HEYNE‹
BEN COUNTER
Seelentrinker
Roman
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Seelentrinker
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HEYNE‹
BEN COUNTER
Seelentrinker
Roman
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Seelentrinker
BEN COUNTER
EINS
Das Corvus-Landeschiff schwebte durch die Stille des Weltalls auf das Sternenfort zu. Die Lenkraketen auf dem geschwungenen Metall seiner Hülle zündeten, um den Abstieg zu stabilisieren. Das Lande schiff befand sich auf einer Flugbahn um den Orbit des Planeten La konia, der hell und kalt unter ihnen leuchtete. Der Angriffskreuzer, von dem es abgeschossen worden war, sowie ein halbes Dutzend anderer Landeschiffe, die gegen die Schwärze des Alls glänzten, be fanden sich auf der anderen Seite des Planeten. Auf dem Sternenfort ahnte niemand etwas von ihrer Ankunft. Genau das war die Absicht der Seelentrinker. Im Landeschiff selbst war nur der leise Chor der Senatoren und das sanfte Brummen der Rüstungen zu hören. Sarpedon und seine Waffenbrüder besannen sich still des bevorstehenden Kampfes und der langen Jahre des Krieges, die sie zu dem gemacht hatten, was sie jetzt waren: die Speerspitze der Menschheit. Sie dachten an ihren Primarchen Rogal Dorn, der sowohl im wört lichen als auch im übertragenen Sinn der Vater ihres Ordens gewesen war. Seinem leuchtenden Beispiel galt es zu folgen. Sie dachten an die Gnade, die ihnen der Imperator hatte zukommen lassen − sie durften von Stern zu Stern reisen und ihren Teil zu einem großen Plan beitragen, der zu kompliziert und wichtig war, um ihn Geringe ren zu übertragen. So hatten sie sich schon mehr als tausendmal geis tig auf die bevorstehenden Schlachten vorbereitet und den Zweifel besiegt, der Soldaten befiel, die nicht den Standards der Space Mari nes entsprachen. Sie waren Seelentrinker. Sarpedon wusste das. Und doch war es dieses Mal anders. Er spürte den Atem der Geschichte, der den ehrenhaften und erhabenen
Kodex bestimmte, nach dem die Seelentrinker lebten. Diesmal stand mehr auf dem Spiel als nur eine weitere gewonnene Schlacht. Bald, wenn der Kampf vorbei war, würden sie sich einen Platz in den Le genden verdient haben, die den Novizen gelehrt und bei großen Fes ten vorgetragen wurden. Die zarten Gesichter des Chors, die auf den Armaturen aus Kupfer angebracht waren, wandten sich zur Decke des Schiffs, als sie ihre einstmals menschlichen Stimmbänder in neue Höhen schwangen. Die Seelentrinker benutzten die seelenlosen, nur zum Teil aus Men schenkörpern bestehenden Servitoren für niedere, anspruchslose Aufgaben. Der Chor, im Grunde nichts weiter als Gesichtshaut und Voxprojektoren, die mit dem Landeschiff verbunden waren, war ein Teil der Tradition ihres Ordens und half den Waffenbrüdern, sich auf die bevorstehende Schlacht zu konzentrieren. Sie hatten ihr Ziel fast erreicht. Sie waren bereit. Sarpedon konnte die Vorfreude seiner Kameraden spüren, ihre Angst, nicht zu versa gen, und die tiefe Verachtung, die sie Feigheit jeglicher Art entge genbrachten. Dies alles machte die Seele eines Kriegers aus. Es war ein starker Bund, der sie zusammenhielt. Mit einem Ruck trat das Landeschiff in die Atmosphäre Lakonias ein. Sie waren dreißig Kameraden − insgesamt waren zwei taktische und ein Angriffstrupp in die gravitationsdämpfenden Sitze ge schnallt. Die dunkelpurpurnen Rüstungen und die polierten Waffen glänzten im Licht. Es gab keinen unter ihnen, der in diesem Moment zauderte. Sie waren seine Brüder. Eine Handvoll Auserwählter, die zwi schen dem glücklichen Schicksal der Menschheit oder ihrem Unter gang stand. Die Melodie des Chors änderte sich, als die abschließen de Landephase eingeleitet wurde. Fast übertönte er das Zischen der Bremsraketen. Sarpedon nahm den Helm vom Sitz neben ihm und setzte ihn auf. Der Verschluss rastete spürbar um seinen Hals herum ein. Runen auf seiner Netzhautanzeige versicherten ihm, dass seine gigantische Rüstung absolut dicht war. Jeder Space Marine hatte vie
le Stunden auf dem Kreuzer damit zugebracht, seine Ausrüstung auf das Genaueste zu prüfen. Es bestand die Möglichkeit, dass sie in ei ner fast luftlosen Umgebung kämpfen mussten, solange die Brücken köpfe nicht gesichert waren. Er aktivierte eine der Runen, die auf seine Netzhaut projiziert wurden, und seine Aegisrüstung erwachte klimpernd zum Leben. Sie wurde von einer Generation erfahrener Scriptoren zur nächsten wei tergereicht. Obwohl die Menschheit die ihr zugrunde liegende Tech nologie lange vergessen hatte, würde die Rüstung Sarpedon zuverläs sig beschützen, wenn er seine Kameraden anführte, um Ordensge schichte zu schreiben. Sie kamen näher und näher. Das spürte er auch unabhängig vom Chor und den Warnsystemen des Landeschiffs. Das massige Sternenfort schälte sich aus der Dunkelheit. Seine riesige Gestalt kroch lang sam über die grünbraune Scheibe Lakonias. Die Bremsraketen gin gen in die zweite Phase, und die Gurte an den Sitzen strafften sich, um die Bremskraft zu dämpfen, die auf die Space Marines einwirkte. »Seelentrinker!«, erklang die klare und von Stolz erfüllte Stimme Hauptmann Caeons über den Voxkanal. »Ihr wisst, warum ihr hier seid, was von euch erwartet wird und wie ihr zu kämpfen habt. Ich zweifle nicht an euch. Aber vergesst eines nicht: Wer auch immer euch fragt, wie ihr dem Orden gedient habt, sei es der jüngste Novize oder der erfah renste Veteran − erzählt ihnen, dass ihr an jenem Tag dabei wart, an dem euer Orden seine Ehre wiedererlangt hat. Heute ist der Tag, an dem wir den Seelen-Speer zurückerobern werden.« Gut gesprochen. Caeon wusste, wie er die Herzen seiner Männer erreichen und an ihr Empfinden für die heiligen Traditionen appellie ren konnte, um Übermenschliches aus ihnen herauszuholen. Lichter blinkten, und der Chor fügte sich zu einer markerschüt ternden Harmonie zusammen, die die Männer anspornte. Mit einem metallischen Knirschen, das das ganze Landeschiff erschütterte, wurden die Landungshaken aus ihren Verankerungen gelöst. Die
Klauen aus Ceramit konnten sich mühelos in Metall festbeißen. Sar pedon hatte das Bild des Sternenforts vor Augen, wie er es aus zahl reichen Einsatzbesprechungen kannte − es war hässlich und unför mig. Seine einstmals kugelähnliche Form hatte es lange verloren. Auf dem Fort gab es weder Ladung noch angedockte Schiffe − also kein Entkommen für seine Verteidiger. Das Van-Skorfold-Kartell hatte angeblich eine private Armee aufgestellt und war überzeugt davon, dass sie durch die Waffensysteme des Forts und seiner laby rinthischen Struktur allen Angriffen standhalten konnten. Die Ab sicht der Seelentrinker bestand darin, das Fort zu einer tödlichen, unentrinnbaren Falle für seine Verteidiger zu machen. Die Sensoren hatten nur die äußere Hülle des Forts erfassen kön nen. Ohne einen genauen Lageplan war es äußerst schwierig, einen Schlachtplan zu entwerfen. Trotzdem war das Ziel der Mission ver gleichsweise unkompliziert: eindringen, möglichen Widerstand eli minieren und die Zielobjekte sichern. Wo sich diese Objekte befan den und mit welchem Widerstand zu rechnen war, würde sich den Anführern der verschiedenen Angriffsgruppen erst vor Ort erschlie ßen − im Falle Sarpedons also ihm selbst. Es gab drei primäre Missionsziele. Ziel eins und zwei waren Teil des Missionsziels Ultima. Die Erfüllung von Missionsziel Ultima würde jedem Space Marine, der an diesem Angriff teilnahm, seinen Platz in den Annalen des Ordens sichern. Sarpedon überprüfte noch einmal seinen Bolter und schloss die Hand um den Holzgriff seines Energiestabs. Das an seine psioni schen Fähigkeiten gewöhnte Arunholz fühlte sich warm an. Eine sanfte Energieentladung überzog knisternd seine Oberfläche. Auch die anderen Space Marines überprüften − wenn auch nur symbolisch − noch einmal ihre Ausrüstung, ihre Helme, die Dichtungen ihrer Rüstungen, die Bolter. Das Plasmagewehr aus Givrillians Trupp war bereit, seine Energiespulen glühten. Die Männer aus Sergeant Tellos’ Gruppe hatten ihre Sprungmodule abgelegt und zogen wie ein Mann ihre Kettenschwerter. Sarpedon konnte spüren, wie Tellos’ Gesicht
hinter seinem bedrohlich wirkenden Helm einen ruhigen, unbesorg ten Ausdruck trug und sogar den Anflug eines Lächelns zeigte. Alle Seelentrinker waren geboren, um zu kämpfen − Tellos’ Bestimmung war es, auf Schwertdistanz mit denjenigen zu kämpfen, die es wag ten, die Hand gegen die auserwählten Truppen des Imperators zu erheben. Aus dem Hauptquartier des Ordens war zu hören gewesen, dass Tellos Großes vollbringen würde. Sarpedon zweifelte nicht dar an. Plötzlich verstummte der Chor. Alle konzentrierten sich auf die bevorstehende Schlacht. Die Landeraketen zündeten. Sie waren ge landet. Die Türen des Landeschiffes sprangen auf, und die Luft wurde heu lend aus dem Innenraum gesogen. Durch die plötzliche Kälte platzte die Haut auf den Gesichtern der Chorservitoren auf. Bis auf das Summen des Generators in Sarpedons Rucksack herrschte völlige Stille. Er spürte, wie in den Gehirnen seiner Kameraden die Orientie rungs- und Verarbeitungsroutinen abgespult wurden, die ihnen wäh rend der Psycho-Indoktrination eingepflanzt worden waren. Der aufwirbelnde Rauch der abgesprengten Türen beschränkte die Sicht auf Eis- und Metallsplitter. Im luftleeren Raum war nichts zu hören. Nichts bewegte sich. Die Space Marines lösten sich aus ihrem Gurtzeug und stürmten die Bresche. Tellos würde sie anführen. Er und seine Männer waren bereit, ihre Kettenschwerter in die erste Verteidigungslinie des Fein des zu senken. Sarpedon würde ihnen mit den taktischen Trupps un mittelbar nachfolgen. Dann konnte er die schreckliche Waffe in sei nem Geist loslassen. Sarpedon nickte, und Tellos sprang durch die Bresche. »Los! Los! Mir nach!« Tellos’ jugendliche, erwartungsfrohe Stimme durchbrach die Stille wie ein Gewehrschuss. Dann war nur noch der Atem des Sergeants zu hören. Jeder Space Marine lauschte konzentriert auf die erste Feindberührung.
Die taktischen Trupps lösten sich ebenfalls aus ihren Sitzen. »Gesichert!«, schrie Tellos. Die taktischen Einheiten stürzten sich in die von Rauch erfüllte Bresche. Ihre massigen Servorüstungen tauchten nacheinander in die Dunkelheit. Givrillian und Bruder Thax, das Plasmagewehr im An schlag, bildeten die Vorhut. Sarpedon folgte ihnen mit angelegtem Bolter und dem Energiestab im Rucksack. Kurz bevor er sich in die Bresche duckte, konnte er einen kurzen Blick auf die glänzende Scheibe Lakonias werfen. Das Landeschiff war schräg aufgekom men, sodass die Landungsklammern nicht richtig greifen konnten. Zwischen der Hülle des Sternenforts und dem Landeschiff klaffte ein Spalt, durch den die Luft entströmte. Ein mit minderwertigen Truppen besetztes Landeschiff wäre ge zwungen gewesen, sich wieder auszukuppeln und hilflos umherzut reiben, bis es eine zweite Angriffswelle aufnehmen würde. Darüber konnten die Seelentrinker nur lachen − ihre absolut luftdichten Ser vorüstungen ermöglichten es ihnen, den Gefahren des Vakuums zu trotzen. Und eine zweite Angriffswelle würde es nicht geben. Durch den sich langsam klärenden Rauch konnte Sarpedon einen ersten Blick ins Innere des Forts werfen. Für einen Krieger seiner übermenschlichen Größe besaß es eine niedrige Decke. Dem Dreck und der mangelnden Wartung nach zu urteilen waren sie an einer aufgegebenen Sektion des Forts gelandet, von denen es wahrschein lich einige gab. Öl und Schlamm waren an die Rohre gefroren, die sich an den Decken und Wänden entlangschlängelten. Sie befanden sich an einer Kreuzung. Ein Ausgang war mit verrostenden Maschi nentrümmern versperrt − es galt also, drei Wege zu sichern und zu erforschen. Einer der Korridore endete in einem schweren Schott. Die Hälfte von Tellos’ Angriffstrupp machte sich bereit, es mit Mel terbomben aufzusprengen. Zwei Leichen erklärten den fehlenden Widerstand. Es handelte sich um Mechaniker, die mit Wartungsarbeiten beschäftigt gewesen, waren, als sich die Luft aus der Sektion des Forts verflüchtigt hatte.
Einer war von der wuchtigen Dekompression an einen Pfosten ge schleudert worden und dort wie eine überreife Frucht zerplatzt. Wie kleine Juwelen bedeckten Blutstropfen Wände und Boden. Der ande re lag im Korridor, den Mund in einem stummen Aufschrei geöffnet. Er starrte mit einem vor Angst wahnsinnigen Ausdruck zur Decke. Das Weiße in seinen Augen hatte sich durch die geplatzten Blutgefä ße rot gefärbt. Dank seiner scharfen Beobachtungsgabe konnte Sar pedon auf dem ölverschmierten grauen Overall des Mannes ein Ab zeichen erkennen, das in Vergrößerung auf seine Retina projiziert wurde. Darauf waren zwei stilisierte menschliche Figuren − Zwillinge −, die um einen goldenen Planeten gruppiert waren. Das Wappen der Van Skorvolds. Seine Männer schwärmten, Waffen im Anschlag, um ihn herum aus. Ihre verbesserten Sinne konnten sofort auf die kleinste Bewe gung reagieren. »Schott aufbrechen, Sir?«, fragte Tellos. »Noch nicht. Schiffsbesatzung, Lücke schließen und Atmosphäre wiederherstellen. Ich will nicht, dass uns eine Dekompression die Schussbahn verdirbt.« »Befehl bestätigt«, drang die metallische Stimme des PilotenServitoren aus dem Cockpit des Landeschiffs. Die matten Bodengit ter vibrierten, als sich die Klammern schlossen, mit denen das Lan deschiff luftdicht an der Hülle des Sternenforts befestigt wurde. Durch die Kontraktion eines Kehlkopfmuskels erweiterte Sarpe don die Frequenz seiner Sprechkugel. »Hier spricht Sarpedon. Grup pen Tellos, Givrillion und Dreo abgesetzt. Keine Feindberührung.« »Bestätigt, Sarpedon. Position sichern und zur Wegmarke vorrü cken«, erklang die Stimme von Hauptmann Caeon, der sich auf der anderen Seite des Forts befand. Neben Sarpedons und Caeons Trupp waren sechs weitere Landungsschiffe auf der dem Weltraum zuge wandten Seite des Forts gelandet. Drei weitere waren später hinzu gestoßen und hatten die restlichen Apothecarii und Tech-Marines
sowie einen Zug Ordensdiener, die für Reparaturen unter Gefechts bedingungen ausgerüstet waren, abgesetzt. Sie sollten ihre Kamera den unterstützen und die bereits eingenommenen Brückenköpfe sta bilisieren. Drei vollständige Seelentrinker-Kompanien. Genug, um ein gan zes Schlachtfeld mit den auserwählten Truppen des Imperators zu füllen und es mit jeder Bedrohung, die die Galaxie bereithalten konn te, aufzunehmen. Aber der Schatz, der sie tief im Sternenfort erwar tete, war den Aufwand wert. Sarpedon nahm eine Holotafel aus seiner Gürteltasche und schal tete sie ein. Ein grober Grundriss der Gänge in unmittelbarer Nähe seiner Position leuchtete grün über der Tafel auf. Das Sternenfort war auf einer uralten orbitalen Verteidigungsplattform errichtet worden. Der Grundriss dieser Plattform musste den Marines im Fort zur ers ten Orientierung genügen. »Befinden uns in Subsektion Delta Neununddreißig«, voxte er. »Ein verlassener Fracht- und Personaltunnel.« »Verstanden. Sichern.« Sarpedons Finger glitten trotz des Panzerhandschuhs aus purpur farbenem Ceramit geschickt über die Runen an der Seite der Holota fel. Auf dem schematischen Grundriss wurden die Korridore in ver schiedenfarbige Sektionen aufgeteilt, die ihre möglichen Marschrou ten aufzeigten. Ein Fadenkreuz markierte einen blinkenden roten Punkt, der den Schnittpunkt von drei dieser Routen zweihundert Me ter tiefer im Fort markierte. Abgesehen von der Abwehr eines mögli chen Angriffs größerer Feindverbände bestand ihre Aufgabe nun darin, den Hauptlüftungsschacht, eine körnige grüne Kurve am Ran de der Projektion, zu erreichen. Wenn dieser einmal genommen war, konnten die Marines durch die Sauerstoffpumpen und Recyclingtur binen weiter in die Habs der mittleren Stockwerke gelangen. Von dort war es nicht mehr weit bis zum gepanzerten Kern des Forts, wo Missionsziel Nummer zwei auf sie wartete. Eine weitere Rune auf seinem Retinadisplay informierte Sarpedon, dass die Lücke zwischen
Landungsschiff und der Hülle des Forts vollständig geschlossen war. »Aufteilen!«, befahl er über eine Frequenz, die nur die anderen Trupps erreichte, und machte seine Sergeanten auf die Holoprojekti on aufmerksam. »Tellos, Schott sprengen. Dreo, linke Flanke. Givril lian, rechte Flanke. Kaltblütig und blitzschnell, Seelentrinker!« Die Trupps schwärmten in die Dunkelheit aus. Aus jeder Gruppe wurden zwei Space Marines abgestellt, die die Brückenköpfe sichern und ankommende Spezialtruppen decken sollten. Melterbomben de tonierten mit dumpfen Schlägen. Luft strömte durch das aufgesp rengte Schott. Sarpedon führte Givrillians Trupp durch einen Seitengang in ei nen quadratischen, breiten Verladetunnel. Ein Schienenstrang, auf dem einmal Frachtcontainer und Arbeitstrupps transportiert worden waren, verlief mitten durch die große Halle. Thax trat an ihnen vorbei in den Tunnel. »Nichts«, sagte er. »Kaum verwunderlich«, sagte Sarpedon. »Wir haben sie über rascht.« Wie es die Seelentrinker immer taten. Kaltblütig und blitz schnell. Sie hörten das leise Echo von Bolterschüssen in der dünnen Luft. »Kontakt!«, schrie Dreo. Sarpedon wartete einen Augenblick ab. »Gegner außer Gefecht«, sagte Dreo. »Eine Wachpatroullie, sechs Mann stark. Automatische Waffen, Splitterschutzwesten, Unifor men.« »Verstanden, Sergeant Dreo. Zum Treffpunkt vorrücken.« »Mutanten, Sir!« Schon das Wort allein jagte Sarpedon einen kalten Schauer über den Rücken, und er konnte den Abscheu seiner Brüder förmlich spü ren. Es war schon lange bekannt, dass die Van Skorfolds illegalen Sklavenhandel mit Mutanten betrieben. Aber anscheinend stimmten auch die Gerüchte, dass sie die Brauchbarsten ihrer verbotenen Han delsware selbst behalten und daraus eine Privatarmee zusammenges tellt hatten. Das war der Beweis.
»Flammenwerfer zur Nachhut schicken und Leichen verbrennen. Kameraden, seid vorsichtig! Das werden nicht die Letzten gewesen sein. Manche Mutanten verfügen über erhöhte Wahrnehmungsfähig keiten. Diese Dinger können unter Umständen so gut sehen wie ihr.« Sie waren degenerierte, gefährliche Kreaturen, aber letzten Endes Feiglinge. Seine Fähigkeiten würden gegen sie äußerst effektiv zum Einsatz kommen. Aber erst mussten sie sie finden. »Ladezone sieben! Stehen unter heftigem Beschuss!« Lukos Rune blinkte auf. Sein Trupp hatte mit einem anderen Landeschiff nur kurz vor Sarpedon das Fort erreicht. Sarpedon wusste, dass es Luko kaum erwarten konnte, mit seinen Energieklauen mutiertes Fleisch zu zer reißen. Zu Recht hielt er die vorderste Position der Angriffslinie in ne. »Sarpedon hier. Brauchst du Unterstützung?« »Sei gegrüßt, Scrip tor! Komm rüber, es ist Beutezeit!« Luko hatte immer ein Lachen in der Stimme. Umso mehr im Angesicht des Feindes. Givrillian führte sie einen Seitenkanal durch die Sektoren Delta Achtunddreißig und Siebenunddreißig, über die sie praktisch nichts wussten. Lukos Auspex-Daten wurden auf die Holoplatte übermittelt. Rote Dreiecke, die unbekannte Signale darstellten, strömten in Sek tor Fünfunddreißig. »Es sind Dutzende von ihnen, Sir.« »Das sehe ich auch, Sergeant. Vorschläge?« »Tellos wird sie als Erstes erreichen und ihre Vorhut angreifen. Wir sollten sie mit leichtem Sperrfeuer unterstützen. Sie dürfen keine Chance bekommen, um in Deckung zu gehen.« »Gut. So machen wir es.« Tellos’ Stimme wurde von allen vernommen. Er forderte seine Brüder auf, im Namen des Imperators und Dorns zu kämpfen. Da nach folgte das ihnen allen bekannte Geräusch, mit dem ein Ketten schwert in Fleisch dringt. Das Bolterfeuer von Lukos Trupp erzeugte einen Lärmteppich, den jeder Marine schon eine Million Mal ver nommen hatte. Givrillian stürmte durch eine Luke in den Verlade tunnel, aus dem Sektor Delta Fünfunddreißig bestand, wählte ein Ziel
und feuerte eine Handvoll Schüsse aus seinem Bolter ab. Direkt hin ter ihm folgte Thax, dessen Gewehr weißglühendes flüssiges Plasma spuckte. Die Energiespulen glühten. Sarpedon lud seinen Bolter durch und stürmte hinterher. Jetzt stand er dem Feind zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht ge genüber. Von den deckenhohen Gleisen, mit denen einst große Frachtcon tainer durch den riesigen Raum zu den Pneumokränen bewegt wur den, war nicht mehr viel übrig. Der Wald aus Pfosten, der das Gleis konstrukt gestützt hatte, war zum größten Teil aufgrund des hohen Alters und der unzureichenden Wartung zusammengebrochen. Hinter diesen Pfosten suchten die Mutanten Deckung. Im Bruchteil einer Sekunde konnte Sarpedon mehr als hundert dieser unreinen Missbildungen erkennen − Hände, die Klauen ähnel ten, Gesichter, denen ein Teil fehlte, ein anderer dafür grotesk ver doppelt oder verschoben war, brutal verformte Wirbelsäulen, Schup pen, Federn und schleimbedeckte, glänzende Haut. Sie waren mit automatischen Waffen, Lasergewehren oder einfachen Schrotflinten ausgerüstet. Manchen von ihnen waren industrielle Schneidwerkzeu ge oder Sägen implantiert, andere verließen sich rein auf ihre Stärke. Alle trugen verschmutzte, zerlumpte dunkelgrüne Overalls mit dem Wappen der Van Skorfolds. Es mussten über tausend sein, die sich hier versammelt hatten, ganze Horden kampflüsterner Mutanten, die sich hinter notdürftigen Barrikaden verschanzt hatten. Ihre Anführer − diejenigen mit den grässlichsten Mutationen, insektenartigen Krallen oder unnatürlicher Muskelbildung − besaßen entweder Funkgeräte oder Schlitze in der Kehle, die auf simple Voximplantate schließen ließen: ein wohlorga nisierter Gegner. Tellos’ Männer hatten die ersten Barrikaden überwunden und trieben ihre Kettenschwerter in die Menge − es regnete Gliedmaßen und abgetrennte Köpfe. Der Sergeant selbst duellierte sich mit einem riesigen, hässlichen Wesen, das das Blatt eines Recyclingventilators
wie ein Schwert schwang. Wenn es sich dabei nicht um ihren Anfüh rer handelte, so war diese Kreatur doch für die Moral seiner Kampfgenossen ungemein wichtig. Tellos hatte seinen Gegner klug gewählt − mit seinen überragenden Nahkampffähigkeiten würde er ihn zur Strecke bringen und so dem Feind das Fürchten lehren. Wenn das Biest eine gute Trophäe abgab, würde sich Sarpedon dafür einsetzen, dass er sie behalten durfte. Sarpedon benötigte eine halbe Sekunde, um die Situation richtig einzuschätzen und entsprechend zu handeln. Der Feind war in der Überzahl, und die Seelentrinker mussten ihn aufhalten, ehe er eine vernünftige Verteidigungslinie bilden konnte. Daher war es wichtig, mit allen verfügbaren Mitteln die Schwachstellen des Feindes anzug reifen. Er feuerte einige Schüsse in einen Haufen von Mutanten und Ar beitern, die sich vor Lukos Sperrfeuer hinter vermoderte Frachtcon tainer gerettet hatten. Das Zucken des Bolters in seiner Hand fühlte sich angenehm schwer an. Aus der Masse der Feinde leuchteten die Feuer automatischer Waffen auf wie tödliche Blüten. Schnell ging Sarpedon in Deckung. Jetzt hatte Sarpedon ebenfalls das erste Blut in dieser Schlacht fließen lassen und konnte sie gemäß den Ordenstraditionen stolzer füllt zu Ende bringen. »Givrillian, vorrücken und angreifen. Passt auf Lukos Kreuzfeuer auf. Ich komme nach.« »Jawohl, Sir.« Sarpedon hörte das Lächeln in der Stimme des Sergeanten, der wusste, was als Nächstes passieren würde. Sarpedon lehnte sich mit dem Rücken gegen einen der Pfeiler und konzentrierte sich. Die Schwäche des Gegners lag in dessen Moral. Es waren zwar mehrere Hundertschaften, aber allesamt schwach und degeneriert. Nicht nur die Mutanten, auch diejenigen, die keine ihrer Merkmale besaßen und sich trotzdem dazu erniedrigt hatten, mit ih nen zu paktieren. Mit seinem verstärkten Gehör konnte er das Ge räusch einer Kettenklinge, die auf Knochen traf, ausmachen. Tellos
setzte dem riesigen Mutanten schwer zu. Der Tod der Kreatur würde die Kampfbereitschaft der Feinde schwächen − Sarpedon würde ih nen den Rest geben. Givrillians Trupp schob sich zu beiden Seiten an ihm vorbei. Das Plasmagewehr spuckte einen Schwall ultraerhitzter Flüssigkeit auf die Flanke des Feindes. Haut verbrannte, Gliedmaßen schmolzen. Wovor fürchteten sich die Mutanten? Autorität, Macht, Bestra fung. Das reichte Sarpedon. Er ließ den Bolter in die linke Hand wandern und zog den Energiestab aus Arunholz aus seiner Lederhül le. Der imperiale Adler an seiner Spitze glühte. Sein Kern, der aus einem Thaumocapacitor bestand, wurde mit psionischer Energie durchflutet. Sarpedon konzentrierte sich, formte bestimmte Bilder in seinem Geist und speicherte sie hinter einer mentalen Barriere, jeden Moment bereit, sie auf seine Feinde loszulassen. Er setzte seinen Helm ab und klemmte ihn sich an den Gürtel, dann holte er tief Luft, die recycelt, sauer und nach Maschinenöl roch. Er trat aus seiner Deckung auf den Gefechtsschauplatz hinaus. Givrillians Männer hatten die erste Verteidigungslinie der Mutanten genommen. Als die Gegenseite das Feuer eröffnete, duckten sie sich in Verschanzungen, die vor Mutantenblut nur so troffen. Einzelne Mutanten krochen durch das Trümmerfeld, um sie einzukreisen oder ihnen in die Seite zu fallen. Der riesige Mutant kniete vor Tellos. Eines seiner Hörner fehlte, und seine mächtige Klinge hatte schwere Scharten davongetragen, als der Sergeant seine Angriffe immer wie der blitzschnell hatte parieren können. Sarpedon schritt voran und beachtete die Schüsse aus den Auto matik- und Laserwaffen, die um ihn herum in die düstere Ladezone einschlugen, nicht weiter. Er breitete die Arme aus und spürte, wie die Spiralen des Aegis aufleuchteten und sich um seine Rüstung schlangen. Die Bilder in seinem Kopf waren von unerträglicher Intensität − dann ließ er sie los. Es war Die Hölle.
Der nächste Mutantenhaufen, etwa zweihundert Mann, befand sich in dreißig Metern Entfernung und lieferte sich gerade ein Feuer gefecht mit Givrillians Marines. Plötzlich verstummten ihre Waffen, als große, verhüllte Gestalten vom Boden aufstiegen. Sie trugen die Schwerter der Gerechtigkeit und blitzende Sensen, um die Schuldi gen niederzumähen. Einige stürzten nach vorne und fielen den Schat tenhänden zum Opfer, die die Sündigen begierig zerquetschten. Kreaturen mit Fledermausflügeln stürzten auf die Mutanten herab. Panisch versuchten sie, ihrem Schicksal und ihrer gerechten Strafe zu entgehen. Von irgendwo über ihnen ertönte ein tiefes, dröhnendes Lachen, das ihren Mut sinken ließ. Die Mutanten liefen direkt in das Feuer ihrer Hintermänner. Für ein paar Augenblicke herrschte ein heilloses Durcheinander. Sarpedon sprang über die Barrikade, hinter der sich Givrillians Marines verschanzt hatten, und stürmte auf den größten Mutanten haufen zu. Die Feinde starrten noch immer mit offenem Mund die Erscheinungen an, die aus der Dunkelheit aufgestiegen waren. Mit einem Schwung seines Energiestabs spaltete er die beiden nächsten Gegner. Er spürte, wie sich der Stab entlud, als die Mutanten ihre kümmerlichen Lebensgeister aufgaben. Mit seiner psionischen Kraft riss er drei weitere von den Füßen. Sie schlugen hart auf und ließen ihre Waffen fallen. Die Hölle war eine raffinierte und nichtsdestotrotz fürchterliche Waffe. Sie attackierte die Psyche der Gegner genauso wie seine Ka meraden ihre Körper angriffen. Sie war genau auf die Taktik der See lentrinker abgestimmt und schenkte ihnen die wertvollen Sekunden, die sie für einen Sturmangriff brauchten. Mitten im Gefecht − dort, wo es die höchste Ehre für einen Seelentrinker war, seinem Impera tor zu dienen. Drei Marines aus Givrillians Trupp, die nach Jahren der Übung und des Kampfes an Sarpedons Beschwörungen gewöhnt waren, richteten die Mündungen ihrer Waffen über die behelfsmäßigen Bar rikaden und eröffneten das Feuer. Ihre Geschosse rissen faustgroße
Löcher in die Körper der Feinde. Weitere Marines nahmen die Mu tantenhorden aufs Korn, die vom Zusammenbruch der Frontlinie völlig überrascht waren. Schüsse fielen und Körper wurden zu Boden geschleudert. Ein Tentakel schlug noch einmal wild um sich, als sein Besitzer starb. Eine Kreatur mit skelettartigen Flügeln wurde nach hinten ge rissen, als ein Geschoss in seiner Brust explodierte. Sarpedon stieg über die Barrikaden und schwang erneut den Ener giestab. Einer der Arbeitersoldaten wurde auf Hüfthöhe zerteilt, als er versuchte, davonzulaufen. Givrillian erschien neben Sarpedon und bestrich den fliehenden Feind mit Bolterfeuer. Der Angriffstrupp stürmte an ihnen vorbei und verfolgte die Mutanten, die sich an das Ende der Lagerhalle zurückzogen. Tellos’ Rüstung war mit schwarz rotem Blut bedeckt. Jemand tippte Sarpedon an die Schulter. Es war Luko. In Winde seile hatten die zwei taktischen Trupps zu ihnen aufgeholt und eine Schusslinie gebildet. Bolterfeuer schoss zu beiden Seiten der Marines des Angriffstrupps vorbei, während sie ihr blutiges Werk verrichte ten. Nur wenige Mutanten konnten fliehen − der Rest starb unter den Klingen von Tellos’ Einheit oder wurde von Givrillians und Lukos Boltern niedergemäht. Ihre Todesschreie hallten durch die Lagerhal le. Der Feind hatte jeden Widerstand aufgegeben. Die Geister der Hölle strichen durch die Reihen der Mutanten, während die Marines sie zu Hunderten abschlachteten. So errangen die Seelentrinker ihre Siege: indem sie den Feind zerbrachen und ihm jeglichen Kampfesmut raubten. Dann bedurfte es nur noch eiserner Disziplin und rechtschaffener Erbarmungslosigkeit. Givrillian und Luko gaben sich nach Kriegerart die Hand. »Sei gegrüßt«, sagte Luko. »Haben sich deine Männer bewährt?« Givrillian nahm den Helm ab und sah sich um. »Jeder Einzelne, Luko. Heute ist ein guter Tag.« Givrillian hatte vor langer Zeit bei der Schlacht vor den Mauern von Oderic durch einen Granatensplit
ter die Hälfte seines Kiefers eingebüßt. Er kratzte sich die Narbe, die quer über sein Kinn verlief. »Ein guter Tag.« Er erspähte Tellos’ Marines, die sich ihren Weg durch Berge von verstümmelten Lei chen bahnten. Sie hatten eine unglaubliche Anzahl getötet. Jetzt wür de das ganze Sternenfort wissen, dass sie hier waren. »Sergeanten, Eure Männer haben sich bis jetzt gut geschlagen«, sagte Sarpedon. »Wir dürfen dem Feind keine Verschnaufpause gön nen. Alles bereit, um zu Missionsziel zwei vorzurücken?« »Die Verladetunnel auf der Backbordseite sehen besser gewartet aus«, sagte Luko und streckte seine Krallenhand aus. »Bald wird es dort vor Feinden nur so wimmeln. Wir sollten uns Steuerbord halten, um direkten Feindkontakt zu vermeiden und ihnen keine Gelegenheit zu bieten, eine Verteidigungslinie um den Kern des Forts zu bilden.« Sarpedon nickte und suchte mit Hilfe der Holotafel die kürzeste Route zum kugelförmigen Kern. Die anderen Seelentrinkereinheiten drangen weiter in das Sternenfort vor. Sie tauschten die Informatio nen, die sie von ihren Auspexscannern erhielten, untereinander aus, sodass sich jeder Truppführer nach und nach ein Bild vom Inneren des Forts machen konnte. Die Holotafel zeigte inzwischen ein we sentlich genaueres Bild des Forts. Mehrere Punkte auf dem Marsch durch die Korridore und Tunnel zu Missionsziel zwei waren als mög liche Hinterhalte markiert. Sie wussten nicht viel über das Ziel. Höchstwahrscheinlich befand es sich in einer gepanzerten Kugel im Zentrum der Station, ungefähr zwei Kilometer von ihrer jetzigen Position entfernt. Das Sternenfort war einst eine orbitale Verteidigungsplattform gewesen, und der ku gelförmige Kern hatte ihre Kommandozentrale beschützt. Der Kern bot für kaum mehr als einen Mann Platz − wahrscheinlich nutzten ihn die Van Skorfolds als letzte Zuflucht. Missionsziel eins hatte Ordensmeister Caeon persönlich über nommen. Missionsziel zwei lag in Sarpedons Verantwortung. Er allein konnte Entscheidungen mit Hilfe seiner psionischen Fähigkei ten treffen − in einer Umgebung wie dieser ein unschätzbarer Vorteil.
Sarpedon würde unter keinen Umständen eine Niederlage hinnehmen − nicht, wenn so viel auf dem Spiel stand. Es ehrte ihn, für diese Aufgabe ausgewählt worden zu sein − Caeon hätte auch einen ande ren Kompaniehauptmann oder einen Kaplan einem einfachen Scrip tor wie Sarpedon vorziehen können. Wenn die zwei Missionsziele erst einmal erfüllt waren, sollten sie genug Informationen besitzen, um Missionsziel Ultima in Angriff nehmen zu können. Nicht auszudenken, wenn es Sarpedon gelingen würde, den Schatz zu bergen … Er kämpfte hier für seinen Orden, für den gro ßen Plan des Imperators der Menschheit, und nicht für sich selbst. Aber er konnte es nicht leugnen: Es würde ihm große Genugtuung bereiten, das wahre Ziel dieser Mission als Erster zu sehen, seinen Handschuh abzunehmen und ebenjenes Objekt aufzuheben, das Pri march Dorn persönlich vor langer Zeit berührt hatte. Der Seelen-Speer. Er bedeutete alles. »Dreos Trupp soll sich aus dem Versorgungstunnel zurückzie hen.« Rote Linien auf der Holoprojektion deuteten die Bewegungen der Marines an. »Er soll die Nachhut bilden. Tellos wird als Erster die Tunnel auf der Steuerbordseite und die Habs betreten.« Die Pro jektion ließ eine Reihe schäbig gebauter Sektionen erkennen. Es konnte sich um Arbeiterbehausungen oder Werkstätten handeln. »Dort führt ein weiterer Tunnel ins Innere, vielleicht für eine Mag netschwebebahn.« »Vielleicht können wir ihn zu Fuß durchqueren, wenn wir die Fahrzeuge zerstören«, fügte Givrillian hinzu. »Wäre möglich. Nach eineinhalb Kilometern ist Endstation. Über das, was dahinter liegt, haben wir keine Informationen. Wir treffen uns dort mit den Versorgungstruppen und planen dann das weitere Vorgehen. Noch Fragen?« »Gibt’s da noch mehr von der Sorte?«, fragte Tellos und deutete mit dem Daumen auf den dampfenden, blutüberströmten Kadaver des riesigen Mutanten.
»Wenn wir Glück haben«, sagte Sarpedon. »Los!« Die Versorgungstruppen − bestehend aus Apothecarii, Techmari nes und Ordensdienern − hatten bereits die Brückenköpfe an der Hül le des Forts erreicht. Sarpedon kontaktierte die Space Marines, die dort zurückgeblieben waren, und befahl ihnen, sich Dreo anzuschlie ßen und nachzurücken. Die Vorhut der Space Marines bewegte sich im Laufschritt aus der Ladezone. Tausende toter Mutanten blieben in einem sich lang sam ausbreitenden See aus Blut zurück. Der Angriff lief bis zu die sem Zeitpunkt seit etwa acht Minuten. Weder das Oberkommando der Seelentrinker noch die Marines am Boden wussten irgendetwas über die Van Skorfolds. Über Anzahl und Bewaffnung der Gegner wurden lediglich Vermutungen anges tellt. Alles andere interessierte sie sowieso nicht. Die Einheiten der Kampfflotte hatten sogar noch weniger Ahnung. Sie waren Teil einer hastig versammelten Streitmacht, die gegen irgendeine Raumstation vorgehen sollte. Aber es gab auch diejenigen, die die Van Skorfolds sehr genau beobachtet hatten. Durch geheime Nachforschungen und sorgfältig gestellte Fragen war die Wahrheit ans Licht gekommen. Diego Van Skorfold war bereits zwölf Jahre vor dem Angriff der Seelentrinker auf das Sternenfort nach langer Krankheit verstorben. Sein Urgroßvater hatte die orbitale Verteidigungsplattform günstig von der notorisch abgebrannten Lakonischen Armee erstanden. Da nach hatte er fast sein gesamtes Vermögen dafür verwendet, es zu einem der wichtigsten Handelsstützpunkte im Geryon-Untersektor zu machen. Im Laufe der Zeit spezialisierten sich die Van Skorfolds auf einen ganz bestimmten Handelszweig und bauten das Fort immer weiter aus. Schließlich gab es nur eine Ware, die durch die Tunnel und Verladestationen geschleust wurde: Menschen. Trotz der Schwindel erregenden Höhen, in die sich die Technologie des Adep tus Mechanicus aufgeschwungen hatte, und trotz der massiven Feuerkraft der Sternenflotten waren es nach wie vor Schweiß und
harte Arbeit, die das Imperium am Laufen hielten. Die Van Skorfolds wussten dies schon lange. Das Sternenfort war die perfekte Basis für ihre Geschäfte. Aus den wilden, brutalen und blutigen Kreuzzügen im Osten der Galaxis strömte ein riesiges Heer von Flüchtlingen, Deserteuren und gefangen genommenen Rebellen. Aus den Schwarmhöllen von Stratix, den gottverlassenen Welten des DiemosSternhaufens und Dutzender anderer düsterer Löcher prasselte ein nicht enden wollender Strom Gefangener − Ketzer, Mörder, Sezes sionisten, denen alle vom Imperialen Gesetz grausame Strafen auf gebürdet worden waren. Diese Unglücklichen und Unverbesserlichen wurden auf Gefäng nisschiffen und Züchtigungstransporten in das Sternenfort gekarrt. Die Gefängnisschiffe legten an, und die menschliche Ware mar schierte durch die Tunnel zur Weiterverladung. Schwarze Schiffe aus den Fabrikwelten flogen zu den Servitorfabriken des Mechanicus. Dort würde ihre Ladung ihres Verstandes beraubt und zu hirnlosen, lebenden Maschinen verarbeitet werden. Das Departmento Munito rium war ebenfalls ständig auf der Suche nach Frischfleisch, um die Straflegionen aufzufüllen, die auf Hunderten Kriegsschauplätzen verheizt wurden. Riesige Schlachtschiffe der Imperialen Flotte war teten nur darauf, Nachschub für diejenigen Schützen und Mechaniker zu bekommen, die das Ende ihrer kurzen Lebenszeit erreicht hatten. Die Van Skorfolds verdienten an jedem Paar in Ketten gelegter Füße, das auf eines dieser Schiffe schlurfte. Das Geschäft lief gut − in einer sich ständig im Wandel befindlichen Galaxis war menschli che Arbeitskraft eines der wenigen Güter, das immer gebraucht wur de. Dann starb Diego Van Skorfold, und seine beiden Kinder erbten das Sternenfort. Natürlich hatten sich auch um den alten Diego und seine Vorgän ger viele Gerüchte gerankt, die jedoch nie bewiesen werden konnten. Aber seine Kinder waren anders − die Andeutungen häuften sich, dass sie unverzeihliche Vergehen zu verantworten hatten. Schließlich
erreichten die Gerüchte auch die Ohren des Administratums. Piraten- und Händlerschiffe, die nichts Gutes im Schilde führten, waren im Lakonia-System gesichtet worden. Der Menschenhandel innerhalb des Sternenforts war an die Bedingung geknüpft, dass die Gefangenen nur an Imperiale Behörden verkauft werden durften. Es durfte nicht toleriert werden, dass sich Privatleute hinter dem Rücken des Imperiums ebenfalls an diesem Geschäft beteiligten. Aber es kam noch schlimmer. Mutanten, denen es verboten war, ihre Heimatwelt zu verlassen, wurden im Fort zum Verkauf angebo ten und auch erworben. Die Van Skorfolds rekrutierten die Stärksten unter ihnen als Leibwächter und Arbeitskräfte. Es gab sogar Gerüch te über Alienschiffe, die von den Sektor-Patrouillen aufgebracht wurden und deren Laderäume mit frisch erworbenen Sklaven gefüllt waren. Weiterhin gab es düstere Geschichten über eine Sammlung sehr seltener und nicht zugelassener Artefakte, die die Van Skorfolds tief im Innern des Sternenforts angelegt hatten. Dinge, die ihnen die Alien-Sklavenhändler im Austausch gegen willenlose Menschen gegeben hatten? Möglicherweise. Aber allein diese Möglichkeit ge bot es zu handeln. Das Sternenfort fiel unter die Gerichtsbarkeit des Administratums, und so sollte es auch bleiben. Die Van Skorfolds waren sehr erfolg reiche Geschäftsleute, aber allein die Hartnäckigkeit, mit der sie die se Gerüchte umgaben, waren schon ein Beweis ihrer Schuld. Die Vorwürfe der Korruption und Frevelei deuteten darauf hin, dass die jenigen, die den Menschenhandel betrieben, die Imperialen Gesetze brachen. Es war höchste Zeit, dass das Administratum die Kontrolle über das Fort und die dortigen Geschäfte übernahm. Aber die Van Skorfolds waren uneinsichtig. Die wiederholte Auf forderung zur Kapitulation wurde nicht beantwortet. Es wurde ent schieden, dass der Einsatz von Gewalt notwendig war, ohne − wenn möglich − die Arbites oder gar die Inquisition einzuschalten, die den überlebenswichtigen und profitablen Handel empfindlich einschrän ken würden. Der Fluss der Arbeiter und des Rohmaterials für Servi
toren durfte nicht unterbrochen werden. Es war eine delikate Situati on, die so diskret wie möglich behandelt werden musste. In den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten würde die Im periale Geschichtsschreibung viele dieser Dinge vergessen, wenn sie die lange und gewundene Geschichte der Seelentrinker erzählte. Aber nichtsdestotrotz lag in den düsteren, staubigen Korridoren des Administratums und in den dekadenten Herzen der Van Skorfolds der Ursprung einer verhängnisvollen Kette von Ereignissen. Hätten die Van Skorfolds einen anderen Geschäftszweig bevorzugt oder hätte das Administratum weiter die Hoffnung auf Sanktionen und Verhandlungen gesetzt, würde ein erfahrener Geschichtsschreiber zu dem Schluss kommen, dass die Ehre der Seelentrinker zu keinem Zeitpunkt in Gefahr gewesen war. Aber wie so oft bei Angelegenhei ten dieser Größenordnung war ihnen das Schicksal nicht gnädig. »Sie sind überall … Verdammt … überall …« Der Imperiale Sternenkreuzer Gewissenhaftigkeit empfing mehr und mehr dringliche Mitteilungen aus dem Sternenfort der Van Skor folds. Auf der Brücke verfolgten die Besatzungen der Empfangssta tionen ein Dutzend verschiedener Feuergefechte. Eine kleine, aber äußerst rücksichtslose Armee kämpfte sich durch die Mutantenhor den des Van-Skorfold-Kartells. Man hörte Panik, Verwirrung, Tod, Sterben und Schock. Schreie, Stöhnen und Befehle, die niemand mehr entgegennehmen konnte. Man konnte hören, wie sie flohen, die Geräusche, mit dem sich Bol terkugeln in Fleisch bohrten und Kettenschwertklingen kreischend Knochen zerteilten. Diese Geräusche erfreuten Iocanthus Gullyan Kraevik Chloure − sie würden ihn reich machen. Obwohl die Kontrolle über das wirt schaftliche Zentrum des Sektors und die Vernichtung der Korruption, die die Autorität des Imperiums bedrohte, natürlich Vorrang hatte. Der Reichtum war ein Bonus. Außerdem waren es ja nur Mutanten.
Chloure, Konsul Senioris des Administratums, bekam von seinem Platz vor dem Sichtfenster, das den größten Teil der Brücke ein nahm, wenig von dem Gemetzel zu sehen. In das Fenster waren eini ge kleinere Bildschirme eingelassen, die andere, von den Cogitatoren ausgewählte interessante Szenen zeigten: Wolken entweichender Luft und die platt gedrückten Zylinder der Landeschiffe, auf denen der goldene Kelch der Seelentrinker prangte. Space Marines. Chloure war schon jahrzehntelang im Dienst des Imperiums, hatte aber noch nie einen von ihnen gesehen. Erwachsene Männer redeten über sie so wie Kinder von großen Helden − sie konnten ihre Feinde mit bloßen Händen zerreißen, im Dunkeln se hen, einen Schuss aus einem Lasergewehr einstecken, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie waren mit Rüstungen ausgestattet, von denen normale Kugeln einfach abprallten. Sie waren drei Meter groß. Sie siegten immer. Und trotzdem hatte Konsul Senioris Chloure es ge schafft, sie in diesen Sektor zu bringen, um die Drecksarbeit für ihn zu erledigen. Chloures Flotte bestand aus drei Kreuzern und einem Schiff des Adeptus Mechanicus. Wenn alles glatt lief, würde er nur zusehen und hinter den Marines aufräumen müssen. Die Brücke verdunkelte sich für einen Moment, um die Ankunft einer weiteren Person anzukündigen. Chloure schaute von der Kanzel hinunter und erkannte Khobotov, Erzmagier des Adeptus Mechani cus, und sein Gefolge aus Schild-Servitoren. Ein weiterer, vergolde ter Servitor schwebte direkt vor ihm und legte einen meergrünen Teppich aus, auf dem der Meister einherschritt. Drei oder vier seiner verdammten Sensor-Technomaten schwebten auf Kolibriflügeln um ihn herum und zogen Geflechte aus Kabeln, die Insektenbeinen gli chen, hinter sich her. Chloure hasste sie, ihre pummeligen Körper, die glatten, engelhaften Gesichter. Sie waren ihm über alle Maßen unheimlich. Mit Sicherheit benutzte sie Khobotov, um Unbehagen bei all denen zu erregen, die seine Wege kreuzten. Chloure hatte genügend Zeit im Administratum verbracht − jener riesigen, verflochtenen Institution, die dafür sorgte, dass das unvors
tellbar weite Imperium reibungslos funktionierte − um den Wert der Politik zu schätzen zu wissen. Das Adeptus Mechanicus wollte an der Zerschlagung der angeblichen Ketzer des Van-Skorfold-Kartells teilnehmen und hatte als seinen Vertreter Erzmagier Khobotov und sein Schiff, die 674-XU28 geschickt. Chloure hatte sich bereit erklärt, Khobotovs Anwesenheit zu er tragen, um so die Beziehungen zwischen dem Administratum und dem Mechanicus zu verbessern. Inzwischen bereute er seine Ent scheidung. Das Mechanicus war für das Imperium lebenswichtig. Es konstruierte und wartete die geheimnisvolle Technik, die es der Menschheit erlaubte, das Weltall zu bereisen und seine Grenzen zu verteidigen. Trotzdem waren seine Mitglieder verdammt gewöh nungsbedürftig. Allein ihre Anwesenheit verursachte Chloure Kopf schmerzen. Die 674-XU28 vermied jeden Funkkontakt. Ohne Vor warnung schwebte Khobotov auf die Brücke, wann es ihm beliebte. Chloure stand auf und strich seinen schwarzen Satinmantel glatt. Vekk, sein Flottenkapitän, salutierte ihm, als er auf das Hauptbrü ckendeck eilte, wo es von Bootsmännern und Lexmechanikern nur so wimmelte. Khobotov selbst war ihm ein Rätsel. Er war in dunkelgrü ne Roben gehüllt, aus denen gerippte Stromkabel ragten. Kleine mo torisierte Subservitoren hielten die Kabel in ihren silbernen Kiefern und bemühten sich schwirrend, sie von den Nieten und Konsolen, die aus der Brücke der Gewissenhaftigkeit ragten, fernzuhalten. Die Ka bel wanden sich wie lange, künstliche Schlangen. Auch diese waren Chloure äußerst unangenehm. Er hätte eigentlich froh darüber sein sollen, dass das Mechanicus darauf bestanden hatte, mitzukommen. Die Ekklesiarchie mit ihrer Frömmelei oder die sturköpfigen Paragraphenreiter des Adeptus Ar bites hätten einerseits mehr Aufwand erfordert und ihm andererseits herzlich wenig genützt. Chloure tat das, was ihm das Administratum schon vor langer Zeit beigebracht hatte − um der Politik willen machte er gute Miene zum bösen Spiel.
»Erzmagier Khobotov«, sagte er in gespielter Vertraulichkeit. »Ich nehme an, Ihr habt die gute Nachricht bereits gehört.« Einer der Technomaten schwirrte an seinem Kopf vorbei. Mit seinen leichen blassen Händen hielt er ein schweres, ledergebundenes Buch um klammert. Chloure widerstand der Versuchung, nach dem Techno maten zu schlagen. »Allerdings«, sagte Khobotov. Seine Voxstimme drang krächzend unter der Kapuze seiner Kutte hervor. »Es beunruhigt mich, dass weder Eure noch meine Crew ihre Ankunft entdeckt hat.« »Sie haben ausgezeichnete Piloten. Wie jeder Orden. Außerdem ist es die Spezialität der Seelentrinker, schnelle Kapermanöver und dergleichen durchzuführen, wie man hört. Ich wette, auch die Van Skorfolds haben sie nicht bemerkt.« »Hmm. Wie mir scheint, bestätigt das Eure Informationen bezüg lich des Standorts dieses Artefakts.« »Das wird sich bald zeigen. Ich hoffe, sie gehen gründlich vor, sodass unsere Truppen nicht in Kampfhandlungen verwickelt wer den. So haben wir uns den Angriff gespart.« Chloure hielt noch im mer ein falsches Lächeln aufrecht und fieberte dem Ende der Unter haltung regelrecht entgegen. »Meine Techgardisten hätten sich gerne an dem Angriff beteiligt, Konsul.« Es war unmöglich zu sagen, ob Khobotov deswegen verär gert war. »Meine Truppen sind diszipliniert und gut bewaffnet. An dererseits stimme ich Euch zu: Ein Angriff hätte zu Verlusten in ih ren Reihen geführt. Sie können zu anderer Gelegenheit vernünftiger eingesetzt werden.« »Sehr gut.« Chloure wünschte, das Gesicht des Erzmagiers sehen zu können − ob er lächelte oder vor Zorn bebte? Dann erinnerte er sich daran, dass die Techpriester des Adeptus Mechanicus für den hohen Grad bekannt waren, in dem sie ihre Körper bionisch verän dert und verbessert hatten. Vielleicht befand sich überhaupt kein Ge sicht mehr unter der Kutte. »Ich werde Euch … auf dem Laufenden halten.«
»Das müsst Ihr nicht. Meine Sensoren und Techorakel sind den Euren weit überlegen.« »Natürlich. Sehr gut.« Erzmagier Khobotov wirbelte herum und verließ mit seinem leb losen Gefolge die Brücke in Richtung Shuttle, mit dem er auf die 674-XU28 zurückkehren würde. Das rostrote Schiff des Mechanicus war als bewaffnetes Forschungsfahrzeug deklariert, aber es sah ver dammt noch mal gefährlicher und größer aus, als der Name vermuten ließ. In seinem Inneren befand sich ein Regiment von Techgardisten, obwohl allem Anschein nach noch viel mehr Truppen darin Platz gehabt hätten. Wären die Marines nicht gewesen, würden jetzt diese Techgardis ten an der Seite der Imperialen Armee das Sternenfort der Van Skor folds stürmen. Auf dem Kreuzer Hydranye Ko war das fast vollstän dige siebenunddreißigste Regiment aus Stratix stationiert. Die meis ten dieser Soldaten waren unterster Gangabschaum, der sich freiwil lig gemeldet hatte, nur um Stratix entkommen zu können. Der zweite Kreuzer, die Diakon Byzantine, beherbergte Teile der Vierzehnten Diomedes, auch Knochenbrecher genannt, und, dank eines Verwal tungsfehlers, eine Panzertruppe der Vierten Gepanzerten Brigade aus Oristia. Die Gewissenhaftigkeit selbst transportierte ein Regiment Rough Rider aus den Ebenen von Morisha, die sehr betrübt darüber waren, von ihren Pferden getrennt zu sein, die ein paar Systeme ent fernt überwinterten. Insgesamt also drei Kreuzer, die zwar nicht dem neuesten Stand entsprachen, aber kürzlich überholt worden waren und erfahrene Be satzungen an Bord hatten. Kein Vergleich zu den riesigen Sternen flotten, die in Kreuzzugs- oder Invasionszeiten das Weltall durch querten, aber mehr hatte Chloure in der kurzen Zeit nicht auftreiben können, obwohl er alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte. Er wollte das Sternenfort samt seines überaus profitablen Handels überneh men, bevor sich eine andere Imperiale Instanz einmischte. Wenn alles klappte, würde er auf Lebenszeit zum Kommandeur des Ster
nenforts ernannt werden. Es wäre ein zufriedenes, bequemes Leben − der gerechte Lohn für die endlosen, eintönigen Dienstjahre, die er damit verbracht hatte, im Namen des Imperators in Aktenbergen zu wühlen. Aber jetzt sah es ganz so aus, als würden diese Truppen völlig ausreichen. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen. Er hatte die Information, dass sich der Seelen-Speer im Sternenfort be fand, an die richtigen Kanäle weitergeleitet − nämlich direkt in die Ohren der Seelentrinker. Ausgehend von der kleinen Astartes-Flotte, die sich auf der anderen Seite der Umlaufbahn befand, und der An zahl der Landungsschiffe belief sich ihre Streitmacht auf ungefähr dreihundert Mann. Dreihundert Mann. Ganze Sternensysteme waren schon mit weni ger Marines erobert worden. Offiziell war ihre Anwesenheit natürlich reiner Zufall, und Chloure hatte keinerlei Befehlsgewalt über sie. Aber die Seelentrinker waren so sehr ihrer Ehre verpflichtet, dass ihre Reaktion auf einen möglichen Aufenthaltsort des Seelen-Speers leicht vorauszusagen war. Chloure hatte gewusst, dass sie seine Flot te ignorieren und auf eigene Faust handeln würden. Und auf der Su che nach ihrem wertvollen Plunder würden sie das Sternenfort von allen Feinden säubern. Hätten sie ihren Speer erst einmal gefunden, würden sie so schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen war en. Zurück würde ein Sternenfort voller Leichen bleiben, das einfach einzunehmen war. So erfreulich diese Perspektive auch war, konnte sich Chloure trotzdem der Gänsehaut nicht erwehren, die ihn jedes Mal überfiel, wenn er an Erzmagier Khobotov und seine Technomaten dachte. Bald würde das Sternenfort im Namen des Administratums besetzt sein. Dann hätten sich alle Risiken gelohnt, und seine Zukunft wäre gesichert. Und mit diesem Mechanicus-Schreckgespenst würde er nie wieder etwas zu tun haben. Yser hatte sich versteckt, sobald der Kampf begonnen hatte. Den
Anfang des Gefechts hatte er noch über die Empfangsgeräte der Müllbeseitigungsteams mitbekommen − heisere, verzerrte Schreie und die dumpfen Geräusche, mit denen Kugeln in Fleisch drangen. Die entstehende Verwirrung und die Wut waren diesmal nicht gegen Yser und seine Gemeinde gerichtet. Irgendetwas Neues war auf der Bildfläche erschienen. Etwas Furchtbares. Riesen, so hörte man. Rie sen in Rüstungen, die Gewehre und Schwerter schwangen und in unvorstellbarer Zahl von der zur Sonne gerichteten Seite aus in das Sternenfort eindrangen. Plötzlich waren sie überall. Yser spähte zwischen zwei vermoderten Frachtkisten aus seinem Versteck in der Endstation der Magnetschwebebahn. Eigentlich war er hierhergekommen, um die klobigen Kisten, die langsam die Gleise ins Innere des Forts entlangfuhren, nach Nahrung zu durchsuchen. Aber dann war er von den Abfallbeseitigungsteams eingekreist wor den. Diesmal war er sicher gewesen, nicht entkommen zu können − es waren grobschlächtige Mutanten, die einen unreinen, semistabilen Genstamm besaßen, der ihre Muskeln unkontrolliert wachsen ließ. Sie waren über den Blechboden der Bahnstation gestürmt und hatten mit insektengleichen Augen in die Dunkelheit gespäht. In ihren riesi gen Klauen hielten sie Schrotflinten und Speerkanonen. Yser hatte sich vorbereitet − man konnte auf unwürdigere Weise sterben. Er schützte seine Gemeinde und betete gehorsam den Imperator an. Was sollte er sonst auch tun? Dann kamen die ersten Neuigkeiten. Es hieß, Mirthor sei gefallen − unmöglich. Die Van Skorfolds hatten Mirthor aus einem einzigen Grund zum Chef ihrer Leibgarde ernannt: weil ihn nichts und nie mand umbringen konnte. Er war ein riesiges, gehörntes Monstrum, der den größten Mann ums Doppelte überragte. Und jetzt sollte er tot sein? Von Riesen in Stücke gehauen? Riesen, die Rüstungen trugen, einfach aus dem Nichts auftauchten und die personifizierte Rache selbst zu sein schienen. Unmöglich. Aber sein eigener Lebensweg von einem kleinen, bru talen Dieb zu einem Priester, der zu einer Gemeinde entflohener
Sklaven predigte, erschien Yser ebenfalls unmöglich. Aber er hatte es getan, Dank sei dem Schicksalsarchitekten. Yser fragte sich, ob im Inneren des Sternenforts nicht gerade ein Wunder passierte − und ob der Imperator die Güte besaß, ihn so lange am Leben zu lassen, dass er sein Zeuge werden konnte. Er sah Mutanten, die in Stellung gingen, und über Funk konnte er hören, wie die Angreifer immer näher kamen, und dann war das Ge wehrfeuer plötzlich auch ohne Kommunikationsgeräte zu hören. Es hallte von den Frachttunneln und den Abfallrohren wider, die zur Bahnstation führten. Mehr und mehr Mutanten versammelten sich. Es war Danvaios Trupp. Zum Großteil hatten sie nur leichte Mutationen, die sie nichtsdestotrotz verunstaltet und verbittert hatten. Ein paar menschli che Arbeiter in den dunkelgrünen Uniformen der Van Skorfolds war en auch dabei. Yser konnte ihre grässlichen Stimmen hören. Sie hat ten sich mit allem bewaffnet, dessen sie habhaft werden konnten, und sich hier versammelt, um dem Feind Widerstand zu leisten. Keiner von ihnen wollte seinen Kopf riskieren, wenn dem Miststück Veritas Van Skorfold zu Ohren kommen sollte, dass sie weggelaufen waren, anstatt zu kämpfen. Sie stritten sich immer noch darüber, was sie tun sollten, als eine Explosion ein Loch in die Wand der Bahnstation riss. Erschrocken taumelte Yser zurück und fiel auf den Rücken. In seinen Ohren dröhnte es, und vor seinen Augen tanzten weiße Blitze. Nach einiger Zeit konnte er an der Stelle, an der sich gerade noch Danvaios Horde versammelt hatte, eine riesige Blutlache erkennen. Ihre zerstückelten Körper waren über den Plastikbeton verteilt. Dann sah er sie. Sie trugen purpurfarbene, mit Knochen verzierte Rüstungen und schwere gedrungene Gewehre oder jaulende Ketten schwerter, die fast so lang wie Yser selbst waren. Zuerst dachte er, es würde sich um eine Sinnestäuschung handeln, aber nein − diese Männer waren wirklich so groß. Sie überragten selbst die Mutanten, und ihre Rüstungen gaben ihnen ein massives Aussehen. Ein Dut
zend von ihnen rannte durch die Station und stürmte die behelfsmä ßigen Barrikaden. Irgendjemand feuerte auf sie, aber die wenigen Schüsse, die sie auch trafen, prallten wirkungslos von ihren Rüstun gen ab. Sie eröffneten das Gegenfeuer, das gleichermaßen durch Plastikbeton und Fleisch drang und innerhalb einer Sekunde ein hal bes Dutzend menschlicher Soldaten zerstückelte. Er hatte sie schon einmal zuvor gesehen. In den Wachträumen, in denen der Architekt zu ihm gekommen war, um ihm in seiner Misere Trost zu spenden. Sie waren die Auserwählten, die Krieger der Ge rechtigkeit, deren immerwährender Kampf die Menschheit von ihren Sünden erlösen und das Fundament für Seinen großen Plan legen würde. Konnte es die Wahrheit sein? Er hatte es für eine Legende gehalten, ein Ereignis, das erst lange nach seinem Tod stattfinden würde. Und jetzt? Schickte der Architekt des Schicksals wirklich seine Krieger, um Ysers Gemeinde zu retten? Es kamen immer mehr von ihnen. Mutanten und Menschen fielen unter ihren Klingen und Explosivgeschossen. Die Krieger stürzten sich über die Barrikaden und in ein Meer aus Klingen und Äxten. Einer der Neuankömmlinge trug keinen Helm. Er hatte einen kurz geschorenen Kopf und ein gegerbtes Gesicht mit einem unberechen baren Ausdruck. Um seinen Schädel leuchtete ein Kranz aus blau weißem Licht, genau wie um das Ende des gewaltigen Stabs, den er bei sich hatte. Wie alle anderen trug auch er das Symbol eines Kelchs auf der Schulterplatte, nur dass seines mit Gold umrandet war. Fun ken sprühten unter seinen Füßen, als er mit seinen Kameraden das Schlachtfeld betrat. Aus seiner Deckung heraus sah Yser weitere Mutanten aus den Bahntunnels strömen. Er wusste, dass die schrille Stimme von Veri tas Van Skorfold höchstpersönlich in ihren Kommunikationsimplan taten widerhallte und ihr Leben einforderte, um das Sternenfort zu schützen. Sklavenjägerteams, die mit ihren sensiblen Augen oder Antennen normalerweise geflohene Sklaven aufspürten, rannten blindlings in das Gewehrfeuer der Angreifer und wurden in Stücke
gerissen. Yser sah, wie der Krieger mit dem goldenen Kelch seinen Stab hob und einen Energiesturm entfesselte, der sich zu schattenhaf ten Figuren verdichtete, die sich auf die angreifenden Mutanten stürzten und sie in die Flucht trieben. In seinem ganzen Leben hatte Yser noch kein Blutbad wie dieses hier gesehen. Viele aus seiner Gemeinde waren von den Mutanten zusammengetrieben oder im Schlaf überrascht und dann abge schlachtet worden − jetzt schien es so, als würde es seinen Peinigern tausendfach durch die gerechten Krieger des Architekten des Schick sals zurückgezahlt werden. So hatte sich Yser die Erlösung vorges tellt, schnell und gnadenlos. Dann strömten die Schreie der Sterben den und der Gestank von Blut über sein Versteck. Als er wieder ei nen Blick riskierte, sah er Berge toter Mutanten. Die Krieger mach ten keine Pause, um ihren Sieg zu feiern, sondern rannten schnell in einen der Tunnel. Der Unbehelmte schrie Befehle, die Yser verstehen konnte. Seine Männer sollten vorrücken, bevor der Feind die Gele genheit bekam, sich zu sammeln und ein drittes Mal geordneten Wi derstand zu leisten. Danach sollten sie ihr Missionsziel erreichen und auf ihre Kameraden warten. Dann waren sie verschwunden, und Yser blieb mit den Toten zu rück. Die Vermutungen hatten sich bestätigt. Die Bahntunnel führten di rekt ins Innere des Sternenforts, vorbei an riesigen Generatorhallen und kleinen Wellblechsiedlungen. Dann standen sie vor dem Eingang zum Kern. Entlang der Gleise trafen sie ab und an auf Widerstand snester, aber die Energiewaffen und Granaten der Vorhut zerschlu gen sie mühelos. Einige der Mutanten hatten Kommunikatoren, und manche der Marines hatten von einer schrillen weiblichen Stimme berichtet, die Befehle in die Kopfhörer schrie. Die Seelentrinker waren rasch vorgerückt und hatten an zentralen Stellen Posten zurückgelassen, die den Ordensdienern, die den Mari nes folgten, den Weg weisen sollten. Nachdem die Mutantenarmee
aufgerieben war, hatten die Seelentrinker den fast unversehrt geblie benen Kommandoposten der alten orbitalen Verteidigungsplattform erreicht und standen vor ihrem Kern. Seit der Landung waren neununddreißig Minuten vergangen. Sarpedon kontrollierte über Vox den Fortschritt Caeons. Der Hauptteil der Seelentrinker war auf einer breiteren Front vorgerückt. Missionsziel Nummer eins wurde in den luxuriösen Privatgemächern der Van Skorfolds vermutet − vier Stockwerke lästerlicher Deka denz, die verbissen verteidigt wurden und einen Angriff von mehre ren Seiten erforderten. Die Marines hatten Verwundungen und Aus fälle hinnehmen müssen, aber keine Toten zu beklagen. Caeon hatte die Privatgemächer umzingelt und schnürte den Belagerungsring immer enger. Sie trafen jetzt mehr auf gut ausgerüstete Söldner als auf Mutanten. So weit, so gut. Caeon war ein erfahrener und verlässlicher Hauptmann. Sarpedon, der seinen ersten Einsatz als Befehlshaber führte, konnte sich somit auf seinen Teil der Operation konzentrieren − Missionsziel Nummer zwei. Sarpedon beobachtete ein Team, das aus einem Dutzend Ordens diener bestand. Einer von ihnen hatte eine spitze Meltersäge dabei. Der Orden besaß Tausende von Dienern, die für Arbeiten eingesetzt wurden, die unter der Würde der Space Marines lagen. Mit bloßen Oberkörpern, an denen der Schweiß in Bächen herunterlief, arbeite ten sie hart daran, die Brückenköpfe zu stabilisieren und so schnell wie möglich der Blutspur zu folgen, die die Seelentrinker gelegt hat ten. Die Diener erreichten den Kreis, den die Marines gebildet hatten. Fünfzig der besten Krieger des Imperiums hatten einen Gürtel aus Stahl um die ungeschützte Seite des Kerns gebildet. Der Rest von Sarpedons hundertköpfiger Truppe hatte entweder weitere Verteidi gungsringe gebildet oder sich zu kleinen Jagdtrupps formiert, die die letzten Mutanten, die noch irgendwo herumschlichen, eliminierten. Sie hatten Verluste zu beklagen − die große Zahl der Feinde hatte
dies unumgänglich gemacht −, was angesichts des großen Werts, den jeder Marine besaß, umso schmerzlicher war. Koro und Silvikk wür den den nächsten Morgen nicht erleben. Givlor, dessen Kehle von einem meterlangen Speerprojektil durchbohrt war, würde es schaf fen. Viele hatten leichte Verletzungen davongetragen, Knochenbrü che, Schnitte. Ein Space Marine beachtete solche Wunden erst dann, wenn die Mission erfüllt war. Kaltblütig und blitzschnell. Ordens meister Gorgoleon höchstpersönlich wäre stolz auf sie gewesen. Sarpedon beobachtete, wie die Ordensdiener sich bereit machten, ein Loch in den Kern zu bohren. Überall lagen grob verkabelte Kon solen, Diagramme und Landkarten herum, die Überreste des Van Skorfold’schen Handelsimperiums. Zweifellos waren die Informa tionen aus den Datenspeichern und Cogigatoren für das Administra tum von höchster Wichtigkeit. Sarpedon selbst bedeuteten sie nichts. Sollten die Seelentrinker erst einmal Missionsziel Ultima in den Händen halten, würden sie diesen Ort der Imperialen Flotte überlas sen, die dann damit machen konnte, was sie wollte. Es gab nur einen Weg in die mannsgroße Kommandozelle im In neren des Kerns. Er war mit codierten Schlössern gesichert, die nicht so einfach zu öffnen waren. Deshalb hatten sie die Diener kommen lassen. Einer der Diener, dessen Arme gelenkige Zacken ersetzten, in die die Meltersäge genau passte, setzte das Schneidwerkzeug an und ließ den dünnen, ultraerhitzten Strahl in die glatte metallene Oberfläche des Kerns einsinken. Langsam rann eine Träne aus flüssigem Metall den Einschnitt herunter. Bald war ein Eingang herausgebrannt. Der Ordensdiener hatte große Mühe, die letzten Zentimeter zu durchdringen. Aus den Stellen, an denen das Implantat mit seiner Schulter verbunden war, quoll schwarzer Rauch. Bei Apothecarii und Krankenpflegern war es Brauch, die Ordensdiener mit Bionics aus zustatten, auch wenn diese nicht immer von guter Qualität waren. Aber für diesen Zweck reichten sie aus: Ein großer Teil der Kernwand fiel mit einem lauten Klappern zu Boden.
Sarpedon trat vor. Um seinen Kopf schwebte eine knisternde Aura aus Energie. Ein einfacher Trick, der jedoch gegen einen willens schwachen Feind überraschend effektiv war. Einige Männer aus Giv rillians Trupp folgten ihm. Das Innere des Kerns war sauber und gut erhalten. Der Raum war eigentlich nur für einen oder zwei Männer gedacht, aber die Kom mandokonsolen, Impulsgeneratoren und Cogitatoren waren heraus gerissen und durch ein luxuriöses Schlafzimmer mit einem riesigen Bett, dicken Teppichen und einem Spiegel, der auch als Holoprojek tor diente, ersetzt worden. Auf den Regalen stand antikes Porzellan. Mehrere wertvolle Bilder hingen an den Wänden, daneben ein reich verziertes Schwert, das sicherlich nie seine Scheide verlassen hatte. Der Hochwohlgeborene selbst hatte sich in seinem Bett verkro chen und versuchte, sich unter den Laken zu verstecken. Er trug ei nen hellblauen Overall, der mit goldener Spitze besetzt war. Seine Perücke lag auf dem Boden. Sein Gesicht war hager und jugendlich. Er hatte ein kurzes Kinn, wässrige Augen und strähniges, blondes und gepudertes Haar. Sarpedon entging nicht der Uringeruch, den er verströmte. Missionsziel Nummer zwei: Callisthenes Van Skorfold. Sarpedon konnte telepathische Botschaften nur aussenden, aber nicht empfangen, was zwar ein seltenes Talent, bei einem Verhör jedoch völlig wirkungslos war. Aber Sarpedon glaubte nicht, auf solche Methoden zurückgreifen zu müssen. »Callisthenes Van Skorfold«, sagte er. »Ohne Zweifel sind Eure Verbrechen gegen das Imperium groß und zahlreich. Darüber wird später gerichtet werden. Im Moment habe ich nur eine Frage: Wo ist der Seelen-Speer?« Am anderen Ende des Sternenforts, inmitten der Wandteppiche und Kronleuchter des üppig geschmückten Wohnbereichs der Van Skor folds, näherte sich Hauptmann Caeon mit seinen Truppen Missions ziel Nummer eins. Der Angriff war fast vollständig nach Plan verlau
fen. Sie hatten die hastig zusammengezimmerten Barrikaden, die die Privatgemächer der Van Skorfolds schützen sollten, aus einem Dut zend verschiedener Richtungen attackiert und mit überlegener Feuerkraft und blitzschnellen Vorstößen im Handstreich genommen. Brutal, schnell, gnadenlos. Der Kriegerphilosoph Daenyathos, längst Teil der Legenden des Ordens, hatte diese Prinzipien im Auge gehabt, als er die Grundsatztaktik der Seelentrinker vor mehreren Tausend Jahren niedergeschrieben hatte. Bolter zerfetzten die letzten Wachen vor den Privatgemächern. Es waren erfahrene Veteranen, die ihre Verteidigungspunkte mit Be dacht auswählten und sie angesichts der drohenden Übermacht dis zipliniert nacheinander aufgaben. Aber ihre Qualitäten als Soldaten bedeuteten nichts gegen Caeons Vorhut. Hauptmann Caeon stürmte an Finrians taktischem Trupp vorbei. Die zwei Meltergewehre des Trupps hatten große Löcher in die Trennwände zwischen Salon, Audienzsaal und Schlafzimmer ge brannt. Caeon zerquetschte mit jedem Schritt die Kristalle der herab gefallenen Kronleuchter und das Holz der unbezahlbaren Möbel, hinter denen die Verteidiger vergeblich Deckung gesucht hatten. Die Räume waren von Rauch erfüllt. Flammen schlugen die höl zerne Wandbekleidung hinauf. Die einstige Pracht dieser Zimmer war zerstört. Leichen lagen herum, Einschusslöcher durchzogen die Wände. Als das Bolterfeuer langsam nachließ, drangen die Seelen trinker vor. Mit dem Gewehr im Anschlag durchstreiften sie die blut getränkten Gänge auf der Suche nach Überlebenden. »Gesichert«, hörte man Finrians Stimme über das Vox. Die Runen von zwanzig Sergeanten zeigten dieselbe Botschaft auf Caeons Reti nadisplay. Caeon war ein dreihundert Jahre alter, ergrauter Mann. Mit einer nur den Helden der Space Marines eigenen Verachtung trat er die Leichen der Wachen beiseite. Er hatte in einigen der härtesten Schlachten der jüngsten Geschichte der Seelentrinker gekämpft. Er hatte Trophäen von Kraken, Orks, den Unsterblichen und einem Dut
zend weiterer Spezies erbeutet. Jetzt spähte er durch die Rauch schwaden und versuchte, Missionsziel Nummer eins ausfindig zu machen. Sklaven wanderten ziellos umher. Die Marines beachteten sie nicht weiter. Eine dünne, alte Frau stolperte jammernd durch die Trümmer. Die zweihundert Mann starke Marinetruppe schien sie nicht zu bemerken. Ein dickliches Kind rannte auf der Suche nach einem Fluchtweg hin und her. Andere Kinder hatten sich in einer Ecke zusammengekauert und waren starr vor Schreck. Caeon nahm sie kaum zur Kenntnis. Der Ort war komplett verwüstet. Bis jetzt war das Missionsziel noch nicht gesichtet worden, und die Zeit wurde knapp. Er wollte seine Mission erfüllen, bevor die Lakaien des Administratums eintra fen, um über die Zuständigkeiten zu verhandeln. Er hatte keine Zeit für solche Spielchen. Ein stechender Schmerz zog durch sein Bein, genau an der Stelle, an der die Beinschiene auf die Kniepanzerung traf. Zuerst dachte er an eine seiner vielen alten Kriegsverletzungen. Aber als er hinunterb lickte, sah er ein dickes Mädchen mit boshaftem Gesicht, das gerade die Hand zurückzog. Etwas Langes, Spitzes glitzerte in ihrer Faust. Wie hatte sie sich an ihn heranschleichen können? Ein Kind! Ein heidnisches Sklavenmädchen! Das würde ihm noch ewig nachhän gen. Niemand würde es wagen, ihn darauf anzusprechen, aber hinter seinem Rücken würden sie über diese Sache reden. Ein Schlag mit seinem Handrücken schleuderte sie in eine Ecke. Obwohl sie hart aufprallte, sprang sie sofort wieder auf. Ihr hässli ches kleines Gesicht war von Zorn erfüllt. »Abschaum! Hrudbegatter! Groxmütter! Das hier ist mein Ge schäft! Meins! Wie könnt ihr es wagen?« Der Schmerz in Caeons Bein ließ nicht nach. Brennend verbreitete er sich tief in seinen Muskeln. Einer von Finrians Marines − Bruder K’Nell, dessen Rüstung vom Melterfeuer geschwärzt war − packte das Kind am Arm und hob es
hoch. Kreischend hing es in der Luft. Das Ding in ihrer Hand war ein schwerer Ring aus grob geschnittenem Gold, an dem ein silberner Dolch befestigt war. »Eine Digitalwaffe. Xenos, Sir.« Eine Nadelpistole. Das Mädchen hatte eine digitale Nadelpistole. Woher … »Ihr Schlächter! Ihr Ausgeburten aus Galle! K’nib-besteigende Darmspeier! Seht, was ihr getan habt!« Der Schmerz war einer betäubenden Kälte gewichen. Caeon spür te, wie ihm die Sinne schwanden. Er war schon früher aufgrund schwerer Verwundungen auf dem Schlachtfeld bewusstlos geworden, aber das hier war etwas völlig anderes. Diesmal war er sich nicht so sicher, jemals wieder aufzuwachen. Vor den Augen von Finrians Trupp schwankte Caeons massige Gestalt wie ein gefällter Baum und fiel krachend zu Boden. »Banditen! Verbrecherabschaum! Meine Heimat! Mein Leben!«, kreischte Missionsziel Nummer eins, Veritas Van Skorfold.
ZWEI
Ein riesiger, auf den Kopf gestellter Kegel aus komprimierten Supra leiterschaltkreisen hing wie ein gigantischer Stalaktit von der Decke. Obwohl die Halle den größten Teil des Mechanicus-Schiffes aus machte, wirkte sie niedrig und eng im Angesicht dieser ältesten aller Maschinen. Erzmagier Khbotov hielt einen Moment lang inne, bevor er mit der Zeremonie begann. Wenn er es mit einem so heiligen Instrument wie diesem zu tun hatte, legte er gewöhnlich einen Augenblick der Ehrfurcht ein, in dem er seine Schönheit und Komplexität bewunder te. Seine bionischen Augen, facettiert wie die eines Insekts und aus vielen Reihen winziger Bildstehler bestehend, vergrößerten für ihn bestimmte Abschnitte, die durch ihre vernetzte Logik besonders he rausstachen. Zu denken, dass gewöhnliche Menschen eine solche Maschine gebaut hatten! Ein Wunderwerk, das die Magier und Techpriester inspirierte. Eines Tages würde die Menschheit wieder in der Lage sein, solche Dinge zu erschaffen, wenn auch erst nach Jahr tausenden harter und gefährlicher Arbeit. Aber Zeit und Mühsal maß der Omnissias keine Bedeutung bei, und so waren sie auch unter der Würde seiner wahrhaftigsten Magier. Eines Tages würde das große Wunderwerk der Weisheit des Om nissias fertig gestellt sein. Und dann würde es nicht in der Weise missbraucht werden, wie es die Alten getan hatten. Die Kompetenz und die Verschwiegenheit des Adeptus Mechanicus würden darüber wachen. Für die Launenhaftigkeit flüchtiger Gefühle war kein Platz mehr. Dies war ihr Traum, so zerbrechlich er sein mochte. Jeder Bruchteil von Wissen, der für immer verloren ging, entfernte die Menschheit weiter von der Vision des Omnissias: einer Galaxie, de
ren mächtige und Furcht einflößende Kräfte von der Menschheit und ihren Maschinen kontrolliert wurde. Aber bis dahin war es noch ein langer Weg, und er hatte so wenig Zeit. Es gab so viel zu tun … Als der Chronometer die vorherbestimmte Hundertstelsekunde er reicht hatte, erwachten die neunundachtzig zeremoniellen Servitoren zum Leben. Die faltige, tote Haut auf ihren Gesichtern leuchtete bernsteinfarben im sanften, warmen Licht der Maschine. Khobotovs künstliche Glieder surrten, als er auf eine Vertiefung im Deckboden zuschwebte. Einige der Stahlplatten waren entfernt worden. Darunter befand sich ein Wirrwarr aus Zahnrädern und Getriebeteilen. Khobo tov kniete nieder, ohne etwas dabei zu spüren − die Nervenbahnen in seinem künstlichen Bewegungsapparat waren schon lange abgeschal tet worden − und holte einen kleinen Topf mit sechsfach gesegnetem Maschinenöl aus seiner Robe hervor. Mit Fingern aus synthetischer Legierung schmierte er einen symbolischen Tropfen Öl auf das ober ste Zahnrad. Die Münder der Servitoren klappten auf, und kratzende, klickende Laute ertönten aus ihren Kehlen. Sie lobten den Omnissias mit einem in der Binärsprache verfassten Lied, jener Sprache, die dem Maschinengott am besten gefiel. Khobotov richtete sich wieder auf und schwebte zur Subkontroll konsole hinüber. Über dem grünspanbedeckten Schaltpult schlug er das Zeichen des Mars, dann drückte er auf die große, flache Platte in seiner Mitte. Die Platte leuchtete auf, und aus zwei Schlitzen scho ben sich bedruckte Gebetsbänder. Selbst dieser kleine Teil der riesi gen Maschinerie war von großer Heiligkeit erfüllt. Die Zahnräder griffen ineinander. Die riesigen Leitungen, die den Raum umspannten und in das Fundament des Kegels führten, knis terten verheißungsvoll. Die Maschine benötigte so viel Energie, dass das Plasma direkt aus den Maschinenräumen des Schiffes in den Ke gel gepumpt werden musste. Nachdem das System angeschlossen und warmgelaufen war, konnte die Maschine aktiviert werden. Die Senatoren bildeten eine Linie, ein Dreieck und dann ein
Quadrat, genauso, wie es ihnen einprogrammiert war. Die Maschine war viel zu alt, als dass der derzeitige Wissensstand des Mechanicus ausgereicht hätte, um sie nachbauen zu können. Deshalb war es nö tig, vor ihrem Gebrauch die Gunst des Omnissias einzuholen. Geo metrische Figuren und bedeutungsvolle Zahlen waren Ihm eine Freude, da Er das Abstrakte der Logik über alles liebte. Jedenfalls musste man Ihn erst besänftigen, bevor man die heiligste Seiner Ma schinen in Gebrauch nehmen konnte. Ein Servitor, dessen mechanisches Innenleben mit Gold überzo gen war, näherte sich aus einer dunklen Ecke der Halle. Er betrat das heilige Quadrat und reichte Khobotov das Kontrollszepter. Das Szep ter war ein Stab aus massivem Karbon, der über und über mit eingra viertem Maschinencode bedeckt war. An seiner Spitze befand sich eine Kugel, in der zwei Zahnräder mit hohlem Kern rotierten. Sie symbolisierten das Mechanicus und seine Arbeit. Tief im Innern des Stabs befand sich ein dünner Silikonfaden, in den Drähte eines noch nicht identifizierten Elements eingelassen waren. Das Szepter war so alt wie die Maschine selbst. Es war der Schlüssel, den man zu ihrer Aktivierung benötigte. Das Geheimnis seiner Arbeitsweise war den Techpriestern verschlossen − aber ohne Zweifel würde es ihnen an jenem Tage enthüllt werden, an dem sich der Omnissias mit ihrer Arbeit zufrieden zeigte. Khobotov deutete mit dem Szepter auf eine Aktivierungsrune auf der Oberfläche des Kegels. Das sanfte Summen eines Chors erfüllte die Luft. Blitzschnell formierten sich die Servitoren erst zu einem Sechs-, dann zu einem Achteck. Die Maschine wurde aufgeladen. Goldenes und silbernes Flackern schimmerte kaum wahrnehmbar entlang der Supraleiter. Die Spulen im Inneren des Kegels brumm ten. In diesen Spulen, so vermuteten sie, wurde das Schutzfeld gegen den Warp erzeugt. Nach einer befehlenden Geste Khobotovs wurden drei Decks tie fer die Plasmaventile geöffnet. Energetisiertes Plasma floss durch die Rohre. Diese Technologie war weniger alt und deswegen auch plum
per als der Rest der Maschine. Mit beunruhigendem Heulen und Rumpeln brandete das Plasma heran. Aus den überbelasteten Naht stellen der Rohre tropfte es zischend auf das Deck. Aber die Verbin dung hielt, und die Ladung landete sicher im Herzen der Maschine. Ein Lied erklang − eine wunderschöne Harmonie aus überschäu mender Energie. Die Maschine war zum Leben erwacht. Khobotov wandte sich dem Aufzug zu, der ihn zum Paradedeck brachte. Zeit, die Krieger des Maschinengottes zu rufen und sie auf die Schlacht in Seinem Namen vorzubereiten. Der Teleporter war bereit. Am Ende des Tages würden sie der Of fenbarung des Omnissias ein weiteres Stück näher gekommen sein. Angeblich lag Caeon im Sterben. Als Sarpedon ihn betrachtete, musste er diesem Gerücht wohl oder übel Glauben schenken. Die Apothecarii hatten alles getan, was in ihrer Macht stand, aber die Nadelpistole war mit einem ganzen Cocktail aus Neurotoxinen und Viren geladen gewesen. Caeons außergewöhnliche Widerstandskraft war mit den meisten von ihnen fertig geworden, aber einige Xenovi ren hatten sich in seinem Nervensystem festgesetzt und waren nicht zu beseitigen. Caeons Immunsystem kämpfte so schwer, dass es sich bereits gegen die Implantate des Hauptmanns richtete − es war nur eine Frage der Zeit, bis seine bionischen Organe versagen würden. Und dann, so die Apothecarii, gäbe es keine Hoffnung mehr für ihn. Caeon lag in einer kleinen Kapelle innerhalb der Privatgemächer der Van Skorfolds. Sie war kaum benutzt, da die Van Skorfolds alles andere als fromm waren, und wurde als unbesudelt genug betrachtet, um sich am besten als Sterbezimmer für Caeon zu eignen. Sobald Sarpedon über Vox die Nachricht von der Verwundung Caeons ge hört hatte, war er mit Givrillians und Telos’ Trupp sofort aus dem Kern herbeigeeilt. Die anderen Truppen unter seinem Kommando bewachten unterdessen den Kern und Callisthenes Van Skorfold, der dem Zusammenbruch nahe war. Die Lage im Rest des Sternenforts hatte sich beruhigt − Caeons Verwundung hatte jedoch den Angriff
zum Stillstand kommen lassen. Die Reste der Mutantenarmee, die ohne Veritas Van Skorfolds strenges Regiment auskommen mussten, waren zwischen den zwei Seelentrinkertruppen eingekesselt. Die Mutigsten hatten einen Ausfall gewagt. Die Mutigsten waren jetzt tot. Der Kommandeur lag in der kleinen, spärlich eingerichteten Ka pelle. Sie hatten ihn aus seiner wuchtigen Rüstung befreit, die sie respektvoll in eine Ecke gestapelt hatten. Die mächtigen Arme, die an den Mauern von Quixian Obscura gerüttelt hatten, lagen nutzlos an seiner Seite. Blauschwarze Adern, gefüllt mit Gift, ragten daraus hervor. Die Hände, die das Genick des Korsarenprinzen Arcudros gebrochen hatten, waren zu Klauen aus gichtigem Fleisch geballt. Sein markantes Gesicht war von der Anstrengung eingefallen. Das Fleisch um den schwarzen Carapax unter seiner Haut hatte sich blau verfärbt und war rot umrandet. Die Seelentrinker waren jetzt seit einer Stunde und siebenund dreißig Minuten auf dem Sternenfort. »Wie lautet Euer Befehl, Hauptmann?« Sarpedon wusste, dass es zu früh war, um zu trauern. Jetzt galt: eiskalt und schnell und nichts anderes. »Scriptor Sarpedon, ich vermag den Auftrag, den mir der Goldene Thron gab, nicht mehr zu erfüllen.« Caeons Stimme, die immer ein tiefes, bestimmendes Brummen gewesen war, klang jetzt schwach und brüchig. »Ich kann nicht weiterkämpfen. Ich werde sterben. Dorn und der Imperator werden über mich richten. Es ist jetzt an dir, den Seelen-Speer wiederzubeschaffen.« Der Seelen-Speer. Ehrlicherweise musste sich Sarpedon eingeste hen, dass er insgeheim gehofft hatte, derjenige zu sein, der die heili ge Waffe schließlich in Händen hielt. Aber nicht auf diese Weise. Caeon war ein großer Mann. Sein Verlust war untragbar. »Ich werde Euren Wunsch befolgen und meine Pflicht gegenüber meinem Orden erfüllen, Hauptmann.« »Daran zweifle ich nicht, Sarpedon. Ich hätte mir eine bessere Ge
legenheit gewünscht, um deine Führungskraft auf die Probe zu stel len, aber ich bin mir sicher, dass du deinen Imperator nicht enttäu schen wirst.« Blutige Blasen hatten sich in Caeons Mundwinkeln gesammelt. »Würdest du meine Seele zu den Ahnen geleiten?« Sarpedon zögerte. Caeon war ein großer Mann: Er litt. Er sollte wissen, dass er mit Ehre gestorben war. Aber … »Euer Tod … Euer Tod war nicht der eines Kriegers, Haupt mann.« »Hmmm. In der Tat.« Die bleichen Wangen röteten sich leicht, als sich Caeon voller Zorn an das Kind erinnerte, das ihn tödlich ver wundet hatte. »Ein hinterhältiger Angriff in einem Moment der Unachtsamkeit. Sei immer auf der Hut, Sarpedon. Wenn du schon nicht für mich beten kannst, so lerne doch aus meinen Fehlern. Auch hinter einem erbärmlichen Sklavenmädchen kann mehr stecken, als es den Anschein hat. Die Unschuld kann den Tod in sich tragen. Ver sage nicht auf gleiche Weise wie ich, denn sollte es dein Leben kos ten, dürfen dich die Gebete deiner Brüder nicht vor den heiligen Richterstuhl Dorns begleiten.« Es war ein trauriges Schicksal. Caeon würde an der Seite des Im perators mit der Legion Rogal Dorns kämpfen, wenn die letzte Schlacht des immerwährenden Krieges geschlagen wurde. Daran bestand kein Zweifel. Aber er würde nicht von Fanfaren begleitet in ihre Reihen aufgenommen werden, wie es ihm eigentlich zustand, weil er nicht durch die Hand des Feindes, sondern durch einen Mo ment der Unachtsamkeit gestorben war. Veritas Van Skorfold war keine würdige Gegnerin für einen Space Marine, geschweige denn für einen Seelentrinker wie Caeon. Deshalb war es nicht die Nadel pistole, sondern sein eigener Fehler, der ihn zu Fall gebracht hatte. Man musste es Caeon hoch anrechnen, dass er darüber diese tödliche Beleidigung widerspruchslos akzeptierte. Apothecarius Pallas betrat die Kapelle. Er wurde von zwei Kran kenpflegern begleitet, Ordensdienern, die Tabletts mit Salbentöpfen trugen. Pallas würde sie brauchen, um Caeon die Reise in die nächste
Welt zu erleichtern. Sarpedon verabschiedete sich und zog sich in den Trümmerhaufen zurück, der einst das Quartier der Van Skorfolds gewesen war. Jetzt hatten die Seelentrinker dort ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Sein Hauptquartier, wie ihm zu Bewusstsein kam. Veritas Van Skorfold war siebenundvierzig Jahre alt. Sie hatte ei ne äußerst seltene, fast unmerkliche Mutation, die ihr Wachstum ein schränkte und ihr das Aussehen eines sehr boshaften achtjährigen Mädchens verlieh. Veritas war so rücksichtslos, wie ihr Bruder schwach war. Wenn es um Effizienz und Profit ging, scherte sie sich nicht um Moral oder die Gesetze des Imperiums. Sie war der Kopf hinter den illegalen Geschäften, die die Van Skorfolds so reich ge macht, aber auch die Aufmerksamkeit des Administratums erregt hatten. Jetzt würden ihr ihre zahlreichen Verbrechen auf schreckliche Weise heimgezahlt − ihre Strafe würde zweifellos sehr hart ausfallen. Sie hatten sie in eine kleine Kammer gesperrt, und ihr war sichtlich nicht wohl in ihrer Haut. Die Flüche, die sie losließ, waren von so einer Heftigkeit und solch einem Einfallsreichtum, dass die Wachen stündlich wechseln mussten, um nicht Gefahr zu laufen, moralisch zu verderben. Sergeant Tellos und Bruder Michairas warteten vor der Kapelle. Sarpedon hatte bei den Riten des Trankopfers auf ihrer Anwesenheit bestanden. Tellos durfte aufgrund seiner außerordentlichen Tapfer keit teilnehmen. Er hatte den gigantischen Mutanten getötet. Michai ras war zu seiner Novizenzeit, bevor er in den Stand eines vollwerti gen Kampfbruders erhoben wurde, lange Jahre Caeons Leibdiener gewesen. Er war Zeuge der tiefen Ehre und des Glaubens Caeons. Zwar hatte er beim Vorstoß in die Quartiere der Van Skorfolds ge nauso tapfer wie seine Kameraden gekämpft, aber es war diese per sönliche Bindung zu seinem sterbenden Hauptmann, weswegen Sar pedon ihn erwählt hatte. Schweigend gingen die drei Männer in einen Kartenraum. Auf der Glasfläche eines Tisches funkelte eine große Sternenkarte. Weitere handgezeichnete Karten waren an die Wände geheftet oder lagen
zusammengerollt in Regalen. Callisthenes Van Skorfold schien auch solche Dinge nicht von seiner Sammelleidenschaft ausgenommen zu haben. Sarpedon nahm den goldenen Zeremonienkelch von seinem Gür tel und stellte ihn auf die Sternenkarte. Trotz der sorgfältigen Pflege war der Kelch so alt, dass sich ein Beschlag um die tiefen Gravuren gebildet hatte. Sarpedon hatte ihn vor siebzig Jahren anlässlich seiner Beförderung vom Schüler und Novizen zum Scriptor überreicht be kommen. Das war so lange her, dass sich Sarpedon fragte, ob er da mals überhaupt derselbe Mann gewesen war. Manchmal dachte er, dass er nie ein Leben vor seinem Dasein als Scriptor der Seelentrin ker gehabt hätte. Seine Welt bestand aus dem Kampf um Ruhm und Ehre, und sein Lebenszweck bestand darin, den Feind auszulöschen und den Kodex der Krieger um jeden Preis einzuhalten. Michairas nahm einen der Behälter, die von den Apothecarii nor malerweise zum Transport unbekannter Xenos-Materie benutzt wur den, vom Gürtel. In ihm befand sich matschiges Gewebe aus dem Hirnstock des Riesenmutanten, den Tellos getötet hatte. Es wäre unangemessen gewesen, hätte Tellos es selbst getragen. Schließlich besaß er bereits eine Trophäe in Gestalt eines mächtigen Horns, das er aus der Stirn der Kreatur gerissen hatte. Sarpedon schüttete den blutigen Brei in den Kelch und nahm ihn in beide Hände. »Erkenne deinen Feind«, sagte Tellos. Dies waren die einzigen Worte, die während der Zeremonie gesprochen werden durften. Es war eine uralte und heilige Zeremonie, die jedoch nur selten und oh ne großes Beiwerk veranstaltet wurde. Als Hauptmann hatte Sarpedon das Recht, die Seelen der getöte ten Feinde zu bewachen. Er legte den Kopf in den Nacken und kippte die breiige Masse die Kehle hinunter. Während er schluckte, stellte er den Kelch auf den Tisch zurück und begann mit den mentalen Übungen, die am Anfang des Ritus standen. Mit einem spirituellen Auge tief in seinem Inneren konnte er Din
ge sehen, die den physischen Sinnen verschlossen blieben. Er spürte, wie sich das Auge öffnete, um nach so langer Zeit in Dunkelheit end lich das Licht zu sehen. Vorsichtig versuchte er, es nicht mit dem grellen Schein des Wissens zu blenden. In seinem Magen breitete sich ein warmes, prickelndes Gefühl aus. Es funktionierte. Er spürte einen schmutzigen Film auf seinem Körper, der nicht abzuwaschen war. Seine Gliedmaßen wurden ungelenk und plump. Der Mund war von einem unreinen Geschmack erfüllt, und in den Ohren dröhnte ein Übelkeit erregendes dumpfes Pochen. Er ließ sei nen Blick durch den Raum wandern. Seine beiden Kameraden nahm er wie durch einen Schleier wahr. Ihre Gesichter waren verzerrt, und die Karten an den Wänden veränderten ihre Form. Seine Organe fühlten sich an, als wären sie am falschen Platz − er fühlte sich schlecht, furchtbar schlecht, wie eine Karikatur seiner selbst. Häss lich und grob. Eine Last ruhte auf ihm − die Last der Menschheit und des gesamten Universums. Ekel umfing ihn und drückte ihn zu Bo den. Er war kein richtiger Mensch. Er war am Leben, konnte es aber nicht fühlen. Er war unrein. Da, wo das Licht des Goldenen Throns hätte sein sollen, waren nur dunkle Schatten. Aus dieser verdorbenen Existenz gab es kein Entkommen. Panik stieg in ihm auf, als er die Gewissheit erlangte, dass es bis zu seinem Tod so sein würde. Und nach dem Tod? Nichts mehr. Nichts außer der endgültigen Erkenntnis, dass er nicht einmal hätte geboren werden sollen. Mit aller Kraft schloss er das Auge und verlor das Gefühl der Un reinheit. Michairas sah ihn besorgt an. Er hatte noch nie an der Zer emonie des Kelches teilgenommen. Sarpedon musste schwach und verängstigt auf ihn wirken, ein Betragen, das einem Space Marine nicht zukam. Aber das war es wert gewesen. Jetzt kannte Sarpedon seinen Feind ein Stück besser, und Weisheit war in einem Krieg ein entscheidender Faktor. Aufgrund der Gensaat der Seelentrinker unterschied sich ihre Omophagea, jenes Organ, das den Space Marines bei der Initiation
implantiert wird und das Erinnerungen und psychogenetische Spuren aus organischem Material aufnehmen kann, von dem der anderen Orden. Mit ihr konnte der Marine Kenntnisse über die Waffen des Feindes, ihren Glauben, ihre Moral, manchmal sogar über Schlacht pläne und Truppenstandorte erlangen. Die Omophagea der Seelen trinker war weit aktiver als die der anderen Orden, was zu intensive ren, aber auch weniger aussagekräftigen Erfahrungen führte. Es war einer der Eckpfeiler des Glaubenssystems der Seelentrinker, dass sie die Gedanken und Gefühle des Feindes erleben konnten, ohne den Verstand zu verlieren oder moralisch korrumpiert zu werden. Daraus folgte eine tiefe Verachtung für die Nichtmenschlichkeit der anderen und eine Vorstellung von ihrem Verhalten. Was sich wieder einmal als nützlich erwiesen hatte. Sarpedon hat te die Unreinheit des Mutanten gespürt und die Sünde, die Bestand teil ihrer Existenz war. Er war groß und mächtig gewesen, aber ohne Sinn und Ziel. Er hatte an nichts geglaubt und nur um des Lebens willen gelebt. Es war besser, wenn er tot war. Er und seine Brüder hatten ihnen allen einen Gefallen getan, als sie sie in den schwarzen Schlund des Todes geschickt hatten. »Es geht mir gut, meine Brüder. Ich will euch danken, dass ihr an dieser Zeremonie teilgenommen habt. Aber obwohl der Sieg unser ist, ist unsere Mission noch nicht erfüllt.« Eine Retinalrune blinkte auf, und sein Voximplantat sendete in allen Truppenfrequenzen. »Seelentrinker! Alle Patrouillen in den ersten Verteidigungsring zu rückziehen. Es ist so weit.« Callisthenes Van Skorfold hatte nicht lange durchgehalten. Sobald Sarpedon ihn an der Kehle gepackt und an die Wand des Kerns ge drückt hatte, hatte er alles gestanden − die Vielzahl der Verbrechen, denen sich seine Schwester schuldig gemacht hatte, um ihren Profit zu vermehren. Die rechtswidrigen Abmachungen, die er eingegangen war, um seine Sammlung zu vergrößern und noch vieles andere, was Sarpedon am liebsten nicht gehört hätte. Callisthenes war genau der
Typ Verbrecher, der seine Taten aus Langeweile und Neugier anstatt um des Überlebens willen beging. Seine Verworfenheit hatte sich ständig verschlimmert, bis er schließlich mit dem nichtswürdigsten Ketzer auf einer Stufe stand. Das alles interessierte Sarpedon nicht. Aber inmitten seiner unzu sammenhängenden Geständnisse erwähnte er einen Bunker, der aus den Tagen stammte, als das Fort noch eine Verteidigungsplattform gewesen war. Dieser Bunker war von den Van Skorfolds über Gene rationen immer wieder umgebaut und erweitert worden und stellte jetzt einen Tresorraum dar, in dem wertvolle Schätze lagerten. Genau dort bewahrte Callisthenes seine Sammlung von Artefakten prätech nologischen und xenischen Ursprungs auf. Danach hatten die Seelen trinker gesucht. Und obwohl es ihrem Hauptmann das Leben gekos tet hatte, würden sie doch glorreich in die Annalen des Ordens ein gehen. Sarpedon persönlich führte einen Angriffstrupp durch das Laby rinth aus Gängen und Maschinenteilen zum Tresorraum. Sie wurden von Ordensdienern unter der Leitung von Techmarine Lygris beglei tet, die ihnen bei Bedarf den Weg frei räumten. Wie anzunehmen war, trafen sie auf keinen Widerstand. Aber sie näherten sich Missi onsziel Ultima, und es gab keinen Grund, nachlässig zu werden. Die Seelentrinker erreichten die dicken Metallwände des Bunkers kampfbereit und in nicht unbeträchtlicher Truppenstärke. Was sie dort fanden, raubte sogar einem Space Marine den Atem. »Glaubt Ihr, wir könnten diesen Ort plündern, Sir?« In seiner typi schen Art durchbrach Luko die Stille. Schon im ersten Raum des Bunkers waren sie von seiner Dekadenz gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen. Niemand konnte es leugnen − hier befanden sich wun derschöne Dinge, und genau das machte sie so gefährlich. Der Boden war mit einem dunkelblauen Teppich ausgelegt, die Wände mit Gobelins behangen. Scheinwerfer in der Decke beleuch teten Glasvitrinen, in denen Callisthenes Van Skorfolds geliebte Sammlung aufbewahrt wurde. Da waren ein halbes Dutzend uralte
Pistolen, eine außergewöhnlich kompakte Melterwaffe, eine andere mit mehreren Läufen und einem Munitionsvorrat aus Kristall. Hier standen Statuen von Frauen mit Insektenköpfen und halb menschli che Gestalten, die aus versteinerten Weinranken geformt waren. Dort war ein zusammensetzbarer Bogen aus Horn und mattgrauem Metall, so groß wie ein Marine, dazu ein Köcher mit Pfeilen, deren Spitzen stacheligen Reptilienzähnen ähnelten. Eine Rüstung, über und über mit Diamanten besetzt und von Silberketten zusammengehalten. Die Marines warteten auf Sarpedon. Er betrat den Raum durch ei ne schwere Tür aus gebürstetem Metall. Sein psionisch äußerst emp fänglicher Geist empfing das leise Summen einer seltenen Hochtech nologie. Er fühlte sich unbehaglich. So vieles in diesen Räumen war unbekannt, ja verboten. Er entschied auf der Stelle, viele dieser Din ge den Flammen zu überantworten und Luko für seinen Vorschlag, der Orden solle sich mit Xenostechnologie und verbotenen Gerät schaften besudeln, scharf zurechtzuweisen − ganz gleich, ob er es nur im Spaß vorgeschlagen hatte. Sie waren keine Experten auf dem Ge biet der Archäotechnologie und wussten daher nicht, welche Gefah ren von diesen Gegenständen ausgingen. Besser, sie zu zerstören, als eine Verunreinigung zu riskieren. »Scriptor Sarpedon?«, meldete sich eine Stimme über Vox. Das dicke Metall der massiven Schotte verzerrte das Signal. »Vorts hier. Wir haben Zivilisten gefunden.« »Zivilisten?« »Handelsware, Sir. Sklaven oder Gefangene.« »Ich dachte, das Fort wäre leer. Es haben keine Transportschiffe angedockt.« »Wahrscheinlich Geflohene, Sir. Hier ist ein Zivilist namens Yser, er scheint so eine Art Priester für sie zu sein. Er bietet uns ihre Hilfe an.« Vorts und die Hälfte der Seelentrinker hatten mehrere lockere Verteidigungsringe um den Tresorraum gebildet. Zwar war ein orga nisierter Gegenangriff der versprengten Verteidiger äußerst unwahr
scheinlich, aber die Marines hatten bereits einen Hauptmann bei ei nem hinterhältigen Anschlag verloren und gingen kein Risiko mehr ein. Sie hatten das Fort an einem Punkt angegriffen, der weit von den Anlegestellen der Gefangenentransporte entfernt war, damit ihnen keine Zivilisten in die Quere kamen. Aber wie es aussah, war die Station nicht vollkommen verlassen. Einige der Gefangenen hatten es anscheinend geschafft, zu fliehen und sich in den Weiten des Forts zu verkriechen. Aber dafür hatte Sarpedon jetzt keine Zeit. Er wollte die Mission hinter sich bringen, bevor noch mehr unglückliche Umstände eintra ten. »An Defensiveinheiten weitergeben und von Zivilisten fernblei ben. Wir werden bald wieder verschwinden und können uns keine Schwierigkeiten dieser Art aufhalsen. Um diesen Abschaum kann sich die Armee kümmern.« Eine Runensequenz bestätigte seinen Befehl. Ein Trupp von Or densdienern unter der Leitung von Techmarine Lygris machte sich an den Techschlössern an der Tür am Ende des ersten Raums zu schaf fen. Die Arbeiter trauten sich nicht, die Ausstellungsstücke zu betrach ten. Sie wussten, dass ungebührliche Neugier harte Strafen nach sich zog. Ein gutes Beispiel, zu welchen Leistungen auch minderwertige Menschen fähig sind, dachte Sarpedon. Sie waren seit ihrer Geburt im Besitz des Ordens und hatten gelernt, ihren Gebietern in allen Dingen Respekt zu erweisen. Eine Kryptodrone schwebte an Lygris vorbei und setzte sich wie ein fettes Insekt auf das leuchtende Runen feld der Tür. Lichtbänder schimmerten über seinen Metallleib, als es die Schlossalgorithmen der Tür knackte. Mit einem Piepen und ei nem metallischen Rumpeln zog sich der Verriegelungsbolzen zurück. Die Diener befestigten Ketten an der Tür, um sie aus den Angeln zu reißen. Sarpedon warf einen weiteren Blick auf die Objekte, die Callisthenes gesammelt hatte. Neben ihm hing ein Banner, das offen sichtlich aus menschlichem Haar unterschiedlicher Färbung gefloch ten war. Daneben stand die perfekte Nachbildung eines Schädels aus
einem blutroten Gestein, das wie Jade glänzte. Callisthenes Van Skorfold hatte zeit seines Lebens eine erstaunliche Sammlung verbo tener Gegenstände zusammengetragen. Mit wie vielen Aliensklaven händlern und degenerierten Adligen er wohl Geschäfte gemacht hat te? Sarpedon konnte die Schönheit dieser Dinge nicht verleugnen, aber gleichzeitig fühlte er auch die Verdorbenheit, die von ihnen ausging. Die auserwählten Krieger des Imperators würden nicht wie Callisthenes Van Skorfold der Versuchung dieses Plunders nachge ben. Die Tür öffnete sich. Auf Sarpedons Befehl hin betrat der nächst stehende taktische Trupp den Raum, immer auf der Hut vor Fallen oder einem Hinterhalt. Er traute den Van Skorfolds zu, ihre wertvol len Gegenstände zu opfern, nur um den Dienern des Imperators Schaden zuzufügen. Hinter der Tür öffnete sich ein Korridor, an dessen Seiten sich Kä fige aneinanderreihten. In ihnen befand sich eine kleine, heulende und zwitschernde Alienmenagerie. Sarpedon gebot dem taktischen Trupp Einhalt und winkte Bruder Zaen, der den Flammenwerfer in Lukos Einheit bediente, heran. Zaen ging vorsichtig an achtbeinigen Affen und Vögeln mit Glasfedern vorbei in den Korridor. Sarpedon bemerkte einige Servitoren, die über den Teppichboden rollten. Die se einfachen, hüfthohen Automaten hatten die Aufgabe, Futternäpfe zu füllen und die Käfige von Exkrementen zu säubern. Zweifellos war Callisthenes Van Skorfold stolz auf seinen Privatzoo gewesen. Nicht einmal seine Diener hatten diesen Bereich betreten dürfen; die Arbeit wurde von den Servitoren verrichtet. »Keine Gefahr«, voxte Zaen. Sarpedon folgte ihm. Er spürte die simplen Gedanken der Tiere, aber keine Intelligenz. Andererseits war er ein Sender, kein Empfän ger, und Intelligenz war viel zu komplex und strukturiert, als dass er sie hätte empfangen können. Hier war jedenfalls nichts gewitzt ge nug, um ihnen vom Käfig aus gefährlich werden zu können. Er über
legte, ob er die Tiere nicht doch verbrennen lassen sollte, entschied sich aber dagegen. Das würde sie nur aufhalten, und sie mussten so schnell vorankommen, wie es die gebotene Vorsicht zuließ. Ein klei nes Paar saphirblauer Augen starrte ihn aus einem symbiotischen Knäuel von Schlangen an. Eine Kreatur, halb Tier, halb Pflanze, winkte ihm trübselig zu. Callisthenes hatte einen seltsamen Ge schmack. Der Korridor endete in einem Raum mit gebürsteten Stahlwänden. Er war groß, aber dunkel und kahl. Ein einziges Lichtbündel be leuchtete einen einfachen Tisch in der Mitte des Raums. Auf ihm lag Missionsziel Ultima: Der Seelen-Speer. Seine Geschichte war in die Wände der Kapellen und Meditations räume der gewaltigen Klosterfestung der Seelentrinkerflotte einge schrieben. Sie war das Erste, was die Rekruten lernten, bevor sie durch die Knochenmühle des harten Trainings und der unberechen baren Chemomodifikation getrieben wurden. Nur wenige von ihnen bestanden diese Prüfung und wurden zu Novizen ernannt. Hieraus, aus dem Ursprung des Ordens, bezogen sie ihren Stolz und ihre Kampfeslust, die ein wesentlicher Charakterzug eines jeden Marine waren. Ohne sie waren sie nichts. Und mit diesem Wissen waren sie nicht aufzuhalten. Rogal Dorn war vom Imperator als der perfekte Mensch erschaf fen worden. Er diente als Vorbild für die Legion der Imperial Fists, die ihm wie seine eigenen Söhne in die Schlacht folgten. Zehntau send Jahre bevor Sarpedon seine Novizentracht ablegte und in die Reihen der vollwertigen Seelentrinker eintrat, hatten die Imperial Fists auf den Zinnen des Imperialen Palasts auf Terra gegen die ver räterischen Legionen des Horus gekämpft. Die Äbte erzählten den Kindern schon in der schola progenia die Geschichte dieses fürchter lichen Krieges. Für die unzähligen Millionen, die dem Imperium den Lehenseid geschworen hatten, war sie eine unsterbliche Legende. Als Horus getötet und die Rebellion zerschlagen war, wurden die
übrig gebliebenen Legionen in Orden aufgeteilt. Kein einzelner Mann sollte mehr die alleinige Befehlsgewalt über so eine große Zahl Space Marines besitzen. Dorn wusste um den Stolz, der die Mitglieder der Imperial Fists erfüllte, und kämpfte verbissen um den Erhalt seiner Legion. Aber letztlich schloss er sich den anderen Primarchen an, und seiner Legion entsprang eine Vielzahl von Or den. Einer von ihnen behielt den Namen der Imperial Fists, die ande ren wählten andere Bezeichnungen und Wappen und waren bereit, ihr eigenes Kapitel dem Buch der Imperialen Geschichte hinzuzufü gen. Die Crimson Fists. Die Black Templars. Die Seelentrinker. Jedem von ihnen wurde zum Zeichen ihres heiligen Auftrags ein Symbol verliehen. Dorn überreichte es höchstpersönlich, damit sie sicher sein konnten, dass sein Geist sie stets begleitete und sein Ruhm auch der ihre war. Die Seelentrinker wurden aus den Sturm truppen der Legion, die sich auf den Raumschiffkampf spezialisiert hatten, gebildet. Sie erhielten den Seelen-Speer. Dorn hatte ihn wäh rend des Großen Kreuzzugs auf einer finsteren, verlassenen Welt gefunden. Viele Warpkreaturen hatte er damit durchbohrt und ihn als sein Banner auf Hunderten im Namen des Imperators eroberten Wel ten aufgepflanzt. Diese Geschichte erzählten die Kaplane den Rekruten, bevor sie sie durch die Hölle der Auswahlprozedur schickten, damit sie eine Vorstellung davon bekamen, für welche Ideale sie leiden sollten. Auch Sarpedon wusste, wie der Rest der Marines unter seinem Kommando, von dieser Geschichte. Er war auserwählt worden, hatte das Training bestanden und die neuen Organe und die Psychoindokt rination der Space Marines erhalten. Und immer war der SeelenSpeer ein Symbol gewesen, an das man glauben konnte − für seine Generation war er noch dazu ein ewiger Quell der Rachlust, ein Ka talysator für den heiligen Zorn, der einem Marine in der Hitze des Gefechts so gute Dienste leistete. Der Seelen-Speer war seit tausend Jahren verloren gewesen − da
mals war das Flaggschiff der Seelentrinker, die Heiligsprechung, bei einem Warpsprung verschollen. Und jetzt war der Speer in der Sammlung eines Degenerierten aufgetaucht, der sich seiner wahren Bedeutung nicht im Mindesten bewusst war. Und nach dem Tod des Hauptmanns war es Sarpedons Auftrag, ihn in den Schoß seines Or dens zurückzubringen. Der Seelen-Speer war so lang wie der Unterarm eines Mannes. In seine glänzende schwarze Oberfläche waren Schaltkreise eingearbei tet, die sich ständig bewegten und veränderten. Auf seiner Oberflä che befanden sich flache Vertiefungen, die viel zu groß für die Fin ger eines normalen Mannes waren. In jeder dieser Vertiefungen be fand sich eine Lasernadel in einem Kreis aus gensensitivem Psycho plastik. Sogar Callisthenes hatte hinter dieser simplen Eleganz die Macht des Speers erkannt und ihm einen eigenen Raum gewidmet. Für Sar pedon stellte der Speer ein Leuchtfeuer aus Hoffnung, Wut und Ge rechtigkeit dar. Alles, wofür er jemals gekämpft hatte − den Impera tor, den Primarchen, die Rolle des Menschen als Herrscher über die Galaxie und den großen Plan, der schließlich zur Erhöhung der Menschheit führen würde − wurde durch dieses erhabene Artefakt verkörpert. Neben ihm hielt Zaen beeindruckt den Atem an. Der Rest des tak tischen Marinetrupps, der ihnen gefolgt war, war ebenfalls sprachlos. »Corvus-Landeschiffe zum Abflug bereitmachen«, voxte er leise. »Missionsziel Ultima erreicht. Rückzug antreten.« Dann schaltete er auf Truppenfrequenz um. »Luko, Hastis, mir nach. In Ehrenformati on!« Dann wurde die Welt in Dunkelheit gehüllt. Er verscheuchte die Finsternis aus seinem Kopf und versuchte, sich zu orientieren. Er lag halb auf dem Boden, halb auf Zaen. Um ihn herum herrschte Verwirrung. Langsam erholte sich sein Gehör von
der gewaltigen Schockwelle aus Lärm, die über ihn hereingebrochen war. Eine Bombe? Das wäre den Van Skorfolds durchaus zuzutrauen. Aber die Techmarines hatten alles genau unter die Lupe genommen. Die Chancen waren gering. Was war passiert? Seine Sehkraft kehrte zurück, und die verschwommenen Formen vor ihm gewannen an Schärfe. Plötzlich war alles in strahlendes Licht getaucht. Er richtete sich auf. Er war über die halbe Länge des Korridors geschleudert worden − die Käfige waren zertrümmert, und die überlebenden Aliens hüpften verwirrt umher. Er hörte das Klir ren, mit dem sich die Marines vom mit Glassplittern bedeckten Bo den aufrichteten. Viele waren in die Schaukästen geschleudert wor den. Vor ihm bewegten sich dunkle, verhüllte Gestalten. Ein Dutzend von ihnen hatte sich im Raum des Seelen-Speers versammelt. Rost rote Roben, vermummte Gesichter. Also keine Bombe … sondern ein Teleporter. Wie war das mög lich? Teleportertechnologie war äußerst selten. Die Geräte, die die Seelentrinker besaßen, waren schon seit Jahrhunderten defekt. Noch dazu hatten die Eindringlinge präzise einen bestimmten Punkt mitten in einer riesigen, verschachtelten Raumstation angepeilt. Es war ver rückt. Niemand würde so etwas wagen. Die Luft roch nach Maschinenöl. Sarpedon bemerkte einen Hau fen zuckendes Fleisch auf dem Boden, das mit dunkelrotem Stoff und Metallteilen verschmolzen war. Wer auch immer den Teleporter aktiviert hatte, war gewillt gewesen, ein paar seiner Männer zu op fern, um sein Ziel zu erreichen. Schnell richtete sich Sarpedon auf und brachte den Bolter in An schlag. Der Sturz hatte Zaen schwer mitgenommen. Die Marines mussten über ihn hinwegklettern, um Sarpedon zu folgen. Ein Mari ne aus Hastis’ Trupp aktivierte seine Plasmapistole und machte sich zum Kampf bereit. »Ihr da!«, brüllte Sarpedon voller Zorn. »Ihr da! Im Namen des
Throns, identifiziert euch!« Eine der Gestalten wandte sich um. Ausdruckslose Linsenimplan tate blickten Sarpedon an. Ein breites, geriffeltes Kabel schoss aus einem Mund aus totem Fleisch. Ferromandibeln schälten sich wie Insektenbeine aus Oberkörper und Nacken. Der Saum seiner Kapuze war mit dem Zahnradmotiv des Adeptus Mechanicus bestickt. Ein schwarz verkleideter schwerer Bolter lugte unter einem Ärmel her vor. Belagerungstechniker. Die Elite des Mechanicus. Sie waren wahr scheinlich im Schiff des Mechanicus, das Teil der Raumflotte war, stationiert gewesen. Anscheinend hatten sie es nicht für nötig gehal ten, Chloure von der Existenz des Teleporters zu unterrichten. Aber warum? »Keine Bewegung! Wir sind Space Marines vom Orden der See lentrinker, die Auserwählten des Imperators. Wir sind in seinem Auf trag hier.« Sarpedon richtete seinen Bolter auf die Gestalt. Die ande ren Marines folgten ohne zu zögern seinem Beispiel. Der schwere Bolter des Technikers wirbelte herum und zielte auf Sarpedons Brust. Zwölf weitere Techniker hatten die Teleportation überlebt und richteten wie ein Mann ihre Laserkanonen, Multimelter und andere exotische Waffen, die auf implantierten Gestellen befes tigt waren, auf die Marines. Sollten sie das Feuer eröffnen, würden Sarpedon und die Männer um ihn herum regelrecht zerfetzt werden. Aber Feuerkraft allein hatte noch nie ein Gefecht entschieden. Es kam auf die Willenskraft an, und auf nichts sonst. Sarpedon wusste das. Hier würde er nicht versagen. »Ihr werdet auf euer Schiff zurückkehren«, fuhr er fort. »Diese Station ist in unserer Gewalt, und ihr habt erst die Erlaubnis, sie zu betreten, wenn wir unser rechtmäßiges Eigentum mit uns genommen haben. Ich nehme an, es handelt sich hier um ein Missverständnis. Gehe ich da recht in der Annahme?« Konnte er als letzten Ausweg Die Hölle einsetzen? Was fürchteten diese Menschen? Waren es überhaupt Menschen? Alles, was er über
die Elitetruppen des Mechanicus wusste, war, dass sie gefühlslose, kaltblütige Kämpfer waren, die von Verlusten unbeeindruckt wei termarschieren oder wochenlang ohne Pause durchfeuern konnten. Empfanden sie überhaupt Furcht in einem normalen, menschlichen Sinn? Der Techniker wandte sich von ihm ab. Im Zentrum des kleinen Grüppchens schossen wendige Mechadendriten aus den Kapuzen dreier Techniker, ergriffen den Seelen-Speer und hoben ihn von der Tischplatte. Das heiligste Relikt des Ordens befand sich nun in ihren kalten, toten, bösen Klauen. Es grenzte an Blasphemie. Eine knisternde Korona aus blauem Licht flackerte auf und über zog die Techniker mit eiskaltem Feuer. Mit einem Donnerschlag, der so laut war, dass er in den Ohren schmerzte, waren sie verschwun den. Iocanthos Gullyan Kraevik Chloure wurde unsanft aus dem Schlaf gerissen. Für einen grauenhaften Moment dachte er, er befände sich noch immer auf der Agrarwelt des Administratums, auf der er die letzten fünfzehn Jahre verbracht hatte, und ein neuer, langweiliger Tag stünde ihm bevor, den er damit zubringen müsste, die Produkti onsmengen der kontinentgroßen Groxfarmen, die die einzige Da seinsberechtigung des Planeten waren, zu prüfen. Dann sah er das Glitzern der grellen Scheibe Lakonias durch das Bullauge seiner gut ausgestatteten, wenn auch schäbigen Kajüte. Er war an Bord der Gewissenhaftigkeit, wo sich seine Zukunft sowohl in seinem als auch im Interesse des Imperiums entscheiden sollte. Je mand klopfte sehr laut an seine Tür. »Was ist los?«, schrie er und hoffte, nicht allzu verschlafen zu klingen. Er konnte sich für die Raumfahrt einfach nicht begeistern − sein Schlafrhythmus litt unter dem ständigen Dämmerlicht und den unregelmäßigen Vibrationen der Triebwerke, die das Schiff erschüt terten.
»Kapitän Vekk schickt mich, Sir. Die Sensoren haben etwas geor tet. Etwas sehr Großes.« Chloure schlüpfte in seine schmucklose schwarze Administratum suniform und warf sich den Mantel über. Vielleicht sah er nicht ge rade blendend aus, noch schlimmer wäre es jedoch, überhaupt nicht zu erscheinen. Vekk war ein Flottenkapitän mit zweifellos tadellosen Fähigkeiten. Also musste es sich wirklich um etwas Wichtiges han deln. Chloure hatte das Kommando über die Flotte. Er musste si chergehen, zu jeder Entscheidung hinzugezogen zu werden. »Bringen Sie mich auf die Brücke«, befahl er dem Burschen vor seiner Tür. Er war einer der jungen Männer in Bootsmannsuniform, der sich seine Beförderung durch Botengänge verdienen musste. »Sie sind im Sensorium, Konsul.« »Dann bringen Sie mich dorthin.« Die einfache Crew der Gewissenhaftigkeit, Gruppen drahtiger Rekruten und ramponierter Servitoren, schienen beschäftigter als sonst zu sein. An jeder Ecke stand ein Bootsmann und brüllte Befeh le. Sie schienen das Schiff auf ein Verteidigungsmanöver vorzuberei ten. Schützenteams verstauten Munition, und eine Arbeiterschicht musste Überstunden einlegen, um die Kühlmittelröhren zu öffnen. Chloure wurde langsam nervös. Das Sensorium war eine durchsichtige Kuppel in der Mitte des Schiffes, die von gotischer Schmiedearbeit eingefasst war. Der Aus blick in die weite Leere des Alls wurde durch viele Filterschichten verzerrt, die die Insassen bei Reisen durch den Warp schützen soll ten. Inmitten der Schwärze waren die Sterne nur graue Schmutzfle cken. Aber da war noch etwas anderes − es wirkte wie eine blauwei ße Blüte, die sich der Sonne zuwandte. Sogar Chloure erkannte, dass es sich um etwas Großes handelte. Vekk stand in voller Uniform in der Mitte des Sensoriums, umge ben von geschäftigen Gruppen Lexmechaniker und Logistiker. Einer der Navigatoren des Schiffs stand mit besorgter Miene herum. Chloure fragte sich, ob er die Anomalie mit seinem angeborenen
Warpauge noch vor den Sensoren des Schiffs hatte erkennen können. Zwei der dem Schiff zugewiesenen Astropathen brüteten in ihren Roben vor sich hin. Ihre milchigen, lichtlosen Augen wanderten wild umher. Ein hüfthoher Kellnerservitor, dessen Schädel abgeflacht war, um als Serviertablett zu dienen, rollte in dem Irrglauben herum, die wichtigen Personen des Schiffs hätten sich zu einem gemütlichen Beisammensein versammelt. »Chloure«, rief Vekk. »Zum Glück sind Sie hier. Es könnte wich tig sein.« Vekks Stimme war knapp und klang alarmiert. Chloure fragte sich, ob er überhaupt jemals schlief. »Vor zwanzig Minuten haben wir höchst ungewöhnliche Signale empfangen.« Er deutete auf die Anomalie über ihnen. »Innerhalb des visuellen Spektrums ist es nicht zu erkennen, aber die warpreaktiven Sensoren schlagen aus wie verrückt.« »Was ist das?« Der Navigator antwortete Chloure. »Ein Graben.« Er war wie alle Navigatoren groß und von dünner Gestalt. Chloure hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Wie alle Navigatoren hielt er sich vom Rest der Crew fern und verließ so gut wie nie seine schwer gepanzerte Behausung. »Er ist örtlich begrenzt und zu klein für ein Schiff. Trotzdem liegt er direkt im Einflussbereich unserer Verbündeten des Mechanicus.« »Wurden sie beschädigt?« Chloure wollte kein Schiff verlieren. Nicht, wenn er seinem Ziel so nahe war wie jetzt. »Sie missverstehen mich, Konsul. Der Graben wurde mit Absicht erzeugt. Der Erzmagier selbst ist dafür verantwortlich.« »Wie hat er das gemacht?« »Interessant, dass Sie danach fragen«, sagte Vekk. »DiGoryan und ich haben uns über dasselbe Problem unterhalten. Wir dachten, es könnte sich um ein Gerät handeln, das einen Subraumantrieb erzeugt. Wie diese Festkörperdinger damals auf Hydraphur.« »Aber die würden natürlich Fluktuationen im Infra-Quantum er zeugen, die viel stärker wären, als wir sie im Moment bekommen«, sagte DiGoryan, der Navigator, und verschränkte die langen Finger
unter dem Kinn. Chloure nickte. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, worüber sie re deten. Er konnte die Ökonomie eines Planeten bis ins kleinste Detail planen, aber die ganze Warpwissenschaft überstieg seinen Horizont. »Dann dachten wir, dass sie irgendein psychoportives Waffensys tem aktiviert haben«, sagte DiGoryan. »Aber natürlich hat keiner der Astropathen etwas registriert, das nur im Entferntesten darauf hin weisen würde.« »Schließlich«, fuhr Vekk im Plauderton fort, »erkannten wir, dass es sich um einen Teleporter handelt. Das Mechanicus hat einen Tele porter an Bord.« Geheimtechnologie war nicht unbedingt Chloures Fachbereich, aber er hatte eine Vorstellung davon, welche Hebel man in Bewe gung setzen musste, um einen Teleporter zu bekommen. Sogar in Mechanicus-Kreisen. Beim Thron des Imperators, was ging hier vor sich? Plante Khobotov einen Angriff? Wurde er angegriffen? »Wir haben die Flotte in Alarmstufe Gelb versetzt«, sagte Vekk. »Nur für den Fall. Aber so wie es aussieht, hat der Erzmagier eigene Pläne, die er nicht mit uns teilen will.« »Ich … ich werde ihn kontaktieren. Ich werde schon herausfinden, was er da vorhat.« Aber Chloure hatte seinen Rang nicht erreicht, weil er die Intelligenz eines durchschnittlichen Lohnsklaven besaß, und in Wahrheit hatte er eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was im Moment passierte. Es gibt zwei verschiedene Arten von Einsätzen, bei denen Space Ma rines benötigt werden. Die gewöhnlichere der beiden ist ein Einsatz von chirurgischer Präzision. Eine kleine, aber in Punkto Qualität, Ausrüstung und Disziplin weit überlegene Einheit wird für eine ganz bestimmte Mission hinzugezogen. Der Feind wird überrascht und überrannt, und noch bevor er überhaupt weiß, wie ihm geschieht, sind die Angreifer auch schon wieder verschwunden. Er hat keine Chance zum Gegenschlag, weil er überhaupt nicht weiß, gegen wen
er ihn richten soll. Für solche Aufträge waren Space Marines die erste Wahl. Sie konnten von einem Moment auf den nächsten im Kampfgebiet lan den, sich schnell und selbstbewusst durch jedes Terrain bewegen, viel einstecken und noch mehr austeilen. Sie waren die beste Ang riffstruppe der Galaxie. Die Seelentrinker hatten sich auf Schiff gegen-Schiff und Landeschiffoperationen spezialisiert, und es gab nur wenige Orden, die ihnen auf diesem Gebiet überlegen waren. Ihre Taktik gründete auf Schnelligkeit und der Verwirrung des Ge gners. Wie die Attacke auf das Sternenfort gezeigt hatte, war dieses Vorgehen sehr erfolgreich. Die andere Art des Einsatzes war eine viel seltenere und bei Wei tem gefährlichere Unternehmung. In den Tausenden von Kriegen, die das Imperium zu jeder gegebenen Zeit führte, gab es hin und wieder Ziele, die um jeden Preis erreicht werden mussten. Sei es ein Vertei digungspunkt, den es unbedingt zu halten galt, wenn nicht die ganze Imperiale Verteidigungslinie zusammenbrechen sollte, sei es ein vom Feind kontrollierter Raumhafen, der nicht eine Minute länger in Be trieb sein durfte. Eine Festung beispielsweise, die genommen werden musste, bevor die Imperialen Truppen davor ausbluteten. Kurz ge sagt: Jedes Mal, wenn die Chancen schlecht standen, der Feind sie gessicher war, das Imperium aber um jeden Preis erfolgreich sein musste; wenn Willensstärke und der Glaube an den Heiligen Thron Waffen darstellten, die genau wie Kettenschwert und Bolter die Ent scheidung herbeiführten, bezogen die Space Marines Stellung und waren bereit, notfalls bis zum letzten Mann zu kämpfen. Marines wurden für die erste der beiden Einsatzarten trainiert. Geboren waren sie für die zweite. Allein dieser Gedanke verhinderte, dass Sarpedons Wut in Ver zweiflung umschlug. Sie hatten alles getan, was in ihrer Macht stand − sie hatten einen Sturmangriff mit chirurgischer Präzision durchge führt, der die tollpatschigen Versuche minderwertiger Imperialer Truppen weit in den Schatten stellte. Sie hatten sich ihren Weg durch
die Mutanten und Verbrecher gebahnt, die die Van Skorfolds ihnen entgegengeworfen hatten. Caeon war gefallen, was einen schmerzli chen Verlust bedeutete, aber nichtsdestotrotz hatten sie alle Missi onsziele in Windeseile erreicht. Die Grundlagen der Kriegsführung, wie sie der Kriegerphilosoph Daenyathos niedergeschrieben hatte, waren Satz für Satz befolgt worden. Sie waren eiskalt und schnell, ohne Furcht, ohne Gnade, gerecht, stolz und tödlich gewesen. Aber es hatte nicht gereicht. Ihr Schatz war vor ihren Augen von ihren angeblichen Verbündeten gestohlen worden. Das war der Wen depunkt. Was als eine Mission der ersten Art begonnen hatte, drohte nun, sich in eine der zweiten zu verwandeln. »Diese Beleidigung trifft nicht euch.« Caeons Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Es ging zu Ende. »Ihr seid die Auserwählten des Imperators. Wer euch beleidigt, beleidigt auch Ihn und macht sich der Ketzerei schuldig.« schmerzte Sarpedon, ihn so reden zu hören, einen Mann, der einst mit der Kraft seiner Stimme Marines zu übermenschlichen Taten angetrieben hatte. Kaplan Iktinos stand an Caeons Seite und beobachtete ihn durch die teilnahmslosen Augen seiner Schnabelmaske. Sollte Caeon ster ben − und das war nur eine Frage der Zeit −, würde Iktinos bei den letzten Riten helfen, die einem Seelentrinker zustanden, während Apothecarius Pallas Caeons Gensaat mit zurück zur Flotte der See lentrinker nehmen würde. Iktinos schwieg. Wenn er nicht gerade die Feinde des Imperators mit dem Crozius an seiner Seite bekämpfte, wurde von ihm erwartet, in Krisenzeiten als Beobachter zu fungieren und schweigend ein Ur teil zu fällen. Dann würde er dem Hauptquartier über den Zustand von Moral und Disziplin Bericht erstatten. »Sie sollen es bitter bereuen, Lord Caeon«, sagte Sarpedon. »Sie wissen, wie die Antwort der Seelentrinker auf einen Ehrverlust lau tet.« »Dies ist nicht der Ort für das letzte Gefecht, Sarpedon. Nicht in mitten des Drecks und Mutantengestanks. Lass dich von ihnen nicht
in die Ecke treiben und zur Aufgabe zwingen. Wenn ihr kämpfen müsst, dann auf unsere Weise: Greift schnell und brutal an, ohne zurückzublicken.« Caeon sprach die Worte mit seinen letzten Atem zügen, dann schlossen sich seine Augen. Die Anzeigen auf Pallas’ Überwachungsgeräten schlugen Alarm. Das Gift, das den alten Hel den gelähmt hatte, griff nun auch auf seine Lungen über. Aber er würde nicht umsonst sterben. Sarpedon leistete an seinem Totenbett sich selbst und dem allgegenwärtigen Dorn den Schwur, den Sieg zu erringen und die Ehre des Ordens wiederherzustellen. Seine Gegner hatten nur ein paar Tausend Mann unter Waffen, viele davon schlecht bewaffnete Imperiale und Mechanicustruppen. Sie würden vor den Seelentrinkern erzittern. Er hielt inne. Was überlegte er da gerade? Ein Angriff auf die Schlachtflotte wäre ehrlos. Er und seine Kameraden würden sich mit dem Ruhm, den sie hier erlangt hatten, begnügen müssen. Sie waren Space Marines, die Besten, und sie sollten sich auch in allen Belan gen wie die Besten verhalten. Er konnte nicht einfach drauflosschla gen wie ein einfacher Soldat, auch wenn es um den Seelen-Speer ging. Es musste eine andere Möglichkeit geben. Der Kriegerphilosoph Daenyathos, neben Dorn der größte Held des Ordens, hatte einmal über die Stärke geschrieben, die die Seelen trinker schon aufgrund ihrer bloßen Anwesenheit besaßen. Sie muss ten sich nicht kopfüber in die Schlacht stürzen, um den Sieg davon zutragen − manchmal genügten die Legenden, die sich um sie ge sponnen hatten, um einen Feind zur Aufgabe zu bewegen, ohne dass auch nur ein Schuss gefallen wäre. Das passierte äußerst selten − die Feinde des Imperiums waren normalerweise zu verderbt und degene riert, um einen Rückzug in Betracht zu ziehen. Aber das Adeptus Mechanicus und Chloures Flotte wurden von Dienern des Imperiums geleitet. Sie mussten wissen, wie gefährlich ein wütender Space Ma rine werden konnte. Es müsste ja nicht bis zum Äußersten kommen. Das Administra tum wollte das Sternenfort und weiter nichts. Die Seelentrinker wür
den einfach das Fort so lange besetzen, bis sie den Seelen-Speer aus gehändigt bekämen. Natürlich musste die Drohung echt wirken: Die Waffensysteme würden aktiviert, die Verteidigungspositionen be setzt werden. Aber weder die Armee noch das Mechanicus würden es je wagen, sie anzugreifen. Die Seelentrinker hatten die Überhand. Es würde viele Proteste und langwierige bürokratische Prozesse geben, aber der befehlshabende Konsul des Administratums − sein Name war Chloure, wie sich Sarpedon erinnerte − würde nicht eine Sekun de lang einen Konflikt mit den Seelentrinkern in Erwägung ziehen. Ja, das sollte klappen. Sie würden ihren Irrtum einsehen und den Speer mit unterwürfigen Schmeicheleien zurückgeben. Dann könnten die Marines siegreich, wenn auch mit dem toten Caeon an Bord, nach Hause zurückkehren. Auf diese Weise hatte es der Orden geschafft, an der Spitze der Menschheit zu bleiben: indem er niemals nachge geben oder vor Geringeren zurückgewichen war. Sie waren die Aus erwählten des Imperators und nur Ihm allein verpflichtet. Sie würden niemals von einer Halbmaschine, einem Kesselflicker von Techpries ter oder einem Sesselpupser des Administratums Befehle entgegen nehmen. Der Kampf war vorbei. Die wahren Feinde waren besiegt. Und obwohl die Verluste der Seelentrinker nur gering waren, so war doch einer der Besten ihres Ordens unter ihnen. Jetzt war es an der Zeit, den drohenden Konflikt ohne Blutvergießen zu beenden, damit die Seelentrinker ohne Ehrverlust und mit ihrem geheiligten Objekt den Heimweg antreten konnten. Dieser Ort hatte sie schon genug gekos tet, und Sarpedon drängte auf eine schnelle Lösung dieser unange nehmen Situation. Sarpedon salutierte ein letztes Mal vor Caeon, dann verließ er die Kapelle, in der Iktinos stumm Ehrenwache hielt. Er musste die Verteidigung vorbereiten.
DREI
Obwohl viele der Offiziere der Flotte aus alten und ehrwürdigen Ma rinefamilien stammten und sich niemals vor einfachen Logistikern und Bootsmännern eine Blöße geben würden, waren sie im Innersten mit Schrecken erfüllt. Ein Holoservitor stand in der Mitte der Brücke. Seine Brust öffne te sich und enthüllte einen Projektor, der ein riesiges Bild auf den Schirm warf. Drauf war ein Space Marine zu sehen, der erste, den sie je zu Ge sicht bekommen hatten. Auf der schola-progenium oder den Kapel len der Kadettenakademien waren ihnen nur Abbildungen oder Schaustücke gezeigt worden. Sein Gesicht war vernarbt, aber im Ge gensatz zu den Narben, die viele Marineoffiziere stolz im Gesicht trugen, formten die seinen ein Antlitz, das wie eine Landkarte des Krieges oder eine wellenumtoste Klippe wirkte. Es war unmöglich, sein Alter zu schätzen. Jugendliche Energie mischte sich mit dem Verschleiß eines langen Lebens, und in seinen erfahrenen Augen leuchtete kindlicher Fanatismus. Sein Kopf war geschoren und ver schwand fast hinter dem hohen Kragen der massigen purpurschwar zen Aegisrüstung. Auf einer Schulterplatte war ein Kelch, das Sym bol seines Ordens, zu erkennen. Eine geflügelte, goldene Wiederho lung dieses Motivs prangte auf seiner Brust. »Wir haben das Sternenfort in unserer Gewalt«, sagte er in einer Stimme, die wie Donner durch den Raum hallte. »Wir können es bis in alle Ewigkeit halten. Ich muss Euch kaum darauf hinweisen, wie töricht ein Angriff Eurerseits wäre.« Er hatte sich als Hauptmann Sarpedon vorgestellt. Seine dröhnen de Stimme klang diszipliniert, obwohl man die grenzenlose Wut da
hinter heraushören konnte. Seine Augen starrten zu den versammel ten Offizieren hernieder. Die Muskelstränge an seinem Hals waren vor Zorn verkrampft. »Konsul, wenn Ihr das Fort haben wollt, stehen Euch zwei Möglichkeiten offen. Entweder Ihr kommt und holt es Euch. Diesen Kampf werdet Ihr verlieren. Oder Ihr gebt uns unsere rechtmäßige Siegesbeute zurück.« Konsul Senioris Chloure war ein Mann der Diplomatie. Er hatte sein ganzes Leben damit verbracht, die heikelsten Verhandlungen zu führen. Nicht selten hatte dabei das Wohl oder Wehe ganzer Planeten auf dem Spiel gestanden. Er verließ sich auch jetzt auf seine Fähig keiten. »Hauptmann Sarpedon«, begann er und versuchte vergeblich, nicht beeindruckt zu klingen. »Ihr müsst wissen, dass das Adeptus Mechanicus offiziell nicht unter meinen …« »Alle Versuche, mit dem Mechanicus Kontakt aufzunehmen, blieben unbeantwortet!«, brüllte Sarpedon. »Sie haben uns bestohlen, sind auf ihr Schiff geflohen und haben jeden Kontakt abgebrochen. Dies ist Eure Zuständigkeit, Konsul. Wenn Ihr Eure eigene Flotte nicht unter Kontrolle habt, ist das Euer Problem, nicht meines. Gebt uns den Seelen-Speer zurück oder vergesst das Sternenfort ein für alle Mal. Diese Unterhaltung ist hiermit beendet. Ich hoffe für Euch, dass wir sie nicht noch einmal führen müssen.« Die Projektion erlosch, und der Holoservitor schloss sich wieder. Für einige Sekunden herrschte Schweigen auf der Brücke der Gewis senhaftigkeit, und das Bild des großen, grauen Gesichts spukte noch in den Köpfen der Offiziere herum. »Sir?«, fragte Flottenkapitän Vekk. »Ihre Befehle?« Ein Space Marine. Chloure war so stolz gewesen, dass er es ge schafft hatte, sie hinzuzuziehen. Es hätte der krönende Höhepunkt seiner Laufbahn werden und ihm eine glänzende Zukunft sichern sollen. Stattdessen musste er sich mit der Tatsache abfinden, dass sein Plan unter Umständen sehr bald gewaltig fehlschlagen konnte. Aber noch gab er nicht auf. Er hatte nicht zum ersten Mal mit den Drohgebärden starrköpfiger Leute zu tun. Jahrzehnte hatte er damit
verbracht, im Namen des Imperators zu verhandeln. Jetzt würde er es eben noch ein letztes Mal tun müssen. »Sie haben das Sternenfort besetzt, aber das hilft ihnen nicht viel weiter. Ihre Flotte ist winzig, wahrscheinlich nur ein paar Angriffs kreuzer. Wir könnten ohne Mühe eine Blockade durchsetzen. Sie säßen dann ohne Nachschub und Unterstützung im Fort fest. Ohne unsere Erlaubnis können sie es nicht verlassen. Irgendwann müssen sie aufgeben.« »Es sind Space Marines, Sir. Sie brauchen keinen Nachschub …« Manis, Vekks Rüstmeister, hatte gesprochen. »Angeblich können sie ja allein von Luft und Glauben leben, Ma nis. Aber der Imperator hat sicherlich keine Menschen erschaffen, die weder essen noch atmen müssen. Das Fort steht auf einer alten Orbitalplattform, die neue Recyclingfilter und flüssigen Sauerstoff benötigt, um eine bewohnbare Atmosphäre herzustellen. Notfalls warten wir einfach ab, bis sie wieder bei Sinnen sind und zu ihrer Flotte zurückkehren wollen.« »Werter Konsul, wäre es nicht einfacher, ihnen einfach dieses Ding zurückzugeben?«, fragte Kourdya mit matter Stimme. Kourdya war der Kapitän der Hydranye Ko. Angeblich hatte er das Schiff bei einer Partie Fünf-Karten-Raekis gewonnen. »Diese Lösung werden wir natürlich als Erstes anstreben, Kapitän Kourdya. Aber wie wir alle wissen, sind diese Marines unberechen bar. Es schadet nichts, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.« Ein Bootsmann − der gleiche verschüchterte Junge, der Chloure vor einigen Stunden geweckt hatte − hastete auf die Gruppe von Offizie ren vor dem Holoprojektor zu. »Offizier auf der Brücke, meine Herren«, sagte er. »Es ist Erzma gier Khobotov.« Die Drucklufttüren der Brücke schienen sich von selbst zu öffnen und Khobotov schwebte herein. Er wurde von einem Dutzend Tech gardisten begleitet, die rostrote Waffenröcke und exotisch anmutende
Waffen trugen. Seine Drohnen schwebten umher wie fette ekelhafte Insekten. »Ich bin sicher«, sagte Chloure und ging auf Khobotov zu, »dass Ihr bereits über alles im Bilde seid.« Chloure deutete auf den Bild schirm, auf dem vor ein paar Stunden noch Sarpedons Gesicht zu sehen gewesen war. »Allerdings«, dröhnte Khobotov. »Dann könnt Ihr Euch sicher denken, dass ich ein paar Fragen an Euch habe.« Sobald Vekk die Techgardisten bemerkt hatte, hatte er unauffällig einen Trupp Sicherheitskräfte antreten lassen, die sich nun so leise wie möglich auf der Brücke postierten. Chloure wusste genug über die Imperiale Flotte, um zu verstehen, warum kein Kapitän freiwillig eine Überzahl Fremder auf seiner Brücke duldete. Vekk konnte manchmal unausstehlich sein, aber im Moment war Chloure froh, den Mann an seiner Seite zu wissen. »Wir haben Eure Unterhaltung verfolgt«, sagte Khobotov. Die Techgardisten wechselten in eine geschlossenere Formation über, als sich die Sicherheitskräfte in schwarzen Rüstungen auf der Brücke verteilten. »Hauptmann Sarpedons Forderungen wurden zur Kenntnis genommen.« »Werdet Ihr darauf reagieren?« »Kommandeur Sarpedons Streitmacht ist klein und verfügt über keine Vorräte. Sie sind nicht für einen Verteidigungskampf ausgerüs tet. Sie werden kaum einem gemeinsamen Angriff der Imperialen Flotte und des Adeptus …« »Wir werden sie nicht angreifen, Khobotov«, sagte Chloure scharf. Wie immer war es unmöglich zu sagen, ob Khobotov es ernst meinte oder nur übertrieb. Würde er wirklich die Flotte gegen die Space Marines antreten lassen? Man sagte, dass Techpriester nicht mehr so wie normale Menschen dachten, sobald sie mehr Maschine als Lebewesen waren, aber selbst Khobotov würde nicht so viele Leben riskieren. »Wir werden ihnen geben, wonach sie verlangen,
und dann die ganze Sache vergessen. Ihr befindet Euch noch immer unter der Befehlsgewalt dieser Flotte, Erzmagier, ob Euch das nun passt oder nicht. Wenn Sarpedon uns das nächste Mal kontaktiert, werde ich ihm verraten, wo sich der Seelen-Speer befindet und wann er ihn zurückerhalten wird. Und genau das will ich jetzt von Euch wissen.« Chloure hatte schon vorher mit anstrengenden Handelspartnern zu tun gehabt. Er hatte mit ganzen Planeten von Widersachern verhan delt. Aber er hatte noch nie einen Mann einschätzen müssen, der im physischen Sinne vielleicht gar kein Mann mehr war. Chloure konnte wie kein Zweiter Körpersprachen und Stimmlagen beurteilen, seien sie auch noch so gut verborgen. Aber bei Khobotov stieß er an seine Grenzen. Er musste direkt und forsch auftreten und hoffen, dass Khobotov ebenso wie er daran interessiert war, die Situation friedlich zu lösen. »Also gut.« Mit glühenden Linsen, die unter der Kapuze aufleuch teten, starrte Khobotov Chloure durchdringend an. »Der SeelenSpeer befindet sich derzeit auf einem schweren Hochgeschwindig keitsshuttle auf Warproute 26-Epsilon-Superior.« »Sein Ziel?« »Koden Tertius.« Koden Tertius war eine Fabrikwelt, die dem Adeptus Mechanicus gehörte und als Produktions- und Forschungszentrum diente, das für die Zähigkeit seiner Kriegsmaschinen bekannt war, mit denen es die Imperiale Armee des Segmentum Obscura belieferte. Außerdem war Koden Tertius eine halbe Galaxie entfernt − und der Heimathafen der 674-XU28. Von dort waren Khobotovs Techgardisten rekrutiert wor den. Erzmagier Khobotov schickte den Seelen-Speer in seine eigene Heimatwelt. »Ich verstehe«, sagte Chloure kühl. »In diesem Fall ist es wohl sinnlos, die Rückgabe des Speers von Euch zu fordern.« »So ist es, Konsul Senioris. Mit einem Schiff im Warp ist keine Kommunikation möglich. Wenn es erst einmal sein Ziel erreicht hat,
befindet es sich im Einflussbereich der Erzmagier von Koden Tertius und nicht mehr unter Eurem Kommando.« »Deswegen seid Ihr überhaupt erst hierhergereist, nicht wahr?«, sagte Kapitän Kourdya aus dem Hintergrund. »Gerissener Hund. Ihr wolltet von Anfang an nur dieses kleine Spielzeug stehlen.« »Ich dachte eigentlich, Konsul Senioris Chloure wäre schlau ge nug, dies selbst herauszufinden.« Trotz seiner monotonen Stimme schien sich der Techpriester über sie lustig zu machen. Chloure erschauderte. Der Seelen-Speer war verloren, und die Si tuation wuchs ihm langsam über den Kopf. In Wahrheit tat Khobo tov, was ihm beliebte. Chloure konnte weder seinen Funkverkehr überwachen, noch seine Autorität geltend machen − niemand wusste, zu was die 674-XU28 fähig war. Er konnte den Seelen-Speer ja schlecht wieder herbeizaubern. Aber er hatte eine Aufgabe: das Van Skorfold’sche Sternenfort im Namen des Administratum unter Kontrolle zu bringen. Und diese Aufgabe würde er erfüllen, so lange es auch dauern mochte. Dann, so dachte er, würde er endlich seinen wohlverdienten Lohn bekommen. »Das ist alles, was ich wissen muss«, sagte Chloure. Auf eine Ge ste von Flottenkapitän Vekk hin traten die Sicherheitskräfte einen Schritt zurück. Die Techgardisten marschierten von der Brücke. Khobotov schwebte mit trügerischer Schnelligkeit davon. Seine Ro ben flatterten hinter ihm über den Boden. Die fetten Drohnen mit den Engelsgesichtern folgten ihm. Eine schwere Hand legte sich auf Chloures Schulter. Er roch ab gestandenen Rauch und Alter. Druvillo Trentius, der ergraute und streitbare Kapitän der Diakon Byzantine, starrte mit von Alkohol vernebelten Augen auf ihn herab. »Komplett vergakt, Chloure.« Seit er die Brücke betreten hatte, waren dies seine ersten Worte. Die Offiziere scharten ihre Untergebenen um sich und machten sich auf den Weg zu ihren Schiffen. Chloure wurde das Gefühl nicht los, dass Trentius damit irgendwie recht hatte.
Ysers Aussehen gab nicht viel her. Er hatte seine besten Jahre hinter sich und war dünn und unterernährt. Haar und Bart bestanden aus verfilzten Rattenschwänzen. Seine Fingernägel waren verdreckt. Er hatte sich offensichtlich um Körperpflege bemüht, aber dadurch nur die Blässe seiner Haut herausgestellt. Er war in Lumpen gekleidet. Um seinen Hals hing ein schwerer Anhänger, den er aus irgendeiner Wanddekoration herausgebrochen und mit einer Kette versehen hat te. Es handelte sich um einen Imperialen Adler. Durch beide seiner Köpfe waren Augenlöcher gebohrt worden. Jetzt starrte er in zwei Richtungen: nach vorne und zurück, in Vergangenheit und Zukunft. Das Symbol verlieh dem Mann eine Aura der Heiligkeit und Zielge richtetheit, die selbst Sarpedon nicht verleugnen konnte. Sie standen in einem Raum, den Yser als seine Kirche bezeichne te: ein Versorgungsbunker, ein großer, abgerundeter Zylinder mitten im Herzen des Sternenforts. Licht war kaum vorhanden, und Atem luft war nur um ein paar Lecks in der Nähe der Recyclingkanäle zu finden. Hier wurden einst riesige Mengen von Nahrung und anderen Vorräten aufbewahrt, die mit einem großen Lastkran herbeigeschafft wurden. Aber die Güter waren entweder schon lange aufgebraucht oder zu dem Müllberg verrottet, der das untere Drittel des Zylinders bedeckte. Die riesige vierfingrige Metallklaue des Krans war schon lange aus seiner Verankerung gebrochen und stellte jetzt die eigentli che Kirche dar. Bänke und Seitenkapellen waren aus Warencontai nern herausgeschnitten worden. Von Tragbalken hingen zerfledderte Banner, die aus ausgefranstem Packmaterial zusammengeflickt war en. Die aufgemalten Symbole erinnerten an Kinderzeichnungen. Der Ort lag im ewigen Halbdunkel der hoch über ihnen hängenden Halo genarbeitslampen und strahlte eine seltsame Ruhe aus. Die Banner wehten in der leichten Brise aus den Lüftungsrohren. »Du bist Yser?«, fragte Sarpedon. Er stand im Schatten der be helfsmäßigen Kirche und überragte den dürren Mann um Längen. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Menschen, die einem Space Marine ge
genüberstehen, schien er keine Angst zu haben »Ja.« »Du bist ein Priester?« »Ja. Ich predige zu meiner Gemeinde. Wir sind nur wenige, aber der Architekt lässt sein Licht über uns leuchten.« Der Schicksalsarchitekt − er meinte wohl den Imperator. Im Impe rium wurden viele Aspekte des Göttlichen Imperators angebetet. Auf einer zurückgebliebenen Agrarwelt konnte er die Gestalt eines Got tes, der über die Jahreszeiten herrscht, annehmen. In einer von Gangs beherrschten Schwarmwelt konnte er als Kriegsgott auftreten. Das Adeptus Ministorium duldete diese Formen der Anbetung, solange dem Imperialen Kult Vorrang gewährt wurde. Diese Vielfalt zeigte Sarpedon, dass geringere Menschen die wahre Majestät des Impera tors und seiner Primarchen nicht verstehen konnten. Aber der Mann vor ihm schien keineswegs schwer von Begriff zu sein. »Zugegeben, unsere Kirche ist sehr klein«, fuhr Yser fort. »Mehr konnten wir in den Tiefen dieser Station nicht ausrichten, noch dazu in der ständigen Angst vor den Sklavenjägern. Aber das ist jetzt vor bei. Ihr seid gekommen und habt uns errettet.« Vorts’ Trupp durchkämmte die Kirche und die umliegenden Müllhaufen. Er hatte die Kirche entdeckt, und er sollte sie auch auf mögliche Gefahren hin untersuchen. Es gab noch viele intakte − wenn auch stark mitgenommene − Recyclingkanäle und Verladetun nel, um aus diesem Ort eine halbwegs vernünftige Rückzugsbasis machen zu können. Der Rest der Seelentrinker war damit beschäftigt, die noch funktionsfähigen Makrolaser und Raketenabschussbasen zu bemannen. Sarpedon wollte sichergehen, dass die Wege, die durch die Station führten, offen und sicher waren, um seine Truppen prob lemlos von einem Ende zum anderen senden zu können. Aber dazu würde es nicht kommen. Sie traten gegen Bürokraten und einfache Soldaten des Administratums an, die den Schwanz ein ziehen würden, wenn sie erst einmal begriffen, mit welcher Art von Kriegern sie es hier zu tun hatten. Aber wenn das Sternenfort schon in Verteidigungsbereitschaft gebracht wurde, dann richtig.
Givrillians Trupp hatte sich vor den Eingängen postiert, die in den Zylinder führten. Sarpedon benutzte sie als Kommandoeinheit, die ihn begleitete, wenn er von einer Sektion der Station zur nächsten eilte. Die letzten Stunden hatte er damit verbracht, die Vorbereitun gen zu überwachen, die an den Geschützen getroffen wurden. Tellos’ Einheit war als mobile Angriffstruppe gedacht, die jederzeit auf ei nen Enterversuch des Feindes reagieren konnte. Auch dazu würde es nicht kommen. Aber Sarpedon ging auf Nummer sicher. »Ich weiß seit langer Zeit, dass Er seine Auswählten schicken würde, um uns zu retten. Damit wir Seinen Plan vollenden können«, sagte Yser. »Ich hätte nie gedacht, dass ich das noch erleben darf − die Dinge, die ich im Traum gesehen habe, werden Wirklichkeit.« »Wie viele seid ihr?« »Vielleicht vier Dutzend. Wir leben in den dunklen Ecken dieses Ortes und versammeln uns hier zum Gebet.« »Seid ihr geflohene Häftlinge?« »Zum Großteil. Unter uns sind auch einige von Van Skorfolds Männern, die es satt hatten, für das Verderbnis zu arbeiten.« »Ah, das Verderbnis. Gut, dass wir es beide an diesem Ort als sol ches erkennen. Meine Männer werden diese Station verteidigen müs sen. Weißt du von Verteidigungsanlagen, die uns entgangen sind? Wenn ihr dem Imperator dienen wollt, werdet ihr eure Kenntnisse über das Sternenfort mit uns teilen müssen.« Yser lächelte. »Ihr seid der Auserwählte des Architekten, Lord Sarpedon. Ich habe Euch in den Visionen gesehen, die Er mir ge währt hat. Meine Leute sollen Euch nach Kräften unterstützen.« Visionen. Schon die Erwähnung von Visionen und Prophezeiun gen war gefährlich. Sarpedon hatte die Finsternis gesehen, mit denen psionische Kräfte die Willensschwachen und Übeltäter verblendeten. Er hatte die grünen Blitze gesehen, die von den Höhen des Höllen klingengebirges herabgeschleudert wurden. Eine ganze Schwarm stadt war so von abtrünnigen Hexen in den Wahnsinn getrieben wor
den. Auch sie hatten behauptet, von ihren Göttern Visionen erhalten zu haben. Aber Yser war anders − mitten in den Eingeweiden dieses finste ren Ortes hatte er an seinem Glauben festgehalten, bis ihm geheiligte Visionen zuteil geworden waren. Vielleicht waren auch die langen Jahre ständiger Angst zu viel für seinen Verstand gewesen, aber möglicherweise war er wirklich vom Licht des Imperators gesegnet. Im Moment war Sarpedon jedenfalls froh, hier einen Verbündeten gefunden zu haben. »Ich werde mich mit meiner Gemeinde beraten. Vielleicht können wir einige der Zielsuchkuppeln wieder mit Energie versorgen oder ein paar Servitorenlager aufspüren. Ich werde sehen, was ich tun kann − ich werde Euch bald Bericht erstatten, Lord Sarpedon.« »Gut. Sergeant Vorts und seine Männer werden dich begleiten.« Yser nickte lächelnd und verschwand in den Müllbergen. Es schien so, als ob er die Seelentrinker erwartet hätte und nun glücklich darüber war, helfen zu können. Sarpedon fragte sich, was wohl aus Yser geworden wäre, wenn die Marines die Station mit dem SeelenSpeer verlassen hätten. Wahrscheinlich wäre ihm das Schicksal, dem er so lange entkommen war, letzten Endes doch nicht erspart geblie ben: Gehirnwäsche und die Umwandlung in einen biologisch anget riebenen Servitor. Wäre das zu bedauern gewesen? Möglicherweise. Aber er war nur ein gewöhnlicher Mensch, und die Regeln verbaten jedem, der nicht Mitglied oder Eigentum des Ordens war, den Zutritt zu einem Seelentrinkerschiff. Sie hätten ihn zurücklassen müssen. Da fiel Sarpedon etwas ein. »Yser!«, schrie er. »Du warst ein Ge fangener. Was hast du verbrochen?« »Ich war ein Dieb«, erwiderte der Gefangenenpriester. »Und jetzt?« »Jetzt diene ich dem Schicksalsarchitekten.« Das Adeptus-Mechanicus-Schiff 674-XU28 war fast tausend Jahre alt. Alle hundert Jahre, auf den Tag genau, wurde es in den Trocken
docks von Koden Tertius generalüberholt und mit wiederentdeckten oder rekonstruierten Archäotechnologien ausgestattet. Auch am Ma schinengeist wurden ständig Verbesserungen vorgenommen. Die Truppen an Bord des Schiffes, die aus Techgardisten, Belagerungs technikern und Einheiten eher exotischerer Natur bestanden, brauch ten ständige Modernisierungen und Neubesetzungen, um ihre volle Schlagkraft zu erhalten. Zuletzt wurden diese Arbeiten von Erzmagier Khobotov, der drei hundert Jahre alt war, persönlich überwacht. Er glaubte an die Maschinen als Grundstock der menschlichen Zi vilisation. Maschinen waren effizient und unermüdlich. Sie waren kühle, analytische Apparate und waren von unerschütterlicher Loya lität. Das erfreute Khobotov. Ihre Hingabe an die Wiedergewinnung des verlorenen Wissens, das das Meisterwerk des Omnissias darstell te, stand der seinen in nichts nach. Mit ihrer Hilfe würde er einen Mikrokosmos menschlicher Perfektion erschaffen. Außer den Soldaten war die 674-XU28 ausschließlich mit Servito ren und Techpriestern bemannt, deren Arbeitseifer und Wissensdurst Khobotovs hohen Standards entsprachen. Das Fleisch der Magier des Mechanicus, die ebenfalls an Bord waren, hätte nicht für einen einzi gen Mann gereicht − sie bestanden fast vollständig aus Bionics und Implantaten. Khobotov wusste schon lange nicht mehr, was an ihm echt und was synthetisch war. Lebendiges Gewebe war nur eine un nötige Ablenkung von der Arbeit, die er für den Omnissias verrichte te. In den riesigen kryptomechanischen Eingeweiden des Schiffes, in den schimmernden Glaskorridoren, in denen der Maschinengeist hauste, zwischen den Wäldern aus Waffensystemen und Sensoriumzacken wurde das Wissen der Menschheit ständig aufs Neue erschaf fen. Zwischen Khobotovs disziplinierter Persönlichkeit und den dunklen Tiefen des Maschinengeists spannte sich ein Netz des Wis sens, das ständig vergrößert und verfeinert wurde. Irgendwann würde es eine Größe erreicht haben, die es dem Schiff ermöglichen würde, jedes Geheimnis aufzudecken und ohne Furcht das Gefängnis des
realen Universums zu verlassen. Eines Tages, wenn das Schiff, seine Besatzung und das gesammelte Wissen zu einer Einheit verschmol zen waren, würden sie alles zurückerlangen, was im Dunklen Zeital ter der Technologie verloren gegangen war. Das Schiff war noch nicht alt. Eintausend Jahre waren nicht ge nug, um solch eine Anstrengung unternehmen zu können. Und er hatte immer so viel zu tun, war so sehr beschäftigt. Manchmal dachte er, es würde für immer ein Traum bleiben. Aber da sprach der Mensch in ihm. Khobotov betrachtete die Anordnung der Kolben, die einen Groß teil der Außenhülle aus der 674 sprengen würden. Manchmal erfüllte es ihn mit Trauer, dem Schiff, von dem er ein Teil war, eine so große Wunde zufügen zu müssen, aber es war unumgänglich. Der Maschi nengeist rüttelte zustimmend mit den hydraulischen Rammböcken an den Sollbruchstellen. Es waren nur wenige Servitoren anwesend. Das fast vollständige Vakuum hätte ihr Gewebe zerstört. Deshalb hatten Techpriester und erfahrene Magier den Vollzug des Ritus übernommen. Diese Aufga be war zwar nicht so heikel wie die Bedienung des allerheiligsten Teleporters, aber sie musste trotzdem mit größter Sorgfalt durchge führt werden. Manche von ihnen waren dunkle, in Roben gehüllte Gestalten, gebückt und kaum mehr als menschliche Wesen zu erken nen. Andere dagegen glänzten und funkelten. Sie hatten die Körper junger Männer und waren mit edelsteinbesetzten Implantaten aus Glas und Chrom ausgestattet. Khobotov war kein gefühlloses Wesen. Er hatte seine menschli chen Instinkte nicht verloren. Er kannte die Menschen − wie Kinder oder Tiere waren sie schnell verärgert, aber auch leicht wieder zu besänftigen. Man musste sie ermutigen, wenn man Taten der Logik vollbringen wollte, und manchmal musste man sie auch einschüch tern. Man sagte, ein Space Marine kenne keine Furcht. Aber auch sie waren Menschen. Sein immenses Wissen ließ Khobotov nicht daran
zweifeln, ihre Handlungen voraussehen zu können. Er allein konnte die Situation meistern, in die sie sich mit ihrer Sturheit manövriert hatten. Es war einfach: Sie hatten keine andere Möglichkeit als auf zugeben. Sie hielten sich für die Elite des Imperiums. Der logische Schluss war, ihnen nur eine Handlungsoption anzubieten, bei der sie nicht die Waffen gegen das Imperium selbst erheben mussten. Er hätte einfach nach Koden Tertius zurückkehren können, um in Ruhe den Seelen-Speer zu studieren und die Sache Chloure zu über lassen. Aber in den Augen der Seelentrinker wäre dann das Adeptus Mechanicus ein Haufen von Feiglingen, und zweifellos würde es auch einige Dummköpfe im Administratum geben, die der gleichen Ansicht wären. Khobotov interessierte sich eigentlich nicht für sol che Dinge, aber andere Imperiale Instanzen legten höchsten Wert darauf. Er war kein Politiker, aber diese Menschen dachten einfach genug, um sie mühelos verstehen zu können. Wenn er die Space Ma rines in die Knie zwang, würden sie das Adeptus Mechanicus für furchtlos und mächtig halten. Sie verhielten sich wie kleine Kinder. Khobotov musste sich daran erinnern, dass er in den Tagen, bevor er sich dem Maschinengott angeschlossen hatte, von genau der gleichen Dünkelhaftigkeit erfüllt gewesen war. Also würde er bleiben. Die Space Marines würden das Fort aufge ben, das Administratum würde es in Besitz nehmen und das Mecha nicus würde ihm dabei helfen. Es war ein einfacher Plan. Die Seelentrinker würden sich zu Frie densverhandlungen bereit erklären und zu ihrer Flotte zurückkehren. Sonst würde ihnen nur übrig bleiben, Chloures Flotte oder Khobo tovs eigene Truppen anzugreifen, was sie niemals in Erwägung zie hen würden. Sie würden aufgeben. So einfach war das. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass alle Riten und Vor bereitungen zu seiner Zufriedenheit durchgeführt worden waren, konnte es Khobotov kaum erwarten, ins Archivum zurückzukehren und seine Studien fortzusetzen. Das Problem würde sich von selbst
lösen. Und er hatte doch so viel zu tun … »Unsere Sensoren haben etwas entdeckt«, sagte Bruder Michairas. »Was kann das sein?« Michairas gehörte zu jenen Seelentrinkern, die die Sensorstatio nen auf der Oberfläche des Forts bemannt hatten. Seit mehreren Stunden saß er in der kleinen, durchsichtigen Kuppel und beobachte te die Sternenflotte und die riesige, glühende Scheibe Lakonias. Die Schiffe des Administratums und des Mechanicus waren kleine glit zernde Punkte in der Weite des Alls. Was ihn beunruhigte, war der Anblick eines großen, grellweißen Objekts. Unverzüglich, nachdem Bruder Michairias es entdeckt hatte, hatte er den Techmarine benachrichtigt. Jetzt schien es so, als würde etwas im Bauch des Mechanicus-Schiffes explodieren. »Wie lange geht das schon so?« Techmarine Lygris kletterte mit Hilfe eines hakenbewehrten Sensorarms, der aus seinem Rückenmo dul ragte, in die Sensorenkuppel. »Etwa drei Minuten.« »Hmmm.« Lygris klopfte an die lange, gebogene Oberfläche der Kuppel. »Wenn das ein Angriff auf ihr Schiff gewesen sein sollte, muss er katastrophalen Schaden angerichtet haben. Aber es sieht eher danach aus, als würden sie Gas ablassen. Luft ist das nicht. Vielleicht Rückstoßraketen oder Luftrammen. Die Eiskristalle deuten auf Hyd raulik hin.« »Was bedeutet das?« Lyrus prüfte die Vielzahl der alten, angeschlagenen Instrumente. Die Anzeigen bestätigten seinen Verdacht. »Sie schießen etwas ab. Etwas Großes.« Kapitän Vekk hatte die Angewohnheit, die Servitoren auf der Brücke der Gewissenhaftigkeit anzubrüllen. Aber die kümmerten sich nicht darum. Ihnen, und auch dem, der ihm die Berichte des Logistikkorps überbracht hatte, war das egal. Sie antworteten nicht.
»Ich brauche mehr Informationen«, schrie er. »Wurde die 674 ge troffen?« Über ihm leuchtete die Explosion auf dem Bildschirm auf. Dane ben wurden einige Bilder von anderen Schiffen der Flotte eingeblen det. Aus dem Mechanicus-Schiff drang eine weiße Dampfwolke, eine riesige Menge Gas und Flüssigkeit, die sich ständig vergrößerte. In der grellen Wolke war nach und nach etwas Großes, Flaches zu erkennen. Ein Teil der Schiffshülle, die durch eine Explosion an Bord abgesprengt worden war? Oder …? »Ich brauche Informationen über dieses Ding! Sofort! Größe, Richtung, Schiffsklasse.« »Es sieht wie Raumschrott aus, Sir.« Vekk wandte sich zu dem Bootsmann, der das Wort erhoben hat te. Sein Blick ließ ihn verstummen. »Danach sieht es ganz und gar nicht aus. Ich war auf Damokles Nebula, Jungchen. Ich weiß, wie es aussieht, wenn ein Schiff in Stücke zerfällt. Scannen und klassifizie ren, aber sofort! Los!« Jetzt konnte man es besser erkennen. Ja, er war sich sicher. Ob das gut oder schlecht war, konnte er nicht sagen. Alles hing von den Plä nen dieser durchgeknallten Cyber-Kreatur ab. »Und jemand soll Chloure wecken!« Die Orbitalartillerieschiffe der Geryon-Klasse waren eine Zeit lang auf den Fabrikwelten, die an die Halozone grenzten, sehr beliebt gewesen. Die Art der Kriegsführung dort bedingte es, dass sich ver feindete Flottenverbände oft mitten im Nirgendwo des Alls trafen. In einer solchen Situation stellen Verwirrung und Versprengung der feindlichen Verbände mächtige Waffen dar, um sich den Rückzug zu sichern oder einen neuen Schlachtplan zu entwerfen. Die GeryonKlasse war genau zu diesem Zweck entworfen worden. Ihre elektro magnetischen und Magna-Fragmentationswaffen sowie die konven tionelle Munition konnte innerhalb kürzester Zeit ein wahres Inferno anrichten. Es war ein mit Makroartillerie ausgerüsteter Ordinatus: eine riesi
ge Kanone, die Splittergranaten durch den Raum schleudern konnte, die dann zwischen den angreifenden Feinden detonierten. Sie war in etwa so groß wie ein Raumschiff und konnte auf eine orbitale Ver teidigungsplattform montiert werden. In einer konventionellen Schlacht war die Geryon-Klasse im Vergleich zu anderen Schiffen seiner Größe aufgrund seiner hohen Spezialisierung leider fast nicht zu gebrauchen. Mit der zunehmenden Gepflogenheit unter den Be fehlshabern, auf unsichere Situationen mit einem Bombenhagel zu reagieren und sich erst später eine elegante Taktik zurechtzulegen, war die Geryon nach und nach aus der Mode gekommen. Erzmagier Khobotov aber schien eine gewisse Vorliebe für die Geryon-Klasse zu hegen, da sich eines dieser Schiffe gerade von der 674-XU28 gelöst hatte und sich auf eine Umlaufbahn begeben hatte, die mehrere Tausend Kilometer vom Sternenfort entfernt war. Die Kanone war auf eine gewöhnliche Artillerieplattform montiert, die selbst die Ausdehnung einer mittelgroßen Insel hatte. Sarpedon überflog die Datentafel, die ihm von Techmarine Lygris ausgehändigt worden war. Die Neuigkeiten verdüsterten seine Stim mung. Bisher hatte es sich um eine Pattsituation gehandelt − was nicht so schlimm war, da die Space Marines unbegrenzt auf dem Fort ausharren konnten. Aber jetzt hatte sich alles geändert. Die Flotte des Administratums hatte die Oberhand gewonnen. Sie wussten, dass sie das Sternenfort nicht einnehmen konnten, solange die Seelentrinker es verteidigten. Also wollten sie die Station mit Makrogranaten sturmreif schießen. Einerseits waren sie keine Gegner für die Auserwählten des Imperators, andererseits waren sie zu kleinlich und hochmütig, um den Rückzug anzutreten. Sie waren eher bereit, die besten Truppen des Imperators abzuschlachten als ihre Fehler einzugestehen. »Wer uns beleidigt, beleidigt den Imperator. Wir sind Seine Aus erwählten, und Dorn war Sein Ziehsohn«, sagte Sarpedon. »So ist es, Hauptmann«, sagte Lygris. »Und diese Männer haben den Imperator beleidigt.«
»Das haben sie in der Tat, Hauptmann.« Lygris sprach im knap pen, barschen Ton der Techmarines. Seine Stimme hallte leise durch die Schwebebahntunnel, aus denen die Leichen der Mutanten inzwi schen fortgeschafft worden waren. »Habt Ihr das mit Caeon bespro chen?« »Caeon stirbt, Lygris. Ich kann nicht sicher sein, dass er im Voll besitz seiner geistigen Kräfte ist.« »Ein schlimmer Tod.« Sarpedon ließ die Datentafel zuschnappen. »Nur den Wenigsten ist ein guter Tod bestimmt.« Was sollte er jetzt tun? Ihre Flotte befand sich auf der anderen Seite Lakonias. Sie würde einen Kampf mit der Sternenflotte und dem Ordinatus niemals überleben. Eine Flucht war unmöglich − das war Teil des Plans, den das Administratum und das Mechanicus aus geheckt hatten. Sie hatten die Seelentrinker wie Ratten in die Falle getrieben und würden sie aus der Ferne abschlachten. Verflucht soll ten sie sein, im Namen des Imperators solche Dinge zu tun! Die See lentrinker waren die besten Kämpfer des Imperiums, und trotzdem hatten das Administratum und das Mechanicus es gewagt, sie erst zu bestehlen und ihnen dann auch noch Gewalt anzudrohen. Wie konn ten sie so etwas tun? Wussten sie nicht, wer die Seelentrinker waren, wofür sie standen? War das Imperium wirklich das Instrument, mit dem der Impera tor Seinen Willen durchsetzte, wenn es von solchem Abschaum be völkert war? Wie konnten es sich die Schlachtschiffe und Soldaten, die in Seinem Namen kämpften, erlauben, ihre Hand gegen diejeni gen zu erheben, die Seinen Plan am vorzüglichsten erfüllten? Sarpe don wusste, dass Korruption und Faulheit schon immer Teil des Im periums gewesen waren, aber noch nie waren diese Gefahren so of fensichtlich zutage getreten und hatten sein und das Leben seiner Kampfgefährten bedroht. Die Ordinatus-Kanone des Geryon-Schiffes konnte die Seelen trinker einfach auslöschen, und das nur, weil das Administratum und
das Mechanicus ihr Gesicht nicht verlieren wollten. Das durfte nicht geschehen. Und das würde auch nicht geschehen. Aber welche Mög lichkeiten blieben Sarpedon? Sie waren auf einem Sternenfort gefan gen, während über ihren Köpfen ein riesiges Artillerieschiff und eine Flotte schwebten, auf denen Tausende von Imperiumssoldaten sta tioniert waren. Zweifellos würden Konsul Senioris Chloure und Erzmagier Kho botov zu den Waffen greifen, sollten die Seelentrinker das Fort nicht aufgeben. Aber die Seelentrinker würden nicht nachgeben, nicht, solange Sarpedon noch lebte. Würden sie alle sterben müssen, nur um zu beweisen, dass sie die se Beleidigung nicht hinnahmen? Es war jedenfalls nicht so hinter hältig, wie den Seelen-Speer zu stehlen und ihn nicht mehr zurück zugeben. Aber darum ging es nicht. Die Seelentrinker waren der Sternenflotte weit überlegen. Also hatten sie es auch verdient, de mentsprechend behandelt zu werden. Wenn die Seelentrinker erst sterben mussten, um der Galaxis zu beweisen, wie wichtig ihnen ihr Ehrencodex war, dann sollte es so sein. Aber es gab Hoffnung. Nicht, weil ihm ein Plan eingefallen wäre − ein Space Marine kannte ganz einfach keine Verzweiflung. Und wenn sie als Soldaten sterben würden. Die Legenden entsprachen der Wahrheit − die Marines versagten selbst im Tod nicht. Givrillian, der die Bahnstation überwachte, eilte zu Sarpedon und riss ihn aus seinen Gedanken. »Hauptmann, eine Nachricht von Vorts’ Trupp« »Ich hoffe, es ist wichtig.« »Ja, Sir. Yser, der Priester, hatte ihnen gerade einige orbitseitige Verteidigungsanlagen gezeigt, als ihm etwas einfiel. Er will, dass Ihr und Lygris sofort zu ihm stoßt.« Als Sarpedon ankam, begutachtete Techmarine Lygris bereits Ysers Entdeckung. In Anbetracht des Zustands des kaum gewarteten Ster
nenforts war es das Letzte, was Sarpedon erwartet hatte: ein funkti onstüchtiges, voll ausgestattetes Flugdeck. Lygris war in erster Linie für die Pflege der Waffen und Rüstun gen auf den Fabrikschiffen, die die Ordensflotte begleiteten, zustän dig. Aber wie alle Techmarines hatte er die Fähigkeit, mit jeder Art von Technologie umzugehen. Während seiner Novizenzeit war er in einer Vielzahl von Kriegstechnologien ausgebildet worden. Somit wusste er auch einiges über Jäger und Bomber. »Hammerblade-Klasse«, sagte er wie zu sich selbst. »Scalptaker. Beim Thron Terras, die gehören in ein Museum …« Dieser Ort hätte wirklich ein Museum sein können. Das breite, niedrige Flugdeck zog sich wie ein dünner, waagerechter Spalt durch mehrere Stockwerke des Sternenforts. Es gab hier nur wenig Luft, und Yser hatte von den Ordensdienern ein Atemgerät bekommen. Die Marines trugen ihre Helme. Wo genügend Atemluft in den Raum gedrungen war, war das Me tall verrostet und brüchig geworden, aber der Großteil des Flugdecks war unversehrt. Auch Jahrhunderte später waren die Wände noch von längst verloschenen Zündungsfeuern geschwärzt. Deutlich er kennbare gelbschwarze Markierungen auf dem Boden beschrieben die Fahrwege der Schleppfahrzeuge. Hin und wieder tauchten Tank stationen wie Inseln aus dem Metallboden auf. Manche der Tanks waren noch gefüllt und mit Schläuchen versehen. Überall standen Schiffe herum. Manche waren nur noch Rosthau fen, andere waren bis zur Unkenntlichkeit zerlegt und geplündert worden. Aber es gab noch genügend, die flugtüchtig aussahen. Im Vergleich zu den plumpen Kriegsmaschinen der heutigen Zeit waren sie geschmeidig und dazu prächtig anzusehen. Sie besaßen geriffelte Armaturen und angriffslustige Flügel, die mit Laserkanonen verse hen waren. An die Schiffe der Hammerblade-Klasse waren große Plasmakanonen montiert, während die Scalptaker vor Megabolterge schütztürmen nur so strotzten. Sie waren die überragenden Jäger ih rer Zeit gewesen. Aber sie waren schon seit mehr als tausend Jahren,
zu einer Zeit, als der Seelen-Speer noch nicht verloren war, ausge mustert und nur noch für Patrouilleneinsätze um Lakonia herum be nutzt worden. Dann hatten die Van Skorfolds das Fort in Besitz ge nommen. »Sie wollten die Schiffe wohl irgendwann wieder einsetzen«, sag te Yser hinter seiner beschlagenen Atemmaske. »Aber das war wohl zu teuer. Außerdem konnte keiner von ihnen diese Dinger fliegen. Wir benutzten das Flugdeck als Abkürzung, vorausgesetzt, es war genug Luft vorhanden.« Es gab auch noch andere Schiffe − ein aufgeblähtes Tankschiff, einen Bomber, der eine Ladung Granaten transportierte. Überall auf dem Deck hingen lange Munitionsketten. Mit Warnfarbe markierte Raketen lugten aus dem Boden hervor. Schiffe, Treibstoff, Munition … Sarpedon war davon ausgegangen, dass sie im Fort gefangen war en und hatte sich darauf vorbereitet, jeden Meter davon zu verteidi gen. Jetzt hatte sich eine andere Möglichkeit aufgetan − die Seelen trinker waren wieder in ihrem Element. Wie es der Kriegerphilosoph Daenyathos niedergeschrieben hatte: Der sicherste Weg, sich zu ver teidigen, war, die Belagerer so lange anzugreifen, bis sie zu keiner Attacke mehr fähig waren. Und auf diesem Flugdeck befand sich alles, was es brauchte, um Daenyathos’ Strategie in die Tat umzuset zen. Sarpedon wandte sich zu seinem Techmarine um. Er spürte, dass dieser an das Gleiche dachte. »Lygris, ist es möglich?« Der Techmarine schaute sich auf dem riesigen Spielplatz aus Me tall um. »Allein schaffe ich es nicht. Zieht die anderen von den Waf fensystemen ab und stellt mir alle Ordensdienertrupps zur Verfü gung. Dann werden wir ein paar von diesen Schiffen flugfähig ma chen.« »So sei es. Vox mich an, wenn du etwas benötigst.« »Jawohl, Hauptmann. Darf ich fragen, was Ihr plant?« »Das ist doch offensichtlich.«
Während Sarpedon die Truppen versammelte und die Ordensdiener unter der Halogenbeleuchtung des Flugdecks harte Arbeit verrichte ten, starb Caeon. Kaplan Iktinos vollzog den Sterberitus im kleinsten Kreis. Caeons Tod war nicht ehrenvoll, daher war die Anwesenheit der anderen nicht verlangt. Außerdem mussten sie sich um die Vorbereitungen kümmern. Nur Michairas und Apothecarius Pallas waren zugegen. Da sie sich auf einem Schlachtfeld befanden, war der Ritus verkürzt worden. Iktinos intonierte mit monotoner Stimme eine Zusammen fassung von Caeons Chanson. Er stellte diejenigen Großtaten aus Caeons Kriegerdasein heraus, die in das Epos eingehen würden, in dem das Leben eines jeden Marines verzeichnet waren. Dann folgte die zeremonielle Aufnahme der Gensaat Caeons. Seine Waffen wur den versiegelt und würden in die Rüstkammer gebracht werden, um eines Tages an einen Novizen weitergegeben zu werden. Wenn die ser Novize in die Reihen der vollwertigen Marines trat, würde er die Geschichte dieser Waffen erfahren − auf dass er seine Aufgaben mit heiligem Ernst erfüllen und ebenfalls in die Annalen des Ordens ein gehen möge. Da Caeon nirgendwo begraben werden konnte, errichteten sie vor der Kapelle, in der er lag, einen Haufen aus Schutt und Trümmern. Dann kehrten sie auf ihre Posten zurück. Nur zwanzig Minuten, nachdem Lygris sich an die Arbeit auf dem Flugdeck gemacht hatte, versammelten sich Tellos und eine Hundert schaft Seelentrinker in disziplinierter Schlachtreihe vor Ysers Kirche. Es herrschte eine besinnliche Stimmung. Allen war bewusst, wie es um das Sternenfort stand und was sie durchmachen mussten, um ihre Haut zu retten. Der Tod Caeons und der Verlust des Seelen-Speers hatte ihre Wil lenskraft gestählt. Stolz funkelte in ihren Augen. Vielleicht war es ihnen zuwider, die Waffen gegen die einstigen Verbündeten richten
zu müssen − aber jeder von ihnen wusste, dass Ehre und Überleben an erster Stelle standen. Sarpedon spürte ihre Hoffnung, dass, wenn der Angriff erst einmal begonnen hatte, das Adeptus Mechanicus zur Besinnung kommen und den Seelen-Speer herausgeben würde. Dann könnten die Seelentrinker zu ihrer Flotte zurückkehren. Ihre Ehre wäre wiederhergestellt. Sarpedon war froh, Sergeant Tellos in seiner Nähe zu wissen. Im Kampf verfiel er in eine Art Rausch, der die anderen ansteckte. Für die Sturmtruppen stellte er so etwas wie einen Glücksbringer dar. Givrillian würde Sarpedon ebenfalls begleiten. Im Wahnsinn der Schlacht würde er wie ein Fels in der Brandung stehen. Der Großteil der taktischen Einheiten würde auf dem Sternenfort zurückbleiben. Der Angriff würde von den Sturmtrupps und einer Handvoll Spezia listen ausgeführt werden. Sie waren die flinksten und tödlichsten Soldaten, die Sarpedon je gesehen hatte. Und sie standen unter seinem Kommando. Caeons Tod war eine Tragödie, aber jetzt galt es, nach vorne zu blicken. Er musste seine Kameraden voller Sicherheit anführen, auch wenn sich der Einsatz auf eine Drohgebärde beschränkte. Er konnte sich daran erinnern, wie er mit Stolz in die Reihen der Seelentrinker aufgenommen wor den war. Und jetzt schauten die Männer zu ihm auf, so wie er einst zu Caeon und zu Ordensmeister Gorgoleon aufgeschaut hatte. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Seine psionischen Fähigkeiten erlaubten ihm normalerweise nicht, die Gedanken anderer zu lesen, aber er spürte, dass die Männer vor ihm begierig darauf waren, ihre Feinde im Namen des Imperators das Fürchten zu lehren. Sie alle waren durch den Diebstahl des SeelenSpeers beleidigt worden und wünschten sich nichts mehr, als sich an den Truppen des Mechanicus zu rächen. Sollte sich ihnen einer der Techgardisten oder Maschinenpriester in den Weg stellen, würden sie ihm beibringen, was es hieß, sich mit den Seelentrinkern anzule gen. »Hauptmann, hier Lygris.« Die Stimme des Techmarine erfüllte
knackend Sarpedons Voximplantat. »Die Jäger sind zwar alt, aber noch flugtauglich. Wir haben genug Treibstoff, um die Flotte zu er reichen. Wenn wir die Waffensysteme abmontieren, ist Platz für hundertundzwanzig Marines.« »Wir werden nur hundert Mann mitnehmen. Kein Grund, mit der Feuerkraft zu sparen. Wähle die besten Piloten aus, sofern du das nicht schon getan hast. Wie lange wird es noch dauern?« »Zwei Stunden.« In zwei Stunden konnten sich schon längst Bohrgranaten durch die Hülle des Sternenforts gewühlt haben oder Magnabomben ihre tödliche Fracht aus Splittertorpedos auf seine Oberfläche abgeschos sen haben. »Ich gebe dir eine.« »Jawohl, Hauptmann.« »Sergeant Tellos!«, brüllte Sarpedon und wandte sich zu den ver sammelten Marines um. »Trupps zu acht Mann bilden. Jeder Trupp muss mit mindestens einer Plasmawaffe ausgerüstet sein. Nehmt so viele Melterbomben mit, wie ihr tragen könnt. Die Zusammenstel lung der Trupps überlasse ich dir. Du hast eine Stunde Zeit.« Tellos salutierte und teilte die Trupps ein. Jeder Trupp hatte einen Anführer, die meisten wurden von einem Techmarine oder Apothe carius begleitet. Da sie sich auf einen Kampf in einer unbekannten und unberechenbaren Umgebung einstellen mussten, hatten sie klei ne autonome Einheiten gebildet, die ohne Nachschub allein auf sich gestellt überleben konnten. Es war Sarpedons erstes Kommando, und er ging ein hohes Risiko ein. Sollte sich das Adeptus Mechanicus zur Gegenwehr entschlie ßen, wäre ein schreckliches Blutbad die Folge. Nicht alle seine Waf fenbrüder würden überleben. Aber selbst wenn diese unvorstellbare Situation eintreffen sollte, würden die Seelentrinker doch bis zum Ende kämpfen, um ihre Ehre zu verteidigen und den Seelen-Speer in ihren Besitz zu bringen. Es bestand immer die Möglichkeit, dass diese Beleidigung gesühnt wer den konnte und Sarpedon mit dem Seelen-Speer zu seinem Flagg
schiff zurückkehren würde. Wie es Daenyathos formuliert hatte: Auch wenn Euch die Dunkel heit umgibt und jeder Ausweg nur durch Ströme von Blut und die Feuer der Schlacht führt, so gibt es doch immer Hoffnung. Aber so weit würde es nicht kommen. Das Mechanicus würde nicht kämpfen. Sie waren Space Marines, die Besten der Besten. Niemand würde es wagen, sich ihnen entgegenzustellen. So weit würde es nicht kommen. Er war sein ganzes Leben ein Sechser gewesen. Der offizielle Name seines Regiments war eine zwölfstellige Kombination aus Buchsta ben und Symbolen, die seine Größe, Zusammensetzung und Position auf der 674-XU28 angaben. Aber nur die Techpriester, Magier und vielleicht noch die hochrangigen Offiziere, die als Anwärter auf den Priesterrang galten, konnten sich diese Kombination merken, die mit der Ziffer Sechs begann. Deshalb bezeichneten sie sich selbst als Sechser. Kiv war sein ganzes Leben lang ein Sechser gewesen. Wie so vie le seiner Kameraden hatte er sein Regiment nie gewechselt. Bei sei nen seltenen Ausflügen auf bewohnte Welten war er immer erschro cken und bestürzt gewesen, wie manche Menschen nichts hatten, was ihr Leben mit Sinn erfüllte. Er hatte seinen Granatwerfer, der ihm als Kind anvertraut worden war. Seit die Neuroverbindungen zum ersten Mal in seinen Hinterkopf gesteckt wurden, war er ein Techgardist. Er hatte gelernt, seine Feuerrate bis auf eine Zehntelsekunde genau zu timen, und kannte die Reichweite, bei der der elektromagnetische Impuls und die Photonenstrahlung am effektivsten waren. Aus einem bestimmten Winkel heraus konnte er eine Störgranate über zwei Sek tionen des Decks der Geryon hinweg genau auf den Kopf des Fein des feuern. Er hatte seine Waffe so oft zerlegt und repariert, dass fast kein Originalteil übrig geblieben war. Aber der Maschinengeist blieb. Dreimal am Tag betete er ihn an, wie es der Wartungsritus vorschrieb. Er wusste, dass Erzmagier Khobotov das ganze Schiff
dieser Prozedur unterzog − er musste so vieles über die heilige und tiefe Ordnung des Universums wissen. Der große Geist der Logik beschützte ihn vor dem willkürlichen Chaos des Universums − der Omnissias, der Maschinengott, Vertei diger der Vernunft und der Weisheit. Kiv glaubte, dass der Omnis sias und der göttliche Imperator zwei Seiten einer Münze waren, ob wohl alle Magier, mit denen er darüber gesprochen hatte, dieser Fra ge ausgewichen waren. Wahrscheinlich war die Antwort zu kompli ziert, als dass er sie hätte verstehen können. »Achtung, Sechser! Kampfprotokoll dreiundneunzig! Verteidigen und zurückschlagen!« Die künstlich verstärkte Stimme des Priester oberst Klayden hallte über das Deck und riss die Sechser aus ihren Gedanken. »Auf eure Stationen, ihr Hunde! Los!« Die Sirenen ertön ten. Sein Rang verschaffte Klayden Zugang zu den einfacheren Be reichen des Maschinengeistes des Schiffs. Er konnte die wichtigen Entscheidungen, die er traf, bis zu einem gewissen Grad vorausse hen. Ein ganzes Bataillon Sechser war auf der Ordinatusplattform sta tioniert. Jeder war damit beschäftigt, sich zu bewaffnen und die wat tierten Splitterschutzwesten überzuziehen. Auf der Geryon selbst waren ebenfalls Einheiten positioniert. Über ihnen schwebte der rie sige Lauf der Kanone. Die mächtigen Rückstoßdämpfer und Muniti onsvorräte befanden sich im Zentrum des Paradedecks. Auf diesem Berg aus Stahl bereiteten sich die Techgardisten auf den Angriff vor. Krieg. Kiv hatte ihn schon so oft erlebt, aber seine Willkür er schreckte ihn immer wieder. Mit der Entschlossenheit der Gerechten würden die Techgardisten und die anderen Truppen des Adeptus Me chanicus so lange kämpfen, bis die überlegene Logik die Oberhand über die Unordnung des Schlachtfelds gewinnen würde. Kiv schlüpf te in die schwere Schutzweste und schloss die kniehohen Stiefel, die seine Beine vor den Funken schützen sollten, die beim Abfeuern der Splittergranaten aus seiner Waffe sprühten. Dann schulterte er den zylindrischen Granatwerfer, der schon zu
einer Art drittem Arm für ihn geworden war. Er zog die Zielbuchsen aus dem Werfer und stöpselte sie in die Stecker in seinem Schädel. Jetzt fühlte er die Richtung des Werfers in seiner eigenen Balance, konnte die Temperatur des Laufs mit seiner Haut spüren. Die Fülle seines Magens signalisierte ihm, wie viel Munition er noch übrig hatte. Diese Bionics waren kein Vergleich zu den kompletten Ersatz teillagern, die die Techmagier darstellten, aber sie gaben Kiv eine Ahnung davon, wie es sein musste, eins mit der Maschine zu sein. »Subsystem neun! In Gefechtsformation antreten!«, schrie Klay dens verstärkte Stimme. Subsystem neun war Kivs Einheit, ein mobi ler Verteidigungstrupp, der Angreifer aufspüren und vertreiben soll te. Die anderen Techgardisten aus Kivs Einheit hasteten an ihm vor bei. Sie trugen Meltergewehre, Plasmawaffen und HochenergieLasergewehre. Jedem Soldaten wurde im Kampf ein bestimmter Platz zugewiesen. Kivs Granaten sollten den Feind verunsichern, der dann mit der Feuerkraft der Energiewaffen und der Präzision der Lasergewehre vernichtet werden sollte. Eine hocheffiziente Kampf gruppe. Er hatte Angst. Aber es war eine positive Angst, wie ein diagnos tischer Ritus, der seinen Verstand auf mögliche Anzeichen von Feig heit durchforstete. Nichts. Er war schon zeit seines Lebens ein Sech ser. Sechser starben nie. Sie gingen nur kaputt. »Empfange mehrere Signale«, dröhnte die Stimme des Maschi nengeistes. Auch die Ordinatus-Plattform war Teil der 674-XU28 und sprach mit der Befehlsgewalt des Mutterschiffs. »Anflugsvekto ren bestätigt. Angriff wird auf Plattform zwölf erwartet.« Wer auch immer der Feind war, er dachte womöglich, er hätte das Überraschungsmoment auf seiner Seite. Aber niemand konnte sich der Plattform nähern, ohne von den Techgardisten entdeckt zu wer den. Die Angreifer würden auf ein gut vorbereitetes Bataillon und die Waffensysteme einer ganzen orbitalen Plattform treffen. Hoch über dem Paradedeck kletterten andere Einheiten von Tech
gardisten über große Ladekräne und Munitionskisten. Sie waren be reit, ihr Leben dafür zu geben, die meisterliche Ordnung eines Schif fes wie der Geryon aufrechtzuerhalten.
VIER
Die Geryon-Orbitalplattform schimmerte wie ein silberner Diamant vor dem sternenbesetzten Hintergrund. Das grelle Licht Lakonias spiegelte sich auf ihr wider. Sarpedon konnte durch das verrußte Bul lauge erkennen, wie sie immer näher rückte. Der Pilot steuerte den ruckelnden Hammerblade-Bomber genau auf das Ziel zu. Neben Sarpedon war Givrillians achtköpfiger Trupp mit an Bord. Elf weitere Schiffe, Hammerblades und Scalptakers, rasten in locke rer Formation auf die Geryon-Plattform zu. Sie würden sich auf der Oberfläche verteilen und an einem Dutzend verschiedener Punkte angreifen. Wenn sie erst einmal in das Innere der Plattform gelangt waren, würden sie sich wieder zusammenschließen, um die Geryon unter Kontrolle zu bringen. Wenn sie im Besitz der Plattform waren, würde dem Adeptus Mechanicus nichts anderes übrig bleiben, als den Seelen-Speer zurückzugeben. Dann könnten die beiden Ordens kreuzer die Seelentrinker auf der Plattform und die zweihundert Mann, die im Fort zurückgeblieben waren, aufnehmen. »Feindliches Feuer!«, ertönte die knisternde Stimme eines Piloten über das Vox. Sarpedon betrachtete die Holomatte, die inmitten des Laderaums der Hammerblade ausgelegt war. Die Rune, die zu Pho dels Trupp gehörte, blinkte auf. »Phodel, erbitte Bericht.« »Laserkanonenbatterien«, antwortete der Dienerpilot, bevor seine Stimme plötzlich von statischem Rauschen erstickt wurde. Sarpedon lugte aus dem Bullauge hinaus und sah rubinrote Laserstrahlen, die an den silbernen Punkten der behelfsmäßigen Angriffsflotte der See lentrinker vorbeizischen. Entgegen aller Ehrenhaftigkeit, Tradition und Loyalität zum Im
perium hatte sich das Adeptus Mechanicus zum Widerstand ent schlossen. Was als einfache Demonstration ihrer Stärke gedacht und als blitzschneller Überfall geplant war, um die Kontrolle über die Geryon-Plattform zu erlangen, würde zu einem Gemetzel ausarten. Und das nur, weil die Techpriester so stur waren. Tief in seinem Inneren hatte Sarpedon genau das befürchtet. Wer die Unverfrorenheit besaß, die Auserwählten des Imperators zu be stehlen, würde auch nicht davor zurückschrecken, ihnen den Krieg zu erklären. Er hatte es nicht für möglich gehalten, dass sich vernünftige Männer gegen die Seelentrinker stellen könnten. Aber wie es aussah, waren ihre Gegner alles andere als vernünftig. Plötzlich erhellten die sprühenden Funken einer Explosion die Schwärze des Weltalls, und die Voxverbindung zu Phodels Trupp brach ab. Ein Laserstrahl durchtrennte ein silbern glänzendes Objekt, das langsam auf die näher kommende Geryon-Plattform getrudelt kam. Sechs gute Marines waren gestorben, als die Scalptaker getrof fen wurde, ihre Flügel die Kante der Plattform berührten und sie schließlich gegen einen Stützpfosten geschmettert wurde. Das Schiff platzte auf und schleuderte Treibstoff und Maschinenteile gegen die gigantische Ordinatus-Plattform. Zwei der Runen blinkten noch − ein Marine und der Apothecarius aus Phodels Trupp waren noch am Leben. Sie hatten sich an der Hül le der Plattform festgeklammert und waren dem Vakuum hilflos aus gesetzt. Sarpedon beobachtete, wie auf dem Kommandodisplay ein halbes Dutzend Lebenszeichen erlosch. Sie waren die Ersten, die unter seinem Kommando gefallen war en. Die Hammerblade wurde heftig durchgeschüttelt. Givrillian und der Rest seines Trupps hielten sich im Laderaum an Streben und Balken fest. Als er aus dem Bullauge schaute, konnte Sarpedon die große Metallebene der Artillerieplattform und die riesige Geryonka none darauf erkennen. Allein ihre Mündung war groß genug, um seine ganze Angriffsflotte zu verschlucken. Sarpedon hatte ganze
Städte gesehen, die kleiner waren als das Netz von Rückstoßdämp fern, das die Kanone umgab. Er sah, wie drei weitere Seelentrinker schiffe im Sturzflug auf die freie Fläche zwischen den Sensoreinhei ten und den Antriebsraketen der Plattform zusteuerten. Schon jetzt hatte der Verrat des Adeptus Mechanicus das Leben mehrerer Space Marines gefordert, Männer, deren Wert den eines jeden Techpriesters übertraf. Jeder Seelentrinker, ob im Sternenfort oder als Teil der Angriffsflotte, würde von ihrem Tod erfahren. Ihre Herzen würden sich wegen des Verlusts ihrer Waffenbrüder verhär ten, während sie für ihre Kameraden flüsternd zu Dorn beteten. Sarpedon fühlte ihren Zorn, denn es war auch sein Zorn, der sich in kühle Entschlossenheit verwandelte. Jetzt begann der wahre Krieg. Die Truppen des Mechanicus hatten getötet, um ihr Diebesgut behal ten zu können. Und die Ehre befahl es Sarpedon, sicherzustellen, dass auch sie dafür starben. Überall auf der Plattform wurden Laser und Raketen abgefeuert. Grelle Energieblitze zischten am Bullauge vorbei, als die Schützen servitoren Sarpedons Schiff ins Visier nahmen. Aber es war nichts im Vergleich zu dem Inferno, das sie erwartet hätte, wenn sie die Unterseite der Plattform angegriffen hätten. Mit den Bombern wäre es ihnen möglich gewesen, die Antriebseinheiten und Munitionsde pots zu zerstören. Aber die Seelentrinker wollten die Plattform nicht vernichten − sie wollten sie entern. Das Schiff schlingerte heftig, als es gerade noch einem Laserstrahl ausweichen konnte. Die Marines schafften es nur mit Mühe, in der Schwerelosigkeit das Gleichgewicht zu halten. Dann tauchte die Plattform vor ihnen auf − von zwei weiteren Schiffen flankiert steuerten sie genau auf ein weites, verlassenes Feld zu. Unter dem Brüllen der Motoren konnte Sarpedon das Zischen heraushören, mit denen Laserstrahlen nur knapp an ihrem Schiff vorbeischossen und seine Hülle versengten. Eine weitere Hammerblade wurde getroffen und einer ihrer Flügel abgesprengt, sodass sie hilflos auf die Plattform zutrieb. Sarpedon
konnte den Aufprall zwar nicht sehen, aber weitere acht Lebensanzeigen waren erloschen. Dann ließ der Pilot das Schiff steil abtauchen. Sie waren fast am Ziel. Hügel aus Metall schossen an ihnen vorbei, und über ihnen er hellten Explosionen die Schwärze des Alls. Sie kamen relativ flach auf. Der Pilot nutzte die Energie des Auf pralls, um das Schiff abzubremsen, da die Hammerblade über keine Gegenschubraketen verfügte. Der Lärm, ein nicht enden wollendes metallisches Kreischen, war unerträglich. Sie fällten Stützpfosten, und die Hülle des Schiffes löste sich langsam in ihre Bestandteile auf. Der Boden, auf dem sie standen, warf Risse, durch die sie die metallene Oberfläche der Plattform an ihnen vorbeirauschen sahen. Der ganze Laderaum wurde wie von einer gigantischen Faust durch geschüttelt. Sarpedon beobachtete den Piloten dabei, wie er mit den Kontrollen kämpfte. Die Windschutzscheibe zersprang. Zischend entwich die Luft aus dem Raum. Schweiß lief über seine Atemmas ke. Dann kamen sie zum Stehen. Die Beleuchtung war ausgefallen, und das Kommandohologramm war nur noch als ein undeutlicher grüner Fleck in der Dunkelheit zu erkennen. »Bericht!« Sie zählten durch. Alle hatten die Landung überstanden. Sollte der Diener überleben, hätte er eine angemessene Ehrung verdient. »Die Ausstiegsluke klemmt«, sagte der Pilot völlig außer Atem. »Kümmere dich darum«, sagte Givrillian mit einem Blick auf Bruder Thax, der sich im Heck des Schiffes befand. Im Gravitationsfeld der Plattform herrschte wieder normale Schwerkraft. Thax trat vor und setzte den Laserschneider an, der zur Ausrüstung eines jeden Trupps gehörte. Er schnitt ein rundes Loch in die Seite des Schiffes. Außer dem statischen Rauschen des Vox war nichts zu hören. Sie mussten unbedingt eine Atmosphäre erreichen, in der sie at men konnten. Bestimmt hatten die Mechanicus ihre Voxverbindun
gen unterbrochen, und sie waren daher auf mündliche Verständigung angewiesen. Durch das Loch sah Sarpedon das neue Schlachtfeld. Es war eine riesige Ebene aus vernieteten Stahlplatten, die mit Bergen aus Ma schinen und massigen Bunkern übersät war. Über ihnen ragte düster die riesige Kanone, in deren mächtigem Rohr sich die glühende Scheibe Lakonias widerspiegelte. Givrillian stand mit entsichertem Bolter neben ihm, als der Rest des Trupps aus dem Wrack der Hammerblade stieg. »Einen halben Kilometer westlich von uns befindet sich ein Nachschubtunnel für Munition, Hauptmann. Sollen wir dort eindringen?« »Bring uns dorthin, Sergeant.« Die Marines bewegten sich schnell über die Plattform. Sie hatten sich um Sarpedon formiert. Thax, mit seinem Plasmagewehr bewaff net, bildete die Spitze. Zwei Marines liefen rückwärts, um die hintere Flanke zu decken. Der rechteckige Eingang zum Munitionstunnel war mit Metalllamellen verkleidet − wahrscheinlich konnten sie durch ihn in die Plattform gelangen. Andererseits war der Tunnel mit Sicherheit auch dem Feind aufgefallen, der ihn jetzt unter allen Um ständen verteidigen würde. Also gut. Sollten sie es versuchen. Sie wussten anscheinend nicht, was es bedeutete, sich mit den Seelentrinkern anzulegen. Sarpedon öffnete den Voxkanal auf Truppenfrequenz. Sofort war sein Helm von nur allzu vertrauten Kampfgeräuschen erfüllt. »Phodels Trupp ist vernichtet. Ich sehe …« »… schwer getroffen. Wir haben Verletzte unter uns und bewegen uns in Richtung des zweiten …« »… Druckanzüge und Energiewaffen. Stehen unter Beschuss …« Sie verloren Männer. Aber das war bei dem Risiko, das sie einge gangen waren, unvermeidlich gewesen. Wären sie inmitten feindli cher Heerscharen gelandet und hätten sie die Möglichkeit, zurückzu schlagen, sähe das alles ganz anders aus. Aber es gab keinen anderen Weg. Sie hatten sie dazu gezwungen. Dieser Abschaum hatte es nicht
verdient, den Imperialen Adler zu tragen. Jetzt zeigte er sein wahres Gesicht. Er genoss diesen Gedanken. Reinheit durch Zorn. Würde durch Zorn. Er hielt sich an den achttausend Jahre alten Worten des Krie gerphilosophen Daenyathos fest wie ein Ertrinkender an einem Fel sen inmitten einer stürmischen See. Reinheit durch Zorn. Würde durch Zorn. Auf dass das Feuer in dir die Feuer um dich herum entzünden möge. Langsam konnte er sich ein Bild von der Situation machen. Ihr erstes Schiff war unbeschädigt gelandet und war auf wenig Wider stand gestoßen. Zwei Schiffe waren abgeschossen worden. Mindes tens vierzehn Marines hatten ihr Leben lassen müssen, unter ihnen Sergeant Phodel mit seinem Trupp und zwei Techmarines. Die ande ren beiden meldeten sich nicht. Wie nicht anders zu erwarten, war Tellos’ Trupp bereits in die Plattform eingedrungen. Sie stürmten den Hauptkorridor und hatten allen feindlichen Truppen, die ihnen entgegengetreten waren, mit Melterbomben und Blasterfeuer den Garaus gemacht. Kettenklingen, die durch Knochen fuhren, waren das konstante Hintergrundgeräusch des Kommverkehrs. Laserstrahlen schossen lautlos über sie hinweg, als Sarpedon und Givrillian mit seinem Trupp den Rand des Munitionstunnels erreich ten. Die Sprenggranaten konnten genug Lamellen absprengen, um einen Eingang zu schaffen. Im Vakuum erzeugten die kleinen, pan zerbrechenden Sprengladungen ungewöhnliche Implosionen. »Los! Los!« Die Marines sprangen schnell hintereinander in den Schacht. Thax war der Erste, gefolgt von Givrillian und Sarpedon. Der Schacht führte beunruhigend steil in das Innere der Plattform, und die Mari nes hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Sarpedon versuchte, sich zu orientieren. Der Schacht verlief entlang des riesigen Maschi nenbergs, den die Rückstoßdämpfer und Lademechanismen der Ge ryon bildeten, bis hin zum Paradedeck, von dem aus die Seelentrin
ker die Plattform sichern konnten. Sie waren auf dem richtigen Weg. »Das Auspex ist tot«, sagte Givrillian. »Störsignale.« Weiter ging es in die Eingeweide der gigantischen Maschinerie. Durch Gitter im Schacht konnte Sarpedon mit seinen verbesserten Augen riesige Zahnräder erkennen, die sich langsam drehten. Kolben bewegten sich in einem fremdartigen Rhythmus. Der Voxempfang war gestört. Er konnte Kampfgeräusche hören, wusste aber nicht, woher sie kamen. Für einen Augenblick war Tellos’ triumphierendes Heulen zu hören. »Kontakt!«, kam ein Schrei von unten. Sekundenbruchteile später strömte ein starker Luftstoß in den Schacht. Atmosphäre. Sie waren auf die Techgardisten gestoßen. Vom Grund des Schachtes leuchtete grell Thax’ Plasmagewehr auf, das mit Gegenfeuer beantwortet wurde. Sarpedon riss sich den Helm vom Kopf. Die Luft roch nach Maschinenöl. Er sprang nach vorne. »Für Dorn!«, schrie er mit erhobenem Energiestab. Kontakt. Als Techgardist Grik das Ansaugrohr öffnete, strömte heulend Luft in den Schacht. Der Maschinengeist der 674-XU28 befahl der Platt form, die Verladetunnel mit Sauerstoff zu füllen, damit die Sechser ohne Furcht vor dem Tod im Vakuum kämpfen konnten. Solange sie auf der Plattform waren, konnten sie sichergehen, dass das Schlacht feld selbst auf ihrer Seite war. Der Schacht, durch den der Feind eindrang, endete in einem Mu nitionsschieber, einer riesigen Maschine aus gebürstetem Stahl, auf der Bronzesymbole und Maschinengebete eingraviert waren. Wenn sich die großen Zahnräder dahinter bewegten, verwandelte sich die Maschine in einen riesigen Schlund, der Granaten verschluckte und in die Ladekammern der Waffensysteme spuckte. Jetzt hatte der Schieber die Richtung geändert, um die Sechser in die Nähe des Feindes zu bringen.
Die sechsundzwanzig Mann starke Techgardisteneinheit hatte sich am Ende des Schachtes postiert. Fackeln flammten in der gewunde nen Dunkelheit auf. Klayden hob eine metallene Hand. Für ein, zwei anstrengende Sekunden warteten sie lauschend. Dann war im Schacht ein Schrei zu hören. Die Angreifer waren anscheinend in Panik geraten. Sie wussten, dass man auf sie auf merksam geworden war und versuchten, den Rückzug anzutreten. Der Schacht war zur Todesfalle geworden. Klaydens Hand ballte sich zur Faust. Angriff. Die beiden mit Flammenwerfern ausgerüsteten Sechser stürmten vor und zielten mit ihren Mündungen in den Schacht. Nachdem sie ihn mit Feuer frei geräumt hatten, würden die Laser- und Melterwaf fen den Rest erledigen. Plötzlich ergoss sich aus dem Schacht weiß glühendes, flüssiges Plasma mit einem durchdringenden Donnern über die Männer mit den Flammenwerfern. Einer von ihnen wurde sofort zu Asche ver brannt. Der Gestank verbrannten Metalls drang in Kivs Nase. Sofort ließ er eine Granate in die Kammer seiner Waffe gleiten. Kiv konnte einen kurzen Blick auf die Angreifer werfen. Im Schein des Gewehrfeuers erkannte er purpurfarbenes Ceramit, das Blinken eines jadegrünen Okulars, das Glänzen von Knochen. Der zweite Techgardist hatte die Hälfte seines Körpers verloren. Das Fleisch tropfte von seinem skelettierten Arm, und man konnte seine Rippen sehen. Er war direkt in das Feuer des Plasmagewehrs geraten. »Space Marines!«, keuchte er und starb. »Schockgranaten!«, schrie Klayden, als aus dem Schacht abge feuerte Boltergeschosse die Techgardisten durchlöcherten und von Maschinenteilen abprallten. Kiv war ihre letzte Hoffnung. Seine Schockgranaten waren im stande, die Rüstung der Marines zu durchdringen und ihre Sensoren nutzlos zu machen. Zusammen mit seinem Granatwerfer würde er eine elektromagnetische Welle auf die Marines loslassen, die sie
blenden und ihre Rüstungen zerstören würde. Um ihn herum starben seine Kameraden. Einer wurde von einer Bolterkugel regelrecht ge köpft. Geschosse pfiffen Kiv um die Ohren, Schrapnelle flogen, Rauch stieg auf. Er zielte, bereit, den purpurfarben gerüsteten Gestalten im Schacht eine Schockgranate zu verpassen. Der Granatwerfer bewegte seinen Finger zum Abzug. Für die Ordnung. Für die Logik. Für den Omnissias. Dann schoss ein knisternder Schaft aus Arunholz aus dem Schacht und durchbohrte Kivs Auge. Sarpedons erste Feindberührung war ein blasser Techgardist mit geschorenem Kopf in einer rotbraunen, gesteppten Schutzweste. Sei ne Haut war von Kabeln und Kontaktdrähten übersät. Die Entschlos senheit in seinem Gesicht wollte nicht so recht zu seinen jugendli chen Zügen passen. Mit einer Drehung aus dem Handgelenk befreite Sarpedon seinen Energiestab aus dem Soldaten. Ein Dutzend Techgardisten leistete Gegenwehr. Sarpedon wünschte sich zum hundertsten Mal, er wüsste, wie stark die feindli che Armee war. Hundert? Tausend? Fünftausend? Wie viele von ihnen mussten sie zur Strecke bringen, bis ihre Ehre wiederherges tellt war. Egal, sagte er sich. Die Techgardisten waren nur einfache Men schen, nicht mehr. Sarpedon befand sich jetzt mitten im Gefecht. Um ihn herum feuerten Marines aus ihren Boltern. Er selbst jagte drei Kugeln in die Brust des nächsten Soldaten und trennte einen Arm ab, der ein HELasergewehr hielt. Givrillian stürzte sich auf ihren halbbionischen Anführer und warf ihn zu Boden. Mit dem Griff seines Bolters zertrümmerte er seinen Schädel. Trotzdem schaffte es die bionische Hand des Anführers, große Stücke aus der Ceramitschulterplatte des Sergeants herauszu reißen. Als Blut floss, rammte Givrillian eine Faust durch seinen Brustkorb.
Ein Waffenbruder zerrte Givrillian von ihm weg, sodass Thax freie Schussbahn auf die sich zurückziehenden Techgardisten hatte. Einer wurde komplett durchbohrt, andere wurden mit supererhitztem Plasma bespritzt. Sie fielen schreiend zu Boden und gingen in Flam men auf. Die Marines kämpften sich langsam durch die Maschinerie und töteten ihre Feinde, noch bevor diese überhaupt Zeit zu schreien hatten. Sarpedon gab dem Letzten der Verwundeten mit seinem Energie stab den Rest. »Eintrittspunkt sichern, Hauptmann?«, fragte Givrillian. Sarpedon deutete den breiten Tunnel aus schwarzem Metall hi nunter. »Dafür ist keine Zeit, Sergeant. Vorrücken und das Ziel nicht aus den Augen verlieren.« Lärm durchflutete den Raum wie Donner einen Himmel aus Stahl. Rostflocken fielen von den erzitternden Wänden. Die großen Ma schinenteile setzten sich in Bewegung. Sarpedon konnte erkennen, wie sich die Zahnräder langsam drehten. Die Maschine war aktiviert. Die Ausgeburt der 674-XU28 hatte sie verschlungen. Nikros, der einzige Marine aus Phodels Trupp, der den Aufprall des Schiffes überlebt hatte, war es gemeinsam mit Apothecarius Daiogan gelungen, in das sekundäre Munitionsmagazin der Plattform einzud ringen. Sie hatten Sprenggranaten in die Munitionsvorräte der Mak rokanonen gelegt. Dann verließ sie das Glück, und sie wurden von einem Trupp Belagerungstechniker entdeckt und festgenagelt. Daio gan starb in einem Kugelhagel aus schweren Boltern, Nikros wurde schwer verwundet. Dann gingen die Granaten hoch, und alles im Umkreis von zwei hundert Metern, Nikros eingeschlossen, verbrannte zu Asche. Ein großer Teil der Plattform löste sich ab. Als der Luftdruck rapide sank, starben ein Dutzend Techniker, die es nicht rechtzeitig ge schafft hatten, ihre Atemmasken anzulegen. Als sich die Schotten um
das Leck herum schlossen, hatten Nikros und Daiogan mehr als drei hundert Techgardisten persönlich zur Hölle geschickt. Graevus, Sergeant des Angriffstrupps, schloss sich mit zwei weiteren Einheiten zusammen und bildete einen Verteidigungsgürtel um eine riesige Andockstelle auf der sonnenzugewandten Seite der Plattform. Er hatte die Stellung wie eine befestigte Stadt gestürmt. Genau wie aus dem Lehrbuch. Daenyathos wäre stolz auf ihn gewesen. Seine Truppen hatten sich durch die Techgardisten gekämpft und schließ lich jenen haushohen Knoten aus Drähten und Instrumenten erstürmt, der den für die Plattform zuständigen Ableger des Maschinengeistes der 674-XU28 beherbergte. Mehrere Einheiten von Techgardisten hatten ihre Waffen abgelegt, um nicht versehentlich einen der heili gen Cogitatoren oder Wissenskanäle zu beschädigen. Sie hatten mit bloßen Händen angegriffen. Graevus war ein eiskalter Killer, der keine Zeit für solche Mätz chen hatte. Er erledigte sie mit seiner Energieaxt. Derweil versuchte Techmarine Lygris, die Verbindung zwischen dem Maschinengeist und den Kontrollen der Geryon zu unterbrechen. Tellos hatte mit Melterbomben ein Loch in die Oberfläche der Platt form gesprengt. Vom Dachgerüst war er direkt in die Heerschar der Techgardisten gesprungen, die sich auf dem hohen, weiten Parade deck gerade auf den Kampf vorbereiteten. Mit seinem Trupp gelang es ihm, einen Brückenkopf in der Nähe der gewaltigen Rückstoß dämpfer zu erobern. Die Angriffstrupps, die es durch die Hülle der Plattform bis zum Paradedeck schafften, sammelten sich dort. Tellos stand auf einem Leichenberg. Energie- und Lasergeschosse zischten an ihm vorbei. Marines kletterten zu ihm hinauf, um neben ihm zu kämpfen und zu sterben. In scheinbar endloser Zahl strömten die Techgardisten in die Todeszone, die er für sie vorbereitet hatte − er allein übernahm die wichtige Aufgabe, sowohl die Anzahl als auch die Moral der Soldaten zu minimieren, damit sich die versprengten
Seelentrinker um ihre eigentlichen Missionsziele kümmern konnten. Die Maschinerie spuckte Sarpedon und Givrillian sowie dessen Trupp in ein Sammelbecken für Schmierstoffe. Sie waren ungefähr auf halber Höhe der gigantischen Rückstoßdämpfer des Paradedecks. Vor ihnen öffneten sich Metallmandibeln, und sie taumelten in den rutschigen Graben des Sammelbeckens. Grünschwarzes Schmieröl ergoss sich über sie. Bruder Doshan war in das gähnende schwarze Loch des Sammelbeckens gezogen worden, bevor sich Givrillian und der Rest des Trupps dem öligen Strom entgegenstellen konnten. Sarpedon richtete sich auf und spähte über den Rand des Grabens. Sie befanden sich mindestens hundertfünfzig Meter über dem Para dedeck. Aus einer Ecke der Plattform stiegen Flammen in Form einer riesigen Halbkugel auf. Dort war wenige Minuten zuvor das Magazin in die Luft gesprengt worden. Überall behinderten Rauchwolken die Sicht. Auf dem Deck der Geryon versuchten Gruppen von Techgar disten verzweifelt, ihr Unterstützungsfeuer zu koordinieren. Schwärme von Soldaten strömten über das in Korridore und Sektio nen unterteilte Paradedeck in die Mitte der Plattform. Sie liefen in ihr Verderben. Die Leichen türmten sich so hoch auf, dass die Angreifer gezwungen waren, über ihre eigenen Gefallenen zu klettern, um die Marines überhaupt zu Gesicht zu bekommen. Die taktischen Trupps, die es bis hierher geschafft hatten, bestrichen die anstürmenden Techgardisten mit einem disziplinierten Teppich aus Bolterfeuer. Immer wieder durchbrachen sie die feindlichen Ang riffslinien und gingen zum Gegenschlag über. Wie nicht anders zu erwarten war Tellos an vorderster Front. Sei ne Rüstung war schwarz vor Blut, das auch in Strömen sein Gesicht herunterlief. Es regnete förmlich von den Zähnen seines Ketten schwerts. Mit den verbesserten Augen konnte Sarpedon erkennen, wie er mit einem Schlag zwei Männer fällte, ohne dabei auf den Schuss aus einem HE-Lasergewehr zu achten, der sich wie Klauen spuren in seine Rüstung grub.
»Eine Nachricht von Lygris, Sir!«, schrie Givrilian. »Er hat die Verbindung zum Maschinengeist gefunden.« »Er soll mich auf dem Laufenden halten. Wir versuchen, ihm so viel Zeit wie möglich zu verschaffen.« »Aye, Hauptmann!« Lygris war ein guter Mann. Er wusste, was zu tun war. Jede Schlacht war hart. Das Sternenfort einzunehmen war schwie rig gewesen. Dies hier war viel schlimmer. Die Mutanten der Van Skorfolds waren zwar zu allem entschlossen, aber schlecht ausgebil det gewesen. Die Techgardisten dagegen waren exzellente Kämpfer, bewaffnet mit dem Besten, was das Mechanicus herzustellen wusste. Das Sternenfort war nur eine Übung gewesen − dies hier war der richtige Krieg. »Mir nach!«, schrie Sarpedon. Die Marines hatten gerade ihre De ckung verlassen, als einige Nachzügler der Techgardisten sie ent deckten und in Feuerstellung gingen. Hierfür war er geboren worden. Deshalb hatte der Imperator auf ihn herabgesehen und ihn zum Krieger erwählt. Als die Seelentrinker zu ihrem einjährigen Großen Rekrutierungszug aufgebrochen waren, hatten sie einen starken, tapferen Jungen entdeckt, der sich auszeich nen wollte und nicht einmal die Giganten in ihren riesigen Rüstungen fürchtete, die aus ihrem Raumschiff stiegen, um ihn zu begutachten. Er wollte kämpfen. Er wollte im Blut seiner Feinde baden. Er war der festen Überzeugung, das jeder Stoß und jeder Schuss dem Wohle der Menschheit diente und dem Imperium zur Ehre gereichte. Dafür war Tellos geboren. Diese Techgardisten lernten schnell, was nicht verwunderlich war, da es schließlich um ihr nacktes Überleben ging. Ihr Vorteil lag in den schnellen Feuerstößen ihrer durchschlagenden Energiewaffen. Sie griffen pausenlos von allen Seiten an. Wie jeder Seelentrinker wusste auch Tellos von der Macht der Psychologie in der Hitze des Gefechts. Er wählte eine gegnerische Einheit aus, machte sie komp
lett nieder und beobachtete, wie der Rest der Feinde ungläubig auf das klaffende Loch in ihrer Angriffslinie starrte. Sie schwankten und flohen. Dann starben sie. Für einen Krieger bedeutet der Rückzug aus einer Schlacht fast immer den sicheren Tod. Er tauchte buchstäblich in die Masse der Gegner ein. Mit der Klinge voran sprang er in einen Haufen Techgardisten. Zwei von ihnen bedienten eine bronzeverkleidete Maschinenkanone. Er traf sie mit der Schulter, wobei er dem einen den Brustkasten eindrückte und dem anderen mit seinem Kettenschwert beide Beine abtrennte. Sein Kampfmesser, das er in der anderen Hand hielt, jagte er einem Mann an der Maschinenkanone hinter dem Kiefer in den Kopf. Tellos dreh te die Klinge herum und fühlte einen knorpeligen Ruck, als sich der Kiefer vom Schädel löste. Eine Blutfontäne spritzte aus der Wunde. Dann erfüllte ein brennender Schmerz seinen Arm − ein Schuss aus einem HE-Lasergewehr, präzise und durchschlagskräftig, hatte ihn getroffen. Er durchbohrte seinen Muskel. Sofort wurden schmerzstillende Mittel in seine Adern gepumpt. Er zerteilte den Schützen mit einem wilden Aufwärtsschwung seiner Klinge. Eine Anfängerattacke, die Tellos für einen Moment jeder Deckung be raubte. Jeder Feind, der nicht in Panik geraten war, würde sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Da wusste er, dass sie gesiegt hatten. Die Techgardisten hatten nicht einmal mehr die Nerven, um selbst einfachste Angriffe abzu wehren. Manchmal war es nötig, elegant und mannhaft zu kämpfen − hier kam es nur auf rohe Gewalt an. Er liebte beides. Die hohe Kunst des ehrenvollen Krieges und den glorreichen Rausch des rechtschaffenen Abschlachtens. Schon bevor ihn die Space Marines aufgenommen hatten, hatte er beides gekannt. Deswegen hatten sie ihn auserwählt. Sein Trupp folgte ihm, schoss in die Rücken der Flüchtenden und machten jeden nieder, der ihnen in die Nähe kam. Die taktischen Marines dahinter schickten Feuersalven über ihre Köpfe in die Ma schinenteile und verhinderten so jedes effektive Gegenfeuer.
Aus einem Versteck heraus wurde ein Lasergewehr abgefeuert, und ein Marine wurde von einem dicken, blutroten Melterstrahl fast in zwei Hälften geteilt. Ein anderer erlitt einen schweren Bauch schuss aus einer Laserwaffe und musste mitgeschleppt werden, als sich der Angriffstrupp neu formierte. Jetzt waren sie eingeschlossen. Sie würden hier sterben. Tellos’ halber Trupp war bereits kampf unfähig. Nur wenige würden je wieder kämpfen können. Die überle gene Waffentechnologie des Feindes riss schreckliche, unheilbare Wunden. Pallas, der Apothecarius, der sich mit einer Handvoll takti scher Marines bis zu Tellos’ Position durchgeschlagen hatte, war schwer damit beschäftigt, die Gensaat der Gefallenen einzusammeln und seine Waffenbrüder zusammenzuflicken. Aber sie hatten Hunderte, wenn nicht Tausende niedergemacht. Irgendwann musste auch der schier endlose Strom von Techgardisten versiegen. Es war kein leichtes Unterfangen, einen Marine zu töten. Sie gaben nie auf. Tellos, der aus einem Dutzend Wunden blutete, verspürte eine Kampfeslust wie nie zuvor. Wenn sie hier sterben mussten, dann sollte es so sein. Aber sie würden gewinnen. Tellos hörte einen Schrei. Mit Schrecken musste er feststellen, dass er von einem Space Marine stammte. Plötzlich war Vorts’ Trupp unter Beschuss. Sein Autosensorium schirmte seine Augen gegen den grellen Blitz ab. Funken sprühten aus dem zerstückelten Körper eines Marines aus Vorts’ Einheit. Unbekannte Feinde fielen ihnen in den Rücken. Mit übermenschlicher Gewandtheit sprangen sie von den Wänden über Konsolen und Leichenberge. Ihre Haut war von einem wirbelnden Muster überzogen, dessen Helligkeit die Augen eines normalen Menschen verletzt hätte. Aus ihren Fingern und Augen strahlten Blitze, die sich auf ihren nackten Oberkörpern widerspiegelten. Sie bewegten sich so schnell, dass Vorts und seine Männer keine Chance auf einen Gegenschlag hatten. Elektropriester, ein halbes Dutzend. Tellos hatte noch nie einem von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden. Es gab nur wenige dieser fanatischen Derwische des Maschinenkultes, aber ihre Töd
lichkeit war Legende. Er stellte sich ihnen entgegen. Dafür war er geboren. Einer wurde von den Geschossen aus einer Boltpistole niederge mäht. Ein anderer wurde im Sprung von einer Kettenklinge aufges pießt. Der Rest war plötzlich mitten in Vorts’ Trupp. Ein Helm ex plodierte unter einer elektrifizierten Hand. Einer elektrische Entla dung schleuderte einen Marine zwanzig Meter weit durch die Luft. Rauch quoll aus seiner zerschmetterten Brustplatte. Tellos wählte ein Ziel aus und griff an. Hände, härter als syntheti scher Stahl, schlugen auf ihn ein. Die Augen des Elektropriesters glänzten silbern und ausdruckslos. Er zuckte und wand sich schnel ler, als es einem Marine je möglich gewesen wäre. Der Priester wir belte herum und landete einen Handkantenschlag auf Tellos’ Knie. Der Sergeant konnte sich kaum noch aufrecht halten, als die Schockwelle durch sein Bein fuhr. Er spürte, wie der verkohlte Mus kel mit der Innenseite seiner Rüstung verschmolz. Dieses Ding vor ihm musste sterben. Er wich aus. Funken sprühend drang seine Klinge in den Ober körper des Priesters. Aber er war noch am Leben und packte die Ket tenklinge mit brennenden Fingern. Der Mechanismus der Klinge zerbrach, und Sägezähne wurden wie Schrapnelle in alle Richtungen geschleudert. Mit dem Messer ging Tellos zum Gegenangriff über. Er zielte auf jene Stelle zwischen den Rippen, hinter der das Herz des Ketzers schlug. Mit unmenschlicher Schnelligkeit packte der Priester sein Handgelenk. Ein Stromschlag durchfuhr ihn. Er konnte sich nicht befreien. Der Griff des Priesters haftete an ihm wie ein starker Magnet. Tellos wollte ihm gerade das defekte Kettenschwert ins Gesicht rammen, als der Priester auch seine andere Hand packte. Jetzt war der Strom kreis geschlossen. Für den Bruchteil einer Sekunde erhielt er einen unglaublichen Stromstoß. Dann gelang es ihm mit letzter Kraft, sich loszureißen. Tellos landete hart auf dem Rücken und sah, wie der Priester sich
wieder aufrichtete. Aus den Wunden, die das Kettenschwert geschla gen hatte, drang Rauch. Tellos bemerkte, dass der Priester zwei pur purfarbene Panzerhandschuhe − von woher auch immer er die haben mochte − in den Händen hielt. Dann schaute er an sich herab und erblickte die verkohlten Stümp fe, wo seine Hände gewesen waren. Der Priester hatte seine Hände. Alles verschwamm vor seinen Augen. Das Summen in seinen Oh ren glich einer Totenklage. Irgendjemand packte ihn. Aus den Au genwinkeln erkannte er Pallas’ weiße Schulterpanzer. Der Apotheca rius hatte ihn am Kragen gepackt und zog ihn mit sich, während er gleichzeitig die Ladung seiner Boltpistole in das Gesicht des Elekt ropriesters pumpte. Seine Hände. Das war das Ende. Er würde hier sterben. Genauso, wie er gebo ren wurde, um zu kämpfen, war es ihm auch vorherbestimmt, hier zu sterben, verstümmelt und gebrochen, umgeben von seinen Waffen brüdern und den Leichen seiner Feinde. Es war kein Grund zur Trauer. Seine Legende würde weiterleben. Aber er hätte noch so vieles bewirken können, so vieles … Etwas Riesiges, Dunkles landete vor ihm. Es war sein Haupt mann. Sein Stab und die Aegisrüstung waren von Energie umgeben. Tellos war froh. Sein Hauptmann würde Zeuge seines ruhmvollen Todes sein. Sarpedon war entschlossen, den Techgardisten das zu geben, was sie verdienten: Die Hölle. Was fürchteten sie? Diese Frage war zu einfach. Er musste einen Schritt zurückdenken − was wollten sie? Sie wollten Ordnung, Logik und einen Schlüssel zum Universum. Sie wollten eine Galaxie, in der die Gesetze des Maschinengottes die Wirklichkeit bestimmten! Also fürchteten sie Unordnung und Anarchie, Verwirrung und Wahnsinn, Gefühl und Wut. Das war ihre Hölle.
Aus irgendeinem Grund machte es ihm die Tatsache, dass er diese Männer einst als seine Verbündeten betrachtet hatte, viel leichter. Weder das Mal des Xenos noch die Unreinheit der Mutanten waren so schlimm wie Verrat − ein Ding aus blanker Boshaftigkeit, das er leicht durchschauen konnte. Diejenigen, die sich mit dem Übel des Chaos verbündeten, waren ebenfalls Verräter am Imperator und an der Gerechtigkeit des Universums. Deshalb war es der Verrat, den die Marines mehr als alles andere verachteten. So gesehen war es sehr einfach. Er ließ Die Hölle in seinem Inneren aufsteigen. Von den Leichenbergen auf dem Boden bis hin zum im Schatten liegenden Überbau der Plattform durchflutete sie den Raum. Die Schreie der Sterbenden verwandelten sich in blutgieriges Brüllen. Es roch nach Schwefel und Blut. Irrsinnige Farbkreisel wirbelten durch die Luft. Tödliche Rostflecken breiteten sich wie Blutlachen aus den Händen großer, gespenstischer Rostphantome aus. Die Techgardisten flohen, und die Elektropriester wanden sich in Verwirrung und Zorn. Sie konnten weder fliehen noch weiterkämp fen. Nicht bei derart mächtigen Bildern, Geräuschen und Gerüchen der Unordnung, die sie umgaben. Der Rest von Vorts’ Trupp erledig te sie mit ihren Kettenschwertern. Die Sägezähne drangen funkenschlagend durch ihre Haut in ihre hyperaktiven Organe ein. Sarpedon ging einen Schritt weiter. Auf dem Paradedeck war das Ächzen zerbrechender Maschinen zu hören. Die Schatten zerfallen der Zahnräder und brüchigen Mauerwerks fielen durch die Dunkel heit. »Angriff!«, schrie Pallas und attackierte die überlebenden Feinde. Vorts und Givrillian stürmten, die Bolter im Anschlag, durch die Verschanzungen der durch Die Hölle völlig verwirrten Techgardis ten. Bolterfeuer zerriss Schutzwesten und bionische Torsi. Aus der Ferne war Graevus’ Trupp zu hören, der sich von den Ventilations schächten direkt auf die Köpfe der Belagerungstechniker abseilte. Graevus’ Axt blitzte auf, ein strahlend blauer Diamant, der den blut
roten Nebel durchschnitt. Sarpedon schloss sich den drei Überlebenden aus Vorts’ Trupp an und rannte mit Vorts zu einer Geschützstellung, die die Techgardis ten hatten aufbauen wollen. Zwei Laser- und eine automatische Ka none mit einer Crew von sechs Mann, beschützt von etwa dreißig Techgardisten, erwarteten sie auf einer gepanzerten Stellung, die um einige Cogitator-Speichereinheiten errichtet worden war. »Lygris«, voxte Sarpedon, während er lief. »Wird die Plattform vom Maschinengeist des Schiffs kontrolliert?« »Ja, Herr.« »Finde heraus, wie er mit der Besatzung kommuniziert. Vielleicht auf mündlichem Weg − dann will ich eine Aufnahme. Du hast zwan zig Sekunden.« »Ja, Herr.« Er brauchte fünfzehn. Da war Sarpedon schon hinter Vorts’ Trupp über die Barrikaden gesprungen. Er sah, dass der Maschinengeist über Voxlautsprecher, die über die ganze Plattform verteilt waren, mit der Besatzung sprach. Die männliche Stimme war kultiviert und hatte einen leicht aristokratischen Einschlag − beruhigend, vertrauenerweckend, sanft und intelligent. Perfekt. Wieder ging er einen Schritt weiter. Er bemerkte kaum, wie er mit dem Energiestab einem Soldaten, der gerade feuern wollte, den Arm abtrennte. Er war mit Der Hölle beschäftigt. Was fürchteten sie? »Sterbt«, dröhnte die Stimme des Maschinengeistes. »Sterbt. Sterbt. Sterbt.« Die meisten durchschauten den Trick auf Anhieb. Aber das änder te nichts. Allein die Möglichkeit, dass ihre geliebte Maschine, das Einzige, dem sie im ganzen Universum vertrauen konnten, sich ge gen sie wenden könnte, ließ sie vor Angst erstarren. »Sterbt.« Und das taten sie. Vorts und seine Männer erschossen sie zu Dut
zenden, und die Kettenschwerter aus Vorts’ Trupp mähten sie regel recht nieder. Sarpedon erschlug eine ganze Reihe von Techgardisten, die blindlings in die Luft feuerten oder schreiend davonrannten. Sie formten einen Korridor auf dem leichenübersäten Schlachtfeld, durch den weitere Seelentrinker vorrücken konnten. Langsam kreisten sie die Haufen der in Panik geratenen Techgardisten ein und metzelten sie nieder. Aber auch wenn sie alle bis zum letzen Mann niedermachten, konnte sie die Schlachtflotte des Administratums jederzeit vernich ten, sobald sie bemerkt hatte, dass sie die Plattform geentert hatten. Sie hatten nur etwas Zeit gewonnen, mehr nicht. Hoch über dem Paradedeck befand sich der dunkle, kalte Speicher komplex, den Graevus in den ersten Minuten des Angriffs gestürmt hatte. Techmarine Lygris und ein weiteres Dutzend Marines nahmen einen Cogitatorstapel auseinander, der aus einem Wirrwarr aus Spei cherbänken, metallüberzogenen Leitungen und scheinbar endlosen Kabelsträngen bestand. Die Schreie der Sterbenden und die Schüsse drangen nur schwach von unten herauf und hallten unheimlich durch den Halbschatten des Speicherkomplexes. Die Marines rissen eine rostige Metallplatte aus dem vier Meter hohen, obeliskenförmigen Cogitatorstapel. Darunter befand sich ein Knäuel bunter Kabel. Lyg ris griff hinein und zerrte ein Bündel daraus hervor. »Das machen wir auf altbewährte Art und Weise«, sagte er grim mig und zerschnitt mit der Schere seines Servoarms das mannsdicke Hauptkabel. Mit einer gewaltigen elektrischen Entladung erloschen Hunderte Lichter auf den Kabeln und Cogitatoren über ihm. Fürs Erste war die Verbindung zwischen dem Maschinengeist und der Geryon unterbro chen. Lygris holte das Interface aus seinem Rückenmodul − ein Kabel bündel, das mit einem scharfen silbernen Dorn versehen war. Er be nutzte es nur selten, kannte es aber in- und auswendig. Seinen Nut
zen konnte man jemandem, der mit den Lehren des Maschinenkults nicht vertraut war, nur schwer erklären. Jedenfalls war er im Begriff, etwas zu tun, wozu nur höchste Stellen innerhalb des Kultes berech tigt waren. Obwohl er ein Seelentrinker war, die Krone der Mensch heit, machte er sich hiermit eines Vergehens schuldig, das die Tech priester vor Verzweiflung aufheulen lassen würde. Aber es war der sicherste Weg. Der einzige Weg. Er zog an einem Bündel identischer Speicherkabel. Sie pulsierten im Takt der Information, die sie durchströmte. Er fand einen An schluss und verband die Kabel mit dem Interface. »Gebt mir Deckung«, sagte er und warf einen Blick in die Runde. »Ich werde für ein paar Minuten bewusstlos sein.« »Jawohl, Sir.« Lygris nahm das Kabel des Interface und rammte den Dorn in sei nen Hinterkopf. Seine Augen rollten in seinen Kopf, und seine Arme erschlafften. Davon bemerkte er nichts. Sein Geist war erfüllt vom weißen Licht des Wissens − schon eine ganz normale Verbindung zu einem Impulsgeber hätte einem ungeübten Mann jede Orientierung genommen, aber dies war alles andere als normal. Die Daten aus dem Mechanicusschiff und der Plattform strömten durch ihn hindurch, viel zu viele, um sie zu filtern, geschweige denn, sie aufzunehmen. Er wusste, dass er keine direkte Verbindung herstellen konnte − niemand hatte diese Fähigkeit. Wenn jemals so eine Technologie existiert hatte, war sie seit Zehntausenden Jahren verschollen. Er musste sich konzentrieren, die Systeme finden, nach denen er suchte, seine Arbeit erledigen und verschwinden. Er durfte nicht vergessen, wofür er kämpfte. Für den Imperator. Für Dorn. Er dachte, er müsste im Strom der Daten ertrinken. Endlich fand er eine Gestalt − eine große, mächtige Gestalt, brutal und Furcht ein flößend. Lygris fühlte, wie die Intelligenz der Gestalt ihn zu versen gen begann, als sie aus dem glühend weißen Informationsfluss her vorlugte. Er hörte das Pochen ihres virtuellen Herzens, hatte einen
metallischen, blutähnlichen Geschmack in seinem Mund. Er suchte nach einem Namen und fand ihn schließlich: Geryon. Er wusste, dass der Maschinengeist verzweifelt einen Weg durch eines der Sekundär- oder Ersatzsysteme suchte, um dem Eindringling gegenüberzutreten. Ein schwarzer Strahl durchsuchte einem Schein werfer gleich den Speicher der Plattform. Lygris hatte nur wenige Sekunden, ehe ihn die riesige, unförmige Dunkelheit des Maschinen geistes finden würde. Dann wäre alles verloren. Niemand außerhalb des Mechanicus machte sich eine Vorstellung davon, was ein wirk lich alter und mächtiger Maschinengeist mit einem Eindringling ans tellen konnte. Lygris konnte von Glück reden, wenn er mit einem totalen, dauerhaften Gedächtnisverlust davonkommen würde. Vor ihm erstreckte sich die riesige, dunkle Oberfläche der Geryon. Lygris krabbelte, so schnell er konnte, durch die blassen kristallinen Strukturen der Speicherbänke. Er kroch durch die endlosen gewun denen Kabel, die die Kontrollschnittstellen symbolisierten, zer schmetterte die Türen aus synthetischem Stahl, mit denen ihm sein Geist fest verdrahtete Barrieren bildlich darstellte. Mit imaginären Fingern griff er in das harte Metall des Hauptprogramms und formte es trotz seines immensen Widerstandes. Er fühlte, wie er die giganti sche Maschine mit seinen Fingern kontrollieren konnte. Er spürte die riesigen Munitionskräne und befahl ihnen, sich zu bewegen und die Kanone mit panzergroßen Granaten zu bestücken. Er positionierte die Kühlsysteme, die Rückstoßdämpfer, die Treibstofftanks. Aber es war zu spät. Die Geryon bereitete sich darauf vor, einen derart mächtigen Informationsstrom auf ihn loszulassen, dass die Daten sein Hirn bis zum Bersten füllen würden − Lygris’ Erinnerun gen, sein Intellekt würden weggewaschen. Es war vorbei. Er war so gut wie tot. Da tat er das Letzte, was der Maschinengeist erwartet hatte. Er sprang kopfüber in den Datenstrom, sozusagen mitten in den schwarz rauchenden Rachen der Geryon hinein. Stinkender Atem verbrannte seine Haut. Er musste schnell sein, schneller als er überhaupt zu hof
fen wagte, um der Geryon zu entgehen, die ihn mit einem Informati onsschwall erdrücken wollte. Lygris durchstieß die Finsternis der Geryon und schoss an die Oberfläche. Jetzt ritt er auf dem trübschwarzen Wahnsinn der neuro nalen Schaltkreise seines eigenen Gehirns. Er suchte nach dem win zigen Nadelöhr, das die Verbindung zwischen dem Maschinengeist und den Sensoren der Plattform darstellte, dem Schaltkreis, durch den die Daten von der Außenwelt ihren Weg in das Hirn der Geryon fanden. Schneller, immer schneller. Lygris dachte, er müsste vor Anstren gung sterben. Die Geryon verfolgte ihn, er spürte ihren heißen Atem in seinem Genick. Kiefer schnappten zu und verfehlten ihn um Haa resbreite, als er durch das glühende Portal in das Sensorensystem tauchte. Lygris schaute durch das riesige Auge der Geryon in das Weltall. Er entdeckte etwas und fokussierte es. Er erkannte einen Komman doturm, Geschützstellungen, einen Bug in Form eines Adlerschna bels und die helle Energiesignatur großer Motoren. Es war ein impe riales Schlachtschiff, stolz und stark, ein großes, verlockendes Ziel. Die Kanone war geladen und abschussbereit. Er feuerte. Die Schiffe der Geryon-Klasse transportierten verschiedene Arten von Munition. Darunter war eine einzelne Granate von gigantischen Ausmaßen, die bei ihrer Detonation eine Zone bildete, die weder Jäger noch leichtere Kreuzer passieren konnten. Hinzu kamen ein halbes Dutzend Vakuumladungen, die elektro magnetische Streufolien und Pulswellen in alle Richtungen aussand ten und so wie ein stellares Minenfeld wirkten. Ein anderes Geschoss bestand aus über hundert Störkanistern, die eine ganze Flotte in Interferenzen hüllen und so einen vorübergehen den totalen Blackout bewirken konnten. Genau diese Geschosse spie das riesige Metall in Richtung der Flotte Chloures.
Einer der Kanister traf die Unterseite der Hydranye Ko. Mit unge heurer Wucht durchschlug er sieben Decks, bevor er schließlich ex plodierte. Wahre Ströme aus Störfolien ergossen sich in Korridore und sammelten sich in Laderäumen. Mehr als dreißig Bestatzungs mitglieder starben bei der Explosion, dazu ungefähr siebzig weitere, weil sie die winzigen Folien einatmeten. Das Luftfiltersystem des Kreuzers war zur Hälfte verstopft. Lebenserhaltungssysteme mussten zugeschaltet werden. Zwischen dem Sternenfort und der Kriegsflotte detonierten weite re Kanister. Die Gewissenhaftigkeit und die Diakon Byzantine wur den nicht beschädigt, aber das Sternenfort verschwand hinter einem dichten Interferenzschleier. Zwei Spähschiffe, die sich auf einer Rou tinepatrouille befanden, waren nach einem Totalausfall der Steue rungsservitoren und Kommsysteme hoffnungslos verschollen. Weni ge Stunden später ging ihnen der Treibstoff aus, und ihre Besatzung erfror. Die Diakon reagierte am schnellsten auf den Angriff. Sie feuerte mehrere Splittertorpedos in die Wolke aus Störstreifen. Die Spreng köpfe verloren jedoch im elektromagnetischen Feld jegliche Orien tierung und explodierten in kleine Stücke, die weiter zur allgemeinen Verwirrung beitrugen. Auf der Brücke der Gewissenhaftigkeit erschütterte eine massive elektrische Rückkoppelung die Kommandosysteme. Flammen schos sen aus den Navigationskonsolen. Ein paar Minuten lang war alles in tödliche, heiße Dunkelheit gehüllt. Die Schreie der Sterbenden und das Brüllen der Flammen mischten sich mit dem Zischen der Notsys teme, die die Brandherde mit Nebel und Schaum übergossen. Die Einsatzkräfte waren nach drei Minuten zur Stelle. Muskelbe packte Matrosen, mit Brecheisen und Tauen ausgerüstet, zerrten Bootsmänner und Navigationsservitoren aus den brennenden Trüm mern. Als die Ordnung auf der Brücke wieder einigermaßen herges tellt war, kam man endlich zu dem Schluss, dass die kleinen Schiffe, die man neben der Ordinatus-Plattform ausgemacht hatte, gar keine
ausgemusterten Jäger waren, die zu Wartungszwecken eingesetzt wurden. Langsam machte sich die Erkenntnis breit, dass die Seelen trinker die Plattform unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Außerdem war es offensichtlich, dass die Seelentrinker viel bruta ler vorgegangen waren, als es Chloure vorausgesagt hatte. Er be schloss, dies nicht weiter zu erwähnen. Nur die 674-XU28 war unbeschädigt davongekommen. Sie brach te sich in Stellung, um freie Schussbahn auf das Sternenfort zu ha ben, und benutzte ihre eigenen Störsender, um auf die elektromagne tischen Interferenzwellen zu reagieren. Dummerweise lag ihre mäch tigste Waffe momentan einige Tausend Kilometer entfernt in den Händen der Seelentrinker. Abgesehen von einigen Geschützbatterien hatte sie nichts, das den Namen Artillerie verdient hätte. Die Techpriester an Bord der 674-XU28 registrierten verwundert, dass die Verteidigungssysteme des Sternenforts heruntergefahren wurden. »Ich will einen Schadensbericht! Auf der Stelle! Was ist mit den Sensoren?« Givo Kourdya hasste es, wenn er die Kontrolle verlor. Er war aus seinem lederbezogenen Kapitänssessel aufgesprungen, um seine unglücklichen Bootsmänner und Logistiker, die durch das Zwielicht der Brücke stolperten, besser anbrüllen zu können. Die eigentliche Beleuchtung war zerstört worden, und die CogitatorBildschirme flackerten nur. Von durchgeschmorten Kabeln stiegen weiße Rauchwolken auf. Der große Bildschirm zeigte nur gespensti sche Statik. Knistern, Zischen und das Fluchen des Kapitäns waren die einzigen Geräusche. Sonst herrschte absolute Stille, was bedeute te, dass die Maschinen gestoppt hatten. Grün leuchtender Text füllte die Bildschirme. Es waren Scha densberichte. Die vom fehlgeleiteten Torpedo verursachten Schäden an der Struktur hielten sich in Grenzen, aber die Hälfte der Kontroll systeme spielte verrückt. Die Maschinen hatten die Notabschaltprozedur eingeleitet. Kour
dya wusste, dass die Triebwerke erst in einigen Stunden wieder ein satzfähig sein würden − zunächst mussten die Kühlsysteme wieder in Gang gebracht werden, um eine Überhitzung der Plasmareaktoren zu vermeiden. Die Sensoren waren immer noch tot. Sie waren die empfindlich sten Teile des ganzen Schiffes, und, leider Gottes, auch die wichtigs ten. Die Hydranye Ko war fast vollständig blind. Im Moment war der Blick durch ein Bullauge der sicherste Weg, das Schiff zu navigie ren. »Frontsensoren ausgefallen, Sir«, sagte der Techadept, der die un dankbare Aufgabe hatte, zwischen dem Mechanicuspersonal und dem Befehlsstab zu vermitteln. »Aber die rückwärtigen Reihen emp fangen schwache Signale.« »Und?« »Wir können Energiesignaturen von der anderen Seite des Plane ten empfangen. Es sind zwei Schiffe, in der Größenordnung von Kreuzern. Sie steuern in Richtung …« »Wie schnell?« »Sehr schnell, Sir. Schneller als unsere Höchstgeschwindigkeit.« »Space-Marine-Kreuzer«, sagte Kourdya mehr zu sich selbst. Fa belhaft. Sein Schiff war lahmgelegt, aber das war jetzt egal. Der eigentliche Zweck des Störfeuers war es, die Zusammenarbeit der drei Kreuzer der Kriegsflotte zu unterbinden. Gemeinsam hätten sie die Schiffe der Space Marines, die aufgrund der auf ihnen statio nierten Landeschiffe sowieso unterbewaffnet waren, angreifen kön nen. Aber im Kampf Schiff gegen Schiff würde die Hydranye Ko, auch wenn sie voll funktionstüchtig war, den Kürzeren ziehen. Kourdya sank in seinen Stuhl zurück und drückte auf einen Knopf in der Armlehne. Wenn er noch funktionierte, so erklang in diesem Moment unter Deck eine Glocke, die einen Kellnerservitor damit beauftragte, ihm eine Dekantierkanne achtzig Jahre alten Teufels beerlikör und ein Schnapsglas zu servieren. Es sah nicht so aus, als würde die Hydranye Ko in der nächsten Zeit weit kommen. In sol
chen Situationen gönnte sich Kourdya gerne etwas Luxus, um die Schattenseiten etwas abzumildern. »Ich wünschte, ich hätte dieses verdammte Schiff nie gewonnen«, murmelte er, während er auf der dunklen Brücke auf seinen Schnaps wartete. Sarpedon sah sich um − er stand in dem verbarrikadierten Korridor, den sie mitten auf dem Paradedeck errichtet hatten. Manchmal wag ten die Techgardisten eine Attacke, die sofort mit einem Gegenang riff beantwortet wurde. Um sie herum brannte noch immer Die Hölle − lange Nummernketten erschienen in der Luft und beschrieben Gleichungen, die kurz darauf wieder verschwanden. Schlangen aus Rost glitten über den blutgetränkten Boden. Die Techgardisten hatten den größten Schock überwunden, aber ab und zu verlor noch einer die Nerven und brüllte den Maschinengeist an, er möge endlich Ruhe geben. Diese Tortur verwandelte sogar die Nervenstärksten von ih nen in zitternde Wracks. Eine von Rauschen unterbrochene Stimme ertönte über das Vox: »Hauptmann Sarpedon, hier spricht die Unendliche Gerechtigkeit. Bereit zur Truppenaufnahme.« Es hatte geklappt. Lygris hatte es geschafft. Wenn der Techmarine überleben sollte − die Marines, die ihn bewachten, sagten, dass ihn der Einsatz des Interface ordentlich mitgenommen hatte − würde er belohnt werden. »Bestätigt, Unendliche Gerechtigkeit« antwortete Sarpedon. Er musste die Stimme heben, um das Rauschen zu übertönen. »Auf Rückzug vorbereiten.« Der Großteil der Seelentrinker war um Sarpedon versammelt, während sich der Rest um Lygris gruppiert hatte. Er schoss auf einen Kopf, der hinter einem Trümmerhaufen hervorlugte, verfehlte sein Ziel, schätzte die Position des dazugehörigen Körpers ein und feuerte erneut. Jemand schrie. Verrat kann sich nicht verstecken.
»Seelentrinker!«, schrie er. »Bereitmachen zum Rückzug! Grevus, Vorts, zu Lygris’ Position aufschließen und Route sichern. Die ande ren mir nach!« Die Bluthund und die Unendliche Gerechtigkeit umrundeten Lako nia. Sie hatten sich während des Kampfes um das Fort und die Platt form im Schatten des Planeten aufgehalten, wo sie nicht entdeckt werden konnten. Ihre auf Hochtouren arbeitenden Triebwerke wur den von den Sensoren des nächsten Schiffes, der Hydranye Ko, als die Signatur eines viel größeren Schiffes gedeutet. Die Ko machte keine Anstalten, sie abzufangen, als sie an der Flotte vorbeizogen, obwohl es ein Leichtes für den Kampfverbund gewesen wäre, selbst die starken Marinekreuzer zu zerstören. Vor ausgesetzt, sie hätten sie sehen können. Nur das Mechanicus-Schiff versuchte, sie aufzuhalten. Aber das Feuer aus seinen Makrokano nenbatterien stellte keine wirkliche Bedrohung dar. Nur die purpur farbene Hülle der Bluthund wurde leicht angesengt. Die Marinekreuzer wurden von Ordensdienern unter dem Befehl eines kleinen Seelentrinkergefolges, die genau wussten, wann sie einzugreifen hatten, gesteuert. Beide Schiffe waren für den Nah kampf umgebaut worden. Sie trudelten auf die Oberfläche der Platt form zu, die immer noch von der Strömung der abgeschossenen Pro jektile erleuchtet war. Nur wenige der Geschützstellungen funktio nierten noch − und die Lanzenbatterien und leichten Torpedos der Marines sorgten dafür, dass sie keinen Ärger machten. Von der Unendlichen Gerechtigkeit stieg eine Staffel aus zwanzig Thunderhawks auf, die sich der Landezone näherten, die Graevus vor noch nicht einmal einer Stunde gestürmt hatte. Die Marines sammel ten sich neben den Andockklammern und Tankstationen und vertei digten die Landezone gegen mögliche Angriffe. Die Bluthund war fast leer. Sie hatte die Corvus-Landeschiffe transportiert, die jetzt an der Hülle des Sternenforts klebten. Da sie keine andere Möglichkeit sahen, die Truppen zu transportieren,
musste die Bluthund direkt an das Fort andocken. Sie ankerte an ei ner Verladestation, durch die Millionen Sklaven geschleust worden waren. Die Ordensdiener überwachten den Landeprozess, während sich die Seelentrinker von den Waffenbatterien des Forts zurückzo gen und in den Kreuzer stiegen. Kaplan Iktinos, der offiziell das Kommando über die zweihundert Seelentrinker hatte, die im Fort zurückgeblieben waren, sorgte per sönlich dafür, dass, wie von Sarpedon ausdrücklich befohlen, Yser und seine etwa drei Dutzend Köpfe zählende Gemeinde ebenfalls den Kreuzer betreten durften. Als die Gewissenhaftigkeit wieder einigermaßen funktionstüchtig war und die Sensoren nicht mehr durch das Interferenzfeld gestört wurden, hatten sich die beiden Kreuzer, bemannt mit drei Kompa nien Seelentrinkern, längst aus dem Staub gemacht. Chloure konnte nichts weiter tun, als in seiner Kommandokanzel zu sitzen und dem Ende des Sternenforts beizuwohnen. Der ganze Sichtschirm war vom großen, hässlichen Fort der Van Skorfolds ausgefüllt. Dann blitzten die ersten Explosionen auf. »Versteckte Treibstoffreserven«, sagte Manis, der Rüstmeister der Gewissenhaftigkeit, als eine weitere Feuerwelle die Metallhülle des Forts versengte. »Die wissen genau, was sie tun.« Chloure vermutete, dass die Seelentrinker Bomben aus ihrem ei genen Vorrat oder aus dem Arsenal der Van Skorfolds mit Zündern versehen hatten. Jeder Space Marine hatte bestimmt eine erschöpfen de Ausbildung hinsichtlich sämtlicher Explosivstoffe genossen und wusste genau, wo er eine Bombe hochgehen lassen musste, um den größten Schaden anzurichten. »Können wir das Fort noch retten?«, fragte er. »Keine Chance«, sagte Manis. Sogar Chloure konnte erkennen, dass sich das Sternenfort bedroh lich der blassen Kugel Lakonias zuneigte. Die Gravitationsstabilisa toren waren als Erstes gesprengt worden, hatte Manis ihm berichtet.
Wahrscheinlich Melterladungen, aber auch konventionelle Sprengla dungen hätten ausgereicht, wenn sie geschickt platziert waren. Eine weitere Explosion, die größte bisher, riss ein tiefes Loch in die Seite des Sternenforts. Wie in Zeitlupe trieb ein großes Stück der Außenhaut ab und wurde vom Vakuum verschluckt. Es nahm an Ge schwindigkeit zu und drehte sich noch einmal schwerfällig herum, bevor es für alle Ewigkeiten auf einer Umlaufbahn um Lakonia ver rotten würde. Seine Aufgabe hatte darin bestanden, die Van Skorfolds festzu nehmen, ihr Handelsimperium zu zerschlagen und das Fort im Na men des Administratums zu übernehmen. Er hatte gedacht, ausge zeichnete Arbeit geleistet zu haben, indem er die passenden Gerüchte gestreut hatte, um die Seelentrinker anzulocken. Er wollte wertvolle Ressourcen schonen und Verluste vermeiden, indem er es den Space Marines überließ, das Fort zu stürmen. Stattdessen hatte sich alles zum Schlimmsten gewendet. Das Fort war zerstört, seine Flotte be schädigt und die Chance des Administratums, den Menschenhandel unter Kontrolle zu bringen, in Flammen aufgegangen. Er hätte die Van Skorfolds genauso gut in Ruhe lassen können − und so dem Administratum eine Menge Geld gespart. Er wollte sich einreden, dass das Schlimmste die Milliarden Cre dits waren, die in diesem Moment vor seinen Augen in Rauch auf gingen. Aber in Wahrheit wusste er, dass es ganze Organisationen im Imperium gab, die nur dazu da waren, Männer, die so komplett ver sagt hatten, wie er es getan hatte, öffentlich zu bestrafen. »Ihre Befehle, Sir?« Vekk stand in stolzer Positur da, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, als wäre nichts geschehen. »Ich denke, wir sollten sie verfolgen«, sagte Chloure müde. »Wir werden sie natürlich nicht einholen, aber wir werden unangenehme Fragen beantworten müssen, wenn wir es nicht versuchen.« »Aye, Sir.« Vekk drehte sich um und begann, Befehle zu brüllen. Als ob es noch etwas nützen würde. Das ganze große Geschäft, sagte er sich. Der verdammte Khobo
tov. Die verdammten Marines. Das ganze Geschäft war beim Teufel. Callisthenes Van Skorfold schaffte es nicht, aus dem alten Komman dozentrum des Sternenforts zu entkommen. Als die Außenhülle schmolz und die Flammen durch das Fort schlugen, starb er krei schend, als Haut und Muskeln von seinen Knochen gebrannt wurden. Schließlich war von ihm nur noch ein Häuflein Asche übrig, das mit Millionen Tonnen anderem Abfall über Lakonias endlose Wiesen verstreut wurde. Veritas Van Skorfold gelang es, eine der funktionstüchtigen Ret tungskapseln in Betrieb zu setzen. Sie kam damit weit genug, um nicht mit dem Rest der Station auf eine ewige Umlaufbahn gezogen zu werden. Drei Tage lang trieb sie im All umher, dann wurde sie von der Hydranye Ko aufgenommen, die sich aufgrund von Repara turarbeiten immer noch im Orbit befand. Sie wurde sofort verhaftet und in die Brigg gesperrt. Die Sicherheitssysteme waren, wie der Rest des Schiffes, außer Betrieb, was ihre Verwahrung zu einer sehr anstrengenden Angelegenheit machte. Ihre Spezialität war es, jeden zu beißen, der sie bewachen sollte. Nicht nur einmal äußerte Kapitän Kourdya die Vermutung, die Seelentrinker hätten sie absichtlich ver schont, nur damit sie ihm das Leben zur Hölle machen konnte. Jeder Krieger verdient einen Scheiterhaufen. Hauptmann Caeon bekam den seinen, als die Flammen durch das Fort schlugen und die Atmosphäre zusammenbrach. Caeons Körper verbrannte zwangsläu fig sehr langsam. Aber als das Sternenfort zu Asche zerfallen war, war auch der stolzeste aller Seelentrinker nicht mehr als ein Häuflein Staub.
FÜNF
Die Bluthund und die Unendliche Gerechtigkeit waren bereits seit sechs Monaten auf der Flucht. Die letzten fünf davon hatten sie sich in den Tiefen des Cerberischen Feldes versteckt. Aus der Entfernung betrachtet war das Feld wunderschön: eine Ansammlung glühender Staubwolken und blinkender Asteroidenfelder, die von den Sternen beleuchtet wurden, die in seinem Inneren geboren wurden. Aber je näher man ihm kam, desto tödlicher wurde es. Die äußeren Schichten bestanden aus unberechenbaren Formationen löchriger Felsbrocken. Manche waren so groß wie Monde, und selbst die kleinsten konnten die Ansaugöffnungen der Triebwerke beschädigen und tiefe Sprünge in den Bullaugen verursachen. In dieser äußeren Schicht trieben die Bluthund und die Unendliche Gerechtigkeit. Sie hatten ihre Triebwerke abgeschaltet. Der Lack der Schiffshüllen war von den ständigen Einschlägen der Mikrometeori ten fast völlig abgeplatzt. Durch die Wolken von Staub und Felsen konnten sie nicht wahrgenommen werden. Tatsächlich waren einige silberne Punkte inmitten des Feldes der einzige Hinweis auf ihre Existenz. Die Situation war kritisch. Der Treibstoff und die Vorräte gingen zur Neige. Apothecarius Pallas machte sich schon seit einiger Zeit Sorgen um Sergeant Tellos. Er hatte beantragt, sich persönlich um Tellos’ schwere Wunden zu kümmern, da er sich aus irgendeinem Grund für ihn verantwortlich fühlte. Er hatte ihn aus der Gefahrenzone gebracht und seinen massigen Körper zur Oberfläche der Plattform ge schleppt. Sein Pflichtgefühl befahl ihm, auch den Rest seines Hei
lungsprozesses zu überwachen. Das war vor vielen Monaten gewesen. Jetzt hatte seine Sorge ei ner Neugier Platz gemacht, die er dem verstümmelten Sergeanten gegenüber hegte. Dazu musste er ihn jedoch erst einmal finden. Wie der einmal hatte er sich heimlich aus der gesicherten Krankenstation geschlichen, in der er eigentlich bleiben sollte, bis Pallas Gewissheit über seinen Zustand hatte. Wie auch bei den letzten Malen würde es nicht leicht sein, Tellos zu finden. Die Bluthund war nicht das größte Seelentrinkerschiff. Die Hauptflotte, die weit entfernt war, bestand aus riesigen Barkassen und aufgeblähten Transportschiffen. Aber die Crew der Bluthund war eine zahlenmäßig unbedeutende Eliteeinheit, weswegen ganze Decks vollständig verlassen waren. Im Klosterflügel, in den seit Jahrhun derten kein Marine mehr seinen Fuß gesetzt hatte, hallten die Schritte seiner Ceramitstiefel von den Mauern der Klausen und Kapellen wi der. Der ganze Ort wurde von Wartungsservitoren sauber gehalten, deren Bewegungen man manchmal aus den Augenwinkeln wahr nehmen konnte, was die gespenstische Atmosphäre noch verstärkte. Pallas prüfte das Auspex. Nichts. Schon allein das war Grund zur Sorge − Tellos’ Lebenszeichen auf dem Auspex waren in den letzten Wochen schwächer und schwächer geworden. Pallas sah sich um. Hohe Bogengänge und dunkle, mattgraue Wände umgaben ihn. Wenn man sich hier auskannte, konnte man sich praktisch überall verstecken. Was hatte Tellos vor? Hier unten konnte er Wochen zu bringen, ohne gefunden zu werden. Vielleicht sogar länger − den letzten Informationen zufolge hatte er fast nichts mehr gegessen und kaum geschlafen. Er schien sich allein durch seine eigene Energie am Leben erhalten zu können. Der Bogengang öffnete sich in einen Bibliotheksflügel. Vor langer Zeit, noch bevor die Bluthund für den Schiff-zu-Schiff-Kampf um gebaut worden war, hatten die Marines und Novizen hier studiert. In diesem Librarium hatten sie einen Teil der Ordensgeschichte zu sammengetragen − von den jüngsten Gefechtsstatistiken bis zu ural
ten Chansons, die längst gestorbene Krieger niedergeschrieben hat ten, damit ihre Legenden nicht in Vergessenheit gerieten. Hier waren Helden geboren und wiederentdeckt worden. Jetzt waren die deckenhohen Regalwände geleert. Nur eine Hand voll Texte war noch übrig geblieben. Einer lag noch aufgeschlagen auf einem Lesepult. Ein Kaplan hatte vor langer Zeit zur Belehrung oder Inspiration der Novizen daraus vorgetragen. Pallas musste vor sichtig sein, um das gelbe Papier mit seinen Handschuhen nicht zu zerdrücken. In dem Buch ging es um einen Kreuzzug in einem Sek tor, der schon seit Langem befriedet war. Nur eine Regalwand war noch mit dünnen Bänden vollgestopft, allesamt Ausgaben von Daenyathos’ Katechismus des Krieges. In jedem der Bände fanden sich Illustrationen und Anmerkungen seines Besitzers. Sie hatten Marines gehört, die in der Schlacht gefallen waren. In diesem Librarium sollten sie ihre letzte Ruhe finden − sie hatten beim Umbau der Bluthund nicht fortgeschafft werden dürfen. Das Auspex piepste, und ein Warnsymbol blinkte am Rande von Pallas’ Sichtfeld auf. Ein Lebenszeichen. Es war zwar nur schwach, aber es konnte sich durchaus um Tellos handeln. Pallas lehnte mit dem Rücken zur Wand, obwohl er wusste, dass der Schatten, den seine Rüstung warf, einem anderen Marine kaum entgehen konnte. Eine seiner Hände steckte in einem Injektionshandschuh, mit dem er Betäubungsmittel verabreichen oder die Gensaat der Gefallenen ein sammeln konnte. Die andere hatte sich um seine Boltpistole ge schlossen. Er glaubte nicht, dass Tellos ihn angreifen würde. Aber Tellos war noch nie ein berechenbarer Mann gewesen. In der weiten Halle des Librariums bewegte sich etwas. Eine Ge stalt schlüpfte durch den Bogengang einer Seitenkapelle. Muskelstränge schlangen sich um schmutzige Metallklumpen, und zwei glü hende Linsen ragten aus einem blanken, nur aus Sehnen und Kno chen bestehenden Schädel. In einer Hand hielt die Gestalt ein auto matisches Gewehr mit einer großen Trommel, in der anderen eine
Hellebarde mit doppelter Klinge. Als sie mit jaulenden Servomotoren um die Ecke bog, zog sie ein Bündel Kabel hinter sich her. Ein Kampfservitor. Wie alle Seelentrinker hatte auch Pallas als Novize Dutzende von ihnen mit Bolter, Kettenschwert, Messer, blo ßen Händen oder allen möglichen anderen Waffen, die auf einem Schlachtfeld zu finden waren, verschrottet. Sie waren so konstruiert, dass sie eine Menge austeilen und einstecken konnten. Novizen, die im Kampf gegen sie versagten, hatten ihr Leben verwirkt. Die künstlichen Augen des Servitors suchten die Bibliothek ab. Pallas wusste, dass diese Dinger nur eine begrenzte Reichweite hat ten. Es hatte ihn noch nicht bemerkt. Pallas hatte überhaupt keine Ahnung gehabt, dass solche Servitoren überhaupt an Bord waren − er musste mit den Büchern hier zurückgelassen worden sein, als das Kloster auf ein anderes Schiff verlegt wurde. Er hörte das leise Klicken, mit dem das automatische Gewehr auf Dauerfeuer gestellt wurde. Pallas hob die Boltpistole und zielte, als der Servitor mit dem Kopf herumwirbelte und seine Augen auf ihn richtete. Eine zweite Gestalt, diesmal menschlich, stürzte sich von der ho hen Decke genau in Pallas’ Schusslinie. Etwas Langes, Silbernes zischte durch die Luft und zerteilte den Kopf des Servitoren, sodass man das feuchte, schimmernde Fleisch erkennen konnte. Das Auto matikgewehr feuerte einen Augenblick lang wild um sich. Seine Schüsse hallten im riesigen Saal wider. Nach einem Augenblick vi sierte der Servitor erneut an und feuerte wieder. Aber sein Gegner reagierte blitzschnell. Er wich allen Kugeln aus. Der Servitor schwang die Hellebarde − sie hatte natürlich keine Energieklinge, aber das blaue Knistern eines Energiefeldes ließ er kennen, dass es sich um eine Schockwaffe handelte, die die Muskeln des Opfers verkrampfen und seine Sinne verwirren sollten, bevor die teuflische Spitze der Hellebarde ihr Ziel fand. Mit einem lauten Zu sammenprall parierte der Angreifer, wirbelte herum und landete mit seiner eigenen Klinge einen Treffer.
Ein langer Schnitt, aus dem Kabel und Muskelstränge fielen, zog sich von der Kehle bis zur Hüfte durch den Servitor. Dann war der eine Arm verschwunden, dann ein Bein. Dann der Rest seines Schä dels. Die Körperteile rutschten die Metallhülle hinunter und klatschten auf den Boden. Mit einem kaum hörbaren Summen erstarben die Servomotoren, und bald war nur der keuchende Atem seines Bez wingers zu hören. Mit nacktem Oberkörper, breitem Rücken und blasser Haut stand der Mann über den Resten des Servitoren. Seine Haut war fast durch sichtig, und Pallas konnte erkennen, wie sich die überentwickelten Muskeln an Rücken und Oberarmen langsam entspannten. Darunter befanden sich dicke Panzerplatten. Seine Waffen waren die Blätter eines Ventilators, jedes einen Me ter lang und liebevoll geschärft. Er hatte sie so lange poliert, bis sie wie Silberspiegel glänzten. Dann hatte er sie in die Stümpfe getrie ben, an denen sich einst Hände befunden hatten. »Sei gegrüßt, Sergeant Tellos«, sagte Apothecarius Pallas. Tellos drehte sich um. Auch seine Gesichtshaut war blass. Als er sprach, konnte man beobachten, wie sich die Muskeln seines Kiefers bewegten. »Apothecarius. Ich hatte nicht gedacht, dass du mir so weit folgen würdest.« »Du missachtest deine Befehle, Tellos. Du hast die Order, in der Krankenstation zu bleiben. Deine Heilung ist noch nicht abgeschlos sen.« Pallas konnte Tellos’ Schweiß riechen, als er langsam auf ihn zutrat. Er deutete auf die Überreste des Servitoren. »Training?« Tellos lächelte. »Eher eine Umschulung. Wenn der Orden will, dass ich weiterkämpfe, muss ich mich an neuen Waffen versuchen.« »Sergeant Tellos, du kannst nicht mehr kämpfen. Wir haben dir das doch schon einmal erklärt. Der Schock, den du erlitten hast, hat deine Nerven beeinträchtigt. Du bist nicht mehr in der Lage, mit bio nischen …« »Ich brauche keine Bionics, Pallas. Nur, weil ich kein Ketten
schwert mehr halten kann, will ich trotzdem mein Leben dem Orden widmen.« Tellos hob seine selbst gemachten Klingen, die im Zwie licht blitzten. »Ich brauche nur etwas Übung. Das weiß ich. Ich war schon einmal ein Novize und kann auch wieder einer werden.« »Nein, Tellos. Es ist vorbei. Rede mit dem Kaplan, wenn du Schwierigkeiten hast, darüber hinwegzukommen. Ich mache mir Sorgen um deine körperliche Gesundheit. Du bist mein Waffenbru der, und obwohl deine Tage im Kampf vorbei sind, fühle ich mich dir weiterhin verpflichtet. Wir sind immer noch ratlos, was mit dir passiert ist, Tellos. Wir befürchten, dass du dich veränderst. Es kann an einer Reaktion deiner Gensaat auf dieses traumatische Erlebnis liegen. Wir wissen es nicht. Aber so lange sich dein Zustand nicht stabilisiert hat, können wir dich nicht einfach so herumspazieren las sen.« Sein Blick wanderte wieder auf den Servitoren. »Wo hast du den gefunden?« »Ich habe mich umgesehen. Dazu hatte ich noch nie die Gelegen heit. All diese Jahre auf den verschiedensten Schiffen, und mir ist nie in den Sinn gekommen, mal nachzuschauen, was sich hinter dem nächsten Bullauge befindet. Wieso nicht, Pallas? Haben wir Angst? Hindern uns unsere Befehle daran? Oder kommt es uns einfach nicht in den Sinn, Fragen zu stellen?« »Darüber solltest du mit dem Kaplan reden, Tellos. Lass mich dich noch einmal untersuchen, dann kannst du dich mit ihm unterhal ten.« »Ich werde weiterkämpfen, Pallas.« »Das weiß ich, Sergeant. Würdest du jetzt mitkommen?« Der Apothecarius führte den Sergeant aus dem Librarium und auf die Krankenstation der Bluthund zurück. Dort würden sich die Die neradepten und Ordensapothecarii über seinen seltsamen Zustand den Kopf zerbrechen und sich dann schließlich wieder einmal ihre Ratlosigkeit eingestehen. Der Sichtschirm im Lehrsaal der Gewissenhaftigkeit zeigte schon seit
Monaten das gleiche Bild − den matt glühenden Asteroidengürtel des Cerberischen Feldes. Irgendwo in diesem Dickicht aus dahintreiben den Felsbrocken waren die beiden Kreuzer der Seelentrinker. Das Asteroidenfeld blockierte alle Sensoren. Sie wussten nur, dass sich die Bluthund und die Unendliche Gerechtigkeit in den letzten fünf Monaten kaum von der Stelle gerührt hatten. Was die Seelen trinker dort trieben, wie viele von ihnen noch übrig waren, was sie planten, der Zustand ihrer Schiffe, ihre Bewaffnung − darüber konn ten sie nur spekulieren. Das Cerberische Feld war der reinste Albtraum. Ein Angriff auf die Seelentrinker kam einem Himmelfahrtskommando gleich. Ihre Kreuzer würden nur noch tiefer in das Feld eintauchen, während die Imperialen Schlachtschiffe Gefahr liefen, bei der Verfolgung an As teroiden zu zerschmettern. Andererseits konnten die Seelentrinker ihr Versteck auch nicht verlassen. Die Flotte der Angreifer war inzwi schen viel zu groß, um sie zu umgehen. Wo auch immer die Space Marines einen Ausbruchsversuch wagen sollten, würden sie auf Wi derstand stoßen. Konsul Senioris Chloure hätte sich nicht träumen lassen, dass er einmal mit Freuden die Kontrolle über die wichtigste Mission seines Lebens abgeben würde. Aber er fühlte sich seltsamerweise sehr er leichtert, dass er die Flotte nur noch nominell befehligte. Zwar stand noch immer sein Name unter jeder offiziellen Anweisung, aber nach seiner Meinung wurde schon lange nicht mehr gefragt. Er war jetzt ein einfacher Passagier, ein Beobachter, der keinen Einfluss auf das hatte, was um ihn herum vorging. Was auch bedeu tete, dass er seine Hände in Unschuld waschen konnte, sollte es zu einem weiteren Blutbad kommen. Wenn Vekk sich nicht so plötzlich entschlossen hätte, schneidig und tüchtig zu werden, hätten sie nie die Warpspuren der beiden Angriffskreuzer aufgespürt. Dann hätte es auch keine astropathische Unterredung mit der Admiralität des Untersektors gegeben. Aber so war die Kriegsflotte mit jedem Lichtjahr angeschwollen, um jetzt
eine der größten Streitmächte in der Marine des Imperators zu bilden. Die Hydranye Ko war aufgrund dringender Reparaturen bei Lakonia zurückgeblieben, aber sie war durch Kreuzer, Eskortschwadrone, mehrere Jäger- und Bomberstaffeln, ein Lazarettschiff des Depart mento Munitorium und unzählige Versorgungsschiffe mehr als er setzt worden. Sogar die Zorn des Büßers, ein Schiff der RagnarokKlasse, hatte sich ihnen angeschlossen. Die Zorn war zwar etwas heruntergekommen, aber immer noch ein kapitales Waffenarsenal mit mehr Feuerkraft, als Chloure sie sich jemals vorstellen konnte. »Fünf Monate«, sagte er zu sich selbst. »Konsul?«, ertönte eine fragende Stimme in seinem Rücken. Talaya stand offensichtlich schon eine ganze Weile da. Sie war eine von mehreren Dutzend Flottentaktikern, die das Administratum geschickt hatte, und die nach und nach Chloures Autorität untergra ben hatten und jetzt per Gemeinschaftsentschluss die Flotte befehlig ten. »Taktikerin. Ich dachte, ich wäre allein hier.« Er deutete auf den riesigen Sichtschirm des Amphitheaters − üblicherweise wurde er für Lehrveranstaltungen benutzt, aber jetzt zeigte er das Bild, das auch auf der Brücke empfangen wurde. »Manchmal hilft es mir, die Situa tion besser einzuschätzen, wenn ich mich von dem ganzen Trubel etwas zurückziehe.« »Selbstverständlich. Sie müssen sich nicht entschuldigen. In Ihrer Position müssen Sie gewaltigem Stress und großer Anspannung aus gesetzt sein.« Chloure konnte nicht sagen, ob sie ihn kritisieren wollte oder ein fach nur kein Einfühlungsvermögen besaß. Ihr scharf geschnittenes, blasses Gesicht, das nicht so aussah, als wäre es zu großen Gefühls regungen fähig, hob sich gespenstisch von ihrer dunkelblauen Uni form ab. »Was wollten Sie sagen, Konsul?« »Ich wundere mich … sie sind seit fünf Monaten da draußen. Ab geschottet. Wir müssten durch ganze Flotten von Transportschiffen versorgt werden, aber sie haben nichts bekommen. Nicht einen Krü
mel. Woher bekommen sie ihre Nahrung? Ihren Treibstoff?« »Wir haben über Space Marines, die diesen Entbehrungen ausge setzt sind, leider nur sehr unzureichende Informationen«, sagte Ta laya. »Es wäre durchaus möglich, dass sie überhaupt keine Nahrung oder Wasser in konventionellem Sinn brauchen. Auch ihre Lebenser haltungssysteme könnten von denen, die eine normale Schiffsbesat zung benötigt, abweichen, bedenkt man die großen Anforderungen, denen die Marines in einem Schlachtfeld ausgesetzt sind.« »Vielleicht. Was nicht gerade ermutigend ist, wenn wir sie aus hungern wollen.« Eine andere Möglichkeit, die Seelentrinker in die Knie zu zwingen und sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen, fiel ihm nicht ein. Alle Angriffspläne waren angesichts der Dichte des Aste roidenfeldes und der potenziellen Verteidigungskraft der Kreuzer verworfen worden. Nicht zu vergessen, dass ständig ein Entermanö ver der Seelentrinker drohte. Niemand wusste so recht, wer dafür verantwortlich war, die drei hundert Space Marines vor das Kriegsgericht zu bringen. Nach dem Desaster auf dem Sternenfort und der Ordinatus-Plattform waren sie von so ziemlich jeder Imperialen Behörde unter Anklage gestellt worden. Es war nicht einmal sicher, ob die Kriegsflotte genug Ge fängniszellen hatte, die sicher genug waren, um Krieger aufzuneh men, die angeblich mit bloßen Händen Stahltüren aufbrechen und lachend ganze Lasergewehrladungen einstecken konnten. So weit hatte keiner gedacht. »Die Blockade ist nicht unsere einzige Strategie. Wir werden wei tere entwickeln. Sollten sich uns noch andere Angriffseinheiten an schließen, können wir durchaus eine konventionelle Attacke in Er wägung ziehen. Wir haben bereits ein Fabrikschiff der GolgothaKlasse angefordert, das eine Bresche durch das Asteroidenfeld schla gen könnte.« »Talaya, das würde doch Monate dauern. Jahre.« »Wenn es sein muss, Konsul. Wir haben es hier mit abtrünnigen Space Marines eines berühmten und kampferfahrenen Ordens zu tun.
Ich kann mir keinen gefährlicheren Feind vorstellen.« Da hatte sie natürlich recht. Irgendwo in der Weite des Cerberi schen Asteroidenfelds befanden sich zwei Schiffe voll tödlicher, zu allem entschlossener Soldaten, die man schon kaum mehr als men schlich bezeichnen konnte. Was auch immer sie dazu bewogen hatte, ihren Verbündeten in den Rücken zu fallen − waren es wirklich der verrückte Khobotov und dieser lächerliche Seelen-Speer gewesen? −, so viel wusste er über die Marines: Sie würden sich ihren Verrat niemals eingestehen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die Seelen trinker ihren Zorn einfach so hinunterschlucken würden. »Wir müssen sie töten, Konsul. Jeden Einzelnen. Es gibt keine andere Möglichkeit.« Er sah sie an. Ihr Gesicht war völlig emotionslos. »Wissen Sie, was Sie da gerade gesagt haben, Talaya? Vergessen Sie nicht, diese Männer sind …« »Man kann sich nichts Schlimmeres vorstellen, Konsul. Abtrünni ge, die tun, was sie wollen − Diebe, Götzenanbeter, Sezessionisten. Und dazu der Heldenmut und die Unabhängigkeit eines SpaceMarine-Ordens. Und wenn es ein Jahrhundert und alle Schiffe dieser Flotte braucht, wir müssen sie stoppen. Uns ist völlig bewusst, wel che Konsequenzen die Vernichtung dieser Krieger hat. Aber wir se hen auch, zu was sie in der Lage sind, wenn wir ihnen nicht mit der größtmöglichen Brutalität entgegentreten.« »Das weiß ich, Taktikerin. Ich habe die Überreste der Geryon ge sehen. Trotzdem … ich hätte mir nie ausmalen können, dass es ein mal so weit kommt.« »Natürlich nicht, Konsul. Und Sie sollten sich nicht die Schuld am Verlust des Sternenforts und dem Verrat der Seeelentrinker geben. Niemand hat von Ihnen erwartet, dass Sie mit dieser Situation fertig werden.« Sichtlich zufrieden mit ihrer aufmunternden Ansprache stolzierte Taktikerin Talaya die Sitzreihen hinauf und zurück auf das Kom mandozentrum der Gewissenhaftigkeit, wo sich Funktionäre und
Adepten aus einem Dutzend verschiedener Imperialer Behörden ver sammelt hatten. Sie hatten ihrer Mission sogar einen Namen gegeben − der Versuch, die Seelentrinker zu jagen und festzunehmen, besser noch zu töten, war offiziell auf den Namen »Lakonia-Kampagne« getauft worden. Iocanthus Gullyan Kraevik Chloure wünschte sich nichts sehnli cher, als wieder auf einer abgelegenen Agrarwelt zu sitzen und im Namen des Imperiums hinter einem Haufen langweiliger Akten zu versauern. Yser hatte für einen Mann seiner Statur eine erstaunlich laute Stim me, die die Kapelle der Unendlichen Gerechtigkeit bis in die letzten Winkel ausfüllte. Von der Kanzel, vor der er stand, bis hin zu den Bänken, auf denen seine Gemeinde Platz genommen hatte, war der Raum ganz aus geschnittenem Stein erbaut. Das Echo seiner Stimme hallte kalt von den Wänden. Es war ein inspirierender Ort, genau das, was sie jetzt nötig hatten. »Ihr wart alle Zeuge dessen, was geschehen kann, wenn der Name des Imperators missbraucht wird«, sagte Yser. »Wenn Er als Ent schuldigung benutzt wird, um sich in Seinem Namen zu bereichern. Wenn Er wie ein Ungeheuer aus einer Gespenstergeschichte die Schwachen erschrecken soll, damit sie die Befehle der Verderbten befolgen. Ihr habt es gesehen, und ihr alle, von den Marines bis zu den Ge ringsten aus meiner Gemeinde, habt Brüder und Schwestern an diese Blasphemie verloren. Wir werden einer harten Prüfung unterzogen − die Maschinen der Korruption und der Selbstsucht sind so mächtig, dass sogar die stärksten aller Krieger, die Auserwählten des Impera tors, ihrer Gewalt nur mit Mühe standhalten können. Aber der Imperator, der Schicksalsarchitekt, hat dies vorausgese hen und Maßnahmen ergriffen. Seid ihr euch wirklich im Klaren dar über, wie schlimm Sein Name missbraucht wird? Die selbstsüchtigen Apostaten haben den Namen der Seelentrinker in den Schmutz gezo
gen und sie gezwungen, ihnen Gewalt anzutun. Und obwohl wir nur wenige und in diesem Moment von den Feinden des Imperators um geben sind, so haben wir doch die Gewissheit, dass die Einsicht in die wahren Pläne des Architekten eine mächtigere Waffe als die größte Schlachtflotte ist. Vielleicht sind meine Worte nur ein geringer Trost für diejenigen unter euch, die ihre Geliebten verloren haben oder selbst bald sterben werden. Aber erleuchtet in den Tod zu gehen ist tausendmal besser als jahrhundertelang in Unwissenheit zu leben. Wir sind nur wenige, und wir sind von Feinden umschlossen. Aber wir sind frei.« Yser ließ seinen Blick über die versammelte Gemeinde wandern. Von seinen ursprünglichen Anhängern hatten nicht mehr als dreißig überlebt − viele waren bei der Erstürmung des Sternenforts verwun det worden oder verschollen gegangen. Andere waren an Nahrungs mangel, Schwäche oder Krankheit gestorben. Aber er hatte auch neue Jünger gewonnen, die die Gnade des Schicksalsarchitekten be reitwillig angenommen hatten − Space Marines, Seelentrinker. Mehr als einhundert dieser Giganten knieten in voller Kampfrüstung vor ihm. Es war erstaunlich, dass diese Männer an seinen Lippen hingen, war er doch einst ein nichtswürdiger Dieb gewesen. Aber er sagte die Wahrheit. Der Architekt selbst hatte zu ihm gesprochen und ihm ver sichert, dass er in Seinem heiligen Plan eine Rolle zu erfüllen hatte. Er hatte ihn aus den Tiefen der Götzenanbeterei und Dekadenz des Adeptus Ministorum und seiner abergläubischen Unterdrückung ge führt. Jetzt hatten auch die Seelentrinker am eigenen Leib erfahren müssen, wie das Imperium jene behandelte, die auf dem Pfad des Imperators wandelten, und lauschten begierig Ysers Worten. Jeder Marine, der nicht dringende Aufgaben auf der Bluthund oder der Unendlichen Gerechtigkeit zu erledigen hatte, war hier versammelt, um in bedächtigem Schweigen Ysers Worte mit der eigenen Lehre in Einklang zu bringen. Sogar Kaplan Iktinos, der nie in der Anwesen heit anderer seinen Helm ablegte, hörte Yser an und verstand die
Wahrheit in seinen Worten. Yser konnte eine ungeheure Kraft spüren. In seinen Wachträumen hatte er eine Legion von Kriegern in purpurfarbenen Rüstungen ge sehen, die die Pläne des Schicksalsarchitekten in die Tat umsetzten. Yser hätte nie gedacht, dass er es sein würde, der ihnen den Weg wies … hätte er nicht die Hand des Imperators gespürt, die seine Ge danken lenkte, er wäre dem Hochmut verfallen. »Seid stark, meine Brüder und Schwestern. Versagt nicht vor Sei nen Augen. Lasst euren Glauben in euer Blut übergehen, verachtet eure Feinde und macht euch bereit. Er ist unsere Rettung, ob wir le ben oder sterben.« Nach der Predigt gingen die Zuhörer wieder an ihre Arbeit zurück. Manche kümmerten sich um die Kranken, andere um das Schiff. Die Marines mussten sich an die vorgeschriebenen Zeiten der Meditation halten, wo sie sich über die Prinzipien, nach denen sie lebten, klar werden sollten. Einer trat auf Yser zu − Yser musste nicht aufsehen, um zu wissen, wer vor ihm stand, so stark konnte er seine Kraft spü ren. »Yser, ich muss mit dir reden«, sagte Sarpedon, derjenige, den die anderen Marines als ihren Hauptmann bezeichneten. »Manche von uns … verändern sich. Du hast sicher von Tellos gehört.« »Ich muss leider gestehen, dass mir gewisse Gerüchte zu Ohren gekommen sind. Meine Mitbrüder betrachten eure Krieger mit Ehr furcht. Trotzdem sind sie neugierig.« »Wir wissen nicht, was mit ihm passiert ist, oder in welcher Weise er sich verändert. Die Details sind ziemlich kompliziert. Die Chemie seines Körpers hat sich verändert. Er weigert sich zu akzeptieren, dass seine Tage als Krieger vorbei sind. Dass er ein Krüppel ist. Es gibt noch mehr dieser Vorfälle, die jedoch nicht so Aufsehen erre gend sind. Die Knochenstruktur in Sergeant Graevus’ Hand verän dert sich. Givrillian behauptet, seine Sehfähigkeit würde zunehmen. Und das sind nur zwei weitere Beispiele.« »Wenn Ihr eine Erklärung von mir wollt, Hauptmann, so muss ich
Euch enttäuschen. Ich spüre die Anwesenheit des Schicksalsarchitek ten, und manchmal ergattere ich Bruchstücke Seines großen Plans. Aber mehr weiß nicht.« Sarpedon wollte sich umwenden, hielt jedoch inne. »Yser, da ist noch etwas.« »Hauptmann?« »Wir haben vielem von dem, was wir einst für heilig hielten, den Rücken zugewandt. Wir haben die Bedrohung erkannt, die das Impe rium für die gerechte Ordnung des Universums darstellt. Ich weiß nicht, was passieren wird, wenn wir begreifen, wie wenig wir doch wissen. Wir kämpfen jetzt für ganz andere Überzeugungen … viel leicht ist das mehr, als wir verkraften können. Ich weiß nicht, was mit mir geschehen wird. Unser ganzes Universum hat sich verän dert.« »Habt Vertrauen, Hauptmann Sarpedon. Nur der Glaube zählt. Aber ich vermute, dass Ihr das schon wisst.« »Natürlich, Prediger.« Noch Minuten nachdem Sarpedon gegangen war, brannte sein Nachbild hinter Ysers Augen. Er hatte noch nie so eine Kraft gespürt. Wusste Sarpedon, was er erreichen konnte? Vielleicht hatten selbst die Auserwählten des Imperators nicht das Zeug dazu, Seinen Willen zu erfüllen. In seinen Träumen hatte er gesehen, was für ein steiniger Weg vor ihnen lag. Da war eine ganze Welt aus Verderbnis, in deren Herzen eine schreckliche Intelligenz saß. Und diese Welt galt es zu reinigen, wollten sie ihren Wert als Krieger beweisen. Waren sie da zu bereit? Es gab nur eine Antwort auf diese Fragen. Den Glauben. Sonst nichts. Kein Sonnenlicht drang jemals durch die purpurgrauen Wolken der Fabrikwelt Koden Tertius − trotzdem wurde sie ständig durch die Feuer der Fabriken erhellt. Kilometerhohe Flammensäulen schlugen aus den Abgasrohren, die aus dem felsigen Boden ragten. Sie
schwärzten die Habs und Kontrollposten und brüllten den Zorn he raus, der in den Eingeweiden der Fabrikwelt brannte. Die meisten Wohnkomplexe befanden sich entweder auf hohen Bergen oder tief im Boden. Wie ein feines metallisches Spinnennetz erstreckten sich Leitungsmasten, Sensorbündel und Stützpfeiler zwischen den Berg massiven. Darüber hing eine dicke Rauchschicht, die alles in ein verwaschenes Grau tauchte, unterbrochen nur von den Feuersäulen, die aus dem flüssigen Kern des Planeten schossen. Techpriesterin Sasia Koraloth betrachtete diese Szenerie durch ein Bullauge ihres Labors. Sie wusste, dass sie irgendwann lernen wür de, den Anblick der Finsternis und der Feuer nicht mehr so absto ßend zu finden. Wenn sie erst einmal mit der meisterhaften Logik, dem Werkzeug und der Schöpfung des Maschinengottes näher ver traut war, würde sie sich von solchen ästhetischen Kleinigkeiten nicht mehr ablenken lassen. Nach und nach würde sie sich so vielen Verbesserungen und Ver änderungen unterziehen, dass nur wenig von ihrem ursprünglichen Körper übrig blieb. Dann könnte sie endlich die Außenwelt ausblen den und sich nur den Mechanismen der Realität zuwenden. Diesen Tag konnte sie kaum erwarten. Das Universum war ein dunkler Ort, den nur der Omnissias mit Sinn füllen konnte. Ein Servitor unterbrach die Stille in ihrem Labor − er war eigent lich nicht mehr als ein schwebender Kehlkopf. »An Techpriesterin Koraloth. Ich habe folgende Befehle von Erzmagier Khobotov be kannt zu geben. Erstens: Techpriesterin Koraloth wird ihn in drin gender Sache über die Kobaltroute kontaktieren. Zweitens: Ihr Labor wird ausgeräumt und für eine temporäre Untersuchung vorbereitet. Drittens: Vollständige Geheimhaltung über alle Forschungsergebnis se wird vorausgesetzt. Erwarte Antwort.« »Ich werde kommen«, sagte sie, und der Servitor entfernte sich. Erzmagier Khobotov persönlich hatte sie erwählt … endlich wurde ihre Arbeit entsprechend gewürdigt. Sie hatte ihre Zeit damit ver bracht, mühevoll Nachbauten verschiedener Geräte anzufertigen, die
die Expeditionskorps irgendwo aufgestöbert hatten. Die Werkbänke waren mit polierten Bauteilen übersät. Aber sie hätte niemals ge dacht, dass sie irgendeine nennenswerte Entdeckung gemacht hatte, geschweige denn, dass ihre Sorgfalt oder ihre Hingabe einem ihrer Vorgesetzten aufgefallen wäre. Vielleicht war dies ihr großer Durchbruch. Vielleicht aber auch nicht. Die Datenmatte, die in ihren Handrücken implantiert war, zeigte ihr den Weg zur Kobaltroute. Sie verließ ihr schäbiges Labor und eilte davon. In den von Servitoren erfüllten, grob aus dem Fels ge hauenen Gängen begegnete sie hin und wieder einem Techpriester − einige von ihnen waren wie sie selbst erst vor Kurzem initiiert wor den, andere waren bereits ehrwürdige Magier, die Trauben von Lehr lingen im Schlepptau hatten. Die Servitoren selbst waren nur recycel tes menschliches Gewebe, das für ihr Nerven- und Muskelsystem benutzt wurde. Sie begann bereits, Menschen nur als Maschinen aus Fleisch und Knochen wahrzunehmen. Die alles bestimmende Logik des Univer sums faszinierte sie, und es widerte sie von Tag zu Tag mehr an, die Patina aus Rost von ihren Technoklaven und Datendiebproben zu säubern. Eines Tages würde sie mit ihren eigenen Lehrlingen durch diese Gänge eilen und ihre nie enden wollenden Fragen ertragen müssen. Dann hatte sie endlich verstanden. Die Kobaltroute war ein wenig benutzter Tunnel, der durch das Bergmassiv zu einer Shuttlestation auf der Oberfläche führte. Auf der anderen Straßenseite stand eine Phalanx von Servitoren Schulter an Schulter. Sie teilte sich, um Khobotov Platz zu machen. Seine Linsen flackerten unter seiner Kapuze. Eines Tages würde sie so sein wie er. »Techpriesterin Koraloth«, sagte Khobotov mit einem wundervol len, metallischen Dröhnen. »Ich gebe Ihnen die Erlaubnis, in Ihr La bor zurückzukehren und die Riten des Nachbauens an diesem Objekt zu vollziehen.«
Etwas summte hinter ihrem Rücken − eine Engelsdrohne, deren totes Gesicht zu einem ewigen Lächeln verzogen war und die Me chandriten statt Armen besaß, die ihr mit großer Geschicklichkeit und Sorgfalt etwas überreichten. Es war ein schmuckloses Kästchen, etwas länger als ihr Unterarm. Sie öffnete es und sah, was sie untersuchen sollte. Es war ein Zylinder, dessen mit verschlungenen Schaltkreisen be deckte Oberfläche golden glänzte. In den Griff waren unglaublich winzige Genenkoder eingelassen. Ein kleines Ding, aber ihre Erfah rung mit präimperialer Technologie hatte sie gelehrt, dass immer mehr dahintersteckte, als auf den ersten Blick zu erkennen war. Als sie das Objekt berührte, konnte sie die Kraft seiner Komplexität spü ren. »Erzmagier, was …?« »Es ist als der Seelen-Speer bekannt. Seine Beschaffung war mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten verbunden. Ich erwarte Ihren vorläufigen Datensermon vor Ende des Jahres.« Koraloth konnte ihre Augen nicht von dem Objekt abwenden. Was war dieses Ding? Eine Waffe, ein Schild, ein Beförderungsmit tel? Schon seine Präsenz überzeugte sie davon, es mit einem wirkli chen Meisterwerk zu tun zu haben. Würden ihre Fähigkeiten für so etwas ausreichen? Sie zwang sich, Khobotov anzublicken. »Warum habt Ihr mich erwählt, Erzmagier?« »Aufgrund Ihres niedrigen Rangs wird sich niemand um Ihre For schungen kümmern. Ihre Verehrung für mich und den Omnissias macht einen Verrat Ihrerseits unwahrscheinlich. Wenn so viel auf dem Spiel steht, ist es ratsam, sich der Minderwertigen zu bedienen.« Khobotov schwebte von seiner Servitorgarde umkreist davon. Er verschwand auf der Kobaltroute und ließ Koraloth mit dem SeelenSpeer in der Hand zurück. Minderwertig? Natürlich. Aber nicht mehr lange. Manche Dinge wusste nicht einmal Khobotov über sie. Die Tiefe
ihrer Überzeugung, das Werk des Omnissias zu vollbringen, bei spielsweise. Die Kraft ihrer Entschlossenheit. Und noch vieles ande re. Es gab noch andere auf Koden Tertius, die die gleiche Hingabe wie sie zeigten. Mit ihnen war sie durch mehr als nur eine For schungsgruppe verbunden. Vielleicht war der Seelen-Speer die Mög lichkeit für sie, in die Ränge der Magier aufzusteigen. Die Zinnen von Quixian Obscura brannten. Die Artillerie hatte sie eine volle Woche vor dem eigentlichen Angriff beschossen. Ihr che misches Feuer wütete seit Tagen hinter der zyklopischen Festungs mauer. Sarpedon war mit einem der letzten Landungsboote abgesetzt worden. Caeon wuchtete seinen großen, gerüsteten Körper bereits über den Rand des ersten Vorpostens und bestrich die Aliens mit Bolterfeuer, während um ihn herum Energiemunition den Stein zum Schmelzen brachte. Sarpedon gehörte zu Kallis’ Trupp. Sie hatten sich in eine Defensivposition gebracht, um den angreifenden Trup pen, die vor ihnen gelandet waren, Feuerschutz zu geben. Insgesamt fünfzig Mann. Ihre Aufgabe war es, den Vorposten einzunehmen und die riesigen Tore zu öffnen, damit die Sturmtruppen der Imperialen Armee die heidnischen Aliens ihrem gerechten Schicksal zuführen konnten. Der heulende Wind hüllte sie in Flammen. Sie beachteten sie nicht weiter. Kallis versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen. Er war ein altersgrauer Mann mit einem Gesicht, das aussah, als sei es aus abgewetzten Lederflicken zusammengenäht worden. Kallis war dafür zuständig, die Neulinge in die Schlacht zu führen und zu prüfen, was sie als Novizen gelernt hatten. Sie hatten zwar alle an den brutalen Übungen teilgenommen und Patrouillen absolviert, aber nur wenige von ihnen waren jemals in so ein hitziges Gefecht geworfen worden. »Plasmafeuer in östliche Richtung! Flammenwerfer, Scriptor, nehmt euch die Geschützstellung da vor!« Kallis deutete auf eine
Plattform, auf der früher eine Laserkanone oder ein Granatenwerfer montiert gewesen war. Jetzt feuerten ein halbes Dutzend schmalge sichtiger Aliens eine monströse Energiewaffe direkt in den Rücken der angreifenden Marines. Vixu bildete mit brennendem Flammenwerfer die Vorhut. Sarpe don folgte ihm, während er sich konzentrierte, um Die Hölle herauf zubeschwören. Andere aus dem Librarium des Ordens hätten die Stellung durch Telekinese oder Psychopyrotechnik zum Einsturz bringen können. Sarpedon zielte auf die Seelen der Geschützmann schaft. Aber … warum tat er das? Der Gedanke war wie ein Eindringling in seinem Kopf. Er konnte sich an Quixian Obscura bis in das kleinste Detail erinnern, wie an alle Schlachten, an denen er teilgenommen hatte. Aber nie hatte er an seinen Taten gezweifelt. Nein, er hatte versucht, alles, was die Aliens fürchteten, heraufzubeschwören und sie genau wie seine Kameraden in heiligem Hass niedergemäht. Aber trotzdem − zu welchem Zweck? Wenn Quixian Obscura einmal genommen war, was würde damit passieren? Höchstwahr scheinlich war es nur eine weitere leere Hülle, eine Welt der Gier und des Machthungers, bevölkert von Kulis, die sich der Sinnlosig keit ihres Lebens gar nicht bewusst waren. Die Aliens zu vernichten, das war eine ehrenvolle Aufgabe − aber nur aus der Laune irgend welcher fetter Geschäftsmänner und verlogener Priester heraus? Wo blieb da die Ehre? Solche Gedanken waren ihm bisher fremd gewesen. Plötzlich be griff Sarpedon, wie sehr sich doch das Universum um ihn herum verändert hatte − die Taten, die ihn mit Stolz erfüllt hatten, erschie nen ihm jetzt leer und sinnlos. Ihr ganzer Heldenmut hatte nur einem verdorbenen Regime gedient. Er versuchte, diese Gedanken aus sei nem Kopf zu vertreiben − vergeblich. Eine quengelnde Stimme in seinem Inneren flüsterte ihm ständig zu, wie sinnlos alles war, dass er nur für die Marotten selbstsüchtiger Bürokraten kämpfte, die sogar
versucht hatten, seine Kampfgefährten abzuschlachten. In solchen Situationen versuchte er, die Schlacht nicht nur vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen zu lassen, sondern sie noch einmal zu durchleben. Er stellte sich den scharfen Wind vor, der über die Zinnen pfiff, den Schwefelgestank der Artilleriegranaten, die Schreie einer Million Soldaten, die zu einem tiefen Grummeln ver schmolzen und das Blitzen der hundert Shuriken, die von den Ge wehren der Aliens auf ihn abgefeuert wurden. Plötzlich stürmte er wieder gemeinsam mit den anderen Marines die Geschützstellung. Die Energiewaffe war nur noch ein glühender Trümmerhaufen, Splittergranaten hatten ihre Energiezellen lahmge legt. Hinter einer Mauer sprangen Aliens mit Masken und Schutzan zügen hervor. Sie schwangen Energiesäbel und schlugen mit einer unheiligen Schnelligkeit Salti und Räder. Aber Sarpedon kümmerte das nicht. Die List des Feindes erweck te keinen Zorn in ihm. Er hatte kein Bedürfnis danach, in ihre Mitte zu springen, Boltermunition in ihre ungeschützten Körper zu pum pen, Genicke zu brechen oder Schädel hinter Masken mit glänzenden Augen zu spalten. Ein Boltergeschoss traf den ersten in die Brust und riss ihn fast entzwei − recht ungraziös ging er zu Boden. Noch während er feuer te, erreichten zwei von ihnen die Nahkampfreichweite. Einer wich aus. Der andere trieb seine Klinge tief in Sarpedons Oberschenkel. Dieser täuschte einen Schlag gegen den Kopf des Gegners an, warf ihn zu Boden, setzte den Ceramitstiefel auf seinen Hinterkopf und spürte, wie das Genick unter seinem Fuß brach. Als er es noch einmal durchlebte, fühlte Sarpedon nichts dabei. Er hätte genauso gut eine Eierschale zerschlagen können. Der dritte Angreifer taumelte zurück. Sarpedon hielt immer noch dessen abgetrennten linken Arm in der Hand. Aber der heilige Triumph, den er an diesem Tag gefühlt hatte, wollte sich nicht mehr einstellen. Als sein Gegner von den Zinnen stürzte, um Hunderte von Metern darunter in blutige Stücke zu zerschellen, blieb ihm der ge
wohnte Siegesschrei im Hals stecken. Auf Quixian Obscura hatte er sich zum ersten Mal in einer Schlacht bewiesen. Der junge Scriptor mit den seltsamen psionischen Fähigkeiten, der eher aus experimentellen Gründen in die Truppe aufgenommen worden war, hatte drei der heimtückischen Xenos im Nahkampf besiegt und der Vorhut den Rücken freigehalten. Vor der brennenden Festung hatten sie ihm auf den Rücken geklopft und vor ihm salutiert. Endlich hatte er sich seinen Platz an Dorns Seite er kämpft. Aber das war jetzt alles ohne Bedeutung. Die Archivare des Ordens hatten ihm sogar eine Zeile in der Saga von Quinxian Obscura gewidmet. Es war erst sein dritter Einsatz seit seiner Novizenzeit gewesen − trotzdem mussten Daenyathos’ Worte einen großen Eindruck auf den Marine hinterlassen haben, munkelte man, weil er so eifrig dabei war, seiner Lehre zu folgen. Es war eine Ehre, die nur wenigen seines Ranges zuteil wurde − jetzt kümmerte ihn das nicht mehr. Er würde erneut den Körper von Sergeant Kallis sehen, von heid nischen Energieklingen zerstückelt. Er hatte die Überlebenden des Trupps dazu angetrieben, die restlichen Aliens abzuschlachten, bevor sie über die angreifenden Seelentrinker herfallen konnten. Er würde das markerschütternde Dröhnen hören, mit dem sich die Tore öffne ten, und den Triumphschrei aus zehntausend Soldatenkehlen, die voll Rachsucht mit Stahl und Laserfeuer in die Festung strömten. Er war dort gewesen und hatte sich seitdem wohl hundertmal daran erinnert. Aber all das war in weite Ferne gerückt. Seine Waffenbrüder waren gefallen − wofür? Sie lagen neben den Leichen des Alienabschaums − warum hatte man ihr Leben für sie verschwendet? Der unaufhörli che Strom idiotischer Soldaten unter ihnen − war auch nur ein einzi ger darunter, für den sich das Kämpfen gelohnt hätte? Der Imperator, dessen Namen sie brüllten, war Zehntausende Lichtjahre entfernt, Sein Wille zählte nicht bei jenen, die in Seinem Namen regierten. Was für eine Verschwendung. Wo sein Stolz sein sollte, war nur noch gähnende Leere.
Caeon stand hoch auf den Zinnen. Er troff von Alienblut und starrte Sarpedon mit kriegslüsternen Augen an. »Stirb«, sagte er mit der Stimme des Maschinengeists der 674-XU28. Sarpedon schüttelte heftig den Kopf. Er war wieder in seiner Zel le. Obwohl Marines nie richtig schliefen, konnten sie doch in ihrem halbwachen Ruhezustand träumen − und Sarpedon hatte in seinen Träumen die Zinnen von Quixian Obscura oft besucht. Aber so war es nie gewesen. Er hatte in einer Schlacht noch nie eine solche Leere gefühlt, dort, wo sich ein Seelentrinker mit Freuden seinen Ruhm erwarb. Die Feuer von Quixian Obscura erstarben und ließen ihn allein in seiner Zelle zurück. Nur Anzeigetafeln von Einsatzbesprechungen und Berichten hingen an den kahlen Wänden. Auf einem Regal stand seine Ausgabe des Katechismus des Krieges. Seine Rüstung hatte er ordentlich in eine Ecke gestapelt. Sein Bolter und sein Energiestab hingen an den dafür vorgesehenen Plätzen. Sonst war der Raum leer. Mehr brauchte ein Seelentrinker nicht. Es gab so viel, das ihm Sorgen bereitete, das er nicht verstand. Seit siebzig Jahren war er ein Krieger, aber was wusste er wirklich? Er hatte sich so in Ehre, Kampf und heiligen Zorn hineingesteigert, dass er nichts anderes mehr kannte. Siebzig Jahre, und die Erinne rung an einhundert Schlachten erfüllte ihn trotzdem nicht wie noch Monate zuvor mit Stolz. Er schaute an seinem Oberkörper hinab, der mit den Narben von Operationen und Verletzungen bedeckt war. Eine Reihe Skalpellschnitte um seinen Carapax herum. Ein hässli cher Schlitz, wo ihn einst die Kettenklinge eines Orks erwischt hatte. Hier eine leichte Verfärbung, wo ihm ein Hauttransplantat eingesetzt wurde und überall die pockennarbenartigen Einschusslöcher. All das bedeutete ihm nichts mehr. Ein kleiner grüner Cursor blinkte auf einer der Bildtafeln. Auf Sarpedons Retinadisplay erschien das Bild von Techmarine Lygris. Dieser hatte ein schweres Neurotrauma erlitten, als er mit dem Ma schinengeist gerungen hatte. Seine Gesichtsmuskeln mussten fixiert
werden, damit sie nicht unkontrolliert zuckten. Er sah aus, als hätte man das Antlitz eines anderen Mannes an seinem Kopf befestigt. »Hauptmann Sarpedon, Eure Anwesenheit auf der Brücke ist er wünscht. Die Ordensdiener haben etwas entdeckt.« »Was?« »Wir können nur raten, und wir haben keine Zugriffsrechte. Wir haben nicht die nötige Berechtigung.« »Spann mich nicht auf die Folter.« »Karmesin, Hauptmann. Alarmstufe Karmesin.« »Selbst unsere hochrangigsten Taktiker haben nicht die Berechti gung, eine mit Code Karmesin verschlüsselte Nachricht zu lesen. Konsul, wir müssen warten, bis Sie zu uns kommen, wenn wir wis sen wollen, wer sie sind.« Nach langen Monaten hatte Vekk endlich wieder einmal die Chance, sich wichtigzumachen, und ergriff sie mit beiden Händen. Er hatte die Brust herausgestreckt und die Arme hin ter dem Rücken verschränkt. Die Medaillen, die ihm aufgrund seiner langen Dienstzeit verliehen worden waren, polierte er wahrscheinlich für genau solche Anlässe. Talaya sah von dem nichtssagenden Datenstrom auf, der sich über die Bildschirme vor ihr ergoss. »Stimmt. Unsere Sensoren melden eine beträchtliche Energieabstrahlung. Ich würde vorschlagen, die Schilde hochzufahren, was der Standardprozedur entspricht, wenn sich ein unidentifiziertes Schiff nähert.« »Wir sollten auch den roten Teppich ausrollen«, sagte Vekk. »Vielleicht bekommen wir Besuch.« »Sehr gut. Machen Sie nur.« Chloure machte sich keine Illusionen darüber, dass die Entscheidung bereits getroffen war. Seine Rolle beschränkte sich auf das Abnicken. Zwei Jägerstaffeln der Epos war en bereits unterwegs, um das unbekannte Schiff einzukreisen. Chlou re konnte ihre Signaturen als winzige Punkte auf dem Sichtschirm erkennen. »Kommsignale blockiert!«, schrie jemand, und plötzlich blinkte ein blutrotes Warnsignal auf. »Das Komm ist tot!«
Die Sicherheitskräfte im hinteren Teil der Brücke nahmen Ge fechtsformation ein. Mechanikerteams, bestehend aus einfachen Techpriestern und mit Servowerkzeugen bestückten Servitoren huschten aus ihren Nischen und begannen damit, die Abdeckungen der Kommkonsolen abzuschrauben. »Sie haben unsere Voxsysteme und das Übertragungsnetzwerk übernommen«, sagte Talaya tonlos. »Abwehrprozedur einleiten.« »Warum tun sie das? Sind sie feindlich gesinnt?« Chloure hatte es bis jetzt geschafft, einer richtigen Raumschlacht aus dem Weg zu gehen, und das sollte auch so bleiben. »Unbekannt«, sagte Talaya. Wie zu erwarten. Das tiefrote Licht betonte ihr scharf geschnittenes Gesicht. Vekk hüpfte in die Sensoriumskanzel, die in das Deck der Gewis senhaftigkeit eingelassen war und von einer Horde wild gestikulie render Techpriester und Bootsmänner besetzt war, die versuchten, sich einen Reim aus den vom Schiff aufgefangenen Signalen zu ma chen. »Das hier!«, schrie Vekk und deutete auf eine Ansammlung von Koordinaten. »Auf den Schirm!« Das Schiff erschien auf dem Sichtschirm. Es war beeindruckend. Eine Ausbuchtung im All, das das auftreffende Licht in eine War pzone zog. Aus Sternen wurden lang gezogene weiße Linien. Chlou re verstand nicht viel von Signalauswertung, aber auch er merkte, dass für die Sensoren der Gewissenhaftigkeit das Schiff überhaupt nicht existierte. »Gehört das zum Imperium?«, fragte er. »Vielleicht«, rief ihm Vekk aus dem Sensorium zu. »Und das wä re nicht unbedingt eine gute Nachricht.« Dann ertönte ein unbeschreiblicher Lärm aus den Voxlautspre chern. Chloure hielt sich die Ohren zu. Er stellte sich vor, dass der Lärm aus jedem Lautsprecher der ganzen Flotte drang. Aber die Komms funktionierten nicht, und so gab es keinen Weg, das heraus zufinden.
»Wir haben keine Kontrolle über das Ruder mehr«, sagte Talaya. Dann gingen die Lichter aus. Die Besatzung schwieg. Nur der Sichtschirm erhellte noch die Brücke der Gewissenhaftigkeit und tauchte die Gesichter der Crew in gedämpftes blauweißes Licht. »Im Namen des unsterblichen Imperators und Seiner Herrschafts gebiete«, ertönte eine volle, raue Stimme aus jedem Lautsprecher des Schiffes. »Dieser Flottenverband steht von jetzt an unter dem Befehl von Lord Gorgo Tsouras vom Ordo Haereticus. Eure Schiffe, Körper und Seelen gehören jetzt mir. Ich werde sie als Werkzeuge einsetzen, um den Willen des Imperators auszuführen.« Chloure konnte hören, wie die Bootsmänner miteinander tuschel ten. Um ehrlich zu sein hatte er die ganze Zeit gewusst, dass es dazu kommen würde. In Anbetracht ihres Gegners und der Prinzipien, die hier verteidigt wurden, war es fast unvermeidlich gewesen. Chloure hätte in diesem Moment alles dafür gegeben, wieder die Leitung der größten Groxfarm des Sektors übernehmen zu dürfen. Alles, nur weg von der Organisation, die in diesem Augenblick das Kommando über seine Flotte beanspruchte. Das Bild auf dem Sichtschirm verschwamm, als die Sensorschilde des neu angekommenen Schiffes einer nach dem anderen abgeschal tet wurden. Unter ihnen kamen dunkle, glänzende, dreieckige Platten zum Vorschein, die Sensorstrahlen ablenken sollten. Die getönten Sichtscheiben hatten die Form von geschlitzten, bösen Augen. Die scharfen Klingen von Projektorwaffen ragten aus der geschmeidigen, fledermausähnlichen Silhouette des Schiffes. Wie Stahlfedern ragten die beiden Triebwerksverkleidungen aus seinem Rücken. Unter dem Schiff waren plötzlich zwei metallene Punkte zu erkennen. Drohnen, deren blaue Triebwerke eine schimmernde Korona um ihr Mutter schiff bildeten. Das Schiff war bis auf ein blutrotes Symbol an seiner Seite komp lett schwarz. Es war ein einfaches Bild, aber es genügte, um Chlou res schlimmste Befürchtungen zu bestärken und seine Crew vor
Angst erstarren zu lassen. Nur wenige hatten es jemals in Wirklich keit gesehen, aber alle kannten seine Bedeutung, wenn auch nur aus Geschichten, mit denen sie als Kinder erschreckt worden waren. Es war der große stilisierte Buchstabe I hinter einem stilisierten Totenkopf. Die Lakonia-Kampagne stand jetzt offiziell unter dem Befehl der Ordii der Inquisition des Imperiums.
SECHS
Ein eckiges Shuttle mit dem Symbol der Inquisition auf einer Hülle aus blankem Metall schlängelte sich elegant durch die Felsbrocken des Cerberischen Feldes. Es war unbewaffnet, übermittelte ein Waf fenstillstandssignal und hielt respektvoll Abstand von den Thunder hawks, die die Unendliche Gerechtigkeit ausgeschickt hatte, um es zu eskortieren. Sarpedon beobachtete das herannahende Shuttle von der Brücke der Gerechtigkeit aus. Er wusste sofort, dass es sich um ein Schiff der Inquisition handelte. Ordensdiener in Raumanzügen brachten die Andockklammern in Position. Das geschmeidige Shuttle setzte zur Landung an. Sobald seine Besatzung ausstieg, machten sich die Die ner schnell aus dem Staub. Sarpedon wartete im Empfangssaal. Wandteppiche mit den Hel den des Ordens hingen von den grauen Wänden. Der Fliesenboden war von Generationen von Servorüstungsstiefeln abgenutzt. Sarpe don beobachtete die Ankunft seiner Gäste auf einer Holomatte und versuchte, ihre Kampfkraft einzuschätzen. Obwohl das Shuttle zu Verhandlungen gekommen war, war die Inquisition doch zweifellos darum bemüht, Stärke zu zeigen. Eine Phalanx von zwanzig Soldaten des Ordo Haereticus marschierte den Landungssteg hinunter. Sie trugen glänzende tiefrote Kampfrüstun gen und HE-Lasergewehre. Ihre Gesichter waren von Schleiern aus scharlachrotem Kettenzeug verhüllt. Handgranatenbündel hingen an ihren Gürteln. Dieser Gruppe folgte eine in dunkelgraue Roben ge hüllte Gestalt. Ein unter der Haut seiner Schulter befestigter Kanister pumpte eine dunkle Flüssigkeit in ihr Genick. Sarpedon vermutete, dass es sich um einen Astropathen handelte.
Dieser war in der Lage, in kürzester Zeit dem Hauptschiff der Inqui sition telepathische Botschaften zu übermitteln. Seinem gebeugten, schwerfälligen Gang nach zu urteilen war er alt und erfahren. Neben den Truppen des Haereticus marschierten zwei Söldner. Einer trug eine abgenutzte Lederrüstung. Seine Muskeln waren mit Gangtätowierungen überzogen. Er trug eine Schrotflinte und besaß ein bionisches Auge, das wohl mehr als der ganze Kerl wert war. An seiner Seite ging eine Söldnerin in einer wuchtigen, gefütterten Rüs tung. Sie hatte drei Pistolen in ihrem Gürtel stecken. Eine Brandnar be bedeckte die Hälfte ihres Gesichts. Sarpedon hatte gehört, dass weniger orthodoxe Inquisitoren das Recht hatten, allerhand zwielich tiges Gesindel als Spione und Leibwächter anzuheuern. Die beiden Galgenvögel bildeten jedenfalls einen scharfen Kontrast zum diszip linierten Rest der Inquisitionstruppe. In der Mitte der Formation stand ein Mann in einer Bronzerüs tung. Sein Brustkorb und seine Panzerhandschuhe waren von beeind ruckender Größe, doch sein feines, jugendliches und dunkelhäutiges Gesicht wollte nicht so recht zum Rest des Körpers passen. Er hatte ein Schwert auf seinen Rücken geschnallt, das fast eineinhalb Meter lang und einen halben Meter breit war. Kein Mensch konnte mit so einer mächtigen Waffe kämpfen. Um seinen Hals hing ein Anhänger aus reinem Silber mit dem Symbol der Inquisition. Ein einfaches, aber aussagekräftiges Abzei chen. Eis gab bestimmte Verhaltensregeln für diese Art von Verhand lung. Sarpedon stand in der Mitte des Raums. Givrillian und sein taktischer Trupp warteten in einer Ecke und beobachteten den Ver lauf des Treffens. Die Haereticus-Truppen blieben auf der gegenü berliegenden Seite. Sarpedons Gast ging auf ihn zu. Seine Rüstung war fast so massig wie die eines Space Marine. Das Schwert auf seinem Rücken wirkte immer noch unglaublich groß. Sarpedon bemerkte, dass er keine weitere Waffe trug. »Scriptor Sarpedon«, sagte der Besucher. Seine Stimme klang
glatt und kultiviert. »Ich bin Interrogator K’Shuk, Gesandter von Lordinquisitor Tsouras vom Ordo Haereticus. Mein Gebieter schickt mich, um Euch seine Forderungen mitzuteilen. Ihr werdet des Ver rats, der Ketzerei, der Rebellion und des Mordes an Dienern des Hei ligen Imperators, geschehen an Bord der 674-XU28, angeklagt. Ihr werdet mit sofortiger Wirkung Eure Schiffe aufgeben. Wir werden einen Sicherheitstrupp schicken, der Eure Waffen und Rüs tungen beschlagnahmen wird. Danach werdet Ihr festgenommen und einer Interrogatio Martial sowie einer vollen Oculum Medicae unter zogen, bevor Ihr während der Dauer der Verhandlung auf eine Fes tungswelt der Inquisition gebracht werdet. Wir erwarten vollständige Kooperation. Weigert Ihr Euch, gilt dies automatisch als ein Ge ständnis und Beweis Eurer Schuld.« K’Shuk verschränkte die Hände hinter dem Rücken und wartete auf die Antwort. Sarpedon wusste genau, was die Inquisition vorhatte. Tsouras würde die Seelentrinker entwaffnen, in ein Gefängnisschiff sperren und alle möglichen Techniken aufwenden, um ein Geständnis aus ihnen herauszuholen. Egal, was bei der Interrogatio Martial heraus kam − Sarpedon und seine Männer würden auf einen Planeten unter der Kontrolle von Inquisitor Tsouras gebracht werden. Dort würde man sie verurteilen und hinrichten. Das Todesurteil war unvermeid lich, aber lange nicht das Schlimmste. Sich unbewaffnet und wehrlos einem Verhör und der Folter auszusetzen, ohne die Möglichkeit, sich zu verteidigen, sich die Ehre nehmen zu lassen − das war für jeden Seelentrinker schlimmer als der Tod. »Interrogator K’Shuk«, begann Sarpedon, »die Seelentrinker er kennen weder die Autorität von Lordinquisitor Tsouras oder einem anderen Beauftragten des Imperiums an. Das Imperium hat sich als verdorben und selbstsüchtig gezeigt, und seine Taten spotten dem Willen des heiligen Imperators. Es hat diesem Orden seinen recht mäßigen Besitz verweigert und ihn bei dem Versuch, dieses Unrecht wiedergutzumachen, fast zerstört. Das Imperium hat uns verfolgt und
schickt jetzt seine Botschafter, um uns zu demütigen. Euren Forderungen wird nicht stattgegeben, Interrogator K’Shuk. Die Seelentrinker beugen sich nur dem Willen des Imperators. Ihr seid nur auf Euren eigenen Vorteil bedacht.« »So sei es.« K’Shuk verzog keine Miene. »Hauptmann Sarpedon, es ist meine Pflicht, Euch mitzuteilen, dass der Orden der Seelentrin ker hiermit für Excommunicate Traitoris erklärt wird und aus den Annalen der Imperialen Geschichte gelöscht wird. Der Name dieses Ordens wird aus den Hallen der Helden getilgt und aus dem Archi vum Imperialis entfernt werden. Eure Gensaat wird zerstört und Eure Körper verbrannt, damit Euer Blut die Menschheit nicht weiter be flecken kann. Das Imperium sagt sich von den Seelentrinkern los. Gesteht jetzt, Sarpedon, bereut Eure Sünden, und Euch wird kur zer Prozess gemacht. Wie ihr Euch entscheidet − Euer Leben ist verwirkt.« Sarpedon antwortete nicht. Tief im Inneren hatte er gewusst, dass es so weit kommen würde, aber irgendwie hatte er nie wirklich daran geglaubt. Excommunicate Traitoris. Aus der menschlichen Rasse verstoßen, aus dem Licht des Imperators vertrieben. Obwohl er und seine Marines die wahre Natur des Imperiums kennengelernt hatten und sich weigerten, weiter ein Teil davon zu sein, erfüllte ihn die bloße Vorstellung mit Furcht. Er war exkommuniziert worden. Bis jetzt hatte er sich kein schlimmeres Schicksal vorstellen können. Er war entsetzt, aber auch wütend. Wütend darauf, dass das Impe rium es wagte, solch ein Urteil über diejenigen auszusprechen, über die niemand richten durfte. Benutze diese Wut, sagte er sich. Benutze sie, um wachsam zu bleiben, lass dich nicht von Schock oder Furcht betäuben. Bleibe wütend. Es wird sich auszahlen. K’Shuk legte die Hand um den Griff des mächtigen Schwerts auf seinem Rücken. »Hauptmann Sarpedon. Euer Betragen hat bewiesen, dass Ihr ein gefährlicher Mann und eine Bedrohung für die Stabilität des Imperiums seid. Die Inquisition kann es nicht dulden, dass Ihr am Leben bleibt und weitere Sünden begeht. Ich bin von Inquisitor
Tsouras bevollmächtigt, Eure Hinrichtung sofort zu vollziehen.« Sarpedon hatte geahnt, dass sie ihm nach dem Leben trachten würden. Genau wie damals, als sie die Geryon geschickt hatten, um das Sternenfort unter Beschuss zu nehmen. Es war nur logisch − er hatte die wahre Natur des Imperiums erkannt, und sie würden alles tun, um ihn zum Schweigen zu bringen. Aber jetzt, da es so weit war, in der heiligen Empfangshalle der Unendlichen Gerechtigkeit, stieg der Zorn in ihm hoch. Er wehrte sich nicht dagegen. Dass jemand sich nicht nur als gleich, sondern sogar als besser als er selbst dar stellte und das Todesurteil über ihn fällte, war eine Obszönität. Dae nyathos hatte geschrieben, dass Gefühle der Feind des gewöhnlichen Soldaten, aber Verbündete der Space Marines waren. Nutze deinen Hass, bündle ihn, verwandle ihn in Stärke. K’Shuk zog das Schwert. In seiner gepanzerten Hand sah es feder leicht aus. Sarpedons erweitertes Gehör registrierte das schwache Summen winziger Gravitationsmotoren, als der Interrogator die rie sige Klinge über seine Schulter schwang. Es waren Schwebevorrich tungen, eine im Knauf, eine in der Spitze des Schwertes. Es war so mit leicht genug, es mit einem Finger aufzuheben, aber schlecht aus balanciert und so schwer zu handhaben, dass erfahrene Krieger solch eine Waffe nie verwenden würden. Aber K’Shuk war als Vollstrecker gekommen und würde unglaub lich gewandt im Umgang mit dem Schwert sein. Der Interrogator trat vor und stach zu. Zischend verfehlte die Klinge knapp Sarpedons Ohr. Er konnte seine Schärfe spüren, als sie die Luft durchschnitt. Im Zurückwei chen zog er seinen Energiestab gerade rechtzeitig, um einen erneuten Hieb der Klinge zu parieren. K’Shuk war fast übernatürlich gut trainiert und besaß die Schnel ligkeit und Raffinesse lebenslanger Übung. Tsouras hatte wahr scheinlich einen ganzen Hort von Kindern, die er zu Interrogatoren erzog, und alle paar Jahre entdeckte er einen K’Shuk unter ihnen. Sarpedon musste einen Schritt zurücktreten, um der Klinge aus
zuweichen, die einen blitzschnellen Bogen beschrieb. K’Shuks Be wegungen waren flink und fließend. Sarpedon konnte einen Hieb, der auf seine Kehle gezielt war, abfälschen. Die Klinge fuhr tief durch das Ceramit seiner Schulterplatte, so als wäre es überhaupt nicht vor handen. K’Shuk ließ eine Schulter hängen, wirbelte herum und zielte mit einem Aufwärtshieb auf Sarpedons Oberkörper, den dieser mit einem heftigen Schlag parieren musste, die seine Deckung weit öff nete. K’Shuk wirbelte erneut herum. Dieses Mal traf er sein Ziel. Die gewaltige, breite Klinge bohrte sich in Sarpedons Bauch. Roter Schmerz durchfuhr ihn, aber Sarpedon wusste, dass er überleben würde, wusste, dass er weiterkämpfen konnte. Er war schon tau sendmal verwundet worden. So ein Treffer würde ihn nicht kampfun fähig machen. Noch dazu glaubte er einen Weg zum Sieg gefunden zu haben. K’Shuk war blitzschnell und benutzte eine Waffe, die Sarpedon völ lig unbekannt war. Aber diese Fähigkeiten hatte er auf Kosten seiner Vielseitigkeit erlangt. Welchen uralten Kampfstil der Interrogator auch erlernt hatte − auch im größten Kampfesrausch verließ er sich auf dessen komplizierte, aber vorgegebene Bewegungsmuster. Und wenn es Millionen Variationen von Tausenden dieser Muster gab, so war K’Shuk doch auf sie beschränkt. Sie zeigten sich in seinen Fü ßen auf den abgenutzten Fliesen und in den glänzenden Wirbeln, die seine Klinge beschrieb. Ein halber Schritt zurück war ein Hinweis auf einen Hieb von der Seite. Wenn Sarpedon den Energiestab über seinem Kopf schwang, wurde er mit einer weit gefassten, halbkreis förmigen Parade beantwortet, die in einem Gegenangriff auf seinen Solarplexus endete. Jedes von K’Shuks Manövern baute auf den im mer gleichen Prinzipien auf. Wenn Sarpedon diese Prinzipien durch schauen konnte … Während er sich K’Shuks Hieben erwehrte, lernte er nach und nach die Grundprinzipien des Suspensorschwertkampfes. Bei einem Hieb von unten gewann die Klinge dank der Antigravitationseinhei
ten zusätzliche Fliehkraft, womit ihr Träger Gefahr lief, die Waffe zu verlieren. Also waren K’Shuks Attacken dieser Art begrenzt. Es war schwer, die Richtung der Klinge plötzlich zu ändern, also musste jede Folge von Hieben möglichst flüssig ineinander übergehen − diese Technik war schnell und ohne Zweifel ein Augenschmaus, aber sie schränkte K’Shuks Möglichkeiten ein. Zwar versuchte der Inter rogator, diesen Nachteil durch seine Schnelligkeit abzugleichen, aber Sarpedon war auch nicht gerade langsam. Trotzdem musste er sich daran erinnern, dass er einem Gegner ge genüberstand, den er noch nie zuvor bekämpft hatte. Allerdings galt das auch für K’Shuk. Dieser mochte zwar schon von heidnischen Aliens über warpgestählte Ketzer Hunderte fähiger Kontrahenten niedergestreckt haben. Doch mit etwas Tödlicherem als einem wü tenden Space-Marine-Hauptmann, der seine Ehre verteidigte, hatte er sich bestimmt noch nie angelegt. Sarpedon musste in schneller Folge eine ganze Reihe von Wunden einstecken. Ein tiefer Stoß durch das Fleisch seines Oberarms, ein Ausfallschritt, der die Klinge des Schwerts in gefährliche Nähe sei nes sekundären Herzens brachte. Durch die ungeheure Breite der Klinge verlor er trotz seiner verbesserten Blutgerinnung erschre ckend viel Blut. K’Shuk konnte einfach gewinnen, indem er Sarpe don durch viele lähmende Treffer ermüdete. Sarpedons Zeit lief ab − er musste schnell hinter das Geheimnis von K’Shuks Kampfkunst kommen, sonst würden ihn seine Wunden zu sehr behindern, um noch eine realistische Chance zu haben. Sarpedon blockte einen seitlichen Hieb ab − er wusste, wie es weitergehen würde. K’Shuk hatte die Möglichkeit eines Aufwärts schlags, der in einem tödlichen Treffer unterhalb des Kiefers enden konnte. Sarpedon wich aus − und tatsächlich rauschte die Klinge um Haaresbreite an Sarpedons Gesicht vorbei. In dem wertvollen Bruchteil einer Sekunde, den K’Shuk brauchte, um dem Schwung der Klinge entgegenzuwirken, öffnete er seine Deckung. Sarpedon schlug zu.
Zwar konnte der Energiestab nicht die dicke Bronzerüstung durchdringen, aber er hatte eine riesige Delle und mit Sicherheit ein paar geplatzte Organe hinterlassen. Mit vorgehaltenem Schwert tau melte er zurück. Sarpedon holte erneut aus und zielte über die Klinge hinweg. Dröhnend krachte sein Stab auf die Rüstung über K’Shuks Schlüsselbein. Sarpedon setzte nach und traf erneut. Das Ende des Stabs durch bohrte K’Shuks Kehle und trat zu seinem Hinterkopf wieder heraus. Sarpedon griff um den Kopf des Interrogators herum und packte das Ende des Stabs. Er zog die ganze Länge des Stabs durch K’Shuks Genick, bis die adlerköpfige Spitze seinen Hals mit einer Blutfontäne durchtrennte. K’Shuk wollte sich umdrehen, aber sein Rückenmark war zerfetzt. Seine Beine brachen unter ihm zusammen. Mit einem letzten ankla genden Blick fiel der fast Geköpfte zu Boden. Der Griff um das Sus pensorschwert löste sich. Leicht wie eine Feder schwebte die Waffe zu Boden. Die monomolekulare Klinge grub sich elegant und mühe los bis zur Hälfte in den Fliesenboden. Bis auf das leise Plätschern, mit dem K’Shuks Blut aus seinem Körper strömte, herrschte vollkommene Stille. Sarpedon steckte den Energiestab wieder zurück. Er warf einen Blick auf die Haereticus-Truppen und K’Shuks Söldnerhaufen, dann auf Givrillians Trupp. Die Situation konnte schnell eskalieren. »Durchtrennt ihre Treibstoffleitungen«, sagte er, »und lasst sie treiben.« Er konnte hören, wie die Haereticus-Truppen die Finger von den Abzügen ihrer HE-Lasergewehre nahmen. Givrillians Trupp umzingelte die Soldaten, während Runen in Sarpedons Retinadisplay bestätigten, dass Ordensdiener auf dem Weg waren, um das Shuttle zu sabotieren. Er hätte die Soldaten des Haereticus und den Söldnerabschaum auf der Stelle töten können, nur weil sie es gewagt hatten, ihren Fuß auf ein Schiff der Seelentrinker zu setzen. Aber sie hätten sich ge wehrt, und Sarpedon hätte ein paar gute Männer verloren.
Außerdem gab es bestimmte Verhaltensregeln für diese Art von Verhandlung. Ein Holodisplay projizierte ein raumfüllendes Schema des Cerberi schen Feldes in den Lehrsaal der Gewissenhaftigkeit. Die Asteroiden waren ein körniger Nebel aus orangen Flecken. Die Flotte der Lako nia-Kampagne wurde durch eine Ansammlung blauer Symbole dar gestellt. Zwischen der Flotte und dem Asteroidenfeld befanden sich zwei dolchförmige, purpurfarbene Symbole, die Bluthund und die Unendliche Gerechtigkeit. Sie näherten sich mit hoher Geschwindig keit dem Feld. Die Brückenbesatzung der Gewissenhaftigkeit war fast vollständig vor dem Schirm versammelt und verfolgte die Wiederholung der Ereignisse von vor einigen Monaten. Damals waren die Seelentrinker in das Cerberische Feld geflüchtet. Inquisitor Tsouras schaute unbeteiligt zu. Widerwillig bewunderte er die Brillanz, mit der es den Seelentrinkern gelungen war, mit nur zwei Kreuzern einer großen, bestens ausgerüsteten Imperialen Flotte so lange zu entkommen. Höchst widerwillig. Zwei Schockwellen explodierten am Rande des Asteroidenfeldes und schoben die orangen Punkte vor sich her. Die purpurfarbenen Seelentrinkerkreuzer schlüpften durch den entstehenden Korridor, der sich hinter ihnen sofort wieder schloss und die blau markierten Schiffe der Flotte aussperrte. »Gravitationstorpedos?«, fragte Inquisitor Tsouras. »Unwahrscheinlich«, sagte Seniortaktikerin Talaya und hielt die Holoprojektion an. »Wir nehmen an, dass die Seelentrinker improvi siert haben. Wahrscheinlich waren es standardmäßige, mit Spreng stoff gefüllte Angriffstorpedos. Daher der große Radius der Explosi on.« »Sie haben viel riskiert.« »Sie sind wahnsinnig«, stimmte Talaya zu. »Wahrscheinlich wur den die Schiffe im Cerberischen Feld leicht beschädigt. Leider haben
wir keine Möglichkeit, das herauszufinden. Bei solchen risikoreichen Manövern müssen sie wirklich verzweifelt sein.« »Wie ich sehe, hat Ihre Flotte darauf verzichtet, diese Manöver zu wiederholen, Konsul.« »Ihre Schlachtkreuzer sind viel wendiger als unser Schiff, Lordin quisitor«, sagte Chloure. Die Nervosität in seiner Stimme entging den feinen Ohren des Inquisitors nicht. »Das wäre ein Himmelfahrts kommando gewesen.« »Natürlich.« Tsouras mochte Konsul Senioris Chloure nicht. Er war ein feiger, inkompetenter Jammerlappen. Ein einigermaßen fähi ger Kommandeur mit einem Bewusstsein für die Dimension der An gelegenheit hätte zumindest ein entbehrliches Schiff losgeschickt, um die Möglichkeit eines direkten Angriffs definitiv auszuschließen. Schließlich gab es hier genug Kapitäne und Besatzungsmitglieder, um die es nicht im Geringsten schade war. Zum Glück war er rechtzeitig gekommen. Eine Operation wie die se konnte leicht außer Kontrolle geraten. Das hatte er schon öfter erlebt. Inkompetenz war der häufigste Grund für die Todesurteile, die er ausgesprochen hatte. Aber nicht dieses Mal. Hier ging es um Hochverrat am Imperium. Und zum ersten Mal war sein Urteil nicht vollstreckt worden. Sein Scharfrichter, Interrogator K’Shuk, war weder zurückgekehrt noch hatte er in irgendeiner Form mit ihm Kontakt aufgenommen. Tsouras bedauerte das − K’Shuk war der kaltblütigste Killer, der ihm je un tergekommen war. Er hatte große Hoffnungen in ihn gesetzt. Aber zumindest gab es jetzt keinen Zweifel mehr daran, auf welcher Seite Hauptmann Sarpedon und die Seelentrinker standen. »Wie Ihr sehen könnt«, fuhr Talaya fort, »ist unsere derzeitige Taktik, die Blockade aufrechtzuerhalten und weitere Möglichkeiten zu erwägen. Unsere taktische Abteilung hält es für durchaus möglich, dass der Mangel an Nachschub den Feind irgendwann einmal vertei digungsunfähig machen wird. Danach können wir in das Cerberische Feld vordringen.«
»Und Sie glauben, dass der Feind derweil einfach so Däumchen drehen wird?«, sagte Tsouras. »Glauben Sie nicht, dass er eine Ge genoffensive starten könnte? Es ist ja nicht schwer, Ihre eher undis ziplinierte und überarbeitete Besatzung zu überraschen. Das ist schon mit größeren Flotten als dieser hier passiert. Mit der Zeit wird man unaufmerksam. Die Entscheidungsfähigkeit geht verloren. Die Space Marines andererseits haben mit so etwas kein Problem. Selbst wenn sie über den rauchenden Trümmern Eurer Schiffe ihr Jubelgeschrei anstimmen, werden sie noch wachsam sein.« Talaya schwieg. Chloure wand sich unbehaglich in seinem Stuhl. In diesem Moment entschied Tsouras, dass es eigentlich keinen Grund gab, den Konsul zu verschonen. »Wir werden jetzt und in aller Entschlossenheit handeln, koste es, was es wolle. Jede Sekunde, die wir hier vergeuden, gereicht der anderen Seite zum Vorteil. Sie schlafen nicht, meine Herren. Sie benötigen nur wenig Nahrung und Wasser. Und wenn ihre Vorräte zur Neige gehen, dann haben sie ihre Ordensdiener, die sie verspeisen können. Wir haben es hier nicht mit einem unorganisierten Haufen zu tun. Sie werden Ihnen nicht den Gefallen tun und aufgeben. Wir müssen sie angreifen.« »Ich glaube nicht«, sagte Talaya, offensichtlich unbeeindruckt, »dass wir mit unseren Jägerstaffeln, geschweige denn mit der Haupt flotte überhaupt in das Cerberische Feld vordringen können.« »Das steht überhaupt nicht zur Diskussion. Die Marines konnten das Feld ohne Gravitationssprengköpfe durchqueren. Dieses Risiko müssen wir nicht eingehen. Mein Schiff transportiert mehr als genug Gravitationswaffen für diesen Zweck. Wie dem auch sei: Der ge genwärtige Führungsstil dieser Flotte wird es wohl unumgänglich machen, dass ich das Kommando übernehme. Jeder Kapitän dieses Kampfverbandes wird sofort alle verfügbaren Bomberstaffeln bela den und startbereit machen. Führen Sie wenigstens diesen Befehl einigermaßen zufriedenstellend aus und bewahren Sie sich einen kümmerlichen Rest von Würde.« Ketzerei. Warum verstanden sie es nicht? Sie verbreitete sich wie
Ungeziefer. Man konnte sie nur ausrotten, wenn man bereit war, das, was einem am Herzen lag, zu opfern. Wenn einmal eine Welt mit dem Übel der Ketzerei befleckt war, konnte man jeden Quadratmeter mit tiefen Bombenkratern überziehen, und es gäbe trotzdem noch irgendwo einen verdorbenen Verräter, der auch noch den Rest vergif ten würde. Inquisitor Tsouras wusste das. Er hatte es oft genug ver sucht. Jetzt hatte er es mit einem abtrünnigen Space-Marine-Orden zu tun, und die Offiziere vor ihm zögerten und zauderten wie kleine Kinder, während das Krebsgeschwür der Ketzerei weiter wuchs. Glücklicherweise hatte er durch das Urteil des Excommunicate Trai toris, das über sie verhängt worden war, freie Hand, um die Seelen trinker mit allen verfügbaren Mitteln der Gerechtigkeit zuzuführen. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Dank bionischer Ver besserungen maß er über drei Meter. Sein ganzes Auftreten, von der Verlängerung seiner Skelettstruktur über die bronzenen Schulterplat ten in Widderform und dem beschlagenen Waffenrock aus Leder bis hin zu den ausdruckslosen gelbgrauen Augen war darauf ausgerich tet, Schwächlingen das Fürchten zu lehren. Es waren nur einfache kosmetische Verbesserungen − kein Vergleich zu den komplizierten Bionics, die das Mechanicus angeblich entwickelt hatte − aber sie erfüllten ihren Zweck. Nur Taktikerin Talaya schien unbeeindruckt, was Tsouras zu der Annahme verleitete, dass sie viel dümmer war, als ihre codextreue Ansprache hatte vermuten lassen. Das Holodisplay zeigte unverändert die machtlose Flotte aus trau rigen blauen Punkten vor dem großen orangen Feld. Er verließ den Raum in einem dramatischen Abgang. Space Marines. Noch dazu Seelentrinker, die noch nie zu den um gänglichsten Dienern des Imperators gezählt hatten. Er konnte es kaum erwarten, mit tausend verzweifelten Gefangenen zu seinen Freunden und Feinden in die Sermonkonklave des Ordo Haereticus zurückzukehren. Damit hätte er seinen Platz in den Annalen der Ge schichte gesichert. Jeder Schüler der Inquisition würde an seinem
Beispiel lernen, wie es möglich war, allein durch festen Glauben und der Gerechtigkeit auf seiner Seite eine ganze Legion der tödlichsten Krieger der Galaxis in die Knie zu zwingen. Aber es gab noch viel zu tun. Er musste sicherstellen, dass die Gravitationssprengköpfe geladen und abschussbereit waren. Es han delte sich um eine heikle, uralte Technologie, mit der man nicht leichtfertig umging. Er würde es nicht dulden, dass bloße Fahrlässig keit ihn seines großen Augenblicks beraubte. Nicht, wenn schon der Verlust seines besten Henkers bewiesen hatte, welch teuflische Kraft in seinem Feind steckte. In diesem Moment verbreitete der Chor seiner Astropathen, durch das ganze Imperium, dass das Urteil des Excommunicate Traitoris über die Seelentrinker verhängt worden war. Jetzt würde jeder Inqui sitor in der Galaxis von der Wichtigkeit seiner Mission überzeugt sein. Er hatte eine ganze Kampfflotte hinter sich, deren Offiziere bei seinem Anblick vor Angst zitterten. Sie wussten, dass ihre einzige Überlebenschance darin bestand, seinen Befehlen zu gehorchen. Sie waren verwirrt, verängstigt und nicht zuletzt entbehrlich. Die Inquisi tion hatte den Ruf, aus unerbittlichen Kreuzrittern zu bestehen, die, wenn es sein musste, ganze Völkerscharen foltern und vernichten würde − im Namen der moralischen Reinheit des Imperiums. Diesen Ruf hatte sie nicht zu Unrecht. Inquisitor Tsouras lächelte. Seine Befehle wurden sofort weitergeleitet. Die Geschwader der Lakonia-Kampagne wurden in der Frist von dreieinhalb Stunden, die Tsouras gesetzt hatte, bewaffnet und aufgetankt. Ihre Triebwerke befanden sich im Leerlauf, die Besatzung hatte die Schiffe bemannt und wartete auf den Einsatzbefehl. Die erste Bomberstaffel startete von der Zorn des Büßers. Sie er wartete zwar keinen Widerstand, wurde aber trotzdem von einem kompletten Jägergeschwader eskortiert. Ihnen folgten Dutzende von Gefechtsstaffeln, bestehend aus Avengers, mit Bomben voll beladenen Pretorians, dazu Lenkschiffe,
die semiintelligente Torpedos im Schlepptau hatten und dreieckige, schwarz glänzende Albträume aus dem Arsenal der Inquisition. Nie mand hatte sich die Mühe gemacht, die Jäger- und Bomberstaffeln der Flotte zusammenzuzählen, und so wusste auch niemand, wie vie le Kampfeinheiten starten würden. Die Schätzungen gingen von etwa tausend Schiffen aus. Die Vorhut war nur dazu da, die Dichte des Cerberischen Felds zu testen. Davon hatte ihre Besatzung natürlich keine Ahnung. Mikro meteoriten verstopften die Triebwerke der Schiffe, ihre Außenhaut wurde von Eisbrocken oder den Gravitationsfeldern ultradichter ei senhaltiger Meteoriten beschädigt. Ihre Zerstörung lieferte den Flot tenlogistikern unter Tsouras Kommando wichtige Daten, aus denen sie eine optimale Angriffsroute berechnen konnten. Ungefähr hun dert Schiffe zerschellten an den Felsbrocken. Dann wurde die erste Salve von Gravitationstorpedos aus der keilförmigen Nase des Inqui sitionsschiffes abgefeuert. Ihrer Größe nach zu schließen mussten sie uralt sein. Das Ge heimnis ihrer Herstellung war lange vergessen. Tsouras hatte viel Geld bezahlen und noch mehr Beziehungen spielen lassen müssen, um sie zu bekommen. Aber sie waren es wert. Die Torpedos schnitten langsam durch die Bomberstaffeln, die sich, so schnell sie konnten, von ihnen entfernten. Als sie am Rand des Cerberischen Feldes detonierten, brach der Asteroidengürtel zu sammen. Elektromagnetische Energie breitete sich wellenförmig aus und saugte die taumelnden Felsbrocken immer näher in ihren Schlund. Asterodienklumpen zogen andere an, bis eine Kettenreakti on entstand, die das Feld in einige wenige, riesige Brocken verwan delte. Weitere Torpedosalven bahnten sich so einen Korridor in das Herz des Cerberischen Felds, wo sich die Schiffe der Seelentrinker befanden. Jägerstaffeln folgten ihnen und mussten sich auf die Orien tierung auf Sicht beschränken, da ihre Navigationscogitoren mit den Störsignalen nicht fertig wurden. Die Bluthund und die Unendliche
Gerechtigkeit waren kaum erkennbar, zwei silbern-purpurfarbene Punkte vor schwarzem Hintergrund. Da die Seelentrinker alle Ma schinen gestoppt hatten, konnten sie sich nicht an den Nachbrennern der Triebwerke orientieren. Die Bomber würden ihre Aufgabe auf altbewährte Weise erledigen müssen. »Wir sind nicht umsonst so weit gekommen!« Ysers Stimme war leise und bedächtig, aber so begeisternd wie immer. »Der Architekt wusste, warum er uns hierher geschickt hat. Wenn wir hier sterben müssen, dann wird Er über uns richten und uns zu den Gerechten oder den Verlorenen zählen.« Das war die erste Lektion des Schicksalsarchitekten. Jedem, der sein Leben hingab, um Seinen Plan zu erfüllen, würde am Ende das Schicksal zuteil werden, das er verdiente. Yser wusste, dass er alles gegeben hatte, dass der Architekt durch ihn gesprochen hatte. Er hat te alles getan, was Er von ihm verlangt hatte. Er hatte eine Kirche in Seinem Namen gegründet, Seine Gemeinde beschützt und Seine aus erwählten Krieger zur Wahrheit geführt. Er war bereit, hier zu ster ben. Mit einem tiefen Donnergrollen schlugen die ersten Bomben in die Bluthund ein. Die Frauen und Männer der Gemeinde erzitterten vor Angst. Außerdem wurden die Lebenserhaltungssysteme zurück gefahren, um dem Schiff das geringstmögliche Energieprofil zu ver leihen − bald bibberten sie vor Kälte und drängten sich im Muniti onslager um Yser, das Zentrum ihres Glaubens. Das leere Munitionslager war der bestgepanzerte Teil des Schif fes. Aber wenn einer der Reaktoren instabil werden sollte oder das Schiff insgesamt zu schwer beschädigt wurde, konnte ihnen dort auch niemand mehr helfen. Auch bei einem Stromausfall würden sie hier unten gefangen sein und erfrieren. Selbst wenn wie durch ein Wunder das Schiff verloren ging, sie aber gerettet wurden, so erwartete sie das Schicksal eines Verräters und Ketzers. Ihr Verbrechen bestand darin, sich mit exkommunizier
ten Space Marines verbündet zu haben. Dafür gab es nur eine Strafe: Ihr Fleisch müsste dem reinigenden Feuer überantwortet werden − die Schmerzen würden sie in den Wahnsinn treiben. Konnte er standhalten? Als armer Dieb und Gefangener hatte Yser viel über sich ergehen lassen müssen. Aber konnte es so weit kom men, dass er seinen Glauben verlor? Würde er unter dem Messer der Folterknechte den Schicksalsarchitekten verleugnen und sich dem verdorbenen Verrat am Imperium anschließen? Er wusste es nicht. Man sagte, dass ein Mann seinen Wert durch die Art seines Todes unter Beweis stellte. Yser hoffte, dass er schnell sterben würde, im Feuer nuklearen Lichts oder in der tödlichen Kälte des Weltalls. Neben ihm weinte leise ein Kind. Es musste ein dickes Fell haben, um so weit gekommen zu sein. Aber es gab Grenzen. »Keine Angst«, sagte er und hoffte, einigermaßen glaubwürdig zu klingen. »Sie weint, weil sie nichts tun kann«, sagte sein Vater, dessen Frau vor einem Jahr unter den Trümmerhaufen des Sternenforts be graben worden war. »Wenn wir nur etwas hätten, wogegen wir kämpfen könnten. Aber hier … fühlen wir uns alle so machtlos.« »Glaubt«, sagte Yser. »Mehr können wir nicht tun.« Die Explosi on eines weiteren Treffers erfüllte das ganze Schiff mit einem ohren betäubenden Lärm. Die Schockwelle warf die Leute reihenweise zu Boden. Für eine Minute war außer einem alles durchdringenden wei ßen Rauschen nichts zu hören. Sie würden alle sterben. Sie würden alle hier sterben. »Unmöglich.« Talayas Antlitz wurde von dem unheimlichen grünen Leuchten der mit Daten gefüllten Bildschirme vor ihr erhellt. Chlou re konnte sich schon gar nicht mehr erinnern, sie je anders gesehen zu haben. »Dieser Weg ist seit sechshundert Jahren interdictus.« »Jetzt nicht mehr, wie es aussieht, oder?« Die Hälfte des Sicht schirms auf der Brücke war mit einer körnigen Aufnahme der Blu thund ausgefüllt − ein besseres Bild brachten die Sensoren nicht zu
stande. Ein verschwommener purpurschwarzer Klecks, der von klei nen weißorangen Explosionen umgeben war − der tödlichen Fracht der ersten Bomberstaffeln. Der Rest des Sichtschirms wurde von komplizierten, unruhigen Wellenlängendiagrammen eingenommen. Chloure war kein Experte auf diesem Gebiet, aber jeder Offizier auf der Gewissenhaftigkeit hatte ihm das Gleiche erzählt: Alles deutete darauf hin, dass es sich hier um einen relativ stabilen Zutrittspunkt zum Warp handelte. Er pulsierte vor Energie, weil sich anscheinend eine große Masse hindurchbewegte. Was ungewöhnlich war, da auf keiner einzigen ihrer Karten eine Warproute in dieser Gegend ver zeichnet war. »Ich weiß es auch nicht«, antwortete Talaya. Diese Worte hörte Chloure zum ersten Mal aus ihrem Mund. Vielleicht war sie doch ein Mensch. »Also gut. Weiß Tsouras davon?« »Wahrscheinlich mehr als wir«, sagte Vekk. »Ich nehme an, Sie wissen, worum es sich hier handelt?« Er machte eine dramatische Pause. Chloure warf ihm einen wü tenden Blick zu. »Vor sechshundert Jahren wurde Warproute 391-C geschlossen, als etwas in ihr aufwachte und einen ganzen Transportkonvoi ver schlang. Es gab über dreihunderttausend Opfer. Die Astropathen ver suchten, Näheres herauszufinden, aber alles, was sie hörten, waren ein paar Echos. Wände aus Fleisch, hieß es. Wände aus Fleisch, die uns erdrücken.« »Warum haben Sie mir das nicht schon längst gesagt?« »Die Route ist seit Jahrhunderten geschlossen, Konsul. Außerdem ist das alles nur Seemannsgarn.« »Aber das, was sich darin befindet, ist wieder aufgewacht und hat Hunger?« »Möglicherweise, Konsul.« Plötzlich schrie einer der Logistiker auf. Ein Funkenregen ergoss sich aus dem Impulsgenerator, der ihn mit dem Sensorium verband.
Er wurde von Krämpfen geschüttelt. Als ihm endlich jemand die Drähte aus dem Kopf zog, brach er zitternd zusammen. Die Boots männer brüllten Befehle, und ein paar Untergebene schafften den rauchenden Körper hinweg. Der Rest der Logistiker beachtete den Vorfall nicht weiter, da sie selbst in die Welt der Sensoriumsimpulse eingetaucht waren. »Was ist passiert?«, fragte Chlure. Beim Gestank des verbrannten Fleisches, der durch die Brücke waberte, musste er einen Brechreiz unterdrücken. »Ein Rückkopplungseffekt«, sagte Talaya. »Von etwas Großem.« Nach sechshundert Jahren des Wartens öffnete sich Warproute 391-C wieder. Das Kommandozentrum der Zorn des Büßers, von dem aus die Jäger und Bomber ihre Befehle erhielten, war ein tiefes, stählernes Loch, in dem Reihen über Reihen von Flugkontrolleuren, Lexme chanikern, Statistikern und Techadepten vor Sensorbildschirmen und Holodisplays saßen. Die meisten von ihnen verließen diesen Ort nie. Manche waren hier geboren worden. Bruchstücke von Kommübertragungen der Staffeln erfüllten den Raum. Ihre Formation war auseinandergebrochen. Einige waren im mer noch dabei, ihre Bomben auf die Seelentrinkerschiffe abzuwer fen, andere waren auf ihrem Weg in die Hölle des Cerberischen Felds oder kehrten schwer angeschlagen zu ihren Mutterschiffen zu rück. Der riesige Warpgraben, der sich geöffnet hatte, hatte ihnen einen gehörigen Schock versetzt. Aus dem Graben strömte eine ge waltige Anzahl Raumschiffe. »… ohne Vorwarnung … Steuerbordbremsraketen aktiviert …« »An alle Einheiten! Formation auflösen und zur Flotte zurückkeh ren. Jetzt!« »… bin getroffen, wiederhole, getroffen …« Tsouras, der durch die Reihen von Speicherbänken und Sternen karten schritt, musste mit anhören, wie die Katastrophe ihren Lauf nahm. Marinekaplane versahen über Kommlink die sterbenden Be
satzungen der Jagdgeschwader mit den letzten Todesriten. Überall platzten Schotte, schrien Männer, brannte sich Treibstoff durch Schiffshüllen. Die effiziente Kaltblütigkeit der Angriffsstaffeln hatte sich innerhalb von Minuten in ein Chaos aus Verwirrung und Ver zweiflung verwandelt. Jeder Bildschirm zeigte das Gleiche − ein unidentifiziertes Schiff hatte sich aus dem Warpgraben geschoben und die Jägerstaffeln, die auf dem Weg zur Position der Seelentrinker waren, angegriffen. Nahbereichsartillerie und Geschützstellungen hatten mehrere Bom berstaffeln aufgerieben, bevor sie überhaupt die Chance gehabt hat ten, auszuweichen und sich zu verteilen. Die Vorhut war jetzt im Asteroidenfeld gefangen − verfolgt von einem wendigen, exzellent bewaffneten Schiff. Tsouras konnte das Feuer der Geschützstellungen hören, die sei nen Schiffen den Tod brachten. Das angreifende Schiff war riesig − viel größer als die Zorn des Büßers. Außerdem war es schnell und strotzte nur so vor Feuerkraft. Seine Piloten mussten wahnsinnig und die Schützen über jedes vorstellbare Maß hinaus trainiert sein. Das Cerberische Feld würde eines fernen Tages Hunderte Ge schichten von Heldenmut und Katastrophen erzählen können. Tsou ras kümmerte das nicht. Die Unendliche Gerechtigkeit und die Blu thund waren noch immer unversehrt. Alles andere war für ihn un wichtig. »Lordinquisitor!« Hrorvald, der Kapitän der Zorn des Büßers, kam durch die Weihrauchschwaden auf ihn zu. Er hatte einen ausla denden Kiefer und einen Brustkorb, der seine Uniform förmlich sprengte. »Eine Katastrophe! Diese Route war seit Jahrhunderten geschlossen! Seit Jahrhunderten! Ich habe bereits den Befehl zum Rückzug angeordnet. Danach werden wir die Flotte …« Tsouras brachte ihn mit einem Wink seiner krallenartigen Hand zum Schweigen. »Ich will einen Angriff mit allen verfügbaren Ein heiten, Kapitän. Alles, was wir haben. Vielleicht handelt es sich hier um Piraten oder Freischärler, es könnten aber auch Ketzer sein, die
dem Feind zu Hilfe eilen. Wenn die Seelentrinker entkommen, war all das hier vergeblich. Erst, wenn die Ziele zerstört sind, ist an Rückzug zu denken.« Hrorvald wandte sich hilfesuchend zu der Gruppe Offiziere um, die ihm gefolgt war. »Sie werden unsere Männer abschlachten, In quisitor! Wir können doch nicht …« »Für einen Moment hat es sich jetzt fast so angehört, als würden Sie meine Befehle in Zweifel ziehen, Kapitän Hrorvald. Aber da ha be ich mich wohl verhört, oder?« Mit Genugtuung registrierte Tsouras die Furcht in Hrorvalds ro tem Gesicht. »Natürlich. Ich wollte Euch nur darüber informieren. Die Angriffsstaffeln sind verloren.« »Das können wir in Kauf nehmen. Aber ich nehme an, Sie sind eigentlich zu mir gekommen, um mir die Identität unseres neuen Feindes zu verraten.« »Sie blockieren unsere Signale, Lordinquisitor. Ziemlich gekonnt, wie ich anmerken muss. Aber … unsere taktischen Offiziere hätten da eine Vermutung − wenn sie auch weit hergeholt ist. Aber, also … um es kurz zu machen: Sie glauben, es ist die Karnivor.« Die darauf folgende Stille wurde nur von leisen Schreien und ge legentlichen Gebeten unterbrochen. »Ich verstehe«, sagte Inquisitor Tsouras schließlich. »Das ändert nichts an meinem Befehl. Unser vorrangiges Ziel ist es, die Bluthund und die Unendliche Gerechtigkeit zu zerstören. Koste es, was es wol le. An die Arbeit, Kapitän.« Die Karnivor wurde von der Sohn der Heiligsprechung und der Himmelsklinge begleitet. Sie waren kleiner als jedes Schiff der Impe rialen Flotte, dafür um einiges gefährlicher. Die Himmelsklinge nä herte sich der Flotte, die verzweifelt versuchte, eine Verteidigungsli nie zu bilden. Da ihre Jägerstaffeln bereits im Einsatz waren, konnten sie es nicht verhindern, dass die Himmelsklinge immer näher kam. Sie näherte sich auf direktem Weg der Diakon Byzantine und igno
rierte die Novakanone, die auf sie feuerte und sie beinahe steuerbord getroffen hatte. Die Sohn entsandte eine eigene Jägerstaffel. Die Sektion, in der sich die zurückziehenden Bomber der Flotte versammelt hatten, wur de in einen wahren Hexenkessel verwandelt. Ungeachtet der abge worfenen Bomben warf sich die Sohn in die Schlacht und zer quetschte feindliche Jäger wie lästige Insekten. »Ihre Befehle, Sir?« Auf der Brücke der Diakon Byzantine ging Kapitän Trentius un ruhig auf und ab. »Auf die Nase zielen. Auf die Unterseite, in Rich tung Ladeluken.« »Sie wird schneller, Sir. Bald ist sie nahe genug, um uns zu ram men. Sollten wir nicht …« Trentius warf einen wütenden Blick auf seinen Geschützmeister. »Sie sollen einfach nur die Ziele ins Visier nehmen, so wie ich es Ihnen befohlen habe, Bulin. Erzählen Sie mir nicht, auf was ich schießen soll. Nase, Unterseite, Ladeluken.« »Ich dachte nur, dass wir vielleicht die Triebwerke …« »Überlassen Sie das Denken den Groxen, Bulin. Die haben größe re Köpfe. Ziel anvisieren und Torpedos scharfmachen.« Trentius wandte sich an den wachhabenden Offizier. »Sie! Holen Sie diese faulen Säcke aus den Enterschiffen und versuchen Sie, den Schaden einzugrenzen!« Die Himmelsklinge kam immer näher. Ihr messerspitzer Bug, der direkt auf die Diakon gerichtet war, hatte die Farbe von Knochen. »Vielleicht«, ertönte die glatte, kultivierte Stimme von Flaggleut nant Lriss, »sollten wir das noch einmal überdenken. Wenn man den Gegner an sich und seine bisherigen Manöver betrachtet, dann könn te es durchaus sein, dass …« »Sie werden uns nicht entern, Lriss«, knurrte Trentius. »Und wis sen Sie auch, warum nicht? Stellen Sie sich vor, Ihre Aufgabe ist es, Ihre Mitstreiter zu evakuieren. Sie wollen so schnell rein und wieder raus wie möglich, weil Sie sich nämlich einer zahlenmäßig größeren,
wenn auch schlechter ausgerüsteten Flotte gegenübersehen. Warum sollten Sie ein minderwertiges Schiff übernehmen wollen? Und war um sein eigenes Schiff in einem Rammmanöver riskieren? Wie wür den Sie sich verhalten?« Lriss verkniff sich aus nahe liegenden Gründen eine Antwort. »Keine Ahnung?« Trentius holte eine dicke Zigarre aus der Brust tasche seiner nikotingelb verfärbten Uniform und zündete sie sich genüsslich an. »Ich sage es Ihnen: Sie schicken ein Brandschiff.« Die Himmelsklinge drehte plötzlich ab. Auf ihrer Seite prangte das riesige Symbol eines goldenen Kelchs auf dunkelpurpurnem Hinter grund. Die Torpedosalven fanden ihr Ziel. Flammen stiegen von der Un terseite der Himmelsklinge auf. Sie mussten alle tiefer gelegenen Decks mit nichtoxidierendem Treibstoff gefüllt haben, der sich auch ohne Luftkontakt entzündete. Eine Flammenwolke, die an einen ster benden Stern erinnerte, schlug aus den Löchern, die die Torpedos in die Hülle der Himmelsklinge gerissen hatten. »Bremsraketen, und zwar sofort«, befahl er, während seine Besat zung noch mit offenem Mund das Spektakel anstarrte. »Sie wird gleich explodieren!« Und er hatte recht. Als die Plasmakerne die kritische Temperatur erreichten und sich in katastrophalem Maße ausdehnten, war der Sichtschirm für eine halbe Minute von blendendem Weiß erfüllt. Zurück blieb nur das ausgebrannte Wrack eines Raumschiffs. »Torpedos nachladen und auf Gefechtsdistanz, Sir?«, fragte Lriss lächelnd. »Reden Sie keinen Blödsinn, Lriss. Glauben Sie allen Ernstes, wir könnten es mit ihnen aufnehmen?« Die Barkasse Karnivor und die beiden Schlachtkreuzer Himmelsklin ge und Sohn der Heiligsprechung waren mehr als ausreichend. Aber sie erhielten weitere Rückendeckung − der Abfangkreuzer Zwiet racht brachte schon allein durch die Präsenz seiner Lanzenbatterien
die Flanke der Flotte ins Wanken. Die Barkasse Mare Infernum war so konstruiert, dass sie eine große Menge Landungskapseln aufneh men konnte. Allein die Vorstellung, dass sie zum Opfer einer Enter aktion werden konnten, ließ die Flotte einhellig den Rückzug antre ten − ob es Tsouras gefiel oder nicht. Die Flotte geriet angesichts des brennenden Wracks der Himmelsklinge und den neu dazugekomme nen technisch überlegenen Schiffen in Panik. Obwohl sie allein und so gut wie umzingelt war, behielt die Dia kon Byzantine die Nerven und schloss sich nicht dem Rest der kopf los fliehenden Flotte an. Als ob sie wüsste, dass die Feinde kein Interesse daran hatten, sie anzugreifen. Die Mare Infernum fiel zurück, um die stark mitgenommene, aber unbesiegte Unendliche Gerechtigkeit aus dem Cerberischen Feld zu begleiten. Sarpedon beobachtete aus dem Bullauge seiner Kajüte, wie sich der unvorstellbar große Bug langsam vor den Hintergrund aus Wrackteilen schob. Die Bluthund schaffte es mit letzter Kraft, die von vielen Schlachten gezeichnete Sohn der Heiligsprechung zu be gleiten. Die ersten gegnerischen Bomberstaffeln hatten zwei der Haupttriebwerke der Bluthund sauber abgesprengt, aber sie war ein zähes Schiff und würde es mit der Hilfe der Verbündeten überstehen. »Flottenkommando an Scriptor Sarpedon. Sofortige Präsenz im Hauptschiff wird verlangt, um das Conclave Iudicaris einzuleiten.« Dieser Befehl bestätigte, was er erwartet hatte. Als sich die Reste der Lakonia-Kampagne langsam am Rande des Cerberischen Feldes neu formierten, waren die Bluthund und die Unendliche Gerechtigkeit längst außer Reichweite. Sie wurden von einer riesigen, tödlichen Eskorte in eine Warproute begleitet, in die ihnen keine Bomberstaffel folgen konnte. Die Lakonia-Kampagne war nur noch ein nutzloser, verstreuter Haufen, ihre Waffensysteme nahezu unbrauchbar und ihre Kreuzer und Schlachtschiffe hoff nungslos überall verstreut. Warproute 391-C schloss sich genau in dem Moment, als die
Zwietracht, das letzte Schiff der Flotte, ihre schimmernden Grenzen passierte und vom Mahlstrom des Immateriums verschluckt wurde. Mit beängstigender Geschwindigkeit sperrte das Warptor das mate rielle Universum aus. Die neue Flotte − zwei Barkassen, drei Schlachtkreuzer, genug um es mit jedem Feindverband aufzunehmen − war von Gorgoleon, dem Ordensmeister der Seelentrinker, gesandt worden. Sarpedon hatte drei Kompanien Seelentrinker unter seinem Kommando. Jetzt waren die anderen sieben gekommen und verlang ten nach Antworten.
SIEBEN
Zum hundertsten Mal starrte Sarpedon in die Schwärze vor ihm, die die Seelentrinker vor neugierigen Augen verbarg. Sie befanden sich im äußersten Nordosten der Galaxis, jenseits des Quisto’Rol-Systems und dem Warpsturm, der auch als der Zorn des Imperators bekannt war. Genau an der Grenze zwischen Imperialem Territorium und der Halozone. Es war ein finsterer Sektor. Nebulawolken, die ganze Systeme verschlingen konnten, bildeten einen formlosen Schleier, den nur der Schein der hellsten Sterne durchdringen konnte. Der Sektor war ver lassen und ruhig, und es konnte Jahrzehnte dauern, bis man die See lentrinker hier finden würde. Schon vor Jahrtausenden hatte der Or den diesen Ort als letzte Rückzugsmöglichkeit in Betracht gezogen − genau für so einen Notfall wie den jetzigen. Die Seelentrinkerflotte hatte ungefähr die Größe einer Sektorar mada und bestand fast nur aus Schiffen, die für den Sturmangriff konzipiert waren. Einige waren schwer mit Landungskapseln und torpedos beladen, andere randvoll mit Lanzen und Novakanonen. Die Leuctra schwebte in der Finsternis neben ihnen. Auf der anderen Seite die Karnivor, die noch sichtlich vom Kampf im Cerberischen Feld mitgenommen war. Eine Barkasse war eine der tödlichsten Erfindungen der Mensch heit. Und hier befanden sich zwei davon. Ihre einzige Aufgabe war es, das Kerkerschiff mit Sarpedon und seinen Männern zu bewachen. Mit eigentümlichem Stolz bemerkte Sarpedon, welch wichtige Ge fangene sie sein mussten. Der Rest des Ordens hielt sie für Rebellen, die das Ansehen der Seelentrinker beschmutzt hatten. Abtrünnige Space Marines waren alles andere als eine Kleinigkeit.
Der Rest der Flotte war kaum zu erkennen. Wie ein Diamant glit zerte silbern die riesige Trainingsplattform, auf der die Novizen und Marines ihre Übungen und Manöver abhielten. Scharfe Munition und eine luftleere Atmosphäre sorgten für die nötige Disziplin der Waf fenbrüder. Die Schlachtkreuzer wirkten in der Entfernung wie ein Fischschwarm − unter ihnen befanden sich auch die Bluthund und die Unendliche Gerechtigkeit. Spezielle Servitorenteams reinigten sie gerade mit Flammen von der Verdorbenheit, die Sarpedon mit an Bord gebracht hatte. Am weitesten entfernt, aber immer noch zu er kennen war die Herrlichkeit, ein gewaltiges Schiff, fast eineinhalb mal so groß wie eine Barkasse. Die goldbeschlagene Hülle und das mit Edelsteinen ziselierte Kelchsymbol waren sogar auf diese Ent fernung unübersehbar. Und genau auf der Herrlichkeit würde sich Sarpedons Schicksal zum Guten oder Schlechten entscheiden. In der heiligen Versamm lungshalle der Ordensältesten oder in den Räumen des Ordensmeis ters Gorgoleon würden Sarpedon und seine Marines entweder frei gesprochen oder zum Tode verurteilt werden. Aber die Gewissheit, sich endlich wieder unter Brüdern zu befinden, machte die Wartezeit erträglich. Sarpedon wandte sich vom Bullauge ab und ging zum Autochi rurgen des Krankendecks zurück. Der schmutzige Metalltisch, auf dem Sergeant Tellos lag, troff von frischem Blut. Sanguinadeln zo gen die Haut über seiner Bauchdecke ab und führten dünne Schäfte in seine Organe ein. Apothecarius Pallas stand mit zwei Kranken pflegern über ihm und beobachtete die komplizierten Anzeigen der Datentafeln, die von der Menge der übermittelten Information nur so flimmerten. Den Krankenpflegern waren Münder und Ohren zuge näht worden − sie gehörten dem Orden und durften keine Gefahr laufen, ketzerische Worte zu sprechen oder zu hören. »Wird er durchkommen?«, fragte Sarpedon. »Langsam glaube ich, dass Leben und Tod nur relative Begriffe sind«, antwortete Pallas. »Vielleicht wird er in dem Sinne aufhören
zu leben, den wir als natürlich ansehen. Aber ich glaube nicht, dass er sterben wird.« Er drückte mit einem Finger auf Tellos’ Brust. Die Haut war ergraut und fast durchsichtig. Unter ihr konnte man das Schlagen der beiden Herzen und die kräftig ein- und ausatmende dritte Lunge erkennen. Die Haut warf Falten und Runzeln, als würde sie sich bald verflüssigen. »Seine Körperchemie hat sich verändert. Sein Biorhythmus ist mehr als ungewöhnlich − in unregelmäßigen Abständen erhält er große Energiestöße.« »Und sein Geist?« Pallas zuckte mit den Achseln. »Iktinos sagt, dass er wieder kämpfen will. Er trainiert hart, ob wir es ihm verbieten oder nicht. Ein Marine ohne Hände ist schließlich nur eine erbärmliche Nachäf fung eines Kriegers. Aber manchmal hätte er mich schon fast über zeugt. Ehrlich gesagt weiß ich nicht im Geringsten, was in seinem Kopf vorgeht.« Der Fühler, der wie eine dürre Metallhand aussah, drehte sich, und einer seiner Finger, an dessen Spitze ein langer durchsichtiger Schlauch befestigt war, stach in Tellos’ Eingeweide. In einer dünnen roten Linie floss Blut durch den Schlauch. »Die Gensaat selbst zeigt keinerlei Abweichungen von der Norm. Wir wissen nicht, was die Veränderungen hervorruft. Mit den uns momentan zur Verfügung stehenden Kapazitäten kann ich der Sache nicht auf den Grund ge hen. Wir haben den Ordensapothekern Proben überlassen, aber sie wollen uns nicht helfen.« »Natürlich nicht. Nicht, so lange nicht geklärt ist, ob wir Verräter sind oder nicht.« Der Schlauch wurde eingezogen und Tellos’ Haut wieder zusam mengenäht. Die Nadeln der kleinen Maschinen rutschten auf der glit schigen Haut ab, sodass die Hautlappen nur ungenau zusammenge fügt werden konnten. Aber die faltige Haut schmolz von sich aus zusammen, bis von einem Einschnitt nichts mehr zu sehen war. »Bei unseren anderen Waffenbrüdern ist es dasselbe«, sagte Pal las. »Wir wissen nicht, warum sich manche verändern und andere
nicht. Euch selbst eingeschlossen. Ihr habt jetzt seit Wochen nichts gegessen − eigentlich solltet Ihr geschwächt sein, Eure Muskelmasse sollte sich abgebaut haben. Aber nichts davon.« »Ich fühle mich stärker als je zuvor.« »Das können wir nur schlecht beurteilen.« »Ich meine, im psychischen Sinn. Auf der Geryon-Plattform habe ich es zum ersten Mal gespürt. Die Hölle ist noch nie so stark gewe sen, Pallas. Sie hat uns immer gute Dienste geleistet, aber das war unglaublich. Yser sagt, dass ich Kraft aus meinem Glauben ziehen würde. Jetzt, wo wir die Wahrheit kennen. Der Architekt hat uns ge segnet.« Tellos bewegte sich auf dem Tisch. Man konnte ihn selbst mit Be täubungsmitteln nicht länger als eine Stunde zur Ruhe bringen − als ob etwas in ihm verzweifelt dagegen ankämpfen würde, die Kontrol le nicht zu verlieren. Da er kein Verbrechen begangen hatte, hatte Sarpedon es nicht gestattet, ihn einzusperren. Was seine Überwa chung durch Pallas nur noch schwieriger machte. Sie hatten ihm schon mehrmals seine beiden Klingen weggenommen, aber er hatte immer neue gefunden. Also hatten sie schließlich aufgegeben. »Auf jeden Fall«, sagte Pallas, »wird uns diese Sache in keinem guten Licht erscheinen lassen, Hauptmann. Sie werden eine einge hende Untersuchung durchführen, bei der diese Abnormitäten nicht unentdeckt bleiben werden. Aber ohne Labors und genügend Strom kann ich nichts weiter ausrichten.« Strom. Es war Absicht, dass das Kerkerschiff nur schwach be leuchtet und mit wenig funktionierenden Einrichtungen ausgestattet war. In einer normalen Brigg hätte man keinen Seelentrinker gegen seinen Willen festhalten können. Daher war ein ganzes Schiff allein als ihr Gefängnis bereitgestellt worden. Seine Plasmareaktoren waren außer Betrieb gesetzt. Es konnte sich nicht aus eigener Kraft fortbe wegen, sondern musste immer von einem anderen Schiff geschleppt werden − so bestand keine Möglichkeit zur Flucht. Auch die Waffen systeme waren entfernt worden, und der Strom reichte nur für die
nötigsten Lebenserhaltungssysteme aus. Das Kerkerschiff war einst der Schlachtkreuzer Ferox gewesen − jetzt hatte es keinen Namen mehr. Ein Voxsignal blinkte in Sarpedons Retinadisplay auf. »Euer Ordensmeister verlangt die Anwesenheit von Scriptor Sar pedon«, erklang Kaplan Iktinos’ mürrische Stimme. »Ein Shuttle wird entsandt. Ihr sollt allein kommen.« »Sag ihm, dass ich bereit bin.« Sarpedon wechselte auf einen an deren Kanal. »Sergeant Givrillian, diplomatische Eskorte zusam menstellen. Wir werden zur Herrlichkeit übersetzen.« In Kriegszeiten hielt sich Ordensmeister Gorgoleon strikt an eine Regel: die Regel der Verzweiflung. Wenn ein Feind verzweifelt ist und keine Hoffnung mehr hat, wenn er seine toten Kameraden neben sich im Staub liegen sieht, dahingestreckt von der unsichtbaren Hand des Feindes, dann ist er verloren. Er kann nicht mehr weiterkämpfen − ob er nun gefangen genommen, getötet oder unterworfen werden soll −, er kann nichts dagegen tun. Die Schlacht ist dann gewonnen, wenn eine Seite keinen Mut mehr aufbringt, und das erreicht man am schnellsten durch unbarmherzige und unerbittliche Versuche, den Feind zur Verzweiflung zu bringen. Schon für Daenyathos war dies ein Grundprinzip der Kriegsführung gewesen. Gorgoleon hatte dar aus eine Wissenschaft gemacht. Deshalb war er zum Ordensmeister aufgestiegen. Deshalb hatte er so gut wie nie versagt. Der Feind verzweifelte, wenn ihm tödlicher, verheerender Scha den zugefügt wurde, aber es gab noch andere Wege. So hatte er die Wände seiner Zelle mit schwarzem Marmor verkleiden lassen, auf dem seine Taten als Krieger eingraviert waren. Hier stand er Seite an Seite mit dem längst verstorbenen Kaplan Surrian im Pulsgeschoss hagel auf einem Berg getöteter Tau. Da stand er dem Erzverderber Auge in Auge gegenüber und pumpte Bolterkugeln in seinen Körper. Dort war er in den Dschungeln von Actium, da in den zerstörten Straßen von Helsreach. Gorgoleons kompletter Chanson war hier
eingraviert. Ein steinernes Zeugnis seiner Heldentaten. Nicht, dass ihn das persönlich befriedigt hätte. In der langen Ge schichte der Seelentrinker gab es weitaus glorreichere Karrieren. Er brauchte auch kein Bilderbuch, um seinen Erinnerungen auf die Sprünge zu helfen. Aber jeder, der es sah, war beeindruckt, und, un ter den richtigen Umständen, hoffentlich auch verzweifelt. Ein Servitor schlich den langen Korridor an den steinernen Zeug nissen früherer Heldentaten vorbei in Gorgoleons Gemächer. »Das Shuttle nähert sich«, sagte er in seiner dünnen, schwachen Stimme. Der Servitor war einst ein Ordensdiener gewesen, der irgendwann zu alt und verbraucht gewesen war, um seine Aufgaben zu erfüllen, und zu Gorgoleons Leibdiener umgebaut worden war. Gorgoleon achtete sehr genau darauf, dass die Untergebenen in seiner Nähe besonders erbärmlich und elend aussahen. »Das Shuttle hat die Berechtigung, auf der Herrlichkeit zu landen. Sarpedon soll seine Begleiter im Landedeck zurücklassen und sich sofort zu mir begeben. Stellt sicher, dass er weder ausgeruht noch satt ist.« »Jawohl, Lord Gorgoleon«, lispelte der schrumpelige Servitor und humpelte auf den vergoldeten Fliesen der Gemächer davon. Gorgoleon ließ seine massige, gerüstete Gestalt in einen Stuhl aus Elfenbein fallen. In das Holz seines Arbeitstisches waren Bildtafeln eingelassen, die Sarpedon und seine Offiziere zeigten. Er betrachtete noch einmal die Schlachtgesänge von Quixian Obscura, der Brücke von Karlaster und dem Wald von Haemon. Sarpedon war es oft ge lungen, im Alleingang das Blatt zu wenden oder Zeit zu gewinnen, als alles schon verloren schien und Verwirrung zu stiften, um schein bar uneinnehmbare Befestigungen stürmen zu können. Gorgoleon besah sich die Liste seiner aktiven Missionen. Es gab nur einen Ein trag − das Sternenfort der Van Skorfolds, gemeinsamer Oberbefehl mit Caeon. Scriptoren erhielten bei den Seelentrinkern nur selten solche Verantwortung. Es war Sitte, erfahrenen Offizieren, die an vorderster Front kämpften, das Kommando zu übertragen. Caeon
musste Sarpedons Fähigkeit und seiner Rechtschaffenheit sehr ver traut haben. Aber jeder, auch Veteranen wie Caeon, macht einmal einen Fehler. Er blätterte weiter in den Aufzeichnungen über Sarpedon. Er war ein seltenes Exemplar − er besaß sowohl die geistigen Fähigkeiten eines Marine als auch die Begabung, seine psionischen Kräfte ohne Angst vor Besessenheit einzusetzen. Dieses eher ungewöhnliche Ta lent hatte das Librarium nicht davon abgehalten, ihn im Kampf ein zusetzen − wenn auch zunächst mehr als Experiment. Als Novize hatte er durch die Disziplin, mit der er Daenyathos’ Worten folgte, herausgestochen. Als frischgebackener Marine hatte er sich fähig gezeigt, aufgrund seiner psychologischen Vorteile auch mit einer Übermacht an Feinden fertig zu werden. Es hätte eine glän zende Karriere werden sollen, ein Beispiel dafür, wie Daenyathos’ Lehren in die Praxis des Krieges umgesetzt werden konnten. Aber irgendetwas war falsch gelaufen. Gorgoleon fand nirgendwo etwas, das auf Unbeständigkeit oder Unfähigkeit hindeutete. Unter anderen Umständen hätte er jedem Novizen Sarpedon als ein leuchtendes Beispiel empfohlen − ein frommer Soldat, der die Glaubenssätze und Traditionen seines Or dens in der Schlacht wie eine Waffe schwang. Trotzdem hatte er rebelliert. Er hatte das Blut seiner Verbündeten vergossen. Das Schlimmste waren die Worte gewesen, die er an den Gesandten der Inquisition gerichtet hatte, bevor er ihn erschlug. Der Erhalt des Imperiums sollte von den Seelentrinkern gewährleistet werden. Sarpedon hatte ihm den Rücken gekehrt. Gorgoleon verstand sein Geschäft. Nur selten hatte er einen Mari ne in seine Gemächer zitieren müssen, damit er verzweifelt seine Sünden gestand. Aber dieses Mal ging es um das Schicksal des gan zen Ordens − nicht, dass er sich ernsthafte Sorgen machte. Aber selbst er hatte mit Beunruhigung die hässlichen Worte Tsouras’ ver nommen, die sich der Kehle des Astropathen entrungen hatten. Es gab andere Beispiele − die Astral Claws, die Thunder Barons.
Orden, die das Wohlwollen des Imperiums verloren hatten und zu dem geworden waren, was sie am meisten gefürchtet hatten. Die See lentrinker würden sich nicht zu dieser Gruppe gesellen. Nicht, solan ge er noch am Leben war. Die messingbeschlagenen Türen öffneten sich. Ein Protokollservi tor schwebte herein. »In die Anwesenheit Dorns und des Imperators persönlich: Scriptor Sarpedon.« Sarpedon sah nicht wie ein Mann aus, der monatelange Entbeh rungen hinter sich hatte. Das Kerkerschiff hatte keine Vorräte an Bord gehabt, und das Wenige, das die Marines bei sich gehabt hat ten, hatten sie an den dreckigen Haufen von Gefangenen verschwen det, die sie mitgebracht hatten. Aber als Sarpedon durch den Gang stolzierte, sah er so frisch und ausgeruht aus wie vor einer bevorste henden Schlacht. Jeder, der Gorgoleons Gemächer betrat, musste an den beeindru ckenden Galerien vorbei, die die Geschichte des Ordens und seine eigenen Heldentaten illustrierten. Sarpedon würdigte sie keines Bli ckes. Seine Miene zeigte tiefe Entschlossenheit. Gorgoleon behielt auf seinem Stuhl Platz und wartete auf ihn. »Scriptor Sarpedon«, sagte er schließlich. »Es gibt Dinge, die wir bereden müssen.« Sarpedon stand stolz und ohne Angst in den Augen da, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. »In der Tat.« »Vielleicht bist du dir über die Konsequenzen deiner Taten noch nicht völlig im Klaren. Vor einigen Monaten erreichte mich eine Botschaft von Inquisitor Tsouras − im Namen aller Lordinquisitoren des Ordo Haereticus. Wir wurden angewiesen, unsere Waffen nie derzulegen und uns vor der Inquisition zu verantworten. Natürlich verweigerten wir diese Forderung. Dorn selbst hätte nicht anders gehandelt. Und dann sind wir geflohen.« »Geehrter Lord Gorgoleon, ich selbst hatte Unannehmlichkeiten mit …« »Wir sind geflohen!«, brüllte Gorgoleon, richtete sich auf und
schlug mit der Faust heftig auf die Tischplatte. »Verstehst du nicht, was du aus uns gemacht hast? Wir sind geflohen! Wir! Die Auser wählten des Imperiums − auf der Flucht wie gemeine Verbrecher! Sie wollen uns unsere Waffen nehmen, Sarpedon. Sie wollen uns unserer Rüstungen berauben und auf irgendeinen Gefängnisplaneten werfen, während sie ihr Urteil über uns fällen. Sie haben uns wie Ungeziefer behandelt, Sarpedon! Ich wurde gezwungen, dieser Flotte den Befehl zur Flucht zu erteilen, als wären wir nichts als ein Haufen Feiglinge! Ich weiß nicht, wie ich diese Demütigung beschreiben soll − wir sind geflohen. Entgegen allem, was Daethyanos uns jemals gelehrt hat. Aber das ist noch nicht das Schlimmste, Sarpedon. Das ist noch nicht das Schlimmste.« »Lord, die Dinge sind nicht so einfach …« »O doch, Sarpedon, sie sind einfach. Nachdem wir die Forderung, unsere Waffen niederzulegen und uns in Gefangenschaft zu begeben abgelehnt hatten, erhielt ich eine zweite Botschaft. Die schlimmste Botschaft meines ganzen Lebens.« Sarpedon zögerte einen Moment, als könne er die unheiligen Wor te nicht aussprechen. »Wir wurden zu Excommunicate Traitoris er klärt.« »Excommunicate!« Gorgoleon spie das Wort förmlich aus. »Wir sind nichtswürdig, Sarpedon. Die Schlimmsten der Schlimmsten un ter den Schlimmsten. Ich habe dich zusammen mit Caeon ausge sandt, um ein großes Unrecht wiedergutzumachen, und du entehrst diesen Orden wie noch nie zuvor in seiner Geschichte. Wir sind vo gelfrei, Scriptor! Sie werden jede Spur unserer Existenz verwi schen!« Gorgoleon stand für einen Moment da und ließ seinen Zorn abklingen. »Was ist mit dir passiert, Sarpedon? Weshalb hast du dich so sehr von deinem Glauben abgewandt und deine Mitbrüder ins Unglück gestürzt? Wieso hast du dich gegen deine Verbündeten ge wandt und dich über die höchsten Autoritäten des Imperiums hin weggesetzt? Warum hast du uns alle mit deiner Unehrenhaftigkeit befleckt?«
»Warum?«, sagte Sarpedon gleichmütig. »Weil ich glaube, Lord Gorgoleon. Ich glaube an Gerechtigkeit und Würde und an den Wil len des Imperators. Ich glaube, dass die Pflicht der Menschheit darin besteht, Ihm zu dienen. Ich glaube, dass diejenigen, die uns diese Pflicht vergessen machen, unsere wahren Feinde sind. Sie ziehen alles, was uns Größe verleiht, in den Dreck. Ich werde angeklagt, das Blut meiner Verbündeten vergossen zu haben. Aber ich bin kein Verbündeter des Imperiums.« Gorgoleon schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Und war um? Weil dir das ein Wanderprediger weisgemacht hat. Bei Dorn, sogar dein Kaplan kniet vor ihm nieder! Sarpedon, du warst ein klar denkender Soldat. Jetzt hast du uns alle ins Verderben gezogen. Du verstehst, dass mir nur eine Möglichkeit bleibt.« Sarpedon schwieg. Seine Miene zeigte keinen Anflug von Reue − er wusste genau, was Gorgoleon tun würde. »Der Ordo Haereticus will, dass ich dich ausliefere«, sagte Gorgo leon. »Erst wenn dein Kopf auf einem Pfahl steckt und deine Brüder zu Asche verbrannt sind, werden sie das Urteil des Traitoris widerru fen. Ich wäre einen Verräter in meinen Reihen los und sie hätten ei nen Ketzer, den sie verbrennen können. Nach endlosen Säuberungen und Opfern würden wir vielleicht eines Tages sogar unsere Freiheit wiedererlangen. Wenn wir dich ausliefern.« »Aber das müsst Ihr nicht, Lord Gorgoleon.« »Nein. Wieso auch. Du hast das schlimmste Verbrechen began gen, dessen sich ein Marine schuldig machen kann.« »Und nur meine Brüder können über mich richten.« Gorgoleon hätte den Scriptor nur zu gern den Bluthunden zum Fraß vorgeworfen, nur allein, weil er seine Ehre beschmutzt hatte. Aber er durfte nicht. Obwohl er nichts als kalten Hass für ihn ver spürte, gab es doch gewisse Grundsätze, die einen Seelentrinker von einem gewöhnlichen Mann unterschieden. »Nur deine Brüder. Die Inquisition weiß nichts von den Grundsätzen, nach denen ein Marine lebt und an die er glaubt. Wir sind nur eine Stufe vom Imperator ent
fernt, Sarpedon. Sein Blut rann durch Dorns Adern, und Dorns in deinen. Niemand kann über dich richten, nur ein anderer Marine. Der Imperator sei Zeuge.« »So sagt Daenyathos, Lord Gorgoleon.« »Und ich werde ihm folgen. Du hast uns in eine fürchterliche Si tuation gebracht, Sarpedon. Aber das ist keine Entschuldigung, mit unseren Traditionen zu brechen. Der Prozess wird in drei Tagen in der Kapelle Dorns stattfinden. Der Imperator wird an der Seite des gerechten Mannes sein.« »Ich bin bereit, Lord Gorgoleon. Ich diene dem Imperator.« »Genau wie ich, Sarpedon. Je größer die Sünde, umso höher der Richter. Ich bin der höchste Mann dieses Ordens. In Anbetracht dei ner Sünden wirst du mir gegenüberstehen.« »So sei es«, sagte Sarpedon ungerührt. Wollte er sich seinen Ver rat nicht eingestehen? Glaubte er wirklich an das, was er sagte? War er wirklich überzeugt davon, dass es rechtens und ehrenvoll gewesen war, seinen Verbündeten in den Rücken zu fallen? Unmöglich. Ent weder war es Verlogenheit oder Verblendung. »Hast du keine Angst? Du kennst meine Taten. Du kannst sie hier in diesen Hallen betrachten. Du hast schon Geschichten über mich gehört, als du noch ein einfacher Novize warst. Nur durch meinen Willen werde ich dich töten. Du bist zäh, Sarpedon, aber nicht zäh genug.« »Ich habe den Glauben, Lord Sarpedon. Ich brauche nichts sonst.« Gorgoleon warf dem Verräter einen scharfen Blick zu − aber er sah keine Furcht in seinen Augen, nicht einmal angesichts seines baldigen Todes. Was war mit ihm da draußen geschehen? Hatte der Verlust des Seelen-Speers seine Sinne verblendet? Sie erzählten, dass er Visionen hatte. Es kursierten Gerüchte über physische Verände rungen. Es gab keinen anderen Weg. Er musste sterben, um die Gerech tigkeit wiederherzustellen. »In drei Tagen«, sagte er leise. »Vielleicht vergibt dir Dorn. Ich
werde es nicht tun.« Sarpedon wandte sich um und verließ den Raum, wobei er die verschlungenen Reliefs, die Gorgoleon auf Bergen erschlagener Feinde und im Kampf mit Xenoshorden zeigten, keines Blickes wür digte. Aus ihm hätte so viel werden können, dachte Gorgoleon. Ein ein zigartiger Mann. Und das war er immer noch irgendwie − noch nie vor ihm hatte dem Orden die Schande der Exkommunikation ge droht. Die Seelentrinker würden nicht die Gnade des Imperators verlie ren. Nicht, solange Gorgoleon noch am Leben war. Aber bevor sich die hässliche Wunde der Ehrlosigkeit schließen konnte, musste Sar pedon sterben. Und obwohl er ein Marine und Waffenbruder war, würde es Gorgoleon genießen, ihn persönlich in Stücke zu reißen. Die korrekt ausgeführten Schildrituale dauerten viele Stunden. Nor malerweise wurde eine abgekürzte Version kurz vor Anbeginn der Schlacht abgehalten. Aber wenn sich ein Krieger auf einen Kreuzzug begab oder wenn er genug Zeit hatte, über die Aufgabe vor ihm nachzudenken, war es Vorschrift, ihre volle Länge einzuhalten. Sarpedon war fast fertig. Im Dämmerlicht des Kerkerschiffes konnte er seine Rüstung an den Stellen blinken sehen, die er vom Schmutz der letzten Monate gesäubert hatte. Es war gar nicht leicht, die Verbindungsstücke und Siegel zu putzen, geschweige denn den Goldbeschlag, der nur allzu leicht anlief. Jedes Projektilloch erfor derte aufwendige Reparaturen. Sarpedon inhalierte etwas Weihrauch, als er die Objektive in die Augenhöhlen seines Helms zurücksetzte. Er würde den Helm natür lich nicht tragen, aber die Riten schlossen den Geist der gesamten Rüstung ein, und dazu gehörte jedes einzelne Teil. Ohne seine Rüs tung fühlte er sich immer irgendwie nackt, als wäre sie wie eine zweite Haut, ohne die er hüllenlos und blutend herumstolperte. Der sanfte Hauch der Lüftung strich über seinen Rücken. Selbst das At
men fühlte sich kalt und rau an. Zufrieden mit seiner Arbeit legte er den Helm beiseite. Jedes Rüs tungsteil − von den Beinschienen über die Knieplatten bis hin zu den Handschuhen und dem Rückenmodul − war von Lygris überprüft und von Sarpedon gereinigt worden, um seine Heiligkeit für den be vorstehenden Kampf zu garantieren. Die Tür seiner Zelle öffnete sich zischend. Sarpedon erkannte sei nen Gast an dem Trippeln bloßer Füße. »Vater Yser. Danke für deinen Besuch.« »Im Namen der Gemeinde, Lord Sarpedon. Ihr müsst große Sor gen haben.« Sarpedon wandte sich um und schaute den Priester an. Ohne den verfilzten Bart und den Schmutz wirkte er trotz der schlechten Be dingungen erstaunlich gesund. »Yser, es besteht die Möglichkeit, dass ich diesen Tag nicht überleben werde. Aber ich befand mich schon oft in so einer Situation und werde mich auch dieses Mal nicht fürchten. Aber … es gibt Dinge, die ich noch wissen will.« »Fragt.« »Ich habe Dinge gesehen, Yser. In meinen Träumen. Ich sah eine Welt aus Schmutz, aus dessen furchtbarem Herzen eine Stimme zu mir rief. Mein Körper verändert sich. Ich esse nicht mehr. Mit mei nen Knochen geschieht etwas, das sich selbst Pallas nicht erklären kann. Ich hatte noch niemals Angst, Yser. Aber das ist etwas anderes. Ich muss wissen, was hier vor sich geht. Warum habe ich diese Vi sionen? Was passiert mit mir?« Yser lächelte. »Lord Sarpedon. Wir fühlen es alle. Es ist die Hand des Schicksalsarchitekten. Der Imperator bereitet Euch auf Großes vor. Er hat Euch die Welt gezeigt, die Ihr zu überwinden habt, um Euren wahren Wert zu beweisen. Die Prüfung, der Ihr Euch heute unterziehen müsst, gehört dazu − der Architekt hat die Ungerechtig keit bemerkt, die Euch widerfahren ist, und hat sie in eine Prüfung verwandelt, aus der Ihr gestärkt hervorgehen werdet.« »Ich habe dem Imperator viele Jahre lang gedient, Yser«, sagte
Sarpedon. »Aber ich habe noch nie etwas derartiges gefühlt.« »Weil Ihr die Wahrheit nicht kanntet, Sarpedon. Ihr seid einer Lü ge gefolgt. Aber jetzt kennt Ihr die Wahrheit und erfüllt wirklich Seinen Willen.« Wenn das wahr wäre … allein die Idee, dass er vom Imperator be rührt worden war, konnte Sarpedons Verstand nicht begreifen. In den zehntausend Jahren, seitdem der Imperator in das Halbleben des Goldenen Throns getreten war − wie vielen Menschen war diese Eh re zuteil geworden? Noch keinem? »Aber alles war vergebens«, fuhr Yser fort, »wenn Ihr sterbt. Könnt Ihr diesen Kampf gewinnen?« »Gorgoleon ist der beste Krieger, den dieser Orden seit Jahrhun derten hervorgebracht hat, Yser. Ich hätte nie geglaubt, auch nur die kleinste Chance gegen ihn zu haben. Aber die Dinge haben sich ge ändert.« »Nein, Sarpedon. Nichts hat sich geändert. Nichts außer Euch selbst.« Sarpedon richtete sich auf und nahm die schwere Brustplatte mit dem geflügelten Kelch und dem Kragen, an dem die Aegiskappe befestigt war, in die Hand. »Danke, Yser. Sag meinen Brüdern, dass ich gerüstet und bereit bin. Es hat keinen Sinn, sie noch länger war ten zu lassen. Und noch etwas, Yser.« »Lord Sarpedon?« »Sie werden mir meinen Energiestab überreichen. Segne ihn für mich und wünsch mir Glück.« Unter den Brüdern war es nicht mehr als ein Gerücht. Nur die Ranghöchsten des Ordens trauten sich, es offen auszusprechen: Dorn war der Erbe des Imperiums. Der Imperator erschuf zwanzig Primarchen, die als Vorbild für die Übermenschen dienten, die in Seinem Namen die Galaxie erobern sollten. Aber dunkle Mächte beobachteten Ihn und durchkreuzten seine Pläne, und nicht alle Primarchen wurden in Vollkommenheit geboren. Die Hälfte von ihnen sollte sich im Feuer der Horus-Häresie
als Verräter erweisen. Die andere Hälfte bestand aus gequälten Vam piren, heißblütigen Schlächtern, barbarischen Verbrechern und machtlüsternen Tyrannen. Alle gaben ihre Makel mit ihrer Gensaat weiter und vererbten ihren Nachkommen so einen Zug der Unehren haftigkeit, über den nie gesprochen wurde, in dessen Namen aber Kriege erklärt wurden. Alle bis auf Dorn. Der Imperator in all seiner Weisheit und Ge rechtigkeit hatte die dunklen Mächte überlistet und einen Sohn ge schaffen, der Seinem Ideal der Perfektion entsprach. Obwohl Mari nes, die die Gensaat anderer Primarchen in sich trugen, lieber sterben würden, als es zuzugeben − Dorn war der Höchste unter ihnen. Er verlangte nicht nach Macht, nur nach Gerechtigkeit. Er kämpfte nicht mit blindwütigem Zorn oder Arglist, sondern nur ehrenhaft. Seine Legion übertraf alle anderen − sie verteidigte sich mannhaft, griff erbarmungslos an und war über alle Maßen geschickt − diese Fähig keiten fanden sich auch heute noch in den vielen Orden, die aus den Imperial Fists geformt worden waren. Ja, Dorn war der größte Mann, der je gelebt hatte, mit Ausnahme des Göttlichen Imperators selbst natürlich. Nur, indem sie seinem Beispiel folgten, konnten die Seelentrinker die Besten sein. Dorn war in seinen Worten und Taten im Herzen des Ordens noch immer le bendig. Unter seinem gestrengen Auge wurden Angelegenheiten von höchster Wichtigkeit entschieden. Er beobachtete sie aus den Hallen des Urteils im Jenseits und stellte sicher, dass seine Söhne seinem Beispiel folgten und alles, was sie taten, gerecht und richtig war. So kam es, dass sich Ordensmeister und Verräter in der Kathedra le von Dorn im Herzen des Schlachtschiffes Herrlichkeit trafen, um die größte Krise des Ordens auf die einzige Weise zu lösen, die ihnen angemessen erschien. Gorgoleon sah in voller Kampfrüstung noch immer so erschreckend aus, wie ihn Sarpedon in Erinnerung hatte. Die Rüstung war poliert und schimmerte im Licht von tausend Kerzen. Auf einer Schulter
platte befand sich das Wappen von Rogal Dorn, auf der anderen der goldene Kelch. Um den Hals trug er noch immer das aus Knochen geschnittene Crux Terminatus aus den Tagen, als er eine der wenigen Terminatorrüstungen des Ordens getragen hatte. Die zeremonielle Rüstung, die ihn jetzt beschützte, hatte die gleiche Form wie Sarpe dons. Nur, dass sie von Artificern geschmückt und von den besten Techmarines gepflegt worden war. Sein Arm mit der Energiefaust pendelte mächtig an seiner Seite − die Faust hatte ein eingebautes Energiefeld, das es dem Ordensmeister erlaubte, Löcher in Wände oder ganze Panzer zu schlagen. Sarpedon würde nicht einem einzi gen wuchtigen Treffer damit standhalten können. Das Energiefeld konnte nach Belieben von Gorgoleon aktiviert werden − je nachdem, ob er auf Geschicklichkeit oder zerstörerische Kraft setzte. Gorgoleon wartete in der Mitte der gewölbten Kathedrale. Sarpe don wurde von sechs Marines hereingeführt. Seinen Bolter trug er nicht − der rituelle Kampf erlaubte keine Feuerwaffen. Seine einzige Verteidigung war der Energiestab, der seinem Meister bis jetzt im mer treue Dienste geleistet hatte. Die Seelentrinker hatten sich in der Kathedrale versammelt. Es war ihr Recht, dem ehrenvollen Kampf beizuwohnen, der seit jeher zur Tradition des Ordens gehörte. Rogal Dorn selbst sah auf sie he rab: eine titanische Figur aus Buntglas, die oberhalb des Altarfensters stand. Über allem hing ein feiner Schleier aus Weihrauch. Die ganze Kathedrale war in warmes, flackerndes Kerzenlicht getaucht. Es herrschte Totenstille. Die Marines respektierten die Minuten der Besinnung vor dem Kampf. Sie waren dem Imperator gewidmet, der der eigentliche Grund für den traditionellen Kampf in den heili gen Hallen der Seelentrinker darstellte. Und heute mehr als sonst. Er würde den Kampf beobachten und der Richter sein − Sein Wille be stimmte den Sieger. Dann ging es los. Sarpedons Wächter traten in die Reihen ihrer Waffenbrüder zurück. Ein uralter Kaplan, einer der wenigen, die nicht den Tod auf dem Schlachtfeld gefunden hatten, betrat auf ser
vogestützten Beinen die Mitte des Raums und stimmte die rituellen Gesänge an. »Imperator, unser höchster Lord, an den wir als Bruderschaft ge bunden sind, und Rogal Dorn, dessen Blut unser Blut ist. Helft uns, der Tradition nachzukommen und verleiht dem Arm des gerechten Mannes Eure Stärke, um uns durch Euren Entschluss Euren Plan aufzuzeigen.« Der Kaplan zog sich zurück. Gorgoleon aktivierte das Energiefeld seiner Faust. Der Kampf hatte begonnen. Sarpedon wich dem ersten Schlag aus und erkannte zu spät, dass Gorgoleon genau das beabsichtigt hatte. Gorgoleons Knieplatte traf die Seite seines Kopfes mit voller Wucht. Er wurde nach hinten ge schleudert. Alles drehte sich um ihn herum, als er schwankend das Gleichgewicht zu halten versuchte − die hohen gotischen Gewölbe, das Antlitz Dorns aus buntem Glas, der ihn mit strengen Augen an sah, die Reihen der Marines in ihren purpurfarbenen Rüstungen. Das Mittelschiff der Kirche war in eine Arena verwandelt worden. Er konnte ihre Blicke auf sich spüren. Sie beobachteten jede sei ner Bewegungen, gleichermaßen fasziniert und abgestoßen von dem, was sich heute hier abspielte. Man brauchte kein Psioniker zu sein, um die Spannung in der Luft zu spüren. Ein geringerer Kämpfer hätte wild um sich geschlagen. Ein Mari ne konnte sich die Welt in Zeitlupe vorstellen − und den nächsten Schlag, noch bevor er überhaupt ausgeführt wurde. Deshalb parierte Sarpedon Gorgoleons nächsten Hieb mit dem Unterarm. Er konnte spüren, wie das Ceramit unter der Kraft des Ordensmeisters nachgab. Dann trat er einen Schritt zur Seite, um einen Aufwärtshaken der Energiefaust mit seinem Stab abzuwehren. Energiefeld krachte auf Energiefeld, und unter großem Funkensprühen taumelten beide Männer zurück. Gorgoleon grinste. Er wusste, dass er gewinnen würde. Er ließ die Finger der Energiefaust spielen. Sarpedon konnte Hunderte von gol denen Nieten auf der Oberfläche der Faust erkennen − eine für jeden
Feind von Bedeutung, die er damit zur Strecke gebracht hatte. »Gib auf, Verräter«, sagte Gorgoleon, der nicht im Mindesten au ßer Atem zu sein schien. »Machen wir es kurz.« Aus der Menge der Marines ertönten Schreie − sie forderten ent weder ein schnelles oder ein langsames und blutiges Ende des Kamp fes. Manche forderten bestimmte Körperteile des toten Verräters ein. Die Aussicht auf ein Souvenir ließ sie ihre Disziplin vergessen. Der Kampf um die Ehre, Mann gegen Mann, jeder mit seiner bevorzug ten Waffe ausgerüstet, war so alt wie der Orden, wenn nicht sogar wie die Menschheit selbst. Und dieser heilige Kampf musste mit dem Tod enden. Es war ein so erhabener Akt, dass der Imperator persön lich demjenigen, der auf der Seite der Gerechtigkeit war, seine Stärke verlieh. Der Missetäter würde der gerechten Strafe zum Opfer fallen. Der Imperator wusste das. Der Imperator beobachtete sie. Und der Imperator würde diesen ehrenhaften Kampf entscheiden. Sarpedon wagte einen Hieb mit dem unteren Ende seines Energie stabs. Er stieß absichtlich sehr weit vor und hoffte, Gorgoleon beim Ausweichen zu treffen. Aber Gorgoleon, der eintausend Feinde auf einhundert Welten bekämpft hatte, wischte den Hieb einfach zur Sei te. Sarpedon bemerkte noch, dass seine Deckung weit offen stand, als Gorgoleon das Gewicht verlagerte, sich nach vorne warf und ihn über den Haufen rannte. Die Seelentrinker applaudierten, als Sarpedon die Stufen zu den Kirchbänken hinunterfiel. Alle applaudierten − bis auf eine kleine Gruppe, die sich von der Menge abgesondert hatte. Sarpedons Mari nes, die hergeschafft worden waren, um ihrem verräterischen Anfüh rer beim Sterben zuzusehen. Und sie würden ihm bald in den Tod folgen. Niemals. So konnte es nicht enden. Wenn Sarpedon hier verlor, würden sie die Überreste seines Körpers durch die Herrlichkeit tra gen, sodass jeder Ordensdiener und Novize sehen konnte, was mit Verrätern passierte. Und gleichzeitig würden Sarpedons drei Kom panien dem Henker überantwortet werden. Das durfte nicht passie
ren. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit − Sarpedon musste überle ben. Die Zeit verlangsamte sich. Vor den Buntglasfenstern der Kathed rale kam Gorgoleons massige Gestalt auf ihn zu. Das Energiefeld der Faust bestand aus tausend Blitzen. Gorgoleons Augen funkelten sie gesgewiss. Sie würden seine Waffenbrüder töten, und Ysers Gemeinde noch dazu. Der Schicksalsarchitekt wäre für immer vergessen. Die Wahr heit wäre verloren, und die Seelentrinker würden weiter den Launen böser Menschen dienen. Wieder erhob etwas tief in ihm seine Stimme. So wird es nicht en den. Mit einer Geschwindigkeit, die er nie für möglich gehalten hätte, packte Sarpedon die nächste Kirchbank, riss sie aus ihrer Veranke rung und drosch mit ihr auf Gorgoleon ein. Wie eine Fliege schlug er den auf ihn zustürzenden Körper beiseite. Holz splitterte, als Gorgo leon eine Bankreihe zerschmetterte und krachend auf eine Säule traf. Die Rufe verwandelten sich in zorniges Gebrüll. Buhend forderten sie Sarpedons Kopf. Dann sollten sie verdammt noch mal kommen und ihn holen. Gorgoleon war schnell, aber Sarpedon war schneller. Er stieg über dessen strauchelnde Gestalt, packte ihn bei den Armen und schmet terte ihn gegen die Stützpfeiler in seinem Rücken, dass die Steinbro cken flogen. Gorgoleons Kopf wurde wild hin und her geschüttelt. »Ihr wagt es, mich einen Verräter zu nennen?«, schrie Sarpedon. »Ich bin der einzige wirkliche Mann in diesem Raum.« Gorgoleons Körper traf ein weiteres Mal auf die Pfeiler. Ein Riss bildete sich auf der steinernen Oberfläche. »Ihr seid nur Sklaven der Korruption! Ihr seid Marionetten der Gier!« Plötzlich hatte sich Gorgoleons Hand um Sarpedons Kehle gelegt. Die Blicke der beiden Männer trafen sich − rasende, fanatische Bli cke. Alle Disziplin war lange vergessen. Es waren die Blicke von
Männern, die um alles kämpften, an das sie je geglaubt hatten. »Schurke!«, knurrte Gorgoleon. Das Energiefeld der Faust er wachte zum Leben. Sarpedon wich zurück, als die behandschuhten Finger der Faust seinen Torso zu zerschmettern drohten. Mit der anderen Hand packte Gorgoleon Sarpedon am Kragen seiner Brustplatte und gab ihm ei nen heftigen Kopfstoß direkt über die Augen. Sarpedon schwankte. Er bemerkte, dass die Waffenbrüder ihre Reihen gelöst hatten und näher kamen. Nur wenige Meter vor ihnen befand sich eine Wand aus riesigen, purpurfarbenen Rüstungen. Sie würden ihn in Stücke reißen. Ha! Das sollten sie nur versuchen. Gorgoleon schlug mit der flachen Hand zu. Wäre Sarpedon nicht rechtzeitig zurückgewichen, hätte der Hieb ihn in zwei Hälften ge teilt. So erwischte er ihn nur am Rücken und schleuderte ihn in die Menge, die ihn niederdrücken wollte, als er sich aufrappelte. Jeden Moment erwartete er, dass die enorme Kraft der Energiefaust seinen Körper zu Brei schlagen würde. Dann erkannte Sarpedon die Gesichter um ihn herum. Er befand sich in der Mitte seiner Waffenbrüder, wenn auch nicht für lange. Dreo und Givrillian halfen Sarpedon auf und flüsterten ihm aufmun ternde Worte zu. Zwar hatten sie ihre Waffen abgeben müssen, doch allein ihre Anwesenheit verlieh ihm neue Kraft. Er würde es schaf fen. Seine Brüder. Sie hatten lange Jahre zusammen gekämpft, nur um herauszufinden, dass ihr Leben eine Lüge war. Er fühlte ihren Zorn, der auch sein Zorn war. Er würde ihn benutzen, genau, wie Daenya thos es ihn gelehrt hatte. Reinheit durch Zorn. Erhabenheit durch Zorn. Gorgoleon schleuderte Dreo beiseite. Die Menge teilte sich, um den Kämpfern Platz zu schaffen. Beide waren stark mitgenommen. Sie bluteten. Keiner würde je mals aufgeben. Ein wohl gezielter Treffer der Energiefaust würde
Sarpedons Tod bedeuten − wenn er nicht vorher Gorgoleons reich geschmückte Rüstung mit einem konzentrierten Stoß durchdringen konnte. Sie wichen aus und griffen an, parierten und duckten sich. Die Menge folgte ihnen durch die Kathedrale. Dieser altehrwürdige Ort, dessen Stille normalerweise nur durch die flammenden Predig ten des Kaplans unterbrochen wurde, hallte nun vom Krachen zer splitternden Ceramits und den Rufen der versammelten Marines wi der. Der Gestank von Schweiß und Blut mischte sich mit dem Duft des Weihrauchs. Die Flammen erzitterten im Luftzug, den die unge heuren Kräfte der Kämpfer erzeugten. Sarpedon fühlte, wie das Blut um sein Auge langsam gerann. Der Schlag auf seine Wirbelsäule hatte seine Rückenplatte durchbrochen und mindestens einen seiner Lungenflügel angerissen. Gorgoleon blutete aus einer Wunde an seiner Wange. Ob er interne Verletzun gen davongetragen hatte, war nicht zu erkennen. Sarpedons Zorn war der Schlüssel. Wo war der Anfang? Was war der Grund für das Blutbad auf der Geryon? Warum hatte er den Hen ker des Inquisitors getötet? Sarpedon hatte selbst im Angesicht des Todes nicht aufgegeben, und seine Waffenbrüder waren ihm gefolgt. Warum? Warum hatten sie sich plötzlich zu solch radikalen Taten entschlossen? Aus Wut. Aus Zorn. Sonst konnte ihnen nichts diese Kraft verlei hen. Aber war es nur der Verlust des Seelen-Speers, der sie zu diesen letzten Maßnahmen hatte greifen lassen? In Wahrheit hatte Sarpedon in den letzten Monaten kaum einen Gedanken an den Seelen-Speer verschwendet. Sein Verlust bedeutete nur ein weiteres Glied in einer langen Kette ungerechter Ereignisse. Nur indem er seine Wut wachsen ließ, konnte er den Sieg davont ragen. Aber wie? Er musste schnell nachdenken, sonst würde ihn Gorgoleon mit Sicherheit bald töten. Sarpedon bemerkte, dass seine Konzentration nachgelassen hatte. Gorgoleon tauchte plötzlich hinter ihm auf und legte einen Arm um seine Kehle.
Er stemmte ihn hoch über die Köpfe der applaudierenden Mari nes. Die hohe Decke der Kathedrale wirbelte herum, als Gorgoleon auf den Altar am Ende des Mittelschiffs zulief. Sarpedon wehrte sich nach Kräften. Ohne Erfolg. Gorgoleon er reichte den Altar und hob Sarpedon hoch über seinen Kopf. »Für Dorn!«, brüllte er und warf Sarpedon durch die Buntglas fenster. Die Welt verwandelte sich in ein Panoptikum aus rasiermesser scharfen Splittern. Sarpedon landete hart auf dem Stahlboden. Ein weiteres Organ zerriss. Nein. Nicht aufgeben. Noch nicht. Nicht, wenn es noch Hoffnung gibt. Er blickte in aufgeschreckte, jugendliche Gesichter. Ihre Köpfe waren eben erst geschoren, ihre Implantate noch frisch. Novizen. Er war in der Halle der Novizen, in der sich die neuen Rekruten des Ordens versammelten, um die Traditionen der Seelentrinker zu verinnerlichen und sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden, bald Space Marines zu sein. Sarpedon hatte hier unzählige Stunden verbracht, um zu einem Mann zu reifen, der das Kelchsymbol der Seelentrinker tragen durfte. Die Statuen von Heiligen und Ordens helden starrten ihn aus Nischen in den grauen Wänden an. Fette Ge betsdrohnen schwebten über ihm und spien Wolken aus Weihrauch. Die Novizen in ihren purpurfarbenen Roben rannten in alle Rich tungen, den Katechismus des Krieges an die Brust gedrückt. Sie hat ten sich wahrscheinlich gerade versammelt, um für ihren Ordens meister zu beten − aber nicht im Traum wäre ihnen eingefallen, dass sie die Ehre haben würden, den Kampf aus nächster Nähe zu beo bachten. Sarpedon ergriff seinen Stab und schwang sich auf die Beine. Er spürte die inneren Blutungen. Seine implantierten Panzerplatten war en zerschmettert. Zwar konnte sein Kreislauf die schlimmsten Schmerzen dämpfen, aber lange konnte er nicht mehr durchhalten. Und dann war er für eine Sekunde zurück auf Quixian Obscura,
zerbrach ein Aliengenick in seiner Faust und spürte nichts als schreckliche, aussichtslose Leere … Er hatte sich durch Hunderte von Planeten gekämpft und war über ein Dutzend Mal schwer verwundet worden. Er hatte seine Waffen brüder in Reihen fallen sehen und Tausende von Feinden getötet. Warum? Wofür waren sie gestorben? Wieso hatte er getötet? Gorgoleon sprang durch den Rahmen des zerbrochenen Fensters und landete neben ihm. Der Rest der Marines strömte in die Halle der Novizen, um das Ende des Kampfes nicht zu verpassen. Die Diener des Imperators waren auf Quixian Obscura gestorben, auf dem Sternenfort und der Geryon-Plattform. Überall im Impe rium, von Armageddon und Ichar IV über die Untiefen der Sabbat welten bis hin zu Tallarn, Valhalla und Vogen. Sie waren vor den Toren von Cadian zugrunde gegangen, in den Schwarmwelten von Lastrati, auf den Ebenen von Avignon und letztendlich auf Terra in den letzten Tagen der Horus-Häresie. Millionen von Space Marines und unzählige Milliarden einfacher Männer hatten ihr Leben für das Imperium hingegeben. Das Imperium, das auf einer Lüge aufgebaut war. Aber das war noch nicht das Schlimmste. Gorgoleons Attacken wirkten jetzt langsamer und ungleichmäßi ger. Sarpedon konnte den Zorn in sich spüren, von dem Daenyathos geschrieben hatte − den heiligen Zorn, der einen Mann weit über seine Kräfte hinaus antrieb. Er erfüllte ihn, strömte durch seine Adern und den Kreislauf der Aegisrüstung. Sarpedon konnte spüren, wie das Licht des Schicksalsarchitekten auf ihn fiel − es gab noch Hoffnung. Er wusste jetzt, was in seinem Hinterkopf herumgespukt hatte. Etwas so Fürchterliches, dass er es nicht gewagt hatte, es in sein Be wusstsein dringen zu lassen. Stets waren die Seelentrinker umringt von sinnlosem Sterben und grundlosen Kriegen gewesen und hatten doch tapferer gekämpft als alle anderen. Sie hatten sich ihre Reinheit bewahrt, immer versucht, besser als alle anderen zu sein.
Aber der Lohn dafür war beschämend. Sie waren dafür eingetre ten, ein Imperium aus Korruption und Dekadenz zusammenzuhalten. Sie waren mit fanatischem Eifer Dorns Vorbild gefolgt und hatten die ganze Zeit über nicht gewusst, wie falsch sie lagen … Gorgoleon holte zu einem gewaltigen Aufwärtshaken aus. Sarpe don fing ihn mit dem Stab ab, den er schnell umdrehte und in Gorgo leons Oberkörper trieb. »All diese Jahre«, schrie Sarpedon, »waren wir Nichts!« Er packte Gorgoleon am Arm und schleuderte ihn durch die Wän de der Halle der Novizen in die Schlafsäle und Studienräume dahin ter. War er jemals so stark gewesen? Nein. Es war der Imperator, der Schicksalsarchitekt, der ihm diese kaum zu bändigende Kraft verlieh. Sarpedon stürmte durch die zusammengefallenen Wände und sah, wie ein ramponierter und blutender Gorgoleon versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Panik stand im Gesicht des Ordensmeisters. Noch niemand hatte einem Gegner wie Sarpedon gegenüber gestan den. Was fürchtete Gorgoleon am meisten? Das Versagen. Die Hölle brach los. Unter ihren Füßen lag blankes, felsiges Gestein. Über ihnen schimmerte das All im Licht aufgeblähter, sterbender Sterne. Miss gestaltete Alienschiffe zogen vorbei, Warpstürme rissen klaffende Wunden in die Realität, aus denen die Ausgeburten des Chaos in das Universum strömten. Die Galaxie war an die Dämonen und Aliens verloren. Eine kalte und böse Galaxie, die die Menschheit vor langer Zeit ausgeblutet hinterlassen hatte. Ein Bild, das selbst den wackers ten Diener des Imperiums in Angst und Schrecken versetzen konnte − eine Vision, in der all seine Anstrengungen vergebens waren. Das Schlimmste waren die Geräusche. Das Gegacker der Aliens klavenhändler. Das Schnattern hirnloser Dämonen. Das leise Ge schrei, mit dem die Menschheit zugrunde ging. Sogar Gorgoleon erfüllte das schreckliche Szenario um ihn herum mit Entsetzen.
So weit war Sarpedon noch nie gegangen. Er hatte es noch nie gewagt, eine ganze Welt aus Furcht aus Der Hölle heraus zu kons truieren. Aber er wusste, dass es die einzige Möglichkeit war, Gorgo leon zu bezwingen. Er spürte die Kraft des Imperators, die ihn durch strömte. Seine psionischen Kräfte waren ein weißglühender Stern in seinem Inneren, den er jederzeit durch Die Hölle freilassen konnte. Er konzentrierte seine gesamte Macht auf Gorgoleon − in Der Hölle existierten nur er und Sarpedon selbst. Seine Waffenbrüder nahmen sie nur am Rande wahr. »Mit Hexenkunst kannst du nicht gewinnen; Sarpedon!«, versuch te Gargoleon gegen den Lärm eines sterbenden Universums anzu schreien. Sarpedon fühlte, wie seine Macht wuchs, bis er sie nicht mehr im Zaum halten konnte. Sie drängte gegen seine Haut und die Knochen seines optimierten Skeletts. Er brannte. Die Kraft wartete darauf, aus ihm herauszubrechen. Gorgoleon rappelte sich auf und schwang erneut die Energiefaust, wobei er tiefe Risse auf dem Fliesenboden hinterließ. Sein Gesicht war blutüberströmt. Mit zusammengebissenen Zähnen blickte er dem Tod wie schon so oft direkt ins Gesicht. Der Ordensmeister legte seine letzte Kraft in seinen Angriff. Er hämmerte auf Sarpedon ein, schlug den Energiestab zur Seite und versuchte verzweifelt, mit sei nem Zorn Die Hölle aus seinem Geist zu vertreiben. Aber Sarpedon war nicht aufzuhalten. Seine Adern waren ein kochendes Flammen meer, und die Hand des Schicksalsarchitekten ruhte auf ihm. Die beiden Marines stürzten aufeinander zu. Für den Bruchteil ei ner Sekunde standen sie sich Auge in Auge gegenüber. Gorgoleons Gesicht wurde beleuchtet, und Sarpedon erkannte, dass die immense Kraft in ihm seine Augen zum Erstrahlen gebracht hatte. Seine Stär ke wuchs weiter und weiter. Das Ceramit von Gorgoleons Rüstung zerbrach unter seinem Griff. Das Dröhnen in seinen Ohren wurde lauter, das Feuer in ihm brannte zu heiß. Kreischend zersplitterten Rüstungsplatten und brachen Knochen.
Mit einem gewaltigen Lichtblitz brach die aufgestaute Energie aus Sarpedon heraus. Er spürte einen stechenden Schmerz in seinen Bei nen, und dann etwas, das er noch nie gefühlt hatte − etwas wuchs, spaltete und veränderte sich. Plötzlich waren sie zurück in den zerschmetterten Studienräumen. Gorgoleon lag noch immer auf dem Boden. Er konnte das Entsetzen in seinem Gesicht nicht mehr verbergen. Die Wände waren mit Blut spritzern bedeckt. Purpurfarbene Ceramitteile lagen überall verstreut. Aus Sarpedons Hüfte ragten acht segmentierte, chitinüberzogene Spinnenbeine. Jedes war mit einer tödlichen Kralle versehen. Der Schmerz war vorüber. Die Hölle war vorbei. Er brauchte sie nicht mehr. Das hier war das Geschenk des Schicksalsarchitekten: seine neue Gestalt, schnell und tödlich, ein Symbol dafür, dass er alles abgeworfen hatte, was ihn so lange niedergedrückt hatte. Sarpe don stellte sich auf die Hinterbeine. Seine jetzt vier Meter hohe Ge stalt stürzte sich auf Gorgoleon. Mit den Vorderklauen durchbohrte er den Brustkorb des Ordensmeisters und hob ihn in die Luft. Sarpe don griff mit den Fingern in die Verbindungsstücke der Schulterplat ten von Gorgoleons Rüstung und riss an. Er starrte in glasige Augen. So viel Kraft. So viel Majestät. Sarpedon hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie so mächtig gefühlt. Über ihm zerriss Gorgoleons Körper in einer Fontäne aus Blut und verschlungenen Organen. Sarpedon warf die zuckenden Überres te auf den Boden. Er atmete schwer und es dröhnte in seinen Ohren. Dann herrschte Stille, unterbrochen nur durch das Geräusch des Bluts, das von der Decke und seinen Schulterplatten tropfte. Er sah sich um. Die Seelentrinker hatten sich um das blutige Schauspiel versammelt. Sarpedons Gehör kehrte zurück. Langsam konnte er die tausend Stimmen vernehmen, die bis in seine Seele drangen. Sie riefen. Sie riefen seinen Namen.
ACHT
Der Warp war düster und grauenvoll, ein Ort, an dem Ängste Wirk lichkeit wurden und die schlimmsten Albträume der Menschheit Ge stalt annahmen. Das Böse hauste dort, gewaltige, dunkle Kräfte, die sich Götter nannten, und feindselige Ungeheuer. Nur das Leuchtfeuer des Astronomican und die Fähigkeiten der Navigatoren konnten eine gefahrlose Reise durch den Warp garantieren. Die Risiken, den sich immerfort ändernden Empyrean zu durch queren, wurden durch die riesigen Distanzen wieder wettgemacht, die in wenigen Stunden zurückgelegt werden konnten. So konnte man sich jahrelange Reisen durch den realen Raum sparen. Leider war es unvermeidlich, dass nicht alle Schiffe, die die Sicherheit der Realität verließen, auch wieder dahin zurückkehrten. Oder schlimmer, sie kamen verändert zurück − als seit Tausenden von Jahren verschollene Geisterschiffe, die plötzlich wieder im rea len Raum auftauchten. Die fürchterlichen Kräfte des Warp konnten ihre Struktur verändern oder mehrere Schiffe miteinander verschmel zen. Und − was am schlimmsten war − manchmal brachten diese Schiffe etwas mit zurück. Ihre eigentlichen Namen waren längst ver gessen − diese Schiffe wurden als Space Hulks bezeichnet. Sarpedon konnte beim besten Willen nicht sagen, wie alt der Spa ce Hulk vor ihm war. Die Seelentrinker pflegten diese riesigen Wracks zu stürmen und zu zerstören, bevor ihnen ihre Bewohner gefährlich werden konnten. Insofern war dies nicht der erste Space Hulk, den er zu Gesicht bekam, aber der älteste und auch der größte. Seine halbarachnoide Form gestattete es Sarpedon, an Wänden und Decken zu laufen − ein gutes Mittel, um den Feind zu überra schen. Der Teil des Hulk, in dem er sich befand, war imperial, wie
man aufgrund des Doppeladlers und der heiligen Inschriften auf dem Bugschott erkennen konnte. Es war einstmals ein Lazarettschiff der Imperialen Garde gewesen und beherbergte neben einer ganzen Rei he Krankenstationen auch einen geräumigen Dekontaminations- und Quarantänebereich im Heck. Ein Teil des Schiffes befand sich in einem toten Winkel, den die Sensoren, die es auf Lebenszeichen ab suchten, nicht erfassen konnten. Also musste es auf herkömmliche Weise durchsucht werden. Sarpedon bog um eine Ecke. Von der Decke aus starrte er auf die vielleicht eineinhalb Kilometer lange Krankenstation hinab. Vor Jahrhunderten waren die Reihen von Betten und Lagerräumen von hellem Licht angestrahlt worden. Jetzt beschien dämmriger Halb schatten verschimmelte Matratzen. Selbst Sarpedons Augen konnten nicht durch die Dunkelheit in manchen Ecken dringen. Er ließ sich auf den Boden fallen und drehte mit einer Kralle die nächste Matratze um. Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich eine hohe Staub- und Schmutzschicht gebildet − ein gutes Zeichen. Anschei nend hatte seitdem niemand die Ruhe des Schiffes gestört. »Sarpedon an Missionskontrolle. Wegpunkt neun erreicht.« »Bestätigt, Lord Sarpedon«, erklang Givrillians Stimme über das Vox. Sarpedon hatte Givrillian zum taktischen Koordinator der Mis sion ernannt − so kam sein nüchterner Verstand am besten zum Ein satz. Givrillian befand sich im Hauptquartier auf der Herrlichkeit, während Sarpedon die Expedition leitete. Sarpedon dachte an die zwei zusätzlichen Augenpaare, die sich seit seinem Triumph auf der Herrlichkeit in Givrillians Gesichtsnar be geöffnet hatten. Wenn sie ihm Sorgen bereiteten, so zeigte er es nicht. Ein paar Schotte entfernt erschien ein Marine aus Lukos Trupp, Bolter im Anschlag, bereit, bei der geringsten Bewegung das Feuer zu eröffnen. Drei weitere Mitglieder des Teams folgten ihm. Luko wartete mit dem Rest des Trupps am Ende der Krankenstation. »Was gefunden, Luko?«, fragte Sarpedon.
»Nichts«, kam die Antwort. In lockerer Formation betrat der Trupp die Krankenstation und ar beitete sich langsam vor. Hier und da standen Rollwägen mit medizi nischem Gerät. Regale in den Wänden waren mit Salbentöpfen und Chemikalien gefüllt. Ein paar Autochirurgen waren über mit Wand schirmen abgetrennte Betten gebeugt. Ihre Klingen waren verrostet, ihre Stromleitungen schon lange zu Staub zerfallen. »Luko?« »Sir?« »Warum haben sie die Ausrüstung zurückgelassen?« Hier lag medizinisches Gerät im Wert mehrerer Millionen Credits herum. Wenn irgendetwas im Warp passiert war, hätte sich die Be satzung in das Quarantänedeck oder in die Rettungskapseln gerettet. Und dann hätte sie zumindest einen Teil der medizinischen Ausrüs tung mitgenommen − schon allein als Grundversorgung für die Pa tienten. Es ergab keinen Sinn. Außer, sie war so unerwartet überfallen worden, dass ihr keine Möglichkeit zur Flucht geblieben war. In diesem Fall hätte jedoch in jedem Bett ein Skelett liegen müssen. Sarpedon krabbelte an die Decke und spreizte die Beine, um die Wand genauer in Augenschein nehmen zu können. Keine Kratzer, kein Dreck. Er bewegte sich weiter voran, immer auf der Suche nach Lebenszeichen. Konnten die Angreifer durch die Lüftungsschächte eingedrungen sein? Unwahrscheinlich, wenn man die Anzahl der sterilen Filter in den Ventilationssystemen in Betracht zog. Was war dann geschehen? Wenn jemand die Leichen weggeschleppt hatte, dann wohin? Wo waren sie geblieben? »Givrillian? Ich brauche Informationen über das Lüftungssys tem.« »Jawohl, Hauptmann. Wir wissen zwar nicht, wie alt das Schiff ist, aber vielleicht können wir irgendetwas in den Speicherbänken finden.«
Sarpedon schaltete auf Truppfrequenz um. »Luko, bleib dran. Ich glaube, hier ist irgendwas.« »Bei mir tut sich nichts, Hauptmann.« Die Patienten, die Besatzung, die Schwestern des Ordo Hospitalis, das medizinische Korps der Gardisten − sie waren nur Menschen und konnten wie Menschen beeinflusst werden. Man konnte sie wie Vieh ins Schlachthaus führen, und dann … »Wir haben etwas gefunden, Sir«, sagte Givrillian. »Die Lazarett schiffe dieser Klasse besaßen separate Lüftungssysteme für die Krankenstationen, das Kommandodeck, die Quarantänebereiche und die Operationssäle. Um eine mögliche Infektion einzudämmen.« Das war die Lösung. Wer immer das Schiff angegriffen hatte, konnte sich noch hier befinden. Sarpedon hastete über die Decke. Die gebogenen Krallen seiner Beine erlaubten es ihm, schneller als jeder andere Space Marine zu laufen. Am Ende der Krankenstation befand sich der Operationsbereich, wo sich Autochirurgen um die schwer verletzten, oder, wahrscheinlicher, um die wichtigeren Pa tienten gekümmert hatten. Der Bereich war durch eine schwere Luft schleuse gesichert, deren Türen keinerlei Beschädigung aufwiesen. Aber einen anderen Weg gab es nicht. »Luko! Ein Trupp sofort zu mir! Der Rest nimmt Feuerschutzpo sition ein.« »Jawohl, Sir.« Der Sturmtrupp versammelte sich hinter Sarpedon. Er bestand aus drei Marines, Mallik, Sken und Zaen, der den Flammenwerfer be diente. Sarpedon zwängte die Krallen seiner Vorderbeine in den Türspalt. Als er die Tür aufdrückte, gab sie viel leichter nach als vermutet. Die Luftschleuse war leer. Die Tür zum Operationsbereich besaß Glasscheiben, die jedoch von Schmutz bedeckt waren. Sarpedon zog seinen Bolter und bedeutete Vrae, Position an seiner Schulter zu be ziehen. Sarpedon ließ sich gegen die Tür fallen. Sie gab sofort nach.
Boden und Wände waren mit vertrockneten Exkrementen überzo gen. Überall lagen Knochenhaufen, einige grau und durch ihr Alter schon fast zu Staub zerfallen, andere strahlend weiß. Leere Augen höhlen starrten sie aus blanken Schädeln an, Fingerknöchelchen und Zähne bedeckten wie fahle Maden den Boden. Ein Autochirurg war mit Schmutz bedeckt. Irgendetwas musste sich darauf niedergelassen haben, um zu fressen. In Sarpedons Augen blitzten Warnrunen auf. Der alles durchdrin gende, infektiöse Gestank um ihn herum hätte einen normalen Men schen auf der Stelle getötet. Sarpedon war durch seine Rüstung und die Implantate geschützt, wofür er sehr dankbar war. Die Angreifer hatten das Lüftungssystem der Krankenstation ent weder absichtlich sabotiert oder komplett verdreckt. Daher hatte die Besatzung die Patienten in den Operationsbereich gebracht, der über ein eigenes Lüftungssystem verfügte. Sie hatten nicht bedacht, dass sie sich damit in eine tödliche Falle begeben hatten. Sie hatten keine Chance gehabt, die Angreifer zu bekämpfen oder zu fliehen. Sie waren in ein Schlachthaus geführt worden. Aber nicht alle Knochen waren gleichen Alters. Manche gehörten zu Körpern, die vor Tausenden Jahren verrottet waren, andere waren relativ frisch. Vielleicht lauerten die Bewohner dieses Ortes arglosen Schiffen auf, die sich etwas zu weit ins All gewagt hatten? Sarpedon betrat den Raum. Eine seiner Krallen zerdrückte einen morschen Brustkorb. Er sah zur Decke hinauf. Von irgendwo muss ten sie ja eingedrungen sein. Die Entlüftungskanäle waren unbeschä digt, und auch durch die Luftschleuse waren sie nicht hereingekom men. Er begriff Sekundenbruchteile, bevor der Erste angriff. Funkens prühend brach er durch ein Müllentsorgungsrohr auf der anderen Seite des Raums. Sarpedon erkannte matschiges graubeiges Fleisch unter einem glänzenden schwarzen Exoskelett. Ein Paar kleine schwarze Augen über einem gähnenden Maul starrten ihn an. Bevor
er reagieren konnte, schlug eine Klaue nach seinem Bolter. Zwei Schüsse schlugen in die Wand. Genräuber. Vierarmige, parasitische Symbionten. Wenn man von ihnen erwischt wurde, pflanzten sie einem eine ihrer Larven ein, was zu einem schmerzvollen Tod führte − wenn sie einen nicht schon vorher mit ihren Klauen in Stücke rissen. Die Bolter eröffneten das Feuer, aber das Vieh war schnell. Es packte Bruder Malik am Visier seines Helms und schleuderte ihn in einen der Autochirurgen. Rostige Skalpelle flogen umher. Sarpedon kroch über die Decke auf den Genräuber zu und spießte ihn mit sei nem Stab auf. Er packte seine Kehle und zog ihn hoch. Mit einem Ruck aus dem Handgelenk brach er ihm das Genick. Er hatte einen Genräuber im Nahkampf erledigt. Sarpedon wusste schon immer, dass er ein guter Kämpfer war, aber das überraschte selbst ihn. »Flammenwerfer«, brüllte er und ließ den stinkenden Alienkada ver fallen. Zaen war bereits zum Schacht geeilt und schickte eine Flammensäule hinunter. Ein gurgelnder Schrei ertönte. Brauner Rauch stieg auf. Die Räuber waren aus dem Müllentsorgungsdeck gekommen. Medizinischer Abfall und die verstorbenen Patienten wurden dort aus Luken in den Weltraum geschossen. Der ideale Einstieg für einen Genräuber. Vielleicht hatten sie sich monatelang zwischen den Müll verbrennungsanlagen und Leichenhallen vermehrt, bevor sie das Schiff übernommen hatten. Möglicherweise hatte das Lazarettschiff in seiner Verzweiflung einen Warpsprung versucht, um die Aliens aus der Realität herauszubefördern. Eine mutige Tat, die auch ge klappt hätte, wäre das Schiff nicht Teil des gewaltigen Space Hulks geworden. »Sarpedon an Kontrollzentrum. Kontakt. Xenos, Genräuber. Ang riffstruppen zum Müllentsorgungsdeck schicken. Ring formen und Vernichtungsteams vorbereiten.« Er blickte auf Mallik herunter, der verzweifelt versuchte, sich von seinem ruinierten Helm zu befreien.
Aus einer der Linsen floss Blut. »Wir haben einen Verwundeten. Brauchen medizinische Unterstützung.« »Verstanden.« »Und schickt Tellos hier runter.« »Jawohl, Sir.« Es war ein Bruderkrieg gewesen, anders konnte man es nicht aus drücken. Die Ordenstraditionen besagten, dass Sarpedon durch sei nen Sieg über Gorgoleon in den Augen Dorns und des Imperators Gnade gefunden hatte. Die meisten der Space Marines, die Zeugen waren, wie Sarpedon den Ordensmeister in Stücke riss, hatten ihm auf der Stelle die Gefolgschaft geschworen. Später sollten sie erzäh len, dass ein goldenes Licht von Sarpedon ausgegangen war, als er über der Leiche Gorgoleons stand, und dass sie die Chöre von Terra hatten singen hören. Sarpedon wurde unter Beifall seiner Mitbrüder zum neuen Ordensmeister ernannt. Aber es gab auch jene, die Zweifel hegten. Sie waren davon über zeugt, dass ihr Anführer von einem nur zur Hälfte menschlichen Psioniker erschlagen worden war. Sie sagten sich von Sarpedon los und nannten ihn eine verderbte, böse Dämonenausgeburt. Dann grif fen sie zu den Waffen und verschanzten sich hinter Barrikaden, be reit, in ihrer letzten Schlacht gegen ihre Brüder zu kämpfen. Sarpedon musste zugeben, dass sie tapfer Widerstand geleistet hatten. Seltsamerweise schlugen sich alle Veteranen und Spezialisten auf seine Seite, während die Novizen zum Großteil gegen ihn rebel lierten. Es brauchte Wochen, um die letzten Stellungen einzunehmen und die Guerillaeinheiten, die sich in den labyrinthischen Tiefen der Herrlichkeit versteckt hielten, zur Strecke zu bringen. Die Sohn der Heiligsprechung war ganz verloren gewesen − die Rebellen hatten die Kontrolle übernommen und einen Fluchtversuch gewagt. Das Schiff war, kurz bevor es die Position zum Warpsprung erreichen konnte, durch eine heftige Breitseite zerstört worden. Schließlich hatten sie die Rebellion beenden können. Die Gefan genen wurden auf das Kerkerschiff gebracht, das sie dann mit massi
vem Lanzenkanonenfeuer vernichteten. Alles in allem hatten die Gefechte auf dem Sternenfort, auf der Geryon-Plattform und die Niederschlagung der Rebellion die Seelen trinker auf zwei Drittel ihrer ursprünglichen Stärke reduziert. Sarpe don spürte tiefe Trauer über ihren Verlust − sie waren seine Brüder gewesen. Andererseits freute er sich über den Tod der Verräter. Ihr Opfer war notwendig gewesen, um die Seelentrinker vom Joch des Imperiums zu befreien. Er hatte schon vorher Männer in den sicheren Tod geführt und keine Reue verspürt. Auch das gehörte zu den Pflichten eines Hauptmanns. Oft dachte er an Michairas, den Marine, der einst der Diener Caeons und bei der Zeremonie des Kelchs zugegen gewesen war. Sarpedon hatte ihm persönlich gegenübergestanden, als er einen Haufen Novizen verfolgt hatte, die von der Herrlichkeit fliehen woll ten. Er hatte ihm die Multilunge herausgerissen und ihn dann aus einer Luftschleuse ins All befördert. Noch immer konnte er Michai ras’ angsterfüllten und doch trotzigen Blick vor sich sehen. Ein tapferer Junge. Nichtsdestotrotz war sein Tod unvermeidlich gewesen. Das war der Preis der Wahrheit; sie musste manchmal teuer erkauft werden. Die Toten wurden je nach ihrer Loyalität entweder Dorn dargeb racht oder aus den Müllschächten geworfen. Die Flotte befand sich in einer gefährlichen Lage. Jeden Moment konnte sie von Imperialen Verbänden aufgespürt werden − wenn nicht von Inquisitor Tsouras selbst, dann doch von irgendeinem Admiral, der sich mit der Ver nichtung eines exkommunizierten Ordens brüsten wollte. Die Seelen trinkerflotte war zu groß, um sich ewig versteckt halten zu können. Die Imperiale Marine hatte genug Truppen, um zum entscheidenden Vernichtungsschlag anzusetzen oder sie in alle Ewigkeit durch die Galaxis zu verfolgen. Die Seelentrinker hatten alle Verbündeten und jeden sicheren Hafen verloren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis man sie erwischen würde. Yser hatte ihnen den Ausweg gezeigt. In seinen Träumen trug der
Schicksalsarchitekt eine Krone aus vielen Sternen. Yser konnte sich an jedes Detail der Krone erinnern und zeichnete eine Sternenkarte, die sie zum Hulk geführt hatte. Ein Wunder. Yser war sich sicher, dass der Imperator das Leid des Ordens bemerkt und ihnen ein neues Heim und einen neuen Anfang geschenkt hatte. Inzwischen war er zum ersten Berater Sarpedons aufgestiegen. Der Kaplan und die Ma rines hingen an seinen Lippen. Ohne Yser hätte sich der Orden viel leicht selbst zerstört. Mit seiner spirituellen Führungskraft ergänzte er Sarpedons Kommando aufs Beste. Der Hulk war perfekt. Er war riesig, alt, und bis auf die Genräu berkolonie vollkommen unbewohnt. Er war aus mehreren Schiffen zusammengesetzt, die ineinander gekracht oder miteinander ver schmolzen waren. Groß genug, um den ganzen Orden beherbergen zu können, und als einzelnes Schiff viel schwerer aufzuspüren als eine ganze Flotte. Er bestand aus so vielen unbewohnten Sektoren, dass er sich leicht in Asteroidenfeldern oder Staubwolken vor feind lichen Sensoren verstecken konnte. Nach einer Generalüberholung würde er laut den Techmarines genug Feuerkraft besitzen, um eine ausgezeichnete Festung abzugeben. Aufgrund seiner großen, unför migen Masse hatten sie ihn Brokenback getauft. Der Gebrochene. Die neue Heimat eines exkommunizierten, ab trünnigen Ordens. Irgendwie passte der Name. »Hauptmann, tut es euch leid um die Schiffe?«, fragte Lygris. »Ein bisschen«, antwortete Sarpedon. »Aber wir sollten auch nach vorne schauen. Es ist eine Neugründung des Ordens.« »Vielleicht, ja.« »Wie steht es mit dir, Lygris? Einem Techmarine muss doch das Herz bluten. Ich kann mir vorstellen, dass der Verlust so vieler guter Schiffe dem eines Arms gleichkommt.« Lygris lächelte, soweit es seine tote Gesichtshaut zuließ. »Mit die ser Flotte verliert der Orden einen Teil seiner Seele, Hauptmann. Aber wir haben schon so viel verloren. Vielleicht ist es besser, wenn
wir alles zerstören, was uns mit unserer verlogenen Vergangenheit verbindet. Außerdem sollten wir nicht vergessen, was wir an der Brokenback haben. Einer der größten Space Hulks, der jemals voll ständig geborgen wurde. Dafür tausche ich gerne eine ganze Flotte ein. Im gesamten Schiff muss es mindestens dreißig Plasmareaktoren geben. Schon allein seine Warpantriebsmöglichkeiten sprengen jede Vorstellungskraft.« Sie befanden sich auf einem der weniger deformierten Teile der Brokenback − einer privaten Yacht, die vor ein paar Jahrhunderten einem reichen Adligen oder Geschäftsmann gehört hatte. Sein Besit zer hatte jedenfalls einen extravaganten Geschmack gehabt. Alles war mit Inschriften oder vergoldeten Skulpturen überzogen, die sich mit dem Alter dunkel verfärbt hatten. Die Aussichtsplattform der Yacht hatte bestimmt einige Partys miterlebt, bei denen sich irgend welche Würdenträger bei einem gekühlten Glas Amasec versammelt hatten. Eine riesige augenähnliche Aussichtskuppel nahm den größ ten Teil der Decke ein. Vor ihren Augen trieb die ehemalige Seelentrinkerflotte steuerlos dahin. Mit der Genräuberkolonie hatten sie kurzen Prozess gemacht, was nicht zuletzt Tallos’ Verdienst war. Er hatte seine neuen Klingen in Alienblut getauft. Danach hatte der Orden die Brokenback bezo gen. Die Flotte wurde jetzt nicht mehr benötigt. Um alle Spuren zu verwischen, hatten sie sich entschlossen, sie zu vernichten. Eine Explosion erschütterte das Heck der Herrlichkeit genau an dem Verbindungsstück zwischen Treibstoffkammern und Reaktoren. Ein weißer Ring aus Feuer umgab das Schiff. Es zerbrach in zwei Hälften, aus denen Trümmer und brennender Treibstoff hervorge schleudert wurden. Das Plasmafeuer erfasste zwei der Angriffskreu zer. Ihre Hüllen schmolzen wie dünne Metallfolie. Eine andere Sprengladung trennte den Bug der Karnivor ab, was zwangsläufig zu einer Implosion des gesamten Schiffs führte. Aus dem sterbenden Schiff wurden große Teile seiner Hülle bis zu zehn Kilometer weit ins All hinauskatapultiert.
Langsam und lautlos ging es mit der Flotte der Seelentrinker zu Ende. An kritischen Punkten platzierte Sprengladungen zerstörten Stromleitungen und öffneten Reaktorkerne. Die Vorstellung dauerte etwa eine Stunde, und Sarpedon verpasste keinen Augenblick davon. Sie hatten alles mitgenommen, was sie tragen konnten. Aufzeichnungen, Geräte, das Librarium und Apothecarium sowie mehrere Batallione von Ordensdienern. Aber trotzdem war so viel verloren gegangen, dass man mit Fug und Recht behaupten konnte, dass der bisherige Orden der Seelentrinker untergegangen und ein neuer an seine Stelle getreten war. So sollte es sein. Sie waren keine Space Marines des Imperiums mehr. Sie waren jetzt nur mehr sich selbst und dem Imperator ver pflichtet, der ihnen durch Visionen und Wunder den rechten Weg wies. Endlich waren die Seelentrinker frei. Endlich hatten sie sich von Jahrhunderten der Tyrannei durch das Imperium losgesagt. Sarpedon und Lygris betrachteten noch eine Weile die rauchenden Trümmer der Flotte. Langsam fiel die Last der Geschichte von ihren Schultern. All die Jahre hatten sie vergebens gekämpft. Jetzt konnten sie von vorn anfangen, und das Licht des Imperators würde ihnen den Weg durch die Finsternis weisen. »Lord Sarpedon«, unterbrach eine Voxmeldung die Stille. »Ster geant Salk hier, Leiter der Arbeitergruppe Secundus. Wir haben bei der Arbeit an einem Maschinengeist eine Anomalie festgestellt. For dere medizinische und technische Unterstützung an. Und einen Kap lan.« »Einen Kaplan?« »Jawohl, Sir. Ich glaube, wir haben es mit einer Bedrohung unse rer Moral zu tun.« Sarpedon schloss den einen Kanal und öffnete den nächsten. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug. »Sarpedon an alle Stationen. Spezialisten sofort zum Sektor Indigo. Moralische Bedrohung, wie derhole: Moralische Bedrohung.« Die Seelentrinker hatten die Bro kenback sehr sorgfältig auf alles Verdächtige hin untersucht, aber die
Möglichkeit, dass irgendwo etwas überlebt hatte, bestand immer. Es galt, kein Risiko einzugehen. »Lygris, mir nach«, sagte Sarpedon. »Ich will mir das selbst anse hen.« Mit seiner Vielzahl an Beinen war er viel schneller als jeder andere Marine. Bald hatte er Lygris hinter sich gelassen und eilte durch den Beobachtungsraum und über die Decke den Korridor hi nunter. Sektor Indigo war ein blockförmiges, gedrungenes Forschungsschiff, das mit mannshohen Tanks gefüllt war, die zur Aufbewahrung von unbekannten Lebensformen dienten und in denen eine milchige Flüs sigkeit trieb. Auf allen Geräten fand sich das Siegel des Adeptus Me chanicus Xenobiologis. Die Brücke war mit Impulsgeneratoren voll gestopft. Obwohl dort nichts mehr lebte, funktionierten die Geräte aufgrund der Luftsterilisierungssysteme noch immer, obwohl das Schiff schon lange Teil der Brokenback geworden war. Der eigentliche Schatz des Schiffes war der Maschinengeist. Er wurde in einem Ceramoplastikkern hinter der Brücke aufbewahrt. Die Kugel aus Schaltkreisen, deren Oberfläche mit Ventilen und Lochkartenschlitzen übersät war, nahm einen ganzen Raum ein. Eine erste Untersuchung hatte die Vermutung nahe gelegt, dass die Kons truktion viel zu kompliziert für die gegenwärtige Technologie des Mechanicus war. Vielleicht konnte man von hier aus die gesamte Brokenback steuern. Sergeant Salk und Arbeitergruppe Secundus waren damit beauft ragt gewesen, den Kern zu öffnen, damit die Techmarines ihn unter suchen konnten. Da entdeckten sie die moralische Bedrohung. Als Sarpedon eintraf, war bereits Apothecarius Karendin vor Ort, um sich um die verletzten Ordensdiener zu kümmern. »Wie ist die Lage, Karendin?« »Schlecht, Sir.« Karendin war einer der jüngsten Seelentrinker,
die sich auf Sarpedons Seite geschlagen hatten. Er war erst kürzlich in die Reihen der Apothecarii aufgestiegen. Der Bruderkrieg war seine Feuertaufe gewesen. »Wir haben ein halbes Dutzend Arbeiter verloren.« Er betrachtete den Körper zu seinen Füßen. Sein halbes Gesicht war von einer Säure zerfressen, die eine hässliche grün schwarze Kruste um die Wundränder hinterlassen hatte. Vier weitere verstümmelte Arbeiter lagen neben ihm. Arme, Beine und Köpfe waren weggeätzt worden. Ein unangenehmer, beißender Geruch er füllte die Luft. »Was ist mit Salk?« »Er bewacht den Maschinengeist im Kern, Sir. Falls er ausbrechen will.« Sarpedon eilte den Korridor hoch, wo Salk mit zwei Arbeitern und entsichertem Bolter vor einer versiegelten Luke kauerte. Salks Rüs tung war an vielen Stellen von der Säure verätzt worden. »Wie steht’s, Sergeant?« Salk salutierte eilig. »Wir haben die Kugel geöffnet, dann ging es los. Es hat die Hälfte der Diener erwischt. Wir sind so schnell wie möglich da raus. Um ein Haar hätte ich es nicht geschafft. Meiner bescheidenen Meinung nach ist das Ding da drin besessen.« Sarpedon betrachtete das schwarze Metall der Luke. Er konnte die Verderbtheit dahinter spüren. Sie war so stark wie der Gestank der Fäulnis um ihn herum. »Hauptmann!« Lygris eilte den Korridor mit den Tanks hinunter. »Die Verstärkung trifft sofort ein. Drei Trupps aus Sektor Gladius. Sie werden in fünf Minuten hier sein.« »Zu spät. Der Geist ist aufgewacht. Wenn wir noch länger untätig herumstehen, wird er nur stärker und bricht am Ende aus.« Sarpedon zog seinen Energiestab. Gerade hatte er ihn vom Schmutz des Gen räubers gesäubert. Jetzt würde er wieder unheiliges Blut schmecken. »Diener!«, rief Sarpedon. Einer der Arbeiter eilte zu ihm. »Öffne die Luke auf mein Zeichen.« Der Arbeiter lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen das
schwarze Metallrad. »Jetzt.« Der Arbeiter drehte das Rad und starb sofort, als sich ein Schwall graugrüner Säure über ihn ergoss. Sarpedon und Lygris, die viel schneller waren, konnten sich rechtzeitig unter dem ätzenden Strahl hinwegducken. Die Luft im Inneren des Raumes war hochgiftig. Dank seiner zu sätzlichen biomechanischen Lunge und des Präomnoren konnte ein Marine mehrere Minuten lang die Luft anhalten. Somit gab es keine Entschuldigung, weiter zu zögern. Sarpedon stieg über den sich auflösenden Körper des Arbeiters hinweg und betrat den Raum, in dem sich der Maschinengeist be fand. Lygris folgte ihm. Die mit Schaltkreisen bedeckte Kugel war in der Mitte geöffnet. Die untere Hälfte der Kugel war ein wabernder Kessel aus grünschwarzer Verdorbenheit, der Hitze und Bösartigkeit verströmte. Faulige Tropfen spritzten daraus hervor. Über allem lag ein giftiger Gestank. Sarpedon rannte auf die zylindrische Wand des Raums zu, wäh rend Lygris eine Splittergranate genau in die geöffnete Kugel warf. Die blubbernde Flüssigkeit verschluckte die Granate, noch bevor sie detonieren konnte. »Alle Flammenwerfer nach Sektor Indigo!«, voxte Lygris. »Schnell!« »Vier Minuten«, ertönte Givrillians Stimme. Sehr gut, dachte Sar pedon. Der hintere Teil der Kugel war augenscheinlich noch intakt, aber auch hier lösten sich die Metallplatten von der Oberfläche. Eitriges Sekret strömte in Bächen aus den Lochkartenschlitzen. Beim Impera tor, er konnte den Hass und die pure Boshaftigkeit des Dings spüren. Es gab hier keine Intelligenz, die zu einem anderen Gefühl als Hass fähig gewesen wäre − aber für den Hass schien es ein wahres Sam melbecken zu sein. Er trieb den Energiestab durch die Hülle aus Schaltkreisen direkt
in das Herz des Dings und konnte spüren, wie die scharfe Spitze des Stabs die halb verflüssigte Maschinerie zerschnitt. Aber der Hass starb nicht. Lyris pumpte eine Kugel nach der anderen in das Ding. Er ahnte, dass er es nicht mit seinem Bolter töten konnte: Er wollte es ablen ken, um Sarpedon Zeit zu verschaffen. Wie alle Seelentrinker hatte auch Lygris komplettes Vertrauen in Sarpedons Fähigkeiten − er hatte das Licht des Imperators gesehen, das von ihm ausgeströmt war. Sein neuer Ordensmeister war von Ihm persönlich gesegnet worden. Sarpedon hoffte, dieses Vertrauen nicht enttäuschen zu müs sen. Er schloss die Hände fest um das Arunholz und lenkte seine psio nische Kraft in den Stab. Irgendwie musste es möglich sein, dieses Ding zu töten. Die Wellen der Bosheit erzitterten, wurden stärker, aber hatten kein Ziel mehr. Was war das? Alien? Es gab Geschichten über Kreaturen, die Technologie kontrollieren konnten. Aber warum würden sie so einen schrecklich vertrauten, nur allzu menschlichen Hass aussenden? Das Arunholz bog sich in seiner Hand, als das verderbte Ding im Kern des Maschinengeists dagegen ankämpfte. Sarpedon krabbelte die Decke hinauf, während er den Stab festhielt. Ein großer Riss ent stand in der Kugel, aus der eitrige Flüssigkeit quoll. Lyris musste einer Säurefontäne ausweichen, die sich zischend in die gegenüberliegende Wand fraß. Der Techmarine rollte sich auf den Überresten des Arbeiters ab und kam wieder auf die Beine. Dann zog er ein Kabel aus seinem Genick. »Nicht, Lygris! Es wird dich umbringen!« Sarpedon wollte seinen Atem nicht mit Schreien verschwenden, aber er wusste, was Lygris vorhatte, und auch, dass er scheitern würde. Er hatte nur knapp die Begegnung mit dem Maschinengeist der Geryon überlebt, der seiner seits nur ein Bruchteil des Bewusstseins der 674-XU28 gewesen war. Hier handelte es sich um einen Alienvirus oder eine willentlich her beigeführte Techno-Ketzerei. Es würde seinen Geist zerstören.
»Helft mir, Lord Sarpedon«, sagte Lygris und stöpselte das Kabel in einen Infoport. Ohnmächtig fiel er zu Boden. Sarpedon schrie und scherte sich nicht um die kostbare Luft in seinen Lungen. Er trieb die Hand, die den Stab hielt, bis zum Ellbo gen in den Kern des Maschinengeists. Eiter und eingeweideartige Maschinenteile schlangen sich um seinen Arm und versuchten, ihn hineinzuziehen. Sarpedon drehte den Stab und fühlte den Schmerz des Dings. Dann wusste er, was er zu tun hatte. Lygris wand sich in Krämpfen. Jetzt war Sarpedon an der Reihe, die bösartige Intelligenz abzulenken. Sonst hatte Lygris keine Chan ce. Bist du hier?, dachte Lygris. Bist du hier? Wenn nicht, ist alles verlo ren. Ich bin hier, hörte er die Antwort durch einen Wall blasphemi scher Schreie. Aber ich kann dir nicht helfen. Es ist verwundet, antwortete Lygris. Mein Herr und ich haben es verletzt. Aber wir können es ohne deine Hilfe nicht töten, Sektor Indigo. Ich weiß. Aber es ist so stark. Einst war ich das Forschungsschiff Bellerophon. Ich durchwanderte Galaxien, die noch nie ein Mensch betreten hatte und entdeckte unvorstellbare Wesen. Jetzt bin ich klein und habe Angst. Es besteht nur aus Verderbnis, Techmarine Lygris. Es ist ein Gespenst aus Zerstörung, ohne Mitgefühl. Bis jetzt hat es mich noch immer besiegen können. Aber es kann vernichtet werden, sagte Lygris. Ich zeige dir, wie. Ich helfe dir. Wenn es vor Schmerz besinnungslos ist, kannst du die Versorgungsleitung kappen, die zum Kern des Maschinengeists führt. Dort sitzt seine physische Hülle. Du kannst es verhungern las sen. Das kann ich, Techmarine Lygris. Aber wenn ich das tue, werde ich selbst sterben. Der Kern beherbergt auch meine Speicherbänke. Aber dann ist es tot. Du weißt, dass du dich geopfert hast, um ein
schreckliches, mächtiges Ding zu vernichten. Räche dich, Sektor Indigo. Bist du bereit, dieses Opfer zu bringen? Techmarine Lygris, diese Kreatur steht für alles, was ich immer bekämpft habe. Als Space Marine solltest du doch wissen: Die Ent scheidung zwischen Leben und Rache ist in Wahrheit überhaupt kei ne Entscheidung. Sarpedon rang mit der breiigen Substanz, die ihn zu verschlingen drohte. Er steckte bis zu den Schultern und den Vorderbeinen im ätzenden Leib des Kerns und versuchte verzweifelt, seinen Oberkör per aus dem Morast zu halten. Er hatte den Energiestab mit beiden Händen gepackt und schlitzte wild um sich, während das Ding ver suchte, ihn ihm zu entreißen. Die Rüstung an seinen Vorderarmen hatte sich fast völlig aufge löst. Wo die Verbindungsstücke weggeätzt waren, drang Säure ein und versengte seine Handgelenke und Hände. Der Zorn des Dings war allein auf ihn gerichtet. Lygris blieb nicht mehr viel Zeit. Sarpe don wusste nicht, wie lange er es noch ablenken konnte. Wenn dieses Ding entkam, würde es die gesamte Brokenback übernehmen. Die Zukunft des Ordens stand auf Messers Schneide. Die Situation war einfach − Sarpedon musste gewinnen oder sterben. Dann spürte er etwas anderes. Furcht. Die Lichter im Raum flackerten noch einmal auf und verloschen. Plötzlich stand Lygris neben ihm. Das Kabel hing noch immer aus seinem Genick. Er steckte die Mündung seines Bolters in die Wun den, die Sarpedon gerissen hatte, und feuerte Explosivgeschosse in den Kern. Das Ding schrie vor Entsetzen auf, als es von der Dunkelheit ver schluckt wurde. Als seine Stromzufuhr gekappt war, endete auch seine Existenz. Es kämpfte bis zum Schluss, aber seine schwindende Lebenskraft konnte dem Zorn zweier Space Marines nicht standhal ten. Seine Eingeweide wurden durch Bolter und Energiestab zerfetzt. Sarpedon und Lygris hatten nicht mehr als drei Minuten im Raum
des Maschinengeists verbracht. Sie waren mit Schleim und Säure verbrennungen bedeckt und schnappten nach der einigermaßen sau beren Luft der Brücke. Dann traf die Verstärkung mit Flammenwer fern und Plasmagewehren ein, um den Raum zu reinigen. Karendin verließ die sterbenden Ordensdiener, um sich um die Wunden seines Hauptmanns zu kümmern. Salk beaufsichtigte die Säuberungsaktion. Givrillian kam hinzu, als Karendin Sarpedons Rüstung von seinen geschwärzten Armen löste. Givrillians Narbe war feuerrot. Die alte Wunde hatte sich wieder geöffnet, und ein halbes Dutzend Augen spähten aus ihr in alle Richtungen. Sie verliehen dem altersgrauen Givrillian noch mehr Autorität und Gewicht − ein weiteres unheimli ches Geschenk des Schicksalsarchitekten an die Seelentrinker. »Hauptmann, seid Ihr schwer verletzt?« Sarpedon schüttelte den Kopf. »Ein paar Streifen synthetisches Fleisch, mehr braucht es nicht. Ich habe schon Schlimmeres mitge macht.« »Sergeant Givrillian«, sagte Lygris. Seine Stimme drang nur krächzend aus seiner versengten Kehle. »Was wir hier bekämpft ha ben, war nicht zufällig hier. Das war kein Xenos. Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte: Zieht alle Techmarines und Scriptoren zusammen, um so viele Informationen wie möglich darüber zu sam meln.« »Einverstanden«, sagte Sarpedon. »Wenn es noch so ein Ding auf der Brokenback gibt, müssen wir es wissen.« Givrillian salutierte und eilte davon, um den Befehl auszuführen. Lygris wandte sich zu Sarpedon. »Es wollte das Schiff überneh men, Hauptmann. Und irgendjemand hat ihm den Auftrag dazu ge geben.« Mutant. Ein Monat war vergangen, seit sie den Maschinengeist in Sektor Indigo bezwungen hatten. In dieser Zeit hatten sie die Brokenback erkundet. Die Speicherbänke, die sie aus der Flotte gerettet hatten, waren gefüllt mit Daten über ihr neues Zuhause. Bis jetzt hatten sie
herausgefunden, dass der Hulk aus sechzehn verschiedenen Schiffen bestand. Manche waren nur verrottete Hüllen, andere so neu wie am Tag ihrer Jungfernfahrt. Eine Staffel Jäger aus der Zeit vor der Häre sie war zu einem zerklüfteten Metallklumpen zusammengeschmol zen. Die Techmarines versuchten, eine orbitale Generatorplattform ans Laufen zu bekommen, um die Myriaden Warptriebwerke des Schiffes mit Strom zu versorgen. Anderswo wurde eine Sektion zur Schola Progenium ausgebaut und in Mönchszellen unterteilt. Der Hulk wurde nach und nach kartiert und überholt − bald würde er eine Klosterfestung sein, die denen der anderen Orden in nichts nach stand. Sarpedons Wunden waren tief, heilten aber schnell. Die versengte Haut seiner Unterarme war neuem, stärkerem Fleisch gewichen. Die Apothecarii hatten die schmerzhaften Säureverbrennungen an seinen Spinnenbeinen ausgewaschen und mit heilenden Salben eingerieben. Bald würden nur zerklüftete Narben im Chitinpanzer zurückbleiben. Seine verbrannten Sehnen waren innerhalb weniger Tage nachge wachsen, und unter dem robusten Exoskelett wölbten sich neue, stär kere Muskeln. Aber das war genau das Problem. Sarpedon spazierte durch die gewaltigen Kanonendecks im Zentrum der Brokenback und dachte über seine Kräfte nach − sie konnten einfach nicht natürlichen Urs prungs sein. Mutant. In den Tagen der Rebellion, die auf seinen Sieg über Gorgoleon gefolgt waren, hatten ihm viele dieses Wort ins Gesicht geschrien. Es war Michairas letztes Wort gewesen, bevor er von Sar pedon erwürgt worden war. Mutant: unrein, eine Anomalie, die allein durch ihre Existenz eine Sünde darstellte. Schlimmer konnte man einen Marine nicht beleidi gen. Sarpedon hatte viele nur deshalb getötet. Aber irgendwie konnte er sie verstehen. Vergeben konnte er ihnen nicht. Das Kanonendeck war einst Teil eines Imperialen Schlachtschiffs gewesen. Wahrscheinlich bestand die Hälfte des Bugs der Broken
back nur aus diesem Schiff. Es war ein stolzes Schiff gewesen, ge tauft auf den Namen Macharia Victrix, wie überall eingraviert war. Den Markierungen nach zu urteilen, die für jeden vernichtenden Treffer in die Kanonenummantelungen geritzt worden waren, hatte es dem irregeleiteten Imperium jahrhundertelang gute Dienste geleis tet. Aber irgendwann war es dann von der Brokenback verschlungen worden. Seitdem schwiegen die Kanonen und wurden vom Rost zer fressen. Zwischen den Kanonen lagen staubige Knochenhaufen. Hier hatte die Besatzung ihre letzte Zuflucht vor dem Wahnsinn des Warps ge sucht. Auf manchen der Knochen fanden sich Zahnspuren. Sarpeon rannte los. Er fühlte die stahlharten Sehnen in seinen Ge lenken und die Muskelpakete, die sich zusammenzogen. Acht Klauen schlugen Funken aus dem Metallgitter, als er die Grenzen seines neuen Körpers austestete. Er fühlte keine Schmerzen mehr − das neu gewachsene Fleisch war viel stärker als das alte. In den Augen eines Ungläubigen musste er eine monströse Er scheinung sein − ein Spinnenzentaur, halb Mensch, halb Arachnoide, Ein Space Marine allein bot schon einen Furcht erregenden Anblick. Aber diejenigen, die seinen Triumph in Dorns Kathedrale nicht mi terlebt hatten, mussten ihn für ein Ungeheuer halten. Wie die Novi zen, die die wahre, heilige Stärke der Seelentrinker noch nicht kann ten oder den Heiligenschein nicht gesehen hatten, der Sarpedon im Moment seines Triumphs umgeben hatte. In ihren Köpfen war noch Platz für Zweifel gewesen, die ein wahrer Marine erst gar nicht hätte aufkommen lassen. Sie hatten nur seine ungeheure Gestalt gesehen und daraus geschlossen, dass Sarpedon tatsächlich ein Ungeheuer war. Sie kannten die glorreiche Wahrheit nicht. Sarpedon wusste, dass er kein Ungeheuer war. So sicher, wie er spürte, dass die Augen Dorns und des Imperators auf ihm ruhten. Er hatte das Fleisch des Mutanten in sich aufgenommen, den Tellos auf dem Sternenfort getötet hatte. Er erinnerte sich an dieses Gefühl − eine schmutzige Schicht aus Hässlichkeit, ein Universum aus Hass,
das ihm entgegenschlug. Der Fluch des Mutanten war etwas Grauen haftes und Verzehrendes − ganz im Gegenteil zu dem, wie er sich fühlte. Er fühlte die heilige Kraft des Schicksalsarchitekten, der seine neue Gestalt mit frischer Kraft erfüllte. Sarpedon schwang sich auf eine der Kanonenummantelungen. Seine Krallen zerkratzten das uralte Metall. Er erreichte den Höhe punkt der Kanone und kletterte an der Wand die Decke hinauf. Dann sprintete er kopfüber weiter, während unter ihm das düstere Kano nendeck vorbeischoss. Keiner seiner Kameraden zweifelte mehr an ihm. Die gewaltsame Art und Weise, mit der er sich seine Position erkämpft hatte, ließ keinen Widerspruch zu. Viele seiner Brüder veränderten sich ja selbst. Givrillian mit seinen vielen Augen, Tellos mit seiner weichen Haut und der erhöhten Sinneswahrnehmung. Jeder Tag brachte ein neues Geschenk des Imperators mit sich − Bruder Zaens Rücken und Oberarme überzogen sich mit scharfen, dreieckigen Schuppen; Ser geant Graevus’ Finger der linken Hand waren inzwischen so lang und kräftig, dass er seine Energieaxt mit einer Leichtigkeit schwin gen konnte, mit der andere ein Kampfmesser handhabten. Sarpedon ließ sich von der Decke fallen und federte mit gespreiz ten Beinen den Aufprall ab. Trotzdem verbeulte der rostige Metall boden. Mutant? Niemals. Seine neue Gestalt war ein Geschenk des Impe rators, ein Zeichen, dass Er sie aus der gestaltlosen Masse der Menschheit auserwählt hatte. Nicht nur im Denken, auch körperlich hatten sie nichts mit ihnen gemeinsam. Es wunderte ihn nicht, dass die feigen Bewohner des Imperiums ihn für einen unreinen Mutanten hielten − ein weiteres Zeichen ihrer Dummheit. Im Heck der Brokenback arbeiteten die Techmarines daran, die zerrütteten Überreste der Speicherbänke aus Sektor Indigo mit der Datensammelstelle zu verbinden, die sie im Sensorium der Yacht errichtet hatten. Sie hofften, irgendeinen Hinweis darauf zu entde cken, warum die verderbte Kreatur die Kontrolle über die Broken
back erlangen wollte. Es war ein namenloser Ort. Aber das war unmöglich − jeder Planet hatte irgendeine Bezeichnung, und sei es nur eine Nummer, die ihm die Navicogigatoren, die ihn kartiert hatten, zuwiesen. Hier konnten sie nichts erkennen − keiner der Sensoren reagierte. Das Einzige, was sie über diesen Ort wussten, war seine Position. Sie hatten ein Bild von ihm, aber das nutzte nicht viel. Der Planet war von Pol zu Pol in dicke Wolken wie in einen wirbelnden grauweißen Mantel gehüllt. Der milchige Schein des Projektorbilds warf scharfkantige Schatten in Sarpedons Gemächer, dem ehemaligen Kapitänsquartier. »Hier gibt es nichts von Interesse«, sagte Sarpedon und lehnte sich auf seinen wieder erstarkten Beinen zurück. Techmarine Solun bediente den Holoprojektor des Servitors, und das Bild wurde durch eine riesige Menge Daten über die verschie densten Planeten ersetzt. Man konnte jedoch kaum etwas entziffern. Es war die visuelle Darstellung einer fast vollständig zerstörten Da tenbank. »Die Speicherbänke, auf die der Maschinengeist Zugriff hatte, waren in einem erschreckenden Zustand«, sagte Solun. »Die Infekti on hat die Daten darauf systematisch vernichtet. Die Speicherplatten waren fast flüssig, als wir sie gefunden haben.« »Aber die Daten über diese Welt hat die Kreatur nicht angerührt. Warum?« Solun zeigte jetzt die komplexe Darstellung der Navigationssys teme von Sektor Indigo. Wie alle Techmarines war auch er in erster Linie verantwortlich für die Wartung der Waffensysteme und Ener giefelder. Sein Spezialgebiet jedoch lag auf dem der arkanen und fast in die Magie übergleitenden Kunst der Informationsbeschaffung und speicherung. Auf seinen Schulterplatten und in seinem Rückenmodul waren lange Reihen schwarzer Speicherbänke montiert. Sein Ser voarm endete in einem nadelfeinen Datendiebfühler.
»Dies hier ist Sektor Indigos ehemaliges Navigationssystem«, sagte Solun, und eine Sektion der Karte leuchtete rot auf. »Inzwi schen ist es mit den Brücken von mindestens acht weiteren Schiffen, aus denen die Brokenback besteht, verbunden. Bemerkenswerterwei se auch mit einem Hochleistungstransportschiff und einem XenosSchiff, das wir im Moment noch unter Quarantäne gestellt haben. Möglicherweise hätte dieses Ding die Brokenback recht effektiv steuern können.« »Darum ging es also. Es wollte das Schiff übernehmen und zu diesem geheimnisvollen Planeten bringen.« Solus nickte. »Das vermuten wir.« »Na schön. Gute Arbeit, Techmarine.« Sarpedon wandte sich ei ner anderen Gestalt zu, die in den Schatten der Holoprojektion warte te. »Wissen wir inzwischen, was das für ein Ding war?« Die Rüstung von Kaplan Iktinos tauchte aus der Dunkelheit auf. »Es war ein Dämon«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Ihr sagt, Ihr habt seine Intelligenz gespürt. Es war purer Hass, Hauptmann. Das war kein Alien oder eine ketzerische menschliche Erfindung. Es war ein Diener des Feindes.« Ein Dämon. Ein Soldat der Mächte des Warp, ein Diener der dunklen Götter des Chaos. Das Chaos war der Erzfeind des Impera tors. Die Bedrohung, die Horus, der Kriegsherr des Chaos, dargestellt hatte, bevor ihn der Imperator niederstreckte. Das Chaos hatte die schwachen Herzen von vier Primarchen korrumpiert und die ver dammten Verräterlegionen ins Leben gerufen. Als sich Sarpedon vom Imperium losgesagt hatte, zweifelte er nicht daran, dass es eine Brutstätte des Chaos war − es gab schließ lich so viele korrupte Institutionen, durch die das Chaos in die Gala xie gelangen konnte. Sarpedon hatte immer den Wunsch gehabt, mit seinen Seelentrinkern das Chaos in seiner reinsten Form zu bekämp fen, ja sogar, das Imperium zu stürzen, um ihm keine Angriffsfläche mehr zu bieten. Aber jetzt war das Chaos sogar bis auf die Broken back vorgedrungen.
Ein weiterer Gedanke drängte sich ihm auf − Sarpedon, endlich hast du die Möglichkeit, einen Feind zu bekämpfen, der es auch wert ist. Du bist dort gewesen, sagte eine kleine Stimme in seinem Hinter kopf unaufhörlich. In deinen Träumen warst du dort und hast gese hen, welcher Abschaum dort liegt. Unter der Schicht aus Wolken liegt ein roher, blutender Planet, den du nur allzu gut kennst. »Es wollte zu diesem Planeten, nicht wahr?«, sagte Sarpedon. »Diese dämonische Krankheit wollte die Steuersysteme der Broken back übernehmen und zu diesem Planeten fliegen.« »So vermuten wir, Hauptmann. Das Librarium stimmt uns zu. Wir wissen nur nicht, weshalb es das wollte.« »Weil es ein Ort des Bösen ist, Iktinos.« Sarpedon wandte sich von der milchigen Kugel des unbenannten Planeten zur ausdruckslo sen Gesichtsplatte auf dem Helm des Kaplans. »Das ist der Ort, von dem Yser gesprochen hat. Wo wir unseren Wert dem Unsterblichen Imperator gegenüber beweisen müssen. In meinen Träumen habe ich das Böse gesehen, das dort lebt. Jetzt hat uns der Imperator den Be weis geliefert. Das Böse hat einen Dämon geschickt, aber wir haben ihn getötet. Die Brokenback wird diesen Ort anfliegen. Aber unter unserem Kommando.« »Ich nehme an, ich soll die Litaneien der Vorbereitung anstim men«, sagte Iktinos, der die ganze Zeit über schon so etwas vermutet hatte. »Allerdings, Kaplan. Sobald wir zum Warpsprung bereit sind, ist dies unser nächstes Ziel.« Sarpedon deutete auf den namenlosen Pla neten. Hinter der undurchdringlichen Wolkendecke lagen seine schlimmsten Albträume. Gab es eine größere Aufgabe für einen Krieger? Hier war das ab solut Böse, das man bekämpfen und zerstören konnte. Etwas Ver ruchtes, das nicht dem Verrat oder der Gier entsprang, sondern die Sünde selbst war. Etwas, dem man sich entgegenstellen konnte.
Etwas, das man töten konnte.
NEUN
In der äußeren Atmosphärenschicht herrschte klirrende Kälte, aber selbst hier konnte Yser den heißen Pulsschlag des unheiligen Lebens darunter spüren. Er wusste, wenn er jetzt hinunterschaute, würde er das sehen, was ihn in den letzten Monaten fast in den Wahnsinn ge trieben hatte. Aber er konnte nicht einfach die Augen davor ver schließen. Er war aus einem ganz bestimmten Grund hier − der Schicksalsarchitekt wollte es so. Mit einem Mal befand er sich in freiem Fall. Er öffnete die Augen und sah, wie die gelblichen Wolkenbänke auf ihn zurasten. Er wurde in stinkende Abgase geschleudert, die so dicht waren, dass er sie an seinem Körper spüren konnte. Er war in eine kranke Lunge gefallen, die mühsam Atem holte. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Er hatte dies alles schon wer weiß wie oft durchgemacht. Die nächste Schicht war viel schlimmer. Zunächst konnte er nur ein kreischendes Summen hören, das durch die heulenden Winde und das Blubbern der Faulgase drang. Ein beschwörender Gesang drang aus tausend kleinen Kehlen. Er rollte sich zusammen, obwohl ihm das auch nicht helfen würde. Fliegen. Er stürzte in einen massiven Gürtel aus fetten schwarzen Fliegen. Der Ekel erregende Chor des Ungeziefers war einen halben Kilometer tief. Sie setzten sich auf seiner Haut fest, umhüllten ihn mit einer Schicht aus dickem Schleim, krabbelten in seine Nase, in die Ohren, zupften an seinen Lippen und Augenlidern. Das Dröhnen von Millionen winziger Flügel umgab ihn, bevor er in die nächste Schicht, die schlimmste von allen, eintauchte. Für einen Moment wünschte er sich sogar, für immer im Meer der Fliegen bleiben zu dürfen. Aber er fiel wild mit den Armen wedelnd weiter. Langsam
dünnte der Fliegenschwarm aus. Die Luft war jetzt so heiß und schwül, dass ihm der Schweiß aus allen Poren drang. Er öffnete die Augen. Der Schicksalsarchitekt wollte es so. Yser wusste, dass der Planet in Wirklichkeit nicht so aussah. Aber so fühlte er sich an. Er sah eine mehrere Meilen hohe Säule aus dunklem, purpurumkränztem Feuer. Die riesige Flamme beobachtete ihn − eine dunkle, kalte, böse Intelligenz. Sie sprach zu ihm, verspot tete ihn in unverständlichen Worten. Die Flamme lachte. Sie konnte ihn sehen. Er war so klein und hilflos im Angesicht der Übermacht des Bösen. Er zwang sich, die Augen zu öffnen. Der Architekt wollte es so. Millionen Leichen bildeten eine Landschaft des Schmerzes. Es waren die Leichen guter Männer und Frauen, deren Seelen der Impe rator gerne in Sein Licht geholt hätte. Aber die böse Dunkelheit hatte sie entführt, versklavt, zu Millionen abgeschlachtet. Wie ein Aasfres ser ernährte sie sich von ihren Kadavern. Sie waren das Öl, von dem sich die Flamme ernährte. Die Miss geburt, die ihre Güte und Wahrhaftigkeit auffraß, bis sie das schwarz glühende Feuer zu verkohlten Hüllen verbrannte. Die Flamme brauchte die Anständigkeit, Ehrlichkeit und Reinheit dieser Menschen, um sie zu verderben und sie sich Untertan zu ma chen. Diese Männer und Frauen waren die letzte Rettung der Menschheit, die Einzigen, die die Wahrheit des Architekten erkannt hatten, und hier wurden sie von einer dunklen Macht gefoltert, bis nur noch Asche zurückblieb. Dies würde eines Tages auch Ysers Schicksal sein. Sie mussten etwas dagegen tun. Das war die Botschaft, die der Architekt aussandte, indem Er Yser zwang, Zeuge dieser Schrecken zu werden. Es war keine Vision der Vergangenheit, sondern einer Zukunft, in der das Böse gesiegt und die Anhänger des Architekten zu Leichenbergen aufgehäuft wurden. Eine Zukunft, die nur verhin dert werden konnte, wenn Yser und die heiligen Krieger des Impera tors diesen Albtraum fanden und zerstörten, bevor er sich zu dieser
alles verschlingenden Flamme entwickeln konnte. Wie von einer unsichtbaren Hand wurde Yser nach oben gerissen und durch die Schichten gezogen. Immer weiter, immer schneller, bis in die Todeskälte des Weltalls. Die Vision endete mit einem Blick auf die Welt, die sie zu säu bern hatten. Fahl trieb sie um einen aufgeblähten, sterbenden Stern. In der neuen Kathedrale von Dorn erzählte Yser Sarpedon von seiner Vision. Die Luft war schwer von altem Maschinenöl und Weihrauch. Gebete hallten durch den Raum. »War es die gleiche Vision?« »Ja. Nur war sie diesmal viel stärker, Lord Sarpedon. Wirklicher.« »Wir nähern uns unserem Ziel, nicht wahr?« »Ja, ja, genau das ist es. Es ist nicht mehr weit, ich fühle es.« Yser hielt eine Ausgabe des Katechismus des Krieges in seinen zitternden Händen − Daenyathos’ Meisterwerk hatte er immer griffbereit. Im hohen Mittelschiff klang seine Stimme schwach und verloren. Ob wohl Yser um Längen gesünder und sauberer als noch auf dem Ster nenfort wirkte, war er letztendlich doch ein gebrechlicher Greis. »Hast du Angst, Vater?« Ysers’ wässrige Augen sahen vom ledernen Einband des Buches auf. »Lord Sarpedon. Darauf kommt es nicht an. Ich werde tun, was ich tun muss. So wie wir alle.« Das Mittelschiff hatte einst Hunderte Torpedos beherbergt, die zu einem massigen Kriegsschiff gehört hatten. Jetzt war ein pyramiden förmiger Raum übrig geblieben, dessen hohe Spitze sich in den Schatten verlor. Die Statuen der Ordenshelden, die sie aus der Flotte gerettet hatten, waren um das riesige Abbild des Primarchen Rogal Dorn gruppiert. Mit Energieschwert und gezogenem Kampfmesser symbolisierte er die schnelle, aber tödliche Kampfstärke der Seelen trinker. Sein edles Gesicht war dem Himmel zugewandt. Unter sei nen Füßen wanden sich die Ausgeburten des Chaos. Auf einer höl zernen Kanzel konnten die Kaplane ihre Predigten halten und Yser
den neuen, wahren Glauben verkünden. Die Kaplane wurden direkt von Yser angeleitet, damit sie auch gewiss die Wahrheit sprachen. »Werden Sie das zerbrochene Fenster wieder zusammensetzen?«, fragte Yser plötzlich. Sarpedon erinnerte sich daran, wie er durch das Buntglasfenster der alten Kathedrale geschleudert worden war. Die Scherben waren gesammelt und auf die Brokenback gebracht worden. Sarpedon fand es jedoch nicht angemessen, das Fenster wieder zusammenzusetzen. Für ihn symbolisierte es die Abhängigkeit des alten Ordens vom Im perium. Es war Zeit für neue Symbole, Symbole der Freiheit. »Die Artificer werden ein neues Fenster anfertigen. Ich werde mich nach unserer Rückkehr sofort darum kümmern.« »Eines Tages werdet Ihr in diesen Kreis aufgenommen«, sagte Yser und deutete auf die Reihe der ernst blickenden Statuen. Sarpedon lächelte. »Ich hoffe, dass sie keine meiner Narben ver gessen. Es wäre mir nicht recht, wenn man sich an mich als einen schönen Mann erinnern würde.« »Und da wären noch Eure Beine.« »Natürlich.« Die Stille der Kathedrale hatte etwas Beruhigendes. Man konnte sich kaum vorstellen, dass um die Brokenback herum der gewaltige Mahlstrom des Warps tobte. Seit mehreren Wochen bereiste die Brokenback den Warp erneut, diesmal jedoch unter men schlicher Führung. Sein immenses Arsenal von Warptriebwerken war eng mit den Navigatoren auf der Macharia Victrix und einem halben Dutzend anderer intakter Schiffsbrücken verbunden. Die Koordinaten des namenlosen Planeten, die sie auf der Bellerophon entdeckt hatten, waren fest in jeder Speicherbank installiert. Schon in ein paar Tagen würde sich die Brokenback ihrem Ziel so weit ange nähert haben, dass sie erste Scans durchführen konnten. »Was ist mit Euch, Sarpedon?«, fragte Yser. »Was habt Ihr gese hen?« Sarpedon schwieg, als er an die Träume dachte, die ihn im Halb
schlaf heimgesucht hatten. »Wieder einmal Qixian Obscura. Aber … da ist noch etwas anderes. Ich stehe auf den Zinnen und frage mich, warum ich überhaupt kämpfe, und plötzlich erkenne ich etwas. Es ist überall um mich herum, wie eine neue Realität, die ich vorher nicht sehen konnte. Groß und schwarz wie eine dunkle Wolke. Ich kann ihren Hunger spüren, Yser. Ich höre, wie sie über mich lacht. Wenn ich die Aliens besiegt habe und neben Kallis’ Leiche stehe, dreht sich Caeon zu mir um. Aber seine Worte verlieren sich in wildem Geläch ter.« Yser lächelte. »Und danach seht Ihr jene fürchterliche Welt wie ein totes Auge in der Schwärze des Alls.« »Ja, Vater. So wie du.« »Das ist gut, Sarpedon. Jetzt wisst Ihr, was Ihr zu tun habt. Wer von uns ist sich denn über seinen Daseinszweck im Klaren? Es gibt Milliarden Menschen, die verloren umherirren, die die Wahrheit nicht kennen und nicht wissen, wie sie ihrem Imperator dienen sol len. Aber Ihr − Ihr wisst es. Ihr wisst, wohin Ihr ziehen sollt und Ihr kennt die Macht des Bösen, gegen die Ihr antreten werdet. Ihr seid gesegnet, Sarpedon.« Sarpedon schaute zur mächtigen Statue Rogal Dorns auf. Wenn die Ordensdiener erst den Stein zurechtgehauen und die Artificer ihr Werk vollendet hatten, würde eine noch viel größere Statue den Platz hinter Dorn einnehmen: die des Imperators, des Schicksalsarchitek ten, wie er in den Visionen Ysers und den Wachträumen der Marines erschien. Mit verschleiertem Gesicht, breiten Schultern und den gro ßen, edelsteinbesetzten Schwingen der Wahrheit. Bis jetzt gab es noch kein Abbild des Imperators, das der Form gerecht wurde, die die Seelentrinker anbeteten. Er würde seinen Blick auf sie herabwerfen, glühend vor Zorn, wenn sie versagten, von Stolz erfüllt, wenn sie ihm gehorchten. Seine Augen würden sich in die Seele eines jeden Mannes brennen. »Du hast recht, Yser«, sagte Sarpedon. »Ich bin gesegnet. So eine Chance bekommt man sehr selten. Ich weiß, dass ich und meine Brü
der uns auf deinen Rat verlassen können. Aber der Imperator ver langt Großes von uns, um unseren Wert zu beweisen. Meine besten Männer werden mich begleiten. Aber selbst wenn wir den Sieg da vontragen sollten, so besteht doch die Möglichkeit, dass du eines Tages diesen Orden führen musst, weil seine größten Helden gefallen sind.« »Ich habe mein Leben dem Dienst am Schicksalsarchitekten ge widmet, Sarpedon. Ich weiß zwar nicht, wie man kämpft, aber ich werde alles tun, was in meiner Macht steht.« Sarpedon richtete sich auf und streckte die Beine aus. Sie waren fast komplett verheilt − die schmerzhaften Einschnürungen um seine Gelenke waren so gut wie verschwunden. Er fühlte sich, als könnte er mit seinen Klauen massiven Fels zerschlagen. »Natürlich, Yser. Aber ich wäre kein guter Hauptmann, wenn ich an dir zweifeln wür de.« »Macht Euch um mich keine Sorgen. Dieser Orden ist meine Ge meinde. Ich werde ihm mit ganzem Herzen und ganzer Kraft zur Sei te stehen.« Die Statue Dorns entsprach nicht der Realität. Keiner wusste, wie der Primarch wirklich ausgesehen hatte. Seine Taten waren Legende. Vielmehr sollte die Statue Dorns ewige Wachsamkeit symbolisieren. Er richtete über seine Männer und würde am Ende die Fähigsten auswählen, die mit ihm in die letzte Schlacht ziehen durften. »Noch etwas, Hauptmann.« »Ja, Yser?« »Bringt ein paar von ihnen in meinem Namen zur Strecke.« Die Fabrikwelt Korden Tertius lag im Regen. Das bedeutete, dass sie sich schützen musste. Dreilagige Armaplas-Lamellen schoben sich über Türen und Sichtfenster, Sensoren wurden eingefahren. Der sau re Schwefelregen und die nuklearen Stürme hätten selbst den ma schinenähnlichsten Techpriester in Sekundenschnelle getötet. Der ganze Planet musste komplett abgeschottet werden. Die Säure konnte
überall eindringen und Stromleitungen zerfressen. Jeder Kontakt mit Metall hätte verheerende Stromschäden in den Labors und Fabriken zur Folge. Sobald sich über Koden Tertius ein Sturm zusammenbrau te, wurde jegliche Produktion eingestellt und die Akolythen zogen sich in ihre Gemächer tief im Felsmassiv zurück, um über dem gro ßen Werk des Omnissias zu meditieren. Obwohl heute solch ein Tag der Besinnung ausgerufen worden war, wurde in manchen Teilen der Fabrikwelt die Arbeit fortgesetzt. Viele gaben auch im stärksten Sturm ihrem Drang, die heiligsten Geheimnisse des Universums zu entschlüsseln, nicht nach. Fünf von ihnen waren im Labor von Sasia Koraloth versammelt. Kolo Vaien war über eine Werkbank gebeugt, auf der Teile von Servitoren lagen. Er war ein blasser, kränklich wirkender Junge, der auf den Stufen eines Mechanicus-Tempellabors in einer weit entfern ten Schwarmstadt gefunden worden war. Durch seine bemerkenswer te Fähigkeit, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, hatte er sich seinen Platz auf der Fabrikwelt erkämpft. Neben Vaien stand der um einige Köpfe kleinere Tallin, der der Techgarde oder Skitarii angehört. Er war als Ingenieurlehrling auf die Fabrikwelt gekommen und hatte sich verbissen bis zum Priester anwärter hochgearbeitet. Ein zäher, missmutiger Mann, dessen ge schickte Hände sich vor Ungeduld zu Fäusten ballten. »Sasia, Sie haben es gesehen? Los, Mädchen, zeigen Sie’s uns!« »So einfach ist das nicht, Tallin. Wir hätten niemals vermutet, dass in dem Ding so viel Energie steckt.« »Es gibt Möglichkeiten«, sprach eine trockene, totenähnliche Stimme. Es waren die ersten Worte, die El’Hirn an diesem Tag gesprochen hatte. Genau genommen die ersten seit vielen Tagen. Über ihn wuss te man nur, dass er sehr alt war. Als sie die Forschungen ungefähr zur Hälfte beendet hatten, war er in ihren Zirkel geplatzt. Alle ver muteten, dass er ihre Fortschritte schon seit Monaten beobachtet hat te, aber niemand traute sich, ihn danach zu fragen. »Ihr Labor ist mit
einem elektromagnetischen Käfig ausgestattet, Techpriesterin Kora loth. Es gibt nur wenige Dinge, die daraus entkommen können.« El’Hirn deutete darauf. Er war von Kopf bis Fuß in gesprenkelte Stoffbahnen gehüllt. »Da haben Sie zweifellos recht«, sagte Koraloth. Sie wusste nicht, wie sie El’Hirn einordnen sollte. Im schlimmsten Fall war er ein Spi on der Techmagier von Koden Tertius. »Aber mir ist klar geworden, mit welcher gewaltigen Kraft wir es hier zu tun haben. Ich habe alle verfügbaren Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Was nicht im Mindes ten ausreichen wird, sollte etwas schief gehen oder das Artefakt sich als mächtiger herausstellen, als wir bisher angenommen haben.« »Über welche Art von Kraft reden wir überhaupt?«, fragte Gelen tian, ein fetter, hässlicher Gelehrter. Er lehnte an einer Wand des Labors. Seine verkümmerten Beine wurden von einem einfachen Stützimplantat aufrecht gehalten. »Die Kraft einer Bombe? Die eines Geschosses? Wird uns dieses Ding töten oder an die Priesterschaft verraten? Bis jetzt habe ich nur wenige Resultate Ihrer Forschungen gesehen, Koraloth. Obwohl Sie seit über einem Jahr daran arbeiten. Ihre Zeit läuft langsam ab.« Als Gelehrter war Gelentian von den Magiern mit einer erhöhten Informationsaufnahme- und Speicherka pazität ausgestattet worden. Vaien war ein Naturtalent, Gelentian dagegen erfahren und diszipliniert. Er spielte die Rolle des Beobach ters. Alle Ergebnisse der Forschungsgruppe waren in ihm abgespei chert − die Daten waren viel zu gefährlich, um sie einer Speicher bank anzuvertrauen. »Gelentian«, sagte Koraloth. »Haben Sie jemals die Detonation einer Warpgranate miterlebt?« Für einen Augenblick herrschte Stille. Warpwaffen waren seit Tausenden von Jahren nicht mehr produziert worden. Es gab Theo rien, denen zufolge sie aus den legendären Tagen des Zeitalters der Zwietracht stammten. »Hat er nicht«, sagte Tallin. »Aber ich − nämlich ein Warptorpe do. Damals auf Ichar IV schlug einer in einen Imperialen Titanen ein.
Mehr brauchte es nicht. Es gab eine große schwarze Explosion, dann nichts mehr. Sein Kopf war völlig verschwunden.« »Es braucht siebzehntausend Schuss aus einer herkömmlichen Anti-Titan-Geschützstellung, um einen Biotitanen der Tyraniden zur Strecke zu bringen«, sagte Vaien leicht beeindruckt. »Oder zwölf Geschosse aus einer Hellstrike-Kanone. Aber nur einen Warptorpe do. Koraloth, wollen Sie sagen, so etwas haben wir hier vor uns?« Sasia Koraloth schüttelte den Kopf. »Eine Warpgranate oder ein Warptorpedo erzeugen einen einmaligen Realitätsbruch. Einen Null raum. Alles, was sich in ihm befindet, wird aus dem realen Univer sum entfernt und vernichtet. Mehr wissen wir nicht. Wie Ihnen viel leicht bekannt ist, hat eine Explosion außerdem einen sehr kurzen, räumlich begrenzten und schwer zu kontrollierenden Effekt.« »Aha, Koraloth. Ich glaube, ich weiß, worauf Sie hinauswollen«, zischte El’Hirn. »Es geht hier nicht um Kraft. Es geht um Kontrolle.« Koraloth trat in die Mitte des Labors neben die messingverkleide te Kryokammer. Sie fuhr mit einem Finger über den Scanner des Schlosses. Eine Klappe sprang auf, aus der gekühlte Luft nebelartig herausströmte. Der Seelen-Speer sonderte eine niedrige Strahlung ab und musste deswegen ständig inaktiv bleiben, um einer Entdeckung zu entgehen. Koraloth streifte einen unterarmlangen Thermohand schuh über und holte vorsichtig das Artefakt aus dem Behälter. Jedes Mal aufs Neue lief es der Forschergruppe beim Anblick des SeelenSpeers kalt den Rücken hinunter. Seine Zusammensetzung aus verschiedenen Legierungen und hochverdichtetem Ceramoplastik hatte sich als äußerst widerstands fähig erwiesen. Sie war mit nichts zu vergleichen, was sie in ihren Datenbanken gespeichert hatten. Immerhin hatten sie es geschafft, einige der äußeren Schichten abzulösen und Datendiebkabel anzub ringen. Wie blutlose Adern baumelten sie an dem zylindrischen Stab. Die kleinen Öffnungen am Griff hatten protestierend aufgeleuchtet, und selbst jetzt noch wehrten sie sich blinkend gegen die Eindring linge.
»Wir dachten zunächst, es handele sich hier um Genencoder«, sagte Koraloth und deutete auf die Öffnungen. »Aber ich vermute etwas anderes. Im Moment glaube ich, dass es Sensoren sind, die nicht nur genetische Informationen, sondern auch chemische Signale, den Säuregehalt, ja sogar die Temperatur messen können.« »Haben Sie versucht, sie zu überbrücken?«, fragte Tallin. »Auf einen Kurzschluss reagieren Genenkoder wie ein Haufen Srkok. Un ser Magierhauptmann hatte einen Genenkoder an seiner Hausbar. Das hat keinen von uns abgehalten, sich ordentlich daraus zu bedie nen.« »Ich habe es versucht«, antwortete Koraloth. »Und es hätte auch fast geklappt. Aber der Speer mag es nicht, wenn man an ihm heru mexperimentiert. Die Schaltkreisstruktur ändert sich ja schon beim bloßen Hinsehen. Sobald ich einen Weg um die Enkoder gefunden hatte, schloss ihn der Seelen-Speer auch schon wieder. Die Cogita torkapazitäten in diesem Labor reichen bei Weitem nicht aus. Ich konnte das Ganze für ein paar Zehntelsekunden stabil halten, das war alles. Nicht genug, um eine gründliche Analyse durchzuführen.« »Sie hören sich fast so an, als glaubten Sie, dass das Ding leben dig wäre«, sagte Gelentian unbeeindruckt. »Das tue ich auch, Gelehrter. Eine Maschine kann einen Geist und eine Seele besitzen. Das lehrt uns der Omnissias. Und ich glaube, hier haben wir einen sehr durchtriebenen und mächtigen Geist vor uns.« Koraloth wandte sich an Vaien, den die Präsenz eines so machtvollen Objekts sichtlich nervös machte. »Vaien, mit Gewalt können wir uns keinen Zugang zu diesem Ding verschaffen. Wir müssen es überlisten. Deshalb habe ich Sie in unsere Mitte gerufen. Wissen Sie, was ich von Ihnen verlange?« Vaien rollte schweigend den linken Ärmel seiner Techadeptenro be zurück und enthüllte seine Handprothese, die allein kosmetischen Zwecken diente. Darunter befand sich das eigentliche Implantat. In den Ellbogen des Jungen war eine einfache, aber elegante Neurobio tik eingebaut, die aus zwei langen, stumpfen Zinken bestand. Ein
Bündel Servomotoren klickte, als die Zinken ruckelnd hochgefahren wurden. Unter einer Werkbank zog Koraloth eine breite Tastatur hervor. Sie verband ihre Eingangsleitung mit den Datendiebkabeln, die am Seelen-Speer hingen. Sofort füllte sich der Holoprojektor der Tasta tur mit leuchtend grünen Textzeilen und Zahlenreihen. Vaiens Pupil len verwischten, als er die Daten des schlafenden Seelen-Speers mit atemberaubender Geschwindigkeit in sein unfassbar großes Gehirn schaufelte. »Bereit?«, fragte Koraloth. Vaien nickte fast unmerklich. Datenströme spiegelten sich in sei nen glasigen Augen. »Also gut.« Mit der freien Hand vollführte Koraloth eine kompli zierte Geste. Die Bedienungsstollen in ihren Fingerspitzen aktivier ten das Energiefeld des Käfigs. Mit einem tiefen Dröhnen erwachten die Leitungen in den Wänden des Labors zum Leben und erzeugten ein Netz elektromagnetischer Linien, die die Kraft des Seelen-Speers bändigen sollten. Sie alle wussten: Sollte etwas schiefgehen, würde diese Schutzmaßnahme bei Weitem nicht ausreichen. Der Seelen-Speer bemerkte den Angriffsversuch sofort und mobi lisierte seine Kryptoelektronik zum Gegenschlag. Die Zinken an Vaios’ Hand bearbeiteten mit unglaublicher Geschwindigkeit die Tastatur. Er führte einen Datenkrieg gegen den Seelen-Speer − unermesslich alte Archäotechnologie gegen reine menschliche Ver standesleistung. Der Seelen-Speer war auf diese Art von Gegner nicht vorbereitet − die ersten beiden Genenkoder fielen in schneller Folge. Mit der Geschwindigkeit seiner Gedanken kämpfte Vaien gegen den Speer an, während Koraloths Aktivierungsbefehle die dritte Barriere durchbrachen. Silberne Funken tanzten um die Enden des Speers. Irgendetwas braute sich zusammen. El’Hirn trat langsam den Rückzug an. Gelentian kritzelte Notizen auf eine Holotafel, die er um den Hals trug. Tallin stand mit ver
schränkten Armen da, als wollte er den Seelen-Speer herausfordern. Als sie die vierte Barriere sprengen wollten, benötigten sie alle Ener gie des Labors allein für die Rechenkraft. Die Lichter wurden schwä cher; Servoarme fielen kraftlos in sich zusammen. Dann fiel die fünfte Barriere, und der Seelen-Speer erwachte nach eintausend Jahren zu neuem Leben. Überall auf Koden Tertius erklang Sirenengeheul. Die Überwa chungsstationen wurden in bernsteinfarbenes Warnlicht getaucht − höchste Alarmbereitschaft. Wie jede Fabrikwelt stand auch Koden Tertius immer am Rande des Zusammenbruchs. Der Stromverbrauch der Fabriken und der riesige Energieumsatz brachte dies zwangsläu fig mit sich, gar nicht zu reden von den tödlichen Energiestürmen. Zunächst vermutete man, dass der Säureregen durch die Abde ckungen gedrungen und essentielle Komponenten des Stromnetzes beschädigt hatte. Eventuell konnten auch die riesigen Ableiter ver sagt haben und Blitze waren in ein wichtiges Kontrollsystem einge schlagen. Die ersten, hastig durchgeführten Diagnoserituale wiesen auf eine Energiespitze in der Nähe des Äquators hin. Dort befand sich der Forschungssektor von Erzmagier Khobotov. Techgardisten wurden in Alarmbereitschaft versetzt, Rettungs teams zusammengestellt. Die Geschichte von Koden Tertius bestand aus einer nicht enden wollenden Reihe von Industriekatastrophen, die das Leben unzähliger Arbeitskräfte und sogar einiger Techpriester gefordert hatten. Deshalb wurde die Sektion großräumig abgeriegelt. Techgardisten bewachten die Zugänge und stellten sicher, dass die Quarantäne aufrechterhalten wurde, bis weitere Informationen zur Verfügung standen. Die Soldaten rannten durch Tunnels und über riesige Brücken, die Generatoren umspannten. Schließlich hatten vierhundert Männer Sasia Koraloths Labor umstellt. Als Sasia Koraloth wieder das Bewusstsein erlangte, sah sie als Ers
tes eine zweigeteilte Werkbank. Die Schnittstelle troff von flüssigem Metall. Die elektronischen Geräte darauf rauchten vor Überlastung. Eine der Wände war mit schwarzer Kühlflüssigkeit aus einem ge platzten Hydraulikrohr überzogen. Langsam tropfte sie zu Boden und mischte sich mit dem Blut der anderen Forscher, die quer durch den Raum geschleudert worden waren. »Tallin? Irgendjemand?« Koraloth hatte nicht länger als ein paar Sekunden das Bewusstsein verloren, da war sie sich sicher. Aber in dieser kurzen Zeit hatte sich ihr Labor in eine Ruine verwandelt. Als sie versuchte, sich aufzurichten, fiel sie vor Schmerzen fast noch einmal in Ohnmacht. Die Knochen einer ihrer Hände waren von den gewaltigen Schwingungen des Seelen-Speers, der sich aus seinem Käfig befreien wollte, zu Brei zermalmt worden. Hustend spähte sie durch den stinkenden Rauch verbrannten Plastiks. Gelentian war sofort gestorben − in seiner Brust klaffte ein kreis rundes, sauberes Loch. Vaien hatte einen Augenblick länger gelitten. Der Käfig hatte versagt und der Seelen-Speer hatte angefangen, in ihrer Hand wie wild um sich zu schlagen. Dabei hatte sie ihm den linken Arm über der Schulter abgetrennt und das ganze Labor kurz und klein geschlagen. Jetzt lag der Seelen-Speer auf dem Boden. Weißer Rauch stieg von ihm auf. »Ich bin hier, Mädchen«, sagte Tallin. Aufgrund seiner militäri schen Ausbildung hatte er sich sofort zu Boden geworfen, als der Seelen-Speer zum Leben erwacht war, und war noch einmal davon gekommen. »Das hat jetzt fast zu gut geklappt, oder?« »Omnissias schütze uns …«, keuchte Koraloth zitternd, während sie Vaiens verdrehten Körper betrachtete. »Haben Sie das gesehen?« Es war … großartig. Zwei schwarze Klingen waren aus den Enden des Seelen-Speers gedrungen und hatten die Realität durchschnitten − es war, wie sie es erwartet hatte: Der Seelen-Speer konnte, genau wie eine Warpgranate oder ein Torpedo, ein Warpfeld generieren. Nur, dass er es im Gegenteil zu deren einmaliger Detonation aufrech terhalten konnte. Wenn sie nur hinter das Geheimnis des Speers
kommen könnten − ihren Möglichkeiten wären keine Grenzen mehr gesetzt. »Das wird früher oder später geschehen«, zischte eine finstere Stimme. »Im Moment sollten wir weniger große Ziele verfolgen. Wir müssen fliehen.« El’Hirn packte Koraloths unverletzten Arm und zog sie mit uner warteter Stärke auf die Beine. »Die Techgardisten rücken an. Wenn sie herausfinden, dass Sie nicht allein gehandelt haben, wird Khobo tov früher oder später herausfinden, was hier geschehen ist. Und das darf nicht passieren, verstehen Sie?« Tallin richtete sich auf. »Wo sollen wir hin? Sie haben uns um zingelt!« »Es gibt Möglichkeiten«, sagte El’Hirn. »Ich lebe schon lange auf diesem Planeten. Hier gibt es viele dunkle Ecken, in denen man sich verstecken kann.« »Das reicht nicht«, sagte Koraloth. Ihr bleiches Gesicht troff vor Schweiß, als sie gegen die Schmerzen ankämpfte. »Wir müssen die ser Sache auf den Grund gehen. Ich weiß, wozu der Seelen-Speer in der Lage ist. Genau danach haben wir so lange gesucht. Deswegen habe ich Vaien und Gelentian hinzugezogen. Er ist das wahre Wort des Omnissias. Wir sollten ihm dankbar sein und nicht davor zurück scheuen, ihm Opfer zu bringen.« El’Hirn ging auf die Labortür zu. »Und wir haben sie dargebracht, Techpriesterin. Der Omnissias ist auch mir erschienen, in Gestalt des Ingenieurs der Zeit, und teilte Ihren Glauben auch mit mir. Ich weiß, dass er von Ihnen verlangt hat, Ihren Wert zu beweisen. Wir werden ihm den Seelen-Speer darbieten. Aber das können wir nicht, wenn wir tot sind.« El’Hirn nahm den Seelen-Speer und führte die Überlebenden aus dem Labor. Er prüfte, ob die Luft rein war, dann stemmte er mit den Fingern eine Platte aus der Wand. Ein rostiger Belüftungsschacht kam zum Vorschein. Ohne ein Wort zu verlieren stürzte er sich in die Dunkelheit. Tallin war der Nächste. Obwohl Koraloth vor Schmer
zen fast ohnmächtig wurde, wollte sie nicht kurz vor dem Ende auf geben und folgte ihnen. Sie mussten nur ein sicheres Versteck finden. Wenn sie es schaff ten, zu überleben, dann konnten sie auch ihren Auftrag erfüllen. Je nen Auftrag, den Techpriesterin Sasia Koraloth in ihren Träumen empfangen hatte. Der Ingenieur der Zeit hatte zu ihr gesprochen und die Wahrheit verkündet. Als er ihr erklärt hatte, wie dumm und eng stirnig das Adeptus Mechanicus über die Jahre geworden war, hatte sie ihm sofort geglaubt. Ein ganzes Universum an geheimnisvoller Technologie wartete nur darauf, entdeckt zu werden. Diese Gewiss heit hatte sie, seit sie zum ersten Mal den Seelen-Speer berührt hatte. Und sie wusste, was sie zu tun hatte. Sie würde den Seelen-Speer dem Ingenieur der Zeit darbringen − dann würde sie die Wahrheit erfahren. Die ersten Signale, die die Sensoren empfingen, widersprachen sich. Der namenlose Planet befand sich in einer Umlaufbahn um einen sterbenden Stern, und trotzdem strotzte er vor Wärme. Die Karbon sensoren zeigten eine hohe Lebensaktivität an. Die Atmosphäre war, theoretisch gesehen, für Menschen geeignet − praktisch jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach tödlich. Die Menge an Sauerstoff, die er besaß, war nicht zu erklären. Der Planet war zum größten Teil von einem Ozean bedeckt. Nur wenige Archipele und Inselketten ragten daraus hervor. Viel zu wenig, um die für die Sauerstoffproduktion benötigten Wälder oder Dschungel zu beherbergen. Trotzdem ent ging es der Brokenback nicht, dass der Planet einst die Heimat einer florierenden Zivilisation gewesen war, wenn auch die Fülle von Le ben, die sie registrierte, kein Teil von ihr sein konnte. Auf dem Pla neten befanden sich nur spärlich Bauten oder Einrichtungen, es gab kein Kommnetz, und die wenigen Satelliten waren nur alte, verroste te Hüllen. Die Brokenback hatte sich so weit angenähert, wie sie konnte, oh ne Gefahr laufen zu müssen, entdeckt zu werden. Es war Zeit für die
Seelentrinker, ihren Ordensmeister um Rat zu fragen. »Selbst wenn wir wüssten, wie wir die Brokenback heil runterbe kommen, gibt es nicht genug Festland, um sicher landen zu können.« Varuk, der Techmarine, der die Aufgabe hatte, die Vielzahl der Sen sormasten der Brokenback zu überwachen, deutete auf die Fülle der Inseln, die auf dem Holodisplay zu erkennen waren. Zum Glück waren die Sensoren durch die ungewöhnlich dicke Wolkendecke des Planeten gedrungen − so hatten sie ein grobes Bild von seiner Ober fläche bekommen. »Diese Inseln sind vulkanischen Ursprungs und, soweit wir wissen, immer noch aktiv. Sie würden einfach unter dem Hulk zusammenbrechen.« Die besten Kommandeure des Ordens waren auf dem Partydeck der Yacht zusammengekommen, die Sarpedon inzwischen als Quar tier und Befehlszentrum in Beschlag genommen hatte. Die meisten, so den grimmigen Graevus oder den unermüdlichen Givrillian, kann te er schon aus Sternenfortzeiten. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass er ihnen vertrauen konnte. Mit den anderen war er schon früher in die Schlacht gezogen. Sie hatten ihn nach dem Kampf um den Titel des Ordensmeisters bedingungslos unterstützt. Sarpedon lehnte sich auf dem Thron des adligen Yachtbesitzers zurück. »Wir wollten die Brokenback ja sowieso nicht landen«, sagte er. »Können wir nicht die Thunderhawks einsetzen? Oder Landungs kapseln?« »Dann fällt ein Überraschungsangriff aus, Hauptmann«, sagte Va ruk. Er vergrößerte einen Abschnitt des Planeten, der einen Archipel vulkanischer Inseln inmitten des Ozeans zeigte. Das Bild wurde durch Interferenzwolken gestört. »Das Librarium glaubt, dass hier der Ursprung der psionischen Abstrahlung liegt«, sagte Varuk. »Da sitzt die Macht, die diesen Planeten unter Kontrolle hat.« Sarpedon wusste, was sich dort befand − die schwarze Flammen säule. »Leider ist an diesem Ort die Atmosphäre am unbeständigsten«, fuhr Varuk fort. »Unsere Sensoren können kaum durch die Wolken
decke dringen. Irgendwo dazwischen gibt es eine dicke, undurch dringliche Schicht, sodass wir keine Daten über die Troposphäre sammeln können. Diese Schicht muss fast flüssig sein. Als würde man versuchen, ein Thunderhawk unter Wasser zu fliegen.« »Dann müssen wir an einem anderen Punkt landen«, sagte Sarpe don. »Vorschläge?« Sergeant Luko stand lächelnd auf. »Hauptmann, ich hätte da eine Idee. Die Atmosphäre besitzt an anderen Stellen des Planeten eine viel geringere Dichte, nämlich hier.« Das Bild einer traurigen Insel kette erschien. »Wie wir wissen, gab es auf diesem Planeten einmal eine Zivilisation. Wahrscheinlich sogar eine menschliche. Und eine ihrer Zentren war genau an diesem Punkt.« »Wenn es Menschen waren, sind noch welche übrig? Und was ist aus ihnen geworden?«, fragte Graevus schroff. Sarpedon bemerkte, wie er seine unnatürlich langen Finger nervös ineinander verschränk te. »Die Menschen interessieren mich nicht, Sergeant«, sagte Luko. »Nur das, was sie zurückgelassen haben.« Die Sensoren konnten aufgrund der dünneren Atmosphäre ein er heblich besseres Bild auf den Schirm bringen. Man sah knotige Ba saltformationen und erkaltete Lavaströme. Luko wählte eine Küsten linie auf der zweitgrößten Insel und vergrößerte das Bild, bis ein na türlicher Hafen zu erkennen war. »Hauptmann, wir haben keinerlei Information über die Struktur des Planeten. Die Thunderhawks können keine Erkundungsflüge durchführen, da sie in regelmäßigen Abständen auftanken müssen. Aber wer auch immer auf diesem Planeten gelebt hat, bevor er von den bösen Mächten übernommen wurde, wusste sich zu helfen. Seht Ihr?« Sie sahen drei riesige, dunkle und ausgenommen hässliche Schif fe. Man hatte bei ihrem Bau augenscheinlich Stabilität und Belast barkeit den Vorzug vor Geschwindigkeit gegeben. Jedes war groß genug, um als Ladeschiff oder Truppentransport zu dienen.
»Es gibt anscheinend ein paar primitive Siedlungen auf der Insel«, fuhr Luko fort. »Diejenigen, die dort hausen, haben schon lange ver lernt, wie man solche Schiffe baut. Im Moment kann ich nichts Ge naueres sagen, aber die Schiffe scheinen funktionstüchtig zu sein.« »Also stechen wir in See«, sagte Sarpedon. »Gut gemacht, Luko. Ich wusste, dass du die ungewöhnlichste Taktik empfehlen würdest.« »Zumindest eine, die uns auf einen wildfremden Planeten bringt − einen Ozean von der nächsten Versorgungsstelle entfernt«, warf Dreo ein. »Und wenn wir erst einmal dort sind, was dann?« Sarpedon warf ihm einen scharfen Blick zu. »Egal, Sergeant. Vielleicht gibt es überhaupt kein ›Was dann‹. Unsere einzige Sorge im Moment ist, wie wir dorthin kommen. Unser weiteres Schicksal liegt in den Hän den des Imperators.« Er wandte sich zu Varuk. »Können wir die Triebwerke aus den Thunderhawks ausbauen und in die Schiffe ver laden? Mit ihnen könnten wir den Ozean doch leicht überqueren. Ist das möglich?« »Dazu würden wir eine Heerschar Ordensdiener brauchen. In An betracht der dort herrschenden Atmosphäre werden sie nicht lange überleben. Aber möglich wäre es schon.« »Sehr gut. Varus, Luko, in acht Stunden will ich einen ausführli chen Lagebericht. Wir greifen an, sobald möglich. Bis dahin erwarte ich noch bessere Bilder von der Landezone. An die Arbeit, Brüder!« Das Librarium des Ordens war in mancher Hinsicht älter als der Orden selbst, da es noch aus der Zeit stammte, in denen es von den Imperial Fists unter dem Befehl von Rogal Dorn persönlich gegrün det wurde. Jeder Novize, bei dem psionische Fähigkeiten vermutet wurden, wurde schonungslos geprüft. Diejenigen, die man auser wählte, wurden neben der Ausbildung zum Marine auch in diesen Kräften geschult. In Wirklichkeit war es mehr eine Kunst als ein Lehrfach. Aber auch hier bedeutete ein Versagen den Tod. Über die abschließende Prüfung wurde nie wieder ein Wort verloren. Die No vizen mussten vor einer Versammlung von drei Scriptoren niederk nien und ihren Geist vor dem schlimmsten Psi-Verhör ihres ganzen
Lebens verschließen. Sarpedon hatte dieses Examen mit Bravour bestanden. Nicht nur, dass er seinen Geist gegen die Angreifer abge schüttet hatte, es war ihm zudem gelungen, ein Netz aus Verwirrung in den Köpfen seiner Kontrahenten zu weben. Bei jedem Novizen, der den Test bestanden hatte, zeigte sich die psionische Kraft auf andere Art. Manche schleuderten ihre Prüfer mit Gedankenkraft durch den Raum, andere errichteten unüberwindliche psionische Blockaden oder umhüllten sich mit einer Aura aus mentalem Feuer, aus der sie erst Tage später in einem Synthifleisch-Brutkasten unter dem Beifall des gesamten Librariums aufwachten. Außerhalb der Prüfungen diente das Librarium als eine unabhän gige Ratgeberschaft des Ordensmeisters. Sarpedon war auf sie zu rückgekommen und hatte ihnen befohlen, die Gefahren des namenlo sen Planeten näher zu erkunden. Ohne Sarpedon selbst hatten sieb zehn Scriptoren den Bruderkrieg überlebt und waren schwer damit beschäftigt, Informationen über den psychischen Mahlstrom zu sammeln, der sie auf dem Planeten erwartete. Es war ein Albtraum. Aekar war gestorben. Seine Augen waren geschmolzen und die Organe hatten sich verflüssigt − und nur, weil er versucht hatte, mit dem allen Psionikern eigenen sechsten Sinn durch die Wolkendecke in den Wahnsinn zu spähen. Die anderen litten an schweren Alb-, wenn nicht sogar Wachträumen, in denen sie purpurschwarze Feuerstürme oder mit Leichen angefüllte Schluchten sahen. Aber inmitten der Finsternis konnten sie doch ein Ziel ausma chen: die größte der Inseln eines Atolls aus schwarzem Korallen stein. Irgendetwas war da unten, eine böse Kraft, die unheiliges Le ben verströmte − sie war mächtig und hielt nur durch die Stärke ihres Willens den Planeten unter Kontrolle. So hatte sie es geschafft, von den äußeren Luftschichten bis zu den Tiefen der Ozeane alles in ih ren Bann zu zwingen. Yser und Sarpedon hatten ihre Kämpfer in der neuen Kathedrale Dorns versammelt. Thyrendian, der sich bis auf Aekar weiter als alle anderen in den Wahnsinn des Planeten gewagt hatte, besaß eine un
gefähre Vorstellung von ihrem Gegner. Er hatte Millionen gehört, die von den schwarzen Korallenklippen immer wieder einen Namen geschrien hatten: Ve’Meth. Ve’Meth war eine dämonische Kraft von schier unbegrenzter Macht, Verdorbenheit und Gnadenlosigkeit. Sarpedon hatte noch einmal die Notwendigkeit betont, ihn seiner gerechten Strafe und der Klinge des Imperators zu überantworten. Er hätte sich seine Worte sparen kön nen. Seit Monaten hatten alle, die jetzt im Bauch des Thunderhawk versammelt waren, seine bösartige Macht bis in ihre Träume gespürt. Das Thunderhawk setzte zur Landung an. Durch die offene Lade luke sah Bruder Zaen zum ersten Mal den namenlosen Planeten. Der Himmel hatte die purpurgraue Farbe einer alten Narbe. Bald würde es regnen. Unter ihnen war nichts als die scharfzackigen Wellen ei nes Meers, das sich gegen die finsteren Felsen einer Insel brach. Sie war ihr Ziel. Obwohl Zaen noch nicht lange bei den Seelentrinkern war, hatte er doch Dutzende Sprünge absolviert. Aber das hier war ein Sprung ins Ungewisse. Auf den von Orks verseuchten Raffinerien des Eis planeten Gyrix oder in den von Rebellen besetzten Fabriken von Achilles XII war es einfacher gewesen. Hier wussten sie nur, dass der Feind stark und furchtlos sein würde. Kalte Luft wirbelte durch den Laderaum des Thunderhawk. Un bewusst prüfte Zaen noch einmal die Lebenserhaltungssysteme sei ner Rüstung. In dieser Atmosphäre konnte er zwar ohne Helm atmen, würde aber nach einer halben Stunde mit Husten und tränenden Au gen zu kämpfen haben. Rüstungsdisziplin und ständige Helmpflicht waren das Gebot der Stunde. Wie ein fauler Zahn ragte der erloschene Vulkan aus der schwar zen Masse der Insel vor ihnen auf. Von Rost zerfressene Ruinen klammerten sich an die Klippen − einst prächtig anzusehen, waren sie jetzt nur noch die vermoderten Skelette einer lange verlorenen Zivilisation.
Zaen überprüfte noch einmal seinen Flammenwerfer und richtete ein Stoßgebet an den Imperator und an Rogal Dorn, dessen Blut in seinen Adern floss. Lukos Trupp würde die Vorhut bilden. Es lag in Zaens Verant wortung, ob er bei einer Feindbegegnung rechtzeitig mit dem Flam menwerfer reagieren würde. Wie damals am Dog’s Head River, als sie die Stellungen der Demiurgen gestürmt hatten − da hatte er zwei Aliens erwischt, lange bevor die Bolter ihr Feuer eröffnen konnten. Hatte er Angst? Natürlich nicht. Geringere Männer hätten Angst empfunden. Für einen Space Marine bedeutete Angst nur den Zu stand erhöhter Aufmerksamkeit, die Fähigkeit, schneller zu handeln, klarer zu denken, härter zuzuschlagen. Dies waren die Worte von Daenyathos − ein Space Marine kennt keine Angst. Schwarze, von Quarzadern durchzogene Felsen schossen entlang der Küstenlinie an ihnen vorbei. Das Thunderhawk neigte sich zur Seite, verlor an Geschwindigkeit und Höhe und machte sich zum endgültigen Landeanflug bereit. Die Landezone war ein tiefer Kessel inmitten schwarzer Klippen, nicht allzu weit vom Hafen entfernt, aber mit ausreichend Sicher heitsabstand zu den Ruinen. Die Seelentrinker würden den Bereich erst sichern müssen, bevor die Thunderhawks landen konnten. Die Absprunghöhe war erreicht − vier Meter bis zum Boden. Zaen sprang. Durch jahrelange Übung rollte er sanft ab, landete auf den Knien und hatte den Flammenwerfer sofort im Anschlag, jederzeit bereit, ihn einzusetzen. Um ihn herum ging der Rest von Lukos Trupp nie der. Im Sprung wirkten die Energieklauen des Sergeanten wie ske lettähnliche Flügel. »Trupp Luko abgesetzt, kein Feindkontakt«, meldete der Sergeant dem über ihren Köpfen schwebenden Thunderhawk. Nach einem bestätigenden Piepen bedeutete Luko ihnen zu folgen. Die windgepeitschte Insel sah unbewohnt aus. Was konnte hier auch überleben? Nichts bewegte sich. Außer dem Rauschen des
Ozeans, der Schritte ihrer Stiefel und den Schlag seiner beiden Her zen war es still. Lukos Trupp näherte sich im Eilschritt dem Hafen, immer darum bemüht, nicht über die Felskanten zu stolpern. Der Hafen selbst war ein grober Einschnitt in der Küstenlinie. Der Ozean reflektierte den trostlosen grauen Himmel. Im Hintergrund konnte man den Vulkan erkennen, an dessen Fuß sich die traurigen Ruinen entlangwanden. Die feuchten Korallen glitzerten im schwachen Licht. »Kontakt!«, dröhnte Bruder Grivs Stimme über das Vox. »Nord nordost!« Inmitten der Felsen vor ihnen erkannte Zaen eine blasse, spindel dürre Gestalt. Graevus’ und Dreos Trupps würden in ein paar Sekun den landen, um die Kampflinie zu vervollständigen. Lukos Trupp musste noch mindestens zwanzig Sekunden durchhalten, bis Verstär kung eintraf. »In die Schlacht, Männer!«, schrie Luko. Griv feuerte, verfehlte aber sein Ziel. Drei weitere Bolter eröffne ten das Feuer und trafen. Die menschenähnliche Gestalt wirbelte he rum. Der nächste Schuss trennte seinen Arm ab. In den Annalen des Ordens würde der Trupp von Sergeant Luko als derjenige genannt werden, der das erste Blut auf dem unbenann ten Planeten vergossen hatte. Zaen wusste, dass Luko darauf großen Wert legte − um ehrlich zu sein ging es ihm genauso. Er konnte es kaum abwarten, dass sein Flammenwerfer endlich in Reichweite kam. »Kommandozentrale, hier Luko. Kontakt! Wiederhole, Kontakt!« Zaeon wandte sich um und konnte Sarpedon persönlich erkennen, der gemeinsam mit Givrillians Trupp aus dem Landefahrzeug aus stieg. Er war eine beeindruckende Erscheinung. Sein mit Spinnenbe inen besetzter Körper trug ihn sicher über die Felsen. Sein Bolter war auf die Gestalten gerichtet, die auf die Marines zustürmten. Jetzt konnte Zaeon auch zum ersten Mal einen Blick auf den Feind werfen. Mit viel gutem Willen konnte man die mit offenen
Mündern auf sie zutaumelnden Gestalten als menschlich beschrei ben. Luko ging hinter einem Felsen in Deckung und feuerte aus der Boltpistole, die auf der Rückseite seiner linken Energieklaue befes tigt war. Sein Trupp folgte ihm. »Ich will strikte Bolterdisziplin, Männer! Jeder Schuss zählt«, brüllte er. »Feuer!« Dutzende krochen aus den Felsspalten, die ihnen als Schutz dien ten. Ihre Augen waren glasige Höhlen, die Körper von Blut und Dreck verschmiert. Das war also aus jenen Menschen geworden, die einst diesen Pla neten bewohnt hatten. Bis zur Ankunft Ve’Meths waren sie stolz und stattlich gewesen. Aber Generationen des dämonischen Einflusses hatten sie zu lallenden Primitiven werden lassen, zu mit Menschen knochen und Feuersteinen bewaffneten Kannibalen. Die Boltergeschosse durchschlugen ihr weiches, ausgehungertes Fleisch. Zaen konnte unter dem Lärm der Gewehre Schmerzens- und Wutschreie vernehmen. Immer mehr von ihnen krochen aus ihren Verstecken und erklommen die Leichenberge: zwanzig, fünfzig, hundert. »Mir nach! Keine Gnade!«, schrie Luko über das Gestammel der Humanoiden und das Bolterfeuer. Die Kreaturen waren fast in Reichweite. Zornerfüllt kletterten sie über die Haufen ihrer Toten. Zähnefletschend und mit Tränen in den Augen verteidigten sie das, was sie ihre Heimat nannten. Im Sprung über die Felsbank hatte Luko schon drei von ihnen er ledigt − ihre Oberkörper waren von seinen Energieklauen zerfetzt. Mit einer Energiefeldentladung, die seinem nächsten Hieb folgte, schnitt er einen weiteren in blutige Streifen. Aus den Schreien war jetzt ein Heulen geworden. Die Kreaturen mussten über einen Wall aus schlaffem Fleisch klettern, um Luko zu erreichen. Da war auch schon Bruder Zaen an seiner Seite. Luko trat aus den Pfützen wässrigen Blutes, um ihn seine Arbeit verrichten zu lassen. Zaen brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um Ziel und Ent
fernung einzuschätzen. Dann war er bereit. Perfekt. Die Zündflamme an der Mündung seiner Waffe züngelte ungeduldig. Mit einem stummen Gebet an den Primarchen auf seinen Lippen betätigte er den Abzug. Der blauweiße Flammenstrahl traf die ersten vier oder fünf Un termenschen und verbrannte ihr Fleisch glühend zu Asche. Denjeni gen, die das Pech hatten, weiter entfernt zu stehen, wurde vom flüs sigen Brennstoff die Haut vom Körper geschmolzen. Schreiend und um sich schlagend verwandelten sie sich in brennende Skelette. Wer überlebte, rannte lodernd und vor Schmerzen schreiend da von. Bald war die ganze Armee der Untermenschen auf dem Rück zug. Luko und sein Trupp gaben denen, die nicht rechtzeitig die Bei ne in die Hand nahmen, mit blitzenden Klauen und Bolterkugeln den Rest. Zaen verwandelte mit seinem Flammenwerfer die Gestolperten zu Asche. »Neu formieren!«, ertönte Lukos Befehl. Der Trupp stieg über die stinkenden Überreste der Kannibalen, um zu seinem Sergeanten aufzuschließen. Flackernd löste sich der letzte Rest von Muskeln und Knochen aus Lukos Energiekrallen. Zaen übernahm die Vorhut. Er war bereit, auch die nächste Angriffs linie der Flamme der Gerechtigkeit zu überantworten. Die flüchtenden Kreaturen rannten geradewegs in den nächsten Trupp und wurden sofort niedergemäht. Mit einem hellen Blitz ließ Tyrendian, einer der Scriptoren, seine psionische Artillerie auf die Feinde niederregnen. Zaen erkannte, dass die Untermenschen keinen weiteren Angriff wagen würden. Zu viele von ihnen waren der weiß glühenden Flamme seiner Waffe, der tödlichen Geschwindigkeit von Lukos Klauen oder der geballten Feuerkraft der Seelentrinker zum Opfer gefallen. Das erste Blut war vergossen. Ein gutes Omen. Die Seelentrinker hatten sich dem Feind gestellt und ihre herausragenden Qualitäten als Soldaten unter Beweis stellen können. Leider waren diese kannibali schen Kreaturen keine echten Gegner. Aber ein Blick auf den hässli
chen Himmel oder den stinkenden, verdreckten Ozean ließ keinen Zweifel offen, dass die eigentliche Aufgabe noch vor ihnen lag. Vielleicht würde Zaen den heutigen Tag nicht überleben. Ihm war es egal. Zu sterben, während man das Böse an einem solchen Ort ausrottete, war Belohnung genug. Was auch geschehen sollte − sein Name würde in die Annalen des ersten freien Ordens in der Ge schichte der Galaxis eingehen. Er überprüfte seinen Treibstoffvorrat. Die Tanks waren fast voll − der Flammenwerfer hatte sich bis jetzt nur kurz geräuspert. Aber es brauchte auch keinen Daenyathos, um ihm klarzumachen, dass er bald auf jeden Tropfen der brennbaren Flüssigkeit angewiesen sein würde. Von einem Felsbrocken aus beobachtete Sarpedon, wie seine Trup pen die letzten Halbmenschen mit kontrolliertem Gewehrfeuer nie dermachten. Wenigstens die Angriffstrupps sparten Munition und verließen sich auf ihre Kampfmesser. Tellos zum Beispiel − mit sei nem blassen Oberkörper war er selbst auf die Entfernung leicht zu erkennen. Er probierte an seinen Gegnern die alten Kampftechniken aus, die er in den Archiven des Ordens entdeckt hatte. Sarpedon war zufrieden. Der Feind hatte sich zwar nicht als be sonders stark erwiesen, trotzdem hatten seine Marines die Disziplin und Wachsamkeit gezeigt, die ein Ordensmeister der Seelentrinker von seinen Männern erwarten durfte. Lukos Trupp hatte der Haupt angriffswelle standgehalten, Graevus wäre um ein Haar umzingelt worden, aber in beiden Fällen hatten die Marines mit ihren Feinden kurzen Prozess gemacht. Das war vor drei Tagen gewesen. Seitdem hatte er Patrouillen los geschickt, die gegen die Eingeborenen vorgehen sollten. Er wusste genau, dass die Phasen der Ruhe genauso wichtig waren wie der ste tige Einsatz, wollte er seine Truppe kampfbereit halten. Und für das, was ihnen bevorstand, brauchten sie volle Konzentration. Die See lentrinker standen einem unbekannten Feind gegenüber. Und wenn
man dem Librarium Glauben schenken wollte, hatte er sogar Gewalt über das Schlachtfeld selbst. Nicht, dass er sich nicht schon in ähnli chen Situationen befunden oder seine Marines für untrainiert oder unerfahren gehalten hätte. Aber jede Ungewissheit erhöhte das Risi ko um ein Hundertfaches. Nur die Seelentrinker waren in der Lage, solch eine Operation durchzuführen. Unter Funkensprühen bauten die Ordensdiener die Triebwerke der Thunderhawks in die drei Schiffe ein. Erstaunlicherweise waren sie selbst nach all den langen Jahren in gutem Zustand. Sie waren aus erstklassigem, leichtem Holz gebaut und mit gutem Eisen verkleidet. Für die Segel, die durch die fauligen Winde verrottet waren, hatten sie sowieso keinen Bedarf. Die Seelentrinker hatten sogar die Masten gefällt − so waren die Schiffe schwerer zu entdecken. Sie waren das letzte Zeugnis eines Volkes, das einst diesen Planeten seine Heimat genannt hatte. Ve’Meth hatte es in den Untergang getrieben. Um den Umbau der Triebwerke kümmerte sich Techmarine Va ruk. Unter seinem wachsamen Auge verwandelten sich die Thunder hawk-Maschinen in leistungsfähige Wasserdüsen. Selbst der stärkste Wind hätte diese Schiffe nicht so schnell antreiben können. Die aus geschlachteten Hüllen der Thunderhawks wurden mit schweren Ket ten an den Felsen befestigt. Sarpedon hatte den namenlosen Planeten mit vierhundert Seelen trinkern betreten. Das war mehr als die Hälfte der überlebenden Mitglieder des Ordens. Die Möglichkeit bestand, dass niemand von ihnen zurückkehrte. Das wussten sie alle. Auf dem Ozean waren sie am verwundbarsten. Und niemand konnte mit Sicherheit sagen, ob die dunkle Macht ihre Ankunft nicht doch bemerkt hatte. Wenn sie erst einmal ihr Ziel erreicht hatten, standen sie einer wohl organisier ten Streitmacht gegenüber, die eventuell sogar auf dämonische Hilfe zurückgreifen konnte. Und letztendlich wusste keiner, wie sie danach wieder auf die Brokenback zurückkehren sollten. Egal. Sie waren hier, weil ihnen der Imperator den Weg gezeigt hatte. Er forderte den Beweis, warum sie sich zu seinen auserwählten
Kriegern zählen durften. Wenn sie hier sterben würden, dann war es eben so. Sie kannten nur eine Furcht: dass sie den Auftrag des Impe rators nicht erfüllen würden. Aber hier zu sterben, war eines Marines würdig. Keiner der schwächlichen Untertanen des Imperiums wäre dazu fähig gewesen. Mit einem dumpfen Dröhnen wurden die Triebwerke getestet. Sie funktionierten. Kein Zweifel − in ein paar Stunden würden die See lentrinker aufbrechen, um den Ozean zu überqueren und Ve’Meth selbst herauszufordern. Von einem erhöhten Felsbrocken aus beobachtete Sarpedon, wie die Marines die Schiffe bemannten. Bald würde auf der Insel, auf der sie sich befanden, nur eine Handvoll Ordensdiener zurückbleiben − und die Leichen von etwa zweihundert Untermenschen.
ZEHN
Stellen wir uns einen Mann vor. Einen Mann ohne Haut − die feuch ten Muskelstränge sind ständig der Luft ausgesetzt. Darauf noch kräuselnde Venen und sich windende Arterien. Und seine vielen Au gen − ähnlich denen einer Spinne bedecken sie schwarz und durch sichtig seine obere Gesichtshälfte. Statt eines Munds besitzt er ein mit einem Dutzend Mandibeln versehenes großes Loch, das wie eine fleischfressende Pflanze aussieht. Dann schmieden wir einen Metallbrocken und versehen ihn an ei nem Ende mit einer scharfen Schneide. Den drücken wir ihm in die Hand. Zuletzt die Rüstung: kein Metall, nur noch mehr Muskelpakete, bis wir einen großen Berg aus sehnigem Fleisch vor uns haben. Dann nehmen wir diesen Fleischberg, versehen ihn mit Knorpeln und Kno chen. Wo auch immer er hingeht, wird er blutige Fußabdrücke hin terlassen. Graue Flüssigkeit wird wie Wasser aus jeder Pore seines Körpers strömen. Gelentius Vorp war sich seines Aussehens bewusst. Er genoss es. Und nicht nur, weil sein aus sieben Kammern bestehendes Herz bei dem Gedanken daran anschwoll, dass sich sogar die mächtigsten Häuptlinge von Methuselah 41 bei seinem Anblick verneigt hätten. Die Hügelbewohner von Methuselah 41 hatten niemals aufgege ben. Trotz der Anstrengungen der Imperialen Garde mit ihren Ge wehren und den Missionaren mit ihrem Glauben hatten sich die Rei terscharen ihren Lebensstil bewahrt. Ihr Leben bestand darin, über Imperiale Siedlungen und Raffinerien herzufallen, sich ihre Männ lichkeit zu beweisen und Waffen und Vieh zu rauben. Sie waren wie ein Donnersturm über die Imperialen gekommen und hatten ihnen
keine Gnade gewährt. Ein gutes Leben. Gelentius Vorp war immer stolz auf seine Her kunft gewesen. An den Ufern der Nitrogenflüsse hatte er reiten ge lernt, noch bevor er laufen konnte. Mit der Muttermilch hatte er das Blut seiner Feinde eingesogen und seinen ersten Mann getötet, als er sein Alter noch an den Fingern einer Hand abzählen konnte. Jetzt stand er an den Ufern aus schwarzem Korallenstein und überlegte: Hätte ihm das Leben auf Methuselah 41 weiterhin gefal len, wenn er gewusst hätte, was sich hinter seinem gelbgrünen Him mel verbarg? Nein. Auf keinen Fall. Selbst ein Stapel aus tausend menschlichen Köpfen vor seinem Zelt aus Groxhaut hätte ihn nicht zufriedengestellt. Er wollte einem höheren Herrn dienen. Als Ve’Meth seine Welt besuchte, hatten ihn die Pferdeherden von Me thuselah 41 nicht mehr im Geringsten interessiert. Die es ja auch nicht mehr gab − wie jede Welt, die Ve’Meth auf seinen Reisen besucht hatte, so hatte er auch Methuselah 41 zerstört und für alle Zeiten für die Menschen unbewohnbar gemacht. Es war eine schöne Welt gewesen − aber zu klein. Vorp wollte dem ganzen Universum einen bleibenden Stempel aufdrücken. Dieser harte und kalte Planet hier gefiel ihm um Längen besser. Eine der wenigen Welten, die Ve’Meth eine Heimat geben konnte und trotzdem in der Lage war, Lebensbedingungen für seine Armee bereitzustellen. Und Gelentius Vorp war der erste unter den Jüngern Ve’Meths. Er führte seine pestverseuchten Truppen an und überfiel mit ihnen ahnungslo se Raumschiffe. Eines Tages würde er selbst ein Dämon werden, sich einen Planeten aussuchen und darauf ein ewiges Reich der Boshaf tigkeit und Niedertracht errichten. Vorp wurde durch einen Botendämon aus seinen Gedanken geris sen, einem vertrockneten Haufen Sehnen und Haut, der sich ihm auf traurige Weise vom Strand her näherte. Im Hintergrund arbeiteten die Sklaven daran, aus dem harten Korallengestein Befestigungen zu errichten. Legionen von Kultisten marschierten zu den misstönenden Schreien der Kampfbestien. Dämonen mit bleicher, feuchter Haut,
deren vom Warp verformtes Fleisch im Zwielicht glänzte, krabbelten über die Korallen und Felsen und zogen eine Spur der Fäulnis hinter sich her. Alles Leben hier war missgestaltet, von Krankheit oder Mu tation gezeichnet. Gliedmaßen endeten in Knochenstümpfen, Haut löste sich in Bahnen von den Körpern, es war ein Meer unförmiger Wirbelsäulen und vom Wahnsinn entstellter Gesichter. Vorps Warpsinne spürten die Kreaturen des Ozeans, die in der Tiefe auf den Befehl ihres Meisters warteten. Grässliche Fischschwärme begleiteten sie und rissen Fleischklumpen aus ihnen he raus. Der ganze Planet war von unheiligem Leben erfüllt. Ein Leben, das Ve’Meth wie eine Waffe gebrauchte. Eine wunderschöne Welt. Die Welt des Dämonenprinzen Ve’Meth. »Gelentius Vorp«, zischte das Botending. »Unser Herr wünscht Euch zu sprechen.« Obwohl er schon lange in den Diensten des Dämonenprinzen stand − ein Jahrzehnt, ein Jahrhundert? −, hatte er nur selten das Vergnügen einer persönlichen Audienz gehabt. Ve’Meth gönnte nur zwei Kategorien von Wesen seine Aufmerksamkeit: denen, die ihn zufriedengestellt und jenen, die ihn verärgert hatten. Die einen erhiel ten eine Belohnung. Das Schicksal der anderen konnten sich nicht einmal seine treuesten Jünger ausmalen. »Kennst du die Angst?«, fragte ihn der Bote frech. »Nein, Bote. Ich kenne keine Angst. Ich diene meinem Herren und habe noch nie versagt.« Der Bote versuchte so etwas wie ein Lächeln auf sein vermodertes Gesicht zu bringen, dann verschwand er. Dämonen. Sie hatten keinen Respekt vor den Sterblichen. Egal − Vorp würde selbst einmal ein Dämon sein und mit den minderen Dämonen umspringen, wie er wollte. Ve’Meth quälte sie oft zum Spaß, genau wie die Gefangenen, die Vorp ihm von seinen Raubzü gen mitbrachte. Und eines Tages würde Vorp das Gleiche tun. Er ging auf Ve’Meths Festung zu. Sie war auf dem toten Koral
lengestein gewachsen, ein lebender Organismus, eine riesige Pustel. Auf ihrer Spitze befand sich ein Krater, aus dem in dampfenden Bä chen wässriger Eiter strömte. Vorp spürte, wie ihm der scharfe Fels die bloßen Fußsohlen zerschnitt und war stolz, dass er den Schmerz ohne Jammern ertragen konnte. Er ging durch die Toröffnung am Fuße der Festung. Ve’Meths Pa last war mit den sterbenden, erschöpften und kranken Körpern der Sklaven gepflastert. Galle tropfte von den Wänden. Über eine Schwindel erregend hohe Wendeltreppe gelangte er in die Quartiere der Sturmtruppen. Sie waren gestählte Veteranen, die sich Eisenplat ten auf ihre mit Geschwüren bedeckten Körper genagelt hatten. Sie trainierten mit schnabelförmigen Haken und Morgensternen. Aus den Fenstern hatte man einen Ausblick über die dreckverseuchten Wol ken des Planeten. Überall lagen Haufen von kranken, jammernden Sklaven herum − Unglückliche, die ihren Herrn verärgert hatten. Dann betrat er den Audienzsaal Ve’Meths. »Vorp. Sehr gut.« Die erste Stimme gehörte einer Frau. Dann er griff eine verschliffene, tiefe Männerstimme das Wort. »Bald ist die Langeweile vorbei. Ich spüre frische Beute.« Der Saal war ein riesiges Geschwür unter der mit Eiter gefüllten Beule, die die Spitze der Festung darstellte. Achthundert menschli che Körper beiderlei Geschlechts in allen Größen standen im Raum. Manche waren in Lumpen gehüllt, andere trugen feinen Zwirn oder Raumanzüge. Allen gemeinsam waren die Spuren einer schweren Krankheit, die ihre blasse Haut zeichnete. »Etwas Reines und Unverseuchtes hat unsere Welt betreten, Krie ger«, sagte eine weitere Stimme. Jeder Satz drang aus einem anderen Mund. »Heilige, saubere Wesen! Vier Mal Hundert von ihnen, Vorp. Im Moment überqueren sie die Ozeane unserer Welt. Sie wollen mich finden und zerstören.« Vorp verzog sein Gesicht zu der Grimasse eines Lächelns. »Ihr könnt nicht zerstört werden, Lord Ve’Meth.« Jeder, der ihn kennengelernt hatte, wusste das. Der Dämonenprinz
war vom Chaosgott Nurgle persönlich mit einer Gestalt ausgestattet worden, wie sie einem wahren Gläubigen der Pestilenz und der Ver wesung zustand. Er bestand aus einer Kolonie fleißiger Mikroben, die ihre Wirte mit einer Krankheit befielen und sie zu willenlosen Sklaven machten. Achthundert menschliche Körper gehorchten dem Befehl des Prinzen. Sie bildeten das pestzerfressene Zentrum des namenlosen Planeten. Bald würden sie zu einem Kreuzzug des Ver derbens in das Herz des Universums aufbrechen. Achthundert Münder verzogen sich angewidert. »Zerstörung, Vorp? Was für eine rohe, dumme, unbedachte Sache. Fürchte ich die Zerstörung? Hast du noch einen Fetzen jenes Fleisches an dir, mit dem du geboren wurdest? Ich glaube nicht. Du bist zerstört worden, Vorp. Ich auch, mehr als eine Million Mal, während ich versuchte, die Gunst unseres hochverehrten Großvaters zu gewinnen. Hier geht es um unsere Zukunft, Vorp. Ich habe hier viel aufgebaut. Und sie wollen uns um unsere krankheitserregende, geschwürbedeckte kran ke Zukunft bringen! Unsere Welt von ihrer Widerwärtigkeit reinigen − dann sind wir nichts, weniger als Nichts. Zerstörung, Vorp. Ich fürchte keine Zerstörung. Wir werden über leben. Aber das Nichts − davor habe ich Angst.« Etwas weniger als sechzehnhundert Augen starrten hasserfüllt vor sich hin. Ve’Meth gestand nur selten offen eine Schwäche ein, und schon gar nicht seine Furcht. Aber Gelentius Vorp, Champion des Seuchengottes, spürte sie auch. Was sie hier aufgebaut hatten, seit sie mit den versprengten Anhängern ihres Großvaters Nurgle hier ange kommen waren! Eine Welt nach Ve’Meths Willen, ein Samenkorn, aus dem einst prächtige Reiche nicht enden wollender Verwesung emporwachsen konnten. Sie waren nur einen winzigen Schritt davon entfernt. Ein entschlossener und tödlicher Feind konnte all ihre Be mühungen zunichte machen. »Wie lautet Euer Befehl, Lord Ve’Meth?« Achthundert Gesichter runzelten die Stirn. »Ja, was tun? Du bist meine rechte Hand, Gelentius Vorp, aber nur ein Soldat. Wenn sich
der Feind auf meinen vergifteten Ozeanen verirrt, wird er ihren Un tiefen und Gefahren zum Opfer fallen. Wenn sie diesen Ort finden, werden sie bis zum letzten ihrer reinen Männer kämpfen. Versamme le meine Armee an den Küsten, Vorp, und treib die Unbeschmutzten ins Meer zurück. Dir stehen meine Kultisten und die Dämonenbrut zur Verfügung. Selbst die Sklaven, wenn sie für dich von Nutzen sind.« Die Maden in Gelentius Vorps Innereien wanden sich vor Stolz. Der Dämonenprinz hatte ihn für diese Aufgabe erwählt! Er hatte Dämonenschiffe, gewaltige Pestgalleonen, durch den ganzen Kos mos geführt und unachtsame Handelsschiffe überfallen. Aber eine richtige Armee zu bekämpfen − das war endlich eine würdige Pflicht. Jetzt wurde ihm sein Wunsch erfüllt − noch dazu an seiner eigenen Küste, vor den Augen seines Gebieters Ve’Meth! »Lord Ve’Meth, was für eine entzückend qualvolle Ehre …« »Enttäusch mich nicht, Gelentius Vorp, General des Chaos.« Die Stimme hatte einen harten Befehlston angenommen. »Ich will meine Kraft nicht darauf verschwenden, mir eine Bestrafung für dich aus zudenken. Das würde mich traurig stimmen. Aus meinen Augen. Bereite die Schlacht vor.« Achthundert Körper wandten sich von ihm ab. Ve’Meth hielt nur selten Audienzen ab, und diese Unterredungen waren nicht von lan ger Dauer. Vorp drehte sich um und spürte plötzlich achthundert Au genpaare in seinem Rücken. »Vorp? Bin ich nicht über die Maßen grässlich? Bin ich nicht die verabscheuungswürdigste Ausgeburt der Verdorbenheit meines Großvaters?« »Natürlich, mein Prinz.« Eines Tages, dachte Vorp, als er durch die eiterverkrusteten Hal len von Ve’Meths Festung schritt, werde ich ebenfalls ein Dämon sein. Dieser Planet würde das Zentrum eines Reiches werden, das seine faulige Spur quer über die Galaxis zog. Aber erst mussten die Eindringlinge sterben. Er umklammerte fest
den Griff seines Bastardschwerts. Voll Vorfreude wanden sich die Würmer auf seinem Rücken. Wie lange war es her, dass er stolz ein Dutzend Reiter gegen die Außenposten der Missionaria Galaxia ge führt hatte. Und jetzt hatte er das Kommando über kreischende Dä monenhorden. Wenn er wollte, konnte er zehntausend Sklaven in den Tod treiben. Er würde jene bekämpfen, die seine Welt mit ihrer Reinheit beschmutzen wollten. Tief im Innern hoffte er, dass die Eindringlinge es schafften, den Strand zu erreichen. Dann konnte er ihnen auf dem schwarzen Koral lenriff gegenübertreten und sie in die See zurücktreiben. Selbst der Nebel schien ihnen feindlich gesinnt. Sarpedon hatte sich auf dem Bug niedergelassen. Unter ihm schnitt das Schiff durch die Wellen. Das Triebwerk brummte. Sie hatten eine Geschwindigkeit erreicht, die selbst die penibelsten Techmarines nicht vorauszusagen gewagt hatten. Der Gestank wurde immer schlimmer, je näher sie ihrem Ziel ka men. Seit zwei Tagen befanden sie sich nun schon auf See. Jeder Marine hatte strikten Befehl, seinen Helm zu tragen. Den Ordensdie nern faulte bereits die Haut vom Körper, so gut sie sich auch schüt zen mochten. Der Himmel war eine undurchdringliche Decke aus gelbgrauen Wolken. Die Wellen waren mit ungesundem Schaum bedeckt. Fische mit zu vielen Flossen klebten ihre grässlichen Saug mäuler an das Schiff. In weiter Entfernung glitten gewaltige Schatten in die Tiefe. Der namenlose Planet war ihr Feind. Immer, wenn Land gesichtet wurde, schloss sich der verdammte Nebel wie eine Wand um sie he rum. Es war fast so, als würde sie irgendetwas absichtlich in die Irre führen − was die Navigation fast unmöglich machte. Die Verbindung zur Brokenback war schon lange abgeschnitten. Tyrendian, der mit der Navigation betraut worden war, war in einer Kabine des zweiten Schiffs über Luftaufnahmen und seinen Notizen gebeugt. Sie hatten gehofft, die Schiffe mit ihrer psionischen Kraft zu steuern, aber sie
waren der schwarzen Flamme so nahe, dass sie fürchteten, ihr Geist könnte dabei Schaden nehmen. Sarpedon hatte Captain Karraidin mit der Führung des zweiten Schiffs betraut. Karraidin war ein verlässlicher Kommandant, der sich Sarpedons Vertrauen während des Bruderkriegs verdient hatte und ihm seither treu ergeben war. Kaplan Itinos stand mit dem Cro zius in der Hand an Karraidins Seite. Außer ihnen waren noch meh rere taktische Trupps und eine Handvoll Ordensdiener an Bord. Das erste Schiff hatten sie in Erinnerung an einen der größten Siege des Ordens auf den Namen Höllenklinge getauft. Sarpedons eigenes Schiff trug den Namen Ultima im Gedenken an die Schlacht von Ultima Macharia. Sie beherbergte seinen Komman dotrupp unter Givrillians Führung sowie mehr als einhundert weitere Space Marines. Das dritte Schiff transportierte die Angriffstrupps unter Sergeant Tellos und wurde von Sergeant Graevus befehligt. Sarpedon hatte seine Zweifel, ob es vernünftig gewesen war, Tellos mitzunehmen. Er hatte sich sowohl geistig als auch körperlich dramatisch verändert. Ein engstirnigerer Befehlshaber hätte ihn vielleicht für zu undiszipli niert gehalten. Aber sein Kampfesmut war so groß, dass die Brüder nicht mehr ohne ihn und seine beiden Klingen in die Schlacht ziehen wollten. Wenn sie Ve’Meths Archipel erreicht hatten, würde Grae vus’ Schiff die Führung übernehmen, damit Tellos der Erste sein konnte, der über den Feind herfiel. Graevus hatte sein Schiff auf den Namen Quixian taufen wollen, aber Sarpedon hatte sich für Lakonia entschieden. Ein guter Name, erinnerte er doch an den ersten wahrhaftigen Sieg der Seelentrinker. Vierhundert Marines auf drei Schiffen. Drei Pfeile, die direkt auf das Herz des Feindes zuflogen − oder drei Viehtransporte, die direkt auf dem Weg zur Schlachtbank waren. Auf See waren sie extrem verwundbar. Zwar machten die verbesserten Muskeln und die Ner venfasern ihrer Energierüstungen jeden Marine zu einem guten Schwimmer. Aber wer hier über Bord ging, hatte nur wenige Minu
ten, bevor ihn die schweren Panzerplatten in die Tiefe zogen. Ein Schiff, das hier sank, würde die ganze Besatzung mit sich hinabrei ßen. Etwas Großes durchbrach die Wasseroberfläche. Sarpedon glaub te, inmitten des grauen, gummiartigen Fleisches ein riesiges blasses Auge zu erkennen. Durch den Nebel erspähte er große, fliegende Kreaturen am Himmel. Wie unnatürlich und deformiert sie sein mussten, um diese Luft atmen zu können. Die Lungenimplantate der Marines liefen jetzt schon auf Hochtouren. Auf der Brokenback wür den die Apothecarii alle Hände voll zu tun haben, die Luftfilter aus zutauschen. Vorausgesetzt, sie kehrten zurück. Aber das war zweitrangig. Ihr Ziel war es, Ve’Meth mit Stumpf und Stiel auszurotten oder doch wenigstens bei dem Versuch ehren voll zu sterben. Ein Schuss ertönte. Eine der fliegenden Kreaturen wand sich im Todeskampf und sank in die Tiefe. Ihr Schrei wurde von den Wellen und dem quietschenden Holz der Schiffsbalken übertönt. Sarpedon sah Dreo, wie er seinen Bolter wieder zurücksteckte. Sein Trupp hielt weiter mit gezückten Waffen nach Zielen Ausschau. Das war alte Tradition. Jeder Marine, der noch vor seinem Sergeanten einen Feind zur Strecke brachte, war von der Arbeit für diesen Tag befreit und konnte sich zur Forschung und Besinnung in das Archivum zurück ziehen. Seit Dreo zum Sergeanten ernannt worden war, war ihm das genau zweimal passiert. Das letzte Mal vor zwölf Jahren. Dreo war ein Meisterschütze, einer der Besten der ganzen Truppe. Er hatte auf eine Kreatur geschossen, die der Rest seiner Männer nicht einmal gesehen hatte. Aber Dreo war durch seinen Mut und nicht durch sein scharfes Auge zum Offizier befördert worden − und Mut würde diese Schlacht entscheiden. Dreo wollte sich gerade umdrehen, als er innehielt und auf die See
hinausstarte. Trotz der giftigen Luft nahm er seinen Helm ab, um besser durch die Nebelbänke spähen zu können. Eine Warnrune. »Hauptmann, wir haben Sichtkontakt«, kam die Meldung über Vox. »Dreo? Ich brauche Details. Ist es ein Schiff?« »Das würde ich nicht unbedingt als Schiff bezeichnen.« »Da, Brüder! Seht ihr es?« Zaen stand im Heck der Ultima und folgte mit seinem Blick Kel dyns ausgestrecktem Arm. Er konnte nicht viel mehr als einen dunk len Fleck erkennen, der sich mit den braunschwarzen Wellen hob und senkte. Aber der Fleck kam auf die Ultima zu. »Gerade so«, sag te er. Der Rest von Lukos Truppe erschien auf Deck, um eine Feuerlinie zu bilden. In jedem Helm leuchteten Alarmrunen auf. Der Sergeant hatte die Klingen seiner Energieklauen zurückgeklappt, um den Bol ter in seinem Handschuh laden zu können. Bruder Griv schleppte einen Raketenwerfer herbei. Eine der wenigen schweren Waffen, die sie mit sich führten. Seelentrinker gaben Geschwindigkeit und dem Überraschungsmoment den Vorzug vor bloßer Feuerkraft, aber nicht einmal der stolzeste Hauptmann hätte ihren Nutzen in Frage gestellt. »Griv! Feuern, sobald sie in Reichweite sind. Tief halten«, sagte Luko. Griv ging in Position. Der Rest der Männer überprüfte die Waffen oder verstaute ungesicherte Ladung in groben Verschlägen. Captain Karradin trug eine der wenigen prächtigen Terminatorrüstungen des Ordens. Stolz stand er mittschiffs und vergewisserte sich, dass die Marines die Vorbereitungen und Riten vor der Schlacht pflichtgemäß ausführten. Das feindliche Schiff war inzwischen so nah gekommen, dass man die ersten Details ausmachen konnte. Es war ein Wunder, wie so ein Ding überhaupt seetüchtig sein konnte. Zersplitterte Masten rag
ten wie verfaulte Zähne aus seinem Deck auf. Es schien, als würde ihm eine hauchdünne dunkle Aura wie ein ständiger Schatten folgen. Zaen dachte zunächst an eine Störung der Autosensoren in seinem Helm − bis er den Insektenschwarm hörte, der das Schiff wie einen toten Kadaver umkreiste. Zaen wusste, dass sein Flammenwerfer in einem Fernkampf, wie er ihn hier wohl erwartete, von geringem Nutzen sein würde. »Hier, nimm«, sagte Griv und reichte Zaen seinen Bolter. »Vielen Dank, Bruder«, sagte Zaen. »Den will ich aber wieder zurückhaben, Zaen. Und die Kugeln gehen auf dich!« Das Vox erwachte zum Leben. »Graevus an alle Einheiten. Ein weiteres Schiff wurde gesichtet!« »Verstanden, Graevus«, antwortete Karraidin. »Ihr kümmert euch um eures da drüben. Wir nehmen uns das hier vor.« »Ihr habt es gehört, Männer«, sagte Sergeant Luko und nickte Griv zu. »Schick sie zur Hölle.« Griv schulterte den Raketenwerfer und feuerte. Das Geschoss schlug in das Schiff ein. Die Rakete detonierte knapp über der Wasserlinie in einem Feuerball. Aus dem Loch im Schiffskörper strömte eine klumpige, halbflüssige Masse. »Beim Thron von Terra …«, flüsterte Keldyn. Was war es? Ladung? Ballast? Nein. Maden. Das feindliche Schiff machte einen Satz nach vorne. Es sah aus, als wäre es durch den Angriff verärgert. Großkalibrige Geschosse schlugen mit niedriger Geschwindigkeit in die Wellen um die Ultima herum ein. Einige von ihnen trafen ihr Ziel. Aber die Ultima war aus härterem Holz geschnitzt. »Entfernung, Sergeant Luko?«, voxte Karraidin. »Sind in dreißig Sekunden in Bolterreichweite«, antwortete Luko. »Gut. Auf dein Kommando.« »Jawohl, Sir.«
Griv hatte den Werfer mit einer weiteren Rakete bestückt und vi sierte den Bug des feindlichen Schiffes an. Dann fiel ein schwarzer Schatten über Griv und einige andere Ma rines auf Lukos Trupp. Zu spät erkannte Zaen, dass es kein Schatten, sondern eine riesige Kreatur war. Mit voller Wucht war sie auf das Deck gekracht. Kreischend wurde sie von Boltergeschossen durchlö chert. Der skelettartige Kopf schnappte nach Griv. Zaen ließ den Bolter fallen und griff nach seinem Flammenwerfer. Bald war das Biest in einen Feuerball gehüllt und heulte vor Schmerz. Mit einem grellen Lichtblitz trennten Energieklauen den Kopf der Kreatur sauber vom Rumpf. Während die Marines den leb losen Körper über Bord warfen, wurde eine weitere der Kreaturen noch in der Luft von Boltergeschossen zerfetzt. Fliegenschwärme verdunkelten den Himmel. Das feindliche Schiff näherte sich. Zaen konnte menschliche Körperteile erkennen, die an seine Hülle genagelt waren. Der Schiffskörper dehnte sich zur Mitte hin aus wie der Unterleib eines Insekts. Die morschen Bretter konnten kaum die Massen von Maden zurückhalten, die es bis zum Rand füllten. Auf Deck waren schattenhafte Gestalten zu erkennen. Die Crew besaß anscheinend keine körperliche Gestalt. Sie stellten nicht die Hauptgefahr dar, sondern das Schiff selbst. Es war ein bö sartiges Gefährt. Es war mit Schimmel überzogen wie eine verdorbe ne Frucht. Schrumpelige Körperteile und vertrocknete Köpfe waren an seinen Bug genagelt. Bolterreichweite. »Feuer«, brüllte Zaen. Wie ein Mann überzogen die Marines das feindliche Schiff mit Boltergeschossen. Die Kugeln durchlöcherten das Deck. Holzsplitter spritzten in alle Richtungen, und die Masten fielen wie dünne Bäu me. Kaum menschenähnliche Wesen taumelten umher und wurden in Stücke gerissen. Ein großes Loch öffnete sich im Fliegenschwarm, als hätte ein starker Wind ein Loch in eine dunkle Wolkendecke ge rissen.
Während er Grivs Bolter wieder aufhob, konnte Zaen einen ge naueren Blick auf den Feind werfen. Ein Dutzend Runen in seinem Retinadisplay warnten ihn vor der verseuchten Atmosphäre aus töd lichen Giften und infektiösen Sporen, die aus dem Schiff drang. Griv gelang es, eine weitere Rakete direkt über der Wasserlinie zu platzieren. Jetzt würde es volllaufen und in die Tiefe gezogen wer den. Ein Arm kam aus dem Loch geschossen, das der Raketenwerfer gerissen hatte. Er war weder menschlich, auch kein Tentakel, son dern gleichzeitig hart und sehr gelenkig. Sein Maul erinnerte an das eines Blutegels. Hässliche Kletten überzogen seinen grauen Körper. Das armähnliche Ding holte aus. Über dem Bolterfeuer konnte Zaen hören, wie das Holz der Ultima zersplitterte. »Was zur Hölle ist das?«, schrie Kedyn. »Mir egal. Hauptsache, es ist bald tot!«, antwortete Luko. Ein Ma rine beschoss das gummiartige Fleisch des Arms mit glühend heißem Plasma. Das Monster hatte die Ultima gepackt und zog sie zu sich heran. Sein Gestank war so stark, dass die Luftfilter in Zaens Helm ver stopften. Er roch verwesendes Fleisch und Exkremente. Welche Kreatur konnte im Bauch eines Schiffes zwischen Maden und Dreck hausen? Eine Kreatur des Chaos. Der Erzfeind hatte viele Gesichter. Die Ausgeburten des Chaos waren hirnlose Vernichtungsmaschinen. Es war zu erwarten gewesen, dass man sie auf dieser grässlichen Welt antreffen würde. Die Marines versuchten verzweifelt, die Hülle des feindlichen Schiffes zu durchlöchern, um das Biest zu verwunden. Das Gegen feuer war zu vernachlässigen. Die menschliche Besatzung war ent weder tot oder über Bord gegangen, als das Biest die Ultima so heftig gepackt hatte. Diese Kreatur war die eigentliche Gefahr. Über dem Bolterfeuer war plötzlich das Ächzen von Holzplanken zu hören. Eine Seite des feindlichen Schiffes brach auseinander. Ein
schleimiges, aufgedunsenes, formloses Etwas schoss heraus. Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung hatte es das Seuchenschiff zerris sen und kam auf die Ultima zu. Es hatte die Größe einer Landungskapsel. Das Ungeheuer klatsch te gegen die Steuerbordseite der Ultima. Zwei Trupps wurden unter seiner riesigen Masse begraben. Ihre Kameraden beeilten sich, die Männer hervorzuziehen. Manche, denen nur die Beine eingequetscht worden waren, feuerten weiter auf die Kreatur. Das Biest brüllte vor Schmerz. Bizarre Gliedmaßen droschen auf die Marines ein. Zaen wich den umhergeschleuderten Körpern aus und jagte eine Flammensäule in die ungeschützte Seite der Kreatur. Lukos Klauen blitzten auf. Ein mannsdickes Tentakel fiel auf das Deck. Karraidin wirkte in seiner Terminatorrüstung wie ein men schlicher Panzer. Er rammte seine Energiefaust in die Fleischmasse, die wie eine Eiterbeule platzte. Eine Linie von Marines hatte sich auf die andere Seite des Decks zurückgezogen und jagte einen Kugelre gen in die Bestie. Eine blutähnliche, wässrig braune Flüssigkeit über zog das Deck. Die schwarzgerüstete Gestalt von Kaplan Iktinos hieb mit dem Crozius machtvoll auf die Ausgeburt des Chaos ein. Neue Fleischmassen schlossen sich über den Wunden. Die Krea tur änderte ständig ihre Form. Gewaltige Hörner durchbohrten Bru der Keldyns Oberschenkel. »Weiterfeuern! Haltet durch!«, schrie Karraidin über das Schlachtfeld. Ein Knäuel spitzer Dornen schlug gegen seine purpur farbene Rüstung. Zaen erkannte, dass das Biest weder Schmerz noch Angst emp fand. Sonst hätte es nie dieser gewaltigen Gegenwehr widerstehen können. Es schluckte ihre Kugeln einfach und kämpfte so lange, bis jeder Marine tot am Boden lag. Dann würde es sich in die Hülle der Ultima verkriechen und auf sein nächstes Opfer warten. Keldyn schrie, als sich die Fleischberge wie Wassermassen über ihn ergos sen. Er wurde in den Magen des Ungeheuers gezogen. Manchmal ist ein dummer Feind der gefährlichste von allen,
dachte Zaen. Das Biest schleuderte die Hälfte von Vorts’ Trupp in den Ozean. Die Ultima neigte sich gefährlich zur Seite. Selbst Zaens Flammen werfer und ein Plasmagewehrschütze aus Karraidins Trupp konnten nur eine weitere der vielen Hüllen der Kreatur versengen. Eingewei de, die auf das Deck klatschten, verwandelten sich wieder in Haut. Jetzt griffen sogar die Ordensdiener in die Schlacht ein. Laut den Ordensregeln war es ihnen verboten, zu kämpfen − nur in der letzten Not durften sie eingreifen. Sie attackierten das Monster mit Energie schraubenschlüsseln und Brechstangen, bereit, an der Seite ihrer Her ren zu sterben. Die Seelentrinker mussten diese Kreatur Stück für Stück vernich ten. Das war ihre einzige Hoffnung. Varuk schrie im Bauch der Höllenklinge verzweifelt nach der Hilfe seiner Kameraden. Sie mussten das Schiff wenden, um der Ultima beizustehen. Sarpedon konnte ihn von Deck aus hören. Dann kon zentrierte er sich wieder auf das Vox. Karraidin und Luko versuchten mit letzter Kraft, die Kreatur in Schach zu halten. Vor sich konnte er Mündungsfeuer und das pulsierende Licht der Energiewaffen erken nen, mit denen sich die Marines der Ultima gegen die formlose Krea tur wehrten. »Sind auf dem Weg, Hauptmann«, keuchte ein atemloser Varuk. Die Höllenklinge wendete und näherte sich der Ultima. »Gut. Halbe Bolterreichweite. Nicht, dass uns das Biest mit in die Tiefe reißt. Zehn Mann abstellen. Sie sollen die anderen aus dem Wasser holen.« Sarpedon wechselte den Kanal. »Dreo?« »Hauptmann?« »Erst in geringer Entfernung feuern. Nehmt euch das Vieh dort vor, wo es am dicksten ist. Wir müssen es ausbluten.« »Verstanden. Für den Thron.« »Töte es für den Thron, Sergeant.« Sarpedon versuchte, die Ultima zu erreichen. Iktinos’ Stimme er
klang. Er brüllte Gebete, um die Moral der Kämpfenden aufrech tzuerhalten. Karraidin hatte nur seine Terminatorrüstung bis jetzt vor dem Tod bewahrt. Die meisten aus seinem Trupp waren gefallen. Luko griff ebenfalls mit letzter Kraft an. Über Funk konnte Sarpedon hören, wie seine Energieklauen Fleisch zerrissen. Der Flammenwer fer brüllte. Aber auch ohne Vox war das Krachen, mit dem die Ultima lang sam zerbrach, deutlich zu hören. »Sarpedon an Graevus. Die Höllenklinge wird die Ultima unters tützen. Wie ist eure Situation?« »Ein Schiff nähert sich uns«, antwortete Graevus ruppig. »Sie sind bis an die Zähne bewaffnet. Wir stehen unter Beschuss. Wahrschein lich werden wir geentert.« »Bei euch ist also alles in Ordnung.« »Könnte nicht besser sein.« Sergeant Graevus wechselte die Energieaxt in seine veränderte Hand. »Hier kommen sie, Jungs! Steht nicht einfach so rum! Mir nach!« Die Angriffstrupps brüllten aus voller Kehle. Die Seelentrinker waren seit langem Spezialisten darin, Raumschiffe zu entern. Das schloss defensive Aktionen mit ein. Sollte sich doch der Feind müh sam herankämpfen. Sein Angriff würde dann von einer Gegenoffen sive beantwortet werden: Die Seelentrinker übernahmen das feindli che Schiff und konzentrierten sich auf die zentralen Mitglieder der Besatzung. Hier würde genau dasselbe Prinzip zum Einsatz kommen − wenig Platz, ein gnadenloser Feind und wehe dem, der über Bord ging. Das Chaosschiff tauchte aus dem Nebel auf. Eigentlich war es kein Schiff. Es war ein Meeresungeheuer, ein riesiger Hai von etwa hundertfünfzig Metern Länge. Ein gewaltiger lebender Leichnam, dessen graublaue, dunkle Haut von Narben und Bisswunden überzo gen war. Winzige trübe Totenaugen funkelten in seinem Schädel. Sein Maul war groß genug, um einen Panzer zu verschlucken, und
starrte vor schwertgroßen Zähnen. Aus der Mitte seines Leibs war das Fleisch herausgeschnitten worden. Zwischen den blanken Rippen hatten sich die Chaostruppen auf lange vertrockneten Organen ver sammelt. Mit Hilfe seiner mächtigen, gezackten Schwanzflosse schwamm der Hai unaufhaltsam auf die Lakonia zu. Die feindlichen Soldaten trugen Rüstungen aus schwarzem Eisen. In ihren Händen hielten sie Furcht erregende Enterhaken und Helle barden. An ihren Seiten baumelten Schwerter. Ihre Körper waren missgestaltet. Sie hatten die Gesichter vermummt, als ob sie dem Universum ihren Anblick ersparen wollten. Sie wirkten wie rück ständige Wilde aus einer düsteren Feudalwelt, wäre da nicht das un heimliche Leuchten der Energiewaffen gewesen, die ihre Anführer schwangen. Insgesamt befanden sich etwa zweihundert Mann auf dem Monsterschiff. Pistolenschüsse fielen in Richtung der Lakonia. Graevus beachtete sie nicht weiter. Die wenigen, die ihr Ziel trafen, wurden mühelos von den Energierüstungen aufgehalten. Hundertdreißig Seelentrinker waren bereit, jeden Angriff des Feindes mit der gleichen Wucht zu rückzuwerfen. Graevus beobachtete Tellos, der sich weit vorlehnte, um die Aus geburten des Chaos herauszufordern. Die blasse Haut seines Ober körpers, die Klingen, die seine Stümpfe zierten, und die Entschlos senheit in seinen Augen ließen ihn nicht weniger gefährlich wirken als jeden anderen Marine. Gleich war es so weit. Graevus sah die milbenbedeckten Augen des Hais und die Metall- und Knochentrümmer, die in seinem wun den, rosa Zahnfleisch steckten. Das Biest warf sich herum, um seit lich an der Lakonia anzulanden. Die Krieger lehnten sich an die blanken Rippenknochen. Sie waren bereit, ihre Haken in das Holz der Lakonia zu treiben, um sie auf Enterdistanz zu bringen. Es war so weit. Sie waren nahe genug. »Feuer«, schrie Sergeant Graevus. Hundert Boltpistolen wurden abgefeuert. Die Rüstungen der Krie
ger waren besser, als es den Anschein gehabt hatte. Auch die un glaublich dicken Häute, in die sie gehüllt waren, und ihre Unemp findlichkeit gegen Schmerzen trugen dazu bei, dass lediglich ein hal bes Dutzend von ihnen von Bolterschüssen zerfetzt zu Boden fiel. Zwei weitere wurden durch Projektile aus Plasmapistolen zerrissen. Wie nicht anders zu erwarten stürmte Tellos als Erster auf das feindliche Schiff. Noch im Sprung wirbelte er herum, köpfte den nächsten Krieger mit einer seiner Klingen und trennte einem weite ren den Arm ab. Vor Freude hatte er die Zähne gefletscht. Tellos liebte eine gute Schlacht. Diesbezüglich hatte er sich nicht geändert. In ein paar Sekunden hatte er eine beachtliche Anzahl Feinde ge spalten, aufgespießt, zweigeteilt oder einfach über Bord geworfen. Die Klingen wirbelten durch die Luft, als wären sie ein Teil von Tel los’ Körper. Er kämpfte in einem blitzschnellen, wirbelnden Stil. Ein Hieb parierte den Angriff eines Feindes und köpfte den nächsten. Die Krieger des Chaos kletterten über ihre Gefallenen, nur um selbst Op fer dieser Klingen zu werden. Der Hai rammte die Seite der Lakonia. Das harte Holz riss Strei fen verwesenden Fleischs aus seiner Flanke. »Angriff!«, brüllte Graevus und sprang hinüber. Die Kettenschwerter der Marines fraßen sich durch den Feind. Die erste Linie der Chaoskrieger fiel wie Bäume im Sturm. Der Korridor, den Tellos geschlagen hatte, erlaubte es ihnen, tief in die Masse der Krieger vorzudringen. Die Marines schlossen zu ihrem blutüber strömten Sergeanten auf und fielen über die Feinde her. Graevus und ein Dutzend Marines landeten auf den weichen, ver trockneten Organen des Hais. Sie mussten sich durch eine Wand aus schwarzem Eisen kämpfen. Hundert Hellebarden stachen gleichzeitig auf Graevus ein. Er parierte einen Hieb, wirbelte herum und zerteilte mit seiner Energieaxt den bizarr geformten Sichtschutz eines Helms. Kettenklingen trennten Gliedmaßen und Köpfe von ihren Körpern. Das Kriegsgeschrei der Seelentrinker mischte sich mit dem zornigen Heulen der Chaoskrieger, den Boltpistolenschüssen und dem Krei
schen der Kettenschwerter. Graevus hielt inne und sah sich um. In Bugnähe wurde eine Chaoslanze von einer fliegenden Gestalt in die Menge der Kämpfen den geschleudert und explodierte. Die fliegende Kreatur schien men schenähnlich zu sein. Einen genaueren Blick verhinderte der Fliegen schwarm, der ihr als Transportmittel diente. Tellos klemmte sich mit dem Ellbogen in das Rückgrat des Hais und sprang hoch. Er pfählte den Magier, dessen Hände schwarze Blitze verströmten, auf seinen Klingen. Hilflos zappelte er in der Luft, bevor er von den Bolterge schossen der taktischen Marines auf dem Deck der Lakonia zerrissen wurde. Nur kleine schwarze Fetzen, die der Wind verstreute, und einige Rußflecken auf Tellos’ Klingen blieben von ihm übrig. Tellos nickte den Marines auf der Lakonia zu und stürzte sich wieder in die Schlacht. Graevus erlaubte sich ein Lächeln. Dann trieb er seine Axt erneut in die Eisenrüstungen der Krieger. Mit jedem Hieb brachte er einen weiteren Erzfeind des Imperators zur Strecke. Die Marines waren in jenem Kampfrausch, der aus gewöhnlichen Menschen Helden und aus Marines noch ein bisschen mehr als das macht. Graevus ließ sich von dieser Kriegslust überwältigen. Die Seelentrinker würden keinen Schritt weichen, bis der Letzte der ver ruchten Chaosanhänger sein Ende gefunden hatte. Zaen und Kaplan Iktinos standen Rücken an Rücken. Zu ihren Füßen mischte sich das Blut der Chaosausgeburt mit dem der Marines aus Vorts’ Trupp, die allesamt gefallen waren. Das Biest schlug mit ei nem gewaltigen, knüppelförmigen Arm zu, dessen Spitze aus peit schenden, messerscharfen Sehnen bestand. Funken sprühten, als Ikti nos sie mit seinem Crozius parierte. Zaen bearbeitete das Ungeheuer weiter mit dem Flammenwerfer. Wände aus Fleisch hatten die beiden eingeschlossen. Jetzt waren sie auf sich allein gestellt − ihre Kameraden konnten sich keinen Weg zu ihnen bahnen, um sie zu retten.
Seit seinen Tagen als Novize hatte Zaen Iktinos bewundert. Sein Glaube und seine feste Entschlossenheit waren selbst für einen See lentrinker bemerkenswert. Jetzt erhielt Zaen die Gelegenheit, Seite an Seite mit dem Helden seiner Jugendtage zu sterben. Er war von Stolz erfüllt. Das Deck der Ultima war zum Großteil zerschmettert, und das Blut des Biests strömte in den Bauch des Schiffes. Von allen Seiten ertönte Gewehrfeuer − manchmal ganze Salven, manchmal auch nur die einzelnen Schüsse der von den Fleischmassen eingeschlossenen Kameraden. Der Funkverkehr war tot. Nur Karraidins wütende Flü che drangen noch durch das statische Rauschen. »Kaplan, wir werden gemeinsam Dorns Hallen betreten«, keuchte Zaen und nahm das Biest mit Grivs Bolter ins Visier. Dann rammte er seinen letzten Treibstoffkanister in den Flammenwerfer. »Noch nicht, Bruder Zaen«, antwortete Iktinos, während er eine speerartige Sehne durchtrennte. »Ich sterbe erst, wenn meine Aufga be hier erfüllt ist.« Das Biest richtete sich vor ihnen auf und stieß ein markerschüt terndes Kreischen aus, das nicht von einem lebenden Wesen stam men konnte. Dann stürzte es auf sie herab. Zaen konnte nicht mehr ausweichen und wurde unter schwabbeli gem Fett und glitschigen Eingeweidesträngen begraben. Unerträgli che Hitze und völlige Finsternis umgaben ihn. Eitriges Sekret drang durch den Filter seines Helms. Er konnte seine Arme nicht mehr be wegen. Schmerz durchfuhr ihn, als sein Bein unter ihm brach. Der synthetische Stahl seines Rückenmoduls gab nach. Die Brustplatte bog sich. Dann zerbrachen die Schulterplatten. Seine Schädelkno chen knackten. Sein Abzugsfinger zuckte noch einmal. Eine Salve aus Grivs Bol ter wurde in die erdrückenden Fleischberge gejagt. Es half nichts. Die Zündflamme seines Flammenwerfers war erloschen. Es gab nur wenige Space Marines, die nicht in der Schlacht star ben. Die meisten lebten nur für den Krieg. Bruder Zaen hatte seine
Ausbildung und die Modifikationen nicht nur erhalten, um die Fein de des Imperators zu bekämpfen − in gewisser Weise war es auch notwendig, dass er den Tod in der Schlacht fand. Nur so konnte er in die Annalen des Ordens eingehen. Nur so konnte er die nachfolgen den Generationen der Marines zu ihren eigenen Heldentaten anspor nen. Daran dachte Zaen, als seine Rüstung vom übermächtigen Ge wicht zerdrückt wurde. Gleich würden seine Organe zerplatzen. Ein blauweißer Streifen Licht erschien vor seinen Augen. Ein Arm in schwarzer Rüstung erschien, packte ihn an der Schulterplatte und zerrte ihn auf das Deck. Sein zerfetztes Bein wurde noch weiter verdreht und bereitete höllische Schmerzen − aber er lebte. Iktinos’ überlebensgroße Gestalt hatte sich zu ihm heruntergebeugt und zog ihn aus den Fleischmassen. Etwas dickes, Lederartiges schoss aus dem Biest und traf Iktinos voll auf die Brust. Er wurde nach hinten geschleudert. Durch den Schleier aus Schmerzen erkannte Zaen vor seinen Augen eine höh lenförmige Öffnung in der Wand aus Fleisch. Er starrte direkt in den Rachen der Bestie. Iktinos war von der Zunge der Chaosausgeburt getroffen worden: ein dünner, ledriger Strang, der in einem knotigen, knüppelartigen Fleischball endete. Die wabbelnde Masse glitt unter Zaen. Er wurde in Richtung des Mauls gezogen und konnte auf der glitschigen Haut keinen Halt fin den. Der Kiefer des Ungeheuers ragte über ihm auf. Jenseits seines zerschmetterten Fußes konnte er die gerippte Kehle sehen, die ihn zu Brei zerdrücken wollte. Zähne schnellten aus dem matschigen Zahnfleisch und durchbohr ten seine Hüfte und den Rücken. Einer traf seine Schulter und drang durch die Lunge tief in seine Eingeweide. In einer Hand hielt er den Flammenwerfer. Der Rest seines Kör pers war zu nichts mehr zu gebrauchen. Die Zündflamme war erlo schen. Er schleuderte die nutzlose Waffe in das Maul des Untiers, das sich jetzt langsam um ihn schloss.
Die Sehnen seiner rechten Hand, in der er Grivs Bolter hielt, war en fast durchtrennt wurden. Zu weit weg. Mit der Linken konnte er die Waffe nicht erreichen. Reiß dich zusammen, Novize Zaen. Bist du ein kleines Kind? Ein schwaches, zu nichts zu gebrauchendes Kind? Vergiss die Schmer zen. Hast du noch nie Schmerzen gehabt? Doch, und du hast sie überlebt. Und jetzt wirst du wieder überleben. Beweg deine Hand, Novize. Beweg deine rechte Hand und hör auf, wie ein Säugling zu jammern. Zaen bewegte die rechte Hand, bis er mit der linken Grivs Bolter packen konnte. Dann rissen die Sehnen endgültig. Ob Griv noch am Leben war? Ob er wusste, was mit seinem Bolter geschehen würde? Schwach blinkte der Treibstofftank des Flammenwerfers in der dunklen Kehle des Ungeheuers auf. Die Kiefer schlossen sich. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Zähne des Monsters die rechte Seite seines Körpers durchtrennten. Eines seiner Knie wurde ihm an die Kehle gepresst. Dann wurde es dunkel um ihn. Zaen feuerte. Das Maul des Ungeheuers verschwand in einem Feuerball, wäh rend die Höllenklinge rasch näher kam. Sarpedon konnte bereits die Seelentrinker auf dem Deck der Ultima erkennen, die im Schein der Flammen unverzagt weiterfeuerten. Das Monster bedeckte bereits drei Viertel des Schiffes. Sarpedons Männer fischten die Überleben den aus dem Wasser. Keuchend kletterten sie auf das Deck der Höl lenklinge. Viele hatten Teile ihrer Rüstung abgestreift, um nicht in die Tiefe zu sinken. Manche waren ganz ungeschützt. Angeblich war Vorts’ Trupp komplett ausgelöscht worden. Drei ßig weitere waren entweder von der Bestie zerrissen oder ertrunken. Unter dem Jubelgeschrei der Marines trennte die Explosion den Großteil des Kopfes vom Körper des Biests. Brennender Treibstoff strömte aus der Wunde. Die Männer der Höllenklinge und diejenigen der Ultima, die ihre Waffen behalten hatten, formten auf dem Bug
der Höllenklinge eine drei Mann tiefe Feuerlinie. Mit gezogenem Bolter trat Sarpedon zwischen seine Truppen. »Captain Karraidin, hier Sarpedon«, voxte er. »Sagen Sie Ihren Männern, sie sollen die Köpfe einziehen und sich festhalten. Wir holen sie da raus.« »Jawohl«, ertönte die Antwort durch das Rauschen und den Lärm des Gewehrfeuers. »Seelentrinker!«, schrie Sarpedon zu seinen Männern. »Das Un tier ist verwundet! Jetzt können wir ihm den Rest geben!« Schwarze Rauchwolken stiegen aus der riesigen verkohlten Wunde der Bestie auf. Sarpedon nahm sie ins Visier. »Feuer!« Das Ende der Bestie war gekommen. Die Explosion hatte sein Nervenzentrum zerstört. Hilflos war es dem Kugelhagel ausgesetzt. Bis jetzt hatten es die Wände des Schiffs geschützt. Aber dem nicht enden wollenden Feuer aus einhundertfünfzig Boltern konnte es nicht standhalten. Jeder Marine wollte seine toten Kameraden rä chen. Seine Haut warf durch die Hitze Blasen und platzte auf. Blutige Fettbrocken wurden in die Luft geschleudert. Ströme von eitrigem Sekret ergossen sich aus den zerrissenen Organen des Ungeheuers. Im Todeskampf verlor es auch noch das letzte bisschen Gestalt und bestand nur noch aus einem Wirbel aus Muskelmasse und aufgep latzter Haut. Dann verschluckte die See seinen riesigen, fast flüssigen Körper. Die Ultima schaukelte wild hin und her. Verzweifelt versuchten die Marines, die noch an Bord waren, sich irgendwo festzuhalten. Erst als das Biest versunken war, richtete sich das Schiff schwankend wieder auf. Unter dem Freudengeschrei der Marines wurden die Triebwerke der Höllenklinge gezündet. Es galt zu retten, was noch zu retten war. Das Haischiff wusste, dass seine Besatzung den Kampf verlieren würde. Wie wild warf es sich hin und her. Seine Schwanzflosse
schleuderte große Massen dreckigen Wassers in die Luft. Das Maul schnappte blind um sich. Tote Chaoskrieger stapelten sich auf Deck. Die Seelentrinker hat ten schon mehr als die Hälfte des Schiffes eingenommen. Die restli chen Chaoskrieger versuchten, die Kettenschwerter der Marines mit Hellebarden und langen Haken abzuwehren. Die Space Marines ant worteten mit Boltpistolenfeuer und schossen die Besatzung langsam sturmreif. Tellos befand sich noch immer in der Masse der Feinde und hieb wild auf die Krieger in den schwarzen Rüstungen ein. Er war bis zu den Schultern mit Blut bedeckt. Zwanzig Feinde gingen allein auf sein Konto. »Marines, zum Rückzug bereitmachen! Wir müssen dieses Ding versenken!«, schrie Graevus über Vox. Die Chaoskrieger waren zwar geschlagen, aber die Marines stan den immer noch auf dem Rücken eines großen, wütenden Meeresun geheuers. Und die Lakonia war ihm bedrohlich nahe. Wenn das Monster untertauchte, konnte sie leicht mit in die Tiefe gerissen wer den. Graevus deutete auf drei Marines. »Ihr da! Gebt mir eure Splitter granaten.« Sie reichten sie ihm. Er bedeutete ihnen, ihm zum Kopf des Hais folgen. Mit seiner Energieaxt schlug er einen tiefen Riss in eine Wand aus pulsierender, zäher Muskelmasse. Darunter kam der trübrosa Hirnstock des Unge heuers zum Vorschein. »Seelentrinker! Alle Mann das Schiff verlassen und die Taue kap pen!« Weiter feuernd zogen sich die Marines zurück. Tellos musste re gelrecht vom Schlachtfeld gezerrt werden. Graevus stopfte das Granatenbündel tief in den Hirnstock des Hais. »Alle Mann in Deckung!«, schrie er und sprang zur Seite. Aus dem Inneren des Hais ertönte eine gedämpfte Explosion. Ro
safarbene Masse regnete auf das Deck. Der Hai wand sich im Todes kampf. Zwei Marines wurden von den Beinen geholt. Graevus schau te auf. Die Lakonia war nicht mehr an den Hai vertäut, aber immer noch gefährlich nahe an dem sterbenden, wild um sich schlagenden Tier. Mit der Energieaxt bahnte er sich einen Weg durch die Chaos soldaten. Graevus erreichte den Rand des monströsen Gefährts und sprang. Dann hatte er das solide Holz der Lakonia unter den Füßen. Er drehte sich um und sah, wie sich das Ungeheuer auf den Rücken roll te und seinen weiß gefleckten Bauch entblößte. Dann versank es in den Fluten. Er sah sich unter den Marines um. Sie hatten nicht einen Mann verloren. Alle waren von Kopf bis Fuß mit Blut überzogen. Graevus blickte an sich herab. Er war mit Klumpen von Hirnmasse bedeckt. »Graevus an Sarpedon«, voxte er. »Feindliches Schiff zerstört. Keine Verluste.« »Verstanden, Sergeant. Wir haben die Ultima verloren. Bitte um Hilfe.« Also hatten nicht alle so viel Glück gehabt wie sie. Aber es würde noch viel schlimmer kommen. Vielleicht würde keiner von ihnen diesen Ort jemals verlassen, der ihnen jetzt schon so viele Kamera den genommen hatte. »Verstanden, Hauptmann. Graevus Ende.«
ELF
Erzmagier Khobotov wusste, dass sie sich hier irgendwo versteckt hielt. Die Maschinen flüsterten es ihm zu. Die abtrünnige Techpries terin Sasia Koraloth hatte sich eine schlechte Zuflucht ausgesucht. Hier gab es nur Maschinen, und Maschinen waren für Kobotov wie seine eigenen Kinder. Die Fabrikwelt von Koden Tertius war ihm fast so vertraut wie die 674-XU28. Wenn der Omnissias ihn leitete, erzählten ihm die Maschinen ihre größten Geheimnisse. Sie war hier irgendwo. Sie war verletzt − die Bodengitter hatten ihr Blut geschmeckt. Sie war verzweifelt − die Kühlgeneratoren hör ten ihr Schluchzen. Aber das Wichtigste war: Jedes System in diesem Sektor spürte, dass sie ein Objekt von großer Macht in Händen hielt. Überall in seiner Nähe schlugen die Energiesensoren wie verrückt aus. Das konnte nur eins bedeuten: Sie trug den Seelen-Speer bei sich. Seine Mechandriten lösten sich von den Generatoriumskonsole, und die banale irdische Welt umfing ihn wieder. Khobotov und der Techgardistentrupp, der ihn begleitete, standen am oberen Rand des Generatoriums − einer riesigen Turbine, die hochkant in ein zylindri sches Felsloch eingelassen war. Die Turbine war von einem Schwin del erregenden Netz aus Gängen, Treppen und Kontrollstationen um geben. Techpriester stellten gemeinsam mit ihren Dienern und Servi toren sicher, dass immer die optimale Energiemenge produziert wur de. Jetzt waren sie alle evakuiert worden. Die einzigen Lebewesen hier waren Khobotovs Männer und Sasia Koraloth. Obwohl sie heruntergefahren worden war, strahlte die Turbine noch immer eine gewaltige Energiemenge aus. In Gegenwart von so viel Macht hüpfte Khobotovs eisernes Herz vor Freude.
Captain Skrill überprüfte die Anzeigen seines Auspex und wandte sich an den Erzmagier. »Anzeichen von Biomasse, Sir, aber nur eine geringe Menge. Vielleicht totes Gewebe. Könnte sie das sein?« »Unwahrscheinlich. Techpriesterin Koraloth hat nur sehr wenige Implantate. Ihre Biodaten wären viel höher. Wahrscheinlich werden die Sensoren durch das Artefakt gestört, das sie mit sich trägt.« »Verstanden. Soll ich den Bereich durchkämmen lassen?« »Ja, tun Sie das.« Skrill war ein guter Mann. Einfach strukturiert, mit einem guten Sinn für Logik und ohne jegliches Mitgefühl. Sein Trupp, ein Dut zend Techgardisten, trug schwere rostrote Splitterwesten und auto matische Waffen hohen Kalibers. Bei Säuberungsaktionen gegen rebellische Arbeiter hatte sich Khobotov von der Wirksamkeit dieser auf Masse reagierenden Munition überzeugen können. Sasia Kora loths Gensignatur war in einer Blutlache im Generatoriumssektor entdeckt worden. Khobotov hatte für die Suche nach ihr eigens Skrills Truppe angefordert. Seine unkomplizierte Taktik war genau für diese Aufgabe geeignet − Koraloth würde eine Begegnung mit diesem Trupp nicht überleben, was Erzmagier Khobotov durchaus nicht ungelegen kam. »Vilnin, geben Sie uns Deckung mit der Langbüchse«, befahl Skrill. »Niemand schießt ohne meinen Befehl. Ich will nicht, dass ihr noch mehr Servitoren verschrottet. Schließlich müssen wir sie nach her bezahlen.« Der hagere Vilnin nickte und zog ein langes, schma les Scharfschützengewehr hervor. Dann bezog er Position auf einem Gerüst. »Die anderen mir nach. Sie ist zwar allein, aber in die Ecke ge trieben und verzweifelt. Also bleibt wachsam. Los!« Khobotov schwebte auf seinen Gravitationsdämpfern nur wenige Zentimeter über dem Laufsteg. Er folgte dem Trupp durch die spiral förmigen Gerüste. Die Gardisten suchten immer die ideale Schusspo sition und bewegten sich mit fast mathematischer Präzision vorwärts. Sehr gut, dachte Khobotov. Skrill würde es weit bringen.
Bei der unseligen Auseinandersetzung auf Lakonia hatte er meh rere Sicherheitsdivisionen eingebüßt − die 674-XU28 verfügte immer noch nicht über genügend Personal. Er würde nach Koraloths Fest nahme sofort dafür sorgen, dass Skrill und seine Männer auf das Schiff versetzt wurden. Dann fiel ein Schuss. Es war ein schriller und höchst unlogischer Laut. Keiner von Skrills Männern hatte gefeuert − dieser Schuss war aus einer Laserwaffe gekommen. »Deckung!«, voxte Skrill. Seine Männer ließen sich zu Boden fallen. »Ist jemand getroffen?« Seine Sensoren meldeten immer noch elf Lebenszeichen. Der Schuss war danebengegangen. »Vilnin! Was war das?« »Ich glaube, unter uns wurde eine Laserwaffe abgefeuert.« Auf Skrills Zeichen verteilte sich die Gruppe und kreiste das Ziel gebiet ein. Unter ihnen hing eine dichte Rauchwolke, die von ungesi cherten Induktionsspulen verursacht wurde. Ein gutes Versteck, be merkte Khobotov. Leider auch eine tödliche Falle ohne Ausweg. »Biomasse gefunden, Sir!«, voxte einer der Gardisten. Khobotov fokussierte einen der Soldaten, der neben einem traurigen Lumpen bündel stand. Eine dünne, sehnige Hand ragte daraus hervor. Aha. El’Hirn. Natürlich. Das alte Schreckgespenst gab es also immer noch. Er war einst ein vielversprechender Magier gewesen, dann aber leider auf irgendwelche abstrusen, ketzerischen Lehren hereingefallen. Er hatte den Namen des Omnissias missbraucht und war aus der Priesterschaft ausgestoßen worden. Ohne die Hilfe seiner Mitbrüder hätten seine Implantate nicht so lange funktionieren dür fen. Sein Fleisch sollte längst verwest sein. Khobotov fragte sich, wie El’Hirn so lange überlebt hatte und sich sogar mit Koraloth zusam mentun konnte. Aber das war nicht so wichtig. Den Verbrennungen auf seiner Robe nach zu urteilen hatte Koraloth das Techtelmechtel mit El’Hirn endgültig beendet. Mit seinen ultrasensiblen Sensoren schloss sich Khobotov an das
Notvoxlautsprechersystem an. »Techpriesterin Koraloth«, dröhnte seine Stimme aus einer Reihe von im Generatoriumssektor verteilten Lautsprechern. »Sie sind allein und umzingelt. Geben Sie auf, Kora loth. Geben Sie mir das Artefakt zurück, das Sie gestohlen haben. Dann besteht vielleicht die Chance, dass keine der heiligen Maschi nen hier beschädigt wird.« Ein weiterer Schuss traf den Gardisten, der El’Hirn gefunden hat te. Er fiel auf den Rücken. Die Splitterweste um seinen Oberkörper zischte von der Hitze des Laserstrahls. Salven aus automatischen Waffen wurden von Gerüsten und Laufstegen abgefeuert. Koraloth feuerte erneut. Der Laserstrahl verfehlte einen weiteren Gardisten nur knapp. »Feuerschutz!«, schrie Skrill und schoss über das Geländer in die Tiefe. »Krik, alles in Ordnung?« »Es hat meine Lunge erwischt, Sir«, keuchte der verwundete Techgardist. Khobotov beobachtete, wie ihm ein weiterer Soldat zu Hilfe eilte. Skrills Männer mochten zähe Burschen sein. Trotzdem klebte immer noch zu viel Fleisch an ihnen, als dass er sie wirklich respektiert hätte. Bei einem solchen Treffer hätte er selbst einfach nur einen Pneumofilter ab- und den nächsten einge schaltet. Dieser Mann würde sterben, weil er die Segnungen des Omnissias nicht empfangen hatte. »Ich glaube, ich sehe sie, Sir«, voxte Vilnin. »Etwa vierhundert Meter abwärts gibt es eine Beobachtungsplattform. Auf dem Infra rotsensor tut sich was.« »Sehr gut«, antwortete Skrill. »Verpass ihr eine Kugel.« »Sie ist verdeckt. Ich habe keine Schusslinie, Sir. Außerdem … ist da noch etwas. Sieht wie ein Schrein aus.« »Ein was?« »Sie wissen schon. Heiliger Krimskrams. Ein Altar, ein paar Bü cher. Sie hat sich hinter dem Altar versteckt. Aus meiner Position heraus kann ich sie nicht treffen. Soll ich zur anderen Seite der Tur
bine vorrücken? Das wird aber ein paar Minuten dauern.« »Bleib, wo du bist, Vilnin. Schieß ein paarmal, um ihr Angst zu machen. Wenn sie sich bewegt, leg sie um.« »Jawohl, Sir.« Sehr interessant, dachte Khobotov. Ein Tempel. Anscheinend hat te El’Hirn zumindest ein paar weitere Jünger aufgetrieben und sie von seinem unausgegorenen Glaubenssystem Marke Eigenbau über zeugt. »Sasia Koraloth, Ihre falsche Religion wird Ihnen keinen Schutz bieten. El’Hirn hat Ihnen nur Lügen aufgetischt. Es gibt nur einen Omnissia, und sein Zorn ist gewaltig.« Kobotov schwebte abwärts, wobei er aufpasste, nicht in Koraloths Schussbahn zu gelangen. Er wollte nicht, dass seine Bauteile durch Laserfeuer Schaden nahmen. »Lüge!«, ertönte eine dünne, verängstigte Stimme, die nur die verstärkten Sinne Khobotovs wahrnehmen konnten. »Er hat zu mir gesprochen! Er hat mir die Wahrheit verkündet!« »Warum haben Sie dann Ihren Glaubensbruder getötet?« Jetzt er kannte Khobotov die abtrünnige Techpriesterin. Sie kauerte hinter einem Karbonblock, auf dem ein Kerzenständer und Bücher lagen. Der Block selbst stand auf einer sechseckigen Beobachtungsplatt form. Überall hingen Banner mit darauf gekritzelten Gleichungen. Außer dem gelegentlichen Besuch eines Wartungsservitoren war dieser Bereich verlassen. Ein guter Platz für einen geheimen Altar. Koraloth war bleich und von Müdigkeit und Angst gezeichnet. Ihre Robe war zerschlissen und verschmutzt. Der rote Lauf der Laserpis tole in ihrer Hand glühte noch. »Er konnte die Wahrheit nicht verstehen«, rief sie. »Als es Zeit für ein Opfer wurde, bekam er Angst! Alles, was wir wissen, ist eine Lüge, Khobotov. Der Ingenieur der Zeit hat in meinen Träumen zu mir gesprochen!« Völliger Unsinn, dachte Khobotov. Es war ein Jammer. Auch Sa sia Koraloth hätte die Möglichkeit gehabt, eine brauchbare Tech priesterin zu werden. Auf jeden Fall war ihre Fähigkeit im Nachbau
alter Artefakte bemerkenswert gewesen. Jetzt musste sie sterben. Der Omnissia verachtete jegliche Art von Verschwendung. Aber noch mehr verachtete Er es, wenn Sein heiliger Name missbraucht wurde. Khobotov schwebte an der riesigen Turbine vorbei vom Gerüst herab. Er benutzte seine Gravitationsdämpfer nicht oft. Diese Art zu reisen kam ihm geschmacklos vor. Trotzdem wollte er einen genaue ren Blick auf Koraloth und ihren Tempel werfen, bevor sie von den Techgardisten getötet wurde. Koraloth hob den Arm. Durch die Energierezeptoren in seinen Linsen bemerkte Khobotov sofort, dass sie den Seelen-Speer in der Hand hielt. Das Artefakt hatte beträchtlich an Energie verloren. Jetzt würde er jemand anderen finden müssen, der ihn untersuchte. Viel leicht waren Koraloths Forschungsergebnisse ja zu irgendetwas zu gebrauchen. Die Analyse des Seelen-Speers war eine gefährliche und unberechenbare Aufgabe. Aber bald würde er auch seine Geheimnis se im Namen des Omnissias entschlüsselt haben. Koraloth war kein Verlust. Es ging einzig und allein um den Seelen-Speer. »Sehen Sie!«, schrie sie. »Sie wissen nichts!« Sie rammte den Seelen-Speer mit dem Ende voran in den Karbon altar. Für den Bruchteil einer Sekunde wurden Khobotovs Sinne von der gewaltigen Entladung geblendet. Die Synapsen in seinem Gehirn versuchten verzweifelt, die Flut an Sinneseindrücken zu verarbeiten, die in das Gehirn des Erzmagiers strömte. Selbst Khobotovs verbesserter Körper konnte dieser gewaltigen Energiemenge nur schwer Herr werden. Das Erste, was er hörte, als er wieder zu sich kam, war das Kreischen der auseinanderfallenden Turbine. Sie hatte die kritische Masse erreicht. Aus der Tiefe des Generatoriums stieg eine große Säule aus Licht auf. Ihre grelle, blendende Helligkeit verschluckte alles, sogar die großen Metallstücke, die aus der Turbine geschleudert wurden. Kho botov konnte über Vox die Schmerzensschreie der Techgardisten
über ihm wahrnehmen. Der analytische Teil seines Gehirns sagte ihm, dass sie inzwischen nur noch trockene Hautfetzen waren, die auf der Lichtsäule himmelwärts geschleudert wurden. Auch seine eigene Robe wurde ihm vom Leib gesengt. Trotzdem war er von der riesigen Energieentladung fasziniert. In den letzten Jahrhunderten hatte ihm die kalte Disziplin der Maschinen große Dienste geleistet. Aber selbst die Logik des Omnissias versagte vor solchem Wahn sinn. Sasia Koraloth stand inmitten des Lichts auf der Plattform. Der Seelen-Speer in ihrer Hand wirkte wie ein Blitzstrahl. Sie schrie et was, aber er hörte nur weißes Rauschen. Das Licht verschluckte sie. Unter seiner Oberfläche bewegte sich etwas. Eine menschlich wirkende Gestalt von wahrhaft riesigen Di mensionen. Sie streckte eine Hand mit Nägeln wie Juwelen und einer vollkommenen, blassen Haut aus. Symbole flatterten durch die Luft: Ziffern, Buchstaben, seltsame, mächtige Embleme. Sasia Koraloth sank in das Licht und nahm den Seelen-Speer mit sich. Der Gigant, dessen Gesicht noch immer halb verdeckt war, blickte mit brennenden Augen auf. Die Symbole verdichteten sich. Plötzlich war alles mit magischen Gleichungen erfüllt, die sich in Spiralen um seinen ausgestreckten Arm legten. Unter hellen Energieblitzen öffnete sich die Hand und legte ihre Finger um Kobotov. Seine Servomotoren brannten durch. Er schaffte es gerade noch, ein paar Sensorsignale abzuschalten, dann wurde er zerquetscht. Die Seelentrinker hatten über fünfzig Männer verloren. Ein Viertel der Angriffstrupps hatte die ersten Minuten des Kampfes nicht über lebt: Die Männer waren entweder auf der Ultima umgekommen oder ertrunken. Viele, die ins Wasser gefallen waren, hatten ihre Rüstung ausgezogen. Jetzt mussten sie ohne vollständige Panzerung in die Schlacht ziehen. Es gab nicht genug Rückenmodule, um alle Rüstun gen mit Strom zu versorgen, und selbst ein Seelentrinker konnte sich
in einer abgeschalteten Rüstung nur mühsam bewegen. Zwar hatten ihre übermenschlichen Körper dem giftigen Wasser des Meeres wi derstanden. Das war aber nur ein schwacher Trost. Es war keine be sonders erhebende Vorstellung, Ve’Meth so gut wie nackt gegenü berzutreten. Zumindest waren sie bewaffnet. Nicht einer unter ihnen hatte sei nen Bolter verloren. Die Nacht war kalt und feucht. Der stürmische Ozean wollte kein Ende nehmen. Die endlose Wasserwüste war schlimmer als der Ne bel: Hier spürte ein Mann, wie klein und machtlos er gegen einen ganzen Planeten war, der sein Möglichstes tat, um ihn zu vernichten. Ve’Meth war ihre Ankunft nicht entgangen. Die Schiffe, die sie ver nichtet hatten, hatten vielleicht zu Patrouillen gehört, die die Fes tungsinsel des Dämons umkreisten. Sarpedon spürte die unheilvolle Hitze, die von der schwarzen Flamme ausging. In seinem Kopf hörte er das spöttische Lachen, das Yser beschrieben und das er auch auf Quixian Obscura vernommen hatte. Jetzt war er nicht nur in der Nä he Ve’Meths − die boshafte Kreatur beobachtete ihn, sei es mit Hilfe von Zauberei oder durch die Augen der ungeheuren Fische oder der vorbeiziehenden geflügelten Kreaturen. Der Rest von Lukos Trupp übernahm die Wache am Heck der Höllenklinge. Nachdem die Trümmer der Ultima in den Tiefen ver sunken waren, hatten sie Sergeant Luko und die anderen Überleben den auf die Höllenklinge und die Lakonia verteilt. Luko salutierte vor Sarpedon, der über das schwankende Deck schritt. »Sergeant Luko, Kaplan Iktinos hat mir erzählt, was du auf der Ultima vollbracht hast.« »Ich könnte Euch auch etwas über ihn erzählen. Über alle Marines dort. Sie haben tapfer gekämpft.« »Er sagte mir auch, wie Bruder Zaen gestorben ist.« Luko nickte langsam. »Zaen, ja. Ein ausgesprochen heldenhafter Tod. Er wird in Erinnerung bleiben.« Luko machte gute Miene zum
bösen Spiel. Auch schwere Verluste ließen ihn nicht verzagen. Aber wie jeder Truppführer der Seelentrinker hatte er gute Männer verlo ren. Darüber grübelte er nach. Nur Wenige hätten in diesem Moment in ihm den alten, immer fröhlichen Luko erkannt. »Vorts ist ebenfalls tot. Und alle Ordensdiener. Wie ich höre, hat sich Graevus besser geschlagen.« »Sie haben keinen Feind am Leben gelassen und keine Verluste erlitten.« »So hätte es Daeynathos gefallen.« Luko sah sich um. Sarpedon fiel auf, wie alt er ohne seinen Helm aussah. Viele der Marines hat ten ihre Helme im Meer verloren. Sarpedon war ebenfalls alt − neun zig Jahre. Er dachte einen Moment darüber nach. Siebzig Jahre da von war er ein vollwertiges Mitglied der Seelentrinker gewesen. Die ser Zeitraum erschien ihm wie eine lange, harte Ausbildung, die er hatte hinter sich bringen müssen, um schließlich seine wirkliche Be rufung zu finden. Sein Traum war immer eine ruhmvolle Karriere im Dienste des Imperiums gewesen. Jetzt erkannte er, dass er nur ein Kind gewesen war, das aus seinen Fehlern lernen musste. »Ich habe auch gehört, dass Tellos allein die Hälfte von ihnen er ledigt hat«, sagte Luko. »Das stimmt. Trotzdem werde ich noch etwas warten, bevor ich ihm wieder einen Trupp übergebe. Graevus’ Männer mussten ihn zurück auf die Lakonia zerren.« Sarpedon hatte sich Gedanken über Tellos’ Zukunft gemacht. Für einen Sergeanten fehlte ihm jetzt die nötige Disziplin. Dafür war er doppelt so wild und mutig wie früher. Die Männer der Angriffstrupps verehrten ihn dafür. So traurig es sich anhörte − Sarpedon zweifelte nicht daran, dass sich dieses Problem von selbst lösen würde. Natürlich würde Tellos der Erste sein, der die Küste von Ve’Meths Festungsinsel stürmen würde, um einen Brü ckenkopf für die nachfolgenden Männer freizukämpfen. Das würde er nur schwerlich überleben. Aber es wäre ein guter Tod. Einer der besten. Plötzlich leuchtete eine Alarmrune auf. Durch das Zwielicht späh
te er zum Bug der Lakonia hinüber. Es war Iktinos’ Rune. Wie der Rest seiner Truppe musste auch der Kaplan Wache schieben. »Land in Sicht, Sir. Die Lakonia übernimmt die Führung, wir folgen ihr.« »Verstanden, Kaplan. Folgen der Lakonia.« Jetzt konnte auch Sarpedon den schwarzen Streifen am Horizont erkennen. Er ließ Graevus die Angriffstrupps zusammenstellen. Tellos erle digte dies im selben Moment an Bord der Lakonia. Die schwarze Flamme brannte jetzt umso heller, und das spöttische Gelächter dröhnte in seinem Kopf. Die letzte Schlacht stand bevor. Und so wie er diese Welt kennengelernt hatte, würde keiner von ihnen am Leben bleiben. Die Techpriesterin Sasia Koraluth war tot. In ihrem Körper hauste jetzt der Verstand eines kleinen Kindes. Sie war allein und hatte Angst. Alles um sie herum war mit Licht und Lärm erfüllt. Das Ganze war zu viel für sie. Ihre Haut brannte, und Energieströme betatschten sie wie Tausende von Händen. Als sie die Augen öffnete, hätte sie das grelle Licht fast geblendet. Aber sie musste wissen, wo sie war. Was mit ihr passiert war. Wer dahinters teckte. Das Licht verdichtete sich, und der Ingenieur der Zeit stand vor ihr. Er war Tausende von Metern groß. Seine Haut war weißer Kris tall. Seine Gedanken waren Magie, und die Symbole dieser Magie schwebten in weiten Kreisen um ihn herum − unglaublich mächtige, komplizierte Gleichungen. Er streckte eine Hand von der Größe einer ganzen Stadt aus. Mit unglaublicher Geschicklichkeit entriss er ihr etwas. Das kleine Ding, das das Mädchen in ihrer Faust gehalten hatte. Sasia wollte es sowie so dem Ingenieur geben. Vielleicht war er jetzt glücklich. Er hielt sich das Ding vor das Gesicht und betrachtete es aus Au gen so groß wie Gasgiganten.
»So ein kleines Ding«, sagte eine Stimme in ihrem Kopf, »kann so viel Schaden anrichten. Sehr gut.« Der Seelen-Speer. Das Ding war der Seelen-Speer. Plötzlich wusste sie, dass der Ingenieur hatte, was er brauchte. Er hatte sie schon vergessen. Er wandte sich ab, und die Kräfte, die sie noch zusammenhielten, brachen auseinander. Das Licht explodierte. An seine Stelle traten gewaltige Inseln des Wahnsinns, Ozeane aus Tränen und boshafte Gedanken, die wie Kraken in der Dunkelheit lauerten. Die kleine Sasia wurde von einem Strom von Erfahrungen ge packt, der das Bewusstsein eines jeden menschlichen Wesens über stieg. Einen Augenblick, bevor der Warp ihren Körper auflöste, ver lor sie den Verstand. Techmarine Lygris stand inmitten der verblichenen Pracht der Yacht. Er schaute aus der Beobachtungskuppel. Das große trübe Auge des namenlosen Planeten starrte zurück. Sarpedon und seine Waffenbrü der waren jetzt seit mehreren Tagen dort unten, kämpften, starben. Als die Thunderhawks in die beinfarbigen Wolken eingetaucht war en, brach der Funkverkehr zusammen. Das war nicht anders zu er warten gewesen. Seitdem hörte man über die Komms nur statisches Rauschen. Er wäre gerne mitgekommen. Aber sie wussten nicht, zu was Ve’Meth fähig war. Sarpedon brauchte seinen klaren Verstand auf der Brokenback. Sie waren hierher gekommen, weil sie beweisen wollten, dass der Orden den Willen des Imperators erfüllte. Lygris musste seine Rolle wohl oder übel übernehmen. Er wollte kämpfen. Mit dem Bolter in Händen wollte er sich in die Feuer der Schlacht stürzen. Aber er wurde hier gebraucht. Für den Notfall. Der Boden unter seinen Füßen erbebte. Den Bruchteil einer Se kunde später hörte er Donner durch die Brokenback rollen. Der na menlose Planet schwankte vor seinen Augen hin und her. Auf einem
anderen Schiff des Hulks wurde ein Alarmsystem ausgelöst. Eine Sirene ertönte. Die Brokenback machte einen Satz, und Lygris konn te sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Metall kreischte durch dringend auf Metall. Er schaltete das Vox ein. »Maschinenraum, was ist los?« »Die Sensoren melden eine Warpfluktuation, Sir. Irgendetwas nä hert sich.« »Ich bin in der Beobachtungskuppel im grünen Sektor. Auf den Schirm projizieren.« Der große runde Bildschirm über ihm flackerte auf. Dann zeigte er ein Bild, das Hunderte von Sensorien der Brokenback von einem benachbarten Teil des Weltalls übertrugen. Die kochende blauweiße Masse der Anomalie hob sich deutlich vom dunklen Sternenfeld ab. Sie pulsierte wie ein Herzmuskel und sandte Energieimpulse aus, die den Space Hulk erzittern ließen. Lygris rief einen Schadensbericht auf. Die Brokenback war zäh und hatte alles fast unbeschädigt über standen. Ein anderes Schiff? Unwahrscheinlich. Andererseits befanden sie sich in der Umlaufbahn einer Chaoswelt. Da war alles möglich. »Hier spricht Techmarine Lygris«, verkündete er über die Vox lautsprecher. »Alle Waffenstationen besetzen.« Die meisten Seelentrinker waren auf dem Planeten gelandet. Auf der Brokenback befand sich nur die allernötigste Besatzung aus Ma rines und Ordensdienern. Jeder Mann wurde gebraucht, um die funk tionstüchtigen Torpedos, Makrokanonen und Magnalaser abfeuern zu können. Die Anomalie schlängelte sich wieder in die Dunkelheit des Alls. Das Rütteln hörte auf, und die Sensordaten normalisierten sich. Nur die natürliche Strahlung war etwas höher als üblich. Vielleicht nur eine Unregelmäßigkeit im Immaterium, so nahe an einem Chaosplaneten eigentlich nichts Ungewöhnliches. Oder war es vielleicht doch etwas anderes, etwas, das die Myriaden von Sensoren der Brokenback nicht erfassen konnten? Aller Vernunft nach war so
etwas unmöglich. Aber Sarpedon hatte Lygris das Kommando nicht übergeben, damit er unnötige Risiken einging. Er würde die Alarm bereitschaft noch für mehrere Stunden aufrechterhalten. So lange, bis er sich sicher war, dass keine Gefahr drohte. Der Bildschirm zeigte wieder das blinde Auge des Planeten. Als sie sich den Inseln des Archipels näherten, tauchten die nachtschwarzen Spitzen der Korallenriffe vor dem Horizont auf. Je der Marine spürte die Nähe Ve’Meths. Auf den Wellen lag eine schillernde ölige Schicht. Die Korallen waren mit Rückständen der schmutzigen Gischt verkrustet. Die Luft war von Gift erfüllt und unter der dichten, schmutzigen Wolkendecke herrschte Dämmerlicht. Die Männer im Ausguck sahen schwebende Inseln und gedrungene amphibienartige Dämonen, die Blut von den Korallenzinnen in die sich brechenden Wellen spien. In der Ferne glitzerten die Flossen großer Haie und die gefleckten Leiber von Kraken. Und sie bemerkten andere Schiffe − ein entsetzliches, spinnenarti ges Ding, das auf Holzbeinen über das Wasser glitt; eine aufgeblähte Galeone mit Segeln aus Haut. Dank des Zwielichts und des Nebels konnten sich die Lakonia und die Höllenklinge unbemerkt den Inseln nähern. Trotzdem wunderte sich Sarpedon, wieso sie nicht noch ein mal angegriffen wurden. Vielleicht hatten sie Ve’Meth durch ihre Tapferkeit im Schiffskampf so eingeschüchtert, dass er ihnen jetzt lieber auf festem Boden gegenübertreten wollte. Andererseits be stand die Möglichkeit, dass dieser Ort so chaotisch war, dass die Schiffe der Seelentrinker inmitten des Wahnsinns einfach nicht wei ter auffielen. Überall waren Fliegen. Sie krochen in die Verbindungsteile der Rüstungen, in die Helme, die Abzüge der Bolter. Sie mussten ihre Rüstungsriten doppelt so oft wie gewöhnlich abhalten. Iktinos betete mit den Männern, versprach ihnen Erlösung und gab ihnen Stärke im Angesicht solch alles durchdringender Verdorbenheit. Sarpedon frag te Tyrendian, den anderen Psioniker der Truppe, was er über
Ve’Meth wusste. In Tyrendians Albträumen war er ihm als eine gro ße Schlange erschienen, die sich um einen Planeten schlängelte, ihn zerdrückte und dann mit den Milliarden von Menschen, die darauf lebten, hinunterschluckte. Sie brauchten nicht mehr zu navigieren. Ve’Meths dunkle Flamme wirkte wie ein finsteres Leuchtfeuer. Tyrendian, der sich an Bord der Lakonia befand, führte sie darauf zu. Mit fast völlig ausgeschalteten Triebwerken glitten die Schiffe nahezu lautlos durch den dunklen Archipel. Die vereinzelten schwarzen Korallenriffe verdichteten sich. Sie wirkten wie die Rippen eines großen, toten Tiers. Vor neun Tagen hatten sie ihre Reise angetreten und vor fünf Ta gen die Ultima verloren. Und jetzt war Ve’Meths Festung in Sicht weite. Sie war so groß wie ein Berg. Ihre Oberfläche war mit riesigen Pusteln übersät, die sich wie stumme Münder öffneten und Galle spuckten. Aus großen Spalten im Korallengestein quollen giftige gelbe Rauchwolken. Ganze Schwärme geflügelter Kreaturen um kreisten die hohe Spitze der Festung. Eiterflüsse voll sich windender Kreaturen schlängelten sich den Berg hinab. Über der dicken Schicht von Fliegen donnerten Gewitterstürme. Es schien, als wären die schwarzen Korallenbänke mit einer schrecklichen Krankheit infiziert worden, aus der dann dieser riesige Tumor gewachsen war. Die Seelentrinker konnten Soldatenkolonnen ausmachen − Chaoskrieger, taumelnde Monstrositäten, gebeugt da hinschleichende Sklaven, Dämonen aus krankem Fleisch. Sergeant Dreo, der im Ausguck saß, sah die Festung als Erster. Sofort verständigte er Sarpedon. Wie sollte man so einen Ort angrei fen? Die Festung war nicht nur riesig und gut verteidigt − sie lebte. Selbst das Schlachtfeld würde sich gegen sie stellen. Sarpedon ent schied sich für die einfachste Lösung: Sie würden landen, aus schwärmen und mit aller Geschwindigkeit und Durchschlagskraft, die sie aufbieten konnten, die Festung stürmen und Ve’Meth suchen. Die einfachsten Pläne waren die besten. Ve’Meths Plan war sogar
noch einfacher: Er würde ihnen so lange seine Truppen entgegenwer fen, bis alle Seelentrinker tot waren. Sarpedon voxte in den Maschinenraum der Höllenklinge. »Varuk! Volle Kraft voraus. Wir greifen an.« »Jawohl, Sir!« Unter Sarpedons Füßen brüllten die Triebwerke des Thunderhawk auf. Die Lakonia schoss vorwärts. Sie überholte die Höllenklinge und drehte bei. Die Marines versammelten sich un ter Deck und vollzogen die letzten Riten vor der Schlacht. Nur die Männer im Ausguck versuchten, die Größe des feindlichen Heers erspähen zu können. Die zwei Schiffe würden in einem Abstand voneinander landen, in dem sie sich nicht in die Quere kamen. Jedes Schiff bildete eine ei gene Gruppe, die sich zur Festung durchschlagen sollte. Sarpedon kommandierte die Besatzung der Höllenklinge. Die Lakonia stand eigentlich unter Kapitän Karraidins Befehl − den Angriff aber wür den Tellos und Graevus anführen. Sarpedon überprüfte seinen Bolter. Die wohlvertrauten Handgriffe blendeten alle anderen Gedanken aus. Er konzentrierte sich jetzt nur auf die Schlacht. Diesen Trick beherrschte er schon seit seiner Novi zenzeit. Damals war sein Leben noch ein ganzes Stück einfacher gewesen. Er schaltete die Aegisrüstung ein, die nun schon seit sieb zig Jahren seinen Körper in jedem Kampf schützte. Dann ging er unter Deck, um sicherzugehen, dass alle seine Ka meraden für den Kampf bereit waren. »Noch eine Minute und dreißig Sekunden!«, schrie Graevus, der am Bug stand. Die etwas über hundertsiebzig Seelentrinker im Bauch der Lakonia richteten ein letztes Stoßgebet an Rogal Dorn, auf dass er seinen Blick auf ihnen ruhen lassen und ihre Tapferkeit wohlwol lend betrachten möge. Die Lakonia näherte sich mit hoher Geschwindigkeit dem breiten Strand aus schwarzer Koralle, über dem der Festungsberg aufragte. Die Verschanzungen, auf die sie trafen, waren grob aus Korallen, zugespitzten Knochen und aufgehäuften Steinen zusammengezim
mert. Trotzdem würden sie gegen Angreifer ohne schwere Waffen oder Artillerie ihre Wirkung nicht verfehlen. Aber das war noch lange nicht das Schlimmste: Fünftausend Feinde warteten am Ufer auf die Lakonia. In der ersten Reihe stan den kranke, blasse und in Ketten gelegte Sklaven. Tiermenschen mit Hellebarden trieben sie ins Wasser. Graevus konnte schon jetzt die Schreie der betäubten Sklaven und das Brüllen der Tiermenschen hören. »Noch dreißig Sekunden«, brüllte Graevus über Vox. Er hörte das beruhigende Geräusch, mit dem einhundertsiebzig Bolter entsichert wurden. Der Kiel der Lakonia erreichte den Grund. Der Strand kam immer näher. Graevus beobachtete, dass die Sklaven eine Verteidigungslinie gebildet hatten. Sie waren an Eisenkrägen zusammengekettet und trugen einfache Knüppel. Ihre Münder standen offen und ihre Augen waren glasig und ausdruckslos. Hinter ihnen standen die Tiermen schen und trieben sie gnadenlos in die Fluten. Eine kranke, feige Taktik − aber sie würde funktionieren. Bis sich die Seelentrinker durch das Kanonenfutter gekämpft hatten, konnte sich der Gegner neu formieren und über die Marines herfallen. Es gab nur eine Lösung: Sie würden alle töten müssen. »Noch zehn Sekunden!« Die Lakonia lief knirschend auf die Korallenbänke auf. Sie waren einen Pistolenschuss vom Strand entfernt. Aus dieser Distanz schien die Reihe der Sklaven endlos. Graevus betrachtete den sabbernden Haufen. Sie waren entweder einer Gehirnwäsche unterzogen worden oder als Idioten und Nahrungsvorrat gezüchtet worden. »Los!«, schrie Graevus und zog die Energieaxt. Zwei Donner schläge ertönten, als die in der Seite des Schiffes platzierten Spreng ladungen detonierten und einen großen Teil des Schiffsbauchs he raussprengten. Holz splitterte, Kriegsschreie ertönten. Die Seelen trinker stürmten aus dem Schiff. Graevus sprang vom Vorschiff, zog seine Boltpistole und feuerte.
Die Sklaven waren wie eine Wand aus jammerndem Fleisch, die ihn umhüllte, sobald er das Wasser erreichte. Mit glasigen Augen schlugen sie schnatternd auf die heranstürmenden Seelentrinker ein. Graevus jagte ein volles Boltpistolenmagazin in den nächstbesten. Dieser taumelte, kämpfte aber weiter. Die Sklaven mussten bis zum Rand mit Frenzon oder einer anderen Kampfdroge vollgepumpt sein. »Vorwärts!«, schrie Karraidin über Vox. Die Seelentrinker preschten vor. Pistolenschüsse und Kettenklin gen fuhren in die Leiber der Sklaven. Ihr Blut bildete rosa Schaum auf dem Wasser. Aus Karraidins Sturmbolter schoss ein Energiefeld, das sich wie ein Flächenblitz unter den drängenden Leibern ausbrei tete. Graevus hielt sich nicht damit auf, nachzuladen − mit seiner ver änderten Hand schwang er die Energieaxt in hohem Bogen in die Reihen der Feinde und durchschnitt Bäuche und Gliedmaßen. Die Angriffstrupps waren an seiner Seite. Sie versuchten, sich einen Kor ridor durch die Reihen der Sklaven zu kämpfen, damit die Marines an den Strand gelangen konnten. Ein Knüppelhieb prallte von Grae vus’ Schulterplatte ab. Eine schwere Klinge schnitt in die Verbin dungsstücke seiner Knieplatte. Ungeachtet dessen drang er tiefer in die Reihen der Feinde ein. Seine Kameraden um ihn herum folgten ihm. Berge von Toten lagen auf den Korallen zu seinen Füßen. Das Wasser war dick von Blut. »Mir nach!«, voxte er auf dem Truppkanal und hielt die blinkende Energieaxt hoch, sodass alle sie sehen konnten. »Zusammenbleiben und weiter!« Er warf einen Blick in die Runde und sah Karraidins riesige Gestalt hinter sich − eine wandelnde Festung, die Sturmbol tergeschosse in die bellende Hundemeute jagte, die die Seelentrinker plötzlich von allen Seiten umzingelt hatte. Halb verweste Hunde sprangen durch die Wellen. Karraidin mähte einen nach dem anderen nieder, bevor er sich ihren Herrchen zuwandte. Es war ein guter Plan. Sie wurden durch hirnloses Kanonenfutter aufgehalten, während die schnellen Kampfhunde sie umzingelten.
Gegen einen normalen Gegner hätte dieser Plan sogar aufgehen kön nen. Tellos. Wo war Tellos? Graevos durchsuchte die Voxkanäle. Schlachtenlärm mischte sich mit den disziplinierten Funksprüchen der Space Marines. Zwei Mari nes aus Hastis’ Trupp waren zu Boden gegangen. Eine sich drän gelnde Horde von Sklaven versuchte, ihre Rüstungen mit Korallen stücken aufzubrechen. Karviks Trupp und Karraidin saßen in schul tertiefem, blutigem Wasser zwischen den Sklaven und der Hunde meute fest. Die meisten Seelentrinker warteten hinter Graevus dar auf, Bolter oder Kettenschwert auf die Sklavenmassen loszulassen. Der Angriff auf breiter Front hatte Vorrang. Karvik und Hastis muss ten sich aus eigener Kraft befreien oder sterben. Graevus konnte Tellos nirgendwo sehen und hatte auch keine Zeit, ihn zu suchen. Er blockte den Hieb eines übergroßen Knüppels ab und rammte den Stiel seiner Energieaxt in seinen Angreifer. Mit der Stärke seines veränderten Arms durchbohrte der Stiel die Brust des Sklaven. Er stürmte nach vorn und hatte endlich festen Boden unter den Füßen. Die Reihe der Sklaven um ihn herum löste sich auf. Tellos. Sergeant Graevus war schon in tausend Schlachten auf hundert Planeten gewesen, aber so etwas hatte er noch nie gesehen. Tellos hatte sich kopfüber in die Sklavenmeute gestürzt und sich durch die Masse der Leiber hindurchgeschlängelt. Die Taktik des Feindes be achtete er nicht weiter: Er war entschlossen, einen würdigeren Ge gner als die Sklaven zu bekämpfen. Allein am Strand angekommen, war er sofort von Tiermenschen umzingelt worden. Für jeden norma len Soldaten hätte das einen schnellen, grausamen Tod bedeutet. Nicht für Tellos. Als Graevus ihn erreichte, stand er bereits auf einem Berg seiner erschlagenen Feinde. Heulende Tiermenschen stachen mit Speeren auf ihn ein, deren Spitzen vor Gift troffen. Er kämpfte gegen mindes tens zwanzig Gegner gleichzeitig. Seine Klingen waren zu schnell
für das Auge. Er schlug die Speere beiseite und schnitt tief in mutier tes Tiermenschenfleisch. Wo er getroffen worden war, zog sich seine Haut über der Wunde zusammen, noch bevor sie bluten konnte. Sarpedon hatte seine Spinnenbeine, Givrillian seine vielen Augen, Graevus seine Hand, und eine Vielzahl ihrer Kameraden waren eben falls vom Imperator mit dieser oder jener Gabe gesegnet worden. Damit bekräftigte er seine Rolle als Schicksalsarchitekt. Sein Ge schenk an Tellos war, dass er ihn in eine Kampfmaschine verwandelt hatte und ihm blitzschnelle Reflexe, eine Haut, die sich um jede Ver letzung sofort wieder schloss, und einen unerschöpflichen Kampfeswillen geschenkt hatte. Mit seiner Axt beteiligte sich Graevus an Tellos’ Seite an dem Gemetzel. Die grotesken Pferdegesichter der Tiermenschen verzogen sich in Schmerz und Hass. Paarhufige Beine und klauenartige Hände schlugen wild um sich. Die Tiermenschen konnten dem Angriff der Seelentrinker nicht standhalten und wollten flüchten. Sie wurden einfach überrannt. Die Heftigkeit ihres Angriffs schenkte Graevus ein paar Sekun den, in denen er sich nach Sarpedon und der Höllenklinge umsah. Sie war noch immer ein gutes Stück vom Ufer entfernt. Im Augenblick hatten nur die Marines der Lakonia den Strand erreicht. Endlich hatten sie etwas Platz gewonnen, konnten anhalten und durchzählen. Karraidin war etwas zurückgefallen und kämpfte ver zweifelt darum, den Brückenkopf zu erreichen. Die meisten der See lentrinker waren am Strand angekommen. Ihre Verluste hielten sich in Grenzen. Gar nicht schlecht für den Anfang, dachte Graevus. Doch dann sah er, wie aus dem finsteren Schatten der gewaltigen Festung weitere Chaostruppen zur Verstärkung anrückten. »In Feuerstellung«, voxte er und rannte zu einer verlassenen Ver schanzung aus Felsgestein. »Alle zu mir, sofort!« Sie hatten zwar keine Zeit zu verlieren, aber es wäre unklug gewesen, Hals über Kopf in eine feindliche Gegenoffensive zu rennen. Gegen die Heer scharen, die aus der Festung strömten, würden sie sich von einem
Deckungspunkt zum nächsten vorarbeiten müssen. Sie mussten eine Verschanzung nach der anderen einnehmen und sichern. So lange, bis sie die Festung erreicht hatten, keine Feinde mehr übrig oder sie selbst alle tot waren. Das war kein Problem. Dafür waren sie ausgebildet, modifiziert und trainiert worden. Dafür waren sie geboren. Diejenigen, die noch nicht am Ufer waren, bekamen Feuerschutz. Bolter und Boltpistolen mähten die Reihen der fliehenden Tiermen schen nieder. Graevus sah weitere ziegenköpfige Tiermenschen und in schwarze Rüstungen gekleidete Krieger die Festung herunterstür men. Die Marines feuerten nur einzelne, gezielte Schüsse auf sie. Bald waren sie in Reichweite. Dann würde das Töten aufs Neue be ginnen. Graevus rammte ein frisches Magazin in seinen Bolter. Er hatte noch nie viel von Visionen und Omen gehalten, sondern glaubte stattdessen an die Instinkte, die man im Laufe eines langen Krieger lebens entwickelte. Doch selbst er spürte die pure Bosheit, die die Festung hoch über ihm ausstrahlte. Wie man hörte, nahm Ve’Meth bei jedem, dem er im Traum erschien, eine andere Form an. Graevus hatte die Vorstellung eines übermäßig großen parasitischen Insekts. Es saß auf einem Thron, hatte einen borstigen schwarzen Körper und große Facettenaugen. Seine Mandibeln troffen von Blut. Er verscheuchte dieses Bild. Sie waren hier, um dieses Ding zu tö ten, und er war stolz darauf, dabei sein zu dürfen. Der Gestank war überwältigend. Ein dunkler, moosiger Geruch nach Verwesung und Tod wehte zur gestrandeten Höllenklinge herüber. Das Ufer war hundert Meter entfernt und von giftigem Nebel ver hüllt. Sarpedon konnte kaum die wuselnde Masse halb menschlicher Gestalten erkennen, die sich begierig auf die Seelentrinker stürzte. Beim Versuch, das Hindernis zu überfahren, schlingerte das Schiff. Die Triebwerke kreischten. Hinter dem Heck schäumten Wasserfontänen auf. Sarpedon voxte in den Maschinenraum. »Wieso
fahren wir nicht weiter, Techmarine?« »Wir haben einen Felsen gerammt, Sir«, kam die keuchende Ant wort. »Die Höllenklinge hat ein Leck. Alle Mann an Deck!« Die Seelentrinker kletterten aus den geöffneten Luken. Die Höl lenklinge bekam Schlagseite. Sarpedon schaute unter Deck und sah, wie Wasser schäumend um eine große Steinspitze, die sich in die Hülle gebohrt hatte, in das Schiff drang. Varuk kämpfte sich durch das hüfthohe, schnell steigende Wasser. Sarpedon packte die Hand des Techmarine und zog ihn an Deck. Hier konnten sie nicht bleiben. Früher oder später würden die Ver teidiger einen Weg finden, sie zu erreichen − entweder mit eigenen Schiffen, einem der Seeungeheuer, die sie unterwegs gesichtet hatten oder mit fliegenden Kreaturen. Es gab nur einen Ausweg. »Seelentrinker! Alle Mann über Bord!«, voxte er. »Bleibt zusam men und in Bewegung!« Dann sprang er von der Höllenklinge. Das Meer war an dieser Stelle etwa zwei Meter tief. Ein normaler Mensch wäre ertrunken, aber ein Space Marine konnte immer noch bequem den Kopf über Wasser halten. Dank seiner vielen Beine konnte sich Sarpedon auf dem ungleichmäßigen Korallenboden gut fortbewegen, doch viele Marines um ihn herum stürzten in die Flu ten. Ihre Kameraden mussten ihnen aufhelfen. Als die letzten Mari nes im Wasser waren, rollte die Höllenklinge auf die Seite. Das Wasser war ekelhaft warm. Unerschütterlich schritt Sarpedon auf das Ufer zu. Korallen brö ckelten unter seinen Füßen. Givrillian, Dreo, Corvan, Karvik, Luko − ein Dutzend Sergeanten mit ihren Trupps, zusätzlich noch die Über lebenden der Ultima, dazu Techmarine Varnuk und Kaplan Iktinos bemühten sich, das Ufer zu erreichen. Der Nebel verzog sich und gewährte einen grauenvollen Anblick. Am Strand warteten Kreaturen mit blasser, zerrissener Haut, dunk lem, klumpenartigem Fleisch und gebeugten Schultern. Ihre Augen leuchteten gelb. Dämonen. Der fleischgewordene Wille Ve’Meths. Die Verkörpe
rung der Chaosmächte. Man konnte sie hinter einem Schleier aus Fliegen kaum erkennen. Sie sprangen am Strand umher oder lauerten hinter Felsen. Konnte er hier Die Hölle einsetzen? Angeblich verspürten Dämo nen keine Furcht. Andererseits waren sie Sarpedon noch nicht be gegnet. »Hauptmann, hier ist irgendetwas«, ertönte die heisere Stimme von Sergeant Karliv. Karliv war nicht im Sternenfort gewesen, hatte sich aber beim Bruderkrieg als loyal erwiesen. »Was meinst du, Karliv?« »Im Wasser bewegt sich etwas.« »Töte es und dann weiter.« Sarpedon schaute sich um und sah, wie in der Mitte der vorrü ckenden Space Marines das Wasser aufgewühlt wurde. Schreiend verschwand einer der Männer unter der Wasseroberfläche. »Es hat Trass!« Skarviks Trupp hielt die Boltpistolen über Wasser und feuerte Ge schosse in das Ding, das bereits einen von ihnen verschlungen hatte. Tentakel schlugen wild um sich. Etwas Weißes, Gesprenkeltes rollte sich in den Fluten herum. Dann blitzte Metall, und eine Rauchwolke stieg zischend auf. Das Biest bewegte sich nicht mehr. Sarpedon sah die leuchtenden Krallen von Sergeant Lukos Energieklauen. »Hab’s erwischt«, voxte er mit ruhiger Stimme. Er klang immer noch verbittert, was eigentlich gar nicht seiner Natur entsprach. Aber wie allen seinen Kameraden war auch ihm bewusst, dass sie kaum eine Chance hatten, hier zu überleben, geschweige denn den Sieg davonzutragen. Aber sie hatten keine Wahl. Ve’Meth war der Er zfeind des Schicksalsarchitekten. Wenn es auch nur die geringste Chance gab, ihn zu töten, mussten sie sie wahrnehmen. Koste es, was es wolle. Sie waren jetzt nahe genug am Ufer, um von den Spähern der Feinde entdeckt zu werden, die ihren Dämonenbrüdern Befehle zu
riefen. In weiter Entfernung war Gewehrfeuer zu sehen. Karraidin und Graevus stürmten ihren Abschnitt des Strandes. Sarpedon hörte auf Vox für ein, zwei Sekunden mit: Bolterfeuer, Befehle, Schmer zensschreie und Wutgebrüll. Aber Sarpedon musste sich um seinen eigenen Bereich kümmern. Am Strand zerplatzte ein Dämonenkopf in einer Fontäne aus dunkel grünem Blut. Dreo war also in Schussreichweite. Mit Gebrüll stürmte das Dämonenheer in die Fluten. Um sie he rum verfärbte sich das Wasser mit ihrem grünschwarzen Dreck. Sie schwangen scharfe Eisenstangen wie Schwerter. Das war kein blut dürstiger, wilder Haufen. Irgendjemand erteilte ihnen Befehle. »Ziel suchen und Feuerschutz geben!«, voxte Sarpedon an die tak tischen Trupps hinter ihm und lief ins seichtere Wasser. »Alle Ang riffstrupps zu mir!« Er war jetzt nahe genug. Faulende Eingeweide hingen den Dämo nen zwischen den Rippen hervor. Die einäugigen Kreaturen starrten ihn bösartig an. Aus ihren offenen Mündern ragten verrottete Zahn stümpfe. Sie waren in eine stinkende Wolke gehüllt. Sarpedon rannte los, bildete die Speerspitze des Angriffs und feuerte in die näher kommenden Körper. Bald hatte er die richtige Entfernung erreicht. Boltergeschosse zischten an ihm vorbei und schlugen faulige Klum pen aus den schwankenden Gestalten. Er hörte Ve’Meths Gelächter. Er saß in seiner Korallenfestung und beobachtete sie. Bald würde ihm das Lachen vergehen. Die Seuchendämonen krachten im flachen Wasser mit den Space Marines zusammen. Kettenschwerter trafen funkensprühend auf grässliche Zweihänder. Mit seinem Energiestab parierte Sarpedon eine heftige Abwärtsattacke. Sein Gegenschlag zerschnitt das Ge sicht des Dämons. So verrottet und deformiert sie auch waren, sie besaßen eine unheimliche Schnelligkeit. Ihre schlaffen Muskeln bar gen eine ungeahnte Stärke. Aus dem zerstörten Gesicht drang ein Heulen, und die Klinge hieb nach Sarpedons Hüfte. Sie prallte gegen die Ceramitbrustplatte, und Sarpedon verlor mit zwei seiner Beine
den Halt. Der Hieb hatte die Deckung des Dämons weit geöffnet, und Sarpedon schlug zu. Er verhakte die Spitze des Stabs mit dem Kopf des Gegners und zerrte ihn zur Mündung des Bolters in seiner ande ren Hand. Ein halbes Magazin, aus nächster Nähe abgefeuert, zer fetzte seinen Oberkörper. Ihre Verachtung allen Schmerzen gegenüber war unglaublich. Ihre verseuchten Körper konnten Wunden einstecken, die jeden normalen Menschen umgebracht hätten. Man musste sie regelrecht zerstückeln, um sie zu töten. Auch recht, dachte Sarpedon. Er wich einer weiteren Klinge aus und stieß mit den Vorderbeinen zu. Seine Krallen durchbohrten den Dämon und rissen ihn sauber entzwei. Sergeant Karviks Angriffstrupp war jetzt bei ihm. Karviks Energieschwert zischte an Sarpedons Schulter vorbei und trennte dem nächsten Dämon beide Arme ab. Sarpedon nickte ihm dankbar zu. Karvik warf ihm einen bestätigenden Blick zu und wandte sich wieder um. Er musste seine Männer in die Schlacht führen. Es war ein unübersichtlicher, brutaler Kampf. Die Seuchendämonen stürzten aus Fliegenschwärmen hervor, nur um von Kettenschwertern in die vor Schmutz starrende Brandung geschmettert zu werden. Trotzdem waren sie stark und weit in der Überzahl. Dreos Trupp hatte bereits vier Männer eingebüßt. Die Attacke hatte an Schwung verloren, und immer weitere Dämonen strömten an die Küste. Sie würden den Brückenkopf nicht halten können. Die Seelentrin ker würden im seichten Wasser umzingelt werden. Es war Zeit für Die Hölle. Was fürchteten Dämonen? Nichts? Nein, selbst sie hatten irgend wo eine Seele, wenn dieser Gedanke auch jedem normal denkenden Menschen Furcht einjagte. Wie alle anderen Kreaturen hatten auch sie Wünsche, Abneigungen und Besessenheiten. Und sie fürchteten sich vor etwas. Aber wovor? Dann wusste er es: vor Sarpedon selbst und seinen Marines. Sie waren die größten Krieger, die die Menschheit je geschaffen hatte,
stolze Soldaten im Namen des Imperators. Selbst das degenerierteste Hirn hatte Angst vor ihnen. So würde Die Hölle aussehen. Glühend heiß spürte Sarpedon den Aegiskreislauf auf seiner Haut. Er ließ die psionische Energie aus seinem Inneren strömen. Noch nie zuvor war sie so mächtig gewesen. Jeden Tag hatte er gespürt, wie seine Kraft zu immer neuen Höhen wuchs. Und jetzt entfesselte er sie. Die Flammen Der Hölle schlugen um ihn empor. Die Augen seiner Kameraden glühten vor gerechtem Hass. Ihre Schwerter waren zu Blitzen geworden, und ihre Gewehre spuckten riesige Feuersäulen. Auf einmal waren sie fünf Meter groß, dann fünfundzwanzig, fünfzig. Die Wolken am Himmel zogen sich ängstlich vor ihnen zurück, die Wellen wagten sich nicht mehr an sie heran. Sarpedon ließ seine ungeheure Kraft auf seine Kameraden überströmen. Die Kelche auf ihren Schulterplatten glänzten von Ver räterblut, die Masken ihrer Helme waren grimmig und bedrohlich. Die Haut derjenigen, die ohne Rüstung kämpfen mussten, leuchtete vor Stärke, als ob sie Kugeln und Klingen genauso gut wie Ceramit standhalten könnte. Sarpedon stieg aus dem Wasser. Sein Stab strahlte immense Ener gie ab. Er war ein Held unter den Menschen. Wenn das korrupte Im perium zusammengefallen und die Feinde des Imperators in der gan zen Galaxis ausgemerzt waren, würde man immer noch seinen Na men verehren. Er war Rogal Dorn, der die verräterischen Horden des Horus auf den Zinnen Terras bekämpfte. Er war groß und mächtig, ein Halbgott der Rache, der auf die Seuchendämonen niederfuhr. Das Schlachten hörte auf. Langsam sickerte die Majestät der ge gnerischen Krieger in das träge Bewusstsein der Dämonen. Sie lie ßen für einen Moment die Schwerter sinken. Diesen Moment nutzten die Seelentrinker, um wie ein Mann anzugreifen. Sarpedon war an der Spitze. Sein Stab schlitzte sich durch missgestaltete Körper. Die Reihen des Dämonenpacks waren gebrochen. Voll Angst rannten sie in alle Richtungen, wurden von den Angriffsmarines niedergemäht und vom Bolterfeuer der taktischen Truppen massakriert.
Einige sammelten sich um ihren Anführer. Er war der reinste Alb traum − ein Gigant aus blanken, glänzenden Muskeln. Sein Gesicht bestand aus scharfen Mandibeln und schimmernden Insektenaugen. In einer der keulenförmigen Hände steckte ein riesiger Metallklotz, den er als Schwert benutzte. Er war von bellenden Dämonen umge ben. Wenn dieses Ungeheuer fiel, war es um die Dämonen geschehen. Sarpedon rannte so schnell er konnte auf den Strand zu. Er über holte die Angriffsmarines, die die fliehenden Dämonen verfolgten. Sein Augenmerk galt nur diesem Champion des Chaos, der es wagte, ihm entgegenzutreten. Beim Anblick des feindlichen Hauptmanns dankte Gelentius Vorp Großvater Nurgle für die große Gelegenheit, die er ihm geschickt hatte. O heilige Verwesung, seine Hand würde vom Blut der Reinen triefen. Sein Körper würde von Ve’Meth mit den Segnungen der Seuche belohnt werden! Sein Gegner war groß und trug eine gewaltige purpurfarbene Rüs tung mit goldenen und beinfarbenen Umrandungen. Auf einer Schul terplatte glänzte das Symbol eines Kelchs. Ein Space Marine − die starrsinnigsten und dümmsten unter jenen, die Nurgles majestätische Verdorbenheit nicht anerkennen wollten. Ve’Meth würde erfreut sein, wenn er ihm seinen Kopf präsentierte. Aber etwas stimmte mit ihm nicht − er hatte acht Beine. Sie sahen aus wie die eines Insekts oder einer Spinne und wuchsen aus seiner Hüfte. Damit konnte er viel schneller rennen als seine ihm nachhetzenden Kameraden. Der Space Marine trug einen langen Stab, aber keinen Helm. Sein Kopf war kahl geschoren, die Augen brannten vor Wut. Durch irgendeinen Zaubertrick hatte er die Dämonen in die Flucht geschlagen. Vorp stand über solchen Dingen. Ve’Meth beschützte seinen Geist gegen alles Hexenwerk. Er rannte auf ihn zu, und sein trauriger Haufen von Seuchendä monen folgte ihm. Beim Gedanken an das Töten lief ihnen der Spei
chel aus dem Maul. Vorp hieb auf den Space Marine ein. Sein Feind war schnell. Er ließ das pendelnde Schwert von seiner Schulterplatte abprallen und durchbohrte einem der Seuchendämonen mit seinem Stab den Kopf. Mit einer Drehung des Stabs durchtrennte er ihm die deformierte Wirbelsäule. Ein würdiger Gegner. Vorp musste sich später bei Ve’Meth und Großvater bedanken, dass er eine solche Gelegenheit bekommen hatte, sich vor dem Gott des Siechtums zu beweisen. Vorp machte einen Schritt nach vorne und rammte eine keulen förmige Faust in die Brust seines Gegners. Mit eingedelltem Brust panzer stolperte der Space Marine zurück. Dann tauchte plötzlich der Stab zwischen den Beinen Vorps auf und warf ihn hinterrücks auf den scharfen, schwarzen Sand. Der Marine erkannte die fehlende Deckung Vorps und rammte den Stab mit einem heftigen Schlag in seine Schulter. Um ein Haar hätte er ihm den Schädel gespalten. Welche Arroganz! Welche Frechheit! Vorp rappelte sich auf und schlug zu. Sein Schwert bohrte sich durch die Schulterplatte in den Arm des Marines, der zurücktaumel te. Vorps nächsten Hieb fing er mit seinem Stab auf. Vorp griff nach unten und packte eines der seltsamen Spinnenbeine. Er zog und dreh te daran, bis es mit schnalzenden Sehnen abriss. Der Space Marine brüllte vor Wut. Hellrotes Blut schoss aus dem Stumpf seines Beins auf den Sand. Vorp hatte ihn verwundet. Jetzt würde er ihn töten. Vom Stumpf seines abgerissenen linken Mittelbeins aus durchfuhr Sarpedon weißglühender Schmerz. Das Bein selbst hielt das hautlose Ungeheuer in Händen. Siegesgewissheit glitzerte in seinen zahllosen Insektenaugen. Obwohl er mitten auf dem Schlachtfeld stand, blen dete der unerträgliche Schmerz die Geräusche von Gewehrfeuer und heulenden Dämonen aus. Aber die Schmerzen würden vorbeigehen. Sarpedon hatte schon Schlimmeres mitgemacht. Außerdem hatte er verdammt noch mal
noch sieben Beine übrig. Der Chaoschampion schoss vorwärts. Zweifellos glaubte er, dass er aus seinem Vorteil einen Sieg machen konnte. Sarpedon duckte sich zur Seite weg und wich den gewaltigen Hieben mit dem rostigen Schwert aus. Sarpedon bevorzugte eigentlich die linke Seite, konnte sich jedoch keinen Fehler leisten − sein Gegner besaß übermenschli che Kräfte und war genauso schmerzunempfindlich wie sein dämoni sches Gefolge. Auf Kopfhöhe zischte das Schwert auf ihn zu. Als er sich duckte, prallte ein gewaltiges, fleischiges Knie gegen seine Kehle. Mit einer Klaue stieß er nach oben und setzte mit dem Stab nach. Als der Champion zurückwich, rammte er einen Handballen gegen sein Bein. Irgendwo tief in den schleimigen Muskeln knackte ein Knochen. Seinem Gegner schien das nichts auszumachen. Er wirbelte auf der Ferse herum und traf mit dem stumpfen Ende des Schwerts Sarpe dons Genick. Der Champion war schnell und stark, aber nicht besonders raffi niert. Seine Kampfkunst beschränkte sich auf rohe Gewalt und Wut. Sarpedon konnte ihn nicht überlisten. Jeder Trick, jede Finte war dazu verurteilt, erbarmungslos von der schier unerschöpflichen Kraft seines Gegners niedergeprügelt zu werden. Sarpedons einzige Chan ce war es, stärker als der Champion zu sein. Es war kein schöner Kampf. Der Champion schwang sein Schwert in hohem Bogen, um Sarpedon zu köpfen. Dieser fing den Hieb mit der Schulterplatte auf und setzte mit dem Stab zum Gegenschlag an. Sein Gegner konnte den Angriff abblocken, aber Sarpedon hämmerte weiter auf die Deckung des Champions ein, sodass dieser zurückwei chen musste. Der Champion rammte den stachligen Ellbogen seines freien Arms in Sarpedons Gesicht und versuchte, seine knorrigen Finger um seine Kehle zu schließen. Sarpedon dagegen legte alle Kraft in seinen Angriff. Er wich nicht zurück oder legte eine Atem pause ein. Irgendwann würde er schon treffen. Der vor psionischer Energie knisternde Stab schnellte auf den
Champion zu. Dieser konnte ihn in hohem Bogen abwehren. Der Kopf des Stabs wühlte sich tief in den Sand zu ihren Füßen. Beide Kontrahenten hatten jetzt ihre Deckung verloren. Sarpedon war um den Bruchteil einer Sekunde schneller. Seine über Jahre in Training und Kampf geschulten Reflexe übertrafen die Instinkte des Chaosanbeters. Sarpedon stellte sich auf die Hinterbei ne, dann stach er mit einer Kralle zu. Sie durchbohrte dem Gegner das Handgelenk seines Schwertarms. Sein zangenbewehrtes Maul öffnete sich heulend. Sarpedon ließ den Stab fallen, packte den Kopf des Monsters und drückte die behandschuhten Finger in seine Au genhöhlen. Mit seiner freien Hand zog er den Bolter und rammte ihn dem Monster unter die Kehle. Er drückte den Abzug. Der Hinterkopf des Champions verwandelte sich in eine Korona aus stinkendem, widerlichem Blut. Noch war er nicht tot. Aber fast. Der Champion warf sich auf die Seite. Stückchen von Schädel knochen und Hautfetzen flogen umher. Sarpedon stürzte auf ihn zu, warf ihn um und landete rittlings auf ihm. Dann leerte er das restliche Boltermagazin in seinen Brustkorb. Teile von Organen spritzten he rum. Als das Magazin leer war, schlug Sarpedon den Brustkorb sau ber entzwei und griff in die breiige Masse darunter. Er zerrte ledrige Lungen und das stinkende, immer noch schlagende Herz hervor. Die se Kreatur war zäher als alles, was er bisher getötet hatte. Der Cham pion schlug weiter wild brüllend um sich. Selbst als sich sein unrei nes Blut auf den Sand ergoss, hörte er nicht auf, das Schwert zu schwingen. Sarpedon packte den lädierten Kopf der Missgeburt mit beiden Händen und riss ihn von den Schultern. Mit zuckenden Mandibeln und wild blitzenden Augen landete er im Sand. Endlich war es vorbei. Sarpedon hob seinen Stab und das Gewehr auf und sah sich nach seiner Truppe um. Die Dämonen waren auf der Flucht. Die Seelentrinker erstürmten die Aufgänge zur Bergfestung. Dort würde die hügelige Landschaft genug Schutz für einen Aufstieg
zum Allerheiligsten Ve’Meths bieten. Er stand auf und ignorierte dabei die Schmerzen im Stumpf seines abgetrennten Beins. Mit der Vorhut rannte er durch die Reste der dämonischen Verschanzungen und feuerte auf die fliehenden Chaos truppen, um die immer noch Die Hölle brannte. Gelentius Vorp lag noch lange auf dem schwarzen Korallensand. Die Parasiten, die ihn bewohnten, wollten seine zerrissenen Organe nicht wieder zusammenflicken. Vielleicht konnte er ohne Kopf überleben. Vielleicht auch ohne die Organe in seinem Bauch. Aber nicht ohne beides. Würde Großvater ihm helfen? Der allmächtige Nurgle stattete sei ne Jünger mit zähen Körpern aus, die jeder Verletzung widerstanden − aber als er mit seinen übrig gebliebenen Augen zum Himmel blick te, kam Vorp der Gedanke, dass sogar Ve’Meth, der mächtigste Die ner Nurgles, ihn jetzt nicht mehr retten konnte. Der Space Marine würde dafür bezahlen, soviel war sicher. Wenn ihn die Festung nicht umbrachte, dann Ve’Meth. Dabei hätte Vorp so gerne das reine, unschuldige Blut des Marines auf den Händen ge spürt und sein Herz herausgerissen. Zerstückelt lag Gelentius Vorp auf dem Strand von Ve’Meths In sel. Dann starb er endlich.
ZWÖLF
Todesschreie hallten die gallebedeckten Abhänge hinauf und drangen an Ve’Meths Ohren. Das Kreischen, Jammern, Wutgebrüll und Ge wehrfeuer wurde von dem köstlichen Geräusch übertönt, mit dem lebende Wesen in den Tod gingen. Ve’Meths Freude über das Gemetzel wurde nur dadurch getrübt, dass es zumeist seine eigenen Truppen waren, die starben. Aber auch Space Marines waren gefallen − sehr zur Zufriedenheit Ve’Meths. Trotzdem hatten sie seine Dämonen zerrissen und ihre Seelen wieder in den Warp gebannt. Heerscharen von Sklaven und Tiermenschen waren dahin. Gelentius Vorp, Champion des Nurgle, war getötet worden − Ve’Meth hatte nicht damit gerechnet, dass ein Sterblicher so etwas vollbringen konnte. Ve’Meth raunte seinen Untergebenen durch den lebenden Stein Befehle zu. Alle rannten, krochen oder schlitterten zu ihrer Stellung innerhalb der organischen Gänge der Festung. Sie waren bereit, die Eindringlinge im Namen der Verderbnis zu empfangen und zu be kämpfen. Und sollten die Imperialen Schwächlinge sogar bis zu der großen Eiterbeule vordringen, in der Ve’Meth hauste − seine Leib garde würde kurzen Prozess mit ihnen machen. Und wenn nicht? Dann müsste Ve’Meth die Dinge persönlich in die Hand nehmen. Einer seiner Wirtskörper verließ die Reihen und ging in den hinte ren Teil des Raums. Dort befand sich Ve’Meths Schrein. Opfergaben von jedem Kult, der ihm diente, und jeder Welt, die er beherrschte, waren an die feuchte Korallenwand gestapelt. Grobe Götzenbilder, die einen Insektengott darstellten, Totems mit Schrumpfköpfen und Menschenknochen und hundert weitere Bildnisse. Ve’Meth wischte
sie beiseite. Eine hölzerne Kiste kam zum Vorschein. Sie war mit Runen bedeckt, die die Unwürdigen fernhalten sollten. Der Wirts körper öffnete die Kiste, griff hinein und zog Argoutha hervor. Gern dachte Ve’Meth an die Zeit zurück, als er selbst noch einen materiellen Körper gehabt hatte. Vor vielen Jahrhunderten hatte er eine Pilgerfahrt durch das Auge des Schreckens unternommen. Der Dämon Argoutha war äußerst wütend geworden, als er die Zeichen des Plagengottes auf Ve’Meths eiterndem Körper bemerkte. Er for derte ihn heraus und sandte ihm tausend seiner Ausgeburten entge gen. Aber Ve’Meth, der aufstrebende Champion, kämpfte mit ihnen, schlug sie in die Flucht und trug den Sieg davon. Dann stand er Ar goutha selbst gegenüber. Wieder zeigte Ve’Meth keine Furcht und überwand auch ihn. Er rang ihn nieder und sprach den Gesang der Bindung über ihn aus. Seitdem war der Dämon sein Sklave. Ve’Meth hatte ihn in seine bevorzugte Waffe gesperrt. Jahrhunderte der Gefangenschaft hatten Argouthas Zorn ins Unermessliche wachsen lassen. Sein Lauf war abgenutzt und ver kratzt, das Metall seiner Hülle bestand aus zähneknirschenden und schreienden Fratzen. Im Magazin darunter warteten tausend weitere Ausgeburten darauf, freigelassen zu werden. Sollten die Space Marines es wagen, seine Schwelle zu übertreten, würde Argoutha nach langer Zeit wieder die Stimme erheben. »Sanitäter!« Graevus beobachtete Apothecarius Pallas, der geduckt durch den Kugelhagel zu einem Marine aus Hastis Trupp rannte. Vergebens versuchte er, die Lunge, die aus einer tiefen Brustwunde quoll, wieder hineinzustopfen. Der Marine wusste bereits, dass er sterben würde. Er wollte nur sichergehen, dass Pallas seine Gensaat mit in das Apothecarium des Ordens nahm. Mutiger Kerl, dachte Graevus. Wie alle hier. Graevus’ Sturmtrupp hatte den Strand überquert und die Befesti gungen aus schwarzem Stein von Mutanten und Kultisten gesäubert. Karraidin und Hastis mit seinem Trupp waren dort zu ihnen gesto
ßen. Auch sie zogen eine Blutspur hinter sich her. Jetzt waren die Seelentrinker am Fuß der Festung angekommen. Aus dem von Höh len durchzogenen Berg wurden sie von Hunderten versteckter Scharfschützen und Geschützstellungen aufs Korn genommen. Ihre Gegner waren mit armseligen Waffen ausgestattet und konnten nicht zielen. Aber allein ihre gewaltige Anzahl reichte aus, um die Seelen trinker in ernstliche Gefahr zu bringen. »Auf dein Kommando, Graevus«, sagte Karraidin. Seine gewalti ge Gestalt schwang sich über die steinerne Wand der Festung, in der sich Graevus verschanzt hatte. Durch den Pulverdampf konnte Graevus weitere Seelentrinker er kennen, die auf sie zukamen. »Einen Moment. Wir greifen erst an, wenn wir uns gesammelt haben.« Karraidin riskierte einen genaueren Blick auf die Geschützstellun gen über ihnen. Seine edlen Gesichtszüge standen in scharfem Kont rast zu dem mit Leichen übersäten Schlachtfeld. »Die ganze Festung wimmelt nur so von ihnen. Es müssen Tausende sein.« »Es wird Euch gefallen, Captain. Nahkampf, wenig Bewegungs freiheit. Wie bei einem Entermanöver.« Karraidin lächelte grimmig. Unter den Seelentrinkern hatte er sich den Ruf erworben, ein Spezialist für solche Aktionen zu sein. Genau dafür war auch seine Terminatorrüstung entworfen. Vor ihnen lag ein hitziges, unübersichtliches Gemetzel. »Ich kann es kaum abwarten«, sagte Karraidin in vollem Ernst. Eine weitere purpurfarbene Rüstung ließ sich neben sie fallen. Ku geln schlugen hinter ihr in den Sand. Es war Sergeant Karvik, das Kettenschwert in den Händen. »Mein Trupp ist auf Position, Sir«, keuchte er. Karviks Trupp hatte lange im flachen Wasser festgesessen und musste sich durch die Reihen der Tiermenschen bis hierher vorge kämpft haben. »Gute Arbeit, Sergeant. Captain, wir sind vollzählig. Greifen wir an.« »Seelentrinker, mir nach!«, rief Karraidin über Vox und sprang
über die Steinmauer. Feuernd verließen die Marines ihre Deckung und rannten los. Manche von ihnen fielen, konnten sich aber wieder aufrappeln. Andere wurden von ihren Kameraden mitgeschleift oder blieben bewegungslos liegen. Vor sich erspähte Karraidin einen Eingang − eine grobe Höhle, aus der ein Rinnsal aus ekelhaft braunem, eitrigem Sekret floss. Graevus konnte im Schatten der Höhle die gebeugten Gestalten eini ger in Lumpen gehüllter Chaossoldaten erkennen. Sie waren dabei, eine Autokanone vor den Eingang zu schieben. Nach einer Salve aus Karraidins Sturmbolter gingen sie in Deckung. Gerade, als sie das Gegenfeuer eröffnen wollten, fielen die von Sergeant Tellos ange führten Sturmtrupps über sie her. Drei der Marines fielen der Auto kanone zum Opfer, bevor deren Besatzung in Stücke gehackt wurde. Die Seelentrinker betraten die Festung. Graevus’ Augen passten sich sofort der Dunkelheit an. Jetzt sah er, dass diese Höhlen nicht aus Stein gehauen waren. Sie waren ge wachsen. Der Tunnel, der in das Herz der Festung führte, war gerippt und gerunzelt. Wie die inneren Organe eines Kadavers oder eines schlafenden Ungeheuers, das jeden Moment aufwachen konnte. Und das Gehirn dieses Ungeheuers war Ve’Meth selbst. Die Sturmtrupps rannten etwa fünfzig Meter in die Dunkelheit und feuerten auf alles, was sich bewegte. »Was sollen wir tun?«, voxte Karraidin. Sergeant Graevus hatte durch jahrzehntelange Erfahrung einen sehr ausgeprägten Kampfinstinkt. Unter normalen Umständen hätte er sorgfältig abgewogen, welcher Weg und welche Taktik sie am schnellsten zu ihrem Ziel führen würde. Aber dies war ein besonde rer Umstand, und Graevus wusste genau, in welcher Richtung das Unheil lag, das diesen Planeten zerstört hatte. »Ich glaube, wir soll ten nach oben gehen«, sagte er. Die Hölle folgte ihnen. Sarpedon konnte sie nicht mehr aufhalten, selbst wenn er gewollt hätte. Die Krieger erschienen ihren Feinden
als zehn Meter hohe Todesengel, deren Gewehrfeuer wie Donnerhall und deren Schwerter wie Blitze waren. Sie hatten ein Dutzend Män ner an die schweren Waffen verloren, die den Strand unter Beschuss genommen hatten. Weitere zehn waren den tropfenden, tentakelbe wehrten Untieren zum Opfer gefallen, die sich von der Decke der Höhle auf sie herunterstürzten. Aber das konnte sie nicht aufhalten. Es war ein typischer Seelen trinkerangriff. Schnell, tödlich und ohne Bedenken stürzten sie sich auf alles, was sich bewegte. Entstellte Sklaven flohen vor ihnen. Krieger in schwarzer Rüstung wurden zerstückelt oder in Fetzen ge schossen. Sarpedon führte sie durch Tunnel und Kammern voll ver wesendem Fleisch. Sie passierten tiefe, mit Leichen gefüllte Spalten und überquerten Brücken aus Menschenknochen. Alles wimmelte vor Leben. In manchen Tunneln standen sie knie tief in Insekten, andere beherbergten Kolonien skelettartiger fliegen der Kreaturen, die an Fledermäuse erinnerten. Die meisten der Höh lenbewohner flohen bei der Ankunft der Seelentrinker, als könnten sie die Aura des gerechten Todes spüren, der sie erwartete. Manche waren von Ve’Meths Fanatismus so geblendet, dass sie sich vertei digten. Dann wurden schwabbelige augenlose Ungeheuer und ver kümmerte Menschen vom Bolterfeuer in Stücke gerissen. Dreo und Givrillian erledigten mindestens hundert von ihnen mit gezielten Schüssen. Die Sturmtrupps der Vorhut konnten noch einmal die dop pelte Anzahl zur Strecke bringen. Angeführt von einem krallen schwingenden Sarpedon durchquerten sie riesige unterirdischen Seen aus Galle, aus denen faltige Haut wie Inseln hervorragte. Sie sahen hohe Kathedralen mit Säulen aus geronnenem Blut. Ve’Meth wusste von ihrer Ankunft. Die Festung erwachte zum Leben. Die Wände erbebten und tropften, und je höher sie stiegen, desto besser war die Gegenwehr organisiert. Sklavenarbeiter ver stopften Tunnelöffnungen mit Leichenbergen. In anderen Höhlen standen pikenbewehrte Krieger dicht an dicht. Missgestaltete Tier menschen feuerten an Kreuzungen mit schweren Waffen. Die See
lentrinker eroberten die Geschützstellungen und setzten sie ihrerseits ein, um die vor ihnen liegenden Tunnel unter Beschuss zu nehmen. Es war nicht mehr weit. Sarpedon konnte es spüren. Die vulkanar tige Kuppel aus kochendem Eiter musste direkt über ihnen liegen. Schwarzes Gelächter hallte durch seinen Kopf. Die Verantwortung lag so schwer auf ihm wie der Gestank der Festung. Sie waren kurz vor dem Ziel. Und trotzdem fürchtete Sarpedon, dass sie selbst jetzt noch versagen konnten. Er musste diese Zweifel abschütteln. Heute befehligte er die wich tigste Mission in der Geschichte seines Ordens. Sie würden Ve’Meth töten oder bei dem Versuch sterben − auf keinen Fall würden sie sich geschlagen geben und zur Brokenback zurückkehren. Sarpedon bog um eine Ecke. Vor ihm lag die Bibliothek. Die Höhle war so groß wie die Kathedrale von Dorn auf der Herrlichkeit. Ihre Wände bestanden aus blutendem, von Adern durchzogenem Fleisch. Gewaltige Bücherregale waren zu windschiefen Türmen gestapelt. Sarpedons verbesserte Sehfähigkeit und sein rascher Ver stand registrierten auf einen Blick Millionen von Büchern. Ihre Sei ten waren aus Haut, ihre Einbände aus Dämonenfell. Daneben lagen runenbedeckte Tafeln und Schriftrollen, die einst die Rückentätowie rungen von Kultisten gewesen waren. Die Bücher sprachen zu ihm, flüsterten in ihren tausend Zungen, plapperten ihre Geheimnisse aus. Es war das komplette Verzeichnis der Widerwärtigkeiten, die je im Namen Ve’Meths gepredigt worden waren. Eine riesige Halle der Blasphemie, ein Zeugnis seiner weitreichenden Herrschaft. Ein Bolterschuss ertönte. Irgendetwas stimmte nicht. Es klang nach einem Munitionstyp, der schon seit tausend Jahren nicht mehr von den Space Marines benutzt wurde. »Verräter!«, rief er warnend und konnte sich gerade noch rech tzeitig in Deckung bringen. Eine Salve Boltergeschosse zischte durch die Bibliothek. Fleckige Bücher und Marines wurden gleichermaßen in Stücke gerissen. In Sarpedons Retinadisplay erlöschten mehr als zwanzig Vitalzeichen. Hinter ihm spritzten große Stücke von Fleisch
aus der Wand. Chaos Marines. Die Verräterlegionen. Vor zehntausend Jahren hatten sie dem Imperator den Rücken gekehrt und die Menschheit verraten. Damals wandelte der Imperator noch unter den Menschen, und Rogal Dorns Imperial Fists waren noch nicht in die verschiede nen Orden zerfallen. Ein weiteres Omen − der Schicksalsarchitekt hatte sie nicht nur an diesen Ort gebracht, um Ve’Meth zu töten. Er wollte ihnen ein Beispiel für diejenigen geben, die ihren Glauben verleugnen und falschen Götzen nachlaufen. Er wollte ihnen zeigen, was aus denen wird, die dem Feind die Herrschaft über ihre Herzen einräumen und die Seinen heiligen Willen vergessen. Sie hatten sich hinter den hohen Regalen und Bücherstapeln am anderen Ende des Raums verschanzt. Sarpedon konnte nur die Mün dungsfeuer sehen. Sie waren diszipliniert und präzise. Ein Space Ma rine konnte seine Loyalität und Würde verlieren − trotzdem blieb er immer noch ein erstklassiger Soldat. »Angriff!«, schrie Kaplan Iktinos. Sergeant Karviks Sturmtrupp rannte los. Sie wollten unter dem Feuerschutz ihrer Kameraden die verräterischen Marines überrennen. Die Verräter beachteten die Kugeln nicht, die um sie herum in die vergilbten Bücher und morschen Regale einschlugen. Karviks Trupp wurde in Fetzen geschossen, große Stücke des Fleischbodens spritz ten auf. Die Überlebenden konnten sich gerade noch in Deckung bringen. Ihr Sergeant blieb auf der Strecke. Einer von ihnen nahm Karviks Energieschwert an sich. Er hatte diese Waffe zwanzig Jahre lang getragen. Es wäre sein letzter Wunsch gewesen, dass das Schwert seine Arbeit unter einem anderen Bruder fortsetzten konnte. »Wenn wir hier sterben müssen, dann soll es so sein«, voxte Ikti nos an Sarpedon. »Aber wenn es eine Möglichkeit gibt …« »Wir müssen sie von der Flanke her angreifen«, antwortete Sar pedon. Er dachte scharf nach. »Givrillian?« »Unmöglich, Hauptmann«, sagte Sergeant Givrillian und kletterte durch die Trümmer an Sarpedons Seite. »Sie haben eine erhöhte
Schussposition und ausgezeichnete Deckung. Wir sitzen auf dem Präsentierteller.« Givrillian hatte recht. Die Seelentrinker mussten mehrere schwan kende Bücherregale überwinden, jedes mindestens zehn Meter hoch. Sie konnten entweder durch sie hindurchlaufen − in diesem Fall würden Tonnen vergammelter Bücher auf ihre Schädel stürzen. Oder sie konnten sie erklettern. Dann würden sie perfekte Ziele abgeben. In jedem Fall hatten die Verräter freie Schussbahn und konnten sich sofort zurückziehen, wenn sie ihnen zu nahe kamen. Aber noch war nicht alles verloren. Es gab immer Hoffnung. Auch wenn sich die Hoffnung auf einen ehrenvollen Tod im Kampf gegen den Erzfeind erschöpfte. »Iktinos?« »Hauptmann?« »Ich glaube, wir werden hier sterben. Bete für uns, dann führe den Angriff an.« Graevus ging durch einen Tunnel, der mit Blut gefüllt war, das ihm fast bis über den Kopf reichte. Knochen zersplitterten unter seinen Stiefeln. Kleine, scharfe Dinge zischten an ihm vorbei. Tellos und die Sturmtrupps bildeten die Vorhut. Graevus und Kar raidin folgten ihnen. Sie hatten sofort erkannt, dass die Festung ein lebender Organismus war. Sie waren durch die schlammigen Einge weide gewatet, hatten die giftigen Dämpfe seiner matschigen Lungen ertragen und kämpften jetzt gegen den Blutstrom in seinen Venen. Sie spürten Herzschlag und Atem der Festung. Graevus hörte das Summen des fetten Insektengottes, der auf ihrer Spitze saß und auf das süße Blut eines Space Marine wartete. »Vor uns liegt eine Öffnung!«, voxte Sergeant Hastis. Sein Trupp führte die Gruppe. »Nehmen wir!«, antwortete Graevus. Selbst eine Space-MarineRüstung konnte das ätzende, verpestete Blut der Festung nicht lange unbeschadet aushalten. Vor ihm halfen sich die Seelentrinker gegenseitig aus dem reißen
den Blutstrom. Jemand streckte Graevus eine Hand entgegen − einer der Kameraden, der einen Teil seiner Rüstung verloren hatte. Er zog Graevus auf eine schmale Steinbank, die in einen nach oben geboge nen Schacht führte. Dann übertönte Sturmbolterfeuer das Rauschen des Blutstroms. »Hab was im Schlepptau«, voxte Karraidin. Weitere Schüsse ertönten. »Karraidin? Habt Ihr geschossen?« »Negativ, Graevus. Hab’s bereits erledigt.« Bolterfeuer. Bolterfeuer, ohne Zweifel − aber nicht von ihnen. Vielleicht von Sarpedons Truppe … Der erste Hinweis auf die Chaos Marines war ein abgetrennter Kopf. Er fiel aus dem Schacht und landete neben Graevus, der gerade Sergeant Tellos − wie immer konnte er sich keinen Kampf entgehen lassen − in den Schacht folgen wollte. Der Kopf hatte die Form eines Space-Marine-Helms, war aber völlig von Haut überzogen. Wo die Photoblockerlinsen hätten sein sollen, waren feuchte, trübe Augen. Tellos hatte den Ersten erledigt, Graevus übernahm den Nächsten. Irgendwann war die Kreatur vor ihm einmal ein Marine gewesen. Jetzt bedeckte rosa Haut, die aus Schrammen und Rissen blutete, seine Rüstung. Auch Organe waren zu sehen, nekrotische Darmschlingen und pulsierende, tropfende Öffnungen. Statt des Filtergrills ragten scharfe, fleckige Zähne aus der Mundöffnung. Der Bolter be saß statt einer Mündung ein fleischiges Maul, das die veraltete Muni tion durch den Raum spuckte. Auf die Haut einer Schulterplatte war ein Symbol aus drei Kreisen tätowiert. Graevos kannte es von Fahr zeugen übergelaufener Armeen. Auch Chaoskultisten ritzten es in die Haut ihrer Opfer. Die hohen Bücherstapel und großen Haufen von Papier nahm Graevus nur am Rande wahr. Er nahm auch kaum Notiz vom Bolter feuer über ihm, wo Sarpedon einen Angriff auf die Verräter versuch te. Seine ganze Konzentration lag auf dem Chaos Marine vor ihm. Er hieb die Klinge seiner Energieaxt in die Taille des Feindes. Tief
drang sie in den Oberkörper aus totem Fleisch ein. Der Chaos Marine wollte den Bolter auf den Angreifer richten. Seit der Veränderung besaß Graevus’ Hand eine ungeheure Ge schwindigkeit. Sein Gegenschlag zerteilte das Rückgrat des Chaos Marine. Die Axt wirbelte erneut und spaltete ihn vom Schlüsselbein bis zur Brustmitte. Tellos war bereits inmitten der Feuerstellung der Chaos Marines und tötete alles um ihn herum. Sein Sturmtrupp folgte ihm und hin terließ eine Spur toter Körper. Überall Bolterfeuer und Verwirrung. Die Chaos Marines waren auf dem Rückzug. Sie wollten sich an anderer Position neu formie ren, aber die Seelentrinker waren nicht gewillt, auf ihren Gegenang riff zu warten. Graevus sah sich auf dem Schlachtfeld um. Sein nächster Gegner musste eine Art Anführer sein. Er schwang ein Schwert mit knir schenden Sägezähnen. Graevus zog die Axt aus einem zuckenden Körper und stürzte sich ins Getümmel. »Wir haben sie festgenagelt, Hauptmann! Nutzt die Gelegenheit!« Es war Karraidins Stimme, aber für Sarpedon klang sie wie die von Rogal Dorn persönlich. »Ihr habt den Captain gehört«, schrie Sarpedon. »Los!« Nur wenige panische Schüsse schlugen ihnen entgegen. Von oben hörte man, wie Klingen Energierüstungen durchbohrten. Sarpedon und seine Männer durchquerten die fötusförmige Halle der Biblio thek. Der Ausgang am anderen Ende klaffte wie eine offene Wunde. Sarpedon sprang über die Bücherhaufen und in den gerippten Tunnel, der nach oben führte. Der Rachen der Festung. Trotz seines verlorenen Beins war er um keinen Deut langsamer. Das Gelächter war inzwischen so laut, dass er kaum mehr einen kla ren Gedanken fassen konnte. Die Schutzkreise der Aegiskappe glüh ten auf seiner Haut. Ihr Abwehrmechanismus gegen psionische
Energie lief auf Hochtouren. »Sind wir da?«, sagte Givrillian an seiner Seite. Es war eigentlich keine richtige Frage. »Bleibt hinter mir«, voxte Sarpedon. »Schnell, aber diszipliniert. Keiner rennt.« Das hätte er nicht zu sagen brauchen. Aber sie freuten sich, es zu hören. Diese Worte hatten sie schon als Novizen vernommen. Es erinnerte sie daran, dass ihnen ihr Training und die Werte, die sie ihr ganzes Leben lang hochgehalten hatten, auch hier gute Dienste leis ten würden. Die wussten nicht, wie sie Ve’Meth töten sollten. Sie waren sich nicht einmal sicher, was er überhaupt war. Jeder der wenigen unter ihnen, die auf dem Schlachtfeld einem Dämonenprinzen begegnet waren, erzählte eine unterschiedliche Version. Das Chaos veränderte sich stets und zeigte sich nie zweimal in derselben Form. Ve’Meth konnte in jeder Gestalt erscheinen − es gab nur wenig, mit dem Bolter und Kettenschwert nicht fertig wurden. Der Rachen war steil, aber keiner von ihnen stolperte. Die Mus kelwände zogen sich zusammen und wollten sie von den Beinen ho len. Sie klammerten sich mit den Fingern in das gummiartige Fleisch und marschierten weiter. Am Ende des Rachens blockierte ein zusammengezogener Klum pen aus Fleisch ihr Fortkommen. Die Kettenschwerter bahnten sich einen Weg. Sarpedon half ihnen mit seinen Klauen, den Stab in der Hand. Er war bereit, alles zu töten, was auf der anderen Seite warte te. Im Bruchteil einer Sekunde hatten sich seine Augen an die Dun kelheit gewöhnt. In der ganzen Festung war es stockdunkel gewesen, aber diese Finsternis war etwas anderes, ein unergründlicher, schwarzer Abgrund. Als hätte die gewaltige Macht des Bösen an diesem Ort das Licht einfach verschluckt. Langsam entstand ein Bild vor seinen Augen. Er sah zum ersten Mal Ve’Meths wahre Gestalt.
Ve’Meth bestand aus einer Vielzahl von Körpern. Sarpedon schätzte ihre Zahl auf sieben- bis neunhundert. Sie standen steif und in geordneter Formation vor ihnen. Männer und Frauen, gekleidet in feinen Zwirn, Mechanikeroveralls, einfache Lumpen oder Tarnanzü ge. Manche von ihnen hatten die gedrungene, muskulöse Form, die ein Leben in Hochschwerkraft mit sich bringt. Daneben dünne, feing liedrige Menschen aus den Raumkolonien. Alle trugen ernste Mienen zur Schau. Alle starrten ihn an. In ihrer Mitte bewegte sich etwas. Einer von ihnen trug eine Waf fe − sie war alt, von Runen überzogen und glühte vor Energie. Ein Gewehr. Die erste Kugel durchlöcherte Bruder Nikkos’ Brust. Und traf ihn wieder und wieder, peitschte kreisförmig durch die Luft, um die Rüs tung des Marine jedes Mal aufs Neue zu durchbohren. Nikkos wurde regelrecht zerfetzt. Rüstungsteile fielen klappernd zu Boden, und schließlich rutschte sein verstümmelter Körper auf den blank polier ten schwarzen Korallenstein. Ein weiterer Schuss ertönte. Die erste Reihe von Ve’Meths Kör pern wurde vom Gegenfeuer der Marines gefällt. Ein Marine nach dem anderen wurde ein Dutzend Mal getroffen, bevor er starb. Alle Münder öffneten sich. Achthundert Stimmen lachten. Die Marines stürmten in die Halle und starben. Sergeant Dreo duckte sich unter einer der dämonischen Kugeln hindurch. Sie bohrte sich in ein Mitglied seines Trupps. Kaplan Iktinos trat zwischen zwei sterbende Marines hindurch und fällte drei Körper mit seinem Cro zius Arcanum. Die Wucht seines Energiefelds schleuderte sie durch den Raum. Beide Parteien erlitten Verluste, aber die der Seelentrin ker waren größer. Die Luft war vom abscheulichen Zischen der Dä monengeschosse erfüllt. Ein gut gezielter Schuss durchbohrte den Körper, der die Waffe trug. Aber schon war der nächste zur Stelle und feuerte weiter. Im mer und immer wieder ertönte das uralte Gewehr, und jedes Mal starb einer der Kameraden. Und sobald der Schütze fiel, sprang ein
anderer für ihn ein. »Disziplin! Wir müssen sie alle töten!«, schrie Sarpedon. Er blick te zur Seite und sah Givrillian. Der vieläugige Sergeant Givrillian, sein vertrauenswürdigster und vernünftigster Soldat, pumpte eine Salve Bolterkugeln in Ve’Meths Körper, während er selbst von ei nem kleinen glühenden Ungeheuer durchbohrt wurde. Das Gelächter der Stimmen Ve’Meths übertönte Schreie und Bol terfeuer und hallte umso stärker in Sarpedons Kopf wider. Er sah sich um. Sergeant Dreo versuchte verzweifelt, eine Feuerlinie aufzu stellen. Die Hälfte seines Trupps war bereits gefallen. Sie mussten alle Körper auf einmal töten. Ve’Meths Stärke lag nicht in seiner Armee oder seiner dämonischen Waffe, sondern darin, dass er aus Hunderten von Wirtskörpern bestand. Sarpedon zweifelte nicht, dass er auch nur mit einem einzigen überleben konnte. Wahr scheinlich konnte er sogar einen seiner Kameraden übernehmen und würde es mit Freuden tun. Aber es gab eine Möglichkeit. Er war oft genug Zeuge gewesen, wenn auch die Situation eine völlig andere war. Wenn nur genug von seinen Kameraden am Leben blieben und diszipliniert blieben. Jeden konnte es von einem Augenblick auf den nächsten erwischen. »Sergeant Dreo«, rief Sarpedon. »Exekutionsformation!« »Exekutionskommando, in Formation!«, brüllte Dreo. Die überle benden Seelentrinker kannten diese Prozedur sehr gut. Oft wurden Verräter des Imperiums lebend gefangen genommen, oder Kamera den begingen ein Vergehen, für das der Tod die einzige Strafe sein konnte. Nach dem Bruderkrieg hatte es viele Hinrichtungen gegeben. Die ungläubigen Kameraden waren in der Kathedrale Dorns mittels heftigem Bolterbeschuss exekutiert worden. Die Seelentrinker starben zu Dutzenden. Noch während sich die Feuerlinie bildete, wies sie schon Lücken auf. Aber Sergeant Dreo, der Meisterschütze, überstürzte nichts. Er hatte das Exekutionskom mando viele Male befehligt und wusste, dass zu einer sauberen Hin richtung gebündelte Feuerkraft benötigt wurde. Viele starben in den
Sekunden, die er noch abwartete. Aber es mussten alle gemeinsam feuern, sonst waren sie verloren. Die Bolter waren in Position. Der erste Mann kniete, der zweite stand hinter ihm. »Feuer!«, schrie Dreo, und die erste Reihe schoss. Hunderte von Ve’Meths Körpern fielen von der Explosivmunition zerfetzt gleichzeitig zu Boden. Die erste Reihe leerte ihre Magazine in die Wirtskörper. Auch derjenige, der die Waffe hielt, wurde ge troffen. Sein Nebenmann bückte sich danach und wurde ebenfalls in Stücke gerissen. Die erste Reihe wechselte die Magazine, und ohne Pause begann die zweite zu feuern. Ein beständiger Kugelhagel erfüllte den Raum. Als die erste Reihe das Feuer wieder aufnahm, bohrten sich ihre Ku geln nur mehr in tote Körper. Der schwarze Korallenboden war mit schmutzigem Blut bedeckt. »Feuer einstellen!«, brüllte Sergeant Dreo. »Gut gemacht.« Es war erschreckend ruhig. Sarpedon ließ seinen Bolter sinken und starrte durch den Pulverdampf auf das, was von Ve’Meth übrig geblieben war: ein Raum voll Leichen, Blutspritzer an den Wänden, Gliedmaßen, Berge von toten Körpern. Dann ertönte ein Schrei, erst leise, dann immer lauter und lauter. Eine körnige Pestwolke löste sich aus den Körpern. Sie wurde lang sam dunkler und verdichtete sich. In ihren Tiefen bewegte sich etwas − große Formen, schmutzverkrustete, von Dämonen heimgesuchte Welten, die langsam davonschwebten und in der Dunkelheit ver schwanden, schneller und immer schneller. Der Schrei war so laut, dass Sarpedon nichts mehr anderes hören konnte. Er wusste, was er da sah. Das Reich Ve’Meths, das er im Namen seines Gottes errichten wollte, und das Sarpedon zerstört hat te, bevor es überhaupt geboren werden konnte. Der Dämonenprinz konnte außerhalb seiner Wirtskörper nicht überleben. Der Tod mach te ihm nichts aus, doch seine Herrschaftsträume begraben zu müssen war ihm unerträglich.
Das Grauen. Die Qualen. Ve’Meths schlimmste Befürchtungen waren eingetroffen. Er legte all seinen Abscheu und seine Wut über ein Universum ohne seine seuchenbringende Schreckensherrschaft in einen Zornesschrei, der den Raum erfüllte. Der Schrei wurde schwä cher und das Bild verblasste. Ve’Meths Lebenskraft war erschöpft. Die dunkle Pestilenz verschwand. Dann herrschte Stille. Sarpedons Aegiskappe kühlte sich ab. Die Bürde, die ihm Ve’Meth auferlegt hatte, war von ihm genommen. Der Schleier der Hässlichkeit wurde von dieser Welt genommen. Die Dunkelheit war nicht mehr ganz so dunkel, der Gestank erträglich und das Böse zog sich zurück. »Mission erfüllt, meine Brüder«, sagte Sarpedon. »Zählt die Toten und sammelt euch.« Der Seuchenmarine löste sich vor Graevus’ Augen auf. Sein Schrei wurde durch Ceramit und Muskelmasse gedämpft. Greavus war der festen Überzeugung gewesen, dass sie sich in der Bibliothek bis auf den letzten Mann bekämpfen würden. Der Sturmtrupp war durch die Stellungen des Feindes gebrochen, aber die Chaos Marines hatten sich als außergewöhnlich widerstandsfähig entpuppt und den Seelen trinkern schwere Verluste beigebracht. Graevus hatte sich schon mit diesem Tod abgefunden. Aber dann stießen die sonst stummen Seu chenmarines fürchterliche Schmerzensschreie aus und krümmten sich schockiert zusammen. Die Seelentrinker hatten nicht innegehalten, um sich über ihr plötzliches Glück zu wundern. Sein Instinkt sagte Graevus, dass Sar pedon auf der Spitze der Festung etwas Unglaubliches vollbracht hatte. Dann konzentrierte er sich wieder darauf, mit seiner Axt auf die Feinde vor ihm einzuschlagen. Die Seuchenmarines waren tot oder lagen im Sterben. Taumelnd waren sie entweder vom Angriffstrupp zerstückelt oder von Bolter feuer durchlöchert worden. Manche waren von den Bücherregalen in den Tod gestürzt. Jene, die nicht durch die Hände der Seelentrinker
gefallen waren, starben trotzdem. Die Marines sahen zu, wie sich ihre Körper auflösten. Ein Seuchenmarine kniete vor ihm − seine Beine waren bis zum Knie abgetrennt worden. Schichten von Haut und Metall lösten sich ab, bis nur noch ein missgebildetes, verkrümmtes und wurmstichiges Skelett übrig blieb, das klappernd zu Boden fiel. Schwere Metallim plantate rollten davon. Graevus wandte sich von dem stinkenden Unrat ab. Plötzlich be merkte er, dass das Summen in seinem Kopf verschwunden war. Der Insektengott war tot. Aus dem Orbit war zu sehen, wie sich die Wolken des Planeten auf lösten. Die großen Fliegenschwärme und die Abgasschwaden ver schwanden. Plötzlich zeigten die Sensorien der Brokenback einen Planeten an, der zum Großteil aus einem Ozean bestand, aus dem kleine felsige Inseln ragten. Zum ersten Mal sah die Besatzung die hohen Korallenspitzen und die blutgetränkten Strände des Archipels. Selbst die verrottenden Schiffe Ve’Meths waren zu erkennen. Füh rerlos sanken sie in die Tiefen der rauen See. Der Kontakt zu Hauptmann Sarpedon war wiederhergestellt. Auf seinen Befehl hin schickte Lygris eine Staffel Thunderhawks los, die an der blutigen Küste im Schatten der Festung landen sollten. Der Auspex zeigte keine Anzeichen von Leben auf dem Planeten. Noch Stunden zuvor hatte es dort vor unheiligen Kreaturen nur so gewim melt. Sarpedon und Graevus trafen sich am Strand, verglichen ihre Narben und stiegen in die Thunderhawks. Wie damals auf der Ordinarius-Plattform war auch jetzt wieder genügend Platz für alle. Von den vierhundert Marines, die auf dem namenlosen Planeten gelandet waren, kehrte nur die Hälfte zurück. Der Rest war beim Sturm auf die Festung gefallen oder lag am Grund des großen Ozeans, der den Planeten umgab. Als sie die Brokenback erreichten, wurden sie von den Alarmsig nalen Hunderter Sensoren willkommen geheißen. Lygris’ Anomalie
war zurückgekehrt. Diesmal war sie noch größer … und kam auf sie zu. Sarpedon rannte den Gang hinunter. Der Stumpf seines abgetrennten Beins zog Mullbinden hinter sich her. Apothecarius Pallas hatte ihn gerade verbunden, als der Alarm ertönte. Lygris traf Sarpedon am nächsten Schott. Im Schein der Warnlampen schaute er ihn besorgt an. »Wir haben es vor sechs Stunden schon einmal bemerkt, aber dann ist es verschwunden«, sagte Lygris. Ordensdiener rannten an ihnen vorbei, um die Reparaturstationen zu besetzen. »Ich habe die Sensoriumsbesatzungen verdoppelt. Zunächst schien es nur eine Anomalie zu sein. Aber inzwischen liegt es über jedem messbaren Bereich. Wir versuchen, es mit Hilfe von Sektor Indigo aufzuspü ren.« »Wo ist es jetzt?« Sarpedon kam gerade aus dem mit Verwunde ten voll belegten Apothecarion. Seine Rüstung war noch immer mit unreinem Blut verklebt. »Noch siebzehntausend Kilometer entfernt. Es nähert sich mit un regelmäßiger Geschwindigkeit.« »Ist ein natürliches Phänomen ausgeschlossen?« »Ja.« »Ve’Meth ist tot. Sein Planet ist mit ihm gestorben. Ich will wis sen, worum es sich bei diesem Ding handelt. Und zwar bevor es in Geschützreichweite ist. Dann braucht es nämlich eine verdammt gute Entschuldigung, damit wir nicht das Feuer eröffnen.« »Genau meine Meinung.« Sarpedon und Lygris erreichten die Beobachtungskanzel der Yacht. Ihr verschwenderisches Interieur wirkte im Augenblick äu ßerst unangemessen. Mehrere Techmarines befahlen den Servitoren, die Bildvergrößerer auf die riesige Wolke aus Licht zu richten, die das gesamte Blickfeld einnahm. Der ganze Raum war in silbriges Licht getaucht. Plötzlich verdichtete sich die Wolke zu einer ge
schmeidigen, schlangenhaften Form. »Haben wir ein Ziel?« »Noch nicht, Sir«, antwortete Techmarine Varuk. Bei der Erstür mung der Festung hatte er durch ein Bolzenprojektil eine Knieschei be verloren. Er war noch nicht dazu gekommen, das Apothecarium aufzusuchen. »Die eine Hälfte der Sensoren sieht es überhaupt nicht, die andere hält es für ein schwarzes Loch. Wir können nur einen Bruchteil unserer Geschütze manuell steuern.« Sarpedon wusste genau, welches Arsenal die Brokenback an Bord hatte. Schließlich bestand sie aus mehreren Imperialen Kreuzern und konnte außerdem auf geheimnisvolle Alienwaffen zurückgreifen. Aber wenn der Feind nur gesehen werden konnte, wenn er es wollte, konnte er sich unbemerkt nähern …. Ve’Meth? Nein. Ve’Meth war tot. Was dann? Die vage Form im Licht nahm Gestalt an. Glatte Haut, lange, kräf tige Gliedmaßen und zwei silberne Sterne als Augen, in denen sich geheimnisvolle Symbole in konzentrischen Kreisen drehten. Eine Hand streckte sich zur Beobachtungskuppel aus. Die Gestalt war plötzlich viel, viel näher gekommen. »Aufprall-Aufprall-Aufprall …« Die warnende Stimme der Entfernungssensoren eines der alten Schiffe der Brokenback hallte durch den Space Hulk. Etwas Großes, Mächtiges landete auf seiner Oberfläche. Die Sensorien, die es erst nicht registriert hatten, waren alle gleichzeitig überlastet. Hundert fest installierte Servitoren brannten in einem Augenblick durch. Die Brokenback schaltete sich ab. Die Triebwerke kamen zum Stillstand. Die Lebenserhaltungssysteme liefen im Notfallmodus, und die Luft wurde aus großen Teilen des Hulk ins All geblasen. Das Steuer fiel aus. Die Brokenback trieb hilflos umher und bestaunte die mächtige Wesenheit, die auf ihr stand. Sie griff hinab. Lange, graziö se Finger fuhren in das schwarze Metall. Schlangenartige Muskeln zogen sich zusammen, als die Wesenheit die obersten sechs Decks
der Brokenback abtrennte. Sie sah auf die Männer in Rüstungen hinunter, die auf dem Kano nendeck umherrannten, und ließ ihr silbriges Licht auf sie hinab scheinen. »Ich bin der Schicksalsarchitekt«, sagte die Gestalt in einer Stim me, die wie Musik klang. »Ich bin der Ingenieur der Zeit. Ich bin Abraxes, Prinz der Veränderung. Ihr seid alle meine Kinder.« Sarpedon schaute zu der riesigen Gestalt hinauf, die gegen die Schwärze des Weltalls leuchtete. In seiner Zeit als Seelentrinker hat te er so einiges gesehen, von den letzten Tagen gar nicht zu reden. Aber nichts ließ sich mit dem hier vergleichen. Die Gestalt war mehrere Kilometer lang. Aus ihrem Rücken wuchsen Flügel aus Licht, die ihr schönes Gesicht und das wallende Haar einrahmten. Ihr muskulöser, aber schlanker Körper war in eine Toga aus fließender weißer Seide gehüllt. Magische Formen ström ten aus einem Lichtkreis hinter ihr, seltsam geformte Dinge aus pas tellfarbenem Licht, Vögel mit amethystblauen Federn. Sarpedon musste sich zwingen, die Augen abzuwenden. Dann sah er die Zerstörung: Das Dach der Beobachtungskanzel und mehrere Decks waren einfach verschwunden. Eine klaffende Wunde aus zer rissenem Metall zog sich quer durch zahllose Sektoren und Schiffe und setzte sie dem Vakuum aus. Gase traten aus zerborstenen Plas marohren aus. Blitzend entluden Capacitoren ihre Energie ins All. Die Seelentrinker setzten schnell ihre Helme auf, um sich gegen das Vakuum zu schützen. Weit entfernt war ein dünner weißer Punkt zu erkennen. Es war Vater Yser, dem die Luft aus den Lungen geso gen wurde. Seine Gliedmaßen erstarrten zu Eis. Er erstickte und er fror. Der Druckabfall zerquetschte seine Organe. Mit dem Schick salsarchitekten vor Augen starb Yser ein Dutzend Tode gleichzeitig. Vater Yser, der dem Orden der Seelentrinker damals im Cerberi schen Feld den Glauben an den Schicksalsarchitekten ins Herz gepf lanzt hatte. Er war der Bote gewesen, der dem Orden die größte Of
fenbarung in seiner Geschichte hatte zuteil werden lassen. Er hatte die Seelentrinker zur Brokenback und zum namenlosen Planeten ge führt. Er hatte die Abscheulichkeiten Ve’Meths gesehen. Und jetzt war er von seinem Allerheiligsten ins Verderben gerissen worden. »Schwach«, sagte die klingende Stimme. »Seht ihr, wie schwach er ist? Für einen wie ihn bedeutet schon meine bloße Anwesenheit den Tod, Hauptmann Sarpedon. Aber du bist anders, habe ich recht?« Sarpedons Vox war tot, und seine Stimme außerhalb seines Helms nicht zu verstehen. Aber er sprach trotzdem. Er war sich sicher, dass die Gestalt namens Abraxas ihn hören konnte. »Wer bist du?«, fragte er. »Woher kennst du meinen Namen?« »Die zweite Frage zuerst, Hauptmann. Ich beobachte dich schon lange. Die ganze Galaxis habe ich nach jemandem abgesucht, der mehr aus sich machen kann als die Langweiler, die eure Welten be siedeln. Du brennst so hell, Sarpedon. Ich sah deinen Schein sogar in der silbernen Stadt, in der mein Gebieter Hof hält. Wer ich bin? Ich bin Abraxes, Bote des Herrn der Veränderung. Ich bin deine Rettung. Ich bin das Licht, das Yser in seinen Träumen gesehen hat, und das ihn zu einem Leuchtfeuer für dich und deine Kameraden gemacht hat. Ich schenkte dir die Visionen von der Fäul nis, die du für mich zerstört hast. Ich gab dir dieses wunderschöne Schiff. Siehst du, wie leicht ich es zerstören kann? Ich bin der, der deinen Körper und die Körper deiner Brüder gesegnet hat und dir Kraft gegeben hat, sodass selbst die Dämonen des Warp vor dir flie hen. Ich bin euer Prinz, und ihr seid meine Untertanen. Seit ihr den Wahnsinn eures Imperiums erkannt habt, seid ihr meinem Willen gefolgt. Ich bin der Schicksalsarchitekt, der Ingenieur der Zeit. Ich bin die Herrlichkeit und das Wesen dessen, was selbst der dümmste Geist das Chaos nennt.« Unmöglich. Das konnte nicht sein. Trotzdem … Der Dämonenprinz war von mehr Kraft erfüllt, als sie Ve’Meth je besessen hatte. Abraxes war die Gestalt, die Ysers Gemeinde in
Bildnissen dargestellt hatte. Ihm hatte er eine Statue errichten lassen, die neben dem Primarchen in der Kathedrale Dorns stand. Die leuch tenden Kreaturen, die auf die Brokenback herabregneten, waren Dä monen. Ja, hier auf diesem Space Hulk stand ein großer und mächti ger Dämonenprinz, der zu den Seelentrinkern in der Verkleidung des Schicksalsarchitekten gesprochen hatte. Sarpedon hatte zehntausend Jahre Dienst am Imperium mit einem Schlag beiseitegewischt. Er glaubte an die Ehre des Imperators, nicht an die des Imperiums. Und jetzt musste er feststellen, dass auch das nichts als eine weitere Lüge gewesen war − die Machenschaft Abra xes’, der einfach nur einen anderen Dämon loswerden wollte. Diese Erkenntnis war mehr, als Sarpedon ertragen konnte. Er war sich so sicher gewesen, etwas Großartiges geleistet zu haben. Hatten sie nicht die Fesseln der schwachen Menschheit abgeworfen und waren zu wahrhaftigen Soldaten des Imperators geworden? Alles nur Lug und Trug? Konnten sie aus Unwissenheit, nicht aus Bosheit zu nichtswürdigen Verrätern geworden sein? Das Sternenfort. Die Ordinatus. Das Cerberische Feld und die Brokenback. Ve’Meth. Was hatten die Seelentrinker nur getan? Die Erinnerung an den Boten von Inquisitor Tsouras und Ordensmeister Gorgoleon stieg in ihm auf − und dazu Wörter wie Verrat, Ketzerei, Dämonenbündlerei. Sarpedon hatte beide getötet. Jetzt musste er mit Schrecken erkennen, dass sie recht gehabt hatten. Die Seelentrinker waren zum Werkzeug des Chaos verkommen. Sie waren Teil der Armee des Feindes, genau wie die Seuchenmari nes, die sie in der Festung Ve’Meths bekämpft hatten. Sie waren Bauern im Spiel der dunklen Götter gewesen, Soldaten in einem Heer der Verdorbenheit. Dass sie nicht gewusst hatten, was sie taten, war belanglos. Kein wahrer Diener des Imperators konnte sich auf Unwissenheit herausreden. Die Seelentrinker waren Chaos Marines. »Aha, er versteht«, sagte die Stimme wie mit tausend Chören. »Er weiß, was aus ihm geworden ist. Er hat seine Reinheit, die ihm so wichtig war, in den Schmutz gezogen. Freiwillig. Er hat seinen Ver
bündeten den Rücken gekehrt, auf mein Geheiß meine Feinde er schlagen und seine Mutation als einen Segen betrachtet. Niemand hat ihn zu all dem gezwungen. Sarpedon hat verstanden, was er ist. Und er weiß, dass es keinen Rückweg mehr gibt.« »Das ist nicht wahr«, keuchte Sarpedon. Abraxes grinste. »Sieh dich an, Mutant. Ich lüge nicht.« Mutant. Dieses Wort … Dann spürte Sarpedon aufs Neue die wi derwärtige Bürde der Unreinheit, den Mantel der Abscheu, der über ihn geworfen worden war. Es war das gleiche Gefühl wie damals auf dem Sternenfort, als er das Fleisch des Mutanten geschluckt hatte: das erdrückende Gewicht, mit dem er die Verachtung des Univer sums spürte. Sein Blut war unrein, sein Fleisch verderbt, seine Haut beschmutzt. Alle würden ihm mit Hass begegnen. Er war nichtswür dig − Mutant, Nichtmensch, Ungeziefer. Dieses Schicksal traf auch seine Brüder − Graevus mit seiner Henkershand, Tellos mit den schärferen Sinnen und dem bemer kenswerten Stoffwechsel. Sogar Givrillian, der tapfere Givrillian, der in der Halle Ve’Meths den Tod fand, war ein missgebildeter Mutant gewesen. Wenn Abraxes den Schleier der Ehrenhaftigkeit von ihren Augen entfernte, würden sie ebenfalls die Widerwärtigkeit des Mu tantendaseins spüren. So wie jetzt Sarpedon. Sarpedon sank auf das zerstörte Deck nieder. Seine unheiligen, widernatürlichen Insektenbeine knickten ein. Mutant. Verräter. Die ner des Chaos. Abraxes stand über Sarpedon. Er fasste hinunter. Sarpedon sah mit Tränen der Wut in den Augen zu ihm auf. Der Dämonenprinz hielt etwas in der Hand, das zwischen den riesigen Fingern wie eine dünne Nadel aussah. »Aber Sarpedon, es schmerzt mich, dich so verzweifelt zu sehen.« Abraxes’ Miene wirkte ehrlich besorgt. »Siehst du nicht, was aus dir werden kann? Du und dein Orden, ihr habt erstaunliche Dinge voll bracht. Ihr habt die Fesseln des Imperiums abgeschüttelt. Ganz al lein, ohne meine Hilfe. Ich habe nur zugesehen. Ihr habt Geistesstär
ke bewiesen, als ihr der langen Tradition geistlosen Gehorsams den Rücken gekehrt habt. Sie hätte euch nur geschwächt. Und unter mei ner Anleitung habt ihr Ve’Meth zerstört, der nur eine perverse Paro die auf die wahre Herrlichkeit des Chaos war. Chaos ist wunderbar, Sarpedon. Es ist die wahre Freiheit. Alles kann sich verändern. Das Universum gehorcht dem Willen des Star ken. Danach hast du doch gesucht − nach einem Ausweg aus der Heuchelei und der Unehrenhaftigkeit des Imperiums. Der Imperator ist nichts, Sarpedon. Ein Leichnam auf einem Thron. Du bist ihm nur gefolgt, weil du nicht wusstest, was das Chaos dir geben kann. Ich habe es dir gezeigt. Wie kannst du mit ehrlichem Gewissen sagen, dass du nicht dem Chaos und dem herrlichen Gott der Veränderung gefolgt bist?« Es war die Wahrheit. Hatte er wirklich geglaubt, der Imperator hätte ihn mit dieser verdorbenen Mutation gesegnet? Ihm die ketzeri schen Visionen geschenkt, die den Orden zu Ve’Meth geführt hat ten? Das Ding, das Abraxes zwischen den Fingern hielt, hatte die Län ge von Sarpedons Unterarm. Es war ein glänzender, mit Schaltkrei sen bedeckter Zylinder, der im Sternenlicht funkelte. »Mein Herr ist die einzige Macht in dieser Galaxis, für die es sich zu kämpfen lohnt. Schließt euch mir an, marschiert als meine Soldaten von Stern zu Stern. Zerstört im Namen des Gottes der Veränderung. Wo willst du sonst hin? Dein Imperator ist nichts, dein Imperium hat dich exkom muniziert. Das Einzige, was bleibt, ist das Chaos, dem du bisher schon so gut gedient hast. Dein Leben braucht keine Lüge mehr zu sein, Sarpedon. Endlich bekommst du, wonach du dich immer ge sehnt hast − ein Leben in Dienerschaft für eine Kraft, an die du wirk lich glauben kannst. Ein Ziel, das du erreichen kannst. Im Namen meines Gottes, lass mich dir meine Dankbarkeit zum Ausdruck brin gen, weil du meinen Feind erschlagen hast.« Der Seelen-Speer. Vor Ewigkeiten war er das Einzige gewesen, was zählte. Er hatte den Orden entzweit und eine Kette von Ereignis
sen in Gang gesetzt, an dessen Ende die Seelentrinker als gebrochene Ketzer standen. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als sich mit der Kraft zu verbünden, die sich als ein wahrer Gott herausgestellt hatte. Der Seelen-Speer − ein uraltes, mächtiges Artefakt, das die Traditio nen des Ordens für immer hatte festschreiben sollen. Stattdessen waren diese Traditionen für immer untergegangen. Sarpedon nahm den Seelen-Speer entgegen. Er konnte ein Neuan fang sein. Der Speer konnte zum Symbol eines neuen Ordens wer den, der aus der Asche der Seelentrinker hervorging. Sie konnten einem Gott folgen, der ihre Hingabe auch belohnte. Sarpedon konnte auf alle Ewigkeit in die Schlacht ziehen und dabei den Seelen-Speer schwingen. Als Zeichen, dass er sich von den Lügen des Imperiums und des Leichenimperators losgesagt hatte. Er würde sich daran er freuen, die Feinde des Gottes der Veränderung abzuschlachten. Er konnte einen Pfad des Todes durch die Sterne schlagen, und seine Taten hätten endlich den Sinn, nach dem er so lange gesucht hatte. Tief in ihm stieg auf einmal ungewollt ein Erinnerungsfetzen auf. In seinen Tagen als Novize war ihm die Geschichte des SeelenSpeers erzählt worden. Eine Geschichte des Stolzes und der Wut über seinen Verlust. Primarch Rogal Dorn hatte ihn seinem Orden überreicht, als Zeichen, dass er sie genauso hoch schätzte wie die Legion der Imperial Fists, aus denen sie entstanden waren. Dass den Seelentrinkern die Obhut über ein solches Artefakt anvertraut wor den war, zeigte, dass sie ihren Platz im großartigen Plan des Impera tors hatten und Seinem Willen verpflichtet waren. Irgendetwas rührte sich in Sarpedon. Warum hatte er seinen Mari nes befohlen, die Techgardisten anzugreifen? Warum hatte er den Botschafter von Inquisitor Tsouras getötet, als er seinen Orden für Excommunicate erklärt hatte? Aus Stolz? Aus Zorn? Oder war es etwas anderes, etwas, das er noch nicht erkannt hatte? Er warf einen Blick auf seine Kameraden. Er sah Tellos, wie im mer ohne Rüstung. Es verwunderte ihn nicht, dass selbst das Va kuum ihm nichts anhaben konnte. Er sah Graevus und Karraidin,
Techmarine Lygris, Apothecarius Pallas und alle anderen Seelentrin ker, die Sarpedon durch dick und dünn gefolgt waren. Die meisten waren Zeuge der Katastrophe auf dem Sternenfort gewesen und hat ten das Grauen Ve’Meths erlebt. Alle waren in die Schrecken des Bruderkrieges verwickelt gewesen. Sarpedon hätte sie durch die Höl le führen können. Er zweifelte nicht daran, dass jeder Einzelne ihm gefolgt wäre. Wenn er jetzt vor Abraxes niederkniete, würden sie es ihm gleichtun. Und wenn nicht − dann würden sie ihm in den Tod folgen. Sarpedons Finger schlossen sich um den Seelen-Speer. Er fand den Griff und spürte die winzigen Laser, die sich durch die Hand schuhe in die Haut seiner Fingerspitzen bohrten. Rogal Dorn hatte dem Befehl, die Legion der Imperial Fists aufzu lösen, widerstanden. Erst als sie ihm gedroht hatten, ihn zum Rebel len zu erklären, hatte er nachgegeben. Es war ihm sehr wichtig, dass alle Orden, die seine Gensaat trugen, gleichwertig waren. Sie sollten vom Glauben an Unabhängigkeit und Ehrenhaftigkeit ebenso durch drungen sein wie die Imperial Fists. Warum hatte er das getan? Aus väterlichem Stolz? In vielerlei Hinsicht konnte man die Imperial Fists und ihre Nachfolger als seine Söhne bezeichnen. Oder gab es da noch etwas anderes? Langsam dämmerte Sarpedon, was Rogal Dorn damals erkannt hatte. Abraxes’ Macht über ihn schwand. Würden es auch die ande ren Seelentrinker rechtzeitig begreifen, oder waren sie schon an Ab raxes verloren? Irgendwie war das nicht mehr wichtig. Sein Blut floss durch die winzigen Löcher in die Genenkoder des Seelen-Speers. Ein Geheimnis dieser Waffe war, dass sie auf das Blut Rogal Dorns reagierte, des Mannes, der sie entdeckt hatte. Nur diejenigen, in denen das Blut Dorns floss − die Marines der Imperial Fists oder deren Nachfolgeorden wie die Seelentrinker − konnten sie benutzen. Die Waffe war warm und pulsierend in Sarpedons Griff. Abraxes trat einen Schritt zurück. Die schimmernden Dämonen hatten sich zu seinen Füßen versammelt.
»Entscheide dich, Sarpedon.« Aber Sarpedon hatte sich schon längst entschieden. Aus dem Seelen-Speer schossen zwei Ströme aus purem Vortex. Sie waren um ein Vielfaches dunkler als das Weltall um sie herum. Sarpedon spannte die Muskeln seiner unheiligen Mutantenbeine an und war zum Losrennen bereit. Er musste schnell sein und hoffen, dass das Gravitationsfeld des Schiffes nicht beschädigt war. Er muss te stark und präzise sein. Seine Kameraden mussten ihm vertrauen. Er schaute dem Dämonenprinzen entschlossen ins Gesicht. »Die ser Orden«, sagte er grimmig, »gehört niemandem!« Sarpedon ging zum Angriff über. Es gab keine Verbindung, mit der er mit seinen Brüdern sprechen konnte. Aber das brauchte er auch nicht. Karraidin reagierte am schnellsten. Er rannte auf die Dämonen horde aus pastellfarbenem, rosa und blauem Licht zu. Sie hatten lan ge, schlangenartige Finger und große, weit aufgerissene Mäuler. Als er feuerte, gab sein Sturmbolter im Vakuum keinen Laut von sich. Die Geschosse durchlöcherten die leuchtenden Körper. Tellos folgte ihm auf dem Fuße. Er stürzte sich buchstäblich in den Haufen und hackte mit seinen Klingen auf die Dämonen ein. Lichtstreifen blink ten stumm vor der Schwärze des Alls: Die anderen Seelentrinker hatten das Feuer auf die Dämonenhorde eröffnet. Dreo winkte seine Marines zu sich und formte eine Feuerlinie auf dem verbogenen Me tall der Brokenback. Luko stürmte über das zerstörte Deck. Andere Marines folgten ihm. Sie mussten die Dämonen ablenken, damit Sarpedon freie Bahn hatte. Das fehlende Bein behinderte ihn nicht. Mit dem Seelen-Speer in der Hand schoss er auf Abraxes zu. Angesichts der Schlacht zu sei nen Füßen verzog sich das Gesicht des Dämonenprinzen zu einer Grimasse aus Überraschung und Wut. Die Ringe aus geheimnisvol len Symbolen, die ihn umkreisten, verfärbten sich in zornige Rotund Gelbtöne. Seine leuchtenden Augen verdunkelten sich. Rote
Adern zeichneten sich auf seiner Alabasterhaut ab. Er verwandelte seine Wut in Stärke. »Ihr Narren!«, brüllte Abraxes. »Ihr seid nichts! Nichts!« Sarpedon beachtete ihn nicht. Außer seinem Atem konnte er nichts hören. Er musste schnell und genau sein. Würde er es schaf fen? Er wusste es nicht. Aber eins hatte sich nicht geändert: Der Kampf gegen den Erzfeind war sein Lebenszweck. Pilzförmige Kreaturen, deren Arme in flammenspeienden Mün dern endeten, stellten sich Sarpedon in den Weg. Dreigeteilte Licht blitze zuckten auf. Luko hatte zwei der Ungeheuer mit seinen Ener gieklauen erledigt. Kettensägen zerstückelten die Dämonen. Ihr leuchtendes Fleisch löste sich in Nichts auf. Sarpedon bahnte sich mit dem Seelen-Speer einen Weg durch die Reihen der Feinde. Er holte aus und konzentrierte sich auf Abraxes’ riesigen, blassen Oberkörper. Silbernes Feuer schoss aus den ausgestreckten Händen des Dämonenprinzen und durchlöcherte Sarpedons Rüstung wie Ge schosse aus flüssigem Metall. Aber er durfte jetzt nicht aufgeben. Er spannte seine sieben Mutantenbeine an und sprang. Das Feuer wütete in ihm. Es fühlte sich an, als würde seine Brust zerreißen. Eine seiner Lungen war angerissen, ein Bein zerfetzt und unbrauch bar. Abraxes starrte ihn mit glühenden Augen an, während Bolter feuer seine Brust durchlöcherte. Er blutete Tropfen aus Licht, die in die Weite des Alls trieben. Alles verlangsamte sich. Das Universum bestand aus Abraxes, Sarpedon und der heiligen Waffe in Sarpedons Hand. Ein rhythmi sches Klopfen war das Einzige, was zu hören war. Es wurde immer schneller und lauter, je näher Sarpedon dem Dämonenprinzen kam. Es war das wütende Pochen von Abraxes’ Herz, das silbernes Feuer durch seine Adern pumpte. Sarpedon bohrte seine Klauen in die leuchtende Haut von Abra xes’ Brust. Von magischem Feuer durchströmt, bohrte er den SeelenSpeer mitten in das große, blasphemische Herz des Dämonenprinzen.
Später konnte sich Sarpedon an wenig davon erinnern. Aber manch mal hatte er Träume. So wie er früher von den Zinnen von Quinian Obscura geträumt hatte, sah er jetzt ein riesiges Auflodern, so als würde eine neue Sonne geboren, und einen Lichtstrahl, der aus dem zerstörten Herzen des Dämonenprinzen aufstieg. Die Lebensenergie des Dämons, der blanke Wahnsinn des Warp, verschwand in den Tiefen des Alls. Sarpedon wurde mit einer Feuerwelle auf das zer störte Deck der Brokenback geschleudert. Er konnte sich auch an die Dämonen des Gottes der Verwandlung erinnern. Sie vergingen in flüssigem Feuer. Selbst durch das luftlose Vakuum waren ihre Todesschreie zu hören. Der weiße Feuerball, der einmal Abraxes gewesen war, verdunkelte sich zu einer schwarzen Kugel, die die bunten Dämonenkörper einsaugte. Die Seelentrinker klammerten sich fest, um nicht in den Wirbel gezogen zu werden. Eine behandschuhte Hand − Sarpedon wusste bis heute nicht, wem sie gehört hatte − packte eines seiner strampelnden Beine und zog ihn an Deck. Dann war alles still. Das Licht erlosch, und Sarpedon wachte auf. Humpelnd betrat Sarpedon die neue Brücke der Brokenback. Es hatte mehrere Monate gedauert, sie zu bauen. Sie lag im Herzen des Hulks, eine gepanzerte Kugel, die als Schnittstelle für die Kontroll systeme der verschiedenen Schiffe diente. In die Vorderseite der Ku gel war ein großer Sichtschirm eingelassen. Er zeigte Bilder, die ihm die Sensoren auf der Hülle der Brokenback übermittelten. Außer dem gedämpften Rumpeln der Triebwerke und dem beruhigenden Sum men der Kontrollkonsolen war nichts zu hören. Sarpedon humpelte über den Metallboden der Brücke auf die Kommandokanzel. Die Prothese, die an den Stumpf seines verlorenen Beins geschnallt war, klapperte bei jedem Schritt. Das bionische Bein musste erst noch fertiggestellt werden − eine große Herausforderung für das Apothe carium des Ordens. Zwei andere Beine waren böse gebrochen und eingegipst. Obwohl die Wunden eines Space Marine schnell verheil
ten, würde es noch ein paar Wochen dauern, bis Sarpedon seinen schiefen, hinkenden Gang los war. Das Kontrollpult vor ihm war mit Anzeigen und Waffenrunen übersät. Die Techmarines fanden täglich neue Schubraketen und Waffenbatterien und beeilten sich, ihre Neuentdeckungen so schnell wie möglich mit der Brücke zu verbinden. Es würde noch Jahre dauern, bis sie die Brokenback völlig erforscht hatten, und selbst dann würde es noch Dinge darauf geben, deren Funktionsweise sie wohl niemals so richtig verstehen würden. Die neue Heimat der Seelentrinker − ein einstmals verlassener, von Aliens verseuchter Space Hulk. Jetzt war er gesäubert und ge weiht. Wie auch der Orden selbst. Sie hatten sich von den jahrtau sendealten Lügen befreit, die sie so lange heimgesucht hatten. Sie hatten schwere, ja fast unersetzliche Opfer bringen müssen. Aber der Orden bestand weiter. Bald würde der große Rekrutierungszug be ginnen. Dann besuchte die Brokenback isolierte, rückständige Wel ten, um dort die mutigsten Jünglinge in den Orden aufzunehmen. Das war Sarpedons erster Befehl gewesen, kurz nachdem er mit Brand wunden und Knochenbrüchen im Apothecarium aufgewacht war. Die Seelentrinker sollten eine neue Generation von Novizen heranziehen, um die Männer zu ersetzen, die sie verloren hatten. Es würde lange dauern. Andererseits hatten sie Jahrtausende verloren. Zeit war nicht mehr von Bedeutung. Vielleicht hatte Abraxes in manchen Punkten doch recht gehabt. Vielleicht war der Imperator nicht mehr als eine machtlose Leiche auf einem Thron. Für einen normalen, gesetzestreuen Bürger wären solche Gedanken der Gipfel des Verrats. Die Seelentrinker standen über diesen Dingen. Vielleicht war der Orden wirklich auf sich ge stellt, ohne eine Macht, die ihm Stärke verlieh und ihm den Weg wies. Aber das war nicht weiter schlimm. Der Imperator mochte tot sein, seine Grundsätze lebten fort. Er symbolisierte alles, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Der Schrecken des Chaos war eine ernsthaf
te Bedrohung. Auch wenn der Imperator Seine schützende Hand nicht über sie hielt, bedeutete das noch lange nicht, dass sie Seinen Idealen nicht folgen konnten. Es lohnte sich, das Chaos zu bekämp fen. Nicht, weil es der Imperator befahl, sondern weil es die richtige und ehrenhafte Entscheidung war. Die Seelentrinker waren jahrtausendelang die Lakaien eines kor rupten Imperiums gewesen. Dann hatte man sie zu Sklaven des Chaos gemacht. Doch sie hatten sich von beidem losgesagt. Und nicht zu vergessen − sie hatten zwei mächtige Chaosprinzen vernich tet. Was auch immer sonst geschehen sein mochte − konnte man dar auf nicht stolz sein? Das war das Schicksal der Seelentrinker − sie würden das Chaos bekämpfen, wo immer sie es fanden. Nur auf sich allein gestellt, oh ne einem Herrn zu dienen. Sie waren geboren, um zu kämpfen − also würden sie auch kämpfen. Sie brauchten keinen Imperator oder sonst jemanden, der ihnen einen Grund lieferte, um zu den Waffen zu grei fen. Wenn Sarpedon erst einmal wieder gesund und der Orden wie der aufgebaut war, konnte sie nichts mehr aufhalten. Es war ein hochgestecktes Ziel. Schließlich wurden sie vom Chaos und dem Imperium gleichermaßen gehasst und hatten keine Verbündeten. Aber es war auch die einzige Möglichkeit, die den Seelentrinkern blieb, wenn sie ihren Kampf weiterkämpfen wollten. Vielleicht war es lächerlich oder ironisch. Sarpedon kümmerte das nicht. Er würde weiterkämpfen und jenen Prinzipien treu bleiben, auf denen der Imperator das Imperium gegründet hatte. Auch wenn die Lügner, die in seinem Namen regierten, diese Prinzipien längst verra ten hatten. Auf der Brücke des Space Hulk schwor sich der mutierte, ex kommunizierte Space Marine, den Willen des Imperators zu befol gen. ENDE