Schöner als in meinen Träumen
Dianne King
Sabrina ist als erfolgreiche Chefin einer Werbeagentur viel zu beschäftigt, ...
9 downloads
478 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Schöner als in meinen Träumen
Dianne King
Sabrina ist als erfolgreiche Chefin einer Werbeagentur viel zu beschäftigt, um darüber nachzudenken, ob der Architekt John wirklich der richtige Mann für sie ist. Erst als sie den attraktiven Winzer Bryan Benedict kennenlernt, der sie mit seinen Erzählungen über sein gemütliches Zuhause viel stärker beeindruckt als der karrierebewußte John, merkt sie, daß sie in ihrem Leben viel vermißt. Plötzlich wird die Sehnsucht nach einer Familie in Sabrina wach. Obwohl es ihr schwerfällt, sich von John zu trennen, will Sabrina den Schritt mit Bryan wagen…
1984 by Dianne King Unter dem Originaltitel: „Friend of the Heart“ erschienen bei Silhouette Books, division of Harlequin Enterprises Limited, Toronto Übersetzung: Rita Langner Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY Band 107 (11’), 1985 by CORA VERLAG GmbH & Co. Berlin
1. KAPITEL Sabrina Montgomery eilte aus der Schnellbahnstation auf die Powell Street hinaus. Es war ein Vormittag Mitte August, und San Franzisko zeigte sich von seiner schönsten Seite. Eine leichte Brise wehte von der Bucht her, und nicht die kleinste Wolke trübte den blauen Sommerhimmel. Dieser Freitag war ein ganz besonderer Tag für Sabrina. Sie konnte ihre Hochstimmung einfach nicht verbergen und lächelte alle Leute an, die ihr begegneten. Eben hatte sie für ihre Werbeagentur den bisher besten Auftrag erhalten: Sie sollte für die BayRadio und TVGesellschaft ein neues Erkennungszeichen, einen Briefkopf und Informationsbroschüren entwerfen. Sabrina konnte es kaum erwarten, in ihr Büro zurückzukehren, um dort die frohe Botschaft zu verkünden. Weil die Fußgängerampel gerade Rot zeigte, trat sie zu einem Blumenstand. Weiße, gelbe und rosa Maßliebchen, Veilchensträuße, rote Nelken und Chrysanthemen aller Art machten ihr die Wahl schwer. Sie entschloß sich für eine gold und bronzeleuchtende Chrysantheme. „Nein“, wehrte sie die Verkaufsbemühungen des Blumenhändlers ab. „Ich möchte wirklich nur eine einzige.“ Als er ihr das Wechselgeld herausgab, machte der alte Mann eine feierliche Verbeugung. „Die Blume der Blume“, sagte er lächelnd. „Und einen schönen Tag noch.“ „Der Tag ist schön!“ Sabrina nickte dem Mann freundlich zu und bog in die Geary Street ein. Mit der Blume in der Hand sah sie so strahlend aus wie dieser Tag – eine schick gekleidete, schlanke junge Frau. Ihr langes honigblondes Haar fiel glatt über die Schultern herab. Die goldbraunen Augen funkelten vor Aufregung, und ihre Wangen waren vom schnellen Laufen gerötet. In San Franzisko scheinen die Leute anscheinend immerzu und überall zu Fuß unterwegs zu sein, hatte John einmal lächelnd festgestellt. Sabrina senkte den Kopf, atmete den herben Duft der Chrysantheme ein und sah im Geist John vor sich. John Carr war erst dreiunddreißig Jahre alt und der ehrgeizige und aufstrebende Partner im Architekturbüro Hansen & Carr… Robb Hansen war der Ingenieur, und John der Designer und Konstrukteur. Zusammen galten sie als vielversprechendes Team. Im vergangenen Jahr hatten sie einen einträglichen Auftrag zur Planung und Errichtung eines großen Computerunternehmens an Land ziehen können. Hansen, ein häuslicher Familienvater von Anfang Vierzig, war froh, daß John ungebunden war und das Reisen liebte. John war charmant und sah sehr gut aus. Seit drei Wochen war er in Stuttgart. Die Woche davor hatte er in San Franzisko verbracht, nachdem er von einem zweiwöchigen Aufenthalt auf Hawaii zurückgekehrt war. Alles in allem war er in diesem Sommer die meiste Zeit auf Reisen gewesen. Am Montag jedoch würde er heimkehren und dann konnte Sabrina ihm von dem neuen Auftrag erzählen. John würde ihre Freude teilen und stolz auf sie sein. Sie konnte sich schon jetzt auf die Feier freuen, die John für sie arrangieren würde. Er hatte die Begabung, aus jedem Anlaß ein Fest zu machen. Heute abend hätten sie auch etwas zu feiern gehabt, wenn John dagewesen wäre, dachte Sabrina mit einem kleinen Schuß von Bedauern. Brenda McDonald hatte zu einer ihrer berühmten Parties eingeladen, und sie hatte sich zu diesem Anlaß sogar ein neues Kleid gekauft. Nun, vielleicht würde sie es am Montag zu Johns Rückkehr tragen… Mit einem Lächeln dachte Sabrina daran, daß sie auf einer Gesellschaft dieser Art
John kennengelernt hatte. Es war die Feier zur Einweihung einer palastartigen Villa, die John entworfen hatte, und alle nicht gebundenen Damen hatten sich für ihn interessiert. John war aber auch bei den Männern sehr beliebt gewesen, und das hatte Sabrina gefallen. Er wirkte weltgewandt und geistreich und galt – wie sie den Bemerkungen über ihn entnommen hatte – als wohlhabend, ehrgeizig und äußerst talentiert. Sabrina hatte an diesem Abend weiterhin beobachtet, daß er die Gratulationen und Lobreden bescheiden entgegennahm, was alle – und vor allem sie – um so mehr bezauberte. Als sie dann von ihm auserwählt wurde, hatte sie sich wie Aschenputtel gefühlt, das auf dem Schloßball vom Prinzen zum Tanz aufgefordert wurde… Und jetzt freute sie sich darauf, ihm von ihrem neuen Auftrag zu berichten. Schließlich war John es gewesen, der sie ermutigt hatte, ihre eigene Werbeagentur zu gründen. Sabrina eilte über den Union Square, einem parkähnlichen Platz im Zentrum der City. Sie schlug einen Bogen um eine weißgraue Taubenschar, die sich um drei fröhliche junge Leute mit einer Tüte Kekskrümel gesammelt hatte, und rannte fast in einen Touristen, der plötzlich vor ihr stehenblieb, um in seinen Stadtplan zu schauen. Sie lief an den traditionsreichen Geschäften und an den supermodernen Kaufhäusern vorbei, die sich rings um den Union Square befanden, bog in die Stockton Street ein und erreichte nach ein paar Schritten das schöne Gebäude mit der altmodischen Fassade, in dem sie die Räume für ihre Agentur gemietet hatte. John zog sie oft wegen der Altertümlichkeit des Hauses auf und verglich es mit dem ultramodernen Komplex des EmbarcaderoZentrums, in dem sich seine Firma befand. Sabrina stieß die Glastür auf und stieg rasch in den Fahrstuhl. Als Sabrina das Büro betrat, schaute ihre Sekretärin von der Schreibmaschine auf. „Guten Morgen, Miss Montgomery.“ Wenn Lara sie auf diese Weise begrüßte, wußte Sabrina, daß sie Kundenbesuch hatte. Sie warf einen Blick zu dem Mann in der Sitzecke hinüber, der das Gesicht hinter einer Zeitung verbarg. „Haben wir den Auftrag?“ fragte Lara leise. Sabrina legte ihre Mappe auf den Schreibtisch. „Ja. Geben Sie dieses hier Joan, damit sie sich um die Anzeigen in den Zeitungen und den Druck der Broschüre kümmern kann, ja? Und das hier ist für Sie.“ Sabrina überreichte Lara die Chrysantheme. „Danke!“ rief Lara. Ihr strahlendes Lächeln machte die ganze Würde zunichte, um die sie sich immer bemühte. Ihre hellblauen Augen hinter der übergroßen Brille funkelten vor Freude. Sabrina freute sich über Laras Loyalität, die sich unter anderem darin äußerte, daß sie immer „wir“ sagte, wenn sie die Firma meinte. Sabrina hatte Lara eingestellt, als diese gerade einundzwanzig Jahre alt war und eben die höhere Handelsschule abgeschlossen hatte. Das Mädchen war für die gebotene Berufschance dankbar und verehrte seine Chefin. Lara sagte immer, Sabrina sei eine „gemachte Frau“ mit einer „tollen“ Karriere und dazu noch den ebenso „tollen“ John Carr. Bei Laras temperamentvollem Ausruf sah der Besucher über den Rand seiner Zeitung auf. Sofort dämpfte das Mädchen die Stimme. „Mr. Benedict möchte Sie sprechen. Er kommt auf Empfehlung von Grant Holcomb und hat schon auf Sie gewartet.“ Komisch, dachte Sabrina. Grant Holcomb war der Geschäftsführer einer der größten Werbeagenturen von San Franzisko. Sabrina und er waren zwar gute Bekannte, aber es war dennoch seltsam, daß er einen Kunden seiner Firma an sie
verweisen sollte. Nun ja, dachte sie etwas ironisch, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. „Es tut mir leid, daß Sie warten mußten, Mr. Benedict“, sagte Sabrina und trat auf ihren Besucher zu. Sie streckte ihm die Hand entgegen. Der Mann erhob sich, und mit einemmal schien der Empfangsraum zu klein. Er war groß und breitschultrig und trug ein offensichtlich maßgeschneidertes Tweedjackett. Er hatte hellbraunes Haar und ein gebräuntes Gesicht mit einer geraden Nase und festen Lippen. Was Sabrinas Aufmerksamkeit aber am meisten erregte, waren seine Augen. Ihre Farbe wechselte zwischen Grün, Gold und Braun, und ihr Ausdruck war unmißverständlich: Sie blitzten vor Ärger. Sabrina bemerkte sofort, daß seine Hand hart und rauh war, die Hand eines Arbeiters. Eine Sekunde lang dachte sie an Johns weiche, gefühlvolle und immer sehr gepflegte Hände. Gepflegt waren die Hände dieses Mannes allerdings auch, wie sie mit einem heimlichen Blick feststellte. Sie hoffte, daß der Besucher nicht etwa wegen ihrer Verspätung so ärgerlich war. Sie ging ihm voran in ihr Zimmer. Mr. Benedict warf weder einen Blick auf die geschmackvolle Einrichtung aus Eichenholz und Glas noch auf die Aussicht auf den Union Square. Er baute sich vor Sabrinas Schreibtisch auf und kam ohne Vorrede zur Sache. „Ich habe eben Grant Holcomb und die schwachsinnige Agentur, für die er arbeitet, rausgeschmissen. Er meint, mit Ihrer Firma wäre ich besser bedient. Weil ich nicht weiß, wohin ich mich sonst wenden soll, bin ich hergekommen.“ Die unverblümte Offenheit des Mannes verblüffte Sabrina. Sicher ein schwieriger Kunde, dachte sie. Zu gern hätte sie gewußt, was sich zuvor zwischen ihm und Grant abgespielt hatte. „Das ist sehr freundlich von Grant“, sagte Sabrina und nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz. „Wollen Sie sich nicht setzen, Mr. Benedict?“ Ohne darauf einzugehen, redete der Besucher weiter. „Ich arbeite schon seit ein paar Monaten mit Holcomb. Er muß inzwischen mitbekommen haben, was ich will. Solche Unfähigkeit ist mir absolut…“ Er unterbrach sich. Offensichtlich rang er um Fassung. Er lächelte gezwungen, was aber nicht den Zorn aus seinen Augen vertrieb. „Also, er sagte, Sie hätten ein gutes Auge und einen hervorragenden Geschmack. Das sind Dinge, an denen es seiner eigenen Firma anscheinend mangelt.“ Mr. Benedict machte eine Pause. Er musterte Sabrinas sandfarbenes Leinenkostüm mit der hellen Seidenbluse und betrachtete dann die einfache, aber auffallend schöne Perlenkette, die John ihr einmal aus Hongkong mitgebracht hatte. Langsam schien er etwas gelöster zu werden. „Ich sehe, daß Holcomb recht hatte“, schloß er. „Vielleicht sollten Sie mir erst mal sagen, was Sie von mir erwarten“, schlug Sabrina vor. Normalerweise ging sie mit ihren Kunden wesentlich weniger schroff um. „Und, bitte, setzen Sie sich doch.“ „Mir gehört die BenedictKellerei im Valley of the Moon. Haben Sie schon einmal davon gehört?“ fragte er und setzte sich endlich. Ein Glück, daß ich es kenne, dachte Sabrina. „Ja. Aus Ihrer Kellerei kommt mein LieblingsWeißwein, der Chardonnay. Leider kann ich ihn mir nur zu besonderen Gelegenheiten leisten.“ Jetzt lächelte Benedict. Seine weißen Zähne blitzten, in seinen Augenwinkeln bildeten sich kleine Fältchen. Er schaute ihr in die Augen. Merkwürdigerweise beschleunigte sich ihr Herzschlag dadurch. „Holcombs Agentur sollte eine Werbekampagne für meinen neuen roten Schaumwein aufziehen, den ich in diesem Herbst herausbringe. Es ist ein
verhältnismäßig preiswerter Wein und mein erster Versuch, im großen Stil auf den Markt zu kommen. Holcomb hat mir vor einer Stunde den Entwurf für diese Kampagne präsentiert.“ Mr. Benedicts Augen glitzerten wieder ärgerlich. „Anscheinend haben die Leute nicht zugehört, als ich ihnen erklärte, was ich wollte. Zugegeben, der Wein ist nicht teuer, aber das Flaschenetikett, das sie vorschlugen, sieht aus, als gehöre es auf eine Sprudelflasche. Ich verstehe das einfach nicht. Die Agentur ist mir von verschiedenen Seiten empfohlen worden, aber wenn die Leute nach monatelangen Vorgesprächen nicht begriffen haben, was ich beabsichtige, dann sind sie in meinen Augen nicht geeignet.“ Er nahm die Hände von der Tischplatte, lehnte sich im Sessel zurück und versuchte offensichtlich, seiner Erregung Herr zu werden. Nach einer Weile lächelte er Sabrina entschuldigend an. „Ich glaube, jetzt habe ich genug gewettert. Jedenfalls hat mir Holcomb gesagt, wenn ich etwas Schlichtes und dennoch Elegantes haben will, dann können Sie es mir liefern. Stimmt das? Schaffen Sie es innerhalb von zwei Monaten? Mehr Zeit habe ich nicht.“ Zwei Monate Vorbereitung für eine ganze Werbekampagne? Das reicht nie, dachte Sabrina. „Der Anzeigenraum in Magazinen und Zeitungen ist schon gebucht“, fuhr Mr. Benedict fort. „Das wenigstens hat Holcomb richtig gemacht.“ „Und die Werbezeit in Funk und Fernsehen?“ Sabrina merkte, daß der Mann wußte, was mit einer Kampagne zusammenhing. Das war gut. „Die auch. Eine Werbefilmfirma ist ebenfalls unter Vertrag genommen worden. An der rein sachlichen Arbeit der HolcombLeute habe ich ja nichts auszusetzen, aber um so mehr an dem Stil, mit dem sie meinen Wein verkaufen wollen. Was meinen Sie? Möchten Sie den Auftrag übernehmen?“ Sabrina drückte auf die Taste der Gegensprechanlage. „Lara, bringen Sie mir doch bitte die Akte SaratogaSilberquell.“ An Benedict gewandt, fuhr sie fort: „Sie sollten sich erst einige meiner Arbeiten ansehen, ehe wir weiter verhandeln.“ Er nickte, lehnte sich zurück und entspannte sich endlich ein wenig, was Sabrina seltsamerweise erleichterte. Einfach lächerlich, dachte sie, daß ich mich von diesem Mann so beeindrucken lasse. Ich glaube, es hat etwas mit seiner Ausstrahlung zu tun, sie ist so – bezwingend. Lara trat ein und legte die Akte auf Sabrinas Schreibtisch. „Mr. Carr ist am Apparat“, sagte sie und ging wieder hinaus. Sabrina übergab Benedict den Ordner und nahm den Hörer auf. Sie wandte sich etwas ab, so daß ihr Besucher ihr Gesicht nicht sehen konnte, während sie sprach. „Sabrina! Wie geht es denn meiner Herzdame? Du fehlst mir.“ Johns Stimme klang so freundlich und angenehm wie immer. „Und wie geht’s in Stuttgart?“ fragte Sabrina statt einer Antwort. Sie merkte, daß Mr. Benedict kurz zu ihr aufschaute, sich dann aber wieder auf die Akte konzentrierte. „Wie ich schon sagte, du fehlst mir“, wiederholte John und wartete dann offenkundig auf eine Antwort. „Ja, ja. Vergiß nicht, daß zwischen Deutschland und uns hier ein gewaltiger Zeitunterschied besteht. Hier ist es noch nicht einmal Mittag.“ Sie hoffte, daß John verstand, was sie damit sagen wollte. „Wann kommst du zurück?“ „Du hast einen Kunden im Büro, stimmt’s?“ „Stimmt.“ „Montag bin ich wieder zu Hause. Tut mir leid, daß ich es nicht bis heute abend
geschafft habe. Bitte, entschuldige mich bei Brenda McDonald, ja?“ John wartete
Sabrinas Bestätigung nicht ab, sondern redete gleich weiter. „Nur noch drei Tage.
Wir haben eine Menge nachzuholen, nicht?“ Seine Stimme klang vielsagend.
Sabrina wünschte, sie könnte das Gespräch ohne fremden Zuhörer führen. „Ja,
da hast du recht.“ Aus dem Augenwinkel sah sie, daß Mr. Benedict die Situation
anscheinend unbehaglich war. Sie mußte das Telefonat beenden, bevor es für
ihren Kunden unangenehm wurde.
„Hast du schon für Hawaii gepackt?“ erkundigte sich John.
Um Himmels willen – Hawaii! Das hatte Sabrina völlig vergessen. Am nächsten
Freitag hatten sie für eine Woche nach Honolulu fliegen wollen. John mußte dort
eine Baubesichtigung durchführen. Wenn Sabrina jedoch den BenedictAuftrag
annahm, würde sie John nicht begleiten können.
„Sabrina, stimmt etwas nicht?“ wollte John wissen, nachdem sie nicht
antwortete.
„Nein. Doch. Ich meine… entschuldige. Können wir uns darüber unterhalten,
wenn du wieder hier bist? Ich habe im Moment einen Kunden hier, und…“
„Verstehe, Liebes. Dann bis Montag. Mach’s gut.“
Sabrina legte auf und drehte sich wieder zu Benedict um. „Nun?“ fragte sie.
Er legte den Ordner auf den Schreibtisch. „Das ist genau der Stil, den ich mir
vorgestellt habe. Holcomb wußte wohl, weshalb er Sie empfahl.“ Er sah auf seine
Uhr. „Wenn Sie Zeit haben, würde ich Sie gern zum Lunch einladen. Dann
können wir alles Weitere besprechen. Ich glaube, wir kommen ins Geschäft.“
Sabrina warf rasch einen Blick in ihren Terminkalender. „Gern. Ich brauche nur
einen Augenblick, um mein Makeup ein wenig herzurichten.“
Mr. Benedict lächelte, und wieder schien er sich dabei völlig zu verwandeln. Er
sah Sabrina bewundernd an. „Ihr Gesicht hat es nicht nötig, hergerichtet zu
werden.“
Wie vorhin, bekam Sabrina wieder Herzklopfen bei seinem direkten Blick.
„Wie wäre es mit dem Doro?“ wollte er wissen.
„Es ist Freitag, und ohne Tischbestellung…?“
„Das geht schon in Ordnung“, versicherte Benedict. „Kommen Sie nur, wir
werden schon einen Platz bekommen.“
Das Doro war eine Art Stammrestaurant der Werbebranche. Als Sabrina und Mr.
Benedict dem Oberkellner durch den gedämpft beleuchteten Raum folgten, nickte
sie ein paar Bekannten zu. Die Tischreservierung stellte tatsächlich kein Problem
dar. Der Kellner kannte Benedict offenbar gut.
Als sie sich gesetzt hatten, sah sich Sabrina wieder einmal erfreut um und genoß
die klassische Eleganz der weißgedeckten Tische, der frischen Blumen und der
ruhigen Atmosphäre. Bis jetzt war der Vormittag hektisch genug gewesen; sie
war froh, sich etwas entspannen zu können.
Der Kellner nahm die Bestellung auf: Krabben für Sabrina und Seezunge für Mr.
Benedict, der erst sorgfältig die Weinkarte durchsah, ehe er sich für eine Flasche
Benedict Fume Blanc entschloß.
„Oder sollen wir lieber den Chardonnay nehmen?“ fragte er Sabrina mit einem
Lächeln, als ihm wohl zu spät einfiel, daß dies ihr Lieblingswein war.
„Nein, nein, der Fume Blanc ist mir durchaus recht.“
Mr. Benedicts Lächeln… Es kam immer so überraschend und stand ganz im
Gegensatz zu seiner angespannten Haltung in ihrem Büro. Anscheinend hatte er
sich wirklich sehr über Holcomb geärgert. Oder war er böse auf sich selbst, weil
er sich nicht früher um die Entwürfe gekümmert hatte?
Sabrina merkte plötzlich, daß sie ihr Gegenüber lange angestarrt hatte. Sie
blickte schnell zur Seite. Das ist ja lächerlich, schalt sie sich dann im stillen. Ich
bin schließlich keine fünfzehn mehr, und dieser Mann ist kein Filmstar. Er ist ein zukünftiger Kunde und vermutlich noch ein schwieriger dazu. „Miss Montgomery, ich…“ begann er, unterbrach sich aber sofort wieder. „Wenn wir zusammenarbeiten, sollten wir uns mit Vornamen anreden. Nennen Sie mich bitte Bryan.“ Er sah sie fragend an. Offensichtlich war ihm ihr Vorname nicht bekannt. „Sabrina.“ Bryan betrachtete sie einen Moment aufmerksam. „Sie sind nicht in San Franzisko geboren, nicht wahr?“ „Nein. Nun erzählen Sie mir aber nicht. Sie hätten mir trotz meines Modellkostüms das Bauernmädchen aus Minnesota angesehen!“ Bryan lachte. „Irgendwie ist es aber so. Sie wirken natürlich sehr kultiviert und kühl. Aber Ihnen fehlt die…“, er suchte nach einem passenden Wort, „die städtische Kaltschnäuzigkeit“, fuhr er dann fort. „Das Telefongespräch vorhin war Ihnen unangenehm. Es tut mir leid, sicher hat es an mir gelegen.“ Sabrina war zu erstaunt, um darauf etwas Passendes erwidern zu können. Also schwieg sie. „Sie sind also aus Minnesota“, sprach Bryan weiter. „Warum sind Sie von dort fortgegangen?“ Also keine freundliche Bemerkung über Leute, die ihr Glück in der Fremde suchten; nicht etwa das Kompliment, daß Sabrinas Entscheidung ein Verlust für Minnesota und ein Gewinn für San Franzisko wäre. Nur eine direkte und persönliche Frage, die sie ihm dennoch nicht übelnahm. „Die Verlockungen einer strahlenden Zukunft“, antwortete sie. „Ich wollte mehr, als Minnesota mir bieten konnte.“ Zu ihrem Erstaunen trat ein wachsamer, fast mißtrauischer Ausdruck in Bryans Augen. Jetzt habe ich etwas Falsches gesagt, dachte sie und begriff nicht, warum ihr das leid tat. In diesem Moment öffnete der Weinkellner die Flasche Fume Blanc und schenkte ihn mit einer eleganten Drehung ein. Bryan prüfte den Wein und nickte dann. „Ausgezeichnet.“ Auch Sabrina kostete das Aroma. „Wirklich sehr gut“, stellte sie fest. Bryan nahm die Flasche in die Hand und deutete auf das Firmenzeichen. „Das stammt noch aus der Zeit meines Großvaters. Vielleicht ist es etwas altmodisch, aber ich möchte es nicht ändern. Für mich ist es ein Symbol.“ Sabrina betrachtete die ineinander verschlungenen Buchstaben B und W, die im altertümlichen Stil verschnörkelt und farbig ausgemalt waren. Das Firmenzeichen wirkte elegant und traditionsreich, die grafischen Proportionen stimmten. Sabrina hätte es auch nicht geändert. Bryan schaute in sein Weinglas. „Seit diesem Frühjahr plane ich die Premiere meines neuen Weins.“ In seiner Stimme klang wieder dieser unterdrückte Zorn. „Holcomb ist bei mir auf dem Weingut gewesen, und wir haben uns auch hier in der Stadt getroffen. Ich spreche nicht chinesisch, er kann mich also nicht mißverstanden haben. Und deshalb begreife ich nicht, wie er mir heute eine solche… PopartKampagne präsentieren konnte. Bunt, laut und bedeutungslos.“ Er schüttelte den Kopf. „Unfähige Idioten sind das.“ Sabrina war völlig klar, weshalb Grant Holcomb und Bryan Benedict die Sache so unterschiedlich sahen. Für Grant war die Werbekampagne stets wichtiger als das Produkt selbst. Bryan dachte offenkundig ganz anders darüber. „Wie sahen die Entwürfe für die Flaschenetiketten denn aus?“ erkundigte sich Sabrina. „Goldene Kreise und weinrote Beschriftung.“ Bryan verzog angewidert das
Gesicht. „Ein bißchen knallig für etwas, dessen Preis bei zwei Dollar pro Flasche liegen soll.“ Einen Moment lang blickte Bryan Sabrina überrascht an. Dann lächelte er breit und zufrieden, und dieses Lächeln reichte wieder bis in seine Augen. Dieser Mann war wirklich sehr wandlungsfähig. Na also, jetzt sind wir wieder da, wo wir vorhin waren, dachte Sabrina erleichtert und gab das Lächeln zurück. Der Kellner servierte ihren Lunch, und sie begannen zu essen. Bryan wollte wissen, ob Sabrina das ungefähr hundertzwanzig Kilometer nördlich von San Franzisko gelegene Weingebiet kannte. „Ich liebe es“, antwortete sie. „Es ist einer der Gründe, weshalb ich es schön finde, in San Franzisko zu leben. Ich habe schon einige Bustouren zu Weinproben mitgemacht, aber eine Weinkennerin bin ich trotzdem nicht, nur eine Weinliebhaberin.“ Bryan lächelte und hob ihr mit komischer Feierlichkeit das Glas entgegen. „Auf die Weinliebhaber! Das sind nämlich unsere Käufer.“ Sabrina hob ihr Glas, um mit ihm auf diesen Trinkspruch anzustoßen. Während Kristall zart gegen Kristall klang, betrachtete sie Bryans Gesicht. Was sie bei ihrer ersten Begegnung mit ihm am meisten beeindruckt hatte, waren seine Augen gewesen, die ständig die Farbe wechselten, und in denen ein Feuer zu glühen schien. War es nur der Zorn über Grant Holcomb gewesen, oder steckte mehr dahinter? Seither hatte sie beobachtet, wie er abwechselnd ganz offen und dann wieder verschlossen war. Auch John besaß ein recht sprunghaftes Temperament, aber dieser Mann hier erschien ihr ausgesprochen anstrengend zu sein. An ihr konnte das kaum liegen; sie waren schließlich Fremde. Vielleicht war es gar nicht Zorn, sondern Mißtrauen, das Bryan veranlaßte. alle paar Augenblicke seine Freundlichkeit wie eine Lampe an und abzuschalten? Es schien, als riefe er sich selbst immer wieder ein „Halt, Vorsicht!“ zu. Irgend etwas oder irgend jemand mußte ihn verunsichert oder verletzt haben. Grant Holcomb hatte vermutlich nichts damit zu tun. Gerade jetzt war sein Lächeln wieder erloschen. Noch eben hatte Sabrina ein gewisses persönliches Interesse in ihm zu spüren geglaubt, aber davon war nun nichts mehr zu merken. Er betrachtete sie zweifellos nur noch als eine Person, die für ihn eine bezahlte Arbeit ausführen sollte. Auch gut, dachte Sabrina. „Erzählen Sie mir etwas über das BenedictWeingut.“ „Zu meinem Gut gibt es nicht die üblichen WeinprobeTouren. Es ist in der dritten Generation in Familienbesitz. Klein zu bleiben und trotzdem im Wettbewerb zu überleben, ist nicht einfach. Das Geheimnis besteht darin, sich zu spezialisieren und ausschließlich beste Qualität anzubieten. Keine gewöhnlichen, sondern außergewöhnliche Weine. Wie dieser hier.“ Er hob sein Glas und trank einen Schluck. Eine Weile schwiegen beide. Bryan bestrich eine Scheibe Toast mit Butter. Dann sprach er weiter. „Ehe mein Vater vor fünf Jahren starb, entwickelte er die Idee, einen roten Schaumwein herauszubringen. Er trieb ein wenig Marktforschung, plante voraus und erweiterte unsere Anbaufläche für die rote PinotNoirTraube. Vor allem aber bestand er darauf, den Wein nach einer der klassischen Methoden herzustellen, der ,Methode champenoise’, wenn Ihnen das etwas sagt.“ Sabrina hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. „Übersetzung, bitte!“ Sie lächelte ihn an. „Ich sagte Ihnen doch, ich sei nur Weinliebhaber und kein Kenner.“ „Verzeihung“, entschuldigte sich Bryan lachend. „Mein Vater wollte einen
Vorzugswein erzeugen. Keine Tank, sondern Flaschengärung.“ Sabrina nickte. Jetzt war es ihr wieder eingefallen. Bei den edelsten Schaumweinen, dem echten Champagner zum Beispiel, fand die letzte Gärung nicht in Fässern, sondern in der Flasche statt, in der der Wein dann auch verkauft wurde. „Dieser neue Wein ist für mich eine Art Vermächtnis. Mein Vater hat jahrelang an seinem Geschmack gefeilt. Wir stellen den Wein jetzt seit drei Jahren her und haben einen genügend großen Bestand, um damit dieses Jahr auf den Markt zu gehen. Mein Vater hinterließ mir einen Weinberg, eine Kellerei, ein Gutshaus, das er selbst entworfen hat, und einen makellosen Ruf in der Branche.“ Bryan erzählte Sabrina, daß sein Vater bei Frank Lloyd Wright, dem berühmten amerikanischen Architekten, studiert hatte, und daß seine Beiträge zur Architektur und zur Weinindustrie im Valley of the Moon gleichermaßen anerkannt seien. „Der neue Wein soll dem Namen meines Vaters Ehre machen. Popart tut’s da nicht“, schloß er. Der Zorn war aus seiner Stimme und aus seinen Augen verschwunden. „Ihr Vater muß ein ungewöhnlicher Mann gewesen sein“, sagte Sabrina nachdenklich, „Ja. Er war außergewöhnlich.“ Sicherlich hätte Bryan ihr noch eine ganze Menge mehr erzählen können, aber was er gesagt hatte, reichte aus, Sabrina ein ungefähres Bild von dem zu vermitteln, was er für seinen neuen Wein wollte. „Heutzutage ist Werbung wichtiger denn je“, meinte sie. „Es gibt eine ,harte’ und eine .weiche’ Verkaufsmethode, und ich glaube an die zweite. Die Werbung sollte sich in erster Linie mit der Qualität der Ware, dem Produkt selbst und der Idee, die dahinter steht, befassen. Der Preis eines Produktes sagt nicht immer etwas über seine Qualität aus. Es ist der Wert des Artikels, der den Käufer ansprechen und ihn zum treuen Kunden machen muß.“ „Zum treuen Kunden, sehr richtig. Das ist bei den herrschenden Wettbewerbsverhältnissen wichtig. Ausgezeichnet.“ Bryan lehnte sich zurück und betrachtete Sabrina. „Ich glaube, Sie schaffen das. Wenn mir Ihre Entwürfe gefallen und Sie den Auftrag bewältigen können, gehört er Ihnen.“ Dieses so übergangslose Angebot erstaunte Sabrina. „Meinen Sie damit, sämtliche Entwürfe, das Drucken und der Versand müssen innerhalb von zwei Monaten erledigt sein?“ „Noch früher. Ich will den Wein nach Beendigung der Lese offiziell vorstellen. Das heißt für uns Ende Oktober. Natürlich will ich es nicht nur schnell, sondern auch gut erledigt haben.“ „Natürlich“, wiederholte Sabrina lächelnd. „Das will ich auch. Ich nehme den Auftrag an.“ Sie blickte Bryan aufrichtig an. „Es ist noch nicht so lange her, daß ich eine der winzigen Agenturen besaß, die für kaum mehr als für die Hoffnung arbeiten. Ich habe noch nicht vergessen, was es heißt, sich anstrengen zu müssen.“ Bryan sah sie nachdenklich an. „Gut“, sagte er dann mit diesem Lächeln, das ihr Herz höher schlagen ließ. Sabrina spießte die letzte Krabbe auf ihre Gabel. Anscheinend hielt Bryan es nicht für nötig, über den Etat zu sprechen. Eine angenehme Art, Geschäfte zu machen, dachte sie. Das Projekt war für sie eine Herausforderung, und vielleicht zog es sogar größere und noch bessere Aufträge nach sich. In ihrem Kopf wirbelten schon alle möglichen Ideen durcheinander. „Haben Sie schon einen Namen für Ihren neuen Wein?“ erkundigte sie sich. Bryan lächelte, zog die Schultern hoch und breitete die Hände aus. „Ich habe
eine ganze Menge Notizzettel mit allen möglichen Namen vollgekritzelt, aber richtig gut finde ich nichts davon.“ Sabrinas Einfälle entstanden meist aus Gedankenverbindungen und Eindrücken, die ihr die Umgebung oder irgendwelche Personen vermittelten. Unauffällig studierte sie deshalb den Mann, der ihr gegenüber saß. Er sah gepflegt aus, wirkte gesetzt und war sehr attraktiv. Sabrina schätzte ihn auf Anfang bis Mitte Dreißig. Sein Gesicht besaß die seltene Art von Ebenmaß, mit dem man in Würde altern konnte. In späteren Jahren würde Bryan interessant und vornehm aussehen. In die klassischelegante Atmosphäre dieses Restaurants hier paßte er ausgezeichnet. Klassisch – ein heute sehr gesuchter, rarer Menschenschlag, dachte sie. Und dann hatte sie die Idee. Gesucht, rar! „Wie hört sich das an: .Benedict Jahrgangswein Recherché’?“ „Recherché…“ wiederholte Bryan nachdenklich und kostete den Namen auf der Zunge wie einen edlen Tropfen. „Ungewöhnlich, ausgefallen… Einfach unglaublich!“ rief er schließlich begeistert. „Das ist der perfekte Name.“ Sein Enthusiasmus ließ Sabrina vor Freude erröten. „Sie müssen unbedingt mein Gut besuchen.“ Bryans Ton schloß jeden Widerspruch aus. „Und zwar morgen. Dann bekommen Sie ein Gefühl dafür, wo und wie dieser Wein entsteht.“ Morgen war Samstag, und eigentlich hatte Sabrina schon etwas anderes vor. Dennoch nahm sie Bryans Einladung ohne Zögern an. Sie sagte sich, daß es wirklich erforderlich für sie sei, das Weingut zu besichtigen. Daß hinter ihrer Zusage auch der Wunsch steckte, mehr über Bryan zu erfahren, brachte sie eine Sekunde lang aus dem Gleichgewicht. Bryan zeichnete schnell eine kleine Lageskizze. „Die Kellerei befindet sich hier am Fuß des Hügels. Mein Haus steht auf dem Gipfel.“ Er deutete auf das Ende einer gewundenen Straße. „Es heißt ,Madrona’, weil es von Madronabäumen umgeben ist.“ „Das hört sich hübsch an. Sie erwähnten vorhin, daß Sie keine Weinproben oder Führungen durch ihr Gut veranstalten. Darf ich fragen, warum nicht?“ „Weinproben finden bei mir schon statt, aber nur für die echten Interessenten. Ich beschäftige mich mit der Herstellung von Weinen und bin kein Fremdenführer.“ „Führungen können sich aber für die Publicity als nützlich erweisen“, meinte Sabrina. „Ihre Buchhaltung sollte Ihnen einmal ausrechnen, wie hoch die Kosten für so etwas sein würden.“ „Es geht mir dabei nicht um die Kosten“, brummte Bryan. Ich wußte es ja, dachte Sabrina. Ein schwieriger Kunde! Ganz einfach würde die Zusammenarbeit mit ihm wohl nicht werden. Später, als Sabrina längst wieder hinter ihrem Schreibtisch saß, ging Bryan Benedict ihr noch immer im Kopf herum. Er ist ein ungewöhnlicher Mensch, dachte sie, offen und reserviert zugleich. Und sehr, sehr attraktiv. Und er trägt keinen Ehering, fiel Sabrina plötzlich ein. Sofort rief sie sich zur Ordnung. Erstens ging sie das nichts an, und zweitens besagte das noch lange nicht, daß er nicht verheiratet war. Außerdem war sie an ihm nur in seiner Eigenschaft als einträglichem Kunden interessiert. Ihre Gedankengänge machten Sabrina so nervös, daß sie aufstand und aus dem Fenster schaute. Seit sie und John zusammen waren, hatten andere Männer sie nicht mehr interessiert. Ob es John genauso ging, konnte oder wollte sie nicht wissen. Aber sie selbst… Schluß jetzt, befahl sie sich. An die Arbeit! Sie trat an ihr Zeichenbrett und
skizzierte die ersten Entwürfe für das Flaschenetikett. Eine Stunde später ging sie mit den Skizzen in das angrenzende Zimmer. „Fleißig bei der Arbeit, Richard?“ fragte Sabrina. Der Grafiker saß zurückgelehnt in seinem Stuhl und starrte gegen die Decke. „Nein“, antwortete er. „Ich warte darauf, daß mich die Muse küßt.“ Er lachte leise. Seine schwarzen Augen funkelten vergnügt. Sabrina hatte Richard Wong aus dem Dschungel von Grant Holcombs Werbeagentur gerettet. Er besaß nicht das Stehvermögen, das man brauchte, um in einer Firma wie Holcomb zu überleben, aber er war ein erstklassiger Grafiker. Seine chinesische Abstammung zeigte sich in seinem Sinn für Ordnung, für klare, einfache Entwürfe und dezente Farben. „Ich versuche, mir etwas Flottes für Bay Radio auszudenken“, erklärte er wieder ernst. „Helfen Sie mir lieber hierbei.“ Sabrina übergab ihm ihre Skizzen. „Das ist ein Hauruckauftrag für die Weinkellerei Benedict. Der Inhaber möchte etwas Elegantes, aber Schlichtes. Bedingung ist unter anderem, daß das Firmenzeichen absolut unverändert bleibt.“ „So was habe ich gern – ein flexibler, aufgeschlossener Kunde“, bemerkte Richard trocken und betrachtete die Skizzen. „Recherché – ist das etwas Neues?“ Sabrina erzählte ihm von dem Wein und seinem erschwinglichen Preis. „Fein. Wird ja auch Zeit, daß die Kellereien einmal etwas für uns armes Fußvolk tun. Wann soll denn das hier fertig sein?“ erkundigte sich Richard. Als Sabrina zögerte, fuhr er gleich fort: „Ich weiß schon. Ich muß wieder mal eine Verabredung mit Ginger absagen, nicht?“ „Ich werde es wiedergutmachen. Sie können sie morgen auf meine Kosten zum Abendessen ausführen.“ Richard grinste: „Das ist ein Wort.“ „Ich hole mir dann die Zeichnungen morgen früh von Ihnen ab, ja?“ „Morgen früh?“ Richard schnitt eine Grimasse. „Na gut. Sie wissen ja wohl, was man über weibliche Chefs sagt: Das sind alles Sklaventreiber.“ Sabrina belohnte ihn mit einem strahlenden Lächeln, ehe sie hinausging. Bryan starrte geistesabwesend auf das alte „Casablanca“ Filmplakat, das hinter der Bar des Restaurants gleichen Namens hing. Er hatte einen hektischen Nachmittag hinter sich und alles erledigt, was sich für die Fahrt nach San Franzisko angesammelt hatte. Eigentlich hätte er sich jetzt ein wenig entspannen können, aber es gelang ihm nicht. Sabrina Montgomery ging ihm nicht aus dem Kopf. Nach Grant Holcombs Empfehlung hatte er sie sich als eine reife, kampferprobte Frau vorgestellt. Statt dessen war sie nicht nur jung, frisch und hübsch, sondern auch klug, talentiert und tüchtig. Und überaus weiblich. Was zog ihn an dieser Frau nur so an? Wie möchte es sich wohl anfühlen, wenn er sie berührte, über ihr goldblondes Haar strich? Bryan schüttelte den Kopf, als könnte er so seine unangebrachten Gedanken verscheuchen. Er blickte wieder auf das Foto von Humphrey Bogart und Ingrid Bergman auf dem CasablancaPlakat und dachte an die so noble Abschiedsszene, mit der dieser alte Film schloß. Im wahren Leben endete die große Liebe oft unschön und nicht selten mit einem amtlichen Dokument, in dem die Formel stand: Die Ehe der Parteien ist geschieden. Bryans Gedanken kehrten wieder zu Sabrina Montgomery zurück. Sie hatte den Film sicher gesehen und gemocht. Vermutlich hatte sie zum Schluß geweint. Wenn Bryan sich ihre braunen Augen voller Tränen vorstellte… Jetzt ist es aber genug! schalt er sich, trank sein Glas leer und ging.
2. KAPITEL Der Abend war typisch für San Franzisko. Die Tageswärme hatte sich nach Sonnenuntergang in empfindliche Kühle verwandelt. Dichte Nebelschwaden hüllten die berühmte GoldenGateBrücke ein und verdeckten die Sicht auf die Küste von Berkeley und Oakland. Sabrina saß in ihrem Apartment auf einem Sessel am Fenster und beobachtete die bezaubernde Szenerie. Sie war glücklich darüber, in einem malerischen dreistöckigen Haus mit schindelverkleideten Außenwänden auf dem Telegraph Hill eine Wohnung gefunden zu haben. Die Aussicht von hier war phantastisch und außerdem in San Franzisko eine sogenannte gute Adresse. Als Sabrina aus ihrer Heimatstadt Faribault in Minnesota nach San Franzisko gekommen war, hatte sie sich zunächst einen Stadtführer gekauft und war dann auf der Suche nach einer Wohnung kreuz und quer zu Fuß über die vierzig Hügel gewandert, auf denen die Stadt erbaut worden war. Wenn sie ein paar Strecken mit der alten Kabelbahn zurücklegen konnte, hatte ihr das besonderen Spaß gemacht. Bei der Erforschung des Telegraph Hill, der auf Spanisch auch Loma Alta, der hohe Hügel, genannt wurde, war sie auf den CoitAussichtsturm gestiegen und hatte sich sofort in diesen Ausblick verliebt. Auf der anderen Seite des Golden Gates konnte sie den hohen Mount Tamalpais erkennen. In der Bucht sah sie die ehemalige Gefängnisinsel Alcatraz. Sie schaute auf die Kais am Embarcadero, der langen Geschäftsstraße an der Uferseite, und blickte auf die Uhr am Turm des großen Fährhauses, die bei dem Erdbeben am 18. April 1906 auf fünf Uhr zwölf stehengeblieben war. Im Südwesten lag der Russian Hill und etwas weiter südlich der Nob Hill mit seiner Kathedrale. Sabrina hatte gleich gewußt, daß sie sich in dieser Stadt zu Hause fühlen würde. Sie trat jetzt vom Fenster zurück und betrachtete ebenso zufrieden ihr Wohnzimmer. Gerahmte Drucke in Pastelltönen dekorierten die Wände. Die wenigen Möbel waren geschmackvolle Antiquitäten. Auf einer schlanken ChippendaleSäule stand ein mit Maßliebchen gefüllter Krug, ein Geschenk ihrer Großmutter Ericson. Auf einem niedrigen Tischchen lagen ein paar Gedichtbände, und daneben stand eine große silbergerahmte Fotografie, die ihre ganze Familie am vergangenen Weihnachtsabend zeigte. Im offenen Kamin knisterten die Feuerscheite. Was will ich mehr? fragte sich Sabrina. Ich habe einen Beruf, der mich ausfüllt, lebe in einer wundervollen Stadt und habe einen erfolgreichen attraktiven Freund. Und ich bin noch nicht einmal dreißig Jahre alt. Allerdings würde sie bald zum dritten Mal „nullen“, wie sie das immer nannte. John wollte ihren Geburtstag mit ihr in Paris verbringen, weil er sich dann wegen des StuttgartProjektes in Europa aufhielt. Sabrina hatte sich über diese Idee gefreut. Das war typisch John: großzügig und immer bereit, den Umständen die besten Seiten abzugewinnen. Nun aber wurde Sabrina klar, daß sie wegen des BenedictAuftrages nicht würde verreisen können. Ihr Geburtstag lag kurz vor der Premiere des neuen Weins. Beim Gedanken an John fiel ihr die Party ein, zu der sie ja heute eingeladen waren. Allein wollte sie nicht hingehen. Nun, sie würde sich morgen schriftlich entschuldigen. Sabrina seufzte und leerte ihr Glas. Sie hatte sich zur Feier des Benedict Auftrages eine Flasche Chardonnay geleistet. Ein wirklich ausgezeichneter Wein, aber wenn sie morgen bei der Besprechung hellwach und tüchtig aussehen wollte, dann mußte sie die Flasche jetzt wohl fortstellen und ins Bett gehen.
„Bryan Benedict“, murmelte sie leise vor sich hin und stand vom Sofa auf. Sie war stolz auf sich: Es war ihr gelungen, den ganzen Abend nicht an ihn zu denken. Ein wirklich schwieriges Unterfangen… Sabrina ließ die GoldenGateBrücke und damit auch den typischen Sommernebel San Franziskus hinter sich. Sie fuhr durch das malerische Sausalito mit seinem HausbootDorf und dann über die Autobahn in Richtung Norden. Nach knapp dreißig Kilometern bog sie nach rechts auf die Schnellstraße und nach weiteren fünfzehn Kilometern auf die Landstraße nach Sonoma ab. John und sie mochten diese alte Siedlung gern und waren oft hergefahren, um dem Nebel San Franziskos zu entkommen. Von Sonoma führte eine Straße in das Valley of the Moon, das Tal des Mondes, das nicht nur durch seinen Wein, sondern auch durch den Schriftsteller Jack London berühmt geworden war. Lange Reihen von goldenem Sonnenlicht überfluteter Weinstöcke zogen sich durch das Tal und an den Berghängen hinauf. Die Trauben sahen dick und reif aus. Sabrina folgte Bryans Skizze und erreichte nach ein paar weiteren Abzweigungen den Fuß eines Hügels. „Weingut Benedict“ stand auf einem aus Holz geschnitzten Schild. Zwei massive Steingebäude schmiegten sich an den Abhang. Etwas weiter entfernt sah Sabrina ein modernes Haus, das zwar im Kontrast zu den beiden älteren stand, sich aber trotzdem gut in die Umgebung einfügte. Als Sabrina an den beiden alten Gebäuden vorbeifuhr, entdeckte sie an einem die Jahreszahl 1880. Dies also waren die Häuser, die Bryans Großvater bei der Gründung des Weingutes erbaut hatte. Es war wunderschön hier. Die Gebäude waren von Eukalyptusbäumen umgeben, die Rebstöcke zogen sich am Hügelabhang hinauf. Bei diesem Anblick verstand sie Bryans Sinn für Tradition und Familie. Ein paar Arbeiter sahen sich neugierig nach Sabrinas rotem Wagen um, als sie hügelaufwärts weiterfuhr. Die schmale gewundene Straße war zuerst von hohen schlanken Eukalyptusbäumen mit ihren silbriggrauen Stämmen gesäumt, dann von zimtbraunen Madronas. Nach einer letzten scharfen Biegung war Sabrina am Ziel. Bryan konnte wirklich stolz auf sein Haus sein. Die gelungene Kombination von Stein, Holz und Glas war terrassenförmig in den Abhang hineingebaut – ein architektonisches Meisterstück, stellte Sabrina fest. Vor dem Haus hielt ein englischer Jaguar. Bryan stieg aus. Er kam zu Sabrinas Auto, öffnete ihr die Tür und streckte ihr die Hand entgegen. Für ein paar Sekunden sahen sie einander wortlos in die Augen. Warum wirkt dieser Mann nur so beunruhigend auf mich? dachte Sabrina. Sie nahm ihre Handtasche und den Aktenkoffer und stieg aus. Bryan lächelte. „Willkommen auf Madrona.“ „Es ist herrlich hier. Ich bin zutiefst beeindruckt“, sagte Sabrina aufrichtig. „Ich freue mich, daß es Ihnen gefällt. Jetzt zeige ich Ihnen erst einmal das Haus, ehe wir uns das Weingut und die Kellerei ansehen, wenn es Ihnen recht ist.“ „Aber gern!“ Die riesige Eichentür über den Eingangsstufen wurde geöffnet, und ein kleiner Junge rannte auf Bryan zu. Aha, es gibt also doch eine Mrs. Benedict, dachte Sabrina mit einem kleinen Stich im Herzen. „Das ist mein Sohn Adam“, stellte Bryan vor. „Adam, gib Miss Montgomery die Hand.“ Auffordernd sah er seinen Sohn an. Sabrina streckte dem Jungen die Hand hin, aber er zögerte noch und legte seine Hand erst hinein, nachdem ihm sein Vater einen sanften Schubs versetzt hatte. Dann blickte er zu ihr hoch und lächelte schüchtern. Mit seinem hellbraunen Haar
und den dunklen Augen sah er seinem Vater sehr ähnlich; das tiefe Grübchen auf seinem Kinn allerdings hatte er nicht von Bryan geerbt. Adam sah gleich wieder zur Seite, und Sabrina überlegte, was sie zu dem scheuen Kind sagen konnte. „Gehst du schon zur Schule, Adam?“ fragte sie schließlich. „In diesem Jahr komme ich in die Vorschule“, antwortete er artig und wandte sich dann wieder zu seinem Vater. In seinem Blick stand deutlich die Frage: Kann ich jetzt gehen? Bryan erklärte seinem Sohn noch, daß er Miss Montgomery das Haus und die Kellerei zeigen wolle und dann erlöste er ihn: „Geh spielen, Adam. Wir sehen uns später wieder, ja?“ Adam nickte erfreut. „Ich hole Rex und Pancho“, rief er glücklich und verschwand. „Ein netter Junge“, sagte Sabrina. „Sind Rex und Pancho Menschen oder Tiere?“ „Tiere“, erklärte Bryan. „Und was Adam betrifft, bin ich ganz Ihrer Meinung“, fügte er mit väterlichem Stolz hinzu. Sie betraten das Haus. Aus einem Sessel vor dem riesigen Fenster, durch das man den ganzen MadronaHain überblicken konnte, erhob sich ein untersetzter älterer Mann aus einem Sessel. Er trug einen kurzgetrimmten Vollbart, der genauso rotblond war wie sein leicht gelichtetes Haar. Seine Augen waren von einem strahlenden Blau, und er hätte wirklich sehr gut ausgesehen, wäre seine Nase nicht offensichtlich einmal gebrochen worden und nicht mehr in der ursprünglichen Form zusammengewachsen. Dieser kleine Schönheitsfehler gab ihm etwas Abenteuerliches. Sabrina nahm an, daß er ein Angestellter sein mußte – trotz seiner lässigen Kleidung.
„Soll ich Kaffee machen, Bryan?“
„Ja, bitte, Thaddeus.“ Er stellte Sabrina Thaddeus Harper vor und erklärte: „Er ist
mein Hausfaktotum und genaugenommen derjenige, der den Laden hier in
Schwung hält.“
Sabrina begrüßte den Mann, der sich offensichtlich in seiner Rolle wohlfühlte.
„Ich bringe den Kaffee auf die Terrasse hinaus“, sagte Thaddeus, nahm Sabrinas
Aktenkoffer und deutete auf eine Tür. „Sie haben eine lange Fahrt hinter sich,
Miss Montgomery. Bestimmt wollen Sie sich ein bißchen frisch machen, ehe
Bryan Sie herumführt.“
Das große, in Beige und Braun gehaltene Badezimmer war luxuriös und
geschmackvoll ausgestattet, Sabrina bemerkte sofort, daß keinerlei
Kosmetikartikel auf den Regalen standen. Aber was ging sie das schließlich an?
Später traten Bryan und Sabrina auf die Terrasse hinaus.
„Ihr Haus gefällt mir. Trotz seiner modernen, klaren Linie paßt es sich völlig der
Umgebung an.“
„Das klingt, als verstünden Sie etwas von Architektur.“ Bryan sah Sabrina
interessiert an.
„Ich… ich habe einen Freund, der Architekt ist“, erklärte Sabrina und wunderte
sich über ihre unsicher klingende Stimme.
Bryan betrachtete sie einen Moment lang etwas nachdenklich, sprach dann aber
wieder über das Haus. „Hier zeigt sich das doppelte Talent meines Vaters“,
erklärte er. „Das Weingut war für ihn eine arbeitsreiche Nebenbeschäftigung, die
Architektur aber seine große Liebe. Er hat es geschafft, beides miteinander zu
vereinbaren.“
„Er muß ein glücklicher Mensch gewesen sein.“
„Das stimmt“, sagte Bryan herzlich und lächelte. Und seine Augen lächelten
diesmal wieder mit.
Sabrina, die schon gestern darüber nachgedacht hatte, wer und was Bryan Benedict so wachsam und mißtrauisch gemacht haben mochte, registrierte dieses herzliche Lächeln sofort. Sein Vater scheint ihn nicht verletzt zu haben. Bryan verehrt ihn ganz offensichtlich, dachte sie. Wer also ist es gewesen? Vielleicht eine Frau? „Kaffee!“ rief Thaddeus. Er stellte ein Tablett mit silbernem Kaffeegeschirr auf einen kleinen Tisch und legte Sabrinas Aktenkoffer auf einen Stuhl. Dann ging er wieder ins Haus. Bryan schenkte ein. „Ist dies das erste Mal, daß Sie eine Werbekampagne starten wollen?“ fragte Sabrina. „Ja. Bisher lieferten wir unsere Weine an einen kleinen Kreis von Stammkunden – Restaurants, Weinfachgeschäfte und Privatleute. Wir haben bisher nur drei Weine herausgebracht, nämlich den Fume Blanc, einen Blanc de Blanc und den Chardonnay, Ihren Lieblingswein. Die gesamte Produktion ist meist umgehend verkauft. Mit Ihrer Hilfe wird das hoffentlich auf unseren neuen Wein genauso zutreffen, auch wenn er nicht ganz so exklusiv ist.“ „Mein Grafiker meint, es werde langsam Zeit, daß sich auch der ,Mann auf der Straße’ einmal eine gute Flasche leisten kann.“ Sabrina holte die Skizzen aus dem Aktenkoffer. Sie reichte sie Bryan. Erleichtert stellte sie fest, daß er offensichtlich auf Anhieb zufrieden war. „Gut. Sehr gut sogar“, lautete sein Kommentar. Er sah Sabrina an. „Genauso habe ich es mir vorgestellt.“ Seine braunen Augen schienen dunkler zu werden. „Sie sind eine höchst angenehme Überraschung, Sabrina. Gleichermaßen schön und tüchtig.“ „Na, dann muß es mit uns beiden ja klappen!“ Sabrina lachte, wurde aber gleich wieder ernst, als sie eine Veränderung in Bryans Gesichtsausdruck sah. Hatte er etwa ihre Bemerkung, die sie natürlich auf die Zusammenarbeit bezog, mißverstanden? „Wenn Sie Ihren Kaffee ausgetrunken haben, könnten wir jetzt ja die Kellerei besichtigen.“ Bryan setzte seine Tasse ab. „Vince erwartet uns dort.“ Abrupt erhob er sich. Bryan ging mit Sabrina den steilen Fußpfad zu den alten Gebäuden hinunter. Auf dem Parkplatz davor standen fünf oder sechs Autos, und im Hintergrund sah Sabrina ein paar Arbeiter. Bryan erklärte ihr, daß es in den kommenden Monaten hier erheblich betriebsamer zugehen würde. „Wenn die Weinlese in vollem Gang ist, wimmelt es hier von Aushilfskräften.“ Er führte sie auf eines der alten Gebäude zu. „Ich werde Sie mit Vince bekannt machen. Er ist mein ChefÖnologe.“ „önologe?“ Bryan lächelte. „WeinWissenschaftler. Wir kennen uns seit unseren Universitätstagen. Er ist danach pausenlos in der Welt herumgereist, während ich nach Madrona zurückkehrte. Ich habe ihn im Staat New York in einer großen SchaumweinKellerei aufgetrieben und hierher gelockt.“ „War das schwer?“ „Gar nicht. Er hatte zufällig gerade eine junge Schönheit aus dieser Gegend hier kennengelernt, die er eigentlich in New York festhalten wollte. Aber sie hat ihn davon überzeugt, daß es in Kalifornien schöner ist.“ Sabrina lachte. „Man soll eben nie den Einfluß einer Frau unterschätzen.“ „Ein großes Wort!“ Bryan fiel in ihr Lachen ein. Sabrina sah, wie sich sein Gesicht erhellte. Wieder einmal stellte sie fest, daß ihr mehr an diesem Mann lag, als an anderen Kunden ihrer Werbeagentur. Er hatte irgend etwas an sich, das sie anzog, und sie war sicher, daß dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte.
Bryan und Sabrina betraten nun das alte Gebäude. Sie kamen in das Hauptbüro, dessen Wände mit den üblichen Fotografien der Firmengeschichte dekoriert waren: Bilder von Weingärten, Werkzeugen, Gebäuden und Familienmitgliedern. Sabrina sah Fotos von Bryans Großeltern, seinen Eltern und eines von ihm mit Adam. Adams Mutter war in dieser Galerie nicht vertreten. Was mochte wohl der Grund dafür sein? „Mit der Firmengeschichte will ich Sie nicht langweilen“, sagte Bryan. „Die beiden Generationen vor mir hatten ihre Träume und Probleme, und mir geht es nicht anders. Kommen Sie.“ Sie betraten den Gebäudeteil, der die modernen Kelter und Gärungsanlagen beherbergte. Bryan erklärte, daß dies für ihn das letzte freie Wochenende sei. Schon in der kommenden Woche sollte die Lese eines Teils der Trauben für den neuen Schaumwein beginnen. Sabrina erfuhr, daß die Trauben so früh gepflückt wurden, weil jetzt der Zuckergehalt noch niedrig und der Säuregehalt hoch war. „Und wann beginnt die Ernte der anderen Trauben?“ erkundigte sie sich. „Sieben bis elf Wochen, nachdem die Trauben ihre erste Färbung zeigen. Soll ich Ihnen noch mehr darüber erzählen? Ich weiß nicht, was Sie davon in die Werbebroschüre schreiben wollen, aber vielleicht interessiert es Sie.“ Sabrina versicherte, daß es sie sogar sehr interessiere, und so berichtete Bryan von den Traubensorten, die in seinen Weingärten wuchsen und davon, wie wetterabhängig ihre Qualität und das Ernteergebnis waren. Er beschrieb die verschiedenen Lesen und die Verarbeitung bis hin zur Abfüllung. Ganz offenkundig war Bryan stolz auf sein Weingut und die Kellerei, und das bereitete ihr eine heimliche Freude. „Hallo, Bryan!“ Bryan drehte sich um. „Hallo, Vince. Komm her und laß dich mit der Dame bekanntmachen, die die Werbekampagne für uns aufzieht. Vince Ventura – Sabrina Montgomery.“ Sabrina und der schlanke gebräunte Mann gaben einander die Hand. „Ich habe Sabrina gerade einen kleinen Kurzvortrag in Weinkunde gehalten. Fällt dir noch etwas Besonderes ein?“ „Schon möglich, aber mir wäre es lieber, wenn sie ausschließlich dich zitiert. Besonders dann, wenn sich später Fehler herausstellen.“ Vince grinste. Dann entschuldigte er sich, er müsse wieder hinaus zu den Weinstöcken, da er einen Zuckertest angesetzt habe. Er lächelte Sabrina zu und verabschiedete sich mit einem: „Schreiben Sie etwas besonders Schönes, ja?“ Sabrina blickte ihm nachdenklich nach. „Ich glaube, Wein herzustellen ist eine ungeheuer komplizierte Sache, und ich bin nicht sicher, ob ich alles richtig verstanden habe. Vielleicht hätte ich auf meinen Bustouren ins Weinland mehr zuhören und weniger probieren sollen.“ Sie lächelte Bryan schuldbewußt an. „Sagen Sie, gibt es nicht ein möglichst einfaches Lehrbuch? Wenn ich Ihnen zu viele dumme Fragen stelle, merken Sie, wie wenig ich weiß, und bedauern vielleicht, mir so voreilig Ihren Auftrag gegeben zu haben.“ Bryan betrachtete sie eine Weile unverwandt. „Nein, das glaube ich nicht.“ Er sprach sehr leise, langsam und überlegt und hielt dabei ihren Blick gefangen. Hoffentlich sieht er mir nicht an, wie mein Herz auf diesen Blick reagiert, dachte Sabrina und sah zur Seite. Bryan sprach weiter von der Arbeit. „Der Zuckertest, den Vince eben erwähnte, findet an den Trauben für den neuen Wein statt. Wir ernten sie, wie schon gesagt, wenn der Traubenzuckergehalt noch relativ niedrig ist. Das reduziert die Farbe und erhält die natürliche Säure. Der Recherché wird fruchtig, aber
trotzdem trocken und herb sein.“
„Mit anderen Worten – einfach wundervoll.“ Ohne nachzudenken, hakte sich
Sabrina bei Bryan ein und bat: „Zeigen Sie mir, wo Sie den köstlichen
Chardonnay lagern, ja?“
Bryan stieg mit Sabrina in den Kühlkeller. „Wir lagern den Chardonnay in
Eichenfässern. Mein Großvater war übrigens ursprünglich Küfer. Von seinen
Ersparnissen erwarb er ein Stück dieses Weinberges hier, und mein Vater kaufte
dann das restliche Land hinzu.“
„Und Sie? Wollen Sie das Gut noch erweitern?“
„Im Moment will ich nur den Markt erweitern, nämlich um meinen neuen Wein.“
Es machte Bryan sichtlich Spaß, weiter über seine Arbeit zu sprechen.
„Der Chardonnay hier gärt etwas langsamer als üblich, weil wir die Temperaturen
niedrig halten. Das bewahrt das Bukett. Das Eichenholz der Fässer tut ein
übriges, und alles zusammen ergibt dann den Benedict Chardonnay, den Sie mit
Recht so schätzen.“ Er lächelte Sabrina an. „Sie haben Geschmack.“
„Selbstverständlich“, scherzte sie. „Das hat Ihnen ja Holcomb schon gesagt.
Deshalb haben Sie mir ja auch den Auftrag gegeben, nicht wahr?“
Bryan sah Sabrina wieder in die Augen, und erneut prickelte es zwischen, ihnen.
Offensichtlich machte ihm die kleine Führung genausoviel Freude wie ihr.
Damit ihre Gedanken nicht abschweiften, fragte Sabrina rasch etwas, das sie für
ihre Werbebroschüre wissen wollte. „Wie lange reift denn Ihr… mein Chardonnay
hier?“
„Das ist ganz unterschiedlich und liegt letzten Endes im Ermessen des Winzers.
Den richtigen Zeitpunkt zu erspüren, ist etwas, das die Arbeit so spannend
macht.“
Bryan wollte einen neuen Wein auf den Markt bringen. Daß sein Gut über die
natürlichen und technischen Voraussetzungen verfügte, hatte Sabrina gesehen,
und an seinem Fachwissen zweifelte sie nicht. Wenn sie jetzt noch mit einer
gelungenen Werbekampagne das ihre tat, müßte sein Vorhaben ein Erfolg
werden. Sie freute sich schon jetzt darauf.
„Mir dreht sich alles im Kopf“, gestand sie jetzt.
„Sie müssen hungrig sein. Kommen Sie, der Lunch wartet sicher schon auf uns.“
Auf dem Weg zum Wohnhaus beschäftigte Sabrina wieder die Frage, die sie sich
seit ihrer Ankunft hier stellte: Wo war Bryans Frau? War er verheiratet,
geschieden, verwitwet?
„Ich hoffe, Sie haben jetzt alles erfahren, was Sie von mir wissen wollten“, sagte
Bryan in Sabrinas Gedankengänge hinein.
„Ich brauche Fotos für die Werbebroschüre.“
„So was Dummes! Die habe ich ja bei Holcomb liegengelassen!“
„Wir können sie uns doch am Montag bei ihm abholen.“
Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Der Duft der Eukalyptus
und Madronabäume hing in der Spätsommerluft.
„So“, sagte Bryan schließlich lächelnd. „Das war also meine Führung für
fünfundzwanzig Cent. Ich hoffe. Sie haben sich nicht zu Tode gelangweilt.“
„Hier hätte ich mit Freuden den doppelten Preis bezahlt“, gab Sabrina strahlend
zurück.
Bryan wandte sich ihr zu: „Sie sind eine perfekte Zuhörerin.“ Dann fügte er
hinzu: „Und eine sehr schöne.“ Die letzten Worte sprach er so leise, daß Sabrina
sie kaum verstehen konnte. Sie sah, daß seine braunen Augen aufleuchteten.
Mit einemmal war sie versucht, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und Bryan
auf diesen lächelnden Mund zu küssen. Aber der Augenblick zerrann, als Adam
ihnen entgegenrannte.
„Thaddeus läßt sagen, das Essen ist fertig.“ Der runde Tisch war auf der Terrasse gedeckt. Bryan bat Thaddeus, den Lunch aufzutragen. „Ich bin gleich wieder da“, sagte er dann und verschwand mit geheimnisvoller Miene. Thaddeus servierte Hühnchen in Weißwein, Eiernudeln mit Kräutercremesauce und frischen Salat. Bryan kehrte mit einer unetikettierten Flasche und vier schlanken Weinkelchen zurück. „Das ist er“, verkündete er und goß ein wenig davon in Sabrinas Glas, das er erst gegen das Licht hielt, ehe er es ihr reichte. Der Wein zeigte eine schöne rosenrote Farbe. Die vom Boden des Glases aufsteigenden Bläschen funkelten im Sonnenlicht. „Sehr hübsch“, erklärte Sabrina. Sie hob das Glas an die Nase und sog den Duft des Buketts ein. Dann nickte sie Bryan zu. „Sehr gut. Er hat etwas, das ich nicht genau deuten kann, schon das macht mich neugierig auf ihn.“ „So soll es auch sein.“ Bryan blinzelte Thaddeus zu. „Diese Neugier soll den Kunden veranlassen, den Wein immer wieder zu kaufen.“ Sabrina nahm einen Schluck in den Mund. Der Wein schmeckte ihr. Er war leicht und hatte einen köstlichen Nachgeschmack. „Wie nennt man diesen besonderen Geschmack? Fruchtig? Er hat einen Hauch von einem Aroma, das ich nicht identifizieren kann.“ Sabrina lächelte und trank noch einen Schluck. Wieder kostete sie lange und seufzte dann auf. „Jedenfalls… ich bin begeistert.“ Bryan, der sie beobachtet hatte, lachte erfreut und steckte damit Thaddeus und Adam an. „Großartig!“ Er schenkte drei Gläser voll und goß einen winzigen Schluck für Adam ein, wobei er seinem Sohn verschwörerisch zublinzelte. „Ich weiß nicht, was wir getan hätten, wenn Sie nicht begeistert, sondern entsetzt gewesen wären.“ Er nahm zwischen Sabrina und Adam Platz. „Ich werde Ihnen eine Kiste davon mitgeben. Lassen Sie sich davon bei der Arbeit inspirieren.“ Als sie mit dem Hauptgang fertig waren, schrillte ein Telefon. Bryan stand auf. „Das ist bestimmt die Kellerei. Wir sollten heute ein paar Ersatzteile geliefert bekommen.“ Er ging ins Haus, kehrte aber gleich wieder zurück. „Irgend etwas stimmt mit der Sendung nicht. Laßt euch den Nachtisch gut schmecken. Ich beeile mich.“ Thaddeus räumte den Tisch ab und servierte Schokoladencreme. Sabrina und er unterhielten sich über das Wetter und das Leben im Weinland. Adam aß schweigend seinen Nachtisch auf, legte den Löffel aus der Hand, blickte dann Sabrina an und sagte: „Meine Mutter lebt in Afrika.“ „Ach, wirklich?“ ermunterte Sabrina den Jungen zum Weiterreden. „Ja, sie ist Archo… Archä… ologin.“ Die kindliche Zunge stolperte über das schwierige Wort. „Das hört sich aber interessant an, Adam.“ Thaddeus unterbrach das Gespräch, während er das Geschirr einsammelte. „Zeit für deinen Mittagsschlaf, Adam“, erklärte er freundlich, aber bestimmt. „Ich bin nicht müde.“ Thaddeus schüttelte nur den Kopf. „Ab ins Bett! Miss Montgomery muß hier arbeiten. Wenn du aufstehst, ist sie noch hier.“ Widerstrebend ging der Junge ins Haus. „Noch etwas Kaffee?“ fragte Thaddeus. Sabrina nickte. Während er einschenkte, sagte sie: „Adam scheint ein recht einsames Kind zu sein.“ „Ja“, bestätigte Thaddeus mit einem kleinen Seufzer. „Wir leben hier oben ziemlich isoliert. Vielleicht wird es besser, wenn er im nächsten Monat in die Vorschule kommt. Allerdings wird sich dann Bryan einsamer fühlen. Er verbringt
sehr viel Zeit mit seinem Sohn.“ Sabrina blickte Thaddeus ein wenig unsicher an. „Darf ich Sie fragen, wie Sie Bryan kennengelernt haben?“ Thaddeus lächelte. „Ich sehe nicht gerade wie ein typischer Butler aus, nicht wahr?“ Er lehnte sich zurück. „Ich war mit Luis, Bryans Vater, befreundet. Wir sind zusammen aufgewachsen und wollten später beide aus diesem Tal hier heraus. Während Luis Architekt wurde, habe ich mich mit allen möglichen Jobs – vom Amateurboxer bis zum Sprachlehrer – kreuz und quer durch die Welt geschlagen.“ „Ihr Leben scheint nicht langweilig gewesen zu sein.“ „Gewiß nicht. Aber wenn man dann fünfunddreißig geworden ist und noch immer nicht seßhaft war, fängt man an, sich seine Gedanken zu machen. Ich kehrte also heim, um Luis zu besuchen. Zu diesem Zeitpunkt war Bryan gerade sehr krank. Er durfte ein halbes Jahr lang nicht das Haus verlassen. Luis bat mich, als Privatlehrer hierzubleiben. Ehe Bryan dann ganz gesund war, starb seine Mutter. Das traf Luis hart. Ich blieb, weil er Hilfe brauchte. Und heute bin ich noch immer hier, wie Sie sehen.“ Er blickte Sabrina offen an. „Ich bin mit meinem Leben sehr zufrieden. Hier gehöre ich zu einer Familie mit einem großen Haus, das bewirtschaftet werden will, und ich habe viel Zeit für mein Steckenpferd, die Dichterei.“ Er lächelte halb verlegen, halb stolz. „Ich habe mir damit schon einen winzigen Namen gemacht, aber leben kann ich davon nicht.“ Sabrina konnte ihre Neugier jetzt nicht länger bezähmen. „Lebt Adams Mutter tatsächlich in Afrika?“ Thaddeus’ freundliches Gesicht verfinsterte sich. „Ja. Seit ein paar Jahren.“ Er schüttelte den Kopf. „Geschieden. Sie hätte nicht heiraten und ein Kind bekommen sollen, wenn sie keine lebenslange Verpflichtung eingehen wollte.“ Er stand unvermittelt auf, als wäre ihm bewußt geworden, daß er schon viel zuviel erzählt hatte. „Wenn Sie arbeiten wollen, können Sie das Studio benutzen, Miss Montgomery.“ Wie schnell die Zeit vergangen war, merkte Sabrina erst, als Bryan Stunden später ins Studio kam. „Ich habe inzwischen eine Menge geschafft.“ Sabrina zeigte ihm die beschriebenen Seiten. „Hier kann man wunderbar arbeiten.“ Sie deutete auf die meisterhaften Fotografien an der Wand – eine vom Weinland und zwei von der Pazifikküste – und fragte: „Haben Sie diese schönen Aufnahmen gemacht?“ Bryan war sichtlich erfreut. „Ein Hobby von mir.“ „Da bin ich aber gespannt auf die Bilder, die Sie bei Holcomb gelassen haben.“ Sabrina verstaute ihre Unterlagen in den Aktenkoffer. „Sabrina, auf dem CharlesKrugWeingut findet heute abend ein Konzert statt. Da ich Ihnen schon den ganzen Samstag geraubt habe, gestatten Sie mir, daß ich das wiedergutmache. Begleiten Sie mich zu dem Konzert, und bleiben Sie über Nacht hier.“ Sabrina sah ihn überrascht an. Ehe sie etwas sagen konnte, fügte Bryan hinzu: „Das heißt natürlich, falls Sie nichts anderes vorhaben.“ „Nein, ich habe nichts anderes vor, aber ich bin nicht auf eine Übernachtung eingerichtet. Richtig angezogen für ein Konzert bin ich auch, nicht.“ Sie trug eine weiße Leinenhose und eine apricotfarbene Seidenbluse. „Dort geht es nicht so förmlich zu“, versicherte Bryan. „Sie sind durchaus passend gekleidet. Thaddeus ist außerdem immer auf Gäste vorbereitet. Er hat stets ein Sortiment Zahnbürsten auf Lager und wird auch Pyjama und
Bademantel für Sie finden. Und sein Abendessen wird Sie einfach überwältigen.“
Sabrina war noch unschlüssig. Eigentlich hätte sie jetzt sofort gehen müssen,
und zwar gerade deswegen, weil sie gern geblieben wäre.
In diesem Moment kam Adam ins Zimmer gestürzt. „Hallo!“ Er lächelte seinen
Vater an. Dann schloß er auch Sabrina in die Begrüßung ein.
„Hallo… wiederholte er schüchtern.“ Sabrina zögerte nicht länger. „Gut, ich bleibe
gern.“
Der Vollmond stand hell am klaren Nachthimmel. Bryan und Sabrina fuhren
durch den Eichenhain, der die Kellerei Charles Krug umgab. Dort angekommen,
nahm Bryan Sabrinas Arm und führte sie über die ausgedehnte Rasenfläche.
Tische und Stühle waren hier für die Zuhörer aufgestellt worden. Die Musiker, ein
Streichquartett, hatten ihren Platz vor der Treppe zum Eingang des Gebäudes.
Sie stimmten gerade ihre Instrumente.
Bryan bestellte den Wein. Er hob Sabrina sein Glas entgegen. Als sie ihres sanft
dagegenstieß, berührten sich ihre Finger. Ihr war, als hätte sie einen kleinen
Stromstoß bekommen, der durch ihre Hand, den Arm, ja, durch den ganzen
Körper lief. Dieser Bryan Benedict löste Empfindungen in ihr aus, die ihr bisher
unbekannt waren. Und dabei war er doch einer dieser traditionsbewußten,
konservativen Männer, mit denen sie früher nie etwas zu tun haben wollte!
Sabrina konnte sich nur über sich selbst wundern.
„Mein Vater war Mitglied dieses Quartetts“, erzählte Bryan gerade.
Sabrina riß sich zusammen und fragte: „Spielen Sie auch?“
„Ein wenig, aber nicht sehr gut. Und Sie?“
„Oh, bei uns in der Familie spielt jeder ein Instrument. Früher veranstalteten wir
immer unsere privaten Kammerkonzerte.“ Sabrina lächelte bei der Erinnerung.
Das leise Stimmengewirr verstummte, als die ersten Takte von Mozarts Quartett
Nummer fünfzehn in dMoll erklangen. Sabrina lauschte hingerissen. Alles war so
traumhaft schön – die Musik, das helle Mondlicht auf den hohen Eichen und den
alten Gutsgebäuden… und Bryans Hand auf ihrer. Sabrina drehte ihre Hand mit
der Innenfläche nach oben und schob ihre Finger zwischen Bryans. Der Zauber
der Musik schien sie für den Augenblick vereint zu haben.
Sabrina mußte auf einmal an einen Abend denken, an dem John sie mit seinem
Wagen nach Hause gebracht hatte. Als im Autoradio ein Mozartkonzert
angekündigt wurde, hatte er den Sender sofort wechseln wollen. Sabrina hatte
ihm erzählt, wie sehr sie Mozart liebte und ihn gebeten, nicht umzuschalten.
Lächelnd hatte John ihren Wunsch erfüllt.
Begeistert hatte sie dem Wechselklang der Geigen und der Viola gelauscht und
John gefragt, was wohl seiner Meinung nach die Instrumente gerade zueinander
sagten. Er hatte gelacht. „Ich spreche leider nicht violinisch.“
Sabrina hatte versucht, es ihm zu erzählen. „Die Geigen sagen: ,Ich liebe dich’,
und die Viola antwortet: ‚Ich liebe dich auch’.“ Aber das waren Worte, die John
niemals aussprechen konnte oder wollte. Oft genug hatte er ihr versichert, wie
sehr er sie mochte, aber das war nicht dasselbe.
Sabrina wagte einen verstohlenen Blick zu Bryan. War er ein Mann, der es
aussprechen konnte: Ich liebe dich.
Die letzten Takte verklangen. Ein paar Sekunden lang herrschte ergriffenes
Schweigen, aber dann brandete der Applaus auf.
Auf der Rückfahrt sprachen Bryan und Sabrina kaum miteinander. Der Abend war
zauberhaft gewesen. Das helle Mondlicht, die wunderbare Musik, der gute Wein…
und dieser Mann. Etwas ganz Unglaubliches war mit Sabrina vorhin geschehen.
Sie hatte einen Gleichklang der Gefühle erlebt, den sie nicht für möglich gehalten
hatte.
Der Mond neigte sich dem westlichen Horizont zu. Tiefe Schatten umgaben
Madrona. Sabrina stieg aus dem Wagen und blickte Bryan direkt in die Augen.
Schweigend streckte er ihr die Hand hin, und sie legte ihre hinein. Zusammen
stiegen sie die Stufen zum Hauseingang hoch.
Vor der Tür drehte Bryan sich zu Sabrina um und schaute auf sie hinunter. Sein
Blick blieb an ihren Lippen hängen. In diesem Moment wünschte sie sich nichts
sehnlicher, als seinen Mund auf ihrem zu fühlen.
Bryans Blick löste sich von ihren Lippen und schweifte jetzt über ihre ganze
Gestalt. Sabrina wartete.
Als er ihr wieder ins Gesicht sah, wußte sie, daß er dasselbe empfand wie sie.
Langsam zog er sie in seine Arme. Sie schmiegte sich an ihn, umschlang seine
breiten Schultern und spürte ein übermächtiges Verlangen. Als er sie küßte,
versank die Welt ringsum für sie. Es gab nur noch sie beide und das Mondlicht,
das sie umfing.
3. KAPITEL Sabrina stand in der frühen Morgensonne auf der breiten Treppe des Gutshauses und wartete auf Thaddeus, der ihr Auto holte. Er hatte sie gebeten, doch noch so lange zu bleiben, bis Bryan vom Weinberg und einem neuen Zuckertest zurückkehren würde. Aber Sabrina hatte darauf bestanden, schon jetzt nach San Franzisko heimzufahren. Sie brachte es einfach nicht fertig, Bryan so bald nach diesem Kuß im Mondlicht gegenüberzutreten. Sie brauchte Zeit und Abstand, um sich wieder zu fassen und nachzudenken. Warum habe ich das nur getan? fragte sie sich zum hundertstenmal. Sie liebte doch einen anderen Mann. Außerdem war Bryan nicht der Mensch, der in ihr Leben passen würde. Thaddeus kam vorgefahren. Er hielt Sabrina die Tür auf. „Können Sie wirklich nicht noch ein wenig warten?“ fragte er. „Bryan möchte sich bestimmt gern von Ihnen verabschieden.“ Sabrina stieg ein. „Es tut mir ehrlich leid, aber ich habe den Aktenkoffer voller Arbeit.“ Das stimmte sogar, war aber natürlich nicht der eigentliche Grund für ihre hastige Abreise. „Wie Sie meinen. Ich freue mich, Sie kennengelernt zu haben, Sabrina. Sicher werden wir uns bald wiedersehen.“ Thaddeus schloß die Wagentür und trat zurück. Als Sabrina anfuhr, sah sie, daß Adam aus dem Haus gekommen war und auf der obersten Treppenstufe saß. Sie drehte das Fenster herunter und winkte ihm zu. Er winkte nicht zurück. Nahm er ihr das überstürzte Verschwinden übel? Sabrina fühlte sich irgendwie schuldig, konnte aber ihren Entschluß nicht mehr ändern. Auf der Rückfahrt nach San Franzisko versuchte sie, den Arbeitstag vorauszuplanen. Es gelang ihr nicht. Ihr sonst so klarer Kopf war voll von Musik, Mondschein und der Erinnerung an Bryans Kuß. Ärgerlich schlug sie mit der flachen Hand auf das Lenkrad. „Warum muß mir das passieren?“ fragte sie sich laut. Das bringt doch nur mein Leben durcheinander. Bis jetzt ist alles so gelaufen, wie ich es haben wollte. Ich brauche keinen Bryan Benedict, der mir Sand ins Getriebe streut. Nun morgen kam John zurück, und damit würde alles wieder ins Gleichgewicht kommen. Bryan Benedict würde dann nichts weiter als ein Kunde ihrer Werbeagentur sein. Mit einer Rasche von Bryans Wein unter dem Arm betrat Sabrina ihr Büro. Heute, am Sonntag, herrschte Grabesstille im ganzen Gebäude. Sie rief Richard an, der erst einmal etwas Passendes zum Thema Feiertagsarbeit und Überstunden murmelte, dann aber innerhalb von dreißig Minuten eintraf. „Sie müssen mich doch nicht bestechen“, meinte er, als Sabrina ihm den Wein schenkte. „Doch, das muß ich.“ Sie holte die von Bryan genehmigte Skizze des neuen Flaschenetiketts heraus und gab sie Richard. „Von diesem hier brauche ich die Reinzeichnung, und am besten noch bis vorgestern. Der Wein soll nämlich gleich nach der Ernte im Oktober auf den Markt kommen.“ „Das heißt, wir müssen uns überschlagen. Aber keine Sorge. Das kriege ich schon hin.“ „Das weiß ich, Richard. Ich kann gar nicht oft genug sagen, daß ich einen großen Teil meines Erfolges Ihrer Arbeit verdanke.“ „Ist ja schon gut“, wehrte Richard ein bißchen verlegen ab. „Nein, noch nicht“, widersprach Sabrina. „Wenn wir nach diesem Auftrag hier
wieder Luft holen können, reden wir beide mal über eine Gehaltserhöhung. Das heißt, falls Sie daran interessiert sind.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Falls ich interessiert bin! Das muß ich meiner lieben Ginger erzählen. Sie meint immer, mir fehle es an Ehrgeiz.“ „Wie kommt ihr beide denn zurecht?“ Sabrina wußte, daß Richard und Ginger eine Zeitlang Krach miteinander gehabt hatten. „Besser“, antwortete Richard. „Sie hat eingesehen, daß mir der Spaß an der Arbeit wichtiger ist als das Streben nach Vermögen. Und ich beginne einzusehen, daß eine Frau gewisse Sicherheiten braucht, wenn sie sich fürs Leben an einen Mann binden soll.“ „Mit anderen Worten, Sie haben einen Kompromiß geschlossen“, stellte Sabrina fest. „Ja, ich glaube schon.“ Richard nickte. „Eigentlich eine tolle Sache, so ein Kompromiß.“ Sabrina mußte lachen. „Sie tun so, als wäre das Ihre ureigenste Erfindung.“ Richard lächelte entwaffnend. „Erfunden habe ich den Kompromiß nicht, aber gerade erst entdeckt. Wäre ich schon früher drauf gekommen, hätte ich mir einiges Türenknallen und Fluchen ersparen können. Aber dann wären auch die schönen Versöhnungsfeiern hinterher entfallen“, schloß er verschmitzt. „Sie sind unverbesserlich!“ „Das sagt Ginger auch immer. Na, ich glaube, ich mache mich jetzt lieber an die Arbeit, ehe ich gefeuert statt befördert werde.“ Den Rest des Tages verbrachte Sabrina mit der Ausarbeitung der Werbetexte. Das Telefon läutete ein paarmal, aber sie nahm nicht ab aus Angst, es könnte Bryan sein. Sie hätte nicht gewußt, was sie ihm sagen sollte. Daß dieser eine Kuß sie so aus der Bahn werfen konnte! Schließlich war es nur ein Kuß gewesen, und sie war eine erwachsene Frau. Viel beunruhigender war die Tatsache, daß sie sich zu diesem Bryan Benedict so sehr hingezogen fühlte. Seit sie zu John gehörte, waren andere Männer, und seien sie noch so aufregend und gutaussehend, für sie uninteressant geworden. Sabrina war schon immer eine sogenannte EinMannFrau gewesen. Sie seufzte. Für all das gab es eine ganz einfache Erklärung. Sie war zu lange von John getrennt gewesen! John war alles, was sie wollte. Er war ein einfühlsamer Liebhaber, ein verständnisvoller Partner, ein amüsanter Gesellschafter… Nun, über Heirat oder eine Verlobung hatten sie zwar nicht gesprochen, aber sie waren seit Jahren liiert. Und das schloß – in Sabrinas Augen – eine Affäre mit einem anderen Mann aus. Aber wer spricht denn von einer Affäre? verbesserte sie sich. Es geht hier nur um einen Kuß. „Aber was für ein Kuß!“ rief sie laut aus und warf den Zeichenstift auf den Schreibtisch. Dann riß sie sich wieder zusammen und lächelte. Schließlich wurde sie nicht dafür bezahlt, über Bryan Benedicts Küsse nachzudenken, sondern über seinen Wein und dessen Verkaufsmöglichkeiten. Am nächsten Morgen rief Lara aufgeregt, John sei am Apparat. Sabrina zögerte, ehe sie den Hörer abnahm. „Hallo, John!“ Sie hoffte, daß ihre Stimme fröhlich und unbeschwert klang. „Ich habe während des ganzen Wochenendes versucht, dich zu erreichen. Wo hast du dich denn rumgetrieben?“ „Ich habe mich nicht rumgetrieben, sondern wie ein Pferd gearbeitet. Wir haben nämlich einen neuen Auftrag.“ Es widerstrebte ihr, John von ihrem Aufenthalt im Moon Valley zu berichten.
„Wie dem auch sei – ich bin jedenfalls endlich wieder daheim.“ „Wie schön. Du hast mir gefehlt.“ „Du mir auch. Wie sehr, erzähle ich dir heute nacht. Wie wär’s mit einem gemeinsamen Abendessen?“ „Wie wär’s mit einem gemeinsamen Mittagessen?“ fragte sie zurück. „Ich wünschte, ich könnte es einrichten. Dazu stapelt sich aber die liegengebliebene Arbeit auf meinem Schreibtisch zu hoch.“ Sabrina seufzte. „Das sind eben die Nachteile, wenn man so erfolgreich ist wie du. Na gut, soll ich dann heute abend zu dir kommen?“ „Ja, du weißt, wir müssen noch über Hawaii sprechen. Ich muß schon früher dorthin, als ich dachte. Mittwoch.“ „Mittwoch?“ wiederholte Sabrina entsetzt. „Da bleibt uns ja wenig Zeit.“ „Ich kann’s nicht ändern. Aber so schlimm ist es nicht, denn du kommst ja bald nach.“ Auf Johns letzte Bemerkung ging Sabrina nicht ein. „Wie lange wirst du in Hawaii bleiben müssen?“ „Mindestens einen Monat, vielleicht auch länger. Tut mir leid, Liebes. Ich weiß, daß ich für dich langsam zum ,Großen Unsichtbaren’ werde.“ „Nein, nein. Ich sehe es ja ein. Ehrlich.“ „So, jetzt muß ich mich aber beeilen. Robb, der große Boß, ruft. Bis heute abend dann.“ Sabrina legte auf und blieb dann eine Weile regungslos sitzen. Zum erstenmal in zwei Jahren sah sie dem Wiedersehen mit John mit gemischten Gefühlen entgegen. Schuldgefühle? Unsinn, sagte sie sich. Ein einziger Kuß stellte schließlich noch keinen Seitensprung dar. Außerdem hatte John von ihr keine Treue verlangt und sie ihr auch nicht versprochen. Es ist sicher nur die lange Trennung… Entschlossen wandte sich Sabrina wieder ihrer Arbeit zu und bemühte sich, alle Gedanken an Bryan aus ihrem Kopf zu verscheuchen. Ein paar Minuten später war er am Apparat. Selbst durchs Telefon wirkte seine Stimme elektrisierend. Glücklicherweise erwähnte er das Wochenende nicht, sondern kam gleich zu Sache. „Ich fahre morgen in die Stadt, um mir meine Fotos von Holcomb zu holen. Kann ich sie Ihnen am Nachmittag vorbeibringen?“ „Gern. Morgen bin ich den ganzen Tag im Büro.“ Sabrina wollte das Gespräch so schnell wie möglich beenden. „Dann bis morgen. Auf Wiedersehen.“ Das war natürlich ein bißchen abrupt, aber sie wollte nicht riskieren, daß noch andere Dinge zur Sprache kamen. Es gelang Sabrina nicht, sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Am Nachmittag erklärte sie Lara, daß sie das Büro heute früher verließ, um einige Einkäufe zu erledigen. Ein paar Minuten später betrat sie das supermoderne Kaufhaus NeimanMarcus am Union Square. In der Süßwarenabteilung kaufte sie Johns Lieblingspralinen. Anschließend durchstöberte sie die Abteilung für Damenunterwäsche und entschloß sich schließlich zu einem aufreizenden, erdbeerfarbenen Nachtgewand aus durchscheinender Spitze mit einem enganliegenden, tief ausgeschnittenen Oberteil. Genau das Richtige für eine romantische Wiedersehensfeier mit John und für die Nächte danach. Ein gewisser Bryan Benedict würde dann nicht mehr durch ihre Gedanken geistern. Punkt neun Uhr läutete Sabrina an der Tür zu Johns Apartment auf dem Russian Hill. Die Wohnung lag im neunten Stock eines modernen Gebäudes aus Stahl und
Glas und entsprach mit ihren Chrom und Glastischen, dem mattweißen Mobiliar und den zeitgenössischen Drucken an den grellweißen Wänden genau dem Stil des ganzen Hauses. Kwan, Johns taiwanesischer Hausboy, öffnete Sabrina die Tür. „Entschuldige, ich bin spät dran, Liebes“, hörte sie Johns Stimme aus dem Schlafzimmer. „Komm doch gleich herein. Das spart Zeit.“ Sabrina trat ins Schlafzimmer. John stand vor dem Spiegel und knotete seine Krawatte. Er drehte sich zu Sabrina um und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. Wirklich gut sieht er aus, dachte sie, groß, schlank und elegant, fast wie ein männliches Fotomodell. Die neidischen Blicke anderer Frauen machten sie stets stolz. „Komm her“, bat er leise. Sabrina trat auf ihn zu. Er streichelte ihr sanft über die Wange. „Du siehst bezaubernd aus. Ich habe dich vermißt.“ Ein vielsagender, verführerischer Unterton lag in seiner Stimme. Sabrinas Herz flog ihm zu. Alles ist wieder gut, dachte sie. Ich hatte schon recht; ich brauche John nur wiederzusehen. John neigte sich über sie und küßte sie. Sein Kuß war zärtlich, und seine Lippen versprachen, daß leidenschaftlichere folgen würden. Sabrina genoß diesen Kuß. Dennoch löste er nicht das heiße Begehren in ihr aus, wie es Bryans Kuß getan hatte. Sabrina befreite sich aus Johns Armen und trat an die Fensterfront. Der Ausblick war atemberaubend. Die GoldenGateBrücke strahlte im Lichterglanz. Auf der gegenüberliegenden Seite sah man die Berge des Marin County, weiter nördlich die RichmondBrücke und etwas näher im Westen die BayBrücke. Für John ist das Beste gerade gut genug, selbst wenn es sich um einen Ausblick handelt, dachte sie. „Ich habe einen Tisch im ,Maxwell’s Plum’ reservieren lassen. Wir sollten uns beeilen“, sagte John hinter ihr. Er nahm Sabrinas Hand, lächelte glücklich und verließ mit ihr die Wohnung. Maxwell’s Plum am Ghiradelli Square war mit seinen Marmorstufen, der üppigen Pflanzendekoration, den Buntglasfenstern, Kristallüstern und der Rokoko Holzvertäfelung ein höchst beeindruckendes Restaurant. Johns und Sabrinas Tisch befand sich am Fenster, das einen Ausblick über die Bucht bot. Bei Wildschweinbraten und Ente in Orangensauce berichtete John von seiner Reise. Ihm zuzuhören war interessant und amüsant. Beim Dessert zog er plötzlich ein kleines Kästchen aus der Tasche. „Nur ein Mitbringsel, damit du siehst, daß ich unterwegs an dich gedacht habe.“ Sabrina öffnete das Etui und fand darin die schönste Platinuhr, die sie jemals gesehen hatte. Das Armband war hauchdünn, und kleine Rubine dekorierten das Ziffernblatt. Sabrina war für einen Moment sprachlos. John machte ihr zwar öfter teure Geschenke, aber dies hier mußte ein Vermögen gekostet haben. John beobachtete sie. „Sag mir nicht, eine Sportuhr aus rostfreiem Stahl wäre dir lieber gewesen!“ neckte er. Sabrina lachte leise und schüttelte den Kopf. „Nein.“ Ihre Stimme zitterte ein wenig. John legte ihr die Uhr an. Dann führte er ihre Hand an seine Lippen und küßte sie sanft. Er schaute Sabrina liebevoll in die Augen. Sein Blick berührte sie tief. Sie spürte, daß es John ehrliche Freude bereitete, sie zu beschenken. „Ja, also…“ sprach er weiter. „Wegen Hawaii…“ „John“, fiel Sabrina ihm ins Wort. „Ich kann nicht.“ „Wie bitte?“ „Ich sagte dir doch, ich habe einen neuen Auftrag von der Kellerei Benedict. Es
ist das Größte, was ich bisher angefaßt habe, und eine furchtbar eilige Sache dazu. Im Moment kann ich mir einfach keine zwei Wochen Urlaub leisten. Nicht einmal zwei Tage.“ Eine Sekunde lang befürchtete Sabrina, daß John jetzt böse werden und sagen würde: „Vergiß den verdammten Großauftrag und komm mit mir.“ Sabrina spürte, daß sie diese Reaktion sogar herbeisehnte. Sie wollte von ihm hören, wie sehr er sie in Hawaii brauchte. Doch dieser Augenblick ging vorüber. „Ich verstehe. Natürlich bin ich enttäuscht.“ John seufzte. „Aber selbstverständlich sehe ich ein, wie wichtig deine Arbeit für dich ist.“ Er verstand. Er sah ein. Selbstverständlich. Sabrina war enttäuscht, obwohl sie doch eigentlich froh darüber sein mußte, daß John einer von diesen modernen und liberalen Männern war, die eine Frau niemals unterdrücken würden. War sie bisher nicht gerade deswegen mit ihrem Verhältnis so glücklich gewesen? Ja, aber trotzdem stieg jetzt Ärger in ihr hoch. „Was hast du?“ fragte John nach längerem, angespannten Schweigen schließlich. „Ich bleibe ja nicht für immer fort. Wir haben doch noch heute und morgen abend…“ Er blickte sie vielsagend an. Plötzlich waren alle Gedanken an ihr aufreizendes neues Nachthemd und dessen Wirkung wie weggeblasen. Sabrina wollte nur noch allein sein. Sie war verletzt und verärgert, obwohl sie genau wußte, daß dazu überhaupt kein Anlaß bestand. „Ich bin furchtbar erschöpft“, log sie. „Ich habe ein… ein sehr hartes Wochenende hinter mir. Die ganze Arbeit an dem neuen Auftrag…“ Als John schwieg, fuhr sie fort: „Sei mir nicht böse, aber ich möchte heute früh schlafen gehen. Können wir uns auf morgen abend vertagen?“ Johns Gesichtsausdruck verhärtete sich ein wenig. Er war offensichtlich verärgert. „In Ordnung“, nickte er schließlich knapp. Vor ihrer Wohnungstür küßte er Sabrina kurz und versprach dann, morgen wieder anzurufen. Dann ging er. Sabrina schloß die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen. Ich bin eine Närrin, schalt sie sich. Ich hätte ihn heute und morgen für mich haben können. Aber das war ihr nicht mehr genug. Am Dienstag läutete das Telefon noch vor Sabrinas Wecker. „Guten Morgen.“ Es war John. „Ich glaube, wir lagen gestern abend nicht auf derselben Wellenlänge. Vermutlich hatte ich mich noch nicht ganz von der Reise erholt.“ John fügte hinzu, es habe ihn wohl auch ein wenig gestört, sie mehr an ihrer Arbeit als an ihm interessiert zu sehen. Er fragte, ob das als Erklärung oder Entschuldigung ausreiche, um Sabrina wieder versöhnlich zu stimmen. „Ich muß mich auch entschuldigen.“ Sabrina wünschte aufrichtig, wieder den alten Zauber zu spüren, der sie früher eingefangen hatte, wenn sie nur Johns Stimme hörte. „Was hast du heute vor?“ Vielleicht könnte man ja den Mittag und den Abend zusammen verbringen. „Oh, furchtbar viel“, lautete Johns Antwort. „Den ganzen Tag bin ich schwer beschäftigt. Ein paar wichtige Entscheidungen, die Robb und ich treffen müssen. Aber“, schloß er, „den Abend habe ich für uns beide reserviert. Es wird vielleicht sehr spät, doch bestimmt auch sehr schön.“ Im Flüsterton sprach er weiter: „Ich habe dich vermißt, mein Schatz. Und ganz besonders gestern abend.“ Später, beim Ankleiden, verstand Sabrina noch immer nicht, warum Johns Worte für sie eben nur Worte geblieben waren. John hatte anscheinend nicht bemerkt, daß sie nicht wie früher auf ihn reagiert hatte. Aber vielleicht spielte das für ihn auch keine so große Rolle wie für sie.
John war eben… John. Ein interessanter Mann, eine Mischung aus Härte und Nachgiebigkeit, berechnend und großzügig zugleich. Er mußte aus einer großen und armen Familie stammen, von der er aber nie sprach. Er sei anders als sie, hatte er einmal erklärt, ein armer Junge, der es aus eigener Kraft „geschafft“ hatte. Sabrina hatte immer gespürt, daß ihm Erfolg und Geld mehr bedeuteten als Liebe. Aber war das denn unverzeihlich? Nein, beantwortete sie ihre eigene Frage. Für John gewiß nicht. Und strebte sie selbst nicht auch danach, aus ihrem Talent etwas zu machen? Vielleicht war das Reichwerden für sie nicht das Erstrangige, aber einzuwenden hatte sie dagegen ganz und gar nichts. Sabrina sah in den Spiegel. Heute war ein besonderer Tag, und deshalb hatte sie sich auch besonders schön gemacht. Sie trug ein Modellkostüm aus apricotfarbenem Seidenstoff und dazu eine Batistbluse in einem helleren Ton, beides Farben, die ausgezeichnet zu ihrem goldblonden Haar und ihren braunen Augen paßten. Sie legte goldene Ohrringe an und kontrollierte noch einmal ihr Makeup. Dann nahm sie Handtasche und Aktenkoffer und machte sich eilig auf den Weg ins Büro. In der Agentur gab es Ärger mit so ziemlich allen Kunden, die Kellerei Benedict ausgenommen. Mittags rief John an, der nun plötzlich doch Zeit für sie hatte. Inzwischen aber hatte Sabrina sich mit einem ihrer Auftraggeber in ihrem Büro verabredet, und sie konnte diesen Termin keineswegs rückgängig machen. John reagierte darauf etwas verärgert, was wiederum Sabrina aufbrachte. Heute morgen hatte er erwartet, daß sie Verständnis für seinen hektischen Tag zeigte, und jetzt verlangte er indirekt, daß sie ihre eigenen geschäftlichen Termine absagte. Trotz seiner angeblich so liberalen Haltung machte er anscheinend ein paar Unterschiede zwischen sich und anderen. Sabrina ging lieber nicht darauf ein. Nach einer ausgedehnten Pause sagte John schließlich: „Okay. Ich verstehe. Gegen fünf Uhr bin ich frei. Soll ich dich dann abholen?“ „Nein. Ich rufe dich lieber vorher an. Irgendwann am Nachmittag kommt Mr. Benedict her, um mir ein paar Fotos zu bringen. Ich habe mit ihm noch etwas wegen des Druckauftrages zu besprechen. Entschuldige mich bitte, John, aber ich muß jetzt Schluß machen. Ich habe zu tun.“
4. KAPITEL Bryan kam kurz vor drei Uhr. Als Lara ihn in Sabrinas Büro führte, schien die Luft plötzlich elektrisch aufgeladen. Bryan trug einen dunkelblauen Blazer, eine graue Flanellhose und ein weißes Hemd mit einer gestreiften Krawatte. Er strahlte Vitalität aus. „Wunderbar!“ rief Sabrina, nachdem Bryan ihr die Fotos übergeben hatte. Sie öffnete Richards Tür, rief den Grafiker in ihr Zimmer und machte die beiden Männer miteinander bekannt. „Richard“, bat sie dann lächelnd, „werfen Sie doch mal Ihren professionellen Blick auf diese Bilder.“ Einige der Fotos zeigten die einzelnen Entwicklungsstufen in den Weinbergen von der Traubenbildung an den Rebstöcken bis zur Ernte. Ein paar kleinere Aufnahmen gaben Details über die Weinbeeren selbst wieder. Die größeren Fotos waren ausgesprochen stimmungsvolle Landschaftsbilder in immer wechselnden Farbschattierungen; die kleineren dienten zur näheren Information. Anhand der Aufnahmen erklärte Bryan Sabrina und Richard noch einmal den Ablauf des Weinanbaus in allen Einzelheiten. Wieder klang Stolz über sein schönes Gut in seiner Stimme mit. „Sehr gut“, lobte Richard, als der Vortrag beendet war. „Diese Bilder sind sehr einprägsam. Und Ihr Wein ist ausgezeichnet, Mr. Benedict“, fügte er hinzu. „Er verdient eine ebenso ausgezeichnete Werbekampagne.“ Bryan machte bei Richards Worten ein so erfreutes Gesicht, daß Sabrina richtig gerührt war. „Bitte, nennen Sie mich Bryan“, bat er Richard. „Ich hoffe, aus unserer Zusammenarbeit wird mehr als nur ein Werbefeldzug für einen neuen Wein.“ Dann wandte er sich an Sabrina. „Sie sagten vorhin, Sie wollten die fertigen Vorlagen morgen oder übermorgen an den Drucker weiterleiten. Gibt es irgend etwas, wobei ich Ihnen helfen kann?“ „Ich könnte bei der Plazierung der Fotos in der Broschüre eine hilfreiche Hand gebrauchen“, antwortete Sabrina. „Na fein. Wo kann ich mein Jackett aufhängen?“ fragte Bryan vergnügt. Der restliche Nachmittag verging wie im Flug. Um sieben Uhr schickte Sabrina Richard und Lara nach Hause. Der übliche Lärm des Feierabendverkehrs ebbte langsam ab, und die vielen Lichter am Union Square flammten auf. Es klopfte an die Bürotür. Sabrina öffnete und stand einem recht verärgert aussehenden John gegenüber. „Ich dachte, wir hätten eine Verabredung“, sagte er. „Gehst du eigentlich überhaupt nicht mehr nach Hause? Als du nicht wie versprochen angerufen hast, bin ich zu dir nach Hause gefahren, aber wer nicht da war, warst du. Also, was ist?“ „O John! Das tut mir so leid!“ rief Sabrina. „Ich wollte dich ja anrufen, aber dann war ich so in meine Arbeit vertieft…“ „Das sehe ich.“ Johns Blick war auf Bryan gerichtet, der über Sabrinas Zeichentisch gebeugt stand. „Das ist Mr. Benedict von der BenedictKellerei.“ Sabrina führte John ins Zimmer. „Ich arbeite die Werbung für den neuen Schaumwein aus, den er in diesem Herbst herausbringt. Der eilige Auftrag, von dem ich dir erzählte.“ „John Carr.“ John gab Bryan kurz die Hand. „Ich muß das hier wirklich alles morgen für den Drucker zusammenhaben“, erklärte Sabrina. „Ich fürchte, mit dem Abendessen wird es nichts.“ Hoffentlich wurde John jetzt vor Bryan nicht zu persönlich. Sie lächelte gewinnend. „Vergibst du mir?“
„Natürlich.“ John küßte sie auf die Wange. Sabrina fing einen Blick von Bryan
auf.
„Miss Montgomery, ich möchte nicht, daß meine Angelegenheit Ihre Pläne
durcheinanderbringt“, sagte er dann.
„Das muß sie aber zwangsläufig, denn morgen ist der einzige Termin, den der
Drucker für mich frei hat.“
„Schon gut. Kein Problem“, winkte John kühl ab. Ob er darüber verschnupft war,
daß Sabrina ihn nicht angerufen hatte, oder ob ihn Bryans Anwesenheit störte,
ließ sich nicht erkennen. Auf jeden Fall war es wohl etwas ganz Neues für ihn,
daß Sabrina ihm einmal nicht zur Verfügung stand.
Sabrina brachte John zum Ausgang. „John, es tut mir wirklich leid.“ Sie war
schon drauf und dran, ihm zu sagen, daß sie in einer Stunde hier fertig wäre und
dann der Abend immer noch schön werden könnte. Doch eine innere Stimme
hielt sie davon ab. Bisher hatte sie stets dafür Verständnis aufbringen müssen,
daß Johns Arbeit vorging. Jetzt war es einmal umgekehrt. Warte ab! mahnte die
Stimme.
„Und wie ist es mit Hawaii?“ fragte John etwas unsicher.
Sabrina seufzte. „John, dieser Auftrag ist eine einmalige Chance für meine
Werbeagentur. Ich kann sie mir nicht verderben. Viel Spaß und gute Reise.“
„Ich rufe dich an.“ Noch ein kurzer, kühler Kuß, und John ging.
„Jetzt komme ich mir wie ein Tyrann vor“, gestand Bryan, als Sabrina
zurückkehrte. „Ich hätte erst fragen sollen, ob Sie etwas anderes vorhatten.“
„Sie sind kein Tyrann, sondern ein Kunde mit einem eiligen Auftrag“, versicherte
Sabrina lächelnd. „Außerdem war es meine Idee.“
Nach einer weiteren Stunde war die Arbeit so weit fertig, daß Sabrina den Rest
leicht am nächsten Morgen schaffen konnte. Sie holte tief Luft und stand auf.
„Also, mir gefällt’s“, verkündete sie. „Und Ihnen?“
„Mir auch. Sie sind phantastisch. Da ich Ihnen den Abend verdorben habe,
möchte ich Sie jetzt wenigstens zum Essen einladen.“
Zu ihrer eigenen Verblüffung erbot sich Sabrina, Bryan daheim ein Omelett zu
braten oder ein Tiefkühlgericht zu erhitzen.
„Ein andermal, hoffe ich“, lehnte er ab. „Heute haben Sie lange genug gearbeitet.
Sie haben sich ein schönes Essen verdient. Ach was“, widersprach er und
streckte seine langen Beine und Arme von sich, „wir beide haben es uns
verdient.“
Sabrina war einverstanden. Sie zeigte Bryan den Waschraum, damit er sich
etwas frischmachen konnte. In ihrem privaten Badezimmer vertauschte sie den
Arbeitskittel mit ihrem Kostüm und besserte ihr Makeup aus.
Draußen wartete Bryan schon auf sie, und als sie ihn bei ihrem Anblick das Wort
„phantastisch“ wiederholen hörte, schlug ihr Herz einen kleinen Purzelbaum, und
alle Müdigkeit war verflogen.
Auf dem Weg zu seinem Wagen fragte Bryan Sabrina, ob sie ein bestimmtes
Restaurant bevorzuge.
„Ich habe den ganzen Tag lang Vorschläge machen und Entscheidungen treffen
müssen“, erklärte sie. „Jetzt sind Sie dran.“
„Kennen Sie das NobHillRestaurant? Es ist ruhig und hat eine ausgezeichnete
Küche. In Folie gebackene Forelle ist dort besonders empfehlenswert.
Einverstanden?“
„Völlig.“ Ob es wohl dort auch ohne Tischbestellung klappt wie neulich im Doro?
fragte sie sich lächelnd. Schließlich kann dieser Bryan Benedict nicht überall
bekannt sein.
Das NobHillRestaurant befand sich im supereleganten HopkinsHotel. Der
Empfangskellner begrüßte Bryan sogar mit Namen und führte ihn und Sabrina sofort zu einem Tisch. Sabrina schaute sich um. Der Speiseraum war ruhig und geschmackvoll konservativ eingerichtet. Solide, traditionell, nicht neureich. Wie Bryan Benedict, dachte sie. Unwillkürlich mußte Sabrina an das Maxwell’s Plum denken, in dem sie gestern mit John gegessen hatte. Die aufgeblasene SiebenMillionenDollarPracht des Maxwell’s Plum war genau das, was John gefiel. Obwohl er einen sicheren Geschmack hatte, fehlte ihm jedes Gefühl für das Konservative. Nun, so übermäßig konservativ war Bryan auch wieder nicht, jedenfalls nicht auf allen Gebieten. Sein Kuß auf Madrona hatte ihr bewiesen, daß in dem äußerlich so beherrschten Mann ein geheimes Feuer glomm. Sabrina sah zu ihm hinüber und bemerkte, daß er sie beobachtet hatte. Er lächelte, und dieses Lächeln war sehr zärtlich und beinahe intim. Ein Beben durchlief Sabrina wie eine Vorwarnung – aber wovor? Glücklicherweise brach der Kellner den merkwürdigen Bann. Während des Essens hörte Sabrina Bryan zwar zu, beantwortete auch seine Fragen und trug selbst zum Gespräch bei, aber trotzdem versuchte sie die ganze Zeit zu ergründen, was das eigentlich für Empfindungen waren, die er in ihr wachrief. John war ihr wirklicher idealer Partner, und nicht dieser Mann, der zornsprühend vor einigen Tagen in ihr Büro geplatzt war, und nun drohte, ihr wohlgeordnetes Leben aus der Bahn zu werfen! Nach dem Essen, auf dem Weg zu Sabrinas Apartment, stoppte Bryan den Wagen plötzlich vor einem schon geschlossenen, aber noch erleuchteten Blumenladen. Zwei junge Männer waren mit der Dekoration des Schaufensters beschäftigt. Auf Bryans Klopfen schüttelten sie die Köpfe, aber als er seine Brieftasche zog und einen Geldschein hochhielt, öffneten sie die Tür. Einen Augenblick später kehrte Bryan mit einem Riesenstrauß goldener Chrysanthemen zurück. „Blumen für die Dame“, sagte er und drückte sie Sabrina in den Arm. „Meine Lieblingsblumen! Woher wußten Sie das?“ „Gedankenübertragung natürlich.“ Bryan grinste jungenhaft. Vor ihrer Wohnungstür zögerte Sabrina einen Augenblick. Zu gern hätte sie Bryan noch auf einen kleinen Schlaftrunk in ihr Apartment gebeten, doch dann dachte sie an seinen Blick, den sie im Restaurant aufgefangen hatte, und an ihre eigene Reaktion darauf. Nein, sie mußte sich jetzt von ihm verabschieden. Statt dessen aber hörte sie sich zu ihrer eigenen Verblüffung fragen: „Darf ich Sie noch zu einer Tasse Kaffee einladen, bevor Sie sich auf den langen Rückweg machen?“ „Sehr gern.“ Bryans Stimme klang viel tiefer als vorher. Sabrina fühlte, daß er dasselbe empfand wie sie. Später, als sie den fertigen Kaffee einschenkte und merkte, wie eindringlich Bryan sie anschaute, wurde es ihr doch ein wenig unbehaglich. „Normalerweise lade ich keine Kunden zu mir nach Hause ein. Ich…“ „Das liegt an mir“, erklärte Bryan. „Frauen, Kinder und Hunde vertrauen mir. Ich bin eben so ein zuverlässiger Typ.“ Sein Ton klang heiter und unbeschwert, aber seine Augen blickten ernst. Rasch stand Sabrina auf und legte eine Musikkassette ein. „Noch ein bißchen Mozart.“ „Er ist zu meinem Lieblingskomponisten geworden“, gestand Bryan leise. „Sabrina, der vergangene Samstag war einer der glücklicheren Tage in meinem
Leben.“ Nur nicht dieses Thema! dachte Sabrina. Ich kann doch nicht zugeben, was ich an diesem Abend gefühlt habe. „Sabrina?“ Bryan nahm ihr die Kaffeetasse aus der Hand. Er legte die Hände um ihre Schultern und zog sie zu sich heran. Sabrina zitterte, aber ob es nun aus Angst war oder sehnsüchtiger Erregung, hätte sie nicht sagen können. Bryan liebkoste ihre Lider, die Schläfen, ihr Ohr. Noch fester schloß er sie in die Arme. Sein starker muskulöser Körper preßte sich an ihren. Sabrina seufzte leise und gab sich seiner Umarmung hin. Sie schlang die Arme um seinen Nacken und bot ihm ihre Lippen. Bebend erwartete sie seinen Kuß. Zuerst sehr sanft, dann erregend und fordernd nahm sein Mund den ihren gefangen. Seine Zunge drängte sich aufreizend zwischen ihre Lippen. Sabrinas Herz begann wie rasend zu schlagen. Sie wünschte, dieser Kuß würde nie enden. Aber dann, als hätten ihn seine eigenen Gefühle erschreckt, trat Bryan ein wenig zurück und sah Sabrina tief in die Augen. „Ich glaube, ich habe eben meinen vertrauenswürdigen Ruf ruiniert“, meinte er schließlich. Sabrina war noch außer Atem. „Ich fürchte, ja.“ „Sabrina?“ Bryans Augen stellten eine deutliche Frage. „Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen, Bryan.“ Sabrinas Stimme bebte. Obwohl sie diesen Kuß herbeigesehnt hatte, durfte sie die Dinge nicht zu weit treiben lassen. „Ich glaube, der Wein vorhin ist mir zu Kopf gestiegen.“ Sie versuchte, so unbefangen wie möglich zu sprechen. „Irgendwie habe ich vergessen, daß Sie mein Kunde sind. Ich…“ Aber Bryan ließ sich nicht beirren. Er sah sie direkt an. „Bist du mit John Carr verlobt?“ „Nein“, antwortete Sabrina widerstrebend und hatte dabei das Gefühl, Brücken hinter sich abzubrechen. Bryan lächelte nun unmerklich, aber seine Augen leuchteten. Er sah sich im Zimmer um. „Du lebst allein hier, nicht wahr?“ „Sieht man das nicht?“ fragte sie. Sie konnte den Tumult ihrer Gefühle kaum bewältigen. Bryan trank seine Tasse leer und stellte sie auf den Tisch. Dann legte er wieder die Hände um Sabrinas Schultern, hauchte einen leichten Kuß auf ihre Lippen und sagte gute Nacht. Noch lange, nachdem er gegangen war, stand Sabrina am Fenster und schaute auf die Lichter der Stadt, ohne sie zu sehen. Was ist nur mit mir los? dachte sie. Bryan Benedict war genau der Typ Mann, mit dem sie sich nicht einlassen durfte. Er würde zuviel von ihr verlangen und ihr zuviel von ihrer hart erkämpften Freiheit nehmen. Sabrina mußte an ihre schöne und intelligente Mutter denken, die ihr Leben ausschließlich ihrem Mann und ihrer Familie widmete. Nein, das war nichts für Sabrina. Sie schenkte sich noch einen Brandy ein und ging dann ins Bett. Die seltsame Wärme, die sie durchströmte, kam nicht von dem Drink und auch nicht von dem Gedanken an John, mit dem sie diese Nacht hätte verbringen können. Er schien in weiter Ferne zu sein. Der Tag versprach schön zu werden. Jetzt war es noch früh am Morgen, und die frische kühle Luft, die durch das heruntergekurbelte Autofenster hereinströmte, spielte mit Sabrinas Haar. Das Panorama des Weinlandes breitet sich friedlich und malerisch vor ihr aus. Während der vergangenen Woche war es Sabrina fast gelungen, Bryan aus ihren
Gedanken zu vertreiben. Nur einmal hatten sie wegen der Kampagne miteinander telefoniert. Solange sie in San Franzisko war, hatten John und ihr Verhältnis zu ihm ihre Überlegungen beherrscht, aber sobald sie heute morgen die GoldenGateBrücke hinter sich gelassen hatte, konnte sie nur noch an Bryan denken. Bewußt versuchte sie, sich auf einige Probleme zu konzentrieren, die sich bei dem Auftrag der BayRadioGesellschaft ergeben hatten. Je mehr sie sich jedoch Madrona näherte, desto schwerer fiel es ihr, an etwas anderes zu denken als an das Wiedersehen mit Bryan. Als Sabrina das Gutshaus erreichte, kam Adam gerade um eine Ecke gefegt. Er hielt einen großen deutschen Schäferhund an der Leine, und ein kleiner Terrier sprang vor ihm her. Sabrina stieg aus dem Wagen, blieb aber hinter der offenen Tür stehen. „Hallo!“ Sie winkte ihnen zu. Adam und die Hunde bremsten. Sabrinas Erscheinen verblüffte den Jungen offensichtlich. Er sah ihr mißtrauisch entgegen. Sie würde sich also erneut um seine Freundschaft bemühen müssen. Auch deswegen war sie gekommen. Der Junge und die Hunde setzten sich wieder in Bewegung. Ein paar Meter vor Sabrina blieben sie stehen. Der Schäferhund zog an seiner Leine. „Sitz, Rex!“ befahl Adam. Der Hund gehorchte. Der Terrier dagegen rannte auf Sabrina zu und umsprang sie fröhlich. Das muß Pancho sein, dachte sie. Sabrina ging zu Adam und hockte sich vor ihm nieder. „Ich freue mich, dich wiederzusehen.“ Der Junge nickte, schwieg jedoch und blickte Sabrina nicht an. „Ich habe dir etwas mitgebracht“, fuhr sie fort. „Möchtest du es sehen?“ Sofort strahlte sein kleines Gesicht. Sabrina holte ein altes, wohlgehütetes Kinderbuch hervor und gab es ihm. „Ich habe das Buch geschenkt bekommen, als ich so alt war wie du jetzt, und ich habe es sehr gern gehabt. Hoffentlich gefällt es dir auch.“ „Darf ich es behalten?“ Adam sah Sabrina zum erstenmal ins Gesicht. „Natürlich. Es gehört dir.“ Der Junge blätterte eifrig in dem Buch und schaute sich die Bilder an. Dann fiel ihm wohl ein, daß er etwas vergessen hatte: „Danke, Sabrina.“ „Gern geschehen. Ist dein Vater im Haus?“ „Ja.“ Adam ging neben Sabrina her zum Gutshaus. „Bleibst du eine Weile hier?“ „Bis heute nachmittag. Aber diesmal verabschiede ich mich von dir, ehe ich gehe. Das verspreche ich dir. Ehrenwort!“ „Kommst du wieder?“ Sabrina blickte in die fragenden Kinderaugen und fand darin den gleichen mißtrauischwachsamen Ausdruck, den sie an seinem Vater kannte. „Ja“, antwortete sie dann. Am liebsten hätte sie das Kind jetzt in die Arme genommen. „Ich komme wieder.“ Adam legte seine kleine Hand vertrauensvoll in die ihre, und das rührte Sabrina fast zu Tränen. Deshalb gelang es ihr auch ein paar Augenblicke später nicht, Bryan so kühl gegenüberzutreten, wie sie es geplant hatte. In San Franzisko hatte sich Sabrina immer wieder eingeredet, daß Bryan zwar recht gut aussah, aber daß dieser bestimmende, fordernde, altmodisch denkende Mann keine Konkurrenz für John darstellen konnte. Jetzt aber sah sie in seine grünbraunen Augen, und ihr innerer Widerstand schmolz. Verstohlen bewunderte sie, wie perfekt seine Jeans saß, und wie das hellblaue Oberhemd seine breiten Schultern betonte. Mit einemmal war sie froh, daß sie heute ein besonders hübsches Kleid angezogen hatte, in dem sie sehr weiblich wirkte. An der Art, wie Bryan sie musterte, erkannte sie, daß es seine Wirkung auf ihn nicht verfehlte. Sein
Lächeln hieß sie willkommen, und sie war glücklich, wieder bei ihm zu sein. Adam rannte zu seinem Vater. „Guck mal, Daddy! Sabrina hat mir ein Buch mitgebracht.“ Bryan schaute sich das Bilderbuch an. „Das ist ein sehr hübsches Buch, Adam. Es wird dir sicher Spaß machen.“ Er reichte es dem Jungen zurück und sah dann wieder Sabrina an. Adam war aber noch nicht bereit, auf seine Aufmerksamkeit zu verzichten. „Das war Sabrinas Buch, als sie so klein war wie ich“, erklärte er stolz. „Dann ist es besonders nett von ihr, daß sie es dir schenkt.“ Bryan nickte Sabrina zu. „Sabrina, wir beide freuen uns schrecklich, daß du gekommen bist. Du mußt dich ziemlich früh auf den Weg gemacht haben.“ „Es gibt eine Menge Arbeit“, sagte sie, um das Gespräch wieder in unverfänglichere Bahnen zu lenken. „Je früher wir damit anfangen, desto eher können Sie sich wieder Ihren anderen Aufgaben zuwenden.“ „Eigentlich habe ich mir den ganzen Tag für dich freigehalten.“ Bryan lächelte ein bißchen hintergründig. Nun, dachte Sabrina, wenn er beim „Du“ bleibt, kann ich mich schlecht auf das „Sie“ versteifen. Schließlich, wer von ihnen beiden galt als konservativ und altmodisch? Sie wollte es gewiß nicht sein! Mit einem Lächeln beschloß sie, ihm zumindestens in dieser Hinsicht nachzugeben. „Ich dachte… du hast vor der Ernte soviel zu tun?“ Das Aufblitzen in seinen Augen zeigte ihr an, daß er diesen Punkt für sich verbuchte. „Aber bis zur Ernte haben wir noch ein bißchen Zeit“, sagte er lachend und gab Adam das Buch zurück. Dabei streifte sein Arm leicht Sabrinas Schultern. War es Versehen oder Absicht? Wieder lief dieses Beben durch ihren Körper, und sie nahm unmerklich Abstand von ihm. Bryan mußte es bemerkt haben. Er lächelte erfreut, und die Art, wie sich sein Gesicht dabei aufhellte, verursachte Sabrina das alte Herzklopfen. Bryan strich Adam jetzt liebevoll übers Haar. „Sabrina und ich werden jetzt eine Weile in meinem Büro arbeiten. Bist du so lieb und sagst Thaddeus, er möchte uns ein ganz besonders gutes Mittagessen zubereiten?“ Adam strahlte. „Hot dogs mit Käse?“ Bryan lachte. „Wir wollen Thaddeus die Wahl überlassen, ja? Vielleicht teilt Sabrina deinen Geschmack gar nicht.“ „Um ehrlich zu sein, ich liebe Hot dogs“, gestand Sabrina, nachdem Adam hinausgelaufen war. „Besonders mit Käse.“ „Hot dogs!“ Bryan führte Sabrina in sein Arbeitszimmer. „Und die in Folie gebackene Forelle neulich?“ „Das war ein wohlverdientes Abendessen nach der Arbeit, vielen Dank.“ Sabrina ging auf Bryans Ton ein. „Trotzdem sollten wir einmal mit Adam in das ,Nobel Frankfurter’ gehen. Hast du dort schon mal einen Hot dog probiert?“ „Ich weiß es längst – du hast einen ausgezeichneten Geschmack.“ Sabrina mußte mit einemmal daran denken, wie schlicht es daheim in Minnesota zugegangen war. Wenn sie jetzt in einem teuren Restaurant eine französische Speisenkarte ohne Hilfe des Kellners lesen konnte, so hatte sie das hauptsächlich John und seinem raffinierten Lebensstil zu verdanken. Sie merkte, daß Bryan sie aufmerksam beobachtete. Plötzlich überkam sie das unbehagliche Gefühl, er könnte ihre Gedanken lesen. Entschlossen lenkte sie die Unterhaltung wieder in geschäftliche Bahnen. „Wir müssen jetzt die Texte für die Funk und Fernsehwerbung besprechen. Die Entwürfe für die Inserate habe ich auch mitgebracht.“ Sie legte die Unterlagen auf Bryans Schreibtisch und setzte sich auf den Stuhl davor.
Bryan nahm in seinem großen Ledersessel Platz und sah die Papiere aufmerksam durch. Sabrina beobachtete ihn. Wenn er nun ihre Vorlagen ablehnte… Sei nicht albern, schalt sie sich dann. Die Arbeit ist gut. Bryan blickte auf und sah Sabrinas erwartungsvollen Gesichtsausdruck. Er lächelte ermutigend. „Es gefällt mir. Sogar ganz ausgezeichnet.“ Sabrina atmete auf. „Es sind nur ganz wenige Punkte, die wir noch besprechen müssen“, fuhr er fort. „Die Anzahl der Werbespots zum Beispiel und deren Kosten.“ Während der nächsten Stunden beschäftigten sie sich ausschließlich mit der Klärung der noch offenen Fragen für den Werbefeldzug. Sie waren gerade bei den Kosten angelangt, als Adam ins Zimmer stürmte. „Das Mittagessen ist fertig!“ rief er und sauste wieder davon. Der Lunch schmeckte so köstlich wie bei Sabrinas erstem Besuch. Thaddeus freute sich offenkundig, Sabrina wiederzusehen und unterhielt sich mit ihr über die Stadt. „Ich liebe San Franzisko – die Restaurants, die Museen…“ schwärmte er. Bryan lächelte. „Aber jedesmal, wenn du von dort zurückkommst, erklärst du, wie schön es doch hier zu Hause ist, weit weg von den Menschenmassen und dem Straßenverkehr.“ Thaddeus lachte. „Stimmt ja auch. Leben könnte ich in der Stadt nicht.“ Um Sabrina nicht zu kränken, fügte er hinzu: „Sicherlich hat das Stadtleben auch seine guten Seiten. Wahrscheinlich aber haben mich der Frieden und die Ruhe hier auf Madrona dafür untauglich gemacht.“ Sabrina erinnerte sich an Zeiten, in denen sie gerade den ländlichen Vorzügen der Ruhe und des Friedens entfliehen wollte und sich nach der lauten Betriebsamkeit einer Weltstadt gesehnt hatte. Dennoch konnte sie Thaddeus’ Liebe zu Madrona verstehen. Es war nicht schwer, sich von diesem schönen Fleckchen Erde bezaubern zu lassen. „Sie sind gut dran, Thaddeus“, sagte sie. „Ihr Arbeitsplatz ist gleichzeitig Ihr sehr schöner Wohnort. Die meisten Leute haben nicht soviel Glück. Meinen Beruf zum Beispiel kann ich nur in einer einigermaßen großen Stadt ausüben, und ich bin froh, daß es gerade das herrliche San Franzisko ist, in dem ich wohnen und arbeiten kann.“ „Aber du kommst doch vom Land“, warf Bryan ein. „Vermißt du das nicht?“ Er stellte die Frage so ernst, daß Sabrina merkte, daß er auf etwas Bestimmtes hinaus wollte. „Ich bin nicht wirklich ein Bauernmädchen, wie ich bei unserem ersten Treffen aus Spaß sagte. Ich komme aus der Kleinstadt Faribault in der Nähe von Minneapolis. Mein Vater ist Oberschullehrer.“ Sie lächelte. „Aber die Sommer habe ich immer auf der Farm meines Großvaters im Red River Valley verbracht. Deshalb verstand ich dich neulich auch gut, als du mir beschriebst, wie sehr eine gute Ernte vom Wetter und anderen Umständen abhängt, die man nicht beeinflussen kann.“ „Im Red River Valley?“ fragte Bryan, ohne auf Sabrinas letzte Bemerkung einzugehen. „Über den Red River gibt es doch so ein altes Volkslied.“ Er summte die ersten Takte. „Es hört auf mit der Zeile:… und den Cowboy, der dich so sehr liebt’.“ „Hat dich auch ein Cowboy geliebt, Sabrina?“ wollte Adam zur Erheiterung der drei Erwachsenen wissen. „Leider nein. Mein Großvater baute Weizen an. Er züchtete keine Rinder.“ Sabrina sprach zwar mit Adam, fing aber einen Blick von Bryan auf. Seine Augen leuchteten. Zu einem freundlichen Lächeln konnte man sich zwingen, aber dieses Leuchten in den Augen mußte aus dem Herzen kommen. Plötzlich fühlte Sabrina
in der Erinnerung seine Lippen auf ihrem Mund. Schnell kam sie auf das Thema zurück. „Obwohl ich, wie gesagt, viele glückliche Monate auf der Farm verbracht habe, betrachte ich mich doch eher als eine Art Karrierefrau. J^lein Beruf rangiert jedenfalls vor meiner Liebe zur Natur.“ Das Telefon läutete. Thaddeus ging an den Apparat. „Ein Problem in der Kellerei“, teilte er Bryan mit, nachdem er aufgelegt hatte. „Die Flaschenetiketten sind nicht richtig gummiert. Sie kleben nicht ordentlich.“ „Auch das noch“, brummte Bryan und erhob sich höchst unwillig. „Sabrina, ich bin so schnell wie möglich zurück. Ich muß noch etwas wegen der Kampagne mit dir besprechen. Entschuldigst du mich für ein paar Minuten?“ An Adam gewandt, fragte er: „Willst du Sabrina inzwischen Gesellschaft leisten?“ „Klar!“ Es erfüllte den kleinen Jungen sichtbar mit Stolz, wie ein Erwachsener behandelt zu werden. Bryan ging, und Thaddeus deckte den Tisch ab. Adam führte Sabrina ins Kinderzimmer. Auf einem großen niedrigen Tisch in einer Ecke befand sich eine elektrische Spielzeugeisenbahn. Die Schienen wanden sich durch die Tunnels der PappmacheBerge und durch Fichtenwälder aus Plastik. Sabrina bat Adam, ihr zu zeigen, wie die Anlage funktionierte. Eine halbe Stunde lang spielten beide mit dem größten Vergnügen. Als Adam Sabrina schließlich sogar die Stellhebel überließ, wußte sie, daß sie seine Freundschaft zurückgewonnen hatte. „Deine Eisenbahn finde ich einfach prima, Adam. Hat dein Vater sie dir geschenkt?“ „Nein, meine Mutter“, antwortete er sachlich. Sabrina zuckte unmerklich zusammen, als sie an die Frau erinnert wurde, die diesem Kind, Bryan und Madrona den Rücken gekehrt hatte. Was für ein Mensch mochte sie wohl sein? Sicherlich war sie klug und ehrgeizig, vermutlich auch sehr schön, denn Adam war ein ausgesprochen hübscher Junge. Wie hatte sie es nur fertiggebracht, ihren Mann und ihren Sohn zu verlassen? Wußte sie nicht, daß ein Kind seine Mutter braucht, und vermißte sie Bryan nicht? Was mußte das für eine egoistische Frau sein! Aber vielleicht war es ihr gar nicht so leichtgefallen, Adam zurückzulassen? Denn wäre sie auf Madrona geblieben, hätte sie ihre Karriere aufgeben müssen. Da der Beruf für sie anscheinend wichtiger war als die Familie, hatte sie sich für ihn entschieden. War das denn so verabscheuungswürdig? Und, hatte sie, Sabrina, nicht dasselbe getan? Der Unterschied bestand doch nur darin, daß sie keinen Mann und keine Kinder zurückgelassen hatte. Sie war aus der Kleinstadt Faribault in Minnesota fortgezogen, ehe sie sich dort gebunden hatte. Sie wußte genau, daß sie niemals ihren Mann oder ihr Kind verlassen würde. Im Zweifelsfall würde sie ihren Beruf aufgeben. Aber – sie würde es zutiefst bedauern. Mußte es denn immer so sein? Gab es für eine Frau nur das berühmte Entweder – Oder? Konnte man nicht Familie und Beruf miteinander vereinbaren? Sabrina
dachte an John, der sie zu ihrer Arbeit stets ermutigt hatte und ihr aufrichtig den
größtmöglichen Erfolg wünschte. Allerdings hatte er auch nie von Ehe und
Kindern gesprochen.
„Sabrina! Ich habe dich was gefragt.“
Sie war so tief in Gedanken gewesen, daß sie dem Jungen nicht zugehört hatte.
„Entschuldige, Adam. Was wolltest du wissen?“
„Ich fragte, was du mit Daddy zu arbeiten hast.“
In einfachen, für das Kind verständlichen Worten erklärte Sabrina ihm ihren
Beruf und erzählte, was sie für den Wein seines Vaters zu erreichen hoffte. „Wenn ich groß bin, darf ich auch Wein trinken.“ „Das dauert sicher nicht mehr lange. Ich glaube fast, du bist ein Stückchen gewachsen, seit ich dich das letzte Mal sah.“ Adam reckte sich stolz. Sabrina schlug vor, auf die Terrasse hinauszugehen. Draußen schauten sie beide auf die Weinhänge hinaus, bis Bryan zurückkehrte. Bryan erklärte Adam, es sei Zeit für den Mittagsschlaf. Nach dem üblichen Protest trollte sich der Junge schließlich. Bryan trat an die Balustrade zu Sabrina. „Entschuldige bitte. Es hat so lange gedauert.“ „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Adam und ich haben uns prächtig unterhalten. Er hat mir seine Eisenbahn vorgeführt.“ Im nächsten Moment fürchtete sie, einen Fehler gemacht zu haben. Würde die Erwähnung des Spielzeugs Bryan an seine geschiedene Frau erinnern? Glücklicherweise schien er in dieser Beziehung nicht empfindlich zu sein. Er nickte nur. Dennoch wechselte Sabrina das Thema. „Wir sollten jetzt unsere restliche Arbeit erledigen“, schlug sie vor. Eine Stunde später war alles getan. Sabrina sammelte die Unterlagen ein und steckte sie in ihren Aktenkoffer. Bryan beobachtete sie leicht erheitert. „Geht’s jetzt eilig in die Stadt zurück?“ erkundigte er sich. „Nicht unbedingt eilig“, antwortete Sabrina, „aber meine Arbeit hier ist erledigt.“ „Willst du nicht zum Abendessen bleiben? Adam und Thaddeus würden sich freuen.“ In einer etwas anderen Tonlage fügte er hinzu: „Und ich auch.“ Sabrina wich seinem Blick aus. „Vielen Dank, aber ich muß wirklich gehen.“ Sie wollte auf keinen Fall riskieren, daß sich das romantische Zwischenspiel wiederholte, das ihr nicht aus dem Kopf ging. Sie stand auf und war wieder ganz Geschäftsfrau. „Nächste oder übernächste Woche werden wir noch weiteres Material besprechen müssen. Wirst du irgendwann in die Stadt kommen?“ Bryan schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht. Wäre es dir nicht möglich, noch einmal in Madrona vorbeizuschauen?“ Am liebsten hätte Sabrina ihm gestanden, wie sehr sie sich schon jetzt darauf freute. Sie antwortete jedoch nur: „Kein Problem. Das gehört alles zum Service.“ Bryan dankte mit einem herzlichen Lächeln, das die übliche Auswirkung auf ihr Herz hatte: Es schlug plötzlich wieder zu schnell. Gemeinsam gingen sie zu Sabrinas Wagen. Als sie die Autotür öffnete, fand sie auf dem Sitz einen kleinen Strauß aus Wiesenblumen und blühenden Gräsern. Sabrina wußte sofort, woher das Sträußchen kam, obwohl weit und breit kein Adam in Sicht war. Sie drehte sich zu Bryan um. „Ich muß schon sagen, ihr BenedictMänner wißt, wie man Damen behandelt!“ Bryan sah ihr in die Augen. „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Adam ist eben auch von dir hingerissen.“ Da Sabrina beim besten Willen hierauf nichts zu antworten wußte, stieg sie in ihren Wagen und startete den Motor. Sie sah sich noch einmal suchend um und erblickte Adam, der aus dem Haus gekommen war und sich mit ihrem Buch auf den Knien auf die oberste Treppenstufe gesetzt hatte. Sie lächelte und winkte ihm zu. Diesmal winkte er zurück.
5. KAPITEL In allerbester Stimmung betrat Sabrina Montag früh das Büro. Sobald sie Laras Gesicht sah, bekam ihre gute Laune einen Dämpfer. „Was ist denn los?“ fragte sie. „Nichts“, antwortete das Mädchen, ohne aufzublicken. „Aber Sie sehen entsetzlich aus. Oh, entschuldigen Sie, ich meine, Sie sehen aus, als sei etwas Schreckliches passiert.“ „Nein, nein. Ich bin nur gestern abend zu spät schlafen gegangen. Da war noch so ein guter Film im Fernsehen, und…“ Mehr bekam Sabrina fürs erste aus ihrer Sekretärin nicht heraus. Als sie mittags den Waschraum betrat, um sich vor dem Lunch etwas herzurichten, fand sie dort Lara vor, die still vor sich hinweinte. Normalerweise mischte sich Sabrina nicht in fremde Angelegenheiten ein, aber daß Lara Hilfe brauchte, war ganz offensichtlich. „Kommen Sie“, forderte Sabrina das Mädchen auf. „Wir gehen zusammen essen.“ Als die beiden etwas später im Restaurant saßen und auf ihren Lunch warteten, nahm Sabrina einen neuen Anlauf. „Ich will nicht neugierig sein, aber Sie haben ein Problem. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ Lara lächelte dankbar. Sie hatte offenbar nur darauf gewartet, daß jemand hartnäckig genug darauf bestand, sie solle sich ihren Kummer von der Seele reden. Mit einem tränenreichen Wortschwall erzählte sie Sabrina, daß ihr Freund Chuck, mit dem sie seit zwei Jahren zusammenlebte, sie einfach verlassen hatte, ohne daß es auch nur den geringsten Anlaß dazu gegeben hätte. „Das verstehe ich nicht“, sagte Sabrina. „Womit hat er das begründet?“ Lara war jetzt wieder etwas gefaßter. „Er erklärte mir, er wolle keine feste Bindung eingehen. Wir seien uns schon zu nahe gekommen, meinte er. Mein Gott, ich finde, man kann sich doch gar nicht nahe genug kommen, oder?“ Sabrina schwieg, weil sie wußte, daß Lara keine Antwort auf diese Frage erwartete. Sie brauchte nur jemanden, der ihr zuhörte. „Während der zwei Jahre sind wir von Tag zu Tag besser miteinander ausgekommen“, fuhr Lara fort. „Nie gab es Streit. Ich dachte, wir hätten beide dieselben Ansichten. Ich bin einundzwanzig und er ist vierundzwanzig. Also war mir klar, daß es noch ein bißchen früh war, vom Heiraten zu sprechen. Aber ich glaubte, eines Tages…“ Sie sprach nicht weiter. Sabrina hatte so etwas in ihrem Bekanntenkreis schon öfter miterlebt. Wenn Freundschaft sich in Liebe verwandelte und der nächste logische Schritt eine feste Verbindung gewesen wäre, packte die Männer oft die Panik, und sie liefen davon. John fiel ihr ein. Ihr Verhältnis zu ihm war perfekt – solange sie ihm nicht zu nahe kam. Er versicherte ihr zwar immer wieder, daß sie die Frau seines Lebens sei, war aber gleichzeitig darauf bedacht, daß gewisse Grenzen zwischen ihnen bestehen blieben. „Ich habe ihn überhaupt nicht gedrängt“, sprach Lara bekümmert weiter. „Ich hielt es gar nicht für notwendig, über eine gemeinsame Zukunft zu reden, weil ich das längst für abgemacht hielt.“ Sie schaute Sabrina wie ein verängstigtes Kind an. Was soll ich ihr jetzt raten? fragte sich Sabrina. Lara war noch viel zu jung, um zu verstehen, wie kompliziert die Liebe sein konnte. Durfte man ihr sagen, daß sie auf einen Mann, der keine Verpflichtungen eingehen wollte, lieber verzichten sollte? Das wollte Lara in ihrem Kummer und ihrer Enttäuschung bestimmt nicht hören.
Der Kellner kam und brachte ihnen die leckeren Sandwiches, die sie bestellt hatten. Amüsiert stellte Sabrina fest, daß Laras Appetit offensichtlich unter ihrer privaten Katastrophe nicht gelitten hatte. Mit ihren einundzwanzig Jahren vertrat sie vermutlich unbewußt die Meinung, daß das Leben ihr schon geben würde, was sie erwartete, und wenn nicht heute, dann eben morgen. Nachdem sie aufgegessen hatte, kam Lara aber doch noch einmal auf ihren Liebeskummer zurück. „Sabrina, was soll ich denn nun machen?“ Sabrina beschloß, dem Mädchen ihre ehrliche Meinung zu sagen. „Gar nichts, Lara. Wenn Ihr Chuck sich nicht binden will oder kann, dann können Sie ihn nicht ändern. Ändern können Sie nur sich selbst. Beschäftigen Sie sich, sitzen Sie nicht trübselig zu Hause herum. Und hoffen Sie, daß Sie bald darüber hinwegkommen.“ „Leichter gesagt als getan“, seufzte Lara. Sabrina lächelte. „Ich weiß.“ Lara sah sie etwas neidisch an. „So? Sie haben es doch gut. Ihnen fehlt doch nichts zum Glück.“ „Was gehört denn Ihrer Meinung nach zum Glück?“ „Eine prima Karriere, ein tolles Apartment, ein umwerfender Freund, der Sie anbetet. Sie haben es geschafft.“ Da irrst du dich aber, Mädchen, dachte Sabrina. Laut sagte sie: „Sie reden, als wäre ich eine Art Märchenprinzessin. Das stimmt leider nicht.“ „So meinte ich es nicht. Natürlich haben Sie für alles schwer gearbeitet. Ich weiß ja, wie sehr Sie sich für die Agentur aufgerieben haben. Aber Sie haben Erfolg, und Ihr John ist wundervoll. Er schickt Ihnen Blumen, macht Ihnen extravagante Geschenke. So etwas wie Chuck würde er nie tun.“ Gewiß nicht, dachte Sabrina, das wäre nicht sein Stil. Er ginge einer festen Bindung entschieden eleganter aus dem Wege. Im übrigen war John die meiste Zeit auf Reisen. Er rief zwar von unterwegs an, sagte aber nie: „Ich bin so einsam ohne dich.“ Zum erstenmal gestand sich Sabrina ernsthafte Zweifel daran ein, daß John seine Zeit auf Reisen ohne sie allein verbrachte. Der Gedanke gab ihr plötzlich einen kleinen Stich. Wie merkwürdig, noch vor kurzem hatte sie sich zu diesem unverbindlichen Verhältnis gratuliert: Auf keiner Seite gab es Verpflichtungen, keine Opfer wurden verlangt. John war ein weltgewandter, vielversprechender KarriereMann und sie eine gutaussehende junge Frau auf dem Weg nach oben; zusammen ergab das ein ideales modernes Paar. Aber war das alles, was das Leben bieten konnte – oder das Leben ausmachte? Sabrina schüttelte diese Gedanken schnell ab und bat um die Rechnung. „Hallo, Sabrina.“ Beim Klang dieser Stimme bekam sie weiche Knie und mußte sich in ihren Schreibtischsessel setzen. Seit einer Woche hatte sie nicht mehr mit Bryan gesprochen. Ihr erschien es wie ein Jahr. „Hallo, Bryan. Wie geht es dir?“ „Danke, gut.“ Seine Stimme klang freundlich, aber ein bißchen unpersönlich. „Ich bin in der Stadt. Etwas Unvorhergesehenes hat sich ergeben, und ich mußte heute nachmittag herkommen. Ich habe mir überlegt, daß ich eigentlich über Nacht hierbleiben könnte.“ „Oh“, sagte Sabrina, was weder besonders geistreich noch übermäßig begeistert klang. „Was ich damit etwas ungeschickt andeuten will: Ich würde dich gern zum Abendessen einladen“, fuhr Bryan fort. „Das heißt natürlich, falls du keine
anderen Pläne hast.“ Ich habe absolut keine anderen Pläne, dachte Sabrina. Ohne John hatte sie abends nie etwas Besonderes vor, und heute wollte sie sich nur höchst langweiligen Arbeiten in ihrem Haushalt widmen. Waschmaschine und Bügeleisen konnten jedoch ebensogut warten. „Wir könnten bei dieser Gelegenheit dann gleich noch über die Ausdehnung unserer Werbekampagne auf…“ begann Sabrina. Bryan unterbrach sie. „Sabrina, das hat nicht das geringste mit dem Geschäft zu tun. Ich möchte dich nur ganz altmodisch zum Abendessen einladen. Du ziehst dir ein hübsches Kleid an, ich suche ein hübsches Restaurant aus, und wir unterhalten uns über lauter hübsche Dinge, bloß nicht übers Geschäft.“ Sabrina lachte leise. Das war deutlich. Er benutzt also keinerlei Vorwand mehr, um mit mir zusammen zu sein, dachte sie glücklich und gleichzeitig besorgt. „Und spann mich nicht auf die Folter“, redete Bryan weiter, als Sabrina schwieg. „Sag einfach ja und erzähl mir, wann du fertig bist.“ Sabrina fühlte sich wie ein junges Mädchen bei seinem ersten Rendezvous. Bryan bestand also darauf, sie zu sehen. Wie schön! Sie sah auf die Uhr – fast fünf. Noch eine halbe Stunde im Büro, eine weitere Viertelstunde für den Heimweg, eine Stunde für Duschen, Anziehen, Frisieren, Makeup… „Um sieben“, antwortete sie. „Bis dann also.“ In seinen Augen stand die Vorfreude geschrieben. Bryan fuhr mit Sabrina im schwächer werdenden Feierabendverkehr durch die Straßen von San Franzisko. Ohne Sabrina anzusehen, sagte er leise: „Du siehst entzückend aus.“ Sabrina lächelte. Vorhin hatte sie fast eine Viertelstunde lang in ihrem Kleiderschrank nach etwas Passendem gesucht. Schließlich hatte sie ein schickes zweiteiliges Kleid gewählt. Ein breiter Ledergürtel betonte ihre schmale Taille, und ihre Stiefel aus Schlangenleder vervollständigten den Look, der genau ihrer Stimmung entsprach. Sie sah Bryan an, der mit seinem weißen Wollpullover unter dem rotbraunen Tweedjackett so beeindruckend wie immer aussah. „Wo fahren wir eigentlich hin?“ erkundigte sie sich. „Wir sind schon da.“ Sie hatten die Union Street erreicht. Bryan parkte am Bordstein. Während sie die bezaubernde Straße mit ihren zu Boutiquen und Restaurants umgestalteten Viktorianischen Häusern entlanggingen, hielt Bryan Sabrinas Hand. Ein schönes Gefühl, fand sie. Vor einer Kunstgalerie blieb Bryan stehen und betrachtete ein modernes abstraktes Gemälde im Schaufenster. „Wie gefällt dir das?“ wollte er wissen. Sabrina legte den Kopf schief und schaute sich das in wildem Rot und Blau leuchtende Bild lange an. „Interessant“, meinte sie dann, „aber nicht mein Geschmack. Ich bevorzuge Kunstwerke mit einer klaren Aussage oder solche, die zumindest schön aussehen.“ Bryan lächelte. „Du bist altmodisch. Das habe ich schon lange vermutet. Jetzt bin ich sicher.“ „Und ich nahm immer an, ich sei das Paradebeispiel einer modernen Frau der achtziger Jahre – ehrgeizig, unabhängig, selbständig und auch stolz darauf, all das zu sein.“ Bryan sah Sabrina eindringlich an. „Und – bist du’s?“ Noch vor kurzem hätte sie seine Frage mit einem klaren Ja beantwortet. Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Um das Thema zu wechseln, erklärte sie übergangslos: „Ich verhungere bald. Hattest du mir nicht ein Abendessen versprochen, und zwar eines in einem
hübschen Restaurant?“
Bryan lachte. „Völlig richtig. Und da ist es.“ Er deutete auf die andere
Straßenseite. „Schaffst du es noch bis da drüben, oder fällst du vorher vor
Hunger um?“
„Ich werde es versuchen.“
Einen Augenblick später saßen Bryan und Sabrina an einem Ecktisch im „Forty
NinerGrill“. Die Ausstattung des Restaurants war erfrischend schlicht und
sachlich. Alte Fotografien von Goldgräbern, ihren Dörfern und ihren
Schürfgeräten schmückten die Wände. Die Gerichte, die die Kellner zu den
anderen Tischen trugen, dufteten verführerisch und waren sehr appetitlich
angerichtet.
„Ich mag dieses Lokal schon jetzt“, versicherte Sabrina und schnupperte einem
vorbeigetragenen Tablett hinterher.
„Das freut mich. Ich mag es auch, aber ich bin voreingenommen. Es gehört
nämlich Freunden von mir.“
Ein Mann in Bryans Alter trat zu ihrem Tisch. „Bryan! Wird ja auch Zeit, daß du
dich wieder mal blicken läßt! Ich dachte schon, unsere Küche sagt dir nicht mehr
zu.“
„Du solltest es besser wissen.“ Bryan wandte sich an Sabrina. „Darf ich dir Andy
Lauffer vorstellen? Andy, das ist Sabrina Montgomery.“ Sabrina und Andy
reichten einander die Hand. „Setz dich doch zu uns“, lud Bryan seinen Freund
ein.
„Aber nur für einen Moment. Du siehst ja, heute ist hier viel Betrieb.“
„Andy und seine Frau Shari bewirtschaften dieses Lokal“, erklärte Bryan Sabrina,
und an Andy gewandt fragte er: „Ist sie in der Küche?“
„Leider nein. Sie ist oben am Stoney Creek.“
„In dem alten Viktorianischen Farmhaus, das ihr in der Nähe von Madrona
gekauft habt?“
„Ja.“ Andy wandte sich an Sabrina. „Wir haben ein recht heruntergekommenes,
aber ganz reizendes altes Haus in der Nähe von Bryans Gut entdeckt und
möchten ein Gästehaus daraus machen.“
„Wie schön!“ rief Sabrina. „Von so einem Haus träume ich schon seit langem.“
„Das tut wohl jeder einmal. Leider kostet es eine Unmenge Arbeit, so ein
verfallenes Gebäude in ein gemütliches Gasthaus zu verwandeln. Shari opfert
ihre ganze Freizeit dafür, während ich hier unten die Stellung halte.“
„Aber dafür haben Sie dann auch das Beste zweier Welten – ein großartiges
Restaurant in der Stadt und ein schönes altes Gasthaus im Weinland. Wie sind
Sie überhaupt darauf gekommen, ein Restaurant aufzumachen?“
„Shari und ich kochen gern, aber wir sind für die alte traditionelle amerikanische
Küche. Also haben wir das FortyNiner auch in diesem Stil und ohne modernen
Schnickschnack aufgezogen.“
„Das ist Ihnen hervorragend gelungen“, lobte Sabrina.
„Gott sei Dank.“ Andy sah Sabrina neugierig an. „Und was machen Sie beruflich?“
„Ich arbeite in der Werbebranche.“
„Sabrina macht meinen Wein berühmt“, fiel Bryan ein. „Ihr ist auch schon ein
einprägsamer Name eingefallen: Recherché. Und weil wir gerade von Wein
sprechen – was hast du uns denn anzubieten?“
„Du weißt ja, wo mein Weinkeller ist, Bryan. Such dir etwas aus. Ich leiste deiner
reizenden Freundin inzwischen Gesellschaft.“
„Vergiß dabei aber nicht, daß du ein glücklich verheirateter Mann bist.“
Andy seufzte dramatisch. „Mußtest du mich daran erinnern?“
Als Bryan gegangen war, sagte Andy zu Sabrina: „Wissen Sie, er ist einer meiner
ältesten Freunde.“
„Wie haben Sie sich kennengelernt?“ Hier bot sich eine unerwartete Gelegenheit,
mehr über Bryan zu erfahren.
„Auf der BerkeleyUniversität vor fünfzehn Jahren. Wir hatten damals dieselben
revolutionären Ideen über politische Neuerungen“, fügte er lächelnd hinzu.
„Bryan und revolutionäre Neuerungen?“
Andy lachte. „Ich weiß, er wirkt so konservativ. Das ist er auch in vieler Hinsicht.
Aber er besitzt ein Gefühl für Gerechtigkeit. Im übrigen ist er so ziemlich der
anständigste Mensch, den ich kenne.“
Zu gern hätte Sabrina Andy nach Bryans geschiedener Frau gefragt. Vorsichtig
steuerte sie das Thema an. „Ich habe Adam kennengelernt. Ein reizender kleiner
Junge.“
„Ja, und Bryan wie aus dem Gesicht geschnitten. Shari behauptet allerdings, er
käme mehr nach Melissa.“ Andy zögerte, als fürchtete er, zuviel gesagt zu haben.
„Melissa, Adams Mutter, nicht wahr? Ich weiß, daß Bryan geschieden ist“,
beruhigte Sabrina ihn. „Aber Bryan hat nicht viel über seine ExFrau
gesprochen.“
„Das tut er nie. Die Scheidung hat ihn schwer getroffen. Ich hielt Melissa ja schon
immer für selbstsüchtig, aber daß sie so rücksichtslos sein würde, hätte ich nie
gedacht. Ich weiß noch, wie Adam nach seiner Mutter weinte.“ Er schüttelte
bekümmert den Kopf. „Es war zu traurig.“
In diesem Moment kehrte Bryan mit dem Wein zurück.
Andy stand auf. „Ich muß jetzt wieder in die Küche zurück. Es hat mich sehr
gefreut, Sie kennengelernt zu haben, Sabrina. Wissen Sie, Shari und ich sollten
mal mit Ihnen reden. Vielleicht können Sie ja etwas für die Publicity unseres
Gasthauses tun, wenn es fertig ist.“
„Aber natürlich, sehr gern“, stimmte Sabrina aufrichtig zu.
Andy ging wieder an seine Arbeit.
„Er ist wirklich ein guter Freund“, sagte Bryan. „Wir kennen uns schon ziemlich
lange.“
Der Kellner erschien und nahm ihre Bestellung auf. Als er wieder gegangen war,
sagte Sabrina: „Was ich dich noch fragen wollte: Wie hat eigentlich dir das
Gemälde gefallen, das wir uns vorhin angeschaut haben?“
„Mir? Scheußlich fand ich es.“
„Und warum wolltest du unbedingt meine Meinung hören?“
„Nur um einmal zu sehen, ob wir dieselben Dinge mögen. Und wie ich mir schon
dachte, ist das der Fall.“
Sabrina schwieg. Sie wußte, worauf Bryan hinauswollte: Sie brauchte keinen
Beweis der inneren Übereinstimmung, die sie von Anfang an gespürt hatte.
Glücklicherweise brachte jetzt der Kellner die bestellten Speisen und enthob sie
einer Erwiderung.
Als sie später beim Kaffee angelangt waren, sprach Bryan von Adam. „Er geht
jetzt in die Vorschule“, berichtete er.
„War der erste Tag hart?“
Bryan lächelte. „Für mich ja, aber nicht für Adam. Mit einem fröhlichen Winken
verschwand er zu den anderen Kindern ins Klassenzimmer. Ich fühlte mich richtig
verlassen.“
„Das kann ich verstehen“, nickte Sabrina mitfühlend. „Da du zu Hause arbeiten
kannst, steht ihr euch sicher sehr nahe.“
„Stimmt. Und wenn er jetzt fortgeht, ist es im Haus so unheimlich still.“
In meiner Wohnung ist es auch immer sehr still, dachte Sabrina. Bis heute hatte
sie das nicht gestört, aber jetzt fand sie auf einmal die Vorstellung sehr reizvoll,
wieder in einem Haus voller Menschen und voller Leben zu wohnen. Der Kellner brachte die Rechnung. Bryan bezahlte und schlug danach Sabrina vor, nach dem guten Essen noch einen kleinen Spaziergang zu machen. Sie war einverstanden. Bryan und Sabrina fuhren zum Marina Boulevard, parkten den Wagen und gingen dann zum Yachthafen hinunter. Der Abend war kühl, aber Sabrina hatte glücklicherweise einen leichten Mantel mitgenommen. Die festgemachten Boote bewegten sich mit den kleinen Wellen, und weil es ausnahmsweise einmal nicht neblig war, konnte man die Lichter auf der anderen Seite der Bucht sehen. Sabrina lehnte sich an das Geländer und blickte schweigend über das Wasser. Bryan beobachtete sie eine Weile. „Ich wüßte gern, was du jetzt denkst“, sagte er schließlich. „Ach, ich denke an ganz prosaische Dinge“, erwiderte sie. „Ich habe mich eben an meine ersten Tage in San Franzisko erinnert. Da stand ich auch hier und habe die Boote auf der einen und die fabelhaften Villen auf der anderen Seite bewundert. Ich stellte mir damals vor, wie aufregend es sein müßte, in einer Atmosphäre des Reichtums zu leben.“ „Und jetzt?“ „Jetzt weiß ich, daß man Glück nicht kaufen kann.“ Sabrina lächelte Bryan an. „Ich sagte ja, es seien ganz prosaische Gedanken.“ „Und wie bist du zu dieser Schlußfolgerung gekommen?“ „Durch meine Bekanntschaft mit vielen reichen Leuten, zu denen du auch gehören wirst, wenn dein Recherché den Markt erobert hat.“ „Mag sein, aber das ist nicht meine Hauptsorge. Mein Vater wollte einen Wein herstellen, der gut und dennoch erschwinglich ist. Ich will dasselbe, und außerdem will ich das Andenken meines Vaters ehren, indem ich seine Idee verwirkliche.“ Sabrina schaute ihn nachdenklich an. „Du mußt ein glücklicher Mensch sein. Du weißt genau, wer und was du bist und was du vom Leben erwartest.“ „Und du? Weißt du das nicht?“ Sabrina schlang den Mantel fester um ihre Schultern und zog den Kopf ein wenig ein. Die Brise von der Bucht her war kühl und Bryans Frage beunruhigend. Bis zu dem Tag, an dem Bryan zum ersten Mal ihr Büro betrat, hatte sie genau zu wissen geglaubt, wo sie stand und was sie wollte. Stets hatte sich Sabrina als vom Glück begünstigt betrachtet. Sie stammte aus einer großen gutbürgerlichen Familie. Weil sie von jung an mehr wollte als das, was sie in der heimischen Kleinstadt erreichen konnte, hatte sie in der Schule und später auf der Universität hart gearbeitet, alle Examen mit Auszeichnung bestanden und schließlich eine Stellung in einer bekannten Werbefirma in Minneapolis erhalten. Es war mit ihr ständig bergauf gegangen wie man so sagte. Erst als sie fünfundzwanzig war, gab es ein Problem: Sie hatte Kenny Olsen kennengelernt und bald gemerkt, daß sie mit ihm mehr verband als nur gute Freundschaft. Das war der Punkt gewesen, an dem sie sich entscheiden mußte, ob sie eine feste Bindung eingehen oder ihr berufliches Ziel weiterverfolgen wollte. Sie hatte sich für das zweite entschieden und war nach San Franzisko gegangen. Die Gründung ihrer eigenen Agentur war ein weiterer Schritt „nach oben“ gewesen. Und der nächste John Carr, der sie immer wieder in ihrem Vorhaben bestärkt hatte, auch wenn ihr manchmal die Luft auszugehen drohte. Alles schien also perfekt – bis sie Bryan Benedict kennenlernte. Wie würde er wohl reagieren, wenn sie ihre Gedanken ausspräche? Was würde er sagen, wenn sie ihm gestände, daß sie ganz genau gewußt hatte, was sie vom
Leben erwartete – bis zu dem Tag, an dem sie ihn traf?
„Ich glaubte es zu wissen“, beantwortete sie Bryans Frage.
Er war sehr dicht an sie herangetreten, und seine Nähe löste die alten
Empfindungen in ihr aus. Trotz des kühlen Windes wurde ihr plötzlich heiß, und
sie fühlte ihr Herz hämmern. Als sie Bryans Blick begegnete, erkannte sie
deutlich das Verlangen in seinen Augen.
„Sabrina…“ Seine Stimme war eine einzige Liebkosung.
„Nicht…“ begann Sabrina, aber es war schon zu spät. Bryans Lippen preßten sich
auf ihren Mund. Sie war in seinen Armen gefangen. Ihre weichen Brüste drückten
sich gegen seinen Oberkörper; ihre Hüften und Oberschenkel berührten seine.
Bryans Mund wurde kühner. Seine Zunge drängte sich verlangend zwischen ihre
Lippen. Ihr ganzer Körper bebte, und sie spürte das leidenschaftliche Begehren
nach mehr als nur einem Kuß. Ein bisher unbekanntes Gefühl durchströmte sie,
ein Gefühl, das gleichzeitig erschreckend und beglückend war.
Als Bryan seine Umarmung löste, holte Sabrina tief Luft und atmete die kühle,
salzige Seeluft ein, bis sie ihre Sinne wieder unter Kontrolle hatte.
„Es scheint, als ob unser Zusammensein jedesmal mit einem Kuß endet“,
versuchte sie zu scherzen.
Bryan sah sie liebevoll an. „Dann bist du ja beim nächsten Mal schon darauf
vorbereitet.“
Auf den Kuß vielleicht, dachte Sabrina, aber nicht auf seine Auswirkungen. Laut
sagte sie: „Ich glaube, ich muß jetzt nach Hause.“
Zu ihrer Erleichterung protestierte Bryan nicht, sondern fuhr sie zum Telegraph
Hill zurück. Vor ihrer Wohnungstür wollte er etwas sagen, kam aber gar nicht
dazu.
„Nein… bitte“, wehrte Sabrina sofort ab. „Ich bin wirklich müde und möchte jetzt
nur noch ins Bett gehen.“
„Ich verstehe. Und ich verkneife mir sogar die üblichen Scherze auf deine
zweideutigen Worte“, versicherte er augenzwinkernd.
„Es war ein wunderschöner Abend, Bryan.“
„Das finde ich auch. Gute Nacht, Sabrina.“ Er küßte sie zart auf die Stirn, drehte
sich dann um und ging.
Tiefe Unzufriedenheit und heiße Sehnsucht quälten Sabrina, als sie etwas später
im Bett lag. Sie wußte genau, wonach sie sich sehnte. Möglicherweise ging es
Bryan nicht anders. Vielleicht lag er jetzt in seinem Hotelbett und dachte an sie.
Dieser Gedanke verfolgte sie bis in ihre Träume.
6. KAPITEL Am Dienstag nachmittag saß Sabrina in Arbeit versunken an ihrem Schreibtisch.
„He, Boß!“
Sie schaute auf und sah Richard in der offenen Tür stehen. „Wenn Sie ein
Problem haben“, seufzte sie und legte den Kugelschreiber aus der Hand, „dann
heften Sie es unter ,P’ ab. Ich kann mich jetzt nicht damit befassen.“
„Sie arbeiten zuviel.“
„Das, können Sie laut sagen.“
„Was Sie brauchen, ist etwas Vernünftiges zu essen. Genauer gesagt, etwas
Chinesisches.“
„Soll das eine Einladung in das Restaurant Ihrer Eltern sein?“ erkundigte sich
Sabrina lächelnd.
„Genau. Meine ehrwürdige Großmutter begeht ihren fünfundsiebzigsten
Geburtstag, und die gesamte umfangreiche Familie erscheint zu dieser Feier. Ich
dachte, Sie und Lara wollen sich vielleicht gern Ginger und mir anschließen.“
„Das ist ja eine famose Idee, Richard. Nett von Ihnen, Lara auch einzuladen.“
„Na, ich weiß doch, daß sie momentan nicht in der besten Verfassung ist. Ein
echt kantonesisches Fest wirkt da oft Wunder. Also morgen um acht?“
„Großartig.“
Am nächsten Abend saß Sabrina mit Lara, Richard und Ginger, einem reizenden
Mädchen chinesischer Abstammung, an einem kleinen Tisch im OnLockSam
Restaurant. Sabrina hatte schon öfter hier gegessen. Richards Eltern waren sehr
freundliche Menschen, und am meisten gefiel Sabrina ihr offensichtlicher Sinn für
Beständigkeit. Die Familie war Ende des neunzehnten Jahrhunderts nach
Kalifornien eingewandert, hatte zur Jahrhundertwende dieses Restaurant
eröffnet, es nach dem großen Erdbeben neunzehnhundertsechs wieder aufgebaut
und es immer vom Vater an den Sohn weitergegeben.
Richards Eltern waren enttäuscht, daß ihr Sohn einen anderen Beruf gewählt
hatte. In dieser Beziehung besaßen Richard und Sabrina etwas Gemeinsames.
Richard hatte auch ein vorgezeichnetes Leben aufgegeben, um eigene Wege zu
gehen. Obwohl er seine Entscheidung nie bedauert hatte, hielt er doch noch
immer die feste Verbindung zu seiner Familie aufrecht.
„Richard, diese Fischbällchen mit Tofu schmecken einfach himmlisch“, lobte
Sabrina. „Kann ich das Rezept haben?“
„Pst! Nicht so laut! Das Rezept ist ein uraltes Familiengeheimnis. Aber vielleicht
rückt meine Mutter es für Sie heraus.“
Ginger lachte vergnügt. „Altes Familiengeheimnis! Deine liebe Mutter hat das
Rezept von mir bekommen, und ich gebe es gern weiter.“
Richard machte ein gespielt bitterböses Gesicht. „Mußt du den ganzen Effekt
verderben, Mädchen? Wo bleiben da orientalische Geheimnisse, Tradition,
Familienrezepte und so weiter…?“
Lara mischte sich gutgelaunt ein. „Rezept hin und her – mir schmeckt’s, und ich
danke dir für die Einladung, Richard. Ich weiß, daß du mich damit aufmuntern
wolltest.“
„Und? Hat’s funktioniert?“ erkundigte sich Richard.
Lara lächelte ihn an. „Hundertprozentig.“
Richard stand auf, um seiner Großmutter das Geschenk zu überreichen. Lara ging
mit ihrem Teller zum kalten Büfett. Sabrina war mit Ginger eine Weile allein am
Tisch.
„Was macht Ihre Arbeit?“ fragte Sabrina. Ginger war Einkäuferin einer bekannten
Boutique und wußte stets über die neuesten Modetrends Bescheid.
„Hektisch wie immer.“ Ginger warf ihr langes schwarzes Haar über die Schultern
zurück. „Das Wintergeschäft ist voll angelaufen. Wir müssen entsprechend den
unvorhersehbaren Käuferwünschen andauernd hin und herdisponieren.
Glücklicherweise ist Richard im Moment selbst zu beschäftigt, um sich zu
beschweren, daß ich keine Zeit für ihn habe.“
„Im Augenblick bin ich sehr auf seine Hilfe angewiesen“, sagte Sabrina. „Hat er
Ihnen erzählt, daß ich mit ihm wegen einer Gehaltserhöhung gesprochen habe?“
Ginger lächelte. „Natürlich. Er war viel zu aufgeregt, um das für sich zu behalten.
Ich freue mich schrecklich. Eine Zeitlang dachte ich, er ließe sich nur so treiben
und habe keinerlei Ehrgeiz voranzukommen, obwohl er doch so talentiert ist.“
Sabrina mußte daran denken, wie ähnlich Gingers Verhältnis zu Richard doch
ihrem eigenen zu John war. In beiden Fällen schien der berufliche Erfolg das
Wichtigste zu sein. Wie weit die Zeiten doch zurücklagen, als der Mann der
alleinige Brotverdiener und die Frau nichts als Hausfrau war!
Richard und Lara kehrten an den Tisch zurück. Während die beiden sich mit
Ginger unterhielten, schaute sich Sabrina in dem geschmackvoll mit chinesischen
Antiquitäten dekorierten Restaurant um.
„Richard, was bedeutet eigentlich der Name ,On Lock Sam’?“ fragte sie.
„Das heißt ‚zufriedenes Herz’. Hübsch, nicht?“
„Sehr sogar.“
Jetzt wurden die ersten offiziellen Trinksprüche auf Richards Großmutter
ausgebracht, aber Sabrina hörte kaum hin. Sie dachte darüber nach, daß ihr
eigenes Herz im Moment weit davon entfernt war, zufrieden zu sein. Seit sie
Bryan kennengelernt hatte, lagen ihre Gefühle und Ansichten im Widerstreit
miteinander.
Bryan… Gleichgültig, was Sabrina tat, oder wo sie war, immer wieder ging dieser
Mann durch ihre Gedanken, beschäftigte sie mehr als ihr lieb war. Ob er ahnte,
wie oft sie an ihn dachte?
Bryan und Thaddeus saßen auf der Terrasse und genossen den milden
Sommerabend. Die Sonne war längst untergegangen. Das Windlicht auf dem
Tisch leuchtete warm und sanft.
„Ein gutes Jahr“, meinte Thaddeus versonnen.
Bryan lächelte den älteren Mann herzlich an. „Das sagst du jedes Jahr.“
„Und ich habe auch immer recht.“ Nach einer kleinen Pause setzte Thaddeus
hinzu: „Übrigens, kommt Sabrina Montgomery bald wieder einmal her?“
„Warum willst du das wissen?“ fragte Bryan ein bißchen zu hastig.
„Ach, nur so. Adam hat neulich nach ihr gefragt. Er mag sie gern. Sie ist ja auch
sehr nett. Und hübsch dazu.“
„Thaddeus…!“ warnte Bryan.
„Bryan, ich stelle doch nur Tatsachen fest. Weshalb bist du denn so empfindlich?“
„Ich bin überhaupt nicht empfindlich. Ich weiß nur, worauf du hinauswillst.“
„Seit drei Jahren wohnt keine Frau mehr in diesem Haus. Ein gesunder junger
Mann wie du sollte nicht so lange allein sein.“
„Ich habe ja nicht wie ein Mönch gelebt.“
„Und ich rede nicht von körperlichen Bedürfnissen, Bryan, sondern von
jemandem, mit dem du ein gemeinsames Leben aufbauen kannst.“
„Thaddeus, ich kenne Sabrina nicht gut genug, um an so etwas zu denken. Und
außerdem“, fuhr er leicht gereizt fort, „wartet sie nicht gerade auf die Chance,
Hausfrau zu werden. Sie ist eine ausgesprochene KarriereFrau.“
„Und das heißt deiner Meinung nach, sie kann nicht gleichzeitig auch Ehefrau und
Mutter sein?“
„Sie will vielleicht nicht die Verantwortung auf sich nehmen, das Kind einer
anderen Frau aufzuziehen.“
„Unsinn! Sie ist großartig mit Adam ausgekommen. Er mag sie sehr. Das war bei
den meisten Frauen, mit denen du ausgingst, nicht der Fall.“
„Das tut alles nichts zur Sache. Wie ich schon sagte, sie hat einen interessanten,
anstrengenden Beruf, dem sie sich offensichtlich voll und ganz widmet.“
„Bryan, nur weil Melissas Karriere eure Ehe zerstört hat, mußt du doch nicht…“
„Thaddeus!“ herrschte Bryan ihn an.
Thaddeus seufzte. „Na schön. Ich bin ja schon still.“
Bryan bedauerte sofort, daß er seinen Freund so angefahren hatte.
„Entschuldige. Ich…“
„Schon gut. Ich höre auf, den Amor zu spielen.“
„Und ich gewöhne mir ab, dich anzubrüllen.“
Thaddeus trank sein Glas leer und stand auf. „Zeit fürs Bett. Gute Nacht, Bryan.“
Er ging zur Tür.
„Du magst sie also?“ fragte Bryan vorsichtig.
„Aber ja. Sie ist keine alltägliche Frau.“
„Und Adam mag sie auch?“ Die Antwort darauf wartete er jedoch nicht ab. „Gute
Nacht, Thaddeus.“
Noch lange blieb Bryan allein draußen sitzen. Der Wind in den Zweigen und die
Vögel sangen ihr Nachtlied.
Sabrina… nein, eine alltägliche Frau war sie gewiß nicht. Er schätzte sie und
spürte eine tiefe Zuneigung zu ihr. Bei seinen anderen vorübergehenden
Frauenbekanntschaften war das nicht der Fall gewesen, sondern ausschließlich –
wie Thaddeus das so unverblümt ausgedrückt hatte – eine Frage der körperlichen
Bedürfnisse.
Aber Sabrina… wenn er sie küßte, war ihm, als erwache er wieder zu einem
Leben, das er schon vergessen geglaubt hatte. Er begehrte sie, wie er nach
seiner ersten glücklichen Zeit mit Melissa nie wieder eine Frau begehrt hatte.
Aber konnte er sich diese Empfindungen erlauben? Sabrina wollte sicher nicht
das haben, was er ihr bieten konnte. Sie liebte ihr Leben so, wie es jetzt war.
Und den Mann, den sie jetzt hatte.
Die Eifersucht versetzte Bryan einen kleinen Stich, als er an John Carr dachte.
Dieser Mann sieht zu gut aus, ist einfach zu glatt, dachte er. Aber er ist ein
Mann, der auf Frauen ungeheuer anziehend wirken muß.
Plötzlich sehnte sich Bryan danach, Sabrina wiederzusehen, doch das würde wohl
so schnell nicht möglich sein. Sie beide waren jetzt mit ihrer Arbeit überlastet.
Wenn er sie jedoch schon nicht sehen konnte, so war es doch möglich,
wenigstens ihre Stimme zu hören. Bryan ging in sein Arbeitszimmer, nahm den
Hörer vom Telefon und wählte Sabrinas Nummer.
„Hallo?“
„Sabrina, hier ist Bryan.“ Eine kleine Pause trat ein. Bryan spürte, wie Sabrina
angenehm überrascht war.
„Gibt es ein Problem?“ fragte sie dann zögernd.
„Nein. Ich wollte nur deine Stimme hören. Störe ich?“
„Gar nicht. Ich lese gerade ein wenig und trinke ein Glas von deinem Recherché.
Nach dem harten Tag muß ich mich vor dem Zubettgehen noch ein bißchen
entspannen.“
„Was liest du denn?“
„Gedichte. Elizabeth Barrett Brownings ,Sonette aus dem Portugiesischen’.“
„Oh, wie interessant. Liest du mir etwas vor?“
„Aber Bryan…“ wehrte sie vorwurfsvoll ab.
„Nein wirklich, ich mag Poesie. Such ein Gedicht aus. Bitte.“
„Na gut. Mal sehen…“ Sabrina raschelte mit den Buchseiten. „Das hier ist hübsch.“ Sie begann vorzulesen: „Ich denk an dich. Wie wilder Wein den Baum sprießend umringt mit breiten Blättern, hängen um dich meine Gedanken, daß man kaum den Stamm noch sieht unter dem grünen Drängen. Und doch, mein Palmenbaum, will ich nicht sie, diese Gedanken, sondern dich, der teurer und besser ist…“ Sabrina stockte und las nicht weiter. Für eine Weile trat ein beredtes Schweigen
ein.
Dann fragte Bryan mit etwas belegter Stimme: „Denkst du auch manchmal an
mich? Wenigstens ab und zu einmal?“
„Ich… ich glaube nicht, daß ich darauf antworten sollte.“
Bryan lachte leise. „Das ist auch eine Antwort, nicht wahr?“ Und ehe Sabrina das
bestreiten konnte, schloß er fast zärtlich: „Gute Nacht, Sabrina. Schlaf gut und
träum süß.“
Bryan rief Sabrina jetzt abends öfter an. Sie unterhielten sich über alles
mögliche, aber jedesmal, wenn Bryan das Gespräch in eine mehr vertrauliche
Richtung lenken wollte, wechselte Sabrina das Thema und sagte, sie wolle jetzt
Schlafengehen. Bryans Anrufe bereiteten ihr zwar große Freude, aber sie wollte
doch vermeiden, ihm noch näher zu kommen, als das schon der Fall war.
Eines Abends – Sabrina hatte Bryans Anruf schon seit Stunden erwartet –
klingelte das Telefon. Ein wenig atemlos meldete sie sich: „Hallo?“
„Sabrina! Nun, wie geht’s meiner Herzdame?“
Es war John, nicht Bryan. Sabrina verblüffte, ja, erschreckte es, daß sie darüber
mehr enttäuscht als erfreut war. Sie ließ es sich jedoch nicht anmerken.
„Danke, gut. Und dir?“
„Ich habe viel zu tun. Dieses ganze Projekt hier geht drunter und drüber. Wann
ich heimkehren kann, steht noch nicht fest.“
„Ach, das tut mir aber leid.“ Tut es mir wirklich leid? dachte sie. War es ihr nicht
sogar recht, wenn er noch eine Weile fortblieb?
„Du hörst dich so müde an. Habe ich dich geweckt?“
„Nein. Ich war noch nicht im Bett.“ Allein in meinem leeren Bett, dachte Sabrina.
Ob John auch einsam in seinem Bett war?
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte er: „Du fehlst mir. Ich wünschte, ich
wäre heute nacht bei dir.“
Irgend etwas in seiner Stimme fand den Weg zu Sabrinas Herzen. Sein Charme
fing sie wieder ein. „Du fehlst mir auch“, erwiderte sie, und in diesem Augenblick
meinte sie das ehrlich.
Sie sprachen noch eine Weile miteinander, hauptsächlich, weil John wohl
jemandem von seinem Problem berichten mußte. Als sie das Gespräch schließlich
beendeten, war es fast elf Uhr nachts. Sabrina ging ins Bett und wollte gerade
die Nachttischlampe ausschalten, als das Telefon wieder läutete.
Diesmal war es Bryan.
„Entschuldige, daß ich dich noch so spät anrufe. Ich habe es schon früher
versucht, aber deine Leitung war ständig besetzt.“
„Ja.“ Sabrina wußte nicht, was sie sagen sollte.
Mit erstaunlicher Hellsichtigkeit fragte Bryan leise: „Du hast mit John Carr
gesprochen, nicht wahr?“
„Ja.“
Bryan schwieg ein paar endlose Sekunden lang. „Du klingst müde. Es ist schon
spät. Ich lege jetzt besser wieder auf.“
„Bitte, nein, Bryan.“ Plötzlich wollte Sabrina unbedingt mit ihm reden, seine Stimme hören. „Ich bin überhaupt nicht müde. Wie geht es Adam?“ Bryan zögerte. „Also… Adam geht es gut.“ Seine Stimme klang jetzt ein wenig amüsiert. „Er hat ein SchokoladenSandwich erfunden.“ „Ein – was?“ „Er hat Schokoladenpudding zwischen zwei Scheiben Brot verteilt. Thaddeus meint, aus dem Jungen werde einmal ein einfallsreicher Meisterkoch. Und du? Was machst du gerade?“ „Ich wollte gerade einschlafen.“ „Ich auch. Hier ist jetzt alles so still und friedlich.“ „Ich weiß. Aber hier in der Stadt ist es jetzt auch ruhig.“ „Sabrina, ich komme dieses Wochenende nach San Franzisko.“ Bryan hörte, daß Sabrina den Atem anhielt. „Kann ich dich am Samstag sehen?“ Sie sollte nein sagen. Vor wenigen Minuten hatte sie John versichert, sie vermisse ihn, aber jetzt… „Ja. Wann?“ „Mittags. Ich möchte gern den ganzen Tag mit dir verbringen. Wie wäre es denn mal mit dem exotischen Orient?“ „Willst du mich in ein ChinatownLokal einladen?“ „Nein. Ich dachte an ein Picknick im GoldenGatePark und an einen Besuch des Japanischen Teegartens.“ „Natürlich – der exotische Orient!“ Wie wunderhübsch, dachte sie. „Ich bin einverstanden.“ „Bis dann also. Gute Nacht, Sabrina.“ „Gute Nacht, Bryan“, flüsterte sie. Bryan holte Sabrina zur vereinbarten Zeit ab. Kurz danach fuhren sie in den GoldenGatePark, der sich rühmte, mit seinen schönen Seen, dem Botanischen Garten, einem Planetarium, interessanten Museen und dem Japanischen Teegarten einer der schönsten Stadtparks Amerikas zu sein. „Was hältst du von einem kleinen Spaziergang vor dem Picknick?“ fragte Bryan. Sabrina war einverstanden und nickte zustimmend. Vor dem Eingang zum gläsernen Gewächshaus des Botanischen Gartens hatte sich gerade eine große japanische, aber westlich gekleidete Hochzeitsgesellschaft zum Gruppenfoto aufgestellt. Die ganz in weißem Satin gekleidete Braut machte ein viel zu ernstes Gesicht, bis der Bräutigam ihr etwas ins Ohr flüsterte. Sie kicherte, und als der Fotograf sich hinter seine Kamera duckte, lächelte sie sogar strahlend. Sabrina und Bryan warteten, bis die Gruppe den Eingang freigegeben hatte. „Das war hübsch, nicht wahr?“ meinte Sabrina. „Wie kommt es eigentlich, daß eine so gutaussehende Person wie du es bist, nicht verheiratet ist?“ fragte Bryan übergangslos. Sabrina warf ihm einen schnellen Blick zu, um festzustellen, wie ernst er die Frage gemeint hatte. Er sah sie forschend an. „Ich möchte es wirklich gern wissen“, bekräftigte er. Sabrina fand, daß Bryan eine ehrliche Antwort verdient hatte. „Ich glaube, ich bin noch nicht bereit, die Verpflichtungen einzugehen, die meiner Meinung nach mit einer Ehe verbunden sind. Ich liebe meine Arbeit, und ich bin mit meinem jetzigen Leben durchaus zufrieden.“ Daß der Mann, mit dem sie verbunden war, nicht von Heirat gesprochen hatte, hätte zu dieser ehrlichen Antwort eigentlich dazugehört. Aber sie scheute sich davor, Bryan noch weitere Einblicke in ihr Privatleben zu geben. Nachdem sie ihren kleinen Rundgang beendet hatten, gingen sie zum Wagen zurück. Bryan fuhr durch den Park, bis er eine für ihr Picknick geeignete Stelle
fand. Sie breiteten die Decke auf dem Rasen aus, setzten sich und genossen, was
Thaddeus in den Eßkorb gepackt hatte. Eine Flasche Recherché war
selbstverständlich auch dabei.
Vom nahen Musikpavillon wehten fast melancholische weiche Klänge herüber.
„Eine hübsche Musik“, meinte Sabrina versonnen, „aber ein wenig traurig.“
Bryan schüttelte lächelnd den Kopf. „Nicht traurig. Ausgefallen, geheimnisvoll,
,recherché’ – wie du.“
Sabrina griff das Stichwort sofort auf, um rasch das Thema zu wechseln.
„Möchtest du erfahren, was ich inzwischen in Sachen RecherchéFeldzug getan
habe?“
„Nein“, lautete Bryans Antwort. „Ich möchte etwas über dich erfahren.“
„Die Kampagne ist aber entschieden interessanter.“ Beharrlich erzählte Sabrina
Bryan alles Berichtenswerte. „Wenn die Werbung eine Woche lang gelaufen ist“,
schloß sie dann, „dürfte es niemanden mehr geben, der noch nichts von deinem
Recherché gehört hat.“
„Nun, hoffentlich gefällt der Wein den Leuten dann auch.“
„Begeistert werden sie sein!“ Sabrina drehte ihr Glas zwischen den Fingern und
roch das fruchtige Bukett.
Bryan lachte. „Bist du immer so voreingenommen bei den Produkten, für die du
die Werbung machst?“
„Nur bei denen, die ich für wirklich ausgezeichnet halte. Möchtest du sonst noch
etwas wissen?“
„Ja, aber nichts über die Kampagne.“ Er sah ihr in die Augen. „Ich würde gern
mehr über deinen Stil erfahren. Andere Leute stapeln hoch, und du untertreibst
eher… Bei dir ist alles leicht und elegant und…“
„Ich bin eben der Ansicht, daß weniger mehr ist als zuviel. Ein Wink, ein Blick,
ein Hauch zum Beispiel können sehr viel mehr bewirken als lautes Getue. Du
kennst doch sicher die alte Weisheit: Will man gehört werden, muß man
flüstern.“
Wenn Sabrina gehofft hatte, das Gespräch wieder auf ihre Werbemethoden
zurückleiten zu können, sagte ihr Bryans Blick, daß seine Gedanken in eine ganz
andere Richtung liefen.
„Wenn ich flüstere, würdest du mir dann auch zuhören?“ Bryan sprach sehr leise,
und seine Stimme klang etwas rauh. Ein paar verzauberte Sekunden lang sahen
sie einander schweigend in die Augen.
Der Bann wurde gebrochen, als ein roter Ball auf die Decke rollte. Bryan packte
ihn noch rechtzeitig, ehe er die Weinflasche umstoßen konnte. Zwei kleine
Jungen in Adams Alter, offensichtlich Zwillinge, rannten herbei und blieben
verlegen stehen. Bryan lächelte und warf ihnen den Ball zu. Die Kinder liefen
lachend ein paar Schritte fort und spielten weiter.
Sabrina betrachtete die kleinen Kerle mit ihren strohblonden Wuschelköpfen, den
verwaschenen Jeans und den rotweißgestreiften TShirts. „Sind sie nicht süß?“
Sie wandte sich wieder Bryan zu.
Er nickte. „Sie sehen so glücklich aus. Vielleicht, weil sie sich als Zwillinge
besonders nahestehen und nie einsam sind. Ich wünschte, Adam wäre auch nicht
so allein.“ Bryan sah jetzt ernst aus.
„Er hat doch dich und Thaddeus“, versuchte sie, ihn zu trösten. „Adam wird
geliebt. Das ist das wichtigste. Und dann hat er schließlich noch Rex und
Pancho“, schloß sie augenzwinkernd.
„Das stimmt alles“, bestätigte Bryan. „Dennoch fehlt etwas Wichtiges in seinem
Leben.“
Das bezog sich natürlich auf die fehlende Mutterliebe. Sabrina wußte nicht, wie
sie auf diese heikle Bemerkung eingehen sollte. Nach längerem Schweigen sagte sie: „Das Leben ist hart, und jeder, auch ein fünfjähriges Kind, muß lernen, es zu meistern.“ „Wie kommt es, daß du so weise bist?“ fragte Bryan ohne eine Spur von Spott. „Ich bin überhaupt nicht weise“, widersprach Sabrina. „Doch. Weise, klug, schöpferisch, schön und…“ Er machte eine Pause. Sabrina wartete gespannt auf die Fortsetzung. Bryan beugte sich zu ihr und schloß: „… und du hast einen Krümel auf der Wange.“ Mit dem Finger wischte er ihn fort. Sabrinas Lächeln verflog, als er sanft von ihrer Wange zum Kinn strich und es leicht anhob, so daß sie ihm direkt in die Augen sehen mußte. Sie wußte, daß ihr Blick verriet, was sie jetzt fühlte. „Sabrina…“ flüsterte er. Seine Lippen waren so nahe. Die lachenden Zwillinge, die Musik aus der Ferne, der ganze Park schien sich in Nichts aufzulösen. Obwohl Bryan nur den Finger unter ihr Kinn hielt und sie ansah, hatte Sabrina noch nie einen solchen Augenblick des vollkommenen Einklangs, der seelischen Übereinstimmung – ja, der Vereinigung erlebt. Wieder lief ein Beben durch ihren Körper. Es war erneut der rote Ball, der das magische Band zerriß. Sabrina sah ihn zu spät, und Bryan war diesmal zu langsam. Der Ball rollte über die Decke und traf die Weinflasche. Sabrina mußte aufspringen, um dem schäumenden Naß zu entgehen, das sich über die Decke ausbreitete. Sie warfen den Zwillingen lachend den Ball zurück, packten ihre triefenden Sachen zusammen und brachten sie zum Wagen. Dann wanderten sie Hand in Hand zum Japanischen Teegarten. „Dies ist einer meiner Lieblingsplätze“, erzählte Sabrina. „Zur Kirschblütenzeit komme ich oft hierher. Aber heute ist es hier auch schön. Der Garten ist wunderbar.“ „Heute ist der Garten für mich besonders wunderbar“, stellte Bryan unmißverständlich fest. Sie schlenderten auf den Pfaden am Wasser entlang, überquerten die Brücke und bewunderten die tonnenschwere Buddhafigur. Dann ging es hügelabwärts zum Teehaus. „Du sagtest, du kämst öfter hierher. Allein?“ fragte Bryan. Sabrina blickte ihn überrascht an. „Natürlich. Von Zeit zu Zeit möchte ich gern einmal allein sein. Du nicht?“ „Ich bin viel allein. Zuviel, glaube ich.“ Im Teehaus wurden sie von einer Japanerin im farbenfrohen Kimono bedient. Bryan entschuldigte sich für einen Moment, verschwand und kehrte gleich darauf mit einer Tüte Glückskeksen zurück. „Hier, mach dein Glück!“ Er gab Sabrina einen Keks und nahm sich auch einen. „Lies du zuerst vor“, schlug Sabrina vor, nachdem sie ihren Keks zerbrochen und den rosa Zettel darin gelesen hatte. „Was wird dir vorausgesagt?“ Bryan zog das Stückchen Papier aus dem Gebäck. „Das ist ja gar keine Prophezeihung. Müßiggang ist aller Laster Anfang’ steht hier. So was! Müßiggang gehört nun wirklich nicht zu meinen Lastern.“ Sabrina lachte und hielt ihm einen zweiten Keks hin. „Versuch’s noch mal. Jeder hat ein Recht auf eine zweite Chance.“ Bryan bedeckte ihre Hand mit der seinen. „Und wenn mir auch der Spruch nicht gefällt?“ „Dann probierst du es weiter. Es sind ja schließlich deine Kekse.“ Bryan las und runzelte die Stirn. „Hier steht: ,Du bist sehr häuslich, und deine Familie ist für dich das wichtigste’.“
„Das kommt doch der Wahrheit recht nahe, nicht? Oder willst du noch einen
Keks?“
„Nein, das reicht. Was steht bei dir drauf?“ Bryan sah Sabrina erwartungsvoll an,
und als sie schwieg, nahm er ihr den Zettel aus der Hand.
„Du hast ein gutes Herz und wirst sehr bewundert“, las er. „Du hast doch ein
gutes Herz, oder? Und bewundert wirst du über alle Maßen. Nachdem wir jetzt
also die Wahrheit frisch vom Bäcker erfahren haben, kannst du ja auch noch die
Zukunft aus den Teeblättern weissagen.“
Sabrina blickte auf die Teeblätter in ihrer Tasse. Sie wünschte tatsächlich, sie
könnte daraus lesen, wie ihre Zukunft und ihr Schicksal sein würden. Noch vor
kurzem hatte sie es zu wissen geglaubt.
„Was denkst du jetzt?“ wollte Bryan wissen.
„Ich denke, daß das ein wunderbarer Tag heute war.“
„Und er ist noch nicht zu Ende.“
Sie besuchten noch einige Sehenswürdigkeiten des großen Parks. Am späten
Nachmittag brachte Bryan Sabrina heim und fuhr selbst in sein Hotel, um sich für
den Abend umzuziehen.
Ein paar Stunden später holte Bryan Sabrina wieder ab. Sie trug jetzt ein sehr
romantisches Kleid. Ihr Haar hatte sie zu einem losen Knoten im Nacken
zusammengefaßt.
„Du siehst phantastisch aus“, bewunderte Bryan sie.
Sabrina freute das Kompliment. Bryan half ihr in den Mantel. Sie spürte seinen
warmen Atem in ihrem Nacken, seine Hände an ihren Schultern, und seine so
unmittelbare Nähe. Nimm dich zusammen! befahl sie sich, aber ihre Hand
zitterte, als sie ihre Handtasche aufnahm.
„Wohin fahren wir?“
„Oh, wir gehen auf eine lange Reise, weit über das Meer, in ein fernes Land.“
Sabrina sah Bryan so ratlos an, daß er lachen mußte.
„Wir nehmen die Fähre nach Sausalito“, erklärte er dann.
Später standen sie am Heck des Schiffs und ließen die Lichter der Stadt hinter
sich. Der Abend war kühl und klar, das Wasser der Bucht schien tiefschwarz, und
am Himmel funkelten die Sterne. Bryan legte den Arm um Sabrinas Schulter, als
wäre das die natürlichste Sache der Welt. Nach kurzem Zögern lehnte sie den
Kopf an seine Brust.
„Du wirst doch hoffentlich nicht seekrank“, scherzte er.
„Auf einer zwanzigminütigen Fahrt mit der Fähre? Gewiß nicht. Vergiß nicht, daß
du mit einem Mädchen aus Minnesota redest, dem Staat der himmelblauen Seen.
Früher habe ich viel gepaddelt und gesegelt.“
„Heute abend siehst du so hinreißend damenhaft aus, daß man dir das gar nicht
zutrauen würde.“
Sabrina lachte, aber sie freute sich über Bryans Kompliment. Sie wollte schön für
ihn sein. Glücklich lehnte sie sich wieder an seine Brust und wünschte, die kurze
Überfahrt möge nie zu Ende gehen.
Allzubald legten sie an und befanden sich dann inmitten des abendlichen Trubels
des ehemaligen Fischerdorfes Sausalito mit seinen Boutiquen, Kunstgalerien und
Restaurants.
Bryan hatte einen Tisch im „Seven Seas“ reserviert. Sie genossen das
vorzügliche Abendessen und unterhielten sich prächtig miteinander. Nicht immer
stimmten ihre Meinungen überein, aber die Differenzen waren eher anregend.
Stunden vergingen wie Minuten. Bryan blickte auf seine Uhr. „Wir müssen
aufbrechen, wenn wir noch die letzte Fähre bekommen wollen.“
Die Fähre war fast leer. Weil es an Deck zu kalt war, setzten sie sich hinein.
Sabrina hatte das Gefühl, mit Bryan ganz aHein zu sein – ein sehr schönes Gefühl. Je näher die Fähre der Stadt kam, desto näher kam auch das Ende dieses wundervollen Tages. Was jetzt? fragte sich Sabrina. Sollte sie im Auto gähnen, sich für alles bedanken und sagen, daß sie jetzt entsetzlich müde sei? Würde Bryan sich dann mit einem netten Lächeln und einem freundlichen „Gute Nacht“ verabschieden lassen? Wohl nicht. Sabrina selbst wollte auch nicht, daß der Abend schon vorbei wäre. Als sie vor ihrer Wohnungstür standen, sagte sie unsicher: „Ich… es war ein wunderschöner Tag.“ Als Bryan sie nur schweigend ansah, fragte sie: „Möchtest du noch auf einen Kaffee hereinkommen?“ Bryans Augen war anzusehen, daß er darauf gewartet hatte. „Das möchte ich gern. Aber ich will nicht vorgeben, es sei wegen des Kaffees. Sabrina…“ „Bryan, ich…“ „Ich weiß schon. Du fühlst dich an einen anderen Mann gebunden, und auch wenn dieser Mann im Moment nicht hier ist, möchtest du ihm nicht untreu werden.“ „Ja“, flüsterte Sabrina. „Liebst du John Carr, Sabrina?“ Sie zögerte. Hätte man ihr diese Frage vor einem Monat gestellt, würde sie sofort gesagt haben: Aber selbstverständlich! Doch jetzt… „Ich bin schon sehr lange mit John zusammen“, erklärte sie stockend. „Wir haben ein gutes Verhältnis zueinander.“ Sabrina lehnte sich gegen den Türpfosten und wich Bryans Blick aus. „Wir passen gut zusammen. Vom Leben wollen wir beide dasselbe.“ „Wirklich?“ „Wir sind beide an unserem beruflichen Erfolg interessiert.“ „Und das ist es, was du willst – beruflichen Erfolg?“ „Jawohl!“ Plötzlich war Sabrina böse. „Vielleicht verstehst du das nicht. Möglicherweise denkst du, eine Frau gehört ins Haus.“ „Nicht unbedingt. Aber ich glaube, zu einem festen Verhältnis gehört, daß man ‘sich gegenseitig verpflichtet fühlt. Und das ist bei dir und Carr anscheinend nicht der Fall.“ „Wie kannst du das behaupten?“ „Weil du sonst nicht mit mir ausgegangen wärst. Du hättest nicht erlaubt, daß ich dich in die Arme nehme, daß ich dich… küsse.“ Plötzlich preßten sich Bryans Lippen auf Sabrinas Mund. Sie hatte das Gefühl, in seinen Armen zu zerschmelzen. Aller Zorn war verflogen, und an seine Stelle trat ein quälendes und doch so süßes Verlangen. Unwillkürlich legte sie die Hände an seine Brust und ließ sich von ihm noch inniger umarmen. Bryans heißer Kuß raubte ihr jeden klaren Gedanken. Noch nachdem sie sich ein wenig zurückgezogen hatte, drehte sich alles in ihrem Kopf, und ihr Herz hämmerte wie wild. Gepeinigt schaute sie Bryan an. „Nein“, flüsterte sie, „das darf nicht sein. Ich kann dich nicht wiedersehen, wenn…“ Ihre Stimme versagte. Mit zitternden Händen fischte Sabrina den Schlüssel aus ihrer Handtasche und schloß die Tür auf. Sie trat in die Wohnung. Bryan folgte ihr wie selbstverständlich. Er wartete, bis sie ihren Mantel ausgezogen und ihn in die Garderobe gehängt hatte. Dann legte er die Hände um ihre Schultern. „Sabrina!“ Er drehte sie zu sich herum, so daß sie ihn anschauen mußte. „Nein. Bitte, Bryan, ruf mich nicht mehr privat an. Ich spreche mit dir im Büro,
aber das ist alles.“ „Du kannst doch nicht so tun, als wäre nichts zwischen uns!“ Sabrina wollte sich abwenden, doch er hielt sie fest. „Sabrina, sieh mich an!“ „Nein!“ Aber schon küßte Bryan sie erneut. Einen kurzen Augenblick kämpfte sie verzweifelt, doch dann konnte sie sich nicht mehr gegen ihr eigenes Sehnen wehren. Kraftlos sank sie an seine Brust. Bryan hielt Sabrina mit seinen starken Armen umschlungen und küßte sie mit einer Leidenschaft, die weit über jede Zärtlichkeit hinausging. Mit den Lippen strich er an Sabrinas Hals hinab und zu ihrer Schulter. Er schob den Stoff des Kleides beiseite und drückte seinen Mund auf ihre weiche Haut. Sabrina glaubte in Flammen zu stehen. Ehe sie wußte, wie ihr geschah, nahm Bryan sie auf die Arme, trug sie zum Sofa und legte sie behutsam darauf nieder. Er beugte sich über sie und küßte sie wieder. Sabrina konnte nur noch eines denken: Sie wollte, daß dieser Mann sie liebte, und sie wollte sich ihm schenken. Bryans Lippen wanderten tiefer zu ihrer Brust. Sabrina fühlte durch den Stoff ihres Kleides hindurch, daß seine Finger vor Erregung zitterten. Ein lustvoller Schauer durchlief ihren Körper. Sie strich über seinen Rücken bis zu seinem Nacken hinauf, verflocht die Finger mit seinem braunen Haar und zog seinen Kopf wieder an ihren Mund. Bryans Zunge war ein wilder und kühner Eindringling, der Sabrinas Begehren nur noch mehr erregte. Wärme breitete sich in ihrem Körper aus und wurde zu einem Feuer, in dem sie zu verglühen drohte. Jetzt strichen Bryans Lippen über Sabrinas Wange bis zu ihrem Ohr. Er berührte mit seiner Zunge die empfindsame Stelle hinter dem Ohrläppchen. Ungeduldig geworden, knöpfte er das Oberteil des Kleides auf und streifte es ihr bis zur Taille herab. Als sein Mund ihren Brustansatz berührte, bog sie ihm sehnsüchtig ihren Körper entgegen. Bryan hob den Kopf und sah ihr in die Augen. „Ich begehre dich, Sabrina.“ Die Leidenschaft färbte seine Stimme dunkel. Er wartete. Die Entscheidung sollte Sabrina treffen. Ich begehre dich doch auch, dachte sie fast verzweifelt. Wie sehr ich dich begehre! Gleichzeitig jedoch wußte sie, daß sie sich ihm heute nacht nicht hingeben durfte – nicht solange sie sich noch an einen anderen Mann gebunden fühlte. Sabrinas Stimme war kaum hörbar: „Nein, nicht heute! Es wäre nicht recht.“ Einen Augenblick lang sah Bryan aus, als wäre er geschlagen worden. Nach einer Weile, die Sabrina wie eine Ewigkeit erschien, nickte er. Wortlos richtete er sich auf und ging durch das Zimmer. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß.
7. KAPITEL An einem Nachmittag Ende September fuhr Sabrina mit den endgültigen Vorlagen für die Werbekampagne wieder nach Madrona. Der Herbst hatte in diesem Jahr früh eingesetzt. Die Luft war kühl, und die Trauben hingen schwer an den Rebstöcken. Eine gewisse Vorahnung, die Erwartung des bevorstehenden Wechsels, bestimmte die Atmosphäre. Nicht nur die Jahreszeit war im Übergang. Sabrina hatte das vage Gefühl, daß auch in ihrem Inneren Veränderungen eintraten. Bryan hatte sie nicht wieder zu Hause angerufen. Zweimal hatten sie geschäftlich miteinander telefoniert. Dennoch hatte Sabrina nicht aufgehört, ständig an ihn zu denken. Sie war sicher, daß es Bryan ebenso ging. John hatte oft angerufen, aber das konnte ihre Gedanken auch nicht von Bryan ablenken. Sabrina fuhr die Auffahrt zum Gutshaus hinauf. Adam rannte ihr entgegen und begrüßte sie wie eine lange vermißte Freundin. Selbst die Hunde schienen sich an sie zu erinnern. Pancho sprang schwanzwedelnd und freudig winselnd an ihr hoch. Der ziemlich furchteinflößende Rex zeigte sich ausgesprochen gnädig und leckte ihr die ausgestreckte Hand. Bryan befand sich anscheinend unten in der Kellerei. Deshalb spielte Adam den Hausherrn und führte Sabrina ins Wohnzimmer. Er setzte sich zu ihr und unterhielt sich mit ihr, bis sein Vater ein paar Minuten später erschien. Sabrina brauchte Bryan nur anzusehen, und schon spürte sie wieder die ungeheure Anziehungskraft dieses Mannes. Die Zwischenzeit hatte sie also nicht abgekühlt. „Entschuldige, daß ich dich habe warten lassen.“ „Keine Ursache.“ Sabrina lächelte zu Adam hinunter. „Dein Sohn ist ein ausgezeichneter Gastgeber.“ Der kleine Junge strahlte. „Im übrigen weiß ich ja, daß um diese Jahreszeit hier viel zu tun ist. Deshalb hielt ich es auch für praktischer, wenn ich mit den ganzen Unterlagen zu dir käme und wir dann die Kampagne abschließen können.“ Das ist nur die halbe Wahrheit, gestand sie sich ein. In Wirklichkeit war sie gekommen, um Bryan, Adam und Madrona wiederzusehen. Als ob Bryan das erkannt hätte, meinte er: „Wir sollten aus deinem Besuch einen MiniUrlaub machen. Du bleibst doch zum Abendessen?“ „Ach ja, bleib doch!“ bettelte Adam. Eigentlich hätte Sabrina die Einladung ablehnen sollen, aber als sie Adams hoffnungsfrohes Gesichtchen sah, brachte sie es nicht übers Herz, ihn zu enttäuschen. „Na gut“, stimmte sie zu. „Aber gleich nach dem Essen muß ich gehen. Es ist eine weite Fahrt nach San Franzisko.“ „Du könntest über Nacht bleiben und morgen früh, zurückfahren“, schlug Bryan vor. Ihre Blicke trafen sich. Was war es nur, das sie so zu diesem Mann zog? Jedesmal, wenn sie mit ihm zusammen war, konnte sie sich nur mit Mühe zurückhalten, ihn zu berühren, zu umarmen, ihre Lippen auf seine pressen zu wollen. Sabrina war hin und hergerissen zwischen dem, was ihr Verstand für richtig hielt, und dem, was ihr Körper und ihr Herz ersehnten. Wie gern wäre sie geblieben! „Nein, danke“, lehnte sie höflich, aber sehr bestimmt ab. Bryan sah sie erstaunt an. „Wollen wir in mein Arbeitszimmer gehen“, schlug er dann nur vor.
Adam zog einen Flunsch, weil man ihn wieder einmal allein ließ. „Lauf zu Thaddeus“, bat Bryan ihn, „und sag ihm, daß wir einen Gast zum Abendessen haben. Wenn Sabrina und ich mit der Arbeit fertig sind, dann gehen wir alle drei zusammen zur Kellerei hinunter, okay?“ „Okay“, nickte Adam beschwichtigt und rannte in Richtung Küche davon. Zwei Stunden später waren die letzten Einzelheiten des Werbefeldzuges für den Recherché besprochen. „Ich bin beeindruckt und zufrieden“, erklärte Bryan, lehnte sich in seinem Sessel zurück und lächelte Sabrina anerkennend zu. Natürlich hatte sie gewußt, daß sie gut gearbeitet hatte, aber Bryans erneutes Lob tat ihr wohl. „Danke.“ „Du leistest wirklich Hervorragendes“, fuhr Bryan fort. „Und es macht dir auch offensichtlich großen Spaß.“ „Selbstverständlich. Sonst könnte ich auch gar nicht arbeiten. Das Leben ist viel zu kurz, um es für etwas zu vergeuden, das man nicht gern tut und das einem nicht eine gewisse Erfüllung bringt.“ „Das verstehe ich. Auch ich kann mir nicht vorstellen, daß ich etwas anderes tun möchte als das, was ich jetzt mache“, sagte er leise. „Dann sind wir ja beide glücklich dran.“ Bryan sah Sabrina an. „In gewisser Weise, ja.“ Sabrina mußte plötzlich an Bryans geschiedene Frau denken. Um die Arbeit zu erfüllen, der offensichtlich ihr Herz gehörte, hatte sie ihre Familie verlassen müssen. Konnte Bryan diese schwere Entscheidung begreifen? Wahrscheinlich nicht. Selbst sie, Sabrina, die doch auch eine moderne, emanzipierte Frau zu sein glaubte, war diese Wahl nicht ganz verständlich. Nachdem Melissa nun einmal ihren Weg gewählt hatte, indem sie Bryan heiratete und Adam gebar – wie konnte sie den beiden dann später den Rücken kehren? Oder war Melissa, als sie heiratete, einfach zu jung gewesen? Sabrina ging plötzlich auf, daß diese Frau ja eigentlich über lange Jahre hinaus auf den von ihr geliebten Beruf verzichten mußte. Ihr Opfer hätte Adam und Bryan zwar das Leben leichter und schöner gemacht – aber was hätte es sie, Melissa, gekostet? Es gibt im Leben eben keine einfachen Antworten, dachte Sabrina mit einem kleinen Seufzer. „Du siehst so nachdenklich aus“, stellte Bryan fest. Sabrina blickte erschreckt hoch. „Ach, das ist nur die Erschöpfung“, versuchte sie abzuwehren. „Meine ganze Belegschaft hat in der letzten Zeit sozusagen rund um die Uhr gearbeitet, um die RecherchéKampagne fertigzubekommen.“ „Das ist nur gerecht. Hier haben auch alle mit Ausnahme von Adam, Rex und Pancho rund um die Uhr gearbeitet, um den Recherché für die Kampagne fertigzubekommen.“ Er stand auf und streckte Sabrina die Hand hin. „Genug Geschäftliches für heute. Jetzt gehen wir in die Kellerei.“ Natürlich war das Abendessen wieder ein Gaumenfest. Während Bryan Adam danach zu Bett brachte, ging Sabrina ins Wohnzimmer. Sie fühlte sich satt, müde und entspannt. Der Tag war wunderschön und friedlich verlaufen. Die Vorstellung, jetzt noch nach San Franzisko zurückfahren zu müssen, war nicht besonders verlockend. Mit dem Weinglas in der Hand trat sie auf die Terrasse hinaus. Die Silbersichel des Mondes hing über den dunklen Silhouetten der Baumwipfel. Sabrina war so von dem Frieden und der Stille Madronas eingefangen, daß sie zusammenfuhr, als sie Bryans Stimme hinter sich hörte. „Mondlicht steht dir gut.“ Sabrina drehte sich zu Bryan um. Normalerweise nahm sie Komplimente mit Anmut entgegen. John zum Beispiel sparte nie damit. Aber Bryans Worte waren
mehr als ein Kompliment. Hinter ihnen zeigte sich sein Verlangen.
Sabrinas Herz reagierte auf ihn mit der üblichen Beschleunigung. „Ich… ich muß
jetzt aufbrechen. Die Fahrt ist lang.“ Sie wollte sich an ihm vorbeimogeln.
„Sabrina“, sagte er nur leise.
Dieses eine Wort hielt sie auf. Wie erstarrt blieb sie stehen.
Bryan trat hinter sie und drehte sie zu sich herum. „Tag und Nacht habe ich nur
an dich gedacht. Ich nahm mir vor, dich in Ruhe zu lassen, falls du bei unserem
nächsten Treffen kühl und distanziert sein solltest, denn schließlich fühlst du dich
ja an einen anderen Mann gebunden. Aber als ich dich heute sah, als ich spürte,
daß du auf mich genauso reagierst wie ich auf dich…“ Er zögerte einen Moment.
Dann schloß er: „Sabrina, wie ich dich begehre!“
Bryan streckte die Arme nach Sabrina aus, und sie schmiegte sich an ihn, als
hätte sie nie etwas anderes vorgehabt. Er küßte sie auf die Nasenspitze.
„Sabrina…“ Er lächelte ihr zu und küßte dann ihre geschlossenen Lider. „Meine
liebste süße Sabrina…“ Er küßte ihre Wangen, dann ihr Ohrläppchen, und
flüsterte immer wieder kleine Zärtlichkeiten.
Sabrinas Lippen öffneten sich erwartungsvoll, und im nächsten Moment preßte
Bryan seinen Mund auf den ihren. Der Kuß versetzte sie wieder in einen Taumel
der Beängstigung und der Beglückung.
Bryans Zunge verführte, drängte, forderte. Sabrina schlang die Arme um seinen
Nacken und drückte sich so dicht es ging an seinen starken Körper. Aber das war
ihr noch nicht genug. Sie wollte noch inniger mit ihm verschmelzen. Bryan sollte
ein Teil von ihr werden.
Sie hatte keine Gewalt mehr über ihren Körper. Bryans Lippen beherrschten sie,
und sie gehorchte widerstandslos. Seine Zunge berührte ihre, sie liebkoste und
lockte. Dann glitten seine Lippen an ihrem Hals hinab. Langsam strich Bryan mit
den Händen an Sabrinas Armen hoch. Seine Fingerspitzen drückten sich sanft in
das zarte Fleisch ihrer Schultern unter der dünnen Bluse.
„Nicht“, flehte sie.
Langsam hob Bryan den Kopf und sah ihr in die Augen. „Was soll ich nicht tun?“
Er küßte ihre Brauen.
Sabrina stöhnte leise. Sie sehnte sich so nach seinen Liebkosungen. Nur er
konnte sie von den Qualen dieser Sehnsucht befreien.
Bryan legte die Hand sanft um eine ihrer Brüste. Seine Fingerspitzen streichelten
sie in langsamen, kleinen Kreisen. Sabrina hatte das Gefühl, mitten im Feuer zu
stehen. Ihre Hüften drängten sich an seine.
„Nein, Bryan! Bitte nicht…“ flüsterte sie hilflos.
„Hab keine Angst, mein Engel.“ Wieder küßte er sie. Seine Zärtlichkeit
verwandelte sich in ungestüme Leidenschaft.
Sabrina hatte es aufgegeben, sich gegen den Sturm der Empfindungen zu
wehren. Jetzt genoß sie es nur noch, Bryans Körper an ihrem zu fühlen. Gegen
die erotische Erregung, die er in ihr erweckte, war sie machtlos. Sie schlang die
Arme noch fester um seinen Nacken und klammerte sich wie eine Ertrinkende an
ihn.
Sie begehrte ihn und wußte, daß auch er sie begehrte. Was gab es da noch zu
zögern?
Als Bryan die Umarmung etwas lockerte, öffnete Sabrina langsam die Augen und
sah, daß er sie unendlich liebevoll und zärtlich ansah.
„Sabrina…“
In dem Moment, als er ihren Namen aussprach, kehrte ihr Denkvermögen mit
einem Schlag zurück. Mit einer ihr selbst fremden Stimme flüsterte sie:
„Entschuldige bitte. Ich hätte nicht bleiben dürfen. Es tut mir leid.“
Sabrina lief ins Haus, griff nach ihrer Handtasche und dem Aktenkoffer und rannte, die Augen blind vor Tränen, zu ihrem Wagen. Während der ersten Kilometer fuhr Sabrina viel zu schnell. Dann zwang sie sich zu einem normalen Tempo. Auf der Fahrt durch die Dunkelheit nach San Franzisko, zu dem von ihr aufgebauten Leben, stritt sie wie schon seit Wochen mit sich selbst. Bryan paßte nicht zu ihr. Er bot ihr eine Welt, die sie in Minnesota hinter sich gelassen hatte. In dieser Welt würde es für sie keine Freiheit zur Selbstverwirklichung, sondern nur noch Verantwortung für andere geben. Anders als John würde Bryan sie nie ermutigen, ihre berufliche Laufbahn weiter zu verfolgen. Er würde vermutlich verlangen, daß sie sie aufgab. Und dann Adam… Dieses scheue, liebenswerte Kind würde ihr eine weitere Verantwortung aufbürden. Der Rolle der Stiefmutter wäre sie wahrscheinlich gar nicht gewachsen. Nein, John ist der Richtige für mich, sagte sich Sabrina, und nicht Bryan. Sie wollte hoch hinaus im Leben und sehen, wie weit sie kam. Das war genau das, was John auch wollte, und weshalb sie so gut zusammenpaßten – ohne sich zu binden. John gehörte zu ihrem Leben, und ihr Leben war genauso eingerichtet, wie sie es sich immer gewünscht hatte. Wenn John erst einmal aus Hawaii zurückgekehrt war, würden sich alle Zweifel in Luft auflösen. Aber eine andere Stimme in Sabrinas Innerem gab keine Ruhe. Alles Ausreden! sagte diese Stimme, alles zurechtgebogene Argumente! Du willst Bryan, Sabrina. Du begehrst ihn wie keinen anderen Mann je zuvor, John eingeschlossen. Gib es endlich zu! Sabrina stürzte sich in die Arbeit, die noch für die Abwicklung der Werbekampagne zu erledigen war. Da Bryan alle ihre Vorschläge gutgeheißen hatte, bestand kein Grund für sie, noch einmal nach Madrona zu fahren. Nur zweimal telefonierten sie noch geschäftlich miteinander; Bryan war schließlich mit der Weinlese ebenso beschäftigt wie Sabrina mit der RecherchéKampagne und ihren anderen Kunden. Am Morgen ihres Geburtstages erwachte sie in gedrückter Stimmung. Im Unterbewußtsein hatte sie sich schon lange vorher vor diesem Tag gefürchtet. Daß dem mit Vernunft nicht beizukommen war, ärgerte sie. Warum sollte dieser eine von dreihundertfünfundsechzig Tagen des Jahres etwas so Besonderes sein? fragte sie sich. Ganz einfach: Dreihundertvierundsechzig Tage lang war sie neunundzwanzig, und heute war sie dreißig Jahre alt. Im stillen betonte sie das „alt“. Mit ungewohnt finsterer Miene betrat sie ihre Agentur. Als sie die Tür zum Büro öffnete, imitierten Richard und Lara einen lauten Fanfarenstoß. Sabrina schüttelte traurig den Kopf. „Und ich hoffte, daß niemand daran denkt.“ „Wie sollten wir das vergessen? Dreißig ist doch so eine schöne runde Zahl“, zog Richard sie auf. Sabrina seufzte, aber dann mußte sie doch lachen. Nun ja, vielleicht war ihre Trübsal wirklich übertrieben. „Kommen Sie“, forderte Lara sie auf und führte sie in die kleine Kammer, in der sich der Fotokopierer, die Kaffeemaschine und ein kleiner Kühlschrank befanden. Auf dem Kühlschrank thronte eine wunderhübsche rosaweiße Geburtstagstorte. Obendrauf stand mit Zuckerguß geschrieben: „Happy Birthday, Boß!“ In der Mitte brannte eine große rosa Kerze. „Eigentlich wollten wir ja alle dreißig Lichter reinstecken, aber dann fürchteten wir einen Großbrand“, erklärte Richard.
Sabrina verzog das Gesicht. Jetzt war sie doch tief gerührt. „Wir schneiden den Kuchen nach dem Mittagessen an, ja?“ fragte Lara. „Und heute geht der Lunch zur Abwechslung mal auf Richards und meine Kosten.“ Der Tag wurde dann doch noch sehr schön. Sabrinas Eltern riefen an, um ihr zu gratulieren und zu sagen, daß ein Geschenk mit der Post unterwegs sei. Etwas später rief Großvater Ericson an. „Wie geht’s denn meiner kleinen hübschen Sabrina?“ erkundigte er sich. „Bist du inzwischen schon reich und berühmt?“ „Nein, aber ich bemühe mich nach Kräften.“ Plötzlich durchströmte Sabrina eine tiefe Liebe zu ihrem Großvater und zu allem, wofür er stand. „Ach Großpapa, es ist schön, wieder einmal von dir zu hören.“ „Geht’s dir wirklich gut, Kind?“ Irgend etwas in Sabrinas Stimme mußte seine Besorgnis geweckt haben. „Aber gewiß doch“, versicherte Sabrina. Sie unterhielt sich noch ein paar Minuten mit ihrem Großvater und legte dann seufzend auf. Sie erkannte, wie sehr er und die ganze übrige Familie ihr fehlten. Lara brachte die eingegangene Post herein. Sabrina fand zwei Geburtstagskarten, eine von Adam und die andere von Bryan. Adam hatte seine offensichtlich selbst ausgesucht. Sie zeigte einen kleinen Jungen mit einem Hundebaby auf dem Arm, und der vorgedruckte Text lautete: „Meiner allerliebsten Freundin die besten Wünsche zum Geburtstag!“ Die Unterschrift darunter war zwar krakelig, aber immerhin seine eigene. Bryans Karte war von schlichter Eleganz. Die Vorderseite schmückte die Reproduktion eines MatisseGemäldes, und selbstverständlich gab es keinen vorgedruckten Text. Sabrina las in Bryans Handschrift: „Die herzlichsten Glückwünsche zu Deinem Geburtstag. Ich hoffe, daß dieser Tag für Dich ebenso schön ist, wie Du es bist. Bryan.“ Während Sabrina noch auf die Karte starrte, meldete sich Lara. „John ist auf Leitung eins“, verkündete sie. John! Wie konnte Sabrina mit ihm telefonieren, wenn sie Bryans Karte in der Hand hielt! Schnell steckte sie sie in die Schublade, als könnte John sie durchs Telefon sehen. Dann nahm sie den Hörer ab. „Hallo! Was macht Hawaii?“ „Keine Ahnung“, lautete Johns fröhliche Antwort. „Frag mich lieber, was San Franzisko macht.“ „John, bist du wieder hier?“ „Aber ja. Dachtest du, ich verpasse deinen Geburtstag? Wir können ihn zwar nicht wie geplant in Paris feiern, aber wenigstens im ,L’Etoile’.“ Johns Stimme klang vertraut, weil sie oft miteinander telefoniert hatten, aber Sabrina stellte zu ihrem Erschrecken fest, daß sie ihn fast schon als einen Fremden empfand. „Sabrina? Warum sagst du nichts?“ „Ach, entschuldige. Ich bin nur so verblüfft, daß du schon zurück bist.“ „Das könnte ein bißchen glücklicher klingen.“ John schien tatsächlich etwas beleidigt zu sein. „Verzeih mir. Wenn ich mich trübsinnig anhöre, liegt es daran, daß ich mich erst an die dreißig gewöhnen muß.“ John lachte leise. „Du wirst es überleben. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.“ Sabrina lächelte. Ach ja, Johns alten Charme gab es noch. Vielleicht konnte alles wieder werden, wie es einmal war. An ihr selbst sollte es nicht liegen. „Ich weiß“, erwiderte sie. „Ich kann’s mir nur so schlecht vorstellen.“ „Das verstehe ich. Und deshalb führe ich dich heute abend auch aus. Die einzige
Möglichkeit, einen nicht willkommenen Geburtstag zu bewältigen, besteht darin, ihn so ausgiebig zu feiern, daß man die Abneigung gegen ihn vergißt.“ Sabrina mußte lachen. „Okay.“ „Ich hole dich um sieben ab. Auf Wiedersehen, mein Schatz.“ Sabrina gab sich mit ihrer Garderobe besondere Mühe. Das Wiedersehen mit John sollte eine Entscheidung bringen und das qualvolle Hin und Her ihrer Gefühle beenden. Sie trug ein Kleid, das er besonders gern mochte. Es war aus meerblauer Seide, hatte einen tiefen Ausschnitt, und den Gürtel schmückte eine breite goldene Schnalle. Sabrina sprühte Johns Lieblingsparfüm hinter die Ohren, an den Hals und die Handgelenke. Das Haar steckte sie hoch. Sie blickte in den Spiegel und fand, daß sie genauso aussah, wie John sie am liebsten sah: Elegant, erfolgreich und selbstsicher. John würde mit ihr zufrieden sein. Um Punkt sieben klopfte er an ihre Tür, und Sabrina ließ ihn ein. „Du siehst noch hübscher aus, als ich dich in Erinnerung hatte“, sagte er und lächelte bewundernd. John sah aber auch blendend aus. Die Sonne Hawaiis hatte ihn noch tiefer gebräunt, er wirkte etwas schmaler, war groß, dunkel und überaus anziehend – fast zu attraktiv, um wahr zu sein. Als John Sabrina in die Arme schloß und ihr einen Wiedersehenskuß gab, schmiegte sie sich bewußt an seinen Körper. Aber – nichts geschah. Sabrinas Herz klopfte keinen Schlag schneller, und das Prickeln, das sie früher immer in seinen Armen gespürt hatte, stellte sich nicht ein. Einen Augenblick lang erschreckte sie das, aber dann sagte sie sich, daß es noch zu früh sei. Die alten Empfindungen würden schon wiederkehren. Spätestens heute nacht. Das L’Etoile war genau das Richtige, wenn Geld keine Rolle spielte. In seinen prächtig ausgestatteten Räumen traf sich die gesellschaftliche Elite. Der gedämpft beleuchtete Speiseraum mit seinen Ölgemälden an den Wänden wirkte eher wie ein Salon. Sabrina wurde bewußt, daß dieses Restaurant alles symbolisierte, wonach John strebte – Reichtum, Ansehen, Zutritt zu den höchsten Gesellschaftsschichten. Während des Essens plauderte John unterhaltsam über seine Reise und seine Arbeit auf Hawaii. Sabrina hörte ihm gern zu, aber John war durchaus auch daran interessiert zu erfahren, wie Sabrinas Geschäfte liefen. Sie erzählte ihm, was sich in der Agentur so tat. Den Auftrag der Kellerei Benedict erwähnte sie allerdings nur ganz am Rande. Nachdem der Kellner abgedeckt und Kaffee und Cognac gebracht hatte, zog John ein schmales Etui aus der Brusttasche und überreichte es Sabrina. „Alles Gute zum Geburtstag, mein Schatz.“ Darauf hatte Sabrina schon die ganze Zeit gewartet, aber statt sich darauf zu freuen, hatte sie sich eher davor gefürchtet. Sie fühlte sich in Johns Nähe noch nicht froh und unbefangen genug, um ein Geschenk von ihm anzunehmen. Also öffnete sie das Kästchen langsam. Wie gewöhnlich hatte John auch diesmal etwas ausgesucht, das sowohl von seinem guten Geschmack als auch von seinem Geld zeugte: Ein mit halbrund geschliffenen Rubinen und Brillanten besetztes FiligranHalsband. Früher hätte sich Sabrina über ein so atemberaubendes Geschenk riesig gefreut. Heute machte es sie seltsamerweise so traurig, daß sie am liebsten losgeheult hätte. „Was ist denn?“ fragte John. Um Sabrina aufzuheitern, setzte er schalkhaft hinzu: „Sag mir nicht, daß du Rubine nicht ausstehen kannst.“
Sabrina schloß den Deckel des Etuis und legte es auf den Tisch. Ihr Hals fühlte
sich wie zugeschnürt an. In ihren Augen brannten Tränen.
John ergriff über den Tisch hinweg ihre Hand. „Sabrina, was hast denn?“
Sie sah kummervoll zu ihm hoch. „Würdest du mich bitte nach Hause bringen?“
John zögerte einen Moment. „Natürlich.“ Er beglich die Rechnung und fuhr
Sabrina nach Hause. Während der Fahrt schwieg sie, und John fragte auch nicht
weiter, wofür sie dankbar war. So konnte sie wenigstens versuchen, sich zu
fassen und ihre turbulenten Gefühle etwas sortieren.
In Sabrinas Wohnung setzten sie sich auf das Sofa. „Irgend etwas ist in meiner
Abwesenheit geschehen, nicht wahr?“ fragte John.
Sabrina nickte.
„Hast du einen anderen Mann kennengelernt?“
„Ja.“ Sie lehnte sich in die Polster zurück. „John…“
„Nein, Sabrina. Sag nichts. Ich will es nicht wissen. Ich bin wieder hier, wir sind
wieder zusammen. Das allein zählt.“
War das seine ehrliche Meinung? Sie hätte doch mit jemandem geschlafen haben
können; störte ihn das nicht? Nein, es kümmert ihn nicht, dachte Sabrina, als sie
Johns Gesichteausdruck sah.
„John, es war keine wirkliche Liebesaffäre, aber…“
„Sabrina, ich sagte, ich will es nicht wissen. Ich war nie für ein Verhältnis, bei
dem die Partner einander alles erzählen müssen. Das weißt du.“ Er hob ihr Kinn
mit dem Finger an. „Ich freue mich sehr, dich wiederzusehen. Alles andere ist
doch unwichtig.“
„John, ich muß mit dir reden.“ Sabrina sagte das in einem so entschlossenen
Ton, wie John ihn von ihr bisher nicht kannte.
Er zog die Augenbrauen hoch, stand auf, trat ans Fenster und sah hinaus.
Offensichtlich paßte ihm dieses Gespräch nicht. Sabrina ließ sich jedoch nicht
aufhalten.
„Wir müssen über uns reden, John. Das haben wir nicht allzuoft getan. Jetzt wird
es langsam Zeit.“
„Wie du meinst.“ John drehte sich zu Sabrina um. „Schieß los.“ Er war sichtlich
bemüht, nicht den Humor zu verlieren.
„Ich habe jemanden kennengelernt, der mich dazu veranlaßt hat, meine Gefühle
für dich zu überdenken“, begann Sabrina. „Aber ich will nicht über diesen Mann
reden. Das wirkliche Problem besteht in dem Verhältnis, das du und ich
miteinander haben. Ich komme langsam zu der Ansicht, daß ich mehr brauche,
als du mir geben kannst.“
Sabrina beobachtete John. Sie wußte nicht, wie er reagieren würde, denn bisher
hatte sie nie Forderungen an ihn gestellt. Was er jetzt jedoch sagte oder tat,
würde entweder das Ende oder einen neuen Anfang bedeuten.
John schwieg lange. Dann kam er zum Sofa zurück, setzte sich und nahm
Sabrinas Hände in seine. „Willst du meine Frau werden?“ fragte er.
Sabrina glaubte, nicht richtig gehört zu haben. „Was hast du gesagt?“
John lächelte schuldbewußt. „Nun ja, ich hätte mich romantischer ausdrücken
und dir sagen sollen, wieviel du mir bedeutest, und wie glücklich ich mit dir bin.
Das stimmt nämlich.“
„Von einer Ehe war doch bisher nie die Rede.“
„Nein. Aber jetzt wird es langsam Zeit.“
Hatte sie ihn falsch beurteilt? Gab es einen Hoffnungsschimmer? Vielleicht wurde
doch noch alles wieder gut.
„John, ich wollte aber nicht mit dir sprechen, um dich zu einem Heiratsantrag zu
bewegen.“
„Ich weiß. Das ist eines der Dinge, die ich an dir so schätze. Aber mir ist klar,
daß du unser Verhältnis auf eine neue Ebene heben willst, und ich glaube, damit
hast du recht. Es wird tatsächlich Zeit.“
Sabrinas Gefühle kämpften miteinander. „Eine Heirat ist ein so großer Schritt“,
gab sie zu bedenken. „Bist du sicher, daß du ihn gehen willst?“
„Jawohl.“ Und wie nebenbei setzte er hinzu: „Dadurch wird sich nicht viel an
unserem Leben ändern.“
Das mußte Sabrina erst einmal verdauen. Unauffällig entzog sie John ihre Hände.
Sie hatte immer gedacht, eine Ehe würde ihrer beider Leben sehr wohl nachhaltig
verändern. Es sei denn, John wollte so weitermachen wie bisher. Wenn sie ihn
jetzt ansah, wußte sie, daß er genau das beabsichtigte.
„Es würde sich also nichts ändern, sagst du. Du würdest wie bisher viel auf
Reisen sein, und ich würde dich wie bisher nicht fragen, was du unterwegs tust?“
John warf Sabrina einen überraschten Blick zu.
Sabrina wartete seine Antwort nicht ab, sondern sprach gleich weiter. „Und was
ist mit Kindern? Darüber haben wir bisher nie gesprochen.“
„Kinder?“ John war aufrichtig entsetzt. „Wozu, um Gottes willen, brauchst du
Kinder? Die verderben uns doch unsere ganze Karriere.“
„Ich schließe daraus, daß du keine willst.“
„Natürlich nicht!“ Als John Sabrinas Gesichtsausdruck sah, fügte er etwas
weniger heftig hinzu: „Jedenfalls auf absehbare Zeit nicht.“
„Was heißt hier absehbare Zeit? Ich bin dreißig!“
„Und ich bin ein gebranntes Kind aus einer Familie mit elf Kindern, die nie genug
zu essen hatten!… Nein, Sabrina, Kinder rangieren auf meiner Wunschliste fürs
Leben an allerletzter Stelle!“
Sabrina starrte ihn an. Da hatten sie nun Jahre einer schönen Partnerschaft
hinter sich, und erst heute sprach John ihr gegenüber von seiner Kindheit, die
offensichtlich ein solcher Alptraum war, daß er selbst keine Kinder wollte. Sie
aber wünschte sich ein Kind! Das war ihr bewußt geworden, als sie Adam
gesehen hatte, der zwar skeptisch blickte, sich aber nach Liebe sehnte. Auf John
konnte sie also keine solchen Hoffnungen setzen. Jetzt mußte sie eine klare
Entscheidung treffen.
Das Leben an Johns Seite würde so verlaufen wie bisher, aufregend,
berufsorientiert, angenehm und… leer. Es würde keine echte Bindung geben,
keine Kinder, keine richtige Familie. Nicht, daß sie ihren Beruf aufgeben wollte,
aber sie wünschte sich trotzdem mehr.
Sie nahm das Schmucketui aus ihrer Handtasche und gab es John zurück. „Es ist
ein wunderschönes Geschenk, und ich weiß deine Großzügigkeit zu schätzen.
Aber ich kann es leider nicht annehmen.“ Sie mußte erst einmal schlucken, ehe
sie weitersprechen konnte. „Und ich möchte dich nicht mehr wiedersehen, John.“
John saß da wie vom Donner gerührt. Das hatte er nun am wenigsten erwartet.
Er hatte Sabrina einen Heiratsantrag gemacht; was wollte sie denn noch mehr?
„Sabrina“, fing er dann noch einmal an, „wir passen doch so gut zusammen.
Gemeinsam erreichen wir alles, was wir wollen.“
„Beruflich, ja. Aber meine Karriere ist nur ein Teil meines Lebens, und ich glaube,
es ist nicht der befriedigendste.“
„Das verstehe ich nicht.“
„Nein.“ Sabrina wußte, daß John nie verstehen würde, was sie von ihm verlangte.
„Wir stellen unterschiedliche Ansprüche ans Leben, John. Ich sage nicht, daß dein
Verhalten falsch ist, aber es ist falsch für mich.“
„Sabrina…“ Johns zutiefst gekränkter Blick sprach Bände.
Sabrina strich sanft über seine Wange. „Es tut mir leid“, sagte sie leise, und das
meinte sie ehrlich. Sie bedauerte die Erkenntnis, daß dieses Verhältnis, das in vieler Hinsicht so gut war, schließlich doch keine Erfüllung versprach. Mit einem Teil ihres Herzens würde Sabrina John aber immer verbunden bleiben, denn er war, wenn nicht die erste, so doch die längste Liebe ihres Lebens gewesen. Als John gegangen war, fühlte sich Sabrina erleichtert und traurig zugleich. Unweigerlich mußte sie an Bryan denken, an den stillen starken Mann, der ihrem Leben eine neue Wendung gegeben hatte. Was immer zwischen ihnen geschehen mochte, Sabrina würde nicht mehr dieselbe sein. Sie knipste die Lampen aus und schaute aus dem Fenster. Unter dem sternenfunkelnden Himmel glitzerten die unzähligen Lichter der Stadt wie Kerzen auf einer Geburtstagstorte. Auf meiner Geburtstagstorte, dachte Sabrina. Was für ein Geburtstag! Er hatte sich wirklich als ein Meilenstein in ihrem Leben herausgestellt. Sabrina erinnerte sich an Bryans Karte: Die herzlichsten Glückwünsche zu Deinem Geburtstag. Ich hoffe, daß dieser Tag für Dich genauso schön ist, wie Du es bist.
8. KAPITEL Mitte Oktober, eine Woche bevor die Werbekampagne für den Recherché anlaufen sollte, fuhr Sabrina nach Madrona, um Bryan einen Stapel Werbebroschüren für die Feier der Premiere zu bringen. Sie wußte selbst, daß sie die Broschüren mit der Post hätte schicken können, aber sie war neugierig auf das Wiedersehen mit Bryan, nachdem sie nun nicht mehr an John gebunden war. Auf den Straßen des Weinlandes herrschte starker Ernteverkehr. Sabrina mußte über Kilometer hinweg in nervtötendem SchrittTempo hinter einem Trecker Konvoi mit traubenbeladenen Anhängern herfahren. Als sie endlich auf dem schon vertrauten schmalen Fahrweg zum BenedictWeingut einbog, lächelte sie wieder, und ihr Herz schlug höher. Auf dem Gut waren die Pflücker noch fleißig an der Arbeit, obwohl es schon zwölf Uhr und damit Zeit für die Mittagspause war. Oben auf dem Hügel wurde gerade eine mit weißen Trauben beladene Lore an einen Traktor gekoppelt, der sie dann zur Kellerei hinunterziehen würde. Zwei Pflücker kippten den Inhalt ihrer Körbe auf die Ladung. Sie erwiderten Sabrinas Gruß. Das Rot und Gold des Herbstes zog sich schon über die Landschaft. Der Duft der reifen Trauben und der jungen Gärung lag in der Luft. Es war ein wunderschöner Tag. Sabrina parkte vor dem Gutshaus. Bryan und ein anderer Mann kamen ihr entgegen. Sie stieg aus, winkte, und Bryan winkte zurück. Er lächelte ihr so glücklich und liebevoll zu, daß ihr ganz warm vor Freude wurde. Ja, ich begehre ihn, bestätigte sie sich selbst. Damit der Fremde an Bryans Seite ihr ihre Gefühle nicht ansah, zwang sie sich zu einem freundlichen, aber nicht allzu herzlichen Lächeln. „Sabrina, das ist Tomas Carlino, ein Nachbar. Tomas, das ist Sabrina Montgomery.“ Der ältere Mann reichte ihr die Hand. „Ach ja, die junge Dame, die deinen Wein berühmt macht. Sehr erfreut, Sie kennenzulernen, Miss Montgomery.“ Unaufdringlich musterte er Sabrina. „Der Benedict Jahrgangswein Recherché ist gut genug, um für sich selbst zu sprechen“, erwiderte Sabrina und schüttelte Tomas’ Hand. „Ich versuche nur, die Leute darauf aufmerksam zu machen.“ Tomas lachte. Seine dunklen Augen funkelten vergnügt. „Sehr gut. Der Wein selbst ist es, was zählt. Und wir hier in Kalifornien haben den besten Wein der Welt.“ „Tomas, alter Freund, du leidest wieder einmal an falscher Bescheidenheit“, spottete Bryan gutmütig. „Na, aber das stimmt doch! Miss Montgomery, wußten Sie, daß Zugvögel einen Umweg von fünfhundert Meilen fliegen, nur um unsere Trauben zu fressen? In der Hauptsache natürlich meine CabernetSauvignonTrauben.“ Sabrina und Bryan lachten über Mr. Carünos Angeberei. „Jawohl“, fuhr er fort, „und auch die Wespen. Die probieren unseren Wein ebenso.“ „Daß Vögel, insbesondere Stare, in die Beeren einfallen, habe ich schon gehört, aber Wespen?“ Sabrina sah Bryan fragend an. Schon erläuterte Tomas die Sache näher. „Wespen sind ein sicheres Zeichen dafür, daß der Wein erntereif ist. Erst vorhin habe ich eine Wespe betrunken wie eine Strandhaubitze von einer meiner Trauben purzeln sehen.“ „Nun ist’s aber genug, Tomas!“ Bryan lachte. „Kommt, der Lunch ist fertig. Adam und Thaddeus verzeihen es uns nie, wenn wir Sabrina noch länger hier draußen
aufhalten.“ Bryan hatte mehrere Gäste, die alle etwas mit der Weinlese zu tun hatten. Am Tisch wurde munter geplaudert. Zwischendurch klingelte immer wieder das Telefon, und stets drehte es sich um die Traubenernte. Adam war ungewöhnlich still. Gleich nach dem Essen bat er, aufstehen zu dürfen. Thaddeus erzählte Bryan, daß er Adam versprochen habe, mit ihm an diesem Nachmittag zum „Wolfshaus“ hinauszufahren. An Sabrina gewandt, fragte er: „Haben Sie schon einmal Jack Londons Haus besucht? Die Ruine befindet sich in Glen Ellen, eine Viertelstunde von hier entfernt. Ich habe Adam aus dem Buch ,Ruf der Wildnis’ vorgelesen, natürlich in etwas abgeschwächter Form. Er war ganz begeistert davon.“ Sabrina war schon öfter dort gewesen. „Ich fand es sehr faszinierend.“ „Dann kommen Sie doch mit. Bis wir zurückkehren, haben dann Bryan und Tomas auch das Geschäftliche erledigt.“ „Ja, Sabrina, bleib doch“, bat Bryan. „Nachher habe ich auch mehr Zeit für dich.“ Wieder läutete das Telefon. „Laß nur, Thaddeus. Das ist sicher wieder für mich.“ Und schon eilte er davon. Sabrina fuhr Thaddeus und Adam zum JackLondonPark. Sie spazierten zu dem von Mammutbäumen, Douglastannen, Eichen und Madronabäumen bestandenen Hügel. Thaddeus deutete auf das große, aus Feldsteinen gebaute Haus, das jetzt als JackLondonMuseum eingerichtet war. Die Witwe des Schriftstellers und Abenteurers hatte es 1919, drei Jahre nach dem Freitod ihres Mannes, zu seinem Gedenken gebaut und dort gelebt, bis sie, vierundachtzigjährig, 1955 starb. „Fast vierzig Jahre mit einer Erinnerung zu leben, das ist eine lange Zeit, nicht wahr?“ sagte Thaddeus. Da Sabrina das für eine rhetorische Frage hielt, antwortete sie nicht. Im stillen fragte sie sich, ob Thaddeus selbst vielleicht auch mit einer solchen Erinnerung lebte. Er kam so gut mit Adam zurecht; eigentlich schade, daß er keine eigene Familie besaß. Er war ein interessanter Mann mit offenkundig vielen Talenten. Warum führte er eigentlich kein selbständiges Leben? Sie setzten den Weg zum Wolfshaus fort. Sabrina versuchte, mit Adam ein Gespräch in Gang zu bringen. Der Junge beantwortete zwar ihre Fragen, blieb aber dennoch heute auf Distanz zu ihr. Es war noch sonnig, aber ein kühler Wind wehte über das trockene Gras und bewegte die Girlanden aus Spanischem Moos, die von den Zweigen der Eichen herabhingen. Thaddeus, Sabrina und Adam folgten dem Pfad, der über einen Hügel und dann an einem Bach entlangführte. An vielen Stellen war der Park völlig naturbelassen, so daß man manchmal den Eindruck hatte, durch einen Urwald zu wandern. An einer Bachbiegung fanden sie eine Bank. Sabrina schlug vor, eine kleine Rast einzulegen. „Adam, du bist heute so still.“ „Ich weiß.“ Zu weiteren Erklärungen war das Kind anscheinend nicht bereit. Nach ein paar Minuten gingen sie weiter. Schließlich erreichten sie die von dickem Baumbestand umgebene Lichtung, auf der sich die Ruine des Wolfshauses befand. Das dreistöckige Gebäude mußte mit seinen Mauern aus Vulkangestein einmal höchst beeindruckend gewesen sein. Ein für Besucher angebrachter Bauplan zeigte, daß das Haus auf tausendvierhundert Quadratmetern umbauter Fläche sechsundzwanzig Zimmer und neun Kamine besessen hatte. Jack London hatte die Vision, daß auch in tausend Jahren seine Nachkommen noch darin wohnen sollten. Aber kurz bevor er und seine Frau einziehen konnten, war es durch Brandstiftung zerstört worden. Jetzt wuchsen Moos und Gras auf den
Mauerresten. „Es ist zu traurig“, sagte Sabrina nachdenklich. „All dies aufzubauen und dann zusehen zu müssen, wie es in Flammen aufgeht, noch ehe es ganz fertig ist…“ „Ja, und nicht nur das Haus, sondern so viele Träume sind mit ihm in Rauch aufgegangen. Unerfüllte Träume. Ich komme oft allein hierher und arbeite an meinen Gedichten.“ „Thaddeus, Sie sind ja ungeheuer vielseitig! Ich würde gern einmal etwas hören, das Sie geschrieben haben.“ Thaddeus strahlte. „Ja? Das freut natürlich die schöpferische Seele. Ich gebe zu gern ein bißchen mit meinen ,Werken’ an.“ Er überlegte einen Moment. Dann zitierte er: „Der blinde Haß trieb uns, den giftigen Speer zu schleudern. Das Morgen war vergessen. Wir klagten an; was zählte schon der Liebesschwur von gestern? Jetzt ist das Morgen Heute, und vorsichtig gehen wir über das dünne Eis der Bitterkeit.“ Die letzten Worte hatte Thaddeus nur noch geflüstert. Sabrina spürte, daß er ihr mit diesem Gedicht etwas über sich selbst erzählt hatte. Sie war plötzlich froh, daß John und sie ihr Verhältnis ohne gegenseitige Beschuldigungen und ohne Bitterkeit beendet hatten. „Thaddeus, das war wundervoll, aber traurig.“ „Das stimmt“, antwortete Thaddeus. „Als ich es schrieb, hatte ich gerade eine harte Lektion lernen müssen. Manchmal erkennen wir zu spät, was wir tatsächlich wollen.“ Gern hätte Sabrina nach den Hintergründen für diese Erkenntnis gefragt, aber das wäre wohl zu persönlich gewesen. „Sie sind wirklich bemerkenswert, Thaddeus.“ „Und wie! Ich bin nämlich ein typischer, gebildeter ExHippie, der sich in einen Bauernphilosophen verwandelt hat.“ Thaddeus schüttelte den Kopf. „Vor dreißig Jahren, als ich mich noch in sämtlichen Kneipen der weiten Welt herumtrieb, hätte ich mir nicht träumen lassen, einmal so zu enden – seßhaft, ein mehr oder weniger verantwortungsbewußtes Mitglied der Gesellschaft.“ In seinen Augen stand Verwunderung über sich selbst. Sabrina lächelte. „Aber Sie mögen doch Ihr jetziges Leben.“ „Wunderbar ist es! Das ist ja das Komische daran. Vielleicht ändert die Zeit alle Dinge.“ Sabrina verspürte plötzlich Heimweh nach den Menschen daheim in Minnesota, unter denen sie aufgewachsen war. Vielleicht hat Thaddeus recht, dachte sie. Die Zeit ändert alle Dinge. Plötzlich hörten sie Adam aus der Entfernung rufen. „Thaddeus! Sabrina! Kommt her!“ „Der Junge hat manchmal einen Befehlston am Leib!“ bemerkte Thaddeus. „Fünfjährige glauben anscheinend immer, sie seien die Herrscher der Welt.“ „Thaddeus! Sabrina!“ rief Adam noch einmal. Offenbar waren ihm die Erwachsenen zu langsam. „Ich möchte doch sehen, was er will“, sagte Sabrina zu Thaddeus, der sich bequem an einen Felsbrocken lehnte. „Nein, danke, Sabrina. Ich bin nicht mehr so vergnügungssüchtig wie mit dreißig.“ Adam hockte am Boden und beobachtete, wie der Wind das Gras bewegte. Als Sabrina zu ihm trat, erklärte er: „Hier gibt’s Ameisen.“ Er deutete auf das Gewimmel der winzigen Insekten. „Ja, ich sehe sie.“ Sabrina kniete sich neben den kleinen Jungen und betrachtete den modrigen Ast. „Dies hier sind ZimmermannsAmeisen. Sie heißen so, weil sie mit Holz umgehen.“
Adam blickte weiter schweigend auf die Ameisen. „Es ist gut, daß sie alle durcheinanderrennen“, fuhr Sabrina fort. „Ich habe mal gelesen, daß sie, wenn ein Unwetter aufzieht, in einer geraden Linie marschieren. Meinst du, daß das stimmen könnte?“ Adam zuckte mit den Schultern. Dann drehte er sich zu Sabrina um und blickte ihr ins Gesicht. „Du bist sehr lange nicht bei uns gewesen.“ Sabrina spürte einen Stich. Hatte das Kind sein Vertrauen in ihre Freundschaft wieder verloren? „Ich hatte sehr viel zu tun, Adam. Du weißt doch, ich mache die Werbung für den Wein deines Vaters. Aber ich habe immer an dich gedacht.“ Adam sah eine Weile nachdenklich zu Boden. Dann hob er den Kopf und blickte Sabrina an – eine Miniaturausgabe von Bryan, die gleichen braunen Augen, die im Wechsel der Empfindungen ihre Farbe zu verändern schienen. Plötzlich strahlten sie, und Adam lächelte. Wie gern hätte Sabrina den Jungen jetzt in die Arme genommen und an sich gedrückt! Aber noch schien es ihr verfrüht zu sein. Der Wind fegte über das Gras. „Du, Adam“, sagte sie, „wollen wir beide mal mit dem Wind um die Wette laufen?“ Er nickte und nahm ihre Hand. Sie rannten über die Lichtung, und als sie den Pfad fast erreicht hatten, blieb Adam stehen, drehte sich um und streckte die Arme zu Sabrina hoch. Sie hob ihn mit Schwung hoch und drehte sich mit ihm im Kreis. Adam lachte vor überschäumender, kindlicher Freude. Dann schlang er die Arme um Sabrinas Hals und fing an, ihren Namen zu flüstern. „Sabrina, Sabrina, Sabrina…“ – ein leiser, endloser Singsang. Sabrina machte eine Art Wechselgesang daraus. „Adam, Adam, Adam…“ Noch einmal wirbelte sie mit ihm herum und landete mit der letzten Dreryjng schwindelig geworden direkt vor Bryan, der gegen einen Baumstamm gelehnt dastand. Er fing beide zusammen auf und hielt sie fest, bis Sabrina ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Sabrina, die Adam noch fest im Arm hielt, sah zu Bryan hoch. In seinem Blick lag derselbe Ausdruck wie vor ein paar Minuten in Adams Augen, nachdem sie die magischen Worte ausgesprochen hatte: „Ich habe immer an dich gedacht.“ Während sie zum Wolfshaus zurückgingen, erklärte Bryan, er brauche jetzt auch einmal eine Pause. Er warf Thaddeus die Autoschlüssel zu. „Bring Adam in meinem Jeep nach Hause. Ich mache noch eine kleine Spazierfahrt mit Sabrina.“ „Ich will aber nicht nach Hause“, protestierte Adam sofort. „Sabrina und ich spielen so schön.“ Bryan lächelte liebevoll, aber sein Ton blieb fest. „Keine Widerrede.“ Als Adam einen Blick zu Sabrina hinüberwarf, fuhr er fort. „Sabrina bleibt noch eine Weile hier. Wir werden sie dazu überreden, zum Abendessen zu bleiben.“ Adams Gesicht hellte sich auf. „Wirklich? Bleibst du, Sabrina?“ Sabrina zögerte. Sie hatte zwar nicht geplant, den ganzen Tag hier zu verbringen, andererseits jedoch sehnte sie sich im Moment ganz und gar nicht in die Stadt zurück. „Na schön“, stimmte sie zu. „Ich bleibe.“ Adam jubelte vor Freude laut auf und ging dann brav mit Thaddeus weg. Als Thaddeus und Adam fort waren, sah Bryan Sabrina etwas besorgt an. „Mir fällt gerade ein, daß heute Samstag ist. Hoffentlich bringe ich nicht deine Pläne durcheinander.“ „Nein. Ich hatte keine Pläne.“ Eine Pause trat ein. Sabrina fand, sie müsse jetzt etwas über John sagen, denn Bryan hatte natürlich ihn gemeint, als er von ihren „Plänen“ sprach. „Ich bin neuerdings frei und ungebunden, wie man so sagt“, erklärte sie. „Das
Verhältnis zu John besteht nicht mehr.“ „Ich will nicht so tun, als täte mir das leid“, sagte Bryan rasch. „Darf ich fragen, was geschehen ist?“ „Ich… ich habe erkannt, daß er mir nicht soviel bedeutet, wie ich immer dachte.“ „Und wodurch bist du zu dieser Erkenntnis gelangt, Sabrina?“ Bryan trat näher an sie heran. Sabrina starrte das Wolfshaus an, ohne es zu sehen. Bryan berührte sie nicht, aber sie fühlte seine Nähe körperlich, nahm seinen männlichen Duft wahr, hörte ihn atmen und spürte seine grünbraunen Augen auf sich gerichtet. Mußte er da noch fragen, wodurch sie zu der Einsicht gekommen war, daß sie John nicht mehr liebte? „Entschuldige“, sagte Bryan leise. „Wenn du nicht darüber sprechen möchtest…“ „Nein, nein, so ist es nicht. Ich trage es mit Fassung. In gewisser Weise bin ich sogar erleichtert.“ Warum sollte sie sich verstellen? Nach zwei Monaten des Zweifels war es wirklich erleichternd, eine Entscheidung getroffen zu haben und zu wissen, daß es die richtige war. „Ich kann deine Erleichterung nachfühlen.“ Sabrina sah Bryan an. Dachte er an seine geschiedene Frau? „Ich habe den Eindruck, du hast eine ähnliche Situation durchgemacht“, sagte sie vorsichtig. „O ja“, antwortete Bryan ohne Bitterkeit. Er blickte Sabrina einen Moment lang nachdenklich an. „Ich glaube, ich sollte dir etwas über mich und Melissa erzählen.“ „Das mußt du nicht.“ Sabrina hoffte, daß er es dennoch tun würde. Bryan streichelte sanft über ihre Wange. „Doch. Und ich möchte es auch.“ Er breitete ein sauberes Taschentuch auf einer der Treppenstufen aus. „Setz dich“, bat er und ließ sich dann neben Sabrina nieder. „Wir heirateten sehr jung“, begann Bryan. „Melissa war achtzehn, ich einundzwanzig. Es war Liebe auf den ersten Blick. Wir haben uns Hals über Kopf in diese Ehe gestürzt, ohne uns Zeit zu nehmen, darüber nachzudenken, geschweige denn, darüber zu reden, was wir vom Leben erwarteten, und wie wir uns die gemeinsame Zukunft vorstellten.“ Bryan schüttelte den Kopf. „Ich kann keinem von uns die Schuld dafür geben, und Melissa schon gar nicht. Wir waren einfach zu jung und kannten uns selbst noch zu wenig.“ Sabrina verstand das gut. Als Kenny Olsen und sie damals über eine Heirat sprachen, hatten sie sich zwar ausgemalt, wie sie ihre Wohnung einrichten und ihre Flitterwochen verbringen wollten. Über Kinder, Geld und berufliche Laufbahnen hatten sie jedoch nicht geredet. „Als ich mit fünfundzwanzig Minnesota verließ, hielt ich mich noch für zu jung für eine Ehe“, erzählte sie Bryan. „Aber achtzehn…“ „Mit achtzehn ist man noch ein halbes Kind. Und einundzwanzig ist auch nicht viel besser. Ich mußte damals noch für mein Examen arbeiten. Melissa war zwar in vielerlei Hinsicht eher eine Frau als ein Mädchen, aber dennoch mußten wir beide erst einmal zusammen wirklich erwachsen werden. Leider hat sich unsere Entwicklung nicht in denselben Bahnen bewegt. Bis zu unserem zehnten Hochzeitstag waren aus uns zwei Menschen geworden, die nichts mehr miteinander gemein hatten. Selbst die Liebe, die uns einmal verbunden hatte, existierte nicht mehr.“ „Wie traurig.“ Sabrina sah Bryan mitfühlend an. „Ja, für uns beide. Als Melissa zu Anfang unserer Ehe nicht gleich ein Baby bekam, entschloß sie sich, ein Studium aufzunehmen. So geriet sie an die Archäologie, die bald zu ihrer großen Leidenschaft wurde. Immer öfter sprach sie
davon, daß sie sich an Ausgrabungen in Afrika beteiligen wollte. Dann wurde sie schwanger. Ich hoffte, ein Kind würde uns einander wieder näherbringen. Vergebens.“ „Ich glaube, wenn man sich auseinandergelebt hat, hilft ein Baby auch nicht mehr“, meinte Sabrina. „Kinder bringen neue Probleme; sie lösen die alten nicht. Ich finde, Kinder sollte man als Geschenk betrachten und nicht als Mittel zu irgendeinem Zweck.“ „Genau. Melissa paßte es überhaupt nicht, daß sie schwanger war, doch als Adam dann geboren wurde, liebte sie ihn aufrichtig. Bis zu einem gewissen Punkt war sie ihm wirklich eine gute Mutter. Aber sie wollte auf keinen Fall seinetwegen ihren Traum von der Ausgrabung aufgeben. Um es kurz zu machen – wir ließen uns scheiden. Sie überließ mir das Sorgerecht für unseren Sohn und ging.“ „Hält sie noch Verbindung mit Adam?“ „Ja. Sie schreibt regelmäßig und ruft zu seinem Geburtstag und zu Weihnachten an. Ich glaube wirklich, daß sie ihn liebt, aber sie fühlt sich ihm nicht verpflichtet. Es ist ihr Beruf, dem sie sich verpflichtet fühlt.“ „Komisch, meistens sind es Väter, die so denken.“ „Da magst du recht haben. Doch ich kann Menschen, ob nun Väter oder Mütter, nicht verstehen, die ihre Kinder verlassen.“ „Ich auch nicht.“ Sabrina erinnerte sich plötzlich an den Tag, an dem sie mit John hier gesessen hatte. Er hatte ihr das architektonische Konzept des Wolfshauses erläutert. Aber als sie ihm ihre Gefühle beim Anblick der Ruine schildern wollte, ihre Trauer über den Verlust von Träumen und Wünschen, hatte er all das als albern abgetan. „Du weißt, daß ich keine Zeit habe, deinen Jack London zu lesen“, hatte er fast zornig gesagt. Sie waren damals sogar im Streit auseinandergegangen. Später hatten sie sich dann im Bett wieder versöhnt. „Gegensätze ziehen sich an“, hatte John lachend festgestellt. Bryan und sie waren auch Gegensätze, die sich anzogen. Und wie sehr sie sich anzogen! Sie war sicher, daß er sie gleich umarmen und küssen würde. Wie gern hätte sie alles mit ihm geteilt, die körperlichen Empfindungen, die Gefühle, die Gedanken… ja sogar die Probleme. Obwohl es in ihrer beider Leben sicherlich Probleme gab, die nicht mit einem Kuß zu lösen waren. „Sabrina.“ Bryans Stimme war eine einzige Liebkosung. Ihr Körper und ihr Herz reagierten sofort auf ihn. Aber ihr Verstand zögerte. Noch hatte sie Angst vor den Konsequenzen, die diese Liebe mit sich bringen würde. „Nein, sag nichts. Nicht jetzt“, hörte sie sich flüstern. Er zögerte. Sie sah die Willensanstrengung, die es ihn kostete, sie nicht in die Arme zu schließen. „Gut“, sagte er dann. „Ich werde jetzt noch nichts sagen.“ Er hob nur die Hand und drehte ihr Gesicht so, daß sie ihn ansehen mußte. Ihre Blicke versanken ineinander. Dann legte er den Arm um ihre Schulter und barg sie in einer zärtlichen, beschützenden Umarmung. Sie lehnte sich glücklich an ihn. Tränen stiegen in ihre Augen. Tränen der Freude, sagte sie sich. Bryan seufzte ganz tief, so wie ein Mann seufzt, der zufrieden ist. „Eines Tages“, so hörte sie ihn murmeln, „werde ich nicht mehr zulassen, daß du vor dem davonläufst, was zwischen uns entstanden ist.“ Sie fühlte, wie er leise lachte. „Und wenn du heute abend wieder panikartig mein Haus verläßt, fahr bitte nicht in diesem Affentempo davon, ja? Ich habe keine Lust, mir die ganze Nacht Sorgen zu machen, ob du auch heil in San Franzisko angekommen bist.“
9. KAPITEL Am frühen Abend des achtundzwanzigsten Oktober traf Sabrina zur offiziellen
Premiere des Recherché in Madrona ein.
Sie hatte sich dafür formell gekleidet: Sie trug ein bodenlanges,
schmalgeschnittenes Kleid aus weißer Seide. Es war hochgeschlossen, aber der
Rock hatte an beiden Seiten Schlitze bis zum Oberschenkel. Ein Jäckchen aus
chinesischer Seide lag um ihre Schultern. Ihr Haar war elegant aufgesteckt. Als
Ohr und Halsschmuck trug sie Perlen, kein Geschenk von John, sondern eines,
das sie sich selbst aus den ersten Verdiensten ihrer Agentur gemacht hatte.
Richard, Ginger und Lara fuhren in einem zweiten Wagen. Sabrina hatte ihnen
gesagt, daß sie nach der Feier noch eine längere geschäftliche Besprechung mit
Bryan haben könnte.
Sabrinas Finger zitterten, als sie die Türklingel drückte. Thaddeus öffnete und
lächelte sie herzlich an. „Darf ich Ihnen sagen, daß Sie hinreißend aussehen,
Sabrina?“
„Und ob Sie das dürfen! Vielen Dank, Thaddeus.“
„Bryan ist in seinem Büro. Wollen Sie nicht schon ins Wohnzimmer gehen? Ich
sage ihm, daß Sie hier sind.“
„Bin ich die erste?“
„Ja, aber die anderen müssen jeden Moment eintreffen.“
„Sabrina!“ Adam stand hinter ihr und lächelte zu ihr hoch. „Siehst du aber hübsch
aus!“
Sabrina hockte sich nieder. „Danke schön, mein Herr. Kommst du auch zur
Party?“
„Nein“, antwortete Thaddeus statt seiner. Er blickte Adam streng an. „Du solltest
schon längst im Bett sein, junger Mann.“ Adam widersprach zwar aus reiner
Gewohnheit, ging dann aber.
Thaddeus sah ihm nach. „Armer kleiner Kerl. Er versteht nicht, daß das, was wir
eine Party nennen, in Wahrheit eine ziemlich ernste Angelegenheit ist.“
Sabrina nickte. Vom Erfolg oder Mißerfolg des Recherché hing soviel ab. Das
BenedictWeingut würde entweder weiterhin ein zwar feiner, aber kleiner Betrieb
bleiben, oder es würde in den Kreis der großen und bekannten Kellereien
eintreten.
Sabrina ging ins Wohnzimmer. Auf dem weißgedeckten Tisch standen silberne
Eiskübel mit diversen Flaschen Recherché, den die Weinkritiker heute zum ersten
Mal kosten würden. Von ihrem Urteil hing alles ab.
„Sabrina!“
Bryan stand im Türrahmen. Er trug einen schwarzen Smoking und ein weißes,
mit Biesen abgestepptes Hemd. Mit seinen breiten Schultern und den schmalen
Hüften machte er in diesem Anzug natürlich eine hervorragende Figur.
Wieder einmal fiel Sabrina auf, wie beeindruckend dieser Mann wirkte,
gleichgültig, ob er nun Arbeits oder Gesellschaftskleidung trug. Er beherrschte
eben jede Rolle. Und mein Herz auch, dachte Sabrina. Ich liebe ihn.
„Du siehst bezaubernd aus“, stellte er fest. Aufrichtige Bewunderung stand in
seinem Gesicht geschrieben.
„Du aber auch“, entgegnete Sabrina spontan und errötete dann verlegen.
Bryan lachte. „Nanu, eine emanzipierte Frau, die errötet, wenn sie einem Mann
ein Kompliment macht?“
Die Türglocke läutete. Sabrina hörte, daß Thaddeus öffnete. Vince Ventura, der
ChefÖnologe, und seine Frau traten ein. Bryan küßte die attraktive junge Frau
zur Begrüßung auf die Wange.
„Sabrina, das ist Beth…“ Wieder klingelte es. „Macht euch doch selbst miteinander bekannt, ja? Wäre der Abend doch schon vorüber!“ Alle drei lachten und sahen ihm nach. „Ich habe Bryan noch nie so nervös gesehen“, brummte Vince. „Als ob wir heute abend nicht alle eine Premiere hätten.“ Er holte für sich und die Damen einen Schluck Chardonnay aus der Küche, um, wie er sagte, „die Magennerven erst einmal zu beruhigen.“ Nachdem die sechs geladenen Weinkritiker vollzählig anwesend waren, hielt Bryan eine kleine Ansprache, in der er Geschichte und Werdegang des neuen Weins beschrieb. Dann bot er allen ein Glas an. Bryan, Sabrina, Thaddeus und Vince wußten, daß dies der entscheidende Moment war. Auch in der fröhlichen Atmosphäre konnten sie ihre Spannung kaum verhehlen. Der erste Kritiker trank, schmeckte – und sagte dann: „Gut, dieser Wein sagt mir zu.“ Der zweite Kritiker stimmte der Meinung seines Kollegen bei. Als dann noch der dritte verkündete, der Recherché sei seiner Ansicht nach der beste Wein, den man für diesen Preis bekommen könne, wurde selbst Bryan gelöster. Verstohlen prostete er Sabrina zu. Der Erfolg des Weines übertrug sich auf die Stimmung der Gäste, Neuankömmlinge wurden jetzt sogar mit einem fröhlichen „Hallo“ begrüßt, und als Richard, Ginger und Lara etwas verspätet eintrafen, wurden sie von Bryan besonders herzlich in Empfang genommen. Er lobte sie noch einmal wegen der guten Arbeit, die sie geleistet hatten. „Es ist ja auch ein gutes Produkt, für das wir arbeiten durften“, entgegnete Richard bescheiden. Bryan lächelte stolz und dankte für das Kompliment. Thaddeus hatte ein umfangreiches kaltes Büfett zusammengestellt und ein paar Hilfskellner engagiert, die sich um das Servieren kümmerten. Ganz offenkundig war er ein geschätztes Mitglied der Familie. Er wurde ebenso freundlich begrüßt wie Bryan, besonders von den Damen. Amüsiert bemerkte Sabrina, daß auch Lara mit ihm flirtete, und er begeistert darauf einging. Mitten im allgemeinen Trubel beobachtete Sabrina, wie sich Thaddeus und Bryan schweigend ansahen und dann mit einem Lächeln stumm ihr Glas erhoben. Sicher prosteten sie sich nicht gegenseitig zu, sondern dachten an Bryans Vater, dessen Traum sie nun verwirklicht hatten. Später erschien auch Andy mit seiner Frau Shari. Bryan machte Shari und Sabrina miteinander bekannt. Langsam hatte sich der Raum gefüllt, und sie mußten mehrmals beiseite treten, um anderen Gästen den Weg zum Büfett freizumachen. Andy nahm eine offene Flasche Recherché und drei Gläser vom Tisch und führte seine Frau und Sabrina in Bryans Arbeitszimmer. „Was für ein Andrang“, stöhnte er und ließ sich in Bryans Sessel fallen. Er schenkte die Gläser voll. „Auf den Recherché!“ „Und auf das StoneyCreekGasthaus“, fügte Sabrina hinzu. „Ach ja, Andy erzählte mir, daß Sie eine Werbeagentur haben“, sagte Shari. „Wenn ich mir Ihre erfolgreiche Kampagne für den Recherché ansehe, finde ich, wir sollten Sie um Ihre Hilfe für unser Gasthaus bitten.“ „Ich würde sehr gern für Sie arbeiten“, sagte Sabrina. „Erzählen Sie mir doch etwas darüber.“ Andy beschrieb das ehemalige Farmhaus und erläuterte, wofür er die einzelnen Räume verwenden wollte. Der große Aufenthaltsraum, der Speisesaal und die Gästezimmer sollten mit antiken Möbeln ausgestattet werden. Außerdem sei ein gut erhaltener Schuppen vorhanden, aber dessen Verwendungszweck stehe noch nicht fest. „Machen Sie doch ein AntiquitätenGeschäft daraus“, schlug Sabrina vor.
„Das ist überhaupt die Idee!“ rief Shari. „Wieso sind wir nicht selbst darauf gekommen?“ „Meinen Sie, daß das Gasthaus sich bezahlt machen wird?“ fragte Andy. „Ich habe da so meine Bedenken.“ „Natürlich wird es sich bezahlt machen“, versicherte Sabrina. „Das Weinland ist eine vielbesuchte Gegend, und Häuser, die etwas Besonderes zu bieten haben, sind immer gefragt. Ich brauche doch nur an die gute Küche in Ihrem Restaurant in der Stadt zu denken.“ Wie die Lauffers es wohl anstellten. Stadt und Landleben miteinander zu verbinden? Sabrina fragte einfach ganz direkt danach. „Wie schaffen Sie es, sozusagen an zwei Orten zur selben Zeit zu sein?“ Andy erzählte, daß er bis vor kurzem in San Franzisko gewohnt hätte. Jetzt aber, da das alte Farmhaus zumindest bewohnbar sei, verbrachte Shari ein paar Tage in der Woche dort oben. „Wissen Sie“, schloß er, „das Haus ist ja nur eine Autostunde von der Stadt entfernt. Manche Pendler brauchen für ihren Arbeitsweg länger.“ Shari streichelte Andys Hand. „Manchmal überrascht er mich und kommt heraufgefahren, wenn das Restaurant geschlossen ist.“ Die beiden sahen sich liebevoll an. Die drei plauderten noch eine Weile miteinander, verabredeten einen Besuchstermin in Sabrinas Büro und gingen dann ins Wohnzimmer zurück. Sabrina fühlte sich großartig. Für Andys und Sharis Gasthaus die Werbung auszuarbeiten, würde ihr ebensoviel Freude bereiten wie die Kampagne für den Recherché. Als Sabrina wenig später am kalten Büfett stand, hörte sie etwas rascheln, blickte hinunter und sah, wie eine kleine Hand unter der Tischdecke hervorkam, aufs Geratewohl einen Leckerbissen von der Platte angelte und wieder verschwand. Sabrina lugte unter die Tischdecke, und entdeckte Adam, der gerade in das stiebitzte Appetithäppchen beißen wollte, aber jetzt vor Schreck fast seine Beute fallen ließ. „Solltest du nicht im Bett liegen?“ Adam nickte. „Ich habe Hunger gekriegt“, erklärte er. „Thaddeus hat mir von dem Zeug hier nichts gegeben. Es ist doch so lecker.“ „Vermutlich wollte er dir nicht den Appetit aufs Abendessen verderben.“ „Aber das Abendessen ist lange vorbei. Und ich bin ganz verhungert.“ „Paß mal auf: Du schleichst dich jetzt ganz schnell ins Bett zurück. Ich suche dir einen Teller voller Häppchen zusammen, und den bringe ich dir dann auf dein Zimmer. Okay?“ „Okay“, flüsterte es von unten. Sabrina legte Häppchen auf einen Teller und wollte gerade damit ins Kinderzimmer gehen, als sie merkte, daß Bryan sie beobachtete. Sie lächelte ihn unschuldig an. „Hast du nicht genug zu essen bekommen?“ fragte er. In seinen Augen blitzte es amüsiert auf. Er angelte nach einem Kaviarbrötchen auf ihrem Teller. „Das mag Adam nicht“, sagte er lächelnd und verschwand wieder in der Menge. Adam saß in seinem Bett und erwartete Sabrina schon ungeduldig. Er nahm ihr den Teller aus der Hand und kaute eine Weile mit vollen Backen, bis ihm sein gutes Benehmen wieder einfiel. „Danke“, sagte er zwischen zwei Bissen. „Ich war wirklich schon ganz verhungert.“ Nachdem auch der letzte Krümel vom Teller geputzt war, streckte sich Adam im
Bett aus, und Sabrina zog die Bettdecke hoch. „So, nun schlaf schön, du kleiner Lümmel.“ Wie gern hätte sie ihn jetzt in die Arme genommen, ihm einen dicken Gute NachtKuß gegeben und ihm gesagt, wie lieb sie ihn hatte. Aber irgend etwas hielt sie davon ab, sich zu sehr in die Gefühlswelt des kleinen Burschen zu drängen, ehe sie nicht genau wußte, ob sie für den Rest des Lebens mit ihm zusammenbleiben würde. Also sagte sie einfach: „Gute Nacht, Adam“, schaltete die Lampe aus und schloß die Tür hinter sich. Mitternacht war längst vorüber. Sabrina stand etwas abseits, knabberte an einem Cracker und hörte, wie ein Weinkritiker einer großen Zeitschrift zu Bryan sagte: „Sie werden mit Ihrem Recherché ein Vermögen machen.“ Als hätte Bryan bemerkt, daß Sabrina ihn beobachtete, drehte er sich zu ihr um. Wir haben es geschafft, schien er zu sagen. Sein Blick drückte mehr als Dankbarkeit aus, und in diesem Augenblick der wortlosen Verständigung wußte Sabrina, daß diese Nacht nicht mit dem Abschied des letzten Gastes enden würde. Heute nacht würden sie sich lieben. Bryans Blick hatte das deutlicher gesagt, als es Worte vermocht hätten. Endlich akzeptierte sie, was ihr wie vorbestimmt erschien. Es war Liebe, die sie an Bryan band. Sie gehörte zu diesem Mann. Heute noch würde sie ein Teil von ihm und er ein Teil von ihr sein. Der letzte Gast war gegangen. Thaddeus wollte noch das Wohnzimmer aufräumen, aber Bryan meinte, dazu sei morgen Zeit genug. Thaddeus seufzte. „Ich gebe es ja ungern zu, aber ich bin wirklich müde. Gute Nacht, Bryan, Sabrina. Und noch mal meinen Glückwunsch zu eurer guten Arbeit.“ Endlich waren sie allein, und damit war es mit Sabrinas seelischem Gleichgewicht vorbei. Sie war wieder neunzehn Jahre alt, nervös und unsicher. Überall sah sie hin, nur nicht in Bryans Richtung. Wo war die heitere Bereitschaft geblieben, die sie noch eben gefühlt hatte? Warum zitterte sie nur? „Sabrina.“ Sie blickte auf. Bryan streckte ihr die Hand hin. Sabrina legte ihre hinein und ließ sich von ihm hinaus auf die Terrasse führen. Die Oktobernacht war kühl und klar. Der Mond hing wie ein riesiger orangenfarbener Lampion tief am Himmel. Die Sterne blitzten wie Diamanten. Ein sanfter Wind raschelte durch die Blätter der Bäume und der Rebstöcke. Von irgendwoher kam der geheimnisvolle Ruf einer Eule. „Jetzt ist alles vorüber“, sagte Bryan leise. „Die Ernte, die Präsentation des neuen Weins. Aber etwas anderes beginnt. Etwas, das ein noch größeres Wunder ist als die Verwandlung von Trauben in Wein. Immer wenn ich dich sah, hoffte ich, du würdest mir zeigen, daß du mich ebenso begehrst wie ich dich“, flüsterte er. „Noch nie habe ich irgend jemand so begehrt wie dich“, flüsterte sie zurück. Bryan schloß sie sanft in die Arme. Er küßte sie zärtlich und ohne Hast. Sie hatten ja so viel Zeit, sich gegenseitig zu entdecken. Sabrina fühlte seine Lippen auf ihren Lidern, den Wangen, der Stirn. Sie seufzte leise und glücklich. Hiernach hatte sie sich gesehnt, seit Bryan in ihr Leben getreten war. Ihr Herz hatte es schon lange vor ihrem Verstand gewußt: Bryan war der Mann, nach dem sie ihr Leben lang gesucht hatte. Bestimmt gab es noch viel, das sie miteinander zu klären hatten, aber heute nacht würden sie sich lieben. Bryan legte einen Arm um Sabrinas Schultern und führte sie in sein Schlafzimmer. Er schaltete keine Lampe an. Mondlicht fiel weich und sanft in den
Raum. Bryan verschloß die Tür. Sabrina legte ihr Seidenjäckchen ab, warf es auf einen Sessel und streifte dann die Sandaletten ab. Bryan hielt fast die Luft an, als sich die hohen Schlitze ihres engen Rockes bis zu ihren Oberschenkeln öffneten. Sabrina drehte sich zu ihm um und breitete die Arme aus. Bryan trat auf sie zu. Während Sabrina ihn zärtlich umarmte, zog er langsam die Kämmchen aus ihrer Frisur. Er kämmte mit den Fingern durch das goldene Haar und lockerte es, so daß es jetzt weich ihr Gesicht einrahmte und auf ihren Schultern lag. Liebevoll bedeckte er ihre Wangen und ihren Hals mit Küssen, löste die Perlen von ihren Ohrläppchen, zog den langen Reißverschluß hinunter und streifte ihr das Kleid ab. Seine Lippen strichen über die weiche Haut ihres Brustansatzes, während er den Verschluß ihres Büstenhalters löste. Bryan trat einen Schritt zurück und schaute Sabrina an, als betrachte er ein besonders kostbares Kunstwerk. Langsam kniete er sich vor ihr nieder und streifte ihr die Strümpfe und den Slip ab. Das einzige, was sie jetzt noch trug, waren die schimmernden Perlen um ihren Hals. Bryan nahm Sabrina wie ein zerbrechliche Porzellanfigur auf die Arme, trug sie zum Bett und legte sie auf die weichen Laken. Langsam streichelte er mit den Händen über die schmalen Schultern und ließ sie dann zu ihrer Taille und ihren Hüften hinabgleiten. Die Bewunderung in seinen Augen verwandelte sich langsam in heiße Leidenschaft. Sabrina merkte, wie auch ihr eigenes Begehren wuchs. Sie fühlte keinerlei Scham, sich Bryan völlig unbekleidet zu zeigen, sondern bot ihm ihren Körper wie ein Geschenk an und war glücklich über seine offensichtliche Freude darüber. Unaufgefordert half Sabrina, Bryan zu entkleiden. Als er nackt vor ihr stand, bewunderte sie ohne Hemmungen seinen schönen Körper, ließ ihren Blick über die Muskeln seiner Arme, die Brust und die Beine gleiten. Seine körperliche Stärke hätte sie eingeschüchtert, wüßte sie nicht, wie zärtlich und behutsam er sein konnte. Bryan schaute auf Sabrina hinunter. „Heute nacht wirst du mir gehören. Du wirst vergessen, was du bisher von der Liebe gewußt hast.“ Seine Stimme klang dunkel und leidenschaftlich. Sabrina lächelte. „Ich gehöre dir schon seit langer, langer Zeit. Ich war schon dein, ehe ich dich getroffen habe.“ Sie strich mit der Fingerspitze über seine Lippen. „Du bist mein Schicksal.“ Er kniete sich über sie und erforschte ihren Körper – zuerst mit seinen liebkosenden Händen und dann mit seinen Lippen, die Sabrinas Haut mit tausend kleinen Küssen bedeckten. Unter diesen Berührungen loderte die schwelende Glut des Verlangens in ihr zu hellen Flammen auf. Ein lustvolles Stöhnen entrang sich Bryan, als Sabrina seinen breiten Rücken umfaßte und zu streicheln begann. Sie spürte seine mühsam zurückgehaltene Begierde und glaubte, keinen Moment länger auf die Erfüllung warten zu können. Aber noch glitten Bryans Finger und Lippen aufreizend über Sabrinas bebenden Körper, glitten mal über ihre Hüften und zwischen ihre Schenkel, über ihre vollen Brüste und die hart aufgerichteten Knospen. Es war die Sanftheit dieser Berührungen, die Sabrinas Begierde ins Unerträgliche steigerte. „Komm!“ rief sie mit erstickter Stimme. Bryans Augen sagten ihr, daß er verstanden hatte. Er legte sich über sie und drang behutsam in sie ein. Erst sanft, dann aber immer leidenschaftlicher bewegte er sich in ihr. Sabrina nahm den Rhythmus seiner Liebe auf, bis sich ihre Körper im Gleichklang sinnlicher Freude bewegten.
Die Erregung steigerte sich in Höhen, die Sabrina nie gekannt hatte. Während ihr Körper im Feuer der Leidenschaft verging, floß ihr Herz über vor Liebe zu dem Mann, der sie so glücklich machte. Sie umklammerte ihn, als wollte sie ihn nie wieder freigeben. Jetzt konnte Bryan sich nicht länger zügeln. Seine Bewegungen wurden immer ungestümer. Sabrina bog ihm ihre Hüften entgegen, um ihn so tief wie möglich zu spüren. Gemeinsam erreichten sie das Ziel ihrer Sehnsucht. „Sabrina?“ „Ja?“ Bryan und Sabrina lagen innig umarmt beieinander. Sabrinas Kopf ruhte auf Bryans breiter Brust. Sie hörte, daß das Schlagen seines Herzens langsam ruhiger wurde, und spürte seinen Atem in ihrem Haar. „Ich liebe dich“, flüsterte Bryan. „Sabrina, ich liebe dich.“ „Ich weiß.“ Nach einem kurzen Schweigen fragte er: „Und?“ „Und was?“ Bryan schüttelte sie ein wenig. „Du weißt genau, was ich meine.“ Sie hob den Kopf. „Ich liebe dich auch.“ Sie tupfte drei kleine Küsse auf seine Brust und zu jedem sagte sie: „Ich liebe dich… ich liebe dich… ich liebe dich…“ Bryan zog sie lachend an sich, wurde dann aber ernst. „Sabrina, ich möchte nicht nur eine Liebesaffäre. Ich möchte auch nicht nur mit dir zusammenleben. Ich will, daß du nicht nur heute nacht, sondern ein ganzes Leben lang zu mir gehörst. Ich will, daß du mich heiratest.“ Das hatte Sabrina geahnt. Bryan war kein Mann der halben Sachen. Der Heiratsantrag schmeichelte ihr, aber es gab noch Fragen, über die sie noch nicht gesprochen hatten. Also schwieg sie. „Sabrina?“ „Pst, pst, Liebling“, flüsterte sie. „Heute nacht wollen wir nicht darüber reden. Wir wollen nur… Zusammensein.“ Bryan schlief ein paar Stunden. Als er erwachte, wollte er sich auf die andere Seite drehen; aber Sabrinas Kopf ruhte an seiner Schulter. Im Licht der Morgendämmerung betrachtete er ihr schlafendes Gesicht. Sabrina bewegte sich in seinem Arm. Bryan hoffte, sie würde erwachen, aber sie seufzte nur, kuschelte sich etwas bequemer zurecht und schlief dann weiter. Bryan fühlte ihre weichen, vollen Brüste an seinem Oberkörper. Die Berührung weckte die Erinnerung an die erlebten Augenblicke der Leidenschaft. Wenn er jetzt nicht sofort aus dem Bett flüchtete, würde er dem Wunsch nicht widerstehen können, die Frau an seiner Seite wieder zu lieben. Behutsam zog er seinen Arm unter ihrem Körper hervor und setzte sich auf die Bettkante. Sabrina hatte die Bewegung jedoch bemerkt. Langsam tauchte sie aus den Tiefen des Schlafs und schlug die Augen auf. Sie sah, daß Bryan aufgestanden war, und nun die Schranktür öffnete. Er holte sich einen Morgenmantel heraus. Kurz darauf wurde die Glastür zum Balkon aufgeschoben. Sie räkelte sich lustvoll. Komm wieder, Liebster. Du bist zu früh aufgestanden, dachte sie. Sabrina wartete noch eine Minute, dann schlug sie die Bettdecke zurück und stand auf. Im Kleiderschrank fand sie einen Hausmantel aus roter Seide. Sie schlüpfte hinein und schlich auf Zehenspitzen auf den Balkon hinaus. Bryan stand am Geländer und bemerkte sie erst, als sie die Arme um ihn schlang und den Kopf an seinen Rücken lehnte. Schweigend standen sie so da. Das erste Licht tastete sich durch das Grau der Dämmerung. Der helle Streifen wurde immer breiter, und nach ein paar Momenten erschien der Rand des roten Feuerballs der Morgensonne über der
dunklen Silhouette der Berge. Der Sonnenaufgang tauchte die Abhänge, die Bäume und die langen Reihen der Rebstöcke in Rot und Gold. Die ganze Welt war von diesem magischen Licht übergossen, das eine märchenhafte Nacht beendete und den Anfang eines herrlichen neuen Tages verkündete. „Mein Großvater sprach immer von diesem Land, als wäre es ein Lebewesen“, begann Bryan leise. „Er sagte, für manche Leute sei Land nichts als eine Ware, die man kauft und verkauft. Aber für ihn war es etwas, das man besaß, bearbeitete und hütete.“ Merkwürdig, dachte Sabrina, mein Großvater hat ganz genauso von seinem Land gesprochen. „Kurz vor seinem Tod“, fuhr Bryan fort, „streiften wir einmal nach der Ernte über das Gut. Da blieb er plötzlich stehen, sah mich an und sagte mir, ich müsse für dieses Land sorgen, das mein Vater einmal meiner Obhut überlassen würde. Ich sollte es erweitern, beschützen und meinem Sohn weitergeben. Und mein Sohn an seinen Sohn…“ Bryan sog die Morgenluft tief ein und sprach dann wie zu sich selbst weiter. „Es ist ein so schönes Land. Und die Ernte wird gut und reich.“ Es klang, als erweise er Madrona seine Reverenz. Plötzlich zog er Sabrina herum, so daß sie ihm ins Gesicht schauen konnte. „Guten Morgen!“ sagte sie und sah ihn liebevoll an. „Ich liebe dich.“ Seine Stimme klang tief und ein wenig rauh. „Ich habe dich im Schlaf beobachtet, und wenn ich nicht heimlich aufgestanden wäre, hätte ich dich wecken müssen.“ Sein Lächeln ließ keinen Zweifel an der Bedeutung seiner Worte. „Jetzt bin ich aber wach“, flüsterte Sabrina. Bryan schob die Hände unter den Seidenstoff, schlang die Arme um ihren nackten Rücken und zog sie an sich. Sein Kuß begann zärtlich, endete aber in wachsender Leidenschaft. „Wenn du wach bist“, flüsterte Bryan an Sabrinas Lippen, „können wir ja wieder ins Bett gehen.“ Sie traten ins Zimmer zurück. „Bei Tageslicht bist du noch schöner als im Mondschein. Und das will etwas heißen“, meinte Bryan. Er öffnete seinen Morgenmantel, ließ ihn zu Boden gleiten und streifte dann die dunkelrote Seide von Sabrinas Schultern und ließ sie zu den anderen Sachen auf den Boden fallen. „Wir sollten ordentlicher werden“, murmelte er. „Das nächste Mal“, flüsterte Sabrina. Langsam hob sie die Hände an den kleinen Verschluß ihrer Perlenkette. Sie öffnete ihn, nahm die Kette zwischen Daumen und Zeigefinger, zog sie sich vom Hals und streckte dann den Arm aus. Ohne den Blick von Bryans Augen zu senden, ließ sie die Perlen neben ihre Sandaletten auf den Teppich fallen.
10. KAPITEL Als Sabrina zum zweiten Mal erwachte, standen die Ziffern der Uhr auf dem Nachttisch auf halb elf. So lange hatte sie geschlafen? Sie war allein im Bett. Genüßlich räkelte sie sich, holte tief Luft und nahm dabei einen süßen Rosenduft wahr. Neben ihr auf dem Kissen lag eine dunkelrote Rose. Sabrina nahm die Rose in die Hand, freute sich an ihrer makellosen Schönheit, mehr aber noch über die Botschaft, die sie übermittelte. Sabrina, du bist eine glückliche Frau, sagte sie zu sich selbst. Ihre Reisetasche stand auf einem Stuhl neben dem Bett. Bryan mußte sie aus dem Auto geholt haben Sabrina duschte und zog sich eine lange Hose aus naturfarbenem Leinen und dazu einen passenden Pullover an. Sie schob die Ärmel bis zum Ellbogen hoch und schlüpfte dann in ihre Pumps. Sie bürstete ihr Haar, bis es in schimmernden Wellen herabfiel, tupfte dann mit dem Glasstöpsel etwas Parfüm hinter ihre Ohren und in die Halsgrube, befestigte die Perlen an ihren Ohrläppchen und legte die Kette um, die Bryan vom Teppich aufgehoben hatte. Zum Schluß betrachtete sie sich im Spiegel. Sie blinzelte sich zufrieden und glücklich zu. Ihr Abendkleid und das Seidenjäckchen hingen ordentlich auf einem Bügel. Sabrina packte beides zusammen mit der Spitzenunterwäsche, den Strümpfen und den Sandaletten in ihre Reisetasche. Dann verließ sie ein kleines Liedchen trällernd das Schlafzimmer. Sabrina saß an einem kleinen Tisch auf der Terrasse und schaute über die Weinberge hinaus. In den kühleren Gebieten des großen Gutes reiften noch spätere Traubensorten heran, aber der größte Teil der Ernte war eingebracht. Ernte einbringen – das erinnerte Sabrina an ihren Großvater, der Bryan in seinen Auffassungen und Ansichten über Tradition, Familie, Werte und Ideale so ähnlich war. Sie träumte vor sich hin. Selbstverständlich gab es noch Probleme. Aber die Liebe würde ihnen schon den richtigen Weg weisen. Wieviel hatten Bryan und sie noch zu entdecken. Allein in der vergangenen Nacht hatte sie erfahren, daß sie bereit dazu war, sinnliche Freude in einem Maße zu empfangen und zu verschenken, wie sie es nie für möglich gehalten hatte. Sie konnte also hemmungslos glücklich sein – aber nur mit einem einzigen Mann: Bryan. Bei ihm fühlte sie sich geborgen und sicher. Ob es ihm wohl ähnlich ergangen war? Sie jedenfalls hatte das Gefühl, endlich heimgekehrt zu sein. „Guten Morgen!“ Thaddeus trat freundlich lächelnd und mit einem Kaffeetablett auf die Terrasse. „Guten Morgen, Thaddeus. Oh, vielen Dank. Ich wollte gerade auf die Suche nach einer Tasse Kaffee gehen.“ „Er stand fertig auf dem Küchentisch. Ich bereite ihn immer für Bryan vor, der seinen Schluck Kaffee braucht, bevor er in die Kellerei hinuntergeht. Später frühstückt er dann meist mit Adam zusammen. Ist er übrigens schon in der Kellerei?“ „Ich nehme an. Ich schlief noch, als…“ Sabrina unterbrach sich. Aber Thaddeus wußte sicherlich, daß sie die Nacht in Bryans Bett und nicht im Gästezimmer verbracht hatte. Sie brauchte sich vor ihm nicht zu verstellen. „Sie sehen heute morgen sehr glücklich aus, Sabrina, wenn ich das sagen darf.“ „Natürlich dürfen Sie das. Es war doch eine rundum gelungene Gesellschaft gestern abend, nicht? Und Bryans Recherché ist erfolgreich eingeführt.“
„Ja, Luis würde sich sehr freuen.“ Thaddeus setzte sich, nahm einen Schluck
Kaffee und lehnte sich zurück. Er legte seine ausgestreckten Beine übereinander
und hielt sein Gesicht in die Sonne. „Hat Adam Sie schon begrüßt?“
„Nein. Ist er bereits aufgestanden?“
„Ja, längst. Er hat darauf gewartet, daß Sie endlich wach werden. Was meinen
Sie, wie er sich freute, als er Ihr Auto noch vor dem Haus fand.“
Das hieß, daß er vermutlich wußte, wo sie geschlafen hatte. „Ich hoffe, die Tür
des Gästezimmers war verschlossen“, sagte sie unsicher.
„Selbstverständlich. Adam wird sich freuen, Sie heute morgen wiederzusehen.“
Thaddeus setzte sich auf und blickte Sabrina an. „Er mag Sie nicht nur, Sabrina.
Er fängt an, Ihnen zu vertrauen. Anfangs hatte er Angst, seine Gefühle zu zeigen.
Es wäre ja möglich gewesen, daß Sie nicht wiederkehrten.“
Er schenkte Kaffee nach und fragte dann: „Haben Sie Probleme? Sie sind
plötzlich so ernst geworden.“
„Bryan bat mich, ihn zu heiraten“, antwortete Sabrina zögernd.
„Und deshalb machen Sie ein so finsteres Gesicht? Ich dachte, Sie wären
glücklich verliebt?“
„Das bin ich auch. Aber es ist alles zu neu…“
„Ich verstehe.“ Thaddeus schwieg eine Weile. „Ich glaube, Bryan hat damit einen
großen Schritt gewagt“, meinte er dann. „Daß Melissa ging, hat ihn damals nicht
so hart getroffen, denn zu diesem Zeitpunkt war die Liebe längst gestorben. Viel
mehr schmerzte es ihn, daß Adam seine Mutter verlor.“
Er blickte Sabrina nachdenklich an. „Wenn eine Mutter zugunsten ihrer Karriere
ihr Kind aufgibt, wird die Trennung zu einer sehr schmerzlichen Angelegenheit.
Und jetzt hat sich Bryan wieder verliebt und ist bereit, das Risiko auf sich zu
nehmen, noch einmal verletzt zu werden… Aber ich glaube, seine Liebe zu Ihnen
kann man nicht mit seiner ersten Liebe vergleichen.“
„Nun, in meinem Fall wußte er ja vor seinem Heiratsantrag, daß ich auch eine
Frau bin, die ihren Beruf liebt.“
Sabrina mußte an Shari und Andy Lauffer denken, die sich beide in ihrer Arbeit
ergänzten. Warum sollte Bryan und ihr das nicht auch gelingen? Man müßte sich
nur darüber aussprechen, wie die beruflichen und häuslichen Pflichten aufzuteilen
wären, wobei die Sorge für Adam natürlich Vorrang hatte.
„Wir werden es schon schaffen“, sagte sie fest. „Ich liebe ihn. Er liebt mich.“
„Hoffentlich ist es wirklich so einfach“, entgegnete Thaddeus. „Es gelingt vielen
Frauen, Ehe, Kinder und Beruf miteinander zu vereinbaren. Bryan und Sie sind
offensichtlich füreinander bestimmt. Die meisten Menschen finden keinen so
idealen Partner. Ich hatte das Glück, aber ich ließ es mir aus den Händen
gleiten.“
Nach einer kleinen Pause sprach er weiter. „Damit etwas funktioniert, muß man
manchmal kämpfen oder Kompromisse schließen.“ Er lächelte Sabrina an. „Ich
würde gern dabei helfen. Wenn Sie wollen, würde ich gern weiter hier das
Hausfaktotum spielen, wie Bryan das nennt. Dann müßten Sie sich nicht um die
Hausarbeit kümmern und brauchten nur zu kochen, wenn es Ihnen Spaß macht.
Das würde vieles erleichtern.“
„Thaddeus, ich habe es mir nie anders vorgestellt. Sie gehören zur Familie.“
Thaddeus atmete auf und machte ein frohes Gesicht. „Danke. Es erleichtert mich
wirklich, daß Sie es so sehen.“
In diesem Moment trat Bryan mit dem strahlenden Adam an der Hand auf die
Terrasse heraus. „Nun guck mal, wen ich entdeckt habe“, sagte er.
„Sabrina!“ rief Adam voller Freude. „Ich habe auf dich gewartet.“
„Guten Morgen. Ich freue mich, dich zu sehen.“
Der kleine Junge rannte auf Sabrina zu und schlang die Arme um ihren Hals. Diese umpulsive Geste rührte Sabrina bis ins Herz. Sie sah zu Bryan hoch. Wir werden eine Familie, dachte sie, eine richtige Familie. „Ja, ich glaube, ich kümmere mich dann mal ums Frühstück“, verkündete Thaddeus und stand auf. An Adam gewandt, fragte er: „Magst du die Eier für mich aufschlagen?“ „Wieso Eier? Die gibt’s doch zum Frühstück, und gefrühstückt hab’ ich doch schon. Jetzt ist Mittag! Aber ich mag Eier zu Mittag“, schloß er begeistert und rannte Thaddeus voraus in Richtung Küche. Als sie allein waren, setzte sich Bryan neben Sabrina. Einen Moment lang sah er sie nur an. Sie blickte ihm ebenfalls schweigend in die Augen. Bryan sprach als erster. „Du gehörst hierher. Zu uns. Wir alle möchten dich für immer hierbehalten.“ „Ich weiß.“ „Und möchtest du bleiben?“ „Das weißt du doch.“ Irgendein Unterton in ihrer Stimme beunruhigte Bryan. „Aber…“ „Ach, Liebling, ich habe gerade zu Thaddeus gesagt, daß wir uns schon einigen werden. Du und ich haben Partnerschaften hinter uns, die fehlgeschlagen sind. Da muß man beim zweiten Versuch etwas vorsichtig sein.“ Bryan beugte sich zu Sabrina hinüber und küßte sie leicht auf den Mund. „An Vorsicht denke ich im Moment am allerwenigsten. Ich will dich, Sabrina, und du willst mich.“ „Etwas Ähnliches habe ich auch zu Thaddeus gesagt. Nur haben wir noch nicht über meine und deine Arbeit gesprochen und darüber, wie wir uns Adam gegenüber verhalten sollen.“ „Adam liebt dich. Und ich auch…“ Er nahm ihre Hand. „Sabrina, ich möchte alles für dich sein. Dein Mann, dein Geliebter, dein Partner und dein Freund. Ich möchte mein Leben mit dir teilen.“ „Ach, Bryan, das möchte ich doch auch!“ Sabrina schloß ihn in die Arme und drückte ihn an sich. Adam streckte seinen Kopf durch die Tür. „Lunch ist fertig, sagt Thaddeus.“ Nach dem Essen gelang es Thaddeus, den widerstrebenden Adam davon zu überzeugen, daß ihm ein kleiner Mittagsschlaf guttäte. Bryan und Sabrina saßen im Wohnzimmer auf dem Sofa dicht beieinander. Bryan küßte Sabrina sanft auf die Wange. „Und du? Möchtest du nicht auch einen kleinen Mittagsschlaf halten?“ „Was ich möchte, und was ich tun muß, sind ganz verschiedene Dinge.“ Sie legte ihre Hände über Bryans und lächelte. „Danke, aber ich muß deine Einladung ablehnen.“ „Und ich kann dich nicht umstimmen?“ Sabrina hauchte schnell einen Kuß auf seine Lippen. „Nein. Ich muß in die Stadt zurück. Ich habe eine Menge liegengebliebener Arbeit aufzuholen. Ich weiß auch nicht, wieso ich so im Rückstand bin. Irgend jemand namens Bryan Benedict muß mich abgelenkt haben… Mir ist gerade wieder eingefallen, daß ich noch ein paar andere Kunden habe.“ Sie erzählte Bryan, daß sie mit Shari und Andy verabredet war, und daß ihr wegen der erfolgreichen RecherchéKampagne von einer großen Restaurant Kette ein neuer Auftrag erteilt worden war, der alles Bisherige – Recherché eingeschlossen – übertraf. Die Agentur mußte erweitert werden; alles würde jetzt eine Nummer größer sein. „Ist das nicht aufregend und unglaublich!“ schloß sie. „Das ist überhaupt nicht unglaublich. Die Leute haben eben einen guten
Geschmack.“ Bryan nahm Sabrina fest in die Arme. „Du bist halt brillant, schön und…“ Er küßte sie. „Ich bin stolz auf dich, Sabrina. Aber laß uns heute nicht mehr vom Geschäft reden, weder von Wein noch von Werbung. Es gibt Wichtigeres zu besprechen.“ „Und das wäre?“ erkundigte sie sich lächelnd. „Unsere Hochzeit. Mir ist gleich, wie du sie haben willst, solange du nicht auf einer allzu langen Verlobungszeit bestehst. Wie wäre es, wenn Adam uns in der Kirche die Trauringe nachträgt und Thaddeus unser Trauzeuge ist?“ „Sehr schön.“ Sabrina zögerte ein wenig. „Bryan, hättest du etwas dagegen, wenn wir die Hochzeit in meiner Heimatstadt in Minnesota feiern? Dann könnten meine Familie und meine alten Freunde daran teilnehmen.“ „Natürlich habe ich nichts dagegen. Außerdem habe ich mir fast gedacht, daß du das möchtest. Wir heiraten dort, und dann kommen wir gleich hierher zurück. In die Flitterwochen fahren wir im Dezember, wenn ich ein wenig mehr Zeit habe als jetzt. Wohin soll’s denn gehen? Karibik? Mexiko? Europa?“ Sabrina schlang die Arme um Bryans Nacken und strich mit den Lippen zart über seinen Mund. „Das ist doch ganz egal“, flüsterte sie. Er sah sie an und seine Stimme wurde heiser und leidenschaftlich. „Da hast du vermutlich recht.“ Er küßte sie wieder, lange und ohne Hast. Als Bryan Sabrina schließlich wieder freigab, flüsterte sie: „Ich glaube, ich fahre jetzt lieber, ehe wir noch den Punkt ohne Wiederkehr erreichen.“ „Den haben wir schon erreicht.“ Bryan liebkoste ihren Hals mit spielerischen kleinen Bissen. „Wie wär’s mit einer kurzen Siesta, Senorita?“ „Nichts zu machen, Senor. Ich muß schnellstens in die Stadt zurück.“ Bryan seufzte. „Deine Hartnäckigkeit.“ Er ließ sie los. „Wann soll denn nun die Hochzeit stattfinden? Am nächsten Wochenende habe ich noch nichts vor.“ Sabrina lachte. „So siehst du aus! Ich will Mutters Hochzeitskleid tragen, und das muß erst einmal passend gemacht werden. Außerdem müssen die Einladungen verschickt und ein Speise und Getränkelieferant samt Bedienung gefunden werden. Blumen brauchen wir auch. Rote Nelken würden doch zur Weihnachtszeit passen, oder?“ „Weihnachten?“ fragte Bryan entsetzt. „Willst du erst Weihnachten heiraten?“ „Nun… ja. Bei dem großen Auftrag dieser Restaurantkette kann ich gar nicht früher aus San Franzisko fort, weißt du.“ „Sabrina, wir haben erst Oktober!“ „Ende Oktober. Das sind doch nur noch zwei Monate bis dahin.“ „Zwei Monate zu lange! Ich will dich in meinem Haus, und in meinem Leben haben, und zwar möglichst bald!“ Bryan hatte fast in dem Befehlston gesprochen, den Sabrina in der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft öfter von ihm gehört hatte. Sabrina mußte sich zwingen, ganz ruhig zu bleiben. „Bryan, mit diesem Auftrag ist eine Menge harter Arbeit verbunden. Ich kann unmöglich mittendrin zwei Wochen Hochzeitsurlaub nehmen. Nicht mal eine Woche. Ich habe die Leute sowieso schon hingehalten, weil ich die RecherchéKampagne erst zu Ende bringen wollte.“ „Und wenn nun zwischen heute und Weihnachten ein weiterer Großauftrag auf dich zukommt? Verschiebst du dann die Hochzeit wieder?“ Ruhig, Sabrina! Nicht aufregen, mahnte sie sich. Bryan reagiert zu heftig. Tu du’s nicht auch. „Wenn wir ein Datum festgesetzt haben“, erklärte sie, „wird es auch eingehalten. Sollten Aufträge eingehen, lehne ich sie entweder ab, oder ich versuche, sie zu verschieben, aber nicht die Hochzeit. Im Moment jedoch brauche ich Zeit sowohl für meine Arbeit als auch für die Hochzeitsvorbereitungen. Verstehst du das
nicht?“ Bryan machte ein nachdenkliches Gesicht. Dann seufzte er. „Ich glaube, was mir Sorge macht, ist nicht so sehr der späte Hochzeitstermin, sondern deine Argumente und ihre Bedeutung für die Zukunft“, gestand er. „Mit anderen Worten, du fragst dich, ob für mich immer mein Beruf an erster Stelle steht?“ In Bryans Augen trat wieder dieselbe Wachsamkeit und dasselbe Mißtrauen wie in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft. Er wartete. Obwohl er seine gelöste Haltung nicht verändert hatte, spürte Sabrina, wie die Spannung zwischen ihnen wuchs. „Fragst du dich, ob meine Arbeit für mich Vorrang hat?“ wiederholte sie. Langsam stieg Angst in ihr auf. Bryan hatte gesagt, daß er nicht nur ihr Mann und Geliebter, sondern auch ihr Freund und Partner sein wollte. Hatte er das ehrlich gemeint? Zweifelte er etwa daran, daß es stets ihr Bestreben sein würde, zuerst Ehefrau und Mutter und erst dann Geschäftsfrau zu sein? „Bryan, Liebling“, versuchte sie es noch einmal, „ich vertraue dir und deiner Liebe. Sie wird uns helfen, unsere Probleme zu lösen, ob es sich nun um deine oder meine Arbeit handelt.“ Sabrina machte eine winzige Pause. „Aber du mußt mir auch vertrauen.“ Sie blickte Bryan fest in die Augen. „Fürchtest du, mein Beruf könnte mir stets wichtiger sein als du und Adam?“ „Ja“, antwortete Bryan sehr ernst. „Und du vertraust mir nicht?“ Als Bryan darauf nicht gleich antwortete, wußte sie, was er dachte. „Du glaubst, ich sei wie Melissa, nicht wahr?“ „Das habe ich nicht gesagt“, stellte er leise richtig. „Aber du denkst es.“ Sabrinas Angst verwandelte sich in Enttäuschung und Zorn. „Bryan, gib es zu. Du denkst, ich sei wie Melissa.“ In diesem Augenblick schrillte das Telefon. Bryan ließ es eine Weile läuten, stand dann auf und ging zum Nebenapparat in der Küche. Sabrina blieb regungslos sitzen. Sie konnte die Wende, die ihr Gespräch genommen hatte, noch nicht verkraften. Als Bryan ins Wohnzimmer zurückkehrte, blickte sie zu ihm hoch. „Sabrina, es tut mir schrecklich leid, aber ich werde dringend in der Kellerei gebraucht. Ich bin gleich zurück. Wir müssen uns unbedingt einigen über… Bitte, warte auf mich.“ Sabrina nickte stumm. Sobald Bryan das Zimmer verlassen hatte, hastete sie in das Schlafzimmer und holte ihre Reisetasche. Sie schrieb rasch einen Zettel für Adam und Thaddeus und ließ ihn auf dem Küchentisch liegen. Was bist du doch für ein wohlerzogenes Mädchen, verspottete sie sich selbst. In solchen Augenblicken denkst du noch daran, schriftlich dein Dankeschön für die Gastfreundschaft zu hinterlassen! Sabrina fuhr ziemlich schnell an der Kellerei vorbei. Ob Bryan ihren Wagen bemerkt hatte, wußte sie nicht; sie war nur froh, daß sie Bryan nicht gesehen hatte. Als sie die Landstraße erreichte, bog sie nicht nach Süden in Richtung San Franzisko ab, sondern kreuzte die Straße und fuhr zum Gipfel der Mayacamus Range hinauf. Als sie diesen beliebten Aussichtspunkt erreicht hatte, hielt sie an, stellte den Motor ab und zog die Handbremse. Sie faltete die Hände im Schoß und blieb bewegungslos sitzen. Es war ein goldener Herbstnachmittag. Der Himmel war strahlend blau. Das helle Sonnenlicht ließ die herbstlichen Farben eines kleinen Espenwäldchens aufleuchten. Jedesmal, wenn ein sanfter Windstoß darüber hinwegging, bildeten die bunten Blätter ein anderes, neues Muster. Ab und zu fiel ein Blatt zu Boden, und im Fluge tanzte es kleine Pirouetten.
Sabrina schaute über die sattgelben und tiefroten, grüngesäumten Schachbrettfelder des Weinlandes hinaus. Nach dem ersten kalten Regen würden die Farben noch intensiver leuchten. Das Versprechen noch größerer Schönheit lag über dem ganzen Land. Sie schloß die Augen und dachte an die vergangene Nacht, in der sie zum ersten Mal erfahren hatte, was wahre Verzückung ist, über die sie bisher nur gelesen hatte. Sie hatte dem Versprechen der Liebe Glauben geschenkt. Seit jenem ersten Kuß im Mondlicht hatte sich ihr Leben völlig verändert. Sabrina hatte begonnen, ihre Erwartung an die Zukunft und ihr Verhältnis zu John zu überdenken. Als sie sich darüber im klaren war, hatte sie mit John gebrochen, aber ihrem leidenschaftlichen Verlangen nach Bryan erst nachgegeben, als sie sicher war, daß es auf Gegenseitigkeit beruhte. Erst in der vergangenen Nacht glaubte sie, diese Gewißheit zu haben. Es war die große Liebe. Und jetzt war es ihnen beiden nicht einmal gelungen, die erste Hürde zu nehmen. Bryans Liebe zu ihr konnte nicht so tief sein, wenn er so voller Mißtrauen auf ihre beruflichen Pläne reagierte. Eine gemeinsame Zukunft konnte nur auf der Grundlage gedeihen, daß man sich gegenseitig vertraute. Bryan mußte doch wissen, daß er und Adam an erster Stelle stehen würden. Aber er durfte nicht von ihr verlangen, daß sie von heute auf morgen ihre ganze Karriere links liegen ließ, bloß weil er sie sofort und auf der Stelle heiraten wollte! Konnte er so egoistisch sein? O Bryan, habe ich mich in dir getäuscht? Hast du dich in mir getäuscht? Sabrinas Augen füllten sich mit Tränen. Das Bild der wunderschönen Landschaft verschwamm vor ihren Augen. Alles sollte jetzt öde und vertrocknet sein, dachte sie. Die Versprechen einer glücklichen Ernte, des Weins und der Liebe haben sich nicht erfüllt. Die vergangene Nacht und dieser Morgen – alles war ein Trugbild. Sabrina legte die Arme auf das Steuerrad, ließ den Kopf darauf sinken und weinte so bitterlich, wie sie es seit Jahren nicht mehr getan hatte. „Sie ist fort.“ Thaddeus sprach so ausdruckslos wie möglich. „Was?“ Bryan war wie vor den Kopf geschlagen. „Hat sie nichts hinterlassen?“ „Nur einen Zettel mit der Mitteilung, daß sie nach San Franzisko zurückkehren mußte.“ Einen Moment stand Bryan erstarrt da. Thaddeus beobachtete ihn mit wachsender Besorgnis. „Bryan, wenn du dir etwas von der Seele reden willst…“ „Danke, Thaddeus. Ich werde jetzt besser eine Weile in meinem Arbeitszimmer verschwinden. Es gibt einiges, worüber ich nachdenken muß.“ „Okay, ich verstehe. Ich werde zusehen, daß Adam dich nicht stört.“ Bryan ging in sein Arbeitszimmer, setzte sich in den großen Ledersessel und drehte geistesabwesend einen Bleistift zwischen den Fingern. Jetzt, da der erste Schock vorüber war, erstaunte es ihn nicht mehr, daß Sabrina ihn verlassen hatte. Sie hätte nicht wie ein Feigling davonlaufen sollen, dachte er dann. Aber wer ist denn hier der Feigling? mußte er sich fragen. Sabrina, die bereit gewesen war, ihr ganzes Vertrauen in seine Liebe zu setzen, oder er, der sich nicht auf ihre Liebe verlassen wollte? Sabrina war nicht Melissa. Sie war eine gefühlvolle Frau mit der Fähigkeit und dem tiefen Wunsch, zu lieben und geliebt zu werden. Sie konnte mehr geben, als Bryan je von einer Frau erwartet hätte, und sie akzeptierte alles, was er und Adam ihr zu bieten hatten. Und jetzt hatte er sie mit dem Vergleich mit Melissa verletzt.
„Verdammt!“ Er schlug mit der Faust auf den Tisch. Welch ein Narr er doch war!
Sabrina hatte seine Welt mit einer Liebe angefüllt, die er schon für alle Zeiten
verloren geglaubt hatte. Was konnte sie denn dafür, daß er fürchtete, das Fiasko
seiner ersten Ehe könnte sich wiederholen?
Ich muß lernen, ihrer Liebe zu mir und Adam zu trauen. Ich darf nicht versuchen,
ihre Persönlichkeit zu ändern, und ich muß darauf hoffen, daß Adam und ich
immer im Mittelpunkt ihres Lebens stehen, gleichgültig, wo ihre weiteren
Interessen liegen.
Schön, ich war ein Narr, sagte er sich. Aber ich muß ja nicht unbedingt einer
bleiben.
Bryan stand auf und ging in das Wohnzimmer zurück. Thaddeus las Adam gerade
etwas aus einem Buch vor. Als Bryan hereinkam, schauten ihm beide
erwartungsvoll entgegen.
„Ich fahre nach San Franzisko“, teilte Bryan ihnen mit.
Thaddeus lächelte, und Adam machte ein verdutztes Gesicht.
„Wann kommst du wieder, Daddy?“ erkundigte sich der Kleine.
„Das weiß ich noch nicht genau, aber morgen auf jeden Fall. Und ehe du fragst –
nein, diesmal kannst du nicht mitkommen. Ich verspreche es dir fürs nächste
Mal.“ Er sah Thaddeus an. „Wünsch mir Glück, ja?“
„Alles Glück der Welt, Bryan.“
Als Sabrina ihre Wohnung betrat, klingelte das Telefon. Automatisch hob sie ab.
„Hallo?“ Erst dann bekam sie es mit der Angst zu tun.
Zu ihrer Erleichterung hörte Sabrina die Stimme ihrer Mutter, die sich nach dem
Erfolg der RecherchéPremiere erkundigen wollte. Sabrina plauderte eine Weile
mit ihr, aber es fiel ihr nicht leicht, unbekümmert daherzureden. Sie
entschuldigte sich bald mit einer kleinen Notlüge und sagte, sie sei ein wenig in
Eile, weil sie sich mit einem Kunden verabredet habe.
Kaum hatte sie aufgelegt, schrillte das Telefon schon wieder. Diesmal war sie
vorsichtiger; sie ließ es einfach läuten. Dann aber nahm sie sich zusammen. Sie
konnte schließlich nicht ständig mit der Angst vorm Telefon leben. Falls jetzt
wirklich Bryan am anderen Ende war, hatte sie es wenigstens hinter sich. Sie
nahm den Hörer ab.
„Hallo, Sabrina. Hier dein alter Großvater.“
„Ach, Granddad…“ Dieses Gespräch würde ihr zu schaffen machen. Es war ihr
noch nie gelungen, ihre Gefühle vor ihrem Großvater zu verbergen. Mit ihm
verband sie etwas, das sich schwer in Worte fassen ließ.
„Ich rufe nur an, um nachzufragen, ob du jetzt endlich reich und berühmt bist“,
neckte er sie wieder. „Ist der Wein ein Erfolg?“
Sabrina tat ihr Bestes, so fröhlich wie möglich zu klingen. Sie erzählte von der
Gesellschaft, vom Recherché, von ihrem neuen Auftrag.
Ihr Großvater unterbrach sie mitten in einem Satz: „Sabrina, Kind, stimmt irgend
etwas nicht?“
„Ach was!“ rief sie gespielt unbekümmert. Wie konnte sie ihrem Großvater
klarmachen, daß überhaupt nichts mehr stimmte?
Er wechselte scheinbar das Thema. „Weißt du, neulich habe ich den
Sonnenuntergang betrachtet und dabei an die Ernte gedacht und daran, daß du
ja jetzt auch an Ernteprobleme denken mußt. Laß dir sagen, Kleines, Erntezeit ist
immer eine harte Zeit. Aber für jeden Menschen muß sie mal beginnen.“
Großvater hatte also verstanden, ohne daß sie ihm etwas erzählen mußte. Sie
dankte ihm für den Anruf. „Auf Wiedersehen, Granddad. Ich hab’ dich lieb.“
„Ich dich auch, Kind.“ Er hängte ein.
Noch ein Telefongespräch hätte Sabrina jetzt nicht mehr durchgestanden. Sie
nahm sich eine Jacke, verließ die Wohnung und machte sich mehr oder weniger automatisch an ihren Jogginglauf. Als sie die Bank erreichte, auf der sie sich immer auszuruhen pflegte, setzte sie sich. Sie mußte wieder an das Gespräch mit ihrem Großvater denken. War die Erntezeit für die Betroffenen vielleicht eine schwierigere Zeit, als sie sich vorstellen konnte? Ihr fiel ein Julimorgen aus ihrer Jugend ein. Sie war bei ihrem Großvater auf der Farm. Der Weizen stand hoch und golden auf dem Halm, und sie hörte ein Gespräch zwischen ihrem Großvater und einem Nachbarn mit an, in dem sich die Männer über den richtigen Zeitpunkt der Ernte unterhielten und darüber, wie leicht man sich verschätzen und dann das ganze Ergebnis gefährden konnte. Noch am selben Nachmittag zog plötzlich eine riesige schwarze Wolke über den Himmel, und Hagelkörner so groß wie Taubeneier zerstörten alles Getreide auf dem Feld. Es war eine Katastrophe für alle Farmer geworden. Was er denn nun täte, hatte Sabrina damals ihren Großvater gefragt. „Ich säe neuen Weizen, wenn die Zeit dafür gekommen ist“, hatte er geantwortet und hinzugefügt, man müsse sich nun einmal damit abfinden, daß es im Leben gute und schlechte Zeiten gäbe. Das gälte für einen Farmer ebenso wie für ein hübsches Kind wie Sabrina. Manchmal bringe man eine reiche Ernte ein, und manchmal müsse man eben das Feld ganz neu bestellen. Ja, dachte Sabrina jetzt und blickte traurig zu Boden, meine Ernte ist wohl auch verhagelt. Ich werde das Feld neu bestellen müssen. Ihr Schmerz über die Kränkung, ihre Enttäuschung und ihr Zorn lösten sich auf. Bryan und sie liebten einander doch. Es sollte doch möglich sein, Mißverständnisse auszuräumen, Probleme zu lösen und Kompromisse zu schließen. Sie würde ihn anrufen und mit ihm reden. Sabrina stand auf und blieb dann wie angewurzelt stehen. Bryan kam auf sie zu. Als er vor ihr stand, sah sie den liebevollen Ausdruck in seinen Augen. Er sagte nichts, sondern bat sie nur mit einer Handbewegung, sie solle sich wieder setzen. Dann nahm er neben ihr Platz und schlang die Arme um sie. Noch immer schwieg er, und auch Sabrina brachte kein Wort heraus. Sie schmiegte sich nur in seine Arme, so wie damals beim Wolfshaus, als er ihr versicherte, daß er sie eines Tages nicht mehr davonlaufen lassen würde vor dem, was zwischen ihnen war. Bryan seufzte. Oder war es ein erleichtertes Aufatmen? Er drückte Sabrinas Kopf gegen seine Schulter. „Und wie wäre es in vier Wochen?“ Sabrina nickte. Sie wußte zwar nicht, wie sie es bis dahin schaffen sollte, aber es war der erste Kompromiß. „Erzähl mir, wie das Hochzeitskleid deiner Mutter aussieht. Muß jemand die Schleppe tragen? Kann man in ihm nur in Begleitung von sechs Brautjungfern und sechs Brautführern vor den Altar treten?“ „Nein. Es ist wunderbar schlicht. Meine Mutter hat es selbst geschneidert.“ „Hast du es getragen, wenn du als kleines Mädchen Braut gespielt hast?“ „Um Himmels willen, nein! Meine Schwester und ich durften es uns nur einmal ansehen.“ „Hattest du jemals vorher daran gedacht, es eines Tages zu tragen?“ „Nein, so nahe war ich der Sache noch nie.“ „Nahe? Die ,Sache’, wie du das nennst, liegt noch in weiter, weiter Ferne! Zu welcher Tageszeit soll unsere Hochzeit denn stattfinden?“ Bryan hob Sabrinas Gesicht an und blickte in ihre Augen. „Am Nachmittag. Die Sonne scheint dann durch die hohen Fenster in die Kirche, die mit vielen Kerzen und goldgelben Chrysanthemen geschmückt sein wird.“
Sabrina lächelte und hob Bryan ihre Lippen entgegen. „Und dann wird der Pfarrer
sagen: ,Bryan Benedict, du darfst die Braut jetzt küssen’.“
Und er küßte sie auf dieser Bank, im Licht der untergehenden Sonne, die sich
golden in den Fensterscheiben der Stadt am Golden Gate widerspiegelte.
ENDE