OTTO ZIERER
BILD DER J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 13 DOPPELBÄNDEN
ZWISCHEN DEN ZEITE...
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OTTO ZIERER
BILD DER J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 18 EINZEL- UND 13 DOPPELBÄNDEN
ZWISCHEN DEN ZEITEN Unter diesem Titel ist der Doppelband 37/38 der neuen Weltgeschichte erschienen. Der Doppelband behandelt den 2. Teil des 19. Jahrhunderts
Der Kaiser Europas, der Bannerträger der Revolutionsideen, ist besiegt und gestürzt. Die Hoffnungen der Freiheitskämpfer aber erfüllen sich nicht. Die Reaktion ringt mit dem. Selbstbewußtsein der erwachenden Völker. Die Forderung der Unterdrückten nach neuer sozialer Ordnung, der Aufstieg der Technik, Industrialisierung, Beschleunigung des Weltverkehrs und endlich die Veränderung des Weltbildes durch neue Entdeckungen, Theorien und gelehrte Systeme — all das stellt diese Jahre von 1815— 1850 zwischen die Zeit von gestern und heute
Auch dieser Doppelband ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthält wieder ausgezeichneteKunstdrucktafeln und zuverlässige historische Karten. Er kostet in der herrlichen Ganzleinenausgabe mjt Rot- und Goldprägung und farbigem Schutzumschlag DM6.60. Mit dem Bezug des Gesamtwerkes kann in bequemen Monatslieferungen jederzeit begonnen werden. Auf Wunsch werden auch die bereits erschienenen Bücher geschlossen oder in einzelnen Bänden nachgeliefert, (Einzelbände 1—18 je DM 3.60.) Prospekt kostenlos vom VERLAG SEBASTIAN LUX"
MURNAU • MÜNCHEN
INNSBRUCK
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
K U L T U R K U N D L I C H E
HEFTE
Hans Wilhelm Smolik
SELTSAME Von allerlei Getier in Wald und Feld
VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU
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MÜNCHEN
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I N N S B R U C K
Schwere Tage für Meister Lampe
s schneit. Es schneit seit 'drei Tagen ohne Unterlaß, schneit große, wiegende Flocken. Der Himmel ist ein graues Gewoge. Von ider Sonne ist kein Schimmer zu sehen. Still liegt Lampe, der Waldhase, unter seinem Broimbeer-Strauch im dichtesten Gehölz. Den Kopf auf die ausgestreckten Vorderläufe gedrückt, die Hinterläufe unter den Leih gezogen, ruht er in .„, , seinem windigen Lager rrT ;Hasenspuren i.n Neuschnee r i • aut den wenigen izusammengewehten Blättern, ist halb zugeschneit und zuckt nicht mit den Löffeln. Still und unbeweglich läßt er den Flockenwirbel auf sich niedertanzen. Es geht ihm nicht gut, dem alten Rammler. Die Wolle ist feucht und struppig. Die Knochen stechen hoch heraus, die Seher blicken glasig. 2
Es rührt sich nichts im tiefverschneiten Wald. Der Eichkater ist im Kobel hockengeblieben und zittert wie Espenlaub. Kein Specht rasselt. Nicht einmal der Zaunkönig läßt sich hören, nur ab und zu gibt es einen dumpfen Plumps. Dann ist die Schneelast von einem überbogenen Fichtenast abgerutscht. Jetzt klatscht etwas knapp neben Lampes Lager auf die Erde. Im Nu sind die Löffel hoch, ist der ganze dürre Leib eine gespannte Feder. Aber ringsum knistert wieder die Stille. Lampes Löffel legen sich zurück. Langsam schließt er jetzt auch die Lichter. Ein fröstelndes Zittern schüttelt ihn. Manche Leute behaupten zwar, Lampe habe gar keine oder zu kurze Lider, um die Lichter schließen zu können. Dieses Märchen ist aber nur aufgekommen, weil nur wenige einen schlafenden Hasen gesehen haben. Sein Gehör ist so fein, daß man ihn kaum im Schlaf überraschen kann. Als die Schleier der Dämmerung die Konturen der Bäume und Sträucher verwischen, wird Lampe hoch. Da wäre es also wieder einmal so weit, daß man sein Glück versucht. Er lauscht und äugt umher, die blaue Hasenstunde ist gekommen. Stille ringsumher. Lampe rückt langsam vor und schwingt sich schließlich zu einem kleinen, hoppelnden Lauf auf. Er wird warm, aber der Hunger, der seit Tagen die Geschöpfe in Wald und Feld peinigt, wird unerträglich. Große Streifen nagen die gierigen Zähne in den jungen Lärchenstamm. Rundum und so hoch, wie er reichen kann, schält Lampe den schwachen Baum. Rinden sind eine herbe Kost, aber das größte Loch im Magen ist nun doch gestopft. Inzwischen ist es vollends dunkel geworden. Lampe macht Kegel, läßt die Pfoten hängen und lauscht. Nichts Verdächtiges rührt sich. Also los und hinaus aufs Feld! In weiten Fluchten jagt er die gerade Waldschneise hinunter, überfällt den Saumpfad und sieht die Lichter des Dorfes heraufschimmern. Gemählich zuckelt er den Holzweg dahin. Die Luft weht jetzt milder als am Morgen, aber es schneit immer noch. Halt! Was zieht da drüben übers Feld? Lampe richtet sich auf, äugt und schnuppert. Aha, die Rehe! Die wagen sich auch immer näher an das Dorf heran. Vielleicht läßt sich doch ein Strohhalm oder ein Bündelchen Heu erwischen. Lampe zookelt weiter. Da ist der Zaun des Bauerngartens — und da das Loch, das die Hühner gekratzt oder die Wildkaninchen gewühlt haben. Hinein! 3
Und gleich ist die Hölle los! Der Hofhund tobt an seiner Kette. Wie von Furien gehetzt, rast Lampe zurück. Erst am Waldrand verhält er, macht Kegel und lauscht zurück. Nichts! Stille ringsum. Unschlüssig bummelt Lampe hin und her. Er knabbert an den Zweigen des Weißdorns. Aber die Rinde schmeckt ihm nicht mehr. Ja, wenn es ein Blatt von dem saftigen, würzigen Winterkohl wäre .. . Ganz langsam rückt er abermals an das Dorf heran. Schon ist er wieder am Zaun. Da knattert ein Motorrad die Straße herunter! Lampe rast, was die Lungen hergeben, immer vor dem Scheinwerfer her. Wie behext von dem zitternden Lichtstrahl, findet er sich nicht aus dem magischen Kegel heraus. Nur gut, daß der hohe Schnee den Fahrer zur Vorsicht zwingt! Wer weiß, wie sonst dieser Abend ausgegangen wäre? An der Straßenbiegung endlich gelingt Lampe die Flucht über den rettenden Straßengraben. Nun rast er dahin, daß die Löffel fliegen, so lange das Knattern noch zu hören ist. Dann gibt er es auf für diesen Abend. Es ist inzwischen so warm geworden, daß überall die Schneelasten von den Zweigen rutschen. Lampe fährt ins Lager. Mitten in der Nacht springt der Wind wieder um. Eine harte und feste Kruste bildet sich auf dem nassen Neuschnee. Die feuchtgewordenen Baumstämme und Zweige vereisen. Lampe aber schläft, und vielleicht träumt er von den süßen Spitzen der Wintersaat, von der leckeren Petersilie, von jungem, süßem Kohl, von Rübenblättchen und Ölsaat. Sicherlich entsinnt er sich der Freuden des vergangenen Sommers. Schöne, reiche Tage hat Lampe schon erlebt. Liebe Frauen hat er gehabt und viele Kinderchen. Er hat sich nicht sehr um die Nachkommen gekümmert, denn besonders kinderlieb sind die Lampens alle nicht. Die eigene Mutter hat sich nicht viel Sorge um ihn gemacht, sie hat ihn in einer Ackerfurche zur Welt gebracht und ist schon nach drei Tagen mit einem neuen Begleiter auf und davon gegangen. Nur ab und zu ist sie schnell einmal vorbeigekommen, hat ihn rasch genährt, und war schon wieder fort, ehe er sich an ihrem dichten Fell aufwärmen konnte. Nach drei Wochen hatte sie sich überhaupt nicht mehr sehen lassen. Der Wind hat wieder aufgefrischt, die Kälte zieht mächtig an. Lampe schläft, bis ihn der knurrende Magen weckt. Oder waren es die Haselhühner, die vergeblich nach etwas Eßbarem umherirren? Lampe richtet sich auf und schüttelt sich. Die Hühner purren erschrocken ab. Es ist zwar heller Tag, aber er muß los. Der Hunger
treibt ihn. Mit jedem Hopser bricht er durch den verharschten Schnee. Das schmerzt, die Läufe werden wund und heiß. Er kommt zur jungen Lärche, die er gestern geschält hat. Der Stamm ist mit Eis bedeckt, vereiste Rinde aber bringt den Tod. Tiefer hoppelt er in den Wald hinein. Hier haben die Fasanen Gescharrt. Aufmerksam schnüffelt er herum. Nichts, nicht ein grünes Spitzchen. Die Därme ziehen sich vor schmerzhaftem Hunger zusammen. Lampe humpelt in die Dickung hinein. Da stehen die Rehe auf den einzigen schneefreien Plätzen. Die Erde ist schon zehnmal um und um gewühlt. Nicht das geringste Wurzelfäserchen ist hier zu finden. Sämtliche erreichbaren Nadelholzknospen sind abgeäst und alle Stämmehen wüst verbissen. Also weiter! Er kommt zum alten Steinbruch. Wie die leibhaftigen Teufel stürzen sich die Krähen über ihn und zielen nach seinen Augen. Auch sie sind toll vor Hunger. Lampe ist mit einem Satz unter den Heckenrosenbusch gesprungen. Unmittelbar vor seiner Nase hängt eine zusammengeschrumpfte Hagebutte. Während die Krähen wild krächzend den Busch umflattern, nagt Lampe an der würzigen Hagebuttenschale. Nun spürt er erst so richtig, wie hungrig und wie matt er ist. Ein Schüttelfrost jagt über seinen hageren Leib. Weiter! Mit zwei Sätzen ist Lampe im nahen Buchenstangenholz, und die schreienden Rabenvögel haben das Nachsehen. Mit leisen Rufen geistern die Meisen durch die Zweige. Das will ihm nicht gefallen. Geräusche sind ihm verhaßt. Selbst der leise Blätterfall im Herbst war ihm zuwider. ' . Lampes Fährte zeigt rosafarbene Ränder. Die Läufe schweißen. Aber er muß weiter, er muß Äsung finden! Am hellen, lichten Tag humpelt er an das Försterhaus heran, rückt bis zum Gartenzaun vor. Hier, im Förstergarten, stand die Petersilie, seine Lieblingsspeise. Er darf gar nicht daran denken. Schon will er durch den Zaun, da erspäht er das Wiesel, das um den festverwahrten Hühnerstall schleicht. Er weiß, daß er heute diesen Räuber nicht in die Flucht schlagen könnte. Ängstlich drückt er sich. Das Wiesel holzt vorüber und verschwindet. Lampe aber bleibt noch lange liegen, er weiß aus Erfahrung, daß Bewegung immer Gefahr bedeutet. Irgendwo knarrt eine Tür. Es riecht widerlich nach Mensch und Hund. Aber da erreicht ihn ein Duft, der ihn mit magischer Gewalt anzieht. Lampe ist nicht mehr zu halten. Er schiebt sich voran und hockt eine halbe Minute später vor den noch warmen Kartoffel3
resten. Heißhungrig würgt er alles hinunter. Dann schlägt er sieht in die Büsche. Für heute ist er gerettet! Ohne Aufenthalt, aber sehr langsam, schiebt er heim. Die Läufe brennen schmerzhaft. Am Brombeerbusch läuft er erst vorbei, macht einige Fluchten kreuz und quer und springt schließlich mit einem gewaltigen Hopser ins Lager. Todmüde ist er, leckt sich die Pfoten und döst vor sich hin. Es beginnt wieder zu schneien, der Wind dreht auf West. Unaufhörlich wirbeln die großen Flocken nieder. Das Eis an den Ästen und Stämmen schmilzt. Lampe knurrt behaglich. Wohlig verspürt er das warme Wehen und schläft ein. Am späten Abend rückt er nochmals gegen das Försterhaus vor. Er kommt zum Steinbruch und will gerade in das Stangenholz hinüberwechseln, da reißt es ihn plötzlich zusammen. Ein heller und durchdringender Wehlaut läßt sein Blut erstarren. Der Schrei ertönte in nächster Nähe. Und doch hatte Lampe in den letzten Tagen keine Spur eines Artgenossen gesehen. Sicher hatte da ein Vetter vor Hunger und Not das Revier gewechselt, ohne zu ahnen, daß dort drüben in der Eiche der Uhu, das Nachtgespenst, haust. Da wieder! Hell gellt die Hasenklage durch die Nacht. Und noch einmal! Und jetzt nur noch ein leises Quäken. Aus! Stille. Lampe rührt sich nicht vom Fleck. Er ist wie gelähmt. Und schon wirft ihn ein neues Entsetzen über den Haufen. Mit keuchenden Lungen prescht ein abgekommenes Schmalreh an ihm vorbei. Der Schweiß sickert aus der angerissenen Drossel. Ihm nach schießt ein langgestreckter, roter Blitz mit hechelnder Zunge und waagerecht ausgestreckter Lunte. Der hetzende Fuchs! Und jetzt, da drüben, da unten, der helle, klagende Ruf des erschöpften Rehs! Schaurig gellt der Todesschrei durch den stillen Wald. Lampe rast davon. Er rennt und rennt und macht erst halt, als er die Lichter des Dorfes vor sich schimmern sieht. Und er ist geradenwegs in sein Glück hineingerannt. Eine Bauersfrau hat Braunkohl gebrochen, hat viele angewelkte Blätter liegengelassen und manches krause Blättlein freigelegt. Lampe, heute wirst du satt, heute kannst du dir ein Wänstlein anmummeln, so rund, so voll, wie in den schönsten Sommertagen! Und Lampe schlägt sich den Bauch voll. Er frißt auf Vorrat. Er fängt schon an, nur noch die Herzblättchen zu beknabbern. So satt ist er, so herrlich satt. Glück muß eben auch ein Hase haben! 6
Seltsame Käuze
Der Waldkauz
J ß i s gegen Mitternacht war der Himmel von geballtem Gewölk verhangen. Jetzt stößt ein steifer Nordwest in die träge dahintreibenden Wolkenherden, daß sie auseinanderstieben, als wenn der Wolf unter sie gefahren wäre. Sterne blitzen durch die aufgerissenen Lücken. Gleißend tritt der volle Mond hervor. Wie von magischem Licht getroffen, schimmern die letzten, körnigen Schneeinseln im Unterholz des Stadt-
waldes. Im gleichen Augenblick setzt mit voller Lautstärke ein wahrhaft höllischer Chor ein, ertönt ein grausiges Gemisch von kreischendem Gelächter und dunklem Geheul. Schrille Pfiffe gellen, schnarchendes Fauchen mischt sich ein. Die müden Nachtschwärmer, die von den letzten Faschingsbällen heimwärts streben, sind jäh zusammengefahren und starren mit weitaufgerissenen Augen in die Wipfel. Das Grauen rinnt ihnen über den Rücken. Doch noch ehe sie eine Erklärung gefunden haben, ist der Spuk wie auf den Wink eines unsichtbaren Dirigenten schon wieder verklungen. Schwer lastet die plötzliche Stille. Leise knarren die schwarzen Äste im Winde. Dann kommt es weich und klagend aus der Tiefe des Waldes: „Huhuhuuuu-ui-uitt!" Ein sanftes, voller anschwellendes Echo antwortet wie eine dunkle Flöte vom Rande der beleuchteten Waldstraße her. Große Schatten schaukeln um die Wipfel, lautlos, geisterhaft. Kleine, glühende Lichtbälle funkeln auf und verlöschen.
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Gleich darauf bricht es wieder los! Es gellt und pfeift, schnalzt] und knappt, heult und kreischt, faucht und lacht, daß sich den ] Menschen unter der Straßenlaterne die Haare isträuhen. Zehn, zwölf, vielleicht auch zwanzig Waldkäuze sind es, die diese schauerliehen Lieder singen, die dem bleichen Mond, dem nächtlichen Wald und den Gefährtinnen ihre Sehnsucht zurufen und den nahenden Lenz verkünden. In lockeren, weichumflossenen Klumpen hocken 6ie auf den niederen Ästen, verbeugen und verrenken sich, schneiden Grimassen und glotzen glutäugig umher. Ihre großen, schräg nach \ vorn gerichteten und fest in den Höhlen sitzenden Augen zwingen sie, bei jeder Blickwendung den Kopf zu verdrehen. Und wie sie den Kopf verrenken können! Um 180 bis 270 Grad! Es sieht aus, als ob sie sich selbst den Hals umdrehen wollen. Und was für Grimassen sie dabei schneiden! Die Spaziergänger, di sich über die Eulengesänge entsetzten, würden sich vor Lachen ausschütten, wenn sie das sehen könnten. Wie die Schalksnarren^ wie lustige Papageien gebärden sich die nächtlichen Sänger. Diese koboldartige, schnelle Ducken und Aufrecken, das unermüdliche Verbeugen und Verneigen ist wahrscheinlich auch auf die besondere Art des Sehens zurückzuführen. Bei jeder Verbeugung wippt der Schwanz wie bei einer Bachstelze, sträuben sich die Kopffedern und plustert sich der Schleier auf, der die schönen Augen umrahmte Stundenlang währt das Konzert der närrischen Käuze, die der Mangel an natürlichen Nisthöhlen aus den düsteren Wäldern und eintönigen Nutzforsten unserer Zeit immer stärker in die städtischen Anlagen zieht. Hier finden sie noch die schönen, alten Bäume mit geborstenen Stämmen und faulenden Astlöchern, die in den Wäldern nicht mehr geduldet werden. Hier fühlen sie sich auch sicher und umkreisen neugierig den nächtlichen Wanderer oder verfolgen ihn von Wipfel zu Wipfel. Hier können sie sich getrost auch am Tage sehen lassen und ausgedehnte Sonnenbäder nehmen. Denn die Käuze und Eulen sind durchaus nicht tagblind. Sie fliegen im grellsten Sonnenschein mit derselben Sicherheit wie im milden Mondlicht. Und sie brauchen die Sonne wie jedes andere Lebewesen. In einem düsteren Käfig gehen sie schnell zugrunde. Vielleicht ist das Licht überhaupt die einzige „Freude" des Eulenauges, denn in seiner Netzhaut überwiegen die helligkeitsempfindlichen Stäbchen die farbenempfindenden Zäpfchen derart stark, daß die Eulen wohl kaum Farben zu unterscheiden vermögen. 8
In diesen Vorfrühlingstagen können die Waldkäuze seihst am Tage keine Ruhe finden. Mögen sie das ganze Jahr hindurch auch ein ziemlich heimliches Lehen führen und sich von den hassenden Kleinvögeln vertreiben lassen, jetzt gehört der Wald ihnen. Und mag der Waldkauz sonst auch ein etwas schwerfälliger und plumper Bursche sein, jetzt ist er genau so wendig, lustig und beweglich wie der drollige Steinkauz. Die großköpfigen, kurzhalsigen, tiefgrauen Gesellen sind immerwährend in Bewegung. Sie dienern um die Weibchen, blinzeln verschmitzt, piepsen zärtlich, liebkosen sich wie die Turteltauben. Sie hacken aber auch mit dem scharfgekrümmten Schnabel nach dem lästigen Nebenbuhler, fauchen ihn an und verfolgen ihn schreiend. Zurückgekehrt, umwerben sie die spröde Schöne, kraulen ihr d'e Federn und sind so rastlos, wie jeder andere Vogel in der Balzzeit. Bis endlich jeder Kauz sein Käuzchen gefunden hat und d ; e Lediggeidiebenen sich in ihr Schickaal ergeben und das Feld geräumt haben. Schon vierzehn Tage später, ganz gleich, ob der März noch mit Schnee und Frost aufwartet oder schon sonnige, warme Tage bringt, legt das Weibchen seine zwei bis drei weißen Eier. Es legt sie am liebsten in eine Baumhöhle, zur Not aber auch in ein altes Krähenoder Elsternnest. Sogar Eichhörnchenkobel und künstliche Nistkästen werden angenommen. Denn vom Nestbauen verstehen weder Herr Waldkauz noch seine Frau etwas. Sie tragen auch keine Halme, Haare und Federn zusammen, um die Kinderwiege auszupolstern. Die Eier werden, wenn nicht der alte Nestbesitzer eine Unterlage hergestellt hat, auf den nackten Boden der Höhle gelegt. Die Hauptsache ist, daß Wind und Wetter keinen Zutritt haben und daß es genügend Mäuse in der Umgebung gibt. Denn die Waldkäuze leben fast ausschließlich von Mäusen. Nur ganz ausnahmsweise greifen sie einmal einen schlafenden Vogel. Eher halten sie sich an die fetten und großen Raupen der Schwärmer und der Spinner. Volle vier Wochen brütet das Weibchen und hütet das werdende Leben so treu und brav, daß es sich eher greifen läßt, ehe es wegfliegt. Herr Waldkauz bleibt der liebevolle und aufmerksame Gatte. Reichlich trägt er seiner Frau Atzung zu und überwacht die Höhle. Ende April ist es meistens so weit. Schnell hintereinander purzeln die Küken aus den Eiern, allerliebste und äußerst drollige Kerlchen, die dicken, weißen Wollknäueln gleichen. Sie kommen mit 9
geschlossenen Augen und Ohren zur Welt, sind aber schon quicklebendig und sperren gierend die winzigen Krummschnäbel auf. Nun muß der Wialdkauz zeigen, daß er ein erstklassiger Mäusefänger ist. Die Nacht ist zu kurz für die Jagd. Schon am frühen Nachmittag ist er unterwegs und noch in der Morgendämmerung rege. Sorglich zerreißt das Weibchen die Beute in kleine Happen und berührt damit die Schnabelwinkel der blinden Jungen. Selbst der Kauz hilft füttern. Später trägt auch das Weibchen Beute herzu. Und alle beide verteidigen ihre Brut tapfer und mutig gegen jeden Feind. Ja, sie verlassen die Jungen selbst dann nicht, wenn die Kleinen fortgetragen werden, sondern folgen ihnen und füttern sie noch im Käfig. Nach neun bis zehn Tagen öffnen die jungen Käuze die schönen, tiefdunkelbraunen, großen Augen. Jetzt sprossen ihnen auch schon die seltsamen Zwischenfedern, die auf ihrer Spitze die Erstlingsdunen tragen. In diesem Kleid erscheinen die Jungkäuze grundhäßlich und erinnern an befederte Igel. Ihr Hunger ist kaum noch zu stillen. Ununterbrochen verlangen sie nach Nahrung. Die geplagten Alten sind herzlich froh, wenn die kleine Gesellschaft endlich flügge ist und die Familie das von Mäusen ausgeplünderte Brutgebiet verlassen kann. Inzwischen ist der Mai ins Land gezogen, der Wald wird schon wieder grün, und die Wipfel sind so dicht belaubt, daß die ungeschickten Jungkäuze nicht mehr auf die Höhle angewiesen sind. Sie werden auch jetzt noch geatzt. Sdireiend melden sie sich aus den Bäumen der Umgebung, wenn es etwas zum Fressen gibt. Bald streifen sie mit den Alten weit umher, sitzen nachts gleich den Steinkäuzen vor den erleuchteten Fenstern und lehren die abergläubischen Gemüter unter den Menschen das Gruseln.
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Ein Frühaufsteher
(Leise, dunkel und feierlich läutet der Waldbach durch die kleine Schlucht. Er ist noch dick verschneit, von körnigen Wächten schwer überhangen, und nur an den natürlichen Wehren aus altersgrauen Steinen und angeschwemmten Knüppeln sprudelt das Wasser. Es ist Anfang März und sehr kalt. Grau sind die Der Grasfrosch Troddeln der Haselbüsche und der Erlen, grau die harten Winterknospen an den tief herabhängenden Buchenzweigen, igrau alleGräser und grau auch der Himmel. Wenn nicht hier und da in den Bauerngärten die ersten Schneeglöckchen und Christrosen blühen und unter den Obstbäumen das Wintergrün sprossen würde, könnte man noch nicht an den Frühling glauben. Nicht einmal die Fleelite und Moose zeigen einen grünen Schimmer. Und doch hat einer schon den Frühling im Blut verspürt, doch ist einer schon wach, an den um diese Zeit noch niemand denkt. Klein, schmal und hager schwebt er aus der Tiefe des Baches empor, läßt alle Viere gemächlich hängen und schaut sich mit glänzenden Augen um. Der Grasfrosch! Ich gehe in die Hocke, um ihn mir ganz genau betrachten zu können und jeden Zweifel zu beheben. Er ist es aber wirklich, ist es unverkennbar. Und ich habe immer geglaubt, die Geburtshelferkröten seien die ersten Froschlurche, die im Frühjahr erwachen. Hat ihn der Hunger aus seinem Schlammversteck getrieben, in dem er mit seinen Brüdern den Winter verschlief? Störte ihn eine 11
Wasserratte oder ein fallender Äst auf? war der Eisvogel bei ihm zu Besuch? Weckte ihn die schwache Wärme der Märzsonne und vermochte sie wirklich schon so tief in den kühlen Grund zu dringen? Sah er die dickbepelzten, trägen Märzhaarmücken, die an den welken Gräsern und schwarzen Zweigen hängen? Oder hat sicK der Lenz ausgerechnet den kleinen Kaltblüter zu seinem Vorreiter, seinem Ansager, seinem Verkünder auserkoren? Die hübsche, hellblaue Kehle des braunen Grasfrosches, der heute allerdings noch ein schwärzliches Gewand trägt, gluckert heftig, ein leises Murren, das sich wie ein gähnendes Grunzen anhört, wird hörbar. Die dunkelgeneckten Schläfen werden von den inneren Schallblasen aufgetrieben, und die stumpfe, runde Schnauze hebt sich höher aus dem Wasser. Seine Nasenlöcher schwabbeln, das Unterlid schiebt sich mit raschem Schlag über die großen, herausgewölbten Augen. Er murrt immer lauter. Das Murren steigert sich zu seltsamen Tönen, einem schnurrenden und grunzenden Froschliedchen. Der Grasfrosch eröffnet den großen Lebensreigen, von dem die Eulen in den letzten Nächten gesungen und geheult haben. Trotz ; Schnee und Eis weiß er, daß die lange, die dunkle Nacht vorüber ist. Sein Blut hat ihn geweckt, sein Blut, von dem man sagt, daß es fischkalt sei! Jetzt singt er auch nicht mehr allein. Ein zweites Fröschlein schwebt empor und läßt ebenfalls ein behagliches Grunzen vernehmen. Da, zwei große, dicke Weibchen tauchen auf. Auch sie murren angeregt und lassen ihre weißlichen Kehlen schwabbeln, obwohl die Froschweibchen sonst doch alle stumm sind. Immer mehr Frösche kommen zur Oberfläche. Es wimmelt von Grasfröschen! Wahrscheinlich haben sie da unten wieder einmal zu Hunderten beisammen gehockt. In wenigen Tagen werden die Eier auf den Bachgrund sinken, wo sich ihre schleimige Umhüllung voll Wasser saugt. Später steigen sie wieder zur Oberfläche empor und bleiben in großen Ballen und dicken Klumpen an den Steinen, Knüppeln und Gräsern hängen. Und da das Wasser noch eisgekühlt ist und die Sonne sich tagelang hinter den Wolken verbirgt, dauert es drei, vier Wochen, bevor die Kaulquappen ausschlüpfen. Inzwischen wird der alte Grasfrosch das kühle Element verlassen haben und unternehmungslustig über die feuchten Wiesen hüpfen. In zwölf Wochen aber wird es an allen Ufern von winzigen Jungfröschen wimmeln. 12
Die Familie Schmal zmann eidigen Schimmer zaubert die Märzensonne über das lichte Vorholz am Südhang des Talkessels. Die braunen und rötlichen Blattknospen dehnen sich und legen eine feine, helle Tönung in die vor einer Woche noch wintergrauen Wipfel. Der Seidelbast blüht, und im Eschenunterholz glänzen die ersten, blaulackierten Leberblumen. Vom Felde her fällt ein kleiner Trupp zurückgekehrter Stare ein und wird sofort vom wilden Gerätselt des Eichelhähers empfangen. Dann aber sieht der gestrenge Markwart des Waldes etwas, was er um diese späte Vormittagsstunde noch nie erblickt hat. Die hübsche Feiderholle richtet sich steil auf. Sein Geschrei überschlägt sich. Den Hang empor trabt langsam eine Dachsfähe! Markwart ist mit Recht empört. Was hat der Dachs, dieser nächtliche Schleicher und Wühler, dieser dickwanstige Einzelgänger, am hellen Vormittage im Walde zu suchen? Wütend heftet er sich an die Fersen der Fähe. Er kümmert sich nicht um den giftigen Blick, der aus den braunen Sehern der Verschrieenen nach ihm blitzt. Ärgerlich verharrt die Fähe in der Deckung eines sperrigen Wurzeltellers und spitzt die kleinen, rundlichen und weißgesäumten Lauscher. Die nackte, rüsselähnlich zugespitzte Nase zuckt. Der Dachs liebt die Stille der Nacht und die Ruhe seines unterirdischen Baues, und er haßt die Lärmer und Schreier. Aber es hat die Fähe nicht im Bau gelitten. Eine heiße Unruhe liegt ihr im Blut. Heftige Schmerzen peinigen sie auch in diesem Augenblick wieder. Ohne sich um den Eichelhäher weiter zu kümmern, schleicht sie bis zu den locker übereinandergetürmten Felsbrocken in der Mitte des mit Jungholz bestandenen Platzes und ist plötzlich wie von der Erde verschluckt. Während ihr hartnäckiger Verfolger verdutzt umherspäht und dabei fast vom Aste fällt, schlieft sie durch die peinlich saubere, sehr glatte und gut zehn Meter lange Röhre in den Kessel. Auch die geräumige Höhle ist sauber und fast geruchlos. Ein weiches und dickes Lager aus Gräsern, Blättern, Farnen und Moos verrät den Hang zur Bequemlichkeit. Der Bau hat vier Röhren, drei Luftschächte und ist eine Anlage, die sich in ihrem Umfang, ihrer Tiefe und Weitläufigkeit sehen lassen kann. Schon mancher 13
allzumutige Dackel hat hier unten Bisse und Risse empfangen, daß ihm Hören und Sehen vergangen sind, hat sich in den engen Gängen zwischen dem Gefels verklemmt und war heilfroh, wenn er wieder das Tageslicht schimmern sah. Die Fähe läßt sich erschöpft auf die Seite fallen. Erst als die ersten Dämmerungsschatten aus dem Tal emporsteigen, ist sie erlöst. Drei fingerlange und blinde Dachswiehtel hängen sich dicht an ihr wärmendes Fell. Die rosige Haut schimmert hell 'durch das kurze und schneeweiße Haarkleid. Alles ist gut gegangen! Die Jungen sind gesund. Das riecht die Fähe, wie ihr überhaupt die Nase so ziemlich alles sagt, was sie wissen muß. Milch genug hat sie auch. Der Bau ist sicher, wie selten einer. Die Jäger würden sich vergeblich bemühen, wenn sie ihn aufgraben wollten. Das Frühjahr ist zeitig gekommen, die Erde schon wieder schneefrei und weich. Es wird also an nichts mangeln. Schon am nächsten Abend baut die Fähe einen hohen Laubwall um die Jungen und geht wurzeln. Nach alter, guter und erprobter Dachssitte reinigt sie vor dem Ausschlupf erst einmal ihre Schwarte. Die Fasanenhenne, die vor der Röhre nach Futter scharrt, hört das unterirdische Rumpeln, erschrickt und stiehlt siich davon. Witternd taucht die schwarzweiß gestreifte Schnauze empor. Es ist zwar kein verdächtiges Geräusch und kein fremder Geruch einzufangen, aber trotzdem verschwindet der Kopf wieder. So leichtsinnig verläßt kein erfahrener Dachs den Bau. Nach einer knappen Minute erscheint der Kopf abermals. Langsam und ruckweise schiebt sich der Körper nach, um gleich darauf wieder zurückzurutschen. Vorsicht! Vorsicht! Wer weiß denn, was da draußen lauert? Gespannt lauscht die Fähe hinaus. Nichts! Es knackt weder im Wipfel der gegenüberliegenden Buche, aus der einmal Feuer und Blitz auf sie niederfuhr, noch läßt sich sonst etwas vernehmen. Zum dritten Male rückt sie vor und schleicht nun endlich vollends heraus. Der Küselwind am Hang wird nochmals sorgfältig geprüft. Alles in Ordnung! Die Fähe verharrt lauschend und witternd noch einige Augenblicke im Schlagschatten der Buche, dann trabt sie unbekümmert los. Die Nase dicht an der Erde, zieht sie dahin, bis sie den Feldrain erreicht hat. Nun seht euch vor, ihr Engerlinge und Maikäferpuppen, ihr eben erwachten Mist- und Laufkäfer, ihr Regenwürmer und Schnecken, ihr überwinterten Grillen und Raupen! Viel gründlicher als die Sauen wühlt der Dachs den Boden au} und weiß alles nur 14
„Die Fähe verharrt lauschend und witternd . . . "
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irgendwie Verdauliche aufzuspüren. Etliche nahrhafte Wurzeln, angewehte Eicheln und Buchein sorgen für die rechte Mischung. Der erhöhte Feldrain hat alles aufgefangen und an sich gezogen, was dem Dachs bekommt. Es ist ein Jagdgebiet erster Güte im Frühjahr, denn hier lassen sich auch wohl ein schmackhaftes Fasanengelege, ein zitterndes Märzhäschen, junge Mäuse und zeitige Grasfrösche und Eidechsen finden. „Finden" ist der richtige Ausdruck, wenn man von der Jagd des Dachses spricht. Unter allen kleineren Raubtieren ist er sicher der schlechteste Jäger. Was Anschleichen, Anpirschen und Anspringen heißt, weiß der Dachs nicht. An eine Verfolgung der aufgestöberten Beutetiere denkt er gar nicht. Die Beute muß sich regelrecht finden lassen und dann möglichst auch noch hocken bleiben. Was ihm vor der Nase davonhuscht, aufspringt, wegfliegt, das ist eben fort. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Gelegenheitsräuber. So erwischt auch die Fähe nicht die Maus, die an ihr vorbeihuscht, sondern muß sie sich erst ergraben. Das aber geschieht mit einem Geschick, das man ihr nicht zugetraut hätte. Vom Augenblick an, da sie den Kopf witternd in das Loch stößt, bis zum Ergreifen der freigewühlten Maus vergeht keine halbe Minute. Mit erstaunlicher Kraft stechen die Vorderpranten in die Erde und schleudern sie empor. Schon der dritte Stich bringt meistens die Beute herauf. Wenn der wurzelnde Dachs einem kleinen Wildschwein gleicht, so erinnert der stechende Dachs an einen Bären. Das Glück ist der Fähe an diesem Abend hold. Sie erwischt ein vollbesetztes Mäusenest. Schmatzend genießt sie die köstlichen Happen. Dann trabt sie schnell wieder heimwärts. Gar mancher, der behauptet, daß der Gang des Dachses nicht fördernd sei, würde jetzt eines besseren belehrt werden. Freund Schmalzmann nimmt es in der Not mit einem Dorfköter auf. Seine weiten und sehr ausgedehnten Streifzüge, die ihn oft kilometerweit vom Bau wegführen, sind ein Beweis für seine Lauffähigkeit. Vor der Röhre sichert die Fähe noch einmal sehr lange und sehr aufmerksam. Sie hat es nicht vergessen, wie ihr einmal die grohen Schrote um die Schwarte prasselten und ihr die Heimkehr bald für immer vergällt hätten. Noch heute jucken die Bleistücke, wenn sich das Wetter wendet. Doch die Luft ist rein. Überraschend schnell fährt die Fähe zu Bau. Sie schnauft zufrieden, als sie den vollen Geruch ihres Gehecks in die Nase bekommt. An der Dichte dieser Witterung erkennt sie, daß die drei Jungen noch da sind und auch sonst alles in Ordnung ist. 16
Ruhig und friedlich vergehen die nächsten vier Wochen. Droben blühen jetzt die Anemonen und die Schlüsselblumen, das Lungenkraut und die Frühlingsblatterbse. Drunten im Kessel offnen die kleinen, fetten Jungdächse ihre Augen. Ihre Schwarte dunkelt ein und zeigt die für den Dachs charakteristische und eigentümliche Färbung: der Rücken ist heller als der Bauch! Bald dürfen sie mit der Mutter hinauf in die lockende Sonne. Rings um den Bau schießen die Brennesseln empor, die fast an keinem Dachsbau fehlen. In ihrem Schutze balgen und tummeln sich unter Aufsicht der Alten die zukünftigen Schmalzmänner. Es ist ein liebliches Bild. Die Jungen gleichen wolligen Teddybären, kugeln umeinander, purzeln übereinander und sind doch recht fix und behend. Trotzdem wäre es nicht angebracht, sie der Alten wegzunehmen. Sie müssen noch sechs weitere Wochen gesäugt werden und können bis zum vierten Monat nur die von der Fähe vorverdaute Nahrung vertragen. Inzwischen haben sich die Büsche und die Bäume belaubt. Die Nachtigall schluchzt in den Nächten, und der Pirol baut »an seinem kunstvollen Nest. Das dichte Unterholz bietet gute Deckung und duftet nach Maiglöckchen und Waldmeister. Um diese Zeit wagt die Fähe den ersten gemeinsamen Wurzelgang. Der Speisezettel hat sich nun um frühe Pilze und um die Eier und Jungen der Bodenbrüter bereichert. Mistkäfer und Maikäfer gibt es so reichlich, daß sich die Dachsfamilie an ihnen mästen kann. Die Fähe zeigt den Jungen, wie sie durchs Gesträuch prasseln müssen, damit es Maikäfer regnet. Und die Jungen sind gelehrig. Trotzdem sind sie noch immer kleine, unbeholfene Tapse, und die Eigenwilligkeit, die jeden Dachs auszeichnet und ihn zum Einzelgänger stempelt, macht sich recht störend bemerkbar. Immer wieder versuchen sie, ihre eigenen Wege zu gehen. So aufmerksam die Alte auch ist, überall kann sie ihre Seher und Lauscher doch nicht haben. So bleibt es nicht aus, daß auch die Familie Schmalzmann ihren Tribut an das Leben zahlen muß. Der Uhu greift sich lautlos einen der kleinen, Speckfetten Happen. Noch ehe die Fähe den Angstruf vernimmt und sich herumwerfen kann, hebt sich die Eule schon wieder auf, hängt der junge Schmalzmann still in ihren Fängen. Die Alte verdoppelt ihre Aufmerksamkeit und geizt nicht mit empfindlichen Rüffeln und Püffen. Wer nicht hört, bekommt einen Prantenschlag hinter die Ohren, daß er ins Moos kugelt. Trotzdem fehlt im Juli auch das zweite Junge. Ob Iltis oder Fuchs sich die Beute gegriffen haben, blieb das Geheimnis der Nacht. Um so enger 17
schließt sich der letzte junge Schmalzmann der erfahrenen Mutter an. Er erhält Unterricht im Ausheben und Plündern der Wespen- und Hummelnester, die süßen Honig und wohlschmeckende Larven liefern. In den ersten kalten und feuchten Morgenstunden sind die stachelbewehrten Insekten noch benommen und raffen sich nur selten zu wirksamer Gegenwehr auf. Eine Woche später mästen sie sich an den Himbeeren und Heidelbeeren. Auch das erste Fallobst wird gekostet und für vorzüglich befunden. Junge Möhren und Rüben werden ebenfalls nicht verschmäht, einen tüchtigen Vorrat davon tragen Mutter und Sohn einträchtig in den Bau. Eines Nachts schleichen beide dicht an das Hühnerhaus des Einödbauern heran. Verführerisch steigt ihnen der Duft des Geflügels in die Nasen, und begehrlich schleichen sie am Stall entlang. Plötzlich stürzt sich der Hofhund mit höllischem Gekläff auf die Nachtdiebe. Entsetzt werfen sich die beiden Sünder herum und wetzen davon, was die kurzen Beine hergeben. Ein ganzes Leben lang sitzt ihnen der Schock in den Gliedern und läßt sie regelmäßig einen großen Bogen um das Gehöft schlagen. Denn alles kann der Dachs vertragen, nur keine häßlichen und erschreckenden Geräusche. Da ist er genau so empfindlich wie der Igel. Eine Autohupe kann ihn vor Entsetzen erstarren lassen. Schon mancher brave Dachs wurde auf seinen nächtlichen Streifzügen ein Opfer des Autoverkehrs, weil ihn das Dröhnen der Motore auf der Straße bis zur völligen Besinnungslosigkeit betäubte. Der Herbst bringt eine gute und reichliche Eichel- und Buchelmast. Mutter und Sohn finden ihr Futter dicht vor der Haustüre. Sie sind jetzt so fett, daß der Bauch fast auf der Erde schleift und der Atem kurz wird. Aber den weiten Weg bis zum Weinberg scheuen sie doch nicht, denn e>g geht nichts über süße Trauben. Mit beiden Vorderpranten zermatschen sie die köstliche Speise und schlecken und schlürfen den süßen Saft. Das ist ein wonniger Fraß! Die Fähe kümmert sich jetzt nur noch wenig um ihren Sohn. Es ist ihr gleich, ob er sich anschließt oder zurückbleibt, mit ihr zusammen wurzelt oder seine eigenen Wege geht. Auch er läßt in seiner Anhänglichkeit beträchtlich nach. Oft treffen sie sich nur zum Schlafen im Bau. Im Kessel selbst aber häufen sich die Streitigkeiten und Rempeleien um den besten Platz. Eines schönen Tages kommt es sogar zu einer bösartigen Beisserei. Schmalzmann, der Frechdachs, muß schmerzliche Risse und Schmisse hinnehmen. Mit blutendem Ohr verläßt er die mütterliche Burg. 18
Nach einigen im Freien verbrachten Nächten findet der Hinausgeworfene einen verlassenen Kaninchenbau und richtet sich ein. Schmalzmann braucht nicht erst nadizudenken und einen Bauplan zu entwerfen. Das liegt ihm im Blut, wie ein Dachsbau beschaffen sein muß. Ja, und dann ist es so weit, daß er die Luftlöcher verstopft und die Röhren verschließt. Kalte Regenschauer peitschen das Laub von den Bäumen. Der erste Reif umsäumt die bunten, welken Blätter. Im Kessel frißt er erst einmal geruhsam den kleinen Möhrenvorrat auf. Dann rollt er sich zusammen, legt sich auf den Bauch und steckt den Kopf zwischen die Vorderpranten. Wie sein großer Vetter, der Braunbär, begibt er sich zur Winterruhe, ohne sich ein Vorratslager angelegt zu haben. Die wenigen Monate bis zum Vorlenz zehrt er von seinem Fett. Seine Körperwärme sinkt nicht ab. Er schläft auch nicht fest. Bei der leisesten Störung ist er sofort hellwach. Ist der Winter lang und hart, dann wird er aufstehen und wurzeln gehen müssen, selbst wenn der Schnee noch die Erde bedeckt. Auch der Durst treibt ihn immer wieder einmal hinaus. Ein Dachs im Schnee ist also keine große Seltenheit. Schmalzmann junior schläft, und mit ihm schlafen alle Dachse im Land. Der Wald hüllt sidi in seinen Wintermantel, und nur die Meisen unterbrechen mit ihrem silbernen Geläut die große Stille.
Die gekrönte Schlange Jim gleichen Maße, in dem das alte Schloß zerfiel und der Park verwilderte, erblühte das Reich der Pflanzen und das Paradies der Tiere. Die Rosenhecken und die Taxuswände, die Fliederbüsche und die Buchsbaumrabatten griffen weit über die vergrasten Wege. Der Efeu und der Hopfen, die Waldrebe und das Geißblatt eroberten sich das zerfallende Gebäude wie das Gemäuer der Gartenhäuschen, umrankten die griechischen Göttergestalten und erklommen die alten Ulmen und Eichen und die mächtig ausladenden Blutbuchen und aus Ostasien eingeführten Gingkobäunie. Eine bunte Vogelwelt fand sich zusammen, vom Zaunkönig bis zum Pirol, von der Grasmücke bis zur Wildtaube, als ob es einer dem anderen gesagt hätte, daß hier eine verträumte Friedensinsel entstanden war. Im 19
Schatten der wuchernden Sträucher versammelte sich das Volk der Schnecken, Salamander und Kröten; Eidechsen und Blindschleichen sahen in der Ruine einen natürlichen Steinbruch. Im Schloßteich läuteten die Unken, prahlten die Frösche und bekamen die Karpfen und Schleie bemooste Häupter. Die eigentliche Königin dieses stillen Reiches aber war Blaule, die Ringelnatter. Unter den schattigen, dichten Wipfeln und zwischen dem modernden Fallaub, in diesem warmen und feuchten Gefild, fühlte sie sich wohl. Der Teich war ihr eine unerschöpfliche Speisekammer. Die Ringelnatter zeichnet sich vor allen anderen Tieren durch ihre Standorttreue aus, sie läßt sich seihst vom Lärm der Menschen nicht vergrämen. Diese geringe Scheu vor dem Menschen erklärt auch, daß sie, wie wohl kaum eine zweite Schlange, wohlbekannt ist und der Gegenstand vieler Fabeln und Märchen wurde. Noch heute glaubt mancher Landmann daran, daß es einen gekrönten Natternkönig gibt, der einen herrlichen Juwelenreif trägt und geheimer Kräfte mächtig ist. Bei genauem Zusehen jedoch verwandelt sich die Märchenkrone in zwei goldgelbe oder weiße Schläfenmonde, die in der Sonne hell aufleuchten. Blaule, das Weibchen, hatte keine goldgelbe, sondern eine weiße Schläfenzier. Wie fast alle harmlosen und ungiftigen Nattern liebte sie den hellen Tag und verließ ihr Versteck unter dem alten Baumstumpf erst dann, wenn die Sonnenstrahlen bereits durchs Laubdach tanzten. Gewandt glitt sie durchs hohe Gras, um eine besonnte Stelle zu finden. Das Sonnenbad eröffnete den Tageslauf. Nach ergiebigen Regenfällen erkletterte sie zu diesem Zweck auch die hohen Bäume, um droben auf einem freien Ast die wärmenden Strahlen zu genießen. Bei dieser-Gelegenheit gab es manchmal auch gleich das erste Frühstück in Gestalt eines leckeren Laubfrosches. Das war dann ein besonders glücklicher Tag, denn Laubfrösche waren ihr Lieblingsgericht. Für diesen grasgrünen Hopser ließ sie jeden anderen Frosch, jede Kröte, jeden Molch, ja, sogar jeden Fisch fahren. Nur schade, daß es so wenige Laubfrösche gab und daß sie ein so heimliches Leben führten! Mit der steigenden Sonne stieg auch die Lebenslust und wuchs der Hunger in Blaule. Schnell hinab zum Teich! Ohne auf Deckung zu achten, glitt sie über die Wege und durchs Gestrüpp. Im dichtverwachsenen Park brauchte sie sich nicht vor ihren geflügelten Feinden, den Bussarden, Raben, Störchen und Elstern zu fürchten. Nur der Eichelhäher stellte ihr auch hier nach. Und seitdem sich 20
ein Baummarderpaar eingefunden hatte, durfte sie beim Sonnenbad nicht mehr so achtlos sein. Dem Igel, ihrem alten Erbfeind, begegnete sie zu ihrem Glück am Tage nur sehr selten. Kurz vor dem Teich verhielt Blaule. Denn oft kam sie schon am Uferrand zu ihrem Mittagsmahl. Hier saßen die Frösche breit und fett im Grase und ließen sich die Sonne auf den Leib prallen. Wie ein blauer Pfeil schnellte Blaule dann vor und packte den Quaker möglichst gleich beim Kopfe. So rutschte er am besten hinunter. Heute ging der erste Stoß daneben. Der Wasserfrosch vermochte sich loszureißen und quäkte laut auf. Anstatt aber mit gewaltigen Sätzen das Weite zu suchen, blieb er verdattert hocken und watschelte dann wie eine Kröte davon. Der Schreck schien ihm die Beine gelähmt zu haben. Blaule faßte beim zweiten Vorstoß besser zu. Immerhin hatte sie große Mühe, den mächtig strampelnden Frosch hinunterzuwürgen. So schön, wie Blaule sonst war, jetzt, wahrend des Würgakte«, bot sie einen abstoßenden Anblick. Wild sich krümmend, mit vor Gier glitzernden Augen und erschreckend überdehnten Kiefern, würgte sie an dem großen Happen wie nur ein rechter Freßsack würgen kann. Zwei neugierige Elstern flogen herbei und umflatterten aufgeregt die Räuberin. Das aber benagte Blaule gar nicht. Mit einem einzigen entschlossenen Ruck spie sie den Frosch wieder aus und schoß ins Wasser. Bis zum Grund hinab tauchte sie vor Angst und Ärger, schlängelte sich ein ganzes Stück auf ihm dahin und steckte erst unter den breiten Teichrosenblättern den Kopf wieder über die Wasserfläche. Blaule war eine vorzügliche Schwimmerin. Wie sie mit zierlich erhobenem Kopf dahinschwamm, daß die feinen Bugwellen aufschimmerten und die hellen Schläfenmonde leuchteten, da bot sie wieder ein Bild vollendeter Schönheit. Im Srhloßteich kannte Blaule jeden Winkel. Sie wußte genau, wo sie die leckeren Jungfische und die kleinen, bunten Molche aufstöbern und überraschen konnte. Besonders die jungen Schmerlen, Gründlinge und Schleien hatten es ihr angetan. Aber auch Kaulquappen waren eine köstliche Vor- und Nachspeise. Blaule litt keinen Mangel. Sie schwamm und schlängelte sich durch einen See des Überflusses. Und sie war auch nicht allein. Im Mai fand sich ein Männchen zu ihr, und die sonnigen Tage flogen nur so dahin. Ende Juli aber suchte sich Blaule ein recht dickes Moospolster aus, das wie ein Riesensmaragd aus dem feuchten Mulm quoll. 21
Unter diesem Polster wühlte sie eine kleine Vertiefung und legte sechzehn Eier hinein. Untereinander waren diese weichen Eier durch eine gallertartige Schnur verbunden. Sie hatten etwa die Größe eines Taubeneis. Damit hatte Blaule für ihre Nachkommen getan, was sie tun konnte. Das Moospolster würde iden Eiern die nötige Feuchtigkeit sichern und die Sonne würde dafür sorgen, daß sich da unten die rechte Treibhausluft entwickelte. War der Sommer freilich zu naß oder zu trocken, dann mußten die Eier verderben oder vertrocknen. Sonst aber schlüpften die jungen Ringelnattern schon nach drei Wochen. Als ungefähr fünfzehn Zentimeter lange Schlänglein sind sie sofort selbständig und nebenbei auch schon klug und gewitzt genug, um ihr Leben zu hüten und zu bergen. Ihre Eltern lernen sie nicht kennen. Kurz nach der Eiablage geriet Blaule in große Gefahr. Eine wildernde Katze war in den Park eingedrungen und warf sich, voller Wut darüber, daß sie keinen Vogel hatte beschleichen können, auf die sich sonnende Ringelnatter. Doch eine Schlange ist kein Vogel! Schon dem ersten Tatzenhieb vermochte Blaule soweit auszuweichen, daß er nur ihre Haut ritzte. Blitzschnell ringelte sie sich zusammen, blies sich dick auf, zischte laut und biß wie rasend nach dem Angreifer. Die Katze stutzte und wich zurück. Sie umschlich die Schlange, «prang wieder an und hatte sie jetzt zwischen den Pfoten, bereit, ihr den Kopf zu zerbeißen. Da aber spritzte Blaule ihren Stinksaft aus, zugleich versuchte sie, sich um den Hals der Katze zu ringeln. Die Katze erschrak, der Natterngestank widerte sie über alle Maßen an. Mit einem gewaltigen Satz brachte sie sich in Sicherheit und beeilte sich, diesen Schauplatz ihrer Niederlage so schnell wie nur möglich zu verlassen. Von Schlangen hatte sie für lange Zeit genug. Auch Blaule suchte ihren Schlupfwinkel auf. Die Wunden, die sie von den Katzenkrallen davongetragen hatte, brannten tüchtig, machten ihr aber sonst nicht viel aus. Schlangen sind ungemein zählebig und verschmerzen selbst die schwersten Verletzungen. Außerdem stand Blaule vor ihrer herbstlichen Häutung und streifte bald darauf das zerschlissene Kleid ab. Da die Schlangenhaut sich nicht wie unsere Haut ständig erneuert, wird sie im Laufe des Jahres fünfmal abgestreift. Die alte Haut löst sich zuerst an den Lippen und schlägt sich nach dem Oberkopf und nach dem Unterkiefer zurück. Die Schlangen zwängen sich zwischen Steine oder dichtes Gestrüpp und schlüpfen so aus dem verbrauchten „Hemd". 22
Der September kam mit seinem Altweibersommer. Immer zahlreicher taumelten die bunten Blätter von den Büschen und Bäumen, fielen die Früchte der Eichen, Buchen und Kastanien. Wohl meinte es die Sonne noch recht gut, aber, von ihrem Instinkt getrieben, wanderten die Frösche zum Teich zurück, um -sich im Schlamm zu vergraben. In dieser Zeit mußte Blaule manchmal auch mit einer Kröte vorliebnehmen, einmal verschlang sie sogar einen Salamander. Oft blieb sie jetzt schon tagelang in ihrem Versteck und kam nur an besonders schönen Tagen zum Fischfang in den Teich. Ihre Haut saß prall auf einer dicken Fettschicht, und gelegentliches Hungern machte ihr nichts aus. Schlangen sind wahre Hungerkünstler. Ende Oktober endlich dämmerte Blaule in den Winterschlaf hinüber. Ihre Eigenwärme sank von Tag zu Tag, und ihr Körper erstarrte. Bald lag sie steif und wie tot in ihrer Höhle und wartete auf das Frühjahr.
D e r Cürangehörnte Hr ist wieder da, mein gefiederter Freund! Gestern nacht, als ich mit dem Rade am kleinen See vorüberfuhr, habe ich seinen Ruf gehört. Kräftig und weithin schallend tönte sein grobes „Köck-göck-göck!" durch die Märzennacht. Immer trifft er in der Nacht ein, der Heimlichtuer. Und heute liege ich schon seit zwei Stunden lang ausgestreckt im Boot und spähe mit dem Glase über die in der Morgensonne glitzernde und gleißende Wasserfläche. Wenn er dageblieben ist, der Haubentaucher, wenn er nicht nur bei uns rastete, muß ich ihn zu sehen bekommen, denn das Schilf vermag ihn nicht zu bergen, es beginnt gerade erst seine blitzenden Dolchspitzentriebe emporzuschieben. Außerdem liebt es mein Freund nicht, sich allzunahe am Ufer aufzuhalten und im Verborgenen zu fischen. Die freie Höhe des Sees, die einen weiten Uniblick erlaubt, ist sein Revier. Urplötzlich wiegt er sich nahe der Landzunge, die den See fast in zwei Hälften teilt, auf der Flut, keine fünfzig Schritte vor mir. Die großen, roten Augen spähen zum Boot herüber, die grauen Federhörner, sein unverkennbares Merkmal, sind hoch aufgerichtet, prächtig schimmern die rostroten, zerschlissenen Federn der dicken Halskrause. Ich rühre mich nicht. Meine Hand stellt das Glas scharf 23
ein, immer wieder entzückt mich das bunte Bild des Haubentauchers, und unbegreiflich ist eis mir, daß ihm manche Menschen die wenigen Fische neiden, ihn verfolgen und ihn in ihrer habgierigen Verblendung zu einem gefährlichen Schädling stempeln möchten. Dabei hat sich einwandfrei erwiesen, daß er, wie alle anderen Taucher, im Teich und See dieselbe Rolle spielt, wie der Fuchs im Forst. Es sind vor allem die weißgefleckten, die kranken Fische, oder die geringen Weißfische, die er erspäht und erbeutet. In allen Seen, wo er verfolgt und ausgerottet wurde, hat sich der Fischbestand nicht etwa verbessert, sondern auffallend verschlechtert. Ganz abgesehen davon, daß er eine Unmenge schädlicher Wasserkäfer vertilgt. Im Zoologischen Institut Zürich wurde der Mageninhalt von 375 Haubentauchern untersucht: es fand sieh kein Edelfisch und kein Fischlaich! Die kurzsichtigen Verfolger bedenken auch nicht, daß der Haubentaucher ein weites und großes Revier für sich beansprucht. Auf kleineren Gewässern ist darum ganz selten mehr als ein Paar anzutreffen. Die Nutzteiche der Fischzüchter sind ihm meistens viel zu klein. Ein freudiger Schreck durchfährt mich. Mein Freund ist nicht allein! „Köck-göck-göck!", und dann, aber jetzt viel sanfter: „Kruarkruor!' 4 lockt es hinter der Landzunge. Leicht, schnell und geschmeidig wie ein graues Rennboot gleitet das Weibchen in das freie Wasser. Begrüßend winden sich die weißen Schwanenhälse umeinander, und zärtlich berühren sich die rosenroten, spitzen Schnäbel. Die Haubentaucher sind voller Aufmerksamkeit füreinander und führen eine gute und lange Ehe. Fast gleichzeitig schießen sie in die Tiefe und tauchen erst gute vierzig Meter weiter draußen wieder auf. Eine Unterwasserfahrt von sechzig Meter in einer halben Minute ist für diese unübertrefflichen Schwimmer und Taucher mit dem schuppendicht anliegenden Federkleid, dem platten, zugespitzen Leib und den hornigen Flossenzehen keine ungewöhnliche Leistung. Jetzt stellt sich das Männchen auf, flattert kräftig und ruft frohlockend über den See. Ja, es ist schön, wieder in der Heimat zu sein! Es ist eine Freude zu leben! Und es ist köstlich, wenn man seine Freude nicht für sich behalten muß! Zufrieden greife ich nach den Rudern und überlasse die Fischjäger ihrer Jagdleidenschaft. Das nächste Mal werde ich mich an der Landzunge auf die Lauer legen.
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Vier Wochen später. Die Bläßhühner sind auch wieder da. Ein Wildentenpaar wiegt sich auf den Wellen. Das Schilf ist gut gewachsen. Die Ufer sind mit goldenen Sumpfdotterblüten bestickt. Bachstelzen wippen über die faulenden Pfosten zerfallener Landungsstege. Ich habe ein Fleckchen gefunden, von dem aus ich das Haubentaucherweibchen beim Nestbau beobachten kann. Am inneren, dem See zugekehrten Schilfwaldrand ist es eifrig damit beschäftigt, die jungen Stengel knapp über dem Wasserspiegel zu knicken. Das geschieht nicht planlos. Sie achtet darauf, daß sich die Spitzen der Stengel zueinander neigen und einen weiten Trichter bilden. Er schaut ihr dabei zu, als ob er aufpassen müßte, daß sie es richtig macht. Ab und zu streichelt er die fleißige Baumeisterin und schiebt sich an ihre Seite. Dann hält sie inne, richtet sich flügelschlagend auf, und beide Vögel stehen sich flatternd gegenüber. Die Taucherin schleppt jetzt dürre Rohrstengel herbei und schichtet sie auf den Trichter. Der feste Unterbau des Nestes wird gelegt. Sie arbeitet langsam und sorgfältig. Die Stengel werden hinund hergeschoben, miteinander verflochten und zuletzt festgetreten. Am nächsten Tag sehe ich, wie sie faulende Stoffe aller Art auf das Nest häuft. Das Männchen treibt sich wieder unnütz herum. Wenn er wirklich einmal zufaßt, spielt er nur mit dem modrigen Baustoff. Danach regnet es einige Tage. Wie ich wieder zum See komme, sind die beiden Vögel weit draußen und fischen. Ich nütze die Gelegenheit und rudere zum Nest. Aha, es ist schon zugedeckt! Unter der faulenden Decke liegt das erste, weiße Ei, beidseitig zugespitzt und von sehr grobkörniger Schale. Es ist wohl gerade erst gelegt worden, denn später färben sich die Eier in der modrigen Nestmulde hellbraun. Im Durchschnitt enthält das Gelege drei bis vier Eier, die abwechselnd von Taucher und Taucherin bebrütet werden. Die Brutdauer beträgt 25 Tage. Und nun schnell wieder zurück, ehe die Alten mich erspähen und unruhig werden! Der große Tag ist gekommen: vier Kücken sind ausgefallen! Die kurzen, molligen Hälse sind schwarzgestreift. Zuerst schwimmen sie nicht selbst, sondern fahren auf dem Rücken der Mutter und manchmal auch des Vaters spazieren. Es vergehen einige Tage, ehe sie den Sprung ins Wasser wagen. Und auch dann geschieht es mehr aus Not als aus eigenem Willen. Die Mutter taucht einfach unter und setzt die Jungen so auf die Flut. Der Vater erweist sich als ein guter Futtermeister. Der Rücken 25
der Mutter dient als Speisetafel. Zuerst gibt es Insekten und Insektenlarven, später kleine Fische. Die Haubentaucherfamilie bietet um diese Zeit ein herzliches und rührendes Bild der Eintracht. Jetzt ist der Schilfwald ihr bevorzugter Aufenthaltsort, denn nur er bietet genügend Deckung vor Rohrweih und Hecht, Habicht und Mensch. Sorgsam achtet der Alte darauf, daß sich kein anderer Taucher, keine Enten oder Bläßhühner der Kinderstube nähern. Jähzornig geht er jeden Störenfried an und weiß sich mit seinem Dolchschnabel schnell Respekt zu verschaffen. Genau so unbedenklich wirft sich das Weibchen jedem Feind und Eindringling entgegen und verteidigt ihre Jungen heldenhaft. Viele Stunden liege ich draußen und habe meine stille Freude an der Haubentaucherfamilie. Ich habe sie aber ganz für midi behalten, denn der Nutzberechtigte des Sees ist ein Mann, der es mir nie verzeihen könnte, daß ich die Eier nicht ausgehoben habe. Es ist schwer, die alten Vorurteile auszurotten . . .
Der Turmfalke ie Glocken des Münsters singen das Abendlied. Ohrenbetäubend wogen die Klangwellen durchs Gebälk und stauen sich dröhnend vor den Schall-Löchern. Aufgescheucht wirbeln die Dohlen um den gotischen Turm. Hell blitzen die Flügel der schwenkenden Tauben. Hoch oben aber, unter den rosafarbenen Wolken, schwimmt das Turmfalkenpaar über Münster und Stadt. In flüssigen und schnellen Wendungen umkreist das Männchen das fast unbeweglich im Luftraum stehende Weibchen. Mit jähem Schwung schießt es steil empor und stürzt dann mit angelegten Flügeln auf die Umworbene nieder. Jubelnd und herausfordernd gellt sein heller Ruf: „Klikliklii!" Haarscharf am Weibchen vorbei geht der sausende Sturz und wird erst über dem Kirchendach abgefangen. Nach wenigen Sekunden fällt ein zweiter rotbrauner Stein vom Himmel. Das Weibchen folgt dem Werber, weicht aber gleich darauf seinem Zuflug aus und schwebt in großen, ausgeglichenen Schleifen rund um den Turm. Gelassen sehen die Dohlen und die Tauben, die auf dem Dach promenieren oder über die Zinnen stolzieren, den Flugkünsten der Falken zu. Sie wissen, daß ihnen von diesen Greifen keine Gefahr 26
droht. Ein Dohlenweibchen hat seine Eier sogar in die gleiche tiefe und geräumige Nische zwischen dem grausigen Wasserspeier und der Turmzinne gelegt, in der das Falkenpaar horstet. Nicht einmal die Sperlinge fürchten den sperbergroßen Greif mit dem blaugrauen Kopf und Schwanz, dem rostroten Rücken und der hellen Unterseite. Denn auch sie haben noch keinen Überfall von seiner Seite erlebt. Der Turmfalke ist zweifellos, wie es schon der alte Brehm sagte, der liebenswürdigste unter den Raubvögeln. Nur in der größten Nahrungsnot schlägt er Vögel. Fast ausschließlich sind Mäuse, Heuschrecken, Grillen und Käfer seine Beute. Der sinkenden Sonne entgegen fliegt das Falkenpaar noch einmal auf die Jagd. Leicht und schnell durchschneiden die langen, schmalen und spitzen Schwingen — die Kennzeichen des guten und schnellen Fliegers — den Luftraum. Ehemals ein echter Waldvogel, hat sich der Turmfalke immer stärker dem Menschen angeschlossen und dst heute ein typischer Stadtvogel. Dome und Münster, Türme und hochaufragende Ruinen erscheinen ihm wie Felsennadeln. Das Treiben der Menschen unter ihm kümmert ihn nicht, vielleicht hält er es für das Rauschen der Wipfel. Doch horstet er auch auf Türmen, die regelmäßig und viel begangen werden. Er erscheint bereits im März bei uns und verläßt uns erst im Oktober wieder. In Süddeutschland bleibt er oft auch den Winter über im Sommerquartier. Über den Wiesen und Feldern längs des Stromes stehen die Falken rüttelnd im Raum und äugen scharf in die Tiefe. Gerade jetzt, kurz vor der Dämmerung, werden die heimlichen Nager rege und wagen sich aus ihren Löchern. Den herrlichen, dunkelbraunen, grüngelb und rostrot umringten Falkenaugen entgeht aus zwanzig Meter Höhe keine Bewegung der Gräser und Halme, kein huschender Schatten, kein krabbelndes Insekt. Schnelle Flügelschläge und der breitgefächerte Schwanz halten den Vogel über der Stelle, wo etwas seine Aufmerksamkeit erregt. Ist das Beutetier erspäht, werden die Flügel eng an den Leib gepreßt, und im sausenden Sturzflug geht es erdwärts. Knappe zwanzig Zentimeter über der Wiese bremsen die schnell ausgebreiteten Flügel den Fall. Die gelben Fänge schnellen vor, und die schwarzen Krallen greifen tief ins warme, rote Lehen. Heuschrecken und Käfer werden gleich im Fluge verzehrt. Die Mäuse trägt der Turmfalke gern zu einem bequemen Platz, einem Feldstein oder freistehenden Ast, um sie dort in Ruhe und Sicherheit zu kröpfen. Denn die Krähen geben gut 27
acht, wenn die schnellen Falken jagen und bedrängen sie so dreist und stürmisch, daß die Angegriffenen oft die Beute fahren lassen, um nur das lästige Volk loszuwerden. Zwei Mäuse gehören zum Abendbrot, es können aber auch drei oder v-ier sein, wenn es sich gerade so trifft und das Jagdglück lächelt. Den Nachtisch bilden einige Grillen und Laufkäfer. Mit hereinbrechender Dunkelheit kehrt das Falkenpaar zum Münster zurück. Mancher Großstädter lauscht zu dieser Stunde verwundert empor und sieht staunend die kreisenden und vor Lebenslust schreienden Vögel. Wochenlang zeigen die Turmfalken ihre schönen Flugspiele. Sie tummeln sich noch fröhlich, wenn die Dohlen schon lange brüten oder bereits füttern. Erst Anfang Juni denkt das Falkenweibchen ans Legen. Dann aber sitzt es fest auf seinen fünf weißen, braunrot gefleckten und gepunkteten Eiern. Das Männchen versorgt es fleißig mit guter und reichlicher Kost. Anfliegend, meldet er schon von weitem den guten Fang und wird schrillend begrüßt. Nur gegen Abend geht das Weibchen selbst auf die Jagd. Dann hütet der Falke die Eier, denn die Krähen flattern schon lange lüstern um den Turm und würden nur gar zu gern das Nest plündern. Nach einem Monat schlüpfen vier Junge. Eines der Eier war taub. Im reinweißen Daunenkleid kommen sie zur Welt und hocken fest auf ihren Fersen. Unermüdlich schleppt der Vater Mäuse herbei und läßt sich kaum Zeit, einen Blick auf seine Kinder zu werfen. Die Mutter zerreißt die Beute in kleine Stücke und läßt die Hungrigen danach schnappen. In dieser Zeit dürfen die Spatzen auf anderen Dächern nicht allzu sorglos sein, sonst kann es geschehen, daß der Turmfalke in Ermangelung anderer Beute auch mal einen Sperling greift. Vielleicht nimmt er sogar einmal eine junge Lerche oder Ammer aus dem Nest, nie aber bricht er den Burgfrieden des Münsters. Innerhalb des engeren Brutraumes bleiben alle Vögel ungeschoren. Im August kreisen fünf Turmfalken um das Münster, schrillen wie die Mauersegler, schießen jäh über den Marktplatz hinweg, stehen rüttelnd über den Ruinen der Stadt, über den Gärten am Strom, und sind im nächsten Augenblick verschwunden. Es ist, als habe sie der Wind vom Himmel gewischt. Weit draußen über den Feldern fliegen sie jetzt. Die Jungen erhalten Unterricht im Mäusefang und stellen sich so geschickt an, daß die Alten sich bald überflüssig vorkommen. Schnell lockert sich das Band zwischen Eltern und Kindern, und erst im Herbst finden sie sich wieder zum gemeinsamen Flug in die Ferne zusammen. 28
Die wunderliche Jfachtschwalbe ie Abendsonne, die alte magische Zauberin, hat ihre große, ihre letzte Stunde. Die flachen, braunen Heidehügel leuchten wie altes, schweres Gold. Lichtfunken tanzen durch die zarten Birkenwipfel und über die düsteren Wacholderbusche. Hell schimmern die sandigen Wege, als wären sie mit Silberkörnern bestreut. Die graugrünen Föhren stehen in Flammeu. Und noch lange, nachdem die rotglühende Sonnenscheihe untergegangen ist, liegt ein purpurner Schimmer über dem Land, brennt der westliche Himmel, während im Osten schon der Mond und die Sterne aufsteigen. Kein Wunder, daß die Heidelerche keinen Schlaf findet, daß sie sich noch einmal jubelnd in den Himmel wirft. Höher und höher steigt der singende Vogel, als wollte er sehen, wie die Sonne ins Meer sinkt. Am Hügelhang, wo die Föhren und Birken dicht emporwuchern, wird es jetzt lebendig, huschen flinke, graue Schatten umher. Die Wildkaninchen sind erwacht und wechseln in das grünende Buchweizenfeld hinüber. Aus der einzelnen Kiefer im Bruch schreit ein Kauz, am Torfstich schackern die ruhelosen Elstern, mit viel Geschrei streiten sich die Krähen um die besten Plätze in ihren Schlafbäumen. Dann legt sich tiefe Ruhe über das Land. Wie die blaugewandete Stille selbst überfliegt ein amselgroßer Vogel die birkengesäumte Straße, schaukelt um die riesigen Findlingssteine, rüttelt über den schimmernden Büscheln des Wollgrases im Moor und schießt pfeilschnell hinter einem Maikäfer her. Lang 29
und 'Schmal sind seine Schwingen, übergroß und tiefbraun die Augen, weitgeschlitzt und von bartähnlichen Borsten umstanden ist der Schnabel. Er fliegt fast so lautlos wie eine Eule. Plötzlich rutscht er gleichsam aus der Luft, wischt dicht über dem Boden hin und ist verschwunden. An der Stelle, wo er niederging, mitten zwischen den schwarzbraunen Stengeln des Heidekrautes, liegt er fest an die Erde gedrückt. Sein rindenfarbiges Federkleid, das alle Schattierungen von Grau, Braun und Schwarz in wunderschöner Abstufung aufweist, tarnt ihn vorzüglich. Lange liegt der Vogel still, bis er sich davon überzeugt hat, daß die Luft rein ist und er sieh frei bewegen darf. Flott trippelt er durch den krautigen Beerenwald, huscht unter einen Wacholderbusch und begrüßt sein brütendes Weibchen. Auf der blossen Erde liegen die zwei länglichen, weißen, graubraun marmorierten Eier. Er überreicht ihr den Maikäfer und huscht gleich darauf wieder davon. Vorsichtig läuft er erst ein ganzes Stück im Heidekraut, ehe er sich aufschwingt. Es ist jetzt still in der Heide, daß man den leisen Wind in den Wipfeln harfen hört. Die Märchenfiöte der Lerche ist verstummt. Dafür läßt sich nun ein eigenartiges Schnurren vernehmen. Es klingt ganz so, als ob ein altes Spinnrad läuft, sanft und traulich. Aus der alten Kiefer scheinen die Töne zu kommen: „Errrrr-örrrrrerrrrr-örrrrr-örrrrr-orrrrr-orrrrr!" Minutenlang schnurrt es, seltsam und geheimnisvoll. Es ist der nächtliche Vogel mit dem grauen Tarnkleid, der da träumt und spinnt und auf seine Art die Nacht besingt. Fest angeschmiegt, sitzt er auf dem vorstehenden Astzacken im Wipfel einer Föhre. Seine eigenartige Stellung und sein dunkles Federkleid lassen ihn auch aus nächster Nähe nicht erkennen. Viele und seltsame Namen hat man dem nächtlichen Gast gegeben, und gar manche Fabel rankt sich um sein schattenhaftes Dasein. Nachtschwalbe, Nachtrabe und Nachtwanderer nennen ihn die einen, Pfaffe, Hexe und Brillennase die anderen. Und der und jener will sogar wissen, daß der Vogel dem nächtlichen Wanderer die Flügel um die Ohren klatsche, daß er auch nicht wie ein anderer Vogel fliege, sondern wie ein Blatt durch die Luft wirble und auf der Erde dahinhusche, als habe er Räder unter dem Leib und keine Füße. Ein toller Vogel also, ganz aus der Art geschlagen und voller Wunderlichkeiten! Der nächtliche Sänger, dessen Weibchen unter dem Wacholderbaum brütet, ist bereits wieder auf der Insektenjagd. Er fängt sich einen tüchtigen Schnabel voll der fettesten Falter und Motten, wobei 30
er wie eine Schwalbe über die Wipfel braust, und beeilt sich, die Beute der Gattin zu bringen. Nachdem das Weibchen wieder seinen Platz eingenommen hat, schnurrt er ihr noch eine lange Geschichte vor, vergißt aber auch nicht, sich selbst noch in dieser Nacht den Bauch richtig vollzuschlagen. Erst in den Morgenstunden kehrt er mit reicher Beute zurück, um den Tag im Schutze des Gebüsches zu verträumen. Die roten Augenlider sind nicht ganz geschlossen, er nimmt alles wahr, was in der Umgebung geschieht und ist jederzeit bereit, einen nahenden Feind fauchend anzugehen und ihn dann als flügellahmer Flatterer vom Busch wegzulocken. Hat er das erreicht, so schleicht er sich auf eine ganz seltsame Art aus dem Blickfeld. Zuerst sieht es aus, als wenn er von einem Flügel auf den anderen fiele, immerwährend umkippe und gleich einem Kranken dahinschwanke. Dann duckt er sich ins Gras und rutscht auf dem Bauche zurück. Diese Bewegung täuscht ein vom Winde bewegtes Blatt so trefflich vor, daß ihn jeder Verfolger, ob Mensch oder Tier, aus dem Auge verliert. Denn wer soll ahnen, daß sich ein Vogel so eigenartig benimmt. Tiefgeduckt schleicht er sich weiter davon, und jetzt sieht es wahrhaftig so aus, als ob er dahinrolle und Räder anstatt Füße unterm Körper habe. Erst hinter einem Busch oder einer Bodenwelle schwingt er sich wieder auf und fliegt auf Umwegen zum Nest zurück. Meist gelingt es ihm mit diesen Künsten, die Eier vor jedem Zugriff zu schützen und auch die geschlüpften Jungen zu behüten. Nach vier Wochen ist die kleine Gesellschaft flügge. Und bereits Ende August macht sich die ganze Familie auf die große Fahrt über Länder und Meere nach Südafrika.
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