U L R I C H WALDNER
Schüsse in der Nacht
VERLAG
NEUES
LEBEN
19 5 4
BERLIN
•
Klatsch, klatsch - mit schmatzend...
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U L R I C H WALDNER
Schüsse in der Nacht
VERLAG
NEUES
LEBEN
19 5 4
BERLIN
•
Klatsch, klatsch - mit schmatzendem Ton schlugen die Macheten in die fast armdicken Zuckerrohrstengel. Das stumpfe Grün der Felder zog sich weit über die Hänge hin, reichte hoch bis an den Rand des Waldes, der wie eine undurchdringliche Mauer aufragte, kletterte hinunter bis in die Talmulde, aus deren Grund das Wellblechdach der Mühle silbern heraufflimmerte. Im gleißenden Sonnenlicht des Mittags verschwammen die Entfernungen, verwischten sich die Konturen. Grellbunte Farbkleckse leuchteten aus dem eintönigen Grün der Felder: die Tücher der Frauen und Mädchen, die die gefällten Stengel bündeln. Vor ihnen bewegte sich eine Anzahl grauer Gestalten. Breitkrempige Strohhüte schützten die Männer vor der Sonne, wippten auf und nieder, wenn ihre Träger sich bückten, um die scharfkantigen Blätter der Stiele zu entfernen. Klatsch, klatsch - die dreißig Mann starke Gruppe schob sich weiter in das Feld hinein. Jedesmal, wenn sich ein Sonnenstrahl in der Schneide einer Machete, dem schweren, scharfen Haumesser, brach, funkelte es auf. Bob Harris sah nichts davon. Seine Gedanken waren mit anderen Dingen beschäftigt. Er hatte sich in den Schatten des uralten Mangobaumes gesetzt, dessen fast kahle Äste und Zweige schwarz und versengt in den stahlblauen Himmel hineinragten, als wollten sie Zeugnis ablegen davon, daß der Urwald nur nach hartnäckigem Kampf dem Menschen gewichen war. Harris blickte teilnahmslos in die Ferne. Grau und kalt waren seine Augen. Es schien, als nehme er im Unterbewußtsein das vor ihm liegende Bild in sich auf, und dieses Bild erzeugte Haß. Kalten, grausamen Haß gegen das Land, gegen die Sonne, den Himmel und gegen die Menschen, die dort vor Bob Harris arbeiteten, die für ihn arbeiteten. Er haßte diese Menschen, preßte aus ihnen heraus, was sich herauspressen ließ; und das war für ihn der 3
Zucker. In Zucker wog er Männer und Frauen, Mädchen und Knaben; die Felder stiegen oder fielen in seiner Wertschätzung mit dem jeweiligen Kurs des Zuckers an der Börse. Bob Harris war ein Yankee, der sich auf gewissenlose Geschäfte verstand und darauf, Widerstand brutal zu brechen. Kein Wunder, daß Bob Harris die Menschen haßte und gehaßt wurde, schlimmer als die sengende Dürre, so, wie die langsam schleichende Anämie, die Blutarmut, die den Menschen die Farbe aus dem Gesicht und die Kraft aus den Knochen nimmt. Er wußte das, und es bereitete ihm eine wilde Freude, sich mit denen zu messen, die ihm entgegentraten. Bisher war er Sieger geblieben. „Hö, Mula! Steh, du Vieh!" Harris hörte Rufe auf dem Feld; er sah aufgeregt gestikulierende Menschen und ein durchgehendes Mula, dem ein giftiges Insekt wohl in die Kruppe gestochen hatte; so bockte es jedenfalls und keilte aus. „Steh, verdammtes Aas!" hörte er noch rufen, dann wurden seine Sinne von einem aufregenden Schauspiel gefesselt. Das Maultier bockte auf der Stelle, um im nächsten Augenblick davonzurasen. Neben ihm her sprang ein junges Mädchen. Sein linker Fuß hatte sich in den herunterhängenden Riemen aus ungegerbter Rindshaut verfangen, mit denen die gebündelten Zuckerrohrstengel an den Seiten des Tieres befestigt wurden. Mit Mühe hatte es gerade noch ein Stückchen des provisorischen Traggestells erhaschen können, an dem es sich nun mit aller Kraft festhielt. Das Mädchen sprang um sein Leben. Hätte es den Griff losgelassen, wäre es unweigerlich von dem durchgehenden Mula zu Tode geschleift worden. Der linke Fuß saß fest in der Schlinge; sobald es ihn etwas weiter nach unten ließ, straffte sich der Riemen und drohte, ihm den Fuß nach vorn wegzureißen, und Fallen hieß, mit Kopf und Rücken über die steinharte Erde und die scharfkantigen Zuckerrohrstoppeln gezerrt zu werden. Nein, loslassen durfte es nicht, auch nicht den linken Fuß auf die Erde bringen. Also hielt es sich mit den Händen fest und sprang mit dem rechten Bein neben dem rasenden Tier her. Harris war ein guter Schütze. Er schätzte die Entfernung, kniff das linke Auge zu und sagte sich: Knappe einhundertfünfzig Meter. Ich könnte dem Vieh die Kugel mitten zwischen die Augen setzen; aber ich tue es nicht! Soll doch die schwarzhaarige Kröte, die da nebenher springt, besser aufpassen. Das Mula keilte aus und versuchte, das lästige Anhängsel an seiner Seite loszuwerden; es schnappte und biß um sich. Da löste sich die eine Hand des Mädchens. Der schmale, biegsame Körper schnellte 4
zurück, ein Aufschrei hinten vom Felde zeigte an, daß es nur noch Sekunden dauern konnte, bis das Entsetzliche geschehen würde. Harris griff automatisch nach seinem Winchesterstutzen, hob ihn an die Wange, zog den Kolben in die Schulter, visierte, nahm Druckpunkt - alles geschah im Zeitraum von weniger als einer Sekunde. Dann machte er den Finger wieder lang, setzte ab. „Was geht es mich an!" sagte er. Das Mädchen kämpfte verzweifelt. Die linke Hand fuhr durch die Luft, suchte einen Halt. Harris schätzte sein Alter. Höchstens sechzehn, stellte er fest. Dann gab er ihm noch dreißig Meter. Wenn es die durchhält, ist es ein dreimal verfluchter Satansbraten! Die linke Hand hatte plötzlich am hinteren Riemen des Traggestells einen Halt gefunden. Mit einer letzten Kraftanstrengung schwang sich das Mädchen unter den Bauch des Tieres. Die Hände hielten die Riemen fest, die Füße preßten sich an die Flanke des Mulas; der linke Fuß steckte noch immer in der Schlinge. Wie der Balken einer Waage hing es so ein, zwei Sekunden, als wollte es Atem schöpfen. - Was dann geschah, konnte niemand recht begreifen, selbst Harris nicht, der doch am nächsten war. - Das Mädchen zog sich um den Leib des Tieres herum, die Hände griffen weiter vor, erst die eine, dann die andere Hand, der Körper folgte, glitt wie eine Schlange hoch, und endlich saß das Mädchen fest auf dem Rücken des Tieres. Ein Griff, und der linke Fuß war frei. Zwanzig Meter weiter hatte es das Mula zum Stehen gebracht, keine zehn Meter von dem Platz entfernt, auf dem Harris saß. Erschöpft ließ es sich zur Erde gleiten, stand, die Arme um den Hals des Tieres geschlungen, und atmete stoßweise. Harris sah, wie die Schultern sich hoben und senkten, wie der schlanke Leib zitterte und zuckte, als sei er von einem Weinkrampf befallen. Plötzlich, nachdem es eine Weile so gestanden hatte, richtete es sich auf, klopfte dem Mula den Hals und sprach beruhigend auf das Tier ein. In dem Gesicht des Mädchens, das Harris Gelegenheit hatte, genau zu betrachten, verriet keine Spur etwas davon, daß es vor wenigen Minuten unter unsäglichen Anstrengungen um sein Leben gekämpft hatte. „Hol's der Teufel", knurrte Harris, „so ein Satansbraten!" Er kannte alle, die auf seiner Plantage arbeiteten, und er hatte beim Näherkommen des durchgehenden Tieres gesehen, daß esConcha war, die neben dem Mula um ihr Leben sprang, Concha, ein sechzehnjähriges Mädchen, deren eigenartige Schönheit ihm schon oft aufgefallen war. Sie war Kreolin, gehörte also zu den Nachkommen der 5
Spanier, die seit 1492, als Kolumbus die Insel entdeckt hatte, oder, genauer gesagt, seit 1511, als Diego Velasquez spanischer Statthalter auf Kuba wurde, das Land besiedelten. Einige hundert Jahre Tropensanne machten die Spanier zu Kreolen, änderten nicht nur ihr Aussehen, sondern ließen sie erbitterte Feinde der spanischen Unterdrücker werden. O ja, Concha war schön. Harris sah es wohl. Er bewunderte ihre makellose Figur, die ausgeglichenen, kraftvollen Bewegungen, mit denen sie die Traglast an den Seiten des Mulas festband. Concha hatte die beiden dicken Bündel aus Zuckerrohrstengeln an den Seiten des Tieres befestigt. Mit „Hö, Mula! Hü!" trieb sie es den Fahrweg hinunter, hin zur Mühle. Nach einigen Schritten drehte sie sich um, und Harris traf ein Blick, der ihm die Zornesröte ins Gesicht trieb. „Hochnäsiges Luder", schimpfte er und sah ihr einige Zeit nach. Fluchend stopfte er sich die Pfeife, setzte sie in Brand und blies den Rauch in die Richtung, in der Concha verschwunden war. Auf dem Felde hatten die Frauen und Männer ihre Arbeit wieder aufgenommen. Das Klatschen der Macheten übertönte die Gedanken, die in Harris aufkamen. Jeder Schlag, der an sein Ohr drang, hieß Zucker. Das Stampfen der Walzen dort unten in der Presse hörte sich an wie ein Chor rauhhalsiger Matrosen. Zuckerka - Zuckerka - grölte er ununterbrochen. Zucker, das ist Geld, das sind Dollarnoten. Da, was war das? Der Chor hörte auf zu brummen. Ein paar Seufzer folgten noch, dann herrschte Ruhe. Die Walzen der Presse standen still. Im nächsten Moment war Harris bei seinem Braunen, saß im Sattel und jagte den Fahrweg hinunter. Vor dem langgestreckten Schuppen, in dem die Presse stand, scharten sich viele Plantagenarbeiter, die wild durcheinandersprachen, Kreolen, Neger, Mulatten, Mischlinge, die schwarzes, weißes und Indianerblut in ihren Adern hatten. Die Aufregung war so groß, daß sogar das alte Indianerweib, das auf einer Bastmatte am Boden vor einem Feuer hockte und Yuccaknollen für die Arbeitenden schälte, die Hände still hielt und neugierig hinüberschaute. Alle schienen sich einig, alle redeten auf einen Mann ein, einen Yankee, der vor ihnen stand und mit dem Revolver umherfuchtelte. „Was ist los, Charlie?" schrie Harris, parierte sein Pferd auf der Hinterhand und sprang mit einem Satz aus dem Sattel. Der Angesprochene war ein langer schlaksiger Kerl. Wegen mehrfachen Mordes in den Staaten gesucht, nach Kuba geflüchtet und von 6
Harris zum Oberaufseher seiner Arbeiter ernannt, versah er sein Amt mit der von diesem gewünschten Brutalität. Anscheinend hatte er sich diesmal trotz seines Revolvers nicht durchsetzen können. „Was ist los, Charlie?" fragte Harris nochmals und trat auf ihn zu. „Die Kerle weigern sich, weiterzuarbeiten." „So .,.!" sagte Harris und blickte in die Runde. „Ihr wollt nicht! Ihr wollt meutern! Wißt ihr, was mit Meuterern geschieht?" Erst jetzt sah er das Gesicht Conchas zwischen den anderen. „Wir wollen nicht meutern, Herr", begann einer aus der Mitte zu sprechen. „Aber seht Euch die Walzen an! Sie sind so glatt geworden, daß sie kaum noch die Stengel fassen. Es war großes Glück, daß beim Nachschieben bisher keiner von uns mit der Hand reingekommen ist." Harris bückte zu den drei mächtigen gußeisernen Walzen hinüber, die übereinander in den Lagern der Presse ruhten. Durch den langen Gebrauch war ihre Oberfläche so glatt geworden, daß sich die dicken Zuckerrohrstengel nur mit äußerster Mühe dazwischenschieben ließen. Harris wußte das. Er wußte auch, daß bei dieser gefahrvollen, erschwerten Arbeit der Saft nur in dünnem Strahl in die Rinne aus halbiertem Bambus floß und daß die lange Reihe der zu ebener Erde gelegenen Kupferkessel, in denen der Saft eingekocht wurde, nur geradeso gefüllt werden konnte. Er wollte sowieso die Walzen aufrauhen lassen, mehr der besseren Ausnutzung als der Sicherheit der Arbeiter wegen. Das hatte er sich vorgenommen, aber zwingen durfte man ihn dazu nicht. „Für heute geht's noch", sagte er, „also los, weitermachen!" Jetzt drängten sich mehrere vor, um zu Wort zu kommen. Der von vorhin sagte entsetzt: „Das ist doch Mord, Herr, wenn I h r , . . " „Wenn du deine dreckige Schnauze nicht hältst, dann schieße ich dir ein paar hübsche Löcherchen in dein lausiges Fell! Wegen offener Rebellion! Verstanden!" Harris sah es in den Augen des anderen aufblitzen, und er empfand wieder jene seltsame Freude dabei, als er merkte, daß das jähe Aufblitzen erlosch, zu einem winzigen Pünktchen wurde, als er sah, wie der andere aufgab, „Und nun an die Arbeit, Muchachos!" sagte er freundlich, und jeder spürte den Hohn. „Nach der Ernte bekommt ihr von mir Zuckerrohrschnaps, da wird gefeiert. Ihr könnt euch vollaufen lassen, daß euch eure eigene Großmutter nicht mehr kennt!" 7
Charlie hatte immer noch die Hand am Halfter, in dem der schwere Revolver steckte. Sie wußten, daß es sein Beruf war, zu schießen, daß er weniger Zeit brauchte zum Ziehen und Abdrücken als das Augenlid, wenn es sich heruntersenkt. Haß glomm in ihren Augen, als sie sich umdrehten. Harris wartete, bis die Presse lief, die Walzen stampften und ratterten, bis die dicken saftigen Stengel quietschten, wenn sie endlich gefaßt und zerquetscht wurden. Dann drehte er sich um. Zu Charlie gewandt, bemerkte er: „So macht man das, old Boy! Goddam, zeigen muß man's ihnen!" Als er zum Pferd ging, sah er noch einmal das Gesicht Conchas. Der Braune hob schnuppernd den Kopf, als Harris den Fuß in den Steigbügel stellte. Ein Schrei, furchtbar und wild, ließ Harris hochfahren. Und noch einmal schwoll das laute Stöhnen an der Presse zu diesem entsetzlichen Schrei an, der den Menschen und dem Pferd ins Gebein fuhr, daß sie zitterten. Danach war es still, unheimlich still - die Presse stand. In diese Stille tönte das Wimmern eines Menschen, der soeben von der Presse weggetragen wurde und dem das Blut in dickem Strahl aus dem Arm spritzte, dort, wo eben noch seine Hand gesessen hatte, die einen Zuckerrohrstengel zwischen die Walzen schieben wollte. Harris sprang vom Pferd, stürzte auf den Verletzten zu. „Hund verfluchter! Dir werd' ich's zeigen ...!" Der Fluch blieb ihm in der Kehle stecken. Ringsum sah er haßverzerrte Gesichter, sah Fäuste, die sich um scharfe, schwere Haumesser krampften. Wortlos zog er die Pistole. Charlie, dessen Gesicht um einen Schein blasser geworden war, griff zum Revolver. „Los", sagte Harris, „drei Mann bringen den Muchacho weg! Und die anderen?-Es wird weitergearbeitet!" Prüfend sah er in die Runde. Jedem blickte er ins Gesicht, und wer die kalten blauen Augen auf sich gerichtet sah, der senkte die halberhobene Machete, ließ den Stein fallen, den er in der Hand hatte, blickte zur Seite oder auf den Boden, damit er nicht in Versuchung käme, vorzuspringen, um abgeknallt zu werden wie ein tollwütiger Hund. Harris war zufrieden. Da fiel sein Blick auf Concha, und zum erstenmal erschrak er vor dem Haß, der ihm aus den Augen des Mädchens entgegenfunkelte. Concha senkte nicht den Kopf; sie starrte ihn an, riß plötzlich so schnell, daß sie niemand darin hindern konnte, dem Nebenmann die Machete aus der Faust und sprang geschmeidig wie eine Katze auf 8
Harris zu. Dessen Hand zuckte zur Seite, wo er eben die Pistole verwahrt hatte. Dann aber besann er sich anders, und mit einem kaum merklichen höhnischen Lächeln gab er Charlie einen Wink. Concha war heran. Schon im Laufen schwang sie das Haumesser etwas nach hinten, um größere Wucht für den Schlag zu bekommen. Dicht vor Harris richtete sie sich auf, die Klinge blitzte für Sekundenbruchteile in der Sonne - dann fiel sie klirrend zu Boden. Harris hatte einen Schlag gegen das erhobene Handgelenk geführt, sich gebückt, und im Bogen war die Machete über ihn hinweggeflogen. Concha stand für einen Augenblick starr, dann warf sie sich kratzend, schlagend und beißend auf den Verhaßten. Harris wehrte sie ab, indem er einen Arm hob, faßte sie mit schnellem Griff am Handgelenk, drehte ihren Arm zurück und gab sie Charlie, der sie halten mußte, bis sie ruhig werden würde. Wie versteinert waren alle. „Los, los, Goddam! Wird's bald, Muchachos! Der ganze Zucker verbrennt in den Kesseln; was glotzt ihr so blöde? Los, sag' ich, Muchachos! Vicente, Pedro! worauf wartet ihr - fangt an!" Und die Presse begann wieder zu stampfen. Es dunkelte. Hoch oben, am Rande des Urwaldes, hob sich die Hütte des alten Pachito weiß vom schwarzen Hintergrund der Bäume ab Der Alte saß davor - eine ganzeWeile reglos, als lausche er dem Rascheln und Wispern des Abendwindes im Palmstroh des Daches. Pachito blickte auf, legte das Bündel Agavenfasern, das er zu einer Schnur drehen wollte, beiseite und steckte sich eine von seinen handgedrehten Zigarren an. Die ersten Wolken paffend, warf er das Stück Holz, das er zum Anzünden gebraucht hatte, wieder zurück ins Feuer, das in einem primitiven, überdachten Herd brannte. Die Sonne schoß goldene Pfeile aus den Spitzen der Berge hervor, ein letztes Aufflammen noch, dann wurde es fahl und grau am westlichen Horizont. Die Nacht kam. Pachito langte nach dem Büschel Agavenfasern, hielt aber in der Bewegung inne, als er Stimmen auf dem Weg vernahm, der ihn und sein Fleckchen Erde mit den Hütten der anderen verband. Es dauerte nicht lange, da traten drei Gestalten in den Lichtkreis des Feuers, die, umtanzt vom Schein der rotzuckenden Flammen, in ihren ausgefransten, geflickten Hosen verwegen aussahen Pachito hatte sie schon an den Stimmen erkannt. Antonio, im schneeweißen Hemd, seinem einzigen Prunkstück; die anderen beiden, Vicente, ein älterer, besonnen dreinschauender Mulatte, und Juan, ein junger Kreole, im fleckigen, beschmutzten Arbeitshemd. Sie traten auf Pachito zu. 9
„Buenas tardes - guten Abend, Pachito, wie geht's?" . > „Hola, Muchachos", begrüßte der Alte sie, „kommt, setzt euch ein wenig zu mir. Antonio kann ins Haus gehen, den Calabazo holen." „Zu Ihren Diensten", lachte der und verschwand im Innern der Hütte, aus der er gleich darauf mit dem Calabazo in der Hand zurückkam - einem Flaschenkürbis, dessen Öffnung mit einem entkörnten Maiskolben verschlossen war, der aber noch Platz genug ließ für den herausquellenden Schaum des gärenden Zuckerrohrsaftes. Er setzte den Calabazo auf die Kiste, die in der Mitte stand und als Tisch diente, sich selbst auf einen für ihn schon zurechtgeschobenen Holzklotz. „Schenk ein, Pachito", forderte er auf, „er scheint stark zu sein." „Ja, er ist stark", meinte der, „hoffentlich wirft er euch nicht um!" Unter dem Gelächter der anderen goß er halbe Kürbisschalen voll, aus denen sie mit Behagen den säuerlich schmeckenden Trank schlürften. „Hast du gehört, Pachito, was heute an der Presse los war?" unterbrach Vicente das durch das Trinken entstandene Schweigen. „Ich weiß", sagte Pachito, „Rosario brachte es zu mir herauf." „Die Feiglinge!" brauste Antonio auf, „die Memmen! Stehen da und lassen sich von dem Yankee, diesem dreckigen Köter, anblaffen, als ob sie schlotternde alte Männer wären, die keinen Mut im Leibe hätten, anstatt ihm mit der Machete eins über den Schädel zu geben, daß er das Fluchen vergißt!" „Antonio ist erhitzt", bemerkte Vicente ruhig, „er vergißt, daß der Yankee schnell und sicher schießen kann, und Charlie, dieser hergelaufene Verbrecher, noch schneller. Und eine Kugel reißt ein tiefes Loch..." „Ah, bah, du glaubst doch nicht an Hexerei? Concha, meine Schwester, wenn sie kein Mädchen gewesen wäre - ich hätte nur dasein müssen, ich hätte ihm . . . " „Er hätte dir ein Loch in deinen Kopf ""geschossen, durch das jetzt bleich und still der Mond schauen könnte", ließ sich Pachito vernehmen. Und als er merkte, daß Antonio ihn wortreich vom Gegenteil überzeugen wollte, winkte er mit der Hand ab und sagte: „Hör zu, Antonio, und ihr auch, Vicente und Juan. Ich kenne euch als tapfere Caballeros, aber mit Tapferkeit allein kommt man nicht immer weiter . . . " Antonio öffnete den Mund, um etwas zu erwidern. Die anderen beiden machten ihn darauf aufmerksam, daß Pachito an der Reihe sei, und dieser besitze nicht nur ein viel höheres Alter, sondern auch die größere Erfahrung. . 10
„Was hätte es dir genutzt, Antonio", fuhr der Alte fort, „wenn du mit dem Mut des Tigers auf ihn losgegangen und gleich diesem blindlings in den Tod gerast wärst. Glaub mir, sie sind stark, weil sie Revolver haben, gute Revolver und Pistolen, und weil sie die richtig gebrauchen können. Ohne Revolver, ohne Gewehre können wir alle gegen sie nichts ausrichten. Sie würden sich im Haus verschanzen und uns, wenn wir angriffen, wie die dummen Hühner mit ihren modernen Waffen abschießen. Nein, das ist glatter Selbstmord. Und selbst wenn wir Gewehre hätten; was wäre dann, wenn wir sie alle, den Harris und seine ganze Aufseherbande, zum Teufel schickten?" „Caramba, sie würden uns das Militär auf den Hals schicken!" Juan saß und kaute mißmutig an einem Grashalm. „Du hast recht, Juan, sie würden uns fangen, erschießen oder einsperren. Aber raucht, Muchachos, und seid nicht traurig. Komm, Antonio, gieß uns einen Guarapo ein." Antonio tat, wie ihm geheißen; nach den ersten Schlucken, den ersten Rauchwolken, fuhr Pachito fort: „Seht, wie war es früher? Na, Antonio?" „Was, früher? Früher haben die kubanischen Männer mehr Mut gehabt. Carajo! Früher haben sie die Spanier mit bloßen Fäusten erwürgt . . . " „Hör, mein Junge", sagte Pachito. „Jawohl, sie haben sie erwürgt, wenn es gar nicht anders ging; ich selbst h a b e . . . na, ihr wißt das ja, ich habe euch ja schon erzählt, wie ich 1873 die beiden spanischen Capitanos mit diesen Händen h i e r . . . Aber das war doch etwas anderes. Das ganze Land stand auf, wir hatten Gewehre, wir hatten eine Armee. Wenn ich an die Schlacht von Guaimaro . . . aber lassen wir das. Seht ihr, Muchachos, anno 1868 hatte Cespedes das ganze Volk hinter sich. Wir waren bewaffnet, wir konnten kämpfen, und nach zehn Jahren mußte der Spanier klein beigeben, ob er wollte oder nicht. Und als er wieder frech wurde, als er uns die versprochene Freiheit, unser Land nicht geben wollte, da fingen wir wieder an, im großen, gottgesegneten Kuba. Und wir hatten ihn 1898 auf den Knien." Vicente zog an der schwarzen Zigarre, sah sich im Kreise um und knüpfte an Pachitos letzte Worte an: „Ja, er lag auf den Knien. Die Freiheit hatte gesiegt." Vicente spuckte im hohen Bogen in die Flamme. „Du weißt wohl nicht, Antonio", begann er von neuem, „daß dann im Hafen von Habana das amerikanische Panzerschiff, die ,Maine', plötzlich in die Luft 11
flog? Aus heiterem Himmel fiel es dem Schiff ein, in die Luft zu fliegen. Komisch - findest du nicht auch, Antonio?" „Und was weiter?" fragte dieser zurück. „Der Amerikaner machte großes Geschrei, behauptete, der Spanier sei es gewesen, und er müsse sein Geld und seine Plantagen in Kuba schützen. Dann hat er schnell den Spaniern den Krieg erklärt und sie, nachdem wir sie schon klein hatten, nochmal besiegt - und Kuba wurde amerikanisch!" „Und wir lassen uns das gefallen!" Antonio sprang auf. „Raus müssen sie! Raus müssen sie alle!" „Ja", meinte Pachito, „aber das schaffst du nicht allein. Das können wir nur gemeinsam schaffen, und dazu fehleri uns nicht mutige Männer, Antonio, sondern Gewehre!" „Zum Teufel, haben wir keine Gewehre? Was redest du dauernd von Gewehren, Alter? Können wir uns keine beschaffen? Sind wir nicht Manns genug, ihnen die Gewehre, die sie haben, wegzunehmen? Mut muß man haben!" „Du redest, als hätten wir keinen Mut, Antonio." Vicente konnte einen leichten Vorwurf in seiner Stimme nicht unterdrücken. „Du bist ein Hitzkopf, du weißt nicht, was du sagst, Antonio." Juan war ernstlich böse. „Was? Ich weiß nicht, was ich sage? Ich weiß genau, was ich sage; ich werde euch zeigen, daß ich es weiß!" Antonio warf seine Zigarre in das Feuer, daß die Funken stoben, drehte sich um und ging davon. „Mach keine Dummheiten, Antonio!" rief Vicente ihm hinterher. „Laß nur, laß", wehrte Pachito ab, „er muß allein klug werden. Hoffentlich zahlt er nicht zu hoch dafür." Harris saß in seinem Zimmer. Die schräg durch das Fenster fallenden Strahlen der Himmelslaterne, die gelblichweiß am dunklen Firmament hing, vermischten sich mit denen der heruntergeschraubten Petroleumlampe. Harris saß am Rande des Lichtkreises, den Kopf in dieHände gestützt, und lauschte dem an-und abschwellenden Konzert der Zikaden. Nachtfalter bumsten an den Zylinder der Lampe, umflatterten ihn, bis sie mit versengten Flügeln zu Boden taumelten. Concha, Concha! ging es dem Mann am Tisch nicht aus dem Sinn. Unaufhörlich rief eine Stimme diesen Namen. „Ruhe!" brüllte Harris. Er goß sich ein neues Glas ein, kippte den Whisky unverdünnt mit einem Zuge hinter. Concha, Concha! hörte er es weiterrufen; er preßte die Hände gegen die Ohren. Bilder kamen, immer wieder schob sich 12
das eine nach vorn: ein Mädchen, schlank und biegsam, von einer seltsamen, wilden Schönheit. Concha! rief die Stimme. Harris faßte das Glas, schleuderte es mit Wucht in die Ecke. Das Klirren beruhigte ihn etwas. Er war doch lange genug in den Tropen, sollte ihn ausgerechnet dieses braunhäutige junge Ding durcheinanderbringen? Sie ist ja schön, dachte Harris, verteufelt schön - a b e r . . . Weiter kam er nicht in seinen Gedanken. Ein Schuß dröhnte draußen auf, dumpf und grollend. Die Lampe fiel zu Boden. Gleichzeitig schlug es hinter Harris kurz und hart in die Wand. Sofort war er nüchtern. Er duckte sich und trat mit dem Fuß die Flammen aus, die sich auf dem Boden gebildet hatten. Das Singen und Lachen seiner acht weißen Aufseher, die im Seitenflügel gefeiert hatten, war mit dem Schuß abgerissen. Er hörte das Bellen der Hunde, die jemand hinter das Haus gelockt haben mußte und die nun wie die wilde Jagd nach vorn stürzten. Als er mit der Pistole in der Hand auf das Weidengebüsch zulief, aus dem das Standgebell der Meute ertönte, sah er Charlie mit zweien seiner Leute am Rand der Büsche entlanghuschen. Harris rief ihnen zu: „Schickt ihn zum Teufel, den Kerl!" Er war aber doch noch vor ihnen am Strauchwerk, sah seine Hunde, die mit gesträubten Haaren vor einem Mann standen, dessen Hose in Fetzen um die Beine hing. Er hielt einen alten Vorderlader in seinen Händen, aus dessen Mündung der Rauch in feinen Fäden emporstieg. Der Schütze stand wie festgenagelt, bei der geringsten Bewegung hätten ihm die Hunde an der Kehle gesessen. Dies alles nahm Harris in sich auf, als er die Zweige der vordersten Büsche auseinanderschlug. Im Rauschen der zusammenschlagenden Blätter hatte er schon die Pistole im Anschlag, zielte auf das bleiche Gesicht des Mannes, aus dem zwei Augen in verzweifelter Wut wie glühende Kohlen funkelten, dann setzte er ab. „Moment, laßt mir das Früchtchen!" rief er Charlie und den beiden anderen zu. „Wißt ihr, wer das ist? Das ist der Bruder der kleinen verrückten Katze von heute mittag!" Er sprach völlig beherrscht, völlig ruhig, und doch schwang etwas in seiner Stimme mit, das auf einen Ausbruch von Haß und Vernichtung hindeutete. „Du Schwein!" sagte er, „ich könnte dich über den Haufen knallen, wie ich deine Schwester hätte umlegen können." Antonio zuckte zusammen, duckte sich zum Sprung, da fuhren die Hunde vor. „Zurück, Blanka. Wolf und Bück! Zurück sage ich! Hierher!" 13
Die Hunde gehorchten den Befehlen ihres Herrn. „Du wolltest mich anspringen, mein Brüderchen? Spring, wenn du Mut hast!" Die letzten Worte brüllte Harris heraus, daß die Adern an seiner Stirn und am Hals anschwollen. „Spring, du Hund! Bist du zu feige? Soll es dir deine verlauste Schwester erst vormachen?" Antonio, der immer noch die Hunde fürchtete, stand still, zuckte bei jedem Wort zusammen. „Dreckvolk! sagte ich!" Da war es geschehen. Mit einem Satz flog Antonio Harris an die Kehle - so schnell, daß er keine Bewegung zur Abwehr fand. Dann hatte sich der Yankee wieder gefaßt. Er war ein viel zu routinierter Schläger, als daß er sich so schnell überrumpeln ließ. Das rechte Knie riß er mit einem Ruck nach oben, traf Antonio mit voller Wucht in den Unterleib. Automatisch ließen dessen Hände los, fuhren vor Schmerz nach unten. Da traf ihn der erste Schlag. Antonio fiel, sprang wieder auf, rannte blind vor Wut und Schmerz auf Harris zu. Der blieb einen Augenblick ruhig, dann stürzte er sieh wie ein Rasender auf Antonio, schlug ihn zu Boden, riß ihn wieder hoch, tobte, schrie, daß die anderen erschrocken zurückwichen. „Er hat den Tropenkoller! Seht euch vor!" warnte Charlie. Immer wieder holte Harris aus, schlug mit voller Wucht in das Gesicht des schwankenden Antonio. Dann endlich, nach einem furchtbaren Schlag, der Antonios Mund in eine blutige Masse verwandelte, fiel Antonio hintenüber und rührte sich nicht mehr. „ . . . für deine reizende Schwester!" keuchte Harris. Er richtete sich auf, holte Luft und trat dem am Boden Liegenden mit der Stiefelspitze in die Rippen. „Laßt ihn hier liegen, bis er verreckt ist. Sie wird ihn schon holen! Und nächstes Mal paßt mir besser auf die Hunde auf", sagte Harris noch, drehte sich um und ging zurück ins Haus. Auf halbem Wege zum Haus des Amerikaners brachten ihr Vicente und seine Freunde Antonio entgegen. Blutig, das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt, trugen sie ihn auf einem breiten Brett, das als Bahre diente. „Geht nach Hause jetzt", sagte Vicente, als sie die traurige Last in Conchas Hütte abgestellt hatten, „ich helfe Concha schon." Die anderen gingen. Ein Wort nur hatte Concha auf dem Wege gesagt, als man ihr schweigend den Bruder zeigte. „Harris", sonst nichts. Jetzt, als kühlende Blätter auf den Wunden des Bewußtlosen lagen, der ab und 14
zu leise stöhnte, sagte Concha: „Ich weiß alles, Vicente. Ich war nicht dabei, aber ich weiß, Antonio hat geschossen." „Ja", meinte Vicente, „er wollte mit dem Kopf durch die Wand, anstatt zu warten, bis es soweit ist." „Was soweit ist?" wollte Concha wissen. „Concha, du bist ein Mädchen", Vicente sah ihr ernst in die Augen, „aber du hast mehr Mut als mancher Mann - und ich glaube, auch mehr Verstand. Ich will dir etwas sagen, wenn du mich jetzt hören willst." Concha nickte. „Antonio, Juan und ich waren, als es Nacht wurde, zu Pachito hinaufgestiegen", begann Vicente und erzählte Concha von dem Mut der Kubaner: wie sie die Spanier besiegt, aber wie ihnen die Amerikaner zum Schluß den Sieg aus den Händen gerissen hatten. „Sie sind schlimmei als die Spanier", kam er zum Schluß, „aber glaub' mir, eines Tages sind wir soweit; dann werden sie genau wie die Spanier lieber zur Hölle fahren als in Kuba bleiben wollen. Bis dahin müssen wir aber noch viele Gewehre haben, Concha", beendete er seine Erzählung, „bessere als das Gewehr, das Antonio unter dem Boden seiner Hütte versteckt hatte." Vicente png. „Gute Nacht", sagte er und ließ Concha mit Antonio allein. Lange saß sie an seinem Lager; der letzte Satz Vicentes ging ihr nicht aus dem Kopf. Die nächsten Tage auf der Plantage verliefen wider Erwarten ruhig. Harris fürchtete eine Revolte und befahl seinen Aufsehern größte Wachsamkeit. Auf den Feldern trugen Charlie und seine Garde neben den Revolvern die schußbereiten Gewehre im Arm. Es gärte und brodelte unter den Arbeitern.' Pachitos Hütte bekam abends jetzt oft Besuch. Vielleicht lag es daran, daß es zu keiner Schießerei kam. Harris konnte es nicht wissen, aber er wunderte sich sehr. Die Ernte war gut, immer größer wurden die kahlen Flächen auf den Feldern, ununterbrochen klang das „Hö, Mula!" der Maultiertreiber, das Rattern und Stampfen der Zuckermühle. Zu Bergen stapelten sich die gelben, ziegeiförmigen Blöcke des ungebleichten Rohrzuckers. Harris war zufrieden; er wagte sogar, in die Stadt zu fahren, um ein Ersatzteil für die Presse zu holen und Neuigkeiten zu erfahren. Am zweiten Tage war er wieder da. Die Unterredung, die er mit Charlie hatte, war nicht gerade erfreulich. Es häuften sich die Nachrichten aus allen Teilen des Landes, daß ein größerer Aufstand in 15
Vorbereitung sei. Der passive Widerstand gegen die von den Amerikanern eingesetzte Regierung verstärke sich täglich. Überall schließe sich die Bevölkerung der Bewegung für die Unabhängigkeit Kubas an. „Es ist nicht gerade ermunternd, was man hört", schloß Harris seinen Bericht, „aber noch lange kein Grund zur Beunruhigung. Wie mir Williams mitteilte, hat der Generalkonsul unsere Truppen angefordert, wenn die Lage ernst werden sollte. Schätze, wir werden uns schon solange halten können, falls es doch losgeht." „Schätze auch", grinste Charlie. „Habe ordentlich Kribbeln in den Fingern." „Mach keine Dummheiten, Charlie. Wir sitzen sowieso auf einem Pulverfaß. Wenn die Burschen Gewehre hätten, würde kein Panzerschiff der glorreichen USA-Flotte schnell genug hierherkommen, um uns davor zu bewahren, des Teufels Großmutter als Hackbraten serviert zu werden." „Ihr dürft nicht zu schwarz sehen, Boß. Des guten alten Charlies Kanonen..." . „Na, nimm's Maul nicht zu voll! Halt lieber die Augen offen und melde mir sofort, wenn du etwas Verdächtiges siehst. Habe das Gefühl, die Burschen tun nur so ruhig." Concha hatte jeden Abend Antonios Verbände erneuert. Manchmal, wenn es ihr die Arbeit erlaubte, sprang sie auch am Tage zu ihm in die Hütte, um schnell ein paar neue Blätter aufzulegen: Wegerich zum Kühlen und Arnika, gegen die Schwellungen. Allerlei Mixturen hatte sie gebraut, deren Zusammenstellung sie noch von ihrer Großmutter wußte. Und die uralten Rezepte bewährten sich. Antonio ging es täglich besser. Die Wunden verheilten, die gefährlich aussehenden schwarzen und blauen Flecke wurden heller. Conchas Pflege und die wenigen Tage der Ruhe hatten ihn körperlich wiederhergestellt. Über den Vorfall sprach er nicht. Er tat so, als sei nichts gewesen. Auch als er wieder arbeitete, erwähnte er mit keinem Wort jene verhängnisvolle Nacht. Juan sprach ihn einmal deshalb an, wurde aber von Antonio einfach stehengelassen. Concha wurde ruhiger in dieser Zeit. Sie stand manchmal, wenn ihr Mula beladen war, und schaute hinüber zu dem Haus, in dem Harris wohnte. Sie mußte in solchen Augenblicken mit ihren Gedanken weit weg sein, denn wenn sie jemand ansprach, fuhr sie erschrocken zusammen, als sei sie bei verbotenem Tun überrascht worden. Abends 16
fand man sie auch nicht mehr am Feuer vor dem großen Schlafhaus, wenn die Gitarren klimperten und mit der Kühle der Nacht eine seltsame Unruhe in das Blut kam, wenn sich die Paare im Pasillo drehten und Mühe und Last der Arbeit für ein, zwei Stunden vergessen waren. Harris bemerkte ebenfalls die Veränderung, die mit ihr vorging. Er hatte sich, als er in der Stadt war, eine ganze Nacht hindurch mit Mädchen herumgetrieben, um die „hübsche Fratze" zu vergessen, wie er sich selbst eingestand. Die „hübsche Fratze" war Concha. Als er am nächsten Tag mit brummendem Schädel erwachte, mußte er feststellen, daß es ihm nicht gelungen war. Zum Teufel, er hatte früher nicht gefragt, wenn ihm ein Mädchen gefiel! Er konnte doch mit seinen Arbeiterinnen machen, was er wollte! Sie sollten froh sein, wenn sie ab und zu ein paar Centavos extra von ihm bekamen. Oder war er schon gar nicht mehr Herr auf seiner Plantage? Es war in den Vormittagsstunden, Harris saß auf seinem Lieblingsplatz am Stein unter dem Mangobaum, von dem aus er seine Besitzungen übersehen konnte. Die Felder auf den nördlichen Hängen, die unterhalb des Waldes flach in die Mulde ausliefen, waren leergeschlagen. Hinter sich, auf dem Plateau im Westen, hörte er die Indios schwatzen, hörte das „Hü-hö!" der Treiber. Das scharfe Geräusch der Macheten, wenn sie in die saftigen Stengel fuhren, zeigte ihm, daß dort gearbeitet wurde. „Hö, Macho! Hü, Mula!" Die Stimme kannte er doch! Seltsam, dachte Harris, sie kommt genau auf mich zu; sonst macht Concha jedesmal einen Bogen um mich. „Hm", brummte er und drehte sich vorsichtshalber um. Es war Concha, die mit ihrem Mula vom Feld auf den Fahrweg herunterkam. Er tat gelangweilt, spürte aber, wie ihn die Erregung packte, wenn er das Mädchen sah, Sie ging vorbei, ohne ihn anzusehen. Harris wollte sich schon wieder umdrehen, da blickte Concha noch einmal zurück, nur ganz kurz. Harris überraschte sich dabei, daß er ihr noch nachsah, als sie schon längst an der Krümmung des Weges verschwunden war. „Teufel, Teufel!" fluchte er leise vor sich hin, sollte das etwa heißen ...? Hm, das kam ihm doch unwahrscheinlich vor. Concha kam wieder und zog, nachdem das Maultier beladen worden war, mit „Hü!" und „Ho!" talabwärts Mehrere Male Neugierig schaute er ihr auch diesmal entgegen. „Goddam!" meinte er, „sie hat gefährliche Augen." „Komm einmal her, Concha", rief er ihr zu. Sie kam, nachdem sie verwundert den Kopf gehoben hatte. 17
„Wie alt bist du?" / „Sechzehn Jahre, Herr!" / „Älter nicht?" „Nein! Das heißt, sechzehn Jahre und sechs, nein, fünf Monate." „Du arbeitest gut." Concha senkte den Kopf. „Willst du heute abend zu mir kommen? Ich möchte mich mit dir etwas unterhalten. - Du brauchst nicht, wenn du nicht willst." Den ganzen Nachmittag hörte Harris noch das leise: „Wenn du es wünschst, Herr", in seinen Ohren klingen. Abends kam Concha. „Was sagt dein Bruder dazu, daß du bei mir bist?" fragte Harris sie. „Er weiß es nicht! Und wenn er es wüßte, was geht es ihn an!" „Das ist richtig. Du bist überhaupt ein vernünftiges Mädchen." Harris zündete sich eine Zigerette an. Concha sagte nichts. Sie trank keinen Wein, rauchte keine Zigarette und nahm auch keine Süßigkeiten. Sie starrte Harris immerzu an. Wenn er sich mit seiner inzwischen angeriuchten Pfeife beschäftigte oder sonst einmal wegschaute, fühlte er ihre Augen auf sich gerichtet. Auch er wurde immer einsilbiger. Concha saß weit zurückgelehnt in ihrem Sessel Harris sah sie durch die Dampfwolken seiner Pfeife wie hinter einem Schleier. Er griff zum Glas, trank. Er schaute auf und goß das Glas von neuem voll. Wieviel er getrunken hatte, als er aufstand und auf Concha zuschwankte, wußte er nicht, aber er hatte getrunken, und es war ihm jetzt alles gleichgültig. Concha erhob sich. Harris faßte nach ihr, wollte sie umarmen, da brannte es schmerzhaft auf seinem Gesicht. Rote Kreise tanzten vor seinen Augen, und er fühlte, wie es in ihm hochstieg. War es Wut, oder war es etwas anderes? Im Nu war er wieder bei klarem Verstand, wußte, was um ihn herum vorging, als er eine Mädchenstimme hörte, die leise, aber sehr bestimmt sagte: „Ich muß jetzt gehen, Herr!" Raus! wollte er brüllen, besann sich aber und wunderte sich, wie er es fertigbrachte, sich leicht zu verbeugen und Concha zur Tür zu bringen. Die kühle Nachtluft tat ihm gut. Er blieb stehen, hielt das Mädchen noch einen Augenblick zurück und fragte: „Bist du jetzt böse, Concha?" „Nein, Herr!" antwortete sie. „WiUst du bei mir arbeiten? Als Haushälterin - du hast es gut! Und ich verspreche dir, daß so etwas wie h e u t e . . . " Harris glaubte.salbst. 13
nicht an das, was er sagte, aber er nahm an, gewonnen zu haben, ab Concha antwortete: „Ja, Herr." „Wo willst du hin?" fragte Antonio, als sich Concha nach dem Abendessen, das aus Yuccaknollen und einigen gekochten Fleischstückchen bestanden hatte, erhob und zur Tür ging. „Ich gehe zu Harris", sagte sie und blieb stehen. Antonio erhob sich. „Zu Harris? Du gehst zu Harris?" Concha wußte nicht, was sie antworten sollte. Durfte sie ihrem Bruder anvertrauen, was sie vorhatte? Antonio stand dicht vor ihr. „Was willst du bei ihm?" „Ich soll ihm das Haus in Ordnung halten. Meinen Mula wird der alte Zambo nehmen." Antonio zitterte, sein Gesicht lief dunkelrot an. „Schämst du dich nicht, du, d u . . . Zu ihm willst du gehen? Zu dem Blutsauger, dem Hund! Eher werde ich d i r . . . " Er fand keine Worte mehr, keuchte wie unter einer großen körperlichen Anstrengung. Concha sah ihn aus weitaufgerissenen Augen an. „Heilige Jungfrau", murmelte sie tonlos, „wenn er doch vernünftig wäre." Antonio geriet immer mehr in Wut, er lief in der Hütte hin und her, ohne Concha aus den Augen zu lassen. „Sag doch, daß du zu ihm gehst, weil er dir Geld geboten hat! Er hat ja selbst gesagt, was du wert bist - in jener Nacht, als ich ihn im Zwielicht verfehlte! Geh! sage ich dir. In meiner Hütte hast du nichts mehr zu suchen, du hast du gehört! Raus, sage ich! Raus!" Concha fühlte, wie ihr Körper steif wurde. Sie wollte etwas sagen, aber ihre Stimme versagte. Gleichzeitig nahm sie voller Staunen wahr, daß sich ihre Gedanken in bewundernswerter Schnelligkeit und Klarheit aneinanderreihten. So wird es kommen, wußte sie, und so - ein Bild folgte dem anderen, in grellem, schattenlosem Licht. Nein, sie durfte Antonio nichts sagen. Er war zu hitzig. Mit großen Augen sah sie ihn an, als er wieder auf sie zukam. „Raus!" schrie er. „Antonio ...!" brachte sie nur über die Lippen, dann drehte sie sich um und ging den Weg hinauf, dorthin, wo das Licht der Lampe durch das Fenster fiel. Am nächsten Tag begegnete sie dem lustigen, jungen Pablo, der ihr schon lange verliebt hinterhergeschaut hatte und jedesmal, wenn
er sie traf, Zeit für ein kleines Schwätzchen fand. Er schritt an ihr vorbei, als gäbe es keine Concha auf der Welt. Nein, so schlimm hatte sie es sich doch nicht vorgestellt! Selbst Pablo! Die anderen? Ja, damit hatte sie gerechnet, die würden ihr aus dem Wege gehen. Als sie aber überall verschlossene Gesichter sah, als sogar ihre alten Freunde ihr nur verachtende Blicke zuwarfen und sie niemanden mehr hatte, mit dem sie sprechen konnte, da verzweifelte sie doch. Umkehren wollte sie, zurück zu Antonio, zu Pablo und all den anderen. Sie verkroch sich in ihre Kammer und weinte hemmungslos. Wortlos stellte sie Harris am nächsten Tag das Essen auf den Tisch. Er versuchte in ihrem Gesicht zu lesen, und sah weiter nichts als das übliche feine Lächeln, das er sich nicht erklären konnte. Er konnte sich manches nicht erklären, am allerwenigsten sein Verhalten. Plantagenarbeiter waren für ihn. solange er denken konnte, Arbeitsvieh. Sie bekamen zu fressen, damit sie nicht umfielen. Schlug man einen tot - was tat's? Sie waren ja billiger als ein Mula. Oft schüttelte er den Kopf, wenn er Concha nachsah, wie sie lautlos kam, etwas hinstellte, lächelte und wieder ging. Gehörte sie denn nicht zu den Frauen, die er sich für einige Pesos kaufen konnte, um sie mit einem Tritt wieder aus dem Hause zu jagen, wenn sie ihm nicht mehr gefielen? Die kleine Kröte schien stolz zu sein, aber warum war sie dann zu ihm gekommen? Wollte sie ihn etwa belauern? Nein, das war Unsinn! Ihre eigenen Leute schauten sie ja nicht mehr an. O ja, er hatte es wohl bemerkt. Eines Abends trank er wieder. Seine Phantasie erhitzte sich am Alkohol, und leise schlich er in die Küche, in der Concha noch hantierte. Sie hörte ihn kommen, drehte sich um und sah ihn an. Harris, der sich vorher noch einen Narren geschimpft hatte wegen seiner Unentschlossenheit, verlangte plötzlich nur ein Glas Soda. Er wußte nicht, warum er es tat, aber wahrscheinlich wollte er nicht noch einmal die Worte hören: „Ich muß jetzt gehen!" Von diesem Abend an quälte Harris das Mädchen auf die gemeinste Weise. Es begann bei der schmutzigen Arbeit, die er für sie aussuchte, und endete damit, daß er den kleinen Hund, an dem sie mit besonderer Liebe hing, in die Wassertonne warf und sie zusehen mußte, wie er jämmerlich ertrank. Concha hörte das Winseln des hilflosen Tierchens. Es würgte ihr in der Kehle, sie wollte hinzuspringen, sah aber, wie Harris nur darauf wartete, und zwang sich, ruhig zu bleiben. Seine Grausamkeiten 5M1
änderten Conchas Wesen ebensowenig wie die freundlichen V/orte, die er für sie fand, hinter denen sich - mühsam zurückgehalten - seine Gier und Brutalität verbargen. Es kann nicht mehr lange so weitergehen, fürchtete sie, lächelte aber, wie sie es stets tat, wenn sie ihn bediente. Eines Tages, es war kurz vor Abschluß der Erntearbeiten, mußte Concha den alten Zambo vertreten, der wegen seines aufgetriebenen Bauches ein zu starkes Purgante genommen hatte und hilflos hinter seiner Hütte hockte und darauf wartete, daß die Kraft des Abführmittels nachlasse. Weil es an Maultiertreibern fehlte und das sachgemäße Befestigen der Traglasten große Übung erforderte, mußte Concha einspringen. Sie war glücklich darüber und freute sich, daß sie von ihrem Mula freudig wiehernd erkannt und begrüßt wurde. Die Arbeit ließ sie alles Schwere vergessen. Über ihr brannte die Sonne, brachte die Luft zum Flimmern, die erfüllt war von dem Geruch des verdunstenden Zuckerrohrsaftes und dem Schweißdunst des braven Mulas. Wenn nur nicht die Blicke der Karneraden gewesen wären. Sie spürte sie in ihrem Rücken, bemerkte, wie die Männer ihr auswichen, wenn sie aufsah. Einige Schritte von ihr entfernt stand Antonio mit den anderen; im Feld fielen die letzten Stengel unter der Schärfe ihrer Haumesser. Sie beeilte sich, so schnell wie möglich dem Mula die Traglast aufzubinden, damit sie wegkam von hier, den anderen aus den Augen. Sie überhörte Harris Schritte; erst als er vor ihr stand und sein Schatten auf sie fiel, richtete sie sich auf. „Na, wie geht's, Concha", begann er ein Gespräch mit ihr. Dann bemerkte er Antonio, der aufgehört hatte zu arbeiten, sich umdrehte und haßerfüllt zu ihm herüberstarrte. „He, was gaffst du so lange? Du bist wohl heute zu faul zum Arbeiten, was?" Antonio blieb stehen, rührte sich nicht; Concha bemerkte, wie die Knöchel seiner rechten Hand, die sich um den Griff des Messers spannten, weiß wurden. „Mach, daß du an deine Arbeit kommst! Soll ich dir Beine machen, du dreckiges Luder!" „Antonio", schrie Concha auf. Zu spät, er hätte sowieso nicht gehört. Wie ein Besessener sprang er auf Harris zu; diesmal wollte er schneller sein als der andere, wollte sich nicht wieder übertölpeln lassen. Er war so voller Rachedurst, daß er nichts sah, außer diesem Kerl dort, 21
diesem Leuteschinder, der erst ihn, dann seine Schwester . . . der jetzt einen Schritt zurückwich, dessen Rechte an die Hüfte fuhr, dorthin, wo in braunem Leder die Pistole steckte. Du mußt schneller sein als er, Antonio! Er war nie schneller als in dieser Sekunde-er konzentrierte sich auf ein glattrasiertes, eckiges Gesicht; seine Muskeln federten wie Stahl - graue Augen blickten ihn an, kalt und berechnend. Er wollte hineinschlagen mit der Machete, mitten hinein - er kam nicht mehr dazu, aus einem Meter Entfernung zerschmetterte ihm die Kugel den Kopf - Antonio war tot. Concha krallte ihre Nägel in das Fleisch der Handballen, sie spürte nicht den Schmerz, blickte auf, Harris mitten ins Gesicht - er erschrak zum zweiten Male vor dem Funkeln in ihren Augen. Ein scharfer, metallener Blitz flog um Haaresbreite an seinem Kopf vorbei. Ein Messer, war sein erster Gedanke, und jetzt sah er erst, wie sich ein gefährlicher Halbkreis um ihn gebildet hatte, sah drohende Messer, schnell aufgelesene Steine in erhobenen Händen - erfaßte mit demselben Blick Concha, die über der Leiche ihres Bruders zusammengebrochen war und deren Körper von wildem Schluchzen geschüttelt wurde. Harris war sich der Gefahr voll bewußt. Im Zurückspringen zuckte er zusammen, denn mitten in den Sprung hinein knallte ein Revolverschuß. Der Kamerad, der Antonio mit dem schnellen Wurf seines Messers hatte rächen wollen, brach zusammen. Charlie jagte auf seinem Pferd heran. Sein Gesicht verzog sich zu einem höhnischen Grinsen, als er sein Pferd zum Stehen brachte, so, daß er alle, die im Halbkreis standen, übersehen konnte. „Hat noch jemand Lust, mit dem Messer zu werfen...?" Sie hatten schon Lust, jeder einzelne von ihnen, aber sie starrten in die Mündungen einer Pistole und dreier Revolver, denn zwei von Charlies Garde hielten gerade neben ihm. Auch diesmal wurde weitergearbeitet. Nach Feierabend jedoch fuhr der Wetzstein über manche Klinge, so lange, bis die Schärfe ausreichte, ein Haar in der Luft zu zerschneiden, wurde in dieser und jener Hütte unter dem Stroh gewühlt, ein alter Revolver oder eine alte Flinte hervorgeholt und sorgfältig geputzt. Nicht ohne Grund gab Harris seinen Aufsehern Befehl, nachts Wache zu stehen und auf jeden ohne Anruf zu feuern, der sich dem Haus näherte. 22
Tagsüber wich Charlie nicht von seiner Seite. Sie spürten, wie sie beobachtet wurden, wie in hundert und mehr Köpfen, die sich über ihre Arbeit beugten, ein Gedanke herumging: Wann bietet sich die beste Gelegenheit, denen dort, die sich unsere Herren nennen, die schlimmer sind als der Leibhaftige, das blanke Eisen zwischen die Rippen zu jagen? Mit Recht fürchteten Harris und seine Leute, daß die Beerdigung der beiden Toten Anlaß zu einem Sturm auf die Plantagengebäude geben könnte. Harris sah die Gefahr und traf seine Vorkehrungen. Das drohende Stimmengewirr, das am Sonntag von dem kleinen Kirchhof her an sein Ohr drang, ließ ihn noch einmal vorsichtig das eigene und das Schußfeld seiner Yankees prüfen. Er fand es gut, es gab nichts zu fürchten, und zufrieden ließ er die Whiskyflasche durch die Reihe der Männer gehen, die hinter Fenstern und Pfeilern seines Hauses in Deckung lagen. Das Stimmengewirr schwoll an; Pachito war an die offenen Gräber getreten und sprach Worte des Abschieds. Als er auf den frisch aufgeworfenen Erdhügel trat, fühlte er, daß es galt, den Ausbruch einer sinnlosen Raserei zu verhindern, deren Ende nur ein mit Toten übersäter Platz vor Harris Haus sein konnte. Reden mußte er, alle wollte er in den Bann seiner Rede ziehen. „Caballeros!" Seine Stimme besaß durchaus nicht mehr den sich für eine Grabrede geziemenden Ton. Aber was tat das? Sprach er nicht im Sinne Antonios und Alejos, die für die Freiheit gefallen waren? „Caballeros! Ich versichere euch nochmals, daß ich es als eine große, unverdiente Begünstigung des Schicksals betrachte, wenn ich heute, hier am Grabe unserer Freunde und Brüder, zu euch sprechen darf." Es war eine seltsame Grabrede, die Pachito hielt, aber er wußte schon, was er tat, wie er seine leicht entflammbaren, und dabei oft unüberlegt handelnden Landsleute vom richtigen Weg überzeugen mußte. Nein, es war gar nicht die Rede davon, daß sie Harris und seinen Yankees als Zielscheiben dienen wollten; Pachito war meilenweit davon entfernt, das anzunehmen; er war überzeugt davon, daß sie mit Klugheit und Bedacht vorgehen würden. Er schlug vor, einige besonnene Männer müßten sich zu einer Beratung zusammenfinden, wie seinerzeit beim Kampf gegen die Spanier. Pachito erzählte einige Heldentaten aus der Geschichte der kubanischen Freiheitsbewegung, bei deren Erwähnung die Begeisterung 23
keine Grenzen mehr fand, und als er ihnen zum Schluß Zukunftsbilder entwarf, ihnen zeigte, was es zu erringen galt, da ließen sie die Freiheit, den Fortschritt, Antonio, Alejo und Pachito nacheinander und zugleich hochleben. „Viva el progreso! Viva Antonio! Viva Pachito!" Pachito war mit seinem Erfolg zufrieden. Im stillen bat er die beiden auf so eigenartige Weise unter die Erde Gebrachten um Entschuldigung: Aber ihr versteht mich ja, meine Kinder - auch du, Antonio, wirst jetzt einsehen, daß ich recht hatte und daß ich euch heute keine andere Grabrede halten konnte; es sei denn, ich hätte morgen wieder vor offenen Gräbern stehen wollen - vor vielen Gräbern! Concha glaubte die ganze Zeit über, einem fremden, sie verwirrenden Schauspiel beizuwohnen, einem Schauspiel, das sie dennoch zutiefst ergriff und berührte. Ganz allein schritt sie hinter dem Sarg, niemand trat zu ihr, sprach ein Wort; nur Pachito, dessen Rede sie erhobenen Hauptes, stumm und regungslos mitangehört hatte, drückte ihr zum Schluß die Hand, sah ihr fest in die Augen. Es bedurfte keiner Worte. Concha fühlte auch so, daß er ihr vertraute. Harris wunderte sich über zweierlei. Der erwartete Angriff blieb • aus; ruhig und ohne Zwischenfälle wurde weitergearbeitet, so daß sich die Aufseher mit ihrer schweren Bewaffnung beinah lächerlich vorkamen. Und Concha schien mit der Beerdigung ihres Bruders allen Schmerz und den Haß gegen ihn vergessen zu haben. Nach wie vor ging man ihr aus dem Wege, sah ihr mit verächtlichen Blicken nach. Für Harris bedeutete die Tatsache, daß Concha freiwillig zu ihm gekommen war, mehr als einen der üblichen Erfolge seiner Gewalttätigkeit. Diesmal hatte er dem braunen Gesindel - eine andere Bezeichnung für seine Arbeiter kannte er nicht - eine Schmach zugefügt, die schwerer, lastete als alle anderen Demütigungen. Concha war zur Verräterin ihres eigenen Bruders geworden; das war für ihn Genugtuung, Triumph. Er zweifelte nicht daran, daß er sie dahin bekommen würde, wo er sie hinhaben wollte; sie sollte ihm noch in verschiedener Hinsicht nützlich werden. Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen Dafür wollte er sich etwas mehr Zeit mit ihr lassen, als er sonst für ein Kreolenmädchen übrig hatte. Harris hatte keinen Grund zum Grübeln, und doch saß er manchen Abend am Tisch, den Kopf in die Hände gestützt, ein Glas 24
Whisky vor sich, und hing allen möglichen Gedanken nach. Es mochte ihm so gehen wie vielen Weißen, die lange Zeit in heißen Ländern leben. Die Träume von undurchdringlichen Urwäldern mit tausend lockenden Geheimnissen, von glutäugigen Mädchen waren längst vorbei. Übriggeblieben waren Hitze, Einsamkeit und nochmals Hitze. Das Klima zehrte am Körper und an den Nerven. Zweifellos war es genau so ein Feind wie Antonio, Alejo, Vicente, Pablo, wie alle Kopf reihte sich an Kopf, Körper an Körper, eine unübersehbare Menge. Ob die anderen auch so viele gegen sich hatten? War nicht einer dabei, auf den man sich verlassen konnte? Charlie-seine weißen Aufseher? Harris hob plötzlich das Glas, spülte etwas hinunter, das ihm in der Kehle saß. Sie waren gut zum Schießen, und in dieser Beziehung konnte man sich auf sie verlassen - solange sie ihr Geld bekamen -, aber sonst? Gesindel! stellte er fest und zog einen unberechtigten Strich zwischen sich und seine Landsleute. Keinen Menschen, mit dem man reden konnte, und verdammt noch mal, reden mußte man doch ab und zu in diesem verrückten Land, um nicht zu verblöden. Nicht einen? Oder doch? Concha! Sie hatte eine Art, ihm zuzuhören, daß er sich jedesmal erleichtert fühlte, selbst wenn sie kaum etwas erwiderte. Harris fand, daß eine gewisse Verbundenheit zwischen ihnen bestand. Beide lebten sie isoliert, von allen gehaßt und gemieden, und er nahm an, daß es Concha so ginge wie ihm, daß sie nämlich tief im Innern Furcht hätte vor den Menschen, die sie umgaben. Er nannte die Dinge nicht beim Namen, das hätte ja bedeutet, die eigene Schwäche einzugestehen, aber in den letzten Monaten und Wochen waren seine Herausforderungen gegenüber den Arbeitern immer gefährlicher geworden. Diese Sucht, gefahrvolle Situationen zu schaffen, war nichts weiter als der Versuch, die eigene Überlegenheit vor sich selbst zu beweisen. Je rücksichtsloser und brutaler er vorging, desto stärker brannte die Furcht in ihm. Er nahm an, daß es Concha ähnlich ginge. „Du sagst, es gefällt dir gut bei mir, Concha - hast du denn keine Angst, daß es eines Tages gefährlich werden könnte? Du kennst deine Leute am besten, du weißt, daß sie mich lieber heute als morgen töten würden - und was meinst du, was mit dir geschieht, wenn du bei mir bist?" 25
„Sie würden mich erschlagen, wie sie dich erschlagen würden, Herr", sagte Concha. „Und warum bleibst du dann noch bei mir?" Was hatte sie denn nur? Sie sah ihn so sonderbar an. „Manchmal habe ich schon Angst", wich sie seinen Fragen aus, „denn es sind so wenig weiße Männer auf der Plantage und so viele von meinen Leuten." „Und du bleibst trotzdem hier?" „Ja." „Weißt du, daß du keine Angst zu haben brauchst?" „Doch, ich werde immer Angst haben!" „Unsinn! Komm mit, ich v/erde dir zeigen, daß wir keinen Grund zur Angst haben." Harris erhob sieh und ging Concha ins Nebenzimmer voran. Vor einem großen, graugestrichenen Schrank blieb er stehen, drehte sich etwas zur Seite und nestelte an seinem Hals. Concha sah, wie er einen kleinen Gegenstand hervorzog, den er auf der Brust verwahrt hatte, einen Schlüssel, mit dem-er die Tür des schweren Schrankes öffnete. Geräuschlos drehte sie sich in den Angeln, und Concha sah mit Staunen, daß es ein Schrank aus reinem Eisen war. „Sieh her ...", Harris zog sie am Arm näher. „Das reicht für alle, die uns angreifen wollen - und für ein paar Dutzend mehr." Concha sah fein säuberlich eingefettete Gewehre stehen, Kisten, von denen eine ohne Deckel war und aus der es gelb schimmerte: Patronen. So viele, daß. es unmöglich war, sie zu zählen. Aber die Gewehre konnte sie zählen, und sie begann gerade damit, als Harris erklärte: „Amerikanische Armeegewehre." Er verschwieg, daß sie aus der Zeit stammten, in der er den aufständischen Kubanern Waffen gegen die Spanier geliefert hatte. „Gewehre, die auf 500 Schritt treffen und Kugeln verschießen, die durch zwei Mann hindurchgehen." Concha hörte es, während sie weiterzählte. Zweimal zehn, und noch zweimal zehn, und unten auf dem Boden lagen sicher noch einige in der langen, schmalen Kiste. „Sie sollen nur kommen; wir schießen sie zusammen, ehe sie uns sehen! - Weißt du, was das hier ist?" Harris erklärte ihr die Vorzüge und die vernichtende Wirkung eines Maschinengewehrs. Er sprach noch lange und viel, und er freute sich, daß Concha so aufmerksam zuhörte. * 26
„Glaubst du, daß du mit so einem Gewehr schießen könntest?" „O ja, warum nicht, ich möchte es schon mal versuchen." „Na hier, nimm mal eins in die Hand, probier, wie es gemacht wird." Concha nahm das schwere Winchestergewehr, wog es prüfend in der Hand, zog es in die Schulter, und Harris gab sich redlich Mühe, ihr das Zielen beizubringen. „Du wirst es schon noch lernen; aber komm, es ist spät geworden heute, stell es wieder rein." Noch Stunden später, als sie den Weg hochschlich, der zu Pachitos Hütte führt, fühlte sie die Kühle des blauschimmernden Stahls in der Hand. Die Ernte war eingebracht. Harris' Gewinnüberschlag fiel wider Erwarten günstig aus, und etwas sollten seine Arbeiter auch davon profitieren. Sie bekamen ihren versprochenen Zuckerrohrschnaps. Auf dem großen, freien Platz vor dem Schlaf haus floß er in Strömen. Harris sah es voller Zufriedenheit. Sein Zimmer lag im Dunkeln, hin und wieder huschte ein rötlicher Schein über die weißgetünchten Wände, dann prasselte draußen ein ausgeglühtes Holzscheit zusammen. Er hörte den heißen Rhythmus der Gitarren, das wilde Stampfen der Bambusrasseln. Beinah eintönig wirkte dagegen der Gesang. Es waren Strophen in endloser Folge, schleppende, wehmutsvolle Stimmen. Beides zusammen, der feurige Rhythimis und der traurige Sang hatten etwas Erregendes, brachten das Blut in den Ohren zum Singen und die Glieder zum Zucken.-Aufstehen und mittanzen müßte man!Doch Harris blieb sitzen - sah die Flammen in der dunklen Nacht, gespenstisch beleuchtetes Blattwerk der Büsche, goldene Säulen, die Stämme der Königspalmen, darüber schwarze, wiegende Wipfel. Um das Feuer herum Menschen, im Sitzen rauchend, die Gitarre auf den Knien; tanzende Mädchen, Männer und Frauen den Takt klatschend, alle in bunter, malerischer Kleidung. Ein Fest, wie er es oft gesehen hatte, das ihn aber heute so fesselte wie beim erstenmal, als noch der Zauber der Tropennacht auf ihn wirkte. Schneller wurde der Rhythmus, schärfer und abgehackter. Die Tanzenden sprangen zur Seite, hoben den Flaschenkürbis an den Mund und ließen in langen Zügen den scharfen Schnaps in die Kehle rinnen, tanzten weiter, nachdem sie sich mehr erhitzt als erfrischt hatten; sängen, lachten, torkelten schließlich betrunken in die Büsche. Immer mehr wurden es, kaum einer, der sich noch auf den Beinen 27
halten konnte. Einem Gitarrenspieler riß die Saite, er trank und spielte. Nachdem die letzte Saite gerissen war, trank und spielte er immer noch, oder er glaubte wenigstens, noch zu spielen, als er berauscht von seinem Holzklotz sank. Harris amüsierte sich. Zuckerrohrschnaps ist die beste Medizin für die Burschen, dachte er, sie saufen und vergessen. In ein paar Wochen werde ich ihnen wieder einige Gallonen Guarapo spendieren, das Zeug ist Gold wert. Ruhig war es am Feuer - ein letzter Gitarrist hockte stumpfsinnig auf einem Stein, schlug einige Töne an, daß die Saiten plärrten. Plärrpleng, machte es, wenn sie auf das Holz des Griffbrettchens schlugen, und wieder plärr-pleng. Die passende Begleitung zu dem wüsten Chor, dessen brüllender Gesang jetzt deutlich aus dem Seitenflügel tönte die acht Amerikaner, mit Charlie an der Spitze, feierten auf ihre Weise. Sollen sie, ein sinnlos besoffener Kreole denkt sowieso nicht an einen Überfall, er grunzt ein paarmal und schläft. Harris kannte seine Leute. Allmählich wurde er selber müde. Das Feuer war heruntergebrannt; in seinem schwachen Schein zog sich Harris aus und legte sich zu Bett. Der Lärm der zechenden Aufseher drang gedämpft an sein Ohr und begleitete ihn hinüber in den Schlaf. Die Sichel des Mondes war hochgekrochen bis über die Bergkette; der Platz und das Haus lagen dunkel und tot. Nur zwei einsam leuchtende Vierecke zerschnitten die Nacht. Charlie hatte noch Licht hinter den Fenstern und Whisky in der Flasche. Alle anderen schliefen. Harris' Zimmer wurde vom Schein des Mondes schwach erhellt. Vom Bett in der Ecke drangen regelmäßige, tiefe Atemzüge. Ein leiser Windhauch wehte durch das offene Fenster, bauschte leicht die Mückenschleier und bewegte die Tür. Langsam, ganz langsam öffnete sie sich, geräuschlos, Zentimeter um Zentimeter. Jetzt war der Spalt breit genug; eine schlanke Gestalt schlüpfte hindurch - Concha. Sie verharrte einen Augenblick, lauschte auf den Atem des Schlafenden, dann schob sie vorsichtig die Tür wieder zu. Einige Minuten vergingen in regungslosem Warten. Harris rührte sich nicht. Mit leisen Schritten ging Concha um den Tisch herum, stand vor dem Bett. Ihre bloßen Füße schienen den Boden nicht berührt zu haben, so lautlos geschah es. Mit den Augen suchte sie den Kopf Harris', der lag zur Seite gedreht in den Kissen; seine Brust, breit und behaart, hob und senkte sich vor ihr. Im Hemdausschnitt verschwanden die Enden einer Schnur, die er um den Hals trug. Dort, wo sie zusammenliefen, mußte 'JM
das sein, was sie suchte. Concha neigte sich ein wenig, sah den kleinen, ledernen Beutel. Aufatmend richtete sie sich hoch. Ihre Hand schob sich vor, mitten über das Bett, über die Brust des Mannes. Die scharfe Spitze eines Dolches zeigte genau dorthin, wo das Herz pochte und schlug. Es schlug so laut, daß Concha glaubte, es zu hören. Sie bekam Angst vor dem ständigen Klopfen; immer lauter wurde es, ihre Ohren dröhnten schon davon. Mein Gott, er muß es doch auch hören und aufwachen! Die Angst schnürte ihr die Kehle zusammen. Sie wollte Luft haben, griff mit der Linken an den Hals - spürte das eigene Blut in den Schlagadern klopfen. Wie eine schwere Last fiel es von ihr ab. Es war das eigene Herz, das eigene Blut, das ihr bis zum Hals schlug und in den Ohren rauschte. Du bist zu aufgeregt, ging es ihr durch den Kopf. Sie wiederholte die Worte wieder und immer wieder und fühlte, wie sie ruhiger wurde. Stoß zu! flüsterte eine Stimme scharf und eindringlich, stoß zu! Concha hob die Hand. Sie zitterte, ihr Arm, ihr ganzer Körper bebte wie unter einem Fieberschauer. Heilige Jungfrau, hilf! flehte sie tonlos. Da lag der, den sie mit der Machete angesprungen hatte, den sie erdrosseln wollte mit bloßen Händen, lag da und schlief. Nein, sie konnte ihn nicht töten, es ging nicht. Endlich raffte sie sich auf, trat bis dicht an die Bettkante heran, beugte sich über den Schlafenden, und mit Händen, denen sie selbst nie so viel Behutsamkeit zugetraut hätte, zerschnitt sie erst ein Ende der Schnur, faßte das Lederbeutelchen und zerschnitt das andere. Kein Zittern verriet sie, keine unbedachte Bewegung. Als sie den Schlüssel in der Hand hatte, wälzte sich Harris unruhig im Bett; ein paar undeutliche Worte kamen über seine Lippen, dann schlief er wieder, ruhig und fest. Leise schlich Concha ans Fenster, schob den Mückenschleier beiseite und ließ den Schlüssel hinunterfallen. Dann stand sie und lauschte. Da, ein kaum hörbares Tappen im Nebenraum! Jetzt wieder! Es hörte sich an, als ob nackte Füße über den Boden huschten. Stille - plötzlich unterbrochen von einem metallischen Klicken. Das Atmen im Bett verstummte. Concha überlegte blitzschnell, was sie tun könnte. Da war es schon vorbei. Harris hatte sich nur bewegt, schlief weiter. Wieder dieses Klicken im Nebenzimmer. Leise, tappende Schritte ja, sie waren dabei; ein kurzes Schaben, und wieder ein Geräusch, das entsteht, wenn Metall auf Metall stößt - die Gewehre! Conchas Augen glänzten; sie hatte sich noch nie so glücklich gefühlt wie in diesem Augenblick. Sie hätte laut schreien mögen. Wir haben die Gewehre! Dann zwang sie sich wieder zur Ruhe. Noch war 29
es nicht restlos geschafEt. Um besser hören zu können, tastete sie sich zur Tür vor. Am Tisch ließ sie ein Knarren vom Bett her zusammenfahren. Klack, die Whiskyfiasche! Zum Teufel! Ich habe sie umgerissen schnell, ehe s i e . . . Concha schaffte es nicht mehr, sie aufzuhalten; die Flasche rollte über den Tisch und zerschlug klirrend am Boden. Wie angewurzelt stand Concha, starrte zum Bett hin und hörte gleichzeitig, daß nebenan immer noch bloße Füße schlichen, kaum vernehmbar. Harris war sofort hellwach. Er blickte auf, sah Concha am Tisch, wischte sich über die Augen. Es war kein Traum, Concha war da, sah ihn aus weitaufgerissenen Augen an. Sie will zu mir, kam es ihm in den Sinn, und der Gedanke machte ihn vollends munter. „Was hast du, Concha, komm her zu m i r . . . " Ja, was hatte sie! Sie blickte ihn an, so seltsam. Harris richtete sich im Bett weiter auf, faßte nach der Schnur, die ihm am Hals verrutscht war, und hatte sie lose in der Hand. Eine Sekunde nur zögerte er, blickte auf die. Schnur, zu Concha, dann war er mit einem Satz aus dem Bett. Concha wich aus. Nur keinen Lärm, daß die Aufseher kommen, dachte sie. Harris sprang um den Tisch herum. Sie duckte sich, lief unter dem Tisch durch, hörte im Laufen, wie es nebenan eben wieder metallisch aufklang, ganz leise, nur ihren überwachen Sinnen vernehmlich. Harris geriet in Wut. Er schleuderte den Tisch zur Seite und trieb Concha in eine Ecke wie ein Jäger das Wild. Sie zog sich langsam zurück, ständig belauert von Harris, der auf jeden Ausbruchsversuch entsprechend reagierte. Ich muß ihn festhalten, war das einzige, was sie denken konnte, festhalten, bis sie draußen alles in Sicherheit haben! Nichts rührte sich mehr. Doch, noch einmal das Tappen, Schritte, die sich schnell entfernten. Harris sprang vor. Instinktiv ließ sie sich fallen, glitt mit katzengleicher Gewandtheit an ihm vorbei. Eine wilde Hetze begann, quer durch das Zimmer, hin und her. Concha duckte sich, sprang hierhin und dorthin. Harris erwischte sie am Arm. Ehe er zupacken konnte, war sie schon wieder frei. Ihr Körper schnellte scheinbar schwerelos aus einer Richtung in die andere. Und die ganze Zeit über lauschte sie, ob sich hinter der Tür noch etwas rührte. Alles blieb still. Sie sind fort. Am liebsten hätte sich Concha auf die Erde geworfen vor Freude. Sie sind in Sicherheit! Niemand wird sie mehr aufhalten können. Ein Sprung zur Tür - so unerwartet, daß Harris, der auf der anderen Seite stand, nicht folgen konnte.
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„Steh, Concha!" brüllte er. Sie riß die Tür auf., sah nicht, wie Harris unter das Kopfkissen griff. „Steh!" rief er nochmals. Sie lief geduckt durch das Nebenzimmer. Harris stand, die Pistole In der Hand, und wartete. Im Laufen richtete sich Concha auf, wie um Luft zu holen. Da hob Harris den Arm, riß den Finger durch. Im peitschenden Knall warf Concha die Arme hoch, ihr Körper dehnte und streckte sich, als wollte er die begonnene Bewegung zu Ende führen, dann fiel er nach hinten über. Als Harris sich über sie beugte, blickte er in die Augen einer Toten. In Augen, die leuchteten, als hätten sie etwas Schönes gesehen. Am nächsten Tag fanden er und seine Aufseher nur noch das alte Indianerweib vor, die vergeblich kam, ihre Yuccaknollen zu schälen. Alle anderen waren in den Bergen und Wäldern verschwunden, Wenige Tage später begann die große Volkserhebung des Jahre3 1906, von der Pachito schon so lange gesprochen hatte. Eine der Kugein, die erst für den Spanier bestimmt waren und von Harns nach Kuba gebracht wurden, stanzte ein kreisrundes Loch in seine Stirn, gerade über den Augen. Er sah nicht mehr, wie Charlie und den anderen endlich Gerechtigkeit widerfuhr. „Tierra y Libertad!" Der Ruf pflanzte sich fort von Ost nach West, von Süd nach Nord, Land und Freiheit schienen errungen, die amerikahörige Regierung war machtlos. Unter den Kanonen amerikanischer Panzerschiffe, unter den Stiefeln amerikanischer Marinesoldaten brach die Freiheitsbewegung zusammen. Seitdem flackerten Brände auf an allen Ecken des Landes, wurden zertreten und schwelten weiter, glühten fort bis heute und warten auf den Sturm, der sie entfacht.
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Alle Rechte v o r b e h a l t e n Lizenz Nr 3U3 (305 9954) Umschlagzeichnung Fritz Ahlers. P n e r o s ' M a r k G e s t a l t u n s und T y p o g r a p h i e Kollektiv Neues Leben Druck K a r l - M a r x - W e r k , P ö ß n e c k , V 15 30
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Heute können wir Euch eine erfreuliche Mitteilung machen und viele Wünsche unserer jungen Leser erfüllen! Die ersten neunzehn Hefte unserer Abenteuerreihe könnt Ihr - mit wenigen Ausnahmen - ab sofort wieder überall erhalten : Nr. 1 Nr. 2 Nr. 4 Nr. 5 Nr. 6 Nr. 7 Nr. 11
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Das geheimnisvolle Wrack Die Tragödie des Learco Rovidas Das Ende des Pistolero Die Nacht im Grenzwald Die Blume von Bellecour . . . eqt meldet sich wieder 10000 Peseten auf den Kopf des Roten Reiters Nr. 12 Jagd auf der Autobahn Nr. 13 Tal der toten Männer Nr. 14 Windstärke 0 Nr. 15 Blinkzeichen blieben ohne Antwort IN-. 16 Krause Holzdiebe im Jagen 45 Nr. 17 Gerstäcker Die Flucht über die Kordilleren Nr. 18 Kunkel Die goldenen Arme Nr. 19 Ehrenpfort In den Urwäldern des Gran Chaco
VERLAG
NEUES
LEBEN
LUertyer(ag der Jungen Generation
BERLIN
„Das Leuchtfeuer blitzte auf und erlosch, blitzte auf und erlosch, gerade als wolle es mit der einsamen Schwimmerin Scherz treiben. Die Bewegungen der Arme wurden langsamer und Sorja spürte ihre Schwäche stärker. Sie fühlte beim Schwimmen, daß ihr Körper kalt wurde und die Kräfte sie verließen. Die Arme schmerzten vor Anstrengung, die Zehen krampften sich zusammen, in ihren Ohren war ein wildes Geheul und vor den Augen sah sie Feuer lodern. Immer häufiger geschah es, daß die Wellen ihr ins Gesicht schlugen. Jedesmal, wenn sie Wasser schlucken mußte, stieg das Verlangen, die Arme fallen zu lassen und die müden Augen zu schließen." Diese Worte haben wir dem Roman aus der Reihe „Spannend erzählt": st
entnommen. In packender, fesselnder Weise erzählt der Autor von dem Fund torianithaltigen Sandes, dem Raub kostbarer Aufzeichnungen und von zahlreichen lebensgefährlichen Abenteuern, die Sorja, Ljuda und Marko auf offenem Meer bestehen müssen.
VERLAG N E U E S L E B E N B E R L I N