Ein Ullstein Buch
ullstein buch nr. 12 im verlag ullstein gmbh, frankfurt/m • berlin • wien aus dem russischen überset...
329 downloads
1407 Views
766KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Ein Ullstein Buch
ullstein buch nr. 12 im verlag ullstein gmbh, frankfurt/m • berlin • wien aus dem russischen übersetzt von grete willinsky alle rechte vorbehalten printed in germany 1975 gesamtherstellung : ebner, ulm/donau isbn 3 548 02012 7 die erzählungen : schlaf schneller, genosse, die habgierige milchfrau, hier werden keine bestechungsgelder angenommen, die nervenheilkunst, sind dem band »der redliche zeitgenosse« entnommen und gelangen mit freundlicher genehmigung der hessischen druck- und verlags-anstalt gmbh., kassel, zum abdruck.
Michail Sostschenko u. a. Schlaf schneller, Genosse! Sowjetrussische Satiren Nachwort von Grete Willinsky
ein Ullstein Buch
»Der Himmel ist eine alltägliche und gar nicht komplizierte Angelegenheit; aber das Leben, das Leben ist nicht so einfach wie Kuchenessen.« Dostojewski
Schlaf schneller, Genosse! von Michail Sostschenko
A
ufrichtig gesagt, ich mag das Reisen nicht. Die Übernachtungsfrage nimmt mir alle Freude daran. In hundert Fällen gelang es mir nur zweimal, ein Hotelzimmer zu erwischen. Auch war es das letztemal der reine Zufall, daß ich unterkam. Sie haben mich im Hotel für jemand anders gehalten. Nachher freilich sind sie draufgekommen und schlugen mir dann vor, das Zimmer zu räumen, aber ich reiste sowieso ab. Zuerst habe ich mich natürlich über ihre Liebenswürdigkeit gewundert. Der Portier nämlich sagte: »Nur muß ich Ihnen leider gestehen: Ihr Zimmer hat einen Defekt. Das Fenster ist dort zerschlagen. Und wenn zum Beispiel die Katze zu Ihnen nachts ins Zimmer springt – so erschrecken Sie bitte nicht!« »Warum wird denn die Katze zu mir ins Zimmer springen?« fragte ich verwundert. Und der Portier sagte: »Sehen Sie, wir haben nämlich dort in gleicher Höhe einen Müllhaufen, so daß die Tiere sich da oft nicht auskennen!« Als ich ins Zimmer trat, begriff ich die Katzenpsyche natürlich sofort. Sie konnte sich freilich leicht in der Örtlichkeit irren. Für Luxusappartements bin ich ja im allgemeinen nicht, aber dieses dreckige Kämmerchen bedrückte mich doch einigermaßen. Über dem Bett hing 9
ein Plakat mit der Aufschrift: »Schlaf schneller, Genosse, Dein Kissen benötigt schon ein anderer!« Vor allem aber wunderte ich mich über eine große Wasserlache, die im Zimmer war. Ich rief nach jemand, um sie entfernen zu lassen, aber niemand kam. Dann besprach ich mich darüber mit dem Portier. Er sagte: »Wenn bei Ihnen im Zimmer eine Pfütze ist, so wird wahrscheinlich dort jemand Wasser verschüttet haben. Heute ist niemand vom Personal frei, aber morgen werde ich die Pfütze aufwischen lassen. Aber sicher wird sie dann von selber ausgetrocknet sein. Das Klima bei uns ist warm.« Ich meinte: »Ja, und dann ist das Zimmer doch recht ungemütlich. So dunkel! Und an Möbeln hat es nur Bett und Stuhl und irgend so einen Kasten! Natürlich«, sagte ich, »es gibt verschiedene Hotels. Unlängst mußte ich mich zum Beispiel in Konstantinowka mit einem Tischtuch zudecken …« »Bei den Tischtüchern sind wir noch nicht!« unterbrach mich der Portier. »Und was die Dunkelheit anbelangt, so brauchen Sie keine Muster zu zeichnen! Schlafen Sie schneller, Genosse, und stören Sie nicht die Administration mit Ihrem überflüssigen Geschwätz!« Ich ließ mich auf keinen weiteren Streit mit ihm ein, ging auf mein Zimmer, zog mich aus, las noch einmal die Aufschrift: »Schlaf schneller, Genosse, Dein Kissen benötigt schon ein anderer!« und schlüpfte ins Bett. Im ersten Augenblick begriff ich gar nicht, was mit mir geschah. Wie von einem Berg rutschte ich abwärts. Ich wollte mich erheben, um zu sehen, was das für ein Bett 10
ist, aber ich verfing mich mit den Zehen im Laken, in dem Löcher waren. Als ich mich endlich herausgewickelt hatte, zündete ich das Licht an und sah mich auf meinem Lager um. Es erwies sich, daß das Bett, angefangen vom Kopfende, die langsame Tendenz nach unten zeigte und daß es einer schiefen Ebene nicht unähnlich war, so daß der schlafende Mensch keine Möglichkeit hatte, sich in der horizontalen Lage zu halten. Ich legte das Kissen auf das Fußende, schob meinen Koffer darunter und legte mich solchermaßen umgekehrt ins Bett. Aber nun saß ich eher, als daß ich lag. Darauf schob ich in die Mitte meinen Mantel und die Mappe und legte mich auf diesen Aufbau mit der festen Absicht, einen guten und natürlich auch »schnellen« Schlaf zu tun. Wie ich schon im ersten Schlummer liege, fangen plötzlich die Wanzen an, mich zu beißen. Je nun, zwei, drei Wanzen hätten mich nicht weiter gestört, aber hier ging sozusagen ein ganzer Sturmangriff vor sich, mitsamt der springenden Kavallerie. Ich eröffnete sofort einen planmäßigen Kampf. Aber als dieser Kampf am hitzigsten tobte, verlöschte unverhofft das Licht. In solcher Schutzlosigkeit begann ich, ächzend und fluchend im Zimmer auf und ab zu gehen, als plötzlich ein Klopfen gegen die Holzwand ertönte und eine grobe weibliche Stimme sich vernehmen ließ: »Was zum Teufel hopsen Sie zur nachtschlafenden Zeit wie ein Verrückter herum?« Nach der ersten Bestürzung erhob sich zwischen uns eine Schimpfkanonade, welche wiederzugeben mir Sitte und Anstand verbieten. »Wenn ich Ihnen, Hol’s der 11
Teufel, jemals begegnen sollte«, schloß meine Nachbarin, »hau ich Ihnen unbedingt eine runter. Daß Sie es nur wissen!« Ich wollte brennend gern irgend etwas darauf erwidern, unterließ es aber klugerweise und schleuderte nur den Kasten gegen die Wand, daß sie meinen konnte, ich schieße. Darauf verstummte sie sofort. Ich aber schob das Bett von der Wand ab, ergriff den Wasserkrug und zog einen Wasserring rund um das Bett, damit nicht die auswärtigen Wanzen zu mir ins Bett krochen. Unter höllischen Wanzenstichen begann ich wieder einzuschlafen, als plötzlich hinter der Wand ein furchtbarer Schrei ertönte. In der Debatte, die von neuem zwischen uns anhub, erfuhr ich, daß die Katze zu meiner Nachbarin ins Bett gesprungen war und sie dadurch erschreckt hatte. Der Portier, dieser Dummkopf, hatte alles verdreht. Mir versprach er die Katze, aber in meinem Zimmer war das Fenster ja ganz, das nachbarliche hingegen nicht. Wieder schlummerte ich etwas ein. Aber nervös, wie ich war, zuckte ich unruhig im Schlaf, und bei der leisesten Bewegung gaben die Bettfedern jedesmal einen schauerlich quietschenden Ton von sich, daß ich erschreckt auffuhr. Der Morgen graute. Da nahm ich die Matratze vom Bett und breitete sie auf den Boden. Vollkommene Seligkeit überkam mich … Da ertönte auf dem Hof das Kreischen einer elektrischen Säge. 12
Müde und matt und grün im Gesicht verließ ich das unglückselige Hotel und schwor, daß mein Fuß es nie wieder betreten sollte. Aber das Schicksal wollte es anders. Im Zug, ich war schon hundert Kilometer gefahren, entdeckte ich, daß man mir im Hotel einen anderen Paß ausgehändigt hatte. Und da es ein Damenpaß war, bestand keine Möglichkeit, damit weiterzureisen. Am anderen Tag kehrte ich in das Hotel zurück. Natürlich war es mir verteufelt unangenehm, meiner nächtlichen Nachbarin zu begegnen, welcher der Paß gehörte und die, wie es sich herausstellte, mit meinem Paß auch bereits abgereist und wieder zurückgekehrt war. Aber diese Schwimmlehrerin entpuppte sich entgegen meinen Befürchtungen als ein prächtiges Mädchen, und wir haben uns, ohne weiter an das nächtliche Drama zu denken, ganz schön angefreundet. Woraus zu ersehen ist, daß das Reisen und der Aufenthalt in Hotels auch gewisse Vorteile mit sich bringt.
13
Die Ausbauwohnung von Michail Sostschenko
N
eulich fuhren wir durch die ganze Union. Eigens, um uns anzuschauen, wie die Menschen wohnen. Es geht. Sie wohnen halt. Geben sich wenigstens Mühe. In manch einer Stadt wachsen ganz merklich die neuen Häuser. Vor allem so kleine Blockhäuschen und Laubenhütten. Und es scheint fast, als ob die Wohnungsnot im Zusammenhang damit irgendwie nachzulassen beginnt. Mehr als siebzehn Menschen nämlich in einem Zimmer sind uns nicht mehr vorgekommen. Und nur in einer Stadt wohnten dreiundzwanzig Personen in einem Zimmer. Lauter Fuhrleute. Mit Familie. Das war aber in Rostow am Don. Die Stadt liegt immerhin im Süden. 0DQVDJWVRJDUGDGRUW3¿UVLFKHUHLIHQN|QQHQ8QG auch das Meer plätschert nicht weit davon. Und dieses Meer friert vielleicht das ganze Jahr nicht zu. Bei solch XQHUK|UWHQNOLPDWLVFKHQ9HUKlOWQLVVHQLVWHLQHGULQJHQde Nachfrage nach geschlossenen Räumen einfach gar nicht vorhanden. Rutscht man aber nach Norden herauf – da ist’s mit den Wohnungen entschieden besser. In Leningrad zum Beispiel gibt’s Wohnungen in Hülle und Fülle. Es ist noch gar nicht lange her, da fand ein guter Bekannter von mir, ein gewisser Iwan Andrejewitsch, eine Wohnung. In 14
eben diesem Leningrad. Und hatte nicht einmal lange gesucht. Ein- oder zweimal nur lief er aufs Wohnungamt. Dort sagte man ihm: »Können Sie haben! Wieviel Zimmer brauchen Sie? Fünf oder sechs?« »Drei!« sagte er. »Wenn Sie so liebenswürdig sein wollen!« »Können Sie haben!« – Und sie geben ihm auch schon die Adresse. Iwan Andrejewitsch suchte die Wohnung auf – ja, tatsächlich: drei Zimmer, und alle drei sonnig! Und die Reparaturen erwiesen sich auch nicht als übermäßig groß. Nur die Vordertür mußte neu gesetzt und die Wände mußten aufgerichtet und dazu schießlich noch die Treppe zum Stockwerk heraufgeführt werden. Was aber das Neusetzen des Kamins betrifft – so stand das im eigenen Belieben. Der Schornstein war noch zaristischer Herkunft. Abzüge waren natürlich vorhanden – jedoch nur bis zum Vorraum! Iwan Andrejewitsch aber ist schwach auf der Brust. Er kann Rauch schlecht ertragen. Er bekommt dabei immer Erstickungsanfälle. Ein anderer, gesünderer Kerl wäre auch mit solch einem schadhaften Kamin ausgekommen. Schlimmstenfalls hätte er von Zeit zu Zeit den Kopf zum Fenster ‚rausgesteckt. Hier aber mußte der Schornstein neu gesetzt werden. Doch hat Iwan Andrejewitsch dabei gewiß nicht zu viel Geld vertan. Das heißt, er hat sich natürlich ganz hübsch verausgabt, hat sein Hab und Gut verschleudert und sogar auf einen Wechsel geliehen. Aber den Mut verlor er nicht! 15
»Schlimmstenfalls« – sagte er – »kann ich diese Wohnung ja verkaufen! Eine nagelneue kleine Wohnung kauft mir jeder Idiot ab!« Und mit solchen Überlegungen führt er seelenruhig und ohne sich aufzuregen den Ausbau fort. Und tatsächlich, als der Wechsel fällig wurde, nahm und verkaufte Iwan Andrejewitsch ohne viel Mühe und Aufwand die schöne kleine Wohnung. Und verlor in dieser Sache nicht mehr als vierzig Rubel. Für solch eine Wohnung ist aber auch ein Hunderter nicht zu schade! Mit dem erhaltenen Geld zahlte Iwan Andrejewitsch seine Schulden und kaufte sein verschleudertes Hab und Gut zurück. Und jetzt hat er scheint’s wieder eine passende Wohnung gefunden und hat wohl auch schon mit dem Ausbau begonnen … Ach, man sagt, die Wohnungsnot sei groß. I wo! Halb so schlimm!
16
Die ungleiche Ehe von Michail Sostschenko
E
s gibt da – vielleicht kennen Sie es – ein Bild aus der Zarenzeit, es heißt, glaube ich, »Die ungleiche Ehe«. Auf diesem Bilde ist, stellen Sie sich vor, ein Brautpaar abgebildet. Der Bräutigam ist ein bejahrtes Herrchen von, sagen wir mal, dreiundsiebzig Lenzen und etliches darüber. Überhaupt so ein recht abgelebtes Subjekt, das zu betrachten der Zuschauer wenig Interesse aufbringt. Ihm zur Seite steht die Braut, ein zartes Vögelchen, ein Täubchen von kaum neunzehn Jahren! Ihre Äuglein blicken ganz erschrocken, die Kirchenkerze in den Händen zittert, und auch das zarte Stimmchen wird zittern, wenn sie dem dickbäuchigen Popen die schicksalsvolle Frage beantwortet. Auf dem Bilde freilich kann man das nicht sehen: das Händezittern nämlich und die Reden des Popen. Auch hat der Künstler, glaube ich, den Popen gar nicht abgebildet. Aber man kann sich das alles beim Betrachten des Bildes leibhaftig vorstellen. Überhaupt gibt einem dieses Bild wunderliche Gedanken ein.. Es konnte also tatsächlich vor der Revolution so ein alter Knasterbart ein so junges Ding heiraten. Um so eher, wenn er ein Erlaucht oder gar ein Senator war, der allein an Pension vielleicht mehr als zweihundert Rubel in Gold zu beziehen geruhte, freie Wohnung, Equipage und anderes mehr nicht eingerechnet. Sie aber stamm17
te vielleicht aus armer Familie, und die Mama hatte ihr die Ohren vollgeblasen: »Selbstverständlich nimmst du ihn!« Heutzutage natürlich gibt es so was nicht mehr. Solche Mesalliancen sind jetzt ganz verschwunden. Bei uns heiratet die Junge ebenfalls einen ganz Jungen, und die Bejahrte zieht es vor, sich mit einem etwas verbrauchteren Exemplar zusammenzutun. Nein, daß ein junges Täubchen des Geldes wegen einen Alten nimmt, so was Betrübliches gibt es bei uns nicht mehr! Je nun, in Leningrad hat sich letzthin folgende Geschichte zugetragen. Stellen Sie sich vor, ein alter Mann aus der Kategorie der gewöhnlichen Angestellten hat in diesem Jahr unverhofft eine junge Frau geheiratet. Sie zählt, denken Sie sich nur, nicht mehr als zwanzig Jahre und ist eine aus Pensa zugereiste interessante Schönheit. Er aber – ein Glatzkopf von vielleicht sechzig Jahren! Das Gesicht vom Lebenssturm zerzaust, die Augen rot angelaufen, und überhaupt, wie gesagt, eine durchaus nichts vorstellende Persönlichkeit, solcherart, wie man sie zu Dutzenden in jeder Trambahn findet. Zum Überfluß war er bereits verheiratet und wohnte mit seiner Alten in einem mittelmäßigen Zimmerchen. Aber nichtsdestoweniger und ungeachtet solcher Mängel heiratete er wider Erwarten und zur Verwunderung aller die junge und liebreizende Person. Seiner Umgebung erklärte er sein Vorhaben auf die Weise: Es sei sozusagen eine neue Zeit, und selbst die Alten würden wieder jung und anziehend! Die Anwohner sagen 18
ihm: »Sie sollten sich weniger mit Propaganda für die neue Zeit beschäftigen! Denken Sie lieber nach, was sie von Ihnen will! Das ist doch ein schlechter Witz, daß sie Sie nimmt!« Der Alte sagt: »Außer meinem Äußeren und meinen seelischen Qualitäten besitze ich nichts Anziehendes. Mein Gehalt ist klein. Ein paar Hosen und einige zerrissene Taschentücher ist alles, was ich an Garderobe mein eigen nenne!« Darauf sagen die Anwohner: »Hol Euch dieser und jener! Euch ist nicht zu helfen!« Der Alte teilte also das Zimmer, in dem er bisher mit seiner hochbetagten Gattin gelebt hatte, frischte den Anstrich der Böden und Wände auf und begann nun in dem winzigen Raum von neun Quadratmetern, mit Ausblick auf die Kehrichttonne, ein herrliches Leben. Hand in Hand mit der blühenden jungen Schönen, die ihm das Schicksal auf seine alten Tage gesandt hatte. Darauf begibt sich folgendes: Seine junge Gemahlin tauscht dieses winzige Zimmerchen gegen ein größeres ein, weil sich da nämlich ein Mensch fand, dem sein Zimmer zu teuer war und der sich mit den gesetzlichen neun Metern und ohne Raumüberschuß zu begnügen willens und froh war. Also siedelt das Täubchen mit ihrem alten Dummkopf auf die neue Plattform über, welche schon vierzehn Quadratmeter groß ist. Wohnt dort einige Zeit, wonach sie von neuem eine wilde Energie entfaltet und das Zimmer wieder gegen ein anderes austauscht, dieses Mal schon gegen eines mit zwanzig Quadratmeter 19
Rauminhalt. Sie zieht also noch einmal mit dem alten Narren um. Nach dem Umzug jedoch verzankt sie sich alsogleich mit ihrem Ehegemahl und läßt unverzüglich eine Anzeige in der Zeitung erscheinen: sozusagen, tausche ein wundervolles Zimmer von zwanzig Quadratmeter gegen zwei kleinere in verschiedenen Stadtbezirken. Und natürlich findet sich schnell ein Paar, welches ein Einzimmer-Zusammenleben erträumt und für dieses eine Zimmer mit Freuden ihre zwei hergibt. Kurz gesagt: Zwei Monate nach der Eheschließung fand sich unser alter Dummkopf in vollkommener Einsamkeit in einem winzigen Loch weit außerhalb der Stadt. Das junge schöne Täubchen aber zog in ein anderes, zwar kleines, dafür aber herrliches Zimmer mitten in Leningrad. Und im Besitze dieses Zimmers heiratete sie bald darauf einen jungen Ingenieur und ist jetzt ohnemaßen glücklich und zufrieden. Der alte Narr wollte das Täubchen wegen Betruges verklagen und beriet sich in dieser Angelegenheit sogar mit einem ehemaligen Juristen. Aber dieser ehemalige Advokat erklärte herzlich lachend, daß es äußerst schwierig sei, diesen Betrug zu beweisen, auch daß die junge Dame von ihm vielleicht ehrlich eingenommen gewesen und erst bei näherer Bekanntschaft enttäuscht worden sei. Mit solch süßen Gedanken tröstete sich denn auch der alte. Einfaltspinsel. Und jetzt läßt er sich alltäglich im Zuge durchrütteln, wenn er von seiner entlegenen Wohnung ins Amt fährt.
20
Kampf mit dem Bürokratismus von Valentin Katajew
D
er Vorsteher entfaltete die Zeitung und wurde blaß. »Der Sekretär soll sofort kommen«, rief er in den Raum hinein. »Sie haben mich bitte gerufen, Genosse Vorsteher?« fragte der Sekretär, sich leise in das Arbeitszimmer des Vorstehers schiebend. »Ja! Setzen Sie sich. Haben Sie’s gelesen?« »Jawohl, Genosse Vorsteher!« »Nun, und wie denken Sie darüber?« »Ich meine, daß man dagegen kämpfen muß, Genosse Vorsteher!« »Richtig! Kämpfen muß man, Genosse! So ein Skandal! Frißt sich da in den Apparat der Sowjetverwaltung der muffige Bürokratismus des alten Regimes hinein, und wir merken nichts! Das ist doch, entschuldigt schon, eine Schweinerei! Sogar die Zeitungen schreiben darüber! Aber, Hol’s der Teufel, ausgerottet muß er werden! Mit Stumpf und Stiel! Habe ich richtig gesprochen?« »Richtig, Genosse Vorsteher, sehr richtig!« »Das meine ich auch! Also, Genosse Sekretär, ergreifen Sie die nötigen Maßregeln! Auf dem üblichen Wege. Akt anlegen: Kontra Bürokratismus! Eiliger Sonderfall! usw. usw. Sie verstehen?« »Jawohl, Genosse Vorsteher!« »Nun, dann los, los, mein Teurer! Setzen Sie unverzüglich ein Projekt zur Ausrottung des Bürokratismus 21
auf, bringen Sie es zur Unterschrift meinem Vertreter, danach mir … Vervielfältigen Sie es, hängen Sie es als Anschlag aus … mit einem Wort, schmeißen Sie die Sache!« Nach einer Woche betrat der Sekretär mit einem dicken Aktenbündel das Büro des Vorstehers. »Haben Sie das Projekt entworfen?« »Jawohl!« ª8QGKDWPHLQ9HUWUHWHUVFKRQXQWHUVFKULHEHQ"© »Keineswegs!« »Und warum nicht?« ª:HLO,KU9HUWUHWHUDXI8UODXELVW© »Auf Urlaub? Hm. Und wer vertritt ihn?« ª6LHVHOEVWELWWHYHUWUHWHQLKQ*HQRVVH9RUVWHKHU© »Ich?« »Jawohl!« »Hm … Dann geben Sie das Projekt her, ich werde es durchsehen und unterschreiben in der Eigenschaft als 9HUWUHWHU PHLQHV 9HUWUHWHUV«XQG GDQDFK UHJLVWULHUHQ Sie es und legen mir das Projekt noch einmal vor, aber VFKRQ PLU LQ GHU (LJHQVFKDIW DOV 9RUVWHKHU 9HUVWHKHQ Sie?« »Ich verstehe!« Nach einigen Tagen rief der Vorsteher, gleich als er ins Amt kam, nach dem Sekretär. »Sagen Sie, wie steht es mit dem Projekt gegen den %URNUDWLVPXV"+DWPHLQ9HUWUHWHUXQWHUVFKULHEHQ"© 22
ª/HLGHU *HQRVVH 9RUVWHKHU ,KU 9HUWUHWHU KDW QRFK immer nicht unterschrieben. Er hat das Projekt bei sich EHKDOWHQ9HUVSUDFKHVGXUFK]XVHKHQ© »Aber was ist das für eine Schlamperei! … Ich werde gleich einen Bericht über die Unzulässigkeit widriger 9HU]|JHUXQJHQ LQ 6DFKHQ GLH YRQ %HGHXWXQJ IU GLH Allgemeinheit sind, aufsetzen … Hier, empfangen Sie das Schriftstück … Leiten Sie es über die Registratur! Setzen Sie den Stempel darunter und bringen Sie es meiQHP9HUWUHWHU]XU8QWHUVFKULIW© »Das heißt Ihnen?« ª1LFKWPLUVRQGHUQPHLQHP9HUWUHWHU© ª-DDEHU6LHYHUWUHWHQGRFK]XU=HLW,KUHQ9HUWUHWHU da er in Urlaub ist!« Gegen Mittag, als die Besucher schon in langer Reihe vor dem Arbeitszimmer des Vorstehers warteten, hörten sie hinter der Tür die laute Stimme des Vorstehers. »Was ist denn da los?« erkundigten sich endlich einiJH8QJHGXOGLJHEHLP6HNUHWlUª,VWGHU9RUVWHKHUKHXWH nicht zu sprechen?« »Doch!« antwortete der Sekretär. »Aber augenblicklich hat er keine Zeit. Er kämpft mit dem Bürokratismus!«
23
Goldene Kindheit von Valentin Katajew
D
er Plan der Kinder war: Am Tage der Gehaltzahlung in geschlossener Kolonne vor die Fabrikpforten zu marschieren, dort mit Fahnen und Plakaten die Väter zu erwarten und sie so zu bewegen, den erhaltenen Lohn nicht zu vertrinken. Es waren ihrer vier: Gawrik, Schurka, Filjka und die ganz winzige Sonja. Der älteste von ihnen, Gawrik, war das Haupt dieser Antialkohol-Organisation. Er hatte sowohl das Programm der Demonstration ausgearbeitet als auch die Mittel zum Erwerb der Fahnen und Plakate herbeigeschafft. Übrigens waren diese Mittel nicht übermäßig weitreichend. Es waren im ganzen zwei Rubel und vierzig Kopeken; und sie waren erworben auf GHP:HJHVFKZLHULJVWHU¿QDQ]LHOOHU7UDQVDNWLRQHQYRQ denen manche den Charakter eines Bank- oder reinen Handelsgeschäftes trugen, andere dagegen eher krimineller Art waren. Und zwar: einen Rubel und vierzig Kopeken hatte Gawrik von seinem laufenden Konto in der Ortssparkasse abgehoben. Dort besaß er nämlich ein kleines Kapital in der +|KH YRQ HLQ 5XEHO IQI]LJ .RSHNHQ±HKUOLFK ]XVDPPHQJHVSDUWH (LQQDKPHQ YRP WlJOLFKHQ 9HUNDXI GHU Abendzeitung. 24
Ein Zehner wurde im Safe belassen, ausschließlich zu dem Zweck: das laufende Konto nicht zu schließen und das Renommee nicht zu untergraben. Achtundsiebzig Kopeken stammten aus dem Verkauf einiger Kaulquappen mitsamt Einmachglas und Spirituslämpchen zum Erwärmen des Wassers. Ein unerhört niedriger Preis! Es tat einem direkt leid, für so wenig Geld zu verkaufen! Zwanzig Kopeken – ehrlich beigetragen von Filjka und Schurka – waren zaristischer Prägung, wurden jedoch in der Eile des Einkaufs für recht genommen. Die zwei letzten Kopeken aber, von Sonja beigebracht, trugen einen noch kriminelleren Charakter. Sie waren glattweg von der elterlichen Kommode geklaut. Unverzüglich hatte man das notwendige Material zur erfolgreichen Ausführung der bevorstehenden Antialkoholdemonstration angeschafft: einige Meter Leinwand, Nägel, Leim und Farbe und anderes mehr. Den ganzen Abend vor der Demonstration saßen die Kinder bei Gawrik in der Rumpelkammer, fabrizierten die Fahnen und Plakate und malten eifrig die Aufschriften und Losungsworte darauf. »Brennst wieder unnütz das Petroleum!« rief dazwischen einmal Gawriks Mama, mit dem Besenstiel an die Tür der Rumpelkammer klopfend. »Zanke nicht! Es ist ja unser Petroleum! Die Organisation hat es gekauft!« antwortete mit Baßstimme Gawrik, und die beschämte Mama verstummte sofort. Darauf trat Gawriks soeben erst wieder munter ge25
wordener Papa an die Tür der Rumpelkammer. Er rief nichts, klopfte auch nicht, lauschte nur interessiert und murmelte dabei kaum vernehmlich: »Schau nur einer an, diese Teufelskinder! Rascheln da und rascheln, aber weshalb sie rascheln, das weiß der … Geben keine Ruhe dem Arbeitsmenschen, diese Lebensblümlein! Pfui Teufel … Ein Gläschen würde jetzt nichts schaden!« »Ich werde dir: ein Gläschen!« ließ sich die Mama mit verdächtig leiser Stimme hören – »keine Kopeke ist mehr im Haus! Alles schon versoffen!« … Die Kinder gingen spät auseinander. Gawrik hängte sorgfältig die fertigen Fahnen und Plakate zum Trocknen auf und schlief bald darauf ein. »Teufel, Teufel!« murmelte finster der Papa, sich leise auf Fußspitzen zur Rumpelkammer schleichend. Ihn quälte die Neugierde. Er trat ein, suchte, im Dunkeln tastend, nach dem Lämpchen und zündete es an. In der dürftigen Beleuchtung erblickte er eine schöne grobe Leinwand mit der Aufschrift: »Greifst du nach dem ersten Glas, Das zweite schon ergreifet dich!« »Hm!« verzog der Vater das Gesicht. »Schau nur einer, was die Teufelskinder sich ausgedacht haben … Nach dem ersten greifst du, und das zweite also packt dich … Und das dritte also wieder du … Und das vierte wieder dich … Das fünfte du … Das sechste dich … Und so geht’s das ganze Leben lang …« Diese Überlegungen rührten ihn; ein paar Tränen rannen langsam über seine hageren Backenknochen. 26
»Übrigens ein Gläschen würde tatsächlich nichts schaden. Hm!« … Am anderen Tage warteten Filjka, Schurka und die ganz winzige Sonja, voller Ungeduld den Schnee tretend, vor Gawriks Haustor. Es war schon höchste Zeit, die Demonstration zu beginnen, aber Gawrik kam immer noch nicht. Endlich erschien er. Sein Gesicht war verzerrt. »Und wo sind die Plakate?« fragte die kleine Sonja, die die ganze Nacht von Trompeten und Fahnen geträumt hatte. »Papachen hat sie … gestern abend … versoffen …«, brachte Gawrik mühsam hervor. »Alsdann?« fragte mit hohler Stimme Filjka. »Verschiebung der Demonstration, wie?« »Abbestellung!« sagte Gawrik. Ein Krampf schnürte ihm die Kehle zusammen, und fast tonlos fügte er hinzu: »Auch meine Filzstiefel … hat er versoffen …« Erst da bemerkten die anderen, daß Gawrik barfuß auf dem Schnee stand. »… nicht so sehr um die Filzstiefel ist es schade, als … versteht ihr … und die Kaulquappen …«, würgte er endlich hervor, und in seinem Gesicht begann es krampfhaft zu zucken.
27
Ohne Protektion von Michail Sostschenko
D
er Ljedenzow Wanjuschka hat Arbeit bekommen. Wer hätte das gedacht? Der Mann nämlich hat weder Protektion noch besondere Bekanntschaften oder gar Parteiabzeichen – rein gar nichts dergleichen! Und doch arbeitet er jetzt im Trust! Da reden die Leute immer von Vetterleswirtschaft. Ach, die lügen ja! Der Wanjuschka Ljedenzow hatte nämlich im ganzen Trust nicht einen einzigen Bekannten. Das heißt, genau genommen, einen parteilosen Lastfahrer kannte er ja, aber das war nur ein Tagelöhner. Sagt selbst, was kann schon ein Lastfahrer im Tagelohn groß verrichten?! Bei diesem Lastfahrer also erschien eines Tages der bewußte Wanjuschka Ljedenzow. Stellt ihm ein paar Bierflaschen auf den Tisch und sagt: »Also, alter Freund, Protektion habe ich, wie du weißt, keine, in einer Parteizelle bin ich auch nicht – hilf du mir nach Möglichkeit!« Der Lastfahrer sagt: »Schwerlich werd‹ ich dir helfen können, du Gottesmensch. Das geht nicht so eins, zwei, drei – ohne Protektion. Du weißt es ja selbst!« Dennoch hat es wunderbar geklappt. Im vergangenen Jahr nämlich hatte der Lastfahrer dem Trustbuchhalter beim Umzug helfen müssen. »So und so«, sagt er jetzt, 28
»verehrter Genosse Buchhalter, Euren Möbeltransport hab ich seinerzeit glücklich ausgeführt. Habe Euch nichts zerbrochen, ausgenommen das eine Bein des Waschtischs. Aber das war ja schon angeknickt. Stellen Sie doch bitte den Wanjuschka Ljedenzow ein. Der Kerl hat keine Protektion. Überhaupt nichts dergleichen. In der Parteizelle ist er auch nicht. Der Bursche geht direkt zugrunde, ohne Protektion.« Der Buchhalter sagt: »Schwerlich, schwerlich, du lieber Mensch, wird es ohne Protektion zu machen sein. Wirklich«, sagt er, »ich kann dir nichts versprechen.« Da aber hat unser Wanjuschka Glück gehabt. Der dumme Kerl hat einen Glücksplaneten erwischt … Tags darauf nämlich kommt der Buchhalter zum kaufmännischen Direktor, legt ihm irgendein Papierchen zur Unterschrift vor und sagt: »Wissen Sie, Genosse Direktor, heute ohne Protektion zu sein, das ist geradezu – der Tod!« »Wieso?« fragt der Direktor mißtrauisch. »Nun so!« sagt der Buchhalter. »Da treibt sich hier so ein Bursche ohne Protektion herum. Und kann und kann nirgendwo eine Anstellung finden. Auch wir würden ihn, fürchte ich, kaum einschieben können …« »Gewiß!«, sagt der Direktor. »Wie soll man ihn denn auch ohne jede Beziehung unterbringen? Nein, ohne Protektion hat der dumme Kerl keine Aussichten!« Just in dem Augenblick kommt der Generaldirektor ins Zimmer. »Wovon«, sagt er, »ist hier die Rede?« 29
»Ja also«, sagen die beiden, »Genosse Generaldirektor, hier ist so ein Bürschchen, Ljedenzow mit Namen – ohne jede Protektion ist der Dummkopf und findet drum auch keine Anstellung …« Der Generaldirektor sagt: »Nun, laßt ihn kommen. Dann werden wir schon sehen. Genossen, es geht doch nicht immer nur – aus Freundschaft, aus Bekanntschaft, aus Verwandtschaft … Man muß auch dem Menschen ohne Protektion Achtung erweisen …« Und so hat man denn endlich Wanjuschka Achtung erwiesen! Da sagen die Leute noch: Überall herrsche Vetterleswirtschaft und Protektion! Nein, seht, es geht auch ohne!
30
Wolgadampfer von Michail Sostschenko
F
reunde rieten mir, in diesem Jahr eine Dampferfahrt auf der Wolga zu machen. So eine Dampferfahrt, sagen sie, sei die beste Erholung! Rundherum nur Wasser, Ufer und – Natur! Und überhaupt, das gute Essen! Und – man bedenke – eine Kajüte, für sich ganz allein! So bin ich denn ihrem Rate auch gefolgt. Ich habe eine Dampferfahrt auf der Wolga gemacht. Und bereue die Reise natürlich keineswegs, obwohl ich, um die Wahrheit zu sagen, auch keine übermäßige Begeisterung für dieses Flüßchen aufbringen kann. Was nämlich die Hauptsache ist: Mit den Dampfern hat‹s dort nichts als eine Schererei! Zweifellos sind die Wolgadampfer prächtig. Und ich selbst bin, kann man sagen, auf einem ganz erstklassigen gefahren. Nur kann ich mich, bedauerlicherweise, nicht mehr genau an seinen Namen erinnern. Ich glaube, er hieß »Genosse Potemkin«. Vielleicht aber auch nicht. Ich weiß es wirklich nicht mehr. Mein Gedächtnis hat infolge der späteren Aufregungen stark gelitten. Schließlich kommt‹s ja auch nicht auf den Namen an, sondern auf die nachhaltigen Reiseeindrücke. Und davon will ich sozusagen im Folgenden berichten. Wir legten in Samara an. Und gingen an Land. Eine kleinere 31
Gruppe nur: sechs Mann und ein parteiloses Dämchen. Natürlich, um die Stadt zu besichtigen. Sehen uns also die Sehenswürdigkeiten an. Und kehren zum Dampfersteg zurück. Ja, und sehen – unser Dampfer ist weg. »Brüderchen«, sage ich, »mir scheint, unser Dampfer ist weg!« Und tatsächlich – kein Genosse Potemkin ist mehr da. Aber es schaukelt da ein ganz anderer Dampfer. Allem Anschein nach der Gegendampfer! Nixe oder Najade – ich weiß es nicht mehr genau. Mein Gedächtnis hat, wie gesagt, auf dieser Reise arg gelitten. Es steht da also die Nixe oder Najade. Der Potemkin aber ist weg. Mir wurde es ganz übel vor Angst. Mein Gepäck – denke ich – ist in der Kajüte! Und die meisten Ausweispapiere auch. Und der Dampfer ist fort! Den anderen ging’s nicht besser. Ganz schwach vor Aufregung überlegen wir uns, was da nun zu tun sei. Schließlich fragen wir mit kläglicher Stimme die Umstehenden: »Wie lange ist denn der ›Potemkin‹ schon fort? Und mit welchem Dampfer, bitte schön, ist er wohl einzuholen?« Das Publikum antwortet: »Das Einholen ist nicht von Nöten! Da steht er ja, euer ›Potemkin‹. Nur heißt er jetzt ›Nixe‹. Ist aber der vormalige ›Potemkin‹! Umgetauft hat man ihn halt!« Unsere Freude war nicht zum Sagen. Wie wild stürzte sich die ganze Gesellschaft auf den Dampfer und kroch bis Saratow von demselbigen nicht mehr runter. In Saratow aber verließ ich allein den Dampfer. Nur auf ein halbes Stündchen. Ehrenwort! Und nicht länger! Rannte 32
in aller Eile zum Kiosk hin, kaufte ein Päckchen Zigaretten und gleich, marsch, marsch, wieder retour! Was sehe ich bei meiner Rückkehr schon von Ferne: Wieder ist der Dampfer fort. Ein anderes Prachtschiff an seiner Stelle. Mein Schreck war natürlich nicht so groß wie das erste Mal. Einige Chancen – denke ich – sind vorhanden! Vielleicht hat man die ›Nixe‹ wieder umgetauft?! Aber immerhin, ich will nicht lügen, erschrocken war ich doch! Ich komme näher und sehe: Die ›Nixe‹ ist tatsächlich fort. Und liegen tut da der ›Korolenko‹. »Wo ist denn die ›Nixe‹?« frage ich den Hafenlotsen. »Da liegt sie ja!« sagt er. »Nur ist es jetzt der ›Korolenko‹. Von Saratow ab.« »Tut euch denn«, frage ich, »die viele Farbe nicht leid?« »Ach«, sagt er – »was soll man da sagen – der frühere Name ist halt nicht mehr zeitgemäß! Entbehrt sozusagen der Aktualität. Und ist gar nicht wohlklingend, nicht wahr?« »In der Tat«, sage ich, »der neue Name ist für solch einen Dampfer viel passender!« Ich wollte eigentlich noch fragen, wer denn dieser Korolenko war oder ist – wohl gar ein Stoßarbeiter aus den Wolganiederungen – aber ich tat es dann doch nicht, weil ich nämlich dem Bootsmann an der Nase ansah, daß er selbst nicht im Bilde war. Später allerdings wurde ich aufgeklärt, daß selbiger Korolenko sogar ein Schriftsteller gewesen ist. 33
Die Reise ging alsbald weiter. Der Name freilich wurde nicht mehr geändert. Ja, direkt bis nach Astrachan schwammen wir unter der gleichen Flagge. Zurück aber fuhr ich mit der Eisenbahn. Auf dem Landwege. So daß ich über das weitere Schicksal des ›Genossen Korolenko‹ nichts auszusagen vermag.
34
Die Heilsitzung von Michail Sostschenko
I
ch kann, Genossen, mit Stolz sagen: In meinem ganzen Leben habe ich noch keinen Arzt totgeschlagen. Freilich hatte ich einmal mit einem Arzt einen Zusammenstoß, aber außer einer mündlichen Auseinandersetzung und dem Herumfuchteln mit Gegenständen fand nichts Außergewöhnliches und Tadelnswertes statt. Ich habe diesen glatzköpfigen Teufel nicht einmal mit dem kleinen Finger berührt, obgleich mir, um die Wahrheit zu sagen, sehr die Hand juckte. Nur die Vernunft hielt mich davon zurück – sonst hätte ich ihm, bei Gott, eine gelangt. Diese vollkommene Vernunft ließ auch nicht zu, daß ich die Hand gegen die medizinische Gemahlin erhob. Sie aber hat mich, Brüderchen, sehr undamenhaft aus dem Vorraum gedrängt. Und dabei brüllte diese Canaille noch, als ob ich sie in die Seite gestoßen hätte. Aber solch ein Weibsbild, Brüderchen, wirst du nicht in die Seite stoßen, ohne daß sie sich rittlings auf dich ’rauf setzt und bis zur nächsten Straßenecke mitreitet. Ich kam, Genossen, zu diesem Arzt wegen einer unaufschiebbaren Sache. Um mich nämlich – hypnotisieren zu lassen. Ich bat ihn, mir zu suggerieren – daß ich das Rauchen aufgebe. Denn dies Laster hatte mich schrecklich gepackt: ich rauchte und rauchte eine Ziga35
rette nach der anderen und konnte einfach nicht genug davon bekommen. Die Zunge schwoll, und das Geld ging zum Teufel! Ich ging also, wie man mir geraten hatte, zu diesem Arzt und erklärte ihm den Fall. Er sagt: »Das machen wir im Handumdrehen!« Und setzte mich auf einen Sessel, befahl mir das Rauchzeug aus den Taschen ’rauszunehmen und begann mit den Händen vor meiner Schnauze herumzufuchteln und irgendwas dabei zu murmeln. Und mit einemmal überkam mich tatsächlich eine große Müdigkeit. Ich schloß die Augen und dachte an gar nichts mehr. Daß ich bloß nicht – denke ich – das Rauchzeug hier auf dem Tisch vergesse! In dem Augenblick sagt der Doktor: »Fertig! Die Heilsitzung ist beendet!« »Also!«, sage ich, »dankeschön!« Ich nahm meine Brieftasche heraus, bezahlte ihn und ging nach Hause. Auf der Treppe überfiel mich plötzlich eine Unruhe. »Herrgottchen!«, denke ich, »wieviel habe ich denn bloß diesem Teufel gegeben?« Und ich besinne mich dann auch: es waren in meinem Notizbüchlein ein Rubelschein, ein Dreier und ein Fünfer. Ich mache das Büchlein auf – der Rubel ist da und der Dreier auch – der Fünfer aber ist futsch! »Himmel, Herrgott!«, denke ich, »hab ich ihm doch aus Versehen den allergrößten Schein in die Hand gesteckt, hol’s der Teufel!« Ich komme heim und heule fast – so sehr tut mir der Fünfer leid. Zu Hause sagt mir die Ehegattin: »Du«, 36
sagt sie, »hast ja diese neumodische Heilsitzung selbst gewollt? Also«, sagt sie, »mußt du auch tüchtig blechen. Dieser Teufelskerl hat dir suggeriert, ihm statt des Rubels den Fünfer zu geben, und du Trottel hast auch hübsch artig bezahlt. Gescheiter wär’s«, sagt sie, »du blöder Teufel hättest weiter geraucht, statt den Ärzten Fünfrubelscheine in den Rachen zu schmeißen!« Da ging auch mir ein Licht auf. Das ist ja richtig – denke ich. Er hat mir das suggeriert. Ach! – denke ich, so ein Gauner! Ich zog mich sofort wieder an und rannte stracks zu ihm. »Vergreifen«, sage ich, »werde ich mich an Ihnen nicht! Die Vernunft«, sage ich, »verbietet es mir, mich an den Ärzten zu vergreifen, aber«, sage ich, »es ist sehr unvorsichtig, solche Ideen zu suggerieren …« Er aber hatte sich, scheint’s, ziemlich erschreckt und gab mir gleich das Geld zurück. »Jetzt«, sage ich, »gibst du das Geld zurück, aber vorhin – was hast du dir da gedacht? Ha? Das ist mir auch ’ne Praxis!« In diesem Augenblick erscheint die Gemahlin des Mediziners. Und da gab’s den Zusammenstoß. Dem Arzt aber habe ich wirklich kein Haar gekrümmt. Das verbietet mir schon mein Verantwortungsgefühl! Vergreifst du dich nämlich an ihnen – kannst du dich nachher auf allen Gerichten herumschlagen! Das Rauchen aber habe ich tatsächlich aufgegeben. Er hat mich doch geheilt, dieser Teufel, dieser glatzköpfige!
37
Die musterhafte Vorsitzende von Wjatschislaw Schischkow
E
s war unserem Dorf in der Steppe anbefohlen worden, eine Frauenfraktion zu organisieren. Nun, selbstverständlich, wir organisierten sie. Die Vorsitzende wurde Fjokla Pachomowa, schwarz, dunkelhäutig wie eine Zigeunerin. Und ein teuflisch böses Weib dazu. Nicht mit Pfeffer zu füttern! Wie die die Weiber aufhetzte – das wurde ein bitteres Leben für uns arme Bauern! »Ach, ihr Säufer!« ging es den ganzen Tag. »Ihr Lumpen, ihr verfluchten! Wir werden euch schon zeigen …« Und wenn man seine eigene Frau was tun hieß, prost Mahlzeit! lautete gleich die Antwort: »Scher dich zum Teufel! Wir sind nicht eure Sklavinnen mehr! …« Ja, und wenn man sie dann ganz vorsichtig zur Vernunft zu bringen versuchte, drosch sie einem zur Antwort mit dem großen Schürhaken die Fresse ein und stürzte davon mit großem Geschrei und Geheul in die Frauenfraktion: »Hilfe! Hilfe! Er schlägt mich zu Tode!« Aber was zum Teufel ist das schon für ein Totschlagen, wenn man selbst am Waschtisch steht und das unschuldige Blut aus der Nase nur so fließt … Manchen Mann hat die Vorsitzende Fjokla Pachomowa – daß sie im seichtesten Wasser ersaufen möge! – bei Gericht verklagt, er habe seine Frau zum Krüppel geschlagen! Und was war das Ende? Sind unsere Volksge38
richte überhaupt Gerichte? Die Frauen kamen zur Verhandlung, rot- und pausbäckig, die Männer aber hatten unter den Augen ganze Laternen. Einer humpelte sogar! Doch ungeachtet solcher zwingenden Anzeichen verurteilte man die Männer zum Absitzen und zur Geldstrafe. Ja, die Weiber! Dieser schreckliche Terror dauerte an bis zum Herbst. Im Herbst wurde Fjokla Pachomowa in die Stadt abkommandiert, denn sie war eine ganz Gescheite – des Lesens und Schreibens kundig. Die Weiber des Dorfes begleiteten sie mit Geheul; die Männer aber triumphierten: »Nun, ihr Langhaarigen, aus ist’s mit eurer Kirchweih! Wen wollt ihr nun zur Vorsitzenden, hol euch der Teufel?« Die eine konnte nicht, die andere wollte nicht, die dritte hatte Angst. So wurde also niemand gewählt. Doch aus der Kreisstadt kam nochmals der Befehl – zu wählen! Wir ratschlagten und berieten uns: »Halt!« denken wir, »laßt uns doch einen Mann zur Vorsitzenden wählen!« Unser Dorfsowjet, der Müller, sagte: »Was ist, Brüderchen, unser Dorf ist das letzte im ganzen Bezirk, hinter uns sind nur Steppe und Sumpf auf hundert Werst im Umkreis! Zu uns wird schon keine Revisionskommission den Weg finden! Laßt uns doch den Nastasej wählen. Sein Name ist sowieso ein halber Weibername.« »Ich habe nichts dagegen, Brüderchen«, meinte Nastasej zaghaft. »Bin einverstanden, sozusagen … Und der Name geht ganz gut… scheint’s mir… Wenn es bloß kein Unglück gibt …« 39
»Ha! Wieso denn! Große Sache, einmal im Monat ein Papierchen zu unterschreiben! Schreib den Namen recht unleserlich, und Schluß!« »Ja, es ist ja nicht wegen der Leserlichkeit! Nur … wie soll ich sagen … ich meine nur … wenn nun plötzlich jemand kommt?« »Was ist, Brüderchen, wollen wir Nastasej zur Feier seiner Ernennung fünf Pudchen Mehl zusammenschütten? Und vielleicht ein Viertel Branntwein erster Sorte – einverstanden?« Es war also von der Zeit an Nastasej die Vorsitzende der Frauenfraktion. Für die Männer begann jetzt ein leichtes Leben, die Weiber aber hatten nichts zu lachen. Da, auf einmal, guten Tag! – kommt irgend so ein vorbeireisender Kommissar angerollt und direkt zum Dorfsowjet, dem Müller Wawila Tschetwergow. Nun, hin und her, Fragen und Fragen: »Was ist, wie steht es, warum ist kein Lesehaus da, warum gibt es noch keinen Komsomol, arbeitet die Frauenfraktion?« Wawila wurde puterrot. »Erweisen Sie uns die Ehre, *HQRVVH HLQ ZHQLJ 7HHFKHQ PLW XQV ]X WULQNHQ 'LH )UDXHQIUDNWLRQDUEHLWHWEHLXQVDXVJH]HLFKQHW'LH9RUsitzende ist die Genossin Nastasja Skoworoda, führt das $PWRUGQXQJVJHPlSDUWHLJHPl±PXVWHUKDIWVR]XVD gen!« ª.|QQW¶LFKVLHPDOVSUHFKHQ"© ª'DVLVWOHLGHUJDQ]XQP|JOLFK6LHOLHJWVDJWPDQLP :RFKHQEHWW'DV.LQGFKHQVROOVFKHLQW¶VWRWVHLQ© 40
»Dann werde ich sie besuchen. Wo wohnt sie?« Wawila sank das Herz tiefer, das feiste Bäuchlein schrumpfte ein. »Nicht doch, nicht doch, Genosse … wie war doch Euer Name … Sie wohnt ganz weit draußen im Wald … es VROOHQGRUWVDJWPDQWROOH:|OIHKHUXPOXQJHUQ«(LQ :ROIXQGHLQH:|O¿QHLQJDQ]HV3DDU«© 'HU .RPPLVVDU DEHU EOLHE EHL VHLQHP WHXÀLVFKHQ ª,FKP|FKWHGHQQRFKPLWLKUVSUHFKHQ© »Hilfe!« raunte Wawila seinem Weib zu und rannte, PDUVFK PDUVFK LQV 'RUI /LHI DOOH +WWHQ DE±ZHQQ doch nur ein Weib sich einverstanden erklärte, für ein +DOEVWQGFKHQGLH9RUVLW]HQGH]XVHLQ Danach stürzte Wawila zu Nastasej Skoworoda und legte sogleich los: »Schafskopf, du räudiger! Hast den Weiberposten anJHQRPPHQ-HW]WKDVWGX¶V.RPPWPLWGDPLWZLUQLFKW alle krepieren! Aus der Stadt ist einer da, will dich sprechen.« »Oi, oi! Ich lauf in den Wald!« begann Nastasej zu VFKORWWHUQXQGOLHI]XU7U ª,FK ODXI LFK ODXI© K|KQWH :DZLOD XQG SDFNWH LKQ »Du Dummkopf! Er will nur die Bücher sehen. Wenn er die Weiber zusammenruft, wird es schlimmer sein! 6FKHUGHLQHQURWHQ%DUWJHVFKZLQG'DGLFKGHU7HXIHO fresse! …« Nach einer Stunde war Nastasej in eine Nastasja verwandelt. Sein Weib knüpfte ihm das Kopftuch, und sie wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. 41
ª6RJHKW¶VVLFKHU©PHLQWHJDQ]DXIJHKHLWHUWGHU0OOHU ª'HU .RPPLVVDU VLHKW VFKHLQW¶V QLFKW UHFKW 8QG ein Weiberstimmchen hast du auch, Gott sei Dank! +|UPDO0WWHUFKHQ'DUMDVWRSILKPGRFKQRFKHWZDV )ODFKV « MD MD GDKLQ « 6R VR LVW¶V ULFKWLJ :LH JHwachsen! … He, he! In dem Sarafan heiratet dich ein MHGHU/RV*HKHQZLUMHW]W9HUSIXVFKEORDOOHVQLFKW mit deiner Jammermiene. Zieh ein freundliches Gesicht, so, mit ein wenig Anmut …« Die Vorsitzende Nastasja erstattete an Hand ihrer Bücher dem zugereisten Kommissar Bericht. Sie stotterte, lispelte, das Stimmchen zitterte, die Hände, die die Bücher hielten, flogen. ª:DVKDE¶LFKJHVDJW$OOHVLQ2UGQXQJ Genosse …« strahlte der Müller wie ein Namenstagskind. »Sie ist ein strammes Weibchen, ein gescheites! Erfüllt ihr Amt ordnungsgemäß, parteigemäß!« »Man sagt, Sie hätten eine unglückliche Entbindung gehabt?« »Nein, nein!« antwortete Nastasej hastig und zog sein 7XFKWLHIHULQV*HVLFKWª%HLXQVVLQGGLH*HEXUWHQDOOH ordnungsgemäß, glücklich, ja!« ª1HLQQHLQ6LHSHUV|QOLFKPHLQHLFK© ª'DV KDE¶ LFK HQWVFKXOGLJW VFKRQ JDQ] YHUGUHKW© mischte sich der Müller ein. »Das war nämlich eine ganz DQGHUH )UDX 'LH KDW WDWVlFKOLFK ZHL GHU 7HXIHO HLQ ganz totes Kind geboren, ja!« 'HU.RPPLVVDU|IIQHWHSO|W]OLFKGDV)HQVWHUXQGULHI hinaus auf die Straße: 42
»He, ihr Mütterchen, kommt mal beide auf ein paar Minuten herein!« 1DVWDVHM VFKLHQ HV SO|W]OLFK DOV RE LKP XQWHU GHP Halstuch das rote Bärtchen von neuem hervorwuchs. In die Hütte traten inzwischen zwei angeheiterte Weibchen; nach dem Bad hatten sie sich etwas Selbstgebrannten zu Gemüte geführt. ª1XQZLHLVW¶V0WWHUFKHQ©IUDJWHGHU.RPPLVVDU VHLGLKUPLWGHU9RUVLW]HQGHQGHU)UDXHQIUDNWLRQ]XIULHden?« Nastasej ächzte vor Schreck und hielt sich krampfKDIWDP7LVFKUDQGIHVW'HU0OOHUDEHUZDUJOHLFK6HLWH an Seite mit den Weibchen. »Helft aus der Patsche, ihr /LHEFKHQ© ÀVWHUWH HU LKQHQ ]X XQG VWULFK VRJDU GHU Dickeren zärtlich über die breiten Hüften. ª8QVHUH9RUVLW]HQGH±DFKGLH©ZDUIHQVLFKGLH0WWHUFKHQOXVWLJH%OLFNH]Xª(LQHKDDULJHElUWLJH9RRUsitzende! Hi, hi, hi! Daß euch der …« Nastasej wurde blaß, schlug die Händchen zusammen, begann zu wanken. Der Müller schrie: »Raus mit HXFKLKUEHVRIIHQHQ6FKZHLQH±HVVLQGGLH'RUIEO|GHQ OLHEHU*HQRVVHXQGEHVRIIHQGD]X±5DXV©$EHUZLH die Katzen, mit gekrümmten Rückken schossen unsere Basen auf Wawila los. »Ach! Du Dickwanst«, kreischten beide auf einmal, »wir pfeifen drauf, daß du Dorfsowjet bist! Und warum nimmst du zwei Kopeken mehr 0DKOJHOG" +H" ,VW GDV LQ 2UGQXQJ" 3IXL 7HXIHO +|U nur zu, Genosse aus der Stadt, wir werden dir die ganze Wahrheit sagen … Er ist ein Unhold, mit dem Bösen im 43
Bunde … So ein Dorfsowjet ist das! Pfui Teufel! Und er hat uns, das Scheusal, einen rothaarigen Bauern in die Frauenfraktion gesetzt!« »Wie?« staunte der Kommissar. »Hier ist ja eure Vorsitzende!« »Pfui Teufel!« spuckten beide Basen aus. »Da hat er, der Dickwanst, scheint es, eines seiner Liebchen hergebracht! Er hat ihrer …« Nastasej schrie vor Schreck auf und schlug der Länge nach zu Boden. »Eine Ohnmacht! Schnell, Wasser her!« rief geschäftig der Kommissar. Die Weiber stürzten hinzu. Eins, zwei! Die Bluse auf! Herrje! nur Flachs! Nach zehn Tagen gab es in unserem Dorf laut Verordnung aus der Kreisstadt Neuwahlen, für die Frauenfraktion und für – den Dorfsowjet.
44
Lob des Automobils von Michail Sostschenko
U
nlängst war ich bei einem bekannten Ingenieur zu Gast. Dieser Ingenieur aber zeichnet sich vor allen anderen dadurch aus, daß er ein Automobil sein eigen nennt. Ich weiß nicht, wie auf andere Leute der Besitz eines Automobils sich auswirkt – diesen meinen Bekannten jedenfalls hat die Maschine total verändert. Früher war Nikolai Petrowitsch ein lieber Mensch, und es war recht unterhaltend, bei ihm zu Gast zu sein. Jetzt aber ist er rein wie verhext. Alle seine Gedanken drehen sich nur noch um die Autoindustrie. Und von nichts anderem war bei ihm neulich die Rede. Wer die Frechheit besaß, ein anderes Thema anzuschneiden, kränkte ihn tief. Nachdem wir Gäste uns bis drei Uhr nachts mit Gesprächen über die Besonderheiten dieser oder jener Automarke abgequält hatten, waren wir froh, aufzubrechen. Da aber sagte unser Gastgeber mit huldreichem Lächeln: »Meine teuren Gäste, befänden Sie sich an einem anderen Ort, so würden Sie jetzt hübsch zu Fuß nach Hause trotten, von hier aber sollen Sie mit dem Auto nach Hause fahren. Gleich werde ich meinen Chauffeur anrufen und das Auto hierher bestellen. Wie gefällt Ihnen nun das?« 45
Die Gäste äußerten ihr Entzücken, und der Hausherr ging zum Telefon. Als er zurückkam, sagte er: »Gleich wird das Auto da sein! Die einzige Unbequemlichkeit, wissen Sie, ist, daß unsere Garage in einem anderen Stadtteil liegt und der Chauffeur draußen hinter der Hafensperre wohnt. Aber ich habe ihn angewiesen, sich unverzüglich zur Garage zu begeben. So sehr weit hat er es auch gar nicht – zu Fuß etwa fünfzehn bis zwanzig Minuten.« Die Frau des Ingenieurs meinte: »Ach, Kolja, schade, daß du ihm nicht befohlen hast, ein Taxi zu nehmen. Er wäre im Nu in der Garage!« »Ach ja, natürlich!« sagte der Hausherr und strahlte. »Ich denke immer nicht daran! Gleich rufe ich den Chauffeur noch einmal an, er ist sicher noch nicht fortgegangen.« Der Chauffeur war tatsächlich noch zu Hause. Und Nikolai Petrowitsch befahl ihm, ein Taxi zu nehmen, um schneller zur Garage zu gelangen. Einer von den Gästen meinte zwar: »Hören Sie, am einfachsten wäre es, Ihr Chauffeur käme gleich mit dem Taxi her!« Aber dieser Einfall versetzte Nikolai Petrowitsch in Erstaunen und Bestürzung. »Na hören Sie!« sagte er. »Ein eigenes Auto besitzen und dann die Gäste im Mietauto nach Hause fahren! Nein, das lasse ich nie und nimmer zu!« Wir warteten. Nach zwanzig Minuten schrillte das Telefon. Es war der Chauffeur. Der Hausherr hörte ihn an und wandte sich dann ganz verlegen zu uns: »Der 46
Chauffeur sagt eben, daß er kein Taxi finden kann. Er ist, stellen Sie sich vor, bis zum Bahnhof gegangen und hat dort auch eins angetroffen, aber das will ihn nicht fahren, es sei ihm nicht am Wege. Ich werde meinem Chauffeur sagen, er soll zu Fuß bis zum Zentrum gehen und dort ein Taxi nehmen.« Einer von den Gästen meinte wieder: »Vielleicht aber sollten wir doch mit dem Taxi fahren, das Ihr Chauffeur gleich holen wird?« »Das ist ein Gedanke!« rief Nikolai Petrowitsch. »Ich lasse meinen Chauffeur mit dem Taxi hierherkommen, und von hier bringt Sie das Taxi im Nu zur Garage. Und dann … seien Sie unbesorgt! Sie brauchen bloß zur Garage zu kommen!« Nach weiteren zwanzig Minuten stand das Mietauto vor der Tür. Ein Gast sagte seufzend: »Im Grunde genommen ist das saudumm! Da hat man ein Taxi zum Nachhausefahren vor der Nase, statt dessen fährt man weiß Gott wohin!« Der Hausherr aber sagte leise: »Nein, ich bitte Sie, das geht nicht! Ich habe doch den Chauffeur aus dem Schlafe geholt. Er treibt sich nun schon über eine Stunde auf den Straßen herum. Nein, wirklich, ich bitte Sie, jetzt schon mitzufahren!« Die Gäste fügten sich. Aber da ein Sitz vom TaxiChauffeur und ein anderer vom Chauffeur des Ingenieurs besetzt waren, blieben nur noch drei Sitze frei. Wir Gäste aber waren fünf an der Zahl. »Eins, zwei, drei, vier, fünf!« zählte Nikolai Petrowitsch. »Schade, daß mein Chauffeur nicht zwei Taxi 47
mitgebracht hat. So weiß ich wirklich nicht, wie man es anstellen soll… Wollen wir es so machen: drei Gäste nehmen die hinteren Sitze ein, und zwei warten hier an der Tür auf mein Auto?« Die Gäste schwiegen verlegen. »Oder nein!« sagte der Ingenieur. »Machen wir es so: ein Gast und der Chauffeur bleiben hier, und die anderen fahren zur Garage.« »Nein, so geht es nicht!« bemerkte die Frau des Ingenieurs. »Weil niemand unser Auto hierher fahren kann!« »Richtig!« sagte Nikolai Petrowitsch. »Wie schade, daß es fünf Gäste sind und nicht drei! Mit dreien würden wir im Nu zurechtkommen! Dann machen wir es so: vier Gäste fahren, und ein Gast und der Chauffeur folgen ihnen langsam zu Fuß!« Daraufhin empfahl sich einer von den Gästen unbemerkt auf französisch, aus Furcht, daß man ihn zu Fuß zur Garage schicken würde. Es blieben vier. Der Ingenieur aber meinte: »Jetzt geht’s eher! Jetzt machen wir es so: drei Gäste und der Chauffeur fahren mit dem Taxi. Der vierte Gast hat die Wahl, hier zu warten oder langsam zu Fuß zur Garage zu gehen. Der vierte Gast antwortete: »Seht, da fährt ein Lastomnibus! Meine Empfehlung! Ich hänge mich lieber da ran!« Er erwischte im Laufen das hintere Trittbrett und war bald in der nebligen Ferne verschwunden. Beleidigt sagte Nikolai Petrowitsch: »Er hat nur selbst den Schaden, daß er nicht aufs Auto warten wollte! Steigen Sie also ein und fahren Sie mit Gott!« 48
Dann wandte sich der Chauffeur an den Ingenieur und sagte verdrießlich: »Nur vergessen Sie nicht, Nikolai Petrowitsch, mir Geld für die Taxe zu geben. Auch für das Taxi heute morgen habe ich zwölf Rubel aus eigenem ausgelegt.« Nikolai Petrowitsch wühlte in seiner Brieftasche, gab dann dem Chauffeur das Geld und sagte traurig: »Ja, diese Taxifahrten gehen ins Geld!« Und seine Frau nickte dazu: »Meiner Ansicht kosten sie dich nicht weniger als dreißig Rubel im Tag!« Endlich fuhren wir los. Unterwegs versuchten wir den Chauffeur zu überreden, uns direkt nach Hause zu fahren. Wider alles Erwarten war er sofort einverstanden. Er freute sich sogar über den Vorschlag. »Das wird das Allervernünftigste sein!« sagte er. »Denn es ist schon vorgekommen, daß ich Gäste zur Garage brachte, und wir dort dann die halbe Nacht totschlagen mußten. Bis wir die Wache aufgeweckt hatten, bis ich den Motor in Ordnung hatte, und dies und jenes, gingen auch schon die ersten Straßenbahnen, und die Gäste fuhren dann alle damit nach Hause. Allein, ich fürchte« – fügte der Chauffeur des Gastgebers hinzu —, »daß mein Geld jetzt nicht langen wird. Immerhin machen wir dann einen weiteren Weg, und das viele Anhalten …« Wir gaben dem Chauffeur je fünf Rubel, und er sagte uns, daß es jetzt am Ende gar langen würde und er schlimmstenfalls seine Wohnung zu Fuß erreichen könnte.
49
Der Wunderpuder von Michail Sostschenko
B
ei meinen Bekannten, den Gußjews, wohnte ein Deutscher. Hatte ein Zimmer gemietet und blieb fast zwei Monate da. Ein echter Deutscher aus Berlin. Russisch konnte er nicht die Bohne. Mit seinen Wirtsleuten verständigte er sich durch Zeichen und Winke. Gekleidet war er natürlich blendend, dieser Deutsche. Weiße Wäsche. Die Hosen, ein Bein wie’s andere, so egal. Mit Bügelfalte. Ein Bild geradezu! Und als dieser Deutsche abreiste, ließ er so manches seinen Wirtsleuten zurück. Einen ganzen Haufen ausländischen Guts. Verschiedene Fläschchen und Gläschen, Kragen und Schächtelchen. Außerdem zwei Paar Unterhosen und einen fast neuen Pullover. Die Kleinigkeiten – sowohl für männlichen als weiblichen Bedarf – gar nicht zu nennen! Das alles lag zu einem Haufen zusammengeworfen in der Ecke beim Waschtisch. Die Wirtin, Madame Gußjewa, eine ehrliche Dame, man kann nichts gegen sie sagen, gab dem Deutschen vor seiner Abreise durch einen Wink zu verstehen: Sozusagen, »bitte sehr, haben Sie nicht in der Eile die ausländischen Schätze da zu vergessen geruht?« Der Deutsche aber schüttelte den Kopf: Sozusagen, »nein, bitte, poschaluista, nehmen Sie es nur an sich! Ist ja nicht der 50
Rede wert!« Da stürzten sich unsere Gußjews wie die Geier auf die dagelassenen Sachen. Er, Gußjew, machte sogar ein genaues Verzeichnis. Und zog natürlich sofort den Pullover über und riß die Unterhosen an sich. Zwei Wochen stolzierte er im Hause umher, die Unterhosen in der Hand. Zeigte sie allen und prahlte ganz abscheulich damit und lobte die deutsche Ware. Und die Sachen waren wirklich, wenn auch getragen, echte, gute ausländische Ware. Angenehm anzuschauen! Unter anderem war da unter den nachgelassenen Schätzen eine flache Büchse mit Pulver. Ein feines rosa Pulver. Von ziemlich sympathischem Duft. Fast wie Flieder. Nach dem ersten Jubel begannen die Gußjews zu raten, was das wohl für ein Pulver ist. Sie rochen daran, kauten es mit den Zähnen, streuten davon aufs Feuer, aber erraten konnten sie es dennoch nicht. Gußjew trug es im ganzen Haus herum, zeigte es dem Studenten und sonst noch verschiedenen Hausintelligenzlern, aber klüger wurde er davon nicht. Manche erklärten es für Puder. Andere meinten, es sei feiner deutscher Talk für Säuglinge. Gußjew sagte schließlich: »Feinen deutschen Talk brauche ich nicht. Neugeborene Säuglinge habe ich nicht. Lassen wir es also Puder sein! Ich werde mir täglich nach dem Rasieren die Schnauze damit betupfen. Man muß schließlich, wenn auch nur einmal, wie ein Kulturmensch leben!« Und also beginnt er, sich zu rasieren und zu pudern. 51
Nach jedem Rasieren geht er rosig und blühend einher und strömt geradezu Wohlgerüche aus. Um ihn herum natürlich neidvolle Blicke und Fragen! Und Gußjew lobte heiß und oft die deutsche Ware. »Wieviel Jahre«, sagte er, »habe ich nicht meine Persönlichkeit mit russischem Dreck verunstaltet! Jetzt endlich habe ich die richtige Ware gefunden! Und wenn«, sagt er, »dieser herrliche Puder zu Ende sein wird, weiß ich einfach nicht, wie es weitergehen soll! Wenn man sich doch wenigstens noch ein weiteres Büchschen davon verschreiben könnte!« Nach einem Monat, als der Puder schon zu Ende ging, kam ein bekannter Intelligenzler zu Gußjews. Als man ihm beim Abendtee die Büchse zeigte, erklärte er sofort: »Deutsches Flohpulver!« Ein anderer wäre durch diese Erklärung natürlich arg deprimiert worden. Und vielleicht hätte sich bei ihm vor lauter hypochondrischem Ekel das Gesicht noch nachträglich mit Pickeln und Pusteln bedeckt. Aber nicht solch einer war unser Gußjew. »Ja, da sieht man es!« rief er begeistert. »Das ist Qualitätsware! Das nenne ich Errungenschaft! Taugt für alles! Willst du, puder dir die Visage damit, hast du Bedarf, streu es gegen die Flöhe! Und wir, was haben wir dagegen?« Entzückt betrachtete Gußjew einige Minuten lang die letzten Reste des Wunderpuders. Dann fügte er hinzu: »Drum! Ich staune schon die ganze Zeit! Meinen Sie, ein Floh hätte mich gebissen? Meine Frau, Madame Gußje52
wa, beißen sie nach wie vor. Die Söhne juckt’s Tag und Nacht erbärmlich. Und Ninka, der Hund, kratzt sich auch verzweifelt. Nur ich, sehen Sie, gehe herum, kein Floh stört mich! Wenn auch bloß Insekten, aber die Rakker spüren doch gleich die gute deutsche Ware!« Seit einigen Tagen ist Freund Gußjews Wunderpuder zu Ende. Wahrscheinlich beißen auch ihn wieder die Flöhe!
53
Glatt ist’s, Genossen! von Michail Sostschenko
B
asta! Schluß damit! Nein, Mitleid kennt mein Herz nicht mehr. Gestern noch, bis sechs Uhr abends, fühlte und empfand ich mit allen Menschen, heute aber kann ich’s nimmer, Brüderchen! Den Schlußpunkt hat die menschliche Undankbarkeit gesetzt! Gestern, bitte schön, habe ich wegen dieser meiner Liebe zum Nächsten argen Schaden genommen, ja, ich werde vielleicht sogar in allernächster Zukunft vor dem Volksgericht erscheinen müssen. Basta! Schluß damit! Zu Stein wurde mein zartes Herz! Auf meine Hilfe kann der liebe Nächste nicht mehr bauen. Gestern aber ging ich spazieren. Ich gehe also auf der Straße und sehe eine Volksmenge, die sich an einem Torweg angesammelt hat. Und irgend jemand stöhnt jämmerlich. Und irgendeiner fuchtelt mit den Händen. Ein Unglück ist passiert, sehe ich. Ich gehe natürlich ran. Und frage, was los ist. »Ja, also«, sagt man mir, »hier hat sich ein Genosse das Bein gebrochen. Und kann nicht mehr gehen.« »Ja«, sage ich. »Da ist’s natürlich nichts mehr mit dem Gehen!« Ich drängte mich gleich durch die Volksmenge. Bis zum Orte des Geschehens. Tatsächlich, da liegt so ein 54
armseliges Kerlchen auf dem Gehsteig. Blaß das Gesicht, und das Bein in der langen Hose offensichtlich kaputt! Und so liegt es, das arme Herzchen, den Kopf auf den Prellstein gestützt und murmelt: »Arg glatt ist’s, Genossen! Entschuldigt schon. Bin ausgerutscht und hingefallen. Und kein Bein hält ewig!« Ich habe ein weiches mitleidiges Herz und kann nicht sehen, wie ein Mensch auf der Straße umkommt. »Brüderchen«, sage ich. »Es ist vielleicht ein Mitglied des Sowjets! Man muß doch etwas unternehmen, auf alle Fälle!« Ich stürze in die Telefonzelle. Und fordere die »Schnelle Unfallhilfe« an. Schon kommt der Krankenwagen angefahren. In weißen Kitteln entsteigen ihm vier Ärzte. Jagen das Publikum auseinander und betten den Verunglückten auf die Tragbahre. Doch sehe ich, daß der Verunglückte gar nicht wünscht, auf die Tragbahre gebettet zu werden. Er stößt alle vier Ärzte mit seinem übriggebliebenen gesunden Bein von sich und läßt niemand ran. »Macht, daß ihr wegkommt, zum Teufel!« sagt er. »Alle vier! Ich«, sagt er, »hab’s doch eilig, heimzukommen!« Und ist selbst, wissen Sie, dem Heulen nahe. Was für eine schreckliche Verwirrung der Sinne! – denke ich. Es gibt noch einige Unruhe und Bestürzung, und dann höre ich plötzlich meinen Namen rufen. »He du, Onkelchen«, sagen die vier, »bist du’s, der soeben den Wagen der ›Schnellen Unfallhilfe‹ angefordert hat?« »Jawohl!« sage ich. »Nun alsdann«, sagen sie, »wirst du dich wegen Sabotage zu verantworten haben – nach allen strengen Re55
geln des Gesetzes! Weil du unbedacht und ganz umsonst den Krankenwagen angefordert hast; der Genossse da hat nur sein künstliches Bein gebrochen.« Sie schrieben meinen Namen auf und waren schon, wie sie gekommen, auf und davon. Sagt selbst, soll ich, nach solcher Erfahrung, noch weiter mein edles mitleidiges Herz strapazieren? Die mögen vor meinen Augen und von mir aus selbst einen Menschen totschlagen – ich glaub’ nicht dran! Denn, wer weiß, vielleicht schlagen sie ihn nur für eine Filmaufnahme tot?!
56
Das Labyrinth von Panteleimon Romanow
A
uf dem Platz eines kleinen Provinzstädtchens standen beim Feuerwehrturm zwei Männer und betrachteten nachdenklich die Aushängeschilder der benachbarten Häuser. »Zum Kuckuck, wohin nun?« sagte der eine, ein hochgewachsener Mann in Filzstiefeln. »Auf die Weise können wir jedenfalls bis zum Abend hier herumirren!« antwortete sein kleiner Begleiter und knüpfte die Bänder seiner Ohrenklappenmütze unterm Kinn fester. Die Vorübergehenden schauten sich neugierig nach den beiden Fremden um. »Sucht ihr was?« fragte endlich stehenbleibend ein altes Frauchen. Sie war mit einer Petroleumkanne unterwegs und hatte es eilig.»Man hat uns zum Proviantamt hergeschickt, aber wir können es nicht finden! Es sollen noch eine Menge anderer Ämter in der Nähe sein. Man hat sie uns alle aufgezählt, und nun kennen wir uns überhaupt nicht mehr aus. Auf welcher Straße ist denn eigentlich das Proviantamt?« »Die Straßen haben bei uns keine Namen, Väterchen! Ihr braucht aber nur auf die Schilder der Häuser zu achten … Zuerst also geht ihr an der Finsektion vorbei …« »An was vorbei?« fragte der Lange. 57
»An der Finsektion, am Finanzamt, Väterchen! Finsektion steht auf dem Schild!« »Ach so! Und dann?« »Wenn ihr also am Finanzamt vorbei seid«, wies die Alte die Straße hinunter, »kommt ihr an ein Schild, ›Unterabteilung des Gesundheitsamtes‹, dann geht ihr am Mütterschutz vorbei, vorbei auch am Sanitätsamt und der Kriminalpolizei. Noch vor dem Fürsorgeamt aber biegt LKU]XU9RONVZLUWVFKDIWVVHNWLRQDEJHJHQEHUKlQJWGDV große Schild des Agraramtes. Wenn ihr dieses erblickt, geht ihr noch fünf Häuser weiter und trefft geradewegs auf die Bildungssektion; daneben ist noch irgend so eine Sektion, weiß der liebe Herrgott, wie sie heißt, habe ich vergessen, und neben dieser Sektion also ist das Bezirksernährungskomitee. » ª+DOWKDOW9RUGHU6R]LDOHQ)UVRUJHZRVROOPDQ da abbiegen?« »Wer hat Soziale Fürsorge gesagt?« fragte ihrerseits das alte Weibchen. »So ein Amt gibt es da gar nicht!« »Wieso denn nicht? Du hast es eben erst genannt!« »Nein, von der Sozialen Fürsorge habe ich nichts gesagt. Es gibt nur die Unterabteilung des Gesundheitsamtes, den Mütterschutz, dann das Sanitätsamt, die…« ª'HU7HXIHOVROOVLFKGDDXVNHQQHQ©XQWHUEUDFKVLH ärgerlich der Lange. »Jetzt bringt Ihr schon selber alles durcheinander! Wo soll ich diese Soziale Fürsorge denn herhaben, da ich doch mein Lebtag von so einem Amt nichts wußte. Was ist denn das überhaupt: Soziale Fürsorge?« 58
»Soziale Fürsorge? Ja, das hat was mit alten Frauen zu tun … Die alten Frauen werden dort organisiert …« »Also war doch schon von der Sozialen Fürsorge die Rede?« meinte eigensinnig der Lange. »Aber natürlich!« stimmte der Kleine zu. »Ich dachte noch, das ist irgend so etwas gegen die Religion!« Die alte Frau schwieg verwirrt und ging schließlich beleidigt ihrer Wege. »Was versperrt ihr hier die Straße?« sprach daraufhin HLQ0DQQGLHEHLGHQDQª:RUXPKDQGHOW¶VVLFKGHQQ"© »Ja also, zwei Stunden laufen wir hier schon herum XQGN|QQHQGDV3URYLDQWDPWQLFKW¿QGHQGDV:HLEFKHQ GD ¿QJ DQ XQV GLH bPWHU DXI]X]lKOHQ DQ GHQHQ ZLU vorbeisollten, und hat schließlich selbst alle durcheinandergebracht!« »Ach, diese Weiber! Kaum daß sie den Weg zum Ofen ¿QGHQ Fünf Schritte sind das von hier. Die Alte hat euch ganz irre gemacht, weil sie euch den Weg durch die Nebengassen schickte. Ihr geht aber lieber in die entgegengesetzte 5LFKWXQJ 'DV LVW ]ZDU HWZDV VFKZLHULJHU GDIU LVW¶V aber auch nur ein Steinwurf zum Ziel! Ihr geht also an der Handelssektion vorbei, dann am Notariatsamt, am Städtischen Wirtschaftsamt …« »Halt, halt! Bei der Alten war auch irgend so ein Wirtschaftsamt!« ª'DV ZDU GDV 9RONVZLUWVFKDIWVDPW 'LHVHV DEHU LVW VWlGWLVFK±KDEHQPLWHLQDQGHUJDUQLFKWV]XWXQ-DXQG dann kommt ihr also zum Steueramt!« 59
»Du, schreib es mal lieber auf!« sagte der Lange zu seinem Begleiter. »Das kann man ja doch nicht alles behalten!« »Also: Notariatssektion, Städtisches Wirtschaftsamt, Steueramt, Finanz …« »Nein, nein! Streich das Finanzamt, das liegt am anderen Wege.« ª(VLVWGRFKUHLQ]XP9HUUFNWZHUGHQ©VDJWHJHUHL]W der Lange. ª0DQJHZ|KQWVLFKGUDQ9lWHUFKHQ$QIDQJVJLQJHV XQVDXFKVRDEHUMHW]WVLQGXQVGLHYLHOHQbPWHUJDQ]YHUWUDXWJHZRUGHQGDJLEW¶VNHLQHQ.XPPHUPHKU«1XQ VFKUHLEZHLWHU1DFKGHP6WHXHUDPWNRPPWGDV9RONVNRPPLVVDULDW QDFK GHP 9RONVNRPPLVVDULDW GLH .XOWXUVHNWLRQ GDQDFK GLH 7HFKQLVFKH 6HNWLRQ GDV 9HUVRUgungsamt und das Bezirkskomitee. Hier biegt ihr in die Nebengasse ein und gelangt zur Sozialen Fürsorge …« »Da, schon wieder dieses verteufelte Amt!« rief der .OHLQHXQGK|UWHDXI]XVFKUHLEHQª:LHJHKWGHQQGDV nun wieder zu? Die Alte hat uns doch einen anderen Weg JHVDJWXQGGDEHIDQGVLFKGLHVHV7HXIHOVGLQJDXFK"© ª:DV LVW GHQQ VFKRQ 9HUZXQGHUOLFKHV GDEHL" ,KU NRPPWMHW]WKDOWYRQGHUDQGHUHQ6HLWH¶UDQ6R]XVDJHQ im Kreis!« ª'DVLVW¶VHEHQ%HLHXFKVFKHLQWKLHUDOOHVLP.UHLV zu gehen!« tippte sich der Lange auf die Stirne. Der Mann wollte etwas erwidern, er kaute an seinen Lippen, aber er sagte dann doch nichts, spie nur aus und trollte sich von dannen 60
ª'DVLVWGHUUHLQH7HXIHOVEUHL©EUXPPWHGHU.OHLQH und band sich die Bänder seiner Mütze auf. Unentschlossen schaute er bald ins Heft, bald auf die AushängeschilGHU ª9HUÀXFKWHV 1HVW 'UHL 6WUDHQ XQG IQI *DVVHQ DEHUbPWHUbPWHUGDGLUGHU.RSILP.UHLVHJHKW© »Fangen wir von vorne an! Wie sagte doch die Alte?« ª-D ZHL GHU 7HXIHO GDV KDEH LFK QLFKW DXIJHVFKULHEHQ:DUWHLFKYHUVXFK¶VDXVGHP*HGlFKWQLV© »Und wieviel hat der Mann aufgezählt?« »Neun stehen hier! Und zusammen mit den anderen sind’s …« »Ja welcher Teufel plagt dich, alle Ämter zusammenzuzählen! Ach, wenn man mit einem Grützkopf was unternimmt!« Er wandte sich ab und setzte sich ermüdet auf einen Prellstein. »Wart, ich zähl’ dir alle Ämter auf, dann werden wir schon weitersehen. Also …« »Hol dich der Teufel!« schrie aufgebracht der andere und sprang auf. »Ach, habt ihr’s noch immer nicht gefunden?« fragte jemand. Es war die Alte, die mit der gefüllten Petroleumkanne zurückkehrte. Der Kleine schaute sie mit trüben Augen an und ging langsam dem Langen nach. »Was ist mit denen los?« fragte ein Hinzukommender. »Gottväterchen hat ihnen die Sinne verwirrt!« antwortete die Alte bedächtig. »Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht!«
61
Das ertrunkene Häuschen von Michail Sostschenko
I
ch ging einmal auf der Wassiljewski-Insel spazieren. Sehe – steht da ein Häuschen. Zwei Stockwerke und ein Dach darüber. Und ein Schornstein obenaus. Das ist euch das ganze Häuschen! Ein Spielzeug von einem Häuschen überhaupt! Wenn man dem Hausverwalter auf die Schultern steigt, reicht man schon an den zweiten Stock. Ich hätte diesem Häuschen nicht einmal meine Aufmerksamkeit geschenkt, aber irgendeine Kanaille schwappte Spülwasser über mich. Ich wollte schon zu fluchen anfangen und hob den Kopf in die Höhe – aber kein Mensch war zu sehen. Hat sich versteckt, das Aas! – denke ich mir. Ich suchte darauf mit den Augen das ganze Haus ab. Und sehe, am zweiten Stock ist irgendein Täfelchen angeschlagen. Auf dem Täfelchen die Aufschrift: »Der Wasserstand am 23. September des Jahres 1924«. Oho! – denke ich. Wie hoch doch das Wasser damals gestanden hat! Und wohin – denke ich mir weiter – haben sich bloß die unglücklichen Mieter gerettet, wenn schon das Wasser im obersten Stockwerk stand. Sicher auf’s Dach! – denke ich mir. Ich malte mir darauf die entsetzlichsten Schreckensbilder aus. Wie das Wasser schon den ersten Stock überschwemmt hat und jetzt in den zweiten dringt. Wie die 62
Mieter in Todesangst ihre Sächelchen stehen und liegen lassen und verzweifelt auf das Dach kriechen. Und sich am Ende wohl gar mit Stricken an den Schornstein anseilen, daß der Wirbelwind sie nicht in den Wasserstrudel hinunterwehte. Und so sehr ergriff mich das Mitleid mit den Mietern wegen dieser Wassersnot, daß ich sogar die mir angetane Kränkung vergaß. Plötzlich öffnet sich oben ein Fenster, und ein kreischendes altes Weib erhebt seine Stimme: »Was willst du hier, Väterchen? Kommst du von der Sozialversicherung? Oder bist du vielleicht ein Agent?« »Nein!«, sage ich, »Mütterchen, weder dies noch das. Ich schaue mir bloß mit Entsetzen den Wasserstand da an. Muß aber verteufelt hoch gewesen sein, das Wasser damals! Nicht wahr, Mütterchen«, sage ich, »man hat dich mit einem Seil an den Schornstein festgebunden?« Aber die Alte sah mich nur wild an und schlug schnell das Fensterchen wieder zu. Plötzlich tritt so ein vierschrötiger Mann in Hemdsärmeln aus der Pforte und fragt mich beunruhigt: »Was wollen Sie hier, Genosse?« Ich sage: »Kann man denn nicht einmal das Haus hier in Ruhe betrachten? Den Wasserstand halt«, sage ich, »schaue ich mir an! Ein verteufelt hoher Wasserstand ist das!« Aber der Mann verzog nur das Gesicht und sagte: »Ach nein!«, sagt er. »Das ist nämlich so! In unserem Stadtteil treiben die Straßenbuben ihre tollen Streiche. Sie rissen immer wieder die Tafel mit dem Wasserstand ab. Seht, und da haben wir sie eben etwas höher angena63
gelt. Nein, jetzt kommen sie, Gott sei dank, nicht mehr ran! Und was die Überschwemmung betrifft – ja, das Wasser reichte hier kaum bis zum Knöchel! Ein Huhn konnte noch durchwaten!« Ich war ehrlich gekränkt – für alle Wasserstände der Welt. »Sie sollten dann schon Ihren Wasserstand lieber gleich an den Schornstein nageln!« Er aber meinte: »Falls man diesen Wasserstand auch noch abreißt, dann nageln wir ihn eben an den Schornstein – ganz einfach!« »So ist’s recht!« sagte ich. »Hol’ Euch der Teufel!«
64
Eine Krankheitsgeschichte von Michail Sostschenko
O
ffen gestanden, ich ziehe es vor, mich zu Hause zu kurieren. Freilich ist’s im Krankenhaus, ich will gar nicht widersprechen, vielleicht heller und hygienischer. Und der Vitamin- und Kaloriengehalt der Ernährung ist dort vielleicht mit größerer Umsicht berechnet. Aber wie sagt doch gleich das Sprichwort: Zu Haus im trauten Kreise – ist selbst das Stroh noch eine eßbar Speise! Ins Krankenhaus aber brachte man mich, als ich Typhus hatte. Meine Familie gedachte damit meine Leiden zu lindern. Nur erreichten sie das lobenswerte Ziel mit dieser Maßnahme keineswegs. Denn schon bei der Einlieferung fiel mir unvermutet ein Plakat in die Augen: ausgabe der leichen von 3 bis 4 ! Ich weiß nicht, wie andere Kranke darauf reagieren – ich jedenfalls geriet geradezu ins Schaukeln, als ich die Aufschrift las. Man stelle sich doch vor: Ich habe die höchste Temperatur, der Lebensfunken in meinem Organismus glimmt kaum noch… und da muß ich solche Worte lesen! Ich sagte zu dem Mann, der mich einschrieb: »Was hängt Ihr«, sage ich, »Genosse Feldscher, hier für geschmacklose Plakate aus? Zumal es«, sage ich, »den Kranken kaum Vergnügen bereitet, so etwas zu lesen!« 65
Der Feldscher oder – wie heißt man ihn doch gleich jetzt: der Medizinalassistent verwunderte sich nicht wenig über meine Reden. »Ja, da schau her!«, sagt er. »Krank ist er und hält sich kaum noch auf den Beinen, und vor Fieber läßt er schier Dampf ab – aber das Kritisieren kann er nicht lassen! Wenn Sie sich von Ihrer Krankheit erholen – was schwerlich der Fall sein dürfte —, dann können Sie ja kritisieren, wieviel Sie mögen; jetzt kann’s aber passieren, daß wir Sie tatsächlich noch zwischen 3 und 4 ausliefern – in dem hier erwähnten Zustand! So, dann werden Sie schon sehen …« Ich wollte diesem Feldscher eigentlich eine runterhauen, aber weil ich hohes Fieber hatte, 39 und 8, so fing ich erst gar keinen Streit an. Ich sagte ihm nur: »Warten Sie nur, Genosse Medizinalassistent, wenn ich wieder gesund bin, werden Sie sich für Ihre Unverschämtheiten zu verantworten haben. Können etwa«, sage ich, »Kranke solche Reden ertragen? Das knickt doch«, sage ich, »ihre moralische Widerstandskraft!« Der Feldscher unterdrückte gleich alle weiteren Reden. Hier aber sprang ihm ein Krankenschwesterchen bei: »Kommen Sie mit, Kranker – in die Schwemme!« Bei diesen Worten gab es mir wieder einen Riß. »Es wäre besser«, sage ich, »Sie würden es Baderaum nennen – und nicht Schwemme. Das ist hübscher«, sage ich, »und erfreulicher für den Kranken! Ich bin«, sage ich, »kein Pferd, das in die Schwemme soll!« Die Krankenschwester sagt: »Obgleich er krank ist«, sagt sie, »nimmt er auch noch alle möglichen Sprach66
feinheiten wahr! Höchstwahrscheinlich«, sagt sie, »werden Sie nicht mehr gesund werden, weil Sie Ihre Nase in alles stecken!« Hier waren wir im Baderaum angelangt, und sie befahl mir, mich auszuziehen. Ich fing also an, mich zu entkleiden. Plötzlich aber sehe ich, daß in der Badewanne aus dem Wasser schon irgend so ein Kopf herauslugt. Und plötzlich sehe ich auch, daß da, scheint’s, ein altes Weibchen in der Wanne hockt. Vermutlich eine von den Kranken. Ich sage zur Schwester: »Was haben Sie mich denn, zum Teufel, ins Badezimmer für Damen geführt? Hier«, sage ich, »badet ja schon jemand!« Die Schwester sagt: »Ja, da sitzt schon ein krankes altes Weib drin … Aber Sie brauchen sie ja weiter nicht zu beachten. Die hat nämlich hohes Fieber und reagiert auf nichts. So daß Sie sich ungeniert ausziehen können. Währenddessen holen wir die Alte aus der Wanne und lassen Ihnen frisches Wasser rein.« Ich sage: »Wenn die Alte auch nicht mehr reagiert, so reagiere ich allem Anschein noch. Und mir«, sage ich, »ist es bestimmt nicht angenehm, zu sehen, was bei Ihnen da in der Badewanne herumschwimmt.« Gerade da kommt wieder der Medizinalassistent hinzu. »Zum ersten Mal«, sagt er, »sehe ich solch einen kapriziösen Kranken! Dies gefällt ihm nicht, dem Frechen, und das behagt ihm nicht! Ein altes Weibchen nimmt ihr letztes Bad; und was tut er? Er bringt gleich seine Beschwerden an und äußert übertriebene Prätentionen! 67
Nein«, sagt er, »mir ist es schon lieber, wenn die Kranken bei uns im bewußtlosen Zustand eingeliefert werden. Wenigstens ist ihnen dann alles recht. Sie haben nichts auszusetzen und treten in keine wissenschaftlichen Streitgespräche mit uns!« Hier läßt die badende Alte ihre Stimme hören: »Nehmt mich schon endlich aus dem Wasser!« sagt sie. »Oder ich steige gleich selber raus«, sagt sie, »und werde Euch dann schon Beine machen!« Da nahmen sie sich der Alten an. Während ich mich auszog, ließen sie auch schon heißes Wasser in die Wanne laufen. Und da sie jetzt meinen Charakter kannten, fingen sie keinen neuen Streit mit mir an und bemühten sich, es mir in allem recht zu tun. Nur gaben sie mir nach dem Bad ein viel zu großes Hemd. Ich dachte zuerst, daß sie es aus Fleiß und Bosheit taten, aber später sah ich, daß das bei ihnen die Regel war. Bei ihnen staken die kleinen Kranken grundsätzlich nur in großen Hemden, und die großen in kleinen … Was soll ich Ihnen noch sagen: ich bestand die Krankheit, deretwegen ich eingeliefert worden war, und auch all die anderen, die ich mir noch im Krankenhaus holte. Als ich endlich heimkomme, sagt mir die Ehegattin: »Weißt du, Petja, in der vergangenen Woche dachten wir, du hättest dieser Welt auf ewig Lebewohl gesagt, denn aus der Klinik kam die Benachrichtigung, sozusagen: ›Sie haben sich bei Erhalt dieses selbigen unverzüglich zum Empfang der Leiche Ihres Mannes einzufinden!‹« 68
Meine Ehegattin ist natürlich gleich ins Krankenhaus gelaufen. Dort aber bat man sie sehr um Entschuldigung. Für ein kleines Versehen in der Registratur. Gestorben war nämlich ein anderer. Sie aber verfielen – ich weiß gar nicht, warum – ausgerechnet auf mich! Verstehen Sie nun, Genossen, warum ich es vorziehe, mich zu Hause zu kurieren?
69
Der Selbstmörder von Valentin Katajew
E
igentlich war das nicht recht vom Genossen. Nichtsdestoweniger entschied er sich dafür, weil Selbstmord nach dem neuen Strafkodex nicht strafbar ist. Mit einem Wort – ein gewisser Genosse beschloß, an der Sowjetherrlichkeit verzweifelnd, sein Antlitz dem Grabe zuzuwenden. Traurig, aber Tatsache! Nachdem er sich eilends die Austrittsbescheinigung und ein Entgelt für nichtausgenützten Urlaub besorgt hatte, schrieb er seine letzten Erklärungen an das Gewerkschaftskomitee, kaufte im Trust einen schönen großen Nagel, ein Stück Toilettenseife und drei Meter Schnur; ging heim, stellte einen Stuhl an die Wand und kletterte hinauf. Kr—r—ach! »Hol’s der Teufel! Solch ein Stühlchen! Kann nicht einmal das Normalgewicht eines jungen intelligenten Selbstmörders tragen! Und da heißt es noch: Kampf um die Qualität! Und so was nennt sich Holztrust! Pfui!« Aber der Genosse verlor nicht den Mut. Er erklomm das Fensterbrett, setzte den Nagel an die Wand und schlug mit dem Briefbeschwerer drauf. Kr—r—ach! »Na das ist aber ein Nägelchen! In Stücke! … Kampf um die Qualität! … Es ist einfach nichts da, woran sich 70
ein anständiger Mensch aufhängen kann. Man wird den Strick direkt an den Kronleuchter binden müssen. Der ist noch, der liebe, gute, aus der alten Zeit!« Der Genosse band den Strick an den Kronleuchter, machte eine elegante Schlinge hinein und begann, sie einzuseifen. »Was, Seife soll das sein? Erstens schäumt sie nicht, und zweitens riecht sie nicht nach Maiglöckchen, sondern, verzeiht, nach einem alten Mistbock! Sogar das Aufhängen wird einem verekelt!« Die Nase rümpfend steckte er den Kopf in die Schlinge und sprang ins Ungewisse. Kr—r—ach! »Ach! Daß er dreifach verflucht sei! Entzweigerissen, der Elende! Und wagt es noch, Strick zu heißen! Qualitätsware! Ha! Ich werde mit dem Kopf gehörig gegen die Wand rennen, und die Sache hat ein Ende.« Der Genosse drückte die Augen zu, nahm einen Anlauf und … Kr—r—ach! Die dünne Mauer des neuen Häuschens brach mit großem Getöse, und der Selbstmörder flog auf die Straße. »Es lebe die Qualität«, schrie er, als Vorbeigehende ihm wieder auf die Beine halfen. Aber verrückt wurde er nicht, und in ein Krankenhaus brachte man ihn auch nicht. Des Lebens und der Selbstmörderei überdrüssig, verkroch er sich in sein Bett. Auf dem Tisch daneben bemerkte er ein Arzneifläschchen und sagte mit einem 71
Seufzer der Erleichterung: »Da hab’ ich’s! Endlich! Das ist gerade, was ich brauche! Essigessenz! Die wird mich nicht anführen, die nicht!« »Hm«, sagte der Genosse, als er die Flasche beinahe geleert hatte, »eine feine Sache! Fast wie Traubenwein! Nur süßer! Ob man sich wohl noch ein Gläschen genehmigen sollte?« Der Genosse trank noch ein Gläschen, krächzte ein wenig und schnalzte mit den Fingern. »Das da, das ist Qualität! Marja, lauf mal, mein Täubchen, hol noch eine Portion Essigessenz! Und bring auch etwas Wurst mit. Ich habe einen verteufelten Appetit …« »So, und nach diesem Imbiß wollen wir es uns noch einmal überlegen«, sagte der Genosse. Aber er kam nicht mehr dazu. »Die Wurst, ach, die Wurst«, seufzte er. »Ich gehe zugrunde, Genossen, im Kampf mit der Qualität!« Mit diesen Worten legte er sich hin und starb. Was ja übrigens auch seinen anfänglichen Absichten entsprach.
72
Der bärtige Säugling von Valentin Katajew
V
or einem Jahr, als der Redakteur an die Herausgabe einer illustrierten Zeitschrift ging, war er mutig und voller Ideen. Ich erinnere mich noch, wie dieser zarte junge Mann, nachdem er alle seine Mitarbeiter freigebig mit Vorschüssen bedacht hatte, zu ihnen sagte: »Ja, meine Freunde, ich bitte, eure ganz besondere Aufmerksamkeit darauf zu richten, daß unsere Zeitschrift eine echte Sowjetzeitschrift wird… Eine ganz rote, sozusagen! Und deshalb, meine lieben Genossen … Sie verstehen mich? … Keine zweiköpfigen Kälber! Keine sensationellen Zwillinge! Das Sowjetleben, das und nur das soll unser unerschöpflicher Stoff sein! Fort mit den bürgerlichen Sensationen gewisser Zeitungen! Zum Teufel mit dem Hund, der Zigaretten raucht und die Abendzeitung liest und in 400 000 Exemplaren abgedruckt wird!« »Zum Teufel mit dem Hund, der die Zeitung liest!« fielen im Chor die Mitarbeiter ein und begaben sich an ihre Aufgabe. Das war vor einem Jahr. Das Telephon in der Redaktion schrillte. Der Redakteur nahm den Hörer ab, und gleich darauf überzog freudige Röte sein Gesicht: »Hört doch, hört doch!« rief er. »Ein Säugling ist entdeckt worden! Mit einem 73
Vollbart! Und einem Schnurrbart! Das ist doch märchenhaft! … Der Photograph! … Wo ist der Photograph? … Nicht da? … Sofort das Auto nach dem Photographen schicken!« Nach einer Viertelstunde trat der Photograph in die Redaktion. »Fahren Sie, fahren Sie!« rief ganz außer Atem der Redakteur. »Fahren Sie so schnell wie möglich und photographieren Sie den Säugling mit dem Bart. Das ist eine Sensation, eine Sensation! Die Hauptsache, daß die Konkurrenz uns nicht zuvorkommt und uns den bärtigen Säugling wegschnappt!« »Seien Sie unbesorgt!« sagte der Photograph. »Wir erscheinen ja am Mittwoch, und die anderen erst am Samstag. Der Säugling wird unser! Wir werden der Welt als erste den Backenbart des Säuglings zeigen!« Aber die, die am Samstag erscheinen, waren auch nicht auf den Kopf gefallen. Am nächsten Tag kam der Redakteur sehr früh auf die Redaktion. »Ist der Photograph schon da?« fragte er den Sekretär. »Nein, der ist noch nicht dagewesen!« Der Redakteur zündete sich ungeduldig eine Zigarette an, und um das Warten abzukürzen, telephonierte er die an, die am Samstag erscheinen. »Hallo! Sie wissen noch nichts?« »Ja, was denn?« fragte der Redakteur von denen. ©'HU6lXJOLQJGDPLWGHP9ROOEDUW"«© 74
«Nein! Na und…?« »Und mit dem Schnurrbart! … Ein Säugling! …« »Nun ja, nun ja! Was ist denn mit dem?« »Werdet ihr ein Bildchen von ihm bringen?« »Natürlich werden wir. Warum?« »Am Samstag also?« ª9HUVWHKWVLFKDP6DPVWDJ:LUKDEHQNHLQH(LOH© »Und wir am Mittwoch, hi, hi!« »Na, dann viel Glück!« 'HU5HGDNWHXUKlQJWHGHQ+|UHUHLQ »Schau mal einer an! ›Wir‹, sagt er, ›haben es nicht eilig!‹ Und dabei platzt er gewiß vor Neid! Doch kein Spaß! Ein Säugling mit einem Bart! Kommt einmal in tausend Jahren vor!« Der Photograph trat ein. »Nun, was ist? Zeigen Sie her!« 'HU 3KRWRJUDSK ]XFNWH GLH $FKVHOQ ª-D GD JLEW¶V nichts Besonderes zu sehen! Erstens ist er nicht zwei Monate, sondern fünf Jahre alt. Und zweitens hat er gar NHLQHQ 9ROOEDUW 8QG DXFK NHLQHQ 6FKQXUUEDUW %LWWHVFK|Q© Der Photograph reichte dem Redakteur das Bild. »Hm … merkwürdig! Ein Kind wie jedes andere! Nichts Besonderes daran! Schade! Sehr schade!« »Ich habe es ja gleich gesagt!« sagte der Photograph. ª:DUJDUQLFKWQ|WLJVR]XHLOHQ1XUHLQH$XIUHJXQJ fürs Kind! Die ganze Zeit wird es photographiert. Gerade vor mir knipste es der Photograph vom Samstagblatt. So ein frecher Blonder! Glauben Sie mir, eine ganze 75
Stunde photographierte er das Kind und ließ niemand ins Zimmer hinein!« Der Redakteur schaute enttäuscht auf das Bild des Wundersäuglings. »Da stimmt etwas nicht!« sagWH HU ¿QVWHU ª,FK NDQQ PLFK QLFKW JHLUUW KDEHQ (LQ JURHU VFKZDU]HU 9ROOEDUW KLH HV 8QG HLQ 6FKQXUUbart … auch schwarz … So ein ganz großer … Ich verVWHK¶GDVQLFKW© 'HU5HGDNWHXUJULIIQHUY|VQDFKGHP+|UHU »Hallo! Hallo! Sie sagen also, daß Sie am Samstag das Bild des phänomenalen Säuglings bringen, wie?« »Ganz recht, wir bringen es!« »Den mit dem Bart?« »Jawohl … Und mit dem Schnurrbart … Warum?« »Hm … Sie haben das Bild? … Mit Bart und Schnurrbart?« »Aber selbstverständlich! Alles vorhanden!« Der Redakteur begann zu zittern. »Ja, warum denn«, brachte er mühsam hervor, »ist der Säugling bei uns ohne Schnurrbart und ohne Backenbart?« »Jaaa, weil unser Photograph eben klüger ist als der Ihrige!« »Was wollen Sie damit sagen? Hallo, hallo! Zum Teufel noch mal! Abgehängt! Schuft, so einer!« Der Redakteur begann aufgeregt im Zimmer auf und ab zu laufen. Vor dem Photographen bleibt er plötzlich stehen. »Nehmen Sie das Auto! Fahren Sie! Klären Sie die Sache auf! Und wenn es sich erweist, daß sie ihm den Bart angeklebt haben, dann … Fahren Sie!« 76
Nach einer Stunde kehrte der Photograph zurück. »Nun?« Der Photograph ging wankend zu einem Stuhl und ließ sich schwerfällig nieder. »Haben Sie die Sache aufgeklärt?« »Ja, das habe ich!« schluchzte verzweifelt der Photograph. »Na, nun reden Sie endlich! Haben die den Bart angeklebt? Sagen Sie?« »Nein, schlimmer noch … Sie …« »Nuuu-n?« »Sie haben zuerst … den Säugling … photographiert … Und dann …« »Getötet? Reden Sie doch! Spannen Sie uns nicht länger auf die Folter!« »Sie haben ihn dann …« »Nuuuuu-un?« »Raa-siert!« Der Redakteur schluchzte. »Unser Sowjet- … unser roter … Mustersäugling mit dem Vollbart! … Oh! Schufte! …«
77
Der Schauspieler von Michail Sostschenko
I
hr fragt mich, Genossen, ob ich Schauspieler war. Freilich war ich’s. Habe Theater gespielt. Und habe sozusagen die Schauspielkunst voll und ganz ausgeübt. Doch ist’s ein großer Blödsinn, muß ich sagen! Und nichts Gescheites kommt dabei heraus! Natürlich, bei genauerem Überlegen, ist viel Schönes an dieser Kunst. Du trittst, sagen wir mal, auf die Bühne, und das Publikum schaut zu. Im Publikum aber sitzen Bekannte, Verwandte der Frau, Genossen aus dem Hause. Schau! Sie winken dir aus dem Parkett zu – sozusagen: »Nur Mut, Wassjka! Leg los!« Und du also machst ihnen auch Zeichen – sozusagen: »Seid unbesorgt, Genossen! »Wir schmeißen die Sache schon!« Wenn man hinwiederum noch genauer bedenkt – so hat diese Profession wirklich nichts Gutes an sich. Nur das Blut verdirbt man sich dabei. Einmal führten wir das Stück auf: »Wer ist schuld?« Es ist ein sehr starkes Stück, wissen Sie. Dort wird also im zweiten Akt ein Kaufmann vor den Augen des Publikums von Räubern ausgeplündert. Das kommt ganz wirklichkeitsgetreu heraus. Der Kaufmann schreit und schlägt mit den Beinen um sich. Aber man plündert ihn trotzdem. Ein schauerliches Stück! Also wir führten dieses Stück auf. 78
Kurz vor der Vorstellung aber betrank sich der eine Schauspieler, der den Kaufmann darstellen mußte. Und es packte diesen Strolch im Lampenfieber so gewaltig der Rausch, daß er sichtlich nicht mehr fähig war, die Rolle des Kaufmanns zu spielen. Kaum tritt er an die Rampe, beginnt er Fußball mit den elektrischen Lampen zu spielen. Der Regisseur, Iwan Palytsch, sagt zu mir: »Man wird ihn im zweiten Akt nicht mehr auf die Bühne lassen dürfen. Er schlägt uns noch alle Lampen entzwei, der Hundesohn! Vielleicht«, sagt er, »übernimmst du die Rolle? Das blöde Publikum wird’s schon nicht merken!« Ich sage: »Ich kann nicht auftreten, Genossen! Ich«, sage ich, »habe soeben zwei Wassermelonen gegessen!« Er aber sagt: »Hilf aus der Patsche, Brüderchen! Wenigstens für diesen Auftritt. Vielleicht, daß der andere Schauspieler wieder zur Besinnung kommt… Reiß doch«, sagt er, »die erzieherische Kulturarbeit nicht ab!« So haben sie mich denn überredet. Ich trat auf. Ich trat, wie es das Stück vorschreibt, in meinem eigenen Straßenanzug auf die Bühne. Nur daß ich mir ein fremdes Bärtchen ins Gesicht klebte. Das Publikum aber, wenn’s auch blöde ist, hat mich doch gleich erkannt. »Ah!« sagten sie. »Wassjka ist rausgekommen! Nur Mut, Wassjka! Leg los!« Ich sage: »Wir haben keine Angst, Genossen! Auch wenn«, sage ich, »wir uns in einer peinlichen Situation befinden! Der Schauspieler«, sage ich, »der den Kaufmann spielte, hat 79
einen Mordsrausch und kann nicht auftreten. Er kotzt gerade!« Der zweite Akt begann. Und ich spiele also den Kaufmann. Schreie und schlage mit den Beinen um mich. Und es kommt mir plötzlich vor, als ob einer der Schauspieler mir tatsächlich in die Tasche greift. Schnell knöpfe ich meine Jacke zu. Und laufe auf die Seite. Und wehre mich. Haue ihnen glatt in die Visagen. Bei Gott! »Bleibt mir vom Leibe!« sage ich. »Ihr Schweinehunde … Ich sag’s euch im Guten!« Jene aber rücken mir, wie das Stück es vorschreibt, immer mehr und mehr zu Leibe. Die Brieftasche mit achtzehn Tscherwonzen Inhalt haben sie schon an sich gebracht und machen sich nun an meiner Uhrkette zu schaffen. Ich schreie aus vollem Halse: »Zu Hilfe, Genossen! Die plündern mich im Ernst!« Und das macht eine ungeheure Wirkung! Das blöde Publikum tobt vor Begeisterung. Und schreit: »Gib ihnen, Wassjka! Gib ihnen Saures! Wehr dich, mein Lieber! Hau diesen Teufeln die Schädel ein!« Ich schreie: »Es hilft nichts, Brüderchen!« Und schlage sie dabei direkt in die Schnauzen. Ein Schauspieler, sehe ich, blutet schon, die anderen Schufte aber geraten erst recht in Rage und bedrängen mich immer mehr. »Brüderchen!« schreie ich. »Was ist denn das nun wirklich? Wofür muß ich denn so leiden?« 80
Hier steckt der Regisseur seine Nase aus der Kulisse. »Bravo, Wassjka!« sagt er. »Bist ein tüchtiger Kerl! Wunderbar«, sagt er, »legst du die Rolle hin! Nur weiter so!« Ich sehe, das Schreien nützt nichts. Denn was ich auch schreie – alles paßt zur Rolle, »Brüderchen!«, falle ich auf die Knie. »Genosse Regisseur, Iwan Palytsch, ich kann nicht mehr! Laßt den Vorhang runter! Sie klauen mir«, sage ich, »die letzten Ersparnisse!« Hierauf merken verschiedene Theaterfachleute, daß die Worte nicht zum Stück gehören und kommen aus den Kulissen heraus. Der Souffleur, Gott sei Dank, kriecht aus seinem Kasten. »Es scheint mir«, sagt er, »daß man dem Kaufmann tatsächlich die Brieftasche geklaut hat!« Man ließ den Vorhang herunter. Jemand brachte ein Glas Wasser. Und gab mir zu trinken auf den Schreck. Darauf wurden alle Schauspieler durchsucht. Aber das Geld fand man nicht. Nur die leere Brieftasche lag hinter den Kulissen. Und das Geld war und blieb futsch! Sie sagen Kunst?! Kennen wir! Haben selbst Theater gespielt!
81
Der ungläubige Thomas von Michail Sostschenko
D
rei Jahre lang bekam Foma Krjukow von seinem Sohn keine Nachricht, plötzlich aber, bitte schön, Foma Petrowitsch, erhalten Sie von ihrem leiblichen Sohn aus der großen Stadt Moskau fünf ganze Rubel. Schau mal einer an! dachte Foma, die Benachrichtigung der Post betrachtend. Ein anderer Sohn hätte vielleicht drei Rubel geschickt – und Schluß! Hier aber, herrje! Fünf ganze Rubelchen! Bei solch einem Umsatz kann man auch gut ein Rubelchen versaufen! Foma Krjukow nahm in der Badestube ein Schwitzbad, zog sich ein reines Hemd an, trank eine halbe Flasche Selbstgebrannten Schnaps und fuhr zur Post, das Geld abzuholen. Nun, sag ein Mensch! dachte Foma unterwegs, fünf ganze Rubelchen! Was es nicht alles gibt auf dieser Welt! Herrgottchen!… Zaren gibt es nicht mehr… Der Bauer hat die Macht, sagen die Leute… Mein Sohn regiert vielleicht sogar das Reich!… Schickt fünf Rubelchen dem alten Vater! Oder? … Foma kam auf die Post und schob dem Beamten am Schalter die Benachrichtigung hin »Geld«, sagte er, »Geld habe ich zu bekommen, vom Sohn aus Moskau!« 82
Der Postbeamte suchte in den Papieren herum und legte dann einen halben Tscherwonez auf den Tisch. »So!« sagte Foma. »Und einen Brief schreibt mir mein Sohn nicht?« Der Postbeamte antwortete nicht darauf und ging vom Schalter weg. Hat nicht geschrieben, dachte Foma. Wird vielleicht später noch schreiben! Na ja, man kann schließlich warten; wenn nur, sozusagen, das Geld da ist! Er nahm den Geldschein, betrachtete ihn mit Verwunderung und haute plötzlich mit der Faust auf den Schaltertisch. »He, du, Väterchen!« schrie er. »Was für Geld steckst du mir da zu? Schau nur her!« »Neues Geld«, erwiderte mißmutig der Beamte. »Neues?« wiederholte Foma ungläubig. »Vielleicht ist dieses neue aber falsch? Du meinst wohl, daß du einem angetrunkenen Menschen alles zustecken kannst? Die Wasserzeichen, wo sind denn die, he?« Foma besah sich den Schein gegen das Licht und drehte ihn in der Hand lange hin und her. »Nu!« sagte er plötzlich verwundert. »Was ist denn das für einer? Der auf dem Bild da? … Ist das vielleicht nicht ein Bauer? … Bei Gott, ein Bauer. Es lügen also doch nicht die Leute! Tatsächlich ein Bauer auf dem Geld! …« Foma trat noch einmal an den Schalter. »Väterchen« sagte er, »was ist denn da für einer abgebildet? Entschuldigt schon!…« »Scher dich endlich zum Teufel!« knurrte der Beamte. Dann sah er den Bauern an und sagte grinsend: »Ein 83
Bauer ist abgebildet! Du, deine Majestät, bist statt des Zaren abgebildet! Verstanden?« »Herrje!« sagte Foma. »Ein Bauer? Ja, aber Väterchen, wie ist denn das nun? Ich weiß ja gar nichts davon! Und regiere ja nichts!« Der Beamte lachte. »Nun geh schon, geh schon!« setzte er wieder sein mürrisches Gesicht auf. »Treib dich hier nicht herum!« Foma schwatzte noch ein wenig, schaute gekränkt den einsilbigen Postbeamten an und ging dann. Nun, sag ein Mensch! dachte er. Zarenehren! Da wollte er doch gleich mal sehen … Er hielt vor dem Bahnhof, band sein Pferd an den Zaun und trat in den Wartesaal. Der Raum war fast leer. Nur an der Tür schlief, einen Sack unter dem Kopf, ein Mann mit Schlapphut. Foma kaufte für zwei Kopeken Sonnenblumensamen, ging dann zum Schlafenden hin und schrie: »He, du Hütchen, kriech mal ’runter von der Bank! Ich muß mich setzen!« Der Mann öffnete die Augen, blickte erschrocken auf Foma und setzte sich schnell aufrecht. Foma hockte sich neben ihn hin, schob den Sack beiseite und begann schmatzend die Sonnenblumensamen aufzuknacken, die Schalen dabei in weitem Bogen von sich spuckend. Nein, sie lügen nicht! dachte er. Die Hochachtung merkt man schon! Sie haben Angst! Gehorchen! … Früher hätten sie einem dafür in die Fresse gehauen. Er stand auf und begann vergnügt im Saale auf und ab zu 84
gehen. Dann trat er an die Kasse und steckte seinen Kopf durchs Fensterchen. »Wohin?« fragte der Kassierer. »Was heißt, wohin?« »Wohin die Fahrkarte, du Esel?« »Ah! Nach nirgendswohin!« antwortete Foma gleichmütig, interessiert das Innere des Kassenraumes betrachtend. »Darf ich da hereingucken, oder etwa nicht?« »Wenn du nirgendwohin willst, brauchst du deine Fresse auch hier nicht reinzustecken!« »Fresse?« fragte Foma beleidigt. »Wem sagst du das, he?« »Ach, du Schnapsmaul!« erwiderte wütend der Kassierer. »Glotzt hier durchs Fenster! Teufel, du dreckiger!« Foma steckte schnell den Kopf noch einmal durchs Fensterchen, spuckte dem Kassierer mitten ins Gesicht und lief zum Ausgang. Man faßte ihn, als er gerade sein Pferd losband. Er versuchte, sich mit Gewalt loszureißen, biß sogar dem Wächter in die Wange; aber es half nichts, man schleppte ihn zum Vorsteher. Hier bemühte sich Foma vergeblich, etwas zu erklären. Er fuchtelte erregt mit den Händen, nahm immer wieder aus der Mütze einen Geldschein und bot dem Vorsteher an, sich diesen näher anzusehen. Aber der Vorsteher schrieb, die Feder alle Augenblicke ins Tintenfaß tauchend, das Protokoll über die tätliche Beleidigung des Kassierers und des Wächters bei der Ausübung ihrer dienstlichen Pflichten. Und auch darüber, daß Foma, offenbar in angetrunkenem Zustand, im geschlossenen 85
Raum Sonnenblumensamen gegessen und die Schalen auf den Boden gespuckt hatte. Foma setzte unter das Protokoll ein Kreuzchen und ging tief seufzend und mit dem Kopf wackelnd aus dem Raum. Er band sein Pferd los, setzte sich in den Wagen, nahm noch einmal den Geldschein aus der Mütze und betrachtete ihn genau. Dann winkte er resigniert ab. »Ach, lügen tun sie, diese Teufel!« Und fuhr eilends heim.
86
Die Kulaken von Panteleimon Romanow
D
ie Dächer der Dorfhütten waren halb eingefallen, und seitlich vom Dorf, auf einer Anhöhe, sah man eine stillgelegte Ziegelei. Die Bauern saßen faul auf dem Holz und unterhielten sich. Sie sahen aus, als ob sie vor Langeweile umkämen. Ein Tischler, der erst kürzlich zu Besuch aus Moskau gekommen war, trat zu ihnen und fragte: »Sagt mal, warum lebt ihr eigentlich so?« »Wie … so?« »Wie so, wie so? Ihr fragt noch? Direkt als ob die Pest bei euch gehaust hätte, so sieht es hier aus! Die Dächer sind eingefallen. Vieh habt ihr kaum noch; und was ihr habt, ist halb verhungert. Und selbst hockt ihr da, legt die Hände in den Schoß und laßt die Sonne aus euren Lumpen die Flöhe ausbrüten. Wirklich fein schaut ihr aus!« Die Bauern blickten auf ihre alten zerrissenen Röcke, und einer von ihnen sagte: »Aus Not, Brüderchen, kleidet man sich so!« »Ja was, und arbeiten könnt ihr nicht, wie?« sagte der Tischler. »Flickt doch wenigstens eure Dächer!« Keiner antwortete darauf, nicht einmal auf die Dächer blickten sie. Aus der nächsten Hütte trat barfuß ein langer, magerer Bauer, kratzte sich unschlüssig den Kopf, 87
schaute ängstlich um sich und ging dann den Weg hinauf, zur Ziegelei. »He, Väterchen Nikofor, mach dich nicht zu nahe an die Ziegel! Man sagt, es wären wieder welche aus der Kreisstadt da … werden dich noch sehen und aufschreiben.« »Was ist denn nun eigentlich los?« fragte der Tischler. »Da kann man ja kein Wort verstehen!« »Ja, um zu verstehen, da muß man erst die ganze Lehre durchmachen! Wir haben sie durchgemacht /und verstehen jetzt! Und was, Brüderchen, ist nun unser verfluchtes Schicksal? Früher, da saßen wir, die Hände im Schoß, und taten nichts, weil rundherum alles nicht unser war. Jetzt ist rundherum alles unser, aber arbeiten kann man wieder nicht!« »Ja, warum denn nicht?« »Na, du bist wohl vom Himmel heruntergefallen! Hast noch nichts von Kulaken gehört? Kommen da die Genossen Deputierten hergefahren: ›Wer ist bei euch Kulak?‹ Wir sagen: ›Kulaken haben wir keine, haben sie alle schon ausgerottet!‹ ›Und wer ist bei euch der Reichste?‹ »Haben wir auch nicht!‹ ›Und wer lebt besser als die anderen?‹ ›Der und der da …« ›Was sagt ihr denn, ihr habt keine Kulaken?‹ « »Dann«, sagte Nikofor, und sein hageres Gesicht zuckte, »dachten wir, mit Verstand Ziegel zum Verkauf zu brennen; sie aber kommen hergefahren und schnapp! ›Ihr wollt wohl‹, sagen sie, ›Kulaken werden!‹« »Auch eine Bienenzucht hatten wir uns angelegt.« 88
»Ziehst du neue Bastschuhe an, glotzen sie gleich mit Telleraugen auf dich und sind schnell bedacht, dich in die Kulaken einzuschreiben!« Zu den Sprechenden trat plötzlich eiligst ein Bäuerlein mit aufgeregten Luchsaugen. Er blickte scheu auf den Tischler. »Wer ist heute Kulak? Wer ist an der Reihe? Aus der Kreisstadt sind wieder zweie da!« »He, Sawuschka«, sagte Nikofor, sich an einen Bauern wendend, der zerlumpt und barfuß auf dem Holze saß. Sein linkes Hosenbein war unterhalb des Knies ganz abgerissen. »He, Sawuschka, du bist an der Reihe!« »Was für eine Reihe, zum Teufel, wenn ich kaum noch eine Hose habe? Ihr ernennt mich zum Kulaken? Weder einen Samowar noch sonst was habe ich im Haus! Was ist denn das für ein Kulak?« Das luchsäugige Bäuerlein blickte den neuen Kulaken an und sagte: »Nein, der geht nicht! Teufel noch mal, was ist denn das für ein Kulak! Dem sind ja die Hosen abgebrannt!« »Ja, ja… aber die Reihenfolge muß sein!« antwortete Nikofor. »Den Samowar leihst du bei den Pusyrjows, und die Hosen verdeckst du mit dem Schafpelz, dann sieht man es nicht!« »Mit dem Schafpelz? Der ist bei mir so, daß man damit für den Teufel Erbsen säen kann.« »Na, wird noch gehen, diesmal!« »Wenn die aus der Kreisstadt kommen, mußt du wissen«, wandte sich einer der Bauern an den Tischler, »fragen sie als erstes nach dem Kulaken. Um bei ihm abzu89
steigen! Und dann muß er natürlich mit dem Samowar und Eiern herhalten und ein Mittagessen auftischen und mit Pferden spazieren fahren … Jede Woche zwei- bis dreimal kommen sie so mit ihren Papierchen angesprungen. Darum haben wir jetzt eine Kulakenreihenfolge festgesetzt! Damit es sozusagen christlich hergeht!« Aus dem Sowjethaus trat plötzlich ein Bauer und rief: »Heda, wohin soll man sie heute bringen? Sie kommen gleich heraus. Haltet das Haus zum Empfang bereit!« »Nun, Sawuschka, lauf, lauf! Holst zuerst den Samowar; und Eier und Milch nimmst dann bei meiner Alten. Und die Knie verdeck dir, du Teufel!« «Ihr hättet ihm wenigstens heile Hosen geben sollen«, meinte der Tischler. »Macht nichts! So wird man ihn eher aus den Kulaken streichen.« Sawuschka lief eiligst nach dem Samowar und den Eiern. Dann ging er ins Sowjethaus. Den Deputierten wurde mitgeteilt, daß der Kulak draußen auf der Treppe warte. Mit Lederjoppen und Aktenmappen unter dem Arm traten sie heraus. Als sie Sawuschka erblickten, meinte der eine: »Wir sind, scheint es mir, schon auf den ärmsten Hund gekommen! Werden uns einen anderen Kreis vornehmen müssen!«
90
Das Telefon von Michail Sostschenko
I
ch muß euch mitteilen, Genossen, ich habe mir unlängst ein Telefon einrichten lassen. Weil man ohne Telefon in dieser eiligen Zeit rein wie ein Mensch ohne Hände ist. Freilich hat man ja mit niemand zu telefonieren, das ist schon wahr! Aber andererseits, wenn man genauer bedenkt – wir leben heute nicht im Jahre vierzig. Im vierzigsten Jahre kamen wir nicht nur ohne Telefon aus, da hockten wir sogar mit leerem Bauche herum, und es ging auch. Heute aber, kannst es glauben, stellt man dir für fünf ganze Rubel einen Apparat auf. Mach, was du willst, damit! Willst du – telefoniere! Willst du nicht – ganz wie’s beliebt! Niemand ist dir böse drum! Nur zahlen mußt du! Ich habe natürlich meiner ganzen näheren und weiteren Bekanntschaft meine Telefonnummer gegeben, mit der Bitte: gelegentlich anzuklingeln. Aber es erwies sich, daß alle meine Kameraden nur wenig Umgang mit dem Telefon pflegen und überhaupt nur selten rankommen. Trotzdem habe ich das Geld für den Apparat nicht umsonst gezahlt. Neulich mußte ich doch in einer überaus wichtigen und sehr ernsten Sache telefonieren. Es war Sonntag. Ich sitze, wissen Sie, an der Wand. Und schaue, wie originell das Telefon dahängt. Plötzlich 91
aber – wie’s losschrillt! Die ganze Zeit hat und hat es doch nicht geläutet – auf einmal aber ist rein der Teufel los! Ich fuhr richtig auf vor Schreck. Herrgottchen! – denke ich. Soviel Geläute – für wenig Geld! Ich nehme mit aller Sorgfalt das Hörrohr ab. »Hallo!«, sage ich, »wer spricht dort?* »Man wünscht mit Ihnen zu telefonieren!«, wird mir die Antwort. »Ist etwas geschehen?«, sage ich, »und wer, verzeihen Sie, ist am Apparat?« »Am Apparat ist«, antwortet man mir, »eine Ihnen ZRKOEHNDQQWH3HUV|QOLFKNHLW.RPPHQ6LHGRFK©VDJW die Stimme, »in einer dringenden Angelegenheit in die Bierstube an der Straßenecke. Aber bitte sofort!« Hat man schon solche Bequemlichkeit gesehen, denNH LFK +lWWHVW GX QXQ NHLQ 7HOHIRQ JHKDEW±ZDV KlWWH MHQH 3HUV|QOLFKNHLW GDQQ JHPDFKW" +lWWH VLFK MHQH 3HUV|QOLFKNHLWGRFKDXIGHU7UDPEDKQGXUFKUWWHOQODVVHQ müssen! »Hallo«, sage ich. »Was ist denn das für eine PerV|QOLFKNHLWXQGXPZDVIUHLQH6DFKHKDQGHOWHVVLFK denn?« 'RFKJLEWPDQPLULP7HOHIRQGDUDXINHLQH$QWZRUW In der Bierstube, denke ich, wird sich das schon aufklären. Ich ziehe mich in aller Eile an, laufe hinunter und komme in die Bierstube. Dort sitzen, obgleich es noch 7DJ LVW HLQH JDQ]H 0HQJH /HXWH KHUXP /DXWHU 8QEHkannte. »Genossen!«, sage ich, »wer hat mich soeben angerufen? Und in welcher Angelegenheit, seien Sie so 92
freundlich!« Aber die Gäste schweigen und geben keine Antwort. Ich werde noch ein Weilchen hier sitzenbleiben, überOHJHLFK9LHOOHLFKWNRPPWGRFKQRFKMHPDQG0HUNZUdige Scherze sind das, denke ich. Ich trinke meine zwei Flaschen, esse einen Krebs dazu und gehe schließlich nach Hause. ,FKJHKHDOVRQDFK+DXVH=X+DXVHDEHU±¿QGHLFK VR]XVDJHQGLHVFK|QVWH%HVFKHUXQJ$XVJHSOQGHUWKDW PDQPLFK'HUEODXH6RQQWDJVDQ]XJLVWZHJ±XQG]ZHL %HWWFKHU ,FK VWU]H ]XP 7HOHIRQ 8QG WHOHIRQLHUH LQ aller Eile. »Hallo!«, sage ich, »Fräulein, verbinden Sie mich schnell mit der Kriminalpolizei. Man hat mich«, VDJHLFKªELVDXI¶V+HPGDXVJHUDXEW©ª%LWWHVFK|Q© sagt das Fräulein vom Amt, »die Nummer ist besetzt.« ,FKUXIHHWZDVVSlWHUDQ'DV)UlXOHLQVDJWª'HU9HUELQGXQJVNQRSIIXQNWLRQLHUWQLFKWELWWHVFK|Q© Ich ziehe mich wieder schleunigst an. Laufe hinunter. 8QG PLW GHU 7UDPEDKQ ]XU .ULPLQDOSROL]HL 8QG PDche die Anzeige. Dort sagt man mir: »Wir werden genau nachforschen!« »Forschen Sie, forschen Sie!«, sage ich. »Und rufen Sie mich dann bitte an!« 'LHDEHUVDJHQª=XP7HOHIRQLHUHQKDEHQZLUNHLQH =HLW:LUZHUGHQ©VDJHQVLHªDXFKRKQH7HOHIRQJHVSUlche alles genau untersuchen, verehrter Genosse!« Wie die Sache noch enden wird, weiß ich nicht. Sonst hat mich niemand mehr angerufen. Aber der Apparat hängt an der Wand. 93
In hundert Jahren von Michail Sostschenko
V
erehrter Leser! Ich weiß nicht, was für Zeitungen es in hundert Jahren geben wird. Mag sein, daß es Zeitungen überhaupt nicht mehr geben wird. Vielleicht wird dann jedem Genossen über’m Bett ein eigenes kleines Radioempfangsgerät angebracht sein, durch das er die letzten sensationellen politischen Neuigkeiten wird erfahren können. Allein, mag sein, daß es eine Zeitung doch noch geben wird. Freilich wird es eine ganz andere Zeitung sein als GLHKHXWHEOLFKH:RP|JOLFKDXIDOOHUIHLQVWHP%WWHQ gedruckt, mit Goldschnitt und 24 Seiten stark. $EHUHLQHVGDULQZLUGEOHLEHQZLHHKXQGMH±GDVLVW die Abteilung: Eingesandt und Beschwerden! Man sagt: Nichts sei ewig unter dem Mond! Das ist eine offensichtliche Lüge: Die Sparte Beschwerden wird es immer geben. Nach unserer unmaßgeblichen Ansicht wird diese etwa so ausschauen. Demoralisation in der Luftfahrt 9HUHKUWHU *HQRVVH 5HGDNWHXU $OV LFK JHVWHUQ YRP Dienst vorschriftsmäßig im staatlichen Luftomnibus heimkehrte, bot sich mir in der Luft folgendes Bild. Fliegt da im offenen Sportzweisitzer, mit den Ellbogen 94
EUHLWKLQJHOPPHOWGHU9HUZDOWHUGHU5DGLR.FKH mit seiner Kassiererin Jessipowa. Was sie miteinander VSUDFKHQNRQQWHLFKLP/lUPGHV9RUEHLÀLHJHQVOHLGHU nicht verstehen. :LHZlU¶VZHQQGLHYHUHKUOLFKH5HGDNWLRQPLWGHP Q|WLJHQ 1DFKGUXFN DQIUDJHQ ZUGH DXI ZHOFKH 6WDDWVNRVWHQGHQQGHUEHUHLIULJH9HUZDOWHUGHU5DGLR.FKH sich privatim in der Luft ergeht? Der Kassiererin aber gebührt schon längst eins in die IDOVFKHQ=lKQH±DXIGDVLHGDVVWDDWOLFKH%HQ]LQQLFKW für ihre Liebeslaunen vergeude. Wo sie mir dazu noch die Zunge herausstreckte, als ich, wie vorschriftsmäßig, LPVWDDWOLFKHQ/XIWRPQLEXVYRUEHLÀRJ 7VFKHVVQRNRZ%HDPWHUGHU5DGLR.FKH Schlamperei Genosse Redakteur! Es ist endlich an der Zeit, die Sache mit der Asche in Ordnung zu bringen! Nachdem ich die Leiche meiner verstorbenen GroßPXWWHU LQV .UHPDWRULXP JHEUDFKW XQG GHQ 9HUZDOWHU gebeten hatte, die irdischen Überreste in der vorschriftsmäßigen Ordnung zu verbrennen, erscheine ich anderntags ebendort, um das Resultat abzuholen. Da erweist es sich, daß sie die Urnen verwechselt haben, so daß sie mir die Asche einer ganz anderen Genossin ausliefern wollten. Auf meine Frage, wo denn die Asche des alten Frauchens hingekommen sei, antwortete der Verwalter frech, daß Asche Asche sei und ganz gleichgültig von wem und 95
von was und daß er keine Zeit habe, sich auch noch um die Asche zu scheren. Auf meinen Einwand, daß dieses alte Weibchen Augenzeugin der Revolution und daß sie also eine bedeutende Alte gewesen sei, erschrak der Verwalter offensichtlich sehr. Er bat mich gleich inständigst, die Sache nicht der übergeordneten Instanz zu melden, und bot mir, um ein übriges zu tun, soviel Asche an, wieviel ich nur nehmen wollte. Auf meine Frage, wie ich mich denn in der Asche auskennen sollte, erklärte der Verwalter, daß auch er nicht auf dem laufenden sei und daß er in Zukunft auf meine nächsten Verwandten besser achtgeben und sie mit besonderen Kennzeichen versehen würde. Verehrter Genosse Redakteur, es ist jetzt wirklich an der Zeit, die Frage nach den diesbezüglichen gesetzlichen Bestimmungen in den Sparten Ihres Blattes gebührend zu beleuchten. Mit freundlichem Gruß! Lutschkin
Hemmschuh der Wissenschaft Verehrter Genosse Redakteur, liebe Setzer! Als ich dieser Tage durch das Teleskop auf meinem Fensterbrett in wissenschaftlicher Absicht Beobachtungen am Mars und den anderen Planeten anstellte, fiel mir eine plötzliche Verfinsterung am großen Fernrohr auf. Ich kroch sogleich auf das Fensterbrett, um zu erfahren, was los sei, und mir Gewißheit zu verschaffen, wo die Verfinsterung herrühre. Ob nicht etwa irgend so ein neuer Planet mein 96
Perspektiv verdecke … Da sah ich, indes von der Seite her ein gellender Pfiff ertönte, eine dunkle Gestalt um die Ecke des dreistöckigen Wolkenkratzers verschwinden. Bei näherer Untersuchung erwies es sich, daß der geheimnisvolle Unbekannte das Vergrößerungsglas vom Fernrohr geklaut hatte, das die himmlischen Weiten dem Beschauer näherrückt. Nach erfolgter Anzeige bei der Miliz bitte ich hiermit das verehrliche Druckorgan, die unverantwortlichen Personen anzuprangern, die die hohe Wissenschaft hemmen, indem sie den Forschern die teuren Gläser unter der Nase wegklauen. Nikolai Kuschakow
97
Das Gebet von Michail Sostschenko
A
ls ich im vorigen Sommer bei einem bekannten Bauer im Dorf übernachtete, hörte ich die Bäuerin beten. In der Hütte war alles still geworden. Da trat das Weibchen barfuß zum Gnadenbild, kniete nieder und begann, sich immer wieder bekreuzigend, zu flüstern: »Bewahre mich vor allem Übel und sei mir gnädig, Heilige Mutter Gottes – ich wohne in der letzten Hütte des Dorfes!« Das Mütterchen bekreuzigte und verneigte sich lange vor dem Gnadenbild, bat demütig um alle möglichen Gnaden und vergaß auch nicht, allemal ihren Wohnort anzugeben: die letzte Hütte des Dorfes. »Mütterchen!«, sagte ich, als sie ihr Gebet beendet hatte. »Hör‹ mal, Mütterchen, eure Hütte ist gar nicht die letzte! Die letzte steht ja nebenan!« »Nein, nein!« sagte das Weibchen. »Das ist ja gar keine Hütte, das ist die Badestube. Der Herrgott weiß das schon!« »Immerhin!« sagte ich, »es kann ein Mißverständnis geben, Mütterchen … Bei solch einer ungenauen Adresse …« »Je nun, wirklich?« fragte das Weibchen. Sie trat noch einmal zum Gnadenbild, kniete nieder und sagte: »Bewahre mich vor allem Übel, sei mir gnä98
dig, Heilige Mutter Gottes – ich wohne in der letzten Hütte des Dorfes, nebenan aber ist die Badestube!« Das Weibchen stieß, sich neigend, mit dem Kopf gegen den Fußboden, stand auf und legte sich getröstet hinter dem Wandvorhang zur Ruhe.
99
Die Säuglingsbörse von Panteleimon Romanow
I
m Bahnhof war großes Gedränge. Vor dem Schalter wuchs eine Schlange. Sie nahm schon die ganze Länge des Saales ein und wand sich nun zurück und in Spiralen weiter durch den Raum. Kindergeschrei erfüllte die Luft, und fast jede Frau hatte so ein unruhig Wimmerndes im Arm. Auch draußen auf dem Bahnhofsplatz standen Weiber mit Säuglingen. Sie eilten nicht wie die anderen in den Schalterraum, Gepäck hatten sie auch nicht bei sich und auch keine Waren zum Verkauf. Dennoch wurden sie vom Volk umdrängt wie Marktfrauen, die auf Bahnhöfen Eier, Wurst und Brot feilbieten. »He, was pflanzt ihr euch hier auf!« schrie ein Milizsoldat. »Wenn ihr Fahrkarten braucht, dann marsch mit euch in den Bahnhof. Sonst macht, daß ihr zum Teufel kommt!« Zögernd wandte sich der ganze Weiberhaufen zum Schalterraum, und das Kindergeschrei im Saal wurde noch lauter. Eine junge Frau hatte sogar zwei Säuglinge bei sich. Den einen hielt sie im Arm, den anderen hatte sie in Decken gewickelt auf den Boden gelegt. »He, du, tritt ihm nicht aufs Ohr!« rief ihr ein Arbeiter zu, der mit einem Sack Kartoffeln am Ende der Schlange stand. 100
»Ja, wo soll ich denn hin? Nun sei doch endlich still, nicht zum Aushalten mit dir!« schrie das Weib zur Antwort ihren brüllenden Säugling an. »Die Weiber, scheint’s, hat der Reiseteufel gepackt! Und alle mit Kindern, alle mit Kindern! Werden vielleicht noch die Fahrkarten nicht ausreichen!« wiegte der Arbeiter bedächtig den Kopf. »Müssen die letzten eben bis morgen warten!« meinte ein anderer. »Wer einen Säugling hat, kommt heute noch mit, kommen alle außer der Reihe dran!« »Ach Gottchen, wenn ich das gewußt hätte, hätte ich auch mein Kindchen mitgenommen!« sagte ein Weib im kurzen Schafpelz. »Bitt dir eins bei denen an der Wand aus, Mütterchen!« »Ob sie’s geben werden?« »Warum denn nicht? Dazu sind sie ja hergekommen. Für Geld bekommt man heut alles!« Das Weib ging zu den jungen Müttern; als sie zurückkam, sagte sie: »Vier Rubel wollen sie haben!« »Die haben ja keine Scham im Leibe!« keifte eine Alte. »Gestern ging’s noch für drei.« »Ach, steck dir eine Katze untern Schafpelz, wird auch als Brustkind gehen!« »Nein, Brüderchen, die tasten jetzt ab!« »Ich habe dich eben noch ohne Säugling gesehen!« schrie der Milizsoldat ein Weib ganz vorne beim Schalter an. »Wo kommt der plötzlich her?« 101
»Woher, woher! – wo so was schon herkommt!« gab die Frau keifend zurück. Der Milizsoldat ließ von ihr ab. »Wer Kinder mithat – nach vorne!« rief er in den Raum. »Und da soll einer noch eine Fahrkarte bekommen!« seufzte der Arbeiter mit dem Kartoffelsack. »Schau, die alte Hexe dort, auch mit einem Säugling! Pfui Teufel! Wer hat sich da verführen lassen? – Bis an die Tür haben sie einen wieder zurückgetrieben!« Der Mann spuckte wütend aus. »Nimm auch ein Brustkind, Väterchen!« sagte die Eigentümerin der zwei Säuglinge. »Kommst gleich außer der Reihe dran!« »Hol’s der Teufel! Wird man wohl müssen! Was soll er denn kosten?« »Der Preis ist überall der gleiche, Väterchen: vier! An Markttagen nehmen wir sogar fünf!« »Was zum Teufel seid ihr so teuer?« sagte der Arbeiter und zählte das Geld ab. »Ja, was soll man da machen, Väterchen! Man will doch leben!« Der Arbeiter gab ihr das Geld und nahm das Kind auf den Arm. »Nur das Köpfchen halt etwas höher!« belehrte ihn die Junge. Dann hob sie den anderen Säugling vom Boden auf. »Was kosten heute die Kinder?« fragte jemand flüsternd in die Menge. »Vier kosten sie heute!« »Blutsauger! Gestern kosteten sie nur drei!« »He, und was kostet das Brot, du Klugschwätzer?« »Die jungen Weiber sind rein vom Teufel besessen! Vier, Mütterchen, ist viel zu teuer! Vorige Woche fuhr 102
ich mit der Schwiegertochter, da zahlten wir fünf Rubel für ein ganzes Paar!« »Ja, die Kinderchen steigen mächtig im Preise!« sagte mit dem Kopf nickend ein altes Männchen. »Wer ein tüchtiges Weibchen hat, der kann jetzt Geld schaufeln!« »Heute ist wieder die Hölle los!« knurrte der Milizsoldat. »He du, Genosse!« schrie er den Arbeiter an, »was schiebst du dich zwischen die Weiber! Zurück in die Reihe!« »Ich hab’ ein Kindchen!« »Na, dann bleib, wo du bist, hol’s der Kuckuck!« »Du Teufel, hältst ihn ja mit dem Kopf nach unten!« kam schreiend die Junge gelaufen. »Männer wollen das sein, und verstehen noch nicht einmal ein Kind zu halten!« Endlich wurde der Schalter geöffnet, und die Menge schob sich aufgeregt lärmend nach vorne. Die Weiber an der Wand hatten jetzt keine Kinder mehr. Nur eine hinkende Frau schleppte sich noch mit einem fünfjährigen Jungen ab. Eine Händlerin mit einer Blechkanne rannte auf sie zu, hob das Kind auf und schüttelte abwehrend den Kopf. Schließlich nahm sie den Bengel doch, wickelte ihn von Kopf zu Füßen in einen großen Schal und lief eiligst nach vorne. »Bist ihn doch noch losgeworden?« fragte teilnehmend ein altes Frauchen die Hinkende. »Ja, ja, man nimmt das Teufelsbalg erst, wenn kein Säugling mehr da ist!« sagte unwillig das Weib. »Der 103
Bengel ist zu schwer! Nach einer Stunde fallen einem rein die Hände ab!« »Ach Gottchen, wo sind denn meine beiden Kinderchen?« rief im Gedränge angstvoll die junge Frau. »Hier ist einer!« winkte beruhigend der Arbeiter aus der Menge. »Und hier der andere! Beide noch heil und ganz!« – »Hol dich der Teufel!« sagte der Arbeiter, als er seine Fahrkarte bekommen hatte und den Säugling wieder ablieferte. »Den ganzen Anzug hat er mir naß gemacht!« »Ist nicht so schlimm!« erwiderte lachend die Junge. »Wird schon wieder austrocknen! Kann ja auch einem Großen beim Warten passieren!« »Wem gehört der Kleine?« rannte eine andere, verzweifelt die Mutter des gemieteten Kindes suchend. Die Händlerin mit der Blechkanne aber schob wütend den Jungen der hinkenden Mutter wieder zu: »Ein Teufelsbraten ist das und kein Säugling!« sagte sie wütend. »Mit dem geht’s nicht außer der Reihe! Hab’ deinetwegen nur meinen Platz verloren!« Das alte Männlein schaute die Schimpfende an und meinte schmunzelnd: »Hättest lieber deinen Schwiegervater auf den Arm nehmen sollen, mein Täubchen!«
104
Die Gottesgabe von Panteleimon Romanow
A
uf den Puffern eines Güterwagens fuhren drei alte Weiber. Zwei von ihnen hatten einen Sack bei sich, die dritte – nur ein kleines Bündel. Heimlich waren sie nachts auf den Zug gestiegen, nachdem sie ein Brett aus dem Bahnhof entwendet und sich so den Sitzplatz bereitet hatten. »Herrgott Väterchen im Himmel!« sagte das Weib mit dem kleinen Bündel und begann zu weinen. »Dreißig Werst weit bin ich um Mehl gefahren … Da haben sie’s Geld mir gestohlen …« »Das ist ein wahres Unglück!«, ließ sich die Nachbarin hören, ein altes Weibchen mit weißen Fußlappen, die sie dick um die Füße gewickelt und mit Schnüren umwunden hatte. »Mir, seht, hat der Herrgott geholfen! Nächtelang habe ich nicht mehr geschlafen – kaum, daß ich die Augen noch offen halte; aber wenn ich daran denke, daß ich Mehl heimbringe – so lacht mir das Herz im Leibe! Und ist es mir doch, kann man sagen, fast umsonst zugefallen. Von einem Mann, dem es nicht besser als dir ergangen war, von ihm hab’ ich’s um einen Tausender erhandelt!« »Ist wie eine Gottesgabe … vom Himmel gefallen!« sagte das Weib mit dem Bündel. »Mir aber …« Das alte Weibchen, die Mehlbesitzerin, seufzte mitleidig, befühlte 105
ihren Mehlsack und rückte sich bequemer zurecht, den einen Fuß auf den Pufferteller stützend. »Heilige Mutter Gottes!« sagte wieder das Weib mit dem Bündel. »Was soll ich nur tun? Wie kann ich meinem Alten unter die Augen treten – ohne Mehl! Ißt er daheim doch schon Lindenblätter!« »Wenn auch nicht viel, aber etwas bringe ich schon heim!« sagte die dritte und blickte auf ihren Sack, der um die Hälfte kleiner war als der Sack der Alten. »Bekreuzigt habe ich mich, als ich den schweren Sack schleppte …« »Freilich, das muß man auch: sich bekreuzigen! Ist hier doch die Hand Gottes offenbar! Solch einen Sack – um einen bloßen Tausender!« Der Zug jagte bergab. Die Wagen ratterten und stießen hin und her. Und da plötzlich geschah’ s … Man hörte einen unmenschlichen Schrei. Etwas stürzte zwischen die Räder …, verschwand … Das Bein der Alten war vom Pufferteller abgeglitten, und die beiden anderen sahen nur noch, wie ihr Kopftuch aufblinkte unter den Rädern – und die Beine in den weißen Fußlappen, mit hanfenen Bändern verschnürt … Erschrocken beugte sich das Weib mit dem Bündel vor und bedeckte mit gellendem Schrei die Augen … Hinten, in der Wegbiegung, zwischen den Gleisen, zuckte etwas Blutüberströmtes … Wieder schrie das Weib gellend und außer sich um Hilfe. »Nicht doch!« sagte die andere. »Jetzt ist’s schon gleich! Hat es sie überfahren?« 106
»Wohl, wohl, Mütterchen! Fürchterlich warl’s anzuschauen!« antwortete das Weib mit dem Bündel, das Grauen in den weit aufgerissenen Augen. »Herrgott Väterchen – Zeiten sind das!« Eine Weile schwiegen beide erschüttert. »Wenn es sie wirklich überfahren hat, wird sie jetzt schon tot sein!« »Da war ein Mensch und – ist nicht mehr … Und zu Hause sicher warten sie, zählen die Tage, bis die Alte das Mehl heimbringt …« »Bekreuzigt, sagt sie, hat sie sich, als sie den Sack trug! Eine Gabe Gottes, dachte sie, und wußte nicht, daß sie den Tod auf dem Rücken heimschleppt …« »O lieber Herrgott im Himmel, jetzt werde ich die ganze Woche davon träumen müssen. Wie ich so hinschaue, zuckt es ja noch, das arme Herzchen … Wer weiß, vielleicht lebt sie noch – man hätte doch den Zug zum Halten bringen müssen …« »Kaum«, sagte das Weib mit dem kleinen Mehlsack. »Wenn sie überfahren wurde, ist’s schon gleich – lebt sie eh’ nimmer lange! Gott selbst hat sie gestraft, daß sie aus fremder Not ihren Nutzen zog. Zu wohlfeil, siehst du, hat sie eingekauft, den Preis herabgedrückt und sich noch gefreut.« Wieder schwiegen die Weiber, saßen steif ohne sich zu rühren … Dann sahen beide gleichzeitig auf den zurückgebliebenen Sack der Alten, ihre Augen begegneten sich und wichen scheu voneinander. 107
»Sicher wird’s heute Nachtfrost geben …« »Ja, es sieht fast so aus. Im vergangenen Jahr hat es an Mariä Schutz und Fürbitte Schnee gegeben!«, antwortete die Frau mit dem kleinen Mehlsack. Bis zur Endstation war es nicht mehr weit. Und sie wollte ihr Mehl auf den Sack der Alten schieben. »Was ist, sitzt du nicht bequem? Wart’, ich rücke den großen Sack näher an mich heran.« »Nein, nein, laß nur …« »Aber warum denn nicht? Komm, ich rücke ihn etwas, und du setzt dich näher heran!« »Nein, nein, ich will nur mein Säckchen da hintun – dann geht es schon!« »Was legst du ihn denn auf den sauberen Sack? Siehst du nicht, der Deine ist voller Dreck …« »Was geht’s dich an? Ist’s etwa dein Mehl? Wie?« »Deines vielleicht?!« »Ich sage ja nicht, daß es meines ist! Aber warum denn ohne Grund es verschmutzen …« »Na, dann halt’s Maul! Wenn’s nicht dir gehört!« Das Weib legte ihren kleinen Sack auf den großen, und gleich hatte es den Anschein, als ob beide Säcke ihr gehörten. »Ja, zum Teufel, was türmst du da auf!« schrie das Weib mit dem Bündel. »Nimm ihn sofort herunter! Er stört mich!« »Sachte, sachte!« »Nimmst du ihn runter oder nicht?« »Du willst dich wohl an das Mehl da ’ranmachen?« 108
»Ich mache mich an gar nichts, aber du, scheint es, hast’s nötig! Warte nur, wenn wir ankommen, erzähle ich allen gleich, wie du mir das Schreien verboten hast … Einen ganzen Sack bringt sie heim – aber nein, ist ihr immer noch nicht genug – der Toten selbst will sie’s mit Gewalt abzwacken. Nimm ihn gleich ’runter, sage ich, sonst stoße ich ihn unter die Räder …« Und das Weib mit dem Bündel versuchte, den kleinen Sack hinabzuwerfen. Wütend fuhr ihr die Nachbarin in die Haare … »Ah! So machst du’s …« Sie packte zur Antwort mit beiden Händen den Hals der Gegnerin. Die andere, unter dem würgenden Griff, begann zu röcheln, ließ die Haare los … versuchte mit der einen Hand die drosselnde Klammer zu lösen, indes die andere krampfhaft den Sack an sich drückte. Sie hätte sich mit beiden Händen besser helfen können, aber sie fürchtete, die Gierige, den Mehlsack loszulassen … Wieder jagte der Zug bergab. Das Brett, auf dem die kämpfenden Weiber saßen, hüpfte auf und ab; unter den Füßen blinkten, ein graues Band, die Eisenbahnschwellen. Schon traten der Frau die Augen aus dem Kopf, und die Finger, die sich in die würgende Hand verkrallt hatten, spreizten sich … Aber die andere, das Weib ohne Mehl, hielt sie so noch geraume Zeit, ja sie schüttelte sie, den Triumph auskostend – und jedesmal schlug der Kopf der Gegnerin mit den hervortretenden Augen nach hinten zurück. 109
Dann, plötzlich, ließ sie den Hals los und zog geschwind den großen Sack der Alten zu sich heran. »Willst du noch mehr? Schmeiß ich dich ganz vom Wagen! Rabenaas, so eins! Hat selbst einen Sack und vergreift sich am fremden!« Das Weib mit dem kleinen Mehlsack begann zu weinen, schluchzend wie ein Kind und am ganzen Leibe zitternd: »Ein Hälftchen, wenigstens, könntest mir abschütten!« »Hab’ ich’s nicht gesagt! Der arme Mensch vielleicht lebte noch – sie aber will nicht, daß man Hilfe herbeiruft … um sich am fremden Gut zu vergreifen! Ah, mein gescheites Köpfchen! Hab’ gleich den Braten gerochen! Dreckseele, verdammte!« Die andere gab keine Antwort und fuhr fort, bitter und kläglich zu weinen. In der Ferne tauchten die Wassertürme des Bahnhofs auf. Die Weinende wischte die Tränen ab, blinzelte einige Mal und sagte dann, noch geschüttelt von trockenem Schluchzen, demütig, ergeben: »Wenigstens zehn Pfündchen, liebes …« Die Antwort blieb aus. Die Nachbarin saß unbeweglich, zur Bildsäule erstarrt. Ihre Augen blickten geradeaus, und ihre Hände umklammerten fest den großen weißen Sack. Kaum, daß der Zug stand, sprang sie vom Wagen, wälzte sich behend den Mehlsack auf den Rücken und trug ihn, ohne sich umzusehen, eilends davon – quer über die Schienen, Sperre und Bahnhof meidend. 110
Die Zurückgebliebene blickte auf ihren Sack, der um die Hälfte kleiner war, und ihre Augen fingen wieder an, kläglich zu blinzeln. Durch Tränen, die ihr wie Nebel die Sicht verschleierten, sah sie der Forteilenden nach. Und lange noch konnte man in der trüben Dämmerung des sinkenden Abends sehen, wie das Weib mit dem schweren Sack auf dem Rücken sich vom Bahndamm entfernte und sich eifrig immer wieder bekreuzigte – mit breit ausladendem Kreuzeszeichen – über die unerwartete Gottesgabe.
111
Der Bock als Gärtner von Valentin Katajew
A
uf das Podium kletterte ein riesiger unrasierter Mensch. Er räusperte sich laut und fragte dann mit heiserer Flüsterstimme: »Und wo ist die Musik?« »Erlaubt mal, Genosse Lektor«, beunruhigte sich der Sekretär, »es ist doch ein Vortrag! Über den Branntwein! Und den Kampf mit ihm! »Wieso Musik?« »Ein Vortrag? Hm … Aber vielleicht sollte man lieber doch etwas singen? Aus ›Rigoletto‹, wie?« »He, he! Es ist aber doch ein Vortrag!« »Und ich würde, bei Gott, lieber was vorsingen. Ehrenwort! So irgend etwas… ,A-a-ach wie so trü-ü-gerisch …‹« »Nicht doch, nicht doch! Es ist ein Vortrag. Über den Branntwein und, sozusagen, den Kampf mit ihm. So steht’s auch bei uns auf den Anzeigen gedruckt.« »Wirklich? Nun, schön!« Der Mann im Frack räusperte sich tief, faßte sich mit den Händen an den Hals, verdrehte den Kopf und stellte sich in Positur. Der Vorsitzende klingelte. »Genossen, ich komme jetzt zur Tagesordnung! Gleich wird ein Genosse aus dem Zentralkomitee über das Thema: ›Selbstgebrannter Branntwein usw. usw.‹ re112
ferieren. Das Thema ist sehr wichtig für das Gemeinwohl der arbeitenden Klasse. Und diejenigen, die vielleicht Tanz und andere Belustigungen vorziehen, können gleich das Auditorium verlassen. Der Genosse aus dem Zentralkomitee hat das Wort!« Der Vortragende blickte mit leuchtend blauen Augen um sich, gab sich einen Ruck und begann: »Genossen! In dieser Stunde der Gefahr …, da die Sowjetrepublik unter den Ränken der Söldlinge des Weltkapitals stöhnend zusammenzubrechen droht, können wir nicht tatenlos beiseite stehen. Alle, wie ein Mann! Habe ich richtig gesprochen?« »Richtig!« bestätigte mißmutig der Saal. »Ja, Genossen! Wir müssen alle, wie ein Mann, den Kampf aufnehmen, den Kampf mit dem Selbstgebrannten Schnaps! Tausende von Menschen trinken diesen Fusel, und Tausende vergiften sich täglich mit diesem unheilvollen Gift, das den menschlichen Organismus verwüstet. Habe ich richtig gesprochen?« »Und sie erblinden sogar!« ließ sich eine geschäftige weibliche Stimme vernehmen. »R-r-richtig, Genossin! Seh-r zutreffend bemerkt! Das ist es gerade, sie erblinden! Kommt oft vor! Und verlieren sogar das Gehör! Ehrenwort! Also, Genossen, wir wissen nun, der Branntwein ist ein furchtbares Gift, eine Landplage! Und warum?« Der Vortragende überflog das Auditorium mit einem grimmigen Blick. »Und wa… rum?« 113
Er machte eine effektvolle Pause, und nachdem er zur Genüge die Stille ausgekostet hatte, erhob er wieder die Stimme: »Darum, teure Genossen, richtet der Branntwein so heillosen Schaden an, weil man es bis jetzt nicht gelernt hat, ihn anständig, wie es sich gehört, zu destillieren. Aber was ist einfacher, als einen Fusel zu destillieren! Ein paar nichtige Zutaten! Auf einen Eimer Schnaps nimmt man drei Pfund einfaches, ganz gewöhnliches, durch nichts bemerkenswertes Kochsalz …« »Grobes oder feines?« fragte jemand rasch aus dem Saal. »Am besten feines! Aber selbstverständlich geht auch grobes! Nun, und dann schüttet man dieses Salz in den Fusel und bedeckt den Eimer von oben mit irgend etwas Warmem. Mit einer Bettdecke zum Beispiel.« »Und mit einem Kissen, Genosse Lektor, geht das?« »Es geht auch mit einem Kissen. Ein Kissen ist sogar noch besser. Ja, liebe Genossen. Danach nimmt man an die fünf, sechs Pfund Kranzbeeren …« »Kranzbeeren!« kreischte ein Weib aus der dritten Reihe und klatschte sich begeistert auf die Schenkel. »Ach, du liebes Gottchen: Kranzbeeren!« »Richtig, Kranzbeeren!« wiederholte feierlich der Vortragende. »Ganz ordinäre Kranzbeeren! Und man kocht besagte Kranzbeeren auf einem langsamen , Feuer unter stetem Hinzumischen von Alaun, Kreide, Soda!« »Und vom Alaun, nimmt man da viel?« »Und Soda?« 114
»Genosse Lektor, und wie ist es, wenn man …« »Ruhe! Ruhe! Laßt doch zuhören! Nicht vordrängen! Vom Alaun, muß man da viel beimischen?« Im Zuschauerraum erhob sich ein entzetzlicher Lärm. Die Hinteren drängten nach vorne. Frauen kreischten. Aufs Katheder flogen Fragezettel. »Genossen, nicht alle auf einmal! Bitte, der Reihe nach! Da ist hier ein Zettel mit der Frage: ›Kann man der Stärke wegen Pfeffer und Tabak in den Fusel mischen?‹ Ich antworte: ›Se-e-lbstverständlich nicht! Pfeffer und Tabak geben, beigemischt, wohl den Eindruck von Stärke, in Wirklichkeit aber wird der Schnaps davon ganz und gar nicht stärker! Und der Schädel tut einem hinterdrein nur weh – wie verrückt!‹ Nun ja. Und also fahre ich fort. Und wenn, liebe Genossen, die Kranzbeeren verkocht sind und Saft gezogen haben, nimmt man ein Sieb, welches …« Der Vorsitzende war bleich geworden. »Genosse Lektor, ich bitte, sich näher ans Thema zu halten!« Das Publikum erhob ein lautes Gebrüll. »Reden lassen! Reden lassen! Stör den Referenten nicht! Die Kreide gestoßen oder in Stücken? Und laßt ihn noch einmal das mit dem Sieb erklären!« Den Kopf gesenkt, die Augen halb geschlossen, fuhr der Redner fort: »Danach, Genossen, reibt man die ganze Bescherung durchs Sieb in ein Gefäß …« »Ach, du liebes Gottchen, und schon ins Gefäß?« »… in ein irdenes Gefäß, in das man vorher …« 115
Der Vorsitzende griff sich verzweifelt an den Kopf und stürzte hinter den Vorhang. Der Sekretär stand dort an eine Seitenkulisse gelehnt; auf seiner Stirne perlte kalter Schweiß. »Sascha!« schluchzte wehmütig der Vorsitzende. »Er demoralisiert mir das ganze Auditorium. Und sieht gar nicht wie ein Doktor aus! Hast etwa aus Versehen einen anderen mitgebracht?« »Durchaus nicht, ich habe mich durchaus nicht versehen!« erwiderte Sascha dumpf. »Ich habe ihn selbst im Hotel geholt, in Zimmer Nr. 8!« Der Vorsitzende taumelte. »Nr. 18, und nicht Nr. 8, du Pfuscher, du Sargnagel! Schleif ihn vom Podium! Nicht Nr. 8, sondern Nr. 18! Vorhang! Vorhang! Alles verpfuscht! In Nr. 8 wohnt ein Schauspieler. Du Trottel!« Sascha zerrte krampfhaft am Vorhang. Aber es war schon zu spät. Der Redner stand mitten im Saal, umringt von der begeisterten Zuhörerschaft, die ihn mit Fragen bestürmte. Der Vorsitzende stürzte an den Vorhangspalt. Einen Augenblick lang drückte sein Gesicht Verzweiflung aus. Dann aber, dann tat der Vorsitzende noch einen wankenden Schritt, und plötzlich schrie er mit heiserer Stimme in den Saal: »Genosse Lektor! Nun, und wie ist es, wenn man zuviel Hefe hineintut – und das ganze Gesöff, das elende, dick wird?« Und stürzte mit diesen Worten in das ärgste Gedränge der wißbegierigen Zuhörerschaft. 116
Ein kleines Versehen von Michail Sostschenko
J
etzt werden immer häufiger Ärzte in den Volksgerichten verurteilt, Genossen! Der eine, seht, hat vielleicht mit schmutzigen Händen operiert, der andere verlor dabei die Brille und konnte sie in den Eingeweiden nicht mehr finden, ein dritter schnitt vielleicht irgendeinem Dämchen nicht das ab, was nötig war. Das alles ist natürlich nicht europäisch! Und solche Ärzte gehören glattweg vors Volksgericht! Aber nun hört mal, Genossen, wofür man den berühmten Jegorytsch verurteilen will, den Heilkundigen! Es erkrankte hier nämlich ein Lastfuhrmann. Rjabow mit Namen. Ein tüchtiger Arbeiter. Also er legte sich ins Bett und hieß sein Weib, keine Mühe und keine Kosten sich verdrießen zu lassen und den besten, berühmtesten Arzt herbeizurufen. Das Weiblein heulte wohl ein wenig, weil ihr das Geld leid tat, widersprach jedoch dem Kranken nicht. Ließ den Arzt kommen. Der erschien. Ein kleines, schmächtiges Männlein, aber von hoher Bildung. Er besah sich den Leib, betastete ihn, wie es sich gehört, und sagte: »Blödsinn! Wegen solch einer Lappalie einen berühmten Arzt zu belästigen! Ein wenig überfressen hat sich der Mann! Bekommt ein Klistier! Zum Essen ein Hühnchen!« Sagte das und ging. Und ließ den Kranken betrübt zurück. 117
Ach! denkt er. Daß ihn das Zipperlein hole! Solche Altweiberrezepte zu verschreiben! Mein Vater kannte sein Lebtag solche Damenmittel nicht! Bis zum Abend grämte sich der Kranke. Am Abend aber befahl er seinem Weib, den berühmten Jegorytsch aus Malaja Ochta kommen zu lassen. Dem Weiblein natürlich tat das Herz weh über diese neue Verschwendung; sie schluckt jedoch ihren Kummer tapfer hinunter und fuhr zum berühmten Heilkundigen. Bittet ihn, zu kommen. Der ließ sich natürlich hübsch lange bitten. »Wozu soll ich«, sagt er, »nach dem Besuch des berühmten Arztes unnütz hin und her fahren? Ich«, sagt er, »besitze keine Hochschulbildung und kann nur schlecht schreiben. Was soll ich da noch den weiten Weg machen!« Nun ja, er ließ sich hübsch bitten, verhandelte noch eine Weile über das Honorar: wieviel in Geld und wieviel in Lebensmitteln, und kam schließlich mit. Er tastete den Leib erst gar nicht ab. »Der Leib«, sagt er, »tut hierbei nichts zur Sache! Und wenn man den Leib abtastet, wird davon die Krankheit auch nicht besser!« Dann forschte er den Kranken aus, was der erste Arzt verschrieben hätte, lächelte mitleidig darüber und heißt nun seinerseits den Kranken, einen Zettel zu schreiben: »Ich bin gesund, und mein seliger Papa war gesund!« Und befiehlt, diesen Zettel zu verschlucken. Der Kranke hörte sich alles aufmerksam an. »Ach!« schüttelt er traurig den Kopf. »Es geht nicht! Ich verste118
he ja gar nicht zu schreiben. Ich bin kein Gelehrter. Nur den Familiennamen kann ich unterschreiben. Vielleicht genügt das?« »Nein!« antwortet Jegorytsch, runzelt finster die Brauen und zupft ärgerlich an seinem Schnurrbärtchen. »Nein! Der Familienname allein genügt nicht. Der Familienname«, sagt er, »ist gut gegen das Gliederreißen, aber für den Bauch ist der ganze Zettel nötig!« – »Ja, was soll ich machen?« fragt schüchtern der Kranke. »Vielleicht schreiben Sie es für mich auf. Seien Sie doch so gut!« »Ich würde es ja gerne für Euch aufschreiben!« sagt Jegorytsch. »Aber ich habe meine Brille zu Hause vergessen. Laßt jemand von den Verwandten oder Bekannten den Zettel schreiben!« Man rief den Hausmeister Andron. Andron kam also. Setzte sein Honorar fest, bat sich einen Bleistift aus, lief sogar selbst nach dem Papier und begann zu schreiben. Schrieb eine Stunde, schrieb zwei. Der Schweiß floß ihm in Strömen von der Stirn, aber schließlich wurde der Zettel doch fertig: »Ich bin gesund, und mein seliger Papa war gesund! Andron, Hausmeister aus Nr. 6« Er reichte sein Werk dem Kranken. Der schluckte und würgte, bis er den Zettel glücklich hinunter hatte. JegoU\WVFKKDWWHVLFKLQ]ZLVFKHQDXI¶VOLHEHQVZUGLJVWHYRQ allen verabschiedet und war gegangen; nicht ohne die Bemerkung, daß er für den glücklichen Ausgang der Kur QLFKWJDUDQWLHUHQN|QQHGHU3DWLHQWKDEHMDQLFKWVHOEVW 119
geschrieben. Der Kranke aber war ganz vergnügt geworGHQDVRJDUHLQZHQLJ7URW]DOOHGHPVWDUEHUQRFKLQ derselben Nacht. Nun, tot ist tot! Der Witwe aber tat das verschwendete Geld leid. Sie ging in den Arbeiterverband: ob man nicht GDVYLHOH*HOGYRQ-HJRU\WVFK]XUFNYHUODQJHQN|QQWH" 'DV*HOGEHNDPPDQQLFKWZLHGHU±VRHLQHUZDU-HJRU\WVFKQLFKW$EHUGLH6DFKHNDPDXI'HU7RWHZXUGH seziert. Und der Zettel gefunden. Man entfaltete ihn, las ihn und rief entsetzt: »Die Unterschrift, herrje! war ja nicht richtig! Die Unterschrift war ja von Andron!« Und die Sache kam vors Gericht. Dem Gericht wurde mitgeteilt: Die Unterschrift wäre falsch, das Papier außerdem HLQ6WFN7DSHWHXQGLP$XVPDIUGHQ0DJHQYLHO]X groß … bitte urteilt selbst! -HJRU\WVFKHUNOlUWHZlKUHQGGHV9HUK|UVª,FKNDQQ nichts dafür, Brüderchen! Ich habe den Zettel nicht geschrieben und habe ihn nicht geschluckt, und ich habe auch nicht das Papier geholt. Aber, daß der Hausmeister Andron seine Unterschrift daruntergesetzt hat und nicht GLH GHV .UDQNHQ GDV KDEH LFK EHUVHKHQ 9HUXUWHLOW PLFKIUGLHVHVNOHLQH9HUVHKHQ© Andron dagegen sagte aus: »Ich habe zwei Stunden lang geschrieben, mich angestrengt und war darüber ganz in Schweiß geraten. Und da habe ich dann meinen Familiennamen unterschrieEHQ ,FK ELQ GHU 0|UGHU ,FK ELWWH XP PLOGHUQGH 8Pstände!« 120
Sagt, wird man Jegorytsch und Andron nun wirklich verurteilen?
121
Fragebogen! von Panteleimon Romanow
E
ine fünfköpfige Familie saß schon drei Stunden über’m Fragebogen. Die Fragen waren die üblichen: Alter, Abstammung, Beruf bis zur Oktoberrevolution u. s. f. ª'DVLVWPLUHLQ7HXIHOVVWFNFKHQ'DODQJWVFKLHUGLH Kraft nicht aus!« sagte das Familienoberhaupt, sich den Schweiß vom dicken Nacken wischend. »Nur fünf kleiQH=HLOFKHQVLQG¶V±NRPPVWGDEHLDEHULQV6FKZLW]HQ als wenn du eine ganze Lastfuhre ziehen müßtest!« »Wo sind wir denn stehen geblieben?« fragte die Frau. »Wo? Immer beim nämlichen! Bei der Abstammung natürlich! Ich habe vergessen, was ich das letztemal geschrieben habe. Das ist die ganze Sache!« ª9LHOOHLFKWPHUNHQVLH¶VJDUQLFKWZHQQZDVDQGHUHV dasteht?« »Wieso denn nicht? Wenn es doch das gleiche Amt ist! Schwätz keinen solchen Unsinn!« »Ich glaube, du schriebst: geistlicher Abstammung!« sagte der älteste Sohn. »Nein, nein, affokatischer! Ich erinnere mich genau!« sagte der Jüngste. ª*LEW¶VMDJDUQLFKW6WHFNGHLQH1DVHQLFKWLQ6DFKHQ die du nicht verstehst! Was bist du schon wieder mit deiQHP%DXFKDXIGHQ7LVFKJHNURFKHQ© 122
ª:RPLWSODJW,KU(XFK9lWHUFKHQ"©IUDJWHLQV=LPmer tretend, der Nachbar. »Ja, mit dem Fragebogen, natürlich!« »Ihr macht zuviel Wesens davon! Da muß man ganz anders ran. Couragierter halt!« »Was heißt hier: couragierter? Die Sache liegt nicht in der Courage, sondern daß ich vergessen habe, welcher Abstammung ich auf dem letzten Fragebogen war. Ich besinne und besinne mich auf gut Glück und komme nicht weiter. Schreib ich die und die Abstammung, JHKW¶VPLWGHP%HUXILUJHQGZLHQLFKW]XVDPPHQ'UHL Fragebogen habe ich schon verschrieben. Muß immer wieder hin und neue holen! Ist mir schon peinlich!« »Ja, ja, auf die Frage der Abstammung müßt Ihr am meisten acht geben!« »Jetzt sind es bald drei Stunden, daß wir auf sie acht geben! Zuerst schrieb ich: geistlicher Abstammung. Aber das ist mir zu gefährlich! Dann habe ich mich als ehrVDPHQ %UJHU KLQJHVWHOOW±DEHU GLHVH $UW (KUVDPNHLW ist heutigentags auch für die Katz! Herrgottchen, wann wird man uns endlich Ruhe geben! Mein Großvater, seKHQ 6LH ZDU 3UREVW PHLQ 9DWHU *UXQGEHVLW]HU±DEHU nur ein ganz kleiner, und selbst bin ich vom ehrsamen Beamtenadel …« ª9RPHUEOLFKHQ"© »Das ist es ja gerade: von erblichem Adel! Also, welcher Abstammung bin ich nun eigentlich?« ª=XP7HXIHO'DVGDWDXJWDOOHVPLWHLQDQGHUQLFKWV© sagte der Nachbar und beugte sich, die Stirn runzelnd, 123
EHUGHQ7LVFKª'DKDEW,KUZLHLFKVHKHDXIGHPHLnen Fragebogen geschrieben: Sohn einer Hausmeisterin und eines Stukkateurs …« »Ach, das habe ich nur so … als Probe … Kombiniert halt!« »Eine etwas komische Kombination!« sagte der Nachbar. »Warum denn gerade Hausmeisterin und Stukkateur. (UJLEWNHLQHVFK|QH3DDUXQJ,VWGRFKNHLQH+DUPRQLH dabei!« »Ja, das ist wahr!« »Nun laßt mal diesen Punkt fürs erste beiseite! Ihr verstopft euch ja ganz den Kopf!« sagte die Frau. »Ist recht! Gehen wir vorerst drüber weg! Aber da kommt‹s ja noch besser. Der nächste Punkt will wissen, womit ich mich vor der Oktoberrevolution beschäftigt habe und in welcher Weise ich an derselben beteiligt war. Bitte denkt einmal nach …« »Du hast an Demonstrationen teilgenommen!« sagte der jüngste Sohn. »Ah, Unsinn! Bei Demonstrationen kann jeder Esel mitlaufen!« »Du schriebst Propagandabroschüren!« sagte der Älteste. »Ja, und wo sind sie? Weiß der Teufel, anfangs, wissen Sie, war das Ganze nur komisch, aber jetzt ist’s einem nicht mehr zum Lachen zumut! Morgen ist der letzte Ablieferungstag— und da steht noch gar nichts! Also lassen wir fürs erste auch diesen Punkt. Jetzt, weiter: Haben Sie einen Erwerb? Schreibe ich: Ja – dann muß ich auch 124
angeben, wieviel ich verdiene. Heißt also: sie knallen einem gleich eine Steuer auf. Schreibe ich aber: Ohne Erwerb – so ergibt sich die Frage, wo ich die Existenzmittel hernehme. Heißt also: Ein Kapital ist vorhanden, das ich nicht angegeben habe. Das ist die reinste Teufelskabbalistik!« »Also merkt Euch ein für alle Mal die Regel: Man muß möglichst wenig auf die Fragen antworten und möglichst viel durchstreichen! Haltet Euch passiv – und beileibe nicht aktiv!« ª6HKUVFK|Q$EHUKLHUYHUODQJWPDQMD$QWZRUWDXI GLH)UDJHQ%LWWHYHUVXFKHQ6LH¶VGRFKPDO:DVIUHLner Abstammung bin ich? Nun bitte: aktiv oder passiv? Ah, da kommt ja Mischa, unsere Amtsperson! Hilf uns, %UGHUFKHQ =X7RGHPDUWHUW,KUXQVPLWHXUHQ)UDJHbogen!« »Was habt Ihr denn da?« fragte der Eintretende. Es war ein dicker beleibter Mann. Er hatte eine Bluse an, die mit einem schmalen Riemen eng gegürtet war. ª1XQGLH8QWHUKDOWXQJGHV7DJHVQDWUOLFKZLUO|VHQ 5lWVHO©$XFKGHU$QN|PPOLQJVWW]WHVHLQH(OOERJHQ DXIGHQ7LVFK]RJGLH)UDJHERJHQ]XVLFKXQGUXQ]HOWH die Stirn. Alle blickten gespannt und voller Hoffnung auf ihn. »Warum ist denn jeder Fragebogen bei dir anders?« fragte er und sah mißtrauisch den Hausherrn an. (UU|WHQG XQG PLW YHUOHJHQHP /lFKHOQ DQWZRUWHWH MHner: »Ja, wir haben hier halt … ausprobiert … nur so …, um zu sehen, was dabei herauskommt …« 125
ª(LQVFK|QHU9HUVXFKPXLFKVDJHQ$XIGHPHLQHQ Fragebogen: Ehrenbürger. Auf dem anderen: Geistlicher Abstammung! Ja, was bist du denn in Wirklichkeit?« »Was? Wer?« »Nun du? Welcher Abstammung?« ª+P0HLQ*URYDWHUZDU3UREVWPHLQ9DWHU*UXQGbesitzer, aber nur ein ganz kleiner, ich selbst…« »Nun, dann schreibe: Geistlicher Abstammung! Das LVWGRFKJDQ]HLQIDFK:DVJLEW¶VGDQRFK]XUHGHQ"© ª-DXQGZHQQQXQSO|W]OLFK«© ª:DVKHLWGDV8QGZHQQQXQSO|W]OLFK«© ª1DVFK|Q$EHULFKZLOOHVHUVWHLQPDOLQV8QUHLQH schreiben …« »So, da haben wir die ganze Sache in fünf Minuten erledigt! Nun, ich habe es eilig!« Als der Dicke gegangen war, wischte sich der Hausherr wieder erleichtert den Schweiß von der Stirn und sah schweigend den Nachbarn an. »Als er mich so anblickte«, sagte er endlich, »vergaß ich beinahe, daß es der leibliche Bruder meiner Frau ist. Oh, Herrgottchen! Man kommt heute aus der Angst QLFKWPHKUKHUDXV=XP*OFNLVW¶VPLUHLQJHIDOOHQ]X sagen, daß ich erst mal ins Unreine schreiben will. Sieh GD:LH¿[HU¶VDXVJHIOOWKDW© (UEOLFNWHVFKHXDXIGLH7U]HUULGDV%ODWWXQGWUXJ die Papierfetzen zum Ofen. Sich streckend sagte er dann: »Nein, ich kann heute nicht mehr. Morgen früh, mit einem ausglühten Kopf, ZLUG¶VEHVVHUJHKHQ© 126
Die Frau, die weggewesen war und soeben zurückNDPWUDW]XP7LVFKXQGEOLFNWHDXIGHQ)UDJHERJHQ(V war ein leeres Blatt. »Hast du nichts ausgefüllt?« »Nur das Alter!« Als die Frau in der Nacht erwachte, sah sie ihren Mann LPEORHQ+HPGDP7LVFKHVLW]HQ(UVWW]WHGHQ.RSI in die Hand und murmelte: »Nun gut! Angenommen, wir geben einen freien Beruf an … aber welchen dann? Wenn ich, sagen wir mal, Broschüren geschrieben habe, und sie sind verbrannt … Nein, fangen wir noch einmal YRQYRUQHDQ0HLQ9DWHUZDU*UXQGEHVLW]HUGHU*URYDWHU±HLQ(KUHQEUJHU,FKVHOEVWELQ±3UREVW2KPHLQ *RWW0DQN|QQWHGLH:lQGHKRFKJHKHQ©
127
Die Wahrsagerin von Michail Sostschenko
O
bgleich die Begebenheit ziemlich nichtssagend ist und durchaus alltäglich, so gestattet mir doch, davon zu erzählen, und sei es nur der Erzählung zuliebe. 'HU/HVHUP|JHQLFKWHUVFKUHFNHQ+LHUJHKWGLH5HGH von der Wahrsagerei. Diese Wissenschaft ist von der Regierung zugelassen. Und die Geschichte kann infolgedessen niemand, auch nicht den fortschrittlich Gesinnten, beleidigen. Die Sache aber ist folgende. Die Handwahrsagerin aus unserem Hause hat erstaunlich richtig dem Kassierer XQG0LWJOLHGGHU9HUZDOWXQJ*HQRVVHQ-DVFKWVFKLNRZ die Zukunft geweissagt. Hin zu ihr ging der Genosse Jaschtschikow kurz vor den Feiertagen. Nur aus Spaß, aus Kurzweil. Immerhin OHEWHUPLWLKUDXIGHPJOHLFKHQ7UHSSHQDEVDW]:DUXP denkt er, nicht hingehen! Es wird ihr schon peinlich sein, von einem Kassierer was zu verlangen. Und nimmt sie was, wird sie es nachher bereuen. Also ging er. »Ich bin ein hinlänglich kultivierter Mensch«, sagt er, »ein gebildeter, und für mich«, sagt er, »ist es einfach eine Schande, zur Handwahrsagerin zu gehen. Aber es lockt mich, weil es umsonst ist. Laß sie mir nur was erzählen. Ich werde davon nicht magerer wer128
den.« Und so kommt er zur Wahrsagerin. Sie nimmt seine Hand. Wäscht ihm natürlich allerhand dummes Zeug YRQGHU+DQGÀlFKH6RQVWKHLWHVZlUHQNHLQH/LQLHQ zu sehen. »Eure Hand«, sagt sie, »zeigt nichts besonders Schreckliches. Linien«, sagt sie, »hat sie viele. Und ich VHOEVW DOV +DQGZDKUVDJHULQ ¿QGH PLFK LQ GLHVHQ YHUwickelten Linien nicht zurecht. Gestattet mir, Euch statt dessen die Karten zu legen, verehrtester Genosse?« 6LH OHJW DOVR GLH .DUWHQ XQG VSULFKW ª7DWVlFKOLFK© sagt sie, »rücken die Weihnachtsfeiertage heran. Es werGHQNRPPHQ]X(XFKHLQLJH.|QLJHXQGHWZD]HKQ%Xben. Und es wird entstehen bei Euch eine Rauferei. Und ZHUGHWLKUHXFKHLQHUGHPDQGHUHQLQGLH9LVDJHKDXHQ Und wahrscheinlich wird dabei sogar eine Dame leiden. Sonst alles übrige sagt nichts, Gott sei Dank. Und keine besonderen Gemütsbewegungen sind bei Euch vorauszusehen.« Über diese Worte hat der Genosse Jaschtschikow nur gelächelt, hat ihr, der Dummen, nichts gezahlt und ist auf sein Zimmer gegangen. Da kommen die Feiertage heran. Es wird Weihnachtsabend. Und es kommt der erste Feiertag. Zum Genossen Jaschtschikow kommen einige Könige und etwa neun Buben, essen, trinken und lärmen ein wenig. Und um neun Uhr entsteht unter ihnen eine Rauferei. Genau am ersten Feiertag, wie vorhergesagt. Und es verlegt sich diese Rauferei auf die Treppe. Hier mischt sich auf unbegreifliche Weise die Wahrsagerin 129
ein. Vielleicht hatte sie den Lärm auf der Treppe gehört und war hinausgetreten, um nachzuschauen. Der Genosse Jaschtschikow aber ist ihr gleich nachgejagt und wollte sie für die richtige Prophezeiung in die Kehrrichttonne werfen. Mit einem Wort, es ereignete sich alles wie vorhergesagt. Es erlitt sogar eine Dame Schaden. Natürlich, wenn man den Dingen auf den Grund schaut, so gab es in dieser Prophezeiung nichts Erstaunliches. Raufereien kommen beim Genossen Jaschtschikow furchtbar häufig vor. Nicht nur an Feiertagen, auch sogar an Wochentagen mußte eben jene Handwahrsagerin nach der Miliz laufen. So daß bei diesen Überlegungen die Lorbeeren unserer Wahrsagerin fast etwas welken. Obgleich, wie gesagt: Wenn nicht diese Prophezeiung – vielleicht wäre nichts geschehen! Genosse Jaschtschikow sagte selbst: »Die Gäste waren friedlich, hätten nicht mal einer Fliege was zuleide getan. Und fraßen wenig. Und um nichts in der Welt«, sagt er, »hätte ich solche Gäste angerührt. Aber«, sagt er, »erinnerte ich mich da an die Prophezeiung und schlug los.« Immerhin, es gibt auf der Welt noch etwas Geheimnisvolles. Denn woher sollte der Mensch jene Gabe nehmen, den Dingen auf den Grund zu schauen und Ereignisse vorherzusagen?
130
Der Zeitgenosse von 1905 von Valentin Katajew
U
nd hier, in diesem Schrank«, sagte mit geheimnisvollem Stolz der Museumsleiter, »befindet sich das berühmte Exemplar des Zeitgenossen von 1905!« »Eine Wachsfigur oder ein ausgestopfter Mensch?« fragte eifrig interessiert einer der Exkursionsteilnehmer. »Nein, mein lieber Genosse«, bemerkte beleidigt der Museumsleiter, »keines von beiden! Hier haben Sie einen einzigartigen Fall von Lethargie! Ja, die Sache war nämlich so. Dieser Bürger wurde im Jahre 1905 aus Versehen zusammen mit irgendwelchen Demonstranten festgenommen und aufs Polizeirevier gebracht. Hier fiel unser braver Revolutionär aus Angst vor dem Polizeivorsteher in Ohnmacht und – wachte nicht wieder auf! Die besten Ärzte konnten da nichts machen, und seinerzeit berichteten sogar die ausländischen Zeitungen darüber. Das ist, wissen Sie, so ein ganz ulkiges Exemplar! Nun, Sie werden es gleich sehen! Man hat einfach keine Worte dafür! Mit Regenschirm, Galoschen, silberner Uhrkette – das Musterbild eines Zeitgenossen von 1905. Bitte, sich zu überzeugen!« Mit diesen Worten öffnete der Museumsleiter den Schrank und – fuhr entsetzt zurück. Der Schrank war leer. 131
»Verschwunden!« rief wehmütig der Museumsleiter. »Sicher geklaut«, drückten die Exkursionsteilnehmer ihre Vermutung aus. »Oder vielleicht ist er aufgewacht. Und ist dann auf und davon … wie? Sehr wahrscheinlich sogar!« »Wenn es so ist«, jammerte der Museumsleiter, »muß man ihn schleunigst suchen! Ich trage doch die Verantwortung für ihn!« Aus seinem lethargischen Schlafe aufgewacht, berührt der Zeitgenosse von 1905 zuallererst seine Füße, um sich zu überzeugen, ob die Galoschen noch da sind; dann befühlte er seinen Regenschirm; schneuzte sich, stieg vorsichtig aus dem Schrank und trat unbehindert auf die Straße. ª1DFK+DXVH6RVFKQHOOZLHP|JOLFKQDFK+DXVH© murmelte er vor sich hin. »Mein Gott, was wird meine Frau denken! Und was wird der Amtsvorsteher sagen! Die Nacht auf dem Polizeirevier zu verbringen, was für HLQH 6FKDQGH +HGD .XWVFKHU 7UHWMD 0HVFKWVFKDQVNDja!« »Zwei Rubelchen!« ª:DV" 'X %UGHUFKHQ KDVW ZRKO 7ROONUDXW JHIUHVsen? Fünfundzwanzig Kopeken!« »Hast dich selber dran überfressen! Schau nur einer an, was sich da für ein feiner Fahrgast gefunden hat!« »Ach, du Rindvieh! Wird hier noch grob! Willst wohl aufs Polizeirevier, he?« »Wo bloß die Leute am Sonntag den Bitteren hernehmen?« rief ehrfurchtsvoll der 132
Droschkenkutscher. »Und mindestens zwei ganze Flaschen! Der hält sich ja kaum noch auf den Beinen!« 'HU=HLWJHQRVVHYRQVFKULHEVLFKVRUJIlOWLJGLH Nummer des frechen Droschkenkutschers auf und ging ZHLWHU±]X)X »Genosse, sagen Sie mal, wie kommt man hier zur DiPLWURZND"©IUDJWHGHQ=HLWJHQRVVHQYRQHLQGLFNHU Bürger im Biberpelz. »Wie beliebt?« kreischte der Alte auf. »Für wen halten Sie mich? Sie denken wohl, ich wäre einer von den Revolutionären? … Ich, ich bin kein Genosse, nein!« »Nun, nun, Bürger, entschuldigt schon!« »Wie? Ich bin kein Bürger!« »Ja, wer sind Sie dann?« ª,FK±%HDPWHUGHU]Z|OIWHQ.ODVVHXQG.DYDOLHUGHV Ordens der Hl. Anna dritter Klasse! Und wenn man mich versehentlich mit den Revolutionären festgenomPHQKDWVREHZHLVWGDVQRFKJDU±QLFKWV© Der Bürger im Pelz blickte dem Alten scharf in die Augen. »Hi, hi!« kicherte dieser ängstlich. »Euer Hochwohlgeboren sollten nicht zu zweifeln geruhen! Nein! Irgendwelchen Anteil an ungesetzlichen, geheimen Organisationen, revolutionären Kreisen oder politischen Parteien habe ich wirklich nicht, mein Herr, und bin also kein Genosse! Und wenn ich auch die Nacht auf dem Polizeirevier verbrachte, so glaubt mir, Euer Hochwohlgeboren … ein verhängnisvolles Mißverständnis … ein unglückliches Zusammentreffen der Umstände, Euer …« 133
Der Bürger im Pelz wich erschrocken zur Seite. ª:LHSHLQOLFK©PXUPHOWHGHU=HLWJHQRVVHYRQ »Jetzt reden sie einen schon auf der Straße mit Genosse an! »Wenn das zu Ohren des Amtsvorstehers NRPPW±JLEW¶VZHL*RWWQLFKWV*XWHV0DQPXGRFK irgend etwas unternehmen …« »He, Zeitungsjunge! Gib mir mal die ›Neuen Nachrichten‹, mein Lieber!« »Was?« »Die ›Neuen Nachrichten‹, sage ich, zwei Nummern!« »Solch eine Zeitung habe ich nicht!« »Nicht? Nun dann gib mir die ›Neue Zeit‹!« ª+DE¶LFKDXFKQLFKW© »Ja, was hast du denn?« »›Prawda‹, die ›Arbeiterzeitung‹, den ›Roten Stern‹ …« Nachdem der Museumsleiter ganz Moskau durchjagt hatte, fand er endlich, spät abends, zu seiner großen Freude das verschwundene Exemplar des Zeitgenossen von 1905. Das Exemplar kniete mitten auf dem Theaterplatz und schluchzte. Viele Passanten blieben stehen und gaben dem armen Irren einige Kopeken. Zwei Wochen lang plagte sich der Museumsleiter, dem =HLWJHQRVVHQYRQGDV:HVHQWOLFKHGHU9HUlQGHUXQgen, die sich in den letzten Jahrzehnten ereignet hatten, beizubringen. Zu Beginn der dritten Woche begriff der Zeitgenosse. 134
Am Ende der dritten Woche trat er in das Gewerkschaftskomitee ein. Und zu Beginn der vierten sagte er so beiläufig, während der Mittagspause, zu seinen Kollegen: »Das Jahr 1905? Was denn, was denn! Natürlich erinnere ich mich! Kann sagen, nahm sogar persönlich teil am Kampf gegen die Monarchie! Mußte sogar sitzen, wissen Sie! Für Teilnahme an einer Demonstration! Das waren noch Taten! … Nun, ja, was soll man da noch viel reden! … Wir – sind alte Revolutionäre …«
135
Das Naturtalent von Michail Sostschenko
A
n den Familiennamen Jenes Naturtalents und Bauernpoeten kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Es scheint mir fast, er hieß Owtschinnikow. Der Vor- und Vatername aber war einfach, Iwan Philipowitsch. Iwan Philipowitsch kam zu mir dreimal in der Woche. Später kam er auch täglich. Mit leiser Stimme, wie eine Schabe, las er mir seine bäuerlichen Gedichtchen vor und bat mich, sie auf Grund meiner Beziehungen möglichst bald in einer Zeitschrift oder einer kleinen Zeitung unterzubringen. »Wenn sie doch wenigstens ein Stückchen davon abdrucken würden«, pflegte Iwan Philipowitsch zu sagen. »Ich möchte zu gern sehen, wie so was gedruckt aussieht.« Manchmal setzte sich Iwan Philipowitsch zu mir aufs Bett und sagte seufzend: »Zur Poesie habe ich eine Neigung sozusagen von Kindheit an, verehrter Genosse. Von Kindheit an erlebe ich die Schönheit, die Natur. Die anderen Kinder kichern, angeln Fischlein oder spielen Schrift und Adler – ich aber erblicke zum Beispiel ein Öchslein oder ein Wölkchen und erlebe sie. Schon sehr früh fühlte und verstand ich die Schönheit um mich her. Das kleine Wölkchen verstand ich, das leise Windchen, 136
das Öchslein … All das fühlte und verstand ich, verehrtester Genosse.« Trotz des Verständnisses für das Öchslein und die Wölkchen waren die Gedichte von Iwan Philipowitsch überaus schlecht. Schlechtere gibt es wohl kaum. Das einzig Bestechende an ihnen war das Fehlen jeglicher Reime. »Verse mit Reimen schreibe ich nicht«, gestand Iwan Philipowitsch, »weil mit der Reimerei nur so ein Wirrwarr herauskommt. Und es schreibt sich langsamer. Und die Bezahlung ist die gleiche, verteufelt schlechte, ob mit Reim oder ohne Reim.« In der ersten Zeit ging ich getreulich auf die Redaktionen und bot die Verschen an, später ließ ich auch das sein, man nahm sie doch nicht. Iwan Philipowitsch kam meist frühmorgens zu mir, setzte sich aufs Bett und fragte: »Nun, wie ist es, nehmen sie sie nicht?« »Nein, sie nehmen sie nicht, Iwan Philipowitsch!« »Ja, was sagen sie denn? Vielleicht zweifeln sie an meiner Abstammung? In dem Fall brauchen sie keine Bedenken zu haben – bin ein echter Bauer! So können Sie es auch den Redakteuren sagen: direkt von der Pflugschar, sozusagen! Ein ganzer Bauer! Und der Großvater war Bauer, und der Vater, und die, die Urgroßväter waren – alle durch und durch Bauern! Und geheiratet haben die Owtschinnikows immer nur Bäuerinnen! Oft lachten sogar die Nachbarn. ›Ja, warum heiratet ihr Owtschinnikows immer nur Bäuerinnen?‹ sagten sie. ›Hei137
ratet doch mal auch andere!‹ – ›Nein‹, antworteten wir, ›wir wissen schon, was wir tun!‹ Bei Gott, verehrtester Genosse, so war es! Die brauchen nicht zu zweifeln.« »Aber darum handelt es sich ja gar nicht, Iwan Philipowitsch. Sie nehmen sie einfach nicht. Die Gedichte sind nicht zeitgemäß, sagen sie.« »Nun, das ist doch aber!« entrüstete sich Iwan Philipowitsch. »Das sollen keine zeitgemäßen Gedichte sein? Nun, die haben sich wohl den Magen überladen! Wie können die Gedichte nicht zeitgemäß sein, wo ich doch von Kindheit an die Natur erlebe. Und das Wölkchen verstehe und das Öchslein … Aus welchem Grunde nehmen sie die Gedichte nicht, verehrtester Genosse? Sollen sie es doch sagen! Man darf doch nicht grundlos eine Persönlichkeit beleidigen. Wenn sie doch wenigstens ein einziges Stückchen davon annehmen würden!« Den Ansturm des Dichters hielt ich standhaft zwei Monate lang aus. Zwei Monate lang ertrug ich kranker und nervöser Mensch die Überfälle von Iwan Philipowitsch aus Ehrfurcht vor seiner Abstammung. Aber nach zwei Monaten begann ich zu kapitulieren. Und schließlich, als Iwan Philipowitsch mir ein größeres Gedicht brachte – oder war es eine Ballade, weiß der Teufel! – gab ich’s ganz auf. »Aha!« sagte ich. »Haben Sie wieder so ein Gedichtchen mitgebracht?« »Ja, ich habe ein Gedicht mitgebracht!« wiederholte Iwan Philipowitsch gutmütig. »Ein sehr starkes Gedicht ist es dieses Mal geworden. Zwei Tage habe ich daran 138
geschrieben. Es ging einfach mit mir durch. Da war kein Halten mehr!« »Warum?« fragte ich. »Ja, das weiß ich eigentlich nicht, verehrtester Genosse! Die schöpferische Kraft kommt über dich. Du schreibst und schreibst, als ob dir jemand die Hand führt. Eingebung halt!« »Eingebung?« sagte ich. »Gedichtchen schreiben! Arbeiten muß man, Genosse, das ist es! Steine sollte man dir in der Sonnenglut zu klopfen geben!« Iwan Philipowitsch wurde plötzlich ganz munter. »Gebt nur!« sagte er. »Wenn es möglich ist, gebt nur! Ich bitte und beschwöre Euch, Genosse … Ich habe es endlich satt … Das zweite Jahr sitze ich ohne Arbeit. Ach, wenn man doch nur irgendein Stückchen Arbeit finden könnte!« »Wie, bitte?« verwunderte ich mich. »Und die Poesie?« »Was heißt hier Poesie!« sagte Iwan Philipowitsch mit matter Stimme. »Essen will man! Ich könnte, weiß der Teufel, sonst noch was anfangen, verehrtester Genosse! Nicht nur das Dichten!« Nach einer Woche brachte ich Iwan Philipowitsch als Boten in einer Redaktion unter. Gedichte hat er seitdem aufgehört zu schreiben. Jetzt kommt ein gewesener Werkführer einer Tabakfabrik zu mir, ein Poet von der Werkbank, sozusagen!
139
Die Disziplin von Michail Sostschenko
A
ch, ich liebe das Reisen sehr! Mich, Brüderchen, brauchst nicht zu füttern – wenn ich nur irgendwo hinreisen darf. Zu Schiff oder mit der Eisenbahn – das ist mir ganz egal! Nur zwei oder drei unterhaltende Reisegenossen müssen da sein – das ist die Hauptsache! Dann bin ich bereit, selbst bis nach Patagonien zu fahren. Über alle Maßen liebe ich, Gespräche mit Fremden zu führen! Seinerzeit bin ich sehr viel gereist. Und als das Reisen umsonst war, bin ich aus dem Zug überhaupt nidit mehr herausgekrochen. Und doch war das Reisen damals mit Schwierigkeiten verbunden. Die Fahrgaste waren mürULVFKXQG]X8QWHUKDOWXQJHQQLGLWDXIJHOHJW±IDVWGD VLHHLQHQPLW)XWULWWHQWUDNWLHUWHQ8QGEHUKDXSW±GDV Gedränge, der Schmutz! Mir haben sie einmal sogar einen Sack feines Weizenmehl auf den Bauch geworfen. Freilich war ich selbst schuld daran. Ich war nämlich ganz HUVFK|SIW KDWWH GUHL 1lFKWH VWHKHQG ]XJHEUDFKW±XQG legte mich drum etwas nieder. Bat aber im voraus um Obacht. »Brüderchen!«, sage ich, »ich habe mich auf dem BoGHQDXVJHVWUHFNW7UHWHWPLUQLFKWLQV*HVLFKW© Ins Gesicht sind sie mir auch nicht getreten, aber beim S|W]OLFKHQ+DOWHQ¿HOHLQ6DFN0HKOYRPREHUHQ%UHWW 140
herunter. Und Gott sei Dank, daß es ein kleiner Sack war. Daneben stand einer von zwei Pud. Ja, und einmal haben sie mir Stearin in die Augen geträufelt. Der Zugführer selbst war es. Beugte sich mit seiner Kerze über mich, dieser Hundesohn! »Die FahrNDUWH©VDJWHHU8QGOlWHLQHQ7URSIHQIDOOHQ(VVHL ohne Absicht geschehen, sagt er. Mir aber wird davon VFKOLHOLFKQLFKWEHVVHU%LVDXIGHQKHXWLJHQ7DJLVWPLU eine Narbe am Auge geblieben. Wenn ich das Lid hochhebe, kann jeder Genosse auf der Hornhaut einen gelbliFKHQ3XQNWYRQGHU*U|HHLQHV(UEVHQNRUQVVHKHQ -DGDPDOVZDUGDV5HLVHQVFKZLHULJ.HLQ9HUJOHLFK mit heute. 6HKWLFKELQYRUHLQLJHQ7DJHQQDFK/XJDJHIDKUHQ Ach, es war herrlich, zu reisen. Überall Ordnung, Sauberkeit, europäische Pünktlichkeit! Schade nur, daß ich an langweilige Reisegenossen geriet. Waren alle nicht VHKUUHGVHOLJ'HUHLQHVHKWOlWGLH1DVHKlQJHQ±ZLOO schlafen; der andere, ein Bäuerlein, futtert die ganze =HLW-DXQGZLHHUIXWWHUW6lEHOWHLQ6WFN%URW¶UXQWHUKDXWGLFN%XWWHUGUDXIXQGNDXWVFKRQGUDXÀRV8QG immer wieder von neuem! Er hatte nämlich Angst, einzuschlafen. 'D ZDU QRFK HLQ GULWWHU GD±HLQ DOWHU .QDVWHUEDUW Auch so ein Schund-Passagier! Rein mit der Zange mußte man ihm die Worte aus dem Munde ziehen. Ich EHJLQQH VR XQG VR KHUXP±HU VFKZHLJW 'DQQ HU]lKOH LFKLKPZLHGHU0HKOVDFNDXIPLFKUXQWHU¿HO±HUVDJW nichts. Zeigte ihm auch den Fleck auf der Hornhaut. Er 141
sah sich wohl den Fleck an, aber sagte nichts InteressanWHVGD]X(QGOLFKQDFKHLQHUJU|HUHQ6WDWLRQVDJHLFK ]XLKPª9HUHKUWHU*HQRVVH©VDJHLFKªHVLVWGRFKMHW]W herrlich, mit der Eisenbahn zu fahren, nicht wahr? Alles klappt. Fast wie in Deutschland!« »Wie bitte?«, fragt er. »Direkt«, sage ich, »als ob man in Deutschland reiVWH«:RKHUQXUGLHVH9HUlQGHUXQJ"© »Ach«, sagt er, »das kommt von der Disziplin. Der russische Mensch kommt eben ohne Disziplin nicht aus!« . Der Alte hatte seinen Satz kaum zu Ende gesprochen, DOV GDV %lXHUOHLQ SO|W]OLFK YRQ VHLQHP 3ODW]H DXIVWHKW ª:RYRQ©VDJWHUªLVWKLHUGLH5HGH"9RP5HLVHQRGHU von der Disziplin? Ich«, sagt er, »kann das Wort DisziSOLQHLQIDFKQLFKWK|UHQ© »Wieso?«, fragen wir beide. ª,KUKDEWYLHOOHLFKW©VDJWHUªYRQ:DVVMND7VFKHVV QRNRZJHK|UW":DUVR¶QVFKZDU]KDDULJHV%lXHUOHLQ"© »Nein!«, antworten wir. »Nun denn«, sagt er, »diese eure Disziplin hat ihn geW|WHW© »Je nun?«, frage ich. »Ja!« erwidert er. »Es ist die reine Wahrheit! Im erVWHQJURHQ.ULHJZDU¶V$QGHU)URQW«0DQKDWWHXQV GDPDOVLQGLH6FKW]HQJUlEHQJHWULHEHQZLUDEHU±QLFKW EXK XQG QLFKW ElK±KDWWHQ NHLQHQ 'XQVW YRQ PLOLWlULschen Dingen … Und da war auch der Ljoschka Konowalow … Habt Ihr vielleicht den Ljoschka gekannt?« 142
»Nein!« »Nun also! Den Ljoschka Konowalow hatte man als Posten aufgestellt. Unser Hauptmann aber war ein Strenger! Der Hauptmann also trat zu Ljoschka, drehte ihn mit der Nase zum Feind und sagte: ›Dort‹, sagt er, ›hinter dem Hügel ist der Gegner! Wenn sich jemand hinter dem Hügel zeigt, feuerst du los, verstanden!‹ 1XQDEHUZDUDQGLHVHP7DJ:DVVMND7VFKHVVQRNRZ hinter den Hügel gekrochen. Er buddelte dort Kartoffeln DXV 'DV *UDV ZDU VR KRFK±GHU 'HXWVFKH NRQQWH LKQ nicht sehen. Und Wassjka kehrt also glücklich zurück. Der Wachposten Ljoschka sieht, daß eine schwer beladene Gestalt hinter dem Hügel hervorkriecht und legt das Gewehr an. Nur kommt ihm die Gestalt irgendwie EHNDQQWYRU±WDWVlFKOLFKMDHVLVW:DVVMND7VFKHVVQRkow! ¾8X½VFKUHLW/MRVFKND¾:DVVMNDELVWGX¶V"½ 'HUZLQNWPLWGHU+DQG6R]XVDJHQIUHLOLFKLFKELQ¶V selbst! 'DEHJDQQ/MRVFKNDELWWHUOLFK]XZHLQHQXQG±O|VWH den Schuß.« »Ja, und …?«, frage ich. »Nun, er hat ihn totgeschossen!« antwortete das Bäuerlein. »Mit dieser eurer Disziplin!« Er schnitt sich wieder ein Stück Brot ab und begann langsam und bedächtig zu kauen.
143
Das Zimmer von Panteleimon Romanow
D
ie Schneiderin kniete am Boden vor einem Kleiderschnitt, als eine bejahrte Frau grußlos das Zimmer betrat. Es war eine Verwandte der
Näherin. »Nun, ist sie immer noch nicht gestorben?« fragte der seltsame Besuch, dem man unschwer die Provinzlerin ansah, und blieb steif an der Tür stehen. Die Schneiderin nahm erst umständlich die Stecknadeln aus dem Mund. »Ach nein! Noch nicht!« sagte sie. »Ja, wohin sollen wir denn solang!« ereiferte sich jetzt die andere. »Und all die Sachen! Dazu ist es Andrej Stepanytsch noch eingefallen, zwei Hunde mitzubringen. Machen einen ganz verrückt, diese Köter!« Sie setzte sich erschöpft auf einen Stuhl. »Gestern abend lag sie schon in den letzten Zügen!« sagte drauf die Näherin. »Mein Mann telefonierte sogar deinen Andrej Stepanytsch an, er möge nur die Möbel schon herführen. Die letzten Minuten schienen’s … heute aber ist alles wieder ganz unbestimmt …« In Hemdsärmeln und aufgeknöpfter Weste trat gleich darauf der Mann der Schneiderin ins Zimmer. »Gestern ging ich noch einmal zur Hausverwaltung«, sagte er nach der Begrüßung. »Sie versprachen, euch und niemand sonst das Zimmer zu überlassen. Sobald 144
die Alte tot ist, sagten sie mir, können deine Verwandten gleich einziehen!« Der Besuch hörte mit gefurchter Stirne zu und sah aufmerksam auf die Schneiderin, die den Stoff nach den angemerkten Kreidelinien zuzuschneiden begann. »Und was sagt der Arzt?« »Der Doktor sagt, daß es bald aus ist. Obschon der erste, den du vor ein paar Tagen schicktest, meinte, daß man mit solcher Krankheit noch lange leben kann, wenn die Anfälle sich nicht wiederholen …« »Ach, der Idiot weiß ja nichts!« unterbrach sie gereizt die Besucherin. »Vielleicht schaust du selber nach!« Die Frau ging hinaus in den Vorraum und zog ihre Gummischuhe aus, bedachte sich aber und brachte sie wieder ins Zimmer zurück. Dann ging sie langsam zur nächsten Tür. »Die Alte hat dich sehr lieb gewonnen!« rief ihr die Näherin nach. »Sie fragt andauernd nach dir!« Im Bett am Fenster lag ein verschrumpftes altes Weibchen. Das spitze wächserne Gesicht blickte starr vor sich hin. »Ich komme, um mich nach Eurem Befinden zu erkundigen, Tantchen!« schrie die Frau, sich niederbeugend, der Alten überlaut ins Ohr. »Nach Eurem Befinden mich zu erkundigen, sage ich!« »Danke, danke, Mütterchen! Ich dachte schon … Man hätte mich auf meine alten Tage vergessen, aber Gottväterchen ist barmherzig … Der Sohn hat mich verlas145
sen … Mein Nichtchen aber schaut nach mir …« Die Alte schwieg und atmete röchelnd. »Wie fühlen Sie sich, Tantchen?« »Es geht, es geht! Nur hören kann ich nicht mehr! Für den Doktor schönen Dank! … Der erste taugte ja nicht viel … Verschrieb mir Tropfen … von denen ich ganz schwach wurde … Aber der neue ist besser … Gott schenk ihm Gesundheit!« »Der neue ist also besser?« wiederholte die Besucherin. »Ja, ja …« »Und die Anfälle haben sich nicht mehr wiederholt?« »Nein, Gott sei gedankt … Nach der zweiten Medizin wurde es gleich besser.« »Ach du lieber Gott!« flüsterte die andere und ließ ihre Hände kraftlos auf die Knie sinken. Plötzlich öffnete sich die Tür, und ein Mann im Pelz schaute herein. Er hob, mit einem forschenden Blick zu der Kranken hin, fragend die Hand. »Was ist?« sagte er schließlich flüsternd. »Lebt sie noch?« Die Frau am Bett nickte nur. Der Mann griff sich an den Kopf, murmelte etwas und spie wütend aus. »Du kannst ruhig lauter sprechen!« trat die Frau zu ihm. »Sie hört es sowieso nicht, ist völlig taub!« »Ich habe die Möbel schon hergebracht!« »Du bist wohl ganz verrückt geworden! Du siehst ja, sie lebt noch!« »Ja, aber gestern hieß es doch …«, verteidigte sich der Mann, »sie stirbt jeden Augenblick …« 146
»Die stirbt täglich zweimal und bleibt doch am Leben!« höhnte seine Frau. »Ja, was soll man jetzt machen? Die Sachen sind nun einmal da! Wir kommen auch nirgendwo für diese Nacht unter!« »Ja, Herrgottchen, wohin? Geh, frag Alexej Iwanytsch, vielleicht kann man die Sachen vorerst im Korridor unterstellen. Sie wird doch schließlich nicht bis zum Jüngsten Tag leben …« Sie berieten sich lange im Korridor. »Ich kann es euch ja nachfühlen!« sagte der Mann der Näherin. »Schön und gut, wenn die Alte sich in drei Tagen davonmacht, aber wenn sich diese Geschichte noch eine ganze Woche lang hinzieht, was dann? Sollen wir da vielleicht auf allen Vieren über euren aufgestapelten Kram kriechen?« »Wo doch der erste Doktor gesagt hat, daß sie noch mehrere Wochen leben kann!« unterstützte ihn seine Frau. »Nein, nein, ich versichere euch, daß sie es nicht länger als drei Tage macht!« sagte der neue Mieter, und seine Frau meinte geringschätzig: »Ach, der erste Doktor ist überhaupt ein Idiot und weiter nichts!« »Das sagt ihr so! Aber es ist schon manches Mal anders gekommen!« wandte die Näherin wieder ein. »Zum Beispiel die Sache mit der Alten im Nachbarhause! Lag auch in den letzten Zügen und hatte schon keinen Atem mehr. Ihre Angehörigen sind fromme gute Menschen, wollten sie anständig, wie es sich gehört, zu Grabe tragen. Sie bestellen also einen Sarg, kaufen alles zum Leichen147
schmaus ein, aber die Alte denkt gar nicht ans Sterben. Nun, das Essen konnte schließlich nicht verderben, also lud man die Bekannten ein und aß alles, Gott schenke ihrer armen Seele die ewige Ruhe, mit gutem Appetit auf. Die Alte aber lebt heute noch!« »Was zum Teufel, laßt ihr uns so lange warten?« meldete sich draußen der Lastfuhrmann. »Die beiden Köter beißen sich gegenseitig tot!« »»Wartet, ich schau selbst noch einmal nach!« sagte Andrej Stepanytsch und ging ins Zimmer der Greisin. Seufzend folgten ihm die anderen. »Was macht die Gesundheit, Tantchen … Was die Gesundheit macht, frage ich!« schrie er der Alten ins Ohr. Die Kranke wandte mühsam den Kopf und sagte kaum hörbar: »Es geht, Väterchen! Danke der Nachfrage … Der neue Doktor hat geholfen … Gott schenke ihm Gesundheit!« »Wenn ein junger Mensch stirbt, dann stirbt er auf einmal!« sagte die Näherin verdrossen. »Diese Alten aber sind eine Strafe Gottes, totwarten kannst du dich, bis sie abkratzen … Sie atmet jetzt, scheint’s, sogar leichter! He, Großmütterchen, wie steht’s mit dem Atmen?« »Leichter, mein Täubchen, leichter!« »Da seht ihr! Was hab’ ich gesagt!« Andrej Stepanytsch aber hörte gar nicht zu. Er maß mit den Augen das Zimmer. »Wißt ihr was«, ließ er sich endlich vernehmen, »die Hauptsache, wir schaffen schon den Diwan und die Kommode hier ins Zimmer. Die haben ganz gut Platz. Die Alte schieben wir mit ihrem Bett 148
dort in die Ecke, und fertig ist die Sache!« Die anderen waren einverstanden. »Tantchen!« schrie Andrej Stepanytsch. »Wir haben Ihnen zu Ihrer Bequemlichkeit einen Diwan und eine Kommode mitgebracht!« Die Alte hob die schweren Lider und wandte ihm dankbar die trüben Augen zu: »Der Sohn hat mich verlassen … auf meine alten Tage … Aber … liebe, gute Menschen … schicken Ärzte und bringen Kommoden …« »Faß an!« rief der neue Mieter seiner Frau zu, und sie schleppten und schoben das Bett mit der Kranken in den dunkelsten Winkel. Dann lief er ans Fenster und schrie in bester Laune: »He, schleppt die Sachen rauf!« Als die Möbel im Zimmer standen, trat Andrej Stepanytsch noch einmal ans Bett und sagte: »Nun wünsche ich gute Besserung, Tantchen!«
149
Die habgierige Milchfrau von Michail Sostschenko
E
ine Leningrader Einwohnerin, Witwe und von Beruf Zahnärztin, hatte beschlossen, sich wieder zu verheiraten. Heiraten aber ist in der gegenwärtigen Zeit nicht so ganz einfach! Um so mehr, wenn es eine gebildete Dame ist, und diese Intelligenzlerin Lust hat, ebenfalls einen Intelligenzler neben sich zu haben. In unserem proletarischen Lande ist die Intelligenzlerfrage eine ziemlich brennende. Das Klassenproblem ist noch nicht endgültig gelöst – und es gibt, kurz gesagt, wenig heiratsfähige Intelligenzler. Das heißt, es gibt natürlich schon welche, aber alle sind sie so, so: entweder schon verheiratet, oder haben bereits zwei, drei Familien, oder sind kränklich, was schließlich auch kein Sonnenschein ist im Eheleben! Und, wie die Dinge nun einmal liegen, lebt da in Leningrad eine Witwe, welche im vergangenen Jahr den Mann verloren hat. Er war ihr an Tuberkulose gestorben. Sie hat sich anfangs wahrscheinlich ziemlich leichtfertig zu dieser Tatsache verhalten. Ach! hat sie gedacht – macht nichts! Und nachher sieht sie, daß es bei weitem nicht so einfach ist, nein, das macht schon was! Die Ehemänner laufen auf der Welt nicht rudelweise herum! Und natürlich beginnt sie, sich zu grämen. Grämt sich ungefähr ein Jahr und vertraut schließlich ihren Kummer 150
der Milchfrau an. Zu ihr kam nämlich täglich eine Frau, die ihr Milch brachte. »Weil ihr Mann an Tuberkulose gestorben war, hatte sie angefangen, sich mehr zu pflegen und sich mit Eifer zu ernähren. Sie trank zwei Liter Milch am Tag. Und von dieser Ernährung ging sie schier auf wie ein Laib Brot; und wahrscheinlich kamen ihr davon auch die luftigen Ehestandsträume in den Kopf. Sie trinkt also ungefähr ein Jahr lang Milch, wird immer gesünder und gesünder und hat unter anderem ein Hausfrauengespräch mit ihrer Milchfrau. Ich weiß nicht, womit es anfing; vielleicht damit, daß die Lebensmittel halt immer teurer würden, die Milch ziemlich wässerig sei, und es überhaupt keine heiratsfähigen jungen Männer mehr gäbe. Die Milchfrau sagt drauf: »Doch! Ja! Was wahr ist, ist wahr, davon gibt es natürlich sehr wenig!« Meint die Zahnärztin: »Ich verdiene ganz anständig. Besitze alles: Wohnung, Möbel, Geld, und selbst bin ich schließlich keine Vogelscheuche! Aber sehen Sie, mich wieder zu verheiraten gelingt und gelingt mir buchstäblich nicht! Es gibt keine Männer! Bleibt einem geradezu nur das Zeitungsinserat!« »Irgend etwas muß man natürlich ausdenken!« sagt die Milchfrau. Antwortet die Zahnärztin: »Schließlich, wenn es nicht anders geht, würde ich es mich was kosten lassen! Also ich würde«, sagt sie, »der Person Geld geben, die mir eine ernsthafte Herrenbekanntschaft verschafft.« Fragt die Milchfrau: »Würden Sie viel geben?« 151
»Ja!« sagt die Ärztin, »das kommt darauf an, was für ein Mann sich findet. Wenn es natürlich ein Intelligenzler ist, und er mich heiratet, dann«, sagt sie, »würde ich, ohne mit der Wimper zu zucken, drei Tscherwonzen opfern!« Die Milchfrau sagt: »Drei!« sagt sie, »das ist wenig! Geben Sie, sagen wir mal, fünf Tscherwonzen, dann werde ich mich Ihrer Sache annehmen. Ich habe da«, sagt sie, »einen passenden Menschen im Auge!« »Aber vielleicht ist es kein Intelligenzler?« sagt die Ärztin. »Vielleicht ist es nur so ein Lastträger? Wofür soll ich da fünf Tscherwonzen geben?« »Nicht doch!« sagt die andere. »Wieso ein Lastträger? Es ist ein Intelligenzler! Er ist Monteur.« Die Ärztin sagt: »Also, dann machen Sie uns bekannt. Hier haben Sie fürs erste einen Tscherwonez für Ihre Mühe!« Nun muß aber gesagt werden, daß die Milchfrau gar niemanden in Aussicht hatte. Aber das viele Geld beunruhigte sie, und sie begann in ihrem blöden Kopf hin und her zu überlegen, wie und auf welche Weise sie am einfachsten von der Ärztin das Geld herauslocken könnte. Sie kommt nach Hause und sagt zu ihrem Ehemann: »Hör doch mal, Nikolascha, was es gibt! Wir können«, sagt sie, »im Handumdrehen, ohne viel Mühe und Aufregung, fünfzig Rubelchen in die Hand bekommen!« Und erzählt ihm also die ganze Geschichte. Wie wär’s meint sie, wenn sie ihn, ihren Ehegatten, mit jener rei152
chen Zahnärztin bekannt machen und die Dumme ihr dann die fünf Tscherwonzen tatsächlich auszahlen würde? »Und«, sagt sie, »notfalls, wenn sie durchaus darauf bestehen sollte, kannst du dich ja für eine gewisse Zeit mit ihr einschreiben lassen. Gegenwärtig macht das keine Schwierigkeiten. Heute läßt du dich ausschreiben und morgen oder übermorgen wieder einschreiben und umgekehrt. Fertig!« Der Mann der Milchfrau, so ein ganz hübscher Mensch mit einem kleinen Schnurrbärtchen, antwortet folgendermaßen: »Vortrefflich, vortrefflich. Bitte schön! Ich«, sagt er, »bin bestimmt immer froh, für nichts und wieder nichts fünfzig Rubel einzustecken!« Also macht nach ein paar Tagen die Milchfrau die Zahnärztin mit ihrem Mann bekannt. Und die Zahnärztin freut sich herzlich und zahlt ohne Wort und Klage das Geld aus. Darauf ereignet sich folgendes: Der Mann der Milchfrau, dieser bekannte Herumtreiber mit dem Schnurrbärtchen, läßt sich mit der Ärztin einschreiben, zieht einstweilen in ihre Wohnung und lebt also vorläufig dort. Er lebt dort fünf Tage, eine ganze Woche und schließlich schon zehn Tage. Darauf erscheint die Milchfrau: »Was ist denn?« sagt sie. »Was ist los?« Der Monteur sagt: »Ach nein! Ich habe es mir anders überlegt. Ich«, sagt er, »bleibe hier bei dieser Ärztin wohnen. Ich habe es hier interessanter!« Hierauf, es ist wahr, erwuchsen ihm aus diesem seinem unschönen Benehmen einige Verdrießlichkeiten, 153
aber seine Meinung hat er nicht geändert. Blieb also bei der Ärztin wohnen. Und die Zahnärztin hat, als sie die ganze Wahrheit erfuhr, furchtbar gelacht. Die Milchfrau kam noch einige Male in die Wohnung und schlug wilden Lärm und forderte die Rückgabe ihres Ehegemahls. Aber durchaus nichts Gutes kam dabei heraus. Ja, schlimmer noch – man kündigte ihr, bestellte die Milch ab, um weiteren Tragödien vorzubeugen. So hat die habgierige Milchfrau für fünf Tscherwonzen ihren hübschen und intelligenten Ehegatten verloren.
154
Hier werden keine Bestechungsgelder angenommen von Michail Sostschenko
B
ei uns werden Bestechungsgelder nicht mehr genommen. Das war früher üblich! Keinen Schritt konnte man tun, ohne was geben oder nehmen zu müssen. Heutzutage aber haben die Menschen sich entschieden zum Guten geändert. Bestechungsgelder werden tatsächlich nicht mehr genommen! Kürzlich sandten wir vom Güterbahnhof Fracht ab. Eine Tante war an Grippe gestorben und hatte uns in ihrem Testament aufgetragen, ihre Bettücher und sonstigen Hauskram zu Verwandten in die Provinz zu schikken. Stehen wir also am Bahnhof beim Häuschen für Güterannahme. Vor uns natürlich eine lange Schlange. Ganz vorne blinkt die große Dezimalwaage. Der Waagemeister, ein ehrenwerter höherer Beamter, ruft laut die Zahlen aus, knallt die Gewichte auf die Waage, klebt elegant die Zettel auf und gibt mittendrein eifrig Erklärungen ab. Nur seine sympathische Stimme allein ist zu hören: »Vierzig … Einhundertzwanzig … Runter damit! … Weiter, weiter … Was stellst du, Lümmel, deinen Packen hierher … Auf die Seite, sage ich!« Wahrlich, ein schönes Bild beschwingten Fleißes und eifrigster Pflichterfüllung! 155
Dabei bemerken wir, daß der Waagemeister, trotz allem Arbeitstempo, es verteufelt genau mit den Vorschriften nimmt. Nun, nicht jedesmal, aber bei jedem zweiten oder dritten Menschen weigert er sich, das Frachtgut anzunehmen. Ist die Verpackung auch nur ein wenig locker, nimmt er sie einfach nicht, wennschon er jedesmal höflich bedauert und sein mitfühlendes Verständnis zeigt. Wer eine schlecht verpackte Fracht hat, schreit natürlich ach und oh und weh. Der Waagemeister aber sagt: »Statt ach- und och- und wehzuklagen verstärken Sie lieber die Verpackung. Hier treibt sich irgendwo ein Mann mit Nägeln herum. Lassen Sie ihn ein paar Nägel reinhauen und einen Draht drum herumbinden, und dann kommen Sie wieder – ich fertige Sie außer der Reihe ab!« Tatsächlich steht da ein Mann hinterm Güterhäuschen. Mit Hammer und Nägeln. Und arbeitet im Schweiße seines Angesichts, die Kisten und Kasten und schlechten Verpackungen in vorschriftsmäßigen Zustand zu bringen. Jetzt kommt die Reihe an einen blaßblonden Genossen mit Brille. Es ist aber kein Intelligenzler; nur kurzsichtig ist der Mann. Vielleicht auch arbeitet er nur in einem optischen Werk und bekommt dort die Gläser umsonst. Er stellt also seine sechs Kisten auf die Dezimalwaage. Der Waagemeister schaut diese sechs Kisten an und sagt: »Geht nicht! Die Verpackung ist zu schwach! Runter damit!« Auf solche Worte hin gerät der Blaßblonde natürlich in Verzweiflung und bekommt Streit mit dem Waagemeister, daß bald ein Handgemenge daraus wird. 156
»Du Hundesohn!« schreit der Brillenmann. »Mit mir kann man so was nicht machen! Die Kisten«, sagt er, »gehören nicht mir, sondern dem Staat. Sind von der Staatlichen Optikfabrik. Wohin soll ich nun damit? Woher den Lastwagen zum Rücktransport nehmen, und woher die hundert Rubel dafür, he? Antworte, du Hund!« »Was geht das mich an!« antwortet der Waagemeister und winkt nur nachlässig mit der Hand zur Seite. Der Blaßblonde aber, aus Kurzsichtigkeit oder weil seine Gläser verschwitzt sind, nimmt diese Handbewegung für etwas anderes. Er fährt auf, erinnert sich längst vergessener Gebräuche, kramt eifrig in den Taschen und holt acht Rubel in Einzelstücken hervor. Und macht Anstalten, diese dem Waagemeister zuzustecken. Worauf jener, beim Anblick des Geldes, ganz rotblau anläuft. »Wie soll ich das verstehen, Genosse?« schreit er. »Du willst mich wohl bestechen, du Brillenschwein, he?« Der andere erfaßt natürlich sofort seine schimpfliche Lage. »Nein!« sagt er hastig. »Ich habe das Geld einfach so herausgenommen. Ich wollte nur, daß Ihr es mir haltet, bis ich die Kisten heruntergenommen habe!« Ganz außer Rand und Band gerät der Arme und redet noch mehr so unsinniges Zeug, um sich zu entschuldigen, und ist schließlich, sieht man, sogar bereit, die angebotenen Ohrfeigen einzustecken. »Schämen Sie sich!« sagt der Waagemeister würdevoll. »Hier werden keine Bestechungsgelder genommen! Pakken Sie Ihre Kisten, sage ich! – Nun, weil es aber staatliche Waren sind, will ich nicht so sein – wenden Sie 157
sich an den Arbeiter dort, er wird sie Ihnen fester zunageln. Und was das Geld da betrifft, so danken Sie Ihrem Schöpfer, daß ich keine Zeit habe, mich länger mit Ihnen abzugeben!« Nichtsdestoweniger ruft er einen anderen Beamten herbei und erzählt ihm mit beleidigter Stimme von der erlittenen Kränkung. »Wissen Sie«, sagt er, »eben wollte mich einer bestechen! Stellen Sie sich solche Niedertracht vor! Jetzt tut es mir fast leid, daß ich nicht zum Schein das Geld angenommen habe – so kann ich es ja nicht beweisen, nicht wahr?« »Ja, das ist sehr schade!« stimmt ihm der andere Beamte zu. »Man hätte ein Exempel statuieren müssen! Damit die Leute nicht denken, daß wir uns wie früher die Taschen füllen!« Der Brillenmensch schleppt sich inzwischen ganz aufgelöst mit seinen Kisten ab. Sie werden ihm von kundiger Hand genagelt und gebunden und wieder auf die Waage gebracht. Ich betrachte nachdenklich mein Frachtgut, und fast scheint mir selbst schon die Verpackung zu schwach. Noch bevor ich an der Reihe bin, wende ich mich deshalb an den Arbeiter und heiße ihn, auf alle Fälle das zweifelhafte Frachtgut in Ordnung zu bringen. Acht Rubel verlangt er dafür. »Was!« sage ich. »Sie sind wohl verrückt! Acht Rubel für diese drei Nägel?« Er aber flüstert mir vertraulich zu: »Sie haben ganz recht, Genosse! Ich täte es auch für drei! Aber«, sagt er, »versetzen Sie sich bitte in meine 158
Lage – ich muß doch mit jenem Krokodil dort halbpart machen!« Nun geht mir die ganze Mechanik des Unternehmens auf. »Das heißt also, daß Sie mit dem Waagemeister teilen müssen!« sage ich. Der Mann merkt, daß er sich verplattert hat und wird ganz verlegen. Er murmelt, hämmernd und bindend, etwas von schlechtem Gehalt und von Teuerung und läßt mir schließlich die Hälfte der geforderten Summe nach. Als die Reihe an mich kommt, hebe ich schwungvoll meine Kiste auf die Waage und freue mich der kräftigen Verpackung. Der Waagemeister aber sagt: »Geht nicht! Die Kiste wird nicht halten!« »Meinen Sie?« erwidere ich hohnlachend. »Ich habe sie eben erst von jenem Hammermenschen da festnageln lassen!« Antwortet der Waagemeister: »Ach, verzeihen Sie tausendmal! Nein, nein, jetzt ist Ihre Kiste natürlich nagelfest, aber vor ein paar Minuten da war sie noch schlecht zugemacht! Mir fällt nämlich so was schon immer vorher in die Augen. Pardon, pardon, ich nehme alles zurück!« Er nimmt ohne weiteres meine Kiste an und füllt den Frachtbrief aus. Ich schaue genau hin und sehe, da schreibt doch der Kerl tatsächlich: »Verpackung mangelhaft!« »Was sind das für neue Kunststückchen!« schreie ich. »Mit solch einer Aufschrift«, sage ich, »kommt meine Kiste leer an. Und dann darf ich noch nicht einmal Schadenersatz fordern!« Worauf der Waagemeister sich 159
beeilt, die Aufschrift durchzustreichen und sich wieder tausendmal zu entschuldigen. »Pardon, pardon!« sagt er. »Ich nehme alles zurück!« Ich aber gehe nach Hause und denke mir, wie schön es doch ist, daß bei uns keine Bestechungsgelder mehr genommen werden.
160
Die Nervenheilkunst von Michail Sostschenko
G
estern war ich in der Poliklinik, um mich kurieren zu lassen. Waren verteufelt viel Menschen dort. Fast wie in der Trambahn. Vor allen Dingen war es interessant, festzustellen: Die längste Reihe wollte zum Nervenarzt. Ich sage zu meinem Nachbar: »Wissen Sie, ich wundere mich, wieviel Nervenkranke es doch gibt! Welch unverhältnismäßige Mehrheit!« Ein ziemlich beleibter Bürger, wahrscheinlich ein ehemaliger Markthändler oder weiß der Teufel sonst was, meinte: »Was wäre da schon sonderbar? Die Menschheit will Handel treiben! Hier aber heißt es: Gucken Sie gefälligst nur zu! Und drum eben bin ich krank!« Ein anderer, so ein gelbgesichtiger, dürrer in einer alten Uniformjacke sagt gleich: »Sie da, sprengen Sie gefälligst Ihre Gedanken nicht allzu heftig aus! Sonst werde ich mal gleich an die richtige Adresse telephonieren! Man wird Ihnen schon zeigen: die Menschheit!« Ein Mann mit angegrautem Schnurrbärtchen versuchte Frieden zu stiften: »Ach, was fallen Sie auf diese Art Leute drauf!« wendet er sich an den Gelbgesichtigen. »Das ist doch einfach ihre Unbildung! Sie wissen es eben nicht anders! Nein, die Nervenkrankheiten haben viel tiefere Ursachen. Die Menschheit ist auf dem falschen Wege! Die Zivilisation: Großstadt, Trambahnen, Bä161
der – das sind die Gründe für das Aufkommen der Nervenkrankheiten. Unsere Vorfahren der Steinzeit lebten tüchtig und tranken tüchtig und dieses und jenes und verspürten keine Nerven. Sogar Ärzte hatten sie, glaube ich, damals nicht!« Zetert der Gelbgesichtige: »Ach, Ihnen gefällt wohl die Zivilisation nicht, wie? Unsere Verwaltung nicht, wie? Äußerst liebe Worte höre ich da in einer Sowjetanstalt! Sie«, sagt er, »vermanschen Sie die Wissenschaft nicht mit Ihren bürgerlichen Anschauungen! Wissen Sie, was es dafür gibt? …« In dem Augenblick aber ruft der Arzt: »Der nächste!« Und der Gelbgesichtige im alten Uniformrock eilte, ohne den Satz zu beenden, hinter den Wandschirm. Bald darauf hören wir, wie der Kranke hinter dem Schirm sagt: »So bin ich ja ganz gesund, nur leide ich an Schlaflosigkeit. Ich schlafe schlecht. Verschreiben Sie mir irgendwelche Tropfen oder Pillen!« Der Arzt antwortet: »Nein, Pillen verschreibe ich Ihnen nicht! Die schaden bloß. Ich halte mich an die neueste Methode des Heilens. Ich suche die Ursache der Krankheit und gehe dagegen an. So sehe ich: Bei Ihnen ist das Nervensystem zerrüttet. Ich stelle nun an Sie die Frage: Haben Sie nicht irgendeine Erschütterung gehabt? Denken Sie mal nach!« Zuerst versteht der Kranke nicht recht, dann redet er verschiedenen Unsinn zusammen und behauptet schließlich mit aller Entschiedenheit, daß er keinerlei Erschütterung je erfahren habe. 162
»Besinnen Sie sich nur!« sagt der Arzt. »Es ist sehr wichtig, sich auf den Grund zu besinnen. Wir werden ihn schon finden, ihn analysieren, und dann werden Sie vielleicht wieder gesund werden!« Der Kranke sagt wieder: »Nein, Erschütterungen habe ich keine gehabt!« »Nun«, meint der Arzt, »vielleicht haben Sie sich über irgend etwas sehr aufgeregt? Irgendeine starke Aufregung? Eine Erschütterung? … Nun?« »Ja, eine Aufregung hatte ich mal, aber das ist schon lange her. Das ist vielleicht schon zehn Jahre her!« »Nun, nun, erzählen Sie!« sagt der Arzt. »Das wird Sie erleichtern! Das heißt also: Zehn Jahre lang haben Sie sich damit abgequält! Nach meiner Methode müssen Sie mir nun von diesem belastenden Erlebnis erzählen. Und dann wird Ihnen wieder ganz leicht werden, und Sie werden wieder schlafen können!« Der Kranke stottert ein wenig, besinnt sich und fängt an zu erzählen. »Ich kam damals von der Front zurück. Zu Hause war ich ein halbes Jahr nicht gewesen. Nun, ich komme also ins Haus und gehe die Treppe hinauf. Meine Kleidung war natürlich ziemlich vernachlässigt. Mantel wie Hosen! Überall krochen die Läuse. Und in einem solchen Aufzuge gehe ich zu meiner Ehegattin, welche ich ein halbes Jahr nicht gesehen hatte. Ich gehe also und denke, daß es nicht schön ist, in solch einem unschicklichen Aufzuge vor der Gemahlin zu erscheinen. Ich trete ins Zimmer, sehe, ein Tisch steht da. Und auf dem Tisch 163
Schnaps und Hering. Am Tisch aber sitzt mein Neffe Mischka und hält mit seiner Tatze den Hals meiner Gemahlin umschlungen. Nein, das hat mich noch gar nicht aufgebracht! Nein, ich denke: Das ist eine junge Frau, warum soll man sie nicht umhalsen! Jetzt haben die beiden mich erblickt. Mischka nimmt schnell die Schnapsflasche und versteckt sie unter dem Tisch. Meine Gemahlin aber sagt: ›Ach, guten Tag!‹ Das hat mich weiter auch nicht aufgeregt, und ich will auch schon guten Tag sagen. Da schaue ich auf Mischka und sehe: er hat meine Joppe an. Sehen Sie, ich war ja nie ein Spießbürger, habe nie auf das Eigentumsrecht gepocht, aber dieses Betragen verletzte mich tief. Und es packte mich der Kummer und das Herzeleid! – Mischka sagt: ›Eure Joppe habe ich nur zur Maskerade angezogen! Nur zum Spaß!‹ Ich schreie: ›Zieh die Joppe aus, Schweinehund!‹ Mischka sagt: ›Wie kann ich denn vor der Dame die Joppe ausziehen!‹ Ich schreie: ›Und wenn sechs Damen hier säßen – zieh die Joppe aus, du Schweinehund!‹ Plötzlich nimmt Mischka die Schnapsflasche und haut sie mir auf den Schädel …« Hier unterbricht der Arzt die Erzählung und sagt: »So, so, nun ist uns alles verständlich! Und seit dieser Zeit also leiden Sie an Schlaflosigkeit? Und schlafen überhaupt schlecht?« »Nein«, sagt der Kranke, »damals schlief ich noch gut. Gerade zu der Zeit schlief ich ausgezeichnet!« Der Arzt meint: »Aha! Aber wenn Sie sich an jene Beleidigung erinnern, dann also können Sie nicht schlafen? 164
Ich sehe es ja: Die Erinnerung hat Sie ganz aufgebracht.« Der Kranke antwortet: »Nun ja. Jetzt im Augenblick vielleicht. Aber sonst habe ich schon lange vergessen, daran zu denken. Seit ich mich von meiner Gemahlin scheiden ließ, habe ich nicht ein einziges Mal mehr daran gedacht!« »Ach, Sie haben sich scheiden lassen?« »Ja, ich habe mich scheiden lassen. Und habe eine andere geheiratet. Und dann eine dritte, und danach noch eine vierte. Und habe immer ausgezeichnet geschlafen. Aber seitdem meine Schwester aus dem Dorf gekommen ist und sich mit all ihren Kindern in meinem Zimmer niedergelassen hat, seitdem habe ich aufgehört zu schlafen. Komme vom Dienst nach Hause, lege mich nieder – und kann und kann nicht schlafen. Die Kinderchen laufen herum, vergnügen sich, spielen und zerren mich an der Nase. Und da kann ich eben nicht einschlafen!« »Erlauben Sie mal!« sagt der Arzt. »Die Kinder hindern Sie also am Einschlafen?« »Nun ja, natürlich, sie stören mich! Aber auch sonst kann ich nicht schlafen. Das Zimmer ist klein und ist ein Durchgangszimmer. Und Arbeit gibt es viel! Und die Ernährung – mittelmäßig! Da wird man schon müde. Legst du dich aber hin – kannst du nicht schlafen!« »Nun, aber wenn die Kinder fort sind? »Wenn es – angenommen – im Zimmer ganz still ist?« »Kann ich auch nicht schlafen. Während der Feiertage war meine Schwester mit den Kindern aufs Land gefahren. Als ich da anfing einzuschlafen, kommt die 165
Nachbarin, dies Luder, mit glühenden Holzkohlen durch mein Zimmer. Stolpert und streut die Kohlen auf mich. Ich will schlafen und merke: Ich kann nicht einschlafen – die Bettdecke glimmt! Und nebenan spielt jemand auf der Mandoline. Und meine Füße brennen!« »Hören Sie!« sagt jetzt der Arzt, »was zum Teufel kommen Sie da zu mir? Ziehen Sie sich an. Gut, gut, ich werde Ihnen Pillen verschreiben!« Hinter dem Wandschirm hört man Seufzen und Gähnen, und bald darauf erscheint der Gelbgesichtige wieder. »Der nächste!« sagt der Arzt. Der dicke Mann, der sich vorhin so besorgt um den freien Handel zeigte, eilt hinter den Wandschirm. Auf dem Wege aber winkt er enttäuscht mit der Hand und murmelt: »Kein bedeutender Arzt! Zu oberflächlich! Der wird mir auch nicht helfen!« Ich schaue sein Gesicht an und denke – daß er wohl recht hat. Die Medizin kann ihm nicht helfen.
166
Ein chemisches Zauberstückchen von Michail Sostschenko
I
n unserem Hof war Holz gestohlen worden. Der Diebstahl ereignete sich im Winter, als Brennholz eine Kostbarkeit war, für die einen wie für die anderen. Übrigens hat jetzt die Bevölkerung auch zu den anderen Jahreszeiten ein starkes Interesse für Brennholz. Manche schenken es sich sogar gegenseitig zum Namenstag. Ich selbst schenkte einmal, kann ich mich erinnern, meiner Verwandten Jelisaweta Ignatjewna ein Bündel Holz zum Geburtstag. Pjotr Andrejewitsch aber, ihr Mann – er ist so ein hitziger, auffahrender Mensch und dazu ein Spießbürger, der mit seinen Ansichten immer hinter den Tagesereignissen dreinhinkt – dieser Lump also schlug mir den Kopf ein. Freilich erst am Schluß der Abendgesellschaft. »Wir haben« – sagt er – »dreißig Grad im Schatten, und überhaupt ist es in unserer Zeit nicht notwendig, Holz zum Geburtstag zu schenken!« Aber das nur nebenbei. Holz ist jedenfalls für vernünftige Menschen immer eine kostbare und heilige Sache! Also aus unserem Hof begann das Holz zu verschwinden. Nun, Sie wissen ja, bei uns auf dem Hof ist Holz aufgestapelt. Und von diesen Stapeln eben verschwindet es. Irgend jemand holt es sich zu Heizzwecken. Mal verschwinden einige Scheite bei dem einen, mal beim an167
deren Mieter. Und schließlich erhebt auch der dritte ein Geschrei. Und es ist einfach nicht herauszubekommen, wer das Holz stiehlt, und wo es bleibt. Auf der Versammlung sagt ein Mieter zum anderen: »In unserem Haus wohnt ein Dieb! Ist das nicht schrecklich! Ja, vielleicht sitzt er sogar hier herum und schaut uns mit seinen Diebsaugen an. Aber da wir fünfundvierzig Mieter sind, ist’s gar nicht möglich, den Schuldigen zu finden. Laßt uns doch endlich einen Wächter annehmen, oder reihum selber Wache stehen.« Ein gewisser Serjoga Pjostrikow rechnete auf der Stelle aus, was uns ein Wächter kosten würde. Es zeigte sich, daß jedes Holzscheit sich um 90 Kopeken verteuern würde. Das schien uns zu kostspielig. Darauf beschlossen wir, selbst Wache zu stehen. Serjoga Pjostrikow stellte eine Wachordnung auf und hängte sie im Hof an das Schwarze Brett. Reihum wurde jetzt Wache gehalten. Aber – weiß der Teufel – die Diebe stehlen lustig weiter. Schließlich kam es in einer kleinen Gruppe von drei Mietern zu einer Verschwörung. Es waren ein gewisser Boborykin, ein Wlassow, Jegor Iwanowitsch Wlassow und dessen Neffe Mischka. Auch, weiß der Teufel, ein Wlassow. Dieser Mischka erscheint bei seinem Onkel und flüstert ihm ganz geheimnisvoll zu: »Genosse Onkel«, sagt er, »ich bin, wie Sie wissen, im Verband der Chemiker angestellt. »Wir haben da so verschiedene chemische Zauberstückchen: allerlei chemische Gase, Feuerstof168
fe und dergleichen Teufelszeug mehr. Ich habe« – sagt er – »die ganzen letzten Nächte schlecht geschlafen und habe mir so Verschiedenes durch den Kopf gehen lassen. Genosse Onkel,« – sagt er – »ich habe nämlich vor, eine kleine Dynamitpatrone mit nach Hause zu bringen. Ich werde diese Patrone in ein Holzscheit tun. Und wir werden dieses Holzscheit zu den anderen legen – ganz zuoberst, als ob es da schon immer gelegen hätte. Sicher wird es der Dieb nehmen und in seinen Ofen stecken. Das Übrige, Genosse Onkel, überlassen wir ruhig der Chemie!« Der Onkel, der nicht recht verstand, um was es eigentlich ging, sagte: »Nun gut, bring’s nur mit! »Wir können es ja versuchen!« Der Neffe sagt: »Das ist ein ganz fabelhaftes Mittel, Onkel! Wir werden unweigerlich den Dieb fangen, so oder so! Wo’s explodiert – dort ist auch der Dieb!« »Dann bring sie nur mit!« sagte der Onkel erffreut. »Das ist ja tatsächlich äußerst interessant! Und für uns wird es höchst spannend sein, – zu warten, bei wem’s explodiert.« Der Mieter Boborykin sagt: »Wir wollen aber keinem Menschen auch nur ein Sterbenswörtchen davon sagen. Das wird ein Spaß!« Meint darauf Mischka: »Ich bringe so eine ganz winzige Patrone mit – damit nur eine ganz kleine Explosion entsteht und beileibe keine Katastrophe.« »Ach« – sagt Boborykin – »etwas größer kann die Explosion schon sein. Es kann auch ganz gut eine kleinere Katastrophe geben! Das ist sogar sehr heilsam für die an169
deren. Der Knall soll alle ein wenig erschrecken. Das ist gesund. Aber das Haus natürlich muß stehenbleiben!« Also brachte Mischka vom Dienst eine Patrone nach Hause, und sie versteckten das gefährliche Ding in ein Holzscheit; nämlich sie bohrten ein kleines Loch ins Holz und schoben die Patrone da hinein. Und legten dieses Scheitchen recht nachlässig auf den Holzstapel. Und warteten mit Spannung, was nun weiter würde. Am nächsten Tag, gegen Abend, gab’s im Hause einen höllischen Knall! Direkt unter Boborykin – in der Wohnung des Sergej Pjostrikow. Das ganze Haus erfuhr sofort, was diese Explosion zu bedeuten hatte, und alles stürzte zum Tatort. Dort lief Sergej Pjostrikow vor seinem eingestürzten Ofen aufgeregt hin und her und rief immer wieder: »Wovon kann das bloß gekommen sein, Genossen?« Aber sie sagten es ihm nicht. Alle standen nur und staunten. Mischka Wlassow hatte nämlich die Explosion nicht richtig berechnet. Die kleine Patrone war so teuflisch wirksam gewesen, daß sie den ganzen Ofen vernichtet und noch zwei Wände umgelegt hatte. Außerdem wurden in zwei Stockwerken die Fenster eingedrückt. Und mit der Kanalisation geschah auch irgend etwas. Sie hatte freilich schon vorher nicht mehr richtig funktioniert, aber seit dem Knall streikt sie vollends. Was viele allerdings nicht unmittelbar der Explosion zuschreiben. Serjoga gestand schließlich, daß er aus Sparsamkeit hie und da mal ein Holzscheit von den anderen Mietern genommen hatte, ohne sich was Schlimmes dabei zu 170
denken. Er kommt jetzt bald vor Gericht und wird sich, so gut es geht, verantworten müssen. Vor Gericht kommt übrigens auch unser geniales Dreigespann: Boborykin und die beiden Wlassows. Man hat, denkt Euch, diese klugen Köpfchen wegen Ruhestörung und Vernichtung von Volkseigentum angeklagt.
171
Nachwort von Grete Willinsky
In Rußland hat anton tschechow die Kurzgeschichte literaturfähig gemacht. Der Dichter des russischen Weltschmerzes liebte und kultivierte die kleine Prosagattung und gab seinen Geschichten und Skizzen, immer wieder daran feilend, eine eigene Note und eine meisterliche Form. Eigentlich seit tschechow erst avancierte die russische Kurzgeschichte zum Zeichen ihres höheren Ansehens aus den Zeitschriften und dem Feuilleton der Tageszeitungen in den Sammelband. awertschenko, teffi und andere in der Nachfolge tschechows bestätigten mehr oder minder diese Meisterschaft der Russen in der literarischen Kleinkunst. Bei allen ist die Kurzgeschichte – so unterschiedlich Form und Inhalt auch sein mögen – zumeist satirisch. Satire neigt im Grunde zur Kürze. So nimmt es denn nicht wunder, daß der russische Schriftsteller der Jahrhundertwende, trotz seiner Liebe zur episch grenzenlosen Breite, die knappe Form der kleinen Geschichte oder szenischen Skizze vorzog, wenn es galt, beißenden Spott über herrschende Mißstände auszugießen oder mit leisem schmerzlichem Lächeln menschliche Schwächen zu entlarven. Freilich hat die russische Literatur vor dieser satirischen Kleinkunst einen der großen satirischen Romane der Weltliteratur, die leider unvollendet gebliebe172
nen »Toten Seelen« hervorgebracht. gogol, dieser Ahnherr der russischen Satire, gilt auch den Meistern der Kurzgeschichte als Vorbild; von ihm zehren sie alle: die tschediows, awertschenkos, teffis. Und – eingestandenermaßen oder nicht – auch die sowjetrussischen Satiriker. Die russische Kurzgeschichte ist außerdem nicht immer eine kurze »Geschichte«; vielfach, auch bei ihrem Meister tschechow, ist sie nur Skizze, witzige Dialogführung, ergötzliche oder vom Weltschmerz erfüllte Zustandsschilderung. Hierin und in der besonderen satirischen Grundhaltung zeigt sich der Gegensatz zur typischen short story. Während der Angelsachse mit Wohlbehagen und knabenhafter Unbefangenheit sich über das Menschlich-Allzumenschliche lustig zu machen vermag, neigt der russische Mensch zu bitterster Selbstbezichtigung, ja Selbstzerfleischung und Leidenswilligkeit. Und die short story in ihrem ausgeprägten Typus auf einen besonderen Effekt, auf eine Pointe hin beinahe dramatisch aufgebaut, so zerfließt die russische Kurzgeschichte, wie gesagt, leicht in breite Zustandsschilderung. Die Sowjetrussen nun setzen in einer sehr veränderten Welt und mit neuen Kunstmitteln die Tradition der russischen Satire fort. Thema und Motive der Satiren sind sogar vielfach die gleichen wie bei tschechow und awertschenko, nur die Wirklichkeit ist eine andere, und der Ton, die Sprache, vor allem bei sostschenko, ist neu. 173
michail sostschenko stammt wie sein großer Vorgänger gogol vom ukrainischen Landadel ab. Er wurde 1895 als Sohn eines Kunstmalers in Poltawa geboren, studierte Jura, kämpfte im ersten Weltkrieg und im Bürgerkrieg und hat dann in den Wirren der Nachkriegsjahre das Leben in vielen Berufen kennengelernt. Er war Postmeister und Milizsoldat, Telefonist und Schuster, Detektiv, Kontorist und Kaninchenzüchter und landete schließlich, wie er selbst sagt, »beim schlechtesten aller Berufe«. – »Ich bin im 19. Jahrhundert geboren. Daher kommt es wohl, daß mir alle Ehrfurcht für die Gegenwart fehlt und daß ich Satiriker wurde.« sostschenkos erste Geschichten erinnern noch ganz an tschechow und ljesskow, aber auch an e. th. a. hoffmann, den er als Anhänger der »Serapionsbrüder« sich zum Vorbild genommen hatte. Diese »Serapionsbrüder« waren in den zwanziger Jahren eine Gruppe junger Schriftsteller in Leningrad, die die Unabhängigkeit aller Kunst proklamierten und ihrer phantastischen, halb romantischen, halb realistischen Kunst die gleiche Realität wie dem Leben zusprachen. Aber die russische Gegenwart war stärker und zwingender als die dichterische Phantasie und die Theorien der Serapionsbrüder. sostschenko wandte sich als einer der ersten wieder der Wirklichkeit zu und fand nun erst, in der Journalistik, seinen Stil. In Rußland war das proletarische Zeitalter angebrochen. Die kleine Schicht der russischen Intelligenz war in alle Winde zerstoben, und ein anderer Zeitgenosse 174
drängte nach oben: der lern- und wißbegierige, aber kulturlose Mann aus dem Volke. Dieser neue Zeitgenosse interessierte den jungen Autor und wurde in der harten und grausamen Wirklichkeit des sowjetischen Alltags der Held seiner satirischen Kurzgeschichten. Dieser neue Zeitgenosse wurde vor allem aber auch der Leser der Satiren. Ihn, den Sowjetbürger, will sostschenko erheitern und erziehen. sostschenko wendet sich an die breitesten Schichten. Er erzählt von der menschlichen Unzulänglichkeit und den Mißständen des Alltags, von Wohnungsnot, Miethaus- und Ehestreitigkeiten, mit dem boshaften Lachen und der kichernden Schadenfreude des Augenzeugen – er spießt, jungenhaft frech, Fehler und Schwächen wie Insekten auf. Aber der Schriftsteller sostschenko identifiziert sich nicht mit diesem lächelnden Betrachter. »Ich parodiere nur« – gesteht er selbst. »Ich parodiere einen von mir erdachten Proletarierschriftsteller, der in gegenwärtiger Zeit und bei den herrschenden Lebensbedingungen existieren könnte.« In dieser Parodie liegt die Komik sostschenkos. Es ist eine Komik der Sprache. Die Worte stehen bei ihm verquer – sagt ein russischer Kritiker von sostschenko. Er benutzt die Mundart und die formlose vulgäre Ausdrucksweise der Gasse als Kunstmittel; er spickt seine Sprache mit aufgefangenen Schlagworten und Parolen. In unserer Titelerzählung »Schlaf schneller, Genosse! Dein Kissen benötigt schon ein anderer!« wird die Fragwürdigkeit solcher Slogans besonders deutlich. 175
Er flicht, immer wieder den Halbgebildeten parodierend, komische Wortverrenkungen, witzige Wortverdrehungen und falsche Anwendungen gelehrter und Fach- und Zeitungsausdrücke hinein – und schafft so, spielerisch, übermutig, den besonderen sostschenko-Ton, der von vielen nachgeahmt, aber kaum je erreicht wird. Und bei alledem entsteht – für den Tag geschrieben und nicht ohne tiefere Absichten – eine Zwischengattung zwischen Reportage und Literatur. Freilich will sostschenko seine Zeitgenossen vor allem belustigen. Er rückt mit seiner Kunst dem tierischen Ernst zu Leibe und nimmt lachend und spottend den kleinen Widrigkeiten des Lebens die niederdrückende Trostlosigkeit. Zuweilen aber klingt durch das parodistische Spiel eine tragische Note und ein tieferer Sinn. Und die flagellantische Lust der alten russischen Satire. sostschenkos Liebe gilt dem Unrecht Leidenden, nicht dem Unrecht Übenden, dem Opfer und nicht der Gewalt. Selbst für die Menschenwürde tritt der sowjetische Spaßmacher mit wehmütigem Lächeln ein. Die Sowjetregierung ließ sostschenko zum Staunen des Auslands lange Zeit gewähren – zumal in der avantgardistischen Periode des »sozialen Realismus«, der die Selbstkritik auf seine Fahnen geschrieben hatte. Mag die Verspottung der russischen Mißstände auch nicht nach ihrem Sinn gewesen sein, so duldete sie doch diese Art von Selbstkritik, die wie eh und je zum Grundzug der russischen Natur gehört. Man hatte – zugleich als geschickte Propaganda für die übrige Welt – ein Aus176
hängeschild über die freie Meinungsäußerung in der Sowjetunion. Das änderte sich freilich nach dem zweiten Weltkrieg. michail sostschenko wurde, wie es hieß, für seine »zersetzende und defaitistische Lebensauffassung« gemaßregelt. Neben Sostschenko ist valentin katajew ein vielgelesener Satiriker Sowjetrußlands. Richtiger gesagt: er war ein begabter Satiriker, solange der sozialistische Realismus der Sowjetliteratur die selbstkritisch-satirische Note als avantgardistisch und notwendig proklamierte. Inzwischen hat sich katajew zum Verfasser vaterländischer Industrie- und Kriegsromane gewandelt, wie er denn überhaupt mit erstaunlicher Anpassungsfähigkeit und einer nicht unergiebigen schriftstellerischen Begabung der gewünschten Parteilinie stets treu gefolgt ist. katajew ist bürgerlicher Herkunft. 1897 als Sohn eines Lehrers in Odessa geboren, begann er schon mit 12 Jahren Verse zu schreiben. Im ersten Weltkrieg mehrmals verwundet, wechselte er im Bürgerkrieg des öfteren die Fronten und wurde sowohl von den Weißen als auch von den Roten lange Zeit in Haft gehalten. In den zwanzigerJahren kam er als Journalist nach Moskau und begann Satiren zu schreiben, die ihn berühmt machten. Während sostschenkos Domäne fast ausschließlich die Kurzgeschichte ist, wurde katajew (auch in Deutschland) vor allem durch seinen Roman Die Defraudanten und durch sein satirisches Schauspiel aus dem Eheleben Die Quadratur des Kreises bekannt. Besonders der Roman ist von mehr als dokumentarischem 177
Wert und erinnert stellenweise an gogols Tote Seelen. Wie Tschitschikow, hinter den »Seelen« her jagend, mit klingendem Dreigespann durch das alte Zarenreich kutschiert, so ziehen die beiden »Defraudanten«, überall als gute Zahler begeistert empfangen, durch das neue Rußland, um am Ende der fünf Jahre eine mehr sitzende Beschäftigung zu finden. katajews satirische Kurzgeschichten beleuchten schlaglichtartig den Gegensatz zwischen Idee und Wirklichkeit. Besonders gern richtet er seinen Spott gegen die nie aussterbenden Bürokraten. Sein Witz ist schärfer und bissiger als der sostschenkos, aber auch kälter, verstandesmäßiger. Während bei sostschenko trotz mancher boshaften und komischen Verzerrungen der Mensch mit all seinen Fehlern und Schwächen lebenswahr wiederersteht, bekommt der Held der katajewschen Satiren leicht etwas Übertriebenes und grotesk Karikaturistisches. Der dritte Autor der hier zusammengetragenen Kurzgeschichten, panteleimon romanow, gehört noch der älteren russischen Schriftstellergeneration an. Er ist 1884 in Petrowskoje im Gouvernement Tula geboren. Seine Lehrmeister waren tolstoi und gogol. Der Einfluß des Verfassers von Krieg und Frieden vor allem ist unverkennbar. romanows großes episches Werk über Rußland ist das Gegenstück zu Krieg und Frieden. Auch die Vorliebe für den russischen Bauern in all seinen Freuden und Nöten und seiner grenzenlosen Verlorenheit hat romanow mit tolstoi gemein – und die Weitschweifig178
keit der Darstellung und die zärtliche Liebe zum Detail. Von gogol kommt ihm die Ironie, die aber nie übertrieben, nie aufdringlich wird, und die Neigung zur psychologischen Zeichnung. romanows Kurzgeschichten sind eigentlich nur Splitter seiner großen Arbeiten oder Teile, Skizzen zu jenen; er selbst mißt ihnen keinerlei Bedeutung bei. (In Deutschland wurde panteleimon romanow bisher auch nur als Verfasser eines satirischen, moralisierenden Romans, Drei Paar Seidenstrümpfe, bekannt.) Die kleinen Arbeiten aber wie die umfangreichen verraten den Realisten alter Schule und den ehemaligen Juristen, dem – wie er selbst schrieb – die Fabel wenig, wohl aber die besonderen Umstände, die charakteristischen Einzelheiten etwas bedeuten, die er klar und liebevoll und doch fast nüchtern abzubilden sich bemüht. romanows Kunst zeigt sich am schönsten im Dialog, in der umständlichen Rede und Antwort unter bäuerisch gutmütigen und stur passiven Menschen. wjatschislaw schischkow schrieb auf eine biographische Frage, vor Jahren, er könne sie leider nicht beantworten, da er »zur Zeit Schwefelwannenbäder nehme«. Inzwischen ist über ihn nicht mehr bekannt geworden. Er ist etwas älter als Romanow, in Beschetzk im Twer’schen Gouvernement geboren, lebte lange Jahre in Sibirien und beschrieb in seinen ersten Werken das Leben der Jakuten und Tungusen, der verschiedenen sibirischen Sekten, der Wanderer, Wallfahrer und Verbrecher. 1920 kam er zum erstenmal mit einer Komödie 179
Das Bäuerlein heraus; seitdem schrieb er viele humoristische Geschichten, aber auch einen Roman über das Leben der verwahrlosten Kinder, Die Wandervögel. Charakteristisch für die hier veröffentlichten Geschichten (besonders sostschenkos und katajews ) ist, daß sie das Leben und den Menschen nicht eigentlich zu Ende formen, sondern nur blitzlichtartig beleuchten. Es fehlt die geistige Durchdringung. Die neuen und wechselnden Formen des Lebens fesseln vorerst den Blick zu sehr und verstellen die tiefere Schau ins Allgemeinmenschliche. Registrierung der Gegenwart in ihren Erscheinungsformen ist der hervorstechende Zug der neuen russischen Dichtung überhaupt. Zu solcher Registrierung aber ist begreiflicherweise die Kurzgeschichte besonders geeignet. Grete Willinsky
180
Hier setzt sich gesunder Menschenverstand mit der Tücke des Objekts auseinander, aber auch mit Vertracktheit der Umstände und nicht zuletzt mit der Allgewalt des staatlichen Machtapparates. Und wenn man gegenüber den beiden ersten Faktoren durch Resignation noch am besten weiterkommt, so kann man den ebenso anmaßenden wie sturen Funktionären der Staatsgewalt doch manches Schnippchen schlagen. Das ist ebenso erheiternd wie tröstlich und wird hier mit einer Prägnanz und Trockenheit des Humors erzählt, die kaum zu überbieten ist. Die Autoren dieser Sammlung sowjetrussischer Satiren – michail sostschenko (1895–1958), valentin katajew (geb. 1897), panteleimon romanow (1884–1934), wjatschislaw schischkow (geb. 1873) – setzten die große Tradition gesellschaftskritischer Schriftsteller fort, die sich an Namen wie gogol, gontscharow und tschechow knüpft und die mit den Autoren dieses Bandes keineswegs abgeschlossen sein dürfte.