Atlan - Der Held von Arkon Nr. 223
Schule der Kampftaucher Einsatz in der Methanhölle - der Kristallprinz und die Kamp...
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Atlan - Der Held von Arkon Nr. 223
Schule der Kampftaucher Einsatz in der Methanhölle - der Kristallprinz und die Kampftaucher auf einem Planeten der Maahks von Hans Kneifel Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Geheimnis völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Selbst empfindliche Rückschläge oder unvorhersehbare Hindernisse entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol, den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen. Die große Chance eines neuen Schlages gegen den Thronräuber sieht Atlan in dem Moment gekommen, als es ihm und Fartuloon, seinem Erzieher und Lehrmeister, gelingt, die Leiche Gonozals VII. mit Hilfe des letzten Lebenskügelchen aus dem Reich der Toten zurückzuholen. Nach dem Debüt auf Xoaixo, der friedlichen Pensionistenwelt, die zum Hexenkessel wurde, als der totgeglaubte Imperator erschien, wird Gonozal erneut eingesetzt. Die CRYSALGIRA, Atlans Raumschiff, fliegt den Planeten Falgrohst an – und die dort befindliche SCHULE DER KAMPFTAUCHER …
Schule der Kampftaucher
3
Die Hautpersonen des Romans: Atlan und Fartuloon - Der Kristallprinz und sein Lehrmeister besuchen den Planeten der Kampftaucher. Olfkohr - Kommandant einer geheimen Kampfschule. Frayn Porthor - Ein junger Mann mit ungesundem Ehrgeiz. Valiard, H'Noyr, Colant und Galbayn Tsoehrt - Vier Kampftaucher von Falgrohst.
1. Die Faktoren der Angst umgaben ihn: der wahnsinnige Sturm, der durch die Veränderliche Schlucht gepreßt wurde und Valiard – Nummer 2 – traf. Auf keiner bekannten Welt, die den Arkoniden zugänglich war, erreichten Stürme eine solche Geschwindigkeit. Er wußte, daß der winzigste Materialfehler ihn binnen Sekunden töten konnte. Ein Riß im Anzug, ein nicht ganz schließendes Gelenk, ein Versagen der vielen Servoanlagen. Die Schwerkraft, ein anderer Faktor. Sie würde ihn ebenso schnell umbringen, als würde ein Felsblock aus großer Höhe auf ihn fallen. Nummer Zwei drehte langsam und vorsichtig den Kopf. Jetzt färbte sich der Methanschnee, der in Form von polyedrischen Hagelkörnern durch die Veränderliche Schlucht gedrückt wurde, und schlug auf den schweren Panzer wie ein Wasserfall von Geschossen. Wieder war der Vulkan in Tätigkeit. Die Erschütterung des Bodens zeigte dies an. Noch gab es Licht. Noch war die undeutlich sichtbare Scheibe der dunkelroten Sonne, ein riesenhaftes Gestirn hinter den zackigen Schroffen, den Nadeln aus Ammoniak, den sich pausenlos auflösenden und wieder aufbauenden Türmen und anderen Formen aus gefrorenem Ammoniak und Methan, nicht ganz untergegangen. Aber die leuchtenden Zahlen, die innerhalb des Hohlraums, den der Helm bildete, an eine milchige Stelle der Scheibe gespiegelt wurden, verrieten Valiard, daß es nur noch zwei Stunden Licht geben würde. Dann brach die dreiunddreißigstündige Nacht in Kuppel Sigmon Vier
an. Er hob den Arm. »Valiard!« sagte eine gepreßte Stimme im Halbdunkel des Helminnern. »Wir haben einen genau umrissenen Auftrag. Wie lange willst du noch warten?« Sie haben sechs Stunden Zeit! In diesen sechs Stunden werden Sie und Ihre Gruppe folgende Aufgaben wahrnehmen: Erstens: Ausschleusen von Männern und Maschinen aus dem gelandeten Beiboot. Zweitens: Suche nach dem MethanatmerStützpunkt. Marsch beziehungsweise Fahrt dorthin. Einnahme der Station. Eindringen. Keine Gefangenen machen. Drittens: Sie haben elf Mann. Wir brauchen sämtliche Unterlagen über diesen rätselhaften Stützpunkt unseres Gegners. Dokumentieren Sie alles. Viertens: Rückkehr. Dabei ist darauf zu achten, daß sämtliche Teilnehmer dieses Kommandounternehmens lebend und die Maschinen, sowie die Spezialwaffen, unversehrt das Beiboot erreichen, das sofort startet. »Das ist alles, Männer!« hatte Olfkohr gesagt. Der bullige Mann schien keine Angst zu kennen. Er setzte auch bei den Männern, die er ausbildete, diesen Umstand voraus. Nummer Zwei aber hatte Angst. »Ich muß mich erst orientieren. Was hast du angemessen? Impulse?« »Bis jetzt keinerlei Suchimpulse. H'Noyr ist gerade dabei, die Geräte zu justieren. Die Maschinen sind draußen.« »Ich komme sofort.« Valiard, der Chef dieser Gruppe von zwölf Männern, wußte zwei Dinge ganz genau: Die Wirklichkeit würde einfacher sein. Und: Die Wirklichkeit würde ungleich schwieriger sein. Dieser Widerspruch an
4 sich war die Regel Eins. Denn sie alle befanden sich nicht auf einem Maahk-Planeten, sondern in der Trainingskuppel Sigmon Vier. Wenn sie hier versagten – im Inferno drohender Gefahren, die weit oberhalb der Wirklichkeit von Maahk-Planeten angesetzt waren – konnten sie unter Umständen noch gerettet werden. In der Wirklichkeit aber, auf einem der Feindplaneten, rettete sie nichts und niemand. »Wir sind ausgeschleust.« »Danke.« Valiard drehte sich um. Ein Hagelschauer aus fingergroßen Eisnadeln prasselte gegen seinen schweren Panzeranzug. Jetzt schaltete sich der Gürtelscheinwerfer ein. Valiard veränderte den Strahlungskegel und erkannte in dem Hagel die vier schweren Raupenfahrzeuge und hinter den dicken Scheiben die Gesichter der anderen Männer. »Tern, Kaarn … habt ihr die Station entdeckt?« »Ja. Wir haben den Standort angemessen. Sie liegt unterhalb der Kiesmoräne. Ein paar Eingänge sind auf den Schirmen zu erkennen.« »In Ordnung. Fangen wir an!« sagte Valiard und zwang sich zur Ruhe. Er stapfte auf den ersten Wagen zu, hielt sich an einem schweren Griff und an dem Schaft des Energiegeschützes fest. Dann schwang er sich über die drei Stufen ins Innere und schloß das Luk. »Los! Fahrzeug Eins führt!« Sie waren Angehörige einer Elitetruppe. Die Männer, die sich selbst »Methanamphibier« nannten, waren ein verschworenes Korps von mehreren hundert Männern. Alles, was sie konnten, verdankten sie Olfkohr. Aber auch der Gedanke an Olfkohr konnte Valiard die Furcht nicht nehmen. Schon während sie ihn in den Atmosphärenpanzer schnallten, wußte er, daß es schiefgehen würde. Und: Er konnte keinen rationalen Grund hierfür angeben. Die breiten Ketten bewegten sich. Die Maschinen brummten auf und verwandelten
Hans Kneifel die enge Kabine des Spezialfahrzeugs in eine vibrierende Kiste. Die beiden anderen Männer, der Fahrer und der Geschützführer, konzentrierten sich auf die Instrumente. »Abschirmung in Ordnung?« fragte Valiard über den Systemfunk und beugte sich über die Karte. Sie war nichts anderes als eine Ansammlung geologischer Daten, denn die optisch erfaßbare Oberfläche von Wasserstoff-Methan-Ammoniak-Planeten war einem ununterbrochenen Wandel unterworfen; nicht einmal die großen Ammoniakgebirge hielten länger als einige Wochen. Gegen diese Veränderungen waren Wanderdünen geradezu Ausdruck der Ewigkeit. »Abschirmung aller vier Fahrzeuge intakt. Bisher keine Ortung!« kam als Antwort aus den Lautsprechern. Die beiden kardanisch gelagerten Kugelbehälter zwischen der Lafette mit ihren Ketten, den zahlreichen Projektoren und dem Energieaggregat drehten und schaukelten langsam, als der führende Wagen über die Masse von schmutzigem Methangeröll kletterte. In langsamer Geschwindigkeit walzte das Gefährt auf den U-förmigen Tunnel zu, der die Veränderliche Schlucht war. Der rasende Sturm, der hier herrschte, warf sich ihnen entgegen. »Weiter bis zum nächsten Kartenpunkt.« »Verstanden.« Bisher hatten sie folgendes geschafft, ohne bemerkt zu werden: Das Beiboot war gelandet und hatte die vier Maschinen ausgeschleust. Jetzt wartete es, halb in den Wasserstoffhügel voller Ammoniakflecken und Methanbrocken, auf die Rückkehr der zwölf Spezialisten, der Methanamphibier, der Taucher durch tödliche Gashüllen. Die acht Männer, die in die Maschinen zugestiegen waren, hatten die Oberfläche des Trainingsgeländes auf andere Art betreten. Sie waren, durch lange Seile miteinander verbunden, durch die Gashülle abwärts geschwebt. Sie manövrierten mit den Flugund Antigravanlagen, wichen Stürmen und Vulkanausbrüchen aus, suchten den Landeplatz und trafen sich mit den Kameraden.
Schule der Kampftaucher Dann stiegen sie in die Maschinen und fuhren los, der unterirdischen Maahkbasis entgegen. Mit zwei Mannslängen Abstand krochen die vier Fahrzeuge vorwärts. Sie drangen über einen schrägen, rampenförmigen Berg aus Ammoniak und Methan dorthin vor, wo zwei Felsbarrieren das Ende der Schlucht markierten. Kurze Zeit später, im Licht der roten Sonne, sahen die Fahrer den nackten, von der Gewalt der Elemente rundgeschliffenen Fels. In jedem Spalt auf der sturmabgewandten Seite lagerte gefrorenes Methan und die vielfarbigen Schichten von Ammoniak Drei. »Maschinenfunktionstest Panzer Eins!« sagte Valiard leise und drehte den Kopf im Helm. Seine Augen gingen zwischen den Instrumenten und den Bildern hin und her. Flüchtig dachte er an seinen Freund, für den diese Form der Ausbildung inzwischen blutiger Ernst geworden war. Galbayn Tsoehrt und seine Männer operierten auf OrmeckPan, dem Planeten der Maahks. Lebten sie noch? Befanden sie sich vielleicht schon auf dem Rückflug, nachdem sie ihren Auftrag erledigt hatten? »Alle Systeme in Ordnung.« Kaarn, der an der komplizierten Steuerung des Schleppers saß, drehte sich nicht um. Er hantierte virtuos an den Hebeln und Knöpfen. Unbeirrbar walzte der Panzer weiter. Um eine zu frühe Ortung durch den Gegner zu vermeiden, fuhren die Fahrzeuge ohne Schutzschirme. »Panzer Zwei?« Sie befanden sich jetzt im oberen Viertel der Veränderlichen Schlucht. Der Sturm war hier ein rasendes Inferno. Kreischend und heulend nahm er alles mit sich, was ein bestimmtes Gewicht unterschritt. Der erste Panzer erzitterte unter diesen infernalischen Kräften. »Wir folgen im vorgeschriebenen Abstand, Valiard!« »Technik klar?« »Alles funktioniert in den Sollwerten.« »Danke. Wir halten am übernächsten Kar-
5 tenpunkt.« »Wir sind vorbereitet.« So ging es weiter, und je mehr sich die vier Maschinen auf die oberste Kante der Schlucht zubewegten, desto mehr wuchs zumindest in Valiard die Vorahnung von etwas Entsetzlichem. Kurze Zeit später hielt der erste Panzer an. Das lange Rohr des Projektors senkte sich und schwenkte auf das Ziel ein. Noch waren die würfelförmigen Eingänge der Maahkfestung mehr zu ahnen als zu sehen, denn ununterbrochen jagten Wolken aus Ammoniakschnee und Methanhagel vorbei. Der zweite, der dritte und dann der letzte Panzer schoben sich die letzten Meter hoch und bremsten neben dem führenden Fahrzeug. Sie standen jetzt nebeneinander und warteten, die Maschinen im Leerlauf. Dort unten lag der Feind, dieses Tal mußten sie noch ungesehen durchqueren. Und gerade, als sie sich wieder in Bewegung setzten, schlug der Vulkan zu. Die Sonne beherrschte noch immer das Bild. Sie berührte mit ihrem unteren Rand den Horizont und blendete die zwölf Männer. Links war das Halbrund der Berge aus Fels und Ammoniak, die ihre Formen schnell veränderten. Am Fuß dieses Gebirgszugs, an seinem rechten Ausläufer, gab es das Feld aus einer riesigen schrägen Fläche aus Kies, Felsen und Ammoniakschneeverwehungen. Hin und wieder riß der Sturm ab, dann konnte Valiard durch die Giftatmosphäre hindurch die Würfel der Eingänge sehen, durch die sie stürmen mußten. Als er merkte, wie die schweren Gasdruckfedern zu arbeiten begannen, zuckte Valiard zusammen. »Achtung, an alle!« sagte er scharf. »Der Vulkan. Wir müssen ihn benutzen, um ungesehen durchzukommen. Los, starten!« Viermal hörte er »Verstanden!« aus den Lautsprechern, dann ruckten die Ketten an, und sein Panzer neigte sich nach vorn. Hinter den vier Panzern, die ins Tal hinunterrasselten, flogen Eisbrocken und Steine in die Höhe und wurden vom Wind weggerissen.
6
Hans Kneifel
Eine Erdspalte riß auf. Lava drang unter hohem Druck in die Höhe, vermischte sich mit dem Ammoniak, einige Gasspuren in der Giftatmosphäre entzündeten sich. Dampf zischte auf und breitete sich rasend schnell nach allen Seiten aus. Schmetternde Blitze schlugen in den Boden. Die Erschütterungen des Bodens nahmen zu. Mit rasenden Ketten, schlingernd und rutschend, bahnten sich die Panzer einen Weg durchs Inferno. Valiard fühlte, wie plötzlich alle Angst von ihm abfiel und einem neuen Gefühl Platz machte. Er wußte jetzt, daß sie alle in der Lage waren, den Auftrag zu erfüllen und die letzte, schwerste Prüfung zu bestehen. Wenn sie diese Hölle überstanden hatten, dann gehörten sie zu der Elite, die Olfkohr gnadenlos gedrillt hatte. Dann würden sie vielleicht helfen können, den Krieg für Arkon zu entscheiden. Valiard sah auf die Uhr und entdeckte, daß sie einen kleinen Vorsprung in ihrem Zeitplan hatten. Er holte tief Atem und sagte: »Geschütze klarmachen … Nach drei Schüssen Schirme auswerfen. Nach Aufhören der Gegenwehr vorbereiten zum Sturm. Mein Fahrzeug geht bis Punkt Cata vor.« Die Projektoren schwenkten halbautomatisch während der Fahrt auf das Ziel ein. Die Männer spannten ihre Muskel an, dann gab der Geschützführer des ersten Fahrzeugs den ersten Schuß ab. Der Projektor entlud sich, und der obere Teil des Einstiegs löste sich in der glühenden Detonation des Treffers auf. Bis zu diesem Augenblick hatten die Roboter, die als Maahk-Verteidiger programmiert waren, nichts gemerkt. Jetzt reagierten sie mit maschinenhafter Schnelligkeit und mit ihren tödlichen Waffen. Der kritische Punkt war erreicht. Auch die anderen Geschütze feuerten gezielt. Das Gebiet rund um die Einstiege, die Schleusen und die verkleideten Abwehrforts verwandelte sich in eine Zone aus Feuer und Explosionen.
*
Olfkohr kauerte in seinem Sessel. Sein weißes Haar war kurz, sein rundes Gesicht mit den tiefen Kerben um Nase und Mund trug die winzigen Spuren von Ammoniakverätzungen. Vor ihm waren im Halbrund ungefähr zwanzig Bildschirme aufgestellt, und er starrte ununterbrochen auf die Bilder. »Was halten Sie davon, Frayn?« knurrte Olfkohr, ohne aufzusehen. Er hatte eine rauhe, harte Stimme. »Bis jetzt halten sich Valiard und sein Team hervorragend.« »Kein Wunder«, meinte Olfkohr. »Meine Schule.« »Ihre Schule, richtig. Aber … Kommandant, ich kenne Sie lange genug. Sie sind unruhig.« »Richtig!« »Warum?« Olfkohr winkte ab. Männer wie er waren Relikte aus einer anderen Zeit. Die Schule der Methanamphibier, die atmosphärischen Taucher, war vom Vorgänger Orbanaschols gegründet und mit genauen Richtlinien versehen worden. Auch die gewaltigen Kuppelbauten, in denen jene Giftatmosphären durch ein riesiges Instrumentarium von elektronisch gesteuerten Geräten simuliert wurden, waren in der Regierungszeit Gonozals errichtet worden. »Stören Sie nicht, Frayn!« sagte Olfkohr kurz. Die Bilder flimmerten; es gab eine Menge Störungen. Aber Olfkohr und Frayn sahen deutlich, wie die vier Maschinen aus dem Feuer und dem Rauch des Vulkanausbruchs hervorkrochen und in ununterbrochener Folge gezielte Schüsse auf die Station abgaben. Unter realistischen Bedingungen wäre dies eine geglückte Überraschungsaktion gewesen. Die untere Reihe der Bildschirme zeigte hier im Trainingszentrum auch die Gegenseite. Die Maschinen waren von dem Angriff der Arkoniden eindeutig überrascht worden. Frayn Porthor kannte Olfkohr als einen unerschrockenen und draufgängerischen Mann. Es mußte etwas geben, was ihm Sor-
Schule der Kampftaucher gen machte. Sonst würde er nicht deutliche Anzeichen von starker Unruhe zeigen. Jetzt hob er, ohne die Schirme aus den Augen zu lassen, die Hand. »Ja?« »Die Rettungsmaschinerie ist bereit?« »Selbstverständlich, Meister.« »Lassen Sie zwei durchgetestete Anzüge bereitstellen. Einen für mich, den anderen für Sie.« »Sie rechnen damit, eingreifen zu müssen?« Für kurze Zeit warf Olfkohr dem jungen Offizier einen durchdringenden Blick zu. Frayn glaubte, so etwas wie Besorgnis oder Verzweiflung in den Augen des erfahrenen Mannes erkennen zu können. »Es geht mir dort zu glatt.« »Die Anzüge sind sofort bereit!« sagte Frayn und verließ den Raum. Galbayn Tsoehrt und drei seiner Leute waren unterwegs. Olfkohr erwartete gerade jetzt irgendeine Nachricht von ihnen. Die letzte Prüfung der zwölf Männer dort drüben war in das entscheidende Stadium eingetreten. Es wurden tödliche Waffen verwendet. Auf den Bildschirmen war zu sehen, daß die vier Fahrzeuge in einer Art Halbkreis stehengeblieben waren. Vor den Kettenpanzern spannten sich die Schutzschirme, aber noch feuerten die Geschütze. Die Luken waren offen. Aus einzelnen kleinen Forts rund um den Hang schlug den Angreifern Feuer entgegen. Aber mit hervorragend plazierten Schüssen wurde eine der Abwehrstationen nach der anderen vernichtet. Olfkohr stand auf. Er war erregt. Er sah, wie aus jedem Panzerfahrzeug zwei Männer sprangen. Das bedeutete, daß sämtliche Anlagen der Anzüge auf Hochleistung geschaltet waren. Die Fahrer der Fahrzeuge wechselten jetzt von der Steuerung hinter die Zielgeräte der schweren Geschütze. Die Angreifer hatten schwere Zweihandprojektoren in den Armen und rannten mit weiten Schritten auf die zerstörten Eingänge zu. Die schweren Anzüge bewegten sich ungefüge, aber hervorragend gesteuert. Im
7 Zickzack, zwischen schmelzenden Ammoniakbrocken, von denen lange Gasfahnen weggeweht wurden, geduckt gegen den mörderischen Ansturm des Sturms, drangen acht Männer gegen die Station vor. Und dann tauchte der erste Maahk auf.
* Jetzt, während er sich geschickt fallen ließ und den Körper vor sich ins Ziel nahm, hatte Valiard seine Angst und Unsicherheit vergessen. Er zielte und feuerte. Der Robot, der sich bewegte und handelte wie ein leibhaftiger Feind, war rasend schnell. Auch er schoß. Er war aus einem bisher unsichtbaren Tunnel gekommen, der abseits der Eingänge und der Geschützkuppeln lag. Aber während der Feuerstoß aus der Robotwaffe dicht neben Vallards Helm einen Ammoniakbrocken vergaste, traf Valiard die Maschine in die Brust. Er wußte nicht, wie viele Gegner es dort unten gab. Er rechnete aber mit ein paar Dutzend. Dann sprang wieder einer seiner Kameraden auf, feuerte und stürzte auf den verkohlten und ausgeglühten Beton des nächstgelegenen Eingangs zu. Ein Maahk, der im gleichen Moment auftauchte, wurde zerfetzt. »H'Noyr! Angreifen! Unsere Zeit wird knapp!« rief Valiard und sprang nach vorn. Er warf sich durch den Eingang und landete halb auf einem Maahk, der gegen die Wand geschleudert wurde und »starb«, als die Waffe in Vallards Händen aufdröhnte. Schlagartig änderte sich die Umgebung. Das Zerren und Reißen des Windes hörte unvermittelt auf. Statt des Sonnenlichts gab es hier Kunstlicht aus verdeckten Anlagen. Valiard hörte H'Noyrs Antwort über Funk: »Ich dringe mit Kaarn in die Funkabteilung ein.« »Verstanden. Weiter. Tern?« »Im Augenblick keine Zeit … Moment …« Während Valiard auf zwei Maahks schoß, die in den kurzen unterirdischen Korridor
8 gerannt kamen, glaubte er, den stechenden Geruch wahrzunehmen, der das erste Zeichen dafür war, daß der Anzug ein winziges Leck hatte. Draußen herrschte der dreifache Überdruck, aber die Anzüge hatten eine weitaus höher liegende Reserve. Er ignorierte den Geruch und tötete auch den zweiten Verteidiger. Dann erst konnte er aufstehen und den Schutzschirmprojektor einschalten. Augenblicklich hüllte sich sein Körper in das halbkugelige Feld ein. »Durchzählappell!« sagte er. »Und die Fahrzeuge dicht an die Ausgänge, drehen und startfertig machen.« Viermal kamen die zustimmenden Antworten aus den Panzern, dann meldeten sich die sieben anderen Männer. »Es gibt keine Gegenwehr mehr!« sagte einer von ihnen. »Das halte ich für einen frommen Wunsch!« gab Valiard zurück. »Wir sind erst sicher, wenn das Boot außerhalb der Gashülle ist.« Sie liefen langsam weiter, umgingen Fallen, wurden beschossen und schossen zurück. Sie hatten binnen kurzer Zeit das Schema dieser Anlage entschlüsselt und versuchten, an die wichtigen Daten heranzukommen. Der Geruch nach Ammoniak wurde stärker. Valiard blieb stehen und setzte den Anteil an Sauerstoff in der zirkulierrenden Atemluft seines Anzugs herauf. Der Geruch blieb. Die Furcht kroch wieder in seinem Verstand und breitete sich aus. Es gab keine Möglichkeit – außer in den Panzerfahrzeugen – einen Raum zu schaffen, in dem die Luft nicht giftig war, denn hier wurden reale Bedingungen simuliert. Valiard sagte mit mühsam erzwungener Ruhe ins Helmmikrophon: »Zuletzt war Colant neben mir. Valiard spricht. Wo bist du?« »Ich kam durch den zweiten Eingang, von dir aus gesehen. Warum fragst du?« erkundigte sich der Mann. »Ich glaube, ich werde Hilfe brauchen.« »Giftalarm?«
Hans Kneifel Valiard war dreimal von den Strahlenwaffen der Maahks getroffen worden, dreimal streifte die verheerende Energie seinen Anzug. Irgendwo mußte ein Leck sein, das sich nicht durch den selbsttätig wirkenden Dichtschaum abblocken ließ. Vermutlich im Bereich eines der Gelenke. Wenn er die Nottaste drückte, würde sich zwischen der äußersten Schicht der Unterkleidung und der Innenwandung des Anzugs ein zweiter Schaum ausbreiten, der innerhalb von fünf Minuten steinhart wurde. Das würde bedeuten, daß ihn seine Männer wie einen Toten würden schleppen müssen. »Vermutlich Giftalarm!« sagte er so ruhig wie möglich. Die Unterhaltung hatte nur Sekunden gedauert. In diesen wenigen Sekunden verrichteten die Männer der Kommandoeinheit alles, was nötig war, um die Räume mit den wichtigen Daten zu finden und aufzusprengen. Immer wieder übertrugen die Außenmikrophone das Geräusch von wütendem Feuerwechsel. »Ich sehe dich, Valiard.« Auf allen Teilen der Anzüge waren große, selbstleuchtende Nummern angebracht. Vallards Zwei war auf einmal Mittelpunkt des Interesses. Giftalarm, das war schlimmer als ein neuer Gegner. Von einhundert Schülern, die sich hier ausbilden ließen, überlebten fünf das Abschlußtraining nicht. »Es geht noch. Erst wenn wir im Zentrum sind.« Sie hatten die zahllosen Berichte studiert und wußten, daß solche Stationen immer nach einem bestimmten Schema erbaut waren. Die Männer kamen sternförmig auf das Zentrum zu. Nethac zerschoß die schweren Riegel eines Panzerschotts, und Colant warf sich mit der Schulter gegen die massive Platte. Die Tür schwang auf. »Hier! Warte. Ich komme von rechts!« rief der Kamerad. Valiard drehte sich, riß die Waffe herum und sah, daß der Maahk eben unter dem Kreuzfeuer von zwei Männern zusammenbrach. Dann rannte Nummer Sieben auf ihn
Schule der Kampftaucher zu. Die Männer sahen sich kurz durch die Helmscheiben hindurch an. »Ernst?« fragte Nummer Sieben. »Ja. Es stinkt, aber die Anlage hat noch nicht gesummt.« »Weißt du, an welcher Stelle?« Die giftige Gashülle vereiste im allgemeinen die betreffende Körperpartie, so daß eine grobe Lokalisierung des Risses möglich wurde. In diesem Fall halfen Spezialklebebänder, die einige Stunden Sicherheit boten. »Nein. Ich spüre nichts.« Aber er roch es. Valiard sah, wie seine Kameraden das wissenschaftliche oder logistische Zentrum des Stützpunkts stürmten, wie sie nach den Daten suchten – eine planmäßige und überlegte Arbeit. Er ging etwas langsamer auf den zerstörten Eingang zu. »Was willst du unternehmen?« fragte Colant beunruhigt. »Jetzt noch nichts. Höchstens im Schlepper.« »Ich verstehe.« Sie liefen weiter. Sie schafften es, innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit ihre Dokumentation zu machen. Valiard, der in dieser Phase nicht arbeitete, sondern nur koordinierte, entdeckte einen kleinen Safe und wies darauf hin, und tatsächlich fanden sie darin einen Kodeschlüssel. In wenigen Augenblicken konnten sie zurück. »Panzerfahrzeuge klar?« fragte Valiard. In seinem Gesichtsfeld wechselten die eingespiegelten Zahlen. Der Gestank im Anzug wurde immer schlimmer. Valiard kämpfte mehr und mehr gegen Brechreiz und Übelkeit an. Aber er mußte noch so lange durchhalten, bis sie wieder in den. Fahrzeugen waren. Valiard lehnte sich an die Wand und hatte das dringende Bedürfnis, sich den kalten Schweiß von der Stirn zu wischen. Schließlich, als er es nach etwa fünfzig Herzschlägen nicht mehr aushalten konnte, schaltete er ein winziges Aggregat ein. Es lief an und pumpte das Atemluftgemisch aus seinem Anzug hinaus, kämpfte gegen den Außendruck an und schaltete sich aus, als ein Pseudovakuum geschaffen wur-
9 de. Dann hörte Valiard das Schnappen eines Ventils und das Zischen, mit dem neue Luft in den Helm strömte. Augenblicklich stank es wieder nach Ammoniak. »Kommt schon heraus. Das Boot hat uns angefunkt!« sagte einer der wartenden Fahrer, die noch immer die Geschützrohre kreisen ließen und Ortungen in alle Richtungen vornahmen. »Valiard hier!« hörte er sich selbst krächzen. »Wir gehen. Schnell!« Sie warfen alle Funde in Netze und bildeten zwei Gruppen. Dann rannten sie den Weg zurück, den sie gekommen waren. Valiard taumelte und schlug schwer gegen die Wand des Hohlraums, in dem sie sich bewegten. Tern hinter ihm packte ihn an einem Tragegriff der Rüstung und stieß ihn vorwärts. »Val!« schrie er aufgeregt. »Schaffst du es noch?« »Ja, ich … glaube.« Aus ihrem Rückzug wurde eine Flucht. Die ersten Kampftaucher erreichten die Ausgänge und rannten auf die wartenden Fahrzeuge zu. Sie waren deswegen so schnell, weil sie wußten, daß es Probleme geben würde – mit Valiard. Je weniger sie den anderen im Weg waren, desto besser. Valiard schaffte es genau bis zu dem Einstieg in sein Panzerfahrzeug. Hinter ihm war Tern, der ihm half und seine Beute bereits in den Innenraum geworfen hatte. Beide hingen sie an den Griffen, vor ihnen war das Luk, und sie standen auf dem schweren Metallgitter, das über den Raupenketten lag. »Vallard … an … alle«, stöhnte und gurgelte er. »Los! Wir starten!« Das Fahrzeug ruckte scharf an und der Ruck schleuderte beide Männer rückwärts zu Boden. Der Fahrer merkte es nicht sofort, und als Tern aufschrie, war es zu spät. Die Fahrzeuge hatten etwa hundert Meter zurückgelegt. Der zweite Wagen rollte mit der rechten Kette über Tern hinweg, während Vallard in eine vulkanische Spalte geschleudert wurde und in letzter Not den be-
10 treffenden Schalter fand und hineinschlug. Der dritte Panzer kam in einer gewaltigen Wolke aus Kristallen zum Stehen und schlitterte auf Tern zu. Zwei Kampftaucher sprangen rechts und links von den Abdeckungen herunter und rannten auf Tern zu. Sie packten ihn an den versenkten Griffen des Anzugs und zogen ihn in rasender Eile auf den Wagen zu. »Tern! Wie geht es dir? Schmerzen?« Ein röchelndes Stöhnen war die Antwort. Der Schutzpanzer des Mannes war stark genug, um das halbe Gewicht des Panzers auszuhalten. Aber die Verbindungen und Gelenke knackten und rissen auf. Zwei Blinklichter außerhalb und ein dröhnender Summer innerhalb des Anzugs bewiesen, daß die Elektronik des Anzugs alle Möglichkeiten ausschöpfte, den Träger des Anzugs am Leben zu erhalten. »Tern! Noch zehn Minuten! Wir schaffen es!« Sie brachten es fertig, Tern zum Fahrzeug zu schleppen und in die Kammer zu bugsieren. Die Luken dröhnten zu. Sofort setzten sich zwei Panzer in Bewegung und rasten davon. »Holt mich hier raus!« schrie keuchend der Anführer der Gruppe. Um ihn herum waren Sturm, Ammoniakschneetreiben und die Dämpfe des Vulkans. Lava brodelte in seinem Rücken, als der Führungspanzer heranschleuderte. Wieder sprangen zwei Männer ab. Der dritte Panzer entfernte sich befehlsgemäß mit Höchstgeschwindigkeit. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sich die schnell erhärtende Schicht gebildet. Aber die Spalten und Risse in den Gelenken erweiterten sich. Die Kameraden hakten Stahltaue in die Ringe des Anzugs und zogen die schwere Masse des Anzugs, der sich nicht mehr bewegen ließ, aus der Spalte heraus. Als sie mit Hilfe des Projektors, der als Kranarm benutzt wurde, den schweren Anzug in der Luft hatten, fuhr der Panzer wieder langsam an. Die Kampftaucher sprangen auf und arbeiteten schweigend und konzen-
Hans Kneifel triert. Inzwischen besagte eine kurze Meldung aus dem davonrasenden Panzer, daß die Kabine leergepumpt worden war. Sie versuchten gerade, Tern aus dem Anzug zu befreien. Plötzlich, etwa auf der Mitte der Fluchtstrecke, knisterte und knackte es in sämtlichen Funkgeräten. Es war unverkennbar Olfkohrs Stimme, die laut und deutlich sagte: »Panzer Drei, Vier und Zwei ins Beiboot. Ich kümmere mich um Valiard!« Eine als Gesteinswand getarnte Schleusentür wurde aufgesprengt. Oifkohr in seinem chromglänzenden Schutzanzug schoß mit voll arbeitenden Flugtriebwerken aus der Kammer und nahm mit eingeschalteten Anzugscheinwerfern Kurs auf den dahinschlingernden Panzerwagen. Er hatte vor, das Leben Vallards zu retten. Es würde nicht leicht sein, sagte er sich verzweifelt, als er sich mit einer Fangleine an einem Handgriff sicherte und das Gerät aktivierte, das deutliche Ähnlichkeit mit einer schweren Energiewaffe hatte. Während sich die verzweifelte Crew bemühte, durch den Orkan und die Schlucht das Boot zu erreichen, handelte Olfkohr schnell. Zuerst entfaltete er eine dicke Folie, einen ballonförmigen Sack. Er zog ihn über den Oberkörper des regungslosen Mannes. Dann drückte er durch die schlaffe Folie hindurch einen Hebel, die Sichtscheibe sprang aus der Fassung. Gleichzeitig fauchte eine Hochdruckdüse auf und blies den Ballon auf. Die Folge war, daß Vallards Lungen mit neuer Atemluft gefüllt wurden. Diese Luft stand unter hohem Druck. »Schneller fahren!« sagte Olfkohr. »Viel schneller geht es nicht mehr!« knurrte der Fahrer, aber er schob die Geschwindigkeitshebel ganz nach vorn. Die Luken waren geschlossen, die Pumpen liefen heiß, als sie versuchten, die Giftatmosphäre aus dem Panzerinnern zu pumpen. Der letzte Panzer raste schlingernd und schleudernd, den Sturm im Rücken, die Ver-
Schule der Kampftaucher änderliche Schlucht hinunter. Dort vorn, hinter Nebel, Schneeschauern und Dampfwolken, befand sich die Schleuse des Bootes, die sie erreichen mußten. Auch das Beiboot war eine Attrappe; die Schleusentore waren nichts anderes als Unterbrechungen in der gewaltigen Trainingskuppel. Anschließend an einen würfelförmigen Anbau gab es dort inmitten der Landschaft eine lange abfallende Rampe, auf der bereits die Rettungsfahrzeuge und die Mannschaften warteten. Jedes Jahr forderte Falgrohst einige Opfer. Jeder Tote schwächte die Kraft des Imperiums, und darüber hinaus war es Olfkohr, der darunter litt wie ein Vater, der seinen Sohn verlor. Unruhig warteten die robotunterstützten Teams. Sie waren bereit, blitzschnell zuzupacken. Die äußeren Schleusentore blieben geschlossen …
2. Frayn Porthor schirmte seine Augen ab und blickte sich um. Er war diszipliniert genug, die Aktion Olfkohrs nicht zu stören. Wenn der Chef Hilfe brauchte, würde er sich melden. Auch Frayn war bereit, sich in die Schleuse zu stürzen; er trug bereits den schweren Schutzanzug. Vor ihm im schweren Einsatzgleiter ertönte ein Summer, eine Lampe strahlte auf. Frayn nahm das Mikrophon in die gepanzerte Hand. »Porthor hier. Was ist los?« »Zentrale. Eine Botschaft für Olfkohr!« sagte eine Stimme, aus der deutlich Niedergeschlagenheit zu hören war. Frayn sagte unruhig: »Im Augenblick kann ich sie nicht weitergeben. Olfkohr ist in der Kuppel. Er rettet zwei Männer. Giftalarm am Ende der letzten Übung einer hervorragenden Gruppe. Du kennst Vallard, den Teamleiter?« »Ja. Ist er …?« »Keine Ahnung. Was hast du zu berich-
11 ten?« »Ormeck-Pan hat sich gemeldet. Ein Funkspruch wurde aufgefangen und an uns abgestrahlt. Galbayn Tsoehrt und seine Gruppe sind von den Maahks gefangengenommen worden.« Frayn unterdrückte seine abgrundtiefe Enttäuschung und wußte, daß dieses Schicksal ihm ebenso drohte wie allen anderen Kampftauchern, die in diesem geheimen Stützpunkt ausgebildet wurden. Endlich antwortete der junge Offizier: »Wann kam diese Meldung?« »Hier traf sie vor einigen Augenblicken ein. Ich habe sie sofort weitergegeben, als sie entschlüsselt war.« »Ich verstehe.« Als er eine Bewegung sah, drehte Frayn den Kopf. Die schweren Stahlportale glitten auseinander. Gleichzeitig damit driftete aus der riesigen Schleuse eine gewaltige Wolke. Die Gase wurden von einem riesigen Gebläse in die Höhe gerissen und bis zu einer unschädlichen Konzentration verdünnt. Aus diesem lautlosen Inferno ratterte der erste Panzer auf die Hilfsmannschaften zu. Die Luken des kugelförmigen Sicherheitsraums waren geöffnet. Frayn stand auf und blieb neben dem Gleiter stehen. »Hör zu«, sagte er. »Eben ist die erste Gruppe, anscheinend unversehrt, aus der Schleuse gekommen. Wir treffen uns im Büro des Sonnenträgers. Versuche, etwas mehr in Erfahrung zu bringen.« »Verstanden, Frayn. Ende.« Von allen Seiten stürzten Helfer auf das bremsende Fahrzeug los. Die Männer in ihren schweren, nassen Anzügen, die sich augenblicklich mit Eis beschlagen hatten, kletterten schnell aus der Kugelkabine hervor. Frayn war sicher, daß er nicht mehr einzugreifen brauchte. Verschiedene unterirdische Sicherheitsstollen zogen sich unter jeder Kuppel hin und boten die Möglichkeit, plötzlich mitten in der giftigen Atmosphäre und den Tornados oder künstlichen Vulkanen aufzutauchen. Olfkohr hatte einen solchen Stollen samt Zweimannschleuse be-
12 nutzt. Frayn war ein hervorragender Taucher, aber er hatte einen Fehler, den er selbst genau kannte. Sein zu stark entwickelter Ehrgeiz. Aber hier ging es um seine Freunde und Kameraden, und bei dieser Rettungsaktion war Ehrgeiz ebenso unangebracht wie überflüssig. Er wartete. Panzer Eins schien intakt zu sein, und auch die Insassen waren unverletzt. Das zweite Fahrzeug kam heraus, bremste scharf ab und rasselte klirrend auf einen Bergegleiter zu. Sofort folgte der nächste Panzer, der ebenfalls in die Richtung raste, die das erste Fahrzeug eingeschlagen hatte. Frayn sah, wie der Fahrer aus der offenen Luke winkte und das »Alles-in-Ordnung-Zeichen« machte. Noch ein Fahrzeug fehlte. Jetzt kam es heraus. Zwei Mann standen auf den Kettenabdeckungen. Bedeckt mit rußigem Schnee, das Geschützrohr schräg nach oben gerichtet, schleuderte auch dieser Panzer auf die Anlage zu, in der die Mediziner warteten. »Verdammt!« sagte Frayn, schaltete das Funkgerät ab und ging schnell hinüber zu den verschiedenen Gruppen. Die Helfer versammelten sich um die zwei Panzer. Einige Männer sprangen ab und kletterten hinaus, aber dann schwebten Plattformen heran. »Es sind Tern und Vallard!« rief jemand, der an Frayn vorbeihastete. Frayn sah den alten Sonnen träger, Befehle brüllend, in seinem auffälligen Schutzanzug. Tern und Vallard schwebten hinüber in die Gleiter, in denen sie behandelt werden konnten. Zwischen dem Augenblick, an dem sie über Funk von Vallards Zustand gehört hatten, und dem Zeitpunkt, an dem die ersten gezielten medizinischen Maßnahmen einsetzten, waren elf Minuten vergangen. Frayn schob sich zwischen den hastenden Helfern hindurch und traf schließlich Olfkohr. Zwei Techniker befreiten Olfkohr gerade von dem gewaltigen Helm. Frayn hatte seinen Anzug noch nicht geschlossen ge-
Hans Kneifel habt. Die beiden Männer starrten sich an. Der massige Trainer der Kampftaucher und der schlanke, hochgewachsene Offizier. Dann senkte Olfkohr den Blick und murmelte: »Vielleicht kommen sie durch. Sonst ist alles in Ordnung. Der Einsatz verlief mustergültig.« »Freut mich. Was denken Sie, Chef?« »Ich denke, daß Valiard und Tern gute Chancen haben. Wir werden in einer Stunde mehr wissen.« Die Gleiter entfernten sich jetzt mit heulenden Sirenen und aufblitzenden Signallichtern in die Richtung der langgestreckten Gebäude weit abseits der Kuppeln. Während des Transportes setzten schon die Maßnahmen ein, die mit dem höchsten Standard der arkonidischen Überlebenstechnik versuchten, die Männer zu retten. »Sonnenträger Olfkohr«, sagte Frayn leise, »ich weiß nicht, ob es der richtige Zeitpunkt ist, Ihnen etwas zu berichten.« Er hörte selbst, wie unecht seine Worte klangen. Sofort erschien in den Augen des alten Kämpfers ein Ausdruck der Wachsamkeit. »Keine falsche Zurückhaltung, Porthor. Wenn es um Ihre Karriere geht, sind Sie auch zu unkonventionellen Lösungen bereit.« »Die Maahks haben Galbayn und seine Gruppe gefangengenommen!« »Nein!« stöhnte Olfkohr auf und riß seinen Arm in die Höhe. »Mannschaften!« dröhnte seine Stimme. »Hierher!« Die Eigenschaften Olfkohrs waren bekannt, und jeder konnte sich darauf verlassen, daß er genau das tat, was er zu tun versprochen hatte. Er kannte seine Aufgabe und nahm sie so ernst, wie er es aus den Zeiten Gonozals gewohnt war. Die Ausbildung der Männer war hart und gnadenlos. Diejenigen, die für diesen selbstmörderischen Beruf nicht geeignet waren, schieden bereits in einem Stadium aus, in dem sie nicht in den Simulatoren umgebracht werden konnten. Aber in dem Augenblick, wo einer seiner
Schule der Kampftaucher Schützlinge Hilfe brauchte, setzte er sich mit all seinem Können und bedingungsloser Hingabe ein. »Was haben Sie vor?« fragte Frayn als Männer ihnen aus den Rüstungen halfen. »Arkon. Zuerst einmal in die Nachrichtenstation.« »Wenn es nicht schon zu spät ist!« murmelte Frayn. »Die Maahks töten nicht so schnell. Außerdem werden sie versuchen, die Koordinaten von Falgrohst zu erfahren. Hier hilft nur noch massiver Einsatz einer Flotte!« »So, wie ich Orbanaschol zu kennen glaube …«, begann Frayn, aber Olfkohr winkte ab. »Wir müssen zuerst genügend Informationen haben!« sagte er. Olfkohr und Frayn rasten mit dem Gleiter des Ausbilders hinüber zur Funkstation des Planeten. Frayn war sicher, daß sie nicht viel würden ausrichten können. Olfkohr schwieg. Sein Gesicht war weiß und wirkte verschlossen. Es ging nicht nur um das Leben von vier höchstqualifizierten Männern, sondern um das Geheimnis des Trainingsplaneten.
* Zuerst knisternde Störungen, dann der Text. Galbayn Tsoehrt spricht. Wir sind von Maahks umzingelt. Wir sind in eine verteufelte Falle geraten … Wieder Störungen, eine Pause, dann ein scharfes Knistern von einer starken Energieentladung … nicht vorauszusehen. Wir vernichten den Minisender. Wir haben die Hyperfunkstation der Gegner sprengen können … Unterbrechung, Störungen, … aussichtslose Lage. Sie kommen auf uns zu, wir haben keine Chance mehr. Olfkohr, versuchen Sie, uns herauszuholen … Sie kommen … Ich drücke jetzt den Selbstvernichtungssatz … Ein Knistern, dann nur noch die Störungen, die vom Empfangsgerät aufgenommen worden waren. Das Band wurde angehalten. »Jetzt kann ich mir ein deutlicheres Bild
13 machen!« knurrte Olfkohr. Er rief sich die Jahre in sein Gedächtnis zurück, in denen er selbst solche Einsätze unternommen hatte. Sie waren eine nicht abreißende Kette von Gefahren und letztlich Siegen gewesen, sonst wäre er nicht mehr Sonnenträger. Er glaubte, die Mentalität der Maahks ein wenig zu kennen. »Steht die Verbindung mit Arkon?« fragte Frayn und biß sich auf die Lippen. »Noch nicht.« »Beeilt euch, ja?« flüsterte Olfkohr abwesend. Er spielte in seinen Gedanken die Möglichkeiten durch, die es noch gab. Er glaubte fest, daß im Augenblick seine Schüler noch lebten. »Natürlich, Chef!« sagte die Arkonidin, die seit Eintreten der zwei Männer Arkon zu erreichen versuchte. Die Relaisstrecke war an einem Punkt unterbrochen. Es konnte aber nicht mehr lange dauern. Olfkohr stützte sein rundes, hartes Kinn in die Hand und schaute endlich hoch. Dann begann er leise zu fluchen. Die Kuppelbauten mit den gewaltigen Maschinen, die in der Lage waren, nahezu jede Form von giftiger, ungiftiger oder tödlicher Atmosphäre zu simulieren, dazu Oberflächenschwerebeschleunigung von fast Null bis mehr als Zehn, einschließlich aller Stürme, Blitze, Schwerkraftanomalien, Vulkanausbrüche, Stürme und Überschwemmungen – alle diese Faktoren konnten programmgesteuert werden. Die Anlagen waren das Werk Olfkohrs. Er wußte nicht mehr, wie viele Schüler aus dieser harten Schule hervorgegangen waren, aber er würde jeden von ihnen erkennen. Das alles war in unmittelbarer Gefahr. Noch heute. Auch Tsoehrt und die drei Männer waren so etwas wie seine Söhne. Er mußte sie retten. Und vielleicht war es Porthor, der dabei seinen Ehrgeiz austoben und eine Auszeichnung erbeuten konnte. Oder … sollte er selbst versuchen, eine Rettungsaktion zu organisieren? Nein. Das war sinnlos. Was sie brauchten, war eine
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kleine Flotte schwerer bewaffneter Schiffe, die blitzartig zuschlugen und Landetruppen absetzten. Die vier Männer mußten befreit werden. Olfkohrs Lebenswerk war in Gefahr, denn die Chancen, daß man ihnen die Geheimnisse der Schule und des Planeten entriß, waren groß. »Ich bin durchgekommen, Sonnenträger!« sagte die junge Frau. »Der Kanal ist offen. Sie können sprechen.« »Danke.« Es dauerte lange, bis Olfkohr den richtigen Mann vor sich hatte. Er war hoher Flottenoffizier, der sich als Stellvertreter des Sekretärs von Orbanaschol dem Dritten bezeichnete. Etwa zwanzig Minuten später bekam Olfkohr einen Tobsuchtsanfall.
* Sie standen in einer Art Hof, einem riesigen leeren Platz, auf den der Sturm ununterbrochen Ammoniakschnee warf. Die Maahks, die ihre Waffen auf sie gerichtet hatten, beachteten den Sturm nicht. Der Himmel über diesem Teil von Ormeck-Pan war stumpfsilbern und von den breiten Streifen der vulkanischen Asche durchzogen. Es war nicht zu erkennen, an welcher Stelle sich die Sonne verbarg. »Aus!« sagte Tsoehrt. »Wir können sterben oder uns ergeben.« Noch hielten sie ihre Waffen in den Händen. Von allen Seiten des Platzes kamen die riesigen Gestalten der Methaner auf sie zu. Die Augen mit den doppelten Schlitzpupillen starrten die Arkoniden an und warteten nur auf ein Zeichen. »Es sind zweihundert Maahks!« flüsterte einer der Kampftaucher. »Wir haben keine Chance mehr. Und wir haben ihre Funkstation vernichtet.« »Das ist es, was ich meinte!« wiederholte Tsoehrt und warf seinen Strahler zu Boden. Die Maahks zeigten keine Reaktion, abgesehen davon, daß sich der Kreis um die vier Gefangenen enger schloß. Die Arkoniden kannten das Risiko, das
sie eingegangen waren. Jetzt gab es für sie nur noch drei Möglichkeiten zu überleben. »Tsoehrt?« fragte beklommen der Jüngste des Teams. Die Schwerkraft auf Ormeck-Pan betrug ziemlich genau das Dreifache Arkons. Die massigen Gestalten in Kampfkleidung stapften näher heran. Sie gingen keinerlei Risiko ein. Es würde nur noch Sekunden dauern. Für einen Augenblick verdunkelte eine daherrasende Wolke Methanschnee den Mittelpunkt des Platzes, und selbst der überlegte Tsoehrt spielte mit dem sinnlosen Gedanken, sich auf seine Waffe zu stürzen und zu versuchen, sich und seinen drei Freunden einen Weg freizuschießen, damit sie mit voller Kraft ihrer atmosphärischen Antriebsaggregate nach oben starten konnten. »Ja?« »Werden Sie uns herausholen? Ich meine, wird uns Arkon helfen?« »Keine Ahnung!« erwiderte er. Die Maahks kamen näher. Die Schuppen ihrer Reptilienhaut glänzten. Sie brauchten hier keinen Schutzanzug. Aber sie trugen Waffen und Kombinationen, die wie Uniformen aussahen. »Sie müssen uns helfen!« Das war die erste Möglichkeit. Die Furcht lähmte die vier Männer. Sie waren tapfer und würden sich wehren, aber es war sinnlos. Jetzt trennten nur noch fünfzig Meter die beiden Gruppen voneinander. »Wir sollten uns darauf vorbereiten, verhört zu werden. Sie werden versuchen, uns über Falgrohst auszufragen. Mit allen Methoden, die sie haben. Noch etwas … Wir kennen ihre Sprache nicht.« Das war die zweite Möglichkeit. Es war so gut wie sicher. Natürlich sprachen sie alle das Kraahmak perfekt, und es würde hier auch einen Grek geben, der Arkonidisch sprach. Sie konnten sich darauf verlassen, denn die Angriffe der Kampftaucher auf fast allen wichtigen Methanplaneten waren gefürchtet. »Oder sie töten uns sofort!« sagte der letzte Mann und warf seine Waffe ebenfalls
Schule der Kampftaucher auf die Platten des Platzes. In den Lautsprechern der vier Männer ertönte plötzlich die dumpf grollende Stimme eines Maahks. Er sprach ein undeutliches, aber genügend verständliches Arkonidisch. »Betrachten Sie sich als Gefangene. Wir wollen Sie nicht niederschießen. Sie dort, werfen Sie Ihre Waffe weg!« Carnth ließ seinen schweren Strahler fallen und dachte an ihren kleinen Sender, den sie vernichtet hatten, als die Lage unhaltbar geworden war. Befreiung durch eine Arkon-Flotte, lange, qualvolle Verhöre und der Tod. Dies waren die einzigen Aussichten, die Tsoehrt noch hatte. Bis zu diesem Augenblick hatte er noch hoffen können, aber jetzt griff die Müdigkeit nach ihm, die Einsicht, daß sie versagt hatten. Das Ende war nahe. Die Schwäche ließ Tsoehrt taumeln, aber er beherrschte sich einigermaßen. »Sie werden weggebracht und verhört werden. Kommen Sie!« Die wuchtigen Tentakelarme bewegten sich. Blitzschnell wurden Tsoehrt und seine Kameraden abgetastet, und alle Ausrüstungsgegenstände verschwanden. Ebenso die Strahler auf dem Pflaster. Den Maahks war keinerlei Gefühlsregung anzusehen, aber die Furcht und die Ungewißheit packten die Arkoniden mit einem furchtbaren Griff. Sie wußten nicht einmal, ob ihr Funkspruch durchgekommen war. Hoffnungslosigkeit erfüllte sie. »Kommen Sie!« Die Methaner verhielten sich korrekt und völlig unemotionell. Sie nahmen die Männer in ihre Mitte, aber blieben unverändert wachsam. Die Gruppe überquerte den Platz und verschwand in einem der Gebäude, die durch den Brand der Hyperfunkanlage nicht gelitten hatten. Alles, was jetzt passieren würde, wußte Tsoehrt, geschah ohne Haß, ohne Wut, völlig ohne Emotionen. Die Methaner waren ein Volk ohne Gefühle, wie Arkoniden sie kannten. In ihrer Mentalität waren Gefühle kaum vorhanden. Sie waren streng logisch,
15 rational wie ein Großrechner. Aber sie würden demnach auch kein Mitleid haben. Das Ende der vier Kampftaucher war völlig offen, aber Galbayn Tsoehrt begann zu ahnen, daß die Stunden gezählt waren. Hinter ihnen schloß sich hallend ein stählernes Schott.
* Olfkohr hob seinen Arm. Die Faust krachte auf die schwere Tischplatte herunter. Sämtliche Gegenstände auf der Platte klirrten und virbrierten. Auf dem Schirm des Kommunikationsgeräts zeichneten sich sekundenlang Störungslinien ab. Olfkohrs Gesicht war kriedebleich. »Dieser Stümper!« keuchte er. Frayn hatte ihn noch niemals so erlebt, und er kannte ihn inzwischen fast drei Jahre. »Diese elenden Schranzen! Und der Kerl, mit dem ich gesprochen habe …« Seine Stimme erstickte. Jetzt hatte er sich mühsam beruhigt, aber zwei geborstene Bildschirme und ein Scherbenhaufen waren die stummen Zeugen seines Ausbruchs. »Ich werde ihnen den Orden ins Gesicht schleudern!« sagte er grimmig. Dann sprang er wieder auf. Seine Unruhe brauchte ein Ventil. Er mußte sich bewegen, er mußte handeln. Frayn hob die Hand und warf zögernd ein: »Sonnenträger Olfkohr! Ich glaube, wir sollten diesen Vorfall vergessen. Er bringt uns außer Wut, Haß und Enttäuschung nichts ein. Die Frage ist nur, was können wir tun?« Olfkohr warf ihm einen funkelnden Blick zu. Noch immer war der alte Haudegen halb außer sich. »Was glauben Sie junger Narr, was ich die letzten Minuten getan habe?« »Entschuldigung, Olfkohr!« »Schon gut.« Olfkohr hatte sich in der Hierarchie der Flottenbefehlshaber Stufe um Stufe hinaufgearbeitet und durchgebettelt. Aber von je-
16 dem Offizier, jedem Kommandanten, jedem Admiral war er vertröstet oder an die nächsthöhere Stelle verwiesen worden. Er wollte nichts anderes, als daß ein Schlachtschiff seine Leute auf Ormeck-Pan herausholen sollte. Oder eine der kleinen Flotten, die im betreffenden Raumsektor operierten. Die vier Methanamphibier mußten befreit werden, ehe sie starben und die Geheimnisse dieser Ausbildungswelt verrieten. Aber überall hatte er denselben Bescheid erhalten. Arkon sammelte seine Raumkräfte, um einen entscheidenden Schlag gegen den riesigen Stützpunkt Marlackskor zu führen. Sie wollten die Kräfte nicht verzetteln, die Flotten nicht auseinanderreißen. »Sie haben mich vertröstet!« fauchte er. Die Wut hatte ihn gepackt und schüttelte ihn. Staunend und nur zum Teil fähig, seine Überlegungen nachzuvollziehen, hatten die wenigen Mitarbeiter Olfkohrs dessen Wutanfall über sich ergehen lassen. »Und sie wissen so gut wie ich, daß jede Stunde kostbar ist. Später wird keine Rettung mehr möglich sein. Und die Maahks werden uns hier überfallen und den Planeten zerstören, den einzigen Platz, an dem Arkon seine Elitetaucher ausbildet!« Orbanaschol hatte ihn im Stich gelassen. Olfkohr empfand dies als persönliche Kränkung und Zurücksetzung. Aber er war in der Lage, diese Empfindungen zu vergessen, zu ignorieren. Es ging ihm um vier Menschenleben und um die weitere Existenz von Falgrohst. Er hatte sogar riskiert, die Funkgespräche im Klartext zu führen. Sie selbst hatten im Augenblick auf Falgrohst nur ein paar große Beiboote, mit denen niemand Ormeck-Pan erreichen konnte. »Ein Schiff!« stöhnte er laut. »Woher bekommen wir ein Schiff, ein schnelles Schiff, Frayn?« »Ich habe nicht die geringste Ahnung.« Olfkohr hob die Schultern. »Ich leider auch nicht.« Sie schwiegen. Es gab eine entfernte Möglichkeit, aber sie war fast utopisch. »Wir haben hier eine Masse von rund
Hans Kneifel dreihundert Schülern. Sie alle sind in der Lage, einen solchen Einsatz zu unternehmen. Wir haben auch Waffen und Fahrzeuge. Es gibt nicht sehr viele Methaner auf diesem Stützpunkt, und wenn ein Schiff einen gut geplanten Angriff fliegen würde, könnten wir die vier herausholen.« Frayn überlegte. Was Olfkohr sagte, war sachlich richtig. Die Voraussetzung dafür war, daß Olfkohr seine Kompetenzen drastisch überschritt und auf eigene Faust handelte. Arkon und die Flottenleitung und mit Sicherheit auch Orbanaschol würden toben, wenn sie davon erfuhren. »Sie meinen, der inoffizielle Weg würde funktionieren?« erkundigte sich Frayn verblüfft. Er ahnte Schlimmes. Und vor allem ahnte er, daß er selbst als Mitverschworener einer solchen Aktion Ärger und Schwierigkeiten bekommen würde. Und zwar im Übermaß. Ärger, der sich sehr nachteilig auf seine Karriere auswirken würde. »Vielleicht! Wir brauchen ein Schiff. Ein einigermaßen großes Schiff, dessen Kommandant uns hilft!« »Woher?« »Wir haben einen Hypersender. Und der Kosmos ist voller Schiffe. Denken Sie an die vielen Stützpunkte in unserer relativen Nähe.« Steif fragte Frayn Porthor zurück: »Sie wissen, daß Sie ein Unternehmen starten wollen, daß uns alle Kopf und Kragen kosten kann? Orbanaschol läßt sich nicht gern übergehen; er ist allergisch gegen solche verwegenen Kraftakte.« »Wollen Sie, Frayn, daß Ihre Kameraden sterben?« »Wenn ich es verhindern kann«, gab Porthor zurück, »dann gehe ich sogar mit Ihnen nach Ormeck-Pan, um die vier herauszuholen. Das ist mein Standpunkt. Trotzdem warne ich Sie. Ich hoffe, Sie haben verstanden, was ich meine?« »Ich denke schon.« Ihre Lage war undankbar und fast aussichtslos. Was immer sie unternehmen wollten, es war gefährlich und riskant. Ob Olf-
Schule der Kampftaucher kohr tobte oder ruhig blieb, ob Frayn um seine Karriere zitterte oder seine Befürchtungen vergaß, war gleichgültig. Ob die Männer von Falgrohst massiert eingriffen, oder ob sie hier blieben, bis die Todesnachricht auf obskuren Wegen einging … Es würde auf alle Fälle Ärger geben. Ärger und schließlich eine Art von Resignation, von der sie alle gezeichnet werden würden. Schweigend dachten sie nach, ihre Gedanken bewegten sich in Kreisen, und sie fanden keinen Ausweg, der sich relativ leicht anbot. Zwischen Eingehen der Meldung und ihrer Ratlosigkeit war knapp eine Stunde vergangen. Wenn sich Olfkohr vergegenwärtigte, daß jetzt seine Schüler in den Verhörsesseln der Maahks angeschnallt waren und ihnen immer wieder dieselben Fragen gestellt wurden, dann fühlte er seine Ohnmacht besonders deutlich. In ihm hockte etwas wie ein selbständiges Wesen, das sich nach außen bohren wollte. Er mußte etwas unternehmen. Er war es sich selbst schuldig. Es ging nicht anders. Er drückte die Taste seines Kommunikators, die ihn mit dem Spezialsektor des Krankenhauses verband. »Olfkohr hier. Wie geht es Tern und Valiard?« »Augenblick, Sonnenträger Olfkohr!« Das Bild wechselte. Augenblicklich tauchte der betreffende Arzt auf dem Schirm auf und nickte Olfkohr zu. Sein Gesicht war ernst, und der Sonnenträger ahnte, was dies zu bedeuten hatte. Eine weitere Tragödie bahnte sich an. »Sie möchten Auskünfte über unsere beiden Freunde, nicht wahr?« »Ja.« Der Arzt schwieg einige Sekunden. Olfkohr fühlte, wie sich in seinem Magen ein harter Knoten bildete. »Vallard wird sterben, wenn nicht ein Wunder geschieht. Tern ist außer Gefahr. Seine Haut sieht furchtbar aus, aber wir haben selbst die schwersten Wunden unter Kontrolle. In ein paar Monaten kann er wieder laufen. Aber vermutlich ist Vallards
17 Lunge zu sehr geschädigt.« »Danke, Utkaam!« sagte Olfkohr tonlos. Er stützte die Arme auf die Tischplatte und verbarg das narbige Gesicht in den Händen. Schließlich stand er wieder auf und begann, unruhig im Raum hin und herzugehen. Er war ratlos. Eine Minute später ertönte scharf und durchdringend der Summer. Das Geräusch hatte auf die beiden Männer die Wirkung, die eine Detonation gehabt hätte. »Olfkohr! Ein Schiff ist im Anflug!« Es war ein dringender Anruf aus der Ortungszentrale. Die Stimme des Spezialisten ließ erkennen, daß er zumindest erschrocken war. »Ein Schiff?« fragte Olfkohr ungläubig. Frayn stand wie eine Marionette auf und ging um den Schreibtisch herum. Er starrte schweigend in den Bildschirm und wartete ungeduldig. »Ja. Wir haben Bildfunkverbindung. Soll ich durchschalten, Chef?« »Natürlich! Worauf warten Sie?« Der Bildschirm war leer und blieb es auch in den nächsten Sekunden. Aber die Lautsprecher waren in Betrieb. »Olfkohr, hier ist ein alter Freund. Wir befinden uns im Anflug auf Falgrohst. Du kennst mich genau. Laß dich überraschen.« Ein Blick in Olfkohrs Gesicht zeigte Frayn, daß er die Stimme kannte. Nicht ganz. Er erkannte die Stimme, aber er erinnerte sich nicht daran, wem sie gehörte. Olfkohr stand vor der Schreibtischplatte und starrte das Gerät an. »Wer sind Sie, Mann? Irgendwie erkenne ich Sie, aber …« »Ich sagte schon, daß du dich überraschen lassen sollst!« Ein leises, dunkles Lachen war zu hören. »Dürfen wir landen? Oder besser: ich ersuche hiermit offiziell um Landeerlaubnis. Es ist allerdings mehr ein Besuch privater Natur. Darüber hinaus, wenn du Hilfe brauchen solltest, Sonnenträger Olfkohr …?« Das Bild wechselte. Dann geschah etwas Unglaubliches. Die
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Besatzung der Ortungszentrale und die beiden Männer in dem Büro des Sonnenträgers sahen, wie sich ein Bild erstellte. Es zeigte den Oberkörper eines Mannes, den sie alle kannten. Mit einem pfeifenden Stöhnen stieß Olfkohr die Luft aus den Lungen. »Gonozal?« »Das ist … unmöglich!« flüsterte Frayn Porthor. Aber es war nicht unmöglich. Es war die Realität. Auf dem Bildschirm war deutlich und unzweifelhaft der Kopf des angeblich verstorbenen Imperators zu sehen. Er lebte, es war kein Double, sie erkannten dies mit jeder Sekunde mehr, die das Bild auf dem Schirm stand. »Bekommen wir Landeerlaubnis?« »Selbstverständlich!« brüllte Olfkohr in plötzlich erwachender Begeisterung. »Ich kann nicht glauben, Imperator, was ich sehe, aber …« Er hatte kurz die Empfindung, verrückt werden zu müssen. Der alte Imperator schenkte ihm ein zurückhaltendes Lächeln. Das Bild blendete aus. Das Schiff mit Gonozal an Bord erhielt die Landedaten und kam schnell näher. Olfkohrs Gedanken überschlugen sich. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Erstaunen, Überraschung, Begeisterung und eine Reihe ähnlicher Empfindungen vermischten sich. Die zwei Männer verließen den Raum und rannten zu einem Gleiter, der sie in rasendem Flug zum Raumhafen brachte, der in taktischer Entfernung von den halb getarnten Kuppeln lag.
3. Es war gut, in diesem Augenblick Fartuloon anzusehen. Er wirkte so unglaublich vital und überzeugt. Er lag in seinem Kontursessel, den er in eine Art Thron umfunktioniert hatte. In seinen Fingern hielt er einen überdimensionalen Pokal. Ein leichter, moussierender roter Wein befand sich darin. Fartuloon schwenkte den Becher in einer umfassenden Bewegung und sagte: »Ich bin sicher, wir werden viele gute
Freunde finden, Atlan!« »Dort, auf Falgrohst?« fragte ich zweifelnd. »Ja. Genau dort. Ich kenne Olfkohr ein wenig besser als er mich. Dein Vater hat diese Schule gegründet und Olfkohr zum Ausbilder bestimmt. Der Sonnenträger identifiziert sich mit allem, was dort geschieht. Und sie sind in einer verzweifelten Situation.« »Ich zweifle nicht daran, daß du recht hast«, erwiderte ich. »Aber ich fürchte, erkannt und verraten zu werden.« »Das ist zu beachten!« belehrte mich Fartuloon. »Indes, dieses Problem stellt sich erst auf Falgrohst.« »Was macht dich so gutgelaunt?« Er grinste breit und nahm einen mächtigen Schluck. »Die Gewißheit, daß wir mit ziemlich großer Sicherheit Freunde und Mitkämpfer finden werden. Und sowohl Mitkämpfer als auch Freunde können wir noch ein paar Millionen brauchen, Atlan, mein Sohn.« »Ja!« sagte ich, biß auf meine Lippe und dachte an die schweigende Mumie, die mit uns im Schiff reiste. Obwohl Gonozal der Siebente mein leiblicher Vater war, konnte ich das Bild meines Vaters, das ich in mir hatte, nicht mit der lebenden Mumie identifizieren. Es waren zwei verschiedene Dinge, denn schwerlich konnte man diese grausige Parodie eines Imperators mit Mensch bezeichnen. Dieses Zerrbild, an dem nur noch der biologische Mechanismus des alten Körpers funktionierte, war nicht mein Vater. Es war ein lebender Leichnam. Fartuloon hob den Pokal und warf mir einen unergründlichen Blick zu. »Sehe ich richtig? Du bist nachdenklich, mißtrauisch, unsicher, Atlan?« Ich lehnte mich gegen eine Tischkante. Eben waren wir damit fertig geworden, jenen Teil der Funksprüche zu analysieren, den wir durch einen glücklichen Zufall klar und deutlich aufgefangen hatten. »Aus mehreren Gründen, Fartuloon!« erklärte ich. »Ist es möglich, auch etwas von
Schule der Kampftaucher deinem Zeug zu bekommen?« Fartuloon drehte den Sessel und schenkte einen zweiten, kleineren Pokal ein. Ich nahm den kühlen Metallpokal und nickte. »Atlan!« sagte Fartuloon nach einer Weile, in der er mir Gelegenheit zum Nachdenken gab, »Arkon und Orbanaschol werden den Chef dieser Ausbildungsstation nicht unterstützen! Ich denke, Arkon kann es auch nicht. Sie bereiten ein großes Gefecht vor, und überdies hat Olfkohr unter den Hofschranzen Orbanaschols eine Reihe von Feinden.« »Du meinst, daß nicht genannte Personen darauf aus sind, daß Olfkohr nicht geholfen wird? Sie wollen ihn sabotieren?« »Genau das meine ich!« sagte Fartuloon und schien sich zu freuen, daß ich die politischen Verwicklungen am Hof des Diktators und Despoten so gut verstand. »Wann sind wir auf Falgrohst?« »In rund einer Stunde!« Wir wußten, daß zwei Mann bei einer abschließenden Übung schwer verletzt worden waren. Uns war ebenfalls bekannt, was Olfkohr versucht hatte, seine vier Männer zu retten. Fartuloon hatte mir und unseren Freunden detailliert geschildert, welchem Zweck die Anlagen auf dem Planeten dienten, den wir ansteuerten. Und jetzt hob der Bauchaufschneider den Pokal und sagte: »Ab jetzt bist du ein junger Mann aus meiner Begleitung. Mein Schützling. Dein Name ist Zerkon, klar?« Du wirst dir diesen Namen merken müssen, denn die Tarnung kann lebenswichtig werden, erklärte der Logiksektor. »Nun gut, ich bin also Zerkon. Das Schiff können wir nennen, wie es in Wirklichkeit heißt? CRYSALGIRA, ja?« »Natürlich!« Wir sahen uns an und tranken schweigend. Wir wußten, daß wir wieder ein neues Risiko eingingen. Wir hofften, neue Helfer und Freunde zu bekommen. Auch wir planten einen politischen Schachzug. Und wir scheuten uns nicht, in unserer Notlage selbst
19 eine so grausige Sache wie den wiederbelebten Körper Gonozals zu benutzen. »Es ist eine Elitetruppe. Jeder Mann der Kampftaucher kann unsere Macht gegen Orbanaschol in ungewöhnlichem Maß verstärken, Atlan!« »Ich verstehe. Und für diesen Zweck ist jede Lüge und jede Maskerade gerechtfertigt!« erwiderte ich. Denke daran, daß du von deinem Ziel noch sehr weit entfernt bist! drängte das Extrahirn. »Ja. Wir werden dem verzweifelten Olfkohr unsere Hilfe anbieten.« »Er wird sie kaum ablehnen!« »Schwerlich.« Ich konnte nur hoffen, daß es dort auf Falgrohst niemanden gab, der mich erkannte. Und was die Fähigkeit betraf, sich in schweren Schutzanzügen zu bewegen und zu kämpfen – sowohl Fartuloon und ich waren darin hervorragend geübt.
* Wir hatten ihn aus der KARSEHRA auf Hocatarr geholt. Dort fanden wir die Mumie, den leblosen Körper. Ein schrecklicher Anblick. Das Lebenskügelchen hatte aus einem erstarrten, pergamenthäutigen Leichnam einen sich bewegenden Leichnam gemacht, einen haarlosen Roboter aus brüchigen Knochen, mürben Muskeln und schlotternden Sehnen, mit glanzlosen Augen und ohne Ego und Seele. Nicht einmal lallen konnte der Körper, der mich einstmals gezeugt hatte. Fartoloon war es, der mich zurückgehalten hatte, diesen Körper wieder zu vernichten. Wir hatten das wandelnde Monstrum verändert. Aus dem gelben Pergament der zerreißenden Haut war durch kunstvolle Anwendung von Medizin, Zelltechnik und Kosmetik eine natürlich wirkende Epidermis geworden. Wir schafften es, mit einer teuren Superperücke, mit einem Präparat für die Au-
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gen, mit medikamentösen Zellflutungen und einer Anzahl anderer Kunststücke, das Bild eines schweigenden, vierzigjährigen Mannes zu machen. Auf Xoaixo hatten wir diese »Verbesserungen« getestet. Selbst Olfkohr, der Gonozal gekannt hatte, als er noch in der Blüte seiner Herrscherjahre gestanden war, würde unser Schiffsgespenst als den echten Ex-Imperator anerkennen müssen. Mir schauderte, wenn ich an den Körper dachte, der in der Obhut zweier Fachleute in einer Kammer der CRYSALGIRA lag, zwischen Leben und Tod, ohne Geist, Sprache, eigenen Antrieb … Und für jeden hatten wir eine schauerliche Geschichte bereit, was Orbanaschols Helfer aus dem Imperator gemacht hatten. Olfkohr würde auch dieses Märchenglauben. Wir bereiteten uns auf die Landung vor. Ich trank meinen Pokal leer und sagte zu Fartuloon: »Manchmal wünschte ich, Bauchaufschneider, daß ein anderer das alles erleben würde, nicht ich.« »Jemand, der um sein eigenes Leben kämpft, hat nicht viel Auswahl, was seine Möglichkeiten betrifft!« war die Antwort.
* Bei allem, was jetzt folgte, würde ich mich im Hintergrund halten. Die CRYSALGIRA setzte zur Landung an. Wir alle waren gespannt, was wir vorfinden würden. Immer wieder die gleiche Folge von Bildern auf den Schirmen des hundert Meter durchmessenden Schiffes; eine Landung von vielen, die ich miterlebt oder selbst unternommen hatte. Und doch waren die Bilder neu und aufregend. Falgrohst war ein schöner Planet. Wir sahen Meere und Küsten, Inseln, Wolken und Gebirge. Wir folgten dem Leitstrahl, der uns über einen großen Kontinent dirigierte und
an einer Kette von Bergen entlang, die wie riesengroße, uralte und erodierte Hügel aussahen. Sie waren fast vollständig bewachsen. »Merkwürdig!« brummte der Bauchaufschneider von seinem Pult her. »Dieser Olfkohr ist doch ein schlauer Fuchs.« »Sie meinen, weil keinerlei klare Energieemissionen festzustellen sind?« fragte der Mann aus der Orterzentrale. »Erraten.« Wir hielten nach den Kuppeln Ausschau, von denen Fartuloon berichtet hatte. Sie mußten riesengroß sein und von gewaltigen Energieanlagen umgeben. »Tatsächlich. Nur höchst undeutliche Streufelder, die niemandem auffallen, wenn er nicht gerade danach sucht!« Der Leitstrahl führte uns über eine Reihe der bewachsenen Hügel. Unsere Augen bohrten sich förmlich in die Bilder, und mir fiel auf, daß eine auslaufende Kette kleiner werdender Berge beziehungsweise regelmäßig geformter Hügel ziemlich genau Kuppelform hatten. Dann erst sah ich, meist unter Bäumen und Felsen verborgen, die Straße. Schließlich verbreiterte sich eine Savanne vor uns zu einer Wüste. Dort stand eine Gruppe von Felsnadeln. »Der Raumhafen.« Falgrohst stellte sich uns dar als ein Musterbeispiel vollendeter Tarnung. Wir entdeckten den Raumhafen tatsächlich erst, als wir angerufen wurden und in Bildfunkkontakt traten. Fauchend fuhren die Ladestützen auf ihren schweren hydraulischen Teleskoparmen aus, die CRYSALGIRA verringerte ihre Geschwindigkeit. »Zerkon! Kommst du bitte vor den Schirm?« rief plötzlich Fartuloon. Ich war noch immer damit beschäftigt, innerhalb den Geländestrukturen bestimmte Einzelheiten auszumachen und Beweise zu finden, daß es hier Tausende von Arkoniden gab. »Jawohl, gern!« erklärte ich und ging hinüber. Auf dem Bildschirm vor Fartuloon zeichnete sich die Gestalt eines Mannes ab, der
Schule der Kampftaucher gewisse Ähnlichkeit mit dem Bauchaufschneider hatte. Sie beide waren mittelgroß und gedrungen, und bei beiden war man versucht, körperliche Fülle vorauszusetzen. Aber sowohl der Mann dort unten als auch Fartuloon bestanden nicht aus Fett, sondern aus Muskelpaketen. Bei den Gesichtern allerdings hörte die Ähnlichkeit auf. »Erkennst du mich jetzt, alter Schurke? Erinnerst du dich an den Ball bei Gonozal, wo wir die Jagdhütte geflutet haben?« Fartuloon grinste und hob die Hand. Er machte ein Zeichen mit den Fingern, das ich nicht kannte. Olfkohr brach in ein dröhnendes Lachen aus, dann rief er mit rauher Stimme: »Fartuloon! Jetzt dämmert es mir. Und wer hat damals das Zeug in den Wein geschüttet?« »Ich natürlich!« bekannte Fartuloon. »Ist das ein Grund, die Landeerlaubnis zu widerrufen?« »Ich denke nicht daran. Du hast mir deine Hilfe angeboten – gilt das noch?« »Ja. Brauchst du einen guten Arzt?« Schlagartig wich jeder freudige Ausdruck aus dem Gesicht des Stützpunktleiters. Er sagte fast feierlich: »Ich brauche einen wirklich guten Freund.« Fartuloon nickte. »Dann kann ich ja landen. Schicke eine Eskorte, aber keinen Triumphzug. Ich nehme an, daß der Imperator sehen will, was du aus diesem Planeten gemacht hast.« Olfkohrs Gesichtsausdruck war schlecht zu deuten, aber ich konnte mir vorstellen, daß ein Dutzend einander widersprechender Empfindungen ihn heimsuchte. Die gleichen Überlegungen würde auch der Despot angestellt haben, als man ihm hinterbrachte, daß derjenige Mann, den er hatte ermorden lassen, noch lebte und sich öffentlich zeigte. Hoffentlich schlugen uns hier nicht die Reaktionen auf eine Maßnahme des Diktators entgegen. »Dies war wirklich keiner deiner bekannten Scherze, Bauchaufschneider? Imperator
21 Gonozal ist auf dem Schiff?« »Ja. Aber erschrick nicht. Der Mann, der dich zum Sonnenträger gemacht hat, wurde von Orbanaschol in ein lebendes Wrack verwandelt. Du kennst Xoaixo?« »Natürlich.« »Dort haben sie ihn fertiggemacht.« Nach kurzer Zeit, in der er überlegte, was er laut sagen konnte, murmelte Olfkohr: »Wir werden einiges zu besprechen haben, denke ich.« »Ich bin sicher.« Olfkohr war mir sympathisch. Er sah aus wie ein Mann, der seine Freunde nicht verriet und mit ihnen bis zum letzten Funken Energie kämpfte, wenn er sich dazu entschlossen hatte. Fartuloon hob die Hand und grüßte kurz. Die CRYSALGIRA setzte in der Nähe der Felstürme auf und stand im Schatten. Die gelbe Sonne Falgrohsts befand sich im späten Nachmittag. Fartuloon drehte sich um und sagte leise, aber entschieden: »Holt jetzt den Imperator. Und du, Zerkon, bleibst bitte im Hintergrund.« »Alles klar.«
* Ich wartete, halb versteckt, in einer dunklen Ecke der Polschleuse. Am Ende der Rampe standen jetzt einige Gleiter, die schon lange in Gebrauch sein mußten, denn sie sahen zerbeult und mitgenommen aus. Etwa fünfzig Menschen, meist Männer in abzeichenlosen Uniformen, warteten schweigend dort draußen. Ich sah von hier aus ein Stück Straße, eine Allee mit alten Bäumen, dahinter flache, aber sorgfältig gepflegte Gebäude. Das Murmeln leiser Unterhaltungen drang in den kühlen Raum der Schleuse. Dann hörte ich die Stimmen aus dem Antigravschacht. Fartuloon, einige Besatzungsmitglieder und der Imperator. Sie kamen an mir vorbei. Zuerst Fartu-
22 loon, das Skarg am Gürtel. Dann zwei Medorobots, hinter ihnen, im Bereich ihrer Linsen, schritt Gonozal VII. Schweigend bewegten sich etwa fünfzehn Personen – wir hatten Ra gebeten, noch im Schiff zu bleiben – an mir vorbei. Ich schloß mich ihnen an und ging langsam weiter. Die Prozession bewegte sich aus der Dämmerung des Schiffes hinaus, auf die Rampe und den Wartenden entgegen. Alle Gespräche verstummten plötzlich. Ich bemühte mich, meine Spannung nicht zu zeigen und warf einen langen, betont gleichgültigen Blick in die Gesichter der Nächststehenden. Nichts. Ihr Interesse liegt nicht auf dir! flüsterte das Extrahirn. »Tatsächlich nicht!« flüsterten und leckten meine trockenen Lippen. Sie alle starrten gebannt auf die Mumie. Gonozal ging geradeaus auf den Gleiter zu. Fartuloon hatte ihm die verschiedenen rein mechanischen Bewegungen vorher suggeriert; der lebende Leichnam tat, was ihm möglich war. Er bewegte den Kopf, blickte mit seinen glänzenden Augen die Männer an, konzentrierte sich dann, weil er genau in der Richtung stand, auf Olfkohr. Ich haßte diese Komödie! Aber ich mußte mitmachen! Die Reaktion der Arkoniden war nicht unerwartet, aber trotzdem bemerkenswert. Zunächst: Sie erkannten Gonozal VII. Er war bekannt; der angeblich ermordete, auf alle Fälle gestorbene Vorgänger des Despoten Orbanaschol. Jeder kannte ihn, selbst die jüngsten Kadetten von Falgrohst wußten, wer er war. Dann die Zweifel: War er es wirklich? Warum bewegte er sich wie ein geistig oder körperlich schwerkranker Mann? Warum sprach er nicht? Und warum mußten ihn zwei Männer führen beziehungsweise stützen? Schließlich Mißtrauen: War er es wirklich, oder war er nur ein Double? Waren wir, die Männer seiner engsten Umgebung, Betrüger oder Rebellen gegen den Thron? Und schließlich, als sie lange genug gestarrt und gedacht hatten, die Gewißheit: Ja! Dies ist tatsächlich der Ex-Imperator. Ich schob mich auf die Seite unserer Ab-
Hans Kneifel ordnung, auf der ich vor den Blicken am meisten geschützt war. Auch wir wurden angestarrt und genauestens gemustert. Aber die Reaktion Olfkohrs und Fartuloons beseitigte jeden Zweifel. Die beiden Männer begrüßten sich wie zwei alte Freunde, und das waren sie tatsächlich in Wirklichkeit, unbeschadet unserer Pläne. Dann machte Olfkohr seine Ehrenbezeigungen vor Gonozal, einige seiner Männer schlossen sich an, und ich sah, wie Fartuloon seinem Freund leise etwas ins Ohr sagte. Olfkohr nickte verständnisvoll. Die Begleiter und Gonozal stiegen in den Gleiter. Wir verteilten uns nach dem üblichen Durcheinander einer Begrüßung auf andere Fahrzeuge und wurden langsam auf die Gebäude zugefahren. Ich vermied es bewußt, mich zu unterhalten. Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten, dann bewegte sich ein Teil der Arkoniden auf das größte und schönste Gebäude zu. Ich war sicher, daß dort Olfkohrs Büro lag oder das Befehlszentrum von Falgrohst. Schließlich holte eine junge Ordonnanz auch mich. Ich folgte dem jungen Mann, der etwa mein Alter hatte. Jetzt schwirrte das Innere des überraschend großen Gebäudes wie ein Insektennest. Jeder war aufgeregt, und die wildesten Hypothesen und Theorien wurden diskutiert. Ich schwieg und kam schließlich in das Büro, in dem Fartuloon, Olfkohr und ein junger Offizier mit scharfen Gesichtszügen und aufmerksamen Augen saßen. An einem Tisch hatten die beiden Helfer, in ihrer Mitte der Imperator, Platz genommen. Es herrschte eine unbeschreibliche Stimmung. Ein Imperator, der sich als geistiges Wrack präsentiert, als Geschädigter. Versuche, dich in die Stimmung der Männer zu versetzen. Sie wissen nicht, wie sie sich zu verhalten haben! erklärte der Logiksektor. Ich blieb neben der Tür stehen, wie ein Besatzungsmitglied der CRYSALGI-RA. »Ich wurde gerufen?« sagte ich halblaut und paßte meine Haltung der vorgegebenen
Schule der Kampftaucher Bedeutung meiner Person an. Fartuloon, der eben erklärte, wie wir den geknechteten und systematisch zum Wrack gemachten Imperator von Xoaixo befreit hatten, unterbrach sich und sagte in nebensächlichem Tonfall: »Das ist Zerkon. Er hat sich bei dem Kommandounternehmen durch bemerkenswerte Tapferkeit hervorgetan. Möglicherweise interessiert er sich für eure Anlagen, und vielleicht bekommen wir von ihm Hilfe.« »Wir brauchen Hilfe«, sagte Olfkohr unschlüssig. Der Umstand, daß Gonozal ihn nicht beachtete, machte ihn verlegen. Seine Blicke hingen jedoch in grenzenloser Verehrung an dem Imperator. »Ich werde sehen«, erwiderte Fartuloon, »was sich tun läßt.« Ich fing einen langen, bohrenden Blick des jungen Offiziers auf. Er schien aus einer der besten Familien Arkons zu kommen, jedenfalls erkannte ich die betreffenden Merkmale. Er betrachtete mich schweigend, aber sehr genau. Hatte ich Grund, mich schon jetzt vor der Entdeckung zu fürchten? Fartuloon lenkte uns alle ab, indem er aufstand und sich der Gruppe um Gonozal näherte. »Die Anstrengung hat den Imperator erschöpft. Sie sehen selbst, in welchem Zustand er sich befindet. Es wird Jahre dauern, oder es geschieht ein Wunder, bis er sich wieder einigermaßen erholt haben wird, trotz der intensivsten Pflege. Bringen Sie ihn zurück, ja?« »Selbstverständlich, Fartuloon!« erwiderten die Besatzungsmitglieder, denen jeder die Rolle der begleitenden Ärzte glaubte. Sie führten Gonozal wie eine unfaßbar leicht zerbrechliche Marionette aus dem Raum. Olfkohr stöhnte auf. Seine Augen funkelten. »Diese Verbrecher!« sagte er. Die Wut und das Entsetzen hatten ihn im Griff. »Was haben sie diesem Mann angetan!« »Zweifellos ist Orbanaschol für die psychische Lage verantwortlich. Und wenn nicht der Imperator selbst, dann die Gestal-
23 ten aus seiner unmittelbaren Umgebung. Außer mir, versteht sich.« Fartuloon und Olfkohr nickten sich zu. Der Bauchaufschneider spielte diese makabre Rolle hervorragend. »Wie lange ist das her …?« »Wir haben ihn vor ein paar Tagen aus der Gewalt der Ärzte und Psychokinetiker herausgeholt!« erklärte Fartuloon. »Angeblich soll der Imperator in einem Sarg der KARSEHRA gelegen haben!« »Angeblich … Wie stehen die Aussichten, ihn wieder zu einem normalen Wesen zu machen?« Der Schock saß tief in Olfkohr. Er schüttelte fassungslos den Kopf. Jedes Wort, das Fartuloon sagte, war für ihn die reine Wahrheit. »Ich weiß es nicht.« Der Bauchaufschneider machte eine entsprechende Geste der Hoffnungslosigkeit. Wieder breitete sich ein Schweigen im Raum aus. Nach angemessener Zeit fragte Fartuloon behutsam: »Und worin bestehen deine Sorgen?« Olfkohr dirigierte uns alle zu einem runden Tisch mit schweren Sesseln darum, rollte einen Getränkerobot heran und wartete, bis wir entspannt saßen und an den Gläsern nippten. Dann erläuterte er uns seine Probleme.
* Nach kurzer Zeit wußten Fartuloon und ich, daß unsere Vermutungen richtig gewesen waren. Olfkohr brauchte ein Raumschiff, um nach einer Wasserstoff-Methan-Ammoniak-Welt zu fliegen. Er brauchte freiwillige Helfer, die seine vier Männer aus der Gefangenschaft der Maahks befreiten – falls sie noch lebten. Und er brauchte dieses Schiff wieder zum Rückflug. Etwas von seiner inneren Qual wurde deutlich, als er leise sagte: »Ich bin nicht unloyal. Orbanaschol ist der Herrscher, und ich gehorche ihm. Aber ich hasse die Männer, die mir ihre Hilfe ver-
24 weigert haben, jene Speichellecker im Kristallpalast.« »Das geht uns nicht anders. Darüber hinaus haben wir eine eigene Ansicht über gewisse Dinge!« erklärte Fartuloon. »Jedenfalls werden wir dir unsere Hilfe und unser Schiff anbieten.« »Ist das wahr, Fartuloon?« Der Kampftaucher sprang erregt auf. Spätestens in diesem Augenblick wußte Olfkohr, daß er sich in eine gefährliche Situation begab. Ob loyal oder nicht, Arkon würde ihm vorwerfen, er habe mit Rebellen und Verrätern zusammengearbeitet. »Natürlich. Wann sollen wir starten – und wohin?« »So einfach ist es nicht. Um Galbayn Tsoehrt und die drei Männer zu befreien, brauchen wir eine Übermacht. Mindestens fünf Kampftaucher von hier.« Frayn Porthor, der sein Mißtrauen mir gegenüber vergessen zu haben schien, hob die Hand. »Natürlich gehe ich mit!« sagte er mit einer Stimme, die seine Begeisterung und Bereitschaft klar ausdrückte. »Ich ohnehin!« fuhr Fartuloon fort. »Und mit einiger Sicherheit auch Zerkon. Oder irre ich mich?« Die drei Männer starrten mich abwartend an. Täuschte ich mich, oder waren die Augen des alten Kampftauchers besonders interessiert auf mich gerichtet? Er kann dich nicht kennen! flüsterte der Logiksektor. Er erkennt dich nicht. »Du irrst dich nicht. Natürlich helfe ich deinem Freund, so wie ich dir helfen würde!« Zufrieden grinste Fartuloon den einstigen Trink- und Kampfgefährten an. »Wir sollten nur einige Stunden üben. Ich weiß nicht, ob ich noch so gut bin wie vor Zeiten. Und außerdem sind die Schutzanzüge, die ihr hier verwendet, sicher besser und moderner als die Modelle zu meiner Zeit.« »Einverstanden, Fartuloon. Nur … jede Stunde ist kostbar. Es geht um das Leben von vier hervorragenden Männern aus unse-
Hans Kneifel ren Reihen.« »Ich habe begriffen, Olfkohr.« Fartuloon trank aus und stand auf. »Ich denke, wir können morgen bei Sonnenaufgang starten. Du bestimmst die besten Männer für den Einsatz, unser Pilot braucht die genauen Koordinaten für Ormeck-Pan, und Zerkon und ich frischen unsere Kenntnisse auf. Ist eine eurer Kuppeln auf den Standard von Ormeck-Pan programmiert?« »Ja. Sigmon Hey!« »Dann laßt uns anfangen. Wir gehen zurück ins Schiff, bereiten uns vor. Deine Männer können, wenn sie noch leben, vermutlich gerettet werden.«
* Frayn Porthor ging zurück in sein Quartier. Es bestand, wie alle Unterkünfte, aus zwei Wohnräumen, von denen einer eine kleine Terrasse besaß. Frayn schloß hinter sich ab, goß sich ein Glas voll Alkohol und ging hinaus auf die Terrasse. Er setzte sich auf die breite Brüstung, lehnte sich an die Wand und trank langsam. Er dachte nach; er hatte einen schweren Entschluß zu fassen. Bringt mir seinen Kopf! hatte Imperator Orbanaschol als Losung ausgegeben. Frayn hatte den jungen »Zerkon« erkannt. Es war mit tödlicher Sicherheit der Sohn des psychisch ruinierten Ex-Imperators. Es war Atlan. Selten in seinem Leben war Frayn sich einer Feststellung so sicher gewesen. In diesem Zusammenhang gab es für ihn eine Reihe ineinandergreifender Probleme. Er versuchte, leidenschaftslos diesen Fall für sich zu klären. Wie sollte er sich verhalten? Er hatte nicht das geringste gegen Atlan. Der junge Mann war ihm sehr sympathisch, er konnte ihn verstehen, daß er gegen Orbanaschol rebellierte. Auch er, Frayn Porthor, fand seit einiger Zeit, daß der Kristallpalast einen weitaus würdigeren Herrscher als Insassen haben sollte als Orbanaschol. Aber Orbanaschol war nun einmal der Imperator, und er würde
Schule der Kampftaucher es lange Zeit bleiben. Bisher hatte er eine Reihe von Attentaten überstanden, und sein dauerndes Mißtrauen würde ihn auch noch andere Anschläge überleben lassen. Orbanaschol also war da, war die Realität. Er suchte mit aller Kraft denjenigen, der ihm mit Recht den Thron streitig machen konnte. So weit, so gut, dachte Porthor. Jetzt begann die Angelegenheit für ihn wichtig zu werden. Er hatte eine große Chance in die Hand bekommen. Innerhalb von Tagen würde seine Karriere steil aufwärts führen, wenn er Atlan auslieferte. Tot oder lebendig. Sollte er Atlan ausliefern? Sollte er den jungen Mann verraten? Die Alternative war, sich zu der Gruppe um Fartuloon zu schlagen und abzuwarten, bis der junge Atlan seinen Onkel gestürzt hatte. Auch dann war seine Karriere gesichert, wenn er sich nicht selbst besonders dumm anstellte. Dieser Weg aber konnte lang sein, und er war auf keinen Fall angenehm. »Die Macht, Frayn«, sagte er leise zu sich selbst, »korrumpiert! Selbst der winzige Ausschnitt der Macht, die du jetzt in den Fingern hältst. Du bestimmst über das Leben von Atlan. Sein Tod ist dein Vorteil. Was tun?« Er war im Augenblick noch völlig unentschlossen. Würde er Atlan hassen, hätte er es leichter. Aber er haßte ihn keineswegs. Er wußte, was er wert war, kannte seine Qualifikationen und hatte ein Dutzend von tödlich gefährlichen Einsätzen hinter sich. In wenigen Wochen war seine Ausbildung hier auf Falgrohst abgeschlossen, und er kehrte zunächst einmal zurück nach Arkon. Dort wollte er Karriere machen; ihm schwebte als Endpunkt eine hohe Position vor. Diesen Punkt würde er weitaus schneller erreichen, wenn er als Geschenk für Orbanaschol Atlans Kopf mitbrachte. Er hatte Gelegenheit, den Befehl des Despoten zu realisieren. Wenn er sich einmal entschlossen hatte, würde es ein sicherer
25 Weg sein, Arkon als Mann zu erleben, der zu den Begünstigten des Imperators gehörte. »Es scheint, ich muß mich bald entscheiden!« murmelte er. Vor einer Stunde hatte er mit Colant, Kaarn und H'Noyr gesprochen. Er selbst und Olfkohr würden ebenfalls starten. Fünf Männer aus der verschworenen Gruppe dieses Planeten. Fast tut es mir leid, dachte Frayn, daß Atlans Kopf der Weg nach oben sein soll. Die fünf Anzüge waren in der Spezialwerkstatt. Sie wurden getestet, überarbeitet, neu ausgerüstet. Dazu zwei neue Anzüge, genauer der durchgetestete für Zerkon und einer für diesen rätselhaften Freund aus der Vergangenheit. Sieben Kampftaucher wagten sich nach Ormeck-Pan. Für ihn, Frayn Porthor, würde der Einsatz dreifach gefährlich werden. Zuerst der Planet selbst und die Maahks. Dann Atlan, der sich wehren würde, und Frayn war intelligent genug, um zu wissen, daß der Sohn Gonozals weder ein Tölpel noch ein Feigling war. Er hatte seine ruhige Überlegenheit in Olfkohrs Büro kennengelernt. Und zum dritten die eigenen Leute, an ihrer Spitze Olfkohr, der ein Anhänger des alten Imperators war, also auch ein Freund des Kristallprinzen. Frayn hatte sich entschlossen. Er würde Orbanaschol den Kopf Atlans bringen. Ich schlief einige Stunden, und mitten in der Nacht weckte mich Fartuloon auf. »Los!« sagte er. »Wir werden einige Übungsstunden abhalten. Zusammen mit Olfkohr.« Ich kam auf die Beine und schüttelte den Kopf. »Ich sehe es nicht recht ein, denn wir beide kennen doch die Technik …«, begann ich, aber Fartuloon legte mir seine Hand schwer auf die Schulter. »Wir vermögen uns in solchen Atmosphären zu bewegen. Aber wir beherrschen den Flug durch eine rasende Lufthülle oder besser Giftgashülle keineswegs. Außerdem
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traut dir Olfkohr dieses Können nicht zu. Wir müssen ihn überzeugen, mein Prinz.« »Meinetwegen!« knurrte ich. Für eine Handvoll solcher Männer, ihre Erfahrung und ihre Freundschaft würde ich noch mehr tun. Ich zog mich an und folgte Fartuloon aus dem Schiff. Der Gleiter mit Olfkohr am Steuer wartete bereits. »Alles ist vorbereitet. Ich denke, daß wir nicht viel Arbeit haben werden. Wie fühlst du dich, Fartuloon?« Der Bauchaufschneider grinste breit und schlug die Gleitertür zu. »Ausgezeichnet. Man gebe mir ein Dutzend Maahks zum Zerreißen.« Olfkohr lachte. Wir starteten und schwebten über eine milchig erhellte Piste auf einen der Hügel zu. Ich schwieg und starrte hinaus in die Nacht. Alles war hervorragend getarnt. Ich wußte, daß die Hügel in Wirklichkeit dichtbewachsene Kuppeln waren, und jetzt schraubte sich der Gleiter bis zu einer ebenfalls unsichtbaren Schleusenanlage hinauf. Von dort aus würden wir die Kuppel betreten, und für uns würde es sein, als stürzten wir aus dem Weltall in den tödlichen Mahlstrom einer Maahk-Giftwelt hinunter.
4. Der erste, harte Ruck drehte mich halb herum. Ich breitete die Beine aus und versuchte, die Eigenbewegung des schweren Anzugs auszusteuern. Das lange, dünne Seil aus widerstandsfähigem, mit Spezialplastik beschichtetem Metallkabel hatte sich plötzlich gestrafft. Ich sah schräg unter mir die Positionslichter von Olfkohrs Anzug. »Achtung. Wir erreichen dichtere Gasschichten!« flüsterte Olfkohr. Alles war täuschend echt. Schon Sekunden, nachdem sich unter uns die Schleusenklappe geöffnet und uns in den nachtschwarzen Schlund des Ammoniakinfernos geschleudert hatte, vergaßen wir, daß wir im Simulator waren. »Verstanden!« gab ich zurück.
Wir waren aneinander festgemacht. Entweder landeten wir in geringer Entfernung voneinander, oder der Orkan, der die Gasmassen unter uns umherwirbelte, tötete uns gemeinsam. Noch arbeiteten die Triebwerke mit ganz geringem Wirkungsgrad. Wir schwebten schräg abwärts, unsere Körper hingen noch immer senkrecht in der Lufthülle. Unsere Sohlen wiesen auf das unsichtbare Ziel. Die Zahlen in den Höhenmessern veränderten sich rasend schnell. Wir fielen dem Boden entgegen. »Antigrav an, aber nicht auf Leistung gehen!« sagte Fartuloon. »Ausgezeichnet. Ich wollte eben dasselbe Kommando geben!« warf Olfkohr ein. Ich schwieg und konzentrierte mich auf die Geräte und auf das ungewohnte Gefühl, in diesem schweren und scheinbar unbeweglichen Anzug zu stecken. »Antigrav an.« Es war Nacht. Alles war finster. Nur unter uns sah ich undeutlich spiralige Strukturen. Waren es Nebel oder Wolken, oder handelte es sich um geologische Besonderheiten? Vergiß nicht! Die Kuppel ist riesengroß. Und die Gefahren sind hier ebenso tödlich wie auf Ormeck-Pan, sagte der Logiksektor unbarmherzig. Wir sanken weiter, nach meinem Empfinden und den Instrumenten in einem Winkel von etwa vierzig Grad. Die ersten dichteren Schichten der Gase zerrten an uns. Jetzt straffte sich auch das zweite Verbindungsseil, der Ruck ging weiter und wirbelte Fartuloon herum. Eine wilde Kraft versetzte mir einen harten Schlag in den Rücken und trieb mich schräg nach unten. Aber noch befanden wir uns im freien Fall. Die Instrumente zeigten einen rasenden Sturz an. Sie waren manipuliert und zeigten eine um eine Hunderterpotenz höhere Geschwindigkeit und Höhe an. In Wirklichkeit fielen wir einen Meter, und die Anzeige zitterte auf der 100-Marke. Aber die Wirklichkeit war ebenso gefährlich. Unsere selbstgestellte Aufgabe war, ein
Schule der Kampftaucher bestimmtes Ziel zu suchen und es wie ein Taucher auf dem Meeresgrund zu finden. Dann schloß sich ein Marsch von einigen Kilometern Distanz an und ein Gefecht mit einer plötzlich auftauchenden Maahk-Patrouille. Und gerade jetzt erreichten wir die Zone, in der die bewegten Gasmassen für uns eine Gefahr wurden. Wir mußten den Fallwinkel einhalten, durften die Geschwindigkeit nicht heraufsetzen und hatten nur die Möglichkeit, uns mit Hilfe der Flugaggregate gegen den ständig wachsenden Orkan zu stemmen. Ich orientierte mich an den Bewegungen der winzigen Lichter rechts und links von mir, erhielt einen weiteren Stoß der tosenden Gasmassen und gab mehr Leistung auf das Flugaggregat. Gleichzeitig versuchte ich, die ganze Richtung festzustellen, aus der die bewegten Methanmassen kamen. Sorgfältig, aber mit einem chaotischen Gefühl in der Magengrube, betrachtete ich die winzigen Instrumente an meinem linken Arm. Hin und wieder schoben sich bereits leichte Schleier aus Kristallen oder Ammoniaknebelstreifen zwischen das Panzerglas des Sichtschlitzes und die leuchtenden Ziffern und Buchstaben. »Alles klar, Zerkon?« Das war Fartuloons besorgte Stimme. »Denke schon!« entgegnete ich kurz. Wir bildeten jetzt eine andere Formation. Fartuloon hing über mir, Olfkohr unter mir. Die Leinen waren noch immer straff. »Achtung. Wir sind zehntausend Meter hoch. Jetzt beginnt die kritische Phase!« sagte der Kampf tauchen »Verstanden!« Kurze Zeit später begann das Inferno. Die stark gedrosselten Außenlautsprecher übertrugen das Tosen und Heulen der Gashülle. Wir wurden umhergewirbelt und aus unserer Flugbahn gerissen. Augenblicklich stemmten wir uns gegen den Andruck und fuhren unsere Maschinen auf höchste Leistung. Ununterbrochen riefen wir uns die Werte der Abdrift, die Windgeschwindigkeiten und die verschiedenen Richtungsänderungen zu. Wir hantierten mit den Angaben des Kompasses,
27 benutzten bestimmte Löcher in diesem Hurrikan aus Eiskristallen, Hagelkörnern und Nebelschwaden, um miteinander senkrecht zu fallen, angezogen von der gewaltigen Masse des Planeten, in Wirklichkeit von der simulierten Schwerkraft des Geländes unter uns. »Fünftausend Meter!« schrie einer von uns. Wir überschlugen uns, und immer wieder riß einer den anderen in eine andere Richtung. Uns schwindelte, aber wir schienen in einer Phase seltener Hellsichtigkeit blitzschnell zu schalten und stets das Richtige zu tun. Längst hatten wir den freien Fall verlassen. Die Vibrationen der überschweren Flugaggregate erschütterten brummend die Anzüge aus stählernen Segmenten. »Viertausend!« Auf dem winzigen Ortungsschirm, der in den verbreiterten Armschutz über dem linken Handgelenk integriert war, erschienen undeutliche Geländemerkpunkte. Ich verglich das, was ich sah, mit dem Karteneindrücken, die mein photographisch exaktes Gedächtnis gespeichert hatte. Es war ein Teil davon; wir mußten unseren Kurs korrigieren. Aber eine bodennahe Strömung ergriff uns und riß uns mit sich, obwohl die Maschinen auf Höchstleistung arbeiteten. »Weiter nach Norden!« stöhnte Olfkohr auf. Ich dachte flüchtig an die Landung auf Ormeck-Pan und an den Aufstieg, falls wir es schafften und die Männer befreien konnten. Aber ich vermochte diesen Gedankengang nicht zu Ende zu führen. »Verstanden!« Es war nicht anders, als ob wir durch einen völlig unberechenbaren Mahlstrom in eine Tiefseezone heruntertauchten. Das Medium, in dem wir uns bewegten, war so dick wie Wasser, und unsere Bewegungen waren die eines gepanzerten Tauchers. Noch immer rasten die Triebwerke, und jetzt schalteten wir synchron die Antigravprojektoren ein. Der rasende Sturz verlangsamte sich. Es war, als risse uns eine neue Kraft wie-
28 der nach oben, aber der Eindruck täuschte. Die Einzelheiten auf dem Bildschirm wurden deutlicher. Wir waren an einem System gewaltiger Ammoniaknadeln vorbeigeschwebt und befanden uns wenige Augenblicke später im Windschatten. Aber die verringerte Sturmgeschwindigkeit wurde dadurch aufgehoben, so daß uns die Strudel der Atmosphäre packten und herumwirbelten. »Wir sind im richtigen Tal!« knurrte Olfkohr. »Tiefer!« Wir überschlugen uns. Einmal flogen wir waagrecht durch die Gasmassen, dann wieder deuteten unsere Köpfe nach unten, und ununterbrochen schalteten wir die Geräte ein und aus. Wenn sie versagten, wurden wir hier getötet, denn ein Fall in einer Schwerkraft von drei Einheiten war tödlich. Jeder von uns war in dieser stählernen, beschichteten, mit Dutzenden von Hilfsgeräten innerhalb und außerhalb der »eigenen« Überlebenssphäre ausgestatteten Rüstung allein. Sie war wie ein beweglicher Sarg. Als ich wieder mit dem Kopf in die Richtung des nichtvorhandenen Weltraums blickte, schaltete ich alle Geräte auf volle Leistung zurück. Keinen Augenblick zu früh, denn dicht unter mir erstreckte sich eine riesige, schräg geschwungene Fläche. Ein gewaltiger Methan-Ammoniak-Gletscher. Ich schrie auf: »Vorsicht! Unter uns! Wir landen!« Fast gleichzeitig hielten unsere Antigravprojektoren und die wild feuernden Triebwerke unseren Sturz auf. Nicht ganz, denn wir fielen langsam weiter, schlugen in die weiche, aufstäubende Masse hinein und krachten auf hartes Eis oder auf Felsen. Aus dem mehr oder weniger senkrechten Fall wurde ein schräges Gleiten und Rutscheh. »Die richtige Stelle, Olfkohr?« ächzte Fartuloon auf. Ich schaltete den Antigravkontrollsatz ab. Unter uns geriet die Masse in Bewegung. »Ja. Denkt an die ständigen Verformungen. Aber das Tal ist richtig.« »Wo ist die Patrouille?« fragte ich. Die
Hans Kneifel Taue waren straff wie die Saiten eines Instruments. Wir rutschten schneller und schneller. Der Ammoniakschnee leuchtete fahl phosphoreszierend. Es gab nicht eine einzige Lichtquelle. Lichtquelle? Schaltet die Positionslampen aus! befahl der Logiksektor. Ich lächelte und sagte augenblicklich ins Mikrophon der Halsblende: »Ich habe soeben meine Positionslichter abgeschaltet!« Olfkohr stieß einen Fluch aus. Fartuloon hüstelte anerkennend. Die schwach glimmenden Lichter erloschen fast gleichzeitig. Und wir verhielten uns noch immer wie Schiitten, die aus dem Kurs gekommen waren. Immer schneller wurde die rasende Fahrt abwärts, der Talsohle oder dem Ende des Gletscherhangs entgegen. Wenn sich uns ein Felsen entgegenstellte, wurden wir zerschmettert, unsere Anzüge brachen auf, und das Giftgas erstickte uns zusammen mit dem hohen Außendruck. Ich wartete mit weitab gespreizten Armen und breitbeinig. Hinter uns erhoben sich drei Wolken aus Schnee und stieben in die Höhe. Als ich in einer günstigen Position war, zündete ich das Triebwerk und drehte den Regler auf höchste Leistung. Die Bremswirkung war stark, die Kräfte stauchten mich schwer in die Rüstung hinein. Die elastische Innenschicht preßte sich zusammen. Die Stahlseile wurden straff, spannten sich, und die zwei anderen Taucher wurden ebenfalls abgebremst. Ich hielt das Aggregat auf voller Leistung und spürte, wie sich die rasende Geschwindigkeit immer mehr verringerte. Ich sank tiefer in die Masse, die wie ein klebriges Pulver wirkte. Schließlich, nach einer Serie von Rucken und Erschütterungen, nachdem sich ein Tau um mein Bein gewickelt und mich das andere, mit dem Gewicht von Olfkohr samt Anzug daran, nach links gezogen hatte, hörte das Rutschen auf. »Um deine Frage zu beantworten«, sagte Olfkohr, und seinem hastigen Atmen konnte ich entnehmen, daß er sich bemühte, auf die
Schule der Kampftaucher Beine zu kommen und zu orientieren, »folgende Auskunft: Die Maahkpatrouille kann uns an jedem Punkt des nun folgenden Marsches überraschen. Wir müssen sie zuerst sehen, nicht umgekehrt.« Fartuloon murmelte etwas von »beschwerlichen Leibesübungen« und schloß dann, etwas lauter und weniger unglaubwürdig: »Das ist, Olfkohr, das Geheimnis eines jeden guten Überfalls. Wer zuerst sieht, schießt zuerst.« »Das gilt auch für die Maahks!« schränkte Olfkohr ein. »Wir gehen geradeaus. Kurs dreißig Grad. Könnt ihr den Drillingsfelsen erkennen, hinter der Spiralwolke?« Wir richteten unsere Sichtgeräte in die angegebene Richtung und erkannten am Horizont dunkle Formationen, die wie drei gekrümmte Finger mit langen Klauen aussahen Sie wirkten spukhaft; wie eine Konstruktion, die jeden Augenblick zusammenbrechen konnte. Entfernung: schätzungsweise dreitausend Meter. »Ich sehe sie.« »Zwischen der Basis der Felsen, die wir erreichen müssen, und dem Spalt vor uns – diese Strecke wird von den Maahkrobotern überwacht.« »Warum reden wir nicht im Wandern?« fragte Fartuloon gemütlich. Wir entsicherten die Waffen, schalteten jeden Energieerzeuger aus, den wir nicht unbedingt brauchten, dann starteten wir. Vor mir ging Olfkohr. Wir bewegten uns durch Ammoniakschnee, der uns bis fast an die Hüften reichte. Aber die stark profilierten Sohlen der Anzüge berührten Eis oder die Felsschicht unter dem Schnee. Wir waren drei dunkle, winzige Punkte in dieser riesigen, matt strahlenden Fläche.
* Dreieinhalb Stunden schlichen dahin. Jede Minute war voller Gefahren. Zuerst tappten wir, geduckt und so schnell wie möglich, den riesigen Hang hinunter. Wir
29 wechselten uns ab; einer von uns trat dann im rasenden Sturm den Pfad. Der Sturm fegte den Gletscherhang hinunter und schob uns vorwärts und abwärts. Ununterbrochen trieben langgezogene Wolken aus Eiskristallen an uns vorbei, nahmen uns die Sicht und riefen, durch einen einfachen psychologischen Vorgang, sogar leichte Erstickungsanfälle hervor. Am tiefsten Punkt des Gletscherhangs rissen die Ammoniakeismassen ab. Wir schwebten in eine Art Flußbett hinunter, das aus riesigen weißen Steinen bestand, um die flüssiges Ammoniak spülte. Die Szenerie wirkte wie ein Gletscherbach, der der Flanke jener massiven Eisschicht entsprang. Nur fehlten darüber die grünen Hügel und die Berge, der Himmel und das Licht. Und der Gletscher bestand aus giftigem MethanAmmoniak-Gemisch. Als wir hintereinander jenes merkwürdige, fast windstille Flußbett durchquerten, sah ich aus dem Augenwinkel eine undeutliche Bewegung. Sofort flüsterte ich: »Halt! Deckung. Rechts von uns.« Wir blickten genauer hin und richteten unsere Instrumente auf das vermeintliche Ziel. Augenblicklich hatten wir uns zwischen den größeren Felsbrocken und rundgeschliffenen Steinen niedergeworfen. Das vergrößernde Ausschnittbild zeigte deutliche Bewegungen. Vom schmälsten und obersten Punkt des gewundenen Flußbetts herunter kletterten die grauen Gestalten von Methanern. Größer als wir Arkoniden, ungleich breiter in den Schultern – sie bewegten sich ausgesprochen leichtfüßig. Ich kannte sie genau, ich war mit Maahks schon so oft zusammengestoßen. »Es ist die Patrouille. Sieben Maahks. Hervorragende Roboter!« flüsterte Olfkohr. Er mußte es wissen. »Sieben Roboter?« erkundigte sich Fartuloon leise. »Das ist unfair!« »Ich warne dich! Die Robots sind spezialprogrammiert. Sie sind genau so schwer zu töten wie der echte Gegner.« »Wir werden sehen.«
30 Sie schienen uns nicht bemerkt zu haben. Wir lagen in weitem Abstand voneinander in einigermaßen guter Deckung. Die Verbindungsseile waren gelöst. Unsere schweren Waffen lagen im Anschlag, die Restlich taufheller zeigten uns, daß die sieben Spezialroboter in einer unregelmäßigen Reihe das gesamte Flußbett absuchten. Auch sie trugen Waffen. Sie kamen zielbewußt näher. Olfkohr murmelte: »Laßt sie nicht zu nahe heran. Sie sind tödlich. Merkt euch den eckigen Felsen. Wenn sie ihn passiert haben, eröffnen wir das Feuer.« »In Ordnung.« Wir lagen da und wurden halb vom flüssigen Ammoniak überspült. Die Projektoren der Waffen deuteten auf die Ziele. Wir bewegten uns nicht, und nichts deutete darauf hin, daß die Maahks etwas von uns ahnten. Die Feuereinstellschalter waren auf Maximum gedreht worden. Unaufhaltsam kamen die sieben mächtigen Gestalten näher. Auch sie drehten Suchgeräte nach allen Richtungen, kontrollierten unaufhörlich die Umgebung, starrten aus den vier großen Augen des Kopfwulstes in unsere Richtung, hinauf auf den Gletscher, suchten die Zone zwischen den Bergkanten ab. Als der erste Maahk etwa diese Linie überschritt, zielte ich genauer und feuerte. Ich wußte, daß ich getroffen hatte und schwenkte die lange, schwere Waffe herum. Augenblicklich reagierten beide Gruppen. Sowohl Fartuloon als auch Olfkohr schossen ununterbrochen, aber gut gezielt. Vier der Roboter lösten sich in einer Reihe von Detonationen auf. Drei von ihnen begannen sich feuernd zurückzuziehen, warfen sich in Deckung und deckten uns mit einem Hagel aus Strahlen ein. Wir hörten auf zu schießen. Mit meinem letzten Schuß hatte ich den fünften MaahkRobot getroffen; er rannte brennend und rauchend im Zickzack durch das Flußbett aufwärts. »Nicht weiterschießen!« brummte Olfkohr. »Warten! Ich sehe einen von ihnen.«
Hans Kneifel Rund um uns schien das Ammoniak zu kochen und entwickelte gewaltige Dampfwolken. Dasselbe galt dort drüben bei den zwei übriggebliebenen Maschinen. Unser Feuerüberfall war richtig gewesen; die Empfindlichkeit der Roboter war denen lebender Wesen angeglichen worden, denn sonst hätten wir kaum eine Chance gehabt. Dann, plötzlich, feuerte Olfkohr eine schnelle Folge einzelner Schüsse ab. Einer der grauen Riesen sprang aus seiner Deckung auf, drehte sich mehrmals und brach dann explodierend auseinander. Eine Schneewolke und mehrere Dampfsäulen verhüllten das Bild-Aus dem Dampf schob sich mit hoch erhobenen Tentakelarmen der letzte Robot. Olfkohr sprang auf die Beine, sagte scharf: »Nicht schießen!« und hob den Arm. Er drückte einen Schalter und sagte über Funk: »Der Reflex ist ausgelöst. Die Maschine wird uns nicht mehr stören.« Der Robot kam näher, blieb vor uns stehen, und Olfkohr steckte ein dehnbares Kabel aus seinem Funkgerät in den Körper der Maschine. Wir konnten die Kommunikation nicht verstehen, aber der Robot schaltete einen Satz Scheinwerfer an und stapfte an uns vorbei auf das gegenüberliegende »Ufer« des Gletscherflusses. Plötzlich begann die Landschaft zu leben. »Er öffnet für uns eine Schleuse!« sagte Olfkohr. Einige Minuten später waren wir in Sicherheit. Der übriggebliebene Robot fand einen der zahlreichen Ein- und Ausgänge in dieser Kuppel, öffnete ihn für uns und verschwand wieder. Ein Team von Helfern wartete außerhalb der Schleuse. Kurze Zeit darauf saßen wir, aus der Dusche und der medizinischen Untersuchung kommend, in den dicken Bademänteln um einen Tisch herum. Wir zitterten vor Erschöpfung, trotz der Massagen, der heißen und kalten Duschen, der stärkenden Getränke und der Substanzen im Luftkreislauf, die uns beruhigen und ent-
Schule der Kampftaucher spannen sollten. Unsere Augen lagen tief in den Höhlen und waren schwarz gerändert, die Finger zitterten. Wir waren aufgeregt und noch nicht in der Lage, abzuschalten. Nach einer Weile sagte Olfkohr müde: »Ich habe dir immer alles zugetraut, Fartuloon. Aber dein junger Freund … Zerkon hat mich überrascht.« »Danke!« erwiderte ich ruhig. Fartuloon machte eine wegwerfende Bewegung und zuckte seine breiten Schultern. »Zerkon ist noch jung, aber er kann eine ganze Menge. Ich glaube, man kann ihm eine Reihe instinktiver Fähigkeiten zubilligen.« Olfkohr senkte den Kopf. »Er besitzt intuitive Fähigkeiten. Wenn er lange genug lebt, wird er ein erstaunlicher Kämpfer werden. Er ahnt die Gefahren, bevor sie sich zeigen.« »Ich bemühe mich!« meinte ich, etwas verlegen. Die Unterhaltung der beiden Männer machte mich stolz und zugleich unsicher. Fartuloon stand auf und lehnte sich an die Wand. »Zerkon und ich gehen ins Schiff, denke ich. Ihr kommt nach, und für die Anzüge wird unsere Besatzung sorgen. Abgemacht?« »In Ordnung. Bereitet euch darauf vor, daß wir auf Ormeck-Pan oder im Orbit um den Planeten eine Flotte von Maahkschiffen antreffen. Dies wird ein Einsatz auf Leben und Tod.« »Ich hatte nichts anderes erwartet!« erklärte Fartuloon müde. »Ich auch nicht!« schloß ich mich an. Der Maahkplanet zeichnete sich auf den Bildschirmen ab. Zunächst nur als reflektierender Punkt, dann als Scheibe, schließlich als voll ausgeleuchtete Kugel. Wir flogen Ormeck-Pan genau aus der Sonne dieses Systems heraus an. So verringerten wir das Risiko, geortet zu werden. Das Team, das die Kampftaucher befreien sollte, befand sich in der Zentrale der CRYSALGIRA. Fartuloon betrachtete aufmerk-
31 sam den Kommunikationsschirm und fragte kurz: »Was sagt die Ortung?« In einem rasenden Flug waren wir von Falgrohst gestartet, hatten mit Präzision und Schnelligkeit sieben Transitionen durchgeführt und waren in diesem Sonnensystem materialisiert. Ich überlegte noch immer, ob der Aufwand das mögliche Ergebnis rechtfertigte. »Betrachten Sie die Bildschirme. Es gibt die von Ihnen allen vermutete Flotte von Maahk-Raumern nicht.« Fartuloon sah Olfkohr scharf an. Der breitschultrige Kampftaucher hob entschuldigend die Schultern. »Ich habe es vermutet. Mich soll es nicht stören, wenn keine Schiffe hier sind. Immerhin können sie noch ankommen. Ich denke, die Kolonie hier hat um Hilfe gerufen.« »Vierundfünfzig Stunden, Chef!« erinnerte Frayn Porthor. Wir waren mit der CRYSALGIRA gestartet, kaum daß die Anzüge, der schwere Panzer und die Freiwilligen an Bord gewesen waren. Seit dem Augenblick, an dem die vier Taucher aus Olfkohrs Mannschaft ihren letzten Notruf abgestrahlt hatten, waren rund vierundfünfzig Stunden vergangen. Wir alle waren gespannt und aufgeregt. Wir wußten, was zu tun war. Sieben Männer bildeten schon optisch eine Gruppe innerhalb der Zentrale des Schiffes. »Noch immer keine Ortungsergebnisse. Wir haben nur einen winzigen Impuls angemessen; es kann eine Zirkumplanetarstation sein!« meldete sich die Ortungszentrale unseres Schiffes. Der Planet vor uns wurde unmerklich größer. Wir näherten uns mit einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit. Olfkohr murmelte: »Wir haben die besten Männer dieses Jahrgangs. Wir sind zu allem entschlossen. Wir haben gute Freunde, die uns unterstützen. Es kann eigentlich nichts schiefgehen!« Wir hatten die lebende Leiche Gonozals wieder in dem abgeschlossenen Bezirk der CRYSALGIRA untergebracht. Den Fragen
32 der Männer von Falgrohst wichen wir bewußt aus. »Merkwürdig!« sagte Olfkohr, dessen Blicke zwischen den rein optischen Bilderfassungssystemen und den Schirmen der Ortung hin und her gingen. »Ich bin der festen Überzeugung, daß die Maahks mit unserer Befreiungsaktion rechnen. Und zwar nicht mit einer solchen durch eine Handvoll Männer, sondern durch eine Flotte. Verdammtes Arkon!« Colant, Frayn, Kaarn und H'Noyr waren etwa im selben Alter. Aber sie verkörperten auch etwa den gleichen Typ von Mann: jung, durchtrainiert und klug, abwartend und bereit, blitzschnell zu handeln. Es waren Arkoniden, wie ich sie schätzte. Aber immerhin gehorchten sie Orbanaschol, und das trennte sie von mir. Ra, der Barbar, verhielt sich geradezu erstaunlich mustergültig. Er war überall, fiel aber nirgendwo auf, denn er schwieg und verhielt sich unauffällig. Immer wieder musterte er die fremden Männer, hörte ihnen zu und sprach hin und wieder leise mit mir oder Fartuloon. Ich wußte, daß er sich sorgte – der Vorstoß bis zum Boden des Methan-Ammoniak-Planeten war keineswegs nach seinem Geschmack. Er war bereit, jeden Kampf in einer ihm gemäßen Umgebung zu wagen. Dies bedeutete, daß er sich ohne körperliche Behinderungen durch besondere Schutzsysteme oder andere Einschränkungen bewegen konnte. Die Vorstellung, in einen stählernen Sarg eingeschlossen zu sein, bereitete ihm körperliche Qualen. Er würde niemals mit uns nach Ormeck-Pan gehen. Der Kampftaucher namens Colant sagte jetzt: »Olfkohr! Wir sind sieben Männer! Ich werde nötigenfalls für Tsoehrt sterben, aber meinen Sie, daß wir tatsächlich genügend Männer sind, um die vier Freunde zu befreien?« »Ja«, behauptete Olfkohr. »Die letzte Meldung«, meldete sich Kaarn, der Mann mit der scharfen, adlerähn-
Hans Kneifel lichen Nase und der braunen Gesichtshaut, »sagt aus, daß es etwa zwei- bis dreihundert Methaner gewesen wären. Sieben gegen dreihundert … halten Sie, Chef, das für ein ausgewogenes Verhältnis?« Olfkohrs Gesicht war unbewegt. »Ja!« sagte er betont. H'Noyr schließlich, der uns als einer der fähigsten Steuermänner eines Panzerfahrzeugs vorgestellt worden war, hob die Hand. »Wir dürfen annehmen, daß sich um Ormeck-Pan nur eine Kontrollstation befindet, was die letzten Messungen unserer Verbündeten ergeben haben. Trotzdem bin ich skeptisch. Was macht Sie so sicher, Sonnenträger?« Ich saß schweigend daneben und hörte zu. Ich begriff dies alles ohnehin nicht recht. Ich wußte nur, daß Fartuloon eine lange Serie Fragen nach dem Schicksal des ExImperators offensichtlich zur Zufriedenheit der Freunde beantwortet hatte. Olfkohr musterte alle sechs Kampftaucher, also auch Fartuloon und mich, der Reihe nach. Dann straffte sich seine Gestalt, und er schien einiges von seiner reptilhaften Ruhe zu verlieren. Schließlich sagte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete: »Ich habe keineswegs vor, Selbstmord zu begehen. Wir wußten schon vor einem Vierteljahr, daß es um Ormeck-Pan nur eine kleine, unbedeutende Wachstation gibt. Das hatten bereits Galbayn Tsoehrt und seine drei Freunde einkalkuliert.« »Wir wissen ferner, daß es auf dem Boden dieses Planeten dort«, seine Hand deutete auf die immer größer und deutlicher werdende Kugel des Planeten, »mehrere Stationen gibt. Die Maahks rechnen damit, daß Arkonschiffe sie aus dem Weltraum bombardieren und beschießen, sie rechnen damit, daß einzelne Schiffe Angriffe fliegen, daß wir versuchen, mit einer massierten Anstrengung die Gefangenen zu befreien. Womit sie mit Sicherheit nicht rechnen, ist der Umstand, daß sich sieben Männer mit einem Panzerfahrzeug auf die Oberfläche hinunter-
Schule der Kampftaucher bewegen und in einem Kommandounternehmen die Arkoniden befreien. Genau das ist unsere Chance! Wir werden entsprechend vorsichtig beginnen. Die Daten und Koordinaten haben wir, den Mut besitzen wir, und außerdem haben wir Freunde, die uns helfen!« Er deutete auf Fartuloon. »Richtig!« sagte der Bauchaufschneider fast feierlich. Ich blieb ruhig in meinem Kontursessel sitzen und konzentrierte mich auf das Bild des größer werdenden Planeten. Fartuloon blickte lange schweigend auf das Chronometer und äußerte sich schließlich. Er sagte ohne deutliche Gemütsbewegung: »Die CRYSALGIRA wird einen Kurs rund um Ormeck-Pan fliegen und soviel orten und suchen, wie es gerade nur möglich ist. In drei Stunden finden wir uns im Vorbereitungsraum ein und starten. Alles klar, Olfkohr?« Die zwei Männer verstanden sich so gut, daß ich fast ein wenig eifersüchtig wurde. »Alles klar. Ich werde inzwischen versuchen, meinen Schülern die Furcht zu nehmen. Keine leichte Aufgabe, denke ich.« In der gesamten Zeit hatte Frayn Porthor kaum ein einziges Wort verloren. Aber er beobachtete mich unausgesetzt. Auf einen Wink Fartuloons stand ich auf, verließ den Raum und traf mich mit ihm in seiner Kabine.
* Es geht um neun hervorragende Männer! sagte der Logiksektor. Fünf Männer von Falgrohst und vier, die wir befreien sollten. Der Einsatz ist die Aufregungen und die Ungewißheiten wert! Fartuloon schloß das Schott hinter sich und ging bis zu einem Sessel. Er ließ sich in die weichen Polster fallen und sagte leise und in völlig normalem Ton: »Ich weiß, was du denkst, Atlan! Wir alle begeben uns in Lebensgefahr, das ist sicher.
33 Der Preis dafür sind diese neun Männer, und möglicherweise noch viele andere, die wir nach Kraumon bringen und für unseren Kampf brauchen können. Richtig?« Ich nickte schweigend, dann zuckte ich die Schultern. »Ich bin unsicher und glaube nicht an Wunder, Bauchaufschneider!« sagte ich mit Bestimmtheit. »Ich auch nicht, das weißt du. Aber darüber hinaus erfüllen unser Besuch auf Falgrohst und die jetzt folgende Aktion einen weitaus wichtigeren Zweck.« »Du meinst, wir haben mitten in arkonidischem Einflußbereich das zweitemal den Imperator erschreckt und gedemütigt, indem wir bewiesen haben, daß mein … Vater noch lebt?« Versuche, die Empörung des Diktators nachzuempfinden! sagte der Extrasinn. »Ja. Genau das meine ich. Es wird sich rasend schnell herumsprechen. Ich bin sicher, daß Orbanaschol schon jetzt weiß, daß sein Vorgänger auf Falgrohst war. Du weißt, was dieses Wissen für Orbanaschol bedeutet?« »Ich weiß es!« Auf den Bildschirmen wuchs der riesige Planet mehr und mehr. Einzelheiten wurden sichtbar. Die wilden Turbulenzen der vielfarbigen Atmosphäre glühten im Licht der Sonne auf. Das Schiff tastete sich behutsam höher. Wir trieben ohne feuernde Partikeltriebwerke dahin und untersuchten den Weltraum um den Planeten, schickten alle denkbaren Strahlen hinunter in die wirbelnde Gasmasse und suchten nach Echos und nach den Merkmalen der Karten, nach denen sich auch Galbayn Tsoehrt und seine Männer gerichtet hatten. Schließlich fanden wir sie. Von uns aus gesehen befand sich die bergige Zone, in der die Siedlung und der Raumhafen der Maahks halb versteckt waren, rechts in der Äquatorgegend von Ormeck-Pan. Es bedeutete, daß das Operationsgebiet in den nächsten Stunden im Licht der Sonne liegen würde, ein Vorteil und ein Nachteil gleichermaßen. Fartuloon sagte bedächtig:
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Hans Kneifel
»Ich glaube, es wird Zeit für uns. Ich habe mit Ra und den anderen die einzelnen Schritte genau abgestimmt.« »Sieben Kampftaucher gegen eine gewaltige Übermacht – es wird ein Himmelfahrtskommando!« schränkte ich ein. »Ich werde dafür sorgen, daß wir alle lebend zurückkommen!« versprach Fartuloon.
* Die CRYSALGIRA schwebte, von der Planetenoberfläche aus gesehen, direkt in der Sonnenscheibe. Wir wurden von unseren Besatzungsmitgliedern geradezu rührend versorgt. Sie halfen uns, in die schweren Rüstungen einzusteigen. Die Riegel und Verschlüsse, die Blenden und Schrauben, alles wurde überprüft, gecheckt und nochmals überprüft. Längst hing der Panzer in dem halbrobotischen Gerüst, das ihn langsam zur Planetenoberfläche herunterschweben lassen sollte. Konzentriert arbeiteten wir alle zusammen. Sieben Männer steckten jetzt in den schweren Rüstungen. Die Helme waren noch nicht auf die Halsblenden geklappt. Jetzt befestigten wir die Waffen, die Granaten und verschiedene Geräte an den Klemmen der breiten Gürtel. Die Stille in dem großen Schleusenraum wurde unterbrochen durch gedämpfte metallische Geräusche. Die kleinen Rechenmaschinen, die über ein dickes Kabel die einzelnen Funktionen prüften, tickten und summten. Einmal mußte an Olfkohrs Anzug ein Aggregat ausgetauscht werden, eine Arbeit von einigen Minuten. Ein Lautsprecher klirrte übersteuert. Eigurd Terbakh, der einunddreißig jährige Pilot, sagte: »Das Schiff nähert sich dem kritischen Punkt. Bitte, beeilen Sie sich!« »Wir sind bald fertig!« Auch die Funkverbindung zwischen den sieben Männern, sowie die Fernsteuerung des Tragegerüsts funktionierten hervorragend. Ich gab ein Zeichen, indem ich den
schweren, kuppelförmigen Druckhelm nach unten klappte und mithalf, ihn zu verriegeln. Im Innern war es kühl, aber allen Anzugteilen haftete ein leichter Ammoniakgeruch an. Einbildung! wisperte der Extrasinn. Sie sind gereinigt und entgiftet worden! Wir alle schalteten die Innenversorgung ein, pegelten die Antigraveinrichtungen ein und zogen dann die Halteseile aus den Schlitzen der versteckten Automatiktrommeln. Jeder der sieben Männer war jetzt mit seinem Nebenmann verbunden. Die Mikrophone, versenkt in der Außenschale der Anzüge, gaben die nächste Durchsage wieder: »Bitte die Schleuse räumen! Die Außentore werden geöffnet!« Die Besatzungsmitglieder murmelten irgendwelche Wünsche, hielten die Daumen in die Höhe und verließen die Schleuse. Frayn Porthor, der erste unserer langen Reihe, kletterte auf das Tragegerüst und klinkte sich dort mit einer zweiten Leine fest. »Olfkohr spricht. Alle bereit?« Sechsmal ertönte aus den Innenlautsprechern die Antwort. Die roten Signallampen leuchteten auf. Langsam schoben sich die schweren Portale in der Schiffshülle auseinander. Wir hielten uns an den Bügeln fest, als sich die Öffnung vergrößerte und nichts als eine silbergraue, von feuerroten und schwarzen Spiralfäden durchzogene Gashülle zeigte, einen schmalen Ausschnitt dessen, was uns dort erwartete. Wieder ein Signal. Die Tore rasteten ein. Olfkohr wußte wie wir alle, daß die CRYSALGIRA genau einen Punkt angesteuert hatte, der fast schon innerhalb der gefährlichen Atmosphäre lag. Windgeschwindigkeit, die vorherrschende Richtung der zyklonartigen Stürme, und daraus in Relation zu uns die Fallkurve, waren berechnet worden. Wir müßten mit einigem Glück genau dort landen, wo die vier Kampftaucher gelandet waren. Und wo sie gefangengenommen worden waren. »Wir gehen, Freunde!« sagte Olfkohr. Frayn schaltete an der kleinen Steuerung. Der schwere Panzer hob sich von dem gerif-
Schule der Kampftaucher felten Boden der Schleuse hoch, drehte sich um vierzig Grad und schwebte aus der offenen Luke. Die Seile spulten sich langsam von den Trommeln. Wir gingen hinter dem schwebenden Panzer her, dann kippte das Gerät aus dem Schwerefeld der Schleuse nach unten. Wir folgten und sprangen hinterher. Jeweils zehn, fünfzehn Meter Verbindungsseil war zwischen den einzelnen Anzügen. Ein rasender Sturz begann. Vorsichtig zündeten wir die Partikeldüsen, um unsere Lage zu stabilisieren. Bald hatten wir erreicht, was wir wollten. Wir schwebten wie Vögel mit ausgebreiteten Beinen und Armen hinter dem Koloß her, eine lange Kette von metallgepanzerten Männern. Keiner von uns sprach. Die Lautsprecher gaben nur die Atemzüge wieder, gelegentliche Fetzen von gemurmelten Selbstgesprächen und darüber, von außen hereindringend, das hohle Sausen und Fauchen der ersten Spuren einer dichteren Atmosphäre.
5. Glücklicherweise waren wir so mit unseren Flugaggregaten beschäftigt, daß wir keine Zeit hatten, Angst zu empfinden. Wir fielen mit rasender Geschwindigkeit, hatten unsere Körperlage stabilisiert, wurden vom Dreifachen der normalen Anziehungskraft nach unten gerissen. »Frayn! Ortung! Wo sind wir?« erkundigte sich Olfkohr leise. »Zweitausend Kilometer vom Zielberg entfernt!« »Der Winkel?« »Dreiunddreißig Grad!« Unsere Gruppe beschrieb also eine annähernde Gerade, deren oberer Punkt die CRYSALGIRA und deren unterster Punkt die Landschaft um das Zielgebiet darstellte. Von der Geraden hatten wir jetzt mehr als ein Drittel zurückgelegt. Wieder drang durch die Außenmikrophone das schneidende Heulen und Wimmern der dichteren Gasschichten herein. Es war eine Art Fahrtwind, des-
35 sen Wirbel und Geräusche wir selbst erzeugten. Nach der ersten Meldung der vier gefangengenommenen Kampftaucher waren auch sie auf diese Weise »eingeschwebt« und nicht angemessen worden. Kurze Zeit später schlugen wir in die dichten Schichten ein. Unsere Geschwindigkeit wurde zunächst noch einmal gesteigert, denn der rasende Sturm, der uns packte und herumwirbelte, war schneller als unsere absolute Geschwindigkeit. Dann, auf einen Befehl Olfkohrs, schalteten wir die Partikeldüsen auf volle Leistung und glichen uns an. Wir verhielten uns wie Wellenreiter. Wir nutzten die Strömung aus, ritten auf ihr und sanken gleichzeitig. Hagelstürme überholten uns und feuerten ihre Projektile gegen uns ab. Das Klappern und Dröhnen marterte unsere Nerven und belastete uns. Plötzlich riß der Hagel ab. Wir schossen in eine gewaltige Wolke hinein. Das Gas war so dicht, daß wir einander aus den Augen verloren. Wir sahen nur noch die Verbindungsseile, die scheinbar ins Nichts führten. Die Ammoniakwolke schluckte alle Geräusche bis auf jenes hohle Sausen, das von der bewegten Gasmasse herkam. Die optische Isolierung in diesem Nebel griff ebenfalls nach unserer Psyche. Ununterbrochen ging es so weiter. Hagel und klebriger Regen, Nebel und plötzlich aufreißende Wolken, die kurze Blicke auf die Landschaft gestatteten. Lasse dich nicht täuschen. Dies ist keine Berglandschaft mit Eis und Schnee! warnte der Logiksektor. Tatsächlich wirkte die Landschaft seltsam vertraut. Als ob wir uns langsam einer Sauerstoffwelt nähern würden, im hohen Norden oder während des Winters in einem Berggebiet. »Noch sieben Kilometer!« sagte plötzlich Frayn Porthor. »Verstanden!« Schließlich kam der Augenblick, wo uns die Instrumente und auch unser Gefühl sagten, daß wir landen mußten. Unter uns brei-
36 tete sich eine Art Ebene aus. Ein Sturm heulte über die Fläche und riß gefrorenes Ammoniak in die Höhe und lagerte es hinter den dicken Stämmen der Gewächse aus Polymeren und Wasserstoff-Methan-Verbindungen ab, die wie Bäume aussahen. Die Partikeldüsen unserer Rüstungen und die Triebwerke des Tragegerüsts heulten auf. »Achtung. Haltet euch von dem Ding fern!« rief Porthor aus. Die Verbindungsleinen strafften sich, spulten sich von den Trommeln, und wir schwebten auseinander. Der Panzer krachte in das Geäst eines Baumes, riß Ammoniakschnee herunter, brach Äste ab und zerfetzte die Blätter, die wie aus Plastik geschnitten aussahen. Die Antigravprojektoren und die Triebwerke arbeiteten wie rasend. Der Koloß fing sich wieder ab, stabilisierte sich und landete in einer riesigen Wolke aus Baumteilen, Schnee und verdampfendem Ammoniak. Auch wir schlugen schwer in die tiefe Schicht aus dickem, pappigem Schnee. »Alles klar? Jemand verletzt?« erkundigte sich Olfkohr. »Macht die Leinen los und kommt zum Panzer.« »Niemand verletzt.« Der Sturm brach sich an Felsen oder riesigen Blöcken aus Ammoniak, es war nicht genau festzustellen. Olfkohr, Fartuloon und Frayn hantierten in rasender Geschwindigkeit an den Elementen, mit denen das Tragegestell an dem Panzer befestigt war. Die Projektoren fielen in den Schnee, die Teile, Verschlüsse, Kabel und die Fernsteuerung wurden entfernt. Mit einem überraschend schnellen und leicht wirkenden Satz verschwand Frayn in der vorderen Kugel und begann, an der Steuerung zu hantieren. Sechs Mann versammelten sich um den Panzer. Die ersten Schaltungen betrafen die Ortungsgeräte. Die Antennen wurden aktiviert, die Schirme flammten auf. Dann setzte Frayn die Triebwerke in Gang. Jeder von uns hatte eine genau umschriebene Aufgabe,
Hans Kneifel und jeder arbeitete so schnell, wie er nur konnte. Colant, Kaarn und H'Noyr setzten sich auf Notsitze außerhalb der kugelförmigen Zelle, wir enterten den Innenraum. Die breiten Ketten des Antriebs ruckten an, der Panzer bewegte sich nach rückwärts, drehte auf der Stelle und fuhr dann geradeaus. Frayn steigerte die Geschwindigkeit der Maschine und steuerte souverän. Olfkohr heftete die in schützender Folie eingeschweißte Karte an das Armaturenbrett und erklärte: »Ich denke, wir sind am Rand des Zielgebiets gelandet. Dieser Berg dort drüben muß mit Punkt Zwei auf der Karte identisch sein.« Inzwischen versuchten wir, unsere Geräte auf die Frequenzen der Maahks einzustellen. Vielleicht konnten wir sie abhören und erfahren, ob die vier Kampftaucher noch lebten. Der Panzer wurde schneller. Wir fuhren im Augenblick ohne eingeschaltete Sichtgeräte. Der Nebel und der Sturm waren für kurze Zeit zurückgegangen. Wir hatten einigermaßen freie Sicht. Aber die nächsten tiefliegenden Wolken drifteten bereits wieder heran, wie ein Blick aus dem rückwärtigen Sehschlitz deutlich zeigte. »Ich bin sicher«, unterbrach Fartuloon. »Hier ist die Ebene, auf der wir uns befinden. Die Station ist demnach fünfzig Kilometer entfernt.« »Richtig!« erklärte Kaarn von draußen. Frayn war ein hervorragender Fahrer. Er schien Felsen oder Spalten unter der trügerischen Decke aus Ammoniakschnee zu erraten. In einem Tempo, das beträchtlich schnell war, rasten wir in einer weit ausschwingenden Zickzacklinie zwischen Bäumen und den skurrilen Gebilden aus Eis dahin. Die Karte zeigte zwischen uns und der Station der Maahks zunächst einen tiefen Taleinschnitt, dann eine Kette von seltsam spitzen Hügeln, schließlich einen Flußlauf und darüber einen langen Hang. In den Hang hineingebaut und halb verdeckt von einzelnen schwarzen Felsen – dort lag die Station der Methaner. Immer wieder mußten wir uns
Schule der Kampftaucher ins Gedächtnis zurückrufen, daß diese Landschaft, die für uns wie reiner Terror und Tod war, für die Maahks etwas ganz anderes bedeutete. Es war ihr gewohnter Lebensraum. »Zerkon! Wie fühlst du dich?« fragte Fartuloon neben mir. »Noch ganz gut«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. »Obwohl ich es vor Spannung kaum mehr aushalten kann.« »Es geht uns allen so, Zerkon!« tröstete mich H'Noyr. »Es ist selbst für mich nicht anders. Jedesmal, selbst in unseren Kuppeln, weiß ich, daß es der letzte Einsatz sein kann. Eigentlich ist es Wahnsinn, einen Feind in dessen natürlichen Lebensraum anzugreifen. Trotzdem haben wir es immer wiedergeschafft.« Hinter den Kettenspuren, die nicht tiefer als ein halber Meter in den harten Schnee hineingedrückt waren, wirbelten plötzlich fadenförmige Fetzen von Ammoniak durch die Luft. Nebel und brodelnde Gase, die wie gelbgrüner Dampf aussahen, krochen zwischen den Bäumen und den gespenstischen Figuren heran. Frayn wich mit dem Panzer aus und konzentrierte sich auf die Infrarotschirme. Er verstand es meisterhaft, die Bilder, die er auf den Schirmen sah, umzusetzen. Der Panzer dröhnte und rasselte weiter und glitt hinunter in das spitze Tal, hinter dem sich die Kette der gefährlichen Hügel erhob. »Nicht ein einziger Methaner!« brummte einer von uns, als sich der Panzer auf der anderen Seite der Ammoniakschlucht den Hang hinaufschob. Tatsächlich! Es hatte nicht ein einziges Signal gegeben, nicht einmal einen Funkspruch hatten wir auffangen können. »Vielleicht haben sie den Stützpunkt aufgegeben und den Planeten verlassen?« Ich sprach aus, was ich vermutete. »Wir hätten es feststellen müssen. Zwischen der letzten Meldung und unserer Landung gab es nicht genug Zeit für eine Evakuierung.« Es war merkwürdig, denn normalerweise hätten wir Spuren der Anwesenheit von so
37 vielen Individuen feststellen müssen. Zwar war keiner von uns Maahk-Psychologe, aber wir wußten immerhin ziemlich viel über ihre Lebensgewohnheiten. Der Panzer schraubte sich rutschend und mit Unterstützung von Antigravprojektoren und Triebwerken den Hang in einer schrägen Linie aufwärts, und schließlich hielten wir an. Noch immer befanden wir uns im Schutz des dampfenden und brodelnden Nebels. Mehr als schwarze Schatten neben uns sahen wir nicht, aber wir standen jetzt zwischen zweien der surreal geformten Spitzen. Sie bildeten laut Karte einen Wall vor dem Flußlauf und dem Hang mit der eingegrabenen Station. »Noch immer nichts!« bemerkte Fartuloon. Auch auf den Schirmen der Geräte, die nicht auf direkte optische Sicht angewiesen war, zeichneten sich keinerlei Echos ab, die für uns deutliche Aussagen ergeben hätten. Wir erkannten die Umrisse der nächsten, an die hundertfünfzig Meter hohen Türme und Schroffen, dann sahen wir das Gelände des eisfreien Flußlaufs, das Wasser führte – es war natürlich geschmolzenes Ammoniak oder eine entsprechende anorganische Verbindung –, darüber den Hang und die Umrisse der niedrigen, geduckten Gebäude. Ich meldete mich und fragte: »Wie nahe, denkt ihr, können wir mit dem Panzer heranfahren?« Frayn drehte seinen Kopf im Helminnern und warf mir einen Blick zu. Ich verstand die Art dieses Gesichtsausdrucks nicht. Er schien ärgerlich oder unentschlossen zu sein. »Wenn wir einen Haken schlagen, können wir bis auf tausend Meter herankommen. Immer vorausgesetzt, sie bemerken uns nicht.« »Dann weiter! Die Zeit drängt!« knurrte der Bauchaufschneider. In dem Moment, da wir aus dem Halbschatten des weitestgehend unsichtbaren Ammoniakkegels herausfuhren, meldete sich deutlich und drängend der Extrasinn. Über dir! Das Ammoniak löst sich auf! Die Trümmer fallen! Ich konnte nichts erkennen, aber ich han-
38 delte instinktiv. Ich versuchte, Frayns Arm zu erreichen und rief gleichzeitig: »Schneller! Es fallen Ammoniakbrocken auf uns herunter!« Im selben Moment gab es ein hartes, krachendes Geräusch. Wir sahen im Bildschirm der Rücklinsen, daß ein riesiger Brocken auf der linken Kette gelandet war und dort die Abdeckung zerschlagen hatte. Colant und Kaarn schrien erschrocken auf. Frayn begriff und handelte schnell und sicher. Der Motor brummte auf, Vibrationen erschütterten sekundenlang den Panzer, aber dann griffen die Ketten und schleuderten die Maschine immer schneller vorwärts. Vor uns krachte, wie aus dem Nichts kommend, ein hausgroßer Brocken herunter. Frayn konnte nicht mehr ausweichen und hielt mitten auf den riesigen, halb durchlöcherten Findling zu, der wie ein Teil eines Eisbergs aussah. Wir hielten uns fest und schlossen instinktiv die Augen. Der Brocken spaltete sich, die Teile kippten zur Seite, und die Ketten walzten mitten hindurch. Als der gepreßte Ammoniakschnee und die Eisbrocken darin die Mechanik erreichten, heulte das Getriebe überlastet auf, aber der Panzer kam frei. Als wir weiterrasten, verfolgte uns noch eine Weile lang das dumpfe Krachen der zusammenstürzenden Formen und Kegel. »Das war knapp!« kommentierte Frayn. Als wir uns in der Mitte des Flußbetts befanden, rissen die Wolken wieder auf und gestatteten uns einen Blick auf die Landschaft. »Rechts von uns. Zweitausend Meter! Dort sind die Maahks!« stieß Fartuloon hervor. Wir alle blickten dorthin. Nur fünf Sekunden lang, denn dann schaltete Frayn in den Rückwärtsgang und steuerte die schwere Maschine zurück in die Zone des kochenden Nebels. Wieder wurde es dunkel in der Kabine. Aber wir hatten genug gesehen. Wir ahnten oder wußten, was dort geschah – es war die einzige Erklärung für das Fehlen von Patrouillen oder Suchtrupps. Eine lange Kette von Maahks, teilweise zu Fuß, teilweise mit
Hans Kneifel Gleitern oder anderen Fahrzeugen, bewegte sich wie ein Zug blaßgrauer Insekten den Hang abwärts, durch die schmälste Stelle des Flusses und in die Richtung, aus der wir gekommen waren. »Sie evakuieren den Stützpunkt!« meinte H'Noyr. »Hoffentlich haben sie die Gefangenen nicht mitgenommen.« »Wieviel waren es, schätzungsweise?« erkundigte sich Fartuloon. »Ungefähr zweihundertfünfzig«, meinte ich. »Sie rechnen eindeutig mit einem Angriff aus dem Raum!« kommentierte Frayn und steuerte den Panzer wieder vorwärts. Wir rumpelten und kletterten im Schutz des Nebels geradeaus durch den Fluß, dessen strömendes Ammoniak gurgelte und plätscherte. »Also rechnen sie nicht mit einer Kommandogruppe!« brummte Olfkohr. Deutlich war die Erleichterung in seiner Stimme zu hören. »Noch wichtiger: Sie haben noch keine Spur von uns!« kommentierte Kaarn. »Das gibt uns jede Chance.« »Und hoffentlich finden wir in der Station noch unsere Kameraden!« Der Panzer verließ das Flußbett, wich nach links aus und näherte sich dann auf dem Kamm des Hanges, direkt unter den hochstrebenden Felswänden, der Station. Fünfhundert Meter vor dem ersten Gebäude hielten wir an. Colant blieb hier. Er würde das Geschütz bedienen, uns nötigenfalls zu befreien versuchen, den Kontakt mit der CRYSALGIRA herstellen und unseren Vormarsch sichern. Wir stiegen aus und machten uns auf den Weg. Olfkohr bildete die Spitze, ich ging vor Frayn, der den Schlußmann abgab und nach hinten sichern würde.
* Es waren nicht die ersten Gebäude einer Methanersiedlung, die ich sah. Es fiel mir auf, daß sie ausgesprochen leer und ausgestorben wirkten. Wir befanden uns jetzt auf einem schmalen Grat, der mit Platten aus ei-
Schule der Kampftaucher ner unbekannten Steinart belegt war. Noch immer zerrte der Sturm an uns. Aber dadurch, daß sich der Wind im Flußbett staute, durch den langen Hang fast um neunzig Grad umgelenkt wurde und vor der Felswand fast senkrecht nach oben heulte, riß er verdampfendes Ammoniak mit sich und erfüllte diese Passage mit Nebel und Hagelschlag. Immer wieder rutschten wir aus oder wurden gegen die Felswand geworfen. Vor mir sah ich den Rücken des Anzugs, in dem Fartuloon steckte. Er hielt mühelos eine seiner schweren Waffen und stützte sich mit dem linken Arm an den Felsen ab. Ununterbrochen prasselten faustgroße Geschosse aus Ammoniak gegen die Panzer. Ich ging weiter, orientierte mich am Rücken des Anzugs und hoffte, daß Frayn nicht in mich hineinrannte. Drei Schritte weiter packte mich eine unsichtbare Kraft, meine Sohlen verloren den Halt, und ein wuchtiger Schlag fegte mich zur Seite. Ich taumelte, schlug gegen die Felsen und kippte nach der anderen Seite. Gefahr! schrie der Extrasinn. Ich merkte, wie ich mit der Schulter schwer auf den Stein schlug. Ich stieß einen schreckerfüllten Laut aus. Dann kippte ich im Hagel der Ammoniakschloßen nach rechts und nach vorn. Ich ruderte mit den Armen um mich, aber schon in dem Augenblick, als ich fiel, erreichten meine Finger den schweren Schalter des Triebwerks. Es heulte auf und riß mich seitlich von dem Sims weg. »Zerkon! Hilf mir, Fartuloon!« hörte ich Frayns Stimme. Hatte er mich von dem Sims gestoßen? »Wo ist Zerkon?« schrie Fartuloon auf. Ich sah undeutlich die Felsen an mir vorbeihuschen, einen Streifen Weiß, dann wirkten Antigrav und Triebwerk. Ich fiel nicht mehr, ich begann zu schweben und startete schräg nach unten. Mehr Kraft auf die Triebwerke! Der Fall wurde angehalten, ich schwebte vorwärts und drehte mich langsam. Ich versuchte, mich in dem Nebel zu
39 orientieren und wurde langsamer, als ich ungefähr an der Stelle des Pfades war. »Ich lebe noch!« sagte ich leise und streckte meinen Arm aus. Vorsichtig ließ ich mich vom Sturm schieben. Dann plötzlich war die Felswand vor mir, ich fing mich ab und verringerte die Leistung der Maschinen. »Was ist passiert?« fragte Fartuloon, sich mühsam beruhigend. »Ein besonders starker Stoß hat mich aus dem Gleichgewicht gebracht«, erwiderte ich, während ich versuchte, wieder den Pfad am Felsen zu erreichen. »Vielleicht ist eine Ammoniaklawine von oben heruntergekommen!« versuchte Frayn den Zwischenfall zu erklären. »Ich habe nichts gesehen. Plötzlich warst du weg, Zerkon!« Er betont deinen Namen sonderbar, warnte mich der Extrasinn. »Wir sind gleich da. Sie haben bereits die ersten Gebäude erreicht!« erklärte Fartuloon und packte mich an einem der stählernen Haltebügel. »Wenn wir stürmen und die Gefangenen erreichen, bevor die Karawane der Abziehenden alarmiert wird … Vielleicht reicht die Zeit!« sagte ich schwer atmend und hakte meine Finger in einen Haltebügel an Fartuloons Gürtel. »Sie wird reichen!« Wir erreichten eine Art befestigtes Tor. Es wurde deutlich, daß dieser Stützpunkt eine Art Garnison war. Teile der Ausrüstung waren abmontiert. Allerdings nur Gegenstände in einer Größe, wie sie für eine Evakuierung wichtig war. Wir blieben stehen. Hier, zwischen den Wänden der Gebäude, gab es keinen Nebel, nur eine Art Regen, der alles gleichmäßig mit Nässe überzog und glänzen ließ. Wir trafen uns hier. Sechs Männer, die jetzt ihre Waffen zogen und entsicherten. Wir hatten keine Ahnung, wo die Räume lagen, in denen die Gefangenen sein konnten. Leise berieten wir uns, und wir kamen zu dem Entschluß, zwei Gruppen zu bilden und zu suchen.
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Hans Kneifel
Wir verständigten Colant von unserem Vorhaben, und er wünschte uns viel Glück. Olfkohr führte die erste Gruppe, Fartuloon die zweite. Schließlich, nach einem letzten kurzen Check, stürmten wir los.
* Fartuloon, Frayn und ich rannten über den großen, leeren Platz auf einen deutlich sichtbaren Eingang zu. Alles war hier auf die Größe der methanatmenden Riesen zugeschnitten, aber in unseren Schutzanzügen waren wir nicht viel kleiner. Etwa dreißig Sekunden brauchten wir, um den Platz zu überqueren. Frayn sicherte nach links, ich nach rechts. Niemand sah uns. Nur die Kameraden, die zwischen einem Turm und einem kuppelförmigen Gebäude auf der anderen Seite verschwanden. Wir tauchten im vollen Schwung in einen großen Saal hinein, in dem Gepäckstücke standen, die nicht mitgenommen worden waren. Die schweren Rüstungen klirrten und dröhnten bei dem schnellen Lauf. Der Saal schien eine Art Knotenpunkt zu sein, von dem Rampen und Treppen, Türen und offene Portale abzweigten. »Nach unten!« sagte Fartuloon und hielt am Anfang der Rampe an. Hier gab es keinen Nebel, keinen Regen und keine Nässe, aber die Öffnungen nach draußen besaßen nicht einmal Türen oder Schotte. Die Vision einer heißen Maahkwelt, in der die Bewohner den frischen Wind brauchten, um unter der feuchten Hitze nicht zu leiden – es war schlecht vorstellbar, aber so ähnlich mußten hier die Verhältnisse sein. Wir rannten nebeneinander die nach links gekrümmte, gelb ausgeleuchtete Rampe hinunter. Niemand hielt uns auf. »Gruppe Olfkohr! Habt ihr Kontakt mit Methanern?« rief Fartuloon leise, als wir das Ende der Rampe erreicht hatten und nun die Wahl zwischen zwei Korridoren hatten. »Noch nicht … aber jetzt kommen sie vor uns aus einem Raum. Schußwechsel!« Fartuloon hob die Hand und sagte:
»Zerkon, Frayn! Gehen wir systematisch vor. Jede Tür in diesem Korridor?« »Einverstanden!« Wir wandten uns nach rechts. Dies war der kürzere Teil des Verbindungsganges. Einer von uns sprang vor, riß die Metalltür auf oder öffnete das Schott, die beiden anderen deckten ihn mit feuerbereiten Waffen. Ich stürmte vor. Mit wuchtigen Hieben schlug ich die Riegel herunter und trat gegen die schwere Platte. Sie schwang geräuschlos nach innen auf. Ich hatte die Waffe bereits im Anschlag, als sich der Spalt bildete und vergrößerte. Aus den Lautsprechern ertönten wirre Kommandos und ein aufgeregter kurzer Schrei. »Nichts!« sagte ich scharf, drehte mich herum und rannte weiter. Der Raum war eine Art Messe gewesen, mit Regalelementen an den Wänden, Tischen und Sesseln und allerlei technischem Kram. Kein einziger Maahk befand sich dort. Wir öffneten den zweiten Raum. Ebenfalls leer. »Die andere Gruppe hat Kontakt mit dem Gegner!« sagte ich leise. Plötzlich war in unseren Lautsprechern ein kurzer scharfer Ruf. Er schien von weither zu kommen; ein Zeichen, daß der Sender mit sehr schwacher Energie arbeitete. Helft uns! hörte ich. »Die meisten Maahks sind weg. Aber es wird hier noch eine Gruppe geben, die auf alle Fälle stärker ist als wir!« knurrte Frayn, während wir diesen Abschnitt des Ganges verließen und die gegenüberliegende Seite betraten. Sämtliche Räume waren leer, teilweise vollständig ausgeräumt gewesen. Als wir am untersten Teil der Rampe vorbeirannten, bemerkten wir Schatten von links. Maahks! schrie der Logiksektor. »Die Gefangenen leben noch!« sagte Frayn, warf sich zu Boden und begann wütend zu feuern. Fartuloon und ich sprangen noch vier Schritte weiter und waren hinter der Kante des Ganges versteckt. Die Waffen hoben sich, die Zielgeräte stellten sich ein. Wir sahen die langen Feuerbahnen aus der
Schule der Kampftaucher Waffe des Kampftauchers den Stollen hinaufziehen. Das Gas glühte entlang der Energieströme fahl auf und erlosch. Dann schoben sich zwei Maahks in das Blickfeld der Optiken. Fartuloon und ich schossen gleichzeitig. Es war keinerlei Kunst, auf diese Entfernung zu treffen. Die beiden Methaner, die, wild um sich schießend, in rasendem Lauf die Rampe hinunterrannten, wurden getroffen. Ich registrierte hinter den Wänden aus Flammen und auseinanderplatzenden Feuerkugeln, aus aufflammendem Gas und schwarzem Rauch, wie sie ihre Tentakelarme hochwarfen und dann zusammenbrachen. Durch das Röhren und Donnern der Schüsse kam die Stimme des jungen Kampftauchers. »Es kommt keiner mehr hinter ihnen. Machen wir weiter.« »Einverstanden!« erwiderte ich und lief, sobald mich die Kameraden decken konnte, auf die nächste Öffnung zu. »Ich bin sicher, einen Notruf der Gruppe Tsoehrt aufgefangen zu haben.« »Ich hörte es auch!« bestätigte Fartuloon. Ich hielt in der linken Hand einen der kleinen Sprengkörper, die an den Gürteln steckten. Das Schott glitt auf. Dahinter war ein leerer, vollkommen dunkler Raum. Ich drückte den Zündkontakt und schleuderte das kugelförmige Ding nach vorn. »Aber wir wissen nicht, wo sie sind!« gab Frayn zu bedenken. Mit derselben Systematik untersuchten wir diesen Abschnitt. Es gab vierzehn Türen und Öffnungen, aber dieses Stockwerk war leer. Am Ende des Korridors entdeckten wir eine Treppe, deren Stufen für die riesigen Maahks gemacht waren, uns aber keinerlei Schwierigkeiten bereiteten. »Hinunter?« fragte Frayn, der die Spitze übernommen hatte. Ich warf einen Blick in den raucherfüllten Korridor, aber dort war keiner der Gegner zu sehen. »Natürlich. Versuchen wir, uns zum Gefängnis führen zu lassen«, sagte Fartuloon, gab Porthor einen Stoß und rannte hinter ihm her. Ich hörte, wie er ins Mikrophon
41 sprach: »Wir suchen euch, Gruppe Tsoehrt. Wo seid ihr?« Wir rannten, so schnell es möglich war, die Treppe hinunter. Sie drehte sich zweimal und ließ uns mit dem Schwung, den wir entwickelt hatten, geradeaus weiterlaufen. Ein schwaches Echo war in den Lautsprechern. »Dritte Ebene unter dem großen Platz. Wir befinden uns in einer Überlebenszelle.« »Das war klar!« sagte der Bauchaufschneider zufrieden. »Habt ihr die Anzüge in der Nähe?« Wir befanden uns in einem Raum, der spärlicher ausgestattet war. Er ähnelte einem unregelmäßigen Kreisring. In der Mitte, hinter einem Kreis von Säulen, die nichts anderes waren als Felszylinder, die beim Aushöhlen des Berges stehengelassen worden waren, führte eine amphitheatralisch angelegte Treppe auf die bewußte dritte Ebene. Wir rannten auf den Beginn der Treppe zu. »Wir haben die Anzüge!« sagte einer der Gefangenen. Fartuloon sah eine Bewegung, warf sich zur Seite und brüllte »Achtung!« Sofort schlug über seinem Kopf das Feuer in die Wand. Frayn und ich schossen zurück. Aus Nischen oder Eingängen kamen mindestens fünf Maahks in die Halle. Sie hatten uns gesehen und wußten, was geschehen war. Ich warf mich in die Deckung einer Felssäule und sah, wie der erste Maahk im Feuer aus Fartuloons schwerem Zweihandstrahler starb. Ich hakte eine der kleinen Bomben aus dem Gürtel und zielte. »Achtung! Es werden immer mehr!« sagte Fartuloon und feuerte auf das nächste Ziel. Frayn rutschte hinter einer anderen Säule hervor und schlug schwer gegen die Säule, hinter der ich stand. Ich holte mit aller Kraft aus und schleuderte die Bombe in die Richtung, aus der vier oder mehr der Riesen herankamen. »Achtung! Bombe!« sagte ich, kniete mich nieder und schob die Waffe nach vorn.
42 Ich bemerkte, wie sich ein Maahk im großen Bogen entfernte und Fartuloon von der anderen Seite angreifen wollte. Ich zielte auf den Kopf, der sich mir jetzt als schmaler, konisch zulaufender Grat darstellte. Ich wußte, daß die Maahks Rundumseher waren; ihr Blickfeld betrug in gleichmäßiger Schärfe dreihundertsechzig Grad. Trotzdem glaubte ich nicht, daß er mich gesehen hatte. Gleichzeitig mit meinem ersten Schuß detonierte die Bombe und schleuderte die Gruppe der Herankommenden auseinander. Frayn gab lange Feuerstöße ab. Ich traf den Maahk in den dicken Oberarm. Der Gegner stieß ein hohes, schrilles Winseln aus und drehte sich herum. Er entdeckte mich hinter Flammen und Rauch und schoß. Unsere Feuerstrahlen kreuzten sich. Während ich mich in dem klappernden und klirrenden Anzug abstieß und um meine Längsachse drehte, feuerte ich ununterbrochen. Ich traf den Maahk tödlich. Er brach dort drüben zusammen und starb. »Tsoehrt! Zieht eure Anzüge an. Wir sind da, um euch abzuholen. Schnell! Aber keine Fehler in der Panik!« schrie Frayn Porthor. »Verstanden!« kam es schwach zurück. »Wo seid ihr?« »Offensichtlich ziemlich genau über euch!« Wir verließen die Deckung und zogen uns nach allen Seiten feuernd auf den Anfang der Treppe zurück. Die Maahks auf dieser Ebene waren tot oder so schwer verletzt, daß sie sich nicht mehr wehren konnten. Wir sahen uns um, dann meinte ich: »Weiter! Nach unten!« Noch während des letzten Wortes hatten wir alle einen gurgelnden Schrei in den Lautsprechern. Nur der Todesschrei eines Arkoniden klang so. Sekunden später, als wir uns wieder gefangen hatten und uns den vier Männern näherten, hörten wir die vor Schmerz und Wut verzerrte Stimme des alten Kampftauchers. »Kaarn ist tot. Vier Maahks. Er hatte keine Chance. Uns schlägt erbitterte Gegenwehr entgegen. Vermutlich werden wir
Hans Kneifel flüchten müssen.« »Wir können später trauern«, sagte Fartuloon fatalistisch. »Unsere Aufgabe ist es, mit den Gefangenen zurückzukommen!« Wir wußten in diesem Augenblick nicht, wie es den Teilnehmern der anderen Gruppe ging. Es waren nur noch Olfkohr und H'Noyr. Fartuloon winkte, und wir sprangen die Treppe hinunter. Wir hörten über die Außenmikrophone den Widerhall einer erbitterten Schießerei aus dem anderen Teil des Gebäudes. Je tiefer wir hinunterstiegen, desto deutlicher wurde der Kampf lärm. »Tsoehrt! Wo seid ihr? Schildert die Umgebung eures Gefängnisses!« rief Frayn. Fartuloon rannte schneller. Wir folgten ihm, immer wieder nach rückwärts sichernd. Bisher tauchte hier kein einziger Maahk auf. Ich durchschaute die Absicht des Bauchaufschneiders. Er wollte, wenn möglich, den Maahkverteidigern in den Rücken fallen und Olfkohr freikämpfen. Der nächste Ausruf bestätigte meine Ahnung. »Ich sehe dort drüben nach! Sucht und findet die Gefangenen!« »In Ordnung!« sagte ich. Wir rannten nebeneinander hinter Fartuloon her. Etwas deutlicher war jetzt die Stimme Galbayns zu hören. »Wir sind in einer Kammer in einem Labyrinth von schmalen Gängen und vielen Räumen gefangen. Wir ziehen gerade die Anzüge an. Die Schleusen sind nicht zu öffnen. Helft uns, schnell …« »Wir kommen!« sagte ich. »Wo kann das sein, Frayn?« Er deutete mit der Waffe auf rechteckige Durchgänge, es waren die einzigen, die so aussahen, als würden sie uns an unser Ziel führen. »Dorthin!« Wieder rannten wir geradeaus, tauchten in die gelbe Helligkeit eines Korridors ein und rissen Türen auf. Überall leere Räume. Schließlich, nach schätzungsweise acht Minuten, sagte Porthor: »Dort! Unzweifelhaft!« Wir rannten in eine Halle hinein. Die
Schule der Kampftaucher Decke war bis zum Ende der Höhlung zu sehen, aber der große Raum war unterteilt. Viele würfelförmige Kammern, Maschinentrakte, Abschnitte und Abteilungen bildeten im Mittelpunkt der Anlage einen Block. Die Worte, mit denen sich die vier Gefangenen verständigten, waren deutlicher geworden. Aber auch die Geräusche des wütenden Kampfes, der auf der anderen Seite dieses Stollens stattzufinden schien. Wieder begannen wir mit der Suche. Nachdem wir etwa zehn Räume untersucht hatten, fühlte ich eine unbestimmte Drohung hinter mir. Wir befanden uns schon jenseits der Mitte dieser verwirrenden Anlage. Ich sah einen Schatten, dann traf ein furchtbarer Schlag mein Handgelenk. Gleichzeitig schrie der Extrasinn warnend auf. Ich sprang zur Seite, und dann erstarrte ich. Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte Frayn Porthor meine Waffe aus den gefühllos werdenden Fingern gerissen und richtete jetzt zwei schwere Strahlwaffen auf mich. Er flüsterte, um die anderen nicht aufmerksam zu machen. »Ich kenne Ihren wahren Namen. Sie sind nicht Zerkon, sie sind Atlan. Sie brauchen gar nicht den Versuch zu machen, dies abzustreiten, denn ich habe Sie erkannt, als Sie das erste Wort aussprachen.« »Sie sind verrückt!« sagte ich. »Wollen Sie mich umbringen? Hier? Jetzt?« Ein eisiger Schrecken lähmte mich. Hinter der Scheibe seines Helmes sah ich seine Augen. Sie wirkten keineswegs wie die eines unentschlossenen Mannes. Bringt mir seinen Kopf, hatte Orbanaschol öffentlich als Losung ausgegeben. »Jetzt und hier. Ich werde mir den Kopfpreis verdienen. Die einzige Chance, meine Karriere zu beschleunigen.« Ich sah mich langsam um. Merkwürdigerweise schien er zu zögern. Aber es gab für mich keine Fluchtmöglichkeit. Ich mußte nach jeder Richtung mindestens fünfzehn Meter laufen. Das war Zeit genug, um getötet zu werden, trotz des Panzeranzugs. Ich schluckte und sagte heiser:
43 »Habe ich keine Chance? Gibt es nichts, das Ihre Ansicht ändern kann? Auch nicht Ihre Freunde hier?« »Ich fürchte, nein. Ich habe nichts gegen Sie, Atlan – im Gegenteil. Sie sind ein verdammt sympathischer Bursche.« Er hob beide Waffen. Die Mündungen zeigten genau auf die schwächste Stelle des Panzers. Es war die haarfeine Linie zwischen Helm und Brustteil. Sämtliche Leitungen verliefen hier, und das Glas würde beim ersten Treffer zerplatzen. So oder so war ich schon jetzt so gut wie tot. Noch lange nicht. Bringe ihn aus dem Konzept! schrie beschwörend das Extrahirn. Ich holte Luft und glaubte zu sehen, wie sich seine Finger um die Auslöser schlossen. Ich spannte meine Muskeln, stieß mich ab und warf mich vorwärts. Vielleicht erreichte ich ihn – und ich sprang ins Feuer hinein. Zwanzig Meter vor mir tauchte Olfkohr auf. Ich erkannte seinen chromfarbenen Anzug. Die Waffe in seinem angewinkelten Arm warf dicke Feuerstrahlen. Frayn Porthor wurde in den Rücken getroffen und nach vorn geschleudert. Eine Energiezelle in seinem Anzuggerät detonierte. Die beiden Waffen in seinen Händen spien Feuerstrahlen. Aber sie röhrten fauchend an meinem Helm vorbei. Ich schloß die Augen, ließ mich fallen und versuchte, aus der Bahn der drei arbeitenden Hochenergiewaffen zu kommen. Mit einem klirrenden Krachen landete ich auf dem glatten Boden. Die Luft wurde aus meinen Lungen gepreßt. Ich richtete mich halb auf und sah den riesigen weißglühenden Fleck im Rücken Porthors. Das Metall des Anzugs schmolz tropfend und funkensprühend. »Es gibt niemanden, der auf den Sohn meines Imperators schießt!« hörte ich gerade noch Olfkohr sagen. Ich glaubte, er stieß ein grimmiges Lachen aus. Dann bebte der Fels, und ich wurde eine Handbreit vom Boden hochgeschleudert. An der Oberfläche schien der halbe Berg detoniert zu sein. Die CRYSALGIRA! rief der Logiksektor
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triumphierend.
6. Die Ereignisse überschlugen sich. Hinter Olfkohr tauchte, rutschend und stolpernd, der Bauchaufschneider auf. Auch er hielt die Waffe auf die Stelle gerichtet, an der Frayn Porthor zusammengebrochen war. »Du lebst also, Atlan!« stieß er hervor. Er wirkte ungeheuer erleichtert. Ich hatte noch nicht alle Vorgänge klar begriffen. Olfkohr sagte drängend: »Ich habe auch von Anfang an gewußt, Kristallprinz, wer du wirklich warst. Deswegen habe ich achtgegeben. Schnell jetzt, an der Oberfläche wird geschossen.« Fartuloon spurtete auf mich zu. Ich holte die beiden Waffen aus den verkrampften Fingern des toten Arkoniden und rannte mit den beiden Männern aus dem hallenartigen Raum hinaus. »Frayn wollte dich schon auf dem Sims töten. Er stieß dich herab!« sagte Fartuloon und steuerte auf die Stelle zu, an der H'Noyr lag und uns verteidigte. »Habt ihr das Schiff gerufen?« fragte ich und rutschte neben dem Kampftaucher in die Deckung. Wir nahmen die Maahks unter Beschuß, die uns den Weg aus dem unterirdischen Teil der Station abschneiden wollten. Wieder erschütterten schwere Treffer den Felsen. »Nein. Aber sie sind trotzdem gekommen. Wahrscheinlich hat Ra die Ungewißheit nicht mehr ausgehalten.« Wir bildeten jetzt eine Gruppe von vier Männern. Wir feuerten ununterbrochen auf die Maahks und konnten zwei von ihnen töten. Die anderen zogen sich hinter unserer Feuerwalze zurück. Trotzdem waren wir in höchster Gefahr. Der gesamte Rückweg lag noch vor uns. Und noch immer hatten wir nichts für die Gefangenen tun können. Ich gab einen letzten Feuerstoß ab und traf einen der tobenden Riesen in die Schulter. Er ließ die Waffe fallen und verschwand aus dem blitzdurchzuckten Qualm dort vorn.
Ich drehte den Schalter des Funkgeräts auf höchste Sendeenergie und rief: »Tsoehrt! Könnt ihr uns ein Zeichen geben?« Ich hörte hastiges Atmen, einen erregten Wortwechsel, schließlich durch das Dröhnen der Schüsse an der Oberfläche: »Ihr seid ganz in unserer Nähe! Wir befinden uns in einem großen, rechteckigen Raum aus Metallplatten!« »Verstanden!« rief ich. Dann hörten wir alle unverkennbar die Stimme von Jedim Kalore, der sich in der CRYSALGIRA befand. Er schrie aufgeregt: »Fartuloon! Wir holen euch ab! Schnell! Wir haben die Station und euren Panzer entdeckt und beschießen die Station. Wir fliegen immer wieder Sturzangriffe.« »Haltet euch zurück. Ihr müßt euch vorsehen!« »Verstanden. Wir beobachten die Ausgänge.« Es war sicher, daß sich die Maahks wehren würden, wenn sie erkannt hatten, daß es nur ein einzelnes und zudem kein großes Schiff war. Noch hatten wir etwas Spielraum. Es würde nicht sonderlich schwer sein, an die Oberfläche zu fliehen. Ich entschloß mich schnell und sagte: »Bleibt hier. Ich suche nach den Gefangenen. Gebt mir Rückendeckung, falls notwendig!« »Alles klar!« erwiderte Olfkohr. Ich zog mich vorsichtig zurück. Dann drang ich wieder in das rechteckige Labyrinth der Räume ein, in denen mich Porthor gestellt hatte. Ich kam an seiner Leiche vorbei. Das Ammoniak begann sich in den Anzug hineinzufressen und würde nach einiger Zeit sein Gewebe zersetzt haben. Ich hastete weiter, eine Bombe wurfbereit, in der Rechten die entsicherte schwere Waffe, die andere hatte ich über die Schulter geworfen. »Ich suche euch, Galbayn!« rief ich. Vielleicht schaffte ich es, trotz der dicken Mauern, sie mit Hilfe des Funkgeräts einzupeilen. Wieder sah ich eine riesige Tür, riß sie auf und blickte in einen leeren Raum hin-
Schule der Kampftaucher ein. »Du bist ganz in der Nähe!« Zwei weitere Eingänge. Ich pirschte mich vorsichtig heran, aber eine Ahnung sagte mir, daß ich hier keine Methaner antreffen würde. Der erste Eingang öffnete sich in ein Magazin, der zweite führte in einen langgestreckten, matt erleuchteten Raum. Plötzlich drangen aus den Helmlautsprechern die unverkennbaren Geräusche von Arkoniden, die sich verzweifelt bemühten, aus einer engen Zelle zu entkommen. »Wie könnt ihr mich hören?« fragte ich aufgeregt, während ich durch den Raum rannte und an der Stirnwand eingeschaltete Bildschirme sah. Ich kam näher und erkannte, daß es Beobachtungsschirme waren. Auf ihnen sah ich in verschiedenen Winkeln und verschiedenen Vergrößerungen eine leere Kammer – und die vier Männer in ihren Anzügen. Ich steckte im gleichen Modell. »Ich glaube«, sagte ich und blieb vor der Wand stehen, »ich habe euch gefunden. Vermutlich befinde ich mich in einem Kontrollraum.« »Ausgezeichnet, Atlan. Schnell, wir werden angegriffen!« brüllte Fartuloon. Was sollte ich tun? Vor mir gab es Serien von Schaltern und Knöpfen. Ich kannte nicht einen davon. Ich sah nur, wie die Männer sich immer wieder gegen eine Wand warfen und versuchten, eine für mich unsichtbare Tür aufzusprengen. Die Sekunden verstrichen ungenutzt. Ich versuchte, mich in dem Wirrwarr der Schaltungen zurechtzufinden. Immer wieder riefen Olfkohr und Fartuloon nach mir! Die vier Gefangenen versuchten ununterbrochen zu entkommen. Aber sie hatten keine wirkliche Chance. Das Raumschiff schien wie ein wütender Raubvogel immer wieder aus dem Weltraum herabzustoßen und die halb versteckte Station zu beschießen. Jedenfalls dröhnten ununterbrochen die schweren Treffer aus den Schiffsgeschützen und erschütterten diesen Teil des Berges.
45 Ich sah mich verzweifelt um und bemerkte am äußersten rechten Rand dieser Anlage ein Lämpchen, das jedesmal aufglühte, wenn die Männer mit ihren gepanzerten Schultern das Schott berührten. Ich hastete hinüber und kippte einen Schalter, der unterhalb dieses Lichts angebracht war. Auf dem Bildschirm sah ich, wie das Schott nach außen aufschwang und augenblicklich in einer Wolke vermischter Gase verschwand. Kurz entschlossen bewegte ich drei weitere Schalter und wartete. »Wir sind frei! Wir kennen den Weg hier heraus!« schrien die vier Kampftaucher aufgeregt. »Verstanden! Wir holen euch ab, Atlan!« schrie Fartuloon. Zwischen mir und den flüchtenden Männern gab es eine Wand. Ich wußte nicht, wo sie sich befanden. Dieser Raum hier hatte nur einen Eingang, also drehte ich mich herum und rannte wieder hinaus. Als ich in den hallenartigen Vorraum hinausrannte, sah ich die vier Kampftaucher herantaumeln. Zurück zu Olfkohr! drängte der Logiksektor. Ich hob die Hand und grüßte schnell. Dann winkte ich die vier hinter mir her und warf einem von ihnen Porthors Waffe zu. Er fing sie geschickt auf und rannte schweigend hinter mir her. »Wo steckt ihr?« brüllte Olfkohr. Oder war es Fartuloon? Ich rannte an der Leiche Porthors vorbei und auf die Stelle zu, an der die anderen warteten. Sie waren eindeutig in der Defensive. Aus irgendwelchen unbekannten Tiefen dieser Station waren Maahks aufgetaucht und kämpften sich vorwärts. Woran es liegen mochte, daß die Maahks trotz der Übermacht nur langsam vordringen konnten, wußte ich nicht. Jedenfalls schrie ich: »Fartuloon. Olfkohr – wir sind da. Sie sind frei!« Schnell hinaus! Seht zu, daß ihr in den Sichtbereich der CRYSALGIRA kommt! rief der Extrasinn. »Höchste Zeit! Ist der Weg frei?« rief
46 Olfkohr. Er konnte nur den Weg meinen, den wir gekommen waren. Wir erreichten die Gruppe. Einer der vier Gefangenen und ich schossen auf die Maahks. »Wer weiß?« gab ich zurück. Und wieder gab es an der Oberfläche Detonationen. Olfkohr in seinem funkelnden Anzug hob den Arm, schwenkte ihn und deutete nach hinten. »Wir haben Tsoehrt und seine Gruppe!« rief er erleichtert. »Und jetzt können wir abhauen!« »Mit Vergnügen!« knurrte ich. Ich zog einen Strahler aus der Halterung und gab ihn einem der Männer. Wir zogen uns zwischen den Säulen, den Mauern und den vielen nutzlosen Türen, Eingängen und Abzweigungen in Richtung auf den Korridor zurück. Olfkohr und ich gingen vorwärts, die anderen feuerten ununterbrochen auf die nachrückenden Maahks. Wir wurden schneller. Vier ehemalige Gefangene von uns mit Waffen versorgt, H'Noyr, Olfkohr, Fartuloon und ich. Draußen wartete Colant mit dem Panzer. Und als wir den Korridor erreichten und hinter uns mehrere verbrannte Zonen aus Flammen und Rauch hinterließen, hörten und spürten wir in der Isolierung durch die schweren Anzüge eine schnelle Serie harter Detonationen. »Sie schießen zurück!« sagte Fartuloon trocken. Unser Rückzug wurde schneller. Obwohl wir erschöpft waren, nahmen wir uns zusammen und rannten immer schneller. Jeden Augenblick konnten Maahks auftauchen und versuchen, uns den Weg abzuschneiden. »Die Maahks müssen zurückgekommen sein!« brummte Olfkohr. »Sie haben damit gedroht, alle arkonidischen Schiffe aus den Wolken zu schießen!« berichtete einer der Gefangenen. Wir befanden uns jetzt an der Stelle, wo die amphitheatralische Treppe in den Korridor mündete. Ich hakte eine der besonders gekennzeichneten Bomben vom Gürtel, schärfte sie und schleuderte sie mit aller
Hans Kneifel Kraft dorthin, wo die Verfolger auftauchen mußten. Die Druckwelle beförderte uns halbwegs die Stufen hinauf. Fartuloon schien genau zu wissen, wie wir entkommen konnten. »Zuerst an die Oberfläche. Dann Flucht in die Richtung auf den Panzer.« Das hatte den Vorteil, daß das Geschütz unsere Verfolger in die Deckung zwingen konnte. Unangefochten erreichten wir keuchend die nächsthöhere Ebene. »Und dann die Triebwerke zünden und in eine offene Schleuse des Schiffes hinein!« schlug Olfkohr vor. »Richtig!« Es gab für uns nur eine Richtung. Wir schlugen sie ein. Weil wir nicht wußten, wieviel Maahks sich hier aufhielten, war es für uns sinnvoller, zu rennen. In dem Augenblick, an dem wir mit Hilfe der Triebwerke und der Antigravprojektoren zu schweben und zu fliegen begannen, waren wir weitaus wehrloser. Während sich dort unten, wo die Treppe endete, weiße Flammen und schwarzer Qualm ausbreiteten, kamen wir an die geschwungene Rampe, die zur Oberfläche hinaufführte. »Wie seid ihr eigentlich hierher gekommen?« erkundigte sich Tsoehrt, während wir in einer Linie die Rampe hochstürmten. »Fartuloon und Kristallprinz Atlan haben uns besucht. Gonozal lebt! Sie brachten uns hierher, weil sich kein arkonidischer Kommandant bereit erklärte, euch zu helfen!« versicherte Olfkohr. »Ich verstehe. Und dieses Schiff holt uns ab?« »Ich hoffe«, meinte ich und sah oben den silbergrauen Himmel, »daß wir dieses Schiff erreichen.« »Das hoffen wir alle.« Wir kamen auf den Platz hinaus. Kein einziger Maahk war zu sehen. Aber rund um uns sahen wir die Spuren des Beschusses durch die CRYSALGIRA. Ich rief: »Colant! Sind Sie noch im Panzer?« »Ja, natürlich. Ich habe vieles mithören können. Wo seid ihr?«
Schule der Kampftaucher »Wir starten soeben in deine Richtung!« bellte Olfkohr rauh. »Mache dich bereit, mit uns zum Schiff zu starten.« »Ich verstehe. Braucht ihr Deckungsfeuer?« »Noch nicht.« Wir handelten, als ob wir Mitglieder eines einzigen Teams sein würden. Fast gleichzeitig schalteten wir die Partikeltriebwerke ein, drehten die Leistung der Antigravprojektoren auf volle Kraft und schwebten dicht über dem nassen Boden, zwischen den Trichtern der brennenden Ammoniakreste, der zerstörten Bauten und der aufgerissenen Felsen, auf den Standort des Panzers zu. Ich brauchte nun keinen falschen Namen mehr. »Hier Atlan! Ich rufe Ra und Kejt Argalth! Wo ist das Schiff?« Der Schiffssender strahlte die Antwort mit so großer Engerie ab, daß die Lautsprecher in dem Raum der Helme zu dröhnen und zu klirren begannen. »Wir sind im Anflug. Alles in Ordnung dort unten?« »Ja«, rief ich leise. »Schaltet die Ortung auf Höchstleistung. Wir versuchen, senkrecht hochzusteigen. Öffnet ein paar Schleusen, und bereitet euch auf eine schnelle Flucht vor!« »Verstanden. Dort unten ist überall Nebel und Sturm.« »Gebt acht, daß ihr uns nicht mit dem Triebwerken verbrennt!« Ich konnte mich auf die Besatzung der CRYSALGIRA verlassen. Es waren rauhe Gesellen, aber sie wußten, was zu tun war. Wir schwebten dicht über dem Boden und waren binnen kurzer Zeit beim Panzer. Der Kampftaucher stand bereits auf der zerknitterten Abdeckung der Raupenketten und wartete auf uns. Als wir aus dem Ammoniakdunst auftauchten, schloß er sich uns an. Wir änderten die Flugrichtung und stießen senkrecht in die Wolken hinein, wurden vom Sturm gepackt und abgetrieben. Aber wir versuchten, zusammenzubleiben. Die Instrumente zeigten an, daß wir schnell hoch-
47 stiegen, aber in Richtung auf die Berggipfel abgetrieben wurden. »Wir sehen euch. Wir greifen die Station an, dann ändern wir den Kurs. Dort, wo ihr seid, ist eine Schleuse offen. Wir senden einen Störton zur Orientierung!« Die CRYSALGIRA näherte sich ungesehen. Für uns ungesehen, aber die Maahks schienen den großen Körper des Schiffes anzumessen. Plötzlich, während wir mit allen Kräften versuchten, Höhe zu gewinnen, schossen von unten schwere Geschütze. Wir sahen die Glutbalken schräg nach oben zucken, in den tiefhängenden Wolken verschwinden und nach einem noch unsichtbaren Ziel greifen und tasten. Olfkohr führte leise einen Namensappell durch. Wir stiegen noch immer höher. Die Gipfel der ammoniakstarrenden Felsen lagen bereits unter uns. Wir waren vollzählig. Dann ertönte die Stimme Ras. »Wir kommen.« Der Barbar war aufgeregt und tobte. Sie machten es sehr geschickt. Das Schiff feuerte aus sämtlichen Geschützen und Projektoren ununterbrochen nach unten. Vermutlich zielten sie schlecht, aber die reine Zerstörungskraft der Energieflut genügte, um das Gebiet rund um den Stützpunkt in eine Hölle zu verwandeln. Dann schwenkte das Schiff zur Seite und wurde langsamer. Die Ortungsabteilung hatte die winzigen Echos erfaßt, und zusammen mit dem Piloten schafften sie es, plötzlich neben uns aufzutauchen. In den Anzuglautsprechern ertönte ein grelles Pfeifsignal. Wir änderten unsere Richtung und schwebten entlang dieses Peilstrahls auf die offene Schleuse zu. Nur unsere Instrumente zeigten uns das Vorhandensein des riesigen Schiffes, und dann plötzlich befanden wir uns im Windschatten. Die Maahks feuerten ununterbrochen. Vermutlich waren die Geschütze von Rechnern gesteuert, denn selbst Maahkaugen konnten diese Wolken nicht durchdringen.
48 Die Gruppe um Tsoehrt löste sich auf und flog geradeaus. Dann folgten Fartuloon und ich. Zwischen uns und dem Schiff zuckten immer wieder schwere energetische Entladungen durch die Wolken. Ra schrie in ein Mikrophon und rief zur Eile. Ich kurvte auf das große Viereck zu, das ich vor mir zu sehen glaubte. Ein Anzug überholte mich. Ich wußte nicht, wer darinnen steckte. Plötzlich befand ich mich im Innern eines Glutballes. »Nein!« schrie ich auf. Es mußte Fartuloon gewesen sein. Er war vor mir gewesen. Der Schuß von unten hatte ihn getroffen und im selben Augenblick in Moleküle zerfetzt. Ich schwebte in die Sicherheit der Schleuse hinein. Plötzlich, hart und deutlich, die Stimme des alten Kampftauchers. »Namensappell! Schnell! Olfkohr spricht!« Atlan, sagte ich. Fartuloon. Colernt. N'Hoyr. Tsoehrt. Zwei Namen, die neu waren für mich. »Wo ist Achburn?« Keine Antwort. »Ich glaube, er war vor mir«, erklärte ich leise. »Wenn es Achburn war, dann wurde der Mann von einem Strahl getroffen. Er ist tot.« Fartuloon reagierte blitzschnell und sagte: »Ra! Kejt! Die Schleuse zu und Schnellstart. Wir sind gerettet.« Drei Tote hatte der Einsatz gekostet. Frayn Porthor war erschossen worden, Kaarn hatten die Methaner in den unterirdischen Gängen und Achburn ihre Geschütze in der Gashülle getötet. Die CRYSALGIRA hörte auf, das Gelände zu beschießen. Die Partikeldüsen heulten auf, und das Schiff floh in einer weiten, aufsteigenden Parabel hinaus in den Weltraum. Elf Männer hatten sich auf dem Methanplaneten befunden, acht kamen zurück. Vielleicht wären es mehr gewesen, wenn Frayn Porthor etwas weniger ehrgeizig gewesen
Hans Kneifel wäre. Wenn. Wir registrierten, daß wir im normalen Schwerkraftbereich des Schiffes waren, daß sich die Schleuse schloß und mit Atemluft füllte, und daß Hilfsmannschaften und Roboter hereinkamen, um uns aus den Anzügen zu helfen. Solange wir gezwungen waren, um unser Leben zu kämpfen, spürten wir unsere eigene Erschöpfung nicht. Aber jetzt, als sich die CRYSALGIRA mit zunehmender Geschwindigkeit und auf einem Zickzackkurs von der Oberfläche des Maahkplaneten Ormeck-Pan entfernte und der ersten Transition in Richtung Falgrohst entgegenraste, schlugen Erschöpfung und Hunger, Durst und Müdigkeit über uns zusammen. Wir schliefen ein, nachdem wir etwas getrunken und gegessen hatten. Das Schiff vollführte eine Transition nach der anderen. Wir merkten es nicht.
* Die vier Männer, die unruhig und gespannt auf den unbequemen Stühlen kauerten und sich wünschten, Lichtjahre weit entfernt zu sein, sahen im Gesicht des Mannes vor ihnen, daß er innerlich kochte. Das steinerne Schweigen war bedrohlicher als jede andere Äußerung. Niemand wußte, wie der Imperator reagieren würde. »Und was passierte weiter?« fragte er. Ein kleiner, intimer Raum im Kristallpalast des Imperators Orbanaschol. Es war späte Nacht. Eben erst waren die letzten Nachrichten eingetroffen. Zögernd hob der Vertraute des Imperators die Hand und sagte leise: »Erhabener, es nahm den logischen Fortgang. Das Schiff mit dem Namen jener Prinzessin kam zurück nach Falgrohst.« Orbanaschol der Dritte hatte ausdrücklich befohlen, ihn bei jeder Nachricht, Atlan betreffend, zu stören. Jetzt war er darüber verärgert, daß er gestört worden war. Er krallte seine Finger um den Halsausschnitt seines prächtigen Morgenmantels und fragte dumpf:
Schule der Kampftaucher »Ja? Weiter!« »Wir wurden verständigt, daß Sonnenträger Olfkohr versuchen würde, seine vier Leute abzuholen. Niemand konnte ihm ein Schiff beschaffen – so wie es angeordnet worden war.« Der Imperator starrte an ihm vorbei und machte eine kurze, unbeherrschte Bewegung. »Wir wissen nicht, ob die Rettung der vier Methanamphibier gelungen ist. Vermutlich ja, denn Olfkohr ist einer der besten Kampftaucher, die es je gegeben hat. Jedenfalls wurden zwanzig Kampfschiffe nach Falgrohst beordert, um die CRYSALGIRA abzufangen und zu entern.« Die Stimme des Imperators war nur noch ein heiseres Flüstern. Seine Finger spielten nervös mit dem Stiel des prunkvollen Bechers, in dem ein aufmunterndes Getränk enthalten war. Vor den vier Männern standen keinerlei Gefäße. »Und? Wurde das Schiff geentert?« »Nein, Imperator. Eure Erhabenheit mögen verzeihen, aber es war alles auf das Trefflichste vorbereitet. Die Offiziere wußten, was zu tun war. Sie brannten darauf, den plötzlich wieder aufgetauchten Gonozal zu sehen. Beziehungsweise Gewißheit zu bekommen, daß es sich auch hier um einen niederträchtigen Betrug handelte.« Orbanaschol meinte mit unheildrohender Stimme: »Ich höre!« »Nun …«, der hohe Sicherheitsoffizier wand sich förmlich vor Verlegenheit, obwohl er auf die Vorkommnisse an jenem Tag dort auf Falgrohst, der geheimen Welt, nicht den geringsten Einfluß gehabt hatte. »Nun, um es kurz zu machen: Das Raumschiff rematerialisierte, raste auf den Planeten los, und dann schien der Kommandant blitzschnell gemerkt zu haben, daß Gefahr drohte. Die CRYSALGIRA verschwand wieder … Nun, sie ging in Transition.« Er stöhnte auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn, obwohl der Raum
49 wunderbar kühl war. »Das Schiff wurde verfolgt?« »Selbstverständlich. Aber es war und blieb verschwunden.« »Mit Atlan und dem falschen Gonozal?« »Jawohl, Eure Erhabenheit!« »Und natürlich mit dem Sonnenträger Olfkohr und einer Handvoll der besttrainierten Kämpfer, die Arkon besitzt!« »Ich fürchte, so ist es.« Es sah so aus, als ob die Besatzung dieses relativ kleinen Schiffes genau geahnt hätte, welches Schicksal ihnen zugedacht gewesen war. Man wollte ihnen einen heißen Empfang bereiten, das Schiff zur Landung zwingen und ein für allemal sowohl Atlan ausschalten als auch hinter dieses Mysterium des Ex-Imperators kommen. Aber mit einem gekonnten, schnellen und in jeder Hinsicht hervorragendem Manöver hatte sich der Ankömmling abgesetzt und war verschwunden. Eine Verfolgung mit Transitionssprüngen war nahezu sinnlos, trotzdem waren die Schlachtschiffe dieses Risiko eingegangen. Die CRYSALGIRA war und blieb verschwunden. Stille breitete sich in dem prunkvollen Vorzimmer des Schlafgemachs aus. Es war jene unbehagliche Stille, die zu Wutausbrüchen führen konnte – und Wutausbrüche des Imperators bedeuteten Deportation, Folter, Ausweisung, Tod oder ähnliche schreckliche Aussichten. Endlich sprach Orbanaschol. »Ich bin«, sagte er, »von Schwachköpfen und Stümpern umgeben.« Die vier Männer nickten schweigend. »Niemand aus meiner Nähe hat es bisher geschafft, diesen Alptraum vom Imperium zu nehmen. Ich denke, ich werde zu unkonventionellen Mitteln greifen müssen.« Schweigend starrten ihn seine engsten Vertrauten an. Er grinste ihnen in die Gesichter. Sie begannen zu zittern. Sie kannten diesen Ausdruck. Orbanaschol war berüchtigt für die ausgesuchten Scheußlichkeiten, die dieses Lächeln einzuleiten pflegte. »Ich denke hier an den Blinden Sofgart,
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einen der fähigsten Verfolger, den das Imperium je hervorgebracht hat. Und jetzt denke ich an Klinsanthor.« »Ihr scherzet, Erhabener!« flüsterte einer der Männer schreckensbleich. »Wenn ich scherzen würde«, erwiderte der Imperator und trank einen Schluck aus dem juwelenbesetzten Prunkgefäß, »wäret ihr bereits tot oder am Ende der Galaxis auf einem Strafplaneten. Nein, ich denke ernsthaft daran.« »Kennen Sie das Risiko, Imperator?« stammelte einer der Männer. »Ich kenne es. Ich sehe, daß es unter den herrschenden Umständen richtig ist, den Magnortöter tatsächlich zu rufen!« Der Imperator schien sich einen Spaß daraus zu machen, ihre Reaktionen zu beobachten. Er blickte von einem der erstarrten Gesichter zum anderen und sah dort nichts anderes als Angst vor der Tragweite seines Entschlusses. Aber auch er hatte Angst. Es war, als ob er versuchen würde, einen ausbrechenden Vulkan mit einer Wasserflut zu löschen. »Wir denken, daß es klüger ist, diesen Entschluß noch einmal zu überprüfen!« Orbanaschol erwiderte kurz: »Seit dem Auftauchen des Gonozal-Duplikats bin ich dazu entschlossen gewesen. Seit diesem Moment habe ich mir die Entscheidung überlegt. Ich denke, es bleibt dabei.« Er trank den Pokal leer und stand auf. Das Zeichen, daß er allein bleiben wollte. Die
Männer erhoben sich ebenfalls ehrerbietig und schweigend und gingen zur Tür, die Köpfe gesenkt. Sie zuckten zusammen, als Orbanaschol lachte. Ein heiseres, kurzes Lachen, mehr ein Ausdruck der Verzweiflung. »Geht jetzt. Noch habe ich Magnortöter Klinsanthor nicht gerufen. Noch nicht!« Hinter den Männern schloß sich die Tür. Orbanaschol blieb einen Augenblick regungslos stehen und dachte nach. Dann ging er zu einer Wand und machte einen Ausschnitt davon transparent. Die Sterne über Arkon erschienen. Schweigend starrte der Imperator in die Höhe und atmete langsam. Der Kristallprinz, sein tödlichster Feind, tödlicher und unbarmherziger als jeder der Gegner im Großen Methankrieg, hatte neue Helfer bekommen. Die besten und geschultesten Männer, die man sich vorstellen konnte. Und die Männer waren zudem mit großer Sicherheit Anhänger des Mannes, den er hatte sterben sehen. Und trotzdem … es war mehr daran, als es schien. Heiser und krank vor Furcht flüsterte der Imperator: »Die Wahrheit. Ich muß die Wahrheit kennenlernen! Die Wahrheit über Atlan und Gonozal!«
ENDE
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