes ist, geht in die Falle, und offeriert als Köder seinen Vorrat aus dem Todesthal. Steinbach, der weiß, daß die von ihm zu ›befreienden Gefangenen‹ (jene MAY’-sche ewig-fixe Idee) dort sein müssen, will nicht »die Katze im Sack« kaufen, sondern mit hinreiten: »›Der
Ort hat einen so eigenartigen Namen, daß man wohl den Wunsch einmal 72
hegen kann, dieses Thal in Augenschein zu nehmen.‹ ›Was habt Ihr davon? Ihr erblickt eine öde Felsenschlucht, in der die Luft in der Sonnenglut kocht.‹ ›Interessant, sehr interessant! Nun möchte ich es erst recht sehen.‹« Wohlmeinende warnen ihn vor den dort zu gewärtigenden Gefahren: »›Wieso? Wegen der Hitze, die dort herrscht?‹ — ›Nein, sondern wegen des bösen Geistes, der dort zwischen den Felsklüften wohnt!‹« — vielleicht herrscht ja da ein ähnlicher ›Geist‹ wie im Ljano? Steinbach weist auch nur lächelnd den Lauf seines Zaubergewehres vor: »›Davon bekommt er ((der Geist)) ein Loch.‹« Man reitet rüstig fürbaß; da wird binnen kurzem der »Boden unfruchtbar«, wie immer in solchen Fällen; »es zeigten sich Berge, nackt, kahl,«, wie immer in solchen Fällen. »Sie rückten näher aneinander«, (das ›wie immer in solchen Fällen‹ spare ich ab jetzt ein), »und eben, als die Sonne den westlichen Horizont ((= links)) erreichte, gelangten die Reiter in eine enge Schlucht, die tief zwischen zwei hohen, steilen Felswänden einschnitt. / ... / Die Schlucht war lang. Später erweiterte sie sich« (w. i. i. s. F.) »zu einem weiten Talkessel« (ein Geni-Tal, das man ›weiten‹ kann) »bei dessen Anblick Steinbach unwillkürlich sein Pferd anhielt. ›Ja, das ist das Todesthal, man sieht es.‹ /.../ Der Thalkessel hatte einen Durchmesser von vielleicht 2 englischen Meilen. Er wurde von schwarzen Fellswänden gebildet, die beinahe lotrecht abfielen und von schmalen tiefen Klüften zerrissen waren. Diese Wände machten einen beängstigenden, unheimlichen Eindruck. Es war, als ob hier einmal ein großer Brand gewütet habe, der die Felsen schwarz färbte; oder als ob hier der Eingang in das glühende Innere der Erde sei, der sich mit Felstrümmern vor kurzem erst verschlossen habe. / Die Sonne war nicht mehr zu sehen, aber die Glut, die sie hier in der Tiefe zurückgelassen hatte, benahm einem beinahe den Atem. Die Pferde schnauften ängstlich. / Keine Spur eines Baumes, eines Grashalmes. Tot, tot und abermals tot war alles ringsumher. ((Ich verweise auf die Perseveranz dieses ›tot‹, und die Verbindung zur ›Toten73
Stadt‹; vgl. S. 307 ff.)). Nur 1 einzige Spur von Leben zeigte sich. / Nämlich gerade in der Mitte des öden Kessels erhob sich ein steiler Berg, dessen Felswände senkrecht in die Höhe stiegen. Es war keine Spur eines Gebäudes zu sehen; aber hoch oben stieg zwischen den Felsenzacken ein dünner grauer Rauch langsam empor.« Das Wort »Krater« fällt, was natürlich eine Lüge Juanitos ist; (aber immerhin, es ist ›da‹; fällt doch auch W in einem ›Krater‹, dem der ›Han-cock‹-Berge, wo sich ›Hahn & Henne‹ begegnen). Man gelangt zu einfachsten adobe-abodes; die Tür geht auf, und eine sehr wichtige »Alte« (vgl. § 27 f.) tritt heraus: »Sie hatte ganz das Aussehen jener alten Hexe im Kindermärchen, die im tiefen Walde wohnte, und die Kinder fraß, die sich zu ihr verliefen. ... Diese Alte machte in der That ganz den Eindruck, als ob sie soeben aus der Räucherkammer ((!)) komme. ... ›Des Teufels Ur-Ur-UrGroßmutter!«; die Details werden ihrem ganzen Gewicht nach erst später begriffen werden, für jetzt sei lediglich noch einmal die ›Räucherkammer‹ hervorgehoben. Die Wasserversorgung ist verständlicherweise nicht besonders hygienisch oder ›ideal‹: »Steinbach trat an die Cisterne. Das war ein tiefes, viereckiges Loch. Er konnte nicht auf den Grund blicken, aber es kam ihm ein Geruch von fauligem Wasser entgegen, der ihm allen Appetit sofort verleidete.« Das ist das, seit SCHERNER sattsam bekannte Harnblasen-Äquivalent des ›stehenden Wassers‹ — im allgemeinen hat MAY den ›Wasser-Lauf‹ gleich lieb; es ist ja aber wohl auch ungefähr dasselbe.
Zurückgekehrt ins Haus zündet Juanito gegen die zunehmende Dämmerung, The twilight of the Guts, gleich die nimmerfehlende ›Kerze‹ an und steckt sie in das »Loch« einer mächtigen Kartoffel, die als Leuchter dient. Läßt dann die Gäste allein, und begibt sich zu jener ›Hexe‹, die just dabei ist, »sich einen alten, abgebissenen Pfeifenstummel mit Tabak zu stopfen«. Der Versuch, die Gäste mit »vergiftetem Fleisch« zu betören — (man merke sich dies ›vergiftet‹ im hieros gamos mit jener ›Großmutter‹!) — mißlingt bei Steinbachs Sagazität selbstverständlich; die Übeltäter werden dingfest gemacht, 74
und die auch-immerwiederkehrende Peitschenszene erfolgt. Man befreit die Gefangenen, und das erste, was Einer von Denen unternimmt, ist, einem Braunen die Kopfhaut abzuziehen, »bei lebendigem Leibe«, versteht sich, damit er mehr davon hat. Schon erscheint ein Prä-W, die »Starke Hand«, der Apachenhäuptling ›Lata-Nalga‹, und befreit mit. Man untersucht die Geheimnisse der Baulichkeiten, und entdeckt den unvermeidlichen wohlbevorrateten Vorsehungskeller, (eine Zwangsvorstellung, zu der selbstredend auch der dauernde Hunger-Komplex des Gefangenen beigetragen haben wird), und leuchtet alles an: »Eier ... in Kleie gelegte Schinken... Fässer voller Tabak und auch Cigarren«; noch’n neuen-kleinen Brunnen, in tiefem Schacht, mit Schlauch & eiserner Pumpe; (während sich draußen freundwie feindliche Indianerstämme ((›Aner‹ + ›stemmen‹)) langsam sammeln). Ein ›Todestal‹ mit einem Indianerhäuptling ›Starke Hand‹ kommt noch einmal in SATAN III zum Vorschein, (ich habe den HAUSSCHATZ von 1896 zur Hand, und kann also nach dieser ersten Fassung zitieren, S. 122 ff.): »Das Thal hatte die Form & Gestalt eines eingesunkenen Kraters. Die Wände stiegen steil an und bestanden aus festem Gestein... Die Thalsohle bildete einen Kreis, dessen Umfang man in einer halben Stunde abgehen konnte. Am nördlichen Rand drang ein kleines Wasser aus dem Boden; es verschwand aber bald wieder in der Erde.... Es war vielleicht 1 Stunde vor der Dämmerung, als wir an dem Rande des Todesthales anlangten. Wir ritten die steile & schmale Senkung hinab, einer hinter dem ändern, und langsam wie ein Leichenzug. Wenn wir wirklich da nicht wieder heraufkommen sollten!... Als wir die Thalsohle erreichten, lenkte der Häuptling nach der Stelle ein, wo das Wasser aus dem Felsen trat... sie ((die Rösser)) wollten aber das schweflige Wasser, welches wie faule Eier roch & schmeckte, nicht nehmen. Währenddessen ließ ich meinen Blick über das Thal hinschweifen. ((›Meinen Schweif über das Thal hinblicken‹; ein ebenso alter wie nach ›faulen Eiern‹ miefender 75
Witz; ich weiß)). Am nördlichen Rande, da wo die Felsen am steilsten aufstiegen, befand sich die Spalte, in welcher wir damals den Häuptling begraben hatten.« (Einen ›Häuptling‹ in einer ›Spalte‹ ›begraben‹! BARGMANN’s ›Histologie‹ ist nichts dagegen!). »Sie war nicht groß, unten vielleicht nicht ganz 6 Fuß breit, und verjüngte sich so schnell, daß sie in Manneshöhe eine Breite von nur noch 2 Spannen betrug; ((›Betrug‹!)); von da aus ging sie in gleicher Breite eine beträchtliche Höhe hinauf«; usw. —: wie da erneut so hölzern Puppe an Puppe klappt! (Daß kein L I-ler, sämtlich auf ein- & demselben Auge blind, mir Beifall klatschen oder schreien werde, gilt mir etwa ebensoviel, wie KBN das Rauschen im Baum ›El Dscharanil‹.) SATAN I — auch einer jener Bände, wo sich pausenlos Po-Ebene an Genitalkessel an feuchtwändig-hochinteressanten Stollen reiht — will man, ab S. 434 zu einem ›Tümpel‹: »W kennt den Wald, die Höhe und auch den Tümpel, den er sogar bei Nacht finden würde«. Durchaus glaubhaft. Der Wald dort ist zwar heimlich-dicht, aber
»es führt ein lichter Streif, fast wie ein ausgehauener Weg, nach der Höhe und nach dem Tümpel«, wo die feindlichen ›Yumas‹ lagern — wer ›romanische Sprachen‹ gelernt hat, dem fallen sogleich ›Klangfiguren‹ à la ›Stute‹ ›Lasttier‹, ›Ehejoch‹ ein; der feindliche Häuptling nennt sich auch den ›Großen Mund‹, der OS zeitweilig ganz gefangen nimmt, (wovon noch ein Mehreres). W führt bis an den Rand jenes Gehölzes: »Ich drang mit W tiefer in den Wald ein, welcher schon jetzt fast steil aufwärts stieg... W kroch... mit einer Sicherheit umher, als ob er sich schon viele Male in dieser Gegend befunden habe. ((!)). Dann drehte er sich nach mir um und hob warnend den Zeigefinger, um mir anzudeuten, daß jetzt noch größere Vorsicht als bisher nötig sei, legte sich ins Moos ((›Mors‹?)) und lauschte nach vorn. Dies und der Umstand, daß es jetzt nach Wasser roch, zeigte mir an, daß wir uns ganz nahe an dem Tümpel befanden. / Ich schob mich weiter vorwärts, kam neben W zu liegen, und konnte nun... hinaus auf eine kleine Lichtung sehen, deren 76
Mitte ein stehendes Wasser einnahm. Jedenfalls gab es da einen Quell, ((der)) gleich wieder in den porösen Waldboden ((›Po‹ + ›Röschen‹ + ›Wald‹ + ›Bo‹)) versickerte. Das Plätzchen war von 3 Seiten von Bäumen & Büschen eingeschlossen; die vierte stand offen; da ging der natürliche Weg vorüber... ((er)) bestand in einem von der Natur geschaffenen, dünnen lichten Streif, welcher sich jenseits ((›jenseits‹ d. h. ›der Grenze‹)) durch den Wald von der Höhe niederzog«; und denn sofort auch nach dem nächst-ähnlichen theatre of operations hinleitet, der ›Fuente de la Roca‹. (Man beachte das pausenlos schwirrende Getöne eitler Fäden, widersinnig verfitzter, à la ›Licht‹, ›Vier‹ (Buchstaben), und wie oft der ›Boden‹ im MAY-Land ›porös‹ ist, bildet ein wahres Wunder der Geologie.) »Am liebsten wäre ich ((OS)) jetzt gleich nach der Fuente aufgebrochen« (468 ff.); aber es kommen ihm noch mehr ›Yumas‹ dazwischen, die sich rechtens wundern, ihn frei zu erblicken: »Ist OS denn nicht Gefangener des Großen Mundes?!«. Aber Der vermag eben, trotz aller seiner-ihrer Anstrengungen, OS »nicht zu halten«. Zu dem neuerlichen Ritt jetzt gibt es »eigentlich nur 4 Personen, auf welche ich mich vollständig ((von ›stehen‹)) verlassen konnte: W, ich, und die beiden Söhne des Starken Büffels«, (junge ›Rote‹, die noch des näheren porträtiert werden). »W kannte die Fuente und ihre Umgebung, und schlug sicher den geradesten Weg nach derselben ein.« Sicher. »Mein Bruder braucht keine Sorge zu haben, daß wir die Fuente verfehlen. Ich treffe sie so gewiß, wie meine Kugel ihr Ziel zu finden pflegt: ohne daß wir 1 einzigen Schritt des Umwegs machen«; worauf OS denn auch »fest überzeugt« ist, obwohl man »den heutigen Ritt so spät beginnen« kann. »Der Weg war sehr bequem; er führte stundenlang über einen weiten Ljano, ((ach!)), welcher mit kurzem Grase bewachsen war. Dunkle Streifen, die bald im Norden und bald im Süden am Horizonte erschienen, deuteten an, daß der Llano mit Wald eingefaßt war. Der Boden hatte die nötige Feuchtigkeit, um Gras hervorzubringen, doch kamen wir an keinem fließen77
den oder stehenden Wasser vorüber... Obgleich man es nicht sehr bemerkte, stieg der Llano immer bergan, bis er an einem Laubwald endete, welcher die Lehnen sanfter Höhen umsäumte. Wir ritten zwischen denselben empor; sie bildeten sich zu Bergen aus, welche mit dichtem Nadelholz bestanden waren. Die Thäler, durch welche wir kamen, wurden von kleinen Bächen durchflossen, und verwandelten sich infolge der zunehmenden Steilheit der anliegenden Höhen in Schluchten, in denen es schon düster war, als die Spitzen der Berge noch im Abendrote erglänzten.« (Das ist
auch so eine Spezialität des Hauses MAY, diese ›rot leuchtenden Spitzen‹ von gewissen Bergen. Er bemächtigt sich zu gern solch hochgelegener Punkte, sei es nur mit den Augen; starrt eine Weile hin — kommt dann wieder ›moralisch‹ zu sich, faltet die Hände, und murmelt etwas von ›Alpenglühen im Himmelreich‹ hinterher. Jaja.). — »Nun mußten wir langsamer reiten als bisher. W war als Führer an unserer Spitze. Es trat vollständige Dunkelheit ein.« OS reitet zu ihm vor, und erfährt unter anderem: »›Mein Bruder wird bemerkt haben, daß dieses Thal nach Norden streicht‹« — (es wäre ja auch das erste, das das nicht täte!). Man nimmt 25 ›Mimbrenjos‹ mit sich — spanisch ›miembro‹ = Glied; ›membrana‹ = Häutchen. W hat OS auch deren Dialekt beigebracht; so daß Der also von ihm die ›Gliedsprache‹ erlernt hätte; (›Schwanzgestik‹ nennt man’s bei Katzen). »Indem wir am Wasser aufwärts schritten, bildeten wir eine Einzelreihe. Jeder Nachfolgende ging hart hinter seinem Vordermanne, damit wir die Fühlung nicht verlieren möchten ..... ((›Wo Siebene eine Kette bilden‹ heißt es, glaub’ ich, bei Juvenal?)) ..... Als wir dann die Fuente erreichten, sahen wir, daß der Ort für unsern Zweck gar nicht geeigneter sein konnte. Der Felsen spaltete sich zu einer Nische, in deren Hintergrund der Quell aus dem Gestein hervorsprudelte ..... Es gab selbstverständlich lebhafte Szenen, welche für uns teils unangenehm ((›onangonamed‹)) teils heiter waren, aber keine Bedeutung hatten, weshalb ihre Schilderung besser unterlassen bleibt. Wir schliefen tüchtig.« Am nächsten 78
Morgen dann geht es weiter nach dem Bergwerk (Quecksilber) von Almaden Alto — aber das ist schon wieder ein ›Hintern III. Ordnung‹, und untersteht als solcher dem nächsten größeren Kapitel. — »Die Yumas wollten nach einem weiten Becken, in dessen Mitte ein kleiner See lag, an dessen Ufern wieder gelagert werden sollte. Wir erreichten den Südrand des Beckens, als die Sonne hinter den westlichen Höhen verschwand«; (wenn es finster wird, ist man gern ›am Becken‹). »Der erste Blick zeigte, daß es hier vor Zeiten eine größere Wasseransammlung gegeben hatte, deren Gestalt eine zwischen Nord und Süd länglich gestreckte gewesen war. ((Dat wäit wie nu!)). OS, mit W an der Spitze des Zuges, kommt von Süden herangeritten. »Die Yumas hielten ihre Augen nach der Mitte des Beckens gerichtet, welche allerdings einen einladenden Anblick bot, da um den kleinen See ((›Nord- oder Ost-Se?‹ geht der Kalauer)) dichte Bäume & Sträucher standen, um welche sich ein Ring saftigen Grases zog. W aber war ebenso wie ich gewöhnt, auf einem solchen Terrain zunächst und vor allen Dingen nach der persönlichen Sicherheit auszuschauen, und darum richteten sich unsere Blicke nach den Mündungen des... Tales.« Und tatsächlich läßt sich dort doch schon wieder der Erzfeind, der Große Mund mitsamt den Seinen, sehen, der OS + W + Mimbrenjos den Besitz jenes lauschigen Plätzchens streitig machen will. Man lagert sich; W umschreitet »nach seiner vorsichtigen Weise die See-Oase« (mit welchem Wort auch dieser Vorstellungskreis wieder ›angespielt‹ wäre; und also unterschwellig bei Beiden, MAY & seinem L I-Leser, ›frei‹ wird). Gleich erfolgt auch Feindberührung: »Die Lage war jetzt eine höchst interessante und gespannte. Man denke sich einen kleinen See von vielleicht 200 Schritten Durchmesser, an dessen Südseite in der Mitte die erwähnte Buche stand,.. aber wir wußten die Helfer hinter uns.« Es ist nämlich wieder einmal die berühmte riesige »Buche«, meist eine »Blutbuche«, die dort ›steht‹; in der Mitte; an der Südseite; und die auch sogleich zum emotioneilen Zentrum wird, zum Beratungs-, 79
zum Rendezvous- und Grenzbaum. 2 Zweikämpfe haben zu entscheiden, (wird hier an der Buche ausgerufen): OS mit der Lanze, der unfehlbaren, (mit der er auch gleich 2 Rote auf einmal fertig macht); und dann noch sein kleiner Mimbrenjo, der, ›eingefettet‹, ›unter Wasser‹, seinen Gegner, einen rechten Bullen, durch listige Stiche in den Unterleib erledigt: »es verging weit über eine halbe Stunde« und »die Beine schlugen krampfhaft um sich« (vgl. § 21). Dieser SATAN, der ohnehin randvoller Organ-Abbildungen steckt, (›Pueblos‹; die ›Quelle des Schattens‹; noch’n ›Todesthal‹; ›Canons‹; leckere Spalten), hat (›HAUSSCHATZ‹ 1896, S. 540 ff.) auch noch das »Tiefe Wasser«, einst ein »feuerspeiender Berg« itzt ein »Loch«: »Die lange Schlange unseres Zuges bewegte sich schnell & ohne Windungen über nackten Felsboden hin. Es war ringsum kein Halm zu sehen. Darum erstaunte ich, als ich plötzlich einen Wald oder richtiger gesagt ein Wäldchen vor uns auftauchen sah, dessen Form ein länglicher Kreis zu sein schien. ((›Eine Eklipse seiner Männlichkeit‹ sagt HEINRICH MANN irgendwo)). ›Das ist das tiefe Wasser‹, sagte W, indem er nach dem Walde deutete. / ›Es liegt inmitten des Wäldchens?‹ fragte ich. / ›Ja.‹ / ›So ist die Stelle, wie es scheint, allerdings der Überrest eines früheren Kraters.‹« (Schon jetzt ist die Hälfte der erforderlichen Merkmale beisammen: die lange Schlange ohne Windungen, unseres (Klingel) Zuges; der nackte Fells-bottom; der Wald; die Form des länglichen Kreises; inmitten des Wäldchens das tiefetiefe Wässerchen; der ›Krater‹ und W ›führt ein‹.) »Wir kamen von Osten her. Da machte W einen Bogen, in der Absicht, von Süden her an das Wäldchen zu kommen. ... Es war ganz eigentümlich, daß die äußeren Bäume des Wäldchens ohne allen Übergang vom Grase zur Staude, zum Strauche & Baume, gleich hoch aufgestiegen waren. Es gab eine so scharfe Vegetationsgrenze, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Da, wo wir den Wald erreichten, gab es eine Lücke in demselben. W stieg vom Pferde und sagte: / ›Diese Lücke führt nach dem tiefen Wasser.‹« (Ich summiere nicht mehr; ich setze als Leser 80
schließlich keine A-B-C-Schützen voraus.) — Man dringt selbstverständlich »durch die Lücke ein. Das Innere des Platzes verwunderte mich noch mehr als das Äußere. / Ich sah einen kleinen kreisrunden See von ungefähr 50 Ellen Durchmesser«; (›Ellen‹, ›Ella‹ sind häufige Vornamen in MAY’s Büchern). »Dort gab es rund um das Wasser einen breiten, mit dichtem Grase bewachsenen Rand... das ganze hatte eine Ähnlichkeit mit einer doppeltgeränderten Schüssel.« (Man kennt diese ›Schüsselchen‹ mit den ›doppelten Rändern‹, den wohlbegrasten, und der »sanft ansteigenden Böschung, die ebenso grasig war.« Dies Gras liegt stellenweis’ etwas um, denn ein »Starker Wind«, ein feindlicher Haupt-Mann, schlich jüngst drüber hin.) Nun muß man sich, es hilft alles nichts, in dieses Wäldchen »stecken«, ja »verstecken«; und wenn nachher die Feinde kommen?, muß man »noch stecken bleiben«; na, dann ist das wohl nicht anders, und bald hat man sich »so in dem Wäldchen versteckt, daß keiner« mehr »zu sehen« ist. Man braucht nur die bewußte Lücke zu beobachten, denn »sonst gab es keine Stelle, an welcher ein Reiter herein konnte«. (Dann erscheinen die Feinde, »Mamsell Silberberg« in ihrer Mitte; ein Dämchen, das im ganzen Buche munter von Hand zu Hand geht, einmal erkiest sie sich sogar einen Häuptling, einen »lieben Roten«.) »Wenn das ursprüngliche Objekt einer Wunschregung infolge von Verdrängung verloren gegangen ist«, sagt FREUD, »so wird es häufig durch eine unendliche Reihe von Ersatzobjekten vertreten, von denen doch keines voll genügt.«: bei MAY ist ‘diese Bevorzugung bestimmter Landschaftsbildungen ebenso einwandfrei zu beobachten, wie das zu ihrer Beschreibung ubw-gewählte Wortmaterial.
Schon tut sich im SILBERLÖWEN I, 144 ff. weitmäulig ein ›Makik-Natun‹ auf, ein ›Gelber Berg‹; er hat »an seiner Südseite eine Einbuchtung, deren Wände ziemlich steil ansteigen... Im Hintergrunde der Bucht, rieselte ein Quell aus dem gelben Gestein«. Hier liegen bereits »Häuptlinge begraben«, bzw. sind ›gefallen‹. OS erwartet erst die Dunkelheit, (›Nacht 81
muß es sein‹); untersucht inzwischen seine Waffen, falls es zu Feind-Seligkeiten kommen sollte; und dem ist auch so — er muß dräuend das Repe-Tier-Gewehr zeigen, »par pistolet in der rechten Hand« (S. 151). S. 214 f. erscheinen weitere Details; um Mitternacht wird erst richtig gekämpft; und die beiden »Snuffles« sind nicht fern. CORDILLEREN 451 ff. erneuert die typische große Szene. Erst wird hastig die Culisse aufgerichtet (ein weiteres von MAY’s ›Losungs‹-Worten); dann 1 Roter umgelegt; dann Gefangene befreit. In einer »Laguna de Bambu« liegt die »Isleta del Circulo« (u: u, und ›Cul‹: o!), und OS muß den »schmalen Pfad erreichen, welcher durch das Gebüsch nach dem Wasser führte. Ich fand ihn nicht, war also doch abgewichen.« (Denn es ist tiefe Nacht.) »Darum mußte ich mich niederlegen und nach beiden Seiten mit den Händen nach dem Wege suchen, was gar keine Schwierigkeiten hatte, da ein hartgetretener Weg leicht von der weicheren Erde zu unterscheiden ist. Ich fand ihn bald und tastete mich langsam weiter ... Zwei dicht am Wasser stehende Bambusgruppen... der Boden ((wurde)) Schritt um Schritt weicher, und schließlich so sumpfig... Ich verließ mich dabei auf den Geruchssinn, dem die moschusartige Ausdünstung gewiß auffallen mußte. / Endlich hatte ich die beiden Gruppen und stocherte mit dem Gewehrlauf im Schilf herum... Das Einsteigen ging nur unter Anwendung der größten Vorsicht vonstatten... Die Insel selbst konnte ich noch nicht erkennen. Ich wußte, daß sie klein und fast kreisrund sei... kahle Stellen... so war das Landen leicht... und sah einen großen dunklen Körper, welcher sich auf mich warf.« Und Ringkampf & Abwürgen. Dann zu mehr Gefangenen hin: »Man umringte mich; man umarmte und küßte mich sogar.« Aber noch sind »Wächter« zu berücksichtigen, »ich riß mich los und schlich mich fort. Das Inselchen schien einen Durchmesser von nicht viel über 200 Schritt zu haben.« (Die Zahl 2, 200, 2 Meilen, fällt MAY eigentlich merkwürdig häufig bei seinen Zahlenangaben ein.) »Nur das Ufer war mit Bambus bestanden; im Innern wuchsen Gras 82
und zahlreiche wilde Kürbisse, wie ich später hörte. Der Rote war nicht mehr zu sehen«, ›es dunkelte gar zu sehr‹. OS robbt weiter und beseitigt die letzten beiden Aufseher, die am Feuer sitzen und sich »mit hohlen Bambusgliedern« beschäftigen. Dann geht es ins Boot, »die Roten mußten natürlich getragen werden«. Die Variationsmöglichkeiten erscheinen bei ruhiger Überlegung erstaunlich gering; es handelt sich eben nicht um barocke ›Fülle‹, sondern um manisch-mechanische Repetition, beziehungsweise bestenfalls eine Reihenbildung, stilisiert, ›ikonisch‹. ÖLPRINZ, 353 f.: »›Wir werden bald einen dazu passenden Ort finden‹, sagte der ölprinz, ›einen tiefen Talkessel, dessen Sohle die Sonne auf der südlichen Seite nicht treffen kann... Es ist nicht groß, und mitten darin liegt ein riesiger Felsblock, neben dem eine mehrhundertjährige Blutbuche steht.‹... sie standen am Rande des Talkessels, der von hohen Felswänden eingeschlossen wurde, aber zwei schmale Ausgänge hatte... der eine lag an der Süd- und der andre an der Nordseite. ... Die Blutbuche neben ihm ((dem Steinblock)) war ein Baum von solch schönem Bau, daß sein Anblick einen Maler in Entzücken versetzt hätte.« Sofort werden wieder Rote
umgelegt. / CORDILLEREN 485 heißt der Mitreiter gleich »Pena« (spanisch ›pene‹ = Penis); man reitet drauf zu, und schon »öffnete sich die Schlucht auf einen tiefen Talkessel, aus welchem nur 2 Wege führten, nämlich derjenige, den wir jetzt benützten, und ein anderer, dessen Mündung sich uns gegenüber befand. Rechts stieg die Bergwand lotrecht himmelan. Links... bildete sie einen Absatz, über welchem zwischen zwei Felsenmassen eine dunkle Schlucht gähnte, aus der das Wasser herabstürzte. ... Die Szenerie war hochromantisch, und doch beschäftigte sie mich weniger, als die Staffage, welche ich im Vordergrunde links des Bildes bemerkte. Dort lag nämlich ein Indianer auf dem saftigen Rasen, welcher infolge der großen und immerwährenden Feuchtigkeit üppig grünte, neben sich ein abgehäutetes Tier. ... Am Felsen unweit des Wasserloches lehnte ... sein Gewehr.« / »Da lag die Schlucht«, heißt es 83
SKLAVENKARAWANE, 579 ff.; »die Wände stiegen an den Längsseiten so steil empor, daß es unmöglich schien, sie zu erklimmen ... aber gegenüber befand sich der Eingang, der zwar nur sehr schmal war... es mußte also dort Wasser vorhanden sein... Es giebt nur einen einzigen ((Weg)); er führt hinein und auch hinaus, kein anderer. Das ist da vorn, uns gegenüber.« Man muß (S. 581) zweimal links herum; »dann sah man eine ebene grasbedeckte Flur vor sich liegen, aus welcher sich der hufeisenförmige Berg, der in seinem Innern die Schlucht bildete, erhob.... ((Sie)) konnten den langen Kessel bis an die hintere Wand überblicken. Er bot einen eigenartigen, überraschenden Anblick dar.... Die Felsen... waren vollständig nackt. An deren Fuß lief eine dammartige Erhöhung rund um das Thal; sie trug eine Rinne, worin sich das von der Höhe sickernde Wasser sammelte, und ein Bächlein bildete, das in der Nähe des Eingangs in einem Steinloch einen unterirdischen Abfluß nahm.« Auf dem »Damm« »stehen« Palmen, und die Autochthonen empfinden »eine Art heiliger Scheu« vor der ganzen Anlage. Die ruchlosen Sklavenjäger freilich »beobachteten nicht die geringste Vorsicht, sondern sprengten ganz offen heran und in die Schlucht hinein; nach kurzer Zeit kamen sie wieder heraus und ritten zurück« (587 f.). Das ›hinein sprengen‹ ist ja eine dezidierte Verfeinerung im Sinne der Theorie, gegenüber dem, im Vergleich hierzu weit ›eingleisigeren‹ reiten. Dann werden die »vollständig unbekleideten« Opfer angebracht; und »Schwarz stellte sich mit Pfotenhauer so auf, daß er einen freien Blick in die Schlucht hatte. Er sah, daß die geraubten Neger nach dessen hinterm Teil« geschafft wurden — lassen wir mal das ›Hinterteil‹ beiseite; aber das ›dessen‹ könnte schon theoretisch wichtig sein, als grammatische Fehlleistung, (es müßte ja wohl ›deren‹ lauten; jedoch ist die ›radebeuler‹ für solche Präzisionsarbeit nicht mehr zuständig, das müßte man schon mit dem SPEMANN-Original vergleichen). / Ähnliche Gebilde erblickt man unter anderem in W III, 331 f., das ›Black-eye‹. / In WE, 168 ff. / MAHDI (HAUSSCHATZ 93, S. 327 ff.), die ›Maijeh el Humma‹. / Im 84
INKA 359 ff. und 539 ff.; (und 571 erfolgt dann noch ein so stinkender Knall daraus, wie nur je aus dem Schlammvulkan des BÄRENJÄGERS.) / Die elliptischen mehreren ›Teufelskanzeln‹, wo ekliptische Voyeurs erfolgreich auditieren, heißen in MAY’s Englisch mehrfach »Dewills pulpit« — bei einem so verfumfeiten britischen Satan fällt Einem ja ›wenn de willst‹ ein; was ›pullen‹ bedeutet brauche ich nicht zu umschreiben; und ›pit‹ ist nicht nur dieses, sondern auch ›Grube, Pfuhl, Höhle, unterirdisches Loch, Schlund & Kampfplatz ›in der Grube fangen‹: wohl bekomm’s.
§11 »Der Hochgestimmte, wie er edel war und zart, pflag einer Sitte, die ihm Scherz bedünkte, doch, wodurch des Hymens Fackelglanz mir fast erlosch, das Herz mit Gram, mit nassem Salz den Blick gefüllt: daß jenen Teil, der nunmehr hat so schwer gebüßt, er mit des Pöbels härtstem Ausdruck oft genannt — Du kennst wohl selbst das schrecklich bös einsilb’ge Wort, das meiner Lippen Wölbung nie austönen soll. Beschwor ich dann mit Tränen ihn, so hartes Leid von mir zu tun, zu töten nicht das Zartgefühl, so lacht’ er, sprach noch lauter aus den Höllenton - - da ward mein Herz dem frechen Mann zum ersten fremd.« (LUDWIG TIECK, Däumchen, III, 5) An dieser Stelle dürfte es angezeigt sein, eine knappe allgemeine Betrachtung einzuschalten — holde Gabe, wem sie verliehen ward, sich im Reiche der Weitschweifigkeit erb- & eigentümlich anzusiedeln, ohne Skrupel leere Danaidenfässer 85
vor sich her schrotend, immer im Kreise herum-pumm-pumm. — Für MAY scheint nicht, wie bei so vielen ändern Künstlern & Menschenmännchen der Fall, die weibliche Brust die dominierende erotische Anregung und Initialzündung ergeben zu haben — etwa HANS HENNY JAHNN, der es für sich ausspricht: ›Die Brüste, schöner als jeder Schoß‹ — sondern das Gesäß. Dies ist das strukturelle Prinzip seiner Landschaften; an ihm und in ihm werden die Handlungen vorgenommen. Wir erblicken die ins Chorografische transponierte Repräsentanz eines nimmerstillen Wunsches: Wallebenen, die sich wie Genitalien gebärden; Ereignisse, die in L II sublimierten S-Akten gleichwertig sein dürften; ein Binnenreich, in dem nur S-Währung gilt: anus sive natura. Die Erklärung, wieso es zu so epi-zyklisch-massenhafter Bildung vikariierender Porta-Nigra-Vorstellungen kommen konnte, mag zur Zeit lauten: MAY’s doch wohl vorhandenes, lebenslängliches Schuld-UBW. Die Erinnerung an einst genossene SITARA-Wonnen — schlimm genug, wenn man einmal glücklich gewesen ist! — wird die, ihm zu einem wohlgeordneten bürgerlichen Dasein gehörend dünkende Ehe entwertet haben, (wodurch sich sofort Sprengladungen unverbrauchten Geschlechtstriebes ergeben haben müssen). Der unter schwerster Schockwirkung gefaßte, eisern durchgehaltene, und bewundernswert gelungene Entschluß zu wohlanständiger Berühmtheit, muß ihm jedweden Gedanken an seine Haftzeit mit Recht haben gefährlich erscheinen lassen; so daß ihm die Ent-Scheidung für den ›Jugendschriftsteller‹ — die ja ungefähr einem literarischen Keuschheitsgelübde entspricht — sehr gelegen gekommen sein, und ihm die Flucht an den Schreibtisch noch mehr erleichtert haben wird. Mit einer solchen ›Vergangenheit‹; so wunderlich schlecht verheiratet; das UBW knüppeldick voller Verdrängungen — es wäre ein unmögliches Wunder, wenn der viel-mißhandelte, früh verkrümmte und gegabelte Trieb sich nicht irgendwie hätte abbilden sollen. Schon beim normalen Menschen treten ja der86
gleichen deformierte Vorstellungen beständig auf; zerfallen jedoch relativ schnell wieder, weil ihnen meist die natürliche Abfuhr wird. Bei MAY trat zu allen bereits aufgezählten Erschwerungen noch die eine hinzu: daß er ein gruselig unklarer Kopf war; nicht nur ohne rechte Bildung, ohne Forschungs-& Erkenntnisbedürfnis; sondern von Natur aus flach, flüchtig, aquarienbunt, und auch bei einfachen Fragen hastig Populärvorurteile als ›Lösung‹ benutzend — der geborene ›Volksschriftsteller‹, auf Basis eines Wortschätzchens von 3000! Andrerseits bedeutete diese Veranlagung eine grandiose Erleichterung für ihn. ›Verbotene‹ Gedanken, die derbsten SFantasien, brauchten sich nur mit einer Adlerfeder zu bestecken, oder der nächstliegenden Wortweiche zu bedienen — und schon erkannte sie sein Gewissen, sein denkschwaches, nicht mehr als auf der Schwarzen Liste stehend. Die Leichtigkeit, mit der bei MAY kaum verhüllte Bilder den Schlagbaum seiner moralischen Zensur passieren, ist nur der kritiklosen Unbefangenheit Primitivster gegenüber den eigenen Träumungen vergleichbar, wo ja auch pausenlos ein Innen in ein Außen verwandelt, und so der bewußten Entdeckung entzogen wird. Es ist so gut wie gewiß, daß bei MAY selbst fast immer die gleiche partielle Amnesie für seine »dissociated states« (PRINCE) bestanden haben wird; und er folglich ›in aller Ehrlichkeit‹, mit dem Brustton des Selbstgesprächlers, ja flennend vor gerührter Aufrichtigkeit, jegliche S-Beziehung seiner Gebilde entgeistert abgestritten haben würde — es ist eben nicht ganz leicht, gleichzeitig der schreibend-Lebende und das Gesicht am Fenster zu sein. Sein Haupt-Trick (so weit bisher vorgeführt), mit dem er nicht nur allen L I-Lesern, sondern auch sich selbst die wahren Tatbestände — bzw., exakter: das II. der bei ihm möglichen IV ›Lesemodelle‹ — unsichtbar gemacht hat, bestand in der ›blinden Vergrößerung‹. Im Maßstab 1:100 000 wird anscheinend ›Allen die es angeht‹, (und Wen ginge es nicht an?), ein Genitale unerkennbar. Nur geübte Denkkraft & Selbstkritik scheint solcher Bauernschläue des S-Triebes mit schmun87
zelnder Überlegenheit begegnen, und die dabei haufenweis’ anfallenden, fantastischen Witze würdigen zu können; was einzig das ad-absurdum-führen & gelassen wieder-heimschicken der fürwitzigen Regung ermöglicht. Der zweite MAY’sche Kunstgriff besteht darin, daß er, sobald ihm das Unliebsame eines allzu farbenprächtig geratenen schönsten Wiesengrundes dunkel schwant, seine Reiter flugs ›links abbiegen‹ läßt, in ein neues, kollaterales Seiten (geni) tälchen; das dann freilich binnen kürzester Frist sich als genau so mit Blutbuchen ausgestattet erweist, wie das erste auch — ein Verfahren, an dem sich im Vorbeigehen dartun ließe, ein wie kurioses Ding das beliebte & vielgerühmte menschliche Gewissen ist, das sich dergestalt in den MAY schicken läßt: Priapus in antiker Einfachheit müßte unfehlbar 200 seelische MAYlen vor’m Schlagbaum beschämt wieder umdrehen; in kleidsamer Westmannstracht, den unwiderstehlichen Stutzen par pistolet in der Schütterhand, darf er unbehindert vorbei kourbettieren, (ja, bekommt sogar noch empfehlende Hirtenworte mit). / Ein paar weitere Auskunftsmittel zur Selbstverblendung werden dem unwilligen Leser noch des breiten auseinandergesetzt werden. Als nächstliegendes mag sich die Frage einstellen: wie weit hinunter dieser ›Schutz durch Vergrößerung‹ wohl reichen möge? Zugegeben, die ›Gestirn-Hintern‹, (die ›I. Ordnung‹) sind sehr schwer erkennbar. Die im vorliegenden Kapitel behandelten Groß-Landschaften, die ›Parks‹ und ›Oasen in Wüsten‹ ebenfalls noch, (obwohl hier schon etwas viel Schlammvulkane röcheln & laue Geyser springen-sprengen). Aber wer bewahrte wohl auch kaltes Blut, wenn
unser ABDOMINAL EFFENDI, betont beschäftigt mit dem po-then knack-on, vulkanisch vom »wieder geöffneten Tor des verlorenen Paradieses« deklamiert — alles Traditionen »von Glied zu Glied auf ihn gekommen« — vom wunder-samen ›Sohn‹-Berg (A & D II, 576 ff.): »›Grün will er werden, wie er einstens war. Das Kleid des Lebens will er anlegen für Euch und Alle, die ihr 88
ihn für tot, für erloschen hieltet. ... Er, der Segensreiche, der die Wasser von DSCHINNISTAN unter seinem Throne sammelt, um sie tief unter der Erde zu den Engeln der Stadt der Toten und des Engpasses von Chatar zu leiten!‹«; (vgl. speziell hierzu die Ss. 314 ff. dieser Studie). »Im nächsten Augenblick stieg etwas unbeschreiblich Schönes aus dem Krater des Sohnes empor — das kam so schnell und plötzlich ... es glich einem hellen, tadellos geschliffenen Kelchglase, mit perlendem Champagner gefüllt, der oben überläuft ... und zeigte eine Höhe, die gar nicht abzuschätzen war .... überirdische Erscheinung... Fontäne ... alle Effekte des Wunderbaren in sich vereinigt... der Schaum, der ihn krönte ... wir fühlten ihn. Er war warm ... der Anblick seines Ursprungs ... eine Erscheinung, die irdisch herrlichste, die ich je gesehen habe.: ›Wasser, Wasser spendet er, der ›Sohn‹; das kostbare langersehnte Wasser!‹«. Die (beträchtlich dichterische!) Stelle scheint mir, der ich mich noch on the wrong side of MAYa befinde, in L I der Ritt durch eine Vulkankette; in L II ein Ausbruch aus dem UBW, bei dem vorübergehend das Seeleninnere sichtbar wird; in L III das ›ultraviolette Ende‹ eines S-Altenteilers, der schon resigniert hatte, und nun die unerwartete Erek- und Ejakulation ›feurig begrüßt‹; in L IV endlich die seherisch aufgeregte Ouvertüre zu einem Neuen Goldenen Zeitalter, ›The World’s Great Age begins anew!‹ Die ewigen ›Talkessel‹ hätte man eigentlich längst als Körperpartien durchschauen müssen, so archaisch-steif, so heraldischversimpelt ist hier alles, so deutlich sichtbar der Gesäß-Feinschmecker, der das, was ihn im Innersten bewegte, der Außenwelt zuschob. Gehen wir nunmehr eine weitere, (noch längst nicht die letzte) Stufe tiefer, zu der nächst ›kleineren‹ Gruppe proktoider Gebilde, den Höhlen, Stollen, schlimmen Klüften, geheimen Gängen; prüfen wir, zwinkernd mit dem mag’schen Auge, ob auch sie wieder libidinöse Struktur aufweisen, auch sie wieder ›Projektionen‹, d. h. Ersatzbildungen sind. —
IV • DAS WALDLOCH DES ULANEN §12 »›Tust Du doch, als ob da drinnen ganze Weltenräume wären; Wald & Wiese, Bäche, Seen; welche Märchen spinnst Du ab!?‹: ›Allerdings, Ihr Unerfahrnen! Das sind unerforschte Tiefen; Saal an Sälen, Hof an Höfen, diese spürt’ ich sinnend aus.‹« (FAUST II) Stets eingedenk der den Entzifferer zur Vorsicht mahnenden Tatsachen: daß jedwedes LG durch den bloßen Vorgang der Niederschrift Fehlfarben erhält; daß die vita des Spielers noch weitgehend ungekannt ist; die Unsicherheit der Texte keine mikroskopische Anatomie erlaubt; und sich das nur annähernd in gleicher Seelenlage befindliche Individuum auch nicht so rasch & häufig finden dürfte; wird man es mir sicherlich zugute halten, wenn ich offen eingestehe, daß ich — so ungefähr in allen Stücken das Gegenteil MAY’scher Mentalität; ein rechter Anti-Pode — eine ganz erschöpfende Analyse in fast keinem Fall zu liefern vermag. Zu entscheidender Hülfe dürfte im Augenblick dem Forscher eigentlich nur die ungeheure Masse bedruckten Papieres kommen, die ausführliche statistische Untersuchungen ermöglicht: was man an dem einzelnen Fall nicht erkennt, (ja womöglich sogar mißdeutet), wird gesichert, wenn scheinbar belanglose Nebenbestimmungen sich mit sturer Unbotmäßigkeit 1 Dutzend Mal einstellen, und sich dergestalt als Grundelemente MAY’schen Bilderdenkens, als affektiv bedeutsam, kundtun. — 90
Wurden bisher Genitalien von tellurischen, ja planetarischen Ausmaßen sichtbar — und, Mesdames et Messieurs, es handelt sich gar nicht um ein lüsternes Wühlen im Schmutz; sondern um die einzigartige Idealisierung von, im allgemeinen erniedrigten, verachteten, verleumdeten, (dabei leidenschaftlich gern benützten) Organen! — so muß nunmehr auf die erforderlich werdende, die nötige Vielzahl von Belegen nicht vollzählig bereitstellende, aber immerhin andeutende Betrachtung einer anderen Gruppe von Räumlichkeiten eingegangen werden. — Da MAY erst mit Anfang 30 zu veröffentlichen begonnen hat, darf als ›zeitlich frühes‹ Exempel das ›Schloß von Ortry‹ aus der LIEBE DES ULANEN gelten; das bei nur einigermaßen ausgebreiteter Lektur sogleich frappant an gleichwertige Lustschlösser beim Marquis DE SADE erinnert: endlos-komplizierte ›doppelte Wände‹, mit Treppen darin, (›Treppensteigen‹, vgl. FREUD, ›Traumdeutung‹); von Lauschern & Voyeuren, ja Mördern (›merdern‹) durchschlichen; auch unterirdisch verzweigen sich die Gänge, gleich Adern & Röhren; 1 wassergefüllter Schacht (Harnblase); magenhaft vollgepfropfte Vorratsgewölbe — das ganze architektonische Alpdrücken dürfte
weiter nichts als ein einziger großer ›Eingeweidetraum‹ im schwülstigsten Sinne des alten SCHERNER sein. Von dem halben Dutzend Einsteigstellen in das, teils leckere, überwiegend unheimliche, Labyrinth (wie denn Labyrinthe meist sind), scheinen hier besonders 2 einschlägig werden zu wollen, (die aber in Wirklichkeit wohl nur 1 sind; korrekter: die lustvoll-verdoppelte Vorstellung einundderselben Öffnung). Das ist einmal des »Waldloch« selbst; auch, da die Geschichte zumeist in einem rechten Zwischen- & Niemands-Land, in Elsaß-Lothringen, spielt, das »trou du bois« genannt (u: u), eine Bezeichnung, bei der sich dem Welschen sogleich ein ›trou du cul‹ einmengen dürfte, und auch das ›bois‹ ist der Anspielung des ›Hörneraufsetzens‹ fähig. Im Deutschen könnte man zu dem gröblichen ›Wald plus Loch‹ vielleicht noch das ›Waid-loch‹ der Jägersprache addieren; wer es zuerst findet, muß 91
übrigens »Kuckuck!« schreien, was ja auch mehrere ähnliche Sinne liefern kann, vom ›Eier ins falsche Nest legen‹ bis hin zum Doppel-›u‹. Seine harmlose Beschreibung nun, lautet IV, 77 also: »Sie standen vor einer ziemlich tiefen, trichterförmigen Bodensenkung, welche einen Durchmesser von wenigstens 200 Fuß hatte. Der Rand derselben war von Strauchwerk eingefaßt, und selbst bis auf den tiefsten Punkt hinab standen Baum an Baum, und zwischen diesen wucherten Brombeerranken und Farrenkräuter. Hier & da war ein großer, mit grünem Moos bedeckter Stein zu sehen. Das ganze hatte das Aussehen, als sei vor Jahrhunderten hier das Mundloch eines Schachtes zugefüllt worden und die Erde dann nachgesunken.« Man naht ihm, so wird man am wenigsten entdeckt, am besten bei Nacht; »man steckt sich einfach in das Gebüsch«, (wobei freilich die Gefahr besteht, daß man eventuell »durchgeprügelt« wird); und lauscht dann & guckt. Denn hier finden immerfort mysteriöse Zusammenkünfte von Männern statt, (»derartige Versammlungen kamen häufiger vor, als wir dachten«, IV, 77); die schlüpfen hinein, und aus der »Öffnung« vernimmt man dann »dumpfes Stimmengewirr« ›auf Französisch‹, zum Teil unglaublich läppisches Geschwafel, (es schien MAY wohl patriotisch, die Franzosen von 1870 lauter Unsinn reden zu lassen). Dies erfahren habend, dringen nun auch Doktor Müller-Königsau & sein treuer Freund, der u: u »Luftikus« Fritz, dort ein, zu Zweit und sehr verstohlen — der »Weg« wird »nach dem Gebrauche stets wieder maskiert«, man muß »den Verschluß hinter sich wieder in Ordnung bringen«. Der Mechanismus des Öffnens ist nicht ganz einfach zu ermitteln, man hat beträchtlich zu tasten, »Müller untersuchte die Stelle, zu der Fritz ihm die Hand leitete«; der Verschluß ist »ein Keil, den man vor- und zurückschieben kann«: »So! Jetzt habe ich ihn hineingeschoben«, und: »Komm, Fritz; das Sesam ist geöffnet!« — worauf dann das bekannte, gern geübte Eindringen in fremde Gänge erfolgen kann. 92
Ehe skizziert wird, was dort drinnen nun alles vor sich geht, sei das zweite, gleichwertige Einfallspförtchen geschildert, das MAY ersonnen hat, das »Moosloch« (›Mors‹?). Müller-Königsau geht nämlich (V, 17ff.) im Walde so für sich hin, und vernimmt ein »Brummen« aus der Erde, »dumpf, verworren und tief«; geht dem Tone nach, und steht »vor einer grünen, dichtmoosigen Stelle, in deren Mitte ein kleines Loch zu sehen war« (19). Um heraus bzw. hinein zu kommen, wird ein »Stamm« hineingesteckt: »Müller umfaßte zunächst mit den Händen den Stamm, schlang dann auch die Beine um denselben, und rutschte hinab. — Es war leichter, als er sich gedacht hatte« (23). Das Sich-Entfernen ist dann ebenfalls nicht mehr so schwer: »es gelang, den Stamm aus dem Loche zu ziehen, und das letztere so zu
verschließen, daß von der Öffnung nichts zu sehen war« (36). Auch bei späterer Benützung wird besagte moosige Öffnung über dem »Keller des Mittelpunktes« (103) blitzschnell wieder getarnt: »Oben angekommen, das auseinandergerissene Moos zusammenstreichen und sich niederlegen war das Werk eines Augenblicks.« (V, 108). Und wie sieht’s da unten-drinnen nun aus: —: »Ein fürchterlicher Gestank quoll ihnen entgegen. Als der Alte in das Loch leuchtete, sah Rallion, daß dasselbe fußhoch mit fauligem Stroh und Menschenkot angefüllt war.« Denn hier finden Erotica & Sadistica aller Art statt: Vergewaltigungsfantasien von betäubten, in Zellen eingesperrten Schönen; ständig werden Schlüssel eingeführt, (Dr. M.-K. — nicht KM — besitzt natürlich den »Hauptschlüssel«, der Alles öffnet); Peitschungen, ohne die dem Bilde ja gleichsam etwas fehlen würde: »Da lag ein Mensch, zusammengeringelt wie ein Hund, mit Kleidern auf dem Leibe, welche kaum noch Fetzen genannt werden konnten. / ›Das ist er‹, sagte der Alte, in dessen Gesicht es wie eine teuflische FREUDe leuchtete... ›Steh auf, laß Dich sehen, Hund!‹ / Der Gefangene bewegte sich nicht. Da griff der Kapitän an die Mauer. Dort hing eine Peitsche am Nagel. Er nahm sie herab und schlug damit auf den Unglücklichen los, bis dieser sich langsam & mühsam erhob.« Undsoweiter, (vgl. auch JUWELENINSEL, 514 ff.). Die Verbindung zur ›Wahren Geschichte‹ stellt wieder einmal die Gleichung ›Wald plus Heim gleich Waldheim‹ her (vgl. S. 50); wobei man dessen gedenken mag, daß Waldheim selbst (wie auch ›Osterstein‹) ein ehemaliges ›Schloß‹ war, und man außerdem von dort wohl das nahe Felsenschloß Kriebstein sehen kann — es wäre wichtig festzustellen, ob MAY es ebenfalls erblicken, und sich ›im Geist‹ dorthin ›geheime Gänge‹ träumen konnte. Auch für die, auf den ersten Blick schockierenden Sadistica, gibt es noch eine sehr betrübliche, allerdings völlig aseptische, Zusatzerklärung, ich verweise auf S. 179 ff. Zunächst sei weiteres Material vorgeführt. —
§13 » The honeysuckle round the porch has wov’n its wavy bowers, and by the meadow-trenches blow the faint sweet cuckoo-flowers; and the wild marsh-marigold shines like fire in swamps & hollows gray —: and I’m to be Queen of the MAY, mother, I’m to be Queen of the MAY!« (TENNYSON, The MAY Queen) MAY hat nun zwar, es wurde bereits kurz gestreift, stets ›aus Gründen‹ vom Wilden Westen einen ›Orient‹ unterschieden; jedoch 1, übrigens sehr zu vertretende Ausnahme gemacht. Denn da ›man‹ (und ergo auch MAY) sich unter ›Orient‹ grundsätzlich ebbes TAUSENDUNDEINNÄCHTIGES vorstellte — heißeste Wüsten, romantisch fliegende Burnusse, Farben & menschlichstes Gewimmel von Kairwan bis Kanton — scheert ein Großgebiet der Alten Welt, obschon ungefähr in jener Richtung gelegen, doch grundsätzlich aus: SIBIRIEN! 94
Das trägt, vielleicht sogar heute noch, annähernd Texas- & Canada-Züge: endlose Weiten, von Zobeljägern durchstreifte; angenehmste Kalt-Urwälder; Bergketten, den ›Rocky Mountains‹, Seen, den ›Great Lakes‹, Wüsten, dem ›Llano Estacado‹, Steppen, jedweder ›Prärie‹ mühelos vergleichbar, (wenn nicht gar überlegen!). Und vor allem Eines noch — man beginnt allmählich, sich zu wundern, daß MAY nicht mehr seiner Bücher hierher verlegte! — ist es doch ›Waldheim‹ in jedem beliebigen Sinne des Wortes: ein Wald voller Geheimnisse + berüchtigte Strafkolonie. Abgesehen von den kleineren BRODNIK-Histörchen spielt vor allem 1 MAY-Band in diesem, für ihn schlechthin idealen Gelände, der ENGEL DER VERBANNTEN, also der letzte-fünfte der DEUTSCHE HERZEN DEUTSCHE HELDEN. Und wir erfahren — (wie schnöde sachlich klingt es, wenn ich hinzufüge, hinzufügen muß: Seite 382 ff.) — von der ›Höhle der Armen Leute‹. So nämlich nennt der Muschik, halblaut unter-sich, die Deportierten, die natürlich fast Alle ›schuldlos‹, gewissermaßen ›aus Versehen‹ dorthin geraten, ja, bei näherem Zusehen, ›von Adel‹ sind; und die, Wer vermöchte es über sich, sie deshalb zu tadeln?, also beständig zu fliehen versuchen. Manche der dort ansässigen RussenFamilien hindern solche Flüchtlinge nicht nur nicht; sondern fördern sie vielmehr; sei es durch anonymes Zurechtlegen von Vorräten, sei es durch dilatorische Behandlung der, Jene verfolgenden, Herren Kosacken. Am weitesten haben es in dieser Beziehung Peter Dobronitsch und seine Tochter Mila getrieben: die geleitet Georg von Adlerhorst — einen ›Deutschen‹; und es ist wahrhaft herzbrechend, bei MAY zu verfolgen, wie sich da ehrliche Rebellion gegen die verhaßten Aufseher, mit der gebrochensten, arschkriecherischsten ›Obrigkeits‹-Verehrung so trefflich versteht, ja ›paart‹! — in »das Versteck«. »Hier stiegen die Berge höher an, und nach & nach traten sie immer enger zusammen. Sodann gab es eine Art von Schlucht, deren Wände kaum mehr als 50 bis 60 Fuß auseinander steil 95
emporstiegen«; also diese Oberstschenkel, die immer enger zusammengehen, kennen wir ja nun allmählich.: »Hier ist das Versteck«, (382); und Georg v. A. sieht sich um. —: »Rechts & links ragten die senkrechten Felswände himmelan. An der einen, links, stand eine Tanne, ((›trägt rechts‹ merkt der Schneider sich in den raren anderen Fällen an)), wie Georg kaum jemals eine in seinem Leben gesehen hatte... über 100 Fuß hoch, eine sogenannte Pechtanne, und von ungeheurem Umfange.« Fräulein Mila greift auch gleich mit beiden Händen danach und will daran hochklettern: »›Meinst Du, daß ich etwa nicht die Kraft dazu habe? Paß auf!‹ / Jetzt fiel es Georg ein, daß die Frauen jener Gegend, da sie sehr viel reiten, und gerade so wie die Männer im Sattel sitzen, unter ihren Röcken stets Männerhosen tragen.« Mila schwingt sich »mit einem kräftigen Ruck«, »wie ein Turner«, auf den »Ast«; und Beide beginnen zu steigen, immer höher, sind doch die Äste grundsätzlich »stark genug, um die Last zweier Menschen zu tragen« (383; zumal verschiedenen Geschlechts und über 16 Jahre). Dann ist man an Ort & Stelle; aber er, die liebe Unschuld, findet nützi-nit! — »Georg sah wirklich nichts, als eine dunkle Stelle, ((›da fehlt etwas!‹)) und wußte nicht, was aus derselben zu machen sei.« Unbesorgt, Mila zeigt ihm Alles; worauf Georg dann »ebenfalls in die Nadeln eindringt. / Es war vollständig ((MAY’s Lieblingsausdruck)) dunkel um ihn... jeden Augenblick konnte der Ast zu Ende sein, und er stürzte in die grausige Tiefe hinab. Da fühlte er sich von Milas Hand ergriffen. ›Halt!‹ sagte sie; ›Jetzt ist’s genug.‹« (385). Die Zusatzvorstellung vom ›Licht‹ erscheint, wie sich’s gehört; »ein Talglicht, das in einem Leuchter steckte, den Mila in der Hand hielt, und ihr hübsches rosiges Gesicht blickte ihm lachend entgegen. Er stand immer noch auf dem unteren Aste, der allerdings schwächer geworden war.« (385). Mila erläutert ihm den Casus: »Du bist in unserm Versteck. In der senkrechten Felsenwand, an die sich die Tanne dicht & fest anlehnt, befindet sich hier oben eine Höhle. Zwei Äste des 95
Baumes sind in dieselbe hineingewachsen.‹«. Georg, ebenso erfreut wie erstaunt, macht »›Ach; das ist allerdings einzig! Das ist wirklich hochinteressant!‹«; (muß ich wieder noch auf diese S-Leuchtkugel ›hochinteressant‹ hinweisen?). »›Nicht wahr?!‹« erwidert Mila stolz. Übrigens hat diese Höhle »ein Tunguse entdeckt, als er einen Bären verfolgte« (386) — Moment mal: hatte nicht auch Pelzjäger Feuerhand ein »Raccoon in die Spalte verfolgt«?; (vielleicht fällt ja schon jetzt, von solchen nebenbei-Ergebnissen aus, ein ›Licht‹ auf MAY’s ›Großtierjagden‹; vgl. S. 186 ff.). Aber nun zu den Interieurs der ›Höhle der Armen Leute‹ — der Salzhering, der ›Schweinebraten der Armen Leute‹ — und wenn man sich auch nicht auf Klinkervillen mit Messingschlössern, voll sybaritischer All-Koben mit ElektroKautschen, spitzen darf: einige cul-i-närrische Genüsse beut sie doch. Zur Sache; arse longa. : »Der Gang, in dem sie sich befanden, war eine vielleicht 3 Meter lange Felsenspalte, die sich nach oben immer mehr zuspitzte. .../.../((Mila)) hatte bisher die Hand so vor das Licht gehalten, daß er zwar hinten sehen konnte, aber nicht bemerkte, was sich vorn befand. Jetzt gewahrte er, daß die Spalte plötzlich weiter wurde, und als er sich umschaute, sah er, daß er sich in einem Felsengemache befand. ((386 f.)). ›Nun, wie gefällt es Dir hier?‹ fragte sie. — ›Wunderbar‹, antwortete er; ›wer hätte das gedacht!‹ — ›Du wirst noch mehr sehen.‹« Denn es erfolgt eine, vom Sachlichen her völlig unglaubwürdige Scene, die — dem Kenner freilich von BIO, LEBIUS, sowie COPIE NR. 2 her erklärlich — eine UBW-
Irrbeleuchtung auf MAY’s Eheleben zu werfen scheint: man muß sich in ein ›Gästebuch‹ eintragen! »Georg setzte sich auf den Stuhl, öffnete das Euch, zog das Licht näher herbei und begann in dem Buche zu blättern ((schlesisch für ›coitieren‹; es ist ja auch eine KAMASUTRAM-Stellung)). Welche Namen standen da! Fürsten & Grafen, Gelehrte & Ungelehrte, Künstler & Handwerker hatten sich hier eingetragen.« (387). Mit anderen Worten: Georg bekommt es gleichsam schriftlich, daß 97
er nicht der Erste sei, der von so scharmanter Einrichtung profitiere; da waren schon diverse Andere vor ihm zu Gast. Diese Eifersucht des großschreibenden Alkoholikers ist im höchsten Grade aus JOYCE’s ›Hahnrei-Komplex‹ bekannt, wie auch von GOETHE-Vulpia her; und auch so eine der typischen Tragödien des ›anderweitig beschäftigten‹ alternden Gehirntiers. Nun geht das ganze in eine (laut FREUD ›haremshafte‹) Kammern- oder richtiger Zimma-Fluchten-Fantastik über, Sparsamkeit & Verschwendung zugleich, die aber wohl auch nur den in der Imagination öfters wiederholten Akt bedeuten könnte. Erst kommt eine komplette Bibliothek (wieder das ›blättern‹); »Mir ist’s, als ob ich mich in einem Traum befände!«. (Stimmt genau.) Und dann ein Raum, der »desto interessanter für Jemand war, der hier längere Zeit im Verborgenen weilen mußte. Es roch hier sehr nach - -« — und wer den Mechanismus dieser Gemacht-Gemacher erkannt hat, müßte’s nun eigentlich von selbst hinschreiben können, dies primitivskatologische, zur geschlechtsträumerischen Hochstimmung MAY’s anscheinend unerläßliche Ingrediens — »nach Rauchfleisch, und als Mila nun an den Wänden herumleuchtete, sah Georg, daß diese alle, ebenso wie die Decke, voller Würste, Schinken, Fleisch und geräucherter Fischwaren hingen.« (388). Dann folgt ein Schlafsaal mit vielen »Fellen«. »Jetzt fehlt nur noch eine Küche!«; aber auch die ist wundersam komplett vorhanden; (›Köchin Pekal‹, vgl. S. 249 f.). Noch einmal schreitet Mila voran, zur letzt-letzenden, favorisiertesten Ställe: »Bald sah Georg Tageslicht schimmern, und dann öffnete sich eine Spalte auf einen ziemlich großen & freien Platz. Dieser Platz hatte ganz die trichterförmige Gestalt eines vulkanischen Kraters. Die Wände, die mit Bäumen & Sträuchern dicht bestanden waren, gingen steil an, waren jedoch ersteigbar. Unten am Boden kam links ein klarer Quell aus dem Felsen heraus, und verschwand dann rechts wieder in dem porösen Gestein« (389); also wieder einmal mehr genau das behaarte Gesäß98
Loch, links das Wässerchen, und an Wortschällen à la ›Po-Röschen‹ ist kein Mangel: MAY’s Hörigkeit gegenüber seinen culbutierenden Wahnbildchen ist schlechthin vollendet. »›Wunderbar!‹ rief Georg; ›es ist, als ob Gott diesen Ort gerade nur zum verborgenen Aufenthalt für Flüchtige geschaffen hätte.‹ — ›So ist es‹«, bestätigt Mila zufrieden; »›Besser könnte es gar nicht passen.‹«; auch »›Ich glaube nicht, daß ein unberufenes Auge ihn so leicht entdecken wird.‹« (390). Und nun folgt noch ein sehr netter Zug, den man am ›Drudenstück‹ ungern missen würde; Mila weiht ihn abschließend noch rasch in die Verbindungen zur Außenwelt ein. Das ist einmal ein Korb am Strick, von dem Mil’chen sich ausdrückt: »Den Strick behält man, wenn er abgeleiert ist, in der Hand, um fühlen zu können, wenn von unten an demselben gezogen wird.« Schon recht; aber hier die zweite Strippe, daneben?: »Im Falle daß Eines von uns in die Höhle kommt, so steigen wir am Baume herauf, und ziehen hier an dem Klingeldraht. Dann hört Derjenige, der hier verborgen ist, das Klingeln und kann über unser Erscheinen, da es ihm auf diese Weise angekündigt worden ist,
nicht erschrecken.‹ — ›Schwesterchen, ich muß Dir eingestehen, daß ihr alles auf das vortrefflichste eingerichtet habt!‹«. Abgesehen, daß bereits Herr ›Suteminn‹ ähnlich an 2 Rosenranken zupfte (vgl. S. 72), gibt es noch ein ganz bestimmtes Gedicht, von dem alten genialischen Spitzbuben, dem WILHELM BUSCH, dem man die Bedeutung solcher ›Klingelzüge‹ und ›abgeleierten Stricke‹ entnehmen kann. Mila verabschiedet sich endlich; und Georg, allein, besichtigt noch einmal Alles, und entdeckt dabei noch so mancherlei brauchbares, »es war wirklich für jedes Bedürfnis auf das trefflichste gesorgt.« Dann aber läßt es ihm keine Ruhe; er muß noch einmal an die reizvollste, traumerzeugendste der Stellen: »Er löschte die immer noch brennende Lampe aus, um das Öl zu sparen; und begab sich hierauf hinaus in den Krater, in dessen steiler Wand er emporstieg.... Als er oben angekommen war, befand er sich auf der Zinne des Felsens. Niemand konnte von außen ahnen, daß sich hier im Innern des Felsens 99
ein so geräumiges und vortreffliches Versteck befand. Unter den Sträuchern verborgen hielt er Umschau in die Ferne« (391), Kann auch erkennen, »wie die mongolische Wüste sich starr & leer nach Süden zog«: MAY’s ›Wüsten‹ dürften in L II grundsätzlich weite-leere Hautflächen sein; Rücken-Wüsten und versteppte Bäuche mit haarigen Oasen hier & dort. Noch zwingender wird die ›sibirische Parallele‹ dadurch, daß er — was sich ihm sonst im Orient als seelisch sehr schwierig erwies, (und auch nie richtig gelang) — 4 ›Westmänner‹ auftreten läßt: den dick-sexelnden Sam Barth; die beiden ›Snaker‹-Brüder (= Prä-›Snuffles‹), und schließlich eben auch ihn, Steinbach, den FÜRSTEN DER BLEICHGESICHTER, (wie Bd. III u. IV der DEUTSCHEN HELDEN in der illustrierten Münchmeyer-FischerAusgabe heißen). Ab S. 486 finden sich dann zahlreiche ›Arme Leute‹, (das ist: ›Sträflinge‹), hier zusammen: »Sie zeigten sich erstaunt, als sie aufgefordert wurden, die Höhe des Riesenbaumes zu ersteigen. Noch mehr aber wuchs ihr Erstaunen, als sie dann auf dem betreffenden Aste in das Innere der Höhle gelangten. Diese war vollständig erleuchtet ((Kunststück bei so vielen ›Lichtern‹, die sämtlich voll ständig sind)); und in allen Räumen herrschte ein außerordentlich reges Leben. Die Verbannten fühlten sich ganz glücklich, ein solches Versteck gefunden zu haben, /...../ Die meisten der Leute befanden sich natürlich in dem hinteren freien Raum, da., wo die Quelle sprudelte.« Natürlich. Der »Dicke & dessen 2 lange Begleiter« begeben sich aber dann auch gleich in die »Räucherkammer«, wo eine solenne ›Peitschenscene‹ stattfindet. Schließlich wird auch der Plan des endgültigen Entkommens entwickelt; S. 505 heißt es: »›Und wann verlassen wir die Höhle?‹«. Antwort, (die ja nun auch Jeder selbst weiß): »›Gerade um Mitternacht. Das wird die allerbeste Zeit sein, nicht zu früh & nicht zu spät.‹«; man muß sich überdem, 1 uralter Räubertrick, die Gesichter mit Ruß schwärzen (515). Dann treibt Mila noch einmal »ihr Herz an der Riesentanne empor.... Es war alles still & finster in der Höhle. Mila durch100
wanderte leise die einzelnen Räume bis hinaus in den Krater, in dessen Tiefe soeben der Strahl des jungen Morgens drang.« — und das ist ja nun wieder eine beträchtliche Metafer, dieses Verschweben des verworrenen Einerley der S-Grimassen, in die Weite einer, (obschon auch vollendet ›kimmerischen‹), Landschaft: Vivat Carolus Magnus! — Hier nun könnte sich bei einem aufmerksamen Leser der Einwand eingestellt haben: ob Gebilde dieser speziellen Art nicht vielmehr auf heterosexuelle LG’s zu deuten
wären, denn auf homo-S? Wäre doch die ›Ein-Leitung‹ — wie da der Riesenbaum am Felsritz lehnt, und die Dame den Herrn ›einführt‹ — sowie einiges mittlere Detail à la ›Gästebuch‹; (eben fällt mir ein, daß ja auch die ›Blutbuche‹ noch dies ›Buch‹ birgt, und als Baum sowieso ›Blätter‹ über Blätter hat); noch leichter als allegorische Darstellung eines normalen Geschlechtsverkehrs, allenfalls herm-afroditisch, zu lesen? Die Erwiderung darauf lautet: Sehr wohl. Bei all diesen Bildungen aus dem Münchmeyer-Jahrzehnt 1880 - 90, in dem MAY es notorisch ›mit der Ehe probierte‹ (er heiratete ja 80 seine, wesentlich jüngere, vital-pandemonische Emma Pollmer), reitet er, es wurde bereits erwähnt, versuchsweise auch einmal mit Mädchen, die sich aber immer wieder und bemerkenswert rasch in ›Schön Harrys‹ verwandeln. Genau das wird der Grund dafür sein, daß in den Büchern jener Dekade der Held nach Beseitigung des jeweiligen Feigenblattes zunächst die beliebte ›dunkle Stelle‹ erblickt, und nicht weiß, »was aus derselben zu machen« sei. Da nehmen die VorGemächer & Labien denn halb & halb Vulva-Vagina-Charakter an, die zunächst ja auch ›Männer-Zuflüchte‹, Penis-Herbergen allgemein, sind; und Damen geleiten logischerweise in solchen Vor-Mund hinein. Jedoch besitzen die sich anschließenden Gänge & Kammern meist nur Durchgangs-Wert, und führen am Ende unverändertflink zum eigentlichen MAY’schen Lustzentrum, dem (männlichen) Gesäß, wo der Held dann in Träumereien versinkt; sprich: das halluzinatorische Wiederdurchleben jener einstigen unvergeßlichen Szenen erfährt. — 101
Ergänzend wichtig wird in diesem Fall der ›Armen Leute‹ noch das sich (402) unmittelbar anschließende Bocks-Spiel, wo 2 Feinde (›Kosacken‹-Aufseher) zusammen in eine Räucherkammer eingesperrt werden. Dann schnappt man sich »Lederschläuche«, steckt die »durch die Esse«, setzt sich »rittlings« auf den Dachfirst, »den Schlauch in der Hand«, und pumpt Wasser in besagtes Black Hole: »›Jetzt scheint das Wasser zu kommen‹ flüsterte der Bauer, ›der Schlauch wird schon schwer.‹ ... ›Ja, es ist bereits da‹, stimmte Boroda bei, ›halte die Mündung in die Esse.‹ ... ›Jetzt wird es nahe an Mitternacht sein.‹«; und so folgt rüstig 1 Zwangsvorstellung der anderen, (vgl. hierzu SKIPETAREN, 493). Um dem Einwand — möglich ist ja Alles unterm Monde — zu begegnen, wie ich lediglich vorhätte, per fas et nefas aus herausgebrochenen Sätzen & Einzelpassagen eine knollige Hypothese aufzumästen, und es sich überhaupt nicht um ein, von einem HöhlenGourmand aufgebautes, großes manisches System handele, sei hier sofort die andere im Werk auftauchende Parallelbildung zu ›Milas Höhle‹ vorgeführt, nämlich ›Unicas Höhle‹ aus den CORDILLEREN, Ss. 193-256 (= ›Unikum‹ plus ›Herz‹). Da wandelt OS durch einen Wald«, wo »heimtückische Pfeile« drohen, und sein Gefährte ist ein gewisser »Pena«, (›Nur nicht ohne diesen Begleiter‹ lobt Kohlhaas). »Der heisere Schrei eines Raubvogels ertönte in der Luft, und gleich darauf krachte ein Schuß... ›Links‹.« Man trifft, ganz ungewöhnlich im Gran Chaco, auf einen riesigen erratischen (errare homanum est) Block, und »von links her aus dem Walde kamen die sehr deutlichen Stapfen zweier Menschen; ((›homo sapiens‹)); mir zur Rechten zeigte der Fels einen breiten aber nicht tiefen Spalt, so regelmäßig, wie durch Kunst hineingearbeitet. In diesem Spalt stand eine Algarobe«, Prosopis alba, ein Riesenbaum, an dessen Fuß die Spuren verschwinden: die hier Verkehrenden müssen im Felsen stecken. »›Man sieht doch kein Loch!‹ — ›Das wird verschließbar sein. Betrachten wir uns den Stamm einmal genau! Der Baum ist alt und seine Rinde rauh & zerrissen; aber sehen Sie, daß 102
sie an gewissen Stellen des Stammes und der Äste ganz glatt ist? ... Das ist vom Klettern. Wenn diese Stellen so glatt poliert sind, so ist das ein Zeichen, daß der Baum sehr oft erstiegen wird,‹ /...../ Ich kletterte hinauf, und Pena folgte mir auf dem Fuße. Als wir den Ast erreicht hatten, erblickten wir, was uns von unten entgangen war, einen starken Strick... so daß man sich an ihm festhalten konnte, wenn man den kurzen Weg... nicht auf dem Aste reitend & rutschend zurücklegen wollte. ... ›Eine ganz praktikable & bequeme Einrichtung! Wer weiß, wie hübsch das Innere dieses äußerlich so verheißungslos aussehenden Felsens ausgestattet ist.‹« Man sieht zwar, an der Steinwand angelangt, immer noch keine Tür; aber »der Fels war auch hier mit grauen & grünen Flechten & Moosen überzogen, aus denen, wie es schien, eine dünne verwitterte Wurzel herunterhing. Flechten haben keine solchen Wurzeln; ein anderes Gewächs gab es nicht, zu dem sie hätte gehören können, folglich war mir ihr Zweck sofort klar. Ich ergriff sie und zog an ihr — — wahrhaftig, ich hörte den leisen, unterdrückten Klang einer Glocke! ... Pena stand dicht hinter mir.« Nu was hab’ ich gesagt ä Klingelzug! (Hier sei gleich noch SUREHAND III, 260 angeschlossen, wo es von W heißt, er sei u. a. auch der Arzt seiner Freunde, und »Wenn Ihr an seiner Nachtklingel zieht, wird er sogleich erscheinen.«). Ein »Indianer« öffnet, und »was er that, das war kein Sprechen, auch kein Schreien & Rufen, o nein! Es giebt kein Wort, welches die Töne zu bezeichnen vermag... man denke sich sämtliche Instrumente einer Militärkapelle verstimmt und dann unisono angeblasen... und dieses Gebrüll bekam in dem engen dunklen Gange, in welchem wir uns befanden, eine so verstärkte Resonanz, daß man hätte meinen mögen, es schrien 100 Teufel, welche abgestochen werden sollten, um Hilfe.« (Eine Variante der ›Stimmen des Singenden Thales‹.) Man dringt tiefer ein; und vor OS liegt »ein kleines Stübchen, dessen Wände schwarz angestrichen« waren. Hier haust der »viejo Desierto« — was man, in ruchloser Stimmung, auch 103
mit ›der alte Wüstling‹ übertragen könnte — eine »lange skelettartige Gestalt« mit »glänzendem Schädel, vollständig kahl, ohne jede Spur von Haar. ... Er stand wie der drohende Engel des Todes unter der geöffneten Tür«, wieder so ein Wortsteglein zum ENGEL DER VERBANNTEN. Indianer mit Blasröhren in den Händen treten drohend auf; werden bei der roten Kehle genommen, können das auf die Dauer nicht ertragen, und sinken in sich zusammen. Dann geht man an die Durchmusterung der anderweitigen Räumlichkeiten. Kommt zunächst in eine größere Stube, voll von Waffen der verschiedensten Art, und eine nächste, die ganz »das Aussehen eines Versammlungssaales« hat. An diesen Raum stieß ein kleinerer »mit einem Tisch, auf welchem ich ein Schreibzeug erblickte. ... ›Finden Sie nicht auch sonderbarerweise, daß die Luft in diesen unterirdischen Räumen ausgezeichnet ist? Gar nicht dumpf & moderig, wie man erwarten sollte!‹«. Das ganze Felsenhaus erweist sich überhaupt als künstlich, aus »ganz weichem Mauerwerk. Es klingt wie Holz und Lehm.« Das nächste Zimmer scheint die »Apotheke« des Alten zu bergen, mit allerlei Gefäßen (fonetisch liegt ja gleich ›Gesäßen‹ in der Nähe herum) und Flaschen, »fest verstöpselt«. »Durch die nächste Tür kamen wir in einen sehr großen, weiten Raum, welcher einem Vorratsgewölbe glich. ... Das nächste Gemach bildete wieder einen Vorratsraum«, mit »Sätteln, welche an den vier Wänden hingen. Es waren ihrer wohl über 50 vorhanden. ›Sollte dieser Mann Pferde haben?‹ fragte Pena. — ›Wahrscheinlich! Seine Indianer wird er wohl nicht satteln, um spazieren zu reiten.‹« (Obwohl es das geben muß; ich erinnere mich eines deutschen Volksliedes: ›Sie sahen von weiten / den Großherzog reiten; / er ritt auf einem Grenadier ...‹.) Dann
muß man Treppen steigen, und gelangt darob in einen Garten, in dem »Melonen gezogen wurden«, bei denen Unica sitzt, »ihr Gesicht war bräunlich gefärbt & schön gerundet« (›he kissed the plump mellow yellow smellow melons of her rump, on each plump melonous hemisphere, in their mellow yellow furrow, with obscure prolonged provocative melonsmellonous osculation‹ 104
heißt es im Buch unseres Jahrhunderts, in vergleichbar Pene--loopischer ›Lage‹ — ich zitier’s lediglich, um die Legitimität (›leg-Intimität‹) der MAY’schen Symbolik nachzuweisen; künstlerisch freilich war’s ›Herakles kai Pithekos‹). Gleich der sibirischen Mila weiß auch das Mazönchen Unica mit dem großen Baum am Spalt brav umzugehen; sie »schritt mit der Sicherheit der Gewohnheit über den Ast hinüber, faltete drüben den Saum ihres Gewandes fest zusammen und turnte sich mit großer Gewandtheit von Ast zu Ast bis zum Erdboden hinab, wo sie sich sofort entfernte.« Sie will nämlich ihre Leibtruppe vorführen, »Dameninfanterie und viel stärker als das erstere ((Männerbataillon)). Auch diese Amazonen standen in zwei Gliedern, die Köcher hinten, ((wo die Pfeile ‘reinkomm’m)), die Blasrohre in der rechten... Hand.« Im Anschluß an solche Parade, wo die Damen sich vorgeführt und gezeigt haben, was sie »leisten können«, speist man dann »riesige dampfende Fleischmassen«. (Weiter hinten im Buch, etwa S. 308 ff., finden sich noch diverse zusätzliche Bestimmungen à la »im Vordergrunde brannte ein Talglicht. / Im hinteren Teil... der verborgene Eingang zu einem langen, niedrigen Gewölbe«, usw.). Man wird hoffentlich eingesehen haben, daß es sich tatsächlich um eine echte Repetition der Armenleutehöhle handelt; der Charakter, ja fast die Reihenfolge der Vorstellungen sind praktisch die gleichen; es ist immer dieselbe stereotype Genitalisierung der Außenwelt. MAY’s Akteurs erblicken ein weites Groß-Gesäß; entblößen die daran befindliche Spalte; und reiten entweder hinein, oder bedienen sich zum Eindringen des Riesenbaumes; schliefen dann in dunkle, nicht selten feuchte Gänge — es ist eindeutig die Abbildung eines unabgedankten Impulses. Und wenn auch MAY’s berufliche Leistungsfähigkeit nie geschädigt erscheint — au contraire: die Süchtigkeit bei solchen offizinellen LG’s nimmt ständig zu; und wenn das literarische Ventil erst einmal weit offen steht, ist kein Ende abzusehen; (man vergleiche das ANGRIA & GONDAL der BRONTE’s) — so muß doch im Laufe der Jahre, bei einer derartigen Selbst105
hypnose mit farbenprächtigsten, unrealistisch-verappetitlichten Riesen-Surrogaten (›surr, oh gate!‹), die unvermeidliche Folge für den, sowieso Alternden (= Verlust an Leib-Haftigkeit), die gewesen sein, daß seine reale Ehe weitgehend uninteressant für ihn wurde; da er ein handfestes S-Leben, wie auf unserm Nicht-SITARA üblich, anscheinend selten geführt hat. Wie sich im Casus KARL MAY contra EMMA POLLMER Schuld & Nichtganzschuld verteilen, ist zur Zeit nicht durchschaubar; es dürfte der ›belastenden‹ wie der mildernden Umstände für beide Teile genug geben.
§14 »My honest scholar, we are now arrived at the place whereof I spake, and trust me, we shall have good sport. How say you? Is not this a noble quadrangle we see around us? And he not these lawns trimly kept, and this lake marvellous clear?« (LEWIS CARROLL, Vision of the 3 T’s) ›Ein Spalt aus dem ein Wasser feuchtet, und die Helden müssen hinein‹ — nicht künstlerische Erwägung, und nicht Flüchtigkeit & Willkür haben bei MAY hunderte dieser Bildungen entstehen lassen; und es ist auch keinerlei Rede von ›Fülle‹, sondern die Kanalisiertheit des Vorstellungszuges, die maskenhafte Starre der SSchlünde, werden auf die Dauer geradezu alpdruckhaft: es sind eben ›Masken‹; und hinter jeder Maske verbirgt sich etwas. Überlagert von einer seltsam fahrigen, in einem hypnotisch-verarmten Wortschatz dargebotenen, Oberflächenhandlung (= L I) — und nur sie meinte AVENARIUS, wenn er verächtlich von ›Volksgehirnerweichung‹ sprach; (er war eben auch ›hinten etwas kurz‹) — ruhen im Grunde, ›in purpurner Finsternis‹, die Organ-Abbildungen: MAY’s Werk ist von A bis 2 anal stigmatisiert! (Vgl. W. LA BARRE’s und 106
H. DICKS’ Urteile über den Deutschen Volkscharakter: die beliebte ›dämonische Macht des Einfachen‹ (HEYSE) genügt hier kaum noch; eine derartige Fixation des Publikumsgeschmacks legt, zumindest dem Außenstehenden, Rückschlüsse auf den Charakter einer ganzen Bevölkerung nahe. I hate to say it; aber die Burschen hatten schon ihre, von den Deutschen leider freigebig gelieferten, Gründe.) — »Es war alles öde ringsumher .... Es wurde den Tieren schwer, vorwärts zu kommen, des schwierigen Terrains und auch der dünnen Luft wegen.... Wir hatten unsere ganze Aufmerksamkeit auf den schlimmen Weg zu richten. / Da plötzlich hatte der Bach ein Ende, oder vielmehr sein Anfang fehlte; er kam aus einer schmalen Felsspalte hervor. ... Ich stieg ab, um einen Blick hinein zu werfen. ... dann konnte die Passage probiert werden. Es war anfänglich grad genug Platz für einen Reiter vorhanden... dann aber wurde die Spalte breiter & bequemer, bis sie sich zu unserer Überraschung ((zu meiner nicht; A. d. V.)) zu einem großen, länglich runden Felsenkessel verbreiterte, durch den das Wasser ruhig und wie ein silberheller Faden floß.« (WEIHNACHT, 546). Und sofort geht es phrenetisch weiter: »Es kam hinten aus einem so niedrigen Spalt, daß kaum ein Mensch Platz zum Hineinkriechen hatte. £5 schien hier ein ganzes System von Spalten, Klüften & Kesseln vorhanden zu sein.« (!). Gleich in der Nähe liegt eins von W’s ›Finding Holes‹, (›das het er z’einen stunden von aventiure funden‹), wo man Goldpuder & Nuggets sehen kann; (MAY laborierte übrigens, seine zweite Frau Klara hat’s schriftlich gegeben, im Alter notorisch an Hämorrhoiden — wie sich’s für den am Schreibetisch Ergrauten geziemt: ›Die Hämorrhoide ziert den Gelehrten‹.) Im selben Bande, S. 582 ff., wird überwintert: »Man denke sich einen sehr tiefen, langgestreckten Krater; darin »ein See mit warmem Wasser«; um diesen See die unerläßlichen Felswände. »Unten angekommen, schritt er ((W)) geraden Weges auf eine sehr dicht mit Epheu bekleidete Felswand zu... schob ihn auseinander, und
verschwand hinter demselben.« 107
Und es ist ›selbstredend‹ wieder die beliebte »natürliche Einbuchtung des Felsens«, die »primitive«, die jedoch »in eine den Verhältnissen angemessene ganz bequeme Wohnung verwandelt worden« ist. Die weitere Beschreibung kann allmählich jeder nicht ganz kindisch gebliebene selbst zu Papier bringen: die mehreren Räume, von denen einer grundsätzlich Vorratsraum ist, und die nun behaglich ausgemalthergezählt werden — »es gab da Pelzwerk« jaja; und »schöne weichgegerbte Felle als Sitz- & Lagerstätten«, so ›sämisch Leder‹, gelt?; »indianische Thongefäße«, »Hirschtalglichte«, gewiß; »auch Kürbisse und 2 Ledersäcke voll getrockneter Bohnen waren da, dazu Zwiebeln, Rettiche und mehrere andere Gewächse, welche ebenso wie die Bohnen & Kürbisse draußen am warmen Wasser gezogen« worden waren. Die pereingeholten Mannen staunen nicht weniger »über den ebenso unerwarteten wie behaglichen Unterschlupf, den wir da mitten in der starren Wildnis gefunden hatten.« Gleich wird »ein tüchtiges Feuer angebrannt, dessen Rauch durch eine Art natürlichen Kamins in die Höhe zog.« — wo solches Feuer ist, da ist auch solcher Rauch. — SUREHAND I, 3 3 f.: »Dann hielten wir vor einem tiefen Schlunde... mit steilen Wänden, die mehrere hundert Fuß hoch waren. Unten rauschte ein Wasser, welches von oben aus wie schwarze Tinte erschien. Da, wo wir hielten, standen vereinzelte Riesenkaktus am Felsenrande. Das war der Mistake-Canon, dessen Anfang sich vor uns öffnete, und in den wir hinab mußten. Wer das Auge hinab in den drohend emporgähnenden Schlund richtete, dem (sic) konnte allerdings ein Grauen, ein Gefühl überkommen, als ob da unten die Stätte eines unabwendbaren Unheils sei. Ich hatte viele Canons gesehen und auch viele durchritten, war aber von keinem, um mich des Ausdrucks zu bedienen, so zurückgeworfen worden, wie von diesem hier.« Den Namen führt er angeblich deshalb, weil dort ein Weißer — (anscheinend 1 reuiger Verbrecher; SUREHAND wimmelt von solchen Typen, und wäre ergo hochautobiografisch zu lesen; HOH) — — einen, von einem Ande108
ren bereits halb-skalpierten, Roten versehentlich erschoß. Sämtliche Feinheiten gerade dieses Genrebildchens sind in meinem armen, skizzenhaften Entwurf hier gar nicht einzuernten; ich weise auch nur darauf hin, wie die vielen ›frischen & vertrockneten Kakteen‹ der Gegend, (auch das ›Mist‹ in ›Mistake‹) andeuten, daß als zweiter dominierender erotischer Schauplatz wohl auch ›Das Klo‹ gedient haben könnte, und dessen Bilderwelt so manches der ab-ortig-exo-thischen Cul-Touren ausgelöst haben möchte, ›Ach, wir Armen!‹, (die wir ›organisch‹ das ›Auge‹ täglich mehrmals in diesen ›Schlund‹ ›richten‹ müssen!) Gegen Ende des SILBERSEES drängen sich die gleichwertigen Lokalitäten. »Von rechts, von links und von da, wo die Reiter hielten, senkten sich drei schwarze, schiefe Felsebenen wie riesige, unten zusammenstoßende Schiefertafeln gegeneinander. Ihre Neigung war so stark und ihre Fläche so glatt, daß man unmöglich im Sattel bleiben konnte. Es war fast schaurig, bis auf den tiefen Grund zu blicken. Von beiden Seiten, da wo die Riesentafeln zusammenstießen, floß ein Wasser abwärts... unten vereinigten sich die beiden Wasser, um in einem Felsenspalt zu verschwinden. / ›Das ist der Nacht-Canon‹ erklärte Old Firehand, indem er auf diese Spalte deutete.« (›Nacht-Kanne‹ las ich jüngst in einem Buch für ›Nacht-Topf‹). »Dort bewegten sich kleine Gestalten; Reiter waren es... das waren die Utahs, die soeben im Felsenspalt verschwanden.« S. 508 f. und 522 f. der »Wald
des Wassers« (wo besonders viel sächsisch parliert wird); 542 geht es durch nackte, bächleindurchströmte Canons zum »Tal der Hirsche« — aber ich zitiere hier absichtlich kärglicher; weil ich nur die Radebeuler Bearbeitung zur Hand habe, und das SPEMANN’sche Original etwas abweichend lauten könnte; was auch für Stellen wie INKA 3 59 f. und 539 f. gilt. Ebenso habe ich die Spalten & Ritzen des ›Vorderen Orients‹ ausgesondert; etwa die in KURDISTAN, oder die im II. SILBERLÖWEN; (die im III., S. 244 ff., das »Thal des Sackes«, könnte in 1 ihrer mehreren Sinne heranzuziehen sein; da aber hier eine komplizierte ›Quellenscheidung‹ vorzuneh109
men ist, muß die Analyse in einen späteren § verlegt werden). Eine Unter-Unterabteilung für sich bilden die ›Bergwerke‹, die Schächte & Stollen. Und wenn auch leider gewisse frühe Erzählungen ob ihrer zur Zeit allzusehr fließenden Texte ausgeschieden werden müssen, ebenso wie der hochverdächtige Roman von ZEPTER & HAMMER (beides ja schon ›phallische Symbole‹); und selbst wenn ich das Haschespiel in Band II des VERLORENEN SOHNES, im ›alten Stollen‹, mit seinen feuchtschleimigen Wänden, wo es kracht & nach Gas stinkt, ausklammere, so bleiben der suspekten (›sous-pecten‹) Baue & Röhren noch genug. (Beabsichtige ich doch bei meiner vorbereitenden Arbeit nicht mehr, als etwas Ordnung in das große Kaos zu bringen; freilich nur eine ›eigene‹, eine L II-Ordnung, eine so Manchem vielleicht anstößige & unerwünschte, zugegeben.) Um wenigstens 1 Andeutung auch von dieser Klasse zu geben, und die Berechtigung ihrer Einstufung als verkleidete Genitalien darzutun, wähle ich mir das Quecksilberbergwerk von Almaden Alto; (eine frühere Verwendung des Motivs hatten wir bereits in jener Quecksilbrigkeit des ›Todesthales‹ kennen gelernt — man könnte fast auf die Ver-Muthung geraten, daß diese konstant-verhaßten Amalgamitäten möglicherweise auf eine durchgemachte Geschlechtskrankheit MAY’s hindeuteten?). ›Almaden alto‹ also (SATAN & ISCHARIOT I, 490 ff.) nähert man sich über ein wüstes wellenförmiges Gelände; »hinter demselben senkt sich der Boden ziemlich schnell, und bildet eine weite, fast kreisrunde Vertiefung... in diesem See hat eine große Felseninsel gelegen... Oben ist die Mündung des Schachtes.« »Dort giebt es ein vermaledeites Loch, in welches gestiegen werden muß.« Einen zusätzlichen zweiten Eingang kennen nur Eingeweihte (›Eingeweide‹) in der »dürren Kalkfelseneinöde«, der »unfruchtbaren«. Dort gibt es dann auch Wasser, freilich nur »unterirdisch«: »Sie ((die Höhle)) hat aber keine Hinterwand und scheint tief in den Kalkfelsen zu gehen; man kann aber nicht weiter, weil man an einen Abgrund 110
kommt, dessen Breite man nicht zu ermessen vermag. Rechts giebt es eine kleine Nebenhöhle, welche voller Wasser steht« — das aus Träumen gewohnte Bild des großen Kloakenraumes, mit der, wie Lou ANDREAS-SALOME sich auszudrücken pflegte, ihm ›abgemieteten‹ kleineren Harnblase. Soweit die erste Beschreibung, die OS von einem ›Player‹ gegeben wird, der aber, wie sich nachher erweist, auch nicht voll informiert war; »es giebt eben bei solchen Erlebnissen so vieles zu bedenken & zu berücksichtigen, wovon ein Laie keine Ahnung hat«; und da bleibt OS’ens Erkundigung, ob der »nackte Fels« irgendeine »offene oder heimliche Vertiefung« habe, zunächst unbeantwortet. OS reitet also, seinen »kleinen Mimbrenjo«, an dem er einen rechten Narren gefressen hat, dicht bei sich, los; und zur sonst gewohnten Ausrüstung sind diesmal noch »ein Paket Lichter« und »lange Wachsfackeln« hinzugekommen. Da beginnen gleich »lange niedrige Bodenwellen«; »kein Strauch, kein Grashalm war zu sehen.
Dieses nackte Gestein ... / Das Atmen wurde schwer, und der Schweiß drang mir aus allen Poren; aber es mußte ausgehalten werden. ... Gesprochen wurde fast gar nicht. Der Mimbrenjo erlaubte sich nicht, mich anzureden, und die Einförmigkeit des Rittes gab mir keine Veranlassung zum Sprechen.« Die Hitze wird allmählich zur »wahren Glutsee«. Der Zweck des Rittes zur Felsenburg von Almaden alto ist übrigens wieder das formuleuse ›Gefangene sind zu befreien‹; auch spielt noch 1 Vamp, ›Judith Silberstein‹, seine übliche, verächtlich-mehrschläfrige, Rolle; (die ist ihm, samt ihrem Vater, aus dem VERLORENEN SOHN hineingeraten; wie auch der Name ›FELSENBURG‹ selbst, oder der ›Herkules-Bormann‹, der es, S. 543, OS ausdrücklich bescheinigt: »Sie verstehen nichts von Frauenliebe!«). Man erreicht das »riesige Felsenbollwerk«, welches »schier einen Kubus« (›u:u‹ plus ›Kuhbusen‹) bildet; findet den Höhleneingang, und sieht sich genötigt, »das Loch bis über Pferdehöhe zu erweitern, was keine angenehme Arbeit war, da wir nur die Hände dazu hatten.« Auch über den Spalt kann man, und findet die anschlie111
ßenden ›Gänge‹ »mannshoch«, so daß man darin stehen kann: »Die Luft war wider alles Erwarten ganz erträglich«; wer sich hier betätigt, hat keine »tödlichen Gase« zu befürchten. Tiefer drinnen wird der Mief dann allerdings oppressiver: »Hier herrschte eine schlimme Luft. Es roch nach Schwefel; man atmete schwer.« OS öffnete eine neue Klappe, »um hindurchzublicken; zog aber die Nase sehr schnell zurück, denn es drang mir ein Dunst entgegen, der kaum auszuhalten war. Als ich das Licht an die Öffnung hielt, schien es verlöschen zu wollen... das, was man roch, war geradezu unbeschreiblich!«; (d. h. das betreffende ›Loch‹ stinkt über alle Maßen, ja Polizeiwidrig, und OS geht ›die Kerze‹ schier darob aus!). Aber am Ende gelingt selbstverständlich Alles; »und so flogen wir denn, beide gleich gut beritten und zunächst eine südliche Route einschlagend ((›seine südliche Rute einschlagend‹; ›he laughed loud laughters three‹)) in den frischen Morgen hinein.« Damit beendet MAY jubelnd gern seine Bände, mit diesem ›Es wird weiter geritten‹! ——
§15 »Encheiresin naturae nennt’s die Chemie, spottet ihrer selbst und weiß nicht wie,« (GOETHE, Faust I) Treten wir für 1 Augenblick zurück, und mustern wir kurz den Rundumhorizont, Culissen plus Soflittchen, des MAY’schen Freien, ja Wilden Westens. — Nicht nur der ›Gefangene‹ oder sonst in einer Zwangslage Befindliche, ja nicht einmal nur die ›Kinder‹, sondern alle lesenden ›einfachen Leute‹ (enfin: ›Das Volk‹ allgemein; der wenig individuierte ›Große Haufe‹), tendieren im allergrößten Ausmaß dazu, sich durch LG’s von einer ›Außenwelt‹, die 112
sie fast nie nach ihrem Begehr zu beeinflussen vermögen, wenigstens zu Zeiten unabhängig zu machen. Diejenigen unter ihnen, die die ›Vorlagen‹ zu solchen LG’s liefern — und diese Vorlagen müssen simpel & stümperhaft genug sein, um mühelos, ja begeistert nachvollzogen werden zu können — heißen ›Volksschriftsteller‹. Die Wichtigkeit ihrer Rolle sei ihnen gern von mir bescheinigt; handelt es sich doch, wie ich immer mehr einsehe, um einen nicht gut zuzumauernden Nebeneingang ins große Popanzpan- nu mein’twegen -Theon der Literatur: der von seiner Berufsarbeit ehrbar ermüdete Ungebildete — was gar nicht identisch mit ›doof‹ zu sein braucht; er-sie-es kann durchaus auch nur Pech gehabt haben; darf aber auf keinen Fall verlangen, daß ›Die Kunst‹ sich nach ihm & seinem Nie-wo richte: der ›einfache Mensch‹, am Amboß von jeher ein Meister fürwahr, der Große Kunst will, hat sich gefälligst in jahrzehntelanger Anstrengung nach ihr hin zu bemühen! — der ermüdete Ungebildete also, hob ich an, bedarf des ihm angemessenen Buchstabenopiates genauso, wie die Wort-, Färb-, Ton-Meister ersten Ranges. (Eine, wie ich fürchte, unnötig verständnisvolle Bemerkung; ich beeile mich also, nachträglich zu betonen, daß von ›Gleichberechtigung‹ nicht die Rede sein kann: CARROLL oder JOYCE sind für ›Köpfe‹; die Volksschriftstellerei ist ein Zweig der Toilettenpapierindustrie. Mit welchem ›pour se torcher le cul‹ wir zwanglos wieder beim frühen KARL MAY angelangt wären.) Dem sich lesend an ihr beteiligenden Volk verstellt die intensive Zugehörigkeit zu einer solchen Scheinwelt die Erkenntnis der wahren Tatbestände auf geradezu lächerliche Weise — ich betone ›Erkenntnis‹; denn was in Wirklichkeit hier zwischen Autor und Leser vor sich geht, wird noch ausgiebig, pro et contra, ventiliret werden. Wo das naiwige Kind also eine gobelinflache & -bunte, abenteuerlich gesprenkelte Oberflächenhandlung sieht, könnte — und zumindest diesen Konjunktiv glaube ich doch jetzt schon erwiesen zu haben — das unbefangene Auge des wahrhaft Erwachsenen etwas sehr Anderes erblicken: 113
Eine Welt, aus Hintern erbaut! — : Hintern als Felsenkessel; Hintern als Tälchen, (wo ›Rote‹ ruhen auf Rasengrund, (›gleich bei der Hand, in voller Erwartung‹ geht’s weiter)); Hintern als Höhlen & schlimme Klüfte; Riesenbäume lümmeln phallisch an liebreizenden Leibritzen
(›Entladungen‹ manifestieren sich als bleiche Flämmchen); Hintern figurieren als musizierende Tale; und hoch über allem kreist nachtdiebisch die Scheibe eines Hinterns als Gestirn —: das Ausmaß, in dem hier solche Verwandlung betrieben wurde, übertrifft jeglichen ändern, aus der Literatur bekannten Fall! Und nicht alles, was absurd klingt, ist es deswegen auch: der Traum jeder Nacht lehrt uns die Umsetzung von Psychischem in Topisches, von Wort- & Begriffs- in BildMaterial kennen, (d. h. Den, der darauf achtet, und Der es erkennen will). Die Verschlüsselung ist relativ leicht durchschaubar, sobald man die Transformationsgleichungen einmal eingesehen hat — schier ähnlich starr & einfältig, wie das Vertippen auf einer Schreibmaschine, wenn man nicht daran denkt, daß man die 10-Finger falsch gesetzt oder die ›Umschaltung‹ eingerastert hat; da entsteht ja auch ein geheimnisvolles ›% &;‹ für das katalaunische ›451‹: sobald ich aber die Fehlleistung erkannt habe, und die ›Marke‹ der betreffenden Maschine weiß, wird die Rückübersetzung ein Spiel (und eigentlich sogar schnell langweilig). Imgrunde ist diese spezifisch MAY’sche Art der Anthro-Po-Morfisierung (›Das Mensch ist das Maß aller Dinge‹) etwas längst bekanntes. Im ›Hohen Lied‹ besingt die liebende Schäkerin genau so die Reliefkarte ihrer Vorderfront; und die Anachoreten der Thebaischen Wüste wußten meist auch nichts Vernünftigeres zu treiben, als sich pausenlos à la Bosch mit ihrer vergewaltigten Leiblichkeit herumzuschlagen, ebensoviele Belege der uralten Wahrheit, daß, Wer besser sein will, als seine Konstitution es ihm erlaubt, ziemlich unweigerlich damit endet, daß er schlechter ist; (»›Heilger‹ ist ein schöner Titel, aber in Berlin nicht passend«, wie HEINE seinen Itzig ruminieren läßt). 114
Die Logoslosigkeit der bisherigen MAY’schen Leserschaften einmal beiseite gesetzt — (aber das ist ja eben 1 der Voraussetzungen des ›volkstümlichen‹, woran die Herrschaften einander erkennen) — hat sich mir im Verlauf einer, wenn auch sporadischen so doch immerhin bald 40-jährigen Beschäftigung mit dem Musterobjekt der Eindruck ergeben, daß MAY einer unserer größten Erotiker gewesen ist, und daß zumindest seine ›Landschaften‹ (mehr habe ich noch nicht besprochen) stellvertretend für ›heiße (erogene) Zonen‹ stehen, die nur in dieser Camouflage bewußtseinsfähig für ihn wurden. Mehr noch: die ihm so die intensivstunschuldige Beschäftigung mit dem ganzen Vorstellungskreis erlaubten; (vom genialen zum geni(t)alen ist nur 1 ›crossing of the tee‹). Die landläufige Ansicht über KARL MAY ist jedenfalls ein Aberglaube, der dadurch, daß ihn einige 100 Millionen Deutschsprechender teil(t)en, nicht wahrer wird — (›im Gegenteil‹, dürfte Le Bon murmeln) — man lasse sich die Histologie, die mikroskopische Anatomie der ›Steiße ringsum‹, noch eine Zeitlang gefallen, ehe man zur eigenen Urteilsbildung schreitschreitet. Habe ich doch bis hierhin nur die Organo-Geografie, ja sogar nur die des ›Westens‹, abgehandelt; man gedulde sich also noch mit dem Verketzern. Man sehe ein, fair play please!, daß es widersinnig wäre, bei dem augenblicklichen, künstlich nahe dem Nullpunkt festgehaltenen Stand der biografischen Forschung, ›exakte Beweise‹ für meine Theorie von mir zu verlangen — die werden sich, im Laufe der Jahre, hoffentlich noch einstellen; bzw. zugänglich werden; (›da‹ sind sie vielleicht längst). Betrachten wir als nächstes die im Far West agierenden Gestalten, und was damit zusammen (bzw. an ihnen herum-) hängt.
V • DIE POPULATION §16 »Und wenn ich lieb’, nimm Dich in acht!« (BIZET, Carmen) Daß sich die MAY’schen Helden zu guter Stunde wie recht Problematische Naturen gebärden, ist ja bereits im W-Kapitel hinreichend dargetan worden; und auch auf einige Statisten wird bei Schilderung der Culisse schon der & jener leicht schweflige Lichtschein gefallen sein. Die Frage liegt nahe, ob es sich bei dem bisherigen etwa doch nur um eine großmaßstäbliche Verkennung meinerseits handeln könnte; herbeigeführt einmal durch bloße stilistische Unbeholfenheiten & Eigentümlichkeiten des Au-, andererseits durch die überdimensionale Verruchtheit des Kommenta-Tors. Allerdings stellt das immer so ziemlich die letzte Zuflucht der Verteidigung dar, dies ›Nicht der Anal-isierte ist schuld, sondern der Analysierende‹; denn für Gegengründe & Beweise wird man Niemanden offener & empfänglicher finden, als mich; (für bloße Deklamationen freilich Niemanden tauber). Ich schlage also, wie bisher schon, den einfachsten, den ›saubersten‹ Weg ein, der darin besteht, sich eben nicht 1 einzelnen, womöglich noch aus dem Zusammenhang herausgebrochenen Faktums gehässig und im vollen Bewußtsein der begangenen Tat zu bedienen, sondern gleich ganze Reihen von Indizien herzuzählen. Daß sich OS + W verdammt suspekt benehmen, steht außer aller Frage — mir soll’s gleich sein; ich habe lange genug gelebt, um zu wissen, daß der Geschmack gerade auf diesem Gebiet sehr verschieden ist; wie REUTER sehr richtig sagt: »Wer ‘t mag, Däi mag ‘t; und Wer ‘t nich mag, Däi mag ‘t je 116
woll nich mögen«, (»Und Diejenigen, die immerfort sagen, sie machten’s eigentlich gar nicht gerne, Die machen’s ((laut FALLADA)) am allerliebsten!«). Wer sich gegen die aufdämmernde Einsicht, daß die Heroen häufig & rüstig the Greek Way wandeln, sträuben will, Der soll in Drei-Platons Namen Geküsse, Embrassierungen, das Kommunizierenderöhrengetue, sowie noch ein paar Kleinigkeiten vergessen, die vorliegende Studie zuklappen, und sich auch weiterhin strikte an das ›Lesemodell I‹ halten, selig lächelnd wie ein satter Säugling. Wem aber an dem Vollbilde eines recht interessanten & komplexen, zuweilen ziemlich gräßlichen, öfters ziemlich kläglichen, Mischwesens aus dem Ende des 19. Jahrhunderts gelegen ist, oder auch an der Einsicht in einige wichtige Motor- & Mechanismen primitiver LG’s und ihrer literarischen Fixierung (in wesentlich mehr Fällen gültig, als man meinen möchte; ich rede auch davon noch), der mag weiter folgen. Zumindest wäre es eine Übung für den Scharfsinn, im ›Spurenlesen‹, wie der Alte selbst es, preisend mit viel schönen Reden, überflüssig gern & häufig vorgeführt hat. — Eine der auffälligsten Erscheinungen in MAY’s Wildem Westen sind — ich beginne höflichkeitshalber mit den Blaßgesichtern — die unverhältnismäßig zahlreichen Paare von Halbhelden; unzertrennliche Freunde, Brüder, ja Zwillinge, die ohne einander nicht denkbar wären — ich wähle zur schnellsten & gleichzeitig
gründlichsten Vorstellung dieser Klasse der Bevölkerung den SUREHAND III. Dort nämlich reitet neben W & OS das grellste jener okkasionell-siamesischen Pärchen, der Eine ein ›Dicker‹, der Andre ein ›Langer‹, und Beide zusammen allgemein bekannt unter dem Spitznamen der »Verkehrten Toasts«. Den kuriosen Titel haben die Didymoi sich dadurch erworben, daß sie prinzipiell ›mit dem Hintern gegeneinander zu kämpfen‹ pflegen, sich ›gegenseitig den Rücken decken‹; und wenn Einer ›verkehrt‹ ist, dann bedeutet das ja einiges; und Toast muß erst geröstet werden, vorher ist er ›nicht richtig gebacken‹, was ja auch einiges bedeutet, (sogar dasselbe). Der Lange heißt ›Pitt Holbers‹, der Dicke dagegen 117
›Dick Hammerdull‹; was man, ohne dem Wort sonderlich Gewalt anzutun, in ›Hammer-Duell‹ zerlegen könnte; und MAY selbst muß das wohl auch getan haben, denn in einer kurz voraufgehenden Episode führt er die Leser in eine Schmiede, und läßt dort ein Duell mit Hämmern ausfechten — alles ›in Ehren‹ natürlich. Nun habe ich zwar viel gegen ›Sprechende Namen‹; obschon ich weiß, daß Leute mit beträchtlich größerer Handschuhnummer als MAY sie nicht verschmähen — SCOTT etwa, den ich recht goûtiere; (und vor kurzem hab’ ich ein Buch übersetzt, wo ich eigentlich IHN mit ›Walter Biederherz‹, SIE mit ›Laura Schönlein‹ hätte wiedergeben müssen; da der Roman jedoch stellenweise gut war, erlaubte ich mir, dem Autor ganz diskret aufzuhelfen) — aber ein ›Doktor Pflasterhold‹ oder ›General Mordbrand‹ legen, meiner Ansicht nach, Verfasser wie Leser allzuschnell & billig und auf einen erstarrten Typ fest: ein Schriftsteller, der etwas auf sich hält, tut dergleichen selbst ›Nebenpersonen‹ nicht an. Das ist auch gar nicht einmal die Klippe, an der MAY nun leidenschaftlich gerne scheiterte; belehrend ist bei ihm vielmehr, wie er sich durch (nennen wir’s zunächst) Zufälligkeiten solcher Art in seiner (nennen wir’s zunächst) planlosen Arbeit weiter befördern ließ; fiel ihm doch seine Handlung zu, von Episödchen zu Episödchen. (Das heißt immer, oberflächlich gemäß L I betrachtet; unterschichtig sieht die Sache wesentlich anders und völlig zwanghaft aus — mir kommt da eben der Vergleich mit einem Ozeanriesen ein: L I wäre da das buntwimmelnde Promenadendeck; L II, III, IV die tiefer liegenden Vorratsräume und die mächtig-öligen Trieb-Maschinen im Innersten.) Die gegenseitige Anrede jener beiden ›Verkehrten Toasts‹ ist »Altes Coon« — 1/3 Kuckucksruf; 1/3 Taubengegurre; 1/3 Bärenbrummen — und in einem Spottverslein ›dichten‹ sie mißratene Vettern an: »Wie sind die Kerle doch so dumm! / Vergebens wühlen sie herum, / und können weder vorn noch hinten / die goldene Bonanza finden ...« Der netteste Fingerzeig aber ist das Gespräch, was dieser Dop118
peladler mit sich führt, nachdem sich das eigentliche Geschlecht Puschi-W’s herausgestellt hat; nämlich, daß dieser ›Geheimnisvolle Rote‹ bei Lichte besehen ein Weib war (vgl. S. 40). Es handelt sich um einen jener, leider auch typisch MAY’schen, achsolustigen Dialoge, in Wahrheit, d.h. in L I, also um ein schier unerträgliches Geblödle. (Das wehmütigste Beispiel, wie MAY, getreu bester Volksschriftstellersitte, einen nicht einmal guten oder neuen Einfall unbarmherzig zu Tode reitet, ist der ›Hobble-Frank‹, im GEIST und anderwärts; man muß allerdings das SPEMANN’sche Original von 1888 zur Hand nehmen, um den rechten, kopfschüttelnd-vollen Brechreiz vor dem nichtswürdigen Tinnef zu bekommen; schon der, in solchen Dingen doch wahrlich nicht eklen Radebeuler Ausgabe muß dabei unheimlich geworden sein, denn sie hat rund die Hälfte davon gestrichen.) Ab SUREHAND III, S. 534 also geht’s harlekinädesk los:
»Hammerdull war vor Verwunderung ganz begeistert darüber, daß der geheimnisvolle Indianer sich als eine Squaw entpuppt hatte. Ich hörte ihn hinter mir sagen: / ›Hat man jemals erlebt, daß ein Mann eigentlich eine Frau ist?... Von jetzt an halte ich Alles für möglich. Jetzt werde ich gar nicht erschrecken, wenn umgekehrt mein alter Pitt Holbers sich in eine Squaw verwandelt!‹ /...../ ›Was willst Du dagegen machen, wenn Du plötzlich zu der Erkenntnis kommst, daß Du ein heimliches, verkleidetes Frauenzimmer bist?‹ / ›Was ich da machen würde, das weiß ich ganz genau!‹ / ›Was denn?‹ / ›Ich würde Dich augenblicklich heiraten!‹« — Eine besondere Spielart bilden hier die immer wiederkehrenden, auffällig langnasigen Dioskuren à la ›Jim & Tim Snuffles‹ des I. SILBERLÖWEN; und gerade bei ihnen wird die Verarmung der zur Zeit kursierenden Bände erneut & besonders unangenehm fühlbar, denn die erste Schilderung jener Brüder, die im GEIST DER LLANO ESTAKATA, erleichtert dem Ungeübten die Erkenntnis der Bedeutung von MAY’s rhinologischen Träumereien. (Es wäre gar nicht uninteressant, festzustellen, ob er die FLIESS’schen Untersuchungen über die, ja in der Tat 119
bestehenden, Beziehungen zwischen Nasalsymptomen und Genitalapparat gekannt hat; zeitlich möglich wäre es theoretisch, die betreffenden Studien sind seit 1892 erschienen; allerdings an so entlegenem Ort, daß eine Benützung durch unseren bibliothekarisch, ja wissenschaftlich überhaupt, uninteressierten Autor wenig wahrscheinlich ist.) Abgesehen also von den Volkswitzen über die ›Nase des Mannes‹ — (»J’ai des amies, qui prétendent que lorsqu’un homme a une partie du corps plus grande que la normale (par exemple un nez trop grand) ça indique aussi des capacités marquées dans un autre domaine — mais je n’en crois rien« läßt QUENEAU seine Autobus-S-Benützerin murmeln) — abgesehen von Riechgelüsten (die uns noch beim ›Haar‹ beschäftigen werden, und nicht nur als ›Perversionen, die regelmäßig in Zoofilie einmünden‹, FREUD) seien hier lediglich die kopiösen Kolben gewisser MAY’scher Unter-Helden beschrieben. Da heißt, auf S. 427 des ›Kameraden‹-Originals vom GEIST, das ganze zweite Kapitel »Die beiden ›Snuffles‹«, die übrigens hier noch deutsch sprechen, und ursprünglich ›Hofmann‹ hießen. Sie haben natürlich uralte »Schießprügel« (die MAY in seinem sehr merkwürdigen Englisch gelegentlich auch »Firelock« nennt; wobei einem ja auch ›Feuer-Locke‹ oder ›Feier-Loch‹ einfallen — ich habe es nie über’s Herz gebracht, Den zu tadeln, der bei ›Matjes‹ auch an ›Streichhölzer‹ denkt): »Der Westmann liebt seine Büchse, aber er kokettiert nicht mit derselben. Je unscheinbarer sie während des langen Gebrauches wurde, desto größer ist die Pietät, welche er ihr widmet«; lassen wir das mal bis zum ›Gewehr-§‹ dahingestellt sein; ebenso wie auch ihre »ledernen Gürtel, mit Klapperschlangenhaut überzogen«. Die im späteren SILBERLÖWEN I cavalièrement übergangenen Nasen werden nun hier aber weit liebevoller gewürdigt: »Denkt man sich den in Gestalt einer Weintraube verholzten Saftausfluß einer Birke, in allen möglichen Farben schimmernd, welche sich jemals auf einer Malerpalette befanden, so kann man sich einen ungefähren Begriff von diesen Nasen machen. ... Es gab kein gleicheres Brüder120
paar als diese beiden Männer, welche wohl bereits manchen Sturm erlebt hatten, da sie wenigstens in der Mitte der Fünfziger standen.« Die Redensart vom »höchsten der Gefühle« (welches aber ist dieses?) hat Jim bereits an sich: auch so eine MAY’sche Spezialität, diese ›stehenden‹ Wendungen! S. 475 nun folgt bei Schilderung der gereizten »Nasenmenschen« (506) eine Formulierung, die genug
verrät: »Tims große Nase wackelte auf & nieder; sie bewegte sich nach rechts & links; sie gebärdete sich ganz wie ein selbstständiges Wesen, welches in Zorn geraten ist. Er rieb sie leise mit dem Zeigefinger, als ob er sie beruhigen wolle.«; (›selbstständig‹ ist etwas, was ›von selbst stehen‹ kann: ›Er sähe nicht häßlich von Gesichte, und hatte eine vortreffliche große & lange Nase, woraus sie, als eine wollüstige Dame, vielleicht sonst einen guten Schluß gemachet‹; J. G. SCHNABEL, ›Cavalier‹: ›big conk, big cock‹!). Die »Snakers« der DEUTSCHEN HELDEN III, S. 23 ff., sind ein Pärchen von PräSnuffles, und ihre Nasen folglich auch nicht ohne. Da trifft nämlich der fette Sam Earth auf die beiden Brüder; und man scherzt auf die gewohnte anmutige Weise über das gegenseitige Äußere. Erst rühmt sich der dralle Knopfmacher: »Schaut Euch einmal meine Backen an! Sind sie nicht so dick, so voll & rot, wie zwei geräucherte Schweineschinken, zwischen denen sich mein Naschen ausnimmt, wie das Schwanzstümpfchen eines coupierten Affenpinschers?«, Dann kommt Jim an die Reihe, mit seinem »Schädel so vollständig glatt & kahl, daß man selbst mit dem Vergrößerungsglase kein einziges einsames Härchen oder Fäserchen gefunden hätte. Die Nase fehlte, jedenfalls nicht infolge eines Geburtsfehlers, denn die Stelle an der sie hätte anwesend sein sollen, zeigte die deutlichen Spuren von Gewalttätigkeit. Die Stelle war blutrot & geschwollen.« Sein Bruder Tim aber »hatte eine Nase, und was für eine! Sie glich einem Geierschnabel zum Verwechseln... ((und)) schien wirklich aus Horn zu bestehen,« Daß MAY in Bd. V diesen Jim dann in Sibirien mit einer ihm vom Arzt neu gemachten Nase antreten läßt, ist 121
vielleicht nicht ganz unwichtig, und symbolisiert noch einmal die schon angedeutete erotische Unsicherheit der Münchmeyer-Jahre. Daß auch der BLAUROTE METHUSALEM hier zuständig ist — danach heißt er! — sei für Liebhaber & Sammler angemerkt; ebenso der TRAPPER GEIERSCHNABEL und die ›Aleppo-Beulen‹. Ich führe als Letzten dieser Gattung (tres faciunt collegium) den »Vogel-Nazi« der SKLAVENKARAWANE an, S. 207 ff.; (ich habe, auf meiner Haiden, im Augenblick aber nur den, leider sicher auch wieder nicht ganz verläßlichen, Radebeuler Text bei der Hand, und mache mich ergeben auf Berichtigungen gefaßt): »Das Sonderbarste an ihm aber war seine Nase, wie man sie höchstens einmal im Leben zu sehen bekommt. / Diese Nase war unbedingt ein sogenannter ›Riecher‹. Sie war entsetzlich lang, entsetzlich gerade und entsetzlich schmal und lief in eine förmlich lebensgefährliche scharfe Spitze aus. Sie glich dem Schnabel eines Storches, nur daß dieser nicht von grauer Farbe ist«; sondern von roter, sehr richtig, weswegen der betreffende Herr aber trotzdem der »Vater des Storches« genannt wird, des Großen Vogels, der die ganz Kleinen Kinder bringt. Da kann es denn Niemanden mehr befremden, daß Jener nur von ›Vögeln‹ redet; und seine Nase ein rechter Autokinet ist, der sich »wie ganz aus eigener völlig selbstständiger Willensäußerung auf & nieder senkte« (208) oder auch »sich zur Seite bog, als ob sie sich ganz ausnehmend für diese Gegend interessiere« (211, 223), sich jedoch jedesmal binnen kurzem wieder »in ihre ordnungsgemäße Lage zurückbegab« (224). Durchs ganze Buch hindurch macht sie sich so ihre Motion; »stieg mit ihrer Spitze in die Höhe, als ob sie mit ihren beiden weiten Löchern den Sprecher zornig anblicken wolle« (229); »bald blickte sie nach rechts und bald nach links, bald hob & bald senkte sie sich. Er half mit der Hand nach, schob sie herüber & hinüber« (233). Wenn der Besitzer sich mit »reuevollen Gedanken« beschäftigt, ist sie »in fortwährender Bewegung« (236); gerät auf einmal in »ganz besondere Tätigkeit« und »bewegt sich nach allen Rich-
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tungen« —: sie schnüffelt nämlich »Rauch« (237)! Und so geht es fort, Dutzende von Stellen weiter; »biegt sich« (576) nach der linken Wange, »als ob sie auch unabhängig vom Besitzer die ganz selbstständige Absicht habe, dem Vogel nachzublicken«; ja, so kann man (629 f.) noch heute, Gartenstraße 6, III. Stock, »ein Fenster offen sehen, aus dem unter einem roten Fes eine riesige Nase schaut, die sich über dem vorgesteckten Rohr einer Masu’ra lebhaft hin & her bewegt«, ewigwechselnd. (›Quantus nasus! aeque longus est ac tuba! — Rem penitus explorabo; prius enim digito tangam, ait uxor, quam dormivero. / I’ll know the bottom of it, said the trumpeter’s wife, for I will touch it with my finger before I sleep!‹; HAFEN SLAWKENBERGIUS, ›de Nasis‹, X, 9). — Eine weitere, auch nicht gar kleine Gruppe der Bevölkerung von MAY-Land, stellen die Transvestiten — ich schalte wiederum absichtlich den ›Orient‹ noch aus — also einmal die Mann-Weiber, die sich Hosen anziehen; und weiterhin die Westmänner mit barock weibischen Zügen. — Da erscheint auf dem Strom (SILBERSEE, S. 32 ff.; leider auch wieder nur Rade-beuler Text) ein »kleines, aus Strauchwerk & Schilf gefertigtes Floß ... worauf 2 Gestalten saßen. ... Die eine Person war ein Knabe, die andre schien ein ganz eigen- oder fremdartig gekleidetes Frauenzimmer zu sein. Man sah eine Kopfbedeckung, ähnlich einer alten Flatusenhaube, ((›flatus‹)), darunter ein volles, rotwangiges Gesicht mit kleinen Äuglein. Die übrige Gestalt steckte in einem weiten Sacke oder einem ähnlichen Dinge, dessen Schnitt & Fasson jetzt nicht zu bestimmen war, da die Person nicht stand sondern saß. Der schwarze Tom stand neben Old Firehand und fragte ihn: ›Sir, kennt Ihr diese Frau?‹...›Sie ist nämlich gar keine Frau, sondern ein Mann, ein Präriejäger & Fallensteller... Da werdet Ihr sehen, was eine Frau, die ein Mann ist, zu leisten vermag.‹« (›Ich stehe auch als Mann meine Frau‹, hörte ich einst in der Frankfurter ›Schmiere‹ einen Kabarettisten falsettig hauchen: ›Ich heiße Louise — — ‹.) Die auf dem Fahrzeug befindliche scheinbare Frau antwortet denn auch prompt »mit hoher Fistel123
stimme... die närrische Gestalt... mit wahrer Meisterschaft... abenteuerliche Gestalt...«. Der Kapitän des mächtig raddampfenden Steamers ruft hinunter-hinüber: »›Könnt Ihr die Fahrt zahlen, Ma’am oder Sir? Ich weiß wirklich nicht, ob ich Euch als Mann oder als Frau hinaufbefördern soll.‹ — ›Als Tante, Sir. Ich bin nämlich Tante Droll, verstanden, wenn es nötig ist.‹ ... Erst stieg der Knabe hinauf, der gleichfalls mit einer Büchse bewaffnet war.« S. 39 ff. wird nun die Kleidung dieser komischen ›Tante‹ genau beschrieben: ein »Rock« aus lauter »ledernen Flicken«, »vereinigt« mit »kurzen Riemen«; »mangelnde Knöpfe«; das »außerordentliche Kleidungsstück« ist »hinten vom unteren Saume an bis an den Leib aufgeschnitten«, und Er-Sie hat sich »die beiden Hälften derart um die Beine gebunden, daß sie eine Pumphose bildeten... weiter nach hinten waren 2 Löcher angebracht«; aber »dergleichen Erscheinungen sind im Westen gar nicht etwa selten.« Ebeneben. Immerhin wirkt es doch so, daß »der Rock die Gestalt wie ein zugebundener Sack umschloß, in dessen Innern allerdings gar mancher Gegenstand verborgen sein konnte.« »›Gegen Damen muß man höflich sein —« sieht denn auch der Käptn ein, und »da Ihr eine Tante seid, so gehört Ihr ja zum schönen Geschlechte.‹«; obschon Droll von seiner »Fastnachtsmaske« (›fast Nachts Maske‹) selber zugibt: »Ich sehe in meinem Sleeping-Gown allerdings einem Frauenzimmer ähnlich, wozu auch meine hohe Stimme paßt... Da ich nun ferner die Gewohnheit habe, mich eines jeden braven Kerls wie eine gute Mutter oder Tante
anzunehmen, so hat man mir den Namen Tante Droll gegeben.« Kein Wunder nunmehr, daß auch diese Figur mächtig ›sexelt‹, und zwar im ›Altenburger‹ Dialekt. S. 197 fragt ein Tramp verwundert: »›Wer ist denn eigentlich die Frau, welche sich an Euch vergriffen hatte?‹ — ›Frau? Diese Lady ist ein Mann!‹«. Genug; zumindest genug für den Nachweis, daß ›Tante Droll‹ etwas Zwitteriges anhaftet. (Wobei nun allerdings eine vertrackte, obschon sehr menschliche Art zu reagieren, mit zu berücksichtigen sein könnte: im Ablauf der Schreibejähre, als sich 124
die Gestalten nicht nur infolge von Repetition fixierten; sondern auf Grund der sich hoch-spiralenden Reihenbildung mehrfach gröbere Züge, grellere Farben auftraten — ›friendships horrid to think of, when deeply inquired into‹ (BLAKE) — mag sich auch bei MAY die nicht ungeläufige provozierte Reaktion auf die Ablehnung durch die Gesellschaft eingestellt haben; die, die da trotzig bekundet: ›Seht her, jetzt sind wir so, wie Ihr wollt, daß wir seien — um Euch über uns erheben zu können!‹. Das Ghetto machte die Juden ›jüdischer‹. Und die von MAY um seine S-Anliegen selbst gezogene Brandmauer aus keimfreier Jugendschriftstellerei & fadem Gegospel, wirkte ein zweites Mal in der gleichen Richtung: prompt wurden die Heldenstimmen aus der Bulge wieder um 1 Ton höher; die Wahnsinnskostüme — die nichts mehr mit simplem männchenhaftem Putztrieb zu schaffen haben — noch um 1 Schein bunter; »Der Löwe Sachsens ist’s mit seinen Schaaren!«.) Man wird mir hoffentlich erlassen, all die ›Langen Davys‹ & ›Dicken Jemmys‹ mit der gleichen Ausführlichkeit zu anatomisieren; (beziehungsweise man mag es selber tun: hoffentlich findet sich einmal ein fleißiger Urning, der die langwierige und müh-selige Aufgabe über sich nimmt, die ganzen 50 oder 60000 Seiten, wimmelnd von Hanswürsten, Policinellen & Koterien, so am Schnürchen zu haben, daß er uns ein ausführliches alfabetisches MAYLexikon liefern könnte; eine Arbeit, die großen Scharfsinn & kongenitale Einfühlungskraft erforderte, und außerdem auf Methoden & Techniken literaturhistorischer Forschung führen würde, die zu entwickeln & zu handhaben ich mir nicht getraue, und zu denen wegweisende Vorbilder großenteils noch mangeln — wichtig wäre es, in Anbetracht der drogenhaften Wirkung der Sächelchen, immer. Und auch deswegen, weil es zur Einsicht in die Rolle des ›Klassen-Clowns‹ als eines nicht unwichtigen soziologischen ›Bindemittels kleinerer Gruppen‹, bis etwa ›Kompanie-Stärke‹, merkwürdige Beiträge liefern könnte.) Nur auf 1 ganz bestimmtes Pünktchen möchte ich, da es sich um etwas sehr Prinzipielles handelt, noch hingedeutet haben: die phrenetische 125
Ausführlichkeit der MAY’schen Kostümbeschreibungen, die oft mehrere Seiten hintereinander in Anspruch nehmen; das ist allzu symptomatisch für diese ›Enterbten des Liebesglücks‹ (um auch den Klassiker ULRICHS endlich zu erwähnen), um nicht irgendwann einmal 1 Monograviehlein zu erfordern. Nicht daß mir unbekannt wäre, wie das hastig-possenhafte Ausstaffieren einer Gestalt mit 100 Höckern & grellen Läppchen, beim Volke (in L I) als Zeichen gewaltiger humoristischer Kraft gilt, und des schallenden Geschmunzeis der Kindlein kein Ende ist, wenn es da so vom ›Hobble-Frank‹ heißt: »Auf dem Kopfe trug der kleine Mann einen riesig schwarzen Amazonenhut, den eine große, gelb gefärbte unechte Straußenfeder schmückte«; (an anderer Stelle der Farce ist es ein »Damenhut«, der »einer Lady des Ostens«, auf dem sich »eine riesige Feder bewegt«). In Wahrheit dürfte es sich bei all diesen femininen Resten um eine nächste der bekannten Liebesbedingungen der Invertierten handeln: die Jenen sämtlich eigentümliche preziöse Kleiderlust; eine
Mischinfektion aus kokettem Farbensinn, überfeinem Duftempfinden & fetischistischem Zwang zu Formsymboliken; ›Schlipssammler‹ & Damenimitatoren sie Alle. (Eine Fortsetzung solcher Seelenlage ist, bei Vorhandensein der erforderlichen Baarmittel, die bekannte bizarre ›Baulust‹ à la Neuschwanstein gewisser Allerhöchster Herren: seidengefütterte All-Koben, die sich ›auf den Druck einer Feder hin‹ in den doppelten Wänden auftun; teichgroße & -flache Schwimmschalen, aus rosa Marmor — daran wird der Kollege erwittert. Nicht umsonst hat MAY sich als 1 der Helden im WEG ZUM GLÜCK jenen Zweiten Ludwig von Bayerland erkoren; (und die Todesanzeige im XII. HAUSSCHATZ, S. 625, wirkt heutzutage allein durch ihre Marginalien ergreifend, wie etwa »Einen besonders unheilvollen Einfluß hat, wie allbekannt, der Tondichter Richard Wagner, ein plebejischer Sybarit, viele Jahre hindurch ausgeübt.« Es ist zur Zeit hochschick, die — zum Teil unläugbar vorhandene — Vernageltheit der DDR hinsichtlich Urteilen über Kunst herauszustellen: ich empfehle, zur Austarierung, und um der lieben 126
Gerechtigkeit willen, einmal einen Blütenstrauß katholischer Äußerungen zusammenzustellen, damit man vergleichen könne, wem hier die Palme gebühre.).) (Hierher gehörig SUREHAND III, S. 405, die Formulierungen des ›Nähens‹; hat sich doch Dick Hammerdull anläßlich der Umarmung eines ›jungen Bären‹ sehr den Anzug zerrissen: »Da konnte man sehen, wie Einer einfädeln wollte, und doch eine halbe Stunde lang das Oer nicht fand. Hernach machte der liebe Mensch Stiche! Stiche, so weit auseinander wie die Straßenbäume! Nach dem zweiten Einfädeln hatte er keinen Knoten gemacht und nähte & nähte ((›unn häi neiht unn neiht!‹ heißt es bei R. K. anläßlich der Beschreibung, wie Obsthändler aus den Vierlanden nach getätigtem Markt noch rasch einen hamburger Puff besuchen)) ohne vorwärts zu kommen, bis ich ihn darauf aufmerksam machte, daß er den Faden immer wieder herauszog. Später belehrte ich ihn noch darüber ((d. h. OS den dummen ›Pitt‹; OS kann natürlich nähen trotz dem besten SCHNEIDER)), daß diese Stelle zu wibbeln, eine andere mit Hinterstichen ((!)) und eine dritte überwendig zu nähen sei. Da warf er den Zwirnknäul zornig fort, schob mir das Bein des Dicken hin, und rief, mir die Nadel, die er mir nur reichen wollte, in den Finger stechend: ›Da habt Ihr Eure ganze Flickerei, Sir! Macht’s selber, wenn Ihr’s besser könnt! Wibbeln. Hinterstiche! Hat man schon so was gehört!‹«. No comment.) Aber weiter in der raschen, nur vorläufigen Krokierung der ›weit-gedehnten‹ Terra incognita. — Die auffällig vielen ›Irren‹ bei MAY (WALDRÖSCHEN / VERLORENE SOHN / ULAN / WEG / SUREHAND usw.) könnten ihr Dasein dem Umstand verdanken, daß Waldheim gleichzeitig auch Anstalt für Geisteskranke war; (ganz abgesehen davon, daß es sich hierbei um 1 der mehreren für das Volk unwiderstehlichen Themenkreise handelt; gleichwertig mit ›Arzt / Zirkus / Verbrecherwelt / Gift / Entführung‹ — alles schöne Dinge, deren MAY sich, mit dem Instinkt des geborenen Abderiten, (und meist auf einmal), zu bedienen nie verfehlt hat.) — Für ›Schmiede‹ 127
hat er die bereits erwähnte irrationale (in L I), aber doch recht begreifliche Schwäche (in L II) gehabt; so daß er den Mus-Culeusen Blase-Bälgern ›Zuguterletzt‹ in BABEL & BIBEL die dramatische eigene Groß-Werkstatt einrichtete. Hierhin gehören das ›Hammer-Duell‹ des III. SUREHAND; der ›Schimin‹ des BALKAN; der ›Brandauer‹ aus ZEPTER & HAMMER, (obwohl ich hier erst das Original einsehen möchte — immerhin könnte das ›Brand‹ überleiten zu dem Helden des VERLORENEN SOHN, Gustav Brandt, der auch von zwei ›Schmieden‹, Wolf Vater & Sohn, »beide
Riesengestalten«, aus Rollenburg-Waldheim befreit wird). Alles hübsche Stöffchen für knospende MAY-Spezialisten, »wenn ich mich nicht irre: Hi Hi Hi.«
§17 »Nicht Mädchenlaunen störten Deinen Schlummer, doch stets um Freundschaft sehn wir warm Dich ringen: Dein Freund errettet Dich aus Weiberschlingen, und seine Schönheit ist Dein Ruhm & Kummer.« (PLATEN, An Shakespeare) Ehe ich auf ›die Roten‹ allgemeiner eingehe — entweder phallische Dämonen & Vexanten; oder aber ebenso wortkarge wie schöne Häuptlings-Freunde, (bzw. Solche, die es werden wollen) — nur ewig schade, daß sich der Wortschatz der Leutchen meist auf ›Uff‹ beschränkt; (gewiß, ich habe einmal einen Komiker behaupten hören, daß auch der Schwabe mit ›Ha no?!‹ sämtliche Gefühlsregungen auszudrücken vermöge; aber für einen vor der Schreibmaschine ergrauten Wortmetz wie mich —: wäre demnach eine Dichterin eine ›Wortmetze‹? — dem die Sprache Corned Beef & Maxwell & Asbach zugleich ist, werden Unterhaltungen auf so knapper Basis sehr bald & weitgehend uninteressant) — bevor ich mich also jenen, 128
wiederum weniger ›Charakteren‹ als vielmehr Personenreihen, zuwende, muß darauf hingewiesen werden, daß MAY tatsächlich einmal den Versuch unternommen zu haben scheint, den fürwitzig & kommerziell-voreilig beseitigten W durch einen Remplaçant zu ersetzen! : »Er war noch jung, und ich mußte mir sagen, außer W noch keinen so interessanten Indianer gesehen zu haben. / Er war nicht überlang, aber sehr stark & kräftig gebaut« (SUREHAND I, 539); ein ›Signalement‹, das im III. Bande, S. 52, noch so präzisiert wird: »Diese hohe, breite, volle Gestalt, dieser markige & doch so leichtbewegliche Gliederbau, dieses kaukasisch gemeißelte Gesicht mit der stolzen, selbstbewußten Ruhe in den Zügen, das konnte nur Einer sein, den ich lange nicht gesehen, an den ich aber um so öfter gedacht hatte, nämlich Apanatschka, der junge, edle Häuptling der Naiini-Komantschen!« MAY will uns nun zwar glauben machen, daß der Name »einen Mann bezeichnet, der in allem gut & tüchtig ist«, (ergo kürzer mit ›Kaloskagathos‹ wiederzugeben wäre); aber das auffallendste daran ist selbstredend, wie auf den ersten Blick ein ›Apatsche‹ darin steckt: APA(na)TSCH(ka)! — »Dieser Indsman war mir sehr sympathisch. Sein Gesicht machte einen Eindruck auf mich, den ich am liebsten mit dem Ausdrucke ›anheimeln‹ bezeichnen möchte.« Aha!. Sogleich setzt ›Haarsymbolik‹ ein; denn für MAY war schon ganz früh S-Zeit zutiefst identisch mit ›Zopf-Zeit‹ geworden (vgl. S. 242 ff.); folglich muß hier nicht nur des Roten »edler, sehr dunkler Rotschimmel« eine »fremdgeknüpfte Mähne« haben, »in Knoten und immer kleiner werdende Knötchen geknüpft«, sondern auch Apanatschka besitzt das für »das beste der Bleichgesichter«, OS, unerläßliche »dunkle Haar«; (W III, 573 u. ö. heißt eine rote Jungfrau so): ›Laß Haupt an Haupt uns lehnen; denn es taugen / Dein dunkles Haar, mein hell Gesicht zusammen.‹ (PLATEN). Auch ist Apanatschka kein Anfänger mehr; sondern ein bekannter ›Häupt-ling‹ vom Stamme der ›Komm mantschen‹; hat »gelernt, die verborgene Menschenfährte zu entdecken«
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(I, 610); OS hat ihn »da unten im Llano liebgewonnen«, in jener ›Kaktus-Oase‹; hat die »Pfeife der Bruderschaft« (I, 593) mit ihm genossen; und »es lag etwas in mir, eine Stimme oder eine Ahnung, welche mir einreden wollte, daß ich mich für diesen wackern, jungen Häuptling... noch mehr als bisher interessieren werde, daß mein Verhältnis zu ihm noch eine andere Gestalt anzunehmen habe. Solchen Stimmen pflege ich zu trauen; sie täuschen selten.« (III, 57). Zunächst hat Apanatschka noch den Ehrgeiz, öffentlich vorzuführen, daß er es im ›Zweikampf‹ mit Jedwedem der, OS umgebenden, Reckenschar aufnehmen könne — die Beschreibung I, 575 f. enthält unter anderem Ausdrücke wie, »sie hatten sich schnell bei den Kehlen« (und es sind ›rote Kehlen‹; denn beide Kämpfer, Old Surehand wie Apanatschka, sind Bastarde). »Ich war Zeuge so manches Zweikampfes gewesen; aber einem Ringen, wie es nun erfolgte, hatte ich noch nicht zugesehen. ... die mächtigen Schenkel... die Kehlen einander mit den Händen wie mit Schrauben umklammert... es war ein schreckliches, weil starres und vollständig bewegungsloses Würgen, bei dem es darauf ankam, welcher Hals, welche Gurgel am kräftigsten entwickelt war. Das Gesicht Old Surehands wurde röter & röter; es begann blau anzulaufen. Dasjenige des Comantschen war dunkler gefärbt, dennoch sah man deutlich, daß es auch immer tiefere Töne annahm. ... Ächzen... ein Stöhnen, ein doppeltes Röcheln... die Beine spreizten sich ... die steifen Körper neigten sich herüber & hinüber, vorwärts & rückwärts; es folgte ein erstickendes Gurgeln, und dann war es aus. Sie... fielen beide wie leblose Figuren steif & starr in den Sand. Da blieben sie liegen, ohne die Hände voneinander zu lassen......Wir mußten alle Kraft anwenden, um die zwei zusammengekrallten Hände von den blutunterlaufenen Hälsen zu entfernen; dann griffen wir beide unter die Jagdhemden.« Ohé jam satis. — Zunächst aber hat Apanatschka sich noch einmal von OS getrennt, ›eh noch das Glück uns brachte dicht zusammen. / Die Seelen bluten, da getrennt die Leiber, / : o wären’s Blumen, die man flicht zusammen!‹. 130
Nun aber, im III. Bande des SUREHAND S. 54 f. findet OS ihn wieder, als ›Gefangenen‹, und befreit-erlöst ihn. »Grad so wie jetzt hinter Apanatschka, hatte ich einst hinter W ... gesteckt. Um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, berührte ich zunächst seinen Unterschenkel. Er zuckte leicht zusammen, doch nur für 1 Augenblick. ... Ich war überzeugt, daß Apanatschka sich nicht weniger klug verhalten werde, wie damals die beiden Apatschen, und zog das Messer.« — Während der sich anschließenden gewittrigen »4 guten Reitstunden« — wir befinden uns in einem Landstrich, wo man Entfernungen prinzipiell in ›Reit‹-Stunden ausdrückt; eine ähnliche Verwandlung von Raum in Zeit wie bei ›Licht‹-Jahren — wird nun heftig geflirtet. Erst läßt OS sich sogar im Finstern neckisch vor Ap. (das knatschen wird mir zu viel) verleugnen; »Er hatte mich nicht deutlich sehen können und wußte also noch nicht, wer sein Befreier war ... zumal ich einen ganz anderen Anzug trug als zur Zeit, in welcher er mich kennen lernte, und die sehr breite Krempe meine Hutes so weit heruntergeschlagen hatte, daß ich ganz verstellt sein mußte.« (58). Ap erkennt ihn aber, und sei es nur an der unvergleichlichen Technik, mit der OS, trotz Himmelaxt & Wolkenbruch, einen begegnenden feindlichen Osagen von hinten bespringt und fest bei der Kehle nimmt. Dann jedoch, endlich, »treten die Herzen in ihr Recht« und man tauscht ergreifend-knappe aber innige Komplimente: »›Seit ich von meinem jungen Freunde scheiden mußte, hat meine Seele sich stets nach ihm gesehnt.‹« »Weiter wurde nichts gesprochen. Er hielt mich fest, und so ritten wir Hand in Hand eng
nebeneinander, bis die Nacht dem grauenden Morgen wich und ich sehen konnte, daß ich auch auf diesem Ritte die rechte Richtung nicht verfehlt hatte.« (Vielleicht interessiert noch, wohin man reitet?: Zum ›Loch der Alten Frau‹! Vgl. § 29). Das ganze ist eine einwandfreie Poussade, ausdrücklich an W angeknüpft; (so daß man also zwischen, sagen wir, Prä-W’s (›Lata-Nalga‹), W, und Post-W’s (à la Ap) zu unterscheiden hätte); und wenn sie auch ›ohne Folgen‹ geblieben zu sein scheint, so liegt das ver131
mutlich nur daran, daß nach 1896, wo dieser SUREHAND III entstand, sich bei MAY wieder mal der ›Orient‹, infolge Klara Plöhn’s, davorschob, und die Entwicklung des Verhältnisses zu diesem neuen Peniden unterband. (›Mein Wunsch bei Ändern zeugte Widerstreben; / Du hast ihn nicht erhört — doch abgeschlagen / hast Du ihn auch nicht, o mein süßes Leben!‹). — Der schon erwähnte ›Kleine Mimbrenjo‹ des SATAN wurde bereits als ›abgelöster & verselbstständigter Phall‹ geschildert: ein »schlanker Knabe«, ein »kleiner Mann«, über den OS unmöglich »ergrimmen kann: ›Du gefällst mir!‹«. Er schenkt ihm die »erste Flinte«; gibt ihm »einen Namen«; läßt ihn W’s Pfeife »zum Munde führen«; kurzum: ›macht einen Mann‹ aus ihm. Nimmt ihn mehrfach zum ›Anschleichen‹ mit — und ehe ich auf die allgemeine Bedeutung dieser Betätigung aller Helden eingehen kann, muß ich den Spezial-fall des SATAN I, 159 ff. erledigen; weil sich an ihn eine Untersuchung knüpfen läßt, die zumindest den Charakter eines Hinweises & einer Anregung tragen möchte, obschon ihre Richtigkeit sich zur Zeit noch nicht beweisen läßt. Der besagte kleine-rote Häutling also schleicht mit OS zusammen los, (der ja sowieso »ein Liebling des Bösen Geistes« ist, »der ihm die Wege des Belauschens zeigt und ihn auf denselben beschützt«; SUREHAND I, 544): »Komm! Wir müssen zunächst den Rand des Tales suchen. / Wir drangen tiefer in den Wald ein und kamen bald an die richtige Stelle, denn hier senkte sich der Boden schnell & steil in die Tiefe. Wir stiegen hinab, bis wir sahen, daß der Grund des Tales aus Rasen bestand, welcher von einem kleinen Wässerlein befeuchtet wurde; die steilen Seiten waren mit dichtem Wald besetzt« — jawohl: alle Bestimmungen eines ›KleinHinterns‹ sind wieder beisammen; (selbst die eine, daß OS »nach links« abreiten mußte, ist 2 Seiten zuvor gegeben). Die Nase »sieht weiter als das Auge«: »Ja, es roch nach Rauch«, und »je weiter wir kamen, desto deutlicher wurde der Geruch«; man kann es so ausdrücken, sicher. Nun erblicken sie die feindlichen 132
Roten; und ich setze die Zahlenbestimmungen, auf die es mir jetzt ankommt, in arabischen Ziffern ab. Man sieht: a) »wohl an die 20 Zelte«; b) »das Häuptlingszelt, an 3 Adlerfedern kenntlich, stand in der Mitte«; c) »vor demselben waren Stangen errichtet, an denen über 6 Feuern ebensoviele eiserne Kessel hingen, in denen sie Bohnen kochten«; d) »1 mehr seitwärts stehendes, niedriges Zelt schien als Vorratsraum zu dienen«; e) der Kleine »öffnete & schloß die Hände« und »hatte 103 Pferde gezählt«; f) »so konnte man auf ungefähr 90 Indianer schließen«; die fühlen sich zwar sicher, lassen aber g) »die nötige Vorsicht nicht außer 8. Jetzt sah ich 1 der an den Kesseln beschäftigten Männer in das Häuptlingszelt treten«; es gilt ›Backen & Banken‹, und h) »die Speisung der 90 war binnen 3 Minuten vorüber.« — Man erlaube mir eine Konjektur über das Zustandekommen all dieser, sich auf 2 Seiten drängenden Zahlen — wie vorschnell es ist, einzelne Elemente unserer geistigen Produktion an Worten, Zahlen, Bildern als ›unerklärbar‹ preiszugeben, hat FREUD längst in seinem ›Alltagsleben‹ dargetan: »Seit längerer Zeit weiß ich, daß
man es nicht zustande bringt, sich eine Zahl nach freiem Belieben einfallen zu lassen, ebensowenig wie etwa einen Namen. Untersucht man die scheinbar willkürlich gebildete, etwa mehrstellige, wie im Scherz oder Übermut ausgesprochene Zahl, so erweist sich deren strenge Determinierung, die man nicht für möglich gehalten hätte.« Sei mir also die Vermutung vergönnt, (über deren vorläufige Unerweisbarkeit ich mir, es sei noch einmal geklagt, völlig im Klaren bin): daß MAY’s Blick, während er die o. a. Stelle komponierte, auf dem Kalender geruht, und er dort, gedankenlos, das Tagesdatum abgegafft haben könnte: 133
1893 X. 6. also den 6. (16.?) Oktober 1893. Da nämlich wären, durch die einleitende 18 die »wohl an die 20 Zelte« gegeben gewesen; der Begriff des ›Zeltes‹ selbst, (wie auch später der der zahlzeigenden ›Hände‹) durch die römische Monatsziffer; (daß MAY Monatsdaten zumindest manchmal mit römischen Zahlen schrieb, ergibt sich z. B. aus SUREHAND I, 644). »Das Häuptlingszelt stand in der Mitte«: natürlich; da steht ja die ›X‹; und kenntlich ist es »an 3 Adlerfedern«, d. h. der Zahl, die unmittelbar vor dem ›X‹ vom Auge gemustert-empfunden worden war. »6 Feuer« brennen: das könnte der Tag sein. »1 Zelt« »steht mehr seitwärts«: das tut die ›1‹ des Jahrtausends durchaus. Die »103 Pferde« lassen sich unschwer aus dem 10. Monat plus der ›3‹ des 93-er Jahres zusammenstellen. »So konnte man auf ungefähr 90 Indianer schließen«: was wiederum die ›93‹ ergeben haben, vielleicht aber auch durch die ›89‹ herbeigeführt sein dürfte. Dann, wo die Zahlen sich in gleichwertige Wortbegriffe verkleiden, wird’s gar nicht un-putzig: man nimmt sich in »acht« und sieht »Einen«: also ›8‹ & ›1‹, die ›18‹ des Jahrhunderts. Und, last not least, ist »die Speisung der 90 in 3 Minuten« beendet! — Ich weiß zur Stützung meines Einfalls nur anzugeben, daß der Zeitschriften-Vorabdruck der FELSENBURG (wie SATAN & ISCHARIOT I im Hausschatz heißen) im Oktober 1893 begann, und MAY die betreffenden Seiten durchaus um jenes Datum herum abgefaßt haben könnte. Ein anderes Beispiel solch ›redender Zahlen‹ wird sich in A & D II, S. 355 finden; da liest KBN an 2 Säulen der ›Totenstadt‹ 32 4726 und ob mir schon, trotz der mageren biografischen Daten, 134
sogleich schwante, um was es sich hier handeln müsse, störte mich doch die ›3‹ links oben; so daß ich vorsichtshalber den Zeitungsvorabdruck im Hausschatz nachschlug; wo ich denn auch die von der Theorie geforderte ›5‹ dafür fand. Aus diesen Zahlengruppen des Hausschatzes nämlich 52 47 26 kann man mühelos MAY’s Geburtstag, den 25.2.42, bilden; und als er diese Kolonnen niederschrieb, stand er im 67. Lebensjahr; ja, mehr noch: im Februar 1909,
als die betreffende Nummer 18 des ›Hausschatzes‹ erschien, feierte er seinen 67. Geburtstag. Das dürfte mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ein nettes literarisches Beispiel für die FREUD’schen Theoreme sein. Letzte Auskunft über dergleichen hätte höchstens Er-selbst zu geben vermocht; vielleicht aber nicht einmal das — ich bezweifle, daß der alte Wirrkopf sich auch nur soweit über sich selbst klar zu werden vermocht hätte. (Ob es ›Tagebücher‹ gibt, weiß ich nicht; zumindest sind von Seiten des KMV noch keine Untersuchungen in dieser Richtung angestellt, bzw. falls angestellt noch nicht veröffentlicht worden. — Immer wieder wird dieses, nun schon fünfzigjährige, ›Zu wenig!‹ spürbar. Wie oft kommt nicht der Name ›Latréaumont‹ vor oder ›Helmers‹ (er sogar mit ›Home‹ = homo verknüpft); die Starrheit, mit der MAY an ganz bestimmten Landschaftsgebilden, Handlungen, Namen festgehalten hat, macht ja nur auf den flüchtigen gebildeten Kritiker von L I den Eindruck zu bekopfschüttelnder Erfindungsarmut: wer L II erkannt hat, weiß um das Vorhandensein von mächtigen, an eben diese Bild- & Lautfolgen fixierten Trieben.) — MAY ist, was Niemanden wunder nehmen wird, das ›Gefühl des Gefangenen‹ zeitlebens nie mehr losgeworden — ergo sind seine Helden, vor allem ER-Hauptheld-selbst, in jeglichem Bande 10 Mal gefesselt. Und ebenso unablässig hat er ständig das ›Gefühl des Freiseinwollens‹ empfunden — folg135
lich befreit er pausenlos sich & Andere, (was, nach FREUD’s, immer zumindest des Erwägens werter, Ansicht, ein ›Straftraum des Über-Ich für den am Tage zu stolzen Emporkömmling‹ sein könnte); obwohl meiner Meinung nach dieses ganze ›Befreien‹ als zweiten Hauptsinn mehr den der S-Erlösung trägt. Das ist in allerletzter Instanz wohl sowieso der Grund, der ihn necessitirte, sich als einen seiner beiden großen LG-Bereiche den ›Wilden Westen‹ zu wählen: daß dieser ihm sprachlich-fonetisch den weiteren Tummelplatz für S-Zweigleisigkeiten bot — alles natürlich hübsch unbewußt, wie es dem Stümper wohl ansteht; (mit 1 oder 2 Pfund mehr Gehirn hätte MAY ein sehr respektabler Autor werden können; so, (ohne das ›grin‹ des ›Diddling‹Essay von POE), reichte es nur zum bestseller). Hier, im Far West war der ›Wald‹ das ›Heim‹; hier konnte man ständig von ›reiten‹ reden, vom bewußten ›ritterlichen Roten‹ schwärmen, sich als Zopfabschneider austoben und eine Kopfhaut nach der ändern herunterziehen, (freilich »noch besser wäre es, wenn diese roten Hunde ausgelöscht würden, wie man 1 Dutzend Kerzen ausbläst«, SUREHAND I, 185). Und eine weitere Gruppe hierhergehöriger Tathandlungen ist eben auch das ›Beschleichen‹ der ›rothäutigen Halunken‹. Denn zwar hat »ein Roter den untrüglichen Ortssinn des Vogels« (SUREHAND I, 337) und überhaupt herrlich scharfe, weil so unverdorbene, Sinne; aber wenn OS + W Einem so recht con amore nachsteigen, und entschlossen sind, ihn zu ›fesseln‹ — tcha, dann tut der Betreffende halt am besten daran, zu kapitulieren. Die Beiden erkennen & lesen jegliche Spur auch nach Stunden, Tagen, halben Wochen noch; befühlen & beäugen das gegen den Strich berittene Gras; messen Fußtapfen; ständig hängen »Haare aus Schweif & Mähne« in den Gebüschen am Wegrand herum; und OS erzählt den ihn begleitenden Marx- & Luxbrüdern daraus exaktentzückende Geschichten. MAY verfügt hier über immerhin 2 ›Platten‹: entweder ist er incognito, und hat die Mitreisenden zuvor durch die schüchterne Angabe zum Lachen gebracht, daß 136
er ein ›bookmaker‹ sei, (und ich könnte mir vorstellen, wie das Leserkindlein sich die
Händchen reibt: ey, werden Die Augen machen, wenn sie erfahren müssen, daß Jener der grauße Shatterhand ist!); oder aber ein anderer mit-bürschtender Viertelsheld bittet bescheidentlich erst um Permission, selbst zusehen zu dürfen, was ›seine alten Augen herausbringen‹ — selbstredend nur 40 °/o, worauf OS dann herablassend seinen Senf dazugibt. Leider wendet MAY beide Tricks ungefähr 50 Mal im Oeuvre an, d. h. um 48 Mal zu oft: das L I all dieser frühen Stücke ist unglaublich armselig, und wird nur dadurch erträglich, daß L II (und seine Wirkungen) medizinisch & psychologisch eben so folgenreich wurden. Jedenfalls hat dieses ganze ›Spurenlesen & Belauschen‹ nichts mit ›versetztem Forschungstrieb‹ zu schaffen, wie MAY denn überhaupt, (ich sagte es oben schon), jedweden wissenschaftlichen Bedürfnisses baar gewesen ist; es handelt sich vielmehr, vom L IStandpunkt der Prosatechnik aus betrachtet, um ein reines Pseudo-Getue: natürlich kann der Schriftsteller das, was er vorn in eine Geschichte hineinsteckt, hinten dann nach Belieben wieder herausholen! Wenn MAY es mit dem Wörtlein ›Psychologie‹, das er so gern & oft & spöttlich im Schwätzermunde führt — schon DROOP, (eine der ganz wenigen frühen, einigermaßen ernst zu nehmenden, vor allem statistisch brauchbaren, Arbeiten von 1909), hat sich darüber aufhalten müssen — ehrlich gemeint hätte, dann würde sein ›Spurenlesen‹, einmal aufrichtig gegen sich selbst gerichtet, ihm bedeutsamste, ja für das Funktionieren gehirntierlicher Mentalität allgemeinwichtige Einsichten erbracht haben. Aber dazu reichte das naive Schwindelköpfchen nicht aus; bzw. war die am homo-nix-sapiens bekanntlich hochentwickelte Verschwiegenheit plus Unaufrichtigkeit zu allumfassend bei ihm ausgebildet. Oder aber, wenn man’s durchaus milder formuliert haben will: das übergroße Schreibpensum, die immerhin Konzentrations- + mechanische Leistung, zehrten seine Energie so offenkundig gänzlich auf, daß er sich für alles andere mit vorhandenen Schema-Notlösungen begnügen mußte. Sein ›metafüsisches 137
Bedürfnis‹ deckte nach außen hin der ›Kinderglaube‹ (›hinterm Vorhang‹ scheint ihm das Brimborium des Spiritismus poetisch anregender gewesen zu sein; immerhin: »Ich kann mich nicht besinnen, daß ich je mit dem Zweifel oder gar mit dem Unglauben zu ringen gehabt hätte«, BIO); sein politisches Credo besteht in einem gleich billigen, nur zu oft widerlich chauvinistischen Schindludertreiben mit dem Wörtlein ›Deutsch!‹, (ganz Gewaltige sehen bei ihm gern ›wie Bismarck‹ aus); falls er eine künstlerische Lücke als solche empfand, füllte er diese mit Bier & Männergesangverein aus. Mit dem ›Faust‹ dagegen wußte er nichts anzufangen; und »die Werke unserer ›großen Filosofen‹ ((man beachte die mitleidig-witzigen ›...‹!))›glänzen‹ noch heute in meiner Bibliothek, weil ich sie außerordentlich schone, indem ich sie fast nie in die Hand nehme« (SUREHAND I, 408); alles sehr glaubwürdige Erklärungen. Abgesehen davon also, daß Neugier den rechten Literasten ziert, hatte MAY das ›Belauschen‹ allmählich zu einer derart hilflosen Perfektion entwickelt, daß ihm anderes nur schwer noch einfiel. Das gräsigste Beispiel scheint mir bis jetzt der VERLORENE SOHN: was darin, teils absichtlich, teils zufällig, abgehört wird, ist mehr, als Druckpapier eigentlich zu ertragen vermag! Zuweilen steht hinter dem Horcher an der Wand noch ein anderer zweiter Horcher, der wiederum die abällinisch gemurmelten Monologe & Kommentare Jenes überhört — ›da muß sich manches Rätsel lösen‹! (›Doch manches Rätsel knüpft sich auch‹; freilich ist es meist eine kuriose Art Lösung: da treten Personen auf & verschwinden wieder ohne Folgen für’s Ganze; zeitweilig Überflüssige werden für 20 Jahre von einsamsten, deplorabel abseits des Weltverkehrs gelegenen Inseln aufgenommen; und die Unverfrorenheit,
mit der MAY eine halbe Seite vorher, ehe die rätselvoll-allwichtige Geheimschrift auftaucht, den Helden zufällig den Schlüssel dazu finden läßt, ist wahrhaft transzendental!). Denn es handelt sich in L I eben mit nichten um eine sorgfältig vorgeplante, tiefsinnige Verschränkung mehrerer bedeutender Handlungsreihen, nicht 138
um ›Fantasiefülle‹ & liebenswürdige ›Fabulierkunst‹, sondern um die grobe Flüchtigkeit eines literarischen Pfuschers, der ›frech & gottesfürchtig‹ (& bettelsuppenbreit) aufs Papier hinsudelt, was immer ihm durchs Kleinhirn säuselt — wodurch L II denn wiederum allwichtig wird; denn wes das Herz voll ist, des geht die Feder über. Und so ist auch dies ganze MAY’-sche Spurenlesen, Anschleichen & Belauschen imgrunde nichts weiter, als ein Seitenast der infantilsten S-Neugier des Betastens & Beschauens, des ›touching‹ und ›peeping‹; auch des ›Zeigens‹: die Helden sind, was allmählich wohl nicht bloß begreiflich erscheinen wird, sondern fast schon dazu gehört, Voyeure & Exhibitionisten! Und die betreffenden Partien des L I nichts als der objektivierte Drang, sich heran zu tasten, ins ›Tal‹ zu schauen, und zu schnüffeln-schnuppern: hier, in der ›Landschaft‹ kann der Held sich ungestraft all das erlauben, was er in Wirklichkeit (UBW) gar zu gern tun möchte. (Und, nebenbei bemerkt, auch tat. COPIE NR. Zwo, S. 65 schildert er es selbst, wie er seine (erste) Frau & deren Freundinnen vom Balkon herab belauschte. Er wird im Lauf der Jahre ›Wahrheit & Dichtung‹ nicht mehr haben zu scheiden brauchen — von ›können‹ noch ganz zu schweigen — und die über eben diese ›COPIE‹ hin verstreuten Andeutungen, etwa S. 34 vom »nackten Zimmer« oder vom »Krabbelbrief« besagen auch in der gehässig gewordenen späten Formulierung des 65-Jährigen nur das, was dem Verständigen sowieso klar gewesen wäre; nämlich, daß es sich bei MAY um den üblichen excentrisch-fantasie-bedingten (ergo auch sinnlichen) Künstlertyp, bei Frau Emma um eine üppige vitale Schöne aus dem Volke gehandelt hat, bei der er gegebenenfalls einiges zu hören & zu sehen wenn nicht gar zu riechen bekam. Daß er sie ›am Ende‹ als Lesbierin und Tribade verpfiffen hat, wirkt im Rahmen der vorliegenden Arbeit besonders pikant.) 1 Beispiel für viele. / »Zunächst mußten wir das nächtliche Dunkel abwarten, um sie ungesehen beschleichen zu können. Die Dämmerung war zwar schon nahe, doch mußte es für unser Vorhaben vollständig finster sein« (SUREHAND III). Ich 139
verweise übrigens auf die bisher vielleicht beste Studie eines solchen ›PeepingTom‹, des ›Frank Hirsh‹ in JAMES JONES ›Some came running‹; man muß allerdings das amerikanische Original zur Hand nehmen (1957 bei Charles Scribner’s Sons, New York), nicht die unglaublich (um 400 Seiten!) kastrierte deutsche Übersetzung oder den gleich miserablen englischen Nachdruck. — Nun aber schleichen, entre chien et loup, W & OS los, zum »offenen Park« hin; allweil b’hutsam, »denn es gab hervorragende Wurzeln und maskierte Löcher genug, welche uns zu Falle bringen konnten« (kann man’s sehr viel deutlicher ausdrücken?); riechen »Rauch«, klar; und »wir drangen links in den Wald ein, um von hinten an die Roten zu kommen, was uns ganz vortrefflich gelang.« Freilich stört der hohe Farn etwas, denn »die geringste Berührung an den unteren Teilen der Wedel, hatte oben eine sehr auffällige Bewegung derselben zur Folge.«; botanisch einwandfrei beobachtet, (obwohl in L II vielleicht eines méchanten Notabene fähig). Nicht selten endet eine solche Szene damit, daß der ›Rote Gentleman‹ mitten in die Feinde setzt, sie ermahnt, sich zu geben; und, falls Die doch noch ungebärdig bleiben sollten,
schiebt OS schlicht den Lauf seiner Zauberflinte aus dem Gebüsch:!. WEIHNACHT, 363: »Aller Augen richteten sich nach der Stelle, wo ich den Lauf des Stutzens durch das Gesträuch hielt«; und der ›lange Will‹ (›der Lange will‹?; jedenfalls SATAN III, Haussen. 427) macht sich’s noch einfacher, der »steckt seinen Prügel durch den Busch«, und foppt sogar OS-W damit — dem Anblick eines umbüschten Feuerrohrs kann ja kein Denkender widerstehen (und für einen Nicht-Denkenden muß es platterdings kein Halten mehr geben!: »Ah me, what dangers do environ / the man that meddles with cold iron!«). Aber damit wäre ich bereits angelangt beim 140
§18 »daß die wichtigsten Dinge durch Röhren getan werden. Beweis erstlich die Zeugungsglieder, die Schreibfeder und unser Schießgewehr. — Ja, was ist der Mensch anders, als ein verworrenes Bündel Röhren?« (LICHTENBERG, Aforismen) FREUD, ›Traumdeutung‹, S. 295: »Ganz unverkennbar ist es auch, daß alle Waffen und Werkzeuge zu Symbolen des männlichen Gliedes verwendet werden: Pflug, Hammer, Flinte, Revolver, Dolch, Säbel, usw.«; auch, S. 318 über »Stechen & Schießen als Symbole des Koitus«; (abgesehen davon, daß ich anstatt ›Revolver‹ (um die wahre Stärke der Assoziationen besser hervorzuheben) ›Pistole‹ gesagt hätte, hat FREUD ein weiteres, noch frappanter vergleichbares Bildsurrogat hier nicht mit aufgeführt: das gleichermaßen ›ausziehbare‹ — und wie viel Erogenes wird nicht allein durch dies 1 Wörtlein angetippt! — Fernrohr. Bei MAY’s Helden hätte er solche von »großer Güte« finden können; auch W »hat stets ein Rohr, und zwar ein ganz ausgezeichnetes, mit«, SUREHAND I, 215). Wie allgemein akzeptiert & verstanden auch diese Art der Symbolik ist, wie so ›tief in unserem Volke verankert‹, sah ich einmal beim Militär Hitler’s: als Schießpreis eine Scheibe, darauf ein nacktes Mädchen mit dem Genitale als Zentrum und dieser Legende am Rande, ›Und ist das Schwarze noch so klein, / es muß ein jeder Schuß hinein!‹. (Heute freilich soll das, ich las es erst neulich in einer SPD-Zeitung wieder, ganz anders sein.) Oder man nehme als literarischen Beleg E. WILDBERGER’s ›Ring über Ostkreuz‹, wo Ogunke S. 138 prahlt: »Wenn Se mir klauen täten, würd’ ick schießen mit meine OgunkeSpezialkanone Windstärke 10. Ick feif Se von de Plätze!«; (und S. 77 knallt es denn auch dementsprechend). Mit anderen Worten: es handelt sich wieder mal gar nicht um von mir erfundene, ausgekünstelte und eigentlich unerhörte Perversitäten; sondern um einen ganz offiziell genehmigten, ausgesprochen volkstüm141
lichen Allegorienkreis. (Übrigens sprach schon ELBOGEN anläßlich des ›Bärentöters‹ anzüglich von einem ›Bogen des Odysseus‹, odd is Zeus.) Muß ich sie erst noch des breiten zitieren, die Schützenkünste, die immer wiederholten, des & der Helden? Ehe ich auf die »3 berühmtesten Gewehre des Westens« eingehe, sei erwähnt, daß bereits einer der Prä-Shatterhands, der ›Doktor Sternau‹ des WALDRÖSCHENS, Henrystutzen & Bä-rentöter führt, und auch schon die erstaunlichsten Kunststückchen damit vollbringt. Etwa Band III, 192-221, wo ›Matavase‹ dem Großherzog allerdings gewaltiges zeigt: den Tomahawk 500 Schritt weit gezielt wirft; 1 o »Tellschüsse« hintereinander tut; einen armen Ackergaul mit der bloßen Faust betäubt; ›Eicheln‹ erkennt, wo die Ändern überhaupt nichts mehr sehen, und sie mit dem Bärentöter »herunterholt«. Jammerschade, daß MAY nie geschildert hat, wie OS sich diese beiden Hochleistungsröhren von Jenem erkämpfte, bzw. sie à la ›Sohn, hier hast Du meinen Speer‹ feierlich geschenkt bekam — freilich wäre das dann die dritte Herkunftslegende gewesen; während es so nur 2 gibt: die doch immerhin auch recht ergreifende vom alt-einsamen Büchsenschmied Henry in W I; obschon Nüchterne wie ich den Hausschatzabdruck
der ›GUM‹ vorziehen mögen, wo OS die Dinger noch in St. Louis, in der Front Street, schlicht kauft. (Übrigens erscheint WALDRÖSCHEN II, 4 und DEUTSCHE HELDEN III, 435 auch schon eine ›Silberbüchse‹.) Der nächste jener Herren Prä’s, der ›Steinbach‹ der DEUTSCHEN HELDEN, besitzt ein noch viel nachdenklicheres Schießzeug, »Axt und Gewehr zugleich« (III, 408; ›Himmel, Axt & Zwirn‹!); es steckt »in einer ledernen Scheide« (III, 468); der Stiel kann mit ein paar schnellen Griffen »ausgezogen« werden, und ist dann hohl & ein nie fehlender Flintenlauf — nicht mit Unrecht bemerkt da ein feindlicher, großer »Eiserner Mund« verbittert, daß »seine ((Steinbachs)) Flinte verzaubert« sei. ›Alte Westmänner‹, die schon lange in den »dark & bloody grounds« tätig sind, haben darob allmählich die possierlich142
sten, krümmsten & verrostetsten ›Schießeisen‹ bekommen, (man beachte, wie ein gebrauchsfertiges ›ei‹ hier schon vertauschbar danebenliegt), die aber immer hochberühmt und unwahrscheinlich leistungsfähig sind. Manchmal geben die Besitzer ihren Büchsen auch Namen, (alte deutsche Sitte; man vgl. SIMROCK’s ›Amelungenlied‹), die hier häufig weiblich sind: die ›Auguste‹ (›Auge‹: ›u: u‹!) des dicken Sam Barth (DEUTSCHE HELDEN III, 34f.); oder W I, 30f. Sam Haw-kens’ ›Liddy‹, der sie förmlich »wie ein lebendes Wesen behandelt«, wie es »die Gewohnheit vieler Westläufer ist«. Nur schade, daß er, als er sie an eine ›Rosette‹ hängt, auch Hut & Haar dabei verliert, »es war wirklich zum Erschrecken, welchen Anblick nun sein hautloser, blutigroter Schädel bot«; natürlich hat Büchse Liddy »ihre Mucken, ihre großen Mucken... Ich aber kenne sie, ich habe sie studiert, wie der Arzt die Karfunkelbeule; ich weiß genau, welche Vorzüge und welche Schwächen sie besitzt, und an welcher Stelle ich sie streicheln & liebkosen muß, um sie bei guter Laune zu erhalten« (ÖLPRINZ, 19). »Da sieh einmal meine an!« sagt der Elefanten Jäger (SKLAVENKARAWANE, 253) selbstbewußt zu einem KBN-Double: »Er hielt ihm die alte schwere Waffe vor die Augen... ›Ja, es ist noch einmal so dick wie das meinige‹« muß Schwarz (= ›Kara‹, übrigens auch in SKLAVENKARAWANE enthalten) zugestehen, »Aber Allah gibt zuweilen auch dem Schwachen Stärke.« Zuweilen ja. W nun besitzt eine, schon vom Vater ererbte, (demnach ›angeborene‹?) legendäre »Silberbüchse« — es gibt Abbildungen von ihr; MAY hatte das Original überm Schreibtisch hängen, (nach KISCH ein ›Torso... dem die Läufe fehlten‹). »Ich halte noch heut ((1896)) meine Waffen hoch. Mein Henrystutzen und mein Bärentöter sind noch jetzt meine wertvollsten Besitztümer. Kostbarer aber noch als sie ist mir W’s Silberbüchse, die ich schon, als er noch lebte, mit einer gewissen heiligen Scheu betrachtet oder in die Hand genommen habe. Als er erschossen worden war, haben wir ihn hoch zu Roß und mit allen seinen Waffen, also auch mit ihr begraben... ((Später)) 143
nahm ich die Silberbüchse heraus... Jetzt hangt dieses herrliche Gewehr neben meinem Schreibtische, und während ich jetzt von ihm erzähle, habe ich es vor meinen Augen und gedenke in tiefer Wehmut Dessen, den es nicht 1 einziges Mal im Stich gelassen hat, und der mein bester, vielleicht mein einziger Freund gewesen ist, das Wort Freund in seiner wahren, edelsten und höchsten Bedeutung genommen.« (SUREHAND III, 327). OS = KBN dagegen hat gleich zweierlei: den wahnsinnig verzwickten ›Henrystutzen‹, und dann noch eine weitmäulige Halbkanone von schier unglaubwürdigem Kaliber, den ›Bärentöter‹. Beide sind »die einzigen ihrer Art«, und zumal beim Stutzen
(Definition: ›kurzer Lauf‹) ist »die Konstruktion eine so geheimnisvolle« (ach, guck an; SUREHAND III, 30 übrigens) — eine »excentrische Kugel« ist hinten dran, und der Lauf wird, man kann ihn noch so lange benützen, nie heiß — daß die mehreren Feinde, die W & OS nicht unhäufig die geliebten Gewehre stehlen, lange daran herumknaupeln können und doch nicht 1 Schuß herausbringen; (psychologisch könnte solches ›Wegnehmen‹ — ich muß jetzt leider einmal vorgreifen — und dann kindlichfroh ›Wiedererlangen‹ des ›Gewehrs‹ nicht nur S-Wellentäler, eheliche Cäsuren, bedeuten; sondern noch eher zeitweilige Impotenz, bzw. die Furcht davor, symbolisieren). OS empfindet einen förmlichen Zwang, diesen seinen ›Stutzen‹ immerfort zu zeigen und dessen Leistungsfähigkeit vorzuführen, (›Eichenlaub’s Kunst, auf der Jagd gut zu schießen‹); daß er ihn dabei »par pistolet« in der rechten Hand trägt... (die desillusionierende Konjektur wurde ja bereits erwähnt); beim ›Knieschuß‹ legt er ihn an den Oberstschenkel an, und zielt dann damit auf den Gegner — aber die detailgerechte Beschreibung ist ja zu ergötzlich — »eine fürchterliche Waffe in der Nähe« (W III, 376), die »zehntausendmal schießt, ohne daß man sie zu laden braucht« (SILBERLÖWE I, 311) — ich will sie, aus SUREHAND III, 326 ff., doch gleich hersetzen: »Das Loch war gefüllt. / ... und zwar galt es einen Knieschuß, 144
den schwersten, den es giebt; ich habe ihn schon oft beschrieben. ... er wird nur in ganz bestimmten Fällen angewendet... dann greift man zum Gewehre, was nicht auffallen kann, weil jeder gute & erfahrene Westmann es stets neben sich liegen hat. Jeden Anschein vermeidend, als ob man schießen wolle, spannt man mit dem rechten Daumen den Hahn, legt den Zeigefinger an den Drücker und hebt, natürlich immer nur mit der einen rechten Hand, den Lauf empor und legt ihn fest an den Oberschenkel, genau in die beschriebene Richtungslinie... Es ist, wie gesagt, der schwerste Schuß, den es giebt. Wenn 1000 Meisterschützen sich im Knieschusse üben, so kann es vorkommen, daß nicht 1 Einziger von ihnen es soweit bringt, daß er, besonders des Abends, seines Zieles sicher ist. Man muß jahrelang unausgesetzt üben, und doch thut es diese Übung, diese Ausdauer nicht allein, man muß auch dazu geboren sein. Ich habe den Knieschuß von W gelernt, und außer uns Beiden kaum 2 oder 3 gekannt, denen von ihm eine gute Censur gegeben wurde. Auch sie schössen zuweilen fehl; er ((W)) aber, der unübertreffliche Meister in allen Waffen des Wilden Westens, hat niemals, selbst in der stockdunkelsten Nacht, einen Fehlschuß gethan. Ich habe überhaupt nicht 1 einziges Mal erlebt, daß eine seiner Kugeln am Ziele vorübergegangen ist......Also W’s Gesicht war nach dem Wasser gerichtet, und der Lauf des Gewehres nach dem Gebüsche jenseits desselben.« (Diese Konstruktion ›der-, die-, das-selbe‹ erhält allmählich Alarmwert!). »Dort steckte Jemand, der die Kugel bekommen sollte. Ich legte mich sofort lang, griff nach dem Stutzen und hob mein rechtes Knie auch in die Höhe.« (Und Knall & Phall.) Dieser gestutzte Stutzen nämlich ist, der theilnehmende Leser wird’s längst erraten haben, (ohne des Hinweises auf die ›Hülle‹ zu bedürfen, in der OS ihn gern vor Müßigen verbirgt), das ›vorn‹ des Helden: eine Phallus-Prothèse; eine der früher bereits erwähnten ›Afterbildungen IV. Ordnung‹! Wozu es denn ausgezeichnet paßt, daß — während MAY 1896 noch »seine Waffen hoch hielt« — es 1910 in WE (358) resig145
niert so lautet: »Mein Bärentöter hängt daheim. Mein Henrystutzen & meine Revolver stecken im Koffer. Sie haben sich überlebt.« (»Meinem ›Arm‹ ist ›Er‹ zu schwer«.)
»Ich frage: ist das nicht interessant?«; WE, 623. Daß der Wunsch des ›Fliegen könnens‹ gerade hier mächtig hineinspielt, wird desto begreiflicher. — Wogegen ›Silberbüchse‹ und ›Bärentöter‹... aber man vernehme die Beschreibungen, (ich kann immer nur 1 aus einem Dutzend beibringen; der Raum ist gering, und die lange Weile würde leicht groß): »Vor uns hielt ein Indianer« (W III, 388). »In ganz demselben Momente, als er uns erblickte, glitt er blitzschnell vom Pferde... und schlug die Büchse auf uns an. ((Ich)) schnellte mich mit einem raschen, weiten Satze in die Waldecke hinein« (hinein, Ottootto!) »und faßte hinter einer starken« (na, wer errät’s?) »Blutbuche Posto« (›u: u‹ plus ›blättern‹ plus ›Po‹). »Schon während meines Sprunges hatte ich die Büchse halb erhoben, jetzt aber, als die Kugel in den Baum schlug, ließ ich sie wieder sinken. Warum?«. Na, warum.: »Ein jeder erfahrene Westmann weiß, daß ein jedes Gewehr seine eigene Stimme hat. Es ist unendlich schwierig, den Krach zweier Büchsen in dieser Beziehung zu unterscheiden; aber das Leben in der Wildnis schärft die Sinne bis zur höchsten Potenz, und wer eine Büchse öfters gehört hat, der kennt ihren Knall unter hunderten heraus. Daher kommt es, daß Jäger, die sich früher trafen und dann lange Zeit nicht mehr sahen, sich bereits von weitem an der Stimme ihrer Gewehre wieder erkennen. So ging es auch mir in diesem Augenblicke. Die Büchse, mit welcher der Wilde jetzt geschossen hatte, hätte ich während meines ganzen Lebens nicht vergessen können. Ich hatte ihren scharfen sonoren ((wieviele der Döntjes spielen nicht ›in der Sonora‹!)) Knall während langer Zeit nicht gehört, erkannte ihn aber im Augenblick. ... / Er öffnete die Arme und wir lagen uns am Herzen. ... Er drückte mich immer von neuem an seine Brust ((»beinahe weinend vor FREUDe«)), bis er sich endlich erinnerte, daß wir nicht allein waren.« 146
Ehe man Folgerungen zu ziehen anhebt, noch das Pröbchen aus SATAN I, 96 ff. Da beginnt die für MAY’s ›Einleitungen‹ typische langsame Häufung von S-KleinLandschäftchen: »Ich übernachtete in einem Tale«, »welches von kahlen Höhen eingeschlossen war, auf seinem Grunde aber doch... Gras trug«. Am nächsten Morgen dann »ritt ich durch ein langes schmales Tal, welches sich in vielen Windungen aufwärts in die Berge zog. Diese lagerten kahl und baumlos... sie besaßen so eigenartige, abenteuerliche Formen, daß ich hier & da an die fernen Bad-lands ((›Bett‹ + ›Lende‹)) erinnert wurde. Nur selten war ein Baumkrüppel oder Strauch zu sehen, der aus einer Spalte ragte, in welcher es die Feuchtigkeit zu einem spärlichen Gedeihen für ihn gab.« Da blendet sich ein echter Schuß in OS’ liebenswürdige Träumereien ein: er sieht 2 Männer auf 2 Knaben & 1 Mädchen schießen; nimmt ehrenhafterweise sofort die Partei der Schwächeren, und macht seine Gewehre einsatzbereit (98), »den Bärentöter auf den Rücken, den Henry stutzen aber in die Hand«. Ganz oben erscheint noch 1 Feind; OS nimmt »den Bärentöter vor. Ein kurzes aber festes Zielen — ich drückte ab. Der Schuß krachte & hallte von den Talwänden wieder. Das alte schwere Gewehr hatte hier eine wahre Böllerstimme!« (›Gross Jumpiter! Whud a shote of excramation!‹ heißt dasselbe auf S. 342 von ›Finnegans Wake‹.). Da sind die ›Mimbrenjos‹, ob ›Glieder‹ ob ›Häutchen‹ denn freilich gerettet. Nicht allzuviele Seiten danach erblickt OS einen unerhört schnellen, halbgöttlichen Reiter von fern: »da nahm ich den Bärentöter nach vorn & schoß. Der Erfolg war ein augenblicklicher. Der Reiter riß sein Pferd mitten im ventre à terre zurück«; (im III. Bande dieses SATAN findet dann noch einmal, in dunkler Nacht, eine solche Schußerkennung statt). »Das alte Gun dahinten« (W I, 13), das »glatte, gut geputzte Schießeisen« (W III, 377), diese grundsätzlich auf dem Rücken getragene »Kugel Nummer Null« — nicht
nur ›u:u:u:‹, sondern man erinnere sich, wie ›O‹ zuweilen diskret die ›Toilette‹ bezeichnet! — wird nämlich, unbeschadet ihrer harm147
losen Wohlbrüniertheit in L I, »bei der Parabel genommen« (ULAN III, 272 und öfter), also in L II, auch nicht viel mehr sein, als ein grotesk athletischer, weiterer Popo unseres ›Edelmenschen‹; ihr grollend-impressiver Donnerten sich auf einen Flatus reduzieren lassen, (der »die Röhren meines irdschen Werkzeugs schwellt«, wie es einmal bei RÜCKERT heißt); und alles verständlichen Wohlbehagens am Zweifel ungeachtet, bekommt der so oft & wohlgefällig benützte Einfall, daß W und OS sich gegenseitig am guten Klang ihrer »Visionsflinten« (MAHDI) identifizieren, sich beim schallenden Hall & Widerhall der Büchsen ›erkennen‹ (im Sinne der LUTHER’schen Übersetzung), ‘n büschen was sehr Vierneisseliges. — Eine andere Klasse dieser ›Lichtenbergischen Röhren‹ ist schon zwischendurch immerfort zur Sprache gekommen: die Verwendung der Flora zur tarnenden Abbildung von Genitalien & den »dahier« umliegenden Ortschaften. Die »nackten Kuppen«, die »kahlen & unfruchtbaren«, mit dem schütteren Graswuchs im Grunde; die von Epheuranken, dem Freundschaftskraut, verkleideten Spalten; die ›Blutbuchen‹ und ›Lebenseichen‹, die Pechtannen, Algaroben & Chopo-Erlen — im weiteren Verlauf meiner Untersuchungen werden noch mehr Beispiele der abenteuerlichsten Geschröte folgen, die ich aber für andere Zusammenhänge versparen muß; (ich meine nicht nur die Pflanzen des Orients, denen sowieso ausführliche Erläuterung vorbehalten bleibt). (Allgemein interessant ist vielleicht noch, daß MAY zwar im allgemeinen eine neue Bestätigung für die verwunderte Bemerkung FREUD’s liefert: wie absolut nämlich das Primat des Penis bei all diesen Verwandlungskünsten des männlichen Genitales sei, und die Hoden & ihr Behältnis so befremdlich vernachlässigt würden. Was nun daran schuld ist — ob die schlechte Sichtbarkeit (auch beim Individuum selbst, ›an sich herunter‹); die relativ geringe Lustempfindlichkeit; am ehesten noch das unvergleichlich auffälligere Gebaren (Gestaltwandel) des Phallus — gehe uns hier nichts an. Aber einige karge Andeutungen dürften sich im Bezirk der MAY’schen 148
Symbolik doch finden: die, gern ›am Halse‹ getragenen ›Medizinbeutel‹ (einmal »Säcke«!) der ›Roten‹; die ›exzentrische Kugel‹ hinten am Henrystutzen; ab & zu ein Felsblock am Fuß eines der Modellbäume; bei den Brüder-Zwillingspaaren, den ›Unzertrennlichen‹, könnte schattenhaft ein griechisches ›Didymoi‹ bei ihm vorbeigehuscht sein; ich weise auf einige Fälle künftig noch hin.)
VI . REITEN, REITEN, REITEN ... §19 »Immensipater... with dramatic effect reproducing the form of famous sires on the scene of the formers triumphs, is showing the eagles way ...: Sinkathinks to oppen here!« (JAMES JOYCE, Finnegans Wake, 342) Das ›Normale‹ existiert für MAY überhaupt nicht, er kennt nach Art aller rasenden Reporter-Geister nur das perennierend Außergewöhnliche; (während dem wirklichen Künstler, je älter desto mehr, das ›Alltägliche‹ das mit Abstand Überwichtige und noch gar nicht Abgebildete wird, (bitte nicht mit ›einfach leben‹ verwechseln!)). Das eigentlich Lachhafte ist auch im vorliegenden Groß-Stümper-Fall wieder einmal das, daß jene aufgeregten Herren sich fuchtelnd ins fernste Ausland begeben, ›umgeschnallt‹; dort weitgebärdige Handlungen voll scheinbar ungeschlachter Kraftfülle um sich herum vornehmen — und dabei imgrunde nichts als banalste SMotilitäten zutage fördern: Kasperle mit Riesennasen, Reitungen, Ringer fingern, hautnahe Züchtigungen, man beriecht sich, und haucht, wenn man selbzwitt einen ›Bären erstochen‹ hat: »das greift das Rückenmark so an!« (SUREHAND III, 400; ein Wortlaich, der gleich noch diverse wohlgeschwänzte Silbenquappen hecken wird: ›Thou wilt go mad with horror, if thou dost examine thus every moment of my secret hours!‹; BLAKE, bei dem sich auch einige S-Münchhausiaden aufzeigen ließen; obschon nicht à la ›daisy-chain‹ und ›mustard-pot‹ — in der Beziehung war er ›normal‹.) — F. BARTHEL hat in einem, hoffentlich unnachahmlichen, Buch ›Letzte Abenteuer um KARL MAY‹ nicht nur von einem sehr 150
eigentümlichen Hülfsmittel der Forschung berichtet, von dem unsere einfältige Germanistik sich bisher nichts träumen ließ — ein ›Rätselholz‹, mit dem es ihm 1938 gelungen sei, Verbindung mit MAY’s Geist aufzunehmen; ich übertreibe nicht; der Band ist 1955 im KMV, Bamberg, erschienen, und, in gewissem Sinne also officiös; (obschon, wie Dr. Johnson sich hinsichtlich der Unsterblichkeit der Seele ausdrückte: ›I should like more evidence of it‹) — in diesem Buch also erfährt man auch von dem Telefongespräch mit einer »biegsam lässigen Reitergestalt«, »Donnerwettertadellos!«, »Oberst Graf Kramtzow«, von der Garde, »ein typischer Vertreter jenes stolzen und verwegenen Corps« — ich betone nochmals: ich zitiere mitnichten aus dem SOHN des DEUTSCHEN ULANEN auf dem WEG zum WALDRÖSCHEN — der also ruft endlich an & naja ›spricht‹ kann man’s nicht direkt nennen: »... K. H. großer Karl-MAY-Verehrer. Kennt alle Bände. Ganzes Karl-MAYZimmer. Hatte die Ehre, bei jüngstem Empfang es selber zu sehen, ahem. — Gestehe — chm, chm — selber Schwäche für den Tausendsassa. Schreibt fabelhaft über Gäule. Hatattitla und Rih und so. Tja...«.»K. H. — das bedeutet ›Kaiserliche Hoheit‹« werden wir etwas weiter unten auf der Seite loyal-royal aufgeklärt, (mich überläuft’s!), und: »Mit dieser bequemen Abkürzung pflegte man den Kronprinzen im
engeren Kreise zu bezeichnen. Also auch er Karl-MAY-Leser.« Nun zweifle ich zwar an dem Faktum selbst nicht; das Gegenteil hätte mich weit mehr verwundert, (ich weiß von früher noch die Namen einiger Lieblingsautoren der Häuser Habsburg & Hohenzollern, kenne auch den ›Sang an Ägir‹, leider); bin mir auch zutiefst bewußt, daß nunmehr nur noch ein Mal-contenter, ein mauvais sujet, sich einer abweichenden Meinung erfrechen kann. Und was Rösser anbelangt, so habe ich zwar leider bei der ›bespannten‹ dienen, und dort unter anderem auch reiten lernen müssen, bin jedoch immer so schnell wie möglich wieder abgestiegen, and have felt better ever since. Nichts liegt mir folglich ferner, als das fachmännische Urteil eines Leibwächters über »fabelhafte Gäule« irgend bestreiten zu wollen — ich nehme mir lediglich die proletarische Freiheit, 1 finkeljochiges Auge zuzukneifen, und mir die lieben Tierchen, samt dem, was so auf ihnen vor sich geht, mal von 151
Backbord her anzupeilen: — — : ›Meinliebermann!‹— — — In frühen Stücken kommen zuweilen noch weibliche Tiere vor, meist schneeweiße; »eines war eine junge Schimmelstute, das schönste Geschöpf, welches ich jemal gesehen hatte« (WÜSTE, 359); ein anderes ist die »Milchstute« im ›Krumir‹ (ORANGEN, 237 ff.): »Wenn sie Dich anschaut, glaubst Du, dem sanften Blick einer Huri zu begegnen« (SILBERLÖWE III, 186). Auch die »Hedschihn«, die Reitkamele, sind fast sämtlich Damen, und werden im entsprechenden Haremston beschrieben; etwa JENSEITS, 138 f.: »Ein so fehlerlos gebautes, wunderbar gezeichnetes Reitkamel hatte ich noch nicht gesehen. Es war hellgrau gefärbt, und fein fliegenschimmelartig dunkelbläulich getüpfelt, eine nicht älter als fünfjährige Stute mit leucotisch hellrothen Augen. Und ihr Blick war so treu, so intelligent, wie ich es noch bei keinem einzigen Kamele gesehen hatte. Die Füße waren außerordentlich klein und die Formen, ich möchte fast sagen, weiblich voll und rund.« Diese berühmte ›Maschurah‹ hat einen »wunderbar leichten elastischen Gang« und KBN sitzt auf ihr so bequem wie in einem Stuhl, (obwohl er selbstredend ein bißchen balancieren muß); auch gehorcht sie »trotz der ungeheuren Schnelligkeit jedem meiner Worte, und auch der leisesten Berührung mit dem dünnen Metrek« (das ist ›Lenkstäbchen‹). Ja, sie hat sogar ein Geheimnis: man muß dreimal »Bubuna!« rufen: ›u: u‹; und KBN läßt sie denn auch entzückt mit sich dahinrasen, bis sie schwitzt: »schon bildete sich ein weißer Schaumrand an den Lefzen, und — ja, da hörte ich den ersten, hastigen, lauten Atemstoß. Es war Zeit, innezuhalten.« (474 f.) Pauschen; »ich hielt an, stieg ab, liebkoste sie mit wirklicher Dankbarkeit, denn sie hatte mehr, weit mehr als ihre Pflicht gethan, und gab ihr die Datteln, welche ich für Assil Ben Rih eingesteckt hatte. Die Art, wie sie mich dabei ansah, war geradezu 152
rührend.« Dann aber steigt er noch einmal auf, ›with an arrogant thrust of his hips‹ (JOYCE, FW); »wir begannen wieder im Schritte, gingen dann in schnelleres Tempo über, worauf ich das Geheimnis wieder wirken ließ. Maschurah ((›Hurrah‹!)) gehorchte dieses Mal sofort«; (beim ersten Male hatte KBN nämlich versäumt, ihr Kamille ums ›Mäulchen‹ zu schmieren. JENSEITS ist, nebenbei bemerkt, 1899 entstanden; und der kleine aber sehr feine Zug, daß unser flatterhafter Beyschlaf-Bey die Datteln nicht mehr dem schwarz-mähnigen Hengst sondern der tragsamen Dame gibt, könnte seinen besonderen ›Sinn‹ haben; nämlich den schon erwähnten einer (auch wieder nur vorübergehenden; aber was ginge schließlich nicht vorüber?) Liebes-Rücküberschreibung von W auf ›Schakara‹.) / Ein anderes dieser immer-
aschgrauen »Hedschihns« (ORANGEN, 237f.) hat »ganz dieselbe Farbe, welche man beim Haare eines Weibes so schön findet; ›cendré‹ nennt es der Franzose. Seht den Kopf, die Brust, die Beine!«. — / (Daß auch OS-im-Westen einmal ein ›Maul-Tier‹ zahm quetscht, wird noch flämisch gewürdigt werden. Laut Aussage Emma Pollmers soll MAY ab ungefähr 1900 den Geschlechtsverkehr mit ihr eingestellt haben — 1, im Leben des Mannes, zumal des Schriftstellers, immer anzumerkender Nadir.) Man wird sich vielleicht wundern, wie ich, (trotz früher mehrfach versicherter Zurückhaltung), hier doch schon einmal in den ›Orient‹ ausgewichen bin; aber die Berechtigung, ja die Notwendigkeit, ergibt sich aus mehreren Parallelen. Einmal reitet OS-KBN während dieser Jahre, (dort, ›wo es darauf ankommt‹) eben doch grundsätzlich ›Hengste‹, und schwarzhaarig-langschweing müssen sie, hüben wie drüben, auch sein. Auf beiden, von MAY cultivierten Halbkugeligkeiten heißen ausgezeichnete Exemplare der Gattung ›Wind & Blitz‹; nämlich ›Rih‹ & ›Barkh‹ bei den Muskelmanen, ›Iltschi & Hatatitla‹ bei den Hinter-Wäldlern; (und der »beliebte Weltläufer« — ›Hausschatz‹ VIII. Jahrg. am Ende u. ö. — reitet denn auch wacker auf besagtem Winde herum). Wie sehr ihm 153
in der Rage seine Reittiere vertauschbar waren, beweist die (schon von DROOP bestutzte) große ›Fehlleistung‹ auf S. 566 von W II: »Eben wollte W die Schläfer drin durch das offene Fenster wecken, da sah ich, daß die Thür nicht verschlossen war, sondern eine Lücke offen stand; ich stieß sie vollends auf ((›das Kellerfenster einstoßen‹ ist ein Ganovenausdruck ›dafür‹)) und zog Rih in das Innere. W folgte mir mit seinem Pferde und schob hinter sich den Riegel vor.« Und im Osten wie im Westen küssen die Pferde ihre Herren, und sich untereinander auch noch: »Ja, Pferde küssen! Wer das nicht weiß, der hat sie noch nicht beobachtet!« (SILBERLÖWE IV, 413. — Ich habe da anscheinend immer Pech gehabt; ich kann mich weniger an Küsse, wohl aber an ausgiebiges Äpfeln und wahrhaft bärentöterisches Fartzen erinnern.) Die Hippo-Manie der Helden — (das Wort ›Hippologe‹ hat MAY, SILBERLÖWE IV, 412, — ›Hipp-Hipp: Po-Po!‹ würde die bekannte reduplizierende Kindersprache FREUDig daraus machen — und in dem von ihm benützten ältlichen MEYER-Lexikon steht das-Alles & noch-mehr auf derselben Seite: gab es nicht einst ein Aphrodisiakum namens ›Hippomanes‹?) — zeigt sich nicht nur darin, daß mehrfach »im weit ausgedehnten Indianer-Marsch geritten« wird (WEIHNACHT, 431: jedes einzelne Wort eine ›Mittheilung‹, und überhaupt ›ein Kastell werth‹, wie Don Quijote sagen würde); sondern sofort von Beginn an in der Personalbeschreibung: »Aber nun erst die Gestalt, der Körperbau des Hengstes!« (SILBERLÖWE IV, 408 - 16). »So wenig, wie man die Schönheit einer Blume, einer Frau, eines Kunstwerkes beschreiben kann, ebensowenig läßt sich durch Worte eine Anschauung von der Schönheit eines Rassepferdes geben... Ich trat ein Stück von ihm zurück, um diese herrlichen ((von ›Herr‹)) Formen zu betrachten, die jeden Kenner oder Pferdefreund entzücken mußten... Der volle, vornehm getragene Schwanz reichte fast bis zur Erde nieder... wenn er den Letzteren bewegte, so war dies leise Flimmern, um mich so auszudrücken, eine wahre Augen-FREUDe.« Der hier gefeierte »Syrr« hat kein ›Geheimnis‹; 154
braucht auch keines, denn er ist ja von Kopf bis Füßen selbst ›Geheimnis‹, und überhaupt ganz Jungfrau: »Er hat sich noch von Keinem berühren lassen, auch selbst noch keines berührt«; ist vielmehr jener »Glanzrappe«, jenes »Wunderpferd ...
welches des Nachts von Stern zu Stern galoppiert ((vielleicht SITARA?)), um einen Geist zu suchen, der es reiten könnte«, (denn ›geritten muß es sein‹). Einen dargebotenen köstlichen Apfel kaut Syrr langsam, »fast wie ein Mensch, der eine Delikatesse genießt«; Quellwasser kostet er erst und trinkt dann, »mit sichtlichem Behagen, zuweilen eine Pause machend, wie ein Weinkenner, der eine seltene Nummer nicht gleich hinunterstürzt«. Die Begegnung mit KBN’s bisherigem Leibroß ›Assil Ben Rih‹, (»auch er machte niemals Gemeinschaft mit anderen Pferden«), erfolgt so: »er schritt langsam., prüfend vorwärts. Er hob die sich erweiternden Nüstern... seine Ohren spielten. Der Schweif hob sich... Zwei Vollbluthengste! Was wird wohl geschehen! ... Er legte die Ohreri grad nach vorn, sog den Atem des neuen Kameraden ein, wieherte kurz & wie vor FREUDe auf und — — — gab Syrr einen Kuß!«. (Das hat mir mein kleiner Finger schon (wald) heimlich gesagt.) Dann ist KBN mit seinem seltsam-neuen Tier allein, und beginnt, »sich bei ihm einzuschmeicheln. ... Ich strich ihm leise das Haar; nicht Mähne oder Schwanz, sondern nur das kurze, und zwar genau in der Richtung, in der es lag. Wo es einen Bogen machte, folgte auch ich ihm mit der Hand. Wo sich bei Gliederbeugen zwei verschiedene Haarrichtungen begegneten, beachtete ich das wohl und folgte mit einer Hand der einen, mit der zweiten Hand der ändern. Wo ein Wirbel gebildet wurde, wirbelte ich auch. In dieser Weise ging ich über den ganzen Körper, von hinten nach vorn... So gab es schließlich am ganzen Körper keine Stelle, die ich nicht berührt hätte, lieb, streichelnd und alle Derbheit oder Hast vermeidend. Wäre es kein Pferd sondern ein Mensch gewesen« hätte man sich vielleicht an NABOKOV’s ›Lolita‹ oder GÖTZ’ens ›Tatjana‹ erinnert, najana. »Aber was war denn das? Schon während des 155
Berührens seines Körpers hatte ich ein eigenthümliches Prikkeln in den Händen gefühlt.« Dann wäscht er ihn — Mmmmm! — trocknet ihn auch eigenhändig ab: »Ich behandle ihn nach dem großen, liebevollen Geheimnisse der Natur. Er hat sich gleich beim ersten Versuche einverstanden gezeigt« (461). Da wird es denn Niemand mehr erstaunen, wenn das Resümee nunmehr mit den Worten ›Nigger Bobs‹ (SUREHAND I, 292) gegeben werden kann: »Wir sind gut aufeinander geritten«. Wie sehr all diese Reit-Symbolik gültig ist, mag Jeder (allerdings auf einem dichterisch beträchtlich höheren Niveau) bei HANS HENNY JAHNN nachschlagen. Hier sei nunmehr auf die ›Geheimnisse‹ der Herren Pferde hingewiesen; ein ihnen andressiertes Zeichen, auf das hin sie das Letzte hergeben, ja, wenn erforderlich, solange unter ihrem Reiter dahinrasen, bis sie umfallen: »Jedes edle arabische Pferd hat ein sogenanntes Geheimnis ((SATAN II, 488)) und jeder Besitzer eines solchen Tieres pflegt es durch eine sich täglich wiederholende Eigenthümlichkeit an sich zu gewöhnen.« (Das stimmt schon; RÜCKERT (III, 214): »Er wußte wohl, womit er sonst sein Roß beschwor; / dem Reiter rief er zu: ›Kneip es am rechten Ohr!‹ / Das war der Fleck, wo er es mahnte, wenn er wollte, / daß es die volle Kraft im Lauf entwickeln sollte«.) Daß dieses Geheimnis Jeder gerne kennen lernen möchte, ist bei einem lockend-guten Roß verständlich; aber Fremde werden von »dem ruhmvollen Geschlecht der Podarge« prinzipiell »abgebockt«. Ich wähle eine beliebige Stelle, sagen wir, SILBERLÖWE III, 218 ff.: : »Indem ich mich weit vorbog, legte ich Assil die Hand zwischen die Ohren und sagte dreimal seinen Namen. Dieses Zeichen war gewählt worden, weil es sehr schwer auszuführen ist. Nur ein Reiter, welcher eines arabischen Renners würdig ist, wird es fertig bringen, im schärfsten Galoppe die Ohren seines Pferdes mit der Hand
zu erreichen. Die Wirkung war eine großartige. ... Es ging wie ein Zittern durch seinen ganzen Körper. Dann ließ er ein tiefes schnaubendes Stöhnen hören, 156
ein Stöhnen dankbarer WillensFREUDigkeit.« (»Da bog er sich, und wurde lang & dünn« heißt es an anderer Stelle). »Und aber nun — — — nun kam es mir vor, als ob die Beine nicht mehr zu sehen seien, so unglaublich schnell bewegten sie sich. Die Büsche & Bäume flogen förmlich an mir vorüber. Der Boden des Tales kam wie auf einer sich drehenden Walze auf mich zugeflossen, um hinter mir zu verschwinden. Die stehende Luft des Tales wurde in einen blasenden Wind verwandelt. Meine Bewegung glich nicht mehr einem Ritte, sondern einem horizontalen Fallen. ((horizontalen Phallen‹)). Ich konnte nicht anders: ich jauchzte auf, worauf Assil schnaubend frohe Antwort gab ... / Nicht im Scherz sondern im Ernste! Beide ((Pferde)) mit geöffneten Geheimnissen!«. Und wenn man nun noch vernimmt, wie das FREUDig erregte Tier nach gelungenem Par-Fortz-Ritt, (womöglich über den »gefährlichen Spalt«, SCHUT 502), geliebkost wird, naja dann weiß mann, was man weiß: »Der Rappe war für solche Zärtlichkeiten sehr empfänglich. Er bog den Hals zurück und leckte mit der Zunge nach mir, ohne mich jedoch zu erreichen. Als das nicht ging, versuchte er mich wenigstens mit dem Schwänze treffen zu können. Um ihm diese FREUDe zu machen, bog ich mich nach hinten und streckte die Hand aus, in welche er mir den prächtigen Schweif wohl zehnmal warf und dabei vor Vergnügen laut aufwieherte« (SKIPETAREN, 377). ORANGEN 325 plaudert es ähnlich aus — man weiß nicht recht ob vom Marstall her oder unter der Schreibtischplatte hervor: »Die Beine arbeiteten sozusagen unsichtbar; die Schnelligkeit, mit welcher alles hinter mich wich, war unbegreiflich, fast dämonisch, und ich saß, ohne eine Bewegung zu verspüren, wie auf einem Pfeile.«; (JENSEITS 470 heißt es dann auch ganz offen: »Ich saß, obwohl ich balancierte, wie in einem unbeweglichen Stuhle.«). — Vermutlich wird es, weit über das ganze, (heutzutage infolge der in großem Stil betriebenen, ›bis zum Jahre 2002 ges. gesch.‹ Bearbeitungen: wo ist das Gesetz, das dergleichen bis zum Jahre 20 Tausend 200 schützte?!, immer schwerer überschaubare) Oeuvre hin verstreut, eine Menge 157
vielleicht noch deutlicherer Stellen geben; sie seien Demjenigen, der Zeit & Lust hat, zur Glossierung empfohlen. Noch um 1 Grad dramatisch-durchsichtiger, gewissermaßen hyper-Poräisch, wird es, wenn man sich einmal die großen Zähmungsfantasien vornimmt. Ich lasse die simpleren Hausmittelchen beiseite, (la chandelle ne vaut pas le jeu); etwa UNTER GEIERN, 422, »Er langte nach hinten, ergriff den Schwanz des Tieres und zog ihn mit einem scharfen Ruck nach vorn... dieses empfindliche Ziehen am Schwanz war das Geheimmittel«; und zitiere lieber gleich aus SUREHAND I. Da lagern gewisse feindliche Rote unter Anführung ›Vupa Umugis‹ (›u: u: u‹!) ab S. 248 im Quellgrund einer ›Hasenpfanne‹, »an dem Hinterteile einer lcelsenmnlde ((Zwickau a. d. Mulde)), welche, weil sie die Gestalt einer Pfanne hatte und von den erwähnten Nagern stark bevölkert war, von den weißen Jägern ›Hare-pan‹ genannt wurde.« (›Haare‹ + ›pennen‹ + ›Penis‹ + großer ›Pan‹; die Geschlechtslust der Munteren ist sprichwörtlich, und war auch MAY geläufig: »Er gab ihr wegen der Ausgeprägtheit ihres Begattungstriebes den Kosenamen ›Kaninchen‹«, 5.32, nämlich ›Frau Achilles‹.) »Auf der Sohle dieses Tales stand fast während des ganzen Jahres ein üppig grünes, fettes Gras... das war das Kaamkulano ((›cul‹ + ›anus‹))... wir erreichten dasselbe an einer Stelle, welche
höchstens den vierten Theil einer Wegstunde vom Ausgange der Thalmulde entfernt war... Da, wo das Wasser aus dem Thaïe trat, stiegen die Seiten desselben allmählich und weit ausgebaucht rechts & links empor... sonst war die ganze Gegend vollständig baum- & strauchlos... als ich die Öffnung des Tales erreicht hatte... die Zeit schien ungemein glücklich gewählt zu sein.« Also wieder einer der selenografisch-häufigen Klein-Hintern; und 1 Gefangener soll selbstredend befreit werden; und 1 Irre wird getroffen; und »dann gehen wir zum Häuptlingszeh und nehmen die Medizinen, die dort an den Stangen hängen« (sic!; also doch wohl Hodenäquivalent); und dann soll eben noch das jetzt hauptsächlich einschlägige, kostbare Pferd geklaut werden. 158
Das ist nun freilich »indianisch geschult« (S. 275 ff.), »und wenn ich auch gar nicht daran zweifelte, daß es mir gelingen werde, durch einen kühnen Sprung auf seinen Rücken zu kommen, so doch erst nach langer & energischer Gegenwehr des Tieres, welche jedenfalls mit Stampfen, Schnauben, Wiehern, Ausschlagen, also mit großem Lärm verbunden war... Nein, die Sache mußte anders angefangen werden. Glücklicherweise wußte ich ganz genau, wie man so ein indianisches Pferd zu behandeln hat; ich hatte das bei« — na, bei Wem ? — »W gelernt.« Klar. OS muß wie ein waschechter Roter riechen ; wälzt sich deswegen tüchtig am Rand der Pfanne hin & her, in gewissen ›Mugwart‹-Pflanzen (was unserm deutschen ›Beifuß‹ oder auch ›Wermuth‹ entspricht ; ein ähnliches ›Reitkraut‹ in DEUTSCHE HELDEN V, 29), und »maskiert« sich noch zusätzlich mit einer Indianerdecke — daraufhin und » im Dunkel der Nacht « hält ihn der Bock für einen Kumpel ; OS bückt sich nieder & streichelt : » Es ließ sich diese Zärtlichkeit gefallen, und ich fuhr mit derselben fort... Hierauf stellte ich mich mit ausgespreizten Beinen über den Leib des Pferdes« ; und das steht auch auf & trägt ihn davon & ist ausgezeichnet : »ich bemerkte nach einem halbstündigen Galoppe noch nicht das geringste Zeichen der Anstrengung an ihm ; der Atem ging unhörbar.« Bei Tagesanbruch geht dann allerdings der Zähmungskampf an (S. 287 ff.). »Es ging ein eigentümliches Zittern durch seine ganze Gestalt ; ich kannte dieses Zittern ; es war das Vorzeichen des nahen Kampfes. Im Nu ((französisch ›nu‹)) flog die Decke herab... Da warf das Pferd den Kopf herum, einen einzigen kurzen Augenblick nur sah es mich, dann wieherte es laut & zornig auf und stieg vorn empor... es war dem Überschlagen nahe ; ich drückte es nach vorn und riß es dabei mit solchem Nachdrucke seitwärts, daß es sich einmal um seine eigene Achse drehte. Dann kam es vorn nieder und schlug hinten aus — vergeblich. Es bockte, indem es den Rücken krumm bog. ((Solche gibt es!)). Es stand still, um mich zu betrügen, und sprang dann plötzlich mit vollständig steifen Beinen auf 159
die Seite, damit ich auf der ändern Seite herabstürzen möge — ebenso vergeblich. Es erging sich in allen den Mucken, die einem sogenannten Bucking-horse andressiert werden — ich blieb fest sitzen.« Nächste Etappe: »da warf sich das Pferd nieder... und wälzte sich, indem es mit den Beinen arbeitete und um sich schlug. Ich kam — und das ist die Hauptsache, sonst ist man verloren — mit den Füßen auf die Erde zu stehen... so daß das Tier stets zwischen meinen ausgepreizten Beinen blieb. Das ist außerordentlich anstrengend. ... Jetzt sprang es auf und nahm mich ganz regelrecht mit in die Höhe, indem ich die Zügel wieder ergriff, die ich während des Wälzens natürlich hatte fahren lassen.« (›während des Wälzens‹ ›fahren lassen‹: die Manege wird zum pornografischen
Lachkabinett!). Aber es kommt noch schlimmer. »Nun aber sollte es rohe Kraft gegen rohe Kraft gelten, was mir stets gelungen war und mir noch von Niemandem hatte nachgemacht werden können«, (es erfolgt also eine neue, ureigenste Spezialität des Hauses MAY): »Ich nahm das Pferd fester in die Zügel, rückte weiter nach vorn und legte die Schenkel mit aller mir zu Gebote stehenden Kraft an. Es stand starr. Ich horchte. Kam der Ton, den ich erwartete, oder kam er nicht? Ja, er kam. Es war ein langes, tiefes, schmerzliches Stöhnen aus eingeengter Brust, das sichere Zeichen, daß der Sieg mein sein werde, wenn meine Kraft nicht ermüdet. Das Tier wollte wieder in die Höhe, vorn, hinten, mit allen Vieren; es konnte nicht; ich drückte & preßte womöglich noch stärker als vorher. Nach jeder vergeblichen Anstrengung stöhnte es laut, der Atem ging keuchend. So dauerte es 5 Minuten & noch länger; der Schweiß drang ihm aus allen Poren; es schäumte und warf die weißen Flocken nach allen Seiten. / ›Prächtig, prächtig!‹ schrie Old Wabble entzückt. ›So etwas habe ich noch nie gesehen!‹ / Ja, prächtig! Das konnte er gut sagen. Hätte er nur an meiner Stelle gesessen! Diese Anstrengung! Die Lunge wollte mir platzen; der Schweiß drang auch mir aus allen Poren, aber ich ließ nicht nach. Da wollte das Pferd 160
sich niederwerfen, um sich wieder zu wälzen; es konnte nicht; nun noch ein letzter langer Schenkeldruck aus allen Leibeskräften — — die menschlichen Muskeln & Sehnen siegten; das Pferd brach zusammen.« (S. 291 dann nimmt er es zum zweiten Mal zwischen die Herr-culischen Schenkel, »wie vorher; es stand unbeweglich; ich schwitzte; es stöhnte, schwitzte & schäumte, bis es zum zweitenmal zusammenbrach.«) Sofort noch, vergleicheshalber, 2 andere-ähnliche Stellen; zuerst W I, 8 8 f.: »Ich schlang den Lasso von der Wurzel ab und stellte mich mit weit ausgespreizten Beinen über das Tier. ... Eine Pferderippe muß sich unter dem Schenkel des Reiters biegen; das drückt die Eingeweide zusammen und macht Todesangst. / ... Es war ein böser Kampf, ich möchte sagen, Kraft gegen Kraft; ich begann, aus allen Poren zu schwitzen; aber das Maultier schwitzte noch weit mehr; der Schweiß rann ihm vom Leibe, und vom Maule troff der Schaum in großen Flocken. ((!)). Seine Bewegungen wurden schwächer und mehr unwillkürlich; sein erst wütendes Schnauben ging in ein kurzes Husten über; dann endlich brach es unter mir zusammen, nicht mit Willen, sondern weil es von seiner letzten Kraft verlassen worden war. Da blieb es bewegungslos & mit verdrehten Augen liegen. Ich holte tief, tief, Atem; es war mir, als ob in meinem Körper alle Sehnen & Bänder zerrissen worden wären. / ›Heavens, was seid Ihr für ein Mensch!‹ rief Sam; ›Ihr habt ja mehr Kräfte als das Tier gehabt! Könntet Ihr Euer Gesicht sehen, so würdet Ihr erschrecken! ... Eure Augen sind herausgetreten, Eure Lippen geschwollen, und Eure Wangen förmlich blau!‹« — Die andere aus WALDRÖSCHEN II, S. 5 5 ff.: »Jetzt begann ein Kampf zwischen Reiter und Pferd, wie ihn noch keiner der sich vorsichtig zurückziehenden Zuschauer gesehen hatte. Der Hengst ((ein Rappe wieder)) ging vorn & hinten in die Höhe, bockte zur Seite, schlug & biß, warf sich zu Boden, wälzte sich, sprang wieder empor... dann aber wurde es ein Kampf allein der menschlichen Muskeln gegen die tierische Kraft. Das Opfer schwitzte förmlich Schaum, es schnaubte nicht, sondern es grunzte, stöhnte, es 161
strengte den letzten Rest seines Willens an, aber der eisenfeste Reiter gab nicht nach; mit stählernem Schenkeldruck preßte er das Pferd zusammen, daß diesem der Atem auszugehen drohte.... Emma blickte still vor sich hin, aber in ihrem Auge
brannte ein glückliches, inniges Feuer... nun wußte sie, daß er ein noch viel größerer Held sei, als sie bisher gedacht hatte. ... / Emma ritt ihm entgegen: ›Senor, ich danke Euch!‹ sagte sie. Ein Anderer hätte gefragt ›Wofür?‹.« (Tja, wofür? — MAY’s erste Frau hieß bekanntlich ›Emma‹; und er hat ihren Namen in frühen Jahren — z.B. 1878; noch vor der Heirat mit ihr — mehrmals als Pseudonym benützt.) Doch ich will die Finessen, die Unterschiede bei der Zähmung a tergo von ›Maul-Tieren‹ und ›Hengsten‹ gern der überlegenen Kennerschaft von ›Leibwächtern‹ überlassen, und hier nur darauf hinweisen: daß die Ähnlichkeit der großen MAY’-schen BändigungsAkte mit wunscherfüllenden Geschlechtsfantasien auf der Hand liegt, (und selbst beim Leser könnte die sitzende Nachvollziehung solch aufgeregter Motorismen von gesteigerter innerer Sekretion begleitet sein). Wenn man wenigstens wüßte, daß MAY’s Glücksgefühl bei der Niederschrift beträchtlich gewesen ist — scheint er doch vergnüglich rein von ›schlimmen Gedanken‹, baar aller erdenklichen bösen Gelüste; ja, apostrofiert er sich doch häufig als ›Prediger, Säemann, Apostel‹, der ›fromme Einsiedler‹! ›Häufig‹ sagte ich — ich berichtige: sehr häufig. Ich berichtige nochmals: allzu häufig, so daß es selbst den Leser-Kindern schon unangenehm auffiel, ist der Bekehrungszwang der OS-KBN. Und noch wunderlicher das wann & wo seiner eindringlichsten Homilien:: nämlich nachts. Beim ›Reiten‹. 162
§20 »Omne animal post coitum triste.« (Ein ALTER) Daß die Helden so große Stücke auf ihre ›Ahnungen‹ (von ›anus‹?) halten, und als Lieblinge der Götter sie sofort mit ›Höheren Winken‹ gleichsetzen, soll meinethalben noch Geschmackssache sein. Bedenklicher wird es schon, wenn die dann immer gleich auf der nächsten Seite in Erfüllung gehen. Und schlicht lächerlich — worüber sich der partiell-verständige DROOP schon moquirt hat — ist die buchstäbliche & mechanisch-méchante Weise, mit der der HErr auch kleine & kleinste Rüpel straft. Das geschieht so kontoristenmäßig, so gewissenhaft-fantasielos, daß, wenn der arme Fläz den kuriosen Schwur tut: ›Ein grauer Bär soll mir das Gehirn ausfressen!‹, Meister Petz schon um die Ecke auf ihn & sein bißchen Brägen wartet. ›Ich will erblinden, wenn...!‹ — gleich fällt ihm die Bohle über die Neese; ›Ich will zerschmettert sein, wenn...!‹ — —: Knatsch! Die Existenz irgendeines besonderen ›fulfilling-department‹ wird schier unabweisbar; und so eklatant kindisch das Ganze auch einerseits ist, legt es doch auf der ändern Seite Zeugnis für die religiöse Denkhemmung MAY’s ab: sein ›Gewissen‹ muß ebenso hypertrofiert, wie auch leicht einzuwiegen gewesen sein. Wie unwiderstehlich nach genüßlichscharfem Galopp ein UBW-Schuldgefühl in ihm hochwuchs, sei an einigen ›Nachtritten‹ demonstriert, wo er uns flehentlich das ›Tu was ich sage, nicht was ich tue‹ des spanischen Sprüchwortes einschärfen möchte. Vom Sub-Limen zum Ritt-i-Culen il n’y a qu’un Pah! — das allbekannte ›fading‹ danach, drückt sich bei MAY durch Überlagerung mit einem verquollenfrommen Störsender aus: »Ein nächtlicher Ritt durch die im Mondenscheine sich dehnende Wüste! Wie gern gönnte ich meinen lieben Lesern die hehren Empfindungen, welche die Menschenbrust dabei höher & höher schwellen lassen!« (Zumal die weiblichen Geschlechts & über 16 Jahre; SUREHAND I, 396 ff): »Ich habe zuweilen 163
geträumt, ich könne fliegen« (Wer hätte das nicht; aber auch: Wer wüßte seit FREUD nicht, was dergleichen ›Flugträume‹ von ›Großen Vögeln‹ bedeuten?); weiter: »Der Körper ist vorhanden, hat aber weder Umfang noch Gewicht und scheint sich in eine durchaus geistige Potenz ((›Po-Tänze‹)) verwandelt zu haben... So bin ich geschwebt ((›fliegen‹!)) hoch über die Erde hin, weit über sie hinaus, von Mond zu Mond ((von breitem Rundem zu breitem Rundem)), von Stern zu Stern ((Typ SITARA)), aus einer Unendlichkeit in die andere, von unaussprechlicher Wonne erfüllt... daß allmächtige Liebe mich trug und immer weiter & weiter führte. Dann lag ich nach dem Erwachen noch lange geschlossenen Auges da.« (Der Vulgär-Witz setzt gern Auge = anus; von W’s haben wir schon vernommen (S. 53); in der römischen Komödie war es ein stehender Witz, das lateinische oculus wie ›o culus!‹ — oh Podex! — auszusprechen; auf ein spätes, skurril-erhabenes Auge, verweise ich noch im ›Orient‹.) »Nicht so wie in einem solchen Traume, aber ähnlich ist es, wenn man... über die
Wüste fliegt. ((›Weh Dem, Der Wüsten birgt!‹)). Man kennt nichts Störendes, nichts Hemmendes, denn das einzige Hindernis, welches es giebt, ist der Boden, der hinter einem verschwindet und mehr einen Halt als eine Hemmung bietet. Das Auge haftet nicht auf ihm, sondern auf dem Horizonte, der sich... immer von neuem gebiert. ... Und wenn die staunend erhobene Wimper sich niedersenkt, so währt die Unendlichkeit im eigenen Innern fort, und es entstehen Gedanken, die nicht auszudenken sind; es steigen Ahnungen ((anus)) auf, die man vergeblich in Worte fassen möchte, und es wallen & wallen Gefühle & Empfindungen empor ((›im Po‹)), die man aber nicht einzeln zu fühlen & zu empfinden vermag, weil sie 1 einzige endlose Woge bilden, auf & mit welcher man weiter & weiter schwebt, immer tiefer & tiefer hinein, in... allgegenwärtige Liebe!«. Das — und ich setze bewußt bargfelder Nüchternheit gegen ein mondaminenes Gleisnertum von wahrhaft bonner Ausmaßen — ist die Schilderung eines einwandfreien Euphorie-Zustandes; ein 164
chiliastisches ›Juhu!‹ auf Basis sexueller Wort-Würzlein & CARROLL’scher ›Syzygien‹; ein sehr flinkes, hochgespanntes Flimmern & Oszillieren zwischen zelotischen Mis- und fläthigen Inversionsgelüsten. »Könnte mir Jemand eine Feder geben, aus welcher die richtigen Worte flössen, den Eindruck zu beschreiben, den ein solcher nächtlicher Wüstenritt auf ein gläubiges Menschenherz ((= Homo-Cord)) hervorbringt! Es senkt sich von den leuchtenden Sternen des Firmamentes eine große himmlische Bestätigung nieder auf das Gemüth: Du hast das rechte Theil erwählet, und das soll nicht von Dir genommen werden!«. Mit anderen Worten: auch bei diesem, nur in L I und L III plumpundulatorischen, larmoyant-lacrymosen Apostelton handelt es sich viel weniger um Mondstrahlen aus dem Gebiet des Höheren Blödsinns, als vielmehr um den ›Uranismus‹ eines schwulen Theodulen; (man ziehe einmal PFISTER, ›Die Frömmigkeit des Grafen Zinzendorf‹ zu Rate). Da hilft kein »Tis-ti-tut-te-täch-tig-teit« (ORANGEN, 540) oder ähnlicher Hokus-Po-Kuß: MAY ist wesentlich mehr ›Philander‹ als ›Sittewalt‹, und die ›Lustpumpe‹ (FREUD) dauernd eingeschaltet; (und die wahrhaft Großen sind eben Die, die, unter anderem, einen Spaten unbefangen ›einen Spaten‹ nennen: so Männer vom Schlage eines ARISTOFANES / LUKIAN / CERVANTES / SHAKESPEARE / RABELAIS / STERNE / GOETHE / JOYCE!). — Da aber 1 Beispiel allein nie genügend besagt, und von ›interessierten Kreisen‹ bestritten werden könnte (so gut sie es auch imgrunde selber wissen), schlage man SUREHAND III, S. 44 ff. auf, wo gleichfalls zur Nachtzeit, unter beneidenswert hohen Empfindungen geritten wird — wenn man allerdings erfährt, daß es zum »Loch der Alten Frau« geht, wird bei dem & jenem noch nicht GansErtaubten vielleicht schon eine gewisse Reserviertheit Platz greifen? »Als wir den Lagerplatz verließen, stand die Sonne bereits am Horizonte.« Dies ›Sieh, die Sonne sinkt‹ ist eine der, wohl auch zuchthausbedingten, MAY’schen Dauerintroduktionen zum Lieben & Liebenlassen, und eigentlich rührend: »In 165
einer halben Stunde mußte es dunkel sein. Das konnte uns aber nicht stören; der Westmann ist es gewöhnt, keinen Unterschied zwischen Tag & Nacht zu machen, und wenn er die nötige Übung besitzt, so dienen ihm selbst in mondloser Nacht die Sterne des Himmels als Wegweiser, die so untrüglich sind, daß er sich niemals irren kann.« Dieser ›lose Mond‹ wird noch in einem Extra-Exkürschen befernrohrt; vgl. S. 309. »Wie für uns wunderbar ist es, daß jene Millionen Himmelslichter, welche Körper bedeuten, ((siehe Vorsatzblatt)), gegen die unsre Erde nur 1 winziges
Stäublein ist, und uns doch als nie irrende Führer durch die pfadlosesten Gegenden und durch die irdischen Nächte dienen. ... Glücklicherweise giebt es einen Osten, der uns Licht & Hoffnung wiederbringt.« Ich behandle diesen hoffnungsvollen Orient eingehend in der zweiten Hälfte dieser Studie. »Wir aber flogen im Galopp über die hier nicht mehr ›rollende‹ ((S-Bedeutung)) sondern tischebene Prärie ... einmal lief mein Rappe... / Wir befanden uns schon im westlichen Teile des Staates, welcher kahler, trockener & weniger fruchtbar als der östliche ist. Es gab keinen Baum... in solcher Lage muß man sich nach jenem Sinne richten, der nur Lieblingen der Wildnis angeboren ist und den noch kein Gelehrter zu definieren vermochte... Ist es Instinkt? Wohl jenes geheimnisvolle, innerliche Schauen, welches den Wandervogel den geradesten Weg finden läßt? Ich weiß es nicht; aber so oft ich mich auf dieses verborgene unbegreifliche Auge verlassen habe, wurde ich von ihm genau an das Ziel geführt.« Was in L I scheinbar alles Anstößigen entkleidete bloße Absurditäten sind — mit denen sich literarhistorisch herumkatzbalgen zu müssen Mitleid verdient — erweist sich in L II sehr häufig als heiligmäßiges Schamschürzchen vor SMemorabilien. In solcher ›Lage‹ öffnet OS dann gern & weit den Apostelmund, und belandregnet den ihm zur Seite reitenden (stets unwahrscheinlich armselig verzeichneten) ›Ungläubigen‹ mit einem solchen Schauer von Platitüden, einem so lauen-mauen Geniesel (nicht von ›Genie‹) dürftigsten Feld-, Wald- & WiesenXentums, daß der also Apostrofierte meist binnen kür166
zester Frist mit einer, sicher aus Herzensgrunde kommenden, aufrichtigen Lästerung seinem Rosse die Sporen in die Flanken drückt und ungehalten davon sprengt — ein Resultat, das den unparteiischen Heiden wahrlich nicht überrascht.: »Dick Hammerdull verließ sich ganz auf mich.« Wohl klagt er: Jagt doch nicht so, mein Herr Schütterhand; »es ist ja grad, als ob wir durch eine umgestürzte, meilenlange Feueresse galoppierten!« — bei solch horizontalem Schornstein kommt Einem unwillkürlich auch dessen Feger, mitsamt den entsprechenden Besengebärden ein; es gibt auch hier selbstverständlich ein heiter-›unterschichtiges‹ Volkslied — der ›Einzelne‹ darf sich folglich gleich ›entlastet‹ fühlen — ›Neulich fegt’ ich bei ‘ner Alten / Simm-serimm-simm-simm‹; aber wir geraten ins Po-denlose mit solchem »Allo der Köhler« (siehe BAGDAD, 63 ff.); bleiben wir noch bei SUREHAND III, S. 47 f.: »Später erschien ein Stern und noch einer; zu diesen zweien gesellten sich mehr und mehr, bis wir den schönsten Astralhimmel über uns hatten und also aus Dick Hammerdulls ›meilenlanger Feueresse‹ herausgekommen waren. Nun ritt es sich freilich besser als vorher, und das war sehr gut, denn das Terrain war, ohne besonders Wellen zu zeigen, ›faltig‹ geworden, ((›Loch der Alten Frau‹!)), wie der Militärausaruck lautet. Es gab zahlreiche Senkungen, welche so unregelmäßig verliefen ...«; (das ist ein simpler Tatbestand: ›beim Militär‹ ist der Prozentsatz der ›Unregelmäßigen‹, zumal in Kriegszeiten, rund 5-mal so groß, wie im zivilen Leben). »So ging Mitternacht vorüber, und die Sterne verschwanden« und Dick zweifelt, ob sie nicht »über das Ziel hinausreiten« möchten? »Habt keine Sorge, lieber Dick! Ich kenne mich hier aus.« (49) beruhigt ihn OS. »Es galt, ein langgestrecktes, breites, muldenförmiges Tal zu durchqueren; wenn wir nicht auf dasselbe trafen, hatten wir uns verritten. Schon wollte ein Zweifel in mir aufsteigen — —«; aber nein, man ist mitnichten »an den Nord-Pol« geraten; OS kann »in frohem Tone« verkünden, daß man gleich »mit der Nase an das Wara-tu ((›Regenloch‹)) stoßen« werde. Man muß nun jedoch »sehr vor167
sichtig« sein, und OS tappt lieber allein »auf die Büsche zu. Man denke sich eine schüsseiförmige, mit Wasser ziemlich gefüllte Vertiefung von vielleicht 50 Meter Durchmesser, rings von teils dicht, teils einzeln stehenden Sträuchern umgeben, aber zwischen dem Wasser und dem Gesträuch einen ziemlich breiten, buschfreien Ring, der sich aus lauter muschelartigen Eindrücken zusammensetzte... ich erreichte die ersten Büsche mit Leichtigkeit und — — roch & hörte zugleich links von mir Pferde.« Und dann wird der schöne Neu-Freund Apanatschka erlöst, (vgl. S. 129 ff.). — Man hat halt immer die Wahl & Qual zwischen mehreren, gleich ergiebigen Bänden. Ob man sich nun WEIHNACHT unter’s Präpariermikroskop legt; oder SATAN I bei polarisiertem ›Licht‹ liest; oder sich den GEIST, diesen Alpdruck mit Klimaanlage, für seine Analekten (›anal‹ & ›leckten‹!) erkiest: allüberall werden, in exquisitester Weit-Schweifigkeit, die gleichen ›Ritter der Nacht‹ sichtbar, ›Dianens Förster, Kavaliere vom Schatten, Schoßkinder Lunae‹, Meister des Nichtstuns, die ihre Zeit zwischen Reiten und Belauschen harmonisch einteilen, von einem Kopf bis zum ändern mit Zuständigem behangen. Die itzt grad an der Reihe befindlichen 3 Bände des SUREHAND haben in L I die übliche zerfahrene & ganz belanglose Fabel: wie da der Mörder eines ›Padre Diterico‹ gejagt, und am Ende, gemäß dem schon erwähnten abgeschmackten jus talionis, genau am Grabe des Gemordeten von einem Felsbrocken so raffiniert gefliegenklatscht wird, daß er, den sicheren Tod vor Augen, noch viele gräßliche Stunden lang winds-bräutigammäßig heulen muß. »Das ist kein Zufall«, urteilt denn auch Old Surehand beim Anblick solcher Maßarbeit fachmännisch ergriffen: »Wer hier nicht zu der Erkenntnis kommt, daß es r GOtt giebt, und wer hier nicht glauben und nicht beten lernt, der ist ewig verloren!«. Sei’s drum; aber mir wäre im Augenblick wesentlich wichtiger, wenn ich die exakten Erscheinungszeiten der Bände anzugeben wüßte — vor dem angeblich zuständigen Listenwerk des † † † Bd. 34 überkommt mich immer jenes ›große filosofische Staunen‹, das 168
meinethalben, wie ARISTOTELES will — (Ha! jetzt könnte ich, sollte ich ein Register zugeben, auch den erhabenen Namen mit aufnehmen; falls es nicht gar ›Plato, der göttliche‹ war) — der Anfang aller Weisheit sein soll, hier aber auch stellvertretend für das Ende der KARL-MAY-Forschung stehen könnte. Die inneren Unstimmigkeiten der einzelnen Auflagen von ›ICH‹ sind in diesem Punkte so groß — bisher war z. B. im Jahre 1888 noch nie etwas erschienen; neuerdings sind gleich 3 Titel aufgeführt! — und Fehler & Lücken so leicht & reichlich nachweisbar, daß man entscheidende Folgerungen lieber nicht darauf baue. Da es sich also bei ›Die Erscheinungsjahre von MAYs Werken‹, wie die Überschrift immer lautet(e), um eine Arbeit ›ganz aus einem Guß‹ handelt, macht auch SUREHAND leider keine Ausnahme: in den früheren Auflagen war er 1894 erschienen; neuerdings hat man ihn auf 1894-96 verteilt. Bd. I schildert eines der erotischen Metazentren MAY’s, jene schon gewürdigte ›Oase im Kaktus‹. Bd. II stellt, höchstwahrscheinlich weil Fehsenfeld im Eiltempo ›die Reihe aufbauen‹, d. h. eine möglichst längliche Serie ›Gesammelter Werke‹ hinlegen wollte, eine einwandfreie, ziemlich freche ›Notlösung‹ dar; denn da werden lediglich ein paar Westmännlein in ›Mutter Thicks‹ Salon, (Jefferson City, Firestreet Nummer 15), hingesetzt, und haben einander Räubergeschichten zu erzählen — die ›Notlösung‹ besteht darin, daß die sämtlich nichts mit SUREHAND oder auch nur miteinander zu tun haben, sondern einfach aus früheren Büchern herausgebrochen sind; der ›Königsschatz‹ aus WALDRÖSCHEN II; der ›Korsar‹ mit der famosen ›Miß Admiral‹ aus SCHLOSS WILDAUEN; und die ›Rahmenerzählung‹ ist, man hat da die Wahl, entweder von geradezu herzschneidender Versimpeltheit
oder aber Pfuscher-Frechheit. Rund 1895 mag dann der, sehr vieles aussagende, III. Band hinzugekommen sein, der deswegen so wichtig ist, weil er wieder einmal einen der Wellenberge der absonderlichen MAY’schen S-Seelenlage bezeichnet, und fast unabweisbar den Eindruck macht, von einem homosexuell Fühlenden geschrieben zu sein. Mehr noch: er ist vermutlich auch auto169
biografisch wichtig, (d.h. für L III); und einzelne Stellen darin leiten direkt hinüber zu dem ähnlich gelagerten Zyklus der so abstrus-bedeutenden Alterswerke, wo dann L I erfreulicherweise immer mehr schrumpft. Es wäre recht wichtig, zu wissen, wann (aber nun bitte exakt nach MEZ!) sich bei MAY für seine homo-S-Gelüste die ›nächst höhere‹ Vorstellung, die der ›Schutzengelei‹ (sein eigener Ausdruck!) einzustellen begann; hier im SUREHAND III, S. 150—57, kann man sie in statu nascendi verfolgen: »indem ich hier an meinem Tische sitze ((›Ws Büchse‹ vor der Neese)) und diese Zeilen niederschreibe, bin ich vollständig ((da ist das Feldgeschrei vom ›im vollen Stehen begriffen‹ schon wieder!)) überzeugt ((›über-zeugt‹!)), daß meine Unsichtbaren mich umschweben ((einmal das ›fliegen‹; und dann die ›Lieben‹, d. h. die ›spirits‹)) und mir, schriftstellerisch ausgedrückt, die Feder in die Tinte tauchen«; das »giebt so wunderliebliche Geschichten«... Wie etwa den zweiten Absatz des folgenden §.
§21 »Die Entwicklungsgeschichte der Zwangsvorstellungen kann man beschreiben, indem man hervorhebt, wie sie, vom S möglichst weit entfernt, als Zauber gegen böse Wünsche beginnen, um als Ersatz für verbotenes S-Tun, das sie möglichst getreu nachahmen, zu enden.« (S. FREUD, Totem & Tabu) Noch ist die Reihe der Sittenbilder aus den Rauhen Bergen weit davon entfernt, abgeschlossen zu sein. Weiter vorn, auf S. 64 ff., wurde schon Old Firehands »hidespot« gewürdigt, freilich mehr vom Gesichtspunkt der Culisse aus; sehen wir nunmehr zu, wie die Herren Akteurs (Akt!), ob primo uomo ob untergeordneter Co-SRecke, sich dort (W II, 495 f.) mit 170
»Parranoh« (das ist ›par ano‹ = ›per anum‹) erlustiren. (Sicher; ›oberschichtig‹ sitzt der Akzent auf dem Ago-nalen...) : »Kaum stand ich vor ihm und warf ihm die Finger um die Kehle, so raschelte es zu beiden Seiten, und eine Anzahl Indianer sprangen hervor, ihrem Häuptlinge zu Hilfe. / Die Freunde hatten meine Bewegung gesehen und stürzten sich sofort auf meine Angreifer. ((An-Greifer)). Ich hatte den weißen Häuptling unter mir. Meine Knie auf seiner Brust, die Finger der Linken um den Hals und die Rechte um seine Hand, welche das Messer gepackt hatte, krümmte er sich unter mir wie ein Wurm und machte die wütendsten Anstrengungen, mich von sich zu stoßen. Mit den Füßen wie ein angeketteter Stier um sich schlagend, versuchte er, in riesenkräftigen Rucken sich emporzuschnellen; der falsche, langbehaarte Schädel lag neben ihm und die Augen traten weit mit Blut unterlaufen aus ihren Höhlen; vor dem Munde stand ihm der gärende Schaum der Wut, und die nackte, von dem Skalpmesser W’s barbierte Kopfblöße schwoll unter der Anstrengung aller Fasern und Nerven und dem wilden Schlage des zusammengedrückten Pulses mit einer erschreckenden Häßlichkeit auf. Mir war, als hätte ich ein rasendes Tier unter mir, und mit aller Gewalt krampfle ich meine Finger um seine Kehle, so daß er einigemale konvulsivisch zusammenzuckte, den Kopf hintenüberlegte und, die Augen verdrehend, unter einem immer leiser werdenden Zittern die Glieder von sich streckte — er war besiegt. / Jetzt endlich blickte ich, mich erhebend, um mich, und es bot sich mir eine Szene, wie sie die Feder nie zu beschreiben vermag. Keiner der Kämpfenden hatte aus Sorge, dem Feinde Hilfe herbeizurufen, eine Schußwaffe gebraucht, ((›Wafen, herre, wafen! / daz durch des tiuvels list / in diesem kleinen hafen / papier deheines ist!‹, las man einst in einem Uni-Klo an der Wand)), sondern nur das Messer & der Tomahawk waren thätig gewesen. Keiner von ihnen stand aufrecht, sondern Alle lagen am Boden und wälzten sich in ihrem oder dem Blute ihres Gegners, / W stand eben im Begriff, einem unter ihm 171
Liegenden die Klinge in die Brust zu stoßen; er bedurfte meiner nicht. Old Firehand lag auf einem der Gegner und versuchte, einen Zweiten, welcher ihm den Arm
zerfleischte ((!)) von sich abzuhalten. Ich eilte ihm zu Hilfe und schlug den Dränger mit seinem eigenen Beile, welches ihm entfallen war, nieder. Dann ging’s zu Dick Stone, welcher zwischen 2 toten Rothäuten unter einem riesigen Manne lag, der sich alle Mühe gab, einen tödlichen Stich anzubringen. Es gelang ihm nicht; das Beil des Stammesgenossen machte seiner Bemühung ein Ende. / Stone erhob sich und brachte seine Gliedmaßen in Ordnung, / ›By god, Sir, das war Hilfe zur rechten Zeit! Drei gegen 1 ist doch, wenn man nicht schießen darf, ein wenig zu viel: habt Dank!‹ / Auch Old Firehand streckte mir die Hand entgegen und wollte eben sprechen, als sein Blick auf Parranoh fiel. / ›Ists möglich? Der Häuptling selber! Wer hats mit ihm zu tun gehabt?‹ / ›OS hat ihn niedergeworfen‹, antwortete W statt meiner: ›Der große Geist hat ihm die Kraft des Büffels gegeben, der die Erde pflügt mit seinem Horne.‹ /...../ ›Wir werden sehen müssen, daß wir zu den Unsrigen kommen.‹ / ›Gut‹ erwiderte Old Firehand, von dessen Arm das Blut in hellen Strömen floß, ›auf alle Fälle aber müssen wir die Spuren des Kampfes möglichst beseitigen. Geh doch ein wenig vorwärts, Dick, damit wir nicht etwa überrascht werden.‹ / ›Soll geschehen, Sir; aber nehmt mir doch zuerst einmal das Messer aus dem Fleische. Ich kann nicht gut zu dem Dinge kommen.‹ / Einer von den Dreien hatte ihm das Messer in die Seite gestoßen, und durch das Ringen war es immer weiter hinein gedrungen. Glücklicherweise stak es an keiner gefährlichen Stelle, und hinterließt bei seiner Entfernung eine für Stone’s Eisennatur nur leichte Wunde.« — In der ›organischen Verbindung‹ gelesen (d. h. gleich anschließend an Old Firehands ›hide-spot‹, S. 71 ff.) nimmt nahezu jede der Wendungen Schlüsselcharakter an; benimmt sich wie ein ›Kennwort‹, bei dem entweder der Fonetismus oder die Slangbedeutung ›Drehscheiben‹-Wert haben, so daß man ›linksum‹ durchaus auf verwachsenere Gedankengeleise 172
einzulenken vermag — genau, wie es der Meister selbst, ›brünstig die arme in den abend streckend‹, herausgefordert hat:: »Ja, woher stammen denn da alle diese Vorwürfe, welche man ihm entgegenschleudert? / Etwa aus der zweiten ((L II)) Quelle, aus seinen Werken? Wollen sehen. / Zunächst die höchst notwendige allgemeine Bemerkung, daß diese Werke nicht oberflächlich gelesen werden dürfen. Wer sie verstehen und gar über sie referieren will, hat sie zu studieren. Sie sind nämlich etwas ganz anderes, als das, was sie dem leichtfertig darüber hinfliegenden Auge zu sein scheinen. Die Wogen & Wellen dieser scheinbaren ›Reiseerzählungen‹ werden von einer geheimnisvollen Kraft bewegt, der man mit liebendem Fleiß nachzugehen hat. Sie sind einem noch unerforschten, heiligen Waldesfrieden entstiegen und streben einer bisher noch weit- & erdenfremden Mündung zu. Der nicht oberflächliche, sondern ernste Leser, welcher in die Tiefe dringt, wird einen goldhaltigen und an Perlen reichen Grund gewahren.« (DL, S. 4 f.) Eine zwar nicht absolut neue (vielmehr selbstverständliche) aber doch für jeden der Literatur Beflissenen zu beherzigende Regel — nur schade, daß ihm prompt wieder ›Waldheim‹ und seine verfluchten ›fremden Mündungen‹ dazwischen geraten mußten: traun, wenn man noch nicht wüßte, was ein ›Komplex‹ ist, an Don RAMON DIAZ DE LA ESCOSURA ließe es sich unvergleichlich demonstrieren! In / II nämlich liest sich der ganze Buhurt wie die Beschreibung einer Orgie, eines MassenGeschlechtsaktes unter Männern, wobei teils mutuelle Masturbation, teils Verkehr per anum stattfindet; die bei Neurotikern gar nicht seltene, sadistisch ›verstärkte‹ Auffassung des Liebesaktes als ›Zweikampf‹; (und da hilft kein noch so klagendes ›Nit möööglich!‹). Das oberflächliche, unmenschliche, wahrhaft ›kindische‹
Abstinenzgetue von MAY’s Helden rächt sich auf sehr nachdenkliche, zuweilen erhabene zuweilen höllenbreughelianische Weise: diese Herren Westmänner bedürfen tatsächlich der Unterleiber nicht: sie sind von ihnen umgeben! Für weitere, leicht zu entschlüsselnde Balgereien dieser Art 173
verweise ich auf die schon andernorts vorgeführten Exempel: den Tjost Apanatschka-Surehand (vgl. S. 130); oder den ›eingefetteten Kleinen Mann unter Wasser‹ (S. 132). ›Ein Sti-i-poka‹ (WEIHNACHT) tippt ja schon vom guten Klang her den ›Stich in’n Po‹ an; und das ›kreisrunde Loch über der Nasenwurzel‹ des GEIST und SUREHAND I ist von vorn betrachtet ebenso harmlos, wie es sich, von hinten gesehen, um schlichte po-ethische Ungerechtigkeit konkurrierenden Stake-Männern gegenüber handeln könnte. Selbst OS’ berühmter ›Jagdhieb‹ ist ja imgrunde nicht nur unwahrscheinlich (bei einem ›mickrig-pfiffigen Männchen von einsfünfundsechzig Größe‹, wie MAY notorisch war) sondern überhaupt leicht anrüchig: er umfaßt mit der Linken einen Hals, und bearbeitet mit der rechten Schütterhand den dazugehörigen Kopf so lange, bis der betreffend Betroffene ›umfällt‹. (Eine weitere Eigentümlichkeit, verdächtig vor lauter Repetition, dürfte auch die sein, daß OS-KBN mindestens 30 Mal durch einen Kolbenhieb auf den Schädel k. o. gemacht wird, anscheinend die einzige Möglichkeit IHM beizukommen — worauf er dann jedesmal scharf gefesselt erwacht, und sich, ›Im Reich der Dämonen‹, dem grinsenden Gesicht mindestens 1 Feindes gegenüber sieht: »Der Ausdruck desselben war ein teuflischer.« (HAUSSCHATZ, XX. Jahrgg., = 1894, S. 700). — Zwangsvorstellungen solcher Tourenzahl haben grundsätzlich tieferliegende Gründe; und die rein proverbialische Erklärung des ›vor den Kopf geschlagen seins‹ wird allein nicht ganz ausreichen.)
§22 »Durch die schlafenden Gestalten bahnte er (Herkules Bell) sich seinen Weg; halbaufgerichtet wollte ihn ein nacktes Weib daran hindern. Aber ratsch! erhielt sie einen Peitschenhieb, worauf auf dem weißen Rücken 1 bren174
nend roter Striemen erschien, / .....Die ›weißgestreifte Peitsche‹ ist mein reifstes Werk.« (A. KUBIN, Die andere Seite) Nun, da einmal das Wort ›Sadismus‹ gefallen ist, sei, der Vollkommenheit & lieben Polarität halber, gleich noch der ›Masochismus‹ hinzugepackt, und MAY’s Werk auch mit dieser rosa-beschmierten Lorgnette vor den Augen einmal durchmustert — beide dürften sie ja, vorausgesetzt, daß an L II wirklich etwas wäre, auf keinen Phall phelen. Nun war zwar schon in der ›Geisterschmiede‹ in dieser Hinsicht einiges los; aber da wäre dem in L I schön-Befangenen immer noch die Einrede möglich, daß dergleichen Arbeitsplätze ohne Funkensprühlicht & Klingeklang, Gebläsgeschwitze & Zwingezwang, einfach nicht denkbar sind. D’accord. Ich wiederhole (›hole‹!) es also noch einmal: wenn sich auf MAY’s 50000 Druckseiten immer nur 1 einziges armes Indiz auftreiben ließe, war’ es allenfalls erlaubt, sich filiströs (d. h. selbstgerecht & borniert) von der ELBOGEN’schen Arbeitshypothese abzuwenden; (obwohl jeder erwachsene Mensch, und sei es nur vorsichtshalber, aufzumerken begönne). Wie aber, wenn es im Lauf der Lektüre 1 Dutzend werden? Oder gar 100!? — Da gibt es etwa die ›Wasserfolter‹ der CORDILLEREN (S. 320 ff.) / Mehr als 1 ›Alligatorenteich‹, über den Verbrecher (oder auch Pech habende Gerechte) so raffiniert-tief hingehängt werden, daß sie ständig mit den Beinen zappeln müssen; (WALDRÖSCHEN II, 110 ff. und INKA, 393 ff.). / Das ›Fesseln bis aufs Blut‹ — mit Varianten à la ›im Stehen‹ und ›Krummschließen‹. / Oder gar das ›Skalpieren‹! — ich gebe 1 Beispiel ›mit Pfiff‹ (WALDRÖSCHEN IV, 776 ff.): : »Büffelstirn knirschte mit den Zähnen. / ›Der Tod wäre zu wenig; der Hund soll es büßen!‹ / Er schritt auf den Sergeanten zu, der sich halb wieder erhoben hatte, stieß ihn mit einem kräftigen Tritt zu Boden, kniete auf ihn nieder und zog das Messer. / ›Himmel, was wollt Ihr machen?‹ rief der Ser175
geant. /...../ Jetzt schnitt das Messer des Häuptlings die Stirnhaut durch. Der Franzose stieß einen fürchterlichen Schrei aus. ... Er ((Büffelstirn)) zog dabei sein Messer langsam um den Haarschopf des Franzosen herum. Dieser stieß ein Geheul aus, das nicht mehr menschlich genannt werden konnte... der ganze Boden schwamm von Blut... / ›Schreie nicht, Hund!‹ sagte der Häuptling. ›Dieser Schnitt macht keine Schmerzen. Sie beginnen erst jetzt, wenn ich Dir das Fell samt den Ohren herabziehe.‹ / Er schob den Kopf des Franzosen erst auf die linke und dann auf die rechte Seite, um ihm erst das rechte und dann das linke Ohr abzuschneiden; wobei die abgelösten Ohrmuscheln jedoch an der oberen Kopfhaut hängen blieben. Der Franzose brüllte wie ein Stier. / ›Schweig, Feigling!‹, rief Büffelstirn. ›Erst jetzt
wirst Du singen; denn nun ziehe ich Dir das Fell herunter: pass auf!‹. / Er faßte die Haare und zog die Kopfhaut los, nicht schnell, sondern langsam & allmählich, wie er gesagt hatte. / Der Sergeant konnte den Kopf und den Oberkörper nebst den Armen nicht bewegen, weil der Mixteca auf denselben kniete, aber die Beine waren ihm freigelassen. Er warf sie in die Luft, er schlug mit ihnen die Dielen vor Schmerzen. Er brüllte nicht mehr, denn das, was er that, die Töne die er ausstieß, waren kein Brüllen mehr zu nennen. Es giebt sogar kein Ihier, das imstande wäre, so fürchterliche, entsetzliche, grauenhafte Laute auszustoßen. / Der Häuptling blieb kalt. Als er die Haut abgezogen hatte, sagte er: ›Dies ist die Haut eines Feiglings, der schreit, wenn er skalpiert wird. Büffelstirn wird sie nicht tragen, sondern er schenkt sie Dir als Andenken an diese schöne Stunde. Und dazu wird er Dir noch die Nase geben, die bisher in Deinem Gesicht gewesen ist.‹ Dabei faßte er mit 2 Fingern der Linken die Nase, und trennte sie mit einem raschen Schnitt von ihrer Stelle. Der Franzose stieß dabei einen Schrei aus, in dem sich seine ganze körperliche & geistige Qual gipfelte; dann ließ er nur ein anhaltendes Stöhnen & Wimmern hören. / Jetzt zog Büffelstirn einen Riemen hervor, zerschnitt ihn in 2 Theile und band damit dem Skalpierten Hände & Beine zusammen. 176
Dann schleifte er ihn in eine Ecke, wickelte die Nase in den Skalp und legte dann beides neben ihm hin.« Nun will ich gar nicht, wie etwa gleich nach dem I. und II. Weltkriege schick, angewidert mein ›Potz SS plus KZ!‹ murmeln — ich weiß sehr wohl, daß auch andere Zeiten & Völker genau das gleiche (und genüßlich) praktiziert haben; ob ›Jaroslaw von Nowgorod‹ ob ›Psalm 68-22‹ (›Ja, GOtt wird den Kopf seiner Feinde zerschmettern; den Haarschädel Derer, die da fortfahren in ihrer Sünde‹), und auch das Westgotische ›Fuero Juzgo‹ weiß nicht minder von der Strafe des ›capillos et cutem detrahere‹: die Herren Gesetzgeber waren eh & je Sadisten. — Dennoch ist & bleibt die MAY’sche Beschreibung ein bißchen zu sehr ›con amore‹ gemacht; und zwar liegt die ›amore‹ in seinem Fall noch weniger bei der Bedeutung all dieser ›Beschneidungen‹ als patriarchalischen Kastrationsersätzen; vielmehr ist der Akzent auf das ›Zopfabschneiden‹ zu setzen, jene bedeutsame Haarsymbolik, über die man dann, im ›Orient‹, ein Vielfaches erfahren wird; (vgl. S. 242 f.). Eilen wir lieber jetzt zu dem ändern der MAY’schen Haupt-Requisiten, zu dem die Helden sich einmütig bekennen; zu ihr, »die den Ungehorsamen gehorsam, den Stolzen demütig, den Untreuen treu, den Zweifler gläubig, den Geizigen wohlthätig, den Groben höflich, den Langsamen schnell, den Zornigen sanft, und, wenn es sein muß, sogar den Toten lebendig« macht: »Sihdi, sag, darf ich sie mit auspacken?« (A & D I, 38) —: DIE WEISSGESTREIFTE PEITSCHE!!!... Wir stoßen nämlich hier auf einen weiteren pausenlos soliden Komplex unseres Verfassers, (bzw. einen neuen Sektor des nun schon bekannten überweltlich großen), die krankhafte Flagellomanie seiner Gestalten. Die mehreren Wurzeln dieser ganz speciösen Massage-Art schlängeln sich ja nur scheinbar aus verschiedenen Bereichen zueinander her; in Wirklichkeit handelt es sich um eine sogar recht einheitliche sexualpathologische Erscheinung: wie da ›der Schmerz‹ als paprikanisches Element des Genusses seine Rolle spielt; die Gesäßhaut als 177
›erogene Zone‹ und deren Reizung durch tic-tac-Schläge ist seit ROUSSEAU geläufig; die Anregung des Kreislaufs usw. durch Rutenstreiche war MAY wohlbekannt, (nach heißem Ritt, bei kaltem Wind, rettet er seine Pferde dadurch); der merkwürdigen Beziehungen zwischen religiösen & Geißler-Gedanken ist schon
oft gedacht, (und überhaupt nachgewiesen worden, wieviel Weisheit so in unserer Staatsreligion verborgen liegt); immer aber weist uns Eros Kallipygos den schönen Hintern her, ein weit- & breites Betätigungsfeld für Sade- & Masochismen. Nun kann wahrlich Niemand weiter davon entfernt sein denn ich, die Sub-Objekte, mit denen er sich dienstlich-eingehend zu beschäftigen hat, ›in die Väterreihe zu erheben‹, (wie es Gehrockbewohnern freilich gern passiert): ob FOUQUÉ, ob JOYCE, ob BRONTE, ob MAY — ich bin von Natur aus kritisch und präconisire ganz zögernd; weiß mir vielmehr einen ziemlich unbarmherzigen Blick zu bewahren; und dem Studium der schreibenden Gehirntiere liege ich deshalb ob, einmal weil ich selbst von Worten etwas verstehe, (»Je, Heinz, ‘s ist mein Beruf, Heinz. ‘S ist einem Menschen nicht zu verargen, daß er in seinem Beruf arbeitet!«), zum ändern, weil an ihnen sämtliche ›Menschlichkeiten‹ leichter, ehrlicher & aufschlußreicher sichtbar sind, als an schwächlicherem Material. Und das wiederum ist deshalb so wichtig, weil unser Aller Weg, im Lauf der nächsten Generationen, asymptotisch zum Gehirntier hinführen dürfte — die beliebte Formel vom ›einfach leben‹ ist so wehmütig retrograd, so unrealistisch & kindlich, wie RÜCKERT’s hübsches Liedchen ›Aus der Jugendzeit‹ — und wir sollten die Unseligen, die das jetzt schon, mitten unter uns, vorleben müssen, (bzw. vor 100 Jahren das schon taten), nicht aus den Augen lassen: vielleicht könnte man doch die 1 oder andre ihrer diätetischen SelbstMaßregelungen später des breiten brauchen? Gerade die Groß-Ausschwätzer vom Typ MAY, (uns begreiflicher, weil ›näher‹, unverstellter, als die rasenden ÜberKünstler à la JOYCE), (›Typ‹ deshalb, weil es eine ganze Menge gibt; in Frankreich etwa SUE; bei uns wäre ein 178
zweites, der baldigsten Untersuchung zu empfehlendes Objekt, der gänzlich vergessene ROBERT KRAFT, 1870—1916, ›die Rechte‹ sind merkwürdigerweise — oder auch eben nicht merkwürdigerweise — ebenfalls beim KMV), haben Materialien von großer Durchsichtigkeit und beträchtlicher ›Echtheit‹ geliefert, so daß man, ob sie schon fast nie künstlerisch Ernstzunehmendes geleistet haben, gut & gern bei ihnen verweilen sollte. Als immerhin-auch-Gehirntier hat MAY jedenfalls an unserer Bude grundsätzlich erst mal 3 Würfe frei; weniger burschikos formuliert: ich möchte auf keinen Fall verfehlen, alles herzuzählen, was mir an mildernden Umständen für seine Peitschsucht nur immer einfällt. Da tritt zuerst der etwas leichte, dafür aber ziemlich tyrannische Alkoholiker-Papa uns entgegen: »Alles hatte zu schweigen; niemand durfte sich regen. Da waren wir in steter Angst, ihn zu erzürnen. Dann wehe uns!« (BIO, 10). »Am Webstuhl hing ein dreifach geflochtener Strick, der blaue Striemen hinterließ, und hinter dem Ofen steckte der wohlbekannte ›birkene Hans‹, vor dem wir Kinder uns besonders scheuten, weil Vater es liebte, ihn vor der Züchtigung im großen ›Ofentopfe‹ einzuweichen, um ihn elastischer und also eindringlicher zu machen.« Also der gestrenge Herr Vater »liebte« das, und bereitete den Akt langsam & genüßlich vor. »Er konnte geradezu herzgewinnend sein, doch hatten wir selbst in den heitersten & friedlichsten Augenblicken das Gefühl, daß wir auf vulkanischem Boden standen und von Moment zu Moment einen Ausbruch erwarten konnten. Dann bekam man den Strick oder den ›Hans‹ solange, bis Vater nicht mehr konnte.« Dieses »bis er nicht mehr konnte« hat S-Wert, und ist die, bei Eltern leider überflüssig häufige, sadistische Selbstberauschung der jähzornigen Frustrierten, die ihre winzigen weißen Sklaven noch heute ungestraft zwiebeln, und sich selbst dabei aufs hemmungsloseste abreagieren können. (Das hat ja schon STANISLAUS JOYCE sehr nett gesagt, wie so’ne ganz lütte Novelle zum 4. Gebot, des Sinnes, daß die Eltern ihre Kinder getrost auch ‘n büschen mehr ehren dürften,
eigentlich über179
fällig wäre; was auch der geringgeachtete FRENSSEN bereits wußte.) Über spezielle Schul-Züchtigungen bin ich nicht im Bilde, obschon man um 1850 auch nach der patriarchalischen Formel ›Who spareth the rod, spoileth the child‹ verfahren sein dürfte. Ein Sonderabsätzchen jedoch, wodurch ihm die Peitsche so recht ins UBW gerammelt worden sein wird, (und was ergo zu seiner weitgehenden Entlastung dienen könnte), muß den internen Verhältnissen in den damaligen Haftanstalten gewidmet werden. Wenn ein Verbrecher zu mehr als zweijähriger Zuchthausstrafe verurteilt worden war, konnte ihm der ›Willkomm‹ (wie der trauliche Ausdruck lautete) kredenzt werden, d. h. ›39 Hiebe ad posteriora mit der Karbatsche‹; und zwar nicht nur bei der Einlieferung & Entlassung, sondern auch regelmäßig in gewissen Zeitabständen, etwa jährlich am Tage des begangenen Verbrechens oder des Straf antritts. Ein anderes war die ›Patschhand‹, d.i. 5 bis 10 Hiebe, welche der Zuchthausaufseher sonst nach Gutdünken verabreichen lassen konnte; und endlich fanden Prügel noch bis ins laufende Jahrhundert hinein als Disziplinarstrafe gegen männliche Zettinsassen reichlich Verwendung, z. B. in Preußen, Mecklenburg und Sachsen. Das ehemalige kgl. sächsische Gesetzbuch setzte das Maximum auf 90 Streiche fest; wobei zuweilen, der lieben Abschreckung halber, die ändern Sträflinge zuzuschauen hatten — ich weiß nicht anzugeben, ob, geschweige denn wann & wie oft, auch MAY diese ›Karbatsche‹ — und einem Jeden fällt ja wohl ›Halefs geliebte Kurbatsch‹ nunmehr ein — eventuell zu spüren bekommen haben könnte; auch nicht, ob er je offiziell bei dergleichen zugesehen hat; aber es könnte durchaus sein, daß dies die ›Geisterschmiede‹ gewesen ist! Wodurch manches in dem großen Spektakelzitat des I. Kapitels begreiflich würde; auch MAY’s Zwanghaftigkeit, in jeglichem seiner Bücher Peitschenszenen anzubringen. Denn nicht 1 Mal hebt sich ja bei ihm die Nagajka (Varianten: Bastonaden-Stock, Nilpferdpeitsche, Knute, Kantschu, Kurbatsch, Lasso, Bambus, ›Rute‹, neunschwänzige Katze) und nicht 10 Mal 180
hebt sie sich, und fällt, hautaufreißend, nieder: nein, Hunderte von Malen platzen Sohlen & Gesichter, Verbrecher-Rücken & -Afterregionen. Hej!: »Da sauste die Peitsche hernieder, und ein entsetzlicher Schrei Juanitos machte die Stube erzittern. Von Steinbachs Riesenkraft geschwungen, hatten die Riemen sich sofort bis auf die Knochen in das Fleisch gewühlt... selbst die Alte hatte mit ihm aufgebrüllt.« (DEUTSCHE HELDEN IV, 375 f.: ›ein Riemen, der sich ins Fleisch wühlt‹; da kommt mechanisch die Lustbetontheit durch). — Leider ist mir das taedium des statistischen Zusammentragens noch von keinem Vorarbeiter abgenommen worden; ich beginne bei dem sich mir als erstes aufdrängenden Stichwort vom ›PEITSCHENMÜLLER‹, (das merkwürdigste ist hier immer noch, wie die, doch sonst wahrlich die Texte grimmig purg- & kastrierende Bamberger Ausgabe, in ihrer Unschuld dem Band 66 direkt diesen Titel verlieh, ja, auf dem Deckel den zipfelmützigen, deutschmicheligen Sadisten gar noch abbildete. Ich zitiere selbstredend nach dem, immerhin um einige Grade echteren WEG ZUM GLÜCK, meist Bd. I.) Da sitzt er also & präsidiert seinem kleinen Privat-KZ, vom massiven Polsterstuhl her, dem »breiten, bequemen« (240 ff.); »neben sich, an der Armlehne hatte er eine alte Klarinette hängen, während die rechte Hand mit einer Peitsche spielte, deren Stiel kurz, die Schnur aber desto länger war, so daß sie bis in die entfernteste Ecke
reichte. Diese Peitsche war das Szepter, mit welchem der Müller regierte... In seinem Hause gab es keine Person, welche nicht bereits die Peitsche gekostet hätte.« Am meisten bekommt das Instrument des alten Lüstlings aber der ›Fex‹ zu spüren, der hochgeborene und wie rasend fiedelnde; (es gibt übrigens gerade hier Verbindungen zu A & D hinauf, die ein Fachmann einmal untersuchen mag). Der »Talmüller« also ist ein jahrzehntealter Mörder (›merde‹), der auch im Selbstgespräch, in halbhalluzinatorischen Zuständen, sowohl schadenfroh als reuig immer mit der Peitsche knallt, (354). Er schont weder die eigene 181
Tochter Paula, noch das Gesinde, noch die Besucher; bis ihm das Dings endlich entrissen wird, und ihn die verdiente Strafe ereilt. / Wie in dieser Beziehung die ›Verbindung‹ von oben bis unten durchgeht, mag gleich BABEL & BIBEL, S. 11 belegen, wo die Regieanweisung vom Haupthelden, dem ›Gewaltmenschen‹ Abu Kital, verlangt: »Hat stets die Peitsche in der Hand«; und sie ›klatscht‹ ja auch das ganze medizinisch merkwürdige Stück hindurch — es könnte sein, daß der gleichnamige, zweibändige Roman von 1907 weniger verlorengegangen, als vielmehr von MAY selbst zurückgezogen worden ist; vielleicht war er allzu verräterisch ausgefallen; (es besteht übrigens 1 entfernte Möglichkeit, daß das MS doch noch wieder auftauchen könnte). Nun, bei einmal erkanntem ›System‹, ist es relativ einfach, sofort den Finger auf die jeweils zuständigen Stellen zu legen. Etwa den ›Sibirien‹-Band, wo sich alle zuständigen Populärvorstellungen ja förmlich Stelldichein geben: VerbannteZuchthäusler, Mütterchen Rußlands Knute, Fluchtbewegungen aller Art, und hübschedicke Tungusinnen: ›u: u‹!; da hallt & schallt & widerhallt es ›natürlich‹ von unermeßlichen, gewissermaßen zum täglichen Brot gehörigen, die ›Menschheitsfrage‹ mühelos lösenden Hieben — Ss. 27, 76, 154, 211, 214, 249, 253, 435, 439, 493, 574, 579 — meist ›ff.‹, und das bloße ›Ausholen‹, gleichsam eine Methode bargeldlosen Zahlens, hab’ ich überhaupt nicht mitgerechnet: »Es giebt nicht 1 einzigen Armen hier, der nicht die Knute erhalten hätte«, (253). Und der schelmischen Feinheiten ist kein Mangel: Wer lachte da nicht, wenn ab S. 247 die beiden Kreishauptleute — Sachsen war übrigens auch in ›Kreishauptmannschaften‹ eingeteilt — ihre Abreibung bekommen, und anschließend praktiziert ihnen die kleine Schelmin Karpala noch harte-rohe Kartoffeln in die Sitzkissen ihrer Stühle, (261 u. vorher). Auch in dem andren, der MAY’schen Seelenlage von hintenherein erb- & eigentümlich zuzurechnenden geografischen Gebiet, der SKLAVENKARAWANE, wird seinem Identifikationszwang volles-freies Spiel. Auch hier erscheinen heerdenweis’ 182
die Zuchthäusler-Äquivalenten, brikettfarbene Heimatvertriebene & -Geraubte mit den entsprechenden widrigen Schicksalen. Und MAY häuft, gemäß guteralter Hintertreppentechnik, die Qualen mit Meisterhand, und zerreißt dem Leser ‘s Herz wie nur weyland im VERLORENEN SOHN: »Er schlug mit der Peitsche ohne Wahl auf sie ein, daß die Getroffenen vor Schmerz heulten, aber ohne zu wagen, ihre Arbeit dabei auch nur für einen Augenblick einzustellen. Dann kam er zu den beiden Belandanegern. Er sah ihnen eine Weile zu, hob dann ein Seil auf, um die Arbeit zu prüfen, warf es wieder hin, und versetzte jedem einige Hiebe, von denen die Haut an den getroffenen Stellen sofort aufsprang«, (145). Aber der Rächer ist nahe; der »Vater der 500« sorgt dafür, daß die Schurken auch immer wieder, schier synchron & noch derber, durchgewalkt werden, (S. 129 u. ö.).
Vor allem versteht sich auch Heros KBN ausgezeichnet auf die Verordnung von Prügeln: »Ich... wendete mich an Halef: / ›Wieviel Hiebe hast Du ihm versprochen?‹ / ›5 für jeden Toten; das sind also 55‹, antwortete der Hadschi. / ›Er soll sie bekommen, sofort bekommen. Und nach ihm erhält jeder seiner Leute 30; aber derb; die Sohlen müssen platzen!‹« (SILBERLÖWE II, 409; eine andere, breit ausgesponnene Scene dieser Art findet sich SKIPETAREN, 498 ff.) Ja, mehr noch, KBN selbst führt eine gute Peitsche: »Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, so sauste meine, aus Rhinoceroshaut gefertigte Kamelpeitsche durch die Luft und strich ihm lautschallend über das Gesicht, daß ihm das Blut aus Nase, Mund & Wangen spritzte« (ORANGEN, 106) — dies ›Hautaufplatzen‹ scheint eine lustvollfixe Idee bei MAY gewesen zu sein, denn ohne das geht es einfach nicht: »Er unterbrach seine Rede mit einem überlauten Schrei, denn ich hatte, nun endlich doch einmal in Hitze geraten, dem kleinen Hadschi die Peitsche aus dem Gürtel gerissen, und zog dem unverschämten Menschen einen solchen Hieb über das Gesicht, daß es sofort aufsprang und das Blut ihm an beiden Seiten herunterlief«, (SILBERLÖWE II, 409). 183
Halten wir fest, daß bei solchem ›EIN GEFANGENER WIRD GEPEITSCHT & DIE HAUT PLATZT AUF‹ 1 weitere von MAY’s handlungsbildenden Formeln vorliegt; — daß man sich, man mag wollen oder nicht, an das FREUD’-sche ›Ein Kind wird geschlagen‹ der Neurotikerinnen erinnert, dafür hat ›Ernst von der Linden‹ selbst gesorgt, ich verweise nur auf das Paradebeispiel der großen Kinderfolter aus dem VERLORENEN SOHN II, 147 ff. Es wird schon ›etwas zu bedeuten‹ haben, dieses ganze permanente Ruten-Gestreiche; nämlich dasselbe, was schon sämtliche vorangegangenen (und noch folgenden) § auch aussagen: ein erotisches Surrogat wird beschrieben, und die Peitsche selbst ist wieder nur 1 S-Instrumentlein mehr —: »›o, da fällt mir ein: ich habe sie mit!‹ / ›Sie? Wen oder Was?‹ / ›Die ich bei unsern früheren Reisen stets am Gürtel hängen hatte. Ich will sie Dir zeigen.‹ / Ich wußte gar wohl, was er meinte, nämlich die Peitsche aus Nilpferdhaut, mit welcher er stets so schnell bei der Hand gewesen war, zuweilen zu meiner FREUDe, oft aber auch zu unserm Nachteile. Er wikkelte seinen zusammengerollten Haik auf, zog die Peitsche heraus, schwang sie durch die Luft und fuhr fort: / ›Ja, das ist sie!‹«, (SILBERLÖWE I, 389). Alles ist bereit; the stage is set; die Schläge können fallen, geisterschmiedig-rittmisch &: knüppel-dick: wir aber wenden uns von den drohenden heftigen Belustigungen ab, »und unsrem weiteren hohen Ziele zu«, (A & D II, 651).
§23 »Ach, wie erschrak der Jüngling da, als er das Tier von hinten sah!« (WILHELM BUSCH, Schnurrdiburr oder die Bienen) Die schönflaumigen Gehege hätten wir also erblickt; sie, durchflutet von wundersamen Tönen und Räuchlein aller Art, wim184
melnd von Hippo-Chondrien & Herren ohne Oberleib — ein unerschöpfliches Revier für den literaturpsychologischen Detektiv. Was im Wilden Westen an Staffage noch nachzutragen bleibt, ist verhältnismäßig wenig. Da wären einmal die Boden-Schätzchen zu visitieren, zumal die aufgeregteren Landesprodukte; als da sind Gold & Silber, Petroleum, auch ›öl‹ genannt, Quecksilber, gut gegen ›die Franzosen‹, Rinden & Pelze. / Die Gleichung Gold-Kot ist bereits erschienen, die näheren Umstände wurden beschrieben; ich verweise der Einfachheit halber auf die eine der ganz großen S-Revüen, den Band WEIHNACHT, mitsamt seinem »finding-hole« (544 ff.; man kann sich den Umweg über die Übersetzung ›Loch‹ sparen, indem man sich, es hat Beweiswert in solchen Fällen, einfach an den Klang hält: es ist ›hohl‹ und ein ›fein Ding‹): »›Uff!‹ rief W überrascht aus... ›Wenn ich recht vermute, so kenne ich das Finding-hole dieser Bleichgesichter; es gehört nicht ihnen, sondern mir. Mein Vater hat es mir gezeigt, als ich fast noch ein Knabe war und von ihm zum erstenmale mit nach den Brüchen des heiligen Pfeifenthones genommen wurde.‹« Er hat das Geheimnis »von einem dankbaren ((nicht Leser, sondern)) Krieger erfahren. ›Mein Vater hat es mir gezeigt‹«, das Hohl, »›als ich ein Knabe war‹« jaja; (die ›Brüche des heiligen Pfeifenthones‹ könnten schlicht ›Das Klo‹ bedeuten; nach dem (SUREHAND III, 66) auch Apanatschka ›waffenlos‹ unterwegs war, und den Feinden, die ihm was wollten, Wampum (›Wampe‹) & Kalumet hin zeigte — es thut mir herzlich leid, daß ich auch dieser Metafer den Gnadenstoß versetzen muß). Man muß, um es zu erreichen, selbstredend in die ewig-beliebte Felsspalte hineinreiten, aus der das Wässerlein tritt; dann ›erweitert‹ sich’s zu dem dito bekannten ›Felsenkessel‹, und mehr Spalten & ›Possen‹ (norwegisch), »über ein tiefes Loch in seinem Bette«. Das Rinnsal kann beiseite geleitet, an- & abgestellt werden — ein uraltes Indianer-Geheimnis — dann ist das Loch ganz leicht zugänglich, und »tief & weit« (573 ff.). ‘n bißchen viel »Schlamm« ist ja zwar drin, aber »das Goldfieber hatte sie 185
ergriffen«, es »wirkte heut grad so wie gestern«; man arbeitet dementsprechend fleißig; und erblickt schließlich, es lohnt sich immer, den ›bottom‹ des Baches, »3 Meter lang mit Gold bedeckt, welches uns verlockend entgegenglänzte.« (Unter diesem Blickwinkel könnten die Nougat-Nuggets etwas Unästhetisches sein... aber lassen wir den ›Deadly Dust‹ lieber). Das ›Quecksilber‹ hat MAY mehrfach — auf dem Umweg über die volkstümliche
Schaudervorstellung von ›Bergwerken‹ und ›Kuren‹ — zu einer weiteren Möglichkeit der Abbildung des Zuchthausdaseins hingeleitet. Die beiden Hauptbeispiele sind hier das schon erwähnte ›Todesthal‹ der DEUTSCHEN HELDEN, sowie das erste Drittel des SATAN. Mehrere Klo-Pos birgt der SILBERSEE. Zu untersuchen bleiben hauptsächlich noch — diskret zum Ziel geführt über die Assoziationssteglein ›Pelz‹Jäger und ›Rauch‹-Werk — die ›Großwildjagden‹. MAY kennt da, von dem kleineren Kroppzeug abgesehen, (obwohl ›Panther‹ und ›Krokodile‹, und sei es nur vom Geruch her, nicht zu verachten sind), hauptsächlich zweierlei, das er unermüdlich erlegt: den gelben Herrn Löwen, und den Grauen Bären. (Daß es bei Beiden irgendwie ›stinkt‹, dürfte der resignierte MAY-Freund Fritz inzwischen nicht nur wissen, sondern sogar ahnen; hat doch der Meister-selbst in keinem Fall den »durchdringenden Geruch« zu erwähnen verabsäumt.) Weitere gemeinsame Kennzeichen bilden, daß beide mit Vorliebe in Höhlen oder Klüften beheimatet sind, und über sehr markante Stimmen verfügen, denn wenn der Eine mit Donnergepolter aufwarten kann, so verfügt der Andere notfalls über ein machtvollübelriechendes Brummen (›Zwischen 2 Bergen brummt 1 Bär‹, heißt ein ZwölfenderKalauer). Wenn der »Herr mit dem dicken Kopfe« (!) brüllt, so ist das »ein Ton, der auf die Hörer ganz den Eindruck machte, als ob er ihnen die Kopfhaut emporziehen wollte«, (SKLAVENKARAWANE, S. 51; ›Orla‹). Und der Kampf mit dem »Vater Ephraim« wird von MAY dahingehend gekennzeichnet, daß 186
er »so rückenmarkangreifend« sei (!., SUREHAND III, 400). Dennoch ist sein Schinken »die größte Delikatesse, so weit die Erde reicht«; mehr als einmal werden Lustörter der schon zum Überdruß abgeschilderten Art dadurch entdeckt, daß man »ein Raccoon bis in die Spalte verfolgt« (W II, 467); und die beiden ›Verkehrten Toasts‹ nennen sich denn ins Gesicht hinein ohne weiteres »Altes Coon«. Auch OS hat »einmal unter einem Grizzlybären gelegen, der ihn im Schlafe überraschte« (W III, 15) und böse zurichtete, bis W ihm zur Rettung erschien; da er sich ja aber eines ›Bärentöters‹ erfreut, und letzten Endes mit jedem ›Großen Tier‹ fertig wird, hat er’s überlebt; (sonst war’s Büchel ja auch zu Ende). ›Grizzly‹ — im TRISTRAM SHANDY steht, unter unzähligen herrlichen Witzen, auch der flämische Scherz von ›Toms Wurst‹, die unwiderstehlich viel ›gristle‹ hatte: das dürfte 1 der hier zuständigen Wortverbindungen ergeben haben, (der ›Abstand‹ beträgt, in einem der kleinen-schlechten Wörterbücher, wie MAY sie prinzipiell verwendete, nur ein paar Zeilen). Daß der Bär, am Boden liegend, die Pranken an sich zieht, »als ob er jemanden umarmen & erdrücken wolle« (SUREHAND III, 400), paßt ebenfalls; und daß 1 der 3 ›Nigger Bob‹ bei Annäherung des »tiefen, heiseren, heimtückischen, dämonischen Brummens« (W III, 186 f.) im Wald sofort auf eine »Blutbuche« retiriert, stellt eine zusätzliche Verbindung zum ›höchsten der Gefühle‹ her. S. 202 ff. steckt dieser Bob dann in einer hohlen »Steineiche«; und OS vernimmt aus solchem ›hole‹ einen »ganz eigentümlichen Laut«, »ein Geräusch, ähnlich demjenigen, welches ein im Zimmer Sitzender vernimmt, wenn ein Schornsteinfeger in der nebenan emporführenden Esse arbeitet, und gleich darauf bewegten sich die Haselruten... / Es war möglich, sich im Innern des hohlen Baumes emporzuarbeiten... ich versuchte es... und es gelang. Oben bei dem Loche angekommen, welches Bob Fenster nannte, konnte ich wirklich einen Blick hinüber nach der jenseitigen Thalwand werfen; es war so ziemlich ein Blick aus der Vogelschau. Und wahrhaftig, am Stamme der Blutbuche, auf welche 187
sich Bob vor dem Bären gerettet hatte, sah ich die Gestalt eines Indianers hocken. Man hatte die Gefangenen weggeführt und eine heimliche Besatzung im Thaïe zurückgelassen.« — aber des Zitierens wäre ja weder Anfang noch Ende, alles ist wieder beisammen, (sogar ›Amor als Besenbinder‹, RÜCKERT). Einem glücklichen Besitzer des betreffenden, selten-frühen Jahrgangs des ›Guten Kameraden‹, sei an Atta-Trolligem die S. 5 5 5 f. der SKLAVENKARAWANE empfohlen, der Gigantenkampf zwischen Elefant und Nilpferd, beides Dickhäuter. Der riesige Ilfenbulle (GJELLERUP; der Abwechslung halber) hat bezeichnenderweise nur 1 enormen Stoß-Zahn; er rutscht ab und fällt ins Wasser: »Zunächst war nur der kerzengerade emporgestreckte Rüssel zu sehen, der im Nu von seinem Schicksal ereilt wurde...((das Nilpferd)) schoß herbei, öffnete den breiten Rachen, klappte ihn um den Rüssel wieder zu und tauchte unter.« (›Kerze-kerzengrade‹, em Po, ›nu‹, Schicksei, und ein Mäulchen schnappt sich den Rüssel.) »Einige Sekunden lang schlug das Wasser in hohen blutigen Wellen und Kämmen auf, dann erschien der Elefant ohne Rüssel, denn dieser war ihm abgebissen worden. Er stieß vor Wut & Schmerz Töne aus, die jeder Beschreibung spotteten, und sah sich nach dem Gegner um. Jetzt erschien dieser an der Oberfläche, nur wenige Ellen entfernt von ihm; der Elefant holte zum gewaltigen Stoß aus und rannte dem Nilpferd den Zahn, so lang dieser war, in den Leib; dann verschwanden Beide abermals. / Im weiteren, doch nur kurzen Verlauf des Kampfes erschien bald der ((!)) Hinterteil des Elefanten, bald die eine Seite des Hippopotamus über dem Wasser. Der Erstere konnte nicht von dem letzteren loskommen, und das Nilpferd strengte alle seine Kräfte an, den Feind unten zu halten und zu ersticken. Die Wogen stiegen zu kleinen Bergen auf, zwischen denen hohe Sprudel emporspritzten, so daß man die einzelnen Bewegungen der Tiere nicht zu unterscheiden vermochte.« (Ich mag die Parallelisierung nicht voll durchführen, da die ›Radebeuler‹ grundsätzlich schon mit verdachtsvollen Blicken zu betrachten ist.) 188
Ehe ich der Neuen Welt endgültig den verdienten Rücken kehre, (was den Helden vermutlich ungemein lieb wäre), sei mir noch vergönnt, dem theilnehmenden Leser einige theoretische Betrachtungen zu unterbreiten — ich verspreche, daß es sich um kein bloßes ›Auf der Zunge Fantasieren‹ handeln, sondern vielmehr an die Wurzeln aller Wort-Wirkung rühren soll.
VII • IM REGEN §24 »Alle diese Werke sind Spiegel, aus denen uns das Bild nicht nur des Schriftstellers, sondern auch des Menschen KARL MAY entgegenschaut — — ›zum Sprechen ähnlich‹. Man braucht nicht zu suchen, nicht nachzudenken, um es zu finden. Es bietet sich freiwillig, ganz von selbst, gleich bei dem ersten Blick, Es ist da nichts apogryph.« (der DANKBARE LESER, S. 14) Schon jetzt, bei der Zwischenbilanz gegen Ende des ersten occidentalischen Teiles, zeichnet sich im Umriß ein leidlich ähnliches Porträt jenes Wesens ab, das, als es noch durch Radebeuls Villenvorort wandelte, den Namen KARL FRIEDRICH MAY trug, und dessen bunt-scheckige Träumungen noch heute millionenfach unter uns umgehen — eben weil es nicht nur ›seine‹, weil er so wenig Individuum, weil er primitivstes Mund-Stück war: die raffinierteste, auf sorgsamster ›Marktforschung‹ & Berücksichtigung aller möglichen Psychomechanismen beruhende Reklame kann hier noch lernen! — Zunächst einmal ist die unbeugsame Konstitution des Mannes zu bewundern; die erstaunliche, in solchem Ausmaß wahrlich seltene Fähigkeit, sich nicht nur gegen sein eigenes ›Abrutschen‹ (und die entsprechende Reaktion der ›Gesellschaft‹), sondern auch gegen sich selbst & sein chronisches Schuldgefühl durchzusetzen. Hing doch für ihn das bloße ›Überleben‹ von dem Ausgang eines ununterbrochen-merkwürdigen Zweifrontenkrieges seines armen ›ICH‹ ab a) gegen eine glücklichstenfalls neutrale, meist feindliche, 190
Außenwelt, in der es für ihn, den schwer Gehandicapten & Vorbelasteten ›Geld verdienen‹ hieß, (als modernallumfassenden Ausdruck des ›Kampfes ums Dasein‹); und b) gegen sein eigenes, immerfort hochgefährlich veranlagtes Inneres, bedrohlicher, ja ›verbotener‹ Triebe übervoll. Da war es kein kleines DauerMeisterstück, beide gleichzeitig dadurch zu foppen, daß MAY b) in novellistische Bildungen verwandelte, und zwar so erfolgreich, daß a) gern & gut dafür bezahlte. Denn es handelt sich tatsächlich um den anscheinend leidlichsten Ausweg, den ein Instinkt sich in dem beschriebenen, nicht unheroischen & ziemlich aufbrauchenden Doppelkampf bereiten könnte: die beiden Gegner gewissermaßen auf einander zu verweisen. Zwischen den beiden Mühlsteinen gleichsam herauszuschlüpfen; den Mahlprozeß aber nicht etwa zu unterbrechen oder zu ignorieren, sondern ihn vielmehr abzubilden — es ist kein Idealzustand, ist keine Erlösung, aber es ist ›1 Möglichkeit‹. Wäre nun MAY ein bedeutender Geist & Künstler gewesen, dann hätte er solches Verfahren bewußt eingeschlagen; den Vorgang selbst noch ironisch kommentiert, vermittelst witziger Poly-Glossen veralbert, absichtlich der Welt ›den Hintern gezeigt‹, und grimmig-fröhlich daran verdient. (Allerdings beträchtlich weniger.) Nun lagen aber bei ihm die Dinge wesentlich anders, und ausgesprochen neanderthalisch. In der Jugend hatte er bedenklich wenig gelernt, (sein immer wieder vorgeführtes ›Abgangszeugnis‹ von der Lehrerbildungsanstalt zeigt zur Genüge, daß
es sich nicht entfernt um ein Äquivalent auch nur unseres heutigen Abiturs handelte); und auch in späteren Jahren empfand er kaum etwas wie den Lern- & Forschungszwang des geborenen, bedeutenden Autodidakten: zeit seines Lebens hat MAY nichts ernsthaft studiert; nie an einer, meinethalben biografischen Arbeit, im großen Stil die bibliothekarischen Hülfsmittel kennen & brauchen gelernt; nie Urkunden entziffert; nie durch Übersetzungen seinen aktiven und passiven Wortschatz geschmeidig erhalten & erweitert. Ja, man kann 191
fast sagen: nie 1 ernstzunehmendes Buch gelesen; noch seine gehobenste Lektüre lag immer nur im schwappenden Niveau des ›Stehkragenkitsches‹, so FREILIGRATH und ROSEGGER. Was die Wissenschaften angeht, genügte für den kleinen MAY als Kraftquelle der große MEYER (die 5. Auflage nebenbei, 1893-99); wie oft hat er nicht ganze Artikel daraus abgeschrieben, ob ›Haarmenschen‹ ob ›Acanthosicyos horrida‹ (samt der bunten Tafel ›Wüstenpflanzen‹; beides in A & D benützt) — das wäre auch noch so eine wichtige (und ergo, wer hätte es anders erwartet, bis jetzt noch gänzlich fehlende) Arbeit: anhand seiner, erfreulicherweise noch erhaltenen Bibliothek, eine exakte ›Quellenscheidung‹ vorzunehmen. Daß er sich mit platterdings nichts so gründlich beschäftigt, bzw. gedanklich auseinandergesetzt hat, wie es einem gebildeten Erwachsenen geziemt, läßt sich von jeder beliebigen Seite her beweisen. Da sind einmal seine, selbst im berüchtigten ›Wilhelminischen Zeitalter‹ & dessen Kleinbürgertum in solcher Rundung raren Klischeevorstellungen, zum Teil geradezu gemeingefährlicher Art. ›Juden‹?: sind grundsätzlich schmutzig, verschlagen, geborene Kleinverbrecher, und schwatzen in ruchlos-lächerlichen Inversionen, (aber hippsche Techter!) — zum Ausgleich wird sofort mit dem Wörtlein ›deutsch‹ das bekannte chauvinistische Schindluder getrieben. Und während MAY’s Helden, getreu dem LieblingsRachetraum des Sträflings, (wie auch dem des von zahllosen ›Finanzämtern‹ gezwiebelten Bürgerchens), mit niederen und auch noch den mittleren Behörden umspringen, wie Räuberhauptleute eben pflegen; da benehmen sie sich, wenn ›Regierende Herren‹ mit ins Spiel kommen, sofort mit geradezu widerlicher, schweifwedelnder Unterwürfigkeit, die aber auch typisch-germanisch ist. Das höchste Ideal der MAY’schen He-Rosse ist denn auch unveränderlich die Nobilitierung, erteilt für die tiefste Abgestorbenheit in innen- & außenpolitischen Fragen; und die gesellschaftlichen Gegensätze von ›oben‹ und ›unten‹ werden als derart gegeben, andere Völker als derart lächerlich hingestellt — gefährlichst auf 1 verächtlichkomische 192
Type reduziert: ›Engländer‹ sind lang, dürr, großkariert & ganz millionärrischer Spleen; ›Franzosen‹ geschwätzig wie die Elstern, aber viel dümmer, dazu geil & sadistisch, (man muß das im ULANEN einmal bewußt verfolgen) — so daß man, ohne sich im geringsten zu versündigen, MAY bis zu seinem 60. Lebensjahre das Attest ausstellen darf, immer nur veraltete & sentimental verfälschte Geografica, sowie soziale Scheinprobleme, dafür aber desto ausgiebiger ›vertauschte Kinder‹ und ehrwürdige, durch Gift & Gegengift periodisch verrückt & wieder normal gemachte Erb-Greise vorgeführt zu haben: allererzabderitischsten Kitsch! (Daß er in seinem letzten Lebensjahrzehnt zu einer gewissen annehmbaren literarischen Größe gezwungen wurde — weshalb ich mich hauptsächlich mit ihm beschäftige; ansonsten ist er mir ziemlich z’wider — »hinaufgestoßen«, wie H. WOLLSCHLÄGER es formuliert, sei hier, der Gerechtigkeit halber und zum Appetitmachen auf den Orient,
gleich mit erwähnt.) Aber das wären alles erst noch die Kennzeichen des allzunormalen Volksschriftstellers, wie er seit den ›Milesischen Märchen‹ bis zu den heute die Kiosk-Fenster bevölkernden buntbroschierten Heftchen, das Seelenleben von Fernfahrern & Näherinnen so nett, so leicht-füllend affiziert. Ich möchte betonen, daß ich nichts gegen ›Fernfahrer‹ habe (und gegen Näherinnen schon gleich gar nicht); nur darf deren eigentümliche Literatur sich nicht über ihren Zuständigkeitsbereich hinaus breit oder gar ›geltend‹ machen wollen. Aber was ist es, das seit nun 90 Jahren und 3 Generationen gerade diesen KARL MAY in einem Maß hebt & trägt, wie es selbst in lieben unkritischen Deutschlands Mitten noch nicht dagewesen ist? (Ich gebe gern hinter einer ›Klammer‹ zu, daß jetzt, wo männiglich weiß, daß ich ein exemplarisch Palimpsest zu entziffern mich mühe, meine Frage sich perfide-akademisch anhört — ich habe ja hoffentlich nicht umsonst 100 Seiten lang den auf Landschaft & Helden verschobenen S-Anteil heraus-isoliert. Aber der Mechanismus des Ganzen ist so interessant & schwierig, so allwichtig für ›Bearbeiter‹ und Zu-Bearbeitende, daß 193
ich bitte, meine Frage als ›förderndes Ball-Zuspielen‹ durchgehen zu lassen.) ›Kindlich‹ — das ist der Hauptschlüssel. Denn MAY’s Bilderwelt kommt den Vorstellungen der Kinder zwischen acht und achtundachtzig, (eine fonetische, also mehr denn zureichende Begründung) ›biogenetisch‹ entgegen. Er-selbst blieb in übernatürlich vielen Beziehungen zeitlebens 1 Kind; sei es, daß ihm der erwachsene Intellektuelle unveränderlich rätselhaft, ja peinlich & anti-podisch widerlich erschien; sei es, daß er für seine verhemmten, eingeschüchterten S-Anliegen, genau wie das Kind, einen erlaubten Tummelplatz benötigte. Die Triebbefriedigung wird einerseits unaufschiebbar; staut sich jedoch infolge von äußerlichen Hindernissen oder der moralischen Zensur; und schafft sich Luft durch einen senderhaften Verschlüsselungsprozeß, (›Encoding‹), im vorliegenden Fall in ›Landschaften‹ & ›exotischen Handlungen‹ — der beim gleichgestimmten, superhetisch harrenden ›Empfänger‹, unter Umgehung des Bewußtseins, ankommt (›Decoding‹), und Beiden, Verfasser wie Lesern, in aller Unschuld, nicht nur das Anpirschen auf FREMDEN PFADEN, die Überschreitung einer ganz speziellen GRENZE erlaubt, sondern die lustvolle Betätigung in ›Spannungs‹-Bezirken gestattet, ein heimliches Walten ›out of bounds‹, das bei klarer Erkenntnis schwerlich sanktioniert würde. (Vielleicht aber auch ›gerade!‹; ich komme noch darauf zu sprechen.) Das ganze kleine Geheimnis besteht darin, daß beim Schreibenden wie beim Lesenden ein- & dieselbe, unklar-dominierende S-Vorstellung gleichzeitig in 2 Bereichen vorhanden ist: im & am Körper als Leibreiz (im UBW folglich als Trieb & Drang); die offene Darlegung der eigentlichen Verhältnisse aber ist dem böse gemachten Gewissen des Kindes (von 8-88, wie gesagt) unmöglich, und wird von diesem erst nach einer beschönigenden Verkleidung (›Sublimierung‹) genehmigt, worauf denn eben im BW scheinbar harmlose Bilderfolgen auftreten: ›Landschaften‹ mit naiv lauschigen Winkelchen, oder auch heroisch-borstigen Schluchten, in denen sich ohne 194
Unterbrechung Schäferszenen oder auch Überphälle, immer aber aufgeregte ›Nahkämpfe‹ abspielen, deren Schilderung grundsätzlich-ungewollt unter Verwendung entfernt anklingelnden S-Wort-Materials erfolgt. (Woraus sich, im Vorbeigehen sei es angemerkt, wieder einmal mehr ergibt, was für ein kurioses Dinglein das gerühmte, sogenannte ›Gewissen‹ bei den meisten Menschen ist.)
Die Verständigung mit dem primitiven, ewig ›unvorbereiteten‹ Leser erfolgt demnach unter Düpierung von dessen sowieso wenig entwickeltem BW, und der sogleich einsetzenden, lieb-narkotisierenden Beihilfe heimlicher S-Zufriedenheit. MAY’s konventionell geronnene Symbole sind genau die gleichen, wie Traum & Märchen & Urvölkerfabel sie längst kennen; imgrunde also betrüblich einfallslose, heraldisch erstarrte S-›Zinken‹ — (nach Vico war ›Heraldik die Sprache des Heroenzeitalters‹: wie hätte der sich da über unsre Reklameschilder gefreut! Und wir könnten uns eigentlich schmeicheln, mitten in einer wohlgelungenen Heldenära zu leben, achja.) — und sind folglich auch ebenso ›angekommen‹. Es wäre sehr möglich, daß die uns Heutigen gemäßeste, billigste & instruktivste Art, das Funktionieren all dieser komischen ›Bildersprachen‹ zu untersuchen, die Analyse der ›großen Kolportageschriftsteller‹ wäre. Dergestalt konnte auch MAY aufs vergnüglichste von dem schwatzen, was ihm das Innerste bewegte; dergestalt konnte (& kann), noch um 1 Grad jungfräulicher, das keuscheste Lesergemüt (bzw. gerade ein solches!) sich unaufhörlich ›damit‹ beschäftigen, und Beide konnten (können) vollkommen zufrieden mit sich sein. — Dabei muß man sich über das lautlose Trommelfeuer, den Zwang, der in einem fort von dem, den nichtsahnenden Leser hoffnungslos einkreisenden Symbolmaterial ausgeht, einmal richtig klar werden! Muß die ›UnterSchwelligkeit‹ etwa eines »Bärenthales« (ein Bären-Genital!, SUREHAND III, S. 374 ff.) bewußt ins Auge fassen, und das schwüle Gefistel von der »abgelegenen« und gleichzeitig »so verrufenen Gegend« mit abhören: Wie da zwischen den Bären »zur Paarungszeit furchtbare 195
Kämpfe« vor sich gehen — »Ja, wir hatten leider keine Zeit, und dennoch war es uns vorbehalten, eine längere Dauer, als wir jetzt ahnten, in dem verrufenen Thal auszuhalten.« Man reitet natürlich dorthin; »W leitete uns nach einer der Klüfte, welche durch ein rauschendes Gebirgswasser gerissen worden war«. Schon treten die üblichen Solitärbäume auf, in ›imponierender Herrlichkeit« (›im‹, ›Po‹, ›Niere‹, ›Herr‹: ›herrlich‹!): »die risiegen ((sic!: ›to rise‹!)) Koniferen standen einzeln... ihr Streben ging nur in die Höhe, nicht nach Vereinigung ... wir staunten oft über die außerordentliche Höhe«. Eine neue »Seitenschlucht, welche, wie W wußte, jenseits mit verhältnismäßiger Bequemlichkeit zur Höhe führte. Sie hatte einen, allerdings kleinen, schmalen Spring«, und ein Bär »wird sein Lager wahrscheinlich da links drin in den Felsen haben... Ich fühlte große Lust, diesem Ephraim einen Besuch abzustatten, und sah W fragend an. Er schüttelte den Kopf«. Dann erscheint im großen »Park von San Luis« (›Heiliger Louis‹) ein eingelagerter kleinerer, »fast genau von Süd nach Nord gerichtet«, man kennt das nun; und feindliche »Rote«, vom »Capote-Stamme« werden sichtbar (nicht nur ›Po‹, sondern französisch ›capotte‹), denen es nachzusteigen gilt, was OS & W als die darin Geübtesten denn auch gern übernehmen; »dennoch mußten wir gut aufpassen, denn es gab hervorragende Wurzeln und maskierte Löcher genug, welche uns zu Fall bringen konnten.« Der Hauptanschlich aber erfolgt erst später, im Stockfinstern, wo man (384) gleich den nimmerfehlenden »Rauch« erschnuppert: »wir drangen links in den Wald ein, um von hinten an die Roten zu kommen, was uns ganz vortrefflich gelang. Es gab da hohe, kräftige Farnpflanzen, durch die wir uns bis fast ganz an sie heranschieben konnten. Freilich gehörte große Geschicklichkeit und viel Zeit dazu, dies zu thun, denn die geringste Berührung an den unteren Theilen der Wedel hatte oben eine sehr auffällige Bewegung derselben zur Folge. Wir vereinfachten das, indem der Apatsche vorankroch und ich ihm folgte und wir uns erst dann trennten, als wir möglichst weit gekommen waren. Auf diese
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Weise hatten wir uns nicht 2 Wege, sondern nur 1 zu bahnen und ersparten die Hälfte der Arbeit, welche auf unserm Rückzuge vorzunehmen war.« Man beachte den pausenlos L I überlappenden S-Paradiddle von L II; ein guter Beleg für eine UBW durchgeführte, mit dem UBW arbeitende, Beeinflussung. OS & das Heldentrüppchen der Seinen beschließen die Situation fest in die Edelmenschenhände zu nehmen, und sich (394 ff.) zutiefst ins Bärenthal zurückzuziehen: »es ist dies bei der jetzigen Finsternis freilich eine böse Sache, aber wir kennen die Schlucht noch von heut... ich meinerseits fürchte mich nicht«, und auch »W läßt sich dadurch nicht abhalten. ... Dann stiegen wir auf und ritten quer über den Park hinüber und auf die Mündung der Schlucht zu, aus welcher wir heute gekommen waren. Wir ritten in Indianerreihe. ... W ging jetzt voran, und ich machte den Zweiten; die anderen folgten hinter uns. Des Bären wegen hielten wir die Gewehre schußfertig in den Händen. Oben auf der Höhe des Parkes war es der aufgegangenen Sterne wegen etwas heller als vorher; in der tief einschneidenden Schlucht aber herrschte eine Finsternis, daß ich W’s Pferd kaum sah, obgleich ich so nahe hinter demselben ging, daß ich seinen Schwanz fassen konnte ... zuweilen den Spring zu passieren hatten; sein Plätschern konnte uns stellenweise sogar als Führer dienen. Endlich, nach ziemlich langer Zeit, blieb W vorn halten und sagte: ›Hier steht zu meiner linken Hand der dürre Harzbaum. Meine Brüder mögen die Äste befühlen —‹«; — vernimmt man das angenehm schlitternde ›Rollen‹?, (‘s ist nun einmal ›Rollzeit‹ der Bären!): bei der Finsternis: eine böse Sache: abhalten: ritten auf die Mündung zu: in ‘anerreihe (›Gänsem’arsch‹): hinter W: die Gewehre (Phallen!) schußfertig in den Händen: in der tief einschneidenden Schlucht: so nahe hinter demselben, daß ich seinen (ja, Wessen?) Schwanz fassen konnte: hier steht zu meiner Linken der dürre: meine Brüder mögen die Äste befühlen!: »Es war eine außerordentlich phantastische Szene« muß MAY (396) selbst zugeben. Dann legt man zu Zweit noch einen »sohlengängerischen Adonis« von 197
»männlicher Schönheit und herrlichem Profil« um: »W senkte seinen ((Blick)) mit jenem unbeschreiblichen Ausdrucke, der mir unvergeßlich ist, in meinen (sic!) Augen und fragte mich: ›Hat mein Bruder Shatterhand noch das alte Vertrauen zu mir?‹«. Beide stechen genau in dasselbe Loch, und »rutschen nicht ab«; ja, OS würgt ihm das Messer mit einer Gewalt ‘rein, daß der Bär umfällt »wie von einem unsichtbaren Eisenhammer getroffen... Der Kerl verbreitete einen Geruch!« Und dabei erfolgt die Aufnahme des S-Materials ja nicht nur über die Metafernsurrogate, sondern, vermutlich nicht minder wirksam, durch das ›Anspielen‹ oder gar ›Aufschnüren‹ der Wort-Kolli.
§25 »Er ist ein alter Mann, und plaudert nicht über seine Ideale.« (der DANKBARE LESER, S. 66) Es gibt z oder 3 Arten von ›Nachlässigkeit‹, die gut sein können — literarisch mein’ ich, also JENSEITS — aber MAY-seine ist eine vierte böse Sorte, und ihre schwache Kraft einigermaßen unheimlich. Wenn sich sehr große Könner, wie etwa CARROLL oder JOYCE, der betreffenden Technik bemächtigen, und sie bewußt & geistreich handhaben, dann bleibt sie nicht nur harmlos, sondern wird zur Quelle prächtigster intellektueller Genüsse für 5 — 10 Generationen. Wenn skrupellose Zechenbarone oder Politiker sie in den Griff bekommen, droht allen emotioneil Orientierten, deren Verstand gleichzeitig rudimentär blieb — (also schätzungsweise 95 % der Menschheit) — Gefahr. Im vorliegenden Falle MAY empfehle ich, ein Urteil noch bis zum Ende der Durchmusterung, wenn dann das ganze Material vorliegen wird, zu suspendieren. Es handelt sich, kurz gesagt, um Folgendes: die Binsenwahrheit, daß viele unsrer Impressionen ›unterhalb der Schwelle‹ 198
bleiben, und uns dennoch beeinflussen. Ich kann in eine Badewanne voller Wasser 1 Tropfen Eisen-Gallus-Tinte fallen lassen, umrühren, und kein Mensch wird etwas davon merken — trotzdem ist er drinnen, und sehr empfindlichen chemischen Indikatoren möchte es vielleicht gelingen, ihn nachzuweisen. Ich habe früher einmal die — inzwischen ja allgemein bekannt gewordene — US-Amerikanische Studie über Massenbeeinflussung durch Fernsehsendungen in die Finger bekommen, in der eine Methode beschrieben war, auf dem scheinbar neutralen, grau-flirrenden Grund hinter dem Sprecher, wiederholt ein- & dasselbe suggestive Wort erscheinen zu lassen; und zwar jeweils 3/1000 Sekunden lang: das wird dann nicht mehr bewußt aufgenommen, wirkt in seiner rhythmisch-hämmernden Repetition jedoch ausgesprochen ›unterschwellig‹; so daß, nach erfolgter optischer Berieselung, die Frau dann auf dem nächtlichen Heimweg auf einmal den Mann beim Arm nimmt, und sagt: »Du, erinner’ mich dran, daß ich mir zur ›Kleinen Wäsche‹ morgen unbedingt noch ‘ne Packung PIPORAKEMES kauf: das ist ja so gut!«; (ich erfinde das Wort in der Schnelle; oder steht’s doch schon beim ›Kero‹?). Mag das nun meinethalben noch unschädlich sein — aber man stelle sich das Verfahren auf, sagen wir, einen ›Wahlkampf‹ angewendet vor! (Obschon ganz orthodoxe Leser mir womöglich sogar hier einwerfen werden, wie das völlig korrekt wäre: sei die CDU doch nun einmal notorisch der Weg & die Wahrheit & das Leben! — Aber, wie der Herr v. Briest sehr richtig sagt, ›Das ist ein weites Feld, Louise‹.) Ein guter & witziger Schriftsteller nun, kann sich eines genau parallelen Verfahrens bedienen, um dem intelligenten Leser die sinnreichsten & hübschesten Doppel- oder gar Mehrfach-Bedeutungen einzublasen. Wie nett & selbstkritisch ist es nicht, wenn JOYCE, der nicht nur soff, (wie so viele Myriaden Mittel-Europäer auch, die aber keinen ODYSSEUS schreiben), sondern der wahrlich ›ingenious‹ war, diesem Wort 1 ganz lüttes orthografisches Schwänzchen dreht, und es »inn-genius« schreibt, ein ingeniösester Hafis! (Für ›intim‹ dürfte man also,
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wenn sich’s um Stammtischbrüderlichkeiten handelt, gut & gern ›inn-team‹ setzen.) Oder wenn der erstaunliche CARROLL die ›Mock-Turtle‹ bei ihren ›Unterwasserlektionen‹ auch »reeling and writhing« (= reading & writing) klagend mitherzählen läßt. Viele Kalauer & alle Wortspiele beruhen darauf, daß der Fonetismus einer Silbe automatisch die ›Nebenbilder‹ aller ähnlich klingenden hervorruft, man mag das nun wollen oder nicht; (und durch Benützung von mehreren Sprachen nimmt die Möglichkeit ›echter‹ — das heißt ›sinnvoll-legitimer‹ — Kombin- & Permutationen mächtig zu: wenn ich Frau Siegfrieds Vornamen schalkisch als ›cream-hilled‹ schreibe, dann deckt sich das ja nicht nur fonetisch trefflich, sondern malt gleichzeitig eine der Hauptattraktionen jedweder Miß Germania!). Es ist hier also nicht das grobe Mittel gemeint, dessen sich in größtem Maßstab etwa ›die Zote‹ bedient — ein pastorales Wort; item laßt ›Uns‹, sowohl präziser als menschlich verständnisvoller, sagen: ›Witze mit derbem S-Einschlag‹ — d. h. die grob-geile Zweideutigkeit von Ausdrücken wie ›stehen‹, ›Ritze‹, ›Loch‹-all-›gemein‹; sondern jene merkwürdige, nun auch schon seit 100 Jahren ab & zu BW-erkannte, in die Forschung einbezogene und in die Praxis der literarischen Ausübung übernommene Erscheinung, daß nicht nur der (feinere) Witz, sondern vor allem auch der ›Traum‹, das mit ihm nicht identische wohl aber verwandte LG, ja unser normales Schreiben, Sprechen, Denken selbst, weitgehend von der ›Lagerung der Worte im Gehirn‹ dirigiert wird. Schon MAURY hat Träume mitgeteilt, die von solchen bloßen Akusmata wie gelenkt erschienen: er unternahm einmal eine ›pelerinage‹ nach irgendeinem verschwommenen Wallfahrtsort, traf dort 1 Bekannten namens der ihm während der Unterhaltung eine ›pelle‹ (Schaufel) in die Hand drückte.....›Pelletier‹, anders formuliert: aus irgendeinem Anlaß war bei ihm der mit ›Päl‹ etikettierte Wortballen ›aufgeschnürt‹ worden; und der Traum gab sich nun die redlichste Mühe, in all die kauf200
hausbunte, brockhaushaft-unlogische Nicht-Reihenfolge etwas wie ›Menschenverstand‹, etwas wie einen ›roten Faden‹, eine ›annehmbare Geschichte‹ zu bringen; und die ›Aussortierung‹ des Kolli von Wort-Hundertlingen muß mit unglaublicher Schnelle & Possenhaftigkeit erfolgen. JOYCE’s bedeutend-sibyllinisches Buch von ›Finnegans Wake‹ lebt & zehrt in größtem (allzu großem) Ausmaß vom bewußten Gebrauch dieser Methode — ›allzugroß‹ deswegen, weil die Gefahr ›subjektiver Verdunkelung‹, die ›Unsicherheitsrelation‹ das Nachvollziehen verhindert, (CARROLL war ›klüger‹; JOYCE ›genialer‹); (auch ich habe in meinem ›Kaff auch Mare Crisium‹ reichlichen Gebrauch von der Möglichkeit gemacht, die Gewinnung der beim Leser gewünschten Assoziationen durch fonetische Schreibung zu erleichtern, zu beschleunigen, ja, sie zuweilen überhaupt erst zu ermöglichen — auch ich bin damit ›zu weit gegangen‹; (›zu weit‹ nicht, was die Technik & die darin schlummernden Möglichkeiten (& auch meine Fähigkeiten) anbelangt; wohl aber, was allemeine Zeitgenossen, und deren Fassungskraft anbetrifft). Aus zahllosen Exempeln dieser Art — wird doch so mancher Leser in der Lage sein, selbst einige beizutragen — ergibt sich mit Evidenz, daß im ›Wortzentrum‹ des Gehirns die Bilder & ihre Namen (& auch das daranhängende Begriffsmaterial der ›Reinen Vernunft‹) viel weniger nach sachlichen, sondern ballen- oder kolliweise nach fonetischen Kriterien gelagert sind. Und weiterhin muß dieses ›Ablegen in der Registratur‹ (›einst war ich 1 Kaufmann‹) sogar
so vor sich gehen, daß zur ökonomischeren Verstauung (›reichster Inhalt bei geringster Raumbeanspruchung‹) zuvor noch von irgendeiner UBW-Instanz eine lautliche Reduzierung-Kondensierung-Dehydrierung vorgenommen wird. Da ist nun, unter anderem, die Folgerung ziemlich unabweisbar: daß die Entscheidung zur ›Lagerung beieinander‹ anscheinend nur von dem Fonetismus der Konsonantengruppe zu Beginn eines Wortes abhängt; dann von dem ›ungefähren Valeur‹ des Mittel-Diftongs; und endlich dem Konsonantengemisch am Silbenende. (›Belang201
loseres‹, auch die gern überschätzten Konsonanten, werden dabei glatt ›überfahren‹, höchstens ›mitgeschleift‹. — Vorstellung eines solchen Dicktschnärries’, (wobei ja auch gleich wieder, sehr passend, ›dick + närrisch‹ oder auch ›dictum‹ (›dick-thun‹?) & ›schnarrend‹, hervorboppen), in welchem dergleichen vor- & rückläufige Klanggruppen zusammengestellt wären. ›Reimlexika‹ — MAY besaß da den ›Peregrinus Syntax‹ sprich ›Ferdinand Hempel‹ — bilden 1 der hierfür erforderlichen, mehreren Vorarbeiten.) Wie weit die Determinierung unseres Denkens (& ergo Handelns) durch diese, nicht mehr wohlgekleideten, sondern schon ziemlich saloppen Silben-Bummler reicht, würde ›Liberias & ihre Freier‹ vermutlich beträchtlich schockieren. Und das wären dann genau die Typen, die prompt in jede, auch die plumpst gaffende Falle MAY’isch fremdartigen Wohlklangs hineinlatschen, (und womöglich noch feinsinnig dazu lächeln); wären die ewig-Diejenigen, die flammend bestreiten, daß, wenn sie das edle Wort ›Gefäß‹ prononcieren, aus ihren eigenen heimlichen Waldculissen sogleich ein sanfter Echo-Effekt nachhaucht: ›Gesäß‹!. Oder daß, wenn sie coeli-batischen Auges lesen »natürlich wurde im weit ausgedehnten Indianer-Marsch geritten«, der ›Faun-in-ihnen‹ unvermeidlich-schläfrig es nachmurmelt: ›’türlich: weit ausgedehnt: Aner ‘m Arsch: geritten!‹. Und da muß nun eben Jeder wählen: ob er die kindlichkindische, mistisch-matschige Teilnahme an verquollenen S-Kunststoffen preferiert; oder aber die ausgesprochene Intelligenz- & Mut-Probe vorzieht, all diesen WortGespenstern & Fonem-Mahren auf den Fitchers-vogeligen (Unter) leib zu rücken. : »Ich werde ›Nana-Po‹ genannt, das ist wohl Beweis genug!...«, (worauf W ihm »die Rute ins Gesicht wirft«, WEIHNACHT, 534 f.) —: klar; mir ist es ›Beweises genug‹, daß bei MAY der Inhalt des ›Wortballens PO‹ ständig breit umhergestreut lag; (und daß »Nana« nicht nur 1 ›Du-Du!‹-machenden Zeigefinger erhebt, sondern, daß er des wackeren EMILE ZOLA ›Nana‹ sehr wohl gekannt haben wird; (ich 202
sehe eben — ›I do not mind lying, but I hate inaccuracy!‹ —, daß er es besaß; vgl. das Verzeichnis seiner Biblio, S. 281. Dies allerdings auch wieder voll mehrerer Curiosa: man muß sich darauf gefaßt machen, daß THOMAS DE QUINCEY unter ›Thomas‹ geführt wird. Naja; man kann nicht Alles wissen.)) MAY aber ist einer der tollsten Belege für das UBW-durchgeführte Auswerten der Stapelung, der fonetischen Bündelung & Lagerung des Wortmaterials; vielleicht die beste der heutzutage verfolgbaren Möglichkeiten in ein hoch-tabuisiertes S-Niemandsland: »und so flogen wir denn, Beide gleich gut beritten und zunächst eine südliche Route einschlagend, in den frischen Morgen hinein«, (SATAN I, Schlußsatz) — lassen wir den Eisenfresser (1, 66 groß) zunächst noch seine ›südliche Rute‹ nach Herzenslust ›einschlagen‹; (freuen wir uns lieber, daß es nicht, wie in ändern Stellen so oft, eine ›’m Arsch-Rute‹ ist). — *
Es muß sich bei MAY, im Laufe der Jahre, förmlich eine (Homo-) -S-Zentrale gebildet haben, an die von sämtlichen Sinnen her — hauptsächlich-selbstverständlich vom Auge des lesend-Schreibenden; in zweiter Linie vom Ohre — ›anregende‹ Buchstabenkombinationen gemeldet, und die brauchbaren davon sogleich wohlgefällig notiert (d. h. mentaliter) & ins, jeweils in der Fertigung befindliche Buch eingearbeitet wurden. ›Brauchbar‹ heißen, im Sinne der hier beschriebenen schriftstellerischen Technik, solche Zünd-Silben, die gleichzeitig harmlose & fruchtbare Ramifikationen hergeben; sprachliche Neben-Geleise zur Verschiebung jener, dem Über-Ich anstößigen, S-Vorstellungen — daß dabei nun gerade, mit permanenter Bosheit, die gefürchteten ›verbotenen Bedeutungen‹ auftreten, in dezente Vor- und Nach-Silben eingewickelt, versteht sich bei der von MAY erreichten Meisterschaft im Verdrängen von selbst. Seine betrübliche Dauer-Überwältigung von ›Wald & Heim‹ ist bereits kund & zu wissen getan (BAGDAD 640 f. gleich 2 Mal!); eine weitere, besonders leicht verfolgbare (und 203
bereits verfolgte) Faszination durch 1 indogermanisch-verräterische Silbe ergibt sich, wenn man sich einmal den bei ihm ganz erstaunlich — oder auch eben gar nicht mehr erstaunlichen — dick- & rundlichen Wortballen beguckt, auf dem außen das SEtikett ›Po!‹ klebt. Er war halt lange bei der ›Kolportage‹ gewesen, (und ›kol-pos‹ schlummert als ganz leicht wachzuküssende Wort-Pumpelrose auch noch darin; sehr Kaltblütige werden den Zeigefinger zusätzlich schon auf ›Porta‹ legen, und das ›Kol‹-vorn als ›Cul‹, das ›asche‹ (langes ›a‹) hinten nicht minder als ›Po‹ lesen). Und wenn es sich bei den Erzeugnissen aus dieser ›Epoche‹ seines Schaffens auch um ziemlich ›apogryphe‹ Produkte handelte, die sich späterhin, wo es ›EMPOR ZUM LICHT‹ hieß, als recht belastende ›Hypothek‹ des Oeuvre erweisen sollten; so entschuldigt ihn doch nicht nur das ›Tempo‹, in dem er schrieb (schreiben mußte), sondern auch seine Nebentätigkeit als ›Komponist‹. (Ich verwende hier absichtlich, in ›,,,,,‹ gestellt, nur MAY’sche ›Porcografica‹: ›porco‹ erscheint synchron auf dem Augenhintergrunde mit; wie in ›Komponist‹ das ›Kompost‹, (womit man beim ›Mist‹ wäre, wie im ›Mistake-Canon‹: die ›Mistpforten‹ nennt’s HANS SACHS), und das ›nist‹ ruft ja die ›Vögelchen im Nest‹ mit auf.) Besonders anal-beziehungsreich ist die erwähnte ›Hypothek‹, die nicht nur ›Des Schneiders Fluch‹ darstellt (BIO, 115 ff.), sondern, was so Manchen traurig stimmen mag, alle möglichen Unter-Zwerchfelligkeiten hinter sich hergeschleift bringt: ›hypo‹; an dem zwangsläufig das ›Hippo‹-Pferdchen klebt: ›Hoppe-hoppe-Reiter‹: ›Hipp-Hipp-Popo!‹, ›Popotamus‹ und überhaupt ganz ›Mesopotamien‹; (»Sofort erklang der Stimmenchor von neuem, ›Des Schneiders Fluch‹, ›des Schneiders Fluch‹, und als ich trotzdem alle meine Gedanken auf meine Aufgabe konzentrierte, kamen die lautgebrüllten Sätze hinzu: ›Die Hypotheken lauern, die Hypotheken lauern; ihr hört’s verruchte Mauern, ihr hört’s ver204
ruchte Mauern!‹ Das ging den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch, und auch dann noch immer weiter.«; BIO 117: MAY hat das schon ganz hübsch ›vorbewußt‹ geahnt, was da so ›hypo-Po‹ auf ihn lauerte!). / ›Disposition / Nana-Po / Sti-i-Poka‹, (dies letztere eine ganz besondere Art ›Zweikampf‹; der muskelbepackte Gegner hält unmittelbar davor eine »lange Posaunenrede«, WEIHNACHT, 496). ›Pol & Mono-Pol & Leo-pold & Apollo‹ (englisch ›pole‹). ›Empore‹ (das ewige ›empor‹ mal ganz weggelassen); ›Pochen an ein Portal‹, (wobei es besonders lustig ist, daß ein
Diminutiv von ›Po‹, nämlich ein ›Po-chen‹ darin herumlungert; der Fall ist auch fonetisch insofern interessant, als hier der nicht gerade häufige Casus vorliegt, daß das ›ch‹, sowohl palatal als auch velar prononciert, einen gültigen Sinn ergibt; allenfalls noch bei ›Mamachen & machen‹). ›Pomeranzen, Popanz, Vox populi, Piazza del Popolo‹, (das ›lo‹ fordert ja geradezu ein ergänzendes ›ch‹; ›Pulli‹ hat ebenphalls seinen Sinn; und ›Vo‹ führt häufig nicht nur ein ›x‹ nach sich. In den Tagebuch-Notizen der Levantereise, 1900, wimmelt es dann organisch von ›Port Said‹ bis zum ›Bosporus‹). ›Polemisch‹ (›Lehm‹!) sitzt man und ›poculiert‹ (FRIEDE, 195) — ein Wort, in dem der Mutwille des Sprachgeistes die europäische Einigung des deutschen ›po‹ mit dem welschen ›cul‹ längst & plastisch-pleonastisch vorweggenommen hat: das sind ›nicht Worte mehr, wie nenn ichs doch, nur Wortgespenster!‹, (›das klopft mir wohl noch nachts an Herz & Fenster‹... ›wie Rosen roch‹...: worum es sich bei den speziell MAY’schen ›Imponderabilien‹ des ›Blumenduftes‹ handelt, wird das Orient-Buch noch auseinandersetzen.). Wie ärgerlich hat OS nicht mit den ›Capote-Utahs‹ zu schaffen. Und der »impotente Sill« des SILBERLÖWEN leitet dann mit der letzten, das Gebiet orthografischer oder fonetischer Hypothesen endgültig hinter sich lassenden Deutlichkeit ins direkte SGebiet über: »›Was für ein Mann‹ rief Nana-Po ((›Hiller‹ von W)) bewundernd aus. / Da glaubt man nicht an GOtt und hat doch sein herrlichstes Ebenbild vor Augen! So dachte 205
ich, sagte aber nichts. Wir setzten unsern Ritt fort, doch blieben unsere Augen an dem Apatschen haften, bis er ganz draußen am Horizont verschwand. / Wie oft in meinem Leben habe ich jene große Potenz bewundern müssen...«, (WEIHNACHT, 528). (Und man behalte immer im ›Auge‹, daß ›das Kind‹ im Wörterbuch oder Lexikon zunächst einmal nach S-Begriffen nachschlägt; und, auf dem Wege nach dem gesuchten Ausdruck, alle ähnlich beginnenden Worte mit-nimmt — wie es in dem bekannten Spiel immer ›heißer‹ wird, je näher man ›dem Versteck‹ kommt.) Damit ganz unbedarfte literarische Salzknäblein, (und ihre Zahl dürfte gerade im Fall MAY Legion sein), sich nicht unnötig erhitzen (& blamieren), will ich von einem Dutzend anderweitiger Beispiele, die mir im Augenblick einfallen, nur 1 anführen: den großen THEODOR DÄUBLER, der in dem schönumfangreichen Kösel’schen Auswahlband (WEHE!: man hätte, bei sorgfältiger Ausnützung der köstlichen Papierfläche, ihn noch viel schöner & umfangreicher gestalten können!), S. 17 ff., ›WlR WOLLEN NICHT VERWEILEN!‹, Sagt: »Mit dramatischer Raschheit gebar ich meine Sprache... Mit den schillernden Edellichtern ihrer ungebrochenen Selbstlaute, voll von strahlenden Vorbedeutungen, blieb ich allein: es erfüllte mich die glühende Natürlichkeit ihrer Umlaute. Die gespenstischen Mitlaute wurden in meiner Einbildung zu regsamen, hageren, oft komischen Gestalten, die ihre Aufgabe, die ausgelassenen Laute zu besänftigen, zur Ordnung zurückzuführen, in rastloser Geschäftigkeit zustande brachten. Wiegende ›W‹ umwirbelten kichernde ›I‹; wandernde ›W‹ umwallten erhabene ›A‹ — — —steife ›F‹ stützen wollustvolle ›U‹ ((!)). Und um ›U‹ verschlungene ›S‹ schlotterten mit kraftlosen ›L‹ aus der Leere, / ... / Folgendes aber stellte ich fest und fordre ich zu glauben: bevor ich noch wußte, was Buchstaben sind, durchraschelten Rudel von Runen die Kuppel meiner erschallenden Erfahrungen. Verwunderlich runde, runzlige Zeichen. Und grumdverwandtes, verwendbares Raunen träufelte teuflisch herab... ich suchte die guten Gespielen«: 206
›u‹, ›u‹ und nochmals ›u‹!, (ich bitte, den mittleren Absatz, S. 19, die ›Rhapsodie in Ni‹, selbst nachzuvollziehen) — tja; hier müßte nun natürlich 1 eigener § über die Rolle des ›u‹ und Doppel-›u‹ bei MAY folgen; aber ich kann seinen weiten, planetengroßen S-Kontinent eben wirklich nur ganz kurz mit dem Zug durchsurren — die große, wissenschaftliche Scheuern so recht füllende Ernte, bleibe Ändern überlassen; (aber wahrlich: »große Kraft hat Herz und Zunge!/ ... / Alle Ströme gehn bergunter, / jeder Stein, hinaufgeschleudert, / muß, zur Erd’ hinab zur Stunde.«). — Schon in ›Märdistan‹ lag die Schmiede im ›Wald von Kulub‹. Von den ›Ussul‹ (und dus sull ›Ursprung‹ hoißen), wird man im ›Orient‹ noch ausgiebig hören. Am ›Waldloch des ULANEN‹, dem ›tru dü boa‹ wucherte üppig Unterholz, mußte man »Kuckuck!« rufen, und die ›Blutbuche‹ stund daneben. — Selbst die Pferde schreien ›u:u!‹ vor Lust: »Er öffnete das Maul, ließ einen tiefen grunzenden Ton hören, von dem ich wußte, daß er ein Ausdruck der Begeisterung sei«, und bespringt dann die ›Verräterspalte‹ (SCHUT, 500 f.). Auch Assil, der Sohn, »ließ jenen tiefen gutturalen Ton hören, welcher ein Zeichen der Ungeduld war«, (Herrchen soll nämlich schneller reiten; SILBERLÖWE III, 202); und ›Syrr‹, das verkörperte ›Geheimnis‹ endlich, macht konsequenterweise nichts als »u — u — u!«, (SILBERLÖWE IV, 545). — Ganz auffällig ist MAY’s Bevorzugung von Buchtiteln oder Kapitelüberschriften auf ›u‹: STAMBUL / SCHUT / SUREHAND / UNTER BLUTRÄCHERN / IN DER SCHLUCHTHÜTTE / AM TURM DER ALTEN MUTTER / DER RUH 1 KULYAN------TIECK mit seinen ›Zeichen im Walde‹ hätte eine rechte augenzwinkernde Belustigung in U-Dur empfunden. Man wird mir — mag man, und der Fall ist aufs wildeste möglich, noch so sehr im einzelnen dissentieren — doch immerhin zweierlei zugeben. Einmal, daß hier eines der Taschenspielerstückchen des verpönten, aber, wie bekannt, übermächtigen Triebes vorliegen könnte, auch dem zartesten Lesergewissen eine ganze SBilderwelt, (bei näherem Hinschauen sehr 207
armselig verhüllt), nicht nur geduldet zu machen, sondern ihm sogar die eifrigste Beschäftigung damit zu erlauben, ohne sein Bewußtsein irgend bemühen zu müssen; was dann die wunderlichsten, zumal in den Brenn-Spiegelwänden pubertärer Fantasie sich kaleidoskopisch vervielfältigenden Ersatzbildungen frei machen dürfte. Und weiterhin: wie allentscheidend für die Ventilierung dieser Hypothese nunmehr die, von mir seit 1 Jahrzehnt vorgebrachte, Forderung nach den alten gesicherten Texten wird. Nur die, unter MAY’s eigener Direktion hergestellten Texte, von den Vorabdrucken in Zeitschriften an, bis zu den Bänden der ›Freiburger Ausgabe‹, der ›letzter Hand‹ (bis 1912), erlauben die hier notwendige mikroskopische Untersuchung! Die seitdem vorgenommenen ›Bearbeitungen‹ — zum Teil vielleicht in naiv-bester Absicht erfolgt, um dem Alten aufzuhelfen; zum Teil superkluge Verballhornungen unangenehmster & plumpster Art — haben das Bild des Schriftstellers & des Menschen KARL MAY in einer Weise verschwommen gemacht, (bzw. verfälscht; man vergleiche meinen Artikel ›Winnetous Erben‹ in ›Die Andere Zeitung‹, Nr. 28 u. 29, v. 8. u. 15.7.1959), daß Niemand, der irgend verläßliches von ihm wissen, geschweige denn als Filologe oder Literat über ihn arbeiten will, sich der Radebeuler oder Bamberger ›Gesammelten Werke‹ lange zu bedienen wagen wird; weil nämlich dann die Gefahr besteht, daß ihm jeder feuchtöhrige Junge, durch simple Konfrontierung mit den altenechten Texten, die kolossalsten Schnitzer & unzulässige Schlußfolgerungen nachwiese. Das Gestümpere ehrsamer Handwerker, (das in letzter Hinsicht immer wieder darauf hinausläuft: wie sie in ihrer Jugend doch auch so gerne KARL MAY gelesen haben),
in allen nichtswürdigen Ehren; aber derlei bloße Gesellenarbeit reicht hier nicht ganz aus — von den enthusiastischen Kindleins-Briefen der ›Jahrbücher‹ à la ›Wie mir KM über die Schmerzen des Zahnziehens hinweg half‹, bis zu ERNST BLOCK’s ex cathedra-Entscheidung, ›es ist alles so fabelhaft gesund‹, verläuft imgrunde ein- & derselbe, betrüblich horizontale Gedanken-Gang. 208
§26 »Naht mir gar nichts auf den Spitzen, leise wie ein Geisterhauch? —« (TH. DÄUBLER, Das Nordlicht, II, S. 584) Der kaptiosen Frage: ›Worauf die Bindung eines Lesers an seine (n) Lieblingsautor (en) in letzter Instanz denn nun beruhe?‹, weiche ich in dieser allgemeinen Form schlankweg aus. Denn wenn es auch nicht so ist, wie Verleger & Journalisten, die verzweifelt nach ›neuen Talenten‹ und Stöffchen suchenden, uns gern einreden möchten, daß man bei jedem Scheißbestseller nun extra einem ›Geheimnis seines Erfolges‹ nachgehen müßte, wird die Lage doch immerhin die sein, daß ein gutes halbes Dutzend mächtiger literarischer Drogen zu unterscheiden wären; — vom ›Maschinengewehr GOttes‹ an, das dem Käufer 1 Sitzplatz im Himmel verspricht, oder dem neuesten, krampfhaft ›freimütigen‹ ›Ehebuch‹, bis zum natonazionalen Scharfmacher (sie sind mitten unter uns), gibt es da die unfehlbarsten Rezepte, halb Aspirin halb Rizinus, (und ein anständiger Schriftsteller bedient sich ihrer nicht). KARL MAY’s Wirkung jedoch ist so ungeheuerlich groß geworden, hat so sehr den unabweisbaren Anschein einer mit wichtigen Funktionen betrauten großdeutschen Institution angenommen, daß sie eine ausführliche SpezialUntersuchung verdient; (und die Sterilität der bis jetzt vorliegenden ›Monografien‹ oder ›Aussprüche‹ ist so befremdlich, daß sie eben schon wieder 1 Indiz mehr ergibt!). Was also ist es, das all die 100 Millionen deutscher Kinder (daß ich das ›deutsch‹ derart betone, wird Denjenigen, der eingesehen hat, wie die Wirkung zur Hälfte auf unübersetzbaren S-Wortspielen beruht, hoffentlich schon weniger ärgern: das ist nun mal nicht anders!), all die Hekatomben von Myriaden auf pueriler Stufe verharrenden deutschen Erwachsenen, denen es gelingt, sich bis an ihr selig Ende vor sich selbst über sichselbst unwissend zu erhalten — sie selbst nennen’s ›rein‹ (oder sonst irgendein CVJM-Adjektiv) — was ist es, das sie so an ›ihren‹ KARL MAY fesselt? Schon jetzt, auf erst halbem Wege 209
meiner Untersuchung, scheint mir die Antwort die: Es ist die pausenlose Besprühung, Berieselung, Überströmung, Überschwemmung des Lesers mit S-Wirkstoffen! Ich möchte den ebenso elegischen wie hitzigen Verehrern (das ist ihr Kennzeichen) sofort 1 beschwichtigende Hand entgegenrecken: die Entscheidung, ob es sich um eine perfid sanfte Anschürung kindlicher Lüsternheiten handelt, um die gefährliche Spannungssteigerung des ohnehin ununterbrochenen Zustandes jener UBW pubertären Nicht-Abstinenz; oder aber um einen schlechthin genialen Weg, kindliche Sexuallust (auch die post-kindliche der Frigiden oder Frustrierten) in großen Fudern wegzuschaffen, und zwar eben nicht durch die bekannte, bürgerlich & sozial so gefährliche (und womöglich endlos ›folgenreiche‹) Explosion, sondern durch langsame & relativ unauffällige Verzehrung à la ›Sport‹ — diese Entscheidung empfehle ich noch eine Zeitlang zurückzustellen. Denn es ist ja inzwischen immerhin ein ziemlich ›offenes Geheimnis‹ — (schon wieder blendet sich Freund MAY’s ›Reiten bei geöffneten Geheimnissen‹ ein!) — daß die von Pädagogen, Medizinern & Psychologen so verzweifelt betriebene ›Aufklärung des Kindes‹ bis jetzt ziemlich
versagt hat; die Ratlosigkeit bezüglich etwelcher Techniken, vermittelst deren die gewaltige Libido möglichst gewaltlos zu entbinden wäre, ist groß. Denn ich spreche, ich möchte das, trotz aller sich einstellenden Witzchen betonen — (mich, den skeptisch-Fünfzigjährigen, überkommt immer mehr die kleingruselige TACITusÜberzeugung von ›aller Dinge Gaukelspiel‹; von ›Altersweisheit‹ halt’ ich allerdings gar nichts) — von sehr ernsten Dingen. Wenn ich auch einerseits, als ›kinderloser Intellektueller‹, wenig von ›Kindern‹ (8 — 88) verstehe, und mich weder bezüglich einer toxischen noch einer heilsam-sedativen Auswirkung von MAY-Lektüre festlegen möchte; so habe ich doch andererseits ›gelebt‹, und gestehe ganz offen, daß ich nicht mehr (bzw. noch nicht wieder) unfehlbar genug bin, um ›meine Ansicht‹ als für eine auch nur nennenswerte Minderheit meiner Zeit- & Leidensgenossen verbindlich ausgeben zu 210
wollen. Einerseits also ist, wie ich glaube, das Werk des Alten eindeutig als reinrassiges ›Schwülen-Brevier‹ zu lesen; und die Zufuhr von S-Kalorien erscheint, zumal für das wehrlose Kind, bedenklich. Andererseits wäre es, ›von der Theorie her‹, durchaus möglich, daß man MAY, als dem idealen Katalysator kindlicher Lust, (die sonst unberechenbaren Schaden anrichten möchte), Denkmäler setzen sollte. Oder — ich gehe jetzt, immer waagschalenmäßig, weiter — wohl steht, und da gibt’s gar kein Debattieren mehr, fest, daß das so instinktiv-vollkommen servierte SMaterial irgendwie ›aufgenommen‹ wird; wohl dürfte, nicht nur seufzend-verzeihlich sondern vielmehr stirnrunzelnd-natürlich sein, daß der arme, in ›Männerbünde‹ hineingezwungene MAY, masturbatorische Akte schon aus rein hygienischen Gründen hat vornehmen müssen (genau wie seine Leser-Kinder); aber das eine bleibe zunächst noch die Frage: ob die 50000-seitige Deskription eines psychischen Fänomens, dieses Fänomen selbst verändert, wenn nicht gar aufbraucht; oder ob sie gar, umgekehrt, lediglich dazu dient, das gelinde Feuerchen unter’m Genitalkessel, in dem Sekretestes Geselchtes brodelt, unaufhörlich am Knistern zu erhalten? Das Bedürfnis nach ständiger Wiederholung der S-Befriedigung ist nun einmal eine der uns von der Wiege bis zur Bahre dirigierenden Potenzen; und wem Ahriman — oder auch Ormuzd; man kann da so verschiedener Ansicht sein — faustdicke Keimdrüsen mit auf den Lebensweg gab, der tut Unrecht daran, wenn er sich als Säulenheiliger in Thebaischen Wüsten etabliert, (und doppelt Unrecht, wenn er die Weltkinder mit seinen dann dort stattfindenden ›Visionen‹ (meist S - ›Versuchungen‹ pikantester Art) mündlich oder gar noch schriftlich behelligt.) MAY, selbst nachtmahrisch umschwärmt von Organ-Abbildungen, entbindet unerhörte psychische Kraftbeträge in seinen Lesern, und bindet sie sexuell an sich: dadurch, daß er sein Werk UBWhalbvollkommen mit dem stärksten aller Triebe koppelte, wurde es unwiderstehlich für die Primitiven, sein Name unsterblich in den Bezirken der lebenslänglich HalbStarken. »MAY arbeitet an einer Stätte, an welcher noch nie 211
ein Schriftsteller thätig gewesen ist. Seine Erfolge sind nicht äußeren Ursachen zuzuschreiben, sondern der tief verborgenen Idee, welche ihn & alle seine Gestaltungen beseelt, aber für viele bis heute ein Geheimnis geblieben ist« — wie nett der DANKBARE LESER uns das S. 6 selbst andeutet! »Er hat sich ein kleines Ackerland zu eigen gemacht. Wo? In irgend einer der vielen Unendlichkeiten, um welche sich gewöhnliche Menschen nicht zu kümmern pflegen. Es ist ein unbeschreiblich schönes, geistiges Land. Das hat er bebaut — — als Erster & auch Einziger, der das wagte. Nicht etwa ein Klondike, sondern ein Eden!«, (DL, S. 15).
Aber daß man alle seine Sächelchen auch einmal ganz füglich unter dem Titel: ›Vorschläge, stündlich & augenblicklich amouröse Gedanken zu haben‹ herausgeben könnte, dazu hat sich der Meister schon seltener (im Druck nie) geäußert. Ich betone ausdrücklich dieses ›auch‹; denn selbstverständlich ist die ganze vorliegende Untersuchung nur als Modell in sich geschlossen. In Wirklichkeit werden die im Falle MAY möglichen 4 Einstellungen zur Lektüre seiner Bücher nie gesondert auftreten; vielmehr im Geist des Lesenden unerkannt & sehr kompliziert durcheinander wölken. Der während des äußerlich unscheinbar & passabel ehrsam verbrachten Werkeltages inhibierte & aufgestaute Erlebnishunger + unausgenützte Bildkraft, wird sich auf die Exotismen von L I stürzen, und dort abenteuerlich & unrealistisch austoben. Sich einzugestehen, daß ein guter Teil solchen Antriebes auf ungesättigte S-Ansprüche zurückzuführen sei — dazu gehört schon eine, meist nicht vorhandene, Selbsterkenntnis & Ehrlichkeit. Viel leichter entdeck- und nachvollziehbar ist schon das ›mystische Lesemodell‹, L IV; denn bei dem gehobenen (zuweilen ins Pausbackige ausrutschenden) Tonfall und der weitschreitenden (allerdings gar nicht mehr 100 °/oig christlichen) Symbolik der beiden Spätwerke, dürfte wohl jedem Leser irgendwie ›religiös‹ zumute werden. Einigen auch mögen angesichts der monotonen Fesselungen und ›carceri‹, den sich bald abwürgenden bald heftig umbeinenden Freunden & Feinden, der 212
ausgefallenen Verkleidung seiner Buchreihen als ›Pferde‹, ab & an nicht-gedachte Silbenfolgen vorbeiflüchten à la ›Was muß der Mann durchgemacht haben‹; in der von mir vorgeschlagenen Terminologie also, wird dem Betreffenden die Möglichkeit eines autobiografischen L III aufdämmern. (Und letzten Endes werden eben doch wieder alle 4 Lesemodelle behaglich durcheinanderarbeiten.) Um kurz 1 konkretes Beispiel zu geben: MAY’s Werk zehrt, ja ›lebt‹, von der einen, also eigentlich recht kümmerlichen & auf die Dauer niederschlagend einfallslosen ›Spannung‹ zwischen dem ›Weißen Helden‹ und dem ›Schwarzen Schurken‹; selbst die simpelste aller Einsichten mangelte ihm, daß die Menschheit aus einer Mehrzahl von Grauen Typen besteht, gemischt mit 10% Rotbunten. — Und da kann nun der Leser seiner Werke, nach ehrlich vollbrachtem Tagespensum, körperlich angemüdet & abgerahmten Gehirns, sich, die Beine hoch, auf die (angenehm schräg gestellte) Liege kautschen, den dranstn MAY-Band in der Faust, und I.) leichthin murmeln: ›Scheißtiefsinn & Notstand — ick will ma ammüsiern...‹. — Dann trollt er eben über die L I-Prärie; erblickt undeutlich was wie ferne int’ressante Oak-openings (COOPER); der Schleichpfad ist dekorativ gesäumt mit betäubten Feinden: rächtslynx!, (die Gesichter, verwaschen, erinnern an unleidliche Kommis-Kollegen, oder gar Vorgesetzte ›Haupt‹-linge); so sprengt er fürder, durch Haine aus NeonRöhren, die hochbeinige Schäse wird zum Hat-a-Tittla; denn II.) an den goldiggemustert leuchtenden Wänden der abendlichen Eigentumswohnung gleitet ja auch das Bild der Gattin durch die dorthin projizierten Waldheimlichkeiten (auch zweiparfümige Myriardärsliebchen, und Ladenmädchen aus Eida-Hur); und praller ragt die Blutbuche aus Mimifamoosigen Büschen-dazwüschn; dicker hammerdullt der Kumpanie-Klaun, und alle Helden prousten laut, sei die Spalte vor ihnen noch so haarig; 213
und stärker schnuppert der Leser nach dem Singenden Thal & dem Ursprung der Gewürze. — Nüchterner ausgedrückt: er spürt L II. III.) aber kann derselbe Leser am ausgeruhten Sonntag, aufgepulverten Gemüts &
tatenlüsternen Scharfsinns voll, durchaus imstande sein, sich zu sagen: ›Ob nicht dies monotone Fesseln & Entfesseln, all diese Gefängnisse samt dem Ausbrechendaraus, doch nur biografische Confessionen Freund MAY’s sein werden, und der ihn sekkierenden Herren Gensdarmen?‹. (Aus Mangel an BIO-Material wird er nicht viel weiter kommen; immerhin hat er sich damit dem genähert, was ich das ›Lesemodell III‹ nenne.) IV.) Unterbrochen werden seine diesbezüglichen Betrachtungen durch den bekannten Sonntagsklang, ›tiefes Summen & heller Ton‹; und er, der Leser, sagt sich folglich: ›Dies MAY’sche Schwarz contra Weiß ist ja eigentlich 1 Sünn-built dieserunsrer Welt, und wie da das Gute mit dem Bösen freistilringelt; (und letztlich natürlich siegt: Vivat GOtt & Pereat Satan!). — Black and White —‹, hier schenkt der, sich in diesem Fall wahrlich nicht schonende normale Leser, sich zur Belohnung einen weiteren JOHNNY WALKER ein, still going strong; da stimmt es noch mehr. Möglicherweise murmelt er, als vorbildlicher MAY-Fan, lieber noch einmal die 109. Sure, ›El Imtihan‹, die da lautet: Im Namen ALLAHS, des Erbarmers, des Barmherzigen! / Sprich: Oh, Ihr MAY-Leser; ich (Schmidt) verehre nicht das, was Ihr verehret; und Ihr verehret nicht, was ich verehre; und ich werde auch nie verehren das, was Ihr verehret; und Ihr werdet nie verehren das, was ich verehre. Ihr habt Eure Ansicht; und ich habe die meinige. (Es sei denn, er sei arg gelehrt — das gibt es: man kann nur L I wahrnehmen, und trotzdem ›Ordinarius‹ sein! — und schicke ›The Drunkard’s Choke-Pear‹ hin214
terher, also RHYS GOCH’s Gedicht gegen den Fuchs, der ihm seinen Pfauhahn stahl. — Aber er, der Leser, murmelt noch mehr; hören wir weiter hin): ›Ormuzd contra Ahriman: steht das nicht wörtlich so im SILBERLÖWEN? Na also!‹. Und er gerät einwandfrei in den Tiefsinn; fühlt sich dem Weltgeist näher nuja zu Dir; (daß sich ihm auf der eigenen Stirn 1 flüchtig Runzeln einstellt, da er der ›Engel‹ gedenkt, und ihm KAFKA’s ›Amerika‹ erinnert be-zett-weh der Engel auf dem Tempel Moronis (REBECCA FRANKLIN, ›Ein mächtiges Volk in den Felsengebirgen‹), und auf dem ›Buch Mormon‹, Polygamie-Polygamie, prangt er auch außen-drauf, unangenehm diese dicke-lange Trompete von dem Kerl —) — mit anderen Worten: er nachvollzieht ungefähr, gemäß dem vielfachen Satz vom unzureichenden Material, das ›mystische Lesemodell IV‹. — Man braucht mir wirklich nicht zu sagen, daß Überlegungen dieser sezierenden Art aufs sataniskenmäßigste dazu angetan seien, im normal-harmlosen Leser jedweden naiven Literaturgenuß zu untergraben; wogegen ich vorbringen könnte: das tue schließlich jede Kritik; weshalb man am besten dann gar keine läse. Aber das wäre eine flache-feige Ausflucht, von der Art, die ich im allgemeinen vermeide. Nein; ich möchte zu bedenken geben, einmal: ob nicht durch tiefenspychologische Sondierungen, wie dieses SITARA, eine ausgesprochene Anreicherung des sonst literarisch ziemlich uninteressanten Problems MAY erfolgt? Denn in L I betrachtet, ist sein Wortschatz armselig; seine stilistischen Künste sind lachhaft; seine Handlungen immer-dieselbe, maschinenmäßig stotternde ›Platte‹. Wie anziehend & bedeutsam jedoch wird das Alles nicht dem Fachmann, und auch dem Denkenden Leser, durch die fantastische Dahinter-Blendung des L II! Und wieviel gewichtiger könnte all-das noch werden, wäre es möglich, das Leben (= L III) und die Denkweise (= L IV) KARL MAY’s hiermit in Verbindung zu setzen; was heute noch nicht möglich ist, da der KMV, ob in Radebeul ob in Bamberg behaust, das erforderliche 215
Daten- & Dokumentenmaterial bisher noch nicht zugängig gemacht hat. Denn für die immer dringender notwendig werdende Einsicht in die Denkweisen der ›Gehirntiere‹ wichtig wären intensivste biografische Untersuchungen am Musterobjekt MAY selbst. Akademische Erkundigungen à la ›Soll der Autor während der Niederschrift empfinden, soll er kalt bleiben?‹, könnten durch den kleinen Zusatz ›wo?‹ unschwer ins bedeutend-Allgemeine gehoben werden — und gerade unser hier behandelter ›Bischof in partibus‹ könnte bei seiner manischen, ihn notorisch selbst faszinierenden Arbeitsweise durchaus gesteigert empfunden haben. (Die dem ungehaltenen Leser vielleicht viel drängendere Frage: ob sich denn zu all den bisher vorgeführten Verdachtsmomenten nun auch, als populärer ›Stempel der Wahrheit‹, wenigstens 1 offenes ›Geständnis‹ MAY’s beibringen lasse?, bitte ich noch zurückzustellen. Und zwar weniger, weil sie recht unrealistisch ist: Wer, bei den schweren, gesetzlich darauf stehenden Strafen, gestünde dergleichen wohl ›offen‹ ein?!; (das geschähe allenfalls in vertrauten Briefen, an Freunde vom Corps Fekete). Und noch nicht einmal deswegen weise ich sie an dieser Stelle zurück, weil der, möglicherweise im Besitz hier zuständiger Dokumente befindliche KMV, bis zu dieser Stunde nichts, oder doch so gut wie nichts, wissenschaftlich brauchbares vorgelegt hat, und man mich ergo mit einer solchen Frage ungebührlich überforderte. Nein; ich heische lediglich Geduld bis zum Ende dieser Studie; bis man noch genauer wissen wird: ›Wer‹ künftig um ›Was‹ zu fragen sein wird.)
VIII • DIE GROSSE MUTTER §27 »GOttes ist der Orient — GOttes ist der Occident.« (GOETHE, West-östlicher Diwan) »Afrika! — / Sei mir gegrüßt, Du Land der...« — hier stock’ ich schon; ehrlicher: müßte dem Leser dramatisch vor-stocken. Aber da ich Handgaukelei & Zungenschlag der Journalisten nicht verstehe, (und ihre Mentalität schon gleich gar nicht), greife ich in aller Einfältigkeit, und seufzend, den Faden, (richtiger ›Riemen‹), wieder auf, und fahre im Zitat des Meisters fort: »... du Land der Geheimnisse... auf grünender Oase ... / Sei mir gegrüßt, du Land des Sonnenbrandes, des tropischen Pulses und des physischen Gigantentumes! Ich habe im eisigen Norden deine Wärme gefühlt, dem wunderbaren Klange deiner Märchen gelauscht... Mein Fuß war gefesselt, aber meine Seele eilte zu dir. Da donnerte die Büchse des Boeren.... schwarze Gestalten wanden sich in athletischen Ringen; Ketten rasselten, Sklaven heulten... die Söhne der Wüste wandten ihre Augen gen Aufgang... trinke den süßen Hauch deiner Düfte. Deine Zungen sind mir nicht fremd.« Dann spaziert mein Blick noch resigniert hinauf, dorthin wo auf S. 607 der Nr. 3 8 des V. Jahrgangs des ›Deutschen Hausschatzes‹ (und es mag also Ende Juni 1879 gewesen sein) der Titel des kostbaren Erstdrucks prangt: ›UNTER WÜRGERN‹ ; bereits dadurch sind ja wieder, schier lästig vor lauter Wahrnehmbarkeit, die mit ›unter‹ und ›würgen‹ gut verkoppelbaren aggressiven S-Vorstellungen angetippt — das mit dem semper aliquid novi ex Africa stimmt eben nur so-so. 217
Auch der Orient weist also den gleichen Passepartout-Helden KBN auf, der, durch viele, (nicht ›unzählige‹, vielmehr hoffentlich bald einmal zu zählende) Querverbindungen absolut gesichert, identisch mit OS ist — das gemütliche Kapitulieren vor solcher, freilich langwierigen & entsagungsvollen, Arbeit des Register-Anlegens, ist nunmehr nach der sentimentalen Weise des ›Weißtu wieviel Sternlein stehen‹ lange genug praktiziert worden, (mir ist dabei immer LICHTENBERG’s fatal richtiges Wort eingefallen: ›Deshalb heißt die Assel Tausendfuß, weil die Menschen zu faul sind, bis 14 zu zählen‹). Die gleichen fremdartigen Namen wie im Wilden Westen wimmeln umher; waren es dort IndianerDialeckte, so ist es hier ein defektes Arabisch-Persisch-Türkisch — die 4 Kapitel von AM JENSEITS z. B. heißen: ›Eine Kijahma / El Kanz el A’da / El Mizan / El Aschdar‹ — was jedoch weit weniger eine (von DROOP getadelte) Geheimnistuerei sein dürfte; sondern einmal die für jene Dichtergruppe, die sich einbildet, vom ›Priester‹ herzukommen (es ist die Mehrheit), bezeichnende Anfälligkeit für verblasene Eigennamen und wohltönend-sinnlose Wortsalate; und andererseits das dumpfallgegenwärtige Tarnungsbedürfnis MAY’s, das sich instinktiv auch nach dieser Seite absichern wollte, und sich dabei nicht selten gerade verriet. Da KBN seine 2 Gewehre wieder Tag & Nacht um hat, findet auch hier das gleiche impressive
Freimachen von Energie aus langen hohlen Röhren statt; die Großtierjagden & das ins Schwarze treffen; das Spurenlesen & der Jagdhieb: ›Die Kindlein, sie hören es gerne‹, GOETHE. Der Hurrah-Patriotismus schlägt sogar noch weit höhere Wellen; denn da es sich bei MAY nun einmal um das tüdeske Totemtier par excellence handelt, füllt natürlich auch ihn das jeden Deutschen beseeligende Bewußtsein, sein Vaterland zu repräsentieren, bis zum flachen Rande. Wie ergreifend weiß er nicht auf der Güte Deutscher Biere zu verweilen; oder arabisierend-rührende Verballhornungen teurer Namen, wie ›Kaiser Wilhelm‹ und ›Moltke‹ anzubringen; (wie denn ihm, dem nachweislichen Nicht-Teilnehmer an Siebzig-Einnndsiebzig, ›Der Krieg‹ freilich mehr 218
sub specie des ›Manöverballes‹ erschien. — Es mag ja immer sein, daß Menschensorten wie dem Schwyzer in der Fremde beim Kühreigen das Herz vor Sehnsucht ›klopft‹ — dem deutschen Intellektuellen wie etwa mir, (ich bin weder ohne Tadel noch Furcht), zumal wenn er ›unter Hitler‹ zwangsweise seine anderthalb Lustra ›zu Charkow auf der Schanz‹ stehen mußte, wird, wenn er in Rede Leitartikel Buch & Lied das Schiboleth ›deutsch‹ vernimmt, schlicht schlecht! Und das ist nur zu 25 °/o die ›Schuld‹ des Intellektuellen.) Was im Orient eindeutig fehlt, ist einmal das große männliche S-Objekt W. Denn wohl hatte MAY sich zeitlebens 2 erdachte Begleiter zugesellt; (korrekter wohl: 2 Charakter-Teilhaber abgespalten, personifiziert, und sie dann, nach uraltem Dichterbrauch, mit dem eigenen Blute gemästet); und wenn das für sein ›Abend-Land‹ eben der W war — was übrigens ursprünglich ›Feuerwasser‹ bedeuten sollte: traulicher Name für einen ›lebenslänglichen Begleiter‹ — so war es eben für das Morgenland jener gar nicht unamüsante ›Hadschi Halef Omar‹ (= H). Die Wesenszüge der Beiden sind von Anfang an gebührend gesondert, ja sehr bezeichnend verteilt gewesen, und auch niemals (d. h. an ›Ort & Stelle‹) gemixt worden. MAY hat sich — und das ist typisch für den LG-Hasardeur großen Stils — unverkennbar davor gescheut, die Beiden einander je ›begegnen‹ zu lassen; selbst in Fällen, wo das nicht nur technisch möglich, sondern jeder Leser förmlich angeregt-gefaßt darauf gewesen wäre, z.B. in SATAN II — aber so sind die Gedankenspieler. H ist ausgesprochen, und gar nicht einmal so selten, echt-witzig bis zur Selbst-Ironie, (der Narr als ›Halt!‹ des Helden!) — W todternst: der solenne rote Flaps lächelt kaum 1 Mal leise. / H klein & quecksilbrig — W hochschlank & gemessen. / H Familienvater, ja, lustig unterm Pan-Töffelchen — W betont ehelos; und Frauen (freilich immer tendenziös verzeichneten; das wird noch gewürdigt werden) gegenüber von geradezu ochsigem Benehmen. / H ist der weit-weit vollere Typ. Wohlthuend unzulänglich; und jener, die vor lauter Aufschneiderei 219
entgleitenden ›Maßstäbe‹ mit leichtem Händchen wieder einigermaßen zurechtrückenden, Selbstparodie fähig, die fast schon den Menschen macht — der suspekte ›rote Freund‹ dagegen ist von der abstoßendsten (weil völlig basis- & substanzlosen!) Unfehlbarkeit. / Sadisten sind sie freilich Beide. / (Was Freund H, aller Masken entkleidet, eigentlich ist, geht ziemlich deutlich, ja penibel, aus seinem Habitus & Wandel hervor: klein aber oho!, und mit dickem Turban-Köpfchen; (Turban = ›Amani‹ von ›amare‹?). Dieser lebens-längliche, bis zum Ende nicht zu ›veredelnde‹ ›kleine Begleiter‹, dem Reiten über alles geht; dieser haararme »Zwerg Mesach« mit der muntern Peitsche, den »nichts so sehr empören konnte, als wenn ihm die Kleinheit seiner Gestalt vorgeworfen wurde« (SILBERLÖWE II, 493), verfügt
nicht nur über ein Kismet, sondern buchstäblich über einen »Leib, wie aus Gomelastik gemacht. Das steht nicht fest, das hat keinen Halt; das bleibt nie so wie es ist« (a.a. O., 549). Er wohnt »im Erdgeschoß ((›Schoß‹!)) bei den dienenden Geistern« (A & D, I, 3); ist zwar bester Freund, aber keiner Veredelung fähig; gleicht einem Topfe, der keinen Boden hat, »schütte noch so viel Wasser hinein, es läuft doch unten alles wieder heraus. Das sind doch nur die Folgen davon, daß ich einen offenen Kopf besitze.« (SILBERLÖWE I, 364); wenn er zu viel ›Simmsemm‹ getrunken hat, kann er nicht mehr stehen; wird dagegen beträchtlich gesund, sobald er von einem bevorstehenden großen Wett-Reiten hört, (wogegen er, zur Zeit der Abfassung des III. & IV. SILBERLÖWEN — d. h. der Ehescheidung — in eine gefährlich-lange Krankheit verfiel, und immerfort »schlapp« dalag. / HALEF ist ganz simpel MAY’s eigener Penis! / W, das bloße S-Objekt, war allenfalls noch zu entbehren, bzw. zu ersetzen; als es aber um den Genitalapparat selbst ging, da schrie MAY, seine Frau hat es berichtet, auf: »Ich habe den kleinen Burschen zu lieb; er ist doch ein Teil meines eigenen Ich!« —: kann man die witzige Treulosigkeit der S-Apparatur viel gelungener personifizieren als in so einem Cypropor?). — Also ermangelt der MAY’sche ›Orient‹ der ›Roten‹ 220
gar nicht einmal so sehr. Die Metafer vom ›Kopfhaut herunterziehen‹ wird man freilich vergeblich suchen, und ebenso muß man der langnasigen Freundespaare entraten, (obwohl die mehreren ›Aleppo-Beulen‹ hier ein Surrogat ergeben werden). Dafür ist die fixe (plattdeutsch ›fix‹ = flink) Idee der ›Pferde‹ und des auf ihnen Herumreitens weit ausgebildeter; (›Mag auf ihm sitzen wer da will, er wiehert‹, SIRACH 36; es kann aber auch 33 sein). Und wenn der Graue Bär nicht direkt vorkommt, so bildet eine ihn mehr als austarierende Vorstellung der gleichfalls duftende »Herr mit dem dicken Kopfe«. Dies jedoch bitte ich alles nur flüchtig-einleitend zu nehmen; ein bedeutender Unterschied ist schon da, (›For East is East, and West is West, and never the twain shall meet‹): MARAH DURIMEH kennt sehr wohl HALEF —: WINNETOU kennt sie nicht! — MAY hat im Orient eine andere Hälfte seines Wesens isoliert. Nicht umsonst fragt er (HIMMELSGEDANKEN, 5 8) in seiner widerwärtigen, platt-sinnigen Art: »Warum übt der Orient auf unsern Geist & unser Herz eine so große Anziehungskraft aus? — Aus demselben Grunde, welcher RÜCKERT trieb, sein Lied ›Aus der Jugendzeit‹ zu dichten.«: Besten Dank für den Hinweis! — Folgen wir ihm.
§28 »If I live a thousand years, I can never forget the intense emotion with which I regarded this figure — the form was divine!« (EDGAR ALLAN POE, The Spectacles) Die Sache ist nämlich im Grunde überaus einfach, ja primitiv, (wie immer, wenn man ›den Müttern‹ auf den runzligen Leib rückt); MAY sagt es, mit aller nur zu wünschenden Offenheit selbst, auf den Ss. 143 f. seiner BIO: »Ich teilte mir die Erde für diese meine besonderen Zwecke in 221
2 Hälften, in eine amerikanische und eine asiatisch-afrikanische ... in Amerika sollte eine männliche und in Asien eine weibliche Gestalt das Ideal bilden, an dem meine Leser ihr ethisches Wollen emporzuranken hätten. Die eine ist mein W, die andere MD geworden.« Gehe ich also denselben nüchternen Weg wie im Falle W, und stelle erst einmal sämtliche Steckbriefe der würdigen Dame zusammen; nach Kräften in der chronologischen Reihenfolge, die hier wieder einmal wichtig wird, (und, ebenso wieder einmal, nicht völlig verläßlich geliefert werden kann). : »Ich schaute nach dieser Gegend hin und erblickte eine alte Frau, deren Äußeres mich schaudern machte. Sie schien ihre hundert Jahre zu zählen; ihre Gestalt war tief gebeugt und bestand wohl nur aus Haut & Knochen; ihr fürchterlich hageres Gesicht machte geradezu den Eindruck eines Todtenkopfes, aber von ihrem Haupte hingen schwere weiße Haarzöpfe fast bis auf den Boden herab.« In dieser wenig einladenden Gestalt tritt MD uns (S. 75 8 des betreffenden ›Hausschatzes‹) zum ersten Male entgegen; es ist schon ein folgenreicher Tag geworden, an dem MAY — es mag im August 1881 gewesen sein — dieses früheste der gesicherten Signalements zu Papier brachte. (Daß es auch hier wieder einige ›Prä‹-Bildungen gibt, sei stichwörtlich zur Sprache gebracht: etwa die ›Hansel‹-Hexe der DEUTSCHEN HELDEN IV, 344. / Die in FRIEDE AUF ERDEN, 552, herumsitzende, ebenso weiß- wie langhaarige Chinesinnen-Type. / Weiterhin die ›Botengundel‹ aus dem sehr frühen, und auch schon alle Elemente bergenden, ›HERRGOTTSENGEL‹, dessen Original-Text unbedingt einmal zugänglich gemacht werden müßte, da dort in nuce schon die meisten Bestimmungen auftreten: Mitternacht, Kerze, Bittschriften, die beliebte Skelettfigur (à la ›Desierto‹), der Jagdhieb. / Und — nur keine Furcht, daß ich zu viel übersehen hätte — die Rolle MD’s im III. und IV. SILBERLÖWEN wird sehr bald zu den ›besprochensten‹ gehören. / Und die in SUREHAND, BIO und WE nicht minder.) Von den ›besonderen persönlichen Kennzeichen‹ muß man die 222
unwichtigeren aussortieren: »ausgedorrte Hände«, bong; aber »von denen 1 Rosenkranz herniederhing«? — das ist nur die gleisnerisch-öftere, geschmeidige Steißhebung MAY’s vor dem ›Hausschatz‹, jener bigott gewordenen ›Gartenlaube‹, ihrem Verleger & ihrer Leserschaft. / »Eine Katholikin! Hier unter Curden & Türken!«: ›Katholikin‹ ist quantité négligeable, aber das ›unter Kurden‹ nehmen wir mit, (und ich meine jetzt noch gar nicht mal so sehr das ›u: u!‹); aber der spätere Freiburger
Band heißt DURCHS WILDE KURDISTAN, und der erwähnte Vorabdruck sogar der RUH I KULYAN — wieder ›u: u‹?; jetzt wird’s allerdings doch auffällig! Und gar ›Cul‹, ja ›Ruh im Culen‹?! Ihre »Stimme ertönt aus dem Hintergrund«; und es geht in der ganzen eingelegten Episode um ein »vergiftetes Kind« — daß das »ein sehr schönes Mädchen« ist, bekommt auch noch seinen, statistisch abgesicherten Sinn. Nun wo einmal die Erinnerung verkleidet & folglich freigegeben war, ging es denn auch mächtig voran; (ich zitiere ab jetzt nach der Freiburger Ausgabe; die Hausschatz-Folianten sind mir, bei vollem Schreibtisch, zu unhandlich, und werden nur bei wichtigen Textvarianten noch angeführt); S. 329 macht der Effendi den nächsten Krankenbesuch: »an ihrem Lager standen die Mutter & die Urahne. Diese letztere befand sich in Reisekleidern. Sie hatte über ihr weißes Gewand einen schwarzen, mantelähnlichen Umhang geschlagen und auf ihrem Kopfe war ein ebenfalls schwarzer Schleier befestigt, welcher jetzt über den Rücken herabhing.« Mutter + Urahne in Einem, (die Wendung, daß die Letztere sich in ihren Kleidern ›befindet‹ ist zumindest originell); ein weißes Gewand; der schwarze Schleier über dem Rücken herab könnte Haarersatz sein. Sie verabschiedet sich von KBN, indem sie ihm »ein Geheimnis verrät«: »Kommst Du in Not & Gefahr... so sage dem Ersten, der Dir begegnet, daß Dich der Ruh’ i Kulyan ((Sperrung von MAY)) beschützen wird... / ›Der Ruh’ i kulyan, der Höhlengeist? Wer führt diesen sonderbaren Namen?‹«, erkundigt sich KBN, und erhält die ausweichende 223
Auskunft: »›Der Ruh’ i kulyan ist ein Wesen, das niemand kennt. Er ist bald hier, bald dort; überall wo ein Bittender ist, der es verdient, daß seine Bitte erfüllt werde. An vielen Dörfern giebt es einen bestimmten Ort, an welchem man zu gewissen Zeiten mit ihm reden kann. Dahin gehen die Hilfesuchenden um Mitternacht. ... Nie wird vor einem Fremden von ihm gesprochen; denn nur die Guten & die Freunde dürfen wissen, wo er zu finden ist.« Zu merken etwa: sie ›verrät‹ ihm ein ›Geheimnis‹, nämlich das vom ›Geist der Höhle‹ (Kunststück, bei ›cul‹), der ›um Mitternacht‹ Sprechstunde hat. Nachzutragen (bzw. zu erinnern) noch, daß die ganze Scene bei ›Teufelsanbetern‹ spielt, die in der Landessprache »Merd-es-Scheitan« gerufen werden (›Teufelsdreck‹?) — damals schrieb MAY es noch mit ›e‹, während er im 20. Jahrhundert dann das ästhetisch-verfremdendere ›ä‹ preferiert hat. Da nun ein Autor, auch der schludrigste, dergleichen weit aussehende Vorbereitungen selten für nichts & wieder nichts trifft, wird es keinen Leser überraschen, (von Fachleuten ganz zu schweigen), daß KBN den hochinteressanten GEIST im Verlauf seiner (KBN’s) geverlichkeiten mehrfach um Mitternacht in der bewußten Höhle besucht, (ab S. 567). Da liegt der Held erst gefangen in einer Hütte, bewacht & betreut von 2 Frauen, der mittelalterlich-schmierigen ›Madana‹ und der »Perle«, Fräulein Ingdscha. »Das Mädchen mochte 19 Jahre zählen, war hoch gebaut und von so kräftigen Körperformen, daß sie ohne Bedenken die Frau eines Flügelmannes aus der alten preußischen Riesengarde hätte werden können. Dennoch war das Gesicht ein mädchenhaft weiches, und hatte jetzt, dem Fremden gegenüber, sogar einen sehr bemerkbaren Anflug von Schüchternheit.« Ich komme auf diese hübsche Athletin, diese Mamsell Ingdscha, noch zurück, (die ›Taldscha‹ des A & D ist auch so eine Kürassierin); hier ist zunächst nur wichtig, daß sie es ist, die KBN zum ›Ruh 1 kulyan‹ geleitet: »›Wann wird dies geschehen?‹ / ›Grad um Mitternacht muß man auf dem Berge sein.‹« lautet die verschämte Antwort. »›Er befindet
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sich in einer Höhle?‹ / ›Ja. Allemal um Mitternacht am ersten Tage der zweiten Woche.‹ / ›Aber wie merkt man, daß er zugegen ist?‹ / ›An dem Lichte, welches man mitbringen muß. Man setzt ein Licht vor den Eingang der Höhle und zieht sich zurück. Brennt es fort, so ist der Geist nicht da; verlöscht es aber, so ist er zugegen.‹« (568). Ich verweise auf die zweimal überbetonte Zeitbestimmung des ›um Mitternacht‹; die ›Höhle‹; vor allem die ›Lichtzeremonie‹ — aber es wird ja schon fast zu deutlich; erst weiter. 585 schäkern Ingdscha & KBN bereits ein wenig miteinander: jedesmal beim Anblick eines ›vollen Mondes‹ (›lune‹) soll er an sie denken. Dennoch wird der Held langsam ungeduldig: »›Es ist 2 Stunden vor Mitternacht... meine Zeit ist sehr kostbar. Kann man mit dem Geist der Höhle nicht eher sprechen?‹ / ›Die redite Zeit ist genau um Mitternacht. Er wird zornig, wenn man eher kommt.‹ / ›Bei mir wird er nicht zornig werden.‹ / ›Weißt Du das gewiß?‹ / ›Ganz gewiß.‹« Nun, ab S. 591, der erste Besuch: »Die Jungfrau schritt voran, und ich folgte ihr... bis wir die Höhe erklommen hatten. Dieselbe war mit Laubwald bestanden, so daß wir eng nebeneinander gehen mußten, um uns nicht zu verlieren. Nach einiger Zeit lichtete sich die Holzung wieder, und wir hatten einen schmalen Felsensattel zu überschreiten, der zu einer steilen Falte des Berges führte. / ›Nimm Dich in acht, Herr‹ warnte das Mädchen; ›von jetzt an wird der Weg sehr beschwerlich.‹ / ›Das ist nicht gut für alte Leute, die zu dem Geist der Höhle wollen. Hier können nur junge Füße steigen.‹ / ›O, auch die Alten können empor; nur müssen sie einen Umweg machen. Von jenseits führt ein ganz guter Pfad bis in die Nähe der Höhle.‹ / Indem wir einander gegenseitig stützten, kletterten wir Hand in Hand empor... Jetzt bildeten die Blöcke eine Art offenen Gang, in dessen Hintergrunde sich eine dunkle Wand erhob. Ingdscha blieb stehen. / ›Dort ist es‹, sagte sie, auf das Dunkel deutend; ›Du gehst gradaus und wirst am Fuße jener Wand eine Öffnung sehen, in die Du das Licht setzest, nachdem Du es angezündet hast.‹«. (Also der Reihe 225
nach: ›Jungfrau; sch (ritt); Höhe mit Wald; Sattel‹ (wodurch der Begriff des ›reitens‹ schnell noch einmal eingeschoben wird); die steile Falte, jaja; beschwerlich, zumal für Alte, die vorn nicht hoch können, aber jenseits; dann im Dunkel eine Öffnung, das Licht hinein zu setzen, natürlich muß es erst richtig brennen.) 592: »Ich nahm die Kerze und schritt vorwärts. Es war ein Gefühl außerordentlicher Spannung, das mich jetzt beherrschte, und dies war gar kein Wunder; sollte ich doch in das Geheimnis eindringen, das den ›Geist der Höhle‹ umhüllte. Freilich, den eigentlichen Kern dieses Geheimnisses ahnte ich bereits. Ich langte vor der Felswand an und bemerkte die Höhle, deren Eingang gerade so hoch & breit war, daß ein Mann in aufrechter Haltung Zutritt nehmen konnte. Ich lauschte einige Augenblicke, hörte aber nicht das mindeste, und brannte dann eine der Kerzen an, die ich auf den Boden der Höhle niederstellte. Das ging sehr leicht, da die Kerze unten eine genügende Breite besaß. Nun kehrte ich wieder zurück. Ich sagte mir, daß für einen nicht Unbefangenen schon ein gut Teil Mut dazu gehöre, in der Stunde der Mitternacht den Berg zu besteigen, um mit einem Geiste in Verkehr zu treten.« (Die Kerze ergreifen & vorwärts; außerordentlich; ins Geheimnis eindringen; eine Höhle, gerade so weit, daß 1 Mann drin stehen, bzw. aufrecht Zutritt nehmen kann; entzündet eine ›Kerze unten‹, was sehr leicht geht; und ein Schwärm von ›u‹-en schwirrt auf (›unten, -ügend, nun, zurück, für, unbe-, gut Teil Mut dazu, stunde‹), als der ›Verkehr‹ mit dem Geiste beginnt — mit jeder näheren Bestimmung rührt MAY UBW-listig an die Pseudo-Unschuld des Lesers.)
»Einen Augenblick später brannte die ((vorübergehend erloschene)) Kerze, und ich sah MD vor mir stehen, eingehüllt in einen weiten Mantel, aus dem ihr hageres Gesicht wie dasjenige eines Todtenkopfes mir entgegengrinste. Auch heut hingen ihr die schneeweißen Haarzöpfe bis beinahe zur Erde herab. Sie leuchtete mich an. / ›Ja, wirklich, Du bist es, Emir! 226
Ich danke Dir, daß Du gekommen bist. Aber Du darfst keinem Menschen sagen, wer der Geist der Höhle ist!‹ / ›Ich schweige.‹ / ... In der Nähe lag ein langer schmaler Stein, der Raum genug für Zwei bot. Er bildete wohl stets die Ruhebank des Höhlengeistes. Wir ließen uns nebeneinander darauf nieder, während das Licht auf einer Steinkante stand... Es war, als hätte ich den Tod neben mir sitzen, und doch hing von diesem skelettartigen, geheimnisvollen Wesen vielleicht das Leben von Hunderten ab. Kein Glied ihres Körpers bewegte sich, und keine Falte ihres Mantels zitterte.« (Und ›no comment‹; ich will die Pointe nicht verpfuschen.) Ab S. 597 dann der Rückweg mit Miß Ingdscha: »›Hast Du ihn ((den Geist)) vielleicht gar auch gesehen?‹ / ›Von Angesicht zu Angesicht.‹ / ›Herr, Du erschreckst mich! Wie sah er aus?‹ / ›Solche Dinge darf man nicht enthüllen. Komm... Du bringst mich zuerst auf den rechten Weg.‹ / ... Ich nahm das Mädchen wieder bei der Hand. So stiegen wir bergab, wobei es natürlich schneller ging, als vorher bergan. Als wir die Einsattelung erreichten, wandten wir uns nun nach rechts hinab anstatt nach links hinüber, und das Mädchen kannte das Terrain so genau und führte mich so sicher, daß wir bereits nach einer starken Viertelstunde ... / :›Gute Nacht!‹ — sie hatte meine Hand ergriffen und einen kaum fühlbaren Kuß darauf gehaucht; dann eilte sie wie ein verscheuchtes Reh in das Dunkel der Nacht hinein. Ich stand eine volle Minute lang bewegungslos.« — Später (S. 610 ff. desselben Bandes) wird noch einmal, in größerer Gesellschaft hin zum Geist geritten: »Es war ein überaus phantastischer Ritt. ((vgl. S. 197 ›Es war eine außerordentliche phantastische Szene‹.)) ... Über uns dunkelte die Bergesmasse, auf deren Höhe der Geist hauste, der selbst mir ein Rätsel war, obgleich er mir erlaubt hatte, ihn zu ›rekognoszieren‹ ((= ›erkennen‹; auch sind ›cognaten‹ Blutsverwandte in weiblicher Linie)) ... der schlafende Wald ((zu dem ›Rätsel‹ = Geheimnis darüber addiert, ergibt sich ›Waldheim‹)) atmete schwer rauschend, und die Huftritte unserer Pferde in 227
dem tiefen Humusboden ((›u: u‹ & ›reiten‹)) klangen wie die Wirbel eines... Trauermarsches. / ... Es lag etwas Heiliges, Unberührbares in dieser tiefen Waldesnacht.« Das religiöse ›fading‹ setzt erst an, dann mächtig ein, und blufft wie üblich mit seiner am Rande stattfindenden Moralität. »Unser Besuch auf dem Berge gab mir viel zu denken. Worin bestand die Macht, die diese MD... ausübte? ... Ich gestehe, daß mir jetzt das Geheimnis der alten Königin weit mehr am Herzen lag, als vorher die Streitigkeit zwischen den Kurden und Chaldani.« Noch einmal ein kleines kokettes Intermezzo mit Ingdscha, (»als sie näher kam und mich erblickte, färbten sich die Wangen ihres bräunlichen Gesichtes dunkler«); dann erfolgt das für diesmal letzte Rendezvous mit MD (629 ff.): »Sie ließ den weiten Mantel fallen«, und sitzt dann »so greis, so ehrwürdig, so Ehrfurcht gebietend« neben KBN, wie eine Gestalt aus jüdischer Prophetenzeit; hält einen, bei einer künftigen Quellenscheidung als ›der Hausschatz-Schicht angehörig‹ zu bezeichnenden, Vortrag über den Primat des Papstes; und erzählt ihm schließlich ›ihre Geschichte‹: »›Du sollst nun auch der
Einzige sein, der außer den Dreien, die um Mitternacht beim Ruh i kulyan waren, mein Geheimnis erfährt. Willst Du?‹« Selbstverständlich will er. Und erhält zum Schluß noch ein ›Amulett‹ von ihr, um den Hals zu hängen; (es handelt sich übrigens um einen Geldbetrag). Zum zweiten Male tritt MD Ende 1898 in größerem Maßstabe in Erscheinung — (die einzelnen Anspielungen während der dazwischenliegenden Jahre, vor allem die wegweisenden des SUREHAND, tragen zum bloßen ›Steckbrief‹ wenig bei; sind also hier absichtlich übergangen, folgen jedoch binnen kürzestem) — und zwar im letzten Kapitel des SILBERLÖWEN II, (453-Schluß), überschrieben ›Ein Rätsel‹.: »Wir befanden uns auf der Höbe des kurdischen Gebirges... der Richtung, welche unser Ritt zu nehmen hatte.« Dieses ›zu nehmen hatte‹ (viel stärker als das dagegen bläßliche 228
›mußte‹!) ist eine der ganz unverkennbaren von MAY’s Stileigentümlichkeiten, dem englischen ›had to‹, dem französischen ›avoir à‹ entsprechend; weitere TestWendungen sind das ›hochinteressant‹, ›es gab dort‹, das ›der-, die- das-selbe‹, das Wald + Heim, ab 1900 die Jamben; gemäß deren Summe man z. B. Stücke wie den ›DANKBAREN LESER‹ als einwandfrei von ihm stammend bezeichnen kann, (was, wie ich glaube, beim KMV auch noch anderweitig belegbar ist). »Was den Bach betrifft, so zeigte es sich, daß ich seinen Lauf ganz richtig erraten hatte. Der Thalbogen, auf dessen Grunde er floß, hatte erst sehr weit nach links ausgeholt ((›links‹ ein ›hole‹)), kam aber dann, je weiter wir ritten, desto näher zu uns zurück ... Wir ritten in das Thal hinab« (S. 486.) — Ich kann mich bei Einerntung der windschiefen Wendungen nun wohl allmählich kürzer fassen: man ist wieder in Kurdistan, ja ›auf der Höhe des kurdischen Gebirges‹; reitet, weit nach links ausholend, in der Gegend herum; und lagert dann, mit einer Ausdauer, die ans Erhabene grenzt, in dem mit Recht so beliebten Tal, auf dessen Grunde ein Bach nieselt. »Wir hatten den Platz so gewählt, daß wir die ganze Krümmung des Hauptthales übersehen und auch einen Blick in die Mündung des Seitenthales werfen konnten... wenn man sich in einer solchen Gegend befindet, fühlt man sich in der Gesellschaft mit sich selbst am sichersten.« MAY, seiner ›Tal-Mündungen‹ entohnigt, wäre ja nicht mehr MAY. Ein Reitertrüpplein trabt auf, angeführt von einer Transvestite, einer als Mann verkleideten bräunlich-reifen Kurdin mit gutturaler ›u: u‹-Stimme; das hier weit wichtigere ist jedoch, daß sie MD aufsuchen wollen, weil ihr Knabe »unvorsichtigerweise ein vergiftetes Kriegsmesser aus Hindistan in die Hand« bekam (505) und sich geritzt hat (von ›Ritze‹) mit jenem Gift, das »das gefährlichste aller Gifte der Erde ist. Es wächst auf einem Baume, welcher im ›Todesthale‹ steht ... Eine Frau gab es wohl, welche das richtige Gegenmittel wußte«, nämlich MD; aber die Boten, die sie holen sollten, sind nicht zurückgekehrt, vielleicht gar gefangen? — Und so 229
ist es auch; selbst MD befindet sich zur Zeit in unfreiwilliger Internierung. Abgesehen von dem nun auch schon mehrfach strapazierten ›Todestal‹, (in dem ein ganz gefährlicher ›Baum‹ ›steht‹!) hebe ich nur zweierlei hervor: ein Kind ist wieder vergiftet! Und MD ist in der Nähe! (In beiden Fällen bilden ›Galläpfel‹ einen Bestandteil der Arznei). Die Beschreibung MD’s durch die Kurdin bestätigt die nächst höhere Stufe der Legendenbildung: »Ihr Antlitz ist das Angesicht des Todes, und die Zöpfe ihres langen weißen Haares... / Sie soll das Aussehen einer aus dem Grabe
zurückgeholten Leiche haben. Vielleicht hat sie sich auch wirklich schon im Grabe befunden, und ihre Seele ist während dieser Zeit bei den Geistern der Abgeschiedenen gewesen, und dann wieder in den Körper zurückgekehrt. ... Sie kennt die Gedanken eines jeden Menschen; der zornigste Mann wird vor ihr zum stillen Lamm, und sogar die Thiere sind ihr unterthan!«, weswegen sie denn auch (à la ›Kirke‹) die ›Zauberin‹ genannt wird. S. 542 f. blendet MAY dann selbst auf den früheren Band KURDISTAN zurück, und sein »damaliges Zusammentreffen mit dem Ruh i kulyan, dem segenspendenden ›Geist der Höhle‹«. Das war seinerzeit eben »nicht nur ein für unsre damalige Reise wichtiges Erlebnis, sondern bat auch für mein inneres Leben Folgen gehabt, die mir bis auf den beutigen Tag unschätzbar geblieben sind... Zugleich will ich bei dieser Gelegenheit bemerken, daß ich über mein viertes & letztes Zusammentreffen mit MD ein besonderes Buch schreiben werde, weil diese Begegnung von einem so tiefen und nachhaltigen Einflüsse auf die Richtung & den Inhalt meines Seelenlebens gewesen ist, daß ich herzlich wünsche, meinen lieben Lesern von diesen aus dem irdischen Leben in die Ewigkeit hinüberreichenden Früchten anbieten zu dürfen.« O Obst in Ewigkeit! Aber auch die damaligen Worte eines Melek fallen ihm ein: »Sie hat Dich lieb, als ob Du ihr Sohn oder ihr Enkel seist«. (Dann schreibt MAY noch in extenso die klein-große Rede ab, die MD ihm damals hielt: »Ich habe viel gehört & viel gesehen. Ich sah den Hohen fallen ((den hohen Phallen)) 230
und den Niedern emporsteigen ((!)) ... Sie war eine in menschlicher Gestalt wirkende Hand GOttes, welche sich in überquellender erbarmender Liebe ausstreckte, die Irrenden zurechtzuweisen... Ein wonniges Gefühl des Glückes, des Friedens zog in mir ein; ich schloß die Augen zum Schlafe, und wurde unendlichen lichten Fernen entgegengetragen, die nur der Traum, nicht aber das wachende Auge kennt.«). S. 562 erfolgt eine neue Begegnung, mit 2 »Galläpfelsammlerinnen«, die sich ebenfalls als Bekannte entpuppen, aus der guten-alten curdistaner Zeit; nämlich jene beiden Frauen, Madana und - -: »Ingdscha! Ja, sie war es, die schöne... Man sah es ihr nicht an, daß Jahre vergangen waren, seit wir uns nicht gesehen hatten. Sie stand neben H ganz in derselben schüchternen Haltung, wie ich sie bei unserm ersten Zusammentreffen gesehen hatte, auch mit derselben Röte der Befangenheit auf ihren weichen, bräunlichen Wangen«: ›rural scene, a rural scene, sweet especial rural scene‹! Auch die sind hier, um nach MD zu kundschaften; und von ihnen erfährt KBN, daß jene »Abkömmlingin von Königen« sich in einem dicken Wachtturm befindet, dem Turm der Alten Mutter, und an den man sich folglich, ohne Zeit zu verlieren, anpirscht: »Wir hatten vielleicht 200 Schritte weit in dem ausgetrockneten Wasserbecken zu gehen, bis wir an den früheren Ausfluß desselben kamen. Dieser bildete eine enge, sich mehrfach biegende, vom Wasser in den Felsen gefressene Spalte, welche mit Farnen & holzigem Gestrüpp so verwachsen war, daß man draußen leicht vorüber gehen konnte, ohne zu ahnen, was für ein Platz hinter diesem scheinbar undurchdringlichen Dickicht lag. Als wir uns hindurchgewunden hatten, ging es eine kurze Schlecht hinab ins Thal, auf dessen anderer Wand ich dann den Kulluk liegen sah. Es war ein großer... mit schmalen Schießlöchern versehener Kubus, an den ein hoher runder Turm mit teilweise eingestürzter Zinne stieß... Zuletzt ging es unter einigen Rieseneichen hin, und als ich diese hinter mir hatte, lag das Thor ((›Thor‹, auch so ein ›Herr mit dem Hammer‹!)) in kurzer Entfernung vor mir.« 231
KBN hat sich als türkischen Offizier verkleidet, und düpiert die Wachmannschaften durch Vorspiegelung einer ›Ablösung‹; was auch nicht schwierig ist, denn Die sind ohnehin froh, aus der Nähe der alten »Hexe«, dem »Umgang mit der wandelnden Leiche«, fortzukommen: »Rebat stieg einige Stufen ((man beachte das Gedommle der ›u‹ wieder!)) zu der in den Thurm führenden Thüre hinauf. Rechts gab es zunächst eine Treppe mit sehr zerfallenen Stufen, weiter hinten einen Eingang, welcher mit einer alten Decke verhangen war. Die vordere Hälfte der linken Seite wurde von dem Lehmboden gebildet... dann gähnte ein großes, tiefes, viereckiges Loch, über welchem ein widerlicher Duft von Moder ((›mien leiw Moder‹)) & Fäulnis schwebte.« (601). Man führt KBN »noch eine Treppe höher« ((FREUD’s ›Treppensteigen‹)) in eine Art Dachkammer: »Es gab da einen ziemlich großen, sehr schmutzigen Raum, welcher durch 2 schmale Schießscharten Luft & Licht bekam. Da saß sie auf einer alten zerfetzten Decke an der Wand... Ja, es war MD! Sie war wie damals eingehüllt in einen weiten dunklen Mantel, aus welchem mir ihr hageres Gesicht wie dasjenige eines Todtenkopfes entgegengrinste. Auch heute hingen ihr die dicken, schneeweißen Haarzöpfe bis fast auf die Erde herab.« Es gelingt, sämtliche Wächter gewaltlos zu entfernen. Dann begrüßt man sich überschwänglich: »›Welch eine Wonne, welche Seligkeit!‹«, spricht MD, (»o welche Wonne, welche sel’ge Lust« heißt es kurz darauf, im wenig späteren Gedicht von der ›Mutterbrust‹ in den HIMMELSGEDANKEN, den in L I — ja, es fällt schwer zu entscheiden, ob mehr schmalzigen oder mehr kitschigen). Dann, nachdem man noch die unverMAYdlichen Gefangenen befreit hat, reitet man davon, und macht »kurz vor Abend auf einer hochgelegenen Waldblöße Lager. / Dieser Abend und fast auch die ganze Nacht war dem Gespräche mit MD gewidmet. Sie ließ mich noch tiefer in ihr Herz & in ihr Leben schauen als früher... Sie richtete mein Auge noch höher hinauf ... es waren wichtige, ja, es waren heilige Stunden, die ich 232
nie im Leben vergessen werde.« Aber wiederum heißt es Abschied nehmen, »als es so spät geworden war, daß die Sterne zu erbleichen begannen«; doch ist es nicht für immer, denn MD spricht es ganz frei aus: »Du mußt & wirst zu mir zurückkehren, weil Du mein Sohn, mein Schiller bist.« (627) Zum dritten Male hat MAY diese MD in seinem, künstlerisch ziemlich hülflosen, autobiografisch aber sehr aufschlußreichen, Gespräch-Spiel von BABEL & BIBEL auftreten lassen. Die Personalbeschreibung lautet gemäß dem (nicht in die Reihe der ›Freiburger Ausgabe‹ damals mitaufgenommenen) Fehsenfeld-Original von 1906 so: »Marah Durimeh. Noch älter als der Hakawati, aber trotzdem von fast noch jugendlicher Rüstigkeit. Hohe, grad & aufrecht getragene Figur. Höchste Würde, die um so mehr ergreift, als sie im Gegensatz zu diesem Alter der Anmuth nicht entbehrt. Edle, leicht gebräunte Gesichtszüge, mit einigen Alterslinien, die aber keine Falten sind. Langes, sehr volles, schneeweißes Haar, welches in zwei starke Zöpfe geflochten ist, die nach vorn geleitet sind und fast die Erde berühren. Solange sie unerkannt zu bleiben hat, versteckt sie dieses Haar unter das Gewand. Sie trägt unter diesem Gewände den in der orientalischen Sage oft erwähnten ›Panzer von Kristall‹, den sie aber vor Beginn des z. Aktes nicht anzulegen braucht, weil er erst am Schlüsse des Stückes sichtbar zu werden hat. Ihr Anzug sei orientalisch, doch nicht nach irgendeinem bekannten Schnitt. Faltenreich, doch ohne daß diese Falten der Schlankheit Eintrag tun. Er soll zwar den Gedanken unterstützen, daß MD die ›Menschheitsseele‹ ist, darf aber ja nicht zu phantastisch sein, weil es grad im Wesen der ›Menschheitsseele‹ liegt, ihre herrlichen Ziele nur auf dem einfachsten,
schlichtesten Wege und in der natürlichsten, prunklosesten Weise zu erreichen.« (S. 13 f.) Die Idealisierung, die ›Erhöhung‹ des bisher ziemlich klapperbeinigen Wesens ist in jeglichem Zuge erkennbar: aus dem 233
›angrinsenden Totenkopf‹ des vergangenen Jahrhunderts ist ein ausgesprochen ›anmutiges, edles, leicht gebräuntes‹, so gut wie ›faltenloses‹ Gesicht geworden; das gruselige Skelett einer gepflegten Magerkeit gewichen; und auch den ihr seinerzeit sowieso ziemlich schief sitzenden Katholizismus hat die zur ›Menschheitsseele‹ Promovierte endgültig abgestreift — ist doch ›die Menschheit‹ bekanntlich nicht katholisch, (zumindest gute 85 % sind es nicht). Immerhin wird, wenn man sie ›erkennt‹, dann weißes Haar sichtbar; und von ihrem ›kristallenen‹ Korsett wollen wir erst mal noch gar nicht reden. Weitere Bestimmungen hierzu ergibt der Band 49 der ›Bamberger Ausgabe‹, die LICHTEN HÖHEN, den ich diesmal, obschon zögernd, heranziehen muß — mit anderen Worten: ich bürge hier nicht für den Wortlaut; aber es scheint eigentlich nur auf den Stoff anzukommen. Falls verläßlich, brächten die Ss. 251 — 282 eine echte Bereicherung unserer Kenntnisse. Aus ihnen ergibt sich, daß MD die »Herrin von Kulub & Märdistan« ist, (und man lese die ersten § § nach); das mächtige Bild SITARA’s, dieses fleischigen Gestirns mitsamt der ›Geisterschmiede‹, hat begonnen sich zu entwickeln; und MD wird beschrieben als »ein altes, aber noch jugendlich rüstiges Weib, an das sich die wunderlichsten Sagen knüpfen. Sie gilt, außer bei den An’allah, die ihren Scheik für den Besten halten, im ganzen Orient als größte Meisterin des Schachs. ... ›Kulub‹ ist die Mehrzahl von ›Herz‹«, (gleich beginnt auch in B & B ein junger Weibskobold, Schefaka, herumzutollen). »Wer von seiner Geografie und von seiner Landkarte nicht lassen will...: das Kulub und Märdistan der Menschheitsseele müssen wir noch höher suchen. Man denke da an die kurdischen Berge, auf denen ich sie in meinem Band DURCHS WILDE KURDISTAN erscheinen lasse.«: ›Uno absurdo dato, mille sequuntur‹. »Allen Lesern unseres lieben ›Hausschatz‹ ein herzliches Grüß GOtt!« — mit diesen Worten, ebenso schlicht-innig wie edel234
unverfroren, beginnt die vierte Reihe von Bestimmungen — ›unverfroren‹ deshalb, weil der zeitlebens wendige sich zuvor 2 5 Jahre lang als Katholiken bezeichnet (z. B. Jahrg. 1892, S. 202) und munter mit ›Gutachten von Bischöfen‹ gearbeitet hatte, in denen dem ›Weltläufer‹ seine ausgezeichnete Verwendbarkeit als Katholik, ja als Halb-Missionar, bescheinigt wurde — was dann, als herauskam, daß man 1 volles Vierteljahrhundert lang einem Lutheraner & erzgeschickten Ketzer aufgesessen war, begreifliche Ungehaltenheit erregte. Aber so gut war MAY bei den HausschatzLesern angekommen, daß dessen Verleger & Redakteure nicht nur dieses, sondern selbst die »Taki« des SILBERLÖWEN III u. IV noch schluckten; sich nach einer entrüsteten Pause von 1 o Jahren doch wieder um 1 Roman an den »gefeierten Schriftsteller« wandten; und nach »einer persönlichen Zusammenkunft mit Herrn Dr. KARL MAY und den damit zusammenhängenden Erklärungen« machte Der auch wieder mit, (was heißt schon Charakter?), »gewiß ein triftiger Grund, um unsere Abonnementseinladung hiemit zu erneuern«. Halten wir den Trenchcoat-Zipfel heidnischer Toleranz vor das übelriechende Gemisch aus iranischem Zähnegefletsch & gut entwickeltem Erwerbssinn, (und mit der ändern Hand die Nase zu — was den ›Doktor‹ KARL MAY betrifft, sei auf LEBIUS, S. 17 ff. verwiesen). So jedenfalls setzte
in Nr. 3 des Jahrgangs 1908, S. 81 (= Ende Oktober) das große Buch von ARDISTAN UND DSCHINNISTAN ein, die zweite (und letzte) von MAY’s unbedingt unserer Hochliteratur zuzurechnenden Leistungen; (die erste sind SILBERLÖWE III. u. IV). Allerdings geriet A & D nun gleich wieder 50 bedeutend (& ergo befremdlich), daß der damals redi- & regierende Redakteur, Otto DENK war sein Name, nach rund 1300 Seiten denn doch wieder dankend verzichtete; und MAY die Geschichte beinahe mitten im Satz abzubrechen hatte — (Ich zitiere im Folgenden meist nach dem 1. Tausend der ›Freiburger‹; Abweichungen hiervon sind besonders gekennzeichnet.) »Meine Erzählung beginnt in SITARA, dem in Europa fast 235
gänzlich unbekannten ›Land der Sternenblumen‹, von dem ich IM REICHE DES SILBERNEN LÖWEN erzählt habe. Die Sultanin dieses Reiches ist MD, die allen meinen Lesern wohlbekannte Herrscherin aus uraltem Königsgeschlecht. Zu SITARA gehört auch das in meinem Buche BABEL UND BIBEL erwähnte, weit ausgestreckte Gebiet von Märdistan mit dem geheimnisvollen Walde von Kulub, in dessen tiefster Schlucht, wie man sich heimlich erzählt, die Geisterschmiede liegt... ein späterer hochinteressanter Ritt wird uns Gelegenheit geben, diesen Wald & diese Schmiede kennen zu lernen. Für heut verzichten wir auf diesen Ort der Marter & der Pein, und wandeln durch die Gärten von Ikbal ((= ›die Schönheit, die Glückbringende‹)). / Ikbal ist eine der schönsten Residenzen MD’s. Ihre fürstliche Wohnung, mehr einem Tempel als einem Schlosse gleichend, hebt sich wie die aus weißem Marmor gedichtete Strophe eines salomonischen Psalmes hell, klar, rein & leuchtend von dem dunklen Hintergrunde der himmelanstrebenden Berge ab. Diese liegen im Norden. Nach Süden dehnt sich die blaue, von silbernen Fäden durchzogene See, leise atmend, wie ein schlafendes, glückliches Kind, welches im Traume lächelt... geliebte Gebieterin... schattige Wege führen vom Tale zu Berge, vom Berge zu Tal. Goldige Früchte winken aus dunklem Laub. Jede Bewegung der Luft spendet süßen Blumenduft. Ed Din ((— ›Glaube‹)), der Fluß, tritt, unberührt von dem Schmutze des alltäglichen Lebens, wie eine Offenbarung aus höheren Welten aus dem Gebirge hervor, und schließt Ikbal in 2 schwellende Arme ein. / Der kleine Hafen von Ikbal ist mit der Außenwelt nur durch einen einzigen größeren Segler verbunden, welcher ›Wilahde‹ ((= ›Geburt‹!!)) heißt, und immer segelfertig gerichtet ist. Dies Schiff gleicht einer Arche.« (Das ›Warum?‹ speziell dieser Abschweifung wird nachher klar werden; könnte es doch — wenn auch nicht gerade auf eine, den MAY-Fan älteren Stils besonders erfreuende ›Weise‹ — (und auch dies ›Weise‹ wird noch klar werden: ich tue nichts umsonst!) — bedeuten, daß MAY’s ›Lebensschifflein‹ gegen Mittag flott wurde.) 236
KBN ist mit H zu MD gekommen, um »für einige Zeit ihr Gast zu sein, und bei dieser Gelegenheit das ›Land der Sternenblumen‹ noch besser kennen zu lernen, als es mir bisher möglich gewesen war. Sie hatte mich in einer Weise aufgenommen, als ob ich ein naher Verwandter, ja als ob ich ein Sohn von ihr sei. Wir wohnten nicht in der Stadt, sondern bei ihr im Palaste; ich in demselben Stockwerk mit ihr, H aber im Erdgeschoß, bei den dienenden Geistern... Alle Diejenigen, welche die 4 Bände SILBERLÖWE gelesen haben, werden sich gerne an Schakara, die ›Seele‹ ((= ›Herzle‹)) erinnern... diese Schakara, die mich vom beinahe sicheren Tode errettete, war ein besonderer Liebling ihrer Herrin... Sie war auch jetzt bei ihr in Ikbal und sorgte für mich in genau derselben schwesterlich aufopfernden Weise.« Man sitzt, kurz nach Sonnenuntergang, selbdritt auf einem »hohen Söller«, und sieht von fern
auf dem Meere einen Boten des ›Mir von DSCHINNISTAN‹ eilfertig angesegelt kommen: »Welcher von meinen Lesern hat schon einmal von diesem berühmten Manne, von diesem Beherrscher eines großen, hochwichtigen Reiches gehört? Wohl Keiner! Auch ich war ohne Ahnung von seiner Existenz, bis ich MD kennen lernte, und aus ihrem eigenen Munde nach & nach die Namen der zahlreichen Gebiete erfuhr, über welche sich ihr persönlicher Einfluß erstreckte. Der Mir von DSCHINNISTAN stand unter ihrem ganz besonderen Schutz... Diese ganze, unvergleichliche, erdenferne örtlichkeit! Diese am Himmel und über die Erde hinzuckenden, mehr & mehr ersterbenden Tinten! Die dunkle Mauer des hinter uns drohenden Gebirges! Die immer magischer & mystischer werdende Färbung der See! Dieses Glockengeläute, und zwar an einem Orte, den außer mir gewiß noch kein europäischer Christ betreten hatte! Vor allen Dingen aber die hoch aufgerichtete Gestalt unserer Gebieterin! Diese Stirne, dieser Nacken, diese Augen!... Es war mir zumute wie einem unbefangenen, gläubigen Kinde, welches zum erstenmal in seinem Leben in das Theater kommt... die Menschheitsseele ist in jedem Menschen tätig, in vielen Einzelnen sogar in ganz besonderer Weise, in MD aber so, wie 237
sonst wohl niemals wieder.« (Kunststück: sie war eben zur Hälfte eine ›geborene Weise‹!) Auch weist sie mitten in die Sternbilder hinauf — Jungfrau & Kelch, Herz & Schiff, Wolf & Kreuz — »›da werden mir ((MD)) Sterne sichtbar, die Andere nie erschauen. Auch den Deinen habe ich gesehen, den Deinen. Soll ich ihn Dir zeigen?‹ / Es war ein sonderbarer, doch nein, ein wunderbarer Augenblick!... Ihre geisterhaften Züge waren wie aus leicht angedunkeltem Alabaster gemeißelt. Ihre Augen schienen im Glänze der Sterne von einer unergründlichen, nie auszuschöpfenden Tiefe zu sein. Die beiden langen, starken, silberweißen Zöpfe ihres Haares hingen rechts & links bis nahe zum Boden herab. Ihre Stimme klang wie nicht von dieser Welt. Und um ihre ganze Gestalt wehte ein leise duftender Hauch, eine ganz eigenartige, geheimnisvolle Atmosphäre, für welche in keiner der vielen Sprachen, die es giebt, das richtige, das bezeichnende Wort zu finden ist.« — Angelangt bei diesem ganz spezifischen Dunstkreis — der ›Duft nach Sternenblumen‹ heißt er dann endgültig — erfolgt prompt eine 10 Ss. lange Homilie über ›den Frieden‹; voll rührend falscher Prognosen über »germanisch-indianische Menschen« (›Homos‹ — falls MAY allerdings ›anale Deutsche‹ gemeint haben sollte, dann wäre die Hypothese zur Zeit ja wieder hoch-schick); aber auch eine angebliche, absonderlich große Freundschaft zwischen »Orient & Abendland« (von der wir gerade im Augenblick, sei es ›Algier‹ oder ›Nassr‹ oder ›Pakistan‹, ob in Rundfunk oder Fernsehen, die nachdenklichsten Proben serviert bekommen); beides aber wohl nur der, wenn auch nicht sachlich verständliche, so doch meinethalben menschlich-rührende Ausdruck dafür, daß MAY’s Schnulzen eben zur Hälfte in Indianien bzw. 1001 Nacht lokalisiert waren, und er es weder in grüner Jugend noch im hohen Alter richtiger gewußt hat. / Jedenfalls schickt MD KBN aus, um in den Krieg zwischen A und D einzugreifen; gibt den Befehl, ›Wilahde‹ »das Segelschiff, zu meiner Abreise für morgen klar zu machen.« »Genau um Mittag« werden die Anker gelichtet; MD winkt hinter238
her; Schakara begleitet ihn bis an die schmierige Küste der ›Ussul‹, wo die ›u:u«-Ausschiffung stattfindet. Dann verschwindet MD in persona aus dem Buche; und tritt erst in Band II, auf den letzten Seiten, wieder auf — (obwohl zwischendurch, zwischenein mehrfach die Rede von ihr ist; das kommt alles noch) —
wo sich mächtige Naturbilder dann förmlich jagen, vom Mitternachtsgewitter an, bis zum Mammut-Alpenglühen, vergleichbar dem, »wo ich ((= KARL MAY)) im Lauterbrunnertal den Gipfel der Jungfrau zuerst nicht fand.« Ich werde einen Teil der im Vorstehenden gegebenen Zitate erst später richtig auswerten; im Moment genüge es, darauf hinzuweisen, daß MD nunmehr sogar eine ausgesprochene ›dunkelalabasterne‹ Schönheit geworden ist! »Diese Stirne, dieser Nakken, diese Augen!«, der schlank-gepflegten, ganz eigen & artig duftenden Greisin — eine der apartesten ›Musen‹, die die Weltliteratur kennt! Und wenn gar H. STOLTE (S. 102 seiner Dissertation) mit seiner Gleichung »Mir von Dschinnstan (GOtt)« recht haben sollte — — : tcha, was muß dann aber erst MD sein, von der wir es eben wörtlich erfuhren: »Der Mir von DSCHINNISTAN stand unter ihrem ganz besonderen Schutz.«? Wer & Was ist diese komische Alte Dame, die sich binnen 30 Jahren vom Medusenhaupt zur sitarischen Afrodite, von der Blocksbergsaspirantin zur Großen Mutter der Götter entwickeln konnte?! — 239
§29 »›Talbot‹, I said — ›You have an opera-glass; let me have it... Did you ever behold as lovely a woman? — I wonder, who she can be!‹ — ›Why, in the name of all that is angelic: don’t you know, who she is?!‹« (EDGAR ALLAN POE, The Spectacles) Daß der ›Wald des Herzens‹ hier eingeblendet ist, wurde bereits mehrfach, auch im Falle W, (auch im späten ›Herzle‹), als einer der MAY’schen Euphemismen für erotisches Engagiertsein erkannt; und die Zeit ist nunmehr gekommen, an dem serienhaften Auftreten der schon oft erwähnten flink-flüggen Silblinge das ihrige zu demonstrieren. Das erste Mal trifft KBN seinen weißhaarigen Schwärm MD in ›Kurdistan‹; er trifft ihn dort das zweite Mal; beim dritten Mal, in B & B, soll man sich Kulub & Märdistan oben, in den »kurdischen Bergen« vorstellen, (und für die berüchtigten herkulischen Schmiede werden »kurdische Zackenmützen« als Aufputz vorgeschrieben — weiß man nun endlich, warum? — Falls nicht, will ich es sagen): ›Kurdistan‹, und MAY schrieb’s im Hausschatz mehrfach ›Curdistan‹ mit ›C‹, ist das ›Land des Herzens‹, vom lateinischen ›cor, cordis‹; und ›curdische Berge‹ zieren ja jede Geliebte! Gleich in der frühesten großen Präsentation, der von 1881, gaukeln, so auffällig, daß kein Zweifel mehr bleibt, Abkömmlinge des Wörtleins ›amare‹ über die zuständigen Seiten, lauter Bankerte von Amoretten: man befindet sich immer in oder doch nahe ›Amadijah‹; mit der stets vorauszusetzenden Absicht, 1 Gefangenen zu befreien, einen Schammar-Araber, Herrn ›Amad el Ghandur‹; macht nicht nur Diesen ausfindig, sondern die unerwartete Bekanntschaft einer (a)Marah Durimeh, einer Halb-Armenierin, was ja sowohl ein besonders verkrüppeltes ›amare‹ als auch das vulgär-verzerrte ›Arm‹ birgt, (und das Glück liegt in 2 schwellenden ›Armen‹ hieß es, oben, von Ikbal); und daß MD sowohl im Band KURDI240
STAN wie in dem des II. SILBERLÖWEN ›Amulette‹ mitgibt, ›Hängezauber‹, stimmt hierzu ja wohl auch. »Hinaufsteigen« muß man zu MD, zum »Geist der Höhle«, zum »Ruh i kulyan«; der — I’m sorry; aber es ist nicht meine Schuld! — sowohl von ›Kulub‹ wie von ›kulyan‹ her, gesichert mit ›cul‹ gekuppelt ist; da hätte sie später gar nicht mehr im Wartturm des ›Kulluk.‹ (ein ›look‹ auf den ›cul‹) zu lauern brauchen. »Nacht« muß es sein, ja dreimal »Mitternacht« im Lande der »Merd-es-Scheitan« (›merde‹ und ›Schei‹) wenn man die ›Kerze‹ in die ›Mündung‹ der ›Höhle‹ der Schachmeisterin stellt — eines ›Spieles‹, bei dem man, wenn ich mich recht erinnere, ganz leicht ›matt‹ werden kann, (in B & B wird gar ein »Schach geritten«: MD gegen den Chef der Analer; das müßte ‘ne Partie geworden sein; übrigens ist MD in diesem Spiel so stark, daß sie nicht zu schlagen ist) — imgrunde alles recht krasse Ausdrückungen & recht raffinierte Anekdötchen. Daß das flüchtig-verschwommene Bild eines »vergifteten Kindes« mehrfach auftaucht, wird gleich noch seinen zwei-spaltigen Sinn zugeteilt bekommen; mindestens gleich interessant ist aber, daß in MD’s Gefolge grundsätzlich eine junge,
KBN stumm anbetende Hübschheit dahergetrippelt kommt: ob ›Ingdscha‹ oder ›Schakara‹ (beides übrigens ›Curdinnen‹: sollte das jetzt dem JAHNN’schen ›wohlbebust‹ entsprechen können?), ob ›Schefaka‹ oder ›Merhameh‹ (die für MAY’s Verhältnisse auffällig ›realistisch‹ wirken: handelte es sich etwa um schwärmerische ›junge Leserinnen‹ (›blättern‹ & ›Rinnen‹)? Das gibt es; man denke nur an CARROLL & sein Schock Kindsbräute, (die ihm schon JOYCE auf dem unfehlbaren Hand-teller serviert hat).). Immer aber ›vermittelt‹ MD, mit der Unerläßlichkeit eines S-Leitbildes, ›die Bekanntschaft‹; (dennoch wäre es vorschnell, wollten dem neugierigen Leser schon jetzt Bezeichnungen wie ›levantinische Heiratsvermittlerin‹ oder gar ›astrale Puffmuttel‹ einfallen: »Ich bitte nur um das Eine: Laßt mir endlich, endlich Zeit, mit dieser meiner Arbeit zu beginnen!«, BIO, 319). Daß die MD 241
umgebenden Landschaften ›onangonamed‹ (›Finnegans Wake‹) ähnlich denen im Wilden Westen, schätzbare Inzichten hinsichtlich ihres S-Wertes tragen, habe ich bereits angekreidet; der Automatismus von ›Tal mit Feuchtigkeit‹ ist ja, in seiner grauenhaften Sturheit, ein peinlicher ›Beweis mehr‹. (Es sei denn, daß Mann die ›Große Mutter‹ in L IV als vlorvoltzige ›MUTTER NATUR‹ gelten zu lassen gedächte.) Von hier aus gesehen, erfährt denn auch endlich die ganze MAY’sche ›Haarsymbolik‹, und nicht nur die im »unkultivierten Kurdenlande« (dreimal ›u‹, einmal ›Herz‹, einmal ›Cul-Kult‹) eine sehr merkwürdige Fundierung: die bereits als ›Skalpierlust (rasierte Zuchthäusler-Schädel!), Zopfabschneiderei (z.B. bei Chinesen, HALBBLUT 88 f.), Roßschweifigkeiten‹ erschienene ›Liebesbedingung‹ des ›Langen Haares‹ wird in allerletzter Instanz auf MD zurückzugehen haben, und deren überbetontes, endlos-vertracktes, vom Kopf bis zum Boden reichendes Paar venerabler (von ›Venus‹) weißer Zöpfe. Wenn eine Frau für MAY interessant — oder, halt, nein; (da es mir ja ›auch von andrer Seite kritisch‹ scheint) — wenn Mann oder Roß oder Weib, ob Hengst ob Maultier, ihn zu faszinieren bestimmt sein soll, so ist die ›Bedingung des ersten Blicks‹ der ›Pferdeschwanz‹! Ingdscha’s »dichtes volles Haar hing in zwei Zöpfen weit über den Rücken herab«, (KURDISTAN, 626); die ›Taldscha‹ des A & D, die mehreren Kennzeichen nach eine Art transformierter Ingdscha sein könnte (? ich setze lieber eigenhändig mein Fragezeichen), hat ein Haar »fein, dicht und goldig blond, weder aschfarben noch rötlich... es hing hinten bis über den Gürtel herab, in leisen Wellen rieselnd, die vermuten ließen, daß es häufig in Zöpfe geflochten wurde« (da; also doch; A & D, I, 126). Die ›Merhameh‹ (A & D I, 529) trägt »ihr starkes, dunkles, welliges Haar nicht geflochten, sondern ((es)) wurde im Nacken von einer Schnur mit Blumen ((›u: u‹ & ›Blume‹)) zusammengehalten und fiel von da wieder offen und in seltener Länge hernieder.« Die ›Schakara‹ des SILBERLÖWEN wird in Band III, S. 267, so geschildert: »Ihr dunkles Haar hing in 242
langen schweren Flechten herab« — Kunststück; ist sie ihm doch ausdrücklich von MD zugesandt, und überhaupt jenes kurdische Mädchen aus Amadijah ohja. (Daß in A & D ›Haarmenschen‹ auftreten, wird noch erwähnt.) Rih’s ›cola de caballo‹ und W’s unpraktische Damenfrisur wurden schon gerühmt; (alle anderen ›Spieß‹Gesellen sind freilich meist ziemlich kahl geschoren; wie man eben in ›Waldheim‹ so ging); aber 1 sehr malerisches Requisit des Wilden Westens, das immer so ›organisch‹ nebenbei miterscheint, daß es einem erst spät auffällt, muß noch gewürdigt werden, (am einschlägigsten sind in dem zur Zeit behandelten Zusammenhang die Seiten 105-127 von WE).
Da geht es darum, scheinbar unzähmbare Mäuler & Pferde zu besteigen und kurz zu reiten; und der greise OS, als gewiegter Kenner solcher Tierchen, schreitet denn auch rüstig zur Sache, (obwohl es sich um 6 Stück handelt — ‘n büschen viel für 1 Einzelnen); macht vorher allerdings noch die Bedingung, daß er sich »aus- und anziehen könne, ganz wie es ihm beliebt«, was ihm merkwürdigerweise — oder eben auch nicht merkwürdigerweise — ohne weiteres zugestanden wird. Da kleidet OS sich denn ›indianisch‹ und »rollt den Häuptlingsschmuck aus seiner Hülle«, ein Anblick, bei dem der ›Junge Adler‹, (ein prominentes Mitglied des Schutzengel-Klub ›Winnetou‹), sich sofort frappiert & ehrerbietig erhebt. Aber: »Still!« unterbricht ihn OS: »nur um zu den köstlichen Pferden zu gelangen, enthülle ich diese Heimlichkeit, deren Bedeutung man glücklicherweise hier wohl nicht kennt,«, (aber gleich kennen lernen wird). Und es muß schon ein dolles Dinx gewesen sein, »diese Art von Schmuck, um die es sich hier handelt«, zu der nur die 2 äußersten Schwanzfedern des Kriegsaars genommen werden durften: »Der meinige reicht hinten vom Kopfe bis auf die Erde herab, ((beneidenswert!!)), ist von sorgfältigster indianischer Arbeit, und hat seine eigene, sehr ergreifende Geschichte.« ›Der meinige‹ ist natürlich einmal, was er ist; und stellt weiterhin, in einem Maße, wie man sich’s nur wünschen könnte, den Übergang zu MD her, (der übrigens gleich 243
noch weiterhin gesichert wird). So nähert sich OS den Pferden, die denn auch sofort reagieren: »In ihre langen prächtigen Schwänze kam Bewegung« (118); er reitet sie mit bestem Erfolg, und »ich hatte nicht nötig, ihn zu vollenden, denn der Hengst stieß einen tiefen Ton der FREUDe aus ((›u: u!‹)) und begann sofort, mit allen Hufen zu spielen. Und da kam mir eine Idee, die eigentlich weit hergeholt erschien, sich aber dann später als wahr erwies. Es fiel mir nämlich der edle dunkle Rotschimmel ein, den mein Freund Apanatschka... mit großer Vorliebe geritten hatte«; nun ist also auch die Querverbindung zu jenem W-Ersatz garantiert! Späterhin erfährt OS dann noch, daß man »diesen schönen Komantschenschlag mit W’s Lieblingen vereint« hat; ›Pferdezuchten & Hormone‹ gehört anscheinend bei Manchem so zusammen, wie früher ›Liebe & Trompetenblasen‹. Die zweite, zur Identifizierung von MD wichtige Stelle von WE findet sich S. 402 f., wo plötzlich ein, der MAY-Leserschaar bisher gänzlich unbekannter (obwohl unmäßig berühmter & eigentlich, wie uns einzureden versucht wird, immer dagewesener) Wundergreis auftritt —: der genau wie MD aussieht! Der trägt sogar als Mann »außerordentlich reiches, starkes, silberglänzendes Haar«, »welches zu beiden Seiten in langen Zöpfen bis auf die Steigbügel niederfiel.« (Da dieser Tausendweniger ›-Sonnen‹ als ›-Sassa‹, ›TatellahSatah‹, nachher noch herangezogen werden muß, könnte ich mir eigentlich alles Weitere bis dahin versparen.) Selbst aus diesen wenigen Beispielen, die jeder süchtige MAY-Kenner aus eigenen Mitteln unschwer wird vermehren können, ergibt sich einwandfrei, daß es sich bei solchem ›Haarkult‹ um (meinethalben wieder ›ideellen‹) Fetischismus handelt; wieso er entstehen konnte, wenn nicht gar mußte, wird der nächste § abzuleiten versuchen: »das giebt so schönen Stoff für leere Spalten« (DL, 7). — Eine nächste Reihe überaus hülfreicher Bestimmungsmerkmale liefern die, im Zusammenhang mit MD grundsätzlich auftretenden, Berichte der Nase. »Um ihre ganze Gestalt wehte 244
ein leise duftender Hauch, eine ganz eigenartige, geheimnisvolle Atmosphäre, für welche in keiner der vielen Sprachen, die es giebt, das richtige, das bezeichnende
Wort zu finden ist«, (A & D I, 14 f.). Weitere Einzelheiten über das putzige Odeur gibt MAY dann S. 142 bekannt: »Da bemerkte ich zum erstenmal den feinen, unerklärlichen Duft, der von Taldscha ausging. Es war Blumenduft, aber von welcher Blumenart, das konnte ich trotz allen Nachdenkens nicht entdecken, nicht unterscheiden. Ein uraltes orientalisches Märchen sagt, daß die Schwingen der Engel aus Blumenduft gebildet seien, und daß die menschliche Seele nur im Blumenduft ihren Körper verlassen und zu ihm wiederkehren könne. Und indem ich an dieses Märchen dachte, mußte ich mich an Sitara erinnern ((!)) und an das Tal der Sternenblumen, durch welches ich an der Seite von MD so oft gegangen war. Als ich mich an dem unendlich lieben, reinen, keuschen Duft dieser Blumen entzückte, hatte meine alte Freundin und Beschützerin gesagt: ›Es giebt unendlich wenige Seelen, die es verstehen, diesen Duft im Körper festzuhalten. Wenn Du einen solchen Körper triffst, mag er noch so häßlich sein, so traue seiner Seele, denn sie stammt aus dem Licht, nicht aus der Finsternis und wird Dich niemals täuschen!‹. Und nun fiel es mir mit einem Male ein, daß dieser Duft, der die Frau des Scheiks umfloß, der Duft der Sternenblumen war, und es kam ein wohlthuendes Gefühl der FREUDe, des Vertrauens und der Sicherheit über mich.« — Daß MAY dann & wann von dem »leisen, lieblichen Duft einer gesunden Frau« schwärmt (SILBERLÖWE II, 469), hat seine besten Gründe; auch das ›Herzle‹ des WE hat ihn an sich. Nicht umsonst vergleicht er seine Schönen am liebsten mit ›Blumen‹, Jasmin-Mijasmen; vor allem mit ›Rosen‹ so häufig, daß es oberschichtiger Kritik läppisch wirken muß, (es gibt, abgesehen vom WALDRÖSCHEN, allein in Überschriften eine Rose von ›Kahira‹, von ›Ernstthal‹, von ›Schiras‹, von ›Kairwan‹, von ›Sokna‹); und eben diese Häufung macht MAY’s Blumensprache nun wieder bedeutsam: seine ›östlichen Rosen‹ haben uns etwas zu sagen! 245
Da fragt, zum Exempel, (SILBERLÖWE IV, 216 f.), Schakara ihren Effendi überrascht: ob er etwa auch jenes »Tal der Sternenblumen« kenne? Denn auch sie »war einst dort, mit MD! / Wir hörten süßes Flüstern um uns her / und leises Wehen, wie von himmlischen Gewändern. / Ein Veilchen stand am Quell, das einzige / im ganzen weiten Tale, soeben erst gepflanzt, / die Wurzel zärtlich sorgsam eingebettet / und dann befeuchtet, daß sie trinken könne. / Da kniete Marah Durimeh sich nieder, ((ich muß den Namen ausschreiben; es wäre Barbarei, wenn sogar ich MAY’s Jamben stutzen wollte, das sei der ›Bamberger‹ überlassen)) / schloß es mit ihren lieben Händen ein und sprach: / ›So war er also hier! Ich kenne seine Weise / und auch die namenlos Verehrte, / die er mit seiner Lieblingsblume grüßt.‹ / ...›Bist Du die Seele, die mit Veilchen grüßt?‹«. Was MAY hier ›durch die Blume‹ andeutet, wird noch erläutert werden: es war ein herzig’s Veilchen! (Das mit der ›Lieblingsblume‹ stimmt doppelt: »Mit einem Veilchenstrauß in der Hand betrat der ungestüm Erwartete das Podium«; Augsburger Postzeitung, v. 10.12.1909). Wie sehr er seine Pflanzensymbolik in succum et sanguinem vertiret hat, mag noch SILBERLÖWE III, 567 belegen, wo ›Tifl‹ — wie Hans Wollschläger nachgewiesen hat, die dritte von MAY’s Selbstdarstellungen in den Chaosharmonien des großen Buches — ein »Liebeslied« singt: »Die schönste Blume auf der Welt stand morgens an des Nachbars Zelt« in diesem speziellen Fall hieß die Blume ›Klara‹, und der ›Nachbar‹ war sein jüdischer Freund, der Fabrikant Richard Plöhn. Der starb dann; Klara wurde MAY’s zweite Frau; und ›Tifl das Kind‹ jodelt logischerweise den Schlußvers: »Die schönste Blume auf der Welt steht nun bei mir in meinem Zelt. Wer kommt nun jetzt mit seinem Licht? Wer küßt nun fromm ihr Angesicht? Wer geht bei uns nun aus
& ein?« Daß sich an die ›Blumen‹- sofort die ›Kerzen‹-Sprache an246
schließt, wird bei der inzwischen hoffentlich gewonnenen Einsicht in die MAY’schen Mechanismen nicht mehr überraschen; (daß in den Erkundigungen ›Wer kommt nun jetzt mit seinem Licht?: Wer geht bei uns nun aus & ein?‹ ein gewisser Siegerstolz unüberhörbar mitschwingt, muß man einem Sechzigjährigen verzeihen). Das erotische Schwanken im SILBERLÖWEN findet übrigens mehrfachen Ausdruck. Die Ganovenbande der ersten beiden Bände, die ›Ritter vom Schatten‹, deren Anführer sich »Pädärahn« nennen, könnten ja von ›Päderasten‹ herkommen; in Bd. IV, S. 125 f. findet eine Szene unter Männern mit ›zwei Kerzen‹ statt, und der hierzu hülfreich die Hand leihende ›Pedehr‹ ist auch so ein komisches ›Väterchen‹; (freilich ging die Tarnung eine ganze Zeit lang schwer durcheinander; so daß man beim Entziffern ganz behutsam verfahren muß: ›am Ende‹ wird dieser 1 spezielle ›Pedehr‹ vielleicht auf seinen Verleger Fehsenfeld hinauslaufen). (Der große ›Traum‹ IV 314-352 schildert übrigens MAY’s Verhältnis zum ›Hausschatz‹; und rekapituliert noch einmal den ihm (anscheinend tatsächlich gemachten) Antrag, in großem Stil zu katholisieren — den MAY, wie bekannt, mit Hohn & Verachtung von sich wies; vgl. S. 296). Eines der schönsten Beispiele in dieser Beziehung ist die ›Parabel von den beiden Pflaumenbäumen‹, SILBERLÖWE III, Ss. 344 — 358: da wandelt der genesende Meister in einen schönen Garten, und kommt an 2 »nahe beieinander stehenden« Pflaumenbäumen vorüber, »welche so voller Früchte hingen, daß ihrer fast mehr als Blätter waren. Es war eine frühe, eigroße, köstlich blaurot gefärbte Pflaume! Ja, köstlich!!!« Nun muß dem großen KBN ausgerechnet »Obst« über jede andere Speise gehen: »Ich esse da gewiß so viel, wie sogar meine 4 Ausrufungszeichen schwerlich vermuten lassen. Und Pflaumen? Gar von dieser geradezu zum Stehlen einladenden Sorte? Man würde staunen, wenn ich sagen wollte, wieviel ich da essen und aber auch vertragen kann. Ich sage es also lieber nicht... Nach dem Preise soll man da nicht fragen.« Aber schon nötigt ihn ein unfreiwilliges ›fading‹, eine erbauliche Homilie über 247
einfache, frugale Kost, die er sehr empfiehlt, einzuschieben; dergestalt wird ihm erst kurz puritanisch, dann jedoch gleich wieder Buridanisch zu Sinn: »Da stand ich unter den Bäumen und schaute sehnsüchtig hinauf. Wem gehörten sie? Wer war der Glückliche, der da pflücken oder gar schütteln konnte, ohne erst Jemand fragen zu müssen? Der Ustad?«. Die Entscheidung ist begreiflicherweise nicht ganz einfach: »Was nun tun? Soll ich? Oder soll ich nicht? Darf ich überhaupt?«; alles recht verzwickte Fragen; zumal ihm, wie es sich bei gelehrten Abendländern gehört, aus einem alten Buch zusätzlich noch ein ›Baum der Erkenntnis & Versuchung‹ einfällt: »Adam und Eva im Paradiese« — (›Der Äpfelchen begehrt ihr sehr / und schon vom Paradiese her!‹) — »wußten wenigstens, daß sie nicht durften; ich aber wußte nicht einmal das! Doch wozu diese übermäßige Zartheit des Gewissens! Bei solcher Art von Pflaumen! Ich war ja Gast! Und der Garten gehörte einem Orientalen«, (deshalb erwähnte ich vorhin den ›jüdischen Freund‹), »nicht einem abendländischen Besitzer, bei dem das Bäumeschütteln nicht mit zu den unveräußerlichen Rechten des bei ihm Aufgenommenen gerechnet wird! Ich legte also beide Hände an den einen Stamm — — — und schüttelte.« (›Sie reizten mich — ich stieg hinan‹, formuliert’s das vorhin schon zitierte andere Alte Buch bei ähnlich opportunem Anlaß; und ›Shatterhand‹ ist ja schließlich auch nur eine ›geballte Faust‹).
: »Hei! Was gab das für einen Erfolg! Es regnete förmlich Pflaumen auf mich nieder! Das freilich hatte ich nicht gewollt! Es hatten nur einige fallen sollen; aber sie waren beinahe überreif, und in Anbetracht meiner jetzt noch so geschwächten Kräfte hatte ich mich zu energisch in das Zeug gelegt... Ich stand da mit wohl demselben Gefühle, wie jener Reiter, der sich links ((›zur linken Hand‹)) so kräftig auf das Pferd geschwungen hat, daß er rechts, auf der ändern Seite wieder hinuntergefahren ist. Jedes Zuviel ist eben schädlich.« So ist es. Aber »da ich die herabgefallenen Pflaumen doch unmöglich wieder oben anheften konnte«, geht KBN ein Stück weiter 248
nach einer Bank, und »genießt« dort »seinen Raub«: »Ich saß nun so, daß ich die beiden Pflaumenbäume nicht mehr sehen konnte. Das minderte die Kraft der Vorwürfe, welche ich mir zu machen hatte.« Schon naht unserm Flattergeist & Vogel Strauß die Radie: MAY als ›Kind Tifl‹ (»er ist grad so wie ich« wird S. 358 die Gleichung hergestellt) erscheint, »einen leeren Korb in der Hand, und ging grad nach der Gegend hin, wo die beiden Pflaumenbäume standen, der eine noch als Zeuge meiner Ehrlichkeit, der andere aber als Beweis der Missethat, die ich begangen hatte.« Und nun wird es sehr nett geschildert, wie der Sihdi sich selbst dabei ertappt, daß er an fremden Pflaumen herumnaschte; (und die Köchin Pekala = Emma muß ausgerechnet auch noch hinzu kommen!). ‘s G’schichterl ist im Frühsommer 1902 entstanden; in jener Krisenzeit, wo in MAY’s Leben (und folglich Gedanken-Gängen) die ›beiden Frauen‹ — Emma geb. Pollmer und Klara geb. Beibier — sich ständig abgelöst zu haben scheinen. Falls er das, wirklich köstlich durchsichtige, neckische Szenchen bewußt konstruiert, und an dieser Stelle eingearbeitet haben sollte, wäre das natürlich ein treffliches Alibi dafür, daß er, wenn nötig, auch über eine sanfte Selbstironie zu verfügen gehabt hätte — was jedoch leider, (schon in Anbetracht des zwar allgeläufigen, ihm aber sicherlich zu ›niedrigen‹ Symbolworts ›Pflaume‹ — ›Fica‹ sagt der Italiener) zu bezweifeln steht: wo es MAY ab & zu einmal ›gelungen‹ ist, hat er es doch schier nie ›gemacht‹! (D. h. als Künstler bewußt herbeigeführt; so rächt sich eben 1 Menschenalter Flüchtigkeit. Wie legitim übrigens die Verwendung von Früchten als erotischen Symbolen ist — nämlich ›reife‹ Selbstverständlichkeit, und gar kein verlebtes Gebrabbel! — möge EMIL NOLDE’s prachtvoller ›Zitronengarten‹ belegen, wo Gesicht, Formen & Farben der Geliebten sogleich die Fruchtfülle ringsum nachahmen.) Der ›andere Pflaumenbaum‹ ist die ›Köchin Pekala‹, nämlich MAY’s erste Frau Emma; und sämtlichen Küchengeräten und -Verrichtungen lassen sich seit eh & je Sexualbegriffe auch 249
ganz leicht supponieren. Diese ›Köchin‹ heißt ihren ›Tifl‹ tüchtig ›Kerbel‹ zur Abendsuppe mitbringen; sie kocht nämlich immerfort ›Kerbelsuppen‹ (z.B. III. 347, 353, 455 ff.), so lange, bis es dann, IV 228, herauskommt, daß sie »eine Person« ist, »die Euch mit ihrer Kerbelsuppe nur scheinbar erheitert, in Wirklichkeit aber regiert!« — wie man mit Kerbel regiert, gibt denn auch jede größere Botanik an: ›ehemals als Reizmittel verwendet‹ (OKEN, ›Naturgeschichte‹, 3 c, S. 1800 ff.) / Und wie MAY’s unerferschliche Ratschlüsse zahnradhaft funktionieren, zeigt der — vom Oberschichtigen her zum Lachen reizende — Umstand, daß er von ›Kerbel‹ gleich auf der nächsten Seite zur Stadt ›Kerbela‹ übergehen muß: so hoffnungslos stümperhaft die künstlerische Konstruktion seiner Bücher fast immer erscheint, so konsequent wirkt sie andererseits, wenn man die dumpfe Zwanghaftigkeit dieses ›Sakral-Hirns‹ erst einmal erkannt und genehmigt hat. Aber lassen wir uns auch von
den größten, blaurot gefärbten Pflaumen nicht von der zur Debatte stehenden Durchläuchtung MD’s ablenken — man vergebe mir auch diese lose Bemerkung: ›les gens sérieux seront toujours bouffons‹. Wenn ich zuvor sagte, daß zwischen W und MD keine persönliche Bekanntschaft bestanden habe, so ist dieser obschon unläugbare Umstand doch dahingehend zu berichtigen, daß es mehrere, halbdeutliche Verbindungen von MD zum Wilden Westen gibt. Die eine ist der bereits kurz vorgeführte ›Tatellah Satah‹ des WE; eine andere Stelle, die besagt, daß man MD’s auch im Llano estacado gedenke, steht SUREHAND I, 406 ff; die dritte, für die Theorie sehr bedeutsame Konfession ist ihm in jenem, schon mehrfach als hocherotisiert nachgewiesenen SUREHAND III, S. 41 -90 entwischt; (und die Halbwüchsigen der Jahrgänge von 1875 an mögen nur schon immer die Zähne aufeinander beißen; es handelt sich um eine erste kleine vorbereitende Probe aus der Scheol). Da wird ein Rendezvous zwischen W und OS verabredet, (von anderen Schattengestalten einmal abgesehen; obwohl OS’ ›Begleiter‹ à la ›Dick Hammerdull‹ immer ihren, all250
mählich wohl bekannten, ›Sinn‹ haben werden); und nun geht’s los nach der Melodie ›When shall we Three meet again?‹. Jene ›Dritte‹ ist nämlich MD; und das ›Stich‹Wort, auf das hin sie lingua-logisch herumzugeistern beginnt, fällt vermutlich S. 40 mit Wara - tu Mara - Du (rimeh). Aber diese — MAY’s sehr würdige! — Konjektur einmal beiseite gesetzt, schließt sich, nur 10 Zeilen weiter unten, eine jener selbst mich immer wieder überraschenden Personalunionen an, zwischen plattsohligster Bier-Filistrosität und heimtückischster, unbeabsichtigter S-Ironie. Erst dekretiert W noch von sich selbst: »›Der Häuptling der Apatschen ist gewohnt, nur dann zu schlafen, wenn er Zeit hat!‹« — abgesehen von dem erhaben-pampigen ›L’Empereur ne sait autre maladie que la mort!‹, ist dieses mit sich selbst in der 3. Person-Singular-Präsens-Indikativ-Aktivverkehren, psychologisch besehen auch ebbes sing-sing-schweres: ›Fragen Sie Ihren Arzt‹ — macht dann seinem Freunde OS ein Kompliment über dessen ›eisernen Körper‹; und »›Gut‹«, willigt Der denn auch ein: »›Wo treffen wir uns?‹«. Nun darf der Leser, auch der entrüstete Gegner von L II, 3 Mal raten —: auf die Absurdität verfällt er nicht! (es sei denn, er wüßte’s auswendig, was bei einem echten MAY-Liebhaber allerdings sehr möglich ist). : »›Mein Bruder Scharlih kennt das große Loch, welches die Dakota Kih-pe-ta-Kih nennen?‹«; (›Einen Kidebarri, wie sie’s heißen‹, ›Kabale & Liebe‹, V, 5). So eine Frage!: natürlich kennt’s ›Bruder Scharlih‹: »›Ja. Es wird so genannt, weil es die Gestalt eines sitzenden alten Weibes hat. Willst Du mich dort erwarten?‹«. Aber jewiß doch! — Ab S. 44 geht nun der Ritt zum ›Loch der Alten Frau‹ durch die Dunkelheit — ich habe schon an anderer Stelle von diesen Seiten zitiert; wie da erst ein kurzes selbstberuhigendes fading einsetzt, von »Millionen Himmelskörpern« (sprich Millionen ›himmlischer Körper‹: alle Radschläge MAY’scher Weisheit 251
sind der Beschränkung durch grund-wässrige Zweideutigkeiten unterworfen! In L I betreibt er sein gewaltiges Schattenboxen gegen alles ›Böse‹, täuscht dadurch über
die »unersättliche Porosität« des Fundamentes hinweg; und so Bauch-Rednerisch ist der lehrhafte Ton gelegenheitskäuflicher Humilethik getroffen, daß die ›Kinder‹, notorisch unbewehrten Sinnes, womöglich Tugendvorschriften zu lesen glauben! Na, ich will auch mal originell sein, und deshalb schlicht sagen: dem ist nicht so.) Aber unterdessen ist der ›Rappe‹, strotzend von verwandten Energien, rüstig über die ›rollende‹ Prärie fürbaß ›geflogen‹, und die Gegend um unsern »Liebling der Wildnis« wird immer ›unfruchtbarer‹; Wörtlein wie »Instinkt« und »Wandervogel« schlendern unauffällig herzu (›Frau Vogel‹; und immer hin zum ›Loch der Alten Frau‹). Das »verborgene unbegreifliche Auge« muß an den Tanz; prompt wird gegen »Mitternacht« das Terrain »faltiger«, und Hammerdull äußert Besorgnisse, ob man nicht über die Umsteigestation des ›Wara-tu‹ hinausreiten möchte? »Habt keine Sorge, lieber Dick! Ich kenne mich hier aus.«; (und immerhin am ›Loch der Alten Frau‹!). Zwischenein befreit OS noch seinen Buhlen Apanatschka (vgl. S. 129 ff.), zu welchem Zweck er ›eine Zeitlang hinter ihm stecken‹ muß, genau wie einst hinter W, das war eine köstliche Zeit; dann »treten die Herzen in ihr Recht« (corcordis nennt’s der Lateiner; Cul-Kulub der Araber), »er hielt mich fest, und so ritten wir Hand in Hand eng nebeneinander« (und immerhin zum ›Loch der Alten Frau‹.) Das »liegt im Westen ((= links)) von Kansas... unterirdische Höhlungen, deren Decke nachstürzt, weil sie keinen festen Halt besitzt... sind die Wände dicht, so bildet sich mit der Zeit ein See, welcher die ganze Vertiefung ausfüllt; sind sie aber porös« und so erfolgt 1 S-Alarmschuß nach dem anderen. »Liegt eine solche Senkung in einer vollständig ebenen Gegend, so macht sie von weitem einen eigenartigen Eindruck ((›vollständig‹ & ›eigenartig‹, wie Losung & Feldgeschrei)), weil nur die Wipfel der Bäume zu sehen sind, welche unten im 252
tiefliegenden Grunde Wurzel geschlagen haben. Eine solche Stelle war das Kih-peta-Kih, welcher Dakotaname, ›alte Frau‹ bedeutet. Der von der unfruchtbaren Ebene scharf abgegrenzte, vexgetationsreiche Ort zeigte nämlich in seinen Umrissen die Konturen einer am Boden bockenden Indianer-Squaw, / Die Sonne stieg eben hinter uns am Horizonte auf, als wir diese grüne Squaw vor uns erscheinen sahen.« Ich bitte, sich diese Zeitangabe für den nächsten § vorzumerken: MAY hat das ›Loch der Alten Frau‹ ›Vor Sonnenaufgang‹ erblickt, als er-sie-es noch ›grün‹ war. »Wir erreichten die Stelle an der linken Hüfte der Figur, während W von rechts her zu erwarten war. Ich ließ aus Vorsicht halten, und ging einmal um die ganze Frau herum.« (Was das für chorografische Ausdrückungen sind! Es ist schon ein rechtes Elend mit diesen MAY’schen Locusluculluslocalitäten, Mäusedreck & Coriander, immer durcheinander.) Natürlich finden spannendste Handlungen an & in diesem Loch statt, sintemalen die Unterscheidung zwischen UBW Organ-Abbildung und Überlagerungen mit L I-Handgriffen nicht mehr so sehr zu beachten sein wird; (dem hitzigen Westmännlein in spe empfehle ich zur Abkühlung noch weniger das LESSING’sche ›Glas Brunnenwasser‹ als vielmehr N. G. SAWIN’s ›Spannungserhöhung am Rande von Löchern‹, Berlin 1956, mit Abbildungen). Selbst der Jurist Treskow — im BRODNIK heißt die Räuberbraut so — merkt es allmählich (S. 87): »Es ist eine ganz eigene Sache um Euch und W, Mr. Shatterhand.« Da hat der Herr wohl recht. S. 90 jedenfalls muß man sich losreißen, »und so verließen wir die ›Alte Frau‹, bei welcher uns nur eine so kurze Rast vergönnt gewesen war.« Selbstverständlich wäre es auch jetzt noch am einfachsten, sich aller Grillen zu entschlagen; sich über MAY’s Enthusiasmus für bizarre Wortlarven in edler Einfalt stiller Größe hinwegzusetzen; die Rückseite des Gobelins zu vernachlässigen; die hier allwichtig werdende Textfrage für positivistische Buchstabenklauberei, und Arno
Schmidt für einen Kalumnisten zu erklären: ich, uneingeschüchtert durch den Erfolg innerhalb dreier 253
Generationen, kann mich nicht entbrechen, ›dem Beträffenden‹ das Gegenteil zu versichern. MAY’s ›Landschaften‹ sind Begelirungen, in denen er sich verwirklicht; sein Eros gewinnt von der Natur her wüst-&-waldige Bestätigungen; in seiner grandiosen S-Elefantastik sprengt der Fant alle Grenzen des vor & (bisher) nach ihm schriftlich Überlieferten — ob stauffische ›Minnesänger‹, ob CREBILLON ob SADE ob CASTI ob FISCHER, ob noch südlichere Trovadors: der Sachse übertrifft sie Alle an S-Bandbreite! Aber nun endlich zu ›IHR‹!
§30 »›Goodness gracious me!‹ I exlcaimed almost at the very instant, that the rim of the spectacles had settled upon my nose — : ›You, — you — you villainous old hag! — And if I haven’t married my Great-great-grandmother, I wish, I MAY be everlasting confounded!‹«. (EDGAR ALLAN POE, The Spectacles) Und zwar die im Familienkreise sogenannte ›Ernstthaler Großmutter‹ — BIO 136 steht es eindeutig: »Da ((im Gefängnis)) entstand in mir meine MD, die große herrliche Menschheitsseele, der ich die Gestalt meiner geliebten Großmutter gab« — Johanne Christiane Kretzschmar, geboren 15. 9. 1780, gestorben 19. 9. 1865; die 15 Jahre lang (1803 — 18) als eine verehelichte MAY lebte; verwitwete; zum zweiten Male heiratete und dann, rund 40 Jahre lang, bis an ihr Ende ›Frau Vogel‹ war; heute aber (und vermutlich noch für einige kommende Menschenalter) MARAH DURIMEH heißen wird. Die bei MAY’s Geburt also 61 Jahre ältliche, anscheinend sehr gescheite Person, ist allen Anzeichen nach seine erste Lehrerin 254
in S-Dingen gewesen — »Sie lehrte mich den ersten Schritt« heißt es in seinem Gedicht vom GROSSMÜTTERCHEN; wobei Wer es ganz keusch (aber völlig ebenso hinreichend) sehen möchte, darauf hingewiesen sei, wie der bloße Einfluß der Körperpflege oft für die ersten Erregungen der Genitalien verantwortlich ist — bei MAY infolge seiner jahrelangen Erblindung als Kleinkind (falls das stimmt; das ›autos epha‹ ist hier verdächtiger denn sonstirgendwo!), und der daraus unvermeidlich resultierenden Überfütterung mit & Überbewertung von Haut- & Berührungsreizen noch glaubwürdiger; was die infantile Fantasie sich später bekanntlich nicht selten als ein ›Verführtwordensein‹ durch die betreffende Person der ›Mütterreihe‹ umkonstruiert. »In der Körperpflege wird die Mutter zur ersten Verführerin des Kindes« (FREUD); was MAY auf seine Art so ausgedrückt hat (KURDISTAN, 220), daß MD ihre Enkelin unter anderem »vor jedem Flecken des Leibes bewahrt« sehen möchte. Für den sachlich zu denken Gewohnten freilich scheint im vorliegenden Falle Mehreres dafür zu sprechen, daß die Großmutter tatsächlich schattenhafte S-Spiele mit dem »Enkel und Schüler« betrieben, und so eine ungewöhnlich frühe & treibhausmäßig-intensive S-Vorblüte bewirkt haben könnte. Die, sobald MD sich naht, sie begleitende Vorstellung von einem ›vergifteten Kinde‹ dürfte ihren schweren UBW-Sinn besitzen. Auch ist heutzutage sattsam bekannt, daß gerade die hier zuständigen 2. bis 5. Lebensjahre, in denen Sadismus & Analerotik vorherrschen, »auch eine Objektwahl mit all den reichen seelischen Leistungen zeitigen« (FREUD), wie sie unerleuchtetere Epochen nur den Erwachsenen vorbehalten wollten; nur daß eben jene kindlichen Liebesleistungen zunächst der Amnesie verfallen; und sich erst späterhin, vor allem in Träumen und LG’s abbilden, ob die nun nur offiziell das Hirn passieren, oder aber künstlerisch fixiert und so dem Kundigen entzifferbar werden. Ich reihe ein paar MAY-Zitate aneinander; schon um dem Zaudernden die (nicht nur
Berechtigung sondern) Notwendig255
keit klarzulegen, alle diese uns milliardenfach umgebenden, ständig im Schwelen begriffenen S-Grudeöfchen zu erkennen; und, wenn möglich, zu bedienen, um ›Schornsteinbrände‹ zu verhüten. — »Den Einfluß der Verstorbenen auf ihre Nachlebenden an das Tageslicht zu ziehen, ist rechts eine Seligkeit & links eine Erlösung für beide Teile« (BIO, 12). »Sollte ich plötzlich sterben, ohne die Hand an dieses ((autobiografische)) Werk gelegt zu haben, so wird es allerdings nicht von mir, sondern von meinem Biografen zu vollenden sein, und ich bitte in diesem Falle um diejenige Objektivität der Auffassung & Charakterisierung, welche den Zwecken der Literaturgeschichte gerecht zu werden weiß«, (COPIE Nr. 2, S. 84). »Wenn ein biografischer Versuch wirklich zum Verständnis des Seelenlebens seines Helden durchdringen will, darf er nicht, wie dies in den meisten Fällen aus Diskretion oder Prüderie geschieht, die sexuelle Betätigung, die geschlechtliche Eigenart des Untersuchten mit Stillschweigen übergehen«, (FREUD, ›Lionardo‹, S. 124f.). »Die wollüstige Orchidee schwängert den Embryo«, (A. KUBIN, in ›Die andere Seite‹): genau dies ›im Dunkeln Wuchern‹ eines krampfig niedergehaltenen Triebes ist es, was bei MAY ›oben‹ die grell-aufgeregten, tropischüberbelichteten Bilderfluchten mit ihren queckenhaft unausrottbaren Wort-Unkräutern ergibt, und jenes milljonärrisch buchstäbliche Leben, dessen entscheidende Richtung von eben jenem ›ersten Akt‹ an festgelegt war! Denn es dürfte sich schlicht um das erste weibliche Genitale gehandelt haben, das MAY erblickt hat; dieses »Loch der Alten Frau«, das einer ›am Boden hockenden Indianer-Squaw‹ (urinierenden?) glich, und das dann wahrlich faszinierende Flechtwerk der ›weißen Zöpfe‹ bammelt dem cauchemar ›beiderseits‹ bis zum Boden; darüber der grinsende Totenkopf — und das typische ›Medusenhaupt‹ FERENCZI’s ist fertig! Und da im Alter sämtliche Verschlüsse undicht werden, umgibt die Hochgespannt-Unsterbliche jener Duft, jener Blumenduft, jener Stern-BlumenDuft, nach dem man Schiffer-Jäger-Fleischer fragen muß: jener ›Duft aus der Blume‹; der 256
›Stern-Blume‹, Gorgo + Gorgonzola — MAY hat ganz genau gewußt, was ›Stern‹ heißt (W III, 5), nämlich ›Hinterteil‹, ja sogar ›Schiff-Hinterteil‹! Er war allweil für »Deiner Locken duftge Spur« (WANDA, 22; im gleichen Gedicht erscheint bereits die »Rose«, die nicht »im Wald« umkommen soll; und »ein Engel« will er auch schon sein, S. 229); alle Lebewesen sind eben mehr oder minder auf Parfüme & Chemotaxis dressiert; und MAY’s Lieblingssorte, (die er vergeblich auf ein ›im Gerüche der Heiligkeit‹ umzuzüchten versuchte), hieß halt ›Marke Sternblume‹: und das ›Tal der Stern‹-Blume ist nichts als Dschinni-Tal gleich Genie-Tal = Genital gleich Ernstthal-(-er Großmutter); denn aus ›Ernst‹ bildet jedes kreuzworträtsellösende Kind mühelos ein ›Stern‹; und eine ›Sternblume‹ ist überdem ein ›Aster‹, woraus 1 Buchstäbchen ›After‹ macht. Am Quell dort ›steht‹ 1 ›Veilchen‹, steht blau, ja violett (und ›violate‹ tritt unaufgefordert aus der PIERER-Hendekaglotte hinzu); und MD legt auch gleich die Hände um dies ›stehende Veilchen‹, (»Du sollst nach oben Blüthen treiben, in deren Duft Dein Dank besteht«, LICHTE HÖHEN, 347) indem sie »in überquellender Zärtlichkeit eine Hand ausstreckt, um die Irrenden zurecht zu weisen«. Nichts gegen NEUMANN’s ›präembryonalen Tantenkomplex‹, und MAY’s — selbstredend ebenfalls vorhandene — Bindung an seine Mutter, Christiane
Wilhelmine, geb. Weise (1817-85), die ›weise Frau‹, die als ›weiß‹ mehrfach durchs Oeuvre gaukelt, (und in den Wortsalaten das überhäufige, von mir auch mehrfach angemerkte, Art & ›Weise‹ bewirkt hat). Aber das ist alles nichts im Vergleich zu der Engagiertheit, die er gegenüber jener Großmutter an den Tag legt; der Arme hat lebenslänglich ein ödipus doppelten Gewichts sein müssen, denn sein war der ›Froissart-Komplex‹, wie ich ihn in Anlehnung an EDGAR POE’s Erzählung von der ›Brille‹, (die dreimal das Motto liefern mußte), nennen will. So intensiv hatte sie ihn »auf ihren Schoß« genommen, ihn so ausdauernd in dem »ziemlich großen und schon sehr abgegriffenen« ›mère‹ chen-Buch blättern lassen — das ›Märchen von Sitara‹, 257
jene allerersten Worte, mit denen seine in L I sehr fragwürdige Auto-BIO beginnt, könnten, es ist mir mehr als wahrscheinlich, in L II simpel lauten: ›Das mère-chen von Cithera‹: das venerable Venus-Mütterchen, die ›Königin-Mutter‹! (›Das mèrechen von der Wasserscheide‹, usw.; notieren wir uns als neuestes Knall- & PhallWort: ›Märchen‹) — in jenem ›HAKAWATI‹, verfaßt von Weise & Kretzschmar, von Mutter & Großmutter; woraus sich ergibt, daß der ›Hakawati‹ des B & B auch wieder nur 1 MD-Double mehr ist, gleich dem ›Tatellah-Satah‹, (in Zeile 33, I. Akt, gesteht er auch selbst, er sei »das heilge Märchen«) — so phrenetisch also hatte MAY in jenem Schoß geblättert, daß seine Großmutter- ja, nicht mehr ›-Bindung‹ sondern ›Fesselung‹ enorm war. BIO 154 f. schildert er es denn auch, wie, als er nach den ›ersten 3 Jahren‹ aus dem Gefängnis nach Hause kam, er mit nichten zu seinen Eltern eilte; sondern »ich stieg zuerst die Treppe empor... nach dem Bodenräume, wo Großmutter sich immer am liebsten aufgehalten hatte. Ich wollte zunächst zu ihr, und dann erst zu Vater, Mutter & Geschwistern. ... Da stand ihre Lade, mit blauen & gelben Blumen bemalt... und da stand ihre Bettstelle; sie war leer. Ich eilte hinab in die Wohnstube. Da saßen die Eltern... ich grüßte gar nicht und fragte, wo Großmutter sei!«. Die, selbstverständlich nicht ohne Absicht so ausführlich von mir beschriebene Wandlung des altersgrau-klugen, gebärmutterhaften ›Geistes der Höhle‹, von der Succuba — dem skelett-artigen alten Weibe, vor dem dem Kinde imgrunde gegraut hat! — zur dunkelalabasternen ›CELESTINA‹, halb Ninon de L’Enclos halb HimmelsMère-chen, bedeutet natürlich einen herrlichen UBW-Trick; einen künstlerischen Sieg von Medschnuns Auge über Leilas zaundürr-rippenbraune NichtSchönheit! Dies ›Loch der Alten Frau‹ also ist das geheime erotische Zentrum, an das sämtliche MAY’schen S-Abbildungen anzuknüpfen sein werden; auch der später daraus entwickelte W, dem man im Sterben »das Lied von der Königin des Himmels«, ein ›Ave Marah Durimeh‹ vierstimmig vorsingen 258
muß, (W III, 473 f.). Hier liegt der Ursprung (›u: u‹) all der analen Runen; der ›unfruchtbaren Spalten‹, aus denen Wasser feuchtet; dieses ganz komischen ›Duftes‹, der sich künftighin für ihn mit allen liebenswerten Personen zu verbinden hatte — (Wer dächte hier nicht an die ›Celestina‹ des mächtigen FERNANDO DE ROJAS: »›Tritt näher zu mir, komm heran, hab’ ich Dir nicht 1000 Hiebe & Püffe verpaßt, und nicht weniger Küsse? Weißt Du noch, wie Du zu meinen Füßen schliefst, Kleiner?‹: ›Ja, und guten Glaubens. Und manchmal, wenn ich auch noch Kind war, zogst Du mich an Dich; doch ich floh vor Dir, weil Du wie ein altes Weib rochst /‹«; Übersetzung HARTMANN-FRIES, S. 38) — daher also, und zwar gänzlich ohne gekünsteltes Forschein & drehendes Deuteln, der ›Blumenduft‹, diese ganze greise-weise, altersgraue Vergangenheit, die gewisse Gründe hatte, sich jeder, auch
der Selbst-Beobachtung zu entziehen; daher ›Ikbals‹ ›schwellende Arme, in denen das Glück liegt‹; (»sie trug mich oft auf ihren Armen«: ›Arm‹; nahm auch den ›Schirm‹, der ›es‹ bedeckte, von dem ›kleinen Licht‹ weg, das GROSSMÜTTERCHEN); dies auch der Grund, warum sie über das ›Schiff der Geburt‹, über die ›Ar(s)che Wilahde‹, gebietet. Für MAY hat sich der Begriff der ›Hebamme‹ über die Mutter her mit eingeblendet; BETTELHEIM hatte, wenn auch in von ihm nicht gemeintem Sinne, gar nicht so Unrecht, wenn er das für erwähnenswürdig hielt: man möge doch ja nicht übersehen oder unterschätzen, wie sich gerade einer noch frühkindlich-objektarmen, schweifend-suchenden Aufmerksamkeit der täglich aufgenommene Wortschatz & die mannich-faltigen Anekdoten einer Hebammen-Mutter super-poniert haben werden. Wie oft werden nicht am Hohen Stein im Ernsten Thal, bei Tag & Nacht an Tisch & Bett, ›Geburten‹ besprochen worden sein, leichte & ›schwere Fälle‹ beruflichsachlich erörtert von der heimkehrenden Mutter; so daß allein von daher MAY sämtliche einschlägigen Ausdrücke von frühester Jugend an übergeläufig gewesen sein müssen; (er selbst gedenkt in seinem dubiosen BIO-Büchel natürlich nur die ›Zoten der Kegelbahn‹ 259
verantwortlich zu machen). Diese Mutter hat sich selbstverständlich ein bißchen mit der inzestuös geliebten Oma legiert, so daß die Bildungen sich zum Teil überlappen; aber den eigentlichen Schlüssel — präziser ›Dietrich‹ — zu all der »Erbsünde. Die Vorväter und Vormütter kennen, heißt die Kinder & Enkel begreifen« (BIO, 12), ergibt eben doch MD: »Sie war mein Alles« (BIO, 32), die scheintot Gewesene, (und als solche immer wieder schaudernd Vorgeführte; etwa SUREHAND I, 406 ff., wo sie 96 (69?) Jahre alt ist). »Er verbrachte seine ersten Lebensjahre fast ausschließlich am Herzen der alten Großmutter«, (M. DITTRICH, S. 31). Auf ihrem Schoß ist es denn konsequenterweise auch geschehen, daß er das Märchen von SITARA & der ›Geisterschmiede‹ zum ersten Male vernommen haben will, jene deisidämonische Projektion; sie war nun einmal »ein ganz eigenartiges, tiefgründiges, edles, und, fast möchte ich sagen, geheimnisvolles Wesen.«: da ist es schon wieder aufgepflanzt, das Feldzeichen der S-Entstellung! »Sie war mir von Jugend auf ein herzliebes, beglückendes Rätsel ((wieder ›Geheimnis‹)), aus dessen Tiefen ich schöpfen durfte, ohne es jemals ausschöpfen zu können« — es gibt solche paradoxen ›Tiefen‹, mit denen Mann eigentlich nie fertig wird — jedenfalls ernannte MAY sie nicht ohne Grund im Alter zur ›Herrin von Cul-up & Merde-istan‹. Was Wunders, daß für ihn, bei seiner selten archaischen Primitivität, (der Voraussetzung zum ›Volksschriftsteller‹ & Liebling der fellow-fools), der ›Zopf‹ zum ›Fetisch‹, zur Liebesbedingung werden mußte? Sogar das wäre nicht von der Hand zu weisen, daß ihm beim Huckepackoder sonstwie-Getragenwerden, diese ›Zöpfe‹ zu ›Zügeln‹ wurden — »Hoot a Dich nie bei a Zeppa kutschiert?«; G. HAUPTMANN, ›Rose Bernd‹ — wodurch dann auch das ›Reiten‹ seinen organischen Anschluß an das System erfahren würde. 260
§31 »Einstmals hatte sie sich mit dem König um den Thron gestritten; sie entsann sich noch jener Tage, als im Seereich noch die Frauen herrschten, gemäß dem alten Gebote der Großmutter: ›Der Mann soll der Frau gehorchen!‹« . (DMITRIJ MERESCHKOWSKI, Tut-ench-Ammon auf Kreta) Als nächste große Erkenntnis, die das Werk bis etwa 1905 hin aufschließt, ergibt sich also, daß MAY zwar in seinem Wilden Westen der homosexuellen Komponente seines Wesens einen Schauplatz geschaffen hat; sein Orient jedoch gehörte (immer bis 1905: Vorsicht!) ›der Frau‹ — allerdings was für einer nun gleich wieder! Dies nämlich ist der Grund für die, bereits hervorgehobene, Erscheinung, daß MD stets jugendliche Schöne mit im Schlepptau anbringt: das gilt vom ersten Auftreten in KURDISTAN an, wo sie KBN ihren »Liebling« Ingdscha zuführt; bis zur letzten Zeile, wo sie noch für ›Schakara‹ und ›Merhameh‹ (sicher irgendein halbreifer Fratz, mit dem MAY ‘mal geschäkert hat; der incoordinablen Details gibt es zur Zeit noch genug, doch wird ihre Zahl allmählich immer kleiner werden) die astrale Kupplerin macht. Exakter: jedesmal, wenn MAY eine ›Neue Frau‹ interessierte, stellte sich ein, mußte sich einstellen, als Leit- als Überleit-Bild, die Erinnerung an jenes erste weibliche Genitale, das er intensiv erblickt & studiert (vielleicht auch genossen) hatte, und folglich auch dessen Besitzerin: kaum ist die ›Puppe‹ in der Nähe, ragt auch schon MD im Hintergrund. Auffällig ist in diesem Zusammenhang das starke Überwiegen der unwiderstehlich schüchternen, ›jugendliebenhaften‹ Typen. Ob ›Ingdscha‹ oder ›Schakara‹ — im Westen etwa ›Nscho-Tschi‹ (W I), ›Dunkles Haar‹ (W III) — ob die ›Martha Vogel‹ (!) des SATAN; oder jene späteste Rose Merhameh, die Langhaarige (A & D I, 529 f.), die, sich auf MD berufend, ihm ohne lange Umschweife sofort die Brust abklopft, »in liebem 261
Einverständnis zuzwinkert«, ›archly looking from under drooping lashes‹, (wodurch das schöne Faksimile des Bamberger Verlages, seine bisher mit Abstand filologisch dankenswerteste Leistung, zusätzliches Interesse erhält): immer gleichen sie aufs wehmütigste jenem weltfremden, und imgrunde ziemlich unmenschlichen ›Ideal‹, das ein Kollege von mir neulich, anläßlich einer ZEIT-Umfrage, ähnlich knurrigunrealistisch (vielleicht auch nur in ungehaltener Stimmung) so definierte: ›Stumme Anbetung, die auch Maschine schreiben kann‹. Von einer ›Gleichberechtigung der Frau‹ ist, (trotz aller Dialoge mit ›Hanneh‹ & des gnädigen Tüfteins ›Ob das Weib eine Seele habe‹), bei MAY ebensowenig die Rede wie in der Schweiz, — »the souls of women are so small, / that some believe, they’ve none at all« (BUTLER). Denn sein anderer Haupt-Frauentyp repräsentiert nun gleich wieder eine bedrohlich aktive Weiblichkeit; und noch nicht einmal die bloße ›Räuberbraut‹, die resolute Dirne, die in dringenden Fällen nicht lange fackelt und wohl auch ›blank‹ zu ziehen weiß; sondern eben sofort die ›Miß Admiral‹, die Anführerin in Männertracht, die ›Bestie im Weibe‹ (SCHLICHTEGROLL, Dresden 1903; MAY besaß die 2 Bände), die jeglichem Mann an Gefühls-, Rücksichts-, ja Ruchlosigkeit
mehrfach Überlegene; und der Fachmann weiß, daß es sich bei so gestalten Sachen auch wieder nur um die gleiche S-Obliquität handelt: MAY’s Flintenweiber sind ›Transpositionen‹; d. h. unsichere Invertierte verwandeln sich gern in machtvollkraftvolle Exemplare des anderen Geschlechtes, um dann in solcher Gestalt & beruhigten Gewissens, gleich mit ganzen Scharen von Vertretern des eigenen Geschlechtes an- & verführerisch umgehen zu können. Auch hier ließe sich eine Reihe von einem runden Dutzend Exemplaren bilden; und es scheint, als ob sie Alle — ob ›Kronenbäuerin alias Samiel‹ des WEG IV, ob ›Gul-i-Schiras‹ des II. und IV. SILBERLÖWEN (und gerade zwischen diesen beiden Stücken bestehen mehrere kleine, obschon ›äußerliche‹ Beziehungen) — auf MAY’s erste Frau zu262
rückzuführen wären, jene unselige, zum Teil sicher auch beträchtlich bedauernswerte, Emma Pollmer, (und man muß schon den LEBIUS und die COPIE Nr. 2 gelesen haben, um wenigstens einigermaßen mit-urteilen zu können). Die nämlich dürfte, wenn nicht alles trügt, verhängnisvoll-parallel genau die entsprechende Großtuer-Bindung in ihrer Kindheit erfahren haben! Die gleichen peinlichen Erlebnisse mit ihrem ersten S-Objekt, und die daraus resultierende Neigung zu okkasioneller Invertiertheit; die gleiche Anlage zu Narzißmus, das gleiche lebenslängliche Festhalten an der übererotisierten Analzone. Und nun stelle man sich bei solchem Frauenwesen von hitzigem Temperament & üppiger, gewalttätiger Körperlichkeit, einen schwächlichen, dazu noch 15 Jahre älteren, bei der Hochzeit fast 40-jährigen Partner vor, (der also praktisch ›gelebt‹ hatte), dessen entscheidendes Früherlebnis ein gebändigtes Grauen vor dem Weibe-überhaupt hinterlassen, und der dann viele Jahre lang Homo-Wonnen genossen hatte. Der erbarmungswürdig eingeklemmt war, zwischen einer ›unbewältigten Vergangenheit‹ & dem bösen Gewissen darob einer-, und einem anscheinend nur noch geringen Maß an (normaler) S-Aktivität andererseits, (vielleicht nicht nur alters- sondern sogar überhaupt konstitutionell bedingt). Der also einen großen Teil seiner S-Anliegen bereits in der Fantasie zu erledigen sich gewöhnt hatte; und überdem, wie jeder ›ordentliche‹ (d. h. fanatisch fleißige) Autor, selbst wenn er mit am Tische saß, nie ›ganz da‹ war, (daß, nach FREUD, große geistige Konzentration grundsätzlich & unvermeidlich sexuelle Erregung mit-erzeugt, möge sich Jeder, den Richtergelüste anwandeln wollen, beständig vor Augen halten). KARL & EMMA, sie werden schon ein wüst-merkwürdiges, pervers-verzanktes Pärchen gewesen sein, beträchtlich über’s handelsübliche Maß hinaus; und also die häufig erwähnte ›Erniedrigung des S-Objektes‹, die sich in seinen hier einschlägigen ›Tänzerinnen‹, Halbnutten, ›Schejtanas‹ & sonstigen eiskalt-kitzligen, frivolen Demi-Vierges kundtut, nicht ohne Gründe. Und auch das wäre nun nur allzuverständlich, wie die ›Hexe Emma‹ (im Sinne 263
von LEOPOLD STEIN’s ausgezeichneter Studie ›Women-Witches among us‹) einfach aus dem Prinzip der unvollendeten Rache heraus, nicht von ihrem Hexerich hat lassen können; (aber derlei Fragen zu ventilieren ist heute leiderleider noch gar nicht möglich). Immerhin steht soviel fest, daß MAY ›Das Weib‹ zuweilen als schmierige ›komische Alte‹; öfter als süßstumme, bräunliche Mädchenblüte; dann wieder als athletischer Dämon, fieder-mausig von der Sole bis zum Scheidl — stets aber irgendwie ›minderwertig‹! — erschienen ist: MAY’s Träume, mag er noch so viel Ausflüchte machen, waren nun einmal nicht von Jung- und anderen -Frauen, sondern von Knaben! (Bestenfalls von ›abgelöstem‹, verselbstständigtem Popo-
Wildbret.) — Eine S-BIO MAY’s zu versuchen, wäre bei dem augenblicklichen Stand der Forschung eine filo- & psycho-logische Vermessenheit, zu der mir, wenn auch vielleicht noch nicht der Mut, so aber doch die erforderliche Kenntnis der ungedruckten & erstklassig ›gehüteten‹ Urkunden & Akten weitgehend mangelt. Deshalb bitte ich, das nun folgende S-Biogramm als, mit allen Lücken & Irrtümern behafteten, Versuch einer ersten Andeutung passieren lassen zu wollen. Nicht etwa, daß ich ›nicht dazu stünde‹, wie es schlecht & modern (nämlich bundesdeutsch) heißt: das oberflächliche, kaplansmäßige Mißtrauen MAY’s gegen das Leben als Leben, in BIO & L I, widerlegt sich selbst in L II, vermittelst einer literastischen Liebesvirtuosität, die das unbewußt mit-oszillierende ›Kind‹ (noch-unbewaffneten Auges, und scheuklappig am ganzen Leibe) infolge des ungewöhnlich wunderlichen Kontrastes nicht bewußt zu durchschauen weiß. Das ist ja eben das frappanteste der sich hier seit 90 Jahren abspielenden Fänomene, daß diese zyklische Vertauschung von staffierten Landschaften mit S-Vorstellungen, (die genau der längst bekannten, auf kindlicher Stufe sich abspielenden Erledigung der Sexualität in der Fantasie durch leicht-bunt drapierte Äquivalente entgegen kommt) einfach nicht bemerkt wurde. Die MAY’sche, dem Bücher auseinanderzunehmen Gewohnten lächerlich plumpe Mimikry, ist also so 264
instinktiv-vollkommen geraten, daß das dem vulgus gewordene Minimum an kritischer Aufmerksamkeit in L I total aufgezehrt wird; oder, wohl richtiger, überrumpelt & in Staunen umgewandelt ob des spurenleserischen Scharf-Sinns. (Ob die infantilen Lüstchen durch die Lektüre aufgebraucht, d.h. in unschädlichere, hormonischere Verbindungen umgewandelt — oder aber, im Gegenteil, die LavaSüppchen dadurch nur noch mehr in buchstabilem Brodeln erhalten werden — das mögen, wie ich schon sagte, Päda- & andere Gogen erst untersuchen, dann (wait’s GOtt!) richtig entscheiden.) Aber nun zu den, etwas gewundenen, S-Pfaden, auf denen MAY im Laufe seines 70-jährigen Daseins höchstwahrscheinlich gewandelt ist. Er selbst hätte wohl nie deutliche Auskunft darüber geben können — einmal einen weltfremden Frager angenommen, der derlei Ansinnen an ihn gerichtet hätte — hat ihm doch, scheint’s, zeitlebens eine Art androgyner Wirrköpfigkeit geeignet, eine mild-verlogene (obschon einer gewissen Größe fähigen) Verschwommenheit + Mangel in secunda Petri, die ihm, im Verein mit seiner permanenten abdominalen Necessitierung, das klare logische Denken, und Alles was damit zusammenhängt, unmöglich machten. — Am Anfang also stand das schwächliche, an Mangelkrankheiten laborierende, Proletarierkind der (wie leider üblich) unzureichend erkennbaren Eltern. Der Vater aus Armut ungebildet, aber bildungsfähig & -lustig (vielleicht gar hochintelligent); infolge eben seines widerwärtigen Schicksales jedoch unruhig und etwas ›leicht‹; und als Konsequenz hiervon wiederum einer milden Form des Alkoholismus zugetan, und der Familie gegenüber hastig-rücksichtslos bis zur Brutalität. Die Mutter stiller & erzgebirgisch-fleißig, von 14 (!) Geburten verbraucht, ergo früh puritanisch geworden & von der mechanischen Frömmigkeit einer ›HalbStillen im Lande‹. Da im dort herrschenden ›Milljöh‹ der HAUPTMANN’schen ›Weber‹ Alle vielzuviel zu tun haben, wird der Kellerkeim von Jungen zu Pflege & Aufsicht der ›Ernstthaler Großmutter‹ überwiesen, die ihn — ob im vollen Bewußtsein der began265
genen That, oder gleichsam aus Versehen, soll uns jetzt nicht interessieren — das
erste Mal im großen Stil sexualisiert; woraus denn, nach FREUD, alles folgt; (ich möchte hier besonders darauf hinweisen, wie einem winzigen Kinde die Körperpartien Erwachsener riesenhaft, ›landschaftengroß‹ erscheinen müssen!). Verstärkende Tendenzen liefern nach: der Hebammen-Beruf der Mutter, mitsamt dem, nunmehr unvermeidlich im Familienkreise umlaufenden, entsprechenden Wortschatz; erlauschte Wirtshauszoten während des feierabend- & sonntäglichen Kegelaufsetzens; und endlich die Anführung zur Verworrenheit, die ›Apotheose des Labyrinths‹, durch die gierig betriebene Lektüre der gerade damals durch SUE et hoc genus omne veranlaßten 100-Heft-Romane, (aus dem MAY evtl. seine ›Kenntnis‹ der ›Pariser Unterwelt‹ entnommen hat? Müßte untersucht werden.), die aber weit weniger im Sinne von ›Schmutz & Schund‹ auf ihn wirken — ein Begriff, mit dem man etwas sparsamer umgehen sollte, als unsere komischen ›Gesetzgeber‹; handelt es sich doch in diesem ›Fall Hintertreppe‹ vielmehr um eines der gnädigbilligerreichbaren, in Wahrheit rührend sittsamen, Mescaline des vierten Standes — das ihn aber zusätzlich wirklichkeitsfremd & basislos macht. Auch das durch den (imgrunde erziehungs-unberechtigten) Vater erfolgende Eintrichtern von Datenmassen hoffnungslos veralteter Pseudo-Wissenschaften wirkt ›zerstreuend‹; (was aber auch wiederum ›verständlich‹ war: der Junge sollte halt mal ›mehr werden‹, als dem Alten gelungen war — was denn ja auch geschehen ist). Dem so zur (nicht nur S-)Labilität herrlich-trostlos prädestinierten Buben bescheert das Schicksal prompt die nächste Gabe: vier Jahre ›Internat‹, von 1857-61; was MAY’s 15.— 19. Lebensjahr entspricht; und wo ihm also die unvergleichliche Chance solch pubertär-überhitzter Halbeingesperrter geworden sein dürfte, sich entweder zum Langstrecken-Onanisten heranzubilden, oder aber ein solides homo-SFundament zu legen. Dies letztere scheint das Endresultat gewesen 266
zu sein, wie sich aus dem Band WEIHNACHT folgern läßt: nicht umsonst dürfte MAY dort ›Sappho‹ geheißen, und mit Freunden à la ›Carpio‹ unter der Decke duftende Schinken & harte geräucherte Würste genossen haben; (und ob die, von MAY selbst berichtete, ›Entlassung wegen Licht-Diebstahls‹, BIO 100 ff., ob deren der Seminardirektor ihn einen »infernalischen Charakter« nannte, nicht noch etwas ganz anderes, (nämlich eben-dieses) zu bedeuten haben könnte, möge erstmal bis auf weiteres dahingestellt bleiben). Anschließend, 1862-74, kommt die große S-Durststrecke der Gefängnis- bzw. Zuchthausstrafen; item eben jener ›Llano‹ mitsamt der waldheimlichen ›Oase im Kaktus‹ — alles erneut Erleidnisse, die einer, sei es nun ideellen oder reellen, okkasionellen Invertiertheit MAY’s in einem Grade förderlich gewesen sein könnten, daß sie schon wieder so gut wie unverschuldet wäre; (eine Frage, die nunmehr, 50 Jahre nach seinem Tode, erfreulicherweise sowieso völlig irrelevant geworden ist). Daß er zwischen den Strafen die ein- & andre ›Jugendliebe‹ probiert haben wird, versteht sich bei ›Halbseidenen‹ seines Schlages von selbst. / Während der Zeit seiner letzten schweren Detention scheint er zu der Einsicht gekommen zu sein, daß ›Längere Gedankenspiele‹ (LG’s) nicht nur wesentlich gefahrloser als sein bisheriges dissolûtes Leben wären, sondern fast ebenso interessant sein & gleichfalls unverächtliche Wonnen liefern, ja eventuell sogar bezahlt werden könnten. Begann er also, tastend & unter vielen Irrgriffen, seine bewegte Vergangenheit und schräge S-Anlage literarisch zu verarbeiten. Da er in jeder Beziehung ein ›unsicherer Kantonist‹ war — nie imstande, sich auch nur en profil ins große Auge zu schielen; dafür aber ausdauernd an schlechtem Gewissen laborierend — traf er die häufigste (auch die billigste) aller LG- und also auch künstlerischen Entscheidungen, die da
lautet ›exotische Kostümierung‹. Traf sie jedoch, infolge seiner schon einmal angeschmitzten machtvollen Denkschwäche, (die der Jungfer Fantasie doppelt Freiheit gibt, Kobolz zu schießen, daß das Röckchen noch höher fliegt), nicht etwa bewußt; ka 267
Schpur! Vielmehr isolierte er, halb Vogelstrauß halb Kind, die homo-S-Seite seiner Natur in einem fernen ›Finstermannland‹ im Westen; allwo die dergestalt internierten Helden, sublimierte Beutelschneider sie Alle, sich alsbald großartig zu gefallen begannen: ›ein freies Leben führen wir, ein Leben voller Wonne!‹. Für seine heteroS-Anliegen schuf er sich einen nicht minder merkwürdig-falschen ›Orient‹ mit der Alterspräsidentin MD. Dieses schuld-BW Ganzvoneinandertrennen, wo man der Linken einreden will, sie wisse nicht, was die Rechte nebenan da so ›shattere‹, ist ja ein allbekanntes Hausmittelchen der großen, zeitlebens kindergartenfähigen Mehrheit der Menschen, und hat auch im Falle MAY wohl als ›Automatensicherung‹ genügt; sobald die S-Spannung zu hoch zu werden drohte, schaltete es, ›klick!‹, bei ihm ab, und er krakelfußte hastig etwas schale (›Abu Schalem‹), sitarischabruzzische, frömmelnde Betrachtungen hintennach. Zu einem offiziellen der schon erwähnten ›Versuche mit Frauen‹ entschloß er sich 1880, als er Emma Pollmer heiratete; was in den ersten Ehejahren insofern leidlich erfolgreich gewesen zu sein scheint, als er sich literarisch dazu naja ›aufschwang‹, den immerhinPseudorealismus der Münchmeyer-Romane zu verzapfen — eingehende biografische Forschung wird die bedeutsameren der ›nach Westen‹ ausweichenden Pendelschwingungen vielleicht auch einmal zeitlich mit periodischen Entfremdungen von dieser ersten Frau koordinieren können. Ganz auffällig ist schon heute sichtbar die 1 überhöhte Inversionsalpe des SUREHAND III plus WEIHNACHT, der ungefähr die Jahre 1896-97 entsprechen: mit dem letztgenannten Bande entschwindet MAY’s Wilder Westen unseren Blicken; (obwohl nicht etwa seine Homo-Träume, wohlgemerkt!); denn ab 1898 ist ihm sein Amerika nie mehr, weder praktisch noch im Buch-Traum eingefallen. (Daß es mit seinem absolut letzten Werk, dem von ›WINNETOUS ERBEN‹, eine sehr eigene Bewandtnis hat, wird sich gleich herausstellen.) Der Grund — oder besser ›die Gründe‹; denn was nur 1 268
Grund hat, taugt meist nicht so viel — für das sich anschließende absolute Primat des Ostens dürften sein a) seine schon damals einsetzenden Beziehungen zu Frau Klara Plöhn, der nachmaligen 2. Gattin — die Namen anderer Amouren, bei LEBIUS und andernorts, sind nicht gesichert — für die er, (und sie ist doch wirklich einheitlich, meine ›Theorie‹?) keine innigere Bezeichnung wußte, als die cordistanische eines ›Herzle‹! (Der bamberger Band LICHTE HÖHEN liefert, vermutlich etwas wider Willen, S. 377 das Zitat vom 4.7.1900: »Heute Klaras Geburtstag. Leider hat Konstantinopel keine Blumen für solche Gelegenheit. GOtt segne sie mit der ganzen Fülle seiner Liebe!«. — Bis zur offiziellen Hochzeit vergingen immerhin noch 3 Jahre, die sich trefflich in der COPIE, nicht minder aber auch im ›Werk‹ verfolgen lassen; vgl. das Schütteln des Pomologen, S. 247 ff.). b) Seine, sich immerfort erweiternde & vertiefende Bekanntschaft mit dem Spiritismus — AM JENSEITS sive DAS TISCHRÜCKEN; sogar W werden dort, post festum, mediale Eigenschaften angedichtet: die Legendenbildung höret nimmer auf! (Aber eine gedrängte, obschon kernige, Betrachtung über ›MAY’s Religion‹ — deren Darstellung eben ein L IV erforderte — folgt noch, auf S. 296 ff.).
c) sein — nun schon nicht mehr ›zufälliges‹ (ein Begriff, gegen den der Alte ja überhaupt ebenso häufig protestiert hat, wie er andererseits das Wörtchen ›Zufall‹ verwendete) — Bekanntwerden mit einem, und nicht nur in diesem Zusammenhang, erwägenswerten bildenden Künstler; nämlich dem noch des breiteren zu erwähnenden SASCHA (= Alexander) SCHNEIDER. Leider ist auch hier wieder der Überfluß an nicht-zugänglich gemachtem (obschon mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest vorhanden gewesenem) BIO-Material so überwältigend groß, daß es eine nicht geringe Anstrengung 269
selbst meines Mutes erfordert, in diesem hm Mann eine der folgenreichsten Persönlichkeiten von MAY’s letztem Lebensjahrzehnt zu postulieren. / Und endlich d) daß es ihm, vermittelst eines, imgrunde kopfschüttelndnaiven Tricks gelang, nun auch den, ihm noch gebliebenen Osten zu homosexualisieren! Rührend ist es zu lesen, das intermittierende, klein-hirnliche Wakkln der als HIMMELSGEDANKEN servierten, seit des seligen ARNDT ›Paradiesgärtlein‹ nicht mehr überwältigend neuen, Verse & Aforismen der ›Großen Orientreise‹ — dabei schildert der Kerl & empfindet sogar Schiffe als lüstern-weiblich — (oder eben gerade; ›Ach wir Armen!‹): die Dampfyacht YIN gleitet in den Hafen, »hell & leicht & schön wie eine Nymphe« (FRIEDE, 236); sie kommt, gibt »dem Hafen mit dem Boote einen Kuß« (222) und geht dann wieder fort — (freilich, ganz brutal genommen, kann man mit dem Po dem ›Hafen‹ (oberdeutsch ›Töpfchen‹) einen Kuß geben, zumal wenn man ein ›Schiff‹ ist); das »unvergleichliche schöne Wesen, dessen Marmorbild vom Bug getragen wird« (221); »diese Yacht ist ein Rätsel, und ich wollte, daß ich es lösen dürfte!«. In dieser Zeit der ›beiden Pflaumenbäume‹, und des ersten massierten Großangriffs der Presse — infolge des Wiederzugänglichwerdens der Münchmeyer-Schnulzen plus des daraus ihm erwachsenden Mammut-Prozesses — dürfte MAY bis rund 1905 anderweitig mehr zu tun gehabt haben, um viel schreiben, und sehr radikale PoEthica ausprobieren zu mögen. Die ganz große, und MAY’s 1., literarisch wirklich ernstzunehmende Leistung, sind die in jenen Jahren entstandenen 2 letzten Bände des SILBERLÖWEN, deren zeitliche Entstehung man nun endlich, seit WOLLSCHLÄGER’s Aufsatz in ›konkret‹ vom Sept. 1962, gesichert verfolgen kann. Da es sich hier aber in der Hauptsache um eine große gebundene ›Rede in eigener Sache‹ handelt, ein autobiografisches L III — (Selbstverherrlichung à la maître; sowie Unglaubwürdig- & Verächtlichmachung sämtlicher ›Zeugen der Gegenseite‹) — kommen seine derzeitigen 270
S-Anliegen zwar auch hier zum Vorschein; aber doch wesentlich rarer als früher, und gewissermaßen nur en passant auf den Zehenspitzchen. — In dieses Jahr 1902 muß nun auch die Bekanntschaft mit, und immer mächtigere Anregung durch Meister SCHNEIDER und dessen schon nicht mehr ›nackte‹, sondern anspruchstvollst entkleidet zu nennende Männer- & Jünglingsgestalten gefallen sein; wodurch dann insgesamt die letzte, wie billig sehr verwickelte und litterärpsychologisch höchst interessante Homo-S-Dünung bei dem Alten ausgelöst wurde. Im Menschlichen nämlich lagen die Dinge so, daß nach einem ersten, süßlich-lauen (auch wiederum kinderlosen) Glück mit seiner, im Vergleich zu ihm noch ziemlich jugendlichen zweiten Gattin, sich sehr bald ein Gleichgewichtszustand in dem Sinne eingestellt zu haben scheint: daß der, zuhause zweifellos schwer zu behandelnde, mürrische & excentrische, dazu geistig immerhin meilenweit überlegene (und gerade
in diesen Jahren zu wahrer Größe aufsteigende) Alte, seine schackernde Schakara ganz hübsch regiert hat, (wie sich’s auch gehörte, samt Schwiegermutter Wilhelmine); und Klara, ein allen vorliegenden Berichten zufolge zwar etwas wirres aber doch wohl gutmütiges Geschöpf, scheint ihm so ergeben gewesen zu sein, genau wie er’s brauchte. (Die Geschichte, wie er sie 1908, auf der einzigen nachweisbaren Amerikareise — man vergleiche das herrlich SPIEGEL-Foto ›Seeing Buffalo‹!, o des ›Don Ranudo de Colibrados‹! — wütend im Clifton-House-Hotel sitzen ließ und für Tage verschwand, ist ja bekannt; und noch netter Frau Klara’s schonend-altkluge Entschuldigung solcher Absentierung: er sei natürlich bloß ma rasch zu seinen Apatschen gefahren! — Tja; zweifellos.) Abgesehen also von allenfallsigen, nicht nur bei einem Autor sondern bei allen Menschen, kaum ausbleiben könnenden, kleinen ehelichen Zwistigkeiten, wird diese Seite seiner Affairen leidlich geregelt gewesen sein. Ansonsten aber muß, die Spätwerke tun das dar, sein herbstliches S-Signalement auf der einen (der hetero-) Seite auf die (normale, biologisch bedingte) ältliche S-Schwä271
che & -Feigheit gelautet haben; auf der ›anderen‹ kamen, eine gleichermaßen bekannte Erscheinung, die alten päderastischen Gelüstchen & Erinnerungen, greisenhaftzähspeichelziehend, deutlich wieder nach vorn. Dies alles war — keine kleine Aufgabe nebenbei — zu vereinen mit einer selbstgebastelten, hausmachernungeschlachten Weltanschauung; so einer von der Sorte, die den GROSSEN BREHM & WALDEYER, samt KANT & GAUSS & FREUD & EINSTEIN, auch LOGIK & VERSTAND, sowie sonst noch ein paar Kleinigkeiten erst mal wegläßt, und sich aus dem, was dann noch bleibt, ein ›wunderbar einheitliches‹, ja ›geschlossenes‹ Weltbild zusammensetzt. Bei MAY bestand der wunderliche Braten aus ›dem Spiritismus‹ als pièce de résistance, und annähernd verwandten Einzelvorstellungen aus X-entum, Islam, Parsismus und unverdauter Manichäerei als Spickung, bzw. Gewürzen; enfin ein Gericht, das zwar so manchem Geistlichen (vor allem auf katholischer Seite) schwer im Magen lag, imgrunde aber Niemanden an nichts hinderte; und MAY-selbst — worauf es bei einem Schriftsteller ja einzig & allein ankommt; auf ›Richtigkeit‹ überhaupt nicht — künstlerisch praktisch alles erlaubte. Rein technisch, d. h. im Hinblick auf seine bisher emanierten Buchstabenwelten, war ›die Wahrung des Zusammenhangs‹ freilich kompliziert, und forderte ihm einige Groß-Bocks-sprünge innerhalb der einzelnen L-Systeme ab, die jeglichem werksbesessen Verrannten schwer fallen; eine, dem Nicht-Schreibenden kaum glaubliche Energie und ›Umstellung‹ erfordern; und zumal einem alternden Schwätzer & Schludrian, wie MAY es bis 60 war, nicht leicht angekommen sein können. Jetzt rächte es sich, daß er nicht nur fürwitzigerweise W um die Ecke gebracht, sondern seit 1 vollen Jahrzehnt den Westen total vernachlässigt hatte; aber auch das von MD protegierte & ihm feierlich zugeführte ›Herzle‹ war neuerdings einzubauen, und nicht minder die leckeren nackten Bübchen & Maximin-Typen, die einerseits wenig, andrerseits so viel vom SCHNEIDER an sich haben (vgl. S. 330 ff.). MAY machte das so — (die einzelnen Stadien & Tricks sind heute noch nicht exakt 272
verfolgbar) — daß er im Osten die Gestalt der MD, der im Werk noch Lebendigen & knochenfix Wirkenden, über alle Grenzen hinaustrieb. Sie zur ›Queen‹ beförderte, (›here one of the guinea-pigs cheered, and was immediately suppressed‹), zur Herrin von SITARA, von Kulub & Märdistan — allwo er ihr nun aber, in listigster Unschuld, gleichzeitig die ›Geisterschmiede‹, jenen exquisiten, mit purgatorischen Funktionen
betrauten Männerpuff unterstellte: »Das Morgenland nur für die Analiah!« (B & B, Z. 484); und sich so, ›auf dieser Seite der Welt‹, eine, wenn auch recht kuriose ›Einheitlichkeit‹ seiner S-Situation schuf. In seinen ängstlichen Bemühungen, MD immer erneut zu beschwören & zu versöhnen, bereitete er für sie den ganzen ›eigenen‹ Stern, ihr, der analen Annalivia in allen künftigen Annalen Untertan — wo jedoch immer das erwähnte 1 Homo-Schlupflöchlein ›offen stand‹. Immer höher mußte er ihr Bild, und ächzend, anheben; ihre erotische Kraft mit immer vergötternderen Tendenzen kuppeln; ja am Ende ihr den ›Mir von DSCHINNISTAN‹, also GOtt-selbst, dienstlich unterstellen: PROMOTION COMETH! am Ende überwächst die Gestalt dieser alier-befremdlichsten kosmogonischen Afrodite sämtliche bekannten Maßstäbe! Denn in MAY’s letztem Buch, dem von WINNETOUS ERBEN (WE), schickt sie sich auf einmal an, nun auch im westlichen Finstermannland zu herrschen! Und hatte er sich zuvor den früher leidlich normalen ›Orient‹ durch Erfindung der Geisterschmiede für die Inversion erobert; so nahm er nunmehr die entsprechende Hermafrodisierung W’s dadurch vor, daß er sein Bild durch klubgründerische Vervielfältigung (›Clan der Schutzengel‹) schwächte und auf 2 Geschlechter verteilte: es gibt ab nun männliche W’s und weibliche ›Winnetahs‹, Altruisten vom ›reinsten Wasser‹, zwischen denen natürlich fleißig Modell-Ehen gestiftet werden; und der Leiter des ganzen idealischen Heiratsvermittlungsbüros, der »Bewahrer der Großen Medizin«, verdient vorgestellt zu werden. (Worin jene Mädizin besteht, ergibt sich aus WE, S. 420; da Hegt sie nämlich offen auf dem Tisch, »ein Kalumet. Es war 273
nicht groß, nicht kostspielig, sondern weit eher klein & ganz gewöhnlich... ›Winnetous Pfeife!‹ rief ich aus: ›die Pfeife, die er trug, als ich ihn kennen lernte!‹«. Vgl. auch S. 148 f., die ›Medizinsäcke‹.) ›Tatellah-Satah‹ also kommt einhergezogen wie folgt, daß »jedermann verstummt, so tief wirkte seine geheimnisvolle, unwiderstehliche Persönlichkeit« (WE, 4oz f.): »Er wurde von einem herrlichen, schneeweißen Maultiere getragen, dessen Mähne in langgeflochtenen Zöpfen fast bis zur Erde niederhing. Die Schabracke bestand aus jenem unvergleichlichen indianischen Federgeflecht, von dem jeder Quadratzentimeter ein ganzes Vermögen kostet. Die Bügel waren von purem Golde, inkaperuanisch ziseliert. Ein Mantel hüllte ihn ein, ... dieser Mantel war von blauer Farbe, aber von einem Blau, wie ich noch niemals eines gesehen habe, und wahrscheinlich auch keines wiedersehen werde. ... indische Seide... nur die Frauen der alten südamerikanischen Herrscher... sein Kopf war unbedeckt, und dennoch aber wohlbedeckt, und zwar von einem außerordentlich reichen, starken, silberglänzenden Haar, welches zu beiden Seiten in langen Zöpfen bis auf die Steigbügel niederfiel, / ›MD!‹ flüsterte das Herzle mir zu. / Sie hatte recht. Genauso trug auch meine alte, herrliche, meinen Lesern wohlbekannte MD ihr Haar. Auch seine Gesichtszüge waren den ihren derart ähnlich, daß es mich beinahe erstaunte... heilige Güte, die alles verstehen & verzeihen konnte. Und als er zu sprechen begann, erschrak ich fast. Es überlief mich kalt. Seine Stimme war unbedingt die MD’s, so voll, so tief, so wirkungsstark, ein klein wenig männlicher gefärbt, aber doch genau dieselbe.« »er trägt ein kleid von blauer serer seide mit sardern & safiren übersät, in silberhülsen säumend aufgenäht« doch nee, ›am Arm‹ trägt er wohl kein Geschmeide. Wenn überhaupt irgendwo in der neueren Literatur, dann erweist sich hier, in WE — einem der bei alternden
Schriftstellern nicht seltenen Umfälschungsversuche früherer Ansichten, ›von L IV 274
aus‹ — daß dergleichen künstliches Haschen nach kultischer Androgynität (via Transvestitentum) bei uns nicht mehr eine Koppelungs-Verdoppelung der Kraft beider Geschlechter mit sich bringt; und selbst der MAY-Leserschaft nicht apart symbolisch, sondern nur befremdlich langweilig, ja, komisch gewirkt hat. (Daß es sich dabei um eine immer-belehrende psychische Rückschlagerscheinung in Denkweisen frühester Agrarkulturen handelt — vgl. RUTH BENEDICT’s ›Urformen‹ — ist es ja eben, was unsern b’rückend-echsenden Autor so wichtig macht.) Sagen wir es laut: eine MD, die auf sich selbst dahergeritten kommt, wohlbezwittert, in affichirtester Schwülen-Tracht; die im Alter noch einen Penis dazu erhalten hat: ein janus-köpfig greises Ungeheuer, mißgebürtig-allmächtig vor ekler S-Unkraftmeierei! Und dennoch vermutlich ein recht exaktes, betrüblich entsprechendes Bild der MAY’schen Alters-Seelenlage: ›Der Demiurg ist ein Zwitter.‹, (KUBIN; der ›Anderen Seite‹ letzter Schluß). Immerhin war ihm der letzte Vollzug noch gelungen: den schönen Freund machte er im Buch unsterblich. Die Großmutter, die noch ältere S-Ansprüche auf ihn hatte, steigerte er über alle Götter. Den Körperteil, der ihm zeitlebens der anregendste gewesen war, versetzte er unter die Gestirne, (›erhob ihn bis in den Himmel‹). Darüber hinaus ist eine Steigerung menschlich, mythologisch, literarisch, nicht mehr denkbar. Allso bewirkte er, MAY, daß der (erotische) Raum seiner Buchnisse dem Leser spannend & unerschöpfbar wurde: orchi-idee-isch, kackteeisch, po-ethisch, die schlechthinige S-Unendlich-keit — — —
IX • LE NAVIGATEUR DE L’INFINI §32 »Nun sag’, —; wie hast Du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub’, Du hältst nicht viel davon?« (FAUST) Es ist, darüber täuschen sich die L I-Freunde grundsätzlich hinweg, nicht nur möglich, sondern bei Eliminierung von L II, III, und IV so gut wie unvermeidlich, MAY’s frühe und mittlere Bücher, bis hin zum II. SILBERLÖWEN inclusive, als läppischen Kitsch, als Erstgeburten eines Esels, zu empfinden — und der Mann war über solchem Treiben immerhin schon 60 geworden. Nur wer sich über die gigantische S-Fantastik klar geworden ist, und den Blick unverwandt auf die ›Vier Großen‹ — SILBERLÖWE III u. IV, und A & D I u. II — gerichtet hält, wird es am Ende über sich gewinnen können, den MAY des letzten Jahrzehnts als einen achtungswerten, um Kunst & Sinn bemühten Literaten, zu bezeichnen; und dann öffentlich den Antrag auf seine Aufnahme in das große Kontinuum unserer Hochliteratur zu stellen. Daß ich mit so schroffem Tadel und dann wieder, heute noch so überaus befremdlich klingenden, Lobeserhebungen wechseln muß, liegt an MAY’s ungewöhnlich ungleichem Niveau. Und wenn der Bamberger Band 34, S. 331 f., beim ›vierten Schaffensabschnitt‹ unter den »Werken dieser Epoche« nun gleich wieder 22 (z. T. sich deckende) Titel herzählt, dann ist das die dort übliche liebenswürdige Schwärmerei. Denn bei den a. a. O. an den Anfang gestellten sogenannten HIMMELSGEDANKEN ist 276
die Handübung im dolltsche Stiel nu-o-wo so konfirmandenmäßig ausgefallen, wird eine um 1900 nicht mehr erlaubte Einfältigkeit so naiv & frech serviert, daß man sich entweder nur furchtbar entrüsten oder aber ebenso lachen muß. Ebenso ist das, ungefähr zur selben Zeit entstandene UND FRIEDE AUF ERDEN ausgesprochen quantité négligeable; es sei denn, man brauchte zu irgendeiner Monografie einmal einen Rekord im Verkennen ›farbiger Mentalität‹: rührend, wie die Alle, zumal Araber und Chinesen, eigentlich nach nichts als dem X-entum lechzen! Abgesehen von der wichtigen Stelle von der ›Geisterschmiede‹ (die sich aber auch an anderm Ort findet) könnte man selbst des merkwürdigen Sprechchor-Gestammels von BABEL & BIBEL entraten. WINNETOUS ERBEN habe ich bereits früher einmal als den allzu zittrig geratenen Swan-Song eines in jeder Hinsicht Verbrauchten bezeichnet — ein Urteil, das hier näher begründet werden darf. Die Sprache ist, nach dem einen großen Aufschwung im SILBERLÖWEN, wieder auf dem früheren Einfaltsniveau gelandet; die Bildkraft, im Vergleich zu der anderen Hochleistung, A & D, total verschrumpelt, so sehr, daß er beträchtliche Teile der Maschinerie jener beiden Stücke geistlos, in nicht mehr zu verteidigender Weise, übernommen hat. Gewiß, ›mit Gewalt‹ läßt sich das sogar ›begründen‹; denn er bezeichnet sich (S. 373) ausdrücklich als »das Bleichgesicht
des SILBERLÖWEn«, und bringt dies Zündwort noch mehrfach an (368, 372, 401, 514); was jedoch schwerlich rechtfertigt, daß nun alles gleich wieder so hoffnungslos parallel sein muß: die Bauten am Berge; ein Tatellah-Satah-Ustad als MD verkleidet, mit Bibliothek & Kapellchen; die Riesen-Höhle, deren Wölbungen ab S. 479 wieder so penetrant zu »bröckeln« beginnen, daß man sich um die Gegner fast noch mehr Sorgen machen muß, als zuvor; — der Einsturz erfolgt, und um ein Standbild handelt sich’s ebenfalls. In einem »Haus des Todes« bewegt sich S. 367 bei Fackelschein das ganze Schauderrequisit in genau demselben Sinne, ja fast den gleichen Worten wie SILBERLÖWE IV, 307. Aus A & D wurde, als Pendant der 277
dortigen imposanten Nekropole, eine verwässerte »Devil’s pulpit« übernommen (174 ff.): es ist genau die gleiche Osterei-Ellipse, mit künstlich lotrecht gemachten Felswänden; der Boden, einst ein See, itzt »jedem roten Manne heilig« (179) ist sorgfältig mit Steinplatten belegt; Teufelssagen gehen hier wie dort um; und auch die steinernen Postamente mangeln nicht, »eine Reihe von Stufen führte hinauf« (186), alles uralte Arbeit, (daß einmal (189) die Wendung »steinerne Standangel« unterläuft, erhärtet die UBW-Bindung an einen ›steinernen stehenden Engel‹). Das Hinter- bzw. Vorder-Vörtchen zu den unerläßlich hier fällig werdenden SVorstellungen wird ab S. 168 aufgetan; wo ein halbgreiser Scout & einstiger Kumpel von OS — eben aus jener Oster-Steinzeit her; Max ist sein Name, und sein halbes Gesicht von Pulverdampf gebläut: DITTRICH schimpfte sich nicht umsonst ›Kriegsschriftsteller‹; (ich habe sein Buch über 70-71 als Junge in der Hand gehabt) — die vierköpfige Gesellschaft also anleitet: »Wir haben nur noch wenige Schritte zu reiten und dann einem kleinen Seitenwässerchen zu folgen, welches aus einem stillen verborgenen Weiher quillt. Dieser Weiher ist nicht groß. Hohe Felsen, die man nicht ersteigen kann, umgeben ihn. Diese Felsen haben keine Lücke; nämlich so scheint es. Aber wenn man grad durch den Weiher bis zur gegenüberliegenden Seite reitet, macht man die Bemerkung, daß es doch eine Seitenspalte gibt, die schief hindurchschneidet und nach dem eigentlichen Quell des Wassers führt, welches nicht im Weiher entspringt, sondern weiter drin.«: »Ist die Lücke breit genug?« erkundigte sich S-OS; aber jewiß doch: »Nur die Zeltstangen habe ich lang zu packen, anstatt quer.« Man gelangt an den Weiher, der »dunkel wie ein Rätsel« erscheint; und sieht dann, »daß es im Felsen allerdings eine von dichtem Grün maskierte Lücke gab«, die man sich natürlich nicht zweimal gezeigt sein läßt. »Dann ging es noch eine Strecke am Wässerchen steil aufwärts, bis wir seinen Quellpunkt erreichten, der in einem großen, kreisförmigen Felsenloche lag, dessen Wände, wie es schien, sich senkrecht und unersteigbar in die 278
Höhe reckten«: Herzle, was willst Du mehr? »Jetzt betrachtete ich mir die örtlichkeit. Sie bot allerdings ein selten schönes Versteck... Die Feuchtigkeit fließt ja ab... es gab Riesenbäume«; unlängst wird, ganz in der Nähe, noch ein Bärlein erlegt — und so gehen die S-Vexierbilder immerfürder. / Bedenklicher ist jedoch, daß MAY der unselige Einfall kam (WE, S. 11), den Band ausdrücklich als Schlußstein dreier Trilogien anzulegen; nämlich von W I-III, SATAN I-III und SUREHAND I-III. — Bedenklich einmal, weil er damit nicht nur einige kleinere Stücke der FREMDEN PFADE und des ZAUBERWASSERS unberücksichtigt ließ; sondern für das System so wichtige Groß-LG’s wie BÄRENJÄGER; GEIST; ÖLPRINZ; MUSTANG; SILBERSEE, ja sogar WEIHNACHT ausschloß; alles Bilderwelten, durch deren Verstoßung der Komplex, wenn es schon einmal auf Zusammenfassung & Krönung
abgesehen war, entscheidend ärmer wurde — vielleicht ja absichtlich. Bedenklich zum weiteren Male, weil er das Stück damit von vornherein mit einer solchen Unzahl von im Lauf dreier buntester Jahrzehnte zusammengefabelten Namen belastete, daß jeder denkende Leser ihm, ohne zu schwanken, diese Prognose hätte stellen können: die kannst Du, o Meister, zwar Alle hie & da mal nennen; gebührend beschäftigen jedoch nimmermehr! Und so geschah’s, wie’s zu vermuten was. Die kaotische Zusammenwirblung von Indianernamen — vermittelst deren MAY imgrunde nur wieder mal den (bisher leider immer noch nicht so recht sichtbar gewordenen) angeblich schon im Jünglingsalter entworfenen & dann ehern durchgehaltenen Großen Plan vorzuspiegeln gedachte — ergibt beim Leser eben nichts weniger als ein Gefühl von konsequenter Einheitlichkeit; es sei denn, man wolle eine lebenslang auf dem Kopf stehende ›Pyramide des Daseins‹ deshalb mit dem Beiwort ›konsequent‹ ehren. Und bedenklich, zum dritten Male, war das Verfahren, weil, wie ich bereits unauffällig andeutete, MAY zwar das Rote Personal möglichst komplett mit durchzuschleppen versucht; die alten Weißen Buschklepper, gleichviel ob damals mehr nega- ob mehr positiv, merkwürdigerweise aber sämtlich weg279
ließ! Keiner vom Stamme der Pitt Holbers, Hammerdull, Hobble Frank, etcetera i. i., tritt auf. Sehr interessant allerdings das eine, wie OS sich diesmal den Namen »Burton« zulegt: den gleichen, den der Ärz-Feind Santer in W II, 558 u. ö. führt; (und der dort danebenliegende »Corner« kommt auch wieder vor) — die Lösung sei diesmal dem eigenen Nachdenken überlassen. / Wenn auch nicht ›bedeutend‹, so doch autobiografisch wichtig wird es einzig bei den neueingeführten Gestalten von WE; denn MAY hat auch hier wieder, getreu der nun einmal erlernten SILBERLÖWEN-Methode, Freunde und Feinde jener Monate der Niederschrift unter den entsprechenden Possen-Namen eingeschwärzt. »Max Pappermann«, der getreue Schildknappe des Prozeßjahrzehnts, ist MAX DITTRICH: ob Broschüren, ob Zeugenaussagen, ob Alibis; Max versagte nie, (daran erkennt man seine Pappenheimer). Die meist läppische & schmalzige, zuweilen etwas lustige Familienpimpelei mit seinem »Herzle« — ergo Frau Klara — mag dem Alten Mann mit der hübschen-jungen Frau als in solchen Fällen ›normal‹ hingehen. Die Rowdies & Pferdediebe (96-130), angeführt von Howe, und Corner, die so plumpe Karikaturen von OS hinschmieren, sind selbstredend Gegner, die ›sein Bild verzeichnen‹. Da MAY sich in diesem WE, was Namen anbelangt, u. a. der Technik bedient zu haben scheint, die Anfangsbuchstaben zu benützen (er war etwas vorsichtiger geworden seit der rauflustigen SILBERLÖWEN-Zeit; in seiner mehr als prekären Lage, wo täglich die Groß-Aufdeckung der ›Vorstrafen‹ dräute, wohl recht empfehlenswert), müßte ein besserer Kenner als ich es bin, herauszufinden versuchen, ob »Corner« etwa wieder CARDAUNS sein könnte. Die Junge Schönheit des Buches heißt »Aschta«, was »Güte« bedeuten soll, auf arabisch also ungefähr ›Merhameh‹; auch das Alter träfe zu, denn in A & D ist sie 17, in dem rund 1 Jahr späteren WE nunmehr 18; das lange dunkle Haar wird hie (S. 155) wie dort (I, 529) offen & mit Blumen geschmückt getragen, (und in A & D steht die »Güte« als Papa neben ihr). Daß sie in WE mit einem »Jungen Ad280
1er« verheiratet wird, könnte in praxi besagt haben, daß sie einen jungen A. D. — auch er ein begeisterter Anhänger von W & OS — heiratete; da nun 1909, als WE geschrieben wurde, eine Broschüre erschienen ist, ›KARL MAY, eine Analyse seiner
Reise-Erzählungen‹, gut (obwohl positiv) und von einem jungen A. D., so sei die Vermutung vergönnt, daß mit solchem »Jungen Adler« Dr. phil. ADOLF DROOP gemeint sein könnte; worauf »Aschta« sogleich zu der, den wenigen MAY-Kennern nicht fremden Lu DROOP, geb. Marie-Luise Fritsch, würde. Am durchsichtigsten sind die Feinde vom »Komitee«, dem achsokunstverständigen. Ich demaskiere nur rasch die am ausführlichst Behandelten, zunächst den »Kassierer Antonius Paper« (Hauptstellen 300-315; 380-384; 392-397); die bei MAY in solchen Fällen unerläßliche gehässige Personalbeschreibung des »Halbindianers« auf S. 302 scheint, wenn nicht gar nach dem Original, so doch zumindest nach einem der damaliegen schwachen Daguerro-Typen entworfen: »spitz, scharf, hart, lieblos« nennt er ihn BIO 221; in WE 302 »scharf und spitz... leblos«, und noch einmal, 311, hat er eine »scharfe spitze Stimme.« Das nämlich ist ganz einwandfrei der gute Pater ANSGAR PÖLLMANN, A. P., aus dem Hohenzollern-Ländchen, (später Benediktiner in Beuron; danach in München): das ›paper‹ pflegte er, nach MAY’s Ansicht, baß zu besudeln, er war auch Autor. ›Paper-Pater‹: wegen dem 1 Buchstaben! Und ganz besonders dürfte ihm noch die, vom Schicksal doch wohl unbeabsichtigte, fatale Ähnlichkeit von PÖLLMANN-POLLMER ›zugute‹ gekommen sein; (um so mehr als, nach LEBIUS, zumindest der Versuch einer Fühlungnahme stattgefunden haben soll; was bei dem Alten dann freilich entscheidend straf verschärf end gewirkt hätte). Dieser, heute völlig vergessene, katholische Rezensent & Kunstschwätzer, hatte — wiederum genau 1910, während MAY an WE arbeitete — im I. und II. Quartalsheft der Zeitschrift ›Über den Wassern‹, (wo ja, wie es irgendwo heißt, der Geist GOttes mit Vorliebe schwebt) frühere Attacken, diesmal noch verschärft, wiederholt; und sich, unter anderem, vermessen, er wolle »einen 281
Strick drehen, um MAY aus dem Tempel der Deutschen Kunst hinauszupeitschen!«, (BIO 292). Offiziell antwortete MAY ihm in der ›Freistatt‹; inoffiziell hier in WE: S. 311 ff. räumt OS, gewissermaßen aus Ekel, dem »Kassierer« den Lagerplatz; beim zweiten Rencontre allerdings wirft er den Frechling ins Wasser, und noch ›über den Wassern‹, in der Luft schwebend, brüllt der »Hilfe Hilfe!«. S. 393 fordert Paper: »Hiebe bekommt er ((OS)), Hiebe!«, was ja nur ein anderer Ausdruck für ›aus dem Tempel hinauspeitschen‹ ist. Und MAY hat sich, was er ebensowenig wie seine Gegner verschmähte, gewisse Schnellinformationen über das Vorleben auch dieses augenblicklichen Hauptfeindes verschafft: als »Kassierer« muß Antonius Paper deswegen in alle Ewigkeit nun ‘rumlaufen, weil ANSGAR PÖLLMANN tatsächlich als junger Mann, bevor er sich für den Mönch & Schriftsteller entschied, 2 Jahre Volontär bei der Sparkasse in Sigmaringen war; (es stimmt wirklich, ich hab’ nachgesehen). Und die Zeitschrift ›STERN DER JUGEND‹, an der Jener mitarbeitete, könnte MAY (BIO 291) zuerst die Idee des W-Sternes, des Abzeichens der Edelknaben & knäbinnen, suggeriert haben. Der nächst-angepiekste, der »Agent für Alles Mögliche« (WE 310), »William Evening«, ist einwandfrei der auch einmal unnötig berühmte FERDINAND AVENARIUS. Abgesehen davon, daß sein damals vielgeltender ›Kunstwart‹ tatsächlich einen peinlich umfangreichen Annoncen-Teil aufweist — ›Hausierer‹ fällt einem ein; MAY’s ›Agent‹ ist noch recht schonend ausgedrückt — und sich auch selbst im Untertitel als ›Halbmonatsschrift für Ausdruckskultur auf allen Lebensgebieten‹ bezeichnet, hatte AVENARIUS ihn gerade im Frühjahr 1910, als WE entstand, wieder einmal bös recensirt. Am meisten scheint MAY das Epitheton ›gewalttätig‹ geärgert zu haben; denn immer wieder läßt er es jenen ›Evening‹ höflich-unverschämt vorbringen, (S. 310, 311, 381, u.ö.); und auch die schon erwähnte Szene WE 382, der ›Rettung aus dem Wasser‹ könnte
durchaus eine (schlechte) parodistische Anspielung auf AVENARIUS’ mittelmäßiges Produkt ›Lebe‹ sein. — Auch bei 282
den restlichen 2 Herren, Bell und Summer, dürfte je 1 Spielmann begraben liegen; ebenso wie bei dem 1 einzigen, ganz neu auftretenden, ebenfalls schändlich konterfeiten, roten Häuptlings-Feind, »Kiktahan Schonka, der Wachende Hund«, (S. 201 ff. u.ö) — sie Alle seien dem Liebhaber von ›Schlüsselromanen‹ empfohlen. Die BIO von 1910 hat einige-wenige erstrangige Passagen, ja zuweilen ein Crescendo, das überwältigt — man lese die Seiten 163-67; (aber, bitte, Originalausgabe benützen) — immerhin ist sie sehr schwierig auszuwerten; weil jegliches Faktum zwar nicht direkt erstunken & erlogen, wohl aber emotionell bis zur Schwersterkennbarkeit entstellt sein wird. Selbst die zur appetitmachenden Lektüre eben empfohlene Stelle — und ein Satz wie »als die Sonne aufging, fand ich mich im Innern eines tiefen, steilen Steinbruches emporkletternd. Ich hatte mich verstiegen... da hatten sie mich fest, und da ließen sie mich nicht wieder hinab«, ist ja (vielleicht verstärkt durch ›Sträflingsarbeit in Steinbrüchen‹?) einwandfrei mit den vielen ›Felsenkesseln‹ im Werk in Verbindung zu bringen — wird umgehend wieder verdächtig, wenn man einerseits MAY sich, zur Erklärung seiner ›Sturm- & DrangZeit‹, auf ›Dämmerzustände‹, ja halbe Lykanthropieanfälle, herausreden hört; und sich andererseits erinnern muß, daß er dergleichen gern bei Festnahmen simuliert zu haben scheint, wozu das unverkennbare Behagen unangenehm gut stimmen würde, mit dem er, etwa im VERLORENEN SOHN, aber auch öfter, solch kluge Ganoventricks beschreibt & lobt. Mehr schade dagegen könnte es, ›vom System her‹, um den geheimmisvoll verlorengegangenen Roman sein, der von Fehsenfeld zum Weihnachtsfest 1907 so angekündigt wurde: 289
Bedeutende Neuheit: ABU KITAL der Scheik der An’allah von KARL MAY *
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Die bisherigen Bücher KARL MAYs enthalten bekanntlich nur die Vorstudien und Vorübungen zu seinem eigentlichen Lebenswerke, welches er nun mit ›ABU KITAL‹ beginnt. Durch diesen hochinteressanten, zweibändigen Versuch, die ›Menschheitsfrage‹ am eigenen ›Ich‹ zu erläutern, wird der Mythus, in den man die Person und die Absichten des Verfassers hüllte, für immer beseitigt sein. (Inserat in KÜRSCHNER’s ›Dt.Lit.Kai.‹, Jahrg. 1908). Hier nämlich dürften sich, —
schon der Titel baut ja auf B & B auf — so manche näheren Bestimmungen zur Geografie SITARA’s gefunden haben, auch des ›Durchgangs‹ durch jene ›Geisterschmiede‹, den zu gestalten MAY dann noch ein weiteres Mal angesetzt hat (in A & D), und dessen Schilderung ihm ein weiteres Mal unterbunden wurde, anscheinend durch hausschätzliche ›Leserzuschriften‹, und einen leider darauf rearegierenden Chefredakteur, (Otto Denk hieß er damals); so daß MAY sein zweites, Großes versprechendes, auch gelehrten Gaumen zu empfehlendes Werk, mit einer jener schrecklichen, ladenschwengelhaften Wendungen abkneifen mußte: »Als wir an der oberen Brücke der ›Stadt der Toten‹ anlegten, wurden wir von dem Mir von ARDISTAN, seiner Frau, dem Fürsten von Halihm und Merhameh empfangen. Das weitere liest man später.« Punkt. (Natürlich hat man nie mehr etwas davon gelesen — ei, in was für Händchen befindet sich doch ›unsere‹ 284
Literatur! Und die Moral von der Geschieht’: Wer sich als Künstler ›ins Volk‹ begibt, kömmt darin um, in jeglicher Beziehung, (außer, vielleicht, der finanziellen).) . Ich weiß wohl noch, daß sich audi-bei-mir-mit-15 das Gefühl einstellte, wie wenn ich einem Magnetberg nahe sei — (habe dann auch, in späteren Jahren, dem Alten meinen Dank abzustatten nicht verfehlt; und sei’s nur, daß ich der ›Zentaurin‹ meiner GELEHRTENREPUBLIK, von vorne Fee von hinten Trampl, den MAY-Namen ›Thaldscha‹ aufheftete) — allerdings scheint der Unterschied immer der gewesen zu sein, daß ich dergleichen Ozeanisches nur bei A & D & SILBERLÖWE empfand. Und selbst beim kraftvollen SILBERLÖWEN stört ja immer noch Diverses; er ist eine, wenn man so will, geradezu ›klassische‹ Sammlung aller möglichen strukturellen Unbeholfenheiten, von der wetterwendischen Schreibart an, bis zur verwirrenduneinheitlichen, grob geflickten ›Symbolik‹ — und dennoch bedeutend. Man wird jedoch, ich sagte es wohl schon, ab etwa 1900 gut daran tun, 4 (vier) ›Lesemodelle‹ zu distinguiren; nämlich I.) das allbekannte tumbe L I, wo der Huf des Effendi zum Vorschein kommt. Freilich wird dies, mit zunehmendem Alter, und vor allem bei seinen 2 Großleistungen erfreulicherweise so fadenscheinig, daß die Kindlein sich sogleich instinktiv versteiften und (verkaufsziffermäßig belegbar) nicht mehr mit-gingen — das ist ja das Kennzeichen wahrer Größe, daß das humbugliebende-leseringelnde Publikum aus Halbmenschen hinter’m Grenzpfahl zurückbleibt. II.) Das in der vorliegenden Studie isolierte & akzentuierte L II; das also den ganzen aufgeregten Krakeel einfach übergeht, und die eigentliche Haupt-Uhrfeder MAY’schen S-Daseins bloßlegt. III.) Ein autobiografisches L III — (es gibt da eine biologi285
sche Faustregel, wonach sich, so um 60 herum, gerade dieses Element vordrängt, man mag wollen oder nicht) — bei MAY getragen & gehalten vom Cäsarenwahn eines (damals noch völlig verdienstlosen!) Erz-Prahlers, der sich selbst als ›Ustad‹, als ›Meister‹ empfand: immer würdig wie der »Erzvater Abraham«; immer sonortiefsinnig; immer wie aus dem eigenen Ei gepellt; (›Und er fährt im Osten herauf im Pompe des Sieges, / welchen er über die Schatten erstritt‹; ZACHARIAE); der über jedweden Gegner von vornherein mit einem Bonzen-Flunsch hinwegsieht, oder ihn bestenfalls mit jener verletzenden Nachsicht behandelt, mit der man freilich viele Gründe erspart. / Und endlich IV.) ein religiös-mystelndes, spiritistisch-allegorisches L IV — in ›jenen Jahren‹ — (und es erscheint, je länger je mehr eine Minus-Epoche!) — fangen ›bei den
MAYsten‹ eben anscheinend auch ›Jenseitsmodelle‹ an, interessant zu werden.. Ehe ich zu dem letzten bedeutenden Buch MAY’s, ARDISTAN UND DSCHINNISTAN, übergehe, wird es von Interesse, sich sein X-entum, mit dem er sich in späteren Jahren so viel wußte, einmal näher zu besehen; (wobei ich gern & von vornherein zugebe, daß ich von Musik & Religion wenig verstehe: weil mich das opernhafte Element in beiden abstößt; und ich mit dem Wörtlein ›unerforschlich‹ noch stets die Frommen-Faulen am flinksten bei der Hand gefunden habe.) MAY’s X-entum — — : in seinen Kinder- & Jünglingsjahren scheint er, bei sich daheim, den normalen fadenscheinigen Protestantismus praktiziert zu haben, wie es bei schwer Arbeitenden, (die einfach zu viel zu tun haben, um sich lange & apart um das eigene kostbare Seelchen bekümmern zu können), meist redlich der Fall ist. Wenn er also (BIO, 95) schreibt: »Ich kann mich nicht besinnen, daß ich je mit dem Zweifel oder gar mit dem Unglauben zu ringen gehabt hätte«, dann 286
wird das — nach Subtrahierung der 1910-er Absicht, sich als ›frommen Einsiedler‹ hinzustellen, der gewissermaßen nur ›aus Versehen‹ 8 Jahre gesessen hätte — lediglich besagen, daß auch er als Kind gedankenlos diverse Sätze aus jenem bekannten, immer noch vielgeltenden, Kompendium hebräischer Allerlei-Geschichte auswendig gelernt hat. Und daß ihm aus den süchtig-verwulgerten Hintertreppenromanen (vgl. BIO 73) die Formeln von ›gottlosen Schurken‹ und ›frommer Unschuld‹ schon sehr früh in Fleisch & Blut übergegangen sind. Daß er während seiner ›Romany-Rye‹-Jahre die Kirchen auch nicht gerade frequentiert haben wird, liegt auf der Hand; denn das ist mit nichten ein so leichtes & amüsantes Brot, wie sich’s in den ›Falstaff-Szenen‹ wohl anhören mag. Und wenn er sich auch im Zuchthaus in gewissen Richtungen verinnerlicht haben könnte, so wird das ›Orgelspielen beim katholischen Gefängnisgottesdienst‹, if true, bei einem derart Labilen, wie Freund MAY notorisch war, das Große Schwanken auch nicht gerade vermindert haben. Wie cavalièrement er noch während der ganzen munteren Münchmeyer-Zeit die religiöse Frage behandelt hat, möge der joviale ›Krüger-Bey‹ belegen, der (DEUTSCHE HELDEN I, 392) sein Credo so abgibt: »Iss es nich ejal, ob wir sagen ›Allah‹ oder ob man lautet auf GOtt & den Heiligen Drei Königen? Lassen Sie Ihnen und mir davon schweigen! Hat die Religion dem Herzen, so sind die Äußerlichkeiten keinem Wert & Bedeutung. — Schau: hier sieht man dem Lager. / Der Oberst hatte Recht, obgleich er sich so falsch ausdrückte.« Und daß MAY auch andernorts in seinen Monstreschnulzen die schurkischen Mönche & Patres nicht gespart hat — etwa den famosen ›Hilario‹ des letzten WALDRÖSCHENS; auch im Original des ZEPTER dürfte der Chef-Schuft ein Mords-Jesuit sein! — versteht sich bei seinem bißchen Mentalität von selbst: Der hat sich überhaupt nischt dabei gedacht! (Ein bestseller-Schreiber, der ›dächte‹, wäre ja keiner mehr.) So löblich nun auch die Einsicht klingt, daß ›Die Wahrheit‹ ihren Sitz weder zu Rom noch zu Wittenberg, weder zu Mekka 287
noch zu Salt-Lake-City hat, (und in Bonn oder Pankow schon gleich gar nicht!), so wenig wertvoll ist andererseits die wurschtige Denkschwäche, von der MAY zeitlebens Profession machte, zumal wenn man zweierlei hinzunimmt: 1.) seine feile Käuflichkeit, die sich nicht entblödete, erst 25 Jahre lang das Hausschatz-Honorar für 1 Messe wert zu ästimieren; dann aber die ›Taki‹ & ›Dschunub‹ lächerlich zu machen; und 2.) andererseits jedweden Gegner von vornherein durch schäbige Trix zu
diffamieren, und salbungsvoll von sich selbst zu behaupten: »Stehen die Felder dieses Säemannes ((i. e. KARL MAY, oremus!)) so reich & voll in Aehren, daß seinen Feinden, d. h. den Feinden des Christentums, angst & bange wird?« (DL, 21). — Also so ist es ja nun nicht ganz! MAY’s Unverfrorenheit verdient, des näheren angeleuchtet zu werden; und zwar noch weniger um der erzenen Stirn des Buben, als vielmehr um des Nachweises willen, daß die Religion der ›Dschamikuner‹ (vgl. SILBERLÖWE) mit X-entum höchstens noch so viel zu schaffen hat, wie — und es ist korrekter als man meint — das BUCH MORMON. — MAY, der geborene, also zumindest ›nominelle‹ Protestant, hat es nicht verschmäht, sich öffentlich als ›Katholiken‹ zu bezeichnen; und zwar aus rein kommerziellen Erwägungen, um als Mitarbeiter an jenem, literarisch nullen aber unangenehm bigotten, HAUSSCHATZ mittun zu können. Wie munter ließ er nicht MD vom Papsttum dozieren: »Hat nicht dieser 1 Hirt bereits seinen Statthalter auf Erden? Warum wendet Ihr selbst Euch von ihm weg? Kehrt zu ihm zurück, dann seid Ihr einig!« (KURDISTAN, 634). Aus SKIPETAREN, 425 ergibt sich übrigens, daß KBN schon sehr früh nach Rom gewallet und dort des Heiligen Vaters ansichtig geworden ist; da verwundert es denn freilich nicht mehr, daß selbst ›Pastoralblätter‹ den »beliebten katholischen Schriftsteller« empfahlen, was der Frechling noch 1902 (DL, 143) selbst zum Drucke beförderte. 288
Aber unwiderstehlich wirkt das beiderseitige Getue, als CARDAUNS nach 25 HAUSSCHATZ-Jahren endlich herausfand, daß der »beliebte Weltläufer« nichts als ein Deus’chen von Ketzer sei, der die Alleinseeligmachende so ausdauernd ums gute Baare geprellt hätte. War nämlich die katholische Presse bisher maßlos stolz auf ›ihren MAY‹ gewesen — man muß sich einmal den Spaaß machen, und in den ›Briefkästen‹ blättern; nicht nur wegen OS-KBN, sondern um das ganze Milljöh zu erschnuppern; diese signifikante ›Begegnung von Kirche & Kulltour‹, oder die ›reiche‹ Bebilderung, eieiei! — so war dieses nunmehr nicht nur ›aus‹, sondern die Klugheit reichte nicht einmal zum Verschweigen & Vertuschen; vielmehr begann ein solennes Kessel-, z. T. sogar Haberfeldtreiben. MAY seinerseits — ohnehin durch seine laufende Ehescheidung gereizt & nervös; und durch das Wiederauftauchen der schon gnädig vergessen geglaubten Münchmeyer-Romane sowieso in Kampfstellung gegangen — (der typisch gefährliche ›Rechtsausleger‹ nebenbei; jeder Boxer wird sofort beträchtlich die Blumenkohlohren hängen lassen, und der, 100 %-ig doch nie gelingenden, Umstellung gedenken, die so ein Gegner erfordert) — MAY also muß sich, in seiner unbestreitbaren Popularität noch sehr sicher gedünkt haben; denn er nahm sämtliche Fehdehandschuhe ingrimmig auf. Literarisch befand er sich gerade im Beginn des III. SILBERLÖWEN, und beschloß nicht nur eine umfassende Abrechnung mit allen vorhandenen (und eventuell noch kommenden) Gegnern; sondern auch ihnen-allen — die ihm seinen Kitsch unverhohlen, in Wort & Schrift, als solchen bescheinigt hatten — zu beweisen, was ein MAY künstlerisch vermöge. So entstand das erste seiner, unbedingt unserer großen Literatur zuzurechnenden Werke. Dieser SILBERLÖWE III und IV nämlich ist nur noch ganz dünn reiseromantisch überfirnißt; in der von mir vorgeschlagenen Terminologie könnte man sich etwa ausdrücken: L I (= Abenteuer): entscheidend geschrumpft. / Wohl reitet & spurenliest man noch; wohl wird ab & zu an das in 289
Bd. I. u. II angelegte Schmugglerkomplott anzuknüpfen versucht; aber die
Grundbässe der anderen 3 L überwiegen in einem Maße, daß den Kindlein instinktiv unheimlich wurde (und wird). L II (= ›S‹): erscheint gleichfalls reduziert, da diesmal der (ausnahmsweise absichtlich gesetzte) Hauptakzent woanders liegt. Abgesehen von Reminiszenzen à la »Tal des Sackes« (III, 171: ›Krater; Wasserbett; Dicke Luft; Hineinreiten‹; Erinnerung an die ›Spalte des Verräters‹), findet sich hier die Ehescheidungsstimmung abgebildet, mit dem (freilich köstlichen) Gipfel der bereits auseinandergenommenen ›Parabel von den beiden Pflaumenbäumen‹. Frau Emma tritt systematisch-verdoppelt auf, als Furie mit den unschuldigen Kinderaugen, die sich junge ›Aschyk‹-Freunde (Max Moritz Weite hieß er ›in Wirklichkeit) hält. L III (= Auto-BIO): ist hier hypertrofiert, da sein eigentlich-wütendes Thema die Zurückweisung der ersten großen Angriffswelle war. / Folglich tritt CARDAUNS auf als ›Ghulam el Multasim‹, als ›Henker‹, der immerfort das Pferd ›Kiss-y-Darr‹ (= ›Schundroman‹) am Stricke hinter sich her zerrt & vorzeigt (d. h. Vorträge darüber hält). CARDAUNS, ein unverächtlicher, wenn auch ziemlich bescheidener Gelehrter, (z. B. Mitarbeiter an den ›MONUMENTA‹; seine ›Romane‹ freilich...), und Redakteur einer großen Kölnischen Zeitung, hatte bei seinen Vortragsreisen MAY mit Recht unter die literarischen Aufschneider und Windbeutel gerechnet / Eine Sondererwähnung für sich verdient der Große Traum, IV 314-352; jedem Zögernden zur ersten Anregung empfohlen. — Da fühlt der nächtig-mehrgesichtig gewordene den Wunsch, einmal mit eigenen Augen nachzusehen, wie denn nun das Innere des von außen so barbarisch-stilverwirrten Lehrgebäudes (der katholischen Kirche; vgl. das nächste Lesemodell) beschaffen sei. Durch die leergeraubten Fundamente (älterer Religionen) steigt er aufwärts, in einen vielgestaltigen von ›Schatten‹ wimmelnden Oberstock: hier, in der Silhouette 290
eines literarischen Kaufhauses, lagern Schätze & »köstlichste Schmuggelwaren aus allen Ländern, Zonen und Gedankenreichen«, von geschäftlichen Dämonen durchhuscht, sie fälschen & gieren, fälschen & gieren, fälschen & gieren. Einer macht sich erbötig, dem Träumer Alles zu zeigen; aber er müsse ihm seine ›Hand leihen‹, der ›Lohn‹ würde prompt nicht-ausbleiben:?. Der Mutige wagt’s, und läßt ihm ›die Rechte‹ — da beginnt Jener, und gar nicht träge, aufzuschwellen vor der »Kraft, die er von mir zu sich hinüberzog«; und beginnt mit ihm den Rundgang durch das »glänzende Geschäft ... es wurde hier gefälscht, gefälscht und nur gefälscht!«. Ins Biografische übersetzt heißt das: 1 träumerischer Teil MAY’s hat sich fürwitzigerweise mit dem Katholizismus eingelassen; anfänglich in der Absicht, mit der ja wohl viele ›Gottsucher‹ sich spielend schmeicheln, diesen zu ›prüfen‹ — aber an Religionen ist halt nicht viel zu prüfen; so unklar & schnippisch ihre Anhänger sich auch gebärden. Immerhin ging MAY soweit, sich in Geschäfts-) Verbindüng‹ mit Einem davon einzulassen, und ihm seine ›Rechte‹ zur Verfügung stellen, ob ›Hand‹ ob ›Copy-‹; und da er, er konnte nicht anders, Bestsellerien lieferte, begann Jener sehr bald zu wachsen, wie aufge-PUSTET, und alle ›Schätze des Hauses‹ zu weisen. Dieser 1. Teil des Traumes, Ss. 314 — 322, verdichtet die Beziehungen MAY’s zum ›Deutschen Hausschatz‹; mit Tiefstverneigungen begrüßt ihn, als »dunkle Schattenhaftigkeit«, ›Kotau‹-KEITER, der Redakteur PUSTET’s; und da er sich, mit jener bekannten Sorte Tapferkeit, die 300 Millionen zustimmender Genicke hinter sich weiß, gelegentlich des Pseudonyms ›Kampfmuth‹ zu bedienen pflegte, beginnen außer »... keit« auch die Silblinge »Mut« & »Kampf« über die Seiten zu spitzentänzeln: »Ich wußte, daß jetzt der Kampf zwischen mir und ihm beginnen werde ... er allein hatte
Mut, nämlich meinen Mut, von mir in seine wesenlose Schwammig&eù hinübergesaugt ... Mut besitzt er nur dann, wenn es ihm gelungen ist, sich durch den Dieb191
stahl fremder Charakterhaftigkeit ((ein)) Ansehen zu geben.« Derlei double-dealing, (den Kenner u. a. an die ›... ation‹ - Serien in JOYCE’s ›Wake‹ erinnernd), unterlief MAY nämlich nicht nur im größten Maßstab UBW; sondern er konnte so was auch ganz bewußt-witzig einbauen: wenn der redselige Hobble-Frank Rätsel aufgiebt, ja, dann ist er eben »rätselig«, (vgl. die ›Preisaufgabe‹ zum Schluß des GEIST im ›GUTEN KAMERADEN‹). Wenn Ahriman Mirza eingeführt wird, (SILBERLÖWE III, ab S. 586), dann steht zwar in L IV hinter ihm der »Chodem« FRIEDRICH NIETZSCHE’s; in L III jedoch ist sein Träger, wie WOLLSCHLÄGER nachwies, FEDOR MAMROTH von der damaligen ›Frankfurter‹ — und umgehend werden in den Text, mit vollster Absicht, ›Rot‹ - Derivate eingeschleust: »rote Schnürstiefel« hat er an, zu »roten Hosen« & »roter Weste«, noch die Ärmel müssen »rotseiden unterfüttert« sein; und da MAMROTH SPD-Mann war, erhält solches ›rot‹ den auch heute noch bei ›Andersdenkenden‹ so beliebten perfiden Nebensinn — ich seh die Wahlplakate schon wieder vor mir — aber MAY wird ja mehreren Parteien gerecht, da er auch die ›Schwarzen‹ die ›Schwarzen‹ nennt. »Rotgelb« glänzt Ahriman Mirza’s langer Flintenlauf; der Griff seiner Peitsche »flimmerte blutigrot, also ob er aus lauter dunklen Rubinen ((wieder ›rot‹)) zusammengesetzt sei«; seine Blicke glühen gerne zornig auf »wie Funken«, wobei Einem denn wie billig »Loki« einfällt und das wiederum leitet zwanglos über zu »Hölle«, wie das bei den Bekennern der Liebeslehre so üblich ist. — — Dieselbe Methode sehr ernst zu nehmender Wort — — ja, ›Spiele‹ ist nun nicht mehr der richtige Ausdruck! — setzt sich fort im 2. Teil des Traumes, Ss. 323-328,(sich auch in Partien des nächsten Teiles noch hinüberziehend). Da nämlich erscheint ein etwas gewichtigerer Vertreter des Katholikentums; und es erfolgt ein Duell (von der beamteten Literaturgeschichte selbstredend noch nicht gewürdigt, ja, anscheinend überhaupt 292
nicht einmal gekannt) mit dem, seinerzeit & bei Gesinnungsgenossen vielgeltenden ›Hochland-MUTH‹ in seinem Hochmut-Land. Der hatte, am 14.6.1902 in der Wiener ›Zeit‹, unter der Schlagzeile ›Ein entlarvter Jugendschriftsteller‹ — worauf MAY ihn dann sehr mit ›Larven‹ umgehen ließ — eine öffentliche Hinrichtung des Alten vorgenommen; was damals, als noch keines der Spätwerke vorlag, so leicht war, daß das ganze monumentale Wüten sich eigentlich nur noch aus einer vom Klerus dirigierten weltanschaulichen Empfindlichkeit begreifen läßt; derber gesagt: als die Wut sich gefoppt dunkelnder Unfehlbarer. (Daß auch MUTH keine Ahnung davon hatte, inwiefern MAY allenfalls als Jugendschriftsteller ein etwas hitziges Eisen sein könnte, versteht sich am Rande.) Nun taucht er, gemäß MAY’s klar ausgesprochenem Vorhaben einer Doppel- bzw. Mehrfachformung aller Agierenden, bereits ein paar Seiten vorher im Buche auf; und es wäre schon interessant zu erfahren, ob die beiden Kontrahenten sich wirklich auch im Leben persönlich begegnet sind, und vorsichtigfrech, wie solche Typen sind, ein bißchen miteinander schat-tenbocksten (wenn hier vielleicht ein MUTH-Spezialist, etwa aus Dessen Tagebüchern oder Briefen, einschlägiges beibringen könnte?). Zumindest in effigie hat MAY ihn aber doch wohl erblickt, denn seine Beschreibung wirkt irgendwie porträtähnlich, (nicht ›karikiert‹: man kann den Eindruck, den ein von vornherein gehaßter Gegner auf Einen macht, nicht ohne weiteres so etikettieren; braucht es
sich doch gar nicht um eine Verzerrung zu handeln, weit eher um ein Herauspräparieren von als widerlich empfundenen Zügen): »Sein lang herabwallender grauer Vollbart war sehr, sehr dünn, als ob die Natur nicht genug guten Willen vorgefunden habe, das auszuführen, was sie wollte« — ich öffne den neuen SOERGEL-junior, Bd. I, auf S. 746: und da sieht er mich schon tadelnd an, der »Scheik ul Islam«, wie er im SILBERNEN LÖWEN leibt & lebt: »Er hielt den Kopf herausfordernd zurückgewor293
fen, und strich sich mit beiden Händen den langen dünnen Bart, als ob in diesen Haaren die Kraft gelegen habe, endlich einmal den Muth der Aufrichtigkeit zu zeigen«. Erst genauester Untersuchung & Sachkenntnis wird es nachzuweisen gelingen, was an intimen Sottisen, an Seitenhieben, und Zitaten aus damaligen Zeitungsartikeln, in diese 1200 Seiten des III. und IV. SILBERLÖWEN Alles hineingeulkt worden ist: ich kann mich mit dem, schon damals dubiosen, heute hoffnungslos steril gewordenen Koprolithenhaufen von Tagelöhnergekeif nicht befassen; das muß dem kommenden MAY-Biografen vorbehalten bleiben. (Hoffentlich erlebe ich es noch.) MUTH hat, zurück zum IV. Band, also bereits auf S. 316 f. dem gefährlichen Besucher kurz ›Maß genommen‹; »mit dem Mut, sich dicht am Abgrund lauschend zu verbergen.« Ab 323 dann beginnt das eigentliche Streitgespräch, der Doppel-Monolog zweier Aufschneider; daß der von HOHOFF ungebührlich überbewertete »Zauberer« VEREMUNDUS, (imgrunde nichts als ein tendenziös Schlechtinformierter), im Vergleich mit dem ›USTAD‹ die beträchtlich ›Kleinere Portion‹ war, werden spätere Dezennien noch einsehen lernen. Zunächst geriert er sich freilich weit breiter & höher als sein Besucher; im Verlauf der »Audienz« nimmt seine Stimmstärke aber kontinuierlich ab, (»Hast Du den Mut?«); am Ende tun Beide den Sprung in einen »Tod«. — — Und damit hätte nun der zur Zeit noch am schwierigsten entzifferbare 3. Teil des Großen Traumes begonnen, (Ss. 328 — 352). Einiges steht aber ziemlich fest; z. B. daß es sich um eine Zweitformung des ›Sprunges über-in die Vergangenheit‹ handelt. Einmal abgesehen davon, daß MAY die seiner Gutmütigkeit (oder, wenn man so will, seiner ›Einbildungskraft‹) Ehre machende unrealistische Hoffnung gehätschelt zu haben scheint, er könne vermittelst der Macht seiner Persönlichkeit jeden, aber auch schon jeden, Gegner ›überwältigen‹, ergo auch Feind MUTH — hiervon also (weil mir im Moment nicht festzustellen) einmal abgesehen, muß bei MAY, 294
nachdem er in die Tiefe jambpte, wieder einmal das heimliche Zentrum durchgeschlagen sein. Denn man landet in einem recht gruseligen See, gefüllt mit Leichen; und dem Kenner des Oeuvre fällt gewiß sofort der ›Maha-Lama‹-See aus A & D II ein: auch er ein See; auch er einst gefüllt mit Leichen; auch bei ihm in der Mitte die fromme Riesen-Plastik, hie der Wasserengel, dort das ›Versteinerte Gebet‹. Und da es sich beim Maha-Lama-See einwandfrei um eine ›Gefängnisabbildung vom Typ Osterstein‹ handelt (vgl. S. 313 f.), so liegt die Parallele nahe, wie auch bei diesem ›Totenhause‹ ihm die gleiche Sorte Vergangenheit UBW-aufgegähnt haben könnte: »Stein« klingt es auf; und wieder »Stein«, (bzw. das gleichwertige ›Fels-BlockQuader‹); allein auf den Ss. 328-349 nach meiner oberflächlichen Auszählung 14mal. Und duftet es in A & D II, S. 504, wie »Kätzchenblüten zur Osterzeit«, so haben sich hier, im »Ort des steingewordenen Erdenfluches«, die ›Phoneme‹ von ›Osterstein‹ ja wohl genugsam Rendezvous gegeben — dies grandiose Durcheinanderklingen der 4 Lesemodelle ist es eben, wodurch diese Spätwerke
einen so hohen Grad von Polyfonie gewinnen, wie er nicht allzu zahlreichen Großen Büchern der Weltliteratur sonst noch eignet. / Daß ›Verleger‹ als, zuweilen etwas verwackelte, Räuberhauptleute auftreten, ist ein Eindruck, den sicherlich schon jeder Autor einmal empfunden haben wird. L IV (= Religionähnliches): das in diesem § hauptsächlich interessierende ›religiöse Lesemodell‹ wird besonders pikant durch die Einführung eines, zu diesem Behuf ausdrücklich erfundenen, Stammes von ›Taki‹; und sie werden gleich so charakterisiert: »Die betreffenden Kurden führen diesen Namen, weil sie wegen des Glaubens sehr streng gegen andere sind, und mit großer Bestimmtheit behaupten, daß nur sie allein den Himmel erlangen werden.«. »Ultras« (= ›Ultramontane‹) werden sie genannt; »denkschwache Eiferer, die Fatima noch über Mohammed setzen«, (= ›Marienkult‹); freitags »plar295
ren, plappern & murmeln« sie gebetsmühlig. Und eines schönen Tages kommt gar ein »Scheik ul Islam« ins Duar eingeritten, einer der höchsten Würdenträger der Taki, dem »tausende von Seelen von Allah anvertraut« sind, und der von sich behauptet, daß er »Allahs Auserwählter und der Inbegriff des ganzen Koran« sei, ja, »Allahs Türsteher« — und wer dächte da nicht an eine ganz bestimmte, unangenehmgrößenwahnsinnige ›Schlüsselgewalt‹? / Diese ›Taki‹ haben sich mitten in KarlMAYistan in einem uralt-großmächtigen Lehrgebäude eingenistet... wozu noch viel der Worte: die Herren Katholiken werden hier von MAY, dem inzwischen selbst mindestens ebenso unfehlbar gewordenen, einwandfrei lächerlich gemacht! (Genau dieselbe ›Gesandtschaft der Katholen‹ an KARL MAY findet sich ein zweites Mal abgebildet in A & D I, 540 und 587 ff., wo auch der ›Maha-Lama von Dschunubistan‹ und eine Jesuitenhaft-militärisch gegliederte Hierarchie auf ihn zu galumphiert kommen möchte) / Nun ist es bei MAY’s wenig entwickeltem Verstande zwar völlig irrelevant, ob & was er so alles geglaubt hat; ich möchte ja auch nur dartun, wie wenig tief das X-entum bei ihm ging: sobald er von kirchlicher Seite her attackiert und wütend gemacht wurde, fing er sofort an zu schimpfen, an den Fundamenten sämtlicher ›Lehrgebäude‹ zu rütteln — läßt er sie doch am Ende des SILBERLÖWEN, eins wie’s andere in sich zusammensacken — und eine Gemeinde für sich zu gründen. 1907 gibt er ein verquätschtes ›Glaubensbekenntnis‹ an die Presse; 1910 ruft er pathetisch aus: »Wie arm müssen doch die Menschen innerlich sein, welche behaupten, daß ich katholisiere!« (BIO, 174). Und da übertrieb der Herr tatsächlich nicht — je länger desto unabweisbarer gewinnt man bei der Lektüre der Alterswerke die Überzeugung, daß er zwar an so mancherlei, nicht aber an progressivem X-entum litt; »denn MAY muß ganz gelesen 296
werden, vom ersten bis zum letzten Bande. Er wird auch noch mehr schreiben, und auch am Schlüsse seines allerletzten Buches wird es noch fraglich sein, ob man ihn dann schon so versteht, daß man über ihn als Schriftsteller ein Urteil fällen kann«, (DL, 5). Des Katholizismus kann man ihn nicht beschuldigen: wer derartig mit den ›Taki‹ umsprang, dem kann auch für die paar zweckgebundenen Verbeugungen & das verbindliche Zähnegefletsch dann & wann im Hausschatz, keine Absolution werden; (gelehrte & orthodoxe Katholiken haben das auch sehr bald eingesehen; man vgl. die Äußerungen CARDAUNS’, oder die Beanstandungen des FRIEDE durch den damaligen ›Borromäusverein‹). Gleichermaßen verbietet das wässrigfrömmelnde Diminuendo der schon erwähnten ›fadings‹, (in ihrem sächsisch gefärbten Deutsch besonders wenig ergreifend), mit dem auffällig vielen, vergnügten Geschwätz von ›Geistern‹, ›Ahnungen‹ und Schmalspurprofezeihungen, ihn als
Lutheraner oder Calvinisten zu vereinnahmen. Und auch die zur Zeit aus innerpolitischen Gründen sehr gepflegte Theorie vom berühmten ›konfessionslosen X-entum‹, ebenso antiklerikal wie tiefreligiös — kribbelnd & wibbelnd von Paradoxa à la ›Mut zum Gebet‹, (und ähnlichen unschätzbaren Belegen, daß sich auch die Feigen gern wenigstens Vokabeln der Tapferkeit einspritzen) — also auch das wäre auf MAY nur sehr bedingt anwendbar; höchstens insofern als ihm Ausdrücke wie ›GOtt‹ leicht durch die Feder gehen. Es ist kein Gegenargument, daß seine Helden das Gesicht allmählich in immer apostolischere Falten legen, und das sittige Niederschlagen des Blicks ihnen ebenso gelingt, wie das von Feinden. MAY’s — für Leute meines Geschmacks etwas übertriebene & häufige — Profetenzürnen, in Verbindung mit ordensstifterischen Gelüsten & ähnlichen puerilen Ambitionen, ist nicht einmal Viertels-X-entum, sondern in diesem Falle ein Seitenzweig der Megalomanie; und wenn MAY auf weiten Strecken der BIO von 1910 gar so verinnerlicht tut, dann erinnert das immer fatal an den Armen Mann von Anderlecht, nachdem ihm seine Handelsspekulationen fehlgeschlagen 297
waren. Neinein; alle diese Annahmen scheinen mir gleichmäßig von Beweisen verlassen, und beantworten die Frage nicht, wie MAY sein metafüsisches Bedürfnis gedeckt haben mag. ›Feilesufluk‹ scheidet von vornherein aus; Bücher der Art nahm er, womit er im SUREHAND gar noch prahlt, so gut wie nie in die Hand, (und unter Wendungen wie dem ›Ding an sich‹ hätte er ja auch vermutlich etwas ganz falsches verstanden). Ich kann die wahren Verhältnisse wiederum nur kurz skizzieren, da es auch in dieser Hinsicht an Vorarbeiten noch gänzlich mangelt. — MAY selbst hat eine Schilderung aus dem Jahre 1880 (83?), also aus relativ früher Zeit, gegeben, wie ihn, den Jungverheirateten, seine Frau Emma mit einer ihr befreundeten Familie Metzner bekannt machte, »deren Glieder alle enragierte Spiritisten waren, und seit dem Tode des alten Pollmer ((Frau Emmas Großvater)) auf seinen Geist schon warteten«. Im ganzen erschienen damals, bei jener ersten Séance, 4 ›spirits‹, und »sprachen teils solo, teils tutti, in einer Weise auf mich ein, daß ich innerlich ganz breitgeschlagen und auch äußerlich in jener nervenerschütternden Weise ergriffen wurde, die auf die Kraft des Mediums zurückzuführen ist«, und die, nach MAY’s eigenem Eingeständnis, so auf ihn wirkte & nachwirkte, daß er, »als sich der Kreis der aufgelegten & vereinten Hände löste, wie betrunken nach Hause ging, und fast eine ganze Woche lang in diesem schwinde!und taumelartigen Zustand verharrte«. Hierauf bezieht sich auch LEBIUS, S. 157, wo Frau Emma’s Aussage es bestätigt: »Karl regte die Sitzung so ungeheuer auf, daß seine Hände auf dem Tisch flatterten.« Das nämlich ist, ich will nicht lange fackeln, das ganze schnurrige mysterium magnum: der Mann war Spiritist! Und laborierte, nach Art aller Irgendetwas-Gläubigen, nicht nur an Unendlichkeitsfimmel; sondern wollte auch noch eine geisterschriftlich-garantierte ›Zulage zur Ewigkeit‹. Denn ob & wieviel man sich gegenseitig Geld pumpen; wohin man den Sommer reisen; oder ob man sich etwa gar scheiden lassen solle? — über alles wurden bei MAY’s ›die Geister‹ 298
befragt, und ihnen dann ›religiös‹ gehorsamt: »Noch denselben Abend ((26.8.1902)) sagte mir mein Mann, Klara, d. h. die jetzige Frau MAY, sitzt diese Nacht, um mit den Seelen unserer verstorbenen Verwandten Rücksprache zu nehmen. Diese Konferenz
wird ergeben, ob es zur Ehescheidung kommt oder nicht. Am nächsten Morgen brachte KM einen Geisterbrief der jetzigen Frau MAY zu mir, worauf oben stand: ›Du hast bis zum 10. Oktober hier oben auf der Mendel zu bleiben, und wenn Du jetzt nicht unsern Willen tust, und unterschreibst, was Karl Dir vorliest, dann Wehe, Wehe, Wehe!‹ Da ich glaubte, daß es sich um einen Befehl meiner verstorbenen Eltern handelte, so gehorchte ich.« (Aussage Frau Emma’s, nach LEBIUS 158). Rein menschlich betrachtet, sollte & könnte es uns heute, 2 Menschenalter danach, gleich sein, Wer hier mit Wem was für Schindluder getrieben hat; da aber die Bücher des Mannes, »der sogar Schriften subventioniert, in denen er als zweiter Jesus verherrlicht wird«, (LEBIUS, 160), noch millionenfach unter uns umgehen, ist es literarisch & psychologisch vom höchsten Interesse, fest- & darzustellen, was in diesen Büchern eigentlich gespielt wird, bzw. wie es im Schädel ihres Verfassers zuweilen ausgesehen haben mag. Denn in der ›Villa Shatter-hand‹ gab es eben nicht nur jenen monströsen (in der MAY-Nummer des ›SPIEGEL‹ gezeigten) Arbeitsraum, mit Gewehrrosetten & der ausgestopften Löwin; nicht nur das »nackte Zimmer« der COPIE NR. 2; sondern auch noch dämmrigere, wo man, süchtig verquollenen Gesichts über rückende Tische oder den ›Psychografen‹ gebeugt saß, und darauf lauerte, was ›Gottlieb‹ heute wieder zu offenbaren vorhabe. Aber Ironie wäre zu wohlfeil, und dem merkwürdigen Casus ja auch nicht angemessen; sollte es Lesern doch in letzter Instanz schnuppe sein, aus was für Gaukeleien ein Künstler seine Anregungen bezieht; beklügeln wir also die Possen nicht länger — hoffen wir lieber darauf, daß bald einmal etwas von den Geister-Protokollen ans Tageslicht gerät — immerhin steht soviel fest: 299
ein tapferes Wassertreten in Teichen von Unbegreiflichkeiten, wie es uns armen Privolvanern achselzuckend ansteht, war MAY’s Sache nicht. Wohl aber muß man, um des Verständnisses des unheimlich folgenreichen Werkes willen, das eine im Auge behalten, daß er sehr für dilettierende ›Geheimlehren‹ war; der mit diesem Etikett versehene Teil seiner Bibliothek (vgl. ›Jahrbuch 1931‹, S. 262 ff.) ist für einen Laien so auffallend umfangreich, daß sich allein daraus alles ergeben würde. (Hoffentlich findet sich bald einmal Jemand, der vergleichend feststellte, was davon auf die 2 1/2 Band-Meter, zumal das späte ultraviolette Ende, abgefärbt haben könnte — es wird nicht wenig sein.) Denn, zum Beispiel, AM JENSEITS ist ja, nüchtern betrachtet, nichts als der Bericht über ein ›Medium‹ & dessen Gesichte von des Übergangs Übergang zum Übergang. (Andere literarische Formungen des nicht gerade übermäßig fernliegenden Bildes vom ›Leben als gefahrvolle Brücke‹ — es kann aber auch ebensogut ›der Tod‹ sein — wären etwa ADDISON’s ›Vision of Mirza‹; die ›Brücke über das Chaos‹ bei MILTON; MAY wird vielleicht durch Sa’di, den er besaß, darauf gekommen sein — immer mal angenommen, daß man auf so was erst ›kommen‹ müßte.) Bei diesem JENSEITS von 1899 besteht übrigens die entfernte Möglichkeit, daß es sich um einen allerersten, tastenden & noch ganz unvollkommenen Versuch einer Verschlüsselung handeln, der ›Münedschi‹ eine erste, halbbewußt unternommene Selbstabbildung sein könnte, — Ausdrücke wie »der stärkste Raucher« fallen im JENSEITS S. 102 und 118 ebenso wie in WE 273 f., — dennoch erforderte dergleichen, wie auch die Erkennung der Nebenpersonen, einen weit besseren Kenner der vita, als ich es bin, bzw. zur Zeit noch sein kann. S. 340 ff. erfahren wir, im Vertrauen, als Allerneuestes, daß auch W Spiritist gewesen wäre, und nachts, am einsamen Lagerfeuer, immer grüßend in die Runde gewinkt hätte, so:!!! — die in
jenen Zirkeln geläufige Erscheinung also, gemäß deren auch WILLIAM BLAKE seinen Hut ins Nichts zu schwenken pflegte, und auf Befragen angab: er hätte bloß 300
ma eben rasch den Apostel Paulus gegrüßt. (Nu einverstanden!; Hauptsache, er hat außerdem noch gute Sachen geschrieben.) Mit ›Geistern‹ & deren Erscheinungen hat MAY es überhaupt nicht so selten — A & D II, S. 466 ff., die ›Dschemma der Lebenden & der Toten‹ wird auch wieder nur eine, freilich literarisch beträchtlich geformte, ›Seance‹ darstellen — von der wahrsagenden Somnambulen im alten WEG an; über die Possen des KHONG KHEOU und MAHDI; bis hin zu den WortVerrätereien à la GEIST. Es müßte aber, um, wie gesagt, manch wichtige Angaben der beiden großen Spätwerke begreifen zu können, noch eingehend präzisiert werden, wes ›Geistes Kind‹ der Alte in dieser Beziehung war, (oder meinethalben allmählich wurde). Bereits in den HIMMELSGEDANKEN von 1900 finden sich mehrfach Stellen, (hauptsächlich 280ff.), von einer ›ZWEITEN WELT‹, wie sie alternden StarkGläubigen anscheinend immer wichtiger wird — hoffentlich gibt es da nicht ein weiteres biologisches Gesetzel, nach dem ab 60 die Beschäftigung mit ›Jenseitsmodellen‹ einzusetzen hat. (Was sollte ich mit’m ›Wunder‹?! Ich wüßte nischt damit anzufangen.) — aber beschnüffeln wir lieber MAY’s Wortspezereien. Er will »Empor zur Wahrheit« und »Antwort« haben — schon erwidert es gefällig: »Komm mit! Ich trage Dich auf leichten Schwingen / von dieser Erde fort zur Zweiten Welt. ... Schau hin, schau hin! Siehst Du es vor Dir liegen, / der Zweiten Welt geheimnisvolles Land?«; (daß immer dieses ›heim‹ mitschwingen muß!). Und der medial Fortgetragene tut, als ob er stutze: »Der Zweiten Welt? Ist das nicht auch die Erde? / Gebirge, Land & Wasser, Feld & Au, / so gleich, so ähnlich, daß fast irr’ ich werde, / sogar der Dörfer & der Städte Bau...« — MAY scheint also auch hier wieder dem faulsten aller ausgelatschten Weglein nachgezokkelt zu sein; dem, an dessen sehr-hölzernem Wegweiserarm steht (um es in sein geliebtes Sächsisch zu übertragen): ›Es iss immr so gewäsn‹. Beziehungsweise, vornehmer ausgedrückt: von allen ›Jenseitsmodellen‹ ist auch ihm — (das ›auch‹ soll andeuten, daß 301
99 % der X-enheit im innersten Herzen genauso, tcha darf man ›denken‹ sagen?) — das einleuchtendste dasjenige, das im größt-verbindlichen Stil wohl von Herrn EMANUEL SWEDENBORG entwickelt wurde; der sich, wie er behauptete, durch Autopsie »von dem Grundirrthum der meisten Menschen überzeugte, daß sie nach dem Tode eine gewaltige Veränderung erwarten, einen Zustand, der über unsere jetzige Vorstellung weit hinausgehe, etwas Ideales, Abstractes, Besonderes«; neenee: »ich habe sie tausendmal gesehen, gehört und mit ihnen gesprochen« sagt er, SWEDENBORG, von Engeln & spirits, und »daß der Geist des Menschen nach seiner Trennung vom Körper Mensch sei und eine menschenähnliche Gestalt habe, ist für mich, bei einer täglichen Erfahrung von vielen Jahren, ganz gewiß«; sah er, (SWEDENBORG) doch selbst »einen Gelehrten, mit einem Buch unter dem Arm, durch die Gassen des Himmels gehen«. Eine Vorstellung, die JUNG-STILLING dann nicht nur bestätigt, sondern noch mit diversen zusätzlichen Details ausgeziert hat; und die man nach ihrem konsequentesten Vertreter der MAY-Zeit & seinem — zwar nicht in MAY’s Bibliothek enthaltenen, aber ihm vielleicht doch geläufigen, (evtl. auch in seinen anderen Geisterschnulzen zitierten) — Produkt, das FRiESE’sche
Jenseitsmodell nennen könnte; (›Stimmen aus dem Reich der Geister‹ heißt das lavendelfarbene Bändchen, das weit weniger nach Es- als nach Peri-Sprit schmeckt. —: »Nichts ist der Menschheit so wichtig, als ihre Bestimmung zu kennen! / Um 2 Groschen Courant wird sie bey mir itzt verkauft.«; SCHILLER, ›BuchhändlerAnzeige‹.) Ich gebe aus dem bekannten verläßlichen WARREN’schen Compendium ›Theol. Writings of E. SWEDENBORG‹, 1909 ein paar Hinweise. S. 634: ›Das Universum hat die Gestalt eines Menschen‹ (Mannes?); 611: jeder Mensch hat 2 Schutzengel; 641: GOtt selbst erscheint in Menschengestalt; 643: der Himmel (sprich ›Jenseits‹) ist in 4 Regionen geteilt, die mit dem Namen der Himmelsrichtungen bezeichnet sind; 637 werden die Völkerschaften genauer charakterisiert à la ›Die, so ihren Wohnsitz in den Lenden haben und in den Organen der Zeu302
gung‹; und endlich fehlt sogar das nicht (S. 603-612), daß die guten und bösen Engel die Eigenschaften der Menschen am Geruch erkennen — jeden einzelnen der Züge wird man sich erinnern, in meinem digest von MAY’s A & D angetroffen zu haben. Nun kann Niemand mehr als ich von der traurigen Überzeugung durchdrungen sein, wie unrealistisch es ist, auf ein Quellenstudium des Alten zu hoffen — das würde nämlich die Erkennungsarbeit sehr erleichtern — nein; er gehörte zu jener für den Biografen & Filologen anstrengendsten Schriftstellersorte, denen abgeleitetste, ja nun nicht mehr ›Quellen‹ sondern Rinnsale zu ihrer Information mehr als genügten: eine Zeitungsnotiz, ›unter dem Strich‹, deckte seine Bedürfnisse völlig! Mit anderen Worten: er wird SWEDENBORG nie im Original gelesen, sich vielmehr mit bloßen Aufgüssen coelestischer Arcane begnügt haben; wenn man seiner Bibliothek trauen darf, etwa mit ALLAN KARDEC oder GÜLDENSTUBBE; obschon eine ziemliche Zumutung, wäre es doch, um A & D’s willen, 1 Spezialstudie wert. Leichtfertige mögen HEINSE’s ›Laidion‹ bevorzugen, und prognathe Schwerathleten ein walhallisches Hofbräuhaus; Der mag WERFEL’s Margueritenfelder bekopfsenken (›Stern der Ungeborenen‹), und Jener bei ›Tina‹-Zuständen die Schlappnase rümpfen — Herrn MAY wird man ohne Schwanken bescheinigen dürfen, daß / war sein L I von einer gewissen Art ›Manichäertum‹ zehrt (Black & White, Ormuzd contra Ahriman); eben dieses L I (plump-exotische Kriminalromanzen sind’s im Grunde) jedoch im Laufe der Jahre aufs erfreulichste Zu schrumpfen begann, und seine Alterswerke dann hauptsächlich Dreierlei noch kultivieren: 1 ) in L II Organ-Abildungen & greisenhafte Päderastica; 2 ) in L III autobiografische Selbstverherrlichung & Gehässigkeiten Ändern gegenüber; und endlich 3 ) in L IV ›Swedenborgische Correspondenzen‹. 303
§33 »Die der schaffende Geist einst aus dem Chaos schlug, durch die schwebende Welt flieg’ ich des Windes Flug; bis am Strande ihrer Wogen ich lande, Anker werf, wo kein Hauch mehr weht, und der Markstein der Schöpfung steht.« (SCHILLER, Die Größe der Welt) Hatte MAY mit der zweiten Hälfte des SILBERLÖWEN bereits ein episodischbefristetes Autobiograficum geliefert, und es somit in den Griff bekommen, sehr direkt über sich selbst zu schreiben; hatte er in BABEL & BIBEL (und vermutlich auch in jenem verschwundenen ABU KITAL) schon die ein- & andere, besonders aparte Sehenswürdigkeit seiner Zweiten Welt, der ›Nova‹ SITARA vorwegnehmend geschildert — (man blättere doch ja ab & zu zurück zu dem großen Deklamatorenstück jenes Gretna Green der Invertierten) — so begann er nunmehr, im Oktober 1907, eine weitere allegorische Selbstbiografie, ARDISTAN & DSCHINNISTAN. Und man kann die mächtigen Folianten des HAUSSCHATZES (Nr. 3 des 34. Jahrgangs) nicht ohne ein seltsames Gefühlsgemisch — Stirnrunzeln + Staunen + Bewunderung + Kopfschütteln + Grienen etwa — in die Hände nehmen; handelt es sich doch immer um ein gewaltiges selbstständiges Bewußtseinssystem, mit der, soweit ich die Literatur überschaue, nächsten Parallele BUNYAN’s, ›The Pilgrims Progress‹. Ja, im Grunde ging es um mehr noch: einen sogutwieletzten, angestrengten Versuch, die mit rasender Schwindigkeit um ihn herum sich aufdrieselnden Fusseln seines mit Alter & Vergangenheit geschlagenen, sowieso schon in 100 Bände ausgefransten ›ICH‹ noch einmal respektabel zusammenzustricken. — Zunächst ist selbstverständlich einiges Negative aus dem Wege zu räumen. So muß man zu dem o. a. HAUSSCHATZ-Vorab-druck, unbedingt das 1.—10. Tausend der Freiburger Buch304
ausgäbe mit hinzuziehen; MAY hat nämlich höchsteigenhändig rund 100 Druckseiten aus jener ersten Fassung herausgestrichen, und dergleichen ist ja immer extrawichtig, (nicht nur für die Genesis eines Stückes. Die radebeuler Ausgabe ist noch brauchbar; der bamberger Text notorisch-selbstgefällig ›bearbeitet‹ — ›Alles fließt‹ — und also dem Forscher uninteressant). Und weiterhin ist (wie bereits erwähnt) zu beachten: daß dieses eine Buch nun wirklich nicht fertig geworden ist; während es früher bei MAY meist so war, daß z. B. die Münchmeyereien das bekannte Übermaß an Schluß haben, (wo auf den letzten Seiten sämtliche Beteiligten erbarmungslospaar-weise zum Altar getrieben werden); und die ›Reiseromane‹, die ja eigentlich weder Anfang noch Ende kennen, sondern in ihrer diarrhöemäßigen Art bis in alle Ewigkeit fortlaufen könnten, sind grundsätzlich weniger fertig geworden, als vielmehr
einfach von ihm dafür erklärt worden — er hat es nie vermocht, ein Kunstwerk gehörig zu isolieren. Jedenfalls ist es bei diesem A & D hier so, daß man sich bis zur letzten Zeile immer noch in ARDISTAN befindet, das ›& DSCHINNISTAN‹ ist Programm geblieben; ja, selbst das ›hochinteressante‹ Zwischenland Märdistans mit der ›Geisterschmiede‹ muß man sich aus B & B hinzukonstruieren. Nun ist es zwar prinzipiell so, daß die ›Höllen‹ der Dichter weit lebendiger & wahrer geraten, als ihre ›Himmel‹, und auch bei MAY’s ›DSCHINNISTAN‹ würde es sich sicher um ein ziemlich wächsernes Königreich, bevölkert mit feierlich redenden Menschenersätzen, gehandelt haben; aber um den »steil aufwärts steigenden Urwaldstreifen« ist es natürlich ewig schade! Er muß sich mit diesem Thema in seinem letzten Lebens Jahrzehnt öfters beschäftigt haben; denn der in LICHTE HÖHEN 359 erwähnte Plan eines Epos’ von ›zwei Inseln‹, (vgl. Jahrbuch 1922, ›Wüste‹ u.a.) wäre ja wohl auch auf eine annähernd gleichwertige, halbkugelig-dualistige Lösung, dieselbe Art spiritistischen Semihemidemi-Jenseits, hinausgelaufen; der Begriff des ›Sterns SITARA‹ scheint sich erst um 1906, im Zuge der Arbeiten an B & B bei ihm entwickelt zu haben. Zuweilen 305
bricht der, bei ihm latent ja immer vorhandene Tinnef, noch durch; sei es im herablassenden Spötteln über Psychologie, (ein Gebiet, von dem er besonders wenig verstand); sei es in der großmannssüchtigen ›Entfremdungsdichtung über Hohe Abkunft‹; oder daß ihm aus seinen einstigen Hintertreppenstücken automatisch einzelne Motive durchschlugen, (aus dem WEG die ›Wasserstube‹ des ›Fex‹; oder die ›Engel‹ aus dem Sibirienband). Aber im allgemeinen ist doch ein erfreulichster Fortschritt spürbar. Man prescht nicht mehr gar so viel herum; KBN hat sich seines Jagdhiebs (ja, zuweilen schon des Henrystutzens) entäußert; und die Länder des Neuen Erdkreises wimmeln von Gebilden, die — vorausgesetzt, man akzeptiere einmal jene Mentalität, die perpetuierlich Kreise quadriert, und ›7‹ als ›runde Zahl‹ betrachtet — durchaus als bedeutend, als glänzend erfunden, bezeichnet werden müssen! (Und an den besten Stellen ist sogar ER losgebunden, der Geist, der entfesselte, der bunte Fakten zu karierten Mythologien zusammentrommelnde — Bücher, die man richtig würdigen können will, muß man wohl irgendwann & mindestens 1 Mal, überschätzt haben.) Zunächst einige Belege für die, auch mir relativ spät gekommene Einsicht, daß es sich bei A & D wieder um eine verschlüsselte Selbstbiografie, die ›Sentimental Journey‹ eines zum Leib Verdammten durch die Wüste der Welt, handelt. MAY hat sich, wie zuvor schon im SILBERLÖWEN, ›zerlegt‹; diesmal zumindest in 2 Gestalten, in KBN und den ›Dschirbani‹, den ›Räudigen‹: sie erkennen sich gegenseitig an einem gewissen, leicht kochemerloschenhaften Zu-Blinzeln — ›Insanija‹ heißt angeblich der betreffende Ringverein, (wobei mir ›insane‹ einfällt), was aber ›Humanität‹ bedeuten soll (wobei mir, auf MS-Seite 186, ›homo‹ einfällt); und ihre ›Brustschilder‹ ergeben, ›aneinander gehalten‹, eine geheimnisvolle Landkarte, (ein Motiv, das leider nicht ganz ausgewertet worden ist: es könnte sich hierbei, theoretisch-theoretisch, ich weiß wohl, um den Situationsplan Märdistans & der ›Geisterschmiede‹ haben handeln sollen). Dieser ›Dschirbani‹, (»er glich in seiner edlen 306
Haltung, seiner vornehmen Art, sich zu bewegen, und seinem ledernen Gewände einem W in Riesengestalt, und mit der herabwallenden Haarmähne einem noch nicht
ganz gezähmten Löwen«, A & D II, 34), ist ein junges Ungeheuer an Kraft & Edelsinn; seine Mutter eine ›weiße Frau‹ (d. h. eine ›geborene Weise‹); ein riesenstarker- & reiner Erdengast; selbstredend ständig ›verkannt‹, ja ›eingesperrt‹, dabei buchstäblich eine ›Seele von einem Menschen‹ — kurzum, wenn man 1 Auge zudrückt, und mit dem ändern so recht ungesund-drei-mal um die Ecke blinzelt: KARL MAY wie er (zumindest seiner eigenen BIO-Vorstellung nach) leibte & lebte! Die fantastische Schilderung der ›Totenstadt‹ (in Bd. II) liefert einen weiteren GroßBeweis für die autobiografischen Absichten MAY’s, und ist überdem ein wirkliches Meisterstück, das eine wirre Kette unvergeßlicher Bilder vorführt; (obschon die 1001nächtige Legende von der ›MESSINGSTADT‹, 566.— 578. Nacht, ihn angeregt haben dürfte). Allein das bloße Draufzu-Reiten (S. 270 ff.), erst durch ›Sand des Entsetzens‹; bald erreicht man »die Grenze« dieses Strichs, und zieht dann »über einen Boden, den ein Nichtkenner zwar für die unfruchtbarste aller Wüsten gehalten hätte, in Wahrheit aber war er nur als ›verdurstetes Land‹, als ›verschmachtete Fruchtbarkeit‹ zu bezeichnen. Er klang unter den Hufen unserer Pferde zuweilen so hart und imporös ((!)), als ob wir... über gegossenes Metall ritten. Dann öffnete er sich in unzähligen Rissen & Sprüngen, um der Feuchtigkeit in glühender Sehnsucht entgegenzuschmachten« — es geht bei dieser ›Totenstadt‹ nämlich auf weiter nichts zu, als 1 von MAY’s erduldeten ›Gefängnissen‹ (= ›Aus EINEM TODTENHAUSE‹). Dort befinden sich, wie 239 zweimal betont, »die offiziellen Verbannungshäuser & Gefängnisse«; dort wohnen »Verbannte, Gefangene und also wohl auch Beamte, welche Aufseherdienst verrichten«. Das Ziel des »Panthers«, des (sehr merkwürdig mit 2 Zöpfen hunnisch-herumlaufenden) Erzfeindes, des unbeherrschten ›Erstgeborenen‹ der ›Wüstenräuber Tschoban‹, der seine Gefangenen — unter ihnen immer KBN + den 307
Dschirbani — internieren will, ist »das Gefängnis Nummer Fünf« (S. 267 f.); ein ›Einfall‹, bei dem MAY bestimmt der ›Gefangene Nummer 5‹ aus dem Sibirienbande vorgaukelte, (und der ›Engel der Gefangenen‹ erscheint sofort; Moment bitte!); auch der alldort mit den zuversichtlich-Überrumpelten in die Tiefe sinkende Fußboden (›Brunnen‹) mangelt nicht. »Es ist einer anderen, geeigneteren Stelle vorbehalten« flicht S. 285 ein, »eine ausführliche Schilderung dieser eigenartigen Totenstadt zu bringen; für heut mögen einige kurze Bemerkungen genügen. / Das Tal des verschwundenen Flusses strich hier genau von Nord nach Süd... die Sonne war bis nahe an den Horizont herabgestiegen«, und in den öden Gefängnissen gibt es »hinterlistige Falltüren« und vielviele »Heimlichkeiten«. Der ruhig-unfehlbare KBN ›erlöst‹ sich & sein alter ego (und noch mehrere andere Seinige) aus der steinernen Röhren-Falle; man muß durch lange unterirdische Gänge wandeln, (wobei man, im Wandeln, erfährt, daß 600 MAY’sche Schritte 1 Kilometer ausmachen; eine interessante Fehlleistung, die sich ebenso im HAUSSCHATZ wie in der ›Bamberger‹ noch findet: ›den Schritt weiten‹). Dann aber gelangt man in ein erquickend-Freies, und »bemerkte trotz aller Undeutlichkeit sehr wohl, daß wir uns in einer außerordentlich schroffen Bodenvertiefung befanden, in deren Mitte eine Tafel mit einem hohen, beflügelten Gegenstande zu stehen schien, vielleicht eine Figur... / ›Wir stehen in einem ungeheuren, kreis- oder länglich runden Kessel, dessen Wände senkrecht aufzusteigen scheinen... In der Mitte dieses Kessels giebt es etwas wie eine Insel, und auf ihr eine Figur.‹« Mit anderen Worten: das uns aus so manchen voraufgehenden Seiten her geläufige, minneapolitanische (= ›Minne‹, ›Po‹, ›anisch‹) Gleichnis, die Popohieroglyphe, beginnt sich, wie sich’s gehört, hier in der
›Totenstadt‹ zu entfalten. Wir sind »am schauderhaftesten & unheilvollsten Ort, den es auf Erden giebt!« (307f.); »man spricht nicht von ihm; man denkt auch nicht an ihn. Man kann ja auch gar nicht zu ihm gelangen«; worauf KBN dem geängsteten Kaiser von 308
ARDISTAN nicht unverständig entgegnet: »Es liegt in den meisten Märchen oder Sagen ein Wahrheitskern oder ein Wink versteckt, nach dem man suchen soll.« (Ab S. 310 beginnt, immer häufiger, die Bezeichnung »Krater« aufzutauchen für jene sandige Trocken-Elliptizität des ›Maha-Lama-Sees‹; den der große ›Abu Schalem‹ (= Absalom) erbaute.) Inzwischen ist es aber schon spät & finster geworden; das Halbdutzend kaumnochgefangener Männer hat sich häuslich eingerichtet; man ißt & füttert. KBN besieht sich erst noch mal die Öffnung samt Verschluß, der man ›die Befreiung‹ verdankt; und geht dann etwas spazieren und schaut in den Nachthimmel hinauf: »Es war nicht das ganze Firmament, welches wir über uns sahen, denn die hochragenden Felsenmauern beschränkten unsern Horizont, aber es waren doch Sterne, die da funkelten, und gerade jetzt trat das neugeborene erste Viertel des Mondes als schmaler dünner Bogen hinter der höchsten, steilsten Felsenkante hervor und goß ein geheimnisvolles Hellerwerden über uns & Alles aus, was um uns ragte« — Sankt Paraleipomenon sei mir gnädig!: daß es bei den WaldHeimlichkeiten der hochvermögenden Herren Gefangenen Nacht sein muß, dat wäit wie nu; aber jetzt sei einmal auf die MAY’schen ›Monde‹ des näheren eingegangen... Nun ist ›der Mond‹ freilich bei den meisten Schriftstellern (schweigen wir ganz von ›Dichtern‹) ein ausgesprochen schwacher Punkt — »Das war eine Nacht!«, heißt es z. B. im WERTHER, von der vom 9. zum 10. September 1771! Eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang erhebt sich da der Mond »hinter dem buschigen Hügel«; und beleuchtet dann gefällig die ganze melodramatische Abschiedsscene. Da macht man sich aufmerksam auf die »schöne Wirkung des Mondenlichts, das am Ende der Buchenwände die ganze Terrasse vor uns erleuchtete«; wandelt leidenschaftlich auf & ab; und »sie gingen die Allee hinaus, ich stand, sah ihnen nach im Mondenscheine, und warf mich an die Erde & weinte mich aus«, wie es gegen Ende der als solche deklarierten ›Tagebucheintragung‹ heißt — — 309
—: nur war, leider, ›in Wirklichkeit‹, an dem angegebenen Datum wenige Stunden zuvor Neumond gewesen! — Also dergleichen kann dem Besten unter uns passieren, ›Wer fragt danach in einer Schäferstunde?‹. / Bei MAY’s Helden allerdings wirken solche Wippchen insofern peinlicher, weil alle seine Großen Jäger, diese »Lieblinge der Wildnis«, angeblich nur 1 flüchtigen Blick ins Sternenrad zu werfen brauchen, und sich dann nicht nur über die genaue Richtung, sondern auch über die Uhrzeit beneidenswert klar sind. Dann dürfte den Herren das aber eigentlich nicht zustoßen, daß sie, wie eben am Maha-Lama-See, den schmal-zunehmenden Mondbogen, bei vorgeschrittener Nacht & sogar noch über der höchsten Felsenkante, erscheinen lassen: Der pflegt nämlich, kurz vor & nach Neumond, mit der Sonne & ganz in deren Nähe auf-& unterzugehen! 1 Einzelfall?: Mit nichten. / Im ABDAHN EFFENDI — auch so eine Geschichte vom Wanst & seinen Behängen — heißt es auf S. 99 des alten Erstdrucks der ›Bibliothek Saturn‹ (von 1909): »Das war schon über 3 Stunden nach Mitternacht... wir hatten uns die Dünste des Tales aus der Seele zu atmen. Da unten hatte Finsternis geherrscht. Hier oben grüßten uns die Sterne, und die zarte Sichel des neuerstandenen Mondes stand am Firmament«. (Die ›verbesserte‹ bamberger
Ausgabe, ZAUBERWASSER, S. 412, hat sogar das schlichte »zunehmend«, wodurch die astronomische Unmöglichkeit noch gebührend hervorgehoben wird.) / In A & D I, 512 wird es erst Nacht; und dann steigt der zunehmende Mond herauf — es thut mir leid; aber das vermag bestenfalls der abnehmende. / Zum Ausgleich steht in Bd. II, 572: »Wir hatten jetzt abnehmenden Mond, der sich dem Neumond näherte. Dieses ›letzte Viertel‹ stand beim Beginn des Abends klar & deutlich am Himmel« — sorry: das gilt nur für den zu-nehmenden. / WE, 141: »Während des Essens wurde es Abend. Der Mond ging auf. Er stand im ersten Viertel« — bedaure. / (Zum Trost dafür könnte die, A & D II, 145 ff., erwähnte »Neumondnacht« des 15. Dezember ungefähr stimmen — falls es 1909 gewesen sein sollte.) / 310
Und solche Witze sind nicht etwa auf das Spätwerk beschränkt; wer will, kann es ab SATAN I, S. 79, verfolgen, wie es da, 2 h nach Einbruch der Dunkelheit lautet: »Wir standen im ersten Viertel, doch war der Mond noch nicht aufgegangen«, (was durch ähnliche Bemerkungen der Ss. 150 u. 169 gesichert wird). Der erstaunliche OS-KBN ist nämlich naturfremder, ist flusiger & fahrlässiger, als der geschmähteste ›Asfaltliterat‹! Der hätte, nach der Uhrzeit befragt, weit besser getan, wie jeder andere normal-Nulle auch, mürrisch das Nürnberger Eylein aus der Bauchtasche zu graben: in L I sind MAY’s ›Monde‹ absurd & läppisch & herzschneidend falsch! In L II (und L IV) dagegen stimmt wieder einmal auch das. Denn MAY hat sich um Mondlauf & -fasen ebensowenig gekümmert, wie andere, das Große Zeichen cyclostomisch anstaunende Kindlein auch; ihm kam es nicht auf Genauigkeit an, sondern a) auf einen symbolischen, b) einen emotionellen Wert. Im schönen Faksimile der MERHAMEH steht sie S. 25 f., die wichtige Aussage: »Inzwischen brach der Abend herein, aber es war ein heller Abend. Der Mond hatte schon längst am Firmament gestanden und schien nur auf den Sonnenuntergang gewartet zu haben, um zu beweisen, daß auch er ein Spender des Lichtes sei. Man weiß, daß er schon seit undenklichen Zeiten zu der über den ganzen nächtlichen Himmel verbreiteten Sekte der Magier gehört und in Allem, was er thut, zur Heiligung & zur Andacht neigt. So ertheilte er auch dem vor uns liegenden Richtplatz und dem, was jetzt dort geschah, jenen geheimnisvollen, magischen Schimmer, der uns zu der Empfindung erhob, daß es sich hier nicht um das kleine Schicksal zweier unbedeutender Beduinenstämme, sondern um eine Darstellung großer, allgemeiner Menschheitsschicksale handle.« Gemäß dieser sehr aufschlußreichen Darlegung ist nun auch der erwähnte ›dünne Mond‹ über der Umrandung der hier besuchten ›Totenstadt‹ zu bewerten: der ›Kaiser von ARDISTAN‹ soll geläutert & ›erleuchtet‹ werden, und da symbolisiert ein solcher ›unmöglicher Mond‹ denn zunächst einmal das ›zunehmende Erkenntnislicht‹ — leider fängt das aparte Gestirn, 311
das die Fantasie aller Postselenen stets beträchtlich intensiver als Frau Sonne angeregt hat, nun sofort auch noch etwas anderes zu bedeuten an; nämlich schlicht einen ›Schwellkörper‹, der ›geheimnisvoll wachsen‹ kann, und auch gerade zu so nächtlicher Hore hier, »am interessantesten Ort im ganzen ARDISTAN«, der »voller Märchen« steckt, mit nichten umsonst am Himmel ›steht‹ — ein Bearbeiter, der dergleichen änderte oder ignorierte, könnte dadurch unversehens zum Ignoranten werden. Wenn MAY sich bei dieser ›Stadt der Geister‹ (wie sie zumal in der Hausschatzfassung mehrfach genannt wird), mit ihren »Irrkammern & Irrwegen«, wo die Vorsicht verbietet »wieder Licht zu machen, aber da ich nun einmal das
Geheimnis des Verschlusses kannte... genügte der Tastsinn, zu finden, was ich suchte«, nicht so sichtlich große Mühe gegeben; nicht auf den Seiten ab II, 261 rund 50 mal ›... heim...‹-Kombinationen (meist ›Geheimnis‹) versteckt; nicht ganz so unermüdlich den ›Traum‹ betont hätte — »die Nebenumstände, die sich an dieses Ereignis setzten wie die Nebensprossen eines treibenden Astes, sie waren es, welche den Eindruck des Seltsamen, des Phantastischen, des Wunderlichen und Verblüffenden hervorriefen« (249) — dann dürfte man sich eventuell mit der LIVBedeutung zufrieden geben, halb urchristlich-aufgeregte Bilderrede, halb spiritistische Séancenstimmung (ab S. 467); halb ›Hoch-Altar‹ aus »goldbräunlichem sehr hartem Holz geschnitzt, dem ein leicht bemerkbarer Veilchenduft entströmte« (197), und halb Orgelklang »als ob Engel miteinander sprächen«, (bei welcher Gelegenheit man erfährt, daß MAY’s Lieblingsregister »vox humana, flauto amabile und viola da gamba« waren — was im S-Pan-Opticum ›Homo-Stimme, Liebes-Flöte, Veilchen-Bein‹ heißen müßte). Aber da er ebensooft auf dem »unbeschreiblichen Gefühl« verweilt, »bei dem Anblick der Überreste, die uns ... schon von weitem in lebloser Nacktheit entgegenstarrten, fast möchte ich sagen, entgegengrinsten« (281), »in die eisenfeste, glatte Schale verwandelt & rasiert, die uns von allen Seiten entgegenstarrte« 312
(271); da er ein halbes Dutzend mal betont, daß sich die »offiziellen Gefängnisse« dort befinden; wenn man das ›Verbrecheralbum‹ von S. 398 dazunimmt, und 403 das Wort »Kriminalsenat« fällt; tja dann kann man nur sagen: »Dein Stachel wirkt und Deine Hiebe sitzen!« (331): es muß sich in L III um eines der MAY’schen Gefängnisse handeln! Und zwar müßte es, der Theorie nach, diesmal ›Schloß Osterstein‹, Zwickau, sein, wo er seine ersten 3 Jahre verbüßte; weniger noch weil auffällig oft die Himmelsrichtung ›Ost‹ erwähnt wird, und noch weit häufiger der ›Stein‹ — Alles ist ja dort praktisch aus Stein! — S. 431 auch das Wort »Osterzeit« fällt; sondern weil es sich um das ›zweite Gefängnis‹ des Dschirbani handelt, (das erste bei den Ussul in Bd. I); und ›Waldheim‹ kann es deshalb schwerlich sein, weil hierfür eindeutig die ›Geisterschmiede‹ im ›Walde von Kulub‹ vorgesehen wurde, in die der Dschirbani noch geführt zu werden hat: daß ihm die eigentlichen Prüfungen nämlich noch bevorstehen, sagt eindeutig S. 421: »ein jugendlicher Asket vor Beginn der Askese«! Vor allem aber ragen, und das drückt ein ziemlich beglaubigendes Siegel auf die Hypothese, noch eine Anzahl weiterer ›heimlicher‹ Spezialitäten, Ghiribizzi aus dem Palazzo Palagonia, hier herum, »Lebensprobleme, die im Gewand des Märchens ((mère-chens)) erscheinen« (II, 31); vor allem die ›Brunnenengel‹, MAYbaumgroße, cavernöse Gebilde, die prinzipiell ›stehen‹, und, fons et origo, ›befruchtendes Wasser spenden‹, wenn man lange genug daran herumleiert — je näher aufs ›Paradies‹, auf ›DSCHINNISTAN‹ zu, desto länger & dicker werden diese himmlischen (B)Engel. Bei MAY’s oft ›gestreifter‹, imgrunde zutiefst unchristlicher Bilder-Lust, ist die folgende Deduktion nicht im entferntesten kitzlicht; man ›versündigt‹ sich nicht im geringsten, an nichts, wenn man seine, pseudo-X-lich aufgeputzten S-Symbole näher in die Hand nimmt. (Ida gebe gern zu, daß ich — extrem verstandesmäßig orientiert — viele Einzelheiten, aus purem Mangel an Anfälligkeit für Religionen-allgemein, vermutlich gar nicht wahrnehmen 313
werde; (dafür eignet mir andererseits das ›Distanznehmen‹ des geborenen Analytikers); immerhin muß ich in dieser Beziehung letzte Feinheiten Dem
überlassen, der ›religion‹ ›experienced‹ hat.) Aber zurück zu MAY’s Engeln, zu MAY’s Schutzengeln, zu dem merkwürdig großen Geflügel; mit dem, wie er uns berichtet, alle möglichen DSCHINNISTANischen Zwecke & Aberglauben verknüpft sind. Eine frühe (vielleicht gar die erste?) Erwähnung dieser ganzen »Schutzengelei« — (der Ausdruck stammt von MAY selbst (HAUSSCHATZ 1908, S. 802); und das ›Niedrigergreif en‹ im Wort könnte ganz gut seine Bedeutung haben: es ist sicher nicht unwichtig, daß er es, wie ein Dutzend ähnlicher Seiten, für die spätere Buchausgabe herausgestrichen hat, dieses ›Schutz + enge + Ei‹!) — findet sich, um 1896, im SUREHAND III, S. 150ff. Da vertraut er schon dessen Stimme; ja, »indem ich hier an meinem Tische sitze und diese Zeilen niederschreibe, bin ich vollständig überzeugt, daß meine Unsichtbaren mich umschweben und mir, schriftstellerisch ausgedrückt, die Feder in die Tinte tauchen«. Freilich meint MAY nichts als »die Lieben«, die ›spirits‹; fügt ein erbauliches Geschichtchen an, im Stil des ›Verfassers der Ostereyer‹, von einem erst skeptischen Herrn, der von zween Schutzengeln gerettet wurde und dann, wie billig, heftig glaubte; gibt auch noch einen 18-Zeiler zu, von »wunderlieblichen Geschichten, / die bald von Engeln bald von Feen berichten«. Das nächste Mal fällt der Ausdruck 1899, in AM JENSEITS, S. 340 f. In den um 1 Jahr späteren HIMMELSGEDANKEN werden dann schon nähere Bestimmungen gegeben; etwa S. 212, wo ein dreifach GUTER RATH beginnt: »Laß Dich führen... laß Dich leiten... laß Dich tragen«, dessen Moral lautet: »Auf den Berg der Seligkeiten tragen Dich nur Engelsschwingen«; oder S. 67 f. ruft er unter der Devise EMPOR (›Po‹) FREUDig aus: »Ja, gieb mir Schwingen, aufzusteigen!«, und, immer FREUDiger »O Herr, ich steig, ich steige schon!«. Noch deutlicher wird es WE, aus dessen S. 276 hervorgeht, daß ›DSCHINNISTAN‹ das »Land der Schutzengel« genannt wird, und »nur uns, den 314
Roten Männern, bekannt« ist — was bei der bisher gewonnenen Einsicht in das Tun & Treiben der Herrschaften ja eine ziemlich einseitige Empfehlung darstellt. Am ansgebautesten aber findet sich der Engel-Komplex MAY’s eben in A & D. An 3, zweifellos sorgfältig UBW-gewählten Orten stehen sie da. Zuerst Bd. I, S. 479 ff., mitten in der Wüste, nahe der Landenge von ›Chatar‹, das heißt ›Gefahr‹; und im HAUSSCHATZ von 1909 findet sich auf S. 668 die nette Fehlleistung einer »Landstraße von Chatar« — wie war’s, wenn man sagte: in den ›Gefahren der Landstraße‹ hat MAY zum ersten Mal die Bekanntschaft des ›Großen Vogels‹ gemacht? »Bei Männern ist diese Vorstellung meist grob sinnlicher Natur«, sagt FREUD; (und vielleicht fällt dem Leser jetzt wieder ein, daß OS & W auch schon einmal mit »jenen großen Vögeln« verglichen wurden). Nun zur entscheidenden ›Blumenlese‹: 479 muß KBN bei dem »mitten aus der Wüstenebene hoch emporragenden Leuchtturme« (›wüste Ebene‹, ›im Po‹, ›ragendes Licht‹) vor Entzücken ob des »Wunders« sein Pferd zügeln; denn »nach langem schwerem Urwalddunkel bot dieser Strahlenjubel auf unbegrenzter offener Erdenfläche einen Anblick, den kein Mensch, der ihn gehabt hat, in seinem Leben jemals vergessen kann«. (Es scheint so; und jenes »feuchte Land, welches hinter uns lag«, 480, kommt auch noch ausgiebig an den Tanz.) Man erblickt einen überdimensionierten Engel, »mit einem Friedenszweige in der Hand! Er hat 2 Flügel, und steht auf einem Postament von mehreren Felstrümmern!«. Man nähert sich dem Steinkoloß, »und nun sahen wir etwas, was mich mit FREUDe erfüllte«, und was auch einen FREUD mit FREUDe erfüllt hätte (einen JOYCE mit joy), »nämlich der Felsen des Engels war, obgleich er mitten in unfruchtbarem Flugsande lag, von Sträuchern umgeben,
über welche sogar die kräftigen Wipfel einiger Bäume emporragten«; und ringsome »wuchs Gras, welches umso gesünder & saftiger war, je näher es dem Engel stand«. Gar nicht langsam, vielmehr ziemlich flott treten sie allealle nachbarlich wieder zueinander, die S-Runen & -Ersätzchen: Vokabeln auf ›Po‹ (»Tempo«, 315
»Postament«); Begriffe wie Fruchtbarkeit + Unfruchtbarkeit, ›nackter Fels‹, ein ›uralter Brunnen‹, aber »Nur für Freunde« (485). »Der Engel stand... auf einem einzigen, kompakten, riesigen Block... der untere Teil, Postament, war breiter als der obere«; man klimmt hinauf, auf der Suche nach der ersehnten »Öffnung« und besieht & betastet die Fläche oben: da steht’s, im »faltigen Gewand«, jedoch »ohne daß die Füße ans demselben hervortraten«; und das »Brunnenloch«, »nach dem wir trachteten« (499) wird durch ein »Dreieck« verraten, das als »Inhalt« ein »Auge« zeigt, »ungefähr in der Weise, wie es als Symbol Gottes, des Vaters, gebraucht zu werden pflegt, nur daß an dem, welches ich hier vor mir hatte, auch die oberen & unteren Wimperhärchen angebracht waren, und zwar in einer Anordnung & Feinheit, durch welche der Bildner dieses Symbols als Künstler erschien.« Man kennt dieses ›haarige Dreieck mit dem darin enthaltenen Auge‹; und auch der erfahrene KBN weiß gleich »von SITARA her«, daß es sich um das »Handzeichen & Siegel des Mir von DSCHINNISTAN« handelt: »›Ich bin überzeugt, daß dieses Symbol gerade die Stelle betonen soll, auf der es angebracht worden ist.‹« Nachdem man diese Stelle aus dem eigenen Schlauch angemessen befeuchtet und rüstig gescheuert hat, ist denn auch »das Brunnenloch zu sehen... wir schauten hinein«; es führen Stufen hinab (›Treppesteigen‹), »nach links«, cela va sans dire; und »die Luft, welche aus dem Innern stieg, zeigte nicht die geringste Spur von Moder und ähnlichen Dingen.« Man turnt mehrmals hinab & hinauf, und dann geht’s in das »Innere des Hügels« (wieso kommt ihm auf einmal ›Hügel‹ dazwischen?). Das besteht aus 4 Stockwerken; im ersten ist es noch leidlich dämmrig, und da steht vorsorglich eine Steinkiste, »in der sich allerlei Gegenstände befanden, die uns natürlich in hohem Grade interessierten«; begreiflich, umsomehr, da es sich um alte aber »sehr gut erhaltene Kerzen« in starker Lederscheide handelt, (so, nun wäre auch das da). »Außer diesen Kerzen gab es ein sehr wohl verwahrtes, uraltes Fiedelbogen-Instrument zum Licht& Feuermachen«, vgl. ›Totem & 316
Tabu‹, S. 144, die kindliche S-Metafer vom ›Geige spielen‹. Ganz unten dann trifrl man auf ein Wasserbassin, dessen Inhalt »wie es schien, aus adernweise eingesprengtem Sandgeschiebe immer nachfiltriert und nachgesickert kam« (502); also wieder das Harnblasen-Äquivalent mit vielviel ›stehendem Wasser‹: »um die Wüste zu befruchten, hatte ((es)) zur Sonne emporzusteigen.« Man kostet vorsichtshalber — — : »es war sehr frisch & rein und ohne jede Spur von Beigeschmack, aber tot. Da begannen wir ((KBN & H)) die Räder zu drehen. Ich hatte gedacht, daß dies nach so langem Stillstande ein lautes Knarren & Kreischen ergeben werde; dem war aber nicht so, denn die Achsen bewegten sich in einer dicken, fettartigen Masse, die zwar eingetrocknet war, durch die Reibungswärme aber sofort wieder in ihren ursprünglichen halbweichen, elastischen Zustand zurückgeführt wurde.« Als das Wasser oben angelangt ist, hat es »beinahe den Geschmack einer lebendigen Quelle....../ ... Wer dieser Engel ist, bedarf wohl nicht erst der Frage.« (503) — nee; allerdinx nich: MAY treibt es, je älter & scheinbar ›frömmer‹ desto ärger. Schon mit Hülfe dieses ersten prächtigen Wasser-Hähnchens werden ›Gefangene gemacht‹; und auch in der ›Totenstadt‹, von der ich meinte, daß
sie einer der MAY’schen carceri sei (und die Fantastik ist der PIRANESI’s gleichwertig!), nähert man sich, bei diskret schwellendem Mond & in still-stillender Nacht, quer über die unfruchtbare Popo-Ellipse des ›Maha-Lama-Sees‹ einer Figur (II, 316f.): »Da sahen wir, daß es allerdings ein Engel war, der genau auf der Mitte des weiten öden Platzes stand, an dessen Rand wir uns jetzt befanden. Wir lenkten unwillkürlich unsre Schritte auf ihn zu.« Und der Kaiser, der KBN über die (selbstredend wieder von Süd nach Nord orientierte Rundung) begleitet — MAY hatte sein Buch für eine »Lektüre für den Kaiser« gehalten; ein liebenswürdiger Irrtum: das Haus Hohenzollern hat, meines Wissens, die deutsche Dichtung nie sonderlich geschätzt, geschweige denn gefördert — Der also bestätigt: »›Ja. ... Das ist der Engel, dessen Kopf ich so oft gesehen habe, wenn ich auf der west317
lichen Höhe stand, und mit knabenhaftem Grauen nach hier herüberblickte... Und doch zieht es mich hin, als müsse ich dort etwas finden, als hätte ich mich schon längst, mir aber unbewußt, nach ihm gesehnt!‹«. Man kommt näher, und KBN urteilt für sich: »Er war gewiß doppelt so hoch wie der Engel, den wir kurz vor dem Engpasse Chatar entdeckt hatten, doch hatte er ganz genau dieselbe Figur. Es schien, als ob der hiesige das Original des dortigen und dieser nur eine Verkleinerung von ihm sei.« Der Zugang ist hier bequemer, über Stufen; denn »hier hatten täglich zahllose Arbeiter schöpfen müssen«; und KBN erkennt auch »zu seiner großen Befriedigung«, daß er sich nicht geirrt hat. »Als wir oben angekommen waren, suchte ich gar nicht erst nach Spuren von Lücken, Rissen und Spalten, die jetzt, bei dem spärlichen Mondschein ((der sym-bowlt also angeblich immer noch da oben mit rum!)) wohl auch nicht leicht zu entdecken gewesen wären, sondern ich ging gleich & direkt zu der betreffenden Falte des Gewandes hin und versuchte, ob diese Stelle beweglich sei oder nicht. Das Ergebnis wollte sich nicht gleich einstellen. Die Achse weigerte sich, nach so langer Zeit gleich wieder zu funktionieren. Aber als ich einen kräftigen Druck anwendete, gehorchte sie doch.« Und wieder, wie zuvor, die »Falltür... Der Engel ist hohl... Ein Loch ist da! ... eine sehr gut erhaltene Kerze ... ›Für mich ((KBN)) verstand es sich nämlich von selbst, dal? Beide ganz genau auf einer & derselben leitenden Schicht erbaut worden waren‹.« Für mich ebenphalls; denn auch den dritten, noch am Schlafittchen vorzuführenden Herrn Engel wird man gleich stehen sehen: alle diese ›Brunnenengel‹ sind Phallen, vom erotischen Altersantismus einer (vielleicht masturbatorisch fundierten?) halb-puritanischen Selbstgenügsamkeit erzeugt — unbeschadet alles damit gekoppelten, erstaunlichen dichterischen Tiefgangs. (Und sogleich die AusPhalls-Forte ins allgemeinmenschliche aufgestoßen: KAFKA, ›Amerika‹, S. 307; wo die Werbe-Apparatur zum ›Naturtheater von Oklahoma‹ also beschrieben wird: »Vor dem Eingang zum Rennplatz war ein langes, niedriges Podium 318
aufgebaut, auf dem Hunderte von Frauen, als Engel gekleidet, in weißen Tüchern mit großen Flügeln am Rücken, auf langen, goldglänzenden Trompeten bliesen. Sie waren aber nicht unmittelbar auf dem Podium, sondern jede stand auf einem Postament, das aber nicht zu sehen war, denn die langen wehenden Tücher der Engelkleidung hüllten es vollständig ein. Da nun die Postamente sehr hoch, wohl bis 2 Meter hoch waren, sahen die Gestalten der Frauen riesenhaft aus, nur ihre kleinen Köpfe störten ein wenig den Eindruck der Größe, auch ihr gelöstes Haar ((›Losung‹ plus ›Haar‹)) hing zu kurz und fast lächerlich zwischen den großen Flügeln und an den Seiten hinab. Damit keine Einförmigkeit entstehe, hatte man Postamente in der
verschiedensten Größe verwendet; es gab ganz niedrige Frauen, nicht weit über Lebensgröße, aber neben ihnen schwangen sich andere Frauen in solche Höhe hinauf, daß man sie beim leichtesten Windstoß in Gefahr glaubte. Und nun bliesen alle diese Frauen. ... ›Karl!‹ rief der Engel... ›Komm doch her... Du wirst doch nicht an mir vorüber laufen!‹. Und sie schlug die Tücher auseinander, so daß das Postament und eine schmale Treppe, die hinaufführte, freigelegt wurde.« (S. 309) — Zweifelt man noch daran, daß all diese MAY’schen Hintern ›Hand & Fuß‹ haben?; oder daß ich Denjenigen, die Einwände vorbringen möchten, noch ganz andere literarische ›Waffen‹ liefern könnte?!). Denn ich habe, gerade im Fall der beiden Spätwerke, alles andere vor, als eine MAYestäts-Beleidigung! Feierte ich doch schon, (so manchem ungenügend Informierten zum, mir öffentlich oder brieflich übermittelten, Anstoß) in meiner früheren ›Dya Na Sore‹ zwar nicht den sich selbst so nennenden »kenntnisreichen Geografen« (DL, 27), und nicht den albernen ›Volksschriftsteller‹; wohl aber den ›Letzten Großmystiker‹ des SILBERLÖWEN und ARDISTAN’s! Freilich ist einerseits die Tentation nicht geringe, der dumpfen Durchtriebenheit seines allround-Gelüstes, verbunden mit der schuljungenhaft-gewitzten Halbkraft der Camouflage, zu spotten — ich setze berufen gern auf 1 Schelm 1 1/2 — und der bisher in Sachen MAY betriebene träge Tagebau, der zwar das Verdienst hat, den Namen des Alten in aller Munde lebendig erhalten zu haben, ansonsten jedoch kaum wirklich-Neues herauf förderte, (und die Texte sogar noch schwerer durchschaubar machte), hat mir auch nicht gerade Bewunderung abgenötigt. Deshalb versuche ich seit Jahren den anderen Weg, um KARL MAY die merkwürdige Seitennische im Pantheon unserer Literatur zu verschaffen, die er sich verdient hat; gehe unbeirrbar jenen anderen, auf lange Sicht einzig haltbaren & Erfolg versprechenden Weg ernsthafter, kritischer, filound psychologischer Betrachtung, — »sampt eyn Anhang mit Deytung, explanatio & interpretatio, auch viel Vergleychung & Figürlichseyn« — der nichts mit törichter Gefälligkeit gegenüber ›Lese-Gemeinschaften‹ oder ›Buch-Ringen‹ und deren ängstlich-keimfreier ›Beobachtung der Marktlage‹ zu schaffen hat.
§34 »Das ist recht: eben weil das Volk sich daran ärgert!« (GOETHE zu FALK) Unabweislich geworden scheint die Folgerung, daß MAY’s Werk beständig von Organ-Abbildungen durchgeistert wird; in den frühen & mittleren Stücken naiv & reiseromantisch verkleidet, in den großen Alterswerken hochdramatisch drapiert. Das eindrucksvollste Beispiel der frühen Richtung dürfte jene ›Oase im Kaktus‹ sein, damals, da W noch lebte; das der Spätzeit die ›Geisterschmiede‹ mit dem darumherum erfundenen Stern SITARA, also A & D. Ich habe über dies letztere die höchst bedeutende Hypothese aufstellen hören, es könnte sich in letzter Instanz vielleicht sogar um die komplette Darstellung eines Gesamtleibes handeln; und theoretisch (theoretisch!) wäre ‘s schon möglich, 320
daß MAY, dem geübten Spiritisten, Reminiszenzen an einen gewissen ›Adam Kadmon‹ vorgeschwebt hätten, (›Das Universum hat die Gestalt eines Menschen‹ orakelt der ›Hochschwebende‹ in WERFEL’s ›Stern der Ungeborenen‹; vgl. auch S. 302). Das kann ich allerdings nicht mit-glauben. Zu einer solchen Schau, ja ÜberSchau, gehört eine Architektonik, eine ›Kunst‹, über die MAY schwerlich verfügt hat, (selbst wenn man Gebilde wie das schon erwähnte ›Schloß von Ortry‹ als Vorstudien hierfür gelten lassen wollte). Allenfalls möchte man verantworten können, von einem ›Anatomischen Atlas‹, speziell des Unterleibs & seiner Organe zu sprechen; einem, wenn auch noch so zerstückten, so doch schlechthin unschätzbaren Beleg der Theorie der ›Abbildung von Leibreizen‹, zuerst verkündet vom alten SCHERNER, der hierdurch wieder einmal mehr Ansehen & Gewicht bekommen könnte, (zumal wenn man in Anschlag bringt, daß MAY jenes ›Leben des Traumes‹, Berlin 1861, möglicherweise gekannt hat). Um nur den Anfang des großen Buches von A & D zu skizzieren: da schickt sich der Held KBN, nach einem, gemäß H. WOLLSCHLÄGER’s Formulierung ›Prolog im Himmel‹, zu einer neuen, allerseltsamsten Reise an — leider muß ich, da es sich um ein gar so kindlich-stilles, pränatales Glück im »Land der Sternenblumen« handelt, dem die Große Mutter MD präsidiert, den Ausdruck ›intra-uterines Geflüster‹ vorziehen: in L I sind’s, den LeserKindern langweilige Alfanzereien; in L II hebammige Anal-Logien; in L III wird’s MAY’s eigene Geburt bedeuten; in L IV hat WOLLSCHLÄGER Recht, da sind’s ›Seelen-Wanderlieder‹ (vgl. I, 372; immerhin ›Säusel schweben wurzel-auf‹). Denn KBN wird auf den ersten 43 Seiten einwandfrei ›geboren‹: »Der kleine Hafen von Ikbal ist mit der Außenwelt nur durch einen einzigen größeren Segler verbunden, welcher ›Wilahde‹ heißt ((arabisch ›Geburt‹!)) und immer segelfertig gerichtet ist. Dies Schiff gleicht einer Arche. Sein Bau ist uralt... aber man hat trotzdem keinen Grund, irgendetwas daran zu tadeln, denn Alles, was man sieht, ist genau dem Zwecke, dem es dienen soll, entsprechend 321
eingerichtet. Wir werden diesem Fahrzeuge in meinen späteren Erzählungen noch
oft begegnen; darum verzichte ich jetzt darauf, es genau zu beschreiben.« Ist auch nicht nötig; wir brauchen auf diese ›Wilahde‹ weiter kein analytisches Embargo zu legen; Kennworte wie ›Geburt; Schiffe; Ar(s)che, uralter Bau (ch)‹ genügen. Von Interesse möchte hier aber werden, daß man (S. 40) »genau um Mittag« die Anker lichtet; und S. 43 wird noch einmal hervorgehoben, daß die »Ausschiffung« an der Küste des tiefsten ARDISTAN »kurz nach Mittag« erfolgt, »es war kein leichtes Manöver« — was simpel besagen könnte, daß KARL MAY um die Mittagsstunde geboren worden ist, (ich weiß es nicht, und habe auch nicht vor, ihm die Nativität zu stellen; mögen’s die Herren Urkunden-Besitzer bestätigen oder widerlegen). Sehr nett noch der Zug, wie KBN sich auf seine große Fahrt vorbereitet, im »Gefühl einer ungewöhnlichen Verpflichtung, einer außerordentlichen Verantwortlichkeit, welches mich unruhig machte und nach der Bibliothek trieb, wo ich bis zum frühen Morgen über den Büchern & Karten saß«; und auch während der dreitägigen Überfahrt noch nimmt er sich Fachliteratur mit, »und las & las, und schrieb & schrieb, um alles, was ich für wichtig hielt, zu notieren. Schakara half mir dabei. Als 3 Tage vorüber waren, hatte ich einen ganzen, dicken Stoß von Notizen, deren Wert gar nicht abzumessen war. Mit ihrer Hilfe war es mir möglich, mich in jeder Lage und an jedem Orte zu orientieren«, (42). — Nun steigt man aus an der niedrigen, versumpften Küste, setzt sich, und winkt dem sich wieder entfernenden Lebensschifflein nach — und besudelt & beschmutzt sich sofort durch das Sitzen auf dem feuchten Boden, man »versinkt in Schmutz schon gleich beim ersten Schritt« (50), das altbekannte ›inter urinas et faeces nascimur‹. Und zu alledem muß KBN noch feststellen, daß er seine sämtlichen Notizen, die er sich nach gelehrter Abendländerweis’ so mühsam gemacht, auf der ›Wilahde‹ vergessen hat! Denn, wie H ihm vorfabelt (Der gleichzeitig mit ihm Geborene): »›Ein Jeder, der in diesem Lande gewesen ist, der 322
weiß, daß es das Land des Vergessens ist... Ich habe mit sehr sehr viel Leuten über ARDISTAN gesprochen. Der klügste von ihnen war ein alter, gelehrter & vielgereister Derwisch, der sich über 1 o Jahre lang dort aufgehalten hatte und es also sehr genau kannte... ((er behauptete, daß ARDISTAN)) eine Strafanstalt für Geschöpfe sei, die Allah nicht gehorchen wollten. Sobald sie durch das Tor der Geburt in das diesseitige Leben treten, vergessen sie alles frühere. Sie wissen nicht mehr, wer & was & wo sie gewesen sind, und können sich nur durch unbedingten Gehorsam und unerschütterlichen Glauben, durch treue, ehrliche Arbeit und gute Werke nach dort zurückfinden, woher sie gekommen sind‹« — mit anderen Worten: die alte PLATO’nische Theorie, daß alles Lernen eigentlich nur ein Sich-Wiedererinnern sei — war MAY nun ein Schalk oder nicht? — Man findet sich, ›kommt zu sich‹, an den Gestaden der Ussul, dem arabischen Äquivalent für Ursprung (alles ›u:u‹), einem feuchten, dick bewaldeten Delta-Dreieck, bewohnt von ›Haarmenschen‹, deren Lanugo-Pelz bei fortschreitender Entwicklung (im Sinne MAY’s) immer lichter wird, (›DSCHINNISTANische Gedanken das beste Enthaarungsmittel‹, besagt die wunderliche Erfindung). ›Ach?‹, fragt denn auch KBN den gigantisch-pomadigen Scheik verwundert: »›So ist Dein Land eine angeschwemmte Erde? So ähnlich wie das Delta des Nils? Eine Halbinsel, die mit dem Festlande derart in Verbindung steht, wie zum Beispiel der griechische Peloponnes durch die Landenge von Korinth mit Hellas zusammenhängt?‹ / Da kratzte er sich verlegen den Bart und antwortete: ›Was Delta ist & Korinth & Hellas & Peloponnes, das weiß ich nicht.‹«, (203 f.). Ist es noch nötig, die Seite 293 von ›Finnegans Wake‹ zu nennen, wo sich aus Kinderkritzeleien genau das gleiche
›Dreieck des Ursprungs‹ ergibt, und ebenso schematisch dargestellt ist, wie hier zu Anfang das Gestirn SITARA? Es ist die gleiche matschige Gegend, dies Ussulistan (›Sich suhlen‹), »wo Jedermann nach Simmsemm, Fleisch & Humus riecht«, wo der »Hauptkanal« (Echo aus den Lagerbüchern der 323
Sprache: ›anal!‹) »Es Suhl« (nochmal ›suhlen‹) durch »ausgedehnte Wälder« fließt (I, 227), wo athletische Angler neben schwerfälligen Pfahlbauern hocken; wo eindeutig ›Mutterrecht‹ gilt, und KBN sich zu mitternächtlicher Stunde auf hoher Turmspitze mit einer Alten & einer Jungen, Beide walkürenmäßig gebaut & auch sonst imposant & -nierend genug, unterredet — ziemlich »aftertheologische« (346) Doktrinen übrigens; wie denn das Buch überhaupt viel Unorthodoxes enthält — und die ihm, als Höhepunkt, das hoch oben im Norden »weit offen stehende Paradies« zeigen. Die greise Priesterin ist nämlich nichts als ein Double MD’s, die haarige Großmutter des Dschirbani (der ja seinerseits ein Double KBN-MAY’s ist); sie kennt nicht nur MD, SITARA samt der ›Geisterschmiede‹ (der ganze Monolog wird S. 342 hergesagt), und überhaupt alle »köstlichen Imponderabilien« (= ›im Po‹) jener unterentwickelten Gebiete: man riecht ihn ihr auch ganz deutlich an, den »Dufthauch« nach »Sternenblumen« (S. 340f.), dieses schon erwähnte, merkwürdigste Vereinsabzeichen. (Der vermutlich gemeinte ›jasmin‹ ist auch im englischen Slang (vgl. PARTRIDGE) die Bezeichnung für einen hochgradig Effemulierten; und wie groß MAY in der Schilderung von Düften war, mag man bei den, auch auffällig häufig vorbeiziehenden, ›Leichenkarawanen‹ — etwa SILBERLÖWE II, S. 64-74 — sich ansehen.) Auch wuchert’s während der erwähnten Vigilie von einschlägigen Wortstecklingen & ausläufern deutscher Unterwelt, regt 1000 unkräutrige Gelenke zugleich, und will sich kartoffelkellerkeimig zeigen: immerfort klingt es »Geheimnis« (325 u.ö.); »eigentümlich, geisterhaft« (325); »Licht«, und wieder »Licht« (325, 327, 28, das ›und öfter‹ spare ich mir künftig); »eigenartige Regung« an »heiliger Stelle«, »Schleier lüpfen« (W’s ›Schleierfall‹!), »stolz gebaut«, die beiden Frauen »nehmen ihn in die Mitte« zum »Treppensteigen«, die besteht »aus einzelnen Gliedern... nicht sehr breit, aber auch nicht unbequem«; »links über ihm« steht »die Jungfrau« 324
am Himmel (vielleicht die einzige, die er je zu sehen bekommen hat), und am hellsten kreist das »Herz«. »Eruptionen« »aus Licht« finden stundenlang statt, und »gigantische Säulen« bilden sich »sie standen wie Leuchttürme«, zum »Zeichen, daß das Paradies sich öffnen will« (332) —: »Ja wirklich! ... Es entstand eine Spalte, die ,.. immer breiter und höher wurde, ein Tor, ein Riesentor, zwischen violett, blau & dunkelrot strahlenden Feuerpfeilern, die sich oben zu einer blutig hellrot glänzenden ((von ›glans‹)) Spitze vereinigten«, (338). Man braucht mir wahrlich nicht zu sagen, was solches Flammengaukelspiel in L IV ausdrücken soll; aber in L II ist’s eben nur eine anmutige Hinternfratze mehr. Genauer eine hebammig-feminine; noch genauer: eine großmütterliche — MAY hat sich nicht umsonst in einem seiner ›letzten Worte‹ als ›avia-Ticker‹ bezeichnet! (Daß er dafür »Aviatiker« schrieb (›ICH‹, S. 370, bamberger Ausgabe), ergibt einen tiefenpsychologischen & Sprach-Witz wahrhaft JOYCE’schen Ausmaßes! Es gehörte nun einmal zu MAY’s unzulänglicher Tragik, daß er, der S-Golem, sich solche Escamoteur-Tricks seines UBW nie nachhaltig klar gemacht, sich also nie, auch für Stunden nicht, von seinem Trieb befreit hat; nie unter dem kautschuknen Kummet (mit Stahleinlage) hervorzuschlüpfen, sich neben sich selbst zu stellen & sich anzufeixen vermochte — dem Zauberlehrling konnte
nicht geholfen werden!). — Inzwischen dürfte soviel einleuchtend gemacht worden sein, daß auch dieses zweite-große Stück von A & D wieder mächtig abdominal armirt ist, ja, ein überkompletter Astral-Hintern; (und da hilft kein das Große Ei-Eins — L I — herbeten mehr; und keine ›Leserzuschriften‹: was ist den Menschen leichter als Geschwätz?!). Beginnen tut’s mit dem Triangel Uterus-Vagina-Vulva von Ussulistan. Führt dreimal ragende Engel-Phallen vor. Die ›Landenge von Chatar‹, die ›Pantherfalle‹, trägt der aufgeprägten Wortindizien genug: »kulissenförmige« Hügel (I, 506 ff.); »Felsenloch« bzw. »-Mündung«, ja sogar »Mittelspalte« (509); (und vermittelst der ganzen, sinnig-abgenützten Vorrichtung fängt man halt wieder ›Ge325
fangene‹). Die Totenstadt voll ihrer ›lebenden Leichname‹ wurde schon als Buen Retiro allerwerthester Erinnerungen, als ›Engelsburg‹, entlarvt — er konnte die nackten-unfruchtbaren-kreisrunden (bestenphalls etwas ovalen) Felsenkessel nicht mehr lassen. Von Alpha bis O-Mega ist A & D erotisch hoch-vulkanisiert. Und da man, wenn man noch etwas Platz hat, nach Möglichkeit beweisen soll, was man sagt, — ich in meinem Fall also dies ›A bis Z‹ — mag der theilnehmende Leser den II. Band, ganz hinten auf S. 606 ff., öffnen; »Nach der Grenze empor« (›Grenze im Po‹) heißt das Kapitel wieder mal; und sich die dortige »Wasserscheide« näher begucken. Da »reitet« man in einem »Flußbett« herum; die »riesige Wasserrinne« führt »durch eine mächtige und vollständig kompakte Granitlagerung, aber ihr Boden war nicht mehr bedeckt, sondern frei und ebenso glatt wie ihre Wände. Das war Schliff; eine Folge der Reibung.« Jedenfalls reitet man längere Zeit »im Bette aufwärts«, in dem erst »öden ungeheuren Felsengraben«, wo es also ›nicht geheuer‹ ist, und es »nicht 1 Tropfen Wassers giebt.... Die Sonne brannte wie mit Nadelspitzen herein.« Weiter nach oben aber bekommen »die hohen Ufer ein ganz anderes Aussehen ... Sie begannen sich mit Grün zu schmücken, erst mit Gräsern & Stauden, dann mit Büschen & Bäumen. ... Hinter ihnen stiegen kräftig emporstrebende Höhen auf... früchtereiche Gärten... Näherten wir uns vielleicht der Hauptstadt ((wo das ›Haupt staht‹)) dieses Landes? Durften wir vielleicht hoffen, das ›Wasserschloß‹ von El Hadd ((= Grenze)) nun bald zu erreichen?... Die Antwort kam von selbst. Sie kam so plötzlich, daß unser Erstaunen keine Worte, ja nicht einmal einen kurzen Ausruf fand, um sich auszusprechen. / Unsere Hauptrichtung ((die Richtung eines gewissen Kopfes)) war genau Nord... da traten die Felsenwände des Flußbettes, in dessen Tiefe wir uns befanden, mit einem Male weit, weit auseinander, und rund, wie eine Arena, die nur für Giganten berechnet ist, lag ein Panorama, ((›Pan-Aroma‹)) vor uns, welches weder von der Hand eines 326
Malers, noch von der Feder eines Dichters wiedergegeben oder beschrieben werden kann.« Immerhin, versuchen kann man’s ja mal; und MAY geht denn auch (610 ff.) ans Werk — ä-chemm: : »Man denke sich einen tiefen gewaltigen Felsenkessel, der unten auf seinem Grunde, wo wir jetzt waren, einen Durchmesser von wenigstens einer Wegestunde hatte, oben aber noch viel mehr. Wir hielten an seinem südlichsten Punkte, wo die natürlichen Felsenmauern, die ihn umsäumten, am niedrigsten waren. Indem sie sich von uns aus ((›UNS‹, CAROLUS MAGNUS)) auf beiden Seiten nach Norden rundeten, stiegen sie an diesen Seiten mehr & mehr an und traten, je höher sie wurden, um so mehr zurück, um eine ganze Folge von Stufen & Terrassen zu bilden,
auf denen sich Garten an Garten reihte und in jedem Garten ein Landhaus eignen Stiles stand. Dieser wunderbare Bergkessel war unten auf seinem Grunde vollständig felsenkahl... Die Lücke, welche durch das Flußbett in diese Runde geschnitten wurde« ist, damit ja nichts gebreche, natürlich die berühmte FREUDenlücke. »Man sah es noch heut, nach so vielen Jahrhunderten, daß Ssul, der ›Fluß des Friedens‹, gleich ganz & voll & fertig aus diesem Kessel herausgetreten war. ... Indem ich, dieses denkend, mit meinem Blicke nach aufwärts suchte« (man merkt bei MAY allein schon an den Gerundien & der ganzen verquollen werdenden Ausdrucksweise, wenn es ›zu stinken anfängt‹ — ›und gelt, Michel, Du denkst heut mal nicht dabei‹) »... sah ich zwei gewaltige Öffnungen, welche, schwarzen Schlünden gleich, aus dem Fuße des Berges gähnten. Waren das vielleicht die Stellen, aus denen das Wasser einst gekommen war und nun wahrscheinlich wiederkommen sollte?« Ja; wahrscheinlich. (Und man halte sich — meinethalben erst den Bauch vor Lachen — dann aber die wahrhaft paradigmatische Traum-Arbeit vor Augen, die hier vollbracht ist: aus der bananisch-banalen Situation eines im Bett in Richtung Wasserscheide Aufwärtsreitenden, den Blick auf 2 Öffnungen Heftenden, eine solche ekstatische Landschaft zu entwickeln!). 327
Da liegen auch »Flußschiffe« davor, jedes gehörig benamst; »ich konnte aber nur einen lesen, und der war ›MARAH DURIMEH‹«: bei jedem ›Neuen Himmel‹ & jeder Neuen Erde, die unser Seher erblickt, fällt ihm der Name ein! — »Wenn man das Auge von unten nach oben... schweifen ließ, sah man... in den Berg hineingerundete Plätze, welche jedenfalls der Öffentlichkeit oder dem Gemeindewohle dienten. Hoch oben aber, uns gerade gegenüber, ragte ein Engel himmelan, der ganz genau die Gestalt der Wasserengel in der ›Stadt der Toten‹ und an der Landenge von Chatar hatte, aber viel, viel größer als sie beide war. Er bildete den höchsten und zugleich auch den Höhepunkt, des herrlichen Panorama, welches vor uns lag. ... Es war ein ganz eigenartiger Eindruck, den dieser Anblick machte... Unten der nackte Fels, des einstigen Wasserbettes, der kein einziges Hälmchen trug... bis hinauf zu dem Engelsbilde, welches hoch in die Wolken ragt, und das ersehnte Wasser nicht nur regelt sondern auch spendet. / ... Das ist der Engel der Wasserscheide, von dem die Sage erzählt«. S. 623 muß man eine gewaltige Treppe hinauf & hinabreiten; bis hin zu den »den Engel flankierenden«, »weitausladenden Gebäuden« des eigentlichen Schlosses und seinen »duftenden Gärten«, alle »kulissenartig angeordnet«, damit der »Druck« des Wassers nicht so schrecklich groß wird. Und schon eilt in einem Segelbötchen, »Bug & Heck fremdartig hoch erhoben« (S. 630; ›then the bow-sprit got mixed with the rudder sometimes‹, CARROLL) MD herzu! (»In dem Leinen zeigte sich nicht die geringste Spur eines Fleckes oder einer durch Gewalt erzwungenen Naht«.) In der sich anschließenden Nacht leuchtet unter anderem dann »das rote Licht des Dschebel Muchallis« auf (spanisch ›mujer‹ gleich ›Frau‹ — es geht ja nichts über so eine ›eigene Scholle‹ wie A & D; regiert von einer asketisch gemachten — obschon immer noch, (bzw. grade!), pikant-weiblichen, ganz Haut & Knochen gewordenen — selbst-gesetzten Puppe als ›Über-Ich‹: ›Was würde Deine Oma dazu sagen?!‹). Alle die in den vorstehenden Zitaten enthaltenen Stich- & 328
Scheuworte, die MAY in der Ekstase entfahrenden Vor- und NachsilbenSchwänzchen, die nackten oder behaarten Doppelsinnigkeiten, sind ohne langes Klügeln wohl auch dem nur auf L I und dessen rotbunte Luftbilder Erpichten sieht- &
hörbar; dem Blick des an unbefangene literarische Untersuchungen Gewöhnten drängt sich der Sinn förmlich auf. Es ist ziemlich klar, was die nächsten Kapitel von A & D behandelt hätten: schon fiel der Alarmschuß an der ›Grenze‹; schon traten gegen Ende gewaltigste herm-afroditische Züge hervor, neben der ›Wasserscheide‹ der ›Engelphall‹: SITARA ist kein ganz reines Gestirnmännchen oder -weibchen; das nächste wären unweigerlich die heimlichen Urwalde von Märdistan gewesen, und die entzückenden Erleidnisse von KBN-Dschirbani in der ›Geisterschmiede‹ — ewig schade drum. Dergleichen Objektivation von Unterleibsorganen ist, in solchem Umfang, und nicht nur mit solcher Konsequenz sondern mit so echtem UBW-Tiefsinn betrieben, ein tolles literarisches Ur-Schauspiel; in 20 Jahren, wenn dann (hoffentlich!) mehr biografisches Material vorliegen wird als heute, einer neuwiederholten, vermutlich noch moreskentänzerhafteren Spezialuntersuchung überwürdig. Denjenigen aber, die KARL MAY bisher als Schriftsteller nicht ernst genommen, wenn nicht gar ihn bagatellisiert & verlacht haben, sei noch einmal, und mit grollendstem Nachdruck bedeutet: daß für seine Spätwerke die Zukunft nunmehr ganz dicht vor der Tür steht!
§35 »Wo bleibt Ihr, Freunde f Kommt»; ‘s ist Zeit, ‘s ist Zeit!« (FR. NIETZSCHE, Aus hohen Bergen!) Bei einer nicht ganz so verzweifelten Forschungslage wie der im Falle MAY auch über 50 Jahre nach seinem Tode noch herrschenden, würde ich hier ein ganz neues, entscheidendes Kapitel 329
haben beginnen können: das der etwaigen ›objektiven Nachweisungen‹, der Zitate aus Briefen oder Akten. Wie die Dinge leider liegen, muß ich mich darauf beschränken, 1 dürren § ziemlich unorganisch einfach hintendran zu hängen — aber vielleicht hilft ja eben diese unzulängliche, nach Ergänzung förmlich brüllende Art & Weise des Arrangements der Klärung der Verhältnisse gerade etwas auf. In jedem Fall — auch wenn es töricht sein sollte, noch immer auf die gutwillige Bereitstellung von brauchbaren Materialien zu hoffen, (das Entsetzen der L I-Verwalter ehrt mich!) — ist es meine wissenschaftliche Pflicht, mit sämtlichen Fingern auf diejenigen Stellen hinzudeuten, von denen allem Anschein nach noch am ehesten etwas wie eine germanistisch-gültige Bestätigung des bisher Vorgetragenen zu erwarten stehen könnte. (Obwohl ich von ›Germanisten‹ nicht allzuviel halte: die Herren Ordinarii haben seit einigen Jahrhunderten so eklatant versagt, wie nur je Kärrner vor Königsbauten.) Ich kann mich im Augenblick also nicht auf (noch vorhandene) Dresdener Archivakten berufen; nicht auf MAY’s eigenhändige ›Schriftsätze‹ oder Briefe (die, notorisch ›vorhanden‹, tausende von Seiten füllen); ja, selbst die Originaltexte einiger seiner Bücher sind mir unbekannt geblieben. Aber nicht nur 1 halb-belangloses, kaum in Anschlag zu bringendes Indiz, sondern ein Paradebeispiel für die reichlich erwähnte ›wortlose UBW-Verständigung‹ dürften die, ab rund 1904 in MAY’s Auftrag entworfenen, neuen Deckelbilder seiner Bände abgeben. Wartete die ›Freiburger‹ zuvor mit zwar einfältigen, aber munter gefärbten Gestaltchen in allerlei harmlosheroisch (falls ›heroisch‹ harmlos sein kann — ich möchte sagen: ›Nein!‹) wirkenden Attitüden auf — und traf ergo genau das L I, den oberschichtigen Inhalt — so erschienen nunmehr mit 1 Schlage & durch die Bank, nicht nur ›nackte‹ sondern anspruchvollst-entkleidete Männer & Jünglinge, mit zottig-verwischten Genitalien, die aber dafür erstaunlich freigebig mit ihren merdistanischen Körperpartien umgehen. ›EMPOR ZUM LICHT!‹ (›im Po‹ & ›Licht‹) heißt eine der Bild330
mappen in Folio — ich besitze die 2. Auflage des KMV Radebeul — 25 Tafeln mit »einführendem« Text eines Prof. Dr. Johannes Werner, (den ich in älteren Jahrgängen des KÜRSCHNER als, ziemlich kleines — ›vorbei-vorbei‹ — Kirchenlicht angeführt fand). Immerhin sagt auch Der schon: »Die Beziehungen zwischen KARL MAY und Sascha Schneider sind nicht nur äußerliche, zufällige, sondern innerlich begründet«; und »Die Deutung im Einzelnen steht frei« — bong!; deute ich also mal, ›frei-stehend‹:
Gleich auf Blatt 1 DURCH DIE WÜSTE (›Durch Wüste & Harem‹ lockte ursprünglich der Titel) kniet der nackte Kerl; und der ihm vorn ‘rausragende Gewehrlauf hat recht annähernd ›die‹ korrekte Haltung. (Daß er ‘n Büschen sehr groß ragt, ist ein beliebter, viriler Wunschtraum, nicht nur Leopold Bloom’s). / Nummer 2, (DURCHS WILDE KURDISTAN: ›u: u‹, mein Herz, ›u: u‹!), also eines der Gefühlszentren des herzlichen Mannes: das wirkt ja wohl, selbst wenn man noch gar nichts wüßte, verdammt allegorisch. Nun gar, mit der Lorgnette der ELBOGEN’schen Hypothese vor den Augen, meint man die allerliebste Popografie mit den Händen greifen zu können: macht sich da nicht ›Auch Einer‹ am ›trou dü bois‹ zu schaffen, am ›Waldloch des ULANEN‹? / Überall stehen, hocken, krauchen, käfern, nackte Buben herum, in den gröblichsten Stellungen, die Einem den Steven bieten, (vgl. Blatt 5, SKIPETAREN). / Oder Nummer 6, DER SCHUT: wie da der kraushaarige Feiste, nur mit einem witte-kindischen Flamberg bekleidet, dessen Penis-Knauf in der Faust hält! (Daß er Uns, mit der freien Rechten, den späterhin & z. T. noch heut so beliebten ›Deutschen Gruß‹ beut, stellt auch diese Beziehung zwanglos her, und entspricht womöglich OS’ ›Ahnungen‹.) / Dann, ab Nr. 8, beginnen die ›Engel‹ zu erscheinen, die ›Großen Vögel‹ mit den mächtigen Wedeln in den Händen, (»deren Berührung an den unteren Teilen, oben eine sehr auffällige Bewegung derselben zur Folge hatte«) — im Hintergrund agiert ein Schatten-Cancan — (ich blättere jetzt nur, ›während des Tippens‹, die Tafeln um). / Blatt 9 bringt den, (neu331
lich auch televisionär-schwebenden) WINNETOU; bei dessen Anblick ein plattdeutsch-hiesiger Dorfknabe — bis dahin leidenschaftlicher MAY-Verehrer — entrüstet aufschrie: ›Dat iss ja ‘n Mäkn!‹; was mir in seiner naiven Voxpopulität & als ›erste Reaktion‹ immerhin beachtlich & festhaltenswert erschien. / 10, ORANGEN: der ›Herr mit dem dicken-kahlen Kopfe‹, der Wohlbesäbelte, der ›aus Haaren‹ emporschwillt. / 11 wieder ‘n Engel, über einem Rippen-Korb. / 12 noch ›Mehr Licht‹: ein ganz-Nackter, von hinten gesehen, in der Hand die Phallus-Prothèse eines Fackel-Stumpfes. / 13 OLD SURE-HAND — so soll Der ausgesehen haben? Mit Fittichen; raffiniertester Augen-Schärpe; und dem ›Wickelrock‹, der, ›très-chic!‹, 1 Bein ganz frei läßt? (Wiederum die ›Kleiderfantastik‹ der Invertierten à la ›WINDMÜHLEN‹. Fehlt bloß noch 1 vergoldete Brustwarze.) / 14 -16, IM LANDE DES MAHDI, ist insofern interessant, als SCHNEIDER, in innigster UBWKonkurrenz, die gleiche schnakische Verwandlung von Vokabelstoff in Bildeindrücke betrieben hat, wie der Meister-selbst: ›MAHDI?‹: gleich kriechen unten ›Maden‹ herum! (Vgl. auch H’s Traum von den ›Maden‹, SILBERLÖWE III, 488 u. 632). Auch recken sie Alle die Köpfchen empor — die Satanella führt die Peitsche dazu — und machen sich dann an die, in allerlei Positionen am Boden Weilenden, ‘ran. / 17 wieder ein Geflügelter mit Schwert & Kreuz (als ›fading‹ & ›zur Wahl‹; sein ›Dreieck des Ursprungs‹ diesmal besonders ulkig-beinlich). Im Vordergrund Gefangene; einer mit Hörnern, der andere den eigenen Beutel in der Faust — daß darauf ausgerechnet in Majuskeln ›JUDAS‹ stehen muß! / 18, AUF FREMDEN PFADEN, überzeugt der ›wachsende Mond‹. / 20 wieder der JENSEITS-Engel. / 21 - 24 die Zeichnungen zum SILBERLÖWEN: nackte Symbolik rundum. (Ist Nr. 23 ein ›Jüngling‹?; man ›weiß gar nicht recht‹!). / Blatt 25 dann Mutter Erde, die ihr riesiger ›Schutzengel‹, Kosmas-mäßig aufmerksamen Blickes — meinethalben aber auch ›Henoch‹ — umschwebt. Selbst dem Unbefangenen dürfte sich bei Durchmusterung all 332
der großporigen wilhelminischen Opernszenen langsam die Vermutung aufdrängen, daß es sich bei dem Maler — SASCHA (= Alexander) SCHNEIDER war, wie schon eingeflochten, der Name des seinerzeit nicht unbekannten, und unbedingt begabten Mannes — ebenfalls um einen mehr oder minder ›Unter-schichtigen‹ gehandelt haben könnte, der sich mit MAY in der gleichen Seelenlage gefunden, und nunmehr seinerseits dem ›geheimen L II-Inhalt‹ (allenfalls noch z.T. L IV) der Histörchen einen optischen Ausdruck verliehen hätte, nur dem unbedarften L I - Kinde noch überraschend. »Der berühmte Maler Sasdia Schneider befand sich in Not. Hatte sein Atelier in Meißen. Niemand half ihm. Ich erriet seine Lage. Ich gab ihm nach & nach Aufträge von 7000 Mark, schenkte 4000 Mark dazu. Das geschah von 1902 an, also auch beim Beginn des Prozesses. Jetzt ist er Professor in Weimar.« (LEBIUS, S. 92, nach einer Eingabe MAY’s an den Untersuchungsrichter). Es ist sehr die Frage: ob dieser SASCHA SCHNEIDER nicht eine, zur Zeit noch ganz unüberschaubarwichtige Rolle in MAY’s letztem Lebensjahrzehnt gespielt haben könnte. — Ich weiß im Augenblick wenig über den kleinen, verwachsenen Künstler, (ich habe, ›auf meiner Haiden‹, THIEME-BECKER o. ä. begreiflicherweise nicht zur Hand). Er war im Jahre 1870 von deutschen Eltern im damaligen Sankt Petersburg geboren; kam früh nach Dresden, ins Sächsische; hatte (wie wir Alle) zunächst eine Zeitlang mit ›widrigen Umständen‹ zu kämpfen; wurde jedoch relativ bald ›Professor‹ (in Anführungsstrichen) und Spezialist für ›symbolische Gemälde‹ (z.B. ein zehnteiliges ›UM DIE WAHRHEIT!‹). Er starb, meines Wissens, Ende 1927 (Selbstmord?); war mit hoher Wahrscheinlichkeit invertiert; und anscheinend hat MAY das auch gewußt; (und vermutlich hat ›Mann‹ darüber miteinander geflüstert;) die Beiden ALLVERBOGENEN, ALL-ENTKEIMTEN, ALL-POLLENVOLLEN, ALL-HERRLICHEN, ALL-DECKENDEN, ALL-WÄHRENDEN (bis nun schon 1963!), ALL-UNGERADEN, ALL-REITENDEN, ALLHERVORBRINGENDEN (unter anderem auch diesen Essay), ALL333
DURCHREISENDEN, ALL-PIPO-RAKEMENDEN, ALL-KUNDISCHEN, ALLWIPPENDEN, ALL-ÜBERZEUGENDEN, ALL-FACKELTANZENDEN, ALLPHALLENDEN, ALL-NACKTEN, ALL-ALGABALNDEN, ALL-ALLAH-LIEBSTEN..... — hoffentlich tauchen noch einmal Tagebücher MAY’s oder auch SCHNEIDER’s auf; bzw., was ja noch aufschlußreicher wäre, ein freimütiger Briefwechsel der Zwei, aus dem sich — das hoffe ich wenigstens; zur Zeit kann mir dies oder jenes Kindes-Kind, was MAY’s Unbeflecktheit angeht, noch diverses abdingen wollen — dann doch wohl ergäbe, ob & inwieweit die Annahme einer okkasionellen Invertiertheit zu recht bestünde oder nicht. Denn ich muß ja zugeben, daß sowohl mein Vordermann ELBOGEN als auch ich, zu unserer Meinung auf ›rein spekulativem Wege‹, auf Grund von Auswertung zahlreicher Werk-Stellen gelangt sind. Sache der biografischen Forschung wird es sein, (es ist nunmehr das ›kleinere Kunststück‹) Belege zu finden, die unsere Annahme entweder kräftig bestätigen, oder meinethalben auch umfassend widerlegen — neugierig bin ich. — Gebe die hier zuständige filologische Gottheit, daß der betreffende Finder wissenschaftlich integer genug sein, und über die, in solchem Fall freilich erforderliche gewaltige Ehrlichkeit verfügen möge, uns ungeradebeult & ungebambergt, d. i. ungeschminkt, ALLES mitzuteilen. ›Po oder Nicht-Po?‹ — mir ist es längst nicht mehr die Frage; (ob schon der Beweis öffentlich noch nicht zu haben ist): ›Solange er lebte, war er zu seiner schrecklichen Existenz verurteilt‹ (DE QUINCEY) — — —
NACHWORT §36 »Dacht’ ich’s doch! — Wissen sie nichts Vernünftiges mehr zu erwidern, schieben sie’s Einem geschwind in das Gewissen hinein.« (SCHILLER, Die Filosofen) Wir finden allmählich in Büchern mehr, als in der Natur oder in Menschen. Und zumal das an-studieren von umfangreichen Wortwelten kann die gleiche Bereicherung hinsichtlich Scharfsinnsübung, Einsichten & Erregungen, kurz echte innere Erfahrungen ergeben. Ich habe mit Absicht von ›an-studieren‹ gesprochen; denn an ›aus‹-studieren ist nahezu immer nie zu denken — aus vielen & vielerlei Gründen. Meist kommt man mit einer literarischen Arbeit dieser Art zu Ende, indem man sie fertig nennt. Ich hatte allzuviel gegen mich, um über das große Musterobjekt auch nur eine passable ›Studie in Einseitigkeit‹ liefern zu können. Das zur Zeit disponible BIOMaterial ist winzig, und selbst diese Winzigkeit noch entstellt. / Die einzig brauchbaren Original-Texte — diese ›Priester‹ à la MAY pflegen nämlich sehr sorgfältig Korrektur zu lesen; (was, z. B. ich nicht kann) — sind unglaublich schwer zugänglich; da einerseits die Heft-Fassungen (auf miserablem Papier gedruckt, in lachhafter Broschur) einfach ›verbraucht‹ wurden, und andererseits unsere GroßBibliotheken KARL MAY der Aufnahme in ihre Bestände bisher meist für nicht würdig gehalten haben. (Was nützt da des alten BENGEL sehr richtige Maxime des ›Proclivi scriptioni praestat ardua‹?). / Weiterhin wurde die ›menschliche Verständigung‹ zwischen MAY und mir durch 335
das historische Gefalle beträchtlich erschwert — ich bin geboren, da der Alte starb! — aber noch mehr durch die Gegensätzlichkeit unserer Wesenszüge. Er Mystiker & Schnellschreiber; ich Rationalist & Mosaikarbeiter. Und da er außerdem noch zusätzlich die Verlogenheit in persona grata war, blieb nur übrig, sich auf den Standpunkt eines, möglichst ehrlichen, Gegners zu stellen, (der ja vielleicht überhaupt der beste Berichterstatter ist). / Für das rein-Handwerkliche kamen mir frühere literarische Übungen, vor allem meine umfangreiche FOUQUE-Biografie, zu statten. Also ausgerüstet — bzw. nicht-ausgerüstet — begann ich ›Das Werk‹, den ungeheuren Scherbenberg von bunten Bilderkacheln, im L II - Sinne grob vorzusortieren. Vorwürfe, daß manche meiner Deutungen voreilig, meinethalben auch stellenweise unzulänglich seien, muß ich zu tragen suchen: das weiß ich selbst, daß ich für die Vollständigkeit der Angaben nicht einstehen kann, höchstens für die relative Sorgfalt, mit der ich mich um ihre Zusammenstellung bemüht habe; (wobei ›relativ‹ heißen soll, daß ich, von umfangreichen Brotarbeiten geplagt, nur einen geringen Teil meiner Zeit auf diese Niederschrift verwenden konnte). Ich gebe also gern zu, daß ich manches übersehen haben kann; ja, auch, daß ich an einigen
Stellen ›aus Gründen‹ einer ganz erschöpfenden Analyse sehr komplexer Passagen, (schön vor lauter Häßlichkeit), absichtlich ausgewichen bin. Wer unsere altertümlichgrobfädigen ›Pressegesetze‹ kennt, (die meist nur dort unnötig verfeinert sind, wo es gilt, die jeweils regierende Regierung vor möglichst jeder Kritik, zumal der berechtigten, zu schützen); die trotz aller weitmündigen ›Strafrechtsreformen‹ immer noch nicht zu unterscheiden wissen, zwischen ernstzunehmender literarischer Forschung einer-, und Dingen wie ›Veruntreuung eines Erbes‹, oder puerilen Schweinereien andererseits ... wer das weiß, wird mich verstehen. Vor allem war nicht zu vermeiden, daß ich mir sehr bald darüber klar wurde, wie man mich von interessierter gegnerischer Seite unweigerlich als Bösewicht, als den 1 Schwarzen Peter 336
unter so viel 100 Millionen MAY-lesender Edelmännlein, ausschreien würde, und mein Buch als Libell eines an rettungslos verseuchter Fantasie Laborierenden — ich gedenke dergleichen nicht dadurch auszuzeichnen, daß ich es ernstlich widerlege. Auch Vorwürfe wie etwa der des ›Entlarven-Wollens‹ — der z. B. LEBIUS traf; ja, vom bloßen ›Zeitpunkt‹ her treffen mußte; wenn man sich nicht gar zu einer ›Erpressung‹ aufschwang: man hat der MAY-Filologie von Anfang an dadurch zu schaden gesucht, daß man sie mit bloßer Schmäh- & Disputiersucht gleichsetzte — sind in meinem Fall allein schon deshalb nichtig, weil kein Lebender, nicht einmal die Kinder von Lebenden oder ›Erben‹ überhaupt, mehr davon berührt werden: alle direkt Beteiligten sind längst tot; das Copyright ist ausgelaufen; die Leidenschaften könnten endlich schweigen — (und der KMV die urkundlichen Widerlegungen bzw. Bestätigungen getrost aus dem Arnheim greifen.) Die Erforschung der Welt & des Menschen wird, allen Denkverboten & -hindernissen zum Trotz weiter gehen, (es sei denn, daß man sich behördlicherseits zur Sintflut II entschlösse); und solange man nicht über ›die Wahrheit‹ verfügt — was, ich fürchte es, (und nicht nur in Sachen MAY) noch recht lange der Fall sein wird — muß man sich bekanntlich mit Arbeitshypothesen begnügen. Von diesen wiederum wird die verhältnismäßig beste die sein, die die größten Partien des Werkes aufschließt. Und da MAY eben gar nicht zur Kitschhölle des albernen ›Volksschriftstellers‹ verdammt ist, vielmehr, nach nunmehr beinahe absolvierter Purgatoriums-Quarantäne, sehr bald in die Ewige Seeligkeit des Kontinuums unserer Hochliteratur eingehen wird, möchte ich ganz bescheidentlich zu bedenken geben: ob meine Darstellung nicht eine ganze Reihe absonderlicher & befremdlicher Einfalle & Bildungen im Werke des radebeuler Alten erklären könnte; und zwar rechtrecht einheitlich. Für Lücken im Verständnis oder Flüchtigkeit der Darstellung muß mir, nicht als Entschuldigung wohl aber als Erklärung, die Neuheit der Betrachtungsweise dienen; handelt es sich doch wieder einmal um das bekannte, 22 337
mit Vorzügen & schweren Nachteilen behaftete, pioniermäßig-rasche diagonale Durchschreiten eines verteufelt länglichen Buchstabenkontinentes. (Zu ergänzen oder schärfer zu fassen, auch zu berichtigen, wird so manches sein.) Immerhin belegt der Fall MAY aufs Stutzendste, daß es bestimmten primitiven Autoren-Typen, ohne ihr Wissen & Wollen, möglich wird, Vorgänge in VBW und UBW anschaulich darzustellen, und zwar derart detailliert, daß ein intuitives Verstehen dieses ›MAYCode‹ im größt-deutschen Maßstab eingetreten ist. Um wenigstens eine Andeutung davon zu geben, daß es sich bei ihm gar nicht um 1
besonders tragelaphisch einherpotentatzendes Monstrum handelt, vielmehr an seinem Modellfall nur die Bedingungen des Zustandekommens gewisser Bildungen in den Werken gewisser Künstler allgemein abgeleitet werden sollten, sei mir folgender Hinweis für den Leser vergönnt, der selbständig weiter arbeiten möchte: wenn sich bei irgendeinem Autor der Eindruck ergibt, daß er 1.) ›fromm‹ sei, (Varianten: verinnerlicht, tief religiös, o. ä.); 2.) ›keusch‹, (Var.: S-gehemmt, verkümmert, oder gar -verkantet); 3.) humorlos, (V.: ernst, verantwortungsbewußt, tiefschürfend); 4.) einer der großen Landschaftsschilderer — wo dergleichen sich zusammenfindet, wird man mit ziemlicher Sicherheit auf S-Abbildungen rechnen können. War der Betreffende Vielschreiber, wird man ihnen in großer Zahl begegnen und sie relativ leicht durchschauen; hat er lang- & behutsamer gearbeitet, werden sie seltener sein, und von (gegebenenfalls mehreren) Schichten von Korrekturen oder ›Fassungen‹ übertüncht. Geistreiche & witzige, sensuelle Bursche dagegen, bei denen ergo Punkt 1 — 3 prompt entfallen, werden bezüglich der Verarbeitung aufgestauter Libido zu Landschaften meist wenig ergiebig sein — mir fällt im Augenblick eigentlich nur ETA HOFFMANN’s ›Egelprinz‹ aus dem ›Meister Floh‹ 338
ein, der ein klarer Phall ist. Überdem war HOFFMANN ja auch kein Landschafter; und ich befasse mich hier, in absichtlicher Beschränkung, nur mit notorischen ›Oh Täler weit, oh Höhen‹-Schwärmern, bei denen das ›S, oh S!‹ immerfort piezicato durchzirpt. Und damit es nicht heiße, ich wiche analytischen Schwierigkeiten aus, will ich ganz knapp 1 der erwähnten ›Übertünchten‹ vorzuführen versuchen: ADALBERT STIFTER aus Oberplan. Der war tiefreligiös; ja, mehr noch, war ›Katholik‹, (bei denen die Aufgeschlossenheit für Denkverbote, weil seit Jahrtausenden offiziell & systematisch gefördert, besonders gut entwickelt ist). Der war vormärzlich keusch; (obschon Liebhaber von Kaktussen, die, zwar selten aber doch, nachts manchmal zusehends einen Schaft treiben, mit »wunderbaren Glutblumen«: ›u: u: u!‹). Ausdrücke wie bei SARTRE, FAULKNER, JOYCE, gang & gäbe, hätten ihm zweifellos die Haare zu Berge getrieben; aber, Moment mal: sicher; Umschreibungen für ›eine große Menge‹ wie ›more than cunts in Texas‹ (HEMINGWAY) verwendet STIFTER nicht; hat jedoch dafür eine neurotisch-fixe, aufschlußreiche Zwangsbindung an die Worte »Haupt«, »Geschlecht«, »Ding« vor allem — sapienti sat; Beispiele folgen. Daß er zu unseren Humoristen nicht zu zählen ist, wird wohl selbst sein eifrigster fan einräumen; dafür darf er beim ›großen Landschafter‹ desto begeisterter nicken, (und ich nicke gern mit: in der Hinsicht konnte er einiges). Nun dürfte die entrüstet-strenge Erkundigung nach einer Organ-Abbildung erfolgen —: bitte; da ist zum Beispiel das heimliche Centrum von STIFTER’s Schaffen, & Dichten, & Trachten; der ›Rotenstein‹ der ›Narrenburg‹. Es ist längst bekannt (vgl. die Monografie von MAX STEFL), daß der Dichter immer wieder dorthin zurückgekehrt ist, immer wieder die Fäden aufgenommen hat: 1. Fassung ›Narrenburg‹ (künftige Abkürzung N), 2. Fassung N, ›Prokopus‹ (P) 339
1., 2., 3. Fassung ›Mappe meines Urgroßvaters‹ (M) ›Hagestolz‹? (ist umstritten). Was aber einwandfrei feststeht, ist die (von der Theorie geforderte) starke Einwebung autobiografischen Materials. STIFTER ist selbst der ›Heinrich Scharnast‹
der N, — AST war sein Monogramm; und ›Stift‹ und ›stiften‹ schlägt unterschwellig beständig durch; wovon noch mehr zu sagen sein wird — der »Naturforscher«, der »närrische«, wie er sich, etwa in Briefen, oft & gern genannt hat. STIFTER ist ebenso der ›Prokopus‹, der ja auch Naturforscher war; ›Gertraud‹ ist seine merkwürdige Amalie Mohaupt; und das Ganze eine vornehmschonende Hieroglyphe ihres hurtigen Auseinanderlebens. Denn Frau Amalie war ein ausgesprochener VULPiA-Typ: hübsch & dick & rothaarig; geistig stumpf, nicht bloß ungebildet (was sich ja beheben ließe), sondern anscheinend bildungsunfähig, (Bekannte verglichen sie mit ›Siebenkäsens Lenette‹; man lese bei JEAN PAUL nach, was das besagen will); auch war sie, als Halbungarin, für eine deutsche Schriftstellersgattin von vornherein bedenklich gehandicapt: »Der Bruder hot das Danfschif verseimt«. Autobiografisch sind weiterhin die leicht erkennbaren ›Oberplan Partien‹ der M, und die dort gegebenen BIO-Einzelheiten: früher Tod des Vaters; Wiederverheiratung der Mutter; die Namen des Großelternpaares, Augustinus & Ursula, entsprechen der Wirklichkeit. Geheiratet hat er 1837; an der N das erste Mal 1842, am P 47 gearbeitet. Ich schalte hier LUDWIG MARCUSE’s bedeutendes Wort vom ›Mut zum Privaten‹ ein: »Im Werk ist Niemand ganz er selbst: auch Tradition, auch Talent, auch Routine. Das Private ist kein Bodensatz, sondern der Humus alles dessen, was öffentlich ist. Das Private ist nicht die Sicht des Kammerdieners. Das Private ist die nicht für die Öffentlichkeit zurechtgemachte Kreatur, der reiche Ursprung des Kreators.« Ich ergänze: einem Lebenden durch ›Enthüllungen‹ sein Dasein auf diesem Narrenstern noch mehr erschweren, wäre gemein, und sei den Revolverblättern überlassen, (oder auch ihm selbst); bei 340
einem längst-toten, jedoch durch Dezennien & Säkula immer fürder wirkenden Künstler ist jegliche Theorie oder Hypothese, die das Werk weiter aufschließt, sein Zustandekommen besser erklärt, und unbegreifliche Gebilde darin begreiflich macht, nicht nur erlaubt, sondern willkommen. — Reiten wir also, den Kneifer der ›MAY’schen Mechanismen‹ keck-fest auf der Nase, durchs schwarze Tor unterhalb des Turmes von Prüglitz, und schnurstracks auf besagte »verhängnisvolle« Bergkuppe, mit ihrem »breitgedehnten Gipfel«, zu. Am Fuße des Berges nimmt die Besucher eine »Allee uralter, dichtbehaarter Fichten auf, und leitete sie empor«; »breit« ist der Weg, und führt durch »lange hängende Moosbärte« und »runzlige harzige Stämme«. Oben angelangt, erblickt man »nur eine einzige offene Stelle«, wo, »zum Erstaunen des Naturforschers« »die dunkle Mündung eines Pförtchens« sichtbar wird. Im ›pro copus‹, wo copuliert und poculiert wird, sind »die Torflügel in weiter Gastlichkeit geöffnet«, und Domestiken warten auf, etwa »der Schloßmeister mit dem roten Stabe, und neben ihm der Kastellan mit seinem Abzeichen, dem großen Schlüssel« — beides geläufige phallische Siglen. In N ist’s der ›Ruprecht‹ (Hast’ denn die Rute auch bei Dir?); und da ist denn des Schlüssel-Hineinsteckens gar kein Ende mehr, »er öffnete sich anstemmend die eingerosteten Türflügel zu den Gemächern«, (›Gemacht‹). Das Eindringen ist jedesmal mit Geräusch verbunden. »Hinter dem Blumenberge ((›Der Berg der Blume‹)) versteckt, war eine schmetternde Fanfare, die den Zug begrüßte, und im Augenblicke von dem Donner des Geschützes abgelöst wurde ((›sich lösen‹)), das auf dem Berge aufgepflanzt war und erdröhnte, als der Zug durch die Torflügel einritt« (P). In N, die man sich um 150 Jahre später, im Sommer 1836, spielend, vorzustellen angewiesen wird, tritt man ein, »und in demselben Augenblick ging ein fürchterlicher, ein zärtlich gewaltiger Ton über ihren Häuptern durch die Luft. / ›Es ist nur die Geige des Prokopus‹, sagte
Ruprecht, ›er grüßt Euch, Erlaucht — schreitet nur herein in diese Stadt des alten Ge341
schlechtes.‹« Also eine ›Stadt des Geschlechtes‹ liegt allhier; und ›Geige spielen‹ ist auch längst als Symbol erkannt. Es handelt sich übrigens um ein, beim Landvolk der ganzen Gegend wohlbekanntes Instrument, das »in der Nacht so unheimliche Musik macht«: eine simple Äolsharfe ist es, deren »Saiten tönten, wenn ein Lüftchen oder ein Wind zog über den ganzen Berg in mächtigen, wenn auch oft in leisen und eindringenden Tönen. Ja, selbst in der Nacht, wenn alles schlief, tönte oft das tiefe Summen auf dem Berge.« Befestigt ist das Wind-Ding, das »so lange furchtbare Töne gab... als stöhnten alle Wälder«, am roten »Turm des Prokopus«, der »stand wie ein Stift«, und zwar »gegen Süden« zu; (›Saiten‹ sind oft aus ›Därmen‹). Auf dem eigentlichen Berg-Plateau wird Heinrich mit Recht »wie in einem uralten Märchen« zu Sinn; hat ihm doch schon der Wirt vorausgesagt, er würde dort »Style genug sehen«; und so ist es auch. Der Turm, der wie ein Stift stand, wurde eben schon vorgeführt, (STIFTER hat übrigens in Wien einmal in der ›Rothe Thurmstraße‹ gewohnt). Gleich »innerhalb des Tores, auf dem weiten sandigen Platze, wo ein Obeliskus steht und zwei Sphinxe ruhen« ist zu P’s Zeiten noch alles intakt; in N steht dieser Obelisk wohl noch, »jedoch seine Spitze lag ihm zu Füßen«; auch erblickt man »das ausgetrocknete Becken eines Springbrunnens... aber aus dem aufwärtszeigenden Stift sprang kein Wasser mehr« — kein unfeines Gleichnis von Unfruchtbarkeit (oder Impotenz). Männliche S-Abbildungen stellen sich aber, während des Durchschreitens der, zuweilen haremhaft wirkenden, Verirrungsanstalt gleichsam nur ›organisch‹ mit ein, à la »eine Ruine stand in einem Eichenwald« (›Ruine-Urine‹, ›stand‹, ›Ei‹-chen-›Wald‹); das eigentlich wichtige und auch weit überwiegende ist die Fülle der weiblichen Abbildungen — STIFTER war heterosexuell. Zunächst betritt man »ein rätselhaftes Vieleck, der Senkung des Berges abgewonnen, worauf zwei schwarze Sphinxe lagen, mit den ungeheuren, steinernen Augenkugeln glotzend ((›ungeheure Kugeln‹: o culus!)) und zwischen sich das ausge342
trocknete Becken eines Springbrunnens hütend«. Worte wie »Busen« stellen sich ein; »Becken«; »Brüstungen, bauschten sich« (›Brüste & Bauch‹); man steigt einen »verwahrlosten ausgewaschenen Weg hinan«; da wird es denn »dem Naturforscher immer klarer, je weiter sie vorwärts kamen.« »Flügel sprangen vor, seltsame Zacken ragten empor«; und endlich das »Parthenon« (griechisch ›Jungfrau‹) des Grafen »Jodokus« (›Kuß + Jocus + Köcher‹, in den man die Pfeile steckt) liegt hingebettet »in einem sanftgeschwungenen Tale«, und »sah aus einem Schöße dichten Gebüsches herüber; ein edles Geschlecht weißer schlanker Säulen« — sämtliche Horizonte sind vollbesetzt mit solchem »Geschlecht des Mauerwerks«, verwandelt ins ambibusig-omnibuschige. Und die Fülle der kleinen Handhaben nimmt schier kein Ende — die Gunst des Materials ist fast zu groß! —: »Damhirsche« grasen und »Hasen hüpfen«; »Trepp auf Trepp ab« geht’s ohne Rast ohne Ruh, (›Treppensteigen‹); manches liegt »in Schutt und allerlei Gänge öffneten ihre Höhlen«, »er drehte große Schlüssel in dem knarrenden Schloß«, »eine Ulme war empor geschossen, und streckte ihre Zweige lustig in den Säulengang hinein«; wahrlich, »das Nest liegt vor ihm« und noch »viel überschwenglicher, als er es sich je gedacht hatte«, (abgesehen von dem ›Über-Schwengel‹ gewinnt dieser ›Nistkörper‹ nachher noch die allergrößte Bedeutung). Ein anderer Bau(ch) »lagerte sich breit und
massiv, ohne die geringste Verzierung«; »wohllüstig« streicht die heiße Luft über den »Zauberberg«; »aus den Fugen trieb üppiges Gras hervor«; Knecht Ruprechts »große Gestalt« tappt aber auch unermüdlich vorauf, »machte endlich am Ende eines verfallenen Ganges Licht, und stieg mit ihm eine Wendelstiege hinab. Dort öffnete er ein äußerst kleines Türlein, und führte Heinrich hinein.« Ja, es ist »alles viel großartiger, weiter und auch verworrener, als er gedacht hatte« und »die schönste Landschaftsdichtung«! Prompt, genau wie die ›MAY’schen Mechanismen‹ es fordern, beginnen sich Mückenschwärme von ›u‹ s in der Treibhausluft 343
jenes roten Mimikro-Kußmus zu tummeln; folgen wir nur in den ›Bildersaal‹ — »es ist dringender Grund... enthülle das Ding!« — und da erblickt man denn das ganze große »Geschlecht«: Julius und Julianus und Ubalaus und Prokopus Jodokus Bruno, (und ›o‹ ist ja auch noch ziemlich dumpf gefärbt). Und ob sich auch Interpreten vom Schlage KÜHN’s nicht einverstanden erklären dürften, ich lege itzt meinen Finger an den ›Juli-Anus‹, »widrigen Antlitzes mit furchtbarem, rotem Barte«: der ›Ro-tenstein‹ ist ein überkompletter Frauenpopo! Und zwar ein ganz legaler: Frau AMALIE STIFTER, geborene Mohaupt (= roter Mohn + Haupt), hatte im Juli das Licht der Welt erblickt, und rothaarig war sie ebenfalls. Rot ist die Leidenschaft, und rot der ›Rotenstein‹; rot ist der Türflügel, an den man sich stemmen muß; immer liegt Sommerglut über dem Berge (nachts ein »düsteres elektrisches Geheimnis«); und als die Chelion-Episode ihren Höhepunkt erreicht, ist es »eine heiße Julinacht«. ›Kajetan‹ heißt einer der Ahnen: Amalie war geboren zu Kojetein. Und Dem, der immer noch borniert oder skoptisch-skopzisch den Mund rümpfen möchte, will ich nur zu bedenken geben, daß ja wohl nichts legitimer, nichts ›unschuldiger‹ sein kann, auch netter, als wenn ein Künstler fleißig seine etatsmäßige gutgebaute Gattin als ›Modell‹ benützt. (Und Derjenige, der behauptet, so ein hübscher voller rothaarig-hitziger Juli-Anus wäre ihm absolut uninteressant: Der lügt! / Ob die Wendung »es war lächerlich zu schließen, wo nichts zu erschließen war« einer UBW-Mitteilung gleichzusetzen sein könnte, es gibt noch 2 oder 3 solche Stellen, vermag ich nicht zu entscheiden; ich bin nur FOUQUE-Fachmann.) Aufs schönste gesichert wird diese Theorie der OrganAbbildungen der N jedoch durch 1, bisher (absichtlich) noch gar nicht erwähnte Lokalität, das eigentliche ›innerste Geheimnis‹ des Ganzen, und ein herrliches Sinnbild für den ganzen Schwärm von Geschichten, der von hier ausgehen sollte — wir schreiten mit Heinrich zu auf den Roten Saal: 344
»Er ging bei der entgegengesetzten Öffnung wieder hinaus, durchwandelte den verfallenen Garten auch auf dem wohlbetretenen Pfade, und hielt vor dem hohen roten Felsen stille, zu dem die Pfade führten. Hier zog er einen Schlüssel aus seinem Busen hervor — denn die Siegel waren schon alle nicht mehr da — drehte ihn einmal in dem Schlosse, und öffnete sanft die hohen, glatten, eisernen Torflügel. Da sah ein weiter, matt dämmernder Gang heraus; weit geschweifte, flache, halbkreisartige Stufen von blutigrotem Marmor wiesen zu einem zweiten Eisentore von wunderschöner Arbeit, die zwei Schlüsselmündungen mit gediegenem Golde umlegt. Er trat ein.« Heinrich öffnet auch die nächste »goldbelegte Pforte. Ein großer ruhiger Felsensaal tat sich auseinander, auf seinem Fußboden dasselbe Spiegellichterspiel zeigend wie der Gang« (›Spiegel‹ ist ›Schiff-Hinterteil‹; und ›Licht‹ und ›spielen‹ und ›zeigen‹). An den Wänden rundum sieht man unzählige »kleine stählerne Türchen«
zu Safes, in denen die Selbstbiografien sämtlicher Scharnasts schlummern, und auch »eine lange Reihe leerer Nischen für alle noch ungeborenen« befindet sich in dem »feuerfesten Gemache« (ein ›Feuer-Fest‹, feste feuern). Rund heraus gesagt: diese, übrigens grandios geratene, ›blutigrote Höhle‹ in der sämtliche Ahnen und alle präsumtiven Nachkommen gesilot schlafen, ist einwandfrei eine ›Gebärmutter‹! Deshalb gehen von hier all die Helden von M, N, P aus, und was vermutlich noch an weiteren vorgesehen war; von hier, wo »jeder Tropfen aufgeschrieben ist, der seit 700 Jahren aus einem ihrer Herzen rann«. Dies die Vergangenheit; und was die Zukunft anbelangt, muntert Ruprecht ihn also auf: »›Erlaucht, kommt nun... auf den Berg, daß es wieder lebe und wimmle, und eine Nachkommenschaft werde, den ganzen Saal zu bemalen, und die ganze Zukunft zu erfüllen.‹« — Daß STIFTER’s Ehe ewig-kinderlos blieb, war sein Wunsch wahrlich nicht; und so mögen die beiden futerustischen Brautgemächte — denn für die ›Anna‹ der ›Grünen Fichtau‹ scheint korrespondierend der ›Grüne Saal‹ mit den Bildern eingerichtet zu sein — beides ausge345
drückt haben: die Hoffnung auf vielleicht-doch-noch Kinder; und andererseits gleichzeitig schon den UBW-Verzicht auf eine Verwirklichung ›im Fleische‹, kompensiert durch die dem Künstler gebührende naja ›reinlichere Erfüllung‹ (?) durch die üblichen Baumschulen von LG’s. Denn ein nächstes Beispiel — jetzt schon deckungsgleich mit den ›Höllenschluchten‹ KARL MAY’s — ist die ›Teufelsklamm‹ im ›Waldgänger‹, jenem Pendant zum ›Prokopus‹. Beide von 1847; beide das ›Ehe‹-Thema ventilierend; beide Helden ›Naturforscher‹, (im Sinne, wie STIFTER sie begriff, die Mutter Natur, in einem Winkel sitzend und neue Schmetterlinge antuschend): bioi paralleloi. ›Am Waldwasser‹ heißt sofort die erste Kapitelüberschrift; und unverzüglich geht’s los mit der Übersetzung von S-Anliegen in Landschaft; denn »es giebt auch andere, unbedeutendere, gleichsam schwermütig schöne Teile, die abgelegen sind, die den Besucher nicht rufen, ihn selten sehen, und wenn er kömmt, ihm gerne weisen, was im Umkreise ihrer Besitzungen liegt: wer sie einmal gekannt und geliebt hat, der denkt mit süßer Trauer an sie zurück, wie an ein bescheidenes liebes Weib«, (S. 357 der Winkler-Ausgabe). »Scheidepunkte« (357)! »Scheidelinie« (358); »der Ort ist kühl, meist windig«(358);»Schneidelinie« (358); »Gürtel« (358); »ein Windchen« (358). »Ganz oben, wo das Tal mit noch geringer Tiefe anfängt, begann auch ein winziges Wasserfädlein neben dem Wanderer abwärts zu gehen.....als wolle es ihm den Weg durch die Talmündung hinaus zeigen, und bis es endlich durch die ungeheure Wucht des in die Tiefe gedrückten Wassers genährt, und von manchem aus dem Bauche des Berges hervor springenden Brünnlein begrüßt... ihn ermunterte zu folgen« (359 f.) »In dem Herzen des Wanderers war eine Wehmut über das Scheiden von dem, was er liebte« (361), und immer erneut »Scheiden« und nochmal »Scheidelinie«; denn »die Dinge kehrten sich um, und was sich als groß gezeigt hatte, stand als Kleines am Wege, und das Unbeachtete schwoll an und entdeckte sich als Schwerpunkt der Dinge«, ‘s ist trau346
rig, aber wahr, (362). »Manches würde mit holdem Reize auf der Tafel des Landschaftsmalers stehen«: darauf werde ich sofort dann eingehen! Zunächst sei es noch »die einförmige harmlose Gestalt des Waldgängers, von welchem ich spreche... lederne Riemen... Schöße... der breite Hut, den er immer trug... die breiten Flügel ((des Hutes)) hingen etwas nieder«. »Er schien den Wald besonders zu lieben« (374)
und hat die »Eigenschaft, die Wälder gerne zu besuchen« (375); oft kann man ihn erblicken, »wie der Greis mit dem breiten Hute in der Furche voranging« (384). Und wenn man nun noch weiß, daß besagte schlichte Gestalt die fleischgewordne Sehnsucht nach einem Sohne ist, und sich deswegen aufs rührendste einem kleinen Jungen anschließt — nun aber nicht im MAY’schen Sinne von ›Gebrüder Browning‹; sondern als echter Herzenswunsch STIFTER’s, Kinder zu haben — nu, da kann man sich denken, wer oder was dieser Waldgänger und Moosliebhaber ist. Die Gegend, wo ›WIR‹ — wir, ADALBERT STIFTER — den Mann einst kennen lernten, heißt die ›Teufelsmauer‹, und ist eine recht aufgeregte Lokalität; nämlich eine Moldau-Klamm, nicht weit von der »Länderscheide« (›Lende plus Scheide‹), dort, »wo die beiderseitigen Waldberge immer höher werden« (368). Und die Besucher kehren gern »im Kienberg« ein; etwa »ein einzelner Wanderer, der gekommen ist, diese Natur anzuschauen ((›La nature du prince‹)), oder der seinem inneren Triebe in diese dunklen Wälder nachgebt« (368). Gleich dahinter beginnt »die Enge eines Flußbettes«, der »schmale Raum des Bettes«; und die »Moldau« — ›Mo + au‹ wie in ›Mohaupt‹: das ist ja ein seit FOUQUE’s ›Undine‹ oder JOYCE’s ›Anna Liffey‹ erlaubter Vorgang, diese Anadyomenisierung der Frauen — gebärdet sich hier fast »wie lebendig«, sie »ächzt, wie ein lebendiges Wesen, das aus einer ängstlichen gefahrvollen Lage mit aller seiner Arbeit heraus will« (369). Wenn man hier »steht«, sieht man bereits »sehr sonderbare Lichterspiele«; aber noch »schöner wird diese Erscheinung erst weiter unten von Kienberg« (alles 369); »ein 347
mächtiger Felsbau ((ch)) erhebt sich und trägt die graue Brust ... empor, einzelne gelichtete Stämme stehen«, und sie (die Moldau) »klemmt sie ((die Stämme)) zwischen die Felsen... sie muß um ihn herum«. Erbaut hat den pittoresken Winkel »der Teufel« (369 f.), obschon ihm die »Öffnung der Schleuse« dann nicht 100%ig gelang. (Diese nämliche Koppelung von ›S‹ mit ›Teufel oder Hölle‹ trat bereits bei MAY auf; hier muß noch auffallen, daß die STIFTER’schen Wort-Po-Pänschen ›Scheide, Brust, Bauch, Schoß‹ bei MAY fehlen — was natürlich seinen Grund in der verschiedenen Triebausrichtung hat; für OS war dergleichen uninteressant, während AST sogar vom »Bauch des Sternes Kapella« weiß.) Und obwohl der Waldgänger gerne durch »Talrinnen« geht, im »schwachen Sausen« (385) der Wälder — »man wußte bei der Unbestimmtheit des Tones nicht, ob er über dem Haupte ist, oder weiter vorne, oder weiter hinten, oder gar jenseits ((MAY, ›AM JENSEITS‹)) der Berge, über welche die dunkle Wucht der Wälder... blähend hinüber liegt« — so hat er seinen festen Wohnsitz doch bei einem, der beruflich »mit einer Stange bei der Teufelsmauer unten« tätig ist. Zur Sicherung der auch hier symptomatischen ›Reihenbildung‹ — tres faciunt collegium — sei noch auf die ›Tiefspalte‹ der ›Zwei Schwestern‹ verwiesen; (S. 446 ff. meiner Kraft-Ausgabe, 1956); wo der Held ebenfalls auszieht, »die ungemeinen Reize der Gegend zu genießen«. »Wir begaben uns auf unsre sonderbare Reise, und wurden durch das herrlichste Wetter und manch anderes seltsame Ding belohnt«; (ein ›Same-Ding‹). Und schon erzwingt das über Alles verhängte ›S‹ ein erstes Aufklopfen mit der Zunge, die ersten Bauchkehrlaute. Da hat der ›Fels‹ einen »Körper«; der »Gürtel des Gestades«; »und wenn wir manchmal eine Wand sahen, und meinten, sie sei weithin die glatteste, ritzenloseste Mauer, so tat sie sich, wenn wir an ihr entlangfuhren, ((mit dem ›Schifflein‹; an der ›losen Ritze‹)) auf einmal auf, und trug in ihrer Faltung eine nieder steigende von dichtem Buschwerke bewucherte Furche, in der das klareste glasdurchsichtigste Alpen348
wasser ((›ALP-Wasser‹; es handelt sich eben tatsächlich um Normen im DIN-SFormat!)) niederströmte.« Von fern strahlt es »wie ein blendendes Dreieck« (ab 452); ein Knabe weist sie hin, und turnt dazu »an einem langen Stab, den er in der Hand hielt... er tat dies sehr behende und sicher, daß wir sahen, daß das Ding oft in einsamen Stunden seine Lieblingsunterhaltung gewesen sein mochte«, und spricht dazu: »›Da müßt Ihr nun hinaufsteigen, bis Ihr in den Felsen, seht dort oben, in die Furche kommt, welche die Tiefspalte heißt‹«, (und in der es noch ein Häuschen gibt, »es steht ganz allein in der Spalte«). »Und nun begann ich auf dem kurzen und ziemlich unfruchtbaren Grase emporzusteigen. ... Das Höllwasser mußte zu Zeiten seinen Namen recht wohl verdienen ... obwohl es jetzt so schwach und ohnmächtig wie ein Kind in diesen Dingen dahinfädelte. ... Als ich eine Weile gestiegen war, und mir in der großen Hitze, die im Gebirge herrschte, der Schweiß kam«, rastet der Held, und beschäftigt sich mit seinem »Fernrohr«. Klimmt dann weiter, und »kam nach und nach in die Schlucht ... die mich in den natürlichen Zwischenraum, den sie zwischen sich ließen, hinein lockten. ((›Locken locken‹)). Bald ging ich auf einem Pfade, zu dessen beiden Seiten hohe Felswände waren, aufwärts. ... links unter mir einen tiefen Grund, in welchem die Furche eines Gießwassers lief. Die Furche aber war nicht zu sehen, da die ganze Spalte, wie überall an den Ufern dieses Sees, mit dichtem Gebüsche und mit schlanken Bäumen bedeckt war. Unter dem Geheimnisse dieser grünen Decke hörte ich das Wasser, das jetzt sehr schwach war, fließen.« Ein erfahrener Alter zeigt ihm den weiteren Weg, »durch die Schlucht empor«: »›Ich habe der Aussicht wegen Stufen in die Steinwulst schlagen lassen, die quer über sie liegt, und diese Stufen steige hinan. ((›Treppensteigen‹; ›Wulst‹; ›quer drüber liegen‹)). Zur Sicherheit der Richtung‹« fährt jener getreue Eckart, oberschichtig-bieder fort, »›wirst Du einen Berg sehen, der so aussieht, als ob er auf seinem Gipfel rote Steine hätte.‹« — ›Frauenbrust plus Rotenstein‹: es 349
wäre mehr als nur ›möglich‹, daß das im S-Rausch sich periodisch schließende & öffnende, auf unendlich eingestellte Auge, die Brüste tatsächlich als ›Berge mit roten Steinen auf dem Gipfel‹ wahrnähme (vgl. POE, ›Die Sphinx‹); ist doch der ganze Körper währenddessen in gewissem Sinne ›auf die Unendlichkeit‹ eingestellt. »Mit solchen Gedanken ging ich den Rest der Schlucht empor. Sie wurde enger und ungangbarer, aber auch seichter und unfruchtbarer«; ›im Po... enger... seichen... unfruchtbar‹: fließbandmäßig läuft die immerwährende S-Nationalhymne! Ein Blick zurück: »War ich schon unten am See von den mannigfaltigen, seltsamen Dingen, die ich angetroffen hatte, ergriffen, so war ich hier vollständig hingerissen, und, ich kann sagen, in der Tiefe meiner Seele entzückt. In allen Stufen... lag das fabelhafte Ding hinaus... Lichtzuckungen hinein; und wo das Land bloß lag... draußen über Allem duftete ruhig und schwach rötlich ein Berg, der die roten Steine enthalten mochte« (462): mannigfaltig = faltig für Mannen; same-Ding; voll-ständig d. h. stehend; hinge-Riß-en; Stufen = Treppensteigen; ein fabelhaftes Ding, jaja; Licht zuckt hinein; bloß liegen; es duftet; und über Allem, es ist keine Sehstörung, ein schwach rötlicher Berg; STIFTER hat immer eine Schwäche für solche »Rosenberger« (ja, das »Geschlecht der Rosenberge«!) bewiesen; auch im ›Nachsommer‹, dem nichtsnutzig berühmten, ist das heimliche Centrum das »Rosenhaus« & die »braunen Locken« Natalie-Amaliens, (»ich sah den Garten wie einen grünen Schoß schräg unter mir liegen«). Auch die Bertha des ›Witiko‹ trägt Rosen im Braunhaar — bei MAY waren lange-schwarze die Liebesbedingung; bei
STIFTER sind’s halt rote, seine Landschaften ergo Rot-Haar-Gebürge. Nun das Inter-Mezzo in Rikar’s Hause, wo heftig ›gegeigt‹ und am Ende derb gedoppelhochzeitet wird — die eigentliche Flamme ›Maria‹ kann, genau wie Amalie (& ›Marah Durimeh‹; die MAY-Feier ist noch nicht zu Ende!), leicht mit ›amare‹ in Verbindung gebracht werden. Die vielen stattfindenden Ausflüge tragen sämtlich die Silben-Daumenab350
drücke des klein-großen GOttes; 496f.; oder 503, das »sogenannte Brünnlein. Es war dies eine Falte der Berge, gleichsam (›sam‹) eine schiefe Grube« uswusw.; jedenfalls trommelt auch hier der S-Regen sein ›Becken-Spiegel-Rinne-Sitz-LichterRasen rasen‹; und mehr Zimmer werden dem geehrten Gast eingeräumt; es fiedelt immer heftiger in der heißen Nacht; und mehr »mit feuerroter Seide gefütterte Fächer«. Man erzählt sich gegenseitig ›Lebens-Läufe‹: »›Niemand kennt die Geheimnisse meines Sackes, und es könnte nur Verwirrung entstehen‹« spricht der zweite der präsumtiven jungen Ehemänner abwehrend; »als er alle Schnallen gelöst hatte, tat sich der Sack auseinander und zeigte im Innern zwei Hauptfächer. ... ›Damit aber dieser Sack nicht weiter stört, wollen wir ihn beseitigen‹« sieht STIFTER selbst ein. »Es war, als sollte ich aus diesem Hause nicht fortkommen!«. ›Ährensammlungen‹, Symbole der Vielfach-Fruchtbarkeit, werden besichtigt; und ein anderes Zimmer, mit sämtlichen Werkzeugen des Landbaues, obwohl die mehr in einem »langen Gange... stehen«; »es ist merkwürdig, wie wichtig eigentlich diese Dinge sind« sagt der sinnige Alfred denn auch sehr richtig. Man wandelt wieder auf »Scheidelinien« oder »Schneiden«; Marias »kräftige Lippen zuckten... Ich blieb schweigend bei ihr stehen«; auch Camilla heiratet endlich den Richtigen, ›geigt‹ seitdem viel »heiterer und kräftiger«: »die jungen Eheleute leben sehr glücklich«. — Der ›Trick‹ bei alldem ist, genau wie bei Freund MAY, der: daß die Schilderungen auch durchaus ein naives ›L I‹ zulassen. Selbstredend fließt die ›Moldau‹ durch den ›Hochwald‹, »geklemmt in den Talwindungen«, ein »breiter Silbergürtel, um die Wölbung dunkler Waldesbusen geschlungen«, »tief aus den fernen geahnten ((›anus‹!)) Waldschoßen her«. Alles im ›Hochwald‹ ist so gruselig »jungfräulich«, Wald & Tal & Bach —: und man kann genau so gut ganze Ketten zottiger Weiblichkeiten dahinter blenden. STIFTER war genau jener bemitleidenswertverlogene Typ, der den sehr-großen CHARLES DARWIN, (einen Menschlichsten der Menschlichsten, 351
eben weil er, DARWIN, den komischen Homo erectus wieder in die ihm gebührende gleichgewichtige Verbindung mit Tier & Pflanze zwang! That’s right!), aufs frommste diffamiert hätte. Eben die, von germanistisch-Vernagelten so gefeierte & bestaunte & empfohlene, stilisierte ›Selbstzucht‹ des Mannes, hat im Endeffekt nämlich nicht jene gesunde Einfalt ergeben, die Einen bei LUCIAN oder WIELAND so nett, alles Wertens ledig, still macht; sondern eine Perlenschnur literarischer Meineide! Ich ärgere gern durch Wahrheiten. Und da ergibt die genaue Durchmusterung der Werke des k. & k. Schul-Rates nur r »Afterfrühling« (›Hochwald‹, S. 281 meiner Ausgabe; ja, sogar »trägen Flügelschlags in diesem AF«). Und man reitet »tiefer und tiefer in das Tal hinein, das die Wiege des ihnen begegnenden Baches war« (219); gelangt an »ein flimmerndes Wasser, in dessen Schöße bereits das zarte Nachbild des Mondes schwamm«. »Der Wald dehnte seine Glieder weithin im Nachtschlummer« (232): kennen Sie dieses ›Glied‹ im ›Wald‹, das sich zuweilen im
›Nachtschlummer‹ ›dehnt‹? »Wenn er ((der Mond)) so oben steht, mitten über den Wäldern ... wie sie da so froh sind im Nachtlichte, und Blätter und Nadeln auseinanderlegen« (254); die »fossiur a la gent amant« (TRISTAN, Verse 16 683 17 278). Denn — und man gestatte mir endlich das Abbiegen ins Allgemein-Menschliche all der Südpol-Praktiken — nicht nur MAY oder der Oberplaner laborierten an solch ›unterer Mystik‹, am ›Schlucht-Zwang‹ oder am ›Horror vacui‹ (oder wie man sich nun ausdrücken will); sondern, z. B., die ganze ›mittelalterliche Dichtung‹ liefert hier einen der ›Ewigen Jagdgründe‹: die ›Minnegrotte‹ GOTTFRIED’s von Straßburg ›erlaubt‹ nicht nur, vielmehr ›fordert‹ die S-Deutung des »in einem wilden berge ein hol« (»das het er z’ einen stunden von aventiure funden«). Da erblickt der teilnehmende Leser bereits allealle MAY’schen Mechanismen; angefangen von den »boume âne zâl« (Vers 16 738; ich lasse das 16 — etwa wie bei GAUSS-KRÜGER Koordinaten — weg); »da flöz ein fun352
tânje« (742); »schoene vogelgedoene« (755); »diu wîte, deist der minnen kraft« (941;: »Hat sie ‘ne tüchtje?« fragt Berdoa in GRABBE’s ›Gothland‹); »ich han den reien getreten dicke dar & ofte dan«(17118); ja sogar: »ich han diu fossiure erkant, sit minen eilif jaren ie« — es ist immer dieselbe, urwald-bananische, Tendenz. Beziehungsweise, noch weiter aus-hohlend: es ist anscheinend 1 der Bildungsgesetze aller Sprachen überhaupt, dies Paralleli-sieren von Körperteilen mit Landschaften & Dingen: ›Meer-Busen, Schiffs-Rumpf, Wald-Rücken; Fuß des Berges; Meeres-Arm‹, die Berg-Namen auf -köpf; Straßen beschreiben ein ›Knie‹; Berg-Häupter, See-Becken; die ›Schenkel eines Zirkels‹: die Poden & Anti-Poden, die Mammalier & Tittaner (›titties and anus‹) sind unter Uns: ein Teil der Sprache, (und nicht nur das beliebt-beleibte Puppen-Gestupse), entspricht einer AbSonderung unserer Keim-Drüsen. — Nun möchte Einer, der sich gar nicht ergeben will, meinethalben immer noch streiten & be-streiten; wenn nicht eines wäre: der schöne NOVOTNY’sche Bildband vom ›ADALBERT STIFTER als Maler‹, (ich zitiere nach der 3. Aufl., Wien, 1947). Da findet man nämlich als Abb. 89 das signifikante Porträt eben besagter ›Teufelsklamm‹ — »ich will aus Spaß die Zeichnung entwerfen«, schrieb STIFTER am 8.6.46 an Heckenast — und der Kommentator merkt zu dem Motiv, das mehrfach als Modell hat herhalten müssen, an, daß es der Natur nicht entspreche, sondern romantisch gesteigert sei. Sagen wir dafür nunmehr: es hat, voll gemäß den MAY’schen Mechanismen, eine S-Überhöhung erfahren, die hoffentlich von der ›Wiener Schule‹ längst ausführlich behandelt worden ist. Denn die 107 abgebildeten Gemälde und Zeichnungen gestatten eine statistische Feststellung, des Sinnes, daß STIFTER’s ›Gebirgslandschaften‹ genau die gleiche, zwanghaft-maskenstarre Linienführung aufweisen, wie MAY’s monotone ›Talkessel‹. Man entwerfe sich, ganz kunstlos, das Linienschema irgendeiner der (meist peinlich öldruckhaft-geistlosen) Watz-Männereien: 353
Links ‘ne Bergwand, die nach dem Hinter-Grund zu abfällt. / Rechts ‘ne Bergwand, die nach dem Hinter-Grund zu abfällt. / In der Mitte, dort wo beide zusammenstoßen, ein schütterer Waldbuschen. Und fast immer fließt nach vorn, auf den Beschauer zu, ein Wasser, ob Fall, ob See-Spiegel. / In der Ferne dann, in ungefähr gleicher Höhe mit dem Ansatz der seitlichen Gewände, ein schön begipfeltes Hochland Überschrift
›Landschaft aus dem Salzkammergut‹: ›Da kamma gut lustig sein!‹. Nun lege man sich dieses Umrißschema — wie ich eines auf dem hinteren Vorsatzblatte vorschlage — neben den NOVOTNY; und beginne vorurteilslos zu blättern: — — — — : Nummer 21; 22; (23?); 26 ist typisch; 30; auch 27 gehört hierher; 28 (mit dem Stamm genau in der Mitte, der übrigens mehrfach auftritt); 30, 31, 32; 41, 42; 51, 52, 53; 55, 56; 75! 79! (86?); 87 stimmt wieder fürchterlich; und endlich die erwähnte Nr. 89: das ergibt schon jetzt, ohne dem Material die geringste Gewalt anzutun, eine Reihe von 20 Gliedern; (und unter den zwar katalogisierten, aber nicht abgebildeten, weiteren 60 Piècen, dürften sich, der Beschreibung nach, noch einige antreffen lassen — und nun könnte man weiterhin noch, (wenn ›Extrapolieren‹ nicht so verboten wäre), aus dem wenigen Vorhandenen auf das schließen, was einst überhaupt in dieser Art so entstanden sein wird). ›Zugrunde liegt‹, I’m sorry, jedesmal ein- & dieselbe vereinfachte GrundritzZeichnung einer auf dem Rücken ruhenden Frau, die Knie hochgestellt: und der sich so ergebende ›unvergeßliche‹ Anblick hat UBW-Vergrößerung erfahren, bis zu den Dimensionen einer S-Landschaft! Man wende mir, bitte, nicht ein, daß es ›im Gebirge‹ doch nun einmal Berge & deren Spitzen, Wasserfälle & Seen, Schluchten & darin stehende Stämme habituell gebe. Der Umstand ist auch mir nicht unbekannt; erscheint mir aber kein zureichender Grund für eine solche manische, jede Wahrscheinlichkeit übersteigende Häufung des Motivs, sowie dessen, 354
›oberschichtig‹ unglaublich ge-matritzte Abbildung, in immer genau denselben, allmählich schwer versimpelt wirkenden Linienzügen. Dergleichen kann sich 1 Mal, 3 Mal, auch 5 Mal wiederholen; und ich würde mich dann immer noch vor einer Überbewertung zu hüten wissen. — Aber 10 Mal?: Aber 20 Mal?! (Und wahrscheinlich ja noch wesentlich öfter.) Denn auch die abnorm-vielen STIFTER’schen ›Monde‹ sind ein Dia-Gnostisches Merkmal, die ›reflektorische Maßnahme‹ eines ›Errötenden‹, (und gleichwertig dem MAY’schen ›frommen fading‹ eines Totgeschriebenen): »Eigentlich seien es keine Fantasien; sie seien schon bei Leuten vor Jahrhunderten gezeichnet gewesen, und durch ›Luftzug‹ auf ihn übergegangen; manchmal sehe er sie in der Luft; wenn er sie dann gezeichnet habe, sehe er sie nicht mehr, dann entstehe eine andere Luftentwicklung; sie stammten aus Luftmengen, die nicht mehr existierten; die Luftzeichnungen seien, wenn sie glückten, wie Luft, würden durch Luftzug verweht, und gingen auf Andere ((Leser)) über, die sie wieder zeichneten... manchmal könne er in diesen Luftbildern seine Ahnen erkennen«; (PRINZHORN, 2. Aufl., S. 203). / Die Rolle des Mondes wird nicht nur durch SACHS-VILLATTE belegt, der ›pleine lune‹ durch ›blanken Popo‹; ›lunettes‹ als ›Popo-Backen‹ und ›lune rousse‹ als ›Menstruation‹ hat; sondern auch durch die Dichter aller Zeiten; von MATTHIAS CLAUDIUS’ ›Brief an den Mond Nr. 1‹ an — (»Ich habe Sie lange heimlich geliebt; als ich noch Knabe war, pflegt’ ich schon in den Wald zu laufen, und halbverstohlen hinter’n Bäumen nach Ihnen umzublicken, wenn Sie mit bloßer Brust oder im Négligé einer zerrissenen Nachtwolke vorübergingen.«) — bis zu RÜHMKORF’s »Limas silberne Zitze, nackt in der Dunkelheit«: ›Groß ist die Diana der Epheser!‹, (die vielbrüstige Amme & Geburtshelferin). / Wodurch sich denn sogleich die vielen STIFTER’schen ›Mondaufgange‹ an das System anschließen lassen. / Allgemeiner ausgedrückt, kann sein ›Bild-Scheme‹ auch so sein: links ‘n Wolken-Berg / rechts ‘n Wolken-Berg (Nr. 47). / Im Buschwerk darf brennendgern 1 Haus oder Hüttlein liegen,
355
›Grüß GOtt; tritt ein!‹, (Nrn. 39, 40, 47). / Das ›Wasser‹ kann ein ›Weg‹ / Das Traumbergland im Hintergrund eben ›Der Mond‹ sein; der bei ST., Nr. 50 oder 60, einer Frauenbrust, bzw. einem Popo gleichzusetzen ist. (Wogegen MAY fast nie den ›vollen‹; wohl aber den ›waxing or waning moon‹ hat: das eben ist der einzige Unterschied zwischen dem Homo- und dem HeteroSexuellen — imgrunde nicht wert, daß man sich dabei aufhält). Und damit zyklisch überhaupt nichts mehr mangle, will ich auch bei STIFTER die SITARA-Scheiben nachweisen: es sind die, bereits in meiner DYA NA SORE angeschmitzten ›Tischplatten‹ des NACHSOMMER! Wie alle Menschen, die ihre Liebesmöglichkeiten im Leben nicht nützen und erschöpfen (bzw. können), beginnen seine ›sanften Heinriche‹ schon ganz jung & gewaltig zu sammeln; und die Naivität, mit der man sich gegenseitig die Popo-Ersätze weist & begeistert beschreibt, ist nicht minder rührend als bei Freund MAY. Es kann Marmor sein (S. 182, meiner schlechten schweizer Ausgabe) »vom reinsten Weiß, Rosenrot und Strohgelb«, eine ganz rare Sorte; »und hier war sie in einem so großen Stücke vorhanden, wie ich sie noch nie gesehen hatte... Ich versuchte, mir ein Eigentumsrecht darüber zu erwerben... es zeigte sich, daß eine schöne Tischplatte aus diesem Stoffe zu verfertigen wäre«; (da frühlingt’s auch gleich allegorisch, und er erblickt »in den Tälern die kleinen Knospen der Rosen«). Noch grandioser wird darin an anderer Stelle (326) gearbeitet: »Der Ort hieß das Rotmoor; weshalb, konnte ich nicht errgünden... Das größte Stück war fast rosenrot, und es sollte daraus ein Wasserbecken für den Garten werden. Das Becken aber hatte ich selber entworfen«; nämlich ein tischplattengroßes Blatt, »und aus einem Stiele, der sich über das Blatt erhebt, soll das Wasser in einem feinen Strahle in das Blatt springen.« Seine eigentliche Liebe aber gehört den Hölzern; präziser dem schön rötlich gesprenkelten, gemaserten, geflammten. Im schönsten Wiesengrunde läßt man auf Vorrat mächtige Wurzelstöcke gedeihen, »ein Aftererzeugnis des sonst recht schön empor 356
wachsenden Erlenbaumes. In dem vielfältigen Streben des Holzes, eine Menge Ruten oder zwieträchtige Äste anzusetzen und sich selber dabei zu vergrößern«, bildet sich natürlich ein vorbildliches Material für Tischplatten (S. 107f. u. 232 f.). Die haben dann »feurige Farbe« und »weichen, seidenartigen Glanz«; sind »in der Tat außerordentlich, so feurig und fast erhaben, auch ungemein groß.... und die Gestalten der Geräte, wie leicht, wie fein, wie anschmiegend... es ergriff einen ein Gefühl eines Bedeutungsvollen«; (das Gestümpere des ›einen ein... eines‹ entspricht genau dem MAY’schen Verquellen ›Derselbe wußte, daß Dieselbe dasselbe‹). Denn mag STIFTER’s née Mohaupt auch noch so sehr versagt haben, was geistige oder rein-zärtliche Beziehungen anbelangt: seine sinnliche Fixierung an die mollige ›nutbrown maid‹ scheint ziemlich umfassend gewesen zu sein; wirkt er doch, bei näherem Hinsehen, förmlich S-hörig gegenüber so viel-fältigen Rötlichkeiten! Und die netteste (weil ›überkomplette‹) Mitteilung liefert der ab S. 74 immer wieder auftauchende ›Musiktisch‹, dessen Platte »in Hölzern von verschiedener, aber natürlicher Farbe eingelegt« ist. »Von außen war eine Verbrämung von ineinander geschlungenen und schneckenartig gewundenen Rollen, Laubzweigen und Obst. Die innere Fläche, welche von der Verbrämung durch ein Bänderwerk von rotem Rosenholze abgeschnitten war, trug auf einem Grunde von bräunlich-weißem Ahorn eine Sammlung von Musikgeräten. Sie waren freilich nicht in dem Verhältnisse ihrer
Größen eingelegt. Die Geige war viel kleiner als die Mandoline, die Trommel und der Dudelsack waren gleich groß, und unter beiden zog sich die Flöte wie ein Weberbaum dahin. Aber im einzelnen erscheinen mir die Sachen als sehr schön, und die Mandoline war so rein und lieblich... einer der Arbeiter schnitt Stücke aus Ahorn, Büx, Sandelholz, Ebenholz, türkisch Hasel- und Rosenholz zurecht«; denn der Tisch ist leicht ramponiert, und muß erst instand gesetzt werden. Dann aber leuchten überall, ob im Spiritus Asper- ob im Sternen-Hofe, die sanften Planetenschei357
ben des alten äqui-Vocativus. / Die Mühelosigkeit, mit der gerade Musik-Instrumente sich zu S-Symbolen hergeben, ja anbieten, ist wohl bekannt genug, und nicht nur aus Zoten der Vulgärst-Sprache. Noch schwirrt mir das fade Geklampfe des Schlagers der zwanziger Jahre im Ohr: »Ich hab eine kleine braune Mandoline, DiedeldiedelDimmdimm... die begleitet jeden Sonntag mich ins Grüne... und sie läßt sich gar so gerne von mir streicheln...«. Oder, auf höherer Ebene, empfindet FRANZ WERFEL im ›Verdi‹ die Geige also: »Woher wirkte denn so übermenschlich reizend diese Anmut und doch so menschlich? Breite Brust, schmale Hüften, ein langer Hals. Die Entzückung der Schallöcher... der Schwung des Bodens... die unfleischlichsten, reinlichsten aller Eingeweide«. ›Frauen wie Lauten‹ singt RILKE. — Nein; für den Unvoreingenommenen gibt es keinen Zweifel mehr: STIFTER ist ein weiterer Beleg für die vorgetragene Theorie der ›Organ-Abbildungen‹; und um so wertvoller, da er i.) heterosexuell war, und 2.) über die Literatur hinaus ins Gebiet einer anderen Kunst überzugehen gestattet. Das deutet auf eine mögliche beträchtliche Gültigkeitsbreite der entwickelten Sätze, zumindest bei gewissen Gruppen von Künstlern; vielleicht bei Menschen-allgemein. — Ich beabsichtige durch solche Anatomisierung nicht etwa nur eine Diversion zugunsten MAY’s; noch weniger eine ›Herabwürdigung STIFTER’s‹; ja, imgrunde nicht einmal einen Beitrag zum GOETHE’schen ›So herrsche denn Eros‹. Selbst erbitterte Gegner werden mir, ob Kreuz- ob G’wehr-Mundes, bescheinigen, daß ich ›ein Intellektueller‹ sei: sehr wohl; mein Herz gehört dem Kopf! Dennoch wird jeder ›Freie Geist‹, (bzw. grade ein solcher; GOtt segne mir bei dieser Gelegenheit doch rasch einmal LAWRENCE STERNE!), auch das ›Recht des Hinterns‹ verfechten: der Menschheit dürfte spürbar wohler werden, wenn sie sich entschließen könnte, sich einmal etwas fester in dieses ›Zweite Gesicht‹ zu blicken — und anschließend die bio-logischen Folgerungen da raus zu ziehen. Dann würde man womöglich auch einsehen lernen, daß die MAY’sche 358
Art der UBW-Behandlung von S-Materialien aller Sparten doch irgendwie ›gültig‹ ist, und es noch langelange sein wird. Vor allem, daß sie sich auch bei ›Größeren‹ und ›Ganz-Großen‹ wiederfindet, ob STIFTER, ob STORM’s ›Regentrude‹, (die ein reines Fruchtbarkeits-Märchen ist), ob JULES VERNE, ob ROBERT KRAFT, oder dem, freilich all-bedeutenden, LEWIS CARROLL. — Und nun zum Ende meiner Studie: Nicht zu vermeiden war allerdings, daß mir — einem ausgesprochenen KlarglasWitzbold — meine Arbeit periodisch zu einer humoristischen wurde. Nicht nur, weil ich selbst ungewöhnlich viel Sinn für Komik habe, und die Bauernschläue des MAY’schen Eros mich also auf Schritt & Tritt belustigte; nicht nur, weil die Absurdität seiner ›Verkleidungen‹ so oft alles bisher gewohnte Maß überstieg, (und ergo die Demaskierung so frappant wirkte); nicht nur, weil ich ja schließlich, mit 12-14, auch mal MAY-Fan der üblich-einfältigen Sorte war, und das Gemisch von schöpferischer
Zertrümmerung & pantagruelischer Offenbarung ganze Salven befreienden Gelächters erzwang; sondern ganz einfach aus Lust darüber, daß ich in Bezug auf den Alten ein zweites-bedeutendes Mal Recht gehabt habe: auch wenn man die beiden absolut großen Spätwerke ausklammert, bleibt nicht, (wie ich bisher mit Unbehagen gefürchtet hatte), ein bloßes ›armes Würstchen‹, sondern ein förmlicher Koloß von Würstchen! Und das ist ja schon immer 1 Trost, wenn man Scharfsinn-Fleiß-Energie an einen einigermaßen würdigen Gegenstand gewendet hat: mit seinem Hintern befaßt sich schließlichtäglich ›JEDERMANN‹. Mit ›SITARA‹ nur KARL MAY. 359