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Seewölfe 162 1
Burt Frederick 1.
Die Kimm war nicht zu sehen. Es war, als ließe das Meer seine Feuchtigkeit in immer dichteren Schwaden aufsteigen, um auf diese Weise auch noch von der Luft Besitz zu ergreifen. Der morgendliche Dunst trübte die Sicht, legte sich auf die Atemwege und gab den Männern das Gefühl, in einem Käfig von endloser Weite zu treiben. In der Tat war dieses Meer, ihr vertrautes Element, nun zu einem Gefängnis geworden, das sie nicht mehr freigeben würde. Der handige Wind aus Norden hatte kaum nachgelassen, seit sie zum letzten Mal die Bucht von Glandore gesehen hatten. Allein der Teufel mochte wissen, wie viele Stunden und Tage das zurücklag. Sicher war nur, daß sich dieser stete ablandige Wind als Mordwerkzeug für die feige Brut in Glandore Castle entpuppte. Der Nordwest spielte mit den Wellenkämmen und zerfetzte die Schaumkronen, wenn es ihm gefiel. In wogenden Schleiern hing der Nebel über der See, ließ Konturen deutlich werden und im nächsten Moment wieder verschwimmen. Das Boot trieb lautlos in diesem geisterhaften Wechselspiel. Es war nicht der Wind, der das Knarren der Takelage übertönt hätte. Denn es gab keinen Fetzen Tuch mehr auf diesem Einmaster, dessen schemenhafte Umrisse eins geworden waren mit dem Rhythmus launenhafter Naturgewalt. Stimmen drangen durch die feuchte Luft, wurden von ihr in übernatürlicher Deutlichkeit getragen. Doch es gab niemanden, der diese Stimmen gehört hätte. Sie waren so unbedeutend geworden wie das Boot, das den Menschen an Bord nur noch fragwürdigen Schutz zu bieten vermochte. Die Beine eines Mannes ragten über das Steuerbord-Schanzkleid des kleinen Einmasters. Steif wie ein Brett waren diese mageren Beine und von einer zerschlissenen grauen Hose umhüllt. Eine
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wächserne Farbe hatte von den verkrümmten nackten Füßen grausamen Besitz ergriffen. Zwei Männer hielten den Toten, der schon zur Hälfte über seinem Grab schwebte. Schwielige Fäuste waren es, die die Oberarme des Leichnams gepackt hatten so fest, als könnten sie ihn mit ihrer unbedeutenden menschlichen Kraft noch einmal ins Leben zurückrufen. Das Gesicht des Toten war schmal und eingefallen, die Augen weit aufgerissen, wie im Angesicht eines furchtbaren Schreckens. Seamus Behan und die anderen hatten vergeblich versucht, die Lider des Mannes zuzudrücken. Zu spät hatten sie bemerkt, daß die Totenstarre eingesetzt hatte. Sein schmallippiger Mund war halb geöffnet und merkwürdig verzerrt. Die verkrampften Hände, knöchern fast, schienen einen nicht vorhandenen Halt zu suchen. Der Mann, der hinter dem Toten stand, war alt und von knochiger Statur, seine Kleidung ebenso dürftig und zerschlissen wie die der anderen. Doch er fror nicht. Sein vom Hunger gezeichneter Körper war jenseits solcher Empfindungen. Der alte Mann bekreuzigte sich. Seine Stimme war von erstaunlicher Klarheit: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ...“ Die schwieligen Fäuste der beiden anderen Männer gaben dem Leichnam einen harten Ruck. Sie wichen zurück und standen für den Augenblick des beklemmenden Schauspiels wie erstarrt. Mit den Füßen voran tauchte der Tote in die dunklen Fluten. Noch einen kurzen Atemzug lang war sein Wächsernes Gesicht zu sehen, dann griffen die schaumgekrönten Wogen in seine Haare, schienen damit spielen zu wollen und schlugen schließlich gischtend zusammen. Das Seemannsgrab hatte den Toten aufgenommen. Von einem Herzschlag zum anderen, so, wie es sich diese Männer für ihr eigenes Ende stets wünschten. Das nasse Element, mit dem sie vertraut waren wie mit nichts, anderem, bedeutete ihnen ebensoviel wie die heimatliche irische
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Erde. Doch keiner von ihnen hatte sich jemals gewünscht, so zu sterben, wie es sich ihnen allen nun ankündigte. Dies war nicht der Tod für einen aufrechten Mann. Denn grausame Mörderhände hatten ihren Anteil daran. Die drei Männer, die schweigend am Steuerbord-Schanzkleid verharrten, bekreuzigten sich abermals. Ihre Füße schienen mit den feuchten Decksplanken verwachsen. Die unkontrollierten Bewegungen des Bootes brachten keinen von ihnen aus dem Gleichgewicht. Fast sein ganzes Leben hatte jeder von ihnen auf diesen Decksplanken zugebracht, und es wäre die natürlichste Sache der Welt gewesen, wenn ihnen auch noch eine weitere Generation gefolgt wäre, für die das einmastige Fischerboot den Mittelpunkt harter Arbeit und entbehrungsvollen Lebens bedeutet hätte. Aber es sah weiß Gott nicht danach aus, daß von diesen kläglichen Resten eines Bootes jemals wieder ein Netz in die irische See gehängt werden würde. Seamus Behan, der Eigner und Kapitän des Bootes starrte mit flammendem Blick in die düsteren Fluten. Er versuchte, jenen Punkt festzuhalten, an dem der Tote für immer versunken war. Seamus war groß und stämmig. Der Seewind hatte seine roten Haare zerzaust. Ein Kamm hatte keine Chance, jemals wieder Ordnung in diesen Haarschopf zu bringen. Behans schwielige Hände suchten vergeblich tastend nach dem breiten Ledergurt, hinter den er stets dann seine Daumen zu haken pflegte, wenn ihm mulmig zumute war. Aber dieser Gurt war nicht mehr da, um sein graues Leinenwams zusammenzuhalten. Die Kerle hatten ihm nur den dünnen Hosengürtel gelassen, damit er noch halbwegs wie ein anständiger Mensch aussah. Seamus Behan war achtundzwanzig Jahre alt, doch seine Züge waren die eines Vierzigjährigen. Eisgraue Augen standen in einem Gesicht, dessen Furchen von rauhem Seewind und einem kargen Leben gezeichnet waren. Wieder stieg der
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schmerzliche Gedanke an Eileen in ihm auf — an Eileen und die sechs Kinder, die oftmals die einzige Freude in den langen Jahren eines armseligen Lebens gewesen waren. Seamus zwang sich mit aller Macht, diese Gedanken nicht zu Ende zu denken. Er wandte sich ab. Sein Vater, der grauhaarige alte Mann, nickte ihm stumm zu. Häufig war es so, als könne Patrick Behan die Gedanken seines Sohnes lesen. In all den Jahren hatten sie jene Art von Verständigung entwickelt, für die keine Worte nötig waren. Und jetzt, so schien es, wollte der alte Patrick sagen: Gut so, mein Junge, denke nicht darüber nach. Denke nicht an Liam Collins, den wir dem Meer übergeben mußten. Und denke nicht an das, was hinter uns liegt. Wende dich immer den Dingen zu, die gegenwärtig sind. Nichts anderes hat einen Sinn. Patrick Behan hatte die gleichen harten Gesichtszüge wie sein Sohn, doch war er ungleich hagerer. Sein graues Haar war stumpf und hing in wilden Strähnen über seinen schmalen Schädel, fast bis auf die Schultern. Mit seinen siebenundfünzig Jahren hatte Patrick Behan ein Alter erreicht, das für seine Landsleute in der Grafschaft Cork den Hauch des Ungewöhnlichen und Unerreichbaren hatte. In diesen Zeiten, in denen die Menschen auf der Insel Irland Hunger litten, wurde ein hart arbeitender Mann selten älter als vierzig Jahre. Aber Patrick Behan war trotz seines greisenhaften Alters, trotz des Hungers, den auch er stets erlitten hatte, von ungeheurer Zähigkeit. Für ihn waren alle Entbehrungen eine ständige Herausforderung gewesen, die es zu besiegen gegolten hatte. Der dritte Mann an Bord hatte den Rang eines einfachen Seemanns. Brendan O'Donovan, gleichfalls rothaarig, klein und krummbeinig, war drei Jahre älter als sein Kapitän. Sein Gesicht, in dem die Augen wie blaßblaue Knöpfe ruhten, spiegelte eine gehörige Portion Gerissenheit. Makrelenschwärme witterte er mit untrüglicher Sicherheit, wie er behauptete.
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Und wenn es gelang, ein volles Netz an Bord zu hieven, betrachtete er dies als einen Erfolg seiner persönlichen List. „Wir werden dich nie vergessen, Liam“, sagte O'Donovan mit einem letzten Blick auf die dunklen Wogen. „Niemals!“ O'Donovan sprach Gälisch, seine Muttersprache und die seiner Landsleute. Von fremden Einflüssen nahezu unberührt, hatten die Bewohner Irlands diese guttural klingende keltische Sprache seit Urzeiten bewahrt. Patrick Behan zog die Schultern hoch, doch es war kein Zeichen dafür, daß er fror. „Ich werde der nächste sein. Ich fühle es.“ „Hör auf mit dem Unsinn“, knurrte sein Sohn, „solange wir am Leben sind, gibt es Hoffnung. Hast du das nicht immer gesagt?” Der alte Mann lächelte und entblößte dabei die wenigen Zahnstümpfe, die er noch hatte. „Recht so, Junge. Aber irgendwann muß man aufhören, sich was vor zu erzählen. Redmond Flaherty war der erste. Es ist noch nicht lange her, daß wir ihn über Bord werfen mußten. „ Und jetzt Liam Collins. Gegen die Naturgesetze kann man nichts ...“ „Schluß jetzt“, unterbrach ihn Seamus. „Der Kapitän der ,Cruiscin Lan` will solche Reden an Bord nicht mehr hören, alter Mann.“ Brendan O'Donovan nickte eifrig. Warnend hob er den Zeigefinger. „Also keine Meuterei, Paddy! Selbst auf einem gottverdammten Wrack ist der Kapitän noch immer der Kapitän.“ Patrick Behan schüttelte müde den Kopf. „Galgenhumor kann ich nicht leiden, Brendan. Weil es kein echter Humor ist.“ „Na und? Soll ich vielleicht in Tränen ausbrechen, oder was?“ „Er hat recht, Dad“, sagte Seamus Behan, „wenn wir jetzt anfangen, den Kopf hängen zu lassen, können wir am besten gleich in den Teich springen.“ Der alte Behan lehnte sich gegen den Mast, an dem kein einziger Fetzen Tuch mehr hing. Die Augen des alten Mannes hatten
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jeden Glanz verloren. Da war nichts mehr von der ehernen Willenskraft, die sich sonst stets in diesen Augen spiegelte. „Ich will euch nicht dreinreden“, murmelte er, „wenn ihr beide glaubt, noch Hoffnung haben zu können, dann kann ich nichts dagegen sagen. Aber für mich ist der Kampf zu Ende. Gegen die See hat keiner eine Chance - nicht mit diesem lächerlichen Klumpen Holz, der einmal die ,Cruiscin Lan' gewesen ist.“ Seamus Behan und Brendan O'Donovan schwiegen betreten. Pessimismus war eine Seite, die der alte Patrick nie so offen gezeigt hatte. Daß er es jetzt plötzlich tat, machte ihre ausweglose Lage auf erschreckende Weise deutlich. Wenn Patrick Behan aufgab, hatte das etwas ungeahnt Schwerwiegendes. Der grauhaarige Alte war immer eine unerschütterliche Stütze gewesen. Und die sollte es auf einmal nicht mehr geben? Seamus Behan ließ den Blick aus weiten Augen über sein Boot gleiten, als sähe er jetzt zum ersten Mal, was geschehen war. In der Tat war der Anblick mehr als niederschmetternd. Der Maat ragte wie ein einsamer Zahnstocher in den grauen Morgenhimmel, 'die Rah hing schief herab - ohne das mehrfach geflickte Segel. Die Schergen Lord McCarthys hatten es hohnlachend über Bord geworfen. Das war unter der Küste gewesen, kaum mehr als zwei Seemeilen südöstlich von Glandore. Aber sie hatten sich nicht damit begnügt, das Segel herunterzureißen. Mit Axthieben hatten sie das Ruder zerstört, die Fangleinen gekappt und sämtliche Proviantvorräte den Fischen zum Fraß vorgeworfen. Es gab kein Trinkwasser mehr an Bord und nicht einmal einen Napf, in dem man den Regen hätte auffangen können. Ebenso keinen noch so winzigen Fetzen Tuch, aus dem man ein Notsegel hätte knüpfen können. Ja, Lord McCarthys Halunken hatten an alles gedacht. Außer ihren bloßen Händen und dem bißchen, was sie auf dem Leib trugen, verfügten die Männer an Bord des Fischerbootes über nichts mehr, was ihnen geholfen hätte. Mit diesen bloßen Händen
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konnten sie keine Fische fangen, um ihren Hunger zu stillen. Jeder von ihnen hätte ein Königreich für ein Stück Schnur und einen Haken gegeben. Seamus Behan wußte nur zu gut, daß sein Vater recht hatte. Es gab keinen Grund mehr, sich Illusionen vorzugaukeln. Noch trieb das Boot wie eine ruderlose Nußschale in der See, vom Wind und von Meeresströmungen mäßig getrieben. Aber sobald ein Sturm aufkommen würde, war es aus. Dann konnten sie ziemlich sicher sein, daß sie an einem der vielen Riffs vor der südirischen Küste zerschellen würden. Damit endete dann die Geschichte der „Cruiscin Lan des plump aussehenden einmastigen Rahseglers. Schon in der dritten Generation war dieses aus hartem Pitchpine-Holz gebaute Boot von Glandore zum Fischfang ausgelaufen. Wenn keine höhere Gewalt daran gedreht hätte, wäre auch noch eine vierte Generation mit dem soliden Einmaster groß geworden. „Vielleicht“, sagte Brendan O'Donovan leise, „kriegen wir bald auflandigen Wind. Und dann...“ „Ja, vielleicht.“ Seamus Behan nickte gedankenverloren. Er blickte seinem Vater nach, der sich mit unendlich trägen Bewegungen abwandte und durch die offene Luke unter Deck sinken ließ. Dort unten. dachte Seamus mit einem Anflug von Bitterkeit, hat man einen ruhigen Platz zum Sterben. Er mußte sich nun selbst abwenden, starrte auf die düstere See hinaus und verkrampfte die Hände über dem Schanzkleid. O'Donovan sollte die Tränen in seinen Augen nicht sehen. Seamus konnte diese Tränen nicht unterdrücken. Wut und Verzweiflung ließen sie emporsteigen. Wut auf die grausamen Unterdrücker, die die Leute von Glandore bis aufs Blut knechteten. Verzweiflung über den eigenen Niedergang, den man hätte voraussehen können, aber vielleicht doch nie vermieden hätte. Ja. Seamus Behan mußte vor sich selbst zugeben, daß es nur ein kleiner Schritt war, um in die gleiche Niedergeschlagenheit zu
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verfallen, die bereits von seinem Vater Besitz ergriffen hatte. Wie viele Tage und Stunden vergangen waren, seit die McCarthy-Schergen sie unter der Küste überfallen hatten, vermochte keiner von ihnen mehr zu sagen. Sie hatten jegliches Zeitgefühl und auch die Orientierung verloren. Redmond Flaherty war als erster an Hunger und Entkräftung gestorben. Dann Liam Collins, und wahrscheinlich hatte der alte Mann recht damit, daß er der nächste sein würde. Niemand würde jemals die Wahrheit über ihr Schicksal erfahren, denn niemand hatte den grausamen Zwischenfall beobachtet. Sie würden auf Nimmerwiedersehen in der endlosen Weite der irischen See verschwinden — so, wie es Lord Facthna McCarthy in seinen heimtückischen Gedankengängen vorausberechnet hatte. Nun gut, der Lord hatte es also geschafft, den Aufsässigsten unter den Fischern von Glandore aus dem Weg zu räumen. Sollte er mit diesem Erfolg selig werden. Vielleicht gab es eine überirdische Gerechtigkeit, die ihn strafte. Irgendwann, wenn die Knochen der Behan-Crew auf dem Meeresgrund längst ausgebleicht waren. Ein seltsames Gefühl von Sehnsucht ergriff den rothaarigen Mann am Schanzkleid des Einmasters, während er auf die dunklen Wogen blickte. Eine trügerische Eingebung begann ihm vorzugaukeln, daß es dort, tief unten, Geborgenheit, Wärme und Ruhe gäbe. Seamus Behan begriff nicht, daß es die Vorboten des Todes waren, die sich seiner Sinne bemächtigten. 2. „Affenarsch!“ Schrill keifend tönte es aus der Kapitänskammer. „Affenarsch! Affenarsch!“ Und helle Stimmen waren zu hören — freudig lachend, voller Begeisterung. Ihre Worte indessen waren fremdartig. Dazwischen immer wieder dieses Keifen,
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das sich zu grellen Dissonanzen steigerte, je mehr die Kinder lachten. Philip Hasard Killigrew verharrte einen Moment lang lächelnd, bevor er eintrat. „Sir John!“ Der große scharlachrote Papagei floh mit erschrockenem Flügelschlag von der Mitte der halb gedeckten Frühstücksback und landete auf dem Schapp im hintersten Winkel der Kammer. Dort legte er seine blau, grün, gelb und rot gemusterten Schwingen glatt, wandte dem Seewolf den Rücken zu und drehte lediglich den Kopf mit vorwurfsvoll rollenden Knopfaugen. „Solche Worte wirst du ihnen nicht beibringen!“ rief Hasard lachend. „Miese Kakerlake!“ krächzte Sir John. Hasard machte Anstalten, sich den vorlauten Vogel zu greifen. Sir John duckte sich, bereit zu einem weiteren Fluchtversuch. „Dad, bitte!“ Es war einer der beiden Jungen, der es fast flehentlich rief. Hasard ließ Sir John in Frieden. Der buntgefiederte Vogel nahm diese Tatsache augenblicklich zur Kenntnis, wiegte sich beruhigt von einer Seite zur anderen und plusterte wohlgefällig seine farbenprächtigen Federn. Die Söhne des Seewolfs hatten den Papagei längst in ihr Herz geschlossen. Daß sie seine vulgären Schimpfworte nur zum Teil verstanden, hatte seinen guten Grund. Es war noch nicht lange her, daß sie begonnen hatten, die ersten Worte in der englischen Sprache zu lernen. Aber sie lernten mit kindlicher Begeisterung, und mit jedem Tag wuchs ihr Wortschatz. Nur wenn sie allein waren, wenn sie abends in ihrer Koje lagen oder morgens erwachten, nur dann sprachen sie Türkisch oder Persisch. Denn damit waren sie bisher aufgewachsen. Der Seewolf zwang sich, nicht erst an die Vergangenheit zu denken. Die Gegenwart war wichtig, nichts anderes. Sieben Jahre alt waren die beiden jetzt, und er hatte sie bei sich. Das allein zählte. Hasard strich den Zwillingen, über das schwarze Haar.
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„Guten Morgen, Philip. Guten Morgen, Hasard.“ Er sprach betont langsam und deutlich. Aus leuchtenden blauen Augen blickten sie zu ihm auf, während er sich ihnen gegenübersetzte. Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen, und mit ihren sieben Jahren waren sie fähig, schnell zu lernen. In den Wochen, die sie an Bord der „Isabella VIII.“ verbracht hatten, waren sie bereits so weit fortgeschritten, daß sie kaum noch die Zeichensprache brauchten, um sich mit ihrem Vater und den Männern der Crew zu verständigen. „Guten Morgen, Dad“, sagten die beiden wie aus einem Mund. Sie sprachen sehr sorgfältig, noch mit einem unüberhörbaren Akzent. Doch diese Spuren, die aus ihren ersten sieben Lebensjahren im Orient herrührten, würden bald verwischen. Noch waren sie jung genug, um sich vollends auf den englischen Lebensstil umzustellen. Ihr Äußeres spiegelte die Willenskraft und die Intelligenz, die in ihnen schlummerte. Philip und Hasard waren schlank und geschmeidig. Ihre scharfgeschnittenen Gesichtszüge spiegelten einen Ernst, der für ihr Alter ungewöhnlich war. Eine Weile sah der Seewolf seine Söhne schweigend und lächelnd an. Er wußte, daß sie zu ihm bereits ein festes seelisches Band geknüpft hatten. Sie brauchten nicht unbedingt Worte, um einander zu verstehen. Der Seewolf hatte berechtigte Hoffnung, daß die Schwierigkeiten und Gefahren auf der Heimreise nach England überwunden waren. Spanien lag endgültig hinter ihnen. Und auch die gefürchtete Biscaya mit ihren wilden Stürmen hatten sie gemeistert. Was jetzt noch folgte, war eigentlich nicht mehr der Rede wert — gemessen an den Herausforderungen, mit denen die Seewolf-Crew in der Vergangenheit fertig geworden war. England war schon so nahe, daß man hinspucken konnte. Und damit war auch die bessere Zukunft für die beiden Söhne des Seewolfs näher gerückt. Leichtfüßige Schritte wurden aus dem Niedergang zur Kapitänskammer hörbar.
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Philip und Hasard sprangen auf. „Bill, Bill!“ riefen sie begeistert. Sie hatten den Moses an seinen Schritten erkannt, bevor sie ihn sehen konnten. Dann, als der Moses der Crew die Kapitänskammer betrat, hatte er Mühe, das Gleichgewicht zu bewahren. Die beiden Söhne des Seewolfs tanzten voller Freude um ihn herum. Längst hatten sie Bill, der als Schiffsjunge auf der „Isabella“ angefangen hatte, in ihr Herz geschlossen. Mit dem jungen Mann verband die beiden schon eine echte Freundschaft. Bill hatte Mühe, das Frühstücksgeschirr heil zum Tisch zu balancieren. „Philip! Hasard!“ rief der Seewolf. „Setzt euch wieder!“ Er mußte sein Lächeln unterdrücken. Er wußte, daß Vaterstolz in bestimmten Situationen weniger wichtig war als die Notwendigkeit, zivilisierte Lebensgewohnheiten einzuüben. Und er hatte beileibe nicht vor, seine Söhne so zu verwöhnen, daß hochnäsige Gecken aus ihnen wurden. Bill setzte die Kanne mit heißem Tee ab, daneben eine Schüssel, die mit Schiffszwieback gefüllt war. Die Söhne des Seewolfs waren gehorsam auf ihre Schemel zurückgerutscht. „Sir“, sagte der Moses, „der Kutscher läßt ausrichten, daß er den besten Zwieback ausgesucht hat, den er finden konnte.“ „Schon gut“, murmelte der Seewolf, „aber das nächste Mal wird der Kutscher sich diese Mühe sparen. Was die Verpflegung betrifft, gilt an Bord der ,Isabella“ noch immer gleiches Recht für alle. Niemand erhält eine Sonderbehandlung. Sag ihm das.“ „Aye, aye, Sir.“ Bill verschwand wieder. Hasard gönnte sich die Zeit für das gemeinsame Frühstück mit seinen Söhnen. Dann ließ er sie in der Kapitänskammer allein. Er wußte inzwischen, daß sie keinen Unfug anstellen würden. Beklemmende Luftfeuchtigkeit empfing ihn an Deck. Der Himmel hatte sich hinter einem trüben Vorhang verborgen. Durch Wanten und Pardunen pfiff der Wind, ein handiger Nordwest, der Nebelschwaden mit sich trieb und die weithallenden
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Stimmen der Männer an Bord auf die kabbelige See hinaustrug. Auf der Kuhl und auf der Back herrschte rege Betriebsamkeit. Der um Norden pendelnde Wind trieb die Crew zu pausenlosem Einsatz an Brassen und Schoten. Bis auf Groß-mars- und Vormarssegel war das gesamte Tuch der Galeone gesetzt. Die „Isabella VIII.“ lief mit rauschender Fahrt über Steuerbordbug auf Nordostkurs. Über die Kuhl dröhnte Ed Carberrys mächtige Stimme. Der bullige Profos war in seinem Element. Mit seinen Sprüchen, die jeder im Schlaf nachbeten konnte, scheuchte er die Männer über die feuchten Decksplanken. Ben Brighton, Bootsmann und Hasards Stellvertreter, gab seine Kommandos vom Achterkastell her. Ben war ein ruhiger und zuverlässiger Mann. Nirgendwo fühlte er sich mehr zu Hause als im rauhen Wetter vor den britischen Inseln. Während Hasard die schmalen Stufen zum Achterkastell erklomm, bemerkte er, daß der Nebel nachzulassen begann. Die Sicht hatte sich geringfügig verbessert, betrug aber kaum mehr als vier, fünf Schiffslängen. Philip Hasard Killigrew trug sein ledernes Wams über einem hellen Leinenhemd. Der Ledergurt unterstrich seine schmalen Hüften und die breiten, muskulösen Schultern. Hasard war über sechs Fuß groß. Unter seinem schwarzen Haarschopf dominierten zwei eisblaue Augen, die so klar und fest waren wie seine Charaktereigenschaften. Ben Brighton stand in der Nähe des Ruderhauses, wo er seine Anweisungen an den Rudergänger gab. Pete Ballie, dieser stämmig gebaute und etwas zu klein geratene Mann, hatte graue Augen und blondes Haar. Seine Fäuste hatten das Format von Ankerklüsen. Schon unter Sir Francis Drake hatte er sich mit diesen hart zupackenden Fäusten als Rudergänger bewährt. Ben Brighton wandte sich Hasard zu, als dieser neben ihm stehenblieb. „Wir werden den Kurs nicht mehr lange halten können.
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Der verdammte Nordwest fängt an zu schralen.“ Hasard runzelte amüsiert die Stirn. „Ich weiß nicht, wo die Probleme liegen sollen, Ben. Oder meinst du, daß uns ein bißchen Zeitverlust schaden könnte?“ „Das will ich damit nicht sagen, aber ...“ „Mir scheint, dich hat die gleiche Stimmung gepackt wie die anderen. Wenn es nach euch ginge, müßte die ,Isabella Flügel haben, damit wir gleich heute abend in England sind.“ Ben Brighton grinste verlegen. „Nun ja. Irgendwie ist es schon ein merkwürdiges Gefühl, wenn man so dicht vor der Haustür steht. Da packt es einen, ob man will oder nicht.“ Er deutete mit einer Kopfbewegung zur Kuhl. „Den Kerlen da unten kribbelt es in den Fingern und wer weiß noch wo. Der erste Landgang in Old England ist wirklich eine Sache, auf die man sich freuen kann.“ Hasard nickte. „Trotzdem ist die ,Isabella` kein Adler. Jeder von uns sollte froh sein; daß wir sie haben. „Ganz gewiß“, pflichtete Ben ihm bei, „wir werden das Beste as diesem verrückten irischen Wind herausholen.“ Und das war alles andere als schwierig. Denn die achte „Isabella“ war die beste, die die Seewölfe jemals gesegelt hatten. Einer der hervorragendsten Schiffszimmerleute Englands hatte diese Galeone gebaut, die Philip Hasard Killigrew gemeinsam mit seinen Männern erworben hatte. Sie alle hatten ihren Geldanteil in dieses seetüchtige Schiff gesteckt, und keiner von ihnen hatte das bisher bereut. Im Prinzip war die „Isabella VIII.“ eine Galeone. Doch im Gegensatz zu den Spaniern, die an den Konstruktionsprinzipien ihrer plumpen Seekühe nichts änderten, hatten die Engländer aus ihren seemännischen Erfahrungen gelernt. Irgendwann würden den Dons die Augen übergehen, wenn sie begriffen, daß sie mit ihren Schiffbaumethoden ins Hintertreffen gerieten. Aber das lag wohl nicht an den mangelnden Fähigkeiten spanischer
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Konstrukteure. Philipp II., so sagte man, hatte sich nie sonderlich für die Seefahrt interessiert. Das Bestehende war für ihn gut genug, wie es schien. Manchen Don hatten die Seewölfe unterdessen das Fürchten gelehrt. Die „Isabella“ war ein erkennbares Beispiel dafür, welchen hohen Wert die praktische Nutzung gewonnener Erfahrungen hatte. Mit seinem moderneren, viel schlankeren Rumpf war das Schiff der Seewölfe den schwerfälligen spanischen Galeonen überlegen. Sowohl das Vorderkastell als auch das Achterkastell waren wesentlich flacher gebaut, und die überhohen Masten ermöglichten eine größere Segelfläche als üblich. Statt eines Kolderstocks hatte die „Isabella“ ein Ruder. Ferris Tucker, der Schiffszimmermann der Seewolf-Crew, hatte überdies ein Ruderhaus gezimmert, so daß der Rudergänger nicht immer überkommenden Seen ausgesetzt war. Das Schiff hatte zwei große Frachträume unter der Kuhl und einen kleineren unter dem Vordeck. Alle drei waren sie jetzt, nach einer langen Reise, mit kostbaren Schätzen bis obenhin vollgestopft. Als Freibeuter im Dienste Ihrer Majestät, Elisabeth I., kehrten die Seewölfe mit übervollen Händen in die Heimat zurück. Bestückt war die „Isabella“ an Backbord und Steuerbord mit je acht 17-PfünderCulverinen, außerdem gab es vorn und achtern je zwei Drehbassen für eine schnelle zusätzliche Feuerkraft. Die Culverinen hatten überlange Rohre, die eine größere Reichweite und bessere Treffgenauigkeit ermöglichten. Ben Brighton behielt mit. seiner Windvorhersage recht. Hasard ließ die Galeone abfallen, immer noch über Steuerbordbug segelnd. Dann, als der Wind noch mehr schralte, ging der Seewolf auf Backbordbug. Jetzt mußte nach Nordwesten hin aufgekreuzt werden. Für die Männer an Deck gab es jetzt kaum noch Verschnaufpausen. Der Profos ließ sein Gemisch aus Befehlen und Flüchen in schnellerer Folge auf die Crew herabprasseln. Die Gedanken an Old
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England gerieten vorläufig zur Nebensache. Hasard wußte, daß ein direkter Kurs auf England nur bei günstigen südlichen Winden möglich gewesen wäre. Aber die Windverhältnisse der vergangenen Tage hatten dazu geführt, daß sie sich der südirischen Küste näherten, was im Grunde nicht nachteilig war. Sie waren lediglich gezwungen, den Nordwestkurs jetzt strikt einzuhalten. Denn unter der Küste gab es zahlreiche gefährliche Riffs, die bei plötzlich einsetzendem auflandigem Wind zur tödlichen Falle werden konnten. Ben Brighton hatte recht: dieser verrückte irische Wind war in der Tat unberechenbar. Der Seewolf blieb auf dem Achterkastell. Vereinzelt einsetzende Böen begannen, die Nebelschwaden zu zer- fasern. Die Sicht wurde etwas besser, doch die Kimm blieb nach wie vor hinter einem trübgrauen Vorhang verborgen. Unvermittelt tönte die helle Stimme Bills aus dem Ausguck im Großmars. „Deck! Mastspitze Steuerbord voraus!“ 3. Seamus Behan wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, zweimal, dreimal. Seine Lider schmerzten und brannten von dem ständigen scharfen Seewind. Aber das Bild ließ sich nicht wegwischen. Nein, es war keine Sinnestäuschung. Der stämmige Ire schüttelte den Kopf, daß die rote Mähne flog — wie, um seine Gedanken dadurch besser sortieren zu können. Er beugte sich weiter über das Schanzkleid und spähte angestrengt auf die unruhige See hinaus. Die steuerlose „Cruiscin Lan“ bewegte sich mit der Eleganz eines fehlgeleiteten Waschzubers auf den Wogen. Zeitweise, wenn Böen heranfegten, krängte der Rumpf des Einmasters bedrohlich nach Steuerbord. Seamus Behan rieb sich noch einmal die Augen. Dann war er endgültig sicher, daß seine fünf Sinne noch funktionierten und kein Wassermann seinem
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Wahrnehmungsvermögen einen bösartigen Streich spielte. „Brendan!“ brüllte er, obwohl O'Donovan ganz in der Nähe am Mast lehnte. Der Krummbeinige hastete eilfertig heran und baute sich neben seinem Kapitän am Steuerbord-Schanzkleid auf. Behan streckte den rechten Arm in die Richtung, von der er nicht mehr wußte, welche Himmelsrichtung es war. „Siehst du das, Brendan? Hölle und Teufel, sag mir schnell, ob du es siehst!“ „Ja, natürlich, ich - ich ...“ stotterte O'Donovan und starrte in den Dunst hinaus, der Wasser und Luft noch immer zu einer trüben Einheit verschwimmen ließ. Die Nebelschwaden hatten sich allerdings weitgehend verflüchtigt. „Und?“ schnappte Behan triumphierend. „Was würdest du sagen, was es ist?“ Erst jetzt hatte O'Donovan es erfaß t. Sein Blick hakte sich an der geisterhaften Silhouette fest, und seine Knopfaugen schienen aus den Höhlen zu quellen. „Heilige Mutter Gottes!“ flüsterte er fassungslos. „Das ist - das ist ...“ „Ein Dreimaster“, fiel ihm Seamus Behan ins Wort, ohne den Kopf zu wenden. „Mann!“ hauchte O'Donovan. „Das kann ein Gespensterschiff sein. Vielleicht sind wir jetzt den Mächten des Bösen ausgeliefert. Vielleicht hat der Lord uns verflucht, und unsere Seelen sind rettungslos verloren.“ Wie die meisten Iren war Brendan O'Donovan hoffnungslos abergläubisch und für Gruselgeschichten aller Art besonders empfänglich. „Rede keinen Unsinn“, sagte Behan grollend, „Mann, das ist eine dreimastige Galeone! Wenn wir sie mit bloßem Auge erkennen können, müssen die Leute da drüben uns auch längst gesehen haben.“ O'Donovan schluckte, wobei sich sein Adamsapfel ruckend auf und ab bewegte. Seine Gedanken kehrten auf den Boden der Tatsachen zurück. Dieses Schiff, das vorläufig nur wie durch einen Schleier zu sehen war, konnte ein Geschenk Gottes sein - wenn es Realität war. Aber an letzterem schien Seamus Behan nicht im geringsten zu zweifeln.
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„Hm“, brummte O'Donovan stirnrunzeln, „ich möchte meinen, er wird unseren Kurs nicht kreuzen. Ich denke, die haben da drüben an Deck alle Hände voll zu tun, um mit dem vorlichen Wind fertig zu werden.“ „Dann müssen wir uns eben bemerkbar machen!“ fauchte Behan. „Wie denn?“ „Unsere Stimmbänder funktionieren noch, oder?“ „Tja, dann ...“ O'Donovan riß den Mund auf, um zu schreien. „Noch nicht!“ herrschte Behan ihn an. „Oder kannst du mir sagen, welche Nationalität er hat?“ O'Donovan klappte den Mund wieder zu und sagte gar nichts. Er blickte seinen Kapitän lediglich von der Seite an. „Sieht so aus, als ob es ein Spanier ist“, murmelte Seamus Behan, „aber irgendwie habe ich spanische Galeonen doch anders in Erinnerung.“ O'Donovan blinzelte verwirrt. „Ist es denn wichtig, ob es ein Spanier ist oder nicht?“ Behan antwortete nicht darauf. „Hole den Old Man, Brendan. Er, hat mehr Erfahrung als wir beide zusammen.“ O'Donovan verschwand. Als er mit Patrick Behan zurückkehrte, war das Bild des fremden Dreimasters bereits deutlicher geworden. Doch das nicht allein. O'Donovan blieb wie erstarrt stehen und riß Mund und Augen auf. „Er hat seinen Kurs geändert!“ schrie er begeistert. „Er hält auf uns zu! Die haben uns gesehen!“ Patrick Behan blickte dem fremden Segler ungläubig entgegen und murmelte ein tonloses Dankgebet. „Wir sind gerettet!“ rief O'Donovan. „Ich kann's nicht glauben, aber wir sind gerettet!“ „Langsam, langsam“, mahnte Seamus Behan und blickte seinen Vater an. „Irgendwie sieht er nicht aus wie ein Spanier. Was meinst du, Dad?“ Old Patrick Behan erwachte aus seiner Lethargie. Einen Moment blinzelte er verwirrt, wie, um sich ein klareres Bild zu verschaffen.
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Der unbekannte Dreimaster kreuzte jetzt in langen Schlägen gegen den Wind. Es gab keinen Zweifel mehr, daß er auf den Havaristen zuhielt. „Schwer zu sagen“, meinte Patrick Behan nachdenklich, „ich habe ein solches Schiff noch nie gesehen. Die Bauweise ist anders als bei den Spaniern. Ähnlich zwar, aber doch anders.“ „Was ich gesagt habe“, entgegnete Seamus und nickte. Einen Augenblick später löste sich das Rätsel von selbst. Nach einer erneuten Wende zeigte die ungewöhnlich schlanke und flach gebaute Galeone den Iren vorübergehend die Breitseite. Noch war die Entfernung beträchtlich, aber die Nationalitätsflagge ließ sich doch zweifelsfrei erkennen. „Verdammt“, sagte Seamus Behan gepreßt, „ich habe es geahnt.“ Brendan O'Donovan kniff die Lippen zusammen und nickte betrübt. „Ein Engländer. Ausgerechnet ein englischer Bastard muß uns jetzt in die Quere geraten. Das Schicksal meint es verdammt schlecht mit uns.“ Seamus stieß zur Bestätigung ein grimmiges Knurren aus. „Du sagst es, Brendan. Es scheint so, als ob dieses Schwein McCarthy mit dem Teufel im Bunde steht: Jetzt hat uns der Gehörnte einen Engländer geschickt und reibt sich vor Schadenfreude die Hände.“ „Was tun wir jetzt?“ fragte O'Donovan, der die Gedanken seines Kapitäns längst ahnte und sich darauf einstellte. „Ein Vergnügen wird es nicht sein, Lissys Bastarden in die Hände zu fallen. Die bringen es glatt fertig und servieren uns dem Hurensohn von einem Lord auf einem Silbertablett.“ „Du sprichst mir aus der Seele, Brendan“, sagte Seamus, „verdammt noch mal, du sprichst mir aus der Seele.“ Aus schmalen Augen starrte er dem Engländer entgegen, der einen erneuten Kreuzschlag gegen den Wind unternahm. Sie gaben sich eine Menge Mühe, der havarierten „Cruiscin Lan“ auf den Pelz zu rücken.
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Patrick Behan blickte die beiden jüngeren Männer an, als sehe er sie zum ersten Mal in seinem Leben. „Seid ihr verrückt geworden?“ entfuhr es ihm. „Habt ihr vergessen, in welcher Lage wir uns befinden? Da bietet sich für uns die Rettung, und ihr palavert darüber, daß es ein englischer Bastard ist! Ihr müßt den Verstand verloren haben.“ Seamus wirbelte herum. „Keineswegs, alter Mann. Ich habe einen verdammt klaren Kopf, und Brendan kapiert auch, was ich meine.“ O'Donovan nickte eifrig. „Ich kapiere es jedenfalls nicht“, sagte Old Patrick Behan zornig. „Vielleicht ist mein Grips schon zu sehr geschrumpft, daß ich so was nicht begreife. Ich weiß es nicht.“ Er zuckte erregt mit den Schultern: „Dann überlaß das Denken mir“, erwiderte sein Sohn giftig. „Einer muß schließlich die Entscheidungen treffen.“ „Seamus ist der Kapitän“, sagte O'Donovan schnell. Der junge Behan vollführte eine wegwerfende Handbewegung, doch in seiner Miene lag der Stolz des Autoritätsbewußtseins. „Ich hatte gehofft, daß es ein Spanier sei“, sagte er energisch, „auch gegen einen Portugiesen oder einen Holländer oder einen Deutschen hätte ich nichts einzuwenden gehabt. Aber einem Engländer in die Hände zu fallen, ist schlimmer als der Tod.“ „Junge, du spinnst“, entgegnete Patrick Behan kopfschüttelnd. „Meine fünf Sinne funktionieren noch ganz gut!“ schrie Seamus, und sein Gesicht rötete sich. „Wir befinden uns in Seenot. Da gelten andere Gesetze. Da gibt es keine Feindschaften mehr.“ „O doch! Mit einem Engländer kann man niemals gut Freund sein. Niemals, Old Man! Lieber lasse ich mir die Hand abhacken, als daß ich sie einem Engländer zum Gruß reiche. Alles Elend, was wir auf Eire haben, verdanken wir den englischen Bastarden. Und solche Schweinehunde wie Lord Facthna McCarthy gibt es nur, weil
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die Engländer es so wollen. Nein, Dad, lieber sterbe ich, als daß ich mir von einem Engländer das Leben retten lasse.“ „Das ist auch meine Meinung“, sagte Brendan O'Donovan entschlossen. Im geheimen Winkel seines Gehirns sah die Rechnung allerdings anders aus. Seamus hatte das Sagen. Daran mußte man sich halten. Aber daß die Rettung durch den fremden Dreimaster sich gar nicht vermeiden ließ — so weit dachte Seamus nicht. Deshalb wußte Brendan, daß er keineswegs sein Leben riskierte, wenn er jetzt nach oben buckelte. Aber später, wenn diese Geschichte ausgestanden war, hatte er dafür bei Seamus einen dicken Stein im Brett. Und es war immer gut, wenn man sich den Tonangebenden ein wenig anpaßte. Nach dieser Taktik hatte Brendan O'Donovan stets gelebt. „Ich sage nichts mehr.“ Patrick Behan schüttelte abermals den Kopf. „Der Wind muß euch den Verstand aus dem Hirn geblasen haben. Dagegen kann ich nichts ausrichten.“ Seamus blickte ihn mit funkelnden Augen an. „Wenn du nicht mein Vater wärst, würdest du so was nicht ungestraft sagen.“ Er gab sich einen Ruck. „Schluß jetzt mit dem Palaver! Noch haben wir eine Chance. Die Bastarde auf dieser nachgemachten Galeone sind noch zu weit weg, um uns an Deck sehen zu können. Wir verstecken uns. verstanden? Wenn sie sehen, daß unser Kahn leer ist, werden sie sich nicht die Mühe bereiten, erst lange nach dem Rechten zu sehen. Und die „Cruiscin Lan“ sieht Gott sei Dank so aus, als ob keine Maus mehr an Bord sei.“ „Recht so“, sagte Brendan O'Donovan. „Ich könnte nicht mehr atmen, wenn ich wüsste, daß ein Engländer mir das Leben gerettet hat.“ Old Patrick Behan starrte die beiden an, wobei er ungläubig den Mund öffnete. „Nein“, murmelte er tonlos, „nein, ich mache das nicht mit. Ich bin doch nicht ...“ „Dad!“ sagte Seamus warnend. „Noch bin ich der Kapitän auf diesem Boot. Willst du etwa auf deine alten Tage zum Meuterer werden? Wenn du nicht freiwillig unter
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Deck gehst, müssen wir dich dazu zwingen.“ O'Donovan blickte zu dem jungen Behan auf, als warte er auf den Befehl. zuzupacken' Patrick Behan bedachte seinen Sohn mit einem letzten fassungslosen Blick. Dann drehte er sich wortlos um und ging mit müden Schritten auf die Luke zu. „Na also“, sagte Seamus Behan. „Los, unter Deck, Brendan! Wir wollen nicht den Rest unseres Lebens mit dem Gedanken verbringen, daß wir dieses Leben einem dreimal verfluchten Engländer verdanken.“ Leise Zweifel begannen O'Donovan zu plagen, als er dem alten Mann folgte. Aber dann sagte sich der krummbeinige Ire, daß die Männer an Bord der Galeone sicherlich geradeaus denken würden —und nicht um drei Ecken, wie es Seamus tat. Der junge Behan ließ sich als letzter in den Fischgeruch des Unterdecksraumes fallen. Er atmete auf. 4. Fluchend hatten die Männer an Bord der „Isabella“ die Segel geborgen. Wenn ihnen auch die Geschichte dieses geheimnisvollen Bootswracks nicht einerlei war, so stand im Vordergrund ihrer Gedanken doch immer noch die baldige Heimkehr nach England, die nun durch einen unvorhergesehenen Zeitverlust aufgeschoben wurde. Hasard ließ ankern, als sie noch etwa auf Gewehrschußweite von dem havarierten Einmaster entfernt waren. Er übergab das Spektiv an Ferris Tucker, den riesenhaften Schiffszimmermann, der sich neben ihm an der Backbordbalustrade des Achterkastells aufgebaut hatte. Ben Brighton und Pete Ballie hatten ihren Platz beim Ruderhaus verlassen, standen neben dem Seewolf und spähten ebenfalls auf die rauhe irische See hinaus. Außerdem hatten sich Donegal Daniel O'Flynn, der schlanke junge Mann mit den ungewöhnlich scharfen Augen, und sein Vater, Old Donegal Daniel O'Flynn, eingefunden. Old O'Flynn hatte ein
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verwittertes Gesicht, dessen tiefe Furchen die ganze Härte dieses Mannes ausstrahlten. Wenn er sich wegen seines Holzbeines auch ohne Krücken schlecht bewegen konnte, so war er doch ein unverwüstlicher Haudegen. Was der alte O'Flynn in diesen Augenblicken empfand, konnte jeder an Bord der „Isabella“ ziemlich gut nachempfinden. Denn der alte Mann war schon halbtot gewesen, als sie ihn damals aus einem treibenden Boot gezogen hatten. Auf der Kuhl hatten sich jene Männer der Crew versammelt, die zum Dienst an Deck eingeteilt waren. Da war Edwin Carberry, der bullige Profos, der hochaufgerichtet, wie aus Granit gemeißelt, am Schanzkleid stand. Da war Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, den die Spanier als Sklaven hatten verkaufen wollen, was Philip Hasard Killigrew damals, vor vielen Jahren\ verhindert hatte. Da war Smoky, der muskulöse Decksälteste, der diesen Rang schon unter Sir Francis Drake innegehabt hatte. Und außerdem der schwarzhaarige Draufgänger Blakey, der hagere Gary Andrews, Matt Davies, dessen fehlende rechte Hand durch einen furchterregenden spitzgeschliffenen Haken ersetzt worden war, Sam Roskill, der ehemalige Karibik-Pirat, der sich durch katzenhafte Gewandtheit auszeichnete, und Bob Grey, der drahtige Engländer, der ein exzellenter Messerwerfer war. Die restlichen Mitglieder der Crew befanden sich im Mannschaftslogis. Sie hatten sich nach den kräftezehrenden Stunden nächtlicher Decksarbeit in die Hängematten oder Kojen fallen lassen. Oben, im Großmars, war der Haarschopf Bills zu erkennen. Arwenack, der Schimpanse, thronte aufgeregt keckernd auf der Schulter des Moses und zeigte immer wieder nach Backbord, wo das manövrierunfähige Boot nun schon deutlicher zu erkennen war. Ferris Tucker ließ den Kieker sinken und legte die Stirn in nachdenkliche Falten. „Merkwürdige Sache“, sagte er gedehnt, „sieht nicht so aus, als ob die von einem Sturm zerrupft worden wären.“
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Hasard blickte den Schiffszimmermann fragend an. „Sondern?“ „Schwer zu sagen. Das Ruder ist zersplittert, der Rah ist es auch nicht viel besser ergangen. Wie es dazu gekommen ist, kann ich dir beim besten Willen noch nicht sagen.“ Hasard nickte sinnierend. . „An Deck ist jedenfalls keine Menschenseele zu sehen“, stellte Dan O'Flynn fest, „nicht mal morsche Knochen. Wenn auf dieser Nußschale noch jemand am Leben wäre, müßte er sich eigentlich zeigen.“ „Es kann auch Leute geben, die nicht mehr die Kraft dazu haben“, gab Ben Brighton zu bedenken. „Zu hören ist auch nichts“, sagte Pete Ballie, „irgendwie unheimlich, nicht?“ Old O'Flynn reckte sein verwittertes Gesicht vor. „Ja“, sagte er, wobei er sich mit der Hand über die Bartstoppeln rieb, „es gibt nun mal Dinge, für die wir armseligen Menschen keine Erklärung haben. Vielleicht hockt da drüben auf der Mastspitze ein grinsender grüngesichtiger Wassergeist, der für uns unsichtbar ist. Und jetzt wartet er nur darauf, daß Wir ihm in die Falle gehen. Es hat da mal eine Geschichte gegeben — an der Westküste von Hispaniola —, muß schon an die fünfzig Jahre her sein, aber die Spanier werden heute noch weiß im Gesicht, wenn sie daran nur denken. Also — das Ganze fing so ähnlich an, wie mit diesem Einmaster. Da lief eine spanische Galeone auf Westkurs, und plötzlich tauchte so ein Wrack aus dem Nebel auf. Natürlich hat der Kapitän an ein Unglück gedacht und wollte helfen. Er konnte ja nicht ahnen, daß er sich selbst und seine ganze Crew ins Verderben stürzen würde. Auf dem Wrack lag nämlich ein böser Fluch und ...“ „Wir setzen das Beiboot aus“, entschied Hasard kurzerhand und beendete damit den Redefluß des alten O'Flynn. Ohnehin hatten sie alle nur mit halbem Ohr hingehört, denn die Gruselgeschichten, die Dans Vater mit Vorliebe von sich gab, kannte jeder an Bord der „Isabella“ in- und
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auswendig. Und so wußten sie auch, daß dieser erbarmungswürdige spanische Capitan damals vor Hispaniola plötzlich von zauberhaften Meerjungfrauen umringt worden war, als er das Wrack betreten hatte. Und dann hatten diese geheimnisvollen Nymphen auch noch die restliche Crew herübergelockt und betört, bis schließlich ein gräßliches grüngeschupptes Fabelwesen aufgetaucht war und sie alle in die Tiefe des Meeres gerissen hatte. Ja, solche Geschichten erzählte Old O'Flynn. Aber hier wußten sie schließlich alle, daß die irische See viel zu kalt und ungemütlich war für Meerjungfrauen. Edwin Carberry stieg zum Achterkastell hoch. In seinem wüsten Narbengesicht fehlte der gewohnte Aus- druck der Unzufriedenheit. Vielmehr sah er besorgt aus. Ein Seelenzustand, der bei dem bulligen Profos höchst selten vorkam. „Das ist ein irischer Fischer, das da draußen“, teilte er dem Seewolf mit dröhnender Stimme mit. „Du meinst, was von einem irischen Fischer übrig geblieben ist“, korrigierte Pete Ballie feixend. In Ed Carberrys Narbengesicht breitete sich schlagartig wieder der alte Grimm aus. Seine Augen funkelten den Rudergänger an. „Ich hab dich nicht um deine Meinung gefragt, du Stint! Hör auf damit, oder ich ziehe dir die Haut in Streifen von deinem ...“ „Schluß damit“, unterbrach Hasard den Profos. „Wir sehen nach dem Rechten, Ed.“ Er trat an die vordere Balustrade des Achterkastells. „Smoky!“ „Sir?“ Der Decksälteste, unten auf der Kuhl, wandte den Kopf. „Laß das Beiboot abfieren!“ „Aye, aye, Sir!“ Smoky scheuchte die Männer los. „Sieht verdammt abgerissen aus, dieser Einmaster“, meldete sich Edwin Carberry wieder zu Wort. „Irgendjemand muß ihn durch die Mangel gedreht haben. Von selbst passiert so was nicht.“
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Hasard drehte sich um. „Das hat Ferris auch schon festgestellt.“ „Der Kahn heißt ,Cruiscin Lan`,“ fuhr der Profos fort, „das ist Gälisch und bedeutet ungefähr soviel wie ‚Kleine volle Flasche', denke ich.“ „Woher willst ausgerechnet du das wissen?“ fragte Pete Ballie, der es nicht lassen konnte. „Du Giftzwerg!“ schnaubte Carberry. „Ich hab ein paar Iren in meiner Ahnenreihe. Kapiert?“ Pete riß die Augen auf. „Ach, deshalb“, sagte er in einem Tonfall, als ginge ihm das größte Licht seines Lebens auf. „Jetzt wird mir einiges klar.“ Grinsend begann er, sich auf die andere Seite des Achterkastells zurückzuziehen. Ed Carberry zeigte Anstalten, sich auf den Rudergänger zu stürzen. Obwohl Pete Ballie nicht gerade schmächtig geraten war, ließ sich doch leicht vorhersagen, wer den kürzeren ziehen würde. „Dich ramme ich ungespitzt zwischen die Decksnähte, du miese Kakerlake!“ knurrte der Profos. „Was haben die Iren dir getan, daß du Rübenschwein die Frechheit besitzt, sie zu beleidigen! Ich werde dir zeigen ...“ „Das Beiboot ist klariert!“ rief Hasard energisch. „Ferris! Ed! Ihr begleitet mich. Ben, du übernimmst hier das Kommando.“ „Aye, aye, Sir“, sagte der Bootsmann. Der Profos bremste seinen gerade begonnenen Ansturm nur zögernd. Aber als Hasard und Ferris zur Kuhl hinunterstiegen, hielt es ihn nicht länger auf dem Achterkastell. Bevor er sich abwandte, warf er dem Rudergänger noch einen wilden Blick zu. Pete Ballie hob in gespielter Furcht die Hände vor das Gesicht. Dann zuckte er gewollt scheinheilig mit den Schultern und blickte den alten O'Flynn fragend an. „Hab ich irgendwas gegen die Iren gesagt? Hab ich die Iren beleidigt?“ „Der Ton macht die Musik, mein Junge“, sagte Old O'Flynn lächelnd, „und selbst unser guter alter Profos merkt, wenn ihn einer für dumm verkaufen will.“
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„Wenn einer keinen Spaß vertragen kann, hat er selbst schuld“, meinte Pete. „In Ordnung, Schluß jetzt“, sagte Ben Brighton ruhig. „Wenn Ed meint, daß er sich an einen entfernten irischen Stammbaum erinnern muß, dann lassen wir ihm das Vergnügen. Ihr könnt eure Diskussion bei Nathaniel Plymson in der ,Bloody Mary' fortsetzen. Das ist die richtige Umgebung für so was.“ Pete Ballie sagte nichts mehr. Seine Augen begannen zu leuchten. Der Gedanke an die vertraute Hafenkneipe in Plymouth, an den ersten Landgang in Old England — das war eine Sache, die jeden an Bord der „Isabella“ schon seit Tagen bewegte. Und wenn es eine Prügelei in der ,Bloody Mary' sein sollte, dann war auch das etwas, wovon man mit feuchten Augen träumen konnte. Die Männer im Beiboot hatten unterdessen abgelegt und pullten mit kraftvollen Schlägen auf den Havaristen zu. Außer Hasard, Ferris Tucker und Edwin Carberry waren Blacky, Gary Andrews und Sam Roskill dabei. Die kabbelige See ließ das Beiboot tanzen. Von der Galeone her folgten ihnen gespannte Blicke. Mit jedem Riemenschlag, um den sich das Beiboot dem Wrack näherte, schien die Angelegenheit rätselhafter zu werden. Nichts rührte sich auf dem geschundenen: Einmaster. Kein Lebenszeichen von Mann und Maus. Drüben, auf dem Achterkastell, setzte Old O'Flynn zu einer neuen Gruselgeschichte aus seinem umfangreichen Repertoire an. Aber auch diesmal wollte sich kein aufmerksamer Zuhörer finden. Hasards Männer holten die Riemen ein und ließen das Beiboot mit dem letzten Schwung längsseits gehen. Sam Roskill enterte mit einem federnden Satz über und belegte einen Tampen am Schanzkleid des Havaristen. Hasard und die anderen stiegen ebenfalls an Bord. Sie brauchten sich nicht zweimal umzusehen, um die Anzeichen zu erkennen, die auf einen Kampf
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hindeuteten. Ein Kampf, der mit ziemlich ungleichen Vorzeichen auf diesem armseligen kleinen Fischerboot geführt worden sein mußte. Stille umgab die Seewölfe. Hasard ließ die anderen stehen und ging auf die Luke zu, die unter Deck führte. Seine Schritte verursachten einen dumpfen Nachhall auf den Decksplanken. Dann öffnete er die Luke und ließ sie polternd zurückfallen. Im nächsten Moment zuckte er ungewollt zusammen. Ferris Tucker, Ed Carberry und den übrigen Männern erging es nicht anders. Eine zornbebende Donnerstimme tönte ihnen aus dem finsteren Loch entgegen. „Geht zum Teufel, ihr gottverdammten englischen Bastarde!“ * Im ersten Augenblick verschlug es ihnen allen die Sprache. Hasard sah die anderen an und las in ihren Augen die gleiche Fassungslosigkeit, die ihn selbst getroffen hatte. Selbst Edwin Carberry, der zuvor nicht ohne Stolz seine irisch-gälischen Sprachkenntnisse herausgestrichen hatte, brachte kein Wort hervor. Hasard zuckte schließlich mit den Schultern und beugte sich abermals über die nun offene Luke. „Die englischen Bastarde, Gentlemen, sind hier, um euch zu helfen. Ich nehm an, daß ihr unsere Nationalität erkannt habt, bevor wir euch im Kieker hatten. Aber ihr braucht euch nicht vor uns zu verkriechen. Wir haben nicht vor, euer hübsches kleines Boot zu kapern.“ Tucker, Carberry und die anderen brachen in Gelächter aus. Doch sie verstummten sehr schnell wieder. Denn aus dem Unterdecksraum schmetterte erneut diese vor Zorn vibrierende Stimme: „Dann verschwindet, ihr Schweinehunde! Wenn es so ist, wie ihr sagt, laßt uns in Frieden! Haut ab!“ Das Englisch, das der noch unsichtbare Mann sprach, hatte einen seltsam rollenden Klang — wie bei den meisten Iren, deren
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Muttersprache das Gälische war. Doch darauf einen Gedanken zu verschwenden, hatten die Seewölfe im Augenblick wahrhaftig keine Neigung. Hasard nahm es vorläufig noch nicht ernst, was sich hier abspielte. Er schreib es den Strapazen und Entbehrungen zu, die die Iren offenkundig hinter sich hatten. Möglich, daß sie deshalb so gereizt waren. Möglich aber auch, daß der Seewind ihre Gedanken ein wenig durcheinander gewirbelt hatte. „Gut“, sagte Hasard daher in das finstere Loch, „ihr wollt mit uns nichts zu tun haben. Davon können wir euch nicht abbringen. Aber es ist unsere seemännische Pflicht, einer in Seenot geratenen Schiffsbesatzung Hilfe zu leisten. Tun wir das nicht, werdet ihr hinterher wahrscheinlich noch mehr auf die englischen Bastarde fluchen. Also kommt raus und redet ein vernünftiges Wort!“ „Spar dir dein Gefasel, Engländer!“ tönte es zurück. „Verschwindet jetzt endlich. Kerle von eurer Sorte haben uns lange genug unterdrückt.“ Hasard richtete sich auf und wandte sich zu seinen Männern um. „Sieht so aus, als ob man mit uns nichts zu tun haben will.“ Edwin Carberry stapfte auf die Luke zu. „Diese lausigen Rübenschweine!“ rief er grollend. „Die sind nicht mehr ganz richtig im Kopf, was, wie? Denen ziehe ich eigenhändig die Haut in Streifen von ihren Affenärschen, wenn die nicht mit ihrem lächerlichen Räsonieren aufhören! Also raus jetzt; ihr Heringe! Oder wir machen euch Feuer unter dem Hintern!“ Der Sprachschatz des Profos hatte eine durchschlagende Wirkung. Unten, in der fischig riechenden Höhle, blieb es diesmal still. „Ed, verdammt nochmal!“ sagte Hasard lächelnd und mit gespieltem Tadel. ,,Was fallt dir ein, meine vorsichtigen Annäherungsversuche zu zerstören?“ „Ed hat recht, zum Teufel!“ mischte sich nun Ferris Tucker wütend ein. „Sollen wir uns etwa die Beine in den Bauch stehen, bis diese Knilche uns Guten Tag sagen?“
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„So was braucht seine Zeit, Mann!“ rief Sam Roskill feixend. „So was kann man nicht übers Knie brechen.“ „Richtig“, fügte Gary Andrews spöttisch hinzu. „Ist schon zu lange her, daß wir das letzte Mal in Irland waren. Bei denen dauert eben alles ein bißchen länger.“ „Wie meinst du das?“ fragte Blacky lauthals und scheinheilig. „Heißt das, daß bei denen auch der Grips langsamer arbeitet als bei uns?“ „Klar doch“, bestätigte Gary spöttisch. „Das hängt mit der einseitigen Ernährung zusammen. Auf ihrer Insel müssen sie hauptsächlich Grünzeug futtern, weil sie von den anderen Sachen nicht genug haben. Und Grünzeug na ja, das wirkt mehr auf die Muskeln als auf ...“ Er wurde unterbrochen. In der offenen Luke entstand eine jähe Bewegung. Schwielige Fäuste packten den hölzernen Rand, und ein flammender Rotschopf schnellte hoch. Mit einem federnden Satz stand Seamus Behan auf den Decksplanken, nur einen Schritt von Hasard, Ferris und Ed entfernt. Betroffenheit war die erste Reaktion der Seewölfe, als sie die abgerissene Kleidung des Mannes sahen. Aber in seinen eisgrauen Augen lag ein wilder Zorn, dersich von Haß kaum unterscheiden ließ. Sein erbärmliches Äußeres geriet durch diese Wildheit seines Gesichtsausdrucks rasch zur Nebensache. Sein glühender Blick glitt von einem der Männer zum anderen, taxierend und angriffslustig. „Ich bin Seamus Behan“, sagte er schroff. „Ihr befindet euch auf meinem Schiff, und ihr habt dieses Schiff ohne meine Erlaubnis betreten!“ Sein Blick blieb auf Philip Hasard Killigrew haften. Der Ire schien ein Gespür dafür zu haben, wer von den Fremden die meiste Autorität hatte. Behan war ein hochgewachsener Bursche, doch Hasard überragte ihn noch um eine halbe Haupteslänge. Hasard hielt diesem wütenden Blick mit einem kaum merklichen amüsierten Lächeln stand. „In Ordnung, Mister Behan“, sagte er ruhig. „Mein Name ist Philip Hasard
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Killigrew, und ich bin der Kapitän des Schiffes, das Sie dort drüben sehen. Ich weise Sie darauf hin, daß wir in friedlicher Absicht erschienen sind. Sollten Sie trotzdem eine feindselige Haltung . an den Tag legen, müssen Sie sich mit den Konsequenzen abfinden.“ „Was?“ Behans Kinnlade klappte herunter. Edwin Carberry trat einen Schritt auf ihn zu, baute sich vor ihm auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. Er schob sein mächtiges Rammkinn vor, und was er sagte, sagte er auf Gälisch. „Jetzt hör mal gut zu, du irische Kellerassel! Unser Kapitän hat dir eben ein letztes Friedensangebot unterbreitet. Kapiert? Wir begreifen alle, daß dein Stroh im Schädel vielleicht gelitten hat. Aber keiner von uns hat jemals erlebt, daß ein lausiger Schiffbrüchiger so einen idiotischen Zirkus veranstaltet hat!“ „Schon gut, Ed“, sagte Hasard beschwichtigend. Er hatte halbwegs mitgekriegt, was der Profos dem verstockten Iren ins Gesicht geschleudert hatte. Er wandte sich an Behan. „Sind Sie der einzige Überlebende an Bord? Falls es noch weitere gibt, sollten Sie die zumindest mitentscheiden lassen.“ Der Ire überhörte es. Er starrte Edwin Carberry ungläubig an. „Wer oder was bist du, Mann?“ fragte er tonlos. „Ein verfluchter Überläufer, der uns an die Engländer verraten hat?“ Die Schläfenadern des Profos schwollen an. Dann packte er so blitzartig zu, daß Behan vor Schreck nicht rechtzeitig reagieren konnte. Ed Carberry zog ihn am Kragen seines zerschlissenen Hemdes zu sich heran. „Hüte deine Zunge, Mister Behan! Ich habe ein bißchen mehr Grips als du, und ich bin ein bißchen mehr in der Welt herumgekommen als du. Deshalb spreche ich deine Sprache. Das ist ein Kinderspiel für mich, verstehst du? Und wenn du dich jetzt nicht augenblicklich zusammenreißt, kriegst du von mir einen Tritt in den Hintern, daß du ...“ Weiter gelangte er nicht.
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Jäh riß Behan die Arme hoch. Ungeahnte Kraft lag in diesem schmetternden Doppelhieb, der die Handgelenke des Profos von unten traf. Carberry lockerte seinen Griff nicht, doch der Hemdenstoff zerriß prasselnd unter seinen Fäusten. Es war die Verblüffung, die den bulligen Profos überrumpelte. Denn an Körperkräften war er dem anderen durchaus gewachsen, wenn nicht überlegen. Der Ire stieß einen wilden Schrei aus. Wut und Triumph paarten sich in diesem Schrei. Blitzschnell versetzte er dem Profos einen Rammstoß vor die Brust. Edwin Carberry taumelte zurück und warf die Arme hoch, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. In seinen Händen hingen noch die Fetzen des Hemdenstoffes. Mit weiten Augen verfolgten die Männer der „Isabella“ das Geschehen. Der Profos bremste seinen unfreiwilligen Schwung. Zornesröte verdunkelte sein Narbengesicht. Seamus Behan wartete breitbeinig vor der Luke, die schwieligen Fäuste abwehrbereit erhoben. „Du lausiger Makrelenjäger!“ brüllte der Profos. „Das machst du mit Edwin Carberry nicht ungestraft! Dafür werde ich dir den Schädel weichklopfen!“ Ferris Tucker konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er mußte sich abwenden, um es nicht zu zeigen. Die ganze Situation hatte eine Portion Lächerlichkeit. Der gute alte Ed übertrieb mal wieder maßlos. Carberry setzte zu einem mächtigen Satz an, bereit, sich mit brettharten Fäusten auf den verstockten Iren zu stürzen. Hasard ging dazwischen. Er streckte den linken Arm aus und bremste den Profos. „Es reicht jetzt, Mister Carberry. Laß den Unsinn.“ Er wandte den Kopf nach rechts. „Und Sie, Mister Behan, hören auch auf ...“ Ed Carberry brüllte etwas, das Hasard nicht mehr verstand.
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Denn im selben Augenblick traf ihn ein unbarmherziger Hieb in die Nierengegend, der ihm den Atem raubte. Hasard klappte zusammen, rang nach Luft und geriet ins Stolpern. Triumphierend setzte der Ire nach. Seine Faust wirbelte zischend durch die Luft, explodierte unter dem Kinn Hasards und schleuderte ihn gegen das SteuerbordSchanzkleid. Den Männern von der „Isabella“ stockte der Atem. Selbst Edwin Carberry vergaß seine Wut und wich zurück. Ferris Tucker legte ihm die Hand auf die Schulter. „Dieser Knilch muß tatsächlich den Verstand verloren haben“, murmelte der Schiffszimmermann entgeistert. Hasard rappelte sich am Schanzkleid auf und rieb sich das schmerzende Kinn. Er hatte das Gefühl, einen Huftritt erhalten zu haben. Und dieses Gefühl war nicht nur körperlich. Seamus Behan ging von neuem auf ihn los. „Ich habe euch gewarnt!“ schrie der Ire mit sich überschlagender Stimme. „Verschwindet von meinem Schiff, ihr elenden englischen Bastarde! Verschwindet!“ Hasard stieß sich vom Schanzkleid ab. Sein Geduldsfaden riß. Das Maß war voll. Dieser Wirrkopf von einem irischen Fischer überspannte den Bogen total. Mitgefühl konnte er jetzt beim besten Willen nicht mehr erwarten. Hasard unterlief den blindwütigen Ansturm Behans mühelos. Im selben Moment, als die Fäuste des Iren mächtige Luftlöcher hieben, tauchte Hasard hoch und feuerte eine Gerade ab, die haargenau auf den Punkt traf. Seamus Behan hatte das Gefühl, gegen einen Steinwall gerannt zu sein. Er prallte zurück. Sein Gesicht färbte sich grünlich, mit weit aufgerissenem Mund keuchte er mühevoll und rasselnd. Hasard dachte nicht daran, jetzt noch Zurückhaltung zu üben. Mit Worten war diesem Sturkopf nicht beizukommen. Die Lektion, die er begreifen würde, sah anders aus.
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Federnd setzte der Seewolf nach. Die Schmerzen, die er Behans Hieben verdankte, waren vergessen. Seamus riß die Arme hoch und wollte den Angriff abblocken. Gnadenlos zerschmetterte Hasard die hastig aufgebaute Deckung des Iren. Behan torkelte zurück, geriet ins Wanken und ruderte haltsuchend mit den Armen. Hasard blieb auf Tuchfühlung und verpaßte dem Iren blitzschnell hintereinander zwei Fausthiebe, für die jede Gegenwehr zu spät erfolgte. Seamus Behan glaubte, von Rammstößen getroffen worden zu sein. Die Urgewalt der Hiebe legte ihn flach, schleuderte ihn quer über die Decksplanken. Mit der Schulter prallte er gegen das Backbord-Schanzkleid. Er riß den Mund weit auf vor Schreck und Schmerz zugleich, doch er brachte keinen Schrei hervor. „Ist dein Kopf klarer geworden, Mister Behan?“ erkundigte sich Hasard mit frostigem Lächeln, während er auf den am Boden Liegenden zuging. Der Ire schüttelte den Kopf. Ächzend versuchte er, aufzustehen. Der Seewolf war bereits bei ihm, packte zu und zog ihn in die Senkrechte. Bevor Behan wußte, wie ihm geschah, versetzte Hasard ihm zwei schallende Ohrfeigen, die ihn abermals auf die Planken schleuderten. Diesmal blieb Seamus auf dem Rücken' liegen, lang ausgestreckt. Und er versuchte auch nicht, sich wieder aufzurichten. Nicht nur die Wucht der Schläge, die er hatte einstecken müssen, bewirkte dies. Zu sehr demoralisierte ihn die Überlegenheit dieses schwarzhaarigen Teufels, in dessen Fäusten Pulverladungen zu explodieren schienen. Seamus war bei vollem Bewußtsein, sein Gesicht brannte wie Feuer. Mit weit offenen Augen starrte er den breitschultrigen Riesen an, als handele es sich um ein menschliches Fabelwesen aus unbekannten Welten. Hasard blickte mitleidlos auf ihn hinunter. „Seht unter Deck nach“, befahl er seinen Männern, ohne den Kopf zu wenden.
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Blacky und Gary Andrews übernahmen es, diese Order auszuführen. Sie stiegen in die finstere Luke. Scharrende Schritte und dumpfes Stimmengemurmel waren kurz darauf zu hören. Dann kamen sie ans Tageslicht. Zitternd und furchtsam. Zuerst Patrick Behan, der alte Mann, dem man die Ähnlichkeit mit Seamus auf den ersten Blick ansah. Dann Brendan O'Donovan, der krummbeinige kleine Fischer, dessen Fuchsgesicht jetzt merkwürdig zerknittert aussah. „Das war alles, was wir auftreiben konnten“, sagte Blacky. Gemeinsam mit Gary Andrews scheuchte er die beiden Iren zum Mast hinüber. O'Donovan und der alte Mann blickten ungläubig auf ihren am Boden liegenden Kapitän. Dann sahen sie den Seewolf an, diesen Mann von riesenhaftem Wuchs, breitschultrig und schmalhüftig. Ehrfurcht grub sich in die Züge des verhärmten Patrick Behan, und Brendan O'Donovan biß sich auf die Unterlippe, daß es schmerzte. Niemand hatte es jemals geschafft, Seamus Behan zusammenzuschlagen. Die wenigen, die es in Glandore versucht hatten, waren kläglich gescheitert und hatten es niemals wieder gewagt, gegen Seamus die Hand zu erheben. Und so hatte es auch nur diesen einen Mann in dem kleinen Fischerdorf gegeben, der den aufgestauten Zorn nicht länger in sich hineinfressen wollte. Seamus Behan war es gewesen, der das in die Tat umgesetzt hatte, wozu allen anderen in Glandore der Mut gefehlt hatte. Sie alle hätten sich immer weiter von Lord McCarthy knechten lassen, hätten ohnmächtig und nur mit verstecktem Zähneknirschen die immer höheren Abgaben entrichtet, die der Lord von ihnen forderte. Ja, Seamus Behan hatte den offenen Widerstand gegen Facthna McCarthy organisiert. Mit geduldvoller Überredungskunst war es ihm gelungen, die Männer von Glandore hinter sich zu scharen: Denn zu ihm hatten sie aufgeblickt. Nur durch seine körperliche
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und seine geistige Kraft war der Widerstand überhaupt möglich gewesen. Und jetzt tauchte dieser schwarzhaarige englische Teufel aus dem Nebel der irischen See auf und degradierte Seamus Behan, den großen Seamus Behan, mit ein paar Fausthieben zum Jammerlappen. Patrick Behan, der alte Mann, begriff in diesem Augenblick, daß die Welt größer war als Glandore. Daß der Horizont weiter reichte, als es die Verhältnisse auf der irischen Insel zuließen. „Aufstehen!“ sagte Hasard. „Oder möchtest du noch Mehr Dresche beziehen, Seamus Behan?` Der Ire preßte die Lippen zusammen, daß sie einen Strich bildeten. Aus seinem Blick war der Haß geschwunden. Aber es lag auch keine Spur von Unterwerfung in seinen eisgrauen Augen. Sein Stolz war ungebrochen, nur seinen Widerstandswillen hatte der Seewolf zerschlagen. Brendan O'Donovan sackte der Unterkiefer auf die schmale Brust, als sein Kapitän tatsächlich gehorchte und sich schwerfällig aufrichtete. „Zu den anderen hinüber“, ordnete der Seewolf an. Seamus Behan befolgte auch diesen Befehl. Neben seinem Vater baute er sich auf und warf den Kopf in den Nacken. Nein, es lag kein Deut von Unterwürfigkeit in dem Blick, mit dem er seinen Bezwinger musterte. Die Männer der „Isabella“ bildeten einen lockeren Halbkreis um den Seewolf. „Ihr seid uns eine Erklärung schuldig“, sagte Hasard, „und ich hoffe, einer von euch wird dazu bereit sein.“ Seamus Behan stieß einen Laut aus, der als Knurren gedacht war. Aber mehr als ein Krächzen wurde nicht .daraus, was als unmittelbare Auswirkung seiner Niederlage anzusehen war. Zum Ausgleich legte er den Kopf noch weiter in den Nacken. Doch es gelang ihm beim besten Willen nicht, von oben auf den Seewolf herabzublicken. „Meinetwegen können wir verhandeln“, sagte Seamus, vergleichsweise leise
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diesmal. „Mir bleibt ja nichts anderes übrig. Ihr könnt nicht leugnen, daß ihr Engländer seid. Die geborenen Unterdrücker.“ Von neuem verschlug es den Seewölfen die Sprache. „Himmel, Arsch und Zwirn“, knurrte Ferris Tucker, „wenn das nicht langsam aufhört, platzt ausnahmsweise mir der Kragen!“ „Ich sag gar nichts mehr“, erklärte Edwin Carberry grollend, „noch ein falsches Wort von dieser irischen Kanalratte, und ich drehe ihm den Hals um!“ Hasard blieb ruhig. „Old Man“, wandte er sich an den grauhaarigen, ausgemergelten Iren. „Ich könnte mir vorstellen, daß du der einzig Vernünftige an Bord bist. Oder hast du die gleichen verrückten Ansichten wie dieser Dickschädel?“ Er deutete mit einer Kopfbewegung auf Seamus Behan, in dessen Augen neuer Haß aufzuglühen begann. Der alte Mann atmete tief durch. „Dieser Dickschädel ist mein Sohn, Sir. Ich bin Patrick Beharr.“ „Und er?“ Hasard zeigte auf den Krummbeinigen. „Brendan O'Donovan, Sir. Der letzte aus unserer Crew. Wir hatten drei Mann, außer Seamus und mir.“ Seamus Behan ruckte herum. „Halt den Mund, Dad! Wir brauchen hier keine Erklärungen abzugeben. Verdammt noch mal, das haben wir nicht nötig.“ Patrick Behans Stimme klang müde, als er antwortete, ohne den Kopf zu wenden. „Ausnahmsweise solltest du jetzt einmal den Mund halten, Junge, auch wenn ich dir das Kommando auf diesem Boot übertragen habe. Vielleicht war es zu früh. Vielleicht hätte ich noch ein paar Jahre damit warten sollen.“ „Himmel!“ schrie Seamus. „Aus dir spricht wieder der Engländerknecht. Du bist nicht besser als all die anderen Arschkriecher in Glandore!“ Hasard verlor abermals die Geduld. „Mister Behan!“ brüllte er. „Wenn es dir schon nicht der Anstand gebietet, auf
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deinen Vater zu hören, dann sorge ich höchstpersönlich dafür, daß du den Mund hältst! Verstanden?“ Seamus zuckte zusammen. Reflexartig zog er den Kopf zwischen die Schultern. Und er schwieg tatsächlich. Die Erinnerung an die Fäuste dieses hünenhaften Engländers war frisch genug, um eine gehörige Portion Respekt aufrechtzuerhalten. „Rede weiter, Old Man“, forderte Hasard den Vater des Hitzkopfes auf. Patrick Behan nickte. „Wir sind unter der Küste überfallen worden, Sir. Wie viele Tage das her ist, vermag keiner von uns mehr zu sagen. Zwei von unseren Männern mußten wir der See übergeben. Sie starben an Hunger und Entkräftung.“ Betroffenheit malte sich in den Gesichtern der Seewölfe. Sie fingen an zu begreifen, welche Tragödie sich auf diesem Boot abgespielt haben mußte. Umso weniger verstanden sie allerdings die Halsstarrigkeit des rothaarigen Kapitäns. „Wer hat euch überfallen?“ fragte Hasard. „Und warum?“ „Das ist eine lange Geschichte, Sir“, erwiderte der alte Mann. „Wenn Sie wüßten ...“ „Laß den ,Sir` weg und rede mich an wie jeden anderen. Das ist bei uns so üblich. Außerdem könntest du mein Vater sein.“ Verlegenheit spiegelte sich in Old Patrick Behans Miene. Aber dann lächelte er ein wenig. „Also gut“, sagte er nach einigem Zögern. „Ich habe vorhin gehört, daß du ein Killigrew bist. Der Name ist nicht unbekannt. Deshalb wußte ich nicht, ob du nicht genauso bist wie diese gottverdammten Engländer, die uns Iren die Luft abdrehen.“ „Ich bin ein Killigrew“, sagte Hasard, „aber mehr als den Namen habe ich mit der Sippe von Arwenack nicht gemein. Das soll genügen. Also weiter, Old Man.“ „Wir stammen aus Glandore“, berichtete Patrick Behan, „das ist an der Südküste, im County Cork. Das Gebiet um Glandore wird von Lord Facthna McCarthy verwaltet. Ein irischer Hurensohn, der von den Engländern auf seinen Posten gesetzt
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wurde. Und ich kann dir sagen, Mister Killigrew, McCarthy ist mindestens genauso schlimm wie jeder englische Lord, der von den Iren seinen Tribut kassiert.“ „Verstehe“, sagte Hasard. „Dieser McCarthy hat euch also überfallen?“ „Seine Schergen. Englisches Gesindel. Verbrecher und Halsabschneider, die sie drüben in England nicht mehr haben wollen. So was schicken sie dann als Söldner nach Irland. Um unsereins zu unterdrücken, sind diese Galgenstricke anscheinend gut genug.“ Die Seewölfe wurden nachdenklich. Ihre anfängliche Wut auf den halsstarrigen Seamus begann zu weichen. Hier wurde ihnen eine weniger rühmliche Seite englischen Herrschaftsdenkens offenbart. Und weil in jedem Mann von der „Isabella“-Crew ein unbändiger Gerechtigkeitssinn schlummerte, entwickelten sie einen ersten Hauch von Verständnis für diesen Engländerhaß, der sich in Seamus Behan und seinen Landsleuten festgefressen haben mußte. „Mein Sohn“, fuhr Patrick Behan fort, „hat es als erster riskiert, offen gegen McCarthy aufzumucken. Wir haben unsere Abgaben nicht mehr gezahlt, weil unsere Familien selbst dann nicht mehr genug zu beißen haben, wenn wir alles für uns behalten. Der Fischfang ist erbärmlich genug. Wir haben kein Geld, um unsere Ausrüstungen und unsere Boote zu erneuern. Wir gehen noch genauso auf Fangfahrt wie unserer Großväter vor hundert Jahren. Ständig flicken wir an dem herum, was wir haben. Wenn einer mal soviel gespart hat, um sich ein neues Netz zu leisten, dann haben seine Frau und seine Kinder ein paar Jahre lang dafür gehungert. Und McCarthy, dieser Schweinehund, denkt nicht im Traum daran, unsere Ausrüstung zu verbessern. Immer höhere Abgaben will er. Aber wie wir das anstellen, interessiert ihn einen Dreck.“ „Langsam verstehe ich“, sagte Hasard. „Euer Lord wollte euch durch den Überfall die Leviten lesen.“ „Und noch ein bißchen mehr“, fügte Patrick Behan hinzu. „Seine Leute haben
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uns bis aufs Hemd ausgeplündert, das Ruder zerhauen und jeden Fetzen Tuch mitgenommen - praktisch alles, was an Bord nicht niet- und nagelfest war. Daß seine Rechnung aufgehen würde, wußte McCarthy ziemlich genau. Natürlich hat er sich gesagt, daß die ,Cruiscin Lan mit Mann und Maus verschollen bleibt. Damit wäre dann in Glandore wieder alles beim alten gewesen. Jeder hätte klar vor Augen gehabt, was mit einem passiert, der sich gegen den Lord auflehnt. Und wenn nicht einmal Seamus Behan es schaffen kann, wer dann sonst? Ich kann dir sagen, die Männer in Glandore haben keine Hoffnung mehr. Sie werden wieder schuften wie die Wahnsinnigen, sie werden ihren Tribut zahlen, und sie werden mit ansehen müssen, wie ihre Neugeborenen an Hunger sterben.“ Seamus Behan mischte sich erregt ein. „Dieses Schwein McCarthy hat es nur geschafft, weil er einen günstigen Moment abgepaßt hat. Jeder in Glandore weiß, daß er ein hinterhältiger Hund ist. Im offenen, ehrlichen Kampf hätten wir ihm und seiner Horde das Fell über die Ohren gezogen!“ Hasard lächelte sanft. Seamus übertrieb maßlos. Aber Menschen, die in Unterdrückung lebten, brauchten einen Mann wie ihn. Einen Himmelsstürmer, der die wilde Entschlossenheit aufbrachte, gegen einen Fels anzurennen und dabei nicht zu verzweifeln. „Gut“, sagte Hasard nach einer Weile, „jedem von uns ist inzwischen klar, wie euch zumute war, als ihr unsere Flagge saht. Aber langsam müßtet ihr kapiert haben, daß ihr ein bißchen schief gelegen habt. Vor allem du, Seamus Behan. Eins verstehe ich am allerwenigsten: Wenn du es wirklich ernst meinst mit deinem Kampf gegen euren Lord McCarthy, warum läßt du dann deine Landsleute im Stich?“ „Was, zum Teufel, soll das heißen?“ brauste Seamus auf. „Ich lasse niemanden im Stich!“ Sein Vater lächelte versonnen. Er begriff haargenau, in welche gedankliche Richtung dieser englische Teufelskerl seinen Sohn zu bugsieren begann.
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Hasard trat einen Schritt auf den Rothaarigen zu und tippte ihm mit ausgestrecktem Zeigefinger gegen die Brust. „Denk mal scharf nach, Seamus. Ich biete dir an, dich, den Rest deiner Crew und dein Boot zurück nach Irland zu bringen. Damit hättest du die Chance, deine Wühlarbeit gegen den Lord fortzusetzen und vor allem deinen Landsleuten zu helfen. Aber du lehnst das glatt ab. Also hast du es nie ernst gemeint mit deiner Revolte.“ „Das ist eine verdammte Lüge!“ fauchte Seamus. „So?“ Hasard grinste. „Wolltest du nicht lieber krepieren, als dich von einem Engländer retten lassen? Meine Männer wüßten etwas Besseres, als ihre Zeit damit zu vertrödeln, jetzt noch die irische Küste anzulaufen. Jeder an Bord unseres Schiffes ist scharf darauf, so bald wie möglich wieder Heimatboden unter den Füßen zu haben.“ „Verdammt wahr ist das!“ ereiferte sich Edwin Carberry im Hintergrund. „Und ich sehe immer noch nicht ein, daß wir diesem Stinkstiefel zuliebe unseren Kurs ändern sollen.“ „Halt den Rand, Ed“, sagte Ferris Tucker todernst, „Hasard ist gerade dabei, uns als Engländern einen guten Namen zu verschaffen. Hau jetzt nicht wieder alles kaputt, Mann!“ „Ich?“ rief der Profos entrüstet. „Wer hat denn mit dem ganzen Kram angefangen, was, wie? Doch kein anderer als dieser irische ...“ „Ruhe!“ fuhr Hasard dazwischen. „Ich will diese Reden nicht mehr hören. Auch von dir nicht, Seamus Behan. Verstanden?`' Die Gesichtsfarbe des Iren hatte sich bereits wieder seiner Haarfarbe angenähert. Aber er schluckte den erneut aufkeimenden Wutanfall hinunter. Mittlerweile hatte sich der Respekt vor Hasard fast so tief in ihm festgefressen wie der Haß auf die Engländer. „Trotzdem“, sagte er kaum besänftigt, „es würde aufs gleiche hinauslaufen, ob wir auf Nimmerwiedersehen Verschwinden oder von einem Engländer nach , Irland
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zurückgebracht werden. Die Schande wäre dieselbe. Ich könnte keinem meiner Landsleute je wieder in die Augen sehen.“ „Du bist verrückt, Junge“, entfuhr es seinem Vater. Brendan O'Donovan hielt sich vorsichtshalber aus allem heraus. Er spürte instinktiv, daß dies nicht die Situation für ihn war, sich an einem Gespräch zu beteiligen. Er verhielt sich wie das kleine Licht, als das er sich immer gern gefühlt hatte. Auf diese Weise brauchte er keine Probleme zu wälzen. „Ich weiß, was ich sage!“ schrie Seamus. „Ich denke nicht daran ...“ „Halt den Mund!“ unterbrach Hasard ihn in der gleichen Lautstärke. „Mit dem idiotischen Gefasel ist jetzt Schluß. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Erstens: wir bringen euch zurück nach Glandore. Zweitens: Ihr begleitet uns nach England. Dort werdet ihr als Seefahrer leicht Arbeit finden, und ihr hättet ein besseres Leben. Ihr könntet natürlich auch auf dem englischen Festland arbeiten und dann mit ein bißchen Geld in eure Heimat zurückkehren. Ihr könnt euch die eine oder die andere Möglichkeit aussuchen. Aber eins gibt es nicht: Wir lassen euch nicht absaufen. Notfalls verhindern wir das mit Gewalt. Punktum. Hast du noch was zu sagen, Seamus Behan?“ Der Rothaarige schluckte. „Das - das ist Erpressung“, sagte er tonlos, „niemals würden wir nach England gehen! Niemals! Und auf einem englischen Schiff zurück nach Irland - nein, ich bleibe dabei: Lieber krepieren wir.“ Die Männer der „Isabella“ schüttelten ungläubig die Köpfe. Soviel Sturheit auf einem Haufen hatten sie noch nicht erlebt. Wenn der Anlaß nicht so traurig gewesen wäre, hätte man über den Iren lachen können. Aber immerhin ging es um Menschenleben. „Ich glaube, dein Vater ist anderer Meinung“, sagte Hasard. „Allerdings“, bestätigte Patrick Behan, „und ich hätte nichts dagegen, wenn du meinen Sohn notfalls auf deine Galeone hinüberprügelst, Mister Killigrew.“
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Seamus' Augen wurden kreisrund, und er kriegte den Mund nicht wieder zu. „Und du, Mister O'Donovan?“ erkundigte sich Hasard. Der Krummbeinige erschrak, als er so unverhofft angesprochen wurde'. „Aber - aber ich“, stotterte er, „ich bin doch nur ...“ „Jeder wird gefragt“, entgegnete der Seewolf. „Wenn du freiwillig mitkommst, brauchen wir dir schließlich keins auf die Rübe zu geben, oder?“ O'Donovan wand sich, bevor er sich eine Antwort abquälte. Ed Carberry, Ferris Tucker und die anderen verzogen geringschätzig die Mundwinkel. Dieser rothaarige kleine Kerl mit den Beinen, die eher zu einem Dragoner als zu einem Seefahrer gepaßt hätten, gehörte zur öligen Sorte, einer Sorte, die die Seewölfe noch nie hatten leiden mögen. „Nun ja, es ist so“, erklärte O'Donovan zögernd, „ich meine, daß Seamus recht hat, wenn er sagt, wir können nicht nach England gehen. Irgendwie wäre das 'ne krumme Tour. Dann müßten unsere Nachbarn in Glandore unsere eigenen Familien mitversorgen. Und Patrick hat ja vorhin schon gesagt, daß jeder kaum selbst genug zu beißen hat.“ Hasard zog die Augenbrauen hoch. Der krummbeinige Bursche brachte da ein Argument, das man in der Tat anerkennen konnte. Der Seewolf schnitt mit der flachen Hand durch die Luft. „Also zurück nach Irland, Mister O'Donovan?“ „Ja, äh — ich ...“ Seamus Behan entband seinen kurz geratenen Gefährten von der inneren Pein. „Wir können darüber reden“, erklärte Seamus, „aber nur unter bestimmten Bedingungen.“ „Sehr großzügig“, entgegnete Hasard mit übertrieben gespielter Hochachtung, „wir dürfen also hoffen, daß wir die Ehre haben werden, dich und dein Schiff ins gelobte Irland zurückzubringen?“
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Seamus schien den spöttischen Unterton des Seewolfs nicht zu hören. „Meine Bedingungen sind wie folgt“, sagte er und gab sich den Tonfall eines Mannes, der die besseren Karten noch in der Hand hat. „Ihr bringt uns bis vor die Küste, und zwar an einen unbewohnten Teil, damit niemand sieht, daß wir von Engländern gerettet worden sind. Außerdem übergebe ich euch mein Schiff als Gegenleistung für die Hilfe. Ich will von einem Engländer nichts geschenkt.“ „Sir!“ rief Ed Carberry breit und im Brustton der Überzeugung. „Es hilft alles nichts. Du mußt dem Makrelenjäger doch den Hintern versohlen. Und wenn du es nicht tust, dann übernehme ich das. Und zwar mit Kußhand.“ Seamus Behan hoß einen giftigen Blick auf den Profos ab. „Mein Junge meint es nicht so“, wagte Patrick Behan einen Schlichtungsversuch. „O doch!“ fauchte Seamus. „Jedes Wort! Ich lasse mich nicht zu irgendwas zwingen. Wenn, dann muß alles seine Richtigkeit haben.“ Hasard reagierte auf eine Weise, die seine Männer in grenzenloses Erstaunen versetzte. „In Ordnung“, sagte er. „Ich nehme deine Bedingungen an. Seamus Behan. Also keine Debatten mehr!“ Er wandte sich um und warf Ed Carberry, Ferris Tucker und den anderen einen augenzwinkernden, amüsierten Blick zu. Sie verstanden jetzt. Und sie bemühten sich, nicht zu grinsen. Hasard dachte nicht im Traum daran, diese idiotischen Bedingungen zu akzeptieren. Er hatte sich einfach damit abgefunden, daß man diesen Rotkopf in seinem Wahn nicht ernst nehmen konnte. Also behandelte man ihn am besten wie eine kranke Kuh. Man konnte Seamus Behan eher ertragen, wenn man ihn äußerlich ernst nahm und sich innerlich über ihn totlachte. Hasard verhielt sich goldrichtig, das sahen die Seewölfe jetzt ein. Manchmal konnte man mit ein bißchen Diplomatie mehr erreichen als mit den Fäusten. Daran, daß man die drei Iren ihrem Schicksal überließ,
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hatte keiner von der „Isabella“-Crew auch nur ein einziges Mal gedacht. 5. Nur für kurze Zeit war der Himmel am Nachmittag aufgeklart. Die tückischen Böen hatten nachgelassen, aber das wollte nichts besagen. Jetzt, während die Sonne über der westlichen Kimm bereits ihren Abstieg begonnen hatte, schoben sich dunkle Wolkenbänke von Südwesten heran. Der Wind hatte auf beinahe sanfte Weise nach und nach gedreht. Erste Nebelschwaden hatten sich wieder über der irischen See gebildet und filterten die Sonnenstrahlen zu einer trügerischen Helligkeit. Die „Isabella“ segelte mit rauschender Fahrt über Steuerbordbug auf Nordwestkurs, im Kielwasser die „Cruiscin Lan“, die durch eine Schlepptrosse mit der schlanken englischen Galeone verbunden war. An Bord des Dreimasters war es ruhiger geworden. Hasard hatte alle Segel setzen lassen. Der handige Wind aus Südwest blähte das Tuch zu scheinbarer Steifheit. Rechtzeitig hatten sie die gefährlichen Riffs vor der irischen Küste umsegelt. Nach gründlichem Studium der Seekarten rechnete Hasard damit, daß sie jetzt — bei gleich bleibendem Wind — höchstens noch zwei Stunden bis zur Bucht von Glandore brauchten. Natürlich glaubte Seamus Behan nach wie vor daran, daß die „Isabella“ vor einem unbesiedelten Teil der Küste nahe Glandore ankern würde. Nachdem sie an Bord gekommen waren, hatte sich der Kutscher um die halb verhungerten Iren gekümmert. Mit besonderer Sorgfalt hatte er ihnen zunächst eine leichte Mahlzeit bereitet, wußte er doch, daß sie nach tagelangem Hungern keine schweren Brocken im Magen vertragen konnten. Die beiden Behans und O'Donovan hatten sich anschließend langgelegt und waren augenblicklich in tiefen Schlaf gefallen. Beim regulären Mittagessen hatten sie dann wieder kräftig zugelangt.
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Am Nachmittag war es im Mannschaftslogis, wo sich nun auch wieder Hasards Söhne aufhielten, völlig ruhig geblieben. Der Seewolf folgerte daraus, daß die Strapazen der vergangenen Tage jetzt ihren Tribut von den Iren forderten. Seamus Behan verspürte anscheinend keine Neigung mehr, sich mit den Männern der „Isabella“ herumzustreiten. Ferris Tucker überprüfte den Kurs der Galeone mit Hilfe des Jakobsstabes. Der Schiffszimmermann hatte Ben Brighton auf dem Achterkastell abgelöst. Noch ermöglichte die Sonne eine exakte Peilung. Sofern vor Einbruch der Dunkelheit Land in Sicht kam, würde es keine Probleme geben. Ferris Tucker setzte den Jakobsstab ab. „Kurs Nordwest liegt an“, sagte er, indem er sich zu Hasard umwandte, der sich ebenfalls seit geraumer Zeit auf dem Achterkastell aufhielt. Am Ruder stand wieder Pete Ballie, der erfahrenste Mann für diese Aufgabe. Nur kurz hatte er sich während der Mittagszeit ablösen lassen. Doch dann, als die ersten Riffs erschienen waren, war Pete wieder auf seinem Posten gewesen. „Danke, Ferris“, antwortete Hasard. Mit einer kurzen Handbewegung deutete er nach achtern. „Das da will mir ganz und gar nicht gefallen.“ Der Schiffszimmermann nickte und setzte eine bedenkliche Miene auf. Irgendwas braut sich zusammen. Aber wenn wir Glück haben, sind wir rechtzeitig in diesem Fischernest.“ Hasard grinste und legte warnend den Zeigefinger an die Lippen. „Nicht so laut, Ferris! Wenn unsere irischen Freunde das hören, gibt's eine Widerstandsbewegung an Bord.“ Ferris Tucker mußte lachen. „Mir wäre der Kragen geplatzt, muß ich ehrlich sagen. Ich an deiner Stelle hätte den Rotkopf windelweich geschlagen. Solange, bis er sein Lästermaul nicht mehr aufgekriegt hätte. Aber anscheinend gelangt man mit. Geduld doch weiter.“
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Der Seewolf zog die breiten Schultern hoch. „Schwer zu sagen, Ferris. Ich denke, manchmal hängt Geduld auch davon ab, wie man selbst gelaunt ist.“ Der Schiffszimmermann, dessen Kreuz das Format eines Rahsegels hatte, setzte eine nachdenkliche Miene auf. Die beiden Männer schwiegen jetzt. Sie spürten, daß das Wetter ihnen einen Strich durch die Rechnung ziehen würde. Die Dinge würden nicht so glatt laufen wie bisher. Philip Hasard Killigrew und seine Männer gehörten zu jener Sorte von Seefahrern; denen es Stunden im voraus in den Knochen steckte, wenn sich ein Wetterumschwung ankündigte. Vorn im Mannschaftslogis hatte sich derweil eine kleine Versammlungsrunde gebildet. Eine blakende Öllampe erhellte die Szenerie nur dürftig. Das stete Ächzen des Schiffsrumpfes war der Hintergrund gedämpft gewechselter Worte. Einige der Männer schliefen in Kojen und Hängematten. Nach stunde-langer Decksarbeit und einer handfesten Mahlzeit hatten sie sich aufs Ohr gehauen. Auch Patrick und Seamus Behan gehörten noch zu jenen, die mit tiefen und regelmäßigen Atemzügen die Decken abhorchten. Brendan O'Donovan hockte unterdessen auf dem Rand einer der Kojen und fühlte sich ganz als Mittelpunkt. Die Männer, die den kleinen Iren umringten, genehmigten sich einen Schluck von ihrer Rumration. O'Donovan hatte nur zaghaft von dem Teufelszeug probiert und war gelb-. grün im Gesicht geworden. Er hatte das Gefühl gehabt, von einer inneren Flamme aufgefressen zu werden. Kein Mensch in Irland kannte diesen Höllentrunk, den die Seefahrer der englischen Krone aus der Neuen Welt mitgebracht hatten. Während O'Donovan also noch zögerte, den Krug zu leeren, den sie ihm in die Hand gedrückt hatten, erwachte in ihm andererseits das Gefühl mächtigen Stolzes. Ganz ohne Zweifel war er der erste Ire, der den sogenannten Rum gekostet hatte. Selbst das Schweinegeld eines Lord
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Facthna McCarthy reichte nicht aus, um einen solchen Vorzug zu genießen. Der Fuchsgesichtige hatte sich die Namen seiner Gesprächspartner bereits eingeprägt. Er hatte ein gutes Gedächtnis, und auch sonst war er nicht auf den Kopf gefallen, das wußte er. Brendan O'Donovan hatte sehr schnell begriffen, daß diese Männer und auch die anderen, die er zuvor auf dem Einmaster kennen gelernt hatte, zu einer besonderen Klasse gehörten. Es mußte ein rauhes und wildes Leben sein, das sie führten. Jeder von ihnen schien unüberwindlich. Alle zusammen mußten sie in der Lage sein, ein wahres Höllenfeuer zu entfachen. O ja, O'Donovan konnte sich verteufelt gut vorstellen, daß diese Crew so manchen Gegner das Fürchten gelehrt hatte. Die Zwillinge, diese beiden gewitzten Söhnchen des Seewolfs, hockten weiter vorn in einer Ecke und beschäftigten sich hingebungsvoll mit einem Spiel, das aus bunten Holzkugeln bestand. Ausnahmsweise waren Philip und Hasard dabei einmal erstaunlich ruhig. Möglich aber auch, daß es der Respekt war, den sie mittlerweile vor allem vor Big Old Shane hatten. Der bärenstarke Mann verstand es mit besonderem Einfühlungsvermögen, den beiden kleinen Raubkatzen gütig und energisch zugleich die Leviten zu lesen wenn es sein mußte. Brendan O'Donovan hatte derweil aufmerksame Zuhörer gefunden. Er genoß es, gewissermaßen im Mittelpunkt des Interesses zu stehen, während er seine Geschichten aus Glandore abspulte. Nun, Iren waren schon immer begabte Geschichtenerzähler gewesen. Aber um das wiederzugeben, was sich in dem Fischerdorf ereignet hatte, bedurfte es keiner zusätzlichen Phantasie. O'Donovan wußte indessen auch, daß er den Bogen nicht zu sehr überspannen und nicht in die gleiche Kerbe schlagen durfte, wie es Seamus Behan tat. Immerhin waren die Männer der „Isabella“ Engländer, wenn sie auch ihre eigene Meinung hatten. Aber es war nicht gut, wenn man jemanden an der Wurzel seiner Empfindungen beleidigte, an
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seinem Nationalitäts- bewußtsein. Darüber war sich der fuchsgesichtige Ire im klaren. Folglich hatte er betont, daß Lord Facthna McCarthy ebenfalls ein Ire war. Daß er es mit seinen Schikanen viel weiter trieb, als es vermutlich die Engländer taten, die in Irland als Landadlige sicherlich nicht ohne Mühen ihr Brot verdienten. Facthna McCarthy sei indessen einer von der ganz schlimmen Sorte, einer ,der nach oben katzbuckelte und nach unten Fußtritte von der gemeinsten Sorte austeilte. Mit unverhohlenem Genuß hatte O'Donovan allerdings geschildert, wie Seamus Behan die Schergen des Lords aus seiner Hütte geprügelt hatte. Wie Seamus sich das erste Mal geweigert hatte, den wöchentlichen Zins an seine Lordschaft zu zahlen. Wie die Handlanger McCarthys mit Verstärkung zurückgekehrt waren, und wie sie abermals Prügel bezogen hatten. Und dann, so hatte Brendan stolz berichtet, waren die Einwohner des Dorfes endgültig überzeugt gewesen, daß Seamus Behan der Mann war, der die Kraft hatte, ihnen allen aus dem Dreck zu helfen. Seamus war nicht der einzige geblieben, der der Tributzahlung verweigerte. Und er hatte nicht mehr allein gegen die gewalttätige McCarthy-Gefolgschaft gestanden. „Den Rest der Geschichte kennt ihr“, schloß O'Donovan seine weitschweifigen Erzählungen. Neu gewonnenes inneres Wohlgefühl beflügelte ihn, den Krug noch einmal an die Lippen zu setzen. Er nahm einen größeren Schluck und erlitt prompt einen Hustenanfall. Dieses Teufelszeug war wirklich zuviel für einen Mann, der es nicht gewohnt war. Die Seewölfe grinsten sich eins. Es fiel ihnen nicht schwer, den Fuchsgesichtigen einzustufen. Das war einer von der Sorte, die sich gern aufblies. Einer, der es gelernt hatte, seine Worte so zu wählen, daß er bei anderen nicht aneckte. Da war ihnen Seamus Behan in seiner geraden Art schon sympathischer. Zwar war er ein hirnverbrannter Dickschädel, aber man wußte bei ihm, woran man war.
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„Ist Irisches Lord raffiniertes Bürschchen“, sagte Batuti grollend, „macht Behan kaputt, sind alle kaputt.“ „So ist es“, sagte O'Donovan mit eifrigem Nicken, „dieser Mistkerl weiß verdammt genau, daß die anderen keinen Mut mehr haben, wenn Seamus weg ist.“ „Diesen McCarthy würde ich mir gern mal zur Brust nehmen“, meinte Jeff Bowie und rieb sich das Kinn mit der Hakenprothese. „Das wäre ein Kerl so richtig nach meinem Geschmack.“ „Am besten noch vor dem Frühstück!“ rief Matt Davies und hob ebenfalls seinen Haken, dessen geschliffene Spitze gefährlich funkelte. Die anderen lachten. „Schlagt euch das aus dem Kopf“, sagte Al Conroy schließlich, „ich glaube nicht, daß wir Kurs auf Glandore nehmen werden. Wir haben genug Trinkwasser und Proviant an Bord, um von hier aus zweimal nach England zu segeln. Es besteht also kein Grund für einen längeren Aufenthalt. Hasard wird die Iren unter der Küste absetzen. Wie dieser Sturkopf es selbst gewünscht hat.“ „Wieso?“ wandte Bob Grey ein. „Ob wir nun vor der Küste ankern oder vor diesem Fischernest. Welchen Unterschied macht das?“ „Seamus würde verrückt werden, wenn unsere Leute ihn mit einem englischen Schiff einlaufen sehen“, entgegnete Brendan O'Donovan, „bei uns ist das nun mal so. Da nimmt man solche Sachen verdammt genau. Ihr könnt euch das nicht vorstellen, weil ihr es viel leichter habt. Ihr seid freie Menschen, oder? Ihr könnt tun, was ihr wollt, und ihr habt ein feines Leben.“ Der Fuchsgesichtige war froh, das Gespräch endlich in die Richtung lenken zu können, die er von vornherein im Sinn gehabt hatte. „Hör mal, Paddy“, sagte Will Thorne, indem er sich vorbeugte. „Wenn du ein anständiger Kerl bist und genug Mumm in den Knochen hast, dann kannst du mal bei der königlichen Lissy anklopfen. Möchte wetten, daß sie auf einem ihrer Schiffe noch einen Platz frei hat.
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„Hör auf !“ Luke Morgan grinste. „Dafür ist er ein bißchen zu kurz. Unsere liebe Lissy legt gern den Kopf in den Nacken, wenn sie mit einem Freibeuter Ihrer Majestät redet. Sie hat es nicht gern, wenn sie von oben auf einen Kerl hinunterblicken muß.“ Wieder war donnerndes Gelächter die Folge. Brendan O'Donovan fühlte sich ein wenig unbehaglich. Er war nicht recht sicher, ob sie ihn verulkten, oder ob es eine allgemeine Flachserei war. Als sich das Gelächter zu legen begann, wagte er einen erneuten Vorstoß. „Aber wenn man so ein — ein Freibeuter ist, da sieht man eine Menge von der Welt, nicht wahr?“ „Ho!“ rief Big Old Shane. „Du mußt nur aufpassen, Junge, daß sie dir nicht die Klüsen dichthauen, bevor du was siehst!“ Abermals Gelächter. „Was? Wieso?“ O'Donovan war verwirrt. „Das ist folgendermaßen“, erklärte Stenmark, „was wir so treiben, sind keine Spazierfahrten. Da sind dauernd irgendwelche Leute, die uns irgendwas nicht gönnen. Und falls ihr's in Irland noch nicht mitgekriegt habt: Wir sind ziemlich schlecht dran, weil die Spanier die Engländer nicht leiden können. Die Dons wollen uns dauernd alles wegnehmen, was wir haben.“ „Aber erstmal müßt ihr es ihnen ja wegnehmen, stimmt's?“ Diesmal lachte O'Donovan. Es war ein meckerndes Lachen. Smoky schoß einen wütenden Blick auf Stenmark ab, und der blonde Schwede zog den Kopf zwischen die Schultern. Stenmark wußte nur zu gut, was dem Decksältesten gegen den Strich ging. Oft genug hatten sie Schwierigkeiten gehabt, weil jemand spitzgekriegt hatte, welche Kostbarkeiten sich im Bauch der „Isabella“ verbargen. Dabei war es meistens nicht einmal der Fall gewesen, daß einer von ihnen sich leichtsinnigerweise verplappert hatte. Es gab eben genug Leute, die zwei und zwei zusammenzählen konnten. Eine englische Galeone, die mit beträchtlichem
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Tiefgang in Richtung Heimat segelte, transportierte garantiert keine Kokosnüsse. Um die zu bewachen, brauchte man keine Culverinen mit überlangen Läufen. O'Donovan merkte nichts von dem Blickwechsel zwischen den Männern. „Na ja“, sagte er leichthin, „die Spanier schleppen sowieso genug Gold aus der Neuen Welt herüber. Manchmal laufen Philips Galeonen auf der Heimreise die Westküste Unserer schönen grünen Insel an. Als Zwischenstation oder so. Ja, und da. spricht es sich eben auch hei uns herum, welchen Reichtum die Dons bei sich zuhause nach und nach anhäufen:' Smoky nahm die Sache in die Hand. Und er ließ sich beileibe nicht anmerken, daß ihm die Andeutungen des Krummbeinigen nicht gefielen. Der Decksälteste blieb die Freundlichkeit in Person. „Und ihr laßt euch das alles aus der Nase gehen?“ fragte er lächelnd. „Wenn ihr Iren gewitzt genug wärt, würdet ihr ein bißchen von den Goldschätzen der Dons für euch abzwacken.“ „Wie denn?“ entgegnete O'Donovan gekränkt. „Wir haben keine Schiffe und keine Waffen. Und eure Königin denkt nicht daran, uns so was zu geben. Die Iren sind ihr anscheinend nicht gut genug. Klar, daß sie lieber ihre eigenen Leute losschickt, um die Spanier auszuplündern. Ihr selbst müßt das doch am besten wissen.“ „Die ,Isabella` ist ein Handelsschiff“, sagte Smoky todernst, „was hast du denn gedacht?“ O'Donovan begann zu blinzeln. Ihm war anzusehen, daß er nach den passenden Worten suchte. „Aber ich - ich denke ...“ Er stotterte und wußte nicht weiter. Smoky beugte sich vor. „Was denkst du, mein Junge?“ „Nichts, nichts, gar nichts“, haspelte der Ire. „Besser so“, sagte Smoky, „das Denken überläßt du besser denen, die einen großen Kopf haben.“
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O'Donovan gewann seine innere Ruhe zurück. „Und ich hätte schwören mögen, ihr seid Freibeuter ...“ „Sehen wir so aus?“ rief Stenmark in gespielter Empörung. Der Fuchsgesichtige streckte abwehrend beide Arme aus. „Oh, nein ...“ Schritte, die den Niedergang herunterpolterten, entbanden ihn von einer weiteren Antwort. Ferris Tucker schob sein breites Kreuz in den matten Lichtschein der Öllampe. „Ist einer von den Iren wach?“ dröhnte seine Stimme. Brendan O'Donovan sprang behende auf. „Hier, Sir! Was kann ich tun?“ Ferris Tucker musterte ihn von Kopf bis Fuß, bevor er antwortete. „Komm mit, Kleiner. Wir brauchen einen Lotsen. Aber falls du die Gewässer vor eurer gottverdammten grünen Küste nicht genau kennst, sag es lieber gleich.“ Der Rothaarige warf sich in die Brust. „Ich arbeite seit meinem vierzehnten Lebensjahr auf dem Fischerboot der Behans, Sir.” „In Ordnung.“ Der Schiffszimmermann nickte. „Dann mal los! Und ihr“, er wandte sich zu den anderen um, „macht euch schon mal darauf gefaßt, daß es gleich ein ordentliches Stück Arbeit gibt. Sturm kommt auf.“ Mehr war nicht zu sagen. Die Männer wußten, was sie erwartete. Jeder auf der „Isabella“ kannte seine Aufgabe in einem solchen Fall. Dann mußte jeder Handgriff sitzen, denn ihr aller Leben hing davon ab, daß sie den Naturgewalten trotzten. Für die Seewolf-Crew war das immer eine Herausforderung, der sie sich mit geradezu wilder Entschlossenheit stellten. Und mehr als einmal hatten sie bewiesen, wie prächtig sie es verstanden, dem Teufel ein Ohr abzusegeln. Ferris Tucker brachte den kleinen Iren zum Achterkastell. Der Himmel über der irischen See hatte sich bedrohlich verfinstert. Die. Wolkenbänke aus Südwesten waren bereits so nahe, daß es den Anschein hatte, sie wollten sich wie ein gigantisches
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Ungeheuer herabstürzen und Schiff und Besatzung unter sich begraben. Aber noch herrschte jene Ruhe vor dem Sturm, die Brendan O'Donovan aus seiner langen Erfahrung als Fischer nur zu gut kannte. Das schwache Tageslicht reichte noch aus, um den matten Streifen am westlichen Horizont zu erkennen. Die Dunstschleier der beginnenden Abenddämmerung erschwerten allerdings die Sicht. Während O'Donovan hinter dem Schiffszimmermann zum Achterkastell hinaufstieg, musterte er den Seewolf, der dort an der Backbordbalustrade stand und das Spektiv in den Händen hielt. O'Donovan konnte sich beim Anblick dieses hünenhaften Mannes eines Gefühls von Respekt und Bewunderung nicht erwehren. Es mußte schon ein Teufelskerl sein, der eine Crew aus stahlharten Burschen befehligte und rund um die Welt segelte, ohne sich vor den waffenstarrenden Schiffen der feindlichen Spanier zu fürchten. „Da haben wir Mister O'Donovan, Sir“, sagte Ferris Tucker, „er behauptet, die irische Küste hier wie seine Westentasche zu kennen.“ Philip Hasard Killigrew drehte sich um. Seine Augen sind wie Eis, dachte O'Donovan, während er eine ehrerbietige Verbeugung andeutete, fast so, als könne er einem bis auf die Knochen schauen! „Ich brauche einen guten Lotsen“, sagte der Seewolf, „wir müssen die Bucht von Glandore anlaufen. Nach der Seekarte zu urteilen, finden wir dort Schutz vor dem Sturm. Ist das richtig, Mister O'Donovan?“ Der Ire sperrte erschrocken den Mund auf. „Aber Sir, ich - ich meine, wir - wir hatten doch vereinbart, daß ...“ Hasard schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. „Wir müssen mit einem Sturm fertig werden, Mister O'Donovan. Alles andere ist jetzt uninteressant. Klar?“ „Aber Seamus wird einen. Tobsuchtsanfall kriegen, wenn er aufwacht“, entgegnete der Ire vorsichtig.
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Hasard lächelte frostig. „Dann wird er sich damit abfinden müssen, daß wir ihn in Ketten legen, falls er nicht Vernunft annimmt. Sonst noch Einwände, Mister O'Donovan?“ „Nein, Sir.“ „Gut. Dann sagen Sie mir jetzt, wo wir uns befinden.“ Er drückte dem Iren das Spektiv in die Hand. O'Donovan setzte den Kieker vor das rechte Auge, justierte ihn und spähte zur Küste hinüber. Die Entfernung betrug schätzungsweise drei bis vier Seemeilen. Nach einem Moment ließ O'Donovan das Spektiv wieder sinken. „Wir befinden uns etwa auf halber Höhe zwischen der Bucht von Ross und der Bucht von Glandore.“ „In Ordnung.“ Hasard nickte zufrieden. Er hatte die Seekarte studiert und bereits vorher die Position der „Isabella“ festgestellt. Von O'Donovan hatte er lediglich den Beweis haben wollen, daß er sich wirklich auskannte. „Es wird bald dunkel werden, Sir“, sagte der Ire, „bei Tageslicht schaffen wir es nicht mehr.“ „Deshalb sollen Sie uns helfen. Normalerweise würden wir auf die offene See abdrehen und den Sturm abreiten. Aber wegen der Riffe ist das unmöglich. Deshalb bleibt uns nur die Bucht von Glandore.“ „Natürlich, Sir“, pflichtete ihm O'Donovan eifrig bei, „jetzt auf Ostkurs zu gehen, wäre glatter Selbstmord. Da könnte nicht einmal ich Ihnen mehr helfen. Aber die paar kleinen Felsen, die wir vor Glandore haben, kenne ich wie meine Hosentasche. Kein Problem, sage ich Ihnen.“ Hasard antwortete nicht. Die Art, wie der kleine Mann sich aufplusterte, gefiel ihm nicht. Aber im Augenblick gab es Wichtigeres. 6. Noch vor Dunkelwerden brach der Sturm in voller Stärke los. Hasard hatte alle erforderlichen Maßnahmen treffen lassen, um mit dem Unwetter fertig zu werden. Dies, so dachte er, war vermutlich haargenau der Sturm, den sich jener Lord
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McCarthy gewünscht hatte, um sein so genanntes Gottesurteil gegen Seamus Behan vollenden zu lassen. Der Einmaster tanzte wie eine Nußschale in der Hecksee der Galeone. An Deck waren alle Männer auf ihren Posten. Diejenigen, die nicht benötigt wurden und sich nur gegenseitig auf die Füße getreten hätten, harrten im Mannschaftslogis aus. Dort befanden sich auch Philip und Hasard in sicherem Gewahrsam. Ebenso Seamus Behan und sein Vater. Die Seewölfe achteten höllisch genau darauf, daß weder die Zwillinge noch die beiden Iren auf den Gedanken verfallen konnten, auch nur eine Nasenspitze durch das Schott zu stecken. Die Öllampen waren samt und sonders gelöscht worden. Trotzdem würde ein verdächtiges Geräusch im Mannschaftslogis sofort auffallen. Überdies hockte Big Old Shane vor dem Niedergang. Mit seiner imposanten Körpergröße versperrte er jedem den Weg, der unpassende Absichten haben sollte. Draußen war es derweil zusehends ungemütlicher geworden. Der Wind pfiff und orgelte in den Wanten und Pardunen. Die schwarzen Wolken schlossen sich wie ein Vorhang über den Köpfen der Männer. Von Südwesten rollten jetzt immer größere Wogen heran und türmten sich zu Brechern auf. Hasard hatte den Iren O'Donovan auf dem Achterkastell zwischen straff gespannte Manntaue gesteckt. Das bedeutete nicht, daß er an den seemännischen Erfahrungen des Rothaarigen zweifelte. Aber wenn man bei einem Sturm nicht jeden Quadratzoll der Planken kannte, die man unter den Füßen hatte, dann konnte ein falscher Tritt in einem unbedachten Moment zum Verhängnis werden. Ferris Tucker und der Seewolf selbst bewegten sich frei auf dem Achterkastell. Noch hatte der Sturm nicht solche Ausmaße angenommen, die striktere Sicherheitsmaßnahmen erforderten. Auch auf der Kuhl und auf dem Vordeck waren mittlerweile die Manntaue gespannt und die Luken verschalkt. Die
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Kombüsenfeuer waren gelöscht, und der Kutscher hatte sich auf Hasards Anordnung zu den anderen ins Mannschaftslogis zurückgezogen. Die Männer hatten ihre Arbeit zügig, doch ohne Hast erledigt. Der Kampf gegen die Naturgewalten war ihr Element, mit dem sie fertig zu werden verstanden. Es war Routine, die ihnen diesen Kampf erleichterte. Aber dennoch ließen sie sich nicht zum Leichtsinn verleiten. Die Bedeutung jedes einzelnen Handgriffs war ihnen bewußt. Die finsteren Wolken hatten das letzte noch vorhandene Tageslicht gelöscht. Hasard blickte nach achtern. Das Wetter war jetzt eine pechschwarze Wand, die hinter der „Isabella“ herzufegen schien und sie einzuholen versuchte. Die Nacht, die noch keine Nacht sein konnte, war hereingebrochen. Die Galeone begann, schlingernde Bewegungen in der aufgewühlten See zu vollführen. Der Seewolf fragte sich ernsthaft, ob sie es noch schaffen würden, die schützende Bucht von Glandore rechtzeitig zu erreichen. Noch hatte der Sturm nicht zu voller Stärke aufgedreht, gewiß. Aber die Tücken des Wetters unter der irischen Küste waren nun einmal bekannt. Hier konnte sich die Situation von einem Atemzug zum anderen ändern. Dann hing letztlich alles davon ab, ob Brendan O'Donovan die Position etwaiger Riffe trotz der Finsternis rechtzeitig sah. Um diesen Punkt sorgte sich der fuchsgesichtige Ire indessen weniger. Den wirklich gefährlichen Bereich vor der Südwestküste der Grünen Insel hatte die Galeone bei Tageslicht und gutem Wetter längst hinter sich gebracht. Was jetzt noch folgte, die geringe Distanz bis zur Bucht von Glandore, war dagegen eher ein Kinderspiel. Aber das brauchte man den Engländern nicht unbedingt auf die Nase zu binden. Umso weniger konnte er, Brendan O'Donovan, mit seinen überragenden Kenntnissen protzen. Während die Seewölfe sich gegen den zunehmenden Sturm wappneten, stellte Brendan seine Überlegungen an. Angst
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hatte er nicht. Zwischen den Manntauen war er sicher. Keine Bö würde ihn über Bord blasen, und kein überkommender Brecher konnte ihn packen. Aufgefallen war ihm von Anfang an der beträchtliche Tiefgang der „Isabella“. Jetzt, bei der extremen Wetterlage, erwies sich die Galeone als unerwartet langsam in ihren Reaktionen — langsam jedenfalls, gemessen an der schlanken und neuzeitlichen Konstruktionsweise des Rumpfes. Dieses Schiff mußte also bis an die Grenze seines Fassungsvermögens vollgeladen sein, folgerte O'Donovan. Und darüber, welche Aufträge ein englisches Freibeuterschiff im allgemeinen ausführte, gab es selbst für einen Inselbewohner, der wenig von der großen Welt wußte, keinen Zweifel. Philip Hasard Killigrew und seine Männer waren Freibeuter. Das war für O'Donovan so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Tatsache, daß sie es ihm gegenüber abgestritten hatten, bestärkte ihn nur noch. Wenn sie also ein paar spanische Galeonen gekapert hatten, dann waren sie im Begriff, ihrer königlichen Lissy einen schmackhaften Happen zu servieren. Klingende Münze, Gold und Silber. Der Teufel mochte wissen, was es sonst noch alles war. Nun war Brendan O'Donovan keineswegs so vermessen, auf den Gedanken zu verfallen, er könnte heimlich in einen der Laderäume steigen und ein wenig von den vermuteten Schätzen stibitzen – gerade so viel, daß es in seine ausgebeulten Hosentaschen paßte. Nein, solche Gedanken hatte Brendan O'Donovan nicht. Er wußte nur zu gut, daß er mit einem derartigen Vorhaben ganz einfach Schiffbruch erleiden mußte. Seine Schlußfolgerungen waren völlig anderer Art. Etwas zu wissen, konnte wertvoller sein als eine Hosentasche voller Goldmünzen. Haargenau das war es, was O'Donovan sich in den Kopf setzte. Er unterbrach seine Gedanken jedoch, als ein matter Lichtschein in der
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rabenschwarzen Finsternis zu erkennen war. „Die Lichter!“ schrie O'Donovan gegen das Tosen des Sturms an. „Steuerbord voraus! Die Lichter von Glandore Castle! Bald haben wir es geschafft!“ Der Seewolf wandte sich zu ihm um. „Dann tu dein Bestes, O'Donovan!“ brüllte er. „Wir wollen nicht vor den Augen eures Lords absaufen!“ Der Ire hangelte sich an den Manntauen in die Nähe des Ruderhauses, wo sich jetzt auch Hasard und Ferris Tucker aufhielten. „Halten Sie genau auf die Lichter zu, Sir!“ schrie O'Donovan. „Und dann, wenn wir in die Bucht einlaufen, gehen Sie bis auf eine Kabellänge an das Südufer heran. Dann kann uns überhaupt nichts passieren!“ Hasard gab ein Handzeichen, daß er verstanden hatte. Die Lichter waren über den Großmars hinweg zu sehen und schienen hoch oben in der Finsternis zu schweben. Glandore Castle, das vermutete Hasard, ohne fragen zu müssen, befand sich auf einem Felsen oberhalb der Bucht. Keine leere Rumflasche, geschweige denn ein Schiff konnte in diese Bucht einlaufen, ohne daß es von der Burg aus gesehen wurde. Aber der Seewolf hatte ohnehin nicht vor, es heimlich zu tun. Es gab keinen Grund, sich zu verstecken, wie auch immer dieser Lord McCarthy reagieren mochte. Längst hatte der Seewolf Sturmsegel setzen lassen, nur Besan und Fock. Wie es schien, war damit schon das Notwendige getan, um den Böen den schlimmsten Teil ihrer Urgewalt zu nehmen. Mit rauschender Fahrt pflügte die Galeone durch die Wellenberge. Gischtend schlugen die Wogen hoch, wenn die „Isabella“ in ein Wellental hinabtauchte. Brecher klatschten über die Kuhl. Dann, wenn sich der Bug der Galeone wieder hob, rann das ablaufende Wasser in Bächen über die Decksplanken. Mittendrin, durch die Taue gesichert, waren die Männer unaufhörlich in Bewegung. Hier mußte ein Fall klariert werden, dort hatte sich eine Schot gelöst. Fluchend hangelten sich die Männer
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vorwärts. Die Gefahr, außenbords gespült zu werden, war trotz aller Sicherungen allgegenwärtig. Der Lichtschein von Glandore Castle nahm an Helligkeit zu. Mehr und mehr schmolz die Entfernung zusammen. Wie es schien, zeigten sich die Naturgewalten gegenüber den Seewölfen großzügig und nachgiebig. Fast war es, als hielte der Sturm den Atem an und wartete darauf, daß sich die Galeone hinter die Felsenufer der Bucht zurückzog, um dann mit voller Wucht losschlagen zu können. Hasard hielt sich an den Rat O'Donovans, als sie den Eingang zur Bucht von Glandore erreichten. Die Steilküste war jetzt als schwarze Wand vor dem geringfügig helleren Dunkelblau des Abendhimmels zu erkennen. Bis auf die empfohlene Kabellänge ging Hasard an das südliche Felsenufer heran. Dann war es Steuerbord voraus in geringerer Entfernung deutlich zu sehen: Weißschäumend brachen sich die Wellen an einer bizarren Gesteinsformation, die dort über die Wasseroberfläche hinausragte. Das Riff war eine natürliche Sicherung, die den Herrscher von Glandore zumindest bei Dunkelheit vor fremden Eindringlingen in seiner Bucht schützte. Die Wellen glätteten sich zusehends, je weiter die „Isabella“ in die Bucht vordrang. Mehr als eine Seemeile lang war diese Bucht und in ihrer weitesten Ausdehnung etwa fünf bis sechs Kabellängen. Fast am Endpunkt der Bucht wurden die Lichter von Glandore Castle deutlicher sichtbar. Gut hundert Fuß hoch über der Wasseroberfläche waren vor den erleuchteten Rechtecken der Fenster die scharfgezeichneten Zinnen der Burg zu erkennen. Während die „Isabella“ vor Anker ging, blickte Brendan O'Donovan hinauf zu jenen mächtigen Mauern, hinter denen Lord Facthna McCarthy jetzt zweifellos eines seiner grandiosen Saufgelage veranstaltete. Möglich, daß sie schon alle randvoll mit Alkohol waren und die fremde Galeone noch nicht einmal bemerkt
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hatten. Möglich auch, daß McCarthy den nun mit zunehmender Heftigkeit tobenden Sturm als ein Zeichen seines Sieges über den aufsässigen Seamus Behan feierte. Letzterem stand die große Überraschung noch bevor. Dann nämlich, wenn er die Erlaubnis erhielt, sich an Deck sehen zu lassen. * Eine Gruppe von zehn Männern bewegte sich am Vormittag gemessenen Schrittes über das brüchige Steinpflaster der Kaimauer, die etwa hundert Fuß weit in das natürliche Hafenbecken von Glandore hinausragte! Schon bei Sonnenaufgang waren die Fischerboote ausgelaufen, die hier ihren Liegeplatz hatten. Längst hatte der Sturm nachgelassen. Sonnenstrahlen blinzelten durch die Risse in der Wolkendecke, die sich mehr und mehr aufzulösen begann. Das helle Tageslicht verlieh dem Ort einen Hauch von Freundlichkeit. Die weiß gekalkten Cottages der Fischer und Bauern gruppierten sich dichtgedrängt vor den an dieser Stelle sanfter ansteigenden Hängen der Glandore-Bucht. Bergwiesen erstreckten sich hier, deren Gras auf dünner Erdschicht für wenige magere Kühe und Schafe eben ausreichend war. Aus den Schornsteinen der strohgedeckten Hütten stieg weißer Rauch fast senkrecht empor. Es war nahezu windstill geworden. Die Torffeuer brannten unter schweren gußeisernen Kesseln, in denen einfache Mahlzeiten bereitet wurden. Menschen waren auf den schmalen, geröllübersäten Wegen nicht zu sehen. Es schien als gab es in diesem Ort nichts, was es erstrebenswert machte, den schützenden Raum zwischen den eigenen vier Wänden zu verlassen. Lord Facthna McCarthy, der an der Spitze der kleinen Gruppe ging, trug ein mächtiges Körpergewicht auf seinen Beinen, die in Pluderhosen aus rotem Samt steckten. Über seinem beträchtlichen Bauchumfang dehnte sich ein reinseidenes Wams, das innen mit wollenen Polstern
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gefüttert war und außen mit blau-roten Vertikalstreifen leuchtete. Ein handtellerbreiter Ledergurt, dessen goldene Schließe prachtvoll ziseliert war, spannte sich zu allem Überfluß über dem mächtigen Bauch-Vorbau, den McCarthy vor sich herschob. Sein aufgeschwemmtes Gesicht leuchtete in unnatürlicher Rötung. Unter dem samtschwarzen Barett, das er trug, lugte eine ungepflegte Strähne dunkelblonden Haars hervor. Facthna McCarthy war vor zehn Jahren noch ein ranker, schlanker Bursche gewesen, nach dem sich die adligen Damen der irischen Gesellschaft bei Festbanketten mit leuchtenden Augen umzudrehen pflegten. Heute war McCarthy sechsundvierzig Jahre alt und noch immer nicht verheiratet. Das lasterhafte Leben hatte ihn zu einem Zerrbild seiner selbst werden lassen. Die kostbare Kleidung vermochte sein Äußeres nicht mehr zu verbessern. Die Begleiter des Lords trugen einheitliche Kleidung: ledernes Wams, helle Leinenhosen und Stulpenstiefel. Ihre Bewaffnung bestand aus Säbeln, die an breiten Hüftgurten baumelten. Nur einer der Begleiter trug zur Unterscheidung von den anderen ein Barett wie der Lord. Dieser Mann war hager und mittelgroß, sein faltiges Gesicht hatte etwas Raubvogelhaftes. Sein Name war Liam Crowley, und er hatte als Sekretär und persönlicher Berater schon in den Diensten von Facthna McCarthys Vater gestanden. Gleichzeitig befehligte er die kleine Söldnertruppe, die der Lord unterhielt, um in seinem Machtbereich für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Crowley trug lediglich einen Dolch am Gürtel, wie es ihm seinem Rang nach zustand. Zwei Männer stützten den Lord, als er in das Boot hinunterstieg, das an der Kaimauer vertäut lag. Eilends zogen sie die Persenning beiseite, die die ledergepolsterte Sitzbank im Heck des Bootes vor Feuchtigkeit schützte. Ächzend ließ sich Facthna McCarthy auf die Polster sinken, und Liam Crowley nahm den Platz neben ihm ein. Die übrigen
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acht Männer begaben sich in Zweierreihen auf die Duchten, stießen das Boot ab und legten die Riemen aus. Aus rotgeränderten Augen blickte Facthna McCarthy zur anderen Seite des Hafenbeckens hinüber. Dort lag der Einmaster „Cruiscin Lan“ vertäut an einer Duckdalbe. In seinem Zustand war das Fischerboot ein Bild des Jammers, das den Lord jedoch keineswegs rührte, sondern eher in Rage brachte. Aber seit die Meldung von der Rückkehr des Behan-Bootes eingetroffen war, hatte Liam Crowley zur Vernunft geraten. Denn daran, daß Seamus Behan und seine Crew von der englischen Galeone aufgelesen worden waren, bestand nicht der geringste Zweifel - zumal Leute im Dorf beobachtet hatten, daß die Engländer den Einmaster mit ihrem Beiboot in das Hafenbecken gepullt hatten. Man wisse nicht, wer dieser Engländer sei, hatte Crowley betont, und deshalb müsse man zunächst einmal vorsichtig taktieren. Vielleicht verfügte der Kapitän dieses fremden Schiffes über gute Beziehungen zum Hof in London. Das sei Anlaß genug für den Lord von Glandore, sein gutes Verhältnis zur englischen Krone zu unterstreichen. Facthna McCarthy hatte sich zähneknirschend diesen Überlegungen gefügt. Während die Männer auf das offene Wasser der Bucht hinauspullten, warf McCarthy einen letzten verächtlichen Blick zu dem Wrack des Fischerbootes hinüber. Dann drehte er sich ruckartig um, kniff seine geröteten Augen zusammen und blickte dorthin, wo die englische Galeone vor Anker lag. „Was sind das für unverschämte Hurensöhne, die sich erdreisten, mir in die Suppe zu spucken?“ sagte der Lord gepreßt. Seine Stimme klang heiser, als müsse er sich jeden Moment räuspern. Nur so enge Vertraute wie Liam Crowley wußten, daß bei McCarthy alles Räuspern nichts mehr nutzte. Regelmäßiger Schnapsund Weinkonsum hatte seine Stimmbänder angekratzt.
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„Sie sind voreingenommen, Mylord“, entgegnete Crowley würdevoll, ohne den Kopf zu wenden. In seinem Ton lag etwas Überhebliches, was McCarthy jedoch nicht spürte, weil er nie gelernt hatte, auf solche Feinheiten zu achten. Und er hatte es. nie zu lernen brauchen, weil die Gefühlsregungen anderer für ihn keine Rolle spielten, da ohnehin jeder nach seiner Pfeife zu tanzen hatte. McCarthy wurde noch .wütender. „Was soll das heißen - voreingenommen?“ „Sie gehen ganz einfach von falschen Voraussetzungen aus, Mylord. Diese Engländer haben nicht im entferntesten daran gedacht, sich in Ihre Angelegenheiten einzumischen.“ „Und warum nicht?“ „Nun, Mylord, für jeden Seefahrer ist es Ehrengesetz, daß er einem anderen Seefahrer hilft, wenn dieser sich in Not befindet. Deshalb können und dürfen Sie dem Kapitän dieses Schiffes keinen Vorwurf bereiten, Mylord.“ „Hm.“ „Im Gegenteil. Ich möchte noch weiter gehen.“ Crowley hob den Kopf höher und blickte auf einen imaginären Punkt, als rede er über die langweiligste Sache der Welt. „Sie sollten diesem Kapitän und seiner Crew mit besonderer Höflichkeit begegnen, wie ich es Ihnen bereits empfohlen habe.“ „Wird mir verdammt schwerfallen“, knurrte der Lord mit verkniffener Miene. Sie hatten sich der Galeone mittlerweile auf eine halbe Kabellänge genähert. Das Schiff sah imposant aus. Selbst einem seemännischen Laien wie Facthna McCarthy wurde klar, daß die Männer an Bord laufend damit beschäftigt sein mußten, ihren Dreimaster voll und ganz in Schuß zu halten. Liam Crowley schien ähnliche Gedanken zu haben. „Sehen Sie sich diese Galeone an“, sagte er bedächtig, „das ist eine Konstruktionsweise, die sich erheblich von den bekannten spanischen Prinzipien unterscheidet. Dieses Schiff ist wahrscheinlich erst vor zwei oder drei
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Jahren gebaut worden. Dabei hat Geld offensichtlich keine Rolle gespielt. Den Spaniern hat man es jedenfalls nicht abgenommen, denn die haben solche modernen Segler noch nicht.“ „Na und? Sie langweilen mich, Crowley. Wenn ich etwas respektiere, dann ist es die englische Krone. Nicht aber irgendeinen :hergelaufenen Kapitän.“ Crowley rümpfte die Nase. „Wenn Sie meinen Überlegungen folgen, Mylord, dann könnte der Kapitän dieser Galeone in England möglicherweise eine besondere,: Position innehaben. Daß er über eine Menge Geld verfügen muß, läßt sich aus diesem hervorragenden Schiff schließen. Und das wiederum könnte ein Anhaltspunkt für einen Sonderstatus am englischen Hof sein.“ „Mann, Sie sehen Gespenster, Crowley! Ich krieche einem Kerl nicht in den Hintern, nur weil er vielleicht ein großes Tier sein könnte. Meinetwegen — ich werde ihm nicht gleich den Hals umdrehen. Aber ein krummes Wort von ihm, und er kann sein Testament abfassen.“ McCarthy verschränkte di .Arme vor der schwammigen Brust und gab seinen Worten für sich selbst mit einem energischen Nicken Nachdruck. Liam Crowley antwortete nicht. Er dachte sich seinen Teil. Der Lord hatte gestern abend mal wieder zu tief ins Glas geschaut, Entsprechend umnebelt waren seine Gedanken an diesem Morgen. Da konnte man keine besondere Vernunft erwarten. Liam Crowley machte sich auf eine anstrengende Vermittlertätigkeit gefaßt, sofern der fremde Kapitän nicht duldsam genug sein würde, um etwaige Unverschämtheiten McCarthys zu ignorieren. Immerhin — und das wertete Crowley schon als einen Erfolg seiner Überzeugungskraft — hatte McCarthy die Notwendigkeit eingesehen, daß er der englischen Schiffsbesatzung seine Reverenz erweisen mußte. Auch wenn er dazu seinen fetten Körper etwas früher als sonst aus dem Bett hatte wälzen müssen. Das Boot glitt an die Galeone heran, und die Männer legten die Riemen nach
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innenbords. Einer von ihnen packte das untere Ende der Jakobsleiter, die aus einer Pforte im Schanzkleid der „Isabella“ hinunter- gelassen war. Ein anderer vertäute das Boot so, daß Facthna McCarthy bequem übersteigen konnte. Schritte polterten über die Decksplanken der Galeone, dann erschienen die Gesichter über dem Schanzkleid. Widerwillig legte Lord McCarthy den Kopf in den Nacken. Er haßte es wie die Pest, zu anderen aufblicken zu müssen. Aber nach Lage der Dinge ließ es sich in diesem Fall nicht vermeiden. Er erschrak. Liam Crowley erging es nicht anders. Beide bemühten sich, ihre Fassung zu wahren — wie es einem irischen Lord und seinem persönlichen Berater zustand. Das wüste Narbengesicht des einen Kerls sah aus, als sei er der Hölle entsprungen. Der andere, ein Schwarzer mit ungeheuren Muskelpaketen, ließ seine Augen auf geradezu furchterregende Weise rollen. Alles in allem verursachte der Anblick der beiden Männer aus der Seewolf-Crew beträchtliches Unbehagen bei Lord McCarthy und seiner Gefolgschaft. „Willkommen an Bord der ,Isabella`!“ rief Edwin Carberry dröhnend und nicht ohne Ironie. Da Facthna McCarthy nun einmal gefühlsmäßige Nebenklänge nicht zu registrieren gelernt hatte, empfand er nur ein merkwürdiges Kribbeln in der Magengegend, das von der grollenden Donnerstimme dieses urwelthaften Kerls herrührte. Liam Crowley überwand seine Beklemmung als erster. „Vielen Dank, Gentlemen“, entgegnete er salbungsvoll. „Ist es erlaubt, an Bord zu kommen? Ich habe die Ehre, Ihnen und Ihrem Kapitän meinen Herrn, Lord Facthna McCarthy, vorzustellen. Mein Name ist Liam Crowley, Sekretär des Lords.“ Batuti lauschte dem Wortwechsel mit einem derart breiten Grinsen, daß McCarthy Mühe hatte, seine aufkeimende Wut herunterzuschlucken. Irgendwie lag etwas in der Luft, das ihn daran hinderte,
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diesem schwarzen Strolch mit ein paar „passenden Worten den Marsch zu blasen. „In Ordnung, Mister Crowley“, antwortete der Profos in unverändert dröhnendem Tonfall. „Nehmen Sie Ihren Lord an der Hand und entern Sie auf mit ihm. Die anderen Witzfiguren bleiben, wo sie sind!“ Crowleys Kinnlade sackte herab, aber er schloß den Mund sofort wieder. McCarthy wurde puterrot im Gesicht und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Reißen Sie sich zusammen, Mylord!” zischte Crowley so leise, daß nur der Lord es hören konnte. McCarthy hatte die schwammigen Hände zu Fäusten geballt, aber neben seiner Körperfülle wirkten diese Fäuste so klein und unbedeutend, daß weder Ed Carberry noch Batuti diese Geste des Zorns überhaupt wahrnahmen. Die Männer auf den Duchten blickten erwartungsvoll auf ihren Gebieter. Normalerweise mußte jetzt der Befehl erfolgen, den unverschämten Lümmeln das Maul zu stopfen. So wie es in Glandore üblich gewesen war, wenn Seamus Behan oder einer seiner Nachläufer zu frech geworden waren. Aber nichts dergleichen. Liam Crowleys Einfluß siegte. „Vielen Dank für die Gastfreundschaft, Mister!“ sagte der persönliche Berater des Lords von Glandore mit einer angedeuteten Verbeugung. Und dann half Crowley seinem Herrn die Jakobsleiter hoch, indem er beide Hände unter das breite Hinterteil des Lords schob. Facthna McCarthy ächzte dennoch, als er schließlich auf den Decksplanken der „Isabella“ stand. Crowley baute sich neben ihm auf und blickte sich um, während McCarthy geradeaus starrte und absichtlich nichts von seiner Umgehung wahrnehmen wollte. Überall an Deck lungerten diese Gestalten herum, die dem hageren Sekretär einen Schauer über den Rücken jagten. Himmel, keinem dieser Kerle wollte er jemals im Dunkeln begegnen. Allein die eisernen Hakenprothesen, die zwei von ihnen
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trugen, waren für einen Mann von gehobenen Umgangsformen Grund genug, sich angewidert abzuwenden. Liam Crowley war drauf und dran, seine Meinung zu revidieren. Der Kapitän einer solchen wilden Horde konnte unmöglich eine einflußreiche Stellung am englischen Hof haben. Ed Carberry vollführte eine einladende Bewegung, und die Männer auf der Kuhl brachen in schallendes Gelächter aus. Der Profos übertönte es mit seiner Stentorstimme. „Wenn die Gentlemen mir bitte folgen wollen ...“ Er ging voraus in Richtung Kapitänskammer. Die beiden Iren folgten ihm mit würdevollen Schritten. Philip Hasard Killigrew empfing die Besucher mit zurückhaltender Höflichkeit, stellte sich vor und bat sie, an dem mächtigen eichenen Tisch Platz zu nehmen. Edwin Carberry hatte die Kammer verlassen und den Moses hereingeschickt, der für die Bewirtung der Gäste sorgte. Bill schleppte eine riesige Flasche Rum heran und schenkte drei Tonkrüge halb voll. Dann zog er sich zur Tür zurück, wo er auf weitere Anweisungen wartete. Hasard hob seinen Krug. „Zum Wohl, Gentlemen“, sagte er mit einem höflichen Lächeln, das nichts über seine innere Einstellung verriet. „Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Lord McCarthy. Fühlen Sie sich an Bord meines Schiffes wie zu Hause.“ Facthna McCarthy und Liam Crowley schnupperten mißtrauisch an ihren Krügen. Der Sekretär verzog einen Moment das Gesicht, bemühte sich aber sofort wieder, eine unverbindliche Miene aufzusetzen. „Was zum Teufel ist das?“ fragte McCarthy. „Riecht nicht nach Whisky und nicht nach Absinth.“ „Eine Spezialität aus der Neuen Welt“, erklärte Hasard, „es stammt aus der Karibik und man nennt es Rum. Normalerweise ist es Brauch, daß unsere Gäste das Schiff nicht eher verlassen, bis die Flasche geleert ist, die auf den Tisch gestellt wurde. Aber ich will bei Ihnen
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nicht auf diesen strengen Maßstäben bestehen, da Sie einen solchen harten Tropfen nicht gewohnt sind.“ „Was? rief Facthna McCarthy, und seine Augen blitzten. „Das wollen wir doch mal sehen! Auf das Wohl der englischen Krone und auf Ihr Wohl, Mister Killigrew!“ Die Männer setzten ihre Krüge an. Hasard nahm einen mäßigen Schluck, lächelte und setzte den Krug wieder ab. Liam Crowley nippte lediglich an seiner Rumportion und erlitt dennoch einen Hustenanfall. Facthna McCarthy lief krebsrot an, seine Augen quollen aus den Höhlen. Sein Atem ging rasselnd, als er nach Luft rang. „Teuflisch gut, das Zeug“, krächzte er, „Sie müssen mir unbedingt sagen, wie und woher ich so was importieren kann.“ Todesmutig nahm er einen weiteren Schluck, um seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen. „Es gibt in London bereits einige Importeure, die diesen guten Tropfen in ihr Lieferprogramm aufgenommen haben“, sagte Hasard, „ich werde Ihnen gern mit ein paar Adressen dienen.“ „Vielen Dank im voraus“, antwortete McCarthy und lehnte sich zurück. Sein Gesicht war noch immer dunkelrot. Liam Crowley hatte seinen Krug weggestellt und dachte nicht daran, dieses Höllengesöff noch einmal anzurühren. Er hieß nicht McCarthy, und er hatte keinen Hang nach scharfen Sachen. Der Lord machte sich unterdessen seine Gedanken über diesen Kapitän, der den ruhmreichen Namen Killigrew trug. Der erste Eindruck an Bord des Schiffes hatte zweifellos getäuscht. Das Auftreten und das Erscheinungsbild dieses hochgewachsenen Engländers standen in krassem Gegensatz zu der wilden Horde, die er befehligte. Ein Mann von Kultur, dachte McCarthy. Ein Mann also, mit dem man sich auf dem gleichen Niveau befand. Hasard war indessen geneigt, den Berichten O'Donovans und der Behans Glauben zu schenken. Dieser versoffene Kerl, der zufällig den Titel eines Lords trug, sah ganz danach aus, als würde er seine Launen an den Leuten auslassen, die
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seiner Gewaltherrschaft hilflos ausgeliefert waren. Allein das Äußere von Facthna McCarthy zeigte, daß dieser Mann ein zügelloses Leben führte. Der Lord lehnte sich zurück, streckte seinen linken Arm aus und trommelte mit seinen fleischigen Fingern einen dumpfen Rhythmus auf der Tischplatte. „Um zum Kern der Dinge zu kommen, Mister Killigrew“, erklärte er gedehnt, „vor allem bin ich hier, um Ihnen meinen Dank zu sagen. Meinen Dank für Ihre aufopfernde Rettungsaktion. Es hat sich schnell herumgesprochen, daß Sie die Behans und ihr Boot zurückgebracht haben. Mir und den Einwohnern von Glandore wurde damit eine große Sorge genommen. Der Gedanke, daß diese aufrechten Männer möglicherweise nicht von ihrer Fangfahrt zurückkehren würden, war für uns alle eine bedrückende Last. Es ist tragisch, daß zwei Männer auf dem Boot ihr Leben lassen mußten. Aber sie waren Junggesellen und hatten keine Familie zu ernähren. Das erleichtert es etwas. Trotzdem trauern hier in Glandore alle um sie, wenngleich wir glücklich über die Heimkehr der Überlebenden sind. Nochmals“, er hob seinen Ruinkrug, „meinen aufrichtigen Dank an Sie und Ihre Männer.“ „Ich schließe mich diesem Dank an“, erklärte Liam Crowley, während der Lord einen langen Schluck von dem karibischen Teufelstrunk nahm. Auch Hasard nahm einen Schluck. Über den Rand seines Kruges hinweg sah er, daß der Feiste diesmal weniger anlief. Er schien sich bereits an den harten Stoff zu gewöhnen. Der Seewolf setzte seinen Krug ab. Diese ganze Situation war lächerlich. Er war sich von vornherein darüber im klaren gewesen, daß er seinen Abscheu unterdrücken mußte. Genauso lachhaft war es gewesen, als die Behans und O'Donovan vor drei Stunden von Bord gegangen waren. Patrick Behan und der Fuchsgesichtige hatten den hitzköpfigen Seamus von Bord getragen. Hasard hatte ihn mit einem gut plazierten Fausthieb ins Reich der Träume
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befördern müssen, denn wie erwartet hatte Seamus einen Tobsuchtsanfall erlitten, als er feststellte, daß die englische Galeone ihn direkt vor die Haustür gebracht hatte. Vor aller Augen. Das war zuviel gewesen. Aber der Seewolf hatte keine Neigung verspürt, sich mit solchen wirren Gedankengängen länger herumzuplagen. Der kurze, trockene Fausthieb hatte alle Querelen beendet. „Die Freude ist Ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben“, sagte Hasard spöttisch. „Sie müssen bei den Leuten von Glandore mächtig beliebt sein, McCarthy.“ Liam Crowleys Augen blitzten auf. Aber er beherrschte sich. Der Lord registrierte indessen nicht die Zweideutigkeit, die in den Worten des hochgewachsenen Engländers mitschwang. „O ja“, erwiderte er mit blasierter Miene. „Ich darf sagen, daß ich ein ausgesprochen gutes Verhältnis zur englischen Krone habe. Entsprechend sind die Maßstäbe, nach denen wir hier leben. Das zahlt sich letzten Endes für jeden aus. Den Leuten geht es gut, mir geht es gut, was wollen wir mehr?“ „In der Tat“, Hasard nickte, „mehr kann man nicht verlangen.“ Facthna McCarthy lächelte fettig. „Nun, Mister Killigrew, meine Zeit ist zu dieser frühen Stunde knapp bemessen. Die Amtsgeschäfte — Sie verstehen. Meine Absicht ist es deshalb, Ihnen nicht nur meinen Dank abzustatten. Gleichzeitig möchte ich die Gelegenheit nutzen, Sie zu einem Besuch auf Glandore Castle einzuladen. Es geschieht schließlich nicht jeden Tag, daß wir Gäste aus England bei uns haben. Es würde mich freuen, wenn ich Sie und ...“ Er stockte. „Und Ihre Mannschaft“, sagte Liam Crowley rasch. Facthna McCarthy blinzelte irritiert. Er nahm einen raschen Verlegenheitsschluck aus dem Rumkrug und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen. „Äh, ja — und Ihre Mannschaft natürlich.“ Philip Hasard Killigrew beugte sich vor. Seine Augen hatten ein solches stählernes Blau und spiegelten eine solche Härte, daß
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der Lord einen Moment glaubte, dieser Blick werde ihn erdolchen. Facthna McCarthy fühlte sich unwohl, und es war verdammt hart, das nicht zu zeigen. Was, zum Teufel, hatte er falsch gemacht? Hatte er sich nicht so verhalten, wie es Crowleys Vorstellungen entsprach? Und warum, in aller Welt, sagte Crowley nichts, dieser Idiot? Der Seewolf blickte den Lord minutenlang schweigend an. Es juckte Hasard in den Fingern, diesem aufgedunsenen Kerl die Meinung zu sagen. Aber die Gefahr, daß Seamus Behan und die anderen dadurch nur noch größeren Repressalien ausgesetzt sein würden, war zu groß. Deshalb war es taktisch unklug, auch nur ein Wort über die Rettung des Fischerbootes und die Hintergründe zu erwähnen. Aber auf andere Weise konnte man diesem sogenannten Lord erklären, was von seinem schleimigen Ansinnen zu halten war. „Leider kann ich Ihre Einladung nicht annehmen, McCarthy“, entgegnete Hasard frostig. „Was?“ Der Lord schnappte abermals nach Luft. „Sind Sie ver ...?“ „Wie ist das zu verstehen?“ fiel ihm Liam Crowley rasch ins Wort, ehe McCarthy mit plumpen Reden größeres Unheil anrichten konnte. Hasard stand abrupt auf. „Ich betrachte die Unterredung als beendet, Gentlemen. Leider muß ich feststellen, daß Ihnen am Schicksal der Familie Behan nicht sonderlich viel gelegen zu sein scheint. Ich habe kein Wort darüber gehört, welche Hilfsmaßnahmen Sie beabsichtigen. Seamus Behan hat praktisch kein Boot mehr. Glauben Sie, er hat das Geld, um den Schaden aus eigener Kraft zu reparieren? Wir haben das Boot in den Hafen geschleppt. Aber bislang haben wir noch keinen Menschen gesehen, der von Glandore Castle hinunter gestiegen wäre, um sich den Schaden wenigstens anzusehen. Stattdessen wollen Sie uns einladen. Verwenden Sie das Geld, das Sie für Speisen und Getränke ausgeben
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würden, lieber für eine Hilfeleistung zugunsten der Behans und ihrer Freunde!“ Facthna McCarthy kochte über. Er sprang auf und vergaß den Rum, den er gerade erst lieb gewonnen hatte. „Was nehmen Sie sich heraus, Mann?“ stieß' er giftig hervor. „Ich entscheide in Glandore, verstanden? Ich lasse mir doch nicht von irgendeinem Hergelaufenen vorschreiben ...“ Liam Crowley, der ebenfalls aufgestanden war, fiel seinem Herrn erneut ins Wort. „Mister Killigrew!“ sagte er scharf. „Sie werden zugeben, daß solche unberechtigte Kritik ein bißchen über das Maß der Höflichkeit hinausgeht!“ Facthna McCarthy atmete schwer und suchte nach Worten. Die bodenlose Unverschämtheit dieses Engländers verschlug ihm glatt die Sprache. „Denken Sie, was Sie wollen“, sagte Hasard mit einem kalten Lächeln. „Mich interessiert das Schicksal von Menschen mehr als irgendwelche Höflichkeitsfloskeln. Statt Ihre Einladung anzunehmen, werden wir das Fischerboot der Familie Behan reparieren, bevor wir die Weiterreise nach England antreten.“ McCarthy fand endlich die Worte, nach denen er in seinen Gehirnwindungen gesucht hatte. „Unverschämter Briten-Bastard!“ schrie er mit sich überschlagender Stimme. „Das ist eine Beleidigung! Noch niemand hat einen McCarthy ungestraft ...“ Wieder wurde er unterbrochen. Doch diesmal nicht von seinem Sekretär. Hasard hatte blitzartig zugepackt, bekam den Lord am Wams zu fassen und zog ihn über die Tischplatte zu sich heran. Liam Crowley griff reflexartig dorthin, wo sein Dolch hing. „Das lassen Sie besser bleiben!“ sagte Hasard schneidend. Er hatte nicht einmal den Kopf gewandt. Crowley zuckte zusammen und nahm die Hand vom Dolchgriff, als hätte er glühendes Eisen berührt. Facthna McCarthy war puterrot geworden. Keuchend rang er nach Atem. Dem unbarmherzigen Griff und der Körperkraft
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des hochgewachsenen Engländers hatte er nichts entgegenzusetzen. „Trennen wir uns friedlich“, sagte Hasard mit einem Unterton, der den Feisten erschauern ließ. „Wir haben uns kennen gelernt, und das reicht, McCarthy. Begeben Sie sich jetzt zurück auf Ihr Schloß und denken Sie ein wenig darüber nach, wie Sie Ihre Untertanen in Zukunft behandeln wollen.“ Liam Crowley spürte, daß der Seewolf mehr wußte, als er gesagt hatte. „Wir gehen, Mylord“, sagte Crowley beherrscht, und es klang fast wie ein Befehl. „Es wäre sinnlos, dieses Gespräch fortzusetzen.“ Facthna McCarthy preßte die Lippen aufeinander und schwieg. Auch dann noch, als der Seewolf ihn losließ. Die Fäuste dieses unnachgiebigen Mannes wirkten demoralisierend genug, um McCarthy wenigstens für den Augenblick still werden zu lassen. Sie schlichen von Bord, ohne noch ein Wort zu verlieren. Und diesmal gab es keine spöttischen Bemerkungen oder Gelächter von der „Isabella“-Crew. Die Männer begriffen instinktiv, daß der Aufgedunsene bereits die passenden Worte gehört hatte. In der Schaluppe, mit der er erschienen war, schrie McCarthy seine Schergen an. „Pullt, ihr Hundesöhne! Pullt schneller! Ich bezahle euch nicht fürs Faulenzen, ihr Mistkerle!“ McCarthy mochte sich nicht umdrehen, denn er wußte, daß er am Schanzkleid der Galeone eine lange Reihe grinsender Gesichter gesehen hätte. 7. Es war ein beschwerlicher Weg von Glandore bis hinauf zum Castle. Das holprige Steinpflaster, das mit beträchtlicher Steigung parallel zur Steilküste verlief, war ungewohnt für einen Mann, der den größten Teil seines Lebens auf Schiffsplanken verbracht hatte. Dichtes Buschwerk säumte den Weg und verwehrte den Blick sowohl zur Bucht hin
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als auch landeinwärts. So hatte Brendan O'Donovan immerhin die Gewißheit, daß ihn niemand beobachtete - weder von Bord des englischen Schiffes aus noch von unten aus dem Dorf. Die warme Mahlzeit, die er im Bauch hatte, war wohltuend. Doch er war voller Hoffnung, daß am Ende dieses beschwerlichen Weges weit mehr als nur eine warme Mahlzeit auf ihn wartete. Die ersten Stunden nach der Rückkehr hatte er im Hause der Behans verbracht. O'Donovan hatte selbst keine Familie. Seine Eltern hatten schon vor Jahren das Zeitliche gesegnet. So hatte er es mit Freuden angenommen, daß Maeve Behan, Seamus Frau, nach den ersten Wogen der Wiedersehensfreude ein Essen auf den Tisch gebracht hatte, wie es sonst nur zu Festtagen üblich war. Aber schon bald danach war Brendan dieses ganze Wiedersehensgetue auf die Nerven gegangen. Vielleicht auch deshalb, weil seine Gedanken mit etwas anderem beschäftigt waren. Also hatte er sich verdrückt, als die Behans mit sich selbst beschäftigt waren. Er wollte nicht länger warten, sondern seine Absichten in die Tat umsetzen. Himmel, letzten Endes konnte er nicht wissen, wie lange die Galeone überhaupt noch in der Bucht ankern würde! Deshalb durfte es kein Zögern mehr geben, obwohl ihm unbehaglich zumute war. Brendan O'Donovan war in seinem ganzen Leben noch niemals auf Glandore Castle gewesen. Da war eine innere Angstschwelle, die er überwinden mußte. Er schaffte es nur deshalb, weil er überzeugt war, daß es sich lohnen würde. Teufel, ja, es mußte sich ganz einfach lohnen. Da gab es überhaupt keine Frage. Er erreichte die Abzweigung, die nach Glandore Castle führte. Von hier aus verlief der Weg durch ein düsteres Waldstück, das die Senke vor dem Burghügel landeinwärts abschirmte. Über den Baumwipfeln waren die Mauern der Burg zu sehen. Grau und abweisend. O'Donovan blieb einen Moment stehen und wischte sich den Schweiß von der
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Stirn. Gleichzeitig fröstelte 'ihn. Er zwang sich, weiterzugehen und an den unausbleiblichen Erfolg seines Vorhabens zu denken. Als er wenig später das Portal der Burg erreichte, war er ruhiger geworden. Wahrscheinlich lag das daran, daß es nun kein Zurück mehr gab. Die Entscheidung war gefallen. Schluß mit dem Nervenkitzel. Der Wachtposten behandelte O'Donovan zunächst mißtrauisch. Dann, als der Fuchsgesichtige mit Nachdruck versicherte, er gehöre zur Besatzung der „Cruiscin Lan“ und müsse bezüglich der englischen Galeone dringend zu Lord McCarthy vorgelassen werden, wurde der Posten nachgiebiger. Immerhin wußte mittlerweile jedermann auf Glandore Castle, daß der Lord mit den Engländern Scherereien gehabt hatte. Und wenn der krummbeinige kleine Kerl tatsächlich etwas wußte, was für den Lord interessant war, dann würde es nichts schaden, ihm Einlaß zu gewähren. Der Mann am Portal rief einen anderen Posten, der. O'Donovan in die Halle der Burg brachte. Dort, unter den erdrückend großen Gemälden, die die Ahnen des Lords darstellten, mußte O'Donovan sich zunächst einmal die Beine in den Bauch stehen. Es war kühl und feucht in der Halle. Die glitzernden Schweißperlen auf O'Donovans Stirn wurden kalt, sobald sie hervortraten. Dann, endlich, tauchte ein Diener auf, der den krummbeinigen Fischer geringschätzig musterte. „Komm mit. Seine Lordschaft erwartet dich im Kaminzimmer. Aber wähle deine Worte gut, denn seine Lordschaft hat nicht so viel Zeit, um sie an dir verschwenden zu können.“ Brendan O'Donovan verbeugte sich linkisch und beteuerte, er werde die kostbare Zeit seiner Lordschaft nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Der Diener führte den unpassenden Besucher durch kühle und feuchte Korridore. Erst im Kaminzimmer war es warm und behaglich. Wohlgefühl war dem
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Fuchsgesichtigen aber nicht vergönnt, denn jetzt war es die unmittelbare Nähe des Lords,, die ihm neuerliches Unbehagen einflößte. Das Kaminfeuer prasselte, mattes Tageslicht fiel durch die Fenster herein. Schränke und Kommoden ringsherum waren verstaubt. In der Luft lag Alkoholdunst. O'Donovan brauchte nur auf den Tisch zu schauen, um zu wissen, woher dieser Dunst rührte. Diese dickbauchigen Flaschen kannte jeder. Die Farmer, die landeinwärts in ihren armseligen Cottages hausten, benutzten solche Flaschen, um sie mit dem selbstgebrannten Getreideschnaps zu füllen. Das Beste, was es hierzulande gab. Trotzdem war es ein Fusel, der die Bezeichnung „Whisky“ eigentlich nicht verdiente. Facthna McCarthy hing breit und schwammig in einem Ledersessel vor dem Kamin. In seiner Hand hielt er ein Kristallglas. Sein Hemd stand über der weißen, haarlosen Brust offen. Der Lord rülpste verhalten, während er einen trägen Blick zu O'Donovan hinüberwarf. Liam Crowley stand in der Nähe des Kamins am Fenster, schaute auf die Bucht hinaus und wandte dem Besucher den Rücken zu. Bei einem einfachen Fischer war es nicht unbedingt erforderlich, daß man sich zu ihm umdrehte. Der Diener, der O'Donovan hergebracht hatte, blieb vor der Tür stehen, während er den kleinen Mann einen Schritt vorwärts schob. „Was will dieser Giftzwerg?“ fragte McCarthy rasselnd. „Mir noch mehr Scherereien einbrocken?“ „Er behauptet, eine wichtige Nachricht zu haben, Mylord“, erwiderte der Diener. „Eine Nachricht, die die englische Galeone beträfe!“ „Hm“, brummte McCarthy betont gelangweilt, „dann soll er reden. Aber schnell.“ Der Diener versetzte O'Donovan einen Stoß in den Rücken. „Du hast gehört, Giftzwerg! Sag, was du zu sagen hast.“
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Der Fuchsgesichtige verneigte sich ehrerbietig. „Wie Sie sicherlich wissen, Mylord, bin ich gemeinsam mit den Behans von den Engländern an Bord genommen worden. Nun – ich hatte etwas Zeit, mich auf dem Schiff umzusehen und umzuhören. Es handelt sich um ein englisches Freibeuterschiff, das von einer langen Katerfahrt zurückkehrt. Die ,Isabella` ist bis oben hin vollgeladen und befindet sich auf dem Weg nach England. Muß ich noch mehr sagen, Mylord?“ Facthna McCarthy hielt es für angebracht, sich im Sessel aufzurichten. Er beugte sich vor und starrte den Fischer aus schmalen, rotgeränderten Augen an. Auch Liam Crowley bequemte sich jetzt, sich umzudrehen. In seinem Raubvogelgesicht stand erwachendes Interesse. „Rede nicht in Rätseln, Giftzwerg!“ fauchte McCarthy. „Was, zum Teufel, soll an der Ladung dieser Galeone interessant sein?“ „Diese Freibeuter kapern spanische Schatzschiffe, Mylord. Das habe ich jedenfalls gehört. Und so, wie die Leute an Bord redeten, sind sie nicht scharf darauf, daß jemand erfährt, was sie geladen haben.“ Der Lord zog die Augenbrauen hoch und begann nachzudenken, was sich dadurch äußerte, daß kleine speckige Falten auf seiner breiten Stirn entstanden. „Der Mann könnte recht haben, Mylord“, sagte Liam Crowley unvermittelt. „Die Aufgaben englischer Freibeuterschiffe sind hinlänglich bekannt. Und wenn diese Galeone tatsächlich von einer Kaperfahrt zurückkehrt ...“ Er sprach nicht weiter. Facthna McCarthy kniff die Augen noch enger zusammen. Dann faßte er einen Blitzentschluß. „Ruf die Wache!“ herrschte er den Diener an. Der Livrierte trat auf den Korridor hinaus und brüllte einen Befehl in einem englischen Dialekt, den O'Donovan nicht verstand. Doch was dann folgte, verstand der Fuchsgesichtige nur zu gut. Zwei Männer
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aus der Garde des Lords schoben sich säbelklirrend in den Raum. McCarthy hob gebieterisch den Arm. „Legt den Giftzwerg in Ketten und steckt ihn in den Kerker!“ Brendan O'Donovan erbleichte. Der Schock traf ihn wie ein furchtbarer Fausthieb. Eine eiskalte Hand schien nach seinem Herzen zu greifen. „Aber - aber ich - ich habe Ihnen doch einen Dienst - erwiesen“, stammelte er verzweifelt. Die beiden Männer packten ihn an den Oberarmen und zerrten ihn hinaus. Facthna McCarthy grinste nur. O'Donovan begann zu schreien. Er zappelte in dem eisenharten Griff der Wachsoldaten. Aber es half ihm nichts. Den Kräften dieser Männer war er nicht gewachsen. Seine Schreie hallten noch lange durch die Korridore von Glandore Castle. Er verstand nicht, welchen Fehler er begangen hatte. Er verstand die Ungerechtigkeit dieser Welt nicht. McCarthy und sein Sekretär beratschlagten in aller Ruhe. „Eine höchst interessante Nachricht, Mylord“, sagte Liam Crowley. „Ich verstehe eines nicht“, entgegnete McCarthy, und es klang wie ein Vorwurf. „Warum sind wir nicht selbst darauf gekommen?“ „Wir hatten andere Sorgen, Mylord“, antwortete Crowley pikiert. „Dafür schlagen wir jetzt zwei Fliegen mit einer Klappe. Daß wir diesen Behan-Mitläufern einen Denkzettel verpassen, war ohnehin notwendig. Und bequemer, als daß sie selbst bei uns erscheinen, können wir es nicht haben.“ „Gut, gut. Mich interessiert im Moment mehr, was dieser Kerl über die Galeone gesagt hat.“ Liam Crowley grinste, was bei ihm selten geschah. „Auf jeden Fall haben Sie die Möglichkeit, Ihr Budget aufzubessern, Mylord. Wenn nicht ...“ „Wenn nicht was?“ „Wenn Sie nicht sogar Ihr Vermögen ins Unermeßliche steigern können. Es hängt
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ganz davon ab, wie erfolgreich diese Engländer auf ihrer Kaperfahrt waren.“ „Hm.“ McCarthys Augen begannen zu glitzern. „Aber ich bin mir nicht. sicher, ob wir die Galeone offen angreifen können. Dieser Kahn ist schwer bewaffnet.“ Liam Crowley zog ein blasiertes Gesicht. „Es gibt genügend Möglichkeiten, der Gerechtigkeit ein wenig nachzuhelfen, Mylord.“ * Der Nachmittag brachte eine deutliche Wetterberuhigung. Die Wolkendecke löste sich auf, und vereinzelte Sonnenstrahlen tauchten die Bucht von Glandore in ein freundliches Licht. Ruhig wie ein Brett lag die „Isabella“ inmitten einer fast spiegelglatten Wasseroberfläche. Und dann schien es, als erhielte auch der menschliche Hintergrund einen freundlicheren Anstrich. Der Seewolf befand sich an Deck, als das Ruderboot in Sichtweite auftauchte. Sechs Männer waren es diesmal, die mit kraftvollen Schlägen der Galeone entgegenpullten. Sie trugen jene Art von einheitlicher Kleidung, die die „Isabella“Crew bereits beim unverhofften Besuch des Lords gesehen hatte. Der Mann, der auf der gepolsterten Bank im Bootsheck saß, war Liam Crowley, McCarthys Sekretär. „Ich werd' verrückt“, sagte Edwin Carberry, der mit Hasard ans Schanzkleid der Kuhl getreten war. „Diese alberne Bohnenstange scheint zur hartnäckigen Sorte zu gehören.“ Der Seewolf lächelte versonnen. Die übrigen Männer an Bord der „Isabella“ hielten es nicht für angebracht, ihre Arbeit zu unterbrechen. In ein, zwei Stunden sollte die Galeone so weit klariert sein, daß der Anker gelichtet werden konnte. Das hing allerdings noch davon ab, wie lange Ferris Tucker und die sechs anderen brauchten, die drüben im Hafen Seamus Behans Einmaster reparierten. Die Disziplin wurde gewahrt. Nur wenn es erforderlich werden sollte, würde Hasard
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die Männer von ihren derzeitigen Auf-. gaben abziehen. Aber diesmal sah es nicht nach Verdruß aus. Vielleicht lag das. an der Sonne, die der Bucht von Glandore diesen Hauch von Freundlichkeit verlieh. „Eines wundert mich“, sagte Hasard, „sie lassen Ferris und die anderen in Ruhe arbeiten.“ „Weil sie die Hosen voll haben“, grinste der Profos. „Dieser Fettsack McCarthy wird es nicht mehr wagen, gegen uns anzustinken. Ich denke, du hast ihm das verklart.“ Hasard winkte ab. Das schlanke Ruderboot ging längsseits. Liam Crowley richtete sich auf und grüßte die Männer auf der „Isabella“ mit einer knappen Handbewegung. „Ich überbringe Grüße von Glandore Castle, Gentlemen! Meinem Herrn ist sehr daran gelegen, den entstandenen Mißklang auszuräumen. Lord McCarthy bittet Sie offiziell um Entschuldigung. Er meint, daß es keinen Anlaß zu Feindseligkeiten gebe. Und vor allem möchte er vermeiden, daß Sie einen falschen Eindruck von den Lebensumständen in Glandore erhalten.“ „Kann ich mir denken“, murmelte Ed Carberry, „er hat Angst, daß wir in London aus der Schule plaudern. Wie ich die königliche Lissy kenne, würde sie glatt ein Kommando 'rüberschicken, das dem Fettwanst die Jacke voll haut.“ Hasard antwortete dem Lord-Sekretär. Es gab nur eine einzige Antwort, auch wenn ein Mann wie der bärbeißige Profos dafür garantiert nicht auf Anhieb Verständnis hatte. „Selbstverständlich nehmen wir die Entschuldigung an, Mister Crowley. Und die Mannschaft der ,Isabella' erwidert die Grüße von Glandore Castle.“ Ed Carberrys Kopf ruckte herum, und sein Mund stand weit offen, als er den Seewolf anstarrte. Liam Crowleys Raubvogelgesicht erhellte sich. „Ich bin sehr erfreut, Mister Killigrew! Nun, dann darf ich meinem weiteren Auftrag Ausdruck verleihen. Lord McCarthy wiederholt seine Einladung an
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die tapferen Seefahrer Ihrer Majestät, der Königin von England. Er bittet Sie zu einem Festbankett, das heute abend in Glandore Castle stattfinden wird. Bei dieser Gelegenheit möchte er auch mit Ihnen erörtern, welche Hilfsmaßnahmen für die leidgeprüfte Familie Behan angebracht wären. Lord McCarthy bittet Sie, diese Einladung als eine Geste zu betrachten, mit der er für einen freundschaftlichen Ausklang sorgen möchte, bevor Sie Ihre Weiterreise nach England antreten.“ Der Profos kriegte den Mund noch immer nicht zu. „Wir nehmen dankend an“, sagte Hasard. Liam Crowley überschlug sich fast vor überschwenglicher Freude, als er sich verabschiedete. Während die McCarthy-Männer davonpullten, schüttelte Ed Carberry fassungslos den Kopf. „Bist du's noch, Hasard Killigrew, Sir? Oder hat dir der Teufel eine neue Seele eingehaucht?“ Hasard lächelte und klopfte dem Profos auf die Schulter. „Hör zu. Ed. Es gibt zwei Gründe, weshalb ich die Einladung angenommen habe. Erstens glaube ich, daß McCarthy etwas im Schilde führt. Ich möchte herausfinden, was es ist. Zweitens will ich nicht, daß die Behans und die anderen Leute in Glandore unseretwegen neue Schwierigkeiten kriegen. Was wir dazu tun können, das sollten wir tun.“ Ed Carberry stieß einen Knurrlaut aus, und dann grinste er. „Scheint so, als ob du doch noch der alte Hasard Killigrew bist.“ 8. Zwei Dutzend Kandelaberleuchten tauchten den großen Saal von Glandore Castle in festliche Helligkeit. Dicke weiße Kerzen, jede über einen Fuß lang, steckten in den silbernen Armen der Leuchter, die an schmiedeeisernen Ketten von der Decke hingen. Die Kerzenflammen brannten ruhig, ohne zu blaken, denn die schweren samtenen Fenstervorhänge' waren zugezogen, so daß keine Zugluft entstehen
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konnte. Hohe Flammen loderten in den beiden Kaminen an den Stirnseiten der Halle. Schon vor Stunden war mit dem Einheizen begonnen worden. Mittlerweile hatte sich wohlige Wärme ausgebreitet. In der Mitte des Saales erstreckte sich die Festtafel. Wären die Tischplatten aus Holz gewesen, dann hätten sie sich unter der verschwenderischen Vielfalt der Speisen und Getränke durchgebogen. Da Lord McCarthy für seine Festtafel jedoch statt Holz nichts Billigeres als hellgrünen Connemara-Marmor ausgewählt hatte, gab es diese Gefahr des Durchbiegens nicht. Unzählige weiße Deckchen waren die Unterlage für Schüsseln, Terrinen, Teller, Tassen, Gläser, Flaschen. Die weißen Tücher bewirkten einen leuchtenden Kontrast zu dem kühlen Marmor. Klänge, die für die Ohren der Seewölfe fremdartig waren, hallten gedämpft durch den Saal. An der Längswand, auf einem Podest zwischen zwei Fenstervorhängen, saßen drei Musiker, die ihren Dienst mit Laute, Trommel und Blechflöte absolvierten — keltische Tänze in unablässiger Folge. Zehn Diener, festlich gekleidet, standen für ihren großen Einsatz bereit. Lord Facthna McCarthy und Liam Crowley gaben sich die Ehre, die Männer von Bord der „Isabella“ im Eingang des Saales zu empfangen. Außerdem waren vier weitere Männer dabei, die in der Garde des Lords den Rang von Offizieren hatten. „Ich sehe keine irischen Ladys“, flüsterte Gary Andrews seinem Nebenmann Pete Ballie zu, während sie sich in den Saal schoben. „Unser Freund, der Lord, enttäuscht mich.“ „Mann!“ flüsterte Pete zurück. „Wir sind nicht in Tanger! Hierzulande sind die Sitten strenger.“ Philip Hasard Killigrew und Ferris Tucker führten die „Isabella“-Mannschaft an, als sie von Lord McCarthy an die Tafel gebeten wurden. Mit von der Partie waren außer Gary Andrews und Pete Ballie der riesenhafte Batuti, der Kutscher, Blacky, Matt Davies, Donegal Daniel O'Flynn und sein Vater, Jeff Bowie, Sam Roskill, Bob
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Grey; Will Thorne, Stenmark und Arwenack, der Schimpanse. Arwenack hockte auf der Schulter von Dan O'Flynn, bei dem er sich offensichtlich wohl fühlte vor allem auch deshalb, weil er sich an die fremde Umgebung erst noch gewöhnen mußte. Lord McCarthy gab seinen Dienern ein Zeichen, den ersten Gang aufzutragen. Dann erhob sich McCarthy und hielt eine feierliche Rede, in der er fast wörtlich das wiederholte, was Liam Crowley zuvor von sich gegeben hatte, als er unverhofft längsseits der Galeone aufgetaucht war. Die Dienermannschaft begann, dampfende Suppenschüsseln hereinzuschleppen. Nachdem der Lord geendet hatte, stand Hasard auf. Er machte es kurz und bündig und sprach seinen Dank und den der Crew in knappen Worten aus. Es gab eine kräftige Suppe, die sich „Mullygatawny“ nannte. Die Seewölfe langten kräftig zu, und es wurde still. Nur noch das Klappern der Bestecke und im Hintergrund die diatonischen Klangfolgen der keltischen Tänze waren zu hören. Der Kutscher führte den Löffel langsam und prüfend zum Mund, und es sah ganz danach aus, als zähle er in Gedanken die mutmaßlichen Zutaten dieser raffiniert gekochten Suppe zusammen. Hasards Gedanken waren bei seinen Söhnen, die auf der „Isabella“ geblieben waren, wie er es angeordnet hatte. Aber er brauchte sich keine Sorgen zu bereiten, denn sie befanden sich in guter Obhut. Das Kommando an Bord führte Ben Brighton. Außerdem waren Edwin Carberry, Smoky, Al Conroy, Luke Morgan, Big Old Shane und Moses Bill an Bord. der Galeone. Sir John, der Papagei, hatte die nicht ganz bedeutungslose Aufgabe, den Zwillingen im Mannschaftslogis die Zeit zu vertreiben. * Die Dunkelheit war hereingebrochen. Nur wenige Wolkenbänke hingen wie träge schwarze Ungeheuer unter dem tiefblauen Abendhimmel. Der Wind, der jetzt
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ablandig wehte, hatte sich zu einer sanften Brise gemildert. Ein bleicher Halbmond und die winzigen Lichtpunkte der Sterne waren dort zu erkennen, wo ihnen die Wolken Platz ließen. Die Männer, die einen gewundenen, aus dem Fels gehauenen Pfad an der Steilküste hinunterschritten, konnten nicht länger warten. Die Dunkelheit schützte sie mäßig. So finster, daß man die Hand nicht vor Augen sah, würde es nicht werden. Deshalb brauchten sie die Geräuschlosigkeit und das Überraschungsmoment, wenn sie zum Zug gelangen wollten. Vierundzwanzig Männer waren es, die dunkle Umhänge über ihre Uniformen geworfen und zusätzlich ihre Gesichter mit Ruß geschwärzt hatten. Die Musketen und Säbel, die sie trugen, hielten sie unter den Umhängen verborgen - auch, um verräterisches Klappern zu vermeiden. Sie strebten einer kleinen Felsenbucht zu, die sich unmittelbar unterhalb von Glandore Castle befand und nur einen Steinwurf vom Fischerhafen des Dorfes entfernt war. Drei flache Ruderboote lagen in der kleinen Bucht vertäut. Durch einen Felsvorsprung, der in das offene Wasser hinausragte, waren diese Boote vor Blicken geschützt. Die Befehle, die die Anführer des Kommandos gaben. waren nur geflüstert. Lautlos stiegen die Männer des Lords in die Boote. Als einer der Riemen auf die Duchten polterte, wurden unterdrückte Flüche laut. Sofort gaben sich die anderen noch mehr Mühe, jegliches Geräusch Zu vermeiden. Jemand zischelte den Befehl zum Ablegen. Die Boote wurden abgestoßen, und behutsam tauchten die Riemenblätter in die glatte Wasseroberfläche. Schemenhaft glitten die Boote auf die weite Bucht hinaus. Das Licht hinter den Fenstern der Burg war matt und reichte nicht bis auf das Wasser. So waren die Männer in den Booten absolut sicher, daß keine Menschenseele ihr heimliches Manöver sah.
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Die zornerfüllten Augen, die sie von dem Felsen über dem Fischerhafen herab beobachteten, konnten sie nicht sehen. * Lord Facthna McCarthy betupfte sich die Lippen mit einer blütenweißen Serviette. Dann schob er seinen Stuhl zurück und richtete sich langsam auf. Feierlich hob er beide Hände, um zu einem Kristallglas zu greifen, dessen Inhalt rubinrot funkelte. Die Seewölfe, die sich mittlerweile an ihre Umgebung gewöhnt und von dem dicken Lord keine besondere Notiz mehr genommen hatten, unterbrachen ihre Gespräche. „Gentlemen!“ rief McCarthy. „Bevor wir den zweiten Gang auftragen lassen, möchte ich einen Toast ausbringen - einen Toast auf die englische Königin und ihre ruhmreichen Seefahrer.“ Er legte eine Kunstpause ein und betrachtete das Glas in seiner Hand besonders hingebungsvoll. Dann richtete er den Blick wieder auf die Tafelrunde. „Nehmen Sie es als ein Symbol, wenn ich Ihnen diesen edlen Tropfen kredenzen ließ - als ein Symbol wachsender englischer Überlegenheit, die es uns ermöglicht, einen so hervorragenden Wein spanischer Provenienz zu genießen. Es handelt sich um einen herben Rotwein aus dem Anbaugebiet Rioja. Beurteilen Sie selbst die Qualität dieses Tropfens. Auf Ihre Majestät, die Königin, und auf Ihre tapferen Seefahrer!“ McCarthy nahm sein Glas an die Lippen, und Hasard und seine Crew hoben ebenfalls die Kristallgläser, in denen ihnen der spanische Edeltrunk serviert worden war. Ferris Tucker verzog das Gesicht, als hätte er mit voller Kraft in eine unreife Zitrone gebissen. Er blickte sich um. Seinen Freunden erging es kaum anders, wie er an ihren Mienen ablesen konnte. „Was, in aller Welt, soll daran edel sein?“ murmelte Ferris entgeistert. Hasard setzte lächelnd sein Glas ah und erhob sich. Er war im Begriff, den Trinkspruch des Lords zu erwidern.
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Doch bevor er das erste Wort sagte, geschah es. Schüsse peitschten in rascher Folge. Gellende Schreie zerrissen die Stille. Dann, bevor auch nur einer der Männer im Schloß einen Gedanken fassen konnte. donnerte ein Kanonenschuß. Es schien, als würde der steinerne Fußboden der Halle erbeben. Hasard reagierte als erster. Ruckartig sprang er auf. Hinter ihm flog polternd der Stuhl zu Boden. Mit einem blitzschnellen Griff zog er den Radschloß-Drehling aus dem Gurt. Eine Waffe von hoher Feuerkraft, die noch selten und ziemlich unbekannt war. Das Laufbündel aus sechs großkalibrigen Rohren, die sich vor dem Schloß drehen ließen, ermöglichte es, sechs Schüsse hintereinander abzufeuern. Außerhalb des Schlosses peitschten wieder Musketen- und Pistolenschüsse. Hasards Reaktion war wie ein Signal für die anderen. McCarthy und Crowley waren erbleicht und versuchten zurückzuweichen. Die Offiziere der Garde zerrten ihre Säbel aus den Scheiden. Stühle polterten reihenweise, denn die Männer der „Isabella“-Crew hatten längst begriffen, daß es jetzt mit den salbungsvollen Trinksprüchen vorbei war. „Ferris!“ brüllte Hasard durch den entfesselten Lärm. „Halte sie in Schach!“ „Aye, aye, Sir!“ brüllte der hünenhafte Schiffszimmermann zurück. Er hielt bereits ein mächtiges Entermesser in der Hand, das so lang war wie ein ausgewachsener Männerarm. Überall entstand Bewegung. Das Geschehen überschlug sich. Die keltischen Tänze verstummten jäh, die Musiker ergriffen die Flucht. Hasard stürmte los. Knappe Handzeichen genügten, und die Männer, die er brauchte, schlossen sich ihm an. Batuti, Blacky, Matt Davies, Dan O'Flynn und Sam Roskill. An ihrer Spitze hetzte Hasard zum Saalausgang. Hinter ihnen knöpften sich die restlichen Seewölfe den Lord und seine Mitstreiter vor. Säbelklingen klirrten. Silberpokale
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flogen als Geschosse durch die Luft, und Arwenack mischte kräftig mit, indem er in der Mitte der Festtafel in Stellung ging und eine Schüssel mit dampfenden Kartoffeln als Munitionsreservoir benutzte. Die erste Kartoffel zerplatzte heiß auf Lord McCarthys Nase. Der Feiste stieß einen schrillen Entsetzensschrei aus und kippte mit seinem Stuhl hintenüber. Arwenack vollführte einen Triumphtanz zwischen Schüsseln, Tellern und Gläsern. Kostbares Geschirr ging zu Bruch. Mühelos trieb Ferris Tucker einen der Offiziere vor sich her. Jeff Bowie hatte den Lord-Sekretär am Wickel, fegte ihm den Dolch mit einem Fausthieb weg, bohrte ihm die Hakenprothese durch den Kragen und zog ihn zu sich heran. Crowley schrie auf, zitterte, und seine Augen schienen herauszufallen. Die übrigen Seewölfe hatten leichtes Spiel mit dem Rest der McCarthy-Mannschaft. Sie waren in der Übermacht. Hasards Befehl auszuführen, bedeutete für die kampferprobte Crew nicht viel mehr als einen Sonntagsspaziergang. Im Korridor vor der Halle stürmte Hasard und seinem Trupp ein Uniformierter wild schreiend entgegen. „Alarm, Alarm!“ Was er sonst noch schreien wollte, blieb ihm im Hals stecken, als er die Seewölfe erblickte. Er konnte nicht mehr rechtzeitig reagieren. Hasard wich aus. Er wollte den Mann nicht über den Haufen schießen. „Für dich!“ rief er Batuti zu. Der riesenhafte Gambianeger entblößte sein leuchtend weißes Gebiß und ließ freudestrahlend seine Fäuste spielen. Der Uniformierte, offenkundig einer der Wachmänner, lief in einen furchtbaren Rammstoß hinein. Aus vollem Lauf gegen eine Steinwand zu prallen, wäre nicht schlimmer gewesen. Aber bevor er seinen Schmerz hinausbrüllen konnte, trafen ihn zwei, drei weitere Hiebe, die ihn erlösten. In dem Traumland, in das er von einem Atemzug zum anderen versank, gab es keine Schmerzen mehr.
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„War kleine Vorspeise.“ Der Gambianeger feixte. „Braucht Batuti mehr für richtig in Fahrt kommen!“ „Weiter!“ rief Hasard. Sie eilten auf den Schloßhof hinaus. Das Stimmengewirr wurde lauter. Immer noch peitschten vereinzelte Schüsse. „Deckung!“ brüllte Hasard. Er wußte, daß seine Männer und er in Gefahr waren, solange sich ihre Augen nicht an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Irgendwo am Wehrgang brannte eine einsame Fackel, deren Helligkeit bei weitem nicht ausreichte, daß man die Situation auf einen Blick erfassen konnte. Hinter den Portalsäulen des Schlosses fanden die Seewölfe den nötigen Schutz. Mündungsblitze zuckten wie feurige Lanzen durch die Dunkelheit. Hasard kniff die Augen zusammen, bis das schwache Mondlicht und der spärliche Fackelschein seiner Sehkraft genügten. Und was unvermittelt deutlich wurde, ließ ihn für einen Augenblick erstarren. Die Heckenschützen lauerten auf dem Wehrgang rings um den Schloßhof. Vier oder fünf Mann waren es möglicherweise. Derjenige, dem ihre Kugeln galten, hatte sich hinter einer der Kanonen an den Mauerzinnen zur Bucht hin verborgen. Dieser Mann mußte es gewesen sein, der die Kanone abgefeuert hatte. Warum? Eine jähe Ahnung beschlich den Seewolf, dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Mit einem Satz war er bei Matt Davies, der an der nächsten Säule neben ihm kauerte. „Ich nehme die Kerle dort oben unter Feuer“, stieß Hasard halblaut hervor, „seht zu, daß ihr den Wehrgang stürmt, solange ich sie ablenke!“ „Aye, aye, Sir“, erwiderte Matt, lind das Weiße seiner Augen leuchtete. Während er zu den anderen hinüberhuschte, kehrte Hasard zu seiner ursprünglichen Position zurück. Die Schüsse peitschten jetzt in fast regelmäßiger -Reihenfolge. Der Rhythmus des Abfeuerns und Nachladens der Musketen ließ sich nachvollziehen. Allein
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hätte der Mann hinter der Kanone auf die Dauer keine Chance mehr gehabt. Hasard hob die Waffe, spannte den Hahn des Drehlings und wartete auf den nächsten Mündungsblitz. Dann, als wieder jene Feuerlanze vom Wehrgang herabzuckte, visierte der Seewolf blitzschnell an und krümmte den Zeigefinger. Der Abzug ging weich. Das Radschloß schnurrte, und der Flint klickte auf das Reibrad. Funken sprühten. Donnernd löste sich der Schuß, und die schwere Waffe bäumte sich in Hasards Faust auf. Ein markerschütternder Schrei ertönte. Die Kerle auf dem Wehrgang hatten offenbar nicht damit gerechnet, daß ihnen jemand mit heißem Blei antwortete. Hasard wechselte blitzschnell die Stellung zur nächsten Säule links. Im Hinüberhuschen spannte er den Hahn, und das Laufbündel seiner Waffe drehte sich -feuerbereit zum nächsten Schuß. Auch damit rechneten die heimtückischen Schützen auf dem Wehrgang nicht. Denn einschüssige Waffen waren die Regel, und im Kampf war man es gewohnt, die Zeitspanne zu nutzen, die der Gegner zum Nachladen brauchte. Die verkrümmte Silhouette des Getroffenen war zu erkennen. Er hing über den Zinnen des Wehrgangs. Die Wucht der großkalibrigen Kugel hatte ihn dorthin geschleudert. Hasards Getreue waren weder zu sehen noch zu hören. Noch während er den Drehling abermals hob, bellte der nächste. Schuß vom Wehrgang. Klatschend schlug die Kugel gegen die Säule, hinter der sich der Seewolf eben noch in Deckung befunden hatte. Wieder zielte er in den verglühenden Mündungsblitz. Der Radschloß-Drehling brüllte auf. Dem Mann, der vom Wehrgang gefeuert hatte, blieb keine Zeit mehr zum Staunen. Er sollte nie mehr ergründen können, wie es sein unbekannter Gegner geschafft hatte, scheinbar so unglaublich schnell nachzuladen.
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Diesmal war nur ein gurgelnder Laut zu hören, der den Männern von der „Isabella“ anzeigte, daß ein weiterer Scherge des Lords kampfunfähig war. Dafür ließen jetzt Matt Davies, Batuti, und die anderen frenetisches Angriffsgebrüll hören. Sie hatten den Aufgang zum Wehrgang erreicht. Hasard sah ihre hastenden Silhouetten vor den scharfen Umrissen der Zinnen. Die breiten Klingen der Entermesser blitzten im Mondlicht. Hasard jagte eine weitere Kugel über die Zinnen, um die restlichen Kerle dort oben in ihre Schranken zu weisen. Das Donnern des Schusses und das heisere Angriffsgeschrei der Seewölfe wirkten demoralisierend genug. Hasards Männer wendeten das Blatt im Handumdrehen. Keuchen, scharrende Schritte und klirrende Klingen waren nur minutenlang zu hören. Dann wurde es still. „Befehl ausgeführt, Sir!“ brüllte einer. Es war Matt Davies' Stimme. Hasard richtete sich auf und winkte ihnen zu. Er wußte, daß sie ihn jetzt sehen konnten. Er entspannte den Hahn des Drehlings und ging quer über den Schloßhof, bis er im Lichtkreis der einsamen Fackel deutlich zu erkennen war. „Komm herüber, Mann!“ rief er. „Es ist vorbei.“ Eine Silhouette löste sich von der Kanone, ein Schatten bewegte sich auf den Seewolf zu. Der Fackelschein enthüllte sein Gesicht. Seamus Behan konnte den Seewolf nur ansehen. Er brachte kein Wort heraus. 9. Als der Kanonenschuß donnerte, absolvierte Ben Brighton einen Rundgang auf der Kuhl der „Isabella“. Zur Wache eingeteilt waren Al Conroy und Luke Morgan. Beide eilten mit langen Sätzen zu ihrem Bootsmann, der entgeistert am Backbordschanzkleid stand und zur Burg hinaufspähte. Dort versiegte eben die letzte Glut des Kanonen-Mündungsfeuers.
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Wie gebannt warteten die drei Männer auf den klatschenden Einschlag der Kugel. Nichts. Schritte polterten über die Decksplanken. Der Profos, Smoky, Big Old Shane und Bill, die im Mannschaftslogis geruht hatten, eilten hinauf. Ben Brighton wirbelte herum. „Daß mir die Zwillinge unter Deck bleiben!“ rief er energisch. „Himmel, Arsch und Zwirn!“ brüllte Edwin Carberry. „Wozu haben wir einen Moses! Los, runter mit dir, Kleiner! Du bist mir für die beiden Kurzen verantwortlich!“ „Aye, aye, Sir“, antwortete Bill, kehrte um und hastete den Niedergang wieder hinunter. Die Männer spähten jetzt gemeinsam nach Backbord. Unüberhörbar waren die Schüsse und das Geschrei. „Sollte Hasard Schwierigkeiten haben?“ sagte Ben Brighton besorgt. „Und wenn?“ entgegnete der Profos grollend. „Glaubst du, daß sie dort oben mit diesen irischen Rübenschweinen nicht fertig werden? Mann, wenn ich könnte, würde ich. diesen Knilchen jetzt die Haut in Streifen ...“ „Da!“ schrie Luke Morgan plötzlich. „Da! Seht euch das an!“ Mit ausgestrecktem Arm zeigte er auf die dunkle Wasserfläche. Alle Blicke ruckten in dieselbe Richtung. Die drei Boote zeichneten sich als schwarze Schattenrisse über den matten Reflexen ab, die das Mondlicht auf dem Wasser verursachte. „Jetzt ist mir alles klar!“ rief Al Conroy. „Das war ein Warnschuß!“ Ben Brighton faßte einen schnellen Entschluß. Die Boote waren nur noch eine knappe Kabellänge entfernt. Nach der Größe der Boote zu urteilen, mußten es mindestens zwanzig Mann sein, die dort heranglitten. „Klar bei Drehbassen!“ befahl Ben. „Al, Luke! Ihr übernehmt das!“ Luke Morgan und der Stückmeister stürmten los. Für die übrigen Männer ließ der Bootsmann der „Isabella“ Musketen herbeischaffen.
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Keinen Augenblick zu spät. Denn jetzt zuckten von den Booten her die ersten Mündungsblitze auf. Das Peitschen der Schüsse klang heil über der Wasseroberfläche. Ben Brighton und die anderen zogen hinter dem Schanzkleid die Köpfe ein. Aber die Kugeln pfiffen gefahrlos über sie weg. Noch lagen die Schüsse viel zu hoch. Und eine bessere Ausgangslage sollten die hinterhältigen Kerle in ihren Booten nicht kriegen. „Drehbasse achtern klar!“ meldete Al Conroy. Im nächsten Moment war auch Luke Morgans Stimme vorn Vordeck zu hören. Ben Brighton fackelte nicht lange. „Drehbassen – Feuer!“ brüllte er. Beide Schüsse donnerten fast gleichzeitig. Die Mündungsblitze zerrissen die Dunkelheit, und gehacktes Blei orgelte den Booten mit verheerender Wirkung entgegen. Ein vielstimmiger Schrei gellte. Zumindest eine der beiden Ladungen mußte das vorderste Boot voll erwischt haben. Es sank rapide. Ben Brighton gab keinen weiteren Feuerbefehl. Die restliche Meute in den beiden verschont gebliebenen Booten dachte nicht mehr an Angriff. Es gab keinen Vorteil mehr auf ihrer Seite. Weder das Überraschungsmoment noch sonst etwas. Dieser Kanonenschuß von der Burg hatte alles vereitelt. Sie nahmen eilends die Männer aus dem gesunkenen Boot auf, die sich an der Wasseroberfläche halten konnten. Ben Brighton und die anderen richteten sich auf. Die beiden Boote nahmen Kurs auf das seewärtige Ende der Bucht. Irgendwo an der Küste würden die überlebenden Schergen des Lords Zuflucht suchen und sich wahrscheinlich in alle Winde verstreuen. Denn daß sie nicht nach Glandore Castle zurückkehren konnten, würden sie inzwischen vermutlich begriffen haben.
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Noch gab es keine Zeit zum Verschnaufen und keine Zeit für klärende Worte. Denn das Geschrei aus dem Inneren des Schlosses schwoll unvermittelt wieder an. Der Seewolf und Seamus Behan wirbelten herum, ohne miteinander geredet zu haben. Matt Davies und die anderen verließen polternd den Wehrgang. Als sie in die Halle von Glandore Castle stürmten, erfaßten sie die Lage mit einem schnellen Blick. McCarthy, Crowley und die vier Offiziere hatten Verstärkung erhalten. Aus irgendwelchen Ecken und Winkeln der Burg waren ein gutes Dutzend Uniformierte aufgetaucht. Die Männer der „Isabella“-Crew, die die Situation bis eben noch im Griff gehabt hatten, gerieten jetzt in Bedrängnis. Doch als der Seewolf an der Spitze seiner Männer in den Saal vordrang, gab es eine jähe Wende. Einer von ihnen stieß den wilden Schlachtruf zuerst aus, und dann stimmten alle mit ein. Es war wie ein Donnerhall, der durch den Saal von Glandore Castle brauste. „Arwenack! Arwenack! Ar — we — nack!“ Immer wieder brüllten sie es, während Klingen blitzten und Pistolenschüsse krachten. Hasard verlor Seamus Behan in dem Kampfgewühl aus den Augen. Zwei Uniformierte trieb der Seewolf durch das Getümmel vor sich her, nacheinander streckte er sie nieder, indem er ihnen das Laufbündel des Drehlings über die Schädel zog. Plötzlich, als sein Blickfeld freier wurde, stockte ihm der Atem. Der feiste Körper des Lords war unverkennbar. McCarthy kroch hinter dem Ende der Festtafel über den Steinboden auf einen seiner Schergen zu. Neben dem Reglosen lag eine Steinschloßpistole, die der Mann offenbar nicht mehr hatte abfeuern können. Mit der ungeahnten Schnelligkeit des Verzweifelten packte McCarthy die Waffe,
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wirbelte herum, auf den Rücken, richtete sich halb auf und legte an. Hasard erstarrte. Der Pistolenlauf war auf Ferris Tucker gerichtet, der nur drei Schritte entfernt mit einem Entermesser die Säbelhiebe eines Lord-Schergen parierte. Das Kreuz des Schiffszimmermanns war so breit wie ein Rahsegel. Selbst der schlechteste Schütze konnte es auf diese kurze Entfernung nicht verfehlen. McCarthy hatte den Hahn gespannt, und sein Zeigefinger krümmte sich. Sein schweißglänzendes Gesicht war zu einer Fratze verzerrt. . Dem Seewolf blieb keine Wahl. Ferris Tuckers Leben hing an einem seidenen Faden. Blitzschnell hob Hasard den Drehling. Anvisieren und Abdrücken gingen ineinander über. Donnernd entlud sich die großkalibrige Waffe. Es war wie ein übermächtiges Zeichen, das den ohnehin entschiedenen Kampf beendete. Und Hasard hatte so präzise zielen müssen, daß der heimtückische Lord nicht mehr in der Lage sein konnte, den Zeigefinger zu Ende zu krümmen. Ferris Tucker, der seinen Gegner bezwungen hatte, wirbelte herum. Als er begriff, was geschehen war, wurde er bleich. „Vergiß es“, sagte Hasard trocken. Die Männer der „Isabella“ trieben die bezwungenen McCarthy-Handlanger zusammen. die noch bei Bewußtsein waren. Unter ihnen Liam Crowley, der wie Espenlaub zitterte. Unvermittelt tauchte Seamus Behan wieder auf. Er scheuchte einen Mann vor sich her, den er irgendwo in den Tiefen von Glandore Castle aufgetrieben haben mußte. Der Mann war klein und grau wie eine verschüchterte Maus. Brendan O'Donovan. Seamus Behan hielt ihn am Kragen und stellte ihn in der Mitte des Saales in Positur. Der Fuchsgesichtige wagte nicht, den Blick zu heben.
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„Seht ihn euch an!“ schrie Seamus. „Ihm verdankt ihr den Verrat! Ihr sollt entscheiden, was mit ihm geschieht!“ Alle Augen richteten sich auf Hasard. „Jag ihn aus dem Ort“, sagte der Seewolf, „es wird die schlimmste Strafe für ihn sein, wenn er sich hier nicht mehr blicken lassen darf.“ Im ersten Moment sah Seamus Behan enttäuscht aus. Doch dann nickte er. „Du hast es gehört, O'Donovan“, sagte er rauh, „wenn ich dich jemals wieder in Glandore sehen sollte, werde ich dir eigenhändig den Kopf abreißen.“ Er stieß den Krummbeinigen von sich. O'Donovan hastete hinaus. Er wagte nicht, sich noch einmal umzudrehen. Seamus Behan blickte zu dem leblosen Körper des Lords. Ein Hauch von Genugtuung lag in seiner Miene. Dann gab er sich einen Ruck und ging auf den Seewolf zu. Der Ire zögerte. Aber schließlich hielt er Hasard die Hand hin. Der Seewolf ergriff diese schwielige Hand und drückte sie fest. „Ich wünsche eine gute Heimreise“, sagte Seamus Behan, „Ihnen und Ihrer Crew. Wenn sich unsere Wege jemals wieder kreuzen sollten, können Sie mir guten Tag sagen. Mein Haus steht Ihnen offen.“ Wie er es sagte, klang es schroff. Doch Hasard
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wußte, daß es von diesem Mann keine aufrichtigere Form des Dankes geben konnte. Der Seewolf lächelte. „Wir werden unserer Königin über die Geschehnisse in Glandore berichten. Ich hoffe, daß eure Zukunft besser aussieht.“ Seamus Behan zuckte mit den Schultern. „Für den Augenblick können wir aufatmen. Aber ich fürchte, es wird immer wieder neue McCarthys geben.“ Hasard und seine Männer konnten verstehen, daß Behan schwarz sah - nach allem, was geschehen war. Doch ein neuer Machthaber in Glandore Castle würde es nicht so leicht haben, ein so brutales System der Unterdrückung aufzubauen, wie es Facthna McCarthy zu Lebzeiten verstanden hatte. Was Philip Hasard Killigrew dazu tun konnte, um es zu verhindern, das würde er in London tun. Der Seewolf ließ eine Wache im Schloß zurück - so lange, bis Seamus Behans Freunde eintreffen würden. Dann kehrte Hasard mit dem Rest seiner Männer auf die „Isabella“ zurück. Er atmete auf, als er seine Söhne friedlich schlummernd in ihren Kojen vorfand. Bei Sonnenaufgang hieß es, ankerauf zu gehen. Kurs auf England. Endgültig...
ENDE