KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
GÜNTER ROTH
SALZSTRASSEN SALZHAND...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
GÜNTER ROTH
SALZSTRASSEN SALZHANDEL BILDER AUS A L T D E U T S C H E R ZEIT
2006 digitalisiert von Manni Hesse
VERLAG SEBASTIAN
LUX
M U R N A U . MÖNCHEN • INNSBRUCK . BASEL.
Auf der „Holländischen Straße" T-^in mahlendes Geräusch und von Zeit zu Zeit metallisches KlirJ-'ren und Peitschenknall. Die Bauern am Wegrand schauen für einen kurzen Augenblick von der Arbeit auf. Wieder ein Lastzug für Halle! Man schreibt das J a h r 1519. Ein schwüler Junitag geht seinem Ende entgegen. „Die haben es gut", denkt bei sich der grauhaarige Bauer, der nahe der Straße steht und der Aufseher der Arbeiter auf dem Feld zu sein scheint. „Sie reisen hin — sie reisen her, sehen die Welt und lassen die Pferde für sich arbeiten. Und unsereiner stapft tagein, tagaus über den Acker, kommt nicht über die Schattenspitze des Kirchturms hinaus und quält sich ums tägliche Brot. Brot auch für das fahrende Volk der Kauf- und Fuhrleute." Die Wagen sind näher herangekommen. Sechs Fuhrwerke sind es, schwere Planenwagen, jeder mit einem Vo.rspann von vier kräftigen Gäulen. Ein gutes Dutzend verwegen aussehender Gesellen, wie sie zum Zupacken und, wo's not tut, zum Dreinschlagen gebraucht werden, marschieren neben den Wagen. Voran reitet ein besonders lang gewachsener Mann in rotbrauner Lederjacke, in blauem Wams und gelben Hosen. Die Beine stecken in faltigen, ausgetretenen Stiefeln. Beutel und Taschen baumeln am Gürtel, ein rostiger Säbel klappert im Takt der Pferdeschritte gegen den Steigbügel. In der Hand hält der Reitknecht die lange und kunstvoll geknotete Fuhrmannspeitsche — Standeswappen, Ar2
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Bei den Piännern in Halle Allzuviele Gedanken über Hoheits- und Befehlsrechte machen sich indessen die Fuhrknechte nicht, die aus allen Teilen des Landes, aus dem nahen Kursachsen oder aus den ferneren schlesischen und böhmischen Landen in der Salzmetropole zusanunen-
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kommen. Solange ihnen und ihren Kaufherren das Leben durch Kriegswirren oder grobe Zöllner nicht zu sauer gemacht wird, behalten sie schon Oberhand über die kleineren Schwierigkeiten, die sich nie vermeiden lassen. Wenn sie erst das Stadttor und die sommerlich heiße Straße hinter sich gebracht haben, bewegt sie nur noch der Wunsch nach Entspannung. Quartiersorgen kennen sie keine. Noch stets hat der Faktor am Ort für sie ein gutes Lager bereitstellen lassen, entweder am Markt im „Goldenen Ring" oder auch in der Rannischen Straße in der „Goldenen Rose". Sind Wagen und Pferde recht versorgt, dann gute Ruhe für die erste Nacht innerhalb der schützenden Mauern von Halle! Aber schon in der Frühe des nächsten Tages regt sich das Fuhrleutevolk wieder. An den Kornspeichern wird das Getreide entladen, gewogen und bewertet. Denn es ist die Tauschware für die Salzfracht, die man nach Leipzig bringen will. Die Fuhrwerke werden gründlich überholt. Da und dort muß ein schadhaftes Rad ausgebessert werden. Die Knechte reinigen die W a genkasten und bereiten sie sorgsam für die neue Last vor, das köstliche hallische Salz. Jeden Wagen legen sie innen mit Leinwand und Stroh aus, jede Ritze und jede offene Ecke verstopfen sie mit Strohwischen. Transportverlüste dürfen nicht vorkommen. Mißtrauisch blickt der hagere Salzführer zum Himmel auf, der wieder den gleich heißen Tag wie gestern verspricht. Aber wer weiß? Am Abend kann ein Gewitter aufziehen. Wenn sie mit nassem Salz vor dem Leipziger Salzhaus ankämen, würde der Empfang bestimmt nicht sehr freundlich sein. Also werden einzeln alle Leinenplanen geprüft und schadhafte Stellen zünftig geflickt. Auch die Weidengerten, die das Gestell für die Planen abgeben, werden kritisch untersucht. Was die Fuhrknechte nicht selbst reparieren können, das machen die erfahrenen Handwerker der Stadt. Denn ein so berühmter Handelsplatz muß den Geschäftsfreunden mit jeder notwendigen Hilfeleistung zur Hand gehen können. Vom W ä g e r m e i s t e r bis zum Hufschmied ist jedes Gewerbe vertreten, das die mühsame Verkehrswirtschaft dieser Jahre verlangt. Während die Fuhrknechte und Handwerker mit viel Geschäftigkeit und noch mehr Lärm die Vorbereitungen für die Übernahme der Salzfracht durchführen, geht es im Hause des Faktors ruhiger, aber nicht minder wichtig zu. Die das Salz liefernden Pfänner sind hier zusammengekommen. Nach altem Herkommen wird das Geschäftliche erledigt; man einigt sich über die
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Güte des Salzes, seinen Tauschwert im Vergleich zur Qualität und der Menge des Getreides, über die Frachtkosten und die Sicherung des Transportes. Man wird sich einig und hat hoffentlich alles gut eingerichtet. W e r sind diese Pfänner? Die halleschen Salinenbesitzer und ihre Arbeiter, die Halloren, sind ein eigen Völkchen, selbstbewußt trotz aller Nackenschläge, die man hinnehmen mußte in all den Zeiten. Sie pochen gern auf die altehrwürdige Tradition ihres Gewerbes und Handels, der jährlich fast dreihunderttausend Zentner des weißen Gewürzes auf die Märkte bringt und etwa einer Million Menschen die häuslichen oder gewerblichen Salzfässer füllt. Sie wissen indes nicht, trotz aller vergilbten Urkunden in ihren Archivtruhen, w i e undenklich alt die Salzgewinnung in ihrem Lande ist. Denn noch kennt man nicht, was erst unsere Zeit aus der Erde geborgen hat: mancherlei Gerät der halleschen Saizsieder der jüngeren Steinzeit, die schon vor Jahrtausenden aus den Salzquellen des heimatlichen Bodens Salz zu gewinnen wußten. Zahlreiche vorgeschichtliche kelchartige oder zylinderförmige Tongefäße sind zutage getreten, in die der Salzsieder von einst das Salz zum Austrocknen einpreßte, bis es zu Salzkegeln oder Salzsäulchen gleichmäßiger Größe und gleichen Gewichtes erhärtet und erstarrt war. Wenn die Behälter zerbrochen wurden, hatte man ein geeichtes Formsalz, das im Tauschhandel weit über Land als „Salzgeld" Gültigkeit besaß; und da es auch anderswo in Europa ähnliche Hartsalzmaße gab, waren diese Salzbarren gleichsam eine der „internationalen Währungen" der Vorzeit. Nein, das weiß man im Jahre 1519 noch nicht; wohl aber, daß die Stadt mindestens schon unter Kaiser Karl dem Großen ein Platz ergiebigen Salzgewerbes gewesen ist. Die zentrale Lage als Einfallstor zum Thüringer Becken hatte Halle frühzeitig für Handelsbeziehungen recht empfehlenswert und wirtschaftspolitisch begehrenswert gemacht. Die einst karolingische Grenzfeste gegen die Slawen war im Jahre 968 in das Kirchenfürstentum Magdeburg eingegliedert worden, über das ein Erzbischof als Landesherr regierte. Ihm unterstand auch der Salzhandel. Mit der Zeit trat er seine Rechte als Lehen oder gegen Entgelt an einheimische Gewerbetreibende, die Pfänner oder Salzjunker, ab, und für die Salzgewinnung bildete sich eine ganz bestimmte Ordnung heraus, in der jeder seine, Rolle einnahm und darin respektiert wurde. Jedenfalls so lange, als er selbst nicht besonders übermütig und herrschsüchtig erschien.
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Das aus den reichen Salzquellen zugeleitete salzhaltige Wasser, die Sole, wird in Halle in sogenannten Koten „gesotten". Das sind Siedehäuser mit einem großen steinernen Herd in der Mitte. Ober dem quadratischen oder rechteckig geformten Herd hängt an zwei s-förmia gebogenen Pfannhaken die mächtige eiserne Sudpfanne. Solch eine Pfanne faßt mehr als dreihundert Liter Salzwasser. Es wird über dem Feuer nach bewährtem Rezept so lange verdampft — gesotten —, bis zuletzt das reine Salz übrigbleibt und herausgeschabt werden kann. Es ist eine sehr rußige Angelegenheit, und wer in der Kote arbeiten muß, hat es nicht leicht. Trotzdem ist das Siederecht in der Kote sehr begehrt, und es ist nicht einfach, Iuhabcr dieses Rechtes in Halle zu werden. Jeder, der in einer Kote Sole zu Salz versieden lassen will, „pfannwerkt", muß mit allen Ehren Bürger der Stadt sein, auch ein Haus sein eigen nennen und verheiratet sein. In der Blütezeit des Gewerbes gibt es h u n dertzwanzig Siedehütten in der Stadt. Die Feuerung verschlingt unendliche Holzmengen. Und so ist es nicht verwunderlich, daß man in der näheren Umgebung kaum noch Buchen-, Eichen- und Erlenwälder antrifft, schon längst muß das Brennholz von weither beschafft werden. Erst um die Mitte des 17. J a h r h u n d e r t s gehen Salzsieder zaghaft an die Steinkohle und ein Jahrhundert später erst an die Braunkohle heran. Seit dem hohen Mittelalter gibt eine reiche Pfännerschaft der Stadt und ihrer Verwaltung das Gepräge. Die Salzjunker führen das Regiment. Besonders strenge Gesetze bestimmen alles Tun und Lassen im „ T a l " . Das Tal ist der Stadtteil von Halle, der ganz im Zeichen des Salzes steht, da sich hier die wichtigsten Salzquellen befinden. Oberaufsicht in der Talstadt führt der Salzgräfe zusammen mit den drei Oberbornmeistern. Diese Meister waren vordem die Delegierten der Pfännerschaft im Stadtrat und standen oft genug im politischen Streit mit den Vertretern der Zünfte. Die Pfänner, die eben mit dem Faktor über die Salzfuhre nach Leipzig verhandeln, haben alle die große Zeit der Salzjunkerherrschaft nicht mehr miterlebt. Sie fühlen sich nur noch als reine Kaufleute zum Nutzen der halleschen Salzquellen. Sie kennen keinen großen politischen Ehrgeiz mehr. Wozu auch? Ihre Väter haben vor einem Vierteljahrhundert, Anno 1482, alle Vorrechte verloren, selbst Sitz und Stimme im Rat der Stadt. Es war ein dramatisches Ringen um die Macht. Heimlich und offen wurde der Streit geschürt — zwischen den pfannwerkenden Salzjunkern,
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die sich allzusehr^ als Patrizier fühlten, und den Mitgliedern der Handwerkszünfte. Den Salzjunkern warf man Preistreiberei, schlechte Maßhaltung und Korruption vor. Sicher hatte das teilweise seine Berechtigung, aber auch viel Unwahres wurde behauptet. Es blieb auch nicht beim Geschimpfe. Schwerter und Spieße der machthungrigen Parteien stießen hart aufeinander. Und da die Salzjunker an Zahl unterlegen waren, hatten die „demokratischen" Zunfthandwerker im Jahre 1482 die Regierung übernommen. Dreizehn Jahre dauerte das so, und da es auch unter den veränderten Umständen noch keinen Frieden gab, fand der Landesherr in Magdeburg genug Grund zum Einschreiten und setzte seine Amtsleute über die Pfänner; gegen sie gab es kein Aufbegehren mehr. So ist es gekommen, daß heute — 1519 — wieder wie vor J a h r hunderten der Magdeburger Landes fürst durch seine Vertreter die Geschicke der Stadt in Händen hält. Wozu also noch streiten? Das sagen sich alle besonnenen Plänner. Der Handel liegt im Interesse des Magdeburgers wie der Bürgerschaft, und das Salz von Halle ist überall begehrt, ganz gleichgültig, unter welchem Wappen seine Verkäufer auftreten.
Plagen der Landstraße Yollgeladen sind die sechs Fuhrwerke für Leipzig und fahrbereit. Die lästige Mittagshitze wird gemildert durch die k ü h lere Luft, die ein stetiger Wind von der Saale zuführt. Die Fiihrleute besorgen sich noch dieses und jenes an den Verkaufsbuden für unterwegs und als Mitbringsel für Angehörige daheirn. Dann werden die Pferde getränkt und die Eßwaren verstaut. Es ist soweit! Die Karawane setzt sich unter Peitschenknallen und Abschiedsrufen polternd in- Bewegung. Gegen Südwesten bezieht sich der Horizont. Das unvermeidliche Juni-Gewitter wird keine zwei Stunden mehr auf sich warten lassen. Die schweren Wagen rumpeln durch die schmalen, unregelmäßig gepflasterten Gassen zum Tor. In einiger Entfernung läßt die Saale ihre Wasser gemächlich zur Elbe fließen. Man sieht große Lastkähne, ebenfalls mit Salz beladen, stromab treiben, sie sind für Magdeburg bestimmt. „ W a s sind wir doch arme Staubschlucker", knurrt der Anführer der Wagenkolonne beim Anblick der Schiffsleute. Die wasserreiche Saale ist mit ihren wenigen Strudeln und der gelassenen Strö-
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mung geradezu ein idealer Schiffahrtsweg. Die Schiffer haben zudem den Vorteil, daß sie das Salz direkt von der Hallmauer in die Kähne laden können. So ist es nicht verwunderlich, daß, besonders die Frachten, die nach Norden gehen, den Wasserweg nehmen. Seit langer Zeit herrscht fast ein Linienverkehr auf Saale und Elbe. Doch über Magdeburg kommen die Salzschiffe kaum hinaus; schon bald tritt ihnen die Saline von Lüneburg als Konkurrentin entgegen, und sie ist sich dabei seit alters der Unterstützung der braunschweigischen Herzöge sicher. Unbehelligt ist dagegen der Handelsweg nach Böhmen elbeaufwärts, da es im böhmischen Raum kaum Salzgewinnungsstellcn gibt. Die Lastenschiffahrt hat in dieser Zeit in,deutschen Landen insgesamt das Übergewicht über die Landstraßen. Es gibt eine Landkarte aus dieser Zeit, auf der keine einzige Landstraße vermerkt ist, wohl aber der kleinste Flußlauf, auf dem noch Boote fahren können. Trotzdem hat der Salzherr, der den Weg über Land wählt, einigen Vorteil gegenüber dem Schiffsverfrachter, denn er kann schon einmal einer der zahlreichen Zoll- und Steuerstationen "ausweichen, die überall im Land eingerichtet sind. Wo sich nur ein passender Platz angeboten hat, haben Fürsten und Stadtverwaltungen solche Abgabesperren angelegt, an denen man nicht ohne gezückte Münze vorüberkommt. Eine andere Plage aber belästigt Salzschiffer und Salzfuhrmann in gleicher Weise. Das ist die Einrichtung des Stapelrechtes, das seit Jahrhunderten den großen Städten und Marktflecken von den Königen zugestanden ist. Das Stapelrecht besagt, daß die bevorzugte Stadt oder der bevorrechtigte Marktflecken jeden durchlaßbegehrenden Händler und jedes Frachtenschiff, die das Stadtgebiet berühren, für ein paar Tage anhalten darf und zwingen kann, die mitgeführte W a r e zu entladen und im Stapelhaus oder auf dem Markt zum Verkauf feilzubieten. „Alle Kaufleute, die daherkommen, sollen darinnen bleiben drei ganze Tag und sich so verhalten, daß jedermann an diesen drei Tagen bei ihnen kaufen oder ihnen verkaufen kann nach seinem Gutdünken", so heißt es in einer alten Stapelrechtsurkunde. In besonderen Fällen sind die Bürger auch berechtigt, die zwangsweise gestapelten Waren einzuhandeln und selber damit Geschäfte zu treiben. Das ist eine harte Last für den Uberlandhandel. Wenn es die Ungunst will, wird der Kaufherr am Bestimmungsort vergebens auf die bestellten Waren warten, da sie unterwegs bereits verhandelt sind. Anderseits ist manches arme Städtchen durch dieses Vorrecht zu einem reichen Handelsplatz geworden. 8
Nimmt es Wunder, daß durch Zoll, Steuer und Stapel die W a ren immer teurer geworden sind? Die Zeiten sind 1519 nicht besser geworden, jedenfalls will es dem Anführer des Leipziger Salzzuges so scheinen, überall treiben Stapelzwang, Zoll und Tribut die Preise in die Höhe. Auch die vielerlei Wirren, die das Reich beunruhigen, seit der „letzte Ritter", Kaiser Maximilian L, vor wenigen Monaten zu Grabe getragen wurde, erleichtern das Wirtschaften nicht. Zudem haben auch in der Umgebung von Halle und Leipzig die Lehren des Martin 'Luther die Menschen aufgerührt, und überall im Land gärt es unter Bauern und Rittern. Aber über all diesem Nachdenken tritt doch wieder die näherliegende Sorge um seinen Auftrag ins Bewußtsein des Salzführers. Er mahnt seine Knechte zur Eile, damit sie noch vor dem Unwetter aus der Niederung der Saale und ihres Nebenflusses, der Elster, herauskommen. Er weiß, wie rasch sich hier, wo das Wasser nicht im Boden versickert, die Straße in ein Schlammbad verwandelt und die Wagen im zähen Untergrund stecken bleiben können. Viel nützt die vermehrte Anstrengung von Mensch und Tier nicht mehr. Ein voll ausgereiftes Erühsommergewitter fällt über die Fuhrwerke her. Unter Bäumen notdürftig geborgen, lassen sie das Schlimmste vorübergehen. Eine gute Stunde später ist alles überstanden. Die Wolken lockern sich auf, das Wasser hat sich schneller als erwartet verlaufen, und was das wichtigste ist: Das Salz ist trocken geblieben. Mit frischen Kräften ziehen die dampfenden Pferde die Wagen der Herberge an der Straßenkreuzung entgegen, wo die Nacht verbracht werden soll. Wenn weiter alles so glimpflich abgeht, werden sie morgen um dieselbe Zeit in Leipzig sein, Fracht, Menschen und Tiere. Dann wollen sie sich einige Tage Ruhe gönnen, bevor sie mit neuen Ladungen weiter nach dem Süden ins Böhmische ziehen.
Die Salzsegler von Lübeck Dreihundert Kilometer nördlich von Halle liegt die reiche Hansestadt Lübeck. Geschäftig ist das Leben im Hafen, auf dem Markt und in den Gassen. Frauen und Mägde stehen an den Schrangen, den Verkaufstischen der Handwerker und Krämer, und feilschen um die W a r e . Der Lübecker Markt ist ein großer, weiter Platz, eingefaßt von alten Backsteinhäusern mit steilen Giebeln, dem Rathaus, überragt von Sankt Marien. Von den
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Türmen blinken grünlich die Kupferdächer. Würdige Kaufherren stehen in Gruppen vor dem Rathausportal und diskutieren über die Geschäfte, das Wetter und die Welt, die ihrer Meinung nach zu unruhig geworden ist. Trägerkolonnen schleppen leinenumhüllte Packen aus den Kaufmannshäusern zur Verladung in den Hafen. Kleine, flinke Boote nehmen die Ballen auf und bringen sie zu den Seeschiffen. Die großen Salzspeicher an der Trave erinnern an ein wichtiges Handelsgut, das auch in Lübeck unter den vielfältigen Erzeugnissen der Einheimischen und Fremden eine bevorzugte Rolle einnimmt. Das Salz von der französischen Baie wird in Lübeck ebenso umgeschlagen wie das Salz der Lüneburger Siedereien. Nicht nur die Würze wird am Salz geschätzt, ebenso wichtig ist seine Bedeutung für die Konservierung der reichen Hcringsfänge, die aus der Nord- und Ostsee kommen und in Lübeck angelandet werden. Auf vier Teile Fisch rechnet der Verarbeiter ein Teil Salz. Gewaltige Mengen fordern die Reeder an; auf den oft monatelängen Ausfahrten der Schiffe ist Salz zur Frischerhaltung von Gemüse, Fisch und Fleisch das einzige Mittel. Auch die Hausfrau und der Bauer sind ständiger Abnehmer. Für Butter ist das Verhältnis eins zu zehn, für Käse eins zu zwanzig. Viel Salz geht auch in die Vorratsgewölbe der Städte und Festungen für Kriegsfälle und in die Verpflegungskammern der Heerführer, die die Versorgung der Landsknechte, der Berittenen und des Trosses in nalmuigsarmen, ausgeplünderten oder nachschubschwachen Gebieten nur durch salzkonservierte Fouragc sichern können. Seit frühesten Zeiten bezieht Lübeck Salz aus dem Lüneburger Land. Es kommt in Booten von Lüneburg über den kleinen Fluß Ilmenau zur Elbe, und von dort auf dem „Stecknitzkanal" zur Trave und nach Lübeck. Bereits im Jahr 1397 haben die Lübecker diesen Kanal für den Salztransport gebaut. Das große Wagnis und erfolgversprechende Unternehmen zugleich heißt aber für alle Hanseaten: Fahrt in die Baie, zum Salz der französischen Westküste. Lübeck ist daran schon seit langem beteiligt. Im Hafen bieten die Hanscschiffe einen herrlichen Anblick. Träge liegen die Dreimast-Koggen im Wasser vor der Stadt und warten auf neue Aufgaben, auf neue Lasten, die sie für die Kaufherren in die auswärtigen Kontore bringen werden. Die Aufbauten — Kastelle genannt — sind"harmonisch in den Schiffskörper eingebaut. Bunte Wappenschilder sind Symbole und Schiffskennzeichen zugleich. Kanonen an beiden Längsseiten des Schiff10
Große und kleine Segler der Hanse im Kampf auf hoher See rumpfes weisen sehr drastisch auf die Angriffs- und Abwehrkraft hin, die sich oft genug bei den Ausfahrten bewähren muß. Die „ m o d e r n e " Koppe hat drei Masten mit Segeln. Die ältere Bauart der Kogge — sie ist nur noch bei den kleineren Einheiten im Hafen zu finden — zeigt nur einen Mast, sie wirkt mit ihrem breiten Bauch und den Aufbauten viel schwerfälliger. Ihre schuppenförmig aufeinanderliegenden Außenplanken wären für einen Dreimaster nicht fest genug. Die Hanseaten haben deshalb aus Südeuropa die neue Form übernommen mit glatten, nebeneinandergefügten Planken, die sich auf ein festes Gerüst im Schiffsinnern stützen. Alle Fugen sind sorgfältig mit Teer und W e r g gedichtet. Auch die Mastkörbe sind größer geworden, sie dienen als Auslug und als „ W e h r t ü r m e " hei der Verteidigung gegen Piraten. In dieser Zeit hat Lübeck mancherlei Sorgen. Als Mitglied des ^Gemeinsamen Marktes" des Städtebundes der Hanse ist es in die zahlreichen Händel verwickelt, die sich aus dem zunehmenden Wirtschaftskampf zur See ergeben. Die Hanse, die machtvolle zwischenstaatliche. Gilde deutscher Kaufleutc mit ihren aus11
war (igen Kontoren und Handelshäusern, dem ,,Stahlhof" in London, der „Deutschen Brücke" im norwegischen Bergen und den zahlreichen Wirtschaftsstützpunkten und Handelszentren im Binnenland, ist eigentlich nie „gegründet" worden, sie erwuchs seit dem 12. Jahrhundert aus den Bedürfnissen der Seehandel treibenden Städte am Rhein und an der Nord- und Ostseeküste. Auch reine Landstädte von handelswirtschaftlichein Gewicht hatten sich angeschlossen. Sie nannten sich „Stede van der dudeschen Hense", ,Städte von der deutschen Hanse'. Zu Zeiten entsandten siebenundsiebzig Städte ihre Abgesandten zu den Hanse-Tagen, auf denen die geineinsamen Anliegen erörtert und geregelt wurden. Sie berieten miteinander, unterhandelten gemeinsam mit Fürsten und Regierungen, tauschten Erfahrungen aus über Seefahrt, Schiffbau und Handelssitten. Lübeck, das wichtigste Ausfallstor des deutschen Handels nach dem Norden, „Umschlagplatz für die Rohstoffe des Ostens gegen Fertigwaren des Westens und Südens", errang sich die Vormachtstellung im Bund. Gelegentlich führten sie Krieg gegen einen gemeinsamen Gegner. Aber sie taten es nicht gern, denn jeder Krieg störte die Bande, die Handel und Kultur verknüpfen. Wenn aber ihre Schiffe angegriffen wurden, wenn die Handelsfreiheit gefährdet war, wehrten sie sich. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurden die niederländischen Friesen, die im Ostsceraum Holz- und Kornhandel zu treiben begannen, und die mit ihnen befreundeten Dänen, die den Lübeckern den Handel mit Schweden streitig machten, ihre Hauptwidersacher und Konkurrenten. Man kaperte sich gegenseitig die Schiffe und Ladungen weg, die Dänen kreuzten bedrohlich vor der Travemündung auf, nur mühsam schaffte der Vertrag von Malmö wenigstens eine Atempause. Aber die Fahrt durch den Sund und entlang der friesischen Küste, der Weg, den die Salzkoggen Lübecks mehrmals im Jahre nehmen mußten, wenn sie zur Baie fuhren, blieb auch weiterhin nicht ohne Gefährdung, zumal auch die Briten mehr und mehr aufs Meer drängten. So war es immer ein Ereignis, wenn die Salzflottc zur großen Reise ausfuhr oder wenn sie glücklich zurückkehrte.
„Salzgärten" am Allantik Lübeck hat wieder einen dieser gefeierten Tage,, man erwartet die Rückkehr von fünf Salzschiffen. Nicht oft im Jahre bietet sich solch ein Fest. Nicht nur wegen der kriegerischen Zwischen12
„Salzgärten" an der atlantischen Kü:>te
fälle ist es unmöglich, das ganze Jahr in die Baie zu segeln. Stürme und Nebel im Spätherbst, Frost und Schnee im Winter sind zusätzliche Hemmnisse. Gewöhnlich werden die Schiffe in den Wintermonaten vorbereitet, und erst im Februar oder März beginnt die Ausfahrt. Wenn alles glücklich verläuft, kehren die Koggen im Frühsommer in den Heimathafen zurück. Das Salz aus der Baie ist Meersalz, es muß erst dem Meerwasser abgerungen werden. Vielleicht war das Meer überhaupt der erste Salzlieferant des Menschen. In frühesten Zeiten sammelte man die Salzkrusten, die sich bei Flut an den Strandfelsen absetzten und bei Ebbe zurückblieben. Irgendwann begannen dann die Küstenbewohner das lebensnotwendige Speisesalz in „Salzgärten" zu gewinnen. Man weiß von solchen frühen Anlagen aus der Kulturgeschichte der Länder des Schwarzen Meeres, Arabiens, Vorderindiens, Chinas und des Mittelmeeres. Am berühmtesten aber wurden die Salzgärten der Baie, einer Meeresbucht südlich der Loire-Mündung bei dem Ort Bourgneuf. Die französische Sprache nennt sie „Marals salants", d. h. Salzsümpfe. Es ist ein kunstvoll angelegtes System von Gräben, Kanälen und einer Folge 13
von Teichen, die von Dämmen umfaßt und geschützt sind. Durch die Gräben und Kanäle wird bei Hochflut Meerwasser den Teichen zugeführt, die abgestuft untereinander liegen. Im ersten tieferen Teich klärt sich das Wasser, und Unreinlichkeiten lagern sich ab. In den weiteren Wasserflächen, die flacher und luedriger sind und in die das vorgereinigte Wasser aus dem ersten Teich abströmt, setzt sich die Reinigung fort, und hier erfolgt auch die Verdunstung und Verdampfung des Wassers, bis nur noch das Salz übrig bleibt. Alle Hoffnung der „Salzgärtner" liegt beim Wetter. Es soll warme und trockene Winde und viel Sonne schicken, damit das Wasser schneller verdampft. Gibt es Regen, viel Regen, dann sind die Aussichten auf einen guten und schnellen Ertrag gering. Unter Umständen müssen die Salzhändler mit halbgefüllten Schiffen wieder hcimsegeln, wenn die Ernte der Nachfrage nicht entspricht. Es ist immer ein großer Tag für die Salzgärtner, wenn einer der Teiche von Sonne und Wind völlig ausgetrocknet ist und das zurückgebliebene Meersalz in Körben und Mulden gesammelt werden kann. Das Salz hat man ursprünglich so, wie es aus den „Gärten" kam, in den Handel gegeben; aber es hatte eine schmutziggraue Farbe, da sich nur ein Teil der Verunreinigungen in den Teichen abgesetzt hatte. Im 15. Jahrhundert lernte man das Baiensalz reinigen, raffinieren, und seitdem war es mindestens ebenso gut wie das Salz aus den Salinen, den Siedereien, der. Binnenländer. Außer den deutschen Hanseaten geben sich zu Anfang des 16. Jahrhunderts Engländer, Holländer, Spanier und Portugiesen in der Baie ein Stelldichein, ü b e r die Loire oder an der Küste entlang kommen die französischen Salzauf kauf er, aber auch zahlreiche andere Handelsleute. Denn außer dem Salz werden in der Baie viele begehrte Handelsgüter angeboten, weil die Salzkäufer aus dem Ausland einen Teil der Kaufsumme in W a r e n aus ihrer Heimat entrichten. So ist die Baie zugleich auch ein allgemeiner Handelsplatz. Man tauscht, kauft und verkauft. Die meisten Bürger von Lübeck kennen das bunte Leben in der Baie nur aus den Erzählungen der Freunde und Nachbarn, die einmal an einer der abenteuerlichen Reisen teilgenommen haben. Ob alles wahr ist, was da zum besten gegeben wird, von den Seeräubern an der friesischen Küste, den Schnippchen, die man den Zöllnern am Sund geschlagen haben will, den weißen Klippen der englischen Kanalküste, von Meeresungeheuern im At14
lanlik? Wenn Seeleute erzählen, wird gern Garn gesponnen, dick wie Pollertaue. Wahrheit und Phantasie ergänzen sich, ganz geht die Wahrheit dabei nie verloren. Im Fall der Baienfahrer kann man übrigens kaum noch übertreiben. Was den Ohren geruhsamer Städter wie Aufschneiderei klingt, ist allzu oft bitterer Ernst. Welcher Lübecker erinnerte sich nicht an diesen und jenen aus seiner Nachbarschaft, den auf der Fahrt zur Loiremündung oder auf der Rückreise der blanke Hans gekapert hat und auf Nimmerwiederkehren verloren gehen ließ V
Auf Willlerfahrt in die Baie^ Der alte Kapitän Petersen steht am steingepflasterten Lübekker Kai und schaut den werkenden Matrosen und Hafenknechten zu. Seit Jahren fährt Petersen nicht mehr zur See, er hat mit acht Lebensjahrzehnten die Ruhe verdient. Aber er ist noch immer dabei, wenn es auf dem Markt oder im Hafen etwas Aufregendes zu erwarten gibt. Der greise Seebär im dunklen, pelzverbrämten Mantel, der seine große, schlanke Gestalt von oben bis unten einhüllt, gehört zum Alltagsbild der Stadt wie das Holstentor. Petersen lehnt am hölzernen Geländer, seine Gedanken sind bereits bei den Schiffen der Baienfahrer, die heute noch eintreffen sollen. Sie haben sicher den dänischen Sund schon durchsegelt und treiben jetzt irgendwo draußen vor der weiten Lübecker Bucht. Seit mehreren Menschenaltern fahren die Schiffe der Hanse in die Baie, um Salz zu holen. Von 1414, 1430 und 1433 datieren die Urkunden der bretonischen Herzöge mit den Privilegien für diese Fahrt; die Herzöge haben ihre Vorteile von den hanseatischen und anderen ausländischen Fernhändlern. Die Einnahmen aus Ufer- und Ankergeldern sind nicht gering: für jedes Schiff vier Denare und für jede Last Salz einen. Dazu die Einkünfte aus dem Zehent. An den Abgaben ändert sich auch nichts, als der französische König die Rechte der „Grandseigneurs" gründlich beschneidet; denn statt ihrer fordert der Staatssäekel jetzt den Tribut. Philipp VI. von Valois fügt außerdem noch eine feste Salzsteuer hinzu. Diese Tat bringt ihm den Spottnamen ,,Salinarius" — ,Salzsieder' — ein. Doch Zölle und Zehent sind nicht die großen Sorgen der Salzäufkäufer. Die alltäglichen kleinen Mühen und Plackereien der Baienfahrt sind viel lästiger. An sie erinnert sich Kapitän Pc15
tersen nur ungern, er hat sie auf vielen Fahrten kosten müssen. Was kann einem Schiff nicht alles in-die Quere kommen? Es müssen nicht immer gleich Piraten oder erbitterte Konkurrenten 6ein. Da ist der Sturm, der alte und ewige Widersacher der Seefahrt. Er hat seine bestimmten Stellen auf dem Meer und seine genauen Jahreszeiten. Die Südostecke von England zum Beispiel ist eines der heimtückischsten Reviere, die von den Baienseglern passiert werden müssen. Wenn man in den späten Herbstoder Wintermonaten da vorbeikommt, kann man allerhand erleben. Umsonst haben die Herren vom Rat in Lübeck 1401 nicht den Beschluß gefaßt, die Winterfahrt in die Baie zwischen Martini, dem 11. November, und Lichtmeß, dem 2. Februar, gänzlich zu verbieten. Wie aber läßt sich das Verbot auf die Dauer durchhalten, wenn die holländisch-friesischen Schiffe unverdrossen auch in den Wintermonaten ausfahren, da sie es viel näher haben bis zur Loire als die Lübecker! In seinen jungen Jahren ist Kapitän Petersen fast jeden Sommer auf der alten „ J o n a s " nach Südfrankreich gefahren. Nur ein einziges Mal haben sie mit befreundeten Schiffen auch eine Winterfahrt in die Baie gewagt. Mitte Januar passierten sie die berüchtigte Ecke vor England. Der Wind legte zu, vorerst noch unentschlossen, mal von West, dann wieder von Süd. Bald fand er aber seine Richtung heraus und drückte hartnäckig aus südlicher Richtung. Die Koggen begannen zu stampfen wie ungeduldige Karrengäule. Bug und Heck wechselten ab mit dem Untertauchen. Dieser Teil des Vergnügens währte drei lange Tage. Aber es war nur das Vorspiel. Am vierten Tag legte der Wind urplötzlich nach Südwesten um und trieb die Salzflotte an Englands Küste entlang weit in den Ozean. Hier traf sie der Orkan. Alles vorher war nur sanftes Schaukeln gewesen. Die Wogen hämmerten gegen die ächzenden Schiffswände, Schaumfetzen flogen bis über die höchsten Rahen. Längst waren die Begleitkoggen außer Sicht. Die von den W e l len gepackte Jonaskogge schien zeitweise in der Luft zu stehen, um dann taumelnd in den Abgrund zu stürzen. An Schlafen war Tag und Nacht nicht zu denken, man war darauf gefaßt, daß es noch kräftiger kommen müsse. Irrlichterud tanzten die Lampen in den Kajüten. Und dann geschah es. Mitten im Heulen und Toben des Sturmes traf ein Donnerschlag das Schiff. Der Großmast krachte über Bord. Sekunden später stand ein Matrose vor Käptn Petersen und schrie: „Die Bugpforten sind zertrümmert, der Kielraum steht unter Wasser!" — „Donner und Blitz, 16
dann nagelt sie eben wieder zu!" brüllte der Kapitän zurück und befahl den Männern, das Wasser aus dem Kielraum wieder herauszubugsieren. Unermüdlich gingen die Eimer von Hand zu Hand. In einer knappen Stunde lag das Ärgste hinter ihnen, die Bugpforten waren wieder gesichert. Aber immer noch tobte das Wetter. Fünf Tage und fünf Nächte zerrte und riß es den hilflosen Schiffskörper durch die aufgewühlte See. Als das Meer sich beruhigte, lag man viele Tage weit von der nächsten Küste entfernt. Und dann machte man sich, soweit es die kläglichen Fetzen der übriggebliebenen Takelage zuließen, auf, nach den übrigen Koggen Ausschau zu halten. Nur zwei von ihnen hatten die schauervollen Sturmtage und -nachte durchgestanden. Petersen fand die überlebenden Schiffe im Bestimmungshafen an der Baie, sie waren mit dem Schrecken und reparierbaren Schäden davongekommen. Aber die anderen? Diese armen K e r l e . . . Kapitän Petersen nickt vor sich hin. Ja, so konnten die Baienfahrten sein! Von den Gefechten mit den Piraten will er gar nicht mehr reden, denn da ist manches besser geworden. Seitdem gut bestückte „Friedenskoggen" — die Kriegsschiffe der Hanse werden so genannt — Geleitschutz geben, wagt sich so leicht kein Korsar mehr heran, um kostenlos zu einer Prise Salz zu kommen.
Salz für Lübeck Die angekündigten und mit viel Spannung erwarteten Baienschiffe nähern sich den Lübecker Hafenkais. Viel Volk ist zum Hafen gezogen, um die Heimgekehrten zu begrüßen und die Fracht in Augenschein zu nehmen. Die beteiligten Kaufherren und Herren vom Rat sind den Schiffen in Hafenbooten entgegengefahren. Man sieht viel festliche Kleidung. Der Kaufmann der Hanse ist in dieser Zeit nur noch selten zugleich Schiffsführer, wie es in den Anfängen des Städtebundes der Fall gewesen ist. Die räumliche Ausdehnung der Handelsverbindungen hat ihn veranlaßt, sich an Bord vertreten zu lassen, Die Kaufleute bleiben daheim in den Kontoren. Sie unter-' halten auch an den Handelsplätzen Vertreter, „Lieger", genannt, die draußen für sie Geschäfte anbahnen und abschließen. Die Salzlieger sind ein besonderer Menschenschlag. Erfahrung und Klugheit mischen sich in ihrem Charakter mit einer guten Portion Durch-
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tricbenheit und Eigennutz. Sie und die Schiffer gilt es ständig bei guter Laune zu halten. Von ihrer Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit hängt zum großen Teil das Gelingen der Fahrt ab. Öffentliche Ehre und klingender Lohn fallen für sie nie bescheiden aus. Ungefähr zweitausend Seemeilen legen die Baienschiffe Lübecks auf einer Hin- und Heimfahrt zurück. Zwei bis drei Monate sind sie vom Heimathafen abwesend. Ein mittelgroßes Salzschiff bringt gut hundert Last Salz mit, das entspricht etwa zweihundert Tonnen. In den besten Zeiten des Baiensalzhandels trägt eine Salzflotte auf einer erfolgreichen Fahrt bis zu zehntausend Tonnen Salz in die Städte der Hanse. Mit Willkommensrufen begrüßt Lübeck seine Kapitäne und Matrosen, als das Empfangskomitec sie ans Ufer geleitet. Kapitän Petersen steht in der vordersten Reihe, um bei der Begrüßung dabei zu sein. Wo man ihn erkennt, macht man dem hochgeachteten Bürger zuvorkommend Platz. Die ersten Boote legen an, die Matrosen springen ans Land, bedächtiger folgen die Herren, alle sichtlich zufrieden, daß sie den „Nußschalen" entronnen sind. Ein ehrlicher Dreimaster ist ihnen lieber als solch ein Hafenboot. Im dichten Menschengewühl bewegt sich die Gruppe der Schiffer, der Kauf- und liatsherren zum Markt und zum Rathaus. Dort ist ein gutes Essen bereitet, das die eintönige Schiffskost schnell vergessen lassen soll. Man hört, daß die Pelze, Felle und der Roggen, die sie zur Baie gebracht haben, vorteilhaft abgesetzt worden sind. Auf der Hinfahrt, als sie in Brügge zwischenlandeten, hat zwar der hanseatische Faktor Bedenken geäußert, da die Holländer bereits mit gleicher Ware unterwegs seien, auch sei die Stimmung der Franzosen gegen den Kaiser nicht gut und man sehe zur Zeit die Hansesehiffe nicht gern in der Baie. Vorsicht sei also auf jeden Fall am Platz. Trotzdem sind die Lübecker, zusammen mit einigen Danziger Großseglern, guten Mutes nach Bourgneuf weitergesegelt, haben entgegen aller Sehwarzsehcrei angenehme Aufnahme gefunden und sind schneller als erwartet ins Geschäft gekommen. Insgesamt haben mit ihnen an hundert Schiffe in der Baie vor Anker gelegen, vornehmlich Engländer und Holländer, aber auch zahlreiche Spanier. Ein buntes Bild von Schiffen und Menschen in dem kleinen Hafen. Mit über achthundert Last Salz in den Frachträumen haben sie nach ein paar Tagen die Taue zur Rückfahrt gelöst. 18
„Peter von Danzig" Am Kai sind noch lange die Matrosen mit dem Ausladen ihrer Habseligkeiten beschäftigt. Jeder Bootsmann ist ein wenig auch Handelsmann, und fast alle haben auf den Schiffen ihr Freigut, vornehmlich Salz, das sie daheim auf eigene Rechnung verkaufen können. Die Schiffs- und Salzherren wissen sehr genau, daß dieses Freigut die Matrosen am Gelingen der Fahrt höchstlich interessiert. Die unentgeltliche Mitführung von Mannschaftswaren ist zudem eine gute Beigabe zur Heuer und tröstet schneller über die erlittenen Unbilden hinweg. Dieses Mal ist das Abenlcuer ohne Schaden oder Verlust an Menschen und Gut verlaufen, in der Freude darüber leeren sich die Pokale an der Ratstafel rascher. Geschichten und Geschichtchen werden zum besten gegeben. Da ist zum Beispiel die Sache, die sich in Danzig vor einigen Jahren mit einem Salzschiff zugetragen hat. Selbst in den Ohren der Lübecker klingt solch ein Stückchen wie die Musik des W i n des nach langer Flaute. Die „Peter von Danzig", von der die Rede ist, hat ursprünglich ,,Peter von Rochelle" geheißen. Seefahrende Leute lieben es nämlich, Schiffe nach deren Heimathäfen zu benennen. La Roehelle ist eine solche Hafenstadt an einer kleinen Bucht der französischen Westküste; es ist sogar ein überaus wichtiger Stützpunkt. Ein Schiff, das den Namen dieses berühmten Hafens tragen will, muß schon ein großer und tüchtiger Kasten sein. Und die „Rochelle" ist solch ein Schiff. Die „Rochelle" kommt eines Tages mit ihrem französischen Eigner nach Danzig, die Laderäume angefüllt mit Meersalz von der Baie. Im Hafen gibt's ein nicht alltägliches Unglück: Ein Blitzschlag spaltet den Hauptmast von oben bis unten, und der Segler wird seeuntüchtig. An eine Rückreise ist nicht zu denken, bevor nicht der kostspielige Schaden behoben ist. Schweren Herzens entschließt sich der Schiffer, ohne seine „Peter von Rochelle" heimzukehren, und gibt einer Danziger Werft den Reparaturauftrag. Ein halbes Jahr vergeht. Ein neuer, stattlicher Hauptmast ist aufgelichtet, und zahlreiche kleinere Schäden sind behoben. Als aber der Schiffsherr aus La Rochelle nach Danzig zurückkehrt und erfährt, was ihn die Sache kostet, trifft's seinen empfindlichsten Nerv. So teuer hat er sich die Arbeit nicht vorgestellt. Ganae tausend Mark Silber fordern die Wcrftletite. Das ist für diese Zeit sehr viel Geld, wenn man bedenkt, daß ein nicht allzu 19
großes neues Schiff nicht mehr als zweitausend Mark Silber kostet. Die üble Laune des Schiffsbesitzers kann man verstehen. Aber in Danzig heißt's zahlen — Pfennig um Pfennig! Der Schiffer aus La Rochclle weigert sich rundweg, die tausend Silbermark auf den Tisch zu legen. Der Streit führt vor das Danziger Gericht, die hohen Gerichtsherren geben den Werftleuten Recht. Der Schiffsherr aber kehrt zum zweiten Mal ohne sein Schiff nach Frankreich zurück, trägt die Klage vor seinen König, und der König fordert energisch die Rückgabe. „ J e d e r zeit", entgegneten die Danziger, „aber Zug um Zug, Schiff gegen Geld!" Und da die Dinge nun wieder dort stehen, wo sie zu Beginn des Streitfalls gestanden haben, liegt die stolze „Rochclle" ein paar Jahre tatenlos im Danziger Hafen vor Anker. Der Streit geht her, der Streit geht hin, ohne Ende. Dann werden's die Danziger leid, besetzen kurzweg das Schiff, lassen es zu einer Friedenskogge umbauen und „geben ihm den neuen Namen „Peter von Danzig". Seitdem fährt es unter der Flagge der Freien Stadt, — Aber vorsichtshalber nicht mehr zur Baie. Die Lübecker haben sich in diesem Streitfall ganz auf die Seite der Danziger geschlagen. Selbsthilfe ist in solchen Fallen einer der Grundsätze der Hanse. Noch ist die Hanse eine Macht, mit der auch ein König rechnen muß.
Das feindliche Salz Das Baiensalz geht von Lübeck in den Osten, nach Norwegen, Schweden und an viele Plätze des deutschen Binnenlandes und wird dort noch einmal in Siedereien verbessert, bis es weiß ist wie Schnee. Die Salinen in Deutschland versäumen keine Gelegenheit, gegen die Einfuhr von Baiensalz Protest zu erheben. Besonders die norddeutschen Salzorte, mit Lüneburg an der Spitze, spüren den Wettbewerb mit dem Meersalz. Schon vor hundert Jahren haben die Lüneburger bei ihrem Herzog Durchfuhrverbote für die „ausländische" W a r e erwirkt. Gegen alle örtlichen Verbote aber setzt sich das Meersalz wegen seiner Billigkeit immer wieder siegreich durch und behauptet seinen Markt. Viele Kaufleute bewerben sich eifrig um königliche und fürstliche Privilegien zum Sieden des Baiensalzes. Man spricht davon, sogar die kaiserliche Majestät wolle in der Lausitz Siedereien anlegen, in denen ausschließlich das Salz der französischen Atlantikküste versotteii werden soll. Solange die Dinge so stehen, fürchtet die Hanse nicht um ihren Salzhandel.
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Für viele Jahrzehnte noch wird diese Erwartung nicht getäuscht; den ersten nachwirkenden Schlag versetzt den Baiensalzhändlern der mächtig gewordene Landesfürst von Brandenburg-Preußen. Einfuhr und Durchfuhr von Baiensalz in die Gebiete, die den preußischen Kurfürsten und späteren Königen Untertan sind, werden mehr und mehr abgedrosselt. Der hanseatische Baiensalzhandel verliert dadurch wichtige Märkte im Landesinnern. Die Kraft der Hanse verzehrt sich zudem im Kampf mit den erstarkenden Landesfürsten. Neue Wege des wirtschaftlichen Lebens bahnen sich ,an. Kapitän Petersen und seine Freunde erfahren nichts mehr von dieser Entwicklung. Zu ihren Lebzeiten brechen nach wie vor die Flotten auf, um auf der großen Salzstraße des Meeres die Ernte der See in die Häfen der Hanse zu schaffen.
Vor 4000 Jahren am Hallsläüer See Weltoffen lie^t die Salzhandelsstadt Lübeck im norddeutschen Küstensaum. In fast völliger Einsamkeit aber verbirgt sich inmitten schwer zugänglicher Gebirge eine andere alte Salzkulturstätte: Hallstatt im oberösterreichisehen Salzkammergut. Von Lübeck bis Hallstatt ist ein räumlicher Sprung von über tausend Kilometern. In der Geschichte der Salzgewinnung und des Salzhandels aber überspringen wir mehr als fünftausend Jahre, wenn der Name Hallstatt aufklingt. Vielleicht waren es streifende Jäger, die um 4000 v. Chr. das Salzlager entdeckt haben, das sich am Westhang des Hallstätter Sees in der erdgeschichtlichen Vergangenheit gebildet hat. Nichts sonst hätte die Menschen von damals in diese urweltliche Gebirgslandschaft locken können. Es gibt in dieser frühen Zeit keinen Weg hierher und nicht einmal einen Saumpfad, und doch siedelt sich der unbekannte Vorzeitmensch an, gräbt Stollen in die Berge und sucht in den Stciltälern rings um den See Auswege für den Handel. Die Steinaxt ist das erste bergmännische W e r k zeug, das sie benutzen. Dann lernen die Hallstätter irgendwo in der Fremde die Herstellung von Bronzegerät kennen, und für ihren Salzbergbau und ihr Leben beginnt ein völlig neues Zeitalter. Es ist um 1000 bis 750 v. Chr. Mit dem festeren und schärferen Werkzeug dringen sie tiefer in den Berg. Sie fertigen leiterartige Steigbäume für ihre 21
Der alte Salzort Hallstatt am Ilallstättcr See. Am Ufer (x) lag die früheste Siedlung der Bergleute, auf der Höhe (xx) der große vorzeitliche Friedhof, aus dessen Gräbern reiche Funde geborgen werden konnten
Sehächte und Salztragkürbe aus Rindsfell an, in denen sie das gewonnene Salz zutage fördern. Bis zu dreihimdertfünfzig Meier lief reichen ihre Stollen hinab. In der Dunkelheit erhellen Leuchtstäbe aus Fichten und Tannenholz und Fackeln aus gebündelten Spänen ihre Arbeitsplätze. Sie tragen lange Ärmelkittel aus Schafwollgeweben und Pelz und lange Tuchhosen: den Kopf schützen sie mit dicken, kegelförmigen Fellmützen. Sie wohnen in Blockhäusern, die wie die heutigen Almhütten gebaut sind. In Fellsäcken und Körben schleppen sie das kostbare Gut die Traun entlang in das Alpenvorland oder durch die Schluchten ins Ennstal und ins Salzburger Land. Es sind Trampelpfade, die erst im Laufe der Zeit zu gangbareren Wegen, zu Salzstraßen, werden. Sie müssen sehr weit gekommen sein, diese salzgewinnenden und -handelnden Bergbewohner des Hallstätter Sees. Die Iländ22
ler tauschen das Salz gegen die Güter des Nordens und des Südens, gegen Bernstein und Gold, gegen Zinn und Kupfer ein. Sie werden so reich, daß sie ihren Toten die erlesensten Gaben mit ins Grab geben können: Spangen und Fibeln aus Bronze mit reicher Bernstein- und Glasverzierung, Armbänder, F u ß - und Fingerringe, Schmuckketten und -gürtel mit kunstvollem Gehänge, Waffen und Goldgerät. Auch das Eisen nehmen sie in ihren Dienst. Die Leistungen dieser Vorzeitmenschen sind so groß, daß man nach ihnen eine Zeitepoche der Vorzeit „die Hallstattzeit" und die dementsprechende Kultur die „Hallstattk u l t u r " genannt hat. Sie ist über Österreich und die Alpenzone, über Süddeutschland, Ostfrankreich und Nordspanien verbreitet. Um 400 v. Chr. dringen Kelten in das einsame Seetal ein und bemächtigen sich der Salzfundstätten und der Einrichtungen der Urbewohner. Seitdem tragen keltische Händler auf den Salzwegen den Reichtum Hallstatts in die Fremde. Unter den Kelten verdrängt das Eisen völlig die Bronze. Sie verstehen es, aus dem neuen Metall Waffen, Sicheln und Sensen, Pflugscharen und Hiebmesser, Hacken und Meißel, Feilen und Scheren herzustellen. Den Kelten folgen um 50 v. Chr. die Römer, die sich über dem See ihre Villen erbauen. Mit der Völkerwanderung versinkt die Kunde von Hallstatt für Jahrhunderte. Als kurz nach 1300 der Salzort wieder ins Licht der Geschichte tritt, sind die österreichischen Herzöge Herren des Landes. Das Gebiet Hallstatt gehört jetzt zur herzoglichen Salzkolonie „Salzkammergut". Dieses Revier ist wie ein Staat im Staate der österreichischen Erblande und führt ein völlig eigenes Leben. Kein Fremder darf ohne Erlaubnis die Gebirgs- und Seenlandschaft .betreten, in der an mehreren Orten Salzbergwerke und Salinen betrieben werden. Wer in den herzogliehen Bergwerken und Siedereien arbeitet, ist ganz dem Beruf als „Salzfertiger" verpflichtet und nicht mehr freizügig. Für die Freiheit, die er aufgibt, stehen ihm viele Vorrechte zu: Der Salzfertiger ist vom Militärdienst und manchen Steuern befreit, er kann ärztliche Hilfe kostenlos in Anspruch nehmen, und wenn er alt ist, sichert ein Altersgeld den Lebensunterhalt. Aus den Wäldern erhält er verbilligtes Holz, und selbstverständlich steht ihm ohne Entgelt die Menge Salz zu, die er in seinem Haushalt verbraucht. Lohn erhält er nur zum Teil in barem Geld, für den Rest werden ihm Korn und dreißig bis vierzig Pfund Schmalz im Jahr geliefert. Freizügiger sind nur jene Salzfertiger, die mit dem Salzertrag auf die Märkte geschickt werden. 23
Das „reiche" und das „arme" Salz Auf den Salzstraßen und in den Städten des Voralpenlandes ist der Handel der Salzfertiger aus dem Salzkammergut aber durch viele ältere Wirtschaftsrechte eingeengt. Bis um die Mitte des 12. Jahrhunderts ist der Markt von Föhring nördlich von München, wo eine Straßenbrücke über die Isar führt, der große Umschlagplatz und zugleich die wichtigste Zollstelle für den Salzhandel gewesen. Marktherr war der Bischof von Freising. Als der Sachsenherzog Heinrich der Löwe auch Herzog von Bayern wurde, waren die Tage des Föhringer Marktes gezählt. Herzog Heinrich ließ kurzerhand die Brücke abbrechen und entzog dem Bisehof die Marktrechte. Brücke und Markt übertrug er auf die kleine Siedlung „Zu den Munnichen" — München —, wo er seine herzogliche Residenz aufzuschlagen beabsichtigte. Der Strom des Salzes spülte reiche Zollgelder in die Mauern dieses aufstrebenden Marktplatzes. München' ist seitdem der beherrschende Platz für den süddeutschen Salzhandel und hält sich vor allem das österreichische Salz vom Leibe. Denn das Salz für München kommt fast ausschließlich aus den Sudbetrieben von Reichenhall. Auch hier ist ein uralter Salzplatz, wo schon die Kelten in vorchristlicher Zeit die aus dem Berg sickernde Sole in Verdunstungsbecken und auf Siedeherden zu Salz verarbeitet haben. Auch die Römer siedeten hier Salz und lenkten zum Schutz der Quellen die Salzach in neue Bahnen. Im Mittelalter haben Klöster, geistliche und weltliche Adelige und bürgerliche Sudherren in Reichenhall Rechte am Salz. Im Handel heißt es das „reiche" Salz, da es von Reichenhall kommt. Nicht weit weg liegt eine andere Gewinnungsstätte für Salz, Hallein im Salzburgischen. „ A r m " ist das Salz von dort, weil es in Bayern beim Handel stets benachteiligt ist. Das Salz von Hallein, dem Salzkammergut und Reichenhall stehen in einem ewigen Wettstreit. Streng ist die Straßenordnung, die dem Reichenhaller Salz auf seinem Transport auferlegt ist. Es wird nach Traunstein und von dort auf zwei genau bestimmten Straßen nach München gebracht. Die Zeiten, in denen man das Salz in Rückentragen oder auf Saumrossen beförderte und es ausschließlich für seine Stadt verkaufte, sind vorüber. Neue Märkte sind erschlossen, und vierspännige Wagen bringen das begehrte Handelsgut von Ort zu 24
Ort. Die Salzsender — so heißen die bayerischen Salzhändler — verstehen ihren Beruf. In den ersten hundertfünfzig Jahren nach der Gründung Münchens haben sich die Münchner Salzsender ziemlich ungestört ihrer verliehenen Rechte erfreut. Dann aber haben die bayerischen Herzöge versucht, die bürgerlichen Rechte zu schmälern. Die Salzsender fanden Hilfe bei Kaiser Ludwig, der selber ein Bayer war. Im Jahre 1327 wurde München von einer, furchtbaren Katastrophe heimgesucht. Ein gewaltiges Feuer zerstörte über ein Drittel der Stadt. Eine ganze Nacht und einen ganzen Tag wütete der Rote Hahn in den engen Gassen, fraß sich durch die Stroh- und Schindeldächer und legte ein Haus nach dem anderen in Asche. Machtlos mußten die Bürger das Unheil über sich ergehen lassen. Ein zweites Mal half der Isarstadt das Salz. Die Bürger wandten sich mit einem Hilferuf an ihren Landsmann, den Kaiser. Ein für alle Mal wollten sie ihr- Recht auf den Salzstapel gesichert wissen. Niemand, auch kein Herzog, dürfe es antasten. Ludwig der Bayer half seiner Stadt in ihrer Not. Im November 1332 wurden die Münchner Salzrechte in einer Goldenen Bulle des Kaisers bestätigt und auf „ewige Zeiten" bekräftigt. Nur Münchner Salzsender durften künftig Salz nach München bringen, und an keiner Stelle zwischen Landshut und den Alpen durfte Salz über die Isar gebracht werden, außer in München. Damit kam Geld in das Stadtsäckel und unter die Bürger, und sie konnten ihre Stadt wieder aufbauen. Nur was die „Ewigkeit" dieser Vorzugsstellung anbetrifft, da war ihre Hoffnung zu groß gewesen.
Das „Röhrlsalz" vom Inn Denn es ist eine böse Überraschung, die der Münchner Salzsender Matheus Sendlinger erleben muß, als er in einem der ersten Jahre des 15. Jahrhunderts mit einer Reichenhailer Salzfracht nach Lindau kommt. Weithinaus ins Land, nach Augsburg, Ulm bis hinein in die Grafschaft Württemberg und sogar bis in die Schweiz wird das Salz aus Reichenhall über München geliefert. Doch die verbrieften Rechte schützen nicht vor der Konkurrenz. Das stellt Sendlinger sehr bald in Lindau fest. Bieten doch Kaufleute aus dein Innsbrucker Land das „Röhrlsalz" aus Hall am Inn um ganze drei Gulden für das Faß billiger an, 25
als es der Matheus mit seinem „ r e i c h e n " Salz tun kann. Die Lindauer behaupten zudem, das Salz von Hall, das unter Mißachtung Münchens zum Bodensee gebracht wird, sei in seinem Geschmack viel besser. Der Bericht des Salzsenders nach seiner Rückkunft lös't bei den Handelskollegen und dem Rat Münchens große Bestürzung aus. Es ist höchste Zeit, daß man mit den Herzögen und den anderen Städten, die am Geschäft mit dem Reichenhaller Salz interessiert sind, ein offenes Wort spricht. Man wird eine „Konferenz auf höchster Ebene" einberufen. Frei muß es ausgesprochen werden, welche Ärgerei man mit der Konkurrenz hat, daß man von auswärts versucht, die Fuhrleute im Lohn zu drücken und daß tatsächlich das „ r e i c h e " Salz in seiner Güte merklich nachläßt. • . Im Herbst 1404 ist es soweit. In München treffen sich die vier bayerischen Herzöge mit den Stadtvertretern von München und Reichenhall. Sehr freundschaftlich scheint die Stimmung nicht gerade zu sein. Herzog Ernst hat einen heftigen Streit mit München noch nicht vergessen, der erst vor einem guten J a h r beigelegt worden ist. Die Herzüge sind auch untereinander nicht einer Meinung, ganz zu schweigen von den Gegensätzen zwischen den Stadtvertretern. Die Salztagung von 1404 ist nur die erste von vielen, die folgen werden. Eine nachhaltige Änderung bringen sie alle nicht. Zu verschieden sind die Wünsche und zu gegensätzlich die Interessen. Inzwischen aber machen die Salzleute vom Inn, die Halleiner und die aus dem Salzkammergut, das beste Geschäft.
Die „überreifer'* Der Münchner Stadtschreiber Hans Rosenbusch hat ständig Klagen über die unerquicklichen Zustände im Salzhaudel anzuhören. Da Bayern in vier Herzogtümer zerrissen ist, beschweren sich die Salzfuhrleute, daß sie in jedem Herzogsland neue Abgaben entrichten müssen. 1429 beruft Hans Rosenbusch eine Versammlung nach Straubing ein, um die vielerlei Mißstände in Politik und Wirtschaft zu erörtern. Die Münchner Berchtold Lintacher, Franz Tichtl, Hans und Peter Rudolf begleiten ihn. Es sind die angesehensten Männer aus dem Rat und aus der Zunft der Salzsender. Viel wird diskutiert. Aber was nützt es, wenn man sich auf dem Papier 26
Durch das Isarter Münchens fuhren die Salzzüge aus dem Reichenhaller Land auf den großen Salzmarkt der Isarstadt. Der heutige Münchner Dom, die Frauenkirche, trägt um 1500 noch nicht die kugeligen Turmhaiibcn (Ausschnitt aus einem Panorama Münchens in der „Wcltchronik" des Nürnberger Geschichtsschreibers Hartmann Schedel)
einigt? Die Zeitläufte sind miserabel. Nicht genug, daß sich die Herzöge und Städte gegenseitig befehden. An allen Orten gibt es Raubritter und Strauchdiebe, die ihren Vorteil aus der allgemeinen Verwirrung ziehen. Salzfuhrwerke werden geplündert, Salzsender gefangen fortgeführt und von ihnen hohe Lösegelder erpreßt. Es erscheint fast als ein Wunder, daß der Handel überhaupt noch funktioniert. Wenn sich wenigstens die Städte einigen könnten, um Handel und Wandel wieder in geordnete Bahnen zu lenken! Daran, daß es auch die Herzöge tun, wagt Rosenbusch gar nicht mehr zu denken. Das geteilte Land ist eine wenn auch bittere Tatsache. Das letzte und einzige Mittel bleibt die Selbsthilfe. Die Straßen müssen sicherer weiden. Es muß auch, wenn nötig mit Gewalt, verhindert werden, daß Salzfuhren auf verbotenen Wegen reisen. Solche Wege führen im Norden an München vorbei nach Augsburg. München und sein Herzog werden berittene Söldner ausschicken, die alle Fahrzeuge genau auf Herkunft und Ziel prüfen. Diese „ ü b e r r e i f e r " oder „Salzreiter" streifen meist auf der Strecke nach Augsburg. Zwischen Dachau und München, dann nordwärts am Flußlauf der Amper entlang bis in die Höhe von Pfaffenhofen sind die städtischen und herzoglichen Patrouillen unterwegs. Ist eine Schmuggelkolonne entdeckt, nützt eine Flucht nichts mehr. Die schweren mehrspännigen Wagen mit ihrer gewichtigen Fracht können den berittenen Schergen nie entkommen. Der Fuhrmann muß genau seinen letzten Stapelplatz nachweisen können. Lautet er nicht auf München, dann ist es um die Weiterreise geschehen. Die ganze Ladung ist „herrenloses" Gut, das man beschlagnahmt und zur Isarstadt bringt. Doch läßt sich trotz der Überwachung der unerlaubte Handel mit fremdem Salz nicht ganz ausrotten. Unternehmungslustige Kaufleute aus Augsburg schicken immer wieder ihre Fuhrknechte auf die Reise zu unerlaubten Salzgewinnungsplätzen. Sie wissen nur zu gut, d a ß die Salzreiter nicht sehr zahlreich sind und das ganze Land nicht absperren können. Genügend Fuhren gelangen durch das * weitmaschige Sicherungsnetz und kehren wohlbehalten mit Salz nach Augsburg zurück. Die Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts vergehen. Den ewigen Erbteilungen in Teilherzogtümer wird 1506 ein Ende gesetzt und das ganze Herzogtum Bayern in einer Hand wieder vereinigt. Der herzogliche Hof beginnt in Reichenhall Gewerksanteile von Siedestellen aufzukaufen. Kluge Salzsender ahnen, was das bedeu-
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tet. Hat der Fürst erst einmal Einfluß auf die Salzgewinnung,' dann dauert es nicht mehr lange, und er ist Herr auch über den Handel. Die guten, alten Zeiten des bürgerlichen Salzhandels in München gehen ihrem Ende entgegen. Wer ein rechter Geschäftsmann ist, der schaut sich beizeiten nach neuen Gewerben um. Längst ist man in München nicht mehr vom Salz allein abhängig, und mancher Salzsender entdeckt, daß man auch mit italienischem Wein und flandrischem Tuch Gulden verdienen kann.
Auf dem Salzmarkt W e n n die Salzfuhrwerke aus dem Reichenhaller Land nach München kommen, passieren sie nach der Dberquerung der Isarbrücke die Salzzollstelle unter dem Taltor, auch das Isartor genannt. Links vor dem Doppeltor steht die Stadtwache, Knechte mit Hellebarden und kurzen Schwertern, und prüft jeden Fremden und jede Fracht beim Betreten öder Verlassen der Stadt. Der Salzzoll ist nur einer der Zölle, die hier gefordert werden. Da gibt's noch den Brückenzoll, den Zoll für die Saumrosse, den Marktzoll und schließlich zum Abschied den Ausfuhrzoll. Dicht hinter dem Isartor beginnt der Schrannenplatz, der sich bis zum Marienplatz und Rathaus hinzieht. Hier werden viele Geschäfte betrieben, hier kaufen die Handwerker ihre Geräte, die Bäcker i h r Mehl, und auch Salz wird hier umgesetzt. Am Mittwoch ist Markttag. Seit Tagen ist das eingeführte Salz in den städtischen Salzstädeln gelagert. Die Herbergen sind mit Salzgästen und FuhrkneeJiten besetzt. Neben bayerischen und schwäbischen Lauten hört man auch welsche Stimmen, denn von weither kommen die Salzkäufer, die Salzgäste. Sobald der Markt eröffnet ist, schleppen die Salzlader die Lasten heran. Vereidigte Salzmesser prüfen die Menge und die richtigen Maße. Wichtige Amtsperson ist auch der Krötelschrciber. Er führt das „Krötelbuch", ein Register, das Auskunft gibt über den Umsatz eines bestimmten Salzmaßes. Die kleinen Verkaufsstände und Buden haben viel Zuspruch, Speise und Trank werden feilgeboten und die zahlreichen kleinen Dinge, die reisende Leute brauchen. Qualität und Gewicht des Salzes lassen oft zu wünschen übrig. Die Protokolle vermerken manche Beanstandung, -und die städtischen Salzbeamten müssen energisch darüber wachen, daß das herkömmliche Recht gewahrt bleibt. Schön weiß und sauber muß 29
das Aussehen sein. Die Scheibe ist die gängigste Handelsform. Eineinhalb Zentner Salz gehen auf eine Scheibe Salz. Leichtere Scheiben geben Anlaß zu vielerlei Verdruß. Aber selbst hohe Geldbußen und empfindliche Ehrenstrafen verhindern nicht, daß immer wieder einmal ein kleinerer oder größerer Betrug versucht wird. Mancher Salzgast kauft das Salz gleich in „Kröteln" oder „Putschen" ein, Salzmaßen, die drei oder fünf gewöhnlichen Scheiben entsprechen. Daß der Trubel auf dem Markt nicht ausartet, dafür sorgt die Marktordnung. Wo würde man sonst hinkommen, wenn jeder sein Salz beliebig lagern, die Fuhrwerke da und dort abstellen und den Verkehr aufhalten dürfte! Leicht ist es nicht, das lebhafte Treiben im Zaum zu halten. Die ersten Salzkäufer rüsten zum Aufbruch. Durch das Neuhausertor verlassen sie die Stadt. Langsam wird es auf dem Markt und in den Salzstädeln übersichtlicher. Bei einigen Maß Bier lassen sich die Salzsender den Umsatz rasch noch einmal durch den Kopf gehen. Seit Bayern wieder einen Herzog hat und alle Sudstellen in Reichenhall dem Herzog gehören, hat sich manches geändert. Alles ist teurer geworden. Die Salzsender müssen heute schon für die Scheibe Salz mehr als hundertzwanzig Silberpfennig bezahlen. Dazu kommen die Fuhre nach München, die vielen Abgaben, das Stadelgeld, und ein paar Pfennig muß man schließlich für Geschäftsunkosten noch draufrechnen. Es wird nocli so weit kommen, daß eine Scheibe Salz einen ganzen goldenen Gulden kostet. Die herzoglichen Räte sagen, daran seien nur die Salzsender schuld. Aber das ist nicht wahr. Dem Salzsender bleiben an einer Scheibe nur noch zehn Pfennig Verdienst, und wenn er das ganze J a h r zusammennimmt, so erreicht sein Einkommen knapp dreißig Pfund Pfennige. Sein Vater hat es fast auf das Doppelte gebracht. Zudem ist ihre Zunft größer geworden, und für viele unter ihnen hat auch der Umsatz abgenommen. Wenn es nach dem herzoglichen .Großzöllner ginge, dann hätte für die Salzsender schon längst das letzte Stündchen geschlagen. Es fehlt nicht mehr viel, und der Herzog hat sowieso die ganze Organisation des Salzhandels unter seiner Gewalt. Deshalb eben macht sich mancher mit dem Gedanken eines Berufswechsels vertraut. Da sind Schankgerechtigkeiten für Wein in München zu vergeben, neue Herbergen braucht man in der Stadt, und auch sonst noch gibt es allerlei Gewerbe, wo mau einmal einen Versuch machen kann. Die Zeit wird's zeigen. 30
So wehren sich die Salzhändler nicht allzusehr, als Jahrzehnte später der Handel mit dem „ r e i c h e n " Salz Monopol des Landesfürsten wird. 1586 ist es soweit. Der vierhundert J a h r e alte bürgerliche Salzhandel in München ist beendet. Die Stadt — wie manch andere Stadt in deutschen Landen — verdankte diesem Handel ihre Gründung und einen Teil ihrer Wirtschaftskraft, Der Staat tritt das Erbe an.
UmschlaggcstaHung: Karlheinz DobsKy Abb. auf dem Umschlag: Hanse- und Salzhandelsstadt Köln, wo viel Baiensalz eingeführt wurde (Stadtansicht von Anton Woensani, 1531); UmschlagSeite 2: ' Seileinfahrt ins Salzbergwerk, die Bergleute saßen in den Seilschlingen; Abb. Seite 2: Salztransnort (altdeutscher Holzschnitt); Abb. Seite 11: nach ,einem Wandbild im Museum für Meereskunde* Berlin; Foto Seite 22: Prof. Friedrich Morton
L u x - L e s e b o g e n 2 8 4 (Geschichte) — H e f t p r e i s 2 5 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig oder können dort nachbestellt werden — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München
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